Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, den Gesetzentwurf der Freien Demokratischen Partei zur Anpassung der Leistungen des Kriegsopferrechts ({0}) - Drucksache 11/4189 - zur ersten Beratung auf die Tagesordnung dieser Woche zu setzen. Meine Fraktion ist bereit, in der ersten Lesung auf eine Aussprache zu verzichten,
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- so daß, Herr Kollege Schellenberg, die Ausschußberatungen unverzüglich beginnen könnten.
Zur Begründung meines Antrages trage ich folgendes vor. Der Ältestenrat hat in der vergangenen Woche in seiner Berlin-Sitzung beschlossen, den von mir genannten Gesetzentwurf für diese Woche zur ersten Beratung in die Tagesordnung aufzunehmen. Meine Damen und Herren, es gibt keinen ersichtlichen Grund und kein stichhaltiges Argument, von diesem Beschluß wieder abzugehen.
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In der Zwischenzeit hat sich nämlich nichts ereignet, was den Absetzungsbeschluß rechtfertigen würde.
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- Bitte lassen Sie mich doch einmal zu Ende sprechen; dann wird sich zeigen, Herr Kollege Schellenberg, daß dieser Zwischenruf an diesem Platz zumindest nicht angebracht war.
Ich wiederhole, in der Zwischenzeit hat sich nichts ereignet, was den Absetzungsbeschluß rechtfertigen würde, der im Ältestenrat auf Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei
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gegen die Stimmen meiner Fraktion zustande gekommen ist.
Weiterhin kann der Vorwurf der SPD, die erste Beratung dieses Gesetzentwurfes erfordere eine ausführliche Debatte und hierfür sei keine Zeit vorhanden, von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei aus folgenden Gründen nicht akzeptiert werden.
Erstens. Diese Koalition wird sich, wenn unser Antrag abgelehnt wird, von den Kriegsopfern vorhalten lassen müssen, daß bei der heutigen Tagesordnung ausreichend Zeit für eine Menge anderer Themen vorhanden ist, offensichtlich aber keine Zeit für die Anliegen von 2,6 Millionen Kriegsopfern vorhanden sein soll.
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Zweitens, Herr Kollege Schellenberg: In einem unüblichen Verfahren - das wird Sie besonders interessieren - soll das Zwölfte Rentenanpassungsgesetz nicht als eigenes Gesetz eingebracht und verabschiedet werden, sondern als Art. 4 an das Dritte Rentenversicherungsänderungsgesetz angehängt werden.
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Der Grund ist eindeutig. Dieser Weg wird beschritten, um den Rentnern - und das ist gut so - rechtzeitig die Anpassungsbeträge für das kommende Jahr auszahlen zu können. Wir Freien Demokraten sind aber der Auffassung, daß das, was den Rentnern recht ist, wie ich schon sagte, auch den Kriegsopfern billig sein sollte.
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Auch sie haben nach den Zusagen des Herrn Bundeskanzlers
Abg. Ollesch: Und des Herrn Schellenberg!)
und aller Fraktionen diesen Hohen Hauses einen Anspruch darauf, im kommenden Jahr rechtzeitig in den Genuß der Anpassung zu kommen.
Drittens. Wenn der Entwurf der Fraktion der Freien Demokratitschen Partei nicht auf die Tagesordnung kommt und nicht unverzüglich an den zuständigen Ausschuß zur Beratung überwiesen wird, ist mit einer rechtzeitigen Verabschiedung eines entsprechenden Kriegsopferanpassungsgesetzes in diesem Jahr leider nicht mehr zu rechnen.
Dr. Mertes
Der FDP-Entwurf zur Anpassung der Kriegsopferleistungen beschränkt sich auf wenige Paragraphen. Er ist ein reines Anpassungsgesetz, wie es der Name des Entwurfs schon zum Ausdruck bringt. Er kann daher in kürzester Frist beraten und verabschiedet werden, wenn der politische Wille und die Bereitschaft aller Parteien in diesem Hause dazu vorhanden sind.
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Diese Bereitschaft war z. B. bei der Beratung der 21. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz im zuständigen Ausschuß eindeutig sichtbar. Diese Novelle ist trotz eines Gesamtvolumens von 2,5 Milliarden DM damals in kürzester Zeit verabschiedet worden, und es kann nicht behauptet werden, daß für die 2,6 Millionen Kriegsopfer die Zeit nicht vorhanden wäre.
Ein letzter Punkt. Die Bundesregierung hat mit allen Mitteln versucht, die Berichterstattung über mögliche Leistungsverbesserungen und allgemeine Anpassungen aus dieser Legislaturperiode und der mittelfristigen Finanzplanung einschließlich der fortgeschriebenen mittelfristigen Finanzplanung auszuklammern. Sie sollte sich daher so wenig wie die Koalitionsfraktionen darauf berufen, daß ein Bericht gemäß § 56 des Bundesversorgungsgesetzes über die Möglichkeit von Anpassungen nicht vorliege. Dies ist ganz allein Ihr Versagen, und dies ist allein die Schuld der Bundesregierung. Es handelt sich hier und heute um einen Akt der Wiedergutmachung in dem Verhalten gegenüber den Kriegsopfern; diese Wiedergutmachung kann von Ihnen am besten dadurch unter Beweis gestellt werden, daß Sie unseren Antrag unterstützen, diese Vorlage auf die Tagesordnung dieser Woche zu setzen. Ich bitte im Interesse der Kriegsopfer, jetzt unserem Antrag zuzustimmen, die Vorlage in dieser Woche an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen.
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Präsident von Hassel: Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktionen der Koalition muß ich diesem Antrag der Opposition widersprechen. Dieser Antrag ist, wenn ich mich der sehr bedenklichen Argumentation des Kollegen Mertes bedienen wollte,
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als ein ausgesprochener Propagandaantrag zu bezeichnen.
({1}).
Wir waren befremdet, als wir im Ältestenrat hörten, daß die FDP die Aufsetzung ihres Gesetzentwurfs auf die Tagesordnung der Plenarsitzung beantragte und gleichzeitig erklärte, daß sie auf Begründung eines solchen Gesetzentwurfs im Plenum des Bundestages in erster Lesung verzichten wolle.
({2})
- Ich habe Ihnen erklärt, meine Herren, wir waren befremdet. Als ich meiner Fraktion diesen Umstand mitteilte, wurde das Befremden in vollem Umfange geteilt. Es ist einfach unverantwortlich,
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über ein viertes Neuordnungsgesetz zur Kriegsopferversorgung, bei dem es um ein Finanzvolumen von mehr als einer Milliarde geht, hier in erster Lesung nicht zu sprechen. Abgesehen davon ist am 28. März hier in diesem Hause bei der dritten Lesung des Haushalts für das Jahr 1969 eine Entschließung einstimmig - mit den Stimmen der Freien Demokraten - gefaßt worden, die ich hier - sie ist ganz kurz, Herr Präsident - einmal im Wortlaut zitieren darf:
Die Bundesregierung wird ersucht, bei Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung für die Jahre 1970 bis 1973 Mittel für eine fühlbare Verbesserung der Kriegopferversorgung gemäß § 56 des Bundesversorgungsgesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 1970 an vorzusehen.
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- Auch Sie, meine Herren von der Opposition, haben diesem Beschluß zugestimmt. Der Deutsche Bundestag hat seinem Willen Ausdruck gegeben, die Kriegsopferversorgung zum 1. Januar 1970 fühlbar zu erhöhen.
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Am 27. Februar dieses Jahres haben Sie der Wiederherstellung des § 56 der dritten Novelle zum Bundesversorgungsgesetz zugestimmt. Diese Wiederherstellung ist auf Antrag meiner politischen Freunde erfolgt.
({6})
Der Bericht der Bundesregierung nach § 56 des Bundesversorgnungsgesetzes ist die Grundlage für eine verantwortungsvolle Beratung eines vierten Neugelungsgesetzes.
({7})
Das Bundesversorgungsgesetz ist ein sehr umfangreiches, umfassendes und kompliziertes Gesetz. Meine Herren von der Opposition, wir haben noch zwei Ausschußsitzungstage, und die Ausschüsse des Bundestages sind noch randvoll mit Vorlagen, die bis zum Ablauf der Legislaturperiode erledigt werden sollen.
({8})
Wollen Sie an zwei Ausschußsitzungstagen ein Neuordnungsgesetz machen
({9}) mit einem Volumen von 1 Milliarde DM?
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Und, meine Damen und Herren, ein Übriges. Der nach Auffassung meiner Fraktion wichtigste Bestandteil eines solchen vierten Neuordnungsgesetzes
ist in Ihrem Entwurf nicht enthalten: das ist nämlich die Dynamisierung der Kriegsopferleistungen.
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Endlich wollen wir weg von diesem ewigen Tauziehen um die Leistungen für die Kriegsopfer. Wir wollen sie genauso in eine feste Ordnung zu anderen Merkmalen in unserem gesellschaftlichen Leben bringen, wie das bei' den Renten geschieht. Meine politischen Freunde haben jedenfalls die feste Absicht. Aber das bedarf umfangreicher Vorarbeiten und eingehender Erörterungen.
({12})
Trotzdem werden wir uns in der Sorge um die Kriegsopfer von Ihnen, meine Herren von der FDP, nicht überbieten lassen.
({13})
Sie brauchen Ihre Sorge nicht zu haben.
({14})
Die Kriegsopfer werden Ihnen jetzt, drei Wochen vor Ende der Legislaturperiode, das Argument nicht abnehmen, daß der Deutsche Bundestag keine Zeit für die 2,6 Millionen Kriegopfer hat.
({15})
Wir sind sicher, daß die Kriegsopfer Verständnis dafür haben, daß das Vierte Neuordnungsgesetz gründlich beraten werden muß. Die Kriegsopfer können sich darauf verlassen, daß zum 1. Januar 1970 eine Neuregelung erfolgt, was ihnen mit dem Beschluß des Bundestages am 28. März und auch wiederholt von der Bundesregierung versprochen worden ist.
Ich bitte, den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion der FDP abzulehnen.
({16})
Präsident von Hassel: Das Wort zur Tagesordnung hat noch einmal der Abgeordnete Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in aller Kürze nur noch folgendes feststellen. Die Ausführungen des Herrn Kollegen Frehsee haben deutlich gemacht, daß er den Gesetzentwurf, den wir eingebracht haben, nicht gelesen hat und deswegen die Materie nicht kennt.
({0})
Herr Kollege Frehsee, ich darf Ihnen in aller Bescheidenheit folgendes sagen. Sie haben hier immer von einem Neuordnungsgesetz gesprochen. Es geht aber nicht um ein Neuordnungsgesetz, sondern um ein Anpassungsgesetz,
({1})
und die Verabschiedung eines solchen Gesetzes ist wesentlich einfacher als die eines Neuordnungsgesetzes.
Ich bitte nochmals, unserem Antrag zuzustimmen.
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Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die Fraktion der Freien Demokraten beantragt, den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Leistungen des Kriegsopferrechts - Drucksache V/4189 - auf die Tagesordnung zu setzen. Wer für diesen Antrag der FDP ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Letzteres ist eindeutig die Mehrheit. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Es ist also beschlossen, den Antrag nicht auf die Tagesordnung zu setzen.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
- Drucksachen V/4315, V/4317, V/4306 Wir behandeln zunächst die Dringlichen Mündlichen Anfragen. Die Drucksachen V/4315 und V/4317 liegen Ihnen vor. Ich rufe die erste Frage des Abgeordneten Dr. Hofmann ({3}) aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf:
Wie hoch ist die von der Bundesrepublik Deutschland im laufenden Haushaltsjahr geleistete bzw. noch zu leistende Entwicklungshilfe an die Staaten, die in den letzten sechs Wochen Mitteldeutschland ({4}) als eigenen Staat anerkannt haben?
Ist der Abgeordnete Dr. Hofmann im Saal? - Zur Beantwortung Herr Bundesminister Dr. Eppler.
Die Bundesregierung hat in den ersten fünf Monaten dieses Jahres für Entwicklungshilfeprojekte in den Ländern Kambodscha, Irak, Sudan und Syrien Kapitalhilfekredite in Höhe von 2,6 Millionen DM ausgezahlt und Technische Hilfe im weiteren Sinne im Werte von insgesamt 2,2 Millionen DM geleistet.
Aus bestehenden Verträgen mit diesen Ländern sind noch 21,6 Millionen DM Kapitalhilfe zu zahlen und Technische Hilfe im Werte von rund 9 Millionen DM zu leisten. Hiervon entfallen auf Kambodscha 18,6 Millionen DM Kapitalhilfe und 3 Millionen DM Technische Hilfe, auf Irak keine Kapitalhilfe und 2,2 Millionen DM Technische Hilfe, auf den Sudan 3 Millionen DM Kapitalhilfe und 0,8 Millionen DM Technische Hilfe, auf Syrien keine Kapitalhilfe und 3 Millionen DM Technische Hilfe. Auf das laufende Haushaltsjahr entfallen davon für alle vier Länder zusammen etwa 12,8 Millionen DM Kapitalhilfe und 2,3 Millionen DM Technische Hilfe.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, handelt es sich bei diesen Zahlen um reine Entwicklungshilfe, oder ist die Ausrüstungs- und Militärhilfe dabei mit erfaßt?
Es handelt sich bei diesen Zahlen um reine Entwicklungshilfe.
Präsident von Hassel: Die zweite Zusatzfrage.
Sind Sie der Meinung, daß wir unter den gegebenen Umständen weiter Entwicklungshilfe leisten sollten?
Sie kennen den Beschluß der Bundesregierung in Sachen Kambodscha. Dieser Beschluß lautet, daß über keine weiteren Projekte verhandelt werden soll, daß aber die bestehenden Verpflichtungen erfüllt werden. Dies bezieht sich auf Kambodscha.
Einen ähnlichen Beschluß in bezug auf die arabischen Länder hat die Bundesregierung nicht gefaßt, weil dieser Zustand bereits seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch diese arabischen Länder im Jahre 1965 besteht.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dorn.
Herr Bundesminister, haben Sie nicht den Eindruck, daß die Antwort, die Sie jetzt gegeben haben, inzwischen durch den Zeitablauf überholt ist, nachdem die Regierung von Kambodscha nach den Nachrichten im deutschen Rundfunk von heute morgen auf jegliche weitere Hilfestellung seitens der Bundesrepublik verzichtet hat?
Herr Kollege Dorn, ich habe die Haltung der Bundesregierung zu diesen Dingen dargelegt. Es ist eine ganz andere Frage, wie sich die jeweiligen anderen Regierungen dazu verhalten.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Freiherr von Gemmingen.
Herr Minister, sehen Sie eigentlich einen direkten zwingenden Zusammenhang zwischen der Anerkennung der DDR, wie sie durch Kambodscha und arabische Staaten erfolgt ist, und der Einstellung der Entwicklungshilfe überhaupt?
Herr Kollege von Gemmingen, Entwicklungshilfe ist überhaupt nur sinnvoll, wenn sie langfristig angelegt ist. Sie wissen aus der Erfahrung des Ausschusses, daß Projekte der Technischen Hilfe normalerweise bis zu 10, 12 Jahren brauchen, bis sie wirksam werden. Deshalb hat sich die Bundesregierung auf den Standpunkt gestellt, daß Entwicklungshilfe nicht abgebrochen werden kann, sondern daß bestehende Verpflichtungen erfüllt werden.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Hofmann ({0}) auf:
Wie hoch ist überhaupt die von der Bundesrepublik Deutschland geleistete Entwicklungshilfe in diesen Staaten bis zur Gegenwart?
Zur Beantwortung, Herr Bundesminister.
Bis zum 31. Dezember 1968 sind an die betreffenden Länder Kapitalhilfekredite in Höhe von 71,2 Millionen DM ausgezahlt und ist Technische Hilfe im Wert von insgesamt 50,4 Millionen DM geleistet worden, und zwar an Kambodscha 1,4 Millionen Kapitalhilfe und 9,5 Millionen Technische Hilfe, an den Iran keine Kapitalhilfe, aber 7,3 Millionen Technische Hilfe, an den Sudan 66,4 Millionen Kapitalhilfe und 18 Millionen Technische Hilfe und an Syrien 3,4 Millionen Kapitalhilfe und 15,6 Millionen Technische Hilfe.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Hofmann ({0}).
Herr Minister, können Sie mir in etwa sagen - nicht in Einzelheiten -, was mit diesen Geldern in diesen Ländern gefördert worden ist?
Da müßte ich einen sehr langen Vortrag halten. Wir haben in diesen Ländern vor allem technische Schulen unterhalten; das gilt für Kambodscha, das gilt für Syrien, das gilt für den Irak und den Sudan. Das war Technische Hilfe. Dann haben wir z. B. in Kambodscha einen Bahnhof gebaut.
({0})
- Nein, die Eisenbahn wird überwiegend von unseren französischen Freunden finanziert, Herr Kollege Moersch.
Herr Kollege Hofmann, ich weiß nicht, ob ich hier jetzt in eine lange Aufzählung eintreten soll.
({1})
Präsident von Hassel: Ich glaube, Herr Bundesminister, daß die Andeutung genügt.
Eine zweite Zusatzfrage dazu, Herr Dr. Hofmann.
Herr Minister, handelt es sich auch bei diesen von Ihnen genannten Zahlen um reine Entwicklungshilfe ohne die Ausrüstungs- und Militärhilfe?
So ist es.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, handelt es sich bei der Kapitalhilfe auch um Maßnahmen, bei denen die deutsche Industrie mit investiert hat, und wenn ja, welche Sicherheiten haben Sie, daß diese Investitionen für die Zukunft erhalten und gesichert bleiben?
Herr Kollege Ertl, ich glaube, daß Sie hier zwei Dinge durcheinanderbringen. Das eine ist Kapitalhilfe, bei der die jeweiligen Länder die Ausschreibungen machen und bei denen dann sehr
häufig auch deutsche Firmen die Lieferungen erbringen. Aber das Schuldner-Gläubiger-Verhältnis besteht nicht zwischen den deutschen Firmen und den dortigen Regierungen, sondern zwischen uns, d. h. der Kreditanstalt für Wiederaufbau, auf der einen Seite und den dortigen Regierungen auf der anderen Seite, so daß bei Kapitalhilfe für die deutschen Firmen überhaupt kein Risiko eintritt. Was Sie meinen, sind wahrscheinlich private Investitionen, und da bestehen, soweit ich informiert bin, für Kambodscha, Irak, Sudan und Syrien im Augenblick keine Schwierigkeiten.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Hofmann ({0}) auf:
Sind eventuelle Rückzahlungsverpflichtungen dieser Staaten an die Bundesrepublik Deutschland gefährdet?
Zur Beantwortung der Herr Minister.
Die Entwicklung unserer außenpolitischen Beziehungen zu diesen Staaten, Herr Kollege Hofmann, führt nach Auffassung der Bundesregierung nicht zu einer Gefährdung der Rückzahlungsverpflichtungen. Auch der Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die verschiedenen arabischen Staaten 1965 hat auf die Rückzahlungen von dort keinen Einfluß gehabt.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hofmann.
Herr Minister, Sie dürfen bei mir unterstellen, daß ich selbstverständlich zwischen der De-jure- und der De-factoSituation zu unterscheiden weiß, und frage deshalb, ob auch de facto keine Gefährdung der Rückzahlungsverpflichtungen vorhanden ist.
Meine Aussage war eine De-factoAussage.
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter Dr. Hofmann zur letzten Zusatzfrage.
Könnten Sie die generelle Frage, inwieweit in solchen Fällen Gefährdungen von Rückzahlungsverpflichtungen eingetreten sind oder nicht, allgemein beantworten?
Bis jetzt nicht, und zwar hängt dies damit zusammen, daß wir 1965 auch unsere eigenen Verpflichtungen, soweit 'sie rechtlich fixiert waren, eingehalten haben. Ich glaube, daß eben die Einhaltung von Verpflichtungen in diesem Fall beiderseitig gewährleistet sein muß.
Präsident von Hassel: Damit sind die Dringlichen Mündlichen Anfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit behandelt. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich rufe aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung die Dringliche Mündliche Anfrage 1 des Abgeordneten Fritsch ({0}) auf:
In welchem Umfang sind Haushaltsmittel für die Kapitalabfindung nach dem Bundesversorgungsgesetz im Verfolg konjunkturdämpfender Maßnahmen gesperrt worden?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Kattenstroth.
Herr Präsident, ich bitte, mir zu gestatten, die drei Fragen des Abgeordneten Fritsch ({0}) zusammengefaßt zu 'beantworten.
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Ich rufe auch die Dringlichen Mündlichen Anfragen 2 und 3 des Abgeordneten Fritsch ({1}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß allein in Bayern derzeit Kapitalabfindungsanträgen in Höhe von 1 Million DM, die entscheidungsreif sind, nicht entsprochen werden kann?
Ist die Bundesregierung bereit, Sperrungen von Haushaltsmitteln, die der Kapitalabfindung nach § 72 ff. des Bundesversorgungsgesetzes dienen, im Interesse der Fortführung des Wohnungs- und Familienheimbaues für Kriegsopfer sofort aufzuheben?
Nach dem am 18. März 1969 beschlossenen Programm der Bundesregierung zur Fortführung :ihrer Stabilitätspolitik mußten wie 'bei vielen anderen Haushaltspositionen auch bei den Mitteln für Kapitalabfindungen nach dem Bundesversorgungsgesetz 25 Millionen DM gesperrt werden. Von den 'im Haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1969 vorgesehenen 120 Millionen DM konnten damit zunächst nur 95 Millionen DM an die Länder, die für die Bewilligung von Kapitalabfindungen zuständig sind, verteilt werden. Der Bundesregierung ist bekannt, daß 'infolge dieser Haushaltssperre entscheidungsreifen Anträgen auf Kapitalabfindung 'bisher nicht entsprochen werden konnte.
Der Bundesminister für Arbeit 'und Sozialordnung hat sich jedoch mit Nachdruck darum bemüht, diese Sperrung wieder rückgängig zu machen. Diese Bemühungen haben dazu geführt, daß bereits in den nächsten Tagen 13 Millionen DM freigegeben werden können. Die Bundesregierung wird, wenn es die Ausgabenentwicklung erlaubt, auch die restlichen 12 Millionen DM noch im Laufe des Rechnungsjahres freigeben.
Um künftig die Bereitstellung von Mitteln zur Rentenabfindung wesentlich zu erleichtern, hat die Bundesregierung vom Haushalt 1970 an im Interesse der Versorgungsberechtigten ein Verfahren der Rentenkapitaltisierung mit Mitteln des Kapitalmarkts vorgesehen. Sie ist der Ansicht, daß dieses Verfahren die Gewährung der Rentenabfindungen von der jeweiligen Haushaltslage des Bundes unabhängiger als bisher machen wird.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Fritsch ({0}).
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die von Ihnen nunmehr in Aussicht gestellte weitere Freigabe von 13 Millionen DM dazu beiträgt, die bei .dem antragsberechtigten Personenkreis entstandenen Unruhen, verursacht durch den Rückstau an Anträgen, weitgehend zu mildern?
Herr Abgeordneter, ich habe keinen Zweifel, daß die Unruhe dadurch beseitigt wird.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch ({0}).
Herr Staatssekretär, da Sie davon reden, daß die Unruhe beseitigt wird, - würden Sie dabei berücksichtigen, daß, wenn nur die Hälfte der vorgesehenen Sperrung freigegeben wird, immer noch ein Rückstau z. B. im Lande Bayern von etwa einer halben Million bestehen wird - das entspricht etwa 50 Anträgen - und daß damit den Absichten der Personenkreise, die Kapitalabfindungen zu beantragen wünschen, noch nicht voll entsprochen ist?
Herr Abgeordneter, ich habe gesagt: „die Hoffnung zu haben, daß auch die restlichen 12 Millionen DM noch im Laufe des .Rechnungsjahres freigegeben werden können". Es ist, glaube ich, nicht so entscheidend, ob sie nun im Juni freigegeben werden oder ob sie etwa drei oder vier Monate später freigegeben werden. Wir müssen sehen, ob wir an anderen Haushaltstiteln entsprechende Einsparungen vornehmen können. Wenn das der Fall ist, was ich hoffe, werden die 12 Millionen DM freigegeben.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist auch dieser Geschäftsbereich erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Die Fragen des Abgeordneten Richarts - 36, 37 und 38 - werden im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Antragsteller auf Gewährung von Mitteln aus der Abteilung Ausrichtung des EAGFL in Brüssel so lange in Ungewißheit über die Bewilligung dieser Mittel für genehmigte Projekte bleiben, daß sie dabei sind, das Vertrauen in diese Maßnahmen zu verlieren?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Antragsteller infolge der nicht zu vertretenden langen und nicht überschaubaren Wartezeiten gezwungen sind, teure Kapitalmarktmittel zur Zwischenfinanzierung ihrer Maßnahmen aufzunehmen, die zu einer erheblichen Verteuerung dieser Maßnahmen beitragen?
Was kann die Bundesregierung tun, um auf eine beschleunigte Abwicklung des Verfahrens zur Bewilligung dieser Mittel bei der Kommission hinzuwirken?
Die Antwort des Bundesministers Höcherl vom 29. Mai 1969 lautet:
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Dienststellen der Kommission bei allen Bewilligungsabschnitten des Europäischen
Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft ({0}), Abteilung Ausrichtung, bisher nicht in der Lage waren, die für die Entscheidung über die Zuschußgewährung gesetzten Fristen einzuhalten. Sie bedauert darüber hinaus, daß auch nach der Bewilligung von Zuschüssen und der Vorlage der erforderlichen Abrechnungen sich die Auszahlungen noch erheblich verzögern. Die Bundesregierung sieht den Grund für diese Verzögerungen in erster Linie in dem zeitaufwendigen Antrags- und Bewilligungsverfahren. Ihre Vertreter haben wiederholt im Ministerrat wie auch in Fachausschüssen die Kommission aufgefordert, zu einem vereinfachten Verfahren überzugehen und in diesem Zusammenhang auf die unzumutbaren Verteuerungen der geförderten Projekte durch notwendig werdende Zwischenfinanzierungen hingewiesen.
Nachdem seitens der Kommission keine Vorschläge zur Verfahrensvereinfachung vorgelegt worden sind, hat die Bundesregierung in der Ministerratssitzung vom 12./13. Mai 1969 in Luxemburg angekündigt, daß sie der Kommission eigene Vorschläge zur Verfahrensvereinfachung übergeben wird. Diese Vorschläge werden gegenwärtig vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit den Vertretern der Länder abgestimmt und danach nach Brüssel weitergeleitet werden.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Dröscher auf - der Abgeordnete ist im Saal -:
Wie will die Bundesregierung den landwirtschaftlichen Betrieben helfen, die in ihrem Umstrukturierungsprozeß zu großeren Einheiten seit Jahren ohne klare Bescheidung auf die Erledigung von Investitionsbeihilfeanträgen warten, die bei den Verwaltungsstellen mangels ausreichender Mittel in den Schubladen liegengeblieben sind?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister Höcherl.
Wie Sie wissen, Herr Kollege, liegt die Durchführung des Investitionsbeihilfeprogramms nach Maßgabe der einschlägigen Bundesrichtlinien und im Rahmen der mir jährlich vom Parlament zur Verfügung gestellten Mittel in der Zuständigkeit der Länder.
Nach meinen Informationen trifft es nicht zu, daß die landwirtschaftlichen Betriebe seit Jahren - wie das in der Frage dargestellt ist - ohne klare Bescheidung auf die Erledigung von Investitionshilfeanträgen warten. Die bei den Ländern wegen nicht ausreichender Mittel noch anstehenden Beihilfeauszahlungen können sich lediglich auf das Jahr 1968 beziehen.
Ich darf daran erinnern, daß ich eine ausführliche Darstellung der Situation für das Investitionsbeihilfeprogramm im Jahre 1969 zusammen mit einer Erläuterung der von der Bundesregierung eingeleiteten Schritte mit dem Ziel, im Rahmen der mir vom Parlament zur Verfügung gestellten Mittel einen weitgehenden Abbau der Antragsüberhänge zu erreichen, bereits in den Fragestunden am 26. Februar und am 20. März dieses Jahres sowie in einer Reihe von schriftlichen Äußerungen des Ministeriums gegeben habe. Bei der Durchführung des Haushalts 1969 werde ich bemüht bleiben, eventuell bei anderen Haushaltspositionen freiwerdende Mittel für diesen Zweck einzusetzen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dröscher.
Würden Sie, Herr Bundesminister, nachdem im Lande Rheinland-Pfalz Anträge aus dem Jahre 1967 - also immerhin schon seit zwei Jahren - entweder nicht angenommen worden sind. oder nicht bearbeitet werden, darauf hinwirken, daß wenigstens diese so lange zurückliegenden Anträge einmal klar beschieden werden?
Ich kenne die Situation in Rheinland-Pfalz nicht. Ich habe auch kein Recht, in die Zuständigkeiten des Landes Rheinland-Pfalz einzugreifen, und beabsichtige das auch nicht.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Dröscher.
Würden Sie mir zustimmen, Herr Bundesminister, wenn ich sage, daß dadurch, daß Anträge auf Investitionshilfe seit über zwei Jahren nicht angenommen oder nicht bearbeitet worden sind, alle Beteuerungen, daß wir an der Strukturverbesserung ernsthaft arbeiten, unglaubwürdig werden?
Jedes Land weiß, was es an solchen Mitteln bekommt - nach einem Schlüssel, der bekannt ist -, und in der Praxis muß eben darauf Rücksicht genommen werden. Ich bin bereit, Milliarden zu verteilen, wenn Sie mir diese Milliarden zur Verfügung stellen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Ertl.
Herr Minister, würden Sie in der Lage sein, zu sagen, wieviele Anträge zur Zeit im Bundesgebiet unbearbeitet vorliegen?
Nein, ich bin dazu nicht in der Lage.
Präsident von Hassel: Zweite Zusatzfrage, der
Abgeordnete Ertl.
Herr Minister, sind Sie dann nicht mit mir der Auffassung, daß es höchste Zeit wird, daß Sie diese Untersuchung anstellen?
Nein, ich bin der Auffassung, Sie sollten mir mehr Mittel geben, und dann ist die Frage von selbst erledigt.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schultz ({0}) .
Herr Minister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Länder, insbesondere auch das Land Rheinland-Pfalz, die Nichtbescheidung von Anträgen gar nicht zu verantworten haben, weil die Mittel, die z. B. das Land Rheinland-Pfalz ausschütten kann, in ursächlichem Zusammenhang mit den Mitteln stehen, die aus dem Bund kommen, und folglich die Blockierung hier durch den Bund und nicht durch das Land Rheinland-Pfalz geschehen ist?
Ja, nicht durch mich, sondern durch das Parlament.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wächter.
Sind Sie bereit, Herr Bundesminister, von mir den Tip entgegenzunehmen, daß allein im Bereich der Landwirtschaftskammer Weser-Ems 6000 unerledigte Anträge vorliegen, die an sich den Voraussetzungen auf Grund der früheren Bestimmungen entsprechen?
Das hat nichts mit den Voraussetzungen zu tun, sondern mit den Mitteln, die mir das Hohe Haus gibt. Ich möchte mich nicht in die Lage bringen lassen, daß man mir den Vorwurf macht, die Anträge würden nicht bedient, wenn das Parlament die Mittel nicht zur Verfügung stellt.
Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wächter.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, Herr Minister, daß fast alle Antragsteller auf Grund der früheren Bedingungen mittlerweile mit eigenen Mitteln bzw. mit Kreditmitteln die Investitionen durchgeführt haben und zur Zeit vor die Tatsache gestellt sind, diese hohen Kreditmittel entsprechend verzinsen zu müssen?
Für durchgeführte Investitionen gibt es überhaupt keine Mittel, in keinem staatlichen Bereich.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Dr. Nann auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundstücksverkehrsgesetzes einzubringen oder auf die Änderung der Ausführungsbestimmungen hinzuwirken, daß zukünftig ein Verkauf von Teilstücken aus größeren, besonders durch die Flurbereinigung entstandenen Flächen ermöglicht wird, wenn Landwirte den Verkaufserlös zur Tilgung von Schulden oder für Investitionen benötigen?
Die Bundesregierung beabsichtigt zur Zeit nicht, einen solchen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundstücksverkehrsgesetzes einzubringen. Für die Tatsache aber, daß das Grundstücksverkehrsgesetz in seiner bisherigen Fassung einer liberalen Handhabung durchaus nicht im Wege steht, spricht z. B., daß in Niedersachsen im Jahre 1967 im Genehmigungsverfahren nach dem Grundstücksverkehrsgesetz von 40 000 Anträgen nur 74 abgelehnt worden sind.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Nann.
Herr Minister, glauben Sie nicht, daß durch eine allzu starre Handhabung des § 4 dieses Gesetzes in manchen. Markungen, wo Flurbereinigungen durchgeführt worden sind, die Bodenmobilität derart beschränkt wird, daß sich Landwirte nicht verbessern können und andere Landwirte entsprechend nicht abstocken können?
Das ist nicht nur hier der Fall, sondern der gewünschte Ablauf wird durch jede starre Handhabung verhindert. Aber ich habe Ihnen ja ein Beispiel aus Niedersachsen gesagt. Daraus muß man entnehmen, \daß von einer starren Handhabung gar nicht die Rede sein kann.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Nann.
Wäre es nicht angebracht, Herr Minister, daß die Länder durch einen Erlaß noch einmal darauf hingewiesen werden, diese Dinge etwas elastischer zu handhaben?
Das ist nicht durch einen Erlaß geschehen, sondern durch eine Empfehlung. Dies ist bereits der Fall.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Schultz ({0}).
Herr Minister, wie kam es eigentlich, daß in der Zeitung „Die Welt" kommentiert wurde: „Ein glücklicher Vorstoß des Ernährungsministers Höcherl - Nun endlich bekommen die Bauern eine Verbesserung ihres Einkommens durch Änderung des Grundstücksverkehrsgesetzes"? Distanzieren Sie sich von dieser seinerzeiten Initiative, die Sie ergriffen haben? War die Meldung in der „Welt" falsch?
Nein, keineswegs.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, wie wollen Sie dann verhindern, daß in landschaftlich reizvollen Gegenden mit übertriebenem Fremdenverkehr eine riesige Bodenspekulation Platz greift?
Das eine muß nicht das andere bedeuten.
({0})
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, Sie haben die Güte, keine Antwort zu geben. Dann frage ich Sie noch einmal: Wie wollen Sie verhindern, daß dort die Landschaft von Kapitalkräftigen aufgekauft wird?
Durch kluge Handhabung des Gesetzes in den Ländern, die ja für die Ausführung verantwortlich sind.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage 'der Abgeordnete Schultz ({0}).
Herr Minister, halten Sie tatsächlich die Veräußerung von Land durch Bauern für eine Verbesserung dies Einkommens derselben? Teilen Sie also 'die Auffassung, die in der „Welt" von einem Kommentator gebracht worden ist?
Wenn er günstig verkauft, halte ich das durchaus für eine Verbesserung.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Gleissner.
Herr Minister, glauben Sie nicht, daß in Zukunft, vielleicht nach Ihnen, die Gefahr besteht, daß anstatt Agrarpolitik, die notwendig ist, eine Politik über den Ausverkauf nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch der Landschaft gemacht wird
({0})
und daß der Bauer und sein Nachbar nicht mehr in der Lage sein werden, Grundstücke zur Betriebsverbesserung aufzukaufen, weil sie in Konkurrenz stehen mit Kapitalkräftigen, die das Geld anderswo leichter und billiger beziehen?
Ich bin weder romantisch noch pessimistisch.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Reichmann.
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß durch die Auflockerung des Grundstücksverkehrsgesetzes entsprechend Ihrer Empfehlung an die Länder eine Preissteigerung für Grund und Boden erfolgt, so daß die hauptberuflichen Landwirte nicht mehr imstande sind, diese Grundstücke für die Landwirtschaft zu erwerben?
Nein.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Peters ({0}).
Herr Bundesminister, habe ich Sie vorhin richtig verstanden, sind Sie der Meinung, daß die Landesbehörden nach dem Grundstücksverkehrsgesetz und nach ihren Gesetzen und Verordnungen entscheiden sollen, oder sind Sie der Meinung, daß sie nach verstandesmäßigen Entscheidungen, wie Sie eben gesagt haben, handeln. sollen?
Nach Gesetz und Verstand.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hofmann ({0}).
Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die hier aufgeworfenen Fragen nicht auf Ihrem Gebiet, sondern im Rahmen der Raumplanung zu regeln sind, d. h. im Rahmen der Bauleitpläne und der Bebauungspläne, und daß deshalb die zuständigen Instanzen dafür zu sorgen haben, daß keine Zersiedlung stattfindet?
Ich bin der Meinung, daß diese Dinge sich durchaus auch in meinem Ressortbereich abspielen, so daß sowohl das eine wie das andere eine Überschneidung der Kompetenzen betreffen könnte.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Zebisch auf.
Hält die Bundesregierung die Einführung eines begrenzten Festpreissystems für landwirtschaftliche Erzeugnisse - wie das in Holland geschehen ist - für geeignet, urn die Zusammenarbeit der deutschen Landwirtschaft mit den Großabnehmern zu verbessern?
Die Frage wird im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Bundesministers Höcherl vom 9. Juni 1969 lautet:
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Gemüseerzeuger Hollands auf rein privatwirtschaftlicher Basis den Versuch unternehmen, Großabnehmern außerhalb der üblichen Versteigerungen begrenzte Mengen ausgewählter Erzeugnisse, z. B. Gurken, zu Preisen anzubieten, die eine bestimmte Zeit lang unverändert aufrecht erhalten werden.
Bis jetzt liegen ausreichende Erfahrungen, die eine zuverlässige Beurteilung gestatten, noch nicht vor. Daher kann zu der gestellten Frage zur Zeit noch keine Stellungnahme abgegeben werden. Die Bundesregierung und die deutschen Gemüseerzeuger werden aber die weitere Entwicklung aufmerksam beobachten.
Die Bundesregierung hat in den letzten 10 Jahren mit über 130 Mio DM den Ausbau eines breit gestreuten Netzes von modernen Vermarktungseinrichtungen für Obst und Gemüse sowie seit zwei Jahren mit über 9 Mio DM die Gründung von inzwischen 42 Vermarktungsorganisationen der Erzeuger gefördart. Dazu kommt die Förderung einer gründlichen Fachausbildung unserer Gärtner. Damit hat die Bundesregierung erheblich dazu beigetragen, die heimische Obst- und Gemüsewirtschaft wettbewerbsfähig zu machen.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Ertl auf:
Ist die Bundesregierung mit der bayerischen Staatsregierung bezüglich Durchführung und Finanzierung des von der bayerischen obersten Baubehörde ausgearbeiteten 10-Jahres-AlpenProgramms einverstanden?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Mit dieser in einem Zehnjahresprogramm von 1969 bis 1979 zusammengefaßten neuen Konzeption des Alpenplans in Bayern ist die Bundesregierung grundsätzlich einverstanden. Die -darin eingeplanten Bundesmittel in Höhe von jährlich 50 Millionen DM stehen jedoch leider nicht zur Verfügung. Nach der Finanzplanung des Bundes sind Bundeszuschüsse bis zu 9,5 Millionen DM jährlich vorgesehen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Bundesminister, es ist Ihnen wohl bekannt, daß dieses Hohe Haus beschlossen hat, ein langfristiges Wirtschaftswegebauprogramm aufzustellen. Da im Rahmen des Alpenprogramms dieses Programm verwirklicht werden könnte, frage ich Sie, wie Sie den Beschluß des Hohen Hauses vollziehen wollen.
Ich warte auf die Mittel, die das Hohe Haus für diesen Plan noch zur Verfügung stellen wird.
Präsident- von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Bundesminister, Sie hatten vor kurzem ein Gespräch mit dem bayerischen Landwirtschaftsminister. Würden Sie darüber berichten können, ob gerade dieses so wichtige Programm für die Sicherung einer sehr wertvollen Landschaft Gegenstand Ihrer Verhandlungen war und welches Ergebnis diese Verhandlungen gebracht haben?
Ich bin gerne bereit, Ihnen einen Bericht darüber zu geben, aber nicht in der Fragestunde; die sieht das nicht vor.
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Bundesminister. Die Fragen seines Geschäftsbereichs sind beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich rufe die Fragen 92 und 93 des Abgeordneten Dr. Giulini sowie die Frage 94 des Abgeordneten Cramer auf:
Entspricht es den Tatsachen, daß durch große Stillegungen von Steinkohlenzechen einschließlich der dazugehörigen Kokereien, angeregt durch Stillegungsprämien, ein ernster Mangel an Kokskohle eingetreten ist?
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um diesen Mangel zu beheben, da in Zukunft kaum mit einer Änderung der Lage zu rechnen ist?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die ständig von einer überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote betroffenen Gebiete Nordwestdeutschlands ({0}) durch entsprechende Wirtschaftsmaßnahmen und eine Verbesserung der Infrastruktur krisenfester zu machen?
Die Fragen werden im Einverständnis mit den Fragestellern schriftlich beantwortet. Eine Antwort auf die Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Giulini
Präsident von Hassel
liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt auf die Frage des Herrn Abgeordneten Cramer lautet:
Im Entwurf des 2. Steueränderungsgesetzes hat die Bundesregierung eine steuerfreie Investitionszulage in Höhe von 10% der Anschaffungs- und Herstellungskosten vorgesehen, die rückwirkend ab 1. 1. 1969 gelten soll. Damit soll ein wirksames Instrument geschaffen werden, um gewerbliche Investitionsvorhaben in die Bundesfördergebiete, zu denen auch die strukturschwachen Gebiete von Ostfriesland und Emsland gehören, zu ziehen.
Außerdem werden gegenwärtig als neues Planungsinstrument regionale Aktionsprogramme, davon eines für den gesamten Raum Nord-Niedersachsen, vorbereitet, um die verfügbaren Bundes- und Landesmittel auf Entwicklungsschwerpunkte zu konzentrieren und die Effizienz der regionalen Wirtschaftsförderung weiter zu steigern. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Niedersächsische Landesregierung in das Regionale Aktionsprogramm für Nord-Niedersachsen Hilfen in einem Ausmaß einplant, das der besonderen Problematik des Raumes Ostfriesland/Emsland entspricht.
Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Reichmann auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Abschlußprüfungen bei den Industrie-, Handels- und Handwerkskammern teilweise immer noch nach den Quartalsterminen erfolgen, so daß dadurch erhebliche Schwierigkeiten für die jeweils einberufenen Wehrpflichtigen, die Kreiswehrersatzämter und die Bundeswehr verursacht werden?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident, darf ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Reichmann zusammen beantworten?
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Dann rufe ich auch die Frage 96 des Abgeordneten Reichmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, baldmöglichst zu veranlassen, daß mit allen zuständigen Institutionen die reibungslose Übereinstimmung der Abschlußprüfungen mit den Einberufungsterminen erfolgt, damit künftig diese Schwierigkeiten, welche zudem die Wehrwilligkeit der Betroffenen beeinträchtigen, behoben werden?
Bitte schön!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Reichmann, der Bundesregierung sind bisher erhebliche Schwierigkeiten nicht bekanntgeworden. Selbstverständlich werden die Konsultationen mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag und mit dem Deutschen Handwerkskammertag fortgeführt. Jeder Einzelfall kann dabei besprochen werden.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Reichmann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß im Wehrbereich V, Baden-Württemberg, erhebliche Schwierigkeiten bestehen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist nicht bekannt. Es gab selbstverständlich Einzelfälle, in denen die Prüfungen erst nach einem Quartalsersten abgeschlossen wurden. Sofern bei den Prüfungen der Termin um nur ein oder zwei Wochen überschritten wurde, sind die Wehrpflichtigen zwei Wochen später einberufen worden. Ist eine Prüfung - was gelegentlich auch vorkommt - in der Mitte zwischen zwei Quartalsterminen, dann wird der Betreffende zum nächsten Quartalstermin einberufen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Reichmann.
Herr Staatssekretär, aus vielen Fällen in Baden-Württemberg ist bekannt, daß infolge der genannten Verzögerungen Einsprüche der Einberufenen und entsprechende Zurückstellungen über die Wehrbezirksämter und über die Truppe erfolgen mußten und daß dadurch die von mir in der Fragestellung aufgezeigten Schwierigkeiten verursacht worden sind.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Reichmann, Sie können davon ausgehen, daß derartige Schwierigkeiten im Zusammenwirken mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag, den deutschen Handwerkskammern und dien lokalen Kammerorganisationen der Industrie, des Handels und des Handwerks besprochen und geklärt werden.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Schultz ({0}).
Herr Staatssekretär, haben bezüglich dieser Frage, die von Kollegen Reichmann angeschnitten worden ist, auch Verhandlungen zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und dem Verteidigungsminister stattgefunden, um eine Koordinierung schon von dort aus festzulegen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich gehe davon aus, daß derartige Ressortgespräche laufend im Gange sind.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 97 des Abgeordneten Schmidt ({0}) ,auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die fremdenverkehrspolitische Koordinierung von Maßnahmen des Bundes, der Länder und der Gemeinden bisher allenfalls auf der Ebene von Referenten und Hilfsreferenten aus drei oder mehr Bundesministerien betrieben wird?
Zur Beantwortung 'der Herr Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident,. wäre es möglich, die Fragen 97, 98 und 99 zusammen zu beantworten?
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Ich rufe dann auch die Fragen 98 und 99 des Abgeordneten Schmidt ({1}) auf:
Ist die Bundesregierung überzeugt, daß diese unfruchtbare Aufsplitterung der Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten der
Präsident von Hassel
Bedeutung eines Wirtschaftszweiges gerecht wird, der kurz- und langfristig zu den bedeutendsten Wachstumszweigen der deutschen Wirtschaft gerechnet werden muß?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um der zunehmenden Bedeutung des internationalen Tourismus institutionell gerecht zu werden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Schmidt, die Bundesregierung weiß, daß mehrere Ministerien gemäß ihren Aufgabenstellungen zur Förderung des Fremdenverkehrs beitragen. Inwieweit die Koordinierung dieser Beiträge durch die Referenten selbst oder durch ihre Vorgesetzten erfolgt, hängt von der Tragweite der jeweils zu treffenden Einzelentscheidungen ab.
Im übrigen hat das Bundesministerium für Wirtschaft auf Grund der Fremdenverkehrsdebatte in diesem Hause vom Februar dieses Jahres einen Arbeitskreis für Fremdenverkehr gebildet. Die Berufung der Mitglieder aus Wirtschaft und Verwaltung ist inzwischen erfolgt; der Arbeitskreis wird am 16. Juni 1969 zu seiner ersten Sitzung zusammentreten.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 100 des Abgeordneten Leicht auf - sie wird von Abgeordneten Dr. Hofmann übernommen -:
Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß regionale Aktionsprogramme auch in solchen strukturschwachen Gebieten durchgeführt werden könnten, die nicht Bundesausbaugebiet sind?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident, darf ich die Frage 101 gleich mit beantworten?
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Ich rufe auch die Frage 101 des Abgeordneten Leicht auf:
Hat die Bundesregierung bereits die Anregung dieses Hauses aufgegriffen, dafür Sorge zu tragen, daß Bundesausbaugebiete, die das angestrebte Ziel einer Strukturverbesserung erreicht haben und deren Strukturdaten heute über den Schwellenwerten der Abgrenzungsmerkmale liegen, aus den regionalen Hilfsmaßnahmen des Bundes zur Steigerung der Wirtschaftskraft ausscheiden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Bundesregierung hält es nicht für richtig, den Förderungskatalog der Regionalen Aktionsprogramme auf Regionen auszudehnen, die nicht zu den Bundesausbaugebieten oder dem Zonenrandgebiet gehören oder keine Steinkohlenreviere sind. Jede andere Politik würde die Wirkung der regionalen Strukturförderung vermindern.
Zu dieser Selbstbeschränkung gehört umgekehrt auch die Ausgliederung von Fördergebieten nach, ihrer strukturellen Aufrüstung. Dies wird für 20 Stadt- und Landkreise durch den neuen Planungsausschuß von Bund und Ländern beraten werden.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Hofmann ({2}).
Herr Staatssekretär, ist es nicht doch sehr ungerecht, wenn einzelne Gebiete jetzt als Bundesausbaugebiete bezeichnet werden und direkt daneben liegende oder nur in einiger Entfernung liegende Gebiete, die sich noch mindestens in ähnlichen Verhältnissen befinden, nicht erfaßt werden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Hofmann, das richtet sich nach gewissen strukturellen Kennziffern: dem Industriebesatz - d. h. Industriebeschäftigung auf 1000 Einwohner - und dem Sozialprodukt je Einwohner des Jahres 1966. Nur wenn diese Schwellenwerte unterschritten werden, kommt eine Region als Bundesausbaugebiet in Frage.
Überschreitet es diese Schwellenwerte dann im Laufe des Strukturierungsprozesses, wartet man in der Regel ein Jahr oder zwei Jahre, bevor man endgültig über das Ausscheiden befindet.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Hofmann ({0}).
Sind Sie nicht der Meinung, daß diese Schwellenwerte teilweise im Verhältnis zu den nicht erfaßten Gebieten zu hoch angesetzt sein könnten, zum großen Nachteil der nicht erfaßten strukturschwachen Gebiete?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das haben die bisherigen Überlegungen nicht ergeben. Sicherlich werden sich die Gebiete, die kurz über diesen Schwellenwerten liegen, benachteiligt fühlen - wie in jedem Fall einer Grenze. Das Wichtige ist aber, daß dieser Prozeß des Ausgliederns vor sich geht, so daß kein Gebiet auf die Dauer Bundesausbaugebiet bleibt und dabei vielleicht einen höheren Schwellenwert hat als ein anderes Gebiet, das gar nicht erst Bundesausbaugebiet werden kann.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dröscher.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Lösung des Problems nähergekommen, das sich daraus ergibt, daß strukturschwache Teile großer Landkreise, insbesondere bei großer räumlicher Ausdehnung der Landkreise, nicht in die Förderungsprogramme hineinkommen, weil der Schwellenwert der industriell bestimmten Teile solcher Landkreise die Schwelle zu hoch setzt?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Dröscher, die einzige Antwort hieß für diesen Fall bisher: nicht Bundesausbaugebiet, sondern Bundesausbauort. Vielleicht geben uns das Zweite Steueränderungsgesetz und die darin enthaltene Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlaß einer Rechts13046
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
verordnung die Möglichkeit bei der Investitionszulage in einem solchen Fall auch an ein derartiges Gebiet zu denken.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Ist die Bundesregierung bereit, Herr Staatssekretär, dann, wenn es solchen räumlich großen und sehr differenzierten Landkreisen gelingt, für einzelne Orte in schwach strukturierten Gebieten den Nachweis zu führen, daß sie besonders schwach sind, solche Ausnahmen zu machen, etwa durch Anhebung zu Bundesausbauorten?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Lassen Sie es mich so sagen: Die Bundesregierung ist bereit, das zu prüfen. Wie die Bundesregierung entscheiden wird, kann ich im vorhinein selbstverständlich nicht sagen.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe dann die Fragen 102 und 103 des Abgeordneten Richarts auf:
Wieviel geologische, geophysikalische und Bodengrunduntersuchungsarbeiten, die vom Bund oder den Ländern finanziert werden, wurden in der Vergangenheit und werden in Zukunft öffentlich ausgeschrieben, so daß sie auch der Privatwirtschaft zugängig sind?
Stimmen Behauptungen, die besagen, daß diese bisher allein von der Bundesanstalt für Bodenforschung im In- und Ausland durchgeführt werden und daß auch durch diese hochbezahlte Privatgutachten erstellt werden?.
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe die Frage 104 des Abgeordneten Fellermaier auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Äußerungen von Bundesschatzminister Schmücker auf dem Mittelstandskongreß der CDU, „die Rezession 1966 sei gewollt gewesen, das Arbeitskräftepolster sei abgebaut, der Mißbrauch der Sozialversicherung zurückgegangen und die Arbeitsproduktivität gestiegen"?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Fellermaier, die Bundesregierung hat sich mit den Äußerungen von Herrn Bundesschatzminister Schmücker nicht direkt beschäftigt. Sie hat aber sehr wohl bei anderer Gelegenheit zu dem Thema Stellung genommen. In diesen Stellungnahmen ist nichts über die von Herrn Minister Schmücker vermuteten Vorteile einer Rezession zu finden. Sie finden in diesen Stellungnahmen, nur eine Rubrizierung von Nachteilen.
Außerdem gilt für die Bundesregierung selbstverständlich die Gesetzespflicht des Stabilitätsgesetzes: Preisniveaustabilität, hoher Beschäftigungsgrad, außenwirtschaftliches Gleichgewicht stetiges und angemessenes Wachstum.
Inwieweit die Rezession von 1966/67 - ich zitiere jetzt dieses Wort - „gewollt" war, also auch ihre Folgen Arbeitslosigkeit und Existenzangst „gewollt" waren, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Die Bundesregierung und auch der fachlich zuständige Bundesminister für Wirtschaft gingen bisher davon aus, daß sich ihre Vorgänger über das Ausmaß der Gefahren im Jahre 1966 nicht im klaren waren. Das steht im Jahreswirtschaftsbericht 1968.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Fellermaier.
Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Staatssekretär, dann würde die neue Bundesregierung die Aussage eines Mitglieds dieser jetzigen Bundesregierung sicher nicht teilen, daß es während der Rezession und auch schon zuvor zu einem ständigen Mißbrauch der Sozialversicherung durch die deutschen Arbeitnehmer gekommen sei.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Vor der Rezession?- Nein, keinesfalls.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Mertes.
Herr Staatssekretär, könnten Sie meine Meinung teilen, daß zumindest die Deutsche Bundesbank im Jahre 1966 im Interesse der Stabilität, vor allem der Preisstabilität, eine bewußte Restriktionspolitik betrieben und wiederholt darauf gedrängt hat, daß diese Restriktionspolitik im Interesse der Stabilität von der Bundesregierung durch entsprechende Beschlüsse in der Ausgabenpolitik unterstützt werden sollte?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Auffassung kann ich nicht teilen, Herr Kollege Mertes, weil Restriktionspolitik nicht unbedingt Rezessionspolitik ist. Das heißt, die Restriktionspolitik des Jahres 1965 und von Anfang 1966 mag durchaus berechtigt gewesen sein; ganz sicher war es aber falsch, sie weiter und in dieser Schärfe fortzusetzen. Das Ausmaß der Gefahr ist unterschätzt worden.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Wären Sie dann vielleicht bereit, die Meinung zu teilen, daß man die Situation hinsichtlich der Frage, ob es damals zu einer Dämpfung einer überhitzten Konjunktur oder bereits zu einer 'Rezession gekommen war, durchaus verschieden beurteilen konnte?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Fachwelt war in diesem Punkt völlig einig. Die Forschungsinstitute haben bereits im Herbst 1965 davor gewarnt, an der Restriktionsschraube weiter zu drehen. Hier im Hohen Hause hat bei der ersten Lesung des Stabilitätsgesetzes in einer Sondersitzung im September 1966 genau dieser Punkt eine Rolle geParlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
spielt. Hier lag, glaube ich, ein Unterschied in den Auffassungen der Politiker - nicht der Fachleute - über den Zustand der Wirtschaft vor. Denn zur selben Zeit gab es einen Lagebericht des Bundesministers für Wirtschaft, der ähnlich alarmierende Anzeichen wiedergab.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die konjunkturelle Lage ab 1961 die Bundesregierung und die Bundesbank zu Restriktionsmaßnahmen zwang, wenn diese auf dem Gebiet der Währung einen inflationistischen Trend bremsen wollten?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist ja im Jahre 1961 geschehen, und das ist im Jahre 1965 ebenfalls geschehen. Das ist völlig in Ordnung. Es ist ja nur zu diskutieren, ob eine Rezession gewollt war. Das war die Fragestellung. Es ging darum, ob Arbeitslosigkeit gewollt war.
Herr Staatssekretär, wenn Sie mir hier zustimmen - worüber ich mich freue -, dann werden Sie mir auch bestätigen, daß diese Politik im Sommer 1966 - nämlich vor Beginn der Großen Koalition - eine Preis- und Währungsstabilität zuwege gebracht hat.
({0})
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Nein, dem kann ich gar nicht zustimmen, denn das ist einfach falsch. Preisstabilität trat erst im Laufe des Jahres 1967 ein.
({1})
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß zwischen Bremsung der Konjunktur, die auch heute notwendig ist, und gewollter Rezession ein moralischer und damit auch ein politischer Unterschied zu machen ist?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es ist ein fachlicher Unterschied zu machen, und in dem Wort „gewollt" ist selbstverständlich auch eine moralische Wertung enthalten, die die Bundesregierung, würde sie sich mit dem Problem befassen, verurteilen müßte.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die von Herrn Minister Schmücker verwandte Formulierung eine Beleididung der Arbeitnehmerschaft in diesem Lande darstellt?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Eine Beleidigung der Existenzängste, die damals viele durchgemacht haben.
({0})
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Schwörer.
Herr Staatssekretär, würden Sie es nicht für besser halten, wenn wir statt von Rezession von Stagnation sprechen würden, nachdem es sich gezeigt hat, daß selbst im Jahre 1967 das Wachstum noch 1,2% betragen hat?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Statt Rezession Staatskrise?
Stagnation! Wirtschaftliche Stagnation statt Rezession.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Rezession ist der gängige Ausdruck, und im Winterhalbjahr 1966/67 kam es, Herr Kollege Schwörer, zu echten Rückgängen in der Industrieproduktion, in der Bauproduktion usw.: Es gab dort in Minus in den Wachstumsraten.
Präsident von Hassel: Verzeihung, das ist hier kein Dialog, sondern eine Fragestunde; Sie können fragen, ob Sie noch eine zweite Zusatzfrage bekommen können. - Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Dr. Schwörer.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir aber zustimmen, wenn ich sage, daß die Zahl in der gesamten Volkswirtschaft über der Nullgrenze lag, daß also auch noch im Jahre 1967 ein Wachstum von 1,2% gegeben war?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ja, aber doch nur auf Grund der Entwicklung im zweiten Halbjahr 1967, als wir uns dank der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik der Bundesregierung und der Bundesbank bereits wieder auf dem Aufschwungspfad befanden.
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, darf ich bitten, zu der ursprünglichen Frage zurückzufinden und hier keine Diskussion über das Thema „Rezession im Jahre 1966" zu führen; ich bitte, sich auf diese Frage zu beschränken.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Hofmann ({0}).
Herr Präsident, ich weiß nicht, ob Sie die Frage zulassen können.
Herr Staatssekretär, unter Bezugnahme auf Ihre Bemerkung und Beurteilung vorhin: sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der Begriff „Beleidigung" ein streng juristischer Begriff ist und hier nicht in einen Sachzusammenhang mit wirtschaftlichen Aussagen gebracht werden kann?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich habe ihn nicht als juristischen Begriff aufgefaßt. Ich weiß nicht, ob ihn der Kollege Apel juristisch gemeint hat.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Mende.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es problematisch ist, wenn Sie als Mitglied der Bundesregierung auf die Frage eines Abgeordneten dieses Hauses hier so weitgehende Werturteile über ein anderes Mitglied der Bundesregierung abgeben,. wie es eben geschehen ist?
({0})
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das gebe ich zu, Herr Kollege Mende.
Präsident von Hassel: Zu einer letzten Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Köppler.
Herr Kollege Dr. Arndt, halten Sie es nicht mit mir für doppelt problematisch, wenn eine solche Erklärung, wie sie Herr Kollege Dr. Mende eben schon in seiner Frage charakterisiert hat, von einem Parlamentarischen Staatssekretär abgegeben wird?
({0})
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich gebe auch das zu.
Präsident von Hassel: Ich lasse keine weitere Zusatzfrage zu. Ich habe eben erklärt, die letzte sei die des Abgeordneten Köppler. Ich darf bitten, daß sich die Mitglieder oder die Vertreter der Bundesregierung an das Thema halten, und hinzufügen, daß Bewertungen anderer Minister hier nicht zulässig sind.
({1})
Ich rufe die Frage 105 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewußt, daß diese Äußerungen des Bundesschatzministers in Widerspruch zu der in der Regierungserklärung der Großen Koalition enthaltenen Analyse über die Ursachen der Wirtschaftskrise 1966 stehen, insbesondere der Feststellung des Bundeskanzlers, daß „der Bildung
der neuen Regierung eine lange schwelende Krise vorausgegangen sei, deren Ursachen sich auf Jahre zurückverfolgen lassen"?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Arndt.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Apel, wie die jetzige Regierung über eine Rezession denkt, geht aus der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 hervor. Sie bekennt sich eindeutig zu einer wirtschaftspolitischen Aufgabenkombination, wie sie im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz niedergelegt wurde. In der Regierungserklärung heißt es dann wörtlich weiter - ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vielleicht zitieren -:
Diese Aufgabenkombination verlangt von der Wirtschaftspolitik, daß sie sich jeweils auf die Einzelziele konzentriert, die am meisten gefährdet sind. Dies sind nach Auffassung der Bundesregierung zur Zeit das optimale Wirtschaftswachstum und die Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes. Es droht sogar die Gefahr eines gesamtwirtschaftlichen Rückschlages.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß damit deutlich wird, daß sich die Wirtschaftspolitik der Großen Koalition auch nach den Worten des früheren Bundeswirtschaftsministers Schmücker deutlich von der Wirtschaftspolitik unterscheidet, die die Regierung Erhard/Mende betrieben hat?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das steht in der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966, und das haben auch die Fraktionen dieses Hohen Hauses in der Debatte über die Regierungserklärung dargelegt.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Apel.
