Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Kollege Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der FDP beantrage ich für den Gesetzentwurf der FDP zur Anpassung der Kriegsopferversorgung Aufsetzung auf die Tagesordnung. Wir haben bereits in der letzten Woche darauf hingewiesen, daß dieses Hohe Haus nicht auseinandergehen darf, ohne dieses grundlegende Gesetz für die Kriegsopfer verabschiedet zu haben. Ich hoffe, daß sich die Koalitionsparteien dem Anliegen der Kriegsopfer in dieser Woche nicht mehr widersetzen werden.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Kollege Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Genscher, bereits in der vorigen Woche hat mein Kollege Frehsee Ihren Antrag als reine Wahlpropaganda klassifiziert. An seiner Klassifizierung hat sich für uns nichts geändert. Wir lehnen Ihren Antrag ab.
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Meine Damen und Herren! Sie haben die beiden Anträge gehört. Wer dem Antrag auf Aufsetzung dieses Gesetzentwurfs auf die Tagesordnung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
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- Ich war nicht in der Lage, die Gegenstimmen so schnell zu zählen, deswegen habe ich sie nicht erwähnt.
Wir kommen dann zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1})
betr. Änderung der Geschäftsordnung
- Drucksachen V/2479 ({2}) Nr. 1 und 3, V/69 ({3}), V/114, V/396, V/2955, V/3459, V/3895, V/3990, V/4373 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Mommer Abgeordneter Dichgans Abgeordneter Genscher
Wenn ich es richtig sehe, befinden sich noch drei Bestimmungen zur Änderung der Geschäftsordnung beim Haushaltsausschuß in der Beratung. Falls diese Beratungen abgeschlossen sein sollten und wir darüber jetzt einen Bericht bekommen könnten, könnten wir sie in unsere Verabschiedung mit einbeziehen. Sollten sie nicht abgeschlossen sein, schlage ich vor, daß wir diese Bestimmungen, die dem Haushaltsausschuß zur Beratung vorliegen, aus der Vorlage ausklammern. Nach einem Bericht des Haushaltsausschusses über diese Bestimmungen, können wir sie dann gesondert behandeln, damit wir die vorliegenden Punkte jetzt verabschieden können. - Das Wort dazu hat Herr Kollege Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, dem federführenden Ausschuß in jedem Fall Gelegenheit zu geben, zu dem Bericht des mitberatenden Haushaltsausschusses Stellung zu nehmen, d. h. dieses Kapitel abzutrennen. Gerade bei dem Thema Parlamentsreform sollten wir nicht von dem guten Grundsatz einer gründlichen Ausschußberatung abweichen.
({0})
Das wäre in meinem Vorschlag eingeschlossen, nämlich daß wir für diese Punkte einen gesonderten Bericht des Haushaltsausschusses und des federführenden Ausschusses bekommen.
({0})
- Natürlich! Wir trennen diese Punkte ab. Herr Kollege Rasner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind damit einverstanden. Wir möchten aber dem Willen Ausdruck geben, diese Materie dann in der nächsten Woche zu verabschieden. Es liegt uns daran, daß das noch in dieser Legislaturperiode geschieht.
Ich sehe gerade, daß eine interfraktionelle Vereinbarung über die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes getroffen worden ist. Dieses Gesetz soll in Erweiterung der Tagesordnung morgen behandelt werden. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden, die Tagesordnung insoweit zu erweitern. - Es ist so beschlossen.
Jetzt beschließen wir darüber, die Nrn. 16, 21, 22 und 23 aus unserer heutigen Beratung auszuklammern und nach den Berichten der beiden Ausschüsse gesondert zu verabschieden. Wenn das Haus damit einverstanden ist, ist es so beschlossen. - Ich höre keinen Widerspruch.
Wir kommen dann zur Beratung des Schriftlichen Berichts auf Drucksache V/4373. Ich schlage vor, daß wir über die Änderungsanträge, die zu Drucksache V/4373 vorliegen, nachher geschlossen abstimmen.
Zu der Vorlage hat der Berichterstatter, Herr Dr. Mommer, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Schriftlichen Bericht in einem Punkt ergänzen und zu § 74 a, der auf Seite 19 der Drucksache V/4373 zu finden ist, eine Klarstellung vornehmen. Es geht dabei um die Enquete-Kommission, zu der es in § 74 a Abs. 2 heißt:
Die Mitglieder der Kommission werden im Einvernehmen der Fraktionen benannt und vom Präsidenten berufen ...
Ich möchte klarstellen, daß der Gedanke dabei folgender ist. Die Enquete-Kommission soll uns, wie es in Abs. 1 heißt, helfen, Tatsachen zu finden, Analysen zu erstellen und vom Sachverstand her die politische und gesetzgeberische Arbeit vorzubereiten. Es soll zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Erfahrung und Praxis auf der einen Seite und Politik auf der anderen Seite kommen.
So, wie der Text lautet, könnte er dahingehend gedeutet werden, daß nur Wissenschaftler, erfahrene Praktiker und . dergl. in die Enquete-Kommission entsandt werden sollten. Das war nicht der Gedanke der Erfinder. Wohl war es ihr Gedanke, daß sich die Kommission fast ausschließlich aus Wissenschaftlern, Praktikern usw. zusammensetzen sollte. Dahinter stand aber auch der Gedanke, daß die Verbindung zum Parlament hergestellt werden muß. Dazu soll wenigstens ein Vertreter, im Ausnahmefall vielleicht auch mehr als ein Vertreter der Fraktionen in diese Enquete-Kommission entsandt werden, um die Herren der Wissenschaft und die großen Praktiker auch immer nahe bei der politischen Wirklichkeit zu halten. Wir kennen die Gefahren, die sonst entstehen. Ich wollte hier festgestellt haben, daß bei der Benennung der Mitglieder der Kommission daran gedacht werden muß, daß auch ein Vertreter der Fraktionen des Hauses mit dabeisein sollte, um die enge Verbindung mit der Praxis der Politik in diesem Hause zu garantieren.
Meine Damen und Herren, wird das Wort in der Aussprache gewünscht? - Ich habe eine Wortmeldung vorliegen. Herr Kollege Bauer ({0}) !
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist ebenso nützlich wie geboten, daß der Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses ein Wort zur Vorlage insgesamt und insbesondere zu dem anspruchsvollen Begriff „Parlamentsreform" äußert, den ja manche so auffassen, als ob es sich um eine Renovierung an Haupt und Gliedern, sozusagen eine Generalüberholung der Geschäftsordnung insgesamt, vielleicht sogar unter Ansatz radikaler Mittel, handelte. Diejenigen, die so denken, werden enttäuscht werden. Es werden nämlich keine Radikalkuren empfohlen oder angewandt. Einige Vorschläge, die schon am Anfang der Parlamentsreform von manchen Leuten gemacht wurden, waren: eine völlige Veränderung des Sitzungssaals durch neue Anlage der Sitzordnung, eventuell nur Platz für 300 Abgeordnete, herunter mit der Regierung von ihrem Podest, vielleicht sogar in den Keller, wobei wir uns nach der deutschen Tradition darüber klar sein müssen, daß die Regierung selbst in diesem Fall noch allgegenwärtig wäre. Manche wollen an den Anfang einer Parlamentsreform eine erhebliche Reduzierung der Zahl der Ausschüsse und eine Verringerung der Zahl der Abgeordneten setzen. Andere wiederum sehen in der Vervielfachung der wissenschaftlichen Hilfsdienste, in einer erheblichen Vermehrung der Fraktions- und Verwaltungsassistenz ein Allheilmittel. Im wissenschaftlichen Bereich wiederum wird diskutiert, ob unser Parlament ein Diskussions- oder Ausschußparlament sein soll.
All das ist natürlich in den umfangreichen Diskussionen in den Ausschüssen, und zwar sowohl im Geschäftsordnungsausschuß als auch in der Zehnerkommission, angeklungen. Ich möchte mit allem Nachdruck sagen, daß die Lösungen, die wir gefunden haben, pragmatisch sind. Sie konnten auch gar nicht anders zustandekommen, denn die Arbeitsgrundlagen, die wir gehabt haben, bestehen aus über einem Dutzend Vorlagen, die von allen Fraktionen gekommen sind. Zum Teil kamen sie von einer Fraktion, zum Teil wurden sie gemeinsam von mehreren vorgelegt. Sie kamen von Gruppen von Abgeordneten und auch von der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft.
Ich möchte bereits an dieser Stelle den interessierten Mitgliedern dieser verschiedenen Arbeitsgruppen herzlichen Dank sagen, die in vielen Sitzungen und intensiver Arbeit dazu beigetragen haben, daß Formulierungen erstellt worden sind, die uns ein ganz erhebliches Stück weitergebracht haben.
({0})
Bauer ({1})
Ich möchte auch deutlich machen, daß es sich um ein Arbeitsergebnis des Bundestages handelt und daß nicht etwa auf Koalitionsebene Absprachen erfolgt sind. Ganz präzise ausgedrückt: Die Opposition als solche ist im Ausschuß zu keiner Stunde etwa in einer Sonderstellung gesehen worden.
Als Fazit, als Resultat kann ich feststellen, daß eine große Zahl von Verbesserungen in Gestalt einzelner Maßnahmen getroffen worden ist. Diese Maßnahmen bedeuten - zusammengefaßt - einen beachtlichen Schritt nach vorn. Sie haben sowohl im Sinne einer verstärkten Arbeitsfähigkeit nach innen als auch im Sinne einer gesteigerten Wirksamkeit nach außen in bezug auf das ganze Parlament eine wesentliche Bedeutung.
Ich will schlagwortartig, im Telegrammstil unter den gesamten Beschlüssen einzelne herausgreifen. Ich stelle bewußt den sogenannten Minderheitenschutz an den Anfang. Wir können, glaube ich, sagen, wir haben ihn großgeschrieben.
Erster Punkt: So gut wie in allen Vorschriften ist das Fraktionsquorum auf 26 herabgesetzt worden. Ich möchte mir die Anmerkung erlauben, daß vielleicht manchen Mitgliedern dieses Hauses erst bei der großen Debatte über die Lohnfortzahlung klargeworden ist, was die Herabsetzung z. B. des Quorums bei der namentlichen Abstimmung in der Praxis bedeutet. Ich möchte nur andeuten, was sie eventuell in der Zukunft bedeuten kann.
Ferner enthält die Bestimmung über die Reihenfolge der Redner eine neue Einfügung, nämlich die, daß den Präsidenten die Rücksicht auf Rede und Gegenrede leiten soll und daß insbesondere nach der Rede eines Vertreters der Regierung eine abweichende Meinung zu Wort kommen soll.
Schließlich ist als dritter Punkt des Minderheitenschutzes zu erwähnen, daß ein Viertel der Ausschußmitglieder bei überwiesenen Vorlagen oder Anträgen eine Anhörung von Sachverständigen durchsetzen kann. Ebenso kann auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Bundestages eine Enquete-Kommission eingesetzt werden.
Als weiteren großen Aktivposten möchte ich die Stärkung der Position der Ausschüsse überhaupt nennen, vorweg die grundsätzliche Vollmacht zu Anhörungen. Zum anderen kann jede Frage ihres Geschäftsbereichs von den Ausschüssen ohne den Zwang der bisher erforderlichen vorherigen Überweisung beraten werden. Schließlich können Anhörungen an einzelne Mitglieder des Ausschusses delegiert werden, wobei allerdings jede Fraktion vertreten sein muß.
Weiter möchte ich die Anhebung des Rechts von Initiativantragstellern hervorheben. Die Initiativanträge müssen auf Verlangen der Antragsteller auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des entsprechenden Fachbereichs gesetzt werden. Sechs Monate nach Überweisung können die Antragsteller verlangen, daß der Vorsitzende oder der Berichterstatter dem Bundestag Bericht über den Stand der Beratungen erstattet.
Ein wesentlicher Punkt in unserer Arbeit hat dem allgemeinen Prinzip der Rationalisierung, Konzentration, Straffung und vor allen Dingen auch der Beachtung der Zeitökonomie gegolten. So haben wir den Ältestenrat zu einem Lenkungsorgan gemacht, in das der bisherige Vorstand integriert wird. Wir sehen vor, daß die Plenarsitzungen nach Fachbereichen gegliedert werden, und auch das Prinzip der mittelfristigen Planung ist dadurch zum Tragen gekommen, daß dieser Ältestenrat die Zeitplanung ein Vierteljahr im voraus aufstellen soll, wobei gleichwohl die Aktualität voll und ganz berücksichtigt werden sollte.
Als weiteren Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang die Straffung der Lesungen nennen mit dem Ziel, allgemeine Aussprachen grundsätzlich nur auf Antrag durchzuführen, und mit der Tendenz, unsere Plenarsitzungen tunlichst ohne allgemeine Detaildebatten durchzuführen.
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- Dazu werde ich noch ein Wort sagen, Herr Kollege.
Ich möchte auch meinen, daß die Entfernung des Ballasts von rein lokalen Fragen in der Fragestunde einen erheblichen Schritt nach vorne bedeutet. Der genaue Terminus lautet: „Fragen von offenbar lokaler Bedeutung". Solche Fragen werden dem Präsidenten zur schriftlichen Beantwortung anheimgestellt. Eingefügt wird die Bestimmung, daß in jeder Woche zwei schriftliche Anfragen zur schriftlichen Beantwortung eingereicht werden können, die in einer Sonderdrucksache beantwortet werden.
Der Versuch zur Verlebendigung und moderneren Gestaltung unserer Plenardebatten ist ein altes Anliegen des Ausschusses. Ich möchte es unter dem Stichwort „Von der Verlesung zum Dialog, von der Langrede zur Kurzrede" zusammenfassen.
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Dabei müssen gleichwohl der Gesichtspunkt der Flexibilität sowie die Wünsche der Fraktionen und auch von Einzelrednern, z. B. bei der Verlesung, berücksichtigt werden.
In bezug auf die Wortentziehung möchte ich darauf verweisen, daß es eine der unbefriedigendsten Regelungen ist, wenn etwas in der Geschäftsordnung auf dem Papier steht, aber nicht angewandt wird.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, daß ich mir von den Mitgliedern des Hauses nicht den Vorwurf der Blasphemie zuziehe, wenn ich mir in dieser Richtung einen kleinen Vergleich aus dem Gebiet des Sports erlaube. Ich möchte an eine Veranstaltung anknüpfen, an der ich unlängst in meinem Wahlkreis teilgenommen habe, bei der das Jubiläum einer Schiedsrichtervereinigung gefeiert wurde. Der deutsche Bundestrainer Schön hielt dort einen Vortrag über die Position des Schiedsrichters. Da kam mir der Gedanke: Eigentlich ist die Position des Schiedsrichters nicht so entfernt von der Position eines amtierenden Präsidenten. Er muß nämlich auch den Mut zur Unpopularität haben,
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Bauer ({6})
ganz abgesehen davon, daß er Unbestechlichkeit und Rückgrat mitbringen muß, daß er bisweilen auch ein Moderator sein muß, rasche Entscheidungen treffen und sich vor allen Dingen auf die Gegebenheiten einstellen muß und - nun komme ich auf das Gebiet des Sports - auch bei einem Foul - und als Foul fasse ich den Verstoß gegen die Spielregeln auf - den Betreffenden abpfeifen können sollte. Das ist ein Stil, der, wie ich glaube, in diesem Hause in der Zukunft noch weiter entwickelt werden sollte.
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- Ja, da ist die Frage der Auslegung, inwieweit der Elfmeter hier zu Einzelaktionen in Vergleich gesetzt werden kann. Der Elfmeter hängt immer von der Geschicklichkeit erstens desjenigen ab, der schießt, und zweitens desjenigen, der auffangen soll. Da bleibt eine große Skala für die persönliche Geschicklichkeit.
Als Positivum möchte ich weiter den Beginn des Versuchs ansehen, mehr Transparenz zu erzielen. Ich beziehe mich auf die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Da haben wir den Vorschlag gemacht, daß die Bundesregierung, wenn sie Referentenentwürfe den Verbänden zur Kenntnis gibt, diese Entwürfe auch an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeben soll. Zweitens sollen dem Bundesrat zugeleitete Gesetzentwürfe in ihrer Begründung die wesentlichen Ansichten der gehörten Fachkreise wiedergeben. Das ist der Versuch bzw. der Beginn, größere Transparenz zu erzielen. Ich-darf hier nur die Bitte, die Hoffnung, aber auch die Erwartung aussprechen, daß die Bundesregierung diesem Ersuchen durch die Tat Rechnung trägt.
Als weiteren Positivpunkt möchte ich den Grundsatzbeschluß erwähnen, den wir gefaßt haben, Enquete-Kommissionen einzurichten.
Schließlich muß ich einen Negativpunkt erwähnen. Es ist uns bis zur Stunde nicht gelungen, die Problematik der Interessenverbände einer konkreten Lösung zuzuführen. Ich darf gleichwohl sagen, daß sich der Ausschuß in drei Sitzungen sehr eingehend mit der Materie befaßt hat, und zwar bereits bevor die entsprechenden Drucksachen zu dieser Frage überwiesen worden sind. Wir haben die sehr nützliche Ausarbeitung der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft und einen gemeinsamen Fraktionsantrag als Beratungsbasis gehabt. Ich hoffe, niemandem zunahezutreten, wenn ich sage, daß unterdessen anscheinend verschiedene Mitglieder einer unterzeichnenden Fraktion „kalte Füße" bekommen haben, so daß diese Angelegenheit ins Stocken gekommen ist. Allerdings darf ich nicht verschweigen, daß dabei erhebliche Schwierigkeiten zu bewältigen sind, einmal die Frage der Vollständigkeit der Listen, die Frage der Ausklammerung bestimmter Verbände und Körperschaften, dann der Zwang zur Eintragung, eventuelle Sanktionen -
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dorn?
Sehr. gerne, Herr Kollege!
Sehr geehrter Herr Kollege, auf Ihre Bemerkung von vorhin zurückkommend, möchte ich Sie fragen: Halten Sie es nicht für etwas problematisch, wenn sich ausgerechnet der Geschäftsordnungsausschuß, der ja nun unsere Geschäftsordnung kennen muß, nicht an das hält, was darin steht, daß ein Ausschuß erst dann eine Sache beraten darf, wenn sie ihm vom Plenum überwiesen worden ist?
({0})
Herr Dorn, ich muß hier die Kenntnis der Geschäftsordnung voraussetzen. Der Geschäftsordnungsausschuß gehört nämlich zu den Ausschüssen, die gewisse Fragen aus ihrem Bereich auch schon nach der bisherigen Praxis ohne Überweisung aufgreifen und behandeln dürfen. Ich glaube, das ist in diesem Hause allgemein bekannt.
({0})
Weiter im Schwierigkeiten-Katalog: Der Zwang zur Anhörung bei der Heranziehung von Verbänden, die Frage der Justiziabilität - ob, wenn bei Eintragung nicht angehört wird, die Verwaltungsgerichte angerufen werden können -, die Frage, wo die Registrierung erfolgen soll, die Fortschreibung - das alles sind sehr schwierige Fragen, und da haben wir bis zur Stunde eine konkrete Lösung nicht erarbeiten können.
Ein Wort zum Petitionskomplex. Das Anliegen des Petitionsausschusses wird von den meisten Mitgliedern dieses Hauses positiv gewürdigt, ihm mehr Vollmacht zur Erfüllung seiner Aufgaben zu geben. Insofern hat auch der Geschäftsordnungsausschuß bei seiner Mitberatung dem Petitum einer Grundgesetzänderung zugestimmt. Allerdings sind hinsichtlich der Befugnisse des Ausschusses große Schwierigkeiten von der juristischen Seite her aufgetreten. Wir werden morgen in einer Sitzung die große Zurückhaltung sicher des Innenministeriums, vermutlich aber auch des Justizministeriums anzuhören haben, die hier erhebliche Bedenken anmelden.
In diesem Zusammenhang als Letztes die Frage der Untersuchungsausschüsse. Bei beiden Grundgesetzänderungen ist bekanntlich der Rechtsausschuß federführend, sowohl bei der Ergänzung im Hinblick auf das Petitionsrecht wie bei den Untersuchungsausschüssen. Ich darf von dieser Stelle die Bitte an den Rechtsausschuß richten, um Erledigung der überwiesenen Vorlagen bemüht zu sein. Der Geschäftsordnungsausschuß wird auf jeden Fall alles daransetzen, damit von seiner Seite her die Beratung dieser Dinge noch über die Bühne gehen und eine Weichenstellung zumindest für den nächsten Deutschen Bundestag erfolgen kann.
Zwei Restanten müssen wir in Kauf nehmen. Hinsichtlich des Rechnungshofs läßt sich nicht vermeiden, daß die Vorlage erst behandelt werden kann, wenn das entsprechende Gesetz in Kraft getreten ist.
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Bauer ({2})
- Nein, das steht, glaube ich, nicht im Bericht. Die Frage des Rechnungshofes, Herr Rasner, ist nicht im Bericht erwähnt.
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Ferner wird noch die Frage des Gemeinsamen Ausschusses für das sogenannte Notparlament zu behandeln sein.
Meine Damen und Herren, ich möchte sagen, daß Parlamentsreform eine Daueraufgabe für ein Parlament bedeutet, die fortgesetzt werden muß. Und ich möchte meinen, daß wir einen ermutigenden Beginn im Sinn einer weitreichenden Skala neuer bzw. veränderten Einzelvorschriften vorgelegt haben. Natürlich müssen noch Erfahrungen an Hand der Praxis gesammelt werden. Wir haben also alles in allem keine „Revolution" zustande gebracht, gehen aber von einer Dauerrevolution aus.
Ich darf, weil ich den Herrn Präsidenten vor. mir sehe, vielleicht noch einige persönliche Anmerkungen anfügen, einige Anhaltspunkte über die reine geschäftsordnungsmäßige Praxis hinaus, in die Richtung, wie man die Arbeit und das Ansehen eines Parlaments effektiver und vielleicht attraktiver machen kann. Da möchte ich einmal den Begriff Tradition im Hinblick auf das äußere Bild des Parlaments ins Blickfeld rücken. Ich kenne von vielfachen Reisen her die Situation im amerikanischen Kongreß und Senat, im House of Commons, in der Assemblée Nationale. Ich habe dort überall verschiedene Sitzungen miterlebt, und ich möchte sagen, daß unsere Gebäulichkeiten hier im Deutschen Bundestag - angefangen vom Ursprungsbau, der Pädagogischen Akademie, bis zu den sehr provisorisch gedachten weiteren Gebäulichkeiten - natürlich mit den ehrwürdigen Traditionen etwa der genannten Parlamente nicht in Relation gesetzt werden können. Gleichwohl möchte ich andeuten, daß 20 Jahre nach einem Neubeginn daran gedacht und gegangen werden könnte, an Traditionen, die wir ja vom Deutschen Reichstag her haben, anzuknüpfen und vielleicht auch eine eigene Tradition zu entwickeln.
Ich möchte ganz offen aussprechen, daß die Räume den Eindruck, ich möchte sagen, äußerster Nüchternheit machen, daß insbesondere der Plenarsaal, in dem wir uns befinden, beinahe Kälte ausstrahlt. Das mag sicherlich der Sachlichkeit der Beratungen dienlich sein. Ich glaube jedoch, daß ein Parlament auch dazu angetan sein sollte, daß sich die, die dort tätig sind, wohl und, ich möchte fast sagen, heimisch fühlen. In diesem Hause fehlen Räume in etwas privater Atmosphäre und Abgeschiedenheit, in denen Gespräche mit der Presse, mit ausländischen Gruppen und mit inländischen Besuchern möglich sind.
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Ich möchte meinen, die Parlamentarische Gesellschaft als Ausweichmöglichkeit genügt einfach nicht, und ich scheue mich nicht zu sagen, daß ich es als eine unwürdige Tatsache empfinde, wenn offizielle Essen in den Wandelgängen oder in den Ruheräumen stattfinden müssen,
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genauso wie dort Ausschußsitzungen abgehalten werden müssen.
Sicher können wir unsere räumlichen Gegebenheiten nicht mit den Zimmerfluchten, mit den Plüschsesselgarnituren etwa in Washington, Paris oder London messen. Ich glaube aber, daß in der Zukunft etwas mehr an äußerem Rahmen als länger terminierte Aufgabe für ein deutsches Parlament geschaffen werden sollte, um eine charakteristische Atmosphäre herzustellen. Ich könnte mir vorstellen, daß die eine oder andere Ecke in diesem Hause mit einer Gedenktafel, mit Büsten von Parlamentariern aus der deutschen Parlamentsgeschichte ausgestattet werden könnte. Dabei könnte doch Berlin wahrhaftig ein wesentlicher Anknüpfungspunkt sein. Ich sage hier ganz deutlich, es dreht sich nicht um „Gemütlichkeit", um diesen deutschen Begriff, den man bekanntlich in keine andere Sprache übersetzen kann. Wenn man „Gemütlichkeit" sagt, ist man geneigt, an das Restaurant zu denken. Diesen Punkt möchte ich lieber nicht aufgreifen. Da scheint es sich mehr um einen Wartesaal als um eine Gaststätte zu handeln. Immerhin könnte man nach 20 Jahren auch hier einmal eine Wandlung eintreten lassen.
Ich möchte nur andeuten, daß zur Atmosphäre ein würdigerer, gediegenerer Rahmen und eine Ausstattung mit Geschmack, fußend auf geschichtlichen Beziehungen, gehört, um die entsprechende Ausstrahlung nach außen gewährleisten zu können. Ich möchte mit aller Deutlichkeit sagen, daß jeder zentrale Verband, jede Industie- und Handelskammer, jeder größere Betrieb bessere Repräsentationsräume hat als das deutsche Parlament. Ich glaube, es sollte ein auf viele Jahre sich erstreckender Auftrag sein, diesen Rahmen nach außen zu schaffen, nicht von heute auf morgen, aber gleichwohl eine Verbesserung in der Richtung, daß Arbeitsfähigkeit, Arbeitswille, Erfolg und Achtung von diesen Gegebenheiten wesentlich abhängen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß wir nun zunächst die Anträge begründen, die zu diesem Entwurf vorliegen, und daß wir nach der Begründung der Anträge in die Abstimmung eintreten. Dazu habe ich noch eine Wortmeldung vorliegen.
Es liegen zwei Anträge vor: auf Umdruck 704*) ein Antrag der Fraktion der FDP und auf Umdruck 707**) ein Antrag der Fraktion der SPD. Sind die beiden Antragsteller in der Lage, die Anträge in allen Punkten gleichzeitig zu begründen?
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- Dann würde das bedeuten, daß wir ein anderes Vorgehen ins Auge fassen müssen, nämlich nunmehr die Aussprache über die einzelnen Nummern zu eröffnen und bei der jeweiligen Nummer die Anträge einzeln zu begründen.
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zunächst zu Nr. 1. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir über Nr. 1
*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3
Vizepräsident Scheel
ab. Wer der Nr. 1 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. 1 ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Nr. 2. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Nr. 2 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? Nr. 2 ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Nr. 3. Ich darf hier zusammenfassen. Wird zu den Nrn. 3, 4, 5, 6, 7 und 8 das Wort gewünscht? - Zu Nr. 8 wird das Wort gewünscht. Dann lasse ich jetzt über die Nrn. 3, 4, 5, 6 und 7 abstimmen. Wer diesen Nummern zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Zu Nr. 8 wünscht Herr Kollege Gscheidle das Wort. - Ich höre, daß das ein Irrtum war. Dann können wir jetzt über die Nr. 8 abstimmen. Wer der Nr. 8 zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. 8 ist einstimmig angenommen.
Zu Nr. 9 liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 704 vor. Zur Begründung der Herr Kollege Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es trifft sich gut, daß wir uns bei der Abstimmung über die vorhergehende Nummer noch einmal ausdrücklich für den Grundsatz der freien Rede ausgesprochen haben, und ich möchte hier an das Präsidium, welcher Fraktion die verehrten Mitglieder auch immer angehören mögen, appellieren, nunmehr diese Bestimmung, die den Zwang zur freien Rede ausspricht, auch zu praktizieren.
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Wenn uns das gelingt, werden uns viele Vorlesungen erspart bleiben. Wir werden - auch im Zusammenhang mit der Neuformulierung des § 33 - eine lebendige Parlamentsdebatte erleben.
Namens meiner Fraktion bitte ich Sie jedoch, Nr. 9 Buchstabe b nicht anzunehmen. Ich gehöre zu den Rednern in diesem Hause, die bisher - wenn ich mich recht erinnere - nur einmal länger als 30 Minuten gesprochen haben; ich gehöre zu den Kurzrednern. Aber ich glaube, kein Abgeordneter sollte auf das Grundrecht eines Abgeordneten verzichten, seine Gedanken zu einer schwierigen politischen Frage vor dem Parlament in einer Zeit darzulegen, die über 15 Minuten hinausgeht. Die Fraktionen sollen bestimmen, wer länger reden darf oder nicht. Wir sollten hier nicht zusätzlich das Establishment der verschiedenen Fraktionen stärken.
({1})
Ich höre gelegentlich die Rufe der Unterdrückten - vor allem in den beiden anderen Fraktionen -, die sich über die Macht der Fraktionsführung auch bei der Gestaltung der Parlamentsdebatte beklagen, die darüber Klage führen, daß immer wieder dieselben Redner in ihrer Fraktion am Rednerpult stehen und daß sie selbst keine Gelegenheit zum Reden haben. Meine verehrten Kollegen, diese Tendenz fördern Sie, wenn Sie der Ausschußfassung zustimmen, weil sie wiederum die rednerische Position der von der Fraktion offiziell bestimmten Redner stärkt.
Darüber hinaus sollten Sie einmal ernsthaft darüber nachdenken, ob es wirklich richtig ist, zu einer grundsätzlichen Beschränkung der Redezeit auf 15 Minuten zu kommen. Ich will hier gar nicht für die Stundenrede eintreten. Aber die Möglichkeit des Abgeordneten, bei entscheidenden politischen Fragen auch einmal länger zu sprechen, sollte in diesem Hause gewahrt bleiben. Viele große Reden der früheren Bundestage hätten nicht gehalten werden können, wenn eine solche Bestimmung schon damals gegolten hätte. Wir wollen diese Möglichkeit auch für künftige Bundestage erhalten.
({2})
Das Wort hat der Kollege Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der freien Rede geht es wirklich um ein Kernstück des parlamentarischen Verhandelns. Dabei ist die Möglichkeit, hier überhaupt zu reden und alles zu sagen, was man auf dem Herzen hat, noch bei weitem wichtiger als die freie Rede im Sinne des Nichtablesens. Ich würde ganz auf die Seite von Herrn Genscher treten, wenn eine Bestimmung geplant wäre, die diese Möglichkeit, alles zu sagen, was man zu sagen wünscht, einschränkte. Das ist aber, Herr Genscher, nicht der Fall. Bei der Überlegung, ob die Redezeit überhaupt beschränkt sein soll, gegebenenfalls wie sie beschränkt sein soll, ist doch, wie fast immer in der Politik, zwischen verschiedenen Gütern abzuwägen. Die unbeschränkte Redezeit in diesem Haus hat zur Folge - das weiß jeder, der hier einige Zeit ist -, daß andere, die ebenfalls reden wollen, entweder überhaupt nicht mehr reden können oder spät abends oder am Freitagmittag
({0})
vor einer geringen Zahl von Abgeordneten - ich will keine Zahl nennen; Sie wissen, vor wieviel - sprechen müssen. Das ist die andere Seite.
Ein Weiteres ist zu bedenken. Die Gesamtzeit unserer Beratungen ist beschränkt,
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weil einmal die Zeit überhaupt beschränkt ist und weil wir zudem in dieser Zeit verschiedene Dinge tun müssen. Wir haben unseren Wahlkreis, unsere Organisationen, die Parteien, in denen wir arbeiten, usw.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Ertl?
Ja, bitte!
Herr Kollege Mommer, könnten Sie mir darin zustimmen, daß die lange Redezeit in diesem Hohen Hause besonders gern, insbesondere auch in den letzten Wochen und Monaten, von den Mitgliedern der Regierung beansprucht wurde, und zwar immer zu Lasten des Parlaments, und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
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Herr Kollege Ertl, es ist richtig, daß die Mitglieder der Bundesregierung sehr häufig sehr lange das Wort behalten, wenn sie es bekommen. Aber ich glaube, das hat einen sachlichen Grund. Die Länge ihrer Rede entspricht der Länge der Rede unserer Sprecher, wenn wir nur - wie gestern - einen Durchgang haben. Die drei Redner der Fraktionen haben gestern jeder eine knappe Stunde bzw. einige Minuten - ich glaube, eine Viertelstunde - über eine Stunde hinaus gesprochen. Niemand wird aber sagen, daß es falsch war, daß sie etwa eine Stunde gesprochen haben. Übrigens wird diese Bestimmung hier das auch in Zukunft nicht ausschließen. Was sie ausschließt, Herr Kollege Ertl, ist, daß jemand ungeniert und ohne daß der Präsident einschreiten kann, ungebührlich viel Redezeit in Anspruch nimmt.
Die Mitglieder der Bundesregierung können im übrigen, gestützt auf das Grundgesetz, jederzeit das Wort verlangen, und der Präsident hat keine Möglichkeit, sie auf Einhaltung einer Redezeit hin zu mahnen. Wenn wir uns selber beschränken, wie wir das z. B. für die Aktuelle Stunde auch getan haben, können wir auf die Regierung einen gewissen moralischen Druck ausüben, so wie wir es bei der Aktuellen Stunde praktiziert haben, daß auch die Mitglieder der Bundesregierung, Grundgesetz hin, Grundgesetz her, die Spielregeln mitmachen, die wir hier gemeinsam erarbeiten müssen, um das Parlament lebendig und fähig zu machen, seine Gesamtarbeit zu erledigen.
Noch ein Wort zu der Redezeit. Herr Kollege Genscher, niemand wird gehindert, alles zu sagen, was er will. Hier steht an keiner Stelle, daß sich nicht derselbe Redner wieder zum Wort melden könnte, um in einem zweiten Teil zu sagen, was er im ersten Teil nicht hat unterbringen können. Sie selber sind ein Beispiel dafür, Herr Genscher.
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Sie haben soeben darauf hingewiesen, daß Sie ein Kurzredner sind. Andererseits haben Sie sehr häufig gesprochen, und ich habe Ihnen - so wie das Haus - immer aufmerksam zugehört.
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Sie selber sind ein lebendiger Beweis dafür, daß kürzere Reden nicht bedeuten müssen, daß man darauf verzichten muß, seine Meinung zu sagen. Stimmt es oder stimmt es nicht? Sie selber sind ein lebendiger Beweis dafür, daß diese Einschränkung - Sie tun es freiwillig und von sich aus - ({2})
Wir wollen es bei denen, die es nicht so freiwillig tun wie Sie, auch mit sanftem Druck von Amts
wegen tun können. Es handelt sich übrigens nur um sanften Druck. Die Formulierung hier ist so geschmeidig, daß überall, wo das sinnvoll und notwendig ist, der amtierende Präsident ein Auge zudrücken und den Redner über die 15 Minuten hinaus reden lassen kann. Wenn er selber und das Haus - das sieht man nämlich von da oben - dagegen den Eindruck haben, der würde besser Schluß machen, kann er den Redner an diesen Paragraphen erinnern.
Ich bitte deshalb, es bei der Ausschußfassung zu belassen.
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Das Wort hat der Kollege Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Argumente des Herrn Kollegen Mommer konnten uns von der FDP nicht davon überzeugen, daß der Absatz notwendig ist, der hier drinsteht,
({0})
und zwar einfach deswegen, weil Herr Mommer gerade die Argumente dafür geliefert hat, daß er gestrichen wird. Es ist Tatsache, daß die Regierung solchen Beschränkungen gar nicht unterworfen werden kann. Hier handelt es sich in der Tat um eine freiwillige Selbstbeschränkung, die das Parlament vornimmt, ohne daß die Regierungsvertreter zu irgendeiner Art von Selbstbeschränkung auch nur moralisch angehalten werden können.
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Ich nehme an, daß in diesem Parlament jeder so lange redet, wie er Argumente auszubreiten hat, und wenn er länger redet, wird er mit seinen Argumenten keinen Erfolg mehr haben. So müßte es natürlicherweise sein.
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Herr Kollege, es gäbe noch ein ganz sicheres Mittel, nämlich dem Präsidenten die Vollmacht zu geben, Redner, die nach seiner Meinung das Ohr des Hohen Hauses nicht mehr haben, langsam mit Pult zu versenken. Da dieses Mittel nicht eingeführt werden kann, müssen Sie es schon dem Risiko des einzelnen Redners überlassen, ob er lange oder kurz redet, und können Sie nicht dem Präsidenten die Ermächtigung geben.
Der Herr Kollege Ertl hat eine Zwischenfrage erbeten.
({0})
- Aber dann hat, glaube ich, Herr Dr. Stark das
Wort zu einer Zwischenfrage, Herr Kollege Moersch.
Herr Kollege Moersch, geben Sie mir, von der Realität dieses Hauses ausgehend, daß für bestimmte Sachpunkte nur vier, fünf oder acht Stunden zur Debatte zur Verfügung stehen, zu, daß Ihr Argument, daß jeder
Dr. Stark ({0})
zu Wort kommen müßte und so viel reden können sollte, wie er möchte, ein rein formales Argument ist, das mit der Wirklichkeit dieses Hauses überhaupt nicht übereinstimmt?
Ich kann dem natürlich nicht widersprechen, wenn Sie aus der Erfahrung der CDU/CSU-Fraktion diese Frage stellen.
({0})
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Dr. Stark.
Herr Kollege Moersch, ich hätte gern eine Antwort auf meine Frage. Liege ich richtig, wenn ich unterstelle, daß es Ihnen um etwas ganz anderes geht, daß Sie nämlich offenbar nur drei oder vier Herren im Auge haben, die ich ständig hier oben sehe, und daß diese sich bei Beschränkung der Redezeit beeinträchtigt fühlen. Das sind Sie, Herr Genscher und Herr Dorn, die ständig hier oben sind.
Unterstellungen sind von vornherein gar nicht gut. Außerdem sind wir durchaus in der Lage, öfters kürzer zu reden. Ich will sagen, worauf es jetzt ankommt. Wenn Sie die Geschäftsordnungsvorschrift, daß frei gesprochen werden muß, scharf handhaben, entsteht das Problem, das bisher tatsächlich vorhanden war, nach meiner festen
Überzeugung überhaupt nicht mehr; denn die wirklich langen Reden waren die langen Vorlesungen und nicht die freien Reden.
Herr Kollege Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schulte?
Bitte!
Herr Kollege Moersch, sind Sie nicht der Auffassung, daß wohl alle Präsidenten des Parlaments darauf achten werden, daß kein Ungleichgewicht entsteht, und sie auch nach dieser Geschäftsordnung die Handhabe haben, Entsprechendes zu unternehmen und die Abgeordneten länger reden zu lassen, wenn es notwendig wird?
Ja, Herr Kollege Schulte, es ist eben die Frage, wie man überhaupt vorgeht, die Frage der Beweislast. Ich unterstelle, daß es mit und ohne Bestimmung funktionieren wird. Aber gerade, weil ich der Meinung bin, daß es in beiden Fällen funktioniert, bin ich dagegen, daß man Bestimmungen zur Selbstbeschränkung in eine Geschäftsordnung hineinschreibt, die nachher doch im Grunde einer Reihe von Abgeordneten die Beweislast_ darüber auferlegt, wie sie es machen sollen. Es ist genau wie beim Ehevertrag: Wenn man ihn braucht, ist es sowieso zu spät. Es ist notwendig, daß wir möglichst viel Freiheit in der Gestaltung unserer Parlamentssitzungen haben, und zwar für alle Abgeordneten. Ich bin jedenfalls der Meinung, daß wir hier in Wahrheit dem Parlamentspräsidenten eine zusätzliche Verantwortung aufhalsen und tatsächlich den Fraktionsführungen mehr Macht in die Hand geben. Als Abgeordneter bin ich der Auffassung, daß die Mehrheit dieses Hauses nicht zulassen sollte, daß wir den Fraktionsführungen diese Machtausweitung geben, daß wir außerdem, wenn wir die fragliche Bestimmung nicht haben, eher einen Druck in Richtung auf kürzere Entfernungen der Regierung ausüben können, als wenn wir zunächst unsere Möglichkeiten einschränken und die der Regierung nie einschränken können.
Das sind unsere Argumente dafür, daß wir diese Bestimmungen streichen wollen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Mommer?
Herr Kollege Moersch, ist Ihnen entgangen, daß in dem nach Ihrem Antrag zu streichenden Absatz als letzter Satz steht: „Dabei soll er die Grundsätze des § 33 Abs. 1 Satz 2 beachten" und daß in diesem Satz 2 des Abs. 1 des § 33 von Rede und Gegenrede gesprochen wird und davon, daß „nach der Rede eines Mitglieds oder Beauftragten der Bundesregierung eine abweichende Meinung zu Wort kommen" soll, daß es also, wenn etwa ein Mitglied der Bundesregierung eine Stunde gesprochen hat, vom amtierenden Präsidenten unfair wäre, die Redezeit des nachfolgenden Redners, insbesondere der abweichenden Meinung, auf eine Viertelstunde zu begrenzen?
Herr Kollege Dr. Mommer, das ist mir nicht entgangen. Aber je öfter ich diesen von uns zur Streichung beantragten Absatz durchlese, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, daß er eigentlich überflüssig ist, weil er nämlich im Grunde Gummi darstellt. Warum wollen wir in die Geschäftsordnung Dinge hineinschreiben, die wir im letzten Satz unter Umständen wieder aufheben? Ich sehe darin keinen Gewinn, muß ich Ihnen ganz offen sagen. Ich sehe einen Gewinn darin, daß der Präsident von der Bestimmung, für einen lebendigen Debattenablauf zu sorgen, reichlich Gebrauch macht und daß er dabei nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit gegenüber allen Mitgliedern dieses Hauses vorgeht. Warum alles in Deutschland kodifizieren? Ich finde, das ist zuviel Perfektionismus, und bitte deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
({0})
Das Wort hat der Herr Kollege Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wir bei dem Kapitel „die Rede" sind, möchte ich auf einen Umstand hinweisen, von dem ich mir nicht klar bin, ob er künftig ausgeschlossen werden kann. Es ist die in den letzten Jahren eingerissene Übung, Reden zu Protokoll zu
geben. Reden, die zu Protokoll gegeben werden, sind ja in der Regel schon geschrieben. Wenn sie also gehalten würden, wären sie eine klare Durchbrechung der Geschäftsordnungsvorschrift.
({0})
Ich habe keinen praktischen Vorschlag, wie man _das in der Geschäftsordnung verhindern kann. Vielleicht muß man es aber auch gar nicht expressis verbis in der Geschäftsordnung verbieten, sondern kann es durch Interpretation der §§ 37 ff. praktisch ausschließen, indem man dem Präsidenten die Möglichkeit an die Hand gibt, Reden dieser Art einfach nicht mehr anzunehmen.
({1})
Ich bin mir darüber klar, daß das z. B. für Reden von Regierungsmitgliedern nicht möglich wäre. Es ist in den letzten Tagen ja auch geschehen, daß umfangreiche Schlußreden bei großen Debatten von einem Minister zu Protokoll gegeben worden sind. Das ist zugegebenermaßen dankbar empfunden worden, weil das die Debatte nicht unnötig verlängert hat.
({2})
- Ich nenne hier keine Namen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Moersch, Herr Kollege?
Ja, Herr Moersch.
Herr Kollege Schoettle, wollen Sie damit den Sinn für das Historische, den manche Mitglieder dieses Hauses haben, endgültig ausschalten, indem Sie die schriftlichen Erklärungen nicht mehr zu Protokoll geben lassen?
Schriftliche Erklärungen sind etwas anderes. Aber im Rahmen einer Debatte dieses Hauses sollte man es einfach ausschließen, daß Reden zu Protokoll gegeben werden. Wenn jemand in einer Debatte nicht mehr dran kommt, dann ist es Pech. Das ist auch sonst üblich. Das ist nicht immer unbedingt ein Verlust. Aber ich meine, es geht einfach nicht, wenn man die Mitglieder dieses Hauses grundsätzlich zu freier Rede verpflichtet, dann die Hintertür noch offenzulassen, ein lange vorbereitetes Manuskript zwar nicht mehr vorzulesen, aber auf den Tisch des Hauses zu legen. Ich glaube, das sollte ausgeschlossen werden.
({0})
Im übrigen bin ich der Meinung, daß die deutsche Sprache so viele konkrete Möglichkeiten bietet, sich präzis und kurz auszudrücken, daß die Beschränkung der Redezeit mit all den Öffnungen, die wir in diesem Paragraphen ja noch zulassen, durchaus gerechtfertigt wäre.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Krammig?
Verehrter Herr Kollege Schoettle, beziehen Sie das, was Sie soeben gesagt haben; auch auf Erklärungen, die namens der Fraktion abgegeben werden sollen?
Nein.
({0})
Das Wort hat der Kollege Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, Herr Kollege Stark, aus der FDP sprechen auch andere Kollegen, wie Sie im Protokoll nachlesen können.
Die Argumente, die für die Einführung der Begrenzung der Redezeit bisher geäußert wurden, konnten nicht überzeugen. Sie stellen kein Gleichgewicht zwischen Parlament und Regierung her. Sehen wir uns doch die gestrige Debatte an! Da gibt es eine Regierung, in der sich der Bundeskanzler mit einem Riesenstab aus vielen Ministerien lange eine Rede zusammenbauen läßt, und die wird noch hier abgelesen.
({0})
Die Opposition beispielsweise bekommt diese Rede in der Frühe um 9 Uhr, und dann nur in Teilen, und dann muß sich der Oppositionsredner in freier Rede damit auseinandersetzen und muß sich noch von den Koalitionsfraktionen sagen lassen: Warum haben Sie sich nicht genügend vorbereitet? Das soll Gleichgewicht sein? Das ist doch kein Gleichgewicht.
Eine Zwischenfrage, Herr Kollege Klepsch.
Herr Kollege Ertl, die logische Konsequenz Ihrer Ausführungen und der Ihrer Vorredner von Ihrer Fraktion wäre, daß Sie eine Grundgesetzänderung beantragten, das Rederecht der Bundesregierung einzuschränken. Denn alles, was Sie sonst sagen, ist ein Reden an der Klagemauer, ohne daß Sie die Konsequez ziehen, von der Sie dauernd sprechen.
Herr Kollege Klepsch, ich glaube, Sie befinden sich in einem großen Irrtum. Wir wollen nur das grundgesetzliche Recht zur freien Rede für jeden Abgeordneten sicherstellen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
({0})
Wir verlangen aus Fairneßgründen, verehrter Herr Kollege Klepsch, daß sich die Bundesregierung denselben Spielregeln unterwirft, denen wir uns gern unterwerfen wollen. Sie soll sich hier kurz und bündig und frei äußern. Das hat die Bundesregierung bisher in allen Debatten versäumt. Besonders versäumt sie es offensichtlich mit Absicht, wenn das Fernsehen eingeschaltet ist. Wir haben erlebt, daß die Bundesregierung dreimal hintereinander durch
Minister über eine Stunde gesprochen hat, bis die Fernsehzeit abgelaufen war. Das halten wir zudem für einen schlechten Stil.
({1})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wörner?
Ja, bitte!
Bitte, Herr Kollege Wörner!
Herr Kollege Ertl, Sie machen das, was Sie geschildert haben, zum Anlaß von Klagen. Sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß Sie dem vorhergehenden Passus, nämlich daß Reden von Abgeordneten grundsätzlich frei zu halten sind, nicht hätten beistimmen dürfen? Denn Sie beklagten ja, daß der Herr Bundeskanzler und andere Regierungsmitglieder ausgearbeitete Reden vorlesen. Sie wissen, daß sie das zum Teil müssen, weil das gar nicht anders praktiziert werden kann. Was Sie also hier bringen, ist Klage über Geschehenes und vielleicht Klage über unzulängliche Logik, aber nicht das, was hier zur Debatte steht.
Nein, verehrter Herr Kollege, wir reden über eine Fairneß zwischen Parlament und Regierung. Im übrigen wollen wir uns doch gar keine Illusionen machen. Sie können viele Geschäftsordnungen beschließen, es wird immer Kollegen geben - und ich brauche mir nur wiederum die gestrige Debatte anzuschauen -, die ihre Reden nach Manuskript halten. Das wird es hier immer wieder geben. Ich kenne dieses Problem seit allen Jahren, in denen ich hier in diesem Hohen Hause bin. Für mich war es immer interessant, daß es gerade auch in diesem Hohen Hause Kollegen gegeben hat, die sehr für die freie Rede plädiert, aber selber nachher immer abgelesen haben. Darüber könnte man auch reden. Das liegt vielleicht ein bißchen an dem Mitarbeiterstab, über den der einzelne Kollege verfügt.
({0})
- Das tun viele, Herr Kollege Schmidt, das sieht man ja. Wir wissen, wie oft die Reden seitenweise hereingetragen werden. Das ist nicht unbekannt.
({1})
Ich will zusammenfassen. Wer in diesem Hause die freie Rede will - und wir wollen sie -, muß allerdings auch dafür sorgen, daß die Regierung denselben Prinzipien unterworfen wird. Sonst ist es ein ungleiches Spiel, das besonders zu Lasten der Opposition geht. Hier appelliere ich besonders an die SPD, weil sie mit uns schon einmal das Schicksal der Opposition getragen hat. Vielleicht hat auch die CDU einmal das Schicksal, die Opposition zu tragen; dann wird sie mehr Verständnis dafür haben.
({2})
- Das ist die Frage.
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Solange hier keine Sicherheit ist, daß die Regierung sich dieser Regel, einer nützlichen Regel, ebenso unterwirft, kann man das Parlament nicht in dieser Form in eine Zwangsjacke stecken. Ich appelliere jetzt besonders an die vielen Kollegen der CDU. Sie müssen sich darüber im klaren sein, welche zusätzlichen Vollmachten Sie Ihrem Fraktionsvorstand geben, wenn Sie diesem Passus zustimmen. Ich möchte Sie davor sehr warnen.
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Das Wort hat Herr Kollege Dr. Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe das Gefühl, das Thema Redezeit ist ausdiskutiert. Wir stehen vor der Frage: in vier Stunden vier Reden von einer Stunde oder 16 Reden von 15 Minuten.
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Wir sind für die zweite Alternative.
Was die Redezeit der Regierung angeht, Herr Ertl, so teile ich völlig Ihre Auffassung. Ich bin der Meinung, daß es nicht nur in Ihrem Interesse, sondern in dem des ganzen Hauses liegt, wenn wir gegenüber der Regierung ausreichend zu Wort kommen. Aber das ist ja auch vorgesehen. In Nr. 9 heißt es ausdrücklich, daß die Redezeit länger werden soll, wenn Art und Verlauf der Debatte das nahelegen. Ursprünglich war vorgesehen zu sagen: „wenn Reden der Bundesregierung das nahelegen". Wir haben das jedoch etwas allgemeiner gefaßt, um dem Präsidenten mehr Freiheit zu geben. Ich glaube, daß mit dieser Bestimmung alle sachlichen Notwendigkeiten erfüllt werden können.
Was die Frage von Herrn Präsidenten Schoettle angeht, möchte ich mich der These von Herrn Moersch anschließen, nicht zuviel Perfektionismus in die Geschäftsordnung hineinzubringen. Die Frage, ob hier in Zukunft noch Reden zu Protokoll gegeben werden können, haben wir auch im Geschäftsordnungsausschuß eingehend diskutiert. Wir waren der Meinung, daß auch in der neuen Geschäftsordnung darüber nichts bestimmt werden sollte, ebensowenig wie in der bisherigen. Vielleicht ist hier eine gewisse Flexibilität nützlich.
Sie haben gesagt, daß ein Redner, der frei sprechen muß, kein Manuskript haben darf. Das ist aber nicht unbedingt richtig. Auch jemand, der frei reden will, kann sich doch zunächst aufzeichnen, was er vortragen will,
({1})
- ohne dieses Manuskript vorzulesen. Wir tun uns keinen Gefallen damit, wenn wir die Möglichkeit, solche Manuskripte notfalls zu Protokoll zu geben, ausschließen. Wir sind dafür, daß diese Möglichkeit
erhalten bleibt im Interesse der Entlastung der Debatte, insbesondere auch, um Redezeit von Regierungsmitgliedern einzusparen. Wie bisher, sollte diese Möglichkeit bestehenbleiben, ohne daß das in der Geschäftsordnung besonders Ausdruck finden sollte.
Das Wort hat Herr Kollege Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde der Argumentation unserer Kollegen der FDP-Fraktion im Kernpunkt völlig recht geben. Es muß Gleichgewicht zwischen den Rechten der Bundesregierung und denen des Parlaments herrschen. Es ist wohl nicht richtig, wenn die Bundesregierung, gestützt auf das Grundgesetz, unbeschränkt reden darf, während die Abgeordneten den Beschränkungen der Geschäftsordnung unterworfen werden. Das geht nicht, das ist nicht fair gegenüber dem ganzen Hause und insbesondere nicht gegenüber der jeweiligen Opposition.
Dem kann man auf zwei Arten abhelfen, ohne diesen Passus zu streichen und damit auf die Ordnung zu verzichten, die wir doch in die Debatte hineinbringen wollen. Sie können die Bundesregierung - wie wir das mit Erfolg bei der Aktuellen Stunde getan haben - auf freiwilliger Basis an die Bestimmungen der Redezeit binden; dann hat der Präsident die Möglichkeit, trotz des Grundgesetzes zu intervenieren und zu sagen: Sie haben jetzt 45 Minuten gesprochen, wollen Sie bitte zum Schluß kommen. - Das ist der eine Weg. Den anderen Weg, den man gleichzeitig beschreiten muß, habe ich schon in einer Zwischenfrage an Herrn Moersch angedeutet: durch Bezugnahme auf den § 33 haben wir sichergestellt, daß der amtierende Präsident gehalten ist, einem nachfolgenden Abgeordneten, insbesondere einem mit einer abweichenden Meinung, bei der Zumessung der Redezeit zugute zu halten, daß vor ihm ein Minister länger gesprochen hat.
Ich bin der Meinung, daß wir diese drei Dinge zugleich tun sollten. Erstens sollten wir den Text hier beschließen. Zweitens sollten wir unseren Präsidenten beauftragen, mit dieser und mit der nächsten Bundesregierung mit dem Ziel zu verhandeln, daß sie sich freiwillig an diese Bestimmungen der Geschäftsordnung bindet; das muß jeweils mit jeder Bundesregierung beschlossen werden. Und drittens müssen die Präsidenten des Hauses sich vornehmen, den hier behandelten Paragraphen und den § 33 entsprechend zu handhaben.
Wenn das klar ist, glaube ich - und ich habe den Eindruck, daß das die Meinung des ganzen Hauses sein kann -, wären wir wieder einmal einer Meinung und könnten auf die Streichung verzichten.
Das Wort hat der Kollege Bauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zur Diskussion nur noch hinzufügen, daß wir einen wesentlichen Schritt
zur Erzielung des' Gleichgewichts zwischen Parlament und Regierung schon einmal dadurch getan haben, daß wir bezüglich der Aktuellen Stunde expressis verbis in die Geschäftsordnung hineingeschrieben haben: Wenn die Regierung ihre Redezeit um eine halbe Stunde überschreitet, wird die Redezeit für das Parlament in der Aktuellen Stunde automatisch um dieselbe Zeit verlängert. Das Problem Gleichgewicht zwischen der Regierung und dem Parlament ist ein uraltes Problem. Ich fürchte, wir werden dieses Problem nie, auch nicht, wenn die FDP die absolute Mehrheit hätte,
({0}) ganz in den Griff bekommen.
Manchmal ist es gut, wenn man sein Gedächtnis etwas strapaziert. Ich habe nie gehört, daß zu den Zeiten, als unsere verehrten Freunde von den Freien Demokraten hier oben auf der Regierungsbank mit vertreten waren, sie so heftige Kämpfe für die Gleichgewichtigkeit geführt hätten.
({1})
Jetzt gerät die Opposition allmählich in eine Art Trauma. Dieses Trauma ist jedoch - da muß ich der FDP ein Kompliment machen - unbegründet. Sie nützen Ihre Möglichkeiten zur Opposition sehr geschickt aus. Sie können das auch deshalb ausgezeichnet, weil Sie in Ihrer Fraktion eine große Zahl von Individualisten haben, die der freien Rede mächtig sind, so daß, glaube ich, in diesem Hause bisher noch niemand den Eindruck haben konnte, als ob der Sache der Opposition etwa durch Einfügung dieser Bestimmung aus Zeitgründen schlecht gedient wäre.
Ich meine also auch, wir sollten diese Bestimmung in der uns vom Ausschuß vorgelegten Fassung annehmen.
Das Wort hat der Kollege Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es in der Tat für eine ganz wichtige Frage, wie das Gleichgewicht zwischen Abgeordneten und Mitgliedern der Bundesregierung in diesem Hause hergestellt werden kann. Es ist wahr, das Grundgesetz gibt den Mitgliedern der Bundesregierung das Recht, jederzeit das Wort zu verlangen, und ihnen muß auch das Wort erteilt werden. Aber nirgendwo im Grundgesetz steht etwas über die Länge der Redezeit, die den Mitgliedern der Regierung zusteht. Ich glaube, im Wege der Interpretation müßte man sagen, daß die Mitglieder der Regierung, wenn sie sich in diesem Hause befinden und hier reden, der Geschäftsordnung dieses Hauses unterstehen.
({0})
Genau das müßte man hier feststellen, und ich sage das in diesem Fall für das Protokoll.
Das Wort hat Herr Kollege Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Bauer verwechselt natürlich Ursache und Wirkung, wenn er plötzlich Neigungen der FDP erkennt, die Rechte der Opposition zu stärken und zu verteidigen. Zunächst einmal, Herr Kollege Bauer, handelt es sich bei dem Gleichgewicht der Redezeiten nicht allein um das Verhältnis zwischen der Opposition und der Regierung, sondern um das Verhältnis des gesamten Parlaments zur Regierung. Zum anderen dürfen Sie nicht übersehen, daß es, solange wir einer Regierungskoalition angehörten, nie solche Anträge aus dem Regierungslager gegeben hat. Das ist in Wahrheit der Grund, warum man sich damals auch nicht dagegen wehren mußte.
Ich möchte Herrn Dr. Mommer für das danken, was er zur Anwendung dieser Bestimmung gesagt hat. Wenn als die Meinung des Hauses festgestellt wird,
({0})
daß der Präsident auf eine exzessive Ausnutzung des Rederechts, das- die Bundesregierung nach dem Grundgesetz hat, reagieren kann und er dann von den Beschränkungen weitgehend Abstand nimmt, ist ein Teil der Bedenken, die wir haben, beseitigt. Aber es kann immer nur eine Reaktion sein. Denn das Rederecht der Regierung, Herr Kollege Schoettle, erstreckt sich nach dem Grundgesetz eben auch auf die Dauer der Rede. Das liegt im Begriff der freien Rede. Hier liegt gerade der Unterschied zwischen der Meinung der Mehrheit des Hauses und
unserer Meinung.
Wir sollten als Meinung des Hauses festhalten, daß, wie immer wir zu diesem Abs. 1 a stehen, in jedem Fall eine exzessive Ausnutzung des Rederechts den Präsidenten veranlassen sollte, dann auch dem Parlament mehr Möglichkeiten der Reaktion auf die Reden der Regierung zu geben, so wie es in den Richtlinien für die Aktuelle Stunde expressis verbis vorgesehen ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte dankbar das aufgreifen, was Herr Schoettle hier über die Überreichung schriftlich vorbereiteter Reden gesagt hat. Schriftlich vorbereitete Reden, die hier zu Protokoll gegeben werden, verstoßen ja nicht nur gegen den Grundsatz der freien Rede, sondern sie verstoßen auch gegen den Grundsatz von Rede und Gegenrede.
({1})
Wie kann denn eigentlich jemand, der vorher eine Rede entwirft, damit auf andere Reden, die er noch gar nicht kennt, reagieren? Der Grundsatz der freien Rede soll ermöglichen, daß nicht lange vorfabrizierte Konzepte vorgetragen werden, sondern daß dem vorangegangenen Redner geantwortet wird.
({2})
Ich glaube, wir sollten als übereinstimmende Meinung des Hauses dem Präsidium übergeben, daß
Reden dieser Art in Zukunft nicht mehr zu Protokoll genommen werden.
({3})
Herr Abgeordneter Collet hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Reihe der FDP-Redner fehlt eigentlich noch Herr Spitzmüller. Gerade mit Herrn Genscher, Herrn Moersch und Herrn Spitzmüller kann man beweisen, daß Sie das, was Sie hier mit Ihrem Antrag wollen, in der Praxis nie tun. Denn gerade diese drei Herren sind es, die sich in ihrer Redezeit Beschränkungen auferlegen und pointiert auf das, was andere gesagt haben, reagieren. Insofern, meine ich, liegt doch in Ihrem Antrag ein Widerspruch zu Ihrem seitherigen Verhalten.
Nun zu der Frage der Redezeit der Regierungsmitglieder. Wir haben 20 Regierungsmitglieder, und im allgemeinen nehmen bei einem Tagesordnungspunkt ein, zwei oder drei Mitglieder zu einer Frage Stellung. Es gibt aber 518 Abgeordnete, die unter Umständen, je nach Situation, etwas zu einer Frage sagen wollen. Wenn es uns darum geht, von der Vorlesung zur Debatte zu kommen, müssen wir die Basis dafür in der Weise schaffen, daß derjenige, der einem anderen zu einem Teilaspekt eines Problems antworten will, nicht erst dann drankommt, wenn der andere bereits eine ganze Skala von weiteren Aspekten eines Problems angesprochen hat. Jetzt ist es so, daß dann, wenn die Antwort in der Debatte kommt, die Beziehung zu dem Argument, auf das der nächste Redner reagieren will, überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Auf diese Weise kommen wir nicht zu besseren Debatten.
Ich meine, insofern können Sie - auch bei der jetzigen Formulierung, wie sie hier in der Vorlage steht - zufrieden sein und brauchen sich nicht übervorteilt zu sehen.
Herr Dr. Hofmann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Genscher, ich möchte mich nur zu der Frage äußern, die Sie eben angeschnitten haben. Beinhaltet die Möglichkeit, daß sich Regierungsmitglieder jederzeit zu Wort melden können, auch daß ihre Redezeit unbeschränkt ist? Herr Kollege Schoettle hat dieses Thema angeschnitten. Ich neige der Auffassung von Herrn Schoettle zu. Es kann gar nicht anders sein.
Überspitzen wir doch einmal die Situation, um das klarzumachen. Wenn die Regierung jeden Tag hierherkäme und mit drei, vier Leuten stundenlang spräche, würde jeder von uns sagen: Das ist ein glatter Mißbrauch. Denn jedes Recht hat seine Grenze in sich selbst. Insofern bin ich absolut Ihrer Meinung, daß auch die Regierung
({0})
Dr. Hofmann ({1})
- ich komme darauf zurück - sich der allgemeinen Geschäftsordnung, nach der wir uns in unserer Redezeit beschränken, unterwerfen muß. Das steht durchaus nicht im Widerspruch zu dem Recht, jederzeit reden zu können. Wenn wir die Situation überspitzt darstellen, sehen wir es deutlicher. Jedes Grundrecht hat auch eine immanente Grenze. Dieses Problem steht hier zwar nicht zur Diskussion, aber eine Grenze gilt auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Regierung, jederzeit das Wort zu ergreifen. Wir sollten uns das nicht nehmen lassen. Auch wenn Regierungsmitglieder jederzeit reden dürfen, sollten sie nicht uferlose Ausführungen machen können.
Herr Kollege Genscher!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen, die Kollegen beider Regierungsfraktionen zur Handhabung dieser Bestimmung gemacht haben, und auch die Resonanz aus dem Hause, die mir die Überzeugung gibt, daß das Haus in seiner Gesamtheit für eine flexible Anwendung dieser Bestimmung ist, erleichtert es uns, unseren Streichungsantrag zurückzuziehen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zur Abstimmung über Nr. 9 in der vorliegenden Fassung. Wer Nr. 9 in der vorliegenden Fassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme angenommen.
({0})
- Das kann ich mir gar nicht vorstellen.
({1})
- Zwei Gegenstimmen.
Wir kommen dann zu den Nr. 10, 11 und 12, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wird das Wort zu diesen Nummern gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir stimmen dann über die Nr. 10, 11 und 12 ab. Wer diesen Nummern zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung sind diese drei Nummern angenommen.
Wir kommen dann zu Nr. 13. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor. Ziffer 2 des Änderungsantrags der Fraktion der FDP auf Umdruck 704 wird durch Herrn Moersch begründet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten schlägt Ihnen folgenden Passus vor:
ai) Absatz 1 erhält folgende Fassung:
„({0}) Die Beratungen der Ausschüsse sind in der Regel öffentlich. Die Ausschüsse können für einen Beratungsgegenstand oder für Teile desselben die Nichtöffentlichkeit der Sitzung beschließen."
Ich möchte Sie bitten, diesem unserem Antrag zuzustimmen. Er bedeutet nicht - das möchte ich ausdrücklich sagen -, daß in jedem Fall öffentlich verhandelt werden muß. Er bedeutet vielmehr, daß der Ausschluß der Öffentlichkeit vom Ausschuß selbst begründet werden muß, d. h. die Frage der Beweislast wird gegenüber der bisherigen Regelung umgekehrt. Das halte ich deswegen für eine sehr wichtige Bestimmung, weil ja mit Recht in der Öffentlichkeit die Klage geführt wird, daß in diesem Parlament nicht genügend diskutiert werde.
Ein nicht unkundiger Kommentator hat vor wenigen Tagen festgestellt, daß in diesem Bundestag tatsächlich diskutiert wird, allerdings nicht öffentlich, sondern vor allem in den Fraktionen und Ausschüssen, und daß die Öffentlichkeit ein falsches Bild von der Arbeit des Bundestages gewinnt, wenn wir das jetzige Verfahren im Prinzip beibehalten. Wir müssen also, da wir die Fraktionssitzungen vorläufig wohl noch nicht öffentlich durchführen wollen, wenigstens die Ausschußsitzungen öffentlich veranstalten. Die Berichterstattung über Fraktionssitzungen wäre sicherlich zutreffender, wenn diese Sitzungen öffentlich wären und nicht jeder seine eigene Meinung hierzu als Bericht an die Öffentlichkeit geben kann.
Das gleiche gilt eben auch für die Ausschüsse. Ich wiederhole, was ich Ihnen hier schon einmal gesagt habe, daß nämlich nach meiner festen Überzeugung, die auf einer Berufserfahrung als Parlamentskorrespondent beruht, die Berichterstattung über manche Gesetzesvorlagen und Vorgänge in diesem Hause sehr viel umfassender und auch sehr viel trefflicher sein könnte, wenn eine Beobachtung der Entstehungsgeschichte einer solchen Vorlage wirklich für alle interessierten Journalisten möglich wäre. Ich brauche die Beispiele hier im einzelnen nicht zu nennen.
Die Öffentlichkeit wird gelegentlich einfach mit Beschlüssen dieses Hauses in zweiter und dritter Lesung überrascht, und zwar mit Beschlüssen über Gegenstände, deren Entstehungsgeschichte ihr fremd ist und deren Tragweite sie deshalb auch kaum erkennen kann. Wenn Sie die Ausschußberatungen grundsätzlich öffentlich durchführen, wie wir es vorschlagen, dann werten Sie damit die parlamentarische Tätigkeit auf und lüften einen Vorhang, der für viele Menschen in unserem Lande vor dem Parlament und seiner Tätigkeit hängt. Man wird dann in. der Öffentlichkeit erkennen, wie und was hier geschieht, was getan wird, wie man sich auseinandersetzt; man wird dann auch erkennen, daß innerhalb der Fraktionen bei den Ausschußberatungen sehr verschiedenartige Sachargumente aufeinandertreffen. Wenn sich das öffentlich vollzieht, wird man mehr als bisher herausfinden, wie politisch notwendige Kompromisse zustande kommen. In sehr vielen Fällen kann ich nicht einsehen, warum man das nicht öffentlich tun kann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rasner?
Herr Kollege Moersch, würden Sie es in dem Sinne nicht für richtig halten, wenn Sie Ihre Fraktionssitzungen öffentlich abhielten?
({0})
Herr Rasner, ich habe gesagt: Vorläufig wollen wir das noch nicht tun. Wir wollen ja Schritt für Schritt vorgehen. Wir sind ganz vorsichtige Leute. Das ist eine Gemeinsamkeit, die ich mit Ihnen teile.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Moersch: ({0}) : Ich möchte noch einen Satz dazu sagen. - Wir wollen einmal mit den Ausschußsitzungen beginnen; das würde nämlich auch zur Qualität der Vorbereitung der Ausschußsitzungen beitragen. Dann können wir über die Fraktionssitzungen reden.
({1})
Wir sind hier aber gerne bereit, in der Reform an der Spitze zu marschieren, da ja sicherlich Ihre Fraktionssitzungen lange nicht so interessant sind wie unsere. Früher jedenfalls, so habe ich mir sagen lassen, seien sie gelegentlich wie Kompaniebelehrungen durch den Fraktionsvorstand gewesen. Das
ist bei uns nicht der Fall.
({2})
Deswegen ist möglicherweise die Attraktion unserer Fraktionssitzungen sehr viel größer; das will ich gerne zugestehen. Es soll sich ja inzwischen auch bei der SPD um attraktivere Fraktionssitzungen handeln, wie ich mir habe sagen lassen, nämlich seit 1966.
Meine Damen und Herren,- das brauchen wir hier also nicht zu beantragen. Das ist nicht Gegenstand der Geschäftsordnung.
({3})
- Warten Sie doch einmal ab! Sie wissen ja noch gar nicht, was in Deutschland noch alles möglich sein wird.
({4})
Wir wollen hier bei den Ausschußsitzungen beginnen und das Thema nicht verschieben. Sie haben
hier Gelegenheit, mit uns etwas zu beschließen, was sicherlich am Ende das Ansehen des Parlaments in Deutschland stärken wird, wenn nämlich in voller Offenheit auch die Entstehungsweise von Vorlagen diskutiert werden kann und wenn die Öffentlichkeit auf diese Weise ein Bild von der Diskussionsfreude in diesem Hause bekommt, das sie beim jetzigen Zustand leider oft nicht hat.
({5})
Wird der Antrag der SPD begründet? - Das ist der Fall. Herr Kollege Dr. Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir legen hier einen Antrag vor, der dem Antrag der FDP sehr verwandt ist, es nur andersherum sagt. Die FDP sagt, die Ausschußsitzungen sind in der Regel öffentlich, und im Einzelfall kann dann beschlossen werden, daß sie nicht öffentlich sind; wir sagen umgekehrt: Die Ausschußsitzungen sind nicht öffentlich, und von Fall zu Fall kann die Öffentlichkeit beschlossen werden. In der Sache und in der Praxis könnte das genau auf das gleiche hinauslaufen. Psychologisch und im Sinne des jeweils politisch Möglichen halte ich aber unseren Antrag für den erfolgversprechenderen. Im Geschäftsordnungsausschuß wurde er bei Stimmengleichheit abgelehnt.
Ich möchte hier, da das immer wieder flugs durcheinandergeht, noch einmal unterstreichen, daß es in unserem Antrag nicht darum geht, das Beispiel des Bayerischen Landtages nachzuahmen und die Ausschußsitzungen grundsätzlich öffentlich zu machen. Es geht mir darum, etwas zu tun, was mir am meisten parlamentskonform erscheint, nämlich solche Dinge flexibel zu gestalten. Die jetzige Bestimmung in der Geschäftsordnung ist absolut unflexibel. Da steht: Die Sitzungen sind nicht öffentlich. Selbst wenn alle Mitglieder eines Ausschusses
- sagen wir bei der Behandlung des Lohnfortzahlungsgesetzes - der Meinung wären, es wäre nützlich, öffentlich zu verhandeln, um in der öffentlichen Meinung mehr Kenntnis des Gegenstandes zu verbreiten,
({0})
dann wäre das gegenwärtig dennoch nicht möglich,
- Herr Kollege Ruf; Sie sagen: Wir haben die Anhörungen!
({1})
Das ist richtig. Aber die Anhörungen betreffen ja nur einen beschränkten Abschnitt der Tätigkeit eines Ausschusses, nämlich das Heranholen der Informationen von den Sachverständigen und Interessenten, sie betreffen nicht das Hin und Her der Überlegungen, wie es zwischen den Fraktionen vor sich geht. Das sind doch aber Überlegungen, die für den Bürger draußen sehr interessant sind und die auch keineswegs das Dunkel des Ausschusses suchen müssen, sondern die durchaus in aller Öffentlichkeit beraten werden können.
Ich möchte mich dagegen wenden, daß man jetzt auf einmal die Öffentlichkeit als eine parlamenta- rische Gefahr, nämlich für die Ausschüsse, sieht. Die Öffentlichkeit der Plenartage war ja auch nicht immer selbstverständlich. Wenn Sie die Geschichte des britischen Parlamentarismus nachlesen, sehen Sie, welch langer Kampf darum geführt werden mußte, die Korrespondenten der Agenturen, dann die gesamte Presse, schließlich kurzweg die Öffentlichkeit zuzulassen. Dieselben Argumente, die man hier gegen die Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen vorbringt, wurden damals gegen die ÖffentlichDr. Mommer
keit der Plenarsitzungen vorgetragen. Wir selber haben in den 20 Jahren unserer Existenz diese Argumente wieder gehört, wenn es um die Übertragung unserer Sitzungen über Rundfunk und Fernsehen ging. Da wurde wieder gesagt, daß dann nicht sachlich argumentiert werde, daß dann Fensterreden gehalten würden usw.
Daß das aber nicht so gefährlich sein kann, sehen Sie daran, daß im Bayerischen Landtag ja die Ausschüsse die Übung haben, alle Sitzungen öffentlich abzuhalten. Das muß zustande gekommen sein mit Billigung der dort stärksten Partei, der CSU. Und ich rechne gleich bei der Abstimmung auch sehr darauf, daß sich die Bayern in Bonn dann so fortschrittlich verhalten, wie sie es in München schon seit geraumer Zeit sind. Sehen Sie, von unseren Kollegen, die im Bayerischen Landtag gesessen haben - wir haben einige hier im Hause -, ist uns in keinem Falle berichtet worden, daß sich diese Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen dort in Bayern als Hindernis für gute parlamentarische Arbeit erwiesen habe. Im Gegenteil, das Instrument hat sich bewährt.
Es geht uns hier nicht darum, die grundsätzliche Öffentlichkeit zu beschließen, sondern darum, das Instrument parat zu legen, das Instrumentarium des Bundestages um ein zusätzliches Instrument zu bereichern, ebenso wie uns das Instrument, öffentliche Anhörungen machen, bereichert hat. Daran hat man sich übrigens auch erst gewöhnen müssen; interessanterweise waren nach der Verankerung der Anhörungen in der Geschäftsordnung sechs oder acht
Jahre nötig, bis sich ein Ausschuß entschloß, Gebrauch davon zu machen. - Wie sich die Anhörungen bewährt haben, so wird sich auch dieses Instrument der öffentlichen Ausschußsitzungen, wenn man es geschmeidig anwendet, bewähren. Deshalb bitte ich, unserem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, die Aussprache wird eröffnet. Das Wort hat zunächst Herr Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU möchte ich Sie bitten, beide Anträge abzulehnen. Gewiß ist es eine wichtige Aufgabe, die Arbeit unseres Parlaments unserer Bevölkerung anschaulich zu machen. Unter dieser Überlegung haben wir uns auch in unserer Fraktion sehr eingehend mit diesen beiden Anträgen befaßt. Es ist nur die Frage: Ist das, was Sie wollen, überhaupt erreichbar?
Wir haben ja heute schon die Öffentlichkeit der Plenarsitzung. Bitte, sehen Sie morgen einmal in der Zeitung nach, wieviel Zeilen der Bericht über die heutige Plenarsitzung ausmachen wird. Wenn Sie sehen, daß eine zehnstündige Debatte zuweilen nur zehn bis fünfzehn Zeilen in der Zeitung erhält, was können Sie dann erwarten, wenn wir außerdem noch Berichte über zwanzig Ausschüsse in der Presse sehen wollen?
Was werden wir erreichen? Wir werden erreichen, daß wir in diesen Ausschußsitzungen einige Schulklassen und einige Verbandsvertreter sitzen haben. Frage: Ist das wirklich ein politischer Fortschritt?
Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auch an die Arbeit der Ausschüsse denken. Die Tatsache, daß die Ausschüsse nicht öffentlich beraten, gibt jetzt diesen Beratungen den Konversationsstil, den eine gute politische Diskussion braucht. Wir haben heute dort die Möglichkeit, Einfälle zu diskutieren, auch wenn derjenige, der diesen Einfall vorbringt, noch gar nicht sicher ist, ob er ihn am Ende selbst aufrechterhält. Er kann ihn zunächst einmal zur Diskussion stellen, sich überzeugen lassen und dann am Ende eine andere Meinung äußern, als er am Anfang hatte, ohne daß das für ihn einen Prestigeverlust bedeutet.
Zum andern, wie stellen Sie sich vor, daß die schwierigen Kompromisse, vor denen wir immer wieder in den Ausschüssen stehen, in voller Öffentlichkeit ausgehandelt werden? Wenn wir die Geschäftsordnung ändern, was wird geschehen? Es werden den öffentlichen Ausschußsitzungen vertrauliche Vorbesprechungen vorgeschaltet. Das Verfahren ist dann im Ergebnis genau das gleiche, nur wesentlich komplizierter als das jetzige.
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Herr Kollege Mommer, ich habe zunächst dazu geneigt, mich Ihrem Antrag anzuschließen und zu sagen: wir wollen die Öffentlichkeit von Ausschußsitzungen jedenfalls als Möglichkeit in die Geschäftsordnung aufnehmen. Aber bei näherem Überlegen haben sich doch schwerwiegende Bedenken eingestellt. Solange alle Beteiligten gutwillig sind, brauchen wir überhaupt keine Geschäftsordnung; dann läuft das ganz von alleine. Die Geschäftsordnung muß aber auch dann noch funktionieren, wenn wir in diesem Hohen Hause eines Tages Kollegen haben, die die Opposition um der Opposition willen betreiben und denen es nur daran liegt, gewisse Wirkungen für die Öffentlichkeit zu erzielen. Wenn wir diese Alternative in die Geschäftsordnung hineinschreiben, Herr Mommer, werden wir sehr oft in den Ausschüssen zunächst eine einstündige Debatte darüber bekommen, ob nun öffentlich getagt werden soll oder nicht. Wir wissen alle, wie beschränkt die Zeit in den Ausschüssen ist.
Wir sind der Meinung, daß man es bei der Nichtöffentlichkeit der Ausschußberatungen lassen sollte. Es ist eben schon in einer Zwischenfrage mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Ausschüsse die Möglichkeit haben, öffentliche Anhörungen zu veranstalten. Sie sollten das häufiger tun als bisher. Die Verkürzung der Redezeit gibt uns ferner hier in diesem Plenum zusätzlich die Möglichkeit, viele abweichende Ansichten zu hören. Eine Öffentlichkeit der Ausschüsse scheint uns dafür nicht erforderlich zu sein.
Herr Kollege Genscher hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Herrn Kollegen Dichgans entgegenhalten, daß gerade die heute besprochene Ma13308
terie - die Änderung der Geschäftsordnung - ein Beweis dafür ist, wie nützlich öffentliche Ausschußsitzungen wären. Herr Kollege Dichgans, wir beraten heute nur noch eine Reihe von Teilfragen, in denen wir im Geschäftsordnungsausschuß eine Übereinstimmung nicht erzielen konnten. Aber Sie wissen als Teilnehmer dieser Sitzungen sehr gut, daß es im Geschäftsordnungsausschuß gelungen ist, wesentliche Verbesserungen in die Geschäftsordnung einzufügen, über die wir jetzt gar nicht sprechen, die nur derjenige erkennen kann, der sich die Mühe macht, den Ausschußbericht zu lesen. Es wäre für unsere Beratungen ohne Zweifel nützlich gewesen, wenn die Öffentlichkeit durch Vermittlung der Presse, d. h. durch eine dezidierte Parlamentsberichterstattung, an diesem Werden einer von uns im ganzen positiv beurteilten Vorlage hätte teilnehmen können. Herr Kollege Unertl, Sie zeigen auf die leere Pressetribüne. Das ist ja nachgerade zur Mode geworden. Aber Sie wissen so gut wie ich, daß in den Pressehäusern die Reden mitgehört werden können und daß deshalb eine Berichterstattung durchaus möglich ist. Sie werden ja auch mitgehört.
Meine Damen und Herren, die guten Erfahrungen, die im Bayerischen Landtag mit dem Zugang der Presse zu den Ausschußsitzungen gemacht werden und die sich dort positiv auf die Parlamentsberichterstattung aus dem Bayerischen Landtag auswirken, sollten wir hier für uns nützen. Es geht einfach darum, diesen doch sehr wesentlichen Teil der Parlamentsarbeit für die Öffentlichkeit transparent zu
machen. Ich stelle in Diskussionen immer wieder fest, daß manches Mißverständnis auch über die arbeitsmäßige Belastung eines Abgeordneten daher rührt, daß in der Öffentlichkeit weitgehend der Eindruck vorhanden ist, die Arbeit eines Abgeordneten in Bonn erschöpfe sich in der Teilnahme an den Plenarsitzungen, während doch sehr viel mehr in den Ausschüssen geschieht. Warum soll das eigentlich der Öffentlichkeit nicht unmittelbar zugänglich gemacht werden? Warum soll hier nicht eine objektive Öffentlichkeit der Ausschüsse geschaffen werden? Denn die subjektive Öffentlichkeit ist doch heute schon vorhanden, wenn die verschiedenen Parlamentspressedienste der Fraktionen aus ihrer Sicht den Gang einer Ausschußsitzung wiedergeben.
Schon gar nicht kann ich der Meinung zuneigen, daß dann keine Kompromisse mehr möglich sind. Ich glaube, der Parlamentarier sollte sich in jeder Phase der Entstehung einer Entscheidung zu seinen Argumenten bekennen, und er sollte auch in der Lage sein, von einer ursprünglich vertretenen Auffassung Abstand zu nehmen, wenn sich in der Beratung eine neue Entwicklung abzeichnet, so wie wir das hier z. B. mit unserem Streichungsantrag gemacht haben.
Ich bitte Sie deshalb, sich im Interesse einer größeren Transparenz unserer Arbeit für eine Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen einzusetzen.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Klepsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht das erste Mal, daß wir über diesen Punkt miteinander sprechen, und wir verharren hier bei einer entscheidenden Frage, die mit Recht zu einer Aussprache geführt hat. Im Geschäftsordnungsausschuß haben wir die Frage der Öffentlichkeit von Ausschußsitzungen schon unter einer ganzen Reihe von Gesichtspunkten geprüft und beraten. Die Argumente, die wir jetzt gegenseitig austauschen, sind auch weitgehend in der öffentlichen Diskussion angeführt worden. Ich denke dabei etwa an die Ausführungen, die der Kollege Apel von der sozialdemokratischen Fraktion dazu mit Recht gemacht hat.
Meines Erachtens ist bei sorgfältiger Abwägung aller Faktoren, die hier eine Rolle spielen, der Standpunkt meiner Fraktion, den ich voll teile, durchaus verständlich. Ich werde nachher in meinen Ausführungen dezidiert zwischen den beiden Anträgen der Freien Demokraten und der Sozialdemokraten unterscheiden.
Gegen die Öffentlichkeit von Ausschußsitzungen spricht einmal, daß dadurch das Plenum weiter entaktualisiert wird. Dann handelt es sich hier wirklich nur noch um den Austausch von Deklamationen zu irgendwelchen Entscheidungen; denn selbst über alle Nuancen wird vorher in aller Breite und Öffentlichkeit in den Ausschüssen berichtet worden sein. Ich weiß nicht, wie die Maßnahmen, die wir bei dieser Geschäftsordnungsreform im Interesse einer größeren Attraktivität des Plenums treffen wollen, dann noch einen Sinn haben sollen.
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Ein Zweites. Wir müssen uns darüber klarwerden, daß die Ausschußarbeit auch in einem ganz anderen Punkt, dem wir hier zuleibe rücken wollen, unter Pression gerät. Es darf nicht verkannt werden, daß Verbände und Lobbyisten aller Art auf diese Weise Einblick in die Willensbildung des einzelnen Abgeordneten und seine Verhaltensweisen in den Ausschüssen bekommen und einen sehr viel stärkeren Einfluß darauf gewinnen. Dadurch wird unsere Arbeit in den Ausschüssen nicht gerade erleichtert. Das möchte ich den Kollegen, die selber in den Ausschüssen entscheidend mitarbeiten, als grundsätzliche Frage vor Augen halten.
Ein Drittes. Wir müssen die Frage der Öffentlichkeit von Ausschußsitzungen auch unter dem Gesichtspunkt der Zeitökonomie sehen. Der eigentliche Diskussions-, Denk- und Einigungsprozeß wird weitgehend aus den Ausschüssen in Kommissionen, Unterausschüsse oder in die Beratung von Fraktionsvertretern und Berichterstattern verlagert werden. Das bedeutet zusätzliche Sitzungen, in denen eigentlich nur fixierte und vereinbarte Standpunkte ausgetauscht werden, vielleicht um die Öffentlichkeit besser zu unterrichten. Jedenfalls werden zusätzliche Gremien tätig werden, die dann das wahrnehmen, was heute noch zum großen Teil in den Ausschüssen bewältigt werden kann. Für die Kollegen dieses Hauses bedeutet das eine sehr starke zusätzliche Beanspruchung, ja eine Überforderung.
Nun möchte ich noch auf zwei Aspekte hinweisen, die jeden bedenklich stimmen sollten. Einmal wird - das ist zu dem Antrag der SPD zu sagen -, wenn man es der Ausschußmehrheit überläßt, die Öffentlichkeit zu beschließen, die Gefahr bestehen oder wenigstens immer der Vorwurf erhoben werden, daß die Ausschußmehrheit manipuliere, daß sie jeweils dann die Öffentlichkeit beschließe, wenn es ihr genehm sei, und daß sie die Zustimmung zu öffentlichen Ausschußsitzungen verweigere, wenn es ihr nicht genehm sei. Solchen unerquicklichen Debatten, zu denen diese Frage führen wird, möchte ich auf alle Fälle aus dem Weg gegangen wissen.
Ich sehe auch durchaus den von meinem Kollegen Dichgans schon angedeuteten Problemkreis, daß nämlich die Minderheiten, auch ganz kleine Minderheiten, die Zeit, die wir in den Ausschüssen für die Beratung zur Verfügung haben, in zunehmendem Maße für Geschäftsordnungsdebatten über die Öffentlichkeit der Beratung eines bestimmten Gegenstandes oder auch der ganzen Sitzung in Anspruch nehmen werden.
Aus all diesen Gründen glaube ich, daß es im Sinne der Arbeitsintensität sehr viel besser ist, die bisherige Regelung beizubehalten. Ich will ganz davon absehen, daß wir dann auch in den Ausschüssen die Fensterreden erhalten würden - ohne Begrenzung der Redezeit -, die dieses Parlament in seinem Plenum schon beschäftigen. Wir würden dann eine neue Fragestellung: Handhabung der Geschäftsordnung in den Ausschüssen bekommen, was ich für sehr bedenklich halten würde.
Das Anliegen, mehr über die Arbeit der Ausschüsse zu berichten und mehr an die Öffentlichkeit zu bringen, scheint mir unter drei Gesichtspunkten weitgehend erfüllbar.
Das erste sind die von uns selber vorgesehenen Maßnahmen zur Verbesserung der Möglichkeiten - auch von den Minderheiten her -, öffentliche Anhörungen und Unterrichtung über Sachgegenstände in den Ausschüssen vorzunehmen.
Zweitens ging es - das ist ein Anliegen, das wir dem Herrn Parlamentspräsidenten bei der Debatte vor einigen Wochen vorgetragen haben - um eine Parlamentskorrespondenz mit einer etwas verbesserten Form der Berichterstattung über die Arbeit der Ausschüsse, die dann die Möglichkeit gäbe, über die Sachargumente und den jeweiligen Sachstand der Ausschußberatungen mehr zu erfahren als aus den jetzt dürftigen Wochenberichten.
Ein Drittes. Ich glaube, daß es sehr verdienstvoll ist, wenn die drei Fraktionen fortfahren, ihre Auffassungen über ihre Parlamentskorrespondenz an die Öffentlichkeit zu bringen. Auch wenn das jeweils von dem Standpunkt der Fraktion her gefärbt ist, ermöglicht es doch, einen gewissen Blick auf den Prozeß der Willensbildung in- den Fraktionen zu werfen.
Lassen Sie mich als letztes noch ein Wort zu den Minoritäten in den Fraktionen sagen. Minoritäten in Fraktionen würden in Ausschußsitzungen unter einer sehr viel stärkeren Last stehen, wenn wir die
Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen hätten, sowohl was die Loyalität zu ihrer Fraktion angeht, als auch, was die Möglichkeit angeht, den Sachgegenstand in der notwendigen Breite, Offenheit und Subtilität zu erörtern.
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Unter all diesen Gesichtspunkten möchte ich einerseits den Antrag der Freien Demokratischen Partei für nicht akzeptabel halten, aber auch den der Sozialdemokraten, weil er meines Erachtens das Problem von einer anderen Seite her ähnlich schwierig stellt. Ich darf Sie nur noch einmal daran erinnern, daß wir vor der großen Schwierigkeit stünden, daß dauernd eine Regierungsmajorität in den Ausschüssen über die Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit befinden würde.
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Das Wort hat Herr Kollege Sänger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bitte erlauben Sie einem, der in vielen Jahren seiner Berufstätigkeit die Dinge von der anderen Seite hat sehen können und sehen müssen, von der Seite dessen, der Bericht zu erstatten hat über das, was im Parlament geschieht, einige Worte. Diese Arbeit war für mich notwendig beim Preußischen Landtag und beim Deutschen Reichstag über eine lange Reihe von Jahren, in gewissem Sinne auch beim Deutschen Bundestag.
Ich würde mich nach solchen Erfahrungen zunächst dafür einsetzen, die Ausschuß-, d. h. die unmittelbare Sacharbeit des Parlaments öffentlich zu führen. Ich sehe aber, wie groß die Schwierigkeiten sind in einem Parlament, das eine solche Arbeitsfülle in so gedrängter Kürze zu leisten hat, wie wir das leider nötig haben, die wir nach dem Zusammenbruch von 1945 einen Neubau einer nicht nur formalen, sondern auch lebendigen Demokratie vorzunehmen haben. Ich halte es deshalb für nützlich, daß wir uns die Möglichkeit der öffentlichen Arbeit, d. h. der öffentlichen Information derer, die zunächst zwischen Parlament und Öffentlichkeit in der Berichterstattung zu vermitteln haben, nicht verbauen.
Wir haben es hier mit einigen Argumenten zu tun, die nach meiner Erfahrung nicht durchschlagen. Es wird gesagt, .dann werden Reden zum Fenster hinaus gehalten, oder es wird darauf hingewiesen, daß dann, wenn die Öffentlichkeit in den Ausschuß kommt, vorher Besprechungen stattfinden, die also eine Mehrzahl von Sitzungen notwendig machen, und daß so inoffizielle Gesprächsinstitutionen errichtet werden. Meine Damen und Herren, zunächst sollte niemand von uns Furcht vor möglichst vielen politischen und sachlichen Gesprächen haben. Das Gespräch ist die Voraussetzung demokratischer Arbeit und der . Wirklichkeit in einer Demokratie. Aber wenn wir miteinander reden, so können wir nur vorbereitend miteinander sprechen. Das entscheidende politische Gespräch aber, die Auseinandersetzung mit dem Andersdenkenden in der Politik, findet im Ausschuß statt. So ist der kleine Ge13310
sprächskreis vorher also interessant und wichtig, niemals entscheidend. Bei diesem entscheidenden Gespräch sollten diejenigen, die uns wählen und uns ja auch zu kontrollieren haben, anwesend sein können.
Es wird gesagt, daß dann Reden gehalten werden, die möglicherweise das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen haben. Ich wende mich entschieden gegen diese Auffassung. Selbst eine törichte, zuweilen auch einmal eine uninformierte Rede kann noch immer einen Nutzen für die bringen, die daraus, wenn Sie so wollen, erkennen: Was ist das für ein Abgeordneter meines Wahlkreises! oder auch für die, die daraus erkennen, wie nötig es ist, sich mit der Materie zu befassen, ehe man über sie spricht. Ich glaube, daß ein besseres Überlegen und ein besseres Vorherarbeiten eine nützliche Voraussetzung ist, zu der man erzogen, wenn Sie so wollen, gezwungen wird, wenn man in die öffentliche Ausschußsitzung geht.
Das Plenum werde weniger interessant! Finden Sie nicht alle, meine Damen und Herren, die wir jetzt eine Reihe von Jahren gemeinsam hier im Plenum und in den Ausschüssen gearbeitet haben, daß vieles, mindestens manches aus diesem Plenum herauskönnte, was an Sachdiskussion in die Ausschüsse gehört, daß hier hinein aber die politische Auseinandersetzung - um der Sache, nicht um der Polemik willen - gehört. Ich glaube, es wäre nützlich, den Journalisten, den Vertretern des Rundfunks und allen denen, die an unserer Arbeit interessiert sind - haben Sie keine Furcht, das sind nicht so furchtbar viele, wie manche es in der polemischen Diskussion in der Öffentlichkeit vortäuschen -, die Möglichkeit zu verschaffen, sich am Zustandekommen der Gesetze zu beteiligen.
Vorhin wurde von Herrn Dichgans mit Recht bedauert, daß die Berichterstattung in den Tageszeitungen im allgemeinen wenig umfangreich sei. Zu einem nicht geringen Teil ist sie es - ich sage es nicht aus Entschuldigungsgründen, sondern aus meiner Erfahrung -, weil man zu wenig über das Zustandekommen und über die wirkliche Argumentation zum Gesetz weiß. Ich erinnere mich noch sehr dankbar, Herr Präsident des Deutschen Bundestages von Hassel, Ihrer Rede, die Sie neulich hier vor uns hielten, in der Sie darauf hinwiesen, nicht nur mit welcher Fülle, sondern auch mit welcher Themenfremdheit wir uns hier zu beschäftigen haben. Nun stellen Sie sich den Journalisten vor, der zwei, drei Stunden hier im Parlament zuhören muß oder mehr - er wird dann abgelöst -, der aber unmittelbar vorher und unmittelbar nachher völlig andere Veranstaltungen wahrzunehmen hat, der sich aus ganz anderen Gedankenkreisen in unsere hineinfinden muß!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Rasner?
Herr Kollege Sanger, da Sie hier von den Journalisten sprechen, wissen Sie, daß das, was Sie hier vorschlagen, letztlich nur noch
von der dpa wahrgenommen werden kann und daß der Korrespondent in Bonn, der auf sich selbst gestellt ist, hoffnungslos hinter die Nachrichtenagenturen zurückfällt, wenn er gleichzeitig über zwanzig Ausschußsitzungen berichten muß? Wissen Sie, daß das zur Monopolisierung der Berichterstattung aus Bonn durch die dpa führt?
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Herr Kollege, darf ich noch eine weitere Frage stellen?
Gestatten Sie jetzt gleich noch eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege Sänger, darf ich mich bei der Gelegenheit daran erinnern - Sie nehmen es nicht bös, sondern scherzhaft -, daß Sie einmal Chefredakteur der dpa waren?
Meine Entgegnung, Herr Kollege Rasner, hätte damit begonnen, daß ich das wissen könnte, weil ich Chefredakteur der Deutschen Presseagentur war, aber daß ich es deswegen nicht bestätigen kann und daß ich deswegen Ihre Auffassung für falsch halte, weil ich vorher zehn Jahre lang Berliner Korrespondent, .also auch Vertreter im Reichstag, einer der größten deutschen Tageszeitungen gewesen bin, der genauso wie die Kollegen, die heute hier als Korrespondenten für ihre Zeitungen tätig sind, die Merkmale hat studieren können, mit denen er die Berichterstattung an seine Heimatredaktion geben kann, wie nachher der Chefredakteur der dpa studieren konnte, wie diese große Agentur mit ihren Möglichkeiten die Nachrichten und Berichte an die Zeitungen geben könnte. Ich bin der Meinung, daß die Deutsche Presseagentur gar nicht den Vorrang haben muß, wenn die Korrespondenten der Zeitungen ihre Aufgaben hier richtig sehen,
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d. h. wenn sie den Vorgang, der rein im Zeitmaß abläuft, der Berichterstattung der Agentur überlassen, aber das, was im Ablauf der Ereignisse als das politisch Wichtige - wenn Sie so wollen: als der Knüller - gilt, ihre Aufgabe der Berichterstattung ist und wenn sie damit den Kern - nicht im Sinne des Sensationellen, sondern im Sinne des politisch Wichtigen - ihrer eigenen Berichterstattung, die ja erst abends gegen sieben oder acht oder neun Uhr zu enden braucht, überlassen.
Würden Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Rasner beantworten?
Herr Kollege Sänger, meinen Sie wirklich, daß es die Aufgabe der Bonner Korrespondenten ist, Knüllerfischer zu sein?
Herr Kollege Rasner, mißverstehen Sie mich bitte nicht, vor allem natürlich nicht absichtlich. Das ist nicht die Aufgabe der Korrespondenten, sondern die Aufgabe der KorrespondenSänger
ten ist es, zu sehen, was an der Argumentation, über die im Ablauf der Zeit von der Agentur laufend berichtet wird, das politisch Kernwichtige war und ist. Ich meine mit „Knüller" also nicht das, was die Überschrift in großen Boulevardzeitungen ergibt, sondern ich meine damit das, was das Entscheidende ist. Im übrigen sind die Knüller, an die Sie möglicherweise eben gedacht haben, sowieso öffentlich bekannt. Sie werden sowieso, ob sie im Ausschuß vorkommen, sogar in einem geheimen Ausschuß, oder nicht, von der Presse am nächsten Tag allen denen mitgeteilt, die dabei waren oder die nicht dabei waren.
Würden Sie eine weitere Frage des Herrn Kollegen Rasner zulassen?
Herr Kollege Sänger, das Wort „Knüller" habe nicht ich in die Debatte gebracht, sondern Sie. Darf ich Sie nun fragen: glauben Sie nicht doch, daß die Stellung der Korrespondenten in Bonn gegenüber der dpa geschwächt werden würde durch das, was Sie hier vorschlagen?
Nein, das glaube ich nicht. Und solange ich Chef der dpa war, habe ich mich auch zusammen mit meinen Kollegen darum bemüht, daß wir die originelle und individuelle Berichterstattung der Zeitungen durch unsere Ablaufberichterstattung nicht schädigten, mit recht gutem Erfolg bei den Zeitungen, die gute Korrespondenten nach Bonn geschickt haben, solche, die selbst auf der Tribüne sitzen und zuhören und gleichzeitig zusehen, was in diesem Haus vor sich geht.
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- Das ist nicht meine Aufgabe und meine Verpflichtung, aber ich bedauere, daß es so ist.
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- Ich bedauere es, daß es so ist, die Kollegen hören an Fernsehern und Rundfunkgeräten mit, was hier vor sich geht.
Ich will zum Schluß noch einmal folgendes sagen, meine Damen und Herren. Es ist bei der Berichterstattung für eine Zeitung und auch für den Rundfunk wichtig - ich glaube, dann wäre mancher Fehler in der Berichterstattung, auch des Fernsehens, nicht unterlaufen -, daß die Entwicklung in dem Gesetzesbeschluß verfolgt werden kann. Was nutzt es uns denn, hinter verschlossenen Türen ein Gesetz, das kompliziert ist, zu erarbeiten, dessen Verständnis nachher in der Öffentlichkeit nicht erreicht werden kann? Es sind ausschließlich sachliche und aus der Berufspraxis geholte Erfahrungen, die mich veranlassen, Sie zu bitten, die Öffentlichkeit der Ausschußarbeit nicht zu verbauen, was der Antrag der Sozialdemokraten ermöglicht.
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Das Wort hat Herr Kollege Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn die Kollegen der Fraktion der CDU/CSU den Argumenten des Kollegen Sänger aufmerksam zugehört haben, dann werden sie ihre jetzt bekanntgegebene Haltung gegen- über den beiden Anträgen ändern. Denn das, was bis jetzt vorgetragen worden ist, spricht für eine stärkere Öffentlichkeit der Ausschußberatung.
Ich möchte dem Kollegen Rasner noch ein Wort zu der Frage der Art der Berichterstattung sagen. Ohne jeden Zweifel werden dann hier in Bonn zusätzlich weitere Berichterstatter tätig sein müssen. Man wird möglicherweise von einer Zeitungsgruppe gemeinschaftlich einen eigenen Parlamentsdienst ausbauen müssen, was es früher gegeben hat. Das wäre gar kein Fehler, und ich glaube, es wäre zum Vorteil der Zeitungen.
Vergessen Sie vor allem eines nicht. Wir sind doch als Parlament in unserem eigenen Interesse gehalten, dafür zu sorgen, daß in der öffentlichen Information endlich einmal eine Art Gleichgewicht zwischen Regierung und Parlament hergestellt wird und das Übergewicht der Regierungsberichterstattung beseitigt wird. Es kann der parlamentarischen Demokratie als Institution nicht nützlich sein, wenn es so bleibt, wie es jetzt ist. Ein Mittel, dieses Gleichgewicht herzustellen, haben wir, indem wir Ausschußberatungen grundsätzlich öffentlich abhalten.
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Dabei sage ich Ihnen, daß „grundsätzlich öffentlich" selbstverständlich einschließt, daß man bestimmte Beratungsgegenstände nicht öffentlich behandelt; das ist auch in unserem Antrag enthalten. Aber warum sollten wir hier nicht eine Arbeitsteilung vornehmen, die es doch gibt, die nur der Öffentlichkeit nicht bekannt ist. Hier im Plenum ist eine Art - wie ich sagen möchte - politischer Zielansprache, politischer allgemeiner Aussprache vorzunehmen. Das Gesetzgebungsverfahren, das doch sehr viel politische Entscheidung enthält, geht dagegen unter, wenn an ein und demselben Tag in diesem Parlament verschiedenartige Dinge behandelt werden. Die Öffentlichkeit bekommt auf diese Weise kein klares Bild von der parlamentarischen Aufgabe, weil sich die verschiedenen Aufgaben gegenseitig im öffentlichen Bild gewissermaßen neutralisieren. Wenn Sie Grundsatzdebatten, allgemeine erste Aussprachen in einer Gesetzesberatung im Ausschuß öffentlich machen, dann tun Sie sich und der parlamentarischen Demokratie damit einen Gefallen, weil dann der Austausch von Argumenten in einer sehr viel unkonventionelleren Weise möglich ist - auch vom einzelnen Abgeordneten her -, als es hier im Plenum jemals der Fall sein wird.
Vielleicht werden die Kollegen von der CDU/ CSU-Fraktion doch noch einmal nachdenklich, wenn ich Ihnen sage, daß uns Untersuchungen der Politologen beweisen - - Herr Rasner, Sie schütteln die Hand, wenn Sie das Wort „Politologen" hören. Sie
müssen hier einmal begründen, weshalb Sie etwas gegen die Politologen haben.
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- Ich habe keinen einzigen mit Namen genannt. Ich meine jemanden, der Mitglied Ihrer Partei ist, und den halten Sie doch hoffentlich für unverdächtig. Oder kann man das nicht unterstellen? - Ich habe jedenfalls von ihm gehört, daß die Kenntnis der Bevölkerung etwa in einem Wahlkreis, in einem bestimmten Bezirk, von ihrem Abgeordneten oder von den Abgeordneten, die in diesem Bezirk zu Hause sind, äußerst gering ist, daß sie durchschnittlich weit unter 20% liegt. Das kommt doch daher, daß gerade viele Ihrer Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion in der Tat bei der Art des Arbeitsablaufs in diesem Parlament gar nicht hervortreten können. Das würde sich aber ändern, wenn eine schwerpunktmäßige Berichterstattung etwa über die Ausschußtätigkeit und gerade über regionale Fragen, die in den Ausschüssen behandelt werden, in der Presse möglich wäre.
Sie selbst tun sich also einen Gefallen, wenn Sie mit uns für mehr Öffentlichkeit der Ausschußarbeit eintreten. Vielleicht gilt das nicht für die CDU/CSU-Fraktionsführung, das will ich gern unterstellen. Ich könnte mir denken, daß die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion davon überzeugt werden kann, daß es zu ihrem eigenen Vorteil ist, wenn der Kontakt zwischen Bevölkerung und Abgeordneten auf diese Weise durch einen größeren Umfang der Berichterstattung verstärkt wird. Ich glaube, daß viele Kollegen in diesem Hause dem Irrtum unterliegen, die Anwesenheit bei repräsentativen Veranstaltungen genüge, um sich der Öffentlichkeit gegenüber mitzuteilen, um wirklich den Abgeordneten in der Öffentlichkeit darzustellen. Ich glaube das nach allen Erfahrungen nicht. Vielmehr bin ich der Meinung, daß die wirkliche Verbindung zwischen dem Abgeordneten und der Bevölkerung nur an Hand ganz bestimmter Sachentscheidungen möglich ist, mit denen der Abgeordnete selbst identifiziert werden kann. Mit der jetzigen Art der Darstellung, die die Öffentlichkeit bekommt, ist diese Verbindung nicht möglich. Deshalb wird es schließlich im Interesse aller Mitglieder dieses Hauses sein, wenn wir für eine stärkere Information über die parlamentarische Tätigkeit sorgen und wenn wir endlich einmal den Eindruck beseitigen, als bestehe das Parlament nur aus Plenarsitzungen. Das schließt natürlich nicht aus, daß wir in bestimmten Phasen von Ausschußverhandlungen die Öffentlichkeit ausschließen.
Aber warum soll eigentlich die Besprechung eines Einzelhaushalts im Fachausschuß in Anwesenheit eines Ministers und seines Ministerialbeamten nicht öffentlich stattfinden? Man wird im Plenum nie Zeit haben, alle Titel in voller Öffentlichkeit zu behandeln. Aber die Fachpresse und die interessierten Bürger würden die Öffentlichkeit von Ausschußsitzungen begrüßen.
Schließlich möchte ich noch ein Argument anführen, das Herr Kollege Genscher schon vorgebracht hat. Ich teile nicht die Auffassung der Kollegen der CDU, daß Pressedienste der Fraktionen über Ausschußsitzungen aus ihrer Sicht berichten sollten. Ich bin wirklich der Meinung, daß Sie es den sachkundigen Journalisten überlassen sollten, die Entstehungsgeschichte eines Gesetzes ini Ausschuß zu verfolgen, auch dann, wenn nicht über jede Phase berichtet wird. Am Ende werden Sie auf jeden Fall eine zutreffendere Darstellung über einen Sachverhalt in der Öffentlichkeit bekommen, die Sie bei dem jetzigen Verfahren - bei einer Berichterstattung aus zweiter Hand - nicht erwarten können.
Auf diese Weise wird wesentlich zur Objektivierung der Beurteilung des Parlaments beigetragen. Deshalb noch einmal die Bitte: unterstützen Sie den Antrag der Freien Demokraten auf grundsätzliche Öffentlichkeit der Ausschüsse.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über die Änderungsanträge. Zunächst stimmen wir über den Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 704 Ziffer 2 ab. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
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- Die Enthaltungen habe ich übergangen. - Enthaltungen? - Bei einer ganzen Anzahl von Enthaltungen. Dennoch bleibt meine Feststellung richtig, daß der Antrag abgelehnt ist.
Dann stimmen wir über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 707 ab. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich bin mir nicht klar darüber, was die Mehrheit ist. Wir wollen es einmal mit Aufstehen probieren. Dabei bitte ich aber diejenigen, die schon stehen, sich wieder zu setzen, und diejenigen, die nichts im Saal zu tun haben, sich zu entfernen - das gilt auch für die Amtsboten -, damit wir eine klare Ubersicht haben.
Wer dem Antrag der Fraktion der SPD zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Die Mehrheit läßt sich nicht feststellen, nicht einmal nach den Geräuschen. Bei der ersten Abstimmung war das Geräusch verteilt, während es bei dem Nein in der Mitte konzentriert war.
({1})
Wir müssen auszählen.
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Insgesamt sind 291 Stimmen abgegeben worden. 154 Mitglieder des Hauses haben mit Ja gestimmt, 136 mit Nein. 1 Mitglied des Hauses hat sich der Stimme enthalten. Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD ist also angenommen.
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Vizepräsident Schoettle
Wir stimmen nun über Nr. 13 im ganzen mit der soeben beschlossenen Änderung ab. Wer stimmt dieser Nr. 13 zu? - Darf ich die Damen und Herren bitten, wieder die Plätze einzunehmen und die Gespräche einzustellen; sonst ist es unmöglich, eine Abstimmung durchzuführen.
Ich muß die Abstimmung wiederholen. Wir stimmen über Nr. 13 ab. Wer stimmt ihr zu? - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei 5 Enthaltungen ist Nr. 13 angenommen.
Ich rufe Nr. 14 auf und lasse gleich abstimmen. Wer Nr. 14 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig beschlossen.
Zu Nr. 15 liegt ein Änderungsantrag vor. Ich weiß nicht, ob er schon als Umdruck verteilt ist. Mir liegt er nur schriftlich vor; aber, wenn ich recht im Bilde bin, ist darüber schon debattiert worden. Es handelt sich um einen Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, der Bundestag wolle beschließen, daß in Nr. 15 an Stelle von § 74 a Abs. 2 die Absätze 2 und 3 eingefügt werden. Diese in Frage kommenden Absätze müßte ich vorlesen; sie stammen aus dem Antrag der Fraktion der SPD in Drucksache V/3990 und sind dort leicht modifiziert.
Abs. 2 würde lauten:
Die Mitglieder der Kommission
- es geht um die Enquete-Kommission
werden im Einvernehmen der Fraktionen benannt und vom Präsidenten berufen. Kann ein Einvernehmen nicht hergestellt werden, so benennen die Fraktionen die Mitglieder im Verhältnis ihrer Stärke.
Dann fällt aus dem Antrag der Fraktion der SPD in Drucksache V/3990 ein Halbsatz heraus. Es geht weiter:
Die Mitgliederzahl der Kommission soll, mit Ausnahme der in Absatz 3 genannten Vertreter der Fraktionen, neun nicht überschreiten.
Absatz 3 lautet:
Jede Fraktion kann einen Vertreter, auf Beschluß des Bundestages auch mehrere in die Kommission entsenden.
Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Gscheidle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf das kurz erläutern. Herr Kollege Mommer hat zu Beginn der Beratung dieses Tagesordnungspunktes eine Ergänzung zum Schriftlichen Bericht gegeben und bei seinen Ausführungen darauf hingewiesen, daß es sich bei der Zusammensetzung einer solchen Enquete-Kommission nicht darum handeln kann, entweder nur Sachverständige oder nur Politiker zu berücksichtigen. Das, was er ausgeführt hat, würde aber nicht durch den vorliegenden Gesetzestext gedeckt, und deshalb die Änderung, die im wesentlichen auf den Änderungsantrag der SPD zurückgeht. Die Koalitionsfraktionen haben sich auf den Antrag geeinigt.
Herr Genscher!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Antrag der SPD würde folgender Satz entfallen: „jede Fraktion kann jedoch mindestens ein Mitglied benennen." Es handelt sich hierbei um ein Minderheitenrecht, und ich bitte, diesen Satz in jedem Falle zu erhalten. Der Mangel, den ich rüge, Herr Kollege Gscheidle, wird auch nicht durch die Möglichkeit geheilt, daß die Fraktion Vertreter benennen kann. Entweder hat jede Fraktion die Möglichkeit, durch ein Mitglied des Hauses vertreten zu sein, und kann zusätzlich noch einen sachverständigen Vertreter benennen, oder Sie müssen die jetzige Fassung lassen. Es ist aber nicht möglich, daß Sie bestimmte Fraktionen vor die Alternative stellen, entweder ein Mitglied des Hauses oder einen Vertreter zu benennen. Sie müssen dieses Recht für beide Alternativen bringen.
Ich möchte darüber hinaus das Haus doch darüber unterrichten, daß im Geschäftsordnungsausschuß gewisse Bedenken gegen die Hinzunahme von Vertretern, die von den Fraktionen benannt werden, bestanden haben. Bei der Begründung des Antrags wurde gesagt, das sollten Sachverständige sein. Meine verehrten Kollegen, der Sachverstand kann weder nach d'Hondt festgesetzt werden, noch kann er parteipolitisch orientiert sein. Sie könnten sich also bei der Kommission durchaus auf Mitglieder des Hauses einigen, und die Kommission kann dann Sachverständige hinzuziehen, ohne daß sich hier die Stärkeverhältnisse der Fraktionen im Sachverstand ausdrücken müßten. Das wäre die Qualifizierung einer Quantität, was wohl niemand wollen kann, zumindest nicht im Bereich des Sachverstandes, Herr Kollege Gscheidle.
Im Grundsatz bitte ich Sie, in jedem Falle festzuhalten - das ist ein Antrag, den ich als Zusatzantrag zu dem Antrag der SPD stelle -, daß der Satz erhalten bleibt: „Jede Fraktion kann jedoch mindestens ein Mitglied benennen." Das ist ein für uns unverzichtbares Minderheitenrecht.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die CDU wird dem von der SPD gestellten Änderungsantrag zustimmen. Wir glauben, daß darin im wesentlichen das enthalten ist, was der Ausschuß auch wollte, allerdings mit einer etwas anderen Fassung.
Herr Genscher, ich habe das Gefühl, daß das, was wir jetzt beschließen sollen, im Ergebnis genau dem entspricht, was der Ausschuß auch beschlossen hat, d. h. jede kleine Fraktion hat mindestens einen Vertreter, was ihr eine größere Vertretung gibt, als ihr nach d'Hondt zustände. Ihr Zusatzantrag, Herr Genscher, würde diesen Mechanismus zweimal zum
Spielen bringen. Innerhalb der neun würden nämlich die kleinen Fraktionen zunächst je einen Vertreter haben, mehr als ihnen rechnerisch zusteht, und dann auf Grund des zweiten Absatzes, den Sie vorschlagen, noch einen. Wenn Sie das addieren und wenn Sie mit der Möglichkeit rechnen, daß wir im nächsten Bundestag mehr kleine Fraktionen haben, führt das bei einer Höchstzahl von 9 oder 12 Mitgliedern zu einer Verzerrung. Aus diesem Grunde schlage ich vor, daß wir es bei dem Text belassen, den die SPD jetzt vorschlägt, und zwar ohne Ihren Zusatz.
Wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht mehr der Fall. Dann stimmen wir über den Änderungsantrag ab. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen.
Wir stimmen dann über die Nr. 15 insgesamt mit der soeben beschlossenen Änderung ab.
Herr Präsident, nach Annahme dieses Antrags muß noch über meinen zusätzlichen Änderungsantrag abgestimmt werden, diesen einen Satz wieder aufzunehmen.
Ja, ich glaube, das ist richtig. Ich muß allerdings gestehen, daß ich das, was Sie gesagt haben, nicht als einen Änderungsantrag zum Änderungsantrag verstanden habe.
({0})
Wenn Sie ihn aber so gemeint haben, stimmen wir selbstverständlich darüber ab.
Kollege Genscher hat beantragt, in den Absatz 2 den Halbsatz wieder einzufügen: „jede Fraktion kann jedoch mindestens ein Mitglied benennen." Darüber stimmen wir ab. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nein-Stimmen waren die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt also über Nr. 15 im ganzen ab mit der Änderung, die vorhin beschlossen worden ist. Wer der Nr. 15 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion der FDP ist Nr. 15 in der vorher beschlossenen Form angenommen worden.
Nrn. 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22 bis 25 sind jetzt aufgerufen. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Wir stimmen über die aufgerufenen Nummern ab. Wer ihnen zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Im Eifer des Geschäfts habe ich festgestellt, daß es sich hier ja zum Teil um Paragraphen handelt, die sich mit dem Haushalts- und Finanzgesetz beschäftigen. Ich bin zwar nicht offiziell darüber informiert, wie da verfahren werden soll, aber wie ich um die Ecke gehört habe, sollen diese Paragraphen zunächst einmal zurückgestellt werden.
({1}) - So kann man Pech haben.
({2})
Das lag nicht in der Absicht der Erfinder. Die Frage ist, wie wir aus dieser Geschichte herauskommen.
({3})
- Ja, wir haben es alle übersehen. Wenn die Vereinbarung getroffen war, sie auszuklammern, dann war die Abstimmung nicht legitim und ungültig. Sind Sie damit einverstanden, daß wir die Abstimmung als nicht geschehen betrachten?
({4})
- Gut. Was ist von dieser Vereinbarung berührt gewesen? - Nrn. 16, 21, 22 und 23. Das sind also die dem Fachmann wohl bekannten Paragraphen. Also, es ist nichts geschehen.
Ich rufe auf die Nrn. 17, 18, 19, 20 - 21 bis 23 sind ausgeklammert -, 24 und 25. Wir stimmen also ab über die Nrn. 17, 18, 19, 20, 24 und 25. Wer diesen aufgerufenen Nummern die Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Sie sind einstimmig angenommen.
Zu Nr. 26 liegt auf Umdruck 704 Ziffer 3 ein Änderungsantrag vor. Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in unserem Umdruck 704 in Ziffer 3 den Antrag gestellt, folgende Nr. 11 a hinter der Nr. 11 der Nr. 26 einzufügen, und zwar lautet diese Einfügung:
In der ersten Fragestunde jeder Woche können Fragen von allgemeinem politischen Interesse ohne vorherige schriftliche Einreichung an die Mitglieder der Bundesregierung gestellt werden. An dieser Fragestunde nehmen alle Mitglieder der Bundesregierung teil.
Meine Damen und Herren, es handelt sich, wenn wir von Parlamentsreform sprechen, sicherlich um den wichtigsten Antrag, der hierzu im gegenwärtigen Geschäftsgang gestellt werden kann, weil - wie ich meine - eine sozusagen unvorbereitete Befragung der Bundesregierung - und zwar aller Mitglieder dieser Bundesregierung - zu einer erheblichen Verbesserung der Einflußmöglichkeiten des Deutschen Bundestages führen wird. Ich möchte Sie daran erinnern, daß etwa im kanadischen Parlament diese Fragestunde mit großem Erfolg ohne vorher eingereichte Fragen praktiziert wird. Es kann für die Regierung überhaupt nicht schwierig sein, diese Fragen, die überraschend zu aktuellen Themen kommen mögen, von der Regierungsbank sofort zu beantworten, und zwar deswegen, weil die Regierung das regelmäßig in Pressekonferenzen auch tut. Was einer Regierung vor der Bundespressekonferenz möglich ist, das muß ihr erst recht im Parlament
möglich sein, wo die Regierungsvertreter außerdem noch ihre sachverständigen Berater hinter sich sitzen haben.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter? - Bitte, Herr Abgeordneter Petersen!
Herr Kollege Moersch, ist Ihnen bekannt, daß es im kanadischen Parlament, das Sie in diesem Punkt als Vorbild darstellen, so ist, daß die Regierung die Beantwortung einer Frage um eine Woche verschieben kann?
Das kann sie doch hier auch. Ich habe nicht gesagt, daß sie es nicht kann. Die Frage ist nur, ob es ihr gut tut, wenn sie es beantragt. In der Pressekonferenz tut sie es im allgemeinen nicht. Da greift sie manchmal zu gewissen Ausflüchten. Aber ganz gleichgültig, wie auch immer - ich darf den Satz zu Ende führen, Herr Dr. Hammans - man zu der Sache steht, eines müssen Sie doch bedenken: es ist überhaupt nicht einzusehen, daß vor den Bonner Parlaments- und Pressekorrespondenten insgesamt Fragen - und zwar für die Regierung unvorbereitete Fragen - gestellt werden können und daß das im Parlament nicht möglich sein soll. Diesen Widerspruch kann ich mir nicht erklären.
Herr Dr. Hammans!
Sind Sie bereit, mir zuzugestehen, daß Fragen in einer Pressekonferenz doch immer nur einen bestimmten Rahmen und ein bestimmtes Thema betreffen?
Nein, das gestehe ich Ihnen nicht zu; da können Sie nämlich alle Fragen stellen, die Sie wollen.
Sie können sie stellen, aber Sie wissen genau, daß sie darauf keine Antwort bekommen können, oder eine persönliche Antwort, aber jedenfalls keine Antwort der Bundesregierung.
Herr Dr. Hammans, ich stelle es der Regierung durchaus frei, auch in diesem Hause keine Antwort zu geben. Das ist sogar schon in Fragestunden passiert, in denen Fragen schriftlich eingereicht waren, und zwar wiederholt. Das ändert doch gar nichts an der Sache. Die Regierung kann doch beispielsweise sagen: Wir haben uns dazu noch keine Meinung gebildet. Das ist doch auch eine Antwort. Oder sie kann sagen: Wir müssen das erst im Kabinett beraten. Mir geht es doch um etwas ganz anderes. Mir geht es darum, daß wir in Deutschland endlich von der Meinung abkommen, das Parlament sei keine aktuelle Institution. Wenn Sie das Parlament im politischen Bereich aktualisieren wollen, müssen Sie ihm die Möglichkeit zu dieser Art von Fragestunde geben, es sei denn, Sie halten in diesem Fall immer eine Aktuelle Stunde
ab. Das wäre aber ein umständliches Verfahren, weil der Abgeordnete zunächst einmal die Informationen haben muß. Diese Informationen bekommt er durch Beantwortung von Fragen. Er kann dann anschließend in einer kurzen Debatte noch seine Meinung dazu sagen oder einen Kommentar dazu geben. Es gibt keinen Grund, eine solche aktuelle Fragestunde nicht einzuführen, es sei denn, Sie wollten die Regierung schonen. Die Regierung selbst bemüht sich aber, vor der Pressekonferenz ständig aufzutreten - im allgemeinen zweimal wöchentlich -, sei es durch beauftragte Sprecher, sei es durch Minister selbst. Ich meine, es gehört zum Recht des Parlaments, hier auch kontrollierend tätig zu sein, indem es aktuelle Fragen stellen kann. Es ist doch ohne jeden Zweifel so, daß ein Wechselspiel von Regierung und Parlament entsteht - wenn wir diese Fragestunde einführen -, das einen hohen Aktualitätswert und einen hohen Neuigkeitswert für die Berichterstattung hat. Wir verbessern also den Status der parlamentarischen Demokratie insgesamt, wenn wir die aktuelle Fragestunde einführen. Ich will Ihnen sagen, was uns außerdem dazu bewegt, so zu verfahren. Die Regierung wird gezwungen, sich in den Kabinettssitzungen - vielleicht in häufigeren Sitzungen, die dann kürzer sind - mit den aktuellen politischen Themen zu befassen. Sie veranlassen die Regierung, im Kabinett politischer zu werden. Sie stärken die Kollegialität in diesem Kabinett. Sie erreichen, daß nicht jeder Fachminister jeweils seine Spezialitäten außerhalb des Parlaments ungeschützt an den Mann bringen kann. Sie veranlassen vielmehr dieses Kabinett zu einer wirklich politischen Zusammenarbeit.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haar? - Bitte !
Herr Kollege Moersch, gibt es Regelungen dieser Art nicht nur in Kanada, sondern auch in anderen Parlamenten? Ist Ihnen das zufällig bekannt?
Ich bin kein Spezialist auf diesem Gebiet. Aber ich weiß, daß im englischen Unterhaus sehr viel improvisierter gefragt werden kann als bei uns. Doch selbst wenn es das nirgendwo auf der Welt gäbe, könnte das kein Maßstab sein. Wir haben zum Beispiel mit der Aktuellen Stunde gute Erfahrungen gemacht, und ich möchte Sie auffordern, den Mut zu einer Neuerung zu haben. Ich sage Ihnen voraus, daß unser Fachleute-Kabinett, das ja der alten Staatssekretärsverfassung des Bismarckschen Reiches nachgebildet ist - davon kommen Sie offensichtlich nicht los -, endlich zu einem politischen Instrument wie das Innere Kabinett Großbritanniens wird, wenn Sie hier einmal in der Woche für eine Stunde Gelegenheit haben, solche politischen Fragen zu stellen. Ich glaube, daß das auch für die Abgeordneten eine hervorragende Sache ist. Dann können nämlich nicht vorher Fraktionsvorstandssitzungen die Fragen filtrieren, wie das jetzt gelegentlich geschehen kann. Dann kann
jeder Abgeordnete von sich aus initiativ werden; dann kann er einmal beweisen, was ihn politisch bewegt. Ich bin der Meinung, das wird eine sehr lebendige Veranstaltung werden. Am Ende kann das zwar für beide Teile Schaden auslösen, sowohl für den Fragesteller als auch für den Gefragten; das wird auf die Situation ankommen. Aber Sie schaffen damit in diesem Bundestag eine gewisse Spannung, die wir jetzt manchmal nicht haben. Ich möchte Sie bitten, sich diese Chance nicht entgehen zu lassen, und ich glaube, daß wir gut beraten sind, wenn wir diesen Versuch machen.
Gestatten Sie eine Frage? - Bitte, Herr Abgeordneter Frehsee!
Können Sie mir ein einziges Beispiel dafür nennen, daß in einer Fraktionsvorstandssitzung eine Frage filtiert worden ist? Ich kann mich für die Dauer meiner Tätigkeit im Fraktionsvorstand nicht erinnern, daß das jemals geschehen ist.
({0})
Ich weiß nicht, Herr Frehsee, wie lange Sie dabei sind. In diesem Parlament bin ich nun seit 20 Jahren über die Vorgänge informiert. Ich war früher Berichterstatter und habe über solche Themen Untersuchungen geschrieben. Es soll schon irgendwann einmal passiert sein, daß ein Abgeordneter durch die Fraktionsführung in seiner Freiheit ein bißchen beschränkt worden ist.
({0})
Wenn Sie, Herr Frehsee, das für die SPD-Fraktionsführung hier expressis verbis verneinen, so wäre das ein historisches Ereignis; das sage ich Ihnen.
({1})
Ich glaube das jedenfalls nicht. Ich glaube vielmehr, daß sich die Fraktionsführungen, vor allem die Regierungsfraktionen, bemühen, die Dinge ein wenig zu steuern. Wenn das anders sein sollte, haben viele Kollegen im Hause, die mir darüber berichtet haben, offensichtlich phantasiert.
({2})
- Ich habe von Ihnen, Herr Schulhoff, ausnahmsweise nicht gesprochen.
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Haage? - Bitte!
Herr Kollege, unterstellen Sie mir und meinen Kollegen, daß dann, wenn wir der Meinung sind, daß wir in einer Frage der Empfehlung des Fraktionsvorstandes nicht folgen können, in unserer Fraktion soviel Loyalität herrscht, daß das getan werden kann?
Herr Haage, ich verstehe überhaupt nicht, wieso sich jemand hier getroffen fühlen konnte. Es ist doch eine bewiesene Tatsache, daß in wiederholten Fällen Fragen, die eingereicht waren, auf Intervention hin zurückgezogen oder nachher schriftlich beantwortet wurden, obwohl sie ursprünglich mündlich beantwortet werden sollten. Das hat dann das jeweilige Regierungsinteresse oder das Führungsinteresse der Fraktion geboten. Wir wollen uns doch nicht besser machen, als wir sind. Selbstverständlich gibt es das überall. Ich plädiere lediglich dafür, daß ein Überraschungsmoment in dieses Parlament hineinkommt. Wenn die Regierung nicht antworten will und wenn sie glaubt, daß sie mit einer Antwort gegen gewisse Interessen verstößt - das mag durchaus sein -, dann sagt sie das eben. Sie sagt ja auch auf der Pressekonferenz - allerdings in Englisch; es ist bezeichnend, daß man dafür keinen deutschen Begriff hat -: „No comment". Sie sagt das doch auch in anderen Fragen. Die Regierung ist in vielen Fällen ratlos. Es ist nur wichtig, daß die Öffentlichkeit das erfährt.
Gestatten Sie noch eine Frage? - Bitte, Herr Abgeordneter Schwörer!
Herr Kollege Moersch, fürchten Sie nicht, daß bei dem Hereinkommen von radikalen Gruppen in dieses Parlament Abgeordnete eine solche Einrichtung mißbrauchen werden, um jede Woche einen Spektakel aufzuziehen?
Herr Schwörer, das ist nun eigentlich das letzte Argument, das ich erwartet hätte. Außerdem hat es die alle in diesem Hause schon einmal gegeben, nämlich 1949 bis 1953. Das war eine sehr lebendige Veranstaltung. In diesen Tagen haben wir ein Protokoll über den Parlamentarischen Rat bekommen, und ich muß Ihnen nachträglich sagen, daß ich bei der Lektüre etwa der witzigen Einwürfe des KPD-Abgeordneten Renner - das hatte man längst vergessen - fast bedauert habe, daß es nicht gelegentlich radikale Elemente gegeben hat, die Sie zuweilen aus Ihrer Ruhe aufgeschreckt hätten. Dann wäre in diesem Parlament mehr Spannung gewesen.
({0})
Der Parlamentarische Rat war jedenfalls gar nicht schlecht auf diesem Gebiet. Aber ich kann doch nicht die parlamentarische Funktion daran messen, daß es gelegentlich Leute gibt, die das Parlament mißbrauchen. Es liegt doch dann an der Mehrheit, sich das gefallen oder nicht gefallen zu lassen. Wenn Sie wirklich glauben, daß Sie mit dieser Bestimmung am Ende nicht fertig werden, dann schaffen Sie sie eben mehrheitlich wieder ab. Aber jetzt bitte ich Sie, erst einmal mehrheitlich zuzustimmen.
({1})
Herr Dichgans!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Vorschlag ist sehr reizvoll. In der Tat, wenn man die Dinge nur unter dem Gesichtspunkt des Parlaments sähe, könnte man ihn sehr ernsthaft in Erwägung
ziehen. Wir haben auch sehr lange im Ausschuß darüber diskutiert. Wir haben uns nur gefragt: Welches sind die Alternativen? Herr Moersch, Sie haben eben die Aktuelle Stunde erwähnt. Aber die normale Alternative ist die dringliche Anfrage, die doch sehr kurzfristig eine Antwort ermöglicht. Wir müssen uns die Frage vorlegen: Ist es wirklich wichtig, über die dringliche Anfrage hinaus noch weitere Möglichkeiten hier zu eröffnen?
Der einzige Unterschied, Herr Moersch - Sie haben das mit Recht hervorgehoben -, ist das Überraschungsmoment. Nun ist die Frage: Was erwarten wir von der Regierung? Ich habe das Gefühl, wir müssen dafür sorgen, daß wir hier gut regiert werden. Ob sich die Situation der Regierung bessert, wenn man ihr hier gelegentlich Fallen stellt und der eine oder andere Minister hineintappt? Ob das im allgemeinen Interesse liegt?
Herr Moersch, ich möchte Ihnen folgendes voraussagen. Wenn Ihr System kommt, werden wir sehr bald sehr diplomatische Antworten erhalten. Die Regierung lernt es dann, wie sie uns mit freundlichen Worten etwas sagt, was keine Antwort ist. Ich glaube, wir sind mehr daran interessiert, auf eine dringliche Anfrage hin mit einer Verzögerung von maximal einem halben Tag - mehr ist es nicht - eine durchdachte und vorbereitete Antwort zu bekommen, als eine improvisierte Antwort.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Aber natürlich.
Herr Kollege Dichgans, würden Sie die Gefahr des Fallenstellens auch etwa sehen können, wenn der Regierungschef selbst sich in einem Zeitungsinterview eine Falle stellt, indem er sagt: Unter meiner Kanzlerschaft wird nicht aufgewertet? Das war ohne Parlament möglich!
({0})
Wir haben gestern Debatten mit ähnlichen Fragestellungen gehabt. Ich würde sagen, wir sollten den Bereich des Parteienkampfes und den Bereich der parlamentarischen Diskussion trennen. Was hier im Parlament gesagt wird, ist von so großer Wichtigkeit, daß ich mir eine möglichst gute Vorbereitung wünsche.
Wir haben im Ausschuß auch die Zeitbeanspruchung für die Regierung überlegt. Auch für die Regierung hat die Woche nur 168 Stunden. Wenn wir das gesamte Kabinett in den Sitzungswochen wieder eine Stunde hier hinsetzen in einer Situation, in der wahrscheinlich von den - wieviel sind es? - 21 Ministern nur zwei zu Wort kommen, während die übrigen lediglich zur höheren Ehre des Parlaments, sozusagen als Dekoration des Bundestages hier sitzen, scheint uns das keine nützliche Ausnutzung ihrer Zeit zu sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Dichgans? - Zuerst Herr Raffert.
Herr Kollege Dichgans, könnten Sie sich nicht vorstellen, daß diese Art der Fragestunde, die in dem Antrag verlangt wird, kombiniert werden könnte mit dem Tag, an dem regelmäßig Kabinettsitzung ist? Könnten Sie sich nicht weiter vorstellen, daß uns der Ausbau der Institution des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Abwicklung einer solchen Fragestunde behilflich sein könnte?
Ich kann mir beides vorstellen. Natürlich sollte man, wenn der Antrag durchginge, das mit der Kabinettsitzung kombinieren. Aber es kostet jedes Kabinettsmitglied eine zusätzliche Stunde.
({0})
Zur zweiten Frage. Je mehr wir das jetzt auf die Parlamentarischen Staatssekretäre verlagern - ich bin, Herr Raffert, für einen Ausbau dieser Einrichtung,
({1})
ich bin dafür, daß jeder Minister einen Parlamentarischen Staatssekretär erhält -, desto weniger erfüllen wir das, was Herr Moersch gerade will. Herr Moersch möchte doch mit der Regierung sprechen. Der Parlamentarische Staatssekretär wird in diffizilen Fragen sehr bald auf die diplomatische Ausdrucksweise zurückfallen müssen, die uns nicht das gibt, was wir gern haben möchten.
Herr Kollege Dichgans, Sie wissen, daß im englischen Unterhaus das sehr häufig über die parlamentarischen Staatssekretäre abgewickelt wird und daß man sich daran gewöhnt hat, das durchaus für voll zu nehmen, was von ihnen für die Regierung erklärt wird. Die Parlamentarischen Staatssekretäre, mit denen wir hier Erfahung haben, sind ja Männer, die uns gezeigt haben, daß sie auch voll politisch für das stehen können, was die Regierung oder ihr Minister zu erklären hat. Würden Sie mir darin nicht zustimmen können?
Herr Raffert, ich würde mich dem voll anschließen, wenn wir keine brauchbare Alternative hätten. Aber ich sehe nach wie vor nicht ein, welchen Schaden die Verzögerung um 12 Stunden bringen soll, die sich ergibt, wenn statt der unvorbereiteten Anfrage die vorbereitete dringliche gestellt wird. Und, Herr Raffert, ich könnte mir denken, gerade weil die Anfragen nicht vorbereitet sind, würden wir denn möglicherweise hier nur Parlamentarische Staatssekretäre erleben, während in der Dringlichen Anfrage ein Sprengstoff liegen kann, der uns den Bundeskanzler ins Haus bringt.
Eine dringliche Anfrage kann abgelehnt werden. Herr Dichgans, das ist Ihnen doch auch bekannt.
Haben Sie - Herr Raffert, darf ich Ihnen ,die Gegenfrage stellen - bisher die Erfahrung gemacht, daß der Präsident eine wichtige dringliche Frage ablehnt?
({0})
- Das bedauere ich. Ich kann nur hoffen, daß der Herr Präsident Fragen, die wirklich dringlich sind, auch immer auf die Tagesordnung setzt. Ich persönlich kenne keinen Fall, der zu ernsthaften Beschwerden Anlaß gegeben hätte.
Würden Sie noch die Frage von Herrn Hammans beantworten? .
Ja.
Herr Kollege Dichgans, glauben Sie, daß es in einer Zeit, in der, etwa von 1917 bis heute, wie man sagen kann, die wissenschaftlichen Erkenntnisse genauso groß sind wie von der Urzeit bis 1917, möglich ist, daß ein Mensch alle Fragen von 500 Abgeordneten beantwortet?
({0})
Darf ich darauf erwidern: No comment.
({0})
Ich glaube, wir sind . jetzt wirklich zu Ende.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mommer.
Dr. Mommer: ({1}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Bemerkungen zu Punkten, die in der Debatte aufgekommen sind. Der Herr Kollege Moersch hat sicher nicht sagen wollen, daß er für den 6. Deutschen Bundestag die Anwesenheit von Kommunisten und Nationalsozialisten, Neonazis, wünscht, nur weil dann mehr Spannung in diesem Saal wäre, so wie wir mehr Spannung in der ersten Legislaturperiode hatten. Das wollen wir uns alle nicht wünschen.
({2})
- Gut, Sie haben es nicht so gemeint. Es lag mir daran, das hier festzustellen.
Zu einer anderen Bemerkung von Herrn Moersch. Er hat von der Einflußnahme von Fraktionsführungen auf die Freiheit der Abgeordneten gesprochen. Ich möchte hier, damit es im Protokoll steht, etwas aus meiner über neunjährigen Erfahrung als Geschäftsführer meiner Fraktion sagen. Bei uns laufen die Fragen für die Fragestunden über den Tisch des parlamentarischen Geschäftsführers. Er sieht sie durch und schaut, ob nicht schon eine gleiche Frage von jemand anders vorliegt usw. Er schaut sie natürlich auch daraufhin durch, ob die Frage politisch klug ist, und auch daraufhin, ob die Frage für den Fragesteller klug ist.
({3})
- Auch daraufhin schaut er sie an. Er macht Verbesserungsvorschläge zu dieser Frage und er informiert die Kollegen in seiner Fraktion, die auf dem betreffenden Fachgebiet besonders gut informiert sind. Dabei verbesserte sich die Frage immer. Es kam auch vor, daß eine Frage nicht weiter lief als bis zu diesem Tisch des Geschäftsführers, zum Vorteil der Fraktion und sehr häufig zum Vorteil des Fragestellers.
Was nie in den neun Jahren vorgekommen ist, ist, daß es einen Konflikt zwischen dem Fragesteller, dem Geschäftsführer und der Fraktionsführung gegeben hätte. Es ist nicht einmal vorgekommen, daß der Geschäftsführer mit der Frage in den Vorstand der Fraktion und in die Fraktion hätte gehen müssen, um einen Streit über Opportunität usw. zu schlichten. Das ging also immer sehr glatt, und die Freiheit keines einzigen Abgeordneten der SPD-Fraktion ist in diesen Jahren eingeschränkt worden. Ich bin sicher, daß das unter meinem Nachfolger Frehsee auch nicht geschehen ist. Herr Moersch, ich halte es für wichtig, daß wir der Legende entgegentreten, daß es in diesem Hause irgendwo Fraktionszwang gebe. Ich bin überzeugt, den gibt es bei Ihnen nicht, den gibt es bei uns nicht, den gibt es bei der CDU/CSU-Fraktion nicht. Es wird nicht einmal der Versuch gemacht, jemanden, der eine abweichende Meinung hätte, daran zu hindern, diese Meinung hier im Haus zum Ausdruck zu bringen. Das scheint mir wichtig zu sein.
Jetzt zu dem Antrag der FDP-Fraktion über diese Fragestunde mit dem Gesamtkabinett. Zunächst muß ich sagen, daß ich in diesem Punkte für mich allein rede und nicht für meine Fraktion. Wir haben in den letzten Wochen keine Zeit gehabt, über diese große Reform, für die ich das wirklich halten würde, zu sprechen. Es gibt keine Fraktionsmeinung darüber. Ich habe schon bei der Ausschußberatung Herrn Genscher gegenüber mein Bedauern ausgesprochen, daß die FDP-Fraktion diesen Antrag nicht früher und in schriftlicher Form hier unterbreitet hat, so daß die Fraktionen gezwungen gewesen wären, sich damit zu beschäftigen.
({4})
- Das haben Sie, Herr Genscher. Es wäre noch besser gewesen, wenn Sie das schriftlich fixiert hätten, so wie die beiden anderen Fraktionen ihre Wünsche für diese kleine Parlamentsreform hier schriftlich fixiert haben.
Nachdem ich das gesagt habe, muß ich für mich selber jetzt sagen, daß ich den Vorschlag für gut, wertvoll und praktikabel halte.
({5})
Ich gehöre zu denen, die auf einer Reise Gelegenheit hatten, im kanadischen Parlament einer solchen Fragestunde beizuwohnen. Es ist eine ganz große Bereicherung des Instrumentariums eines Parlaments, daß hier spontan, sei die Frage, um die es es geht, auch noch so frisch, soeben durch eine Meldung über ein wichtiges Weltereignis entstanden, jedes Mitglied der Regierung nach der Beurteilung
der Lage gefragt werden kann. Dabei kann der Regierung wirklich nichts passieren. Wenn die Minister es verdienen, Minister zu sein, kann ihnen nichts passieren.
({6})
Es ist. richtig, daß sie in Pressekonferenzen, bei Foren, bei Versammlungen, in Fernsehsendungen usw. auch, ohne vorher zu wissen, was gefragt wird, Fragen gestellt bekommen und. antworten müssen. Uns allen geht es in Versammlungen und bei vielen Anlässen so, daß wir gefragt werden und dann über alles Bescheid wissen sollen. Es ist eine Frage des persönlichen Geschickes, wie man .auch dann noch gut dasteht, wenn man in der Sache nicht antworten kann. Ich halte es also für abwegig, es unter dem Gesichtspunkt zu sehen, daß eine Regierung dadurch in Schwierigkeiten geraten könnte.
Das Argument der Zeit ist ein ernst zu nehmendes Argument. Aber da an dem betreffenden Tag die Minister schon wegen der Kabinettssitzung alle in Bonn anwesend wären, wäre es keine zu große Zumutung, dann alle Minister oder ihre zuständigen Parlamentarischen Staatssekretäre für eine Stunde hier im Haus zu haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schulte?
Bitte, Herr Kollege Schulte!
Würden Sie es für zweckmäßig
halten, diesen Vorschlag wieder aufzugreifen, wenn vielleicht einmal alle Bundesminister Parlamentarische Staatssekretäre haben und dieses wichtige Argument der Zeit entfällt?
Das ist der eine Weg. Wir haben im Ausschuß schon über den anderen Weg gesprochen. Wenn wir so etwas beschließen wollten, müßten wir zwangsläufig allen Ministern Parlamentarische Staatssekretäre zuordnen. Ich würde das auf Grund der Erfahrungen, die wir mit dieser Institution gemacht haben, für gut, für richtig und für notwendig halten.
({0})
- Nein, ich glaube, das Parlament ist hier frei, so etwas zu beschließen. Aber wenn es das beschließt, dann hat das Konsequenzen. Das war im Grunde der Kern meiner Kritik an dem späten Zeitpunkt des Einbringens dieser großen Neuerung.
Andersherum, von der Bundesregierung her, sieht es aber auch so aus: Wir sollten auch die Bundesregierung zu einem so wichtigen Vorschlag hören. Deswegen habe ich im Ausschuß schon angeregt, daß man dies zusammen mit anderen Punkten der Parlamentsreform, die wir noch vorhaben und in dieser Legislaturperiode nicht mehr erledigen können, in der nächsten Legislaturperiode wieder aufgreift. Dieses Verfahren erschiene mir richtig.
Aber ich meine nicht, daß ein Malheur passiert wäre, wenn wir diesem Vorschlag heute zustimmten. Wir kennen ja das nächste Kabinett gar nicht. Vielleicht sitzt dann Herr Genscher dort auf dieser
Bank und muß in der Fragestunde auf die spontanen Fragen der Parlamentarier Antworten geben. Wir wissen doch gar nicht, wer das nächstemal in der Regierung ist und wer in der Opposition. Da sind wir also alle frei und ungebunden und können das nach den sachlichen Gesichtspunkten beurteilen. Nur eines muß man wissen: wenn man spontan fragen darf, dann wird die Antwort in der Regel weniger wertvoll sein, als wenn der Minister sich das vorher überlegen konnte.
({1})
Er wird auf „Nummer Sicher" gehen, er wird ganz vorsichtig sein und häufig sagen: No comment, und häufig wird er Antworten geben, mit denen man gar nichts anfangen kann.
Nachdem ich das alles gesagt habe, bleibe ich dabei: Für meine Person werde ich dem Antrag der FDP-Fraktion zustimmen.
({2})
Meine Damen und Herren, jetzt ist beinahe eine Flut von Wortmeldungen eingegangen. Ich will das Haus nur darauf aufmerksam machen, daß ich noch fünf Wortmeldungen habe. Die Herren, die nicht jetzt drankommen, müssen sich darüber klar sein, daß ich nach der Reihenfolge der Wortmeldungen verfahre. - Herr Ertl hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, diese Debatte hat wirklich echten parlamentarischen Gehalt, nämlich Rede und Gegenrede, und aus der Debatte bilden sich Meinungen. Das macht es heute geradezu interessant und vielleicht sogar sehr angenehm.
Ich möchte mich bei dem Kollegen Mommer sehr herzlich für die Stellungnahme bedanken, die er zu den Ausführungen meines Kollegen Moersch gegeben hat. Denn sicherlich wollte mein Kollege Moersch nicht dafür eintreten, .daß hier radikale Elemente einziehen, sondern er meinte, daß, je lebendiger und aktueller wir dieses Parlament gestalten, um so mehr Zustimmung es in der breiten Bevölkerung findet, um so weniger Anhang radikale Elemente draußen bei der Bevölkerung finden und ihnen somit von vornherein der Einzug in den Bundestag verwehrt wird.
({0})
Darum geht es hier wohl. Unser Antrag könnte die Aktualisierung - nicht so sehr und ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Überraschung, sondern unter dem Gesichtspunkt der Aktualität - befruchten.
Ich danke dem Kollegen Raffert sehr, daß er diese Meinung unterstützt hat; denn je mehr die Bevölkerung dieses Parlament als eine lebendige Angelegenheit und nicht als eine vorfabrizierte Angelegenheit erlebt, um so mehr wird dieses Parlament Widerhall und Widerklang finden. Das sollte die Aufgabe sein.
Mit Recht sagt der Kollege Mommer: Wenn ein Minister sich nicht einer aktuellen Frage stellen kann, dann ist er seines Amtes nicht würdig und fähig. Das gehört dazu, genauso gut wie auch der Abgeordnete in der Lage sein muß, aus dem Handgelenk heraus konkrete Fragen zu stellen. Es mag sein, daß solche Fragen dann nicht immer vollendet formuliert sind. Wir sind hier nicht, um nur Schönredner zu sein, sondern wir sind hier, um unsere politische Meinung zum Ausdruck zu bringen. Diese Fragestunde würde, wie mit unserem Antrag beabsichtigt, vielleicht geradezu zu einer politischen Stunde werden, weil nämlich der Minister seine politische Meinung aktuell zum Ausdruck bringen würde. Daher bitten wir Sie: Helfen Sie mit, dieses aktuelle Element hineinzubringen.
Mit gutem Grund wurde zuvor auf die mangelhafte Parlamentsberichterstattung hingewiesen, unter der dieses Parlament sichtlich leidet und die sicherlich auch zu dem geringen Verständnis der Tätigkeit dieses Parlaments in der deutschen Öffentlichkeit beiträgt. Wir sind überzeugt, daß eine solche Aktuelle Stunde einmal in der Woche mit ihrer aktuellen Konfrontation zwischen Regierung und Parlament die Berichterstattung um vieles lebendiger und befruchtender machen würde. Sie würden sehen, daß wir mehr Raum in der Berichterstattung für unsere Tätigkeit fänden. Insoweit müssen wir Sie noch einmal bitten, mitzuhelfen, diesem Parlament mehr Leben und dieser Regierung die Chance zu geben, aktuell zu antworten und sich nicht immer langfristig vorbereiten zu müssen. Allen, die unserem Antrag bereits zugestimmt haben, danke ich für ihre Unterstützung.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Bauer ({0}).
({1})
- Doch, aber vielleicht haben wir Ihre Geste mißverstanden.
Bei der Gelegenheit machte ich einmal folgendes sagen. Wenn sich jemand zu Wort meldet, sollte er das so machen, daß darüber kein Zweifel besteht. Wenn jemand eine Zwischenfrage stellen will, sollte er sich an das nächste Mikrophon begeben, damit man weiß, daß er eine Zwischenfrage stellen will. Das geschieht nämlich häufig nicht, und daraus ergeben sich Mißverständnisse.
Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Bauer, wenn Sie Ihre nicht erfolgte Wortmeldung zurückziehen.
({2})
- Gut, dann ist der Fall erledigt. Es tut mir leid, ich bin falsch unterrichtet worden.
Das Wort hat Herr Kollege Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP hat auf den ersten Blick etwas Bestechendes.
({0})
- Nein, auf den zweiten eben nicht! Aber, Herr Kollege Genscher, in einer funktionierenden Demokratie sind wir auf die Kooperation, auf das Miteinander der Verfassungsorgane angewiesen. Ich bezweifle, daß wir durch eine einfache Bestimmung der Geschäftsordnung ein anderes Verfassungsorgan zwingen können - das steht hier so schön apodiktisch drin -, sich hier vollzählig zu versammeln.
({1})
Ich sage noch nicht einmal, daß ich das nicht für wünschenswert halte, was da gefordert wird. Aber ich bezweifle, daß das rechtlich möglich ist. Wenn eine funktionierende Demokratie auf der Kooperation der Verfassungsorgane beruht, sollten wir dem dadurch Rechnung tragen, daß wir entsprechende Beschlüsse fassen.
Herr Kollege Mommer, Sie stimmen in der Sache zu, aber auch Sie haben der Meinung Ausdruck gegeben
({2})
- sofort, Herr Kollege Mommer -, daß man so etwas, bevor man es beschließt, zunächst einmal im Sinne dieses Kooperationsgedankens mit dem anderen Verfassungsorgan bespricht. Ich zweifle gar nicht daran, daß der Präsident des Deutschen Bundestages in einem Gespräch mit der Bundesregierung zu einer Regelung kommt, die dann auch in der Geschäftsordnung durchaus ihren Niederschlag finden kann und im großen und ganzen dem, was Sie sich vorstellen, zu entsprechen vermag. Aber in dieser apodiktischen Form, in der das hier vorgetragen wird, geht es nach meiner Meinung nicht.
Bei Fragen, die das Zusammenwirken von Verfassungsorganen zum Inhalt haben, hat sich bisher unser Rechts- und Verfassungsausschuß mit dieser Materie befaßt. Daran sollten wir uns auch in Zukunft halten.
Ich will eine abschließende Meinung zu dieser Ziffer 3 des Antrags der FDP nicht äußern.
Ich bitte um die Zwischenfrage des Kollegen Mommer!
Bitte, Herr Kollege Mommer.
Herr Kollege Rasner, könnte der Satz des Art. 43 des Grundgesetzes Ihr rechtliches Bedenken beseitigen, der sagt, daß der Bundestag und seine Ausschüsse die Anwesenheit jedes Mitglieds der Bundesregierung verlangen können?
({0})
Das können alle Mitglieder sein.
Herr Kollege Mommer, das
ist jedesmal ein Beschluß im Einzelfall. Hier soll etwas institutionalisiert werden.
Ich habe gesagt, ich wollte mir zu dieser Frage eine abschließende Meinungsäußerung vorbehalten. Ich beantrage - das ist zulässig -, die ÜberweiRasner
sung dieser Ziffer 3 an den Geschäftsordnungsausschuß und gleichzeitig an den Rechtsausschuß, weil wir das wirklich durchdiskutieren wollen. Das ist ein sauberer und ordentlicher Weg. Wir werden dann Gelegenheit haben, das in beiden. Ausschüssen im Sinne einer guten Kooperation zu beraten - ich hoffe, unter Beteiligung der Bundesregierung. Ich kann mir vorstellen, daß der Bundestagspräsident beiden Ausschüssen die Ehre seiner Anwesenheit geben wird und daß auch mehrere Vertreter der Bundesregierung dazu geladen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Genscher, Herr Moersch, Sie wissen vielleicht, daß ich in der Kommission Ihrer Auffassung war und noch jetzt dieser Ansicht bin. Das heißt, ich persönlich halte eine solche Regelung der Fragestunde für wünschenswert und würde auch persönlich dafür stimmen, wenn es vorher möglich gewesen wäre, die Argumente der Regierung zur Kenntnis zu nehmen.
In der Kommission war der Herr Bundestagspräsident, wenn ich mich recht entsinne, gebeten worden, mit der Regierung zu sprechen. Ich höre, daß er dazu wegen der Arbeitsbelastung der Regierung in den letzten Tagen noch keine Gelegenheit hatte. Ich würde daher als einer, der diese Sache, und zwar nicht nur aus optischen Gründen und nicht nur taktisch, unterstützt, dringend darum bitten, daß Sie dem Antrag, den Herr Rasner eben gestellt hat, zustimmen. Sie erleichtern es dann manchen Kollegen aus unserer Fraktion, Ihren Antrag anschließend zu unterstützen.
