Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich eröffne die Sitzung.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Gutachtens der Sachverständigen-Kommission für die Deutsche Bundespost vom 6. November 1965 sowie der Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksachen V/203, zu V/203 -Das Wort hat der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf Beschluß des Deutschen Bundestages beauftragte die Bundesregierung am 15. Juli 1964 eine Sachverständigen-Kommission mit der Prüfung der Verhältnisse bei der Deutschen Bundespost. Die Kommission sollte untersuchen, wie die Deutsche Bundespost ihre Aufgabe „auf die Dauer in optimaler Weise und ohne Defizit erfüllen kann".
Die Sachverständigen haben in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit eine umfangreiche und hervorragende Arbeit geleistet. Sie haben die Verhältnisse der Deutschen Bundespost sehr sorgfältig studiert und dabei nicht nur die einzelnen Dienstzweige untersucht, sondern sich auch eingehend mit der Finanzlage der Deutschen Bundespost beschäftigt.
Die Bundesregierung stellt mit Befriedigung fest, daß sich die Kommission ihres Auftrages mit großer Intensität und Sachkenntnis angenommen hat; sie spricht den Sachverständigen für ihre gründliche, gewissenhafte und umfassende Arbeit ihren besonderen Dank aus.
Das Gutachten der Kommission ist frei von allen politischen Überlegungen und Rücksichtnahmen; es beurteilt die vorgefundene Lage der Deutschen Bundespost mit nüchterner wirtschaftlicher Ratio. Neben den betriebsstrukturellen Schlußfolgerungen für die einzelnen Dienstzweige - ich darf hierzu auf die
Ihnen vorliegende Stellungnahme der Bundesregierung verweisen - liegt der Schwerpunkt des Gutachtens in den grundsätzlichen Ausführungen über die künftig einzuschlagende Gebührenpolitik, die finanziellen Auswirkungen der Ablieferung an den Bund, die Bedeutung der betriebsfremden Lasten sowie in den Vorschlägen zur Verbesserung der Kapitalstruktur des Sondervermögens.
Ich darf das zusammenfassende Urteil der Kommission vorwegnehmen: Nach Auffassung der Sachverständigen-Kommission hat sich „mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß die Bundespost im Kern ein fortschrittliches und gut durchorganisiertes Unternehmen ist, dessen wirtschaftlich und finanziell betrübliche Lage hauptsächlich auf betriebsfremde Einflüsse zurückzuführen ist". Die Ursache dieser unerfreulichen Lage sieht die Kommission in der Gebührenpolitik, die in der Vergangenheit eine möglichst hohe Stabilität der Gebührensätze anstrebte. Die dabei erzielten Erträge haben jedoch nicht ausgereicht, um das finanzielle Gleichgewicht zu wahren, obwohl die Postverwaltung organisatorisch und betrieblich große Anstrengungen unternommen hat, um eine wirtschaftliche Betriebsführung zu sichern. Politisch gebundene Preise gefährden aber nach Meinung der Kommission nicht nur das finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens selbst, sondern erschweren letzten Endes auch den Ausgleich des Bundeshaushalts; dem müsse rechtzeitig vorgebeugt werden.
Die Kommission konzentrierte daher ihre finanziellen Überlegungen auf folgende Fragen: 1. Wie kann die Bundespost wieder ihre Rentabilität herstellen? 2. Wie kann eine ausreichende Kapitalversorgung sichergestellt werden, damit die Post ihren Aufgaben gerecht werden kann?
Zur Frage der Rentabilität führen die Sachverständigen in ihrem Gutachten folgendes aus: Eine Hauptvoraussetzung für eine nachhaltige finanzielle Gesundung des Posthaushaltes bestehe darin, daß die Preise für Postdienstleistungen nicht länger als politische Preise angesehen würden, die keinesfalls geändert werden dürften. Auch öffentliche Unternehmen unterlägen ökonomischen Gesetzen. Daher könne sich auch die Bundespost dem allgemein steigenden Trend der Preise für Dienstleistungen nicht entziehen. Unterbinde man aber aus politischer Rücksichnahme kostengerechte Gebührenerhöhungen, so müßten früher oder später die Steuerzahler das dadurch entstehende Defizit begleichen.
Aber das, meine Damen und Herren, der Ausgleich des Postdefizits durch die Steuerzahler, ist ja nicht der Sinn der von den gesetzgebenden Körperschaften mit Bedacht gewählten Sonderkonstruktion für die Verwaltung des Post- und Fernmeldewesens. Sowohl der Deutsche Bundestag als auch sein Vorgänger, der Deutsche Reichstag, haben ja gerade deshalb ein Sondervermögen geschaffen, um etwaige Fehlbeträge aus dem Post- und Fernmeldebetrieb von den Steuerzahlern fernzuhalten. Daher heißt es auch in § 15 des Postverwaltungsgesetzes, daß die Bundespost ihren Haushalt so aufzustellen unddurchzuführen hat, daß sie die zur Erfüllung ihrer Aufgaben und Verpflichtungen notwendigen Ausgaben aus ihren Einnahmen bestreiten kann.
Warum ist es aber in den letzten Jahren nicht mehr gelungen, diesen Grundsatz durchzuhalten? Einfach deshalb, weil die Lohn- und Gehaltsdynamik und andere Kostenfaktoren unsere bisherige Gebührenpolitik überrollt haben. Die Sozialpartner legen nämlich ihrer Lohn- und Gehaltspolitik gewissermaßen als legalen „Maßstab" die Entwicklung der volkswirtschaftlichen Produktivitätsrate zugrunde. Sie ist in den letzten Jahren nach vorübergehender Stagnation wieder rasch gestiegen. An der volkswirtschaftlichen Produktivitätsrate und an der Preisentwicklung orientieren sich aber alle Lohn-und Gehaltsverhandlungen. Daher haben wir in den letzten Jahren auch bei der Bundespost einen raschen Auftrieb der Löhne und Gehälter erlebt.
Dienstleistungsbetriebe sind aber nun einmal wegen ihrer hohen Personalintensität gegenüber Lohn- . und Gehaltssteigerungen außerordentlich kostenempfindlich. Das zeigt die Preisentwicklung für gewerbliche Dienstleistungen mit aller Deutlichkeit. Hier haben sich die Entgelte seit der Währungsreform im Schnitt mehr als verdoppelt, teilweise sind sie um das Vielfache gestiegen. Die Entgelte für öffentliche Dienste sind dagegen weit hinter dem allgemeinen Preisauftrieb zurückgeblieben. So kostet z. B. der Fernbrief - also eine recht personalintensive Dienstleistung - auch heute noch das gleiche wie vor 15 Jahren. Mit einem Lohnkostenanteil von 64,5 % zählt aber auch die Bundespost zu den besonders arbeitsintensiven Dienstleistungsbetrieben, und die daraus entstehende Kostendynamik hat ihre finanzielle Krise ausgelöst. In den vergangenen 16 Jahren konnten nur bei 7 Jahresabschlüssen Reingewinne erzielt werden; seit 1961 schlossen alle Rechnungsjahre mit mehr oder weniger großen Verlusten ab.
Postdefizite sind freilich keine spezifisch westdeutsche Erscheinung. Nahezu alle Postverwaltungen kämpfen mit einem ständigen Ungleichgewicht zwischen Aufwand und Ertrag und müssen wegen der hohen Personalkosten teilweise beachtliche Verluste hinnehmen. Besonders hoch sind beispielsweise die Fehlbeträge in der amerikanischen Postverwaltung. Hier erreichten sie im vergangenen Jahr 792 Millionen Dollar, das sind über 3 Milliarden DM. Die Finanznot der Post ist also „international" und damit kein typischer Mangel oder gar ein schuldhaftes Versagen der Deutschen Bundespost. Doch gibt es keinen Grund, der diesen Zustand auch künftig rechtfertigen würde.
Mit der Gebührenpolitik verhält es sich aber wie mit der Steuer. Auch Gebührenerhöhungen sind höchst unpopulär; man schiebt sie deshalb begreiflicherweise möglichst lange hinaus.
({0})
Jahrelang haben wir versucht, die wachsenden Kosten durch Rationalisierungsmaßnahmen aufzufangen. Das ist uns in den vergangenen 1 1/2 Jahrzehnten auch weitgehend gelungen - dank der technischen Fortschritte, die die Fernmeldeindustrie durch intensive Entwicklungsarbeit gemeinsam mit uns erzielt hat.
Will man aber die Bundesregierung im Ernst dafür schelten, daß sie sich in den ersten Abschnitten des wirtschaftlichen Wiederaufbaus bemüht hat, Gebührenerhöhungen von den Postbenutzern soweit wie möglich fernzuhalten? Die Sachverständigen beanstanden freilich, daß wir uns nicht marktwirtschaftlich genug verhalten haben. Hätten wir aber für unsere Leistungen Marktpreise oder - wie die Sachverständigen empfehlen - gar Knappheitspreise im Fernsprechdienst genommen, so hätte die gewerbliche Wirtschaft schon viel früher und sehr tief in die Tasche greifen müssen. Es fragt sich aber, ob es Aufgabe einer Staatsverwaltung ist und sein kann, die Situation eines ausgeprägten „Verkäufermarktes" voll auszunutzen und in Form von „Knappheitsrenten" zusätzliche Gewinne einzustreichen.
Hier geht es also um eine entscheidende wirtschaftliche Grundsatzfrage, um das „Leitbild einer staatlichen Unternehmensführung", wenn ich das einmal so ausdrücken darf. Die Bundesregierung hat in ihrem Auftrag an die SachverständigenKommission das Wort „Rentabilität" bewußt vermieden. Die Sachverständigen halten dieses Unternehmensziel „aus marktwirtschaftlicher Sicht" heraus jedoch für unerläßlich. Hier stehen sich offenbar zwei völlig verschiedene Auffassungen gegenüber, wobei mir die Unterscheidung von Rentabilität und Wirtschaftlichkeit bedeutsam erscheint. Die öffentliche Meinung ist oft geneigt, ein negatives finanzielles Ergebnis, also eine mangelnde Rentabilität, einem unwirtschaftlichen Verhalten der öffentlichen Hand gleichzustellen, ohne zu bedenken, daß möglicherweise unangemessene Entgelte die Ursache dieses Defizits sind. Die Verwaltung sieht in ihrem Tun traditionsgemäß eine hoheitliche Aufgabe, bei der der Staat die Unternehmensziele setzt. Dies bedeutet, daß das unternehmerische Leitbild der Deutschen Bundespost nicht losgelöst von den Grundsätzen der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung entstehen kann.
Die Sachverständigen dagegen sind der Auffassung, daß die der Post gestellten Aufgaben durch „marktwirtschaftliches Verhalten" zu lösen seien und die Bundespost nach kaufmännischen Gesichtspunkten geführt werden müsse. Nach dem Ergebnis dieser Empfehlungen der Kommission soll sich die Deutsche Bundespost somit bei allen ihren Dispositionen wie ein gewerbliches Unternehmen dem geltenden Wirtschaftssystem entsprechend, also
marktkonform verhalten. Im Sinne des Gutachtens der Sachverständigen wäre es daher nur „systemgerecht", auch die Organisationsform der Bundespost kaufmännischen Gepflogenheiten anzupassen und das Post- und Fernmeldewesen in der Rechtsform eines gewerblichen Unternehmens betreiben zu lassen. Mir scheint, daß dabei die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung, die Aufgabe der Deutschen Bundespost als Daseinsvorsorge, nicht ausreichend genug bewertet wurde. Da die SachverständigenKommission zu der organisatorischen Umgestaltung der Unternehmensleitung sehr weitgehende Vorschläge gemacht hat, die darauf abzielen, die Bundespost von einer nach administrativen Gesichtspunkten geleiteten abhängigen Staatsverwaltung in ein möglichst unabhängiges Wirtschaftsunternehmen umzuwandeln, bedarf es hierzu noch einer eingehenderen Meinungsabklärung zwischen den beteiligten politischen und gesetzgebenden Organen.
Wenn die Sachverständigen zur Wiederherstellung der Rentabilität des Postsondervermögens runter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten kostendeckende Gebühren fordern, so kann man natürlich beanstanden, daß die Kostendeckung in den einzelnen Dienstzweigen starke Unterschiede aufweist. Eingehende Kostenuntersuchungen der Post haben aber gezeigt, daß gerade jene Dienstzweige besonders defizitär sind, ,die eine überdurchschnittliche Arbeitsintensität aufweisen. Dazu gehören der Telegrammdienst, der Paket- und Päckchendienst, der Postscheckdienst, der Postzeitungsdienst, der Postanweisungsdienst sowie der Rentendienst. Das betriebswirtschaftliche Ergebnis dieser Dienstzweige erweist sich mit einer geradezu naturgesetzlichen Regelmäßigkeit als eine Funktion des Produktionsfaktors „Arbeit". An ihrem finanziellen Ergebnis läßt sich die Faustregel ablesen: Je höher der Anteil der Personalkosten in einem Postdienst, desto größer das Defizit und desto geringer die Chance eines finanziellen Erfolges. Rentabilitätsmäßig gesehen beginnt die „kritische Zone" beim derzeitigen Gebührenstand in allen Dienstzweigen mit einem Lohnkostenanteil von 50 % und mehr.
Soll also der vom Gesetzgeber geforderte Ausgleich der Betriebsrechnung gelingen, so müssen aus dieser Tatsache auch die notwendigen gebührenpolitischen Konsequenzen gezogen werden. Wer Postdienste in Anspruch nimmt, muß sie auch kostengerecht bezahlen, d. h. also, daß künftig im Prinzip jede Kostensteigerung - stamme sie aus der Lohn- und Gehaltsentwicklung oder sei sie eine Folge des allgemeinen Preisanstiegs -, die nicht durch Produktivitätssteigerung und Rationalisierung aufgefangen werden kann, zwangsläufig eine entsprechende Gebührenordnung auslösen muß.
Am konsequentesten hat dies die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in ihren Richtlinien zur Vereinheitlichung der Briefpostgebühren im Gemeinsamen Markt zum Ausdruck gebracht. Sie legt ihrem Vorschlag einen marktkonformen Anpassungsmechanismus für derartige Kostensteigerungen zugrunde. Lohngekoppelte Postgebühren sind also auch nach Auffassung der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
unerläßliche Voraussetzungen für die Erhaltung der finanziellen Stabilität bei den Post- und Fernmeldeverwaltungen. Diese Auffassung vertritt auch die Sachverständigen-Kommission, wenn sie meint, daß die Spar- und Rationalisierungsmöglichkeiten bescheiden seien im Vergleich zu den erheblichen Kostensteigerungen, denen sich die Bundespost Jahr für Jahr in Form von Lohn- und Gehaltserhöhungen gegenübersähe.
Wir müssen also damit rechnen, daß die Kostendynamik künftig mit voller Wucht auf die Entgelte durchschlägt. Wird die Gebührenpolitik .den veränderten Kostenverhältnissen nicht angepaßt, so laufen wir Gefahr, die finanzielle Stabilität des Postsondervermögens von Grund auf erneut zu unterhöhlen.
({1})
Es sollte auch nicht übersehen werden, daß die jetzt dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost vorliegenden Anträge auf Erhöhung der Postgebühren, die uns noch in diesem Jahr ein Mehr von 500 Millionen DM bringen sollen, noch keinen vollen Ausgleich der Betriebsrechnung ermöglichen. Es bleibt selbst dann noch eine Kostenunterdeckung von 200 bis 250 Millionen DM, wenn man nach den üblichen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen kalkuliert.
Dabei enthält diese Rechnung noch keine Mark für die Investitionsfinanzierung, auf die ich gleich noch näher zu sprechen komme. Da überdies allein für das laufende Jahr wiederum ein Mehr an Personalkosten in Höhe von 455 Millionen DM aufzubringen ist, wobei die zu erwartende Lohn- und Gehaltserhöhung für Angestellte und Arbeiter noch nicht einmal berücksichtigt ist, stellt die beabsichtigte Gebührenerhöhung also nur einen ersten Schritt im Rahmen der finanziellen Neuordnung der Bundespost dar.
In diesem Zusammenhang wird in der Öffentlichkeit immer wieder der Wunsch vorgebracht, die Bundespost möge doch, wie es auch die gewerbliche Wirtschaft tue, die steigenden Lohnkosten durch verstärkte Rationalisierung und Mechanisierung auffangen. Hierbei werden nicht nur dieorganisatorischen und betrieblichen Schwierigkeiten der Realisierung derartiger Wunschvorstellungen unterschätzt, sondern auch der Zeitbedarf, der erforderlich ist, um technische Möglichkeiten betriebsreif zu machen.
Die Elektrifizierung der Deutschen Bundesbahn - um einige Beispiele zu nennen - läuft bereits ein Jahrzehnt und ist noch keineswegs abgeschlossen. Die Automatisierung des Fernsprechdienstes begann im Ortsdienst bereits nach dem ersten Weltkrieg. Das letzte Handvermittlungsamt wird in diesem Jahr auf die Vollautomatisierung umgestellt. Im Ferndienst haben wir von 1949 bis heute eine Automatisierung von 96 % erreicht.
Die öffentliche Meinung übersieht ferner, daß es keinen logischen Zusammenhang zwischen Lohn-und Gehaltserhöhungen und vorhandenen Rationalisierungsmöglichkeiten gibt. In den Dienstleistungsbereichen verlaufen die Rationalisierungsprozesse bedauerlicherweise langsamer als die Lohnwelle. Sie
können mit der raschen Folge von Lohn- und Gehaltserhöhungen nicht mehr Schritt halten. Welches technische Verfahren ist so praktikabel und so ertragsstark, daß es uns möglich wäre, den in diesem Jahr fälligen Mehraufwand für Löhne und Gehälter von mehr als 1/2 Milliarde DM noch im Laufe des Rechnungsjahres aufzufangen?
Die Deutsche Bundespost ist, da sie keine eigene Fertigung betreibt, im technischen Bereich doch weitgehend abhängig von den Fortschritten, die die Fernmeldeindustrie im „know how" erzielt. Selbst aus Industriekreisen ist immer öfter zu hören, daß sich der Spielraum für Rationalisierungen mehr und mehr verengt.
Ist aber das neue Verfahren dann endlich betriebsreif, so taucht last not least die Frage auf, ob auch das nötige Investitionskapital verfügbar ist. Da es sich bei den Investitionsvorhaben der öffentlichen Wirtschaft meist um einen beträchlichen Millionenodor gar Milliarden-Bedarf handelt, geraten diese Vorhaben leicht in Gegensatz zur amtlichen Kapitalmarktpolitik und zur Forderung eines antizyklischen Verhaltens der öffentlichen Hand, ganz abgesehen davon, daß sich mancher öffentliche Dienst der Automatisierung weitgehend unzugänglich erweist, wie beispielsweise die Briefzustellung oder die Paketbeförderung, um nur zwei zu nennen.
Das soll und darf natürlich nicht heißen, daß es sich die Verwaltung nun bequem macht und jede Kostensteigerung mittels einer Gebührenerhöhung einfach auf den Postkunden abwälzt. Wir werden und müssen uns auch weiterhin bemühen, durch Ausnutzung aller technischen und organisatorischen Möglichkeiten die unvermeidbaren Kostensteigerungen aufzufangen und so weit wie möglich auszugleichen. Die Kosten zu senken mit allen Mitteln, die die betriebswirtschaftliche Forschung bereithält, ist das selbstverständliche Ziel einer wirtschaftlichen Betriebsführung auch im öffentlichen Dienst. Ihm dienen ja die vielfältigen Bestimmungen haushaltsrechtlicher Art, die Institution des Bundesrechnungshofs, der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung sowie die eigenen Wirtschaftlichkeitskontrollen, der Zwang zum ökonomischen Verhalten und die von unseren Schwesterverwaltungen im Ausland als vorbildlich anerkannte betriebswirtschaftliche Ergebnisrechnung. Das verfügbare fachliche Instrumentarium mit voller Wirksamkeit einzusetzen gehört zu den vornehmsten und ersten Aufgaben unserer Verwaltung, die mit ihrem vielseitigen Arbeitsgebiet wie kaum ein anderes öffentliches Unternehmen mannigfache Möglichkeiten bietet, kostensparende Arbeitsverfahren zu erproben.
Das sind keinesfalls nur schöne Worte! Daß wir hier in den vergangenen Jahren das Unsere getan haben und nicht hinter der allgemeinen Entwicklung herhinken, haben neuere Untersuchungen über die Entwicklung der Produktivität im Post- und Fernmeldewesen klar ergeben. Von 1952 bis 1964 hat die Produktivität in der gewerblichen Wirtschaft - bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt - um etwa 77 % zugenommen. Im Bereich des Post- und Fernmeldewesens liegt die Produktivitätssteigerung bei 72 %. Das scheint mir ein für einen Dienstleistungsbetrieb außerordentlich günstiges Ergebnis zu sein. Die Bundespost gilt heute als eine der modernsten und bestausgestatteten Postverwaltungen der Welt. Ich sage das ohne jede Überheblichkeit oder Übertreibung. Alle Möglichkeiten des technischen Fortschritts werden erprobt und genutzt. Die ausländischen Postverwaltungen verfolgen unsere Bemühungen mit regem Interesse. Der Andrang von Fachexperten aus allen Ländern der Welt zu unseren Versuchs- und Erprobungsstellen ist so stark, daß für diese Dienststellen besondere Besucher- und Beratungsdienste eingerichtet werden mußten. Die Deutsche Bundespost kann es sich einfach nicht leisten, technisch in Rückstand zu geraten. Schon ihre Kostenstruktur, das niedrige Gehaltsniveau im einfachen Dienst und der leergefegte Arbeitsmarkt zwingen dazu, den Lohnkostenanteil durch Nutzung aller technischen Möglichkeiten herunterzudrücken.
Die Bundespost muß aber künftig den erreichten Stand halten können. Denn auch das steht fest: die Erfolge der deutschen Wirtschaft im Wettbewerb auf den Auslandsmärkten sind nicht zuletzt auch auf die Leistungsfähigkeit der nachrichtentechnischen Einrichtungen der Bundesrepublik zurückzuführen. Welche Bedeutung diesem Faktor für die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft und für die reibungslose Versorgung mit Einfuhrgütern zukommt, zeigt der hohe Bedarf an Fernschreibanschlüssen. Ihre Zahl ist in der Bundesrepublik bekanntlich größer als die Gesamtzahl der Fernschreibanschlüsse in allen übrigen europäischen Ländern zusammen. Auch der intensive Fernmeldeverkehr mit dem Ausland sowie das rasche Wachstum des Fernsprechverkehrs unterstreichen diese Bedeutung.
Im Zeichen stets wechselnder Absatzchancen und im Hinblick auf die zunehmende Mdbilität der Produktionsfaktoren sind rasche Dispositionsmöglichkeiten in einer so weitgehend arbeitsteilig aufgebauten Wirtschaftsverfassung, wie sie moderne Industriestaaten aufweisen, unerläßlich. Neun Zehntel ides gesamten Verkehrsaufkommens stammen aus Wirtschaft und Verwaltung. Sie zählen zu dem beim Zustandekommen des Sozialproduktes benötigten „input" ; ihr Ausfall würde weit größere Lücken in das Sozialprodukt reißen, als es der Wertschöpfung unserer Verwaltung entspricht.
Das Nachrichtenwesen ist also ein hervorragendes Mittel zur Steigerung unserer gesamtwirtschaftlichen Produktivität. Diese Chancen können aber nur dann genutzt werden, wenn Wirtschaft und Verwaltung ein voll leistungsfähiges und technisch hoch entwickeltes Post- und Fernmeldewesen zur Verfügung steht. Die Bundesrepublik liegt nun einmal im Herzen Europas, inmitten eines hochindustrialisierten Kontinents. Die Integration der westdeutschen Wirtschaft in den europäischen Markt stellt neue große Anforderungen. Im Welthandel steht die Bundesrepublik an zweiter Stelle, und in der Industrieproduktion hält sie den dritten Platz. In der Kapazität der Fernmeldeleistung haben wir aber, gemessen an der Zahl der FernsprechBundesminister Stücklen
anschlösse, erst die achte Stelle in der Weltrangordnung erreicht.
({2})
Hier liegen ohne Zweifel Gefahren für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, wenn die Bundespost technisch und finanziell nicht mehr mithalten kann, zumal das Verkehrsaufkommen im Fernmeldebereich schneller zunimmt als das Sozialprodukt.
Die Zahl der Fernsprechhauptanschlüsse hat sich allein in den letzten sieben Jahren mehr als verdoppelt, die Zahl der abgehenden Ferngespräche sogar verdreifacht. Auch in den kommenden Jahren kann nicht damit gerechnet werden, daß die Nachfrage der gewerblichen Wirtschaft nach Fernmeldeleistungen nachläßt. Für das Jahr 1971 wird ein Verkehr von rund 7,8 Milliarden Ortsgesprächen und rund 3,5 Milliarden abgehenden Ferngesprächen erwartet. Das bedeutet also eine nochmalige Verdoppelung des Verkehrsumfangs.
Der Telexverkehr wird bis 1971 gegenüber dem Umfang im Jahre 1958 im Inlandsdienst voraussichtlich auf das Zweieinhalbfache, im Auslandsverkehr schätzungsweise auf das Dreieinhalbfache anwachsen, von dem vor kurzem neu aufgenommenen Dienstzweig der Bundespost, der Informationsübertragung, kurz „Datei" genannt, gar nicht zu reden. Aus einer amerikanischen Mitteilung ist zu erkennen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika damit rechnen, daß 1975 bereits die Datenübertragung das Volumen des Fernsprechdienstes überholt haben wird.
Dieser Entwicklung muß auch in den Zeiten großer Kapitalknappheit Rechnung getragen werden. Die Bundespost muß alles daransetzen, hier weiter voranzukommen und den mit Sicherheit zu erwartenden Verkehrszuwachs und neuen Aufgaben Rechnung tragen zu können. Die Zahl der Fernsprechhauptanschlüsse sollte daher in den Jahren 1967 bis 1971 von 5 auf 8 Millionen und die Zahl der Sprechstellen auf 13,8 Millionen erhöht werden. Das kostet aber beim` gegenwärtigen Preisstand rund 12 Milliarden DM an Investitionsmitteln.
Diesen fernmeldetechnischen Erfordernissen einer wachsenden Wirtschaft kann aber nur dann Rechnung getragen werden, wenn die Bundespost in die Lage versetzt wird, ihren Kapitalbedarf in ausreichendem Umfang zu decken. In dieser Hinsicht steht es aber keineswegs zum besten, und damit bin ich nun beim zweiten Punkt, der notwendigen Verbesserung unserer Kapitalstruktur, angelangt. Die Kommission führt zu diesem Punkt aus:
Die Kapitalversorgung der Bundespost muß verbessert werden. Diese Tatsache wird zwar so gut wie allgemein anerkannt. Kritik an der großen Zahl der auf Fernsprechanschlüsse Wartenden allein nützt aber nichts, wenn die Deutsche Bundespost nicht zugleich in den Stand 'gesetzt wird, die erforderlichen hohen Investitionen zu finanzieren, oder wenn der Bundespost auferlegt wird, ihre Investitionen aus konjunkturpolitischen Gründen zu drosseln,
Die Bundesregierung erkennt angesichts der schwierigen Finanzlage der Bundespost die Notwendigkeit einer raschen Kapitalhilfe an. Sie sieht sich hier zwar im Hinblick auf die in den nächsten Jahren zu erwartenden zusätzlichen Belastungen des Bundeshaushalts nicht in der Lage, den Wünschen der Sachverständigen-Kommission sofort im vollen Umfang zu entsprechen, doch ist sie der Auffassung, daß der Bundespost wegen der Bedeutung des Nachrichtenwesens für Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der westdeutschen Wirtschaft auch in diesem Punkt geholfen werden muß. Vor allem soll das Verhältnis von Eigenkapital und Fremdkapital, das sich in den Jahren 1950 bis 1965 erheblich verschlechtert hatte, wieder verbessert werden. Der Eigenkapitalanteil betrug 1965 nur noch 13,8 v. H. gegenüber 75 v. H. im Jahre 1950.
Nun kann man natürlich einwenden, daß ein Bundesunternehmen praktisch überhaupt kein Eigenkapital brauche, da ja das Bundesvermögen und die Steuerkraft des Bundesfiskus hinter seinem Tochterunternehmen ständen. Das mag aus theoretischer Sicht durchaus richtig sein. Doch wäre eine derartige Praxis höchst wirklichkeitsfremd und unsolide, da sie für das betreffende Unternehmen große Gefahren birgt. Die Aufnahme von Fremdkapital hat bekanntlich den Nachteil, daß die Schulden auch einmal zurückgezahlt werden müssen. Das bedeutet beim gegenwärtigen Schuldenstand allein in diesem Jahr eine Schuldentilgung der Post in Höhe von 1300 ,Millionen DM. Die Bundespost könnte es daher nur dann riskieren, ihren Betrieb ohne ein ausreichendes Eigenkapital zu führen, wenn erstens absolut sichergestellt wäre, daß in jedem Haushaltsjahr alle Kosten, auch die Verzinsung des Fremdkapitals, durch entsprechende Gebühreneinnahmen gedeckt wären, zweitens dafür gesorgt wäre, daß die Bundespost ihren Finanzbedarf jederzeit in vollem Umfang am Kapitalmarkt decken kann.
Über die derzeitige Lage am Kapitalmarkt kann ich mir Ausführungen ersparen, und wie es in den vergangenen Jahren um die Gebührenpolitik stand, habe ich eingangs ausgeführt.
Die Bundesregierung hat daher dieser Sachlage Rechnung getragen und eine allmähliche Anreicherung des Eigenkapitals in Aussicht genommen. Den Anregungen der Sachverständigen-Kommission entsprechend hat sie in ihrer Kabinettssitzung am 9. 3. 1966 das folgende Sofortprogramm zur finanziellen Neuordnung des Sondervermögens Deutsche Bundespost beschlossen:
1. Die nach § 21 des Postverwaltungsgesetzes vorzunehmende Ablieferung an den Bund in Höhe von 6 2/3 % der Betriebseinnahmen bleibt im Grundsatz erhalten. Die Bundespost muß daher durch eine entsprechende Gebührenpolitik in die Lage versetzt werden, diese Ablieferung zu verdienen. Um das Eigenkapital zu verstärken, ist jedoch ab 1. Januar 1967 von dem nach § 21 des Postverwaltungsgesetzes fälligen Gesamtbetrag an den Bund nur diejenige Summe abzuführen, die einer 7%igen Verzinsung des Eigenkapitals der Bundespost entspricht; der darüber hinausgehende Betrag wird dem Eigenkapital der Bundespost zugeführt; das sind für 1967 schätzungsweise rund 500 Millionen DM,
2. Zur weiteren Verstärkung des Eigenkapitals wird der Bundeshaushalt ab 1. Januar 1967 auch den Schuldendienst für jährlich 500 Millionen DM neu aufzunehmendes Fremdkapital übernehmen, bis das Eigenkapital ein Drittel des Gesamtkapitals der Bundespost erreicht hat.
3. Aus dem Bukett der bisher von der Bundespost getragenen betriebsfremden oder politischen Lasten, die die Kommission auf rund 550 Millionen DM jährlich beziffert, will der Bund ferner ab 1. Januar 1967 - wie schon im laufenden Jahr - die Bedienung der Ausgleichsforderungen der Bundesbank und weitere 40 Millionen DM noch näher zu bezeichnende betriebsfremde Lasten übernehmen. Schließlich sollen ab 1. Januar 1968 auch Versorgungsbezüge für verdrängte Ruhestandsbeamte nach dem 131 er Gesetz bis zu 100 Millionen DM auf den Bundeshaushalt übergeleitet werden.
Mit Hilfe dieses Sofortprogramms wird die Betriebsrechnung der Deutschen Bundepost ab 1. Januar 1967 schätzungsweise um 625 Millionen DM und im Jahr darauf um etwa 750 Millionen DM entlastet. Damit hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer Sofortmaßnahmen eine echte und sofort wirksame Hilfe geleistet. Sie entspricht damit weitgehend - wenn auch nicht in allen Einzelheiten - den Empfehlungen der Sachverständigen-Kommission, soweit es sich um Sofortmaßnahmen zur Stabilisierung des finanziellen Gleichgewichts handelt.
Wenn nicht unvorhersehbare Dinge eintreten, sind damit alle Voraussetzungen für die Wiederherstellung einer gesunden Finanzstruktur bei der Deutschen Bundespost gegeben. Wegen der mißlichen Lage des Bundeshaushalts kann die angestrebte Verbesserung der Kapitalstruktur aber nicht in einem Zuge und sofort, sondern nur schrittweise erreicht werden. Damit bleibt aber die volle Deckung unseres jährlichen Kapitalbedarfs zur Finanzierung der Investitionen noch offen. Und hier macht uns die gegenwärtige Lage des Kapitalmarkts Sorge. Damit die Verzichte und Hilfen der Bundesregierung voll wirksam werden, muß das Sofortprogramm der Bundesregierung durch einen ausreichenden Zugang zum Kapitalmarkt ergänzt werden.
Die Verkehrsentwicklung stellt die Deutsche Bundespost in den kommenden Jahren vor umfangreiche neue Aufgaben, die schon in naher Zukunft den Einsatz weiterer technischer Neuerungen erforderlich machen. Im arbeitsintensiven Briefverteildienst haben die ersten großen praktischen Betriebsversuche begonnen, um die anfallenden Briefsendungen mit Hilfe der modernen Elektronensteuerungstechnik automatisch bearbeiten zu können. Auch im Bereich der Großrohrposttechnik, der mechanischen Paket- und Päckchenverteilung und der Fördertechnik sind neue Entwicklungsarbeiten im Gange.
Weitere Perspektiven eröffnen die in jüngster Zeit auf den Markt kommenden elektronischen Datenverarbeitungssysteme der „Dritten Generation". In Verbindung mit den Fortschritten auf dem Gebiete der Datenübertragung und der Fähigkeit dieser Geräte, Belege zu lesen, lassen diese Anlagen weitere beachtliche Rationalisierungsmöglichkeiten erwarten. Der Einsatz dieser elektronischen Datenverarbeitungsanlagen wird insbesondere den Betriebsablauf im Postscheckdienst der Zukunft völlig verändern. Daneben baut die Bundespost mit der Übermittlung digitaler Informationen einen neuen und vielversprechenden Dienstzweig auf. Die Einrichtung dieser Datenübertragungsdienste soll den Bedürfnissen von Wirtschaft, Handel, Banken und Behörden nach rascher Datenübermittlung und nach Informationsaustausch Rechnung tragen.
Mit Nachdruck arbeitet die Deutsche Bundespost auch an der Verbesserung der Versorgung schwer erreichbarer Fernsehteilnehmer und an der Einführung des Farbfernsehens, das der Öffentlichkeit voraussichtlich im nächsten Jahr zur Verfügung stehen wird.
Im Weltverkehr gewinnen die Nachrichtensatelliten zunehmend an Bedeutung. Mit der Erdefunkstelle Raisting beteiligt sich auch die Bundespost an dieser modernsten Übertragungstechnik. Sie ist Mitglied eines aus zur Zeit 49 Ländern bestehenden Konsortiums, das als Vorläufer einer weltweiten Fernmeldesatelliten-Organisation anzusehen ist.
Schließlich hält die Forschung ein weiteres, außerordentlich leistungsfähiges Übertragungsverfahren bereit, das unter dem Namen „Laser" bekanntgeworden ist. Der Laser-Strahl ermöglicht es uns, eine ungewöhnlich hohe Zahl von Nachrichteninformationen aller Art zu übertragen. Seine Auswirkungen auf Technik und Wirtschaft sind noch gar nicht abzusehen.
Wie Sie sehen, mangelt es uns also keineswegs an moderner Technik und vielversprechenden Perspektiven, um so mehr aber an verfügbarem Kapital! Alle diese Geräte und Anlagen sind nämlich außerordentlich, kapitalaufwendig. Arbeitsmarkt, Verkehrszuwachs und Ertragslage zwingen uns, diese technischen Möglichkeiten so rasch als möglich in rationalisierungswirksame Maßnahmen umzusetzen. Dies ist jedoch nur dann zu verwirklichen, wenn es gelingt, eine sinnvolle und systemgerechte Gebührenpolitik zu verfolgen und die finanzielle Stabilität des Sondervermögens auf die Dauer aufrechtzuerhalten.
Angesichts der Vielschichtigkeit der zu lösenden Probleme habe ich den Schwerpunkt meiner Ausführungen auf die finanzielle Neuordnung gelegt, die das dringlichste Problem darstellt. Ich glaube sagen zu können, daß die Bundesregierung energisch zugegriffen hat, um eine Konsolidierung der Finanzlage zu erreichen.
Es bleibt nun noch die Prüfung der zahlreichen Anregungen, die die Sachverständigen zu den Umstellungen in der Betriebsstruktur der einzelnen Dienste gemacht haben. Sie konnten wegen der kurzen Frist, die zwischen der Veröffentlichung des Gutachtens und der vorliegenden Stellungnahme der Bundesregierung lag, in vielen Fällen noch nicht abschließend geklärt werden. Diese Dinge bedürfen nicht nur sorgfältiger Überlegungen, sondern auch der Zustimmung der hierfür zuständigen Organe, insbesondere soweit es sich um die Einschränkung oder Aufhebung sogenannter nicht lukrativer
Dienste handelt. Die Bundesregierung hat hierzu einen Abteilungsleiter-Ausschuß aus den beteiligten Bundesressorts beauftragt, der unter Hinzuziehung von Vertretern des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung die notwendigen Auswertungen des Gutachtens vornehmen soll. Dabei wird die Bundesregierung bei ihren Beschlüssen auch staats- und gesellschaftspolitische Belange berücksichtigen. Doch wird diese Rücksichtnahme unter keinen Umständen die erreichte Konsolidierung der Finanzlage wieder ins Wanken bringen dürfen. Hier wird das neu zu fassende Postverwaltungsgesetz entsprechende Vorkehrungen zu treffen haben.
Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen vorgetragen, in welcher Weise die Bundesregierung dem Wunsche des Bundestages und den Anregungen der Sachverständigen-Kommission entsprochen hat. Sie hat große Anstrengungen unternommen, um die finanzielle Stabilität der Bundespost auch für die Zukunft sicherzustellen.
Ich möchte meinen Ausführungen mit einer Meinungsäußerung der Gutachter schließen, der ich voll beipflichte. ,Die Sachverständigen weisen darauf hin, daß das Unternehmen Deutsche Bundespost ohne eine Neuordnung der Kapitalverhältnisse und ohne eine kostendeckende Gebührenpolitik nicht gesunden kann; es würde unweigerlich immer mehr dem Bund und damit letztlich dem Steuerzahler zur Last fallen. Die Neuordnung verlange daher ein gründliches Umdenken und zumindest zeitweise finanzielle Opfer. Der Bund hat sie unter Berücksichtigung der finanziellen Gesamtsituation in einem beachtlichen Umfange erbracht. Damit hat die Bundesregierung die Voraussetzungen für ein funktionsfähiges Post- und Fernmeldewesen geschaffen, auf das eine hockentwickelte Industriegesellschaft Anspruch hat. Die Deutsche Bundespost wird von sich aus das Nötige dazu beitragen.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Besold.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Debatte um das Postgutachten muß man, wie es auch der Herr Minister getan hat, von dem klaren Auftrag von Bundestag und Bundesregierung ausgehen. Ich will Ihnen diesen Auftrag noch einmal pointiert vor Augen führen. Am 16. April 1964 hat der Deutsche Bundestag folgenden Entschluß gefaßt:
Die Deutsche Bundespost muß in der Lage sein, die ihr durch das Grundgesetz und das Postverwaltungsgesetz übertragenen Aufgaben erfüllen zu können. Unter Berücksichtigung der Möglichkeit, daß eine Erhöhung der Gebühren auf die Dauer nicht ausreicht, die hierfür erforderlichen Finanzmittel sicherzustellen, erwartet der Bundestag von der Bundesregierung, daß sie eine Kommission, die sich aus höchstens sieben Sachverständigen zusammensetzt, beauftragt, zu untersuchen, wie die Deutsche Bundespost ihre Aufgaben auf die Dauer in optimaler Weise ohne Defizit erfüllen kann.
Das sind drei ganz wesentliche Auftragsziele. Das Bundeskabinett hat diesen Entschluß des Bundestages aufgenommen und hat erklärt:
Die Kommission soll unter Beachtung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 16. April 1964 untersuchen, wie die Deutsche Bundespost auf die Dauer ihre Aufgaben in optimaler Weise ohne Defizit erfüllen kann.
Das Bundeskabinett fordert dazu eine Analyse der Sachverständigengutachten und sagt:
Auf Grund dieser Analyse soll sie gegebenenfalls Vorschläge für eine Änderung der bestehenden Verhältnisse in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht unterbreiten. Damit soll sichergestellt werden, daß die Deutsche Bundespost auf lange Sicht eine gesunde Finanzgrundlage erhält und in die Lage versetzt wird, ihren Aufgaben im Post- und Fernmeldewesen nachkommen zu können.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß ,die Aufgaben der Deutschen Bundespost im Postverwaltungsgesetz festgelegt sind. Der Auftrag geht dahin, daß die Bundespost ihre Einrichtungen so zu halten hat, daß sie der Politik, der Wirtschaftspolitik und der Sozialpolitik der Bundesregierung gerecht werden kann, und daß die Einrichtungen der Bundespost in gutem Zustand zu erhalten und technisch und betrieblich den Anforderungen des Verkehrs entsprechend weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen sind. Also in die Zukunft sehen, vorausschauen und der Entwicklung gerecht werden, um der Gesamtwirschaft die nötigen Unterlagen zu geben! Das hat ja der Herr Bundespostminister und hat die Verwaltung in der Vergangenheit unter den schwierigsten finanziellen Verhältnissen auch immer getan, und bei allen Angriffen auf die Bundespost sollte man dem Bundespostminister für diese weitschauende Politik und für diese Ausrichtung der Bundespost darauf, daß sie der modernen technischen Entwicklung nachkommen kann, an dieser Stelle auch einmal Dank aussprechen.
({0})
Wenn ich von diesem Auftrag in der Betrachtung des Gutachtens ausgegangen bin, so möchte ich sagen, in diesem Auftrag liegt nicht nur ein Auftrag um des Auftrags willen, sondern die Gesichtspunkte, die hier herausgestellt worden sind, enthalten in sich bereits für den Bundestag und die Bundesregierung auch eine hohe Verpflichtung, an den Erkenntnissen, die sowohl aus dem Postverwaltungsrat als insbesondere in Bestätigung nunmehr auch aus der Sachverständigenkommission analysiert worden sind, nicht vorüberzugehen. Die Aufgaben und Verpflichtungen der Bundespost sind nämlich so riesengroß und gleichzeitig in die Zukunft weisend, wie es die Wirtschaft, die Technik und die moderne Welt erfordern.
Die Vorschläge, die die Sachverständigen-Kommission gemacht hat, sind auf Seite 10 des Gut-
achtens zusammengefaßt. Die Kommission hat eine Fülle von Vorschlägen für eine Sanierung der Bundespost unterbreitet. Die Bundesregierung ist in ihrer Antwort ja schon auf Detailvorschläge eingegangen und hat gesagt, sie würden schon überprüft, sie seien zum Teil schon jetzt in der Gebührenordnung berücksichtigt oder sie seien schon erfüllt. Aber das Sachverständigengutachten faßt dann auch den Hauptgesichtspunkt, der bei einer Sanierung der Bundespost, wie sie durch den Auftrag festgelegt ist, zu beachten ist, zusammen und sagt dazu:
Ohne die Verwirklichung der Kommissionsvorschläge, besonders in bezug auf die Novellierung des Postverwaltungsgesetzes, auf die Neuordnung der Kapitalverhältnisse und auf eine kostendeckende Gebührenpolitik, kann die Deutsche Bundespost langfristig nicht saniert werden. Daß dies ein gründliches Umdenken und zumindest zeitweise finanzielle Opfer vom Bund erfordert, ist dabei nicht zu umgehen.
Diese Vorschläge sind als ein Ganzes zu betrachten, und sie müssen als ein Ganzes verwirklicht werden, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen. Das ist das Entscheidende. Es muß klar erkannt werden, daß Einzelmaßnahmen allein oder globale Maßnahmen, die zeitlich zu weit auseinander gelegen sind, wirkungslos verpuffen und keine optimale und dauerhafte Lösung bringen.
Das Gutachten stellt, um das erwünschte Ziel auf die Dauer zu erreichen, in den Vordergrund Haupt-
und Kapitalmaßnahmen - die ich ja schon erwähnt habe -: Novellierung des Postverwaltungsgesetzes, Neuordnung der Kapitalverhältnisse und kostendeckende Gebührenpolitik. Neben Gebührenerhöhungen ist also das Ziel a), das Eigenkapital der Post auf ein angemessenes Verhältnis zum Fremdkapital zurückzuführen, b), die Post von politischen Lasten zu befreien, c), die Ablieferung der Post an den Bund auf eine andere Basis umzustellen.
Die Durchsetzung der unerläßlichen Wirkungen dieser Vorschläge liegt - und auch das muß man klar sehen - a) für die Gebührenerhöhung beim Bundespostminister und beim Bundesverwaltungsrat - er ist dafür zuständig, er hat diese Vorschläge durchzuführen -, b) für die Verbesserung der Kapitalstruktur, die Änderung des Postverwaltungsgesetzes beim Bundesfinanzminister, bei der Bundesregierung, beim Bundestag und, wenn Sie wollen, auch beim Bundesrat - da ja auch er zu den gesetzgebenden Körperschaften gehört -, die sich mit diesen Dingen zu befassen und hier die Initiative zu ergreifen haben.
Die Notwendigkeit der Maßnahmen, die in dem Sachverständigengutachten herausgestellt worden ist, hat der Postverwaltungsrat schon vorher erkannt und auch der Bundesregierung und dem Bundestag mitgeteilt. Daher enthält das Sachverständigengutachten eine doppelte Bestätigung: es hat bezüglich der zu treffenden Maßnahmen den Nagel auf den Kopf getroffen und zeigt, daß dieser Weg für eine Gesundung und die Herstellung einer festen Basis der Bundespost eine unwiderrufliche Maßnahme
sein muß. Das muß man klar sehen: das rasche, zusammenwirkende und dann erfolgsichernde Handeln liegt also bei diesen Institutionen.
Nun zu der kostendeckenden Gebührenpolitik, für die der Postverwaltungsrat und das Bundespostministerium zuständig sind. Die SachverständigenKommission geht, kurz zusammengefaßt, von folgenden Überlegungen aus:
a) Die Deutsche Bundespost muß zu den wirtschaftlichen Unternehmen gerechnet werden.
b) In wirtschaftlicher Sicht sind demgemäß die Gebühren Preise.
c) Als wirtschaftliches Unternehmen muß die Bundespost bei der Festsetzung ihrer Preise die Gesetze des Marktes beobachten. Sonst kommt es zu ernsten Störungen, Verlusten, Versorgungsschwierigkeiten und bedenklichen Fehlleitungen von Produktivitätskräften.
d) Das bedeutet nach Ansicht der Kommission: Ziel der Preispolitik soll sein volle Kostendeckung einschließlich einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Die Kommission geht sogar weiter und empfiehlt auf Grund der Schwäche des Kapitalmarktes nicht nur kostendeckende Gebühren, sondern Gebühren in einer Höhe, die einen angemessenen Beitrag zur Innenfinanzierung darstellt.
Weiter wurde der Grundsatz vorgetragen, daß jeder Dienstzweig oder doch zumindest jede Gruppe zusammengehöriger Dienstzweige, wie z. B. Postscheck- und Postsparkassendienst, die ihnen zuzurechnenden Kosten soweit wie möglich selbst decken sollen.
Dieser Grundsatz ist zu respektieren, wenngleich darauf hingewiesen werden muß - das übersieht auch die Kommission nicht -, daß sich bei der ungeheuren Personalintensität besonders der Postdienstleistungen schwere preispolitische Konsequenzen ergeben. Alle Verantwortlichen und auch die Öffentlichkeit müssen ganz klar erkennen, daß bei fortlaufenden Lohn- und Gehaltserhöhungen im Postdienst der Kostenausgleich nur gesichert werden kann a) durch weitere Rationalisierung - das ist vom Wirtschaftlichen her zuerst anzustreben; aber Sie wissen, daß die Rationalisierungsmöglichkeiten in diesem arbeitsintensiven Betrieb beschränkt sind und zum großen Teil durchgeführt sind - oder b) durch Einschränkung der Leistungsqualität - das wollen wir nicht; das macht die Wirtschaft bereits in verschiedenen Bereichen - oder c) durch Gebühren- bzw. Preiserhöhungen. Das sind die einzigen Möglichkeiten, um diesen Grundsätzen nachkommen zu können. Ich möchte nicht verhehlen und möchte es offen sagen, daß es gerade bei den Postdiensten bei steigender Nachfrage schwer sein wird, die steigenden persönlichen Kosten voll aufzufangen und zu neutralisieren. Haushaltsausgleich über und durch Gebühren heißt ausschließlich Selbstfinanzierung über den Preis und selbst in einer äußersten Konsequenz um jeden Preis.
Meine Damen und Herren, der Postverwaltungsrat hat sich immer zu den notwendigen Gebührenerhöhungen bekannt. Wenn er es nicht tun konnte, dann steckten vielleicht auch andere Gründe dahinDr. Besold
ter. Aber wir haben gesehen, daß die Konsequenz „Haushaltsausgleich über den Preis um jeden Preis" eine sehr harte Konsequenz ist. Der Postverwaltungsrat hat aus diesem Grund schon vor Erstellung des Gutachtens darauf hingewiesen, daß im Gegensatz zu der vorher angeführten harten Konsequenz einer der Grundpfeiler unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik steht, nämlich Selbstfinanzierung über den Preis, aber in einer gewissen Beschränkung.
In Vollzug dieses Grundsatzes ergibt sich zwangsläufig für jeden Eigentümer eines im Wirtschaftsprozeß stehenden Unternehmens, und zwar gleichgültig, ob in privater oder öffentlicher Hand, die zwingende Notwendigkeit, seine Kapitalausstattung dem Wirtschafts- bzw. Leistungszuwachs entsprechend durch Kapitalzufuhr anzupassen. Bei diesem Gesundungsprozeß, den wir zu beginnen vorhaben, sind wir nun hoffentlich aus einer allgemeinen Einsicht angelangt. Wir müssen erkennen: eine Gebührenerhöhung allein verpufft wirkungslos. Es müssen alle erkennbaren notwendigen Maßnahmen gebündelt und in angemessener kurzer Frist durchgesetzt werden, wenn ein sinnvolles wirtschafts-und sozialpolitisch gesundes Gesamtergebnis erreicht werden soll.
Die Bundespost, der Bundespostminister und mit ihm der Verwaltungsrat sind unverzüglich nach Vorliegen des Gutachtens in einem Expreßtempo, das beachtenswert ist, und unter Berücksichtigung der Vorschläge des Gutachtens an die Verwirklichung der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden vordringlichen Maßnahmen, nämlich die Gebührenerhöhung, herangegangen. Es ist aus der Presse bekannt, daß morgen im Postverwaltungsrat umfänglich und auf breiter Basis über eine - ich möchte es wohl sagen - massive Gebührenerhöhung, die stärkste, die wir bisher durchgeführt haben, entschieden werden wird. Die Gebührenerhöhung bzw. kostendeckende Gebührenangleichung, wie ich sagen möchte, weil wir in verschiedenen Teilbereichen die Kostendeckung bisher noch nicht an die Kosten herangezogen haben, ist notwendig, obwohl die Post seit 1950 eine Steigerung ihrer Verkehrsleistungen um 185 % bei einer Personalvermehrung von nur 42 % aufweisen kann und weil sich die Personalkosten seit 1950 um mehr als 150'010 erhöht haben. Das allein schon muß einsehen und verstehen lehren, daß das Porto für einen Brief, der 15 Jahre für 20 Pf befördert wurde, bei einem so arbeits- und lohnintensiven Dienstzweig eine Preisanpassung auf 30 Pf erfordert. Ich weiß, daß jede Preiskorrektur für den Kunden, für die Wirtschaft, aber, das sei Ihnen versichert, auch für alle Betroffenen und für den Fordernden ein unerfreulicher Tatbestand ist.
Aber, meine Damen und Herren, vielleicht darf ich bei dieser Gelegenheit einmal darauf hinweisen, daß gerade das Heer der Arbeiter und Angestellten und vor allem auch der kleinen und mittleren Beamten bei der Post und Eisenbahn nur schwer und mit Opfern eine Verbesserung seines Lebensstandards aus den technischen Errungenschaften erreichen kann, insbesondere, wenn sie Kinder auf weiterbildende Schule schicken, und das wird heute
jeder tun. Oft erreichen sie mit ihrem Gehalt nur schwer den nächsten Ersten, weil sie bei der Art ihrer besonderen Berufstätigkeit und bei der Art ihrer besonderen Ausbildung, bei der Art der Arbeitszeit im Tag- und Nachtdienst wenig Gelegenheit haben, sich etwas neben ihrem eigentlichen Beruf hinzuzuverdienen, was in anderen Wirtschaftzweigen gang und gäbe ist.
Die Arbeitstreue dieser 440 000 Arbeiter, Angestellten und Beamten der Bundespost ist daher gerade in der heutigen Zeit und bei diesen Sacherkenntnissen besonders anzuerkennen, und diesen unseren Mitarbeitern wie auch allen Beamten ist zu danken, die unter diesen Umständen, bei diesen Verhältnissen treu zur Bundespost gehalten haben und diesen Fortschritt der Bundespost mit ermöglicht haben.
({1})
Meine Damen und Herren, ich unterstütze also die Forderung des Gutachtens in bezug auf kostendekkende Preise. Die Sondervermögen des Bundes sollten ihre Leistungen nicht unter ihren Kosten verkaufen, da die Differenz langfristig doch nur mit Steuermitteln gedeckt werden kann. Die Durchsetzung dieses Prinzips erfordert aber Mut. Ich muß offen gestehen, daß dieser Mut in der Vergangenheit manchmal leider gefehlt hat, nicht aber - das möchte ich auch betonen - beim Postverwaltungsrat, der hierzu bereit war. Wenn bei den Dienstleistungsbetrieben die Personalkosten teilweise 70 % aller Kosten ausmachen, muß sich z. B. eine 10%ige Lohn- und Gehaltssteigerung in einer 7%igen Preissteigerung niederschlagen, wenn es nicht gelingt, durch Rationalisierung diese Kostensteigerung aufzufangen. Das Typische bei Dienstleistungsunternehmen ist aber gerade, daß sie einer Mechanisierung und Automatisierung weitgehend unzugänglich sind. Die mechanischen Briefverteilanlagen z. B. entlasten nur einen ganz kleinen Teil des Briefdienstes und sind darüber hinaus wirtschaftlich nur bei wenigen großen Postämtern einzusetzen. Der Briefträger ist durch keine Maschine zu ersetzen. Es muß ganz klar ausgesprochen werden, daß in Zukunft, was ich schon gesagt habe, mit jeder Lohn- und Gehaltssteigerung die Preise der Postdienstleistungen verteuert werden müssen oder, wenn man das aus politischen Gründen nicht will, aus Steuergeldern Millionen- und bald Milliardenzuschüsse wie bei der Bahn auch an die Post gezahlt werden müssen. Ich bin gegen den letzten Weg. Wer die Post in Anspruch nimmt, der soll diese Dienste auch bezahlen, wie es in jedem anderen Wirtschaftszweig ist.
({2})
Meine Damen und Herren, nichts gegen die meinungsbildenden Aufgaben der Zeitungen und Zeitschriften. Ich erkenne ihre Notwendigkeit an. Ich weiß, in welchen Schwierigkeiten sie sind. Wenn der Bundestag wünschen sollte, daß diese Wirtschaftszweige zur Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützt werden, dann sollten diese Subventionen offen bei den entsprechenden Einzelplänen im Bundeshaushalt ausgewiesen werden.
({3})
Ich wehre mich dagegen, daß die Post durch nicht kostendeckende Gebühren nach dem Gießkannenprinzip eine allgemeine unkontrollierbare Wirtschaftsförderungspolitik betreibt, die gar nicht zu ihren Aufgaben gehört.
({4})
Ich begrüße es, daß das Gutachten diese Dinge völlig neutral und unbeeinflußt ausgesprochen hat. Die Bundesregierung und der Bundestag sind nun aufgerufen, die notwendigen sachlichen Konsequenzen zu ziehen, auch wenn diese unpopulär sind.
Ich unterstütze auch die Auffassung der Kommission, daß eine Gebührenerhöhung allein nicht ausreicht, um die Post langfristig gesunden zu lassen. Die Bundesregierung hat nun unter Berücksichtigung der Haushaltslage die ersten Maßnahmen zur Albnahme der politischen Lasten und zur Neuordnung der Kapitalverhältnisse ergriffen. In Zukunft wird der Teil der Ablieferung, der über eine 7%ige Verzinsung des Eigenkapitals hinausgeht, vom Bund zur Aufstockung des Eigenkapitals der Bundespost zur Verfügung gestellt. Außerdem übernimmt der Bund den Kapitaldienst für jährlich 500 Millionen DM aufzunehmendes Fremdkapital. Bei der gegenwärtigen Haushaltslage ist dies ein erster Schritt zur Neuregelung. Es sind schon kleinere Schritte vorausgegangen. Bei der gegebenen Haushaltslage jetzt und in Zukunft ist das eine sehr beachtliche Leistung und ein Fortschritt in der Unterstützung der Bundespost durch die Bundesregierung.
({5})
Ich möchte aber gleich noch etwas dazusagen. Ob diese Unterstützung ausreicht, über die Verbesserung des Bilanzbildes hinaus die Finanzierungsprobleme in den nächsten Jahren zu lösen, hängt entscheidend von der Verfassung des Kapitalmarkts ab. So gutgemeint diese Hilfe ist, so wirkungsvoll sie sein kann und sosehr sie anerkannt werden muß, so glaube ich doch nicht, daß sie, wenn sich der Kapitalmarkt nicht bessert, ausreicht, um die notwendigen Investitionen bei der Bundespost finanzieren zu können.
Auch die zugesagte Abnahme einiger politischer Lasten durch die Bundesregierung - ich glaube, in einer Höhe von ungefähr 166 Millionen DM - ist ein erster Schritt zur Lösung der Probleme, die das Gutachten anspricht. Die Gutachter nennen für 1965 politische Lasten in Höhe von 520 Millionen DM ohne das Defizit im Postzeitungsdienst. Auch ich verkenne nicht die angespannte Lage der Bundesfinanzen. Aber die Deutsche Bundespost ist als Teil der Infrastruktur für die Entwicklung unserer Volkswirtschaft zu wichtig, ja, ich möchte fast sagen: lebensentscheidend, als daß ihr weiterer Aufbau aus finanziellen Gründen vernachlässigt werden darf. Es muß eine Prioritätenfolge geben. Die Bundespost ist dabei mit an der Spitze, wenn eine wirkungsvolle Auswertung dieses Postgutachtens im Sinne von uns allen ist.