Darf ich also der Regierungserklärung und Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung die feste Absicht hat, es in Zukunft nicht zu „gewollten Rezessionen" kommen zu lassen, sondern dafür zu sorgen, daß Wachstum und Stabilität gleichzeitig gesichert sind?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das gehört zum Programm dieser Bundesregierung.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Ertl.
Herr Staatssekretär, haben Sie mit der „neuen Politik" die bereits vorhandenen und die kommenden Preissteigerungen sowie das Währungsproblem gemeint?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Ertl, daß wir in der nächsten Woche bei der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht sicherlich eine Rolle spielen. Es gehört nicht unbedingt zum Thema „Rezession und Arbeitslosigkeit".
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe ,die Frage 106 des Abgeordneten Josten auf:
Trifft es zu, daß alle finanziellen Probleme zum Bau für das 250 Passagiere fassende Großraumflugzeug mit dem deutschfranzosischen Air-Bus-Abkommen erledigt sind?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Josten, die deutsch-französische „Vereinbarung über die Verwirklichung des Air-Bus A-300 B" vom 29. Mai 1969 regelt lediglich die Finanzierung der Kosten der Entwicklung des Flugzeuges. Die für die Finanzvierung .der Serie erforderlichen Mittel müssen sich die am Air-Bus-Programm teilnehmenden Firmen selbst beschaffen. Darauf ist in der Vereinbarung ausdrücklich hingewiesen worden.
Herr Staatssekretär, der Bund ist hier die bisher größte finanzielle Verpflichtung auf dem Gebiet der Entwicklung, wie Sie sagen, des zivilen Flugzeugbaues eingegangen. Wie hoch schätzen Sie ,den gesamten Betrag, welcher von uns für die Entwicklung dieses Großraumflugzeugs benötigt wird?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim. Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Josten, ich darf Ihnen diese Frage schriftlich in genauer Präzisierung beantworten.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, werden noch - falls Sie diese Frage jetzt nicht mündlich beantworten können, bitte ich Sie um schriftliche Mitteilung - Verhandlungen geführt, um auch englische Firmen an dem Bau dieser Maschine zu beteiligen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das Tor für eine englische Beteiligung ist nach wie vor offen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Entscheidungen von vier europäischen Luftfahrtgesellschaften, nicht den deutsch-französischen Air-Bus, sondern ein .amerikanisches Konkurrenzprodukt zu kaufen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesmiinister für Wirtschaft: Diese Entscheidung wird die Entwicklung des Air-Bus nicht beeinträchtigen. Der Markt ist nach wie vor groß genug, auch angesichts dieser Optionen, von denen einige Fluggesellschaften Gebrauch gemacht haben.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 107 des Abgeordneten Hirsch auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage und bereit, die angelaufenen Verhandlungen mit der Sowjetunion über Erdgas- und Erdöllieferungen in die Bundesrepublik Deutschland dahin gehend zu beeinflussen, daß als Standort für entsprechende Anlaufstellen das nordostoberbayerische Zonenrandgebiet in Aussicht genommen wird?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, die Bundesregierung kann dies weder zusagen noch ausschließen. Im gegenwärtigen Stadium der Verhandlungen geht es allein darum, die Absatzmöglichkeiten für große Teile der Bundesrepublik und die Lieferbereitschaft der UdSSR zu prüfen. Vom Ergebnis dieser Überlegungen hängt die Linienführung von Rohrleitungen und damit auch der Übergangsort im Zonenrandgebiet oder im übrigen Grenzland ab.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Herold.
Herr Staatssekretär, ist abzusehen, wann die Verhandlungen mit der UdSSR erfolgreich abgeschlossen werden können?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Nein; sie werden jedenfalls so schnell wie möglich geführt.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Herold.
Herr Staatssekretär, wird die bayerische Staatsregierung immer konsultiert und über die Ergebnisse der laufenden Verhandlungen unterrichtet?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Selbstverständlich, Herr Kollege Herold. Wir stehen in dieser Frage mit dem bayerischen Wirtschaftsministerium in engem Kontakt.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 108 des Abgeordneten Ertl auf:
Hält es der Bundeswirtschaftsminister für möglich, daß bis zum Herbst eine Lösung der Weltwährungsprobleme ohne Aufwertung der DM erfolgt?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Ertl, die Lösung der Weltwährungsprobleme ist eine längerfristige Aufgabe. Sie verlangt vor allem die Wiederherstellung besserer Gleichgewichte der Zahlungsbilanzen der sogenannten Reservewährungsländer, vor allem also der USA und Großbritanniens. Beide Länder sind dabei, ihre Inflationserscheinungen zu bekämpfen. Durchgreifende Erfolge sind naturgemäß nicht innerhalb weniger Wochen oder Monate zu erwarten.
Es stellt sich auch die Frage, ob zur Aufrechterhaltung eines besseren Gleichgewichts der Zahlungsbilanzen nicht neue Wege in der internationalen Währungspolitik beschritten werden könnten. Im Rahmen der Überlegungen über die Verbesserung der internationalen Währungsordnung wird z. B. gegenwärtig untersucht, ob und wie das bisher starre System der Wechselkurse elastischer gestaltet werden könnte. Diesen Arbeiten kann große Bedeutung zugemessen werden. Sie befinden sich jedoch noch in den Anfängen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, trifft das zu, was aus Presseberichten zu entnehmen war, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister bei seinen jüngsten Gesprächen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika sich bezüglich der Währungsprobleme dahin geäußert haben soll, er glaube, daß sich im Herbst eine Lösung abzeichnet, wobei auch eine Aufwertung möglich sei?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das trifft nicht zu, Herr Kollege Ertl. Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat das sofort dementiert.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage der Abgeordnete Ertl.
Kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie glauben, es werde in dieser so schwierigen Währungsfrage auch bis zum Herbst zu keiner Lösung kommen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist nicht sicher. Es werden Arbeitsgruppen von Technikern und sonstigen Fachleuten gebildet, die sich über dieses Problem Gedanken machen sollen. Ein Zeitziel ist nicht gesetzt.
Präsident von Hassel: Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft sind beendet. Ich danke für die Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Die Frage 109 stellt der Abgeordnete Dr. Nann:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung in Bälde zu ergreifen, damit der Nachwuchsmangel bei den Hubschrauberpiloten der Bundeswehr behoben werden kann?
Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Adorno.
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, die Schwierigkeiten, die sich bei der Nachwuchswerbung für Hubschrauberpiloten ergeben haben, sind bekannt. Um hier Abhilfe zu schaffen, ist folgendes vorgesehen: Je nach dem Ergebnis der laufenden flugmedizinischen Untersuchung wird die Möglichkeit einer Anhebung der Fliegerzulage für alle Luftfahrzeugführer auf Propellerflugzeugen und Hubschraubern zu prüfen sein. Die Luftfahrzeugführer auf Propellerflugzeugen und Hubschraubern haben in Zukunft die Möglichkeit, in die Fachoffizierlaufbahn übernommen zu werden, wobei die endgültige Prüfung noch nicht abgeschlossen ist. Innerhalb des Heeres, welches den größten Bedarf an Hubschrauberführern hat, wird der Inspekteur die Kommandierenden Generale anweisen, für die fliegerische Laufbahn geeignete Soldaten aus ihren Bereichen freizugeben. Außerdem sollen Informationsfilme und die entsprechenden Kopien erstellt werden, um damit Auskunft über die Möglichkeiten in diesem Dienstzweig der Teilstreitkräfte zu geben. Daneben läuft die Herstellung von Informationsschriften.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Nann.
Herr Staatssekretär, ist es nicht wesentlich, für die Hubschrauberpiloten - besonders für die Waffengattung der Heeresflieger - die Fliegerzulagen denen der Strahlflugzeugführer anzugleichen, damit dieser Bereich für den Nachwuchs überhaupt noch attraktiv ist?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das ist richtig. Entsprechende Schritte sind eingeleitet.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Nann.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß, wenn nicht in Bälde hier etwas Entscheidendes geschieht, diese Waffengattung ihre Aufgabe überhaupt nicht mehr erfüllen kann?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, wir kennen die Schwierigkeiten, die sich hier ergeben haben.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 110 des Abgeordneten Dr. Wörner auf. Ist der Abgeordnete im Saal? - Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Präsident von Hassel
Ich rufe die Frage 111 des Abgeordneten Schultz ({0}) auf:
Welche gesetzgeberischen Maßnahmen sind nach Ansicht der Bundesregierung erforderlich, um das vom Generalinspekteur der Bundeswehr geforderte flexible Mobilmachungssystem zu schaffen?
Zur Beantwortung der .Parlamentarische Staatssekretär.
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, die Grundvoraussetzungen für das geforderte flexible Mobilmachungssystem der Bundeswehr sind im wesentlichen erfüllt. Um den 'besonderen Erfordernissen der Mobilmachung gerecht zu werden, reichen die bisherigen Bestimmungen des Bundesleistungsgesetzes noch nicht in allen Fällen aus. Entsprechende Novellierungsvorschläge liegen dem Bundesminister des Innern als federführendem Ressort zur weiteren Behandlung vor.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Schultz ({1}).
Wann ist damit zu rechnen, daß diese Besprechungen abgeschlossen werden?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Einen genauen Zeitpunkt kann ich Ihnen noch nicht angeben.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 112 des Abgeordneten Schultz ({0}) auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Truppenbüchereien in Zukunft fachkundig durch Bibliothekare leiten zu lassen?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister ,der Verteidigung: Herr Präsident, ich bitte, die nächsten beiden Fragen wegen des Sachzusammenhanges zusammen beantworten zu dürfen.
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Frage 113 des Abgeordneten Schultz ({1}) :
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, die Truppenbüchereien in den Standorten der Bundeswehr organisatorisch mit den dort vorhandenen zivilen öffentlichen Büchereien zusammenzufassen, um auf diese Weise ein größeres Angebot an Büchern und eine fachkundige Beratung der Benutzer der Büchereien herbeizuführen?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister !der Verteidigung: Herr Kollege, die Selbstverwaltung .der Truppenbüchereien durch die Soldaten entspricht der Empfehlung des seinerzeitigen Deutschen Ausschusses für ,das Erziehungs- und Bildungswesen aus dem Jahre 1956. Wie Ihnen bekannt ist, wurde der Komplex „Truppenbüchereien" zuerst mit dem Beirat für Fragen der Inneren Führung und danach in der Sitzung .am 26. März 1968 mit dem Verteidigungsausschuß dieses Hohen Hauses eingehend erörtert. Der Ausschuß hat die geltenden Regelungen bestätigt und die inzwischen
erlassenen „Ergänzenden Richtlinien für die Buchauswahl" gebilligt. Der Herr Wehrbeauftragte hat sich in seinem Jahresbericht 1967 'ebenfalls hierfür ausgesprochen. Gleichwohl wurde - durch den zuständigen Referenten meines Hauses - dem Vorsitzenden des „Vereins der Bibliothekare an öffentlichen Büchereien" angeboten, ein Gespräch über die von Ihnen, Herr Kollege, angesprochenen Fragen, die ja auch Gegenstand einer Resolution der Bremer Bibliothekartagung im Mai gewesen sind, zu führen. Dabei werden die Vorstellungen der Fachverbände zu präzisieren und zu prüfen sein, da die Wünsche der Fachverbände offenbar weiter gehen als nur bis zur Leitung der Truppenbüchereien durch Bibliothekare und deren fachliche Beratung.
Nach Prüfung beabsichtige ich, dem Verteidigungsausschuß darüber zu berichten, da hier auch grundsätzliche Fragen der Inneren Führung berührt werden.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Schultz.
Das Gespräch mit den Bibliothekaren ist also erst nach dieser Tagung in Bremen angeregt worden? Als dein Ausschuß berichtet wurde, hatten Sie noch keine Verbindung mit diesem Verband?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das ist mir im Augenblick nicht geläufig; aber ich bin gern bereit, darauf schriftlich zu antworten. Sicher ist das Gespräch schon vor der Tagung in Gang gekommen. Nachdem aber die Richtlinien im Verteidigungsausschuß und im Beirat für Innere Führung verabschiedet worden sind, haben wir die Sache vorläufig für abgeschlossen angesehen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage.
Teilen Sie meine Auffassung, Herr Staatssekretär, daß, unbeschadet der Selbstverwaltung der Truppenbüchereien, vielleicht ein engerer Kontakt mit am Standort vorhandenen Büchereien, insbesondere in den Städten, durchaus wünschenswert sei und eine entsprechende Änderung der bisherigen Richtlinien ins Auge gefaßt werden sollte?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das ist durchaus erwägenswert. Ich darf aber darauf hinweisen, daß schon heute neben dem Buchhandel auch öffentliche Büchereien als Berater der Kommandeure herangezogen werden.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Josten.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, uns im Rahmen Ihres Berichts, den Sie
dem Verteidigungsausschuß erstatten wollen, vielleicht schriftlich mitzuteilen, wo es Truppenbüchereien gibt, und uns auch Auskunft über die Größenordnung dieser Truppenbüchereien zu geben?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich werde das gern prüfen.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 114 des Herrn Abgeordneten Dröscher auf:
Halt die Bundesregierung immer noch an ihrer bisherigen Haltung fest, daß z. B. ein ziviler Kraftfahrer bei einem Bundeswehrlazarett keine Ferienreise nach Jugoslawien machen darf, obwohl doch Zehntausende von Jugoslawen in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten und andererseits die zwischenstaatlichen Beziehungen sich nach dem Botschafteraustausch wesentlich gebessert haben?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, in den Fragestunden der 44. Sitzung des Deutschen Bundestages am 25. Mai 1966 und der 166. Sitzung am 3. April 1968 hat die Bundesregierung auf Grund Ihrer Fragen zu diesem Problem eingehend Stellung genommen. Des weiteren habe ich in dieser Angelegenheit mehrere Einzelfragen beantwortet, die von Ihnen an mich gerichtet wurden. Seither haben sich neue Gesichtspunkte, die eine Auflockerung der derzeitigen Bestimmungen erlauben würden, nicht ergeben.
Die Bundeswehr ist ebenso wie die Streitkräfte anderer NATO-Länder nach wie vor Hauptangriffsziel vieler Nachrichtendienste. Es besteht daher die Gefahr, daß bekannte oder erkannte Bundeswehrangehörige durch Druckmittel für nachrichtendienstliche Zwecke gefügig gemacht werden. Hiervon gehen auch die verbindlichen Richtlinien der NATO aus.
Der Grund für das Reiseverbot im Bereich der Bundeswehr ist aber nicht nur das Sicherheitsbedürfnis der Bundeswehr, sondern ebensosehr auch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn für den einzelnen Bundeswehrangehörigen.
Unabhängig von Einzelfällen werde ich das Gesamtproblem „Reisen von Bundeswehrangehörigen nach Jugoslawien" mit dem Auswärtigen Amt erneut prüfen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Dröscher.
Sie werden sicher Verständnis dafür haben, Herr Staatssekretär, daß ich gerade wegen der früher gestellten Fragen immer wieder von Bundeswehrangehörigen in diesem speziellen Punkt angesprochen und angeschrieben werde. Sind Sie mit mir der Meinung, daß eine Lösung gefunden werden könnte, bei der differenziert wird und, wie in diesem Fall, ein Kraftfahrer bei einem Bundeswehrlazarett eben doch anders behandelt wird als ein Geheimnisträger?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich habe in meiner Antwort schon auf Einzelfälle hingewiesen. Wir werden auch weiter bemüht sein, so zu verfahren.
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die 60 Minuten der Fragestunde sind abgelaufen.
Auf Wunsch der Fraktion der SPD, die gegenwärtig noch eine Fraktionssitzung hat, wird die Sitzung bis um 10.45 Uhr unterbrochen.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe den Punkt 2 auf:
2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anwendung und Änderung bewertungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache V/4212 -
Es ist vereinbart, daß auf die Begründung und auf eine Aussprache verzichtet wird. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage dem Finanzausschuß - federführend - und dem Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen - mitberatend - zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf. Wir haben hier zwei zusätzliche Vorlagen von der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der SPD. Nunmehr heißt es unter Punkt 3:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Strafrechtsänderungsgesetzes
- Drucksache V/4220 -
b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts ({0})
- Drucksache V/4326 -
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Neunten Strafrechtsänderungsgesetzes
- Drucksache V/4330 Zur Begründung des Entwurfs der Bundesregierung hat das Wort der Herr Bundesminister der Justiz. - Ich höre, daß der Herr Bundesminister der Justiz auf dem Wege aus der Kabinettsitzung hierher ist.
Ich frage, ob die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, die Anträge eingebracht haben, das Wort zur Begründung ihrer Anträge wünschen. Der Herr Bundesminister der Justiz ist schon eingetroffen. Sie haben das Wort, Herr Bundesminister. - Ich höre, daß die anderen Mitglieder des Kabinetts ebenfalls gleich eintreffen werden.
Herr Präsident! Meine Damen und 'Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Neunten Strafrechtsänderungsgesetzes führt das Hohe Haus zu einer Frage zurück, mit der es sich bereits in den Jahren 1960 und 1965 beschäftigt hat, und zwar leidenschaftlich beschäftigt hat. Die Wiederkehr der Frage der Verjährung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen gibt nachträglich denjenigen recht, die 1965 vor einer halbherzigen Entscheidung gewarnt haben.
Der Bundesminister der Justiz hat seit der Bildung dieser Regierung in der Verjährungsfrage konsequent folgenden Standpunkt vertreten:
Erstens. Die Strafverfolgung nationalsozialistischer Mordtaten muß auch über den 31. Dezember 1969 hinaus sichergestellt werden.
Zweitens. Die Entscheidung über diese Frage sollte noch in dieser Legislaturperiode erfolgen.
Drittens. Die Änderung der Verjährungsregelung sollte allgemein, ohne gesetzliche Differenzierung erfolgen.
Der Bundesminister der Justiz hat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, für den er die Zustimmung des Kabinetts gefunden hat. Er bittet heute das Hohe Haus namens der Bundesregierung, diesem Entwurf zuzustimmen.
Diesmal kann und muß die Verjährungsfrage allerdings in einem allgemeineren Zusammenhang gesehen werden. Am 9. Mai hat das Hohe Haus im Rahmen der Strafrechtsreform für zukünftige Taten bereits die Verjährung bei Völkermord aufgehoben und die Verjährungsfrist bei Mord von 20 auf 30 Jahre verlängert, unter Vorbehalt der Entscheidung über das Ihnen heute vorliegende Neunte Strafrechtsänderungsgesetz.
Worum geht es nun bei der Entscheidung über dieses Gesetz? Es geht darum, ob die Verjährungsvorschriften sofort und auch für solche Taten geändert werden sollen, für die die Verjährungsfrist bereits läuft, aber noch nicht abgelaufen ist. Es geht nicht darum, bereits abgelaufene Verjährungsfristen wieder aufleben zu lassen. Im Hohen Hause besteht Übereinstimmung darüber, daß dies verfassungsrechtlich nicht zulässig wäre.
Die in den früheren Bundestagsdebatten lebhaft umstrittene Frage, ob die Aufhebung oder Verlängerung noch laufender Fristen rechtlich zulässig sei, ist inzwischen vom Bundesverfassungsgericht im positiven Sinn entschieden worden. Auf diese Frage brauche ich daher in dieser Debatte nicht noch einmal einzugehen. Die Frage, vor der das Hohe Haus heute steht, ist keine verfassungsrechtliche, sondern eine rechtspolitische.
Hinsichtlich der rechtspolitischen Bedeutung des vorliegenden Entwurfs ist dabei zunächst zweierlei wichtig: Die Aufhebung der Verjährungsfrist für Völkermord hat zur Zeit keine praktische Bedeutung und wird sie hoffentlich nie gewinnen. Die Vorschrift über die Bestrafung von Völkermord ist nach dem Krieg, 1954, in unserem Strafgesetzbuch eingeführt worden. Da unsere rechtsstaatliche Demokratie keine
rückwirkende Anwendung von Strafvorschriften kennt, findet der Straftatbestand des Völkermords auch auf nationalsozialistische Gewaltverbrechen keine Anwendung. Auch auf diese Verbrechen ist vielmehr allein der Tatbestand des gemeinen Mordes, den unser Recht seit eh und je kennt, anwendbar.
Die Änderung der Vorschriften über die Verjährung bei Mord wird jedoch vom vorliegenden Entwurf - das ist der zweite wichtige Gesichtspunkt - nicht auf die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen beschränkt. Diese Aufhebung soll vielmehr für alle Arten von Mord gelten, auch für den Raubmord oder den Sexualmord. Hinsichtlich der laufenden Verjährungsfristen ist das insofern von nicht unerheblicher Bedeutung, als auch eine große Zahl von unaufgeklärten Morden der Nachkriegszeit ohne dieses Gesetz verjähren würden.
Das führt mich zu den schon im Rahmen der allgemeinen Strafrechtsreform diskutierten Gründen für eine Änderung der heute geltenden 20jährigen Verjährungsfrist bei Mord. Mord ist das gemeinste und schwerstwiegende Verbrechen. Es trifft die menschliche Ordnung in ihrem Kern. Der Mörder wirft sich zum Herrn über das Leben seines Nächsten auf. Nach unseren Gesetzen wird Mord daher mit lebenslangem Freiheitsentzug bestraft. Zu dieser Schwere der Tat und der gegen sie vorgesehenen Sanktion steht die 20jährige Verjährungsfrist in Widerspruch.
Der vorliegende Entwurf sieht daher vor, die Verjährung bei Mord wie bei Völkermord aufzuheben. Dagegen wird auch von denen, die eine Verlängerung der Verjährungsfrist von 20 auf 30 Jahre befürworten, eingewandt, es sei Hybris, es sei ein der Beschränktheit der menschlichen Möglichkeiten nicht angemessener Hochmut, zu glauben, man könne ein Verbrechen zeitlich unbeschränkt verfolgen.
Demgegenüber kann man u. a. darauf hinweisen, daß wir schon heute Verbrechen zeitlich unbegrenzt verfolgen, wenn nur die laufende Verjährungsfrist unterbrochen worden ist. Es gibt also für beide Vorschläge gute Argumente, und der Unterschied zwischen diesen beiden Vorschlägen wird überdeckt von dem gemeinsamen Ziel, das geltende Recht zu ändern.
Das Hohe Haus hat sich im Rahmen der Strafrechtsreform unter Abwägung aller Argumente für eine Verlängerung der Verjährungsfrist bei Mord von 20 auf 30 Jahre entschieden. Bei der Kabinettsberatung des vorliegenden Entwurfs hat Herr Kollege Höcherl dafür plädiert, diesen Entwurf insoweit den in der Zwischenzeit bei der allgemeinen Strafrechtsreform getroffenen Beschlüssen anzupassen. Ich habe Herrn Kollegen Höcherl im Kabinett geantwortet und wiederhole es hier, daß auch ich diese Lösung für vertretbar halte. Die Koalitionsfraktionen haben inzwischen beantragt, dieses Gesetz an die Lösung anzupassen, die wir in der Strafrechtsreform gefunden haben.
Auch gegen diese Lösung der Verlängerung von 20 auf 30 Jahre sind unter dem Gesichtspunkt der
Beweisführung und unter dem Gesichtspunkt des Strafzwecks Einwendungen erhoben worden. Zu ihnen ist folgendes zu sagen: Die Beweislage mag zwar bei länger zurückliegenden Taten schwierig sein; sie m u ß es - man denke etwa an Dokumentenbeweise - nicht sein. Und im übrigen kommt jeder Zweifel in der Beweisführung dem Angeklagten zugute. Daß bei der Bestrafung einer lange zurückliegenden Tat der Gesichtspunkt der Resozialisierung des Täters an Gewicht verliert, ist zwar für die Strafzumessung relevant, steht aber einer Bestrafung nicht schlechthin entgegen, wenn diese zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich ist.
Die allgemeine Aufhebung oder Verlängerung der Verjährungsfrist bei Mord findet in unserem Volk auch breite Zustimmung. Im bemerkenswerten Widerspruch dazu ist die Anwendung der neuen Regeln auf nationalsozialistische Gewaltverbrechen umstritten. Das hat meines Erachtens nur sehr begrenzt darin seinen Grund, daß es insoweit um die Verlängerung oder Aufhebung bereits laufender Verjährungsfristen geht. Die Gründe liegen vielmehr tiefer. Um so notwendiger scheint es mir zu sein, über diese spezielle Seite der allgemeinen Verjährungsproblematik - die Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen - miteinander und mit unserem Volk offen zu sprechen.
Vor einer wertenden Stellungnahme zu dieser Frage will ich mich zunächst bemühen, den Stand der Verfolgung dieser Straftaten sowie die Bedeutung des Regierungsentwurfs für diese Verfolgung darzulegen. Es geht, da die Verfolgung von Totschlag bereits 1960 verjährt ist, nur noch um die weitere Verfolgung von Mordtaten. Bei diesen Mordtaten geht es fast ausnahmslos nicht um sogenannte Kriegsverbrechen, d. h. um Straftaten, die im Zusammenhang mit Kampfhandlungen begangen worden sind. Bei derartigen Taten - man denke etwa an das Problem der Geiselerschießung, in der Partisanenbekämpfung - ist die rechtliche Beurteilung ja oft sehr, sehr schwierig. Nein, es geht hier in diesen Fällen fast ausnahmslos um Mordtaten, die mit Kampfhandlungen gar nichts zu tun hatten und sich gegen wehrlose Menschen gerichtet haben, darunter viele Frauen und Kinder. Die Verfolgung solcher Mordtaten würde ohne das vorgelegte Gesetz Ende dieses Jahres verjähren, soweit der Täter erst nach diesem Termin, also erst nach Ende dieses Jahres, bekannt wird.
Die Bedeutung des vorliegenden Entwurfs für die weitere Verfolgung solcher Straftaten darf allerdings in quantitativer Hinsicht nicht überschätzt werden. Denn erstens konnte die Mehrzahl der nationalsozialistischen Mordtaten durch die mühevolle Arbeit unserer Staatsanwaltschaften und Gerichte bereits geklärt werden. Zweitens ist in den noch laufenden Ermittlungsverfahren die Verjährung überwiegend unterbrochen worden, so daß die weitere Strafverfolgung von diesem Gesetz ganz unabhängig ist. Dieser Entwurf hat lediglich für die Fälle Bedeutung, in denen bisher keine Unterbrechung erfolgen kann, sei es, daß zwar die Tat, aber nicht der Täter bekannt ist, sei es, daß auch die Tat erst nach dem 31. Dezember 1969 bekannt wird,
Entgegen den bei der Verabschiedung des Berechnungsgesetzes von 1965 ausgesprochenen Erwartungen lassen sich solche Fälle auch heute noch keineswegs ausschließen. Ihr Zahl läßt sich schwer schätzen. Da das in den letzten Jahren neu bekanntgewordene Material aber ganz überwiegend nur bereits bekannte Taten und Täter betroffen hat, kann man davon ausgehen, daß die Zahl etwaiger neuer Beschuldigter im Vergleich zur Zahl der bisherigen Beschuldigten nicht sehr hoch sein wird.
Um ein zutreffendes Bild vom Stand der Strafverfolgung in NS-Sachen zu bekommen, muß die Gesamtzahl der laufenden und der noch zu erwartenden Verfahren allerdings näher aufgeschlüsselt werden. Es besteht, insbesondere seit dem Berechnungsgesetz von 1965, eine tiefe Diskrepanz zwischen der fünfstelligen Zahl der Ermittlungsverfahren und der nur dreistelligen Zahl der Anklagen. Das hat zweierlei Ursachen. Einerseits haben die Staatsanwaltschaften zahlreiche Unterbrechungshandlungen vorgenommen, um möglichst jedem Tatverdacht, auch für den Fall des Auslaufens der Verjährungsfrist zum Jahresende, noch weiter nachgehen zu können. Außerdem - und das ist sehr wichtig - bewirken die rechtsstaatlichen Grundsätze unserer Strafverfolgung, daß die Ermittlungsverfahren gegen sogenannte kleine Leute heute kaum noch zu einer Anklage führen. Unter „kleinen Leuten" verstehe ich dabei Beteiligte, die nur am Rande und meist zunächst ohne ihr Zutun in den staatlich- organisierten Massenmord verstrickt worden sind. Die Beschuldigten werden von der Rechtsprechung ganz überwiegend nicht als Täter, sondern nur als Gehilfen angesehen. Bei der Gruppe der „kleinen Gehilfen" ist der Nachweis einer Beteiligung an den Verbrechen weit schwerer zu führen als bei Leuten in führender Stellung, bei denen meist Dokumentenbeweise vorliegen.
Darüber hinaus kann in einem Großteil der Fälle wirklicher oder vermeintlicher Notstand nicht ausgeschlossen werden. Häufig kommt auch § 47 Abs. 1 des Militärstrafgesetzbuchs zur Anwendung, nach dem Befehlsempfänger nur strafbar sind, wenn ihnen das Verbrecherische des Befehls bekannt war. Bei geringer Schuld kann außerdem nach Absatz 2 dieser Vorschrift von einer Bestrafung abgesehen werden. Schließlich geht jeder Zweifel nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zugunsten der Beschuldigten. Daß auch das unsägliche Unrecht aus der Zeit des totalitären Staates von uns nur nach rechtsstaatlichen Grundsätzen abgeurteilt werden kann, ist eine Selbstverständlichkeit. Wir würden unsere eigenen Prinzipien verraten, wollten wir anders verfahren.
Die Praxis unserer Staatsanwaltschaften und unserer Gerichte hat also längst zu einer juristischen „Differenzierung" unter den Beteiligten geführt, die die „kleinen Leute" draußen läßt. Eine zusätzliche gesetzliche Differenzierung ist nach Auffassung des Bundesministers der Justiz angesichts dieser Praxis nicht geboten. Die Differenzierung im Bereich der objektiven und subjektiven Tatbeteiligung kann ohnehin nur fallbezogen erfolgen.
Die Entscheidung des Fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofs zu der im Rahmen des neuen Ordnungswidrigkeitenrechts beschlossenen Neufassung des § 50 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs geht möglicherweise in ihrer vom Gesetzgeber nicht gewollten Wirkung über den von der geschilderten differenzierenden Praxis betroffenen Personenkreis hinaus. Diese Auslegung des § 50 Abs. 2 bedeutet in dem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis, daß Beihilfe zu einer vom Täter aus niedrigen Beweggründen begangenen Tötung nicht mehr verfolgt werden kann, wenn der Gehilfe selbst nicht aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat und wenn die Verjährung nicht vor dem 8. Mai 1960 unterbrochen worden ist. Dieses Ergebnis wird zwar die Strafverfolgungsbehörden veranlassen, besonders sorgfältig zu prüfen, ob auch beim Gehilfen niedrige Beweggründe vorlagen und ob eine aus niedrigen Beweggründen begangene Tat gleichzeitig auch heimtückisch oder grausam begangen worden ist. Trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, daß nach dieser Entscheidung auch sogenannte Schreibtischtäter, die nicht zu den kleinen Leuten gehörten, nicht mehr verfolgt werden können.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zu dieser Frage der Neufassung des § 50 Abs. 2 ein offenes Wort. Da die in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfe verschiedentlich an die Adresse meines Herrn Amtsvorgängers gerichtet worden sind, möchte ich zunächst feststellen, daß die Neufassung des § 50 Abs. 2 StGB vom Bundesministerium der Justiz nicht unter Herrn Dr. Heinemann, sondern unter dessen Amtsvorgängern erarbeitet und eingebracht worden ist. Das ist allerdings keine Entschuldigung dafür, daß die Möglichkeit einer Auswirkung auf die hier zu behandelnden Fragen im Bundesministerium der Justiz auch später nicht erkannt worden ist.
Für mich 'als seinerzeitigen Staatssekretär im Bundesjustizministerium ist es auch kaum ein Trost, daß der Bundesgerichtshof, der Generalbundesanwalt und die 'elf Landesjustizverwaltungen, die alle zu dem Entwurf des neuen Ordnungswidrigkeitenrechts gehört worden sind, diese Gefahr ebensowenig 'erkannt haben wie die Mitglieder des Bundestages und des Bundesrats und ihrer Rechtsausschüsse. Ob die Auslegung des § 50 Abs. 2 StGB durch den Fünften Strafsenat zwingend ist, möchte ich als- Bundesminister der Justiz dahingestellt 'sein lassen.
Jedenfalls besteht meines Erachtens nach dieser Entscheidung noch weniger Grund für eine gesetzliche Differenzierung 'in der Verjährungsfrage. Das gilt auch in bezug :auf die Beihilfe zu einer heimtükkischen oder grausamen Tötung. Die oben geschilderte Differenzierungspraxis erstreckt sich auch auf diese Fallgruppen: Einer gesetzlichen Erstreckung der vom Fünften Strafsenat für das Merkmal der niedrigen Beweggründe gefundenen Lösung auf 'die Merkmale „heimtückisch" und „grausam" steht außerdem unter systematischen Gesichtspunkten entgegen, daß es sich insoweit, auch nach der neueren Rechtsprechung, um tat-, nicht um täterbezogene Merkmale handelt. Eine weitere gesetzliche
Differenzierung wäre daher nach meiner Meinung rechtspolitisch fragwürdig.
Ich bin daher dankbar, daß die CDU/CSU-Fraktion sich mit Mehrheit gegen einen solchen Versuch ausgesprochen hat. Ich möchte denen, die in diesem Punkt anderer Meinung sind, über die rechtspolitischen Einwände hinaus aber auch noch folgendes zu bedenken geben: Ein solcher Versuch könnte politisch dahin mißverstanden werden, als wollte man in der so schwerwiegenden moralischen und rechtlichen Frage der Änderung der Verjährungsvorschriften weder ja noch nein bzw. gleichzeitig ja und nein sagen. Solch einem politischen Mißverständnis sollten wir uns nicht aussetzen.
Ich fasse zusammen: Verfolgt werden heute nur noch nationalsozialistische Mordtaten, 'die mit kriegerischen Handlungen fast ausnahmslos in keinerlei Zusammenhang standen. Die Rechtsprechung sieht in der ganz überwiegenden Zahl ,der Fälle nicht Täterschaft, sondern nur Beihilfe als gegeben an. Innerhalb der Gruppe der Gehilfen führt die Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze dazu, daß sogenannte „kleine Leute" heute in der Regel nicht mehr angeklagt, geschweige denn verurteilt werden. In der Mehrzahl der übrigbleibenden Fälle, Fällen der Täterschaft und schweren Fällen der Beihilfe, findet die Strafverfolgung unabhängig vom vorliegenden Gesetzentwurf statt, da die Verjährung bereits unterbrochen worden ist. Der Entwurf der Bundesregierung soll lediglich sicherstellen, .daß solche Mordtaten auch dann noch verfolgt werden können, wenn die Tat selbst oder aber der Täter erst nach dem 31. Dezember dieses Jahres bekannt werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie mich nach der Darlegung des Sachstands und der juristischen Problematik der Strafverfolgung dieser Mordtaten zu der grundsätzlichen Frage zurückkehren, ob nationalsozialistische Gewaltverbrechen überhaupt noch weiter verfolgt werden sollen. Dies ist nicht eine nur juristische oder gar nur technische Frage, es ist vor allem auch eine moralische und politische Frage, die unser Volk tief bewegt und auf die wir ihm daher eine Antwort schulden. Ich möchte es in einem Satz sagen: Dem Bundesminister der Justiz erscheint eis vor dem eigenen Gewissen, vor unserem Volk und auch vor 'der Weltöffentlichkeit weder moralisch noch rechtlich noch politisch vertretbar, daß gemeine Mörder nach dem 31. Dezember unter uns auftauchen könnten, ohne von uns für ihre Taten zur Verantwortung gezogen zu werden.
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Ich befinde mich mit dieser Überzeugung in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundeskanzler und 'der ganz überwiegenden Mehrheit sowohl des Kabinetts als auch, wie ich aus 'den vorliegenden Anträgen entnehme, der beiden Koalitionsfraktionen.
Eine Verjährung dieser Mordtaten mit Ablauf dieses Jahres wäre um so unerträglicher, als im Rahmen der kürzlich verabschiedeten Strafrechtsreform die Verjährungsfrist bei Mord, wie schon gesagt, für zukünftige Taten bereits verlängert worden ist.
Der vorliegende Entwurf will aber dadurch, daß auch nach Ende dieses Jahres bekanntwerdende Mordtaten verfolgt werden können, auch verhindern, daß ,den in der Ahndung von NS-Mordtaten vor allem auf Grund der früheren Praxis der Alliierten schon bestehenden Ungleichheiten eine weitere Ungleichheit hinzugefügt wird. Es wäre nicht einzusehen, daß ein Täter, der vor dem 31. Dezember 1969 ermittelt worden ist, unter Umständen mit lebenslänglichem Freiheitsentzug bestraft werden kann, während 'der erst nach diesem Zeitpunkt auftauchende Täter noch nicht einmal vor Gericht gestellt werden könnte.
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Auch seine Strafverfolgung muß daher sichergestellt werden, so schwer es angesichts !des Ausmaßes und der Art des hier zu ahndenden Unrechts auch ist, überhaupt irdische 'Gerechtigkeit zu üben.
Ich mache als !Bundesminister der Justiz kein Hehl daraus, .daß mich die vielfältige Rechtsnot, 'die dieses Problem mit sich bringt, bedrückt. Diese Rechtsnot, die auf dem deutschen Volk und auf !dem Gesetzgeber lastet, lastet auch auf ,der deutschen Justiz. Sie betrifft den Berufsrichter ebenso wie viele unserer Mitbürger, die als .Geschworene Recht 'sprechen. Ich weiß nicht, ob Außenstehende sich eigentlich eine Vorstellung davon machen können, welche seelische Belastung ein Prozeß wie etwa der Auschwitz-Prozeß auch für die Richter, Geschworenen und Staatsanwälte 'bedeutet, neben der Belastung für die Zeugen, die ja selbst oft Opfer waren.
Das Kabinett hatte sich bei seiner Entscheidung mit dem Bereits erwähnten Zwiespalt der öffentlichen Meinung auseinanderzusetzen, ,die zwar der allgemeinen Aufhebung ,der Verjährungsvorschriften oder ihrer Verlängerung zustimmt, in der Frage der Verjährung von NS-Gewaltverbrechen aber gespalten ist. Dieser Zwiespalt berührt Bewußtseinsschichten und Probleme, die von der politischen Führung auf keinen Fall als Tabu behandelt werden dürfen, da es um das !moralische und politische Selbstverständnis dieses Volkes geht.
Wenn wir nicht ganz verstockt sind, wissen wir alle, daß unter dem Naziregime eine Unzahl unschuldiger und wehrloser Menschen, zum Teil in barbarischer Weise, umgebracht worden sind. Gerde die große Zahl der Opfer 'nimmt dieser Tatsache aber ihre Anschaulichkeit. Es läge daher vielleicht nahe, in 'der Diskussion mit unseren Bürgern einmal einen konkreten Fall zu schildern, in dem wir den Täter noch nicht kennen, die Strafverfolgung also ohne dieses Gesetz Ende des Jahres verjähren würde. Solche Fälle gibt es, wie gesagt, immer noch. Ich weiß, wenn ich einige solcher Fälle hier schildern würde, würden viele Menschen in unserem Volke wegsehen und weghören wollen.
Es ist aber nicht allein die Grausamkeit dieser Fälle, die sie ihre Augen und Ohren schließen läßt. Ich glaube vielmehr, daß dieses Wegsehen- und Weghörenwollen Ausdruck einer seelischen Not und Unsicherheit unseres Volkes ist, die durch äußere Erfolge verdrängt, aber nicht behoben werden kann. Es geht daher in, dieser Diskussion um die Verjährung auch darum, unserem Volk zu helfen, sich von dieser seelischen Verklemmung zu befreien.
Dabei geht es nicht um eine sogenannte Vergangenheitsbewältigung. Die hat uns die SED vorgemacht, als sie den nationalsozialistischen in den sozialistischen Menchen umtaufte mit dem Ergebnis, daß auch die nationalsozialistischen Zwangslager nur umgetauft wurden. Nein, uns geht es darum, wie unser Volk heute zu sich selbst steht.
Viele sagen heute, es müsse endlich ein Schlußstrich gezogen werden. Daran ist :manches Wahre. Nur muß man wissen, womit Schluß sein soll. Es muß Schluß sein mit der unseligen These von der Kollektivschuld unseres Volkes. Es muß Schluß sein mit dem Kollektivvorwurf an dieses Volk, ein Volk von Mördern zu sein.
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Willi Brandt hat hierzu vor vier Jahren in New York, besonders im Hinblick 'auf unsere Jugend mit Recht gesagt: zwanzig Jahre sind genug.
Der Bundesaußenminister hat in der Kabinettsberatung über diesen Entwurf aber auch noch etwas anderes gesagt, dem ich zustimme: Der Prozeß der Freisprechung dieses Volkes von 'dem falschen Vorwurf der Kollektivschuld kann nur gelingen, wenn wir die Mörder in diesem Volk stellen und zur Verantwortung ziehen.
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Es hieße die These von der Kollektivschuld nachträglich rechtfertigen, würde man sich - und sei es unbewußt - mit den NS-Verbrechen solidarisieren und aus diesem Grunde - es gibt 'andere - einen Schlußstrich auch unter ihre Strafverfolgung fordern.
Ich sprach vorhin von der Ermordung von Frauen und Kindern. Welche Mutter, die sich einmal vorstellt, es wäre ihr Kind gewesen, und welcher Mann, der sich einmal vorstellt, es hätte sich um seine Frau gehandelt, will solchen 'Straftaten zustimmen, sie entschuldigen oder bagatellisieren?
Heißt das - wie mir verschiedentlich vorgeworfen worden ist -, durch die Verurteilung einzelner alle anderen, die unter dem Naziregime versagt haben, reinwaschen zu wollen? Das heißt es nicht. Worum es mir geht, ist dies: Es muß auch von uns selbst eine deutliche Unterscheidung ,gemacht werden zwischen politischem Versagen auf der einen und krimineller Schuld auf der anderen Seite. Sicher, beides hängt geschichtlich miteinander zusammen, aber es ist wahrhaftig nicht dasselbe. Anders urteilen hieße, die individuelle Zurechenbarkeit und das individuelle Verantwortenmüssen als Voraussetzung staatlichen Strafens in Frage zu stellen. Es hieße andererseits aber auch, sich den notwendigen Folgerungen aus dem politischen Versagen - für das es eine strafrechtliche Ahndung nicht geben kann - zu entziehen.
Die Reaktion unseres Volkes auf dieses Versagen während der Herrschaft des Nationalsozialismus darf weder darin bestehen, Mordtaten zu bagatellisieren, noch kann sie sich darin erschöpfen, diese
Straftaten zu verfolgen. Auch das politisch Geschehene ist nicht ungeschehen zu machen. Der CDU-Abgeordnete Friedensburg hatte recht, als er in der Verjährungsdebatte 1960 in diesem Hause sagte:
Das Unglück unseres zerrissenen Volkes, das Leid unzähliger Mitmenschen in allen Ländern, der Tod von Millionen und aber Millionen, der Schandfleck auf unserer Ehre, unterliegen keiner Verjährung.
Aber wir können aus dieser Vergangenheit für die Zukunft lernen. Wollen wir unsere politische Existenz nicht noch einmal aufs Spiel setzen, müssen wir den neuen Nationalismus und den neuen Größenwahn schon im Keim zu ,ersticken suchen. Wer heute erneut scheinbar unbeteiligt dabeisteht oder gar wieder mitläuft, der wird angesichts der Millionen Toten, die der Nationalsozialismus über unser Volk gebracht hat, diesmal keine Entschuldigung haben.
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Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang - wie vor ,einigen Wochen vor der 'Pressekonferenz - aber auch ein Wort zu der Kritik und zu den Mahnungen des Auslands in der Verjährungsfrage sagen. Ich weiß, was in Deutschland, in unserem Lande, geschehen ist. Ich setze daher das, was in Vietnam, in Algerien, in Biafra, oder das, was beim Einmarsch fremder Truppen in unserem eigenen Lande oder bei der Vertreibung unserer Landsleute in Osteuropa geschehen ist, mit der durchgeplanten und durchorganisierten Mordmaschinerie des sogenannten „Dritten Reichs" nicht gleich. Ich rechne auch nicht auf. Denn jeder ,muß zunächst seine eigenen Angelegenheiten in Ordnung bringen. Aber als Angehöriger ,der jüngeren deutschen Generation sage ich ganz offen: Manche Mahnung und manche Kritik aus dem Ausland wäre glaubhafter, wenn sie weniger selbstgerecht wäre.
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Und ein Dutzend deutschfeindlicher Zeitungsartikel machen auf mich weniger Eindruck als die fragendratlose Geste eines überlebenden Opfers. Diejenigen schließlich, ,die wie die Machthaber in der DDR Material über NS-Gewaltverbrechen als taktische Waffe zurückhalten und mißbrauchen, haben überhaupt kein Recht, uns 'Belehrungen oder Zensuren zu erteilen.
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Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich habe bisher von der Verjährungsfrage als von einer moralischen, politischen und rechtlichen Frage an unser Volk gesprochen. Sie ist aber auch eine Frage an die Täter 'und eine 'Frage 'der Täter an uns.
Die Täter der nationalsozialistischen Verbrechen sind in der Verjährungsdebatte bisher kaum angesprochen worden. Dadurch mag der Eindruck entstanden sein, wir redeten zwar über sie, aber im Grunde ging es uns 'doch nur darum, die Verjährungsfrage, sei es nun in der Koalition, sei es dem Ausland gegenüber, irgendwie „hinzukriegen". Dieser Eindruck wäre falsch. Uns ist voll bewußt, daß wir mit der Entscheidung in der Verjährungsfrage über das Schicksal dieser Täter entscheiden. Das ist keine leichte, es ist aber eine notwendige Aufgabe. Es gehört zum Amt des Bundesministers der Justiz, zum Schutz unseres Zusammenlebens an Entscheidungen mitzuwirken, die unter dem Grundgesetz zwar glücklicherweise nicht mehr Entscheidungen auf Leben und Tod, aber doch Entscheidungen von Freiheit oder Unfreiheit sind. Zu meinem Verständnis dieses Amtes gehört aber auch, ein Wort zu den Tätern zu sprechen oder doch jedenfalls zu versuchen, sie anzusprechen.
Ich möchte ihnen folgendes ,sagen: Nach dem zur Zeit ihrer Taten geltenden Recht - der Mordtatbestand unseres Strafgesetzbuches galt damals ebenso wie heute - hatten die meisten von ihnen ihr Leben verwirkt. Das Grundgesetz 'hat es ihnen mit der Abschaffung der Todesstrafe geschenkt. Sie alle verdanken unserer demokratischen Verfassung eine Behandlung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, die das Regime, dem ihre Taten gedient haben, mit Füßen getreten hat. Für viele von ihnen bedeutet das den Freispruch. Ich bedauere das nicht, ich bedauere es aber auch nicht, daß sie überhaupt für ihre Taten lin rechtsstaatlicher Weise zur Verantwortung gezogen werden. Ich halte das vielmehr für notwendig. Dabei weiß ich, 'daß es auch auf ihrer Seite neben schwerer Schuld viel menschliches Elend gibt. Ich bin dagegen nicht unempfindlich, aber ich sage offen, daß meine Kraft des Mitempfindens nicht einmal ausreicht, das 'Leid ihrer Opfer auszuloten.
Doch auch die Frauen und Kinder der Täter, die nach unseren Rechtsgrundsätzen - anders als damals viele Angehörige der Opfer - von jeder „Sippenhaft" frei sind, werden uns als gleichberechtigte Mitbürger fragen: Müssen 'diese Taten, so grausam sie ,gewesen sind, wirklich noch nach 20 und 25 Jahren verfolgt werden? Müssen die Verjährungsvorschriften wirklich geändert werden? Darauf lautet meine Antwort: nach bestem Wissen und Gewissen ja.
Es müßte die Glaubwürdigkeit unserer Rechtsordnung zerstören und das Rechtsbewußtsein unseres Volkes trüben, wenn wir - auch nach so langer Zeit - solch geradezu unvorstellbares Unrecht ungeahndet ließen. Das im totalitären Staat mißachtete Recht des 'einzelnen auf sein Leben ist das zentrale Rechtsgut einer menschenwürdigen Ordnung. Auch angemaßte oder Mißbrauchte staatliche Gewalt darf es nicht antasten. Nur dadurch, daß wir die Täter zur Verantwortung ziehen, kann die Menschlichkeit unserer Rechtsordnung gewahrt werden, die die Täter in der Unmenschlichkeit gegenüber den Opfern zugleich in deren und in ihrer eigenen Person verraten haben.
Heißt das aber nicht, so mag man in diesem Punkte fragen - um Gustav Heinemann zu zitieren -, unser Volk einzuteilen in die Gerechten und die Gerichteten? Nein, das heißt 'es nicht. Das heißt nur - ich sage es noch einmal -, daß anders als politisches Versagen kriminelle Schuld nur individuell zuzurechnen und zu ahnden ist.
Zur .Selbstgerechtigkeit hat im übrigen niemand von uns Anlaß. Darum sind auch die Täter, wie immer sie heute zu ihren Taten stehen mögen, eingeschlossen in die Bitte, die Thomas Mann am Schluß seines Faustus-Romans einen alten Mann in der Stunde des Zusammenbruchs für unser ganzes Volk sprechen läßt: Gott sei Eurer armen Seele gnädig.
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Ich frage, ob das Wort zur Begründung der Fraktionsanträge verlangt wird. - Herr Dr. Jaeger hat das Wort zur Begründung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der ChristlichDemokratischen und Christlich-Sozialen Union, für die zu sprechen ich die Ehre habe, hat es sich nicht leicht gemacht mit ihrer Stellungnahme in der Verjährungsfrage und mit dem Antrag, den sie heute dem Hohen Hause vorlegt. Wir haben ihn so vielfach und gründlich beraten, daß wir in der Öffentlichkeit schon den Vorwurf hörten, es sei unsere Fraktion, die die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes verzögere. Meine Damen und Herren, den Vorwurf können wir mit Gelassenheit hinnehmen. Denn wenn dieser Bundestag, wie wir es wünschen, diese Frage löst, so ist rechtzeitig gehandelt worden. Sodann aber waren wir der Auffassung - ich glaube, diese Auffassung ist durch die Entwicklung gerechtfertigt worden -, daß hier wichtige rechtliche Klärungen zu Grundsatzfragen abgewartet werden mußten, sowohl was den Beschluß der Vereinten Nationen als auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und zur Frage der Differenzierung das Urteil des Bundesgerichtshofs anging, das soeben hier schon angesprochen wurde.
Wir waren der Auffassung, daß es nicht sachgerecht wäre, wenn der Deutsche Bundestag in dieser Frage entschiede, bevor die Vereinten Nationen ihren Beschluß gefaßt hatten. Die Konvention vom 25. November 1968 macht allerdings viele Fragen überflüssig oder beantwortet sie in negativer Hinsicht. Wir kennen den Art. 25 des Grundgesetzes, nach dem die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes sind. Die Frage, ob ein einstimmiger Beschluß der Vereinten Nationen eine allgemeine Regel des Völkerrechts auch mit Rückwirkung hätte schaffen können - ich glaube, nein -, brauchen wir nicht mehr zu prüfen, nachdem kein einmütiger Beschluß zustande kam, sondern 58 gegen 7 Stimmen bei 36 Enthaltungen praktisch eine Spaltung der Vereinten Nationen offenkundig machten und das, was sie beschlossen haben, also auch für die Zukunft nicht als eine allgemeine Regel des Völkerrechts angesprochen werden kann.
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Im Gegenteil, meine Damen und Herren, was hier in der Konvention der Vereinten Nationen versucht worden ist, ist eine Kombination ganz verschiedener Zielsetzungen des Ostblocks und der Entwicklungsländer. Es ist die Kodifizierung noch unausgereifter juristischer Überlegungen.
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Deshalb fehlt weithin die von unserer Verfassung, dem Grundgesetz, geforderte gesetzliche Bestimmtheit.
Vor allem aber macht die sogenannte große Rückwirkung nach unserem Grundgesetz unmöglich, diese Konvention zu ratifizieren. Wenn schon abgelaufene Fristen wieder zum Leben erweckt würden, wäre der Rechtsschutz aufgehoben, die Rechtssicherheit erschüttert und die Rechtsstaatsidee verletzt. Das, glaube ich, ist ja auch der Grund, warum die Staaten des westlichen Kulturkreises ausnahmslos dieser Konvention ihre Zustimmung versagt haben, alle unsere Partner in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und in der NATO, aber auch neutrale Länder wie Finnland, Österreich, Schweden, Australien und Neuseeland. Hier werden Rechtsgrundsätze des westlichen Kulturkreises verletzt. Deswegen kann diese Konvention, die mit einer so knappen Mehrheit beschlossen wurde, nicht als rechtsverbindlich für irgendein Land der Erde betrachtet werden.
Nach der anderen Seite aber war die Frage, ob das, was wir heute hier beraten, die Verlängerung oder Abschaffung der Verjährungsfristen mit unserem Grundgesetz übereinstimmt. Ich habe schon am 25. März des Jahres 1965 in diesem Hohen Hause darauf hingewiesen, daß diese Übereinstimmung besteht. 76 Staats- und Strafrechtslehrer und vor diesem Hause insonderheit der heutige Bundesminister Benda haben darauf hingewiesen, daß dies so ist. Aber Zweifel waren innerhalb und außerhalb des Hauses geblieben, da rechtliche Klarheit ja immer erst dann besteht, wenn das höchste Gericht als letzte Instanz in einer Sache gesprochen hat. Das Bundesverfassungsgericht hat am 26. Februar dieses Jahres diese Zweifel ausgeräumt. Unser Grundgesetz steht einem Gesetz nicht entgegen, das noch nicht abgelaufene Fristen der Verjährung verlängert oder abschafft. Damit hat dieses Hohe Haus und damit hat auch meine Fraktion eine Handlungsfreiheit nach beiden Seiten erhalten. Wir sind rechtlich weder verpflichtet, die Fristen abzuschaffen oder zu verlängern, noch sind wir verpflichtet, etwas zu tun. Wir können sie abschaffen, wir können sie verlängern, wir können jede Handlung ablehnen.
Meine Damen und Herren, damit ist klar, daß diese Frage keine Verfassungsrechts-, ja keine Rechtsfrage ist, sondern ein politisches Problem. Ich wage nicht, zu sagen: „nur" ein politisches Problem. Denn dieses politische Problem ist so ungeheuer vielschichtig, angesichts der Geschichte unseres Volkes so bedeutsam und von so hohem Rang, daß es uns allen Sorgen und Schwierigkeiten genug macht, wie Sie allein daran sehen, daß wir nun zum zweiten Mal nach vier Jahren in diesem Hause wieder darüber beraten. Diese Frage hat eine moralische Bedeutung, hat eine rechtspolitische, eine außenpolitische und eine innenpolitische Bedeutung.
Ich möchte mit den beiden letzteren anfangen. ,Uns, unserer Fraktion und dem ganzen Hause, wird
oft vorgeworfen, daß wir in dieser Frage überhaupt von außenpolitischen Gesichtspunkten sprechen. Ich glaube, diese Gesichtspunkte sind durchaus legitim an ihrem Platze. Denn Rechtspolitik wird nicht in einem luftleeren Raum gemacht, sondern für ein konkretes Volk, für unser Volk also, belastet mit der jüngsten Geschichte dieses Jahrhunderts und im Zeichen einer verhängnisvollen Spaltung, die uns besonders darauf hinweist, die Meinung der Welt zu hören und ihre Freundschaft zu gewinnen. Wenn 90% der Menschheit sich für das aussprechen, was man die „kleine Rückwirkung" nennt, also für die Verlängerung laufender Verjährungsfristen, dann ist hier, glaube ich, ein politischer Tatbestand geschaffen, den eine verantwortungsbewußte deutsche Regierung und ein verantwortungsbewußtes deutsches Parlament nicht übersehen darf.
Ich mache mir dabei, was den Ostblock betrifft, keine Illusionen. Wir mögen in diesem Hause beschließen, was immer wir wollen - wir werden im Munde dieser Herren die Revanchisten und Neonazisten bleiben. Aber es ist für uns doch hoch bedeutsam, was neutrale Länder, was unsere Partnerstaaten sagen. Ich meine, es ist für unsere Stellung auch in der Geschichte und für die Zukunft von hoher Bedeutung, daß die Wandlung dieser Nation nach den schrecklichen Ereignissen der vierziger Jahre glaubwürdig ist und glaubwürdig bleibt.
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Wenn schon auf dem Gebiet der Verteidigung neben der militärisch-technischen Effektivität die Glaubwürdigkeit eine so hohe Bedeutung hat, dann gilt das, glaube ich, auch auf anderen Gebieten der Außenpolitik, nicht zuletzt auch auf diesem hier. Das Werk, das gerade von einem Mann wie Konrad Adenauer begonnen worden ist und an dem alle Fraktionen dieses Hauses, aber ich darf doch wohl sagen: in besonderer Weise die meinige, einen Anteil haben, dieses Werk des Aufbaues eines neuen Deutschlands dürfen wir nicht gefährden.
Ich bin der Meinung, daß auch der innenpolitische Gesichtspunkt in dem Augenblick legitim ist, wo wir nicht über eine Rechtsfrage, sondern eben über eine politische Frage zu entscheiden haben. Man soll diesen innenpolitischen Gesichtspunkt nicht übersehen. Ich glaube allerdings auch, man soll ihn nicht überschätzen. Der Ausgang der letzten Bundestagswahl hat bewiesen, daß die Entscheidung dieses Hauses über die Frage der Verjährung keinerlei Bedeutung für das Ergebnis gehabt hat. Andererseits muß man auch im Ausland dafür Verständnis haben, daß wir nicht sozusagen mutwillig eine Politik betreiben, die den Radikalismus rechts oder links fördern könnte. Diese Rücksicht hat allerdings eine klare Grenze, dort nämlich, wo sie in Feigheit ausarten würde. Wir alle - in allen Fraktionen dieses Hohen Hauses - sind bei der nächsten Bundestagswahl zum Kampf mit den Staatsfeinden rechts und links aufgerufen, ganz gleich wie wir in der Verjährungsfrage entscheiden.
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Wir werden nach beiden Seiten hin die Aufgabe
haben, die moralischen Grundlagen des gemeinsam
geschaffenen Staates darzustelen und zu verteidigen. Wir sind auch in dieser Frage, über die wir heute sprechen, in erster Linie der Zukunft verpflichtet und nicht den Ressentiments der Ewiggestrigen.
So legitim der außenpolitische und der innenpolitische Gesichtspunkt auch sind, viel bedeutsamer ist bei einer Frage dieser Ordnung der rechtspolitische, am bedeutsamsten aber der moralische Gesichtspunkt. Jede grundsätzliche Überlegung be-bezüglich der Bestrafung von Mord, schon gar der diabolischen Morde der nationalsozialistischen Zeit, mündet- in eine Darstellung von Sinn und Zweck der Strafe. Wir haben vor kurzem in diesem Hohen Hause ein neues Strafrecht verabschiedet, das wie das alte bewußt auf dem Schuldstrafrecht aufbaut.
Die Behandlung des Problems, das wir heute vor uns haben, bestätigt diese unsere Entscheidung. Sicherlich gibt es verschiedene Strafzwecke. Aber wenn ich die Mörder der nationalsozialistischen Zeit betrachte, meine ich, daß vor ihnen die Gesellschaft nicht mehr geschützt zu werden braucht. Dieser Gedanke, der heute bei manchen modernen Theorien in erster Linie im Vordergrund steht, ist hier ganz hinfällig. Denn diese Regimetäter haben nur unter den Umständen des Regimes gemordet; sie hätten es in einer normalen Gesellschaft nicht getan. Es braucht deshalb auch niemand mehr abgeschreckt zu werden, und die Resozialisierung der Täter haben diese längst selber besorgt. Gerade an diesem Fall der NS-Morde sehen wir, daß der erste und wichtigste Zweck allen Strafrechts eben die Sühne ist; denn nur mit dem Gedanken der Sühne kann das Gesetz,. das wir dem Hause vorlegen, gerechtfertigt werden. Dieser Gedanke der Sühne gilt in besonderer Weise bei Gewaltverbrechen, schon gar, wenn Menschenleben aus dieser Welt geschafft wurden, sei es einmalig, sei es sogar dutzend-, hundert- und tausendfach. Hier, meine ich, müßten wir doch alle erschrecken, wenn Massenmorde, wie sie unsere Geschichte nun einmal in diesem Jahrhundert aufweist, in Zukunft ohne Strafe bleiben sollten. Ich kann an die Worte anknüpfen, die der Herr Bundesjustizminister hier gesprochen hat. Es handelt sich schließlich um Wehrlose, um Frauen und Kinder, und jeder von uns kann sich vorstellen und viele von uns haben es erlebt, wie Blut und Tränen geflossen sind und wie sie noch heute die Herzen vieler Menschen verbittern. Das lastet nun einmal auch auf dem deutschen Namen, auch wenn es sicherlich nicht im Sinne dieses Volkes und mit :seiner Billigung geschehen ist. Ein ungesühnter Massenmord schreit nach meiner Überzeugung zum Himmel. Ein Volk, das freiwillig mit erkannten Massenmördern zusammenlebt, würde sein Gesicht verlieren, nicht nur gegenüber dem Ausland, auch gegenüber sich selbst.