Herr Staatssekretär Leicht!
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf an das anknüpfen, was Herr Kollege Wörner gesagt hat, und möchte im Namen der Bundesregierung auch darum bitten, ihr wenigstens die Möglichkeit zu geben, das Für und Wider abzuwägen.
Sicherlich ist der Gedanke, der hier angesprochen worden ist, gut. Zum Teil wird man aber auch jetzt schon in der Fragestunde mit Themen konfrontiert, über die man sich vorher keine großen Gedanken machen konnte. Gewiß kann die Handhabung vom Fragen und Antworten her belebend wirken. Die Frage ist aber nur, ob die Möglichkeit und die Voraussetzungen dafür tatsächlich schon gegeben sind oder ob hier nicht erst gewisse Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um dem nachzukommen, was das Parlament dann eventuell verlangen wird.
Ich würde also darum bitten, der Regierung Gelegenheit zu geben, das noch einmal abzuwägen und ihre Stellungnahme dazu abzugeben, und erst dann unter Umständen zu entscheiden.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Staatssekretär Leicht?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Bitte!
Herr Moersch!
Herr Staatssekretär, hat sich denn die Bundesregierung offiziell oder inoffiziell mit dem ursprünglichen Antrag schon einmal befassen können?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Moersch, ich bin im Augenblick überfragt, um Ihnen dazu eine Antwort zu geben. Ich habe mich nur verpflichtet gefühlt, und zwar auch im Interesse dessen, was das Haus anstrebt, wenigstens den Versuch zu machen, daß die Regierung die Möglichkeit erhält, ihre Stellungnahme dazu abzugeben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag ist in der ersten Lesung von uns angekündigt worden, und er hat in der Kommission für die Parlamentsreform, die der Herr Präsident einberufen hat, eine große Rolle gespielt. Er ist im Geschäftsordnungsausschuß erörtert worden.
Ich glaube, es hätte sich für die Bundesregierung gelohnt, wenn sie durch ein Mitglied des Kabinetts im Geschäftsordnungsausschuß bei der Erörterung von Fragen der Parlamentsreform, die auch das Verhältnis von Parlament und Regierung betreffen, anwesend und vertreten gewesen wäre.
({0})
Wir haben auch ein Ministerium für diese Fragen, das heute nicht vertreten ist. Das Finanzministerium ist nur deshalb anwesend, weil spätere Tagesordnungspunkte seine Anwesenheit erfordern und weil das Finanzministerium nicht wissen konnte, daß die seinen Bereich berührenden Fragen der Parlamentsreform zurückverwiesen werden. Aber für die anderen Probleme haben wir ein eigenes Ressort.
Ich möchte übrigens mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, daß auch der Bundesrat, wie üblich bei Fragen, die das Verhältnis der Verfassungsorgane zueinander betreffen, wiederum nicht vertreten ist, was aber Mitglieder des Bundesrates, wenn sie einmal ein Thema interessiert, nicht daran hindert, dann exzessiv von den Möglichkeiten ihres Rederechts hier vor dem Parlament Gebrauch zu machen.
({1})
Meine verehrten Damen und Herren, man konnte sich also eine Meinung bilden. Ein Beamter des Bundesratsministeriums, das für die Verbindung zum Bundestag zuständig ist, war bei den Beratungen des Geschäftsordnungsausschusses anwesend. Wenn Sie
eine Mehrheit für Ihren Antrag auf Rückverweisung finden sollten, könnte sich der Geschäftsordnungsausschuß noch in dieser Woche damit befassen. Wir müssen ohnehin über einen Teil der Parlamentsreform noch vor den Parlamentsferien im Plenum beraten.
Ich würde sagen, verbinden wir beide Themen, falls Sie sich, Herr Kollege Rasner, mit Ihrer Vorstellung durchsetzen. Wir sollten nicht einem wichtigen Punkt, den Herr Mommer mit Recht als einen wesentlichen Fortschritt in der Parlamensreform bezeichnet, sozusagen zu einem Begräbnis erster oder zweiter Klasse verhelfen. Wir sollten vielmehr Anstrengungen machen, wenn Sie sich mit Ihrem Zurückverweisungsantrag durchsetzen, diese Frage noch im Geschäftsordnungsausschuß unter Mitwirkung der Bundesregierung zu regeln, damit dann in der nächsten oder übernächsten Woche im Plenum entschieden werden kann.
Meine Damen und Herren, es kann doch gar kein Zweifel darüber bestehen, daß sowohl Aktualität wie Spontaneität unserer Parlamentsarbeit erheblich gefördert würden, wenn hier direkte Fragen gestellt werden könnten. Ich möchte das wiederholen, was ich im Geschäftsordnungsausschuß gesagt habe. Im Ausschuß wurde die Meinung vertreten, möglicherweise sei die Regierung nicht in der Lage, die Fragen zu beantworten. Selbst als Vertreter der Opposition weigere ich mich einfach, zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Regierung der Bundesrepublik dazu weniger in der Lage wäre als etwa die kanadische Regierung, obwohl das eine liberale ist.
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Ich glaube, es ist eine Selbstverständlichkeit, daß jedes Mitglied der Bundesregierung - von welcher Fraktion es auch immer gestellt wird - in der Lage ist, diese Aufgabe zu bewältigen. Ich möchte etwas hervorheben, was schon heute für die Fragestunde gilt und was natürlich später erst recht gelten würde: Es ist auch das Recht der Regierung, auf eine bestimmte Frage ohne Begründung die Antwort zu verweigern, wenn sie das in einer bestimmten Situation für richtig hält. Sie wird sich natürlich sehr genau fragen, ob die Verweigerung dieser Antwort in der Öffentlichkeit eventuell nachteilige Folgen hat; aber sie muß diese Möglichkeit haben. Niemand kann die Regierung zur Beantwortung von Fragen zwingen. Sie kann freilich zur Anwesenheit gezwungen werden, und das, meine Damen und Herren, sollten wir allerdings tun. Im kanadischen Parlament wird die Anwesenheit aller Regierungsmitglieder auf eine sehr einfache Weise erreicht. Wenn dort nämlich ein Minister nicht da ist, wird er nicht etwa durch ein anderes Mitglied der Regierung vertreten, sondern er wird durch den immer anwesenden Regierungschef vertreten. Sie sollten einmal sehen, wie Herr Kiesinger dafür sorgen würde, daß seine Ressortkollegen da sind, weil er sonst z. B. in die Zwangslage kommen könnte, Fragen zum Städtebauförderungsgesetz beantworten zu müssen.
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Ich glaube, auch hier würde vieles dafür sprechen, diese Regelung vorzusehen. Diese Bestimmung tritt
wie alle Änderungen ohnehin erst zum 1. Oktober dieses Jahres in Kraft. Die Regierung hat also die Möglichkeit, sich darauf einzurichten, wie immer sie zusammengesetzt ist.
Ich will Ihnen hier ein „Staatsgeheimnis" verraten. Ich habe unlängst gehört, daß das Bundeskanzleramt die verschiedenen Ministerien - ganz egal, ob sie von Sozialdemokraten oder von Christlichen Demokraten besetzt sind - aufgefordert hat, schon Vorschläge für die Regierungserklärung der neuen Regierung im Herbst zu machen. Das läßt natürlich viele Rückschlüsse zu.
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Man kann dann auch schon gemeinsam vorbereiten, wie man möglicherweise durch zusätzliche Parlamentarische Staatssekretäre seine Präsenz vor dem Parlament verstärken kann.
Ich möchte auch noch ein Wort zu einer anderen Frage sagen. Sie wissen, ich gehöre zu denjenigen, die der Meinung sind, daß vor dem Parlament eigentlich nur die Mitglieder der Bundesregierung und die Parlamentarischen Staatssekretäre auftreten sollten. Wir sollten es den beamteten Staatssekretären, die nach Werdegang und Vorbildung in unser rem Staat die Aufgabe der Vertretung des Ministers nach innen, nämlich gegenüber dem Hause, haben, ersparen, hier vor dem Parlament auftreten zu müssen,
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weil sie sich nicht mit den Mitteln eines Parlamentariers zur Wehr setzen können. Die Regierungsmitglieder können das in der Regel. Das ist keine Abwertung, sondern im Gegenteil eine Schutzvorschrift für Beamte, die unter Umständen in eine mißliche Lage kommen können, wenn sie schwierige politische Entscheidungen der Regierung zu vertreten haben. Meine Damen und Herren, wir haben das gelegentlich bei der früheren und bei dieser Regierung in der Person des Staatssekretärs im Bundespresseamt erlebt, wobei ich beiden Herren, dem früheren wie dem jetzigen Staatssekretär, bestätigen möchte, daß sie sich dieser Aufgabe mit Bravour entledigt haben.
Gestatten Sie eine Frage'?
Bitte, Herr Rasner!
Herr Kollege Genscher, Sie haben das schon mehrfach vorgetragen, und ich finde das gut. Wann dürfen wir mit einem entsprechenden Antrag auf Änderung des Grundgesetzes rechnen?
Herr Kollege Rasner, es gibt Probleme, die man nicht unbedingt durch Änderung des Grundgesetzes lösen muß.
({0})
Es kann auch an die Regierung appelliert werden,
daß die Mitglieder der Regierung und die Parlamentarischen Staatssekretäre dem Parlament die Ehre
ihrer Anwesenheit erweisen, wenn Fragen ihres Ressorts anstehen.
({1})
Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen. Herr Kollege Dichgans, Sie haben die zeitlichen Möglichkeiten der Regierung gegen unseren Antrag ins Feld geführt. Sie wissen, daß wir diese aktuelle und spontane Fragestunde als erste Fragestunde der Woche durchführen wollen, also am Mittwoch, zu einem Zeitpunkt, an dem die Regierung ohnehin versammelt ist und am Nachmittag ihre Entscheidungen in der Pressekonferenz bekanntgibt.
Meine Damen und Herren, verlegen wir doch diese Unterrichtung ins Parlament! Ich könnte mir eigentlich für ein Mitglied der Bundesregierung an einem solchen Mittwoch keine wichtigere Tätigkeit vorstellen, als hier dem Hohen Hause spontan Rede und Antwort zu stehen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Bauer ({0}).
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich die klare Feststellung treffen, daß der Antrag der Freien Demokraten in dieser Richtung im Ausschuß nach Diskussion keine Mehrheit gefunden hat, und zwar deshalb - wenn ich mich recht erinnere -, weil man nicht davon überzeugt gewesen ist, daß neben der Institution der sogenannten Aktuellen Stunde, die in diesem Hause doch schon zu recht lebhaften und wahrhaft aktuellen Auseinandersetzungen geführt hat, eine weitere Institutionalisierung ständiger Art eingeführt werden sollte, welche die Kraft der Regierung neben den bestehenden Fragemöglichkeiten erheblich in Anspruch nimmt.
Ich meine also, man muß sich entscheiden, ob man das eine oder das andere tun will. Wenn man diese Institution, die die Freien Demokraten wollen, einführt, wäre die Aktuelle Stunde mehr oder weniger gegenstandslos.
({0})
Das muß im Ausschuß gründlich durchdiskutiert werden. Deshalb bin auch ich der Meinung: ohne Rücküberweisung geht es nicht. Man weiß allerdings, daß, wenn es an den Rechtsausschuß mit zurücküberwiesen wird, die Aussichten, noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu kommen, verhältnismäßig gering sind.
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Unter den obwaltenden Umständen stimme auch ich dem Rückverweisungsantrag zu.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Es ist ein Antrag auf Rückverweisung gestellt. Ein solcher Antrag geht bekanntlich allem anderen vor. Dazu müßte allerdings der Antrag als ein selbständiger Antrag
behandelt werden, also unabhängig von Ihren Anträgen auf Umdruck 704. Wären Sie damit einverstanden, daß der Antrag als selbständiger Antrag betrachtet wird?
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- Hier bei dem Umdruck gehen wir stückweise vor. Es ist eine Formalität.
Herr Präsident! Bedeutet das, daß bei Ablehnung der Rückverweisung über den Antrag materiell abgestimmt wird?
Selbstverständlich.
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Wir stimmen zunächst über den Rückverweisungsantrag ab, den Herr Kollege Rasner gestellt hat. Er hat einen doppelten Rückverweisungsantrag gestellt: sowohl an den Geschäftsordnungsausschuß
({1})
als auch an den 'Rechtsausschuß. Ich muß sagen, daß der Einwand, den Herr Bauer gegen den Rechtsausschuß geltend gemacht hat, nicht ganz unbegründet ist. Eine solche Rückverweisung könnte eine erhebliche Verzögerung bedeuten, wenn wir nicht erreichen, daß der Rechtsausschuß genauso schnell reagiert, wie es der Geschäftsordnungsausschuß hoffentlich tun wird.
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- Sie würden auf die Rückverweisung an den Rechtsausschuß verzichten?
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Wir stimmen dann über die Rückverweisung an den Geschäftsordnungsausschuß ab. Wer stimmt dieser Rückverweisung zu? - Danke. Die Gegenprobe! - Ich muß die Abstimmung wiederholen. Wir stimmen durch Erheben von den Plätzen ab. Wer dem Rückverweisungsantrag zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke. Die Gegenprobe! - Nach sorgfältigem Auszählen durch die Schriftführer ist ermittelt worden, daß die Überweisung mit Mehrheit beschlossen worden ist.
Wir können dann über die Nr. 26 abstimmen, wobei unterstellt ist, daß die durch den Änderungsantrag der Fraktion der FDP aufgeworfene Frage zunächst in der Schwebe bleibt und noch einmal im Ausschuß beraten wird. Ich lasse abstimmen über die Nr. 26. Wer ihr zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nr. 26 ist bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe die Nr. 27 auf. Anträge dazu liegen nicht vor. Wir stimmen ab. Wer der Nr. 27 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen und keine Gegenstimmen; Nr. 27 ist also ebenfalls angenommen.
Wir müssen jetzt über die Vorlage des Ausschusses im ganzen abstimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wörner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt keine große Rede mehr halten, aber doch drei Feststellungen treffen.
Erstens kann man, glaube ich, entgegen manchen pessimistischen Stimmen, die in der Öffentlichkeit zu hören waren, feststellen, daß mit diesen Beschlüssen wesentliche Reformen dieses Parlaments angefangen wurden.
Zum zweiten glaube ich - ich bin sonst kein Freund von Dankadressen -, ist es angebracht, die sehr aktive Rolle des Präsidenten dieses Hauses bei der Beratung und Vorbereitung dieser Beschlüsse zu würdigen.
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Drittens, meine ich - ich will allerdings nicht wiederholen, was ich bei der ersten Debatte über die Parlamentsreform hier gesagt habe -, sollten wir uns alle darüber im klaren sein, daß in der Tat, was wir beschlossen haben, noch keine umfassende Parlamentsreform darstellt.
Ich möchte einen Wunsch der CDU/CSU-Fraktion in Erinnerung rufen und möchte den Herrn Präsidenten bitten, daß er sich dieser Sache annimmt, nämlich noch vor Ende dieser Legislaturperiode eine Planungskommission der in unseren Vorschlägen aufgezeigten Art einzusetzen - ich meine jetzt nicht eine der typischen Expertenkommissionen -, die tatsächlich Vorbereitungen für das trifft, was man eine umfassende Parlamentsreform heißen kann, die insbesondere den Strukturmängeln, die ich damals aufgezeigt habe, abzuhelfen vermag.
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Das Wort wird weiter nicht begehrt.
Ich glaube, angesichts der Bedeutung der Einzelbeschlüsse, die wir gefaßt haben - es handelt sich hier um eine Reform der Geschäftsordnung -, ist es zweckmäßig, unter Ausklammerung der noch dem Haushaltsausschuß überwiesenen Paragraphen oder Nummern
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wenigstens das, was wir heute in Einzelabstimmungen beschlossen haben, in einer Gesamtabstimmung zu bestätigen. Ist das Hohe Haus anderer Meinung? - Ich glaube, wir sollten das tun.
Ich lasse also jetzt über das, was wir in zahlreichen Einzelabstimmungen beschlossen haben, im ganzen, mit Ausnahme der erwähnten Nummern, abstimmen. Wer dieser Vorlage zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch über die Anträge des Ausschusses abzustimmen, die Sie auf Seite 16 der Vorlage finden. Dazu hat das Wort der Herr Präsident.
von Hassel, Präsident des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus den etwa 120 Vorlagen, die die Beratungskommission für die Parlamentsreform und der Geschäftsordnungsausschuß zu behandeln hatten, blieben für die Diskussion hier praktisch nur noch drei Punkte offen, und zwar die Redezeit, die Öffentlichkeit der Ausschüsse und die politische Fragestunde, - ein Zeichen, daß wir bei den Beratungen Kompromisse gefunden haben, auf die wir uns verständigen konnten. Ein bißchen zusammengerafft handelt es sich dabei um die Verbesserung der Kontrollfunktion des Parlaments, um die Verbesserung der Rechte der Minderheit und um die Straffung der Plenarberatungen durch verschiedene Maßnahmen. Ich glaube, daß jeder, der sich mit diesen Themen beschäftigt hat, auch die Erfahrung gewinnen konnte, daß die parlamentarische Demokratie eben doch eine zeitfressende Staatsform ist, wir uns daher bemühen müssen, die Rechte der Minderheiten und die notwendige Straffung des Parlaments miteinander abzuwägen. Ich glaube, daß wir hier einen guten Mittelweg eingeschlagen haben. Wir alle leiden unter dieser Zeitnot. Wir alle kommen nicht mehr dazu, wirklich nachzudenken, Überlegungen anzustellen und Entscheidungen vernünftig vorzubereiten, einfach deshalb, weil wir bei der Zeitknappheit einer Fünftagewoche, zu der wir uns bekennen, diese Zeit nicht mehr finden.
Viertens haben wir die Informationsmöglichkeiten für den Abgeordneten verbessert. Er wird im Plenum und in den Ausschüssen eine breitere Kontrollmöglichkeit haben. Wir haben uns auch bemüht, Klarheit bezüglich der Behandlung der Vorlagen in Finanz- und in Haushaltsfragen zu schaffen, und wir haben uns vor allen Dingen dazu verständigt, daß wir unsere Arbeit in größere Zeiträume einteilen, damit jeder weiß, was er in den nächsten Wochen oder Monaten zu tun hat.
Ich möchte hier ausdrücklich erklären, daß die Sprecher der Freien Demokratischen Partei die Unterstützung des ganzen Hauses finden, wenn sie verlangen, daß die Abgewogenheit zwischen Parlament und Regierung verbessert wird; und ich glaube, daß dies auch in einigen Punkten der heute angenommenen Reform seinen Niederschlag findet.
Wir haben uns offengehalten, ob wir eine Fragestunde der Art, wie sie begehrt wurde, einführen. Ich habe im Ausschuß eine abweichende Meinung dargelegt; ich will sie hier nicht wiederholen. Ich möchte nur auf zwei Punkte eingehen, die in der Diskussion eine Rolle gespielt haben. Das eine: die Tatsache, daß die Möglichkeit der Aktualisierung von Fragen und Antworten durch die Regierung bei politischen Fragen durch die Aktuelle Stunde nicht ausreichend wahrgenommen werden könne, wurde vom Kollegen Raffert, wie er sagte, hier aus leidvoller Erfahrung kritisiert. Ich darf dazu auf folgendes aufmerksam machen. Ich habe in der Zeit, in der ich amtiere, zweimal aktuelle Fragen nicht zugelassen. Einmal handelte es sich in der Tat um eine Frage des Kollegen Raffert, der danach fragte, aus welchen Gründen an den spanischen Informationsminister das Bundesverdienstkreuz verliehen
Präsident von Hassel
wurde. Da es verliehen worden war, glaubte ich nicht, daß dies noch eine dringliche Bedeutung haben könne, und ich habe die Frage deshalb auf die normale Fragestunde verwiesen. In dem anderen Fall begehrte ein Kollege - ich weiß nicht mehr genau, um welchen Kollegen es sich handelte - in der Dringlichkeitsfragestunde eine Klärung über die Änderung der Vermögensteuer im Lande Hessen zu erreichen. Ich habe die Dringlichkeit abgelehnt, da es dazu eines Gesetzesaktes bedarf, den das Land Hessen ohnehin nicht alleine betreiben kann, da wir den Rahmen festsetzen. Die Dringlichkeit mußte also verneint werden. Die Frage ist in die normale Fragestunde verwiesen worden.
Herr Kollege Raffert, der Präsident ist in einer schwierigen Lage, indem er nämlich bei dem Bemühen, allen Fragestellern in einer Woche die mündliche Antwort zu ermöglichen, dadurch gestört wird, daß andere dringliche Fragen unter Umständen die vorliegenden Fragen in ein späteres Feld dieser Woche verweisen. Daher muß man versuchen, den Mittelweg zu finden, und bis auf die zwei Beispiele, die ich nannte, ist das immer gelungen.
Gestatten Sie eine Frage?
von Hassel, Präsident des Deutschen Bundestages: Bitte, Herr Kollege!
Herr Fellermaier!
Herr Präsident, darf ich Sie fragen, ob Sie nicht glauben, daß die Flüssigkeit der Fragestunde auch noch dadurch verbessert werden könnte, daß die Herren Mitglieder der Regierung oft nicht mehrere Seiten Manuskript auf eine einzige Frage eines Abgeordneten vorlesen, während sich die Abgeordneten in ihren Zusatzfragen - vom Präsidenten mit Recht kontrolliert - darauf beschränken müssen, sehr, sehr straff zu formulieren.
von Hassel, Präsident des Deutschen Bundestages: Meine freundlichen Randbemerkungen haben mehrfach den Regierungsmitgliedern gegolten. Ich habe mir nämlich erlaubt, Lob zu erteilen, z. B. dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Arndt für seine kurzen Fassungen, und ich habe gerade solchen Ministern Kritik zu erteilen, die nicht vorlesen, sondern frei sprechen; sie haben meistens sehr viel mehr Zeit für die Beantwortung gebraucht.
({0})
- Ein bißchen, Herr Kollege Fellermaier, spielt auch das eine Rolle, was ich hinter mir habe. Ich habe oft genug - von Ihnen damals in der Opposition, interpelliert -- wöchentlich eine Fragestunde dort oben zu bestreiten gehabt. Ich bin fast jedesmal selber hingegangen, weil es sich um politische Fragen handelte. Wenn man dann durch Zusatzfragen von der Hauptfrage, auf die man sich hat vorbereiten können, ein bißchen abgelenkt wird, kommt sehr schnell der Zwischenruf: Herr Minister Soundso,
Sie haben hier dem Parlament gegenüber nicht ganz korrekte Aussagen gemacht, Sie haben sich am Rande des Belügens des Parlaments entlanggeschlängelt! - Meine Haltung ist also ein bißchen von der sechsjährigen Erfahrung auf dieser Bank dort bestimmt.
Dennoch meine ich, daß man mit der Bundesregierung darüber sprechen sollte. Wenn sie einverstanden ist, habe ich sowieso nichts dagegen. Ich frage mich nur, meine Herren Vizepräsidenten-Kollegen, wie wir das nachher handhaben sollen. Das wird eine sehr amüsante Unternehmung. Wer ist dann der erste Fragesteller? Der wird sich wahrscheinlich schon am Dienstagabend bei uns anmelden. Wen ruft man auf? Wie ruft man auf? Welchen Minister nimmt man? Alle Minister, oder nur besonders gefragte? Das ist in der Durchführung, meine Herren Vizepräsidenten-Kollegen, nachher nicht ganz einfach.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Moersch.
Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß der Vorsitzende der Bundespressekonferenz dieses Problem wöchentlich mindestens einmal löst.
von Hassel, Präsident des Deutschen Bundestages: Ich darf darauf aufmerksam machen, Herr Kollege Moersch - ich versuche gemäß der Neufassung der Geschäftsordnung mich kurz zu fassen und frei zu reden -, in eine Pressekonferenz geht meist ein einzelner Ressortminister, der vorher weiß: Das etwa sind die Tagesordnungspunkte, zu denen ich gefragt werde. Er kann sich auf aktuelle Fragen vorbereiten, die dort in der Pressekonferenz anstehen könnten, weil er z. B. vorher in der Kabinettssitzung seine Vorlage vertreten hat, oder in einem anderen Zusammenhang eine Vorlage von ihm, ein Problem, das er zu vertreten hat, bekanntgeworden ist. Es ist auch ein Unterschied, Herr Kollege Moersch, ob hier oben mit der Präzision, die im Hause vom Minister verlangt wird, geantwortet wird, oder aber in einer Pressekonferenz oder einer Fernsehsendung.
Wir haben über die Öffentlichkeit der Ausschüsse gesprochen. Ich verstehe den Herrn Kollegen Sänger völlig, der darlegt, in welcher Zeitnot Journalisten sind, die hier in Bonn ein großes Bündel von Aufgaben wahrzunehmen haben, 50, 60 oder 70 Tagesordnungspunkte während einer Parlamentswoche, und die dann noch all die anderen Darstellungen, etwa des Bundesrates, der Bundesregierung, und die sonstigen Ereignisse, die Konferenzen und die großen Veranstaltungen hier in Bonn ebenfalls wahrnehmen müssen. Diesen Journalisten muß man helfen. Insofern komme ich nachher noch einmal auf das zurück, was wir vorhaben, daß wir nämlich das, was Sie kritisieren, durch Maßnahmen anderer Art in Ordnung bringen können als durch Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen.
Das Zweite ist nun, daß wir beschlossen haben, die Arbeit auf drei Monate zu planen und sie in gro13326
Präsident von Hassel
Ben Fachbereichen zusammenzufassen. Das bedeutet für die Bundesregierung, daß sie durch ihren Ressortminister weiß,. wann sein Gesamtbereich ansteht. Sie kann dann rechtzeitig die Vorlagen einbringen. Sie kann bei dieser Gelegenheit auch zum Ausdruck bringen, was sie sonst zu sagen hat, was nicht in Ordnung ist, wo sie Rückschläge erlitten hat und wo sie neue Fragen aufgegriffen hat. Sie hat die Chance, in einer Woche zu den bedeutenden Fragen eines großen Fachbereichs Stellung zu nehmen, und das Parlament hat die Chance, die Arbeit in den federführenden und in den mitberatenden Ausschüssen so zu ordnen, daß die Vorlagen zu dieser Woche rechtzeitig kommen, nämlich in der Vorwoche. Die Abgeordneten bekommen dann die Dokumente nicht mehr erst am Mittwoch in die Hand, wenn die Ausschußberatungen beendet sind und das Parlament darüber zu entscheiden hat. Dadurch, daß die Ausschüsse Gegenstände aus ihrem Fachbereich aufgreifen können, die ihnen nicht zugewiesen sind, daß sie dort die Regierung besser kontrollieren können, und dadurch, daß die Ausschüsse die Pflicht haben, über einen Antrag zu entscheiden und, wenn die Antragsteller es begehren, nach sechs Monaten die Entscheidung vorzulegen und darüber zu berichten, da werden praktisch die Möglichkeiten für die Opposition, für die Minderheit, nennenswert verbessert, weil es dann Begräbnisse erster Klasse nicht mehr geben kann.
Was haben wir neben der Änderung der Geschäftsordnung außerdem zu bedenken? Da möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich in der kommenden und in der letzten Parlamentswoche dem Bundestagsvorstand und dem Haushaltsausschuß eine Reihe von Konzepten vorlegen werde, die es der Administration des Hauses ermöglichen sollen, die Grundgedanken, die in der Geschäftsordnung ihren Niederschlag finden, nun auch durchzusetzen. Die wissenschaftliche Verwaltung und die Arbeitsgruppen des Parlaments müssen zu ähnlichen Zusammenfassugnen großer miteinander verwandter Bereiche in Fachbereichen gelangen. Dazu bekommen der Vorstand und der Haushaltsausschuß eine Vorlage. In dieser Vorlage werden die für die einzelnen Ausschüsse verantwortlichen Sekretariate mit dem Wissenschaftsdienst zueinandergeordnet - nicht mehr in verschiedenen Abteilungen, sondern zusammen in einem Fachbereich, damit die Fachbereichsleiter leichter in der Lage sind, einen vernünftigen Arbeitsausgleich zu finden, wenn etwa in einem Ausschuß eine Arbeitsspitze nicht abgebaut werden kann, aber in einem anderen Ausschuß die Arbeit im Augenblick etwas ruhiger ist und ein Ausgleich erfolgen könnte.
Ich komme jetzt noch einmal auf die Darlegungen des Kollegen Sänger zurück. Ich werde den beiden Gremien ein Denkmodell für die Einrichtung eines Presse- und Informationszentrums vorschlagen, das erst nach der Bundestagswahl gestaltet und besetzt werden soll. Herr Kollege Sänger, dieses Haus hat nur einen Pressereferenten. Wir haben niemanden, der für den Kontakt zur Presse, zur Auslandspresse, zu Journalisten, die aus dem Bundesgebiet einmal hierher zu Besuch kommen, zum Fernsehen verantwortlich ist. Das Wort „public relations" ist
z. B. in keinem Lexikon in diesem Hause wirklich zu finden. Mein Vorschlag geht dahin, eine Lösung zu finden, durch die für den einzelnen Abgeordneten, gleichzeitig aber auch für die Journalisten, die sich hier abquälen müssen, die Information und die Arbeit erleichtert wird.
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Dazu gibt es ein Denkmodell, das allerdings - ich wiederhole es - erst zum 1. Oktober in die Tat umgesetzt werden würde.
Gestatten Sie eine Frage? - Bitte!
Herr Präsident, darf ich zusätzlich fragen: Gibt es dann auch eine Möglichkeit, die bisher unmöglichen Arbeitsräume des Zeitungsarchivs und des Archivs in diesem Hause überhaupt so zu verbessern, daß wir schnell an diese Informationen herankommen?
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von Hassel, Präsident des Deutschen Bundestages: Verehrter Herr Kollege, vorhin hat der Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses, der Herr Kollege Bauer, gesagt: Nachdem wir das jetzt beendet haben, denken Sie bitte über die Zukunft nach. Das, was hier an Räumlichkeiten vorhanden ist, ist vor 20 Jahren geschaffen worden. Nach 20 Jahren müssen wir endlich bereit sein, neue Lösungen zu finden. In dem Zusammenhang hat er ein bißchen - ich traute meinen Ohren nicht - über Traditionen gesprochen. Das ist natürlich für mich etwas ganz Neues. Aber, Herr Kollege Sänger, für diese neuen Räume - der Planungsauftrag dazu ist durch den Vorstand des Deutschen Bundestages erteilt - wird es nennenswerte Verbesserungen auch für das Archiv, für die wissenschaftliche Seite, für die Bibliothek, in bezug auf den Zugriff zur Datenverarbeitung geben. Es besteht die Absicht, diesen Saal hier für jene Zwecke zur Verfügung zu stellen. Zwischenzeitlich versuchen wir, andere Verbesserungen zu erreichen. Ich bin im Archiv gewesen, Herr Kollege Sanger. Ich bin in einen winzigen Raum gekommen; das ist der Leseraum des Archivs. Da saßen friedlich beieinander ein Assistent eines meiner Kollegen und ein Vertreter der sowjetischen Botschaft. Das war ein ganz amüsantes Gespann. In dem engen Raum saßen zwei Mann, und damit war er bereits fast überfüllt und hätte wegen Überfüllung geschlossen werden müssen. Ich erkläre, daß die Arbeitsräume für viele unserer Mitarbeiter in der Tat völlig unzureichend sind.
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Das läßt sich aber nicht in kurzen Zeiträumen abstellen. Ich hoffe, daß einiges dabei bereinigt werden kann.
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Präsident von Hassel
- Ja, da bin ich ja gewesen. Das habe ich eben geschildert.
Das dritte sind ein paar technische Fragen. Der Vorstand des Bundestages hat beschlossen, diesen Plenarsaal umzubauen. Sehen Sie sich also bitte noch einmal dieses pompöse Gebilde von Regierungsbank, von Bundesratsbank und von Präsidentenbank mit Genuß an! Lassen Sie sich das also richtig eingehen! Wenn Sie aus den Ferien wiederkommen, wird das hier vorn umgebaut sein und wird damit, glaube ich, auch der Ausgewogenheit zwischen Parlament, Regierung und Bundesrat gemäßer sein.
Zur gleichen Zeit werden hier die Vorkehrungen für die Verkabelung der Abstimmanlage getroffen. Die Entscheidung darüber hat der Bundestagsvorstand gefällt. Die Verkabelung findet in der Sommerpause während des allgemeinen Umbaus hier statt. Der Computer selbst wird während der Weihnachtspause eingebaut. Um den 1. April wird also die Abstimmanlage funktionieren.
Meine verehrten Damen und Herren, darf ich Sie vielleicht, bevor ich noch eine Zwischenfrage zulasse, darauf aufmerksam machen, daß wir in der vergangenen Woche zehn namentliche Abstimmungen und Hammelsprünge gehabt haben, die uns 107 Minuten der wirklich knappen Parlamentszeit gekostet haben. Das geht also seinem Ende entgegen.
Zu einer Zwischenfrage, gern, Herr Kollege Petersen.
Herr Präsident, würden Sie bei Ihren Überlegungen zum Umbau des Plenarsaals auch einmal untersuchen, ob man nicht durch Vermehrung dieser Mikrofone an weiteren Plätzen die Lebendigkeit der Debatte technisch fördern könnte?
von Hassel, Präsident des Deutschen Bundestages: Ich habe bisher, meine verehrten Damen und Herren, nicht den Eindruck gehabt, wenn ich oben saß und leitete, daß die Zahl der Mikrofone zu gering ist. Es hat sich immer vernünftig eingespielt, sofern sich der Abgeordnete selbst rechtzeitig ein Mikrofon gesucht hat. Der Präsident ist ein bißchen in einer schwierigen Lage. Sie müsen in Zukunft da oben eine Art Regeltechniker als Präsident bestellen. Der muß so viel Knöpfe drücken. Wenn er noch mehr Mikrofone drücken muß, dann wird es etwas schwierig.
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- Die Schriftführer haben soviel mit anderen Dingen zu tun; daß sie dazu nicht richtig kommen.
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Außerdem haben wir einen Helfer hier unten, der, wenn der Präsident nicht schaltet, eingreift und das Mikrofon so einschaltet, daß der Betreffende seine Frage stellen kann.
Herr Kollege Petersen, an dem Computer wird übrigens innerhalb der Tastatur - die begrenzt wird, damit es nicht zu unübersichtlich wird - auch
eine Taste für Zusatzfragen sein. Sie sind dann also in der Lage zu drücken, und dann weiß man oben, wer das ist, der dort drückt, und kann ihm rechtzeitig das Wort erteilen. Insofern bedeutet auch das eine Erleichterung für die Fragestunde.
Meine Damen und Herren, zum Schluß noch einen Blick in die Zukunft. Wir haben aus Zeitmangel das Gesetz über das Petitionsrecht nicht beenden können, das ich persönlich für notwendig halte. Wir haben ferner das Gesetz über das Recht der Untersuchungsausschüsse nicht beenden können, das genauso notwendig ist. Wir haben auch das Thema des Lobby-Paragraphen nicht beenden können. Man wird über einiges noch innerhalb der nächsten zehn Tage sprechen. Meine verehrten Damen und Herren, wir müssen uns in der kommenden Legislaturperiode noch über eine ganze Reihe von Dingen verständigen, die nicht große Reform sind, aber die für die Ordnung dieses Hauses wichtig sind, z. B. die Stellung der Fraktionen und die Stellung der Mitarbeiter der Fraktionen. Ich werde ständig auf dieses Thema angesprochen. Wir müssen vielleicht auch das Thema der Mitarbeiter, die wir seit dem 1. April beschäftigen können, neu durchdenken. Wir alle wissen, daß das noch kein befriedigender Zustand ist. Wir müssen Erfahrungen sammeln. Anfangs der neuen Legislaturperiode muß darüber neu gesprochen werden. Wir müssen durchdenken, daß wir bisher keine Ehrenordnung haben, obwohl die Geschäftsordnung uns dazu ermuntert. Wir müssen die Fragen der Immunität daraufhin neu durchdenken, ob alles noch zeitgemäß ist.
Wir müssen auch die Frage der Diäten neu durchdenken. Ich möchte dazu nur zwei Punkte sagen: Ich wurde in den letzten Wochen von Abgeordneten angesprochen, die einen Flächenwahlkreis haben und die nicht in der Nähe einer vernünftigen Eisenbahnverbindung und nicht in der Nähe eines vernünftigen Flughafens wohnen, die aber andererseits näher an Bonn wohnen und daher weniger bekommen. Man muß sich also überlegen, ob diese Regelung richtig ist. Ich habe keinen Vorschlag anzubieten; ich trage nur Sorgen von Abgeordneten vor, die ich in den letzten Wochen vielfach hörte.
Ein Zweites wird Sie interessieren. Ich habe mit dem Präsidium des Bundestages eine Begegnung mit dem Bund der Steuerzahler gehabt, und daraus hat sich ergeben, daß der Bund der Steuerzahler nicht die Höhe der Diäten kritisiert. Er sagt: „Nachdem wir kennen, was uns ausgebreitet wurde, sind wir der Meinung, daß Sie nicht weniger bekommen sollten; aber klären Sie die Frage, ob man nicht das Privileg der Steuerfreiheit dadurch beseitigen sollte, daß man höhere Diäten zahlt und diese versteuert!" Darüber muß in der neuen Legislaturperiode gesprochen werden.
In der neuen Legislaturperiode muß auch über das gesprochen werden, was zuweilen Inhalt der heutigen Debatte gewesen ist, nämlich die Ausgewogenheit zwischen Parlament und Regierung, das Verhältnis zwischen dem Abgeordneten und dem Beamten. Meine verehrten Herren, auf der einen Seite sagt man, die Verwaltung bläht sich auf, auf der anderen Seite sagt die Verwaltung zu Recht:
Präsident von Hassel
Warum bläht sich die Verwaltung auf? Weil das Parlament Gesetze macht, umfangreich, kompliziert, bis in jedes Detail, die wir zu exekutieren haben! - Deshalb meine ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß sich der neue Bundestag sehr stark der Aufgabe widmen muß, daß neue Gesetze oder Änderungen bestehender Gesetze immer darauf durchgesehen werden, ob sie einen Verwaltungsmehraufwand bedeuten oder ob nicht gleichzeitig eine Verminderung des Verwaltungsaufwandes Platz greifen könnte. Hier, finde ich, haben wir, der Deutsche Bundestag, die Pflicht, darüber nachzudenken, daß durch unsere Entscheidung in der Gesetzgebung das Ausmaß der Verwaltung draußen bestimmt wird. Ich wäre daher dankbar, wenn man. in der neuen Legislaturperiode diesem Gesichtspunkt - und das ist ein ganz nennenswerter Gesichtspunkt für die Reform - eine größere Intensität zuwenden wollte.
Und das letzte! Ideallösungen gibt es nicht. Lösungen, denen alle zustimmen, gibt es auch nicht. Aber wenn Sie sich die Drucksachen, die Ihnen heute vorliegen, ansehen, dann stellen Sie fest, daß die erste Drucksache, die behandelt wurde, die Drucksache mit der Nummer 69 ist, d. h. vom Anfang dieser Legislaturperiode, und die letzte Drucksache trägt die Nummer 3990. Sie sehen also, über welch langen Zeitraum man gesammelt hat, was an Reformwünschen im Deutschen Bundestag zur Sprache kam. Und wenn Sie das um jene Gedanken vermehren, die außerhalb des Parlaments geäußert wurden, dann, finde ich, kann man sehr froh darüber sein, daß uns das bis jetzt so gelungen ist.
Denjenigen, die meinen, das seien nur technische Dinge, möchte ich sagen, daß Fragen wie Verkürzung der Redezeit, Freiheit der Rede, ein anderes Fragerecht, die Möglichkeiten der verstärkten Arbeit der Ausschüsse und was alles zusammenkommt, außerordentliche politische Inhalte haben und daher nicht mit der Bezeichnung „technische Hilfen" abgetan werden können.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, zweierlei zu sagen sei mir zum Schluß gestattet! Die Reformen, die wir beschlossen haben, können nur den Rahmen geben, können nur die Arbeit erleichtern, können nur Hilfen geben. Sie können nicht den Geist und die intellektuelle Kraft ersetzen; die müssen wir Abgeordnete selber beisteuern. Davon hängt es ab, was dieses Parlament an geistiger Kraft aufbringt, was aus diesem Parlament an politischer Idee entsteht, was in die Tat umgesetzt wird, um unseren freiheitlichen Rechtsstaat sicher in die Zukunft zu führen.
Und das zweite! Wir reden von Parlamentsreform, und jeder, mit dem ich gesprochen habe, bejaht sie, hält sie für unausweichlich. Dann muß man auch bereit sein, den Forderungen, die dieses Parlament zur Verbesserung seiner Funktionsfähigkeit in personeller Hinsicht oder in materieller Hinsicht zu stellen hat, Rechnung zu tragen. Deshalb wäre ich dankbar, wenn nach der heutigen Annahme der Geschäftsordnung jene beiden Gremien, aber auch Sie, die Sie irgendwann darauf angesprochen werden, bereit sind, auch beim zweiten Teil der Vorschläge, nämlich der Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten durch administrative Maßnahmen, zu folgen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar Bemerkungen. Wir haben eine gute und eine umfangreiche Arbeit hinter uns gebracht, und man kann in bezug auf die vielen Einzelreformen zusammen fast mit Hegel sagen, daß es da einen Punkt gibt, wo die Quantität in die Qualität umschlägt. Es kann sich ein neuer Bundestag daraus ergeben.
Auch von den Wünschen meiner Fraktion bleibt einiges offen. Ich darf nur das hier erwähnen, was Herr von Hassel soeben nicht erwähnt hat. Wir haben noch einen Gesetzentwurf zum Bundesrechnungshof eingebracht, den ich für sehr bedeutsam halte. Der Bundesrechnungshof ist ein Instrument der Kontrolle des Finanz- und Haushaltsgebarens der Exekutive. Nach unserer Meinung gehört dieses Kontrollorgan an die Stelle der Verfassungsorgane. an der die Kontrolle über die Exekutive auszuüben ist, d. h. zum Parlament. Da es in dieser Legislaturperiode nicht möglich sein wird, das Gesetz noch zu verabschieden, wird man es in der nächsten wieder in Angriff nehmen müssen.
Auch das Gesetz über die Enquete-Kommissionen, das wir eingebracht haben, kann nicht mehr verabschiedet werden, weil sich dabei einige schwierige Rechtsfragen stellen. Das wird zwar wie alle nicht erledigten Anträge untergehen, aber wir legen Wert darauf, daß es wieder auf den Tisch des Hauses gebracht wird, wenn der neue Bundestag zusammentritt.
Sehr bedauert habe ich bei unseren Beratungen im Ausschuß, daß wir in dem wichtigen Kapitel der Durchleuchtung der Interessenvertretungen - so will ich es einmal nennen - nicht ganz zum Abschluß gekommen sind. Dabei hatte ich den Eindruck, daß wir wirklich ganz dicht am Ziel einer Regelung waren, die eine vernünftige und praktikable Regelung gewesen wäre. An den Lobbyisten und an den Interessenvertretungen ist nämlich das meiste durchsichtig. Der Bauernverband und die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände, das ist alles durchsichtig, und es gibt keine Probleme. Wir waren, ich glaube, nahe daran, auch da zum Ende zu kommen. Ich wage sogar zu sagen, daß es nicht unmöglich wäre, hier auch noch den Schlußpunkt zu setzen.
Wir haben uns in meiner Fraktion seit vorigem Herbst Gedanken über diese nötige Reform des Parlaments gemacht. Seitdem ist soviel in Bewegung gekommen, daß man wirklich Genugtuung über das Erreichte empfinden kann..
Besonders wichtig scheint mir zu sein, daß der bisherige Vorstand und der bisherige Ältestenrat in einem Organ zusammengefaßt werden und daß dieses einzige Leitungsorgan, das wir dann haben
werden, sehr viel handlungsfähiger sein wird, als es die Selbstverwaltung des Bundestages, will ich einmal sagen, bisher gewesen ist. Daran möchte ich auch einen Wunsch anknüpfen, an dessen Erfüllung ich selber nicht mitwirken werde: man möge diesen neuen Ältestenrat, das vereinigte Lenkungsorgan des Bundestages, personell so besetzen, daß es für das gesamte Haus voll repräsentativ ist und daß es ein Maximum an Autorität in diesem Hause hat. Daran haben wir bisher gekrankt. Im neuen Bundestag wird es möglich sein, alle Ideen, die zur Verbesserung dieses Instrumentes des Bundestags immer wieder aus dem Hause gekommen sind und kommen werden, auf ihren Gehalt zu prüfen und, wenn sie für genügend gewichtig befunden werden, auch in die Wirklichkeit umzusetzen.
Ein letzter Wunsch: Möge dieses Haus, das für mich immer das Organ Nummer eins unserer Demokratie als der frei gewählte Repräsentant des Souveräns, des deutschen Volkes, ist, möge dieser Bundestag wachsendes Selbstbewußtsein gegenüber unserem gesamten Volke haben. Das braucht das Parlament, um politisch voll wirksam werden zu können. Das braucht das Parlament auch, um mit seinen eigenen Problemen fertigzuwerden.
({0})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Meine Damen und Herren, wir haben ein etwas unorthodoxes Verfahren gewählt. Die allgemeine Aussprache über die Vor lage hat sozusagen nach der Schlußabstimmung stattgefunden.
({0})
Aber das mag angesichts des Stoffes, der hier zu regeln war, durchaus begründet sein. Ich war versucht, ein Beispiel zu wählen: Tischreden werden auch nach dem Hauptgang und vor dem Dessert gehalten. Aber es waren keine Tischreden, die jetzt gehalten worden sind. Insofern muß ich den Vergleich also einschränken.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ausschußanträge unter den Ziffern 2, 3 und 4. Wer diesen Ausschußanträgen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen - Die Anträge sind einstimmig verabschiedet.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten nun in die Mittagspause eintreten und kein neues Geschäft in Angriff nehmen. Fortsetzung der Sitzung um 14 Uhr, beginnend mit der Fragestunde.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({1})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache V/4375 Ich darf zunächst einmal den Kollegen Dichgans bitten, für einige Minuten hilfsweise als Schriftführer zu fungieren.
Wir beginnen in der Fragestunde mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Ertl auf:
In welcher Form beabsichtigt der Bundeskanzler, seine in Tokio abgegebenen Äußerungen zu den Präsidentschaftswahlen in Frankreich zu korrigieren, damit dort in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck einer Einmischung entsteht?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Diehl.
Herr Abgeordneter, der Herr Bundeskanzler hatte keine Veranlassung, seine in Tokio gemachte Äußerung zu korrigieren, weil diese weder direkt noch indirekt eine Einmischung in den französischen Wahlkampf darstellte.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Ertl.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die sowohl in der deutschen als auch speziell in der französischen Presse wiedergegebenen Äußerungen bzw. veröffentlichten Artikel nicht den Tatsachen entsprechen?
Herr Abgeordneter, es ist in der Tat so, daß über dieses Informationsgespräch mehrere Berichte veröffentlicht worden sind. Von diesen war einer nicht korrekt, weil der Berichterstatter auf ein Zitat des Herrn Bundeskanzlers verzichtet und in dem Bericht seine persönliche Wertung gegeben hatte, der Herr Bundeskanzler habe mit weniger Wärme - wie es wörtlich hieß - über Herrn Pompidou gesprochen.
In der Tat ist es bemerkenswert, daß diese Äußerung innerhalb des französischen Wahlkampfes in einer Weise benutzt worden ist, die Herr Conte, der französische Abgeordnete, als dumm und verächtlich bezeichnet hat. Das ist insofern von Gewicht, als Herr Conte selber in der irrigen Annahme, der Bundeskanzler habe den Wunsch zu erkennen gegeben, daß Herr Poher gewählt werden möge, dieses Verhalten des Bundeskanzlers kritisiert hatte.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordnete Ertl.
Herr Staatssekretär, welche Meinung hätte die Bundesregierung, wenn z. B. der neu gewählte französische Staatspräsident in einem Informationsgespräch in London oder in Washington seine warmen Gefühle mehr oder weniger für den einen oder anderen Bundeskanzlerkandidaten bei dem kommenden Wahlkampf in Deutschland aussprechen würde?
Ich glaube nicht, daß eine solche Äußerung unsererseits eine Reaktion hervorrufen würde, falls sie überhaupt gemacht werden sollte, was nicht wahrscheinlich ist. In der Hitze eines Wahlkampfes - das muß man fairerweise sagen, und das gilt auch für Frankreich - wird eben gelegentlich etwas gesagt, für das man sich später geniert.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. - Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf, und zwar zunächst die Fragen 2, 3 und 4 des Abgeordneten Deringer:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in letzter Zeit mehrfach Rechtsanwälte unter Mitwirkung von Partnern, Büropersonal oder Familienangehörigen „Verbände" zur Förderung gewerblicher Interessen oder zum Schutz von Verbraucherinteressen gegründet haben, um gegen verhältnismäßig geringfügige Wettbewerbsverstöße kleiner, besonders mittelständischer Unternehmen vorgehen zu können?
Sieht die Bundesregierung in diesem Vorgehen nicht einen Mißbrauch der Klagebefugnis, die § 13 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb Verbänden, insbesondere auch Verbraucherverbänden, gewährt?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um derartigen Mißbräuchen Einhalt zu gebieten?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr. Ehmke vom 18. Juni 1969 lautet:
Der Bundesregierung sind bereits einige Fälle dieser Art vorgetragen worden. Die Bundesregierung beobachtet diese Entwicklung sehr sorgfältig. Ich würde es sehr bedauern, wenn Fälle dieser Art um sich greifen würden und diese Entwicklung die Klagebefugnis der Verbraucherverbände, die sich nach den bisher vorliegenden Erfahrungen sehr bewährt hat, in Mißkredit bringen würde.
Diese zweite Frage können letztlich selbstverständlich nur die Gerichte entscheiden, denen ich nicht vorgreifen möchte. Ich möchte aber nicht verhehlen, daß ich es als einen Mißbrauch der den Verbraucherverbänden in § 13 UWG eingeräumten Klagebefugnis ansehen würde, wenn sie von sogenannten Verbraucherverbänden in Anspruch genommen wird, die offensichtlich nur zu dem Zweck gegründet worden sind, den beteiligten Anwälten Prozeßaufträge zu verschaffen.
Die Rechtsanwaltschaft selbst hat einige dieser Fälle bereits den zuständigen -Rechtsanwaltskammern zur Prüfung der Frage vorgelegt, ob das Verhalten der beteiligten Anwälte nicht standeswidrig sei. Stellungnahmen der Rechtsanwaltskammern sind mir noch nicht bekannt geworden. Ich möchte aber annehmen, daß die Rechtsanwaltskammern bereits von sich aus das Erforderliche tun werden, um alle etwaigen Mißbräuche abzustellen. Sollte dies nicht zu dem von mir erwarteten Erfolg führen, bin ich bereit zu prüfen, ob einer mißbräuchlichen Ausnutzung der Klagebefugnis der Verbände durch eine Gesetzesänderung begegnet werden kann. Mit dieser Frage müßte sich dann der nächste Bundestag befassen.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dröscher auf. Ursprünglich war diese Frage im Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung aufgeführt. Sie wird jedoch vom Bundesministerium der Justiz beantwortet. - Ist der Abgeordnete im Saal? - Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf, und zwar zunächst die Fragen 6 und 7 des Abgeordneten Burger:
Sind Pressemitteilungen zutreffend, wonach ein 43jähriger Mathematiker mit Hilfe eines Computers fast 12 000 Rentnern in der Bundesrepublik Deutschland zu einer angemessenen Altersversorgung verholfen hat und in ungezählten Fällen Rentenverbesserungen um 200 DM erreichte?
Was gedenkt die Bundesregierung gegen das dadurch geweckte Mißtrauen, das die Rentner in die Richtigkeit ihres eigenen Rentenbescheides setzen, zu tun?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Frage 85 stellt der Abgeordnete Brück ({0}) :
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß deutsche Truppenverbände zum Abschluß von NATO-Manövern an einem Vorbeimarsch vor der griechischen Militärjunta teilgenommen haben?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Frage 86 stellt der Abgeordnete Dr. Apel:
Ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewußt, daß die griechische Militärjunta dieses Ereignis innenpolitisch als Beweis für ihre internationale Anerkennung ausbeutet und daß das u. a. Konsequenzen für das Vorgehen der Junta gegenüber dem schnell wachsenden demokratischen Widerstand im Lande haben kann?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe die Frage 87 des Abgeordneten Behrendt auf:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zur Verlängerung der Übergangszeit der EWG über den 31. Dezember 1969 hinaus ein?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jahn.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Am 31. Dezember 1969 wird nach dem EWG-Vertrag die Übergangszeit beendet sein, es sei denn, daß der Rat auf Vorschlag der Kommission die Übergangszeit verlängert. Eine Verlängerung über drei Jahre hinaus ist nach dem Vertrag nicht möglich. Die grundsätzliche Bedeutung des Übergangs zum Endstadium liegt darin, daß damit der Abschluß der Errichtung des Gemeinsamen Marktes markiert wird.
Auf der Tagung des Rats der Europäischen Gemeinschaften am 12. und 13. Mai wiederholte der Bundesminister des Auswärtigen, die Bundesregierung sei grundsätzlich zur uneingeschränkten Mitarbeit bei der Errichtung des Gemeinsamen Marktes und der Verwirklichung der Wirtschaftsunion in allen Bereichen bereit. Eine rasche und umfassende Einigung der Regierungen der Mitgliedstaaten über den inneren Ausbau sei wünschenswert. Hierbei komme es ganz besonders auf eine Harmonisierung der Wirtschafts- und Währungspolitik an. Der Bundesminister des Auswärtigen unterstrich bei dieser Gelegenheit die besondere Bedeutung weiterer Erleichterungen bei den Grenzformalitäten im innergemeinschaftlichen Reiseverkehr.
Auf der gleichen Ratstagung erklärte der Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Kommission betrachte einen Vorschlag zur Verlängerung der Übergangszeit der EWG gegenwärtig nicht als dienlich. Alle Delegationen gingen daraufhin bei der Erörterung des Arbeitsprogramms der Kommission davon aus, daß der Übergang zur Endphase am 1. Januar 1970 stattfindet.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Behrendt.
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Chance dafür, daß es möglich sein wird, die notwendigen Beschlüsse, die gefaßt werden sollen, auch wirklich bis zum Ende dieses Jahres zu fassen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ja. Ich denke, die Möglichkeit dazu ist gegeben.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Behrendt.
Herr Staatssekretär, würde, wenn eine Verlängerung einträte oder die entsprechenden Beschlüsse nicht gefaßt werden könnten - hier spielt besonders Artikel 8 Absatz 7 eine Rolle, nach dem sie gefaßt werden müssen -, eine Verzögerung beim Aufbau der Wirtschaftsunion eintreten?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Wenn die erforderlichen Beschlüsse innerhalb der Übergangszeit nicht gefaßt werden, kommt nur eine Verlängerung der Übergangszeit in Frage.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 88 des Abgeordneten Dr. Mommer auf:
Ist es richtig, daß einer Anzahl von Deutschen in der Sowjetunion, die auch nach sowjetischer Rechtsauffassung deutsche Staatsangehörige sind, seit vielen Jahren die Ausreise zu ihren Familienangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland verweigert wird?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Frage 89 des Abgeordneten Borm:
Trifft es zu, daß das Alliierte Reiseamt in West-Berlin künftig grundsätzlich Reisegenehmigungen für DDR-Bürger erteilen wird, wenn das Gastland dies wünscht?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Antwort lautet: ja.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Borm.
Wären Sie bereit, Herr Staatssekretär, dieses lakonische Ja etwas zu erläutern?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Beteiligten, d. h. die Bundesregierung und die drei Schutzmächte, haben die Frage der Zweckmäßigkeit des bisherigen Verfahrens bei der Erteilung der Reisegenehmigungen ({0}) überprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß es richtig wäre, einen anderen, nämlich den jetzt geltenden großzügigeren
Maßstab anzulegen, weil sich nach der bisherigen Erfahrung gezeigt hat, daß es sowohl in der theoretischen Anwendung wie in der Praxis Zweifel darüber gibt, ob das bisherige Verfahren weiterhin hilfreich sein könnte.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Borm.
Herr Staatssekretär, sehen Sie jetzt die Gefahr beseitigt, daß sich unsere Freunde in der NATO durch das neue Verfahren nicht mehr beschwert fühlen werden?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich möchte davon ausgehen.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Borm auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, warum dem Rostocker Oberbürgermeister die Einreise nach Frankreich vom Alliierten Reiseamt verweigert worden ist, obwohl er vom Oberbürgermeister Dünkirchens eingeladen worden war?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Versagung des TTD erfolgte vor der kürzlich durchgeführten Liberalisierung des TTD-Systems. Sie entsprach den damals für das Alliierte Reiseamt noch geltenden Richtlinien.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 91 des Abgeordneten Borm auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß das Alliierte Reiseamt in West-Berlin seiner Natur nach nicht als politisches Repressionsinstrument geeignet ist?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Anfang Juni in Kraft getretene Neuregelung, wonach grundsätzlich jeder Deutsche aus der DDR, der dies wünscht, ein Reisedokument für die Einreise in NATO-Staaten erhalten kann, beweist, daß die Reisemöglichkeiten für Deutsche aus der DDR nicht vom Westen eingeschränkt werden. Wenn diese Deutschen nicht reisen können, so liegt das darin begründet, daß sie von den DDR-Behörden keine Ausreisegenehmigung erhalten.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 92 des Abgeordneten Dr. Marx ({0}) auf:
Wie weit sind die durch Pressemeldungen erkennbar gewordenen erneuten deutsch-französischen Gespräche oder Verhandlungen über Ersatzlösungen für das sogenannte MundatwaldAbkommen gediehen?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung erörtert in den regelmäßigen Konsultationsgesprächen mit der französischen Regierung Möglichkeiten einer Ersatzlösung für die im deutsch13332
Parlamentarischer Staatssekretär Jahn
französischen Abkommen vom 31. Juli 1962 vorgesehene Abtretung des Mundatwaldes. Die französischen Überlegungen in diesem Punkte sind noch nicht abgeschlossen.
Die französischen Gesprächspartner haben zu erkennen gegeben, daß sie bereit sind, deutsche Vorstellungen für eine Ersatzlösung ernsthaft zu prüfen. Eine verbindliche Stellungnahme ist jedoch noch nicht geäußert worden, weil die notwendige Abstimmung zwischen verschiedenen in Frankreich beteiligten Stellen noch nicht abgeschlossen ist.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich im Hinblick auf den vertraulichen Charakter dieser Gespräche von weiteren Erklärungen zu diesem Punkt im gegenwärtigen Zeitpunkt absehe.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, ich habe volles Verständnis dafür. Ich frage Sie, ob Sie Verständnis dafür haben, daß, wenn die Gespräche vertraulich sind, Ihr Kollege, Herr Staatssekretär von Dohnanyi, zu diesem Problem, wie die entsprechenden Zeitungen ausweisen, in Pressekonferenzen in der Pfalz sehr eingehende Stellungnahmen abgegeben hat.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Mir sind solche Stellungnahmen nicht bekannt, Herr Kollege Marx. Meine Bitte richtet sich aber an jedermann.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, können Sie das bestätigen oder dem widersprechen, was in einer dieser Pressekonferenzen gesagt worden ist: daß eine finanzielle Ablösung der gegenwärtigen Interessen möglich sei und daß die finanzielle Belastung, die dadurch auf uns zukomme, in einem gesunden Verhältnis zur Lösung des Problems stehen werde?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Eine solche Bewertung kann ich hier weder bestätigen noch dementieren. Richtig ist, daß im Rahmen der Überlegungen, welche Lösungsmöglichkeiten gefunden werden können, eine Vielzahl von Fragen erörtert wird, darunter auch diese Frage.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Behrendt auf, die unter dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend ausgewiesen ist:
Bis wann ist nunmehr mit Verhandlungen über die Gründung eines Europäischen Jugendwerkes zu rechnen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Frage der weiteren Behandlung des Projekts eines Europäischen Jugendwerks wurde von der deutschen Delegation bei der Tagung des Rats für Kulturelle Zusammenarbeit des Europarats vom 12. bis 19. Februar 1969 in Straßburg zur Sprache gebracht. Der Rat hat diese Frage an seinen hierfür zuständigen Ausschuß verwiesen, der sich im Herbst 1969 damit befassen wird. Die Bundesregierung wird den Mitgliedstaaten des Rats für Kulturelle Zusammenarbeit für diesen Zweck noch ein Arbeitspapier vorlegen, in dem die deutschen Vorstellungen zum Europäischen Jugendwerk dargelegt werden.
Präsident von Hassel: Eine Zusätzfrage, Herr Abgeordneter Behrendt.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung schon bekannt, wieviel Staaten beabsichtigen, an dieser von der Bundesregierung geplanten Vorbereitungskonferenz zur Gründung eines Europäischen Jugendwerks, die der Bundestag gefordert hat, mitzuwirken?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das ist ihr naturgemäß im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht bekannt. Sie wissen, Herr Kollege Behrendt, daß es zumindest ein Land gegeben hat, das Vorbehalte angemeldet hat. Ob es gelingt, die Vorbehalte in der nächsten Zeit auszuräumen, vermag ich hier nicht zu sagen. Die Bundesregierung bemüht sich darum.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Behrendt.
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um - wir wollen es ruhig sagen - Frankreich zu bewegen, an dieser Konferenz teilzunehmen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Sie wird bei geeigneter Gelegenheit und in geeigneter Form versuchen, ihre Auffassung zur Geltung zu bringen, in der Hoffnung, daß diese Auffassung Widerhall findet.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lautenschlager.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bewußt, daß bei der Schaffung des Europäischen Jugendwerkes nach jahrelanger Diskussion nun endlich im Interesse einer Verbesserung des europäischen Bewußtseins und der europäischen Völkerverständigung konkrete Fortschritte erzielt werden müßten?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung ist sich dessen durchaus bewußt, Herr Kollege Lautenschlager. Aber Sie wissen auch, daß es nicht in die Macht der Bundesregierung allein gegeben ist, diesen Gedanken zum Erfolg zu bringen.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Folger auf:
Wie ist es zu erklären, daß die Deutsche Bundespost an einem Tag ({0}) neun Sonderbriefmarken herausgegeben und damit die Sammler und die Postbeamten übermäßig beansprucht hat?
Der Abgeordnete ist im Saal. Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Lemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausgabemodus von Sondermarken, auf den sich Ihre Frage bezieht, Herr Abgeordneter, wurde in diesem Jahr geändert. Erstmalig wurden in diesem Jahr 37 Werte ausgegeben gegenüber 30 Werten im Vorjahr. Angesichts dieser vehältnismäßig großen Zahl von Neuausgaben hat sich die Bundespost entschlossen, einen Versuch zu unternehmen und mehrere Neuerscheinungen an einem Tage herauszugeben. Wir versprechen uns davon, daß die Belastung der Schalterbeamten und der Sammler insgesamt geringer ist, als wenn für jede Neuerscheinung ein besonderer Ausgabetag festgesetzt wird und die Sammler sich für jede einzelne Neuausgabe zum Schalter 'begeben müssen. In anderen Ländern ist dieses Verfahren seit langem üblich und auch erfolgreich. Allerdings werden bei uns - und darauf richtet sich ja Ihre Frage - so starke Konzentrationen wie z. B. am 4. Juni dieses Jahres, wo neun Werte herausgegeben wurden, auch 'künftig Ausnahmen bleiben.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn AbgeordnetenFolger.
Herr Staatssekretär, hat der Versuch der Bundespost, an einem Tage alle neun Werte herauszugeben, vielleidit etwas mit dem Image der Bundespost zu tun, nämlich Schlangestehen vor den Postschaltern und die stereotype Ansage bei der .Telegrammaufnahme „Besetzt, bitte warten"?
Damit hat es ganz sicher nichts zu tun, Herr Abgeordneter.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Geldner auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, mit welchem Kostenaufwand die Deutsche Bundespost in den letzten Monaten mit dem Portrait des Bundespostministers für ihre verschiedenen Einrichtungen geworben hat?
Der Abgeordnete ist im Saal. Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Lemmer.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Für die Werbung der Deutschen Bundespost sind im Haushaltsplan bei Tit. 23 51 für das Jahr 1969 insgesamt für Post- und Fernmeldedienste 6 Millionen DM veranschlagt. Hierzu gehören Werbemaßnahmen zu einer stärkeren Inanspruchnahme der Post- und Fernmeldedienste, insbesondere aber Maßnahmen der Werbung für den Postscheck- und Postsparkassendienst. Die Deutsche Bundespost steht gerade im Postsparkassendienst im Wettbewerb mit den Kreditinstituten. Sie kann daher im Interesse 'dieser Dienstzweige auf moderne Werbung nicht verzichten. Dazu gehört auch - wie es in der modernen Werbung heißt - der „human touch", der eine menschliche Beziehung zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit herstellt oder 'herstellen soll. Für die Postsparkassenwerbung sind rund 3 Millionen DM vorgesehen. Das sind 250 000 DM weniger, als für die letzte Postsparkassenaktion im Jahre 1967 verausgabt worden sind. Von den 3 Millionen DM entfällt etwa die Hälfte auf Inserate, und von diesen wiederum ist es nur ein Teil, der das Bild des Ministers bringt.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Geldner.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie hoch im Vergleich zu den Gesamtbeträgen für Werbung in den Jahren 1967 und 1968 der Kostenaufwand für die Werbung mit dem Portrait des Bundesministers war?
Ich kann Ihnen diese Zahl nicht angeben. Ich kann Ihnen nur die Gesamtzahl der Werbekosten nennen, wie ich sie Ihnen soeben genannt habe. Von diesen 3 Millionen ist die Hälfte auf Inserate entfallen, und davon ist es wiederum nur ein Teil. Es ist mir nicht möglich gewesen, das auszuziehen. Wenn Sie es wünschen, Herr Abgeordneter, können wir das in absehbarer Zeit machen. Das wird natürlich einige Verwaltungsarbeit mit sich bringen.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Geldner.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht gerade im Zusammenhang mit dem Wahljahr das Portrait des Bundesministers hier zu sehr in den Vordergrund gerückt?
Herr Abgeordneter, ich sagte Ihnen, daß es in der Werbung üblich ist, Sachausgaben zu personifizieren, und es gibt dafür eine Menge Beispiele. Das Volkswagenwerk macht das z. B. in großem Umfange mit dem Chef des Volkswagenwerks, und auch die IOS macht das, Herr Abgeordneter, mit Ihrem Kollegen, Herrn Dr. Mende, in erheblichem Umfange. Diesem Stil folgt in etwa die moderne Werbung.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Maucher.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man den Minister für das Post- und Fernmeldewesen nicht nur in negativem, sondern auch in positivem Sinne mit heranziehen sollte?
Selbstverständlich, Herr Abgeordneter.
Präsident von Hassel: Noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß der Vergleich zwischen dem Direktor des Volkswagenwerks und dem Bundespostminister doch etwas hinkt?
Herr Abgeordneter, ich habe darauf hingewiesen, daß in der modernen Werbung immer wieder versucht wird, die Sachausgaben zu personifizieren, und habe hier auf Beispiele anderer großer Industrieunternehmen hingewiesen, die ich gerne erweitern will.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es das Volkswagenwerk notwendig
hat, Werbung zu treiben, während der Bundespostminister dies doch nicht notwendig hat?
Herr Abgeordneter, ich habe gerade bei der Beantwortung der ersten Frage darauf hingewiesen, daß die Bundespost im Bereich des Postsparkassendienstes in einem erheblichen Wettbewerb mit den übrigen Kreditinstituten des Bundesgebietes steht und daß sie hier sehr wohl auf Werbung angewiesen ist.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, der Abgeordnete Ott.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es viel rentierlicher ist, seitens der Bundespost, die etwas zu verkaufen hat, mit dem Bild des Herrn Bundespostministers zu werben als z. B. in entsprechender Weise seitens des Wohnungsbauministeriums oder des Verkehrsministeriums?
Herr Abgeordneter, ich wies darauf hin, daß die Bundespost bei einem Teil ihrer Dienstbereiche in echtem Wettbewerb steht. Das ist auf den Gebieten, die sie angesprochen haben, nicht immer der Fall.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Maucher.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß man, wenn von dem Abgeordneten der SPD die Berechtigung des Vergleichs mit dem Direktor des Volkswagenwerks angezweifelt wird, dann aber den Vergleich zwischen dem Bundespostminister und dem Bundesverkehrsminister ziehen kann?
Den können Sie insoweit sicherlich anziehen. Eine echte Wettbewerbssituation ist da nicht gegeben.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Sänger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Verordnung zur Änderung der Verordnung über Gebühren für Nebentelegraphen und für den Fernschreibdienst vom 18. Mai 1967 dahin zu ändern, daß die Gebühren der Pressebetriebe für Standleitungen auch dann zu dem ermäßigten Pressetarif berechnet werden, wenn diese Leitungen nicht nur mit 50, sondern wie heute weitgehend in Gebrauch mit 100 bis 200 Baud betrieben werden?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär Lemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Frage nach der Ermäßigung der Gebühren für Standleitungen, die ausschließlich dem Nachrichtenempfang von Presseunternehmen dienen, hat sich die Bundesregierung in der Stellungnahme zum Schlußbericht der Pressekommission befaßt. Sie hat darin zugesagt, den zuständigen Gremien vorzuschlagen, die Gebühren zu senken. Zur Zeit wird im Zusammenhang mit einer Leitungsgebührenreform auch die Frage der Ermäßigung für Presseleitungen überprüft. Sobald die mit der Leitungsgebührenreform verbundenen sehr aufwendigen Untersuchungen und Erhebungen beendet sind, werde ich dem zuständigen Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost einen entsprechenden Verordnungsentwurf zur Beschlußfassung zuleiten. Ich mache jedoch jetzt schon darauf aufmerksam, daß die erforderlichen Untersuchungen kurzfristig nicht zu verwirklichen sind.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Sänger.
Herr Staatssekretär, würden Sie dabei bitte mitbeachten, daß bei den Presseermäßigungen, die ja heute schon bestehen, nur für 50Baud-Leitungen Ermäßigungen gegeben werden, die es aber praktisch kaum noch gibt? Es werden nur noch 75-, 100- und 200-Baud-Leitungen betrieben, so daß also tatsächlich die bereits gewährten Genehmigungen in der Luft liegen.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie hier leider enttäuschen. Wir sind noch nicht so weit, daß in großem Umfange die 100-, 150- oder 200-Baud-Leitungen benutzt werden.
Staatsskretär Lemmer
96 v. H. aller gebührenbegünstigten Presseleitungen sind 50-Baud-Leitungen.
Präsident von Hassel: Bevor eine weitere Zusatzfrage von Herrn Sänger kommt: Kann uns der Herr Staatssekretär erläutern, was eine Baud-Leitung ist?
Verehrter Herr Präsident, hier handelt es sich um technische Maße aus dem Bereich der Frequenztechnik. Ich bin im rein technischen Bereich auch überfragt, wenn ich Ihnen hier eine physikalisch einwandfreie Auskunft geben sollte. Aber der Abgeordnete Sänger und ich wissen, daß mit Baud ein bestimmtes Leitungssystem gemeint ist.
Präsident von Hassel: Aber der Rest des Hohen Hauses weiß es nicht.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Sänger.
Wenn ich das in die Zusatzfrage mit hineinnehmen darf, Herr Staatssekretär: Halten Sie es nicht für nützlich, daß die Kraft, mit der die Leitungen - wenn ich es sehr populär und nicht exakt ausdrücken darf - betrieben werden, mindestens für den Betrieb der Nachrichtenagenturen so wichtig ist, daß da ein Entgegenkommen auf finanziellem Gebiet sowohl wie auf Vermehrung der Schubkraft, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, also der Bauds gegeben werden kann, damit diese Agenturen ihre Leistungen für die Presse, für Rundfung und für die Regierung nicht zuallerletzt nach wie vor und doch eben zu dem beabsichtigten billigen Tarif bringen können?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie zunächst - Sie haben mir jetzt das Stichwort gegeben, nachdem Sie von Schub und Kraft gesprochen haben - dem Herrn Präsidenten die klare Übersetzung des Wortes „Baud" zu geben: es heißt Leistungsgeschwindigkeit, mit der also der Schub über die Leitungen gegeben wird.
Herr Abgeordneter, nun zu Ihrer Frage. Ich sagte Ihnen, daß wir dabei sind, diese Dinge zu prüfen. Die Leitungsgebührenkommission ist dabei und prüft diese Frage. Sie wird in absehbarer Zeit -allerdings nicht sehr kurzfristig - die entsprechenden Vorschläge dem Verwaltungsrat der Bundespost vorlegen.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Ist die Bundesregierung bereit, da es seit Gründung der Bundeswehr und im Gegensatz zu anderen Ländern noch keine Briefmarken mit Motiven aus dem Bereich der Verteidigung gegeben hat, entsprechende Anregungen und Vorschläge zu machen oder zu verwirklichen?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Lemmer!
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ihre Frage, ob die Bundesregierung bereit ist, Anregungen und Vorschläge für die Ausgabe von Postwertzeichen aus dem Bereich der Verteidigung zu machen oder entgegenzunehmen, kann ich bejahen. Bisher sind solche Marken allerdings nicht erschienen. Die Bundespost ist aber bereit, bei einem geeigneten Anlaß, wie er üblicherweise zur Ausgabe einer Briefmarke führt, Marken mit Motiven aus dem Bereich der Verteidigung herauszugeben.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, da Sie das Stichwort „geeigneter Anlaß" gegeben haben, wäre nicht Ihrer Auffassung nach auch der 20. Jahrestag der NATO ein geeigneter Anlaß gewesen, den, was Briefmarkenmotive anlangt, sehr viele andere der NATO angehörenden Länder in entsprechender Weise gewürdigt haben?
Herr Abgeordneter, das wäre sicherlich ein Anlaß gewesen. Aber wir haben gerade in diesem Jahr 1969 so viele 20-Jahr-Tage und Anlässe für 20jährige Jubiläen gehabt, daß das nicht mit zum Zuge gekommen ist. Wir werden aber - das habe ich Ihnen gerade gesagt - bei dem nächsten geeigneten Anlaß Ihrem Wunsch entsprechen.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfragen mehr? - Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen abgehandelt.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zunächst die Frage 41 des Abgeordneten Maucher:
Stimmt die Meldung in der Bild-Zeitung, wonach kostenlos Milch für alle Schüler an 240 Schultagen verabreicht werden soll?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Höcherl.
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß sowohl von der Bundesregierung wie auch im Rahmen der europäischen Gemeinschaften Überlegungen zur Förderung eines Schulmilchfrühstücks angestellt worden sind. Um die Wirkung und die Kosten einer solchen Maßnahme veranschlagen zu können, wurde unterstellt, daß an alle Schüler an rund 240 Schultagen je ein fünftel bis ein viertel Liter Milch als Schulmilchfrühstück ausgegeben werden könnte. Die Frage nun, ob durch eine verbilligte Abgabe mit besonderem Anreiz für die Verteiler der gleiche Erfolg wie durch eine kostenlose Abgabe erreicht werden kann, soll durch einen Versuch geklärt werden. Eine kostenlose Abgabe wirft erhebliche Finanzprobleme auf. Sie würde in der Bundesrepublik allein rund 350 Millionen DM jährlich erfordern. Hierfür sind im Bundeshaushalt bis heute keine Mittel vorhanden.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Maucher.
Herr Minister, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie eine solche Regelung mit allem Nachdruck verfolgen und sagen: gut, wenn es nicht möglich ist, daß- voll vom Bund finanziert wird, dann aber so verbilligt, daß es für alle Kinder möglich ist, von einem solchen Angebot Gebrauch zu machen? Außerdem: Würden Sie 'da ein geeignetes Mittel sehen, den vorhandenen Butterberg wesentlich abzubauen?
Präsident von Hassel: Darf ich darauf aufmerksam machen: Sie haben zwei Zusatzfragen in eine hineingepackt. Das ist nicht zulässig. Da es sich um den Butterberg handelt, stelle ich dem Herrn Bundesminister anheim, auf beide zu antworten.