Das sollte die Bundesregierung bei der Aufstellung des Haushalts 1967 wirklich berücksichtigen. Sie muß sich an den Gedanken gewöhnen, daß ihr Sondervermögen nicht durch Ablieferungen und politische Lasten jährlich mit rund einer Milliarde DM den Bundeshaushalt stützt, sondern daß sie in den kommenden Jahren nachhaltige Hilfe erfährt, um finanziell wieder so leistungsfähig zu werden, daß sie auch einen angemessenen Beitrag an den Bundeshaushalt abführen kann. Ich stimme also der Kommission zu, daß außer der Frage der notwendigen Gehaltserhöhung die Frage der Abnahme der politischen Lasten und der Neuordnung der Kapitalverhältnisse sofort gelöst werden müssen. Ich habe die Befürchtung, daß die in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zugesagte Hilfe des Bundes bei einer anhaltenden Schwäche des Kapitalmarkts nicht ausreicht, die Finanzierung der notwendigen Investitionen zu sichern. Die Post ist für unsere Wirtschaft lebenswichtig.
Ich stimme mit den Gutachtern nicht überein, die sich von der Umwandlung der Post in . eine Anstalt des öffentlichen Rechts eine Verbesserung ihrer Lage versprechen. Die Vergangenheit, in der die Bundesregierung der Bundespost kein Kapital zuführen konnte, weil nach dem Zusammenbruch von 1945 andere Prioritäten gegeben waren, beweist, daß hier ein Zusammenhalt zwischen diesem Unternehmen Bundespost und dem gesamten Bundesvermögen notwendig ist. Angesichts der Verwendung der Mittel für andere, vordringlichere Leistungen beim Wiederaufbau - bei den Sozialleistungen, beim Wohnungsbau, beim Straßenbau usf. - konnte nämlich die Modernisierung der Post nur deshalb mit Fremdmitteln durchgeführt werden, weil der Bund dahinterstand.
Ich möchte darauf hinweisen, daß die Post auch aus Gründen der Landesverteidigung in allen Kulturstaaten der Welt eine Staatsverwaltung ist. Auch ihre wirtschaftliche Funktion im Sinne der Daseinsvorsorge ist zu wichtig, als daß der politische Einfluß ausgeschaltet werden sollte.
Schließlich bekenne ich mich auch zu der Notwendigkeit einer Änderung des Postverwaltungsgesetzes. Schon wegen der Maßnahmen, die wir heute nach den Zusagen der Bundesregierung als praktizierbar erkennen, und wegen der besonderen Verhältnisse der Bundespost ist es notwendig, diese Fragen gesetzlich so zu regeln; im Postverwaltungsgesetz muß eine entsprechende Grundlage dafür vorhanden sein. Ein Teil meiner Freunde in der CDU/CSU hat schon einen Änderungsantrag zum Postverwaltungsgesetz eingereicht, und Herr Kollege Gscheidle von der SPD hat einen Änderungsantrag eingereicht.
Die Gründe für die Änderung des Postverwaltungsgesetzes sind nach wie vor gegeben. Denn bei den Riesenaufgaben, die die Bundespost hat und die ich schon erwähnt habe, muß sie aus der Zwangsjacke herauskommen, die ihr im Jahre 1953 angelegt worden ist und die sie gehindert hat, sich finanzpolitisch in einer anderen Form zu entwickeln. Für die notwendigen Maßnahmen, die sich sowohl aus der Erkenntnis des Verwaltungsrats als auch aus den Erkenntnissen des Gutachtens, das Sie selber angefordert haben, ergeben, müssen in einem neuen Postverwaltungsgesetz die Grundlagen gelegt werden.
Meine Damen und Herren, ich höre immer wieder: Warum macht ihr das erst jetzt? Ihr habt doch Riesenversäumnisse begangen! Warum seid ihr zu diesen Erkenntnissen nicht schon früher gekommen? - Ich möchte diesen Äußerungen, die man allenthalben hören kann und die immer wieder vorgetragen werden, doch eine Feststellung entgegensetzen, die sehr interessant ist und die der Postverwaltungsrat in einem Schreiben vom 7. Januar 1964 getroffen hat. Ich darf Ihnen das mit Genehmigung der Frau Präsidentin vorlesen. Da heißt es:
Die Haushaltsjahre 1954, 1955, 1956, 1959 und 1960 konnten auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Ablieferungen innerhalb dieses Zeitraumes an den Bund mit insgesamt 1474,7 Millionen noch mit Überschüssen abgeschlossen werden.
Bis 1960!
Auch der Voranschlag für das Jahr 1961 war so aufgestellt, daß trotz der Ablieferungen an den Bund in Höhe von rund 388 Millionen mit einem Reinertrag von über 100 Millionen zu rechnen war.
Also noch im Jahre 1961!
Entscheidungen des Bundeskabinetts und des Bundestags im Laufe des Jahres 1961 über Gehaltserhöhungen für Beamte und durch Tariferhöhungen für die bei der öffentlichen Hand beschäftigten Arbeiter brachten dann aber allein eine Mehrbelastung für das Jahr 1961 in Höhe von rund 279 Millionen, so daß unter Berücksichtigung der Ablieferungen an den Bund ein Verlust von 142 Millionen und damit ein Substanzverzehr über den Bundeshaushalt in Höhe dieses Betrages erfolgte. Ohne diese außerhalb der Entscheidungsbefugnis des Bundespostministers und des Postverwaltungsrats eingetretene und vorher nicht etatisierbare Erhöhung der Personalkosten um diese 279 Millionen hätte also auch der Haushalt 1961 - wie im Voranschlag vorgesehen - mit einem guten Überschuß abgeschlossen.
Dann hat sich das Verhältnis durch die gehäuften Lohn- und Gehaltserhöhungen rapide verschlechtert, so daß wir auf Grund der Lohnintensität dieses Dienstleistungsbetriebes in diesen wenigen Jahren in diese Situation hineingekommen sind. Also bis 1961 und vielleicht sogar noch 1962 hätte die Post trotz der Ablieferungen an den Bund durchhalten können, wenn nicht in diesem Dienstleistungsbetrieb mit diesen Lasten, weil er personalaufwendig ist, diese Folgen eingetreten wären. Nun, für den Fordernden, wie den Postverwaltungsrat - Sie waren auch dabei, Herr Gscheidle; wir haben auf die Bundesregierung eingewirkt, etwas zu tun, weil wir es kommen sahen -, sind einige Jahre zwar eine lange Zeit. Aber wenn ich das jetzt so betrachte, wenn ich den heutigen Stand mit den Zusagen der Bundesregierung sehe, wenn ich davon ausgehe, daß diese Maßnahmen zu einer Stabilisierung, zur Gesundung der Bundespost führen, dann muß ich sagen, daß bei der Fülle und Beispiellosigkeit der Aufgaben seit 1949 und auch der jetzigen Aufgaben, die uns Wissenschaft, Forschung und Technik jeden Tag stellen, angesichts der finanziellen Belastung des Bundes vier Jahre einer neuen Entwicklung, die so belastend geworden ist, eine kurze Zeit sind. Man sollte hier nicht mehr nach rückwärts, sondern rfach vorwärts sehen, um zu erkennen, wie wir diese Lage meistern können.
Meine Damen und Herren, man fragt auch: Wie könnt ihr jetzt im Zeichen der Stabilisierung Gebührenerhöhungen, Preiserhöhungen vornehmen? - Nun, es handelt sich zum großen Teil um Angleichungen an kostendeckende Preise und nicht um überhöhte Preise. Möglicherweise sind einige Überdeckungen dabei, die aus den Gründen, die das Sachverständigengutachten erwähnt hat, notwendig sind, weil auch zur Finanzierung des Eigenkapitalbedarfs und in etwa zur Infrastruktur über die Gebühren beigetragen werden soll. Aber die Gebührenerhöhungen und die anderen Maßnahmen sind für die Stabilität notwendig, weil man Stabilisierung nur mit einem gesunden Unternehmen betreiben kann.
Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich Ihnen noch einige globale Zahlen nennen. Ich erinnere Sie nochmals daran, daß die Steigerung der Verkehrsleistungen der Deutschen Bundespost seit 1950 185 % und die Personalvermehrung nur 42 % beträgt, daß sich aber die Personalkosten um 150% erhöht haben. Das bedeutet, daß die Produktivitätssteigerung die Personalaufwendungen nicht auffangen konnte. Im Jahre 1950 hat die Bundespost noch 1,4 Milliarden DM für Personalaufwendungen ausgegeben; im Jahre 1966 wurde eine Rekordhöhe von 6,2 Milliarden DM erreicht. Das heißt, daß 61 % der gesamten Kosten für Personalkosten notwendig waren. Die Personalaufwendungen der Deutschen Bundespost machen rund zwei Drittel des jährlichen Haushaltsaufwandes aus. Dabei hat die Bundespost, die ihr Unternehmen wirtschaftlich führen muß, auf diese zwei Drittel der Kosten gar keinen Einfluß; denn über diese wird entweder im Bundestag oder von den Tarifpartnern entschieden. Auch das muß man bei der schwierigen Situation der Bundespost und ihrer riesigen Aufgaben sehen.
Wir müssen aber auch erkennen, daß Preiserhöhungen, insbesondere bei lohnintensiven Betrieben, eine oberste Grenze haben. Preise allein können diese schwere Lasten nicht immer und auf die Dauer auffangen. Denn wir haben bei unseren Preisen im europäischen Raum auch Spitzenpreise. Einmal werden diese Spitzenpreise nicht mehr erhöht werden können, genauso wie die Privatwirtschaft bei lohnintensiven Betrieben eines Tages vielleicht nicht mehr wettbewerbsfähig sein kann. Das müssen wir sehen.
Die Bundespost ist heute ihrem Umsatz nach das größte Unternehmen. Sie hat die Bundesbahn bereits überflügelt. Aus Gutachten und aus der eigenen Kenntnis sowie aus den bekannten Zahlen wissen wir, wohin die Reise geht. Es sind ungeheure Fragen zu lösen. Ich glaube sogar, meine Damen und Herren - das sage ich ganz offen als meine private Meinung -, daß man allein mit den Maßnahmen,
die die Sachverständigen-Kommission vorgeschlagen hat, die Aufgaben auf die Dauer nicht entsprechend ihrer Entwicklung wird bewältigen können. Wir müssen die Situation der Bundespost in die Gesamtwirtschaft, insbesondere in die lohnintensiven Unternehmen, hineinprojizieren. Es werden große Schwierigkeiten aufkommen, und sie werden sich rasch überwälzen. Die Lösung der vor uns liegenden Aufgaben wird fast unmöglich sein.
Darum traue ich mich, zu sagen: Dazu gehört, nicht bloß von Mehrarbeit zu sprechen, sondern die Mehrarbeit muß auch durchgeführt werden; sonst können wir die sozialen und anderen Belastungen nicht mehr tragen, die wir in einer guten Meinung beschlossen haben, wobei wir das Schwungrad vielleicht etwas zu weit getrieben haben in der Freude über den Erfolg des Wiederaufbaus und in der Absicht, diesen Erfolg, unserem ganzen Volk zugute kommen zu lassen. Das mag kein Fehler, sondern ein Zeichen der Energie gewesen sein; es mag auch ein Zeichen der ausgezeichneten Arbeit der Bundesregierung sein und mag die Intensität dartun, mit der sie an die Lösung all dieser großen Fragen herangegangen ist.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns, wenn wir von Stabilität reden und diese Ergebnisse sehen, einmal überlegen, ob nicht Zeit für eine gewisse Verdauung dessen, was wir bisher beschlossen haben, eintreten muß; von der Wirtschaft muß das erst verdaut werden. Wir müssen deshalb mit weiteren Sozialmaßnahmen für die in Arbeit Stehenden vielleicht etwas stillhalten. Wir müssen unsere Sozialleistungen auf die Alten und diejenigen Menschen, die sich nicht selber helfen können, projizieren. Wir müssen hier einen gewissen Stillstand eintreten lassen.
Was ich jetzt sage, mag phantastisch klingen, meine Damen und Herren. Aber nach dem, was ich hier so sehe, kann man, glaube ich, nicht nur die öffentliche Hand - ich meine die Bundesregierung - auffordern, das Ihre zu tun, sondern auch die Tarifpartner müßten durch ein freiwilliges Übereinkommen eine Lösung finden. Es ist nämlich heute schon als Erkenntnis in die breite Öffentlichkeit, auch in weiteste Kreise der Arbeitnehmer eingegangen, daß ein gewisser Stillstand der Löhne notwendig ist - natürlich bei gleichzeitiger Garantie der Unternehmer für einen Stillstand der Preise -; denn es ist klar, daß weitere Lohnerhöhungen auch in den Preisen berücksichtigt werden müßten. Das mag phantastisch sein. Aber ich sage nach dem, was man bei der Bundespost sieht, daß die Durchführung der in Sachverständigengutachten empfohlenen Maßnahmen Einsicht voraussetzt. Wenn nämlich die Einsicht all unserer Verantwortlichen nicht dazu führt, hier den richtigen Weg zu finden, um eine gewisse Zeit der Überbrückung, des Verdauens, des Einrichtens auf das, was wir beschlossen haben, zu gewinnen, dann werden wir die Reise nicht bestehen.
({6})
In dem Auftrag ist ganz richtig gesagt worden - nur ein richtiger Auftrag kann zu einer richtigen
Lösung führen -, das Ergebnis all dieser Maßnahmen müsse so sein, daß die Bundespost ihre Aufgaben auf die Dauer, in optimaler Weise und ohne Defizit erfüllen könne. Aus dieser Erkenntnis müssen wir alle - wie in anderen Bereichen so auch hier bei der Bundespost - die notwendigen Konsequenzen ziehen. Nur so werden wir die von der Bevölkerung, gerade von der arbeitenden Bevölkerung gewünschte Stabilität erreichen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Gscheidle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beantragt hat, hier eine Debatte über die Deutsche Bundespost zu führen, war der Anlaß dazu die Vorlage des Sachverständigengutachtens über die Post. Ich bin der Meinung, daß dieses Verlangen der sozialdemokratischen Opposition, das ja nicht sofort auf das Verständnis aller im Ältestenrat gestoßen ist, schon zweierlei bewirkt hat: einmal die verhältnismäßig rasche Vorlage der Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten und zum anderen die Beratung im Bundeskabinett über notwendige Sanierungsmaßnahmen. Man wird vielleicht Ihrerseits sagen: Na ja, da haben auch einige andere mitgeholfen. Das wollen wir gern akzeptieren.
Wir erinnern uns dabei an die Diskussionen im Postverwaltungsrat, der sich seit seinem Bestehen Sorgen über die Entwicklung der Deutschen Bundespost gemacht hat. Nach einer Zusammenstellung, die der Verwaltungsrat selbst gefertigt hat, hat er, beginnend 1954, mahnend darauf hingewiesen, welche Entwicklung eintreten wird, wenn man die Bundespost in der Frage der Gebührenanpassung oder anderer Sanierungsmaßnahmen weiter so nach tagespolitischen Notwendigkeiten führt. Dieser Verwaltungsrat hat sich in den letzten Jahren zunehmend entschlossen, in härteren Formulierungen gegenüber der Bundesregierung das zum Ausdruck zu bringen, was er als notwendig erachtet.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Gutachten, der Stellungnahme der Bundesregierung, den Beschlüssen im Bundeskabinett, die - das sei zugestanden - ein ganz hoffnungsvoller Beginn sind, und der Vorlage der Postgebührenerhöhung. Natürlich haben wir mit Absicht darauf gedrängt, daß diese Debatte, wenn nicht gerade heute, so aber auf jeden Fall vor dem 18. März stattfindet, weil dieser Postverwaltungsrat nach dem Postverwaltungsgesetz zunächst allein darüber zu befinden hat, ob die Gebühren nach der Vorlage, die von der Bundesregierung eingebracht wurde, erhöht werden sollen. Wir hielten es für richtig, vorher in einer politischen Debatte gegenüber der Öffentlichkeit erkennbar zu machen, wie die einzelnen politischen Parteien zu der Bundespost, deren Schwierigkeiten und den möglichen Lösungen stehen.
Der Bundespostminister hat die Beschlüsse des Kabinetts vorgetragen und im wesentlichen noch einmal das wiederholt, was auch Inhalt der Stellungnahme der Bundesregierung zum Postgutachten ist.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Meinung - und das wird vielleicht das erste Mal Ihren Widerspruch auf dieser Seite erregen -, daß die Bundesregierung die alleinige Verantwortung für die derzeitige Situation bei der Bundespost trägt.
({0})
Das ist nicht nur deshalb so, weil sie seit Beginn dieser Bundesrepublik die Verantwortung für die Regierungsgeschäfte hat, sondern auch deshalb, weil zu Anfang der Auseinandersetzung über die Bundespost immer die Frage gestellt war: soll man den Betriebsausgleich über eine Gebührenerhöhung oder über andere Maßnahmen schaffen? Von Anfang an waren die politischen Lasten und die Frage in der Diskussion, ob es denn sinnvoll sei, im Gesetz ohne Bezug auf das Jahresergebnis eine 6 2/3-Abgabe an den Bundeshaushalt festzulegen. Das ist eine Vorschrift aus dem früheren Gesetz, das in der damaligen Situation, bei den damaligen Möglichkeiten der Reichspost sinnvoll war, weil eben die Reichspost zumindest zu Beginn damit rechnen konnte, über Jahre hinaus mit Gewinn arbeiten zu können.
Diese Situation war nach 1945 nicht mehr gegeben, wie sich bald gezeigt hat. Herr Kollege Besold, Sie haben aus einem Brief des Verwaltungsrats zitiert. Dieses Zitat konnte man so verstehen, als ob der Verwaltungsrat habe zum Ausdruck bringen wollen: Bis 1960 war alles in Ordnung, aber nach 1960 mußten wir etwas tun. Der Verwaltungsrat hat seit 1954 Änderungen gefordert. Nach 1960 hat er nur gesagt: Jetzt geht es überhaupt nicht mehr ohne Änderungen; denn die Zeiten, in denen wir Gewinn erwirtschaftet haben, sind nicht mehr erkennbar.
({1})
- Gut, akzeptiert.
Es ist immer amüsant, Erinnerungen zu lesen, unbeschadet des Stils, in dem sie geschrieben sind. So hat natürlich auch der erste Postminister Erinnerungen geschrieben. Ich habe bei Herrn Adenauer nachgelesen, ob auch er sich dieser Auseinandersetzung in seinen Memoiren erinnert hat. Er hat der Post nicht die Bedeutung beigemessen, sich ihrer in seinen Memoiren zu erinnern. Aber Herr Schuberth hat das in seinen Erinnerungen „Meine Jahre mit Adenauer" getan. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich das vielleicht zitieren, weil es vorhin Gegenstand eines kurzen Dialogs war in der Form, daß auf unserer Seite gelächelt wurde und auf der anderen Seite protestiert wurde auf Grund eines Zwischenrufs seitens der Opposition. Ich darf zitieren:
In meiner Eigenschaft als Verwaltungschef hatte ich manches auszustehen. Das für mich und den Betrieb Gefährlichste war folgendes: Schon nach der Korea-Krise, als die Weltmarktpreise anzogen, war eine partielle Erhöhung der Gebühren im Post- und Fernmeldewesen fällig. Adenauer ließ mich nicht vor. Er erfuhr durch die Presse, daß ich bei einem Vortrag vor der Industrie- und Handelskammer
über solche Dinge gesprochen hatte. In einem bösen Brief kanzelte er mich ab, weil ich seine Intentionen nicht berücksichtigt oder nicht recht erkannt habe, nämlich die, unter keinen Umständen auch Gebührenerhöhungen nur zu erwähnen. Ich mußte darauf zurückkommen, als sich Defizite im Posthaushalt ankündigten. Wir mußten ja den Wiederaufbau und den Nachholbedarf, der auf 4 Milliarden DM veranschlagt war, aus unseren Preisen finanzieren, wie die Industrie auch. Anleihen gab es nicht, weil es keinen Kapitalmarkt gab. Adenauer lehnte ab, weil das Volk die Inflation kommen sieht, wenn die Briefmarken teurer werden.
Er versprach mir schriftlich Hilfe bis nach den nächsten Wahlen. Er weigerte sich auch dann. Personalersparnisse infolge der angelaufenen Rationalisierungsmaßnahmen, niedrige Löhne und Gehälter erlaubten es, den Zeitpunkt der Gebührenerhöhung weit hinauszuschieben. Adenauer machte eben auch Politik mit dem Post- und Fernmeldewesen.
Ich habe Ihnen das vorgelesen, weil das einfach zur Beleuchtung dieses kurzen Disputs von vorhin notwendig erscheint.
({2})
- Weil es der Herr Schuberth geschrieben hat? Oder wie meinen Sie das?
({3})
Das ist Ihre Meinung, die Sie vortragen, nicht unsere. Für uns sind die Memoiren jeglicher Minister und des Kanzlers ganz interessant nachzulesen, um Motivationen erfassen zu können, die während der Amtszeit nicht immer erkennbar waren.
({4})
Ich war nach diesem Zitat an und für sich Ihres Zwischenrufs gewärtig, der sich vorhin schon ankündigte: Wollen Sie mit diesem Zitat denn zum Ausdruck bringen, die Sozialdemokraten hätten damals eine Gebührenerhöhung bejaht und unterstützt? Ein naheliegender Zwischenruf!
Die Sozialdemokraten befinden sich seit 1954 in der öffentlichen Diskussion über die Deutsche Bundespost in der angenehmen Situation, sowohl im Verwaltungsrat - im ersten Verwaltungsrat war damals der Abgeordnete Ziegler von der SPD-Bundestagsfraktion - als auch in ihren Erklärungen bei den Haushaltsdebatten jeweils darauf hingewiesen zu haben, daß sie es für keine gute Sache halten, wenn in die Postgebühren politische Lasten eingehen, weil diese Gebühr dann den Charakter einer irgendwie gearteten Steuer mit erhalten kann. Die Sozialdemokraten haben immer wieder darauf hingewiesen: Hier müßte etwas getan werden. Der Bundespostminister Stücklen hat bei einer Debatte vor einem Jahr an dieser Stelle nachträglich den Einwand gebracht: Ja, warum haben denn die Sozialdemokraten in diesem Hause keine Initiativen entwickelt, warum haben sie keine Anträge gestellt? Sie hätten ja die Möglichkeit dazu gehabt. - Solche Überlegungen Ihrerseits werden immer wieder da1406
mit begründet, daß Sie sagen: Irgendwelche Aufforderungen der Opposition, die Politik anders zu gestalten, haben gar keinen Sinn, wenn dahinter nicht der konkrete Antrag zum Haushalt steht. Werden dann aber solche Anträge zum Haushalt von der Opposition gestellt, dann lehnen Sie sie ab, addieren sie flugs, um in der Öffentlichkeit sagen zu können: Hätten wir alles getan, was die Opposition beantragt hat und was wir abgelehnt haben, dann wären wir schon längst pleite.
({5})
Natürlich stellt sich deshalb eine Opposition auf diesen Stil Ihrer Politik ein. Natürlich sagt sie: Wir fordern euch im Grundsatz auf, das anders zu tun; ihr seid in der Regierung, ihr regiert, und wir opponieren. Damit müssen Sie sich eben nun einmal abfinden.
Sowohl der Kollege Dr. Besold als auch der Herr Bundespostminister haben eine ganze Reihe von Zahlen vorgelegt. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich das nicht noch einmal tun will. Zahlen sind ohnedies in dem Gutachten und in der Stellungnahme in einem solchen Umfang enthalten, daß man darauf verzichten kann, sie in einer solchen politischen Debatte zu wiederholen. Allerdings erscheinen mir vier Zahlen von Bedeutung für das zu sein, was ich nachfolgend darstellen will. Sie wurden im übrigen schon genannt. Ich beziehe mich auf den Haushalt 1966 der Bundespost: 550 Millionen DM sind notwendig für die Verzinsung von Fremdgeldern. 656 Millionen zur Ablieferung an den Bund müssen nach wie vor erwirtschaftet werden, wie übereinstimmend von allen Rednern ausgeführt worden ist. Die politischen Lasten schwanken. Minimal gibt es die Zahl von 550 Millionen DM, die heute hier vorgetragen worden ist. Maximal, unter Einbeziehung der politischen Lasten im Zeitungsdienst, kommt man bis zu einer Summe von 850 Millionen DM. Hinzu kommt natürlich auch die zwar die Betriebsrechnung nicht direkt belastende, aber immerhin doch interessante Größe der notwendigen Schuldentilgung von 1,3 Milliarden DM.
Wenn wir das jetzt in eine politische Diskussion umsetzen, so ist die Frage interessant, wie sich denn nun in diesen Betriebsausgaben die prozentualen Steigerungen, bezogen auf die letzten Jahre, die vermutlich Ausgangspunkt einer Vorausschaurechnung sein könnten, ausdrücken. Ich nenne die Steigerungen: bei den Personalaufwendungen von 8 %, bei den sächlichen Aufwendungen für die Betriebsführung von 8 %, bei den sächlichen Aufwendungen für die Unterhaltung von 2 %, bei der Ablieferung an den Bund von 7,1 %, bei den betrieblichen Aufwendungen - das sind die Zinsen - von 11 Obo und bei den Nicht-Geld-Vorgängen von 8 %. Mit diesen wenigen Zahlen und ihren Zusammenhängen wird einiges deutlich.
Wir Sozialdemokraten haben drei Bedenken gegen die Gebührenvorlagen vorzutragen:
1. Der Zeitpunkt, zu dem sie erfolgen, nämlich das Jahr 1966, ist angesichts der eindeutig erklärten Absicht dieser Bundesregierung, der Preisstabilität in der Prioritätsliste ihres politischen Handelns den ersten Platz einzuräumen, schlecht gewählt.
2. Der Umfang der Postgebührenerhöhung ist im Verhältnis zu den gegenwärtigen Gebühren sehr hoch. Im Schnitt werden die wesentlichen Postkunden 50 % mehr an Gebühren zu zahlen haben.
3. Hinzu kommt die Kurzfristigkeit, mit der diese Gebührenvorlage behandelt wird. Dazu wird sicher entweder der Bundespostminister oder ein Sprecher der Regierungspartei nachher noch einiges ausführen. Ich weiß, daß es da den Zusammenhang zwischen der Neuwahl des Bundestages und der Neukonstituierung des Verwaltungsrates gibt. Dieser neukonstituierte Verwaltungsrat hat sich sofort mit der Vorlage beschäftigt. Man kann Ihrerseits 'sicherlich einiges zur Begründung anführen. Aber bitte bemühen Sie sich dann in dieser öffentlichen Debatte auch zu erklären, wie Sie es glauben vertreten zu können, daß der Postverwaltungsrat am 18. März eine Gebührenerhöhung dieses Umfanges beschließt, auf die sich die gesamte betroffene Industrie, die Postbenutzer, innerhalb von 13 Tagen auch mit ihrer Technik in den Firmen umstellen müssen. Das ist eine sehr schwere Problematik.
({6})
Wir sagen nicht - versuchen Sie uns das in der nachfolgenden Diskussion auch gar nicht anzuhängen -, daß die Bundespost ohne Gebührenerhöhungen auskommen kann. Das war nie unser Standpunkt; bitte lesen Sie unsere Ausführungen bei Einbringung der Novelle zum Postverwaltungsgesetz und bei anderen Anlässen nach. Die Frage einer notwendigen Gebührenanpassung steht doch aber im Zusammenhang mit einem konjunkturgerechten Verhalten der Regierung in einer Harmonisierung all dieser Maßnahmen auf dem Gesamtgebiet der Wirtschaft.
({7})
Da hätten Sie nachzuweisen, inwiefern Sie das als eine mit Ihren übrigen Bemühungen harmonisierte Maßnahme ansehen.
Ich habe aus einem anderen Grunde sehr viel Verständnis dafür, daß die Postverwaltung geradezu gezwungen ist, möglichst rasch an diese Gebührenerhöhung heranzukommen. Das hängt nämlich mit den Liquiditätsschwierigkeiten zusammen, in denen sich diese Verwaltung befindet. Aber auch das, meine Damen und Herren, ist keine ausreichende Entschuldigung. Denn es ist einfach nicht so, daß erst das vorliegende Postgutachten gezeigt hätte, in welche Schwierigkeiten hinsichtlich der Geldflüssigkeit diese Verwaltung 1966 kommt. Ich bitte Sie, einmal im Postgutachten den Teil - es ist Seite 133 - über die Liquidität nachzulesen. Ich darf -. mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - den entscheidenden Absatz vorlesen:
Auch wenn es 1965 noch gelingen mag,
- das sind Überlegungen, die sich auf das Jahr 1964 bezogen, in dem die Kommission ihre Arbeit begonnen hat; den Überlegungen lag das abgeschlossene Jahr zugrunde Gscheidle
die Liquidität aufrechtzuerhalten, so erscheint sie für 1966 nicht mehr gegeben, wenn nicht die vorgeschlagenen Gebührenerhöhungen zu Beginn des Jahres unverzüglich durchgeführt werden, der Bund der Deutschen Bundespost die Ablieferung stundet und ihr die politischen Lasten abnimmt.
Eine Erkenntnis, meine Damen und Herren, die nicht nur die Kommission hatte, sondern die auch der Verwaltungsrat schon Jahre zuvor gesehen hat, die im übrigen der Herr Bundesminister und seine Staatssekretäre in gleicher Deutlichkeit gesehen haben. Ich erinnere nur an die Abhandlungen in den Jahrbüchern für das Postwesen und für das Fernmeldewesen, an Ausführungen im „Archiv". Seit Jahren sieht man diese Gefahr, die um so größer wird, je größer der Investitionsbedarf wird und je verworrener die Verhältnisse am Kapitalmarkt werden.
Bei aller freundlichen Besprechung der Beschlüsse des Bundeskabinetts als einer wesentlichen Änderung der Regierungspolitik gegenüber der Bundespost bleibt doch die Frage: Wie kommt man denn aus diesen Liquiditätsschwierigkeiten heraus, wenn die Verhältnisse am Kapitalmarkt so sind, wie wir sie zu beklagen haben, und wenn hinsichtlich der Placierung und der Konditionen, die der Bundespost eingeräumt werden, eine so eindeutige Benachteiligung gegenüber anderen eintritt? Bundespost 7,6, die Länder, die vorher am Zuge waren, 8,11; in der Placierung hinter den Ländern, hinter anderen Anleihen. Da ist in der Kasse nichts mehr darin. Ich habe aus diesen Überlegungen volles Verständnis dafür, daß man jetzt, nachdem man nichts anderes gesehen hat, die große Hoffnung auf die Gebührenerhöhung setzt. Aber, meine Damen und Herren, was die politische Würdigung des Vorgangs angeht, können Sie von der Opposition nicht verlangen, daß sie sich so einstellt, als ob alles politische Verhalten der Regierung, das zu dieser Situation geführt hat, nun mit einem Schlußstrich abgeschlossen wäre, und daß sie sagt: „Na gut, müssen wir halt auch zu dieser Gebührenerhöhung in diesem Umfang, zu diesem Zeitpunkt und in dieser Kurzfristigkeit ja sagen." Können wir nicht tun! Wir werden auch nicht dagegen stimmen können, ganz einfach deshalb nicht, um der Öffentlichkeit klarzumachen, daß es auch für die Opposition nicht die Möglichkeit gibt, andere Wege ganz ohne Gebührenerhöhung aufzuzeigen. Auch uns ist die Haushaltslage, ist die Finanzsituation des Bundes bekannt. Was die Frage betrifft, was man denn über die Beschlüsse der Bundesregierung hinaus tun könnte, so sind es im wesentlichen zwei Dinge: einmal eine bessere Placierung, eine Einräumung besserer Konditionen für die Bundespost am öffentlichen Kapitalmarkt, eine Zusage - nachdem es nicht gelingt, aus Haushaltsmitteln eine stärkere Aufstockung des Eigenkapitals durchzuführen - einer stärkeren Übernahme des Zinsen- und Schuldendienstes für die nächsten Jahre durch den Bundeshaushalt, und zum anderen - das halten wir für sehr wesentlich -, daß man das Veranlassungsprinzip auch seitens der Bundesregierung akzeptiert,
mit der eindeutigen Zusage, von einem bestimmten Zeitpunkt an dieses Veranlassungsprinzip gelten zu lassen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie einmal den Antrag der CDU/CSU vom Juli 1964 nachlesen, den Antrag, den die Opposition vierzehn Tage vorher, im Juni, gestellt hatte, der vielleicht den anderen Antrag inspiriert hat, unseren Fraktionsantrag auf Novellierung des Postverwaltungsgesetzes, den Versuch von Herrn Besold, ebenfalls einen Fraktionsantrag einzubringen, der nicht ganz gelungen ist, dann aber doch zu dem Antrag einer größeren Gruppe der CDU und der CSU geführt hat, dann finden Sie in allen diesen Anträgen übereinstimmend die erklärte Absicht, die politischen Lasten der Bundespost voll abzunehmen. Ich erinnere an Ihren Antrag, Herr Dr. Besold. Sie machen das in Ihrem Antrag sehr präzise; Sie sagen in zwei Teilen: einmal die bislang aufgelaufenen politischen Lasten und zum anderen die zukünftigen auf Grund eindeutiger Formulierungen im Gesetz. Auch wir machen diese Vorschläge für die Zukunft, einfach deshalb, weil man sicherstellen muß, daß sich nichts Neues ansammelt. Das wären, meine ich, zwei Dinge, die man fordern könnte.
Ich sehe Herrn Miessner hier so gut erholt. Dabei erinnere ich mich an sein Interview als neuer Vorsitzender des Postausschusses. Sie sind ja nun viel weiter gegangen, Herr Miessner. Sie werden sich freundlicherweise an Ihr Interview erinnern. Sie haben gesagt: Wenn man nicht sofort die ganzen politischen Lasten abnimmt, wenn man nicht sofort die ganzc Ablieferung neu regelt und wenn man nicht sofort das Eigenkapital aufzustocken beginnt, dann ist die Bundespost überhaupt nicht zu sanieren. Ich stelle das heraus. Wir könnten es nachher zitieren, wenn Zweifel bestehen sollten. Sie sind da sehr weit gegangen.
({8})
- Es freut mich, von Ihnen die Bestätigung zu hören.
Warum sage ich Ihnen das jetzt? Weil der Postverwaltungsrat in seinem Arbeitsausschuß ein Junktim in einer ganz harten Form geschaffen hat
- Herr Besold als Vorsitzender des Arbeitsausschusses hat sich da einige Verdienste für die Bundespost erworben -, indem der Arbeitsausschuß der Bundesregierung eindeutig zu erkennen gibt: wir werden der Postgebührenerhöhung am 18. nicht zustimmen, wenn die Bundesregierung nicht gleichzeitig befriedigende Erklärungen auf den anderen Gebieten abgibt, die ebenfalls zu einer Sanierung gehören. Deshalb habe ich das zitiert. Denn die Frage, was für Sie befriedigend ist, wird ja nun interessant. Wenn Worte und Erklärungen einen Sinn haben sollen, müssen Sie doch das „befriedigend" an dem messen, was Sie in der Öffentlichkeit bislang erklärt haben. Da kann ich Ihnen nur sagen: bei allem Verständnis für das Wenige, was die Bundesregierung beschlossen hat, kann das für uns nicht befriedigend sein. Dabei gehen wir in unseren Forderungen und Vorstellungen nicht über das
hinaus, was für den Haushalt aus der jetzigen Sicht zumutbar erscheint. Es sind nur jene zwei genannten Punkte. Um hier aber nicht sozusagen U-Boot zu fahren: Die Forderung nach Fundierung des Veranlassungsprinzips im Gesetz würde für die Zukunft den Haushalt zunehmend belasten, und zwar in dem Umfange, in dem es nicht gelingt - aus politischen Überlegungen -, kostendeckende Gebühren durchzuführen. Das sagen wir in diesem Zusammenhang eindeutig.
Sehen Sie, dieses Gutachten hat nun, ich würde sagen, in einer guten Bestandsaufnahme doch im wesentlichen all das bestätigt, was immer unsere Sorgen waren, was die Sorge des Verwaltungsrats war. Das waren auch jene Sorgen, die Sie dazu veranlaßt haben, eine Novellierung des Postverwaltungsgesetzes zu verlangen. Natürlich gibt es daneben auch einige originäre Vorstellungen, die die Kommission entwickelt hat, so beispielsweise die Vorstellung hinischtlich des Umbaus der Organisation an der Spitze, einige Vorstellungen zum Rechnungs- und Finanzwesen. Ich möchte mich dazu nicht äußern. Die Opposition ist nicht der Meinung, daß sie sich hier sozusagen als erster dazu äußern sollte, ob der Postminister noch Postminister oder künftig Generaldirektor sein soll. Nach den Sorgen, die der Herr Minister Stücklen hier hin und wieder vortragen muß, könnte ich mir vorstellen, daß er sich manchmal als Generaldirektor wohler fühlt als als Minister.
({9})
Aber das soll zunächst einmal Aufgabe der Bundesregierung sein, zu erklären, wie sie sich das vorstellt.
({10})
- Zu dieser Frage steht in der schriftlichen Stellungnahme, Herr Leicht, daß das eine so umwälzende Sache sei, daß die Bundesregierung noch keine Möglichkeit sehe, sich dazu zu äußern.
({11})
- Ich glaube nicht, Herr Leicht, daß Sie diese Feststellung in Übereinstimmung mit dem Postminister treffen können. Der Postminister hat wohlweislich zu dieser Sache nichts gesagt, und ich habe volles Verständnis dafür, daß er das heute früh nicht getan hat.
Aber mit diesen Organisationsvorstellungen ist ja auch die Frage verbunden, ob man das Post- und das Fernmeldewesen organisatorisch nicht stärker trennen sollte. Dafür werden einige Gründe angesprochen. Wir teilen diese Ansicht nicht in der Folgerung ibis zur Spitze, aber wir halten die Gründe, die die Kommission für solche Überlegungen angeführt hat, für erwähnenswert, und wir könnten uns vorstellen, daß man das, was die Kommission bewegt hat, auf andere Weise erreichen kann, nämlich durch eine neue Verlagerung der Kompetenzen, der Zuständigkeiten, durch eine andere Geschäftsordnung. Und da, meinen wir, wäre nicht die mittlere Ebene das Richtige, da denken wir an eine Umgruppierung im Postministerium. Wir halten die Frage nicht für entscheidend; ich
wollte sie an dieser Stelle nur anmerken, und zwar deshalb, weil die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu diesem Punkt sagt: Das muß alles sorgfältig geprüft werden. Ich würde sagen, uns überrascht das bei der mittleren Ebene etwas.
Zu der Frage der Neuorganisation der Oberpostdirektionen gab es einmal eine Stellungnahme des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Dann hat die Bundespost eine eigene Kommission eingesetzt; ich glaube, sie lief unter der Arbeitsbezeichnung „Geyer-Kommission" Und dann gibt es nun die Stellungnahme dieser Kommission. Alle drei Kommissionen kamen übereinstimmend zu dem Urteil: die landespolitischen Grenzen sind kein zulässiges Kriterium für die Abgrenzung postalischer mittlerer Behörden.
Ich glaube also, hier wäre die Prüfung an und für sich nicht mehr notwendig. Hier erwarten wir einfach, daß die Regierung oder das Bundespostministerium zu irgendeinem Zeitpunkt einmal erkennen läßt, wie man sich diese Neuorganisation vorstellt. Sie muß ja nicht in einem Zuge vor sich gehen. Aber eine Zielvorstellung sollte man in der Öffentlichkeit einmal kundtun, um diese Zielvorstellung dann etappenweise anzustreben.
Ich weiß, das gibt einige Schwierigkeiten mit den Landesregierungen. Aber das sollte nicht hindern, daß man einmal eine Zielvorstellung vorlegt.
({12})
- Ja, würde ich sagen, das ist eine generelle Frage. Das ist zwar nicht das Thema von heute, Herr Brück, aber es wäre ein interessantes Thema. Es wäre reizvoll, einmal über mögliche Rationalisierungserfolge durch Organisationsänderungen im gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung zu diskutieren. Das wäre zwar für viele Leute nicht angenehm, aber es wäre interessant.
({13})
Die Bundesregierung hat nun im einzelnen zu den Vorstellungen der Kommission Stellung genommen. Ich will das in dieser ersten Debatte nicht tun, aber ich will versuchen, an vier Beispielen deutlich zu machen, wo es eine unterschiedliche Auffassung der Opposition gegenüber dem Standpunkt und der Betrachtungsweise der Kommission gibt. Das hängt damit zusammen, daß wir der Meinung sind - ({14})
- Zunächst kann ich nur für uns sprechen. Wir erwarten mit Spannung Ihre Äußerungen. 'Sie haben schon einiges in der Öffentlichkeit angekündigt. Da werden wir sicherlich noch manches hören.
({15})
Wir können an vier Beispielen zeigen, daß wir anderer Auffassung sind. Diese vier Punkte berühren die Aufgabenstellung der Deutschen Bundespost. Ich hatte Gelegenheit, bei der Debatte anläßlich der Einbringung unseres Änderungsgesetzes zum Postverwaltungsgesetz für die Opposition den StandGscheidle
punkt zu umreißen, den wir der Bundespost gegenüber einnehmen. Ich darf aus Zeitgründen darauf verweisen. Daraus ergibt sich, daß wir nicht die Auffassung der Kommission teilen können, daß beispielsweise das Nebenstellengeschäft an die Industrie abgegeben werden sollte; denn dadurch wird die Deutsche Bundespost in dem marktregulierenden Wettbewerb ausfallen und außerdem ihren bisherigen Einfluß auf die Gestaltung der Nebenstellentechnik verlieren. Für uns ist es also ein Kriterium, daß man über die Bundespost Wirtschaftspolitik machen soll und kann. Sonst hätte sie ihre Stellung als öffentliche Verwaltung neu zu begründen. Die Marktregulierung ist dabei einer der Gesichtspunkte.
Ein zweites Beispiel! Es wird vorgeschlagen, die Rundfunk- und Fernsehsender einer noch zu gründenden posteigenen Betriebsgesellschaft anzuschließen. Auch hier können wir auf Grund folgenden Zusammenhangs - und das ist ein zweiter Gesichtspunkt - dem Vorschlag nicht beipflichten. Die Bundespost wind vielfältig auf dem Gebiet der Funktechnik und des Funkwesens tätig. Sie würde sich eines wesentlichen Einflusses auf die Entwicklung und Forschung begeben, wenn sie diese Tätigkeit aufgeben würde. Wir befinden uns hier im übrigen in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Bundesregierung.
An einem dritten Beispiel will ich zeigen, wo wir von einer grundsätzlich anderen Betrachtung der Aufgabenstellung der Bundespost zu anderen Ergebnissen kommen. Es wird vorgeschlagen, den Zustelldienst, der, wie schon angeführt wurde, einer Rationalisierung wenig zugänglich ist, dadurch zu verbessern, daß man Zustelleistungen aufgibt. Im einzelnen wird dabei aufgeführt, welche Leistungen reduziert werden könnten. Hier können wir im Interesse des Postservice, besonders der gleichmäßigen Gesamtbedienung der Bevölkerung, nicht folgen.
Ein viertes Beispiel! Die Empfehlung der Kommission, schlecht frequentierte Linien des Postreisedienstes mit entsprechend ungünstiger Ausnützung der Kapazität der Fahrzeuge und des Fahrpersonals einzustellen, müssen wir auch im Zusammenhang mit der Entwicklung auf dem gesamten Sektor der Personenbeförderung sehen und deshalb widersprechen. Dieser Widerspruch bezieht sich nicht auf eine andere Formulierung, die ich nachfolgend noch vortragen will, wo wir in voller Übereinstimmung mit der Kommission sind. Ich will nur zeigen, wo die Grenzen sind. Es erscheint uns bei der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung der Bundespost nicht möglich, daß sie sich von dem Dienst auf den unrentablen Strecken zurückzieht. Diese Dinge kann man nicht nur unter kaufmännischen Gesichtspunkten anpassen.
Ich will aber auch zeigen, wo wir auf diesem Gebiet mit der Kommission in voller Übereinstimmung stehen und eine Ausführung der Kommission zitieren:
Durch die weitere Zunahme des motorisierten Individualverkehrs und die weitere Verlagerung des Personenverkehrs von stillzulegenden Schienenstrecken auf den öffentlichen Straßenverkehr wird es in manchen Fällen zu Überlegungen über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer völligen regionalen Neuordnung des Überlandverkehrs kommen müssen. Die Deutsche Bundespost muß sich solchen Entwicklungen rechtzeitig und wendig anpassen, ohne das Nahziel einer nachhaltigen Verbesserung der Eigenwirtschaftlichkeit ihres Omnibusdienstes aus den Augen zu lassen.
Hier volle Übereinstimmung! Nur nicht in dieser generellen, rein kaufmännischen Betrachtung über das Fortführen von Linien!
Meine Damen und Herren, ich hatte nicht die Absicht, die Gesamtvorschläge der Kommission zu den einzelnen Dienstzweigen im einzelnen zu erörtern. Ich wollte nur an diesen vier Beispielen deutlich machen, daß die Frage der Beeinflussung der Marktregulierung, die Frage des Einflusses auf die Entwicklung der Technik, die Frage der Aufrechterhaltung des Postservice, unbeschadet, ob es sich um Landbevölkerung oder Stadtbevölkerung handelt, die Frage der Flächenbedienung es uns nicht immer gestatten, der Kommission in ihren Vorschlägen zu folgen.
Die Kommission hat ja nun - und das wurde von Herrn Besold ausführlich gewürdigt - auch zu Fragen des Finanzwesens, des Rechnungswesens und dgl. Stellung genommen. Hier gibt es viele Übereinstimmungen, jedoch auch Bedenken, die dann noch im einzelnen im Postausschuß vorzutragen sind.
Die Kommission betrachtet alle ihre Maßnahmen als Ganzes, ist aber auch im Hinblick auf die Haushalts- und Finanzsituation für ein stufenweises Vorgehen, allerdings mit bestimmten Zielvorstellungen, die unseres Erachtens durch die bisherigen Erklärungen der Bundesregierung noch nicht voll übernommen wurden.
Ich will einmal auf Grund der eingangs von mir genannten wenigen Zahlen versuchen, das, was die Bundespost eingeleitet hat, was die Bundesregierung beschlossen hat, in einer Vorausschaurechnung zu erfassen und darzustellen, was notwendig wäre, um das Ziel, das die Kommission gesetzt hat, erreichen zu können. Meine Damen und Herren, es geht mir darum, deutlich zu machen, daß alle Bemühungen der Bundespost und alle unsere Bemühungen für die Bundespost eingebettet sind in die gesamte Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung und daß der Erfolg des Bemühens um die Deutsche Bundespost im wesentlichen davon abhängig ist, inwieweit es der Bundesregierung gelingt, mit ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen die Ziele zu erreichen, die sie genannt hat. Ich darf noch einmal die Frage der Personalaufwendungen in Erinnerung rufen. Wir sind dem Herrn Abgeordneten Besold außerordentlich dankbar für die freundlichen Worte, die er für das Personal gefunden hat. Aber, Herr Besold, beim Nachlesen Ihrer Ausführungen werden Sie selbst merken, daß Sie an einen Punkt kamen, wo Sie begannen, mit sich selbst im Widerspruch zu liegen. Am Schluß -Ihrer Rede, wo Sie in einer gewissen Begeisterung über eigene Zukunftsprognosen
({16})
davor gewarnt haben, diese Lohn- und Gehaltspolitik so fortzusetzen - Sie sagten, da müsse eine Pause eintreten -, wurde Ihnen dann plötzlich während des Vortrages das Bedenkliche Ihrer volkswirtschaftlichen Sicht deutlich, indem Sie einschränkend den Halbsatz angehängt haben: „natürlich nur, wenn die Unternehmer zum gleichen Zeitpunkt erklären können, sie werden die Preise stabil halten."
({17})
Wissen Sie, Herr Besold, es ist einfach ein naiver Kinderglaube, anzunehmen, daß die Unternehmer jeweils erklären könnten und vor allen Dingen, wenn sie es erklären, daß sie es auch halten könnten, daß die Preise stabil bleiben. Ich würde in einer realistischen Betrachtung einfach davon ausgehen, daß die Lohn- und Gehaltssummen steigen werden. Aber, sehen Sie, es ist eine Frage, inwieweit es gelingt, eine Preisstabilisierungspolitik zu betreiben, ob zu dieser Zuwachsrate eine sogenannte Inflationsrate kommt. Wenn man eine Vorausschauberechnung mit allen ihren Unbekannten überhaupt wagen soll: Wie schätzt man dann für die nächsten fünf Jahre die Zuwachsraten bei Lohn und Gehalt? Davon ist die Vorausberechnung abhängig. Die Frage der Aufwendungen für die Betriebsführung ist eine Frage, die mit dieser Wirtschaftspolitik in Zusammenhang steht. Die Frage der nichtbetrieblichen Aufwendungen und Zinsen hängt damit zusammen, ob man den Kapitalmarkt in Ordnung bekommt und inwieweit man dann die Liquidität des Unternehmens im Übergang dadurch etwas absichert, daß man ihm entweder mehr Eigenmittel oder die Aufnahme von Schulden und Zinslasten am Kapitalmarkt zu besseren Konditionen ermöglicht.
Unterstellt, der Bundesregierung gelingt es nicht, ihre Ankündigungen auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik zu verwirklichen - ich persönlich bin Pessimist, Sie werden mir das nachsehen müssen -, dann ergäbe sich, daß dieses Mehraufkommen aus der beabsichtigten Gebührenerhöhung nicht einmal dazu ausreicht, die nächsten zwei Jahre abzudecken. Dann ist die Bundespost schon wieder in der Kreide, wenn ich diesen volkstümlichen Ausdruck benutzen darf.
Unterstellt aber, der Bundesregierung würde es gelingen, mit ihrer Politik jene Zielvorstellungen zu erreichen, die das Wirtschaftssachverständigen-gutachten genannt hat, dann wäre diese Gebührenerhöhung in der Tat schon dazu ausreichend, über die nächsten vier Jahre hinwegzukommen. Ich mache dabei eine Einschränkung; ich sehe, Sie schütteln mit dem Kopf, Herr Minister. Wir haben bei diesen Vorausberechnungen unterstellt, daß es bei den Investitionen bleibt, die im nächsten Investitionsplan vorgesehen sind.
Damit komme ich zum nächsten Punkt, zu der Frage der Investitionen. Die Stellungnahme der Bundesregierung dazu ist außerordentlich interessant, nicht nur, weil sie einige Widersprüche in sich birgt; wahrscheinlich ist sie recht schnell gefertigt. In der Stellungnahme der Bundesregierung heißt es z. B. im Vorwort: Wir werden die Rationalisierung in verstärktem Maße fortsetzen, und eine Seite später heißt es dann: wie bisher fortsetzen. Das „wie bisher" würden wir unterstreichen, nicht weil wir der Meinung sind, das sei richtig, sondern weil die Bundespost einfach nicht mehr Mittel haben wird, um etwas verstärkt zu tun. Das alles kostet Geld.
Rationalisierungsmaßnahmen bei der Bundespost ohne Geld sind heute nicht mehr durchzuführen. Da bin ich in voller Übereinstimmung mit Ihnen, Herr Besold. Daß ein Verkehrszuwachs von 10 % mit einer Personalvermehrung von nur 2,5 % aufgefangen werden konnte, war ein Ergebnis der Rationalisierungsbemühungen, unstreitig. Aber die Möglichkeiten von organisatorischen Änderungen, einer Stärkung der Arbeitsintensität und einer besseren Auslastung der Arbeitskraft bei der Bundespost sind ausgeschöpft. Alle weiteren Rationalisierungserfolge muß sich die Bundespost teuer über viel, viel Investitionen erkaufen.
Es ist einfach falsch, wenn die Kommission glaubt, bei steigenden Verkehrszahlen der Bundespost wegen der Wirkungen der Lohnkosten eine absolute Höchstzahl für die Arbeitskräfte festlegen zu sollen. Das ist nicht möglich. Hier sind wir auch der Bundesregierung - ich erkläre das ausdrücklich - dankbar für ihre Stellungnahme zu den Vorschlägen der Kommission zum Personalwesen. Wir hielten es für eine schlechte Sache, wenn irgend jemand der Meinung wäre, man könnte der Post dadurch helfen, daß man weniger Leute ins Beamtenverhältnis bringt oder diejenigen, die im Beamtenverhältnis sind, weniger befördert als andere Beamte des öffentlichen Dienstes. Solche Dinge schlagen zurück. Sie sind keine Möglichkeit des Ausgleichs der Betriebsrechnung.
Herr Besold, Sie haben in Ihren Ausführungen bezüglich des Personals am Schluß die Meinung vertreten, man müsse sich einfach darüber im klaren sein, daß man hier, wenn die Entwicklung so weitergehe, mehr zurückhalten müsse. Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang einmal folgendes erzählen. Gestern kam ein Mann des Fernsehens zu mir, nachdem er ein Interview mit dem Bundespostminister hatte. Nun, ich kenne den Herrn Bundespostminister so gut, daß ich annehme, er hat es gar nicht so gemeint, wie es der Reporter- aufgefaßt hat. Der Herr kam zu mir mit der Frage, ob wir nicht vor der Kamera erklären könnten, daß wir uns, da das Defizit der Bundespost doch unzweifelhaft durch die ständigen Lohn- und Gehaltsforderungen entstehe, in Zukunft mehr zurückhalten, damit der Bundespost geholfen werden könne.
Das sind so Überlegungen, die deshalb in der Öffentlichkeit wachsen, weil man das Defizit von vielen Seiten ständig nur mit den Personalkosten erklärt. Das ist eine Frage der Addition der Zahlen. Wenn Sie alle Ausgaben addieren und zuletzt die Lohnkosten dazuzuzählen, dann sind sie der grenzüberschreitende Faktor. Sie können es auch anders machen und die politischen Lasten zuletzt aufzählen. Dann sind die politischen Lasten der grenzüberschreitende Faktor.
({18})
Wir leugnen gar nicht den Zusammenhang, daß ein Dienstleistungsbetrieb wie die Bundespost bei dieser Kostenstruktur auch aus diesen Gründen verpflichtet ist, von Zeit zu Zeit in eine Gebührenanpassung einzutreten. Nur sollte man die Diskussion nicht so führen, daß man einerseits eine große Verneigung vor dem Postpersonal mit seinen vielen Leistungen macht und auf der anderen Seite mißverständliche Äußerungen tut, so daß Außenstehende annehmen: Aha, die unzulässigen Forderungen der Gewerkschaften sind auch hier schuld. Die Beschäftigten der Bundespost sind ganz sicher nicht der Meinung, daß sie zu der pressure group gehören, die sozusagen die Marken für das setzt, was an Lohn und Gehalt richtig ist. Aber man wird ihnen doch nicht verargen, wenn sie auch nicht der Meinung sind, daß man gerade über ihren Lohn-und Gehaltsverzicht eine große Bundesbehörde sanieren sollte. Sie sind vielmehr der Meinung, daß sie entsprechend ihren Arbeitsleistungen im Vergleich zur übrigen Wirtschaft gerecht bezahlt werden müssen. Dieser Anpassungsprozeß hat in den letzten Jahren die Steigerung um 8 % gebracht und wird sie wahrscheinlich auch zukünftig in der gleichen Höhe bringen, in der sich Gehaltsbewegungen anzeigen. Dabei bleibt das Lohn- und Gehaltsniveau des öffentlichen Dienstes - wie wir ja alle aus anderen Diskussionen wissen - um 8 bis 9 % bislang zurück.
Bei dieser Vorausschau kommt man zu dem Punkt der Investitionen. Ich habe gar keinen Zweifel an der Richtigkeit der Zukunftsaussichten, die Herr Bundespostminister heute hier vorgetragen hat. Wenn ich dann nachlese, was insbesondere in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Kommissionsbericht über zukünftige Aufgaben steht, dann bleiben, selbst wenn ich da eine gewisse technische Schwärmerei abstreiche, Investitionsnotwendigkeiten, die mit den Beträgen, die der Bundespost zur Zeit zur Verfügung stehen oder ihr nach allem, was wir wissen, in den nächsten Jahren zur Verfügung gestellt werden, einfach nicht zu schaffen sind.
In der Stellungnahme der Bundesregierung finden wir beispielsweise einen Punkt, der uns alle beschäftigt. Ich erinnere nur an die Fragestunden, in denen sich der Herr Postminister - manchmal mit wechselnden Argumenten - gegen Vorwürfe zur Wehr setzt und erklärt, daß die Bundespost eben nicht anders kann und daß eine Warteliste hingenommen werden müßte. Die Bundesregierung sagt in ihrer Stellungnahme: Unterstellt, in den nächsten 10 Jahren wächst der Bedarf an Hauptanschlüssen im Jahr um jeweils 10 %; dann müssen wir uns, um die Warteliste abzubauen, entweder ein Ziel von drei Jahren oder von fünf Jahren setzen; setzen wir uns ein Ziel von fünf Jahren, dann müssen wir Investitionen in einer bestimmten Größenordnung vornehmen, und zwar bei fünf Jahren in der Größenordnung, daß jährlich 11-13% mehr Hauptanschlüsse eingerichtet werden können. - Tatsächlich aber werden Investitionen nun in der Höhe vorgenommen, daß 8,5 % mehr Hauptanschlüsse im Jahr eingerichtet werden können. Wir wissen also heute schon, daß es aus diesen Gründen nicht gelingen wird, die Warteliste abzubauen. Natürlich werden Investition und Auswirkung auf die Warteliste nicht zeitgleich sein; es gibt eine Phasenverschiebung. Aber die Kürzung der Investitionen auf Grund des zur Zeit noch laufenden Fünfjahresplans wird bereits für das Jahr 1967, so vermutet man, wieder ein Anwachsen bei der Warteliste zur Folge haben.
Wir müssen uns also, wenn wir schon in eine Zukunftsbetrachtung der Bundespost eintreten, einfach darüber im klaren sein: wenn wir als Parlament die Ziele mit erfüllen wollen, die der Herr Postminister vorgetragen hat und die in der Stellungnahme der Bundesregierung stehen, dann sind die Beschlüsse der Bundesregierung auch hier nicht befriedigend.
Meine Damen und Herren, ich habe versucht, mich in dieser ersten Lesung nicht in Details zu verlieren, sondern aufzuzeigen, wo es grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten auf Grund anderer Betrachtungsweisen gibt, und zwar insbesondere dort, wo es uns im Hinblick auf die beabsichtigte Gebührenerhöhung notwendig erschien, unseren Standpunkt in aller Deutlichkeit öffentlich zu präzisieren. Die weitere Beratung im Postausschuß wird uns Gelegenheit geben, zu Detailproblemen noch ausführlicher Stellung zu nehmen.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Miessner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Minister für das Post- und Fernmeldewesen hat zu Beginn der heutigen Sitzung eine umfassende Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Gutachten der Sachver- ständigen vom 6. Dezember 1965 abgegeben und zunächst den Mitgliedern der Kommission für ihre Arbeit gedankt. Auch ich möchte damit beginnen, in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Postausschusses des Bundestages allen Mitgliedern der Sachverständigen-Kommission für ihr umfassendes, sachliches und gründliches Gutachten im Namen aller Mitglieder des Postausschusses zu danken.
