Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/14/1969

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei beantrage ich, auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung die Drucksache V/3786 - Jahreswirtschaftsbericht 1969 der Bundesregierung - zu setzen. Die Opposition hat wiederholt versucht, die Behandlung dieser wichtigen Unterlage für unsere gesamtwirtschaftlichen Entscheidungen hier im Bundestag durchzusetzen. Die Regierungsparteien haben das bisher verhindert. Dieser Jahreswirtschaftsbericht 1969 soll nicht nur die Stellungnahme zum Jahresgutachten hier vor dem Parlament ermöglichen, er enthält zugleich die Jahresprojektion der Bundesregierung, nämlich die angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele der Regierung Kiesinger-Brandt und außerdem die Darlegung der für das laufende Jahr geplanten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wenn wir uns in der Vergangenheit früher über diesen Jahreswirtschaftsbericht unterhalten hätten, dann wäre die Bundesregierung nicht so unvorbereitet in die gegenwärtige Situation hineingestolpert, wie das am letzten Freitag der Fall war. ({0}) Die Regierung wird bei der Beratung des Jahreswirtschaftsberichts auch sagen müssen, ob sie angesichts der von ihr nicht vorausgesehenen, wenn auch vorauszusehenden Änderung der Situation von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ein Zusatzgutachten in Auftrag zu geben. Oder, meine Damen und Herren, sollte uns etwa dieses Zusatzgutachten vorenthalten worden sein? Wir erwarten eine Antwort der Regierung. In dem Jahreswirtschaftsbericht heißt es: Für den Fall, daß die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung im Verlaufe des Jahres 1969 erheblich die in der Jahresprojektion dargelegten Werte unterschreitet, wird sie weitere Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage ergreifen. Umgekehrt wird sie im Falle einer Übersteigerung der Nachfrage nicht zögern, rechtzeitig von den Instrumenten des Stabilitätsund Wachstumsgesetzes entsprechend Gebrauch zu machen. Wir wollen hier und heute eine Antwort, in welcher Form diese Regierung das in der Vergangenheit getan hat und in Zukunft tun wird. ({1}) Man muß einmal lesen, was in diesem Bericht noch steht, um zu zeigen, wie dringlich es ist, daß die Regierung heute hier Rechenschaft ablegt. Da heißt es im gleichen Bericht: Die Verwirklichung der in der Jahresprojektion dargelegten Ziele für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Jahre 1969 erfordert, wie bereits erwähnt, eine die Binnenkonjunktur maßvoll stützende Finanz- und Wirtschaftspolitik. Wer die heutige Entwicklung sieht, wer sieht, wie in diesem Jahreswirtschaftsbericht die Bedenken der Sachverständigen in bezug auf das außenwirtschaftliche Gleichgewicht abgetan werden, der weiß, daß dieser Jahreswirtschaftsbericht in Wahrheit ein Dokument des wirtschaftspolitischen Irrtums dieser Regierung ist. ({2}) Wenn Sie nicht bereit sind, heute mit uns über diesen Jahreswirtschaftsbericht zu sprechen, dann machen Sie im Grunde diese Unterlage, die eine wichtige Entscheidungshilfe für das Parlament sein könnte, zu einem theoretischen Papier. Wir wollen nicht, daß weiterhin die deutsche Situation in der internationalen Währungspolitik dadurch entwertet wird, daß Regierungsmitglieder als Vertreter der Regierungskoalition in der Öffentlichkeit durch Zeitungsinterviews und Rundfunkinterviews ihre gegensätzlichen Meinungen austragen. Wir wünschen, daß das Parlament sich aus diesen wichtigen Fragen nicht selbst ausschaltet. Die Entscheidungen gehören in das Parlament zurück. Deshalb unser Antrag, diesen Jahreswirtschaftsbericht auf die Tagesordnung zu setzten. Wir hoffen, daß auch die Bundesregierung bei der Beratung dieses Jahreswirtschaftsberichts zu einer einheitlichen Meinungsbildung kommen wird. Wir lassen keinen Zweifel: wenn wir „Bundesregierung" sagen, so meinen wir alle politischen Kräfte, die sie tragen, und alle diejenigen, die in dieser Bundesregierung Verantwortung tragen. Aus dieser gemeinsamen Verantwortung wird sich niemand herausstehlen können. ({3}) Präsident von Hassel: Herr Kollege Genscher, ich habe den Eindruck, daß Sie die geschäftsordnungsmäßigen Darstellungen, die Sie zu geben hatten, schon kräftig in Richtung auf eine Sachdebatte entwickelt haben. Nur die Höflichkeit meinerseits hat bewirkt, daß ich Ihnen dazu nicht bereits vorher ein Wort gesagt habe. Ich glaube, Sie sind bereits sehr stark in die Sachdebatte eingetreten; das darf mit einem geschäftsordnungsmäßigen Antrag nicht verbunden sein. Meine Damen und Herren, die Geschäftslage ist folgendermaßen: In einer Fußnote zu § 26 unserer Geschäftsordnung heißt es, daß nach einer Vereinbarung im Ältestenrat vom 26. April 1955 jedes Mitglied vor Aufruf des Punktes 1 der gedruckten Tagesordnung Aufsetzung eines Punktes auf die Tagesordnung beantragen kann, wenn keine Einmütigkeit über die Aufsetzung eines Punktes auf die Tagesordnung im Ältestenrat erzielt wurde. Es gibt gewisse Einschränkungen, die dann und dann nicht gelten. Wurde die erwähnte Einmütigkeit nicht erzielt, wird über den Antrag durch Mehrheitsbeschluß entschieden. Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Ravens erbeten.

Karl Ravens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001785, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es steht mir nicht an, eine Wertung zu treffen, aber ich möchte mich der Ihrigen anschließen. Im Namen der Koalitionsfraktionen darf ich dem Geschäftsordnungsantrag widersprechen. Am Freitag hat die Bundesregierung eine Entscheidung getroffen. Diese Entscheidung setzt voraus, daß noch in dieser Woche - darüber werden wir nachher in der Aktuellen Stunde zu beraten haben - eine Reihe weiterer notwendiger Entscheidungen fallen müssen. Ich glaube, daß es richtig und vernünftig ist, der Bundesregierung jetzt die Zeit zu geben, in einem Zusatzgutachten, ausgehend von der neuen gegebenen Situation, ihre Darstellung zu geben. Wir werden dann unverzüglich über dieses neue Zusatzgutachten zu beraten haben. Das scheint mir auch im Sinne des Hauses und im Sinne der deutschen Öffentlichkeit zu sein. Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, zur Geschäftsordnung wird das Wort nicht weiter gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag des Abgeordneten Genscher. Wer für den Antrag des Abgeordneten Genscher ist, Drucksache V/3786 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung zu setzen, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen war das zweite eindeutig die Mehrheit. Die Drucksache V/3786 wird nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Bevor wir in Punkt 1 der Tagesordnung eintreten, darf ich folgende amtlichen Mitteilungen vortragen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden, um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen. - Das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen. Über die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte ist interfraktionell folgende Verständigung erzielt worden. Zunächst werden die Dringlichkeitsfragen aufgerufen; dann folgt die Fragestunde. Am Schluß der Fragestunde wird darüber zu befinden sein, ob sich daraus eine Aktuelle Stunde entwickelt. Sodann folgt die Schlußabstimmung zum Beurkundungsgesetz. Als Punkt 5 der Tagesordnung - falls eine Aktuelle Stunde stattfindet - folgt die 21. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz mit der dazugehörigen Grundgesetzänderung - Punkt 8 der alten Tagesordnung -. Als nächstes folgt die zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder - Punkt 7 der alten Tagesordnung -. Als Punkt 7 der Tagesordnung folgt dann die Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/ CSU betr. verbesserte Familienzusammenführung aus den Ostblockstaaten - alter Tagesordnungspunkt 15 -; als letztes folgt die Beratung der Gesetzentwürfe zu den Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland. Ferner gebe ich bekannt, daß die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gasöl-Verwendungsgesetzes - Landwirtschaft - nach einer interfraktionellen Vereinbarung abgesetzt worden ist. Es handelt sich dabei um Punkt 9 der alten Tagesordnung. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mit Schreiben vom 12. Mai 1969 darum gebeten, dem Haushaltsausschuß den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in der Umgebung von Flughäfen - Drucksache V/355 - sowie den Antrag auf Drucksache V/356 neu wegen der während der Beratungen im Verkehrsausschuß erfahrenen Änderungen - finanzielle Auswirkungen für 1970 etwa 150 Millionen DM, ab 1975 etwa 225 Millionen DM - auch mitberatend zu überweisen. Der Haushaltsausschuß ist bisher gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung bei solchen Fragen, die finanzielle Auswirkungen haben, immer beteiligt worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Zu den in der Fragestunde der 232. Sitzung des Deutschen Bundestages am 9. Mai 1969 gestellten Fragen des Abgeordneten Bäuerle, Drucksache V/4156 Nrn. 107, 108 und 109, ist inzwischen die Präsident von Hassel schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Jahn vom 12. Mai 1969 eingegangen. Sie lautet: Die Bundesregierung hält eine baldige Ratifizierung der am 12. Oktober 1968 in Belgrad unterzeichneten Abkommen über Soziale Sicherheit und über Arbeitslosenversicherung für notwendig. Die gesetzgebenden Körperschaften in Jugoslawien haben den beiden Abkommen am 13. Februar 1969 zugestimmt. Es hängt nunmehr von den deutschen gesetzgebenden Körperschaften ab, wann die beiden Abkommen in Kraft treten können. Die Zustimmungsgesetze zu beiden Abkommen haben am 18. April 1969 den Bundesrat durchlaufen. Der Bundestag hat auf Vorschlag seines Ältestenrats bei der ersten Lesung in der vergangenen Woche beschlossen, das Zustimmungsgesetz zu dem Sozialversicherungsabkommen an den Auswärtigen Ausschuß und den Sozialausschuß und das Zustimmungsgesetz zum Arbeitslosenversicherungsabkommen an den Auswärtigen Ausschuß und den Ausschuß für Arbeit zu verweisen. Das Auswärtige Amt hat die beteiligten Ausschüsse in der vergangenen Woche gebeten, die beiden Zustimmungsgesetze möglichst noch vor der Pfingstpause zu behandeln, um ihre Verabschiedung durch das Plenum des Deutschen Bundestages in 2. und 3. Lesung zu beschleunigen. Zu den in der Fragestunde der 234. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 1969 gestellten Fragen des Abgeordneten Dr. Jahn ({0}), Drucksache V/4183 Nrn. 52 und 53, ist inzwischen die schriftliche Antwort des Staatssekretärs Wittrock vom 13. Mai 1969 eingegangen. Sie lautet: Auf den in der Baulast des Bundes liegenden Bundesstraßen im Raum Braunschweig bestehen zur Zeit noch folgende besondere Engpässe: in der Ortsdurchfahrt Wolfenbüttel im Zuge der B 4, auf der B 248 zwischen Volkmarode und der BAB-Anschlußstelle Braunschweig-Ost, in der Ortsdurchfahrt Lehre im Zuge der B 248, auf der B 490 im Abschnitt zwischen Sukopsmühle und Salzgitter-Osterlinde. Zweifellos bestehen auch Engpässe auf den nicht in der Baulast des Bundes liegenden Straßen ({1}), die nicht zum Aufgabenbereich des Bundes gehören. Wegen der im Raume Braunschweig zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse auf den Bundesstraßen bereits fertiggestellten, in Bau und noch in Planung befindlichen Bauvorhaben verweise ich auf die Beantwortung Ihrer Frage in der 224. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 26. März 1969 ({2}). Die dort aufgeführten Bauvorhaben werden nach ihrer Fertigstellung zu einer nachhaltigen Verbesserung des Verkehrsablaufes sowohl auf den Bundesstraßen als auch auf den Straßen der Städte Braunschweig und Wolfenbüttel führen. Eine wesentliche Beschleunigung der Planung, Bauvorbereitung und Baudurchführung erscheint angesichts der angespannten Personalsituation der Niedersächsischen Straßenbauverwaltung, der im Auftrage des Bundes nach Art. 90 Grundgesetz die Verwaltung der Bundesfernstraßen in Niedersachsen obliegt, nicht möglich. Wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde - Drucksachen V/4191, V/4183 Wir beginnen mit den Dringenden Mündlichen Anfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Genscher auf: Welche marktwirtschaftlichen Mittel beabsichtigt die Bundesregierung einzusetzen, um den Abfluß der ausländischen Spekulationsgelder zu erreichen? Zur Beantwortung hat Herr Bundeswirtschaftsminister Professor Schiller das Wort.

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Präsident, ich bitte um Erlaubnis, die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Genscher wegen ihres engen Sachzusammenhangs zusammen zu beantworten. Präsident von Hassel: Haben Sie Bedenken, Herr Genscher? - Keine Bedenken. Dann rufe ich noch die Frage 2 des Abgeordneten Genscher auf: Welche marktwirtschaftlichen Mittel beabsichtigt die Bundesregierung, um - ohne Veränderung der Kursparität - weiteren übermäßigen Devisenzustrom zu verhindern? Bitte schön, Herr Bundesminister!

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Der Kabinettsausschuß für Wirtschaft hat sich gestern unter Vorsitz des Herrn Bundeskanzlers mit den Möglichkeiten von Bundesregierung und Bundesbank befaßt, wie die Lage an den Devisenmärkten stabilisiert werden kann. Er hat sich im einzelnen auf folgende Vorschläge geeinigt. Erstens. § 16 des Bundesbankgesetzes soll neugefaßt werden. Die Bundesbank soll die Möglichkeit erhalten, den Zufluß von Auslandsgeldern stärker zu belasten. Zu diesem Zweck soll das Instrument der Mindestreserve erweitert werden. Die Bundesbank soll künftig nicht nur für den Zufluß von Auslandsgeldern, sondern auch auf den Gesamtbestand von Auslandsgeldern höhere Mindestreserven verlangen können, jedoch nicht über einen Satz von 100 % hinaus. Zweitens. Es soll überprüft werden, ob durch freiwillige Vereinbarungen der Banken und der Kapitalsammelstellen im Bedarfsfall eine Verteuerung des Devisenhandels eingeführt werden kann, mit dem Ziel, spekulative Zuflüsse durch hohe Bearbeitungsgebühren und Provisionen abzuschrecken. Zu diesem Vorschlag wird der Bundeswirtschaftsminister die Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen und für das Versicherungs- und Bausparwesen um Stellungnahme bitten. Drittens. Die Bundesregierung, so der Vorschlag des Kabinettsausschusses, soll den Fraktionen des Deutschen Bundestages vorschlagen, die Befristung des steuerlichen Absicherungsgesetzes zum 31. März 1970 durch eine Änderung dieses Gesetzes aufzuheben. Der Sinn dieser Maßnahme ist, daß die Bundesregierung frei von Termindruck eine Überprüfung dieses Gesetzes vornehmen kann, wenn es die internationale und nationale Lage angezeigt erscheinen läßt. Viertens. Die Bundesregierung erwägt aus grundsätzlichen Überlegungen keine dirigistischen Maßnahmen im Zahlungsverkehr mit dem Ausland. Eine Verordnung gemäß § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes ist nicht vorgesehen. Ich stelle fest, die marktwirtschaftliche Ordnung wird nicht angetastet. Vorgestern sind 645 Millionen Dollar und gestern 148 Millionen Dollar an Devisen aus der Bundesrepublik abgeflossen. Die Bundesregierung glaubt, daß zur weiteren Beruhigung auch die von den Notenbankgouverneuren am vergangenen Wochenende in Basel beschlossenen Maßnahmen zur Rückschleusung von Spekulationsgeldern beitragen werden.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, unter Unterdrückung der Frage, wo der Vorsitzende des Kabinettsausschusses ist, frage ich Sie: Wann rechnen Sie damit, daß die Maßnahme, die Sie unter 1 genannt haben - Änderung des § 16 -, ein für Sie brauchbares Instrumentarium werden wird?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

§ 16 des Bundesbankgesetzes soll ein verfeinertes Instrument der Bundesbank sein. Das Inkrafttreten hängt von einem Vorschlag der Bundesregierung und von dem Gesetzgebungsverfahren dieses Hauses ab. Sicherlich wird ein solcher neuer § 16 nicht vor dem 1. Juli etwa in Kraft treten können.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, - Präsident von Hassel: Verzeihen Sie, Herr Genscher, das Wort erteile ich. - Zu einer zweiten Zusatzfrage der Abgeordnete Genscher.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, hat die Bundesregierung außer ihrer Hoffnung, daß die abflachende Tendenz des Devisenabflusses sich fortsetzen möge, noch andere Kriterien, die sie berechtigen, anzunehmen, daß sie auf Maßnahmen im jetzigen Zeitpunkt verzichten und auf neue Instrumente - wie Sie sagen: nicht vor dem 1. Juli - warten kann?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Andere Kriterien wurden gestern nicht erörtert. Präsident von Hassel: Eine dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Genscher.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, was die Bundesregierung dann im jetzigen Zeitpunkt tun will, um den Devisenabfluß in größerem Umfang zu bewirken.

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Sie überläßt den Devisenabfluß, wie ich schon andeutete, dem Marktgeschehen und den von den Notenbankgouverneuren am vergangenen Wochenende beschlossenen Maßnahmen sowie dem Ankündigungseffekt des bekannten Regierungsbeschlusses vom 9. Mai. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Genscher.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nach Ihrer letzten Antwort habe ich keine Frage mehr. Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Friderichs.

Dr. Hans Friderichs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000586, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, darf ich aus der Tatsache, daß der beabsichtigte Wegfall der Frist 31. 3. im Falle einer später erfolgenden Aufhebung des Gesetzes eine Quasi-Abwertung wäre, schließen, daß die Bundesregierung im Innern eine so instabile Politik zu treiben beabsichtigt, daß sie sich zur Abwertung genötigt sieht? ({0})

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Kollege Friderichs, ich glaube nicht, daß irgendeine Bundesregierung, wenn sie noch von einem Fünkchen von Vernunft erfüllt ist, jemals in absehbarer Zeit eine Abwertung der D-Mark ins Auge fassen wird. Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friderichs.

Dr. Hans Friderichs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000586, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Könnten Sie mir zustimmen, daß eine spätere Aufhebung des Vier-ProzentGesetzes im internationalen Zahlungsverkehr einer Abwertung gleichkommt?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Wenn das Absicherungsgesetz steuerlicher Art mit 4% Exportabgabe und 4 % Importverbilligung ersatzlos gestrichen würde, ohne Transformation in eine valutarische Lösung, in eine mindestens gleich hohe Aufwertung, käme das einer Abwertung gleich. Ich stimme Ihnen sachlich völlig zu.

Dr. Hans Friderichs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000586, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke Ihnen für diese Antwort. Präsident von Hassel: Weitere Zusatzfragen? - Der Abgeordnete Porzner, bitte!

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, stimmen Behauptungen, Sie hätten eine Erhöhung der Exportsteuer, die derzeit 4 0/o beträgt, vorgeschlagen?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Diese Behauptungen stimmen nicht. Ich habe lediglich gestern im Wirtschaftskabinett und schon am Freitag in einer Vorbesprechung vor der Sitzung der Bundesregierung gefragt, ob eine solche Erhöhung der Steuersätze bei der Exportabgabe und der Sätze zur Importerleichterung vorgesehen sei, und zwar deshalb, weil eine solche Eventualität - Erhöhung von 4 auf 6% - in einem Arbeitspapier des Herrn Bundesfinanzministers enthalten war. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sanger.

Fritz Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001914, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, halten Sie - um es deutlich zu fragen - den Beschluß der Bundesregierung, nicht aufzuwerten, für der Sache dienlich? ({0})

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Kollege Sänger, Sie kennen meine Sachmeinung zu dieser Frage. Sie ist bekannt. Ich habe eine Aufwertung der D-Mark beantragt. Sie ist mit Mehrheit abgelehnt worden. In der Demokratie gelten Mehrheitsbeschlüsse. Diese Mehrheitsbeschlüsse haben Wirkung. Entschlüsse und Aktionen in unserem demokratischen Staat sind eben nur so möglich. Die Mehrheiten in einer Regierung und in einem Parlament zu verändern, ist Sache des Staatsbürgers. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Scheel.

Walter Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001949, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, würden Sie mir in der Meinung zustimmen, daß die gestern beschlossenen, oder besser gesagt: in Aussicht genommenen Maßnahmen ausschließlich auf die Abwehr einer akuten Spekulation gerichtet sind, daß aber durch diese Maßnahmen die Ursache, die zu dieser Spekulation geführt hat, überhaupt nicht betroffen wird?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Kollege Scheel, ich gebe Ihnen freimütig zu - das ist immer meine Meinung gewesen -, daß Spekulationen nur die Oberflächenerscheinung fundamentaler Ungleichgewichte sind. ({0}) Aber zu diesem Thema, glaube ich, hat Ihr Kollege Dr. Friderichs eine etwas näherliegende Frage gestellt, die wir noch nicht behandelt haben. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Scheel.

Walter Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001949, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Würden Sie meiner Vermutung zustimmen, daß mit den gestern beschlossenen Absichten auch noch nicht einmal die mittelfristige Spekulation berührt wird?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Kollege Scheel, ich kann nur noch einmal darauf hinweisen: es kommt darauf an, die fundamentalen Ungleichgewichte zu beseitigen. Nur so kann man auf mittlere Frist gewisse spekulative Bewegungen radikal beseitigen. Dies hier sind Notmaßnahmen für den Fall des Falles einer Aufschaukelung der Spekulation aus sich selbst. Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, sind Sie der Meinung, daß die von Ihnen erwähnten Ungleichgewichte auf Tatbestände in der Bundesrepublik zurückzuführen sind und daher durch einseitige Maßnahmen in Ordnung gebracht werden können?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Internationale Ungleichgewichte, Herr Kollege Müller-Hermann, sind immer beiderseitig bedingt. Sie liegen auf seiten der Defizitländer und auf seiten der Überschußländer. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Welche Schlußfolgerungen muß man nun Ihres Erachtens aus dieser meines Erachtens sehr richtigen Aussage ziehen? Halten Sie es für zweckmäßig, dann einseitige Maßnahmen zu treffen?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

In einer bestimmten Situation, in der sich Defizitländer zu weiteren Abwertungen, die sie zum Teil ja - ich denke an England, im November 1967 - isoliert vorgenommen haben, nicht in der Lage sehen, weil ihre innere Preis- und Lohninflation noch erhöht würde, könnte durchaus eine einseitige Maßnahme eines Überschußlandes helfen, dem Überschußland selber und anderen. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Barzel. ({0}) - Normalerweise, Herr Kollege Barzel, hat der Fragesteller die Möglichkeit, je Frage zwei Zusatzfragen zu stellen. Bei den anderen kann der Präsident entscheiden. Die Übung dieses Hauses war bisher immer, daß anderen zu zwei Zusatzfragen das Wort gegeben wird. Er kann sich nachher bei der nächsten Frage erneut melden. - Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schiller, sind Sie noch der Meinung, die im folgenden Satz zum Ausdruck kommt: „Es ist eine illusorische Erwartung, allein durch eine Aufwertung der D-Mark die Zahlungsbilanzmiseren aller anderen Länder von einem Punkt her kurieren zu können?" ({0})

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Ich bin tatsächlich der Meinung, daß wir nicht von diesem einen Punkt her allein, mit einer Aufwertung der D-Mark, wie ich es beantragt habe, um 6,25%, alle Zahlungsbilanzmiseren aller übrigen Länder heilen könnten. Das ist ganz selbstverständlich. Aber eine solche Maßnahme wäre ein Beitrag zur Gesundung anderer Länder und vor allen Dingen eine Schutzimpfung für uns selbst und für unsere eigene Preisstabilität hier zu Hause, in unserem Lande. ({0}) Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Und woher, Herr Bundeswirtschaftsminister, nehmen Sie den Optimismus, daß bei einer Aufwertung von 6,25 %, die für den Warenverkehr eine Quote von 2,25 % plus bedeuten würde, das durch das außenwirtschaftliche Ungleich12960 gewicht, das die Bundesbank mit 7,5 angibt, entstandene Problem durch diese einseitige Maßnahme in irgendeiner Weise hilfreich und gut gelöst werden könnte?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Ich darf auf Grund Ihrer Frage annehmen, Herr Kollege Barzel, daß Ihnen der Satz von 6,25% Aufwertung, der, wie Sie wissen, abgelehnt worden ist, zu niedrig erscheint. ({0}) Ich habe in meinem Vorschlag diesen Satz nach sehr eingehender Diskussion im Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank, die sich einstimmig für eine Verbesserung der Wechselkursparität der D-Mark ausgesprochen hat, sehr maßvoll bemessen, um einem anderen Land die Möglichkeit zu geben, in der kommenden Zeit mit einem Akt in entgegengesetzter Richtung nachzuziehen. Diesen Akt muß man einkalkulieren; daher die maßvolle Bemessung von 6,25 %. Und als letztes: Die 4 % des Absicherungsgesetzes, Herr Kollege Barzel, betreffen nur den Warenverkehr. Die Wirkung einer valutarischen Lösung wäre ungleich intensiver, ({1}) nicht nur wegen des Mehrbetrages, sondern deshalb, weil sie sich auf den gesamten Kapitalverkehr, auf die Dienstleistungen, auf unsere Auslandsreisenden und attraktiv auch auf unsere Gastarbeiter auswirken würde. Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Herr Abgeordneter Sänger.

Fritz Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001914, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, wie beurteilen Sie danach die Äußerung der deutschen Professoren, die nach dem Beschluß der Bundesregierung als dessen Folge eine Gefährdung des internationalen Währungssystems und die Gefahr einer weiteren internationalen Desintegration sehen?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Kollege Sänger, ich möchte erst einmal ganz deutlich sagen, daß gewisse mit schlanker Hand gegen die Meinung der Wissenschaft, der unabhängigen Wissenschaft, gerichtete Äußerungen dem Geiste der Freiheit in unserem Lande nicht angemessen sind. Es handelt sich bei diesen über 93 Stimmen um eine sehr spontane Reaktion, um eine Reaktion wirtschaftspolitischer Meinungsäußerung, wie sie bisher in der Bundesrepublik aus einem besonderen Anlaß noch nicht stattgefunden hat. Wir sollten diese spontane Äußerung würdigen und respektieren und sollten ihre Ehrlichkeit anerkennen. Zum zweiten möchte ich hinzufügen: ich teile die Bedenken jener Herren, denn die Bundesrepublik als großes Welthandelsland hat Verpflichtungen nicht nur gegen sich selbst, gegenüber ihrer eigenen Preisstabilität, sondern auch gegenüber dem Funktionieren des Weltwährungssystems. Wir sind eine starke Währungs- und Wirtschaftsnation, aber wir haben die Gesetzmäßigkeiten des Weltwährungssystems und der Weltwirtschaft und ihre Spielregeln zu beachten. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Dr. Luda.

Dr. Manfred Luda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, wie vertragen sich Ihre heutigen Aussagen mit der von Ihnen bis März dieses Jahres öffentlich abgegebenen Erklärung, daß die Aufwertung die schlechteste aller denkbaren Maßnahmen sei?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Mir ist eine Äußerung dieser Art nicht bekannt, Herr Kollege Luda. Sie wissen, daß wir im November vorigen Jahres eine Lösung der außenwirtschaftlichen Absicherung gefunden haben. Sie wissen, daß wir sehr behutsam, sehr vorsichtig immer wieder gesagt haben, wir müssen die Auswirkungen dieser steuerlichen Absicherung beobachten. Ich habe - in Übereinstimmung mit der Bundesbank - seit März dieses Jahres in steigendem Umfange die Preisdisparität zwischen dem Ausland und der Bundesrepublik feststellen müssen. Sie wird von der Bundesbank mit 7 bis 7,5 % konstatiert. Diese Preisdisparität muß man bekämpfen, d. h. man muß sie ausfüllen, weil sonst diese Preissteigerungen im Ausland auf uns überschwappen würden. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Luda.