Herr Präsident! Ich kann schon Ausführungen zum Butterberg machen, wenn das gewünscht wird. Aber zunächst komme ich zu Ihrer ersten Frage. Die Initiative kommt von deutscher Seite. Ich habe Sie auf die finanziellen und die organisatorischen Probleme hingewiesen, die keineswegs unterschätzt werden dürfen. Man gibt sich oft Illusionen hin. Man sieht ein sehr schönes Ziel und glaubt; der Weg ist sehr kurz. In Wirklichkeit ist er sehr weit.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Maucher.
Ich muß die Rüge des Herrn Präsidenten hinnehmen. Ich habe geglaubt, die Sache vereinfachen zu können. Ich stelle hiermit die zweite Frage: Wie würde sich eine solche Regelung auf den Butterberg auswirken?
Das ist eine ganz einfache Rechnung. Nehmen Sie 4 % davon, dann wissen Sie, welcher Fettverbrauch möglich ist. Das würde den Berg mindern, leicht abschmelzen, aber ihn nicht vernichten können.
Präsident von Hassel: Herr Kollege Maucher, ich mache nur darauf aufmerksam, daß diese zweite Zusatzfrage unkorrekt war. Die eigentliche Frage hat sich nämlich nur auf die kostenlose Abgabe von Schulmilch erstreckt, nicht auf den Butterberg. Sie müssen wissen, daß zu trennen ist: zur Hauptfrage können nur auf diese Bezug nehmende Zusatzfragen gestellt werden.
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Ertl.
Herr Minister, darf ich aus Ihrer im Prinzip positiven Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung einem seit über einem Jahr vorliegenden FDP-Antrag dann endlich entsprechen wird?
Wir lassen uns auch selbst etwas einfallen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, darf ich aus dieser Ihrer Antwort wiederum entnehmen, daß Sie zu Ihrem „Selbsteinfall" über ein Jahr brauchen?
Nein.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Logemann!
Herr Minister, man konnte aus Brüssel lesen, daß die Kommission eine ablehnende Haltung gegen die Einführung eines kostenlosen Schulmilchfrühstückes einnehme. Wären Sie trotzdem bereit, durch entsprechende Initiativen im deutschen Kabinett - d. h. durch eine entsprechende Bereitstellung von Mitteln - und durch entsprechende Einwirkung im Ministerrat doch den Gedanken der Schulmilchspeisung zu prüfen?
Ich muß die Kommission in Schutz nehmen; sie hat keine ablehnende Haltung eingenommen, sondern hat ähnliche Erwägungen angestellt, ohne daß sie weiter gediehen wären.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Maucher auf:
Wenn diese Meldung stimmt, wann ist mit dem Beginn dieser begrüßenswerten Maßnahme zu rechnen?
Das Wort hat der Herr Bundesminister.
Da die Überlegungen der Bundesregierung und der Europäischen Gemeinschaften noch nicht abgeschlossen sind und die Maßnahme gemeinschaftlich durchgeführt werden soll, kann über einen eventuellen Beginn zur Zeit keine Auskunft gegeben werden.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Maucher.
Herr Minister, sind Sie, nachdem Sie ja selbst die Sache verfolgen, der Meinung, es werde durch eine solche Maßnahme der Landwirtschaft eine erhebliche Erleichterung und Hilfe gewährt?
Ich darf Ihnen versichern, das war gerade der Grund. Aber es war nicht der einzige, sondern es ging auch um die Gesundheit der Kinder.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Logemann.
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, die Einführung der Schulmilchspeisung zu beschleunigen, damit die Milch nicht vorher sauer wird?
Nur, wenn Sie mir das Geld zur Verfügung stellen. Das ist die erste Voraussetzung. Ich kann sie nicht aus der eigenen Tasche einführen.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Maucher.
Herr Minister, Sie sind aber doch mit mir der Meinung, daß die Schulmilchspeisung durchaus ein wesentlicher Beitrag für die Gesundheit der Kinder in der Schule wäre?
Das habe ich bereits gesagt.
({0})
Präsident von Hassel: Nein, Herr Kollege Ertl, Sie haben Ihre Zusatzfragen konsumiert. Sie haben zwei Zusatzfragen gestellt.
({1})
- Ich bin der Minderheit im Hause gegenüber immer großzügig. Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ertl!
Herzlichen Dank! Herr Minister, würden Sie mir nicht auch darin zustimmen, daß zur Mittelbeschaffung auch aktive Verhandlungen zwischen dem Landwirtschafts- und Finanzminister notwendig sind?
Ja. Die finden statt.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Peters ({0}) auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um ein Unterlaufen des EWG-Agrarpreisniveaus in der Bundesrepublik Deutschland durch Einfuhren aus Ländern mit überbewerteter Währung zu verhindern?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Die Bundesregierung hat am 2. Mai 1969 bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften folgende Maßnahmen beantragt: erstens eine vorübergehende Beschränkung der Intervention im Bundesgebiet auf in Deutschland erzeugtes Getreide, zweitens eine Herabsetzung der in der Bundesrepublik Deutschland zu gewährenden Übergangsvergütungen für Weizen aus anderen Mitgliedstaaten. Am 8. und 19. Mai 1969 wurden der Bundesrepublik Deutschland und einigen anderen Mitgliedstaaten diese Maßnahmen bewilligt. Da die
Situation andauert, hat die Bundesregierung am 4. Juni 1969 gemäß Artikel 226 des EWG-Vertrages bei der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft weitere Schutzmaßnahmen beantragt, über die eine Entscheidung noch aussteht.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Peters ({0}).
Herr Minister, haben die ersten Maßnahmen, die nicht voll zum Erfolg geführt haben, auch einen geringen Erfolg nicht gehabt?
Die werden einen Erfolg haben, vielleicht sogar einen größeren, als Sie meinen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, wären Sie in der Lage, uns hier mitzuteilen, welche zusätzlichen Kosten für die Intervention durch die Hereinnahme französischen Getreides in die Intervention entstanden sind?
Das kann zur Zeit noch nicht berechnet werden; Sie bekommen eine Abschlußrechnung.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Logemann.
Herr Minister, hätte nicht eine frühzeitige Aufwertung mit einem entsprechenden Ausgleich für die .Landwirtschaft das jetzige Unterlaufen der Preise in der Bundesrepublik verhindern können?
Wir hätten das gegen das Votum der FDP machen müssen; das wollten wir nicht.
({0})
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Ertl.
Herr Minister, würden Sie vielleicht die Güte haben, Ihre jetzige, nicht den Tatsachen entsprechende Behauptung hier dann wenigstens zu beweisen und zu sagen, wann die FDP zu etwas anderem geraten hat?
Der FDP hat hier - nicht vom sachlichen, aber vom rhetorischen Standpunkt aus sehr überzeugend - die Aufwertung verteidigt. Ich nehme aber an, daß es nicht die Landwirtschaftsgruppe der FDP war, sondern die liberale Wirtschaftsgruppe.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Herr Kollege Moersch.
Herr Minister, wie hoch schätzen Sie den Einkommensverlust der Landwirtschaft, der im Laufe dieses Jahres durch die von der Bundesregierung provozierte Anpassungsinflation entstehen wird?
Zunächst kann von einer Anpassungsinflation überhaupt nicht die Rede sein. Zum anderen wäre der Einkommensverlust sehr groß gewesen, wenn die Aufwertung durchgeführt worden wäre.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Peters.
Herr Minister, wie hoch schätzen Sie die Verluste der deutschen Landwirtschaft, die dadurch entstehen, daß ausländische Währungen - der französische Franc und andere - heute überbewertet sind und somit das deutsche Preisniveau unterlaufen wird?
Dies ist nicht der einzige Grund für das unterschiedliche Preisniveau, z. B. bei Rindfleisch, worauf Sie anspielen. Es sind viele andere Momente maßgebend; diese zu quantifizieren und zu selektieren ist außerordentlich kompliziert.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Moersch.
Herr Minister, kann es sein, daß wir unter dem Begriff „Anpassungsinflation" etwas Verschiedenartiges verstehen, und darf ich Ihnen sagen, daß ich von einer Anpassungsinflation spreche, wenn der Bundeswirtschaftsminister mitteilt
({0})
- ich habe gefragt -, daß in den ersten vier Monaten dieses Jahres die Preissteigerungen durchschnittlich 3%o betragen haben und daß sie im Laufe des Jahres 6 bis 8% betragen müssen, weil wir nicht aufgewertet haben?
Das ist eine Prognose.
Die 3% sind eine Tatsache!
Nein.
({0})
Präsident von Hassel: Nein, Herr Kollege Ertl, Sie haben keine Zusatzfrage mehr; Sie haben bereits zwei gehabt. - Herr Kollege Logemann!
Herr Minister, wären Sie noch einmal bereit, die Protokolle der Reden nachzulesen, die von FDP-Politikern anläßlich der ersten Währungsdebatten im Herbst gehalten worden sind, und verwechseln Sie nicht in diesem Falle die CSU mit der FDP?
Nein, nein, die habe ich noch nie verwechselt.
({0})
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Peters
auf :
Hält die Bundeseregierung die Erhebung einer Währungsausgleichsabgabe neben der Einfuhrumsatzsteuer für ein geeignetes Miltel, das Agrarpreisniveau vor unlauterem Wettbewerb nach Frage 43 zu schützen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Die Frage 44 darf ich mit Ja beantworten.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peters.
Herr Minister, sind Sie nicht in der Lage, diese Frage etwas genauer, etwas differenzierter zu beantworten?
ich meine den Inhalt unseres Antrages nach Artikel 226. Es handelt sich dabei um Abschöpfungen, wie sie auch schon Frankreich gewährt worden sind, wenn sich solche Ereignisse einstellten.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Peters.
Welche Abschöpfungen sind das?
Die Abschöpfungen, die die Differenz zwischen dem offiziellen und dem schwarzen oder grauen Kurs ausgleichen sollen.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Peters.
Herr Minister, Sie wollen also hier jetzt expressis verbis bestätigen, daß Sie Währungsausgleichsabgaben erheben wollen, wenn es von der Kommission genehmigt wird?
Ja, das will ich.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl.
Herr Minister, würden Sie sowohl die mengenmäßigen wie auch die geldmäßigen Belastungen, die sich einerseits für den Bund, aber andererseits auch für die deutsche Landwirtschaft durch die Hereinnahme und durch das Unterlaufen französischen Getreides und nun auch französischen Fleisches ergeben, zu gegebener Zeit hier öffentlich bekanntgeben?
Dazu bin ich bereit.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Peters ({0}) auf:
Welche Überlegungen hat die Bundesregierung angestellt, um Sofortmaßnahmen im Falle einer unvermeidlichen Aufwertung der D-Mark ergreifen zu können, damit das Agrarpreisniveau dann in der Bundesrepublik Deutschland gehalten wird?
Die Bundesregierung hat bereits im Zusammenhang mit der zurückliegenden Währungsdiskussion Vorschläge entwickelt, die einen Ausgleich der voraussichtlichen Einkommensverluste in der Landwirtschaft zum Ziel haben.
Den weiteren Begriff, den Sie in Ihrer Frage erwähnen, nämlich den einer unvermeidlichen Aufwertung, kann ich in dieser Form nicht akzeptieren. Man spricht auch nicht über die Tugend einer Frau.
({0})
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peters ({1}).
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister beide eine weltweite Neufestsetzung der Währungsparitäten nicht ausgeschlossen haben und daß in dem Fall genauso wie bei einer einseitigen Aufwertung der D-Mark das Problem für die Agrarpreise in Deutschland entstehen würde?
Bei einer weltweiten Klärung der Kurse entstehen ganz andere Probleme, die weit darüber hinausgehen. Hier war es ein ganz spezifisches Problem, das sich aus einer einseitigen Aufwertung abgeleitet hätte.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peters ({0}).
Herr Minister, ist Ihnen nicht klar, daß, wenn in weltweitem Bereich die Währungsparitäten geändert würden, das auf die Aufwertung der D-Mark und vielleicht auch die Abwertung anderer Währungen hinausliefe, wobei dann das Gefüge innerhalb der EWG-Marktordnungen mit ihren Rechnungseinheiten genau wie bei
einer einseitigen Aufwertung geregelt werden müßte?
Das kann durchaus sein. Aber ich möchte das erst einmal abwarten.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Logemann.
Herr Minister, teilen Sie die Auffassung Ihres Kollegen, des Landwirtschaftsministers von Nordrhein-Westfalen, der kürzlich einmal vor Bauern erklärt hat, daß er den Einkommensausfall für die Landwirtschaft infolge sinkender Erzeugerpreise und infolge steigender Betriebsmittelkosten bis zum Herbst auf 400 Millionen DM beziffert?
Ich kenne die Behauptung nicht. Ich höre nur ein Zitat. Wir haben selber Berechnungen angestellt, die für jeden Punkt Aufwertung 225 Milionen DM Einkommensausfall ergeben haben. Wenn die Rechnung meines Kollegen Deneke damit übereinstimmt, bin ich bereit, seine Auffassung zu teilen.
({0})
Präsident von Hassel: Verzeihung, nächste Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Moersch!
Herr Minister, darf ich aus Ihren Antworten generell schließen, daß Sie in der Währungsfrage dem Sachverstand des Bundeskanzlers voll vertrauen?
Ja.
Präsident von Hassel: Eine Sekunde. Ich glaube, Herr Moersch, daß dies nichts mit einer Zusatzfrage zu tun hat. Ich lasse diese Zusatzfrage nicht zu.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, hat sich Ihr Haus bereits Gedanken über die möglichen Preissteigerungen bei Betriebsmitteln gemacht, und, wenn ja, in welcher Höhe, glauben Sie, können die eintreten? Wenn ,Sie es jetzt nicht beantworten können, würden Sie uns das zu gegebener Zeit auch mitteilen?
Soviel prophetische Kraft steht mir nicht zur Verfügung.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Imle.
Herr Minister, ist es hinsichtlich der gerade angesprochenen Frage der Preissteige13340
rung nicht so, daß, wenn um 10 % aufgewertet wird, sich dann auch die Mehrwertsteuer für die landwirtschaftlichen Artikel um 0,5 % pro Aufwertungspunkt erhöhen würde, also von 5,5% auf 10,5% ansteigen würde, und wenn das dann nachher auf den Verbraucher abgewälzt wird, damit die Preissteigerung von 5% auf den Verbraucher zukommt?
Ich kann diesen Zusammenhang in dieser Form nicht anerkennen.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Imle.
Herr Minister, könnten Sie sich wegen der Beantwortung dieser Frage mit Ihrem Kollegen vom Finanzministerium in Verbindung setzen?
Ich werde das auch allein schaffen.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Härzschel auf - ({0})
- Ich darf darauf aufmerksam machen: ich kann
Zusatzfragen zulassen. Ich glaube, daß wir zu diesem Thema genug Zusatzfragen zugelassen haben.
Frage 46 des Herrn Abgeordneten Härzschel:
Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Umfang in der Bundesrepublik Deutschland Antibiotika, darunter Penicillin, dem Futter von Tieren beigemischt werden, um die Erträge zu steigern?
Der Bundesregierung ist sehr wohl bekannt, welche Wirkstoffe, zu denen auch Antibiotika zählen, in der Tierernährung Anwendung finden, da der Einsatz von Wirkstoffen strengen futtermittelrechtlichen Regelungen unterliegt. So wurden in der Verordnung vom 12. November 1968 die zur Einmischung zugelassenen Antibiotika-Arten und ihre Dosierungen in Futtermitteln neu festgelegt. Nach den derzeitigen Bestimmungen sind Penicillin und seine Salze als antibiotischer Futtermittelzusatz in der Bundesrepublik nicht zugelassen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel.
Darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, Herr Minister, daß die Ausgabe dieser Antibiotika quasi auf Rezept erfolgt oder zumindest kontrolliert werden kann?
Die Futtermittel werden sehr streng kontrolliert.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Härzschel auf:
Hat die Bundesregierung den Verdacht geprüft, ob durch die Fütterung von Antibiotika nachträglich bei Menschen eine Gefährdung dadurch eintreten könnte, daß durch den Genuß des Fleisches von diesen Tieren sich Krankheitserreger im Körper des Menschen an Antibiotika gewöhnen und im Falle einer akuten Erkrankung Antibiotika als Heilmittel nicht mehr voll anspricht?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Wie ich auf eine ähnliche Frage anläßlich der 215. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. Februar des Jahres bereits ausgeführt habe, sind bei allen futtermittelrechtlichen Regelungen der letzten Jahre - unabhängig von den wirtschaftlichen Erfordernissen einer rationellen und bedarfsdeckenden tierischen Veredelungswirtschaft - grundsätzlich die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, auch auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes, berücksichtigt worden. Vor der Zulassung von Wirkstoffen für die Tierernährung werden von Fall zu Fall die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen berücksichtigt. Mit dem von Ihnen angeschnittenen Problem hat sich gerade in neuester Zeit die auf meine Initiative von der deutschen Forschungsgemeinschaft berufene „Kommission zur Prüfung von Zusatzstoffen in der Tierernährung und Tierhaltung" befaßt. Die von dieser Kommission nach eingehender sachverständiger Prüfung in der Mitteilung Nr. III vom 15. August 1968 bekanntgegebenen Grundsätze stimmen mit den seit Jahren von meinem Ministerium erlassenen futtermittelrechtlichen Entscheidungen überein.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel.
Wie erklären Sie- sich dann, Herr Minister, daß in der letzten Zeit in Zeitungsmeldungen in Fachzeitungen vor der Verfütterung dieser Antibiotika gewarnt wird?
Ich kenne die Meldungen nicht. Es könnte sich auch um Irrtümer handeln, und es gibt auch immer wieder den Fall, daß etwas passiert, was trotz bester Gesetzgebung nicht gewollt ist.
Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Härzschel.
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß man diese Dinge sehr sorgfältig prüfen sollte, daß die Gesundheit den Vorrang hat und daß verschiedene Vorkommnisse auf anderen Gebieten uns hier vorsichtig machen sollten?
Ich glaube, daß das in der Bundesrepublik mustergültig geschieht.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Härzschel auf:
Wie ist die Rechtssituation bezüglich der Fütterung von Antibiotika in der EWG und in den Ländern, die Fleisch in die Bundesrepublik Deutschland exportieren?
Zur Beantwortung der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
In allen EWG-Mitgliedstaaten bestehen bereits mit unseren Vorschriften vergleichbare Bestimmungen über den Einsatz antibiotischer Futtermittelzusätze, wobei allerdings die Art und Anzahl der zugelassenen Antibiotika-Präparate teilweise differieren. Soweit die Einfuhren tierischer Erzeugnisse aus Partnerstaaten in Betracht kommen, sind mir bisher keine Beanstandungen bezüglich gesundheitsbedenklicher Rückstände durch Verfütterung von Antibiotika bekanntgeworden.
Im Zuge der Rechtsharmonisierung innerhalb der Gemeinschaft liegt dem Ministerrat der Vorschlag einer Richtlinie für Zusatzstoffe in der Tierernährung zur Verabschiedung vor, der unter anderem die zukünftig in der Gemeinschaft einheitlich zu verwendenden Antibiotika und deren Gehalte in Futtermitteln enthält. In Art. 6 der genannten Richtlinie sind zudem bestimmte Grundsätze für die Zulassung von Wirkstoffen festgelegt. So darf nach Abs. 2 Buchstabe e des genannten Artikels ein Stoff, der aus schwerwiegenden Gründen im Hinblick auf die menschliche und tierische Gesundheit der ärztlichen oder der tierärztlichen Anwendung vorbehalten bleiben muß, nicht in der Tierernährung eingesetzt werden. Diese Vorschriften werden auf Drittländer entsprechende Anwendung finden.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Härzschel.
Herr Minister, werden diese Einfuhren aus Drittländern kontrolliert?
Ja, sie werden kontrolliert, und zwar auf Länderbasis.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Logemann.
Herr Minister, Sie haben eben darauf hingewiesen, daß in den Partnerländern der EWG vergleichbare Bestimmungen und Anordnungen über die Verfütterung von Antibiotika vorhanden sind. Darf ich fragen, ob Sie die Möglichkeit haben, zu kontrollieren, ob auch in den Partnerländern mit gleicher Gründlichkeit, wie das in Deutschland geschieht, die Verfütterung von Antibiotika überwacht wird.
Wir können nicht in den Partnerländern kontrollieren, sondern wir kontrollieren an der Grenze die eingeführten Nahrungsmittel.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Weigl auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, in Gebieten mit extremen niedrigen Einkommensverhältnissen in der Landwirtschaft die Flurbereinigung verstärkt zu fördern?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Die Bundesregierung hat nach dem Flurbereinigungsgesetz keinen unmittelbaren Einfluß auf die Reihenfolge der Einleitung von Flurbereinigungsverfahren. Es ist jedoch zu beobachten, daß die Bundesländer sich bemühen, in landwirtschaftlich schlecht strukturierten Gebieten mit extrem niedrigen Einkommensverhältnissen verstärkt tätig zu werden und entsprechend der geringen Leistungsfähigkeit der Teilnehmer erhöhte öffentliche Mittel einzusetzen. Bereits seit 1961 hat mein Haus in diesen von der Natur benachteiligten landwirtschaftlichen Gebieten, zu denen auch die durch die regionalen Förderungsprogramme Norddeutschlands - Programm Nord, Küstenplan, Emslandprogramm - bedachten Gebiete zu zählen sind, eine Erhöhung der Bundesmittel zur Förderung der Flurbereinigung von allgemein 50% auf bis 80 % der Ausführungskosten zugelassen. Darin liegt eine mittelbare, sehr wirksame Förderungsmaßnahme im Sinne Ihrer Frage.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage wird nicht gewünscht.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Landwirtschaftsministers beantwortet. Ich darf Ihnen danken, Herr Bundesminister.
Ich rufe aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung die Frage 77 des Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Anschuldigungen des Korvettenkapitäns a. D. Ernst Jäckel und des Weltbundes zum Schutze des Lebens e. V. gegenüber Regierung, Parlament und Industrie, die beinhalten, daß auch die friedliche Nutzung der Kernspaltung wegen mangelnder Abschirmungsmöglichkeit gefährlicher Strahlungen unübersehbare Schäden für die Volksgesundheit hervorruft?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Dr. von Heppe.
Die Behauptung des Korvettenkapitäns a. D. Ernst Jäckel und des Weltbundes zum Schutz des Lebens müssen getrennt betrachtet werden. Herr Jäckel vertritt seit vielen Jahren wissenschaftlich unhaltbare Theorien über die Ausbreitung ionisierender Strahlen. Eine Verständigung mit Herrn Jäckel erwies sich bisher in Diskussionen als aussichtslos, da seine Theorie jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt.
Die Bedenken des Weltbundes betrachtet die Bundesregierung im allgemeinen als Übertreibungen der mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie verbundenen und an sich bekannten potentiellen Gefährdungsmöglichkeiten. In den meisten Fällen werden Äußerungen des Weltbundes verknüpft mit polemischen Angriffen auf die die Kernenergie nutzende Industrie und die mit dem Schutz der Bevölkerung beauftragten Sachverständigen und Behörden. Die Bundesregierung hat auf der Grundlage des geltenden Rechts alle Maßnahmen für den Strahlenschutz und die Reaktorsicherheit getroffen. Die Bundesregierung ist auch jederzeit bereit, neu auftauchenden Argumenten gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie sorgfältig nachzugehen und sachlich fundierte Einwände auf ihre Richtigkeit zu prüfen.
Der Weltbund hat bei verschiedenen Anlässen in Besprechungen mit dem Bundeswissenschattsministerium und den Genehmigungsbehörden Gelegenheit gehabt, seine Bedenken in sachlicher Form zu konkretisieren. Bisher konnte der Weltbund jedoch keine Argumente vorbringen, die nicht schon berücksichtigt worden sind.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schmidt.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß es genügt, sich darüber . mit Herrn Jäckel und dem Weltbund zu verständigen, wenn Drucksachen aller Art ständig in größerer Zahl in Deutschland verbreitet werden und damit erhebliche Besorgnisse in der Bevölkerung ausgelöst werden?
Herr 'Abgeordneter, wir sind bemüht, auch in allgemeiner Form aufklärend zu wirken, und haben das in der Vergangenheit getan. Im übrigen hat ja der bisherige Einsatz der Kernenergie nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in den anderen Staaten, die sich dieser Kraftquelle bedienen, gezeigt, daß die Sicherheit denkbar groß ist. Größere Unfälle haben sich bisher glücklicherweise noch nicht ereignet.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schmidt ({0}).
Darf ich fragen, was konkret publizistisch geschehen ist, um diese konkreten, hier verbreiteten angeblichen Tatsachen zu widerlegen?
Ich kann es Ihnen im Augenblick nicht sagen. Ich werde Ihre Frage schriftlich beantworten, Herr Abgeordneter.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 78 des Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Bezug nehmend auf die Ausführungen des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung auf der Jahresversammlung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft am 9. Mai 1969, in denen er einen „übergreifenden Verbund" zwischen der Fraunhofer-Gesellschaft als künftiger Trägergesellschaft für die öffentlichen Einrichtungen der angewandten Forschung einerseits mit den wirtschaftseigenen Forschungseinrichtungen andererseits gefordert hat, frage ich die Bundesregierung, ob dieser „übergreifende Verbund" mit dem am 27. April 1969 der Öffentlichkeit vorgestellten „Industrie-Institut zur Erforschung technologischer Entwicklungslinien ({0})" identisch ist?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär.
Zwischen den Äußerungen des Herrn Bundesministers für wissenschaftliche Forschung anläßlich der Jahrestagung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft am 9. Mai 1969, in denen er eine verstärkere Zusammenarbeit zwischen der Fraunhofer-Gesellschaft und den wirtschaftseigenen Forschungseinrichtungen gefordert hat, und den Vorschlägen aus der Industrie, ein Institut zur Erforschung technologischer Entwicklungslinien zu gründen, besteht kein näherer Zusammenhang.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Meinecke.
Herr Staatssekretär, unabhängig von dem Zusammenhang, der nicht besteht, ist dieser „übergreifende Verbund" als eine neue, zusätzliche Aufgabe der Fraunhofer-Gesellschaft zu verstehen?
Ich darf auf diese Frage in der Beantwortung Ihrer nächsten Frage eingehen, Herr Abgeordneter, wenn Sie einverstanden sind.
Präsident von Hassel: Einverstanden. Ich rufe dann die Frage 79 des Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Wenn nein, welcher Gestalt sind dann die Planungen der Bundesregierung zu diesem „übergreifenden Verbund"?
Die Bundesregierung beabsichtigt, die Fraunhofer-Gesellschaft zu einer allgemeinen Trägergesellschaft für Einrichtungen der anverwandten Forschung auszubauen. Die Institute der Fraunhofer-Gesellschaft sollen künftig neben staatlichen Forschungsausträgen in verstärktem Umfang Forschungsaufgaben für die Industrie übernehmen. Die dafür notwendige Koordination wird durch eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Staat, Wissenschaft und Wirtschaft in den Organen der Fraunhofer-Gesellschaft gewährleistet. Durch deren Ausbau soll ein übergreifender Verbund von den Bereichen der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung bis hin zur industriellen Forschung und Entwicklung ermöglicht werden.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Meinecke.
Herr Staatssekretär, wie ist gewährleistet, daß bei diesen zwar satzungsgemäß durchaus berechtigten Aufgaben der Fraunhofer-Gesellschaft, aber deren doch erheblicher Ausweitung parlamentarische Kontrolle oder zumindest doch parlamentarische Information über diesen übergreifenden Verbund ermöglicht werden wird?
Die parlamentarische Information werden wir von unserem Hause übernehmen müssen, Herr Abgeordneter. Aber alles, was ich vortrug, ist zur Zeit noch im Entstehen. Die Satzung haben wir gemacht. Die nächste Jahrestagung der Fraunhofer-Gesellschaft - ich glaube, in der nächsten oder übernächsten Woche in München - bringt zunächst die Überleitung in die neue Form.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dafür Sorge zu tragen, daß in der Satzung und in der neuen Aufgabenstellung der Fraunhofer-Gesellschaft eine volle kollegiale Mitwirkung aller wissenschaftlich Tätigen bei der Entscheidungsfindung in diesem Bereich gesichert ist?
Herr Abgeordneter, das ist eine Linie, die wir in unserem Haus generell überall verfolgen.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Welche praktischen Auswirkungen wird diese generelle Absicht künftig haben?
Diese praktische Auswirkung wird von uns nicht nur bei der Fraunhofer-Gesellschaft, sondern auch bei den anderen Gesellschaften verwirklicht werden, indem wir den nichtleitenden Wissenschaftlern überall ein Mitwirkungsrecht einräumen wollen.
Präsident von Hassel: Ich rufe Frage 80 des Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Angesichts der Tatsache, daß der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung und der Bundesminister für Wirtschaft dem Gründungsausschuß des I. T. E. angehören, frage ich die Bundesregierung, wann sie die bisher geführten Verhandlungen und die weiteren Absichten der Bundesregierung in bezug auf das I. T. E. - insbesondere auch im Hinblick auf die Finanzierung - offenlegen wird, damit der Deutsche Bundestag die Beratungen über eine mögliche Beteiligung des Bundes am I. T. E. aufnehmen kann.
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Über Art und Umfang der Beteiligung des Bundes an dem
Institut zur Erforschung technologischer Entwicklungslinien ({0}) kann erst entschieden werden, wenn die Beratungsergebnisse des erwähnten Gründungsausschusses zur Organisation und den Aufgaben des I. T. E. vorliegen. Im Entwurf des Haushaltsplans 1970 des Bundesforschungsministeriums sind für die Förderung von Vorhaben aus den Bereichen der Zukunftsforschung und speziell der technologischen Prognosen Mittel ausgewiesen, aus denen gegebenenfalls auch das I. T. E. bereits 1970 einen Zuschuß erhalten könnte.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Meinecke.
Herr Staatssekretär, bezieht sich Ihre letzte Aussage auf Pressemeldungen, nach denen ein niedersächsischer Minister der Presse mit einem Augenzwinkern mitgeteilt habe, man dürfe zwar über die Förderungssummen des Staates noch nicht sprechen, aber er wisse sie bereits? Entspricht das den Tatsachen?
Diese Pressemeldungen sind mir nicht bekannt, Herr Abgeordneter.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Meinecke.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, über dieses wichtige und in jeder Weise zu begrüßende Institut den jetzigen Ausschuß und damit den Bundestag nach der Gründung des Kuratoriums noch über die Grundvorstellungen zu informieren, bevor der Bundestag auseinandergeht?
Wenn dafür noch Zeit ist, gern.
Präsident von Hassel: Ich rufe Frage 81 des Abgeordneten Moersch auf:
Ist die Bundesregierung grundsätzliche bereit, die Gründung einer privaten Hochschule für militärgeschichtliche Forschung dadurch zu fördern, daß sie ein solches Vorhaben durch einen Beitrag zur Erstausstattung mit Gebäuden und Inventar finanziell unterstützt?
Herr Präsident, darf ich zunächst eine redaktionelle Berichtigung vornehmen?
Präsident von Hassel: Ja, bitte.
Die Frage ist mit einem Fehler ausgedruckt. In der zweiten Zeile steht „für militärgeschichtliche Forschung" . Diese drei Worte sind versehentlich hineingenommen; es ist mir nicht erklärlich, warum.
Präsident von Hassel: Die drei Worte sollen also gestrichen werden. Es heißt:
Präsident von Hassel
..., die Gründung einer privaten Hochschule dadurch zu fördern, daß .. .
Damit muß ich zunächst einmal klären, ob Sie diese Frage beantworten können.
Ich kann sie beantworten. Ich habe sie so aufgefaßt, daß die drei Worte nicht hinzugehören.
In der Zuweisung des Ministeriums stand es richtig. Nur hier war der Druckfehler.
Präsident von Hassel: Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Der Ausbau und der Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen wird ab 1. Januar 1970 eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern sein. Auch die etwaige Unterstützung privater Universitäten sollte, soweit ihre Gründung nach Landesrecht möglich ist, im Wissenschaftsrat und zwischen Bund und Ländern erörtert werden. Es ist anzustreben, daß zur Gewinnung der erforderlichen Kapazität weitere neue Hochschulen gegründet werden.
In diesem Zusammenhang ist auch der Gedanke
einer privaten Hochschule seit einiger Zeit mehrfach erörtert worden. Genauere Vorstellungen über Zielsetzung, Struktur und Größe zeichnen sich noch nicht ab. Selbst wenn bereits eine klare Konzeption für das Projekt einer privaten Hochschule vorläge, müßte die Bundesregierung, bevor sie einen Beitrag zur Erstausstattung leisten kann, eingehend prüfen, welche Folgekosten für eine solche Hochschule entstehen werden und wer die Lasten der laufenden Unterhaltung tragen wird. Bei den heutigen Kosten einer Universität würde eine private Universität wahrscheinlich sehr bald auf hohe öffentliche Zuschüsse angewiesen sein. Wenn diese Fragen, Herr Abgeordneter, befriedigend geklärt sind und eine entsprechende Empfehlung des Wissenschaftsrates vorliegt, wäre es durchaus möglich, ein solches Vorhaben der Erstausstattung auch durch einen finanziellen 'Beitrag des Bundes zu unterstützen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Moersch.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß .Sie bei Bereitstellung der laufenden Kosten durch große ,Stiftungen - ich denke hier an die Volkswagenstiftung, Thyssenstiftung, Kruppstiftung und andere - Ihre Unterstützung z. B. einem Projekt in Kassel oder in Bremen leisten würden? Bremen war bei seinem jetzigen Hochschulbauförderungsgesetz ja offensichtlich nicht in der Lage, eine öffentliche Universität zu gründen.
Wenn sich eine der großen, leistungsfähigen Stiftungen wirklich mit einer Dauerverpflichtung beteiligen würde, ja.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Moersch.
Wird die Bundesregierung von sich aus Bemühungen anstellen, gesetzliche Voraussetzungen auch dafür zu schaffen, daß künftig mehr solche Stiftungen entstehen und daß mehr Interessenten angeregt werden, Stiftungen einzurichten?
Soweit es die Neuordnung des Stiftungsrechtes betrifft, ja. Im übrigen ist die Regelung der privaten Aufsicht über eine Hochschule Landesrecht, sie fällt also nicht in den Bereich der Bundesregierung.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Dr. Martin.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung auch bereit, eine Fernsehuniversität - wie sie jetzt in Mainz geplant wird - mit Investitionen und gegebenenfalls mit laufenden Mitteln zu unterstützen?
Herr Abgeordneter, diese Frage wird, wie Sie wissen, zur Zeit schon geprüft. Ich kann Ihnen von diesem Tische aus noch keine Antwort geben. Auch sie richtet sich in erster Linie nach der Empfehlung des Wissenschaftsrates. Wir haben uns ja verpflichtet, die Bundesmittel, die zur Verfügung stehen, im allgemeinen nach den Empfehlungen zu vergeben, die von dieser gemeinsamen Organisation gegeben werden, die die Gesamtplanung vorbereitet.
Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Martin.
Können Sie die Frage nicht doch eindeutiger beantworten, nachdem feststeht, 'daß der Wissenschatfsrat solche Empfehlungen aussprechen wird?
Wenn das feststehen würde, sicher.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Raffert.
Herr Staatssekretär, es handelt sich doch, wenn ich richtig unterrichtet bin, nicht um eine Fernsehuniversität, sondern um ein Universitätsfernsehen, d. h. um einen Dienst, der anderen Universitäten geleistet werden könnte. Würde das bei Ihren Überlegungen eine Rolle spielen?
Da es sich dann wahrscheinlich nicht um Investitionskosten für Bauten und Einrichtungen handelt, sondern um laufende Kosten, würde das eine Rolle spielen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, Herr Staatssekretär, daß - unabhängig davon, ob Fernsehuniversität oder Universitätsfernsehen - diese Möglichkeit in der Bundesrepublik unbedingt und optimal genutzt werden sollte, zumal da es nur dadurch möglich ist, die ständig steigende Zahl der Studenten auf eine befriedigende Weise unterzubringen?
Die Bundesregierung teilt diese Auffassung in vollem Umfange.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage Frau Kollegin Heuser.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß es sich die Bundesregierung angelegen sein lassen sollte, insbesondere private Vorhaben zu unterstützen, weil sie sehr viel
besser als öffentliche Einrichtungen Modelle darstellen können, die uns für die zukünftige Entwicklung Hilfe leisten können?
Gerade dieser Punkt, Frau Abgeordnete, ist einer der Gründe, warum ich selbst immer dafür eingetreten bin, die Förderung einer privaten Universität zu unterstützen, wenn sie wirklich greifbare Gestalt und einen gewissen background bekommt.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Fragen 82, 83 und 84 des Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung abgeschlossen. Ich darf Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen danken. Die Fragestunde ist geschlossen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe den Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Gemeindefinanzen ({1})
- Drucksache V/3876 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache V/4400 -
Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({3})
- Drucksachen V/4286, zu V/4286
Berichterstatter: Abgeordneter Krammig ({4})
Ich darf den beiden Abgeordneten den Dank des Hauses aussprechen und die Frage stellen, ob sie als Berichterstatter das Wort zu einer mündlichen Ergänzung wünschen.
({5})
- Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache zur zweiten Lesung. Wird das Wort dazu begehrt? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache V/4286.
({6})
- Verzeihung! Es liegt ein Änderungsantrag vor. Er wird an der Stelle, wo er nachher zur Abstimmung steht, aufgerufen. Ich bitte also, die Abstimmungsunterlage - Drucksache V/4286 - zur Hand zu nehmen.
Meine Damen und Herren, es liegt Ihnen ein Änderungsantrag des Abgeordneten Erhard ({7}) auf Umdruck 709 vor. Wollen Sie ihn noch begründen?
({8})
- Bitte schön! Zur Begründung des Änderungsantrags auf Umdruck 709 *) hat der Abgeordnete Erhard das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist selten, daß wir uns in diesem Hause mit Gemeinden, Gemeindefinanzen und Gemeindefragen beschäftigen. Das liegt an der Struktur der Bundesrepublik und der Verfassung. Es ist Sache der Länder. Jahr für Jahr müssen sich die Landtage mit dem Finanzausgleich zwischen den Ländern, dem jeweiligen Land und den Gemeinden, aber auch unter den Gemeinden beschäftigen.
Wir haben heute eine Vorlage, mit der die Gemeindefinanzen auf andere Füße gestellt werden sollen, als es bisher der Fall war. In § 6 dieser Vorlage wird das System für diesen Finanzausgleich, soweit es sich um die Gewerbesteuer handelt, geregelt. Durch den Finanzausgleich soll die Gewerbesteuer mit dem Wort „Umlage" in einem bestimmten Verhältnis auf Bund und Länder übertragen werden.
*) Siehe Anlage 4
Erhard ({0})
In der Vorlage der Bundesregierung, die Ihnen als Drucksache vorliegt, heißt es in der Begründung, daß das Aufkommen an Gewerbesteuer in der Form einer Umlage insgesamt 40 v. H. des Aufkommens betragen und an Bund und Länder abgeführt werden soll. In der Formulierung des § 6 Abs. 2 ist eine Globalregelung vorgesehen, die auf den ersten Blick nicht verständlich erscheint und die ich deswegen kurz erläutern muß. Die Gewerbesteuer wird von jeder Gemeinde mit eigenem Hebesatz erhoben. Die Gemeinden haben das Hoheitsrecht, das verfassungsrechtlich verbriefte Recht der Hebesatzbestimmung. Wir haben das erst kürzlich bei der Verabschiedung der Finanzverfassungsreform erneut in unser Grundgesetz hineingeschrieben. Die Gemeinden haben mit diesem Recht die Pflicht, die Steuern so weit zu erheben, als es zur Deckung ihrer Ausgaben notwendig ist.
Die Statistik lehrt, daß die Gemeinden die Hebesätze für die Gewerbesteuer nach ihrer Kraft, nach ihrer Ortslage, nach ihren Verhältnissen und Möglichkeiten unterschiedlich bestimmt und festgesetzt haben. Wir haben z. B. im Land Hessen für die mittelgroßen Gemeinden im Druchschnitt einen Steuersatz von 275%, und wir haben in anderen, kleineren Größenklassen nur durchschnittliche Hebesätze von 250 %. Das heißt, es gibt zahllose Gemeinden mit Steuerhebesätzen von 200 bis 220%.
Wie wird nun das Gewerbesteueraufkommen nach dieser Vorlage erfaßt? Wir haben in der Begründung gesehen - ich habe es soeben gesagt -: 40 % des Gewerbesteueraufkommens sollen auf Bund und Länder übertragen werden. Dem stimme ich vollinhaltlich zu. Was steht aber im Gesetz? Im Gesetz steht, daß dieses Aufkommen nach einem fiktiven Hebesatz - nämlich in Höhe von 300% - bestimmt wird und daß dann davon 40% errechnet werden. In der schriftlichen Begründung des Herrn Berichterstatters wird dafür ein rechnerisches Beispiel angeführt. Allerdings ist der Prozentsatz, der sich aus der Berechnung ergibt, nicht genannt worden. Bei dem Beispiel in der Begründung, bei dem ein Gewerbesteueraufkommen von X bei einem Steuerhebesatz von 247% unter diese Umlage fällt, ergibt sich eine Umlage, also eine Abführung von 48,6% des Gewerbesteueraufkommens der Gemeinde. Bei einem durchschnittlichen Aufkommen von 275 % in den mittelgroßen Gemeinden ergibt sich eine Umlage in Höhe von 44%. Wenn eine Gemeinde einen Hebesatz von nur 220% hat, ergibt sich sogar eine Umlage von 54% des tatsächlichen Steueraufkommens.
Wir wissen, daß der Steuerhebesatz in den kleineren Gemeinden generell wesentlich unter 300% liegt. Das bedeutet, daß diese Gemeinden, die ohnehin fast durchgängig kreisangehörige Gemeinden sind, zum einen durch die Kreisumlage in ihrem Gewerbesteueraufkommen geschmälert werden und zum anderen durch diese neue Umlage - ohne Berücksichtigung der Kreisumlage - mit mehr als 40 % in Anspruch genommen werden. Eine solche unterschiedliche Inanspruchnahme erscheint nicht ganz gerecht, zumal das Finanzamt für jede einzelne Gemeinde den jeweiligen Steuersatz erfragen und
auf Grund des jeweiligen, eventuell durch Nachtragshaushalt festzusetzenden Steuersatzes für jede Gemeinde individuell eine Berechnung durchführen muß. Das ist keine Verwaltungsvereinfachung, sondern eine sehr komplizierte Abrechnungsmethode.
Neben diesem allgemeinen Unrecht, daß die kleinen Gemeinden generell wesentlich mehr als 40 % ihrer Gewerbesteuereinnahmen abführen müssen, ergibt sich ein politisch sehr schwer verständliches Ergebnis. Das Ergebnis ist politisch deswegen schwer verständlich, weil diese Art von Umlage nach meiner Überzeugung der Strukturpolitik für wirtschaftsschwache Gebiete, die wir sonst treiben, gerade entgegenwirkt. Die Gemeinden, die ohnehin strukturschwach sind und die deswegen geringere Hebesätze zu verzeichnen haben und ein geringeres Gewerbesteueraufkommen in ihre Kassen fließen sehen, müssen im Schnitt mehr als 50% abgeben, ohne daß die Kreisumlage berücksichtigt wird. Dadurch werden - das lehrt ein Blick in die Gemeindestatistik - insbesondere die Gemeinden im Zonenrandgebiet, die Bundesausbaugebiete und die Bundesausbauorte betroffen. Alle in diesen Gebieten liegenden Gemeinden haben einen Steuerhebesatz unter 300%.
Die Zielsetzung, die hier deutlich wird, ist auch gegen das flache Land gerichtet; die Industrieansiedlung oder Erhaltung des Gewerbes in diesen Räumen wird besonders erschwert. Dieses Gesetz wirkt durch diese Gewerbesteuerausgleichszahlungen zugunsten der Ballungsräume und zugunsten der großen Städte. Das ist ganz sicher so. Es ist hochinteressant, daß wir hier eine solche Vorlage mit diesem Ergebnis und gleichzeitig unter Punkt 8 der Tagesordnung - auf Grund der Bestimmung des Grundgesetzes über die Regelung der Gemeinschaftsaufgaben - den Entwurf eines Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" beraten. Die regionale Wirtschaftsstruktur wird gerade hier an einer entscheidenden Stelle, was die Möglichkeiten des Ausbaus von Gewerbe und Industrie und der Verlegung dieser Bereiche auf das Land angeht, verschlechtert und die Gemeindefinanzen werden geschwächt.
Weiter ist es aber auch so, daß, wenn wir dieses Gesetz so annnehmen, wie es vorliegt, zahlreiche Gemeinden eine Gewerbesteuererhöhung vornehmen müssen, damit sie wenigstens etwa 60 % der Gewerbesteuereinnahmen behalten. Ich glaube, daß es nicht sehr sinnvoll ist, auf einige tausend Gemeinden einen Druck auszuüben, eine Erhöhung der Gewebesteuer jetzt, vor dem 1. Januar 1970 - denn dann soll ja das Ganze wirksam sein - zu beschliepen. Das aber müßten die Gemeinden zu einem sehr großen Teil tun, wenn sie ihre Haushalte in Ordnung halten wollen.
Die steuerliche Stabilität wird hier also, ich möchte beinahe sagen, unterlaufen, während man das Ganze viel einfacher und mit der Wirkung steuerlicher Stabilität regeln könnte, wenn man lediglich die 40%, die umgelagert werden sollen, auch tatsächlich ins Gesetz hineinschriebe, wie ich das mit meinem Änderungsantrag vorschlage. Dazu gleich weitere Erläuterungen!
Erhard ({1})
Ich habe auch verfassungsrechtlich nicht unerhebliche Bedenken gegen den hier eingeschlagenen Weg. Ich muß das - wenn man schon die Verfassung bemüht - kurz erläutern. Wir haben bei der Finanzverfassungsreform einen neuen Art. 106 beschlossen. In seinem Absatz 6 heißt es, daß das Aufkommen der Realsteuern den Gemeinden zusteht, daß den Gemeinden das Recht einzuräumen ist, die Hebesätze der Realsteuern festzusetzen - also nicht wir haben sie festzusetzen, sondern die Gemeinden ({2})
- ja, das ist altes Recht und ist neu besätigt, jetzt in der neuen Formulierung etwas anders als vorher in der Verfassung -, und daß die Länder und der Bund an dem Aufkommen beteiligt werden können. An dem Aufkommen können also Bund und Länder beteiligt werden. Daß nach Art. 28 die Gemeinden ein Selbstverwaltungsrecht haben, ist wohl allen bekannt. Was aber hat es noch mit Selbstverwaltungsrecht zu tun, wenn ich die Gemeinden zwinge, einen einheitlichen Steuersatz von 300% zu erheben, wenn sie nicht Nachteile erleiden sollen, und was hat es noch mit Selbstverwaltung zu tun, wenn die Gemeinden, die effektiv nicht mehr erheben können als einen Steuersatz z. B. von 250%, dadurch etwa 50 % ihrer Gewerbesteuereinnahmen abführen müssen?
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hofmann ({3}) ?
Herr Kollege, was sagen Sie dann zu dem Begriff der Selbstverwaltung, wenn wir doch alle wissen, daß bei den Zweckzuweisungen bei allen Projekten in den Gemeinden durchweg der durchschnittliche Hebesatz in einem Lande erreicht sein muß? Ist das hier nicht dasselbe?
Nein. Genau das ist der Punkt, der als nächster auf meinem Zettel steht. Genau hier ist der Ansatzpunkt für diese Konstruktion, nämlich für die Zuteilung von Geld. Es ist aber ein sehr großer Unterschied, ob ich Gelder zuteile oder ob ich Gelder abnehme. Wenn ich die Gelder nach einem fiktiven Steueraufkommen abnehme, nehme ich eben über 50 und 60 %. Wenn ich Gelder zuteile, kann ich allenfalls variieren und kann individuell sagen, in dieser konkreten Gemeinde ist es nicht möglich, die Steuersätze mehr als zum Durchschnitt auszuschöpfen. Wenn jedoch der Durchschnitt bei 250% liegt, dann bekommt die Gemeinde ihre Zuweisungen so, als hätte sie voll ihre Steuerkraft ausgeschöpft, weil eben der Durchschnitt so hoch ist. So liegt es in den Ländern. Wenn Sie hier aber die konkreten Steuereinnahmen mit 60% oder 55% abnehmen, dann verschlechtern Sie den Status der Gemeinde, ohne einen Ausgleich zu schaffen. Es ist eine ganz starre Lösung, die hier vorgeschlagen ist. Dieses ganze System, wie es hier steht, mit einer fiktiven Steuereinnahme ist, wie gesagt, genau das, was bei der gezielten Gemeindedotierung von der Verwaltung mit mehr oder weniger Recht geübt wird. Jeder, der sich auskennt, weiß, daß diese Dotierungen unter diesem System zu einer ständigen Erhöhung der Gebühren, einer ständigen Erhöhung der Steuersätze in den Gemeinden geführt haben und führen und daß sie zusätzlich ein unentwegtes Klinkenputzen der Bürgermeister bei den nächsthöheren Verwaltungen auslösen. Von Selbstverwaltung kann man da nicht mehr reden, sondern allenfalls von Tüchtigkeit im Antichambrieren bei übergeordneten Verwaltungsstellen. Das verstehe ich nicht unter Selbstverwaltung.
Der Vorschlag, den ich mir zu unterbreiten erlaubt habe, soll den Gemeinden 40% ihres Steueraufkommens wirklich abnehmen, wie es ja auch in der Verfassung als Grundsatz steht, daß eine Beteiligung da sein muß. Diese Beteiligung muß generell gleich sein, nämlich 40% des Steueraufkommens.
Wenn Sie diesem Vorschlag, den ich hier gemacht habe, folgen, werden wir verhindern, daß die Gemeinden nunmehr - durch dieses Gesetz gezwungen - in die Steuererhöhung hineingehen. Sie werden viel weniger Interesse daran haben, die Steuern zu erhöhen als im umgekehrten Fall, denn sie werden immer nur 60% der tatsächlichen Mehreinnahmen aus der Steuererhöhung haben. Wenn man dabei weiter berücksichtigt, daß die Gemeinden, die noch die Kreisumlage mit 25 bis 33% - das schwankt - zu zahlen haben, kommt man bei einem Hebesatz von ungefähr 220 %, wie er generell im Zonengrenzbereich, im Bayerischen Wald und an anderen Stellen besteht, zu dem Ergebnis, daß nicht eine Beteiligung von Bund und Land an der Realsteuer vorliegt, sondern daß diesen kleinen Gemeinden tatsächlich die Gewerbesteuer vollständig weggenommen wird. Das halte ich für verfassungsrechtlich nicht mehr möglich und nicht für zulässig. Hier wird einfach der Auftrag der Verfassung bezüglich der Beteiligung überzogen, und zwar mit der fiktiven Vorstellung von einem Gewerbesteuerhebesatz von 300%, den die Gemeinden nicht erheben können.
Wenn wir also der in Punkt 8 genannten Strukturförderung Rechnung tragen wollen, dürfen wir diesem Vorschlag des Ausschusses und der Regierungsvorlage nicht folgen, sondern müssen eine andere Lösung wählen, und zwar die, die ich vorgeschlagen habe und die die einfachste zu sein scheint - ich meine das wenigstens -, indem einfach vom tatsächlichen Gewerbesteueraufkommen in dem konkreten Steuerjahr von jeder Gemeinde 40 % an Bund und Land abzuführen sind. Alle anderen Bestimmungen können unverändert bleiben.
Ich bitte, dem Änderungsantrag zuzustimmen.
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure eigentlich, daß Herr Kollege Erhard nicht die Sitzungen des Finanz13348
ausschusses dazu benutzt hat, seine eingehenden Ausführungen zu Rechtsüberlegungen dort darzutun.
({0})
Wir befinden uns in der zweiten Lesung und nicht in einer Ausschußsitzung. Infolgedessen werde ich mich darauf beschränken, die Gründe vorzutragen, die für die Ablehnung des Änderungsantrages sprechen.
Die Hebesatzbeschlüsse der Gemeinden würden sich für die Gemeinden nur noch auf 60 v. H. der Gewerbesteuer auswirken. Der finanzielle Bewegungsspielraum der Gemeinden würde damit entgegen den Zielen der Gemeindefinanzreform entscheidend eingeengt. Mehrbelastungen der Gemeinden könnten nur durch eine unverhältnismäßig starke Heraufsetzung der Hebesätze finanziert werden, wobei Bund und Länder an diesen örtlich benötigten Mehreinnahmen sogar noch mit 40 v. H. teilhätten.
Die Regelung führt dazu, daß den Gemeinden mit hohen Hebesätzen Mehreinnahmen entzogen werden, während die Gemeinden mit niedrigen Hebesätzen begünstigt würden, genau das, was Herr Kollege Erhard eigentlich will und was sicher nicht im Sinne der Sache liegt. In der großen Masse der Fälle entspricht die Höhe der Hebesätze dem Ausmaß der finanziellen Belastung der Gemeinden. Die Auswirkungen der Reform würden daher in allen Fällen, in denen die Hebesätze entsprechend der Belastung festgesetzt sind, sachlich ungerechtfertigt.
Die Regelung soll den wenigen Gemeinden zugute kommen, die wegen ihrer Gewerbesteuerschwäche im Interesse der Wirtschaftsförderung die Hebesätze ermäßigt haben. Hier ist zu bemerken, daß die Benachteiligung dieser Gemeinden auf dem Beschluß der jeweiligen Gemeinde über die Festsetzung der Hebesätze beruht und nicht durch die Umlageregelung entsteht. Es kann nicht Aufgabe der Umlage sein, diese Folgen für die Finanzwirtschaft der Gemeinden nunmehr auszugleichen, zumal die Mehreinnahmen aus dem Gemeindeanteil der Einkommensteuer so bemessen sind, daß sie bereits bei durchschnittlicher Steuerkraft und durchschnittlichen Hebesätzen zu erheblichen Mehreinnahmen führen.
Völlig unhaltbar wäre es, nur das Ist-Aufkommen aus der Gewerbesteuer vom Ertrag und Kapital zugrunde zu legen. Hier würde geradezu ein Anreiz zur allgemeinen Einführung der Lohnsummensteuer geschaffen, der steuerpolitisch nicht vertretbar ist.
Die Regelung, die Ihnen der Finanzausschuß zur Annahme vorschlägt, stellt einen Mittelweg dar; sie begünstigt weder die Gemeinden mit den hohen, noch benachteiligt sie die mit den niedrigen Hebesätzen. Jede andere Regelung würde zu einer einseitigen Begünstigung führen. Das kann aber nicht Aufgabe dieses Gesetzes sein. Daher empfehle ich Ihnen die Ablehnung des Antrages des Kollegen Erhard.
({1})
Präsident von Hassel: Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Ich schlage vor, daß wir zunächst über den Umdruck 709, den Antrag des Abgeordneten Erhard aus Schwalbach, abstimmen. Wer dem Umdruck 709, Antrag des Abgeordneten Erhard, zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Bei wenigen Ja-Stimmen und einer Enthaltung ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über die Ausschußvorlage. Ich rufe in zweiter Lesung die §§ 1 bis 12 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zu- stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? -Einstimmig angenommen.
1 Ich komme zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die dritte Beratung. Das Wort hat Herr Dr. Bayerl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Gemeindefinanzreformgesetzes beschließen wir heute eines der wichtigsten Ausführungsgesetze zur Finanzverfassungsreform. Mit diesem Gesetz geben wir der Gemeindefinanzreform erst einmal den konkreten und, ich möchte sagen, einen sehr guten Inhalt.
Gestatten Sie mir, daß ich in dieser Stunde darauf hinweise, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion seit vielen Jahren die Regelung der Gemeindefinanzen gefordert und daß die Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei diese Gemeindefinanzreform als ein Herzstück der Finanzverfassungsreform überhaupt betrachtet hat. Wir sind bei den Beratungen immer von diesem Grundsatz ausgegangen. Meine Fraktion gibt demzufolge dieser Vorlage sehr gerne ihre Zustimmung. Dabei wissen wir natürlich, daß diese Vorlage und dieser Gesetzentwurf noch keineswegs die beste aller nur denkbaren Lösungen darstellt. Lassen Sie mich ganz kurz und zusammengefaßt auf die Zielvorstellungen der Gemeindefinanzreform in einigen wenigen Sätzen eingehen.
Wir wollen erstens eine strukturelle Reform und Verbesserung des Gemeindefinanzsystems herbeiführen und wir wollten zweitens sehr nachdrücklich die Gemeindefinanzmasse erhöhen.
Unserer ersten Zielvorstellung entspricht die Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer. Mit dieser Maßnahme haben wir wieder eine historische Entwicklung aufgenommen, die vor 30 Jahren zum Nachteil der Gemeinden beendet wurde. Und mit dieser Maßnahme haben wir die Gemeinden an der modernsten und zukunftträchtigsten Steuer, die wir in unserem Steuersystem haben, nämlich der Einkommensteuer, beteiligt.
Zu unserem Leidwesen und Bedauern müssen wir feststellen, daß wir mit diesem Gemeindereformgesetz auf dem Wege zu einer eigenständigen kommunalen Personalsteuer auf halber Strecke stehenbleiben mußten. Es war ein Sachzwang, daß wir das tun mußten, weil administrative Schwierigkeiten zu
überwinden und weil noch einige offene Fragen in den nächsten beiden Jahren zu klären sind. Wir hoffen allerdings, daß der nächste Bundestag mit einer reformfreudigen Mehrheit auf diesem von uns eingeschlagenen Wege weitergehen wird.
Den Preis, den die Gemeinden für diese Beteiligung an der Einkommensteuer zahlen müssen, ist die Gewerbesteuerumlage. Ich darf in diesem Zusammenhang in Erinnerung rufen, daß wir in den parlamentarischen Beratungen davon abgekommen sind, schon in diesem Gesetz ab dem Jahre 1972 eine Gewerbesteuersenkung festzusetzen. Meine Fraktion konnte sich dafür nicht entscheiden. Sie konnte sich dafür nicht entscheiden, solange nicht festgestellt ist, wie wir dann mit dem Einnahmeausfall in unserem Gesamthaushalt zurechtkommen und wie wir im Hinblick auf eine Steuerlastumverteilung einen Ausgleich schaffen können. Das alles muß im nächsten Bundestag geklärt werden; und wir glauben, daß hierfür der richtige und geeignete Ort die notwendige und umfassende Steuerrechtsreform sein wird, die wir im nächsten Bundestag durchführen müssen.
Wir sind aber keineswegs der Meinung, daß man über die Berechtigung der Gewerbesteuer überhaupt nicht reden kann. Wir sind auch nicht der Meinung, daß man sie nicht zur Disposition stellen kann. Wir meinen nur, daß der richtige Ort dafür nicht die Gemeindefinanzreform, sondern die Steuerrechtsreform im nächsten Bundestag sein muß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
zweite Zielvorstellung war, daß wir erreichen müssen, daß die kommunale .Finanzmasse der Gemeinden wesentlich verstärkt wird. Ich glaube, dieser Bundestag kann auch in der zweiten Zielvorstellung mit dem Erfolg im Gesetz sehr zufrieden sein. Wenn wir uns in Erinnerung rufen, in welchem Ausmaß wir die finanzielle Gemeindefinanzmasse mit der Beteiligung an der Mineralölsteuer erhöht haben und in welchem Ausmaß wir durch dieses Gesetz die kommunale Finanzmasse erhöht haben, dann, möchte ich meinen, muß dieses Hohe Haus mit dem Erreichten zufrieden sein, insbesondere wenn wir den Vergleich mit den Verhältnissen der vorhergehenden Legislaturperioden anstellen. Wenn wir auch glauben, daß unseren Reformvorstellungen eine gerechte Würdigung entgegengebracht werden muß, soll das keineswegs heißen, daß wir mit dem Erreichten schon zufrieden sind. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß wir zu noch besseren Leistungen gekommen wären, hätten wir nicht die Schwierigkeit gehabt, die Rezession der Jahre 1966 und 1967, die uns ein unerhört großes Ausmaß von Steuereinbußen gebracht hat, überwinden zu müssen. Aber wir hoffen, daß der neue Bundestag auch hier die Finanzreform, die wir jetzt für die Gemeinden beschließen, nicht als einen Schlußstrich behandelt, sondern als einen Anfang, um hier noch mehr für die finanzielle Ausstattung unserer Gemeinden zu tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf abschließend sagen, daß wir Sozialdemokraten dieser Vorlage sehr gern unsere Zustimmung geben
in der Hoffnung, daß eine reformfreudige Mehrheit im nächsten Bundestag die von uns eingeleitete Reform zum Wohl der Gemeinden weiter fortführen wird.
({0})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion habe ich die Ehre, folgende Erklärung abzugeben. Ich hoffe, mit der Straffung einen Beitrag zur Parlamentsreform zu leisten,
({0})
und möchte mich befleißigen, nichts von dem zu wiederholen, was der Herr Kollege Bayerl schon gesagt hat.
Ziel des Gesetzentwurfes ist es das Gemeindefinanzsystem zu verbessern, die Gemeindefinanzmasse zu verstärken. Das jetzige Finanzsystem leidet am Übergewicht der Gewerbesteuer, hat eine Einseitigkeit des Gemeindesteuersystems zur Folge, ist außerdem raumordnungsfeindlich und mußte daher auf eine neue Grundlage gestellt werden. Das Gemeindesteuersystem wird durch die Ihnen vorliegenden Vorschläge ausgeglichener. Es stellt nunmehr wieder ab auf den Einwohner, auf den Gewerbebetrieb, auf den Grundbesitz, also auf drei Faktoren, die im Grunde genommen diejenigen sind, die den Gemeinden die Lasten verursachen. Nach dem Lastengrundsatz müssen diese drei Faktoren zur Finanzierung der Gemeinden beitragen.
Das eigene Steueraufkommen der Gemeinden wird vermutlich nach dem 1. Januar 1970 etwa folgende Zusammensetzung haben: 45 % Gewerbesteuer, 35% Einkommensteuer, 15 % Grundsteuer und 5 % sonstige Gemeindesteuern. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Dynamik im Einkommensteueranteil liegt. Dieser wird in Zukunft eine bedeutendere Rolle spielen, als er anfänglich hat. Die Steuerkraftunterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden gleicher Größenordnung werden abgebaut, die Konjunkturabhängigkeit des Steueraufkommens aus der Gewerbesteuer herrührend wird eingeschränkt, und für die Raumordnung besteht kein einseitiges Interesse mehr an der Ansiedlung von Gewerbebetrieben.
Die Gemeinden sollen 14 vom Hundert aus der Einkommensteuer erhalten. Das sind ab 1. Januar 1970 nach den jetzt vorliegenden Schätzungen 6,8 Milliarden DM. Da die 40%ige Umlage ihnen wieder 5,4 Milliarden DM nimmt, bleibt ihnen ein Mehr von 1,4 Milliarden DM. Von den 3 Pf Erhöhung der Mineralölsteuer, die ihre verfassungsrechtliche Grundlage nunmehr in Artikel 104 des Grundgesetzes gefunden hat, werden den Gemeinden im Jahre 1970 etwa 900 Millionen DM zufließen, so daß die Finanzmasse sich allein von daher - ohne das normale Steuerwachstum zu berücksichtigen - um 2,3 Milliarden DM verbessern wird.
Lassen Sie mich nun noch auf zwei Dinge hinweisen. Es scheint mir wichtig zu sein, hier festzu13350
halten, daß deshalb weil der Finanzausschuß und damit das Haus in zweiter Lesung dem Vorschlag des Bundesrates gefolgt ist, aus der Bemessungsgrundlage für die Umlage die Lohnsummensteuer herauszunehmen, niemand auf den Gedanken kommen möchte, sich nun über die Lohnsummensteuer hinsichtlich der Abführung der Umlage schadlos zu halten. Sollten wir das feststellen müssen, dann wird der Gesetzgeber zu handeln haben. Ich möchte dies hier als eine freundliche Empfehlung an die Vertretungskörperschaften weitergeben.
Eine weitere Bitte ist diese. Art. 106 Abs. 7 des Grundgesetzes bestimmt, daß vom Länderanteil am Gesamtaufkommen der Gemeinschaftssteuern den Gemeinden und Gemeindeverbänden insgesamt ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Hundertsatz verfassungskräftig zusteht. Diese Bestimmung stellt nichts Neues dar. Mit Hilfe dieser Mittel führen die Länder den kommunalen Finanzausgleich durch. Nachdem nunmehr das Gemeindefinanzreformgesetz sozusagen für die Grundausstattung der Gemeinden durch qualitative und quantitative Verbesserung der Gemeindefinanzen sorgt, wird es zukünftig in zunehmendem Maße die wesentliche Aufgabe des Finanzausgleichs sein, die Gemeinden, die für das Umland die zentralen kommunalen Einrichtungen bereitstellen, über den Finanzausgleich finanziell dazu in ,den Stand zu setzen.
Schließlich darf ich noch folgende Bemerkung anschließen. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß für ein weiteres Experimentieren auf dem Gebiet des Gemeindesteuersystems jetzt kein Raum mehr sein kann. Dazu gehören auch etwaige Pläne einer Ergänzung und Komplizierung des Systems durch irgendeine Form der Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer mit oder ohne Hebesätze. Die Gemeinden brauchen nach der Reform die Gewähr für eine kontinuierliche und damit voraussehbare Entwicklung ihrer Finanzgrundlagen, die allein eine vorausschauende Erfüllung ihrer für die Zukunft des deutschen Volkes mitentscheidenden Aufgaben ermöglicht.
Ich bitte Sie im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dem Gesetz die Zustimmung zu geben.
({1})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haas.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Selbstzufriedenheit und Selbstgenügsamkeit, die uns eben aus den Worten der Koalitionssprecher entgegengeklungen ist, kann man sich nur wundern. Hier wird doch nun weiß Gott ein Gesetz verabschiedet, das einen Torso der Gemeindefinanzreform darstellt. Es werden mit Mühe und Not die Probleme der Jahre 1970 und 1971 geregelt; die hat man ja nun wohl auch regeln müssen, den sonst wäre das, was wir bei der Finanzverfassung grundgesetzlich geändert haben, eine reine Deklamation geblieben. Man hat also wenigstens für zwei Jahre etwas geändert, aber doch nicht
für mehr. Wie der Marsch in die Zukunft geht, das kann doch hier nicht entfernt vorausgesagt werden. Es wird ja ein ganz neuer Bundestag, der zu einem erheblichen Teil aus ganz anderen Menschen zusammengesetzt sein wird als aus denjenigen, die heute hier sitzen, darüber entscheiden müssen.
({0})
- Ja, man sollte aber eine Gesetzgebung von dieser Bedeutung in einem Guß machen. Auch soweit sie das Jahr 1972 und die folgenden Jahre betrifft, hätte die Gemeindefinanzreform noch in diesem Bundestag mit geregelt werden müssen und geregelt werden können, Herr Kollege.
({1})
Das ist eben nicht gemacht worden, und dann sagt man, dies sei eine hinreichende Verbesserung - .so klingt es mindestens aus Ihren Worten hervor - der jetzigen Gemeindefinanzverhältnisse. Aber genau das ist es für den, der diese Verhältnisse kennt, natürlich nicht.
Die Gemeindefinanzen werden, was ja exakt ausgerechnet wurde, um eine Milliarde besser gestellt, aber diese eine Milliarde stellt einen Tropfen auf den heißen Stein dar. Das wissen wir doch alle!
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bayerl?
Herr Kollege Haas, ist Ihnen tatsächlich beim Lesen der Vorlage entgangen, daß wir auch eine Regelung für die Zeit nach dem 1. Januar 1972 getroffen haben?
Ja, aber diese Regelung ist doch nicht konkret. Es steht Inkonkretes darin, z. B. daß wir uns bezüglich der Grundsteuer das und das vorstellen, wobei niemals genaue Prozentsätze genannt werden. Wenn Prozentsätze genannt worden sind - z. B. auch in der Vergangenheit, z. B. auch vom Herrn Bundesfinanzminister -, dann wurde mal von einer bescheidenen Erhöhung, mal von einer 50%igen Erhöhung gesprochen. Dazwischen klang es auch so an, als ob dieses Aufkommen - darauf deutet auch Verschiedenes hin - sich verdoppeln würde.
Aber bitte, Sie haben noch eine Frage.
Eine Zusatzfrage. Herr Kollege, ich weiß nicht, wovon Sie reden. Wir beraten hier diese Vorlage, in der eindeutig steht, daß wir die Gemeinden an der Einkommensteuer bis in die Progression hinein - 80 000 bzw. 160 000 DM - beteiligen wollen. Das ist eine sehr konkrete Aussage. Ich weiß nicht, wovon Sie jetzt reden. '
Ja, selbstverständlich, das habe ich genauso gelesen wie Sie. Aber ich sage doch: In der Abgleichung ist die Verbesserung für die Gemeinden jetzt nur eine Milliarde - das steht nämlich auch in der Vorlage drin -, und das ist
nicht ausreichend. Hier verstehe ich die Größe Ihrer Laudatio nicht, die Sie vorgenommen haben, Herr Kollege. Es tut mir herzlich leid. Unsere Fraktion kann sich hier nur der Stimme enthalten.
({0})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Haas, die FDP-Fraktion ist der ungeeignetste Kläger gegen die Koalition in Sachen Gemeindefinanzen. Denn ihr Beitrag hat in früheren Legislaturperioden immer nur darin bestanden, die CDU/CSU zu drängen, die gemeindliche Finanzmasse bei der Gewerbesteuer kurz vor Wahlen zu verringern. Das haben Sie wohl ganz vergessen. Ich könnte Ihnen das auf Heller und Pfennig nachweisen. Sie haben sich auch nie sehr um die Gemeindefinanzreform bemüht.
Heute können wir sagen: Zum erstenmal ist für die Gemeinden nach fast 20 Jahren in dieser Legislaturperiode nicht nur ein Fortschritt erzielt worden, sondern die Gemeinden haben die Hoffnung, daß sich der Bundesgesetzgeber auch in Zukunft um die Verbesserung der Gemeindefinanzen bemühen wird.
Nach einer Rezession und in einer Lage, in der die öffentlichen Haushalte, auch der des Bundes, ohnehin sehr angespannt sind, war die Gemeindefinanzreform zu lösen, ohne gleichzeitig die Steuern zu erhöhen. Natürlich sind nicht alle begründeten Wünsche, die die Städte und die Gemeinden haben, erfüllt worden. Aber wir müssen anerkennen, daß nach der Finanzreform nunmehr der zweite Schritt durch die Gemeindefinanzreform erfolgt.
Bei der kurzen Zeit, die bedauerlicherweise, Herr Kollege Krammig, für die Beratung dieses Gesetzes zur Verfügung stand, hat das Gesetz leider nicht jene Reife und jene Aussagen, die eigentlich für ein solches Gesetz notwendig wären. Vor allem fehlt das Zahlenmaterial, das den letzten Stand der Entwicklung insbesondere auf dem Gebiet der Einkommensteuer wiedergibt. Es ist schmerzlich, daß bei einer Heranziehung der Einkommen bis 80 000 bzw. 160 000 DM für die Gemeinden unter 3000 bzw. bis zu 5000 Einwohnern die Verbesserung der Gemeindefinanzmasse nicht erreicht wird, die die Gemeinden mit Recht erhofft und erwartet hatten. Die dagegen vorgetragene Begründung, daß den Gemeinden eine möglichst vollständige Heranziehung auch der hohen Einkommen zugestanden werden könne, ist zumindest so lange nicht aktuell, wie die Ermächtigung für die Hebesätze noch nicht beschlossen ist.
Es wäre die Frage: Wie hätte man es besser regeln können? Man hätte den Termin hinausschieben können; das wäre eine Möglichkeit gewesen. Der Finanzausschuß wollte aber eine Entscheidung treffen. Die zweite Möglichkeit hätte darin bestanden, eine andere Zone zu wählen, so den Regierungsvorschlag. Nun, wir werden im nächsten Bundestag - und ich begrüße deshalb den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen - diese Frage noch einmal genau prüfen können. Die Frage wird dann lauten: Ist für ein gutes System der Gemeindefinanzen eine gleichmäßige Grundausstattung, die nur bei einem Heranziehen niedrig begrenzter Einkommen möglich ist, oder sind Hebesätze, die ohnehin in engem Rahmen bleiben, wichtiger? Im Augenblick ist die Lage die, daß nach der Einigung über die Progressionszone Änderungsanträge in diesem Hause keine Aussicht auf Erfolg haben. Nach dem Entschließungsantrag des Finanzausschusses bzw. der Koalitionsparteien haben wir berechtigte Hoffnung, daß sich der nächste Bundestag erneut mit diesen Fragen beschäftigen wird. Es kommt hinzu, daß dann die entsprechenden Materialien vorliegen.
Meine Damen und Herren, ich habe noch über die Ungleichheit, insbesondere im Hinblick auf zahlreiche Arbeitnehmerwohnsitzgemeinden, wo bezüglich der Einkommensteuerpflichtigen günstige Verhältnisse vorliegen, zu sprechen. Ich halte meine Kritik aufrecht, die ich damals bei der Verabschiedung der Finanzreform vorgetragen habe. Schließlich darf die Verbesserung doch nicht an den zahlreichen Arbeiterwohnsitzgemeinden vorbeigehen. Ich möchte nur betonen, die Gemeindefinanzreform - und das, was in dieser Legislaturperiode geschehen ist, insbesondere auf dem Gebiet der Mineralölsteuer, wo ja auch noch die Verteilung zugunsten der kleinen Gemeinden verbessert werden muß - ist ein Fortschritt, und wir werden alles daran setzen, daß wir auf diesem Weg in der nächsten Legislaturperiode weitergehen.
({0})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur wenige Worte zu der jetzt zu treffenden Entscheidung. Ich möchte mit dem Kollegen Dr. Bayerl dem vorliegenden Gesetz das Prädikat „sehr bedeutend" einräumen. Ich bitte um Verständnis, wenn ich es etwa in ein Dreier-Paket einreihe: Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern als ein vorrangiges Problem unserer Staatsform; die Gesetze über die Gemeinschaftsaufgaben, zum erstenmal die Institutionalisierung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und damit, hoffentlich, die Überwindung des zwar verständlichen, aber trotzdem nicht hilfreichen Mißtrauens, und drittens - ohne daß mit dem „drittens" eine Wertung verbunden ist - das Gesetz über die Gemeindefinanzreform.
Die Bundesrepublik ist seit ihrem Entstehen auf dem Gebiet des Gemeindefinanzrechtes noch nicht als Reformerin hervorgetreten.
({0})
Die Frage, ob sich Gelegenheiten dazu geboten hätten, möchte ich jetzt, da es sich um finanzpolitische
Archäologie handelt, nicht mehr weiter behandeln.
({1})
Dabei haben sich die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der gemeindlichen Selbstverwaltung in den letzten Jahrzehnten radikal verändert, vielleicht mehr als jeweils in einem gleichen Zeitraum in früheren Generationen. Aber wir standen vor einer bedrängenden Fülle aktueller Probleme, und sie haben uns von den langfristigen Aufgaben einer zeitgemäßen Entwicklung der finanziellen Grundlagen der gemeindlichen Selbstverwaltung abgehalten.
Das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Art. 106 des Grundgesetzes vom 24. Dezember 1956, das seinerzeit auf Grund einer Initiative aller Parteien dieses Hohen Hauses, in einer Sternstunde der Gemeindeselbstverwaltung - wie es hieß -, zustande kam, ist allerdings der einzig bedeutsame Fall einer Gesetzgebung des Bundes für die Gemeinden geblieben. Er beschränkte sich aber auf die Wahrung und Sicherung des vorhandenen: Realsteuergarantie, Sicherung eines ausreichenden gemeindlichen Finanzausgleichs durch die Verknüpfung der Finanzausgleichsmasse mit der Entwicklung des Aufkommens aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie verfassungsrechtliche Verankerung der Ausgleichsansprüche der Gemeinden gegen den Bund, wenn er als Veranlasser besonderer Einrichtungen in einzelnen Gemeinden hervorgetreten ist. Das war der Inhalt des damaligen Gesetzes.