Das Gutachten hat die aktuellen Probleme der Bundespost mit aller Deutlichkeit aufgezeigt. Man hat sich dabei auch nicht gescheut, den politischen Instanzen - also damit auch dem Bundestag - wegen mancherlei Versäumnisse in der Vergangenheit den Spiegel vorzuhalten. Auch das Personal der Bundespost beobachtet seit Jahren mit Sorge den fortschreitenden finanziellen Verfall der einst so gesunden Deutschen Bundespost. Es ist gewiß für die Mitarbeiter der Post eine wenig erfreuliche Situation, einem defizitären Betrieb anzugehören, obwohl das von der Sache her im Grunde gar nicht so zu sein brauchte.
Namens der FDP-Fraktion nehme ich nun zu dem Gutachten wie folgt Stellung. Die gegenwärtige schlechte finanzielle Lage der Deutschen Bundespost wird im besonderen Maße von drei Fakten geprägt, nämlich der zu geringen Höhe des Eigenkapitals,
den nicht kostengerechten Gebühren und den betriebsfremden Lasten.
Zunächst zur Kapitalstruktur. Unter dem Zwang der Verhältnisse mußte die Deutsche Bundespost seit dem Jahre 1949 die betriebsbedingte Expansion fast völlig durch Inanspruchnahme fremder Mittel finanzieren. Dies führte dazu, daß das Vermögen der Deutschen Bundespost nunmehr zu 12,1 % aus Eigenkapital und zu 87,9% aus Fremdkapital besteht. Das bedeutet, daß die Bundespost bei einem Gesamtkapital von 13,2 Milliarden DM nur über ein Eigenkapital von 1,6 Milliarden DM verfügt.
Der Rückgang des Eigenkapitals ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Zunächst mußten die in den Jahren 1952, 1953, 1957 und 1958 sowie 1961 bis 1964 aufgetretenen Verluste der Deutschen Bundespost zwangsläufig das Eigenkapital mindern, weil seitens des Bundes, der der Eigentümer der Post ist, kein Ausgleich erfolgte. Die Gesamtsumme aller Verluste in den angegebenen Jahren betrug immerhin über 1,3 Milliarden DM.
Angesichts der seit langem viel zu gering gehaltenen Postgebühren wurde die Post auf vielen Gebieten zu Leistungen weit unter Selbstkosten gezwungen. Damit war es der Deutschen Bundespost naturgemäß nur sehr begrenzt möglich, die notwendigen Investitionen aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Die Kommission hat auch dies mit aller Deutlichkeit hervorgehoben.
Schließlich wurde die Post durch eine viel zu hohe Ablieferungsquote an den Bund in zusätzlichem Maße belastet. Seit 1948 sind 4,9 Milliarden DM aus der Postkasse in den Bundessäckel geflossen. Auch das muß an dieser Stelle einmal gesagt werden. Das ist eine ungeheure Belastung, der die Deutsche Bundespost ausgesetzt war, und das in einer Zeit, in der der Bund als Eigentümer bei vernünftiger wirtschaftlicher Überlegung in seinen sich ständig vergrößernden Betrieb eigentlich Mittel zur Stärkung des Eigenkapitals hätte hineinstecken müssen. Welche Folgen die Vernachlässigung der Kapitalstruktur für die Deutsche Bundespost hat, geht schon allein daraus hervor, daß für die Verzinsung des Fremdkapitals im Jahre 1966, wie ja heute in der Diskussion auch schon gesagt worden ist, rund 550 Millionen DM aufgebracht werden müssen.
Für die Schuldentilgung sind darüber hinaus in der Zukunft jährlich rund 1,3 Milliarden DM zu erbringen. Daß eine solche Last sehr bald zum finanziellen Ruin führen muß, braucht man im einzelnen wohl gar nicht zu erläutern.
Die Kommission hat deshalb auch zu Recht mit Nachdruck darauf verwiesen, daß das Investitionsprogramm der Post sehr eingeschränkt werden müßte, wenn die Kapitalstruktur der Post nicht wesentlich umgestaltet würde. Die Folgen für die gesamte deutsche Volkswirtschaft, aber auch für jeden einzelnen Staatsbürger wären sehr weittragend. Man denke beispielsweise nur an die Zahl derjenigen, die auf die Einrichtung eines Fernsprechanschlusses warten. Anfang 1966 lagen über 294 000
Anträge vor. Auch darauf ist in der Debatte bereits mehrfach hingewiesen worden.
Eine solche retardierende Entwicklung wäre aber nicht nur für die Volkswirtschaft, sondern auch für die Bundespost sehr nachteilig. Denn in der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß gerade ein hoher Kapitaleinsatz, insbesondere auf dem kapitalintensiven Fernmeldesektor, die Wirtschaftlichkeit und Rentabilität der Deutschen Bundespost am ehesten gewährleistet.
Die zweite große Ursache für die augenblicklichen Schwierigkeiten bei der Deutschen Bundespost ist das in den letzten 15 Jahren leider immer wieder verfolgte Prinzip, die Postgebühren als politische Preise zu betrachten. In dieser Hinsicht haben die Sachverständigen ein erfreulich offenes Wort gesprochen. Wir sollten ihnen dafür besonders dankbar sein.
Ich halte es für angebracht, dazu die sehr harten Sätze aus dem Gutachten hier einmal vor aller Öffentlichkeit zu zitieren:
Es läuft auf Kurieren an Symptomen und auf ökonomisch nutzlose Augenwischerei hinaus, wenn einzelne Preise von politischen Instanzen entgegen den wirtschaftlichen Realitäten am Steigen gehindert werden. ... Verhindert die . Regierung oder das Parlament, daß die Kunden der Post den vollen Gegenwert für die von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen bezahlen, dann werden die nicht gedeckten Kosten früher oder später von anderen Schichten der Bevölkerung übernommen werden müssen.
Mit dem Hinweis auf „andere Schichten" kann natürlich nur der Steuerzahler generell gemeint sein. Das sollte man bei allen politischen Preisen der öffentlichen Hand stets bedenken!
Es gehört nach meiner Meinung zu einer verantwortungsvollen Finanzgebarung der öffentlichen Hand, daß man Waren und Leistungen aus eigenen Wirtschaftsbetrieben grundsätzlich nicht unter Wert entnimmt oder abgibt. Wenn sich das ein privater Kaufmann leistet, dann geht er unweigerlich in Konkurs. Was aber in diesem Punkt in wirtschaftlicher Hinsicht für einen privaten Kaufmann gilt, sollte entsprechend auch für die öffentliche Hand gelten.
Wir halten es daher für 'absolut notwendig, daß die Post- und Fernmeldegebühren die volle Kostendeckung einschließlich einer angemessenen Verzinsung des Eigenkapitals und eines Beitrags zur Investitionsfinanzierung gewährleisten.
Was das Sonderproblem des Kostenausgleichs innerhalb der einzelnen Dienstzweige der Deutschen Bundespost 'betrifft, so sind wir der Meinung, daß grundsätzlich jeder einzelne Dienstzweig die von ihm verursachten Kosten selbst decken sollte. Auch damit 'befinde ich mich in Übereinstimmung mit den Ausführungen meiner Vorredner. Nur in ganz besonderen Fällen sollte, wie auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme ausführt, eine Kostenunterdeckung zugelassen werden.
In diesem Zusammenhang sei mir gestattet, rückblickend kurz noch einmal etwas zu dem TelefonDr. Miessner
gebührenstreit vor zwei Jahren zu bemerken. Vor zwei Jahren sind reichlich einseitig nur die Kosten im Dienstzweig Fernmeldewesen in Ordnung gebracht worden, nicht dagegen auch im Postdienst, in dem die Kostenunterdeckung inzwischen fast die Milliardengrenze erreicht hat. Was damals ganz offensichtlich unter dem von der Freien Demokratischen Partei stark kritisierten Gedanken eines globalen Kostenaustausches zwischen den einzelnen Dienstzweigen Fernmeldewesen einerseits und Postwesen andererseits geregelt wurde, konnte in dieser Einseitigkeit nicht lange Bestand haben. Jetzt müssen die Konsequenzen für den Dienstzweig Postwesen gezogen werden. Vor diesem Problem stehen wir heute.
Noch ein Wort zu einem Teilproblem, nämlich zur Kostenunterdeckung bei den Gebühren im Postzeitungsdienst. Das Sachverständigengutachten weist darauf hin, daß die über eine Verbilligung des Bezugs von Zeitungen verfolgten staatspolitischen Ziele der Bundesregierung grundsätzlich nicht zu Lasten der Finanzen des Posthaushalts gehen sollten. Um welche Summen es dabei geht, wird deutlich, wenn man die für das Jahr 1965 auf rund 220 Millionen DM geschätzte Kostenunterdeckung betrachtet. Im Postzeitungsdienst vollbringt damit die Deutsche Bundespost in der Tat eine so beachtliche staatspolitische Leistung, daß dies hier einmal vor aller Öffentlichkeit festgestellt werden muß.
Die Kommission nimmt zu der Frage der Gebühren im Postzeitungsdienst einen sehr harten Standpunkt ein und verlangt, daß die Bundesregierung die entsprechenden Mittel, die für die Verbilligung des Zeitungsbezugs erforderlich sind, der Post gesondert erstattet. Wenn man das kaufmännische Prinzip der vollen Kostendeckung auch für den Postzeitungsdienst konsequent durchführen würde, so wäre in der Tat entweder nur eine Verteuerung des Postzeitungsdienstes oder eine entsprechende Abgeltung durch den Bund möglich.
Wir sind jedoch der Meinung, daß im Postzeitungsdienst historisch gewachsene Sonderverhältnisse vorliegen. Wir billigen deshalb die Stellungnahme der Bundesregierung zum Postzeitungsdienst, wonach die Lösung dieser Frage in Form einer stufenweisen Angleichung behutsam angefaßt werden soll. Dabei sollte auch bedacht werden, daß eine Verteuerung die Heimatzeitungen, die ihre Zeitungspakete oft in viele kleine Orte versenden müssen, besonders hart treffen würde.
Die Öffentlichkeit muß sich bei der Betrachtung der Postgebühren unter dem Gesichtspunkt der Kostendeckung auch darüber im klaren sein, daß bei einem so lohnintensiven Dienstzweig wie dem Postwesen höhere Lohn- und Gehaltskosten nur in begrenztem Umfang durch Rationalisierung und Automatisierung aufgefangen werden können. Auch das wurde ja von meinen Vorrednern bereits gesagt. Es sind dem Dienstzweig Postwesen natürliche Grenzen hinsichtlich des Ersatzes der menschlichen Arbeitskraft durch Maschinen gesetzt. Es wurde bereits ausgeführt, daß hier die Grenze im wesentlichen erreicht worden ist. Denken wir beispielsweise an den Briefträger, der auch heute noch nicht durch eine Maschine ersetzt werden kann. Soweit mir bekannt ist, hat der Bundespostminister zur Zeit auch noch nicht vorgesehen, die Briefe über eine eigene Rohrpostanlage in jeden Haushalt zu schießen. Da andererseits die wahrlich nicht zu den Spitzenverdienern unserer Gesellschaft zählenden Postbediensteten auch einen berechtigten Anspruch auf Lohn- und Gehaltserhöhungen im Rahmen des Zuwachses des Sozialprodukts haben, wird man auch in Zukunft steigende Personalkosten bei der Bundespost in Rechnung stellen müssen. Da sich diese, wie gesagt, nur sehr begrenzt auffangen lassen, wird die Deutsche Bundespost beim Postdienst immer wieder vor die Gebührenfrage gestellt sein. Der Dienstzweig Postwesen wird wohl niemals - das muß hier einmal mit aller Nüchternheit gesagt werden - in der Lage sein, in ähnlichem Maß wie der andere Dienstzweig, Fernsprechwesen, Personalkostensteigerungen durch technische Maßnahmen voll aufzufangen.
Ich komme nun zu dem dritten eingangs erwähnten Problemkreis. Neben der Kapitalausstattung und der Preisgestaltung spielen die betriebsfremden Lasten eine für die Wirtschafts- und Finanzstruktur der Post bedeutsame Rolle. Mit den betriebsfremden Lasten wird die Post zur Zeit in Höhe von rund 550 Millionen DM belastet, mit dem Zeitungsdienst - je nachdem wie man rechnet - entsprechend höher. Seit der Währungsreform wurden ihr damit rund 5,4 Milliarden DM an zusätzlichen Lasten, die nichts mit dem Betrieb zu tun haben, aufgebürdet.
Für die Freien Demokraten stellt sich nun im Grundsatz nicht die Frage, in welcher Höhe die Post an diesen betriebsfremden Lasten künftig beteiligt sein soll. Wir meinen vielmehr, daß die Post logischerweise damit überhaupt nicht belastet werden darf, und streben damit die völlige Beseitigung dieser Lasten oder die Übertragung dieser . Lasten auf den Bundeshaushalt an.
Zu den hauptsächlichen betriebsfremden oder politischen Lasten der Post zählen das Auszahlen der Renten - 1965 voraussichtliche Kostenunterdekkung in Höhe von 45 Millionen DM -, die Vergünstigungen im Omnibusverkehr für Schüler 1965 voraussichtliche Unterdeckung in Höhe von 23 Millionen DM - sowie die Zahlung von Versorgungsbezügen an Kriegsopfer - 1965 voraussichtliche Unterdeckung in Höhe von 61,1 Millionen DM -; nicht zu vergessen sind hier auch die Versorgungslasten für die vertriebenen Beamten in Höhe von 117 Millionen DM jährlich. Ich möchte mich hier nicht im einzelnen mit diesen betriebsfremden Lasten befassen, möchte aber meinen, daß es vielleicht zweckmäßig wäre, wenn sich eine interministerielle Kommission mit dem Abbau der betriebsfremden Lasten bei der Deutschen Bundespost näher befaßte.
Meine Damen und Herren, ich habe mich damit, wie auch meine Vorredner, bewußt auf die drei wesentlichsten Punkte beschränkt, die für die finanzielle Sanierung der Deutschen Bundespost von Bedeutung sind. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß auch das Postverwaltungsgesetz vom 24, Juli 1953, das vielleicht schon im Jahre 1953 der
damals voraussehbaren Entwicklung des deutschen Post- und Fernmeldewesens nicht ganz entsprach, heute naturgemäß stark reformbedürftig ist. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich deshalb die Bundesregierung bitten, dem Bundestag baldigst den Entwurf einer Novelle zum Postverwaltungsgesetz vorzulegen.
Ich möchte nun noch eine Einzelfrage herausgreifen, die in der Öffentlichkeit erörtert worden ist. Gelegentlich wird der Deutschen Bundespost der Vorwurf gemacht, sie habe in den vergangenen Jahren zu schnell und zu viel automatisiert; insbesondere habe sie ihr Fernsprechnetz zu schnell ausgebaut. Das sei in erster Linie der Grund dafür gewesen, daß sie sich so stark verschuldet habe.
Dieser Kritik möchte ich entgegenhalten, daß gerade durch den massierten Ausbau der Fernmeldeeinrichtungen, insbesondere in den Ballungszentren der Bundesrepublik, ein höchstmöglicher Grad an Wirtschaftlichkeit auf diesem Sektor erzielt werden konnte. Das gilt sogar unter dem Gesichtspunkt, daß hierfür ein außerordentlich hoher Kapitalaufwand erforderlich war. Unter den großen Industrieländern der Welt ist das Nachrichtenwesen der Deutschen Bundespost mit das fortschrittlichste. Mit großer Freude habe ich vernommen, daß der Fernsprechverkehr, der heute schon zu über 96 % voll automatisiert ist, im Jahre 1970 seinen 100%igen Ausbau erreicht haben wird. Wir halten die Leistungen der Deutschen Bundespost sowohl für unsere gesamte Volkswirtschaft als auch im Hinblick auf das weitere Zusammenwachsen der Völker für eminent wichtig. Denken Sie nur an die in der Nähe von München errichtete Erdefunkstelle Raisting, die es uns ermöglichte, über Satelliten einen direkten weltweiten Nachrichtenverkehr durchzuführen. Die erst kürzlich erfolgte Fernseh-Life-Übertragung, die von mehreren hundert Millionen Zuschauern gesehen werden konnte und bei der verschiedene Gesprächspartner in Europa und in Amerika zu gleicher Zeit miteinander diskutierten, verdeutlicht den hohen Rang unseres Nachrichtenwesens.
Lassen Sie mich noch kurz auf mein Zeitungsinterview eingehen, das von meinem Vorredner, Herrn Gscheidle, sinngemäß völlig richtig wiedergegeben worden ist. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich jetzt vielleicht einmal die Stelle, die gemeint war, wörtlich zitieren. Vor vier Wochen habe ich dort in dem Interview zum Schluß gesagt:
Das Schlimmste, was der Post passieren könnte, wären jetzt unvollkommene Teilmaßnahmen, z. B. etwa nur eine Gebührenerhöhung ohne Kapitalauffüllung und ohne Beseitigung der betriebsfremden Lasten. Mit aller Schärfe möchte ich daher zum Schluß sagen: nur alle drei Maßnahmen zusammen können die Post sanieren; alles andere würde nur eine kurze Verschiebung der Krise bedeuten.
Mit diesem Interview habe ich im Grunde - nur vielleicht in besonders pointierter Weise - nichts anderes gesagt als das, was Herr Besold und Herr Gscheidle ebenfalls ausgeführt haben. Alle diejenigen, die sich mit den Fragen-der Post befassen und
insbesondere auch das Gutachten der Sachverständigen studiert haben, müssen sich darüber klar geworden sein, daß mit einer Maßnahme allein hier im Augenblick nicht mehr weiterzukommen ist.
Herr Gscheidle, selbstverständlich wäre es sehr schön, wenn der Bund jetzt der Deutschen Bundespost in einer Summe etwa 4 Milliarden DM auf den Tisch legen und damit etwa ein Drittel ihres Gesamtkapitals als Eigenkapital zur Verfügung stellen könnte. Jeder von uns weiß aber, daß das in dieser Form bei der angespannten Haushaltslage im Augenblick natürlich nicht möglich ist. Die Lösung eines solchen Finanzproblems kann daher naturgemäß gar nicht anders erfolgen als eben in einem irgendwie gearteten Stufenplan. Aber ich möchte das, was der Sprecher der Opposition gesagt hat, insofern unterstützen. Die Dinge müssen schon jetzt sichtbar und eingeleitet werden. Es geht nicht an, etwa die Maßnahmen der Kapitalsanierung nur mit einem allgemeinen unverbindlichen Hinweis anzudeuten. Sie müssen vielmehr in diesem Zeitpunkt mitbehandelt werden und klargestellt werden, da sonst die Sanierung mit einer oder mit zwei der erforderlichen Maßnahmen allein nicht erfolgreich ausgehen würde.
Wir begrüßen es daher gerade mit Rücksicht auf die hier so pointiert herausgestellte Notwendigkeit der Verbesserung der Kapitalstruktur der Post sehr, daß sich der Bundesminister der Finanzen und der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen dahin verständigt haben, die Kapitalsanierung nunmehr schrittweise - n e b en der Gebührenerhöhung - einzuleiten. So wird die Bundesregierung von der Bundespost vom 1. Januar 1967 an nur noch eine Ablieferung verlangen, die einer 7%igen Verzinsung des Eigenkapitals entspricht, und den Rest zur Ansammlung von Eigenkapital zur Verfügung stellen. Des weiteren hat der Bund zugesagt, für je 300 Millionen DM in den Jahren 1965 und 1966 aufgenommenes bzw. aufzunehmendes Fremdkapital den Kapitaldienst zu übernehmen.
Darüber hinaus ist der Bund bereit, vom 1. Januar 1967 an jährlich für 500 Millionen DM neu aufzunehmendes Fremdkapital die Verzinsung und auch die Amortisation so lange zu tragen, bis der vorgesehene Eigenkapitalanteil von einem Drittel des Gesamtkapitals erreicht ist. Gesamtkapital 12 bis 13 Milliarden DM, ein Drittel zur Zeit also etwa 4 Milliarden DM.
Wir stellen zu diesen soeben genannten Einzelheiten mit Befriedigung fest, daß sie ein erfreuliches Zeichen einer guten Zusammenarbeit zwischen dem Ressortminister und dem Finanzminister sind.
Wir beantragen Überweisung des Gutachtens an den Postausschuß unter Mitberatung des Haushaltsausschusses.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Conring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bisher haben nur Abgeordnete
Deutscher Bundestag = 5. Wahlperiode Dr. Conring
gesprochen, die zugleich auch dem Postverwaltungsrat angehören. Von allen Parteien wurden heute Redner auf die Tribüne gesandt, die dem Postverwaltungsrat angehören, nachdem der Postminister seinerseits gesprochen hatte. Es ist für den, der diesem Gremium nicht angehört, etwas schwierig, sich mit diesen Postverwaltungsräten auseinanderzusetzen. Ein Teil dieser Angelegenheit gehört ja ohnehin in den Postverwaltungsrat selbst, der morgen tagen wird.
Deshalb will ich mich auf einige wenige allgemeine Bemerkungen beschränken. Ich meine, wir sollten, nachdem hier so viel Zusammenklingendes und auch Gegensätzliches gesagt ist, uns nicht mehr damit beschäftigen, Dinge zu wiederholen, die schon hinreichend gesagt sind; damit wird der Sache selbst, glaube ich, nicht gedient; es ist etwas zu zeitraubend.
({0})
Meine Damen und Herren, natürlich muß jeder Redner damit beginnen, daß er anerkennt, daß die Sachverständigen gute Arbeit geleistet haben. Das muß ich ebenfalls tun. Es ist mir auch ein wirkliches Bedürfnis, das zu tun; denn ich habe das Gutachten genau gelesen und bin zu der Überzeugung gekommen, daß es mit großer Sachkunde, mit ebenso großer Gewissenhaftigkeit und mit großer Gründlichkeit angefertigt ist, so daß in der Tat der Postverwaltungsrat und das Postministerium daraus viel Gutes entnehmen können.
Ich bin auch - entgegen der Meinung des Herrn
Gscheidle - der Auffassung, daß die Regierung rasch reagiert hat, indem sie zu dem Gutachten ohne Zeitverlust ihre Stellungnahme mitgeteilt hat und indem der Postminister ebenso rasch dem Postverwaltungsrat die Maßnahmen vorgeschlagen hat, die hoffentlich morgen beschlossen werden.
Vom Grundsätzlichen her scheint mir wichtig zu sein, daß die Sachverständigen deutlich herausgestellt, unterstrichen und dies selbst als einen der wichtigsten Punkte ihrer Ausführungen bezeichnet haben, daß die Post ein großes wirtschaftliches Dienstunternehmen ist. Es scheint so, als wenn das hier und da in der Vergangenheit etwas in den Hintergrund getreten ist. Ein großes Dienstunternehmen muß natürlich darauf achten, daß die Preise für seine Dienstleistungen auch die Kosten decken. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, auch bei einem öffentlich betriebenen Dienstunternehmen. Und der Kunde muß sich darüber klar sein, daß er in den Preisen ({1}) die Kosten bezahlen muß, wenn er Dienste in Anspruch nimmt. Das muß er in allen Bereichen der Wirtschaft, das muß er auch in dem Bereich eines öffentlichen Dienstunternehmens tun. Würde man sich von dieser Auffassung entfernen, dann würde man damit gleichzeitig sagen, irgendein anderer muß die Dienstleistungen teilweise bezahlen. Und wer sollte dann der andere sein? Der Steuerzahler? Er wäre schließlich „der andere". Wenn man aber die Frage so stellt: soll ein Teil etwa z. B. der Paketgebühren oder der Postüberweisungsgebühren vom Steuerzahler getragen werden, oder muß nicht derjenige, der die Post benutzt, diese Dienstleistung bezahlen?, dann wird
man doch wahrscheinlich zu dem Ergebnis kommen: der Benutzer bezahlt die Dienstleistungen, die er in Anspruch nimmt. Das ist, glaube ich, ein gesunder Grundsatz, an dem man festhalten muß. Ich freue mich, daß die Sachverständigen das deutlich gesagt haben, und wir sollten nicht dazu beitragen, diesen Gesichtspunkt wieder in den Hintergrund treten zu lassen. Es sollte auch einmal im Postverwaltungsrat - hier würde das wohl etwas zu weit führen - genau präzisiert werden, worin eigentlich der gemeinnützige Charakter der Post besteht und wie weit die Gemeinnützigkeit praktisch in. den Einzelbereichen der Post zu gehen hat. Sie kann jedenfalls nicht so weit gehen, daß die Dienstleistungen teilweise vom Steuerzahler bezahlt werden, wie das in der Vergangenheit leider hier und da der Fall gewesen ist. Auch diejenigen, die von dieser sicher unpopulären Maßnahme der Postgebührenerhöhung betroffen werden, werden auf die Dauer einsehen, daß ein Dienstleistungsunternehmen nicht anders handeln kann. Das ist hier ja von allen Seiten so deutlich gesagt worden, daß ich es nicht zu wiederholen brauche.
Wenn man die Frage prüft, wie die Post gesund erhalten werden kann, dann prüft man natürlich zunächst: Können die Ausgaben vermindert werden? Auf diesem Gebiet ist hier bereits das Nötige über die Rationalisierung deutlich gesagt worden; ich brauche es nicht zu wiederholen. Aber es ist doch auch angeklungen, daß bei den Bemühungen, die Ausgaben zu senken, der Bund nicht genug tue. Meine Damen und Herren, es muß einmal deutlich werden - es ist auch in der Rede von Herrn Miessner schon angeklungen -: der Bund tut in diesem Zusammenhang für das Jahr 1966, für das Jahr 1967 und das Jahr 1968 sehr viel!
Die Größenordnungen sind etwa folgende: Die Postgebührenerhöhungen sollen etwa 500 Millionen DM bringen. Der Bund leistet für 1966 praeter propter 450 Millionen DM dazu, indem er in der Hauptsache auf die Ablieferung der Post verzichtet. Wenn Sie sich nun das eben Gesagte in die Erinnerung zurückrufen - der Postbenutzer oder der Steuerzahler soll bezahlen -, werden Sie, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, einmal 500 Millionen DM mit 450 Millionen DM vergleichen müssen. Ich weiß wohl, das kann man nicht ohne weiteres für sich allein betrachten. Aber man muß doch auch in diesem Zusammenhang sehen, daß der Bund, sprich der Steuerzahler, erhebliche Leistungen erbringt.
({2})
Es ist hier, meine ich, auch etwas zuwenig über die Ablieferungspflicht der Post gesagt worden. Es ist so getan worden, als wenn es unvernünftig sei, so etwas zu verlangen, und als wenn es ungerechtfertigt sei, daß z. B. aus dem Posthaushalt im Jahre 1964 über 500 Millionen DM in den Bundeshaushalt hätten gezahlt werden müssen.
({3})
Meine Damen und Herren, nach meinem Dafürhalten ist es nötig, hier ein kurzes Wort darüber zu sagen - damit es in der Erinnerung nicht so ganz
verschwindet -, warum denn eigentlich diese Ablieferungspflicht besteht.
({4})
Ob sie sich herleitet aus dem alten Postregal - Thurn und Taxis -, oder ob man etwa sagen wollte: der Bund verlangt die Verzinsung seines Eigenkapitals, oder ob man auch einmal deutlich werden läßt, daß die Post so gut wie von allen wesentlichen Steuern befreit ist, vor allem aber von der Umsatzsteuer, und daß die Ablieferung an den Bundeshaushalt dafür eine Abzahlung ist. Ob Sie den Akzent mehr auf das Regal oder auf die Verzinsung des Eigenkapitals oder auf die Steuerbefreiung legen, - in jedem Fall werden Sie nicht um die Tatsache herumkommen, daß berechtigte Gründe dafür vorliegen, daß die Post als ein Monopolbetrieb - in der Hauptsache - eine Abgabe an den Bund zu leisten hat und daß, wenn der Bund darauf verzichtet, dies ein Entgegenkommen des Bundes und der Steuerzahler ist.
({5})
Das sollten wir sehen und auch einmal klar sagen. Wir sollten nicht so tun, als wenn das gar nichts wäre. Wir sollten auch die Postkunden, die sich durch die Postgebührenerhöhung bedrängt fühlen, darauf aufmerksam machen, daß der Bund allerdings das Seinige tut, um eine Gesundung der Post herbeizuführen.
Aber darauf beschränkt sich der Bund nicht. Es ist darauf hingewiesen, daß der Bund die Verzinsung und die Tilgung von großen Anleihebeträgen zugunsten der Post übernimmt - im Jahre 1965 300 Millionen, im Jahre 1966 300 Millionen, ab 1967 jährlich 500 Millionen DM - bis zu dem Zeitpunkt, wo das Eigenkapital ein Drittel des Gesamtkapitals ausmacht. In all den Jahren wird der Bund die Zins- und Tilgungsbeträge zu zahlen haben. Man kann sich leicht ausrechnen, wieviel das ist. In diesem Zusammenhang werden vielleicht im Postverwaltungsrat auch einmal kritische Überlegungen über die Bedeutung des Eigenkapitals in einem öffentlichen Unternehmen angestellt werden mils-sen. Die Bedeutung des Eigenkapitals in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen ist eine Sache für sich, und die Bedeutung des Eigenkapitals in einem öffentlichen Unternehmen ist eine andere, wenn hinter der öffentlichen Unternehmung der Bund, wie Sie hier sehen, als Zahler steht, der nicht nur einen Konkurs verhindert, sondern der seinerseits Anleihen für seine Unternehmungen aufnimmt, verzinst und tilgt und weitere Zuschüsse leistet.
Zu dieser Gruppe des Verzichts auf Ablieferungen und der anderen Gruppe der finanziellen Zuwendungen tritt noch eine weitere Gruppe hinzu. Das sine die sogenannten politischen Lasten, die natürlich im Prinzip und theoretisch mit der Post nichts zu tun haben. Aber die Herren vom Postverwaltungsrat, die hier gesprochen haben, sind natürlich leicht in der Gefahr, dies Haushaltsvolumen der Post für sich zu sehen, das andere Volumen, das des Bundeshaushalts, aber nicht in gleicher Weise zu betrachten. Sie könnten geneigt sein, vom Postvermögen Lasten in den Bundeshaushalt herüberzubringen, ohne sich
zugleich darüber Gedanken zu machen, wie der Bundeshaushalt diese ihm zugeschobenen Leistungen eigentlich verkraften soll. Das ist in der Vergangenheit so gewesen, das wird auch in der Zukunft so sein. Deshalb ist es vielleicht nötig, hier klarzustellen, daß die stufenweise Entlastung von den politischen Lasten, jetzt beginnend mit 22 Millionen DM, bei 'den Ausgleichsforderungen ab 1967 weitere 40 Millionen DM, also dann jährlich zusammen 60 Millionen DM und alsdann ab 1968 zusätzlich weitere 100 Millionen DM jährlich beträgt. Das sind zusammengenommen keine geringen Leistungen, wie Sie vor allem dann erkennen, wenn Sie die prekäre Lage des Bundeshaushalts gerade in den Jahren 1967 und 1968 'betrachten. Ich meine, ich als Nichtmitglied 'des Postverwaltungsrates könnte berufen sein, Ihnen das doch auch einmal zu sagen. Stellen Sie sich einmal vor, daß gerade in den so schwierigen Jahren wie 1966, 1967 und 1968 der Bundeshaushalt auf Einnahmen in Höhe von jährlich mindestens 400 Millionen DM, auf die er Anspruch hat, verzichtet und jährliche Leistungen übernimmt, die zunächst 20 Millionen bis 50 Millionen DM betragen, und später dazu Jahresleistungen von 100 Millionen DM übernimmt! Ich will damit nicht sagen, daß es unrichtig wäre, das zu tun. Es ist im Interesse der Post richtig, hier Fortschritte zu erzielen. Aber ich lege doch Wert darauf, daß Sie eben auch sehen, daß der Bund viel zur Entlastung der Post tut.
Gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Herr Kollege Conring, ich stimme Ihnen in Ihrer prinzipiellen Betrachtung zu. Aber sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Bundesregierung zu früherer Zeit unter günstigeren Voraussetzungen die Maßnahmen hätte einleiten können, die sie unter den von Ihnen genannten recht ungünstigen Voraussetzungen jetzt erst einleitet?
Ich habe hier und da den Eindruck, daß Sie immer dann, wenn etwas geschehen soll, auf etwas verweisen, was früher hätte geschehen sollen, oder 'behaupten, jetzt müsse es aufgeschoben werden. Sie sagten z. B. vorhin, es sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, die Gebühren zu erhöhen, das liege nicht im Interesse der Stabilität. Herr Gscheidle, ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die Gesunderhaltung unserer großen Verkehrsunternehmen durchaus im Interesse der Stabilität unserer Wirtstaft liegt.
({0})
Sie haben vorhin gesagt, Sie hätten eigentlich schon immer darauf hingewiesen, daß etwas geschehen sollte. Aber entsinnen Sie sich noch? Als wirklich etwas geschehen sollte, da haben Sie sich im Juli 1964 bei der Erhöhung der Telefongebühren versagt!
({1})
Ich habe die Meinung, daß Sie auch in diesem Augenblick wieder diese Entscheidung hinausschieben möchten. Ich brauche das nicht weiter auszuführen. Sie wissen, was gemeint ist.
Auch der Sektor Telefon hätte es mit Rücksicht auf sein großes Investitionsbedürfnis durchaus verdient, daß er damals durch eine Erhöhung der Telefongebühren dazu instand gesetzt würde.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Zu dieser Ihrer Bemerkung, Herr Abgeordneter Conring: Sie werden mir doch zugestehen, daß unter den Voraussetzungen, unter denen die Kommission Gebührenanpassungen fordert, auch rückschauend die Erhöhung der Fernmeldegebühren, an der Kostenstruktur dieses Dienstzweiges gemessen, überhöht war?
Gemessen an den laufenden Ausgaben vielleicht, gemessen an den Investitionsmöglichkeiten keineswegs! Ich meine nicht, daß wir so verfahren könnten, und ich teile Ihre Meinung nicht, daß wir etwa sagen könnten: Dieser Zweig kann das, was auf ihn zukommt, auch ohne die Gebührenerhöhung verkraften. Das kann er nicht, weil zu viele Investitionen auf ihn zukommen, die dort auch geleistet werden müssen.
Meine Damen und Herren, ich habe besonders den Herren des Postverwaltungsrates die Leistungen des Bundes und ihre Bedeutung für die Bundesfinanzen in diesem schwierigen Augenblick etwas nahebringen wollen, damit sie anerkennen, daß der Bund das Seinige tut. Deshalb habe ich auch die - etwas schiefe - Vergleichszahl von 500 Millionen DM und 450 Millionen DM hier einmal vorgeführt.
Die Ausgabenherabsetzung allein reicht aber zur Einleitung der Gesundung nicht aus. Eine Postgebührenerhöhung ist aus den bekannten Gründen gar nicht zu vermeiden. Man spricht davon - das hat Herr Gscheidle auch getan -, man müßte eigentlich noch sehr viel mehr finanziell tun und man könne so schließlich doch nicht weiterkommen. Herr Besold hat am Schluß seiner Ausführungen auch gefragt, wie man sich das denke, wenn weiterhin stark investiert werden muß.
Man kann sich ja aber auch vorstellen, daß das Tempo der Investierungen nicht überall so bleiben muß, vielleicht wohl auf den Gebieten, die unmittelbar lukrativ sind, so daß sich hier die Investitionsmittel rasch wieder verzinsen und tilgen. Auf den anderen Gebieten ist das etwas problematischer. Sehen Sie sich das große und technisch modernste Gebiet, das die Post hat, nämlich das Fernmeldewesen, einmal unter diesem Gesichtspunkt an. Der Selbstwähldienst ist in wirtschaftlich bedeutenden Staaten - bedeutenderen, als wir es sind - wie etwa in den USA nur zu 46 % vorhanden, während er bei uns bei 96 % liegt. Sehen Sie europäische Staaten, sehen Sie Italien, Frankreich, England an.
Die .Prozentzahlen sind dort 30, 40 oder 50. Meinen Sie, daß die Wirtschaft jener Staaten nennenswert darunter gelitten hat, daß sie de s h a l b hinter uns zurückliegen? Natürlich hinkt jeder Vergleich. Aber die Behauptung, daß man sagt, wenn wir das nicht gemacht hätten, wäre unsere Wirtschaft erheblich geschädigt, scheint mir etwas übertrieben zu sein, zumal wir bei den Investitionen, meine Herren, nicht nur mit Rücksicht auf den Bundeshaushalt - der mir als Mitglied des Haushaltsausschusses besonders naheliegt -, sondern ganz allgemein darauf zu achten haben, daß die Investierung in ihrer Höhe, in ihrem Umfang und in ihrem Zeitpunkt der Wirtschaftskraft dieses Bundesunternehmens entsprechen muß. Wenn wir anders verfahren, bewegen wir uns in einem unwirtschaftlichen Raum, ganz abgesehen davon - Herr Gscheidle, ich bin Ihnen dankbar, daß gerade Sie als Postverwaltungsrat darauf hingewiesen haben -, daß auch die Liquidität berücksichtigt werden muß, auch bei der Entscheidung über Umfang und Zeitpunkt von Investitionen. Man kann nicht ein noch so komplett-technisches Postwesen herstellen, wenn man nicht diese Dinge gleichzeitig mit im Griff behält. Wir vom Haushaltsausschuß möchten nicht gern etwa durch ein zeitlich oder in "seinem Umfang überzogenes Investitionsprogramm, und zwar auf den Gebieten, auf denen nicht rasche Gewinne zu erwarten sind, vor die Frage gestellt werden, die uns bei der Bundesbahn haushaltsmäßig genügend zu schaffen macht. Man muß prüfen, ob das noch so wünschenswerte Maß der Investitionen, über die sich jedermann freut, im richtigen Verhältnis zur Wirtschaftskraft und zu den anderen gebotenen Rücksichten wie etwa der Liquiditätserhaltung steht.
Nun, meine Damen und Herren, ich will nicht weiter ausholen. Ich möchte den Herrn Postminister darauf aufmerksam machen, daß es in dem großen Bereich der Post eine ganze Reihe von Dienstzweigen gibt, die nach wie vor defizitär sind. Wer sich darüber informieren möchte, braucht sich nicht bei politischen Rednern zu informieren; er kann einfach Ihre gelbe Postzeitschrift hernehmen und dort einen Artikel nachlesen, der Ende Februar 1966 erschien und in dem gesagt ist, daß auch nach der Postgebührenerhöhung eine ganze Reihe von Postzweigen defizitär sein werden.
Dazu möchte ich nur wenige Bemerkungen machen. Der Paketdienst war bisher - er ist ja ein Schmerzenskind - mit 280 Millionen defizitär, der Postzeitungsdienst - die viel besprochenen Subventionen! - war es mit 200 Millionen, wobei man bedenken muß, daß es diese Art des Zeitungsdienstes in den USA und in Großbritannien nicht gibt und daß dort trotzdem Zeitungen und Illustrierte herausgebracht und auch wirtschaftlich vertrieben werden können. Ich will nicht sagen, daß dieser Dienst nicht sein darf, aber es bedarf einer genauen Prüfung, inwieweit eine solche Subvention weiterhin gerechtfertigt ist. Ich kann es nicht übersehen. Der Postreisedienst ist defizitär - ich brauche die Summen nicht zu nennen -, der Postscheckdienst ist defizitär, der Rentenanweisungsdienst ist defizitär, Postanweisungs- und Telegrammdienst sind defizitär. Das alles wissen wir,
das können wir alles aus dem Gutachten entnehmen.
Aber ich wollte durch diese Bemerkungen den Postminister veranlassen, doch dafür zu sorgen, daß die guten Vorschläge über diese einzelnen Zweige in dem Sachverständigengutachten nun nicht in langwierigen kommissarischen Ministerialbesprechungen weiter über Jahre hin behandelt werden - das ist im übrigen, glaube ich, schon in hinreichendem Maße geschehen, auch schon bevor die Sachverständigen diese Gedanken ausgesprochen haben -, sondern daß man sich mit jeder möglichen Beschleunigung darum bemüht, inwieweit man diese einzelnen Zweige ohne allzugroßen Zeitverlust jetzt ehestens aus dem defizitären Bereich herausbringen kann. Denn die Globaldeckung, meine Damen und Herren, ist keine Lösung. Es heißt oftmals, daß die Post ein Ganzes sei, und wenn hier ein einzelner Zweig sei, der nicht defizitär sei, so würde dieser dafür sorgen, daß die anderen, defizitären Zweige zu einem ausgeglichenen Einnahme- und Ausgabeverhältnis kämen. Diese Einstellung ist aus guten Gründen, die Sie in dem Postgutachten finden, abzulehnen. Herr Postminister, Sie werden sicher dahin streben - und die übrigen Herren vom Postverwaltungsrat werden vielleicht eine ähnliche Haltung einnehmen; das ist im Gutachten auch deutlich gesagt -, daß wir dahin kommen, daß die einzelnen Postzweige in sich ausgeglichen werden. Das wird man nicht chemisch rein bis in alle Einzelheiten und Feinheiten machen können. Aber man wird doch ernstlich dahin streben müssen, eine maximale Annäherung an einen Ausgleich jedes einzelnen Betriebszweiges zu erreichen.
Ich möchte den Herrn Minister auch bitten, sich insbesondere den Paketdienst und den Reisedienst anzusehen. Das sind beides Dienste, die auch von einem anderen Bundesunternehmen betrieben werden. Es ist, glaube ich, in der näheren Zukunft eine weit größere Kooperation auf diesen Gebieten notwendig als bisher. Wenn in absehbarer Zeit Eisenbahnstrecken stillgelegt werden und es zu einer sogenannten Flächenbedienung kommen sollte, dann spätestens wird die Frage des Paketdienstes und des Reisedienstes überprüft sein müssen. Ich will darauf nicht im einzelnen eingehen. Das würde zu weit führen. Ich mache nur in diesem Zusammenhang noch darauf aufmerksam, daß es nicht unbedingt wünschenswert ist, daß Reparaturwerkstätten, wovon es immerhin noch 22 bis 25 für den Postreisedienst und eine entsprechende Anzahl für den Eisenbahndienst gibt, in eigener Regie geführt -werden. Ich glaube, vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt gesehen kämen die Post und die Eisenbahn besser weg, wenn sie sich da der Privatwirtschaft bedienten. Das bedarf der wirtschaftlichen Überprüfung, die nicht allzu lange dauern sollte.
Wenn die Post auf Gebieten, in denen sie in Konkurrenz mit der Privatwirtschaft steht, etwa mit Banken und Sparkassen bei ihrem Postsparkassendienst, bei ihrem Postscheckdienst und beim Postüberweisungsdienst, defizitär ist, dann muß sich der Kunde, der diese Dienste in Anspruch nimmt, darüber klar sein, daß diese Zweige in sich rentabel sein müssen und daß sich Einnahmen und Ausgaben wenigstens ausgleichen müssen, die dafür nötigen Gebühren muß er sich schon gefallen lassen. Er kann diese Dienstleistungen auch im privaten Sektor haben. Da muß er überlegen, welchen Weg er gehen will. Aber daß der Steuerzahler dazu beiträgt, diese Zweige, den Postscheckdienst, den Postsparkassendienst und den Postüberweisungsdienst, rentabel zu machen, das scheint mir wirtschaftlich nicht vertretbar zu sein. Es wird wohl etwas schwierig sein, diese Gedanken zu verwirklichen. Aber sie müßten verwirklicht werden.
Ich empfehle, die bis ins einzelne gehenden Vorschläge der Sachverständigen und die sicher auch bis ins einzelne gehenden Vorschläge aus Ihrem Hause, die seit vielen Jahren vorliegen, bald zusammengefaßt zu behandeln, damit ohne jeden Zeitverlust dem ersten Schritt, den wir heute tun, ein weiterer Schritt zur Gesundung der Post folgen kann.
Die Postsachverständigen haben sicher mit Recht gesagt, daß es rein sachliche Erwägungen seien, die sie in diesem Gutachten angestellt hätten, und daß
die politischen Instanzen die ihnen obliegenden Aufgaben wahrzunehmen hätten. Aber ich habe nach allen Eindrücken aus der Vergangenheit die Auffassung, daß jedesmal, wenn die politischen Instanzen eingegriffen haben, dies der Post wirtschaftlich nicht besonders gut bekommen ist, daß es vielmehr meistens zu Lasten der wirtschaftlichen Natur der Post gegangen ist.
Zum Schluß möchte ich auf das aufmerksam machen, was die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme gesagt hat, daß sie - ich zitiere - „schrittweise die Empfehlungen der Sachverständigenkommission nach kostendeckenden Gebühren verwirklichen werde". Ich höre, daß Sie eine Abteilungsleiterkonferenz eingesetzt haben, die diese Dinge prüfen soll. Ich möchte anerkennen, daß der erste Schritt in Richtung auf eine Gesundung der Post ein schneller, ein mutiger und ein nicht gerade populärer Schritt ist. Wir werden Sie, Herr Postminister, bei diesem ersten Schritt unterstützen, und wir hoffen, daß Sie die angekündigten weiteren Schritte, um die Post gesund zu erhalten, bald nachfolgen lassen werden.
Ich bitte das Hohe Haus, das Sachverständigengutachten, wie schon vorgeschlagen wurde, dem Postausschuß und zur Mitberatung d em Haushaltsausschuß zu überweisen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte keine große Rede halten, sondern nur ganz kurz ein paar Bemerkungen zum Zweig Postreisedienst anbringen. Ich möchte nämlich die Bundesregierung und auch die Ausschüsse, an die dieses Gutachten überwiesen wird, bitten, noch einmal ernsthaft zu überprüfen, ob nicht die beiden Dienstzweige Postbusse und
Bahnbusse zusammengelegt und einem Unternehmen, am besten wohl der Bundesbahn, überlassen werden können. Diese Frage scheint mir in Zukunft noch bedeutsamer zu werden. Da dürfen wir, glaube ich, keine Illusionen haben: gerade in den dünnbesiedelten Gebieten wird die Bundesbahn künftig noch mehr Strecken stillegen. Der Überlandverkehr mit Bussen wird also sowohl für die Bahnbusse als auch für die Postbusse von noch größerer Bedeutung sein.
Wir haben an Hand des Gutachtens festgestellt, daß auch dieser Dienstzweig bei der Bundespost defizitär ist. Etwa ein Drittel der Kosten wird durch die Erlöse nicht gedeckt. Dagegen steht in dem Gutachten, daß bei der Bundesbahn im Jahre 1963 - das ist das letzte Jahr, für das Zahlen bei der Bundesbahn zur Verfügung standen - in diesem Sektor geringfügige Erlöse vorhanden waren. Ich glaube, daß auf Grund der Doppelspurigkeit der beiden Unternehmen nicht bloß durch die erforderliche Abstimmung - das Verwaltungsabkommen zwischen Bahn und Post mag so gut sein wie auch immer - ein Verschleiß an Arbeit entsteht, sondern auch erhöhte Kosten auftreten, und ich kann mir vorstellen, daß durch die Zusammenfassung dieser beiden Zweige in einer Hand die Sache rentabler gestaltet werden kann.
Ich möchte deshalb beantragen, daß das Gutachten und die Stellungnahme der Bundesregierung dazu speziell wegen dieser Frage zur Mitberatung an den Verkehrsausschuß überwiesen werden.
Herr Minister, wenn Sie die Berichte aus der Bürokratie der Bundespost und der Bundesbahn anfordern, bekommen Sie wahrscheinlich die Antwort: Das war immer so; das können wir nicht ändern! Aber damit kann ich mich nicht zufrieden geben. Wenn alte Zöpfe schön sind, können wir sie ruhig stehenlassen, aber wenn sie häßlich geworden sind, müssen wir den Mut haben, sie abzuschneiden.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Besold.
({0})
- Das Haus wird Ihnen danken. - Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, hier zur Sache zu sprechen. Aber das Thema des Postzeitungsdienstes und seiner Umstellung, ,das schon von meinen Herren Vorrednern sehr ausführlich behandelt wurde und das auch im Gutachten angesprochen ist, hat eine so, eminent publizistische und damit auch politische Bedeutung, daß es mir richtig erscheint, daß bei diesem Abschnitt auch ,der Ausschuß für Kulturpolitik, Wissenschaft und Publizistik zur Mitberatung eingeschaltet wird. Es sind hier Fragen zu besprechen, 'die dem Gutachtergremium offensichtlich nicht genügend bekannt gewesen sind. Ich meine die Möglichkeiten des Postzeitungsversands und die Auswirkungen auf die Betroffenen beim Postzeitungsversand. Das ist ein sehr komplexes Thema. Ich möchte bitten, daß Sie meinem Antrag zustimmen.
Wenn Sie aber glauben, es seien schon zu viele Ausschüsse beteiligt, möchte ich hilfsweise den Antrag stellen, daß der Postausschuß bei den Beratungen über diesen Punkt die Mitglieder des Kulturausschusses einlädt. Ich hielte es aber für richtiger, wenn Sie beschlössen, den Ausschuß für Kulturpolitik, Wissenschaft und Publizistik zur Mitberatung einzuschalten.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Schulhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige kurze Bemerkungen. Ich hatte -mich nur vorsorglich zu Wort gemeldet, aber ich bin zu schnell drangekommen. Jetzt muß ich mich auch stellen. Herr Gscheidle hat mich auf den Plan gerufen. Ich muß mich übrigens bei Herrn Conring dafür entschuldigen, daß wieder ein Mitglied des Verwaltungsrats spricht. Aber das ist ja nicht auszuschließen.
Herr Gscheidle, ich habe soeben einen Zwischenruf bezüglich Ihrer Entdeckung des früheren Herrn Ministers Schuberth gemacht, der sich in seinen Memoiren beschwert hat.
({0})
- Sie haben ihn zumindest wiederentdeckt. Jedenfalls haben Sie ihn benutzt, um zu zeigen, daß die Bundesregierung, die Sie sehr gern verteufeln, um Ihre Partei zu glorifizieren, schon immer, also auch zur Zeit von Adenauer, der Post nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt hat. Wenn Sie sagen, daß der Herr Schuberth schreibt, er habe Herrn Dr. Adenauer nicht sprechen können, dann muß ich sagen - ich wiederhole es noch einmal -, das ist nicht sehr glaubwürdig; denn Herr Schuberth hatte als Minister jederzeit im Rahmen einer Kabinettssitzung Gelegenheit, über die Nöte der Post zu sprechen. Er 'brauchte also Herrn Dr. Adenauer nicht unbedingt persönlich aufzusuchen. Ich kenne übrigens die Gründe, warum er ihn aufsuchen wollte. Ich möchte aber nicht gern an dieser Stelle darüber sprechen.
Sie haben dann noch etwas gesagt, was nicht unmittelbar mit der Post etwas zu tun hat. Sie haben das lapidar in die Welt gesetzt. Sie haben sich auf Ausführungen des Herrn Kollegen Besold 'bezogen, der darüber in seinem Schlußwort gesprochen und gesagt hat, daß man versuchen müsse, nicht immer durch ständige Lohnerhöhungen die Schwierigkeiten weiter zu vergrößern, die uns ja eines Tages womöglich in eine sehr schwierige Situation bringen werden, nicht nur 'bei der Post. Er hat dann aber hinzugefügt, daß das selbstverständlich davon abhängig ist, daß die Unternehmer auch Disziplin bewahren. Bei dieser Gelegenheit haben Sie gesagt - und das ist eigentlich der Grund, weswegen ich hier hinaufgekommen bin -, daß selbst dann, wenn die Unternehmer das versprächen, Sie das auf Grund
Ihrer Erfahrung nicht glauben würden. Sie werden mir aber wahrscheinlich nicht )
den Wahrheitsbeweis für diese Behauptung bringen können.
Ich will ihn aber für das Gegenteil bringen, und zwar beziehe ich mich auf ein anderes Land. Vor noch nicht langer Zeit hat der englische Premier Wilson versucht, in England zu einem Preisfrieden zu kommen. Er hat vorgeschlagen - Sie haben es sicherlich auch gelesen -, die Arbeitgeber sollten die Preise halten und die Gewerkschaften sollten sich für dieselbe Zeit verpflichten, keine Lohnforderungen zu stellen. Die Arbeitgeber haben sich sofort dazu bereit erklärt, die Gewerkschaften zuerst auch; aber dann sind einige Gewerkschaften vorgeprescht und haben Lohnforderungen gestellt. Da haben allerdings die Arbeitgeber gesagt: Nun sind wir auch nicht daran gebunden.
Machen Sie doch wirklich den Versuch, die Arbeitgeber einmal anzusprechen. Ich könnte mich für meine Kollegen aus dein Handwerk verpflichten, unsere Preise zu halten bis zu dem Tage, an dem neue Lohnforderungen gestellt werden. Aber wenn neue Lohnforderungen, insbesondere bei arbeitsintensiven Betrieben, gestellt werden, was soll man dann machen? Die Rationalisierung - das haben Sie auch zugegeben - hat ja ihre Grenzen. Man kann einem Briefträger keinen Propeller hinten einbauen.
({1})
Er wird immer auf seine Füße, auf seine Hände und womöglich auf seinen Kopf angewiesen sein. Daran wird sich nie etwas ändern, ganz gleich, was sonst in Deutschland geschieht.
Dann darf ich zum Schluß noch etwas zum Postgutachten sagen. Ich habe einen Zwischenruf gemacht, in dem ich gesagt habe, daß auch ich von diesem Gutachten -- sagen wir einmal - nicht restlos erschüttert bin. Es handelt sich nicht um völlig neue Wahrheiten. Diese Sachverständigen waren gar keine Sachverständigen, sondern sind erst dadurch Sachverständige geworden, indem sie sich überhaupt mit der Materie befaßt haben. Also so schlimm ist es nicht.
Sie haben einige Beispiele gebracht, die zum Teil in der Negation auch meine Billigung finden. Ich will Ihnen ein besonderes Beispiel bringen. Damit komme ich auf die sogenannten politischen Lasten zu sprechen, die ja nun keine parteipolitischen Lasten sind, Herr Gscheidle. Das sind allgemeinpolitische Lasten. Bisher war es so, daß Sie . diese politischen Lasten, um die es sich handelte, auch nicht etwa beseitigen wollten. Es wurde nur gefragt, wer das bezahlen solle. Soll sie, wie es Herr Conring sagte, der Kunde bezahlen, oder soll sie eben die Öffentlichkeit, die Allgemeinheit bezahlen, weil sie auch der Allgemeinheit zugute kommen?
Es ist z. B. von den Sachverständigen vorgeschlagen worden, das Inkasso für die Zeitungsgebühren wegfallen zu lassen. Es wäre geradezu weltfremd, wenn das durchgeführt würde. Alle, die etwas davon verstehen, werden mir zustimmen, daß das den Zusammenbruch des Zeitungswesens überhaupt bedeuten würde.
Im übrigen darf ich noch auf folgendes aufmerksam machen. Es ist nicht so, Herr Gscheidle, wie Sie gesagt haben, es sei das Verdienst der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und ihrer Vertreter gewesen, rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß bezüglich der Abgabe an den Bund irgendwie eine Änderung herbeigeführt werden müßte. Sie wissen genau, daß ich selber schon vor acht Jahren diesen Vorschlag gemacht habe. Ich bin deswegen von Ihren Leuten belächelt worden. Außerdem hat sich der Herr Minister - ich will außer diesem nichts zu seinen Gunsten sagen, er spricht ja für sich selber und andere, insbesondere auch Herr Besold, werden sicher einmal bei Gelegenheit das besorgen - jedenfalls seit Jahren bemüht, den Finanzminister, der inzwischen hier erschienen ist, zu einer Zustimmung dazu zu bewegen - und er ist in diesen Dingen doch die Schlüsselfigur -, daß die Abgaben verkleinert werden. Der Finanzminister ist selber bei uns im Verwaltungsrat der Bundespost erschienen. Er hat gesagt: Es ist bei der Kassenlage völlig unmöglich; Sie müssen irgendwelche anderen Wege finden, um ein Defizit zu vermeiden. Es geht übrigens nicht nur um die Liquidität, sondern es geht um das drohende Defizit, Herr Gscheidle.
Am Schluß zu Herrn Conring. Daß Sie so sprechen werden, wie Sie gesprochen haben, konnte man erwarten. Sie sind sozusagen Beschützer der Währung und Sie denken rein volkswirtschaftlich. Aber wenn Sie volkswirtschaftlich denken, wissen Sie auch eines, Herr Conring: daß Preise nur bis zu einer bestimmten Höhe zumutbar sind. Wenn Sie nämlich mehr nehmen, dann ist mehr weniger, dann bekommen Sie es einfach nicht, und die ganze Preiserhöhung platzt praktisch. Sie haben nichts davon. Sie müssen die Dinge also ein bißchen abwägen und dürfen nicht allzu global urteilen.
Das Wort hat der Abgeordnete Erhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben viel von den Gemeinkosten der Post gehört und gelesen. Wir haben eine ganze Menge von den hohen Personalkosten im Dienstleistungsbereich gehört. Das ist uns allen bekannt. Die Post ist nicht anders gestellt als andere Einrichtungen, vor allen Dingen nicht anders als die Bahn.
Ich glaube aber, wir müssen einiges etwas genauer betrachten. Wir meinen, daß die Gebühren, die Tarife preisgerecht sein, d. h. die Kosten ausgleichen müßten. Wir bilden uns zum Teil ein, daß diese Kosten wirtschaftlich wirklich gerechtfertigt wären.
Hier liegt meines Erachtens der erste Punkt, der in unseren ganzen Betrachtungen mindestens zweifelhaft erscheint. Aus dem Jahrbuch des Postwesens 1965 geht z. B. hervor, daß infolge der Verbeamtung der Kraftfahrer bei der Post die Personalkostenbelastung um 10 % höher liegt als diejenige für Vertragsangestellte und daß die VersorgungsErhard ({0})
lasten 54 % der Gehälter der Aktiven betragen. Das ist ein Beweis dafür, daß wir hier auf der Kostenseite eben einen anderen Maßstab haben, als er bei einem wirtschaftlichen Unternehmen anzulegen ist. Wir haben es hier mit einer öffentlichen Einrichtung, eben mit einer Behörde zu tun. Deswegen gehen diese ganzen Erwägungen von anderen Gesichtspunkten aus, als sie für normale wirtschaftliche Unternehmen im Wettbewerb gelten.
Die sogenannten politischen Lasten umfassen auch den Bereich der Besoldung. Die Mittel zur Deckung dieser Lasten müssen irgendwoher kommen. Ich möchte den Herrn Bundespostminister anregen, das, was die Regierung im verkehrspolitischen Programm zur Sanierung der Bundesbahn gesagt hat, auch für die vergleichbaren Aufgaben der Post gelten zu lassen. Dann sehen die Dinge anders aus, auch hinsichtlich der Zahlen unter dem Strich. Dann würde nämlich der Post ein gewisser Teil von Belastungen abgenommen werden. Wir müßten die Mittel von der einen Tasche in die andere stecken, wir müßten sie also aus Steuergeldern aufbringen, weil es nicht mehr betriebsbedingte Lasten sind. Ob sich die Regierung dazu bekennen wird, wenn es ans Zahlen geht, scheint mir etwas zweifelhaft zu sein.