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Man weist gelegentlich darauf hin, daß es nach fast einem Vierteljahrhundert Zeit sei, den Rechtsfrieden zu suchen; der Rechtsfriede würde die Niederschlagung aller Verfahren bedingen. Meine Damen und Herren, das mag in bestimmten geschichtlichen Augenblicken so sein. Unser Augenblick ist nicht derart. Ich glaube, daß der Rechts13060
friede ein Mindestmaß an verwirklichter Gerechtigkeit voraussetzt, und das heißt, daß jedenfalls Massenmorde nicht weiterhin ungesühnt bleiben können. Vor allem aber: Was heißt hier Rechtsfriede? Rechtsfriede ist doch in diesem Fall keine Frage unseres nationalen Gebietes. Es handelt sich doch um Verbrechen, die in ganz Europa und an Angehörigen von Nationen begangen worden sind, die zum Teil außerhalb unseres Erdteils leben. Unter diesen Umständen meine ich, daß die Meinung der betroffenen Kreise, die Meinung der betroffenen Völker nicht nur ein außenpolitisches Moment darstellt, sondern ein ganz erhebliches moralisches Problem, ja, eine Größe, die ein rechtspolitisch bedeutsames Element unserer Gesetzgebung sein muß. Denn Rechtsfriede könnte hier nur international, aber nicht in nationalem Rahmen hergestellt werden.
Wenn wir nun dem Hause den Vorschlag machen, die Verjährungsfrist zu verlängern, so werden wir dabei aber keineswegs nur von diesem Gedanken an die furchtbaren Geschehnisse der 40er Jahre bewegt. Als der Gesetzgber des Jahres 1871 die Verjährungsfrist auf 20 Jahre festsetzte, da war sie - das ist heute allgemeine Überzeugung, und dem hat das Hohe Haus durch Beschluß Ausdruck gegeben - sicherlich zu kurz, auch dort, wo es sich um Einzelmorde handelt.
Lassen Sie mich einen einzelnen Fall herausgreifen, der sich in meiner bayerischen Heimat zugetragen hat. Im Jahre 1922 wurden in Hinterkaifeck bei Ingolstadt sechs Personen von zwei Tätern ermordet. Erst 1951 erfolgte ein Hinweis auf die Täter Einer war schon gestorben, der andere konnte gefaßt werden. Es war nicht mehr möglich, ihn seinem Richter zuzuführen, weil die Straftat verjährt war. Das hat in der Öffentlichkeit ein solches Aufsehen erregt, daß der Bayerische Landtag sich mit der Frage befaßt und an die Staatsregierung die Aufforderung gerichtet hat, für eine Verlängerung der Verjährungsfrist zu sorgen. Das ist ein Beweis dafür, daß es hier keineswegs nur um die Frage der Sühne der nationalsozialistischen Morde, sondern um die Frage der Sühne von Mord überhaupt geht; dem hat das Haus bereits grundsätzlich entsprochen.
Wenn aber die Frist von zwanzig Jahren schon für Einzelmord zu kurz ist, dann gilt das doch erst recht für das, was wir im „Dritten Reich" erlebt haben, für einen Etat criminel, den sich der bürgerliche Gesetzgeber von 1871 überhaupt nicht vorstellen konnte, weil er sich eben nur den Einzelmord in einer festen Staats- und Gesellschaftsordnung, die - meistens wenigstens - den Mörder rasch findet, hat vorstellen können. Daß der Staat selber Mordbefehle gibt und daß Zehntausende in sie verstrickt werden und daß Hunderttausende, ja, am Ende Millionen davon betroffen werden, das ging über alle Vorstellungen hinaus. Das könnten auch wir uns nicht vorstellen, wenn wir es nicht selbst erlebt hätten, wenn es nicht inzwischen Geschichte geworden wäre. Deswegen ist es auch Unsinn, wenn sich Massenmörder auf den Geist des Rechtsstaates berufen, den sie selbst nicht gekannt, ja, den sie mit Füßen getreten haben. Wir können
es auch deshalb nicht bei den kurzen Fristen belassen, weil die übrigen Rechtsstaaten der Welt längst längere Fristen eingeführt haben.
Nun, meine Damen und Herren, gab es auch in meiner Fraktion einen Kreis von Leuten - zu denen auch ich gehöre -, die an sich der Abschaffung der Verjährungsfrist den Vorzug gegeben hätten, ich glaube, aus guten Gründen, vor allem im Hinblick auf die, wie ich meine, erkennbare Tendenz der Entwicklung des Weltrechts. Aber wir haben uns nach langen Debatten darauf geeinigt, daß wir Ihnen den Vorschlag machen, nur eine Verlängerung um zehn Jahre, also auf 30 Jahre, vorzunehmen, was wohl im Falle der Massenmorde, von denen ich sprach, ausreichend sein dürfte.
Ich glaube, daß hierfür auch gute Gründe anzuführen sind, vor allem der, daß man noch klarer heraushebt, daß es sich hier nicht um eine außerordentliche Maßnahme handelt, sondern nur um die Anwendung einer bereits von diesem Hause beschlossenen Gesetzesbestimmung auf die gegenwärtig laufenden Verfahren. Wir wollen deshalb, daß die Bestimmung, die das Haus mit übergroßer Mehrheit bereits beschlossen hat, nicht erst im Jahre 1973, sondern schon in diesem Jahre in Kraft tritt, ganz gleich, ob es sich um Einzelmorde oder um Massenmorde handelt. Wir betonen damit noch deutlicher, daß es sich hier nicht um ein Sondergesetz, sondern um ein allgemeines Gesetz handelt, das jeden Mord gleichmäßig erfassen will.
Mit Recht schreibt heute auch „Die Welt" in ihrem Leitartikel, daß die Frage, ob man die Verjährung abschafft oder auf 30 Jahre festlegt, keine Frage nach den letzten Prinzipien der Rechtsüberzeugung darstellt. Wir würden uns freuen, wenn sich für unseren Vorschlag eine breite Mehrheit in diesem Hause finden würde, was wir wohl annehmen können, nachdem eine andere Fraktion den gleichen Vorschlag in anderer Formulierung vorgelegt hat. Es ist eben allgemeine Überzeugung dieses Volkes - und der Bundestag hat dem bereits Ausdruck gegeben -, daß die Verjährungsfrist 30 Jahre betragen soll, gleichgültig, ob sie den Taxi-, den Raubmörder, den Sexualmörder oder den nationalsozialistischen Mörder betrifft.
Nun habe ich dieser Tage im Rundfunk einen Kommentator einen sehr merkwürdigen Satz sprechen hören. Er hat gesagt:
Die Strafverfolgung von Nazitätern bringt uns ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Hitlerreichs noch immer in Peinlichkeiten. . . . Den politischen Straftaten des Hitlerregimes ist nicht mit den Mitteln eines wesentlich unpolitischen Strafrechts beizukommen. Das im höchsten Grad Abnorme kann nicht mit den Normen, die für normale Zeiten und Zustände gedacht sind, bereinigt werden. Es wäre ehrlicher gewesen, von vornherein die NS-Täter vor Sondergerichte zu stellen und nach Sonderrecht zu behandeln.
Meine Damen und Herren, das ist genau das, was unserer Auffassung nicht entspricht.
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Es geht zuerst einmal nicht um politische Taten. Politische Taten nichtkrimineller Art sind in einer höchst unvollkommenen Form vor Spruchkammern verhandelt worden in einer Zeit, als es diese Bundesrepublik noch nicht gab, Maßnahmen also, für die wir die Verantwortung nicht tragen. Straftaten aber, aus welchem Motiv auch, sind, sofern die Verjährung nicht unterbrochen wurde, längst verjährt außer einer einzigen, eben dem Mord. Für Mord aber, glaube ich, kann man nicht politische Straftat sagen. Hier ist nicht das Wort „politisch", also ein sehr ehrenhaftes Wort, angebracht; denn das wahre Motiv waren Rassenhaß, Größenwahn, Mordlust, niedrigste Gesinnung schlechthin, und für solche Verbrechen rein krimineller Natur sind die Strafgerichte zuständig.
Wir möchten auch nicht, wie es drüben im Herrschaftsbereich von Pankow geschehen ist, wo man ja mit sehr viel größeren Zahlen der Verurteilungen aufwartet, Methoden anwenden, die nicht rechtsstaatlich sind, die nichts mit einer geordneten Rechtsprechung zu tun haben und die seinerzeit keinen anderen als den heute schon einmal zitierten Thomas Mann dazu veranlaßt haben, in einem Protestbrief an Ulbricht zu schreiben, hier würde „im Stile jenes zur Hölle gefahrenen Roland Freisler" gerichtet. Von dieser Seite, meine Damen und Herren, brauchen wir uns wahrhaftig keine Vorwürfe machen zu lassen. Hier brauchen wir uns wahrhaftig kein Vorbild geben zu lassen.
Trotz alledem ist in unserem Volk immer wieder die Parole zu hören, man solle Schluß machen. Aber ganz abgesehen davon, daß wir dies aus den moralischen Gründen, die ich dargelegt habe, gar nicht könnten, möchte ich doch einmal real darauf hinweisen: Selbst wenn wir die Verjährungsfrist am 31. Dezember 1969 auslaufen lassen, ist noch lange kein Ende der Prozesse abzusehen, die nach dem Urteil derer, die damit befaßt sind, auch ohne Veränderung der Fristen jedenfalls bis zum Ende der 70er Jahre dauern werden. Ich glaube, daß sie auch bei Verlängerung der Fristen nicht sehr viel länger dauern werden, einmal wegen des Lebensalters der Betroffenen, zum anderen aber auch aus einer politischen Überlegung. Wenn wir nämlich jetzt die Fristen verlängern, ist die andere Seite im Osten gezwungen, ihre Akten sofort vorzulegen, wenn sie überhaupt noch einen Erfolg der Strafverfolgung sehen will. Denn der taktische Gesichtspunkt des Ostens, die Akten zurückzuhalten und sie erst auf den Tisch zu legen, wenn wir nicht mehr strafen können, und uns damit vor uns selbst und vor der Weltöffentlichkeit unglaubwürdig zu machen, fällt ja dann weg.
Im übrigen bin ich der Auffassung, es wäre eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn wir die Fristen nicht verlängerten. Denn es ist doch angesichts der Zustände im Dritten Reich der reine Zufall, ob beim einen die Straftat vor Ende dieses Jahres nicht mehr entdeckt wird, die Verjährungsfrist also 20 Jahre dauert, beim anderen hingegen sie kurz vorher unterbrochen wird, worauf dann die Verjährungsfrist ungefähr 40 Jahre insgesamt dauern wird. Das könnte zur Folge haben, daß im nächsten Jahr in einem Prozeß gegen einen angeblichen Mörder Meier ein Herr Huber auftritt und sagt: „Ich bin der Mörder, aber mir könnt ihr nichts mehr machen, denn ich bin verjährt." Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn ein solcher Zustand einträte, würden viele in unserem Volke, die heute die Parole „Schluß machen!" ausgeben, dem Gesetzgeber hier schwere Vorwürfe machen, und das zu Recht.
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Unbeschadet all dieser Gesichtspunkte gibt es sicher justizpolitisch manche Einwände, die wir bei unseren Überlegungen zu berücksichtigen suchten. Der schwerstwiegende Einwand ist sicherlich die Schwierigkeit der Beweisfindung, wenn fast ein Vierteljahrhundert vergangen ist. Das Gedächtnis wird unscharf, die Verfahren werden länger, und das Ergebnis befriedigt nicht immer. Das kann nicht bestritten werden. Aber aus den Gründen, die ich dargelegt habe, vor allem aus den moralischen Gründen, entbindet das uns und unsere Justiz nicht von der Pflicht, dort aufzuklären, zu verfolgen und zu verurteilen, wo dies noch möglich ist; und wir wissen, daß es gerade in besonders schweren Fällen durchaus möglich ist.
Es ist aber hier wohl auch der Platz, der deutschen Justiz, den Gerichten und den Staatsanwälten, und besonders den Herren in Ludwigsburg, Dank für das zu sagen, was sie in ungeheuer mühevoller Arbeit, nicht immer recht gewürdigt von der Öffentlichkeit, in diesen Jahren geleistet haben und leisten.
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Man wendet gegen unsere Auffassung ein, daß Freisprüche in den Gerichten in der Weltmeinung eine ähnlich schlechte Wirkung hervorrufen könnten, wie wenn wir die Verjährungsfristen nicht verlängerten. Meine Damen und Herren, ich glaube die Weltmeinung, vor allem soweit sie westlich, also rechtsstaatlich orientiert ist, wird für unsere Schwierigkeit laufend Verständnis gewinnen. Außerdem habe ich den Eindruck, daß für die Meinung der Welt die Gesamthaltung unseres Volkes, die in einem Beschluß dieses Hohen Hauses zum Ausdruck kommt, wichtiger ist als das Ergebnis einzelner Prozesse. Und schließlich glaube ich, gerade die Akten, die vom Osten zurückgehalten worden sind und die uns nach Verlängerung der Fristen vorgelegt werden, werden wahrscheinlich sehr eindeutige Dokumentationen über Schreibtischmörder enthalten und demgemäß für die Justiz leichter zu behandeln sein als manche andere Sachen, die sie selber aufgegriffen hat.
Ein ernster Gesichtspunkt ist sicherlich auch die Überlastung der Gerichte, die Vielzahl der Verfahren, die Aufarbeitung durch viele Jahre hindurch. Daß die Erfolgsquote von 10 % bei der Ermittlung bis zur Anklage immer mehr sinkt, liegt an den Gründen, die hier schon ausgesprochen wurden, und stimmt sicherlich auch bedenklich. Das ist der eine Gesichtspunkt, weshalb wir gemeint haben, daß es notwendig ist, eine gewisse Differenzierung eintreten zu lassen, um die Justiz, die mit dem
Gesamtproblem kaum fertigwird, auf die schwersten der schweren Fälle zu beschränken.
Das zweite ist aber ein Dilemma, in dem im Grunde jeder in diesem Lande ist, der sich mit diesen Fragen befaßt. Es gibt zwei verschiedene Überlegungen. Die eine Überlegung hat namens der Christlich-Sozialen Union in Bayern der Vorsitzende der Landesgruppe, mein Freund Richard Stücklen, in der „Münchener Abendzeitung" ausgedrückt, als er sagte: „Es darf nicht zugelassen werden, daß die NS-Verbrecher, die ohne jede menschliche Regung von ihren Schreibtischen aus den Tod von Abertausenden organisiert haben, daß die Sadisten, die diese Befehle ausgeführt und dabei noch ihr eigenes makabres Vergnügen gefunden und aus eigener Phantasie dazugetan haben, um -die Qualen zu vermehren, straffrei ausgehen." Das, glaube ich, ist die Meinung des Mannes von der Straße.
Es spielt aber auch der andere Gesichtspunkt eine Rolle, der aufkam, als vor einigen Jahren in München Krankenschwestern im fünften und sechsten Lebensjahrzehnt angeklagt wurden, die in ihrem Leben Tausende und Zehntausende von Spritzen gegeben hatten, in jenen dunklen Jahren Todes-spritzen auf Anweisung von Ärzten, die verstorben sind oder von alliierten Gerichten milde behandelt wurden. Auch deren Vergehen wäre unmittelbar nach dem Krieg nach der Meinung des ganzen Volkes zur Sühne aufgerufen gewesen. Aber bei solchen Taten untergeordneter Organe ist nach einer so langen Zeit nach der Meinung unseres Volkes die Beurteilung der Angelegenheit doch etwas anders. Deshalb haben wir versucht, eine differenzierte Lösung zu finden.
Die verschiedenen Wege, die dabei erörtert wurden, brauche _ich Ihnen jetzt hier nicht im einzelnen darzulegen. Sie sind durch eine Entscheidung des Fünften Senats des Bundesgerichtshofs überholt worden, die erst am 20. Mai dieses Jahres gefallen ist. Wir wußten - wie alle -, daß dieses Urteil bevorstand und hielten auch dieses Urteil für wichtig genug, darauf zu warten; denn es ist für unsere Überlegungen wichtig.
§ 50 Abs. 2 StGB, über den hier schon gesprochen worden ist, weist auf ein sehr ernstes Problem der Gesetzgebung hin. Der gegenwärtige Herr Bundesminister der Justiz war so freundlich, darauf hinzuweisen, daß das Einführungsgesetz zum OWiG mit meiner Unterschrift an den Bundesrat gegangen ist, mit der meines Amtsnachfolgers dann an den Bundestag. Sonst wird vielleicht nicht immer auf der Rosenburg die Tätigkeit von Justizministern der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union an der Vorbereitung der Reformwerke, die dieses Haus verabschiedet, in gleicher Weise gewürdigt.
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Ich nehme an, daß mein Amtsnachfolger sowenig wie ich die politische Verantwortung dafür bestreiten wird; denn nach der Theorie der Demokratie ist ein Minister für alles verantwortlich, was in seinem Ressort geschieht.
In der Wirklichkeit aber werden Sie weder von einem Minister noch von seinem Staatssekretär, selbst wenn er Professor des Rechts ist, erwarten können, daß er auf dem Gebiet des Strafrechts ein solcher Spezialist ist, daß er jede Auswirkung jedes einzelnen von mehreren hundert Paragraphen zu übersehen vermag. Das hier Erstaunliche ist, daß die sonst so vorzügliche Strafrechtsabteilung des Bundesministeriums der Justiz, daß elf Landesjustizministerien, die doch auch nicht die schlechtesten Fachleute haben, daß der Generalbundesanwalt mit seinen Mitarbeitern und sogar die Richter des Bundesgerichtshofs, die alle um Stellungnahme gebeten wurden, auf das Problem der Auswirkung auf die Verjährung nicht hingewiesen haben. Die Experten des Strafrechts im Ausschuß haben es auch nicht bemerkt.
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier - das möchte ich betonen - um eine Bestimmung, die in sich richtig und sinnvoll ist, um eine Bestimmung, die die Gleichstellung des Gehilfen mit dem Täter, die das nationalsozialistische Strafrecht gebracht hat, wieder beseitigt und die Strafe individuell nach der Schuld des einzelnen bemißt. Das ist ein Prinzip, das sowohl in dem so oft erwähnten Entwurf 1962 als auch in dem Alternativ-Entwurf der angeblich so fortschrittlichen Professoren enthalten ist.
Wenn dabei der Gesetzgebung dieses Versehen unterlaufen ist, dann vermag das wirklich zu einer Betrachtung über die Unvollkommenheit der Gesetzgebung, ja über die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens anzuregen. Jedenfalls ist diese Entscheidung gefallen, und das Gericht glaubte, daraus die Schlußfolgerung ziehen zu müssen, die es gezogen hat.
Ich möchte noch einmal betonen: ich halte § 50 Abs. 2 für richtig und seine Einführung für notwendig. Hätte man allerdings gewußt, welche Folgen das für die Verjährung hat, so hätte ich diese Bestimmung nicht fallengelassen - ich halte sie für richtig -, sondern man hätte bei den Verjährungsbestimmungen die Verjährungsfristen für den Gehilfen nicht nach seiner Tat, sondern nach der Tat des Haupttäters bemessen und damit das Problem umgehen können.
Dann wäre allerdings dieses Haus aufgerufen gewesen, eine differenzierte Lösung zu finden. Ich leugne nicht, daß ich es für sachlich besser gehalten hätte, wenn der Gesetzgeber selbst bewußt eine solche Lösung gefunden hätte, die wahrscheinlich eine andere gewesen wäre als die, die auf diese Weise zustande kam. Nachdem diese Lösung aber zustande gekommen ist, geht sie sicherlich über alles das hinaus, an was in meiner Fraktion als Lösungsversuch gedacht war. Das, was etwa der frühere Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Herr Dr. Walter Strauß, angeregt hat, zielte auf untergeordnete Tätigkeiten. Herr Heinrich, den der Bundesgerichtshof von der Strafverfolgung freigestellt hat, hat sicherlich nicht eine untergeordnete Tätigkeit ausgeübt.
Auch die Teilamnestie, die ich vorgeschlagen hatte, hätte diesen Mann nicht betroffen; denn sie
hätte bei vier Jahren eine Begrenzung gefunden, während hier sogar trotz des Urteils auf sechs Jahre Zuchthaus eine Freistellung erfolgt ist. Und auch bei der Aufgabe des Legalitätsprinzips hätte es wohl keinen Generalstaatsanwalt gegeben, der in einem solchen Falle einen Verzicht auf Anklageerhebung oder Durchführung des Verfahrens erwogen hätte.
Meine Damen und Herren! Unter diesen Umständen glaube ich, daß mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs eine differenzierte Lösung gefunden worden ist, die alles überholt, was in meiner Fraktion und in der Öffentlichkeit an Erwägungen angestellt worden ist. So konnten wir auf einen solchen Gesetzgebungsvorschlag verzichten, weil der Bundesgerichtshof eine Unterscheidung getroffen hat.
Diese Unterscheidung wird vielen von uns problematisch erscheinen, und sie wird im Laufe der nächsten Jahre noch oft kritisiert werden. Ich will sie hier nicht rechtfertigen - das habe ich nicht nötig -, aber einen positiven Gesichtspunkt möchte ich doch beisteuern. Die Unterscheidung der Taten nach dem Motiv ist jedenfalls kein Gesichtspunkt, der rechtsstaatlichem Denken, der dem Rechtsempfinden des Volkes widerspricht, sondern immerhin ein recht beachtlicher Gesichtspunkt, den wir nun jedenfalls - stärker vielleicht als sonst - zur Grundlage der Entscheidungen, der Urteile unserer Gerichte gemacht sehen. Dem, was uns in der CDU/ CSU am Herzen lag, daß nämlich kleine Mittäter wie jene erwähnten Krankenschwestern oder wie Polizeibeamte, die nur aus einer mißverstandenen Gehorsamspflicht heraus gehandelt haben, nicht mehr mit der vollen Schärfe des Gesetzes getroffen werden, ist jedenfalls Rechnung getragen worden.
Wie schon vor vier Jahren wird nun in der Öffentlichkeit vielfach immer wieder darauf hingewiesen, daß es sich hier um die Bestrafung von Verbrechen handelt, die Deutsche begangen haben, und daß viele Verbrechen, die an Deutschen begangen worden sind, ungesühnt bleiben. Ich freue mich, daß auch in den Vertriebenenverbänden darauf hingewiesen worden ist, daß es keine Aufrechnung von Morden geben kann, weil jeder einzelne Mord ein so furchtbares Verbrechen ist, daß er nach Sühne auch dann schreit, wenn ein anderer Mord nicht gesühnt werden konnte. Im übrigen haben wir in unserem deutschen Recht - auch mit diesem Gesetz in diesem Hohen Hause - immer nur gleiches Recht schaffen wollen. Wir können keinen moralischen Anspruch gegenüber anderen Staaten erheben, dort Verbrechen, die an Deutschen begangen worden-sind, zu bestrafen, wenn wir nicht hier bei uns für die Verbrechen, ganz gleich, wer sie an wem begangen hat - und es sind ja gewichtige Verbrechen, die Deutsche an Deutschen begangen haben -, die Strafbarkeit weiter aufrechterhalten.
Im übrigen dürfen wir uns an Unrechtsgesetzen, wie sie etwa in der Tschechoslowakei beschlossen worden sind, wo alle Vertreibungsverbrechen Rech- tens sind, ebensowenig orientieren wie an dem
nationalsozialistischen Gesetz, nach dem alle Morde des Jahres 1934 Rechtens waren.
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Das sind keine Normen für unser Verhalten in unserem neuen freiheitlichen Rechtsstaat. Der Unrechtsstaat, der im Osten in verschiedensten Variationen geschaffen worden ist, hat kein Recht, uns Vorwürfe zu machen, und wir haben kein Recht, ihn uns zum Vorbild zu nehmen oder uns auf seine Maßnahmen und Unterlassungen zu berufen. Was aber notwendig ist - das hat unsere Fraktion immer wieder betont , ist die Beweissicherung der Verbrechen, die im Zeichen der Vertreibung am Ende des Krieges und nach dem Kriege begangen worden sind. In der Zeit, da ich Bundesminister der Justiz war, habe ich angeregt und mit den Landesregierungen darüber verhandelt, daß Dokumentationszentralen - Zentralen à la Ludwigsburg - für diese Verbrechen an Deutschen geschaffen werden sollten; und das Bayerische Staatsministerium der Justiz war damals bereit, die zentrale Stelle für alle Verbrechen in der Tschechoslowakei zu übernehmen. Andere Justizministerien hätten Zentralen für andere Komplexe übernehmen sollen. Ich habe leider nach meinem Ausscheiden aus dem Amt über den Fortschritt dieser Sache nichts gehört und möchte meinem Amtsnachfolger ans Herz legen, dieser Angelegenheit doch nachzugehen, weil sie dem Wunsch nicht nur der Vertriebenen, sondern des ganzen deutschen Volkes und der Gerechtigkeit entspricht, dem ja ein Justizminister zu dienen hat.
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Meine Damen und Herren! Die Materie selbst, über die wir sprechen, und der Gesichtspunkt, den ich zuletzt erwähnt habe, zeigen uns, unter welcher Last der Geschichte wir stehen. Wir alle in diesem Hause haben vom ersten Tage an die Kollektivschuld abgelehnt, obwohl wir wissen und obwohl dieses Haus in großzügiger Weise anerkannt hat, daß es eine Gesamthaftung unseres Landes gibt, und obwohl es wohl auch so etwas gibt wie eine Gesamtscham über das, was im deutschen Namen geschehen ist. Eine strafbare Schuld, eine dem einzelnen vorwerfbare Schuld, gibt es aber eben nur für den einzelnen, nicht für das Volk als Ganzes, und wir wollen heute und hier noch einmal unser Volk von dieser Kollektivschuld freistellen. Aber, meine Damen und Herren, wir können nur das, wenn wir die Einzelverantwortung aufrechterhalten. Ein Volk, das die Einzelverantwortung auslöscht, würde ja selbst einen Teil dieser Schuld mit übernehmen.
Ich weiß, daß gerade die junge Generation, die nicht nur strafrechtlich, wie alle Mitglieder dieses Hauses, sondern sogar politisch als Generation schuldlos ist, weil man ihr nicht einmal ein Versagen vorwerfen kann, da sie erst im Krieg oder nach dem Krieg geboren ist, eine gewisse Scheu hat, in die Verantwortung einzutreten, die ihr hier geschichtlich aufgebürdet wird. Aber, meine Damen und Herren, wir alle stehen in der Kontinuität unserer Geschichte, auch wenn wir persönlich völlig
schuldlos sind. Wir können weder ihren glanzvollen Zeiten - und die deutsche Geschichte hat wahrhaftig glanzvolle Zeiten gehabt - noch ihren finsteren Zeiten entrinnen. Das Volk, in dem wir aufwachsen, ist unser aller Schicksal.
Die Fraktion der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union bekennt sich zu diesem Volk, zu seinem Schicksal, seinen hellen und seinen dunklen Zeiten in der Geschichte. Vor allem aber bekennt sie sich zu seiner Zukunft.
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Das Wort zur Begründung der Vorlage der Fraktion der SPD hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin in der glücklichen Lage, dem, was der Herr Bundesjustizminister, insbesondere aber auch dem, was mein verehrter Kollege Jaeger soeben gesagt hat, voll und ganz zustimmen zu können. Es ist gut, daß es, wie letzten Endes bei der erregenden Debatte im März 1965, auch heute wieder gelungen ist, in dieser wesentlichen, entscheidenden Frage eine einheitliche Haltung der übergroßen Mehrheit dieses Hauses herbeizuführen. Das ist gut, meine Damen und Herren.
Ich habe diese Debatte im März 1965 nie vergessen. Sie gehört wirklich zu den großen Erlebnissen meiner parlamentarischen Karriere. Wenn ich an die Rede meines Freundes Dr. Adolf Arndt oder an die große Rede von Thomas Dehler - der zwar etwas gesagt hat, das nicht meiner Meinung entsprach; aber es war eine großartige Rede, geprägt von einem ungeheuren Gefühl für Rechtsstaatlichkeit - und an andere Reden denke, wenn ich insbesondere an die Rede eines damals noch jungen Parlamentariers, der jetzt auf der Ministerbank sitzt, des Kollegen Benda, denke, kann ich wohl sagen - das hat auch der Präsident dieses Hohen Hauses, was eine große Ausnahme war, damals ausdrücklich bestätigt -, daß diese Debatte dem Hause zur Ehre gereicht hat. Ich meine, wir setzen die Debatte heute ebensogut wie damals im März fort.
Leider haben wir uns im März 1965 letzten Endes vor einer klaren Entscheidung, ich möchte fast sagen, gedrückt und geglaubt, uns um eine wirkliche Entscheidung herummogeln zu können, indem wir aus vielerlei Gründen - der eine aus diesen, der andere aus jenen Gründen - meinten, es genüge, den Beginn der Verjährungsfrist etwas hinauszuschieben. Wir haben halt geglaubt - heute kann man leicht sagen, daß es falsch war -, das sei die Lösung; bis Ende des Jahres 1969 würden die Strafverfolgungsbehörden mit dem Problem fertig werden.
Das war, wie die Ergebnisse zeigen, nicht gut. Aber zum Glück sind wir in der Lage, das jetzt zu reparieren. Denn seit der Entscheidung im Jahre 1965 hat sich einiges geändert. Es ist klargeworden, daß es die Zentralstelle in Ludwigsburg eben nicht schafft, bis Ende dieses Jahres die noch erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Ich darf daran erinnern, daß die Ludwigsburger Zentralstelle damals,
1965, zunächst erklärt hatte, sie würde bis Mai 1965 fertig werden können. Eine der Fragen, über die man sich hier gestritten hat, war, ob man damals überhaupt etwas tun müsse. Dann gab es eine gemeinsame Große Anfrage der beiden jetzigen Koalitionsparteien an die Bundesregierung, und auf Grund dieser Anfrage mußte Ludwigsburg dann zugeben, bis Mai 1965 ginge es nicht. Das war der auslösende Faktor für die Entscheidung im Jahre 1965. Inzwischen hat sich aber herausgestellt, daß es nicht einmal bis zum Ende des Jahres 1969 zu schaffen ist und daß die Ludwigsburger noch erheblich längere Zeit brauchen. Es gibt noch weiße Flecken auf dieser schrecklichen Landkarte der Geschichte. Es gibt Archive, die noch nicht durchforscht worden sind und noch nicht durchforscht werden konnten, und es gibt andere, die uns bisher nicht zur Verfügung gestellt worden sind, und zwar aus Gründen, die man sich denken kann, vielleicht aus dem Bestreben heraus, jemanden eines Tages, wenn die Frist hier abgelaufen ist, politisch erpressen zu können. Das wird es ja wohl geben.
Jedenfalls war es bisher nicht möglich, die Tat-und Täterkomplexe, um die es geht, so zu durchforsten und so zu ermitteln, wie das erforderlich ist. Die Ludwigsburger haben uns jetzt klipp und klar erklärt: Wir schaffen es nicht.
Würde die Verjährung Ende 1969 eintreten, hätten wir die Folgen, auf die der Minister und Herr Jaeger zur Genüge hingewiesen haben. Ich brauche das nicht zu wiederholen. Aber vielleicht ist es doch für die Öffentlichkeit gut, einmal einen besonderen Fall zu erwähnen, der durch die Tätigkeit in Ludwigsburg in der Zeit zwischen 1965 und 1969 entdeckt worden ist, also einen Fall, der verjährt gewesen wäre, wenn 1965 nicht diese Zwischenlösung erfolgt wäre. Es gibt ein Originaldokument eines deutschen Polizeibeamten in der Ukraine, das die Ludwigsburger aus dem Archiv in Moskau mitgebracht haben. In diesem Dokument berichtet dieser Mann, dieser Verbrecher - das möchte ich ausdrücklich sagen - seiner vorgesetzten Dienststelle geradezu stolz und freudestrahlend, er habe mit der Durchführung der Endlösung der Judenfrage in seinem Bereich große Schwierigkeiten gehabt, insbesondere weil er nicht genügend Munition gehabt habe, es sei ihm jedoch gelungen, das Problem der Ermordung aller jüdischen Männer, Frauen und Kinder an seinem Ort trotzdem zu lösen. Er habe das so gemacht, daß er persönlich mit dem Beil jeden erschlagen habe. Eine schreckliche Vorstellung für uns alle, gewiß. Stellen Sie sich vor, dieser Mann würde nur deswegen straflos unter uns herumlaufen dürfen, weil die bestialische Tat, die er begangen hat, erst nach 1965 entdeckt worden ist und er ohne eine Verlängerung der Verjährungsfrist bis Ende 1969 nicht zur Rechenschaft hätte gezogen werden können. Das wäre doch ein schreckliches Gefühl für uns alle. Ein solcher Mensch ist ein bestialischer Mörder, und mit solchen Menschen möchte ich nicht zusammen in Freiheit leben.
Es gibt ein umgekehrtes Beispiel, das bei der Gelegenheit auch zitiert werden muß. Die Ludwigsburger haben ein anderes Dokument mitgebracht. In
diesem Dokument weigert sich eine Polizeieinheit in der Ukraine, bei der Endlösung der Judenfrage mitzuwirken. In einem schriftlichen Bericht an die vorgesetzte Dienststelle steht: Wir weigern uns, das zu machen. Das ist keine Aufgabe für Polizeibeamte. - Auch das muß man erwähnen, denn es beweist, daß es dort nicht nur Mörder gab, sondern auch wakkere Männer, die dem Bösen widerstanden haben und den Mut hatten, verbrecherische Befehle nicht auszuführen.
Meine Damen und Herren, wir können nach dem, was wir aus Ludwigsburg wissen, sicher sein, daß auch unter den noch nicht durchgeforsteten Dokumenten in der Zeit nach dem 31. Dezember 1969 ähnliche Dokumente gefunden werden. Es wäre unerträglich, wenn jemand, dem eine Schuld durch Dokumente, vielleicht durch zusätzliche Zeugen eindeutig bewiesen werden könnte, nur deswegen straflos ausgehen würde, weil inzwischen die Verjährung eingetreten ist. Natürlich wird es immer schwieriger, diese Dinge zu verfolgen. Natürlich wird es immer schwieriger, jemanden zu überführen. Natürlich läßt die Erinnerung der Zeugen nach, und natürlich wird es von Jahr zu Jahr aussichtsloser, ein solches Verfahren zu Ende zu führen und zu einem Urteil zu kommen, das dem wirklichen Sachverhalt entspricht.
Aber es gibt bei uns den guten und immer richtigen Grundsatz: in dubio pro reo. Wenn ein Beweis nicht geführt wird, muß der Betreffende zu Recht freigesprochen werden. Aber gerade weil dem in gewissen Fällen so ist, wäre es besonders schlimm, wenn andere Fälle - ich wiederhole es ausdrücklich - aus der Verfolgung gerieten, obgleich die Schuld eindeutig bewiesen werden könnte, und zwar nur deshalb, weil inzwischen ein Datum, zu dem die Verjährungsfrist abläuft, festgesetzt worden ist und den Betreffenden aus der Verfolgung herausbringt. Das wäre für mich ein unerträgliches Gefühl; ich glaube, das sollte es für uns alle sein.
Durch die Erklärung von Ludwigsburg hat sich die Situation geändert. Wir können die Verjährungsfrist heute nicht mehr mit gutem Gewissen am Ende dieses Jahres ablaufen lassen. Geändert hat sich die Beurteilung der rechtlichen Situation, die uns 1965 noch Schwierigkeiten gemacht hat. Herr Jaeger hat das erwähnt. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist klargestellt, daß die sogenannte kleine rückwirkende Verjährungsverlängerung rechtlich zulässig ist. Geändert hat sich endlich die Situation - darauf ist Herr Jaeger ausführlich eingegangen, und ich pflichte ihm weitgehend bei - durch die Entscheidung des Berliner Senats des Bundesgerichtshofes mit der dadurch praktisch herbeigeführten differenzierten Lösung.
Ich billige diese Entscheidung keineswegs, ich halte sie schlicht und einfach für falsch. Aber das nutzt nichts; wir sind an diese Entscheidung gebunden. Als Legislative können wir jetzt jedenfalls nichts mehr tun, um an dieser Entscheidung etwas zu ändern. Ich weiß nicht - Herr Jaeger hat das hier deutlich gemacht -, ob nicht der Umstand, daß alle Juristen in diesem Lande nicht zu dem Ergebnis gekommen sind, daß die Änderung der Beihilfebestimmungen, die richtig war, auch Konsequenzen für die
Verjährungsbestimmungen haben würde, geradezu beweist, wie problematisch die Berliner Entscheidung ist. Aber wie gesagt, auch das nutzt jetzt nichts mehr.
Man kann bei der Gelegenheit vielleicht auch einmal neu überlegen, ob die Methoden der Gesetzesauslegung, die nach dem Kriege zur herrschenden Lehre geworden sind, ganz richtig sind. Man geht heutzutage davon aus, daß der objektivierte Wille des Gesetzgebers festzustellen sei und daß die Motive des Gesetzgebers demgegenüber relativ unwichtig seien. Darum kommt bei dieser Berliner Entscheidung der Senat zu dem sehr merkwürdigen Ergebnis: niemand hat das gemerkt, weder das Ministerium, noch die Rechtsgelehrten, noch die Abgeordneten, die hier entschieden haben, noch der Bundesrat, der hier entschieden hat; das beweist also, daß der Wille des Gesetzgebers nicht auf die Konsequenz hinsichtlich der Verjährung gerichtet war. Dennoch sagt der Senat im Wege der von ihm durchgeführten Wortinterpretation: Trotz des mangelnden Willens des Gesetzgebers sind wir Richter der Meinung, daß das so und so auszulegen ist. - Das ist doch, wenn ich mir das richtig überlege, ein Ergebnis, das nicht recht befriedigen kann.
Es gibt andere Fälle, in denen es zweifelhaft ist, was der Gesetzgeber nun gedacht hat. Da gibt es verschiedene Meinungen, da gibt es verschiedene Äußerungen in den schriftlichen Berichten, da gibt es gewisse Unebenheiten. Dann wird man natürlich in erster Linie den sogenannten objektivierten Willen des Gesetzgebers festzustellen haben. Hier ist es aber eklatant, daß überhaupt niemand daran gedacht hat. Der Senat stellt das in seinen Bemerkungen mit einer gewissen spöttischen Nuance ausdrücklich fest. Man sollte also doch einmal überlegen, ob es richtig ist, ein Gesetz so auszulegen, obgleich feststeht, daß der Gesetzgeber etwas anderes gewollt oder etwas Bestimmtes nicht gewollt hat.
Ich möchte das bei dieser Gelegenheit einmal sagen, nicht um uns zu entschuldigen, die wir im Rechtsausschuß an dieser Lösung beteiligt waren, die ich genau wie Herr Jaeger für völlig richtig halte. Es war für mich immer unerträglich, daß der Gehilfe mit einer subjektiven Schuld behaftet werden sollte, die er selbst nicht hatte. Das war ungerecht. Diese Bestimmung ist zu Recht geändert worden. Ich möchte mich also nicht entschuldigen, weil ich an dieser Lösung mitgewirkt habe. Ich war sogar Berichterstatter für das Ordnungswidrigkeitengesetz und habe, sagen wir einmal, maßgeblich mitgewirkt. Ich halte die Lösung für richtig.
Man kann natürlich sagen: Ihr Juristen - die wir uns ohnehin nicht des übergroßen Wohlwollens dieses Hauses erfreuen ({0})
hättet das merken müssen. Aber wir haben es nicht gemerkt. Die Konsequenz, die da gezogen worden ist, entspricht vielleicht einer traditionsbedingten Auslegungsmethode, die nicht unsere Auslegungsmethode mehr sein soll. Aber genug davon. Das ist nun einmal geschehen, und vielleicht - vielleicht! - verhilft uns das heute zu einer großen einheitlichen
Mehrheit in diesem Hause. Das ist wie oft bei solchen Medaillen die Kehrseite. Es erleichtert sicher bei manchen im Hause jetzt die Entscheidung, noch einmal eine solche Verlängerung der Verjährungsfrist herbeizuführen.
Das Ergebnis ist nicht sehr erfreulich. Herr Jaeger hat schon darauf hingewiesen. Unter den von dieser Regelung Betroffenen gibt es einige, die niemand hier gern unbestraft sieht. Das können wir nicht ändern. Bei dieser Gelegenheit sollte aber darauf hingewiesen werden, daß die vielfach in der Öffentlichkeit vertretene These, diese Entscheidung bedeute, daß nunmehr die Schreibtischtäter straflos ausgingen, zweifellos falsch ist.
({1})
Es geht um diejenigen, die Beihilfe begangen haben, und ich persönlich möchte sagen, daß ein großer Teil der Schreibtischtäter nun wirklich keine Beihelfer waren, sondern Täter. Wenn sie manchmal nur wegen Beihilfe bestraft worden sind, so mag das in einigen Fällen richtig gewesen sein, aber zum großen Teil wird das falsch gewesen sein. Ich habe die Hoffnung, daß sich. unsere Gerichte, die, nunmehr gebunden an die BGH-Entscheidung, andere Fälle zu entscheiden haben werden, entschließen, Schreibtischtäter eben nicht mehr als Helfershelfer, sondern als Täter zu betrachten. Für mich ist z. B. - das möchte ich ausdrücklich sagen - ein Mann wie dieser unselige Rehse, der in der Richterrobe gemordet hat, einer der schlimmsten Mörder aus dieser Zeit.
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Damals, 1965, ging es bereits darum, daß wir Anträge zu behandeln hatten, die dahin gingen, die Verjährung für Mord ganz abzuschaffen. Es gab sogar einen Antrag der SPD, das über eine Verfassungsänderung zu machen, um gewisse rechtliche Bedenken auszuräumen, die auch einige von uns hatten, insbesondere Adolf Arndt. Es gab ferner den Antrag, die Frist auf 30 Jahre zu verlängern. Wie gesagt, kam es zu keiner Beschlußfassung über diese Anträge, sondern zu dem Versuch, das Problem durch eine Verlegung des Beginns der Verjährungsfrist zu lösen.
Heute stehen wir praktisch vor der gleichen Skala von Anträgen: einem Antrag des Bundesjustizministeriums und des Bundeskabinetts auf Aufhebung und zwei Anträgen, die Verjährungsfrist lediglich auf 30 Jahre zu verlängern. Ich stehe nicht an, zu sagen, daß ich immer zu denen gehört habe, die meinen, daß es bei Mord keine Verjährung geben sollte und daß die Aufhebung der Verjährungsfrist bei Mord an sich eine Konsequenz der Abschaffung der Todesstrafe ist. Aber die Entscheidung in der Frage, ob es richtig ist, die Verjährungsfrist auf 30 Jahre zu verlängern oder sie ganz aufzuehben, ist eigentlich schon vor Pfingsten in diesem Hause gefallen, als wir die Strafrechtsreform verabschiedet haben. Damals hat sich die Mehrheit im Strafrechtssonderausschuß für eine Verlängerung auf 30 Jahre entschieden, und dieses Haus hat dem zugestimmt. Meine Fraktion hat davon abgesehen, dazu noch einmal Anträge zu stellen. Wir waren schon damals der Meinung: da hat es keinen Sinn, nun justament den
eigenen Kopf durchsetzen zu wollen. Was da eine Mehrheit entschieden hat, ist keine Gewissenfrage, und man kann das Problem mit einer Aufhebung, aber auch mit einer Verlängerung lösen.
Wir haben seinerzeit in der Verjährungsfrage für die Vergangenheit Vorbehalte gemacht. Denn da war ja nun eine der Merkwürdigkeiten unserer Entscheidung vor Pfingsten, daß wir entschieden haben: für die Zukunft soll die Frist von 30 Jahren gelten - die große Mehrheit war der Meinung, 20 Jahre reichten nicht aus -, daß wir aber gleichzeitig sagten: die Änderung soll erst 1973 in Kraft treten. Mit anderen Worten: für die Vergangenheit wurde damit entschieden, daß 20 Jahre genügten. Wenn es dabei geblieben wäre, hätte das eine ungleiche Behandlung der Nazimörder bedeutet. Ich bin dagegen, daß Nazimörder ungleich behandelt werden im Schlechten, indem man für sie Sondergesetze macht. Herr Jaeger hat dazu dankenswerterweise schon sehr deutlich Stellung genommen. Ich bin aber genauso dagegen, daß man Sondergesetze schafft, durch die sie begünstigt werden, und wenn man die Verjährungsfrist von 30 Jahren erst für die Zukunft einführte, würde das eine Begünstigung der Nazimörder darstellen, die durch nichts zu rechtfertigen ist.
Konsequenterweise haben wir uns daher entschlossen, die Regelung, die wir bei der Strafrechtsreform für die Zukunft grundsätzlich für richtig gehalten haben, nunmehr auch für die Vergangenheit einzuführen und einen Antrag ,einzureichen, der im Kern und in seinem Inhalt hundertprozentig dem CDU/CSU-Antrag entspricht. Unser Antrag ist etwas anders formuliert. Er ist formuliert wie die Regierungsvorlage, die die volle Aufhebung vorsieht, nur daß an Stelle der vollen Aufhebung 30 Jahre stehen. Der CDU/CSU-Antrag geht einen etwas anderen Weg. Über die Wege kann man streiten. Ich habe Bedenken hinsichtlich einiger technischer Dinge, die in Ihrem Antrag stehen, Herr Jaeger; aber darüber werden wir uns im Ausschuß schnell verständigen können. Wenn wir uns über das Ziel einig sind, können juristische Formulierungen sicherlich nicht zu neuen Schwierigkeiten führen. Wir halten unseren Antrag natürlich für besser und wirksamer, und er ist auch konsequenter. Aber im Inhalt, wie gesagt, ist er gleich, und es erübrigt sich, daß wir Juristen hier die anderen und die Öffentlichkeit mit Rechtstüfteleien belästigen. Das ist nicht der Sinn der Sache und entspricht auch nicht der Bedeutung dieser Angelegenheit.
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Wir sind uns, glaube ich, in der Mehrheit dieses Hauses nunmehr einig, daß die Verjährungsfrist grundsätzlich auf 30 Jahre festgesetzt wird, daß damit die Verjährungsfrist für die Vergangenheit - in dem Fall für die Nazimörder - am 31. Dezember 1979 abläuft, mit anderen Worten unsere Strafverfolgungsbehörden 10 Jahre Zeit haben werden, den Rest zu ermitteln, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Das werden gar nicht so sehr viele sein, denn wenn ich mir ein Strafverfahren im Jahre 1978 vorstelle - und manche werden ja noch
nach 1980 stattfinden müssen, wenn die Verjährung unterbrochen worden ist -, und mir überlege, wie dann ein Gericht noch eine Schuld nachweisen soll, so wird das sehr, sehr schwer sein. Aber vor dem Problem stehen die Gerichte ununterbrochen in den Fällen - das möchte ich auch noch einmal wiederholen -, in denen die Verjährung bereits unterbrochen worden ist. Dieses Problem werden wir nicht los.
Diese Schwierigkeit erhöht aber die Chancen der Täter, freigesprochen zu werden; denn sie dürfen nicht verurteilt werden, wenn kein hundertprozentiger Beweis möglich ist, so daß die Täter sich nicht darüber beschweren dürfen, wie auch sonst gilt - Herr Jaeger hat es gesagt -: nicht wir, sondern nur die Opfer können verzeihen. Wir müssen uns hüten - und insofern möchte ich noch einmal unterstreichen, was Herr Benda schon 1965 gesagt hat -, als Deutsche in diesen großen Topf der Mörder geworfen zu werden. Herr Benda hat damals gesagt -ich glaube, ich muß das zitieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, es stamme von mir -:
Ich bestehe darauf - und es gehört für mich zum Begriff der Ehre der Nation -, zu sagen, daß dieses deutsche Volk doch kein Volk von Mördern ist und daß es diesem Volke doch erlaubt sein muß, ja daß es um seiner selbst willen dessen bedarf, daß es mit diesen Mördern nicht identifiziert wird, sondern von diesen Mördern befreit wird, daß es, besser gesagt, deutlicher gesagt, sich selber von diesen Mördern befreien muß.
Ich glaube, daß ist der Kern der Dinge, und ich glaube, dieser Gedanke führt uns dazu, daß wir jetzt eine Lösung finden müssen, die wirklich der Sache entspricht, und uns jetzt nicht wieder um eine solche Lösung mit Ausreden herumwinden können, wie es geschehen ist.
Wir können die Lösung auch nicht aufschieben und etwa dem neuen Bundestag übertragen. Dieser Bundestag muß das so oder so entscheiden, und es wäre - ich möchte fast sagen - schäbig, den neuen Kollegen in der kurzen Zeit, die dann noch zur Verfügung stünde, diese Entscheidung zu überlassen. Dieser Bundestag hat zu entscheiden. Ein Hinausschieben hilft nichts; das Hinausschieben der Lösung von 1965 bis heute hat auch nichts geholfen, sondern wahrscheinlich sogar geschadet, denn diese relativ kurze Verlängerung hat doch dazu geführt - das möchte ich auch hier noch sagen -, daß die Strafverfolgungsbehörden praktisch gezwungen waren, unzählige vielleicht überflüssige Verfahren einzuleiten, weil sie bei dem kleinsten Verdachtsmoment, dem sie noch gar nicht hatten nachgehen können, irgendwelche richterlichen Handlungen einleiten mußten, um die Verjährung zu unterbrechen. Das hat zu der großen Zahl von 15 000 Verfahren geführt, die seit 1965 bis heute neu eingeleitet worden sind. Von diesen Verfahren wird ein relativ sehr kleiner Rest übrigbleiben. Andererseits besteht eine große Beunruhigung oder mehr als Beunruhigung für viele, bei denen sich herausstellt, daß sie zu Unrecht unter diesen 15 000 sind. Nur bei einer relativ langfristigen Möglichkeit, diese Dinge in aller
Ruhe zu ermitteln, wird auch das vermieden, daß Unschuldige oder solche, denen man mit Sicherheit nichts wird beweisen können, mit in diese Verdachtsmühle geraten.
Meine Damen und Herren, Herr Benda hatte seine Rede im Jahre 1965 mit dem Wort eines jüdischen Mystikers aus dem 18. Jahrhundert geschlossen. Dieses Wort haben, glaube ich, inzwischen viele von uns in dieser so ungeheuer eindrucksvollen Gedächtnisstätte für die ermordeten Juden in Jerusalem, Yad Waschem, gesehen. Es lautet - ich möchte meine Rede wie damals Herr Benda damit 'schließen -: „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung."
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Meine Damen und Herren, die drei Vorlagen sind begründet. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Nach den Begründungen, die meine beiden Herren Vorredner zu den eingebrachten Gesetzentwürfen - von der Regierung, von der CDU/CSU, von der SPD - gegeben haben, zeichnet sich jetzt bereits ab, daß die überwiegende Mehrheit dieses Hauses jedenfalls hinter den Grundgedanken dieser drei Gesetzentwürfe steht.
In Anbetracht dieser Situation ist es für einen Redner der Opposition besonders schwer, den grundsätzlichen .Standpunkt dieser Fraktion nocheinmal darzulegen. Es ist um so schwerer, als irgendwie doch immer auch in den Begründungen der jetzt vorgelegten Gesetzentwürfe im Hintergrund so etwas der Gedanke steht, daß sich derjenige, der gegen diese Gesetzentwürfe, wonach die Verjährungsfrist wiederum verlängert werden soll, ist, in etwa schützend vor diejenigen stellen will, die die furchtbaren Verbrechen begangen haben.
({0})
Dieses Nicht-Schützen, sondern Weiter-Verfolgenwollen ist doch das Motiv, das dahintersteht. Die Schlußfolgerung ist dann, daß derjenige, der das nicht wolle, damit einen Schritt tue, der moralisch, rechtspolitisch, juristisch, innenpolitisch, außenpolitisch nicht vertretbar sei. Dem möchte ich nun freilich mit aller Entschiedenheit entgegentreten. Ich möchte es nicht persönlich; die Beurteilung dessen, was in der Nazi-Zeit geschehen ist, ist bei mir so eindeutig und weicht in nichts von dem ab, was hier bereits gesagt ist. Ich habe selbst - in der Nachkriegszeit freilich - in Auschwitz mit dem, was da geschehen ist, zu viele Erfahrungen gesammelt, als daß daran irgendein Zweifel beistehen könnte.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das alles kann uns nicht veranlassen, von dem auch in der vorigen Legislaturperiode hier eindeutig eingenommenen Standpunkt abzugehen. Ich danke dem Kollegen Hirsch ausdrücklich, daß er unter den großen Reden, die damals gehalten wurden, auch die
unseres Freundes Thomas Dehler genannt hat; denn er hat in der Tat mit der ihm eigentümlichen Leidenschaft die Grundprobleme, die hier angesprochen werden, dargelegt. Man sollte sie auch heute noch würdigen, obgleich eine der Grundthesen, die damals von ihm vertreten wurden, nämlich die, daß die Verlängerung der Verjährungsfrist auch für bereits begangene Taten mit unserer Verfassung nicht in Einklang zu bringen sei, inzwischen durch das Bundesverfassungsgericht widerlegt worden ist, jedenfalls soweit ein solches Urteil zur Widerlegung in der Lage ist. Es schafft einen gewissen Tatbestand, den man ganz ,einfach anerkennen muß, ob man nun - und hier darf ich eine Kritik anfügen - die Begründung dieses Urteils in jedem Punkt für richtig hält oder nicht.
Ich gestehe offen, manches befriedigt mich nicht daran. Ich habe bereits in der vorigen Legislaturperiode z. B. darauf hingewiesen, welche Problematik sich für diese Gesetze daraus ergibt, daß wir in § 2 Abs. 2 unseres Strafgesetzbuches die Bestimmung haben, daß, wenn sich das Recht zwischen Tat und Urteil ändert, das mildeste Gesetz auf die Tat anzuwenden ist. Dieser Grundsatz hat Verfassungsrang. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern es ist immerhin auch vom Bundesgerichtshof in einem Urteil bestätigt worden, daß der § 2 Abs. 2 auf Grund des Art. 103 Abs. 2 GG Verfassungsrang habe. Wenn meine Meinung in einem Nebensatz vom Bundesverfassungsgericht beiseite geschoben worden wäre, schön und gut, aber die Meinung selbst des Bundesgerichtshofes nur in einem kleinen Nebensatz beiseite zu schieben, das ist wirklich nicht die Methode, die man von den Urteilen dieses höchsten Gerichtes erwartet. Aber, wie gesagt, dies nur als Randbemerkung.
Wir müssen das Faktum zur Kenntnis nehmen, daß die erwähnte Entscheidung die verfassungsrechtliche Möglichkeit, auch rückwirkend die sogenannte kleine Verjährung herbeizuführen, bejaht hat. Nicht entschieden ist damit freilich die Frage, ob eine solche Regelung, wie sie auch jetzt wieder angestrebt wird, verfassungspolitisch, rechtspolitisch gerechtfertigt ist oder nicht. Hier bleiben alle die Bedenken bestehen, die ich in der Debatte über die Verjährung vor den Pfingsttagen hier vorgetragen habe. Viele Ausführungen, die heute gemacht worden sind, gäben Gelegenheit dazu, alles das, was ich dort vorgetragen habe, heute zu wiederholen, ja, es nicht nur in der damals gebotenen Kürze zu machen, sondern die Grundgedanken noch ausführlicher vorzutragen. Ich will Sie aber damit heute nicht belasten, und ich bitte diejenigen, die diese Ausführungen damals nicht anhören konnten, sie doch in den Protokollen nachzulesen. Ich glaube, es ist manches zu dem gesagt worden, was auch heute hier vorgetragen worden ist.
Aber etwas anderes möchte ich jetzt hinzufügen. Bei der Debatte im vorigen Bundestag war sich das Hohe Haus in vielen Fragen nicht einig. Eines freilich sagten damals alle: daß nämlich mit diesem Gesetz, das damals verabschiedet wurde, nun der Streit um die Verjährungsfrage ein Ende finden sollte. Es sollte damals ein Schlußstrich gezogen werden. Das
war eine der entscheidenden Begründungen, die selbst manchen, der den damaligen Vorstellungen nicht zuneigte, veranlaßte, nun unter diesem Aspekt doch ja zu sagen.
Ich habe damals den Propheten gespielt und habe gesagt, wir würden uns spätestens im Jahre 1969 hier wieder mit dem Problem beschäftigen. Ich habe es nicht in der Hoffnung getan, daß wir das machen würden, sondern in der Befürchtung, daß es dahin kommen werde. Stellen Sie sich einmal vor: 1956 ein Gesetz über die Verjährung, 1965 ein weiteres Gesetz über die Verjährung, vor Pfingsten in diesem Hause mit Debatte über die Verjährungsfrage wieder eine Entscheidung über die Verjährung, und jetzt sind wir gerade einige Wochen nach Pfingsten, und schon wieder reden wir über die Verjährung, die gerade in einem normalen Strafgesetz geregelt worden ist. Ob es tatsächlich mit der Rechtssicherheit, mit der Rechtskontinuität, die immerhin auch ein Bestandteil eines Rechtsstaates sein sollte, noch in Einklang zu bringen ist, eine Frage so zu behandeln, wobei vor Pfingsten dieses Jahres das ganze Problem, das heute hier wieder ansteht, bereits in vollem Umfange bekannt war, ob das nun wirklich die Methode ist, wie man diese Dinge behandelt, kann man mindestens stark anzweifeln. Ich tue das unter einem besonderen Gesichtspunkt, der auch heute immer wieder hervorgehoben worden ist. Schön, man mag darüber streiten, ob es richtig war oder nicht. Es war jedenfalls und ist allgemeine Meinung, daß auch NS-Verbrechen nach unserem allgemeinen Strafrecht behandelt werden sollten. Ich teile die Meinung, hierzu kein Sonderrecht zu schaffen. Wenn ich aber bedenke, daß wir gerade eine allgemeine Regelung der Verjährung getroffen haben, in der keine Rückwirkung vorgesehen ist, und heute im Effekt nichts anderes vorgetragen wird, als daß die noch nicht genügende Aufklärung der NS-Verbrechen eine Änderung dieses Standpunkts nötig mache, dann muß ich sagen, daß wir hier unter derselben Differenzierung - ich will das einmal sehr vorsichtig ausdrücken - unseres Strafgesetzes - leiden, die wir auch in anderen Fragen haben.
Wie ist es denn mit dem § 50 Abs. 2? Heute noch erklären hier Herr Hirsch und Herr Kollege Jaeger - aber auch den Herrn Justizminister habe ich so verstanden -, daß die Regelung, die in dem neuen § 50 Abs. 2 des Strafgesetzbuches getroffen ist, richtig sei. Wir bejahen diese Regelung, die wir getroffen haben, als völlig richtig. Wir bejahen aber auch, daß der Ablauf der Verjährungsfrist differenziert sein muß nach der Schwere der Strafe, die für das Vergehen angedroht ist. Es ist also nur eine logische Konsequenz, daß dann die Strafe des Beihelfers, bei dem die subjektiven Voraussetzungen des Mörders eben nicht gegeben sind, früher verjähren muß.
Ob wir das gewollt haben, ob wir daran gedacht haben, ist gleichgültig. Es ist eine logische Konsequenz, die sich aus dem Tatbestand ergibt. Wenn wir nicht daran gedacht haben - Herr Hirsch, der logische Fehler in Ihrer Rede -, so haben wir auch nichts gewollt. Wir haben die Verjährung weder ändern noch verlängern wollen. Wir haben eben nicht daran gedacht und haben keinen Willen in
dieser Hinsicht gehabt. Nur so kann man sagen; denn sonst wäre es wohl anders gewesen.
Der einzige Angriff, der gegen die Regelung des § 50 Abs. 2 erhoben wird, ist wiederum der, daß dann die NS-Verbrechen bei gewissen Lauten verjährten, wo man, wieder ohne zu differenzieren, ohne abzugrenzen, sagt, daß doch diese Menschen nicht frei ausgehen könnten. Im Hintergrund stehen dann sogar schon wieder Überlegungen, ob man, wenn man das richtig erkannt hätte, dann nicht doch wieder für Gewisse, nämlich für Mörder - und damit meint man in der heutigen Zeit nicht nur die „normalen" Mörder, sondern entscheidend die Mörder und Verbrecher der NS-Zeit -, ein Sonderrecht auf diese Weise schaffen sollte. Es ist festzustellen, daß die laufenden Gesetzesänderungen auf diesem Gebiet seit 1956 eine Rechtsunsicherheit in diesen schwierigen Fragen gebracht haben und daß wir doch 'immer wieder darum bemüht sind - und daran ändern alle schönen Beteuerungen nichts -, die Gesetze gezielt unter dem Gesichtspunkt zu machen, die NS-Verbrechen weiterhin bestrafen zu können.