Dr. Manfred Luda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nach Ihrer überraschenden Verneinung, Herr Bundesminister, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen im Anschluß an diese Sitzung Dokumente darüber überreiche, daß Sie tatsächlich diese Auffassung bis März dieses Jahres vertreten haben. Präsident von Hassel: Verzeihung, Herr Abgeordneter, das war keine Frage, sondern lediglich eine Bemerkung, eine Ankündigung Ihrer künftigen Maßnahme, diese Dokumente zu überreichen.

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Gestatten Sie mir, daß ich hinter diese Auslassungen des Herrn Kollegen Luda von mir aus ein Fragezeichen setze. ({0}) Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Deringer.

Prof. Arved Deringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000375, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie, Herr Bundesminister, mit Recht anerkennen, daß das internationale Ungleichgewicht der Währungen auch auf Vorgängen in anderen Staaten oder Fehlern anderer Staaten beruht, wäre es dann nicht sinnvoll gewesen, schon längst wenigstens innerhalb der EWG viel stärker auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik zu drängen, und was haben Sie in der letzten Zeit im Blick auf die Währungsprobleme in dieser Richtung konkret getan?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Wir, und ich persönlich besonders und das Bundeswirtschaftsministerium insgesamt, sind mindestens seit September vorigen Jahres, seit der gemeinsamen Sitzung der EWG-Wirtschafts- und -Finanzminister in Rotterdam, unentwegt dahin wirksam gewesen, daß eine stärkere Konvergenz - wie es dort lautet - in der Preis- und Lohnpolitik und überhaupt in der Wirtschaftspolitik der sechs EWG- Staaten erreicht würde, damit dann, und nur dann, bei einer solchen stärkeren Konvergenz auch eine stärkere währungspolitische Kooperation erreicht werden kann. Leider sind in mehreren EWG-Staaten die Preis- und Lohnentwicklungen immer mehr auseinandergegangen. Sie haben, wie Sie wissen, in zwei Ländern, zuletzt in den Niederlanden, dazu geführt, daß man sogar einen Preisstopp bei einer Preissteigerungsrate von 7,5 % eingeführt hat. Die Situation innerhalb der EWG ist so, daß auf Grund dieser starken Divergenzen eine koordinierte Währungspolitik zur Zeit eine Illusion darstellt. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Deringer.

Prof. Arved Deringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000375, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da es mir nicht so sehr um die koordinierte Währungs-, sondern um die koordinierte Wirtschaftspolitik geht, möchte ich Sie fragen: Haben Sie immer wieder darauf hingewiesen, daß uns eigentlich nicht zuzumuten ist, durch Währungsänderungen die Fehler auszubaden, die andere in ihrer Wirtschaftspolitik machen?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, daß wir auch in der Wirtschaftspolitik einander näherkommen müssen. Wie Sie alle wissen, sind diese Ermahnungen fruchtlos gewesen. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Wir haben in Rotterdam allein eine Stunde darum gekämpft, daß in ein Kommuniqué aller sechs Staaten das gemeinsame Ziel der Preisstabilität in allen sechs Ländern hineinkam. Das ist die Lage. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Pohle.

Dr. Wolfgang Pohle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß die 64 Nationalökonomen, von denen Herr Kollege Sänger gesprochen hat, nur knapp 10% aller Nationalökonomen im deutschsprachigen Raum ausmachen?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Pohle, genauso, wie ich Unternehmer nicht nach ihrer Kopfzahl und nach Quoten messe, sondern nach dem Gewicht ihres unternehmerischen Könnens und ihrer Dynamik, wäge ich auch Professoren der Nationalökonomie nach ihrer Qualität in bezug auf besondere Fachfragen und nicht nach ihrer Zahl. ({0}) Die Quantität ist, soviel ich weiß, inzwischen auf 93 gestiegen, wenn ich richtig informiert bin. Und wenn Sie sich die Namen ansehen, dann sind es die Namen derjenigen, die zum Thema Währungspolitik in dieser Bundesrepublik Deutschland etwas zu sagen haben, und zwar mit Nachdruck und mit Gewicht zu sagen haben. Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Pohle.

Dr. Wolfgang Pohle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, ist diese Ihre Antwort auf meine Frage dahin zu werten, daß Sie die Nationalökonomen, die sich nicht dieser Ansicht angeschlossen haben, für weniger qualifiziert halten?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Wenn andere Meinungen bestehen, dann werden diese anderen Meinungen auch geäußert werden, und ich werde sie genauso respektieren wie jetzt die sich positiv zu der valutarischen Lösung äußernden Meinungen von Wissenschaftlern, die für diese Fragen besonders kompetent sind. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Zoglmann.

Siegfried Zoglmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002605, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, würden Sie meinen Eindruck bestätigen, den Sie nach Ihrer Antwort, die Sie eben dem Kollegen Sänger gegeben haben, erweckt haben, daß die Bundesregierung im Augenblick eine Wirtschaftspolitik betreibt, mit der Sie sich nicht identifizieren?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Abgeordneter Zoglmann, ich bin für die Wirtschaftspolitik in dieser Bundesregierung verantwortlich. Ich habe in einem wichtigen Punkt nicht die Mehrheit des Kabinetts für meine Lösung gefunden. Ich bin - um es Ihnen ganz offen zu sagen - nach dem Ministereid gehalten, meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von dem deutschen Volke abzuwenden. Dazu habe ich bis zu diesem Augenblick noch Hoffnung. ({0}) Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Zoglmann.

Siegfried Zoglmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002605, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie das Gewicht Ihrer Argumente, die Sie bisher in dieser Auseinandersetzung vorgetragen haben, nicht als so groß einschätzen, daß Sie daraus Konsequenzen ziehen müssen?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Ich glaube, Herr Abgeordneter Zoglmann, ich habe durch Hinweis auf meine Verpflichtung, Schaden abzuwenden, und durch den Hinweis, daß ich im Augenblick noch Hoffnung habe, daß mir das gelingt, auch Ihre zweite Frage eben genügend beantwortet. ({0}) Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Leisler Kiep.

Dr. h. c. Walther Leisler Kiep (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001094, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, könnten Sie Auskunft darüber geben, wie hoch die Steigerung der Lebenshaltungskosten im Augenblick ist und inwieweit die Steigerung der Lebenshaltungskosten sich mit der Projizierung deckt, die vorgesehen war?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Wir haben zur Zeit eine Steigerung der Lebenshaltungskosten für April dieses Jahres - das ist das letzte Datum - von 2,9% gegenüber dem Vorjahr. Diese Steigerung ist schon beeinflußt durch die weit größeren Preissteigerungen bei unseren wichtigen Handelspartnern, die im Schnitt, wie Sie wissen - ich habe es vorhin erwähnt -, zu einer Preisdifferenz zwischen der relativ stabilen Bundesrepublik und dem Ausland von 7,5% geführt haben. Hier zeigen sich schon Auswirkungen, und deswegen müssen wir alle rechtzeitig handeln, damit ein Damm errichtet wird und sich diese Preissteigerung im Ausland nicht mehr auf unseren Lebenshaltungskostenindex auswirkt. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Leisler Kiep.

Dr. h. c. Walther Leisler Kiep (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001094, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Indem ich meine Frage von vorhin wiederhole, inwieweit dieser tatsächlich eingetretene Steigerungssatz mit dem projizierten Satz übereinstimmt, möchte ich die weitere Frage anschließen, ob Sie glauben, Herr Minister, daß sich der Entschluß zu einer Aufwertung der D-Mark unmittelbar und sofort auf eine Stabilisierung oder in Richtung auf eine Stabilisierung der Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik ausgewirkt hätte.

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Dazu kann ich schlicht und ergreifend sagen: ja, Absicherung über eine Aufwertung ist das beste Mittel, die importierte Inflation für die Zukunft zu verhindern. ({0}) Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Haase.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, Sie sprachen vorhin von Schaden. Darf ich in diesem Zusammenhang fragen, wieviel Milliarden Schaden den Bundesfinanzen entstanden wären durch den Aufwertungsverlust der Bundesbank, den wir ja mit allgemeinen Steuermitteln zu decken hätten? Mit wieviel Milliarden deutscher Bürgergelder hätten wir also die internationale Spekulation finanzieren müssen? ({0})

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Abgeordneter Haase, ich stimme Ihnen völlig zu. Wir haben keinen Anlaß, in irgendeinem Augenblick a) die internationale Spekulation anzureizen und b) die internationale Spekulation noch zu belohnen. Da stimme ich völlig mit Ihnen überein. Die Frage des Ersatzes eines Aufwertungsverlustes bei der Deutschen Bundesbank ist im Jahre 1961 geregelt worden. Ich weiß nicht, wie sie im Jahre 1969 geregelt worden wäre. Ich hätte eigentlich angenommen, genau in dem Sinne, wie es damals unter dem Bundeskanzler Konrad Adenauer geschehen ist. ({0}) Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Haase.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann sind Sie wohl mit mir der Meinung, daß wir diese Verluste mit Milliarden Steuergeldern hätten ausgleichen müssen, Herr Bundesminister? ({0})

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Ich beziehe mich auf die wirklich erfrischenden und einfachen und sehr deutlichen Äußerungen, die der Herr Bundeskanzler Konrad Adenauer am 8. März 1961 hier im Hohen Haus zu diesem nachlesen. Präsident von Hassel: Zu einer we Vorgang gemacht hat. Sie können sie jeden Tagiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Apel.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, können Sie meiner Aussage zustimmen, daß die von Herrn Haase bedauerte Spekulation nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, daß Herr Bundesminister Strauß am 28. April Äußerungen über eine etwaige Aufwertung der D-Mark gemacht hat und dabei einen Satz genannt hat, der zwangsläufig dazu reizen mußte, in unser Land Milliardenbeträge zu transferieren? ({0})

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Kollege Apel, Sie werden verstehen, daß ich mich in dieser Beziehung nur sehr zurückhaltend äußern kann und äußern muß. Die Äußerung über 8 bis 10% so für sich ist sicherlich von vielen draußen außerhalb dieser Grenzen mißverstanden worden und hat dazu geführt, daß man sie als Marge ansah, die sozusagen alle Spekulationskosten deckte. Aber ich gebe noch einmal ganz klar zu verstehen: diese Äußerung von Herrn Kollegen Strauß ist mißverstanden worden. Ich glaube, er hat sie an einem Montag gemacht, und er hat sie ein paar Tage später hier in Bonn richtigstellen lassen. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Stücklen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Meinung, daß die englische Presse die Äußerung des Bundesfinanzministers Strauß bewußt falsch verstehen wollte und sie so falsch in die Welt hinausgetragen hat?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Ich bin nicht in der Lage, Herr Kollege Stücklen, über die freie Presse eines freien Landes hier zu urteilen. Ich müßte sonst dieses Urteil auch auf manche Blätter in der Bundesrepublik und auch auf Blätter in der anderen Welt ausdehnen. Überall haben die 8 bis 10 % eine Rolle gespielt. Wie gesagt: mißverstanden. Aber sie waren plakativ und bedeuteten für die Spekulanten sozusagen eine Zielmarge. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Stücklen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, können Sie auf Gund Ihres Pressearchivs dem Bundestag mitteilen, .daß bereits nach der Maßnahme im November 1968 mit der Ablehnung einer Aufwertung, die von Ihnen ja mit Nachdruck vertreten worden ist, ein hochgestelltes Mitglied der Bundesbank diese Maßnahme noch am selben Tage kritisiert und die Aufwertung der D-Mark gefordert hat? Sind Sie nicht der Meinung, daß das schon der Keim und die Ursache für die spekulativen Maßnahmen war, die sich nun in diesen Tagen bis auf einen Höhepunkt zugespitzt haben?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Ich glaube, wir sind nicht in der Lage, Herr Kollege Stücklen, jetzt die Deutsche Bundesbank oder Mitglieder der Deutschen Bundesbank für die Spekulationswelle verantwortlich zu machen, die uns in den letzten beiden Wochen überrollt hat. Sie wissen, daß die Deutsche Bundesbank seinerzeit unser steuerliches Absicherungsgesetz als einen Schritt in die richtige Richtung, jedoch als nicht ganz ausreichend beurteilt hat. Wir haben dann sehr sorgsam die nachfolgende Entwicklung beobachtet, und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß wir einen weiteren Schritt tun müßten. Aber daß die Bundesbank selber oder einzelne ihrer Mitglieder die Spekulation angefacht hätten, kann ich von mir aus nicht bestätigen. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).

Willy Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001567, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, teilen Sie die Auffassung, die der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Herr Poullain, kürzlich geäußert hat, daß die Aufwertung der D-Mark im Interesse der Millionen deutscher Sparer gelegen hätte?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Ich teile diese Auffassung von Herrn Poullain. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Althammer.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich wollte auf die vorige Frage zurückkommen, die sich auf die Äußerung des Herrn Bundesfinanzministers bezog. Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß wir, wenn klargestellt ist, daß die Presseverlautbarungen falsch sind, dann in diesem Hohen Hause nicht von falschen Presseverlautbarungen ausgehen sollten?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Ich habe diese Frage, Herr Kollege, von mir aus nicht gestellt, sondern mir ist eine Frage gestellt worden, und ich glaube, ich habe sie objektiv beantwortet, indem ich darauf hinwies, daß diese Äußerungen des Herrn Bundesfinanzministers mißverstanden worden sind und ein paar Tage später richtiggestellt worden sind. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Schiller, in dem Bewußtsein, daß wir heute morgen ein exzeptionelles Verfahren einer indirekten Debatte praktizieren, indem man Pingpong-Bälle gegen eine Wand schlägt, die in der Gestalt des Bundeswirtschaftsministers immer nur reflektieren kann, während die übrigen Mitspieler ihre Bälle auch nur gegen die Wand schlagen können statt gegeneinander, und in der Hoffnung, daß diese indirekte Debatte nun endlich in eine richtige Debatte umgewandelt wird, daß nicht durch tausend Zusatzfragen zu einer einzigen Ausgangsfrage eine Pseudodebatte geführt wird und daß wir durch eine - hoffentlich - abschließende Frage nun auch gleichzeitig die Debatte einleiten können, von der ich annehme, daß die Freie Demokratische Partei sie in Form einer Aktuellen Stunde beantragen will, ({0}) möchte ich fragen: Sind Sie, Herr Schiller, von der Überzeugung getragen, daß jeder Bundesminister, jedes Mitglied dieses Kabinetts die Beschlüsse, die diese Bundesregierung gefaßt hat, vertreten wird?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Kollege Schmidt, ich habe diese Frage schon beantwortet; ich habe auf die Spielregeln demokratischer Meinungsbildung hingewiesen. Mehrheitsbeschlüsse gelten. Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die Geschäftslage ist folgende. Wir haben für diesen Teil der Fragestunde noch zehn Minuten Zeit, und wir haben noch eine Frage, die wir aufrufen müssen. Es ist bereits angekündigt worden, Herr Kollege Schmidt ({0}), daß eine Aktuelle Stunde geschäftsordnungsmäßig beantragt wird. Ich Präsident von Hassel werde jetzt nur noch Herrn van Delden zu einer Zusatzfrage das Wort geben und dann die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Friderichs aufrufen. Wir werden dann kurz nach 10 Uhr die Aktuelle Stunde bekommen. Herr van Delden! van Delden ({1}) : Herr Bundesminister, nachdem Sie vorhin eine gemeinsame europäische Währungspolitik zu diesem Zeitpunkt als Illusion bezeichnet haben - wenn ich Sie richtig verstanden habe -, hätte dann nicht auch in einer einseitigen Aufwertung zu diesem Zeitpunkt eine Gefahr für uns darin gelegen, weil wir nicht gewußt hätten, wie die anderen nachziehen; d. h. mit anderen Worten, hätten wir dann unter Umständen hinterher eine weitere Korrektur zum Schutze unserer eigenen nationalen Interessen vornehmen müssen?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Kollege van Delden, ich möchte Ihnen folgendes sagen. Wir haben in den letzten Monaten sehr intensiv sehr diskrete Recherchen bei Regierungen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften durchgeführt, und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß bei einem deutschen Schritt keine Reaktionen in unserem Sinne erfolgen würden. Wir haben aber bei unseren eigenen Überlegungen in der Bemessung einer möglichen eigenen deutschen Maßnahme durch das niedrige Ausmaß einkalkuliert, daß möglicherweise ein Land in andere Richtung nachziehen würde. Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Friderichs auf: Welche marktwirtschaftlichen Mittel beabsichtigt die Bundesregierung nunmehr zur Sicherung der Preisstabilität einzusetzen? Zur Beantwortung Herr Bundesminister Schiller.

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Auf die Anfrage des Herrn Abgeordneten Friderichs darf ich folgendes antworten. Auch mit dieser Frage hat sich der Kabinettsausschuß unter Vorsitz des Herrn Bundeskanzlers gestern befaßt. Der Kabinettsausschuß für Wirtschaft hat dazu folgendes vorgeschlagen. Erstens. Die Bundesregierung soll noch in diesem Jahr ihre bei der Bundesbank schwebenden Schulden in Höhe von 4,4 Milliarden DM entweder vorzeitig tilgen oder mittelfristig konsolidieren. Das sind unverzinsliche Schatzanweisungen, die dort zu konsolidieren sind. Gebenenfalls soll dazu ein Teil der Steuermehreinnahmen verwendet werden, wenn die Konsolidierung nicht unmittelbar möglich ist. Zweitens. Es soll - so der Vorschlag des Kabinettsausschusses für Wirtschaft - eine Konjunkturausgleichsrücklage gebildet werden, der die Steuermehreinnahmen von Bund und Ländern zugeführt werden sollen. Für den Bund sind 2,4 Milliarden DM vorgesehen, soweit diese Mittel nicht für die soeben erwähnte vorzeitige Schuldentilgung bei unverzinslichen Schatzanweisungen benötigt werden, also 2,4 Milliarden DM minus X. Die Bundesregierung - so der Vorschlag des Kabinettsausschusses - soll sich in Verhandlungen mit den Ländern dafür einsetzen, daß diese sich an der Konjunkturausgleichsrücklage mit 1,2 Milliarden DM beteiligen. Drittens. Die Bundesregierung soll ihren Beschluß vom 18. März über eine vorläufige Ausgabensperre in Höhe von 1,8 Milliarden DM im Juli unter den aktuellen konjunkturpolitischen Gesichtspunkten überprüfen. Es soll entschieden werden, ob diese Mittel endgültig gestrichen und dementsprechend der Konjunkturausgleichsrücklage zugeführt bzw. für die Schuldentilgung verwendet werden oder ob diese Mittel lediglich bis zum Jahresende gesperrt und auf künftige Haushaltsjahre verlagert werden. Diese Überprüfung, das darf ich hinzufügen, könnte möglicherweise im Sinne dieser Richtung, die ich eben angegeben habe, auch früher erfolgen. Im übrigen, Herr Dr. Friderichs, ist die Diskussion zu diesem Fragenkreis innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Friderichs.

Dr. Hans Friderichs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000586, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundeswirtschaftsminister, sind Sie davon überzeugt, daß diese Versuche einer Dämpfung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage angesichts der außenwirtschaftlichen Situation nach der Entscheidung vom vergangenen Freitag ausreichen, um die Preisentwicklung mit der Zielprojektion dieser Bundesregierung in Einklang zu bringen?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Diese Maßnahmen fiskalpolitischer Art, Herr Dr. Friderichs, üben in dieser Phase der Konjunktur sicherlich einen gewissen, zeitlich begrenzten dämpfenden Effekt aus. Was die außenwirtschaftliche Flanke betrifft, so bleibt sie offen. Ja, sie könnte sogar in einem späteren Zeitraum, wie die Bundesbank von ihren ,eigenen, möglicherweise restriktiven Maßnahmen gesagt hat, weiter aufgerissen werden, d. h. die Überschußposition könnte später verstärkt werden. Dieses Dilemma sieht die Bundesbank auch für ihre eigenen angekündigten Maßnahmen. Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Friderichs.

Dr. Hans Friderichs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000586, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darf ich Ihre Antwort, Herr Bundeswirtschaftsminister, also so verstehen, daß Sie die Gefahr sehen, daß die binnenwirtschaftlichen Dämpfungsmaßnahmen unter Umständen durch einen zusätzlichen Exportsog ihre eigentlich tendenzielle Wirkung, die Preise zu stabilisieren, möglicherweise nicht nur nicht erreichen, sondern sogar gefährden könnten?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Bei der übermäßig expandierten Auslandsnachfrage nach deutschen Produkten, die weitaus größer ist als der Zuwachs der Inlandsnachfrage, ist diese Gefahr gegeben; ich leugne dieses Risiko nicht. Dennoch ist dies ein Beitrag zur Dämpfung der Nachfrage. Ich glaube, daran kommen wir nicht vorbei. Außerdem ist die Frage der außenwirtschaftlichen Absicherung, d. h. der Schließung dieses „gap", der Verbesserung der Situation an der verwundbaren außenwirtschaftlichen Flanke, in meinem Schlußsatz enthalten: Im übrigen ist die Diskussion zu diesem Fragenkreis innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Staratzke.

Dr. Hans Werner Staratzke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002216, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundeswirtschaftsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es sehr viel besser gewesen wäre, man hätte diese 1,8 Milliarden DM bereits damals im Haushalt echt gemindert, als im März die Stabilitätsdebatte geführt wurde, und daß es wiederum zu einer Verzögerung führt, wenn man jetzt anfängt, die Sache noch einmal zu überprüfen?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Der damalige Beschluß war sinnvoll und nichtig. Wir wollten uns flexibel halten. Ich habe darauf hingewiesen, daß wir zusammen mit dein Herrn Bundesfinanzminister sehr viel schneller zu einem endgültigen Entscheid über die 1,8 Milliarden DM kommen können. Im übrigen widerspricht Ihr Drängen dem, was vorhin von Herrn Dr. Friderichs als Problematik in bezug auf diese Maßnahmen gesagt wurde. Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Staratzke.

Dr. Hans Werner Staratzke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002216, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundeswirtschaftsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß hier eine sachliche Differenz nicht entstanden ist, sondern es nur um die Frage ging, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, schon sehr viel früher daran zu denken, also das zeitliche Moment hier mit einzubauen?

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Ich habe Ihnen, glaube ich, ausführlich Antwort gegeben, daß es damals sinnvoll war. Es war auch sinnvoll, zu sagen: wir werden überprüfen. Wir werden, was diese 1,8 Milliarden DM betrifft, die Sache sicherlich früher - ich glaube, da bin ich mit dem Finanzminister einig - auf ein bestimmtes Ziel hin überprüfen. Präsident von Hassel: Hierzu werden keine Zusatzfragen mehr gestellt. Dann schließe ich den Katalog der Dringlichkeitsfragen. Wir haben für die Fragestunde noch ein paar Minuten Zeit. Ich rufe aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts die Frage 81 des Abgeordneten Borm auf: Ist die in der Öffentlichkeit verbreitete Nachricht, daß ein Bericht der deutschen Botschaft in Washington über Gespräche von zwei CSU-Politikern in den USA im Auswärtigen Amt verschwunden sein soll, zutreffend? Zur Beantwortung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Jahn das Wort. Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich würde die drei Fragen des Abgeordneten Borm, wenn er damit einverstanden ist, gern zusammen beantworten, Herr Präsident. Präsident von Hassel: Keine Bedenken, Herr Staatssekretär. Ich rufe dann auch die Fragen 82 und 83 des Abgeordneten Borm auf: Bei Bejahung der Frage 81: wann traf der angeblich einem Geheimschutzgrad unterliegende Informationsbericht im Auswärtigen Amt ein? Seit wann ist er verschwunden, so daß angeblich eine Kopie angefordert werden mußte? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Nachricht, Herr Kollege Borm, trifft in dieser Form nicht zu. Es gab keinen Bericht der deutschen Botschaft zu dem gefragten Thema. Es gab allerdings ein Privatdienstschreiben des deutschen Botschafters in Washington an Staatssekretär Duckwitz dazu. Dies ist in der Tat im Augenblick nicht auffindbar. Zur Klärung des Sachverhalts ist eine Untersuchung eingeleitet. Das Schreiben ging am 28. März 1969 im Auswärtigen Amt ein. Es wird seit kurzer Zeit gesucht. Eine Kopie ist am 28. April angefordert worden. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Borm.

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, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben das eine beantwortet. - Ist es üblich, Herr Staatssekretär, daß ein Botschafter irgendwelche Äußerungen über den Besuch von Abgeordneten abgibt, oder ist es diesmal ein Einzelfall? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: In der Regel berichten unsere Botschafter über wichtige Besucher und Abgeordnete sind selbstverständlich wichtige Besucher - regelmäßig. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Borm.

Dr. h. c. William Borm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000235, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vermuten Sie, Herr Staatssekretär, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Inhalt des Schreibens und der Tatsache seines Verschwindens? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Dazu gibt es keinen Anlaß, Herr Kollege Borm. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Borm.

Dr. h. c. William Borm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000235, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, sind derartige Vorkommnisse oft zu verzeichnen? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Sie meinen, daß ein Papierstück verschwindet? - Wenn ich nicht Gefahr liefe, daß das Hohe Haus eine solche Antwort völlig mißverstehen würde, wäre ich fast geneigt, zu sagen: es gehört nach aller Lebenserfahrung auch zum Ausdruck einer geregelten Verwaltung, daß unter großen Bergen von Papier ein Blatt gelegentlich auch einmal für einige Zeit untertaucht und erst nach mühseligem Suchen wiedergefunden wird. ({0}) Präsident von Hassel: Eine vierte Zusatzfrage, der Abgeordnete Borm.

Dr. h. c. William Borm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000235, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, da Sie mitgeteilt haben, Sie würden eine Untersuchung einleiten - oder sie sei bereits im Gange -: sind Sie bereit, mir von dem Ergebnis der Untersuchung Kenntnis zu geben? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ja, selbstverständlich. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmidt ({0}).

Dr. Otto Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002015, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, halten Sie es für mit der Würde des Parlaments vereinbar, daß die auch im Auftrag des Parlaments tätige Bürokratie des Auswärtigen Amts private Briefe über Abgeordnete erhält, ohne dem betreffenden Abgeordneten davon Kenntnis zu geben? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich denke nicht, Herr Kollege Dr. Schmidt, daß dies eine Frage ist, die die Würde des Parlaments berührt. Wenn Sie allerdings die Frage so stellen, dann möchte ich die Gelegenheit benutzen, dabei auf eine grundsätzliche Sache hinzuweisen. Ich habe vor einiger Zeit schon Anlaß genommen, den Herren Vorsitzenden der Fraktionen dieses Hauses in einem Schreiben die Bitte und das Angebot des Auswärtigen Amtes in aller Form zu unterbreiten, daß, wenn die Damen und Herren Kollegen dieses Hauses Auslandsreisen unternehmen, das Auswärtige Amt nicht nur gerne davon Kenntnis hat, sondern selbstverständlich mit allen ihm verfügbaren Möglichkeiten zur Unterstützung und zur Hilfestellung in solchen Fällen zur Verfügung steht. Dahinter steckt selbstverständlich auch der Wunsch unseres Hauses, gegenüber dem Parlament nicht nur die selbstverständliche Hilfestellung jederzeit zu gewähren, sondern auch bei Tätigkeit im Ausland die für unsere Botschafter nun einmal unerläßliche Abstimmung und Verbindung mit so gewichtigen politischen Besuchern herzustellen. Es gibt Fälle - ich beziehe mich ganz bewußt jetzt nicht auf einen konkreten und nicht auf diesen konkreten -, es gibt leider immer wieder Fälle, bei denen diese Abstimmung in dem wünschenswerten Maße nicht erfolgt. Das führt im günstigsten Falle zu unerfreulichen Mißverständnissen. Ich bitte um Verständnis, wenn ich dies hier in aller Deutlichkeit sage, auch in der Absicht, deutlich zu machen, daß das Auswärtige Amt großen Wert darauf legt, daß solche Mißverständnisse möglichst vermieden werden. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Ertl.