Im verkehrspolitischen Programm der Regierung wurde auch die bessere - das heißt die optimale - Bedienung der Fläche als Zukunftsaufgabe herausgestellt. Diese bessere Verkehrsbedienung der Fläche muß auch im Potsreisedienst und im Paketdienst angestrebt werden. Wenn das so gesehen wird - ich bin überzeugt, der Herr Postminister wird es so sehen -, dann müssen wir gerade beim Postreisedienst und meiner Ansicht nach auch beim Paketdienst die Frage stellen, ob durch gewisse, wie ich es nennen möchte, Rationalisierungs- oder Schrumpfungsvorgänge die Fläche wirklich besser bedient wird oder ob nicht - gerade beim Postreisedienst - noch ein höheres Defizit eintreten wird. Ich glaube, das holländische Beispiel der regionalen Konzessionen und ihrer konkreten Ausgestaltung, die sowohl der Bahn wie auch den Personen- und kleinen Güterverkehrsträgern einen Ertrag bringen, wäre für uns in gewissem Umfange nachahmenswert. Ich würde meinen, Herr Minister, daß wir dazu vielleicht einmal von Ihrem Ministerium eine Vergleichsaufstellung bekommen sollten, damit wir sehen, wie wir sowohl in einem gewissen Bereich der Post wie überhaupt in unserem Verkehr bei besserer Bedienung der Fläche zu optimalen Lösungen kommen können.
Das Wort hat der Herr Bundespostminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Diskussionsredner hätten es verdient, daß ich auf ihre Ausführungen im besonderen und ausführlich eingehe. Mit Rücksicht auf die vorgerückte Zeit. und mit Rücksicht darauf, daß heute nachmittag noch eine außenpolitische Diskussion stattfindet, möchte ich etwas summarisch antworten.
Ich möchte dabei ausdrücklich betonen, daß damit jedem einzelnen Redner der notwendige Respekt nicht versagt werden soll.
Herr Kollege Gscheidle, Sie haben heute zwangsläufig zwei Seelen in Ihrer Brust tragen müssen. Auf der einen Seite sind Sie viel zu sehr in den internen Fragen der Post bewandert, um nicht auch alle Hintergründe und Nebenzweige genauer zu erkennen; zum anderen sind Sie aber auch ein Vertreter der Opposition. Es ist nicht Aufgabe der Opposition - das wollen wir gern zugestehen -, vor der Bundesregierung besondere Verbeugungen zu machen.
({0})
Herr Kollege Gscheidle, ich darf auf einige Bemerkungen von Ihnen eingehen.
Die Memoiren meines Amtsvorgängers, des ersten Postministers, sind mir bisher nicht bekannt gewesen. Ich bedauere, daß diese Memoiren unter Ausschluß der Öffentlichkeit erschienen sind; ich werde sie mir dennoch besorgen, ganz gleich auf welchem Wege. Wenn darin festgestellt wird, daß immer eine Scheu davor bestand, die Tarife der Post der Kostenentwicklung und darüber hinaus der Nachfrage anzupassen, dann möchte ich mich jetzt dazu nicht zu eingehend äußern. Aber in der deutschen Öffentlichkeit war bisher nun einmal die Vorstellung fest verwurzelt und verankert, die Postgebühren seien genauso politisch festgesetzte Gebühren wie die Gebühren des Standesamtes, beispielsweise für die Ausstellung eines Taufscheines.
({1})
- Die sind auch schon erhöht worden, Herr Kollege Leicht. Aber das war die Vorstellung, und sie muß wirklich ausgeräumt werden. Es ist eine unmögliche Feststellung, daß diese Gebühren politisch manipuliert werden können. Wir wissen, wohin das führt. Deshalb müssen wir die Angleichung vornehmen.
Ich weiß nicht, ob in den Memoiren auch die Gründe aufgeführt sind, warum das Briefporto von 24 Pf im Jahre 1948/49 auf 20 heruntergesetzt worden ist. Das muß ich auch noch einmal erforschen lassen; das wäre für mich hochinteressant.
Herr Kollege Gscheidle, Sie haben drei Gründe gegen die Gebührenerhöhung angeführt. Ich muß gegen alle drei Gründe ganz gewichtige Gegengründe anführen.
Erstens. Sie sprechen von einer Gebührenerhöhung um 50 %. Das sollten wir und das sollten gerade Sie als ein Kenner der Materie überhaupt nicht in den Mund nehmen. Es wird nicht bestritten, daß in einzelnen Tarifen solche Erhöhungen enthalten sind.
({2})
- Die Einschränkung habe Ich nicht so deutlich herausgehört - und ich habe bei Ihnen sehr aufmerksam zugehört -, sie war nicht so laut, als daß sie auch von hier oben hätte gehört werden können.
Ich möchte also ausdrücklich sagen: Die Gebührenerhöhung bei der Deutschen Bundespost muß am Gesamtgebührenaufkommen gemessen werden, und vom Gesamtgebührenaufkommen betragen diese 500 Millionen DM 5 %. Das ist der Prozentsatz, der richtig ist. Um diesen Prozentsatz werden die Gebühren erhöht. Sie machen, auf den reinen Postsektor bezogen, 12% aus. Und vergleichen Sie das bitte einmal mit anderen Dienstleistungsbetrieben, auch solchen der öffentlichen Hand. In Frankfurt beispielsweise sind die öffentlichen Gebühren um 1000% heraufgesetzt worden. Es soll mir ein einziger Dienstleistungsbetrieb in der Privatwirtschaft einmal nachweisen, daß bei ihm eine so starke Preisdisziplin gehalten worden ist wie bei der Deutschen Bundespost.
({3})
Das Zweite, Herr Kollege Gscheidle, betrifft das Maßhalten. Es ist wirklich ganz allgemein sehr polemisch - ich möchte gar nicht einmal Sie allein ansprechen -, die Frage des Maßhaltens verzerrt darzustellen und in ein schiefes Licht zu bringen. Es geht bei der Deutschen Bundespost doch nicht darum, mit einer Gebührenerhöhung große Gewinne herauszuholen, sondern es geht darum, die Kosten einigermaßen auszugleichen. Die Kosten müssen doch bezahlt werden. Wenn sie nicht der bezahlt, der sie verursacht, dann muß die Kosten der Steuerzahler und damit die Gesamtheit unserer Bevölkerung tragen.
({4})
Ich kann einfach keinen Verstoß gegen die Maßhaltepolitik sehen, wenn a) die Gebührenerhöhung bei der Deutschen Bundespost, insgesamt gesehen, 5 % ausmacht und b) durch diese Gebührenerhöhung nicht einmal ein völliger Kostenausgleich erzielt wird. Das möchte ich hier nachdrücklich feststellen.
Und nun zu Punkt drei der Frage der kurzfristigen Verwirklichung der Gebührenerhöhungsvorschläge. Die Zeit von Januar, von der Einbringung der Gebührenvorlage im Verwaltungsrat, bis heute ist nicht sehr lang. Aber es ist in der Öffentlichkeit bereits seit langem bekannt - Presse, Rundfunk und Fernsehen haben konkret und wiederholt darauf hingewiesen -, daß diese Gebührenerhöhung bei der Deutschen Bundespost bevorsteht. Gerade die „postintensiven" Betriebe, Herr Kollege Gscheidle, hätten deshalb durchaus die Möglichkeit gehabt, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Ich hätte nicht ein einziges Wort über unsere Absichten verheimlicht.
({5})
Im übrigen werden die Kostenbelastungen, die auf die Bundespost zukommen, auch nicht vorher mit der Post abgestimmt, ob sie sie im Haushalt verkraften kann oder nicht. Das sind nun einmal negative Erscheinungen, die in der Tat vorhanden sind und die sich vielleicht für den einzelnen ungünstig auswirken; das wird auch nicht bestritten.
Ihre Vorausberechnung, Herr Kollege Gscheidle, scheint einige Fehler zu haben. Aber ich bin gerne bereit, sie einmal gemeinsam mit Ihnen zu besprechen. Denn meine Vorausberechnungen geben leider Gottes nicht dieses optimistische Bild, es sei denn, Sie würden aus der Erkenntnis des Zweiten Vorsitzenden der Postgewerkschaft sprechen und mir damit mitteilen wollen, daß in Zukunft Lohn- und Gehaltserhöhungen bei der Bundespost nicht mehr erfolgen. Unter diesen Voraussetzungen würde natürlich nicht nur Ihre Vorausschau erfüllt werden, sondern ich würde sagen, dann wäre sie sogar ein bißchen zu pessimistisch.
({6})
Aber ich habe manchmal den Eindruck, Herr Gscheidle, daß ich dann, wenn ich die Fragen der Lohn- und Gehaltserhöhungen mit den absoluten Summen und den Prozentsätzen anschneide, Sie und Ihre Kollegen von der SPD betroffen fühlen. Wie käme ich als Chef dieser Verwaltung und auch als Chef des Personals dazu, meinem Personal nicht das gleiche zubilligen zu wollen, was andere Arbeitnehmer im verstärkten Maße schon im voraus verdient haben.
({7})
Es wäre ein völliger Irrtum zu glauben, daß einerseits die Löhne und Gehälter in der Privatwirtschaft oder in den öffentlichen Bereichen der Kommunal-und Staatsverwaltungen steigen können und andererseits bei der Post wegen der finanziellen Schwierigkeiten nicht in Bewegung geraten können. Die Bundespost ist ein Gewerbe und ein Arbeitgeber wie jeder andere privaten und öffentlichen Charakters auch. Wenn wir nicht einigermaßen die gleichen Konditionen bieten können, bekommen wir eben kein Personal, oder wir bekommen ein so miserables Personal, daß man damit keinen ordentlichen Postdienst durchführen kann.
({8})
Ich muß zwangsläufig viele Reden halten. Sie sind auch aufgeschrieben. Meine Reden und Aufsätze haben Sie heute nicht zitiert. Ich hätte gedacht, daß mir ein bißchen Schleichwerbung von jeder Seite aus ganz gut getan hätte. Aber in keiner einzigen Ausführung habe ich auch nur einmal andeutungsweise gesagt, daß die Postgewerkschaft in ihren Forderungen hinsichtlich der Löhne und Gehälter oder der Arbeitszeit vielleicht vorgeprellt sei oder unangemessene Forderungen gestellt habe. Bei der Post haben wir heute noch die 44-StundenWoche als Leistungsmaß, und wir halten die abgeschlossenen Tarifverträge auf den Pfennig genau ein, was ja in der Privatwirtschaft nicht immer der Fall sein soll, wie ich gehört habe.
Es würde zu weit führen, wenn ich noch auf die Einzelheiten der Ausführungen alter meiner Vorredner eingehen wollte. Aber Sie haben einen Satz gesagt, den ich nicht stehenlassen kann, nicht nur weil jetzt der Bundesfinanzminister mit auf der Regierungsbank sitzt, sondern weil ich glaube, das dem Verhandlungsergebnis schuldig zu sein.
Herr Abgeordneter Gscheidle, angesichts der Entlastung der Bundespost - 440 Millionen DM 1966,
625 Millionen DM 1967, 750 Millionen DM 1968, - kann man doch nicht einfach sagen: „es ist wenig, was die Bundesregierung beschlossen hat". Das sind Größenordnungen, die für sich allein sprechen. Diese Größenordnungen müssen aber auch im Rahmen der Gesamtsituation des Bundes, der Gesamthaushaltslage und der finanziellen Vorausschau, die dem Bundestag zugeleitet worden ist, gesehen werden. Wenn Sie das berücksichtigen, Herr Kollege Gscheidle, wenden Sie mir vermutlich zugeben, daß Sie mit einem so günstigen Ergebnis für die Deutsche Bundespost nicht gerechnet haben.
({9})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich.
Das letzte gebe ich zu. Das hängt mit meiner Einschätzung der Bundesregierung zusammen. Aber ich möchte Sie fragen, Herr Minister: Würden Sie akzeptieren, daß es bei dieser Betrachtung zwei Möglichkeiten gibt, nämlich daß man die Beschlüsse der Bundesregierung einmal in Beziehung zur Haushalts- und Finanzlage setzen kann - das habe ich an einem Punkt getan, und ich habe mich anders geäußert, als Sie zitierten - und zum anderen zu den Notwendigkeiten, den Rationalisierungsmöglichkeiten und den Vergleichen für die Zukunft? Würden Sie als Chef dieser Verwaltung im letzten Fall nicht mit mir übereinstimmen, wenn ich sage: gemessen an diesen Notwendigkeiten - vom Betrieb her - ist es wenig?
Wenn Sie das „wenig" so spezifiziert wissen wollen und auf einen ganz bestimmten Punkt beziehen, möchte ich sagen: aus dieser Sicht ist es nicht ausreichend, aber „wenig" ist es auf keinen Fall. Lassen Sie mich jetzt gegenüber den Ausführungen aller Redner zusammenfassend folgendes sagen. Natürlich bin ich der Meinung, daß wir weiterhin rationalisieren müssen. Nun ganz besonders an Ihr Ohr, Herr Kollege Conring: wenn wir schon wollen, daß die Bundespost alle Anstrengungen unternimmt, um die Kosten zu senken - und ich kann mich diesbezüglich guten Gewissens vor den Deutschen Bundestag stellen -, dann muß man auch ja sagen zu den Investitionen. Denn die Rationalisierung ist ja nicht eine Angelegenheit, die man nur durch rein organisatorische Maßnahmen durchführen kann.
({0})
Die Frage ist: Was kann der Kapitalmarkt vertragen, was kann die Konjunktur vertragen, und was ist notwendig?
Daß wir nicht zu viel investiert haben, beweise ich Ihnen doch schlagartig damit, daß 294 000 auf einen Telefonanschluß warten. Wenn es so wäre, daß wir Leitungen frei hätten, dann könnte man sagen: „Hier ist man zu weit gegangen." Aber es warten 294 000 Bürger auf einen Anschluß und was es für eine ganze Reihe von Berufen bedeutet, ohne Telefonanschluß zu sein, brauche ich hier nicht zu schildern.
Ein Weiteres. Wenn man sagt: „Müssen wir denn so modern sein in Deutschland? 96 % Vollautomatisierung im Selbstwählferndienst!", dann sage ich: Wenn wir nicht diesen hohen Prozentsatz an Automatisierung im Fernmeldewesen hätten, müßten wir heute - ich habe es ausrechnen lassen - 77 000 Vermittlungskräfte haben, um den Verkehr abwikkeln zu können. Das würde allein schon eine zusätzliche Belastung von 900 Millionen DM bedeuten. Wenn es jemals eine richtige Investition gegeben hat, dann war es die auf dem Fernmeldesektor.
({1})
Und daß das bisherige Investitionsprogramm noch nicht ausreichend war, beweisen doch die 4 %, die nach wie vor auf Handvermittlung angewiesen sind. Gerade aus Ihrem Raum, aus dem Raum Niedersachsen, habe ich sehr deutliche Briefe erhalten in denen gefragt wurde, warum das und jenes Knotenamt noch nicht auf den Selbstwählferndienst umgestellt worden sei.
({2})
Ich wollte nur noch einmal unterstreichen, daß diese Investitionen notwendig waren und sich ausgezeichnet auf das Betriebsergebnis ausgewirkt haben. Deshalb müssen wir, soweit wir selbst dazu in der Lage sind, unsere Abschreibungen verdienen und auch noch einen Teil zur Selbstfinanzierung erwirtschaften, und soweit der Kapitalmarkt dazu in der Lage ist, müssen wir die Investitionen auf jeden Fall in sinnvoller Weise fortführen. Wir dürfen nicht glauben, es könnte schon reichen.
({3})
- Gut; also wir sind auch in diesem Punkte fast völlig einig.
({4})
- Gut; das freut mich um so mehr, weil Sie doch vorhin meinten, wir hätten in den Investitionen etwas zu viel getan.
Ich freue mich auch, daß eigentlich alle Redner ohne Ausnahme dargelegt haben, daß sie mit dem Gutachten weitestgehend übereinstimmen. Das Gutachten bestätigt doch in fast allen entscheidenden Punkten auch die Erkenntnisse, die ich wiederholt hier im Hause und auch in der deutschen Öffentlichkeit vertreten habe. Es ist aber nun einmal so: manchmal braucht man eben noch Hilfstruppen, um eine Bastion stürmen zu können. Hauptsache ist aber, daß sie fällt.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus dieser Debatte ist die Bereitschaft des ganzen Hauses hervorgeklungen, für das Unternehmen Bundespost, das für die deutsche Öffentlichkeit von
Bundesminister Stücklengrößter Bedeutung ist, einzutreten und es leistungsfähig und modern zu erhalten. In diesem Sinne wollen wir auch weiterhin diese Frage von aller Parteipolitik möglichst fernhalten und nur das Ganze sehen - die Post als Ganzes, als Dienerin der Menschheit, als Dienerin besonders unserer Wirtschaft.
({5})
Keine Wortmeldungen mehr.
Es ist beantragt, das Gutachten dem Postausschuß zu überweisen. Dazu ist beantragt, es zur Mitberatung dem Verkehrsausschuß und dem Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik zu überweisen. Ich lasse über diese Anträge der Reihe nach abstimmen.
Daß das Gutachten dem Postausschuß - federführend - zu überweisen ist, dürfte auf jeden Fall klar sein. - Ich stelle das fest.
Dann bitte ich diejenigen die Hand zu erheben, die für Mitberatung des Verkehrsausschusses sind.
- Die Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit.
Dann bitte ich diejenigen, die für Mitberatung des Ausschusses für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik sind, das Handzeichen zu geben. ({0})
Die Gegenprobe! Ich bitte, die Abstimmung durch Erheben von den Sitzen zu wiederholen. Wer dafür ist, der erhebe sich von seinem Sitz. - Die Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit.
({1})
- Das war nicht angegeben worden.
({2})
- Wer für Mitberatung des Haushaltsausschusses ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Beschlußfassung über sechs Wahleinsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl zum 5. Deutschen Bundestag vom 19. September 1965. Sie finden die Wahleinsprüche in der Tagesordnung als Punkte 4 bis 9. Ich rufe sie gemeinsam auf. Wir werden aber über jeden einzelnen Punkt gesondert abstimmen müssen.
Ich frage, ob die Berichterstatter, die Herren Abgeordneten Dr. Schäfer, Dr. Müller-Emmert, Dr. Güde und Dr. Klepsch, das Wort wünschen. - Ich frage, ob das Haus mündlichen Bericht fordert. - Beides ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort zu diesen Punkten gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über Punkt 4: Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Gottfried Winkler, Minden, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 5. Deutschen Bundestag vom 19. September 1965
- Drucksache V/420 Der Ausschuß schlägt vor, den Wahleinspruch zurückzuweisen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme des Ausschußantrages fest.
Punkt 5:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Winfried Traub, Würzburg, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 5. Deutschen Bundestag vom 19. September 1965
- Drucksache V/421 Der Ausschuß schlägt vor, den Wahleinspruch zurückzuweisen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest; es ist gemäß dem Ausschußantrag beschlossen.
Punkt 6:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({5}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Werner Hille, Leer ({6}), gegen die Gültigkeit der Wahl zum 5. Deutschen Bundestag vom 19. September 1965
- Drucksache V/422 Der Ausschuß schlägt vor, den Wahleinspruch zurückzuweisen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch hier einstimmige Annahme; es ist so beschlossen.
Punkt 7:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({7}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Hans Spranger, Nürnberg, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 5. Deutschen Bundestag vom 19. September 1965
- Drucksache V/423 Der Ausschuß schlägt vor, den Wahleinspruch zurückzuweisen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Anahme; es ist so beschlossen.
Punkt 8:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({8}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Herbert Schulz, Bergisch Gladbach, gegen die
Vizepräsident Dr. Schmid
Gültigkeit der Wahl zum 5. Deutschen Bundestag vom 19. September 1965
- Drucksache V/424 Der Ausschuß schlägt vor, den Wahleinspruch zurückzuweisen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme; es ist so beschlossen.
Punkt 9:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({9}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Dr. Arthur Gierke, Waldmichelbach, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 5. Deutschen Bundestag vom 19. September 1965
- Drucksache V/425 Der Ausschuß schlägt vor, den Wahleinspruch als unzulässig zurückzuweisen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme; es ist so beschlossen.
Damit, meine Damen und Herren, ist die Zeit der Mittagspause gekommen. Sie wird bis 14 Uhr dauern. Von 14 bis 15 Uhr ist Fragestunde. Dann unterbrechen wir die Sitzung bis 17 Uhr. Um 17 Uhr wird der Herr Bundesminister des Auswärtigen das Wort ergreifen.
Ich unterbreche die Sitzung.
({10})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksachen V/426, V/428 Wir beginnen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Ich rufe die Frage IX/1 der Frau Abgeordneten Meermann auf:
Wird die Bundesregierung der Aufforderung des Landesausschusses der CDU Schleswig-Holstein, eine Änderung der Sozialklausel im Mietrecht vorzunehmen, entsprechen?
Herr Abgeordneter Jacobi übernimmt die Frage. - Herr Minister!
Herr Präsident, darf ich darum bitten, diese drei Fragen, die offensichtlich in einem Zusammenhang miteinander stehen, zusammen beantworten zu dürfen?
Sind sie einverstanden?
Keine Bedenken.
Dann rufe ich zusätzlich die Fragen IX/2 und IX/3 der Frau Abgeordneten Meermann auf:
Teilt die Bundesregierung die vom Landesausschuß der CDU Schleswig-Holstein vertretene Auffassung, daß § 556 a BGB die schutzwürdigen Interessen des Mieters nicht ausreichend berücksichtigt?
Teilt die Bundesregierung insbesondere die von Ministerpräsident Dr. Lemke vertretene Ansicht, daß vor allem ältere Menschen mehr als bisher vor der Kündigung des Mietverhältnisses geschützt werden müssen?
Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit nicht, einen Gesetzentwurf zur Änderung der sogenannten Sozialklausel im Mietrecht bei den gesetzgebenden Körperschaften einzubringen. Nach Auffassung der Bundesregierung werden durch die §§ 556 a bis 556 c BGB die schutzwürdigen Interessen der Mieter ausreichend berücksichtigt. Diese Vorschriften gewährleisten insbesondere auch einen ausreichenden Schutz betagter Mieter.
Vor fast genau einem Jahr, am 18. März 1965, hatte Frau Kollegin Meermann die damalige Bundesregierung bereits gefragt, ob eine Änderung der Sozialklausel beabsichtigt sei. Im Anschluß an die damalige Fragestunde sind die Landesjustizverwaltungen gebeten worden, dem Bundesjustizministerium Entscheidungen der Gerichte zur Sozialklausel zu übersenden, die nicht veröffentlicht worden sind, die aber bemerkenswert sind oder Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen. Die Landesjustizverwaltungen haben dieser Bitte entsprochen und in der Zwischenzeit viele Entscheidungen übersandt. Die Auswertung dieser ùnd der in den Fachzeitschriften veröffentlichten Entscheidungen zeigt, daß die Gerichte bei der Auslegung der Sozialklausel die schutzwürdigen Interessen der Mieter, insbesondere auch der betagten Mieter, ausreichend berücksichtigen.
Die Rechtsprechung zur Sozialklausel wird in meinem Hause weiter aufmerksam verfolgt. Die bisher bekanntgewordenen Entscheidungen - es ist inzwischen eine recht beträchtliche Sammlung - geben zur Zeit keinen Anlaß, eine Änderung der Sozialklausel zu erwägen. Das gilt besonders auch für die mir bekanntgewordenen Urteile aus dem Land Schleswig-Holstein. So sind mir selbst vor wenigen Tagen vom Herrn Justizminister dieses Landes wieder mehrere Urteile von Gerichten seines Landes zugesandt worden, in denen Mietverhältnisse auf den Widerspruch der Mieter hin wegen hohen Alters, schwerer Krankheit oder großer Kinderzahl verlängert worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jacobi.
Herr Bundesminister, Ihre Erklärungen beziehen sich auf Feststellungen, die sich über das ganze Bundesgebiet erstrecken. Muß dabei nicht doch beachtet werden, daß es keine einheitliche Rechtsprechung gibt und daß sehr unterschiedliche Urteile vorliegen, die manchmal stark divergieren? Besteht deswegen nicht doch Anlaß, noch einmal zu überprüfen, ob das, was Sie positiv festgestellt haben, generell ausgesagt werden kann?
Ich gebe Ihnen recht, Herr Kollege Jacobi: eine Einheitlichkeit ist jedenfalls in dem Umfange, wie man es an sich wünschen möchte, nicht hergestellt. Zum Teil gibt es jedenfalls noch recht divergierende Urteile, und es Wird geprüft, ob daraus Schlußfolgerungen zu ziehen sind. Aber wir werden die Rechtsprechung wohl noch ein bißchen abwarten müssen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Jacobi.
Herr Bundesminister, für den Fall, daß Ihnen diese Demarche noch nicht bekannt ist, bitte ich Sie, sich über eine Eingabe der nordrhein-westfälischen Landesregierung an die Bundesregierung unterrichten zu lassen, die nur wenige Tage alt sein kann und in der Besorgnisse über den Umfang der Obdachlosenfälle im Lande Nordrhein-Westfalen zum Ausdruck gebracht werden. Nach meiner Kenntnis soll diese Eingabe mit der Bitte verbunden sein, zu überprüfen, ob nicht eine Verlängerung der Vollstreckungsfristen notwendig sei. Darf ich anschließend daran fragen, unterstellt, daß diese mir heute zugegangene Information stimmt, ob sie nicht Anlaß sein sollte, noch einmal zu überprüfen, ob Maßnahmen notwendig sind, die angesichts der Unterversorgung des Wohnungsmarktes einen besseren Schutz der Betroffenen mit sich bringen?
Mir ist diese, wie Sie selbst sagen, ganz neue Intervention der Landesregierung Nordrhein-Westfalen noch nicht zugegangen. Sie kommen meines Wissens aus Nordrhein-Westfalen und haben als Abgeordneter dieses Landes offenbar die besseren Informationen. Aber wenn eine Landesregierung so etwas bei der Bundesregierung anregt, wird das immer Grund sein, die Angelegenheit auf Grund des übermittelten Materials zu überprüfen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Jacobi.
Wenn Sie von einer Landesregierung sprechen, dann darf ich darauf Bezug nehmen, daß bei der -
Nein, Sie dürfen nur eine Frage stellen, nicht Bezug nehmen.
Daran schließt sich die Frage.
Jedenfalls müssen Sie Umwege machen.
Darf ich mit Rücksicht auf die dritte Frage der Frau Kollegin Meermann fragen, ob die Tatsache, daß der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein Erklärungen der von Frau Kollegin Meermann geschilderten Art abgegeben hat, Anlaß gewesen ist, sorgfältig zu überprüfen, ob hier nicht mehr als eine allgemeine Kritik, sondern echte Besorgnis bei der Landesregierung vorliegt?
Wenn sich der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein an die Bundesregierung oder an mich als Ressortchef wenden wird, wird das bestimmt Anlaß sein, das von ihm übermittelte Material zu überprüfen. Aber Zeitungsmeldungen, von deren Verbürgtheit ich so wenig weiß wie Sie, sind für mich nicht Anlaß zu einer solchen Überprüfung.
({0})
Sie haben noch eine Frage.
Darf ich als letztes fragen, ob Ihre Erklärungen nicht erwarten lassen, daß Andeutungen, die auch der Bundeswohnungsbauminister vor einiger Zeit gemacht hat, daß in seinem Hause Überprüfungen zur Frage einer Verbesserung der Sozialklausel stattfänden, schon als negativ beantwortet gelten müssen. Oder schweben noch weitere Erwägungen?
Ich kann wohl mit Zustimmung des Herr Wohnungsbauministers, der hier sitzt, sagen, daß zwischen ihm und meinem Hause keine Meinungsverschiedenheit darin besteht, daß eine Änderung der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches derzeit nicht beabsichtigt ist.
Keine weiteren Fragen.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf, zunächst die Frage XII/1 der Abgeordneten Frau Dr. Elsner:
Kann die Bundesregierung mitteilen, wie viele selbständige Landwirte, die ihre Selbständigkeit aufgeben wollen, bisher in Kursen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung umgeschult wurden, für die eine Rückerstattung gemäß der Verordnung Nr. 9 über den Europäischen Sozialfonds erfolgt?
Es wäre zweckmäßig, wenn ich die drei Fragen zusammen beantworten könnte.
Ist die Fragestellerin einverstanden?
({0})
- Gut, dann rufe ich noch die Fragen XII/2 und XII/3 auf:
Wie viele Umschulungseinrichtungen der unter XII/1 genannten Art für selbständige Landwirte bestehen in der Bundesrepublik?
Sind die unter XII/1 genannten Einrichtungen so gelegen, daß sie für Landwirte, die sich mit der Absicht tragen, den Beruf zu wechseln, erreichbar sind?
Kattenstroth Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung: Für die Zeit bis Oktober 1964 kann die Bundesregierung die Zahl der umgeschulten, ehemals selbständigen Landwirte nicht angeben. Die Statistik der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung erfaßt die umgeschulten Arbeitskräfte nur nach dem Umschulungsziel, jedoch nicht danach, in welchem Beruf sie vor der Umschulung tätig waren.
Die Bundesanstalt hat die Gewährung von Zuschüssen aus dem Europäischen Sozialfonds in allen Fällen in Anspruch genommen - d. h. auch für die Umschulung von Kleinlandwirten -, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben waren. Der Umfang der Inanspruchnahme des EWG-Sozialfonds für die Umschulung von Landwirten ist, wie bereits angedeutet, mangels statistischer Erfassung nicht bekannt.
Seit Herbst 1964 hat die Bundesanstalt die folgenden besonderen Lehrgänge von etwa dreimonatiger Dauer zur Umschulung von Kleinlandwirten und mithelfenden Familienangehörigen eingerichtet, die zum größten Teil noch laufen:
a) In Cham/Oberpfalz vom 3. November 1964 bis 26. Februar 1965; 24 Teilnehmer; nach Beendigung des Lehrgangs Vermittlung in Betriebe der Metallindustrie in der Umgebung der Wohnorte.
b) In Cham/Oberpfalz läuft seit dem 3. Januar 1966 ein weiterer Lehrgang mit 19 Teilnehmern aus der Landwirtschaft.
c) In Regensburg hat ebenfalls am 3. Januar 1966 ein Lehrgang mit 15 Kleinlandwirten begonnen.
Die Teilnehmer der beiden Lehrgänge in Cham und Regensburg, die am 3. Januar begonnen haben, werden für Arbeitsplätze in der Metallindustrie umgeschult.
d) In Wiesmoor - Regierungsbezirk Aurich, Niedersachsen - hat in der Zeit vom 15. November 1965 bis 14. Februar 1966 ein Lehrgang für die Umschulung von Kleinlandwirten und mithelfenden Familienangehörigen zu Schweißern stattgefunden. An diesen Grundlehrgang schließt sich zur Zeit ein Aufbaulehrgang an. Der Lehrgang hat 26 Teilnehmer.
Alle Teilnehmer der genannten Lehrgänge erfüllen die Grundvoraussetzung für eine Erstattung nach der EWG-Verordnung Nr. 9, d. h. sie sind arbeitslos im Sinne der EWG-Verordnung Nr. 9 und können keine Beschäftigung in einem dem früheren ähnlichen und gleichwertigen Beruf finden. Ob eine Erstattung nach dem EWG-Sozialfonds tatsächlich in Betracht kommt, kann endgültig erst nach Ablauf von zwölf Monaten nach Abschluß der Umschulung beurteilt werden. Die Lehrgangsteilnehmer müssen innerhalb dieses Zeitraums mindestens sechs Monate lang einen Arbeitsplatz innegehabt haben, der dem Umschulungsziel entspricht.
Zu ihrer zweiten Frage, Frau Abgeordnete. Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung richtet Umschulungskurse für Landwirte je nach Bedarf ein. Zur Zeit laufen die bereits genannten drei Lehrgänge in Cham, Regensburg und Wiesmoor. Träger dieser von der Bundesanstalt finanzierten Lehrgänge sind die Handwerkskammern in Regensburg und Aurich. Besondere ständige Umschulungsstätten für die Umschulung von Kleinlandwirten nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gibt es nicht.
Zur dritten Frage. Es wird darauf geachtet, daß die Umschulungskurse an Orten stattfinden, die für die Teilnehmer möglichst günstig zu erreichen sind.
Vielen Dank. Ich habe nur noch eine Frage: Können Sie mitteilen, wie der Bedarf ermittelt wird?
Auf diese Frage, die grundsätzlicher Art ist, möchte ich wie folgt antworten. Nach Feststellungen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ist die Zahl der tatsächlich umschulungswilligen Kleinlandwirte und mithelfenden Familienangehörigen noch außerordentlich klein. So wurden beispielsweise für den erwähnten ersten Lehrgang in Cham in 56 Gemeinden des Landkreises 289 Kleinlandwirte und mithelfende Angehörige festgestellt, für die eine Umschulungsmaßnahme in Betracht gekommen wäre. Es gelang jedoch nur mit großer Mühe für den vorgesehenen Umschulungslehrgang 24 Kleinlandwirte und mithelfende Familienangehörige zu interessieren, von denen wiederum 9 noch vor Beginn des Lehrgangs ihre Zusage zurückgezogen haben, die jedoch durch andere ersetzt werden konnten. Ähnliches gilt für die noch laufenden Lehrgänge in Cham und Regensburg sowie für den in Wiesmoor. Im Bereich des Landesarbeitsamtes Niedersachsen waren ursprünglich zwei weitere Umschulungskurse vorgesehen, die mangels Beteiligung nicht stattfinden konnten.
Die Ursache für das mangelnde Interesse ist im einzelnen nicht bekannt. Möglicherweise halten die betroffenen Kleinlandwirte die Sicherung des Lebensunterhalts während der Umschulung nicht für ausreichend. Ich weise darauf hin, daß, soweit mir bekannt ist, sowohl das Land Bayern als auch das Land Niedersachsen aus Landesmitteln besondere Zuschüsse gewähren.
Zur Erhöhung der Mobilität der Arbeitskräfte bereitet die Bundesregierung zur Zeit eine Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vor. In diesem Zusammenhang ist vorgesehen, gerade auch die Sicherstellung des Lebensunterhalts während einer Umschulungsmaßnahme für Kleinlandwirte und für ihre mithelfenden Angehörigen zu verbessern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, sind die Bedenken der potentiellen Umschuler in der Landwirtschaft, daß ihr Unterhalt während der Umschulungszeit nicht gesichert ist, nicht darauf zurückzuführen, daß bisher ungenügend Vorsorge ge1428
troffen wurde, daß den Menschen die Furcht vor wirtschaftlicher Not genommen wird?
Herr Abgeordneter, ich habe in der Fragestunde vom 4. März 1966 gesagt, daß die nach den zur Zeit geltenden Richtlinien bestehenden Förderungsmöglichkeiten angesichts der Strukturveränderung in unserer Landwirtschaft nicht mehr ausreichen. Ich habe aber weiter gesagt, daß, um die Richtlinien weiter fassen zu können, eine Änderung des AVAVG erforderlich ist. Sie bereitet die Bundesregierung vor.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, wenn die Methode, Umschulungslehrgänge einzurichten, nicht zum Erfolg führt, obwohl, wie Sie sagen, sehr viele Kleinlandwirte an sich zur Umschulung heranstünden, dann wäre doch die Möglichkeit zu erwägen - oder sind diese Möglichkeiten schon erwogen worden? -, daß man andere Angebote macht und andere Formen der Umschulung außer der Kursumschulung anbietet.
Herr Abgeordneter, die Frage wird geprüft.
Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, würden Sie in Ihre Überlegungen mit einbeziehen, daß Ursache für diese geringe Umschulungswilligkeit nicht allein der Umstand ist, daß während der Umschulung zunächst keine ausreichende Lebenssicherung vorhanden ist, sondern daß im Gefolge der durchgemachten Umschulung die Frage der Beschaffung von Arbeitsplätzen, die ausreichend bezahlt sind, eine der wesentlichen Ursachen dieser Umschulungsschwierigkeiten ist?
Ich muß zugeben, Herr Abgeordneter, die Möglichkeit besteht in der Tat: daß man Sorge hat, nach der Umschulung den richtigen Arbeitsplatz zu finden. Aber wir werden diese Frage bei der Revision des AVAVG gemeinsam überlegen müssen. Denn es handelt sich in der Tat um eine entscheidende Frage bei der Strukturverbesserung der entsprechenden Gegenden.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, würden Sie es angesichts dieses von Ihnen zugegebenen Tatbestands nicht für zweckmäßig halten, zu überlegen, inwieweit die neu zu fassenden Richtlinien Anlernzuschüsse für die erste Zeit des Eintritts in das Arbeitsleben vorsehen können, damit die wenigstens zunächst vorherrschenden geringen Löhne in den Betrieben, in die die Metallumschuler eintreten, eine entsprechende Höhe erreichen und damit einen Anreiz geben zum Verbleiben in der Nähe des Wohnorts und damit in den Zonenrandgebieten und Grenzgebieten?
Herr Abgeordneter, diese Frage werden wir prüfen, und zwar nach Möglichkeit mit der Tendenz, die sich aus Ihrer Frage ergibt.
Die Fragen sind beantwortet.
Die Frage XII/4 der Frau Abgeordneten Freyh ist von der Fragestellerin zurückgezogen.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf, zuerst Frage XIII/1 ides Herrn Abgeordneten Josten:
Welche Erfahrungen hat bisher die Bundesregierung bezüglich des Offiziernachwuchses aus den Reihen der Unteroffiziere gemacht?
Herr Präsident, darf ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Josten im Zusammenhang beantworten?
Ja, der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage XIII/2 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Wie viele Unteroffiziere wurden seit Bestehen der Bundeswehr zu Offizieren ernannt?
Da der Fragesteller hier oben sitzt, kann er sich offenbar an dem Fragespiel nicht beteiligen. Die Fragen werden von dem Herrn Abgeordneten Brück übernommen.
Die Bundeswehr hat mit dem Offiziersnachwuchs aus den Reihen der Unteroffiziere durchaus zufriedenstellend e Erfahrungen gemacht. Bisher sind insgesamt 486 Unteroffiziere zu Berufsoffizieren ernannt worden, und zwar 313 vom Heer, 131 von der Luftwaffe und 42 von der Marine. Das ist ein Jahresdurchschnitt von etwa 80.
In dem ersten Lehrgang, den der künftige Offizier absolviert, dem vorwiegend auf die Praxis abgestellten Offizier-Lehrgang I, schneiden die Anwärter aus den Reihen der Unteroffiziere auf Grund ihrer militärisch-fachlichen Erfahrungen aus der Unteroffiziersdienstzeit im allgemeinen sehr gut ab.
Seit anderthalb Jahren ist der Offizier-Lehrgang II eingeführt worden, der mehr auf das MilitärischWissenschaftliche ausgerichtet ist. Hier haben die Unteroffiziere mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen als die Offizieranwärter mit Abitur. Die Bundeswehr hat deshalb vor einem Jahr an den Bundeswehr-Fachschulen Bildungsförderlehrgänge
eingerichtet, die für den Offizier-Lehrgang II notwendige Grundlagen vermitteln.
Die guten Erfahrungen mit den bisher ausgewählten Unteroffizieren waren Anlaß, die früher beim 28. Lebensjahr liegende Altersgrenze für die Übernahme von Unteroffizieren aufzuheben, um auch älteren, besonders qualifizierten Unteroffizieren den Übergang in die Offizierslaufbahn 2u ermöglichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie bitten, zu prüfen, ob es nicht sehr sinnvoll und zweckmäßig wäre, bei der Werbung gerade für das Unteroffizierskorps, wo doch ein nicht unbeträchtlicher Mangel herrscht, immer wieder darauf hinzuweisen, daß der Unteroffizier durchaus die Möglichkeit hat, auch in den Offiziersstand aufzusteigen, damit dann das alte Wort gilt, daß jeder praktisch den Marschallstab im Tornister hat. Darf ich Sie bitten, etwas stärker auf diese Möglichkeit in der Öffentlichkeit hinzuweisen.
Herr Abgeordneter, es wird bereits darauf hingewiesen, daß solche Möglichkeiten des Aufstiegs für den Unteroffizier gegeben sind. In diesem Zusammenhang muß ich aber sagen, daß wir nicht nur einen Mangel bei den Unteroffizieren haben, sondern auch bei den Offizieren, und daß es an und für sich zwar naheliegt, dem Mangel bei den Offizieren dadurch abzuhelfen, daß man möglichst viele Unteroffiziere ermuntert, Offizier zu werden, daß das dann aber dem Unteroffizierskorps nicht besonders gut bekommt, weil es alle guten Kräfte an das Offizierskorps abgeben müßte. Es kann sich bei dem Aufstieg aus dem Unteroffizierskorps in das Offizierskorps immer nur um einen begrenzten Personenkreis, um besonders herausragende und qualifizierte Unteroffiziere handeln.
Herr Abgeordneter Dröscher!
Herr Staatssekretär, erreichen Sie durch diese Grundeinstellung, die Sie soeben dargetan haben, nicht geradezu, daß der Zugang zur Unteroffizierslaufbahn außerordentlich begrenzt wird, wenn nämlich bekannt ist, daß das „Ausnahmen" sind? Würde nicht der gegenteilige Effekt erreicht, wenn Sie von Anfang an sagten, daß möglichst viele tüchtige Unteroffiziere Offiziere werden können?
Wenn es sehr viele tüchtige Unteroffiziere gibt, haben sie diese Möglichkeit. Ich habe ja in meiner grundsätzlichen Antwort auf die Anfragen des Herrn Abgeordneten Josten ausgeführt, daß wir die Bestrebungen der Unteroffiziere, die Voraussetzungen für die Übernahme in den Offiziersberuf zu erfüllen, durchaus fördern und unterstützen,
Noch eine Frage?
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, beträgt der Jahresdurchschnitt 8 Unteroffiziere.
80.
Also 80 Unteroffiziere. Auch das ist noch sehr wenig. Wie hoch ist der Prozentsatz dieser 80, bezogen auf die Gesamtzahl der jährlich Offizier werdenden jungen Leute?
Herr Abgeordneter, ich glaube, es würde auf ungefähr 10, 12, 15 % hinauslaufen.
Sie meinen sicher 0,5 oder 1 %; denn 80 können niemals 10 % der Zahl der jährlich Offiziere werdenden Leute sein.
80 ist die absolute Zahl derer, die jährlich aus dem Unteroffiziersstand aufsteigen. Ich habe Sie so verstanden, daß diese Zahl gegenübergestellt werden sollte der Zahl der Zugänge an jungen Offizieren, und diese Zahl wird bei etwas über 1000 liegen. Aber ich werde das noch einmal genau nachprüfen und Ihnen das Ergebnis mitteilen, Herr Abgeordneter.
Herr Abgeordneter Brück!
Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang darf ich noch einmal folgendes fragen. Bei den großen Verwaltungen, Bahn und Post gehen z. B. etwa 50 % aus dem mittleren in den gehobenen Dienst, und man hat damit gute Erfahrungen gemacht. Sollte man nicht versuchen - darin stimme ich mit Herrn Dröscher völlig überein -, in stärkerem Maße diesen Anreiz zu bieten, um dann vielleicht auch ein besseres Angebot zu bekommen?
Ich sagte schon, daß die Versuchung naheliegt, so zu verfahren. Aber die Unteroffiziere sind ebenfalls ein sehr wichtiger militärischer Stand, und man sollte ihn nicht dadurch aushöhlen - zumal wir nicht genügend Unteroffiziere haben -, daß wir jeden noch einigermaßen geeigneten Unteroffizier zum Offizier machen. Dann hätten wir nämlich nicht genügend tüchtige Unteroffiziere. Wir müssen auch darauf Wert legen, daß im Unteroffiziersstand tüchtige Unteroffiziere bleiben.
Herr Abgeordneter Sänger zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich mir unter Bezugnahme auf den von Ihnen wiederholt gebrauchten Begriff vom tüchtigen Unteroffizier die Frage erlauben, ob es nicht zweckmäßig ist, zu beachten, daß die Aufgabenstellung für Unteroffiziere und Offiziere durchaus unterschiedlich ist, daß ein tüchtiger Unteroffizier doch auch Unteroffizier bleiben könnte und daß ein andersgearteter, in seiner Begabung anders gerichteter, den Führungsaufgaben stärker zugewandter Unteroffiziere durch eine - und jetzt wäre die Frage an Sie zu richten, welche - besondere Förderung in stärkerem Umfange als bisher in die Offizierslaufbahn übergeführt werden kann.
Herr Abgeordneter, ich sagte schon, daß es sich nach der Einrichtung des Offizierslehrgangs II an den Offiziersschulen erwiesen hat, daß die früheren Unteroffiziere -bei der Ausbildung zum Offizier gewisse Schwierigkeiten haben. Dem ist dadurch Rechnung getragen worden, daß für diesen Personenkreis an den Bundeswehrfachschulen besondere Lehrgänge eingerichtet worden sind, die ihnen die Grundlagen für den Offiziersberuf in bildungsmäßiger Hinsicht vermitteln. Sie können dort - ich glaube, es handelt sich um 9 bis 11 Monate - an einem solchen Lehrgang teilnehmen, um die notwendigen Voraussetzungen zu erwerben.
Keine weitere Frage.
Dann rufe ich die Frage XIII/3 des Herrn Abgeordneten Rinderspacher auf:
Wird der Rhein-Main-Pressedienst in Wiesbaden-Biebrich, der Lokal- und Regionalblätter kostenlos mit Bild- und Textmaterial aus dem Verteidigungsbereich versorgt, aus Haushaltsmitteln des Bundesverteidigungsministeriums unterstützt?
Darf ich auch -die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Rinderspacher zusammen beantworten?
Sind Sie einverstanden?
({0}) - Gut.
Dann rufe ich auch noch die Frage XIII/4 des Herrn Abgeordneten Rinderspacher auf:
Erfolgen die Veröffentlichungen des Rhein-Main-Pressedienstes im Einvernehmen mit dem Bundesverteidigungsminister, wenn sie Fragen aus dem Bereich der Bundeswehr darstellen?
Der Rhein-Main-Pressedienst wird nicht, Herr Abgeordneter, aus Haushaltsmitteln des Bundesministers -der Verteidigung unterstützt. Es bestehen auch keinerlei Beziehungen des Bundesverteidigungsministeriums zu diesem Pressedienst. Infolgedessen hat das Ministerium auch keinerlei Einfluß auf die Veröffentlichungen dieses Dienstes.
Herr Abgeordneter Rinderspacher zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mit Sicherheit ausschließen, daß dieser Verlag, der nicht einmal eine Telefonnummer hat, von anderen Verlagen unterstützt wird, die mit dem Verteidigungsministerium in etwas näherer Beziehung stehen?
Das kann ich natürlich nicht, Herr Abgeordneter. Ich muß sagen, daß ich bei meinen ersten Erkundigungen nach diesem Rhein-MainPressedienst in unserem Pressereferat gehört habe, daß er dem Pressereferat überhaupt nicht bekannt ist. Die Angehörigen des Pressereferats sind erst durch Ihre Anfrage überhaupt auf diesen Dienst aufmerksam gemacht worden. Ich kann nur wiederholen, daß wir keine unmittelbaren Beziehungen zu diesem Dienst unterhalten.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen in Ihrem Hause nicht aufgefallen, daß-im gesamten Bundesgebiet in einer Form Propaganda gemacht wird, die bei der unbefangenen Öffentlichkeit den Eindruck einer Ähnlichkeit mit vergangenen PK-Kompanien hervorrufen muß?
Ich weiß nicht, Herr Abgeordneter, welche Propaganda Sie in diesem Augenblick meinen. Es wird viel Propaganda getrieben. Aus Ihren Andeutungen kann ich nicht entnehmen, worauf Sie sich beziehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, haben Sie sich etwa nicht den Artikel besorgt, der meiner Anfrage zugrunde gelegen hat, unter der Überschrift: „Wenn Hauptmann Przybilla zum Flugplatz fährt"?
Ich habe diesen Artikel nicht gelesen, Herr Abgeordneter.
Sie haben keine Frage mehr!
Ich habe vier Fragen. Bis jetzt habe ich erst zwei gestellt.
Dann habe ich nicht richtig mitgezählt. Ich war der Meinung, Sie hätten bereits Ihr Quantum erschöpft. - Bitte schön!
Herr Staatssekretär, darf ich Ihnen diesen Artikel zur Verfügung stellen, und sind Sie bereit, dann vielleicht auf diesen Artikel eine schriftliche Antwort zu geben?
Dazu bin ich gern bereit. Aber Sie haben den Artikel in Ihrer Anfrage nicht erwähnt, Herr Abgeordneter. Es ist nicht auf eine bestimmte Veröffentlichung Bezug genommen worden.
Ich meine, die Frage ist ausreichend beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr.
Ich rufe die Fragen XIV/1 und 2 des Abgeordneten Richter auf:
Wann gedenkt die Bundesregierung die seit Jahren in Planung befindliche Umgehungsstraße zur Bundesstraße 292 im Bereich der Gemeinde Obrigheim auszubauen, nachdem bekannt ist, daß es an den verschiedenen Engpässen hier immer wieder zu Verkehrsstörungen kommt, sich im Ablauf der B 292 mehrere Gefahrenstellen befinden, die schon vielfach zu Unfällen geführt haben, und diese Straße völlig ungeeignet ist, den zusätzlichen Verkehr der rechtsseitigen Neckartalstraße aufzunehmen, wenn diese bei Hochwasser gesperrt ist?
Ist die Bundesregierung bereit, die Neckarbrücke der Bundesstraße 292 zu verbreitern, da bekannt ist, daß diese Brücke viel zu schmal und den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr gewachsen ist?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 17. März 1966 lautet:
Der Neubau der Ortsumgehung von Obrigheim ist nur ein Teilstück der zur Verkehrssanierung des Raumes NeckarelzDiedesheim-Obrigheim vorgesehenen Verlegung der Bundesstraßen 27, 37 und 292. Die außerordentlich schwierige Planung für dieses Gesamtvorhaben steht kurz vor dem Abschluß. Wenn bei der Durchführung des Planfeststellungsverfahrens keine unvorhergesehenen Schwierigkeiten auftreten, wird bald mit dem Anlaufen der Arbeiten gerechnet werden können.
Im Rahmen der abschnittsweisen Verwirklichung des Gesamtvorhabens muß auch eine neue Neckarbrücke im Zuge der Bundesstraße 292 erstellt werden, so daß damit die erwünschte Entlastung der bestehenden Brücke erfolgt. Eine Verbreiterung der Brückenfahrbahn für den Kraftfahrzeugverkehr ist aus konstruktionsbedingten Gründen nicht möglich.
Ich rufe die Frage XIV/3 des Abgeordneten Fritsch ({0}) auf:
Entspricht es den Tatsachen, daß die Deutsche Bundesbahn Bedenken gegen die Öffnung des Eisenbahngrenzüberganges Bayerisch Eisenstein zur CSSR des Inhaltes angemeldet hat, daß der Übergang bei Eisenstein für den Güterverkehr nicht leistungsfähig genug sei?
Ich beantworte Ihre Frage mit Nein.
Herr Abgeordneter Fritsch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es nach Ihrer Auffassung eine Erklärung dafür, daß in der „Süddeutschen Zeitung" vom 16. Februar 1966 die Notiz stand, die Bundesbahn habe Bedenken gegen die beabsichtigte Öffnung des Eisenbahngrenzübergangs Bayerisch Eisenstein/Klattau geäußert? Haben Sie bei der Bundesbahndirektion Regensburg rückgefragt, ob diese Verlautbarung vielleicht von dort kam?
Ich weiß, daß bei der Bundesbahndirektion Regensburg rückgefragt worden ist.
Auf Grund des Ergebnisses unserer Ermittlungen kann ich Ihre Frage, wie sie formuliert ist, aber nur mit Nein beantworten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage XIV/4 des Abgeordneten Fritsch ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bundesstraße 388 als wesentliche Straßenverkehrsverbindung zum Landkreis Wegscheid durch Felsstürze an der Donauleite bei Erlau seit mehr als einem Jahr nur zeitweise und unter Lebensgefahr benutzbar ist?
Herr Abgeordneter, der von Ihnen mitgeteilte Tatbestand ist der Bundesregierung bekannt. Auf Grund eingehender, im Vorjahr für den ganzen Hang zwischen Passau und Obernzell durchgeführter Untersuchungen werden in Kürze Maßnahmen eingeleitet, die eine Sanierung der Felshänge zum Ziele haben. Die notwendigen Mittel sind von meinem Herrn Minister bereits Anfang Februar auf Grund persönlicher Vorstellungen des Herrn Abgeordneten Unertl bereitgestellt worden.
Herr Abgeordneter Fritsch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie erklärt sich der Umstand, daß die Unbefahrbarkeit der Straße infolge der Stillegung nunmehr bereits über ein Jahr andauert und erst jetzt Entscheidendes getan wird, die Wiederherstellung der Befahrbarkeit zu ermöglichen? Welche Ursachen liegen dieser erheblichen Verzögerung, an der der Landkreis Wegscheid in besonderem Umfang gelitten hat, zugrunde?
Herr Abgeordneter, es handelt sich bei diesen Felsverschiebungen, wie aus wiederholten Antworten auf Fragen des Hohen Hauses bereits bekannt sein dürfte, um außerordentlich schwierig zu beurteilende geologische Erscheinungen. Es sind langwierige Untersuchungen notwendig geworden, um festzustellen, ob und durch welche Maßnahmen eine Sanierung überhaupt möglich ist. Mit diesen Untersuchungen ist keine Zeit vertrödelt, sondern es ist stets daran gearbeitet worden.
Herr Abgeordneter Fritsch zu einer weiteren Zusatzfrage.
Ist im Zusammenhang mit der Sanierung der Bundesstraße 388 auf der Teilstrecke Passau-Obernzell auch eine Verlegung dieser Straße in Erwägung gezogen worden?
Die Verlegung dieser Straße
auf die Höhe, an die Sie wohl denken, prüfen wir. Die Prüfung ist im Gange. Allerdings sind schon bei den ersten Untersuchungen sehr große Schwierigkeiten aufgetreten. Das Ergebnis kann ich leider noch nicht mitteilen.
Ich rufe die Frage XIV/5 des Abgeordneten Fritsch ({0}) auf:
Wann ist mit der Instandsetzung der Bundesbahnstrecke Erlau-Obernzell bei Passau und der Wiederherstellung normaler Verkehrsverhältnisse auf dieser insbesondere für den Landkreis Wegscheid lebenswichtigen Verkehrsverbindung zu rechnen?
Auf Grund der bereits genannten geologischen Untersuchungen wurde das Felssanierungsprogramm aufgestellt, mit dem in diesem Jahre begonnen werden soll. Nach Durchführung der ersten Dringlichkeitsstufe, die etwa zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen wird, kann auch der Bundesbahnverkehr von Passau nach Erlau, Obernzell und Wegscheid voraussichtlich wieder aufgenommen werden.
Herr Abgeordneter Fritsch zu einer Zusatzfrage.
In welcher Weise, Herr Staatssekretär, soll auf dieser Strecke ein Schienenersatzverkehr eingerichtet werden, nachdem feststeht, daß diese Eisenbahnverbindung die einzige im Landkreis Wegscheid ist und ihr Ausfall ganz erhebliche Schwierigkeiten wirtschaftlicher Art hervorruft und insbesondere auch bei der Bevölkerung zu Schwierigkeiten führt, die auf eine so lange Dauer, wie Sie es dargestellt haben, sicher nicht hingenommen werden können?
Herr Abgeordneter, Sie werden Verständnis dafür haben, daß eine Eisenbahnstrecke nur dann betrieben werden kann, wenn die Sicherheit gewährleistet ist. Die Sicherheit ist hier vor Abschluß der ersten Dringlichkeitsstufe leider nicht gewährleistet.
Bitte, Herr Abgeordneter Fritsch!
Herr Staatssekretär, an eine Stillegung dieser Strecke ist nicht gedacht?
Davon ist mir nichts bekannt.
Ich rufe die Fragen XIV/6 bis XIV/8 des Abgeordneten Dr. Wörner auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die völlig unzureichenden Verkehrsverhältnisse am Bahnübergang Eislingen ({0}) wegen der starken Zugfrequenz zu schweren Schäden für die Stadt Eislingen und zu unerträglichen Gefahren und Zeitverlusten für die Verkehrsteilnehmer führen und eine weitere Verzögerung des Baubeginns der geplanten Überführung im öffentlichen Interesse nicht verantwortet werden kann?
Woran liegt es, daß trotz der auch von der Deutschen Bundesbahn anerkannten Dringlichkeit des unter XIV/6 genannten Bauvorhabens und jahrelangen Verhandlungen bis heute eine endgültige Einigung zwischen Gemeinde und Bundesbahn nicht erfolgt ist?
Ist die Bundesregierung bereit, eine schnelle Entscheidung der Deutschen Bundesbahn in der vorstehend genannten Angelegenheit herbeizuführen und auch ihrerseits die Voraussetzungen für einen sofortigen Baubeginn zu schaffen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 17. März 1966 lautet:
Durch eine mir im Juli 1965 vom Innenministerium Baden-Württemberg übersandte Voranfrage der Stadt Eislingen/Fils, die Zuschüsse des Landes und des Bundes zur Finanzierung der Beseitigung des von Ihnen angesprochenen Bahnüberganges erbat, und durch Besuch an Ort und Stelle bin ich darüber unterrichtet, daß diese höhengleiche Kreuzung zwischen der zweigleisigen Hauptbahn Stuttgart-Ulm der Deutschen Bundesbahn und der Hauptstraße in Eislingen/Fils zu den verkehrsreichsten Bahnübergängen in Baden-Württemberg zählt. Dem Innenministerium Baden-Württemberg gegenüber habe ich im August 1965 anerkannt, daß die Sicherheit und die Abwicklung des Verkehrs die Beseitigung des Bahnüberganges durch den Bau einer Überführung erfordere. Die Genehmigung der nach § 5 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes ({1}) von den Beteiligten - der Deutschen Bundesbahn und der Stadt Eislingen/Fils - über Art, Umfang und Durchführung der geplanten Kreuzungsmaßnahme und über die Verteilung der Kosten zu treffenden Vereinbarung habe ich vorbehaltlich einer näheren Prüfung der Kostenteilungsmasse in Aussicht gestellt. Im Hinblick auf den Umfang und die Dringlichkeit des Vorhabens habe ich ferner zugesagt, über die gesetzliche Kostenbeteiligung des Bundes in Höhe eines Sechstels der Gesamtkosten nach § 13 Abs. 1 Satz 2 EKrG hinaus zu gegebener Zeit auch einen Zuschuß des Bundes nach § 17 EKrG in Erwägung zu ziehen. Ein Antrag der Stadt Eislingen/Fils auf Gewährung eines Zuschusses nach § 17 EKrG ist nunmehr am 11. März 1966 über das Innenministerium Baden-Württemberg bei mir eingegangen. Die Vorlage der Kreuzungsvereinbarung zur Genehmigung für den Bund nach § 5 Satz 2 und 3 EKrG ist mir mit gleichem Schreiben angekündigt worden.