In der gleichfalls schwierigen Frage der Rückwirkung insbesondere von Strafgesetzen nehmen Sie einen Standpunkt ein, den wir gleichfalls rechtspolitisch nicht für vertretbar halten. Ich habe natürlich, sehr aufmerksam sogar, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gelesen und mir manche Gedanken darüber gemacht. Ich sage noch einmal: Man mag rein juristisch vielleicht dieses oder jenes auszusetzen haben, aber es ist in der Welt, und wir werden es respektieren. Aber das entbindet uns nicht von der Pflicht zur Prüfung, ob es auch rechtspolitisch vernünftig ist, ob es erwünscht und gewollt ist, daß wir ausgerechnet bei einem Strafgesetz wiederum das tun, was den Anfang in der nationalsozialistischen Zeit bildete: von der klaren Rechtsstaatlichkeit nach und nach mehr und mehr abzuweichen und 'in den Unrechtsstaat hineinzugehen, der dann später da war und der die Grundlage für all die furchtbaren Verbrechen bildete, die dann geschehen sind. Hätte man damals von Anfang an bis zum höchsten Gericht hinauf diesen Grundstandpunkt, daß die Strafgesetze keine rückwirkende Kraft haben sollten, beibehalten, wäre es für manchen ein deutliches Signal gewesen, wohin der Weg führte, den man gehen wollte, und wenn unsere Gerichte ihn nicht mitgegangen wären, wäre manches vielleicht verhindert worden.
Wir sprechen heute und hier sehr viel über die Bewältigung der Vergangenheit. Es wird viel getan, und es wird zu Recht viel getan, um die Verbrecher der damaligen Zeit zur Verantwortung zu ziehen. Damals hieß es: Wir werden das bis 1969 so weit geschafft haben, daß wir nunmehr einen Schlußstrich unter die Dinge ziehen können. Damals hieß es: Wir werden aus Moskau die nötigen Dokumente bekommen. Einige haben wir bekommen. Herr Hirsch hat einige davon erwähnt. Aber weiterhin ist strengste Zurückhaltung da. Noch heute wird 'die Hoffnung, daß von dort viel Material kommen wird, eine nackte Illusion sein. Es ist ihnen drüben viel zu wichtig, immer wieder darauf hinweisen zu können, daß wir noch nicht genügend getan haben, daß
einem solchen Hinweis jede moralische Berechtigung fehlt, darüber sind wir uns ja auch wiederum einig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn alles das, was heute bereits verfolgbar ist und verfolgt werden wird, in ordnungsmäßigen Strafverfahren durchgeführt worden ist, dann wird keiner mehr gegen die Bundesrepublik den Vorwurf erheben können, sie habe nicht genügend getan, um das Unrecht, das damals geschehen ist, mit den rechtsstaatlichen Mitteln, die wir haben, wiedergutzumachen. Wenn wir nun einige hundert Täter - niemand weiß, wie viele - noch mehr oder weniger lange ins Zuchthaus bringen, ist das die Bewältigung unserer Vergangenheit? Oder sollte sie nicht darin bestehen, daß wir, selbst auf die Gefahr des Vorwurfs, wir seien in unseren Anforderungen zu streng, jeden kleinen Schritt, jeden kleinsten Schritt der Abweichung von strenger Rechtsstaatlichkeit vermeiden? Ist es nicht besser, wenn wir in jedem in unserem Volke das Bewußtsein stärken und, wo es noch nicht vorhanden ist, hervorbringen können, daß diese strenge Rechtsstaatlichkeit, wie wir sie hier vertreten, dasjenige ist, was wir 'aus der Vergangenheit lernen sollten, dasjenige ist, was wir in der Gegenwart praktizieren sollten, aber auch dasjenige ist, was dann vor den Gesetzen zurückhält, die wir zu beschließen beabsichtigen?
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man wird - wie immer in politischen Fragen - anderer Meinung sein können. Das verkenne ich nicht. Aber I ich glaube, daß dieser Gesichtspunkt, den ich jetzt hier noch einmal vorgetragen habe, bei unseren Entscheidungen eine erhebliche Rolle spielen muß.
Ich meine darüber hinaus, gerade diejenigen, die unter den Folgen eines Unrechtsstaates am meisten gelitten haben, sollten das größte Verständnis dafür haben, daß wir jedenfalls bemüht sind, alles zu tun, um in der Zukunft die Wiederholung derartiger Zustände zu verhindern, indem wir uns in dem Sinne, wie ich es ausgeführt habe, auf den Boden strenger Rechtsstaatlichkeit stellen. Tun wir das, so tun wir mehr für die Bewältigung unserer Vergangenheit, als wenn wir unter Rückstellung aller Bedenken alles daransetzen, noch einige hundert mehr oder weniger hinter die Mauern eines Gefängnisses zu bringen.
({2})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Es wird vorgeschlagen, die drei Vorlagen dem Rechtsausschuß zu überweisen. - Das Haus stimmt dem zu.
Meine Damen und Herren, bis zur Mittagspause können wir vielleicht unsere sehr lange Tagesordnung noch ein wenig entlasten. Wir haben 20 Punkte mit ersten Lesungen, zu denen keine Begründungen und Wünsche zur Aussprache angemeldet worden sind. Es sind die Punkte 27 und folgende.
Vizepräsident Dr. Mommer Ich rufe ,den Punkt 27 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Bildung der „Deutschen Kommission für technischen und strukturellen Wandel"
- Drucksache V/4197 - Das Wort hat Herr Abgeordneter Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Wissenschafts- und Kulturpolitiker bitten, diesen Gesetzentwurf nicht dem Wirtschaftsausschuß ,als federführendem Ausschuß, sondern dem Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik zu überweisen. Ich 'beantrage das hiermit für die Fraktionen der Koalition.
Ich verstehe das so, daß der Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mitberatend sein soll und der Haushaltsausschuß, wie vorgeschlagen, nach § 96 der Geschäftsordnung beteiligt ist. - Das Haus ist damit einverstanden.
Punkt 28 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes
- Drucksache V/4199 Es ist Überweisung an den Finanzausschuß und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vorgeschlagen. - Diesem Überweisungsvorschlag wird nicht widersprochen.
Punkt 29:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Porten, Biermann, Geldner und den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien
- Drucksache V/4200
Überweisungsvorschlag: an den Ausschuß für Arbeit. - Dem wird nicht widersprochen.
Punkt 30 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den vom Rat für 'die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens am 7. Juni 1967 beschlossenen Änderungen des Abkommens über den Zollwert der Waren
- Drucksache V/4206 Überweisungsvorschlag: an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen. - Das Haus ist damit einverstanden.
Punkt 31:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Schmidt ({0}), Bading, Mertes,
Hirsch und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Bundestages
- Drucksache V/4209
Es ist Überweisung ,an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorgeschlagen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 32:
Erste Beratung ides von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Mindestgröße der Amtsgerichtsbezirke
- Drucksache V/4210 -
Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Rechtsausschuß vor. - Es ist so beschlossen.
Punkt 33 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung
- Drucksache V/4211 -
Auch hier ist Überweisung 'an den Rechtsausschuß vorgeschlagen. - Es ist so beschlossen.
Punkt 34 ,a) der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshofes und der Reichshaushaltsordnung
- Drucksache V/4215 -
Es ist Überweisung an den Haushaltsausschuß - federführend - und den Rechtsausschuß - mitberatend - vorgeschlagen. - Es ist so beschlossen.
Punkt 34 b) :
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
- Drucksache V/4216 Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. - Es ist so beschlossen.
Punkt 35:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. November 1968 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Österreichischen Bundesregierung über den Personenverkehr
- Drucksache V/4218
Überweisungsvorschlag: an den Innenausschuß. - Es ist so beschlossen.
Erste Beratung des von .der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs leines Gesetzes über forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse
- Drucksache V/4231 Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend -, den Wirtschaftsausschuß - mitberatend -, den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung und dann auf Wunsch der CDU/ CSU-Fraktion auch an den Rechtsausschuß - mitberatend. - Es ist so beschlossen.
Punkt 37:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({0}) Nr. 1174/68 des Rates der Europäischen Gemeinschaf ten
- Drucksache V/4232 Hier ist Überweisung an den Verkehrsausschuß vorgeschlagen. - Es ist so beschlossen.
Punkt 38:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhaltung und zur Förderung des Waldes
- Drucksache V/4233
Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und an den Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung,Städtebau und Wohnungswesen - mitberatend - vor. - Es ist so beschlossen.
Punkt 39:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Mick, Frau Korspeter, Schmidt ({1}) und Genossen und den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({2})
- Drucksache V/4224 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden - federführend -, Ausschuß für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge - mitberatend -, Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. - Es ist so beschlossen.
Punkt 40:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 28. August 1952 über die Rechtsstellung der auf Grund des Nordatlantikvertrags errichteten internationalen militärischen Hauptquartiere und zu den dieses Protokoll ergänzenden Vereinbarungen ({3})
- Drucksache V/4255 Es ist Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß vorgeschlagen. - Es ist so beschlossen.
Punkt 41:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der unter Sonderverwaltung stehenden Vermögen von Kreditinstituten, Versicherungsunternehmen und Bausparkassen
- Drucksache V/4256 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend -, Ausschuß für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge - mitberatend -, Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden - mitberatend -. Es ist so beschlossen.
Punkt 42 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines PflanzenschutzKostengesetzes
- Drucksache V/4257 Es wird die Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO vorgeschlagen. - Es ist so beschlossen.
Punkt 43 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. Dezember 1958 über den internationalen Austausch von Veröffentlichungen
- Drucksache V/4271 Es wird Überweisung an den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik - federführend - und an den Auswärtigen Ausschuß - mitberatend - vorgeschlagen. - Es ist so beschlossen.
Punkt 44 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesrückerstattungsgesetzes
- Drucksache V/4288 Es wird die Überweisung an den Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden - federführend - sowie .an den Rechtsausschuß - mitberatend - vorgeschlagen. - Es ist so beschlossen.
Punkt 45 der Tagesordnung:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Steuerverteilung und den Finanzausgleich unter den Ländern vom Rechnungsjahr 1970 an ({4})
- Drucksache V/4305 13072
Vizepräsident Dr. Mommer
Es wird die Überweisung an den Finanzausschuß
- federführend - und an den Haushaltsausschuß
- mitberatend - vorgeschlagen. - Die Überweisung ist beschlossen.
Punkt 46 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von ,der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Fischerei-Übereinkommen vom 9. März 1964 - Drucksache V/4289 Der Ältestenrat schlägt die Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- federführend - und an den Auswärtigen Ausschuß - mitberatend - vor. - Es ist so beschlossen.
Punkt 47 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zuckersteuergesetzes - Drucksache V/4292 Es wird Überweisung an den Finanzausschuß vorgeschlagen. - Es ist so beschlossen.
Damit haben wir die Tagesordnungspunkte mit einer ersten Beratung des Gesetzentwurfs erledigt. Ich glaube, daß es am sinnvollsten ist, wenn wir jetzt .in die Mittagspause eintreten. Wir beginnen wieder um 15.00 Uhr.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({5})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Meine Damen und Herren! Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, habe ich wieder einmal eine traurige Pflicht zu erfüllen.
({0})
In der Nacht zum 30. Mai ist der Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion Hans Wellmann im Alter von 58 Jahren in seiner Heimatstadt Berlin überraschend einem Herzanfall erlegen. Hans Wellmann wurde am 6. September 1911 geboren. Nach seiner Berufsausbildung als Maurer war er bis Kriegsende Kraftfahrer, Elektrolehrschweißer und als technischer Angestellter in der Luftfahrtindustrie. Sein politisches Engagement führte ihn 1928 zum Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und 1929 zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Nach dem Zusammenbruch begann Hans Wellmann seine politische Laufbahn 1949 als politischer Sekretär der SPD in Berlin-Wilmersdorf. Von 1955 bis 1961 war er persönlicher Referent des Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses und später des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Dem Deutschen Bundestag gehörte Hans Wellmann seit Januar 1962 an. Er war ordentliches Mitglied des Haushaltsausschusses und stellvertretendes Mitglied des Verteidigungsausschusses. Sein unermüdliches Wirken im Ausschuß und in der Fraktion, sein freundliches und humorvolles Wesen haben ihm Freundschaft und
Achtung aller eingetragen. Ich spreche der Familie unseres verstorbenen Kollegen und der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die tiefe Anteilnahme des Hauses aus. - Ich danke Ihnen.
Gemäß den Vereinbarungen im Ältestenrat wird nunmehr zuerst die Grundgesetzänderung verhandelt; es sind dies die Punkte 11 und 12 a der Tagesordnung. Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache V/4138 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache V/4295 Berichterstatter: Abgeordneter Erhard ({2})
({3}).
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht. Wünscht er eine Ergänzung zu machen - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur zweiten Beratung. Ich rufe Art. 1, 2, Einleitung und Überschrift auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wie wünschen Sie abzustimmen? - Es wird kein Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt. Dann stimmen wir durch Auszählen ab.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben 410 ihre Stimme abgegeben. 409 haben mit Ja gestimmt; einer hat sich der Stimme enthalten; keine Nein-Stimmen. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit beträgt 331 Stimmen; sie ist überschritten. Das Gesetz ist also verfassungsmäßig angenommen.
Ich rufe Punkt 12 a der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({4})
- Drucksache V/4085 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({5})
- Drucksache V/4254
Berichterstatter: Abgeordneter Erhard ({6})
({7})
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, 2, Einleitung
und Überschrift auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wird namentliche Abstimmung beantragt? - Das ist nicht der Fall. Ich bitte Sie, sich wieder der Prozedur des Auszählens zu unterziehen und den Saal zu verlassen.
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung durch Auszählen über die Grundgesetzänderung bekannt. Von den stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 408 an der Abstimmung teilgenommen. 402 haben mit Ja gestimmt, 6 Enthaltungen, keine NeinStimmen. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit ist damit erreicht.
Ich rufe nunmehr Punkt 12 b auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen
- Drucksache V/4086 Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
- Drucksache V/4269 Berichterstatter: Abgeordneter Bühler ({8})
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Bühler, für seinen Schriftlichen Bericht.
Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, - 2, - Einleitung und Überschrift auf. - Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat vor fast genau einem Jahr das Achte Strafrechtsänderungsgesetz beschlossen, mit dem das materielle Staatsschutzstrafrecht grundlegend reformiert und verbessert worden ist. Diese Reform des politischen Strafrechts war der erste
entschiedene Schritt auf dem Wege zu einer Gesamtreform des materiellen Strafrechts. Damit und mit den von diesem Hohen Haus erst kürzlich verabschiedeten beiden Strafrechtsreformgesetzen ist das in langen Jahrzehnten erfolglos gebliebene Bemühen um eine Reform des Strafgesetzbuches endlich zu einem wesentlichen Erfolg geführt worden.
Heute liegen dem Hohen Haus zwei Gesetzentwürfe über die Reform des Staatsschutzstrafrechts nunmehr auf strafverfahrensrechtlichem Gebiet zur Beschlußfassung vor. Im einzelnen hat dieses Reformvorhaben in dem Entwurf eines Gesetzes zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen seinen Niederschlag gefunden. War das Achte Strafrechtsänderungsgesetz der erste Schritt zu der inzwischen erheblich weiter fortgeschrittenen Gesamtreform des Strafgesetzbuches, so möchte ich die Ihnen heute vorliegenden Gesetzentwürfe als einen solchen ersten Schritt zu einer Gesamtreform des Strafprozeßrechts ansehen, in deren größerem Rahmen die Verfassung der Strafgerichtsbarkeit und das Strafverfahren neu geordnet werden sollen. Sicher ist dies nur ein erster Schritt. Frau Dr. Diemer-Nicolaus, ich darf vorweg sagen, daß das Justizministerium z. B. schon die Vorbereitungen dafür trifft, in der nächsten Legislaturperiode auch die Frage der geheimen Zeugen und die Frage der Sachverständigen in diesen Verfahren zu regeln.
Ziel aller unserer Reformarbeiten im Bereich der Justiz ist es, den Rechtsstaat zu verbessern. Mit dem Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen geschieht das in besonders markanter Weise. Denn mit ihm wird ein altes rechtsstaatliches Postulat erfüllt, die Forderung, auch in den politischen Strafsachen, in denen bisher der Bundesgerichtshof und die Oberlandesgerichte zugleich erste und letzte Instanz waren, ein Rechtsmittel einzuführen. Damit soll endlich erreicht werden, daß derjenige, der wegen eines Deliktes des sogenannten politischen Strafrechts verfolgt wird, in seinem Rechtsschutz nicht schlechter gestellt wird als derjenige, dem eine andere kriminelle Tat vorgeworfen wird. Auch ohne Zusammenhang mit einer weitgehenden Justizreform ist dies ein sehr wesentlicher Fortschritt, insbesondere wenn man sich die Geschichte dieser Reform vor Augen hält.
Noch im Jahre 1951 erschien es unmöglich, die Forderung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates zu erfüllen, einen zweiten Rechtszug in Staatsschutzsachen einzuführen. Ja, selbst im Februar des vergangenen Jahres mußte der Bundesminister der Justiz hier erklären, daß das Bemühen der Bundesregierung, dieses Gesetzesvorhaben voranzutreiben, als gescheitert angesehen werden müsse.
Inzwischen ist es jedoch gelungen, die sich aus dem Bund-Länder-Verhältnis ergebenden Schwierigkeiten zu überwinden. Die beteiligten Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben sich für die Gesetzesvorlagen ausgesprochen. Auch mit den Ländern besteht heute Übereinstimmung im Ziel dieser Reform, aber auch in den wesentlichen Punkten ihrer
Ausgestaltung. Daß das Blatt sich so gewendet hat, ist ein gutes Zeichen für das Funktionieren unserer Demokratie. Es zeigt sich, daß die im Bundestag vertretenen Parteien sich zunehmend leichter zusammenfinden, wenn es um elementare rechtsstaatliche Verbesserungen geht. Daß wir heute auf eine baldige Reform hoffen können, ist aber nicht zuletzt der guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Ländern zuzuschreiben. Es kann wohl kein besseres Zeichen für das Vertrauen des Bundes den Ländern gegenüber geben als die Tatsache, daß der Bund die Entscheidung in Angelegenheiten, die seine eigenen Belange sowie die Interessen der Gesamtheit unmittelbar berühren, den Gerichten der Länder überträgt. Ich glaube, es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich meine, daß dieses Gesetzeswerk nicht allein einen Fortschritt in der rechtsstaatlichen Verbesserung des Strafverfahrens darstellt. Es ist gleichzeitig ein Fortschritt in der Bewährung der föderativen Struktur unserer Demokratie.
Nachdem die Reform des politischen Strafrechts im letzten Jahr breiteste Zustimmung in diesem Hohen Haus und im Bundesrat erfahren hat, hoffe ich, daß auch die verfahrensrechtliche Vollendung dieser Reform allgemeine Zustimmung finden wird.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! An dem eindeutigen Ergebnis der Abstimmung über die Änderung des Grundgesetzes auf Grund der Drucksache V/4085 haben Sie schon gesehen, daß bei der Verabschiedung dieses Gesetzes kein Streit zwischen Opposition und Regierungskoalition besteht. Trotzdem muß ich daran erinnern - es klang allerdings auch schon in den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers an -, daß es eine Forderung der FDP gewesen ist, mit der Reform des materiellen Staatsschutzrechts gleichzeitig notwendige Reformen des Strafverfahrens zu verbinden. Das war eine Forderung der Freien Demokraten bei der ersten Lesung des politischen Strafrechts, das war eine Forderung der Freien Demokraten im Sonderausschuß, und das war eine Forderung der Freien Demokraten nachher bei der zweiten und dritten Lesung des materiellen politischen Strafrechts. Es ist insofern zu einer Einigung gekommen, und eine Entschließung ist einstimmig angenommen worden.
Mit dem Ergebnis sind wir allerdings noch nicht vollkommen befriedigt. Der Bundesjustizminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es sich hier um eine echte rechtsstaatliche Forderung handelt. Es muß möglich sein, gegen jede gerichtliche Entscheidung wenigstens ein Rechtsmittel einzulegen. Dies ist gerade bei den politischen Strafverfahren notwendig, da es sich dort einmal um sehr schwerwiegende Delikte handelt und zum andern in diesen Fällen gegebenenfalls entsprechend hohe Strafen verhängt werden. Es ist deshalb unbefriedigend, daß der
Bundesgerichtshof jetzt in diesem Verfahren in einer Instanz, erstinstanzlich und gleichzeitig letztinstanzlich, entscheidet.
Wir hatten neben der Schaffung der zweiten Instanz auch noch die andere Forderung erhoben - und wir hatten gehofft, daß das ebenfalls noch in dieser Legislaturperiode geschehen könne -, daß sichergestellt werde, daß auch in den politischen Strafverfahren nur die unmittelbare Beweisaufnahme gelte. Es sollen in dem Verfahren nur solche Zeugen auftreten und es sollen die Aussagen nur solcher Zeugen verwertet werden können, die mit vollen Namen bekannt sind und unmittelbar bei dem Gericht in Gegenwart des Angeklagten und seines Verteidigers gehört werden. Das ist jetzt nicht gesichert. Die Fragwürdigkeit der jetzt bestehenden Handhabung läßt es dringend notwendig erscheinen, daß diese Reform, zu der es in dieser Legislaturperiode leider nicht mehr kommt, sehr schnell zu Beginn der nächsten Legislaturperiode nachgeholt wird. Ich habe mich gefreut, Herr Bundesjustizminister, von Ihnen zu erfahren, daß wenigstens die Vorarbeiten hierfür im Bundesjustizministerium schon getätigt werden.
Das Gleiche gilt für die Sachverständigen. Sachverständige müssen unabhängig sein. Gerade in Verfahren des politischen Strafrechts müssen sie auch unabhängig vom Verteidigungsministerium sein. Hinsichtlich der Haltung der Freien Demokraten zu ihren Einzelfragen darf ich Sie auf die Diskussion verweisen, die im Zusammenhang mit der Großen Anfrage der Freien Demokraten im vorigen Jahr stattgefunden hat. Ich möchte mich heute kurz fassen.
Eine erfreuliche Einmütigkeit hat sich nun wieder insofern ergeben, als Sie, Herr Bundesjustizminister, darauf hingewiesen haben, daß es sich erst um eine Mindestreform handelt, der weitere Reformen des Strafverfahrens folgen müssen. In der Art, wie der Bundestag die Reform des gesamten materiellen Strafrechts hat behandeln müssen - wir haben jetzt schon zwei Strafrechtsreformgesetze vorlegen müssen und müssen diese Reform in Teilabschnitten fortsetzen -, sollten wir auch bei dem Strafverfahren, wo es sich nicht um minder schwere Probleme handelt, vorgehen. Wir müssen im nächsten Bundestag vorweg zu einer Reform hinsichtlich der V-Zeugen und hinsichtlich der Sachverständigen kommen.
Es kommt noch ein Drittes hinzu, Herr Bundesjustizminister, nämlich die Frage, wieweit die besonderen 74a-Kammern aufrechterhalten bleiben sollen. Dabei geht es um Probleme, die auch schon im Sonderausschuß angesprochen worden sind.
Es gehört weiter hinzu, daß das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse - es war dies einer der ersten Anträge, die die FDP-Fraktion in dieser Legislaturperiode gestellt hat -, das bisher im Rechtsausschuß nicht abschließend behandelt wurde, in diesem Zusammenhang mit geregelt wird.
Als weiteres gehört hinzu, daß möglichst bald in der nächsten Legislaturperiode von der dann amtierenden Regierung - wie sie sein wird, wissen wir natürlich heute noch nicht, da wird der Wähler
die Gewichte setzen müssen - einmal eine Gesamtkonzeption vorgelegt wird, also nach welchen Grundsätzen insgesamt das Strafverfahren reformiert werden soll. Denn erst, wenn wir uns über eine Gesamtkonzeption geeinigt haben, wird es möglich sein, die entsprechenden Teilreformen so schnell wie möglich, und hoffentlich alle, in der nächsten Legislaturperiode durchzuführen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister hat die wesentlichen Anliegendes Gesetzesentwurfs, der heute zur Beratung ansteht, schon vorgetragen, so daß ich mich in der Sache sehr kurz fassen kann.
Die SPD-Fraktion begrüßt diesen Gesetzentwurf deshalb, weil er eine notwendige Ergänzung der Strafrechtsreformarbeiten darstellt, insbesondere auch der Reformarbeiten am politischen Strafrecht, und des weiteren deshalb, weil er, wie der Herr Bundesjustizminister sagte, den ersten Schritt zu einer Gesamtreform des Strafprozeßrechts bildet.
Der Bundestag kommt mit der Verabschiedung dieses Entwurfs einer Entschließung nach, die er am 29. Mai 1968 einstimmig beschlossen hat. Dabei darf ich ganz kurz darauf eingehen, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, daß in diesem Entschließungsantrag von den beiden Problemen, die Sie heute angesprochen haben, in keiner Weise die Rede war. Es ist unrichtig, daß, wie Sie heute gesagt haben, die FDP-Bundestagsfraktion aus Anlaß der Verabschiedung der Reform des politischen Strafrechts entsprechende Anträge gestellt hätte. Sie haben lediglich im Rahmen der Diskussion und im Rahmen Ihrer Ausführungen darauf hingewiesen, daß diese beiden brennenden Punkte gelöst werden müßten. Aber diese Ihre Hinweise haben keinen Niederschlag in einem Antrag gefunden. Wir haben einen einstimmigen Beschluß gefaßt, der u. a. auch die Einführung der zweiten Instanz zum Gegenstand hat, der aber nicht die Lösung des Problems der mittelbaren Zeugen und des Problems der Sachverständigen in dieser Sitzungsperiode vorsieht.
Herr Abgeordneter Müller-Emmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Müller-Emmert, darf ich daran erinnern, daß ich nicht davon gesprochen habe, daß wir einen entsprechenden Antrag gestellt haben, sondern gesagt habe, daß wir das von Anfang an gefordert haben. Daß das stimmt, können Sie in den Protokollen des Bundestags wie des Sonderausschusses nachlesen.
Frau Kollegin, ich habe nichts anderes gesagt. Ich habe erklärt, daß Ihre Fraktion eine Lösung dieses Problems wünscht, habe aber weiterhin erklärt, daß Ihre Fraktion keinen formalen Antrag gestellt hat und daß auch kein Entschließungsantrag des Bundestages vorliegt, der die Lösung dieser beiden Probleme in dieser Sitzungsperiode vorsieht.
Demnach darf ich mich zum Abschluß sehr kurz fassen. Die SPD-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf, der Ihnen zur abschließenden Beratung vorliegt, zu.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verspreche, in drei Minuten diesen Platz wieder zu verlassen, und halte deswegen die Uhr in der Hand. Ich lasse infolgedessen die obiter dicta der sehr verehrten Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, die die Wünsche für morgen betreffen, beiseite und spreche nur zu dem, was auf dem Tisch des Hauses liegt. Das ist zweierlei.
Erstens wird die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs in politischen Strafsachen auf die Oberlandesgerichte übertragen und damit die Möglichkeit eines Rechtsmittels gegeben.
Zum zweiten - ich hebe nur die beiden wesentlichen Punkte heraus - wird die zentrale Ermittlungszuständigkeit des Generalbundesanwalts gewahrt. Das ist eine Lösung, die - wie wir rückblickend feststellen - in der Denkschrift des Bundesjustizministers aus dem Jahre 1951 für unmöglich gehalten wurde. Diese Lösung ist möglich geworden durch ein sehr scharfsinniges Entwurfswerk und durch eine Großzügigkeit der Länder.
Wenn Sie mich fragen, ob ich das für einen Fortschritt halte - ich bin ja den Ämtern, die da in Frage stehen, nicht ganz fern gewesen -, dann sage ich unumwunden ja. Auch als Antwort auf eine Frage, die mir eben gestellt worden ist, nämlich ob diese Eininstanz auch früher beim Reichsgericht gegolten habe, sage ich ja. Aber jene Zuständigkeit war wesentlich kleiner. In dem weiten Rahmen, der bis jetzt bestand, wäre sie nicht lange mehr aufrechtzuerhalten gewesen.
({0})
Ich halte es für einen Fortschritt, daß das Rechtsmittel zulässig wird. Ich bin oft im Bundesgerichtshof von fremden Gästen gefragt worden: Ist das nicht eine Anomalität, daß die Urteile dieses Hauses nicht anfechtbar sind? - Ich habe gesagt: Ja; es besteht auch die Tendenz, das zu bessern. Es wird gebessert; was rechtsstaatlich notwendig ist, wird garantiert, was die Sicherheit des Bundes verlangt, ist berücksichtigt. Aus diesen Gründen sage ich mit meinen Freunden: Ich bitte Sie, dieser Vorlage zuzustimmen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wuermeling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß Ihnen gestehen, daß mir bei diesem Gesetzentwurf sehr wenig wohl ist. Ich darf kurz sagen, aus welchem Grunde.
Ich bin grundsätzlich mit dem Hohen Hause der Auffassung, daß im Strafrecht eine zweite Instanz gewährleistet sein soll. Es ist aber bestimmt nichts Neues in der Bundesrepublik, sondern, wie wir eben hörten, hergebrachtes Recht auch aus der Weimarer Zeit, daß in Hochverratsverfahren nur eine Instanz, nämlich die alleroberste, die mit dem allergrößten Vertrauen ausgestattet ist, hier die Entscheidungen zu treffen hat.
Ich darf die Aufmerksamkeit dieses Flohen Hauses einmal darauf lenken, daß dann, wenn dieser Gesetzentwurf verwirklicht wird, etwa ein Prozeß wie der jetzt laufende Porst-Prozeß von der Verteidigung durch zwei Instanzen hingeschleppt - ich sage das sehr vorsichtig - werden kann. Ich habe das Gefühl, daß es bei dem Vertrauen, das wir in den Bundesgerichtshof als höchste Instanz setzen können, wirklich nicht erforderlich ist, daß wir über alle schon vorhandenen Sicherungen hinaus noch mehr Schutzmaßnahmen in bezug auf den Angeklagten treffen.
Damit wollte ich nur meine Auffassung begründet haben, daß ich diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen kann.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein Wort zu diesem Argument. Die Richter am Bundesgerichtshof, die sich mit diesen Dingen zu befassen haben, Herr Abgeordneter Wuermeling, sind anderer Meinung. Sie sind der Meinung, daß es eigentlich unzumutbar ist, sich in einer einzigen Instanz mit der ganzen komplizierten Tatsachenseite und der normativen Seite solcher Fälle zu beschäftigen. Die Richter selbst sind also der Meinung, daß ihnen gedient ist, wenn diese zweite Instanz eingeführt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güde.
Herr Präsident, nur eine Bemerkung die ich als Frage nicht mehr an den Herrn Kollegen Dr. Wuermeling losgeworden bin. Ich hätte ihn gefragt, ob er sich über den völlig unterschiedlichen Umfang klar ist, den die Zuständigkeit des Reichsgerichts und die bisherige des Bundesgerichtshofs hatte und hat. Sie ist ganz unterschiedlich, vielleicht im Verhältnis von 10 : 1. Es hat nur ganz wenige Prozesse beim Reichsgericht gegeben.
Zweitens hätte ich ihn in der Form der Frage darauf hingewiesen, daß die Regelung im Kaiserreich, in dem diese Zuständigkeit begründet wurde, keineswegs unbestritten war, sondern daß der Abgeordnete Windthorst, der für Herrn Dr. Wuermeling sicher kein fremder und verachtenswerter Mann ist, heftig gegen diese Einzuständigkeit widersprochen hat, aus Gründen, die uns jetzt auch veranlassen, dem Gesetz zuzustimmen.
({0})
Meine Damen und Herren, wird noch weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit beschlossen.
Meine Damen und Herren, es gilt noch die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Hierzu eine Bemerkung? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung
- Drucksachen V/3983, V/3985 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache V/4318 - Berichterstatter: Abgeordneter Seidel
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({1})
- Drucksachen V/4285, zu V/4285, Nachtrag zu V/4285
Berichterstatter: Abgeordneter Behrendt
Abgeordneter Exner
({2})
Zur Ergänzung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit erteile ich dem ersten Berichterstatter, dem Abgeordneten Behrendt, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 23. April dieses Jahres in erster Lesung die beiden Gesetzentwürfe der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle für Arbeiter und über die Änderung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung beraten.
Der federführende Ausschuß für Arbeit hat in der Zeit vom 24. April bis zum 4. Juni dieses Jahres die Entwürfe in mehreren Sitzungen beraten und u. a. am 5. Mai Sachverständige dazu angehört.
Der Ausschuß für Sozialpolitik hat über seine Mitberatung mit Schreiben vorn 22. Mai dem federführenden Ausschuß seine Stellungnahme übersandt. Zum Artikel 2 der Gesetzentwürfe hat der Sozialpolitische Ausschuß einen eigenen Berichterstatter, I den Kollegen Exner, benannt, der dazu noch bei der
mündlichen Beratung, so nehme ich an, Stellung nehmen wird.
Der Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen hat zu den Entwürfen am 4. Juni 1969 Stellung genommen und von den Beschlüssen des Ausschusses für Arbeit Kenntnis genommen.
Der Haushaltsausschuß hat auf Grund der Ihnen vorliegenden Drucksache V/4318 festgestellt, daß die Vorlage mit der Haushaltslage vereinbar ist.
Die beiden Gesetzentwürfe der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU gehen von dem Grundsatz aus, daß die Arbeiter im Krankheitsfalle einen unabdingbaren Lohnfortzahlungsanspruch bis zur Dauer von höchstens 6 Wochen gegen ihren Arbeitgeber haben. Das ist die sogenannte arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung. Von diesem Grundsatz beider Entwürfe ausgehend, hat der Ausschuß für Arbeit seine Ihnen hier vorliegenden Beschlüsse gefaßt.
Zu den wichtigsten Beschlüssen und wichtigsten Änderungen möchte ich noch kurz folgende mündliche Begründung geben sowie die zwei notwendigen Berichtigungen ansprechen, die bei der Verabschiedung im Ausschuß für Arbeit im Text noch nicht erstellt werden konnten.
Im Artikel 1 § 1 hat der Ausschuß für Arbeit die Auffassung zum Ausdruck gebracht, daß nach Beginn der Beschäftigung auch der erste Weg zur Arbeitsstätte als Beginn der Beschäftigung anzusehen ist.
Der im Artikel 1 § 1 Abs. 1 neu eingefügte Satz 2 regelt den Lohnfortzahlungsanspruch bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit. Er wurde weiter dadurch erforderlich, daß nach den Beschlüssen des Ausschusses auch Kuren aus medizinischen Gründen in den Lohnfortzahlungsanspruch einbezogen werden. Im gleichen Paragraphen wurden in Absatz 2 Nr. 1 alle Probearbeitsverhältnisse ausgenommen, um mißbräuliche Vertragsgestaltungen dadurch zu verhindern.
Bei der Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts nach Artikel 1 § 2 hat sich der Ausschuß für das von der CDU/CSU vorgeschlagene Lohnausfallprinzip entschieden.
In der Neufassung des § 2 Abs. 1 Satz 2 wird klargestellt - und das ist ein besonders wichtiger Hinweis -, daß Funktionszulagen sowie die in einem einheitlichen Lohnbetrag aufgegangenen Leistungen oder Leistungen, die Aufwendungen pauschal abgelten, bei der Berechnung des fortzuzahlenden Lohnes erhalten bleiben. Ausgenommen von der Fortzahlung werden lediglich solche Leistungen, die Aufwendungsersatzcharakter haben und zugleich von einem Nachweis abhängig sind.
Neu aufgenommen in den Lohnfortzahlungsanspruch für Arbeiter wurden nach Artikel 1 § 7 die Kuren bis zu einer Dauer von höchstens sechs Wochen, wenn diese Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskuren von einem Sozialleistungsträger bewilligt und die vollen Kosten übernommen werden.
Für den Bereich der Heimarbeiter wurde nach Artikel 1 § 8 für den betroffenen Personenkreis, der wirtschaftlich den Arbeitern mit Lohnfortzahlungsanspruch gleichzustellen ist, eine Erhöhung des Zuschlags von 1,8 auf 3,4 v. H. vorgenommen.
In Artikel 1 § 10 empfiehlt der Ausschuß für ArbeIt in Übereinstimmung mit dem Ausschuß für Sozialpolitik die Übernahme des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen nach 'der CDU/CSU-Vorlage. An dem Ausgleich nehmen nur Arbeitgeber teil, die in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer haben - eine Regelung, für die sich bei der Anhörung der Sachverständigen die Betroffenen ausgesprochen haben. Bei der Feststellung des Personenkreises - ob ein Betrieb nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt - werden die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten nicht mit einbezogen.
Bei dem Erstattungsanspruch vertritt der Ausschuß für Arbeit die Auffassung - das war ein besonderes Anliegen eines Kollegen im Ausschuß -, daß es nur darauf ankommt, daß der Arbeitgeber dem erkrankten Arbeiter den Lohn fortgezahlt hat, nicht aber darauf, daß die Arbeitsunfähigkeit nach Maßgabe des § 3 nachgewiesen worden ist, denn der erste Abschnitt des Art. 1 ist privates Arbeitsrecht und ist nur zugunsten des Arbeitnehmers abdingbar. So kann z. B. bei einem Betriebsunfall, 'bei dem der Arbeitgeber zugegen war, von .dem Nachweis der Krankheit abgesehen werden. Das Regulativ für einen möglichen ungerechtfertigten Erstattungsanspruch besteht in § 11 durch den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Ausschuß für Arbeit hat für die Ausgleichskassen die Bildung einer Rücklage nicht für erforderlich gehalten. Die Ansammlung einer Liquiditätsreserve in Form von Betriebsmitteln sieht er als ausreichend an.
Ich habe nun, Herr Präsident, eine Berichtigung vorzunehmen. Sie betrifft im Artikel 1 den § 19 und - ich darf es vielleicht gleich Jauch mit dem anderen Artikel verbinden - im Artikel 3 und § 4.
Auf Grund einer Anregung aus Arbeitgeberkreisen beschloß der Ausschuß für Arbeit einstimmig, zusätzlich zum beschlossenen gesetzlichen Ausgleichsverfahren für Kleinbetriebe bis zu 20 Beschäftigten ein freiwilliges Ausgleichsverfahren in das Gesetz aufzunehmen. An diesen auf freiwilliger Basis gebildeten Einrichtungen können. auch Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten teilnehmen. Der Ausschuß für Arbeit beschloß hierzu einstimmig, daß für diese Einrichtungen Steuerfreiheit gegeben werden müsse. Es war dem Ausschuß während seiner Berliner Sitzung allerdings nicht möglich, einen entsprechenden Text mit dem Bundesministerium der Finanzen abzustimmen. Dieser Text liegt dem Hohen Hause nunmehr in dem Nachtrag zu Drucksache V/4285 als Berichtigung vor.
Die Berichtigung ist wie folgt vorzunehmen. In Artikel 1 § 19 bleibt Absatz 1 wie bisher bestehen. Der frühere Absatz 3 bleibt unverändert und wird Absatz 2. Neu .gefaßt werden mußte der Absatz 3, der mit dem Finanzministerium abgestimmt worden ist und nunmehr wie folgt lautet:
({0}) Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen im Sinne des § 1 Abs. 1
des Körperschaftsteuergesetzes, die als Einrichtung der in Absatz 1 'bezeichneten Art durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung genehmigt sund, sind von der Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Vermögensteuer befreit.
Herr Präsident, ich darf vielleicht gleich auch die Berichtigung für den Artikel 3 § 4 vornehmen. Die bisherige Regelung im Versicherungsteuergesetz 'bleibt, wie sie in der Vorlage vorgesehen ist, bestehen. Es wird angefügt:
Dies gilt auch für eine Versicherung, die bei einer Einrichtung im Sinne des § 19 Abs. 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes genommen wird.
Zu den Artikeln 3 und 4 ist zu bemerken, daß sie die notwendigen Änderungen von Gesetzen und Beschlüssen sind, ,die sich aus den Artikeln 1 und 2 der vorliegenden 'Beschlüsse ergeben. Als erwähnenswert möchte ich hier 'anführen, daß im Artikel 4 § 4 die Übergangshilfe des Bundes in Höhe von 525 Millionen DM bis einschließlich des Jahres 1972 in die Gesetzesvorlage aufgenommen worden ist.
Das Inkrafttreten des Gesetzes mußte 'auf den 1. August 1969 festgesetzt werden, da die erforderliche Zustimmung des Bundesrates die Inkraftsetzung des Gesetzes zum 1. Juli 1969 nicht mehr zuließ. Für das Inkrafttreten der Regelung nach Artikel 2 ,§ 181 Absatz 2 bis 4 der Reichsversicherungsordnung wurde der 1. Januar 1970 festgelegt, weil für die Rückvergütung nicht benutzter Krankenscheine das als frühestmögliches Datum genommen werden kann.
Bleibt mir zum Schluß, Herr Präsident, meine Damen und Herren, den schriftlich fixierten Antrag des Ausschusses für Arbeit hier noch einmal mündlich vorzutragen, nämlich erstens das Hohe Haus zu bitten, den Beschlüssen des Ausschusses für Arbeit in der Ihnen vorliegenden Form zuzustimmen, und zweitens die dazu eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären.
({1})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Der andere Berichterstatter, Herr Abgeordneter Exner, wünscht offenbar nicht das Wort zur Ergänzung. Ich danke auch ihm für den Schriftlichen Bericht.
Zum Bericht hat Herr Abgeordneter Schmidt ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind dem Kollegen Behrendt sehr dankbar, daß er noch einmal auf den vorliegenden Bericht eingegangen ist. Wir hätten allerdings auch erwartet, daß er zu einigen Dingen Stellung nimmt, die diesen Bericht als sehr zweifelhaft erscheinen lassen. Wir stellen die Frage, ob dieser Bericht überhaupt der Geschäftsordnung und den Gepflogenheiten dieses Hauses 'entspricht.
({0})
Ich möchte zu diesem Bericht folgende Anmerkungen machen und den Herrn Präsidenten bitten, anschließend zu prüfen, ob dieser Bericht wirklich der Geschäftsordnung dieses Hauses und den bisherigen Gepflogenheiten entspricht.
Erstens. Meine Damen und Herren, hier liegt uns ein Bericht vor, der eine sehr merkwürdige Form hat. In diesem Bericht findet sich keine Gegenüberstellung der beiden Gesetzentwürfe, wie das in Berichten in diesem Hohen Hause bisher üblich war. Durch die Gegenüberstellung soll denjenigen Kollegen von Ihnen und uns, die an den Beratungen nicht direkt teilgenommen haben, die Möglichkeit gegeben werden, festzustellen, was der Ausschuß für Veränderungen vorgenommen hat. Wie gesagt, diese Gegenüberstellung ist in diesem Bericht merkwürdigerweise nicht erfolgt, obwohl der zur gleichen Zeit vorgelegte Bericht des sozialpolitischen Ausschusses zum Bundesknappschaftsgesetz selbstverständlich dieser Gepflogenheit folgt und obwohl das in diesem Hohen Hause bisher auch so üblich war. Das ist die erste Anmerkung, die wir machen müssen. Wir können daraus eigentlich nur den Eindruck gewinnen, daß hier bewußt versucht worden ist, die Freunde in der eigenen Fraktion oder die Freunde in der Fraktion des Koalitionspartners darüber hinwegzutäuschen, was alles gegenüber dem, was ursprünglich die Fraktion beschlossen hat, geändert worden ist.
({1})
Es ist sehr merkwürdig, daß dem Hohen Hause ausgerechnet bei einem so bedeutsamen Gesetz die Gegenüberstellung überhaupt nicht noch einmal vorgelegt wird, wie das sonst allgemein üblich war.
Ein Zweites, meine Damen und Herren. Es ist auch eine sehr merkwürdige und in diesem Hause nicht übliche Methode, daß man zunächst zwar den Bericht als Drucksache bekommt, in dem, wie gesagt, nur die Ergebnisse der Ausschußberatung ohne Gegenüberstellung der Entwürfe enthalten sind, aber erst gestern in den späten Abendstunden - die zweite und dritte Lesung sollte ja ursprünglich heute vormittag stattfinden - die zusätzlichen Darstellungen und Erläuterungen zu den vielen Veränderungen erhält, so daß kaum einer in diesem Hohen Hause in der Lage gewesen ist, diese Veränderungen zu überprüfen,
({2})
zumal er keine Möglichkeit zur Gegenüberstellung hat und sich alle Einzelheiten erst zusammensuchen muß. Meine Damen und Herren, das ist eine Methode - interessant! -, die bisher in diesem Hohen Hause nicht üblich war. Bisher gab es Fristen für die Vorlage von Berichten.
Nun zum Dritten, meine Damen und Herren. In dem Schriftlichen Bericht zu Drucksache V/4285 heißt es unten auf Seite 1:
Der Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen hat die Entwürfe am 4. Juni 1969 beraten und von den Beschlüssen des Ausschusses für Arbeit vom 3. und 4. Juni 1969 Kenntnis genommen, . . .
Schmidt ({3})
Es würde uns interessieren, wie diese Fassung zustande gekommen ist, nachdem erst heute früh im Arbeitsausschuß des Deutschen Bundestages der Brief des Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses einging, aus dem hervorgeht, daß der Wirtschaftsausschuß nur am 4. Juni darüber beraten hat. Im Bericht steht: 3. und 4. Juni.
({4})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, wo die Mitberatung des Wirtschaftsausschusses in diesem Bericht überhaupt zum Ausdruck kommt.
Ich möchte gleich auf die Kritik, die nachher kommen wird, eingehen. Als von uns im Ausschuß auf diese Dinge hingewiesen wurde, wurde in der vorigen Woche bei der Berliner Sitzung im Arbeitsausschuß erklärt, der Wirtschaftsausschuß verzögere die Dinge, deshalb könne man auf den Wirtschaftsausschuß keine Rücksicht mehr nehmen.
Wie waren die Dinge wirklich? Zweimal sollte die Vorlage im Wirtschaftsausschuß auf die Tagesordnung kommen. Auf Wunsch der Kollegen von der CDU/CSU und der SPD hat der Vorsitzende sie nicht auf die Tagesordnung gesetzt.
({5})
- Abgesetzt. Jetzt macht man ihm den Vorwurf, er habe die Sache verzögert, und der Wirtschaftsausschuß wird in dem Bericht nicht berücksichtigt. Was ist das für eine parlamentarische Methode?! Dann dürfen Sie solche Gesetzentwürfe gar nicht an den Wirtschaftsausschuß zur Mitverantwortung überweisen; aber so können Sie es nicht machen. Das sind Methoden, die den Bericht als sehr merkwürdig erscheinen lassen. Es erhebt sich die Frage, ob hier überhaupt eine Beratung auf Grund dieses Berichts erfolgen kann.
Ein vierter Punkt, der vielleicht am gravierendsten ist und bei dem wir, Herr Präsident, die Frage aufwerfen müssen, ob dieser Bericht überhaupt geschäftsordnungsmäßig in Ordnung ist. Zunächst hatten sich die beiden Ausschüsse, der federführende Arbeitsausschuß und der Sozialpolitische Ausschuß, darüber geeinigt, daß der arbeitsrechtliche Teil von einem Berichterstatter des Arbeitsausschusses und der versicherungsrechtliche Teil von einem Berichterstatter des Sozialpolitischen Ausschusses vorgetragen wird. So weit, so gut, wenn man auch das schon als etwas problematisch ansehen kann. Aber wo steht in der Geschäftsordnung dieses Hauses, daß ein Abgeordneter über Beratungen in einem Ausschuß, dem er nicht angehört, als Berichterstatter berichten kann, wie das der Kollege Exner in seinem Teil des Berichts auf Seite 6 links unten tut, wo er über die Beratungen im Arbeitsausschuß berichtet. Hier muß doch die Frage gestellt werden, Herr Präsident: Ist es überhaupt nach der Geschäftsordnung möglich, daß ein Mitglied des Hauses als Berichterstatter über Entscheidungen in einem anderen Ausschuß, dem es nicht angehört, in diesem Hohen Hause berichtet?
Das sind die vier Punkte. Ich darf sie noch einmal zusammenfassen: 1. die merkwürdige Form ohne Gegenüberstellung und damit eine zumindest sehr
magere Information für alle Mitglieder des Hohen Hauses, die mit der Materie nicht vertraut sind;
2. die sehr späte Vorlage des tatsächlichen Berichts;
3. die Nichtbeachtung des Wirtschaftsausschusses und die damit verbundene Fehlberichterstattung über eine Beratung am 3. Juni, einem Tag, an dem der Wirtschaftssausschuß über diese Frage überhaupt nicht beraten hat; 4. vor allem die Frage, ob es möglich ist, daß ein Mitglied des Sozialpolitischen Ausschusses zum Berichterstatter für den Arbeitsausschuß wird, dem es nicht angehört, und damit im Rahmen des Schriftlichen Berichts über die Entscheidungen und Anträge im Arbeitsausschuß mit berichtet. Dabei erhebt sich für uns die Frage an den Präsidenten, ob der Bericht in dieser Form überhaupt Grundlage der Beratung in der zweiten Lesung sein kann.
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Wir möchten deshalb eine Vertagung auf nächste Woche empfehlen - damit schließen wir uns den Vorstellungen der sozialdemokratischen Fraktion von heute vormittag an -, damit erst einmal die Fragen, die ich hier aufgeworfen habe, klargestellt werden und dem Hohen Hause ein Bericht vorgelegt wird, der der Geschäftsordnung und auch der Würde dieses Hauses entspricht.
({7})
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort zu diesem Bericht weitergebe - sicherlich werden noch Vorwürfe und Einwände erhoben werden -, möchte ich dem Herrn Redner und dem Herrn Fraktionsgeschäftsführer der FDP folgendes sagen! An den Präsidenten können Fragen nicht gerichtet werden; denn der Präsident beantwortet keine Fragen. Sie können nur zwei Dinge tun: entweder erheben Sie mit irgendeinem Minderheitenquorum Einspruch gegen die Beratungen - dann müssen Sie mir sagen, auf welche Bestimmung der Geschäftsordnung Sie sich stützen -, oder aber Sie stellen einen Antrag zur Geschäftsordnung auf Vertagung oder Absetzung von der Tagesordnung mit den Gründen, die Sie soeben vorgetragen haben. Eins von beiden müssen Sie tun. Fragen an den Präsidenten sind nicht möglich.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({1}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf als Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit zu den Ausführungen des Kollegen Schmidt ({0}) Stellung nehmen.
Zu dem ersten Vorwurf, diese Form entspreche nicht dem üblichen Verfahren, muß ich sagen: wer weiß, welche Arbeit der letzten Tage dahintersteckt, die Vorlage für das Plenum reif zu machen, der wird doch von sich aus wohl die Mühe aufwenden können, die beiden ursprünglichen Gesetzentwürfe, die von den Fraktionen in der ersten Lesung eingebracht
Müller ({1})
worden sind, neben die Beschlüsse zu legen. Ich glaube, soviel Mehrarbeit ist das für den einzelnen Abgeordneten nicht, denn Sie haben ja die ursprünglichen Texte hier. Sie brauchen sie nur nebeneinanderzulegen. Ich glaube, dadurch hat sich sogar eine Ersparnis an Druckkosten ergeben.
Zum zweiten, meine Damen und Herren. Die späte
({2})
- Das ist Ihre Meinung. Lassen Sie mir doch aber auch meine Meinung. Das darf ich ja doch hier wohl noch sagen.
({3})
Wieso? Sie haben sie doch vorliegen! Reden Sie doch nicht! Frage an Sie: Haben Sie die Drucksachen vorliegen, ja oder nein? Sie haben die Drucksachen beider Fraktionen vorliegen, und Sie haben die Beschlüsse des Ausschusses vorliegen. Das muß ja doch wohl genügen.
({4})
- Wenn Sie die nicht nebeneinander legen können, dann tun Sie mir leid!
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Meine Damen und Herren, nun die Frage der etwas verspäteten Vorlage. Es kam zunächst darauf an, daß die Beschlüsse des Ausschusses für Arbeit den Abgeordneten zugänglich gemacht wurden. Das ist so schnell wie möglich geschehen, weil das das Wesentliche ist. Der Bericht zu dieser Drucksache ist dann der ergänzende Bericht des Berichterstatters, wie der Ausschuß zu diesen Beschlüssen gekommen ist. Wir hatten in der vergangenen Woche auch noch einen Feiertag, und ich bin dem Berichterstatter sehr dankbar dafür, daß er seine Freizeit geopfert und diesen Bericht noch am Wochenende erstellt hat.
({6})
Meine Damen und Herren, zu dem dritten Punkt, daß der Bericht des Wirtschaftsausschusses in den Bericht des Ausschusses für Arbeit übernommen worden ist, der Brief aber erst heute morgen beim Vorsitzenden des Ausschusses für Arbeit eingegangen ist. Ich darf vielleicht den Kollegen Schmidt fragen, woher er weiß, daß ich diesen Brief heute morgen erst bekommen habe; denn wenn das eine Frage von Vorsitzendem zu Vorsitzendem ist, dann ist das doch sicherlich auch eine Frage, die der Vorsitzende hier vorzutragen hat, oder aber ich muß Parteipolitik dahinter vermuten und nicht sachliche Argumentation.
Zur Sache selbst darf ich Ihnen folgendes sagen.
({7})
- Herr Kollege Schmidt, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu, ich erkläre das hier.
Zur Sache selbst darf ich Ihnen sagen, daß der Wirtschaftsausschuß von mir unterrichtet worden ist, daß der Ausschuß für Arbeit in der Berlinwoche abschließend beraten wolle. Der Ausschuß für Arbeit
hat dann die Tagesordnung so gestaltet., daß die Beratung nicht am ersten Tage der Berlinwoche gewesen wäre. Der Wirtschaftsausschuß hatte also die Möglichkeit, seine Mitberatung noch am ersten Tage der Berlinwoche durchzuführen. Wenn der Wirtschaftsausschuß diesen Tagesordnungspunkt erst für Mittwoch nachmittag der Berlinwoche auf seine Tagesordnung gesetzt hat, kann niemand dem Ausschuß für Arbeit zumuten, daß er ein solches Mauern zuläßt; der Arbeitsausschuß wird sich, wenn er meint, diese Dinge müßten plenumreif gemacht werden, nicht durch die Mitberatung eines Ausschusses von der notwendigen Entscheidung abbringen lassen. Ich darf Sie vielleicht darauf hinweisen, was der Ausschuß für die Reform des Parlaments in der Frage der mitberatenden Ausschüsse angeführt hat. Danach kann in Zukunft der federführende Ausschuß, wenn der mitberatende Ausschuß die Vorlagen insgesamt vier Wochen hat, entscheiden, und nach über vier Wochen haben wir darüber entschieden.
({8})
Hinsichtlich des Berichts des Kollegen Exner stimmt es, daß zwischen dem Sozialpolitischen Ausschuß und dem Ausschuß für Arbeit - aber mit Zustimmung des Ausschusses für Arbeit - Übereinstimmung darüber herrschte, daß für den sozialrechtlichen Teil, nämlich die Reform der Krankenversicherung, wofür ja sonst der Sozialpolitische Ausschuß federführend gewesen wäre, ein eigener zusätzlicher Berichterstatter ernannt wird. Nach den Protokollen des Ausschusses für Arbeit habe ich das als Ausschußvorsitzender vor Beginn der Beratungen im Ausschuß mitgeteilt. Dagegen ist kein Widerspruch eingelegt worden, und es ist so verfahren worden.
Herr Präsident, das wollte ich zu den Beanstandungen zu dem Bericht des Kollegen Behrendt hier fairerweise sagen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich zunächst bei Ihnen, Herr Präsident, dafür entschuldigen, daß ich entgegen der Geschäftsordnung eine Frage an Sie gestellt habe. Ich tat es, weil ich annahm, meine Damen und Herren, daß der Herr Berichterstatter so fair sein würde, diese Dinge bei seiner zusätzlichen Berichterstattung anzuschneiden. Nachdem dies nicht geschah, sah ich mich gezwungen, mich hierzu zu Wort zu melden.
Herr Kollege Müller, ich glaube, ich habe deutlich genug gemacht, daß es hier nicht um diese Vorlage allein, sondern um die Methode geht, mit der hier eine zweite und dritte Lesung eingeleitet werden soll. Ich darf darauf hinweisen, daß beispielsweise beim Berufsbildungsgesetz - wir werden anschließend in der Tagesordnung zu diesem weiteren umfassenden Gesetzentwurf kommen - dieselbe Methode nur eines einzigen Berichts ohne Gegenüberstellung angewandt worden ist, eine
Schmidt ({0})
Methode, die in diesem Hause, meine Damen und Herren, bisher nicht üblich war.
({1})
- Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, können Sie mir die Drucksache zum Berufsbildungsgesetz zeigen, wo die beiden Entwürfe, die als Beratungsgrundlage vorlagen, und das Endergebnis als Bericht des Ausschusses, wie es üblich ist, einander gegenübergestellt sind? - Es ist nicht der Fall. Darum geht es, Herr Kollege Müller.
Sie glauben, das mit dem Vorwurf abtun zu können, es bereite den Abgeordneten ja nur etwas Mühe. Dazu muß ich Ihnen sagen, daß dann das, was bisher in diesem Hohen Hause geschehen ist, was selbstverständlich war, was der Geschäftsordnung dieses Hohen Hauses entsprach und von allen drei Fraktionen als selbstverständlich angesehen wurde, anscheinend ein Leerlauf gewesen ist. Ich glaube nicht, daß Sie das damit gesagt haben; aber anscheinend meinen Sie das so.
Nun zu dem bewußten Brief, Herr Kollege Müller. Damit Sie es ganz genau wissen: In Anbetracht der Tatsache, daß für heute früh die zweite und dritte Lesung vorgesehen war, habe ich mir erlaubt, als Mitglied des Arbeitsausschusses und Sprecher meiner Fraktion im Arbeitsausschuß im Sekretariat des Ausschusses zu fragen, ob die Stellungnahme des Wirtschaftsausschusses eigentlich vorliegt; denn ich hatte sie bisher nicht erhalten. Da habe ich erfahren, daß sie heute früh eingegangen ist, und habe sie eingesehen. Es ist ja wohl mein gutes Recht, als Mitglied des Arbeitsausschusses zu erfahren, was der Wirtschaftsaussschuß als mitberatender Ausschuß zu einer Sache zu sagen hat.
({2})
- Entschuldigen Sie, Sie können ja nachprüfen, wann ich mir heute früh im Sekretariat des Arbeitsausschusses diesen Brief geholt habe, um ihn zu lesen. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, Herr Vorsitzender, sofort die Mitglieder des Arbeitsausschusses durch Vervielfältigung davon zu unterrichten; denn die Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse gehörten ja wohl zu den Unterlagen, die ein Ausschußmitglied zu erhalten hat.
({3})
Noch einmal ganz kurz zum Wirtschaftsausschuß. Herr Kollege Müller, Sie haben hier zwar gesagt: Der Wirtschaftsausschuß hätte auch am Dienstag tagen können. Richtig. Das haben Sie auch in dem Bericht geschrieben.
({4})
- Herr Kollege Müller, Sie haben aber nicht den Vorwurf entkräftet - das möchte ich noch einmal feststellen -, den Sie im Arbeitsausschuß dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses gemacht haben. Die Sache wurde nämlich auf Grund der Absetzungsanträge Ihrer Kollegen von der CDU/CSU
und der SPD nicht beraten. Ich möchte das hier noch einmal feststellen. Sie haben den Vorwurf gemacht: Der Wirtschaftsausschuß blockiert.
({5})
- Herr Kollege Schellenberg, ich bin sicher, daß Sie als erfahrener Ausschußvorsitzender es sich keinesfalls hätten entgehen lassen, entschieden hier heraufzugehen, wenn Ihr Ausschuß in einer mitberatenden Funktion so übergangen worden wäre. Sie hätten dann nachdrücklich auf die Gepflogenheiten dieses Hauses hingewiesn.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hatte das Vergnügen, zu hören, wie man versucht hat, den Wirtschaftsausschußvorsitzenden, der meiner Fraktion angehört und der heute nicht hier sein kann, zu verunglimpfen.
({7}).
- Herr Kollege Müller, das haben Sie getan; ich hätte das hier sonst nicht erwähnt.
({8})
- Jawohl, Sie haben gesagt, der Wirtschaftsausschuß und der Vorsitzende blockieren die Sache. Ihre Kollegen waren es, die es absetzen wollten.
({9})
Also lassen wir das! So waren die Tatsachen, und das mußte hier mal gesagt werden.
({10})
- Ich möchte nicht noch einmal die Tatsachen schildern, wie sie wirklich waren. Ich habe sie vorhin nicht geschildert, aber wenn Sie glauben, das übergehen zu können, muß man es hier sagen.