Jetzt wird ein neuer Weg eingeschlagen. In wenigen Paragraphen werden die finanzwirtschaftlichen Grundlagen jeder einzelnen Gemeinde in der Bundesrepublik nachhaltig verändert. Die Reform hat entscheidende Bedeutung für eine wirksame und vorausschauende öffentliche Daseinsvorsorge im örtlichen Bereich, in Stadt und Land und in allen Gebieten der Bundesrepublik. Durch eine bessere Ausnutzung der vorhandenen örtlichen Steuerkraft für die Finanzierung der öffentlichen Aufgaben in der Ortsinstanz werden auch in den zahlreichen Gemeinden ohne ertragstarke Industrien die Voraussetzungen für eine wesentlich aus eigenen örtlichen Steuereinnahmen mitfinanzierte gemeindliche Selbstverwaltung wieder geschaffen. Das kommt vor allem den zahlreichen Gemeinden mit zentralörtlichen Funktionen zugute, denen in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft die häufig undankbare, jedenfalls aber weniger ertragreiche Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge, der öffentlichen Dienstleistungen für einen mehr oder weniger weit gezogenen Kreis der Bevölkerung zufällt. Das Ziel wird durch eine ins Gewicht fallende Beteiligung der Gemeinden an den Einkommensteuerleistungen ihrer Bürger erreicht, die als eine ergiebige Steuerquelle in nahezu allen Gemeinden sprudeln und deren Ertrag bisher an den Gemeinden vorbei, jedenfalls was die unmittelbare Zuweisung betrifft, ganz auf die Mühlen des Staates geleitet worden ist.
Die Bedeutung des Gemeindefinanzreformgesetzes liegt darin, daß es durch die Verbindung mit einer
Verstärkung der Gemeindefinanzmasse um 1,4 Milliarden DM und einer Verminderung des Übergewichts der Gewerbesteuer unter den Steuereinnahmen der Gemeinden um 40 % ermöglicht, den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer auf 14% zu bemessen. Das sind nach den letzten Steuerschätzungen für 1970 rund 6,8 Milliarden DM. Damit tritt zum ersten Male die Einkommensteuer als gleichgewichtige Einnahmequelle neben die Gewerbesteuer. Sie wird dank ihrer höheren Zuwachsrate in den kommenden Jahren im Gemeindesteuersystem noch an Gewicht gewinnen.
Ich darf auf zwei wesentliche Verbesserungen hinweisen, die damit verbunden sind. Die eine ist eine qualitative Verbesserung der Zusammensetzung der Einnahmen der Gemeinden. Meistens sieht man nur auf das Quantitative. Auch die qualitative Verbesserung ist hier besonders zu vermerken. Das andere ist in Zukunft eine erheblich zuverlässigere Stabilität der Gemeindeeinnahmen. Wir haben gerade bei dem wirtschaftlichen Rückschlag der Jahre 1966/67 erlebt, daß die ertragsabhängigen Gemeindesteuern in den Steuerschätzungen weit überschätzt worden waren, daß die Steuerschätzungen laufend zurückgenommen worden sind und daß der Bund vielfach gerade mit Investitionshilfen einspringen mußte, um die Investitionsleistungen der Gemeinden noch aufrechterhalten zu können. Durch die Zuweisung an der Einkommensteuer wird auch hier genauso wie im Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern ein gleichgewichtigeres Wachstum und eine zuverlässigere Schätzungsmöglichkeit geschaffen.
Die vorhergehenden Redner haben die anderen Verbesserungen der Gemeindefinanzmasse erwähnt. Ich kann mich hier darauf beschränken, auf diese Bemerkungen über den Anteil an der Mineralölsteuer usw. hinzuweisen.
Ich weiß, daß der vorliegende Gesetzentwurf nicht alle Erwartungen erfüllt, die ursprünglich an die Gemeindefinanzreform geknüpft waren. Aber ich möchte doch auf folgendes hinweisen. Gegen die vom Finanzausschuß empfohlene Heraufsetzung des Höchstbetrages für die Aufteilung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer auf Einkommensbeträge von 80 000 DM bzw. 160 000 DM in den Fällen der Zusammenveranlagung ab 1. Januar 1972 wird eingewandt, daß sie den Anteil der gewerbesteuerschwachen Gemeinden bis zu 10 000 Einwohnern an der Verbesserung der Gemeindefinanzen zu sehr beschneidet. Dazu darf ich sagen, daß jede Einkommensteuergrenze ihre Problematik aufweist. Wir hatten ja ursprünglich andere Vorstellungen. Man kann für jede Vorstellung mit guten Argumenten antreten. Man kann auch gute Argumente gegen sie anführen.
Ich begrüße deshalb sehr den gemeinsamen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, in dem darauf hingewiesen wird, daß für die Entscheidung über die Anhebung der Sockelbeträge zum 1. Januar 1972 dem Bundestag nur die steuerstatistischen Unterlagen des Jahres 1965 zur Verfügung gestanden haben, und in dem die Bundesregierung ersucht wird, dem Bundestag bis zum 1. Oktober 1971 über
das Ergebnis der Einkommensteuerstatistik 1968 und deren Auswirkungen über die Anhebung der Sockelbeträge zu berichten. Wenn das Ergebnis der Steuerstatistik vorliegt, dann wird der nächste Bundestag auf einem zuverlässigeren Boden stehen, als es die nicht mehr ganz stichhaltigen Unterlagen waren, die jetzt beinahe vier Jahre zurückliegen.
Ich darf dem Herrn Kollegen Haas, dem Sprecher der Opposition, vermerken, daß die Stimmenthaltung der FDP nach ihrer bisherigen Praxis mir doch schon eine weitgehende Zustimmung einzuschließen scheint. Ich begrüße es also, wenn sie sich nur der Stimme enthält. Das ist schon ein erfreulicher Fortschritt. Ich werte das schon als Anerkennung nicht so sehr der Arbeit des Ministeriums als der Arbeit des Finanzausschusses. Wenn Sie außerdem der Koalition im Zusammenhang mit diesem Gesetz vorwerfen, daß sie Selbstgenügsamkeit und Selbstzufriedenheit zeige, so differenzieren Sie hier, glaube ich, nicht ganz richtig. Wir sind selbstgenügsam, aber nicht selbstzufrieden. Für die FDP trifft zu, daß sie weder selbstgenügsam noch selbstzufrieden ist oder vielleicht zu selbstzufrieden ist. Ich hätte jedenfalls erwartet, daß Sie uns hier den kühnen Entwurf einer richtigen Gemeindefinanzreform wenigstens in kurzen Strichen an die Wand gemalt hätten. Aber ultra posse nemo tenetur.
Schließlich sprechen Sie noch davon, Herr Kollege Haas, daß hier nur eine provisorische Regelung vorliege und daß ein neuer Bundestag darüber zu befinden habe. Darauf kann man doch nur antworten, daß kein Gesetzgeber heute den kommenden Gesetzgeber binden kann. Der kommende Gesetzgeber ist sowohl hinsichtlich einer Änderung der verfassungsrechtlichen Grundlagen wie auch hinlichtlich der Ausführungsgesetzgebung natürlich theoretisch frei. Er ist auch rechtlich grundsätzlich frei. Trotzdem ist hier die Richtung aufgezeigt, es sind die Weichen gestellt, es sind die Grenzen gezeigt, innerhalb deren eine Gemeindefinanzreform sich bewegen kann.
Im übrigen ist das Vorhaben 40% Gewerbesteuer umzuleiten in der Absicht, sie unter Umständen eines Tages zu beseitigen - aber ich sage: eventuell -, mit 4,5 Milliarden DM und steigender Tendenz angesichts der Kompliziertheit der gesamten Materie ein so schwerwiegendes Unternehmen, daß man hier nicht sozusagen mit einer feschen Entscheidung, mit der man ein für allemal den gordischen Knoten durchhaut, die einzig richtige Lösung findet. Hier ist es richtiger, sich an die Problematik in Kenntns ihrer Schwierigkeiten heranzutasten, den richtigen Weg aufzuzeigen, ohne heute schon zu versuchen, alle Einzelheiten endgültig festzulegen. Das hieße nämlich unsere Urteilskraft und unsere Entscheidungsfähigkeit - jedenfalls, was die Koalitionsfraktionen betrifft - erheblich überschätzen. Ich habe das Urteil nicht über die Opposition gefällt, sondern nur über uns.
Was die Grundsteuer betrifft, Herr Kollege Haas, so habe ich selbstverständlich einmal erwähnt, daß im Zusammenhang mit der Verbesserung der Gemeindefinanzen als Folge der Neufestsetzung der Einheitswerte die Frage, ob das Volumen der Grundsteuer um einen maßvollen Betrag - 10 bis 20% angehoben werden soll, zu prüfen sein wird. Ich benutze aber die Gelegenheit gern, um die Absichten der heutigen Finanzpolitik noch einmal zu unterstreichen. Wir begrüßen die damalige Entschließung des Gesetzgebers und nehmen sie ernst, nach der die Neufestsetzung der Einheitswerte nicht den Zweck verfolgt, Haushaltslücken zur decken, sondern daß die Neufestsetzung der Einheitswerte, die aus verfassungsrechtlich zwingenden Gründen der steuerlichen Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz geboten war, steuerlich neutral sein soll.
({2})
Wenn der Gesetzgeber des nächsten Bundestages der Meinung ist, daß eine weitere Verbesserung der Gemeindefinanzen notwendig ist, dann habe ich nur auf diese Möglichkeit hingewiesen, wollte aber damit den heute in der Öffentlichkeit umlaufenden, zum Teil durch radikale Parteien für polemische Zwecke gebrauchten Parolen widersprechen, daß die Neufestsetzung der Einheitswerte proportionale Anhebungen der bisherig mit den Einheitswerten zusammenhängenden Steuern zur Folge hätten. Davon kann keine Rede sein. Es bleibt grundsätzlich bei der Steuerneutralität, und wenn der Gesetzgeber anders beschließt, dann innerhalb gebotener Grenzen.
Aus meinem Munde, Herr Kollege Haas, ist niemals das Wort von einer 50prozentigen Erhöhung der Grundsteuer gekommen. Aber Sie wissen, daß der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen in einem Gutachten, das ich veröffentlicht, aber mit einem Vorwort versehen habe, von einer zweimaligen Anhebung der Grundsteuer jeweils in Höhe von 50% gesprochen hat. Das ist aber ein Wunsch oder eine Anregung, die aus dem wissenschaftlichen Beirat kam, der in seiner Urteilsbildung unabhängig ist. Ich habe ausdrücklich vermerkt, daß diese Anregung nicht den Intentionen der Finanzpolitik von heute entspricht.
({3})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung. Wer dem Gesetz mit den §§ 1 bis 12, Einleitung und Überschrift, zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen der Fraktion der FDP ist das Gesetz angenommen.
Wir kommen nunmehr zum Antrag des Finanzausschusses. Wir stimmen über die Ziffern 2 und 3 dieses Antrags ab. Wer ihnen zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Dann kommen wir zum Entschließungsantrag auf Umdruck 705 *). Dazu hat der Abgeordnete Schlee das Wort.
*) Siehe Anlage 5
1 Schlee ({4}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister der Finanzen und der Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen haben diesen Entschließungsantrag auf Umdruck 705 bereits so entschieden befürwortet, daß eine weitere Begründung eigentlich nicht mehr als eine Formsache sein kann.
Ich darf daran erinnern, daß die Troeger-Kommission seinerzeit für die Verteilung des Anteils der Gemeinden an der Einkommensteuer nur auf die Besteuerung der Proportionalzone abstellen wollte, um eine neue Verzerrung der Einkommensunterschiede unter den Gemeinden zu vermeiden. Der Ausschuß hat unter dem 2. Dezember 1968 Unterlagen vom Bundesministerium der Finanzen erhalten, die an Hand von Nachprüfungen in den drei Ländern Hessen, Baden-Württemberg und Bayern sehr eindeutig zeigen, daß der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer für die kleinen Gemeinden immer geringer wird, je höher die bei dem Verteilungsschlüssel berücksichtigten Einkommensbeträge werden. In Hessen sinkt z. B. der Gemeindeanteil bei kleinen Gemeinden von 39 DM auf 28 DM je Einwohner, wenn die Einkommensbeträge unbeschränkt berücksichtigt würden. In Baden-Württemberg würde bei den Gemeinden bis 10 000 Einwohnern der Anteil von 83 DM auf 76 DM sinken, und in Bayern würde er bei einer Gemeinde unter 1000 Einwohnern von 32 DM je Einwohner auf 23 DM je Einwohner sinken, wenn die Einkommensbeträge unbegrenzt berücksichtigt würden.
Hier ist also Vorsicht geboten, um nicht dahin zu kommen, daß die kleinen Gemeinden bei der Finanzreform schließlich weniger erhalten als bisher. Allerdings sind in letzter Zeit auch Stimmen laut geworden, die befürchten, daß vielleicht auch Städte mit einer großen, aber nicht allzu reichen Bevölkerung ihre Enttäuschung erleben könnten. Daher halte ich eine Nachprüfung, wie sie der Entschließungsantrag verlangt, für dringend notwendig.
Es wäre allerdings zum Schluß der Wunsch auszusprechen, daß die Bundesregierung das Ergebnis der Einkommensteuerstatistik 1968 und die Untersuchung über deren Auswirkungen auf die Anhebung der Sockelbeträge möglichst vor dem 1. Oktober 1971 vorlegt, damit der Bundestag Gelegenheit hat, rechtzeitig und mit Rücksicht auf die Gemeinden, die ihre Haushaltspläne danach einrichten müssen, vor dem 1. Januar 1972 einen klaren Einblick zu bekommen, ob eine Änderung des Gesetzes, wie es jetzt lautet, notwendig und angebracht ist.
Präsident von Hassel: Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen auf Umdruck 705. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, gebe das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so gebilligt.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes"
Drucksache V/4090 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache V/ 4391 -
Berichterstatter: Abgeordneter Brese
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6})
- Drucksache V/4374 Berichterstatter: Abgeordneter Krug ({7})
Ich darf den Herrn Berichterstattern danken und die Frage stellen, ob die Berichte mündlich ergänzt werden sollen.
({8})
- Sie verzichten. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache zur zweiten Lesung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. - Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich rufe § 1 auf. Zu ihm liegt der Änderungsantrag auf Umdruck 711 *) vor. Zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Schmidt ({9}) das Wort.
Meine Damen und Herren! Der Antrag bezweckt nur eine redaktionelle Änderung. Wir waren übereingekommen, die Eingangsformel in allen drei Gesetzen auf den gleichen Wortlaut zu bringen. Dem kommen wir hiermit nach. Im übrigen darf ich auch im Namen des Ernährungsausschusses um die Zustimmung zu diesem Antrag bitten.
Präsident von Hassel: Sie haben gehört, daß es sich um eine redaktionelle Änderung handelt. Wer diesem Antrag auf Umdruck 711 zustimmt, gebe das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Bei einigen Gegenstimmen ist der Antrag angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über § 1 in der geänderten Fassung sowie den §§ 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13 und 14 - es liegen keine weiteren Änderungsanträge vor -, einschließlich Einleitung und Überschrift. Wer den aufgerufenen Bestimmungen seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei wenigen Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Ertl das Wort. Ihm folgt der Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten erkläre ich, daß wir dieser Vorlage nicht zu-
*) Siehe Anlage 6
stimmen können. Damit wird der Weg in die „grauen Zonen" der Mischverwaltungen beschritten. Das geschieht entgegen den ursprünglichen Absichten einer echten Finanzreform. Im übrigen haben wir starke Bedenken bezüglich des Instruments der Planungsausschüsse und der damit verbundenen weitgehenden Beeinträchtigung der parlamentarischen Rechte von Landtagen und Bundestag. Diese grundsätzlichen Überlegungen machen es uns nicht möglich, der Vorlage unsere Zustimmung zu geben.
Wir bedauern das deshalb, weil wir die Förderung der Agrarstruktur im Sachlichen für eine sehr wesentliche Aufgabe halten, wobei wir jedoch feststellen möchten, daß diese Aufgabe von der Bundesregierung immer mehr vernachlässigt wird, weil offensichtlich immer weniger Mittel dafür zur Verfügung stehen. Unabhängig davon scheint uns die jetzige Lösung zu großen Schwierigkeiten bei der späteren Finanzierung im Verhältnis zwischen Bund und Ländern zu führen. Wir können, glaube ich, heute schon mit gutem Grund Vorhersagen, daß das zu einem ständigen Spiel mit dem Schwarzen Peter führen wird.
Deshalb glauben wir, gute Gründe für unsere Ablehnung zu haben.
({0})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes ist eine der drei Gemeinschaftsaufgaben nach dem neuen Art. 91 a des Grundgesetzes. Dieser Gesetzentwurf, der jetzt zur dritten Beratung ansteht, legalisiert weithin einen Zustand, der bis heute schon bestanden hat,
({0})
nämlich daß Bund und Länder gemeinsam in den Fragen der Agrarstruktur, sowohl von der Planung her als auch finanziell, eng zusammenarbeiten. Es ist jetzt gesetzlich ein festes Finanzierungsverhältnis von 60% Bundesanteil und 40% Länderanteil vorgeschrieben. Wir können nur hoffen - das sage ich auch ein wenig kritisch -, daß durch die bessere Finanzausstattung die finanzschwachen Länder nun in der Lage sind, diejenigen Mittel, die für die genannten Aufgaben notwendig sind, entsprechend diesem Auflageverhältnis zur Verfügung zu stellen.
Wir haben auch gerade über den Planungsausschuß sehr lange diskutiert und haben durchaus das Problem einer möglichen „grauen Zone" gesehen. Wir erwarten aber, daß unter der kontinuierlichen Führung durch den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Planungsausschuß den Anliegen der Agrarstruktur und des Küstenschutzes Rechnung getragen wird, Aufgaben, meine Damen und Herren, die nicht nur in der Vergangenheit einen wichtigen Schwerpunkt in der Agrarpolitik darstellten, sondern die auch in Zukunft diesen Schwerpunkt bilden müssen, wenn die Probleme des landwirtschaftlichen Strukturwandels sinnvoll gemeistert werden sollen. Uns scheint es notwendig
zu sein, daß die Landwirtschaft von Schleswig-Holstein bis Bayern
({1})
- einschließlich Bayerns, selbstverständlich; nicht nur bis Bayern, Herr Kollege Stücklen - die Gewißheit hat, daß im Planungsausschuß die Förderungsmaßnahmen einheitlich geplant und durchgeführt werden.
Wir sagen aber auch an dieser Stelle, daß wir erwarten, daß die Haushalte von Bund und Ländern die notwendigen Mittel bereitstellen und vor allem so aufeinander abgestimmt werden, daß diesen Aufgaben in allen Ländern einheitlich Rechnung getragen werden kann.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bitte ich Sie im Namen meiner Freunde, dem vorliegenden Gesetzentwurf - auch wir haben einige Vorbehalte, die erst durch die Praxis auszuräumen sind - Ihre Zustimmung zu geben.
({2})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt ({3}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für meine Freunde möchte ich erklären, daß die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes in den letzten Jahren schon immer ein entscheidender Akzent unserer Politik für die ländlichen Gebiete gewesen und von uns besonders anerkannt worden ist. Nur Böswillige subsumieren das unter dem Begriff der Subventionen für die Landwirtschaft. Ähnlich wie es bei der neueren oder - besser gesagt - später erkannten Aufgabe der regionalen Wirtschaftsstrukturpolitik gelungen war, gelang es deshalb, diese Bereiche gemeinsam in den Katalog der Gemeinschaftsaufgaben einzubeziehen. Ich meine, das ist ein großer Fortschritt.
Die gemeinsame Finanzierung der Maßnahmen ist der Kernpunkt des Gesetzes. Hier ist nicht der Raum, die Bereitstellung der Strukturmittel im Einzelplan 10 einer kritischen Untersuchung zu unterziehen. Es ist aber anzudeuten, daß durch die haushaltsmäßige Verquickung mit den EWG-bedingten Maßnahmen die Strukturmittel wie der gesamte nationale Aufgabenbereich mehr und mehr zu einem Restposten degradiert werden. Das kann so nicht weitergehen,
({0})
wenn wir die Aufgaben vor uns sehen und wenn zumindest eine mittelfristige und rationale Haushaltspolitik betrieben werden soll. Hier muß man zu einer Neuordnung kommen. Ich meine, das Gesetz erzwingt diese Neuordnung. Wir erwarten, daß der Bund die gesetzlichen Finanzierungsverpflichtungen jetzt mindestens ausschöpfen wird. Darüber hinaus muß es zu einer verstärkten Koordinierung kommen, die wir ja auch für die Agrarstrukturpolitik im EWG-Raum ins Auge fassen.
Dr. Schmidt ({1})
) Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern war zwar bisher schon gegeben, aber, Herr Kollege Ertl, sie wird durch dieses Gesetz noch vertieft und verbessert werden können.
Dieses Stück der Finanzreform ist nach unserer Ansicht ein hervorragender Teil der Arbeit der Großen Koalition. Wir werden der Vorlage mit Überzeugung und verbunden mit einigen Erwartungen zustimmen.
({2})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung. Wer dem Gesetz in dritter Lesung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Lesung gegen die Stimmen der FDP angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen" ({3}) - Drucksache V/4091 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache V/4392
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Althammer
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik ({5})
- Drucksachen V/4365, zu V/4365 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Rau
Abgeordnete Frau Dr. Wex
({6})
Zunächst danke ich den Berichterstattern. Ich frage, ob eine Ergänzung gewünscht wird. - Das ist der Fall. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rau zur Ergänzung des Berichtes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht primär meine Absicht, eine Erläuterung des Berichts oder in wesentlichen Punkten eine Ergänzung zu dem Bericht zu geben. Ich möchte vielmehr etwas wiedergeben, was im Ausschuß eine nicht unbedeutende Rolle spielte, insbesondere im Hinblick auf das künftige Schicksal dieses Teils der Finanzreformgesetzgebung.
Ich glaube, jeder, der die Verhältnisse und die verfassungsrechtliche Entwicklung in der Bundesrepublik kennt, wird zugeben, daß sich hier eine historische Wende vollzogen hat. Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 a - das ist die Frage der Grundsätze des Hochschulwesens -, Art. 91 a und das Gesetz, um das es hier geht, greifen ein in eine bisher für absolut gehaltene Domäne der Länder. Ich glaube, es ist notwendig zu sagen, daß wir mit dieser Gesetzgebung aber erst an einem Anfang stehen und
daß wir nicht etwa glauben dürfen, wir hätten schon große Erfolge errungen. Wir sollten den Ländern und sollten dem sie vertretenden Bundesrat dafür Dank sagen, daß hier die Vernunft gesiegt hat. Denn das war vor kurzer Zeit noch nicht vorauszusehen, und .es ist auch, was mich betrifft, das erste Mal, daß ich wirklich uneingeschränkt sagen möchte, daß hier die Länder etwas Großartiges getan haben, indem sie diesen notwendigen Schritt gegangen sind.
Wir sollten - und das war das Bemühen des Ausschusses für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik - dem, was die Länder an Überwindung auf sich nehmen mußten, auch dadurch Rechnung tragen, daß wir - und das ist in dieser Vorlage Drucksache V/4365 geschehen - den Ländern und dem Bundesrat helfen, indem wir nicht unnötige kleinliche Regelungen mit in das Gesetz aufnehmen. Insbesondere war in der ursprünglichen Regierungsvorlage in einigen Punkten ein falscher Zungenschlag, die mit der Drucksache V/4365 in wichtigen Teilen verändert worden ist. Das war von diesem Gesichtspunkt aus notwendig.
Es liegt uns daran, daß der Bundesrat bei der Beratung dieses Gesetzes nicht zu der Ansicht gelangt, er müsse noch versuchen, einzelne Bestimmungen aus dem Gesetz herauszubrechen, sondern daß mit gemeinsamem Elan kooperativ an diese Gemeinschaftsaufgabe herangegangen wird. In diesem Sinne hoffe ich, daß die Verabschiedung des Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode auch beim zweiten Durchgang im Bundesrat stattfindet.
({0})
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter für den Zusatzbericht.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich mache darauf aufmerksam, daß der Ausschuß beantragt hat, in § 3, Ausbau und Neubau, in der dritten Zeile das Wort „Aufwendungen" durch das Wort „Ausgaben" zu ersetzen. - Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Wer den §§ 1 bis 16, der Einleitung und der Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme so beschlossen!
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort in dritter Lesung hat zunächst Herr Abgeordneter Dr. Meinecke. Es folgen Herr Abgeordneter Ertl und Herr Abgeordneter Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der Wichtigkeit dieses Gesetzes kann ich Ihnen einige politische Ausführungen nicht ersparen. Ich bitte, mir das nicht zu verübeln, denn mit der Verabschiedung des heutigen Ausführungs- und Ausgestaltungsgesetzes
für die Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen" endet nämlich eine leidvolle und qualvolle Phase der Zusammenarbeit von Bund und Ländern und der Länder untereinander auf diesem wichtigen Gebiet des Bildungswesens. Es beginnt aber eine neue Phase des Zusammenwirkens im Sinne des „kooperativen Föderalismus". Voraussetzung hierzu war, wie Sie wissen, die Verabschiedung der Finanzreform.
Natürlich muß in diesem Hause heute Genugtuung empfunden und ausgesprochen werden über den erstaunlich kurzen Zeitabstand zwischen den Beschlüssen über die Finanzreform und der heutigen Verabschiedung des Ausführungsgesetzes. Diese Genugtuung sollte uns jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich dieses Ausführungsgesetz noch bewähren muß, bewähren in der gemeinsamen Erfüllung der Kardinalaufgaben, die dieses Gesetz enthält, durch Bund und Länder. Diese Aufgaben scheinen mir zu sein: der gemeinsame Rahmenplan und der Inhalt des Rahmenplans, die Zusammenarbeit mit dem Planungsausschuß und im Planungsausschuß, der mit einer Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen zu beschließen hat, die Beteiligung des Wissenschaftsrates - jetzt endlich einmal gesetzlich fundiert - an den Planungsaufgaben und letztlich die Erfüllung der allgemeinen Grundsätze, die eben eine Gemeinschaftsaufgabe charakterisieren.
Mir scheinen die noch bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen diesem Hohen Hause und dem Bundesrat nicht so relevant zu sein, daß man eine erhebliche Verzögerung der Verabschiedung im Bundesrat oder später im Vermittlungsausschuß verantworten könnte.
({0})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie gleichzeitig, daß natürlich wir Sozialdemokraten heute unsere große Befriedigung darüber ausdrücken, daß der einmal von uns geprägte politische Begriff der „Gemeinschaftsaufgabe" nunmehr als Rechtsbegriff Realität geworden ist. Man mag daran die dynamisch und politisch wirksame Kraft ermessen, die in einem solchen Begriff enthalten sein kann, wenn er später einmal Realität wird. Ich bin mir darüber im klaren, daß der rechtspolitische Begriff der Gemeinschaftsaufgabe bereits im Zusammenhang mit einer Vorlage des Finanzministers in einer Bundestagsdrucksache des 2. Deutschen Bundestages enthalten war und vom Troeger-Gutachten übernommen wurde. Diese beiden Begriffe sind aber nun zusammengelaufen. Ich glaube, auch unsere Bevölkerung kann sich jetzt etwas darunter vorstellen, was eine Gemeinschaftsaufgabe ist und welche Anstrengungen gemacht werden müssen, um solche Aufgaben gemeinsam und kooperativ zu erfüllen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir einige wenige Worte zum Gesetz. In § 2 sind die allgemeinen Grundsätze dargelegt, die bei der Erfüllung . einer Gemeinschaftsaufgabe zu beachten sind. Sie sehen, daß wir den Vorstellungen des Bundesrates und den Einsprüchen weitgehend entgegengekommen sind. Natürlich kann man es vertreten, was der Bundesrat sagt: daß die Durchsetzung einer „funktionsgerechten Hochschulstruktur" nicht durch dieses Gesetz und die Verfassungsänderung in Art. 91 a des Grundgesetzes gedeckt ist, sondern allenfalls durch Art. 75, die Rahmengesetzgebungskompetenz. Das muß kein Streitpunkt sein. Diese Diskussion, die uns durch die Erfüllung des Art. 75 aufgegeben wird, nämlich die Rahmengesetzgebungskompetenz für das Hochschulwesen, steht uns noch bevor. Ich halte die Haltung des Wissenschaftsministeriums für gut und vernünftig, desgleichen die Ansicht der Fraktionen, daß wir auch diese Diskussion in den nächsten Bundestag verlagern müssen. Ich glaube, wir sind uns angesichts der 26 000 oder 30 000 streikenden Studenten und der noch bestehenden Unruhe an den Universitäten darüber klar, welcher Ernst von uns verlangt wird, wenn wir diese Aufgaben erfüllen wollen.
Meine Damen und Herren, es erscheint mir außerordentlich wesentlich, daß das Gesetz in den §§ 3 und 4, 5 und 6 erhebliche Planungselemente enthält. Jetzt wird endlich und erstmalig Bildungsplanung ein legitimer Auftrag für die Exekutive. Das ist natürlich heute auch im Zusammenhang mit der Grundgesetzänderung zu Art. 91 b im Rahmen der Finanzreform zu betrachten. Auch das bedeutet die Beendigung eines grotesken Zustandes, der uns nämlich in dem Bericht der Bundesregierung über den Stand der Bildungsplanung dargelegt wurde, wobei herauskam, daß die Bundesregierung ihrerseits darlegte, daß der Begriff Bildungsplanung unklar und nicht scharf umrissen sei und man sich eigentlich noch nichts Vernünftiges darunter vorstellen könne. Der Länderbericht hat dann allerdings sehr exakt - ich gebe zu, in einem gewissen „Bildungschinesisch" - dargelegt, was die Länder unter Bildungsplanung verstehen. Später, im Dezember 1968, verweigerten die Länder wiederum der Bundesregierung, eben weil der Begriff ja unklar sei, jegliche Kompetenz auf dem Gebiet der Bildungsplanung, obwohl sie selbst ganz genau wußten, was darunter zu verstehen war, und auch wissen mußten, daß sie nicht in der Lage sind, in elf Kultusministerien elfmal verschiedene Bildungsplanung zu betreiben. Das ist völlig unsinnig. Ich mache übrigens darauf aufmerksam, daß auch der Forschungsbericht III, den Sie in den nächsten Tagen bekommen werden, darlegt, daß heute durchaus noch Lücken bestehen auf dem Gebiet der Bildungsforschung und der Berufsbildungsforschung, d. h. auf dem Gesamtgebiet der Bildungsplanung.
Wenn wir einmal versuchen - und das scheint mir an Hand dieses Gesetzes jetzt richtig und notwendig zu sein -, uns von spezifizierten bildungspolitischen Terminologien etwas zu entfernen, und versuchen, es politisch exakt zu formulieren, dann möchte ich - und das erlaube ich mir heute einmal - so sagen: Wir brauchen eine objektive Bedarfsanalyse für die verschiedenen, durch dieses Gesetz betroffenen Berufe für die nächste Zeit und für die Zukunft in zehn, zwanzig Jahren. Wir benötigen eine subjektive Bedürfnisanalyse unserer akademischen Jugend über die Berufe, die sie ergreifen will. Das zusammen ergibt einen Zusammenhang nur dann, wenn man die Ergebnisse der Berufsforschung und der Bildungsplanung heranzieht. Dazu gehören Schul-, Jahrgangs- und Geburtsstatistiken.
Wir brauchen auf der anderen Seite parallel eine Kapazitätsfeststellung der jetzigen Zeit und die Kapazitätsfeststellung der nächsten zehn, fünfzehn Jahre an Hand der mittel- und langfristigen Finanzplanung und der bereits bestehenden oder noch zu beschließenden Ausbau- und Aufbaupläne. Wir bedürfen ferner natürlich einer Berechnung und Feststellung der Kapazitätslücken, die zwischen den Wünschen und dem allgemeinen Trend auf der einen Seite und den feststehenden Zahlen auf der anderen Seite bestehen. Wir haben dagegenzustellen das Grundrecht auf Chancengleichheit und freie Berufswahl, und wir müssen darlegen, daß wir die Gefahr einer Berufslenkung sehen und diese alle hier im Hause nicht wollen. Wir müssen aber auch daran erinnern, daß es demokratisch legitim zu sein scheint, an Hand der vorliegenden Zahlen auf der einen Seite für bestimmte Berufsgruppen zu werben und auf der anderen Seite die jungen Menschen offen vor bestimmten Berufen zu warnen, damit sie selbst ihre Berufschancen mit den realen Chancen und den Lebenszielen abstimmen können, um zu vernünftigen Entschlüssen zu kommen. Ich glaube, daß man das bei der Verabschiedung des Gesetzes einmal so erklären sollte.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung, meine Damen und Herren. Was hat dieser Bundestag in der fünften Periode, lediglich fußend auf der Kompetenz durch Artikel 74 Nr. 13 des Grundgesetzes, Förderung der wissenschaftlichen Forschung, auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Forschungspolitik getan - mit einem einzigen verfassungsmäßigen Instrument! Alle anderen Instrumente, die entwikkelt worden sind, waren ja letzten Endes Hilfskonstruktionen unseres Föderalismus. Wollen wir heute betonen, daß wir für den nächsten Bundestag jetzt über vier Instrumente verfügen: über die Artikel 91 a, 91 b, 75 und 74 Nr. 13, neu formuliert! Wollen wir hoffen, daß diese Instrumente den Bundestag in der nächsten Periode in den Stand setzen, den Aufgaben die uns die Gemeinschaftsaufgaben stellen, gerecht zu werden.
Nun, meine Damen und Herren, zum Schluß ist es wohl auch berechtigt, an die gestrige Debatte zur Lage der Nation etwas anzuknüpfen. Und ich möchte Sie auch auf ein hervorragendes Formulierungskunststück des Herrn Bundeskanzlers aufmerksam machen, der gestern eine Wortneuschöpfung nachvollzogen hat, indem er zwei bedrohliche Phänomene unserer Zeit, nämlich die Bevölkerungsexplosion auf der einen Seite und die Bildungskatastrophe auf der anderen Seite, zu einem neuen Wort „Bildungsexplosion" zusammengebastelt hat. Dabei blieb allerdings unklar, ob das nun ein erfreulicher oder ein bestürzender Vorgang ist. Ich muß darauf hinweisen, daß wir zumindest angesichts des sehr bedrohlichen Lehrermangels in der Zukunft und der großen Zahl der Studienbewerber, die noch abgewiesen werden, der Meinung sind, daß der Begriff Bildungskatastrophe immer noch- eine politische dynamische Wirkung hat und damit auch seine Berechtigung behält.
({1})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ertl. Ihm folgt der Abgeordnete Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bedauern, aus grundsätzlichen Erwägungen auch dieser Vorlage unsere Zustimmung nicht geben zu können.
Wir haben bereits bei der ersten Gemeinschaftsaufgabe - Agrarstruktur - darauf hingewiesen, welche verfassungsrechtlichen und grundsätzlichpolitischen Bedenken wir haben, nämlich dahin gehend, daß Bundestag und Länderparlamente durch diese Gesetze in eine Ratifizierungsmaschine umfunktioniert werden. Das halten wir generell für sehr bedenklich. Wir meinen, auch vom Standpunkt des Föderalismus ist die Form der Gemeinschaftsaufgabe auch auf diesem Sektor eine Lösung, die nicht zu Klarheit führt, sondern nur zu sehr viel Unklarheiten, eine Lösung, die auch bei der Mittelbeschaffung zu permanentem Streit zwischen Bund und Ländern Anlaß geben wird.
Aber es kommt hier noch ein weiterer Punkt hinzu. Dieses Gesetz ist eben eine logische Konsequenz einer verfehlten Verfassungsvorschrift über die Gemeinschaftsaufgaben. Eine klare Verantwortlichkeit für dieses wichtige und auch teure Gebiet war in einem Ausführungsgesetz nicht zu erreichen. Die Freien Demokraten stehen auf dem Standpunkt, daß die Bundesregierung hätte klarstellen müssen, welchen Inhalt ihre Hochschulpolitik und die Hochschulpolitik der Länder haben soll, ehe sie diesen Gesetzentwurf über die Baufinanzierung vorlegte. Die FDP-Opposition empfindet es als Zumutung, daß über ein solches Ausführungsgesetz entschieden werden muß, ehe geklärt ist, nach welchen Grundsätzen das deutsche Hochschulwesen weiter entwickelt werden soll.
Wir lehnen also dieses Ausführungsgesetz als Gemeinschaftsaufgabe ab, weil wir glauben, daß hier keine Lösung gefunden worden ist, die diesem wichtigen Sektor entsprechend seiner Bedeutung Rechnung trägt.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Martin.
Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal etwas klarstellen, was Herr Meinecke hier gesagt hat. Er hat gemeint, dem Bundeskanzler sei eine Wortneuschöpfung gelungen. Das trifft nicht zu.
({0})
- Da wäre Schiller oder Goethe zuständig, richtig.
Nein, Herr Meinecke, das stimmt nicht. Das Wort „Bildungsexplosion" ist ein fester Bestandteil der Bildungsliteratur in der Wissenschaftspolitik. Es gibt diesen Ausdruck in England, Frankreich und Amerika. Ich weiß nicht, ob er in England zuerst
entstanden ist. In Frankreich heißt es „explosion scolaire". Derselbe Ausdruck ist für die Hochschulen fester Bestandteil der Literatur. Das ist nicht neu.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Meinecke? - Bitte!
Herr Kollege Martin, ist Ihnen entgangen - Sie werden es im Protokoll feststellen -, daß ich gesagt habe, der Herr Bundeskanzler hat eine Wortneuschöpfung nachvollzogen?
Wenn man ein Wort verwendet, das gängige Umgangssprache ist, dann ist das doch kein Nachvollziehen, sondern ein Benutzen. Müssen wir uns erst noch über den Sinn der Sprache verständigen. Das ist ja auch nur eine Floskel, Herr Meinecke, und sie war auch ganz gut gemeint.
Meine Damen und Herren! Ich möchte gerne zunächst einmal das behandeln, was Herr Ertl gesagt hat. Das, was er gesagt hat, ist doch ein Ausfluß der dauernd unfruchtbaren Diskussion, die von der FDP "über den Föderalismus geführt wird. Das sterile Gegenüberstellen von Föderalismus und Zentralismus führt zu gar nichts.
({0}) Ich meinte sie!
({1})
- Nein!
({2})
- Sie sind oft schwer auseinanderzuhalten, aber diesmal habe ich sie auseinandergehalten.
({3})
Ich glaube, daß das eine unfruchtbare Diskussion ist, auf die man nicht weiter einzugehen braucht.
Die Bemerkung, die hier gefallen ist ,daß nämlich die Zusammenarbeit von Bund und Ländern qualvoll gewesen sei, vermag ich auch nicht zu unterscheiden. In Wahrheit ist es doch so gewesen, daß Bund und Länder sich aufeinander zu bewegt haben, zunächst auf dem Wege der bloßen Fondsverwaltung und der Mittelverteilung, dann schon geregelter durch Verwaltungsverträge, durch Verwaltungsabkommen, und nun haben wir einen regelrechten Durchbruch zu einer neuen Situation, dadurch, daß ein wichtiger Teil des Bildungswesens zur Gemeinschaftsaufgabe erklärt worden ist.
Eine Zwischenfrage von Frau Funcke!
Herr Kollege Dr. Martin, sind Sie nicht der Meinung, daß auch die CDU mit dem derzeitigen Zustand unzufrieden war, weil sie ja sonst nicht der Grundgesetzänderung zur Verbesserung der Bundeskompetenzen zunächst ihre
Zustimmung gegeben hätte, die sie erst im Vermittlungsausschuß wieder zurückgezogen hat?
Wir haben das genommen, was wir bekommen konnten, gnädige Frau, und das, was wir bekommen haben, ist ein ganz schöner Fortschritt in der Bildungspolitik. Ich glaube, es ist ein glücklicher Tag, den wir heute hier erleben.
({0})
Noch eine Frage, Frau Funcke.
Ist es aber dann nicht etwas abwegig, daß Sie hier zunächst einmal gesagt haben, alles sei so großartig, und am Verhältnis brauchte gar nichts geändert zu werden? In diesem Sinne hatten Sie doch Ihre Rede angelegt.
Nein, so habe ich meine Rede nicht angelegt. Die Anlage meiner Rede werden Sie erst erkennen, wenn sie fertig ist; ich weiß selbst noch nicht, wie sie läuft.
({0})
Meine Damen und Herren! Dies ist in der Tat ein Durchbruch, denn „Gemeinschaftsaufgabe" heißt ja per Definition, daß es sich um eine Angelegenheit handelt, die für die Gesamtheit bedeutend ist und die nicht ohne die Mitwirkung des Bundes gelöst werden kann, und um eine Aufgabe, deren Lösung dazu angetan oder notwendig ist, die allgemeinen Lebensverhältnisse zu bessern.
Ich glaube, daß dieses Hinaufnehmen des Hochschulwesens auf die Ebene des Gesamtstaates - ich sage nicht, auf die Ebene des Bundes, sondern auf die Ebene des Gesamtstaates, was immer unser Wille war - ein historischer Fortschritt ist, den man sehen muß; denn es handelt sich ja nicht nur um das Bauen, Frau Kollegin Funcke. Darin hat Herr Ertl recht; Das Bauen beinhaltet ja, daß man sich über die Inhalte - über die Frage, wozu man baut - einig wird. Insoweit ist die Einlassung der FDP völlig richtig. Das ist auch im Gesetz schon angelegt, denn das Hochschulwesen wird als Einheit gesehen, nicht nur regional, in der Verteilung über die Regionen, sondern auch in der Aufgabenstellung. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß zu diesem Gesetz eine Verständigung von Bund und Ländern über die Inhalte der Wissenschaftspolitik notwendig ist, und das ist eben Aufgabe der Rahmenplanung. Es ist, so würde ich sagen, darüber hinaus natürlich auch eine Frage der Rahmengesetzgebung.
Gestern ist hier schon darauf hingewiesen worden, daß zu diesem Gesetz eigentlich die Ausfüllung der anderen Kompetenz gehört, nämlich der Erlaß eines Hochschulrahmengesetzes, in dem wir uns über die Grundsätze des Hochschulwesens verständigen.
({1})
Sie haben gestern hier gehört, daß die CDU ein solches Gesetz schon vorliegen hat und dabei ist, es unter den interessierten Kreisen abzustimmen.
Meine Damen und Herren! Ich will noch einige Dinge aufnehmen, die Herr Dr. Meinecke mit Recht vorgetragen hat. Es kommt in der Tat darauf an - und darin liegt die Bedeutung der ganzen Frage -, daß wir die Bildungswünsche der einzelnen und den Bildungsbedarf der Gesellschaft aufeinander zu beziehen lernen, also die Nachfrage nach Studienplätzen auf der einen und den Bedarf von Staat und Wirtschaft auf der anderen Seite. Dabei muß man auch sehen, daß ein Studium immer mit sozialen Erwartungen verbunden ist. Es wäre falsch, am Bedarf - ich darf das Wort einmal so benutzen - vorbeizuproduzieren und damit politische Wirren geradezu zu provozieren. Die exakte Bedarfsfeststellung ist ein Punkt, in dem der Bund und die Länder offensichtlich noch nicht so weit sind, wie wir sein möchten. Und ich unterstreiche das, was Herr Dr. Meinecke gesagt hat: Bedarfsfeststellung braucht man schon deshalb, um den Bildungsstrom angemessen zu steuern. - Auch dieses Wort „steuern" klingt inadäquat, aber man muß es benutzen. Steuern kann man in einem demokratischen Staat durch präzise Information über die Tatsachen und über die Erwartungen, die einem gegeben sind, und dazu braucht man selbstverständlich diese genaue Bedarfsfeststellung.
({2})
Meine Damen und Herren! Ich möchte abschließend folgendes zur Einordnung in das Ganze sagen. Die gesamte Hochschulreform und die Wissenschaftspolitik haben - in vielen Varianten - nur ein einziges Problem zu bewältigen: das Massenproblem. Eine moderne Industriegesellschaft hat unter vielen Eigenschaften die, daß sie von einer Bildungsexplosion begleitet ist und das diese auch in einem bestimmten Maße erforderlich ist, um diese Gesellschaft zu einer sich ausweitenden, expandierenden und prosperierenden Gesellschaft zu machen. Das ist die Kernfrage, und dazu gehört der Neubau von Universitäten, der Ausbau von Universitäten; dazu gehört die Errichtung von Fachhochschulen; dazu gehört die Regelung der Sekundarabschlüsse; und dazu gehören neue Ausbildungsgänge in Staat und Wirtschaft. - Das sind die vier Punkte, die gelöst werden müssen. Hier haben wir es mit dem Neubau und Ausbau zu tun. Ich möchte mit Deutlichkeit eines sagen, was zum Glück in den letzten Wochen in der Diskussion wieder lebendig geworden ist: Wir dürfen und können uns der Tatsache, daß neue Universitäten in erheblichem Umfang gebaut werden müssen, nicht entziehen. Die Diskussion über dieses Gesetz in der Rahmenplanung muß dazu führen, das alsbald zu konkretisieren, weil das ein wirklicher Beitrag für die Lösung der Probleme ist, die wir heute haben.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in diesem Stadium der Debatte zunächst persönlich und für die Bundesregierung den beteiligten Ausschüssen dafür danken, daß sie diese außerordentlich gründliche Arbeit unter einem gewissen Zeitdruck geleistet haben. Die Bundesregierung sieht die Veränderungen, die von den Ausschüssen an der Regierungsvorlage vorgenommen wurden, als eine Bekräftigung des Grundkonzepts an und betrachtet die einzelnen Neuformulierungen durchaus als geeignet und richtig.
Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wird an einem ganz wesentlichen Punkt eine schnelle Konkretisierung der Absichten und der Beschlüsse der Finanzverfassungsreform erreicht. Das ist von mehreren meiner Vorredner schon betont und gewürdigt worden. Es handelt sich um mehr als nur eine Normierung der bisherigen Praxis. Aufbauend auf den Erfahrungen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und unter Benutzung gewisser Methoden dieser Zusammenarbeit bekommt die Kooperation und insbesondere die Stellung des Bundes erstmals eine klare Rechtsgrundlage. Diese Kooperation wird verstärkt. Sie wird der parlamentarisch verantwortlichen Bundesregierung erstmals die Möglichkeit geben, auch ihrer Verantwortung vor dem Parlament voll gerecht zu werden. Verantwortung vor dem Parlament setzt nämlich auch klare Kompetenzen voraus. Insofern ist dies auch für die Stellung des Deutschen Bundestages im Gegensatz zu dem Urteil, das wir von seiten der FDP gehört haben, meines Erachtens eher eine Verbesserung als eine Verschlechterung.
Dies ist mehr als ein reines Finanzierungsgesetz. Art. 2 setzt auch in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung dem Ausbaukonzept gewisse Normen und Ziele, die absolut in allgemeiner Weise den Erfordernissen einer modernen Hochschulpolitik entsprechen, das Ziel nämlich, die wissenschaftlichen Hochschulen nach Fachrichtungen, Zahl, Größe und Standort in ein zusammenhängendes System zu bringen, durch das ein ausreichendes und ausgeglichenes Angebot an Forschungs- und Ausbildungsplätzen gewährleistet wird, und das Ziel, Forschungsschwerpunkte an den wissenschaftlichen Hochschulen zu schaffen und ein ausgewogenes Verhältnis von Forschung und Lehre sicherzustellen. Dies sind Gesichtspunkte, die wir auch in der weiteren Arbeit des Bundes im Hochschulbereich überhaupt zu beachten haben. Insofern ist dies ein erster Schritt, ein erstes Gesetz.
Die Bundesregierung hat durch die Finanzverfassungsreform - darauf ist schon hingewiesen worden - die große und bedeutende Aufgabe erhalten, den gesetzgebenden Körperschaften Vorschläge für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens zu machen. Aber selbst bei den sehr hohen Ansprüchen der Opposition wird man ihr kaum einen Vorwurf daraus machen können, daß sie eine gesetzgeberische Entscheidung, eine Verfassungsänderung, die im Mai beschlossen wurde, nicht bereits im Juni mit eigenen Vorlagen beantBundesminister Dr. Stoltenberg
worten kann. Wir sind uns wohl alle darüber im klaren, meine Damen und Herren, daß diese Aufgabe, die durch die Finanzverfassungsreform einer neuen Bundesregierung und einem neuen Bundestag zufällt, eine der wichtigsten und auch schwierigsten Aufgaben überhaupt für die nächste Wahlperiode ist.
Es wäre auch ganz falsch - ich sage das, ohne künftigen Entscheidungen vorzugreifen -, wenn wir uns jetzt, nachdem uns diese mühsam erstrittene bedeutende Kompetenz zugefallen ist, in einer Hektik unter falsch gesetzten Terminen verleiten ließen, unausgereifte Entwürfe vorzulegen. Wenn die Bundeskompetenz für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens etwas wirklich Weiterführendes, etwas wirklich zur Lösung der Krise der Hochschulen Beitragendes bedeuten soll, sind gründliche Vorarbeiten und Analysen notwendig, die wir allerdings jetzt beginnen müssen, um dann vielleicht im nächsten Jahr mit den Vorschlägen vor die gesetzgebenden Körperschaften zu treten. Insofern ist dieses erste Gesetz, das wenige Wochen nach der Verabschiedung der Finanzverfassungsreform verwirklicht wird, im Gesamtzusammenhang der neuen Aufgaben zu sehen, eines zweiten, bedeutenden Gesetzes über die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens und einer dann auch im nächsten Bundestag nach der Finanzverfassungsreform möglichen Gesetzgebung auf der Basis von Art. 74 Nr. 13. Auf dieser Basis wird es möglich sein, ein Forschungsförderungsgesetz vorzulegen, das bestimmte Rechtsfragen der Großforschung, bestimmte Organisationsfragen behandelt, eventuell auch die Sicherstellung der Grundlagenforschung, etwa in der Finanzierung der großen Forschungsorganisationen, die jetzt ja nur durch jährliche Haushaltsbewilligungen erfolgt.
({0})
In diesem Gesamtzusammenhang ist das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz ein erster, aber, wie ich glaube, bedeutender Meilenstein. So sollten wir es würdigen, als ein Element der großen und neuen Möglichkeiten, die Bundesregierung und Bundestag durch die Finanzverfassungsreform erhalten haben.
({1})
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Hochschulbauförderungsgesetz im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. - Die Gegenprobe! Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur"
- Drucksache V/4092 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache V/4397 -
Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({1})
- Drucksache V/4396 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Luda ({2})
Ich frage Herrn Berichterstatter Dr. Luda, ob er den Schriftlichen Bericht ergänzen will. - Das ist nicht der Fall.
Dann treten wir in die zweite Beratung ein. Das Wort zur zweiten Beratung wird nicht gewünscht.
Wir kommen dann zur Abstimmung über die §§ 1 bis 14, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe das Gesetz zur
dritten Beratung
auf.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich folgende Erklärung abgeben.
Bei diesem Gesetz, dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", handelt es sich um eines der wichtigsten Gesetze zum Art. 91 a des Grundgesetzes über die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern. Damit wird ein Rahmengesetz geschaffen, das von Bund und Ländern verlangt, die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur gemeinschaftlich zu planen und zu finanzieren.
Meine Damen und Herren, die hinter uns liegende Rezession - die jedenfalls die Sozialdemokraten nicht gewollt haben -, hat allen deutlich gemacht, daß die Arbeitsplätze und die Einkommen nur gesichert sind, wenn in allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland eine ausgewogene regionale Wirtschaftsstruktur vorhanden ist. Das heißt, sowohl das Angebot an Arbeitsplätzen als auch die Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern, Schulen, Straßen, Wohnungen, und von mir aus auch Schwimmbädern, sollte im ganzen Land so verteilt sein, daß die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse gewährleistet ist, wie der Art. 72 des Grundgesetzes vorschreibt. Die überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenziffern, die selbst noch in den ersten Monaten beim Wiederanlaufen der Konjunktur in vielen Gebieten zu verzeichnen waren, sind nur ein Beweis dafür, daß jeder wirtschaftliche Rückschlag in wirtschaftsschwachen Teilen unseres Landes stärker ausfällt als im übrigen Bundesgebiet.
Der Bundeswirtschaftsminister verdient Anerkennung dafür, daß die beiden Konjunkturprogramme nicht nur die gesamte Wirtschaft in Ordnung gebracht haben, sondern bereits strukturpolitisch durch gezielte Aufträge die Bundesfördergebiete besonders berücksichtigt haben und damit bereits in der Talsohle der Wirtschaft die Voraussetzung für weitere Maßnahmen in diesen Gebieten geschaffen haben.
Darüber hinaus ist mit der Neuorientierung der regionalen Strukturpolitik, nämlich durch Schaffung von Schwerpunkten, die Grundlage dafür geschaffen worden, daß die vorhandenen Mittel in Zukunft koordiniert und damit sehr viel wirksamer als bisher ausgegeben werden können. Die gewissermaßen im Vorgriff auf dieses Gesetz in Arbeit befindlichen regionalen Aktionsprogramme, deren baldige Verabschiedung wir nachdrücklich fordern, sind hierfür ein modernes Planungsinstrument.
Von dem noch zu verabschiedenden Zweiten Steueränderungsgesetz erwarten wir uns eine weitere erhebliche Verbesserung der regionalen Wirtschaftsförderung über die dort vorgesehenen Investitionszulagen im Zonenrandgebiet und in den Bundesausbaugebieten.
Nach dem vorliegenden neuen Gesetz nehmen Bund und Länder die Abgrenzung für die künftigen Fördergebiete vor. In einem fünfjährigen Rahmenplan, der jährlich fortgeschrieben wird, werden die Maßnahmen für die regionale Wirtschaftsförderung festgelegt. Hiermit erhält die regionale Strukturpolitik über die Beseitigung von bestehenden wirtschaftlichen Schwächen hinaus sogar noch einen vorbeugenden Charakter. Das Gesetz zwingt zu einheitlicher Konzeption und gibt für die Zukunft die Möglichkeit, mit einer vom Bund und den Ländern gemeinsam geplanten und finanzierten regionalen Strukturpolitik vorbeugend einzugreifen, wenn in einem Teil unseres Landes der Lebensstandard abzusinken droht. Bei einem zu schnellen oder auch zu tiefgreifenden Strukturwandel, wie wir ihn beispielsweise an der Ruhr und an der 'Saar erlebt haben bzw. noch erleben, können auf Grund des Gesetzes in Zukunft ausgewogene Maßnahmen ergriffen werden, die geeignet sind, eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in diesen Gebieten aufzufangen.
Wir begrüßen insbesondere, daß bei der Beratung dieses Gesetzes in den Ausschüssen des Bundestages die verschiedenen Änderungswünsche des Bundesrates ausgiebigst diskutiert worden sind. Die Wünsche des Bundesrates fanden teilweise Berücksichtigung, vor allem in § 1 bei der Abgrenzung der Gebiete und der Aufgaben.
Wir glauben, daß der Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Form eine geeignete Grundlage für die in den 70er Jahren noch an Bedeutung gewinnende regionale Strukturpolitik sein wird. Es wird jetzt nach der Verabschiedung durch dieses Hohe Haus darauf ankommen, daß der von Bund und Ländern gemeinsam zu bildende Planungsausschuß sich schnell konstituiert und die Abgrenzung der Fördergebiete vornimmt und mit der Erarbeitung der fünfjährigen Rahmenpläne beginnt.
Die zur Zeit auf Anregung des Bundeswirtschaftsministers in den Ländern vorbereiteten bzw. schon erarbeiteten regionalen Aktionsprogramme haben auf diesem Gebiet schon eine gute Vorarbeit geleistet.
In diesem Zusammenhang möchte ich besonders auf die Begründung dieses Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung hinweisen, und zwar auf die Erklärung, daß die über die im Gesetz genannten Maßnahmen hinausgehende besondere Förderung des Zonenrandgebiets als gesamtdeutsche Aufgabe bleibt und von dem neuen Instrument dieser Gemeinschaftsaufgabe nicht berührt wird.
Wir erwarten, daß das Gesetz und die geleistete Vorarbeit bei den erarbeiteten regionalen Aktionsprogrammen von Bund und Ländern genutzt werden, um die günstige Konjunktur verstärkt für die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur zu nutzen. Die Einsicht dafür, daß man Strukturpolitik nur in einer guten Konjunktur betreiben kann, scheint bei allen Beteiligten als Lehre der Rezession vorhanden zu sein. So war es jedenfalls in der Talsohle unserer Konjunktur. Wir sollten diese teuer bezahlten Lehren nicht vergessen.
({0})
Das Wort hat Herr Kollege Ertl.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stücklen, Sie haben beinahe eine prophetische Gabe, aber in diesem Punkt gehörte auch nicht viel dazu. Es tut mir leid, daß ich Sie zum drittenmal belästigen muß. Das liegt an der Tagesordnung.
In der Sache halten wir diese Maßnahme, nämlich die Raumgliederung, die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur für eine sehr wesentliche Aufgabe. Allerdings bedarf sie auch wiederum einer sauberen Lösung. Nachdem ich bereits bei den anderen Strukturaufgaben unsere prinzipiellen Einwände dargelegt habe, möchte ich auch hier betonen: So sehr wir' in der Sache die Förderungen, sei es Fremdenverkehr, seien es zusätzliche Arbeitsplätze, begrüßen, glauben wir, daß der hier eingeschlagene Weg keine klare Aufgabenteilung vorsieht. Es wäre vielleicht viel besser gewesen, man wäre in der Finanzreform zu einer klaren Finanztrennung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gekommen. Dann würde man diese Aufgaben viel tatkräftiger anpacken können. Aus diesem Grunde sehen wir uns nicht in der Lage, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
({0})
Keine Wortmeldungen mehr? Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, möge sich
Vizepräsident Dr. Mommer
erheben. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Investitionszulagen und zur Änderung steuerrechtlicher und prämienrechtlicher Vorschriften ({0})
- Drucksachen V/3890, V/3076, V/4212 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache V/4398 -
Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksachen V/4287, zu V/4287 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Kurlbaum-Beyer
({3})
Die Berichterstatterin, Frau Kurlbaum-Beyer, hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf auf den Schriftlichen Bericht verweisen und muß eine kurze Ergänzung zu Protokoll geben, und zwar zu Art. 1 Nr. 1 Buchstabe e. Durch Art. 6 Nr. 1 Buchstabe c des Steueränderungsgesetzes 1969 wird § 19 des
BerlinhilfeGesetzes dahin geändert, daß die Investitionszulage künftig bereits für Anzahlungen auf Anschaffungskosten und für Teilherstellungskosten gewährt werden kann. Es ist übersehen worden, dieser Änderung durch eine entsprechende Ergänzung des § 19 Abs. 4, bisher Absatz 3, des Berlinhilfe-Gesetzes Rechnung zu tragen, so daß sich aus dem Gesetzeswortlaut nicht ergibt, wann die Investitionszulage für Anzahlungen und Teilherstellungskosten gewährt wird. Zur Schließung dieser Gesetzeslücke muß es in Art. 6 Nr. 1 Buchstabe e heißen:
Im neuen Abs. 4 Satz 1 werden die Worte „angeschafft oder hergestellt worden sind" jeweils durch die Worte „Ausbauten und Erweiterungen angezahlt, angeschafft oder ganz oder teilweise hergestellt worden sind" ersetzt.
Es handelt sich hier um keine materielle Änderung, sondern nur um eine redaktionelle Klarstellung. Sie betrifft den Ausschußbeschluß.
Wir danken der Frau Berichterstatterin. Wir haben die vorgeschlagenen redaktionellen Änderungen zur Kenntnis genommen.
Wir treten dann in die Einzelberatung ein.
Ich rufe den Art. 1, § 1 auf. Zu diesem § 1 liegen zwei Änderungsanträge auf Umdruck 672 *) Ziffer 1 und Umdruck 710 **) vor. Das Wort zur Begründung
*) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlage 8
des Antrages der FDP-Fraktion auf Umdruck 672 hat zunächst Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Dieser Antrag zu § 1, Abs. 1 auf Umdruck 672 wiederholt sich für einige andere Bereiche innerhalb dieses Gesetzes. Ich darf die Begründung daher generell geben.
Die FDP beantragt bei Investitionszulagen, die z. B. für Investitionen im Zonenrandgebiet oder für Forschungseinrichtungen oder für Auslandsinvestitionen erfolgen, die Voraussetzung einer „ordnungsgemäßen Buchführung" zu streichen. Es ist für uns alle unbestritten, daß für die laufende Gewinnermittlung eine ordnungsgemäße Buchführung vorliegen muß. Dafür gibt es bestimmte Richtlinien und Anforderungen. Denn man kann eine Buchhaltung nicht zur Grundlage der Einkommensbesteuerung machen, wenn sie unvollständig ist oder keinen hinreichenden Überblick gibt. Es ist auch von unserer Seite unbestritten, daß eine ordnungsgemäße Buchführung in allen Betrieben notwendig ist, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen. Nur mit einer übersichtlichen Buchhaltung kann man den notwendigen Überblick für die betrieblichen Dispositionen behalten. Sie ist zugleich eine Hilfe zur Verhinderung von möglichem Betrug., und sie dient dem Gläubigerschutz. Insoweit ist es also unser gemeinsamer Wille, auf ordnungsgemäße Buchführung zu drängen.
Aber es fragt sich, ob bei nicht steuerpolitisch, sondern wirtschaftspolitisch bestimmten Steuervergünstigungen die Anforderung der ordnungsgemäßen Buchhaltung mit all den formalen Bestimmungen, z. B. der Belegordnung und Numerierung, zur zwingenden Bedingung gemacht werden muß, wenn wenn es sich um einzelne Transaktionen handelt, z. B. Betriebsgründung oder Verkauf eines Betriebsgrundstückes nach § 6 b des Einkommensteuergesetzes und Neuerrichtung an anderer Stelle. Alle solchen einmaligen Transaktionen, deren Förderung wirtschaftspolitisch bestimmt ist, auch zwingend an die ordnungsgemäße Buchführung zu binden, halten wir nicht für richtig.
Es gibt in der Rechtsprechung einige schwerwiegende Urteile, die zu sehr unglücklichen Ergebnissen geführt haben. Da haben Gewerbetreibende weitreichende Dispositionen vorgenommen, und die dafür vorgesehenen Steuervergünstigungen in Anspruch genommen, z. B. den § 6 b des Einkommensteuergesetzes. Und nach ein paar Jahren kam die Betriebsprüfung und verwarf wegen irgendwelcher formaler Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten in der laufenden Belegführung und dem Kontokorrent die ganze Buchführung mit der Folge, daß damit automatisch die Vergünstigung für die einmaligen Transaktionen versagt wurde. Das hat zu sehr unglücklichen Folgen geführt, und es ist begreiflich, daß die Betroffenen dies nicht einsehen können. Sie sagen mit Recht, daß diese Transaktionen für die sie aus wirtschaftspolitischen Gründen Steuerermäßigungen haben sollten, bei ihnen haargenau und einwandfrei nachweisbar sind, z. B. der Verkauf eines Grundstücks oder die Anschaffung einer Maschine. Für diesen Nach13364
weis brauchen sie keine ganze Buchhaltung; formale Fehler, in der laufenden Buchführung, beeinträchtigen den Sondernachweis nicht.
Wir haben bereits in einem anderen Gesetz die ordnungsgemäße Buchführung als zwingende Voraussetzung gestrichen. Als wir nämlich statt der Sonderabschreibungen oder Rückstellungen erstmalig im Stabilitätsgesetz die Investitionszulage festlegten, hat dieses Haus beschlossen, ohne die Voraussetzung ordnungsgemäßer Buchführung auszukommen. Im Stabilitätsgesetz steht unter Investitionszulagen eindeutig nichts von ordnungsgemäßer Buchführung. Das ist ja auch für jeden vernünftigen Menschen einzusehen. Der Gesetzgeber hat für Investitionszulagen, die die Buchhaltung nun einmal berühren, diese strengen Anforderungen nicht mehr gestellt, weil eine einmalige Investition außerhalb der Buchführung hinreichend nachgewiesen werden kann. Nun wäre es aber unlogisch und inkonsequent, wenn wir plötzlich wieder, bei Investitionszulagen den Begriff der ordnungsgemäßen Buchführung einführen; das heißt, im Gesamtgebiet braucht man die ordnungsmäßige Buchführung nicht, im Zonenrandgebiet aber doch.
Wir bitten daher, auch im Rahmen dieser Investitionshilfen und entsprechender außerhalb der Buchführung nachweisbarer Tatbestände auf die ordnungsgemäße Buchführung zu verzichten. Denn, meine Herren und Damen, wenn Sie sich einmal die Urteile ansehen - selbst wenn das Finanzministerium bereit ist, bei den Richtlinien etwas großzügiger zu verfahren -, werden Sie feststellen, daß oft sehr kleinliche Maßstäbe angelegt wurden und schon kleine Fehler oder Versehen zur Verwerfung der Buchführung geführt haben, so daß nachträglich erhebliche Nachteile entstanden.
Wir sind seitens der FDP grundsätzlich der Meinung, daß man auf dieses Erfordernis verzichten kann, beschränken uns aber bei diesem Gesetz auf jene Tatbestände, die sich nur auf die Investitionszulagen erstrecken, weil wir dafür bereits im Stabilitätsgesetz eine Vorentscheidung getroffen haben. Wir haben darauf verzichtet, unseren Antrag auch auf Rücklagen oder Abschreibungen auszudehnen. Sie mögen daraus ersehen, daß wir behutsam vorgehen möchten. Mit Rücksicht auf die z. T. recht tragischen Fälle, die bei den mittleren und kleineren Betrieben vorgekommen sind und wieder vorkommen können, wenn nicht alle zehn Tage alle Vorfälle verbucht werden, sollten wir bei diesen Sondervergünstigungen auf die formalen Notwendigkeiten einer ordnungsmäßigen Buchführung abheben.
Meine Damen und Herren, hinter unserem Antrag steht auch etwas Staatspolitisches. Der Staat soll all das fordern dürfen, was von der Sache her vernünftig, notwendig und einsichtig ist. Aber ich halte unseren Staat nicht für einen autoritären Pädagogen, der meint, alles bestimmen und durchsetzen zu müssen, was für den einzelnen gut ist. Und so soll er nicht mit seinen Mitteln Dinge erzwingen wollen, die mit der Sache überhaupt nicht oder nur wenig zusammenhängen. Investitionszulagen hängen nun
einmal mit der laufenden Kontokorrentbuchhaltung nicht zusammen. Deswegen sollten wir nicht über solche Dinge etwas anderes erzwingen oder durch nachträglichen Entzug von Sondervergünstigungen den Betrieb für schlechte Buchhaltung bestrafen wollen.
({0})
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat um das Wort gebeten. Herr Bundesminister, wollen Sie vielleicht noch die Begründung des anderen Antrags, der zum selben Paragraphen vorliegt, anhören?
({0})
Das Wort zur Begründung des Antrags auf Umdruck 710 hat Herr Abgeordneter Glüsing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich mir erlauben, den Änderungsantrag auf Umdruck 710 mit wenigen Bemerkungen zu begründen.
Die Beschlüsse des Finanzausschusses beinhalten, daß nach Artikel i § 1 zunächst einmal die Zonenrandgebiete und das Steinkohlenbergbaugebiet an der Saar bei Neuerrichtungen und Erweiterungen von Betriebsstätten eine Investitionszulage von 10% erhalten. Darüber hinaus besteht noch die Möglichkeit, allerdings unter Anlegung eines erheblich strengeren Maßstabs, dem Zonenrandgebiet, wie es nunmehr im Gesetzestext heißt, auch noch 7,5% Investitionszulage zu geben, wenn gewisse Kriterien erfüllt sind. So weit, so gut! Niemand in diesem Hause, meine ich, denkt daran, den Zonenrandgebieten von den vielfachen Vergünstigungen, die sie seit vielen Jahren bekommen, etwas zu nehmen.
Aber es gibt auch noch andere Gebiete, die sehr schwach strukturiert sind, Gebiete, wie es im Gesetzentwurf heißt, „deren Wirtschaftskraft erheblich unter dem Bundesdurchschnitt liegt oder erheblich darunter abzusinken droht oder in denen Wirtschaftszweige vorherrschen, die vom Strukturwandel in einer Weise betroffen oder bedroht sind, daß negative Rückwirkungen auf das Gebiet in erheblichem Umfang eingetreten oder absehbar sind." Diese Gebiete, die im Gesetzestext auch als „förderungswürdige Gebiete" angesprochen werden -man könnte sie auch mit dem Sammelbegriff „Bundesausbaugebiete" oder „Bundesausbauorte" bezeichnen -, haben auch die Chance, wenn sie gewisse Kriterien erfüllen, durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf, in den Genuß der 10%igen Investitionszulage zu kommen. Man kann nur hoffen, daß diese 10% in der Tat auf dem Wege der Rechtsverordnung bewilligt und gegeben werden. Diese Betriebe, die also auch als förderungswürdig gelten, haben aber nicht die Möglichkeit - das ist nach dem vorliegenden Gesetzestext völlig ausgeschlossen -, auch die 7,5%ige Investitionszulage zu bekommen. Das führt natürlich zu außerordentlich großen Schwierigkeiten.
Meine Damen und Herren, es kann in der Tat passieren - und es ist schon passiert -, daß aus diesen schwächeren Gebieten, die zum Teil schwächer als die Zonenrandgebiete strukturiert sind, Betriebe in die Zonenrandgebiete abwandern. Keiner hat etwas dagegen, wenn Betriebe in das Zonenrandgebiet abwandern, aber es kann nicht gut und richtig sein, wenn Betriebe aus den schwächeren Gebieten, die, wie gesagt, zum Teil schwächer als die Zonenrandgebiete strukturiert sind, in das Zonenrandgebiet abwandern. Das wäre eine schlechte Sache. Man kann, meine ich, absolut kein Verständnis dafür haben, daß vom Bund und den Ländern einerseits erhebliche Hilfen zugunsten der Bundesausbaugebiete oder der förderungswürdigen Gebiete, wie es hier heißt, gegeben werden, wenn andererseits Betriebe aus Konkurrenzgründen aus eben diesen Gebieten in die Zonenrandgebiete abwandern.
Das soll mit diesem Antrag verhindert werden. In diesem Antrag wird vorgesehen, daß auch - wie es im Gesetzestext heißt - die förderungswürdigen Gebiete in den Genuß der 7,5%igen Investitionszulage kommen. Ich bitte das Hohe Haus, diesem Änderungsantrag die Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider muß ich bitten, diese Anträge abzulehnen, so schwer es mir fällt. Es ist zwar richtig, daß die Gewährung 1 der Investitionszulagen den Bereich der steuerlichen Gewinnermittlung nicht berührt; aber trotzdem sollte an der Voraussetzung einer ordnungsmäßigen Buchführung festgehalten werden. Es ist durchaus gerechtfertigt, weitgehende steuerliche Förderungsmaßnahmen, die beträchtliche Steuermindereinnahmen zur Folge haben, davon abhängig zu machen, daß der Steuerpflichtige die für eine zutreffende Besteuerung erforderlichen Bücher ordnungsmäßig führt. Dafür spricht auch, daß eine ordnungsmäßige Buchführung nicht nur im Interesse des Fiskus, sondern auch im wohlverstandenen Interesse jedes Unternehmens liegt, denn die Entscheidung darüber, ob ein solcher Antrag, zu dem ja ein gutes Stück Eigenfinanzierung notwendig ist, gestellt werden kann und soll, bedarf in jedem Fall einer sorgfältigen Prüfung.
Ich möchte bemerken, daß auch im Einkommensteuergesetz steuerliche Vergünstigungen von der Voraussetzung ordnungsgemäßer Buchführung abhängig gemacht werden. Ob eine steuerliche Vergünstigung oder eine Zulage gewährt wird, ist schließlich nur eine Frage der Form, in welcher Weise die Förderung einer bestimmten Kategorie von Vorhaben erfolgen soll. Ich verweise hier auf die §§ 6 Abs. 2, 6 b, 7 e, 10 a, 10 d, 34 b des Einkommensteuergesetzes, weiter auf die §§ 76, 79, 82, 82 d und 82 e der Einkommensteuerdurchführungsverordnung. Die Aufzählung dieser Vorschriften zeigt, daß es sich dabei, ob steuerliche Vergünstigungen von der Voraussetzung einer ordnungsmäßigen Buchführung abhängig gemacht werden sollen, um eine Grundsatzfrage handelt, die nicht isoliert für einige Begünstigungen entschieden werden kann, sondern für alle Begünstigungen einheitlich entschieden werden muß, was wahrscheinlich erst im Rahmen der Prüfung der Gesamtproblematik durch die Steuerreform möglich sein wird. Es wäre bedenklich, wenn es künftig in größerem Umfange Vergünstigungen gäbe, bei denen die ordnungsmäßige Buchführung gefordert wird, und wieder andere, bei denen auf sie verzichtet wird. Die Frage, ob Vergünstigungen von einer ordnungsmäßigen Buchführung abhängig zu machen sind, kann daher nur im Zusammenhang mit dem Gesamtkomplex der steuerlichen Vergünstigungen und der Finanzhilfen geklärt werden.
Zu dem Antrag auf Umdruck 710 darf ich bemerken: Wenn hier gewünscht wird, Umstellungsund grundlegende Rationalisierungsinvestitionen außer im Zonenrandgebiet auch in den anderen förderungsbedürftigen Gebieten, mit Ausnahme des Steinkohlenbergbaugebietes Saar, zu begünstigen, dann geht dieser Antrag erheblich über den Kompromiß, die Einigung hinaus, die von Finanzausschuß und Wirtschaftsausschuß beschlossen worden ist und die auch in den Ausschußsitzungen die Zustimmung meines Hauses gefunden hat. Es würde damit zu zusätzlichen Haushaltsausfällen kommen, und zwar zunächst von etwa 100 Millionen DM, davon 50 Millionen DM für den Bund bei der neuen Verteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer ab 1. Januar nächsten Jahres.
Auch sachlich ist der Antrag bedenklich, weil durch die Begünstigung der Umstellungs- und Rationalisierungsinvestitionen besonders auch den ungewöhnlich ungünstigen Standortbedingungen des Zonenrandgebietes Rechnung getragen werden soll, mit denen die Standortbedingungen der übrigen förderungsbedürftigen Gebiete nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß wir ursprünglich besondere Vergünstigungen der hier vorgesehenen Art auch für das Zonnenrandgebiet in der Regierungsvorlage nicht vorgesehen hatten. Ich habe dann in einer Reihe von Gesprächen mit Vertretern des Zonenrandgebietes, Abgeordneten verschiedener Fraktionen, die Notwendigkeit einer besonderen Förderung des Zonenrandgebietes und damit einer besonderen Präferenz gegenüber den übrigen Förderungsgebieten anerkannt und mich dazu bekannt. Wenn nunmehr die anderen Förderungsgebiete - Bundesausbaugebiete, Bundesausbauorte - wiederum die gleiche Vergünstigung bekommen wie die Zonenrandgebiete, dann sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt, und dann wäre es besser, den Komplex auszuklammern. Denn ich bin mir todsicher, lieber Kollege Glüsing, daß die schon vor der Tür stehen, die unter Hinweis darauf, daß unser damaliges Gespräch leider nicht zu der gewünschten Bevorzugung des Zonenrandgebietes geführt habe, bei der nächstbesten Gelegenheit wiederum das nachholen wollen, was sie bei der ersten Unterredung erreicht haben, aber durch eine Gleichstellung dann eben trotzdem nicht erreichen konnten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kurlbaum-Beyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur eine Ergänzung zu den Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers, die ich voll unterstreiche, geben. Frau Kollegin Funcke, wir haben uns gerade über diesen Antrag im Ausschuß sehr ausführlich unterhalten. Wenn Sie den Bericht Drucksache V/4287 ansehen, können Sie feststellen, daß wir über die ursprüngliche Regierungsvorlage sogar noch hinausgegangen sind und nunmehr nicht nur ordnungsmäßige Buchführung nach § 5 des Einkommensteuergesetzes festgelegt haben, sondern auch nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes. Wir haben besonderen Wert darauf gelegt, daß damit außer den bilanzierenden Gewerbetreibenden auch Kleingewerbetreibende in den Genuß dieser Zulage kommen. Darüber hinauszugehen würde praktisch bedeuten, dazu aufzurufen, noch verstärkt nicht Buch zu führen. Wir haben auch bei den besonderen Vergünstigungen der Landwirtschaft immer Wert darauf gelegt, einen Anreiz zu geben, Buch zu führen, weil wir meinen, daß eine ordnungsmäßige Buchführung letztlich auch im wohlverstandenen Interesse jedes Unternehmens liegt. Ich meine also, wir sollten über den Ausschußbericht nicht hinausgehen und sollten diesem Antrag nicht zustimmen.