Daß die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für die Durchführung der von allen Beteiligten als erforderlich und dringlich anerkannten Kreuzungsmaßnahme bisher nicht geschaffen werden konnten, findet nach dem gegebenen Sachverhalt seine Erklärung in den technischen, rechtlichen und insbesondere finanziellen Schwierigkeiten des Vorhabens, dessen kreuzungsrechtliche Gesamtkostenmasse voraussichtlich eine Höhe von rund 7 Millionen DM erreichen wird.
Wie Ihnen die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn Anfang März 1966 bereits mitgeteilt hat, sind die Verhandlungen.zwischen Stadt und Bahn nunmehr in ein Stadium getreten, das ihren baldigen Abschluß erwarten läßt.
Dies hat mir die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn nochmals ausdrücklich bestätigt; dabei hat sie darauf hingewiesen, daß ein Teil der Ihnen Anfang März 1966 geschilderten Schwierigkeiten inzwischen seine Erledigung gefunden hat. Die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn wird Sie im übrigen - wie zugesagt - über den Fortgang der Angelegenheit ebenfalls weiter unterrichten.
Sollten die Abschlußverhandlungen zwischen Stadt und Bahn wider Erwarten nicht alsbald zu einer Einigung führen, werde ich versuchen, zwischen den Beteiligten zu vermitteln. Falls auch auf diesem Wege eine vollständige Übereinstimmung der Beteiligten über Art, Umfang und Durchführung der Kreuzungsmaßnahme einschließlich der Verteilung der Kosten nicht erzielt werden kann, müßte ich u. U. im Wege der Anordnung im Kreuzungsrechtsverfahren entscheiden. Die Möglichkeit hierzu besteht jedoch erst dann, wenn sämtliche Möglichkeiten einer gütlichen Einigung zwischen den Beteiligten ausgeschöpft sind.
Ich rufe die Fragen XIV/9 bis XIV/11 des Abgeordneten Müller ({2}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich bei der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn für eine wohlwollende Prüfung des Vorschlages des Internationalen Bodensee-Verkehrs-Vereins einzusetzen, die Bodenseeschiffahrt der Deutschen Bundesbahn, der Österreichischen Bundesbahnen und der Schweizerischen Bundesbahnen in eine gemeinsame Verwaltung zu bringen?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine engere Zusammenarbeit der drei Bodensee-Schiffsbetriebe nicht nur Kursüberschneidungen der Linien verhindern, sondern auch die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen verbessern könnte?
Wie hat sich das Defizit der Bodensee-Schiffahrt in den letzten Jahren entwickelt?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 17. März 1966 lautet:
Schon seit Jahren haben sich die Unternehmen Deutsche Bundesbahn, Österreichische Bundesbahnen, Schweizerische Bundesbahnen und die Schweizerische Schiffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein, die die Schiffahrt auf dem Bodensee und oberen Rhein bis Schaffhausen betreiben, zum Verband „Vereinigte Schiffahrtsverwaltungen für den Bodensee und Rhein" zusamVizepräsident Schoettle
mengeschlossen. Die Beförderung von Personen, Reisegepäck und Expreßgut wird auf Gemeinschaftslinien nach einheitlichen Tarifen betrieben, Kursüberschneidungen der Linien werden vermieden.
Trotz der Bemühungen zur Rationalisierung des Betriebes der Bodenseeschiffahrt der Deutschen Bundesbahn einschließlich der Häfen und Landesteilen weist die Kostenrechnung seit Jahren einen Fehlbetrag auf, der sich in Höhe von etwa 2 Mio DM jährlich bewegt.
Wegen der schlechten Ertragslage prüfen die Verbandsverwaltungen seit längerem, ob durch eine noch weitere Koordinierung und einen noch engeren Zusammenschluß der Verwaltungen die Wirtschaftlichkeit gebessert werden kann. Diese Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.
Ich rufe die Frage XIV/12 des Abgeordneten Dröscher auf:
Hat die Bundesregierung bereits Untersuchungen darüber angestellt, ob durch eine Verbilligung des Taxi- und Mietwagenverkehrs eine spürbare Entlastung des fließenden und ruhenden innerstädtischen Verkehrs eintreten könnte?
Die Bundesregierung hat solche Untersuchungen nicht angestellt. Die Sachverständigenkommission, die nach dem Gesetz über eine Untersuchung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden gebildet worden war, hat sich in ihrem Gutachten mit der von Ihnen genannten Frage befaßt und darauf hingewiesen, daß es hinsichtlich der Kraftdroschken sehr wichtig ist, billige Tarife zu haben, daß diese billigen Tarife zu Umsatzsteigerungen und zur Straßenentlastung beitragen würden. Der Bundesrat hat sich in einer hierzu gefaßten Entschließung in gleichem Sinne geäußert. Die Bundesregierung teilt diese Auffassung.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß bei uns in den größten Städten weniger Kraftdroschkenverkehr als in den Städten vergleichbarer Länder herrscht?
Ich weiß nicht, ob das zutrifft. Ich muß aber darauf aufmerksam machen, daß sich diese Frage der Zuständigkeit der Bundesregierung entzieht, da nach § 51 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes diese Materie Landesangelegenheit ist.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Sieht die Bundesregierung angesichts der erkannten Zweckmäßigkeit einer Verstärkung des Kraftdroschkenverkehrs zum Zwecke der Entlastung der öffentlichen Straßen in größeren Städten eine Möglichkeit, auf die Tarife einzuwirken bzw. auf die Verbilligung des Kraftdroschkenverkehrs hinzuwirken?
Wir haben nur die Möglichkeit, auf den regelmäßigen Konferenzen der Landesverkehrsminister noch einmal auf diese Frage hinzuweisen. Das wird geschehen.
Frage XIV/13 des Herrn Abgeordneten Schonhofen:
Ist die Bundesregierung bereit, bei den geplanten Stillegungen von Bundesbahnstrecken nicht nur den Gesichtspunkt der Rentabilität, sondern ebenso in Rechnung zu stellen, welche finanziellen Belastungen sich für die gesamte öffentliche Hand durch die Notwendigkeit ergeben, Ersatzverkehre und die hierfür erforderlichen Verkehrsmöglichkeiten zu schaffen?
Herr Präsident, darf ich die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Schonhofen gemeinsam beantworten?
Ist der Fragesteller einverstanden? - Frage XIV/14 und XIV/15 des Abgeordneten Schonhofen:
Ist die Bundesregierung bereit, in den von Streckenstillegungen betroffenen Wirtschaftsräumen den Gemeinden und Gemeindeverbänden - soweit diese Baulastträger sind - zusätzliche finanzielle Hilfen für den Ausbau anderer Verkehrswege zur Verfügung zu stellen?
Wird bei den Stillegungsplänen der Deutschen Bundesbahn berücksichtigt, daß ihre Durchführung u. a. die wirtschaftlichen Interessen von nichtbundeseigenen Eisenbahnen im Einzelfall weitgehend berühren könnte und daher geeignet ist, deren Wirtschaftslage weiterhin zu verschlechtern?
Die Auswirkungen beabsichtigter Einschränkungsmaßnahmen auf Nebenbahnen der Deutschen Bundesbahn werden in jedem einzelnen Fall eingehend geprüft. Die Einzelheiten schreiben das Bundesbahngesetz und das Raumordnungsgesetz vor. Die Prüfung erstreckt sich besonders auf die Konsequenzen, die sich für die betroffene Landschaft und deren Einwohner aus der Ablösung oder Ergänzung des Leistungsangebots der Schiene durch andere Verkehrsmittel ergeben. Die Beurteilung der Rückwirkungen geplanter Maßnahmen auf die Verkehrslage und die betroffenen Wirtschaftsräume ist nicht zuletzt durch das jeweilige rechtzeitige Einschalten der obersten Landesverkehrsbehörde gewährleistet. Damit wird sichergestellt, daß nicht etwa nur die Interessen der Bundesbahn, sondern die jeweiligen regionalen Belange gewürdigt werden. Es wird angestrebt, die Verkehrsbedürfnisse unter Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Verkehrsunternehmen - und damit auch der nicht bundeseigenen Eisenbahnen - für jeden einzelnen wie für die Allgemeinheit im Sinne einer optimalen Verkehrsbedienung zu befriedigen.
Herr Abgeordneter Schonhofen!
Herr Staatssekretär, können nicht unverhältnismäßig hohe Kosten, die bei der Einrichtung anderer Verkehrsmöglichkeiten beispielsweise den Gemeinden bzw. den Gemeindeverbänden entstehen und die in keinem vertretbaren Verhältnis zum Rationalisierungseffekt der Deutschen Bundesbahn stehen, dadurch vermieden werden, daß die Deutsche Bundesbahn in solchen Fällen auf Streckenstillegungen verzichtet?
Ich habe bereits in einer früheren Fragestunde darauf hingewiesen, daß Still1434
legungen dieser Art jetzt nicht zum erstenmal auftreten, sondern daß sie im Laufe der letzten acht Jahre schon wiederholt stattgefunden haben. Es hat sich in jedem dieser Einzelfälle ergeben, daß die Bundesbahn erst dann stillgelegt hat, als der Verkehr bereits zu etwa 90 % von der Bahn abgewandert war und die Übernahme von 10% weder für den Bund noch für die Gemeinden mit irgendwelchen Mehrbelastungen verbunden war. Auf jeden Fall wird die von Ihnen angeschnittene Frage in jedem Einzelfall ordentlich geprüft werden.
Eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie Weiter fragen - das scheint mir in Ihrer Antwort zu meiner Frage XIV/14 nicht genügend ausgeführt zu sein -, ob die Bundesregierung bereit ist, in den Fällen, wo den Gemeinden außergewöhnlich hohe Kosten durch die Schaffung von Ersatzverkehren entstehen, besondere finanzielle Hilfe zu gewähren.
Herr Abgeordneter, ich habe in der Antwort auf Ihre vorhergehende Zusatzfrage ausgeführt, daß in Fällen dieser Art bisher ein solcher Finanzbedarf nicht aufgetreten ist. Finanzielle Hilfen des Bundes an Gemeinden und Gemeindeverbände sind infolgedessen in den von den Streckenstillegungen betroffenen Wirtschaftsräumen zunächst nicht vorgesehen. Für den Fall, daß sich nachweislich eine zwingende Notwendigkeit ergeben sollte, wird im Sinne des verkehrspolitischen Programms ein geeigneter Weg gefunden werden müssen, die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie etwa betroffene andere Verkehrsträger vor unangemessenen Belastungen zu bewahren.
Ihre vierte Frage.
Herr Staatssekretär, können Sie oder kann die Bundesregierung dafür eintreten, daß der Verkehr auf stillgelegten Bundesbahnanlagen bzw. Bundesbahnstrecken ganz oder teilweise den in der Nachbarschaft im Anschluß bestehenden nichtbundeseigenen Eisenbahnen übertragen wird, falls diese Bahnen an der Betriebsfortführung auf diesen Anlagen interessiert sind?
Herr Abgeordneter, die nicht 'bundeseigenen Eisenbahnen können sich bei der Regelung der Frage der Bedienung des Flächenverkehrs genauso bewerben, wie sich vielleicht die Bundesbahn mit ihrem Kraftwagenbetrieb oder private Unternehmer des Personen- oder des Güterverkehrs darum bewerben. Ich glaube nicht, daß man allgemein einer Gruppe der in Frage kommenden Interessenten von vornherein eine Vorzugsstellung einräumen sollte.
Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie in diesem Zusammenhang bitten, generell auf der Länderebene darauf hinzuwirken, daß die sogenannten Koordinierungsausschüsse, wo sie noch nicht sind, in stärkerem Maße Platz greifen, wie es in einigen Ländern schon der Fall ist, damit diese Fragen in der Zukunft besser aufeinander abgestimmt werden.
Herr Abgeordneter, das ist bereits geschehen. Ich will aber darauf achten, daß es nochmals geschieht.
Herr Abgeordneter Unertl.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht möglich, daß in Ihrem Hause einmal, wenigstens über die Presse, Informationen darüber gegeben werden, daß eine Überprüfung, die nach § 28 des Bundesbahngesetzes im Zonengrenzgebiet oder in den Ausbaugebieten vorgenommen wird, noch lange nicht zu einer Stillegung der Bahn führen muß? Es könnte draußen sehr viel Aufregung erspart werden, und manche Unruhe wäre dann von selber aus der Welt geschafft.
Herr Abgeordneter, ich will die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn gern darauf aufmerksam machen, daß sie die Direktionen entsprechend unterrichten soll.
Ich rufe die Fragen XIV/16 und XIV/17 des Abgeordneten Zerbe auf:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Einführung von K-Zuschlägen im Stückgutverkehr der Deutschen Bundesbahn für das Zonenrandgebiet eine Sonderregelung zu treffen?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Wirtschaft des Zonenrandgebietes durch die Einführung von K-Zuschlägen finanziell besonders getroffen werden würde, da wegen der geringeren Bevölkerungszahl und schlechteren wirtschaftlichen Lage in diesem Bereich nur einzelne Bahnhöfe das geforderte Mindestaufkommen an Stückgut erreichen?
({0})
- Herr Kollege Fellermaier, nach den Richtlinien für die Fragestunde muß ein Fragesteller, wenn er nicht selber anwesend sein kann, den Präsidenten vorher davon unterrichten, wer die Frage übernimmt. Ich verfahre strikt nach den Richtlinien: Dem Präsidenten ist mitzuteilen.
Herr Präsident, das ist sicher richtig. Aber der Herr Kollege Zerbe hat gestern abend die Arbeitsgruppe Verkehr unserer Fraktion gebeten, die Frage zu übernehmen, weil er überraschend wegmußte.
Dem Präsidenten hätte das mitgeteilt werden müssen. Ich mache nur darauf aufmerksam, damit die Richtlinien nicht umsonst dasind.
Die Einführung des sogenannStaatssekretär Dr. Seiermann
ten K-Zuschlags für die kleinen Bahnhöfe ist zum 15. März 1966 wirksam geworden. Sie war im Zusammenhang mit den übrigen von der Deutschen Bundesbahn ergriffenen Tarifmaßnahmen dringend notwendig, um die Erträge den erheblich gestiegenen Selbstkosten anzupassen oder doch zumindest anzunähern.
Die Einführung des K-Zuschlags trifft als allgemein gültige Tarifmaßnahme auch Teile des Zonenrandgebietes. Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, daß dadurch für die Wirtschaft des Zonenrandgebietes schwerwiegendere Schäden nicht zu befürchten sind. Sollten wider Erwarten unzumutbare Benachteiligungen auftreten, so besteht die Möglichkeit zu vielfältigen und differenzierten Hilfen, z. B. im Rahmen des Frachthilfeverfahrens oder des regionalen Förderungsprogramms, durch die besondere Belastungen ausgeglichen werden können.
Herr Abgeordneter Fellermaier zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, was Sie unter „unzumutbarer Belastung" verstehen. Vorwiegend sind ja kleine Gemeinden und damit auch Kleinbetriebe in den Zonenrandgebieten betroffen.
Jede Tariferhöhung ist eine Belastung, Herr Abgeordneter, und es ist die Frage, ob die Belastung zumutbar oder unzumutbar ist, wenn eine allgemeine Regelung dahin gehend getroffen wird, daß die Bundesbahn mit Rücksicht auf ihre Kostengrundsätze bei den kleinen Bahnhöfen den Zuschlag von einer Mark je Sendung erhebt. Ich könnte mir denken, daß die Belastung von dem Empfänger, der in einem kleinen Ort, aber nicht im Zonenrandgebiet lebt, genauso schwer empfunden wird wie von dem Empfänger im Zonenrandgebiet.
Herr Abgeordneter Fritsch!
Herr Staatssekretär, würden Sie diese Belastung nicht als außergewöhnlich empfinden, wenn Sie berücksichtigen, daß im Zonenrand- und Grenzgebiet in letzter Zeit Stückgutbahnhöfe und Annahmestellen in erheblicher Zahl geschlossen worden sind, damit der Weg des Kunden zur Annahmestelle erheblich weiter geworden ist und nun der Kunde eine weitere Belastung durch diesen K-Zuschlag erfährt?
Wenn die Voraussetzungen des Tarifs gegeben sind, kann im Einzelfall schlecht eine Ausnahme gemacht werden. Ich wiederhole, was ich vorhin gesagt habe: wir werden diese Entwicklung beobachten. Wir haben auch schon mit dem Bundeswirtschaftsministerium Verbindung aufgenommen. Wenn sich tatsächlich nennenswerte Belastungen ergeben, soll auf dem hier angedeuteten Wege Hilfe geleistet werden.
Eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei weitester Auslegung des Beschlusses der Bundesregierung vom 16. Dezember 1964, im Zonenrand- und Grenzgebiet keine Bundesbahnstrecken stillzulegen, eine Möglichkeit sehen, hier das Zonenrand- und Grenzgebiet von dieser zusätzlichen Belastung, die sich ja durch viele andere Belastungen summiert, auszunehmen?
Ich glaube, es ist ein Unterschied, ob ich von einer Stillegung von Strecken oder von einem allgemeinen Tarif spreche, der für das ganze Bundesgebiet gilt. Auch bisher hat im Zonenrandgebiet der allgemeine Tarif gegolten.
Herr Abgeordneter Dr. Kreutzmann!
Herr Staatssekretär, wie stellen Sie sich eine Hilfe über die Frachthilfe vor, wenn diese Frachthilfe daran geknüpft ist, daß 40 % der Produktion des Betriebes früher nach Mitteldeutschland geliefert worden sind, und weiterhin die Frachthilfe davon abhängig gemacht wird, daß der Betrieb, der eine Frachthilfe will, in einem Branchenkatalog erfaßt ist? Ich weiß nicht, wie man hier über die Frachthilfe eine Möglichkeit schaffen will.
Ich glaube, daß die Frachthilfe doch in manchen Fällen Platz greifen kann. Soweit das nicht der Fall ist und eine unzumutbare Belastung vorliegt, muß eben ein anderer Weg gefunden werden, z. B. der Weg des regionalen Förderungsprogramms.
Eine weitere Frage.
Wissen Sie nicht, daß das regionale Förderungsprogramm keine Ansatzpunkte für eine zusätzliche Hilfe in solchen Fällen bietet?
Dann müssen eben solche Ansatzpunkte geschaffen werden. In dieser Frage stehen wir mit dem Bundeswirtschaftsministerium in Verbindung.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Staatssekretär, Sie wollen doch mit dieser Prüfung nicht warten, bis die Situation dieser Betriebe wirklich unzumutbar geworden ist?
Ich habe gesagt, daß wir die Entwicklung laufend beobachten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Frage XIV/18 des Abgeordneten Dr. Tamblé:
Bis wann gedenkt der Bundesverkehrsminister den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das die Einführung von Führerscheinen für Motorbootfahrer in Küstengewässern und auf Binnenwasserstraßen vorsieht?
Es ist beabsichtigt, durch eine Verordnung - ein Gesetz ist dazu nicht erforderlich - die Eignung und Befähigung zum Führen von Motorsportfahrzeugen auf den Seewasserstraßen des Bundes noch in diesem Jahr festzulegen. Der Erlaß einer entsprechenden Verordnung für den Bereich der Binnenwasserstraßen wird in Übereinstimmung mit den Ländern zunächst nicht für erforderlich gehalten.
Keine Zusatzfrage. Frage XIV/19 des Abgeordneten Dr. Tamblé:
Wer soll nach Ansicht des Bundesverkehrsministers für die Abnahme der in Frage XIV/18 genannten Führerscheinprüfung zuständig sein?
Der Deutsche MotoryachtVerband soll beauftragt werden, die Prüfung abzunehmen und die Motorbootführerscheine zu erteilen. Ich darf darauf hinweisen, daß sich die im Deutschen Sportbund zusammengeschlossenen Sportverbände auf den Deutschen Motoryacht-Verband als zentralen Verband geeinigt haben.
Keine Zusatzfragen. Frage XIV/20 des Abgeordneten Dr. Tamblé:
Wie ist die Entwicklung der Zahl der Unfälle, die sich in den vergangenen Jahren durch Motorbootfahrer ereignet haben?
Die Zahl der Unfälle, die sich in den vergangenen Jahren durch Motorbootfahrer ereignet haben, ist etwa gleichbleibend. Ich kann keine genaue Zahl nennen, Herr Abgeordneter, da eine Statistik nicht geführt wird. Die Mitteilung, daß die Zahl der Unfälle ungefähr gleich geblieben ist, stützt sich auf Beobachtungen der Wasserschutzpolizei. Jedoch nimmt die Behinderung der Schifffahrt auf den Seeschiffahrtsstraßen und in den Küstengewässern durch Motorbootfahrer zu, da deren Zahl steigt. Es brauchen nicht immer gleich Unfälle zu sein; auch die sogenannten Fast-Zusammenstöße stellen ein wesentliches Hindernis für die Schiffahrt dar.
Herr Abgeordneter Dr. Tamblé!
Herr Staatssekretär, besteht ein Zusammenhang zwischen den von mir eingereichten Fragen 18 bis 20 - eingereicht am 11. März
- und der Stellungnahme der Bundesregierung
hierzu im Bulletin vom 16. März?
Ich vermute, Sie haben eine Pressenotiz der Abteilung Seeverkehr unseres Hauses in Hamburg im Auge.
({0})
- Ob ein Zusammenhang besteht, weiß ich nicht; aber ich könnte mir denken, daß, da in der Presse in den letzten Wochen wiederholt Hinweise auf bevorstehende Maßnahmen der hier in Rede stehenden Art erschienen sind, die Abteilung Seeverkehr es für gut gehalten hat, eine allgemeine Unterrichtung der Öffentlichkeit vorzusehen. Veranlaßt durch uns ist diese Pressenotiz nicht.
Herr Abgeordneter Dr. Tamblé!
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Bundesministerien ganz allgemein nach Einreichen einer mündlichen Anfrage zu dem betreffenden Thema erst nach der Beantwortung der Frage öffentlich Stellung nehmen sollten?
Ich weiß nicht, ob man diese Frage vorbehaltlos mit Ja beantworten kann. Wenn es sich um einen Fall handelt, der erstmalig durch eine Kleine Anfrage oder durch eine Anfrage in der Fragestunde bekanntwird, bin ich Ihrer Meinung. Wenn es sich aber um eine Frage handelt, die in der Tagespresse und in der Fachpresse bereits seit Wochen erörtert wird, kann es schon vorkommen, daß es richtig ist, den täglichen Anfragen durch eine allgemein gehaltene Pressenotiz zu begegnen.
Herr Abgeordneter Mommer.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß die Bundesministerien es dem Hause schuldig sind, in solchen Fällen die Antwort hier im Hause abzuwarten, es sei denn, daß Gefahr im Verzuge ist und in außergewöhnlichen Fällen eine Zurückstellung einer Veröffentlichung wie derjenigen im Bulletin nicht möglich ist?
Ich teile grundsätzlich diese Auffassung. Ich habe aber bereits darauf hingewiesen, daß ich vermute, daß sich die Abteilung Seeverkehr durch laufende Anfragen - nicht durch die Anfrage, die hier im Hause vorliegt, die vielleicht gar nicht bekannt war - veranlaßt gesehen hat, eine allgemeine Orientierung durchzuführen. - Ich bekomme soeben eine Notiz, aus der ich ersehe, daß die Pressenotiz auf die Bootsausstellung zurückzuführen ist, die vor einiger Zeit in Hamburg stattgefunden hat,
Ich rufe dann die Frage XIV/21 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf:
Ist die Bundesregierung bereit, mit den US-Streitkräften über eine weitere Einschränkung des Flugverkehrs auf dem Militärflughafen Rhein-Main zu verhandeln, um auf diese Weise den ständig steigenden Anforderungen des zivilen Luftverkehrs auf dem Rhein-Main-Flughafen besser entsprechen zu können?
Herr Abgeordneter, im Bedarfsfalle besteht immer die Bereitschaft, mit den US-Streitkräften über eine Einschränkung des militärischen Luftverkehrs auf dem Flughafen Frankfurt zu verhandeln. Die Zahl der Starts und Landungen der US-Streitkräfte auf dem Flughafen Rhein-Main geht seit einiger Zeit zurück. Im Jahre 1965 betrug der militärische Anteil nur 12% des Gesamtverkehrs. Von der Flughafen-AG Frankfurt ({0}) wird die Anwesenheit der US-Streitkräfte zur Zeit nicht als Problem angesehen, zumal diese vereinbarungsgemäß stets ihre Flüge in die betriebsschwachen Stunden gelegt haben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß eine weitere Einschränkung nicht doch dazu führen könnte, daß die Ausbaupläne für eine dritte Startbahn noch zurückgestellt oder überprüft werden könnten, wenn es gelingen würde, mit den US-Streitkräften weitere Vereinbarungen zu erzielen?
Herr Abgeordneter, nach den eingehenden Unterlagen, die ich vorliegen habe, besteht nicht die Aussicht, daß bei einer weiteren Einschränkung der Flüge der US-Streitkräfte auf diese Startbahn verzichtet werden kann, weil sich die Notwendigkeit der neuen Startbahn ausschließlich aus dem zivilen Luftverkehr ergibt. Die Einrichtungen des Flughafens werden an sich durch die US-Steitkräfte nicht in Anspruch genommen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen die näheren Einzelheiten, aus denen das hervorgeht, noch schriftlich mitzuteilen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß der Ausbau der Flugsicherungsanlagen Erleichterungen bringen würde, um den geplanten Bau der dritten Startbahn nicht oder noch nicht notwendig zu machen?
Soweit ich unterrichtet bin, ist auch diese Möglichkeit nicht gegeben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Picard.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß die Stellungnahme der hessischen Landesregierung dahin gehend, daß durch die neue Startbahn auf dem Flughafen Rhein-Main nicht nur keine zusätzliche Lärmbelästigung entstehen, sondern sogar eine Verminderung der Lärmbelästigung erreicht werde, zutreffend ist?
Ich habe davon gelesen. Das Gutachten selbst liegt mir noch nicht vor. Ich kann deswegen diese Frage auch noch nicht beantworten, bevor ich sie geprüft habe.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Picard.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung die sehr starken Proteste der Bevölkerung aus einigen der betroffenen umliegenden Gemeinden bekannt, und welches ist die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesen Befürchtungen?
Herr Abgeordneter, diese Proteste sind uns natürlich bekannt. Sie beziehen sich aber nicht nur auf den Flughafen Rhein-Main, sondern auf den Flugverkehr - ich möchte fast sagen - im allgemeinen. Sie wissen auch, daß bereits Überlegungen im Gange sind, wie diesem Fluglärm sowohl durch technische Maßnahmen als auch durch Verwaltungsmaßnahmen in Zukunft vorgebeugt werden kann.
Ich rufe die Frage XIV/22 des Abgeordneten Strohmayr auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in Frankreich und in den USA der sogenannte „Huckepack-Verkehr", also der Transport von beladenen Fernlastzügen mit Spezialwaggons der Eisenbahnen, stark zugenommen, die Bilanzen der Bahnverwaltung verbessert und die Straßen entlastet hat?
Herr Präsident, darf ich die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Strohmayr gemeinsam beantworten?
Sind Sie einverstanden, Herr Abgeordneter Strohmayr?
({0})
- Dann rufe ich auch die Fragen XIV/23 und XIV/24 des Abgeordneten Strohmayr auf:
Trifft es zu, daß in der Bundesrepublik Deutschland einer intensiven Förderung des „Huckepack-Verkehrs" vor allem die Handhabung der Beförderungsteuer entgegensteht?
Ist die Bundesregierung bereit, Vorschläge zur Förderung des Ferntransports von Lastzügen mit der Bundesbahn im Einvernehmen mit den zuständigen Organisationen des Transportgewerbes und mit der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn auszuarbeiten und im Verkehrsausschuß des Bundestages zur Diskussion zu stellen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Der Bundesregierung ist bekannt, daß der sogenannte Huckepack-Verkehr in Frankreich und insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Urspungsland dieser Beförderungsart, stärker als in der Bundesrepublik zugenommen hat. Es trifft jedoch nicht zu, daß die Handhabung der Beförderungsteuer in der Bundesrepublik einer stärkeren Förderung des HuckepackVerkehrs entgegenstehe. Die unterschiedliche Entwicklung ist vielmehr vor allem auf die in den Vereinigten Staaten wie auch in Frankreich bestehenden wesentlich günstigeren Voraussetzungen für diese Beförderungsart zurückzuführen. Vor allem wegen der weiteren Beförderungsstrecken - in Frankreich ist die durchschnittliche Beförderungslänge 260 km, in Deutschland liegt sie unter 190 km - und wegen der günstigeren Struktur der Verkehrsströme, z. B. Lage der Ballungszentren, größere Bahnhofsabstände usw., kommen in diesen Ländern, nämlich USA und Frankreich, die Vorzüge des Huckepack-Verkehrs wesentlich stärker zur Geltung als in der Bundesrepublik.
Die Bundesregierung ist gern bereit, die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages zur Diskussion zu stellen. Hierzu wird sich auch sehr bald eine Gelegenheit ergeben. Die Bundesregierung will dem Deutschen Bundestag in Kürze einen eingehenden „Bericht über die bisherige Entwicklung des Huckepack-Verkehrs und Maßnahmen zu seiner Förderung" vorlegen. In diesem Bericht wird sowohl die technische als auch die wirtschatfliche Entwicklung technische als auch die wirtschaftliche Entwicklung lichen Maßnahmen seiner Förderung Stellung genommen werden.
Herr Abgeordneter Strohmayr!
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es richtiger wäre, die Schwerlaster auf der Schiene im Huckepack-Verkehr zu transportieren und dadurch der Bundesbahn zu helfen; als mit schweren Lastwagenkolonnen die ohnehin stark strapazierten Straßen und Autobahnen zu zerstören?
Ja, sicher bin ich dieser Auffassung; aber ich habe leider nicht die gesetzliche Möglichkeit, die Leute zu zwingen, diesen Weg zu gehen.
Herr Abgeordneter Strohmayr!
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß die 25prozentige Senkung der Regeltarife, die Herr Bundesbahnpräsident Oeftering im vergangenen Jahr eingeführt hat, jetzt wieder rückgängig gemacht werden soll?
Davon ist mir nichts bekannt.
Ich will aber die Frage gern nachprüfen und Ihnen schriftlich Bescheid geben.
Keine weitere Frage. - Damit ist die Fragestunde geschlossen.
Wir unterbrechen die Sitzung und setzen sie um 17 Uhr fort mit einer Erklärung des Herrn Bundesaußenministers.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt diese Möglichkeit, dem Hohen Hause über einen wichtigen Vorgang im Bereich der auswärtigen Politik zu berichten und einige Grundsätze darzulegen, von denen sie sich bei der weiteren Behandlung dieses Themas leiten lassen wird.
Frankreich hat, wie Sie alle wissen, in den letzten Tagen und Wochen seinen 14 Partnern in der nordatlantischen Allianz mitgeteilt, daß es die französische Stellung in diesem Bündnis einer tiefgreifenden Revision unterziehen will. Schon seit längerer Zeit hatte die französische Regierung bei verschiedenen Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht, daß sie zwar an dem atlantischen Bündnis festhalten wolle, die gegenwärtige Organisation dieses Bündnisses jedoch für nicht mehr zeitgemäß halte. Frankreich hat allerdings niemals konkrete Vorschläge zur Änderung der Organisation gemacht.
In seiner Pressekonferenz am 21. Februar dieses Jahres hat nun der Herr französische Staatspräsident die von Frankreich jetzt beabsichtigten Schritte erstmals genauer dargelegt. In Schreiben an mehrere Regierungschefs und in den Memoranden, die in der vergangenen Woche den verbündeten Regierungen übergeben und anschließend veröffentlicht worden sind, hat die französische Regierung weitere Einzelheiten mitgeteilt. Diese Erklärungen haben im wesentlichen folgenden Inhalt: Frankreich fordert zur Wiederherstellung seiner vollen Souveränität, die nach seiner Auffassung durch die gegenwärtige Struktur der Allianz beeinträchtigt ist, daß alle Verbände und Einrichtungen verbündeter Staaten auf französischem Boden keinem anderen als französischem Oberbefehl unterstellt werden, seine Truppen auf fremdem Boden, d. h. die französischen Streitkräfte in Deutschland, ebenfalls allein unter französischem Oberbefehl stehen.
Hierzu verlangt Frankreich eine Änderung der Vereinbarungen über die auf französischem Boden stationierten amerikanischen und kanadischen Einheiten und Einrichtungen und die Beendigung der Unterstellung seiner bisher dem NATO-OberbeBundesminister Dr. Schröder
fehlshaber Europa assignierten Land- und Luftstreitkräfte in Deutschland. Es beabsichtigt, seine Mitarbeit in den integrierten Kommandobehörden des Oberbefehlshabers Europa - SHAPE - und des Kommandobereichs Europa Mitte - AFCENT - einzustellen und fordert schließlich die Verlegung dieser beiden Hauptquartiere. Zugleich bekundet es seine Absicht, Mitglied der NATO-Allianz zu bleiben, auch über das Jahr 1969 hinaus, vorausgesetzt, daß keine grundlegenden Veränderungen im Ost-West-Verhältnis eintreten.
Zur Begründung dieser einschneidenden Maßnahmen beruft sich Frankreich auf die seit 1949 veränderte Weltlage. Die Bedrohung der westlichen Welt habe sich vermindert, Europa sei nicht mehr das Zentrum internationaler Krisen, schließlich besitze Frankreich jetzt nukleare Waffen, die sich ihrer Natur nach einer Integration entzögen. Frankreich sei heute eine Nuklearmacht und dadurch in die Lage versetzt, die damit verbundene politische und strategische Verantwortung selbst in die Hand zu nehmen. Alles dieses schließe ein Verbleiben Frankreichs in der integrierten Verteidigung der NATO aus.
Frankreich bietet seinen Verbündeten Verhandlungen über die sich aus diesen Entscheidungen ergebenden Fragen an, vor allem über eine neue Form der Zusammenarbeit der französischen Streitkräfte mit denen der Verbündeten. In dem der Bundesregierung zugestellten Memorandum erklärt sich die französische Regierung bereit, mit uns zusammen die Lage zu prüfen, die sich für die in Deutschland stationierten französischen Streitkräfte und. für die Einrichtungen ergibt, welche Frankreich der Bundeswehr nach dem Abkommen vom 25. Oktober 1960 in Frankreich zur Verfügung stellt.
Das Hohe Haus wird verstehen, daß es heute noch nicht möglich ist, eine umfassende Analyse und eine umfassende Bewertung der militärischen und politischen Auswirkungen des französischen Schrittes zu geben. Die uns mitgeteilten Einzelheiten geben noch kein volles Bild der französischen Absichten. Zum Beispiel fehlt ein Hinweis darauf, wie sich Frankreich künftig das Funktionieren des von den Verbündeten unter großen Kosten auf seinem Boden errichteten Infrastruktursystems der NATO und der gemeinsamen Luftverteidigung vorstellt. Auch andere Fragen bleiben offen und bedürfen einer sorgfältigen Klärung.
Ich möchte mich deshalb heute auf einige erste grundsätzliche Bemerkungen beschränken.
Erstens. Die angekündigten französischen Maßnahmen berühren das atlantische Bündnis in seinem Kern. Alle Partner werden die sich daraus ergebende Lage gemeinsam zu prüfen haben. Sie haben damit bereits begonnen. Auf der Ministerratstagung der Westeuropäischen Union in London, von der ich gerade komme, hat ein erster Meinungsaustausch stattgefunden, der eine Übereinstimmung zwischen Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Deutschland zeigte.
Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland ist im Jahre 1955 einem Allianzsystem beigetreten, bei dem Geben und Nehmen, Rechte und Pflichten in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Die Verträge vom Oktober 1954, welche das Besatzungsregime in der Bundesrepublik Deutschland beendeten und zu ihrer Aufnahme in die NATO führten, bilden eine politische und rechtliche Einheit. Zu ihnen gehören sowohl der Deutschland-Vertrag, der den drei Verbündeten ein Stationierungsrecht für ihre Streitkräfte einräumt, wie die grundlegende Entschließung des NATO-Rats zur Durchführung von Artikel IV der Londoner Schlußakte, in der das Prinzip der Unterstellung der Streitkräfte der Verbündeten in Kontinental-Europa unter ein gemeinsames NATO-Oberkommando und die Befugnisse dieses Oberbefehlshabers verankert sind.
Dieses Vertragssystem hat sich in der Vergangenheit bewährt. Es hat uns und unseren Partnern den Frieden gesichert und einen wesentlichen Beitrag, oder sage ich lieber: den wesentlichen Beitrag zur Stabilität der westlichen Welt geleistet.
Die Bundesregierung ist auch heute davon überzeugt, daß nur eine bereits im Frieden gemeinsam vorbereitete Verteidigung mit gemeinsamer operativer Planung und unter einheitlichem Befehl - eben das System der „integrierten" Verteidigung - Aussicht bietet, einen potentiellen Gegner von einem Angriff abzuhalten. Sie verharrt dabei nicht etwa in den gewohnten Denkformen, sondern sie sieht angesichts der ständig fortschreitenden Waffentechnik in der Integration die einzige Möglichkeit, die Sicherheit der Allianz zu gewährleisten, weil nur so im Falle eines Angriffs die Automatik der notwendigen Verteidigungsmaßnahmen gesichert ist. Mit diesem System ist die Präsenz der militärischen Macht der Vereinigten Staaten in Europa eng verbunden. Ohne dieses System wäre den kleineren Nationen die Möglichkeit genommen, sich an einer modernen Verteidigung gleichberechtigt und verantwortlich zu beteiligen.
Drittens. Sicher hat sich die Weltlage seit 1949 geändert. Wir vermögen aber nicht der Behauptung zu folgen, die Bedrohung Westeuropas habe sich vermindert und Europa sei nicht mehr ein Zentrum internationaler Krisen.
Die Warschau-Pakt-Staaten und insbesondere die Sowjetunion haben ihr militärisches Potential in Mittel- und Osteuropa erheblich verstärkt und modernisiert. Die Sowjetunion besitzt die stärkste konventionelle Streitmacht in der Welt und verfügt über eine große Zahl von Kernwaffen. Die Masse ihres militärischen Potentials ist im Westen ihres Herrschaftsbereichs konzentriert. Wir unterstellen den östlichen Regierungen nicht die Absicht, den Westen militärisch anzugreifen. Indes ist nach unserer Auffassung das Maß der Bedrohung nicht allein von den jeweiligen Absichten des möglichen Gegners abhängig. Entscheidend bleibt vielmehr das auf der Gegenseite vorhandene Potential. Im Hinblick hierauf besteht - leider - für das NATO-Bündnis noch kein Anlaß, in seinen Verteidigungsanstrengungen und in seiner Wachsamkeit nachzulassen.
Wir glauben im übrigen nicht, daß die gegenwärtige relative Ruhe - es fällt schwer, dieses
Wort „Ruhe" auszusprechen, wenn man an die täglichen Schüsse an der Zonengrenze denkt -,
({0})
daß diese „Ruhe" in Mitteleuropa nunmehr die Beseitigung eines Herdes internationaler Krisen anzeige. Solange die unselige Spaltung Deutschlands und Europas besteht, kann ein wirklicher Friede hier nicht einkehren.
Viertens: Die Bundesregierung ist, wie gesagt, der Ansicht, daß die von Frankreich angekündigten Schritte zur Neuregelung seines Verhältnisses zur Allianz nicht den einzelnen Mitgliedstaat, sondern die Gesamtheit der Verbündeten angehen. Sie wird daher die Probleme, welche sich aus den von Frankreich beabsichtigten Maßnahmen ergeben, mit den übrigen Verbündeten beraten. Diese bereits begonnenen vertraulichen Beratungen werden wegen der Bedeutung der aufgeworfenen Probleme geraume Zeit in Anspruch nehmen.
Fünftens. Die angekündigten französischen Maßnahmen betreffen die Bundesrepublik Deutschland insoweit besonders, als Frankreich seine im Bundesgebiet stationierten Streitkräfte aus der NATO-Unterstellung herauslösen will. Die Bundesregierung ist auch hier der Ansicht, daß die damit verbundenen Probleme nicht sie allein, sondern die Partner der Verträge von 1954 angehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte hinzufügen, daß die Bundesregierung sich in ihrer Politik weiterhin von dem Geist leiten lassen wird, der zur Aussöhnung zwschen dem deutschen und dem französischen Volk geführt hat.
({1})
Wir sind der Überzeugung, daß Aussöhnung und Freundschaft zwischen den beiden großen Nachbarvölkern ein dauerndes Element der beiderseitigen Politik sind und bleiben müssen.
({2})
Sechstens. Schließlich möchte ich noch sagen, daß die Bundesrepublik Deutschland die gegenwärtige Entwicklung nicht zum Anlaß nehmen wird, eigene vertragliche Bindungen gegenüber der Gesamtheit ihrer Partner in Frage zu stellen.
({3})
Das, was in der Allianz an militärischer und politischer Zusammenarbeit erreicht worden ist, wollen wir erhalten und wollen wir mehren.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die kommenden Wochen werden gewiß manche Schwierigkeiten mit sich bringen. Wir werden daher gemeinsam mit dem Hohen Haus besonnen und fest bleiben müssen. Dabei sollten wir mit dem freundschaftlichen Freimut sprechen, den die Lage von uns verlangt.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen die Erklärung des Herrn Außenministers. Wir stimmen ihr zu, und wir sind froh über diese Gelegenheit einer ersten kurzen, mehr grundsätzlichen Aussprache zu diesem Thema.
In dieser Frage, deren politischer Rang, wie wir meinen, kaum übertrieben werden kann, ist eine besonders enge Kooperation der Bundesregierung mit dem ganzen Haus ein zwingendem Gebot. Deshalb begrüßen wir es auch, daß der Bundeskanzler selbst die Fraktionen sehr frühzeitig, zunächst vertraulich, eingeschaltet hat. Wir sprechen die Hoffnung aus, daß die Gemeinsamkeit zur Lösung all dieser Fragen hier im ganzen Hause auch in der Zukunft erhalten bleibt. Denn nach unserer Meinung geht es hier nicht nur um fundamentale Prinzipien unserer Politik und nicht nur um vitale Interessen unserer Sicherheit, sondern zugleich auch um wesentliche Weichenstellungen für unsere politische Zukunft.
Der Außenminister hat angedeutet, wie eng die NATO mit der Sicherheitsgarantie der USA und mit der unerläßlichen Anwesenheit der Truppen der USA in Deutschland und in Europa zusammenhängt; denn eben dies sichert vor allem unsere Freiheit. Wir unterstützen und unterstreichen, was der Außenminister zur Solidarität mit dem Bündnis und mit der gefundenen Organisation gesagt hat.
An der Politik Frankreichs, die hier zur Erörterung steht, ist nichts zu bagatellisieren. Dies ist so ernst zu nehmen, wie es ohne Zweifel gemeint ist. Frankreich hat sich selbst und uns alle in eine sehr, sehr schwere Lage gebracht, in eine Lage, die zunächst - auch insoweit stimmen wir der Bundesregierung ausdrücklich zu - die anderen 14 Mitglieder zu einem gemeinsamen Standpunkt veranlassen sollte. Wir erklären deshalb mit allem Nachdruck und in aller Form unser Ja zur NATO, unser Ja zur kollektiven Abschreckung, die allein den Frieden sichert, unser Ja zur Integration - all dies gilt weiter - wie unser Nein zu jedweder Diskriminierung Deutschlands.
({0})
Wie schon die Erklärung des Herrn Außenminister deutlich macht, ist dies ein Standpunkt, also erst der Beginn einer Politik, der Anfang einer Lösung, noch nicht die Lösung selbst. So könnte es sein, daß im Zusammenhang mit dem, was nun zu tun ist, auch die eine oder andere Feststellung dahin gehend getroffen wird, daß vielleicht durch das Bündnis insgesamt oder durch die Führungsmacht des Bündnisses in der einen oder anderen Frage unterschiedliche Maßnahmen, Rechte und Verpflichtungen etwa zwischen Frankreich und Großbritannien bestehen. Das wäre nicht vorwiegend unser Problem.
Wenn man sich den Text des französischen Memorandums ansieht - ich will darauf nicht im einzelnen eingehen -, dann ist klar, daß es noch SpielDr. Barzel
raum für Interpretierbares, auch für Neues gibt und daß wir hier auch daran denken dürfen, welche Erfahrungen wir mit dem Beginn und mit dem Ende, dem schließlichen Kompromiß der letzten EWG-Krise, gehabt haben. Diese Erfahrungen gelten zum Teil auch hier, wenn auch unsere Lage und unsere Position ganz anderer Art sind.
Wir wollen auch fragen - wir denken, daß dies förderlich ist für das, was die Regierung zu tun beabsichtigt -, ob es überhaupt möglich ist - im Alltag und in der Praxis möglich ist -, ja zu sagen zum Bündnis, aber nein zur Organisation. Was ist z. B. mit dem Luftwarnsystem? Ist das Bündnis oder ist das Organisation? Ist das desintegriert überhaupt denkbar, ist das desintegriert überhaupt funktionabel? Und da es, meine Damen und meine Herren, um unsere Sicherheit geht, und das höchst konkret und nicht ganz abstrakt, müssen auch wir uns bemühen, die besonderen nachbarlichen Möglichkeiten des deutsch-französischen Vertrages auszunutzen, mindestens zunächst zur Erkundung und zum Gespräch. Verhandlungen sind etwas anderes, dies hat auch der Herr Außenminister deutlich gemacht. So kann, wie wir meinen, unsere Position nur sein - auch für morgen sein -: möglichst viel NATO und möglichst viel m i t Frankreich.
({1})
Wenn wir uns hierfür engagieren, dann engagieren wir uns zugleich im Interesse des ganzen Bündnisses wie im Interesse des ganzen Deutschland. Denn nur wenn die Risse im Westen verschwinden, werden wir in der deutschen Frage weiterkommen. Ich denke, dies ist ein einmütiger Standpunkt des ganzen Hauses.
({2})
Zu verschiedenen Aspekten des Themas werden sich verschiedene unserer Kollegen im einzelnen äußern. Wir legen aber Wert darauf, noch zwei politische Dinge anzusprechen, die im Zusammenhang mit dem Ganzen stehen.
Das erste ist dies: Am 9. Mai 1950 schlug Robert Schuman im Namen der französischen Regierung vor - ich zitiere, mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten, wörtlich -,
in den Beziehungen zwischen den europäischen Nationen an die Stelle des Vormachtstrebens die Gestaltung ihrer Einheit zu setzen und auf diese Weise Frankreich und Deutschland zu versöhnen.
Das war das Prinzip wie die Methode. Ich füge hinzu: das war das einzige Prinzip wie die einzige Methode, die es möglich machten, den Siegern wie den Besiegten, in die Zukunft nicht nur zu sehen, sondern zu gehen; die es beiden ermöglichten, ehrenvoll, miteinander, Gemeinsamkeiten zu schaffen und erste Institutionen und Schritte für dieses Europa zu bewirken.
({3})
Wir meinen, daß es gut ist, daran zu erinnern. Denn wir wollen in dieser Stunde erklären, daß wir zu eben diesem Prinzip wie zu dieser Methode auch für morgen stehen. Nur wenn wir daran festhalten - wir, die Europäer insgesamt -, wird es dazu kommen, daß dieses Europa mit einer Stimme sprechen kann, und nur dadurch wird es in der Lage sein, den Rang einzunehmen, der Europa in der Welt zukommt. Denn es sind ja nicht fremde Dritte, die Europa diesen Rang vorenthalten, sondern die Europäer selbst durch den mangelnden Grad ihrer Vereinigung.
Meine Damen und meine Herren, ich möchte, weil es hier zunächst um grundsätzliche Positionen geht, auch noch auf eine, wie wir glauben, bedeutende Rede des französischen Staatspräsidenten in Straßburg vom November 1964 hinweisen. Er wolle, so erklärte er - ich zitiere wörtlich -,
mit Deutschland ein gemeinsames, schon sehr altes, aber auch neues Ziel anstreben, nämlich die Schaffung eines europäischen Europa, d. h. eines unabhängigen, mächtigen und einflußreichen Europa im Schoße der freien Welt.
Und er sagte weiter:
Deshalb halten wir Franzosen es für unerläßlich, daß die Mitgliedstaaten so bald wie möglich auf politischem Gebiet, d. h. vor allem auf dem der Verteidigung, eine Organisation ins Leben rufen, die zwar mit der Neuen Welt verbündet ist, aber ganz ihre eigene ist, mit eigenen Zielsetzungen, eigenen Mitteln und eigenen Verpflichtungen.
Meine Damen und meine Herren, wie immer dies sei und was immer hieran realisierbar sein könnte und ob man es für wünschbar hält oder nicht - sicher ist doch dies: eine europäische Verteidigungsorganisation ist ohne Integration noch weniger denkbar und durchführbar und wirksam als die europäisch-atlantische Zusammenarbeit.
({4})
Deshalb ist zu fragen - und dies ist für die künftige Politik in Europa und in Deutschland eine wichtige Frage -, ob dieses Nein zur Integration überall und durchgängig gelten soll oder nur hier oder nur gegenüber der jetzigen Form der Organisation in der NATO. Dies ist eine sehr, sehr wichtige Frage. Darüber muß Klarheit sein, auch deshalb, weil ja auch jenseits des Atlantiks, in den USA - und nicht nur da -, Gedanken einer neuen Struktur der NATO erwogen werden.
Ich will auch hier, um auch diese Position klar zu skizzieren, ein Zitat gebrauchen. Präsident Kennedy sagte uns in der Paulskirche sein Konzept; er sagte - ich zitiere -:
Wir haben kein Interesse an dem Versuch, die beschlußfassenden europäischen Gremien zu beherrschen. Wir setzen unsere Hoffnungen auf ein einiges und starkes Europa, das eine gemeinsame Sprache spricht und mit einem gemeinsamen Willen handelt, in eine Weltmacht also, die imstande ist, die Weltprobleme als vollgültiger und gleichberechtigter Partner anzupacken. Eine Bedrohung der Freiheit Europas ist eine Bedrohung der Freiheit Amerikas. Wir hoffen auf ein vereintes Europa im Rahmen
einer atlantischen Partnerschaft als Gesamtheit interdependenter Teile, die an Lasten und Entscheidungen gleichermaßen beteiligt und sowohl durch die Aufgaben der Verteidigung als auch durch die Werke des Friedens miteinander verknüpft sind.
Kennedy forderte eine nukleare atlantische Abschreckungsmacht mit europäischer Beteiligung und auf der Basis der Gleichberechtigung und fügte den Satz hinzu:
Je weiter Europa auf dem Wege zur Einheit voranschreitet, desto größer wird und muß demgemäß seine Rolle und Verantwortung hier und anderswo werden.
Meine Damen und Herren, dieses Konzept findet nach wie vor unsere uneingeschränkte Sympathie. Wenn es auch in dieser Stunde so aussieht, als wäre es sehr schwer zu realisieren, als stünden ihm starke Schwierigkeiten entgegen, so ist uns doch erlaubt, unser Ziel zu nennen und zu versuchen, möglichst viel davon durchzusetzen; und dies mit jener Entschlossenheit und Behutsamkeit, die der Herr Außenminister heute gefordert hat und die in seiner Erklärung zum Ausdruck gekommen ist.
Wir möchten hier gleich etwas zu einzelnen Stimmen sagen, die wir aus dem Ausland, auch aus dem westlichen Ausland, jetzt hören. Meine Damen und Herren, diese Lage ist nicht von uns gewollt; und deshalb ist alles das, war hier mit dem einen oder anderen Unterton gesagt wird, als wollte Deutschland nun einen Ehrgeiz in Richtung auf eine größere militärische Rolle im Bündnis entwickeln, eine Unterstellung. Was wir wollen, ist die Integration und die Abschreckung für den Frieden; was wir wollen, ist, Glied eines vereinten Europas sein und dieses Europa als Glied einer atlantischen Gemeinschaft. Das ist das, was wir wollen, und nichts anderes.
({5})
Ich habe gesagt, wir wollten hier zwei politische Gedanken anschneiden. Ich komme zu dem zweiten, von dem wir glauben, daß er von gleicher Bedeutung wie der erste ist. Der französischen Politik gegenüber der NATO wie auch in anderen Bereichen liegt eine neue Einschätzung des Kommunismus zugrunde. De Gaulle sagte wörtlich:
Es ist in der Tat offensichtlich, daß auf Grund der inneren und äußeren Entwicklung der Länder des Ostens der Westen nicht mehr so bedroht ist.
Dies ist eine zentrale Aussage, und dies ist für uns ein zentrales Thema; denn je nachdem, wie es sich verhält, wird die Antwort ausfallen. Wir müssen deshalb, wie ich meine, darüber sprechen, und nicht nur im amtlichen Verkehr und nicht nur durch Diplomaten, sondern auch durch Experten, auch durch Professoren, natürlich auch durch Geheimdienstler, aber auch durch Parlamentarier: Was ist Kommunismus heute als Gefahr, als Wirklichkeit und vielleicht auch als Chance?
Meine Damen und Herren, natürlich sehen wir die Entwicklung im Kommunismus, die neuen Tendenzen und neuen Phänomene. Wir sehen auch den Bewegungsraum, den die Völker dort ihren kommunistischen Zwingherren abgezwungen haben. Aber ist wegen dieser Phänomene die Bedrohung und die Kriegsgefahr in Europa heruntergegangen? Wir meinen, wenn heute die aktuelle Kriegsgefahr für Europa gemildert ist, dann doch deshalb, weil es die NATO, weil es eine wirksame stetige kollektive Abschreckung gibt.
({6})
Und eben dies hat ja nicht nur uns Sicherheit gegeben, das hat doch zugleich dem Kommunismus den Elan und auch den Atem genommen. Ich gehe so weit, zu sagen, daß die NATO eine Mitursache für die neue Entwicklung in Ost- und Mitteleuropa ist.
({7})
Also muß der, der das weiter auflockern will, auf jeden Fall Abstand davon nehmen, die NATO zu schwächen oder in Frage zu stellen. Wir danken dem Herrn Außenminister, daß er auf Berlin und auf die Schüsse an der Mauer hingewiesen hat, die jedermann zeigen, wie gefährlich der Kommunismus heute ist.
Meine Damen und Herren, natürlich gebietet die Fairneß, wenn man dieses Thema überhaupt anschneidet, darauf hinzuweisen, daß diese Einschätzung der kommunistischen Gefahr auch anderswo zu verzeichnen ist. Ich glaube, man sollte deshalb einen kurzen Seitenblick nach Genf tun; nicht so sehr von den Regierungen - aber es gibt doch so Gespräche, in die wir uns auch einmischen müssen und deren Teilnehmer von dieser Stelle auch ein Wort aus Deutschland hören müssen. Da gibt es ein paar Fragen, die den Kern des Bündnisses berühren. Wir haben dieses Bündnis, weil es eine sowjetische Bedrohung gibt. Ich glaube, daran muß man schon gelegentlich erinnern; denn die eine oder andere Stimme, auch im Westen, tut doch so, als wären Atombomben in der Hand der Sowjetunion Friedensengel und Force de frappe und nukleare Teilhabe der Deutschen am Entscheidungsprozeß so eine Art Kriegsteufel.
Eben dieser Sinn des Bündnisses - und das muß auch gleich gesagt werden - erlaubt deshalb keine Abreden mit der Sowjetunion, die sich gegen einen NATO-Staat und dessen Stellung in der NATO richten.
({8})
Wir meinen, daß das hier gleich dazugehört, daß diese zentrale Frage „Was ist Kommunismus heute?" mit allen unseren Freunden erörtert werden muß.
Ich meine - und dies als letztes hierzu -, was den Kommunismus betrifft, so wollen wir nie vergessen, daß auch aus Prag ein Signal für die Gründung der NATO kam. Wer noch einmal das Dokument, das Memorandum zur Hand nimmt, das die Regierung der USA vor Gründung der NATO ihrem eigenen Parlament vorgelegt hat - es ist vom JaDr. Barzel
nuar 1949 -, der wird darin den Hinweis auf Prag wie auf die Gefahr in Berlin finden. Dies, meine Damen, meine Heren, halte ich für bedeutsam; denn die Tschechen sind ohne nukleare Waffen und ohne Krieg der kommunistischen Eroberung anheimgefallen. Ich meine, daß auch diese Erfahrung hier dazugehört.
Ich komme zum Schluß. Ich glaube, daß wir noch einmal den Blick auf unseren Nachbarn, unseren Nachbarn heute und immer, Frankreich, wenden müssen. Es hat keinen Zweck, nicht deutlich zu sagen, daß wir über die Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses besorgt sind. Ich sage, was ich jetzt am Schluß sage, für mich ganz persönlich und für sonst niemanden. Ich war betroffen von einem Wort des Herrn französischen Staatspräsidenten, das er im Dezember im Fernsehen sagte. Ich will es hier zitieren. Er sagte:
Deutschland wandelt sich, und wir wissen nicht, durchaus nicht, wohin seine Ambitionen gehen werden. Natürlich hoffen wir, daß sie in die gute Richtung gehen, und wir haben Gründe, dies zu hoffen. Aber man kann nicht sagen, daß man dessen sicher ist.
Ich will die Frage zurückgeben. Unser Volk will für immer Freundschaft mit Frankreich.
({9})
Unser Volk ist geheilt, aus bitterer Erfahrung geheilt von allem Übertreiben des Nationalen und sucht seinen Weg nur mit Europa, mit der freien Welt. Deshalb hoffen wir, daß Frankreich auch weiter eben diesen Weg mit uns gemeinsam geht. Dies ist die Antwort auf die Frage.
Meine Damen und Herren, es gibt zwar manchen Anlaß, aber doch kein Recht, zu resignieren. Denn die Deutschen und die Franzosen brauchen sich weiter, sie brauchen sich auch morgen. Beide brauchen Sicherheit, und die gibt es für beide nur i n der atlantischen Gemeinschaft.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die den Verbündeten mitgeteilten Beschlüsse der französischen Regierung über die Umgestaltung ihrer Rolle im Bündnis haben die NATO in eine ernste Krise gestürzt. Ein ähnlicher Kurs deutete sich seit langem an. Amtliche deutsche Interpretationen zu früherer Zeit waren entweder Selbsttäuschungen oder absichtlich zu wohlwollend rücksichtsvoll. Man hat also entweder die deutsch-französischen Konsultationen nicht genügend genutzt, um Klarheit zu gewinnen, oder aber die gewonnene Klarheit dem Parlament und der Öffentlichkeit nicht vermittelt.
({0})
Dies - das möchte ich gleich hinzufügen - geschah vielleicht aus Rücksicht auf das zwischen beiden
Ländern wichtige, möglichst gute Klima der deutschfranzösischen Beziehungen.