Nun ein Letztes! Noch einmal, Herr Kollege Müller: Sie haben recht mit der Mitberatung und mit der zweierlei Berichterstattung. Das habe ich vorhin auch den Tatsachen entsprechend hier gesagt. Aber zu diesem Zeitpunkt nahm man ja an, daß der Sozialpolitische Ausschuß eine Gesamtvorlage, an der nichts mehr zu entscheiden wäre, dem Arbeitsausschuß für den versicherungsrechtlichen Teil - so haben Sie es wenigstens angenommen - übergeben würde. Das war nicht der Fall.
({11})
- Es ist ja nicht unsere Sache, eine Regierungsmeinung zu erreichen.
({12})
Schmidt ({13})
Sie haben ja bis heute noch keine. Sie haben bis zum jetzigen Zeitpunkt noch unterschiedliche Meinungen, meine Damen und Herren.
({14})
- Wo denn? Das ist das anscheinend ein Kompromiß, der jetzt so durch die Säle zittert, na schön.
({15})
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Schmidt, ich bin weder Mitglied des Wirtschaftsausschusses noch des Arbeitsausschusses. Aber glauben Sie, es würde wohl der Sache dienen, wenn wir in dieser Form hier weiterdiskutieren?
({0}) Wäre es nicht gut, Sie würden jetzt etwas mehr zu den Sachproblemen sagen?
({1})
Meine Herren, ich möchte doch bitten, gegenüber einer Dame höflich zu sein.
Frau Kollegin Kurlbaum-Beyer, Sie können versichert sein, daß, wenn es hier heute noch zu einer Debatte kommt - oder wann immer es zu dieser Debatte kommt -, von meinen Kollegen und mir noch eine ganze Reihe zur Sache gesagt werden wird. Sie können versichert sein, daß Sie eine ganze Reihe von Anträgen auf den Tisch bekommen werden.
({0})
Herr Kollege Schellenberg, ich muß die Frage noch einmal stellen, denn Herr Kollege Müller ist darauf nicht eingegangen: Ist Ihnen, Herr Kollege Müller, und ist Ihnen allen bewußt, daß das Mitglied eines anderen Ausschusses, der sehr verdienstvolle Kollege Exner, dem ich sonst gar nichts vorwerfe, über Beratungen im Arbeitsausschuß schriftlich berichtet hat, obwohl er dem Arbeitsausschuß weder angehört noch - wenn ich mich entsinnen kann - an den Beratungen überhaupt teilgenommen hat? Ich weiß nicht, ob das der neue Stil der Parlamentsreform sein soll, daß das so geht. Ich glaube nicht, daß das eine besonders gute Entwicklung der Parlamentsreform wäre, wenn wir an diesen Dingen der pflichtschuldigsten Beratung und Berichterstattung in den Ausschüssen so vorbeigingen.
Deshalb darf ich namens der FDP-Fraktion um Vertagung dieses Tagesordnungspunktes bis zur Klärung dieser Frage bitten.
({1})
Sie haben also den Antrag auf Vertagung gestellt. Dazu hat der Abgeordnete Rasner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens. Meine Herren Kollegen von der FDP, niemand wollte dem im ganzen Haus respektierten Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses zu nahe treten. Das möchte ich hiermit ausdrücklich sagen.
({0})
Sollte es da ein Mißverständnis gegeben haben, bitte ich das als durch diese Worte ausgeräumt zu betrachten.
({1})
Zweitens. Über ,das etwas ungewöhnliche Verfahren des Zusammenwirkens von Arbeitsausschuß und Sozialpolitischem Ausschuß ist hier gesprochen worden. Das Verfahren war etwas ungewöhnlich. Geschäftsordnung - Respekt, Respekt; aber man kann ja, wenn es der Sache dient, auch einmal ein etwas ungewöhnliches Verfahren wählen. Bürokraten sind wir hier in diesem Hause nicht und wollen wir auch nicht werden.
({2})
Drittens. Man kann formelle Einwände erheben, man kann aber auch formalistische Einwände erheben. Formalisten wollen wir auch nicht werden, meine Herren von der FDP. Den Vertagungsantrag möchten wir nicht gern ablehnen. Es wäre uns viel lieber, wenn Sie nach der Erklärung, die ich soeben hier abgegeben habe - denn die Sache ging ja vom Thema „Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses" aus -, Ihren Antrag zurückzögen und wenn wir jetzt endlich in die Behandlung der Materie eintreten könnten. 'Entheben Sie uns bitte der Notwendigkeit, Ihren Antrag abzulehnen.
({3})
Keine Wortmeldung? - Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Rasner haben sich positiv unterschieden von den unangemessenen Vorwürfen, die der Vorsitzende des Arbeitsausschusses hier erhoben hat. Das war nicht der Stil, wie in diesem Hause geredet werden sollte, Herr Kollege Müller. Ich glaube, es hat keinen Zweck, daß wir wiederholt Beratungen über eine Parlamentsreform in diesem Hause durchführen - Kollegen aller Fraktionen klagen darüber, daß sie bei Entscheidungen, die sie hier zu treffen haben, nicht den vollen Umfang dessen, was sie zu entscheiden haben, übersehen -, wenn sich auf der anderen Seite hier etwas wiederholt, was wir vor kaum anderthalb Jahren bei dem Finanzänderungsgesetz erlebt haben, nämlich daß in überhasteter Beratung unter Verletzung nahezu aller Möglichkeiten und Sicherungen der Geschäftsordnung für den einzelnen Abgeordneten Vorlagen zusammengestellt werden, deren Inhalt einfach nicht mehr übersehbar ist. Hier die Rechte deis Parlaments zu
wahren und darauf hinzuweisen, daß solche Dinge nicht einreißen sollten, war das Anliegen des Kollegen Schmidt ({0}). Ich glaube, daß die Erklärung des Kollegen Rasner in uns die Überzeugung gestärkt hat, daß möglicherweise auch in der Koalition langsam die Einsicht wächst, daß das der letzte Fall gewesen sein sollte.
Herr Abgeordneter Genscher, wird Ihr Antrag ,auf Vertagung damit zurückgezogen?
Das war eine besonders elegante Form, ihn zurückzuziehen, Herr Präsident.
({0})
Es steht kein Geschäftsordnungsantrag mehr zur Debatte. Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir können nunmehr in die zweite Beratung eintreten.
Ich rufe damit den Artikel 1, Erster Abschnitt, § 1 und den Antrag Umdruck 691 X) Ziffer 1 der Fraktion der FDP auf. Dazu hat das Wort zur Begründung der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für viele Mitglieder dieses Hohen Hauses ist nun eine wichtige Stunde gekommen. Es gab in diesem Hause bis vor wenigen Wochen - auch in den Reihen einer Koalitionsfraktion - immer noch Leute, die glaubten, daß sie um diese Entscheidung, die ihnen heute abverlangt wird, vielleicht herumkämen.
Unstrittig war stets, daß die Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten im Krankheitsfall herbeigeführt werden soll. Strittig war lediglich die Form, die gewählt werden soll. Die Überschrift des § 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs lautet: Grundsatz der Entgeltfortzahlung. Der im Entwurf festgelegte Grundsatz beinhaltet die arbeitsrechtliche Lösung der Lohnfortzahlung. Wir Freien Demokraten sind der Überzeugung, daß die gefundene Form die teuerste, die unpraktikabelste, die sozial bedenklichste und die mittelstandsfeindlichste Lösung darstellt, die man sich überhaupt vorstellen kann.
({0})
Deshalb stellen wir einen Änderungsantrag zu § 1, zum Grundsatz.
Meine Damen und Herren, was hier vom Ausschuß für Arbeit vorgeschlagen wird, ist das Teuerste, weil unnötigerweise mehr als eine Milliarde DM Lohnsteuer jährlich zusätzlich fällig werden, die weder die soziale noch die einkommensmäßige Situation des Arbeiters auch nur um einen Pfennig verbessern. Ja, wenn man im Sozialpolitischen Ausschuß genau zugehört hat, ist einem aufgefallen, daß bei dem Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetz die Regierung vorgetragen hat, sie gehe bei ihren Berechnungen davon aus, daß sich die Durchführung der arbeitsrechtlichen Lohnfort-
*) Siehe Anlage 3
zahlung im Krankheitsfall bei künftigen Tarifverhandlungen dämpfend auf die auszuhandelnde Lohnquote auswirken möge; also müßten es die Arbeiter tatsächlich selbst bezahlen.
Als die unpraktikabelste Lösung erscheint uns die hier vorgeschlagene Lösung, weil die Maßstäbe für die Berechnung des fortzuzahlenden Entgelts und die für die Berechnung des Krankengeldes ungleich sind - § 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes steht im Widerspruch zu § 182 der Reichsversicherungsordnung - und weil damit die Einkommensfiktion beim Arbeitgeber eine andere ist als die bei der Krankenkasse zur Berechnung des Krankengelds. Ich habe bereits in der ersten Lesung darauf hingewiesen, daß hier die Formulierung, die die Sozialdemokraten gefunden hatten, die sinnvollere und praktikablere gewesen wäre. Leider haben die Sozialdemokraten um ihre Formulierung gar nicht gekämpft, sondern der unpraktikableren Lösung der CDU gleich zugestimmt.
Meine Damen und Herren, um eine unpraktikable Lösung handelt es sich auch deshalb, weil selbst die wildesten Ideologen die Gefahren des unkalkulierbaren Risikos für lohnintensive Betriebe nicht wegdiskutieren können und weil sie deshalb bei einer gewissen Mitttelstandsgeneigtheit zu einem Ausgleichsverfahren kommen müssen, das kompliziert genug ist.
Sozial bedenklich ist die Lösung, weil das erhöhte Krankheitsrisiko eines Arbeitnehmers auf diesen selbst zurückschlagen kann. Ich betone ausdrücklich: kann, nicht muß. Insbesondere bei chronisch Kranken, bei denen längere Arbeitsausfälle durch Krankheit und Kuren unvermeidlich immer wiederkehrend zu erwarten sind, kann die Arbeitsplatzsicherheit gefährdet oder, wenn eine Neuvermittlung notwendig ist, außerordentlich erschwert werden. Die arbeitsrechtliche Lösung wird daran schuld sein, weil das persönliche Krankheitsrisiko des einzelnen Arbeiters zum Geschäftsrisiko des im Wettbewerb stehenden Unternehmens wird. Der unzulängliche Ausgleich verhindert eine kalkulierbare Solidarhaftung für die unterschiedlichen Krankheitsrisiken auch dann, wenn die Arbeitgeber eine solche Solidarhaftung wünschen, es sei denn, Sie würden unserem Antrag zu i§ 16, daß die Satzung der Krankenkasse Zusätzliches bestimmen kann, zustimmen. Aber bis jetzt haben Sie das im Arbeitsausschuß abgelehnt.
Es ist die mittelstandsfeindlichste Lösung, weil die zusätzliche Arbeitskostenbelastung sich besonders in den Gesamtkosten niederschlägt, weil diese zusätzlichen Kosten nur bedingt oder nicht kalkulierbar sind und weil, abgesehen von den lohnbezogenen Sozialabgaben, unnötigerweise die zusätzliche Belastung durch die Lohnsteuer hinzukommt.
Meine Damen und Herren, was uns hier vorgeschlagen wird, geht von den patriarchalischen Vorstellungen des vorigen Jahrhunderts aus, die im Arbeiter den fürsorgebedürftigen Menschen sahen. An sich hätte man erwarten können, daß die Probleme der sozialen Sicherheit des einzelnen nicht mehr unter diese Fürsorgegesichtspunkte des vorigen Jahrhunderts gestellt würden, sondern daß die
notwendigen Maßnahmen zur sozialen Sicherung unter den Gesichtspunkten pragmatischer Lösungen gesehen und behandelt würden. Was wir brauchen, ist ein überschaubares Sozialrecht. Wir brauchen ein verwaltungstechnisch einfach zu handhabendes Sozialrecht. Wir brauchen ein Sozialrecht, das die materiellen Benachteiligungen beseitigt. Allen diesen Erfordernissen trägt die von uns verfochtene versicherungsrechtliche Lösung Rechnung, ohne daß dabei der Staat noch auf kaltem Wege Mehreinnahmen an Lohnsteuer in Milliardenhöhe kassiert.
Bei der Entscheidung über den § 1 und über unseren Änderungsantrag geht es darum, ob sich in diesem Hause heute erneut Ideologie vor Sachverstand durchsetzt. Unser Appell, unserem Änderungsantrag und damit einer versicherungsrechtlichen Grundsatzlösung zuzustimmen, gilt vor allem den Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion, die noch bis vor wenigen Tagen landauf, landab immer die Hoffnung zum Ausdruck brachten, daß man doch noch von der arbeitsrechtlichen Lösung fortkomme. Meine Damen und Herren, das ist für Sie keine Ermessensfrage, die Sie so oder so entscheiden können, sondern das ist eine Grundsatzfrage, ein Stück Glaubwürdigkeit mancher Parlamentarier, ob sie für die arbeitsrechtliche Lösung im Sinne des Entwurfs oder für die versicherungsrechtliche Lösung im Sinne unseres Antrags eintreten.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Franke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion um die versicherungsrechtliche oder arbeitsrechtliche Lösung ist so alt wie die Diskussion um die Frage der Lohnfortzahlung für kranke Arbeiter. Und die Argumente, die der Kollege Spitzmüller hier vorgebracht hat, konnte man allenthalben in den alten Diskussionsbeiträgen nachlesen oder in den vielen Unterlagen lesen, die uns in den vergangenen Wochen und Monaten, vielleicht als Hilfestellung bei der Diskussion und Lösung dieser Frage, gegeben worden sind.
Aber nach - auch in unserer Fraktion - langdauernder Diskussion sind wir zu der Entscheidung gekommen, der arbeitsrechtlichen Lösung aus verschiedenen Gründen den Vorzug zu geben, zuallererst deshalb, weil sich die traditionellen Grenzen zwischen den Arbeitern und den Angestellten in den vergangenen Jahrzehnten oder Jahren verändert haben. Dieser Veränderung der traditionellen Grenzen muß man auch dadurch Rechnung tragen, daß man am Status des Arbeiters eine Veränderung vornimmt und ihn dem Status des Angestellten angleicht. Ich weiß durchaus, daß das nur ein Anfang sein kann. Aber dem Arbeiter, wenn er durch Krankheit in Not gerät, nach der arbeitsrechtlichen Lösung einen Anspruch gegen den Arbeitgeber zu geben, bedeutet auch eine gesellschaftspolitische und für sein Sozialprestige wichtige
Gleichstellung. Ich verweise auf das, was die Sozialenquête-Kommission in dieser Frage deutlich ausgedrückt hat. Diese gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Gleichstellung ist ihr ein großes Anliegen. Herr Spitzmüller, Sie haben soeben in Ihrer Begründung einen ganz kleinen Hauch einer Andeutung der versicherungsrechtlichen Lösung gegeben. Aber, meine Damen und Herren, diese versicherungsrechtliche Lösung hat auch den Nachteil, der insbesondere in vielen uns zugeschickten Unterlagen angeführt wird, daß z. B. der Arbeiter, um einen Ausgleich seines Lohnes in einem Jahr herbeizuführen, hin und wieder allein durch die nicht sehr gute Lösung des Gesetzes von 1961 zu einem Mißbrauch gebracht werden kann. Wir glauben auch, daß wir bei der arbeitsrechtlichen Gleichstellung diese technisch nicht richtigen Lösungen vermeiden.
Um nur noch ein Wort für unsere Motive zu sagen: Die Arbeiter müssen zunehmend qualifizierte Tätigkeiten ausüben. Nach unserer Meinung sollten berufsständische Unterscheidungen im Arbeitsleben nicht mehr gemacht werden.
({0})
Die Frage hat sich auch in Ihren Beiträgen, Herr Kollege Spitzmüller, im Augenblick eigentlich auf die Lohnsteuer reduziert. Sie haben in Ihren Anträgen, soweit ich sie soeben habe lesen können, auch den Anspruch, der von uns zur Rentenversicherung gestellt worden ist, gelöst. Sie sagen, Sie wollen auch die 481 oder 491 Millionen DM zum Beispiel, wenn wir das zweite Halbjahr 1969 nehmen, bezahlen. Sie wollen, wenn ich das richtig gesehen habe, auch die Beiträge zur Arbeitsverwaltung bezahlen, und Sie wollen jetzt auch den Krankenversicherungsbeitrag bezahlen. Damit reduziert sich das ganze Problem auf die Frage der Lohnsteuer.
Ich persönlich betrachte das, was Sie jetzt in Ihrem Antrag gebracht haben, als einen Fortschritt. Nur müssen wir folgende Unterscheidung machen. Sie haben soeben von einer Milliarde Lohnsteuer jährlich gesprochen, Herr Kollege Spitzmüller. Diese eine Milliarde tauchte in den letzten Tagen auch in einem Schreiben auf, das uns zugeschickt worden ist. Ich will nicht die Quelle nennen, weil ich mich nicht mit ihr auseinandersetzen will; ich will mich mit Ihnen auseinandersetzen. Aber ich darf zur Vervollständigung der Argumente, die wir jetzt austauschen, den Blick auf die Beantwortung Ihrer Anfrage vom 24. Februar lenken. Sie haben unter Punkt d) „nach den zusätzlichen Einnahmen bei der Lohnsteuer, einschließlich der nicht mehr zu erstattenden Beträge beim Lohnsteuerjahresausgleich", gefragt, die für den Fiskus pro Jahr entstehen. Ich darf aus der Antwort verlesen - Seite 4 Spalte 1 -: Für das Jahr 1969, im Entstehungsjahr, entsteht eine Mehreinnahme von 420 Millionen DM, darunter Lohnsteuerjahresausgleich von 210 Millionen DM, aber - und darüber gibt es gar keine Diskussion - ein Verlust an der Einkommen- und Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer von 940 Millionen DM. Das heißt, hier wird für das Entstehungsjahr 1969 ein Verlust von 520 Millionen DM registriert.
In den anderen Jahren, 1970, 1971 und 1972, entstehen Steuermehreinnahmen - wenn ich Minder-und Mehreinnahmen gegeneinander aufrechne - von: 135 Millionen DM im Jahre 1970, von 125 Millionen DM im Jahre 1971 und von 105 Millionen DM im Jahre 1972.
Herr Abgegordneter Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneter Spitzmüller?
Bitte!
Herr Kollege Franke, ist Ihnen bei Ihrem Diskussionsbeitrag nicht ein Fehler unterlaufen? Haben Sie vergessen, daß Ihre Fraktion heute den Antrag vorgelegt hat, daß im Jahre 1969 überhaupt nichts mehr gültig sein soll, also die Zahl für 1969, das Jahr, in dem sich beim gegenseitigen Aufrechnen ein Verlust ergibt, gegenstandslos geworden ist, wenn sich Ihre Fraktion durchsetzt?
Lieber Herr Kollege Spitzmüller, Sie hätten sich diese Frage sparen können, denn jetzt wäre ich darauf eingegangen.
({0})
Ich wollte also das, was hier für das Jahr 1969 steht, eliminieren und sagen - ich hatte schon zu diesem Satz angesetzt; Sie werden mir glauben, daß ich das wirklich sagen wollte -, daß wir im Jahre 1970 135 Millionen DM mehr einnehmen, 1971 125 Millionen DM mehr und 1972 105 Millionen DM mehr.
Meine Damen und Herren, wir haben darüber auch in unserer Fraktion eine lange Diskussion geführt. Wir sind dann letztlich auch zu dieser Lösung gekommen, weil wir ohne Zweifel wissen - diese Frage wird mein Kollege Dr. Freiwald noch abhandeln -, daß insbesondere für die lohnintensiven Betriebe, zwar nicht gegenseitig, aber doch insgesamt in der Struktur der mittelständischen Wirtschaft ein Wettbewerbsnachteil auftreten könnte.
Diese Steuermehreinnahmen, zumindest für die ersten vier Jahre, haben wir dann unter Zustimmung unseres Bundesfinanzministers und unserer Kollegen aus der Koalition sozusagen als Start- oder Übergangshilfe für die Ausgleichskassen zu gewähren. Wo Sie die 1 Milliarde DM herbekommen, verehrter Herr Kollege Spitzmüller, das weiß ich nicht.
Ich glaube, ich darf auch im Namen unserer Koalitionspartner den von Ihnen begründeten und vorgelegten Antrag ablehnen. Ich bitte, diesem Antrag nicht zuzustimmen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Regling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich bin ich etwas erstaunt darüber, daß die FDP-Fraktion jetzt, nach fast 15 Jahren, noch mit der versicherungsrechtlichen Lösung kommt.
({0})
- Ich weiß, der Kreis war einmal größer. Ich bin etwas erstaunt, daß die FDP-Fraktion heute noch mit der versicherungsrechtlichen Lösung für das Problem, das in der Tat 13 oder 14 Jahre hier vorliegt, kommt. Das ist - sehr vorsichtig ausgedrückt - nicht realistisch genug gesehen.
Sie wissen, wohin das gehen sollte und wie das Ziel aussah, als uns - ich glaube, es war im Jahre 1955 oder 1956 - dieses Anliegen vorgelegt wurde, das damals „Änderung des § 616 BGB" hieß. Wir haben zweimal Zwischenlösungen gefunden. Ich habe erstmalig schon 1957 hier zum Ausdruck gebracht, daß es nicht darauf ankommt, ob der einzelne von uns das Gesetz gern sieht oder nicht, aber er müßte doch erkennen, daß, selbst wenn es noch viele Jahre dauert, die arbeitsrechtliche Lösung, also die vollkommene Gleichstellung mit den Angestellten, am Ende steht.
Das müßte ein Parlamentarier, der um diese Dinge weiß, langsam erkannt haben. Ich kann es noch verstehen, wenn draußen bei den Verbänden immer wieder diese Forderung gestellt wird, insbesondere deshalb, weil die Öffentlichkeit und gerade diejenigen, die wirklich am härtesten davon betroffen sind - das sind die lohnintensiven Klein-und Mittelbetriebe -, zuwenig informiert worden sind. Es gab und gibt letzten Endes immer nur die Schlagworte „versicherungsrechtliche Lösung" oder „arbeitsrechtliche Lösung". Ich habe Versammlungen erlebt, bei denen das Thema auf der Tagesordnung stand, in denen ich versucht habe, meine Darlegungen zu machen und eine Begründung zu geben, ich aber kaum zu Wort gekommen bin. Es hieß sofort: Sind Sie für die versicherungsrechtliche oder arbeitsrechtliche Lösung?
Das ist eine schlechte Argumentation. Aber insbesondere die Betroffenen waren, ich möchte fast sagen: so weit aufgeputscht worden, daß sie gar nicht mehr bereit waren, über die Einzelheiten zu sprechen.
(Zuruf von der FDP: Von wem denn?
- Von all denen, die es gefordert haben und heute noch fordern. Ich glaube, das dürfte genügen. - Ich habe, wenn ich mich endlich durchgesetzt hatte, doch mit Genugtuung feststellen können, daß der Zuhörerkreis, der sich informiern lassen wollte, auch meine Argumentation zur Kenntnis genommen hat und bereit war, sie zu akzeptieren.
Meine Damen und Herren, worum geht es denn im wesentlichen? Natürlich bringt das Ganze eine zusätzliche Belastung" das ist klar und unbestritten.
({1})
Woran der einzelne gerade in den Klein- und Mittelbetrieben interessiert ist,. ist, daß diese Belastung - ganz gleich, in welcher Höhe - kalkulierbar, überschaubar wird und ihm nicht ein Risiko aufgeladen wird.
({2})
- Bitte schön, dafür haben wir - Sie haben es erwähnt, Herr Spitzmüller - gleichzeitig, nicht erst heute, nicht erst im März oder April, als dieser Antrag vorlag, sondern vom ersten Tag an, als das hier zur Sprache kam, Ausgleichskassen für die in Frage kommenden Betriebe - damals hatten wir eine Grenze von 100 Beschäftigten genannt - vorgeschlagen. Wir haben es uns inzwischen überlegt und sind zu der Feststellung gekommen, daß es sinnvoller wäre, Ausgleichskassen für alle zu machen; aber dazu vielleicht nachher noch ein Wort.
Was bleibt denn von diesen Schlagwortvorstellungen und von den Belastungen übrig, die in der Tat durch die arbeitsrechtliche oder durch die versicherungsrechtliche Lösung auf die lohnintensiven Betriebe zukommen? Wenn wir den letzten Stand nehmen - ich habe die letzten Formulierungen in den Änderungsanträgen der FDP in der Eile noch nicht lesen können -, dann sind im Laufe der Zeit von denjenigen, die die versicherungsrechtliche Lösung wollten, einige Zugeständnisse gemacht worden. Sie erwecken ja draußen immer den Eindruck, als sei die versicherungsrechtliche Lösung die billigere und man könnte damit genau das gleiche erreichen, während die andere, die arbeitsrechtliche Lösung nur viel teurer sei und der Arbeitnehmer trotzdem nicht mehr bekomme, als er heute habe; er habe seine hundert Prozent Nettolohn. Das stimmt zum Teil und stimmt zum Teil auch nicht, das wissen Sie ganz genau. Diejenigen, die die Abwicklung über die Krankenkasse und die Auszahlung nur des Nettolohnes wollten, haben inzwischen eingesehen, daß dadurch doch eine sehr starke Benachteiligung entsteht. Denn wenn während der Zeit der Erkrankung keine Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt werden - und im Laufe eines 40- oder 50jährigen Arbeitslebens kann eine hübsche Summe zusammenkommen -, dann zahlt es sich nachher bei der Rentenberechnung schlecht aus. Um diese Nachteile zu beseitigen, wurde dann von Arbeitgeberseite angeboten, auch diese Beiträge zur Sozialversicherung mitzuzahlen.
Es wurde eben schon gesagt, daß in der Tat dann nur noch die Lohnsteuer bleibt. Auf den ersten Blick sieht es zwar so aus, als ob wir mit einem sozialpolitischen Gesetz dem Finanzminister helfen wollten, ganz gleich, ob er es brauchen kann oder nicht. Aber das gibt es doch auch sonst. Wir haben Gesetze über Gesetze gemacht, bei denen nebenbei auch Steuern anfallen, die niemand gewollt hat. Bei jeder Lohnerhöhung, bei jeder Tarifverhandlung entsteht, nachdem die Erhöhung beschlossen worden und von beiden Seiten anerkannt worden ist, automatisch ein höheres Steueraufkommen.
({3})
- Auch im öffentlichen Dienst. Aber immerhin hat bisher niemand einen einzigen Gedanken daran verschwendet, zwar einer Lohnerhöhung zuzustimmen, aber die Steuern dabei auszuklammern, sie gesondert zu betrachten. Das ist steuersystematisch überhaupt nicht möglich. Das gilt auch hier; es gibt keine andere Möglichkeit.
Wenn wir die Lohnfortzahlung aber nicht als arbeitsrechtliche Lösung und somit als Auszahlung des vollen Entgelts, als Arbeitsentgelt während der ersten sechs Wochen der Erkrankung ansehen wollen, dann treten die negativen Dinge in Erscheinung, die ich eben schon in bezug auf die Rentenversicherung nannte. Allerdings kommt der erkrankte Arbeitnehmer dann - und das zu seinem Nachteil - am Jahresende nicht mehr zu einer Erstattung im Lohnsteuerjahresausgleich. Das alles bekommt man nicht anders weg als mit der arbeitsrechtlichen Lösung.
Bleibt die Belastung. Sie haben sich darüber Gedanken gemacht, wir haben uns darüber Gedanken gemacht und haben gesehen, daß diese Belastung da ist, und versucht, sie irgendwie zu mindern. Aber bisher hat uns niemand sagen können, wie man es machen kann, wenn man nicht sofort den Grundsatz der arbeitsrechtlichen Entgeltzahlung während der ersten sechs Wochen der Erkrankung durchbrechen will. Deshalb kommen wir nicht darum herum, diese Differenz zu bezahlen. Das ist die ganze Differenz, die - wenn ich sage: nur, dann in Anführungsstrichen - noch bleibt, wenn wir draußen weiterhin die Schlagworte „arbeitsrechtliche Lösung" als die teure auf der einen Seite und „versicherungsrechtliche Lösung" auf der anderen Seite hören. Die Differenz macht rund eine Milliarde, das ist nicht hinwegzudeuten.
Ich sagte schon einmal - das ist das entscheidende Kriterium -: Wer in den letzten Wochen aufmerksam die Versammlungen draußen verfolgt hat oder selbst halten müssen, wird festgestellt haben: Nachdem die beiden Anträge - der der CDU/CSU und der Antrag der Sozialdemokraten - im Wortlaut vorlagen und nachdem diejenigen, die Auskunft wünschten, sich nun, da sie diese Drucksachen vorliegen hatten, informiert hatten, ist der Ruf immer stärker geworden, den Vorschlag der Sozialdemokraten mit der vollen Ausgleichszahlung zu akzeptieren. Wenn wir uns trotzdem dazu entschlossen haben, von unserem Vorschlag abzugehen und uns dieser Kompromißlösung anzuschließen, dann doch in erster Linie deshalb, weil bei der Sachverständigenanhörung nicht nur der Eindruck entstand, sondern ganz klar gesagt wurde, die bessere Lösung sei eine Ausgleichskasse nur für Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten mit einem Ausgleich von 80 % Ich persönlich halte es für unglücklich, eine Grenze zu schaffen, ob nun bei 10, bei 20 oder bei 50 Beschäftigten. Eben weil wir uns sehr lange mit dieser Materie beschäftigt haben, waren wir zu der Meinung gekommen, daß es besser sei, daß allen Betrieben, die von dem Gesetz betroffen sind, das Risiko über eine Ausgleichskasse genommen wird.
Meine Damen und Herren, noch einmal zur Ausgleichskasse. Das Wichtigste bei dieser neuen Belastung ist der Ausgleich. Wir wissen alle, daß eine Krankheit nicht vorher bestimmbar ist. Der Mann, den man heute einstellt, kann 100%g gesund sein, und plötzlich ist er vom Schicksal getroffen und ist dauernd krank. Wenn das in einem Kleinbetrieb kumuliert auftritt - und das wissen wir ganz genau; wir haben immer wieder Beispiele gebracht, und
man mag sie gar nicht immer wiederholen -, wenn plötzlich in einem Kleinbetrieb alle vier Beschäftigten, die da sind, ausfallen, dann ist das ein so harter Brocken, daß ihn der einzelne Betrieb nicht tragen kann.
Dies zu regeln ist von vornherein unser Anliegen gewesen. Nun, es muß aber schon bei dieser Kompromißlösung bleiben, die jetzt gefunden worden ist. Wenn die Verbände es so fordern, sollten wir es meiner Meinung nach nicht ganz überhören.
Gestatten Sie mir noch eines hinzuzufügen. Es wurde als weiteres Argument für die versicherungsrechtliche Lösung eine bessere Kontrolle durch die Krankenkasse, eine bessere Überwachung der Krankheit gewünscht. Dabei wird die Vermutung eingeschlossen, daß nach Einführung des Gesetzes unnötig viel krank gespielt werden und diese Einrichtung unberechtigt in Anspruch genommen würde. Niemand wird bestreiten, daß es schwarze Schafe gibt. Sie wird es auch bei diesem Gesetz geben. Wo gibt es sie nicht? Bei jedem Steuergesetz finden wir sie und wissen das. Aber darauf kann man ja letzten Endes keine Gesetze abstellen, und im übrigen ist das nur eine Vermutung, deren Richtigkeit sich erst noch erweisen muß. Ich darf daran erinnern, daß es Großbetriebe gibt, insbesondere im Braunkohlenbergbau, die seit über zehn Jahren - solange dieses Gesetz im Gespräch ist - von sich aus bereits nicht nur in den ersten sechs Wochen der Erkrankung, sondern darüber hinaus, also zusätzlich je nach Beschäftigungsdauer sieben Wochen - also
insgesamt 13 Wochen -, bis zu 70 Wochen den vollen Arbeitslohn weiterzahlen. Das Interessante dabei ist - deshalb führe ich es hier an -: die Krankheitsziffer in diesen Betrieben liegt, verglichen mit den Krankheitsziffern des gleichen Bereichs bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen, keineswegs höher, sondern eher niedriger. Spricht das nicht gegen diese immer wieder vorgebrachte Vermutung, wir bräuchten die Kontrolle, bräuchten Kontrollinstanzen, denn sonst würde das ausufern?
Meine Damen und Herren! Wenn wir - und das darf ich noch einmal betonen - heute wieder eine und somit die dritte Zwischenlösung und nicht diese arbeitsrechtliche Lösung schaffen würden, wie sie jetzt in § 1 vorgesehen ist, hätten wir die Sache in Kürze wieder auf dem Tisch. Ich bin dafür, daß wir diese Sache endlich vom Tisch bekommen. Die Lösung, wie sie heute ist, entspricht vielleicht nicht in allen Punkten unserer Meinung. Ich sage das ganz offen, weil ich beim Ausgleich eine andere Lösung für besser gehalten hätte. Aber insgesamt kann sich der Entwurf sehen lassen, und so sollten wir ihn verabschieden.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde es sehr kurz machen. Ich möchte zu dem Stellung nehmen, was Herr Kollege Spitzmüller vorhin angesprochen hat und was draußen in der Propaganda verwertet wird, nämlich
zu der Bemerkung, daß der Staat durch die nunmehr vorliegenden Formulierungen Nutznießer eines um 1 Milliarde DM höheren Lohnsteueraufkommens werden solle. Damit soll der Eindruck erweckt werden, als ob diese 1 Milliarde DM mehr nur bei der arbeitsrechtlichen Lösung hereinkomme. In Wahrheit wäre, wenn eine versicherungsrechtliche Lösung nach dem Bruttoprinzip durchgeführt würde,
das Ergebnis das gleiche. Es handelt sich also nur um die Zahlstelle. Wenn Sie aber in der versicherungsrechtlichen Form Nettolohn zahlen, ergibt sich nämlich eine andere Konseqenz, die darin besteht, daß der betreffende Arbeitnehmer durch die versicherungsrechtliche Nettozahlung über den Jahreslohnsteuerausgleich dann noch eine Prämie bekommt.
Ich möchte zur Sache selber folgendes feststellen. Ich will nicht auf die Hunderte von Millionen eingehen, sondern es nur in Prozenten darlegen, Herr Kollege Spitzmüller. Wenn ein Unternehmer die Lohnfortzahlung aus seinem Ertrag bestreitet, verliert der Staat mehr Steuern. Dann verliert nämlich die Gemeinde die 13 % Gewerbesteuer, und zum anderen verlieren Bund und Länder entweder die Einkommen- oder die Körperschaftsteuer, jedenfalls Steuersätze, die weit über 19% liegen. Wenn der Arbeitnehmer auf der anderen Seite gegenüber diesem Ausfall Lohnsteuer zahlt, wird in einer Reihe von Fällen keine Lohnsteuer anfallen, oder es wird eine Lohnsteuer anfallen, die bei etwa 19, 20, 25% liegt.
Allein schon aus dieser Prozentrechnung geht hervor, daß der Staat auf diese Weise keinesfalls 1 Milliarde DM und mehr bekommt. Das ist eine Zahl, die Sie einfach aus der Luft gegriffen haben, die Sie nur dazu verwenden, um dieses Gesetz unter dem Vorwand einer exorbitant hohen Zahl zu torpedieren. Meine Damen und Herren, so stimmt es nicht und so geht es nicht. Es ist nicht richtig und es ist nicht wahr, daß auf diese Weise durch die Lohnfortzahlung nach dem Bruttoprinzip ein höheres Steueraufkommen zu erwarten sei. Das sollte auch einmal festgehalten sein.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Franke, wenn Sie unseren Antrag als Fortschritt bezeichnet haben,
({0})
so beweist das nur, daß Sie nicht rechtzeitig zur Kenntnis genommen haben, daß nach unserer Vorstellung von einer versicherungsrechtlichen Lösung die Gleichstellung natürlich immer auch Gleichstellung bei der Zahlung der Versicherungsanteile bedeutete.
Was die Lohnsteuer anbelangt, so hat Herr Kollege Regling diese Milliarde bestätigt. Es kommt auf
den Standort an. Das Arbeitsministerium und auch die CDU/CSU gehen davon aus, daß die Bruttolohnfortzahlung, die zusätzlich rund 31/2% der Bruttolohnsumme beträgt, in die demnächst auszuhandelnden Lohnsteigerungen mit einbezogen wird und daß deshalb - teilweise wieder über ausgehandelte niedrigere Löhne - nicht die volle Lohnsteuer aus der vollen Bruttolohnfortzahlung anfällt.
Ich habe hier eine Veröffentlichung des Kollegen Götz vom 23. April, in der er das klar zum Ausdruck bringt, indem er sagt: „ . . . darf schließlich nicht zum Ruin seines Arbeitgebers führen. Wir erwarten auch, daß die Mehrbelastung, die sich aus der arbeitsrechtlichen Lösung ergibt und die etwa 31/2 % der Barlohnsumme betragen dürfte, bei künftigen Lohntarifverhandlungen Berücksichtigung findet."
Wenn man also, meine Damen und Herren, von dieser Wahrscheinlichkeits- oder Annahmerechnung ausgeht, kommt man natürlich zu einer Summe, die unter 1 Milliarde DM liegt. Wenn wir aber die nackte Zahl von 4,5 Milliarden DM Kosten der Lohnfortzahlung nehmen, dann sind von diesen 4,5 Milliarden DM etwa 900 Millionen DM Lohnsteuer abzuführen. Ich gebe zu, meine Damen und Herren von der CDU: Wenn ein Teil der Lohnfortzahlung durch den Betrieb aufgefangen werden muß oder aufgefangen wird und ein Teil der Lohnfortzahlung vom langsameren Steigen der Bruttolohnabschlüsse bei den Tarifverhandlungen abhängt, ist die 1 Milliarde DM nicht mehr im Raum. Aber es ist doch illusionär, anzunehmen, daß es in der ganzen Wirtschaft so ginge. Meine Damen und Herren, wir gehen einfach von der Globalsumme aus, und dann kommen Sie auf diese rund 1 Milliarde DM, die im Jahr aus der Lohnfortzahlung in Form von Lohnsteuer zu bezahlen ist.
Ich will hier nur noch eines sagen. Herr Kollege Ott ist offenbar der Meinung, daß dann, wenn man den Nettolohn so gestaltet, wie wir es jetzt hier vorgeschlagen haben, der Jahreslohnsteuerausgleich kommt. Das ist keineswegs der Fall. Da dieser Lohn ja aus Arbeitgebermitteln finanziert wird, kann er sehr wohl zum Arbeitsentgelt geschlagen werden, so wie es heute beim Arbeitgeberzuschuß zum Krankengeld auch geschieht. Dann stellt sich die Frage des Jahreslohnsteuerausgleichs nicht.
Meine Damen und Herren, ich glaube, über die Dinge ist in den vier Jahren so viel gesprochen worden, daß ich es kurz machen kann. Da es sich hier um eine Grundsatzentscheidung handelt, beantrage ich namens der FDP namentliche Abstimmung. Der Antrag ist ausreichend unterstützt.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Schulhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt mir fern, hier das Geschäft der verehrten Opposition zu betreiben, aber ich möchte doch in aller Kürze drei Feststellungen treffen.
Erstens. Der Bundesrat hat 1964, als über die arbeitsrechtliche bzw. versicherungsrechtliche Lösung verhandelt wurde, die Empfehlung gegeben, den Lohn für den erkrankten Arbeiter steuerfrei zu halten. Das ist also nicht ganz so abwegig wie Sie es hingestellt haben. Immerhin ist ja der Bundesrat ein Instrument, in dem z. B. auch die SPD maßgebend vertreten ist und war.
Zweitens. Der Arbeiter wird den Teufel tun und sich bei der eventuellen Erhöhung seines Lohnes die 31/2 % Lohnfortzahlungskosten abziehen lassen: Er hat ja gar nichts von der arbeitsrechtlichen Lösung. Ich würde den Gewerkschaften das nicht einmal vorzuschlagen wagen.
({0})
Drittens. Es geht gar nicht so sehr um die versicherungsrechtliche oder arbeitsrechtliche Lösung. Es geht um etwas ganz anderes. Es geht darum, daß alles, was an sozialpolitischen Überlegungen in .ein Gesetz Eingang findet, auf den Lohn kommt und daß man nicht einmal versucht, einen - wie Sie, Herr Müller, sagen - gesamtwirtschaftlichen Ausgleich zu erreichen. Das wird auf die Dauer doch nicht gutgehen. Es wird immer wieder etwas auftauchen, was - zu Recht oder zu Unrecht - die lohnintensiven Betriebe belastet. Seit zehn Jahren bemühen sich der Bundestag und die jeweiligen Regierungen, irgendeine Möglichkeit zu finden, um zu einem anderen Ausgleich zu kommen und nicht alles auf den Lohn zu schlagen. Freilich hat bisher noch keiner diese Lösung gefunden. Man geht eben den Weg des geringsten Widerstandes.
Letztens, meine Damen und Herren: Das Handwerk ist nicht grundsätzlich gegen eine arbeitsrechtliche Lösung. Das Handwerk hat nur zum Ausdruck gebracht, daß mit der Annahme dieses Gesetzes - das ist die Crux in dieser Angelegenheit, das können Sie alle nicht leugnen - die so oft beschworene Krankenversicherungsreform für immer vertan ist.
({1})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Debatte ist geschlossen.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Wird dieser Antrag ausreichend unterstützt? - Ich unterstelle, daß er ausreichend unterstützt ist.
Wir kommen zur namentlichen Abstimmung. .
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgestimmt haben insgesamt 420 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und 18 Berliner Abgeordnete. Abgegeben wurden 37 Ja-Stimmen von stimmberechtigten Abgeordneten und 2 Ja-Stimmen von Berliner Abgeordneten. Mit Nein stimmten 377 stimmberechtigte und 16 Berliner Abgeordnete. Enthalten haben sich 6 Abgeordnete. Damit ist der Antrag Umdruck 691 Ziffer 1 betreffend § 1 abgelehnt.
420 und 18 Berliner Abgeordnete; davon
Ja: 37 und 2 Berliner Abgeordnete Nein: 377 und 16 Berliner Abgeordnete Enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
D. Dr. Gerstenmaier Berliner Abgeordnete Frau Pieser
FDP
Dr. Achenbach
Busse ({0})
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Dr. Friderichs
Frau Funcke Geldner
Freiherr von Gemmingen Genscher
Dr. Haas
Frau Dr. Heuser
Dr. Imle
Jung
Logemann Dr. Mende Mertes
B) Mischnick Moersch
Opitz
Peters ({1})
Porsch
Ramms
Reichmann Saam
Sander
Schmidt ({2})
Schultz ({3}) Spitzmüller
Dr. Staratzke
Walter
Wurbs
Zoglmann
Berliner Abgeordnete Borm
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner Dr. Althammer
Dr. Artzinger
Baier
Balkenhol Dr. Barzel
Bauer ({4}) Bauknecht
Dr. Becher ({5}) Becker
Berendsen Dr. Besold Bewerunge Biechele
Dr. Birrenbach Blank
Blöcker
Frau Blohm Blumenfeld Brand
Bremer
Dr. Brenck Brück ({6}) Bühler
Burgemeister Burger
Dr. Conring Dr. Czaja Damm
van Delden Dichgans
Diebäcker Dr. Dittrich Draeger
Ehnes
Dr. Elbrächter Enk
Frau Enseling
Erhard ({7}) Ernesti
Erpenbeck Exner
Franke ({8})
Dr. Franz Franzen
Dr. Freiwald Dr. Frey
Frieler
Fritz ({9})
Dr. Furler
Frau Geisendörfer Geisenhofer Gewandt
Gierenstein
Glüsing ({10}) Dr. Götz
Gottesleben Frau Griesinger
Haase ({11})
Dr. Häfele Härzschel Häussler
Hahn ({12})
Dr. Hammans Hanz ({13})
Hauser ({14}) Dr. Hauser ({15})
Dr. Heck
Dr. Hellige Dr. Hesberg Hilbert
Hörnemann ({16}) Hösl
Dr. Hofmann ({17}) Frau Holzmeister Horstmeier
Horten
Dr. Hudak Dr. Huys
Frau Jacobi ({18})
Dr. Jahn ({19}) Josten
Dr. Jungmann Frau Kalinke Katzer
Dr. Kempfler Kiep
Frau Klee
Klein
Dr. Klepsch
Dr. Kliesing ({20})
Dr. Kopf
Krampe
Dr. Kraske
Dr. Krone
Krug
Frau Dr. Kuchtner
Kühn ({21}) Kuntscher
Lampersbach Leicht
Lemmrich
Dr. Lenz ({22})
Lenz ({23}) Lenze ({24})
Leukert
Dr. Lindenberg Dr. Löhr
Dr. Luda
Lücke ({25})
Majonica
Dr. Martin
Maucher
Meis
Meister
Memmel
Dr. von Merkatz
Mick
Frau Mönikes Müller ({26})
Dr. Müller-Hermann
Müser
Niederalt
Dr. von Nordenskjöld Orgaß
Petersen
Picard
Frau Pitz-Savelsberg Porten
Prochazka
Rainer
Rawe
Dr. Reinhard Riedel ({27})
Dr. Rinsche Dr. Ritgen
Dr. Ritz
Rock
Röhner
Rösing
Rollmann
Rommerskirchen
Ruf
Prinz zu Sayn-Wittgenstein Hohenstein
Schlager
Schlee
Dr. Schmid-Burgk Schmidhuber
Dr. Schmidt ({28}) Schmitt ({29}) Schmücker
Frau Schroeder ({30}) Schröder ({31})
Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer Dr. Serres
Dr. Siemer
Dr. Sinn
Springorum
Stahlberg
Dr. Stark ({32})
Dr. Steinmetz Stiller
Frau Stommel Stooß
Storm
Struve
Teriete
Tobaben
Unertl
Varelmann
Dr. Freiherr
v. Vittinghoff-Schell
Vogt
Wagner
Dr. Wahl
Weigl
Weiland
Weimer
Wendelborn Frau Dr. Wex Wieninger
Winkelheide Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf Baron von Wrangel
Dr. Wuermeling Wullenhaupt Ziegler
Dr. Zimmermann Zink
Berliner Abgeordnete
Dr. Gradl
Lemmer
Müller ({33})
SPD
Adams
Ahrens ({34}) ({35}) Frau Albertz
Arendt ({36})
Dr. Arndt ({37})
Auge
Bading Bäuerle Baltes Barche Dr. Bardens
Bauer ({38})
Dr. Bayerl
Dr. Bechert ({39}) Behrendt
Bergmann
Berkhan Berlin Beuster Biermann
Blume Böhm
Börner Brück ({40})
Brünen Buchstaller
Büttner Buschfort
Collet Corterier
Cramer Diekmann
Eckerland
Frau Eilers
Frau Dr. Elsner
Vizepräsident Schoettle
Dr. Enders
Eschmann
Esters
Faller
Felder
Feuring Folger
Franke ({41}) Frehsee
Frau Freyh
Fritsch ({42}) Fritz ({43}) Geiger
Gerlach Gertzen Glombig Gscheidle
Haage ({44}) Haar ({45}) Haase ({46}) Haehser
Hansing Hauck
Hauffe Herberts
Frau Herklotz Hermsdorf
Herold Hirsch
Höhne Hölzle Hörauf
Hörmann ({47}) Hofmann ({48}) Frau Dr. Hubert Hufnagel
Dr. Ils
Iven
Jacobi ({49}) Jaschke Jürgensen
Junghans Junker Kaffka
Kahn-Ackermann Kern
Killat
Frau Kleinert
Dr. Koch
Könen ({50}) Kohlberger
Frau Korspeter
Dr. Kreutzmann Kriedemann
Dr. Kübler
Kulawig Kurlbaum
Frau Kurlbaum-Beyer Lange
Langebeck Lautenschlager
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Maibaum Marquardt
Marx ({51}) Matthes
Frau Meermann
Dr. Meinecke Metzger
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Dr. Mommer
Müller ({52})
Dr. Müller ({53})
Müller ({54})
Müller ({55})
Dr. Müthling
Neemann
Nellen
Neumann ({56})
Paul
Peiter
Pöhler Porzner Raffert Dr. Rau Ravens Regling Dr. Reischl
Reitz
Frau Renger
Richter
Riegel ({57})
Dr. Rinderspacher
Rohde Roß
Frau Rudoll
Sänger Saxowski
Frau Schanzenbach
Frau Schimschok
Schmidt ({58})
Dr. Schmidt ({59}) Schmidt ({60})
Dr. Schmidt ({61}) Schmidt ({62}) Schmitt-Vockenhausen Schoettle
Schonhofen
Schulte Schwabe Seibert Seidel Seifriz Seither Frau Seppi
Spillecke
Dr. Stammberger
Stephan Frau Strobel
Strohmavr
Tallert
Dr. Tamblé
Tönjes Vit
Wehner Welke Welslau Wendt Westphal
Wiefel Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Wuwer
Zebisch
Berliner Abgeordnete
Bartsch
Frau Berger-Heise Bühling
Frau Krappe
Frau Lösche Mattick
Neumann ({63}) Dr. Schellenberg Dr. Schultz ({64}) Dr. Seume Siegler-Schmidt Urban
Enthalten CDU/CSU
Brese Falke Dr. Gleissner
Dr. Marx ({65}) Dr. Preiß
Wir stimmen jetzt über § 1 in der Fassung des Ausschußantrags ab. Wer dem § 1 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 1 ist gegen die Stimmen der Freien Demokraten angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Dazu liegt auf Umdruck 691 Ziffer 2 ein Änderungsantrag vor. Soll der Antrag begründet werden? - Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({66}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem Sie eben mit Ihrem Votum die arbeitsrechtliche Lösung beschlossen haben, kommt nun in § 2 die Frage der Berechnung nach der von Ihnen beschlossenen Methode auf uns zu. Ich muß in diesem Zusammenhang bei der Begründung unseres Antrages noch einmal auf die Milliarde zurückkommen, von der der Kollege Regling vorhin bereits sagte, daß sie stimmt; ob die Berechnung etwas darüber oder darunter liegt, darüber wollen wir jetzt nicht streiten. Ich muß auf die Frage zurückkommen, ob es nicht richtiger wäre - und dahin zielt unser I Antrag -, dieses Arbeitsentgelts lohnsteuerfrei zu machen, um diese eine Milliarde nicht dem Staate, nicht dem Steuersäckel zuzuführen, weil sonst im Endeffekt der Betroffene davon nichts hat. Denn - und diese Frage müssen wir uns heute stellen - wer hat diese Milliarde über die verhältnismäßig hohen, auf die Wirtschaft und auf uns alle zukommenden Kosten zu zahlen? Zu zahlen hat sie zunächst einmal der Arbeitgeber, zunächst einmal die Wirtschaft, und - machen wir uns gar nichts vor! - zu zahlen haben wir alle sie als Verbraucher. Denn der größte Teil - die gesamte konjunkturpolitische Lage und die wirtschaftspolitische Lage zeigen das sehr deutlich - wird in die Preise gehen. Das heißt also, daß wir hier über eine Milliarde zu entscheiden haben, die weitgehend in die Preise geben wird und die sogar von den Betroffenen, denen Sie eben im Rahmen der arbeitsrechtlichen Lösung eine Gleichstellung gegeben haben - diese Gleichstellung wollten wir auch, aber versicherungsrechtlich -, aufgebracht werden muß. Wir sehen nicht ein, daß das notwendig ist.
Dabei darf ich auch noch einmal an das erinnern, was an besonderer Belastung für die lohnintensive Wirtschaft in dieser Milliarde darinsteckt. Ich darf an das erinnern, was Herr Kollege Schulhoff eben zur Frage einer grundsätzlich anderen Bemessung, eines anderen Ausgleichs gesagt hat. Wir sehen nicht ein, daß es notwendig ist, im Rahmen einer Gleichstellung in der Lohnfortzahlung dem Staat, dem Steuersäckel zusätzlich eine Milliarde zuzuführen, die der Verbraucher zahlen muß.
Gestatten Sie eine Frage? - Bitte, Herr Abgeordneter Ott!
Herr Kollege Schmidt, wie stellen Sie sich, wenn Sie die Lohnsteuerfreiheit bei den Arbeitern wollen, die Lösung bei den Angestellten vor? Müßte dann bei den Angestellten auch auf die Nettolohnzahlung übergegangen werden?
Herr Kollege Ott, wir können gern die Frage prüfen, ob - ({0})
- Darf ich zunächst einmal die Antwort ganz geben, Frau Kollegin? - Herr Kollege Ott, wir können gern die Frage prüfen. Wir Freien Demokraten haben des öfteren deutlich gemacht, daß wir es für richtiger gehalten hätten, zunächst einmal die materielle Gleichstellung der Angestellten mit den Arbeitern in der Krankenversicherung durchzuführen und dann eine Lösung im Rahmen einer Krankenversicherungsreform zu finden, die auch dieses Problem gleichmäßig löst. Ich darf daran erinnern, daß das im Ausschuß von verschiedenen Seiten als eine im Rahmen der großen Krankenversicherungsreform zu lösende Frage bezeichnet worden ist. Sie waren selbst dabei, Herr Kollege Ott. Wir- sind nicht dagegen, daß man diese Frage löst. Wir sind nicht da-I gegen, daß man hier auch Lohnsteuerfreiheit ermöglicht. - Bitte schön, Herr Kollege!
Zu einer Zwischenfrage Herr Kollege Müller.
Herr Kollege Schmidt, stimmen Sie mit mir darin überein, daß, wenn eine arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung durchgeführt wird, diese Frage keine Sozialversicherungsoder Krankenversicherungsfrage, sondern ausschließlich eine arbeitsvertragsrechtliche Frage ist?
Natürlich ist das zunächst eine arbeitsrechtliche, gesellschaftspolitische Frage. Aber, Herr Kollege Müller, ich glaube doch, Sie stimmen mit mir auch darin überein, daß man sich überlegen sollte, daß dabei nicht in irgendeiner Form notwendige, in die Preise gehende und die lohnintensive Wirtschaft belastende Kosten entstehen. Man sollte das überprüfen und möglicherweise korrigieren.
Wollen Sie dem Herrn Abgeordneten Ott noch eine Frage beantworten?
Bitte schön, Herr Kollege Ott!
Herr Kollege Schmidt, wie stellen Sie es sich bei der für alle gleichen Verpflichtung, Einkommensteuer zu zahlen, vor, daß es zweierlei Arbeitslohn geben soll, einen Arbeitslohn, der der .Lohnsteuer unterliegt, und einen Arbeitslohn, der lohnsteuerbefreit ist? Wie halten Sie es hier mit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung?
Herr Kollege Ott, ich könnte jetzt noch einiges dazu sagen. Aber ich würde vorschlagen, daß Sie die Frage einmal an die Mitglieder des Bundesrates stellen, die seinerzeit selber der Auffassung waren - und sie sind zweifellos steuerkundig -, daß man dies tun könne. Dort haben wir uns nämlich auch erkundigt. Wir können darüber auch noch einmal debattieren. Aber ich glaube, bei .der großen Zahl von Anträgen würde es doch zu weit führen, wenn wir uns hier über Änderungen der Steuersystematik und ähnliche Fragen im Detail unterhielten. Wir haben das auch im Ausschuß getan, Herr Kollege.
Ich darf also wiederholen: wir zielen mit unserem Vorschlag, bei der Berechnung die Lohnsteuer auszunehmen, zum ersten darauf ab, diese eine Milliarde DM denen zu ersparen, die sie innerhalb der Wirtschaft aufbringen müssen, insbesondere der mittelständischen Wirtschaft, und denen, die sie über die Preise zahlen müssen.
Zum zweiten zielen wir darauf hin, die Berechnungsweise anders zu gestalten als nach der Ausschußvorlage, weil wir auf Grund des Berichts und auf Grund der Überprüfung der Dinge festgestellt haben, daß durch die Neuregelung der Arbeitsentgeltsberechnung innerhalb der Betriebe den Betrieben in Zukunft zwei unterschiedliche Berechnungsmethoden mit zusätzlicher Arbeit auferlegt werden. Es werden in Zukunft Berechnungen nach diesem Paragraphen notwendig sein, den Sie haben wollen, und es werden Berechnungen für den Mutterschutz, für das Urlaubsgeld, aber auch für die Arbeiter, die keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber haben, sondern deren Anspruch an die Krankenkasse geht - so etwas haben wir auch noch -,nach einem anderen Prinzip angestellt werden müssen. Es werden also unterschiedliche Berechnungen erfolgen. Es wird vor allen Dingen dort schwierig werden, wo diese Dinge in der Wirtschaft mit Datenverarbeitungsmaschinen durchgeführt werden, in die dann zweierlei Daten eingegeben werden müssen. Wir fragen uns, ob es nicht richtiger wäre, die in der Praxis bewährte Methode der Berechnung beizubehalten, zumal da auch die SPD-Fraktion in diesem Hause diese Berechnungsmethode in ihrem Entwurf zunächst als die bessere angesehen hat. Allerdings hatte sie nicht die Lohnsteuerfreiheit vorgesehen, die bei uns mit drin ist.
Diese beiden Dinge enthält unser Antrag, den wir Ihnen zur Annahme empfehlen.
({0})
Wird zu diesem Antrag und seiner Begründung das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Buschfort!
13092 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 236. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1t1. Juni 1969
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für Arbeit hat sich unter Berücksichtigung der Sachverständigenanhörung mit Mehrheit für das Lohnausfallprinzip in § 2 entschieden. Diese Entscheidung ist getroffen worden, um berücksichtigen zu können, daß in der Industrie und im Handwerk durchaus unterschiedliche Einkommenshöhen und Arbeitszeiten auszuregulieren sind. Würden wir dieses Lohnausfallprinzip nicht einführen, würde die zwangsläufige Folge sein, daß man bei eingetretener Kurzarbeit kranke Arbeitnehmer besser behandeln würde als die Arbeitnehmer, die sich dieser Kurzarbeit unterwerfen müssen. Im umgekehrten Fall, wenn der Berechnungszeitraum aus einer Phase der Kurzarbeit rührt und wieder zur Vollbeschäftigung übergegangen wird, würde sich zeigen, daß der arbeitsunfähige Arbeitnehmer benachteiligt ist. Um diese Unterschiedlichkeit im Einkommen und in der Arbeitszeit ausgleichen zu können, ist dieses Lohnausfallprinzip gewählt worden.
Herr Kollege Schmidt ({0}), bereits während der Beratungen habe ich persönlich einen Antrag gestellt, der das Lohnausfallprinzip beinhaltete. Es ist also durchaus nichts Neues, daß wir während der Beratungen zu dem Lohnausfallprinzip gekommen sind.
An diesem Punkt sollte man aber auch sagen, daß das Lohnausfallprinzip sich bereits in anderen Gesetzen bewährt hat. Ich erinnere an die Feiertagsregelung, die wir in unseren gesetzlichen Bestimmungen kennen.
Ein dritter Vorteil der Formulierung der CDU/CSU und SPD ist, daß wir eine Tariföffnungsklausel vorgesehen haben und es dadurch den Tarifvertragsparteien ermöglichen, eigene Wege zu suchen, die praktikabel sind, sofern sie im Grundsatz mit dem Gesetz übereinstimmen.
Noch eine letzte Bemerkung. Wenn wir dem Antrag der FDP folgen, tritt zweifellos eine negative Auswirkung auf die Vermögensbildungsgesetzgebung ein; denn das 312-DM-Gesetz hat ja insbesondere zur Folge, daß dieser Betrag nicht der Sozialversicherungsbeitragspflicht unterliegt. Wollten wir jetzt aber das Einkommen unter Berücksichtigung der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherungsgrenze sehen, würde der Vermögensbildungsbetrag bei der Lohnfortzahlung unberücksichtigt bleiben, und damit würde eine Einbuße in Höhe des Sparbetrages eintreten. Das ist sicherlich von keiner Seite gewollt gewesen.
Ich habe den Eindruck, daß der Paragraph 2 in der FDP-Vorlage schlecht überprüft worden ist und daß die FDP sehr wenig über das anstehende Problem nachgedacht hat. Die Formulierung ist meines Erachtens unvollkommen. Ich darf für die CDU/CSU-und für die SPD-Fraktion Sie, meine verehrten Damen und Herren bitten, den FDP-Antrag abzulehnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Buschfort hat soeben darauf hingewiesen, daß bei dem von uns vorgeschlagenen Berechnungsmodus, bei dem wir uns am geltenden Recht orientiert haben, gelegentliche Mehrzahlungen durch die Arbeitgeber in Kauf zu nehmen wären, und zwar dann, wenn z. B. auf Kurzarbeit umgestellt werden soll. Insgesamt gesehen aber ist es bei der Entwicklung, die wir für unsere Wirtschaft nicht nur erhoffen und wünschen, sondern auch durch staatliche Maßnahmen mit Sicherheit erreichen werden, billiger, diese geltende Regelung durchzuführen, nach der für die Lohnfortzahlung dieselben Modalitäten gelten wie für das Krankengeld. Denn da es für die neuen Modalitäten keine Tabellen gibt und da für sie Tabellen nach Sachverständigenauskunft gar nicht so leicht anzufertigen sind, käme auf Betriebe, die auf manuelle Lohnfortzahlungsberechnung angewiesen sind, unerhört viel Arbeit zu. Es ist sogar davon gesprochen worden, daß sich Betriebe dann einer Computerstelle anschließen müßten, damit die Berechnung dort durchgeführt werden könne. Aber selbst die Betriebe, die Computer haben - so habe ich hier eine ernstzunehmende Mitteilung -, müßten für die Berechnung nach den neuen Modalitäten, die im Gesetzentwurf, wie ihm der Ausschuß verabschiedet hat, vorgesehen sind, ein völlig neues, zusätzliches Programm erst entwerfen und anwenden.