Josef Ertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000493, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie hier in diesem Hohen Haus erläutern, in welchem Umfange es im Bereich des Auswärtigen Amts Privatdienstschreiben gibt und in welcher Form sie bestehen? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das ist in dieser Form - sozusagen als Wiedergabe einer Statistik, Herr Kollege Ertl - natürlich nicht möglich, jedenfalls nicht aus dem Handgelenk. Aber es gibt immer wieder Fälle, in denen einzelne Angehörige des Amtes aus einem besonderen Anlaß sich gehalten sehen - oder einen Anlaß dazu nehmen -, unmittelbar in persönlicher Form an einen der Herren der Leitung des Amtes heranzutreten. Das ist nicht die Regel, das ist nicht sehr häufig, aber es kommt durchaus vor und ist umgekehrt wieder nicht so ungewöhnlich, daß sich daraus besondere Schlüsse ziehen ließen. Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Ertl.

Josef Ertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000493, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß es sich also nicht um ein Privatdienstschreiben, sondern um ein Dienstschreiben persönlicher Art handelt? Ich frage Sie deshalb: ist es dann nicht üblich, den Betroffenen mindestens von diesem Brief in Kenntnis zu setzen? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich will hier mit Ihnen - das kann ich natürlich auch gar nicht - keinen Streit über den Terminus technicus für die Bezeichnung dieses Schreibens beginnen. Im Amte läuft dieses Schreiben als ein „Privatdienstschreiben". Selbstverständlich müssen die Angehörigen des Amtes Gelegenheit haben, ihre Auffassungen zu einzelnen Vorgängen den einzelnen Herren der Leitung des Hauses in privater Form mitzuteilen. Ich hielte es für eine sehr unglückliche Sache, wenn diese Möglichkeit in Zukunft wegfallen sollte. Nur: der Charakter dieser Schreiben ist dann eben vertraulich und nicht zur allgemeinen Bekanntgabe geeignet. Wenn das dennoch geschieht, kann es sich nur darum handeln, daß eine Indiskretion begangen wird, für die der Empfänger dieses Schreibens sicherlich nicht die Verantwortung trägt. Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie den Kreis der Wisser um dieses private und vertrauliche Schreiben etwas umreißen? Sind das nur Angehörige des Auswärtigen Amtes, oder geht der Kreis auch weiter in andere Dienststellen? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Über den wesentlichen Vorgang sind meines Wissens die Mitglieder des Kabinetts - jedenfalls in den wesentlichen Teilen - unterrichtet worden. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welche Schlüsse ziehen Sie als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen daraus, daß es seit dem 28. April - wenn ich Sie soeben richtig verstanden habe - bis heute, also in über zwei Wochen, nicht möglich war, ein Schreiben dieser Bedeutung, das sogar dem Kabinett unterbreitet wurde, weder beim Empfänger noch beim Absender so zu ermitteln, daß man hier angesichts der angekündigten Fragen eine klare Auskunft geben konnte? Spricht das nicht für einen desolaten Zustand im Auswärtigen Amt? ({0}) Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Dr. Schulze-Vorberg, zunächst einmal gehen Sie von einer falschen Voraussetzung aus. In der Tat ist das Schreiben selber derzeit unauffindbar, aber es ist ja eine Durchschrift vorhanden. Diese Durchschrift ist durchaus bekannt. Ich habe nur gesagt, daß ich nicht in der Lage bin - aus grundsätzlichen Erwägungen heraus -, den Inhalt hier wiederzugeben. Zweitens. Glauben Sie nicht, daß Sie ein bißchen sehr strenge Maßstäbe anlegen, wenn Sie aus dem vorübergehenden Nichtauffindenkönnen eines Papiers gleich auf den desolaten Zustand eines ganzen Amtes schließen wollen? Ich möchte noch einmal ganz ernsthaft sagen: bei der Fülle von Papier, mit dem viele von uns täglich umgehen müssen, ist es nach aller Erfahrung gar nicht auszuschließen, daß solche Pannen passieren. Daß es eine Panne ist, räume ich unumwunden ein, aber so weitgehende Schlußfolgerungen, wie Sie sie daraus ziehen, kann ich beim besten Willen daran nicht knüpfen. Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da es sich hier offenbar nicht um irgendein Papier, das verlorengegangen ist, handelt, sondern um ein ganz bestimmtes und offensichtlich auch wichtig genommenes Papier, darf ich Sie fragen: Können Sie uns bitte sagen, seit wann dieses Papier vermißt wird und ob dieses Datum mit dem Datum der Indiskretion in der Öffentlichkeit über den Inhalt des Papiers zusammenhängt? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich kann die Frage nicht positiv und nicht negativ beantworten, Herr Kollege Dr. Marx. Ich weiß das nicht. Im Auswärtigen Amt ist im Augenblick nicht bekannt, seit wann dieses Papier nicht mehr auffindbar war. ({0}) Ob es im zeitlichen Zusammenhang mit dieser Veröffentlichung steht, kann ich deswegen so nicht beantworten. Das ist Gegenstand der vorhin bereits von mir erwähnten Untersuchung. Wir legen Wert darauf, daß das in aller Form geklärt wird, und darum bemühen wir uns. Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es sind jetzt zwei Zusatzfragen gestellt worden, die nicht beantwortet wurden. Ich darf wiederholen: halten Sie es nicht für eine selbstverständliche Pflicht und für einen Akt der Fairneß, daß ein solches Papier zumindest jenem Abgeordneten mitgeteilt wird, um den es sich handelt, und daß es nicht auf allen möglichen und nicht genau definierbaren Wegen in parteiliche Presseerzeugnisse mit einem ganz eindeutigen parteipolitischen Trend kommt? ({0}) Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Erstens kann ich Ihre Unterstellung nicht akzeptieren, daß eine Frage nicht beantwortet worden sei. ({1}) - Nein, ich habe diese Fragen beantwortet und wiederhole, Herr Kollege Dr. Marx, daß Schreiben vertraulicher Art ihrer Natur nach nicht zur Veröffentlichung oder Weitergabe bestimmt sind. Wenn auf Wegen, die mir nicht bekannt sind und die, soweit das geklärt werden kann, Gegenstand einer Prüfung sind, dennoch etwas über den Inhalt dieses Schreibens nach außen verlautbart, dann ist dies eine Verwendung, die mit der Grundregel, von der ich ausgehe und weiterhin ausgehen will, nicht zu vereinbaren ist. Aber es läßt sich nun einmal gar nicht vermeiden, daß, wenn ein größerer Kreis von Personen von solchen Ereignissen Kenntnis erhält, das auch leicht in die öffentliche Debatte einfließt. Beispiele dieser Art gibt es sicher in so erheblicher Zahl, daß dieses eine Beispiel kaum atypisch sein dürfte. Präsident von Hassel: Zu der letzten Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir in der grundsätzlichen Beurteilung der Frage der bejahenswerten Abstimmung vor Auslandsreisen darin überein, daß diese Abstimmung nie dazu führen darf, daß die Information und die freie Meinungsbildung des Abgeordneten behindert oder nachher zensiert wird? Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Selbstverständlich sollte und kann das nie zu einer Behinderung der freien Tätigkeit eines Abgeordneten führen. Andererseits könnten aber durch eine Abstimmung mit unseren Botschaften und gegebenenfalls zuvor noch mit dem Auswärtigen Amt eben die Gefahren, von denen Sie gesprochen haben, vermieden werden. Von einer Zensur kann keine Rede sein. Das Auswärtige Amt legt großen Wert darauf, daß auch nicht der Anschein eines solchen Verhaltens erweckt wird. Ich glaube aber, es ist für die Tätigkeit unserer Botschafter im Ausland unverändert wichtig, zu wissen, wer mit wem im Ausland politische Gespräche führt. Es wäre hilfreich, wenn solche Gespräche und die Gesprächspartner dem Amt vorher bekannt wären, damit unsere Botschafter in entsprechender Weise tätig werden können. ,({0}) Präsident von Hassel: Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jahn, irre ich mich in der Annahme, daß es die gemeinsame Auffassung dieses Hauses ist, daß jedes Mitglied dieses Hauses im Inland wie im Ausland voll berechtigt ist, seiner Meinung entsprechend zu handeln? ({0}) Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich sehe aus meiner bisherigen Antwort, Herr Kollege Barzel - ({1}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich bitte, daß wir die Fragestunde in Ruhe zu Ende bringen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär zur Beantwortung. ({2}) Jahn,, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich möchte noch einmal folgendes klarstellen. ({3}) Präsident von Hassel: Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jahn. Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich möchte es noch einmal klarstellen, Herr Kollege Barzel. Ich habe vorhin gesagt - und ich wiederhole es hier gerne -, daß selbstverständlich jedes Mitglied dieses Hauses frei ist, die Gespräche zu führen, die es für richtig und notwendig hält. Darüber gibt es keine Differenz zwischen uns. Ich wiederhole aber - das habe ich vorhin ebenfalls gesagt -, daß ich es als eine wesentliche und wünschenswerte Erleichterung und eine sinnvolle Form der Zusammenarbeit zwischen diesem Hause und dem Auswärtigen Amt bzw. unseren Herren Missionschefs draußen ansehen würde, wenn eine geeignete Form der gegenseitigen Information gefunden und geübt werden könnte. ({4}) Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jahn, stimmen Sie zu, daß dieses Haus die Regierung zu kontrollieren hat und daß dazu die freie Beschaffung aller Informationen an jedem Platz der Welt gehört? ({0}) Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Keine meiner Antworten - ({1}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, darf der Präsident einen Augenblick das Wort selber nehmen. Ich halte es als Präsident dieses Hauses in der Tat nicht für möglich, daß Beamte kontrollieren, was Abgeordnete in Deutschland oder in der Welt machen. ({2}) In diesem Zusammenhang habe ich z. B. eine Dringliche Anfrage, die das zum Hintergrund hatte, nicht auf die Tagesordnung der Fragestunde gesetzt, weil ich es nicht für vertretbar halte, daß eine Kontrolle der Abgeordneten durch die Bundesregierung hier zum Ausdruck kommt. ({3}) Die Fragestunde ist damit - Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Darf ich die Frage noch beantworten? Präsident von Hassel: Bitte schön! Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Jahn zur Schlußantwort. Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Mir liegt daran, hier klarzustellen, daß keine der von mir erteilten Antworten die Unterstellung rechtfertigt, ({4}) ich selber oder das Auswärtige Amt förderte eine Kontrolle oder wünschte eine solche auszuüben. Meine Bitte, die ich hier geäußert habe und die ich nach wie vor aufrechterhalte, ist, daß es zu einer von beiden Seiten für angemessen gehaltenen Form der Kooperation draußen kommt. ({5}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der 60 Minuten für die Fragestunde angelangt. Bevor ich zur Geschäftsordnung - noch im Zusammenhang mit diesem Punkt - das Wort an den Abgeordneten Frehsee erteile, teile ich mit, daß die Fragen 89, 90 und 91 des Abgeordneten Logemann zurückgezogen worden sind und daß die übrigen nicht erledigten Fragen, soweit sie nicht zurückgezogen sind, schriftlich beantwortet werden. Zur Geschäftsordnung vor Abschluß der Fragestunde hat der Abgeordnete Frehsee das Wort.

Heinz Frehsee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000576, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß Ziffer 2 der Anlage 6 zur Geschäftsordnung beantrage ich namens der Fraktion der SPD eine Aktuelle Stunde zum Thema der wirtschaftspolitischen Situation, das mit den drei Dringlichen Mündlichen Anfragen in der Fragestunde angesprochen wurde. Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. In der Anlage 6 unserer Geschäftsordnung ist festgelegt, daß die Aussprache stattzufinden hat, wenn es unmittelbar nach Schluß der Fragestunde mindestens so viele Abgeordnete verlangen, wie einer Fraktionsstärke entsprechen. Das wären also deren 26. Darf ich fragen, wer den Antrag, der soeben gestellt worden ist, unterstützt. - Das sind eindeutig mehr als 26. Damit werden wir in die Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema eintreten. Gemäß Anlage 6 der Geschäftsordnung wird das Wort zuerst an den Sprecher der antragstellenden Fraktion gegeben. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schmidt ({0}). Ich mache - auch für die Zuhörer - darauf aufmerksam: Die Aktuelle Stunde umfaßt 60 Minuten, aufgeteilt in Reden von maximal fünf Minuten. Die Reden der Regierung werden dabei nicht mitgezählt. Ich eröffne also die Aktuelle Stunde. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({1}).

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten nach den Ankündigungen, die Sie, Herr Präsident, gemacht haben, erwartet, daß eine Aktuelle Stunde von anderer Seite beantragt würde. Nachdem das nicht geschehen ist, haben wir es getan, weil wir der Meinung sind, daß einige der Auffassungen, die heute morgen in Frageform zum Ausdruck kamen, und einige der emotionellen Attitüden, die bei dieser Gelegenheit uns vorgestellt worden sind, es doch notwendig machen, das eine oder das andere Wort dazu zu sagen. Es war eine sehr eigenartige Debatte, in der ganz neuartige Phänomene und Gebilde auftraten. ({0}) Ich erinnere mich, daß jemand von der „Deutschen Bürgermark" gesprochen hat. Was ist das eigentlich, Herr Haase? ({1}) - Bürgergeld. Was ist das eigentlich? Ich habe das Gefühl, daß wir es mit der D-Mark zu tun haben, aber wenn Sie sie umtaufen wollen, um dadurch irgendwelche besonderen Effekte zu erzielen, werden wir darüber nachdenken, ob wir für sie auch noch andere Namen finden können. ({2}) - Ja, es geht um Steuergelder. Es geht um die Stabilität der Mark nach innen und nach außen! ({3}) Da ich nur fünf Minuten habe, bitte ich um Verzeihung, daß ich sie nicht auf Zwischenrufe und deren Beantwortung verwende. Ich wünsche für die sozialdemokratische Fraktion nach sorgfältiger Beratung gestern einige Punkte klarzustellen. Es werden in der Debatte sicher noch ein paar andere meiner Kollegen andere Punkte klarzustellen haben. Für die Zukunft wünscht die sozialdemokratische Fraktion, daß in diesem Hause verstanden werde, daß nach unserer Auffassung derjenige, der eine marktwirtschaftliche Lösung des Problems des zunehmenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts aus dem einen oder dem anderen Grunde, den ich hier gar nicht mehr diskutieren will, nicht oder im Augenblick nicht gewollt hat, nun Vorschläge machen muß, um andere wirksame Maßnahmen auf den Tisch des Hauses zu legen zur Diskussion und zur Verabschiedung, damit eine Bedrohung unserer inneren Preisstabilität durch die Hereinnahme, durch die Importierung der Preisinflation der anderen von außen vermieden werde. Wir warten auf solche Vorschläge, wir sind bereit, an solchen Maßnahmen mitzuarbeiten, und wir werden in der durch den Kabinettsbeschluß herbeigeführten Lage nun alles unterstützen, was das außenwirtschaftliche Ungleich12970 Schmidt ({4}) gewicht verringert und das binnenwirtschaftliche Preisniveau stabil hält. Ich möchte mit derselben Eindeutigkeit Für die sozialdemokratische Fraktion, die darüber gestern nach langer Debatte einen einstimmigen Beschluß gefaßt hat, sagen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird keinerlei Mitverantwortung übernehmen für irgendwelche Maßnahmen, die zu Dirigismus, zu Zwangswirtschaft oder zur binnenwirtschaftlichen Deflation führen. ({5}) - Ich freue mich, daß dieser Satz auch einigen Beifall aus anderen Richtungen des Hauses gefunden hat. Hoffentlich müssen Sie sich nicht in wenigen Wochen daran erinnern, daß Sie hier zugestimmt haben. Ich sage den Satz noch einmal, damit Sie wissen, welcher Aussage Sie zustimmen. ({6}) - Lieber Herr Wuermeling, ich hoffe, daß der Präsident es von meinen fünf Minuten gütigst subtrahiert - so wie er vorhin anderen sehr viele Minuten mit Zusatzfragen geschenkt hat -, wenn ich auf Ihren Zwischenruf eingehe. Ich bin einer von denjenigen, die im Laufe der letzten zwanzig Jahre niemals angestanden haben, öffentlich zu erklären, daß Ludwig Erhard sich in den Jahren 1949, 1950, 1951 ganz gewiß wirtschaftspolitisch große Verdienste in diesem Land erworben hat. ({7}) Ganz gewiß! Ich habe niemals angestanden, das öffentlich so zu erklären, wie ich es auch auf Ihren Zwischenruf hin gern tue. Ich war übrigens auch damals schon, genau wie Karl Schiller damals schon, leidenschaftlicher Anhänger marktwirtschaftlicher Wirtschaftspolitik. ({8}) Daß das jemand, der mehr auf anderen Feldern - - Ja, nun müssen Sie auch zuhören, Herr Wuermeling, wenn Sie mich zu einer Antwort provozieren! Daß das jemand, der auf anderen Feldern arbeitet und seine auf dem Felde der Wirtschaftspolitik ihm zufließenden Informationen mehr aus Pressediensten und Parteischulungsbriefen oder Rednerdiensten, oder wie das heißt, entnimmt, nicht ganz so schnell merkt, nehme ich ihm nicht übel. Ich bitte Sie nur um eines: mit derselben Offenheit, mit der ich hier anerkenne, daß Erhard 1949 und 1950 etwas geleistet hat, bitte ich Sie, sich darüber klar zu sein, daß Sie heute nicht die Möglichkeit hätten, in dieser legeren Form über Probleme der deutschen Wirtschaft zu reden, ohne innerlich allzu tief beunruhigt zu sein, wenn nicht der gegenwärtige Wirtschaftsminister in den letzten zwei Jahren eine genauso herausragende, in der internationalen Finanz- und Wirtschaftsgeschichte bedeutende Leistung vollbracht hätte. ({9}) Ich möchte jetzt den Satz wiederholen dürfen, damit die CDU/CSU weiß - und auch die FDP -, welchen Satz sie mit ihrem Beifall zustimmt: Wir werden keine Mitverantwortung übernehmen für Maßnahmen, die zu Dirigismus oder Zwangswirtschaft führen, ({10}) dies bezieht sich auch auf die Felder des Geld- und Kapitalverkehrs; damit Sie sich darüber klar sind, was ich meine - und keinen Maßnahmen, die zur binnenwirtschaftlichen Deflation führen. Wir haben nicht heute vor zweieinhalb Jahren die selbstgemachte, hausgemachte Beschäftigungs- und Deflationskrise überwunden, um nun etwa aus Versehen ein paar Jahre später unter ähnlichen Umständen wieder in eine ähnliche Situation hineinzugeraten. ({11}) Kollege Dr. Barzel wird bemerkt haben, wie sehr ich mich bemüht habe, gegen niemanden zu polemisieren. Ich fände es auch bei der Empfindlichkeit des Themas, von dem wir sprechen - ich rede nicht von der Empfindlichkeit von Personen, sondern ich rede von der Empfindlichkeit der D-Mark -, gut, wenn es in Zukunft so bliebe. Und ich schließe mit der Ermahnung an die Bundesminister, in Zukunft, ehe im Kabinett Entscheidungen gefällt werden, bitte nicht so viel und nicht so laut öffentlich über Dinge zu reden, die die D-Mark angehen! ({12}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich auf eine Bemerkung des Abgeordneten Schmidt eingehen. Er sagte, er habe eine Geschäftsordnungsdebatte von anderer Seite des Hohen Hauses erwartet. Ich habe angekündigt, daß hier bereits eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung vorliegt, und zwar vom Herrn Abgeordneten Genscher, der mich dann im Laufe der Diskussion davon unterrichtete, daß der Antrag von der SPD gestellt würde und daß er diese Wortmeldung zurückzöge; daher die Worterteilung gleich an Sie. Das Wort hat nunmehr Herr Bundesminister Strauß. Ich mache darauf aufmerksam, Herr Bundesminister: Auch die Bundesminister haben nur eine Redezeit von fünf Minuten; sie wird nicht angerechnet. Sie können das Wort aber später wieder bekommen. Fünf Minuten ist Ihre Redezeit.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die letzten Bemerkungen des Kollegen Helmut Schmidt habe ich mich besonders gefreut, weil sie die Möglichkeit zu einer neuen wissenschaftlichen Polit-Theorie bieten, nämlich die Möglichkeit, einen politischen Konjunkturzyklus nachzuweisen. Denn von dieser Stelle aus, von der Sie eben gesprochen haben, von der ich jetzt spreche, hat früher - in dem Bundestag, dem Sie noch nicht angehörten - der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD den Antrag gestellt, das Amtsgehalt des Bundesministers für Wirtschaft Professor Erhard wegen totaler Unfähigkeit zu streichen. ({0}) Und wenn das nunmehr nach Ablauf von achtzehn Jahren etwa durch Ihre laudatio moralisch wieder zurückgenommen wird, haben wir allen Grund, Ihnen zu danken, Herr Kollege Helmut Schmidt, weil damit die Normallage wiederhergestellt ist. ({1}) Zum zweiten begrüße ich Ihre Erklärung, daß die Fraktion der SPD gegen Dirigismus, Zwangswirtschaft und Deflation ist. Es gab Zeiten, da hatten wir, was die beiden ersten Begriffe anbetrifft, hinsichtlich Ihrer Haltung eine etwas andere Meinung. ({2}) - Ja, die Haltung war falsch damals; das stimmt. ({3}) Das stimmt, denn es gab Zeiten, wo Dirigismus und Zwangswirtschaft anders gewertet worden sind, als sie heute vom Kollegen Helmut Schmidt im Namen der gleichen politischen Kraft gewertet worden sind. Darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel, und wer dem ersten Bundestag angehört hat, der kann, ohne nachzuschlagen, darüber aus eigenem Gedächtnis noch einiges zum besten geben. Und jetzt komme ich zu einer weiteren Bemerkung. Leider ist das eine Ersatzdebatte, bei der eines - ganz gleich, wer die Koalition bildet und wer die Opposition stellt - nicht eintreten dürfte oder nicht hätte eintreten dürfen, daß nämlich verhältnismäßig primitive Fragestellungen Anlaß bieten, Koalitionsprobleme aufzuwerfen, die man mit etwas mehr Eleganz und weniger Gereiztheit mühelos hätte vermeiden können. ({4}) Drittens. Herr Kollege Helmut Schmidt, jetzt muß ich Ihnen zu zwei Dingen leider eine sehr deutliche Antwort geben. Was Sie hier produziert haben - nicht von sich aus, sondern in Imitation oder in Übernahme von gewissen Thesen -, ist sowohl theoretisch wie praktisch in dieser Form nicht haltbar, nämlich die Behauptung, ({5}) daß Aufwertung identisch sei mit Preisstabilität und Nichtaufwertung mit einer Preisauftriebshaltung. Das ist schlechthin falsch! ({6}) - Ich habe nur fünf Minuten, - ({7}) - Ja, aber nicht von mir, Herr Kollege Schmidt, da müssen Sie sich dafür einen anderen heraussuchen. Präsident von Hassel: Herr Kollege Schmidt, ich habe Ihnen wegen der Zwischenrufe auch zweieinhalb Minuten zugegeben.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ja, dann! Das ist ja eine großartige Praxis. ({0}) - Ja, bitte sehr.