Wie dem auch sei, die seit langem schwelende Krise im Bündnis ist jetzt offen ausgebrochen. Zwischen Frankreich und seinen Partnern, auch der Bunidesrepublik Deutschland, sind seit längerer Zeit folgende Fragen umstritten: 1. das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika, 2. klassische nationalstaatliche Souveränität oder, wie wir es wollen, allmähliche Schaffung von Strukturen größerer Gemeinschaften, 3. ein auch für einen Gegner glaubhaftes Konzept einer gemeinsamen Strategie der Abschreckung und notfalls wirksamen Verteidigung und 4. die Bewertung von Veränderungen im sowjetischen Machtbereich und eine sie berücksichtigende aufeinander abgestimmte Ostpolitik der Verbündeten oder aber eine aus abweichender Bewertung resultierende nationalstaatliche, miteinander rivalisierende Ostpolitik.
Einige dieser Komplexe waren auch in der Krise der Europäischen Gemeinschaften sichtbar. Dort ist es gelungen, Frankreich an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Der politisch ungeheuer wichtige wirtschaftliche Ausbau der europäischen Gemeinschaften geht jetzt weiter. Das begrüßen wir alle. Aber die tiefer reichenden politischen Fragen sind nur vertagt, nicht gelöst. Sie können jeden Tag aufs neue ausbrechen und die Gemeinschaften gefährden.
Der neue Vorstoß der französischen Regierung betrifft die Organisation der gemeinsamen Verteidigung. Dabei wird teils von Vorschlägen, teils von bereits getroffenen Entscheidungen gesprochen, über deren Folgen man zu verhandeln bereit sei, aber nicht über die Maßnahmen selbst. Als Begründung wird angegeben, Verhandlungen hätten keinen Sinn, weil sich die Partner auf bisherige französische Wünsche nicht eingelassen hätten. - Aber solche Wünsche sind den Partnern offiziell nie konkret unterbreitet worden,
({1})
bis auf die vom damaligen Präsidenten Eisenhower abgelehnte Schaffung eines politischen Dreierdirektoriums der NATO, das aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika, Großbritannien und Frankreich bestehen sollte. Dieser Vorschlag wird aber jetzt gar nicht wiederholt. Die jetzigen Beschlüsse wurden von Frankreich innerhalb des Bündnisses nie zur Diskussion gestellt.
Gewiß, es hat eine literarische Debatte gegeben, und manche politischen Publizisten in der Bundesrepublik Deutschland haben das schon für amtliche französische Vorschläge angesehen und beklagen, daß sich die Bundesregierung darauf nicht eingelassen habe. Aber auf diese private literarische Debatte wurde auch in anderen Staaten reagiert, in Amerika, in Großbritannien, in Deutschland. Das Echo auf manche französischen Gedanken war sogar nicht überall nur negativ. Aber eine solche literarische Auseinandersetzung ist kein Ersatz für offizielle Vorschläge und offizielle Verhandlungen.
({2})
Wir haben Verständnis dafür, wenn Teilnehmer eines Vertrages bestimmte Vorschriften oder auch Einrichtungen nicht mehr für zeitgemäß halten. Das ist ihr Recht. Dann haben sie auch das Recht, Änderungen vorzuschlagen. Bei gutem Willen in einer Gemeinschaft ist es möglich, einen Ausgleich zu finden. Einseitiges Vorgehen aber, ohne auch nur den Versuch zu einer Einigung unternommen zu haben, verletzt den Geist der Gemeinschaft und kann nicht einfach hingenommen werden.
({3})
Wer zwar die bestehenden Organisationen verlassen, aber dennoch im Bündnis bleiben und vor allem den Schutz des Bündnisses weiterhin genießen will - wie es die französische Regierung ausdrücklich erklärt -, der muß ein Mindestmaß bundesgenössischen Verhaltens seinen Partnern gegenüber bekunden.
({4})
Deshalb können die Partner gar nicht anders als das tun, was auch der Herr Bundesaußenminister hier angekündigt hat, nämlich von der französischen Regierung Verhandlungen zu fordern im Rahmen der Gemeinschaft nicht nur über die Folgen der angekündigten Maßnahmen, sondern über diese selbst.
({5})
Diese Maßnahmen gehen nämlich die Gemeinschaft als ganzes an und nicht nur die einzelnen Mitgliedstaaten. Daher muß am Tisch der Gemeinschaft verhandelt werden, im NATO-Rat, den Frankreich ja nicht verlassen, sondern im Gegenteil auch künftig in Paris behalten will.
Dies ist ein positiv zu bewertender Anhaltspunkt dafür, daß ein solcher Versuch, die Dinge in der Gemeinschaft zu halten oder sie in sie zurückzuführen, nicht aussichtslos ist, wenn die anderen 14 Partner in dieser Frage zusammenstehen. So war es ja auch möglich, durch die Solidarität der anderen Fünf unseren französischen Partner wieder an den Platz im Rat der europäischen Gemeinschaften zurückzubringen, der allzu lange verwaist war. An einem solchen Verfahren hat auch Frankreich selbst ein eigenes politisches Interesse. Es geht nämlich um seine internationale Glaubwürdigkeit und Vertragsfähigkeit.
Pacta sunt servanda - Verträge müssen eingehalten werden.
({6})
Dieser Grundsatz ist die unentbehrliche Grundlage der Außenpolitik eines angesehenen Staates.
({7})
Wir Deutsche wissen, wie wichtig die Befolgung dieses Grundsatzes für die Wiederherstellung unseres eigenen Ansehens in der Umwelt war, nachdem die vergangene Gewaltherrschaft Verträge als Fetzen Papier behandelt hat. Man kann durch ein solches Verhalten vielleicht kurzfristig Vorteile erzielen, wird aber auf die Dauer selbst Schaden leiden.
Verträge kann man ändern in der in ihnen vorgesehenen Form oder auch im gegenseitigen Einvernehmen. Alle Partner werden sich um ein solches Einvernehmen redlich bemühen müssen, sonst trocknen Verträge aus. Sie dürfen nicht als unerträgliche Fessel empfunden werden. Deshalb ist es eine ständige Aufgabe aller Beteiligten, die zwischen ihnen geltenden Verträge mit Leben zu erfüllen und so jedem Partner als zur Wahrung auch seiner Interessen bestimmt verständlich zu erhalten.
Der Wille zum ernsthaften Gespräch ist eine Sache. Dieser Wille ist bei den Partnern Frankreichs vorhanden. Aber einseitige Maßnahmen ohne Verständigung mit den Partnern sind eine andere Sache. Solche einseitigen französischen Maßnahmen würden, wenn man sie ergriffe, nicht nur gegen den Geist der Gemeinschaft verstoßen, sondern auch formell gegen den Wortlaut geltender Abmachungen. Das Begehren nach neuen Abmachungen ist nicht sinnvoll, wenn man sich nicht darauf verlassen kann, daß sie auch eingehalten werden. Wer alte Vereinbarungen nicht hält, schwächt die Glaubwürdigkeit neuer und schwächt damit nicht nur seinen aktuellen Partnern gegenüber seine Vertragsfähigkeit, sondern auch anderen gegenüber. Daran kann unseren französischen Nachbarn gewiß nichts liegen. Daher wiederhole ich: es ist richtig, wenn die 14 Partner auf Verhandlungen im Rahmen der Gemeinschaft bestehen.
Die Vertragswerke von 1954 und 1955, die Londoner Schlußakte, der Deutschland-Vertrag, der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO und die Umwandlung des Brüsseler Vertrages in die Westeuropäischen Union bilden mit den dazugehörigen Protokollen ein Ganzes. Insbesondere der WEU-Vertrag, der auch die Kontrolle der Rüstungsbeschränkungen und Produktionsverzichte für die Bundesrepublik Deutschland regelt, sichert zum Ausgleich dafür die Organisation der gemeinschaftlichen Verteidigung auf dem europäischen Festland im Verbande der NATO und nicht anderswo. Diese Organisation beruht nicht nur auf in Ergänzung des Atlantikpaktes einstimmig, also mit der Stimme Frankreichs, getroffenen Beschlüssen des NATO-Rates, sondern auch auf den hier genannten ratifizierten multilateralen Verträgen.
Übrigens - das möchte ich hier einflechten -, es hat sich nicht gelohnt; Herr Bundesminister, daß bisher der Rat der Westeuropäischen Union Vertragsverletzungen durchgehen ließ. Ein rechtzeitiges Monitum hätte vielleicht in Paris zu größerer Vorsicht gemahnt. In der Versammlung der Westeuropäischen Union wurde regelmäßig seit einer ganzen Zahl von Jahren ein wichtiger Vertragsverstoß zur Sprache gebracht und der Rat für die Nichterfüllung seiner Pflicht nahezu einmütig gerügt, mit der Zustimmung auch französischer Delegierter, allerdings nicht der Regierungsparteien.
Der Vertrag sieht nämlich vor, daß Staaten, die nicht, wie die Bundesrepublik Deutschland es getan hat, auf die Herstellung von Atomwaffen verzichtet haben, für den Fall der Eigenproduktion solcher Waffen die Höhe der für sie auf dem europäischen Kontinent erlaubten Bestände durch den Rat der
Westeuropäischen Union festsetzen und durch das dafür zuständige Rüstungskontrollamt der Westeuropäischen Union überwachen lassen müssen. Das ist nie geschehen, obwohl die französische Regierung ihrem Parlament gegenüber die operative Verwertbarkeit französischer Kernwaffen mitgeteilt hat. Diese Unterlassung ist um so bedauerlicher, als damit die Glaubwürdigkeit der Einhaltung von Abmachungen zur Rüstungsbegrenzung und -kontrolle auch in einem weiteren Ausmaß nicht gerade gefördert wird. Diese Duldung einer Vertragsverletzung hat die Auslösung einer Krise im Bündnis durch Frankreich nicht verhindert, sondern eher ermuntert. Das sollte sich nicht wiederholen.
Auf diesem Gebiet ist schon vor Jahren ein nach dem WEU-Vertrag möglicher Versuch unterlassen worden, der Ausbreitung von nationaler Verfügungsgewalt über Kernwaffen in den Händen weiterer Staaten, der sogenannten Proliferation, rechtzeitig entgegenzuwirken.
Die Durchführung der jetzt angekündigten französischen Maßnahmen würde die Sicherheit aller Teilnehmerstaaten des Bündnisses, insbesondere aber die der Bundesrepublik Deutschland, in Mitleidenschaft ziehen. Die Verteidigungsfähigkeit würde gemindert, der Verteidigungswille der Gemeinschaft in den Augen eines möglichen Gegners geschwächt, die friedenssichernde Wirkung einer glaubwürdigen Abschreckung beeinträchtigt. Über die verteidigungspolitische und militärtechnische Seite des Problems wird mein Freund Helmut Schmidt nachher noch sprechen.
Die angekündigten Maßnahmen sind aber auch von Nachteil für die Solidarität zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie sind von Nachteil für die Gestaltung der weltpolitischen Beziehungen zwischen West und Ost und damit auch für die Zukunft unseres Landes. Die französische Regierung scheint nicht in vollem Umfange bedacht zu haben, welche Gewichtsverschiebungen innerhalb des Bündnisses und welche dadurch ausgelösten, sicher auch für Frankreich, für uns alle unerwünschten außenpolitischen Folgen durch eine Herausnahme des französischen militärischen Potentials aus der NATO entstehen könnten.
Wir wissen, daß die Lösung der deutschen Frage auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts nur bei einem vernünftigen Ausgleich zwischen West und Ost möglich ist.
Wir haben bedauert, daß sich die französische Politik früher jeder Sondierung in Moskau widersetzte, als sich die Vereinigten Staaten von Amerika um den Abbau von Spannungen bemühten. Wir begrüßen, daß seit einiger Zeit auch Frankreich diese Notwendigkeit betont. Wir meinen, daß es die Kunst deutscher Politik sein muß, sich in diesen weltpolitischen Vorgang einzuschalten, den wir weder verhindern können noch dürfen. Ein solcher Versuch der Verhinderung würde uns schrecklich isolieren und uns keinesfalls nutzen.
Wir bedauern aber, daß keine sorgfältig aufeinander abgestimmte westliche Politik auf diesem Gebiet der Ost-West- Beziehungen vorhanden ist. Dies gibt der Sowjetunion die Möglichkeit, die westlichen Bündnispartner gegeneinander auszuspielen und Gegensätze zu schüren. Das bringt Schaden für alle, insbesondere für Deutschland.
Die deutsche Frage ist nur lösbar, wenn der Weltmacht Sowjetunion ein an Gewicht vergleichbarer Partner gegenübersitzt. Dazu brauchen wir also die engste Solidarität mit der westlichen Weltmacht, den Vereinigten Staaten von Amerika. Dazu brauchen wir aber weiter die Solidarität unserer anderen westlichen Verbündeten, auch des französischen. Nur dann gibt es Raum für jene Leistungen und Gegenleistungen, welche die Substanz der deutschen Frage nicht gefährden.
Die jetzt angekündigte französische Politik kann eine gemeinsame Deutschlandpolitik der westlichen Gemeinschaft in Gefahr bringen. Zu einer gemeinsamen Politik aber haben sich die drei Mächte nicht nur in Erklärungen bekannt, sondern im Deutschlandvertrag auch förmlich verpflichtet. Ihr Ausdruck ist auch die gemeinsam organisierte Anwesenheit ihrer Truppen in der Bundesrepublik Deutschland.
Ein Herausnehmen der französischen Verbände aus der Gemeinschaft würde ein Stück gemeinsamer Deutschlandpolitik zerstören.
({8})
Deshalb sollte auch über die Stellung der französischen Truppen auf deutschem Boden im Bündnis gesprochen werden. Auch dieses Problem geht nicht nur Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland an, zumal eine Rückkehr zu besatzungsrechtlichen Vorstellungen ohnehin nicht in Frage kommt.
({9})
Jetzt gilt jedenfalls das NATO-Truppenstatut für alle Partner und hat auch den früheren Truppenvertrag ersetzt. Die Ausübung der originären Anwesenheitsrechte ist nun einmal vertraglich geregelt.
Schließlich muß Klarheit darüber geschaffen werden, wie Frankreich seine Funktion in Berlin auffaßt. Die westlichen Schutzmächte haben bisher daran festgehalten, daß sie unter dem Dach der Viermächteverantwortung für ganz Berlin eine gemeinsame Schutzfunktion für Westberlin, seine Freiheit, den ungehinderten Zugang dorthin und für seine Verbindungen mit dem größeren Teil des freien Deutschland ausüben. Daran will hoffentlich auch Frankreich nicht rütteln. Berlin ist von seiner Teilung genug geschlagen, als daß sein freier Teil neue Differenzierungen vertrüge.
({10})
Wir alle - das ist schon in den ersten Reden klargeworden - haben keine Illusionen über den Ernst der Krise. Das geflügelte Wort des Altbundeskanzlers von der Lage, die „noch nie so ernst" war, trifft für die Beziehungen innerhalb des Bündnisses leider zu. Daher sollten wir uns darum bemühen, alle Kräfte der 14 Partner Frankreichs zu
einer gemeinsamen Haltung zusammenzuführen. Deshalb sollte auch mit Frankreich in der Gemeinschaft verhandelt und ihm klargemacht werden, daß es an ihm liegt, seine Wünsche und Anregungen auf den Gemeinschaftstisch zu legen.
Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich haben ein besonders enges Verhältnis zueinander geschaffen. Die Aussöhnung der beiden Völker wird vom ganzen Deutschen Bundestag getragen und weiterhin gefördert.
({11})
Den Konsultationsvertrag sollten wir nutzen, um bei unseren französischen Freunden mehr Klarheit über ihre Absichten und über viele Einzelheiten zu gewinnen, aber auch um unseren Einfluß dahin auszuüben, daß die aufgeworfenen Probleme in der ganzen Gemeinschaft erörtert werden. Jedenfalls kann es keine deutsch-französischen Separatverhandlungen in denjenigen Fragen geben, die alle angehen.
({12})
Natürlich gibt es auch zweiseitige Fragen, z. B. die der von Deutschland und Frankreich benutzten Depots und Truppenübungsplätze. Ähnliches gilt für amerikanische Stützpunkte auf französischem Boden, auch wenn diese von erheblicher Bedeutung für die Sicherheit aller sind. Die Vereinbarungen darüber sind zu zweit abgeschlossen. Es ist also legitim, Änderungswünsche zu zweit zu erörtern. Auf diesem Gebiet sind sicher manche Kompromisse möglich.
Aber die wesentlichen Grundlagen der im atlantitischen Bündnis geschaffenen gemeinsamen Verteidigung mit den dazu erforderlichen Einrichtungen müssen bewahrt und funktionsfähig gehalten werden.
({13})
Schließlich müssen wir hier einsehen, daß die Krise im Bündnis ein zusätzlicher Anlaß sein sollte, das von uns seit langem geforderte, von der Regierung angekündigte, aber bisher noch nicht aufgenommene Gespräch über alle derzeitigen Aspekte der Deutschlandfrage aufzunehmen. Worauf wollen wir eigentlich nach der Mauer in Berlin, nach der Kuba-Krise, nach der EWG-Krise und jetzt nach der NATO-Krise noch warten, um dieses Gespräch unter den Verantwortlichen endlich in Gang zu bringen?
Es wäre gut, wenn in dieser Debatte die denkbaren Auswirkungen der NATO-Krise auf die deutsche Frage noch eingehender erörtert würden. Wir sind - vor allem mit dem späteren Beitrag meines Freundes Herbert Wehner - hier und heute dazu bereit.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Kühlmann-Stumm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wir sind dankbar, daß diese Diskussion in
diesem Hohen Hause stattfinden kann, und wir teilen die Sorge der Bundesregierung über die Situation, die die französischen Schritte für uns eingeleitet haben. Wir sollten hier alle Fragen vielseitig beleuchten, und wir sollten auch darauf hinwirken, daß eine möglichst einheitliche Auffassung aller Fraktionen in diesem Hohen Hause zum Ausdruck kommt.
Wir bedauern, daß der Deutsche Bundestag wiederum gehalten ist, sich mit einer Frage zu befassen, in der durch eine französische Initiative die Wirksamkeit einer westlichen Gemeinschaft in Frage gestellt ist. Mit großer Sorge verfolgen wir seit einigen Jahren die Entwicklung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Kaum hat uns der Kompromiß von Luxemburg einen neuen Weg gewiesen, stehen wir vor einer Krise in der NATO. Die wirtschaftliche Einigung Europas - ein Beitritt Großbritanniens scheint wieder im Bereich des Möglichen zu legen -, die militärische Einigung der westlichen Welt sind für uns Voraussetzungen auch für gemeinsames Handeln in der deutschen Frage.
Der Schritt des französischen Staatspräsidenten hat nicht nur Kritik gefunden, sondern zum Teil auch Beifall, in Frankreich von einer Seite, die ihm nicht angenehm sein kann, nämlich von der kommunistischen Partei. In den Vereinigten Staaten klingt aus den Worten des Senators Mansfield eine gewisse Bündnisverdrossenheit, die man mit Sorge beobachten muß. Dagegen ist die eindeutige und konsequente Haltung der amerikanischen Regierung ein Tatbestand, der von der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang gewürdigt und begrüßt werden sollte.
({0})
Auch andere Staaten, andere NATO-Partner haben sich inzwischen positiv geäußert, und wir sollten auch diese Erklärungen begrüßen.
Am Beginn einer Diskussion über die Folgen des Handelns de Gaulles ist es angebracht, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen über das, was nach seiner Auffassung bleiben soll, und über das, was er in Frage zu stellen für richtig erachtet, wobei eine Darlegung seiner Einzelmaßnahmen noch abgewartet werden sollte. Aus allen bisherigen Verlautbarungen geht klar hervor, daß Frankreich den NATO-Vertrag nicht anzutasten beabsichtigt, sondern die militärische Organisation des Bündnisses verändern will. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Dabei bleibt die Frage offen, wie sich Frankreich verhalten wird, wenn einer der NATO-Partner einem Angriff ausgesetzt sein würde. Dies ist nach Meinung meiner Fraktion die entscheidende Frage, die von den NATO-Partnern gemeinsam gestellt werden muß. Auf diesem Hintergrund sollte man sich erinnern, daß in den Krisen um Berlin und Kuba die französische Nation geschlossen zum westlichen Bündnis gestanden hat. Es kann somit vermutet werden, daß auch bei künftigen Konfliktsituationen innerhalb der NATO eine entsprechende Haltung der Regierung Frankreichs zu erwarten ist.
Positiv werten sollte man auch die Tatsache, daß der französische Staatspräsident an den VerpflichFreiherr von Kuhlmann-Stumm
tungen Frankreichs in Berlin in vollem Umfang festhalten wird, so daß es nunmehr darauf ankommt, herauszufinden, welche Stellung die deutschen Truppen und Versorgungseinrichtungen in Frankreich sowie die französischen Truppen auf deutschem Boden erhalten sollen.
So positiv es zu bewerten ist, daß der französische Staatspräsident am NATO-Vertrag festhalten will, so klar muß doch ausgesprochen werden, daß die Beistandsverpflichtung allein noch nicht die Schlagkraft des Bündnisses ausmacht. Die Entscheidung darüber, wie sich die Beistandsverpflichtung im Konfliktsfall vollziehen soll, darf nicht einem Partner allein überlassen werden. Hier finden die zu führenden Verhandlungen ihren Schwerpunkt.
Die NATO ist - das kann nach 17jähriger Gültigkeit des Vertrages gesagt werden - in dieser Form ein Erfolg gewesen. 17 Jahre Frieden in dieser Zeit sind ein Wert an sich. Es besteht kein Zweifel, daß es auch in der Zukunft für die NATO darauf ankommt, den Frieden zu erhalten.
Wir stimmen der Bundesregierung zu, wenn sie wie die anderen Partner nur in der Gemeinschaft über das Schicksal der NATO mit Frankreich verhandeln will. Das wird, richtig verstanden, Konsultationen mit Frankreich nicht ausschließen. Wir sollten diesen letzteren Weg nach sorgfältiger Abstimmung mit unseren Verbündeten auch beschreiten.
Die Bundesrepublik hat bis jetzt ihren Platz an der Seite der kleineren europäischen Staaten gehabt. Ein Ausscheiden Frankreichs aus der Integration sollte hier keine Veränderung bringen.
Im übrigen möchte ich das bestätigen, was schon einige Herren vor mir hier gesagt haben. Wir wollen in aller Bescheidenheit unsere Verpflichtung im NATO-Bündnis weiter erfüllen. Wir weisen die Stimmen zurück, die darauf hinweisen, daß wir nach dem Ausscheiden Frankreichs aus dem Bündnis eine Sonderrolle zu spielen beabsichtigten.
({1})
Wir haben nicht diese Absicht, und wir werden weiter alles unternehmen, um im Rahmen dieses Bündnisses gemeinschaftlich mit den anderen Partnern unsere Pflicht zu erfüllen und unseren Beitrag zu leisten. Alle anderen Unterstellungen müssen hier von uns in aller Form zurückgewiesen werden.
Die Bundesrepublik Deutschland, die nicht über ausreichendes Hinterland und nicht über ausreichende Übungsplätze verfügt, hat in der Vergangenheit die Verträge mit Frankreich über Übungsmöglichkeiten und über die Anlage von Depots auf französischem Boden abgeschlossen. Wir haben ein Interesse daran, daß sich daran nichts ändert. Am schwierigsten lösbar scheint uns die Frage der Anwesenheit von französischen Truppen auf deutschem Boden zu sein. Die Lage wird kompliziert durch den Umstand, daß deutsche Truppen in Deutschland auch jetzt unter französischem Befehl stehen, allerdings mit der Maßgabe, daß der französische Befehlshaber dem Befehlssystem der NATO eingegliedert ist. Das Ende dieser Eingliederung muß auch das Ende der Unterstellung deutscher Truppen unter diesen Oberbefehl sein. Es geht nicht an, daß französische Truppen in Deutschland in Zukunft einseitig französischem Oberkommando unterstellt sind. Wir sollten auch die Lösung dieser Frage von der Gemeinschaft der Vierzehn her anstreben.
Die Frage der Vorwärtsverteidigung wird von dem französischen Schritt nicht unbeeinflußt bleiben. Das ergibt sich aus der geographischen Lage Deutschlands und aus der Stationierung der französischen Truppen auf deutschem Boden. Ein weiteres Problem ist der Standort der Hauptquartiere der NATO, wobei wir hoffen, daß die Nennung von Heidelberg und Frankfurt nur Spekulation und nicht mehr ist. Hauptquartiere nahe der Front sind weder vorstellbar noch zweckmäßig.
Zu den Fragen des Bündnisses, die in Bewegung geraten sind, gehört auch die Frage der atomaren Mitwirkung der Partner. Die Vorschläge des amerikanischen Verteidigungsministers über die Bildung spezieller Arbeitsgruppen beurteilen wir nach wie vor positiv.
Mit Recht wird die Frage nach dem künftigen Schicksal der Infrastruktureinrichtungen in Frankreich gestellt. Frankreich hat damit ohne Zweifel auch eine Verbesserung seiner eigenen militärischen und nichtmilitärischen Infrastruktur erhalten, während seine Partner nunmehr Einrichtungen dieser Art an anderer Stelle errichten müssen. Dieses Mißverhältnis von Geben und Nehmen muß auch finanziell gelöst werden. Wir können uns nicht vorstellen, daß die französische Regierung keine Anschauungen über die Abgeltung dieser Forderungen hat. Hier dürfen die übrigen Vierzehn Erklärungen erwarten.
Die französische Aktion hat eine veränderte Lage im Bündnis geschaffen. Man wird über das Bündnis sprechen müssen. Man wird dabei auch über die deutsche Frage zu sprechen haben. Hier Vorstellungen zu entwickeln ist unsere Aufgabe. Wir müssen sie rechtzeitig entwickeln. Ich bin deshalb dankbar, daß der Herr Bundeskanzler in Kürze mit den Fraktionsvorsitzenden das Thema Deutschlandpolitik vertraulich erörtern wird. Der deutsche Vorstoß wird um so wirksamer werden, je mehr er von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses getragen werden kann.
Die FDP bekennt sich auch bei dieser Gelegenheit zu der Forderung an die Bundesregierung, für die Politik, die die Lebensfragen unseres Volkes betrifft, nach Möglichkeit die Unterstützung der Opposition zu gewinnen. Die Bundesregierung muß in die künftigen Verhandlungen im Rahmen der NATO mit klaren Vorstellungen gehen. Die heutigen Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers haben hier einen Rahmen gesetzt, ,dem wir in vollem Umfang beitreten können.
Wir sollten unter allen Umständen an der NATO und insbesondere an der Integration trotz des französischen Schrittes unverändert festhalten.
({2})
Je enger die vierzehn Mitgliedstaaten zusammenstehen, desto wahrscheinlicher ist es, daß Frankreich seine schwerwiegenden Beschlüsse zumindest in
Teilbereichen einer Überprüfung unterziehen wird. Es ist von. entscheidender Bedeutung, daß amerikanische, kanadische und englische Truppen auch weiterhin im Rahmen der NATO auf dem europäischen Kontinent verbleiben. Das Bündnis und seine Abwehrkraft würden ohne diese Einheiten erheblich an Wirkung verlieren. Auf der anderen Seite sollten wir erkennen, daß eine erfolgversprechende Verteidigung Westeuropas und insbesondere der Bundesrepublik Deutschland ohne das Hinterland Frankreich schwer möglich erscheint. Deshalb ist es notwendig, daß die verbleibenden 14 NATO-Partner geschlossen, behutsam und zielbewußt handeln, ohne Frankreich unnötig vor den Kopf zu stoßen.
Die Tür zu Verhandlungen mit Frankreich muß offengehalten werden. Es wäre - das soll hier abschließend noch einmal ganz klar herausgestellt werden - untragbar, wenn für die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der NATO ein Sonderstatus geschaffen werden sollte. Dies müssen wir in aller Form ablehnen.
({3})
Wir glauben, daß die Bundesregierung einen Rahmen gesetzt hat. Wir glauben, daß wir diesen Rahmen akzeptieren können. Die freie demokratische Bundestagsfraktion wird bei den weiteren Beratungen konstruktiv mitarbeiten.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zimmermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ganze Hohe Haus ist sich offensichtlich einig, daß die französischen Ankündigungen die NATO insgesamt und die Bundesrepublik politisch wie militärisch vor eine ernste und kritische Lage stellen. Trotzdem muß unsere erste Erkenntnis sein, daß wir die Situation nicht dramatisieren dürfen. Es ist bereits bei vielen Beteiligten eine erheblich kühlere Betrachtung der Dinge gegenüber der ersten Reaktion erkennbar. Im Rahmen der NATO-Partner ist sogar mancherlei Zustimmung zu verschiedenen Aspekten der französischen Vorschläge laut geworden.
Diese Vorschläge kommen bekanntlich nicht aus heiterem Himmel. Die Grundzüge der französischen Wünsche sind vielmehr seit langem bekannt.
Die bisherige deutsche Haltung, daß man nämlich selbst keinen Anlaß zur Aufnahme einer Reformdiskussion über die NATO habe, ist nun von Frankreich mit der Ankündigung einseitiger Aktionen beantwortet worden. Es ist daher heute müßig, danach zu fragen, ob frühere Gespräche vielleicht bessere Ergebnisse gebracht hätten als die jetzt von Frankreich erzwungenen Verhandlungen. Die Haltung General de Gaulles gegenüber dem atlantischen Bündnis ist seit langem bekannt. Es besteht daher kein Grund zur Bestürzung über die in der vergangenen Woche bekanntgewordenen Beschlüsse der französischen Regierung. Ich glaube, es trägt nicht zur Beruhigung und Klärung der Lage bei, wenn man gegenüber der Presse Erklärungen abgibt mit dem Wortlaut wie: „Eine NATO ohne Frankreich ist besser als gar keine NATO." Das mag sachlich, für sich betrachtet, richtig sein. Glücklich ist die Erklärung nicht.
Bereits in seiner Pressekonferenz vom Juli 1964 hat de Gaulle erklärt:
Natürlich braucht Europa weiter ein Bündnis mit Amerika; denn in bezug auf den Nordatlantik haben daran beide ein Interesse, solange die sowjetische Bedrohung andauert. Aber für Europa entfallen einer nach dem anderen die Gründe, die dieses Bündnis zu einer Unterordnung werden ließen. Europa muß seinen Teil der Verantwortung tragen.
Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Herr Kollege, könnten Sie so liebenswürdig sein, dem Hause in Erinnerung zu rufen, wer es denn gewesen ist, der den von Ihnen beanstandeten Satz sprach, eine NATO ohne Frankreich sei besser als gar keine?
Herr Kollege Schmidt, ich schätze Ihr Gedächtnis viel zu hoch ein, als daß ich Ihre Frage beantworten müßte.
({0})
Die französische Regierung hat nunmehr ihre Beschlüsse über die NATO in zwei Stufen bekanntgegeben. Die zweite Stufe, das französische Memorandum, das auf die persönlichen Schreiben des Staatspräsidenten folgte, sagt, daß sich die Natur der Drohungen geändert habe, die aus dem Osten für Europa bestünden. Fraglos gibt es über die Absichten der Sowjetunion seit einiger Zeit verschiedene Meinungen. Auch andere im Westen glauben, daß die aggressiven Absichten Moskaus der Vergangenheit angehören. Hier besteht eine keineswegs nur französische permanente Quelle der Gefahr für die Zusammenarbeit in der NATO.
In unseren Augen besteht die Bedrohung durch die Sowjetunion weiter. Deshalb ist die atlantische Allianz für die Bundesrepublik weiter lebensnotwendig. Darüber gibt es keinen Zweifel. Insbesondere zeigt doch die sowjetische Deutschlandpolitik das Fortbestehen von Moskaus bedrohlichen Absichten deutlich. Im übrigen müssen sich die westlichen Verteidigungsanstrengungen an der objektiven Stärke des potentiellen Gegners, nicht aber an subjektiven Auffassungen über dessen gegenwärtige Absichten orientieren.
In dem Memorandum unterstreicht die französische Regierung weiter, daß sie seit Jahren bei zahlreichen Gelegenheiten sowohl öffentlich als auch in Unterredungen mit den verbündeten Regierungen ihre Auffassung dargelegt habe, daß die Organisation des Atlantikpaktes den heutigen Verhältnissen in der Welt nicht mehr entspreche, die
von den Verhältnissen des Jahres 1949 und der darauf folgenden Jahre grundlegend verschieden seien. Die französische Regierung betont, daß sie diese Entwicklung keineswegs veranlasse, den am 4. April 1949 in Washington unterzeichneten Vertrag in Frage zu stellen. Das heißt, die französische Regierung gedenkt nicht, sich auf Art. 13 des Vertrages zu berufen, und vertritt die Ansicht, daß das Bündnis so lange bestehen bleiben soll, wie dies erforderlich erscheint. Sie fährt aber fort, daß sich das Problem der Organisation des Bündnisses stelle, d. h. der Revision aller Abkommen, Vereinbarungen und Beschlüsse, die nach der Unterzeichnung des Vertrages in multilateraler oder bilateraler Form hinzugekommen sind.
Die französische Regierung erinnert daran, daß sie bereits in den vergangenen Jahren in bezug auf ihre der NATO unterstellten Seestreitkräfte im Mittelmeer und im Atlantik Maßnahmen in diesem Sinne getroffen habe. Nun gehe es um die Land-und Luftstreitkräfte, die in Deutschland stationiert und dem NATO-Kommando in Europa unterstellt seien. Endlich kündigt die französische Regierung an, daß Frankreich sich aus den beiden integrierten Kommandos, denen diese Streitkräfte unterstellt seien und an denen Frankreich im. Rahmen der NATO beteiligt sei, zurückziehen werde. Sie betont ausdrücklich, daß sie bereit sei, die Probleme, die durch diese Schritte aufgeworfen würden, mit ihren Verbündeten zu erörtern.
Abgesehen von diesen, die Organisation des atlantischen Bündnisses betreffenden Fragen stellen sich jedoch zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich rein bilaterale Probleme. So bestehen bilaterale Abkommen zwischen den USA und Frankreich über Lager in Déols-La Martinerie, über Flugplätze und Anlagen, die den amerikanischen Streitkräften zur Verfügung gestellt wurden, über das amerikanische Hauptquartier in Saint-Germain und über eine amerikanische Ölleitung. Die französische Regierung hat sich bereit erklärt, die sich hieraus ergebenden Fragen in Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung zu prüfen. Sie hat sich ebenfalls bereit erklärt, mit der deutschen Regierung die sich im Verhältnis zwischen den beiden Staaten ergebenden bilateralen Probleme in Verhandlungen zu erörtern.
Die gaullistische Zeitung „La Nation" hat in der vergangenen Woche zu den von de Gaulle angekündigten Maßnahmen zur Änderung der Organisation der atlantischen Allianz geschrieben:
Worum geht es? Im ganzen gesehen darum, denselben Status wie Großbritannien zu bekommen.
Nun, das stimmt nicht ganz. Andererseits wäre es durchaus verständlich, wenn die Vereinigten Staaten, die in Frankreich etwa 26 000 Mann stationiert haben und 40 Materialdepots und über ein Dutzend Flugplätze unterhalten, Verhandlungen führen würden mit dem Ziel, die Bedürfnisse Frankreichs in bezug auf die Wahrung seiner Hoheitsrechte zu befriedigen. Die Vereinbarungen der USA mit anderen Regierungen, wie z. B. mit Großbritannien und
Spanien, über den Status ihrer militärischen Installationen kommen den Wünschen dieser Partner weiter entgegen als die bisherigen amerikanisch-französischen Abmachungen. Über den Stützpunkten der Vereinigten Staaten in Spanien weht die spanische Flagge, und auf den Basen der Vereinigten Staaten in Großbritannien sind englische Offiziere an der Kontrolle aller militärischen Vorgänge beteiligt. Gegenwärtig bestehen zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten drei nicht geheime Abkommen über den Status amerikanischer Streitkräfte in Frankreich und fünf teilweise geheime Abkommen über die Luftstützpunkte, die Materiallager, die Erdölleitung vom Atlantik nach Huttenheim und über das amerikanische Oberkommando in Europa. Den Rahmen für diese Abmachungen bildet das Bidault-Dillon-Geheimabkommen von 1954.
Die Vereinigten Staaten müssen jedoch nicht nur wegen der Infrastruktur eine Regelung mit Frankreich finden. Sie sind hierzu auch deswegen gehalten, weil die wachsende französische Atomstreitmacht nicht mehr ignoriert werden kann. Gegenwärtig werden in Südfrankreich Stützpunkte für strategische Atomraketen errichtet. Dem Vernehmen nach sollen 25 unverwundbare Raketensilos gebaut werden, die in wenigen Jahren einsatzbereit sein sollen. Bereits im vergangenen Monat fand der erste Versuch einer französischen Mittelstreckenrakete im Atlantik statt. Damit wird die zweite Generation der französischen Kernwaffen heranwachsen. Auch die dritte Generation wird um 1970 einsatzfähig werden: atomgetriebene Unterseeboote mit jeweils 16 der Polarisrakete entsprechenden Ge schossen. Der Bau des ersten Unterseebootes ist bereits abgeschlossen. Die ersten Versuchsabschüsse vom getauchten Boot sollen Ende dieses Jahres stattfinden. Eine französisch-amerikanische Kooperation auf nuklearem Gebiet, die zumindest in ,gewissen Absprachen bestehen wird und die sich bereits Ende 1964 angebahnt hat, wird daher unvermeidlich sein. Außerdem ist Frankreich geographisch das einzige Verbindungsstück im nordatlantischen Bündnis zwischen dem mittleren und südlichen Abschnitt der europäischen Verteidigung. Wenn Frankreich völlig ausfallen sollte, würde dies bedeuten, daß NATO-Transporte etwa von Triest nach Berchtesgaden durch die Straße von Gibraltar geleitet werden müßten. Frankreich bildet daher - was jedermann weiß - schon aus geographischen Gründen das Herzstück und den Kern der europäischen Verteidigung.
Für die gaullistische Politik ist auch das jetzige Vorgehen typisch: Das Memorandum stellt Maximalforderungen auf. Aber in einer manchmal etwas orakelhaften Redeweise bleiben, so meine ich, doch viele Tore offen. Der Spielraum für Verhandlungen ist nicht unerheblich. Das Memorandum muß sicherlich auch als der Aufbau einer Verhandlungsposition für Frankreich angesehen werden. Das Beispiel der EWG-Krise zeigt - es ist schon einmal gesagt worden -, daß nicht immer alles was Paris ankündigt, so heiß gegessen werden muß, wie es gekocht worden -, daß nicht immer alles, was Paris ankünkäme die NATO, wenn jeder der Fünfzehn so han1450
dein wollte? Allerdings muß auch zugegeben werden, daß es unter den NATO-Partnern einige Beispiele für nicht-französische Vorläufer eines eigenwilligen und mit den Partnern nicht konsultierten Vorgehens gibt.
Aber, meine verehrten Damen und Herren, nicht alles an den französischen Vorschlägen ist „gaullistisch". Vieles daran ist französisch. So insbesondere die Erkenntnis, daß nicht alle amerikanischen Interessen mit europäischen Interessen identisch sind. Diese Erkenntnis findet sich bei beinahe allen französischen demokratischen Politikern wie auch bei anderen NATO-Partnern in Europa. Auch de Gaulles Folgerung aus der Erkenntnis, daß ein einiges und starkes Europa innerhalb der atlantischen Allianz geschaffen werden müsse, wird von vielen Europäern geteilt. Insbesondere haben Lecanuet und Mitterand dies erst vor kurzem wieder stark betont. Hier liegt jedoch nach meiner Meinung der innere Widerspruch der gaullistischen Politik. Prinzipielle Abneigung gegen die Integration oder, positiv gesagt, das prinzipielle Beharren auf absoluter und uneingeschränkter nationaler Souveränität stehen auf vielen Gebieten dem Fortgang der .europäischen Einigung entgegen.
Es wäre jedoch zu einseitig, wollte man lediglich Frankreich vorwerfen, daß es nationalen Interessen den Vorrang vor multilateralen Interessen gegeben habe. Derartige Beispiele gibt es auch bei anderen NATO-Partnern.
Es muß zugegeben werden, daß manche Fragen der europäischen Zusammenarbeit sehr behutsam angepackt werden müssen und auf dem Wege über Konsultation und Kooperation zunächst nur einer Konföderation unterstellt werden können. Für solche Fragen gilt das Stichwort der „pragmatischen Zusammenarbeit", die nach französischen Vorstellungen die Integration in der NATO ersetzen soll. Aber innerhalb dieser pragmatischen Zusammenarbeit müßte es doch Raum für die Erkenntnis geben, daß eine schlagkräftige Verteidigung Europas gegen einen Angriff aus dem Osten bestimmte Formen der Integration auf militärischem Gebiet zwingend nötig macht.
Für die Bundesrepublik gilt auch in der gegenwärtigen Situation der Satz, daß Frankreich ein unverzichtbarer Partner bleibt. Auf keinen Fall darf Frankreichs Schritt jetzt mit einer deutschen Politik beantwortet werden, die sich praktisch von Frankreich abwenden und sich fortan einseitig auf den atlantischen Partner stützen wollte. Deshalb ist der deutsch-französische Vertrag als Instrument zu einer weiteren politischen Zusammenarbeit der europäischen Staaten heute genauso nötig und aktuell wie an dem Tage, an dem er abgeschlossen wurde.
Für uns Deutsche gibt es noch zwingendere Gründe als für die Vereinigten Staaten, für eine Regelung der anstehenden Fragen mit Frankreich zu sorgen. Eine Verteidigung Deutschlands ohne das französische Hinterland ist nicht möglich, und eine Verteidigung Frankreichs ohne Deutschland - General Beaufre sagte einmal: „die vorgeschobene Stellung Frankreichs gegenüber dem Osten" - ist
für Frankreich ebensowenig denkbar. Es besteht daher für alle Zeiten schon aus rein geographischen Gründen eine unauflösbare deutsch-französische Interessengemeinschaft. Die uns gestellte Aufgabe lautet daher nicht etwa, eine Wahl zwischen Amerika und Frankreich zu treffen, sondern unsere Sicherheitspolitik mit Frankreich abzustimmen, ohne unser Einvernehmen mit den Vereinigten Staaten zu beeinträchtigen.
Die Bundesregierung wird daher im Ernstfalle auch nicht in der Lage sein, sich etwa auf einen allgemeinen NATO-Standpunkt, der allen Partnern Frankreichs im atlantischen Bündnis gemeinsam sein könnte, zurückzuziehen, da durch die geographische Anrainerlage Deutschlands und Frankreichs für uns eben andere Probleme gegeben sind, als sie etwa für Norwegen, die Türkei, Italien, Portugal oder Island bestehen. Die Bundesregierung wird daher so bald wie möglich im Interesse unser aller Sicherheit in Verhandlungen mit Frankreich eintreten müssen, und sie wird hierbei auch den Standpunkt wahren müssen, daß eine Integration, die sich etwa nur auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkt, die also praktisch einer Fortsetzung des Besatzungsregimes gleichkäme, für Deutschland unannehmbar ist.
Anfang dieses Monats hat der Kollege Helmut Schmidt in Düsseldorf vor der Steuben-Schurz-Gesellschaft über die Probleme der NATO-Reform gesprochen. Wenn ich recht informiert bin, hat er dabei erklärt, die Bundesrepublik solle den NATO-Reformplänen durch eine immer engere politische, wirtschaftliche und rüstungstechnische Zusammenarbeit mit Paris entgegenwirken. Er hat, wenn ich richtig informiert bin, erklärt, wir brauchten eine „enge Verzahnung mit den Franzosen bis zur Untrennbarkeit". Diesen Ausführungen von Herrn Kollegen Schmidt kann ich nur beipflichten.
Die sich für Deutschland und Europa ergebenden Probleme können nur mit einer engen politischen europäischen Zusammenarbeit gemeistert werden. Zusammenarbeit bedeutet hier nicht Konsultationen, sondern bedeutet auch gemeinsame Sicherheitspolitik. Ich bedaure daher ganz besonders, daß sich Premierminister Wilson vor wenigen Tagen in Edinburgh erneut gegen den Anschluß Großbritanniens an ein westeuropäisches Verteidigungsbündnis ausgesprochen hat. Der britische Premierminister begründete die Ablehnung einer europäischen Atommacht u. a. damit, daß sich Großbritannien hierdurch allen Einflusses außerhalb Europas begeben würde.
Ich bedaure diese Äußerung genauso wie die von Verteidigungsminister Denis Healey vorigen Monat in Australien, der sagte, England sei nicht bereit, nach Europa hineinzuschrumpfen. Man kann nur hoffen, daß sich die britische Meinung in Zukunft ändern wird. Ich glaube aber nicht, daß Europa bis dahin warten kann, um die Fragen seiner Sicherheit den notwendigen neuen Gegebenheiten anzupassen.
Wenn der französische Staatspräsident eine Integration im Rahmen der NATO in ihrer gegenwärtigen Form für gleichbedeutend mit einer Unterordnung Europas unter Amerika erachtet, so sollte
unser Ziel einer reformierten atlantischen Allianz eine europäische Integration sein, damit dieser integrierte europäische Partner auf der Grundlage der Gleichberechtigung eine Partnerschaft mit Amerika begründen kann, wie Präsident Kennedy dies in seiner Rede in der Paulskirche gefordert hat.
Ich glaube, wir sollten in den notwendigen bevorstehenden Verhandlungen mit Frankreich den französischen Staatspräsidenten an das Wort erinnern, das vorhin Herr Kollege Barzel zitiert hat.
Neben der notwendigen und im Rahmen der NATO durchzuführenden Regelung und Lösung der aufgeworfenen militärtechnischen Probleme sollte aber auch das Gespräch mit Frankreich über militärische Fragen beginnen, sollte das im deutschfranzösischen Vertrag vorgesehene gemischte Gremium für strategische Fragen gebildet werden. Dieses Gremium könnte dazu dienen, einige Fragen im. deutschfranzösischen Gespräch zu erörtern, Fragen z. B. wie die folgenden: Was hat de Gaulle mit seinem Vorschlag der „Organisation einer europäischen Verteidigung" in seiner Straßburger Rede konkret im Sinn gehabt? Wieviel Integration wäre Frankreich bereit einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft zuzugestehen? Welche Stellung hätten die Truppen der Vereinigten Staaten in Europa gegenüber einer derartigen europäischen Verteidigungsgemeinschaft? Welche Mitspracheregelung wäre Frankreich bereit, seinen europäischen Partnern hinsichtlich der französischen Force de frappe einzuräumen?
Ich glaube, es liegt im deutschen Interesse, daß
diese Fragen in deutsch-französischen Konsultationen, wie sie der Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit vom 22. Januar 1963 zwingend vorschreibt, so bald als möglich geklärt werden. Das wäre ein praktischer Ansatzpunkt für eine Politik, die sich nicht in Bedauern erschöpfen darf, sondern nach vorne sieht und damit auch Frankreich auf die Probe stellt.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Majonica.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU betrachtet die aktuell gewordene NATO-Krise einzig und allein unter dem Gesichtspunkt der deutschen, europäischen und atlantischen Sicherheit. Ich meine, wir sind hier nicht zusammengekommen, um jemanden zu verurteilen, sondern um die entstandene Situation nüchtern und klar zu beurteilen. Ich meine deshalb auch, Herr Kollege Erler, daß ich eine gewisse Kritik an Ihren Ausführungen zu üben habe. Ich glaube, wenn sich die Bundesregierung so verhalten hätte, wie Sie es vorgeschlagen haben, dann wäre das Problem NATO-Frankreich zu einem Problem Deutschland-Frankreich geworden, und ich meine, daß wir kein Interessse daran haben, die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich in dieser Frage zu belasten.
({0})
Ich muß Ihnen auch sagen, Herr Kollege Erler, daß
ich es nicht für sehr gut gehalten habe, daß Sie die
eindeutige Haltung Frankreichs in der Berlin-Frage hier in Frage gestellt haben.
({1})
Ich meine, wir haben ein gemeinsames Interesse daran, daß die Haltung aller drei westlichen Alliierten in der Berlin-Frage eindeutig ist und von uns nicht in Zweifel gezogen wird. Die bisherige Debatte hat wohl Übereinstimmung darin ergeben, daß unsere Sicherheitspolitik - ich habe ja gesagt, daß wir die entstandene Lage einzig und allein unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit zu prüfen haben - nicht davon ausgehen kann, wie die gegenwärtige Absicht der Sowjetunion ist. Die mag man beurteilen, wie man will. Absichten wechseln, die Macht bleibt.
Wir haben deshalb die Aufgabe, an dieser östlichen Macht die Sicherheitspolitik des Westens zu prüfen. Es darf keinem Zweifel unterliegen - mein Freund Dr. Barzel hat das eben schon betont -, daß die Abwehrbereitschaft des Westens ursächlich für die Aufrechterhaltung des Friedens hier in Europa ist. Wird diese Abwehrbereitschaft geschwächt, wächst die Gefahr und wächst die Versuchung für die sowjetischen Führer. Meine Damen und Herren, ich halte es auch für trügerisch anzunehmen, daß eine Lockerung des westlichen Bündnisses, daß eine Lockerung der westlichen Einheit Parallelerscheinungen auf östlicher Seite nach sich ziehen würde. Die schon vollzogenen Lockerungen innerhalb des westlichen Bündnisses haben keine entsprechenden Vorgänge auf östlicher Seite ausgelöst. Der Warschauer Pakt wurde verstärkt, und die einzelnen Armeen wurden modernisiert. Deshalb müssen wir gegenüber dieser östlichen Militärmacht unsere Abwehrbereitschaft aufrechterhalten.
Nun liegt ganz ohne Zweifel - auch das dürfte bisher in der Debatte unbestritten sein - die Stärke der NATO in ihrer Organisationsform. Die gegenwärtige Struktur des Bündnisses und die Verzahnung der in Mitteleuropa eingesetzten Verbände gewährleistet eine gewisse Automatik der Verteidigung. Nur die Integration erlaubt die ständige Vorbereitung auf den Ernstfall, um ihn dadurch zu verhindern.
Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann halte ich es für falsch, den Vorstoß des französischen Staatspräsidenten zu bagatellisieren. Er berührt die Funktionsfähigkeit der NATO, und er erhält sein besonderes Gewicht durch die geographische Position, die Frankreich innerhalb des westlichen Bündnisses einnimmt. Ich meine, daß unsere Anstrengungen vornehmlich darauf gerichtet sein müssen, den Schaden für die westliche Sicherheit durch diesen Vorstoß so gering zu halten wie nur eben möglich.
Das bedeutet meines Erachtens zunächst, daß die integrationsfreudigen Partner in der NATO - das sind die 14 anderen Staaten außer Frankreich - mit allen Mitteln an der gegenwärtigen Struktur der NATO festhalten. Frankreich hat seine Vorstellungen hinsichtlich des Strukturproblems in der NATO auf den Tisch gelegt. Sie werden sicherlich noch präzisiert werden müssen. Nun ist es an den anderen Vierzehn - ich bin dankbar, daß der Außen1452
minister uns heute erklärt hat, daß das bereits geschieht -, von sich aus ihre Vorstellung zu erarbeiten und ihren einheitlichen Standpunkt auf den Tisch legen, um dann, wenn das geschehen ist, in Verhandlungen mit Paris einzutreten. Die Verhandlungen mit Frankreich werden sicherlich schwierig sein. Aber ich bin nicht der Meinung, daß sie aussichtslos sind. Ja, ich bin für diese Verhandlungen, die in der Zukunft mit Frankreich zu erfolgen haben, relativ optimistisch.
Frankreich hat unter erheblichen Kosten eine eigene Atommacht erstellt. Sie ist aber doch wohl nur dann wirksam, wenn es ein übernationales Warnsystem gibt. Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß bisher in allen französischen Dokumenten die Debatte über das gemeinsame Warnsystem der NATO ausgeklammert worden ist, daß das Warnsystem der NATO von Frankreich nicht zur Debatte gestellt wird. Ich meine, daß es hier Wünsche Frankreichs an die NATO gibt, sogar auf einem Gebiet der Integration, und daß die Erfüllung dieser Wünsche für Frankreich von vitaler Bedeutung ist.
Die NATO hat Wünsche an Frankreich hinsichtlich der Verbindungslinien auf französischem Territorium. Ich meine, da dürfte es nicht zu schwer sein, im Wege des Nehmens und Gebens diese Fragen auszuhandeln und zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen, wobei meines Erachtens für diese Verhandlungen nicht das nationale Prestige auf der einen oder anderen Seite entscheidend sein sollte, sondern einzig und allein die militärische Notwendigkeit. Mir scheint aber auch, daß Paris aus politischen Gründen an diesen Verhandlungen mit seinen 14 NATO-Partnern interessiert ist.
Der französische Staatspräsident fährt am 20. Juni nach Moskau. Fährt er nach Moskau in einer deutlichen Isolierung innerhalb des westlichen Bündnissystems, hat er seine eigene Position in Moskau geschwächt. Wird er zu einer Übereinkunft mit seinen Partnern kommen, wird er seine Position auch in Moskau stärken. Denn ich glaube, für die schon erfolgte Dokumentation nationaler Unabhängigkeit, wie sie durch de Gaulle vorgenommen worden ist, wird Moskau eine Honorierung sicherlich nicht aussprechen.
Nun ist bei den Gesprächen, die wir im Rahmen des deutsch-französischen Vertrages zu führen haben, auch die europäische Lösung angesprochen worden. Sicherlich sollten wir diese europäische Lösung nicht verbauen. Wir sollten uns aber darüber im klaren sein, daß die Frage Europa im Zusammenhang mit der Verteidigung ein sehr langfristiges Problem ist, ein Problem, dessen Lösung uns heute und hier aus den Schwierigkeiten, in die wir hineingeraten sind, nicht herausbringen würde. Ich nehme an, daß es gut ist, bei den Gesprächen mit unseren französischen Freunden das europäische Sicherheitsproblem unmittelbar anzusprechen und die Möglichkeit einer europäischen Lösung offenzuhalten. Wir müssen uns aber auch darüber im klaren sein, daß eine solche Lösung - das ist auch von allen meinen Vorrednern hier betont worden - nicht im Sinne einer Loslösung von den Vereinigten Staaten verstanden werden kann, sondern im Sinne eines größeren Gewichtes Europas innerhalb der westlichen Allianz.
Das gilt vor allen Dingen für die nuklearen Probleme. Um eine nukleare europäische Lösung oder auch eine multilaterale Lösung in der Zukunft möglich zu lassen, scheint mir als erster Schritt notwendig zu sein, daß wir in Verbindung mit unseren Verbündeten dafür sorgen, daß in Genf keine Vereinbarungen zustande kommen, die derartige Lösungen in der Zukunft unmöglich machen. Ein Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, der eine multilaterale oder eine europäische Lösung in der Zukunft unmöglich machen würde, ist für die Bundesrepublik einfach unannehmbar.
Ich darf aber noch einmal sagen: Diese europäischen Lösungen führen uns nicht aus der gegenwärtigen Schwierigkeit heraus. Sie muß heute überwunden werden, denn es geht um unsere Sicherheit heute und morgen. Ich glaube, daß die bisherigen Diskussionsbeiträge hier einen ganz klaren und eindeutigen deutschen Standpunkt herausgearbeitet haben. Unverzichtbar ist für die Bundesrepublik die gegenwärtige Struktur der NATO. Unannehmbar ist die Beschränkung einer Integration nur auf deutschem Boden. Mit allen Mitteln anzustreben ist ein möglichst enges Verhältnis Frankreichs zur Struktur der NATO. Unverzichtbar ist das Vorhandensein der verbündeten Streitkräfte am Eisernen Vorhang, unverzichtbar aber vor allem die amerikanische Präsenz in Europa.
Es ist im Zusammenhang mit dem französischen Schritt so oft über den Vietnam-Konflikt gesprochen worden. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß dieser Vietnam-Konflikt mit einiger Sicherheit nach Europa überschlagen würde, wenn es keine amerikanische Präsenz in Europa gäbe oder wenn diese amerikanische Präsenz erheblich vermindert würde. Nur das Vorhandensein der Vereinigten Staaten erzwingt den Respekt der Sowjets vor der Integrität des Gebiets des freien Europas. Wie aber, meine Damen und Herren, sollte es eine Politik der Wiedervereinigung geben, wenn selbst der freie Teil Deutschlands ungesichert wäre?
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme in einem Punkt der Beurteilung zu, die der Abgeordnete Majonica soeben für den bisherigen Teil der Debatte abgegeben hat, daß nämlich alle Seiten des Hauses offensichtlich mit ernster Sorge erfüllt sind. Ich kann Ihnen, Herr Majonica, dagegen nicht zustimmen, wenn Sie sagen, wir hätten diese Lage einzig und allein unter dem Aspekt unserer Sicherheitserfordernisse zu betrachten. Das können wir, glaube ich, nicht tun.
({0})
Das können wir wirklich nicht. Da gibt es eine
große Zahl politischer Aspekte. Herr Barzel hat z. B.
von einigen gesprochen. Der Herr Außenminister
Schmidt ({1})
war in ihrer Andeutung sehr vorsichtig. Herr Erler hat es etwas deutlicher gemacht. Ich glaube, es muß im Laufe der Debatte noch deutlich werden, daß hier noch etwas anderes befürchtet werden muß: nämlich eine Veränderung der Basis, auf der bisher eine Reihe unserer außenpolitischen Positionen beruht. Das muß auch befürchtet werden. Wir wollen es uns nicht leichter machen, als es ist. Aber Sie haben sicherlich recht, daß der Aspekt unserer und der gemeinsamen Sicherheitserfordernisse genauso im Vordergrund unserer Betrachtung stehen muß.
Lassen Sie mich zu diesem Sicherheitsaspekt einiges sagen. Ihr Vorredner, Herr Zimmermann - hier haben ja am laufenden Band Redner der CDU/CSU gesprochen, allerdings nicht alle ganz in derselben Sprache und mit demselben Akzent, wenn ich die beiden letzten Redner miteinander vergleiche -, Ihr Vorredner von Ihrer eigenen Fraktion, Herr Zimmermann, hat sicherlich in einem Punkt recht, und das haben alle anderen auch gemeint, die bisher gesprochen haben: Herr de Gaulle habe die Türen nicht vollständig zugeschlagen. Er hat ja auch geschrieben, er wolle - wenn ich mich an den Wortlaut recht erinnere - „in keiner Weise den Nordatlantikpakt in Frage stellen". Er macht allerdings an der gleichen Stelle auch zwei Vorbehalte. Jetzt haben verschiedene gesagt, man müsse ihn beim Wort nehmen. Sicherlich - Sie haben recht, Herr Majonica -, das Memorandum der Franzosen erfordert eine sorgfältige Antwort; aber es ist nicht wahr, wie Sie sagen, daß die französische Position nun durch das Memorandum in bezug auf die Sicherheitsfrage klar sei. Es ist absolut nicht klar. Es ist völlig offen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Nur zur Ergänzung, Herr Schmidt: haben Sie überhört, daß ich gesagt habe, dieser französische Standpunkt müsse noch präzisiert werden?