Wird das Wort zu diesen beiden Anträgen noch weiter gewünscht? - Herr Abgeordneter Haase hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht für die SPD-Fraktion, sondern für die schleswig-holsteinischen Abgeordneten der SPD-Fraktion zu Umdruck 710. Herr Bundesfinanzminister, wenn sie der Meinung sind, daß bei diesem Komplex eine Differenzierung zugunsten der Zonenrandgebiete gegenüber anderen Gebieten gefunden worden ist, dann frage ich: warum dann nicht auch bei den 10% für Errichtung und Erweiterung von Betriebsanlagen? Hier hat man die Gleichstellung herbeigeführt, und ich bin wirklich der Meinung, daß wir bei der Festlegung der begünstigten Gebiete davon ausgehen müssen, daß die Kriterien in den wirtschaftlich nicht günstig strukturierten Gebieten die gleichen, unter Umständen sogar schwerwiegendere sein können als die Kriterien in einigen Bereichen des Zonenrandgebiets. Damit will ich nicht gegen die Problematik, auch nicht gegen die politische Problematik der Zonenrandförderung sprechen, sondern nur einmal ganz klar herausstellen - ich glaube, das macht sich insbesondere im Lande Schleswig-Holstein sehr deutlich bemerkbar -, daß durch diese einseitigen Maßnahmen der Wirtschaftsförderung im Zonenrandgebiet, durch permanentes Anwachsen der Zahl der wirtschaftsfördernden Maßnahmen in diesem Gebiet ohne Berücksichtigung der anderen wirtschaftlich schwach strukturierten Gebiete das Gefälle der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vom Osten des Landes Schleswig-Holstein zur Westküste immer größer und für die wirtschaftlich schwach
strukturierten Gebiete an der Westküste immer unerträglicher wird. Deswegen bitte ich darum, diesem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, ehe wir zur Abstimmung kommen, möchte ich Klarheit darüber schaffen, daß mich die Annahme der Anträge nach § 96 der Geschäftsordnung zwingen würde, die Beratung zu unterbrechen und die Vorlage mit den Anträgen dem Ausschuß zurückzuverweisen.
Wir stimmen jetzt ab, zunächst über den Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 672. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Dann stimmen wir ab über den Antrag auf Umdruck 710 der Abgeordneten Glüsing, Dr. Schulze-Vorberg, Haase und Genossen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Wir müssen die Abstimmung durch Erheben von den Plätzen wiederholen. Wer für diesen Antrag stimmen will, möge sich erheben. - Danke. Gegenprobe! - Jetzt ist es klar: das letztere ist ohne zu zählen die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe dann zunächst Art. 1 § 2 auf. Der hierzu vorliegende Änderungsantrag ist mit der Abstimmung über den Antrag Umdruck 672 Ziffer 1 erledigt. Dasselbe gilt für die Ziffer 3 des Antrags der FDP.
Wir stimmen dann über den Art. 1 in der Ausschußfassung ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 ist angenommen.
Ich rufe Art. 2 auf. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 2 ist angenommen.
Artikel 3! Hier liegt der Änderungsantrag auf Umdruck 673 *) der Fraktion der FDP vor. Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die FDP-Fraktion beantragt, die Höchstbeträge für die Sonderausgaben nach § 10 des Einkommensteuergesetzes anzuheben, und zwar von 1100 pro Person auf 1500 DM. Diese Höchstbeträge sind ja für Ausgaben bestimmt, die für die Alters- und Krankensicherung des Menschen dienen: Sozialversicherung, Lebensversicherung, Versicherung gegen verschiedene Lebensrisiken wie auch für die Bausparverträge, soweit für sie steuerliche Begünstigungen vorgesehen sind.
Im Jahre 1961 ist der Betrag von 1100 DM festgelegt worden. Ich glaube, ich brauche in diesem Haus nicht zu erläutern, daß seinerzeit die Höhe der Beiträge zur Sozialversicherung und zu anderen Versicherungen, wie auch des gesamten Lohn- und Preisniveaus ganz anders waren als heute. Damals waren die Grenzen so festgesetzt, daß die Mehrheit der Arbeitnehmer und der entsprechenden
*) Siehe Anlage 9
Einkommensgruppen ihre Alters-, Kranken- und Unfallversicherung innerhalb der 1100 DM pro Person abdecken konnte. Das ist aber heute keineswegs mehr der Fall. Ein Alleinstehender kann heute nur noch bei 700 DM im Monat im Rahmen des 1100Mark-Jahreshöchstbetrag seine Sozialversicherungen steuerfrei bezahlen, d. h. also seine Rentenversicherung, seine Krankenversicherung und seine Arbeitslosenversicherung. Schon ihm bleibt keine Möglichkeit, im Rahmen dieser Höchstbeträge an auch nur eine bescheidene Zusatzversicherung, etwa eine private Unfallversicherung oder eine Haftpflichtversicherung, einzugehen; es bleibt keine Mögichkeit, im Rahmen dieser Höchstbeträge an eine Eigentumsbildung etwa über Bausparverträge auch nur zu denken. Und für jeden, der über 700 DM verdient, gilt das um so mehr.
Ich meine, meine Herren und Damen, daß es schon angezeigt ist, die für den einzelnen Menschen wichtigen Möglichkeiten der Eigentumsbildung und der Alterssicherung gelegentlich zu überprüfen; denn wir wissen, daß Löhne und Preise sowie die Versicherungsbeiträge ständig steigen.
Die ständigen Lohn- und Preiserhöhungen führen bekanntlich beim Staat zu überproportional ansteigenden Steuereinnahmen. Das liegt einmal an unserem progressiven Steuertarif. Das liegt zum anderen daran, daß mit jeder Lohn- und Gehaltserhöhung Menschen, die bisher steuerfrei waren, in die Besteuerung hereinkommen, und dann gleich mit 19%, auf den überschießenden Betrag. Und dazu kommt dann noch eine geheime Progression dadurch, daß Beträge, die bisher steuerabzugsfähig waren, von einer festgesetzten Grenze an nicht mehr steuerabzugsfähig sind. Das heißt, der Staat profitiert von den laufenden Lohn- und Preiserhöhungen und damit von der allgemeinen Geldwertverschiebung in dreifacher Hinsicht. Auf diese Weise wird der Staat reich auf Kosten der Alterssicherung und der Sparmöglichkeiten des einzelnen.
Das ist nicht einzusehen; denn der einzelne muß ja bei der laufenden Erhöhung der Beträge in die Sozialversicherung, von der wir hier an dieser Stelle häufig genug gesprochen haben, nicht nur mehr Beiträge bezahlen, sondern darüber hinaus auch noch diese Beiträge, die er mehr zahlt, versteuern. Und das - das ist auch einmal zu bedenken - betrifft bei den Alleinstehenden genau den Anteil noch zusätzlich, den er nicht für sich, sondern für die Witwen anderer Leute mitbezahlen muß; denn wir haben ja eine Sozialversicherung mit einem solidaren Ausgleich, d. h. in der die nicht berufsfähige Hausfrau ohne Mehrbetrag durchgezogen wird. Wir möchten ein gerechteres System für die Frau mit eigenem Anspruch; aber heute ist das so. Das heißt, der Alleinstehende - das ist nicht nur der Junggeselle, von dem Sie vielleicht meinen, dem geschieht es recht; das ist auch der Witwer und die berufstätige Witwe und das ist der Geschiedene - zahlt für die anderen mit. Und genau diesen solidaren Mehrbetrag besteuern wir nun auch noch dadurch, daß wir seine abzugsfähigen Sonderausgaben zu niedrig ansetzen. Ich meine, das ist nicht gerecht; und es ist schon an der Zeit, diese Verhältnisse zu ändern. Wenn der Staat an der Geldwertverschiebung profitiert, soll er nicht noch außerdem an der laufenden Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge profitieren. Darum haben wir eine Erhöhung beantragt und zwar eine bescheidene, und wir halten sie nicht nur für gerecht, sondern auch für finanzierbar. Sagen Sie mir nun nicht, Herr Minister: Das können wir nicht bezahlen. Wir haben ein Gesetz vorliegen, das im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung 2,8 Milliarden DM kostet oder weniger an Steuern einbringt. Nun sagen Sie mir nicht: Diese 2,8 Milliarden DM sind zwar aufzubringen, aber die Erhöhung zugunsten des einzelnen Arbeitnehmers ist finanziell nicht zu verantworten. Das müssen Sie mir erst noch an Hand der Zahlen beweisen. Die Berechnungen gehen heute dahin, daß Bund und Länder in diesem Jahr mindestens 5 bis 6 Milliarden DM mehr einnehmen als veranschlagt, und zwar ganz besonders bei der Einkommen- und der Lohnsteuer. Wir wollen ja nun keine neuen Ausgaben beschließen, wir wollen ja nur von dem weit überproportionalen Mehraufkommen des Staates dem Arbeitnehmer seinen früheren Anteil an steuerfreien Einkommensteilen sichern. Das scheint richtig zu sein.
Nun sagen Sie mir nicht wie im Ausschuß: Das ist nicht antizyklisch, sondern prozyklisch. Meine Herren und Damen, was hier in verschiedenen Artikeln des vorliegenden Gesetzes zur Begünstigung der Investitionen und im Hinblick auf Tatbestände, die in der Großindustrie eine Rolle spielen, beschlossen wird, das wirkt doch wahrhaftig nicht antizyklisch, sondern prozyklisch, und zwar mit recht beträchtlichen Summen. Wenn es möglich ist, im wirtschaftlichen Raum absolut prozyklische Ausgaben oder Mindereinnahmen zu beschließen, müßte es eigentlich, so meinen wir, auch möglich sein, dafür zu sorgen, daß der einzelne Steuerpflichtige in vertretbarem Umfang seine Alters- und Krankenversicherung steuerfrei abschließen kann.
({0})
Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter Schwörer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe Ihnen zu dem Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 673 folgendes zu sagen. Frau Kollegin Funcke, wir haben diesen Antrag bereits im Finanzausschuß erörtert und dort die Argumente, die Sie hier vorgetragen haben, im wesentlichen schon widerlegt. Das gilt zunächst einmal für die lange Dauer des bisherigen Höchstbetrages. Das müßte man auf alle anderen Freibeträge ebenso übertragen, z. B. auf den Grundfreibetrag des Tarifs. Es ist also nur ein Teilproblem, das hier angesprochen ist.
Ich kann allerdings einräumen, daß wir Ihnen darin zustimmen, daß eine gewisse Berechtigung dort vorhanden ist, wo z. B. ledige Arbeitnehmer nicht ihre vollen Sozialversicherungsbeiträge absetzen können. Diese Tatsache macht uns die Ablehnung schwer. Aber wir würden mit der Erhöhung nicht nur
diesen Gruppen helfen, sondern wir würden auch den Steuerpflichtigen zusätzliche Vergünstigungen gewähren, die heute schon sehr hohe Freibeträge haben. Ich denke an die älteren Verheirateten mit hohem Einkommen. Hier wissen Sie, daß die Kritik ohnedies einsetzt und daß vorgesehen ist, dieses Thema bei einer künftigen Reform der Einkommensteuer zu erörtern. Sie wissen auch, daß die Sonderausgaben bei der Reform der Einkommensteuer eine Reihe von Problemen aufwerfen, z. B., ob man diesen Abzug überhaupt weiterhin so vornehmen soll, wie er bisher vorgenommen wird - nämlich als Ab zug vom Einkommen -, oder ob man diesen Abzug nicht von der Steuer vornehmen soll, um die Progression auszuschalten. Sie wissen weiter, daß die Form der Altersvorsorge überhaupt zur Diskussion steht. Es ist die Frage, ob sie bei Einkommensteuerpflichtigen nur über Versicherungsverträge erreicht werden soll oder ob in Zukunft auch andere Möglichkeiten eröffnet werden sollen. Im ganzen geht es um die Reform der Höchstbeträge, auch um die Höhe des Pauschbetrages. Wir wissen sehr wohl, daß der Pauschbetrag von 936 DM nicht hoch genug ist. Aber wir sollten, glaube ich, liebe Frau Kollegin, diese Dinge zurückstellen, bis die Große Steuerrechtskommission, die bereits tätig ist, eine Konzeption erarbeitet hat.
Nun sagen Sie, daß der Steuerausfall von uns nicht angesprochen werden soll. Sie haben den Finanzminister aufgefordert, hier etwas dazu zu sagen. Ich darf es in seinem Namen tun: Durch Ziffer 2 Buchstabe a des Antrages, den Sie gestellt haben, entstehen im Rechnungsjahr 1969 Ausfälle in Höhe von 750 Millionen DM, durch Ziffer 2 Buchstabe b Ausfälle von 400 Millionen DM; das sind zusammen 1,15 Milliarden DM. Der Bund müßte demnach etwa 500 Millionen DM an Steuerausfall in Kauf nehmen. Ich glaube nicht, daß man sagen kann, das sei eine quantité négligeable, das sei ein Betrag, den wir nicht zu beachten haben.
In diesem Zusammenhang ein Zweites, was der Präsident heute bei einem wesentlich weniger weitgehenden Antrag angeführt hat, als er davon sprach, daß man diese Gesetzesvorlage nach § 96 der Geschäftsordnung wieder in den Haushaltsausschuß zurückverweisen müßte, wenn ein dort gestellter Antrag angenommen würde. Das trifft bei der Höhe der soeben genannten Zahlen bestimmt für diesen Antrag in besonderer Weise zu. Wir würden die Sparförderung gefährden, die wir verbessern wollen, und zwar gerade für die kleinen und mittleren Einkommen. Sie wissen, daß wir hinsichtlich der Prämienverbesserung sowohl beim Prämiensparen als auch beim Bausparen über den Regierungsvorschlag hinausgegangen sind. Und sagen Sie bitte nicht, daß die Beträge, die wir hier mit Zusatzprämien und Einkommensgrößen neu erfassen, nicht ins Gewicht fallen. Sie wissen, daß bei den verheirateten Arbeitnehmern mit zwei Kindern die Begünstigungsgrenze heute bei 18 480 DM im Kalenderjahr oder bei 1540 DM im Monat liegt, daß zu diesem Bereich ein großer Teil der mittelständischen, aber auch ein großer Teil der Arbeitnehmereinkommen gehört. Das wollen wir nicht gefährden.
Darüber hinaus wissen Sie, daß heute noch das Gesetz zur Verbesserung des 312-DM-Gesetzes auf der Tagesordnung steht. Auch hier wird durch die Nichtanrechnung dieser Beträge auf den Höchstbetrag eine neue Verbesserung für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen geschaffen. Auch diese weitere Verbesserung wollen wir haben, und wir hätten bei ihr den Höchstbetrag gern noch erhöht, wenn wir die finanziellen Möglichkeiten dazu gehabt hätten. Wir hätten diese 312 DM, die zur Zeit angelegt werden können, am liebsten verdoppelt, aber wir haben aus fiskalischen Gründen, aus Gründen des Steuerausfalls darauf verzichten müssen.
Nun verweisen Sie auf die Bestimmungen über die Investitionsprämien, die wir in der zweiten Lesung bereits beschlossen haben, und sagen, wir handelten damit prozyklisch. Frau Kollegin, hier muß ich Ihnen aus voller Überzeugung widersprechen. Wir handeln niemals prozyklisch, wenn wir Förderungsmaßnahmen an einem Gebiet ergreifen, in dem heute noch keine Überkonjunktur herrscht, und wenn wir dort vor allem die Möglichkeiten schaffen, brachliegende Produktionsreserven zu aktivieren, sie in den Produktionsprozeß voll einzugliedern. Man kann hier wirklich nicht davon sprechen, daß wir dem Prinzip der Dämpfung der Konjunktur entgegenhandeln, wenn diese Verbesserungen der Maßnahmen zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur beschlossen werden.
Außerdem sind Sie mit mir sicherlich darin einig, daß unser Landwirtschaftsproblem nur mit Hilfe von Maßnahmen zur Ansiedlung industrieller Betriebe in den ländlichen Räumen gelöst werden kann, die die aus der Landwirtschaft ausscheidenden Bauern aufnehmen oder ihnen zu ihrem nicht mehr genügenden Einkommen die notwendige Verbesserung verschaffen.
({0})
Wir wollen beides: Wir wollen die Verbesserung der Sparförderung, wir wollen aber auch die Verbesserung unserer ländlichen Räume, die Verbesserung vor allem in wirtschaftlicher Beziehung. Deshalb können wir es uns nicht erlauben, dieses Gesetz, das heute als Steueränderungsgesetz 1969 vor Ihnen liegt, durch eine solche große zusätzliche Ausgabe zu gefährden.
Wir sind Herrn Finanzminister Strauß sehr dankbar, daß er trotz der durch unsere Beschlüsse im Finanzaussschuß gestiegenen Anforderungen an den Haushalt, sowohl bei der Sparprämie als auch bei der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur, im Finanzkabinett durchgesetzt hat, daß dieses Gesetz zum 1. Januar 1969 in Kraft tritt. Deshalb können wir es uns, trotz der guten Argumente, die Sie hier vorgetragen haben, nicht erlauben, zu den Ausgaben und Mindereinnahmen, die das Gesetz jetzt schon bringt, noch eine zusätzliche Mindereinnahme von über einer Milliarde D-Mark, d. h. reichlich einer halben Milliarde D-Mark für den Bund, zu beschließen.
Meine Damen und Herren, dies waren in etwa die Gründe, die uns im Finanzausschuß bewogen haben,
diesen Antrag abzulehnen. Aus diesen Gründen muß ich Sie auch heute bitten, dem Antrag der FDP auf Umdruck 673 Ihre Zustimmung zu verweigern.
({1})
Keine Wortmeldungen mehr zu diesem Antrag. Herr Kollege Schwörer hat noch einmal auf den § 96 der Geschäftsordnung hingewiesen. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag.
({0})
- Frau Funcke, Sie wünschen noch einmal das Wort?
({1}) und b) !)
- Über a) und b).
({2}) und 1 b)!)
- Also Ziffer 1 Nr. 2 a), darin a) und b). So verfahren wir.
Wir stimmen also zunächst ab über Ziffer 1 Nr. 2 a) unter Punkt a). Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Dieser Punkt ist abgelehnt.
Wir stimmen dann ab über den Antrag Ziffer 1 Nr. 2 a) unter Punkt b). Wer diesem Punkt zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Auch dieser Punkt ist abgelehnt.
Wenn ich es recht sehe, entfällt damit Ziffer 2 des Antrags der FDP-Fraktion auf Umdruck 673, und wir können über den unveränderten Art. 3 der Ausschußvorlage abstimmen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Artikel ist angenommen.
Ich rufe dann die restlichen Artikel auf, Art. 4 bis Art. 13, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
({3})
- Eine Gegenstimme.
Ich rufe dann zur
dritten Beratung
auf. Zunächst hat Herr Abgeordneter Schlee das Wort. Ich muß Wiedergutmachung üben. Eben wurde seine Wortmeldung übersehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mir erlauben, in Kürze einige Ausführungen zu Art. 1 § 1 des Steueränderungsgesetzes 1969 zu machen.
Als der Finanzausschuß diese Vorlage beriet, war ein sehr wesentlicher Gegenstand der gleichzeitigen Beratung der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur in entwicklungsbedürftigen Gebieten auf Drucksache V/3450 der Abgeordneten Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion der
CDU/CSU. Beide Entwürfe, sowohl die Regierungsvorlage in § 1 des Art. 1 wie dieser Entwurf der Fraktion der CDU/CSU, begegnen einander. Ja, der Entwurf der CDU/CSU ist in einigen Punkten über die Regierungsvorlage hinausgegangen. Wir begrüßen es daher heute, daß es gelungen ist, in die Regierungsvorlage einige sehr wesentliche Vorschläge dieses Entwurfs der Fraktion der CDU/CSU aufzunehmen.
Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe ,,Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" verabschiedet. Ich darf Sie kurz darauf hinweisen, daß dieses Gesetz und das nunmehr zu verbschiedende Steueränderungsgesetz eine Verwandtschaft haben. Wenn ich die Dinge richtig sehe - und ich glaube, ich sehe sie richtig -, dann bedeutet das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" die gesetzliche Fixierung, die gesetzliche Regelung einer Förderung, die bereits bisher auf dem Verwaltungswege und auf der Grundlage des Einzelplans 60 des Bundeshaushalts und der Haushalte der Länder geschehen ist, und zwar nach dem - so darf ich wohl sagen - pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Wirtschaftsbehörden des Bundes und der Länder. Mit dem Steueränderungsgesetz dagegen, nämlich mit dem Art. 1 dieses Gesetzes, soll, allerdings unter gewissen Einschränkungen, ein Anspruch des Unternehmers begründet werden, der bereit ist, in den förderungswürdigen Gebieten eine Investition vorzunehmen, wenn diese Investition volkswirtschaftlich förderungswürdig ist, wenn sie geeignet ist, entweder Arbeitsplätze zu vermehren oder Arbeitsplätze zu sichern.
Ursprünglich sollte nach der Vorlage der Regierung in einer Anlage festgelegt werden, was über den Zonenrand hinaus als Bundesausbauorte, als Bundesausbaugebiete zu gelten habe. Der Finanzausschuß hat es für besser gehalten, statt dessen der Regierung eine Ermächtigung zu erteilen und für diese Ermächtigung die Beschreibung und Definition der förderungswürdigen Gebiete zu übernehmen, wie sie das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" bereits enthält. Es sollen nämlich über den Zonenrand und über das Steinkohlenbergbaugebiet der Saar hinaus diejenigen Gebiete aufgenommen werden, deren Wirtschaftskraft erheblich unter dem Bundesdurchschnitt liegt oder erheblich darunter abzusinken droht. Und ich glaube, das sind im wesentlichen die sogenannten Bundesausbaugebiete und Bundesausbauorte. Weiter sollen nach der Ermächtigung von der 'Bundesregierung diejenigen Gebiete festgestellt werden, in denen Wirtschaftszweige vorherrschen, die vom Strukturwandel in einer Weise betroffen oder bedroht sind, daß negative Rückwirkungen auf das Gebiet in erheblichem Umfang eingetreten oder absehbar sind. Diese zweite Bestimmung bezieht sich sicher nicht allein auf landwirtschaftliche Gebiete. Darunter können auch Gebiete wie der Kohlenbergbau fallen. Aber wir sehen darin doch die erfolgreiche Übernahme des § 3 des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU, in dem vorgeschlagen war, daß die Förderungsmaßnahmen auch den sogenannten Agrarproblemgebieten zugute kommen sollten, das heißt den Gebieten, in denen auf Grund der gegenwärtigen bäuerlichen Struktur in der Zukunft mehr und mehr landwirtschaftliche Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft ausscheiden und einen neuen Haupterwerb oder einen zusätzlichen Erwerb suchen wollen.
Weiter, meine Damen und Herren, war in dem Entwurf vorgeschlagen worden, es sollte in den Förderungsgebieten und im Zonenrand nicht nur die Errichtung und Erweiterung neuer Betriebsstätten, sondern vor allen Dingen auch die Rationalisierung, die Anpassung, die Modernisierung, die Umstellung bestehender Betriebe gefördert werden. Es ist sicher nicht, und zwar aus finanziellen Gründen - darüber ist gesprochen worden-, möglich gewesen, in diesem weiten Umfang dem Wunsch der Fraktion der CDU/CSU und insbesondere auch, darf ich sagen, der Landesgruppe der CSU nachzukommen. Aber im Finanzausschuß ist doch Verständnis dafür vorhanden gewesen, daß für den Zonenrand eine Förderung der Umstellung und der grundlegenden Rationalisierung in Höhe einer Zulage von 7,5% vorgesehen wird. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich einmal mit dem Raumordnungsbericht der' Bundesregierung für das Jahr 1968 befaßt haben, dann finden Sie dort auf der Seite 5 eine Karte, die eindeutig zeigt, daß aus dem Zonenrand und insbesondere aus dem Rand an der thüringisch-sächsisch-böhmischen Grenze laufend eine Abwanderung in die Ballungsräume im Innern der Bundesrepublik stattfindet. Ich bitte Sie daher um Verständnis, daß uns sehr daran gelegen war, auch den dort schon bestehenden Betrieben eine Hilfe zu gewähren, damit sie, wie ich in der ersten Lesung dieses Gesetzes ausgeführt habe, eine Attraktivität ihres Verbleibens in dem Zonenrand verspüren. Es soll in Zukunft nicht weiterhin dazu kommen, wie auch der Raumordnungsbericht feststellt, daß diese Gebiete die Abwanderung wie bisher durch einen Geburtenüberschuß ausgleichen, daß sie deshalb gezwungen sind, für die Ausbildung der heranwachsenden Jugend alle Schulen und sonstigen Anstalten und Einrichtungen bereitzustellen, daß sie aber dann erleben müssen, daß die Jugend, wenn sie ins Erwachsenenalter, ins Alter des Erwerbs eintritt, diese Gebiete verläßt.
Der Raumordnungsbericht sagt ferner, und zwar auf Seite 46, daß es jetzt an der Zeit sei, wenn man eine wohltuende, eine fördernde Einwirkung auf eine Verbesserung der Raumordnung unserer Bundesrepublik ausüben wolle. Er meint, daß etwa vom Jahre 1975 an die wachstumsintensiven Industrien stagnieren werden, weil der Zuwachs an Arbeitskräften stagnieren wird, und daß in diesen späteren Jahren die Aussicht auf die Errichtung neuer Betriebe geringer sein wird, als sie heute ist. Darum sagt der Raumordnungsbericht: Wenn wir etwas tun wollen, dann müssen wir es jetzt und heute tun. Wir sind uns darüber im klaren - ich habe auch dies in der ersten Lesung des Gesetzes ausgeführt -, daß die finanziellen Anreize, die wir für die Errichtung und Erweiterung neuer Betriebe
sowie für die Förderung bestehender Betriebe gewähren können, keineswegs die große und ausschlaggebende Bedeutung besitzen, die man ihnen oft zuspricht. Hier sind auch andere Förderungen notwendig, vor allem ein guter Ausbau der Infrastruktrur. Dennoch dürfen wir uns der Notwendigkeit, auch durch finanzielle Anreize zunächst einmal die finanzielle Ausstattung dieser Gebiete zu fördern und zu heben, nicht entziehen. Wir müssen es, wie es der Raumordnungsbericht sagt, heute tun. Wir können uns keine Verzögerung erlauben.
Ich darf Ihnen sagen: meine Freunde werden auch im neuen Bundestag überprüfen, welche Wirkungen wir erreicht haben und welche weiteren Maßnahmen notwendig sind.
({0})
Das Wort hat Frau Kurlbaum-Beyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Als der vorliegende Entwurf in erster Lesung am 20. März dieses Jahres beraten wurde, hatte der Bundesrat bereits einen langen Katalog von Bedenken präsentiert. Allerdings ahnte damals noch niemand, mit wie vielen Zusatzanträgen sich der federführende Finanzausschuß und die mitberatenden Ausschüsse noch zu beschäftigen haben würden. Sicher, jeder wußte, daß der Wahltag nicht mehr in allzu weiter Ferne liegt. Aber der Herr Bundesfinanzminister hatte ja Ruhe an der Steuerfront verordnet. Er hatte von einem steuerlichen Schlußgesetz gesprochen, in das nur solche Maßnahmen aufgenommen werden sollten, deren Verwirklichung in dieser Legislaturperiode besonders dringlich ist. Für weitergehende oder zusätzliche Vergünstigungen, so erklärte der Herr Bundesfinanzminister am 20. März 1969, lasse die mehrjährige Finanzplanung des Bundes keinen Raum, weil sie durch diese Vorlage voll ausgeschöpft werde.
Wenn man jedoch die Entwicklung richtig sieht, muß man zu der Auffassung kommen, daß der Herr Bundesfinanzminister schon damals eine Ahnung davon hatte, daß in seinem eigenen Haus weitere Ergänzungsanträge zum vorliegenden Entwurf vorbereitet wurden. Er hat sich nämlich in seiner Rede vom 20. März weitere Überraschungen vorbehalten, an die er damals, wie er sagte, allerdings noch nicht glaubte. Er erklärte nämlich wörtlich:
Weitere Maßnahmen auf diesen Rechtsgebieten
sind - Überraschungen vorbehalten, aber ich
glaube nicht daran - vorerst nicht beabsichtigt.
Vier Wochen nach seiner Rede vor dem Bundestag, am 18. April 1969, übersandte der Herr Bundesfinanzminister den Bundestagsfraktionen dann überraschend eine Initiative für ein Gesetz über steuerliche Maßnahmen bei Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft, und dieser Teil war ebenfalls in das Steueränderungsgesetz eingebettet. Dieser Entwurf, der dem Gesamtkabinett nicht zur Beratung vorgelegt worden war, wurde auf Antrag eines KolFrau Kurlbaum-Beyer
legen der CDU in die Beratungen des Steueränderungsgesetzes 1969 einbezogen.
Ich möchte hier für meine Fraktion erklären, daß erweiterte steuerliche Maßnahmen, das heißt über den Regierungsentwurf hinaus, für uns nicht auf der Dringlichkeitsliste gestanden haben. Wir sind auch heute noch der Meinung, daß der von mir eben erwähnte Zusatzantrag keinen Beitrag zur Behebung unserer akuten Zahlungsbilanznöte darstellt, und wir befinden uns damit in Übereinstimmung mit Vertretern aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Bereich. Ich will hier nicht erneut die ganze Frage diskutieren. Ich will auch nicht die Frage aufwerfen, ob eine verstärkte Förderung von Auslandsinvestitionen noch notwendig und sinnvoll ist. Ein Blick in die Statistik belehrt uns, daß die deutschen Direktinvestitionen auch ohne steuerliche Hilfsmaßnahmen gegenwärtig schneller zunehmen als in allen anderen Staaten. Die deutsche Wirtschaft hat sich also bisher ganz gut selbst zu helfen gewußt.
Meine Fraktion hat sich mit Erfolg bemüht - ich sage hier: auch mit den Kollegen der anderen Fraktionen -, dem Zusatzantrag aus dem Bundesfinanzministerium den sogenannten Subventionszahn zu ziehen. Bei der Betriebsstättenregelung ist entgegen den ursprünglichen Vorschriften im Regierungsentwurf der Verlustausgleich auf gewerbliche Verluste beschränkt worden, um die unerwünschte Berücksichtigung ausländischer negativer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, das heißt praktisch die Begünstigung von Privathäusern im Ausland, zu verhindern. Außerdem wurde die Fünf-Jahres-Frist für die Berücksichtigung nachfolgender Gewinne im Finanzausschuß gestrichen. Bei der Regelung für ausländische Tochtergesellschaften wurde sichergestellt, daß lediglich Anlaufverluste bei Neuinvestitionen im Ausland berücksichtigt werden können. Um der Gefahr zu begegnen, daß eine unbefristete Rücklage zu Gewinnmanipulationen bei ausländischen Kapitalgesellschaften ausgenutzt wird, ist außerdem beschlossen worden, daß die Rücklage spätestens nach fünf Jahren aufgelöst werden muß. Sicherlich stellt die nunmehr gefundene Regelung noch keine Dauerlösung dar. Die angemessenste Dauerlösung für die EWG dürfte wohl die französische Regelung der konsolidierten Bilanz sein, bei der generell nicht nur die Verluste, sondern auch die Gewinne in die inländische Gesamtbesteuerung einbezogen werden. Die EWG-Kommission hat ja einen entsprechenden Vorschlag, der eine Option für eine konsolidierte Bilanz vorsieht, bereits ausgearbeitet.
Außer den steuerlichen Maßnahmen bei Auslandsinvestitionen enthält der vorliegende Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1969 noch einige andere Punkte, die nicht auf der Dringlichkeitsliste standen, zum Beispiel die Verlängerung der Sonderabschreibungen. Man kann jedoch feststellen, daß mit den Beschlüssen einer Steuerreform in der nächsten Legislaturperiode nicht vorgegriffen wird. Die übrigen Zusatzanträge, die dem Bundestag nachgereicht und vom Finanzausschuß übernommen wurden, werden allerdings auch von unserer Fraktion als dringend empfunden. Das gilt z. B. für die Änderung des Bewertungsgesetzes, für die sich schon vor vielen
Monaten Abgeordnete meiner Fraktion ausgesprochen hatten. Als das Bewertungsgesetz gegen Ende der letzten Legislaturperiode verabschiedet wurde, konnte noch niemand ahnen, daß der § 77, also das Mindestwertverfahren, eine so große Rolle spielen würde. Die nunmehr vorgesehene Regelung, als Mindestwert 50 v. H. des Wertes des unbebauten Grund und Bodens anzusetzen, halten wir für durchaus angemessen. Wir sind auch der Meinung, daß es notwendig ist, die Auswirkungen weiter zu überprüfen. Der vorliegende Entschließungsantrag trägt diesem Wunsch Rechnung.
Mit dieser Neuregelung soll verhindert werden, daß Grundstückseigentümer, die sich vor vielen Jahren in den Außenbezirken der Städte ein Eigenheim errichteten, deren Flächen inzwischen durch die Expansion der Städte einen großen Wertzuwachs erfuhren, durch die auf sie zukommende neue steuerliche Belastung in Zahlungsschwierigkeiten geraten, die unter Umständen sogar zur Aufgabe ihres Eigenheims führen könnten.
Wir begrüßen auch die Anhebung des Freibetrages von 3000 auf 5000 DM bei der Gemeinnützigkeitsverordnung, die ja einem Antrag der FDP entsprach. Damit erhalten alle steuerbegünstigten Vereine, z. B. auch alle Sportvereine, einen Freibetrag von nunmehr 5000 DM, wenn sie Überschüsse aus anderen Veranstaltungen, etwa kulturellen oder sonstigen geselligen Veranstaltungen, erzielen.
Gestatten Sie mir nun einige Bemerkungen zu denjenigen Bestimmungen, auf deren Inkrafttreten meine Fraktion ganz entscheidenden Wert gelegt hat. Zwei Hauptziele stehen im Vordergrund, die Sparförderung und die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur.
Die SPD vertritt schon seit langem die Auffassung, daß die Sparförderung für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen durch Gewährung von Zusatzprämien verstärkt werden muß. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hatte meine Fraktion bereits zu Beginn der letzten Legislaturperiode eingebracht. Diese Vorstellungen haben auch Eingang gefunden in die Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966. In ihr heißt es: „Es muß geprüft werden, wo Einkommensgrenzen eingeführt werden sollen." Unter diese Erwägungen fallen - so erklärte der Herr Bundeskanzler damals - auch die Sparförderung. Die Zusatzprämien für Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen stoßen nicht überall auf Gegenliebe, weil sie nach Auffassung insbesondere der Kreditinstitute zu einem höheren Verwaltungsaufwand führten. Dem steht jedoch entgegen - das möchte ich hier doch besonders hervorheben -, daß nach Aussage auch der einschlägigen Institute, wie z. B. der Sparkassen, der Sozialrabatt bei den Volkswagenaktien, der ebenfalls an bestimmte Einkommen gebunden war, zu keinen großen Schwierigkeiten geführt hat. Im übrigen hat der Finanzausschuß die Vorschriften insoweit noch verbessert bzw. vereinfacht, als die Gewährung der Zusatzprämien nicht an das Jahreseinkommen des Jahres gebunden wird, in dem der Antrag gestellt wird, sondern an das Jahreseinkommen, das der Sparer im Jahre zuvor verdient hat. Damit sind wir einem
berechtigten Wunsch der Kreditinstitute nachgekommen, und sicherlich erleichtern wir auch den Sparwilligen den erforderlichen Nachweis. Ich will damit keinesfalls einen Mehraufwand abstreiten, Bedenken waren jedoch abzuwägen gegenüber dem vorrangigen gesellschaftspolitischen Ziel einer breiteren Vermögensbildung durch gezielte Sparförderung bei kleinen Einkommen.
Ein weiteres Anliegen meiner Fraktion, das mit dem vorliegenden Entwurf zum Zuge kommt, ist die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, insbesondere die verstärkte Förderung des Zonenrandgebietes. Die für das Zonenrandgebiet, die Bundesausbaugebiete und die Bundesausbauorte vorgesehenen Investitionszulagen sollen vor allem zur Schaffung zusätzlicher Dauerarbeitsplätze in den genannten Gebieten beitragen, aber auch vorhandene Dauerarbeitsplätze erhalten.
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- Natürlich, die gehören dazu.
Hervorzuheben ist, daß die Förderung nicht mit dem zum Teil veralteten Instrumentarium der Sonderabschreibungen, sondern mit dem Instrument der Zulage erfolgt. Damit wird sichergestellt, daß die mittelständischen Unternehmen genauso stark gefördert werden wie die Großunternehmen. Wir sehen darin einen ganz besonderen Fortschritt; denn erstmals hängt die steuerliche Förderung nicht mehr von dem zu erwartenden Gewinn und der zu zahlenden Steuer ab. Die Investitionszulage wird also auch dann gewährt, wenn das Unternehmen einen zu versteuernden Gewinn nicht ausweist.
Wenn man die im Steueränderungsgesetz 1969 vorgesehenen Steuerrechtsänderungen richtig würdigen will, muß man meiner Auffassung nach vor allem drei Fragen beantworten. Erstens - und das ist ja auch heute in der Diskussion angeklungen -: ist es gelungen, die Maßnahmen gezielt einzusetzen, d. h. also die vielbeschworene Gießkanne zu vermeiden? Zweitens: wie wirken die Steuerrechtsänderungen auf die Konjunktur? Drittens: wie sind die Maßnahmen unter dem Aspekt der sozialen Symmetrie zu beurteilen?
Die erste Frage kann ohne größere Einschränkung mit einem .Ja beantwortet werden. Zusatzprämien für die einkommensschwächeren Schichten unseres Volkes entsprechen voll und ganz dem Erfordernis der Gezieltheit. Mit dem im Investitionszulagegesetz vorgesehenen Bescheinigungsverfahren ist ebenfalls der Versuch unternommen, die „Gießkanne" zu vermeiden. Die Investitionszulage für kleine und mittlere Presseunternehmen ist völlig gestrichen worden, da man sich im Laufe der Beratungen zunehmend klar darüber wurde, daß die Begrenzung der Zulage auf eine bestimmte Auflagenhöhe kein geeignetes Mittel ist, die „Gießkanne" zu vermeiden. Damit soll das Thema der Presseförderung jedoch nicht zu den Akten gelegt werden. Die Bundesregierung wird vielmehr ersucht, eine Lösung zu suchen, die wirklich geeignet ist, die Wettbewerbslage der zu fördernden Presseunternehmen zu verbessern. Die sozialdemokratische Fraktion wird unabhängig davon bemüht sein, auch eigene Kriterien für diese Förderung in der nächsten Legislaturperiode vorzulegen.
Was die Frage der Konjunkturgerechtigkeit des Steueränderungsgesetzes anbetrifft, so kann den Zusatzprämien in den Sparprämiengesetzen die Note „Sehr gut" erteilt werden. Die Investitionszulagen scheinen nicht so recht in die konjunkturpolitische Landschaft zu passen. Hier muß man sich jedoch darüber im klaren sein, daß gerade bei einer Abschwächung der wirtschaftlichen Tätigkeit viele Unternehmen in strukturschwachen Gebieten vor Neuinvestitionen zurückschrecken und auch durch Investitionszulagen nicht zu Investitionen angereizt werden können. Das hat z. B. die Zeit der Rezession auch deutlich gemacht. Wenn daher eine solche Maßnahme überhaupt den gewünschten Erfolg haben soll - und das ist ja wohl unser aller Wille -, kann sie nur in einer Hochkonjunktur erfolgen.
Die Inkraftsetzung der Investitionszulagen für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen wurde allerdings im Hinblick auf die gegenwärtige Konjunkturüberhitzung auf den 1. Januar 1970 festgesetzt. Hier glauben wir, daß eine Zurückstellung ohne weiteres verantwortet werden kann. Damit soll keineswegs die Notwendigkeit im entferntesten angezweifelt werden. Wir meinen aber, daß auf diesem Gebiet, auch oder gerade in einer Rezession, durch zusätzliche öffentliche Mittel der Wille zu zusätzlichen Maßnahmen gefördert werden kann.
Nun zu der letzten Frage, dem nicht minder wichtigen Gesichtspunkt der sozialen Symmetrie. Das Steueränderungsgesetz 1969 ist von der Bundesregierung bewußt „sozial symmetrisch" ausgearbeitet worden. Die steuerlichen Mindereinnahmen betrugen nach dem ursprünglichen Regierungsentwurf für den Unternehmensbereich 340 Millionen DM, die Prämienmehrausgaben bei der Sparförderung für den Bereich, den man als Arbeitnehmerbereich bezeichnen kann, 310 Millionen DM. Diese soziale Symmetrie drohte infolge zahlreicher Zusatzanträge auseinanderzufallen. Schließlich gelang es jedoch, den Steuerausfall im Unternehmensbereich bei den steuerlichen Maßnahmen für Auslandsinvestitionen auf 60 Millionen DM zu begrenzen. Die Aufnahme der Rationalisierungsinvestitionen in die Förderung wird etwa 150 Millionen DM kosten. Dem steht jedoch eine Verbesserung der Sparförderung gegenüber.
Auf Antrag meiner Fraktionsmitglieder wurde die Zusatzprämie beim Wohnungsbauprämiengesetz auf 30 v. H. und beim Sparprämiengesetz auf 40 v. H. erhöht, was eine Haushaltsmehrbelastung von etwa 110 Millionen DM bewirkt. Hinzu kommt noch die Regelung, daß Leistungen nach dem 312-DM-Gesetz auf den Prämienhöchstbetrag nicht angerechnet werden sollen. Dieses Gesetz wird ebenfalls noch verabschiedet, und die Vergünstigung wird etwa 70 Millionen DM kosten.
Die Annahme des SPD-Antrags auf Erhöhung der Zusatzprämien hat es meiner Fraktion ermöglicht, auf einen nochmaligen Antrag zur Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrags vorläufig zu verzichten.
Ich hatte ihn unter bestimmten Voraussetzungen angekündigt und für das Zonenrandgebiet vorsorglich gestellt. Ich möchte hier das wiederholen, was ich im Finanzausschuß gesagt habe: Die Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrages im Zonenrandgebiet rechtfertigte sich allein schon aus dem dort vorhandenen Lohngefälle. Unabhängig davon haben die Arbeitnehmer durchweg eine ungenügendere Ausbildung im Vergleich zu anderen entwickelten Gebieten und daher im Laufe ihres Arbeitslebens Mehrkosten aufzuwenden oder aber Mindereinnahmen hinzunehmen. Nicht selten haben sie auch ungünstigere Fahrverbindungen, so daß neben öffentlichen Verkehrsmitteln noch andere Fahrmittel benutzt werden müssen, für die sie alleine aufzukommen haben. Ich möchte hier keinen Zweifel darüber lassen, daß die Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrages - zunächst eine Verdoppelung - gemäß dem Regierungsprogramm meiner Partei eines der Nahziele sozialdemokratischer Steuerpolitik bleiben wird. Es kommt mir darauf an, hinzuzufügen, daß natürlich auch die angespannte Konjunktur uns den Antrag auf Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrages zurückstellen ließ. Wir wollten uns im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht dem Vorwurf aussetzen, daß wir uns einer zusätzlichen Überhitzung schuldig machen.
Meine Herren und Damen! Betrachtet man nun das Steueränderungsgesetz 1969 unvoreingenommen, so kommt man doch wohl zu dem Ergebnis, daß trotz Vorwahlkampfzeit ein Gesetzeswerk zustande gekommen ist, das in sich ausgewogen ist und dem man ruhigen Gewissens seine Zustimmung geben kann. Die Arbeit wurde in Anbetracht des bevorstehenden Wahltermins gerade in der letzten Phase hektisch und war - das möchte ich hinzufügen - in mancher Situation nicht gerade erfreulich. Wir haben nun zweimal diese Erfahrung gemacht: 1965 und auch jetzt. Das sollte uns genügend Lehre sein. Jedenfalls wünschen wir uns, daß Gesetzentwürfe mit so starkem politischem Gewicht dem Parlament künftig eher zugeleitet werden und in den Ausschüssen früher beraten werden können.
Der FDP, die nach der Berliner Sitzung wieder einmal glaubte, sagen zu müssen, daß die Zerrissenheit der Großen Koalition deutlich geworden sei, möchte ich nur noch sagen: gerade diese offene Auseinandersetzung im Ausschuß ist ein Beweis dafür, daß die beiden großen Fraktionen nicht einfach übernehmen, was ihnen die Regierung vorsetzt. Daß wir in den Ausschüssen hart miteinander ringen und dort die unterschiedlichen Interessen, die die einzelnen Parteien, aber auch deren einzelne Mitglieder vertreten, gegeneinander abgewogen werden müssen, ist gerade an diesem Gesetz besonders offensichtlich. Ich kann nur sagen, auch diese Vorlage macht deutlich, daß der Parlamentarismus in der Zeit der Großen Koalition nicht gelitten hat, und genauso wenig wurde der Demokratie ein Schaden zugefügt, wie man es manchmal draußen bei den APO-Leuten heraushört. Wir haben alle in dieser Zeit dazugelernt, und dazu sollten kluge Menschen in jedem Lebensalter bereit sein.
Ich möchte abschließend - auch im Namen meiner Fraktion - an den Bundesrat die dringende
Bitte richten, Bedenken, die er in einigen Punkten hat, zurückzustellen und dem Gesetzentwurf zuzustimmen, um die Verwirklichung der politischen Ziele dieses Gesetzentwurfes nicht zu gefährden.
({1})
Das Wort hat Herr Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Namen der CDU/CSU-Fraktion folgende Erklärung abzugeben.
Erstens werde ich mich darauf beschränken, die Gemeinschaftsleistung, die das Hohe Haus mit der Verabschiedung dieses Gesetzes vollbringt, herauszustellen; ich werde bestrebt sein, kein Wasser auf parteipolitische Mühlen zu leiten.
({0})
Zweitens werde ich mich bemühen, die Sache in der Hälfte der Zeit, die meine Vorrednerin gebraucht hat, abzuhandeln.
({1})
Meine Damen und Herren, das Steueränderungsgesetz 1969 ist kein Steuerreformgesetz im eigentlichen Sinn des Wortes. Es ist daher in seiner Bedeutung nicht mit den großen finanz- und steuerpolitischen Reformwerken dieser Legislaturperiode, dem Mehrwertsteuergesetz und der Finanzverfassungsreform, vergleichbar. Trotzdem stellt es einen Markstein in der Geschichte des deutschen Steuerrechts dar. Es ist nämlich wegen seiner wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Zielsetzung von besonderer Bedeutung. Das gilt insbesondere für das Teilgesetz, das die Investitionszulagen behandelt. Hierzu hat Herr Kollege Schlee soeben würdigende Ausführungen gemacht, die ich nicht zu wiederholen brauche.
({2})
- Das ist selbstverständlich. Ich habe das Wort „würdigende" gebraucht. Das bezog sich sowohl auf den Sprecher als auch auf den Inhalt seiner Ausführungen.
Mit den Investitionszulagen wird ein Weg beschritten, der - in den Ansätzen vorgezeichnet im Berlinhilfe- und im Kohlegesetz - zu einer gerechteren staatlichen Hilfe führt, als sie die jetzt schon klassischen steuerrechtlichen Maßnahmen, insbesondere die steuerrechtlichen Sonderabschreibungen, zu geben vermögen, die sich zwar als Initialzündung hervorragend bewährt, jedoch den Nachteil haben, daß die Vorteile je nach der Höhe der Erträge unterschiedlich sind.
Die CDU/CSU-Fraktion hat den Einwand, dieses Teilgesetz passe in der gegenwärtigen Konjunkturlage nicht in die Landschaft, sehr ernst genommen. Es besteht jedoch kein Zweifel darüber, daß sich die Strukturprobleme in der Phase des Konjunkturaufschwungs am besten lösen lassen. In einer Phase der Stagnation wären die Unternehmer gar nicht
bereit, in strukturschwachen Gebieten zu investieren.
Der Erfolg dieses Teiles des Gesetzes hängt von den notwendigen Infrastrukturmaßnahmen ab. Hier tragen die Gemeinden die Hauptlast. Das muß bei den weiteren Überlegungen zur mittelfristigen Finanzplanung und im kommunalen Finanzausgleich gebührend berücksichtigt werden.
Das Steueränderungsgesetz 1969 befaßt sich auch mit Maßnahmen zur verstärkten Förderung von Wissenschaft, Forschung und Bildung. Sie haben das Ziel, die technologische und die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer gesamten Volkswirtschaft zu stärken. Wir haben bei der mittelfristigen Finanzplanung den Ausgaben für Wissenschaft und Forschung eine hohe Priorität eingeräumt. Wir begrüßen und unterstützen die Anstrengungen des Bundesforschungsministers, auf diesem Gebiet noch mehr zu tun. Es kommt nun aber wesentlich darauf an, daß auch die Unternehmen in stärkerem Umfange als bisher in die Lage versetzt werden, Investitionen vorzunehmen, die notwendig sind, damit die Bundesrepublik ihre Position auf dem Weltmarkt auf die Dauer behaupten kann. Diesem Ziele dienen diese steuerlichen Anreize; deshalb wurde dieser Weg beschritten.
Auch das in den Rahmen des Steueränderungsgesetzes 1969 eingebaute Teilgesetz über die Beseitigung steuerlicher Hemmnisse bei Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft ist weniger eine steuerpolitische Regelung als vielmehr ein Ge- setz mit wirtschaftspolitischer Zielsetzung. Es wäre falsch, hierin eine kurzfristig wirkende Maßnahme zur außenwirtschaftlichen Absicherung zu sehen. Es soll vielmehr langfristig zur Entlastung unserer Zahlungsbilanz dadurch beitragen, daß wenigstens ein Teil der Exportnachfrage einer weiter expandierenden deutschen Wirtschaft ins Ausland verlagert wird. Die Bundesrepublik Deutschland hat insoweit, wenn man den Vergleich mit anderen westlichen Industriestaaten anstellt, einen hohen Nachholbedarf. Auslandsinvestitionen haben nicht nur wirtschaftliche Bedeutung; sie sind auch von politischer Tragweite. Denn sie tragen über die wirtschaftliche Verflechtung hinaus zur Begegnung mit anderen Staaten und Völkern bei und dienen damit dem gegenseitigen Verständnis.
Um seinem Namen nicht ganz untreu zu werden, ändert das Steueränderungsgesetz einige Bestimmungen des Einkommensteuerrechts. Es handelt sich hauptsächlich um Fristverlängerungen. Diese Fristverlängerungen sind im Hinblick darauf notwendig geworden, daß Sonderabschreibungen und Ermächtigungen weiter aufrechterhalten bleiben müssen. Sie sind zwar im Subventionsbericht der Bundesregierung angesprochen; sie werden aber wohl Gegenstand der großen Steuerreform sein müssen. Dann wird auch an eine Bereinigung dieser Vorschriften herangegangen werden müssen.
Das Berlinhilfegesetz - und das möchte ich hier besonders betonen - erfuhr eine Ergänzung und eine Erweiterung, um den Präferenzvorsprung Berlins aufrechtzuerhalten.
Das Gesetz befaßt sich ferner mit den steuerlichen Vorschriften im Zusammenhang mit der Gründung einer Gesamtgesellschaft für das Steinkohlenbergbaugebiet Ruhr. Es komplettiert sozusagen die Bestrebungen zur Sanierung des Ruhrkohlenbergbaus, indem es für die Ruhrkohle-AG die steuerlichen Erleichterungen schafft, die notwendig sind, um die Ruhrkohle-AG steuerlich über die Anfangsjahre hinwegzubringen.
Dieses Steueränderungsgesetz verlängert außerdem das Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete um weitere zwei Jahre.
Ich möchte das Wort „soziale Symmetrie" darauf anwenden, daß die Gebiete, die einer Hilfe bedürfen - Zonenrandgebiet, Bundesausbaugebiete, Bundesausbauorte, das Kohlenrevier und die strukturschwachen ländlichen Gebiete -, in diesem Gesetz im Hinblick auf eine günstige wirtschaftliche Entwicklung in der Zukunft bedacht worden sind.
Als bedeutsam und zukunftweisend ist auch die verstärkte Förderung der Vermögensbildung für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen durch die Zusatzprämien nach dem Sparprämiengesetz und dem Wohnungsbauprämiengesetz zu werten. Hier handelt es sich um ein gesellschaftspolitisches Ziel hohen Ranges. Hier muß ich von meinem Vorsatz abweichen und erwähnen, daß es gerade ein Unterausschuß unter der Leitung von Herrn Kollegen Professor Burgbacher gewesen ist, der schon vor Jahren klare Vorstellungen über Änderungen eigentumsbildender Maßnahmen entwickelt hatte. Wenn wir den Bestand einer freiheitlichen und menschwürdigen Gesellschaftsordnung auf die Dauer - und das ist unsere Überzeugung - erhalten wollen, müssen wir alle Bürger am wachsenden Wohlstand und an der Vermögensbildung teilhaben lassen. Im nächsten Bundestag muß es allerdings ein gemeinsames Ziel aller sein, die verschiedenen Sparförderungen aufeinander abzustimmen, zu harmonisieren.
Lassen Sie mich schließlich noch eine Bemerkung zu der im Regierungsentwurf vorgesehenen Investitionszulage für Presseunternehmen machen. Ich schließe mich hier voll inhaltlich dem an, was Frau Kollegin Kurlbaum-Beyer hierzu gesagt hat: Das Problem bleibt auf dem Tisch. Die Bundesregierung ist und bleibt aufgefordert, neue, praktikablere Vorschläge zur Lösung dieser Frage zu machen.
Zusammenfassend - und damit komme ich zum Schluß - hebe ich hervor, daß dieses Gesetz, von sachlichen Gesichtspunkten geprägt, zugleich das Ergebnis guter Kompromisse ist. Von allen Seiten des Hauses ist im Finanzausschuß daran mitgearbeitet worden. Deshalb bin ich davon überzeugt, daß auch der Bundesrat dem Steueränderungsgesetz 1969, um dessen Annahme ich Sie im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bitte, seine Zustimmung nicht versagen wird.
({3})
Das Wort hat Frau Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die FDP-Fraktion stimmt dem Gesetz im ganzen zu, sie tut es allerdings mit einigen Bedenken. Denn dieses Gesetz, das im Grunde ein Sammelsurium von unterschiedlichsten Wünschen, Anregungen und Anträgen ist, ist in sich unsystematisch und in vielen Teilen unabgestimmt. Es zeigt sogar innerhalb der einzelnen Punkte mangelnde Abstimmung. Es läßt keine klare Konzeption, erkennen, weder in konjunkturpolitischer noch in steuersystematischer Hinsicht. Es ist antizyklisch und prozyklisch zugleich. Denn, Herr Kollege Schwörer, natürlich ist die Unterstützung für Forschungs-und Entwicklungsinvestitionen nicht antizyklisch, sondern prozyklisch, denn sie erfolgt zumeist ja nicht im Zonenrandgebiet, sondern in den Gebieten, in denen die Konjunktur in vollem Gange ist. Trotzdem stimmen wir zu. Nur müssen wir wissen, daß in der Frage der Konjunkturpolitik keine eindeutige Richtung vorhanden ist, daß es andere durchaus erwägenswerte und notwendige Gesichtspunkte sind, die zusätzlich oder sogar entscheidend die eine oder andere Blickrichtung geprägt haben.
Dieses Gesetz bringt eine weitere Komplizierung unserer Steuergesetzgebung mit sich. Ich brauche nur das Stichwort Sparprämien mit der Ermittlung der Einkommensgrenzen zu erwähnen. Ich muß hier auch noch unterstreichen, was Frau Kollegin Kurlbaum-Beyer sagte. Wir hatten einfach nicht die Zeit zu einer systematischen und vernünftigen Beratung. Ich finde das sehr bedauerlich. Es hätte zweifelsohne auch unserem Wunsch entsprochen, wenn die Regierung die Absichten, die sie hatte, früher erklärt hätte, und wir hätten zugleich gewünscht, daß die Vorlagen, die früher von den Fraktionen eingereicht worden waren, nicht so lange verschoben worden wären, bis zu dem Tag, an dem die Regierung mit ihren Vorschlägen kam. Es lagen eine Reihe von Anträgen vor, ,die bei der Beratung im Ausschuß immer wieder vertagt wurden, anstatt sie zu einer ruhigen Zeit und in einer ruhigen Atmosphäre zu beraten.
So hat es sich dann natürlich auch ergeben, daß innerhalb der Koalition heftige Auseinandersetzungen vorgekommen sind. Wir kritisieren das nicht, nur hätten wir gewünscht, daß die Einigung, die ja offensichtlich irgendwann erfolgt ist, sich in den offiziellen Beratungen im Ausschuß ergeben hätte und nicht hinter den Kulissen. Wir als Opposition konnten das nicht mitvollziehen, sondern konnten sie nur nachträglich staunend zur Kenntnis nehmen. Denn daß es erhebliche Meinungsunterschiede in dieser Koalition gab, das brauche ich Ihnen ja nicht zu erzählen; das wissen Sie selbst.
({0})
- Das ist sehr positiv, aber das gehört eigentlich in den Ausschuß, damit wenigstens die Sachinformationen, die dazu führten, auch der Opposition zugänglich gewesen wären.
Wir stellen auch einige Dinge fest, die zweifelsohne Präzedenzfälle für spätere Ansprüche sein können und deren Auswirkungen und Folgen wir noch
nicht ganz übersehen. Auch hier hätten wir lieber die Zeit gehabt, das einmal insgesamt zu untersuchen und in den Auswirkungen zu bedenken.
Schließlich haben wir hinsichtlich der Konstruktion große Bedenken, daß man zur Umgehung des Instituts der Gemeinschaftsaufgaben - meine Herren und Damen, die Sie gerade so begeistert beschlossen haben! - jetzt Subventionen über Steuern abwickelt. Wir könnten ja ohne Mühe Investitionszulagen für Zonenrandgebiete außerhalb der Steuergesetze als Subventionen geben. Denn diese Zulagen schließen ja an keinen Steuertatbestand an, sondern an tatsächliche Investitionen. Daß man sie trotzdem über das Steuergesetz abwickelt, kompliziert das Steuergesetz und bringt in der Zukunft eine Möglichkeit für Präzedenzfälle, deren Ausmaß unabsehbar ist. - Warum Sie das so machen wollen, ist ebenso klar wie bedenklich. Sie wollen die Gemeinschaftsaufgaben umgehen und die Länder möglichst wenig in die Gewährungsentscheidungen hineinreden lassen. Das darf ich nur einschieben, weil Sie gerade mit großer Begeisterung das Institut der Gemeinschaftsaufgaben gefeiert haben.
Trotzdem, sagte ich, stimmen wir Freien Demokraten dem Gesetz als Ganzem zu, weil es uns bei allen einzelnen Bedenken und Schwierigkeiten größerer und kleinerer Art immerhin in der Zielsetzung der meisten Punkte notwendig zu sein scheint. Wir begrüßen die Hilfe für Investitionen in den Zonenrand- und Aufbaugebieten, hätten allerdings gern die volle Einbeziehung der Rationalisierungsinvestitionen und Umstellungen gesehen; denn es ist letztendlich sozialer und billiger, bestehende Betriebe bei konjunkturellen Schwankungen oder strukturellen Umstellungen zu erhalten und sicher zu machen, als sie eingehen zu lassen und dafür mit großem Aufwand neue dahin zu bringen. Wir begrüßen es, daß sich die SPD schließlich mit einiger Mühe wenigstens zu einer Teillösung hat bewegen lassen. Die weitergehende Lösung ist leider abgelehnt worden.
Wir begrüßen die Förderung der Forschung und Entwicklung, weil unsere Wirtschaft von den Ergebnissen der Forschung und Wirtschaft insgesamt lebt. Wir begrüßen es auch, daß nach der ersten Anregung der FDP auch von seiten der Regierung Anregungen gekommen sind, die Auslandsinvestitionen aus währungspolitischen Gründen zu fördern. Wir begrüßen es, daß Sachspenden steuerlich erleichtert werden, weil wir der Meinung sind, daß eine Reihe von Aufgaben für die Allgemeinheit nicht immer nur von der öffentlichen Hand, sondern auch von einzelnen übernommen werden sollten und nicht immer nach dem Staat gerufen werden muß. Wir begrüßen auch die Verlängerung der Regelung betreffend Sonderabschreibungen für Einrichtungen, die die Allgemeinheit schützen, z. B. für die Luft- oder Wasserreinhaltung, weil diese nicht mehr in dem nötigen Umfang durchgeführt würden, wenn der Termin bald ausliefe.
Wir begrüßen die Änderung des Bewertungsgesetzes, wenngleich man in dem Auspendeln zwischen den Prozentsätzen - voller Grundstückswert, halber Grundstückswert im Vergleich der bebauten und unbebauten Grundstücke - niemals zu einer ganz eindeutigen und befriedigenden Regelung kommen wird. Aber dies ist ein guter Schritt, um erhebliche Mißstände, die sich bei der Bewertung eingestellt oder herausgestellt haben, zu beseitigen.
Wir begrüßen ferner - wenn auch mit Einschränkungen in der Methode - die Verbesserung der Sparprämien. Wir hätten einen anderen Weg vorgezogen. Aber wir werden auch diesem Teil unsere Zustimmung geben. Und schließlich begrüßen wir, daß es wenigstens in der Anpassung für Berlin gelungen ist, einen kleinen Schritt zu tun, wenngleich das gesamt Berlinhilfegesetz in der nächsten Legislaturperiode wahrscheinlich noch einmal auf den Tisch kommen muß.
Meine Herren und Damen, wir werden diesem Gesetz zustimmen, aber wir tun es mit einem besonderen Bedauern darüber, daß Sie soeben unserem Antrag bezüglich der Sonderausgaben nicht Ihre Zustimmung gegeben haben. Wir meinen nämlich, daß hier eine zwingende und dringende Anpassung an die veränderten Geldverhältnisse im Hinblick auf den sozialen Status des einzelnen notwendig gewesen wäre. Es hätte gerade zu der Tendenz und dem Schwerpunkt dieses Gesetzes gut gepaßt - wenn Sie schon von sozialer Symmetrie sprechen -, daß dem einzelnen für seine Alters-und Lebenssicherung mehr Möglichkeiten gegeben worden wären.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf nur wenige Bemerkungen. Ich möchte zuallererst den Damen und Herren des Finanzausschusses und dem Herrn Vorsitzenden dieses Ausschusses herzlich dafür danken, daß sie diese umfangreiche Regierungsvorlage, die auch erst nach einer langen Vorgeschichte im Parlament eingebracht werden konnte, noch rechtzeitig verabschiedet haben. Ich weiß, daß eine ganze Reihe von außergewöhnlichen Sitzungstagen dafür verwendet werden mußte, daß sogar an Feiertagen gearbeitet wurde. Für dieses Extrakontingent an parlamentarischer Pflichterfüllung ein herzliches Wort des Dankes.
Diesem Gesetzentwurf kommt zwar bis zu einem gewissen Grade gewissermaßen der Charakter eines Sammelwerkes zu. Aber es hat doch in mehrfacher Hinsicht eine grundsätzliche Bedeutung, und seine Auswirkungen werden sich in vollem Umfang vielleicht erst über Jahre hinweg abzeichnen, und zwar in dem Sinne, daß hier doch Weichen gestellt worden sind, die in verschiedener Hinsicht für die Zukunft von einer heute noch nicht übersehbaren Bedeutung sind.
Ich möchte entgegen aller Kritik bemerken, daß die Maßnahmen für das Zonenrandgebiet, für andere Förderungsgebiete, für die Förderung der privaten Forschung und Entwicklung zwar ohne Zweifel in der jetzigen konjunkturellen Situation nach rein konjunkturpolitischen Gesichtspunkten bedenklich erscheinen mögen. Aber Herr Kollege Krammig hat mit Recht vorhin darauf hingewiesen, daß, wenn wir überhaupt regionale Förderungspolitik, wenn wir überhaupt Strukturpolitik treiben wollen, die aufgewendeten Steuergelder oder der Verzicht auf Steuereinnahmen nur dann einen Sinn haben, wenn diese Maßnahmen in der Periode einer auf hohen Touren laufenden Konjunktur getroffen werden. Sonst könnten wir an offenen oder versteckten Finanzhilfen ausweisen, was auch immer, das Geld würde nicht den beabsichtigten Zweck erreichen.
Ich darf noch ein zweites Wort sagen. Die steuerlichen Erleichterungen für Direktinvestitionen im Ausland, die in der Regierungsvorlage enthalten waren und die dann noch in der weiteren Beratung des Gesetzes in Erweiterung der Regierungsvorlage beschlossen worden sind, bedeuten natürlich eine grundsätzliche Entscheidung einmal hinsichtlich der weiteren Gestaltung unseres Außensteuerrechts und dann noch hinsichtlich der Entwicklung unserer Außenwirtschaftspolitik. Ich unterstreiche mit voller Überzeugung die Bemerkung eines Vorredners, daß für die Bundesrepublik hier ein echter Nachholbedarf besteht, daß die bisherige Situation der Konzentration von Produktion im Inland, der Einfuhr von Arbeitskräften und der Überschwemmung der Welt mit deutschen Gütern auf die Dauer nicht so weitergehen kann. Man muß sich für einen der möglichen Wege entscheiden, und einer dieser Wege ist hier beschritten worden. Er ist so beschritten worden, daß dabei Mißbrauch und Unfug ausgeschaltet werden, das, was Frau Kollegin Kurlbaum-Beyer vorhin als Ziehung des Subventionszahns - wenn ich sie richtig verstanden habe -bezeichnet hat.
Ich glaube auch, daß mit der Änderung des § 77 des Bewertungsgesetzes dem größten Teil jedenfalls der verständlichen Klagen abgeholfen wird. Andererseits bitte ich um Verständnis dafür, daß es aus verfassungsrechtlich wohl zwingenden Gründen nicht möglich war, der Bitte zu entsprechen, den § 77 ersatzlos zu streichen. Sowohl das Bundesfinanzministerium wie das Bundesjustizministerium haben die Rechtslage eingehend geprüft, haben die höchstrichterliche Rechtsprechung von Karlsruhe und des Finanzhofs von München eingehend untersucht und sind an Hand aller Kriterien zu der Auffassung gekommen, daß eine weitergehende Erleichterung uns wahrscheinlich zu einer Klage in Karlsruhe - mit einem Höchstmaß an Wahrscheinlichkeit der Verurteilung - führen würde, während die jetzt eingehaltene Grenze geeignet ist, so gut wie alle Härtefälle abzustellen, andererseits aber auch Aussicht bietet, verfassungsrechtlich hieb- und stichfest zu sein.
Ich möchte der Opposition danken, daß sie diesem Gesetz die Ehre der Zustimmung erweist. Ich darf darauf hinweisen, daß der steuerliche Ausfall und die offenen Finanzhilfen, verursacht durch die von
den Ausschüssen vorgeschlagenen Verbesserungen dieses Gesetzes, im Jahre 1970 70 Millionen DM ausmachen werden; im Jahre 1971 werden sie sich auf etwa 220 Millionen DM belaufen, im Jahre 1972 auf etwa 280 Millionen DM. Diese Beträge müssen noch in der Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung berücksichtigt werden. Ich darf Frau Kollegin Funcke allerdings sagen, daß die Annahme ihres Antrags auf Erhöhung der Sonderausgaben schon im Entstehungsjahr 1969 einen Steuerausfall von rund 750 Millionen DM verursacht hätte, davon für den Bund allein 350 Millionen DM. Die Erhöhung des Vorwegbetrages von zur Zeit 1000 bis 2000 auf 2000/4000 DM hätte im Entstehungsjahr 1969 etwa 400 Millionen DM ausgemacht; davon wäre der Bund mit 170 Millionen getroffen worden.
Aus diesem Grunde war es beim besten Willen und in Anerkennung der Tatsache, daß diese Problematik bei der Steuerreform noch einmal gründlich diskutiert werden muß, nicht möglich, zu diesem Antrag eine positive Stellungnahme zu beziehen.
Sie gestatten eine Zwischenfrage von Frau Funcke?
Bitte!
Frau Funcke, Bitte!
Herr Minister, würden Sie die soeben genannten Ausfälle einmal in Relation zu den erwarteten nichtetatisierten Mehreinnahmen setzen?
({0})
Das ist nicht das Problem!
({0})
Sie wissen ganz genau, daß die erwarteten Mehreinnahmen gemäß dem Beschluß des Finanzplanungsrates, des Konjunkturrates der öffentlichen Hand, gemäß Kabinettsbeschluß für ganz bestimmte Zwecke verwendet werden sollen - Verminderung der Schuldenaufnahme, Tilgung von Schulden bzw. Zuführung in eine Konjunkturausgleichsrücklage - und daß wir heute die zu erwartenden Steuermehreinnahmen nicht unter dem Gesichtspunkt: „Wofür können sie verwendet werden?" aufteilen können. Wenn wir damit, liebe Frau Kollegin Funcke, anfingen, würde sich eine ganze Menge von Antragstellern hier in diesem Hause finden, die sehr wohl mit überzeugenden Argumenten zu sagen wüßten, wofür die Steuermehreinnahmen verwendet werden könnten.
({1})
Damit möchte ich hier lieber nicht anfangen.
Ich möchte aber der Parlamentsreform insoweit Vorschub. leisten, als ich mich auf ganze wenige Bemerkungen beschränke und im übrigen den Vorrednern dafür danke, daß sie den wesentlichen Teil dessen, was ich sagen wollte, bereits gesagt haben und mir insoweit weitere Ausführungen ersparen. Vielen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Schmidt ({0}) hat eine Erklärung zur Abstimmung zu Protokoll gegeben *). - Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir kommen dann zur Schlußabstimmung. Wer dem Steueränderungsgesetz 1969 im ganzen zustimmen will, möge sich vom Platz erheben. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Gegen eine Stimme ist das Gesetz angenommen.
({1})
Wir stimmen dann noch über die Ausschußanträge Nrn. 2 bis 5 auf der Drucksache V/4287 ab. Das Haus stimmt diesen Anträgen des Ausschusses zu? - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir stimmen dann noch über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 706 *) ab. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer
- Drucksachen V/3402, V/3532 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache V/4399
Berichterstatter: Abgeordneter Seidel
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({3})
- Drucksache V/4327 Berichterstatter: Abgeordneter Stephan ({4})
Die Fraktionen sind sich einig geworden, angesichts der Arbeitslage im Hause auf eine allgemeine Ausprache zu verzichten.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer den Art. 1 bis 6, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem
Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der
*) Siehe Anlage 14
*) Siehe Anlage 10
Arbeitnehmer im ganzen zustimmen will, möge sich
vom Platz erheben. - Danke. Gegenprobe!- Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Es bleibt noch der Ausschußantrag Ziffer 2 auf Drucksache V/4327. Das Haus stimmt diesem Ausschußantrag zu? - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Junghans, Baltes, Brück ({5}), Kulawig, Wilhelm und der Fraktion der SPD
betr. die wirtschaftliche Gesundung des Saarlandes
- Drucksachen V/3278, V/4268 Es liegen mir bisher zehn Wortmeldungen vor. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Beschlüsse von heute morgen hinsichtlich der Rededauer, der freien Rede usw. noch nicht in Kraft getreten sind, sondern erst zum 1. Oktober in Kraft treten, daß aber niemand daran gehindert werden sollte, diese Beschlüsse vorwegzunehmen, wenn er hier spricht, insbesondere was die Dauer angeht.
In diesem Sinne erteile ich das Wort Herrn Abgeordneten Baltes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion an dieser Stelle dafür danken, daß sie dem Anliegen der saarländischen Abgeordneten, die wirtschaftliche Situation des Saarlandes zum Gegenstand einer Großen Anfrage an die Bundesregierung zu machen, so einhellig gefolgt ist. Damit hat sie dem Wunsch weiter Kreise der saarländischen Bevölkerung entsprochen. Diese Kreise sind daran interessiert ,daß Saarprobleme nicht nur dann Gegenstand der Erörterung hier sind, wenn es sich um Grubenunglücke und Munitionsdepotüberfälle handelt, sondern auch dann, wenn es darum geht, eine politische Bilanz über die wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Integration dieses Spätheimkehrers aus der Westecke des Landes zu ziehen.
Wenn auch die Antwort der Bundesregierung lange auf sich warten ließ - längst fällige Kabinettsentscheidungen, Verhandlungen über deutschfranzösische Kooperation sind dafür angeführt worden -, so hat doch die dadurch auf den heutigen Tag verzögerte Debatte den Charakter historischer Gedenktage, die man nach runden Dezennien zu begehen pflegt. Denn rund zehn Tage trennen uns vom 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Versailler Vertrages, der das Saarland auf fünfzehn Jahre der Verwaltung des Völkerbundes unterstellte und damit den Beginn der wechselvollen Geschichte dieses Landes in diesem Jahrhundert einleitete. Und fast genau zehn Jahre sind seit der wirtschaftlichen Eingliederung unseres Landes in die Bundesrepublik vergangen, fast idealer Anlaß für an historischen Daten interessierte Politiker, jetzt Bilanz des Integrationsprozesses zu ziehen und die weiteren Hilfen für dieses Bundesland zu erörtern.
Gerade was das letztere anbetrifft, nämlich die Diskussion über die notwendigen weiteren Hilfen, konnte der Zeitpunkt der Debatte fast nicht besser liegen; denn just zu diesem Zeitpunkt ist allen Abgeordneten hier im Bundestag das Strukturprogramm Saar zugestellt worden, das von der Planungsgruppe beim Ministerpräsidenten des Saarlandes unter der Leitung von Dr. Biehl erstellt worden ist. Dieses Strukturprogramm stellt insofern eine hervorragende Entscheidungshilfe dar, als es keine einseitigen Lösungen anbietet, sondern Alternativen bzw. Strategien vorlegt. Darin liegt dann eben das Gewicht als Entscheidungshilfe. Diese Alternativen entbinden einen von der Verpflichtung, Kanalfetischist um jeden Preis zu werden, da die Strategien unter einkommens- und beschäftigungspolitischen Zielsetzungen die notwendigen Sanierungsmaßnahmen alternativ quantifiziert haben. Damit ermöglichen sie den Vergleich und halten die politischen Entscheidungsmöglichkeiten offen.
Die Tatsache, daß diese Planungsgruppe durch Druck von Professor Giersch erst vor einem Jahr ihre Tätigkeit aufgenommen hat und ständigen Angriffen von Interessentenverbänden ausgesetzt war, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Konzeption der saarländischen Politik in den vergangenen Jahren.
Probematisch wird der Zeitpunkt der Debatte, die wir jetzt und hier führen, wenn wir den konjunkturpolitischen Aspekt näher betrachten. Hier könnten wir in eine Konfliktsituation zwischen konjunktur-
und regionalpolitischen Zielsetzungen geraten. Denken in Geldwertstabilität und notwendige Konjunkturdämpfungsmaßnahmen können natürlich auch den Etat mehr belastende regionale Strukturprogramme berühren. Nur, wenn wir diesen Zeitpunkt der Hochkonjunktur nicht mit gezielten Bundeshilfen für unser Land nutzen, um unsere Konjunktur- und Standortprobleme zu lösen, dann kommen wir aus dem Teufelskreis nie heraus; denn in der konjunkturellen Flaute, in der die konjunkturellen Schwächen einer Industrieregion wie der unseren besonders sichtbar werden, kann dem Land nicht geholfen werden, da in dieser Phase die Unternehmen keinerlei Investitionsneigung zeigen.
In der heutigen konjunkturellen Phase erheben sich aber schon wieder bundesweit Stimmen, die regionale Aktionsprogramme und Hilfen für strukturschwache Gebiete als kostspielige Erhaltungssubventionen zum Nachteil der gesamten Volkswirtschaft erklären. Das sind die Stimmen, die der munteren Mobilität der Arbeitskräfte nach ihrer höchsten Grenzproduktivität das Wort reden und die passive Sanierung einer Region durch Abwanderung der besten Arbeitskräfte als praktikable Therapie empfehlen.
Wer die Antwort der Bundesregierung liest, der kann nur erfreut darüber sein, daß solchen ökonomischen Überlegungen auch keine einzige Spalte gewidmet ist, daß im Gegenteil auch in der Antwort der Bundesregierung unsere wirtschaftliche Lage in der jetzigen allgemeinen Schönwetterperiode in ihrer strukturellen Problematik ganz deutlich gesehen wird. Darüber hinaus kommt auch
die Bereitschaft zum Ausdruck, in Zusammenarbeit mit der Regierung des Saarlandes die Wirtschaft unserer Region so zu fördern, daß sich ihre wirtschaftlichen Chancen in der Zukunft weiterhin verbessern. Dafür sei der Bundesregierung an dieser Stelle herzlich gedankt.