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Strauß, ist Ihnen entgangen, daß ich keine einzige These aufgestellt, sondern nur erklärt habe, was wir tun und was wir nicht tun werden?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Kollege Helmut Schmidt, wollen wir mit ganz offenen Karten spielen! Sie kennen die Verlautbarung Ihrer Fraktion, die auf eine Rede des Bundeswirtschaftsministers zurückgeht - vielleicht in nicht ganz korrekter Zitierung dieses Ministers, wie ich ausdrücklich zugebe -, daß derjenige, der nicht die außenwirtschaftliche Absicherung auf dem Wege der Aufwertung vornehme, eine Preisauftriebsrate von 6 bis 8 % verursache. Das ist falsch, ({0}) das ist schlechthin falsch. ({1}) - Warum? Sie haben vorhin Herrn Präsidenten Poullain zitiert. Ich habe gestern Herrn Poullain zu mir gebeten und habe ihn gefragt, ob er mir auf Grund einer Theorie oder auf Grund der Praxis diese Kausalität beweisen könne. Herr Poullain hat von Anfang an kapituliert und hat gesagt, er sei dazu nicht imstande, er habe es lediglich übernommen. ({2}) - Einen Augenblick! Vielleicht ist der Herr Präsident so freundlich, mir die Zeit, in der ich noch nach einer Unterlage suche - jetzt habe ich sie -, auch abzuziehen. - Im Jahre 1961 ist um 5 % aufgewertet worden. Im Jahre 1961 betrug die Durchschnittspreissteigerung 2,3 %, im Jahre 1962 3,0 %, im Jahre 1963 3,0 %, im Jahre 1964 2,3%, im Jahre 1965 3,4 %, im Jahre 1966 3,5 %, im Jahre 1967 1,4 %, im Jahre 1968 1,5 %. Und ich muß leider den Kollegen von der Wirtschaft berichtigen: die Preisauftriebsrate für April ist nach dem jetzt gültigen Schlüssel nicht 2,9 %, sondern 2,5 %. ({3}) Denn seit dem Jahre 1969 wird für den Preisindex nicht mehr der Warenkorb der Familie mit vier Kindern zugrunde gelegt, sondern die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten, und nach den durchschnittlichen Lebenshaltungskosten beträgt der Zuwachs im März gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres 2,3 % und im April gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres 2,5 %. Diese Zahlen, die ich hier verlese, stammen vom Statistischen Bundesamt. ({4}) - Ich sagte Ihnen gerade, das ist eben falsch, weil seit dem Jahre 1969 ein Index verwendet wird, dem nicht mehr der Warenkorb der Familie mit vier Kin12972 Bundesminister Dr. h.. c. Strauß dern zugrunde liegt, sondern die Gesamtlebenshaltungskosten. Nach diesem Index werden sämtliche Statistiken aufgestellt und Preisvergleiche in der Öffentlichkeit berechnet. - Jetzt sagen Sie mir bitte angesichts der von mir verlesenen Zahlen der Steigerung der Lebenshaltungskosten, inwiefern aus der Aufwertung des Jahres 1961 eine Verhinderung der Preisauftriebswirkung experimentell, praktisch abzulesen ist. Genau Null! Im Jahre 1962 war die Preissteigerung höher als im Jahre 1960, wo sie nur 1,4 % betrug, gegenüber 2,3 % im Jahre 1961 und dann 3,0% im Jahre 1962. Aus der einmaligen Erfahrung, die wir haben, läßt sich also diese für Wahlkampfzwecke gedachte Formel einfach nicht verwenden, wenn man redlich ist - um einen Ausdruck zu übernehmen. ({5}) Präsident von Hassel: Herr Bundesminister, Ihre Zeit ist bereits überschritten. Darf ich bitten, zum Schluß zu kommen.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ja. Aber noch etwas: Ich muß hier leider noch einige unangenehme Zahlen bieten; wenn schon aufgerechnet wird, habe ich gar nichts zu scheuen an Aufdeckung aller Zahlen der letzten Jahre. Wenn Sie von deflatorischer Wirkung reden, Herr Kollege Schmidt, darf ich Ihnen sagen: Im Sachverständigengutachten sowie in mündlichen Beiträgen des gleichen Kreises - das erste können Sie nachlesen, für das zweite gibt es eine Reihe von Zeugen - war unter anderem - ich kann es leider nicht im einzelnen bieten, weil ich nicht die Zeit dazu habe - vorgeschlagen worden, daß die öffentliche Hand, also Bund, Länder und Gemeinden im Jahre 1968 gegenüber dem Jahre 1967 ihre Ausgaben um 10 % und ihre Investitionsausgaben um 30 % steigern müßten. Hören Sie das gut an, Herr Kollege Schmidt: im Jahre 1968 10 % mehr Ausgaben und 30 % mehr Investitionsausgaben, wenn eine Wachstumsrate von real 6 % erzielt werden soll. Die Bundesausgaben sind im Jahre 1968 um 0,5% und nicht um 10 % gestiegen. Die Investitionsausgaben sind nicht um 30% gegenüber 1967 gestiegen, sondern sie sind um nur 10 % gestiegen, und die Wachstumsrate real beträgt 7 %. ({0}) Präsident von Hassel: Herr Bundesminister, darf ich bitten, daß Sie zu einem Abschluß kommen. Ihre Zeit ist erheblich überzogen.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ich spreche jetzt knapp sieben Minuten. Präsident von Hassel: Wir lassen die Uhr mitlaufen; danach sind es neun Minuten.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Wenn im Jahre 1968 mit einem Plus von 0,5 % Ausgaben statt 10% das Wachstum erzielt worden ist und wenn heute im Bundeshaushalt ohne die Streichung ein Zuwachs von 9,5% für 1969 zu verzeichnen ist, dann wage einer hier von Deflation zu reden. ({0}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler, anschließend der Herr Abgeordnete Scheel. ({1})

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001096

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe keineswegs die Absicht, jetzt in eine Grundsatzdebatte über den Beschluß der Bundesregierung und darüber, was ihm vorangegangen ist, einzutreten. Ich bin dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion dankbar, daß er hier in sachlicher Weise erklärt hat, daß die SPD-Fraktion alles unterstützen werde, was notwendig ist, um die Preise zu stabilisieren, und ich stimme ihm darin zu, daß niemand an dirigistische und deflatorische Maßnahmen denkt. Das halte ich zunächst einmal für eine wichtige Feststellung. ({0}) Und jetzt sage ich einen einzigen Satz, meine Damen und Herren: Man kann über die Frage der Zweckmäßigkeit oder Nichtzweckmäßigkeit einer Aufwertung streiten. Ich habe die griechischen Tragödienchöre ja miterlebt. Von der einen Seite kamen die, die sagten, ich bin im Besitze der Wahrheit; von der anderen Seite kamen die anderen, die sagten: Nein, wir tragen die Wahrheit. Und dann kamen im letzten Augenblick die Professoren mit einem dritten Vorschlag und erklärten lautstark, die Wahrheit seit nur bei ihnen. Meine Damen und Herren, im Augenblick geht es darum - und da sollten wir uns doch alle einig sein -, die Spekulationswelle zu brechen und dafür zu sorgen, daß das heiße Geld wieder abfließt. Das ist die Aufgabe, die wir haben. ({1}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Scheel.

Walter Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001949, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Schmidt hat zu Beginn seiner Bemerkungen gefragt, warum denn die FDP nicht, wie erwartet, eine Aktuelle Stunde beantragt habe. Meine Damen und Herren, ich brauche es nach dem, was wir bis jetzt in der Aktuellen Stunde gehört haben, fast gar nicht mehr zu erläutern, warum wir das nicht getan haben. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben Fragen gestellt. Wir haben auf diese Fragen, die der Herr Bundesfinanzminister, wenn ich das richtig im Ohr habe, als primitive Fragen zu qualifizieren hier den traurigen Mut hatte - ich sage, den traurigen Mut - ({1}) - Nein, der Bundesfinanzminister hat gesagt, auf primitive Fragen hin sei hier die Koalition durcheinandergekommen. Nach dem, was er hier geboten hat, meine ich, ist es ein trauriger Mut, in dem Zusammenhang hier von primitiven Fragen zu sprechen. ({2}) Meine Damen und Herren, wir haben Fragen gestellt, und wir haben darauf korrekte und umfassende Antworten bekommen. Das war bei dem Zustand, den die Regierung und die Koalitionsfraktionen heute morgen geboten haben, für uns ausreichend. Denn jede Verlängerung der Diskussion konnte nur zu dem führen, was wir soeben hier erlebt haben. ({3}) Ich sage deshalb, es wäre besser, wir würden diese Diskussion jetzt abbrechen. ({4}) Aber ein paar Worte möchte ich zur Sache sagen. Die Disparität der Preise auf dem Weltmarkt ist natürlich die Ursache für alles das, worüber wir hier ernsthaft diskutieren wollen. Diese Disparität besteht seit längerer Zeit, sie ist nicht erst jüngsten Datums. Nun mag man sagen, Disparität entsteht aus dem falschen Verhalten aller anderen Volkswirtschaften, aus inflationären Tendenzen in allen anderen Ländern. Meine Damen und Herren, das nützt uns nichts. Unser richtiges Verhalten - wenn Sie so wollen - hat die D-Mark eben wertvoller gemacht, ob Sie das nun wollen oder nicht, hat die D-Mark härter gemacht. Aber daraus entstehen neue Schwierigkeiten. Wir müssen nun diesen höheren Wert irgendwann einmal akzeptieren. Daran kommen wir ja wohl nicht vorbei. ({5}) Daß dazu klare Entscheidungen nötig sind, hat die Erfahrung mit der Entscheidung der Bundesregierung vom November des vorigen Jahres bewiesen. Im November vorigen Jahres sind Entscheidungen getroffen worden, die nicht gewirkt haben. Und am Freitag der vorigen Woche hat man nun diese unwirksamen Maßnahmen in anderer Form wieder einmal aufwerten wollen. Man hat sich auch am Freitag vor der wirklichen, notwendigen Entscheidung herumgedrückt, ({6}) und das gegen den Rat aller, die von der Sache etwas verstehen, ({7}) gegen den Rat des Wirtschaftsministers - das ist doch unbestreitbar -, gegen den Rat der Bundesbank, gegen den Rat der Wissenschaftler; ich habe noch keine andere wissenschaftliche Meinung gehört. Dennoch hat diese Entscheidung die Spekulation nicht beseitigen können. Hier ist gesagt worden, daß am Montag Spekulationsgelder abgeflossen sind, am Dienstag weniger als am Montag, und heute werden Sie erleben, was noch bewegt wird. ({8}) - Herr Kollege Kiep, es ist nicht meine Rede, die nicht förderlich ist. Es ist der Zustand der Regierung, der die Spekulationen hervorruft. ({9}) Es ist der Zustand Ihrer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik, der diese Spekulationen hervorruft. Nun, ich will den Bundeskanzler in den nächsten Tagen fragen, ob sein Vorhaben, das er heute morgen hier mit so starker Entschlossenheit vorgetragen hat, die Spekulation abzuwehren, mit dem, was bisher geschehen ist, gelingen wird. Ich vermute, daß das leider nicht der Fall sein wird. Dann geht es, meine Damen und Herren, um die Preisstabilität im Innern. Das ist ein ganz anderes Problem. Darüber wollen wir in der nächsten Woche im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsbericht der Bundesregierung diskutieren. Denn unsere Maßnahmen vom letzten November haben ja auch nicht die Preisstabilität im Innern zu garantieren vermocht; und das ist doch das Wichtigste, was wir erreichen müssen. Aber da reichen keine flankierenden Maßnahmen, die allen möglichen Menschen vor der Wahl Wohltaten versprechen, sondern da müssen saubere und richtige wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden. Darüber hinaus bin ich froh, daß alle sich hier einig geworden sind, daß es keinen Dirigismus geben darf, weder im Innern noch nach außen. Denn Dirigismus in der Währungspolitik würde am Ende den treffen, der pro Kopf den höchsten Anteil am Export in der Weltwirtschaft hat. Das sind wir. Wir müssen dafür sorgen, daß der freie Welthandel bestehenbleibt. Wir dürfen nichts unternehmen, was auch nur irgendeine dirigistische Maßnahme bei an deren auslösen könnte. Auch diese Verantwortung ist uns gegeben. Die Bundesregierung hat heute ein Maß an Ratlosigkeit gezeigt, das nicht zu Optimismus Anlaß gibt. Ich möchte, daß wir in der nächsten Woche den Wirtschaftsbericht der Bundesregierung unter anderen Voraussetzungen und auf der Basis klarer Vorstellungen in der Regierung beraten können. ({10}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pohle. Ihm folgt Abgeordneter Ravens.

Dr. Wolfgang Pohle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Dringlichkeitsanfragen sind nicht von uns eingebracht worden, Herr Scheel, sondern von den Freien Demokraten, und nur auf Grund der Dringlichkeitsanfragen hat sich die Aktuelle Stunde ergeben. Wenn Sie also sagen: nun aber wollen wir mit der Bundesregierung die Speku12974 lation bekämpfen - der Herr Bundeskanzler hat hier einen warnenden Appell an das Haus und an die Öffentlichkeit gerichtet -, dann kann ich Ihnen nur sagen: durch Ihre Rede wird die Spekulation geradezu ermuntert! das war eine sehr schlechte Rede. ({0}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich die Entscheidung weiß Gott nicht leichtgemacht. Deshalb, Herr Scheel, ist es geradezu eine Blasphemie, zu behaupten, daß alle Sachverständigen nur für die Aufwertung seien. Dazu gehen Sie einmal in Ihre eigenen Reihen oder erkundigen Sie sich bei Ihren eigenen Sachverständigen, welche Meinung sie haben. Es stimmt einfach nicht. ({1}) - Nein, ({2}) aber er hat sich mit Sachverständigen besprochen. Niemand hat behauptet, daß der Bundeskanzler selbst ein Geldsachverständiger ist, Herr Dorn. Aber Sie haben Geldsachverständige in Ihren Reihen, die genau das Gegenteil von dem sagen, was uns Herr Scheel hier hat glauben machen wollen. Die Bundesregierung hat entschieden, daß eine Aufwertung nicht stattfindet. Die CDU/CSU-Fraktion stellt sich voll und ganz hinter diesen Beschluß. Ich weiß, daß auch eine ganze Reihe von Gründen für die Aufwertung geltend gemacht werden können. Gerade deshalb hat die Bundesregierung Sachverständige gehört und sorgsam abgewogen. Die ruhige Beurteilung im Ausland gibt ihr recht. Unter vielen anderen verweisen ich auf das, was die „Times" geschrieben hat: Es müsse verstanden werden, daß Deutschland ein natürliches und völlig legitimes Interesse an dieser Nichtaufwertungsentscheidung habe; eine Aufwertung der Deutschen Mark sei bei der deutschen Bevölkerung in einem Wahljahr ebenso unpopulär, wie eine Abwertung es in Frankreich - ({3}) - Ich zitiere die „Times", meine Damen und Herren. Ich bin der Ansicht, daß in der Tat jede Manipulation mit der Währung eine schlechte Sache für alle ist. Ich lasse mich vom Gegenteil nur dann überzeugen, wenn wirklich gesagt wird, daß eine Nichtaufwertung einen weiteren Preisauftrieb zur Folge hat. Das ist aber unter keinen Umständen der Fall. Insofern unterscheide ich mich völlig vom Bundeswirtschaftsminister. Einmal haben wir gehört - und ich wiederhole das -, daß die Aufwertung im Jahre 1961 nicht den mindesten Effekt in Richtung auf den Preisindex für die Lebenshaltung gehabt hat. Zweitens fehlen alle Maßstäbe dafür, wie hoch eigentlich gegangen werden muß, um diesen Effekt zu erzielen. Soll man 8% nehmen, 6 %, 10 %? Wieviel auch immer, es fehlt jeder Maßstab, auch bei den Nationalökonomen. Drittens hat es ungeheure Nachwirkungen für die deutsche Landwirtschaft und auch für den deutschen Steuerzahler - das ist hier eben in der Fragestunde zum Ausdruck gebracht worden - und hat keinen Effekt auf die importierte Inflation, auf die sogenannte Anpassungsinflation. Man muß berücksichtigen, daß in den 2,9% Preissteigerung nur 0,5 % für industrielle Erzeugnisse stecken. Diesen 0,5% und damit der importierten Inflation von 0,5 % schon jetzt oder überhaupt mit einer Aufwertung zu Leibe zu gehen, das hieße mit Kanonen nach Spatzen schießen. Es wird auch gesagt, wir verschleuderten gute Waren gegen billiges Geld. Meine Damen und Herren, das ist sehr wirklichkeitsfremd gedacht. Bitte berücksichtigen Sie, daß der deutsche Export die deutsche Volkswirtschaft im allgemeinen trägt, und er hat sie nicht zum wenigsten in der Rezession getragen. In dem Augenblick, wo wir neue Exportverteuerungen durchführen, wird meistens daran gedacht, daß wir ein Export-Import-Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich haben oder auch eines mit den Vereinigten Staaten. Meine Damen und Herren, wir exportieren aber 50 % unserer Güter in andere Märkte, und dort stoßen wir nicht nur auf die Franzosen und die Amerikaner, sondern dort stoßen wir auf ganz harte Konkurrenten. Denken Sie an die Konkurrenz in den Niedrigpreisländern und denken Sie an die Japaner! ({4}) Präsident von Hassel: Ihre Zeit läuft ab, Herr Abgeordneter Dr. Pohle. Darf ich bitten, zum Schluß zu kommen.

Dr. Wolfgang Pohle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wer jemals draußen verkauft hat, weiß das, und wenn wir wissen, daß die Welthandelszuwachsrate 11 % beträgt, und wenn man einmal Frankreich und die Vereinigten Staaten abstreicht und bedenkt, daß unsere Zunahme nur 6,8 % beträgt, daß im März der deutsche Aktivsaldo erheblich gesunken ist und wir die 10 Milliarden DM, die jetzt vielleicht für das Jahr 1969 einen Überschuß ergeben würden, brauchen, um unseren Devisenmarkt aufrechterhalten, dann, meine Damen und Herren, muß man zu der Überzeugung kommen, daß die Aufwertung eine sehr schlechte Manipulation ist, die wir uns nicht leisten können. Das beste ist, dieses Gerede von der Aufwertung hört auf, dann werden wir mit diesen Erscheinungen am besten fertig werden, ({0}) wobei wir gemeinsam überlegen können, welche stabilisierenden Maßnahmen außerhalb der Aufwertung getroffen werden können. ({1}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Ravens.

Karl Ravens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001785, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat uns hier ein paar Zahlen genannt, und er hat sich auf unsere Fraktionserklärung berufen. Herr Präsident, Sie gestatten, daß ich dem Herrn Bundesfinanzminister die Erklärung der Fraktion in dieser entsprechenden Passage kurz in Erinnerung rufe. Die wirtschafts- und preispolitische Entwicklung ist in der Bundesrepublik in den letzten zweieinhalb Jahren sehr viel gesünder gewesen als in den wichtigsten unserer Partnerstaaten. Dies hat zur Vergrößerung des Wettbewerbsvorsprungs der deutschen Industrie und zu hohen Exportüberschüssen geführt. Diese Überschüsse des binnenwirtschaftlichen Güterangebots bei gleichzeitig steigender Geldmenge führen zur Preiserhöhung und damit zur importierten Inflation aus dem Ausland in das Inland zu Lasten unserer Verbraucher. Die ausländische Teuerungswelle greift auf das Inland über. Das ist die entsprechende Passage der Erklärung unserer Fraktion, Herr Bundesfinanzminister. Ich glaube, ich sollte dazu zwei Zahlen nennen, um das ein wenig zu erhärten. Uns steht bei den wichtigsten Handelspartnern eine Inflationsrate gegenüber, die, im Durchschnitt gemessen, etwa bei 5% liegt, und wir erleben im Augenblick, daß der Bestelleingang aus dem Ausland bei uns erheblich höher liegt als der Bestelleingang aus dem Inland. Wir erleben im Augenblick bei Auslandsaufträgen einen Zuwachs von 50 % gegenüber dem entsprechenden Monat des Vorjahres, während bei der Binnennachfrage ein Zuwachs von 26 % zu verzeichnen ist. Hier klaffen also die beiden Bestellungen auseinander und machen eigentlich die Gefahr einer importierten Inflation deutlich. Das zeigen diese beiden Zahlen sehr deutlich. Herr Bundeskanzler, ich stimme Ihnen zu, es kommt darauf an, die Spekulationswelle zu brechen. Aber es kommt, so meine ich, davor zunächst einmal darauf an, eine solche Spekulationswelle gar nicht erst möglich werden zu lassen, sie zu verhindern. ({0}) Ich möchte Sie bitten, Herr Bundeskanzler, wenn Sie davon sprechen, daß es darauf ankommt die Spekukulationswelle zu brechen, zur Regierungsbank und auf diejenigen zu schauen, die dafür die Verantwortung tragen. Aus diesem Parlament heraus ist eine solche Spekulation in der Vergangenheit nicht angereizt worden. ({1}) Und nun eine Frage. Wenn wir also von dieser Situation, wie ich sie dargestellt habe, ausgehen, dann müssen wir doch wohl als Vertreter des ganzen deutschen Volkes fragen: Was erwartet denn der Bürger jetzt eigentlich von uns, die wir hier Verantwortung tragen, für ihn da sind und Politik machen? Ich glaube, er wünscht sich doch wohl, wenn er am Wochenende an uns seine Fragen gerichtet hat, zudavon sprechen, daß es darauf ankommt, die Spekunächst; Stabilität des Preisniveaus; denn nur bei relativ stabilen Preisen kann seine Lohn- und Gehaltserhöhung zu allgemeinen Wohlstandssteigerungen beitragen. Er erwartet, daß dies von ihm so mühsam zusammengetragene Sparguthaben nicht durch von außen hereinschwappende Inflationstendenzen ausgehöhlt werde. Das Geld soll also seinen Wert behalten. Darauf hat ja der Sparkassenpräsident in den letzten Tagen sehr deutlich hingewiesen. Der Bürger kann erwarten, daß die von uns im Inland produzierten Waren draußen nicht zu billig, nicht unter Wert verkauft werden müssen, während wir selbst bei den Inflationsraten draußen immer mehr in die Situation hineinkommen, dort teurer einkaufen zu müssen und von daher wiederum Preiserhöhungen ins Inland zu importieren. Er erwartet von uns angesichts seines bevorstehenden Urlaubs - 9 Millionen Bürger werden in diesem Jahr im Ausland sein -, daß er auch draußen in dieser Hinsicht für sein gutes Geld eine entsprechende Leistung bekommt, daß also Geld und Leistung draußen in einem richtigen Verhältnis zueinander stehen. ({2}) - Ich habe von der Stabilität gesprochen. Die Frage steht in der Beantwortung des Kollegen Schmidt ({3}) Herr Präsident, ich bitte, mir zu erlauben, diese Frage zu beantworten. - Herr Kollege Barzel, auf die Frage der Arbeitsplätze hat der Kollege Helmut Schmidt mit dem Hinweis auf das Sperren der Sozialdemokraten gegen eine deflatorische Politik hingewiesen. Ich glaube, das hat er hinreichend deutlich gemacht. Aber natürlich wissen wir auch - darauf ist hier vom Kollegen Pohle hingewiesen worden -, daß es dann Schwierigkeiten in der Landwirtschaft geben könnte und gegeben hätte. Ich kann hier für meine Fraktion erklären, daß wir bereit sind, diese Lasten der Landwirtschaft dann auch abzunehmen. Wir meinen, sie kann das im europäischen Markt nicht allein tragen, was hier notwendig ist. ({4}) Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, Ihre Zeit läuft ab. Ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Karl Ravens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001785, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Die marktwirtschaftliche Lösung, wie sie von den Sachverständigen, vom Bundeswirtschaftsminister, vom Sparkassenpräsidenten, von der Deutschen Bundesbank vorgeschlagen wurde, ist nicht möglich gewesen. Diejenigen, die sie nicht wollten, müssen jetzt wirksame andere Maßnahmen vorschlagen. Oder ich darf es in der Wortwahl eines Parlamentariers sagen: Jetzt hat das Wort der Herr Bundesfinanzminister. ({0}) Präsident von Hassel: Bevor Sie dem Herrn Bundesfinanzminister das Wort erteilen, erteile ich es dem Herrn Bundeskanzler. ({1})

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001096

Ich habe vorhin meine Zeit nicht ausgenützt und werde sie auch jetzt nicht ausnützen. Ein Geistesblitz der FDP-Fraktion fragte, ob der Bundeskanzler ein Sachverständiger sei. Meine Damen und Herren, kein Regierungschef der ganzen Welt ist in all den Fragen, die er nach den Richtlinien der Politik zu entscheiden hat, ein Sachverständiger. Wäre er es, dann wäre er ein schlechter Regierungschef. ({0}) Aber es geht gar nicht darum, ob der Bundeskanzler in dieser Frage ein wissenschaftlicher Sachverständiger ist. Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil es hier einfach anfängt, so zu werden, daß in den Beiträgen hier oben die Situation verschleiert wird. Herr Scheel widerspricht sich in seinen Darstellungen von Satz zu Satz ({1}) - von Satz zu Satz! -, wenn er sich auf die Sachverständigen beruft. Ich habe seit Mitte letzten Jahres mit den Sachverständigen, und zwar mit allen, beraten, und ich habe in einer entscheidenden Stunde in der letzten Woche in meiner Wohnung zwei Männer einander gegenübergesetzt, um endlich einmal statt der fünf Sätze, die ich von den Aufwertungsanhängern immer zu hören bekam - fünf Sätze, das ist immer schon verdächtig; als ob sich die Wahrheit so einfach sagen ließe -, eine differenzierte Argumentation zu hören. Ich habe also zwei Männer von entgegengesetzter Position gehört, deren Urteil ich schätze und achte, von denen ich weiß, daß sie mich auch in der Vergangenheit - jeder von ihnen - objektiv beraten haben. Das eine - warum soll ich es nicht sagen? - war mein alter Freund Dr. Emminger von der Bundesbank. Der andere war Herr Abs. Keiner kann sagen, daß man dem einen oder anderen Sachverstand absprechen könnte. Und beide haben völlig entgegengesetzte Positionen bezogen. ({2}) - Entschuldigen Sie, Herr Zoglmann, Herr Otmar Emminger hat die Sache der Aufwertung vertreten, Herr Abs hat - was er immer getan hat, und zwar nicht aus einer Interessenlage heraus - den gegenteiligen Standpunkt vertreten. Das ist aber nur ein Beispiel für viele. Ich habe diesen Fall jetzt nur genannt, um der Legende entgegenzuwirken, als gäbe es nur Leute auf der einen Seite. Ich könnte hier eine ganze Reihe von Briefen vorlesen von Männern, die mich ermutigt haben, nicht aufzuwerten. Einer von ihnen ist z. B. der Vorgänger von Herrn Blessing, Herr Geheimrat Vocke, der dringend vor einer solchen Aufwertung gewarnt hat. Aber das ist nicht das Entscheidende, was ich jetzt sagen will. Das Entscheidende ist dies: eben wurde gesagt, die Haltung der Regierung habe diese Spekulationswelle erzeugt. Was für ein Unsinn! Diese Spekulationswelle ist erzeugt worden durch die Festigkeit unserer wirtschaftlichen Verhältnisse und durch die - ({3}) - Ja, das haben Sie gesagt, und dm letzten Satz haben Sie das Gegenteil gesagt: die Haltung der Regierung habe es bewirkt. ({4}) Bleiben Sie doch bei der Wahrheit! Einer der festesten, intensivsten Anhänger der Aufwertung hat auf meine Frage: „Führt das, was Sie vorschlagen, nicht dazu, daß wir jedes Jahr erneut zu einer Aufwertung gezwungen sein würden, wenn wir Ihrem Ratschlag folgten?" klipp und klar gesagt: Wenn nicht jedes Jahr, dann doch jedes zweite Jahr. ({5}) Das ist doch das, was die Sachverständigen vorgeschlagen haben: eine stufenweise Anpassung unserer Verhältnisse an die anderen Verhältnisse in der Welt durch jedes Jahr vollzogene Aufwertung. Im letzten Augenblick sind dann die Wissenschaftler gekommen und haben gesagt: Weder das eine - die Nichtaufwertung - noch das andere - die Aufwertung -; die Aufwertung reicht gar nicht, sondern ihr müßt übergehen zu einem System flexibler Wechselkurse. Der anwesende Bundesbankpräsident, der für Aufwertung war, hat die Arme in die Luft geworfen und dazu den Ausdruck gebraucht „verheerend". ({6}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister Strauß. Darf ich eben bekanntgeben: es folgt dann zunächst Herr Dr. Friderichs, anschließend Herr Professor Stein.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht sollte man die amerikanische Regelung einführen - auch wenn es nicht zweckmäßig ist -, daß Währungsparitäten nur durch Beschluß des Parlaments geändert werden dürfen. Dann könnten wir eine richtige Debatte über diese Frage führen, statt sie sozusagen bruchstückweise in Fünf-Minuten-Raten führen zu müssen. Herr Kollege Raven, ich bestreite nicht, daß es ein Problem des Preisauftriebs gibt - seit geraumer Zeit - und erlauben Sie mir die unbescheidene Bemerkung: lange vor manchen anderen habe ich dringend gebeten, ({0}) nicht mehr fasziniert und fanatisiert auf das Ziel „Wachstum" zu starren, sondern nunmehr die Priorität auf Stabilität zu legen. ({1}) Warum habe ich das getan? Ich habe mir vorhin erlaubt, den von wissenschaftlicher Seite - von einem Teil der Wissenschaft, der nicht für die ganze Wissenschaft in Anspruch genommen werden darf - aufgestellten unmittelbaren Ursachen- und Wirkungszusammenhang zwischen außenwirtschaftlicher Absicherung und Preisentwicklung zu bestreiten. Es tut mir leid, daß ich jetzt das sagen muß, was ich hier zu sagen vorhabe. Ich habe hier dringend darum gebeten, daß die Vorgänge im Sachverständigenrat geklärt werden; das ist auch eingeleitet worden. Denn es ist unmöglich, daß ein ausgeschiedenes Mitglied des Sachverständigenrats die schwerstwiegenden Vorwürfe gegen die anderen erhebt, und zwar die Vorwürfe der Rechtswidrigkeit, der Unterdrückung der Meinungsfreiheit, der Verhinderung der Meinungsfreiheit für die Minderheit, der Nichteinladung zu Sitzungen usw. All dies ist in der „Zeit" geschehen; das haben Sie vielleicht selbst nachgelesen. Das ist für ein Sachverständigengremium, das die Bundesregierung auswählt und der Bundespräsident ernennt, ein unmöglicher Vorgang. Zwei Mitglieder dieses Sachverständigengremiums, gegen die dieser Vorwurf erhoben wird, sind die Initiatoren der Unterschrift von 61 oder 93 Sachverständigen. Das ist der Vorgang, der ja nicht neu ist. Wir haben im übrigen früher schon Resolutionen . mit viel mehr Namen für dies oder gegen dies erhalten; auch Namen mit sehr illustrem Ruf. ({2}) Ich bin Ihnen noch eine Antwort schuldig, Herr Kollege Ravens. Warum gibt es eine Preisauftriebstendenz? Antwort: weil unsere konjunkturfördernden Maßnahmen eine Wirkung gezeigt haben, die über die ursprüngliche Zielsetzung hinausgegangen ist. ({3}) Ich darf Ihnen einmal das Soll und das Ist - leider kann ich in den 5 Minuten nicht mehr tun - gegenüberstellen, und zwar das Soll, das die Wissenschaft aufgestellt hat - die Berater der Bundesregierung -, und das Ist, das das Statistische Bundesamt festgestellt hat. Hören Sie sich nur einmal diese Zahlen an, um sich vielleicht weniger von Pseudozusammenhängen, falschen Kausalitäten und höchst trügerischen Prognosen blenden zu lassen. ({4}) Der Zuwachs des Bruttosozialprodukts wurde für 1967 nominal auf 6,3 % geschätzt; das Ist betrug 0,9 %. Das bedeutet eine Differenz von 5,4 %. Für das Jahr 1968 wurde nominal plus 6,5 % geschätzt; eingetreten ist eine Steigerung um 9,0 %. ({5}) Fehler: Minus 2,5 %. Für 1967 wurde das reale Wachstum auf plus 3,5 % geschätzt; das Ist belief sich auf 0,2 %. Fehler: plus 3,3 %. Für 1968 wurde das reale Wachstum auf plus 4,0 % geschätzt; eingetreten ist eine Steigerung um 7,0 %. Also eine Unterschätzung um volle drei Punkte. Die Zunahme des privaten Verbrauchs wurde für 1967 auf 6,3 % geschätzt; eingetreten: plus 2,4 %. Also ein Fehler in der Größenordnung von 3,9 Punkten. Für 1968 wurde die Zunahme auf 4,2 % geschätzt; eingetreten: 5,7 %. Also eine Unterschätzung um 1,5 Punkte. Das Wachstum der Ausfuhr wurde für 1967 auf 9,7 % geschätzt; eingetreten: 8,2 %. Abweichung: 1,5 Punkte. Für 1968 wurde die Steigerung der Ausfuhr auf 7,4 % geschätzt; eingetreten: 12,9 %. ({6}) Also eine Unterschätzung um 5,5 %. Schätzung der Einfuhr 1967: plus 8,0%; eingetreten: minus 1,3 %. Schätzung der Einfuhr 1968: plus 11,6 %; eingetreten: plus 12,7 %. Das ist der Vergleich zwischen wissenschaftlicher Schätzung und dem tatsächlichen Ablauf, wie er vom Statistischen Bundesamt festgestellt wurde. ({7}) Danach werden Sie doch nicht die Berechtigung einiger Mitglieder der Bundesregierung bestreiten, Skepsis gegenüber gewissen Theorien, Pseudokausalitäten und fiktiven Zusammenhangkonstruktionen zu hegen. ({8}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort an Herrn Bundesminister Professor Schiller weitergebe, möchte ich zur Geschäftslage sagen, daß die Sprecher der drei Fraktionen bisher 26 der 60 Minuten konsumiert haben. Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Schiller.