Ich habe das wohl gehört, aber ich habe auch noch im Ohr, daß Sie gesagt haben, Frankreich habe seine Vorschläge zu den Organisationsfragen klargemacht. Das hat es nicht getan. Frankreich hat eine Reihe von Forderungen gestellt. Die Beantwortung dieser französischen Forderungen besteht ganz wesentlich darin, daß die übrigen Vierzehn an Frankreich Fragen zu stellen haben, z. B. die Frage: Wie werden denn in zukünftigen Spannungs- und Konfliktsfällen die französischen Streitkräfte verwandt werden, zu Lande, zur See und zur Luft, a) die französischen Streitkräfte, die auf dem Territorium Frankreichs stehen, und b) die französischen Streitkräfte, die nach dem Willen der französischen Regierung auch fürderhin auf deutschem Territorium bleiben sollen?
Diese Frage ist völlig offen. Davon steht keine Zeile in dem Memorandum, Herr Majonica. Von Klarheit kann keine Rede sein. Es kann eine sehr
wohlüberlegte diplomatische Strategie der französischen Regierung gewesen sein, das offenzulassen. Aber unsere Aufgabe ist es, in diesen Punkten Klarheit zu schaffen. Wir haben Fragen zu stellen, ehe wir zu Vereinbarungen kommen können.
Daran schließt sich die nächste Frage an: wird es denn für die französischen Truppen - a) im französischen Mutterland, b) für die beiden Divisionen in Deutschland, die ja nach der Absicht de Gaulles in Deutschland bleiben sollen -, wird es denn für diese beiden verschiedenen Kategorien der französischen Truppen eine mit uns übrigen Partnern der westlichen Allianz, in der de Gaulle bleiben will, gemeinsam vorbereitete operative Planung geben? Das ist völlig unklar, ob es das geben soll. Es gibt da Andeutungen; aber auf welche Weise das zustande kommen soll, wird nicht gesagt.
Wird es drittens im Konfliktfall ein gemeinsames Oberkommando geben oder nicht? Oder wie sonst soll dann, wenn das nicht sein soll, im Konfliktfall und im Spannungsfall ein minutiös ineinandergreifendes Operieren gewährleistet sein?
Wenn auf diese Fragen, die im Laufe der nächsten Wochen und Monate gestellt werden müssen, keine positiven, keine zuverlässigen Antworten gegeben werden sollten, dann fürchte ich, daß tatsächlich der Wert weiterer Anwesenheit französischer Streitkräfte auf deutschem Boden nur unter politischem Aspekt gesehen werden muß und nicht unter militärischem. Ich wiederhole: Die weitere Anwesenheit französischer Truppen auf deutschem Boden ist, wenn für diese militärischen Fragen, die ich stelle, keine klaren Antworten erzielt werden können, ein rein politisches Problem und hat mit Sicherheit, mit deutscher Sicherheit nichts mehr zu tun. Sie wäre dann sicherlich nichts anderes als - wie hier verschiedene schon gesagt haben; Herr Erler, der als erster davon sprach, hat ja den Beifall des ganzen Hauses gefunden - ein Wiederaufleben von Teilen eines inzwischen eigentlich als untergegangen angesehenen Besatzungsrechts.
Nun heißt es im französischen Memorandum, die französische Regierung sei bereit, die Truppen in Deutschland zu belassen; aber dann heißt es weiter: „im Rahmen der Konvention vom 23. Oktober 1954". Das ist eine sehr ambivalente Formulierung; kein Mensch weiß, was das bedeuten soll. Denn ein wesentlicher Teil der Konventionen vom 23. Oktober 1954 wird ja durch das französische Memorandum ausdrücklich in Frage gestellt. In welchem „Rahmen" also die Truppen hier bleiben sollen, ist einstweilen nicht zu erkennen.
Mir scheint es gut, wenn wir einmal ganz offen ausbreiteten - und wir sollten es auch. in Zukunft noch ein bißchen vertiefen, auch unsere Presse und unsere Experten sollten einmal daran arbeiten -, was denn eigentlich die wirklichen französischen Interessen sind, die zwei Divisionen und zwei Luftwaffengeschwader hier auf deutschem Boden zu behalten.
Ein Teil dieser französischen Interessen ist bisher genannt worden. Aber mir scheint, es sind nicht alle genannt worden. Ich rede nicht von den politischen,
Schmidt ({0})
sondern von den rein militärischen Sicherheitsinteressen Frankreichs.
Das erste Interesse, das die Franzosen sicherlich verfolgen, ist, auf diese Weise, durch die Anwesenheit der beiden Divisionen auf deutschem Territorium weiterhin einen Finger in der operativen Planung für das Ganze zu haben. Es ist die Hintertür, durch die man in der operativen Planung drinbleibt. Man kann ja erfühlen, daß sie daran ein wirkliches Interesse haben; sie müssen weiterhin wissen wollen, was da eigentlich gemacht wird. Es ist ein ganz wesentliches Interesse, das sie mit dem Belassen der Divisionen in Deutschland verfolgen.
Zweitens sind sie dadurch anwesend auf dem Glacis, das ostwärts Frankreichs liegt, und haben ihre Fühler, ihre Horcher, ihre Beobachter auf diesem Glacis, insbesondere im Konfliktsfall. Das ist ein wesentliches Interesse. Die Umgliederung der französischen Streitkräfte insgesamt im Laufe der letzten Jahre unter de Gaulle und Mesmer ist doch so aufgebaut, daß ein Teil dieser französischen Streitkräfte - nämlich ein Drittel - auf dem Glacis verwendet werden soll.
Der dritte Punkt - es ist hier zum Teil genannt worden -: Die Franzosen haben ein wirkliches Interesse, an dem gemeinsamen Luftwarnsystem beteiligt zu werden. Das können sie nicht, wenn sie ihre Verbände hier herausnehmen. Es sind ja zum Beispiel auch Raketenverbände dabei.
Viertens haben sie ein Interesse, an der gemeinsamen Luftverteidigung beteiligt zu bleiben. Ihre ganze Luftverteidigung wird wertlos, wenn sie hier herausgehen.
Fünftens. So gering - ich sage „gering" im Gegensatz zu Ihnen, Herr Zimmermann - der militärische Wert der Force de Frappe im gegenwärtigen Zeitpunkt veranschlagt werden muß - das mag später anders werden -, in dem Augenblick, in dem die Franzosen aus dem gemeinsamen Luftwarnsystem und aus der gemeinsamen elektronischen Lenkung der Luftverteidigung hinausgehen, in dem Augenblick ist der militärische Wert der Force de Frappe wirklich gleich Null. Dann ist sie wirklich nichts mehr als eine politische Überschrift, mit der man Politik und Psychologie treiben kann. Mit militärischem Wert hat das dann nichts mehr zu tun.
Kollege Barzel hat gefragt, ob die gemeinsame Luftverteidigung, das gemeinsame Warnsystem und die gemeinsame elektronische Lenkung Sache des Bündnisses oder der Organisation sei. Sehr richtig gefragt!
Sechstens: Dadurch, daß die Franzosen ihre Truppen hier auf deutschem Boden lassen, erhalten sie sich allein die Möglichkeit, deren sie sich bei ihrer Doktrin sonst begeben würden: daß französische Divisionen mit nuklearen taktischen Waffen ausgestattet sind, und zwar mit amerikanischen, wie es heute der Fall ist. In dem Augenblick, wo diese Divisionen nach Frankreich zurück müßten, müßten sie nach ihrer eigenen Doktrin, da die Amerikaner sich Besitz und Auslösung vorbehalten, wie es bisher auch schon auf sonstigen Gebieten geschehen ist, den Amerikanern sagen: Nehmt's zurück, wir wollen es nicht mehr!
({1})
- Lieber Herr Majonica, ich stelle ja gerade einen Katalog all der Punkte zusammen, die Trümpfe auf der Seite der übrigen 14 sind gegenüber dem einen, der fordert. Ich stelle ja gerade diesen Katalog von Punkten zusammen, aus denen klarwird, was wir, die übrigen 14, an Karten alles in der Hand haben.
Es sind so viele Leute von den angeblichen Karten de Gaulles fasziniert. -Er hat einmittelmäßiges Blatt, das ziemlich hoch gereizt wird!
({2})
Der siebte Punkt - damit es nun ganz klarwird, Herr Majonica -: Wenn zum Beispiel die Verhandlungen zwischen den übrigen 14 und Frankreich nicht zu Einigungen führen und Frankreich infolgedessen seine zwei Divisionen zurückziehen müßte, dann würde es nicht nur all diese Vorteile und Interessen, die es verfolgt und von denen ich unter erstens bis sechstens sprach, aufgeben müssen und die Force de Frappe für ein paar Jahre wertlos machen müssen, sondern dann würde in der ganzen westlichen Welt eine sehr empfindliche Lücke deutlich werden. Das sind immerhin 50 000 Soldaten, die da dann fehlen. Es ist doch jetzt schon der Druck zu spüren, hier und dort. Einer der Vorredner hat gesagt, wir würden im Westen angeklagt, daß wir den Ehrgeiz hätten, diese Lücke nun mit zusätzlichen deutschen Divisionen auszufüllen. Aber dieser Druck wird doch kommen. Meint Paris, daß es im französischen Interesse wäre, wenn wir dann auf 14 oder 15 Divisionen gehen müßten? Da würde doch das Ungleichgewicht noch größer werden.
Schließlich und achtens wäre es für die französische militärische Führung gar nicht so leicht, für die Divisionen in Frankreich Kasernen zu finden. Sie sind da in einer etwas ähnlichen Lage wie die Engländer mit ihrer British Army on the Rhine. Die haben inzwischen auch gemerkt, daß man die nicht einfach zurücknehmen kann, weil es zu Hause eben an Kasernen fehlt.
Alles das ist eine Liste von Positionen - sie ist noch gar nicht vollständig -, die die Verhandlungen der übrigen 14 mit Frankreich durchaus nicht aussichtslos erscheinen lassen. Frankreichs Position ist nicht so stark, wie die französische Regierung es glauben machen will. Es wird nötig sein, ihr gegenüber kühl und leidenschaftslos das herauszuarbeiten, was ich soeben angedeutet habe; es sollte öffentlich und auch in den Zeitungen herausgearbeitet werden.
Vor allem aber eines, und da ist allerdings ein Gegensatz zwischen mir und dem Kollegen Zimmermann: es sollte vor allem - militärisch, fachlich, durch Expertisen - herausgearbeitet werden, daß
Schmidt ({3})
es im Notfall durchaus möglich ist, die Verteidigung Europas ohne das französische Territorium und ohne französische Streitkräfte zu planen. Das sollte man wirklich deutlich sehen. Es gehört notwendig zu diesen Verhandlungen, den Franzosen klarzumachen, daß das möglich ist.
({4})
- Das ist gar kein schwaches Blatt. Fragen Sie mal Ihre Militärs. Es ist ein bißchen teuer; das gebe ich zu. Es kostet zusätzliche 'Infrastruktur; das kostet es sowieso.
Ich gebe zu, politisch-strategisch gesehen würde es auch eine Verschiebung der nuklearen Schwelle bedeuten. Aber es ist doch nicht so, daß wir nun wie die Kaninchen gebannt auf die Schlange starren müssen: ohne Frankreich geht es nicht, deswegen müssen wir uns auf alles einlassen, was die gern möchten. So ist es nicht. Frankreich muß sehen, und es muß ihm deutlich gezeigt werden, daß die Vorbereitung und Planung einer Verteidigung Europas ohne französische Truppen erstens dazu führt, daß relativ die militärische Bedeutung Deutschlands gegenüber Frankreich steigen würde - konventionelle Truppenmasse - und daß sie zweitens, vor allen Dingen wegen der niedrigen Nuklearschwelle, von der ich soeben andeutend sprach, und wegen anderer Dinge, zwangsläufig zu einer viel stärkeren militärischen Verzahnung zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und uns, der Bundesrepublik, führen müßte, was doch das erklärte Gegenteil von dem wäre, was de Gaulle für Europa erstrebt. Man muß den Franzosen deutlich machen, was die Konsequenz des Abzugs der französischen Truppen aus Deutschland wäre. Die können wir ja nicht unter allen Bedingungen hier haben wollen. Es haben einige von Ihnen auch schon klargemacht, daß es gewisse Bedingungen gibt, unter denen wir nicht akzeptieren können, daß die hierbleiben. Der Abzug französischer Truppen aus Deutschland würde zwangsläufig die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten von Amerika sehr viel enger aneinander binden, als es schon heute der Fall ist.
Das Ergebnis dieser Abwägungen: Frankreich kann nicht nur Forderungen stellen, es hat bei diesen Verhandlungen auch etliches zu verlieren und aufs Risiko zu stellen. Verhandlungen sind nicht von vornherein aussichtslos.
Nun sehe ich heute nachmittag den Kollegen Strauß nicht hier.
({5})
- Ich frage mich, was der Bayer Strauß in unserem Hamburger Wahlkampf zu suchen hat, Herr Zimmermann.
({6})
- Das geht manchmal den Bundespolitikern, die in Hamburg nicht zu Hause sind, gar nicht so gut, wenn sie da im Wahlkampf auftreten. Ich sehe hier auf der Regierungsbank den Bundeskanzler sitzen. Er hat in der vorigen Woche in Hamburg in einer CDU-Versammlung gesagt, die Sozialdemokraten hätten seit dem Kriege noch nie einen Gedanken zum Wiederaufbau Deutschlands beigetragen. Sie
wurden ausgepfiffen, Herr Bundeskanzler, von Ihrem eigenen Publikum.
({7})
Aus Kollegialität hoffe ich, daß es dem Kollegen Strauß heute besser geht, wenn er in Hamburg zur Wahl spricht.
Es wäre gut, er wäre hier gewesen. Denn der Kollege Zimmermann hat die Auffassung des Herrn Strauß in einer relativ abgeschwächten Form und ein bißchen vorsichtig vorgetragen. Herr Strauß hat sich gleichwohl zu dieser Debatte zu Wort gemeldet, und zwar haben wir heute morgen in der „Welt" einen vierspaltigen Aufsatz seines außenpolitischen Beraters - just zum heutigen Tage geliefert -lesen müssen, von einem Herrn Klaus Blömer, der der Beauftragte der Christlich-Sozialen Union für auswärtige Angelegenheiten geworden ist. So steht es in der „Welt". Hoffentlich stimmt es so. Dort sagt der Herr Blömer, deutlicher als Sie, Herr Zimmermann, - und ich nehme an, das ist die Schrift von Ihrem Landesvorsitzenden,
({8})
- von Herrn Blömer? Na ja, aber sehr deutlich! -:
Ein deutsch-französisches Militärabkommen kann zum Ausgangspunkt für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft werden.
Und Sie, Herr Zimmermann, haben dann eben noch hinzugefügt: Das sollte man doch einmal überprüfen und mit ihnen reden, welche Mitspracherechte auf dem Gebiete der nuklearen Strategie der Force de Frappe wir dabei kriegen können. - Ich bitte Sie! Wenn eines an der Nuklearstrategie des Herrn de Gaulle klar ist - vieles ist für mich unklar -, dann dies: er will das ganz allein machen, und weder die Bundesrepublik noch die Bayern möchte er dabei haben.
({9})
Wir versuchen alle, so viel wie möglich Verkeit der Auffassung über unsere Situation durch solche Rede und solche Schreibe an diesem Tage so gefährden. Ich bitte Sie! Das muß ja doch schwierig werden, wenn Sie auf diesem Wege fortfahren. Übrigens schreibt dann der Herr Blömer etwas später, man müsse dann eben auch von einer übergeordneten Integration der europäischen Verteidigungsgemeinschaft und der in Europa stationierten amerikanischen Einheiten sprechen. Das müsse man ins Auge fassen. - Das ist doch genau das, was der französische General nicht will.
Wir versuchen alle, soviel wie möglich Verständnis für Frankreich aufzubringen. Mir scheint aber, daß manche nun wirklich weit über das hinausgehen, was hier möglich ist. Es gibt Dinge, die de Gaulle klipp und klar gesagt hat, und da machen Sie sich und dem Publikum etwas vor, wenn Sie hier noch Möglichkeiten suchen.
Herr Kollege Schmidt, würden Sie akzeptieren, daß dieser Artikel in der „Welt" tatsächlich von Herrn Klaus Blömer und nicht von Franz Josef Strauß stammt?
Ich akzeptiere das, aber ich darf die Rückfrage stellen: Ist es wahr, daß Herr Klaus Blömer der Beauftragte Ihrer Partei für auswärtige Angelegenheiten ist?
({0})
Herr Kollege Schmidt, ich darf Ihnen ja- nur in der Frageform erwidern: Würden Sie ,es akzeptieren, daß auch in der Christlich-Sozialen Union soviel Meinungsfreiheit herrschen darf wie in der Sozialdemokratischen Partei?
({0})
Darf! Natürlich! Lieber Herr Zimmermann, von Dürfen sollte keine Rede sein, ob es getan wird, ist die Frage!
({0})
Ich muß aber noch ein Drittes hier zitieren - dies hat aber Herr Strauß in den letzten Tagen auch gesagt, und insofern stimmt es ja wirklich inhaltlich mit Herrn Blömer überein -, daß nämlich die Amerikaner, wenn man ein deutsch-französisches Abkommen, das in eine europäische Verteidigungsgemeinschaft einmündet, zustande bringt, getrost 20000 bis 30 000 Mann abziehen könnten. Herr Strauß hat sogar von noch sehr viel mehr gesprochen. Er hat von „bis zur Hälfte" geredet. Dieser Mann ist vorsichtiger, es ist ja auch nur der Berater.
({1})
Aber nun muß ich in dem Zusammenhang den Außenminister fragen: Sagen Sie, Herr Schröder, sind Sie wirklich der Meinung, daß wir uns einen Abzug der Amerikaner zunächst um 20 000 bis 30 000 Mann und später bis zur Hälfte leisten können?
({2})
- Sie werden darüber sprechen. - Sind Sie wirklich der Meinung, daß es Sinn hat, im Augenblick mit Frankreich über die Schaffung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu verhandeln? Werden Sie nachher darüber sprechen?
({3})
Herr Barzel hat schon gesagt: Was soll das mit der europäischen Verteidigungsgemeinschaft ohne Integration? Das geht doch gar nicht! - Aber der Herr Bundesminister des Auswärtigen wird sich dann ja auch noch dazu äußern. Ich bin der Meinung, daß eine solche Art von Vorschlägen unsere Position vis-à-vis Frankreich, aber auch unsere Position, Herr Zimmermann, vis-à-vis USA und vis-à-vis England nicht leichter macht, die ohnehin schwierig genug ist. Übrigens hat Herr Zimmermann dann ja, auch ein bißchen vorsichtiger als sein Boß,
({4})
Kritik an der Bundesregierung geübt. Ich habe ihn gefragt, ob er nicht zugeben wolle, daß das, was er kritisiert, aus dem Munde des Sprechers der Bundesregierung stammt, nämlich von dem Herrn StaatsSekretär von Hase. Und Sie haben gemeint, mein Gedächtnis sei mindestens so gut wie Ihres. Hoffentlich, Herr Zimmermann! Aber es war die Bundesregierung, die Sie kritisiert haben. Warum tun Sie das nicht deutlich? Ihre Parteifreunde aus der CSU werfen der Bundesregierung in Aufsätzen ja auch „indifferente und passive Haltung" in dieser Frage vor. Einer Ihrer Herren hat geschrieben, die Bundesregierung habe eine „negative Einstellung zu jeder Art von Zusammengehen mit Frankreich auf verteidigungspolitischem Gebiet" erkennen lassen. Ich würde nicht so weit gehen in meinem Urteil. Nur, wenn Herr Schröder und Herr Barzel und Herr Majonica und andere hier von der in den nächsten Wochen notwendigen engen Kooperation zwischen Bundesregierung und Haus gesprochen haben und vom Zusammenstehen dieses Hauses - das sind Worte, die hier gefallen sind -, - wir finden das sehr richtig. Wir akzeptieren das durchaus. Aber bitte, dann fangen Sie doch mal im eigenen Haus damit an! So geht es doch nicht. Sind Sie sich eigentlich ganz sicher, Herr Bundesminister des Auswärtigen, daß Sie sich in der - ({5})
- Ja, „Charity begins at home", für Sie auf Englisch. Ich nehme das auf. - Sind Sie eigentlich ganz sicher, daß Sie sich in der Koalition über diese Fragen einig sind?
Lassen Sie mich einen Punkt nennen, von dem ich das Gefühl habe, daß wir uns über ihn hier in diesem Hause einig sind mit den Ausnahmen, von denen eben die Rede war, nämlich einig darüber, daß es keinerlei Regelung geben darf, die unser Land de jure oder de facto zusätzlich in eine Situation der Besonderheit gegenüber anderen Vertragspartnern bringt,
({6})
und zwar nicht so sehr, wie es hier auch geklungen hat, aus Prestige-Interesse oder, wie es auch geklungen hat, aus Furcht vor Diskriminierung, sondern aus einem sehr politischen Grunde: weil jede militärische und jede politische und jede rechtliche Besonderheit der Stellung der Bundesrepublik die Gefahr erhöht, daß im Falle einer Spannung und im Falle des Konflikts die Bundesrepublik isoliert werden könnte. Das ist der eigentliche Grund dafür, weswegen wir uns dagegen wehren müssen, allein auf unserem Gebiet die Integration stattfinden zu lassen.
({7})
Das hat nichts mit Diskriminierung und Prestige zu tun. Es hat einfach damit zu tun, daß es ein Sicherheitserfordernis der Bundesrepublik ist, daß wir genau gleichmäßig hineingeflochten und hineingewoben sind wie alle anderen Partner auch. Das ist der wirkliche Grund.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zweitens einen Punkt sagen, von dem ich hoffe, daß wir über ihn im Laufe der nächsten Wochen einig werden können, daß wir nämlich unsererseits, deutscherseits, keine neuen zusätzlichen Konfliktstoffe in diese Arena hineintragen sollten, die ohnehin schwierig genug ist. Ich nehme an, daß wir uns über
Schmidt ({8})
den Grundsatz einig sind. Es wird schwerfallen, ihm im Detail immer zu gehorchen. Wenn man über die europäische Verteidigungsgemeinschaft und den Abzug amerikanischer Truppen aus Deutschland redet, - das ist ganz sicher das, was die Amerikaner ärgern und verletzten muß; das ist noch wenig. Wenn andererseits der Verteidigungsminister jeden Sonntag wieder im Radio von „physischem Mitbesitz an nuklearen Waffen" spricht, ist ganz klar, daß das de Gaulle ärgern muß, und nicht zu wenig. Wenn es schließlich manche gibt, die schon anfangen, davon zu reden, daß wir dann zusätzliche deutsche Divisionen brauchten - das wird leider nicht nur im Ausland gesagt, das wird auch hier schon geschrieben -, ist klar, daß das jedermann in der ganzen Welt ärgern muß.
({9})
- Ja, es ist doch eine Tatsache, lieber Freund: Es wird niemand, weder in Belgien, noch in Holland, noch in Dänemark, noch in der Tschechoslowakei, noch in Polen, noch in Frankreich, noch in England, nirgendwo wird jemand erfreut sein, wenn die Situation darauf hinausläuft, daß die Bundeswehr von 12 auf 15 Divisionen gebracht werden muß, niemand, ganz abgesehen von den Deutschen hüben und drüben im eigenen Land. Ich meine, das alles sollte man vermeiden.
Man muß vielmehr nach Wegen suchen, auf denen man vielleicht doch zu Übereinkommen mit Frankreich kommt. Wir haben alle gesagt, wir wollten an der NATO und an dem bisherigen Integrationsgrad festhalten. Das hört sich alles gut an. Nur, an einer Verhandlung sind beide Seiten beteiligt. Die einen wollen etwas haben, die anderen müssen etwas geben und umgekehrt. Was können wir denn den Franzosen anbieten?
Dazu zwei Punkte. Die Franzosen, meine ich, haben eine etwas übertriebene Vorstellung von dem Begriff „Integration". Das ist eine Art negativer Fetisch geworden, ein Stein des Anstoßes allüberall. Man kann an vielen Stellen genauso oder beinahe genauso weitermachen wie bisher und es nur anders nennen. Was ist das überhaupt, Integration? Ich habe in all diesen Vertragstexten, im ganzen Londoner Paket, in der Londoner Schlußakte und im Pariser Paket gesucht. Es kommt in all diesen Verträgen nur ein einziges Mal vor, nämlich im Brüsseler Vertrag, bezieht sich aber dort nicht auf den militärischen Bereich. Sonst kommt das Wort überhaupt nicht vor. Es ist nirgendwo definiert.
Ich habe mich gestern und vorgestern mit einigen sehr hohen deutschen Militärs unterhalten und habe sie gefragt: Was meint ihr eigentlich, wenn ihr von Integration redet? Einer hat mir auseinandergesetzt, daß es 12 oder 13 oder 14 verschiedene Arten von Integration gibt. Unter Integration kann man z, B. verstehen, daß man gemeinsame Kommandostrukturen hat.
({10})
- Wir sind jetzt beim ernsthaften Teil, Herr Majonica.
({11})
Unter Integration kann man verstehen, daß man gemeinsame Operationspläne hat, die jeder einzelne für sich ausführt. Man kann darunter verstehen, daß man gemeinsame Operationspläne hat, die man gemeinsam ausführt. Man kann darunter verstehen das gemeinsame Early-warning-System, von dem vorher schon die Rede war. Man kann darunter verstehen, daß man die gleichen Waffen, die gleichen Waffensysteme zu kaufen sich verpflichtet, im übrigen aber jeder für sich marschiert. Integration ist ein riesenhaft vielfältiges Gebiet, und an vielen Stellen kann man das anders nennen.
Man muß in Verhandlungen ja immer auch der anderen Seite helfen, ihr Gesicht zu wahren. Vielleicht ist hier ein Spielraum für - entschuldigen Sie den englischen Ausdruck, aber er ist ja in der NATO wahrscheinlich durchaus gängig und auch unserem Verteidigungsminister geläufig - face-saving devices, ein weiter Spielraum für face-saving devices zugunsten der französischen Regierung.
Zweiter Punkt: Selbst wenn schließlich und endlich, was im Augenblick niemand auszusprechen wagt, nach langem Prozeß die Sezession der Franzosen weiter ginge, als es im Augenblick von uns gehofft wird, selbst dann brauchten wir ganz enge, technisch funktionsfähige Verbindungen zwischen Paris und Bonn, genau wie zwischen Bonn und London und zwischen Bonn und Washington. Ich wiederhole, was ich schon häufig versucht habe deutlich zu machen: Wenn die nächste Berlin-Krise oder die nächste Kuba-Krise käme, brauchten wir auch unsererseits ganz andere Möglichkeiten, am „crisis management" einer Krise, die uns bedrückt, mitzuwirken, als 1961 bei der Berlin-Krise oder bei der Kuba-Krise ein Jahr später, und das auch dann, wenn wir im übrigen keine Integration dieses oder jenes oder des geringsten Grades mit den Franzosen gemeinsam mehr hätten.
Es gibt viele Möglichkeiten - und da nehme ich das Wort auf, das Herr Zimmermann richtig zitiert hat aus dem Vortrag, den ich in Düsseldorf gehalten habe -, uns mit den Franzosen sehr viel enger gegenseitig zu verzahnen, als das bisher geschehen ist, völlig unabhängig von dem, was in all diesen Protokollen, Verträgen, Abmachungen, NATO-Rats-Beschlüssen steht. In dem Punkt - nur in diesem Punkt - nähere ich mich - ich sage das für meine Person - vielleicht ein bißchen dem Herrn Zimmermann. Ich habe manchmal das Gefühl, als ob die vielerlei Möglichkeiten einer engen und von der Regierung geförderten Zusammenarbeit auf allen Ebenen, auch der privaten Wirtschaft, zwischen der Bundesrepublik und Frankreich bisher nicht ausreichend genutzt werden.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen in diesem Stadium der Debatte noch einmal die grundsätzliche Haltung meiner Fraktion zu den anstehenden Problemen darlege. Wir stimmen mit der Bundesregierung überein in ihrem Ja zum Bündnis und zu der jetzt gefundenen Form der Integration. Wir sehen in dieser Form der Integration die zeitgemäße Form wirksamer militärischer Zusammenarbeit.
Diese Form der militärischen Zusammenarbeit ist gerade im Bereich Westeuropa von so entscheidender Bedeutung, weil sie kleinen Nationen die Möglichkeit der Mitwirkung nach den Gesetzen der Gleichberechtigung und nach dem Rahmen und Maß ihrer Leistungsfähigkeit einräumt und weil sie es kleinen Nationen möglich macht, ohne Furcht vor größeren Partnern in einem Verteidigungssystem mitzuwirken. Wir wissen, meine Damen und Herren, daß Europa ohne Amerika nicht zu verteidigen ist. Amerika ist in dieser Rolle weder austauschbar noch ersetzbar, auch nicht durch Frankreich. Nach diesen Erkenntnissen werden wir auch in Zukunft handeln. Weil unsere Haltung im Rahmen der NATO und zur NATO klar ist, können wir in der kommenden Diskussion darauf verzichten, Musterschüler oder Vorreiter zu sein. Wir können vor allem darauf verzichten, etwa Speerspitze gegen Frankreich aus dem Bündnis heraus zu sein.
({0})
Wir wollen nicht mehr und nicht weniger sein als ein verläßlicher Partner unter vielen im Bündnis.
({1})
In dieser Frage kommt es darauf an, daß die übriggebliebenen 14 in der Integration ihre Geschlossenheit wahren. Der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union, Herr Dr. Adenauer, hat uns heute morgen frohe Kunde aus Paris beschert. Er hat uns nämlich mitgeteilt, daß Frankreich entgegen seiner ursprünglichen Auffassung jetzt bereit ist, Verhandlungen mit allen NATO-Partnern am runden Tisch zu führen.
({2})
Herr Dr. Adenauer ist damit zum prominenten und verläßlichen Kronzeugen dafür geworden, daß auch in Paris eine entschlossene Haltung der übrigen Partner ihre Wirkung hat.
({3})
Wenn der französische Staatspräsident de Gaulle uns in dieser Stunde sagt, die NATO müsse bleiben, aber die Integration sei überflüssig, weil es keine akute Bedrohung aus dem Osten mehr gebe, so müssen wir ihm sagen: wenn das richtig ist, dann nicht trotz NATO, sondern wegen NATO, und nicht trotz Integration, sondern wegen Integration.
({4})
Wir sind nicht bereit, das Sicherheitssystem der
NATO aufzugeben, solange man uns nicht ein besseres anbietet, in dem wir ebenfalls heimisch sein
können. Wir sind bereit, nachzudenken über die Zukunft dieses Bündnisses. Wir sind auch bereit, dieses Bündnis für die Zukunft mitzugestalten und es den Erfordernissen der Zukunft anzupassen.
Es gibt eine Reihe von besonderen Problemen, die Deutsche und Franzosen auch im Rahmen des Bündnisses verbindet. Französische Divisionen stehen auf deutschem Boden. Wir wollen nicht - darüber sind wir uns alle einig -, daß sie wieder Besatzungstruppen werden. Aber wir sollten auch nicht voreilig fordern, daß sie deutschen Boden verlassen. So einfach scheint die Rechtslage nicht zu sein, wenn wir aus Washington hören, daß man sich auch dort originärer Anwesenheitsrechte rühmt. Aber wir finden, daß diese Frage, auch wenn sie primär Deutschland und Frankreich angeht, im Rahmen der NATO gelöst werden muß, weil die Bundesrepublik zum NATO-Bereich gehört.
Zur Vorbereitung dieser Verhandlungen sind allerdings Konsultationen ebenso notwendig wie nützlich, und sowohl bei diesen Konsultationen als auch bei den Verhandlungen im Rahmen der NATO wird man auch über die Mitwirkung und Teilnahme Frankreichs am Radar-Warnsystem der NATO sprechen müssen.
Die französische NATO-Politik beeinflußt den Status der Bundesrepublik noch in einer anderen für uns sehr entscheidenden Weise. Sie ist nämlich geeignet, die Struktur des Bündnisses und die Gewichte im Bündnis selbst zu verändern. Die Bundesrepublik muß hier frühzeitig ihren Standpunkt bestimmen, um Fehlentwicklungen und Mißdeutungen zu vermeiden. Wir sagen eindeutig an die Adresse Frankreichs: die Bundesrepublik will Partner bleiben und nicht Objekt fremder Sicherheitsoder gar Besatzungspolitik werden.
({5})
Wir sagen aber ebenso eindeutig an die Adresse der übrigen NATO-Partner: wir wollen Gleichberechtigung und nicht mehr als Gleichberechtigung. Wir wollen niemals Führung im Bündnis. Jeder Gedanke an eine deutsche Führungsrolle, in welchem Bündnis auch immer, wäre das Ende deutscher Wiedervereinigungspolitik.
({6})
Man hört in diesen Tagen sehr oft, Frankreich sei isoliert, Frankreich habe sich selbst isoliert. Darüber sollte man nicht zuviel reden. Niemand kann daran ein Interesse haben, schon gar nicht Deutschland.
({7})
Für uns ist nämlich die NATO-Krise nicht nur eine Frage unserer Sicherheit, Herr Majonica, sondern auch eine Frage der gemeinsamen Deutschlandpolitik. Wir sind in dieser Frage doppelt betroffen.
({8})
Wenn Sie hier davon gesprochen haben, Herr Kollege Schmidt, daß de Gaulle nur eine mittelmäßige Karte in der Hand habe, so mögen Sie recht
haben für den Status in der NATO; aber Sie haben wahrscheinlich unrecht in bezug auf die Möglichkeiten, die sich für Berlin und für Deutschland als Ganzes bieten.
({9})
Für uns sind Deutschlandfrage und Sicherheitsfrage untrennbar verbunden, und es ist Aufgabe der Bundesrepublik, den Bestand an Einheit in der westlichen Politik, der sich zur Zeit in der Berlin-Frage und in der deutschen Frage noch zeigt, auch fürderhin aufrechtzuerhalten. Wir müssen wissen und jederzeit erkennen - das hat Herr Kollege Erler in vorbildlichen Worten dargelegt -, daß Frankreich für Deutschland als Ganzes ebenso mitverantwortlich ist wie für die Sicherheit und Freiheit Berlins,
({10})
und wir sollten nie vergessen, daß die Schutzfunktionen für Berlin nur integriert wahrgenommen werden können. Wie Frankreich hier in Zukunft stehen wird, wie es die Frage der Integration in bezug auf den Schutz West-Berlins und der Zugangswege von und nach Berlin sieht, diese Frage ist eine Konsultationsaufgabe ersten Ranges für die deutsche Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, es ist hier von den Impulsen gesprochen worden, die von Paris ausgehen und die NATO verändern. Herr Kollege Barzel hat nicht nur den Ort Paris genannt, sondern auch Genf. In der Tat, auf die deutsche Frage kommt nicht nur aus Paris etwas zu, sondern auch aus Genf. Zunehmend werden die Verhandlungen in Genf, soweit sie Europa angehen, Verhandlungen über Deutschland. Die Sowjetunion beansprucht bei diesen Verhandlungen ein Mitspracherecht über den künftigen Status der Bundesrepublik im NATO-Bündnis, obwohl sie nicht Partner dieses Bündnisses ist. Das ist für uns eine Form praktizierter Viermächteverantwortung, ob die Sowjets das wahrhaben wollen oder nicht, und wenn die Sowjets über den Status der Bundesrepublik im NATO-Bündnis mitreden wollen, dann müssen sie sich auch die Frage nach Deutschland als Ganzem gefallen lassen. Diese Frage, meine Damen und Herren, müssen wir erheben, und wir müssen -erwarten, daß unsere Verbündeten, die in Genf verhandeln, sie für uns dort gegenüber den Sowjets erheben.
({11})
Wir wollen uns - da stimme ich mit Herrn Kollegen Erler völlig überein - der in Genf angebahnten Entwicklung nicht entgegenstellen. Was wir wollen, ist, .sie in unserem Sinne zu beeinflussen und in die Genfer Verhandlungen auch die deutsche Frage einzubetten.
Wir haben - und jetzt komme ich auf Paris zurück - eine neue europäische Entwicklung auch in der Sicherheitspolitik zu verzeichnen. Unsere Aufgabe ist es, daß diese Politik, die von der Gaulle eingeleitet worden ist, in die deutsche Richtung geleitet wird. Wenn es eine deutsche Führungsrolle gibt, meine Damen und Herren, dann in dieser Frage, in der deutschen Frage. Wir sollten uns überlegen, ob es nicht zu Erhaltung des Restbestandes an Einheit im westlichen Bündnis, wie er zur Zeit in der Berlin-Frage und in der deutschen Frage zum Ausdruck kommt, an der Zeit ist, in diesem Jahr eine Konferenz zwischen den Vereinigten Staaten, England, Frankreich und der Bundesrepublik einzuberufen.
In diesem Jahr wird der französische Staatspräsident nach Moskau reisen. Wir können diese Reise nicht ohne Sorge sehen. Wir kennen Erklärungen von ihm, die er in der Vergangenheit abgegeben hat. Er hat sich geäußert zum Status der Bundesrepublik im Bündnis, zur deutschen Grenzfrage, zum Mitspracherecht unserer Nachbarn bei der konventionellen Bewaffnung und zur Integration selbst. Meine Damen und Herren, das alles sind Elemente einer Deutschlandpolitik, das sind Positionen, die wir für unsere und für eine gemeinsame Deutschlandpolitik brauchen. Es ist jetzt die Stunde deutscher Handlung und deutscher Aktion, um zu verhindern, daß hier eine gefährliche Richtung eingeschlagen wird. Deutsche Aufgaben sind es in dieser Stunde: erstens, daß wir uns als verläßliche Partner in unserem Bündnis erweisen; zweitens, daß wir die Bereitschaft zeigen, eine gemeinschaftliche Fortentwicklung des Bündnisses und seine Anpassung in Angriff zu nehmen; drittens, daß wir die notwendigen Initiativen ergreifen für eine gemeinsame Deutschlandpolitik als Mindestbasis westlicher Zusammenarbeit, komme was wolle, im Rahmen des Bündnisses im übrigen.
Durch die französische Initiative ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die für unsere Sicherheit und für die Lösung der deutschen Frage im höchsten Grade gefährlich werden kann. Wir dürfen ihr nicht tatenlos zusehen. Nein-sagen allein reicht auch gegenüber Frankreich nicht aus. Unsere Antwort muß die Entschlossenheit sein, diese Entwicklung zu beeinflussen und in unserem Sinne zum Guten zu wenden. Dazu müssen wir auch den deutsch-französischen Konsultationsvertrag nutzen. Er ist für uns der Ausdruck der deutsch-französischen Freundschaft, zu der wir uns heute bei aller Kritik an der französischen Regierung hier noch einmal ausdrücklich bekennen.
({12})
Und wenn wir diesen deutsch-französischen Vertrag im Sinne unserer Deutschlandpolitik nutzbar machen, dann handeln wir richtiger, als wenn irgend jemand dem Gedanken oder auch nur der Unterstellung nach einer europäischen oder atlantischen Führungsposition der Bundesrepublik nachgehen sollte.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Birrenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Kollege Schmidt eine Reihe wichtiger technischer Probleme angeschnitten hat, gestatten Sie mir, zu einigen grundsätzlichen Erwägungen zurückzukehren. Vorerst möchte ich sagen: Herr Schmidt, viele der
Fragen, die Sie gestellt haben, sind wohlberechtigt. Ich frage mich aber, ob es in einer so delikaten Situation und vor so schwierigen Verhandlungen richtig ist, in dieser Stunde und an diesem Orte Lösungen vorwegzunehmen, die das Ergebnis wahrscheinlich vielmonatiger Verhandlungen sein werden.
({0})
Ich glaube, daß es gerade für die Bundesrepublik zweckmäßig wäre, in diesem Augenblick weniger zu reden, mehr zu schweigen.
({1})
Das bedeutet nicht, daß wir nicht über diese Probleme nachdenken müßten. Wir müssen sehr intensiv über sie nachdenken, da sie an den Kern unserer Situation, an den Kern des Problems der deutschen Sicherheit gehen.
Gestatten Sie mir also, zu diesen grundsätzlichen Erwägungen zurückzukehren. Für meine Begriffe stellen sich drei Erwägungen.
Erstens. Die Ablehnung der Integration auf militärischem Gebiete ist heute ein Grundprinzip der Fünften Republik. Das hat der französische Staatspräsident mit aller seiner Autorität zum Ausdruck gebracht. Er hat erklärt, daß die militärische Integration mit der Souveränität Frankreichs nicht vereinbar sei. Dieses Prinzip ergibt sich darüber hinaus aus den Vorstellungen des Präsidenten über die Rolle Frankreichs in der Welt und einer Beurteilung der internationalen Lage, insbesondere des WestOst-Konflikts, die wir bedauerlicherweise nicht teilen können. Hier liegt heute ein Faktum vor, das wir nicht mehr übersehen können, wenn wir zu realistischen Lösungen gelangen wollen, und das ist doch wohl unser Ziel.
Zweitens. Nur dank dem Prinzip der Integration war es der Bundesrepublik nach dem zweiten Weltkrieg möglich, als Gleicher unter Gleichen in das Konzert der europäischen und atlantischen Nationen zurückzukehren. Die Integration ist also das Lebensprinzip der deutschen Außen- und Verteidigungspolitik. Und wenn Sie, Herr Schmidt, fragen, was wir unter Integration verständen, so antworte ich Ihnen - allerdings mit der Bemerkung, daß die Integration, wie sie in der NATO besteht, bedauerlicherweise beschränkt und eng genug ist -: Wir verstehen darunter ein zentrales Kommando schon in Friedenszeiten, die Unterstellung der Heeresverbände oberhalb des Niveaus der Division unter integrierte Stäbe, gemeinsame Luftverteidigung im taktischen Bereich und gemeinsame Infrastruktur.
Drittens. Die heutige Krise bezieht sich auf das Verhältnis der NATO zu Frankreich und nicht der Bundesrepublik zu ihren westlichen Nachbarn. Sie beruht ebenso wie die letzte Krise in der EWG auf der Auseinandersetzung zwischen der Idee des Nationalstaates und den modernen Staatenverbindungen auf der Grundlage einer Gemeinschaft.
Die Bundesrepublik ist als individueller Staat de facto mitbetroffen. Wenn man von den unberührt bleibenden Vereinbarungen über Depots und Übungsplätze absieht, trifft die französische Entscheidung die Bundesrepublik de jure aber nur als Mitglied der NATO.
Aus dieser grundsätzlichen Erwägung ergeben sich für das diplomatische Verfahren zur Lösung der Krise die gleichen Konsequenzen wie in der Krise der EWG. Die NATO als Einheit verhandelt mit Frankreich. Das schließt natürlich nicht Gespräche auf der Grundlage des deutsch-französischen Konsultationsvertrages und unserer Infrastruktur-Vereinbarungen mit Frankreich aus. Das verlangt die Freundschaft, die wir zu unserem westlichen Nachbarn haben. Diese Verhandlungen können aber nicht geführt werden über die zentrale Struktur des Bündnisses, ebensowenig über die Position Frankreichs innerhalb dieses Bündnisses. Das ist ein Problem der NATO.
Dazu kommt ein weiteres. Das Bündnis als Ganzes, in erster Linie aber die Vereinigten Staaten als die größte Schutzmacht der westlichen Welt haben Frankreich gegenüber eine ungleich stärkere Verhandlungsposition als die Bundesrepublik allein. Rechtslage u n d Interessen gebieten daher ein multilateriales Verfahren und schließlich eine multilaterale Lösung. Das ist wohl die überwiegende Auffassung dieses Hauses.
Um nun die Lösung zu finden, muß man die Gefahren kennen, die aus der heutigen Situation erwachsen.
Zunächst der Wegfall der Integration in der NATO. Wenn sich die anderen Nationen der französischen Haltung anschlössen, hätte das entweder die Konsequenz, daß die Bundeswehr auf den Status einer nationalstaatlichen Armee zurückgeführt, oder die, daß sie diskriminiert würde. Beides kommt nicht in Frage. Selbst wenn aber die Rest-NATO als integrierte Einheit bestehenbleibt, würde der Ausfall Frankreichs innerhalb des Integrationsverbandes eine Veränderung des militärischen Gleichgewichts unter den europäischen Mitgliedern zur Folge haben. Diese könnte der Bundesrepublik - mit aller Deutlichkeit gesagt -, selbst wenn sie zu einer Stärkung ihrer Position innerhalb ihres Bündnisses führte, weder militärisch noch politisch noch psychologisch angenehm sein. Das, Herr Schmidt, ist unsere Auffassung zu dieser Frage.
Keiner der europäischen Staaten diesseits der Demarkationslinie - das ist eine weitere grundsätzliche Feststellung - ist im nuklearen Zeitalter in der Lage, ein ausgewogenes Waffensystem aufzubauen, welches das gesamte Spektrum der erforderlichen Waffen umfaßt. Damit sind alle europäischen NATO-Partner, insbesondere aber die kleineren Mächte, vital an der Aufrechterhaltung des Prinzips der Integration interessiert. Die Integration ist daher auch ein europäisches und nicht allein ein spezifisch deutsches Problem.
Ein nicht-integriertes System nach dem Muster einer klassischen Allianz des 18. und 19. Jahrhunderts gestattet nicht die schnelle militärische Reaktion, die im Zeitalter der nuklearen Raketen unverzichtbar ist. Mobilmachungen kommen im Ernstfall zu spät. Die Auslösung der Alarmstufe im Bereich von SACEUR muß die alliierten Armeen schlagartig
in Gefechtsbereitschaft setzen. Sonst droht die Gefahr, daß der amerikanische Atomschirm unterlaufen wird. Das ist die Lehre des letzten Weltkrieges, das ist die Konsequenz des nuklearen Zeitalters.
Nur unter der Voraussetzung, daß das Militärsystem auf dem europäischen Kontinent integriert ist, sind die Vereinigten Staaten zu einer Beibehaltung der Präsenz ihrer Truppen auf dem europäischen Kontinent bereit. Das hat der amerikanische Außenminister Rusk in seiner Pressekonferenz vom 5. November 1965 mit nicht zu überhörender Deutlichkeit ausgesprochen. Wir sind uns klar bewußt, daß das amerikanische Kontingent nicht nur den stärksten militärischen Riegel gegen jede sowjetische Aggression darstellt. Es bedeutet außerdem die Ersetzung der automatischen Beistandsklausel, die der Art. 5 des NATO-Vertrages im Gegensatz zum Brüsseler Vertrag nicht enthält.
Auf diese Weise berührt jede Schwächung der Integration den Lebensnerv des Bündnisses selbst. Jede Beeinträchtigung der Integration vermindert die Abschreckung, das entscheidende Ziel des Bündnisses schlechthin. Das Ausscheiden Frankreichs belastet psychologisch die Position der Bundesrepublik. Dennoch, meine Damen und Herren, wäre der Schaden nicht irreparabel. Selbst wenn Frankreich für eine Weile aus der NATO-Organisation ausschiede, andererseits aber im Vertrage verbliebe, würde die Verteidigung Europas nicht unmöglich. Sie würde schwieriger und kostspieliger. Ihre Konsequenz - das sollte mit aller Deutlichkeit gesagt sein - wäre die Senkung der Atomschwelle.
Wo liegt nun die Lösung der Probleme, die wir mit Ruhe und Besonnenheit anzustreben haben? Die Lösung heute schon im Anfangsstadium der Krise definieren zu wollen, wäre verfrüht. Wir können sie nur umschreiben. Das NATO-Bündnis muß als Ganzes erhalten bleiben, jedenfalls für 14 seiner Mitglieder. Die Lösung muß das derzeitige Begehren Frankreichs respektieren.
Innerhalb dieser beiden Punkte des Koordinatensystems muß eine konstruktive Regelung gesucht werden. Ist eine solche nach dem Muster der Erfahrungen in Luxemburg nicht möglich, die also dennoch Frankreich im Verbande des Bündnisses beließe, so wäre ein denkbarer Weg, Frankreich der NATO auf das engste zu assoziieren. Dann wäre die militärische und geographische Verbindung gewahrt.
Der Rahmen für eine solche Lösung könnte vielleicht im Vertrag über die Westeuropäische Union gesucht werden. Ich denke an den Art. 4 dieses Vertrages. Abgesehen davon würde es zur Regelung zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich in der atomaren Frage kommen. Aber das Feld für diese Regelung ist noch weit. Das französische Memorandum öffnet die Türen für pragmatische Verhandlungen. Je pragmatischer diese Verhandlungen geführt werden, desto eher und konkreter kommen wir zu Resultaten. War dürfen keine Anstrengungen scheuen, eine alle Interessen, auch die französischen, berücksichtigende, wahrhaft konstruktive Lösung zu finden.
Meine Damen und Herren, die Stunde der Gefährdung der Allianz sollte gleichzeitig die Stunde ihrer Bewährung sein. Bewährung heißt hier eine Reform, die den seit Schaffung des Bündnisses veränderten Verhältnissen gerecht wird, insbesondere Europa einen höheren Grad der Mitsprache in den Entscheidungen des Bündnisses gibt. Das liegt auch im französischen Interesse.
Was bedeutet das? Das bedeutet erstens den Ver- such der Reduzierung der derzeitigen Differenzen innerhalb des Bündnisses über die Strategie im mitteleuropäischen Raum. Das bedeutet zweitens die Lösung der Frage der nuklearen Kontrolle in der NATO, welche die nichtnuklearen Partnerstaaten an allen Phasen des nuklearen Entscheidungsprozesses innerhalb des Bündnisses unmittelbar beteiligen müßte, und zwar bei voller Respektierung des amerikanischen Vetos. Das hat nichts mit einem „deutschen Finger am atomaren Drücker" zu tun. Die optimale Grundlage für eine solche Lösung wäre die Schaffung eines kollektiven nuklearen atlantischen Waffensystems, das allen nuklearen wie nichtnuklearen europäischen Mächten auf der Basis grundsätzlicher Gleichheit offensteht. Diese Lösung setzt natürlich voraus, daß es in Genf nicht zu Entscheidungen kommt, die eine solche Lösung unmöglich machen.
Eine solche Reform müßte drittens zur Schaffung eines verbesserten Systems zur Koordination der Außenpolitik der NATO-Staaten, gegebenenfalls auf regionaler Basis, führen, insbesondere für die Bekämpfung akuter Krisen innerhalb und außerhalb des NATO-Bereichs und insbesondere für die Fragen der Abrüstungs- und Rüstungskontrolle.
Viertens bedeutet diese Reform die Anpassung der Organisation des Bündnisses an die veränderte Situation sowohl in der zivilen als auch in der militärischen Führungsstruktur der Allianz.
Jede Reorganisation des Bündnisses muß drei Anforderungen genügen. Sie muß die Schlagkraft des Bündnisses verstärken. Sie darf insbesondere das amerikanische militärische Engagement nicht verringern. Sie muß der Entwicklung einer künftigen europäischen Einheit Rechnung tragen. Sie muß schließlich Frankreich den Platz freihalten, der ihm nach seiner Bedeutung und nach seiner Geschichte zukommt. Es ist die aufrichtige Hoffnung der ganzen Nation, daß dieser Zeitpunkt nicht fern sei, um so mehr, wenn die Reform der' NATO der europäischen Stimme das Gewicht gibt, das ihr gebührt. Wenn dann Frankreich unter Anerkennung der Grundprinzipien unserer Allianz voll in die NATO zurückkehrt, wäre der Weg für eine atlantische Partnerschaft frei.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern hat der Ständige NATO-Rat in Paris der Standig Group und dem Militärausschuß den Auftrag zur Ausarbeitung
Dr. Kliesing ({0})
einer Studie gegeben, die einmal feststellen soll, welche politischen und militärischen Folgen die Maßnahmen, die die französische Regierung angekündigt hat, haben werden. Wir debattieren hier also zu einem Zeitpunkt, da selbst die internationalen NATO-Experten noch nicht in der Lage sind, die politischen und militärischen Folgen richtig zu werten und einzuschätzen. Das gebietet uns und allen, die sich auch außerhalb dieses Hauses in unserem Lande und in der westlichen Welt an der Diskussion beteiligen, doch wohl, sich im Urteil eine gewisse Zurückhaltung und Vorsicht aufzuerlegen. Ich möchte daher an dieser Stelle dem Herrn Bundesaußenminister danken für die nüchterne Sachlichkeit und die Zurückhaltung der Regierungserklärung. Ich bitte, das nicht als eine Floskel ritueller Höflichkeit zu betrachten. Mir will scheinen, daß diese Art und diese Eigenschaften der Regierungserklärung eine der wichtigsten politischen Fakten unserer heutigen Diskussion in diesem Hause darstellen.
Die sachliche Prüfung der Probleme sollte im Hinblick auf unsere nationale Interessenlage in keiner Weise durch Emotionen irgendwelcher Art belastet werden. Ich sage das vornehmlich im Hinblick auf die Diskussion außerhalb unseres Hauses. Ich möchte aber auch meinen Eindruck nicht verschweigen, daß die heutige Diskussion nicht immer und nicht an allen Stellen ganz frei war von latenten Emotionen. Ich stelle die Frage: cui bono? Wem helfen wir eigentlich mit Emotionen, mögen sie menschlich auch noch so verständlich sein? Ich meine, daß es den deutschen Interessen entspräche, wenn diejenigen, die glauben, es ihrem Temperament schuldig zu sein, hier auch ihrem Gefühl etwas Ausdruck zu geben, dies nach Möglichkeit im stillen Kämmerlein täten.
Wenn wir fragen, unter welchen sachlichen Aspekten wir diese Fragen prüfen sollen, so möchte ich mich hier in die Diskussion einmischen, die vorhin zwischen dem Kollegen Majonica und dem Kollegen Schmidt stattgefunden hat. Es mögen nur Nuancen sein, in denen ich mich vom Kollegen Schmidt unterscheide. Aber eines möchte ich doch sagen. Bei aller Berücksichtigung der Tatsache, daß es verschiedene Aspekte gibt, unter denen man die Dinge sehen kann, glaube ich doch, daß dem Gesichtspunkt unseres Sicherheitsbedürfnisses Priorität zukommt. Es gibt dafür einen - wie ich meine - überzeugenden Grund, nämlich den, daß sich, wenn diese Sicherheit verlorengehen sollte, andere Probleme, auch die deutsche Frage, leider in einem negativen Sinne von selbst erledigen könnten. Wenn der Herr Kollege Genscher mit Recht gesagt hat, daß Sicherheitsfrage und deutsche Frage unlösbar miteinander verbunden sind, so sollten wir, glaube ich, ruhig die Regierung bitten, diesem Aspekt unserer Sicherheitsinteressen doch den Vorrang vor anderen Aspekten zu geben. Damit meine ich keineswegs nur die Frage eines Prestiges. Wie dienen wir am besten unserer Sicherheit? Keineswegs, wie ich schon ausführte, durch emotionale Manifestationen und Meinungsäußerungen.
Ich glaube, wir sollten auch ein Zweites vermeiden. Der Herr Kollege Schmidt hat es bereits angeschnitten. Man sollte in der Diskussion alles vermeiden - das gilt nicht nur für uns, sondern auch für andere -, was die derzeitige Situation, das Klima im Bündnis noch belasten könnte. Herr Kollege Schmidt hat das weiter ausgeführt im Hinblick auf die seines Erachtens notwendige deutsche Verhaltensweise. Ich möchte dem hinzufügen, daß sich auch hier meines Erachtens gewisse Verpflichtungen für unsere Verbündeten ergeben. Wenn ich solche Äußerungen wie diese lese, daß man in Sorge sei, die Bundesrepublik würde diese Situation benutzen, um zu einer Hegemonie zu kommen, oder daß sie eine Aufhebung oder jedenfalls eine Lockerung der Kontrollbestimmungen für die deutsche Rüstungsindustrie bringe oder daß die Amerikaner sich künftig in einem unangenehm hohen Maße auf die Bundesrepublik stützen würden oder sich einer atomaren Mitbestimmung geneigter zeigen könnten, daß dadurch die Aussichten auf den Abschluß eines Atomsperrvertrages mit der Sowjetunion zunichte gemacht würden usw. usw., dann frage ich mich, was hier eine größere Rolle spielt, der Unmut über die Politik de Gaulles oder ein Mißtrauen gegenüber dem eigenen Verbündeten.
Herr Kollege Schmidt, nehmen Sie es mir nicht übel, aber an einer Ihrer Formulierungen habe ich Anstoß genommen. Sie meinten, daß die Verbündeten sich ärgern müßten, wenn wir beispielsweise statt zwölf 14 Divisionen bekämen. Ich finde, zu einem Sich-ärgern-Müssen besteht weiß Gott kein Anlaß. Ich finde, wenn Sie hier so etwas sagen, ohne sich wahrscheinlich bewußt gewesen zu sein, daß Sie damit diese Argumente unterstützen, die ja doch eine psychologische Belastung des Bündnisses darstellen, dann desavouieren Sie damit nicht nur die Politik dieser Regierung in den letzten 15 Jahren, sondern zugleich auch jene Politik, die uns allen in diesem Hohen Hause Gott sei Dank gemeinsam ist. Ich meine also, daß man auch solche Belastungen des Bündnisklimas vermeiden sollte.
Ich finde aber, daß es darüber hinaus auch noch andere Möglichkeiten gibt, die zu einer weiteren Versteifung der Situation führen könnten. Ich denke daran, daß z. B. die Art der Führung der Genfer Gespräche solche Möglichkeiten bietet. Ich denke daran, daß es sehr unzeitgemäß wäre, wenn von interessierter Seite - ich denke hier nicht an Vietnam; ich will nicht mißverstanden werden -, wie wir es in den letzten Jahren auch im WEU-Parlament wiederholt gehört haben, die Frage einer Ausdehnung des geographischen Wirkungsbereichs im Sinne von Art. 6 des Vertrages zur Debatte gestellt oder sogar forciert würde. Das wäre auch, glaube ich, sehr unzeitgemäß. Ich meine auch, daß eine unnötige Verzögerung der Regelung der nuklearen Frage innerhalb des Bündnisses eine derartige zusätzliche Belastung der Situation bringen würde. Ich könnte mir im Gegenteil vorstellen, daß es in dieser Situation der Gefährdung der Allianz ein sehr starkes politisches Bindemittel - das diese sicherlich sehr begrüßen würde - bedeuten könnte, wenn man gerade jetzt zügig zu einer allseits befriedigenden Lösung der nuklearen Frage im Bündnis käme.
Dr. Kliesing ({1})
Nun meine ich aber, daß wir den Tatbestand, wie er durch die Erklärungen der französischen Regierung geschaffen wurde, sehr nüchtern zur Kenntnis nehmen sollten. Ich denke da vor allen Dingen an eines: Es ist gesagt worden, man könne ja die Taktik, die man in Luxemburg eingeschlagen habe, wiederholen.
Ich glaube, Kollege Erler, Sie haben dieser Tage einmal gesagt, man sollte Frankreich an den Tisch zurückholen. Das Beispiel hinkt etwas, erstens von der Substanz her, zweitens aber von der Systematik her. Es ist nicht nötig, Frankreich an den Tisch zurückzuholen. Denn der Tisch, um den es hier geht, ist doch wohl der NATO-Rat.
({2})
Diesen Tisch hat Frankreich doch gar nicht verlassen, und es denkt meines Erachtens auch gar nicht daran, ihn zu verlassen.