Von daher ist also der Antrag der CDU/CSU, das Gesetz nicht gleich am 1. August in Kraft treten zu lassen, schon teilweise begründet. Denn wenn der § 2 so bleibt, wie er ist, gibt es unerhörte Ausrechnungsschwierigkeiten für die Betriebe, ob Kleinbetriebe oder Großbetriebe.
({0})
- Herr Kollege Schellenberg, Sie sollten Ihr eigenes Licht nicht so sehr in den Schatten stellen; denn Sie waren ja selber einmal der Meinung, daß die Orientierung am geltenden Recht sinnvoller sei. Nun, Herr Adenauer hat schon einmal gesagt, niemand könne ihn hindern, täglich klüger zu werden. Ich weiß, daß auch einem Koalitionspartner gelegentlich beschieden ist, täglich klüger werden zu müssen,
({1})
Ich wollte damit aber nur dem Vorwurf des Kollegen Buschfort entgegentreten, daß wir uns bei diesem Antrag die Dinge nicht genau überlegt hätten. Wir wissen genau, daß dadurch Mehrzahlungen für einen erkrankten Arbeiter bei der Lohnfortzahlung eintreten können. Diese gelegentlichen Mehrkosten stehen aber in keinem Verhältnis zu den neuen, schwierigen Berechnungen, die anderenfalls in den Betrieben angestellt werden müssen.
Ich bitte deshalb aus Gründen der Praktikabilität, unserem Antrag zuzustimmen.
({2})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung. Zur Abstimmung steht die Ziffer 2 des Antrags auf Umdruck 691. Wer stimmt ihr zu? Ich bitte um ein Handzeichen. - Danke! - Die Gegenprobe! - Das letztere war die große Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Nun liegen zu diesem § 2 auf demselben Umdruck 691 in den Ziffern 3 und 4 Eventualanträge vor. Sollen sie begründet werden? - Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf dem gleichen Umdruck legen wir unter der Ziffer 3 einen Alternativantrag zu dem § 2 vor. Er wird nunmehr von mir begründet. Die in dem ersten Teil dieses Alternativantrags unter Buchstabe a vorgesehene Berechnungsart entspricht der Berechnungsart, die wir vorhin vorgeschlagen haben. Sie ist früher auch einmal seitens der SPD-Fraktion als bessere, als praktischere Berechnungsart angesehen worden und auch noch im Entwurf der SPD enthalten. Auf die Bedeutsamkeit der Praktikabilität hat der Kollege Spitzmüller eben noch einmal hingewiesen. Ich kann mir dies im Interesse der Zeit ersparen.
Mit dem zweiten Teil des Antrags - Buchstabe b - wollen wir erneut die Möglichkeit geben, die Lohnsteuer den Betrieben zurückzuerstatten - nicht mehr einfach nicht einzubeziehen -, bzw. sie durch eine Vereinbarung mit dem Finanzamt zu ver- rechnen. Wir wollen damit Ihnen, meine Damen und Herren, noch einmal Gelegenheit geben, darüber zu entscheiden, ob es wirklich notwendig ist, rund eine Milliarde DM Lohnsteuer zusätzlich zu erheben, ob es wirklich notwendig ist, dadurch Preissteigerungen zu ermöglichen - und alles das, was ich vorhin im Zusammenhang damit sagte -, und ob es nicht richtiger wäre, auf dem von uns vorgeschlagenen Weg durch einen Ausgleich über das Finanzamt - in dem die Lohnsteuer, die zunächst erhoben werden muß, zurückerstattet wird - eine Milliarde DM zu ersparen. Zu diesem Antrag beantragen wir namentliche Abstimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Behrendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Regierungsparteien möchte ich hierzu folgendes ausführen. Zu dem zunächst hier zur Abstimmung anstehenden Abs. 1 des § 2, der die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festlegt, erklären wir, daß wir uns hier nun einmal für das Lohnausfallprinzip entschieden haben und auch bei dieser Auffassung bleiben. Aus diesem Grunde möchte ich dazu keine weiteren Ausführungen machen.
Zu der Frage der Steuerfreiheit möchte ich sagen, daß der wesentliche Mangel der bisherigen Regelung der Lohnfortzahlung doch darin bestanden hat, daß erkrankte Arbeiter als Folge der Erkrankung eine Lohnsteuererstattung erhielten, während die
Arbeiter, die das ganze Jahr voll arbeiteten, diesen Lohnsteuerausgleich nicht bekamen. Das war eine eindeutige Benachteiligung, und - was entscheidend ist - eine Beseitigung dieser Folgen ist durch steuerliche Maßnahmen nicht möglich. Wenn man diese mißlichen Auswirkungen beseitigen will, ist das nur möglich, indem man die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in voller Höhe steuerpflichtig macht. Der Antrag auf Steuerfreiheit der Lohnfortzahlung würde also nicht nur den bisherigen Mißstand beibehalten, sondern ihn sogar noch vergrößern. Auch das haben vorhin der Kollege Ott und der Herr Kollege Franke - in einer Zwischenfrage auch der Herr Kollege Müller - bereits angeschnitten. Wie sieht es eigentlich mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung in diesem Falle aus? Da muß man nämlich die Angestellten sehen; und ich muß hinzufügen: da muß man auch die Beamten sehen.
Aus allen diesen Gründen bitte ich Sie im Namen der Regierungsfraktionen, den Antrag der FDP abzulehnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Ott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, Sie begeben sich jetzt auf einen sehr gefährlichen Weg. Wenn Sie nämlich damit anfangen, hier die Lohnsteuerfreiheit einzuführen, laufen Sie Gefahr, ,daß auch bei den Angestellten eine Änderung kommen muß. Wir wollen jetzt die Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten und damit auch mit den Beamten erreichen. Diese gefährden Sie jedoch mit Ihrem Antrag. Der Herr Vorredner hat bereits darauf hingewiesen, daß konsequenterweise auch bei den Beamten des öffentlichen Dienstes für die Zeit, in der sie krank sind, die Lohnsteuer zurückzuerstatten wäre. Wenn Sie dieser Meinung sind, müssen wir uns darüber noch einmal unterhalten. Aber 'ich sage: steuerrechtlich ist das ein ganz unmöglicher Weg.
Aus all dem kann ich nur schließen, daß Sie sich nicht belehren lassen wollen und es Ihnen nur darankommt, draußen im Lande ,die Propagandawelle und -walze laufen lassen zu können.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt; der Antrag ist ausreichend unterstützt. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimnung über dien Antrag Umdruck 691 Ziffer 3 bekannt. Abgestimmt haben 422 voll stimmberechtigte und 17 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 37 unbeschränkt stimmberechtigte und 1 Berliner Abgeordneter. Mit Nein haben gestimmt 382 voll stimmberechtigte und 16 Berliner Abgeordnete. Enthalten haben sich 3 Abgeordnete. Der Antrag ist also mit großer Mehrheit abgelehnt.
13094 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 236. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den H. Juni 1969
422 und 17 Berliner Abgeordnete; davon
Ja: 37 und 1 Berliner Abgeordneter Nein: 382 und 16 Berliner Abgeordnete Enthalten: 3 Abgeordnete
Ja FDP
Dr. Achenbach
Busse ({0})
Dr. Dahlgrün
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Dr. Friderichs
Frau Funcke Geldner
Freiherr von Gemmingen Genscher
Dr. Haas
Frau Dr. Heuser
Dr. Imle
Jung
Logemann Dr. Mende Mertes
Mischnick Moersch
Opitz
Peters ({1})
Porsch
Ramms Reichmann
Saam
Sander
Schmidt ({2})
Schultz ({3})
Dr. Staratzke Wächter
Walter
Wurbs
Zoglmann
Berliner Abgeordnete Borm
Nein CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner Dr. Althammer
Dr. Artzinger
Baier
Balkenhol Dr. Barzel
Bauer ({4}) Bauknecht
Dr. Becher ({5})
Becker
Berendsen Dr. Besold Bewerunge Biechele
Dr. Birrenbach
Blank
Blöcker
Frau Blohm
Blumenfeld
Brand
Bremer
Dr. Brenck Brück ({6})
Bühler
Burgemeister
Burger
Dr. Conring
Dr. Czaja Damm
van Delden
Dichgans Diebäcker Dr. Dittrich Draeger von Eckardt
Ehnes
Dr. Elbrächter
Enk
Frau Enseling
Erhard ({7}) Ernesti
Erpenbeck Exner
Falke
Franke ({8})
Dr. Franz Franzen Dr. Freiwald
Dr. Frey Frieler
Fritz ({9})
Dr. Furler
Frau Geisendörfer Geisenhofer
D. Dr. Gerstenmaier Gewandt
Gierenstein
Glüsing ({10}) Dr. Götz
Gottesleben
Frau Griesinger
Haase ({11})
Dr. Häfele Härzschel Häussler Hahn ({12})
Dr. Hammans
Hanz ({13})
Hauser ({14}) Dr. Hauser ({15})
Dr. Heck Dr. Hellige
Dr. Hesberg
Hilbert
Hörnemann ({16}) Hösl
Dr. Hofmann ({17}) Frau Holzmeister Horstmeier
Horten
Dr. Hudak Dr. Huys Frau Jacobi ({18})
Dr. Jahn ({19}) Josten
Dr. Jungmann
Frau Kalinke Katzer
Dr. Kempfler
Kiep
Frau Klee
Klein
Dr. Klepsch
Dr. Kliesing ({20})
Köppler Dr. Kopf
Krampe
Dr. Kraske
Dr. Krone
Krug
Frau Dr. Kuchtner
Kühn ({21}) Kuntscher
Lampersbach
Leicht Lemmrich
Dr. Lenz ({22})
Lenz ({23})
Lenze ({24})
Leukert
Dr. Lindenberg
Dr. Löhr
Dr. Luda
Lücke ({25})
Majonica
Dr. Martin
Dr. Marx ({26}) Maucher
Meis
Meister Memmel
Dr. von Merkatz
Mick
Frau Mönikes
Müller ({27})
Dr. Müller-Hermann
Müser Niederalt
Dr. von Nordenskjöld Orgaß
Petersen
Picard
Frau Pitz-Savelsberg
Porten Dr. Preiß
Prochazka
Rainer Rasner Rawe Dr. Reinhard
Riedel ({28})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rollmann
Rommerskirchen
Ruf
Prinz zu Sayn-Wittgenstein Hohenstein
Schlager
Schlee
Dr. Schmid-Burgk Schmidhuber
Dr. Schmidt ({29}) Schmitt ({30}) Schmücker
Frau Schroeder ({31}) Schröder ({32})
Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Serres
Dr. Siemer
Dr. Sinn
Springorum
Stahlberg
Dr. Stark ({33})
Dr. Steinmetz
Stiller
Frau Stommel
Stooß Storm Struve Stücklen
Teriete Tobaben
Unertl Varelmann
Dr. Freiherr
v. Vittinghoff-Schell
Vogt
Wagner
Dr. Wahl
Weigl Weiland
Weimer
Wendelborn
Frau Dr. Wex
Wieninger
Winkelheide
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Wuermeling Wullenhaupt
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Dr. Gradl
Müller ({34}) Frau Pieser
Nein SPD
Adams
Ahrens ({35}) ({36}) Frau Albertz
Arendt ({37})
Dr. Arndt ({38})
Auge Bading Bäuerle
Baltes Barche Dr. Bardens
Bauer ({39})
Dr. Bayerl
Dr. Bechert ({40}) Behrendt
Bergmann
Berkhan
Berlin Beuster
Biermann
Blume Böhm Börner Brück ({41})
Brünen Buchstaller
Büttner
Collet Corterier
Cramer
Diekmann
Vizepräsident Schoettle
Eckerland Frau Eilers
Frau Dr. Elsner
Dr. Enders
Dr. Eppler Eschmann Esters
Faller
Felder
Feuring Folger
Franke ({42}) Frehsee
Frau Freyh
Fritsch ({43}) Fritz ({44}) Geiger
Gerlach Gertzen Glombig Gscheidle
Haage ({45}) Haar ({46}) Haase ({47}) Haehser
Hansing Hauck
Hauffe
Herberts
Frau Herklotz Hermsdorf
Hirsch
Höhne
Hölzle
Hörauf
Hörmann ({48}) Hofmann ({49}) Frau Dr. Hubert
Hufnagel
Dr. Ils
Iven
Jacobi ({50})
Jaschke Jürgensen
Junghans Junker Kaffka
Kahn-Ackermann Kern
Killat
Frau Kleinert
Dr. Koch
Könen ({51}) Kohlberger
Frau Korspeter
Dr. Kreutzmann Kriedemann
Dr. Kübler
Kulawig
Kurlbaum
Frau Kurlbaum-Bayer
Lange
Langebeck Lautenschlager
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Maibaum Marquardt
Marx ({52})
Matthes
Frau Meermann Dr. Meinecke Metzger
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Müller ({53})
Dr. Müller ({54}) Müller ({55})
Müller ({56}) Dr. Müller-Emmert
Dr. Müthling
Neemann
Nellen
Neumann ({57})
Paul
Peiter
Pöhler Porzner Raffert Dr. Rau Ravens Regling Dr. Reischl
Reitz
Frau Renger
Richter
Riegel ({58})
Dr. Rinderspacher
Rohde Roß
Frau Rudoll
Sänger Saxowski
Frau Schanzenbach
Frau Schimschok
Schmidt ({59})
Dr. Schmidt ({60}) Schmidt ({61})
Dr. Schmidt ({62}) Schmidt ({63}) Schmitt-Vockenhausen Schoettle
Schonhofen
Schulte Schwabe
Seibert Seidel Seifriz Seither Frau Seppi
Spillecke
Dr. Stammberger
Stephan Frau Strobel
Strohmayr
Tallert
Dr. Tamblé
Tönjes Vit
Wehner Welke Welslau
Wendt Westphal
Wiefel Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Wuwer
Zebisch
Berliner Abgeordnete
Bartsch
Frau Berger-Heise Bühling
Frau Krappe
Liehr Frau Lösche Mattick
Neumann ({64}) Dr. Schellenberg Dr. Schulz ({65}) Dr. Seume Sieglerschmidt Urban
Enthalten CDU/CSU
Brese
Dr. Gleissner Schulhoff
Wir sind aber mit dem § 2 noch nicht zu Ende, denn es liegt unter Ziffer 4 auf Umdruck 691 noch ein Alternativ-Antrag vor. Dieser Antrag wird vom Abgeordneten Spitzmüller begründet. Herr Spitzmüller hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich kann es kurz machen. Wir wollen hier eine dem Votum des Bundesrates von vor vier Jahren entsprechende weitere Alternative aufzeigen, nämlich wie man die Lohnsteuerbefreiung bei der Bruttolohnzahlung zugunsten der belasteten Betriebe regeln könnte. Wir hoffen, daß der Bundesrat auf seine Entschließung von vor vier Jahren zurückkommt, und wollen damit noch einmal eine weitere Alternative aufzeigen, welche Möglichkeiten es gibt, dem angesprochenen Votum des Bundesrates Rechnung zu tragen.
Wird dazu noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 691 Ziffer 4 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei einer Enthaltung mit großer Mehrheit abgelehnt.
Jetzt stimmen wir über den § 2 in der Fassung des Ausschusses ab. Wer diesem § 2 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! -Enthaltungen? - Der § 2 ist gegen die Stimmen der FDP mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 3 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 691 Ziffer 5 vor. Wird der Antrag begründet? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Umdruck 691 haben wir unter Ziffer 5 einen Erweiterungsantrag zu § 3 vorgelegt, der materiell an dem Gesetz nichts ändert. So gesehen, könnte die Zustimmung zu der Erweiterung nicht allzu schwer fallen. Der erkrankte Arbeiter ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer anzuzeigen. Er ist weiterhin verpflichtet, bei Aufenthalt im Ausland, also außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes, der Versicherung die Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen. Wir halten es für sehr sinnvoll, daß der erkrankte Arbeiter dem Arbeitgeber auch die Anschrift im Ausland, unter der er zu erreichen ist, mitteilt. Wir meinen, daß es im Interesse der Abwicklung von dienstlichen Obliegenheiten zweckmäßig ist, wenn der Arbeitgeber, der ja die Heimatanschrift kennt, bei einem Aufenthalt des Arbeitnehmers im Ausland auch über dessen Anschrift im Ausland verfügt. Sie sehen, das ist keine umwälzende Erweiterung.
Die Freien Demokraten sind daher der Auffassung, daß Sie diesem Antrag zustimmen könnten.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn jemand einen Anspruch hat, ist er selbstverständlich auch nachweispflichtig. In § 3 Abs. 1 heißt es ausdrücklich - das hat Herr Kollege Ollesch hier schon vorgetragen -, daß der Arbeiter verpflichtet ist, „dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen". Dann ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit, daß er auch angibt, wie er zu erreichen ist.
Wir halten also den Antrag für überflüssig und bitten um Ablehnung.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen? - Wir kommen zur Abstimmung.
Wer Ziffer 5 des Änderungsantrags auf Umdruck 691 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist der Antrag mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt worden.
Wir stimmen nun über § 3 selbst ab. Wer diesem Paragraphen zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 3 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nun die §§ 4 bis einschließlich 15 auf. Wird zu diesen Paragraphen das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir stimmen dann über sie ab.
Wer den aufgerufenen §§ 4 bis 15 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Ich rufe § 16 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 691 Ziffer 6 vor. Soll dieser Antrag
begründet werden? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unter Ziffer 6 unseres Änderungsantrags beantragen wir eine Ergänzung der in § 16 vorgesehenen Satzungsverfügung. Wir möchten Absatz 2 durch eine Nr. 4 folgenden Wortlauts ergänzen:
Die Satzung kann den Ausgleich für Arbeitgeberaufwendungen im Sinne des § 1 Abs. 1 und des § 7 Abs. 1 einschließlich des Erstattungsanspruches auch auf Arbeitgeber ausdehnen, die in der Regel mehr als zwanzig Arbeitnehmer beschäftigen.
Wir sehen diese Möglichkeit, die wir hier in die Satzung einbauen wollen, deswegen als richtig und notwendig an, weil es, wie die Debatte gezeigt hat,
umstritten ist, ob diese Grenze von 20 Beschäftig- ten wirklich in allen Bereichen betriebswirtschaftlich und auch volkswirtschaftlich eine sehr glücklich gewählte Zahl ist. Ich erinnere an das, was Herr Professor Schreiber dazu gesagt hat, der die Zahl 20 für diejenigen Betriebe, die das Recht auf einen Ausgleich haben, als zu niedrig angesehen hat. Ich erinnere ferner an das, was in der Sozialenquête steht, wo die Vorschläge für die Grenzen sogar bis zu 500 Arbeitnehmern gingen.
Wir glauben, daß die Zahl 20 eine zu niedrige Schwelle ist. Wir waren zunächst der Auffassung, daß die Zahl 20 durch die Zahl 50 ersetzt werden sollte. Da ein entsprechender Antrag von uns im Ausschuß mit den Stimmen der Koalitionsparteien abgelehnt worden ist, sind wir nunmehr der Auffassung, daß wenigstens die Möglichkeit gegeben sein sollte, durch die Satzung der Ausgleichskasse weitere Betriebe mit über 20 Beschäftigten auf Grund eigener Entscheidung einzubeziehen, was natürlich dazu führen würde, daß auch gewisse Ausgleichssummen in Art. 4 § 4 dann um einen entsprechenden Prozentsatz steigen müßten. Das wäre dann eine Sache der Selbstverantwortung, eine Möglichkeit, die in der Satzung vorgesehen werden könnte.
Ich möchte noch erwähnen, daß diese Frage in der Diskussion im Ausschuß von verschiedenen Seiten als prüfenswert angesehen wurde. Ich verweise weiterhin darauf, daß in Art. 1 § 19 der jetzigen Vorlage eine solche Ausnahmemöglichkeit geschaffen wurde. Wir sind der Auffassung, daß sie in der 1 Satzung grundsätzlich angeboten werden sollte. Ich könnte mir vorstellen, daß sogar der Herr Bundesarbeitsminister seine Zustimmung zu dem Antrag der FDP geben würde.
({0})
Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? - Herr Dr. Freiwald!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, den Antrag der FDP abzulehnen. Wir haben bereits in § 19 die Möglichkeit vorgesehen, daß auch Wirtschaftszweige solche Ausgleichskassen errichten können, wenn das notwendig erscheint. Es besteht also eine rechtliche Möglichkeit. Die Errichtung bedarf allerdings der Zustimmung des Bundesarbeitsministers. Wir sind nicht der Auffassung, daß wir diese Institution in § 10 einbauen sollten, denn dadurch würden wir die begünstigten Kleinunternehmen im Grunde genommen benachteiligen. Mit dem Erstattungsanspruch wollten wir j a insbesondere den Kleinunternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten durch die Bundeshilfe einen gewissen Ausgleich für ihre Schwierigkeiten gewähren. Würden wir diesen Kreis jetzt wesentlich erweitern und auch Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten einbeziehen, so würde dieser Ausgleich natürlich auch anderen Betrieben zugute kommen. Er würde sich also nicht auf die Kleinbetriebe konzentrieren, denen wir durch die
Bundeshilfe eine gesonderte Unterstützung sichern wollten. Ich bitte daher, den Antrag der FDP abzulehnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Erfreulicherweise kann ich den Ausführungen des Kollegen Freiwald entgegentreten. Herr Kollege Freiwald, Sie haben übersehen, daß wir diese Fragen in § 16, also im Satzungsrecht, regeln wollen und daß Art. 4 § 4 ausdrücklich darauf abhebt, daß diese Gelder, die dort zur Verfügung gestellt werden, nur den Betrieben zugute kommen, die in § 10 Abs. 1 ausdrücklich genannt sind. Ein solcher satzungsmäßiger Beschluß, daß auch andere Betriebe in einen Ausgleich kommen, würde nur zum Inhalt haben, daß sie unter sich ausgleichen, nicht aber an den staatlichen Mitteln partizipieren. Das haben wir uns natürlich sehr wohl überlegt. Es kann uns nicht entgegengehalten werden, wir würden hier dafür Sorge tragen, daß die staatlichen Hilfen für die Betriebe, die dafür in Betracht kommen, abgebaut würden.
Herr Kollege Freiwald, Sie haben darauf hingewiesen, daß der Ausschuß nunmehr in § 19 - das ist neu gegenüber den Entwürfen der CDU/CSU und SPD - ein freiwilliges Ausgleichsverfahren eingebaut habe. Sie geben damit zu, daß das Ausgleichsverfahren, das die CDU ursprünglich in ihrem Entwurf hatte, nicht ausreichend war; im Ausschuß mußten vielmehr freiwillige Ausgleichsverfahren beschlossen werden.
Herr Kollege Spitzmüller, gestatten Sie eine Frage?
Recht gerne, Herr Kollege Ott.
Herr Kollege Spitzmüller, sind Sie sich darüber im klaren, daß es bei einer Ausweitung der Beschäftigtenzahl über 20 hinaus und bei einem Zuschuß aus dem Bundeshaushalt in der gleichen Höhe wie bisher praktisch zu einer stärkeren Belastung der Betriebe kommt, die weniger als 20 Beschäftigte haben? Wie wollen Sie das ausgleichen?
Herr Kollege Ott, ich muß mich außerordentlich beherrschen, um nicht bösartig oder spitz - um meinem Namen Ehre zu machen - zu werden. Es hat so seine Schwierigkeiten, Gesetzesdeutsch zu lesen und in die Praxis zu übersetzen. Ich kann nur noch einmal sagen: wenn Sie das Gesetzesdeutsch des § 10 dieses Entwurfs und unsere Anträge zu § 16 und zu § 4 des Art. 4 lesen und wenn Sie sich vielleicht dann noch zusätzlich beraten lassen, werden Sie zu dem Ergebnis kommen, daß die Begünstigten des § 10
Abs. 1 durch die Annahme unseres Antrags, satzungsgemäß auch noch andere Betriebe einzuschließen, nicht betroffen werden in dem Sinne, daß ihnen etwas mehr zugemutet oder daß Ihnen etwas von den Bundeszuschüssen der Übergangshilfe genommen wird.
Ich darf zum freiwilligen Ausgleichsverfahren zurückkommen. Damit haben Sie natürlich etwas getan, was notwendig ist. Aber hier stellt sich doch die Frage - das ist leider auch aus dem Schriftlichen Bericht, zu Drucksache V/4285, nicht ganz klar zu ersehen -: Welche Arbeitgeber können solche Einrichtungen schaffen? Die organisierten oder alle die Arbeitgeber quer Beet oder die Arbeitgeber eines Kassenbezirks? Hier ist sehr vieles offen, und wir hielten es trotz des § 19 für notwendig, daß in § 16 festgestellt wird, daß sich die Arbeitgeber eines Kassenbezirks durch Satzungsrecht zu einer Ausgleichsgemeinschaft in der Krankenkasse zusammenfinden können. Warum wollen Sie ihnen eigentlich dieses satzungsgemäße Recht verwehren? Wenn es eine gute Sache ist, werden sie davon Gebrauch machen, und wenn sie der Überzeugung sind, daß das Risiko für sie ohne eine zusätzliche Ausgleichsmöglichkeit kalkulierbar ist, werden sie das nicht machen. Ich darf noch einmal sagen: kein geringerer als Professor Schreiber hat darauf hingewiesen, daß das eine freiheitliche Lösung wäre.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Spitzmüller, kann nicht nach Ihrem Antrag zwangsweise eine Ausweitung der Satzung dahin gehend vorgenommen werden, daß Betriebe, die mit mehr als 20 Beschäftigten in eine solche Regelung hineinkommen, unter Umständen Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten, die eine geringere Belastungsquote haben, zu erhöhten Leistungen für den Ausgleich heranziehen?
Herr Kollege Behrendt, zunächst einmal muß ja die Mehrheit zustimmen, wenn eine solche Satzungsänderung überhaupt zustande kommen soll, und in den ersten Jahren des Ausgleichs gibt es dann eben praktisch zwei Blöcke. Diese zwei Blöcke können Sie auch dann noch weiter beibehalten, wenn die Übergangshilfen des Bundes beendet sind, oder Sie können sie zusammenlegen. Eines ist doch bei der Sachverständigenanhörung deutlich geworden. Wir gehen immer davon aus, daß bei den Kleinbetrieben der Krankenstand geringer ist. Bei der Anhörung der Sachverständigen hat aber der Vertreter des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen erklärt, es gebe keine Statistiken, mit denen diese Annahme bewiesen werden könnte. Also wir können hier nur von Annahmen ausgehen, und ich kann nur fragen, Herr Kollege Behrendt: wenn wir hier das Satzungsrecht einräumen, warum wollen wir dann eigentlich nicht den Arbeitgebern bei einem Kassenbezirk soviel freiwillige Selbstentscheidung zugestehen? Die werden
sich schon zusammenraufen und das Günstigste
daraus machen. So wie es jetzt ist, geht es aber nicht.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Behrendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diesen Vorgang im Ausschuß für Arbeit sehr eingehend diskutiert und, wie ich schon vorhin in meiner Berichterstattung sagte, eine Anregung aus Arbeitgeberkreisen aufgenommen, hier ein freiwilliges Ausgleichsverfahren zusätzlich einzuführen. Wir wollen das auf privatrechtlicher Basis geregelt wissen, nicht durch Satzungsrecht. Durch das Verbandsrecht, das hier eine Rolle spielt, Herr Kollege Spitzmüller, ist man nämlich in der Lage, die Betriebe auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses zu zwingen, in einen solchen Ausgleich hineinzugehen. Es war gerade unser Anliegen, zu verhindern, daß kleine Betriebe durch einen Mehrheitsbeschluß zu einem Ausgleich gezwungen werden, bei dem sie nachher höhere Aufwendungen haben, weil ein solcher kleiner Betrieb ein niedriges Risiko hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr!
Bitte, Herr Abgeordneter Friderichs!
Herr Kollege Behrendt, ist Ihnen bekannt, daß es im allgemeinen mehr kleine Betriebe als große gibt?
Ja, eben gerade darum haben wir uns ja dazu entschlossen, die kleinen Betriebe in dieses gesetzliche Ausgleichsverfahren zu nehmen. Wenn man darüber hinaus weitere Betriebe in ein Ausgleichsverfahren hineinnehmen will, soll das nicht durch Satzungs- oder Verbandsrecht ermöglicht werden, sondern auf privatrechtlicher Basis durch freiwilligen Zusammenschluß, und das ist § 19. - Bitte!
Da Sie offensichtlich meine Frage nicht ganz verstanden haben, - wahrscheinlich akustisch - darf ich sie insoweit wiederholen: Sie haben von der Gefahr des Mehrheitsbeschlusses gegen die kleinen Betriebe gesprochen, und daraufhin habe ich Sie gefragt, ob Ihnen bekannt sei, daß die kleinen Betriebe im allgemeinen in diesen Organisationen in der Mehrheit seien.
Nein, Sie müssen das ja so sehen, Herr Kollege Dr. Friderichs:
({0})
Die gesetzliche Ausgleichsberechtigung haben ja jetzt nur Betriebe bis zu 20 Beschäftigten.
({1})
Diese Betriebe sollen in diesen Ausgleich hineingenommen werden. Das ist von den Betroffenen auch gewünscht worden. Jetzt wollen Sie, daß diese Betriebe von sich aus beschließen können - so meinen Sie -, daß auch andere Betriebe hineingenommen werden. Wir haben im Interesse dieser kleinen Betriebe gesagt, weil sie es wünschten: Wir bleiben bei der Begrenzung von 20, um ihnen nicht ein größeres Risiko aufzubürden. Wir haben genau - ({2})
- Nein, ich verstehe schon Ihre Frage; daß die kleinen Betriebe selbst beschließen können, das Betriebe mit mehr Beschäftigten hineingenommen werden. Wir haben aber gerade auf Grund der Sachverständigenanhörungen von ihnen gehört, daß sie diese Begrenzung bis zu 20 Beschäftigten wünschen, und haben daraufhin auch den Art. 4 mit dem § 4 in bezug auf die Übergangshilfe des Bundes dahin gehend ausgerichtet. Gehen Sie darüber hinaus, müssen Sie auch eine entsprechende Änderung vornehmen. Sie sagen: Ja, dann kommt er aus dieser Regelung heraus. Sie können das nur so regeln - der Auffassung waren wir -: entweder im gesetzlichen Rahmen bis zu 20 Beschäftigten oder auf freiwilliger Basis darüber hinausgehend; dann fallen sie aber aus der Bezuschussung durch die Übergangshilfe des Bundes heraus.
Meine Damen und Herren, ich bitte daher, den Antrag der Freien Demokraten abzulehnen.
Keine weiteren Wortmeldungen mehr.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ziffer 6 des Umdrucks 691. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen über § 16 in der Fassung des Ausschusses ab. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen der Fraktion der FDP ist der § 16 angenommen.
Ich rufe nun auf die §§ 17, 18 und 19 - 19 in der Fassung des Nachtrages zur Drucksache V/4285. Wird zu diesen Paragraphen das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir ab. Wer den Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Ich rufe dann den Art. 2 auf. Hier müssen wir anders verfahren, weil es sich hier um Änderungen des Krankenversicherungsgesetzes handelt und nicht mehr nach Paragraphen, sondern nach Nummern aufgerufen werden muß.
Zunächst die Nr. 1. Hier liegen keine Änderungsanträge vor. Wir stimmen gleich ab. Wer Nr. 1 zu-
Vizepräsident Schoettle
stimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig.
Ich rufe die Nr. 2 auf. Dazu liegen drei Änderungsanträge vor, und zwar Umdruck 677 *), 692 **) Ziffer 1 und 694 ***) Ziffer 1. Ich würde es für zweckmäßig halten, wenn die Begründungen zusammen gegeben würden, so daß wir dann auch nacheinander abstimmen können. Können wir so verfahren? ({0})
Wer will den Antrag der Fraktion der SPD begründen? - Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die Abstimmung zu Art. 1 haben wir eine grundsätzliche Frage zugunsten der Arbeiter entschieden. Wir haben die jahrzehntealten Nachteile der Arbeiter gegenüber den Angestellten beseitigt. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Jetzt muß auch mit den Unzulänglichkeiten des Versicherungsrechts der Angestellten Zug um Zug Schluß gemacht werden; denn sonst würden wir gerade durch das Gesetz über die Lohnfortzahlung der Arbeiter wieder Unrecht schaffen.
Wir Sozialdemokraten können und wollen nicht zulassen, daß bei gleichem Einkommen jetzt der Angestellte mit einem Gehalt von 990 DM oder nach der Ausschußvorlage von 1080 DM faktisch erheblich weniger verdient als der Arbeiter. Er verdient nicht nur weniger, sondern eine solche Regelung bezüglich der Krankenversicherungspflichtgrenze hat für den Angestellten auch den Nachteil, daß er gegenüber dem Arbeiter mit gleichem Einkommen familienpolitisch nicht an der Gefahrengemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung teilhaben kann. Dem Arbeiter wird dieser Schutz gewährt, dem Angestellten aber verwehrt.
Deshalb wollen wir - das ergibt sich aus unserem Gesetzentwurf - grundsätzlich die antiquierte Versicherungspflichtgrenze von gegenwärtig 900 DM auf 2000 DM Monatsgehalt anheben. Damit die Belastung für die Volkswirtschaft tragbar wird, haben wir einen Stufenplan vorgelegt. In der ersten Stufe sind 1200 DM ab 1. August dieses Jahres vorgesehen, in der nächsten Stufe 1400 DM ab 1970, dann in der nächsten Stufe 1700 DM ab 1971 usw. Das hat eine prinzipielle Bedeutung, und deshalb ist diese Frage - das hat sich auch heute wieder gezeigt - zwischen den Koalitionsparteien strittig.
Wir wollen schrittweise mit einer, wie wir meinen, unmöglichen Praxis aufhören. In diesem Zusammenhang darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auszugsweise vorlesen:
Nebenabrede zum Arbeitsvertrag
Herr ... verzichtet auf den Vergütungsspitzenbetrag, um den seine Vergütung die Jahresarbeitsverdienstgrenze in der gesetzlichen Kran-
*) Siehe Anlage 4 It) Siehe Anlage 5 *5*) Siehe Anlage 6
kenversicherung überschreitet. Auf Grund des Verzichts wird die Vergütung bis auf Widerruf so bemessen und gezahlt, daß sie die Jahresarbeitsverdienstgrenze der Krankenversicherung nicht übersteigt.
Damit
- so heißt es in diesem Papier weiter unterliegt Herr ... wieder der Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung.
Es folgen Unterschrift und die Worte: „Deutscher Bundestag, Verwaltung". Das ist die Praxis auch in diesem Hause.
Wir sind uns dessen bewußt, daß wir wegen der finanziellen Auswirkungen nicht das Wünschenswerte heute durchsetzen können. Aber wir müssen beginnen, mit einer solchen Praxis stufenweise Schluß zu machen. Deshalb wollen wir die Versicherungspflichtgrenze wesentlich erhöhen. Mit der Einführung der Lohnfortzahlung darf das Unrecht gegenüber den Angestellten nicht weiter bestehenbleiben. Wir wollen es schrittweise beseitigen.
Die erste Stufe sind die von uns beantragten 1200 DM. Ich wende mich an alle Kolleginnen und Kollegen: Die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze auf 1200 DM ab 1. August dieses Jahres bedeutet lediglich, daß die Versicherungspflichtgrenze der vollzogenen Einkommensentwicklung angepaßt wird. Unsere Forderung ist also bescheiden. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß in Besprechungen mit Kollegen der CDU/ CSU beim Herrn Bundesarbeitsminister alle Gesprächsteilnehmer - einschließlich des Herrn Bundesarbeitsministers, für seine Person natürlich, - übereinstimmend erklärt haben, sie würden sich mit allem Nachdruck für diese Regelung - 1200 DM - einsetzen.
({0})
- Nein, nein! In Ihrem eigenen Gesetzentwurf finden Sie den Termin 1. Juli 1969, Herr Kollege Stücklen, bezüglich der Ausgleichsregelung für mittelständische Betriebe usw.
({1})
Ob der Antrag 990 DM ab 1. August oder der Antrag des Ausschusses auf 1080 DM angenommen wird, - diese Grenze ist willkürlich, völlig willkürlich. Das ergibt sich auch daraus, meine Damen und Herren von der CDU, daß Sie von Woche zu Woche, um nicht zu sagen von Tag zu Tag ihre Meinung hierzu geändert haben. Wir hatten eine Abstimmung im Ausschuß. Da stimmten Sie für die Grenze 990 ab 1. Juli 1970. Dann haben Sie sich revidiert und wieder revidiert. Ihre Grenzen sind willkürlich, und sie bleiben - das ist das politisch Entscheidende - hinter der Einkommensentwicklung zurück.
Auch das, was in einem zweiten Teil eines Antrages von der CDU gewünscht wird, eine Erhöhung der Grenze auf 1200 DM ab 1. Januar 1970, ist für uns kein akzeptables Angebot, weil dann die Einkommensentwicklung längst über diese Grenze hinausgegangen ist. Das weiß auch jeder Sachkundige, wenn er nämlich diese Grenze auf die
Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung
bezieht. Natürlich wissen wir, daß unser Antrag die
Wirtschaft Geld kostet. Aber, Herr Kollege Stücklen
({2})
- Herr Kollege Stücklen, Sie werben wohl für unseren Antrag. Ein Prozent der Lohnsumme der Angestellten beträgt die finanzielle Größenordnung für die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze. Nach beträchtlichen Gewinnen der Wirtschaft geht es jetzt bei der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte, und zwar Erhöhung ab 1. August dieses Jahres, um vitale soziale Interessen der Angestellten.
Deshalb beantrage ich namens der SPD-Fraktion hierzu namentliche Abstimmung.
({3})
Wer begründet den Antrag der FDP-Fraktion? - Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Spitzmüller: ({0}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir Freien Demokraten haben immer, wenn die arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung zur Debatte stand, darauf hingewiesen, daß mit der Lösung dieses Problems automatisch die Frage der Gleichstellung der Angestellten in der Krankenversicherung auf dem Tisch liegt und daß, wer die Fage der Lohnfortzahlung im arbeitsrechtlichen Sinn anpackt, sich über die Kosten dieser Lohnfortzahlung arbeitsrechtlichen Ausmaßes und der Änderungen des Rechts der Angestellten in der Krankenversicherung bewußt sein muß.
Wir sind nun im Gegensatz zu den Sozialdemokraten nicht der Meinung, daß in der Beseitigung oder in dem Höhertreiben der Versicherungspflichtgrenze das Ei des Kolumbus in dieser Frage gefunden wäre, sondern daß dies in der Frage der Gleichstellung der Angestellten mit den Arbeitern im Krankenversicherungsrecht im Grund genommen auch wieder nur eine Übergangssituation schaffen könnte.
So wenig wir die totale Gleichstellung der Arbeiter und der Angestellten über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erreichen, weil hier noch sehr viele Unterschiede im Arbeitsrecht vorhanden sind, genausowenig können wir es auf Dauer hinnehmen, daß bei den Angestellten in der Krankenversicherung von einem bestimmten Betrag an eine gewisse Wahlfreiheit besteht, während eine solche Wahlfreiheit bei den Arbeitern nicht gegeben ist. Auch hier wird man die Synchronisierung des Krankenversicherungsrechts der Arbeiter und der Angestellten einmal erreichen müssen.
Das politische Problem der Gleichstellung der Arbeiter und der Angestellten in der Krankenversicherung ist auch ein finanzpolitisches Problem. Hier ist nun eines deutlich geworden - und ich muß es ansprechen -: Hätten CDU und SPD in irgendeiner Form, vielleicht in einer ganz anderen Form, als wir es vorgeschlagen hatten, in irgendeiner Form, die sie sich selbst mit Hilfe der Ministerien hätte erarbeiten lassen können, eine Lohnsteuerbefreiung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall herbeigeführt, wie immer sie das auch geregelt hätten, wären hier immerhin beachtliche Beträge innerhalb der Wirtschaft zur Finanzierung dieser Dinge frei geworden. Da das nicht geschehen ist, ist der Spielraum, der vorhanden ist, wenn wir an die Kostensituation denken, außerordentlich gering.
Herr Kollege Schellenberg hat bereits auf die Situation hingewiesen, daß man im Tarifrecht und hier vor allem im öffentlichen Dienst, wenn man die 900-DM-Grenze überschreitet, auf 20 oder 15 oder 25 DM verzichten und sich mit 899 DM bescheiden kann, weil man dann insgesamt doch ein bißchen mehr ausgezahlt bekäme, als wenn man 925 DM brutto hat. Damit diese Dinge aufhören, haben wir einen Antrag gestellt, der jetzt nicht zur Debatte steht, der aber im Zusammenhang hiermit gesehen werden muß, nämlich daß grundsätzlich, unabhängig davon, wo die Versicherungspflichtgrenze in der Zukunft liegt, ein Rechtsanspruch auf Arbeitgeberzuschuß zur Krankenversicherung gegeben wird, um auf diese Weise diese politische Frage für die Angestellten in der Krankenversicherung in einer etwas freiheitlicheren Form zu lösen.
Unser Vorschlag, 65 v. H. der Jahresbezüge in der Rentenversicherung der Arbeiter zur geltenden Beitragsbemessungsgrenze zu machen, geht davon aus, daß der nächste Bundestag wohl kaum in der Lage sein wird, eine Krankenversicherungsreform schon im ersten Jahre seines Bestehens durchzusetzen und zu verabschieden. Diese Prozedur einer Krankenversicherungsreform, bei der es noch sehr unterschiedliche Vorstellungen in den Fraktionen gibt, wird sicherlich anderthalb Jahre, ja, bis zur Inkraftsetzung minimal zwei Jahre dauern. Wir brauchen nur daran zu denken, daß die CDU/CSU-Fraktion mit 35 oder 40 Abgeordneten über die absolute Mehrheit hinaus in den Jahren 1957 bis 1961 diese Frage in vierjährigem Ringen mit sich selbst nicht gelöst hat.
({1})
Sicherlich ist die Zeit fortgeschritten. Manche Erkenntnisse sind bei manchen Abgeordneten gereift, und mancher Abgeordnete hat gewechselt.
({2})
Aber ein Spaziergang durch das Sozialrecht wird die Reform der Krankenversicherung nicht, sondern sie wird sehr viel Mühe, sehr viel Plagerei, sehr viel Gespräche, sehr viel Sachverständigenanhörungen und wieder Rückfragen bei Sachverständigen mit sich bringen.
Deshalb sind wir der Meinung, daß eine dynamische Grenze von 65% sinnvoll ist. Auch ihr und gerade ihr wohnt ein Zwang zur Krankenversicherungsreform im VI. Bundestag inne. Einmal werden die Mittel, die bei den Krankenversicherungen eingehen, knapp gehalten. Nach den Zahlen, die im Sozialpolitischen Ausschuß und im Arbeitsausschuß vorgetragen worden sind, wird man bei einer Höchstbemessungsgrenze von 8,5% und einer Pflichtversicherungsgnenze von 65 % immer am Rande des Defizits oder hart am Rande des Defizits,
wie es Herr Finanzminister Etzel hier einmal für den Bundeshaushalt formuliert hat, sich bewegen müssen. Von daher wird also ein Druck ausgeübt werden.
Wenn dieser Druck mit der Zeit nicht reicht, d. h. wenn nach zwei, drei Jahren nichts geschehen ist, wird sicherlich auch von der Versichertenseite ein Druck kommen, was ja dann wünschenswert wäre. Die Beitragsbemessungsgrenze steigt ja mit der Versicherungspflichtgrenze, und wenn es zu lange geht, kommen eines Tages die Versicherten und sagen: Mir ist die Solidarinanspruchnahme nun doch zu stark, sie schneidet zu sehr ins Fleisch, als daß wir Versicherten nicht selber ein gerüttelt Maß von Interesse an einer Krankenversicherungsreform hätten.
Deshalb sind wir nach Prüfung der hier vorliegenden Anträge zu der Überzeugung gelangt, daß unser Antrag, so wie er Ihnen hier vorliegt, meine Damen und Herren, im gegenwärtigen Zeitpunkt, im gegenwärtigen System die sachgerechteste Entscheidung darstellt, die wir in dieser Frage heute treffen können.
Ich möchte nun kurz zu dem CDU/CSU-Antrag sprechen. Was mich bei diesem Antrag außerordentlich befremdet, ist folgendes. Im Sozialpolitischen Ausschuß wie im Arbeitsausschuß haben wir außerordentlich hart um diese Fragen gerungen, und das Arbeitsministerium hatte uns Zahlen über Zahlen zu liefern. Die Zahlen aber, die herauskommen, wenn das, was die CDU nun vorschlägt, beschlossen wird, liegen bis heute nicht auf dem Tisch. Wenn das, was die CDU zu diesem Problemkreis beantragt, Gesetz wird, entscheiden wir also finanziell ein bißchen ins Blaue hinein. Das scheint mir bei der intensiven Beratung trotz des Zeitdrucks, unter dem wir standen, außerordentlich bedenklich.
Wir Freien Demokraten bitten deshalb um Verständnis hier im Haus und in der Öffentlichkeit, daß wir bei unserer Entscheidung und bei unserem Antrag bleiben, weil bei diesem Antrag klar liegt, daß kein Defizit bei den Krankenkassen entsteht. Wenn das Parlament aber nicht handelt, wird die Versicherungspflichtgrenze von Jahr zu Jahr entsprechend der Lohnentwicklung erhöht. Von daher gesehen bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag.
Das Präsidium hat, wenn ich richtig informiert bin, genau wie der Arbeitsausschuß entschieden, daß der Antrag der freien demokratischen Fraktion der weitergehende ist und als erster zur Abstimmung steht. Ich bitte Sie also, dem weitergehenden Antrag der Freien Demokraten Ihre Zustimmung zu geben.
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Die Anträge kommen je nach ihrem Verdienst nacheinander zur Abstimmung.
Das Wort zur Begründung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 694 hat der Abgeordnete Gewandt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mir erlauben, den auf Umdruck 694 vorliegenden Antrag meiner Fraktion zu begründen und Ihnen einleitend zu sagen, warum wir der Auffassung sind, daß dies der bessere Antrag ist und daß die Anträge der beiden Fraktionen, die vorher begründet wurden, abgelehnt werden sollten.
Herr Kollege Spitzmüller, nach unserer Auffasfung müssen die in Ihrem sehr umfassenden Antrag angeschnittenen Fragen bei der endgültigen Lösung der Krankenkassenreform behandelt werden. Sie würden uns jetzt aber in einer Weise präjudizieren, die nicht erwünscht ist. Wir sind deshalb nicht in der Lage, ihm zuzustimmen.
Wir können uns im Prinzip den Ausführungen von Professor Schellenberg anschließen, kommen allerdings zu anderen Folgerungen.
({0})
Herr Schellenberg hat gesagt, die arbeitsrechtliche Gleichstellung der Arbeiter kann nicht das ausschließliche Ziel sein. Sehr richtig; das ist ein Ziel, das wir gemeinsam anstreben und verwirklichen wollen. Bei der Verwirklichung dieses Ziels darf natürlich keine andere Gruppe den Eindruck haben, sie werde benachteiligt. Aber, Herr Professor Schellenberg, Sie haben erklärt, man müsse die Probleme Zug um Zug und schrittweise lösen. Sie haben auf die Notwendigkeit hingewiesen, daß eine Regelung, die wir treffen, volkswirtschaftlich tragbar ist. Ich möchte sagen: sie muß auch in die konjunkturelle Landschaft passen. Im übrigen sind wir der Auffassung, daß dieses Gesetz ein Ganzes ist: Einstieg in die Krankenkassenreform, Verwirklichung der arbeitsrechtlichen Lösung für die Arbeiter und Anpassung der Pflichtversicherungsgrenze.
Nun könnten Sie sagen, wir hätten in unserem ursprünglichen Antrag und auch in unseren Anträgen in den Ausschüssen einen anderen Stufenplan vorgesehen. Das ist richtig. Aber ich bitte zu bedenken, daß niemand, der einen Antrag einbringt, in der Lage ist, vorauszusehen, unter welchen konjunkturellen Bedingungen dieser Antrag zu verwiklichen ist. Wir sind daher der Auffassung, daß wir wie folgt verfahren sollten.
Die CDU/CSU ist im Prinzip für eine Anhebung der Pflichtversicherungsgrenze auf 1200 DM. Das unterstreichen wir hier in unserem Antrag. Allerdings glauben wir, daß diese Änderung aus konjunkturellen Gründen erst am 1. Januar in Kraft treten sollte. Wir sind mit Ihnen der Auffassung, daß in der Zwischenzeit in der Tat die Gefahr entstehen könnte, daß einzelne Versicherungen gezwungen wären, ihre Beträge zu erhöhen. Um dieser Gefahr zu begegnen, haben wir in unserem Antrag für die kurze Übergangszeit eine Anhebung der Grenze auf 990 DM vorgesehen. Wir wollen keine Beitragserhöhung, wir wollen eine Beitragssenkung. Deshalb beantragen wir unter Ziffer 2, daß beim endgültigen Inkrafttreten des Gesetzes - nach unserer Auffassung sollte das am 1. Januar sein - eine Senkung auf 8 % und nicht auf 8,5% vorgenommen wird.
Wir haben weiterhin einen Antrag gestellt, der beweist, daß wir das Problem als eine Ganzheit betrachten, nämlich den Antrag auf Einführung der arbeitsrechtlichen Lösung am 1. Januar. Ich möchte Ihnen dazu zur Begründung kurz noch folgendes sagen.
Wir sind der Auffassung, daß mit der Einführung der arbeitsrechtlichen Lösung ein gesellschaftspolitisches Ziel von hohem Rang erreicht wird. Bei dieser Frage geht es also nur darum, ob man dafür oder dagegen ist; es ist nicht sosehr eine Frage, ob dies in dieser oder in der nächsten Woche geschieht. Was wir aber verhindern wollen, meine verehrten Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, ist, daß eine zu kurze Anpassungszeit die Einführung dieser arbeitsrechtlichen Lösung durch eine Fülle von Querelen, durch eine Fülle von Ärgernissen belastet, die sich bei der technischen Anpassung in den Betrieben, insbesondere in den kleineren Betrieben, ergeben würden, wenn man nicht eine ausreichende Anpassungsfrist hätte.
Wir sind dafür - ich möchte es noch einmal zusammenfassen -, daß die Pflichtversicherungsgrenze auf 1200 DM erhöht wird, allerdings am 1. Januar, weil dieses Gesetz eine Ganzheit ist. Um zu verhindern, daß es in der Zwischenzeit eventuell nötig wäre, die Beiträge zu erhöhen, haben wir als Zwischenlösung die Erhöhung auf 990 DM beantragt. Der Nachteil einer zweimaligen Anpassung innerhalb einer relativ kurzen Zeit wird nach unserer Meinung dadurch wettgemacht, daß wir durch unsere Regelung eine Beitragserhöhung vermeiden. Wir sind drittens der Auffassung, daß wir auf Grund der Festlegung der Angestelltenpflichtversicherungsgrenze auf 1200 DM in der Lage sind, bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1970 die Beiträge auf 8 v. H. zu senken. Wir sind viertens der Meinung, daß die arbeitsrechtliche Lösung am 1. Januar 1970 eingeführt werden sollte, damit die Umstellung, diese große neue sozialpolitische und gesellschaftspolitische Weichenstellung, technisch einwandfrei und ohne jede Kümmernisse und Ärgernisse, die sich aus einer zu kurzen Anpassungszeit ergeben würden, erfolgt.
Wir bitten daher um Annahme dieses Antrags, und ich beantrage für unsere Fraktion namentliche Abstimmung.
({1})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe gehofft, daß wir diese so wichtige Entscheidung an diesem Tage möglichst ohne kontroverse Debatten in den Fragen hätten abschließen können, in denen wir alle einer Meinung sind. Die Ausführungen meines verehrten Kollegen Schellenberg haben allerdings dazu geführt, daß ich hier einige klarstellende Dinge sagen muß.
Mein Kollege Gewandt hat eben damit geschlossen, daß wir heute ein großes gesellschaftspolitisches Ziel verwirklichen. Herr Professor Schellenberg hat das gleiche gerühmt, und es besteht kein Zweifel, daß die Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten - ich sage das hier ganz speziell für meine Freunde - das Anliegen der großen Mehrheit dieses Hauses ist. Aber es besteht auch kein Zweifel, Herr Professor Schellenberg, daß die Frage des Bestandes oder der Beseitigung von Versicherungspflichtgrenzen von ganz entscheidender gesellschaftspolitischer Bedeutung ist. Es geht nämlich darum, ob wir die Auffassung vertreten, daß unsere Arbeitnehmer bei wachsendem Einkommen noch einen Freiheitsbereich haben sollten, in dem sie selbst entscheiden können, oder ob wir, wie Sie meinen, von Stufe zu Stufe das Ziel erreichen sollen, Ihr Ziel ist, nämlich die umfassende Versicherungspflicht für alle einzuführen, heute für alle Angestellten, morgen vielleicht für die Beamten, und übermorgen für alle freien Berufe.
({0})
Es wäre ein Jammer, wenn draußen - in unserem Volk - der Eindruck entstünde, daß diese Große Koalition, die sich eine große gesellschaftspolitische Aufgabe vornimmt, in den Fragen der Versicherungspflicht und ihrer Grenzen auch so einmütig einer Auffassung sei wie in der Frage der Gleichstellung der Arbeiter in der Lohnfortzahlung. Ich bin sicher, daß sie das nicht ist, Herr Professor Schellenberg. Deshalb muß ich Ihnen hier sagen, daß Ihre Begründung, auch die einzelner Gewerkschaften - wie z. B. der DAG - in den nicht gerade immer sehr fair geführten Auseinandersetzungen, falsch ist. Es gibt keine Angestellten, die sich diskriminiert fühlen, weil sie mehr verdienen oder in die Situation gelangen, sich selbst verantwortlich entscheiden zu können. Die Gleichstellung der Angestellten erfolgt daher auch nicht über die Beseitigung der Versicherungspflichtgrenze. Sie kann nur sehr begrenzt über die Frage des Arbeitgeberanteils angesprochen werden, und hier stimme ich mit dem, was Herr Spitzmüller grundsätzlich gesagt hat, durchaus überein.
Wir sollten uns darüber klar sein, daß der Aufstieg der letzten 20 Jahre und die erfreuliche Einkommensentwicklung dazu geführt haben, daß nicht nur Angestellte, sondern auch Arbeiter den Wunsch nach mehr Freiheit haben. Diese Wahlfreiheit sollten wir auch - natürlich auf dem Wege der Versicherungspflichtbegrenzung - den Arbeitern im Zuge der Reform der Krankenversicherung zugute kommen lasen.
In einer Kommission unserer Partei war das eine ganz selbstverständliche Überzeugung, und sie soll heute hier nicht verschwiegen werden. In diesen letzten zehn Jahren haben sich die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer verdoppelt, und damit auch die Fähigkeit und der Wille zu selbstverantwortlichen Entscheidungen. Die Ausgaben der Krankenversicherung sind weiter gestiegen und sie werden steigen.
Lassen Sie mich in aller Kürze sagen, Herr Professor Schellenberg, daß das Problem nicht lösbar ist durch die Beseitigung der Pflichtgrenzen. Es ist auch nicht durch eine umfassende VersicherungsFrau Kalinke
pflicht lösbar, und alle Erfahrungen, die Sie und viele Ihrer wie meiner Freunde aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung haben, ergeben, daß jede Ausweitung über ein vernünftiges Maß hinaus zu Mehrausgaben führt und daß nach ganz kurzer Zeit der Augenblick erreicht ist, in dem wir wieder darüber reden werden, Versicherungspflichtgrenzen zu erhöhen. Die Diskussion über die Funktion des Arbeitgeberanteils sollte in diesem Hause sachlicher und ohne demagogische Verzerrungen geführt werden.
Ich freue mich, Herr Kollege Professor Schellenberg, daß Sie in der Frage der Beitragsbemessungsgrenzen einsehen, daß das die' wichtigere Entscheidung ist, eine Entscheidung, in der wir durch die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen der Solidarität dienen, mit der wir auch dafür sorgen werden, daß bessere Leistungen für die lang anhaltend Kranken möglich sind. Wenn wir heute zu einem Vorschlag gekommen sind, der nicht allen Freunden gefällt - bei Ihnen nicht und bei uns nicht -, so meine ich doch, daß wir uns in diesem Hause bereitfinden sollten zu einer maßvollen Entscheidung dieses Problems ohne demagogischen Streit und zu einem Sachgespräch, in dem dann auch Sie, Herr Professor Schellenberg, einsehen werden, daß die sachliche Auseinandersetzung über so schwere Probleme mit so vielfältigen Auswirkungen auf die Dauer die bessere und auch die sozialere ist.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokratischen Partei beantrage ich Namentliche Abstimmung auch für unseren Antrag auf Umdruck 692. Damit es für alle Kollegen hier im Hause ganz klar ist: Wenn wir in der zweiten Lesung mit diesem Antrag keinen Erfolg haben, werden wir ihn, gleichgültig, wie die Beschlüsse heute ausfallen, in der dritten Lesung wiederholen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es dankenswert, daß Herr Kollege Spitzmüller für die FDP-Fraktion Namentliche Abstimmung verlangt hat. Ich glaube, ich bin verpflichtet, dem Hohen Hause zu sagen, welche Kosten mit dem Antrag der FDP verbunden sind. Wir haben vorhin gehört, daß die FDP die Partei ist, die sich bei einer ganzen Reihe von Diskussionen um die Frage arbeitsrechtliche oder versicherungsrechtliche Lösung dem Mittelstand empfohlen hat. Der Antrag bedeutet praktisch - ich habe mich gewundert, daß diese Zahlen von der FDP nicht genannt worden sind - eine Erhöhung der Einkommensgrenzen vom 1. August 1969 an auf
1105 DM, vom 1. Januar 1970 an auf 1170 DM. Das bedeutet eine Belastung der Unternehmen von 1,5 Milliarden DM im Jahre 1970, zusätzlich 1,29 Milliarden DM für die Arbeitgeberzuschüsse an freiwillig versicherte Angestellte. Das bedeutet also eine Mehrbelastung der Wirtschaft mit 2,79 Milliarden DM nur für diesen Bereich.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil der Kollege Spitzmüller für die FDP und Frau Kollegin Kalinke hier so warm für die Wahlfreiheit eingetreten sind, gestatten Sie mir dazu wenige Bemerkungen. Das mit der Wahlfreiheit hört sich sehr schön an. Aber der Antrag der FDP schließt praktisch alle Angestellten, deren Anfangsgehalt über der relativ niedrigen Versicherungspflichtgrenze liegt, von der sozialen Krankenversicherung generell aus.
({0})
Damit wird diesen Angestellten der Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung mit ihrem bedeutsamen familienpolitischen Ausgleich - lassen Sie mich das nochmals unterstreichen - verwehrt.
Diese Angestellten mit höherem Anfangsgehalt werden praktisch allein der privaten Krankenversicherung überlassen. Meine Damen und Herren, wir haben im Ausschuß die Vertreter der privaten Krankenversicherung gehört, weil es sich um einen bedeutsamen Wirtschaftszweig handelt. Wir wollen auch diesem Wirtschaftszweig - das möchte ich ausdrücklich betonen - weiterhin einen angemessenen Bereich geben. Jedoch hat die private Krankenversicherung seit sechs Wochen der Bitte des Ausschusses für Sozialpolitik um Mitteilung der Beitragshöhe für einen adäquaten Versicherungsschutz - beispielsweise für einen 35jährigen Familienvater mit zwei Kindern nicht entsprechen können.
Meine Damen und Herren! Die Wahlfreiheit mag ein sehr schönes Prinzip sein. In Wirklichkeit ist sie . sozialpolitisch und familienpolitsch ene schwankende Bohle, und deshalb müssen wir den Antrag der FDP in dieser Hinsicht ablehnen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine selr verehrten Damen, meine Herren! Ich weiß nicht: soll ich es bedauern oder soll ich mich außerordentlich erfreut zeigen? Mit dem einen Auge bedaure ich es, mit dem anderen freut es mich, daß Herr Minister Katzer hier gesprochen hat. Erfreut bin ich, weil er mir damit Gelegenheit gibt, zu seinen Ausführungen Stellung zu nehmen. Ich bedaure es, weil ich deswegen auf einen Vorgang im Arbeitsministerium zurückkommen muß, den ich eigentlich nicht vor dem Hohem Hause auszubreiten gedachte. Aber das, was der Herr Bundesarbeitsminister hier vorgeführt hat,
war nicht gerade sehr ministrabel. Herr Minister, Sie haben nämlich lediglich dem Hause erzählt, welche Kosten gegenüber dem gegenwärtigen Recht durch den FDP-Änderungsantrag entstehen. Sie haben dem Hause nicht vorgeführt, welche Kosten gegenüber dem gegenwärtigen Recht durch den SPD-Antrag entstehen und welche Kosten der Wirtschaft gegenüber dem gegenwärtigen Recht durch den CDU/CSU-Antrag entstehen.