Nun zu den einzelnen Fragen! In unserer Anfrage wollten wir wissen, wie die Bundesregierung die wirtschaftliche Situation des Saarlandes jetzt beurteilt und wie die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren seit der Eingliederung der Saar in den deutschen Wirtschaftsbereich, gemessen am Sozialprodukt und am Arbeitsmarkt, gewesen ist. In der Antwort zeichnet die Bundesregierung ein zutreffendes Bild und verweist vor allen Dingen auf die in den nächsten zehn Jahren zu schaffenden 50 000 industriellen Arbeitsplätze, die selbst beim Bau des Saar-Pfalz-Kanals an der Saar geschaffen werden müssen und die sich um rund 26 000 bis 28 000, also auf 78 000 industrielle Arbeitsplätze erhöhen müßten, falls ein Wasserstraßenanschluß für die Saar nicht ermöglicht wird.
Zusammenfassend darf hier zu diesen beiden Fragen festgestellt werden:
Erstens. Das Wachtsum der Saarwirtschaft ist in allen zurückliegenden Jahren geringer gewesen als im Bundesdurchschnitt. Während sich von 1960 bis 1968 das nominale Bruttoinlandsprodukt im Bund um 78 % erhöhte, konnte an der Saar nur ein Anstieg von 57% verzeichnet werden. Damit nimmt das Saarland die letzte Stelle unter den Bundesländern ein, und die Differenz zum Bundesdurchschnitt beträgt auch heute noch 20%.
Zweitens. Die Saar hat von allen Problemregionen die stärksten Abwanderungsverluste zu verzeichnen. Während in den ersten beiden Jahren nach dem wirtschaftlichen Anschluß noch Wanderungsgewinne von rund 10 000 Personen pro Jahr zu verzeichnen waren, nahm die Zuwanderung in den folgenden Jahren immer mehr ab. 1966 setzte die umgekehrte Tendenz ein, so daß wir bis zum jetzigen Zeitpunkt schon mehr als 20 000 junge, qualifizierte, beste Arbeitskräfte verloren haben. Falls nichts Entscheidendes zugunsten der Saar jetzt und heute geschieht, werden wir - das sagen die verschiedensten Gutachten über die wirtschaftliche Entwicklung der Saar eindeutig aus - bis 1980 mit Abwanderungsverlusten bis zirka 80 000 Personen zu rechnen haben.
Drittens. Trotz der guten Konjunktur des Jahres 1968, die im Saarland über den Produktionszuwachs der Saarhütten das industrielle Gesamtergebnis entscheidend angehoben hat, verringerte sich die Beschäftigtenzahl in der Industrie weiter.
Viertens. Die Arbeitslosenquote hat sich bis zum März 1969 auf 1,6 % verringert. ,Sie müßte aber trotzdem mit 7 bis 8% angesetzt werden, wenn nicht in großer Zahl einheimische Facharbeiter und ausländische Gastarbeiter abgewandert wären. Die niedrigste Erwerbsquote aller Bundesländer zeigt weiter auf ungenutzte Arbeitskräfte hin.
Zieht man diese Bilanz der negativen Superlative - erstens das niedrigste Volkseinkommen je Einwohner, zweitens die höchste Arbeitslosenquote, drittens die stärksten Wanderungsverluste und viertens die drückendste Verschuldung nach zehn Jahren wirtschaftlicher Eingliederung in die Bundesrepublik -, so könnte man den Eindruck gewinnen, daß trotz aller finanziellen Hilfen des Bundes für die Saar die Bundesrepublik in ihrer stürmischen wirtschaftlichen Entwicklung das heimgekehrte Grenzland vergessen hat.
Die Gründe für diese Entwicklung liegen aber noch immer zum Teil in der einseitigen Struktur dieses Reviers. 40 % des Umsatzes der saarländischen Industrie entfällt auf den Montanbereich, weshalb sich, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auch zu Recht vermerkte, der strukturelle Anpassungsprozeß und die notwendigen Rationalisierungsmaßnahmen in der Eisen- und Stahlindustrie im Saarland besonders intensiv auswirken.
Neben der schlechten Verkehrsverbindung der Saar zu Wasser, zu Lande und in der Luft hat die wirtschaftliche Situation dieses Landes ihre Ursachen auch im häufigen Wechsel der politischen Zugehörigkeit. Viermal wechselte dieses Land in den letzten fünfzig Jahren wegen seiner Badenschätze und industriellen Leistungskraft die Staatszugehörigkeit. Solcher politischer Wechsel und so gefährdete politische Stabilität waren .nie geeignet, langfristige wirtschaftliche Investitionen für dieses Gebiet attraktiv zu machen, es sei denn zur schnellen Nutzung der Energiereserven und der Stahlkapazitäten bei Wiederaufbaumaßnahmen nach verlorenen Kriegen durch den französischen Nachbarn oder für Rüstungszwecke preußischer Kriegsplaner. Aufmarschgebiete deutscher und französischer Divisionen, Rieseninvestitionen für Westwall und Maginotlinie haben außer hektischem Bauboom vorher und entsprechender Verwüstung hinterher nichts gebracht, es sei denn die heilsame Erkenntnis, daß langfristig Konfrontation durch Kooperation abzulösen und auf vielen Gebieten auszubauen sei.
Die Folge eine solchen politischen Schicksals ist, daß sich im Saarland fast nur Zweigbetriebe deutscher, französischer oder .luxemburgischer Unternehmen finden, während die Eigentümer und die Unternehmensleitungen außerhalb des Saarlandes ansässig sind.
Die Folge dieser politischen Entwicklung ist auch die Import-Export-Situation der saarländischen Wirtschaft. Vom Gesamtumsatz der saarländischen Wirtschaft entfielen 1968 31% auf Auslandsumsatz, davon über 50 % auf den Export nach Frankreich. Da zwischen 70 und 80 % der saarländischen Importe aus Frankreichkommen, ist das Saarland von außenwirtschaftlichen Maßnahmen, die sich häufig mit französischen Aktionen kumulieren, viel stärker betroffen als andere Problemgebiete dieser Bundesrepublik.
Diese Schwierigkeiten der saarländischen Wirtschaft werden noch vermehrt durch das Fehlen wachstumstarker Industriebranchen und leistungsfähiger sowie kostengünstiger Verkehrsverbindungen zu wichtigen Absatzmärkten. Positiv kann die Saar dagegen neben der von der Bundesregierung
erwähnten zentralen Lage innerhalb der EWG, die aber erst im Zuge der fortschreitenden Realisierung dieses Europäischen Marktes voll wirksam wird, auch auf die Chancen eines Industrieverbundes mit Lothringen und Luxemburg im Rahmen einer überregionalen Raumordnungspolitik hinweisen. Die Saar kann ferner eine moderne Infrastruktur im Verdichtungsraum Dillingen-Saarlouis-Saarbrükken-Neunkirchen-Homburg vorzeigen und hat ein Reservoir an qualifizierten und industrieerfahrenen Arbeitskräften, das in Zukunft für die Standortwahl der Betriebe entscheidend sein kann. Wenn wir hier und heute die hilfreichen Worte der Minister aller Regierungen in Verpflichtung nehmen wollen, dann nicht, um Gelder in ein Faß ohne Boden fließen zu lassen - in diesem Fall müßte man tatsächlich der passiven Sanierung das Wort reden -, sondern um die immer wieder versprochenen Hilfen für die Saar zu differenzieren, zu quantifizieren und endlich auch zu mobilisieren. Dabei soll nicht ein Land auf die Dauer subventioniert werden - das verlangen wir gar nicht -, sondern die Struktur, die Lage, die Reserven dieses Landes garantieren ein volkswirtschaftlich rentables Investitionsvorhaben, weil es die augenblicklichen Struktur- und Standortschwierigkeiten beseitigen hilft und das Wirtschaftspotential der Saar voll zur Entfaltung bringt.
An dieser Stelle muß gerade in diesem Zusammenhang ein Wort der Anerkennung und des Dankes dem saarländischen Hüttenmann und Bergarbeiter gesagt werden, der mit allen übrigen Arbeitnehmern das wertvollste Potential unseres Industriereviers darstellt. Die Industrieerfahrung des saarländischen Arbeiters, seine Bodenständigkeit, seine Betriebstreue, sein Fleiß und seine Bereitschaft, auch unter schwierigsten Arbeitsbedingungen am Hochofen und vor Ort den Wohlstand des Landes zu mehren, ist das wertvollste Gut, das wir in dem Gesundungsprozeß einzubringen haben, und schafft uns in dieser Konjunkturlage einen Standortvorteil, um den uns andere Regionen nur beneiden können.
Zu den Fragen 3 und 4. Es bleibt festzustellen, daß die bisherigen Hilfen nicht vermocht haben, die Wachstumsschwäche der saarländischen Industrie im Kern zu beheben. Es muß allerdings hervorgehoben werden, daß zum erstenmal in der Wirtschaftspolitik dieser Bundesrepublik unter Wirtschaftsminister Schiller Grundsätze, Programme und Maßnahmen zur sektoralen und regionalen Wirtschaftspolitik beschlossen und durchgeführt worden sind oder sich in Vorbereitung befinden. Allgemeines Ziel dieser regionalen Wirtschaftspolitik ist, wie vom Bundeswirtschaftsminister verkündet, eine optimale regionale Wirtschaftsstruktur zu schaffen und dafür zu sorgen, daß ungenutzte bzw. schlecht genutzte Produktionsfaktoren für das allgemeine Wirtschaftswachstum mobilisiert werden. Dadurch soll die Wirtschaftskraft in den zu begünstigenden Räumen gesteigert werden. Es sollen bessere Arbeits-und Einkommensmöglichkeiten geschaffen und soziale Härten dauerhaft beseitigt werden. Investitionsanreize für Neuansiedlung, Erweiterung und Umstellung gewerblicher Produktionsbetriebe sind entscheidende Instrumente, die die betriebliche
Standortwahl als freie unternehmerische Entscheidung marktkonform beeinflussen können.
Das Kohleanpassungsgesetz und das gemeinsame Strukturprogramm Ruhr-Saar-Zonenrand sind die ersten Maßnahmen sektoraler und regionaler Wirtschaftspolitik gewesen, die wesentlich dazu beigetragen haben, das Strukturproblem Bergbau zu lösen und Ansätze für die Sanierung von Problemgebieten zu bringen. Hier liegt das große Verdienst des Bundeswirtschaftsministers Schiller, der mit der aktiven Kohle-Sanierungspolitik und seiner sozialen „Schillerlocke" im besten Sinne des Wortes die Instrumente der sozialen Marktwirtschaft angewandt hat. Denn hier wurde die Gesundung eines subventionierten, kranken Teils einer Volkswirtschaft herbeigeführt, ohne daß der in diesen Betrieben arbeitende Mensch soziale Härten, die bisher zwangsläufig mit Umstellungsprozessen verbunden waren, in Kauf nehmen mußte.
In ihrer Antwort auf die Frage nach einem Landesentwicklungsplan sagt die Bundesregierung, daß ein vollständiges Landesentwicklungsprogramm noch nicht vorliege. Hier sollte die saarländische Regierung etwas Gewissenserforschung betreiben und erklären, warum bis heute im Gegensatz zu Hessen und Nordrhein-Westfalen noch kein solches Programm vorgelegt werden konnte. Noch immer fehlen die Raumordnungsvorstellungen sowohl für die Saar alleine als auch für die Saar in Verbindung mit Lothringen-Luxemburg und den angrenzenden rheinland-pfälzischen Gebieten.
Bundeswirtschaftsminister Schiller hat in seiner Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU betreffend sektorale und regionale Wirtschaftspolitik am 19. Januar 1968 darauf hingewiesen, daß durch regionale Konzentrierung der Ansiedlungshilfen für Industriebetriebe an bestimmten Punkten gewährleistet werden soll, daß die industriebedingte Infrastruktur in besonders rationeller Weise begünstigt und genutzt werden kann. Damit soll der Agglomerationseffekt bei der Standortwahl und der Standortkonzentration entfacht werden.
Für die Saar kann das nur bedeuten, daß allein aus Gründen der sozialen Kosten und der vorhandenen Agglomerationsvorteile der Förderung der Verdichtungsräume eine höhere Priorität einzuräumen ist als in ländlichen Gebieten mit dünner Besiedlung. Es müßte endlich auch bei uns Schluß gemacht werden mit der Politik, die glaubt, jedem Dorfbürgermeister seinen Industriebetrieb garantieren zu müssen.
Bei dieser zu entwickelnden Raumordnung muß die Landesregierung auch den Mut haben, gegen Teilinteressen der ansässigen Industrie vorzugehen. Diese Industrie hat ein verständliches Interesse daran, daß der Arbeitsmarkt nicht durch neue Betriebe mit besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen beunruhigt wird, und die allein schon deshalb eine Gefahr für ihre konservierende Arbeitsmarktpolitik in einem umfassenden Umstrukturierungsprogramm für die Saar sehen werden. Gerade in den Verdichtungsräumen muß eine verstärkte Ansiedlungspolitik getrieben werden, um
durch Wettbewerb um die Arbeitskräfte das Lohnniveau zu heben und die bereits abgewanderten Arbeiter wieder zurückzugewinnen. Falls das geschehen könnte, hätten wir die besten Anzeichen für eine wiedergewonnene Wachstumskraft unseres Landes zu verzeichnen.
Zu den Fragen 5 und 6:
Die Frage nach der Politik der industriellen Entwicklung, die die Bundesregierung im Saarland zu verfolgen gedenkt, und die Frage nach den verkehrspolitischen Maßnahmen finden wir unzureichend beantwortet. Wir hätten gerne gesehen, daß die flankierenden Maßnahmen zusätzlich zum Kanalbeschluß näher verdeutlicht und auch quantifiziert worden wären.
Die Bundesregierung weist darauf hin, daß sie das Ziel, Schaffung von 50 000 industriellen Arbeitsplätzen, weiterhin verfolgen will. In einem regionalen Aktionsprogramm für den Raum Saarland-Westpfalz werden im Jahre 1969 20 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Um 5000 neue industrielle Arbeitsplätze jährlich zu schaffen, müßten aber ab 1970 jährlich 50 Millionen DM im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung zur Verfügung gestellt werden. Der Bundesminister für Wirtschaft hat zu erkennen gegeben, daß er bereit ist, die Mittel für dieses regionale Förderprogramm auf 50 Millionen DM im Jahr 1970 aufzustocken. Dazu sollte aber zu diesem Zeitpunkt auch der Bundesminister der Finanzen seine Bereitschaft erklären, die Mittel in die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung einzubringen.
Da diese Mittel dazu dienen, mit Investitionsanreizen neben der eigenen 10%igen Investitionszulage für das Steinkohlengebiet Saar Industriegelände zu erschließen, zinslose Kredite für den Ankauf von Industriegelände zu geben, einige übergeordnete Schwerpunkte mit zusätzlich 10% Investitionsprämien und normale Schwerpunkte mit einer 5%igen Investitionsprämie auszustatten, ist nun wiederum die Saarregierung am Zug, diese Offerten zu nutzen. Sie muß endlich sagen, welche Räume und Schwerpunkte zu fördern sind. Auch hier macht sich, wie bei den Beratungen zum RuhrSaar-Zonenrand-Programm das Fehlen von Raumordnungsplänen - gerade in diesem Hause - nachteilig bemerkbar. Hier kann der Saar der „Schwarze Peter" zugespielt werden, anstatt daß die saarländische Regierung die Bundesregierung in Verzug setzt.
Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort auf die große Bedeutung der Saarbergwerke für das Saarland, die echt die Entwicklungsführerschaft in dieser Region hätten übernehmen können. Der Hinweis, daß an einem neuen unternehmerischen Konzept gearbeitet wird, provoziert direkt die Frage, ob die bisherige Politik der Saarbergwerke mit ihrer vielfältigen Diversifikation im Energie- und Chemiebereich als falsch angesehen werden muß. Auch wenn man der Auffassung sein sollte, daß die bisherige Politik im Ansatz richtig war, so kann man doch dem Vorstand der Saarbergwerke den Vorwurf hier nicht ersparen, daß die eingeleiteten
neuen Unternehmensstrategien zu spät, zu zaghaft und zu langsam in Angriff genommen worden sind. Es besteht die Gefahr, daß die neuen Betriebe im Energie- und Chemiebereich in der anfänglichen Verlustzone hängenbleiben, da der Ausbau zu wirtschaftlich tragfähigen Größen unterbleiben muß, weil sich die gefundenen Marktlücken als zu klein erweisen.
Auch die bisher betriebene Grundstückspolitik der Saarbergwerke war in keiner Weise geeignet, den Ansiedlungsprozeß neuer Industrien an der Saar zu erleichtern. Wir haben im Saarland auf Grund der topographischen Gegebenheiten einen knappen Produktionsfaktor, und der heißt: geeignetes Industriegelände. Wir müssen deshalb an die Bundesregierung als größten Kapitaleigner der Saarbergwerke die Frage richten, was sie zu tun gedenkt, um die Unternehmensleitung zu veranlassen, ihre Grundstücke zu tragbaren Bedingungen abzugeben, oder wie man die Gemeinden finanziell so stellen kann, daß sie in der Lage sind, die Gelände der Saarbergwerke zu übernehmen, aufzubereiten und zu erschließen.
Die Bundesregierung muß auch sagen, was sie zu tun gedenkt, um einen Abbauverzicht der Saarbergwerke für geplante Abbauvorhaben im Jahre 2050 zu bewirken. Im Südraum Saarbrücken handelt es sich z. B. um eine Fläche von 80 ha mit bester Infrastruktur, als Industriegelände hervorragend geeignet. Aber leider wird so lange kein Investor ein Interesse daran haben, wie Grubenschäden durch geplanten Abbau möglich sind.
Im Zusammenhang mit einer Frage, die Kollege Draeger bezüglich der Kohlehydrierung eingebracht hat, sollte der Bund auch die Frage prüfen, inwieweit eine Forschungsanstalt für Kohleverwendung im Bereich der Kernenergie und Petrochemie Hilfen für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung des Bergbaus einleiten könnte.
Ein Goodwill-Posten für die Saar im Rahmen der möglichen Bundeshilfen wäre auch die Erörterung der Frage durch die Bundesregierung, inwieweit das Saarland als Standort für ein Atomkraftwerk in Frage kommt. Daß der Bau von Hochleistungsreaktoren erheblich die Struktur in Wirtschaftsräumen ändern kann, zeigt z. B. die Tatsache, daß Aluminiumhersteller in hockindustrialisierte Zonen abgewandert sind, in denen sie auf Grund der Kernenergie niedrigere Strompreise erwarten können. Neben der möglichen Senkung der Energiepreise hätte ein solches Atomkraftwerk auch die Möglichkeit, die von der Chemie benötigte Prozeßwärme kostengünstig zur Verfügung zu stellen, was für uns insofern nicht uninteressant wäre, als die Saarbergwerke gerade im Begriff sind, sich im chemischen Bereich auszudehnen.
Den guten Willen, der Saar zu helfen, könnte die Bundesregierung auch mit der Errichtung von Bundesinstituten an der Saar beweisen. Obwohl das geplante Institut für Festkörperforschung in Saarbrücken beste Voraussetzungen vorgefunden hätte, ist als Standort Stuttgart gewählt worden. Jetzt hat sich der Wissenschaftsrat für die Einrichtung eines
Sonderforschungsbereichs der Festkörperphysik im Saarland ausgesprochen. Es ist zu hoffen, daß dieser Sonderforschungsbereich möglichst bald an der Universität des Saarlandes seinen Platz findet. Beispiele aus USA oder Frankreich, z. B. Grenoble, sind Beweis dafür, wie die Big-science-Forschung die Attraktivität einer Region erhöhen kann. Die Möglichkeit, an der Saar Grundlagenforschung über technologische und industrienahe Forschung bis hin zur praxisnahen Forschung technischer Fachhochschulen vorzufinden, wird die Anziehungskraft dieses Landes für neue Industrien entscheidend verbessern.
Im Rahmen des Berufsförderungsgesetzes ist ein Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung vorgesehen, das durch seine Forschung dazu beitragen soll, daß neue Strukturen für die Ausbildung entwickelt und die Ausbildungsordnungen auf eine objektive Grundlage gestellt werden. Während der ersten zehn Jahre des Aufbaus dieser Bundesrepublik war es der Saar verwehrt, an solchen Möglichkeiten der Bundeshilfe zu partizipieren. Man sollte deshalb von seiten der Bundesregierung doch ernsthaft prüfen, ob nicht dieses Institut an der Saar installiert werden könnte, damit nicht bei uns der Eindruck weiter bestehenbleibt, als werde von Hilfen für die Saar nur geredet und nie etwas getan.
Als wichtige flankierende Maßnahme zur Strukturhilfe ist auch die Errichtung eines Berufsbildungszentrums im Saarland anzusehen. Ein solches Zentrum soll außer der Berufsumschulung, der beruflichen Qualifizierung arbeitsloser Arbeitnehmer und ) der beruflichen Fortbildung in Abend- und Wochenkursen auch die volle Berufsausbildung in gewissen Bereichen für Schulabgänger übernehmen, um begrenzte Engpässe an vorhandenen Ausbildungskapazitäten überwinden zu können. Die saarländische Arbeitskammer, die sich eingehend mit diesem Problem befaßt hat, verweist mit Nachdruck auf die Ausbildungslücke, die dadurch entsteht, daß sich die saarländische Wirtschaft umstrukturiert. Das Mißverhältnis zwischen dem Angebot an in falschen Berufen ausgebildeten Arbeitskräften und der Berufsnachfragestruktur neuer Unternehmen kann nur durch ein solches Berufsbildungszentrum beseitigt werden.
Die Bundesregierung sollte nicht zögern, umfassende Hilfe für solche dringend benötigten Einrichtungen zur Berufsförderung anzubieten. Die saarländische Regierung mag dann erklären, warum sie mit dem Ausbau der Ingenieurschule, der im gemeinsamen Ruhr-Saar-Zonenrand-Programm vorgesehen ist, bis heute noch nicht begonnen hat. Die Ansiedlung weiterverarbeitender Industrie ist mit Anforderungen an qualifizierten Fach- und Führungskräften verbunden, denen diese Anstalt mit ihren jetzigen begrenzten räumlichen und technischen Möglichkeiten nicht gerecht werden kann. Wenn vom Bund die Hand ausgestreckt wird, darf die saarländische Regierung doch nicht zögern, sie zu ergreifen, wenn sie in ihren weiteren Forderungen nicht unglaubwürdig werden will.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort kundgetan, daß der montanindustrielle Kern der Saarwirtschaft zu erhalten ist. Das wird um so schwieriger werden, je länger dem Saarland der Wasserstraßenanschluß vorenthalten und nicht mit der Realisierung des Kabinettsbeschlusses vom 11. Februar dieses Jahres begonnen wird.
An dieser Stelle ist daher den Kapitaleignern und den Unternehmensleitungen der saarländischen Hütten ein besonderes Wort des Dankes zu sagen, denn sie haben trotz der Standortungunst dieses Reviers gegenüber dem konkurrierenden lothringischen bisher keine Investitionen gescheut, um ihre Hütten durch Rationalisierung und Spezialisierung konkurrenzfähig zu halten und damit dem saarländischen Hüttenarbeiter seinen Arbeitsplatz zu sichern. Sollen die Hütten auch weiterhin ihre bisherige Beschäftigungskapazität garantieren, so ist mit einem zusätzlichen Investitionsbedarf von rund 120 Millionen DM jährlich zu rechnen. Auch hier sollte die Bundesregierung nicht zögern, aus Mitteln des ERP-Sondervermögens 50 Millionen DM zinsgünstige Investitionskredite per annum zur Verfügung zu stellen, um auch damit den notwendigen und schon eingeleiteten Kooperationsprozeß der saarländischen Hütten weiterhin zu fördern.
Da meine saarländischen Kollegen noch einige Worte zum Wasserstraßenanschluß, zu Fernverkehrsstraßen und zur Fluganbindung sagen werden, kann ich diese Gebiete hier aussparen. Ich möchte nur noch einige Bemerkungen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur im Saarland und in Rheinland-Pfalz durch die Bundesbahn machen.
Die Bundesbahn hat dankenswerterweise eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die in das vom Bundesminister für Verkehr aufzustellende Bundesverkehrswegeprogramm Eingang finden sollten. Der Anschluß des Saarlandes und des westpfälzischen Raumes an das Netz der schnellfahrenden Züge der Deutschen Bundesbahn könnte zur Strukturverbesserung dieser beiden Gebiete nicht unerheblich beitragen. Leider läßt die ungünstige Trassierung im pfälzischen Raum eine Erhöhung der Reisegeschwindigkeiten kaum zu. Durch den Neubau einer leistungsfähigen Eisenbahnstrecke zwischen Kaiserslautern und dem Rhein könnte z. B. die Fahrzeit zwischen Saarbrücken und Frankfurt auf rund 5/4 Stunden reduziert werden. Es sollte auch hier untersucht werden, in welcher Weise das Saarland an das kürzlich eingeführte Intercity-Netz angeschlossen werden kann. Die Tatsache, daß bisher kein einziger TEE-und F-Zug das Saarland kreuzt, spricht nicht gerade für besondere Bemühungen der Bundesbahn bzw. des Bundesverkehrsministeriums, das Saarland aus seiner Verkehrsisolierung herauszulösen.
Das Saarland sollte in diesem Zusammenhang auch in die Systemuntersuchung für den Bau einer Hochleistungsbahn zum Transport von Kraftfahrzeugen auf der Achse Hamburg-Frankfurt-München mit der Relation Frankfurt-Saarbrücken einbezogen werden. Das bietet auch die Möglichkeit, das Projekt für den Verkehr nach Metz-Paris zu erörtern.
Zu Frage 8:
Es ist anzuerkennen, daß die Bundesregierung schon mit den Vorbereitungen für ein besonderes
Strukturprogramm Saar-Westpfalz begonnen hat. Nur, die Entwicklungsmöglichkeiten der Saar und Pfalz werden auf Dauer auch entscheidend davon abhängig sein, wie weit es gelingt, die gemeinsamen Interessen von Saar, Westpfalz, Lothringen und Luxemburg in einer koordinierten Raumordnungspolitik zu vereinen. Im Strukturprogramm der Planungsgruppe wird darauf hingewiesen, daß keine dieser Regionen für sich allein genügend Substanz hat, um zwischen der Rheinachse einerseits und den Industriezonen von Paris, Lyon, Südbelgien andererseits ein gleichgewichtiges Wirtschaftszentrum zu bilden. Bisher sind die Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Kooperation in diesem Bereich noch nicht genügend untersucht und genutzt worden. Eine gemeinsame Raumordnung für dieses Industriedreieck kann aufbauen auf dem Wirtschaftspotential der Verdichtungsräume um die Städte Saarbrücken, Luxemburg, Kaiserslautern, Nancy, Metz sowie den vorhandenen und im weiteren Ausbau befindlichen Verkehrsachsen, nämlich der Ost-West-Achse ParisSaarbrücken-Frankfurt einerseits und der NordSüd-Achse andererseits, die dann von den Rheinmündungshäfen über Luxemburg und die Saar zum Elsaß und zur Schweiz und von der Ruhr über die Pfalz und die Saar bis hin zum Raum Lyon-Südfrankreich führen würde. Die Bundesregierung sollte deshalb ihrerseits dafür eintreten, daß der vereinbarte deutsch-französische Ausschuß zur Untersuchung der Möglichkeiten grenzüberschreitender Zusammenarbeit möglichst bald seine Tätigkeit aufnimmt.
Im Interesse einer gemeinsamen Raumordnung ist es weiterhin notwendig, daß sofort Verhandlungen mit französischer Seite über die OREAM geführt werden. Die Schemata und Optionen für Lothringen sollten mit den Raumordnungsvorstellungen der Saar, der Westpfalz und Luxemburgs koordiniert werden, damit nicht wieder nationalen Strategien zum Nachteil der betroffenen Regionen die Priorität eingeräumt wird.
Weiter sollten untersucht werden die Möglichkeiten einer Autobahn Paris-Metz, einer Autostraße Saarbrücken-Straßburg, einer Wasserstraßenverbindung Seine-Saar-Rhein, der Errichtung eines deutsch-französischen Wirtschaftszentrums, zu dem dankenswerterweise die notwendigen Mittel für eine Voruntersuchung nun durch das Bundeswirtschaftsministerium zur Verfügung gestellt worden sind, des Ausbaues der Saar-Loir-Chemiekette sowie der Koordinierung von Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen an den Universitäten und technischen Instituten zwischen Metz, Nancy und Saarbrücken.
Nachdem die französische Regierung am 20. Mai dieses Jahres ihr Interesse an der baldigen Konstituierung einer solchen gemischten Kommission bekundet hat, sollte sich die Bundesregierung ihrerseits nicht in Verzug setzen lassen. Hier bietet sich die einmalige Chance, unter neuen Bedingungen, mit neuen Projekten ein ehemals einheitliches Industrierevier zu einer wirtschaftlich leistungsfähigen industriellen Kernregion innerhalb der EWG werden zu lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe einen breiten Katalog von Wünschen und Forderungen an die Bundesregierung herangetragen. Allzu lange ist der Saar versprochen und nie gehandelt worden. Wir können das Bild unserer wirtschaftlichen Lage nicht rosiger malen, als es nun einmal ist, und die Bundesregierung hat es ja auch nicht getan.
Die Saar hat alle Voraussetzungen, um wirtschaftlich wieder den Anschluß an die Entwicklung in der Bundesrepublik zu gewinnen. Nur einmal sollte der Bund kräftig in die Tasche greifen, um diesen Wachstumsprozeß in Gang zu bringen, der der Saar ihre Wirtschaftskraft und ihre arbeitende Bevölkerung erhalten kann. Das würde die Zuversicht in diesem Bundesland wieder stärken und die Gewißheit bringen, daß die politische Entscheidung der saarländischen Bevölkerung im Jahre 1955 zur kleinen Wiedervereinigung auch ökonomisch sinnvoll war. Die Chancen, diesen Integrationsprozeß zu einem guten Ende zu führen, sind gegeben. Die Bereitschaft der Bundesregierung, zu helfen, ist offenkundig geworden. Mit dem guten Willen von Bundes- und Landesregierung kann das Ziel erreicht werden. Für das gute Gelingen diesem Hohen Hause den saarländischen Bergmannsgruß „Glückauf"!
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Der Herr Kollege Baltes hat soeben seine Jungfernrede gehalten. Ich darf ihm dazu gratulieren.
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Der Herr Bundesverkehrsminister bedauert, daß er um 20 Uhr ein Flugzeug nach München nehmen mußte und deshalb nicht an den Beratungen teilnehmen kann.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die saarländische Wirtschaft existiert und gedeiht in einer dreifachen Verflechtung: erstens mit der Bundesrepublik Deutschland, zweitens mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - hier mit einem besonderen Akzent auf Frankreich - und drittens mit der gesamten westlichen Welt. In allen drei Bezugssystemen herrscht heute Hochkonjunktur, herrscht Expansion. Diese ungewöhnliche internationale Potenzierung der konjunkturellen Auftriebskräfte, worüber wir morgen ja aus anderem Anlaß zu reden haben, erzeugt bestimmte Probleme an anderer Stelle, an Stellen, die wir heute und hier nicht zu besprechen haben. Aber für ein Gebiet des industriellen Neubeginns wie das Saarland schafft diese international potenzierte Hochkonjunktur vielfältige Chancen.
In der Tat, auch die Saar hat ihre Hochkonjunktur, nutzt ihre Menschen, benutzt ihre Maschinen, entwickelt sich in diesem Jahr in raschem Tempo.
Erstens. In den ersten vier Monaten des Jahres 1969 stieg die Industrieproduktion an der Saar ge13384
genüber dem Vorjahr um 17 %, waren in der saarländischen Industrie 6600 Menschen oder 4,4% mehr beschäftigt, stieg also die Produktivität je Beschäftigtem um rund 12%.
Zweitens. Es gab in jenem Lande am 1. Juni 5600 Arbeitslose bei 6700 offenen Stellen. In diesem Punkte tritt allerdings trotz der Hochkonjunktur auch an der Saar ein eklatanter Unterschied gegenüber dem gesamten Bundesgebiet zutage. Im Bundesdurchschnitt ist die Relation von Arbeitslosen zu offenen Stellen etwa wie 1:7 und hier fast nur wie 1:1. Das möchte ich hervorheben.
Drittens, und das ist wieder positiv: Die Anträge auf Investitionsprämien auf Grund des Kohlegesundungsgesetzes - wie Sie wissen, werden gemäß § 32 jenes Gesetzes Investitionsprämien gewährt - erreichten am 1. Juni dieses Jahres den zukunftsichernden Betrag von 1,5 Milliarden DM.
Viertens. Auch an der Saar schmelzen die Kohlehalden dahin, ist die eisenschaffende Industrie voll beschäftigt, hat sich auch das neue Automobilwerk aus der Vereisung der Rezession befreit und wird aussichtsreich mit Michelin, Dunlop, Grundig, Triumph-International über Niederlassungen verhandelt.
Der von dieser Bundesregierung gewollte Aufschwung, unzweifelhaft gewollte Aufschwung,
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geht also an Saar und Westpfalz nicht ungenutzt vorbei.
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- Es ist immer gut, wenn man den Willen an der richtigen Stelle hat. Dieser Aufschwung wirkt sich auf beide Gebiete, Saar und Westpfalz, aus, und dies nicht erst 1969.
Diese Bundesregierung hat frühzeitig, schon im Jahre 1967 nämlich, danach getrachtet, Konjunkturpolitik und Strukturpolitik zur Deckung zu bringen, also beiden Interessen gerecht zu werden, denen des Saarlandes in diesem Fall und denen des ganzen Bundesgebietes. In der schriftlichen Antwort auf die Große Anfrage der SPD finden Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf Seite 3 eine Tabelle über finanzielle Leistungen des Bundes, des ERP-Haushalts und der Bundesanstalt für Arbeit für das Saarland. Die Queraddition für die beiden Jahre 1967 und 1968 ergibt einen Betrag von 680 Millionen DM an Infrastruktur, an Förderung gewerblicher Investition, an Sicherung für die Saarkohle. Für dieselben strukturpolitischen Zwecke wurde in den zwei Jahren davor, 1965 und 1966 -man gestatte mir den statistischen Vergleich - nicht einmal ein Drittel dieses Betrages, nämlich 218 Millionen DM, aufgewendet.
Diese neue regionale Ballung der Konjunkturprogramme und die Förderung durch die Konjunkturprogramme in den Fördergebieten kam allen zugute. Für das Saarland ist die Konzentration die Basis ihrer erfolgreichen Gegenwart gewesen. Für Saar und Westpfalz muß die Strukturpolitik der Gegenwart die Basis einer sicheren Zukunft sein; denn
Strukturpolitik muß man natürlich gerade im Aufschwung und im Hochschwung weitergeführt werden.
Die bisherigen Erfolge stimmen mich zuversichtlich, daß wir diesen Teil Deutschlands endlich in einen blühenden Wirtschaftsraum im Mittelpunkt der europäischen Gemeinschaft verwandeln können. Ich bin darin um so sicherer, als wir im Saarland gute Voraussetzungen für seine wirtschaftliche Entwicklung vorfinden: einen hervorragend qualifizierten Facharbeiterstand, die für die europäischen Wirtschaftsbeziehungen günstige geographische Lage, die dort oder in Nachbargebieten vorhandenen Rohstoffe und schließlich eine verhältnismäßig gute infrastrukturelle Ausstattung für die Ansiedlung wachstumsintensiver Industrien. Diese guten Voraussetzungen gilt es zu nutzen, und zwar ohne Zögern.
Wir werden unsere Landsleute an der Saar 'nicht auf morgen vertrösten und können nicht länger lebenswichtige Entscheidungen wie etwa die endgültige Verkehrsverpflechtung mit den Nachbarräumen auf die lange Bank schieben. Man darf eben nicht, wie es leider gewesen ist, den Entschluß über einen ganz entscheidenden Standortfaktor fast zehn Jahre in der Schwebe halten. Das führt dann eben zu sozialer und ökonomischer Unsicherheit in der betreffenden Region.
Um so mehr müssen wir die bisherigen - eben beschriebenen - ökonomischen Leistungen unserer Landsleute an der Saar honorieren. Nach zehn Jahren wirtschaftlicher Wiedereingliederung in Deutschland hat das Saarland einen Anspruch darauf, voll an der Wirtschaftskraft der Bundesrepublik und der Europäischen Gemeinschaft beteiligt zu werden.
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Besonderen Erfolg verspricht sich die Bundesregierung von der im Rahmen des heute verabschiedeten Zweiten Steueränderungsgesetzes rückwirkend ab 1. Januar 1969 wirksam werdenden steuerfreien Investitionszulage von 10 % für Neuansiedlungen und Erweiterungen von gewerblichen Produktionsbetrieben. Sie wird auch in den Steinkohlerevieren des Saarlandes gelten.
Weiterhin hat die Bundesregierung für 1969 von den 150 Millionen DM, um die das regionale Förderungsprogramm mit Zustimmung dieses Hohen Hauses aus den Mitteln des Außenwirtschaftlichen Absicherungsgesetzes aufgestockt worden ist, 20 Millionen DM für die Saar reserviert. Für 1970 und die folgenden Jahre kommt es darauf an, die erhöhten Anforderungen für das Saarland bei der Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung zu berücksichtigen. Der Bundeswirtschaftsminister hat daher bereits im April beim Bundesfinanzminister beantragt, zusätzlich zum allgemeinen Regionalen Förderungsprogramm für 1970 bis 1974 jährlich 50 Millionen DM allein für wirtschaftsfördernde Maßnahmen an der Saar bereitzustellen. Ich hoffe sehr, daß es möglich ist, diesem Antrag in Kürze stattzugeben.
Aber mit Geld ist es allein nicht getan. Es müssen und mußten auch schnelle Entscheidungen qualitativer Art erfolgen.
Meine Damen und Herren, bei den Beratungen des Bundeskabinetts vom 11. Februar wurden drei strukturpolitische Modelle für die Saar geprüft, im Sinne einer echten Abwägung verschiedener Strategien miteinander verglichen. Das erste Modell ging vom Bau eines Saar-Pfalz-Rhein-Kanals mit flankierenden strukturpolitischen Maßnahmen aus und erforderte bis 1980 einen Finanzaufwand von 2,5 Milliarden DM. Die zweite Möglichkeit sah ein umfassendes Umstrukturierungsprogramm mit verstärkten Investitionshilfen und zusätzlichen Verkehrsmaßnahmen für Schiene und Straße vor. Der finanzielle Gesamtaufwand für dieses Programm wurde mit 2,2 Milliarden DM veranschlagt. Die dritte Alternative enthielt die Kanalisierung der Saar von Saarbrücken bis Konz, also bis zur Mosel, und ein Umstrukturierungsprogramm entsprechend dem Umfang der Alternative zwei. Der für die dritte Alternative finanzielle Gesamtaufwand wurde auf 2,8 Milliarden DM beziffert.
Meine Damen und Herren, ich glaube, auch der Herr Ministerpräsident Röder wird feststellen: diese drei Möglichkeiten entsprechen fast vollkommen dem von der Planungsgruppe beim saarländischen Ministerpräsidenten entwickelten System von Strategien - 1 a, 1 b, 2, wie es bei ihnen benannt worden ist. Sie sind in dem Gutachten dieser Planungsgruppe, das als Strukturprogramm Saar den Abgeordneten dieses Hohen Hauses vorliegt, entwickelt worden. Wir begrüßen natürlich die Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit den in Saarbrücken entwickelten Plänen. Wenn es in der Resolution des Wirtschafts- und Strukturbeirates beim Ministerpräsidenten des Saarlandes heißt, daß der Beirat hofft, - wörtlich daß diese Kosten-Nutzen-Analyse es der Bundesregierung und insbesondere dem Bundestag ermöglicht, noch in dieser Legislaturperiode eine klare und eindeutige Entscheidung zu fällen,
so kann ich, meine Damen und Herren, diese Feststellung nur unterstreichen.
Doch zurück zur Entscheidung der Bundesregierung selber. Nach Abwägung und in Abwägung der verschiedenen Möglichkeiten hat die Bundesregierung am 11. Februar dieses Jahres entschieden, daß zur dauerhaften wirtschaftlichen Gesundung des Saarlandes ein Wasserstraßenanschluß notwendig sei. Das ist beschlossen. Zuvor sei aber zu prüfen, ob die Orientierung des Wasserweges nach Osten - zum süddeutschen Absatzgebiet des Saarlandes -, nach Nordosten - über die Mosel zum rheinischwestfälischen Wirtschaftsraum - oder - unter Intensivierung der Zusammenarbeit mit Frankreich - nach Westen erfolgen solle. Aber um diesmal nicht zu zögern, hat diese Bundesregierung beschlossen, mit dem Beginn des Wasserstraßenanschlusses zwischen Saarbrücken und Dillingen auf jeden Fall noch in diesem Jahr zu beginnen. Dieses Teilstück des künftigen Wasserweges hat ja den Vorteil, daß es sozusagen noch nach allen Seiten offen ist.
Die haushaltsmäßigen Voraussetzungen für den Beginn werden in Kürze geschaffen sein. Eile ist in
der Tat geboten, denn nach dem Stand der technischen Vorarbeiten wäre es möglich, bereits im Herbst 1969 - wie ich meine, durch den Herrn Bundeskanzler - den ersten Spatenstich für den Beginn des Wasserstraßenanschlusses zu tun.
Ebenso notwendig ist es, die erwähnten und in jedem Fall und bei jeder Strategie erforderlichen flankierenden Maßnahmen, wie wir sie am 11. Februar für die vom strukturellen Anpassungsprozeß betroffenen Gebiete des Saarlandes und der Westpfalz beschlossen haben, zu beschleunigen. „Flankierende Maßnahmen" heißt hier: Schaffung neuer Arbeitsplätze in wachstumsintensiven Branchen für die von der Montanindustrie freigesetzten Arbeitskräfte, Rationalisierungs- und Umstellungshilfen für bereits bestehende Betriebe, Industriegeländeerschließung und Verbesserung der Infrakstruktur der Gemeinden, kurz: Maßnahmen, die wir in den klassischen Fördergebieten, im Zonenrandgebiet, im bayerischen Grenzland und in den Bundesausbaugebieten, künftig im Rahmen der neuen regionalen Aktionsprogramme durchführen wollen.
Wir waren daher der Meinung, daß dieses Planungsinstrument moderner, fortschrittlicher Strukturpolitik auch in den Steinkohlebergbaugebieten der Saar und der Westpfalz eingesetzt werden sollte. Darum haben wir die Landesregierungen in Saarbrücken und in Mainz unmittelbar nach der Kabinettsentscheidung gebeten, mit der Aufstellung eines regionalen Aktionsprogramms Saar/Westpfalz unter Nutzung ihrer eigenen Vorarbeiten zu beginnen. Ich bin sehr dankbar, daß die beiden Landesregierungen unserer Empfehlung sofort gefolgt sind und die notwendigen Arbeiten aufgenommen haben. Wir hoffen - und wir haben Grund zu dieser Hoffnung -, daß uns ein abgestimmtes Programm der beiden Regierungen bereits in wenigen Tagen vorliegen wird.
Meine Damen und Herren, wichtigstes Ziel dieses regionalen Aktionsprogramms wird es sein, in den nächsten zehn Jahren 50 000 neue industrielle Arbeitsplätze im Saarland und 10 000 neue industrielle Arbeitsplätze in der Westpfalz zu schaffen. Dieses Ziel entspricht den Berechnungen des interministeriellen Ausschusses für Struktur- und Standortfragen des Saarlandes und des Landes Rheinland-Pfalz. Mit seiner Verwirklichung werden wir automatisch eine kräftige Veränderung in der heute noch nicht optimalen branchenmäßigen Zusammensetzung der Industrie dieses Raums erreichen.
Dabei wird auch anzustreben sein, die derzeit etwas einseitige regionale Verteilung der Industrie zu verbessern und die neuen Betriebe möglichst in die Nähe der Wohnsiedlungsgebiete der bisherigen Fernpendler zu bringen. Nach allen Erkenntnissen und Erfahrungen ist allerdings immer eine gewisse Konzentration der neuen Arbeitsplätze auf bestimmte Schwerpunktstandorte erforderlich. Nur bei entsprechender räumlicher Konzentration sind die teuren Investitionen für neue Infrastrukturmaßnahmen vertretbar. Erfolgreiche Industrieansiedlung verlangt eine gewisse regionale Verdichtung, d. h. lokale Ballungskerne in bescheidenem Umfang, in denen die zahlreichen Vorteile - wie man in der
Standortlehre sagt - der Agglomeration genutzt werden können.
Mit der Anwendung der modernen Planungsmethode der regionalen Aktionsprogramme auf die Wirtschaftsförderung im Saarland und in der Westpfalz, meine Damen und Herren, wird die Töpfchenwirtschaft beseitigt, wird eine Zusammenfassung aller wirtschaftsfördernden Mittel und Maßnahmen von Bund und Ländern erreicht und wird die zeitliche Projektion aller Maßnahmen bei jährlicher Fortschreibung auf fünf Jahre und damit eine Überschaubarkeit der staatlichen Hilfen und Aktionen erzielt, eine Überschaubarkeit, die wir in früheren Jahren leider entbehren mußten. Nicht zuletzt - das ist auch ein angenehmer Nebeneffekt - liefern uns diese regionalen Aktionsprogramme auch Anhaltspunkte für einen begründeten Mehrbedarf an öffentlichen Mitteln innerhalb der mehrjährigen Finanzplanung.
Die methodische und planerische Koordinierung der Regionalförderung des Saarlandes und der Westpfalz mit der Regionalförderung in den Bundesausbaugebieten verlangt es meines Erachtens aber, die Mittel unserer regionalen Strukturpolitik in allen Aktionsräumen der Gebiete Saar und Westpfalz zur Verfügung zu stellen, ohne dabei - das möchte ich ausdrücklich betonen - die Sonderpräferenzen des Zonenrandgebiets anzutasten. Es ist darum meines Erachtens richtig, die gerade heute von den parlamentarischen Instanzen beschlossene neue 10%ige steuerfreie Investitionszulage nicht nur den saarländischen Steinkohlenbergbaugebieten, sondern dem gesamten Aktionsraum einschließlich der nicht als Bundesausbaugebiete anerkannten Stadt- und Landkreise der Westpfalz zu gewähren.
Meine Damen und Herren, für alle diese Anstrengungen, und gerade für die neuen Anstrengungen sind wir sehr auf das tätige Mitwirken der alteingesessenen Unternehmen angewiesen. Für die vielen nenne ich hier nur eines - worüber auch Herr Kollege Baltes schon sprach -, nämlich die Saarbergwerke. Die Lage dieses Unternehmens hat sich doch entscheidend verbessert. Es befindet sich in einem Prozeß der durchgreifenden Neuorganisierung in Produktion, Absatz, in externer Kooperation und interner Gliederung. Die Zukunft dieses Unternehmens trägt auch die Zukunft der Saar. Ich bin auch darum dem Herrn Bundesschatzminister dankbar, daß er für den Vorsitz des Aufsichtsrates in diesem Unternehmen vor Jahresfrist Ernst Wolf Mommsen von Thyssenrohr gewinnen konnte.
Wenn wir den von dieser Bundesregierung eingeschlagenen Weg konsequent verfolgen, wenn wir fortschreitend auf einem gesamtwirtschaftlich gleichgewichtigen Wachstumspfad die strukturellen Hilfen für das Saarland verstärken, dann werden wir in hoffentlich kurzer Zeit es den Historikern überlassen können, über die wirtschaftlichen Probleme der Saar nach der Wiedereingliederung in die Bundesrepublik zu referieren. Auf jeden Fall sind die beiden ersten Kapitel dieses historischen Werkes gerade in den letzten zweieinhalb Jahren eindeutig geschrieben worden. Wenn wir weiterschreiten, dann wird auch die zentrale Lage dieses Bundeslandes inmitten Europas seine natürliche Bedeutung endlich voll realisieren.
Für die saarländische Wirtschaft heißt es, daß sie sich sowohl auf dem deutschen Binnenmarkt als auch auf dem europäischen, vor allem dem französischen, Markt betätigen und sich auf alle diese Märkte orientieren kann. Das Saarland muß in Zukunft mit einem breiter gefächerten, differenzierten Güterangebot auf seinen Nachbarmärkten vordringen. Dann wird es nicht nur seine wirtschaftliche Verbindung mit dem übrigen Bundesgebiet und mit Frankreich festigen, sondern darüber hinaus seine eigene Krisenanfälligkeit von der Wurzel her kurieren und verlieren.
Meine Damen und Herren! Wir müssen uns darüber im klaren sein: für die Menschen in jenem Gebiet, im Saarland, kam manches sehr spät. Wir haben das im Bericht gedruckt und auch eben hier mündlich ungeschminkt dargestellt. Jedoch, wir kamen nicht zu spät. Darauf kann diese Bundesregierung nicht ohne Genugtuung verweisen. Aber nun kommt es darauf an, in der Entwicklung zu bleiben: Vor dem neuen Kapitel des Werkes über die Saar, das heißt dem Schlußkapitel, alle Kräfte zu sammeln! Es kommt darauf an, kurz vor dem Ziel durchzuhalten. Es kommt darauf an, neue Leistungen uns und allen dort Beteiligten abzufordern und also möglich zu machen. Das ist es, was die Bevölkerung von Saar und Westpfalz will, nämlich an Ort und Stelle ohne Hilfen Zukunft zu haben. Das will die Bevölkerung. Ohne Hilfen? Ist das eine Illusion? Ich möchte sagen: Wäre vorgestern begonnen worden, wäre das heute schon Realität.
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Wird das nun heute fortgeführt, so wird es wenigstens morgen volle Wirklichkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat mich beauftragt, zu dem anstehenden Fragenkomplex die Meinung unserer Fraktion vorzutragen. Mit der Tatsache, daß ein Nichtsaarländer zu dieser Problematik das Wort nimmt, wollen wir sehr deutlich machen, daß wir die Probleme, die an der Saar bestehen, nicht nur als Probleme der Saar ansehen, sondern als Probleme der Gesamtwirtschaft. Auch der Raum Saar bezeichnet ja das Problemgebiet nicht genau. Auch Teile von Rheinland-Pfalz gehören dazu.
Wir werden alle Bemühungen unterstützen, die darauf gerichtet sind, die Zukunftsprobleme an der Saar zu bewältigen. Wir haben mit einem Entschließungsantrag, der dem Hohen Hause inzwischen vorliegt, sehr präzis zum Ausdruck gebracht, wo unseres Erachtens die Schwerpunkte dieser Bemühungen liegen müssen. Ich darf es mir daher ersparen, an dieser Stelle in Details einzutreten.
Wir haben in der Bundesrepublik eine ganze Reihe von Problemgebieten. Das dürfen wir auch nicht übersehen, wenn wir heute speziell über die Saar sprechen. Aber an der Saar liegen einige Faktoren vor, die das Problem besonders schwierig gemacht haben. An der Saar hat sich eine Erfahrung bestätigt, nämlich die, daß die Strukturprobleme mit besonderer Härte immer in den Phasen einer konjunkturellen Abschwächung deutlich werden. An der Saar haben die Probleme, die sich aus der konjunkturellen Abschwächung ergeben haben, mit den vorhandenen Strukturproblemen kumuliert. Das ist daran deutlich geworden, daß, relativ gesehen, die Arbeitslosenquote an der Saar proportional besonders stark angestiegen war.
Wir müssen auch berücksichtigen, meine Damen und Herren, daß die Saar in vier Jahrzehnten viermal das Objekt von Grenzveränderungen gewesen ist.
Noch ein Weiteres möchte ich hinzufügen. Die Wettbewerbsvoraussetzungen dieses Raumes sind ganz entscheidend durch eine Infrastrukturmaßnahme verändert worden, die zugunsten anderer Räume vorgenommen worden ist, nämlich durch die Kanalisierung der Mosel. Wir stehen jetzt vor der Notwendigkeit, aus der einmal sicherlich aus Überlegung getroffenen Entscheidung zur Moselkanalisierung die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, wenn wir die nachteilige Wirkung dieser für andere Räume günstigen Infrastrukturmaßnahme für den Raum an der Saar abwenden wollen.
Meine Fraktion bekräftigt die Beschlüsse, die die Bundesregierung am 11. Februar 1969 gefaßt hat und die der Herr Bundeswirtschaftsminister hier noch einmal vor dem Hohen Hause breiter dargestellt hat. Aber ich halte es für notwendig, darauf hinzuweisen, daß nicht nur die saarländische Regierung überfordert wäre, wenn sie die Probleme allein lösen müßte, und daß daher die Unterstützung des Bundes und der Bundesregierung nötig ist, sondern daß auch die europäischen Institutionen hier eine Mitverantwortung tragen. Ich erlaube mir, Herr Präsident, einmal auf die Präambel zum EWG-Vertrag hinzuweisen, in der von dem Bestreben der Vertragsunterzeichner gesprochen wird, „ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern, indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern". Aus gegebenem Anlaß halte ich es für nötig, auf die sich aus dieser Präambel und dem Geist des Vertrages ergebenden Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten der europäischen Institutionen hinzuweisen.
Hier ist mit Recht erklärt worden, daß die Problematik des Raumes in erster Linie mit dem Übergewicht eines Wirtschaftsbereiches, nämlich der Montanindustrie, zusammenhängt und daß der Raum praktisch eine zweite Säule an Wirtschaftskraft braucht, und zwar eine zweite Säule, die im wesentlichen aus Investitions- und Konsumgüterindustrien besteht. Wir haben daraus einfach die Konsequenz zu ziehen - und ich nehme an, darüber besteht auch in diesem Hause, mit der Bundesregierung und der Landesregierung Übereinstimmung -; wir müssen
einerseits Maßnahmen ergreifen, um die Wettbewerbsfähigkeit der an der Saar vorhandenen Grundstoffindustrien zu stärken, und wir müssen andererseits kräftige Anreize und Impulse für die Ansiedlung neuer Industrien geben.
Ich begrüße es außerordentlich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister dem Hohen Hause versprochen hat, daß die von uns gerade verabschiedeten Gesetze mit Präferenz auch für diesen Raum angewendet werden sollen. Die Bemühungen müssen darauf hingehen, Vollbeschäftigung an der Saar zu gewährleisten, auch für Phasen einer möglichen Konjunkturabschwächung im Auf und Ab konjunktureller Entwicklung. Der Raum an der Saar ist eben durch die zentrale Lage in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für Zukunftsindustrien prädestiniert. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß ein Reservoir an besonders qualifizierten Arbeitskräften zur Verfügung steht. Ich glaube, wir sollten auch - was heute für die Neuansiedlung von Industrien immer wichtiger wird - auf die hervorragenden Bildungseinrichtungen hinweisen, die an der Saar bestehen. Ich erlaube mir, auch auf das rege kulturelle Leben im Lande und den guten Ruf der Saarbrückener Universität an dieser Stelle hinzuweisen.
Wir sind uns darüber im klaren, daß verschiedene ineinandergreifende Maßnahmen nötig sind, um mit den Problemen fertig zu werden. Wir müssen nur die Schwerpunkte richtig setzen. Ich erlaube mir, auch anzufügen: Wir sollten, wenn wir an 'der Saar Zukunftspolitik betreiben wollen, nicht alles nur auf eine Maßnahme ausrichten.
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- Darauf komme ich noch zu sprechen. - Und ein anderes scheint mir auch wichtig zu sein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir gemeinsam die Beobachtung gemacht haben, daß in Zeiten einer konjunkturellen Abschwächung die strukturellen Probleme immer besonders sichtbar werden, dann sollten wir auch die andere Konsequenz ansprechen und daraus die Folgerungen ziehen, daß man Strukturprobleme am sinnvollsten anpackt und am ehesten Lösungen zuführt in Zeiten guter Konjunktur. Deswegen müssen wir, glaube ich, durch gemeinsame Anstrengungen die jetzt bestehende günstige Konjunktursituation eben auch hier nutzen.
Es ist auf die von der saarländischen Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten hingewiesen worden. Ich glaube, die Landesregierung verdient ein Lob für die Zähigkeit, mit der sie sich, auch gerade mit Hilfe von wissenschaftlichen Analysen, um die Darstellung der Problematik bemüht hat.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat auf die verschiedenen Alternativen aufmerksam gemacht, die sich aus den Gutachten ergeben. In einem Punkt besteht in den Gutachten zweifellos Übereinstimmung, über deren finanzielle Auswirkungen die Meinungen allerdings etwas auseinanderzugehen scheinen - von Herrn Bundeswirtschaftsminister Schiller wurden andere Zahlen genannt, als mir
aus den Gutachten geläufig sind. Aber Übereinstimmung besteht mit Sicherheit darin, daß die Beseitigung der jetzt vorhandenen Standortnachteile in entscheidender Weise ein Verkehrsproblem, ja ein Verkehrswegeproblem ist. Dabei geht es in drei Richtungen um günstige Verkehrsbedingungen: um die Verbindung zum französischen Markt, zum nordrhein-westfälischen Industriegebiet und den Seehäfen sowie zum süddeutschen Absatzmarkt, der sicherlich für das Saargebiet - wenn ich das so ausdrücken darf - vor der Tür liegt.
Hier müssen wir, wie mir scheint, zweierlei Dinge beachten. Die bestehende Montanindustrie ist natürlich in allererster Linie an der preisgünstigen Beförderung von Massengütern interessiert und daher auf eine Wasserstraße, einen Anschluß an das europäische Wasserstraßennetz, angewiesen. Die Industrien alber, die wir nach Möglichkeit an der Saar ansiedeln wollen, sind wahrscheinlich weniger an einer Wasserstraße interessiert, weil da eben nicht so viel Massengüter anfallen. Diese Industrien sind an günstigen Autobahnverbindungen und an schnellen, modernen Eisenbahnverbindungen interessiert, d. h. an elektrifizierten Strecken der Eisenbahn, die eine schnelle und preisgünstige Verkehrsbedienung gewährleisten.
Wir müssen versuchen, möglichst alles mit den Möglichkeiten und Mitteln zu bewältigen und zu schaffen, die uns zur Verfügung stehen. Wir haben ja in dem Katalog von Wünschen angemeldet, daß das Straßennetz mit einem Autobahnanschluß in Richtung Köln vorrangig ausgebaut und die Elektrifizierung der Strecke Saarbrücken-Trier-Koblenz vorrangig betrieben werden sollen.
Ich kann nur unterstreichen, wie wichtig der Anschluß an das Luftverkehrsnetz und auch - hier gebe ich dem Kollegen der SPD völlig recht - an das TEE-Netz für den Raum ist.
Zum Problem der Wasserstraße. Wir haben zwar nach zehn Jahren, Herr Bundeswirtschaftsminister, einen Kabinettsbeschluß vorliegen. Aber dieser Kabinettsbeschluß ist eben - ich will mich vorsichtig ausdrücken - nicht recht befriedigend. Er muß einmal präzisiert werden. Ich weigere mich, unser Hohes Haus für mögliche bisher nicht zustande gekommene Bewilligungen von Maßnahmen schelten lassen - und ich erinnere an das, was der Sprecher des Haushaltsausschusses bei den Haushaltsberatungen zu diesem Thema gesagt hat -, solange nicht von der Bundesregierung selbst Klarheit darüber geschaffen worden ist, wohin einerseits die Reise mit diesem Kanal gehen und wie anderseits die Finanzierung aussehen soll.
Es liegt bisher keine Finanzvorlage der Bundesregierung vor. Wenn ich richtig unterrichtet bin, konnten sich wohl auch die verschiedenen Ressorts noch nicht verständigen, aus welchem Topf, aus dem der Strukturpolitik oder dem der Verkehrspolitik, die jetzt für die erste Stufe notwendigen Mittel genommen werden sollen. Uns wäre es natürlich sehr lieb, wenn bei der Regierung selbst möglichst rasch Klarheit geschaffen und damit das Hohe Haus in die Lage versetzt würde, seinerseits die nötigen haushaltsrechtlichen Entscheidungen zu treffen.
Meine Damen und Herren, ich darf mir noch eine Anmerkung zum Thema Wasserstraßen erlauben. Ich möchte nicht immer in der Haut des Verkehrsministers stecken, der uns gerade auch ein Wegekostengutachten vorgelegt hat. Wenn man sich aber zum Bau einer Wasserstraße entschließt, dann bitte zur richtigen, und so, daß auch die Binnenschifffahrt die künftigen technischen Möglichkeiten ausnutzen kann, die sie braucht, um wettbewerbsfähig zu sein. Wenn man sich also dazu entschließt, sollte man keine halben Sachen machen.
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Bis ein Kanal, wenn er gebaut wird, steht, vergehen acht bis zehn Jahre.
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- Er „liegt" ; das ist richtig. - Wir können also - darauf waren meine Worte gemünzt, als ich sagte: bitte, nicht alles an einen Wunsch hängen! - in den vor uns liegenden acht oder zehn Jahren nicht die Probleme vor uns herschieben, die sich aus den herrschenden Verkehrsnöten ergeben. Ich erinnere an das traurige Spiel mit den Als-ob-Tarifen. Wer mit europäischen Institutionen zu tun hat oder in europäischen Gremien tätig ist, kennt das Lied mit den Als-ob-Tarifen und mag es nicht mehr hören. Ich weiß nicht, ob die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, in der versucht wird, die Kanalprojekte lediglich als einen billigen Vorwand abzutun, den Verantwortlichkeiten ganz gerecht wird, auf die ich auf Grund des Vertragstextes hingewiesen habe. Auf jeden Fall erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie sich mit dem bisher nicht Erreichten nicht abfindet, sondern in Brüssel einen neuen Vorstoß unternimmt, um Unterstützungstarife für die Saar sicherzustellen, und zwar für einen Zeitraum, der ausreicht, um die Verkehrsinfrastruktur in Ordnung zu bringen, wie man es sich wünscht.
Zu diesen Übergangsmaßnahmen, Herr Bundeswirtschaftsminister, gehört meines Erachtens auch, daß die Bundesregierung einmal überlegt und prüft, ob man nicht der Saarwirtschaft die im Grunde unzumutbaren Härten abnehmen kann, die sich angesichts der unsicheren Währungssituation aus der Tatsache ergeben, daß die Lieferverträge auf Frankenbasis abgeschlossen sind. Ich will das Thema hier nur anreißen, meine aber, daß die Bundesregierung guttäte, eine entsprechende Initiative zu ergreifen.
Wenn ich schon von der Übergangszeit spreche, in der wir uns alle irgendwie zurechtfinden müssen, darf ich vielleicht auch einmal an die Adresse der saarländischen Wirtschaft die Bitte richten, sich gegebenenfalls auch noch etwas Eigenes einfallen zu lassen, um etwa auf dem Wege über eine intensivierte Kooperation dabei mitzuhelfen, die Probleme besser und leichter zu lösen.
In dem Entschließungsantrag - das ist von den Kollegen ebenfalls erwähnt worden - haben wir auch noch auf das Problem der Energiekosten hingewiesen. Ich kann hier nur wiederholen: Bei den Überlegungen über die künftige Atomenergieversorgung sollte man im Saargebiet und bei der BundesDr. Müller-Hermann
regierung rechtzeitig Überlegungen darüber anstellen, wie eine preisgünstige Energieversorgung sichergestellt werden kann.
Meine Damen und Herren, alles, was man hier darstellen will, kostet Geld, und es hat keinen Zweck, die schönsten, ich will jetzt nicht sagen, Wahlversprechen zu machen, obwohl sich natürlich manches, vor allem wenn es schon druckreif formuliert ist, gut verkaufen läßt. Alles muß irgendwie finanziert werden, und das ist leichter gesagt als getan. Wir haben in unserem Entschließungsantrag noch keine konkreten Zahlen genannt. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir mehr bereitstellen könnten, als in den verschiedenen Entschließungsanträgen gewünscht wird. Aber es ist nötig, meine Damen und Herren - hier scheint auch einschließlich dessen, was der Herr Bundeswirtschaftsminister gesagt hat, Übereinstimmung zu bestehen -, daß für diese Finanzierungsprobleme in der mittelfristigen Finanzplanung Vorsorge getroffen wird und daß wir uns bemühen - vor allem die Bundesregierung -, auch andere Finanzierungsquellen zu erschließen. Ich denke in diesem Zusammenhang an den ERP-Haushalt und an die Bundesanstalt in Nürnberg.
Meine Damen und Herren, wir hoffen und erwarten, daß die Bundesregierung dem Hohen Hause sehr schnell eine Finanzvorlage für die unmittelbar zu treffenden Maßnahmen vorlegt und daß das Hohe Haus möglichst bald - auch von seiten der Bundesregierung - eine klare Vorstellung vermittelt bekommt, wie die mittel- und längerfristigen Finanzierungsprobleme aussehen.
Aus der ganzen Diskussion - wer sich mit dem Problem näher beschäftigt, weiß das genau - ergibt sich, daß vielfältige Maßnahmen von verschiedenen Stellen ergriffen werden müssen, von verschiedenen Ressorts der Bundesregierung, von der Landesregierung, ja, von zwei Landesregierungen wahrscheinlich, von Institutionen, Verbänden, Gewerkschaften usw. Wir meinen, daß es nötig ist, hier eine Koordinierung herzustellen, wenn die Maßnahmen wirklich greifen sollen. Aus diesem Grunde schlägt meine Fraktion vor, daß die Bundesregierung sich entschließt, einen Bundesbevollmächtigten einzusetzen, der die Koordinierung aller Maßnahmen sicherstellt.
Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, in dem Reigen der vielen guten Vorsätze wird niemand in diesem Hohen Hause fehlen. Jetzt muß aber auch die Tat folgen, und da ist zunächst einmal die Bundesregierung am Zuge. Meine Fraktion wird sie nach Kräften unterstützen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr von Kühlmann-Stumm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben eine Menge Vorschläge gehört. Ich wundere mich nur, wieso die Große Anfrage der SPD überhaupt zustande kam, wenn alles so rosig ist, wie es hier von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister hingestellt wurde. Sie haben diese Große Anfrage doch sicher gestellt, weil Sie meinten, die Bundesregierung solle aufgefordert werden, zu den Fragen im Saargebiet Stellung zu nehmen. Wir alle haben das Protokoll der Sitzungen des Saarländischen Landtags bekommen, in denen - ich glaube, sogar in mehrtägigen Diskussionen - über die wirtschaftliche Situation der Saar gesprochen wurde.
Ich glaube allerdings, daß die Saar einen Sonderfall für uns alle darstellt und daß wir sehr sorgfältig prüfen müssen, wie wir der Schwierigkeiten, in denen sich dieses Land befindet, Herr werden können. Zunächst einmal muß gesagt werden, daß wir voll Bewunderung für die Leistungen der Menschen an der Saar sind. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Anschluß ja erst im Jahr 1959 erfolgt ist und daß dem Saargebiet somit zehn Jahre Wiederaufbau fehlen. Dieser Rückstand kann nicht so schnell aufgeholt werden.
Dank der Tüchtigkeit der saarländischen Bevölkerung ist trotzdem eine günstige wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen. Es ist vorhin zu Recht gesagt worden, daß man eingreifen solle und Hilfen geben solle, wenn die Konjunktur besonders günstig ist. Im Moment ist sie das ganz zweifellos, denn wir sehen, daß die Saar trotz ihrer großen Schwierigkeiten einen sehr hohen Grad an Produktivität erreicht hat. Die Ziffern der Arbeitslosen und offenen Stellen sind zwar nicht so günstig wie im Bundesgebiet, aber die Saar könnte, wenn wir rechtzeitig eingreifen und rechtzeitig Beschlüsse fassen - ich glaube, darauf kommt es hier im wesentlichen an -, auch auf wirtschaftlichem Gebiet vollwertig in die Bundesrepublik eingegliedert werden.
Wir müssen auch zurückschauend feststellen, daß die Saar besondere Schwierigkeiten hat, weil sie durch den deutsch-französischen Vertrag einen relativ hohen Exportanteil nach Frankreich aufzuweisen hat. Sie hat in der Zeit, seit sie wieder bei uns ist, eine Aufwertung der D-Mark und zwei Abwertungen des Franc mitgemacht. Es ist auch gar kein Zweifel, daß die außenwirtschaftlichen Maßnahmen, die die Bundesregierung jetzt anstatt der Aufwertung durchgeführt hat, die Saar ganz besonders betroffen haben. Wenn wir eine Aufwertung durchführen sollten - vielleicht nach dier Wahl, ich weiß es nicht -, dann wird wiederum die Saar ganz besonders hart betroffen werden, weil sie nicht nur einen sehr hohen Exportanteil insgesamt hat, sondern vor allem nach Frankreich, das sich ja, wie Sie wissen, im Augenblick ebenfalls - wie manche andere Länder - in einer sehr schwierigen Währungssituation befindet. Man muß sogar annehmen, daß unter Umständen eine Aufwertung der D-Mark mit einer Abwertung des Franc zusammenfällt, und das wäre dann für die Saar besonders nachteilig. Es ist bewundernswert, daß die Saarwirtschaft mit diesen Schwierigkeiten fertig geworden ist und trotzdem im Augenblick schon wieder so günstig dasteht.
Die Frage des Moselkanals ist hier von mehreren Rednern angeschnitten worden. Es besteht kein Zweifel, daß man seinerzeit aus politischen Gründen den Franzosen mit dem Bau dieses Kanals entgegengekommen ist. Ich erinnere mich noch sehr gut, daß
viele damals sagten, es sei ein völlig sinnloses Unternehmen, dieser Kanal werde keine Wirkung haben und werde den Franzosen sehr viel weniger nützen, als diese angenommen hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Schätzungen, die man damals für die Frequenz des Kanals festlegte, sind inzwischen um mehr als das Doppelte überschritten worden. Der lothringische und der luxemburgische Raum führen ihre Güter praktisch am Saargebiet vorbei, z. B. in die Gebiete der Bundesrepublik, die früher klassische Absatzgebiete des Saargebietes gewesen sind.
Da ich gerade bei dieser Kanalmaßnahme bin, darf ich Ihnen sagen, daß die Bundesregierung anläßlich der Ratifizierung dieses Abkommens mit Frankreich am 17. März 1965 eine Erklärung abgegeben hat, in der u. a. stand, daß man den Bau eines Kanals für die Saar aufnehmen werde, wenn die Deutsche Bundesbahn die Wettbewerbstarife nicht mehr aufrechterhalten könne. Diese Situation ist eingetreten, die Bundesregierung steht hier meines Erachtens im Wort.
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Ich komme damit im Zusammenhang mit dem Moselkanal auf die Als-ob-Tarife, von denen ich Ihnen sagen muß, daß der größte Teil, nämlich alle Tarife, die nicht die Montanwirtschaft betreffen, am 15. Juli dieses Jahres eingestellt werden. Es ist auch sehr fraglich, ob auf die Dauer die Als-ob-Tarife für die Montanindustrie aufrechterhalten werden können. Man hat gesagt, daß man die übrige Wirtschaft von den Als-ob-Tarifen ausschließen will, weil man damit die Stellung des Bundesverkehrsministers bei den Verhandlungen in Brüssel erleichtern möchte, mit dem Ziel, die Als-ob-Tarife wenigstens für die Montanindustrie aufrechtzuerhalten.
Ich glaube, diese Fragen, Moselkanal und Als-obTarife, sind sehr entscheidende Fragen bei der Beurteilung der Lage der Saarwirtschaft, und um die geht es uns ja heute hier. Dabei will ich gar nicht abstreiten, daß es unendlich viele Maßnahmen daneben gibt und daß man auch nicht sagen kann: hier ist das Kanalprojekt, dort sind die anderen Maßnahmen. Man muß vielmehr beides sinnvoll miteinandern verbinden.
Ich will noch ein Wort zu der Ansiedlung neuer Betriebe sagen. Darauf kommt es ja an, und das Gutachten, das die Saarregierung hat erstellen lassen und das sie uns vor ganz kurzem vorgelegt hat, sagt sehr klar, daß bestimmte Zahlen von neuen Arbeitsplätzen bei den alternativ aufgezeigten Maßnahmen neu geschaffen werden müssen.
Wenn ich neue Arbeitsplätze schaffen will, muß mein Land, nämlich das Saargebiet, so attraktiv gestaltet werden wie irgend möglich, damit möglichst viele neue Betriebe - einige hat der Herr Bundeswirtschaftsminister hier sogar namentlich erwähnt - angelockt werden, im Saargebiet zu investieren. Meiner Ansicht nach muß man dann die Dinge so gestalten, daß bis zur Entscheidung über die Frage des Kanalbaus für alle Wirtschaftsbereiche im Saargebiet die Als-ob-Tarife bestehen bleiben. Sonst ergibt sich für alle Wirtschaftszweige außerhalb des Montanbereichs und für das Saarland insgesamt ein echter Wettbewerbsnachteil. Wir wissen ja, daß
es in der EWG einige Länder gibt, die diese Als-obTarife sehr kritisch betrachten. Wir würden uns freuen, wenn es der Bundesregierung gelänge, in dieser Frage, sei es mit Unterstützungstarifen, sei es mit anderen Hilfen, diesen Wettbewerbsnachteil des Saargebiets auszugleichen.
Da wir einmal bei den Arbeitskräften sind, möchte ich doch auf eines hinweisen, was ich für besonders ernst erachte, daß nämlich in den vergangenen Jahren eine große Zahl von jungen Arbeitskräften aus dem Saargebiet heraus in den Raum Ludwigshafen und in den Raum Baden-Württemberg abgewandert ist und daß diese Arbeitskräfte der Saar fehlen werden, Man sollte alles unternehmen, um zu erreichen, daß diese jungen Arbeitskräfte wieder hoffnungsvoll sein können und angeregt werden, im Saargebiet zu bleiben und sich nicht auf den Standpunkt zu stellen: Hier ist ja doch nichts mehr zu holen; jetzt habe ich Zeit, jetzt ist Hochkonjunktur, jetzt suche ich mir woanders einen Arbeitsplatz. Es würde sonst im Saargebiet ein Zustand eintreten, wie wir ihn heute schon in manchen Teilen des Zonenrandgebietes beobachten können, daß nämlich eine unverhältnismäßig große Überalterung eintritt. Die Bundesregierung kann jetzt noch Maßnahmen ergreifen, um diese Situation im Saargebiet zu verhindern.
Aus eigener Kenntnis der Situation an der Saar - und da kann ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister nicht ganz folgen - darf ich sagen: Es ist leider festzustellen, daß zur Zeit gerade in der Montan-Industrie die Investitionstätigkeit mit einer gewissen Zurückhaltung behandelt wird. Einer meiner Vorredner hat es sehr begrüßt, daß die Montan-Wirtschaft weiter investiert hat, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Ich darf aber doch sagen, daß sich viele Unternehmen im Saargebiet sehr überlegen, in welchem Umfang und in welcher Größenordnung sie investieren, weil eben die große Frage besteht: Was wird aus dem Standort Saar? Wie wird die Standortfrage an der Saar gelöst werden? Das ist eine bedauerliche Entwicklung, denn wir würden uns freuen, wenn an der Saar gerade jetzt in einer Hochkonjunktur möglichst viel und möglichst stark investiert würde, um eben die Arbeitsplätze zu schaffen, die so dringend notwendig sind.
Über die Struktur der Saar ist hier schon vieles gesagt worden. Wir dürfen nicht vergessen, daß neben einem großen Prozentsatz Montan-Wirtschaft auch ein gewisser Prozentsatz Landwirtschaft vorhanden ist, in der ja auch Menschen freigestellt werden, so daß wir in den nächsten Jahren - hier wird davon gesprochen: bis 1980 - immer wieder vor die Frage gestellt werden: Wo werden wir diese Menschen, die durch Rationalisierung in der Industrie frei werden, die durch Rationalisierung in der Landwirtschaft frei werden, ansiedeln? Dazu bedarf es allerdings einiger ganz massiver Maßnahmen, die hier bereits von der Bundesregierung und von meinen Vorrednern aufgezeigt worden sind und die sich in erster Linie darauf beziehen, günstiges Industriegelände zu schaffen, günstige Verkehrsverhältnisse zu schaffen, günstige WasserwirtschaftsFreiherr von Kühlmann-Stumm
bedingungen zu schaffen und eine günstige Energiekostenlage zu schaffen.
Das ist unbedingt notwendig, wenn wir im Saargebiet erreichen wollen, was wir in vielen ähnlich gelagerten Fällen in der Bundesrepublik Deutschland teilweise bereits erreicht haben, daß nämlich neue Wachstumsindustrien in das Saargebiet kommen und sich dort ansiedeln.