Es heißt in dem Aide-mémoire der französischen Regierung, daß sie sich keineswegs veranlaßt sieht, den am 4. April 1949 in Washington unterzeichneten Vertrag in Frage zu stellen. Mit anderen Worten - so fährt das Aide-mémoire fort-: Sie wird außer Ereignissen, die in den nächsten Jahren die Beziehungen zwischen Ost und West grundlegend ändern könnten, 1969 nicht von den Bestimmungen des Art. 13 des Vertrages Gebrauch machen und ist der Ansicht, daß die Allianz so lange dauern soll, wie sie notwendig erscheint.
({3}) - Bitte schön!
Bitte, Sie können eine Frage stellen.
Herr Kollege Kliesing, ist Ihnen entgangen, daß ich in voller Übereinstimmung mit den Texten, die Sie eben vorgelesen haben, in meiner Rede sagte: „Daher muß am Tisch der Gemeinschaft verhandelt werden, im NATO-Rat, den Frankreich ja nicht verlassen, sondern im Gegenteil auch künftig in Paris behalten will. Dies ist ein Anhaltspunkt dafür, daß ein solcher Versuch, die Dinge in der Gemeinschaft zu halten oder in sie zurückzuführen, nicht aussichtslos ist"?
Herr Kollege Erler, ich glaube, das ist insofern ein Mißverständnis, als sich meine Ausführungen, die übrigens gar nicht polemisch gemeint waren, nicht auf diese Rede, sondern auf ein Interview bezogen, das ich dieser Tage in einem der Pressedienste gefunden habe. Das wollte ich hier nur klarstellen.
Frankreich verläßt nicht den Vertrag und das Bündnis, sondern die Organisation des Bündnisses, die in Anwendung des Art. 9 später entstanden ist. Das ist sicherlich bedenklich genug. Es ist vielleicht nicht so sehr wegen der militärischen Folgen als vielmehr wegen der unseres Erachtens verhängnisvollen politischen Prämisse bedenklich, auf der die französischen Konsequenzen beruhen, daß nämlich die Gefahr eines sowjetischen Angriffs auf Westeuropa nicht mehr bestehe. Ich will nicht das wiederholen, was hier dazu gesagt worden ist, sondern lassen Sie mich nur noch eine Anmerkung dazu machen. Wir alle sind Zeugen geworden, wie vor einigen Jahren einmal die gesamte westliche Verteidigungskonzeption infolge einer militärtechnischen Neuerung geändert werden mußte. Das war die Folgeerscheinung des Sputniks. Da stellte sich heraus, daß die Sowjetunion nicht nur die Atombombe, sondern auch die Trägerwaffen besaß, die eine Verteidigungskonzeption im Sinne etwa des Radford-Planes illusorisch machten.
Selbst wenn ich mich heute auf den Standpunkt stellen würde, was ich nicht tue, daß der Kommunismus in Europa keine Bedrohung mehr darstelle - jedenfalls keine militärische Bedrohung mehr - und daß ein Krieg nunmehr in Europa mehr oder weniger ausgeschlossen sei, muß ich mir doch die Frage stellen, ob nicht bereits in der nächsten Woche oder jedenfalls über kurz oder lang durch eine militärtechnische Neuerung - beispielsweise durch einen entscheidenden Fortschritt auf dem Gebiet der Entwicklung der Antiraketenrakete - wiederum die gesamte verteidigungspolitische Situation in Europa erschüttert wird. Ich will damit sagen, daß man auf der augenblicklichen verteidigungspolitischen Situation keine Häuser aufrichten kann, weil diese sehr schnell wieder anders werden kann. Das scheint mir auch ein Grund dafür zu sein, sehr große Sorge wegen der Art des französischen Vorgehens zu äußern.
Nun haben Sie, Herr Kollege Schmidt, eine Reihe von Fragen an Frankreich gestellt. Sie haben gesagt, die müßten debattiert werden. Selbstverständlich. Aber ich bitte Sie, Frankreich ist ja bereit, diese Fragen mit uns zu diskutieren. In diesem Memorandum heißt es:
Es muß geprüft werden, welche Verbindungen zwischen dem französischen Oberkommando und den NATO-Kommandos herzustellen sind, ebenso wie die Bedingungen festgelegt werden müssen, unter denen die französischen Streitkräfte, vor allem in Deutschland, in Kriegszeiten, wenn Artikel 5 des Vertrags von Washington zur Anwendung gelangen sollte, an gemeinsamen militärischen Aktionen teilnehmen würden, und zwar sowohl am Befehl wie an den eigentlichen Operationen.
Das heißt doch: grundsätzlich hat Frankreich ein Interesse daran, hier mitzuwirken. Das ist doch, sagen wir einmal, auch schon etwas, das stellt schon etwas dar. Das hat uns doch in der Vergangenheit beispielsweise das hohe Maß von Zuverlässigkeit bewiesen, das der französische Staatspräsident gegenüber seinem Verbündeten USA in der KubaKrise bewiesen hat.
Ich meine also, wir sollten keine Politik betreiben, die von vornherein davon ausgeht, daß es auch ohne die Franzosen geht, wie das leider Herr Schmidt gesagt hat. Das ist eine theoretische Möglichkeit. Sie haben hier eine ganze Anzahl detaillierter französischer Interessen aufgezählt. Ich stimme Ihnen weitgehend zu. Man könnte aber auch die Gegenrechnung der deutschen Interessen ebenso
Dr. Kliesing ({0})
detailliert aufmachen. Dabei meine ich allerdings, man sollte das nicht urbi et orbi deklamieren. Das wäre taktisch etwas ungeschickt. Jedenfalls sollte man aber nicht a priori eine Politik betreiben, in der es heißt: Die Franzosen sollen, wenn sie disintegriert werden wollen, eben nach Hause gehen. - Ich fürchte, das würde unseren nationalen Interessen nicht entsprechen, weder den Sicherheitsinteressen noch unseren Bedürfnissen in der deutschen Frage, und würde letztlich doch auf eine Politik hinauslaufen, die sich nach dem Motto richten würde: Es schadet meinem Vater nichts, wenn ich meine Hände erfriere; warum kaufte er mir keine Handschuhe?
({1})
Man wird deshalb verschiedene Fragen stellen müssen. Die Frage des Status ist vielleicht die schwierigste Frage bei den Verhandlungen mit Frankreich. Weiter die Fragen: Was geschieht denn mit den französischen Truppen? Was werden sie für einen Auftrag bekommen? Wie wird ihre Funktion im Rahmen des Bündnisses festgelegt werden? Man wird alle diese Aspekte, so glaube ich, miteinander koppeln müssen.
Herr Kollege Schmidt, in diesem Zusammenhang haben Sie noch etwas gesagt. Sie meinten, es gehe auch ohne Frankreich, und Sie fügten hinzu - ich habe es mir aufgeschrieben -, es würde dann ein bißchen teurer. Ja, meine Damen und Herren, ich glaube, auch hier sind wir an einem Punkt angekommen, den wir ganz nüchtern sehen müssen. Wir kennen die personelle Situation der Bundeswehr. Wir wissen, was an Führungspersonal fehlt. Es wäre eine sehr schwierige Sache, zusätzliche Einheiten aufzustellen, und es würde uns darüber hinaus wirtschaftlich und finanziell sehr belasten.
Es kommt ein Zweites hinzu. Wir kennen doch auch die Lage unseres Verteidigungshaushalts. Ich glaube, es ist jetzt so, daß die einmaligen Ausgaben und die fortlaufenden Ausgaben inzwischen das ungüstige Verhältnis von 6 : 11 erreicht haben. Wollen wir von diesem Block der 6 Milliarden nun auch noch einiges an zusätzlichen Kosten abzweigen, von denen wir glaubten, daß sie durch die NATO-Infrastruktur bereits gedeckt wären? Das würde uns sehr belasten. Wer also sagt: Gut, wir müssen alles jetzt aus Frankreich herausholen, die Depots, die Infrastrukturanlagen, muß wissen, daß er dann zur Kasse treten muß. Das gilt nicht nur für uns. „Ein bißchen teurer", das klingt doch so, als wenn das etwas bagatellisiert werden könnte. Ich fürchte, das ist nicht der Fall.
Deshalb, meine ich, sollte man hier nicht voreilig Urteile fällen, sondern man sollte diese Dinge sehr nüchtern im Sinn haben. Im übrigen glaube ich, Herr Kollege Schmidt, würde es nicht nur in finanzieller Hinsicht ein bißchen teurer. Sie haben hier die militärtechnischen Aspekte gewürdigt. Es gibt auch eine politische Seite zu würdigen. Wenn es schon eine schlimme Sache, eine bedenkliche Sache ist, daß Frankreich die Organisation des Bündnisses und vor allen Dingen seine Integration verläßt, so wäre es, glaube ich, aus politischen Gründen eine noch
wesentlich schlimmere Angelegenheit, wenn es auch noch das Bündnis verlassen würde. Deshalb sollten wir das um Gottes Willen nicht als eine Sache hinstellen, die ja doch jetzt nach dem Wegfall der Integration mehr oder weniger faul ist und bei der nichts mehr herauskommt. Deshalb bin ich also der Auffassung, daß wir mit den Franzosen sehr nüchtern und sehr sachlich verhandeln sollten und daß wir uns unserer Möglichkeiten und der Westen sich seiner Möglichkeiten und auch der Grenzen seiner Möglichkeiten sehr bewußt sein sollten. Ich könnte mir vorstellen, daß doch zu guter Letzt bei allen Beteiligten die Vernunft siegen würde.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Borm.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Eingangs der heutigen Sitzung wurde festgestellt, daß die erste hektische Reaktion auf die Haltung der französischen Regierung nach und nach einer ruhigen Beurteilung zu weichen scheint. Ich hoffe, daß sich auch bei unserer heutigen Sitzung nach einigen Emotionen nunmehr die Ruhe einstellt.
Wenn wir nämlich die Dinge einmal nüchtern betrachten, so stellen wir fest, daß die Haltung des Herrn de Gaulle und das, was er getan hat, immerhin ein sehr Gutes hat. Es ist nämlich zutage getreten, daß die Weltpolitik nichts Statisches, sondern eine höchst dynamische Angelegenheit ist. Wer hätte vor fünf Jahren in diesem Hause gedacht, daß wir vor der Situation stehen würden, daß die NATO so erschüttert ist! Ich glaube, es ist eine ganz gute Lehre für alle jene auf der Welt, die glauben, daß man eine Politik der Statik treiben könne in einer Zeit, in der die Welt sich neu formiert.
Welche Konsequenzen hat das nun für unser deutsches Land? Wir sollten uns einmal klarwerden, daß wir nicht immer nur zu reagieren haben, sondern daß wir versuchen sollten, einmal deutsche Politik zu treiben, nicht nationalistische Politik, sondern deutsche Politik der eigenen Interessen, aktiv und primär deutsche Politik, keine Politik aus zweiter Hand, aus starker Hand, aus verbündeter Hand. Denn all diese Dinge können sich mit der Zeit einmal ändern.
({0})
Zuverlässig auch in der Politik ist nur das eigene Volk, ist nur die eigene Nation, wobei wir wissen, daß es auch innerhalb unserer eigenen Kreise manche Gegensätze gibt.
Wir sollten uns vielleicht sogar darüber freuen, daß jetzt eine Gelegenheit da ist, gemeinsam mit unseren Verbündeten aus der gemeinsamen Interessenlage heraus diejenigen Konsequenzen und diejenigen Schritte zu überlegen, die notwendig sind, wenn wir uns der sich verändernden Weltlage als Ganzes anpassen wollen; mit unseren Freunden nicht nur in der NATO, sondern auch mit unseren Freunden in der EWG und mit all denen, die bereit sind, vertrauensvoll mit uns zu sprechen. Wir sollBorm
ten die Positionen, die sich jetzt ergeben, nüchtern überprüfen. Wir stehen nicht, wie es leider öfters der Fall gewesen ist, vor der Wahl zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich. Wir stehen auch nicht unter Zeitdruck. Ich glaube, wir sollten diese Dinge sehr nüchtern werten.
Da ergibt sich für uns, wenn wir deutsche Politik treiben, als erstes die Frage: Gehört zu den gemeinsamen Interessen zwischen uns und unseren Verbündeten die Notwendigkeit und der Wille, die deutsche Einheit zu fördern, sie wiederherzustellen? Ich neige nicht dazu, Herrn Dr. Blömer - sein Name wurde heute schon einmal genannt - recht zu geben, der uns davor warnte, dem kindlichen, naiven Glauben anzuhängen, daß unsere Freunde und unsere Gegner zu unserem nationalen Anliegen, die Einheit unseres Volkes wiederherzustellen, jemals ihre Zustimmung geben würden. Wäre das nämlich der Fall, dann würde sich für uns in der Beurteilung der jetzigen Situation und in der Zielsetzung, aus dieser Situation herauszukommen, eine völlig andere Lage ergeben. Ich glaube, wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, daß unsere Freunde gewillt sind, den Weg zur deutschen Einheit mit uns gemeinsam zu gehen. Wir haben allerdings den Wunsch anzubringen, daß dieser gemeinsame Wille manchmal durch politische Taten etwas mehr erkennbar wird, als wir manchmal feststellen müssen.
Vor wenigen Tagen las man in der Zeitung - es hing mit der Vietnam-Frage zusammen -, daß die USA uns, der Bundesregierung, prophezeiten, daß diese Bundesregierung in der Well international mehr Gewicht gewinnen werde. Ich glaube nicht, daß die Vereinigten Staaten das auf die Situation, die wir heute haben, bezogen haben. Aber eines ist jetzt wohl klar. Nachdem Frankreich seine Kündigung der Integration in der NATO bekanntgegeben hat, ist für die NATO, ist für die freie Welt die Stellung der Bundesregierung gewichtiger geworden, als sie vorher war. Das sollten wir sehr nüchtern erkennen, und wir sollten das auch ausnützen. Deutschen Politik unter diesen Aspekten treiben heißt gegenüber unseren Verbündeten, ihnen klarzumachen, daß man von uns keine weiteren Leistungen bedeutender Art, keine Vorleistungen erwarten kann, wenn wir auf Gegenleistungen ständig würden warten müssen. Wir erwarten weder freiwillige Leistungen zu unseren Gunsten, die wir nicht bezahlen wollen, noch dürfen unsere Verbündeten erwarten, daß wir auf die Dauer ohne erkennbare Bezahlung weiterhin Vorleistungen geben.
Gegenüber dem Osten - unser deutsches Volk ist in seiner nationalen Frage schon durch seine geographische Lage nicht nur dem Westen, sondern auch dem Osten zugeordnet - sollten wir gerade in der heutigen Situation Wege suchen, das Gespräch auch mit ihm zu finden, wobei wir vielleicht erkennbar werden lassen sollten - was politisch nicht unmittelbar relevant sein mag -, daß wir zu bedeutenden wirtschaftlichen Leistungen oder dergleichen bereit sind.
Der Herr Bundesaußenminister hat gesagt: Die NATO-Zugehörigkeit der Bundesrepublik steht völlig außer Frage. Ich glaube, es ist die Meinung des ganzen Hauses, daß in der Tat über die NATO-Zugehörigkeit nicht zu reden ist. Sie ist die Quelle unserer Sicherheit, sie ist die Grundlage unserer Politik.
Aber der Herr Kollege Barzel sprach von einer Weichenstellung. Ich glaube, wir sollten hier etwas behutsam sein. Man kann Weichen auch zu früh stellen. Bevor wir die Weichen in die Zukunft stellen, sollten wir sehr nüchtern die Gespräche nach allen Seiten hin führen. Eine zu früh gestellte Weiche kann sehr leicht zu einer Entgleisung führen.
Wir sollten uns einmal überlegen, daß es im Leben nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Wir sollten auch sehr vorurteilslos prüfen, was an der Haltung Frankreichs, an der heutigen Haltung Frankreichs, akzeptabel ist. Frankreich hat sicherlich andere Vorstellungen von der Gefährlichkeit des Ostens als wir. Wir sind ja auch die unmittelbar Bedrohten. Aber sicherlich steht das eine fest: Die moderne Waffentechnik hat die Strategie verändert, und die Strategie muß notwendigerweise auch die Politik verändern. Wir müssen also das Gespräch auch mit Frankreich, gerade mit Frankreich in seiner Eigenwilligkeit suchen, nicht allein, sondern gemeinsam mit unseren Verbündeten, nicht gereizt, sondern verständnisvoll mit dem Ziel, das französische politische, wirtschaftliche und militärische Potential zu unserer Sicherheit und zur Sicherheit des freien Teils der Welt weiterhin einsatzbereit zu sehen.
Die Lage unseres Volkes unterscheidet sich grundsätzlich von der Lage der anderen. Unser deutsches Land ist geteilt. Allein das macht uns weniger bewegungsfähig in unseren Entschließungen, da wir ein ganz bestimmtes nationales Ziel zu verfolgen haben.
Die deutsche Hauptstadt liegt im Bereich des Gegners. Es ist eine politische Selbstverständlichkeit für uns, die deutsche Hauptstadt- nicht aufzugeben. Aber wir sollten uns darüber klar sein, daß diese Tatsache für uns ein gewisses Handikap darstellt.
Es ist angeklungen, man solle die Frage untersuchen, wie Frankreich sich zu seiner Garnison in Berlin stelle. Ich war erstaunt, von einem unserer Herren Kollegen zu hören, daß diese Frage eigentlich tabu ist. Warum soll man mit Freunden diese Dinge nicht besprechen? Es würde doch durchaus nicht abseits der Möglichkeiten liegen, wenn Frankreich sich Gedanken über die Beibehaltung seiner Garnison machte. Ich betone, ich bin nicht der Meinung, daß Frankreich daran zu rütteln denkt; aber das Gespräch als eine Erschütterung der Vertrauensbasis anzusehen, das scheint mir nicht den Tatsachen zu entsprechen.
({1})
Wir sind das europäische Grenzland gegenüber dem Osten. Im Grenzland sieht man die Dinge anders an als weiter abseits vom Schuß. Wir sind für Moskau der Prügelknabe innerhalb des atlantischen Bündnisses. Wir wissen ganz genau, daß
die Prügel, die an uns ausgeteilt werden, gar nicht immer nur uns allein treffen sollen; wir sind derjenige, den man schlägt, wenn man andere meint. Auch darüber sollten wir mit unseren Freunden sprechen, damit sie Verständnis dafür haben und Moskau in seine Schranken zurückweisen, wenn es sich wieder einmal sehr unqualifiziert auf uns stürzt.
In der heutigen Debatte ist sehr viel über die militärische Frage gesprochen worden. Das will ich mir jetzt versagen. Wie es angesichts der modernen Waffen möglich ist, die 180 km zwischen Eisenach und dem Rhein zu verteidigen, ist eine Frage, die die Militärs betrifft. Für uns ist aber die NATO ein höchst wichtiges politisches Problem, und da möchte ich zu zwei Äußerungen, die heute gefallen sind, nicht schweigen. Herr Kollege Zimmermann und Herr Kollege Birrenbach stellten es als unbedingt notwendig hin, die atomare Mitbestimmung für unser Land anzustreben; andernfalls würde es eine Diskriminierung der Bundesrepublik bedeuten. Ich darf die Kollegen darauf hinweisen, daß es weite Kreise in Deutschland gibt, denen eine deutlich erkennbare Zurückhaltung in der Frage der atomaren Waffen politische Klugheit zu sein scheint. Diese Frage ist im deutschen Volk noch nicht so eindeutig entschieden, wie die Kollegen anzunehmen scheinen. Was die Frage von mehr Divisionen oder gar eines Generalstabs anlangt - erfreulicherweise ist der Generalstab schon als derzeitig nicht erstrebenswert angesehen worden -, sollte man sich sehr wohl überlegen, ob die Folgerung aus der Haltung Frankreichs darin bestehen muß, mehr Divisionen aufzustellen. Sicher hat das militärische Vorteile, soweit diese Divisionen auf unserem beengten Raum wirksam eingesetzt werden können. Man sollte aber die möglichen militärischen Vorteile gegen die politischen Risiken abwägen. Denn eines dürfen wir feststellen: sowohl bei unseren Verbündeten, bei unseren Freunden als auch - natürlich politisch bedingt - bei unseren Widersachern ist das Mißtrauen gegen die Bundesrepublik noch nicht überwunden, sondern geradezu eines der Elemente der Politik mit oder gegen uns. Das sind Tatsachen, mit denen wir uns abfinden müssen, ob uns das nun gefällt oder nicht.
Die NATO ist für uns - das ist erfreulicherweise schon festgestellt worden, und ich darf es noch einmal bekräftigen - unverzichtbar als Grundlage unserer Sicherheit, solange es keine allgemeine europäische - glaubwürdige - politische Sicherheit gibt. Die NATO muß sich aber für uns in Zukunft nicht nur militärisch, sondern auch politisch auszahlen.
Ferner ist die heutige Krise keine Gelegenheit, Deutschland erneut zu diskriminieren. Darüber brauchen wir wohl nicht zu reden.
Im Hinblick auf die Reise des Herrn de Gaulle nach Moskau sollten wir daran denken, daß es zu einer ehrlichen Freundschaft gehört, in rückhaltloser Offenheit mit der französischen Regierung zu sprechen, ob es nun einen entsprechenden Vertrag mit ihr gibt oder nicht. Wir sollten nicht von vornherein dem Glauben anhängen, daß notwendigerweise Herr de Gaulle als Schlingenleger oder als Fallensteller nach Moskau geht. Es ist durchaus möglich, daß sich hier Ansätze ergeben, ihn als Pfadfinder zu einem Gespräch mit Moskau zu sehen. Wenn wir von Weichenstellung sprechen, meine Damen und Herren, dann sollten wir uns einmal in unserer Phantasie vorstellen, wie die Entwicklung im Jahre 1970 sich dargestellt haben wird. Es scheint mir die Aufgabe des Deutschen Bundestages und der deutschen Regierung zu sein, dafür zu sorgen, daß jetzt, nachdem die Politik auf der Welt in Bewegung gekommen ist, wir in Deutschland uns 1970 nicht zu sagen haben: wir haben eine Gelegenheit verpaßt. Dazu gehört aktive, konstruktive, mutige deutsche, nach deutschen Interessen ausgerichtete Politik.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Herr Kollege Borm macht es mir schwer, noch zu sprechen, denn wer will nach so vielen Appellen gleichzeitig an die Nüchternheit und an die Bereitschaft zum Mut, die, je später der Abend wurde, um so eindringlicher erklungen sind - was ich für ein gutes Zeichen halte, sowohl was den Stoff, als auch was die geistige Verfassung betrifft, in der wir an ihn herangehen -, wer will da noch lange ausschweifen! Ich muß aber - es tut mir leid, Ihnen das antun zu müssen - im Zusammenhang mit den Ausführungen meiner Kollegen Erler und Schmidt - wäre es auch nur, weil sie es angekündigt haben - noch auf einige Punkte zu sprechen kommen.
Es ist nicht meine Sache, ein Fazit zu ziehen, aber das ist ja wohl bei allen Unterschieden in der Art des Herangehens an das Problempaket hier nicht strittig gewesen, daß es um die Sicherheit und um die Grundlage der Deutschlandpolitik geht; sowohl als auch! Dazu ist doch wohl noch einiges zu sagen.
Ich möchte vor allem dem verehrten Herrn Kollegen Kliesing raten, mit der auch von ihm beschworenen Nüchternheit und der von mir jetzt angeratenen Ruhe nachzulesen, was der Herr Helmut Schmidt tatsächlich ausgeführt hat. Bei nüchternem Lesen werden Sie sehen, daß es das legitime Recht in Anspruch nehmen heißt, das die parlamentarische Opposition hat, hier die Regierung nicht nur vor eine Reihe von Fragen zu stellen, sondern ihr auch eine Reihe von Fragen aufzutragen, die sie in einem schwierigen Geschäft vielleicht sogar brauchen kann; nicht nur, weil wir sie daran anbinden wollen, sondern weil sie damit auch operieren kann.
Über eines sollten Sie sich aber nicht wundern, Herr Kollege Kliesing: über den Chor der Stimmen, die jetzt mit Ankündigungen von einer Vorzugsrolle, die der Bundesrepublik nun auferlegt oder angetragen oder nähergebracht werden würde, die französischen Schritte zu übertönen versuchen. Das gehört zu dem Geschäft, und das gehört auch zu der
Wehner eigentümlichen Lage, in der die Bundesrepublik sich befindet.
({0})
- Ich kann Sie nicht hindern.
({1})
Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Kollege Wehner, sind Sie der Auffassung, daß dieser Chor der Stimmen, der „zum Geschäft gehört", wie Sie sagen, unserem gemeinsamen Anliegen im Bündnis förderlich sein würde?
Ich bitte um Entschuldigung: Lesen Sie das genau so ruhig nach, wie ich das jetzt gemeint habe. Es geht hier nicht um ein Anliegen oder ein Gemeinsames, sondern darum, daß Sie in der nächsten Zeit, Herr Kollege Kliesing - und da werden Sie sich nicht mehr wundern dürfen - eine zunehmende Kakophonie von allen möglichen Unterstellungen hören werden. Wie man nationalistisch in den Wald hineinruft, so klingt es auch aus ihm heraus. Das ist die unausbleibliche Folge dieser Kette von Schritten heraus aus dem, was mit dem Wort „Integration" und was mit dem Wort - wir haben es ja in den europäischen Fragen erlebt - „übernationale Regelung" gemeint war. Sie mißverstehen uns; Sie haben sowohl Erler mißverstan- den - das macht es mir leichter, auch von Ihnen mißverstanden zu werden - als auch Schmidt. Hier geht es gar nicht um Polemik unter uns, sondern darum, daß wir uns dafür wappnen müssen, daß jetzt alles mögliche auf uns herunterhageln wird, der Jahreszeit entsprechend.
Aus diesem Grunde gebe ich Ihnen einen Rat und auch Herrn Birrenbach, den ich mit seinen hier zitierten Bekenntnissen - die ich durchaus teile - zur Integration, zu der Tatsache, daß es kein deutsches, sondern ein europäisches Problem sei, durchaus verstehe. Nur: wem sagen Sie das jetzt, und dazu, daß die Stunde der NATO-Reform gekommen sei? Da kenne ich einen, der war jahrelang Bundeskanzler, und der hat wiederholt gesagt, eigentlich trenne uns gar nicht so viel, weil wir ja auch für eine Reform der NATO seien. Dabei ist ganz klar, daß hier der eine, der eine ganz bestimmte Reform, die er jetzt anmeldet, machen will, und der andere, der von der Notwendigkeit von Reformen spricht, durchaus Verschiedenes darunter verstanden haben und auch jetzt wieder verstehen. Mit dem bloßen gleichzeitigen Benützen des Begriffes wird man also nicht weiterkommen, ebenso wenig wie mit den einige Jahre später hier von verschiedenen Kollegen - die ich darum beneide, daß sie mir das weggenommen haben - wieder in Erinnerung gerufenen Zitaten Kennedys und anderer in bezug auf den Partner, den die Vereinigten Staaten sich wünschten, nämlich eine Weltmacht Europa. Nur, das hat schon damals dem französischen Staatspräsidenten nicht sagen, Selbstdiziplin oder Selbstbeschränkung, die wir uns im Falle der Auseinandersetzung um die Europäische Gemeinschaft auferlegt hatten, befänden. Es geht um die Methode, um die Haltung dazu. Natürlich konnten in bezug auf die Europäische Gemeinschaft fünf nicht den sechsten Partner ersetzen; aber sie konnten sich mühen, das offenzuhalten, was es an Möglichkeiten gibt, an denen dann weitergebaut werden muß. Hier ist schon mit erhobenem Zeigefinger darauf hingewiesen worden, daß es im Falle der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation ja noch keinen verlassenen Tisch gebe. Es geht nur eben einfach um das Herangehen an den Versuch, mit der Sache einigermaßen fertig zu werden.
Ob ein solcher Vorschlag wie der hier von Herrn Kollegen Genscher ausgesprochene Aussicht hat, weiterzuhelfen - in diesem Jahr, so wurde ja bestimmt gesagt -, der Vorschlag, daß noch, wenn ich mich nicht irre, die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik zu einer Konferenz zusammenkommen sollten, wird genau zu überlegen sein. Ich wäre nicht von vornherein dagegen; aber ich glaube auch nicht, daß, wenn man damit kommt, das andere, die Notwendigkeit des Kooperierens mit den übrigen Partnern in der nordatlantischen Gemeinschaft und mit denen, die sonst wichtig sind, damit ausgeschlossen wird.
Da komme ich eben zu der Frage, von der hier schon in der Diskussion mehr oder weniger gesagt worden ist, es gehe um die Sicherheit und um die Basis der Politik, wobei einen ja die Frage quält, ob sich an dieser Basis der Politik etwas - die einen sagen: ändert, vielleicht kann man sagen: schon geändert hat. Es ist etwas in der Entwicklung. Meine Damen und Herren, welches die Beweggründe sind, die die französische Politik leiten, können wir vielleicht gar nicht genau feststellen. Da wird der eine glauben, mehr recht zu haben, wenn er so, oder der andere, wenn er anders rät. Aber welches immer die Beweggründe sind, ich fürchte sehr, die Folgen werden für die Deutschland-Politik zahlreiche und unter Umstände schwere werden.
Hinsichtlich der Beweggründe wollte ich mir nämlich einen Hinweis erlauben. In dem Text, den die französische Botschaft hier über dieses Aide-mémoire und einiges Dazugehörige verbreitet hat, finden Sie - im Text des Aide-mémoires in der deutschen Übersetzung -, daß sich die Natur der Drohungen, die auf der westlichen Welt, besonders in Europa, lasteten und die den Abschluß des Vertrages motiviert hatten, geändert haben. Sie hätten, so heißt es da, nicht mehr den unmittelbaren, den drohenden Charakter, den sie einst besessen hätten. Und schließlich sei es eine Tatsache, daß
Europa nicht mehr der Brennpunkt der internationalen Krisen sei; dieser habe sich woandershin verlagert, besonders nach Asien.
Entschuldigen Sie, daß ich so langweilig zitiere. Aber auf der übernächsten Seite, auf der französische Aussagen zum NATO-Problem zusammengestellt sind, und zwar offensichtlich höchst authentische Aussagen, steht unter Ziffer 3, zitiert aus der Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten vom 11. April 1961:
Der dritte Punkt ist der: Seit Bestehen des Atlantik-Bündnisses ist die Kriegsgefahr nicht mehr auf Europa beschränkt, sie erstreckt sich über die ganze Welt, besonders auf Afrika und Asien.
Entschuldigen Sie zu später Stunde diesen Ausflug in die Metamorphose der Beweggründe und der Argumente. Nur, da wir ja mit dem heutigen Abend dieses Thema nicht zu den Akten legen können, wird es uns immer wieder ankommen. Das, was ich hier eben in diesem von der französischen Botschaft verbreiteten, uns aufklären sollenden Material finde, zeigt eine so große Unterscheidung schon in bezug auf das, was den Ausgangspunkt betrifft.
Es wird, meine Herren von der Regierungsbank, Sache der Bundesregierung sein, in bezug auf die Deutschland-Politik die rechtlichen Verbindlichkeiten genau zu prüfen und um ihre Wahrung besorgt zu sein.
Im übrigen, Herr Kollege Majonica, ich verstehe
B wohl, daß Sie sich genötigt sahen, in diese Debatte auch noch etwas Polemik hineinzubringen. Aber statt einer Distanzierung von Erlers Ausführungen hier in bezug auf die Rolle der französischen Truppen - die ja doch durch den Text selber herausgefordert worden ist, auf den derjenige angewiesen ist, der das aufgreift und herauszufinden versucht: was steckt denn da wohl alles dahinter? -, wäre es richtiger gewesen, anzuerkennen, daß die französische Stellungnahme selber uns zu solchen Fragen drängt.
Nehmen Sie die Debatten, die wir hier über die Verträge hatten. Ich habe hier dieses vergilbte Exemplar aus dem 2. Deutschen Bundestag: 69. Sitzung, 24. Februar 1955. Ich habe mich dabei nur an den Bericht des Herrn Kollegen Professor Furler gehalten. Da werden Sie nachlesen - ich gebe Ihnen jetzt nur die Hinweise; den es wäre wirklich grausam, da noch im Detail zu schwelgen -, daß es damals nicht nur schwierig, sondern notwendig war, herauszufinden, was er eigentlich mit den Vorbehaltsrechten im Geiste und Sinne der Verträge auf sich hatte. Da wurde gesagt,
daß die Vorbehaltsrechte ausdrücklich auf ihren Sinn und Zweck beschränkt sind, der darin besteht, die Rechtsposition gegenüber Sowjetrußland zu wahren. Die Vorbehalte können und dürfen also
- wurde interpretierend dazu gesagt -
gegenüber der Bundesrepublik nicht Befugnisse
geben, die der Aufhebung des Besatzungsregimes und der Souveränität widersprechen. Soweit Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Durchführung des gesamtdeutschen Vorbehalts im Gebiete der Bundesrepublik notwendig werden, können diese nicht einseitig und hoheitsrechtlich durch die drei Mächte durchgeführt werden.
Ich nehme an, das gilt auch dann, wenn eine von den dreien das will. Aber, wie gesagt!
Dann geht es um die Rechtsgrundlage der Streitkräfte. Das finden Sie auf derselben Seite 3593, nur in der zweiten Spalte:
Zum Verständnis der neuen Lage
- inzwischen haben wir wieder eine; das dreht sich fortgesetzt -
sind drei Dinge vorweg klarzustellen:
a) Die Rechtsgrundlage der Streitkräfte, die sich in Berlin befinden, ändert sich durch das Vertragswerk nicht. In Berlin halten sich alliierte Truppen auch in Zukunft ausschließlich auf Grund hoheitlicher Befugnisse auf, die sich aus besatzungsrechtlichen Grundlagen und aus den Viermächte-Vereinbarungen von 1945 ergeben.
Eine ganze Menge von Anhalts- und Gesichtspunkten, auf die hier geachtet werden muß!
Nehmen Sie dann diesen damals sehr umstritten gewesenen Art. 4 Abs. 2 des Deutschland-Vertrages in seiner Beziehung zum Aufenthaltsvertrag der Truppen, Stationierungsrecht, das ein hoheitliches Recht in eine vertragliches umwandelt. Dann stoßen Sie - bitte, tun Sie das, ich gebe Ihnen nur den Hinweis - darauf, daß der Auswärtige Ausschuß damals feststellen mußte, daß er mit der Regierung der Auffassung sei, für das Gebiet der Bundesrepublik sei nach dem Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag nur noch ein vertragliches Stationierungsrecht vorhanden; es erscheine dem Ausschuß auch nicht möglich, zwischen dem Recht und seiner Ausübung zu unterscheiden und zu sagen, bei fortbestehendem Hoheitsrecht sei dessen Ausübung gegenüber der Bundesrepublik nicht mehr oder nur noch mit deren Zustimmung zulässig, wie dies in den Ausführungen des Berichterstatters des Auswärtigen Ausschusses in der französischen Nationalversammlung vom 20. Dezember 1954 zum Ausdruck kommt, denn, so wurde damals gesagt, die Trennung widerspreche der Tatsache der Aufhebung des Besatzungsregimes, der ausdrücklichen Begrenzung der alliierten Vorbehalte, der Entstehung der neuen Rechtslage und der Existenz und dem Sinn des besonderen und selbständigen Aufenthaltsvertrages.
Sie werden noch manches darin finden, was heute neu gelesen zu werden verdient, und zwar unter dem Gesichtspunkt: Wie ist das? Muß befürchtet werden, daß z. B. die besonderen Bestimmungen, Berlin betreffend, wieder stärker angezogen werden? Und wenn das der Fall sein sollte: Welche Möglichkeiten bietet der deutsch-französische Freundschaftsvertrag sowohl zur eingehenden Erörterung als auch zu möglicherweise positiver EinWehner
Wirkung? Ich finde, das gilt für das Militärische
wie für das Politische in diesem ganzen Problem.
Die Frage, die im Zusammenhang mit der Londoner Schlußakte und der Entschließung betreffend die Zustimmungserklärung der übrigen Parteien des Nordatlantik-Vertrages - so hieß damals der Titel - für die Deutschlandpolitik entsteht: Wird das durch das französische Vorgehen sozusagen in der Substanz geändert, oder ändert sich daran nichts hinsichtlich der Verbindlichkeiten, die damals eingegangen worden sind? Das waren ja ganz beachtliche Erklärungen, auf die damals zurückzugreifen war.
Schließlich mache ich Sie auf das aufmerksam, was im Zusammenhang mit der Deutschlandpolitik gemeinsames politisches Ziel war. Es hieß nicht einfach Wiedervereinigung, sondern war eingehend definiert. Damals wurde auch von einer Minderheit, der ich angehört habe, die Frage gestellt, ob es denn im Zweifel ausführlich genug, ob es denn ausdrücklich genug festgelegt sei, was hiermit in unsere Hand an Instrumentarium für eine gemeinsame Politik mit den Vertragspartnern gegeben werde.
Haben wir es nun mit dem Nachlassen des Drängens - mit einem weiteren Nachlassen, möchte ich sagen -, auf eine friedensvertragliche Regelung z. B., zu tun? Sie finden in den damaligen Debatten, auch in dem Bericht des Berichterstatters des Auswärtigen Ausschusses allein, genug, was zur Wie- derholung dieser Frage Anlaß gibt.
Ich stimme mit denen überein, die hier in der
Debatte gesagt haben, daß man weder die Sicherheits-, noch die andere Seite, die die Basis der Politik betreffenden Fragen, zusätzlich dramatisieren sollte. Ich will auch sagen, warum ich zu denen gehöre, die das nicht tun wollen: vor allem - das ist meine ganz „eigengestrickte" Begründung -, weil die wirkliche Gegenseite alles daransetzen wird - und es dabei gar nicht schwer haben wird -, Honig aus allem zu saugen, was in diesen nächsten Monaten getan wird und dazu gesagt wird. Denn hier geht es um eine Trumpfkarte, als die die wirkliche Gegenseite das, was sich hier an Desintegration des Westens darbietet, behandeln wird, so daß der sowjetische Botschafter in Paris heute schon sagte, im Falle einer Liquidierung der NATO-Organisation würde auch der Warschauer Pakt liquidiert werden, denn er sei ja nur die Antwort auf den NATO-Pakt.
Heute abend ist schon daran erinnert worden, worauf der NATO-Pakt selbst eine Antwort war. Das weiß man hier noch sehr genau. Das war ja lange, bevor wir selbst aufgefordert wurden, in ihm eine Rolle zu spielen. Das hing damals mit Prag
- ich denke auch an Italien; es war dasselbe Jahr
- zusammen. Für Nachgewachsene, die den Vorteil haben, das alles nicht unmittelbar miterlebt haben zu müssen, stellt sich das jetzt alles ganz anders dar. Es stellt sich so dar: Ja, wenn NATO verschwindet oder wenn NATO - wie Herr Sorin es sagte - ihren aggressiven Charakter, ihre aggressive Note verliert, dann kann auch der Warschauer Pakt etwas usw. Das verspricht eine interessante-Reise zu werden.
Aus diesem Grunde und aus anderen Gründen prüfen und noch einmal prüfen, was alles drin ist, wo die Untiefen sind, wo die Falltüren sind, wie wir es auch im einzelnen bewerten und wie wir uns damals abgemüht haben bei den verschiedenen Rollen, die wir auszufüllen hatten im Ringen um die Verträge und hinsichtlich dessen, was inzwischen daraus und aus unserem Lande geworden ist, im Besseren und im Schlechteren!
In Deutschland ist ja seit dem Abschluß der Verträge mancherlei geschehen, was uns Deutsche auch schwer getroffen hat. Ich meine nicht n u r das. Sie wissen es ja auch. Es ist auch vieles geschehen, was die Lage gegenüber damals für uns besser erscheinen läßt. Zweifellos! Ich meine aber jetzt einmal den anderen Aspekt. Es ist ja seit dem Abschluß der Verträge mancherlei geschehen, was uns, jedenfalls als Deutsche, schwer getroffen hat und was die Spaltung unseres Landes und unserer Familien schmerzlich verstärkt hat und dennoch, meine Damen und Herren, dennoch von den Mächten, die Vertragspartner mit uns sind, hingenommen worden ist, weil sie der Meinung waren, ihre Verpflichtungen bzw. ihre Rechte würden dadurch - denken wir einmal an das Errichten der Mauer und das, was damit zusammenhing - nicht inFrage gestellt. Wenn man schon so einiges - und wir haben es alle erlebt, und unser Volk als Ganzes hat es erlebt - erlebt hat, dann wird man, was immer über die militärische Seite, über die militärischen Möglichkeiten gesagt, gedacht und weiter herausgeholt werden muß und wird, die Sorge nicht loswerden, ob sich hier nicht die Voraussetzungen der Deutschlandpolitik fortgesetzt und vorwiegend zuungunsten unseres Anspruchs auf staatliche Einheit in Freiheit verändern. Das ist eine Sorge, die man haben muß, nicht nur weil jetzt eine von den drei Mächten noch auf eine besondere Weise eine Nuance dazusetzt, sondern weil im Laufe der Jahre so manches geschehen ist.
Hier eine Warnung, die das Risiko hat, daß Sie sie mißverstehen, Der Begriff ist ja häufig angewandt worden, auch in der politischen Auseinandersetzung, in der Polemik. Kommt hier nicht so eine Art - hier komme ich zu diesem Begriff - „Neutralisierung" der Bundesrepublik, d. h., um es mal, wenn auch unvollkommen, zu definieren und zu interpretieren, Bindung der Bundesrepublik an die Unbeweglichkeit in den Fragen der Deutschlandpolitik und damit eine tatsächliche, wenn auch keineswegs völkerrechtliche „Parität" des von uns losgerissenen Teils Deutschlands auf uns zu? Das ist eine große Gefahr. Ich sehe sie in diesem Zusammenhang und will damit niemandem etwas unterstellen, weder einem der Partner noch jemandem hier bei uns. Aber statt für ein im Sinne wirklicher Partnerschaft europäisiertes Deutschland - ich meine ein Deutschland, in dem die Deutschen, die heute getrennt sind in Ost und West, zusammenleben können in einem Europa, das zusammenleben darf und kann -, statt für ein solches Europa mit all den dafür möglichen Sicherheits- und Nachbarschaftsvorkehrungen und -beziehungen in die Bütt zu gehen, Verhandlungen zu führen, zu drängen und auch
eine Weile zusammenzugehen, wird heute - fürchte ich - der Bundesrepublik manches von dem auferlegt, was im Grunde genommen möglich wäre, herausgehandelt zu werden für ein vereinigtes demokratisches Deutschland in einer europäischen Gemeinschaft. So sieht es jedenfalls aus.
Ich möchte hier der Gerechtigkeit halber sagen, daß ich selbst nirgendwo ausdrücklich eine französische Erklärung zugunsten der kommunistischen Mehrstaatendoktrin gesehen, gehört oder verspürt habe. Ich habe manchmal sogar mit Erstaunen festgestellt, daß Diplomaten der Französischen Republik dort, wo deutschen Diplomaten Schwierigkeiten durch andere gemacht worden sind, sich ordentlich und nicht nur ordentlich, sondern häufig vorbildlich verhalten haben in einer Solidarität, wenn man das bei Diplomaten so sagen darf. Das jedenfalls verdient auch aus meiner Sicht betont und festgehalten zu werden.
Aber, meine Damen und Herren, die Desintegrationsmaßnahmen, die hier nun stattfinden - hier politisch insgesamt gesehen sind sie eine besondere Art des Disengagement -, werden die Gegenseite eher ermuntern, obstinat zu werden als einzulenken und den Spannungsherd in Europa in ein Kernstück einer internationalen Friedensordnung umzuwandeln, was durchaus möglich wäre. Ich fürchte, was auch immer die Motive dessen - oder, falls es einige sind, derer - sind, die diese Politik, über die wir heute hier zu diskutieren hatten, und ihre Folgen einleiten, fortsetzen, - was immer ihre Beweggründe sein mögen, die tatsächliche Desintegration mit all dem, was darinsteckt, wird zu dem Gegenteil dessen führen, was vorgegeben wird, das man, wenn auch im Laufe einer Generation, erreichen möchte, erreichen werde und erreichen könnte.
Dennoch fasse ich mich am Riemen und sage: Einverstanden, Herr Barzel, wenn es in bezug auf die Sicherheit so gesagt worden ist. Vielleicht habe ich Sie nicht ganz exakt verstanden: Wir müssen versuchen, zu so viel NATO wie möglich und so viel Zusammenarbeit mit Frankreich wie möglich zu kommen. Dabei müssen wir aufpassen, daß wir nicht gegenläufigen Tendenzen ungewollt Hilfe leisten, und müssen mit versuchen, in bezug auf die Deutschlandpolitik ebenso klarzukommen.
Am Schluß auch noch eine Mahnung. Es ist keine Ermahnung zur Nüchternheit- die habe ich mir am Anfang schon erlaubt auszusprechen -, sondern zum Nachlesen dessen, was hier gesagt worden ist. Denn diese Debatte geht ja weiter. Sie ist nicht damit erledigt, daß wir uns heute hier unsere Sorgen und auch gewisse Übereinstimmungen gegenseitig versichert und begründet haben.
Ich hoffe, es war gut. Wie man zur Debatte am Anfang auch gestanden haben mag, am Schluß wird man sagen müssen: Es war gut. Vielleicht wird auch die Regierung denken: Es war nicht schlecht, dem Hause diese Gelegenheit gegeben zu haben, seine Meinungen der Regierung für ihre schwere Aufgabe mit auf den Weg zu geben. So gedacht, hatte die Debatte wohl ihren Sinn.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen am Ende einer beinahe vierstündigen Debatte. Ich möchte mit wenigen Sätzen, die ich jetzt noch sagen möchte, an das zuletzt Gehörte anknüpfen.
In der Tat steht die Bundesregierung nicht an, zu erklären, daß sie dankbar ist für diese Debatte und für die Zustimmung, die, wie mir scheint, in allen wesentlichen Punkten zu den Grundsätzen gegeben worden ist, die ich die Ehre hatte, für die Bundesregierung in diesem Zusammenhang vorzutragen. Ich habe die Überzeugung, daß uns diese Debatte die weitere Behandlung dieses Themas erleichtern wird. Das ist meine aufrichtige Überzeugung und nicht eine Captatio benevolentiae an dieses Hohe Haus.
Wenn ich jetzt nicht auf alles eingehen kann, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden Sie das verstehen. Das bedeutet aber nicht, daß ich nicht sehr vieles von dem, was gesagt worden ist, für außerordentlich wichtig und beachtlich halte. Sie dürfen sicher sein, daß die Bundesregierung mit großer Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt alle hier vorgetragenen Argumente ihrerseits neu wägen und wiegen und analysieren wird, um daraus den bestmöglichen Gebrauch in unser aller Interesse zu machen.
Ich darf mit ein paar Bemerkungen zu dem, was Herr Kollege Erler gesagt hat, anfangen. Herr Kollege Erler hat die Frage gestellt, ob nicht vielleicht ein Versäumnis der Bundesregierung darin zu sehen sei, daß sie die deutsche Öffentlichkeit nicht genügend über die Absichten Frankreichs unterrichtet habe. Herr Kollege Erler, ich teile den stillen Vorwurf oder die Vermutung, die dahintersteckt, in gar keiner Weise. Viel stärker, als das viele Menschen hier in Deutschland wahrnehmen wollen, ist die französische Politik durchaus artikuliert, durchaus ausgesprochen. Leider, leider stoßen wir immer wieder auf das Phänomen, daß man in französischen Aussagen vieles einfach überhört, während man sie mit großer Sorgfalt und großer Gewissenhaftigkeit anhören muß, gerade wenn man selbst Wert darauf legt, daß das, was wir sagen, mit derselben Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit angehört wird. Das ist eine allgemeine Bemerkung dazu.
Ich möchte Ihnen zugeben, daß in vier Punkten, die Sie genannt haben, in der Tat - das ist nicht erst seit gestern oder seit vierzehn Tagen so, oder was immer Sie wollen, sondern beinahe schon seit Jahren - bedeutende Meinungsverschiedenheiten im Lager der Allianz bestehen. Deswegen ist sehr vieles von dem, wovon wir heute einen Ausschnitt sehen und erörtern, unter Umständen noch ein gutes Stück ernster, als es in dieser Debatte zum Ausdruck gekommen ist. Gehen Sie bitte davon aus, daß sich
die Bundesregierung nicht einen Augenblick darüber täuscht.
Ich möchte unterstreichen, daß in der Tat über das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, über die Frage: klassische Souveränität oder Möglichkeiten größerer Gemeinschaft, über die Frage des glaubhaften Konzeptes der Abschreckung, über die Bewertung der Veränderungen im Osten und über die Möglichkeiten einer gemeinsamen Politik dort sehr weitgehende Meinungsverschiedenheiten bestehen. Hier handelt es sich nicht um Fragen, die man einfach in irgendeiner Weise in einen Vorwurf an die Bundesregierung ummünzen könnte; das ist glücklicherweise auch nicht geschehen. Das ist vielmehr eine Lage, um deren Besserung sich nicht allein die Bundesregierung bemüht hat, sondern mit uns viele unserer Verbündeten. Ich möchte hier keineswegs den Scheinwerfer nur auf einen einzigen gerichtet halten.
Herr Kollege Zimmermann hat gesagt, wir müßten Frankreich auf die Probe stellen. Er hat als Beispiel dafür, wo Frankreich auf die Probe gestellt werden sollte, die Straßburger Rede des französischen Staatspräsidenten vom Jahresende 1964 erwähnt, in der sich das Wort „europäische Verteidigungsgemeinschaft" findet. Ich sage noch einmal: Wir müssen sehr sorgfältig - Satz für Satz - auf das hören, was dabei gesagt worden ist. Ich kann aber nur das unterstreichen, was der Kollege Barzel dazu mit einigen Sätzen angemerkt hat. Gehen Sie doch bitte einmal von dem aus, was wir gerade erlebt haben. Wir haben uns in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft um ein hohes Maß von - nun drücke ich mich einmal etwas neutral aus - Gemeinschaftseinrichtungen bemüht und stoßen dabei auf ausgesprochene Schwierigkeiten. Glauben Sie also nicht, daß das, was ich soeben erwähnt habe, ein so vielversprechender Terminus sei. Hier zu dieser Abendstunde sind in diesem Hause noch manche dabei, die die Debatten von 1952 und 1953 mitgemacht haben. Ich erinnere mich, daß ich damals Ende der Legislaturperiode 1953 zum erstenmal in die Vereinigten Staaten fuhr. Wir waren zu der Zeit außerordentlich stolz und befriedigt darüber, hier ein großes, ein ungeheuer kühnes Integrationswerk, nämlich das der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft verabschiedet zu haben. Wir haben dann alle miteinander den Frühherbst 1954 erlebt, in dem dieses wunderbare Vertragswerk in Frankreich mit einer Bewegung der linken Hand in den Papierkorb versenkt wurde.
Das sind Tatsachen, die wir erlebt haben. Das andere sind Reden und Erklärungen, mit denen man hier an den Himmel wolkige Gebilde zaubert und sagt: das ist nicht für sofort, aber in 10, 20, 30, 40 oder mehr Jahren wird das so sein. - Ich weigere mich, das als praktische Politik anzusehen.
({0})
Die Wolken ziehen dahin. Wir sollten in der Tat nicht genötigt werden, unsere Zeit damit zu vergeuden, diese Wolken zu malen und zu betrachten; wir sollten vielmehr die Situation meistern, vor die wir gestellt sind.
Ich will dem Kollegen Schmidt eine an mich gerichtete Frage ganz klar und präzise beantworten. Wir haben nicht die allergeringste Neigung, über einen Abzug amerikanischer Truppen aus der Bundesrepublik zu verhandeln.
({1})
Wir stehen auch nicht vor der Notwendigkeit, darüber zu verhandeln. Ich habe dem Hohen Hause gesagt - ich rufe das in Erinnerung -, daß der amerikanische Verteidigungsminister Herr McNamara vor dem NATO-Ministerrat im Dezember erklärt hat - das ist eine bis heute in jeder Weise unwiderrufene Erklärung -, daß die Vereinigten Staaten nicht die Absicht haben, ihr Engagement in Europa zu vermindern; und zwar aus einer Reihe schwerwiegender Gründe, die wir alle als berechtigt anerkennen.
Die zweite Frage habe ich vorhin mit meinen Ausführungen über die europäische Verteidigungsgemeinschaft bereits präzise beantwortet.
Ich stimme Ihnen und den anderen Herren, die etwas Ähnliches gesagt haben, zu, daß in der Tat die Gleichberechtigung der Bundesrepublik Deutschland ein Element der Sicherheit ist und zu unseren Sicherheitsvoraussetzungen gehört.
Ich möchte hier ein ganz klares Dementi zu einer Pressemeldung abgeben, die, glaube ich, Herr Kollege Genscher zitiert hat und die sich heute in der „Welt" findet: „Die Differenzen Bonn-Washington" mit der Unterüberschrift: „Über Rechtsgrundlagen der alliierten Truppen in Deutschland". Dort wird die Behauptung aufgestellt, daß zwischen uns und der amerikanischen Regierung Meinungsverschiedenheiten über die Rechtslage aufgetreten seien. Wir haben von amerikanischer autorisierter Seite bereits die Erklärung, daß diese Meldung völlig unrichtig ist. Ich habe meine eigenen Gedanken über den Ursprung dieser Meldung, die ich hier nicht weiter zu erklären brauche. Aber ich möchte hier festgestellt haben, daß sie nach amerikanischer Auskunft völlig unrichtig ist.
({2})
- Ja nun, ich habe es nicht mit dem Signum zu tun, ich beschäftige mich mit dem Inhalt dieser Meldung, und ich wiederhole, sie ist uns gegenüber von autorisierter amerikanischer Seite dementiert und als völlig unrichtig bezeichnet worden. Wir hatten das übrigens nicht anders erwartet. Das war mir bereits klar, als ich das Vergnügen dieser Morgenlektüre hatte.
Sie, Herr Kollege Genscher, haben gesagt, daß die Deutschland- und die Sicherheitsfrage untrennbar verbunden bleiben, und dieser Gedanke hat sich in den Ausführungen einer Reihe von Kollegen gefunden. Ich halte das für eine absolut zutreffende Feststellung, die ich unterstreichen möchte.
Ein Wort an die Adresse des Herr Kollegen Kliesind. Herr Kollege Kliesing, Sie haben eine Frage angeschnitten, die mich seit Tagen beschäftigt, weil man bei der Lösung bestimmter Probleme ja immer
wieder danach sucht, ob es vergleichbare Situationen gibt, ob es Möglichkeiten gibt, an irgend etwas anzuknüpfen, was man gerade behandelt hat. Es drängt sich natürlich auf, an Luxemburg und an Brüssel und an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Monate, die wir hinter uns haben, zu denken. Nun, es ist eine sehr reizvolle Sache, darüber des längeren nachzudenken, wo Vergleichbares und weniger Vergleichbares liegt, wo Schwierigeres und möglicherweise. Leichteres liegt. Aber eine Sache haben wir, hoffe und glaube ich, alle gelernt aus der Art und Weise, in der wir hier miteinander - ich nehme nicht Anstand daran, das zu sagen - diese spiezielle Situation gemeistert haben; nämlich durch ein festes Zusammenhalten mit all denen, die zusammenhalten wollten, und durch ein ruhiges besonnenes Sprechen mit demjenigen oder meinetwegen auch mit denjenigen, die abweichende Tendenzen, abweichende Meinungen oder abweichende Wünsche haben. Wenn man daraus überhaupt für diese Situation wirklich Lehren ziehen kann - ich lasse das einmal offen -, dann ist es, glaube ich, die Lehre, daß die Einmütigkeit des größtmöglichen Teils der Partner ein wesentliches Element für die Lösung der Fragen ist, vor denen wir in den kommenden schweren Monaten stehen werden.
Ein Wort zu dem, was Herr Kollege Borm gesagt hat. Ich möchte ihn nicht des längeren kommentieren, aber eine Sache möchte ich doch gern etwas klar- und richtigstellen. Herr Kollege Borm, Sie haben gesagt - das hat mir nicht sehr gut und richtig geklungen -, wir sollten anfangen - und dann höre ich meistens gleich in Klammern: endlich anfangen -, deutsche Politik zu betreiben. Ich kann nur sagen, Herr Kollege Borm, ich würde mich schämen, diesem Hause anzugehören oder angehört zu haben, wenn ich nicht vom ersten Tage an hier nichts anderes als deutsche Politik betrieben hätte.
({3})
Dafür und für nichts anderes sind wir hierhergeschickt und dazu sind wir berufen.
Ich möchte dem Kollegen Wehner dafür danken, daß er sehr wertvolle Hinweise aus der Entstehungsgeschichte einiger Rechtsgrundlagen gerade hier im Hause gegeben hat. Wir werden - die Erörterungen in der nächsten Zeit werden das in extenso bringen - mit allergrößter Sorgfalt jedes Element dieser völkerrechtlichen Entwicklung auf
das sorgfältigste berücksichtigen. Denn das Recht und die rechtlichen Grundlagen gehören immer noch mit zu den wirksamsten Argumenten auch in der internationalen Diskussion.
Herr Kollege Wehner hat ein Wort zitiert - vielleicht hat er dieses Wort auch kombiniert -, daß es so aussieht, als ob hier Desintegration zu einer Trumpfkarte werden könnte. In der Tat, ich zweifle nicht einen Augenblick daran, daß eine Menge der Vorgänge, die sich in diesem Bereich in der letzten Zeit ergeben haben, von dem großen und so wichtigen Gegenspieler in Moskau unentwegt in dieser Weise betrachtet und behandelt werden. Aber das macht eines ganz klar: daß es unsere größte und notwendigste Aufgabe sein wird, dafür zu sorgen, daß, soweit wir das nur irgendwie verhindern können, eben nicht diese Art von Trumpfkarte geschaffen wird. Wir müssen vielmehr das Maß von mindestens praktischer Geschlossenheit erreichen, das wir unbedingt brauchen, das jedenfalls für das deutsche Interesse unverzichtbar ist.
Wenn man der Debatte gefolgt ist und wenn man den politischen Diskussionen der letzten Zeit sein Ohr geliehen hat, dann wird einem ganz klar, daß es möglicherweise noch relativ einfach ist, Sicherheit und mindestens das zu gewährleisten, was wir uns angewöhnt haben als Frieden zu bezeichnen, obwohl ich schon in meiner Eingangserklärung dies nicht als einen wirklichen Frieden anerkennen konnte. Die Aufgabe aber, dieses zerteilte Land wieder eins zu machen, ist ungeheuer viel schwerer als die, um deren Lösung wir jetzt mit gewissen aktuellen Schwierigkeiten zu ringen haben.
Ich wiederhole, die Bundesregierung ist dem Hohen Hause dankbar für die Haltung, did es in der heutigen Debatte ausgedrückt hat. Wir werden davon Gebrauch machen. Das wird zu unser aller Nutzen sein.
({4})
Ich schließe die Aussprache über die Regierungserklärung.
Wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 18. März, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.