({0})
Das ist natürlich nicht gerade eine Angelegenheit, von der man sagen kann: Hier hat ein fairer Amts-und Sachwalter gesprochen.
({1})
Das erinnert mich, Herr Kollege Katzer, an einen Vorgang in Ihrem Hause, der mit diesem Gesetz zusammenhängt. Da hat sich ein Unternehmer bei Ihnen bzw. der CDU beschwert, daß kein Versicherungsausgleich in der Lohnfortzahlung vorgesehen sei. Ihr persönlicher Referent hat diesem Mann geantwortet, ein solcher Ausgleich sei am Widerstand des CDU/CSU-Wirtschaftskreises und der SPD-Fraktion gescheitert.
({2})
Als sich dieser Mann bei der SPD erkundigte, warum sie einen solchen Ausgleich abgelehnt habe, wurde er auf die wirklichen Zusammenhänge hingewiesen. Ihr persönlicher Referent hat diesem Mann daraufhin erklärt, es habe sich ein Übertragungsfehler eingeschlichen. Es müsse heißen: CDU/CSU-Wirtschaftsrat und FDP-Fraktion. - Ich möchte feststellen, daß über die Frage des Ausgleichs mit der FDP nicht verhandelt wurde. In dieser Frage hat die CDU nicht versucht, sich hinter dem Rücken ihres Koalitionspartners mit der Opposition eine Mehrheit zu verschaffen.
({3})
Aber, Herr Minister, nachdem Sie hier in so wenig feiner Form nur die Kosten des FDP-Antrags vorgetragen haben, mußte ich darauf hinweisen, daß von einem Ministerium doch eigentlich alle Zahlen genannt werden sollten, nicht nur die, die man verteufeln und die man schlagen will. Die Kosten des Antrags der SPD oder des Antrags der CDU/CSU-Fraktion sind natürlich auch nicht gering. Wir geben zu, daß - vor allem, wenn ich den Antrag zu Ziffer 16, also unseren Antrag zu Ziffer 2, anschaue, nämlich den Anspruch auf Arbeitgeberzuschuß zur freiwilligen Weiterversicherung - unsere Kosten höher sind. So hoch, wie Sie sie beziffert haben, können sie wieder nicht sein. Denn entweder stimmen die Zahlen, die die Versicherungswirtschaft und die Arbeitgeber genannt haben, daß nämlich über 50 °/o der über der Versicherungspflichtgrenze liegenden Angestellten ohnehin einen Arbeitgeberzuschuß bekommen, oder sie stimmen nicht. Stimmen sie, dann reduziert sich der von Ihnen genannte Betrag von 1,5 Milliarden DM um die Hälfte. Darüber kann man dann auch noch streiten. Ich bezweifle die Zahlen der Versicherungswirtschaft und der Arbeitgeberverbände nicht und komme deshalb natürlich
nicht zu der hohen Summe, die Herr Arbeitsminister Katzer hier genannt hat.
Ein Wort zu dem, was Herr Kollege Schellenberg gesagt hat. Sie haben gesagt, unser Antrag schließe alle Angestellten, die mit einem hohen Gehalt anfangen, aus, und Sie haben auf die Situation in der privaten Krankenversicherung hingewiesen. Sehr geehrter Herr Kollege Schellenberg, das, was wir hier beschließen, ist ein Übergangsrecht bis zur Reform der Krankenversicherung, und wir wären sehr schlecht beraten, wenn wir mit einem Übergangsrecht bereits 60 oder 70 oder gar 80 % eines Problemkreises regeln wollten. Wir halten den Vorschlag, den wir gemacht haben, für der Übergangszeit adäquat. Über das, was in der Krankenversicherungsreform dann zu geschehen hat, werden wir zu gegebener Zeit zu sprechen haben.
Aber, Herr Kollege Schellenberg, wir haben auch folgendes zu bedenken. Wenn die Versicherungspflichtgrenze, wie es gefordert wird, gänzlich fiele, wenn also sogar der höchstbezahlte Arbeitnehmer - in diesem Fall Angestellte - der Versicherungspflicht unterläge, würde die Zahl derer, die in der privaten Krankenversicherung als Solidargemeinschaft zusammengefaßt sind, wesentlich kleiner. Damit wäre das Risiko nicht mehr genügend ausgeglichen. So stellt es sich mindestens im Moment dar.
({4})
Das sind Fragen, die bei der Reform behandelt und besprochen werden müssen. Wir müssen als Gesetzgeber auch unsere Verpflichtung gegenüber dem verbleibenden Kreis beachten, der dann noch allein auf die private Krankenversicherung angewiesen ist, weil alle anderen durch Gesetzgebungsmaßnahmen weggesteuert und in die Pflichtversicherung bzw. Ersatzkassen hineinmanipuliert worden sind.
({5})
Da haben wir als Gesetzgeber eine große Verantwortung. Das können wir nicht in einer frühen Abendstunde übers Knie brechen.
Nach Ihrem Antrag mit 1200 DM fixer Grenze, Herr Kollege Schellenberg, bleiben bis zur Reform der Krankenversicherung dieselben Angestellten außerhalb der gesetzlichen Sozialversicherung, die auch nach unserem Antrag draußen bleiben. Ich glaube also, daß der Vorwurf, den Sie hier erhoben haben, nicht zutrifft. Denn für die Übergangszeit nehmen auch Sie keinen größeren Kreis hinein als wir Freien Demokraten.
({6})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Bitte!
Herr Kollege Spitzmüller, wären Sie vielleicht so freundlich klarzuFrau Kalinke
stellen, daß alle Angestellten, gleichgültig, welche Höhe der Versicherungspflichtgrenze beschlossen wird, das Recht auf freiwillige Weiterversicherung haben?
({0})
- Wir wollen den Versicherten das Recht nicht nehmen. Ich bitte, hier folgendes klarzustellen: Ob die Grenze bei 900 DM, bei 990 DM oder bei 1200 DM liegt, jeder kann sich freiwillig weiterversichern.
({1})
- Freiwillig beitreten kann er auch nach § 176 RVO. Aber das wird Ihnen jetzt Herr Spitzmüller sagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen nicht in eine Ausschußdebatte eintreten.
({0})
Ich möchte nur feststellen, daß nach unserem Antrag derselbe Kreis der Angestellten für die Übergangszeit außerhalb der gesetzlichen Sozialversicherung bleibt, d. h. nicht eintreten kann, wie im Falle der Annahme des Antrags der Sozialdemokraten für die Übergangszeit. Das wollte ich nur zur Klarstellung sagen. Ich will keine gegenseitige Polemik, sondern das nur richtigstellen, damit kein falscher Ton zurückbleibt.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spitzmüller, Sie können mir doch nur dankbar sein, wenn ich die Zahlen nenne. Das kann doch nur in Ihrem Interesse liegen. Ich räume Ihnen ein, daß sie alle genannt werden müssen - das will ich jetzt der Ordnung halber tun -; darauf haben Sie ein Anrecht. Da haben Sie absolut recht.
({0})
Die Zahlen lauten wie folgt. Die Mehrbelastung auf Grund des FDP-Antrages für das Jahr .1970 habe ich genannt. Für das Jahr 1969 ergibt sich eine Mehrbelastung der Unternehmen von 455 Millionen DM.
Nach dem CDU/CSU-Antrag ergibt sich im Jahre 1969 ein Mehr von 225 Millionen DM, im Jahre 1970 ein Mehr von 1,6 Milliarden DM
({1})
gegenüber 2,79 Milliarden DM nach dem FDP-Antrag.
({2})
Das Haus muß doch davon Kenntnis haben, ehe es in eine Abstimmung über die Zahlengrößen, um die es sich hier handelt, eintritt. Das scheint mir das mindeste zu sein, was wir uns schuldig sind.
({3})
Aus dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ergeben sich Mehrbelastungen in Höhe von 530 Millionen DM für 1969 und in Höhe von 1,3 Milliarden DM für 1970. Das sind die Zahlen, Herr Kollege Spitzmüller, die Sie wissen wollten.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat voll bestätigt, was im vorangegangenen Teil der Debatte von uns gesagt worden ist. Wären Sie unserem Antrag auf Einführung der versicherungsrechtlichen Lösung gefolgt, so wären genau die 1,1 Milliarden DM Unterschied zwischen dem CDU/CSU-Antrag und dem FDP-Antrag eingespart worden, und Sie hätten damit endlich die Angestellten mit den Arbeitern gleichstellen können.
({0})
Wird weiterhin das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen dann zur Abstimmung über die drei Änderungsanträge zu Art. 2 Nr. 2. Der weitestgehende Antrag steht auf Umdruck 692 Abschnitt. I Ziffer 1. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist ausreichend unterstützt. Wir stimmen über den Antrag Umdruck 692 Abschnitt I Ziffer 1 ab.
Meine Damen und Herren, ich darf das vorläufige Ergebnis der Abstimmung bekanntgeben. Von den uneingeschränkt Stimmberechtigten haben 422 abgestimmt. Mit Ja haben 36, mit Nein haben 382 gestimmt, enthalten haben sich 4. Der Antrag ist abgelehnt.
Bei den Berliner Abgeordneten hat einer mit Ja gestimmt, 16 haben mit Nein gestimmt; insgesamt haben 17 abgestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 421 und 17 Berliner Abgeordnete; davon
Ja: 36 und 1 Berliner Abgeordneter Nein: 381 und 16 Berliner Abgeordnete Enthalten: 4 Abgeordnete
Ja FDP
Dr. Achenbach
Busse ({0})
Dr. Dahlgrün
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Dr. Friderichs
Frau Funcke
Geldner
Freiherr von Gemmingen Genscher
Dr. Haas
Frau Dr. Heuser
Dr. Imle
Jung
Logemann Dr. Mende Mertes
Mischnick Moersch
Peters ({1})
Vizepräsident Dr. Jaeger
Porsch Ramms Reichmann
Saam
Sander
Schmidt ({2}) Spitzmüller
Dr. Staratzke
Dr. Starke ({3}) Wächter
Walter Wurbs Zoglmann
Berliner Abgeordnete Borm
Nein CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner Dr. Althammer
Dr. Artzinger
Baier
Balkenhol Dr. Barzel
Bauer ({4}) Bauknecht
Dr. Becher ({5}) Becker
Berendsen Dr. Besold Bewerunge Biechele
Blank
Blöcker
Frau Blohm Blumenfeld Brand
Bremer
Dr. Brenck Brese
Brück ({6}) Bühler
Burgemeister
Burger
Dr. Conring Dr. Czaja Damm
van Delden Dichgans Diebäcker Dr. Dittrich Draeger
von Eckardt Ehnes
Dr. Elbrächter
Enk
Frau Enseling
Erhard ({7}) Ernesti
Erpenbeck Exner
Falke
Franke ({8}) Franzen
Dr. Frei ald Dr. Frey
Frieler
Fritz ({9})
Dr. Furler
Frau Geisendörfer Geisenhofer
D. Dr. Gerstenmaier Gewandt
Gierenstein Dr. Gleissner
Glüsing ({10}) Dr. Götz
Gottesleben
Frau Griesinger
Haase ({11})
Dr. Häfele
Härzschel
Häussler
Hahn ({12})
Dr. Hammans
Hanz ({13})
Hauser ({14}) Dr. Hauser ({15})
Dr. Heck
Dr. Hellige
Dr. Hesberg
Hilbert
Hörnemann ({16}) Hösl
Dr. Hofmann ({17}) Frau Holzmeister Horstmeier
Horten
Dr. Hudak
Frau Jacobi ({18}) Dr. Jaeger
Dr. Jahn ({19}) Josten
Dr. Jungmann
Dr. Kempfler
Kiep
Frau Klee
Klein
Dr. Klepsch
Dr. Kliesing ({20}) Knobloch
Dr. Kopf
Krampe
Dr. Kraske
Dr. Krone
Krug
Frau Dr. Kuchtner Kühn ({21}) Kuntscher
Lampersbach
Leicht
Lemmrich
Dr. Lenz ({22}) Lenz ({23})
Lenze ({24}) Leukert
Dr. Lindenberg
Dr. Löhr
Dr. Luda
Lücke ({25})
Majonica
Dr. Martin
Dr. Marx ({26}) Maucher
Meis
Meister
Memmel
Mick
Frau Mönikes
Müller ({27}) Dr. Müller-Hermann Müser
Niederalt
Dr. von Nordenskjöld Orgaß
Petersen
Picard
Frau Pitz-Savelsberg Porten
Dr. Preiß
Prochazka
Rainer
Rasner Rawe
Dr. Reinhard
Riedel ({28})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rollmann
Rommerskirchen
Ruf
Prinz zu Sayn-Wittgenstein Hohenstein
Schlee
Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt ({29}) Schmitt ({30}) Schmücker
Frau Schroeder ({31}) Schröder ({32}) Schulhoff
Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Serres
Dr. Siemer
Dr. Sinn Springorum
Stahlberg
Dr. Stark ({33})
Dr. Stecker
Dr. Steinmetz
Stiller
Frau Stommel .
Stooß
Storm
Struve Stücklen Teriete Tobaben Unertl
Varelmann
Dr. Freiherr
v. Vittinghoff-Schell
Vogt
Wagner Dr. Wahl Weiland Weimer Wendelborn
Frau Dr. Wex
Wieninger
Windelen
Winkelheide
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Wuermeling Wullenhaupt
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Dr. Gradl
Müller ({34}) Frau Pieser
SPD
Adams
Ahrens ({35}) ({36}) Frau Albertz
Arendt ({37})
Dr. Arndt ({38})
Auge
Bading Bäuerle Baltes
Barche
Dr. Bardens
Bauer ({39})
Dr. Bayerl
Dr. Bechert ({40}) Behrendt
Bergmann
Berkhan
Berlin Beuster Biermann
Blume Böhm Börner Brück ({41})
Brünen Buchstaller
Büttner Buschfort
Collet Corterier
Cramer Diekmann
Eckerland
Frau Eilers
Frau Dr. Elsner
Dr. Enders
Eschmann
Esters Faller Felder Fellermaier
Feuring Folger Franke ({42})
Frehsee Frau Freyh
Fritsch ({43})
Fritz ({44})
Geiger Gerlach Gertzen Glombig
Gscheidle
Haage ({45})
Haar ({46})
Haase ({47}) Haehser
Hansing
Hauck Hauffe Herberts
Frau Herklotz
Hermsdorf
Herold Hirsch Höhne Hölzle Hörauf
Hörmann ({48}) Hofmann ({49})
Frau Dr. Hubert
Hufnagel
Dr. Ils Iven
Jacobi ({50})
Jaschke Jürgensen
Junghans
Junker Kaffka Kahn-Ackermann
Kern
Killat
Frau Kleinert
Dr. Koch
Könen ({51}) Kohlberger
Frau Korspeter
Dr. Kreutzmann
Vizepräsident Dr. Jaeger
Kriedemann
Dr. Kübler
Kulawig Kurlbaum
Frau Kurlbaum-Beyer Lange
Langebeck
Lautenschlager
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Maibaum Marquardt
Marx ({52})
Matthes
Frau Meermann
Dr. Meinecke
Metzger
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Dr. Mommer
Müller ({53})
Dr. Müller ({54})
Müller ({55})
Müller ({56})
Dr. Müthling
Dr. Nann Neemann Nellen
Neumann ({57})
Paul
Peiter
Pöhler Porzner Raffert Dr. Rau Ravens Regling Dr. Reischl
Reitz
Frau Renger
Richter
Riegel ({58})
Dr. Rinderspacher
Roß
Frau Rudoll
Sänger Saxowski
Frau Schanzenbach
Frau Schimschok
Dr. Schmid ({59}) Schmidt ({60})
Dr. Schmidt ({61}) Schmidt ({62})
Dr. Schmidt ({63}) Schmidt ({64})
Schmitt-Vockenhausen Schoettle
'Schonhofen
Schulte Schwabe
Seibert Seidel Seifriz Seither Frau Seppi
Spillecke
Dr. Stammberger
Stephan Frau Strobel
Strohmayr
Tall rt
Dr. Tamblé
Tönjes Vit
Wehner Welke Welslau
Wendt Westphal
Wiefel Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Wuwer
Zebisch
Berliner Abgeordnete
Bartsch
Frau Berger-Heise Bühling
Frau Krappe
Frau Lösche
Mattick
Neumann ({65}) Dr. Schellenberg Dr. Schulz ({66}) Dr. Seume
Sieglerschmidt
Urban
Enthalten CDU/CSU
Dr. Franz Frau Kalinke
Dr. von Merkatz
Dr. Wahl
Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei auf Umdruck 677. Auch hier ist namentliche Abstimmung beantragt. Wird der Antrag ausreichend unterstützt? - Das reicht bei weitem. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 677.
Meine Damen und Herren, ich darf das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag Umdruck 677 der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bekanntgeben. Es haben 423 uneingeschränkt Stimmberechtigte abgestimmt, davon mit Ja 185, mit Nein 202; 36 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Der Antrag ist abgelehnt.
Von den Berliner Abgeordneten haben 13 mit Ja gestimmt, 3 mit Nein, einer hat sich der Stimme enthalten; insgesamt haben 17 abgestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 420 und 17 Berliner Abgeordnete; davon:
Ja: 184 und 13 Berliner Abgeordnete Nein: 200 und 3 Berliner Abgeordnete Enthalten: 36 und 1 Berliner Abgeordneter
Ja
CDU/CSU Weimer
SPD
Adams
Ahrens ({67}) ({68}) Frau Albertz
Arendt ({69})
Dr. Arndt ({70})
Auge
Bading Bäuerle Baltes
Barche
Dr. Bardens
Bauer ({71})
Dr. Bayerl
Dr. Bechert ({72}) Behrendt
Bergmann
Berkhan Berlin
Beuster Biermann
Blume Böhm
Börner
Brück ({73})
Brünen Buchstaller
Büttner Buschfort Collet
Corterier
Cramer Diekmann
Dröscher Eckerland
Frau Eilers
Frau Dr. Elsner
Dr. Enders
Eschmann
Esters
Faller
Felder Fellermaier
Feuring Folger Franke ({74})
Frehsee Frau Freyh
Fritsch ({75})
Fritz ({76})
Geiger Gerlach
Gertzen Glombig Gscheidle Haage ({77})
Haar ({78})
Haase ({79}) Haehser
Hansing Hauck
Hauffe Herberts
Frau Herklotz
Hermsdorf
Herold Hirsch
Höhne
Hölzle
Hörauf
Hörmann ({80})
Hofmann ({81})
Frau Dr. Hubert
Hufnagel Dr. Ils
Iven
Jacobi ({82})
Jaschke Jürgensen
Junghans Junker Kaffka
Kahn-Ackermann
Kern
Killat
Frau Kleinert
Dr. Koch
Könen ({83}) Kohlberger
Frau Korspeter
Dr. Kreutzmann
Kriedemann
Dr. Kübler
Kulawig Kurlbaum
Lange
Langebeck
Lautenschlager
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Maibaum Marquardt
Marx ({84})
Matthes
Frau Meermann
Dr. Meinecke
Metzger
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Dr. Mommer
Müller ({85})
Dr. Müller ({86})
Vizepräsident Dr. Jaeger Müller ({87}) Müller ({88})
Dr. Müthling
Dr. Nann Neemann
Nellen
Neumann ({89})
Paul
Peiter
Pöhler Porzner Raffert Dr. Rau Ravens Regling Dr. Reischl
Reitz
Frau Renger
Richter
Riegel ({90})
Dr. Rinderspacher
Rohde Roß
Frau Rudoll
Sänger Saxowski
Frau Schanzenbach
Frau Schimschok
Dr. Schmid ({91}) Schmidt ({92}) Dr. Schmidt ({93}) Schmidt ({94})
Dr. Schmidt ({95}) Schmidt ({96}) Schmitt-Vockenhausen Schoettle
Schonhofen
Schulte Schwabe Seibert Seidel Seifriz Seither Frau Seppi
Spillecke
Dr. Stammberger Stephan
Frau Strobel
Strohmayr
Tallert
Dr. Tamblé
Tönjes Vit
Wehner Welke Welslau Wendt Westphal
Wiefel Wienand Wilhelm Wischnewski
Wuwer
Zebisch
Berliner Abgeordnete
Bartsch
Frau Berger-Heise Bühling
Frau Krappe
Frau Lösche
Mattick
Neumann ({97})
Dr. Schulz ({98})
Dr. Seume
Sieglerschmidt
Urban
Nein
CDU/CSU.
Dr. Abelein Dr. Althammer
Baier
Balkenhol Dr. Barzel
Bauer ({99}) Bauknecht
Dr. Becher ({100}) Becker
Berendsen Dr. Besold Bewerunge Biechele
Blank
Blöcker
Frau Blohm Blumenfeld Brand
Bremer
Dr. Brenck Brese
Brück ({101}) Bühler
Burgemeister Burger
Dr. Conring Dr. Czaja
Damm
van Delden Dichgans
Diebäcker Dr. Dittrich Draeger
von Eckardt Ehnes
Dr. Elbrächter Enk
Frau Enseling
Erhard ({102}) Ernesti
Erpenbeck Exner
Falke
Franke ({103})
Dr. Franz
Franzen
Dr. Freiwald Dr. Frey
Frieler
Fritz ({104})
Dr. Furler
Frau Geisendörfer Geisenhofer
D. Dr. Gerstenmaier Gewandt
Gierenstein Dr. Gleissner
Glüsing ({105}) Dr. Götz
Gottesleben Frau Griesinger
Dr. h. c. Güde Haase ({106})
Dr. Häfele Härzschel Häussler
Hahn ({107})
Dr. Hammans Hanz ({108})
Hauser ({109}) Dr. Hauser ({110})
Dr. Heck
Dr. Hellige Dr. Hesberg Hilbert
Hörnemann ({111}) Hösl
Dr. Hofmann ({112})
Frau Holzmeister Horstmeier
Horten
Dr. Hudak
Dr. Huys
Frau Jacobi ({113})
Dr. Jahn ({114}) Josten
Dr. Jungmann
Katzer
Dr. Kempfler
Kiep
Frau Klee
Klein
Dr. Klepsch
Dr. Kliesing ({115}) Knobloch
Dr. Kopf
Krampe
Dr. Kraske
Dr. Krone
Krug
Frau Dr. Kuchtner
Kühn ({116}) Kuntscher
Lampersbach
Leicht Lemmrich
Dr. Lenz ({117})
Lenz ({118})
Lenze ({119})
Leukert
Dr. Lindenberg
Dr. Löhr
Dr. Luda
Lücke ({120})
Majonica
Dr. Martin
Dr. Marx ({121}) Maucher
Meis
Meister Memmel
Dr. von Merkatz
Mick
Frau Mönikes
Müller ({122})
Dr. Müller-Hermann
Müser Niederalt
Dr. von Nordenskjöld Orgaß
Petersen
Picard
Frau Pitz-Savelsberg
Porten Dr. Preiß
Prochazka
Rainer Rasner Rawe Dr. Reinhard
Riedel ({123})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rollmann
Rommerskirchen
Ruf
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Schlee
Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt ({124})
Schmücker
Frau Schroeder ({125}) Schröder ({126}) Schulhoff
Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Serres Dr. Siemer
Dr. Sinn Springorum
Stahlberg
Dr. Stark ({127})
Dr. Stecker
Stiller
Frau Stommel
Stooß
Storm
Struve
Stücklen Teriete
Tobaben Unertl
Varelmann
Dr. Freiherr
v. Vittinghoff-Schell Vogt
Wagner Dr. Wahl Weigl
Weiland Wendelborn
Frau Dr. Wex
Wieninger
Windelen Winkelheide
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Wuermeling Wullenhaupt
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zinn
Berliner Abgeordnete
Dr. Gradl
Müller ({128}) Frau Pieser
Enthalten CDU/CSU
Dr. Artzinger FDP
Dr. Achenbach
Busse ({129})
Dr. Dahlgrün
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Dr. Friderichs
Frau Funcke
Geldner
Freiherr von Gemmingen Genscher
Dr. Haas
Frau Dr. Heuser
Dr. Imle Jung
Kubitza Logemann Dr. Mende
Mischnick Moersch
Vizepräsident Dr. Jaeger
Peters ({130})
Porsch Ramms Reichmann
Saam
Sander
Schmidt ({131}) Spitzmüller
Dr. Staratzke
Dr. Starke ({132}) Wächter
Walter Wurbs Zoglmann
Berliner Abgeordnete Borm
Nun kommen wir zum nächsten der Anträge, dem Antrag Umdruck 694 Ziffer 1 der Fraktion der CDU/ CSU. Auch hier ist namentliche Abstimmung beantragt. Wird dieser Antrag ausreichend unterstützt?
({133})
- Verzeihung, würden Sie das eben begründen? - Herr Abgeordneter Rasner zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Abstimmung steht nicht die Ziffer 1 unseres Antrags, sondern der ganze Antrag. Ich glaube, daß vereinfacht das Verfahren.
Wir stimmen also über den ganzen Antrag ab. Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist ausreichend unterstützt. Ich eröffne die Abstimmung über den Antrag Umdruck 694 der Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Meine Damen und Herren, wir beginnen mit einer neuen, der dritten namentlichen Abstimmung, diesmal über den Antrag Umdruck 694 der Fraktion der CDU/CSU. Die Abstimmung ist im Gange.
({1})
Meine Damen und Herren, ich muß die Abstimmung sistieren. Es wird mir mitgeteilt, daß, bevor ich bekanntgegeben habe, daß über den gesamten Antrag abgestimmt wird, einige Herren - ich glaube, von der FDP - bereits abgestimmt haben in der Meinung, es werde nur über Ziffer 1 abgestimmt. Unter diesen Umständen muß ich den bisherigen Verlauf der Abstimmung unterbrechen, die Abstimmung für ungültig erklären und neu anfangen. Ich bitte Sie also, diese Abstimmung zu beenden. Es ist noch nicht abgestimmt worden.
Ich bitte Sie nun, Platz zu nehmen, damit wir in Ruhe in der Verhandlung fortfahren können. Die Kästen bitte ich zu leeren. - Nunmehr dürften keine Unklarheiten mehr bestehen.
Der Abgeordnete Rasner - er ist der Antragsteller und hat darüber zu entscheiden, ob eine Frage geteilt wird oder nicht - hat beantragt, über den gesamten Antrag abzustimmen.
Wird zur Abstimmung noch das Wort gewünscht? - Herr Genscher!
Bitte noch nicht einsammeln! Sonst gibt es wieder ein Durcheinander. Ich muß die Abstimmung formell eröffnen. Vorher dürfen Sie nicht einsammeln.
Herr Präsident, ich beantrage getrennte Abstimmung, weil die erste und die letzte Ziffer völlig unterschiedliche Materien behandeln.
Darüber kann das Haus nicht abstimmen. - Herr Rasner hat das Wort.
Herr Präsident, es entspricht der Tradition, daß man, wenn eine Fraktion das verlangt, diesem Wunsch entspricht. Hätten Sie es gleich verlangt, Herr Kollege Genscher, hätten wir es gleich getan.
Demgemäß beantragen Sie, Herr Rasner, jetzt nur über Ziffer 1 abzustimmen?
({0})
- Dann ist der Fall klar.
Wird nun noch zur Abstimmung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Es wird also, wie es ursprünglich sein sollte, nur über Ziffer 1 des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 694 abgestimmt. Ich eröffne die Abstimmung. Es beginnt sofort eine neue namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 694 Ziffer 1.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Umdruck 694 Ziff. 1 der Fraktion der CDU/CSU bekannt. Von den uneingeschränkt stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 418 abgestimmt. Mit Ja haben 202, mit Nein 183 Abgeordnete gestimmt. 33 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag angenommen.
Von den 16 Berliner Abgeordneten, die sich an der Abstimmung beteiligten, haben 3 mit Ja und 12 mit Nein gestimmt; 1 Berliner Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 412 und 17 Berliner Abgeordnete; davon
Ja: 197 und 3 Berliner Abgeordnete Nein: 182 und 13 Berliner Abgeordnete
Enthalten: 33 und 1 Berliner Abgeordneter
Ja CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner Dr. Althammer
Dr. Artzinger
Baier
Balkenhol Dr. Barzel Bauknecht
Dr. Becher ({1}) Becker
Berendsen
Dr. Besold
Bewerunge
Biechele
Blank Blöcker
Frau Blohm
Blumenfeld
Brand Bremer Dr. Brenck
Brese
Brück ({2})
Bühler Burgemeister
Burger
Dr. Conring
Vizepräsident Dr. Jaeger
Dr. Czaja
van Delden Dichgans
Diebäcker Dr. Dittrich Draeger
von Eckardt Ehnes
Dr. Elbrächter Enk
Frau Enseling
Erhard ({3}) Ernesti
Erpenbeck Exner
Franke ({4})
Dr. Franz
Franzen
Dr. Freiwald Dr. Frey
Frieler
Fritz ({5})
Dr. Furler
Frau Geisendörfer Geisenhofer
D. Dr. Gerstenmaier Gewandt
Gierenstein Dr. Gleissner
Glüsing ({6}) Dr. Götz
Gottesleben Frau Griesinger
Dr. h. c. Güde Haase ({7})
Dr. Häfele Häussler
Hahn ({8})
Dr. Hammans Hanz ({9})
Hauser ({10}) Dr. Hauser ({11})
Dr. Heck
Dr. Hellige Dr. Hesberg Hilbert
Hörnemann ({12}) Hösl
Dr. Hofmann ({13}) Frau Holzmeister Horstmeier
Horten
Dr. Hudak Dr. Huys
Frau Jacobi ({14})
Dr. Jahn ({15}) Josten
Dr. Jungmann
Frau Kalinke Katzer
Dr. Kempfler Kiep
Frau Klee Klein
Dr. Klepsch
Dr. Kliesing ({16}) Knobloch
Dr. Kopf
Krampe
Dr. Kraske Dr. Krone Krug
Frau Dr. Kuchtner Kühn-({17}) Kuntscher Lampersbach Leicht
Lemmrich
Dr. Lenz ({18}) Lenz ({19})
Lenze ({20}) Leukert
Dr. Lindenberg
Dr. Löhr Dr. Luda Lücke ({21})
Majonica Dr. Martin
Dr. Marx ({22}) Maucher
Meis
Meister Memmel Dr. von Merkatz
Mick
Frau Mönikes
Müller ({23})
Dr. Müller-Hermann
Müser
Niederalt
Dr. von Nordenskjöld Orgaß
Petersen Picard
Frau Pitz-Savelsberg
Porten
Prochazka Rainer
Rawe
Dr. Reinhard
Riedel ({24})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen Dr. Ritz Rock
Röhner
Rösing
Rollmann Rommerskirchen
Ruf
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Schlee
Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt ({25}) Schmitt ({26}) Schmücker
Frau Schroeder ({27}) Schröder ({28}) Schulhoff
Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Serres Dr. Siemer
Dr. Sinn Springorum
Stahlberg
Dr. Stark ({29})
Dr. Stecker
Dr. Steinmetz
Stiller
Frau Stommel
Stooß
Storm
Struve
Stücklen Teriete Tobaben Unertl
Varelmann
Dr. Freiherr
v. Vittinghoff-Schell Vogt
Wagner Dr. Wahl Weigl
Weiland Weimer Frau Dr. Wex
Wieninger
Windelen
Winkelheide
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel Dr. Wuermeling Wullenhaupt
Ziegler
Zink
Berliner Abgeordnete
Dr. Gradl
Müller ({30}) Frau Pieser
Nein SPD
Adams
Ahrens ({31}) ({32}) Frau Albertz
Arendt ({33})
Dr. Arndt ({34})
Auge
Bading Bäuerle Baltes Barche Dr. Bardens
Bauer ({35})
Dr. Bayerl
Dr. Bechert (Gau-Algesheim Behrendt
Bergmann
Berkhan
Berlin Beuster Biermann
Blume Böhm Börner Brück ({36})
Brünen Buchstaller
Büttner Buschfort
Collet Corterier
Cramer Diekmann
Eckerland
Frau Eilers
Frau Dr. Elsner
Dr. Enders
Eschmann
Esters Faller Felder Fellermaier
Feuring Folger
Franke ({37}) Frehsee
Frau Freyh
Fritsch ({38})
Fritz ({39})
Geiger Gerlach Gertzen Glombig
Gscheidle
Haage ({40})
Haar ({41})
Haase ({42}) Haehser
Hansing
Hauck
Hauffe
Herberts
Frau Herklotz
Herold Hirsch Höhne Hölzle Hörauf
Hörmann ({43}) Homann ({44}) Frau Dr. Hubert Hufnagel
Dr. Ils Iven
Jacobi ({45})
Jaschke Junghans
Junker Kaffka Kahn-Ackermann
Kern
Killat
Frau Kleinert
Dr. Koch
Könen ({46}) Kohlberger
Frau Korspeter
Dr. Kreutzmann Kriedemann
Dr. Kübler
Kulawig
Kurlbaum
Frau Kurlbaum-Bayer Lange
Langebeck Lautenschlager
Lemp
Lemper Lender Liedtke Löbbert Maibaum
Marquardt
Marx ({47}) Matthes
Frau Meermann
Dr. Meinecke
Metzger
Müller ({48})
Dr. Müller ({49}) Müller ({50}) Müller ({51})
Dr. Müthling
Neemann
Nellen
Neumann ({52})
Paul
Peiter Pöhler Porzner Raffert Dr. Rau Ravens Regling Dr. Reischl
Reitz
Frau Renger
Richter
Riegel ({53})
Dr. Rinderspacher Rohde
Roß
Frau Rudoll
Sänger Saxowski
Frau Schanzenbach Frau Schimschok
Vizepräsident Dr. Jaeger
Dr. Schmid ({54}) Schmidt ({55})
Dr. Schmidt ({56}) Schmidt ({57})
Dr. Schmidt ({58}) Schmidt ({59}) Schmitt-Vockenhausen Schoettle
Schonhofen
Schulte Schwabe Seibert Seidel
Seifriz Seither Frau Seppi
Spillecke
Dr. Stammberger
Stephan Frau Strobel
Strohmayr
Tallert
Dr. Tamblé
Tönjes Vit
Wehner Welke Welslau Wendt Westphal
Wiefel Wienand Wilhelm Wischnewski
Wuwer
Zebisch
Berliner Abgeordnete
Bartsch
Frau Berger-Heise
Bühling
Frau Krappe
Frau Lösche
Mattick
Neumann ({60})
Dr. Schulz ({61})
Dr. Seume
Sieglerschmidt
Urban
FDP
Dr. Achenbach
Ramms
Enthalten
SPD Hermsdorf
FDP
Busse ({62})
Dr. Dahlgrün
Ertl
Frau Funcke
Geldner
Freiherr *von Gemmingen Genscher
Dr. Haas
Frau Dr. Heuser
Dr. Imle Jung
Kubitza Logemann
Mertes
Mischnick Moersch
Peters ({63})
Porsch
Saam
Sander
Schmidt ({64}) Spitzmüller
Dr. Staratzke
Dr. Starke ({65}) Wächter
Walter Wurbs
Zoglmann
Berliner Abgeordnete Worms
Damit ist Nr. 2 in der Fassung des Umdrucks 694 Ziff. 1 angenommen.
Ich komme nunmehr zu den Nrn. 3 und 4, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Ich nehme an, daß das Wort nicht gewünscht wird. Wer den aufgerufenen Nummern zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die Nrn. 3 und 4 sind bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich komme nunmehr zu Nr. 5. Hier ist 'auf Umdruck 678 *) ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD gestellt. Wer wünscht dazu das Wort? - Ich höre soeben, daß der Antrag .auf Umdruck 678 zurückgezogen ist. Er ist offenbar erledigt.
Wird zu Nr. 5 das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer Nr. 5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die
*) Siehe Anlage 7 Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Nr. 6 auf. Hierzu liegt kein Änderungsantrag vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer Nr. 6 'zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist bei zahlreichen Enthaltungen so beschlossen.
Nunmehr komme ich zu Nr. 7. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Dittrich, Frau Blohm, Dr. Stammberger und Genossen auf Umdruck 690 *) vor. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dittrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es liegt Ihnen ein Änderungsantrag auf Umdruck 690 vor. Gestatten Sie mir, daß ich zunächst einmal sage, worum es bei diesem Antrag geht. Im Regierungsentwurf und in der Ausschußfassung ist in § 182 a folgendes festgelegt:
Bei der Abnahme von Arznei-, Verband- und Heilmitteln hat der Versicherte zwanzig vom Hundert der Kosten, höchstens jedoch 2,50 Deutsche Mark je Verordnungsblatt, an die abgebende Stelle zu zahlen.
Der Abänderungsantragstrebt folgende Fassung .an:
Bei der Abnahme von Arznei-, Verband- und Heilmitteln hat der Versicherte 2 Deutsche Mark je Verordnungsblatt an die abgehende Stelle zu zahlen.
Ich will Ihnen den jetzigen Rechtszustand noch vortragen, nach dem bisher 1 DM je Verordnungsblatt an die abgebende Stelle von dem Patienten zu entrichten war, von den Ausnahmen einmal abgesehen.
Ich möchte mich nun mit den Argumenten für und gegen diesen Abänderungsantrag oder die Ausschußfassung auseinandersetzen. Zunächst einmal besteht die Frage, ob durch die Ausschußfassung eine Entlastung der Krankenkassen möglich ist. Ich bin der Ansicht, daß dies nicht der Fall ist; denn bei der Verabreichung von Arzneimitteln, Verband- und Heilmitteln, die unter 12,50 DM kosten, hat der Verbraucher, der Käufer, der das Medikament in Anspruch Nehmende nur 20% zu bezahlen. Bei Arzneimitteln im Wert von über 12,50 DM hat er 2,50 DM zu entrichten. Ich bin also der Ansicht, daß in wirtschaftlicher Hinsicht und hinsichtlich der Bedeutung einer Entlastung der Krankenkassen kein Vorteil erreicht werden kann.
Ich möchte mich zweitens mit der Frage beschäftigen, die uns alle interessiert, nämlich mit der Frage der sogenannten Transparenz dieser Verordnungen und des Bezugs von Arzneimitteln und den übrigen Mitteln, die hier angesprochen sind. Man sagt, der Kassenpatient sollte wissen, was sein Arzneimittel kostet; er sollte damit das schätzen, was die Krankenkasse für ihn leistet. Dieser Erfolg der
*) Siehe Anlage 8
Transparenz kann nur bis zu einem Betrag von 12,50 DM erreicht werden, denn nur bis zu diesem Betrag kann sich der die Apotheke Aufsuchende davon überzeugen, was sein Arzneimittel wert ist, indem er mit fünf multipliziert. Bei teureren Arzneimitteln ist diese Möglichkeit nicht gegeben, den Wert des Arznei-, Verband- oder Heilmittels festzustellen. Das Argument, daß dem einzelnen klargemacht werden soll, was für einen Wert er in die Hände bekommt, scheint mir also nicht durchschlagend zu sein.
Ein weiteres Argument, meine Damen und Herren, mit dem ich mich gleich befassen möchte, weil ich weiß, daß hier sicher Gegenargumente angeführt werden, über die man diskutieren muß, ist jenes, daß in den Bagatellfällen, in denen der Kaufpreis des Gegenstandes nur bei 1 DM, bei 1,50 DM oder bei 2 DM liegt, derjenige, der dieses Mittel bezieht, diesen Preis aus eigener Tasche bezahlen würde, ohne daß er die Krankenkasse in Anspruch genommen hat. Diese Lösung, wie sie jetzt vorgesehen ist, wird es also fördern, daß der Patient diese kleinen Arzneimittel, die nur wenige Pfennige kosten, nicht mehr aus seiner eigenen Tasche bezahlt, weil er sich ja nur mit 20 % daran beteiligen muß.
({0})
- Das ist richtig.
Lassen Sie mich ein weiteres Argument anführen, das vor allem vom sozialpolitischen Standpunkt her betrachtet werden muß. Es geht dabei darum, daß durch dieses System der prozentualen Arzneikostenbeteiligung in eindeutiger Weise die chronisch kranken Kassenmitglieder, denen regelmäßig und oft teure Arzneimittel verschrieben werden müssen, - also beispielsweise Asthmatiker, Rheumatiker, Diabetiker usw. - benachteiligt werden, soweit sie häufig Arzneimittel in Anspruch nehmen müssen.
Das wesentlichste Argument gegen diese Ausschußfassung und für die Fassung auf dem Umdruck 690 scheint mir aber zu sein: Wir müssen und wollen praktikable Gesetze machen. Bisher war es so, daß 1 DM über den Tisch der Offizin des Apothekers gegeben wurde, und der Apotheker verabreichte das Arzneimittel. Bei einem Handkauf, wie es der Kauf in der Apotheke im rechtlichen Sinne ist, ist das eine einfache Art der Abwicklung eines Geschäfts, eine einfache Art, die gerade dann notwendig ist, meine Damen und Herren, wenn die Patienten aus der Sprechstunde des Arztes in immer größerer Zahl in die Apotheke kommen und in der Apotheke viele Patienten möglichst gleichzeitig bedient werden müssen.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, diese Art der prozentualen Beteiligung vorsehen, wird das ganz ohne Zweifel eine Verzögerung mit sich bringen, auf die es aber vielleicht gar nicht im wesentlichen ankommt. Aber es kommt darauf an, daß durch diese Art der prozentualen Beteiligungen bei den vorhandenen 10 500 Apotheken, bei den 300 Millionen kassenärztlichen Verschreibungen im Jahr und bei den 2300 Krankenkassen eine derartige
Komplizierung des Abrechnungssystems auftritt, daß dadurch Mehrkosten verursacht werden.
({1})
- Einen Augenblick, Herr Professor, ich kann hier in diesem Plenum meinen Änderungsantrag begründen. Das werden Sie mir auch nicht absprechen, zumal diese Gründe, Herr Professor Schellenberg,
({2})
in Ihrem Ausschuß von den Sachverständigen vorgetragen wurden und zumal dieses Problem sich in Ihrem Ausschuß - soweit ich Sie kenne - eingehend diskutiert wurde. Wenn Sie, Herr Professor Schellenberg, so gütig sind, dann bitte ich Sie, mir also zu gestatten, daß ich diese Argumente einmal vortrage. Und weil Sie sich so aufregen, möchte ich meinen, daß in dem, was ich vortrage, doch Wahrheit ist oder mindestens sein könnte.
({3})
Wenn eine solche Mehrarbeit - und dies angesichts des ungeheuren Kräftebedarfs, der heute bei den Krankenkassen und auch in den Apotheken besteht - geleistet werden muß, verstehe ich nicht, daß man sich auf eine solche prozentuale Abrechnung einlassen und es nicht hinnehmen will, daß der Patient beim Handkauf 2 DM hinlegt und der Apotheker ihm die Arzneimittel aushändigt.
({4})
- Warum regen Sie sich eigentlich so auf, meine Herren von der SPD? Die ganze Geschichte ist doch gar nicht tragisch. Sie ist es eigentlich überhaupt nicht wert, daß man sich darüber aufregt, und es ist auch nicht notwendig. Aber Sie sehen offensichtlich ein, daß hier etwas nicht richtig ist.
Ich darf darauf hinweisen, daß für das Abrechnungssystem zwischen den Krankenkassen und den Apotheken elektronische Abrechnungseinrichtungen entwickelt worden sind, die dafür einfach nicht passen und deshalb umsonst angeschafft worden sind.
Ich meine also - damit habe ich meine Aufgabe, den Antrag zu begründen, erfüllt -, daß durch eine prozentuale Beteiligung an den Arzneimittelkosten die Grundlagen des Vertragsgefüges zwischen den Krankenkassen und den deutschen Apotheken zerstört werden. Sollte die prozentuale Arzneikostenbeteiligung beschlossen werden, würden sämtliche Auslieferungsverträge zwischen Apotheken und Krankenkassen in der Bundesrepublik gekündigt werden müssen. Ich wiederhole das, was ich im Laufe meiner Ausführungen schon einmal gesagt habe: Wir sollten praktikable Gesetze machen und es denen, die es ohnedies schwer genug haben, nicht noch schwerer machen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag, den Herr Dr. Dittrich hier eben begründet hat, abzulehnen. Wir haben über dieses Problem, mit dem wir uns im Ausschuß wirklich sehr beschäftigt haben, eingehend diskutiert. Leider hat niemand von den Unterzeichnern des Antrags an den Beratungen teilnehmen können, und es hat auch niemand von ihnen die Möglichkeit gehabt, die Sachverständigen zu hören, bei deren Anhörung uns sehr deutlich gesagt worden ist, welchen gesundheitspolitischen Effekt diese 20%ige Beteiligung gegenüber einer Fixbeteiligung hätte. Wir müssen nämlich feststellen, daß die Fixgebühr von 1 DM, die wir bisher hatten, in ihrer Wirkung eben praktisch auch verpufft ist. Hier ist wirklich ein Ansatz für eine Reform der gesetzlichen Krankenversicherung.
({0})
- Jawohl! Wir sollten uns daran erinnern, mit welchem Ernst wir eine solche Reform schon in früheren Legislaturperioden gerade in bezug auf diesen Punkt gefordert haben.
Aus diesem Grund bitte ich Sie, bei dem Beschluß des Ausschusses zu bleiben und den Antrag abzulehnen.
({1})
Wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ausnahmsweise ist auch kein Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt. Wir können also einfach abstimmen.
Meine Damen und Herren, wer dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dittrich, Frau Blohm, Dr. Stammberger und Genossen auf Umdruck 690 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. -- Das zweite ist die Mehrheit.
Damit kommen wir zur Abstimmung über § 7 in der Ausschußfassung. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. -- Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe die §§ 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14 und 15 auf, zu denen keine Änderungsanträge gestellt sind. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu § 16. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 692 Abschnitt I Ziffer 2 vor. Wer wünscht das Wort? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schmidt ({0}) !
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Spitzmüller hat schon bei der Begründung des vorigen Antrags zur Versicherungspflichtgrenze darauf hingewiesen, daß wir einen Antrag stellen werden, der die generelle Beteiligung der Arbeitgeber an den Krankenversicherungsbeiträgen für Angestellte beinhaltet. Dieser Antrag liegt Ihnen nunmehr zu Nr. 16 vor, wobei wir eine Einschränkung bezüglich der Einkommensgrenze vorsehen.
In Anbetracht der vorgerückten Stunde möchte ich auf eine eingehende Begründung verzichten, obwohl es dazu sehr viel zu sagen gäbe. Zweifellos ist die gesellschaftspolitische Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten - über die Methoden, dieses Ziel zu erreichen, kann man reden - von großer Bedeutung. Wir waren vom ersten Tag an der Auffassung, daß die materielle Gleichstellung der Angestellten mit den Arbeitern, was die Versicherungsbeiträge zur Krankenversicherung angeht, mindestens ebenso bedeutsam ist. Wir sind seit langem der Auffassung, daß generell Arbeitgeberbeiträge geleistet werden sollen, sei es unterhalb oder oberhalb der Versicherungspflichtgrenze. Hierzu liegt unser Antrag vor. Wir bitten um Ihre Zustimmung.
({0})
Wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 692 Abschnitt I Ziffer 2. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über Nr. 16 in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Nr. 17 auf. Dazu liegen keine Änderungsanträge und keine Wortmeldungen vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Die Änderungsanträge zu Nr. 18 sind schon abgelehnt.
({0})
Herr Präsident, wir haben auf Umdruck 694 Ziffer 2 zu Art. 2 Nrn. 18 und 19 Änderungsanträge gestellt, die vorhin bei der namentlichen Abstimmung nicht berücksichtigt wurden, weil wir die Trennung vorgenommen und zunächst über Art. 1 abgestimmt haben.
Ich rufe dann zunächst die Nrn. 18 und 19 auf. Wer wünscht zu dem Änderungsantrag Umdruck 694 Ziffer 2 das Wort?
({0})
Herr Abgeordneter Spitzmüller hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister ist ja offensichtlich mit gutem Zahlenmaterial ausgestattet. Ich wäre sehr dankbar, wenn der Herr Bundesarbeitsminister hier einmal
kurz dazu Stellung nähme, ob dieser Satz von 8 % ausreicht, um die Krankenkassen über die finanzielle Situation der nächsten 16 oder 17 Monate hinwegzubringen, unter Zugrundelegung einer Versicherungspflichtgrenze von 990 DM ab 1. August.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Entwurf der CDU/ CSU-Fraktion, dessen Belastung für die Arbeitnehmerseite ich vorhin bekanntgegeben habe, stellt sich der Entlastungseffekt für die Krankenkassen wie folgt dar. Für das Jahr 1969 ergibt sich auf Grund der Erhöhung der Einkommensgrenze auf 990 DM ein Plus von 300 Millionen DM auf der Einnahmenseite.
Im Jahre 1970 ist die Situation wie folgt: Durch die Erhöhung der Einkommensgrenze ergibt sich ein Plus von 2260 Millionen DM. Unter Berücksichtigung der übrigen Veränderungen der Krankenversicherung verbleibt ein Plus von 1830 Millionen DM. Das Defizit nach dem Sozialbudget ist mit 1,7 Milliarden DM veranschlagt. Aus dieser Rechnung ergibt sich somit insgesamt ein Plus von 130 Millionen DM für die Krankenkassen.
Das ist, Herr Kollege Spitzmüller, eine schmale Basis; aber die Antragsteller haben das bewußt gewollt, um die zweite und dritte Stufe der Reform der sozialen Krankenversicherung so schnell wie möglich zu erzwingen.
({0})
Wir haben lange darüber diskutiert. Das ist eine Position, die von den Antragstellern gewollt ist. Ich glaube, daß ich damit Ihrem Wunsch nach Darstellung der Zahlen Rechnung getragen habe.
({1})
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kann ich über den Antrag der Fraktion der CDU/ CSU Umdruck 694 Ziffer 2 abstimmen lassen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen gegen wenige Stimmen mit Mehrheit beschlossen.
Ich lasse nunmehr über die Nm. 18 und 19 mit der soeben beschlossenen Änderung, im übrigen in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe.. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Nrn. 20, 21 und 22 auf. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine
Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei Enthaltungen ohne Gegenstimmen beschlossen.
Wir kommen zum Antrag Umdruck 692 Abschnitt I Ziffern 4 und 5. Wird hierzu das Wort gewünscht? ({0})
- Ziffer 5 ist gegenstandslos. Es bleibt also die Ziffer 4. - Herr Abgeordneter Spitzmüller!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bitten, einen neuen § 516 a einzufügen, wonach durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates der Mitgliederkreis und der Bezirk einer Ersatzkasse geändert werden können, wenn sich die Berufsbilder von Mitgliedern gewandelt oder sich verwandte Berufe gebildet haben.
Praktisch geht es darum, daß wir nur zwei Arbeiterersatzkassen in der Bundesrepublik haben, die zum Aussterben verurteilt sind, wenn wir nicht diese Bestimmung in die Reichsversicherungsordnung einbauen.
({0})
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 692 Abschnitt I Ziffer 4. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über den Art. 2 insgesamt abstimmen, und zwar in der Ausschußfassung mit den beschlossenen Änderungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit beschlossen.
Wir kommen jetzt zum Art. 3. Zu dem ganzen Artikel liegen keine Änderungsanträge vor. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Art. 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Beim Art. 4 sind mehrere Punkte umstritten. Ich rufe zunächst die §§ 1, 2 und 3 auf. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Keine Wortmeldungen. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 4 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der FDP Umdruck 692 Abschnitt II Ziffer 1 sowie ein Änderungsantrag der CDU/CSU Umdruck 694 Ziffer 3 vor. Wer wünscht von der Fraktion der Freien Demokraten das Wort? - Herr Abgeordneter Spitzmüller!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Problem ist
bekannt. Die Christlich-Demokratische Union hat vorgeschlagen - und die SPD ist dem beigetreten -, für die ersten Jahre Übergangshilfen des Bundes für Kleinbetriebe zu gewähren, um die Last der Lohnfortzahlung für die Kleinbetriebe ein bißchen schmackhafter zu machen - sozusagen mit Zuckerbrot und Peitsche zu arbeiten.
({0})
- Ja, warum denn nicht?
({1})
Die Kosten sind die Peitsche, und die Abschmelzung oder Abmilderung der Kosten durch Bundeszuschüsse ist das Zuckerbrot, damit die Schmerzen ein 'bißchen schneller vergehen, oder eine Pille, damit es eine gewisse Verzögerung bei den Schockwirkungen geben kann, oder wie immer Sie das bezeichnen wollen. Wir Freien Demokraten sind der Meinung: wenn in dieser Gesetzesvorlage schon die Überzeugung zum Ausdruck kommt, daß für die Kleinbetriebe Hilfen notwendig sind, dann sind sie nicht nur in der Übergangszeit, sondern eben generell notwendig. Deshalb beantragen wir, daß nicht nur in der Übergangszeit über den Daumen gepeilt 20% vom Bund als Zuschuß gewährt werden, sondern generell 20%.
({2})
- Lieber Herr Kollege Schellenberg, die mittelfristige Finanzplanung ist schon an vielen Stellen in Frage gestellt.
({3})
Durch dieses Gesetz werden mehr Steuern eingehen, als die Bundesregierung annimmt; denn die Bundesregierung geht ja immer noch davon aus, daß von den 31/2% der auf den Bruttolohn bezogenen Kosten der Lohnfortzahlung wenigstens 2 % bei den nächsten Tarifverhandlungen wieder untergehen werden. Ich bin davon überzeugt, daß das nicht eintritt. Ich glaube also, Herr Kollege Schellenberg, von der mittelfristigen Finanzplanung her ist es nicht sehr entscheidend, ob wir über die von der CDU vorgesehenen Jahre hinausgehen oder nicht.
Ich bitte um Zustimmung zu einem generellen Zuschuß von 20 °/o und nicht zu diesem abgleitenden Betrag, der hier im Gesetzentwurf vorgesehen ist.
({4})
Der Antrag der FDP-Fraktion ist begründet, der Antrag der CDU/ CSU-Fraktion wurde meines Wissens schon vorher begründet. Wird sonst noch das Wort zu Paragraph und Änderungsanträgen gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei auf
Umdruck 692 Abschnitt II Ziffer 1 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit abgelehnt.
Damit komme ich zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 694 Ziffer 3. Wer zuzustimmen wünscht, bitte das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit beschlossen. § 4 Abs. 1 ist damit neu gefaßt.
Ich lasse nun über § 4 als Ganzes in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, bitte das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe die §§ 5, 6, 7 und 8 auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme nunmehr zu § 9. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei auf Umdruck 692 Abschnitt II Ziffer 2 vor.
({0}) - Das hat sich erledigt! Danke schön!
Dann liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 694 Ziffern 4 und 5 vor. Die beiden Anträge sind begründet. Wird jetzt noch hierzu das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Rohde!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kommen zum letzten Paragraphen des Gesetzentwurfs und damit zu einem bedeutsamen Sachverhalt. Er behandelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Es muß zunächst davon ausgegangen werden, daß in den Beratungen der hauptsächlich beteiligten Ausschüsse für Arbeit und für Sozialpolitik zu keinem Zeitpunkt darüber diskutiert oder gar beantragt worden ist, die Lohnfortzahlung erst mit Verzögerung in Kraft zu setzen. Es bestand Einigkeit darüber, daß dieser Gesetzentwurf im August dieses Jahres Wirklichkeit werden soll.
Diese Auffassung ist auch in der letzten Woche durch die Beschlußfassung des Ausschusses für Arbeit noch einmal bekräftigt worden. Wir haben in den Ausschußberatungen eingehend - und nach Anhörung der Sachverständigen - die administrativen und finanziellen Konsequenzen dieses Gesetzentwurfes besprochen. Wir sind in keinem Stadium der Beratungen im Zweifel darüber gelassen worden, daß von seiten der Verwaltung kein Grund besteht, von dem Termin des Inkrafttretens im August 1969 abzugehen. Im Gegenteil! Das Protokoll der Sachverständigenanhörung weist aus, daß das Datum des 1. August 1969 eine entscheidende Rolle für die zukünftige Finanzplanung und die finanzielle Entwicklung insbesondere derjenigen Krankenkassen spielt, die überwiegend Arbeiter als Versicherte organisiert haben.
Meine Damen und Herren, die Lohnfortzahlung steht seit vielen Jahren als bedeutsame sozialpolitische Aufgabe auf der politischen Tagesordnung. Wir haben in den Ausschußberatungen jedes fachliche Detail, auch jedes Detail der Administration, eingehend erörtert und sorgfältig mit Sachverständigen geprüft. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, diesen Gesetzentwurf in Kraft treten zu lassen, und zwar ohne Verzögerung, im Ganzen und nicht auf Raten.
Ich bitte Sie nachdrücklich, meine Damen und Herren, den Ausschußbeschlüssen Ihre Zustimmung zu geben.
({0})
Wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Soll über die beiden Anträge der CDU/CSU Umdruck 694 Ziffern 4 und 5 in einem oder getrennt abgestimmt werden?
({0})
- Von „namentlich" weiß ich gar nichts. Zunächst muß ich wissen, ob in einem oder getrennt abgestimmt werden soll. Was sagt der Antragsteller?
({1})
- In einem. Gibt es da kein Mißverständnis und keinen Wunsch von anderer Seite? - Nein. Dann wird über die Ziffern 4 und 5 gemeinsam abgestimmt. Ein Antrag auf namentliche Abstimmung ist mir nicht bekannt, so daß wir normal abstimmen.
Ich lasse über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 694 Ziffern 4 und 5 - gemeinsam - abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Nunmehr komme ich zu § 9 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich darf jetzt über Art. 4 in der Ausschußfassung mit den beschlossenen Änderungen als Ganzes abstimmen lassen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit beschlossen.
Ich komme zu Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen mit Mehrheit beschlossen.
Meine Damen und Herren, die zweite Beratung ist damit beendet. - Herr Abgeordneter Spitzmüller, vor der dritten Beratung!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der zweiten Lesung sind eine Reihe von Änderungen vorgenommen worden. Wir halten es nicht für des Gesetzeswerks würdig, wenn wir die dritte Lesung beginnen, bevor die nunmehr festliegenden Beschlüsse der zweiten Lesung dem Hohen Hause vorliegen. Für den einzelnen Abgeordneten ist jetzt nicht mehr überschaubar, über was abgestimmt wird, wenn der einzelne Paragraph aufgerufen wird. Ich widerspreche also der dritten Lesung.
Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diesen Widerspruch können wir nicht überstimmen. Aber ich möchte folgendes fragen: Herr Präsident, ich halte es für denkbar, daß die Verwaltung die Beschlüsse heute nacht zusammenstellt und daß diese morgen früh, spätestens morgen mittag verteilt sind. Das würde uns in die Lage versetzen - wenn wir das wollen, meine Herren von der FDP -, die dritte Lesung am Freitag durchzuführen.
({0})
- Entschuldigung, am Freitag geht es nicht. Ich ziehe diese Intervention zurück. Ich habe nicht daran gedacht.
({1})
- Noch besser! Dann können wir uns ja sofort verständigen. Wenn ich es recht gesehen habe, hatte der Kollege Spitzmüller freundlichst den Donnerstagnachmittag angeboten. Das wollen wir gern akzeptieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind damit einverstanden, daß morgen darüber entschieden wird. Ich schlage vor, die Sitzung für 14 Uhr vorzusehen.
Wir werden dann um 14 Uhr mit der Fragestunde beginnen, nehme ich an. - Ich brauche also über den Einspruch gar nicht mehr abstimmen zu lassen bzw. die Probe zu machen; es ist Einverständnis im Hause: der Punkt wird jetzt nicht weiterbehandelt, dritte Lesung morgen nachmittag; 14.00 Uhr Fragestunde, dann die dritte Lesung.
Ich komme zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Berufsbildungsgesetzes
- Drucksachen V/887, V/1009 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache V/4320 - Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
Vizepräsident Dr. Jaeger
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({1})
- Drucksache V/4260 Berichterstatter: Abgeordneter Wolf
Abgeordneter Diebäcker
({2})
Ich danke den Berichterstattern, den Abgeordneten Wolf und Diebäcker, für ihren Schriftlichen Bericht. Wird eine Ergänzung gewünscht? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Wolf.
({3})
- Ich bitte um Ruhe für den Herrn Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für Arbeit legt Ihnen heute den Entwurf eines Berufsbildungsgesetzes vor, das zum Ziel hat, eine umfassende und bundeseinheitliche Grundlage für die berufliche Bildung zu schaffen. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wird eine schon vor 50 Jahren erhobene Forderung endlich Wirklichkeit.
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Dieser vorliegende Entwurf wurde erarbeitet aus dem von der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Arbeitsmarktes - ({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, weiterzuarbeiten und sich nicht daran zu stören. Die Tribüne wird geräumt werden.
- - eines Gesetzes zur Anpassung des Arbeitsmarktes an die Entwicklung von Wirtschaft und Technik - Arbeitsmarktanpassungsgesetz des Dritten und Achten Abschnittes - und aus dem von der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Berufsausbildung.