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kommt mir nur darauf an, ein paar kurze Richtigstellungen vorzunehmen. Was die eben genannten Schätzungen und die Abweichungen der Realität von bestimmten Schätzungen betrifft, so ist für alle diese Prognosen bis heute hin ein verdienstvoller interministerieller Arbeitskreis verantwortlich gewesen, an dem der Herr Bundesfinanzminister mit seinen Beamten maßgeblich beteiligt ist. ({0}) Wir alle haben gemeinsam mitgewirkt. Ich möchte das deutlich sagen, damit für diese Schätzungen nicht nur ein einziger oder einige wenige verantwortlich gemacht werden. Wir sitzen auch da in einem Boot. ({1}) Was nun die Stabilität in diesem Lande betrifft - und sie ist das Wesentliche -, so bin ich allerdings der Meinung - das will ich ganz offen sagen -, daß es nicht genügt, frühzeitig im Januar „Stabilität, Stabilität, Stabilität" gesagt zu haben. Es muß der Preis genannt werden, der für die Sta12978 bilität zu zahlen ist. Stabilität kann weh tun. Denken Sie an die Aufstockung der Einfuhrkontingente, die diese Bundesregierung am 18. März beschlossen hat, und denken Sie an andere Maßnahmen. Wer Stabilität mit Nachdruck vertritt, muß auch einen Weg weisen. Die Bundesregierung hat im November vorigen Jahres gehandelt, indem sie mit diesem Hohen Hause zusammen das Gesetz zur außenwirtschaftlichen Absicherung durchgebracht hat. Das war ein praktischer Beitrag zur Stabilität. Die weiteren Entwicklungen zeigten uns, daß die Sätze und die Konstruktion ungenügend waren. Dann muß man aus der Realität lernen! ({2}) Es mußte ein neuer Weg gefunden werden. Mir ist es weiß Gott nicht leichtgefallen. Ich habe mir die Zahlen - der Herr Bundeskanzler weiß es, wir haben unsere beiderseitigen Gespräche über dieses Thema im März angefangen - für zwei Monate angesehen. Für März dieses Jahres - der Kollege Ravens hat diese Diskrepanz angedeutet, ich will sie exakt bringen - ergibt sich bei den Auslandsaufträgen für Verbrauchsgüter eine Zuwachsrate von 51 gegenüber dem Vorjahr. Die Zuwachsrate bei den Inlandsbestellungen beträgt nur 17 %. Meine Damen und Herren, in diesem Punkt muß ich leider meinen Kollegen Strauß korrigieren. Diese Entwicklung ist nicht auf die Konjunkturprogramme des Jahres 1967 zurückzuführen. Sie sind spätestens im Frühjahr 1968 ausgelaufen. ({3}) Und die steuerlichen Sonderabschreibungen sind im Herbst 1967 beendet worden. Die statistischen Daten zeigen eindeutig, daß wir vom Ausland her eine Übernachfrage haben. An dieser Stelle ist der Herd der Überexpansion, und an dieser Stelle muß eingegriffen werden. Der Herr Finanzminister stimmt doch wohl mit mir darin überein, daß diese außenwirtschaftliche Flanke nicht vernachlässigt werden darf. Und wir müssen diese offene außenwirtschaftliche Flanke im Interesse unserer eigenen Stabilität schließen. Ich will mit einem Zitat abschließen, das da lautet: Damit kommt auch zum Ausdruck, daß es ein Vorgang von großer internationaler Bedeutung ist. . . . Die Monate Januar und Februar aber haben ein derartiges Ansteigen der Konjunktur gebracht, daß wir der weiteren Entwicklung bei uns, nämlich einer weiteren Überhitzung der Konjunktur, nur mit großer Sorge entgegensehen konnten. Das war der Grund, warum wir, Herr Blessing und ich, uns nunmehr auf den Standpunkt gestellt haben, es müsse eine derartige Änderung des Wechselkurses erfolgen. Dieses Zitat stammt von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, gesprochen am 8. März 1961 im Deutschen Bundestag, hier in diesem Hohen Hause. ({4}) Präsident von Hassel: Ich erteile Herrn AbgeAbgeordneten Dr. Friderichs von der FDP das Wort.

Dr. Hans Friderichs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000586, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Herr Bundeskanzler, oh hätten Sie doch geschwiegen und die Frage Ihres Sachverstandes weiterhin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" überlassen! ({0}) Eine Bundesregierung, ein Bundeskanzler, der sich hier an dieses Rednerpult stellt, um über die Spekulanten zu triumphieren, flieht vor der Wahrheit, ({1}) und das ist für einen Politiker, Herr Bundeskanzler, Schwäche. Die Spekulanten, Herr Bundeskanzler, sind nicht die Urheber der Situation, sondern sie sind die Folge einer falschen Politik Ihrer Regierung. ({2}) Das müssen Sie sich sagen lassen. ({3}) Spekulanten sind selbstverständlich dort, wo freie Preisbildungen möglich sind, immer da. Die Frage aber, ob Sie ihnen das Spekulieren mit Erfolg ermöglichen, ist die Frage Ihrer Politik. Sie haben, Herr Bundeskanzler, im Herbst des vergangenen Jahres einen entscheidenden Fehler begangen, als Sie die Frage, ob man möglicherweise eine zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt richtige wirtschaftspolitische Entscheidung trifft oder nicht trifft, verbunden haben mit Ihrer Kanzlerfrage. Herr Bundeskanzler, Sie haben dadurch Ihre Regierung in eine Mausefalle hineinmanövriert, in der ihr volkswirtschaftlich richtiges Handeln wegen Ihrer eigenen Aussage nicht mehr möglich war. ({4}) Das ist zu bedauern. Herr Bundeskanzler, die Tatsache, daß die Ursachen nicht bei denen liegen, über die Sie zu triumphieren versuchen, zeigt die Entwicklung der letzten drei Jahre. Man braucht nur den Jahreswirtschaftsbericht Ihrer Bundesregierung, Herr Bundeskanzler, zu lesen, und man sieht, welche Beurteilung am 31. Januar 1969 vorhanden war: Dämpfungseffekt durch das Vier-Prozent-Gesetz wurde prognostiziert. Es wurde behauptet, man müsse die Innennachfrage ankurbeln. Ja, Ihre eigene Bundesregierung, Herr Bundeskanzler, hat am 31. Januar nicht nur gesagt, sondern sogar gedruckt, daß die Steuermehreinnahmen ausgegeben werden müßten, um die Maßnahmen des Vier-Prozent-Gesetzes Ihrer Regierung zu kompensieren, ({5}) sie müßten zusätzlich investiert werden - Ihre Regierung, für die Sie, Herr Bundeskanzler, und nur Sie allein die Verantwortung zu tragen haben. Sie sind Kanzler der Bundesrepublik. ({6}) Und was hören wir heute von Ihnen? - Den Versuch eines Triumphes über Spekulanten, weil Sie, Herr Bundeskanzler, wissen, daß Sie damit in einem Teil unseres Volkes auf eine psychologische Lage treffen, in der Sie glauben, des Beifalls vor der Wahl sicher zu sein. Herr Bundeskanzler, diese Richtung stimmt nicht. ({7}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001096

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weise die Unterstellungen des Vorredners mit aller Entschiedenheit zurück. ({0}) Es ist hier die arrogante Kritik aus den Reihen der Opposition gekommen, die dem Bundeskanzler unterstellt, daß er aus unsachlichen Motiven so entschieden habe, wie er entschieden hat, die arrogante Kritik, die ihm unterstellt, daß er, obwohl er sich nun fast ein Jahr auf das intensivste mit dieser Gesamtproblematik beschäftigt, ({1}) nichts von der Angelegenheit verstünde. - Erfolglos? Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: Warum hören Sie geflissentlich an der Feststellung vorbei, die ich vorhin gemacht hatte, daß, obwohl die Sachverständigen wie die Vorkämpfer der Aufwertung in der Bundesbank erklärt haben, daß der Zwang zur Aufwertung ausschließlich aus den Mißverhältnissen unserer Stabilität zur Instabilität anderer kommt und daß dieser Zwang dazu führt, daß in regelmäßigen Abständen die Aufwertung der D-Mark wiederholt werden müsse? ({2}) Dies ist die Feststellung. ({3}) - Ja, fassen Sie sich an den Kopf; Sie haben allen Grund dazu, sich an Ihren Kopf zu fassen. ({4}) Sie können diese Auffassung vertreten, Sie können sich auf den Standpunkt stellen: „Jawohl, das ist ganz natürlich, daß wir gezwungen sind, weil wir so stabil sind und andere nicht, immer wieder Währungsmanipulationen zu machen." Ich aber sage, meine Damen und Herren: wenn wir das täten, dann wäre das das beste Mittel, um zu verhindern, daß es eines Tages zu der notwendigen internationalen Ordnung der Währungen kommt. ({5}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister Strauß.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Meine verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, Argumente pro oder contra diese oder jene These 'etwa hier ratenweise weiterhin zu liefern. Ich erlaube mir nur eines zu sagen. Wenn man von unseren Wirtschaftspartnern, unseren Haupthandelspartnern, den Ländern, mit denen wir seit Jahren in engstem handelspolitischem, auch zahlungsbilanzpolitischem Verkehr stehen, auf die Bundesrepublik sieht und die heutige Debatte verfolgt, dann muß man sich wirklich an den Kopf greifen. Denn mir ist es lieber, wir ringen mit den Problemen, die wir jetzt zu lösen haben, als mit den Problemen, die wir im Dezember 1966 zu lösen hatten. ({0}) - Ich glaube, Sie verstehen mich gar nicht. Ich darf wiederholen. Ich sage: mir ist es lieber, wir ringen mit den Problemen, mit denen wir jetzt zu kämpfen haben, auf der Basis eines Erfolges, der von der gesamten Regierung und von beiden Koalitionspartnern durch eine vorbildliche Wirtschafts- und Finanzpolitik erreicht worden ist. ({1}) . Ich wehre mich 'einfach dagegen, daß das, was gemeinsamer Erfolg ist, durch diese Art einer atomistischen Debatte im einzelnen zerredet und dem Bewußtsein der Öffentlichkeit entrückt werden soll. ({2}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie mein Kollege Schmidt möchte ich gern versuchen, dazu beizutragen, daß das Reizklima, das vor dem Hause ist, nicht hier hereinschlägt und wir vielleicht am Schluß dieser Debatte alle miteinander nicht mehr glücklich sein können. ({0}) Deshalb: alle miteinander. Gegeneinander ist ganz leicht, Herr Stammberger. Hier braucht doch nur einer noch zwei Worte zu sagen, und wir wissen doch alle, was dann passiert. Herr Bundeskanzler, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Haltung in der Sache, ({1}) und ich bedauere Sie zugleich für manche Schwierigkeiten, die sich nun in der Zusammenarbeit, die wir doch zu einem guten Ende bringen wollen, für Sie, aber auch für uns ergeben. Denn wir wollen uns doch heute - die Fraktionsführungen - noch über einige wichtige Gesetze zu verständigen versuchen. Hoffentlich gelingt dies. Herr Kollege Scheel, ich glaube, Ihre Rede hat der Abkühlung der Spekulation nicht gedient. ({2}) Und Herr Kollege Friderichs: Überheblichkeit ist kein Argument; lassen Sie mich dies Ihnen sagen. ({3}) Herr Kollege Schiller, ich unterstelle, daß Sie Ihren Hinweis auf den Eid heute morgen nur pars pro toto für alle Mitglieder der Regierung, an ihrer Spitze den Herrn Bundeskanzler, gegeben haben, die alle miteinander sich bemühen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Und ich nehme an, Herr Kollege Ravens, Sie denken nicht nur an die Chance der Mitbürger, die im Ausland einen Urlaub verbringen wollen, sondern Ihnen ist sicher vertraut, warum sich die deutschen Gewerkschaften in dieser Frage aus Sorge um die zukünftige Vollbeschäftigung so zurückhaltend einstellen. ({4}) Ich möchte zur Sache ein Zitat in die Debatte einführen, und da ich auf alle Dinge des parlamentarischen Erfolges verzichten will, sage ich gleich, von wem es kommt. Denn ich meine, wir haben eine Debatte, die sachlichen Ursprungs ist und die nicht durch alle möglichen Töne und Nebentöne verschattet werden sollte, wenngleich ich weiß, daß sich die Lage im Mai 1969 natürlich für einen Oberseminarstil besonders schlecht eignet. Dennoch sollten die Verantwortlichen versuchen, auch noch im Mai ein Stückchen Oberseminar möglich bleiben zu lassen. Dieses Zitat also ist von Alex Möller, und es lautet: Ein fundamentales Ungleichgewicht ist nur durch Beseitigung der Ursachen des Ungleichgewichts zu bekämpfen. Diese Ursache muß jedoch in der inflationären Wirtschaftspolitik der anderen Länder gesucht werden. Gelingt den Handelspartnern die Bekämpfung der inflationären Entwicklung nicht, so ergibt sich hieraus, daß die Beseitigung des Ungleichgewichts allein durch Abwertung der inflationierten Währung, nicht aber durch Aufwertung der stabilen Währung erfolgen kann. An eine Änderung des Außenwerts der D-Mark ist daher allenfalls im Rahmen einer generellen Neuordnung der Währungsrelationen zu denken. ({5}) Diese Meinung haben wir seit November vertreten und vertreten sie auch noch. Meine Damen und Herren, es muß Ruhe sein an der Währungsfront - ein Wort, das ich von Karl Schiller aus der Novemberdebatte aufnehme. Wir sind nicht bereit, mit unserer Wirtschaftskraft anderen Zeit zu kaufen oder deren Laxheit besser zu ermöglichen. ({6}) Kehren wir doch zum Sachlichen zurück, meine Damen und Herren. Ich habe hier „Die Zeit" von heute, ein Blatt, das nicht das unsere ist. Der Chefredakteur schreibt, glaube ich, irgendwo Wahlvorbereitungen für die Sozialdemokratische Partei. Aber es ist ein objektives Blatt. Dort steht: Und nun will man uns einreden, von einer solchen Miniaufwertung hänge das wirtschaftliche Wohl und Wehe unseres Landes ab: rauf mit den Exportpreisen um nochmals 2,25%, - das war unsere Frage heute morgen und wir bleiben eine „Insel der Stabilität" - nicht rauf und wir versinken im „Meer der Inflation". Und dann geht es weiter; dann kommen unfreundliche Sätze an eine gewisse Adresse. Diese Sätze will ich nicht vorlesen, weil ich dann natürlich das Gegenteil des Zwecks dieser Intervention in der Debatte erreichen würde. Meine Damen und Herren! Die Fragen, die wir gestellt haben, sind nicht beantwortet. Wir haben eine begonnene Preisentwicklung, die nicht nur über das hinausgeht, was früher von dort einmal mit 3 %, 2 %, 1 ;%, 0 % gesagt worden ist, ({7}) sondern die auch über das hinausgeht, meine Damen und Herren, was projektiert ist. Und nun ist doch die Frage: Stoppt eine Aufwertung jetzt diese begonnene Entwicklung, zumal von den 2,9% in dieser Entwicklung, wenn man sie aufschlüsselt, 1,2% auf die Wohnungs- und Garagenmieten kommen - die werden durch die Aufwertung bestimmt nicht direkt betroffen oder gestoppt -, 1,1 % auf Nahrungsmittel und 0,2 % auf gewerbliche Konsumgüter entfallen. Hier muß man doch eine Relation, eine Kausalität zwischen vorgeschlagenen Mitteln und deren Wirkungen herstellen! ({8}) Da ich hier auch nur fünf Minuten habe, möchte ich zum Abschluß folgendes sagen. Wir alle täten gut daran, die Debatte einmal auf den sachlichen Ausgangspunkt zurückzuführen. Dies war meine Absicht. ({9}) Und zum anderen ist diese Debatte darauf zurückzuführen, daß das Wirtschaftskabinett gestern doch offenkundig gemeinsame Vorschläge gefunden hat. Weil entgegen Ihrer Annahme, Herr Scheel, nächste Woche hier normalerweise keine Sitzungen sind, ({10}) weil also bis zum nächsten Plenum eine gewisse Zeit - nämlich bis zum 11. Juni - vergehen wird, erkläre ich, daß die Bundestagsfraktion der CDU/ CSU alles in ihren Kräften Stehende tun wird, um die Vorschläge der Bundesregierung zu unterstützen und, was die parlamentarische Beteiligung betrifft, so schnell wie möglich in Kraft zu setzen. Wir begrüßen insbesondere die Vorschläge, entsprechend dem Stabilitätsgesetz eine Konjunkturausgleichsrücklage zu bilden, wir begrüßen die vorgesehenen Maßnahmen im Haushalt, und wir halten es für sehr erwägenswert, das 4-%-Gesetz unbefristet laufen zu lassen, um so nicht einen neuen Stau im März automatisch zu erzwingen. Ein letztes, meine Damen und Herren, zu all denen in der Welt, die uns immer noch nicht glauben, daß wir diese Ruhe an der Währungsfront meinen: Schon wegen des Agrarproblems weiß jeder, daß hier in dieser Lage ein Handeln nur in engstem Zusammenwirken mit dem Parlament zeitlich und sachlich möglich ist. Auch das mögen sich bitte die Spekulanten vielleicht anschreiben lassen. Es war meine Absicht, eine ruhige Rede zu halten. Ich weiß nicht, ob ich nicht vielleicht selbst von dem Reizklima ergriffen worden bin. Meine Absicht war so, und ich hoffe, meine Damen und Herren, es ist mir bei all denen, die zuzuhören imstande waren, auch gelungen. ({11}) Präsident von Hassel: Ich erteilte das Wort zunächst dem Abgeordneten Dr. Apel, alsdann dem Abgeordneten Professor Stein, alsdann als drittem dem Abgeordneten Genscher.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg mit einer Legende aufräumen, mit der Legende nämlich, als habe ein Papier meines Fraktionskollegen Dr. Möller die Diskussion in der Bundesregierung oder anderswo entscheidend beeinflußt. Tatsächlich ist es so, daß Herr Dr. Möller in einer Übersicht für die Fraktionskollegen die Argumente, die für und die gegen eine Aufwertung sprechen, zusammengestellt hat, - eine sehr verdienstvolle Arbeit, die auch unserer Fraktion geholfen hat. Ich meine, Herr Dr. Barzel, man soll nun nicht ein oder zwei Argumente daraus herauspflücken, um seine eigene Argumentation damit zu stützen. Das ist zwar üblich in diesem Hause, dient aber nicht dem, was Sie selber wollen, der Versachlichung. ({0}) Damit bin ich beim zweiten Punkt. Wir sind sehr für Versachlichung. Aber wenn Sie sich die heutigen bayerischen Zeitungen anschauen - die „Süddeutsche Zeitung" liegt mir vor -, dann finden Sie dort eine große Annonce der CSU, und darin steht: Jedes Markstück ist ein Goldstück, nur eine gesunde Währung schafft eine gesunde Wirtschaft, und diese gesunde Währung sichert natürlich der Franz Josef Strauß, mit ihm als Finanzminister bleibt die D-Mark hart, die Wirtschaft gesund. ({1}) - Ich finde es ja ganz schön, daß das so ist. Ich habe nur das Gefühl, der Herr Finanzminister ist mit der Absicht, die Währung stabil und die Wirtschaft gesund zu halten, dann auf dem falschen Dampfer. Denn das, was unter seiner Ägide gestern im Wirtschaftskabinett vorgeschlagen worden ist, ist für den Teil außenwirtschaftliche Absicherung weiße Salbe: 80 % Werbung, 20% Wasser. ({2}) In diesem Bereich haben wir auch in Zukunft eine offene Flanke. Ich gebe Ihnen zu, daß im Bereich der innenwirtschaftlichen Absicherung manches vorgeschlagen wird, was auch wir diskutieren können. Denn die Überhitzung der Konjunktur kommt ja nicht nur aus dem Ausland, sondern auch aus dem Inland. ({3}) Wenn Sie, meine Damen und Herren, aber die stabile Währung wollen und wenn Franz Josef Strauß dafür der Garant ist, dann muß ich doch einmal folgende Fragen an den Herrn Bundesfinanzminister stellen. Erste Frage: Ist er nicht auch der Meinung, daß die D-Mark im Vergleich zu den anderen Währungen, die relevant sind, unterbewertet ist und daß wir damit unsere Exporterzeugnisse verschleudern, zu billig verkaufen? ({4}) Die zweite Frage: Würde eine Aufwertung nicht die Importpreise in diesem Lande reduzieren und damit dem Konsumenten zugute kommen und damit letztlich auch dem Sparer, weil das dämpfend wirken würde? Die dritte Frage: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß unsere Exportindustrie - Herr Bundeswirtschaftsminister Schiller hat ja Zahlen genannt - überbeschäftigt, zum mindesten aber vollbeschäftigt ist? Insofern stimmt es auch nicht, Herr Kollege Dr. Barzel, wenn Sie sagen, der DGB habe große Bedenken, was die Aufwertung anbelangt. Der DGB hat sich für eine maßvolle Aufwertung ausgesprochen, und maßvoll ist das, was der Bundeswirtschaftsminister vorgeschlagen hat. ({5}) - Wenn Sie nicht die richtigen Zeitungen lesen, sondern nur den „Bayern-Kurier", dann kann ich nichts dafür. ({6}) Meine Damen und Herren, und da sagt der Herr Dr. Pohle, wir könnten doch gar nicht aufwerten; denn wir fänden ja nicht den richtigen Satz. Dann können wir auch nicht heiraten; denn wir finden nie die ideale Frau. ({7}) - Ich bin verheiratet. Ich meine also, meine Damen und Herren, wir haben - und insofern bin ich mit Herrn Dr. Barzel völlig einig - allen Grund, uns hier nicht zu stark zu echauffieren. Wir müssen aber zweierlei begreifen. Erstens ist das, was die Bundesregierung vorschlägt, nicht ausreichend. Und zweitens müssen wir alle am Ball bleiben; denn damit, daß das Weltkind, das zwischen den Propheten von rechts und links steht, ({8}) die Entscheidung vor sich hergeschoben hat - ich habe gutes Verständnis dafür, man kann wirklich nicht alles in dieser Welt wissen -, sind die Pro12982 bleme, die uns gestellt sind, nicht vom Tisch. Und das zumindest müssen Sie begreifen, daß die nächsten Wochen und Monate erneute Überlegungen in dieser Frage fordern. Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit. ({9}) Präsident von Hassel: Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesfinanzminister Strauß.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ich hätte meine Absicht, heute bestimmt nicht mehr zu sprechen, auch tatsächlich eingehalten, aber ich wollte dem Kollegen Apel nicht die Möglichkeit geben, hernach zu sagen: Ich habe Fragen gestellt, der Gefragte war anwesend und hat geschwiegen, weil er keine Antwort wußte. Das wäre doch die natürlichste Reaktion. Sie brauchen gar nicht den „Bayern-Kurier" zu nehmen, wenn Sie schöne Inserate sehen wollen. Hier sehen Sie ebenfalls eines. ({0}) Darf ich es einmal vorlesen: „Es gibt Politiker, die halten eine Reservearmee von 600 000 Arbeitslosen für normal - wir nicht." Ich bin völlig einverstanden. Das Inserat könnte von der CSU sein, nicht nur von der SPD. ({1}) Dann geht es weiter: „Führende Wirtschaftspolitiker der CDU halten 600 000 Arbeitslose für eine normale Erscheinung der Wirtschaft" usw. usw. ({2}) Wenn wir über Inserate reden, lieber Herr Kollege Apel, ist dieses Inserat, das von einer Parteizentrale im Zuge der Inseratenkampagne aller Parteien hier erarbeitet worden ist, relativ mild, und zwar schon deshalb - ein Inserat muß ja Lob enthalten -, weil es keine unfairen und unsachlichen Angriffe gegen eine andere Partei und ihre Wirtschaftspolitiker führt, wie es in dem Inserat geschieht, wo den Wirtschaftspolitikern der CDU der Wunsch nach einer künstlich gezüchteten Arbeitslosigkeit als Mittel der Stabilisierungspolitik unterstellt wird. ({3}) Das mußte und durfte ich dazu sagen. Weil Sie schon Inserate erwähnt haben: Ich bestreite nicht, Herr Kollege Apel - ich habe das aber leider gesagt, muß ich heute hinzufügen; es ist besser, nicht darüber zu reden, aber man zwingt uns hier dazu -, daß die D-Mark, wie auch der Herr Kollege Schiller erklärt hat, gegenüber gewissen Währungen unterbewertet ist. Aber es ist ganz falsch, zu behaupten, daß die D-Mark gegenüber sämtlichen Währungen der Welt und gegenüber sämtlichen Handelspartnern unterbewertet sei. ({4}) Ferner darf ich Ihnen sagen - ich habe den Bericht 'da liegen; ich kann ihn der Kürze der Zeit halber nicht verlesen -, daß im Jahre 1962 im offiziellen Jahresbericht der Bank of England für das Jahr 1961 das Bedauern über die Aufwertung der D-Mark ausgesprochen worden ist, weil die damalige Aufwertungsentscheidung .erheblich zur Minderung des Vertrauens gegenüber dem Pfund beigetragen und einen Schock ausgelöst habe. - Sie können es nachlesen; ich kann Ihnen den Text hier geben, ich habe ihn im Original dabei. Drittens darf man nicht Probleme der Konjunkturdämpfung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der außenwirtschaftlichen Absicherung sehen, weil dieser Zusammenhang falsch ist. Natürlich besteht ein mittelbarer Zusammenhang über einen größeren Zeitraum hinweg - das bestreitet niemand -, aber die primitive These „außenwirtschaftliche Absicherung, dann Preisstabilität" oder umgekehrt stimmt einfach nicht. Darüber gibt es eine umfangreiche Literatur. Nur wird einmal die eine Modetheorie hochgespielt, ein andermal die andere Modetheorie hochgespielt. Jetzt sage ich Ihnen noch 'eines. Sie reden davon, daß die Exportindustrie überbeschäftigt ist. Ich nehme diese Zahlen über den Auftragseingang sicherlich ernst. Aber unter dem Stichwort „terms of payment" frage ich Sie: Wie viele Aufträge sind wegen der seit Monaten von gewisser Seite angeheizten Spekulation vorgezogen worden, damit man bei Vertragsabschluß noch niedrigere Preise als nach der befürchteten Aufwertung zahlen konnte? ({5}) Darum muß zu einer objektiven Beurteilung Ruhe einkehren ({6}) und dürfen nicht .auf dem Höhepunkt einer hochgespielten Kampagne alle möglichen technischen Schlußfolgerungen gezogen werden. Drittens und letztens: Wenn Sie mit der klassischen Exportindustrie reden - es gibt auch manche Exportbetriebe, die erst nachträglich in das Geschäft gekommen sind und die natürlich jetzt die Chance wahrnehmen -, dann werden Sie eines feststellen, was nur durch Dirigismus, den niemand will, zu beheben wäre: Man will die Exportaufträge auch um den Preis eines niedrigeren Preises und damit unter Umständen ohne Gewinn oder unter Gewinn bedienen, um die eroberten Exportmärkte zu halten und nicht wieder aufzugeben. Was ist dann die Folge, Herr Kollege Apel? Dann nimmt man die binnenwirtschaftlich hochgeheizte Konjunktur als Preisausgleichsinstrument, um die Verluste in der Außenwirtschaft durch höhere Preise in der Binnenwirtschaft zu kompensieren. Auch darüber sollte man ernsthafter reden, als es manchmal geschieht. ({7}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Professor Stein. Dann folgt der Abgeordnete Genscher.