Ich darf Ihnen sagen, es wird in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren eine umgekehrte Welle stattfinden. Es werden eine Menge Betriebe aus den Ballungsgebieten heraus zu den Arbeitskräften hingehen, wie es z. B. in Hessen in einigen Fällen schon stattgefunden hat. Ich glaube, daß wir hier in einer günstigen Situation sind, die wir ausnützen sollten. Aber diese Rückwanderung, möchte ich sagen, diese Rückentwicklung der Großindustrie aus den Ballungszentren in Gebiete, wo noch Arbeitskräfte vorhanden sind oder noch frei werden, wird natürlich im wesentlichen davon abhängen, daß die Bedingungen günstig sind, um solche Industrien zu veranlassen, ihre Maßnahmen im Sinne einer Ansiedlung im Saargebiet zu betreiben.
Ich hoffe, daß die Bundesregierung jetzt möglichst schnell einen Beschluß über die Führung der Wasserstraßen faßt. Wir schlagen vor, die Wasserstraße von Ost nach West zu führen und der lange und oft geführten Diskussion des Saarpfalz-Kanals die Zustimmung zu geben. Ich darf sagen - was ich vorher schon in einem Fall gesagt habe -: in allen anderen Fällen der Bundesrepublik haben sich Kanal- und Wasserstraßenbauten immer sehr viel günstiger ausgewirkt, als selbst die Optimisten das erwartet haben. Ich könnte Ihnen Zahlen nennen; aber ich glaube, es ist doch zu spät, um hier auf Einzelheiten einzugehen. Auf jeden Fall haben sich die Schätzungen zum Teil verdoppelt. Und ich sehe nicht ein, warum ausgerechnet in der Frage des Saarpfalz-Kanals eine Rentabilitätsrechnung aufgestellt wird, die man bei allen anderen Kanalprojekten nicht aufgestellt hat. Es werden ja in der Bundesrepublik Deutschland anderswo Wasserstraßen neu gebaut. Und wer sich besonders an die Frage der Neckar-Kanalisierung erinnert und an den Rhein-Main-Donaukanal, der wird mir recht geben, wenn ich sage, daß gerade bei unseren überlasteten Straßenverhältnissen die Wasserstraßen eine immer größere Bedeutung einnehmen. Ich habe heute gelesen, daß diese Wasserstraßen bereits über 30 % unserer Verkehrskapazität im Augenblick ausmachen. Das ist zweifellos steigerungsfähig. Und Herr Kollege Müller-Hermann hat mit Recht gesagt, daß man, wenn man schon einen Kanal baut, ihn richtig bauen sollte, damit man alle modernen Möglichkeiten der Schubschiffahrt und anderer modernen Einrichtungen, die man heute auf dem Gebiet des Verkehrs auf den Wasserstraßen gefunden hat, auch nutzen kann. Ich glaube, darauf kommt es ganz entscheidend an.
Leider hat der Bundesausschuß für Haushalt einen Leertitel, der in der Vorlage für den Bau einer Wasserstraße im Saargebiet drin stand, gestrichen und einen Antrag der Freien Demokraten, der darauf abzielte, diesen Leertitel wieder einzusetzen, ist im
Bundestag mit knapper Mehrheit abgelehnt worden. Aber ich glaube, es gibt für die Bundesregierung eine Möglichkeit - auch für die Bundestagsfraktionen eine Möglichkeit -, das wieder in Ordnung zu bringen; denn es ist nicht einzusehen, warum man nicht, wenn alle Teile sich über eine Maßnahme einig sind und wenn man der Auffassung ist, daß mit diesen Dingen begonnen werden sollte, auch die Mittel bewilligen sollte, die zumindest zum Anlaufen dieser Maßnahme erforderlich sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Löhr? - Bitte!
Herr Kollege von Kühlmann-Stumm, ist Ihnen nicht mehr bekannt, daß der Abänderungsantrag bei der zweiten Lesung des Haushalts, der aus Ihren Fraktionsreihen gestellt wurde, durch die gegenteilige Stimmabgabe Ihrer Fraktionskollegen zu Fall kam?
Ich bin bei dieser Abstimmung nicht dabei gewesen. Daß der Antrag durch meine Fraktion hier zu Fall kam, halte ich für ausgeschlossen. Ich kann Ihnen nicht sagen, Herr Kollege, wie unsere Abgeordneten im Haushaltsausschuß gestimmt haben. Aber daß die FDP-Abgeordneten des Bundestages unserem Antrag gefolgt sind, davon bin ich allerdings fest überzeugt. Deswegen hoffe ich, daß es uns möglich sein wird, für das Jahr 1969 die Mittel bereitzustellen, die notwendig sind, um wenigstens diese erforderlichen Maßnahmen zum Anlauf zu bringen. Denn daran gibt es doch wohl keinen Zweifel, und darüber sind sich eigentlich auch alle hier zur Stellungnahme aufgeforderten Gutachter einig, daß die Standortfrage heute und für die Zukunft die entscheidende Frage für das Saargebiet sein wird. Man soll auch jetzt nicht plötzlich, nachdem man immer wieder gerade für Wasserstraßen hohe Mittel aufgewandt und auch im Sinne der deutsch-französischen Verständigung und der Rückgliederung des Saarlandes hohe Aufwendungen für den Moselkanal gemacht hat, sagen: Das geht nicht, das ist nicht rentabel. Das amortisiert sich nicht. Ich glaube, hier ist uns das Land Saar wirklich so wertvoll und so wichtig, daß wir über unseren Schatten springen und möglichst bald die ersten Maßnahmen ergreifen sollten. Denn Sie alle wissen, daß es relativ lange dauert, bis ein solches Projekt geplant und fertiggestellt ist. Ich nehme an, daß die Vertreter der saarländischen Regierung auch noch etwas dazu sagen werden. Auf jeden Fall hat auch das letzte Gutachten der saarländischen Regierung wiederum gezeigt, daß das Wasserstraßen- und das Standortproblem das Entscheidende ist und daß die Gutachter sich für das Projekt des Saar-Pfalz-Kanals entschieden haben. Nachdem der Herr Bundeswirtschaftsminister uns vorhin die Kosten der drei Alternativen genannt hat - sie waren in etwa gleich hoch -, würde ich doch jetzt zur Tat schreiten und diesen Saar-Pfalz-Kanal in Angriff nehmen, zumal da wir nicht vergessen dürfen: er betrifft nicht nur die Saar, sondern er betrifft zu einem großen Teil auch das
Land Rheinland-Pfalz, das sich erhofft, durch diesen Kanal einen Teil seines Landes, welcher zur Zeit - ähnlich wie die Saar - im Schatten der Überkonjunktur steht, industriell zu mobilisieren. Ich habe immer wieder gehört, daß die maßgeblichen Regierungsmitglieder des Landes Rheinland-Pfalz nicht nur den Wunsch haben, eine solche Wasserstraße auch durch 'ihr Land geführt zu sehen, sondern daß sie auch den Willen haben, sich finanziell an diesem Projekt zu beteiligen, ebenso wie wir das bei der Saarregierung feststellen konnten.
Ich möchte auf jeden Fall anregen - und wir haben Ihnen einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem wir Einzelmaßnahmen ankündigen und Einzelmaßnahmen zum Entschluß vorlegen -, daß dieses Problem vorrangig gesehen wird. Wir hoffen, daß die Saar recht lange in den Genuß der augenblicklichen Überkonjunktur kommt, daß dadurch viele kurzfristige Maßnahmen getroffen werden können. Man darf aber nicht vergessen, daß eine langfristige Lösung nur in der Regelung der Standortfrage zu finden ist. Wir Freien Demokraten, sowohl hier im Bundestag, als auch im saarländischen Landtag und in der saarländischen Regierung, werden diese Maßnahme besonders unterstützen. Die kurzfristigen Maßnahmen sind hier von allen Parteien eigentlich gleichmäßig aufgezeigt worden, bei den langfristigen war es etwas weniger deutlich. Wir möchten uns ganz klar für den schnellen Beginn des Baus einer Wasserstraße entscheiden und hoffen, daß die Bundesregierung uns hier folgen wird. Ich würde mich freuen, wenn Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen würden.
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Das Wort hat als Vertreter des Bundesrates der Herr Ministerpräsident des Saarlandes.
Dr. Röder, Ministerpräsident des Saarlandes: Herr Präsident! Meine- sehr verehrten Damen und Herren! In der ausführlichen schriftlichen Antwort der Bundesregierung ist die wirtschaftliche Lage des Saarlandes zutreffend dargestellt. Auch die Gründe, die zu dieser Lage geführt haben, sind im großen und ganzen richtig gesehen. Ich kann mich daher mit Rücksicht auf die Zeitnot, in der die heutige Aussprache stattfindet, kurz fassen.
Gestatten Sie aber eine Anmerkung zuvor. Die Aussprache über die Lage im Saarland findet einen Tag nach dem 17. Juni statt, an dem wir uns besonders schmerzlich der Teilung Deutschlands bewußt werden. Um so glücklicher dürfen wir darüber sein, daß im Westen unseres Vaterlandes als Ergebnis der deutsch-französischen Aussöhnung die Teilung vor mehr als 12 Jahren durch eine freie Willensäußerung der Bevölkerung des Saarlandes beseitigt werden konnte.
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Die politische Wiedervereinigung des Saarlandes mit
der Bundesrepublik Deutschland war ein bedeutender und ein ermutigender Erfolg und darüber hinaus ein die ganze Nation berührender, leider aber auch bis heute einmaliger Vorgang.
Dieser Vorgang war ohne Beispiel und hatte kein Vorbild, und so waren sich alle Beteiligten schon damals darüber im klaren, daß bei der Fülle der notwendigen Eingliederungsmaßnahmen deren Auswirkungen im einzelnen und im besonderen natürlich ihre Dauerhaftigkeit mit Sicherheit nicht vorausgesehen werden konnten. Diese Unsicherheit bestand schon bei der Unterzeichnung des Vertrages zur Regelung der Saarfrage vom 27. Oktober 1956, weshalb sich die beiden Vertragspartner darüber einig waren, daß der politischen Rückgliederung eine wirtschaftliche Übergangszeit folgen müsse, in der beide Regierungen bemüht sein würden, die Loslösung aus dem französischen Zoll- und Währungsgebiet ohne Schaden für die saarländische Bevölkerung und ohne Schaden für die Bevölkerung der benachbarten Gebiete vor sich gehen zu lassen.
Auch die in diesem Hause vor genau zehn Jahren mit großer Leidenschaft geführten Eingliederungsdebatten waren notwendigerweise durch die unterschiedliche Beurteilung der vorgesehenen Maßnahmen gekennzeichnet und belastet. Ein solch weittragender Vorgang konnte einfach nicht auf Anhieb in all seinen Auswirkungen übersehen werden; man brauchte dazu einen längeren Erfahrungszeitraum. Das darf ich gleichzeitig erklärend zu den Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers sagen, wenn er meinte, daß gestern nicht genügend geschehen sei, um heute bereits alles fertig zu sehen. Das sind die Gründe dafür.
Dieser Erfahrungszeitraum liegt nunmehr vor, und wir können heute mit sehr viel größerer Sicherheit sagen, welche Voraussetzungen notwendig sind, um eine dauerhafte und gesunde wirtschaftliche Entwicklung des Saarlandes herbeizuführen. Darüber gibt es in diesem Hohen Hause, wie ich der Diskussion entnommen habe, auch keine Meinungsverschiedenheit mehr, daß es nunmehr um Maßnahmen geht, die geeignet sind, einen wirtschaftlichen Wachstumsprozeß nicht nur in Gang zu setzen, sondern auch auf die Dauer zu erhalten mit dem Ziel, diese Region von Subventionen in der Zukunft unabhängig zu machen.
Ich stimme denen zu, die hier ausgeführt haben, daß sich als Grundübel die in bezug auf gleichartige Industriereviere schlechtere Standortsituation und, damit im Zusammenhang, die schlechte Infrastruktur erwiesen haben. Beide Tatbestände verhindern ganz einfach, daß die Wachstumsschwächen vorhandener Industrien beseitigt und daß darüber hinaus moderne Wachstumsindustrien in genügendem Umfang angesiedelt werden können. Das kann den nicht überraschen, der sich vergegenwärtigt, daß dieses Industriegebiet - was auch heute abend von dieser Stelle aus bereits gesagt worden ist -in knapp dreieinhalb Jahrzehnten viermal seine politische Zugehörigkeit gewechselt hat.
Ich bin Herrn Kollegen Müller-Hermann besonders dankbar dafür, daß er darauf hingewiesen hat, daß unsere Industrie infolge dieser gewollten engen Verflechtung mit der französischen Wirtschaft, die Gegenstand des Saarvertrages ist- wo der zollfreie
Ministerpräsident Dr. Röder
saarländisch-französische Warenaustausch vereinbart wurde, und zwar auf der Grundlage des Referenzjahres von 1955; und wir haben alles getan, um diesen Austausch besonders wirkungsvoll zu erhalten -, im Augenblick natürlich zusätzlich durch diese Währungsunsicherheit in hohem Maße belastet ist. Das macht beispielsweise für ein Unternehmen an der Saar, für die Röchlingschen Eisen-und Stahlwerke, einschließlich der 4%igen Exportabgabe pro Jahr 22 Millionen DM aus. Das ist doch ein sehr ansehnlicher Betrag.
Ich darf also betonen, daß eine moderne, vielseitige und wachstumskräftige Wirtschaftsstruktur nur dann herbeigeführt werden kann, wenn es gelingt, das Standortproblem-Herr Kollege von Kühlmann-Stumm, ich unterstreiche das, was Sie gesagt haben - dauerhaft zu lösen. Heute ist das glücklicherweise möglich, sogar im Benehmen mit unseren europäischen Nachbarn, was vor zehn Jahren noch größere Schwierigkeiten bereitet hätte.
Ich muß dabei ganz unmißverständlich an dieser Stelle sagen, daß die Lösung auf dem Tarifweg an den europäischen Verträgen gescheitert ist. Wir haben bei diesem Experiment, auf das wir uns eingelassen haben, auf das wir uns einlassen mußten - es war uns angeboten -, seit 1964 fünf Jahre verloren. Die Regierung des Saarlandes könnte sich daher auf einen erneuten Versuch in dieser Richtung als Ersatzlösung nicht mehr einlassen. Ich bin dem Herrn Bundeskanzler dankbar, daß er schon vor mehr als zwei Jahren auf meine Vorstellungen hin erklärt hat, mit der Politik des Als-ob der Saar gegenüber müsse es ein Ende haben. Ich begrüße es ebensosehr, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner schriftlichen Antwort den Tatbestand der Als-ob-Tarife nüchtern und zutreffend beurteilt, wenn ich auch Herrn Müller-Hermann durchaus zustimme, daß die Bundesregierung alle Bemühungen unternehmen muß, um Unterstützungstarife sicherzustellen für einen Zeitraum, in dem die übrigen Maßnahmen durchgeführt werden können. Ich bin Ihnen, sehr verehrter Herr Bundesminister Schiller, auch sehr dankbar dafür, daß Sie sich in der heutigen Aussprache so ganz unmißverständlich für die Durchführung der Maßnahmen ausgesprochen haben, die zugegebenermaßen auch in vielen gemeinsamen Erörterungen mit Ihnen und Ihrem Hause erarbeitet worden sind.
Ich darf an dieser Stelle darauf hinweisen, daß die saarländische Regierung bereits vor mehr als zehn Jahren in wiederholten Eingaben auf die Notwendigkeit einer dauerhaften Standortverbesserung hingewiesen hat, daß bereits Anfang der 60er Jahre ein interministerieller Saarausschuß bei der Bundesregierung gebildet worden ist, der schon damals, Anfang der 60er Jahre, zu dem Ergebnis kam, es müsse eine Wasserverbindung für die Saar geschaffen werden, daß dann im Jahre 1964 zur Abwehr des im Grundsatz von der Bundesregierung beschlossenen Saar-Pfalz-Kanals die Bundesbahn Als-ob-Tarife angeboten hat, die eine Frachtermäßigung bringen sollten, so als ob die Wasserstraße bereits vorhanden sei, daß aber die Dauerhaftigkeit dieses Tarifs - meine Damen und Herren, Sie wissen es doch an dem Widerstand der europäischen Behörden gescheitert ist und daß schließlich die heutige Bundesregierung in Erkenntnis dieser Lage vor zwei Jahren erneut einen interministeriellen Ausschuß eingesetzt hat, als dessen Arbeitsergebnis der Beschluß der Bundesregierung vom 11. Februar dieses Jahres angesehen werden kann. Dieser Beschluß zieht endlich die Konsequenzen aus 'den zum Teil leidvollen Erfahrungen der letzten zehn Jahre und faßt in wenigen Punkten das zusammen, was zur aktiven Sanierung der saarländischen Wirtschaft notwendig erscheint.
Die Bevölkerung an der Saar wird es sehr befriedigt aufnehmen, daß sich heute hier im Deutschen Bundestag alle Fraktionen für die Durchführung dieses Beschlusses der Bundesregierung vom 11. Februar dieses Jahres ausgesprochen haben. Es ist verständlich, daß dieser Beschluß, als er bekannt wurde, keinen ungeteilten Beifall gefunden hat. Auf der einen Seite mußte er natürlich die Wasserstraßengegner auf den Plan rufen. Auf der anderen Seite mußte er diejenigen unbefriedigt lassen, die mit Recht eine endgültige Entscheidung über die Richtung dieses Wasserstraßenanschlusses für unerläßlich hielten. Trotzdem meine ich, es sei nicht unvernünftig, in einem Fall, in dem für den, der zu entscheiden hat, nicht genügend gesichert erscheint, was richtig ist, zumindest das zu tun, was auf keinen Fall falsch sein kann.
Um dem Einwurf sachlich zu begegnen, was vor zehn Jahren richtig gewesen sei - auch das hört man ja oft -, brauche nun nicht mehr uneingeschränkt zu gelten: Wesentlich auch aus diesem Grund hat die saarländische Regierung eine Gruppe unabhängiger Wissenschaftler beauftragt, in Ergänzung ihres eigenen Memorandums aus dem Jahre 1967 ein Strukturprogramm für das Saarland zu erarbeiten, das sich die neuesten Erkenntnisse zu eigen macht. Und lassen Sie mich hier eine Bemerkung einschieben, meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Baltes glaubte, polemisch ausführen zu sollen, es bezeichne die Wirtschaftspolitik meiner Regierung, daß es des Druckes des Herrn Professors Giersch bedurft hätte, um diesen Gutachterausschuß zu berufen. Werter Herr Baltes, ich darf hier feststellen, daß dieser Gutachterausschuß auf Grund von Überlegungen berufen wurde, die im Wirtschafts-und Strukturbeirat meiner Regierung angestellt wurden, daß dieses Gremium ohne jeden Druck berufen wurde und daß ich mit ihm in dem letzten Jahre hervorragend zusammengearbeitet habe und daß es durchaus meiner Auffassung und der Auffassung der Landesregierung entspricht, sich Gutachten zu bedienen, wie wir das in der Vergangenheit bereits getan haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle etwas Grundsätzliches sagen: Ich sehe meine Anwesenheit in diesem Hohen Hause als Mitglied des Bundesrates nur darin gerechtfertigt, Ihnen bei einer Diskussion, die mein Land betrifft, zur Verfügung zu stehen. Aber ich bitte um Verständnis, daß ich bei aller Berechtigung der sonst gebotenen, auch legitimen parteipolitischen Polemik mich enthalten und mich auf diese Tatsache beschränken muß,
Ministerpräsident Dr. Röder
Ihnen hier als Mitglied des Bundesrates im Interesse meines Landes zur Verfügung zu stehen.
Dieses Strukturprogramm liegt nunmehr vor und hat auch in der breitesten Öffentlichkeit und, wie ich höre, auch hier im Hause eine zustimmende Beurteilung erfahren. Ich bin darüber sehr glücklich. Es geht von zwei Zielvorstellungen aus: erstens Vollbeschäftigung des verfügbaren Arbeitskräftepotentials zu schaffen und die Beseitigung des Rückstands im Sozialprodukt der Erwerbstätigen und Verringerung des Rückstands im Sozialprodukt je Kopf der Bevölkerung gegenüber dem Bundesdurchschnitt zu erreichen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden zwei Hauptstrategen entwickelt. Man kann natürlich auch sagen, drei, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn man die erste, wie Sie es dargelegt haben, aufteilt in eine Strategie 1 a mit Wasserstraßenanschluß zum Oberrhein und in eine zweite -1 b - mit Wasserstraßenanschluß zur Mosel. Aber die Strategie Nr. 1 läßt sich wohl am besten so definieren, daß der Montanbereich eine wesentliche Basis der Saarwirtschaft bleiben soll, daß aber in weit größerem Umfang als bisher nachwachsende Arbeitskräfte in der weiterverarbeitenden Industrie, vorrangig in Wachstumsbranchen, Arbeitsplätze finden sollen. Bei der zweiten Strategie konzentriert sich die Förderung des industriellen Bereichs vor allem auf die Branchen der weiterverarbeitenden Industrie, insbesondere von Wachstumsbranchen. Dabei wird hingenommen, daß die Beschäftigung im Montanbereich noch stärker als bisher zurückgeht. Ich darf hier eine Zahl nennen, die heute nicht genannt worden ist: Die Zahl der Beschäftigten bei den Saarbergwerken ist in den letzten zehn Jahren von 65 000 auf knapp 29 000 zurückgegangen. Das ist doch eine sehr eindrucksvolle Zahl und sie sagt eigentlich mehr aus, als wenn man nur sagt, daß die Beschäftigten in den letzten zwei Jahren um 6000 abgenommen haben. Die andere Zahl beweist in viel eindringlicherer Weise, wie der Montanbereich, vornehmlich bei der Kohle, bereits rationalisiert worden ist.
Die Strategie 1, für die sich die saarländische Regierung gemeinsam mit allen Kreisen der saarländischen Wirtschaft, sowohl der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften, entschieden hat, sieht einen Wasserstraßenanschluß für das Saarland in Richtung zum Oberrhein, neben weiteren flankierenden Maßnahmen, vor. Sie wollten von mir wissen - ich glaube, Sie waren es, Herr von Kühlmann-Stumm -, welche Auffassung die Landesregierung des Saarlandes hat. Diese hat sie. Wir würden es daher sehr begrüßen, wenn auch der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung auf Grund der vorliegenden Unterlagen sich dieser Auffassung anschließen würden.
Meine Damen und Herren, sowohl im Beschluß der Bundesregierung als auch in dem von mir genannten wissenschatflichen Gutachten wird von der Notwendigkeit einer überregionalen Zusammenarbeit gesprochen. Aus der Sicht und aus der Lage des Saarlandes heraus kann es nur sehr begrüßt werden, daß die französische Regierung bereits Anfang Januar dieses Jahres beschlossen hat, für die
Raumordnung im benachbarten Lothringen mit der saarländischen Regierung über die Grenze hinweg zusammenzuarbeiten. Die gleiche Bereitschaft hat die Regierung des Großherzogtums Luxemburg dankenswerterweise zum Ausdruck gebracht. Eine enge Zusammenarbeit mit Rheinland-Pfalz ist so selbstverständlich, daß ich darüber nicht zu sprechen brauche. Es ist ferner begrüßenswert, daß die überregionale Zusammenarbeit bereits Gegenstand eines Gesprächs zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem französischen Staatspräsidenten im März dieses Jahres war und daß beschlossen wurde, eine gemeinsame Kommission einzusetzen.
In dem wirtschaftlich bedeutenden Dreieck Lothringen-Saar-Luxemburg zeichnet sich erfreulicherweise eine Zusammenarbeit ab, die im Sinne einer doch erstrebenswerten europäischen Kooperation als ermutigend bezeichnet werden kann und daher natürlich auch die besondere Aufmerksamkeit des Deutschen Bundestages verdient. Herr Kollege MüllerHerrmann, Sie haben darauf hingewiesen, daß auch die Behörden der EWG sich für dieses Problem interessieren müßten. Ich meine, bei den Voraussetzungen, die in den betreffenden Ländern gegeben sind, müßte diese Mitwirkung herbeizuführen sein. Diese Zusammenarbeit wid von der Regierung des Saarlandes bereits seit vielen Jahren gepflegt in der Erkenntnis, daß eine dauerhafte Sanierung der saarländischen Wirtschaft nicht ohne gleichzeitige organische Entwicklung der Nachbarräume erfolgen kann. Allerdings darf der eine dabei nicht auf den anderen warten.
Lassen Sie mich zum Schluß wiederholen, was ich im Vorwort zu dem Memorandum der Saarregierung aus dem Jahre 1967 bereits ausgeführt habe. Der Herr Präsident möge mir gestatten, ein paar Zeilen daraus zu zitieren, die nach meiner Auffassung auch heute noch Geltung haben. Wenn auch in meinen Ausführungen heute wieder Nachdruck darauf gelegt werden mußte, was noch dringend zu tun bleibt, so sollte damit nicht der Eindruck von mir erweckt werden, als wäre in der Vergangenheit durch die früheren Bundesregierungen für die Saar etwa nichts geschehen. Diesen Eindruck wollte ich dabei nicht aufkommen lassen. Ohne die großzügig gewährten Eingliederungshilfen wäre das bisher Erreichte an der Saar einfach nicht vorstellbar. Andererseits: „Der große politische Erfolg der Wiedereingliederung in die Bundesrepublik Deutschland sollte nicht dadurch nachträglich geschmälert werden, daß die noch notwendigen Maßnahmen unterbleiben oder aber nicht rechtzeitig genug in Angriff genommen werden."
({1})
Meine Damen und Herren, es haben jetzt die Vertreter der drei Bundestagsfraktionen, der Vertreter der Bundesregierung, der Vertreter des Bundesrates gesprochen. Die Zahl der Wortmeldungen ist groß. Wir nähern uns bereits in wenigen Minuten dem Zeitpunkt, an dem dieses Haus seine Beratungen im allgemeinen abschließt. Ich möchte deshalb an alle Redner die dringliche Aufforderung richten, ihre Reden noch wirkVizepräsident Dr. Jaeger
samer zu machen, indem sie sie konzentrieren, möglichst so, daß niemand mehr als zehn Minuten spricht.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Brück ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre sicher reizvoll, Herr Ministerpräsident, mit Ihnen jetzt darüber zu streiten, ob man zehn Jahre hätte brauchen müssen, um zu erkennen, wie sich die wirtschaftliche Situation an der Saar entwickelt. Ich teile die Auffassung des Herrn Bundeswirtschaftsministers, daß man, wenn man gestern angefangen hätte, heute die Erfolge hätte. Aber soeben hat der Herr Präsident gemahnt, wir sollten uns kurz fassen. Ich glaube auch nicht, daß hier der Ort ist, innersaarländische Auseinandersetzungen zu führen.
Mein Kollege Baltes hat schon angekündigt, daß wir noch über die Verkehrsverbindungen reden werden. Es steht in der Antwort der Bundesregierung:
Die zentrale Lage inmitten der Europäischen Gemeinschaft - „im Herzen der EWG" - wird der saarländischen Wirtschaft in Zukunft Vorteile bringen.
In der Tat, nimmt man eine Landkarte und einen Zirkel und schlägt einen Kreis um das Saarland, dann sieht man, in welch vorzüglicher geographischer Lage es in Europa liegt. Aber wenn man soviel
vom Herzen in Europa spricht, dann muß man sagen, es gibt zu wenig Adern zu diesem Herzen, viel zu wenig Verkehrsverbindungen. Wenn man als Saarländer über Verkehrsverbindungen spricht, erwartet jeder, daß man gleich über Wasserstraßenanschluß spicht. Ich werde das jetzt nicht tun. Dazu wird mein Freund Werner Wilhelm sprechen. Ich will über Straßenverbindungen und auch über den Luftverkehr sprechen.
Betrachtet man sich die Karte, dann sieht man, daß das Saarland eine gute Straßenverbindung in Richtung Osten hat: die Autobahn Saarbrücken-Mannheim, die demnächst bis zur Grenze eröffnet werden wird, so daß wir dann auch Anschluß nach Frankreich haben. Was uns aber fehlt, sind gute Verbindungen zu Rhein und Ruhr und gute Verbindungen in die Benelux-Länder. Es gibt entsprechende Planungen. Es gibt die Pläne, die B 327 von Saarbrücken in den Norden des Landes auszubauen - Gott sei Dank jetzt entgegen den ursprünglichen Plänen vierspurig -, es gibt Pläne, die B 406 entlang der Saar nach Luxemburg auszubauen. Und es gibt die Pläne, die B 327 an die Bundesautobahn Trier-Landstuhl-Koblenz anzuschließen. Wir wären sehr dankbar, wenn die Bauzeit bei diesen Straßen entgegen den ursprünglichen Plänen verkürzt würde. Das würde nicht nur uns helfen, das würde auch unserem Nachbarland Rheinland-Pfalz helfen. Ich weiß, daß das zusätzliche Kosten verursachen wird, und ich weiß, daß sie im Verkehrshaushalt nicht enthalten sind. Daher geht meine Bitte an den Bundesfinanzminister, mit dafür einzutreten, daß zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Dem Bundesverkehrsminister muß man hier wohl dafür Dank sagen, daß er in Saarbrücken erklärt hat, daß man so schnell finanziert, wie man im Saarland plant. Aber ich glaube, diese Erklärung kann natürlich keine Dauerlösung sein.
Ein Wort noch zu einer anderen Straßenverbindung, zu der Bundesstraße 10, die im Saarland ausgebaut wird, die aber nicht nur für das Saarland von Bedeutung ist, sondern auch für die Westpfalz. Die Schwierigkeiten des Saarlandes sind auch die Schwierigkeiten der Westpfalz. Wir wissen, daß früher viele Pfälzer im Saarland Brot gefunden haben und daß sie mit den Schwierigkeiten, die bei uns aufgetreten sind, nun auch in der Pfalz Schwierigkeiten erhalten haben; denn Saarland und Westpfalz waren immer eine wirtschaftliche Einheit.
Lassen Sie mich nur noch kurz etwas zu den Eisenbahnen sagen, obwohl mein Kollege Baltes schon etwas dazu gesagt hat. Das ist nicht nur ein Problem, das wir, die Saarländer, sehen. Der Kollege Ravens war einmal an der Saar. Als er zu uns kam, sagte er: Ich dachte ja eigentlich nicht, daß ich mit der Eisenbahn fahre, sondern daß ich reite, so langsam schien mir das. Ich sage das nicht als Vorwurf gegen die Eisenbahn. Ich weiß, daß die topographische Situation im Saarland und in der Pfalz die Arbeit der Eisenbahn schwierig macht, und ich anerkenne auch die Bestrebungen der Eisenbahn, die Dinge zu verbessern.
Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zum Flugverkehr sagen. Ich glaube, daß es in unserer Zeit undenkbar ist, ein modernes Industriegebiet aufzubauen, ohne daß es den entsprechenden Anschluß an den internationalen Flugverkehr hat. Nun haben wir im Saarland mit Saarbrücken-Ensheim einen Flughafen, auf dem es täglich schon zehn Starts und Landungen im Linienverkehr gibt und auf dem in diesem Jahr wahrscheinlich im Tourismus 200 Chartermaschinen starten werden. Man erwartet, daß auf dem Flughafen in diesem Jahre rund 30 000 oder noch mehr Passagiere abgefertigt werden. Aber das wird nur dann möglich sein, wenn das Wetter gut ist; denn man kann diesen Flughafen nur anfliegen, wenn das Wetter gut ist. Es gibt kein Instrumentenlandesystem. Die Piloten müssen mit Boeing 727 und Boeing 737 einfach nach Sichtflugverkehr anfliegen. Ich glaube, das ist auf die Dauer nicht tragbar.
Bei der Bundesanstalt für Flugsicherung glaubt man wohl, daß das ein kleiner Flughafen ist. Ich habe mir von einer Reise eine Karte der Lufthansa über ihr internationales Streckennetz mitgebracht. Wenn man diese Karte studiert, sieht man, daß Saarbrücken im Reigen der großen deutschen Flughäfen verzeichnet ist. Ich habe diese Karte von meiner Reise nach Nigeria/Biafra mitgebracht, womit ich keinesfalls sagen will, daß ich den Flughafen Saarbrücken-Ensheim mit Uli-Airstrip in Biafra vergleichen will; denn dort kann man sogar in der Nacht im tropischen Gewitter landen. Das schafft man in Saarbrücken nicht ganz. Der Kollege von Gemmingen wird mir das gern bestätigen.
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Brück ({1})
- Nach dreimaligem Versuch. Ich meine, daß Saarbrücken-Ensheim dringend ein Instrumentenlandesystem braucht. Ich glaube, daß der Flugverkehr, so wie er sich jetzt angelassen hat, weiter ausbaufähig ist, und ich wäre dem Herrn Bundesverkehrsminister oder seinem Staatssekretär, der hier ist, sehr dankbar, wenn er den Saarländern helfen würde; denn das wäre für unser Land an der Saar ein großer Vorteil.
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Ich danke dem Redner für seine vorbildliche Kürze.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte weder über Luftverkehr noch über Straßenverkehr noch über Wasserverkehr sprechen, sondern in aller Kürze die Frage beantworten, warum sich das Saarland seit Jahr und Tag um strukturelle Verbesserungen in seinem Raum bemüht.
Sie wissen ja alle, meine Kollegen, daß man zuweilen scherzhafte Worte spricht, wenn man zusammensitzt. Ich habe vorhin ganz in meiner Nähe gehört: Ihr kriegt den Kanal wieder nicht voll. Wir sollten an diese Scherze denken und versuchen, die Frage zu beantworten, warum sie gemacht werden.
Wenn ich in aller Kürze dazu Stellung nehme, muß ich sagen, daß das aus einer nackten Sorge um ) das geschieht, was sich im Augenblick in unserer Wirtschaft vollzieht, vor allem aber auch wegen der berechtigten Frage, wie die Zukunft aussehen soll.
Wir müssen die Dinge ganz nüchtern betrachten. Der Saarbergbau ist halbiert. Unsere Eisenindustrie geht von Jahr zu Jahr, man möchte fast sagen, von Monat zu Monat, in ihren Arbeitsbedarfsansprüchen zurück. Das ist ganz natürlich. Es kann nicht anders sein; denn die Rationalisierungsmaßnahmen führen nun einmal zu einer großen Personaleinsparung.
Vieles mehr gibt der Saar zu Sorgen Anlaß. Sie fragt sich in letzter Zeit ganz besonders, was werden soll, wenn es nicht gelingt, diese Monostruktur umzuwandeln bzw. umzuändern und damit gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen. Die Menschen im Saarland und auch in der Westpfalz werden in ganz kurzer Zeit feststellen müssen, daß sie auf zehntausende von Arbeitsplätzen verzichten müssen.
An der Saar wird im Augenblick davon gesprochen, daß wir, wenn keine Änderung erfolgt, 1980 100 000 Arbeitsplätze zu wenig haben werden. Dabei müssen wir bedenken, daß 100 000 Arbeitsplätze zwei Drittel der in der Industrie Beschäftigten oder aber ein Viertel aller Beschäftigten ausmachen. Das sind die Größenverhältnisse.
Es werden sich unerhörte Auswirkungen abzeichnen, wenn sich nichts ändert. Wir mögen darüber denken und sprechen, wie wir wollen, es hat keinen Sinn. Es ist so, und deswegen werden diese Bemühungen gemacht.
Natürlich wurde der Saar geholfen. Aber wenn ich mir die Antwort der Regierung vor Augen halte, stelle ich doch folgendes fest: Der Saar ist gegeben worden. Gleichzeitig muß man aber die Frage anfügen: Ist nicht den anderen Ländern ebenso gegeben worden? Die Regierung hat dem Bergbau Subventionen gegeben. Das macht jeder private Unternehmer. Der Bergbau gehört dem Bund, also muß er auch subventionieren. Alle übrigen Leistungen, sowohl an den Bergbau wie an die Bergleute, haben die Ruhr und alle anderen Gebiete genauso wirkungsvoll und in denselben Mengen erhalten.
Andere Zuschüsse, Aufwendungen, ERP-Mittel und sonstige Förderungsmittel haben alle Länder bekommen, nicht nur die Saar. Das muß man immer wieder sagen, um das Maß des Empfangenen in das rechte Licht zu rücken.
Meine Kollegen, ich meine, alle Gespräche, die wir führen, und alle Beschlüsse, die wir fassen, haben an sich wenig Sinn, wenn daraus keine Konsequenzen gezogen werden. Es hat keinen Sinn, wenn der Beschluß der Bundesregierung vom Februar dieses Jahres nun nicht recht bald in die Praxis umgesetzt wird. Den Worten, den Beschlüssen müssen Taten folgen. Sonst ist der Saar nicht gedient, sonst ist den Menschen an der Saar nicht gedient, sonst ist niemandem gedient. Es ist auch nicht dem Grenzgebiet der Pfalz gedient, das hieran ebenfalls partizipieren will, und zwar in nicht geringem Ausmaß.
Sehen Sie, verehrte Freunde, das wollte ich nur noch richtigstellen. Es ist schade, daß man nicht das Notwendige sagen kann, was man sich zu sagen vorgenommen hatte, und es dabei belassen muß. Ich hoffe, daß nunmehr den Worten auch Taten, entscheidende Taten, folgen, ohne daß ich dabei vergesse oder übersehe, daß für die Saar schon viel getan worden ist. Immer wieder wurde aber auch anderen Ländern etwas gegeben. Nicht nur das Saarland hat etwas erhalten; alle Länder haben etwas erhalten.
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Meine Damen und Herren, auch dieser Redner hat uns ein Vorbild gegeben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kulawig.
Herr Präsident! Meine Herren! Heute hat sich hier eine Art von Saar-Euphorie breitgemacht, die diejenigen, die sich sonst bei den geringfügigsten Kleinigkeiten, die Sonderleistungen für das Saarland erbringen sollen, die Köpfe blutig rennen, nur mit Verwunderung erfüllen kann. Ich bin mir bewußt, daß ich eigentlich nichts Neues mehr zur Diskussion beisteuern kann. Denn ich konnte schon mehreren Diskussionsbeiträgen, angefangen von dem Beitrag des Herrn Kollegen von Kühlmann-Stumm bis zu dem des Herrn Ministerpräsidenten des Saarlandes - ich zähle auch andere dazu, die ich der Kürze halber aber jetzt nicht namentlich aufführen will -, entnehmen, daß uns allen im wesentlichen die gleichen Unterlagen zur
Verfügung stehen, die uns eine Handhabe geben, um die Situation des Saarlandes hier darzustellen.
Sicher ist das richtig, was Herr Kollege von Kühlmann-Stumm schon zum Ausdruck brachte. Wenn man dem Verlauf der Debatte gefolgt ist, muß man sich die Frage stellen, warum wir, die saarländischen SPD-Abgeordneten, zusammen mit der Bundestagsfraktion der SPD diese Große Anfrage überhaupt eingebracht haben. Es scheint alles in bester Ordnung zu sein. Ich darf daran erinnern, daß wir sie zu einem Zeitpunkt eingebracht haben, bevor sich das Bundeskabinett am 11. Februar mit den Problemen des Saarlandes beschäftigt hat. Es wäre aber trotzdem falsch, wenn die wenigen hier Anwesenden den Eindruck mit nach Hause nähmen, als wäre nach jenem Kabinettsbeschluß und nach der heutigen Debatte über die Große Anfrage der SPD im Saarland und in Bonn gegenüber dem Saarland alles in Ordnung.
Ich darf einige wenige Bemerkungen zu dem Kabinettsbeschluß machen. Ich bin davon überzeugt, daß er ein Gesundungsprogramm für das Saarland und seine Wirtschaft sein kann. Er scheint mir aber zu wenig konkret, gar nicht quantifiziert und, was die verwaltungsmäßige und die politische Praxis in der Frage der Realisierung jener Beschlüsse bisher erbracht hat, noch zu keinem konkreten Ergebnis geführt zu haben. Darum benutze ich die Gelegenheit, um heute noch einmal an die Bundesregierung zu appellieren, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die zur Realisierung jenes Beschlusses notwendig sind, der besagt: Das Saarland erhält einen Wasserstraßenanschluß; als erste Stufe wird die Kanalisierung der Saar von Saarbrücken bis Dillingen in Angriff genommen, und in den diesjährigen Haushalt - das ist ohnedies schon vorüber - wird ein Titel „Wasserstraßenanschluß für das Saarland" eingesetzt, bzw. es wird gesagt, die Bundesregierung wolle sich dafür einsetzen. Zur Zeit wird wohl noch darüber gestritten, welche Art von Vorlage wann an den Haushaltsausschuß kommt, die den Beginn der Baumaßnahme Saarbrücken-Dillingen sicherstellt.
Ich benutze die Gelegenheit, die Bundesregierung zu bitten, in den nächsten Tagen dafür zu sorgen, daß der Haushaltsausschuß sich mit der Vorlage über den Beginn der Baumaßnahme beschäftigen kann. Ich möchte aber ausdrücklich davor warnen - und es liegt mir daran, daß das noch nach dieser Debatte, etwa im Jahre 1970, im Protokoll nachlesbar ist -, hier den Weg einer Finte zu beschreiten. Es muß vielmehr durch die Ausweisung dieser Mittel in einem eigenen Titel deutlich werden: Das ist der Beginn des Baus der Wasserstraße im Saarland. - Das ist nötig, damit man nicht nächstes Jahr erklärt: Das kann natürlich auch als eine Strukturverbesserungsmaßnahme oder als eine Verkehrsverbesserungsmaßnahme deklariert werden; die Mittel sind nicht unbedingt als zweckgebunden für den Bau einer Wasserstraße und für die Teilkanalisierung der Saar von Saarbrücken bis Dillingen aufzufassen.
Es sollte der Bundesregierung daran liegen, dafür zu sorgen, daß ihre Glaubwürdigkeit im Saarland nun endlich einmal untermauert wird. Erklärungen des guten Willens, wie sie heute hier in verhältnismäßig großem Umfang abgegeben worden sind, wurden auch schon zu einem früheren Zeitpunkt abgegeben, auch und gerade in Verbindung mit dem Bau der Wasserstraße, ohne daß bis jetzt konkrete Maßnahmen gerade auf diesem Gebiet ergriffen worden wären.
Ich für meinen Teil bin sicher, daß die beträchtlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die gerade während der Rezession im Saarland weithin sichtbar in Erscheinung getreten sind, zu einem wesentlichen Teil bereits ausgeräumt sein könnten, wenn man zu dem Zeitpunkt, da man die im Saarland anstehenden oder sich entwickelnden Probleme erkannt hatte, darangegangen wäre, sie auszuräumen. Eine konkrete und detaillierte, aber auch feststehende Entwicklungsplanung für das Saarland hat bis jetzt gefehlt. Daß eine solche Planung fehlt, ist auch aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage deutlich geworden.
Wir haben aus der Antwort ferner entnehmen können, daß in Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und saarländischer Landesregierung ein regionales Aktionsprogramm erstellt wird. Man könnte ja, wenn das nicht rhetorisch wäre, die Frage stellen, warum dieses Programm nicht schon zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt in Angriff genommen worden ist. Ein Teil der im Rahmen der seit drei Jahren zu verzeichnenden passiven Sanierung abwandernden qualifizierten und jüngeren saarländischen Arbeitskräfte hätte sicher im Saarland verbleiben können, wenn früher an die Arbeit gegangen worden wäre.
Es war der Herr Wirtschaftsminister, der sagte: Es mag spät damit begonnen worden sein, aber es ist nicht zu spät. Ich glaube, dieser Auffassung können wir alle zustimmen.
Es ist aber zu hoffen, daß der Bundestag, der sehr schnell in den Wogen des Wahlkampfes versinken wird, sich dann, wenn er nach der Bundestagswahl wieder daraus aufgetaucht ist, an all das erinnert, was er dem Saarland heute in einer spendablen Laune - so möchte ich einmal sagen - in Aussicht gestellt hat. Es ist zu hoffen, daß er auch noch in der kommenden Wahlperiode für die Realisierung der Pläne eintreten wird.
Jetzt sind hier mehr oder weniger nur noch Saar-Experten anwesend - so könnte man sagen-
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oder solche, die dem Saarland Hochachtung oder Wohlmeinen entgegenbringen. Ich hoffe, daß Sie uns im neuen Bundestag dabei behilflich sind, daß das, was heute hier an künftigen Hilfen für das Saarland genannt worden ist, auch realisiert wird.
Ich wiederhole zum Abschluß: An Erklärungen des guten Willens, das zu tun, was das Saarland und seine Bevölkerung verdient haben, nachdem sie sich für die Rückkehr in die Bundesrepublik entschieden und den Weg in die Freiheit aus eigener Kraft erkämpft hat, und auch an Versprechungen, diese Haltung zu honorieren und entsprechende Hilfen zu leisten, hat es bisher nicht gefehlt. Aber die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in unserem
Lande weist aus, daß diese Bekundungen guten Willens nicht ausreichend gewesen sind, um die wirtschaftliche Entwicklung im Lande auf einen festen Boden zu stellen, um dem Land Hilfen zukommen zu lassen, die es in absehbarer Zeit, in einigen Jahren in die Lage versetzen, aus eigener Kraft und ohne finanzielle Hilfen des Bundes seine Zukunft zu bewältigen.
Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß die heutige Debatte und die Ihnen vorgelegten Entschließungsanträge eine Grundlage für die Realisierung der Vorstellungen geben, die in so reichem Maße als für das Saarland notwendig und nützlich entwickelt worden sind, und möchte Sie bitten, dem Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion Ihre Zustimmung zu geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Draeger.
Herr Präsident! Meine Herren! Auf meine Absicht, konkret zu den einzelnen Fragen Stellung zu nehmen, will ich wegen der vorgeschrittenen Zeit verzichten. Ich hätte zu den Antworten der Bundesregierung einige Bemerkungen, Ergänzungen und andere Beleuchtungen vorzutragen gehabt; ich will aber, Herr Präsident, diese meine Bemerkungen hier zu Protokoll geben.
Wenige Bemerkungen zu der allgemeinen Thematik! In wenigen Tagen, am 6. Juli, werden es zehn Jahre sein, daß die Saar auch wirtschaftlich Teil der Bundesrepublik Deutschland wurde. Eine Analyse dieser zehn Jahre läßt deutlich erkennen, daß zwei entscheidende Aufgaben der wirtschaftlichen Eingliederung der Saar nicht oder noch nicht befriedigend gelöst wurden: erstens das Standortproblem, zweitens die Frage einer nachhaltigen Verbesserung der allzu einseitigen Montanstruktur an der Saar. Zwischen Standortlage und Industrieansiedlung besteht ein untrennbarer Zusammenhang; denn neue Industrie läßt sich nur ansiedeln, wenn entsprechend günstige Standortbedingungen vorliegen. Standortlage und Industrieansiedlung können daher keine Alternativen, sondern nur sich gegenseitig bedingende und ergänzende Lösungsvorschläge sein.
Die Bundesregierung hat sich in anerkennenswerter Weise bemüht, mit einer Reihe von Hilfsmaßnahmen die Eingliederung der Saar in den deutschen Wirtschaftsraum zu erleichtern. Es muß hier aber darauf hingewiesen werden, daß die finanziellen Maßnahmen und Hilfen in ihrer begrenzten Höhe Umstrukturierungsmaßnahmen, die ohnehin ein langfristiger Prozeß sind, nur in bescheidener Weise fördern und beschleunigen können. Zudem muß ich darauf hinweisen, daß die Saar auf gleichem Felde in Konkurrenz mit zahlreichen anderen Bundesregionen steht und auch im Ausland in hartem Konkurrenzkampf auf ähnliche Bemühungen trifft. Hier, meine ich, hilft nicht mehr Kleckern in der Umstrukturierung der Saar, sondern hier muß man klotzen.
Alle noch so gut gemeinten Maßnahmen kamen nicht zum vollen Tragen, weil man an den verantwortlichen Stellen leider auf halbem Wege stehengeblieben ist. Die Notwendigkeit des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur wurde vielleicht zu spät erkannt, oder dem Anliegen wurde zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist ganz offensichtlich, daß das Saarland auf Grund seines wechselhaften politischen Schicksals im Laufe der Zeit gerade in der Verkehrsinfrastruktur am stärksten benachteiligt worden ist.
Das Saarland ist nämlich - und darauf weise ich hin, das sollten wir alle bedenken - heute das einzige Montanrevier in Westeuropa, das über keinen wirklich leistungsfähigen Wasserstraßenanschluß verfügt. Die kanalfreudigen Länder planen heute noch Kanäle, und selbst in der Bundesrepublik beginnt man heute noch zumindest mit dem Bau von neuen Kanälen. Nur wenn es sich um einen Wasserstraßenanschluß an der Saar handelt, gibt es alle möglichen Wehwehchen. Wenn Herr von Kühlmann-Stumm darauf hingewiesen hat, daß auch der Mosel-Kanal schließlich letzten Endes eine politische Entscheidung gewesen ist - das war, wenn Sie so wollen, die Morgengabe für die deutsch-französische Ehe -, so kann man doch hier nicht plötzlich wegen des Wasserstraßenanschlusses mit Kosten- und Rentabilitätsüberlegungen kommen; denn dann müßte ich fragen: Wo hat es denn jemals bei den Kanälen, die in der Bundesrepublik gebaut wurden, so prima vista derartige Überlegungen gegeben? Ich bin der Meinung, auch in dieser Frage muß eine politische Entscheidung gefällt werden.
Lassen Sie mich zu der Verkehrsstruktur noch eine zweite Bemerkung machen. Alle großen Verkehrslinien der Eisenbahn, namentlich in der NordSüd-Richtung, gehen am Saarland glatt vorbei. Auch auf der Straße hat es die Saar bisher nur zu einem einzigen leistungsfähigen Bauwerk gebracht, nämlich zu einer Fernverbindung mit der Autobahn von Saarbrücken nach Mannheim. Herr Staatssekretär, ich sage das, obwohl ich weiß, daß wir in dieser Frage einiges in petto haben. Die Bemerkung zum Luftverkehr darf ich mir eigentlich schenken, darf da aber auch an das anknüpfen, was der Kollege Brück gesagt hat, und was in einer Fragestunde zwischen Ihnen, wie ich glaube, Herr Staatssekretär, und dem Kollegen Kulawig eine wenig befriedigende Lösung gefunden hat, nämlich die Frage der personellen Besetzung der Flugsicherung. Ich weiß, daß das im Augenblick sicher kein bedeutendes wirtschaftliches Potential ist. Aber unterschätzen Sie auch nicht die psychologische Wirkung, die von einer solchen Maßnahme ausgehen kann!
Das Saarland ist geradezu ein klassisches Beispiel dafür, wie eine Region mit ursprünglich guten Standortbedingungen infolge des politisch vernachlässigten Ausbaus seiner Infrastruktur und eines blinden Vertrauens auf die tarifliche Automatik der internationalen Verträge nicht zum wirtschaftlichen Wachstum, sondern offenbar zum wirtschaftlichen Schrumpfen verurteilt ist, und zwar mit allen sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Verlusten und - was auch nicht übersehen werden soll - mit den entsprechenden sozialen Konsequenzen.
Die Saar will keine Subventionen, sondern gleichartige Standortbedingungen, wie sie ihren Konkurrenten in der Bundesrepublik in den Nachbarländern im Laufe der Zeit zugewachsen sind. Neue Hoffnung schöpfte die Bevölkerung an der Saar im Zusammenhang mit dem Beschluß des Kabinetts vom 11. Februar 1969, als sich die Bundesregierung eindeutig und grundsätzlich dazu bekannte, mit einem Teilstück einer leistungsfähigen Wasserstraße zwischen Saarbrücken und Dillingen zu beginnen. Die Enttäuschung an der Saar war jedoch Ende März um so größer und bitterer, als man erkannte, daß zumindest im Jahre 1969 keinerlei finanzielle Mittel zur Verwirklichung dieses Beschlusses zur Verfügung standen und stehen. Für die saarländische Wirtschaft bedeutet dieser Zustand, daß die Unsicherheit und Ungewißheit über die Zukunft des Standortes, der Standortaufbesserung und der Standortaufwertung weiter anhält, was eine ungewöhnliche und schier unerträgliche Belastung für die saarländischen Unternehmen bedeutet. Das beeinträchtigt die Investitionsentscheidungen der Betriebe und behindert die Ansiedlung neuer Unternehmen an der Saar, namentlich neuer Unternehmen mit einem überdurchschnittlichen Wachstum.
Ich richte in dieser Stunde den dringenden Appell auch an die wenigen Kollegen des Hohen Hauses und besonders an die Bundesregierung, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, und zwar recht bald zu tun, damit die lähmende Ungewißheit beseitigt und die saarländische Wirtschaft mit mehr Zuversicht und begründetem Vertrauen in die Zukunft blicken kann und damit letztlich die Menschen an der Saar ) von einer Berufs- und Existenzangst befreit werden und wieder vertrauensvoll hoffen können. Ich danke Ihnen schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wilhelm.
Herr Präsident! Meine sehr vererhrte Damen und Herren! Ich werde versuchen, mich sehr kurz zu fassen, um Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen; die Zeit ist sehr weit fortgeschritten. Ich möchte zunächst nur folgendes feststellen: Der aufmerksame Zuhörer bei dieser Debatte muß und wenn er zufällig noch die drei Entschließungsanträge der drei Fraktionen gelesen hat, zwangsläufig zu der Überzeugung kommen, daß hier allgemein der gute Wille besteht, der Saar die Wettbewerbsvoraussetzungen zu schaffen, die sie mit vergleichbaren Wirtschaftsräumen der Bundesrepublick gleichstellt.
Gerade im Hinblick auf die Lösung des umstrittensten Problems, nämlich des Wasserstraßenanschlusses, scheint sowohl in der Debatte als auch in den drei vorliegenden Fraktionsanträgen völlige Übereinstimmung zu bestehen. Ich habe nur den leisen Zweifel, daß gerade im Hinblick auf das letztere Problem, nämlich den Wasserstraßenanschluß, bis zur Zustimmung einer größeren Mehrheit in diesem Hohen Hause doch noch manche Aufklärungsarbeit notwendig sein wird. Das werden uns die nächsten
Wochen und Monate lehren, wenn es vom Theoretischen ins Konkrete geht.
Und gerade weil ich der Überzeugung bin - sonst hätte ich auf mein Wort verzichtet -, daß noch manche Überzeugungskraft in diesem Hohen Hause notwendig sein wird, um diesen Wasserstraßenanschluß zu realisieren, will ich nur einige wenige ergänzende Bemerkungen machen, ohne das zu wiederholen, was schon von den Vorrednern gesagt worden ist.
In der Antwort der Bundesregierung zur ersten Frage in der Großen Anfrage wird gleich zu Beginn festgestellt, daß die Montanindustrie an der Saar - das wurde auch bereits von Vorrednern hier dargestellt - einen Anteil am Gesamtumsatz von 40% habe und daß fast die Hälfte der Industriebeschäftigten eben in dieser Montanindustrie - Kohle und Stahl - beschäftigt sei. Folglich kann festgestellt werden, daß diese Montanindustrie im Saarland den eigentlichen Industriekern darstellt, um den sich andere Betriebe kristallisieren. Und die Wirtschaftswissenschaft hat seit langem festgestellt - der Herr Bundeswirtschaftsminister hat es in seinen Ausführungen auch unterstrichen -, daß jeder Wirtschaftsraum, der eine vernünftige und gesunde Entwicklung nehmen will, einen Industriekern haben muß, um den, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister sagte, eine gewisse Agglomeration anderer Betriebe stattfindet.
Wir stünden, wenn das Problem der Frachtkosten nicht in Bälde gelöst würde, vor der entscheidenden Alternative, entweder diesen Industriekern, die Montanindustrie, zu erhalten, oder einen anderen Industriekern an dessen Stelle zu setzen, was bedeuten würde, hinsichtlich eines anderen Industriekerns - ob chemische Industrie, ob Elektroindustrie usw. - bei den Unternehmen Bereitschaft zur Investition zu finden und zum zweiten auch Marktlücken zu entdecken, wo dieser neue Industriekern auf freien Märkten seine Waren absetzen könnte. Dieses Problem, diese Alternative, würde entstehen; und auch mit dieser Alternative haben wir uns zu befassen, wenn wir über Wasserstraßenanschluß an der Saar und über die Frage des Industriekerns Montanindustrie reden.
Wir haben auf Grund der bisherigen Debatten festgestellt, daß diese Montanindustrie nicht die gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen und -bedingungen besitzt wie die Montanindustrie in vergleichbaren Revieren, z. B. der Ruhr und Lothringens.
Hier spielt das Frachtkostenelement eine wesentliche Rolle. Wenn wir bedenken, daß Räume mit Kanalanschluß Tarifvorteile von 25 bis 30 % gegenüber Revieren wie die Saar haben, die also auf normale Bahntarife angewiesen sind, und diese Frachtkosten ein wesentliches Kostenelement in der Kalkulation der Montanindustrie darstellen, dann erkennen wir, daß durch diesen Unterschied - bei den Kanaltarifen und Bahntarifen von 25 bis 30% - hier eine ganz entscheidende Wettbewerbsverzerrung gegeben ist.
Nun wurde hier festgestellt - und deshalb versage ich mir noch weitere Ausführungen, ich will
es nur am Rande telegrammstilartig erwähnen -: der Versuch der Als-Ob-Tarife ist auf Grund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs von 1968 gescheitert. Es wurde auch darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung 1963 und insbesondere 1965 durch einen formellen Beschluß dargetan hat, daß für den Fall, daß diese Wettbewerbstarife nicht zu halten seien, ein Kanalanschluß gebaut würde. Es muß hervorgehoben werden, daß ohne kanalgleiche Tarife angesichts der Bedeutung dieses Kostenelements die Gefahr einer Abwanderungsgefahr unserer Hütten besteht. Am Rande sei vermerkt, daß unsere Saarhütten im Jahre 1968/2,4 Millionen t Kohlen bezogen haben. Wenn die Abwanderung der Hütten stattfände, würde also zwangsläufig schon dadurch die Kohlenproduktion der Saarbergwerke um diesen Bezug von 2,4 Millionen t zurückgehen. Auch das sollte am Rande erwähnt werden, wenn wir uns über Wasserstraßen unterhalten.
Es wurden hier die zwei Möglichkeiten SaarPfalz-Kanal und Saar-Mosel-Kanal erwähnt. Ich möchte nicht im einzelnen darauf eingehen, aber auf eines hinweisen. Anläßlich des ersten Spatenstichs zum Nord-Süd-Kanal hat der Bundesverkehrsminister Leber unter anderem auch von der weiterhin existierenden raumfüllenden Kraft von Kanälen gesprochen. Ich könnte hier auf Grund einer Fülle von Beispielen darstellen, wie sich in kanalangrenzenden Kreisen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen das Bruttosozialprodukt zugunsten der Bevölkerung um 8 bis 10% besser darstellt als in Kreisen, die nicht an Kanäle angrenzen, was immerhin - neben anderen Beispielen - ein wirksames Beispiel zur Begründung der raumfüllenden Kraft von Kanälen ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang im Hinblick auf den Saar-Pfalz-Kanal ein Wort zur Pfalz sagen. Der Saar-Pfalz-Kanal würde in seiner Trassenführung in der längsten Strecke durch die Pfalz gehen. Wenn es Tatsache ist, daß Kanäle auch heute noch eine raumfüllende Kraft darstellen, würde sich das im Falle des Baus des Saar-Pfalz-Kanals auf die schwach strukturierte Pfalz ganz konsequenterweise wesentlich positiv auswirken.
Ich möchte noch einmal feststellen, daß, wenn man ja zu diesem Industriekern - Montanindustrie an der Saar - sagt, man auch ja dazu sagen muß, hinsichtlich der Tarife die gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen und Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, wie sie vergleichbare Gebiete haben. Sonst zwingt man diese Montanindustrie zur Abwanderung, mit all den Konsequenzen, die sich derjenige, der von Wirtschaft etwas versteht, vorstellen kann. Wer also ja zur Montanindustrie an der Saar sagt, der muß zwangsläufig ja zum Wasserstraßenanschluß sagen, weil alle Versuche, an Stelle von Wasserstraßenanschluß gleiche Tarife zu erreichen, im Laufe der letzten Jahre - wie hier dargetan - völlig gescheitert sind. Deshalb stehen wir nur vor dieser Alternative.
Bis zur Fertigstellung des Kanals müssen, wie hier schon betont wurde, Unterstützungstarife, die sowohl zeitlich befristet als auch schlechter sind als die Als-Ob-Tarife, weniger Warengruppen enthalten, sich nur auf die Montangüter beschränken und alles andere ausschließen, Gültigkeit haben, und flankierende Maßnahmen müssen hinzukommen.
Abschließend möchte ich feststellen: Die Menschen an der Saar erbitten keine Almosen. Sie wünschen nur, daß dieses Hohe Haus und die Bundesregierung gemeinsam gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen und Wettbewerbsbedingungen für die Saar schaffen, wie sie in vergleichbaren Revieren existieren. Wenn das eines Tages der Fall ist, wird die saarländische Bevölkerung - dessen können Sie versichert sein - kraft ihres Fleißes und Könnens genauso weit sein, wie die Menschen in vergleichbaren Revieren heute sind.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte am Schluß der Debatte einige zusammenfassende Bemerkungen machen.
Ich stelle fest, daß die Antwort der Bundesregierung, des Herrn Bundeswirtschaftsministers, und auch die Debatte zweierlei deutlich gemacht haben. Erstens. Durch die Rezession, beginnend mit dem Jahre 1966, ist das Saargebiet besonders hart getroffen worden, und zwar als Folge des Zusammentreffens der Strukturprobleme und des konjunkturellen Rückschlages. Zweitens hat die Bundesregierung in den Jahren 1967/68 an Mitteln für das Saarland ein Vielfaches von dem gegeben, was in den Jahren vorher geleistet wurde. Ich nenne eine Zahl: In den zehn Jahren vorher sind aus dem Bundeshaushalt rund 700 Millionen DM geflossen, in den beiden Jahren 1967 und 1968 insgesamt 500 Millionen DM. Einem Schnitt von 70 Millionen steht also ein Schnitt von rund 250 Millionen DM gegenüber. Dazu kam eine Reihe von Finanzhilfen des ERP usw.; ich will sie jetzt nicht weiter aufzählen. An das Saarland ist in den Jahren 1967/68 ein breiter Fächer von finanziellen Offerten ergangen, und wie wir gehört haben, soll das in den kommenden Jahren sogar noch verstärkt werden.
Das macht aber auch erforderlich, daß die Mittel des Bundes und des Landes endlich zu einem einheitlichen regionalen Aktionsprogramm zusammengefaßt werden. Ein sich selbst tragendes wirtschaftliches Wachstum im Saarland wird nur erreichbar sein, wenn erstens die Infrastrukturmaßnahmen, wie sie hier vorgetragen worden sind, zur Standortverbesserung zügig in Angriff genommen werden, wenn zweitens, aufbauend auf die dort ansässige MontanIndustrie, Neuansiedlungen vorgenommen werden, wenn drittens die Saarbergwerke als zu drei Vierteln bundeseigenes Unternehmen auch in Zukunft eine führende Rolle an der Saar spielen werden und wenn viertens das Aktionsprogramm, von dem ich eben sprach, nun zügig in Angriff genommen wird.
Ich hoffe, damit das Ergebnis der Debatte im wesentlichen zusammengefaßt zu haben. Wir sind jedenfalls dem Herrn Bundeswirtschaftsminister sehr dankbar, daß er, schon in der Rezession beginnend,
1 das Strukturproblem der Saar so zügig angefaßt hat. Die Offerten liegen auf dem Tisch des Hauses: Bitte, meine Herren von der Saar, bedienen Sie sich!
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Der Herr Abgeordnete Junghans hält zweifellos einen Rekord in der Konzentration seiner Rede.
Der Herr Abgeordnete Burgbacher hat im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit auf seine Wortmeldung verzichtet.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will auf vier Fragen, die an die Bundesregierung gestellt wurden, antworten und ich werde mich dabei bemühen, dem Beispiel so vieler Kollegen hier im Hause zu folgen, indem ich mich kurz fasse.
Erstens. Der Herr Kollege Müller-Hermann hat einen Bundesbevollmächtigten für die Saar gefordert. Ich kann nur sagen, ich rate dringend von einer solchen Notlösung ab. Das ist doch nur das Eingeständnis, daß dieses Problem von gewisser Seite als nicht lösbar angesehen wird; also setzt man halt einen Bundesbevollmächtigten ein. Wir haben für die regionale Strukturpolitik einen arbeitenden interministeriellen Ausschuß unter dem Vorsitz des Bundeswirtschaftsministers. Und wir haben es in den letzten beiden Jahren fertiggebracht, daß die Mittel für die Saar gegenüber den vorhergehenden Jahren summa summarum verdreifacht wurden. Im übrigen geht es um die Vorbereitung der Entscheidungen für das Gesamtkabinett. Bekanntlich hat Ihr Fraktionskollege Draeger gesagt, das seien politische Entscheidungen, und politische Entscheidungen können wohl nur vom Kabinett bzw. von Kabinettsmitgliedern getroffen werden und nicht von einem Bevollmächtigten.
Was die deutsch-französischen Konsultationen betrifft - das ist der zweite Punkt -, so kann ich nur sagen: Am 13. März erfolgte die Ansprache von deutscher Seite in Paris anläßlich der normalen Konsultation. Die französische Regierung hat in einem Aide-mémoire vom 20. Mai geantwortet und sich bereit erklärt, die Möglichkeiten einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Raum Lothringen-Saar mit uns zusammen, also mit der Bundesrepublik, zu klären. Heute ist im Auswärtigen Amt vereinbart worden, daß die zuständigen französischen Behörden - das war aus den bekannten französischen Termingründen nicht früher möglich - noch vor dem 10. Juli zum ersten Zusammentreffen über dieses Thema eingeladen werden.
Drittens. Mehrere Redner, der Herr Ministerpräsident Röder, Herr Müller-Hermann und Herr von Kühlmann-Stumm, haben das Währungsthema angesprochen. Ich kann nur sagen: Morgen sehen wir uns dazu vielleicht wieder. Die Saar ist nur ein Sonderfall jener Tatsache, daß Termingeschäfte seit geraumer Zeit in den Ex- und Importhandel eingedrungen
sind und de facto zu Wechselkursveränderungen geführt haben, die mit dem Thema Saar überhaupt nichts zu tun haben, sondern mit ganz anderen Ungleichgewichten. Ich glaube, das können wir heute abend nicht vom Standpunkt der Saar aus klären.
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Aber unabhängig davon kann ich Ihnen nur sagen, daß sich die deutsche Ex- und Importwirtschaft in diesen Wochen in weiten Bereichen - morgen werden wir vielleicht mehr darüber diskutieren - ein marktwirtschaftliches System von Termin-Devisenmärkten geschaffen hat, das praktisch zur Unterbewertung oder zur Abwertung gewisser anderer Valuten geführt hat oder umgekehrt. Ich will nicht mehr sagen. Das ist eine Praxis, die viele Wirtschaftszweige positiv betrifft und andere weniger, die aber kein Sonderfall ist, der die Saar betrifft.
Nun zum letzten. Herr Ministerpräsident, ich fand, Sie waren außerordentlich milde mit den zehn Jahren, viel milder, als Sie es sonst in unseren gemeinsamen und sehr fruchtbaren Gesprächen in diesen letzten zweieinhalb Jahren waren. Ich muß sagen, zehn Jahre Erfahrungszeit ist ein bißchen lang. Das ist die erstrebenswerte Schulzeit für alle Länder, die wir für die normale Schule eigentlich haben möchten. Aber für Regierungen und für die Bundesregierung zehn Jahre, um Erfahrungen zu sammeln, um ein Land, das freiwillig wieder in diesen Familienverband eingekehrt ist, nun endlich auch wirtschaftlich einzugliedern, das ist ein bißchen viel. Ich finde also, Sie sind etwas milde mit der Vergangenheit umgegangen.
Ich darf hinzufügen, daß das ganze Thema des Wasserstraßenanschlusses eben durch das lange Nichtentscheiden über viele Jahre hinweg - und darin sind wir uns doch einig - ein Thema von hohem Symbolwert für das ganze Gebiet an der Saar geworden ist, sozusagen ein Signal.
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- Ich laste überhaupt nicht an. Ich stelle nur fest, daß das lange Nichtentscheiden dazu geführt hat - man hätte sehr viel früher ja oder nein sagen müssen -, daß diese späte Entscheidung den teilweisen Entleerungsprozeß in dem Land gefördert hat. Darüber sind wir uns, glaube ich, auch immer einig gewesen, Herr Ministerpräsident. Und sie hat zum anderen den Wasserstraßenanschluß psychologisch sozusagen zum höchsten Wert für das Land als Startzeichen gemacht, zum Zeichen dafür, ob die Bundesregierung das Land nun wirklich entwickelt oder nicht entwickelt. Ich habe im Kabinett einmal gesagt: Die Wurst hat viel zu lange im Schaufenster gehangen. Sie wissen es, Sie waren dabei, Herr Ministerpräsident Röder.
Im übrigen kann ich nur sagen, die Bundesregierung hat - mehrfach wurde darauf Bezug genommen - in sechs Punkten am 11. Februar dieses Jahres entscheiden. Punkt 1 heißt: Ein Wasserstraßenanschluß für das Saarland wird gebaut. Dann kommt die berühmte Geschichte mit dem Teilstück, das
nach allen Seiten offen ist - so wie alle Fraktionen dieses Hauses ja nach allen Seiten offen in den Wahlkampf gehen; aber am 11. Februar hat niemand an solche verwegenen Dinge gedacht. Im Punkt 6 heißt es: „Die Bundesregierung wird sich bei den parlamentarischen Beratungen des Bundeshaushalts 1969 dafür einsetzen, daß ein Titel ,Wasserstraßenanschluß für das Saarland' angefügt wird." Das ist jener Titel, mit dem die Bundesregierung im Haushaltsausschuß durchgefallen ist. Ich kann nur berichten, daß der Herr Bundesfinanzminister in voller Übereinstimmung mit dem Wirtschaftsminister eine neue Vorlage in Arbeit hat, eine Vorlage auf eine außerplanmäßige Ausgabe an den Haushaltsausschuß. Eine solche Vorlage würde, wie mir Herr Staatssekretär Grund soeben noch versichert hat, auch an der Haushaltstechnik nicht scheitern. Ich kann nur sagen, nun liegt's an diesem Hohen Haus. Die Damen und Herren hier mögen mit den Damen und Herren im Haushaltsausschuß reden, damit diese neue Vorlage im Haushaltsausschuß nicht womöglich dasselbe Schicksal erleidet. Ich möchte sagen, an uns allen als Abgeordneten liegt es, daß in diesem Punkt nun endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gottesleben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte, in aller Kürze abschließend für die CDU/ CSU-Fraktion noch einen kurzen Gedanken anzubringen, und zwar möchte ich der großen Rede des Herrn Bundeskanzlers vom gestrigen Tage zur Lage der Nation drei kurze Stellen entnehmen, von denen ich glaube, daß sie für unsere heutigen Erörterungen von Bedeutung sind.
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Der Herr Bundeskanzler hat unter anderem gesagt, daß der wirtschaftliche Aufschwung die Voraussetzung für die notwendige Verbesserung unserer Wirtschaftsstruktur geschaffen hat.
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Er stellte weiter fest, daß die Umstellungsschwierigkeiten an der Ruhr heute schon weitgehend gemeistert sind und die Bevölkerung dieses industriellen Kernlandes im Herzen Europas wieder mit Optimismus in die Zukunft schauen kann.
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Was der Bundeskanzler anschließend für uns von der Saar gesagt hat, war: Er sprach die Hoffnung und Zuversicht aus, daß das gleiche bald auch für die übrigen strukturell benachteiligten und gefährdeten Gebiete vom Zonenrandgebiet und von Berlin bis zum Saarland gelten wird.
Wir Saarländer begrüßen diese Auffassung und diese Zuversicht des Herrn Bundeskanzlers, und ich möchte für meine Fraktion sagen, daß wir ihn bei der Durchführung dieser seiner Absicht
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vollends unterstützen werden.
An die übrigen im Hause, richte ich die Bitte - wie es meine Kollegen auch getan haben -, uns zu helfen, die Saar in eine gute Position zu bringen, damit die Produktionskraft des Landes und auch der Bevölkerung sowohl zum Vorteil der Saar wie auch zum Vorteil des ganzen Volkes und zum Nutzen der deutschen Volkswirtschaft eingesetzt werden kann.
Abschließend bitte ich Sie, unserem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Befürchten Sie nicht, daß ich die Debatte noch sehr verlängere. Die gewichtigsten Argumente sind ohnehin schon vorgetragen. Aber da das wirtschaftliche Schicksal des Saarlandes sehr eng mit dem von Rheinland-Pfalz verknüpft ist, darf ich als Pfälzer auf einen Umstand hinweisen, der meines Erachtens hier noch nicht genügend gewürdigt wurde. Solange nämlich diese Regierung das Problem des Saar-Pfalz-Kanals, d. h. des Kanals von Saarbrücken bis in den Rhein-Neckar-Raum, vor sich herschiebt und keine klare Entscheidung trifft, müssen wir in der Pfalz eine Trasse von etwa 132 km Länge und 300 m Breite - das sind 40 Millionen qm - für einen imaginären Kanal freihalten, zu dem die Bundesregierung weder ja noch nein sagt. So lange weiß die Wirtschaft, die Industrie auch nicht, woran sie sich orientieren soll, ob am Kanal oder an der Straße oder an der Schiene. Die Gemeinden in diesem Bereich sind in ihren Planungen, in ihren Gemeindeentwicklungsplanungen, in ihren Flurbereinigungen usw. ständig gehindert.
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Ich bitte um etwas Ruhe für den Redner.
Der Herr Bundesverkehrsminister hat nun in seiner Antwort am 26. März dieses Jahres ausgeführt, daß die Bundesregierung sich juristisch nicht gebunden fühle. Da muß ich doch nachdenklich werden, nach all dem positiven Engagement der Kollegen hier heute und auch nach den Äußerungen der Regierung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, solange diese Frage nicht entschieden ist, werden meines Erachtens auch alle Strukturhilfen sinnlos vertan werden, weil, wie ich sagte, ja niemand weiß, wohin er sich orientieren soll.
Da hier weitgehende Übereinstimmung zwischen den Fraktionen besteht, sollten nicht nur der Antrag der CDU/CSU und nicht nur der Antrag der SPD,
sondern auch der Antrag der FDP und damit alle drei Anträge dieser Fraktionen nicht etwa als Material an die Ausschüsse überwiesen werden. Ich bitte Sie vielmehr, um die Bundesregierung auch einmal zu fordern, um sie nicht, wie Herr Leber sagte, juristisch freizustellen, so daß sie sich nicht gebunden fühlt, sondern um vom Parlament her der Regierung den Auftrag zu geben, die drei Anträge der Fraktionen anzunehmen, sie also nicht an die Ausschüsse zu überweisen, sondern hier und heute die Entscheidung dieses Parlaments herbeizuführen.
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Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Wünscht noch jemand das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache über die Große Anfrage betreffend die wirtschaftliche Gesundung des Saarlandes.
Ich komme damit zu den Anträgen. Wird wegen der Anträge Ausschußüberweisung beantragt? - Das wird nicht beantragt.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands auf Umdruck 708. *) Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich komme zum Antrag der Abgeordneten Draeger, Gottesleben, Klein, Schmitt ({0}), Dr. Müller-Hermann und der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 714.**)
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- Es kann jetzt nur .zur Abstimmung gesprochen werden.
*) Siehe Anlage 11 **) Siehe Anlage 12
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weise darauf hin, daß in einem Teil der Entschließungsanträge die Bundesregierung aufgefordert wird, konkrete finanzielle Aufwendungen vorzusehen. Es entspricht nicht nur einer Praxis dieses Hauses, sondern wohl sogar einer Geschäftsordnungsbestimmung, daß der Haushaltsausschuß beteiligt werden muß. Ich würde daher doch empfehlen, zu überlegen, ob wir die drei Entschließungsanträge nicht dem Wirtschaftsausschuß, federführend, und dem Haushaltsausschuß, mitberatend, überweisen.
Ich habe das Hohe Haus eigens gefragt, ob ein solcher Antrag gestellt wird. Für den Antrag der Fraktion der SPD ist es nicht mehr möglich, es sei denn, die Fraktion selbst ist damit einverstanden. Aber das nehme ich nicht an. Für die beiden anderen Anträge kann es noch beantragt werden.
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Wir kommen dann zur Sachabstimmung über den genannten Antrag der CDU/CSU. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Für den Antrag der Fraktion der FDP *) wird auch kein Überweisungsantrag gestellt. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung
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- vorhin auch -, im übrigen einstimmig angenommen.
Wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 19. Juni, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.