Der Ausschuß war sich in der Forderung einig, ein Gesetzeswerk zu schaffen, das es den arbeitenden Menschen ermöglicht, sich der ständig verändernden Arbeitswelt anzupassen und unter den technischen und ökonomischen Bedingungen der hochrationalisierten Wirtschaft alle beruflichen und sozialen Chancen zu erschließen.
Dieser Entwurf regelt nicht nur die Berufsausbildung, sondern er enthält erstmalig allgemein geltende Vorschriften über die berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung. Dieser Entwurf, zusammen mit dem vor kurzem verabschiedeten Arbeitsförderungsgesetz bietet nach Überzeugung
des Ausschusses dafür Gewähr, das Berufsbildungssystem in der Bundesrepublik dem technologischen und strukturellen Wandel laufend anzupassen, den beruflichen Aufstieg durch Fortbildung zu ermöglichen und neue berufliche Tätigkeiten durch Umschulung ausüben zu können.
Eine wesentliche Aufgabe des Entwurfs sah der Ausschuß auch darin, die Rechtszersplitterung der Berufsbildungsrechte zu beseitigen und durch eine bundeseinheitliche fortschrittliche Regelung überholte alte, nicht mehr zeitgerechte Vorschriften aus der Welt zu schaffen.
Dem Ausschuß ist es gelungen, trotz widerstreitender Meinungen in- einigen Sachbereichen diese Zielvorstellungen weitgehend zu verwirklichen, wenngleich auch in dem einen oder anderen Fall Kompromißentscheidungen nicht ausgeschlossen werden konnten. So hat der Ausschuß geprüft, ob nicht alle Vorschriften des Entwurfs für die Berufsbildung im Handwerk volle Anwendung finden sollten. Die Mehrheit des Ausschusses har der Ansicht, daß die Herausnahme der Berufsbildungsregelungen aus der Handwerksordnung die gesetzestechnische Einheit der Handwerksordnung stören und sie in einem wesentlichen Punkte unvollständig machen würde. Der Ausschuß hat deshalb die Einheit der Handwerksordnung aufrechterhalten, aber ihren materiellen Gehalt mit den Vorschriften des Entwurfs in Übereinstimmung gebracht und, wo immer möglich, wortgleich gemacht.
Ich darf, um manche Mißverständnisse in der Öffentlichkeit auszuräumen, noch einmal darauf verweisen, daß erstens alle Vorschriften, die die vertragliche Seite der Berufsausbildung betreffen, ersatzlos aus der Handwerksordnung herausgenommen wurden. Insoweit gilt der Zweite Teil des Entwurfs unmittelbar auch im Handwerk.
Zweitens. Die ordnungsrechtlichen Vorschriften, die dem Dritten Teil des Entwurfs entsprechen, sind in der Handwerksordnung belassen und den Vorschriften des Dritten Teils des Entwurfs angepaßt worden.
Drittens. Nur dort, wo im Handwerk Besonderheiten bestehen, die eine abweichende Regelung rechtfertigen, ist eine diesen Verhältnissen angemessene Regelung getroffen worden.
Schließlich scheint mir sehr wichtig zu sein, festzustellen, daß im übrigen auch für das Handwerk der Entwurf unmittelbar gilt.
In § 25 des Entwurfs ist festgelegt, daß der Bundesminister für Wirtschaft oder der sonst zuständige Fachminister im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung Ausbildungsberufe staatlich anerkennen und die Anerkennung aufheben kann. Diese Bestimmung brauchte im Achten Teil in § 25 des Entwurfs nicht getroffen zu werden, da der Gesetzgeber selbst die Ausbildungsberufe in der Anlage A zur Handwerksordnung aufgeführt hat. Darüber hinaus hat er, um die Anpassung der Ausbildungsberufe an die wirtschaftliche und technische Entwicklung auch unter Berücksichtigung der Entwicklung in der Industrie zu gewährleisten, in § 1 Abs. 3 der Handwerks13118
ordnung die Möglichkeit geschaffen, durch Rechtsverordnung Änderungen, und zwar Neuabgrenzungen, Streichungen und Zusammenfassungen dieser Ausbildungsberufe vorzunehmen.
Das Verfahren zum Erlaß der Ausbildungsordnung ist für alle Bereiche völlig gleich geregelt. Durch die Erarbeitung im selben Forschungsinstitut und durch die Mitwirkung des Bundesausschusses und derselben Bundesministerien ist die materielle Übereinstimmung der zu erlassenden Ausbildungsordnungen in den sich entsprechenden Berufen nach Auffassung des Ausschusses gesichert.
Ich möchte noch einmal betonen, daß der Entwurf aus verfassungsrechtlichen Gründen so angelegt ist, daß die Vorschriften grundsätzlich für die Berufsausbildung in allen Berufs- und Wirtschaftszweigen gelten. Ausgenommen ist wegen ihrer Besonderheit die Berufsausbildung in einem öffentlich rechtlichen Dienstverhältnis, aber auch nur dann, wenn beim Beginn der Ausbildung feststeht, daß der Betreffende später seinen Dienst als Beamter verrichten wird. Für alle anderen Personen im öffentlichen Dienst, die als Arbeiter oder Angestellte bei Bund, Ländern, Gemeinden oder Körperschaften ausgebildet werden, gilt dagegen der Entwurf im vollen Umfang.
Ausgeschlossen bleibt die Berufsausbildung auf Kauffahrteischiffen, soweit es sich nicht um Schiffe der kleinen Hochseefischerei und der Küstenfischerei handelt. Der Ausschuß ging davon aus, daß wegen der vielfältigen Besonderheiten, die bei einem Schiffsbetrieb im Gegensatz zu den Verhältnissen bei einem Landbetrieb vorliegen, dieser Bereich der Berufsausbildung nicht einbezogen werden sollte. In diesem Zusammenhang ist aber darauf hinzuweisen, daß bereits heute durch Rechtsverordnung gemäß § 142 Abs. 1 des Seemannsgesetzes die Berufsausbildung vom Verkehrsminister geregelt werden kann.
Meine Damen und Herren, es kann nicht meine Aufgabe als Berichterstatter sein, alle Bestimmungen dieses Entwurfs im einzelnen zu kommentieren. Ich beziehe mich hier auf den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht. Wichtig erscheint mir, abschließend festzustellen, daß es im Ausschuß darum ging, eine umfassende bundeseinheitliche Berufsausbildung zu ermöglichen und zu garantieren. Der Ausschuß ist davon überzeugt, daß durch den zu schaffenden Bundesausschuß dieses Ziel erreicht wird, zumal da der Bundesausschuß neben seinen weiteren Aufgaben, die in ihren Schwerpunkten im Entwurf besonders genannt sind, die Aufgabe hat, beim Erlaß von Rechtsverordnungen gehört zu werden.
Ferner sieht der Ausschuß in den Länderausschüssen einen geeigneten Ansatzpunkt für die optimale Koordinierung mit dem schulischen Bereich, da. der Bundesgesetzgeber bekanntlich wegen der Gesetzgebungskompetenz ,der Länder in die Berufsausbildung in berufsbildenden Schulen, die dem Land unterstehen, nicht eingreifen kann.
Die Mitbestimmungsmöglichkeiten aller an der Berufsbildung interessierten Gruppen ist dadurch gewährleistet, daß Arbeitgeber, Gewerkschaften und die öffentliche Hand in allen Ausschüssen in gleicher Zahl vertreten sein müssen. Hierdurch sollen das
Interesse und der Sachverstand der an der beruflichen Bildung Beteiligten genutzt sowie eine Zusammenarbeit der Verantwortlichen gesichert werden.
Wichtig scheint zum Schluß, noch darauf hinzuweisen, daß der Berufsbildungsausschuß bei der zuständigen Stelle Beschlußfunktion hat und in Fragen der Berufsausbildung an die Stelle der nach geltendem Recht zuständigen Kammervollversammlung tritt. Hier ist eine paritätische Besetzung von Arbeitgebern und Gewerkschaften vorgesehen. Die Berufsschullehrer wirken in diesem Ausschuß beratend mit.
Der Ausschuß hat sich mit Mehrheit dafür ausgesprochen, im Handwerk eine völlig parallele Regelung zu schaffen, und hat demgemäß eine an der geltenden Handwerksordnung orientierte Lösung abgelehnt.
Ich will 'mir in diesem Zusammenhang ersparen, noch zu dem zu schaffenden Institut für Berufsbildungsforschung Ausführungen zu machen. Insoweit verweise ich auch hier auf den Ihnen vorliegenden schriftlichen 'Bericht.
Herr Präsident, ich habe noch zwei Änderungen vorzutragen. Auf Seite 43 muß der § 68 Abs. 2 Satz 2 durch folgenden neuen Satz 2 ersetzt werden:
Die Höhe der Zuschüsse regelt das Haushaltsgesetz.
Diese Änderung des Gesetzes hat der Ausschuß für Arbeit in seiner 95. Sitzung beschlossen. Damit hat er der Empfehlung des mitberatenden Haushaltsausschusses entsprochen. Dieser hatte in seiner Stellungnahme vom 10. Juli Wert darauf gelegt, daß im Plenum festgestellt wird, daß die Mittel für das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung den haushaltsrechtlichen Vorschriften entsprechend nur an einer Stelle, und zwar im Einzelplan des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, veranschlagt werden. Die gemeinsame Verantwortung des Bundesministers für Wirtschaft und des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung entsprechend § 68 Abs. 3 bleibt unberührt.
Eine weitere Änderung muß auf Seite 57 vorgenommen werden. Dort muß es lin § 105 richtig lauten:
Artikel 69 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom ... ({0}) wird wie folgt geändert:.. .
Diese Änderung ergibt sich aus der zwischenzeitlich erfolgten Neunumerierung des Gesetzes in der Bundesrats-Drucksache 257/69.
Bevor ich meinen Bericht abschließe, möchte ich Gelegenheit nehmen, den Mitgliedern dies Unterausschusses und den Damen und Herren des Ausschusses Dank zu sagen für die mühevolle Arbeit, die sie im Laufe der letzten Wochen geleistet haben. Trotz vieler sachlicher Gegensätze ist es uns gelungen, sicher nach oft langen Diskussionen, Kompromißentscheidungen zu finden - ich möchte hinzufügen: gute Kompromißentscheidungen -, die von der Mehrheit des Ausschusses getragen werden konnten.
Dank sagen möchte ich auch den Damen und Herren der Regierung und des Sekretariats des Ausschusses für Arbeit, die eine Fülle von Arbeit leisten mußten, damit der Ausschuß dieses Gesetzeswerk noch rechtzeitig vor Abschluß dieser Legislaturperiode vorlegen konnte.
Meine Damen und Herren, ich darf im Namen des Ausschusses bitten, diese Gesetzesvorlage anzunehmen.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Die Berichtigungen werden zur Grundlage der Beratung gemacht.
Das Wort hat der andere Berichterstatter, Herr Abgeordneter Diebäcker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sehr verehrte Herr Kollege Wolf hat schon die Wiese abgemäht, auf der ich noch als Mitberichterstatter grasen wollte. Ich brauche also nur ganz wenige Sätze in Ergänzung dieses Berichts zu sagen.
Zum Verständnis des Gesetzes ist es, glaube ich, wichtig zu wissen, daß der Ausschuß bei seiner Arbeit nicht unbeachtet lassen konnte, was es auf dem Gebiete der Berufsausbildung bereits gibt. Er konnte also nicht „auf der grünen Wiese" planen. Wir haben es mit einer handwerklichen Berufsausbildung zu tun, die über eine lange Tradition verfügt und die eine gesetzliche Grundlage hat, die noch gar nicht einmal so alt ist. Wir haben es weiter mit einer Berufsausbildung in der übrigen Wirtschaft zu tun, die ohne Gesetz und Verordnung aus freier Initiative der Beteiligten entstanden ist und heute in anderen Ländern oftmals als Muster und Beispiel genommen wird. Der Ausschuß mußte also prüfen, was gut ist, und Ergänzungen ansetzen, wo etwas ihm nicht in Ordnung erschien.
Für das Verständnis des Gesetzes ist es auch wichtig, daß der Ausschuß bei allen seinen Überlegungen vom dualen Ausbildungssystem ausgegangen ist, einem Ausbildungssystem also, daß durch ein Zusammenwirken von betrieblicher und schulischer Ausbildung gekennzeichnet ist. Er hat die Fragen der betrieblichen Ausbildung geregelt. Über die schulischen Dinge konnte er sich nicht verbreiten, da sich dieses Gebiet aus Verfassungsgründen einer Regelung durch Bundesgesetz entzieht.
Neben diesem Grundsatz der dualen Ausbildung, der die Verhandlungen des Ausschusses immer beherrscht hat, ist festzustellen, daß dieses Gesetz nur ein Rahmengesetz sein soll. Es konnte also nicht alles bis ins letzte geregelt werden. Das zeigt sich vor allen Dingen bei den Bestimmungen über die Fortbildung und Umschulung. Das sind ja sehr komplexe Gebiete, die sich einer Regelung im Detail entziehen. Es wäre auch sehr schade, wenn man hier eine 'Regelung bis ins kleinste vornähme. Das würde zweifellos die freie Initiative hemmen, die wir ja gerade bei den Organisationen, bei den Beteiligten in diesem Punkt der Fortbildung und Umschulung brauchen.
Ein sehr wichtiger Punkt des Gesetzes, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, ist die Frage der Stufenausbildung, eine sehr moderne Ausbildungsform, die ausgeht von einer breiten Grundausbildung mit darauf aufbauender Spezialisierung. Diese Stufenausbildung ist in das Gesetz einbezogen. Der Ausschuß meint, daß das ein Zeichen für die Modernität dieses Gesetzes sei. Hier hat man keineswegs einen bestimmten Ausbildungsweg zementiert; dort, wo es richtig ist, kann eben die Stufenausbildung praktiziert werden. Mit anderen Worten: das Gesetz ist offen für moderne Entwicklung. So muß es bei der Dynamik, die in der Berufsausbildung steckt, ja auch wohl sein. Der Ausschuß hat bei seinen Beratungen immer Wert darauf gelegt, daß diese Dynamik nicht abgebremst wird. Daher sind keine starren Formen vorgesehen.
Der Ausschuß hat sich - ich glaube, auch das sollte man noch sagen, und ich sage es in Ergänzung der Ausführungen des Kollegen Wolf und sie ganz besonders unterstreichend - sehr schwer getan hinsichtlich der Bestimmungen über die verschiedenen Ausschüsse, die das Gesetz vorsieht. Insbesondere ist lange über die Aufgaben beraten worden, die der „Ausschuß der zuständigen Stelle" - sprich: Ausschuß der Kammer - haben soll. Es ist festgelegt worden, daß alles das, was an Rechtsvorschriften, an statutarischem Recht zu erlassen ist, durch den Ausschuß der zuständigen Stelle, daß heißt, durch den Kammerausschuß, erlassen werden soll, und zwar mit bindender Kraft. Mit anderen Worten - ich glaube, das muß man im Hinblick auf die Dinge, die von draußen hier so ins Haus flattern, sagen -: dieser Ausschuß ist keine Farce, sondern hat echte Beschlußaufgaben. Die Beschlüsse werden in einem paritätischen Gremium Unternehmer/Arbeitnehmer gefaßt. Die Lehrer haben dort, wie eben gesagt, beratende Stimme. Das entspricht auch den Empfehlungen des Bildungsrates zu diesem Punkt. Der Ausschuß war der Auffassung, daß bei diesem Kammerausschuß nicht etwa eine Mitbestimmung durch die Hintertür für die Kammern eingeführt werden sollte. Er war der Meinung, daß die Berufsausbildung kein Experimentierfeld für gesellschaftspolitische Vorstellungen sein sollte. In diesem Gesetz hat nun einmal die Berufsausbildung den Vorrang.
Sehr kompliziert geregelt, aber nach meinem Dafürhalten recht vernünftig geregelt ist die Frage der verschiedensten Zuständigkeiten. Ich darf insofern auf den Bericht verweisen.
Zu diesem Gesetz gibt es Demonstrationen der verschiedensten Art. Der einen Seite geht dieses Gesetz nicht weit genug, der anderen Seite erscheint das Ganze eine zu weitgehende Lösung zu sein. Der Ausschuß meint, daß das ein Zeichen dafür ist, daß hier ein echter Kompromiß, eine mittlere Linie gefunden worden ist und daß diese Frage nicht durch einen gesetzgeberischen Kraftakt erledigt werden kann. Nicht ein starrer Befehl des Gesetzgebers kann helfen, sondern die beteiligten Gruppen, die Unternehmer und Arbeitnehmer, müssen in guter Atmosphäre zusammenarbeiten, sonst leidet die Berufsausbildung.
13120 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 236. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den H. Juni 1969
Der Ausschuß konnte überhaupt nur gewisse organisatorische Regelungen treffen. Ob die Berufsausbildung verbessert wird, hängt letzten Endes von dem guten Willen, dem Pflichtgefühl und der Einsatzbereitschaft der Ausbildenden und der Auszubildenden ab; ich benutze hier die Ausdrücke des Gesetzes. Wenn dieser gute Wille, das Pflichtgefühl und die Einsatzbereitschaft gegeben sind, dann, aber auch nur dann, kann das Gesetz seine segensreichen Wirkungen entfalten.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter, der offenbar auf der Wiese doch noch etwas zum Abgrasen gefunden hat.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun in zweiter Beratung die §§ 1 bis 6 auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wird das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Orgaß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In § 2 ist der Geltungbereich abgegrenzt, und wir erkennen, daß 'die deutsche Seeschiffahrt mit diesem Gesetz nicht erfaßt wird. Der Berichterstatter hat in seiner mündlichen Berichterstattung schon darauf hingewiesen, daß nach § 142 des Seemannsgesetzes aus dem Jahre 1957 der Bundesverkehrsminister ermächtigt ist, entsprechende Richtlinien zu erlassen. Ich meine, wir sollten den Bundesverkehrsminister hier im Parlament sehr nachdrücklich darauf hinweisen, daß diese Verordnung für diesen für uns wichtigen Zweig endlich erlassen werden sollte.
Ist hiermit ein Antrag gestellt worden?
Nein.
Dann kann ich gemeinsam über die sechs Paragraphen abstimmen lassen, falls nicht noch das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.
Wer den §§ 1 bis 6 zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 7 und dem Antrag der SPD auf Umdruck 685 *). Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Kohlberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich außer diesem Änderungsantrag auch die drei Entschließungsanträge begründen.
Der Antrag Umdruck 685 befaßt sich mit der Teilnahme Jugendlicher, aber auch Auszubildender jeden Alters an Veranstaltungen der Jugendförderung, der Jugendbewegung, der Gewerkschaft, der Kirchen und solchen Einrichtungen, die der Aus-und Fortbildung dienen. Wir meinen, daß jeder
*) Siehe Anlage 9
über seine Freizeit selbst verfügen muß. Da die Verwendung der Freizeit zur Teilnahme an den genannten Veranstaltungen besonders wichtig und förderlich ist, messen wir dem Behinderungsverbot ausschlaggebende Bedeutung bei. Sowohl dieses Gesetz als auch das bereits beratene Arbeitsförderungsgesetz sind bestrebt, Bildungsveranstaltungen außerordentlich populär zu machen, um die so notwendige Mobilität jedes einzelnen zu fördern. Wir alle wissen, daß besondere Gefahren für die Jugendlichen gegeben sind, wenn sie durch eine Beschäftigung von der Teilnahme solcher Veranstaltungen abgehalten werden.
Der Antrag auf Umdruck 685 bezweckt nun die Übernahme des § 15 des Berufsbildungsgesetzes von Berlin. Weil dieses Gesetz auch in Berlin gelten soll und gelten wird, würde in Berlin ohne diese Regelung eine echte Verschlechterung gegenüber dem jetzigen Zustand eintreten. Wir haben ja in § 7 nur festgelegt, daß die Freizeit zum Besuch der Schule oder auch für den Weg dorthin gegeben werden soll. Obwohl auch der Ausschuß darüber hinausgegangen ist, daß der Jugendliche nur an Veranstaltungen teilnehmen kann, die im Rahmen des Berufsschulunterrichts oder außerhalb der eigentlichen Unterrichtszeit durchgeführt werden, deckt doch diese Fassung des § 7 keineswegs das ab, was wir mit diesem Antrag beabsichtigen. Ich bitte, daß Sie ihm zustimmen.
Ich darf dazu noch sagen, daß der § 15 des Berliner Berufsausbildungsgesetzes seit 1951 praktiziert wird und daß er nicht durch eine Vielzahl von Veranstaltungen und die Herausnahme von vielen Jugendlichen innerhalb der Arbeitszeit überbeansprucht wurde. Nach unseren Erhebungen hat es sich in Berlin jährlich um ungefähr 500 Jugendliche gehandelt. Ich glaube, insofern läßt sich eine solche gesetzliche Regelung gegenüber der Arbeitgeberseite verantworten.
Der Entschließungsantrag meiner Fraktion auf Umdruck 687 befaßt sich mit dem Sitz des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung, das wir in § 60 vorgesehen haben. Wir sind der Auffassung und empfehlen und bitten um Zustimmung, daß der Sitz des Instituts nach Berlin gelegt wird, weil in Berlin vielfältige Bildungseinrichtungen wie Universitäten. Fachschulen, einschlägige wissenschaftliche Institute und fachlich gegliederte Berufsfach- und Berufsschulen neben einer großen Anzahl qualifizierter betrieblicher und überbetrieblicher Ausbildungsstätten unterhalten werden; ich denke hier nur an die Max-Planck-Gesellschaft, an das Pädagogische Zentrum, an Ingenieurschulen, an Fachschulen für Optik und ähnliches. Berlin wäre also der rechte Platz für dieses Institut, und ich bitte, daß Sie diesem Entschließungsantrag in der dritten Lesung zustimmen.
Darüber hinaus möchte ich ganz kurz den Antrag auf Umdruck 686 begründen. Er fordert die Bundesregierung auf, die Einheitlichkeit des Berufsbildungsrechts beim Erlaß der Ausbildungsordnung nach dem Achten Teil § 25 Abs. 1 zu gewährleisten sowie die Anlage A zur Handwerksordnung in der nächsten Wahlperiode neu zu fassen und dabei die
Erkenntnisse der Berufsbildungsforschung und des Rates des Bundesausschusses für Berufsbildung zu berücksichtigen. Die beiden Berichterstatter haben vorhin schon angeführt, daß es nicht immer leicht war, Lösungen zu finden, die den Wünschen aller gerecht werden. Uns hat insbesondere die Frage der handwerklichen Berufsbildung während der Beratungen des Berufsbildungsgesetzes immer wieder zu langen und kontroversen Diskussionen geführt. Eine von unserer Fraktion immer wieder mit erhobene Forderung war die Einbeziehung des Handwerks in das Berufsbildungsgesetz. Hinter dieser Forderung stand der dringende Wunsch, keinen Unterschied der Berufsausbildung im Handwerk und den übrigen Bereichen der gewerblichen Wirtschaft zuzulassen. Wir meinten, es dürfe nicht geschehen, daß einzelne Berufsgruppen oder einzelne Berufe - wie der des Schlossers - im Handwerk eine andere Ausbildung haben als in der Industrie und daß durch diese andersartige Ausbildung seine Einsatzfähigkeit und seine Mobilität eingeschränkt wird.
Wir hielten uns bei unseren Aussagen insbesondere an den Beschluß des Bundestages anläßlich der Verabschiedung des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks. Damals war hier festgestellt worden, daß der Bundestag nicht beabsichtigt, einer umfassenden gesetzlichen Regelung der Berufsausbildung vorzugreifen; es hieß wörtlich
Er sieht in den genannten Änderungen einen Schritt auf dem Wege zu einer umfassenden gesetzlichen Regelung. Die umfassende gesetzliche Regelung der Berufsbildung muß alle Bereiche der Wirtschaft umfassen, um so der gesamten Volkswirtschaft die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten. In einer solchen umfassenden Regelung ist den Bedürfnissen des Auszubildenden insoweit Rechnung zu tragen, als er gegenüber den aus der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung sich ergebenden strukturellen Veränderungen anpassungsfähiger gemacht wird.
Als dritter Punkt wurde damals festgehalten, daß die gesetzliche Regelung der Berufsausbildung den technisch-wirtschaftlichen Notwendigkeiten und ihrer erkennbaren Entwicklung entsprechen sollte.
Es ist deshalb ein Kompromiß zustande gekommen, der das gesamte Vertragsrecht ersatzlos aus der Handwerksordnung herausnimmt und nur die sogenannten Ordnungsvorschriften in der gleichen Fassung, wie sie im dritten Teil des Berufsbildungsgesetzes enthalten sind, in der Handwerksordnung beläßt. Im übrigen gilt also das Berufsbildungsgesetz unmittelbar auch im Handwerk.
Besonders ist noch hervorzuheben, daß es uns trotz größter Widerstände gelungen ist, die Berufsbildungsausschüsse der Handwerkskammern in gleicher Weise wie bei den Industrie- und Handelskammern zu regeln und dadurch den Einfluß der Gewerkschaften bei der Besetzung der Ausschüsse zu sichern sowie die unmittelbare Beschlußfunktion dieser paritätisch besetzten Ausschüsse durchzusetzen. Ich hoffe, daß das auch durch den Antrag, der heute von einer Gruppe der CDU/CSU gestellt ist, nicht geändert wird.
Ich möchte zusammenfassend feststellen, daß die Regelung der Berufsausbildung in Handwerk und Industrie materiell gleich ist und sich nur dadurch in zwei Teile trennt, daß sie in zwei Gesetzen verankert ist. Sicher werden viele nicht verstehen können, daß zwei Bleichlautende Regelungen in zwei Gesetzen im Grunde denselben Gegenstand regeln müssen, und es ist durchaus richtig, daß dies nicht der Normalzustand guter Gesetzesarbeit ist. Da für die Regelungen in Handwerk und Industrie die gleichen Bundesministerien zuständig sind und da das gleiche Forschungsinstitut die Unterlagen für die durch Rechtsverordnung zu treffenden Entscheidungen liefert, ist von einer übereinstimmenden, sachlich orientierten Entwicklung in Industrie und Handwerk auszugehen.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie erstens bitten, einen Blick auf die Uhr zu werfen, und Sie zweitens an § 37 der Geschäftsordnung erinnern, nach dem die Redner grundsätzlich in freiem Vortrag sprechen und nicht ablesen.
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Der Beginn aller Parlamentsreform ist die freie Rede.
Wir möchten, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesem Antrag erreichen, daß für die nächste Legislaturperiode eine umfassend überarbeitete Regelung der Anlage A zur Handwerksordnung vorgenommen wird, wodurch dieses Verzeichnis den Bedürfnissen der modernen Wirtschaft und Technik angepaßt wird. Bei diesen Beratungen wird dann ausreichend Gelegenheit sein, alle gegen die heutige Abgrenzungen der einzelnen handwerklichen Ausbildungsberufe geltend gemachten Einwendungen zu prüfen und die daraus notwendigen Folgerungen zu ziehen. Ich bitte Sie aus diesem Grunde, den Antrag anzunehmen.
Ich möchte gleichzeitig den Entschließungsantrag Umdruck 686 begründen, nach dem eine Kommission von unabhängigen Sachverständigen gebildet werden soll, die den Auftrag haben, die Kosten und die Finanzierung der beruflichen Bildung in der Bundesrepublik für die verschiedenen Berufe und Wirtschaftszweige zu untersuchen. Insbesondere sollte die Bundesregierung zu den Vorschlägen für neue Finanzierungsformen der Berufsausbildung Stellung nehmen, wobei dann auch festzustellen wäre, wie den Nachteilen der einzelnen beruflichen Bildungsfinanzierungen begegnet werden könnte.
Wir wissen, daß es während der Rezession bei der Finanzierung der Berufsausbildung Wettbewerbsverzerrungen gegeben hat und daß einzelne Betriebe erhebliche Unkosten für die gesamte Ausbildung in der Industrie haben. An Einzelbeispielen ist festzustellen, daß pro Lehrplatz und Lehrzeit bis zu 15 000 DM zusätzlich gezahlt werden müssen. Große Teile der Industrie haben also besondere Belastungen zu tragen. In anderen Wirtschaftszweigen muß die Jugend die durch die Ausbildung entstehenden finanziellen Belastungen übernehmen.
Ich möchte Sie bitten, auch diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben, damit eine Untersuchung der finanziellen Belastungen durchgeführt werden kann.
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Meine Damen und Herren, wird zu § 7 - Umdruck 685 - noch das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Freiwald!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte namens der CDU/CSU-Fraktion, diesen Antrag der SPD zu § 7 abzulehnen. Der erste Absatz ist sowieso kaum verständlich. Hier ist davon die Rede, daß die Freizeit nicht beschränkt und den einzelnen Auszubildenden die Teilnahme an Veranstaltungen möglich gemacht werden soll, und zwar während der Freizeit. Auch die Gottesdienste sind bei dieser Gelegenheit erwähnt, Veranstaltungen, die im allgemeinen sonntags stattfinden. Der erste Absatz bleibt also, wie gesagt, etwas unverständlich. Er wird erst begreiflich, wenn man den Absatz 2, den vorgesehenen neuen Absatz 3, mit ins Kalkül einbezieht. Hier handelt es sich im wesentlichen darum, daß ohne Einkommensminderung im Jahr bis zu 10 Arbeitstage Freizeit gewährt werden sollen, damit man an solchen Veranstaltungen teilnehmen kann. Meine Damen und Herren, das ist im Grunde genommen für uns, die wir im Ausschuß für Arbeit tätig sind, nichts Neues. Es ist eine Forderung, die im Zusammenhang mit der Forderung nach Bildungsurlaub steht. Wir sollten uns später einmal damit beschäftigen.
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Wird zu § 7 und zum Antrag auf Umdruck 685 noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich darüber abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 685 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Vorstand ist sich nicht einig. Wir müssen auszählen. -
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Es haben 153 Abgeordnete mit Ja und 165 mit Nein gestimmt; drei haben sich der Stimme enthalten. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse über § 7 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - § 7 ist angenommen.
Ich rufe nunmehr die §§ 8 bis 49 auf. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 50 auf. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 689*) Ziffer 1 vor. Wer begründet ihn? - Herr Abgeordneter Kubitza!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf für die FDP-Fraktion den Änderungsantrag auf Umdruck 689 begründen und, Herr Präsident, um der Verkürzung des Verfahrens zu dienen, gleich die Ziffern 1 und 3 begründen.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf hat neben seiner arbeitsrechtlichen, seiner wirtschaftlichen Bedeutung auch einen bildungspolitischen Akzent, wobei man allerdings feststellen muß, daß in diesem Gesetzentwurf nicht immer den pädagogischen Erfordernissen Rechnung getragen worden ist. Berufsausbildung ist ein Teil des gesamten Bildungsprozesses. Der Gesetzgeber unterstreicht diesen bildungspolitischen Akzent durch die Umbenennung der Berufsausbildung in Berufsbildung.
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In § 1 Abs. 5 des Gesetzentwurfes wird die duale Form der Berufsbildung erneut bekräftigt. Dies macht auch der ganze Tenor des Gesetzentwurfes deutlich. In der dualen Form ist der Lehrer an der Berufsbildung mit mindestens 20 % an der Berufsbildungszeit und in den Berufsschulen mit 100% an der Berufsbildungszeit beteiligt. Es ist völlig unverständlich, daß man einer Personengruppe, die einen solchen Einfluß auf die Berufsbildung hat, lediglich in den Berufsbildungsausschüssen der zuständigen Stellen .ein Beratungsrecht ohne jegliche Einwirkungsmöglichkeit einräumen will. Ich halte das für schizophren. Man kann es den Berufsschullehrern nicht übelnehmen, wenn sie allmählich die Lust verlieren, da sie, wie der Ausschußbericht feststellt, nur mit ihrem Sachverstand zur Geltung kommen sollen, aber keine direkte Mitwirkungsmöglichkeit erhalten sollen.
Unbestreitbar wächst der theoretische Teil in der Berufsbildung ständig. Das wird auch daran deutlich, daß in vielen Ausbildungsberufen die Unterrichtszeit in der Berufsschule ausgedehnt wird. Damit wird aber auch der Verantwortungsbereich des Berufsschullehrers immer bedeutsamer. Er allein kann sachkundige Aussagen über die Erfordernisse dieses Teiles der Berufsbildung machen. Er muß daher auch die Gelegenheit bekommen, seine Sachkenntnisse durch ein Stimmrecht bei den Gremien mit durchsetzen zu können, die über die Berufsausbildung zu befinden haben.
Ich darf Sie bitten, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort hat der Abgeordnete Diebäcker.
Diebäcker ({0}) Siehe Anlage 10
zu sagen. Hier wird gewünscht, daß praktizierende Berufsschullehrer -an den Beratungen des Bundesausschusses teilnehmen. In dem Ausschußbeschluß heißt es, daß Beauftragte, die in Fragen des berufsbildenden Schulwesens sachverständig sind, teilnehmen sollen. Ich glaube, man muß doch folgendes bedenken. Die Beauftragten der Länder, um die es sich hier handelt, werden auf Vorschlag des Bundesrates benannt. Wir können doch nicht hergehen und dem Bundesrat so weitgehende Anweisungen geben, wen er im einzelnen in diesen Ausschuß zu schicken hat. Ich glaube, das Vertrauen dürfen wir in den Bundesrat haben, daß er hier sachkundige Leute schickt, und das ist doch schließlich das Entscheidende. Es kommt doch dann nicht darauf an, daß es sich ausgerechnet um praktizierende Berufsschullehrer handelt. Die Hauptsache ist doch, daß man die Sachkunde im beruflichen Schulwesen hat. Wir bitten deswegen, Ziffer 1 abzulehnen.
Wir bitten aber auch darum, daß Ziffer 3 abgelehnt werden möge. In dem Ausschußbeschluß heißt es, daß dem jeweiligen Kammerausschuß Lehrer mitberatender Stimme angehören sollen. Meine Damen und Herren, ich führte eben in anderem Zusammenhang schon aus, daß das auch eine Empfehlung ist, die der Bildungsrat gegeben hat. Bei dem Kammerausschuß handelt es sich in erster Linie um betriebliche Berufsausbildungsfragen. Das sollte in der Tat von Unternehmern und Arbeitnehmern geregelt werden. So hat jedenfalls der Ausschuß seinerzeit votiert. Ich wäre also dankbar, wenn auch Ziffer 3 der Ablehnung verfallen würde.
Wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 689 Ziffer 1. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe bitte! - Das letztere ist die große Mehrheit; diese Ziffer des Antrags ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 50 selbst. Wer § 50 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen: - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 50 ist mit großer Mehrheit angenommen.
Zu den §§ 51, 52 und 53 liegen keine Änderungsanträge vor. Dann kommen wir gleich zur Abstimmung darüber. Wer diesen aufgerufenen Paragraphen zustimmen will, den 'bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zum Zweiten Abschnitt mit den §§ 54 und 55. Der Änderungsantrag Umdruck 689 Ziffer 2 schlägt Streichung der §§ 54 und 55 vor. Ich schlage vor, daß wir auch hier positiv abstimmen, also nicht über den Streichungsantrag, sondern über die vorliegenden Paragraphen. - Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die §§ 54 und 55 beinhalten die Errichtung von Landesausschüssen. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß es bei der Zielsetzung des Gesetzes, die im Schriftlichen Bericht ausdrücklich als eine umfassende und bundeseinheitliche Grundlage für die berufliche Bildung, Berufsausbildung, berufliche Fortbildung und berufliche Umschulung angesprochen wird, und bei dem Ziel des Gesetzes, das Berufsschulwesen zur Vermeidung der Zersplitterung stärker zu koordinieren, ein Fehler ist, zwischen dem Bundesausschuß, den zuständigen Bundesministerien, den Kammern und den sonstigen für die Berufsausbildung zuständigen Institutionen noch einmal Landesausschüsse in elffacher Form zwischenzuschalten, die zweifellos wieder zu einer Zersplitterung, führen und darüber hinaus gegenüber den zuständigen Stellen, sprich: den Kammern, eine gewisse Aufsichtsfunktion oder Richtlinienkompetenz ausüben können.
Wir sind der Auffassung, daß diese Landesausschüsse im Gesetz nicht notwendig sind. Deshalb sind wir für Streichung der §§ 54 und 55.
Das Wort hat der Abgeordnete Liehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wegen der vorgeschrittenen Zeit möchte ich nicht der Versuchung unterliegen, einen Teil der Ausschußberatungen nachzuholen. Ich möchte nur sagen, daß sich der Ausschuß sehr gründlich und eingehend mit der Notwendigkeit der Errichtung eines solchen Landesausschusses befaßt hat. Ich bitte Sie deshalb, den Antrag der FDP abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar stimmen wir - wie üblich - über den Streichungsantrag positiv ab. Aufgerufen sind die §§ 54 und 55, die beide von dem Antrag der FDP-Fraktion betroffen werden. Wer diesen beiden aufgerufenen Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Streichung ist bei einer Enthaltung abgelehnt die beiden Paragraphen bleiben also bestehen.
Ich rufe § 56 auf. Wie ich höre, ist der Änderungsantrag auf Umdruck 689 bereits von Herrn Kubitza begründet worden. Ist das richtig?
({0}) Das Wort dazu wird nicht weiter verlangt.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen ab über den Änderungsantrag auf Umdruck 689. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen über den § 56 selbst ab. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Anzahl Enthaltungen ist der § 56 mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 57 auf. Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. Wir stimmen ab. Wer stimmt dem
Vizepräsident Schoettle
§ 57 zu? - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Soweit ich sehe, ist das einstimmig; § 57 ist angenommen.
Zu § 58 liegt wieder ein Änderungsantrag auf Umdruck 689 vor. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({1}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Zusammenhang mit diesem Änderungsantrag der FDP bedaure ich wirklich die späte Stunde, weil es sich hier um einen der wenigen Punkte im Gesetz handelt, wo zweifellos im Hohen Hause, nicht nur zwischen der FDP und der Koalition, sondern auch zwischen den anderen Fraktionen, unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, ob die Vorschrift in dieser Form in das Gesetz gehört.
Denn wir Freien Demokraten - das darf ich in diesem Zusammenhang sagen - stehen weitgehend hinter dem Gesetz; wir werden in der dritten Lesung noch einiges dazu sagen. Aber wir halten die Formulierung des neuen § 58 für sehr gefährlich, nicht allein wegen der neuen Konstruktion und der dabei nun einmal sich ergebenden Tatsache, daß ein Unterausschuß, wenn man es mal so nehmen will, der eine sehr große Bedeutung hat - das ist gar keine Frage -, nämlich der Berufsbildungsausschuß, bei den zuständigen Stellen eine Vollmacht erhalten hat, die dem gesamten Selbstverwaltungsprinzip - in dem Fall bei den Kammern; aber man kann es auch auf andere Bereiche ausdehnen - sehr gefährlich werden könnte.
Wir halten es nicht für vertretbar, daß der Berufsbildungsausschuß nur in gewissen Haushaltsfragen für das laufende und das folgende Haushaltsjahr etwas gebremst werden, ansonsten aber mit seinen Beschlüssen über die Vollversammlung, die nun einmal als Selbstverwaltungsorgan verankert ist, hinwegregieren, hinwegbeschließen kann. Wir halten das vom Grundsätzlichen her für eine Lösung, die das Selbstverwaltungssystem insgesamt, wie wir es in vielen Bereichen bei uns haben, in Gefahr bringen könnte. Wir glauben nicht, daß damit ein guter Weg beschritten wird. Wir sind der Auffassung, daß die ganzen Maßnahmen des Gesetzes, daß alle die Richtlinien, die vom Bundesausschuß und durch weitere Gesetzesmaßnahmen auch vom Berufsbildungsausschuß auf die Kammern zukommen werden, zweifellos zu guten Beschlüssen des Berufsbildungsausschusses führen werden. Die Vollversammlung der Kammer wird sich vernünftigen Beschlüssen nicht widersetzen. Aber es ist notwendig, die Legitimität der Vollversammlung innerhalb des Selbstverwaltungsorgans und der Selbstverwaltung zu erhalten. Diese Legitimität ist angeknackst, wenn wir § 58 in dieser Form annehmen. Deshalb unser Änderungsantrag, dessen wesentlichster Satz lautet: „Die Beschlüsse des Berufsbildungsausschusses bedürfen der Zustimmung der Vollversammlung der zuständigen Stellen."
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen - ich weiß, daß es hier kontroverse Meinungen innerhalb des Hauses, nicht nur von unserer Fraktion her
gegenüber den beiden anderen Fraktionen, gibt -, daß hier ein Weg beschritten wird, der eines Tages die Selbstverwaltungsorgane bei uns sehr in Gefahr bringen kann. Ob das der Wille des gesamten Hauses oder zumindest der beiden Regierungsfraktionen sein kann, weiß ich nicht. Wir jedenfalls bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen beantrage ich, den Antrag abzulehnen. Meine Damen und Herren, hier ist einer der neuralgischen Punkte des Gesetzes angesprochen. Wir haben uns über diese Frage im Ausschuß, im Unterausschuß „Berufsbildung" und später auch im Ausschuß für Arbeit sehr lange und sehr heftig gestritten. Was nun in der Ausschußvorlage steht, ist das Ergebnis eines mühsam zustande gekommenen Kompromisses. Wer die Zeitungen in den letzten Wochen aufmerksam verfolgt hat, wird. gesehen haben, daß insbesondere auch von der Gewerkschaftsjugend gegen dieses Gesetz Einspruch eingelegt wird, teilweise sehr heftig. Ich glaube, man kann diese Kritik auch verstehen, wenn man diesen Antrag liest. Hier ist ein Versuch, die Arbeitnehmerschaft lin der Berufsausbildung mitbestimmen zu lassen, ohne daß dieser Berufsbildungsausschuß zu einem Unterausschuß der Vollversammlung der jeweiligen Kammer gemacht wird. Wir haben einen neuen Weg gefunden. Er ist rechtlich haltbar. Ich bitte Sie sehr herzlich, um nicht den gesamten Kompromiß in dieser Frage zu gefährden, den Antrag der Fraktion der FDP abzulehnen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich mich noch einmal zum Wort melden muß. Aber, Herr Kollege Müller, Sie haben unserem Antrag unterstellt, daß er zur Verschärfung von Fragen, die Sie eben angeschnitten haben und von denen wir heute ein kleines Beispiel erlebt haben, beitragen könnte.
({0})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Müller ({1}), solche Dinge lasse ich nicht gerne im Raum stehen. Ich möchte noch einmal ganz klar feststellen - und ich glaube, die Kollegen, die mit mir im Unterausschuß waren, wissen es genau -, wie ich zu den Fragen der Berufsausbildung stehe. Das wird auch in der dritten Lesung noch deutlich werden.
Aber hier ist eine Frage, über die wir eben entscheiden müssen. Es ist die Frage, ob ein Unterausschuß einfach über ein Selbstverwaltungsvollorgan hinwegregieren kann. Das ist eine Frage des Grundsatzes. Es ist doch nicht so, Herr Kollege MülSchmidt ({2})
ler, daß die Arbeitnehmer nicht mitbestimmen können. Der Ausschuß ist doch paritätisch besetzt.
({3})
- Also, Herr Kollege, wir 'sind hier im Plenum, und es geht hier um gravierende Dinge. Es muß vielleicht deutlicher gemacht werden, wenn man hier versucht, die Dinge zu verdrehen. Es ist doch nicht so, daß wir die Mitbestimmung -
({4})
- Herr Kollege Wolf, das hätten Sie lieber nicht sagen sollen. Ich will jetzt nicht darauf antworten; aber ich werde dazu öffentlich Stellung nehmen. Ich will nicht von dieser Seite her antworten. Fragen Sie Ihren Nachbarn, den Kollegen Liehr, wie die Dinge waren! Man sollte hier wirklich bei der Realität bleiben.
Meine Damen und Herren, ich stelle noch einmal fest: die Mitbestimmung wird hier nicht eingeschränkt. Sie ist im Gesetz in dem Ausschuß vorgesehen. Um was es geht, ist die Grundsatzfrage, ob man einem Ausschuß Vollmacht über die Vollversammlung eines Selbstverwaltungsorgans gibt. Darum geht es und um nichts anderes. Deshalb unser Antrag aus der Sorge, daß hier Probleme für das ganze Selbstverwaltungsprinzip auftauchen könnten.
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 689 Ziffer 4. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das letzte war die große Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen über § 58 selbst ab. Wer dem § 58 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! Enthaltungen? - Keine Enthaltungen, soweit ich sehe. Der Paragraph ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe die §§ 59 und 60 auf. Hier liegen weder Wortmeldungen noch Änderungsanträge vor. Wer den aufgerufenen Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Paragraphen sind ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 61 auf. Dazu hat das Wort Herr Abgeordneter Horstmeier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In § 61 werden die Verbände aufgezählt, die Mitglieder des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung sein sollen. Bei dieser Aufzählung fehlt der Bereich der Landwirtschaft. In dieser Aufzählung hätte nämlich der Zentralausschuß der deutschen Landwirtschaft vertreten sein müssen, weil sich gerade in dem Bereich der Landwirtschaft die Strukturwandlungen mit
großer Beschleunigung vollzogen haben und die Untersuchungen gerade auch in diesem Bereich stattfinden müssen. Ich stelle fest, daß das ein Versäumnis ist, und habe die Frage an den Herrn Minister - sie ist von dem Berichterstatter schon angedeutet worden -, ob die Mitwirkung über die Fachausschüsse gleichbedeutend ist.
Darüber hinaus richte ich namens meiner agrarpolitischen Kollegen in der Koalition die dringende Bitte an die Regierung, bei der Durchführung dieses Gesetzes dafür Sorge zu tragen, daß auch der Wirtschaftsbereich Landwirtschaft voll Berücksichtigung findet.
({0})
Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Wir stimmen über § 61 ab. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 61 ist ohne Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe die §§ 62 bis 99 auf. Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor.
Wir stimmen über die aufgerufenen Paragraphen ab. Wer ihnen zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Ich rufe den § 100 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 680*) vor. Soll dieser Antrag begründet werden? - Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Antrag sieht eine Änderung der Ausschußbeschlüsse vor, und zwar in einem Punkt, der die Selbstverwaltung des Handwerks in den Handwerkskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts tangiert. Als wir 1953 die Handwerksordnung verabschiedeten - ich sehe den Kollegen Lange -, haben wir für die Zukunft eine Bestimmung mit eingebaut, wonach die Gesellen des Handwerks in der Vollversammlung der Handwerkskammern mit einem Drittel vertreten sind. Diese Gesellen werden nicht von den Meistern, also von den Arbeitgebern, bestimmt, sondern sie werden von den Gesellen des Handwerks gewählt und besetzen damit ein Drittel der Vollversammlung.
Nun sieht der Ausschußbeschluß vor, daß bei den Prüfungsausschüssen die Arbeitnehmervertreter beim Handwerk - sprich: Gesellen - nicht mehr durch die Gesellenvertretung der Handwerkskammern bestimmt, sondern jetzt von den Gewerkschaften und anderen Organisationen vorgeschlagen und benannt werden. Wir sehen darin einen Bruch in der Selbstverwaltung des Handwerks von Meistern und Gesellen, wie es in keiner anderen Organisation bisher geregelt ist.
*) Siehe Anlage 11
Ich bitte daher das Hohe Haus, unseren Änderungsantrag auf Aufrechterhaltung der Selbstverwaltung im Handwerk und Bennung der Mitglieder des Prüfungsausschusses im Bereich der Gesellen wie bisher durch die gewählten Gesellenvertreter der Handwerkskammern anzunehmen.
({0})
Herr Abgeordneter Stücklen, würden Sie Ihren Antrag als ein Ganzes betrachten, weil er sich auf die Handwerksordnung im ganzen bezieht?
Ich würde ihn analog der Bestimmung in § 43 als ein Ganzes betrachten.
Dann können wir über den Antrag im ganzen abstimmen. - Das Wort hat der Abgeordnete Folger.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine sehr geehrten Herren! Der Herr Kollege Stücklen hat soeben selbst deutlich gemacht, um welche Unterschiede es bei dem Antrag geht. Nach den Ausschußbeschlüssen sollen die Arbeitnehmervertreter in die Prüfungskammern auf Vorschlag der im Bereich der Handwerkskammern bestehenden Gewerkschaften und selbstständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung berufen werden. Diese Regelung zieht sich auch noch durch ein paar andere Bestimmungen in der Handwerksordnung hindurch. Nach dem Antrag sollen nicht die Gewerkschaften das Vorschlagsrecht haben, sondern die Gesellenausschüsse bzw. die Gesellenvertreter in der Vollversammlung. Der Herr Kollege Stücklen hat gerade gesagt, es sei ein Bruch, wenn das so gemacht werde, wie es im Ausschuß für Arbeit beschlossen worden ist. Wir sind der Meinung, das Gegenteil ist der Fall. Es ist ein Bruch, wenn für die Handwerkskammern die Sache anders geregelt wird als z. B. für die Industrie- und Handelskammern. Es ist gar nicht einzusehen, warum da noch ein solcher Unterschied gemacht werden muß.
Unter Punkt c heißt es, daß vor einer Beschlußfassung in der Vollversammlung die Stellungnahme des Berufsbildungsausschusses einzuholen ist. Wir wollen, daß der Berufsbildungsausschuß beschliessen kann und daß ein solcher Beschluß nur dann von der Kammer aufgehoben werden kann, wenn er gegen Gesetz und Recht verstößt. Sie wollen den Berufsbildungsausschuß gewissermaßen zum Untertanen der Kammern machen. Die Kammern sollen die Vorgesetzten sein, und die Berufsbildungsausschüsse sollen das tun, was die Kammer haben will. Es heißt dann sogar noch weiter: Die Stellungnahmen und Vorschläge des Berufsbildungsausschusses sind zu begründen. Das hört sich direkt wie ein Befehl des Vorgesetzen an den Untertanen an. Es heißt zwar im nächsten Absatz noch, daß die Vorschläge gelten, falls nicht widersprochen
wird, aber unseres Erachtens ist das sozusagen nur eine weiße Salbe, die da verwendet werden soll.
Meine Damen und Herren Antragsteller, wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen wollten, daß man Arbeits- und Sozialpolitik im Jahre 1969 und in den folgenden Jahren nicht mehr gegen die Gewerkschaften, auch nicht mehr ohne die Gewerkschaften machen kann. Diese Einsicht sollte sich eigentlich schon herumgesprochen haben. Als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich an den Begriff „ewig Gestrige" gedacht. Wir halten die Sache für so wichtig, daß wir namentliche Abstimmung beantragen.
Wollten Sie noch Fragen beantworten?
Bitte!
Herr Kollege Stücklen!
Herr Kollege Folger, sind Sie der Meinung, daß ein Gesetz, das bereits 1953 die Mitbeteiligung - wenn Sie wollen, können Sie auch das Wort Mitbestimmung wählen - in den Handwerkskammern durch die Gesellen vorgesehen hat, ein Gesetz der ewig Gestrigen ist?
({0})
Herr Kollege Stücklen, sind Sie der Meinung, daß es deswegen, weil es 1953 schon in Blickrichtung auf eine Modernisierung und Reformierung des Berufsausbildungsrechts hin so beschlossen worden ist, heute nicht besser gemacht werden kann? Inzwischen ist die Zeit ja weitergegangen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten darf ich erklären, daß wir dem Antrag Stücklen und Genossen unsere Zustimmung geben werden.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir kommen zur namentlichen Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 680, und zwar über den ganzen Antrag. Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abtsimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck 680 bekannt. Insgesamt haben abgestimmt 385 uneingeschränkt stimmberechtigte und 17 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben 192 uneingeschränkt stimmberechtigte und 4 Berliner Abgeordnete gestimmt, mit Nein 187 uneingeschränkt stimmVizepräsident Schoettle
berechtigte und 13 Berliner Abgeordnete. Enthalten haben sich 6 Abgeordnete. Damit hat der Antrag eine Mehrheit der uneingeschränkt stimmberechtigten Abgeordneten erhalten; er ist also angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 379 und 17 Berliner Abgeordnete; davon
Ja: 188 und 4 Berliner Abgeordnete Nein: 185 und 13 Berliner Abgeordnete Enthalten: 6 Abgeordnete
Ja CDU/CSU
Dr. Aigner
Dr. Althammer
Dr. Artzinger
Baier
Balkenhol Dr. Barzel Bauknecht
Dr. Becher ({0}) Becker
Berendsen Dr. Besold Bewerunge Biechele
Blank
Blöcker
Frau Blohm Brand
Bremer
Dr. Brenck Brese
Brück ({1}) Bühler
Burgemeister
Dr. Conring Dr. Czaja Damm
van Delden Dichgans Dr. Dittrich
Dr. Dollinger
Draeger
Ehnes
Dr. Elbrächter
Frau Enseling
Erhard ({2}) Ernesti
Erpenbeck Exner
Falke
Dr. Franz Franzen
Dr. Freiwald Frieler
Fritz ({3})
Dr. Furler
Frau Geisendörfer Geisenhofer
D. Dr. Gerstenmaier Gewandt
Gierenstein Dr. Gleissner
Glüsing ({4}) Dr. Götz
Gottesleben Frau Griesinger
Haase ({5}) Dr. Häfele Häussler Dr. Hammans
Hanz ({6})
Hauser ({7}) Dr. Hauser ({8})
Dr. Hellige
Dr. Hesberg
Hörnemann ({9}) Hösl
Dr. Hofmann ({10})
Frau Holzmeister Horstmeier
Horten
Dr. Hudak Dr. Huys
Frau Jacobi ({11})
Dr. Jungmann
Dr. Kempfler
Dr. Kopf Dr. Krone Krug
Frau Dr. Kuchtner
Kühn ({12}) Kuntscher Lampersbach
Leicht
Lemmrich
Dr. Lenz ({13})
Lenz ({14})
Lenze ({15})
Leukert
Dr. Lindenberg
Dr. Luda Majonica Dr. Martin
Dr. Marx ({16}) Maucher
Meis
Meister Memmel Dr. von Merkatz
Frau Mönikes
Dr. Müller-Hermann
Müser
Niederalt
Dr. von Nordenskjöld
Petersen Picard
Frau Pitz-Savelsberg Porten
Prochazka Rasner
Rawe
Dr. Reinhard
Riedel ({17})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen Dr. Ritz
Rock
Röhner Rösing
Rommerskirchen
Ruf
Prinz zu Sayn-Wittgenstein Hohenstein
Schlager Schlee
Dr. Schmid-Burgk Schmidhuber
Schmitt ({18})
Frau Schroeder ({19}) Schröder ({20}) Schulhoff
Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Sinn Springorum
Stahlberg
Dr. Stark ({21})
Dr. Steinmetz
Stiller
Frau Stommel
Stooß
Storm
Struve
Stücklen Tobaben Unertl
Vogt
Wagner Weigl
Wendelborn
Wieninger
Windelen Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel Ziegler
Berliner Abgeordnete
Dr. Gradl Müller ({22})
Frau Pieser
FDP
Dr. Achenbach
Busse ({23})
Dr. Dahlgrün
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Frau Funcke
Geldner
Freiherr von Gemmingen Genscher
Dr. Imle Jung
Kubitza Logemann Dr. Mende
Mischnick Moersch Peters ({24})
Porsch
Ramms
Saam
Sander
Schmidt ({25}) Spitzmüller
Dr. Staratzke
Wächter Walter
Wurbs
Berliner Abgeordnete Borm
Nein CDU/CSU
Burger Härzschel
Klein Krampe
Mick
Müller ({26})
Orgaß Dr. Preiß
Russe ({27})
Teriete Winkelheide
Zink
SPD
Adams
Ahrens ({28}) ({29}) Frau Albertz
Arendt ({30})
Dr. Arndt ({31})
Auge Bading Bäuerle Baltes Barche Dr. Bardens
Bauer ({32})
Dr. Bayerl
Dr. Bechert ({33}) Behrendt
Bergmann
Berkhan
Berlin Beuster Biermann
Blume Böhm Börner Brück ({34})
Buchstaller
Büttner Buschfort
Collet Cramer Diekmann
Eckerland
Frau Eilers
Frau Dr. Elsner
Dr. Enders
Eschmann
Esters Faller Felder Fellermaier
Feuring
Franke ({35})
Frau Freyh
Fritsch ({36})
Fritz ({37})
Geiger Gerlach
Gertzen
Glombig
Gscheidle
Haage ({38})
Haar ({39})
Haase ({40}) Haehser
Hansing
Hauck Hauffe Herberts
Frau Herklotz
13128 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 236. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 11. Juni 1969
Vizepräsident Schoettle
Hermsdorf
Herold Hirsch
Höhne
Hölzle
Hörauf
Hörmann ({41}) Hofmann ({42})
Frau Dr. Hubert
Hufnagel Dr. Ils
Iven
Jacobi ({43})
Jaschke Jürgensen
Junghans Junker Kaffka
Kahn-Ackermann
Kern
Killat
Frau Kleinert
Dr. Koch
Könen ({44}) Kohlberger
Dr. Kreutzmann Kriedemann
Dr. Kübler
Kulawig Kurlbaum
Frau Kurlbaum-Beyer Lange
Langebeck
Lautenschlager
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Maibaum Marquardt
Marx ({45})
Matthes
Frau Meermann
Dr. Meinecke
Metzger
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Dr. Mommer
Müller ({46})
Dr. Müller ({47}) Müller ({48})
Müller ({49})
Dr. Müthling
Dr. Nann Neemann Nellen
Neumann ({50})
Paul
Peiter
Pöhler Porzner Raffert Dr. Rau Ravens Dr. Reischl
Frau Renger
Richter
Riegel ({51})
Dr. Rinderspacher
Roß
Frau Rudoll
Sänger Saxowski
Frau Schanzenbach Frau Schimschok
Dr. Schmid ({52}) Schmidt ({53}) Dr. Schmidt ({54}) Schmidt ({55})
Dr. Schmidt ({56}) Schmidt ({57}) Schoettle
Schonhofen
Schulte Schwabe
Seibert Seidel Seifriz Seither Frau Seppi
Spillecke
Dr. Stammberger Stephan
Strohmayr
Tallert
Dr. Tamblé
Tönjes Vit
Wehner Welke Welslau
Wendt Westphal
Wiefel Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Wuwer
Zebisch
Berliner Abgeordnete
Bartsch
Frau Berger-Heise Bühling
Frau Krappe
Frau Lösche
Mattick
Neumann ({58})
Dr. Schultz ({59})
Dr. Seume Sieglerschmidt
Urban
Enthalten CDU/CSU
Franke ({60}) Varelmann Wullenhaupt
SPD
Corterier Regling
Meine Damen und Herren! Wir stimmen jetzt über den so geänderten § 100 ab. Darf ich Sie aber zuerst bitten, Platz zu nehmen, da sonst die Fortführung der Sitzung nicht möglich ist.
Wir stimmen über § 100 ab. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen..- Danke! Die
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. § 100 ist angenommen.
Ich rufe die §§ 101 bis 113, Einleitung und Überschrift, auf. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke! Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei drei Enthaltungen und einer Anzahl Gegenstimmen sind die aufgerufenen Paragraphen sowie Einleitung und Überschrift angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der zweiten Beratung dieses Gesetzes.
Zur Geschäftsordnung, der Herr Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der SPD beantrage ich wegen physischer Erschöpfung
({0})
Vertagung der dritten Lesung.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist physisch noch nicht erschöpft.
({0})
Aber ebenso klar ist, daß die Geschäftsordnung auf der Seite des Kollegen Frehsee ist und die dritte Lesung jetzt selbstverständlich nicht stattfinden kann. Ich sehe auch in diesem Augenblick noch keine Möglichkeit, sich, wie das bei der Lohnfortzahlung geschehen ist, jetzt schon darüber zu einigen, ob die dritte Lesung morgen oder übermorgen stattfinden kann,
({1})
weil Fristeinreden gemacht werden können.
Ich möchte aber hier der Hoffnung Ausdruck geben, daß das Haus dieses Gesetz ebenso wie das Lohnfortzahlungsgesetz morgen, spätestens übermorgen, aber viel besser morgen, verabschiedet.
({2})
Meine Damen und Herren, es spricht für den Deutschen Bundestag, daß er um 22 Uhr in einer Besetzung tagt, wie es sonst selten der Fall ist.
({3})
Meine Damen und Herren, ich weiß nur eines. Vor einigen Minuten ist mir während der Beratung mitgeteilt worden, die Fraktionen hätten sich darüber verständigt, daß die Sitzung nach der zweiten Beratung dieses Gesetzes abgebrochen werden solle.
({0}) Wie immer das begründet wird, ist mir einerlei.
({1})
Vizepräsident Schoettle
Jedenfalls stelle ich fest, daß wir am Ende der zweiten Beratung und am Ende dieser Sitzung sind. Über die Frage, wann die dritte Beratung stattfinden soll, muß sich der Ältestenrat einig werden.
({2})
Im übrigen darf ich bekanntgeben, daß die Sitzung des Deutschen Bundestages morgen nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, um 14 Uhr, sondern schon um 13.30 Uhr beginnt, und zwar mit der dritten Beratung des Lohnfortzahlungsgesetzes.
Ich berufe also die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 13.30 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.