Gustav Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002231, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde neigt sich ihrem Ende zu. Ich meine, Stein ({0}) wir sollten jetzt einmal einen Augenblick den Blick nach vorn richten. Wir müssen uns darüber klarwerden,. wie es weitergeht. Ich möchte mich in aller Kürze mit zwei Punkten befassen, die zudem noch zusammengehören, und mit den Vorschlägen der Bundesregierung, die sie sowohl hinsichtlich der Konjunkturrücklage wie hinsichtlich der Streichung des Etats macht. ({1}) Präsident von Hassel: Darf ich bitten, Platz zu nehmen und die Aktuelle Stunde, die noch etwa 15 Minuten dauern wird, zu Ende zu verfolgen. - Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen.

Gustav Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002231, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst zur Konjunkturausgleichsrücklage, im weiteren Verlauf also zu jener neutralisierenden Abschöpfung von öffentlicher Liquidität, die bisher nur auf dem Papier stand. Das ist darüber hinaus die Stillegung bestimmter Mittel der öffentlichen Haushalte, deren Ausgabe die Nachfrage und damit die Preise unerwünscht berühren kann. Die Hinweise in der Presse und auch in der Wissenschaft sind hier unüberhörbar. Aber sie waren mir nicht präzis genug. Ich möchte anregen, daß wir vom Globalen sehr schnell zum Speziellen kommen. Außerdem ist hier eine Lücke im Stabilitätsgesetz, zwar nur eine kleine, aber vielleicht doch eine spürbare. Die Konjunkturrücklage - ich peile sie zunächst einmal als geeignete Maßnahme in der heutigen Wirtschaftssituation an - soll nach dem Stabilitätsgesetz angereichert werden. Wer von uns würde sich auch nach dieser Diskussion nicht darüber freuen, wenn endlich ein neutrales Konto entstünde, dem, etwa nach skandinavischem Vorbild, im umgekehrten Fall, also in der Rezession, Mittel zur schnellen Anheizung entnommen werden könnten! Diese Konjunkturrücklage soll durch Einstellung stillzulegender Mittel in dem Haushaltsentwurf angereichert werden. Das ist nach der Verabschiedung des Haushalts 1969 für dieses Jahr nicht mehr möglich, aber sicherlich als vorauseilende Betrachtung für 1970 erlaubt. Oder die Anreicherung jetzt soll durch die Zuführung von Mitteln aus unterlassenen Ausgaben - darauf komme ich gleich noch einmal zurück - oder durch besondere Verordnung mit Zustimmung des Bundesrates in jeder gewünschten Höhe erfolgen. Mit dieser letzten Möglichkeit läßt sich ohne Zweifel schnell ein sehr abkühlender Effekt erzielen. Aber der Bundesrat muß nach Anhörung des Konjunkturrates einer solchen Maßnahme zustimmen. Dem Hörensagen nach hat der Herr Finanzminister des Bundes im Konjunkturrat oder im sogenannten Finanzplanungsrat, den wir offiziell noch einzurichten haben, Erfahrungen gemacht, die zu der Bitte berechtigen, daß sich auch .die Länder trotz ihrer anderen Ausgabenstruktur bereitwillig und tatkräftig in den Dienst der Konjunktursteuerung stellen. Es fehlt aber - und deshalb mein Wort von der Lücke -, daß alle öffentlichen Haushaltsträger in dieser Situation automatisch ihre Steuermehreinnahmen, also nicht nur die Haushaltsersparnisse, inden Topf der Ausgleichsrücklage bei der Bundesbank abzuführen und damit ihre finanziellen Möglichkeiten zu bescheiden haben. Die Zeit scheint mir jetzt reif für solche Maßnahmen. Im Gesetz haben wir diese Automatik nicht, aber die Regierung kann mit § 15 des Stabilitätsgesetzes eine solche Aktion einleiten und den Bundesrat um Zustimmung ersuchen. Das ist wohl, wie ich heute entnommen habe, ihre Absicht. Sie kann meines Erachtens auch darüber hinaus selbst mit gutem Beispiel vorangehen und wenigstens vorläufig eine Stillegung ihrer Mehreinnahmen anordnen. Haushaltsersparnisse, also die durch Unterlassung bestimmter Ausgaben frei gewordenen Mittel, muß die Regierung der Ausgleichsrücklage zuführen. Hier besteht diese Automatik. Die Regierung kann die Mittel nicht für andere Zwecke verwenden, lockten solche Zwecke im Wahljahr oder gleich danach noch so sehr. Über die 2 Milliarden DM der bekannten Haushaltssperre sollten wir hier nicht mehr reden. Sie gehören in jenen Topf. Aber Voraussetzung ist - und deshalb warne ich vor einer blinden Anwendung -, daß es sich bei den stillzulegenden Mitteln um Planungen handelt, die in ihrer Gesamtwirkung die Konjunktur spürbar, zumindest nicht unwesentlich beeinflussen. Präsident von Hassel: Herr Kollege Professor Stein, die Uhr läuft ab. Ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Gustav Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002231, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Gesetzgeber hat beim Stabilitätsgesetz nicht ausschließlich an Baumaßnahmen gedacht. Er spricht in zweiter Linie von ihnen. Das Programm, das die Regierung zur Abkühlung und zur Absicherung zu entwickeln hat, muß in sich geschlossen und stabilitätspolitisch logisch sein. Hierzu gehört - das darf ich zum Abschluß sagen -, daß wir uns selbstverständlich auch das Steueränderungsgesetz in diesem Zusammenhang noch einmal zu überlegen haben und daß wir prüfen müssen, ob die Bestimmungen, die wir dort vorgesehen haben, in die jetzige währungspolitische Situation passen. ({0}) Präsident von Hassel: Ich gebe das Wort weiter an Herrn Abgeordneten Genscher.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beschlüsse vom letzten Freitag, und die Antworten, die die Bundesregierung heute zur Sache gegeben und nicht gegeben hat, zeigen, daß die Bundesregierung bei ihren Erkenntnissen im Jahreswirtschaftsbericht stehengeblieben ist und daß sie nicht in der Lage war, sich der veränderten Entwicklung anzupassen. ({0}) Herr Bundeskanzler, mit den Fragen, die wir Ihrer Regierung heute gestellt haben, ging es uns in dieser Situation nicht um die Entscheidung vom Freitag; die werden wir bei der Beratung des Jahreswirtschaftsberichts zur Diskussion stellen. Hier und heute geht es um die Frage, was Sie an Stelle der von Ihnen abgelehnten Maßnahme tun wollen, und hier fehlt unverändert die Antwort. ({1}) Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat erklärt, über die Maßnahmen im Inneren sei die Diskussion noch im Gange. Er weiß aus seinen früheren Vorträgen, daß es schwer sein wird, im Inneren etwas zu tun, wenn man nicht damit zusätzlich den Export anregen will, was wiederum die Wirkungen hat, mit denen wir uns heute auseinanderzusetzen haben. Deshalb ist doch die Lage so schwierig. Wenn Sie in Ihrer Untätigkeit und in Ihrer Entschlußlosigkeit verharren, dann werden Sie unweigerlich den Weg in die Anpassungsinflation gehen. Ich sage Ihnen: wir sind nicht bereit, Ihnen auf diesem Weg zu folgen. ({2}) Meine verehrten Damen und Herren, es ist von der Regierung ungewöhnlich wirkungsvoll, wenn sie - und das und nichts anderes hat mein Kollege Friderichs sagen wollen - hier gegen die Spekulanten ins Feld zieht. Aber ich frage Sie, Herr Bundeskanzler: War es nicht ein Mitglied Ihrer Bundesregierung, das zum erstenmal der internationalen Spekulation durch Nennung des nach seiner Ansicht notwendigen Aufwertungssatzes sogar eine Orientierungshilfe für das Spekulationsrisiko gegeben hat? ({3}) Es besteht doch kein Zweifel, daß sich für die gesamte internationale Öffentlichkeit zum erstenmal der beschämende Vorgang vollzogen hat, daß eine Regierung Fragen der Währungsparitäten, statt zu entscheiden, öffentlich diskutiert hat. Das hat die Spekulation bewirkt, meine Damen und Herren! ({4}) Hier liegen die Verantwortlichkeiten, und dieser Verantwortung kann sich niemand, der daran mitgewirkt hat, entziehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Bundesregierung, wir sagen Ihnen: Sie sind unserem Volk die Antwort darauf schuldig, wie Sie in dieser Stunde den Weg in die Anpassungsinflation aufhalten wollen. Bevor Sie diese Antwort nicht gegeben haben, können wir Sie aus der Verantwortung für die Entscheidung vom letzten Freitag nicht freisprechen. ({5}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, es sind jetzt insgesamt etwa 51 Minuten konsumiert; ich erteile noch zwei Rednern das Wort, dem Herrn Abgeordneten Schmidt ({6}) und dem Abgeordneten Dr. Althammer. Bitte, Herr Abgeordneter Schmidt!

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage mich, meine Damen und Herren, ob unsere Geschäftsordnung weise ist, die im Rahmen einer Debatte, in der Abgeordnete insgesamt nur 60 Minuten reden dürfen, insgesamt acht Bundesministern die Möglichkeit gibt, hier alles mögliche auszubreiten. Ich frage, ob das wirklich eine weise Geschäftsordnung ist. Ich konstatiere, daß der Kanzler dreimal, der Finanzminister viermal, der Wirtschaftsminister einmal gesprochen hat - das macht zusammen acht. Ich gebe zu, ich rede auch zum zweitenmal, aber ich fühle mich herausgefordert durch einige Bemerkungen, die ich hier gehört habe. Herr Strauß, mein Freund Apel und ich stammen - wir sind dort geboren und aufgewachsen - aus einer Seehandels-, Außenhandels- und Schiffahrtsstadt. Uns muß man nicht klarmachen, was etwa die Probleme, um die es hier 'im Grunde geht, für Welthandel und Seeschiffahrt bedeuten. Das brauchen wir aus München nicht zu hören, das wissen wir selbst. ({0}) Ich habe nichts dagegen, wenn sich die Fachminister auf einigen Gebieten als das hier dartun, was sie sind oder sein möchten, nämlich Fachleute auf ihrem Gebiet. Ich finde es ebenso achtbar und notwendig, wenn der Bundeskanzler darauf hinweist, daß das wohl eine schlechte Regierung würde, wenn der Bundeskanzler versuchte, Experte auf sämtlichen Gebieten zu sein. ({1}) Aber wenn sich schon die Fachminister hier als Experten darbieten, dann, Herr Strauß, möchte ich Sie herzlich bitten - und in diesem Punkt schließe ich den Bundeskanzler ein -, dann, wenn man selber die Spekulation herausgefordert hat, keine entsprechenden Aufforderungen an dieses Parlament zu richten. Wir sind daran unschuldig. ({2}) Ich stehe in diesem Hause und in der deutschen Öffentlichkeit nicht in dem Ruf, übertriebene Sympathien für die FDP zu haben. Aber Herr Genscher hat einen Satz gesagt, den man unterstreichen muß. Er hat gesagt, daß die Spekulation durch wochenlanges und monatelanges öffentliches Reden von mehreren Personen aus der Bundesregierung herausgefordert worden ist. ({3}) Ich weise es in dem Zusammenhang als absolut unangemessen zurück, das Parlament aufzufordern, nicht zu weiteren Spekulationen beizutragen. ({4}) Herr Strauß, ich habe hier eine Liste mit Auszügen, die ich mir aus der schweizerischen, der französischen, der englischen und der amerikanischen Presse, aus der ganzen Weltpresse, habe machen lassen. Ich will es Ihnen ersparen, die Schlagzeilen und Überschriften hier vorzulesen - ich kann sie Ihnen vorlesen -, ({5}) Schmidt ({6}) die auf Ihre unglücklichen Äußerungen hin, die Sie am 28. April in München gemacht haben, in der ganzen Welt die Spekulation auf die D-Mark auf das Dreifache heraufgetrieben haben. Ich weiß, daß Sie das nicht mit Absicht gesagt haben. Ich weiß, daß das ein Betriebsunfall war. Nur, lieber Herr Finanzminister, wenn einem ein solcher Betriebsunfall passiert ist, spielt man sich nicht anschließend gegenüber dem ganzen Parlament als Hüter der Währung auf! ({7}) Präsident von Hassel: Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Althammer.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es schlicht und einfach für unangemessen, in der Form der Aktuellen Stunde von der Bundesregierung endgültige Angaben darüber zu verlangen, was nun geschehen soll. ({0}) Hier kann in Fünf-Minuten-Beiträgen nur das Problem als solches angesprochen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Vorsitzende der FDP, der Herr Kollege Scheel, hat bei seinen einleitenden Ausführungen ganz zu Recht erklärt: Es handelt sich hier um ein internationales Währungsproblem. Deshalb bedaure ich es außerordentlich, daß in weiten Passagen dieser Debatte nun ein Schwarzer-Peter-Spiel begonnen worden ist, wer denn nun eigentlich in unserem Lande die Verantwortung für diese internationale Problematik zu tragen hat. ({1}) Man darf das Problem auch nicht nur isoliert in der Frage der Währungsparität oder -disparität sehen. Wir haben es doch bei dem Gesetz über die außenwirtschaftliche Absicherung erlebt. Damals hat sich doch der Herr Bundeswirtschaftsminister in der gesamten Presse dafür feiern lassen, daß keine Aufwertung erfolgt ist. ({2}) Wenn es damals gut und richtig war, nach wohlerwogenen Gründen von diesem Mittel, von diesem Keulenschlag abzusehen, dann kann man heute nicht so tun, als ob nur diese eine Lösung, die damals offenbar nicht richtig war, die richtige gewesen wäre. Ich möchte jetzt noch ein Wort zu den dauernden Angriffen auf den Bundesfinanzminister und seine Münchener Erklärung sagen. Ich bitte das Hohe Haus, Mer doch endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen, daß da falsche Presseverlautbarungen erfolgt sind. Wir sollten es uns hier zur Regel machen, nicht falsche Pressemeldungen aufzunehmen und sie zur Polemik zu verwenden, wenn die Sache einfach nicht so war. Man sollte doch auch nicht so tun, daß, wenn hier monatelang über diese Fragen gesprochen wird, in dieser monatelangen Diskussion die eine oder andere Äußerung eines Ministers das Entscheidende gewesen wäre. Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht von dem Problem der Spekulanten gesprochen. Ich muß dieses Hohe Haus fragen, ob hier jemand etwa die Verantwortung dafür übernehmen will, daß der Steuerzahler Hunderte von Millionen an ausländische Spekulanten zu bezahlen hat. ({3}) Ich glaube, diese Verantwortung will hier im Hause niemand übernehmen. Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß es hier eine Bundesregierung und damit eine Verantwortlichkeit gibt. Man kann kein Verständnis dafür haben, wenn sich etwa der eine oder andere aus dieser Verantwortung wegstehlen will. Die Fragen, die zu entscheiden sind, sind vom gesamten Kabinett zu beantworten. Hier kann man nicht sagen: Der Bundesfinanzminister muß eine Lösung vorschlagen. Das gesamte Bundeskabinett einschließlich des Bundeswirtschaftsministers hat diese Probleme zu lösen. Ich darf sagen, wir sind nach wie vor, auch nach dieser Debatte, der Auffassung, daß eine Aufwertung angesichts des Gesamtkomplexes, um den es hier geht, in diesem Zeitpunkt, in dieser Situation nicht das richtige Mittel gewesen wäre. Wir freuen uns, daß die Bundesregierung diesen Weg nicht gegangen ist. ({4}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein vorheriger Versuch der Abkühlung war offensichtlich nur zum Teil gelungen. Es scheint, daß sich einige Kollegen in diesem Hause auf jeden Fall bemühen, frühere Rufe wiederherzustellen. Ich habe mich hierhergestellt, Herr Kollege Schmidt, um in aller Ruhe den Angriff auf den Bundesminister der Finanzen als unsachlich zurückzuweisen, ({0}) und zwar mit folgender Begründung: Am 20. März dieses Jahres hat der Bundesminister für Wirtschaft ausweislich des Protokolls dieses Hauses an dieser Stelle erklärt: ... und nun zum Abschluß ein Wort des Scherzes: Der Herr Bundeskanzler hat wohl gesagt, in diesem Kabinett komme eine Änderung der Währungspolitik nicht in Frage. ... das Bundeskabinett ist am 7. Februar 1969 umgebildet worden. Wir haben seit jenem Tag an Stelle von Herrn von Hassel Herrn Windelen unter uns. Wir sind also in einem neuen Bundeskabinett. ({1}) Diese Erklärung des Herrn Bundeswirtschaftsministers - von ihm als „Scherz" bezeichnet - ist in der interessierten deutschen und internationalen Öffentlichkeit nicht als Scherz, ({2}) sondern als eine sehr ernste Ankündigung neuer Meinungen betrachtet worden. ({3}) So nachzulesen im Leitaufsatz der „Zeit" zu dieser Frage. Zweitens - da hier von Ende Februar die Rede war -: ich hatte das besondere Vergnügen, bei der Eröffnung der Hannover-Messe - das war bekanntlich der Tag vor dem französischen Referendum - zu Füßen des Herrn Bundeswirtschaftsministers zu sitzen und seiner Rede zu lauschen. Da war keiner der dort anwesenden Wirtschaftler anderer Meinung als der, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nun für Aufwertung spräche. Meine Damen und Herren, wenn diese Debatte am Schluß einen Sinn haben soll, dann doch nur den, daß wir das Thema auf den sachlichen Kern der Debatte zurückführen und miteinander bedauern, daß hier zu lange zu laut geredet worden ist, - und das miteinander einstellen, meine Damen und Herren! ({4}) Präsident von Hassel: Das Wort zu einer letzten, hier angekündigten 2-Minuten-Erklärung hat der Abgeordnete Mischnick. Damit wird dann die Aktuelle Stunde beendet, sofern nicht auf seiten der Regierung noch einmal das Wort gewünscht wird. ({5}) Die letzte Wortmeldung von Herrn Mischnick, eine Kurzfassung von zwei Minuten.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Klage, daß wir hier keine ausführliche Debatte führen konnten, verstehen wir nicht. Wir haben heute früh beantragt, den Jahreswirtschaftsbericht auf die Tagesordnung zu setzen. Die Koalitionsfraktionen haben diesen Antrag gemeinsam abgelehnt. Sie haben es zu verantworten, daß wir nicht ausführlicher diskutieren konnten. ({0}) Zweitens. Die Debatte hat deutlich gemacht, daß die Regierung nach wie vor in den einzelnen Fachressorts unterschiedlicher Meinung ist und daß es dem Herrn Bundeskanzler nicht gelungen ist, seine Regierung zu einer gemeinsamen Haltung zu bringen. Drittens. Wir sind überzeugt, daß das, was an Maßnahmen hier angekündigt wird, nur dann überhaupt einen Sinn haben kann, wenn in der Koalition selber darüber Einigkeit besteht, vorgesehene Beschlüsse zu vertreten. Das ist nicht der Fall. Viertens. Wir haben in der heutigen Debatte feststellen müssen, daß die Bundesregierung zwar am Freitag Ankündigungen getroffen hat, daß sie heute, Mittwoch, aber noch nicht in der Lage ist, entsprechende Vorlagen zu bringen. Das ist ein Beweis für uns, daß diese Bundesregierung nicht mehr handlungsfähig ist. ({1}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die für die Aktuelle Stunde vorgesehene Zeit ist erschöpft. Die Aktuelle Stunde ist geschlossen. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fortsetzung der dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Beurkundungsgesetzes ({2}) - Drucksachen V/3282, V/4014 Bei diesem Punkt ist lediglich die Schlußabstimmung vorzunehmen. ({3}) - Darf ich bitten, noch einen Moment zu warten. ({4}) - Meine Damen und Herren, ich bitte, die Plätze einzunehmen. Die Schlußabstimmung muß durch Aufstehen und Sitzenbleiben erfolgen. Es ist unmöglich, zu sehen, wie abgestimmt wird, wenn alles unterwegs ist. Ich darf Sie bitten, sich hinzusetzen. Ich rufe für das Hohe Haus in Erinnerung, daß die dritte Beratung abgeschlossen war und daß in der Schlußabstimmung die Beschlußunfähigkeit des Hauses festgestellt wurde. Wir haben lediglich die Schlußabstimmung zu der Ihnen eben genannten Vorlage, dem Beurkundungsgesetz, vorzunehmen. Wer für die Verabschiedung dieses Gesetzes in dritter Lesung ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich stelle die Annahme dieses Gesetzes in dritter Lesung ohne Gegenstimme und bei wenigen Enthaltungen fest. Ich rufe die Punkte 3 a und 3 b der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({5}) - Drucksache V/4103 - aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß 1. 96 der Geschäftsordnung - Drucksache V/4186 - Berichterstatter: Abgeordneter Röhner bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kriegs- und Verfolgungsschäden ({7}) - Drucksache V/4184 -Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Korspeter ({8}) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache V/4104 Präsident von Hassel Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({9}) - Drucksache V/4178 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark ({10}) ({11}) Ich danke zunächst den Berichterstattern für ihre Berichte. Erbitten die Berichterstatter zur mündlichen Ergänzung das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ein. Ich rufe zunächst § 1 auf. Dazu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 664 *) vor. Wird die Begründung dieses Antrages gewünscht? - Das Wort wird gewünscht. Ich erteile dem Abgeordneten Schmidt ({12}) das Wort.

Hansheinrich Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002006, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dieser etwas sehr in die Tiefe gehenden und auch mit sehr vielen Emotionen und notwendigen sachlichen Erörterungen geführten Debatte ist es wahrscheinlich sehr schwierig, Ihre Aufmerksamkeit auf einen Umdruck der Freien Demokraten zu dem heute zur Verabschiedung anstehenden Einundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes zu lenken. Dabei handelt es sich um das Gesetz, das an die Stelle des eigentlich in früheren Jahren von allen Fraktionen dieses Hauses verlangten Leistungsgesetzes zur Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge mit den Heimatvertriebenen in sozialen und rechtlichen Dingen getreten ist. Wir Freien Demokraten bedauern, daß der ursprünglich von allen Fraktionen dieses Hauses und den Parteien, die diese Fraktionen bilden, seit Jahren vertretene Grundsatz verlassen wurde. Wir bedauern, daß die Regierungserklärung der jetzigen Bundesregierung im Dezember 1966 leider nicht mehr von dieser sozialen und rechtlichen Gleichstellung sprach, daß sie damals sogar davon sprach, daß keinerlei Zahlungen mehr für die Vergangenheit geleistet werden sollten. Wir bedauern ferner, daß damals bei den Betroffenen der Eindruck entstehen mußte, daß hier eine Zäsur zwischen denen, die bereits ihre Entschädigung erhalten haben, und denjenigen, denen man Entschädigungen versprochen hatte - - Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, darf ich einen Augenblick unterbrechen. Es ist vorgesehen, daß Punkt 3 b der Tagesordnung - die Grundgesetzänderung - mit namentlicher Abstimmung verbunden eist. Ich darf deshalb darauf aufmerksam machen, damit sich die Kolleginnen und Kollegen rechtzeitig darauf einstellen können. Punkt 3 a der Tagesordnung wird nicht lange Zeit in Anspruch nehmen. Ich darf also bitten, in der Nähe zu bleiben, um zur namentlichen Abstimmung *) Siehe Anlage 2 bei der Grundgesetzänderung zur Verfügung zu stehen. Zweitens möchte ich darauf hinweisen, daß die Beratungen ohne Mittagspause weitergehen. ({0}) - Verzeihung, Punkt 8 a der gedruckten Tagesordnung ist Punkt 3 a der heutigen Tagesordnung. Darf ich Sie also bitten, so zu disponieren: in Kürze namentliche Abstimmung, durchtagen ohne Mittagspause. Bitte, fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.

Hansheinrich Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002006, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich stelle noch einmal fest, daß die Regierungserklärung der jetzigen Regierung keinerlei Leistungen für die Sowjetzonenflüchtlinge mehr vorsah. Wir Freien Demokraten begrüßen, daß wir heute mit dieser Vorlage wenigstens ein Teilchen von dem damaligen Nein wieder abrücken konnten. Ich glaube, wir Freien Demokraten können mit Recht darauf hinweisen, daß unser stetes Drängen, die jedesmal von uns in den Haushaltsberatungen gestellten Entschließungsanträge, ein solches Leistungsgesetz oder ein ähnliches Gesetz vorzulegen, endlich doch dazu geführt haben, daß heute wenigstens diese Novelle, die eine Teillösung bringt, zur zweiten und dritten Beratung auf dem Tisch des Hauses liegt. Wir begrüßen es, daß auf Grund dieser Novelle ein Teil des Personenkreises in einer gewissen sozialen Anpassung eine Leistung erhalten soll. Wir sind jedoch der Auffassung - damit komme ich auf den Antrag selbst zu sprechen, den ich hier zu begründen habe -, daß wir alle entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages von 1952 weiterhin die soziale und rechtliche Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge mit den Heimatvertriebenen anstreben müssen. Dies müssen wir auch im Sinne der gleichen Entschädigung, im Sinne der Anerkennung des Rechtsanspruches der Sowjetzonenflüchtlinge auf die gleichen Entschädigungen nach den Maßstäben des Lastenausgleichsrechts im Gesetz verankern. Zu diesem Zweck haben wir diesen Antrag vorgelegt. Die Änderung des § 1 soll deutlich machen, daß es sich bei dem heute zu verabschiedenden Gesetz, bei dieser 21. Novelle nur um eine Teillösung handelt, die zunächst einmal die besonders betroffenen und sozial in besonderer Bedrängnis stehenden Sowjetzonenflüchtlinge unter bestimmten Einkommenskriterien umfaßt, daß es aber unabhängig davon weiterhin Aufgabe dieses Hauses und Aufgabe der Bundesregierung sein muß, den Weg weiterzugehen und durch weitere Novellen bis zu einer Gleichstellung und damit einer gleichen Entschädigung dieses Personenkreises zu kommen. Es soll der Rechtsanspruch der Sowjetzonenflüchtlinge auf die gleichen Entschädigungen verankert werden. Das ist der Sinn unseres Antrages. ({0}) Schmidt ({1}) Ich habe die Ehre, zu dem Entschließungsantrag zur dritten Lesung nachher noch etwas zu sagen. Ich bitte Sie, diesem Änderungsantrag, der keinerlei materielle Auswirkungen hat - ich wiederhole das noch einmal -, sondern lediglich die Verankerung des Rechtsanspruches beinhaltet, zuzustimmen. ({2})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Das Wort hat Herr Kollege Dr. Kreutzmann.

Dr. Heinz Kreutzmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP-Fraktion verfolgt zwei Ziele. Er soll auf der einen Seite einen gesetzmäßigen Anspruch der Flüchtlinge auf Entschädigung begründen. Er soll weiter den Weg zur Gleichstellung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen gesetzlich verankern. Beides ist, wenn man den vorliegenden Gesetzentwurf betrachtet, Schnee von gestern. Der gesetzmäßige Anspruch ist praktisch dadurch in das Gesetz eingebaut worden, daß man es von einem Gesetz für die Alterssicherung Selbständiger in ein Entschädigungsgesetz umgewandelt hat, das auch teilexistenztragendes Vermögen in die Entschädigung einbezieht. Die Gleichstellung war seit ,eh und je auch das Anliegen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Es hat in vielen ausdrücklichen Erklärungen maßgeblicher SPD-Politiker seinen Niederschlag gefunden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Schritt auf diesem Wege. Daß das Gesetz noch Wünsche offenläßt, liegt in der schwierigen Finanzlage begründet. Die Berichterstattungspflicht macht es möglich, daß Verbesserungsvorschläge und Erweiterungswünsche im Hinblick auf die Gleichstellung in Gang gebracht werden können. Ich glaube aber, eine Annahme dieses Antrages und damit eine gesetzliche Fundierung der Gleichstellung würde ohne Zweifel auch finanzielle Folgen nach sich ziehen. Ich warne deshalb davor, uns in ein. Zwangskorsett einzwängen zu lassen, aus dem wir dann nicht mehr so leicht herauskommen können. ({0})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 664. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP abgelehnt. Dann stimmen wir jetzt über § 1 ab. Wer § 1 in der unveränderten Fassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Wir stimmen jetzt ab über die §§ 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 sowie Einleitung und Überschrift. Wer den §,§ 2 bis 8 sowie der Einleitung und der Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist der Fall. Frau Kollegin Korspeter, bitte!

Lisa Korspeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn wir heute in zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf zur 21. Novelle hier im Plenum verabschieden, so müssen wir uns dessen bewußt sein, daß die Versprechungen, die den Flüchtlingen seit vielen Jahren von den Fraktionen und Parteien gemacht wurden, nicht voll erfüllt werden konnten. Es wurde ihnen eine volle Gleichstellung mit den Heimatvertriebenen analog dem Lastenausgleichsgesetz bei der Abgeltung der Zonenschäden zugesichert. Diese volle Gleichstellung konnte auf Grund der finanziellen Schwierigkeiten, die sich aus der Rezession vor 1966 ergaben, nicht in vollem Umfange erfüllt werden, da leider für die Inanspruchnahme von Entschädigungsleistungen Einkommens- und Vermögensgrenzen festgelegt wurden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bedauert diese Tatsachen in besonderem Maße, da sie sich besonders sowohl durch ihren Entschließungsantrag 1952 als auch durch die Einbringung ihres Gesetzentwurfs im Jahre 1962 für die volle Gleichstellung der Flüchtlinge eingesetzt hat. Ich muß es immer wieder und auch heute noch einmal betonen: wäre damals unser Gesetzentwurf angenommen worden und hätten wir zu dieser Zeit die volle Gleichstellung durchgesetzt, so stünden wir heute nicht vor den großen finanziellen Schwierigkeiten, die leider den Inhalt des jetzigen Gesetzentwurfs bestimmt haben. Bei den Beratungen im Ausschuß standen wir vor der Notwendigkeit - und wir waren uns alle darüber einig -, im Rahmen des gesetzten Gesamtvolumens von 2 bis 2,6 Milliarden DM Verbesserungen einzuführen, um Härten zu vermeiden, die nicht zu verantworten und von den Flüchtlingen sicher niemals verstanden worden wären. Während der Gesetzentwurf der Bundesregierung lediglich das existenztragende Vermögen in eine Entschädigungsleistung einbeziehen wollte, haben wir es im Ausschuß erfreulicherweise gemeinsam erreicht, daß nunmehr dem Grunde nach alle Personenkreise, die einen Vermögensverlust erlitten haben, in den Gesetzentwurf einbezogen werden konnten. Aber leider war es hierbei - auch wegen der finanziellen Situation - wieder notwendig, wie es ja auch im Schriftlichen Bericht deutlich gemacht wurde, eine Differenzierung in der Einkommenshöhe zwischen denen, die ein existenztragendes Vermögen, und denen, die nur ein mitexistenztragendes Vermögen hatten, vorzunehmen. Wir haben es aber erreicht, daß sowohl Schäden an Grundvermögen als auch Ansprüche wie Sparerschäden mit einbezogen werden konnten. Außerdem ist es im Ausschuß gelungen, eine Berichtspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag einzuführen, um damit dem Parlament die Möglichkeit zu verschaffen, einen Überblick über die Auswirkungen der von ihm gefaßten Beschlüsse zu erhalten, zum anderen aber auch, um übersehen zu können, ob das finanzielle Volumen ausgeschöpft wird. Wir sind uns dessen bewußt, daß dieser Gesetzentwurf ein bescheidenes Maß, ganz besonders gegenüber den Versprechungen, darstellt. Es ist deshalb notwendig, daß das festgesetzte Finanzvolumen für die Flüchtlinge auch wirklich voll ausgeschöpft wird. Wir wissen, daß wir bezüglich der Finanzierung des Gesetzentwurfs vor einer Schwierigkeit stehen, nämlich der Frage, ob die Länder im zweiten Durchgang ihre Bereitschaft zum Ausdruck bringen, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Das Parlament, so glauben wir, kann in dieser Stunde nur nochmals die Länder darum bitten, ihre finanzielle Beteiligung nicht zu versagen, um den Gesetzentwurf nicht zu gefährden. Es ist sicher zu bedauern, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung wegen der langwierigen finanziellen Vorverhandlungen mit den Ländern dem Parlament so spät vorgelegt wurde und der Ausschuß für die Beratung dieses wichtigen Problems nur verhältnismäßig wenig Zeit gehabt hat. Um so erfreulicher ist die Tatsache, daß wir in gemeinsamer Arbeit eine Reihe von Verbesserungen durchsetzen konnten, weil wir uns alle miteinander der Verantwortung bewußt waren, daß noch in dieser Legislaturperiode eine Entscheidung über diesen Gesetzentwurf getroffen werden mußte. Wir hoffen deshalb sehr, daß die Flüchtlinge trotz mancher Enttäuschungen Verständnis dafür aufbringen werden, daß es uns angesichts der finanziellen Situation nicht möglich war, die volle Gleichstellung durchzusetzen. Wir hoffen aber zugleich, daß sie anzuerkennen bereit sind, daß die Große Koalition einen entscheidenden Schritt auf dem Wege zur Gleichstellung zurückgelegt hat. Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen. Parlament und Regierung werden in der Zukunft die Verantwortung dafür tragen, daß das festgesetzte Finanzvolumen für die Flüchtlinge voll ausgeschöpft wird und daß dann je nach den Feststellungen des vorliegenden Berichts weitere gesetzliche Maßnahmen mit allem Nachdruck und mit allem Ernst in Erwägung gezogen werden. ({0})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Das Wort hat Herr Kollege Kuntscher.

Ernst Kuntscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 hat der Bundeskanzler dreizehn Punkte seines Regierungsprogramms besonders hervorgehoben. Unter Punkt 8 sagt er wörtlich: „Die Gesetzgebung über die Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen sollte abgeschlossen werden." Zu diesem Punkt können wir heute feststellen, daß die Regierung nach Möglichkeit ihr Wort gehalten hat. Zwei Novellen zum LAG und das Reparationsschädengesetz wurden verabschiedet. Die Verabschiedung eines Vierten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Häftlingshilfegesetzes und eines Vierten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes steht noch aus; aber es besteht die bestimmte Hoffnung, daß auch diese beiden Gesetze noch in dieser Legislaturpeiode verabschiedet werden. Mit der 21. Novelle soll eine Lücke in diesem Gesetzeskomplex geschlossen werden, und es soll mit ihr eine Zusage, die den Zonenflüchtlingen 1952 bei der Verabschiedung des LAG gegeben wurde, eingelöst werden. Bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes habe ich im Namen meiner Fraktion unsere Bedenken vorgetragen, und diese Bedenken wurden auch bei der Anhörung der Verbände und immer auch bei den Ausschußberatungen bestätigt. Aber wir haben uns bei den Ausschußberatungen die erdenklichste Mühe gegeben, das Möglichste möglich zu machen, Härten zu mildern und die im Regierungsentwurf gezogene Grenze von 2,6 Milliarden unter keinen Umständen zu überschreiten. Eine besondere Härte war der Ausschluß des gesamten Grundvermögens, des Sparvermögens usw. Der kleine Mann, der gerade an diesen Vermögenswerten interessiert ist, war ausgeschlossen, und wir haben uns gesagt, daß das eine große Ungerechtigkeit ist. Wir haben dann im Ausschuß auch erreicht, daß dieser Personenkreis mit einbezogen wurde und daß damit eine Ausweitung des gesamten Personenkreises erfolgte. Auf nähere Einzelheiten möchte ich in diesem Falle nicht eingehen, aber ich möchte noch bekunden, daß die Einstimmigkeit im Ausschuß diese unsere Anliegen nicht nur unterstützt, sondern getragen hat. Ich richte damit auch heute an Sie die Bitte, dieser Ausweitung zuzustimmen. Es entstehen durch dieses Gesetz Mehrkosten von etwa 210 bis 310 Millionen DM. Eine genaue Prüfung im Ausschuß ergab, daß dieses Mehr noch im Rahmen des Gesamtvolumens bleibt. Der Auffassung, daß keine finanzielle Überschreitung des Regierungsentwurfs stattfindet, hat sich auch der Haushaltsausschuß angeschlossen. Sollte aber ungeachtet all dessen eine Überschreitung stattfinden, so geht diese einzig und allein zu Lasten des Ausgleichsfonds. Jetzt nur noch ganz kurz etwas über den Zeitablauf, weil bei der ersten Lesung Klage geführt wurde, daß dieses Gesetz zum Schluß dieser Legislaturperiode anscheinend durchgepeitscht werden soll. Sie haben von dem Bezug dieses Gesetzes auf den Punkt 8 der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 gehört. Im Kabinett wurde diese Regierungsvorlage am 22. Januar 1969 verabschiedet, und ich möchte zu der Verabschiedung im Kabinett noch ganz besonders betonen, daß ungeheure Schwierigkeiten zu überwinden waren und daß der damalige Bundesvertriebenenminister von Hassel und sein Staatssekretär mit großer Zähigkeit von einer Landesregierung zur anderen gewandert sind, um die Länder für diese 21. Novelle zu gewinnen bzw. die Mitfinanzierung zu sichern. Im Bundesrat war die 21. Novelle am 7. März 1969, und dort wurde rotes Licht gesetzt. Dadurch ist eine Reihe von Wochen verlorengegangen. Am 23. April fand im Bundestag die erste Lesung statt, und heute sollen die zweite und die dritte Lesung über die Bühne gehen. Im Ausschuß wurde zügig gearbeitet, und wir haben im Ausschuß tatsächlich in sehr kurzer Zeit die Arbeit bewältigt. Zum Schluß möchte ich noch ein Thema ansprechen, das ein Teil der Diskussion bei der ersten Lesung war. Der Sprecher der FDP, Herr Dr. Rutschke, - er ist heute nicht da - zweifelte die Schätzungen über das Aufkommen und über die getätigten Leistungen des Lastenausgleichsfonds an; er sprach von phantastischen Zahlen und sprach zum Schluß von Taschenspielerei, die hier zur Irreführung der Öffentlichkeit betrieben werde. Ich möchte auf dieses Zahlenspiel nicht eingehen. Ich möchte aber dem Sprecher der FDP empfehlen, einmal das Mitteilungsblatt des Bundesausgleichsamtes vom 20. Dezember 1968 zu studieren, wo nach dem Stande vom 1. Januar 1968 die Gesamtschätzungen der Einnahmen und Ausgaben des Ausgleichsfonds nach den einzelnen Sparten aufgegliedert sind. Er wird dann eine genaue Übersicht über die Einnahme- und Ausgabepositionen erhalten. Ich bin überzeugt, daß er dann seine Aussage revidieren muß, wenn er eine echte Wahrheitsfindung angestrebt hat. Bekannt ist ihm wohl, daß bisher über 70 Milliarden DM durch den Lastenausgleichsfonds zur Auszahlung kamen und daß die Schätzungen bis 1979 auf ein weiteres Aufkommen von 41 Milliarden DM gehen. Das beweist, daß die genannte Zahl von 110 Milliarden DM keine Utopie und keine Taschenspielerei ist, sondern eine effektive Leistung für die Vertriebenen, die Kriegssachgeschädigten und zum Teil für die Sowjetzonenflüchtlinge bedeutet. ({0})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).

Hansheinrich Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002006, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich bitte, den Entschließungsantrag gleich mit begründen zu dürfen.

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Bitte, das empfiehlt sich.

Hansheinrich Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002006, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine beiden Vorredner, Frau Korspeter und Kollege Kuntscher, haben bereits den Leidensweg dieser 21. Novelle noch einmal deutlich gemacht, bevor ich zur Begründung unseres Änderungsantrages etwas sagen durfte. Ich frage Sie nur, Frau Kollegin Korspeter: Sie haben mit Recht gesagt, die Versprechungen, die nicht nur Ihre Fraktion, sondern alle Fraktionen dieses Hohen Hauses im Jahre 1952 gemacht hatten, konnten nicht voll erfüllt werden. Warum haben Sie - beide Fraktionen - sich dann vorhin dagegen gewehrt, daß man den Rechtsanspruch ohne materielle Folgen im Gesetz verankert? ({0}) - Herr Kollege Kreutzmann, im Bericht steht es. Berichte sind geduldig. Im Gesetz steht es nicht, und wir haben die Erfahrung gemacht - Sie selbst haben sie gemacht -, daß es auf Grund der Regierungserklärung vom Dezember 1966 zunächst so aussah, daß gar nichts geschehen würde. Denn, Herr Kollege Kuntscher, Sie haben wohlweislich nur einen Satz daraus vorgelesen, nicht das, was danach kommt. Der nächste Satz lautete damals nämlich etwas anders; er lautete: Die Finanzlage des Bundes beweist, daß wichtige Aufgaben der Zukunftsvorsorge sträflich vernachlässigt werden würden, wenn die kommenden Jahre durch neue Zahlungen für die Vergangenheit belastet würden. Das war damals eine glatte Absage an überhaupt jede weitere Leistung. Nun gut, wir haben heute erfreulicherweise - und dazu hat ganz besonders der Ausschuß und haben die Initiativen der Freien Demokraten beigetragen - eine Lösung vorliegen. Aber wir haben nur eine Notlösung; wir haben nicht den Rechtsanspruch, wir haben nicht die Erfüllung des Bundestagsbeschlusses von 1952, wir haben auch nicht die Erfüllung der Zusage aller Parteien und Fraktionen dieses Hauses. Das muß festgestellt werden. Ich verstehe wirklich nicht, warum man nicht bereits bereit war, im Gesetz diesen Rechtsanspruch zu verankern, wenn man hierher geht und sich entschuldigt, daß man im Augenblick weniger tun kann. Darüber sind wir uns einig, daß im Augenblick mehr als 2,6 Milliarden DM nicht ausgegeben werden können. Aber wir sind uns im Kern auch alle einig, daß hier ein Unrecht geschieht. Warum wollen wir denn dieses Unrecht nicht dadurch aus dem Weg räumen, daß wir grundsätzlich den Rechtsanspruch verankert haben, daß wir grundsätzlich bereit sind, gleiches Recht zu gewähren, lediglich im Augenblick aus finanziellen Gründen nicht eine einheitliche Behandlung durchführen? Aber nachdem Sie, meine Damen und Herren - und damit darf ich zu unserem Entschließungsantrag *) kommen, zu dem ich einiges sagen will -, nun einmal die Verankerung im Gesetz selbst abgelehnt haben, haben wir Freien Demokraten für die dritte Lesung Ihnen auf dem Umdruck 665 einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem wir auf drei Punkte eingehen. Einmal verlangen wir im ersten Punkt etwas früher, als es nach dem Gesetz vorgesehen war, nämlich bereits zum 31. Dezember 1970, einen Bericht über die tatsächlichen finanziellen Auswirkungen, die die jetzt zu verabschiedende 21. Novelle bis dahin gehabt hat, weil wir die auch von Frau Korspeter und Kollegen Kuntscher zum Ausdruck gebrachte Auffassung teilen, daß die 2,6 Milliarden DM einen wesentlich höheren Betrag darstellen, als er durch dieses Gesetz überhaupt ausgefüllt werden kann. Wir sind der Meinung, daß ein erster Überblick bereits Ende 1970 möglich sein müßte. Dann könnte man gleich - und damit komme ich auf den zweiten Punkt unseres Entschließungsantrags - entsprechende Ausweitungen des Personenkreises und Anhebungen der zur Zeit geltenden Einkommensgrenzen durchführen. Gleichzeitig sieht *) Siehe Anlage 3 Schmidt ({1}) unser zweiter Punkt vor, die von Ihnen allen, von der Bundesregierung zugesagten 2,6 Milliarden DM auch wirklich zweckzubinden für den Personenkreis, für den sie heute bereits vorgesehen sind. Sonst kann es passieren - und wir haben der Beispiele eine ganze Reihe -, daß diese Mittel plötzlich nach Ablauf des Haushaltsjahres und dergleichen anderweitig verschwinden, wie wir es beim Flüchtlingshilfegesetz usw. bereits erlebt haben, weil die Ansätze nicht ausgeschöpft wurden. Wir wollen mit der Ziffer 2 unseres Antrags erreichen, daß die Mittel auf alle Fälle ausgeschöpft werden, daß auf alle Fälle Vorlagen zur Anhebung der Einkommensgrenzen, die jetzt vorgesehen sind, seitens der Bundesregierung gemacht werden. Wir wollen in Punkt 3 - und hier wiederholt sich das, was wir eigentlich gern im Gesetz verankert gehabt hätten - das zum Ausdruck bringen, was der Bundestag bereits 1952 zum Ausdruck gebracht hat: daß wir grundsätzlich die gleiche Entschädigungsleistung für den Sowjetzonenflüchtling wie für den Heimatvertriebenen bei gleichen Tatbeständen als richtig anerkennen. Das hat der Bundestag 1952 getan. Das sollten wir heute wieder tun. Dazu liegt unser Entschließungsantrag vor. Wir bitten Sie um Annahme dieses Entschließungsantrags. ({2})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Ich habe keine weitere Wortmeldung mehr vorliegen. - Ist das eine Wortmeldung? ({0}) - Bitte, dann kommen Sie gleich zum Entschließungsantrag.

Edmund Leukert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001334, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte im Namen der Koalitionsfraktionen um Ablehnung dieses Antrags. Herr Kollege Schmidt, Ihnen ist genauso wie mir bekannt, daß wir in § 4 der jetzt vorliegenden 21. Novelle die Berichtspflicht eingeführt haben und wir damit die Möglichkeit besitzen, die Entwicklung der Leistungen an die Geschädigten nach dem Gesetz zu verfolgen. Sie wissen aber ebenso gut wie wir, daß der Termin 1970 ein utopischer Termin ist. Das Gesetz soll zum 30. Septemeber 1969 in Kraft treten. Die Durchführung des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes ist bekanntlich mit Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen. Zu den Ziffern 2 und 3 des Entschließungsantrags darf ich sagen, Herr Kollege Schmidt: es war bisher im Laufe der parlamentarischen Tätigkeit immer so, wenn gewisse Mittel nicht verbraucht waren, die für dieses Gesetz vorgesehen waren, und die in der mittelfristigen Finanzplanung enthalten waren oder in sie hineinkamen, daß dann dieses Haus und die Fraktionen die Initiative in der Hand hatten. Das sollte auch in Zukunft so sein.

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Edmund Leukert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001334, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gern.

Hansheinrich Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002006, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Leukert, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß es vorgekommen ist, daß bei einem Ansatz, der weit mehr als 100 Millionen DM im Rahmen des Flüchtlingshilfegesetzes enthielt, nur über 3 % ausgeschöpft wurden und daß die Haushalte des Vertriebenenministeriums dann laufend eingeschränkt wurden, weil die Einkommensgrenzen zu gering und die Schätzungen zu groß gewesen waren, und daß die Mittel nicht etwa zweckgebunden wurden?

Edmund Leukert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001334, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmidt, das weiß ich sehr wohl. Ich könnte auch sagen, daß auch Ihre Herren Minister damals tätig gewesen sind, sowohl der Finanzminister wie der Vertriebenenminister. ({0}) - Das war nicht viel später. Ich darf an die 18. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz erinnern, Herr Kollege Schmidt, als wir hier etwas ganz anderes beschlossen. Damals sind von Ihrer Seite noch Schwierigkeiten gemacht worden, und wir haben uns jetzt bemüht, diese Schwierigkeiten zu beseitigen.

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Würden Sie eine weitere Frage erlauben, Herr Kollege Leukert?

Edmund Leukert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001334, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gern.

Hansheinrich Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002006, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Leukert, darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß der noch aus der alten Koalition stammende Haushalt des Bundesvertribenenministers 1966 268 Millionen DM und der Haushalt 1967 125 Millionen DM enthielt, und wollen Sie dann noch sagen, daß die FDP an der Verringerung dieser Mittel schuld ist?

Edmund Leukert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001334, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmidt, ich habe nicht gesagt, daß Sie an der Verringerung der Mittel schuld sind. Sie waren damals genauso wie wir in der Koalition. ({0}) - Sie haben damals die Gesetze mit beschlossen, und Sie wissen, wie die Meinung der Regierung damals zu diesem Entwurf des Flüchtlingshilfegesetzes war. Wir in den Fraktionen waren damals einer etwas anderen Meinung. Aber wir sind damals der Regierung gefolgt. Ich glaube, da sind Sie genauso schuld wie wir. Aber das soll Sie und uns nicht hindern, in der Zukunft das besser zu machen, was man besser machen kann. ({1}) - Herr Kollege Mischnick, das spricht sich immer so leicht aus. Wenn man aber selber in der Verant12992 wortung steht - das haben auch Sie gemerkt -, ist es schwieriger. Sie waren auch nicht in der Lage, es besser zu machen. Wir sollten heute keine Versprechungen machen, die wir für die Zukunft nicht halten können. ({2}) Das Parlament ist souverän und wird auch in der nächsten Legislaturperiode für die Zonenflüchtlinge das tun, was noch zu tun möglich ist. Deshalb bitte ich, den Antrag abzulehnen. ({3})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Das Wort hat Herr Bundesminister Windelen.

Heinrich Windelen (Minister:in)

Politiker ID: 11002525

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, daß trotz aller Schwierigkeiten die 21. Lastenausgleichsnovelle, die nunmehr auch eine begrenzte Hauptentschädigung für die Sowjetzonenflüchtlinge ermöglichen soll, zur Verabschiedung in zweiter und dritter Lesung in diesem Hause ansteht. Ich habe sehr herzlich all denen zu danken, die durch ihre Vorarbeit - das gilt insbesondere für meinen Vorgänger im Amt -, aber auch durch ihre intensive Mitarbeit eigentlich gegen alle Wahrscheinlichkeit die Verabschiedung heute und hier möglich gemacht haben. Ich schließe mich auch für die Bundesregierung durchaus den Feststellungen aller Vorredner an, daß die in dieser 21. Novelle getroffenen Regelungen für Zonenschäden keine vollkommene Lösung sind. Dies trifft sowohl für die Leistungsseite wie auch für die Finanzierungsseite zu. Die Bundesregierung hat sich bei der Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung sehr eingehend mit der Finanzierung dieses Gesetzes zur Abgeltung von Zonenschäden befassen müssen. Bei der mehrjährigen Finanzplanung im Jahre 1967 sah die Bundesregierung keine Möglichkeit, für die Dauer von mehreren Jahren Haushaltsmittel des Bundes dafür einzusetzen. Deswegen wurde versucht, außerhalb des Bundeshaushalts einen Weg zur Finanzierung dieser Aufgabe zu finden. Mein Amtsvorgänger, Herr Bundestagspräsident von Hassel, bemühte sich, die Länder zu einer Fortsetzung ihrer Zuschußpflicht nach § 6 Abs. 2 des Lastenausgleichsgesetzes an den Ausgleichsfonds zu bewegen. In Aussicht genommen war damals, daß sich die Länder bereit erklären sollten, ihre Zuschüsse für die Dauer von etwa sechs weiteren Jahren, also bis 1985, zu leisten. Diese Bitte wurde damit begründet, daß bei der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes im Jahre 1952 die Vermögensteuer um ein Drittel, nämlich von 0,75 % auf 1 %, erhöht worden war, um den Ländern die Zuschüsse an dem Ausgleichsfonds ohne eigene Belastung zu ermöglichen. Die Gespräche meines Amtsvorgängers mit den meisten Herren Ministerpräsidenten der Länder ergaben zwar eine Ermutigung in dieser Richtung, wenn auch nur für eine kürzere Dauer der Verlängerung der Zuschußpflicht. Da damit also auf diesem Wege die Finanzierung. einer vollen Gleichstellung nicht mehr zu ermöglichen war, mußte die Bundesregierung vorsehen, von einem bestimmten Zeitpunkt an auch Beiträge aus Haushaltsmitteln einzusetzen. Darüber hinaus war es notwendig, in Kauf zu nehmen, daß der Ausgleichsfonds ebenfalls in einer Größenordnung von 400 bis 1000 Millionen DM zu den Kosten für diese Leistungen herangezogen wird. Die Länder sollten nach diesen Überlegungen nur noch zustimmen, daß ihre Zuschußpflicht nach § 6 Abs. 2 des Lastenausgleichsgesetzes um neun Monate, d. h. bis zum 31. Dezember 1979, verlängert wird. Damit steht für die Hauptentschädigung zur Abgeltung der Zonenschäden nur ein Gesamtvolumen von 2,6 Milliarden DM zur Verfügung. Zwangsläufig ergeben sich daraus die hier mehrfach angesprochenen und ganz gewiß nicht schönen Einschränkungen bei der Gewährung der Hauptentschädigung. Die Bundesregierung hat sich dafür entschlossen, in ihrem Entwurf nur Schäden an existenztragendem Vermögen zu berücksichtigen, weil gerade die ehemals Selbständigen in der Regel keine oder doch keine ausreichende Altersversorgung haben. Diese Einschränkung ist - wie von meinen Vorrednern hier mehrfach erläutert wurde - zugunsten der ehemals unselbständigen Geschädigten abgeändert worden. Die Mehrkosten werden auf der anderen Seite durch die vom federführenden Ausschuß vorgeschlagene volle Anrechnung des Ehegatteneinkommens bei den Einkommensgrenzen zum großen Teil wieder aufgefangen. Lassen Sie mich an dieser Stelle den Bundestagsausschüssen meinen ganz besonderen Dank für die zügige Durchberatung der 21. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz und auch des damit im Zusammenhang stehenden Gesetzes zur Änderung des Art. 120 des Grundgesetzes aussprechen. Ohne diese Bereitschaft in den Ausschüssen wäre es nicht möglich gewesen, die schwierige Materie noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Zumindest wäre die Verabschiedung gefährdet worden, weil man für den zweiten Durchgang im Bundesrat noch die Befürchtung haben muß, daß die Länder einer Verlängerung der Zuschußpflicht selbst um nur neun Monate nicht zustimmen. Dann könnte nur noch eine Einigung im Vermittlungsausschuß zustande kommen. Wenn Sie diese Möglichkeit zeitlich einkalkulieren, dann sehen Sie, daß die schnelle Behandlung des Regierungsentwurfs in den Bundestagsausschüssen unbedingt notwendig war. Ich hoffe aber nach wie vor, daß die Länder im Hinblick auf die 1952 im § 226 des Lastenausgleichsgesetzes vorgenommene Erhöhung der ihnen zustehenden Vermögensteuer den Beschluß vom ersten Durchgang dieses Gesetzes und des Änderungsgesetzes zu Art. 120 des Grundgesetzes beim zweiten Durchgang revidieren werden. Noch am 4. Oktober 1968 hatte der Bundesrat eine Beteiligung der. Länder an den Kosten eines Leistungsgesetzes für die Abgeltung von Zonenschäden u. a. mit der Begründung abgelehnt, daß Artikel 120 des Grundgesetzes der Mitfinanzierung durch die Länder entgegenstehen würde. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung zugleich mit dem Entwurf einer 21. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz auch ein Gesetz zur Änderung des Artikels 120 des Grundgesetzes vorgelegt, um dieses verfassungsrechtliche Hindernis, das die Länder vielleicht noch in einem stärkeren Maße als der Bund sehen, auszuräumen. Bei allen Schwierigkeiten, denen sich die Bundesregierung bei der Finanzierung des Gesetzes gegenübersah und bei allen Einschränkungen, die sie deswegen auf der Leistungsseite in Kauf nehmen mußte, ist die gefundene Lösung zwar nicht ideal, sie ist aber im Hinblick auf die Lage der Betroffenen zu vertreten und zu begrüßen, da sie in vielen Fällen unmittelbar bestehende Not lindern wird. Ich bitte daher namens der Bundesregierung das Hohe Haus, beiden Gesetzentwürfen zuzustimmen. ({0})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, wir kommen zur Schlußabstimmung über dieses Gesetz. Wer dem Gesetz als ganzem zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Wir haben jetzt über die Ziffer 2 des Ausschußantrages abzustimmen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Es folgt jetzt die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 665 *). Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP angenommen worden. Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu dem bereits aufgerufenen Punkt 8 b, der Änderung des Grundgesetzes. Wird das Wort in der zweiten Lesung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir in der zweiten Lesung ab. Wer dem Art. 1, dem Art. 2, der Einleitung und der Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Wir treten ein in die dritte Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. - Wir kommen dann zur Schlußabstimmung. Zur Abstimmung hat das Wort der Abgeordnete Frehsee.

Heinz Frehsee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000576, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Namens der Fraktion der SPD beantrage ich, diese Schlußabstimmung über diese möglicherweise 23. Änderung des Grundgesetzes in der Form der namentlichen Abstimmung vorzunehmen. *) Siehe Anlage 3

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Sie haben den Antrag gehört. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur namentlichen Abstimmung. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Ich darf das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Grundgesetzänderung bekanntgeben. Von den uneingeschränkt stimmberechtigten Mitgliedern haben sich 349 beteiligt, und alle 349 haben mit Ja gestimmt. Von den Berliner Abgeordneten haben sich 13 beteiligt, und es haben alle 13 mit Ja gestimmt. Von den uneingeschränkt Stimmberechtigten müssen wenigstens 331 Ja-Stimmen abgegeben sein, um die Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl zu erreichen. Das ist mit 349 geschehen. Damit ist die erforderliche Mehrheit zustande gekommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 346 und 14 Berliner Abgeordnete davon Ja: 346 und 14 Berliner Abgeordnete CDU/CSU Ja Dr. Arnold Baier Balkenhol Dr. Barzel Bauknecht Becker Berendsen Berger Bewerunge Biechele Dr. Birrenbach Blank Blöcker Brand Bremer Budde Bühler Burger Dr. Conring Dr. Czaja Damm van Delden Deringer Dichgans Diebäcker von Eckardt Ehnes Dr. Elbrächter Frau Enseling Dr. Erhard Erhard ({0}) Ernesti Erpenbeck Exner Falke Franke ({1}) Franzen Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. Frey Fritz ({2}) Frau Geisendörfer Gewandt Gierenstein Dr. Giulini Dr. Gleissner Glüsing ({3}) Dr. Götz Gottesleben Frau Griesinger Dr. h. c. Güde Haase ({4}) Dr. Häfele Härzschel Häussler Hanz ({5}) von Hassel Hauser ({6}) Dr. Hauser ({7}) Dr. Heck Dr. Hellige Dr. Hesberg Hörnemann ({8}) Dr. Hofmann ({9}) Frau Holzmeister Horstmeier Horten Dr. Hudak Dr. Huys Frau Jacobi ({10}) Dr. Jahn ({11}) Josten Frau Kalinke Klein Knobloch Köppler Krammig Krampe Dr. Kraske Dr. Krone Krug Kühn ({12}) Lampersbach Leicht Dr. Lenz ({13}) Lenz ({14}) Leukert Dr. Lindenberg Dr. Luda Lücke ({15}) Vizepräsident Dr. Jaeger Majonica Dr. Martin Dr. Marx ({16}) Maucher Meis Meister Memmel Mick Frau Mönikes Müller ({17}) Dr. Müller-Hermann Müser Niederalt Dr. von Nordenskjöld Orgaß Petersen Picard Frau Pitz-Savelsberg Porten Dr. Prassler Dr. Preiß Rasner Rawe Dr. Reinhard Richarts Riedel ({18}) Dr. Rinsche Dr. Ritgen Dr. Ritz Rock Röhner Rösing Rollmann Ruf Russe ({19}) Schlee Dr. Schmid-Burgk Dr. Schmidt ({20}) Schmitt ({21}) Frau Schroeder ({22}) Schröder ({23}) Schulhoff Frau Dr. Schwarzhaupt Dr. Schwörer Dr. Siemer Dr. Sinn Springorum Stahlberg Dr. Stark ({24}) Dr. Stecker Stein ({25}) Dr. Steinmetz Stiller Frau Stommel Stooß Storm Struve Dr. Süsterhenn Teriete Tobaben Unertl Varelmann Dr. Wahl Weigl Weiland Wendelborn Wieninger Windelen Winkelheide Frau Dr. Wolf Dr. Wuermeling Wullenhaupt Ziegler Zink Berliner Abgeordnete Dr. Gradl Müller ({26}) Frau Pieser SPD Adams Ahrens ({27}) ({28}) Frau Albertz Arendt ({29}) Dr. Arndt ({30}) Auge Bäuerle Bals Barche Dr. Bardens Dr. Bayerl Dr. Bechert ({31}) Behrendt Berlin Beuster Biermann Blume Böhm Brünen Buchstaller Büttner Buschfort Collet Dröscher Eckerland Frau Eilers Dr. Enders Eschmann Esters Felder Feuring Folger Franke ({32}) Frehsee Frau Freyh Fritsch ({33}) Fritz ({34}) Geiger Gertzen Glombig Gscheidle Haar ({35}) Haase ({36}) Haehser Hansing Hauck Hauffe Herberts Hermsdorf Hirsch Höhrmann ({37}) Höhne Hörauf Hörmann ({38}) Hofmann ({39}) Hufnagel Iven Jacobi ({40}) Jahn ({41}) Jaschke Jürgensen Junghans Kaffka Kahn-Ackermann Kern Frau Kleinert Könen ({42}) Koenen ({43}) Kohlberger Dr. Kreutzmann Kulawig Kurlbaum Frau Kurlbaum-Bayer Lange Langebeck Lautenschlager Lemp Lemper Lenders Liedtke Löbbert Lotze Maibaum Marquardt Marx ({44}) Matthes Frau Meermann Dr. Meinecke Müller ({45}) Müller ({46}) Müller ({47}) Dr. Müller-Emmert Dr. Müthling Dr. Nann Neumann ({48}) Paul Peiter Peters ({49}) Raffert Ravens Regling Dr. Reischl Reitz Riegel ({50}) Rohde Roß Frau Rudoll Sänger Saxowski Frau Schanzenbach Frau Schimschok Schmidt ({51}) Dr. Schmidt ({52}) Schmidt ({53}) Schoettle Schonhofen Schulte Schwabe Seibert Seidel Seifriz Seither Frau Seppi Spillecke Dr. Stammberger Stephan Tallert Tönjes Vit Welke Welslau Wendt Westphal Wiefel Wienand Wilhelm Wischnewski Wolf Wuwer Zebisch Berliner Abgeordnete Bartsch Frau Berger-Heise Bühling Frau Krappe Liehr Frau Lösche Mattick Neumann ({54}) Dr. Schellenberg Urban FDP Busse ({55}) Dr. Dahlgrün Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn Dr. Emde Dr. Friderichs Frau Funcke Geldner Freiherr von Gemmingen Genscher Graaff Dr. Haas Dr. Imle Jung Kubitza Logemann Dr. h. c. Menne ({56}) Dr. Miessner Moersch Ollesch Opitz Peters ({57}) Porsch Ramms Schmidt ({58}) Spitzmüller Dr. Staratzke Wächter Wurbs Berliner Abgeordnete Borm Wir kommen zum nächsten Punkt der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder - Drucksachen V/2370, V/3719 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({59}) - Drucksachen V/4179, zu V/4179 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stammberger ({60}) Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht und erteile ihm das Wort zu einer mündlichen Ergänzung.

Dr. Wolfgang Stammberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002215, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung eines Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder wird der Gesetzgeber einer Verpflichtung nachkommen, die ihm bereits vor 20 Jahren in Art. 6 Abs. 5 des Bonner Grundgesetzes aufgegeben worden ist. Wenn man es genau nimmt, dann ist diese Verpflichtung an einen deutschen Gesetzgeber bereits älter, nämlich genau 50 Jahre alt. Denn bereits in der Weimarer Reichsverfassung war im Art. 121 eine ähnliche Bestimmung enthalten. Es darf daher nicht wundernehmen, daß sich das Bundesverfassungsgericht bereits verschiedentlich mit diesem nichterfüllten Auftrag an den Gesetzgeber befaßt hat. Es hat das zuletzt in einem Beschluß vom 29. Januar 1969 getan, und es hat sehr deutlich festgestellt, dem Gesetzgeber sei zwar keine Frist gesetzt worden, aber er mache sich des Vorwurfs einer zumindest objektiven Verletzung des Grundgesetzes schuldig, wenn er nicht in einer angemessenen Frist diesem Auftrage nachkomme. Das Bundesverfassungsgericht hat gemeint, daß unter Berücksichtigung aller Umstände am Ende dieser Legislaturperiode diese Frist abgelaufen sei. Dann sei der Zeitpunkt dafür gekommen, wie das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, Art. 6 zu „aktualisieren", d. h. dann sei es die Aufgabe der Rechtsprechung, also der Richter, das vom Gesetzgeber Versäumte nachzuholen. So verständlich diese Fristsetzung ist, sie war eigentlich nicht mehr notwendig; denn bereits im Januar war vorauszusehen, daß dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode kommen würde. Dennoch haben wir diese Entscheidung begrüßt; denn sie hat uns in ihrer sehr ausführlichen Begründung gezeigt, daß Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber, und zwar sowohl die Bundesregierung, die diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat, als auch der Rechtsausschuß und der Unterausschuß für das Nichtehelichenrecht, in der Auffassung darüber übereinstimmen, wie Art. 6 Abs. 5 des Grundgesetzes zu verstehen und auszulegen ist. In den vergangenen Jahren ist häufig Kritik dahingehend geübt worden, daß Art. 6 des Grundgesetzes eigentlich einen Widerspruch enthalte. In Abs. 1 werde die Ehe und die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt, und in Abs. 5 sei bestimmt, daß den nichtehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre Entwicklung und Stellung in der Gesellschaft zu schaffen seien wie den ehelichen Kindern. Man hat sehr häufig gesagt, daß diese hier vorgesehene - wie man es genannt hat - „Begünstigung" der nichtehelichen Kinder den Schutz der legitimen Familie beeinträchtigen müsse. Aber schon in zwei früheren Entscheidungen hat 'das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die Familie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes auch das uneheliche Kind umfaßt, etwa in seinen Beziehungen zur Mutter und zu deren Verwandten. Das Bundesverfassungsgericht hat weiter ausgeführt, daß auch sonst, soweit das Grundgesetz die Ehe unter den besonderen Schutz stelle, bei einem nichtigen Verständnis des Gesetzes kein Gegensatz zwischen diesen beiden Verfassungsnormen zu finden sei, der den Gesetzgeber im Konfliktsfall zu einer Entscheidung darüber zwinge, welche dieser beiden Normen höher zu bewerten sei. Es sei eben gerade die ungünstige Ausgangsposition des nichtehelichen Kindes, die zu Abs. 5 führe und gerade darauf beruhe, daß die Ehe die einzige legitime Lebensgemeinschaft von Mann und Frau sei, weshalb sie eben auch den besonderen Schutz genieße. Es könnten nur in dieser legitimen Familie das Geborgensein und die Garantie für eine gesunde körperliche und seelische Entwicklung gegeben sein. Dabei muß man allerdings einmal sehr deutlich darauf hinweisen, daß es in der Bundesrepublik ebenso wie in allen übrigen Ländern wohl leider ebenso viele Kinder aus zerrütteten und geschiedenen Ehen gibt, die nicht diesen Schutz der Ehe und der Familie genießen können. Aber durch das Fehlen der Familiengemeinschaft ist das nichteheliche Kind von vornherein benachteiligt. Aus diesem Grund hat die Verfassung den Auftrag erteilt, mit den Mitteln der Rechtsordnung und sonstiger staatlicher Vorsorge einen Ausgleich für diesen Mangel zu schaffen. Das entspricht auch durchaus unserer Auffassung von Menschenrecht und Menschenwürde. Wir können es nicht zulassen, daß nichteheliche Kinder durch das Verhalten ihrer Erzeuger leiden müssen und selbst in der Rechtsordnung, wie es bisher der Fall ist, gesellschaftlich diskriminiert sind. Nach unseren heutigen Vorstellungen vom Wert der Grundrechte steht im Mittelpunkt des Wertsystems der Verfassung und damit des gesamten Rechts die sich frei entfaltende Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft und ihre menschliche Würde. Es darf keine Diskriminierung ohne eigenes Verschulden geben, auch nicht durch irgendeinen - wie man das immer so gern meint - „Mangel der Geburt". Das ist mit unseren heutigen Auffassungen nicht mehr vereinbar. Das sind die Gedanken des Parlamentarischen Rates gewesen, als er Art. 6 Abs. 5 des Grundgesetzes beschlossen hat. So hat ihn das 'Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen, zuletzt im Januar dieses Jahres, interpretiert. Das sind auch die Vorstellungen - ich wiederhole es -, von denen der Regierungsentwurf ausgegangen ist und auf denen die Arbeit des Rechtsausschusses und seines Unterausschusses beruht hat. Im übrigen verweise ich auf den Schriftlichen Bericht. Zu einigen Problemen möchte ich aber noch einige zusätzliche Ausführungen machen. Nicht nur die Diskriminierung des nichtehelichen Kindes, sondern auch die Diskriminierung der nichtehelichen Mutter ist beseitigt worden, vor allen Dingen durch den Wegfall der Bestimmung, daß die Mutter - so war es bisher ja - nicht die elterliche Gewalt über ihr Kind hat. Man hat das einmal ein „gesetzlich verankertes Mißtrauensvotum" genannt. Es ist sehr interessant, die Motive aus dem Jahre 1888 nachzulesen, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Jahre 1900 zugrunde gelegen haben. Das gipfelt in der Feststellung, daß die „Teilnehmerin" an dieser „unsittlichen Handlung" nicht auch noch Rechte daraus herleiten könne. Die Väter dieser Motive haben dabei völlig übersehen, daß an dieser „unsittlichen Handlung" ja auch immer ein Mann beteiligt gewesen sein muß, denn sonst wäre das nichteheliche Kind nicht da. Zwar ist schon durch das Familienänderungsgesetz von 1961 eine Änderung eingetreten - danach kann der Mutter zumindest teilweise die elterliche Gewalt übertragen werden, wenn auch bestimmte Angelegenheiten davon noch ausgenommen werden konnten -, aber heute ist das anders: grundsätzlich steht auch das nichteheliche Kind unter der elterlichen Gewalt der Mutter. Sie hat zwar einen Beistand zur Seite - und sie wird in der ersten Zeit oft vielleicht sogar dankbar sein, daß sie diesen Beistand hat -, aber sein Aufgabenbereich ist im Gesetz genau umrissen, und auf ihren Antrag hin kann dieser Beistand, wenn es dem Wohle des Kindes dient, selbstverständlich auch entfallen; dann kann die Mutter frei und allein entscheiden. Nun einiges zum Vater. Wir haben § 1600 o gegenüber dem Regierungsentwurf geändert und haben deutlich gemacht, daß das Ziel des Vaterschaftsprozesses, wenn es zu einem Prozeß kommt und nicht eine Anerkennung erfolgt, nicht nur die Vermutung der Vaterschaft, sondern in erster Linie die Ermittlung und Feststellung des biologischen Vaters sein muß. Wir haben darüber eine sehr eingehende Sachverständigenanhörung gehabt und uns davon überzeugen können, daß diese Feststellung nach den heutigen Erkenntnissen der Wissenschaft durchaus möglich ist. Diese klare und genaue Feststellung ist auch im Hinblick auf die Konsequenzen, die sich aus diesem Gesetz für den Vater und für das Kind ergeben, nötig. Zunächst einmal ist die unsinnige Bestimmung des alten BGB weggefallen, wonach das nichteheliche Kind nicht mit seinem Vater 'als verwandt gilt. Daraus resultiert, daß der nichteheliche Vater in Zukunft auch für die Entbindungskosten aufzukommen hat und der Mutter einen angemessenen Wochenunterhalt zu zahlen hat, wenn das notwendig ist, um die Mutter nicht durch die Entbindung und den entstehenden Verdienstausfall sozial zu schädigen. Dazu gehört, daß der Vater im Zusammenhang mit dem Regelunterhalt in Zukunft wahrscheinlich mehr zu zahlen hat, weil nicht mehr allein die Lebensstellung der Mutter, sondern auch die Lebensstellung des Vaters entscheidend dafür ist, was zu zahlen ist. Gegebenenfalls hat das Kind unter anderem auch Anspruch auf eine angemessene Berufsausbildung. In diesem Zusammenhang ist übrigens wichtig, daß im Gesetz klargestellt wurde, und zwar für alle Mütter, gleichgültig ob sie ehelich oder nichtehelich sind -, daß die Mutter ihrer Verpflichtung zum Unterhalt grundsätzlich bereits dadurch nachkommt, daß sie das Kind pflegt und erzieht. Ich glaube, es ist auch einmal notwendig gewesen, das im BGB festzustellen. Es kommt hinzu, daß der nichteheliche Vater in Zukunft ein größeres Recht des persönlichen Umgangs mit dem Kinde hat, daß ihm dieses Recht nur verwehrt werden kann, wenn es dem Wohl des Kindes widersprechen würde. Das Wohl des Kindes steht natürlich über allen solchen Entscheidungen. Schließlich ist die Ehelicherklärung des Kindes durch den Vater erleichtert worden, wenn es dem Wohl des Kindes dient und keine schwerwiegenden Gründe 'entgegenstehen. Zum Schluß das Erbrecht, das wohl am meisten umstritten war. Ich glaube, der Streit um die Frage, ob überhaupt ein Erbrecht für ein nichteheliches Kind bestehen kann, ist durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 1969 geklärt worden. Diesem Streit ist damit endgültig die Grundlage entzogen, wobei ich übrigens sagen darf, daß es einen Streit in dieser Hinsicht in unserem Ausschuß überhaupt nicht gegeben hat. Einige Presseverlautbarungen sind hier offensichtlich irreführend gewesen. Zur Zeit kann man sich bestenfalls über die Art, wie nun diese Erbberechtigung durchgeführt werden soll, streiten, man kann sich aber nicht mehr um die Erbberechtigung als solche streiten. Wir haben zunächst einmal den Erbersatzanspruch eingeführt, der dann gilt, wenn das Kind ansonsten neben dem überlebenden Ehegatten des Erblassers oder neben überlebenden ehelichen Kindern des Erblassers in eine Erbengemeinschaft eintreten würde. Das wäre zweifellos nicht gut. In diesem Fall hat das nichteheliche Kind einen Erbersatzanspruch, der aber nicht weniger ist und auch nicht mehr, sondern der wirtschaftlich letzten Endes genau dasselbe darstellt; das Kind gehört nur nicht zur Erbengemeinschaft als solcher. Dadurch werden manche Schwierigkeiten für alle Teile beseitigt. Wir haben aber gegenüber dem Regierungsentwurf zwei Regelungen neu eingeführt, die einigen berechtigten Einwänden Rechnung tragen. Auch hier möchte ich wieder sagen: sie sind zwar im Zusammenhang mit dem Recht des nichtehelichen Kindes jetzt in das Gesetz eingefügt worden, treffen aber genauso für eheliche Kinder zu, seien es Kinder aus der Ehe, die beim Tode des Erblassers besteht, seien es Kinder aus vorhergehenden Ehen. Nur kam eben jetzt die Problematik besonders deutlich auf. Zunächst einmal ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß das Erbe im Regelfall auf einer besonders intensiven Zusammenarbeit beider Ehegatten beruht und daß dieses Erbe gerade für die überlebende Witwe oft eine Lebenssicherung nach dem Tode des Mannes darstellt. Wenn die gesetzliche Erbfolge eintritt, also kein Testament vorliegt, ist die Witwe im Augenblick durch den jetzt geltenden § 1931 BGB dann benachteiligt, wenn nur ein oder zwei Kinder da sind. Sie bekommt dann nämlich nur ein Viertel, und das wirkt sich besonders drastisch bei der Gütertrennung aus, wo kein Ausgleich im Rahmen der Zugewinngemeinschaft erfolgen kann. Wir haben hier in Zukunft eine neue Regelung vorgesehen, wonach dann, wenn nur ein oder zwei Kinder des Erblassers da sind, diese neben der Ehefrau zu gleichen Teilen erben. Es waren Bestrebungen vorhanden, diese Regelung nicht auf den Güterstand der Gütertrennung zu beschränken, sondern auf sämtliche Güterstände auszudehnen. Diese Argumentation hatte durchaus etwas für sich. Wir haben aber dann davon Abstand genommen, weil sich der Bundestag in der kommenden Legislaturperiode wahrscheinlich grundsätzlich mit einer Neugestaltung des Erbrechts, insbesondere des Ehegattenerbrechts, beschäftigen muß und weil wir der Entscheidung dieser Fragen hier nicht mehr als dringend notwendig vorgreifen wollten. Was für die Mitarbeit des Ehegatten gilt, gilt ähnlich auch für Kinder. Es kommt sehr häufig vor, daß in bäuerlichen oder kleingewerblichen Familien einige Kinder gegenüber anderen Kindern uneigennützig einen Beitrag zur Erhaltung und zur Vermehrung des Vermögens leisten oder den Erblasser pflegen und unter Umständen sogar auf eigenes berufliches Fortkommen verzichten. Falls hier eine gesetzliche Erbfolge vorliegt, sind sie dadurch natürlich gegenüber den anderen Kindern benachteiligt. Wir haben eine Vorschrift eingesetzt, die den Kindern, die so gehandelt haben, einen Erbausgleichsanspruch gibt, der nach den heutigen sozialen Verhältnissen gerecht ist. Schließlich haben wir neu eingeführt, daß ein nichteheliches Kind zwischen dem 21. und 27. Lebensjahr einen Erbausgleich verlangen kann, der dann die erbrechtlichen Beziehungen gegenüber dem Vater und seinen Verwandten ersetzt. Er berechnet sich nach dem Unterhalt, der in den letzten Jahren gezahlt worden ist, ist also nicht so hoch, wie unter Umständen der Erbteil oder Erbersatzanspruch, der später einmal geltend gemacht werden kann. Aber gerade ein nichteheliches Kind braucht nach unserer Auffassung eine gewisse Starthilfe, wenn es mit dem Berufsleben beginnt oder eine Ehe gründet. Ein eheliches Kind hat dann noch immer einen gewissen Rückhalt in der Familie, aus der es stammt. Nun die Frage des Inkrafttretens des Erbrechts. Auf Erbfälle vor dem Inkrafttreten ist es natürlich nicht anzuwenden, das ist ganz klar; wir können diese Dinge nicht rückwirkend regeln. Im Gegensatz zum Regierungsentwurf wollen wir das neue Erbrecht auch nicht grundsätzlich gelten lassen, so daß etwa auch heute noch ein 60jähriges nichteheliches Kind den 80jährigen Vater, mit dem es bisher unter ganz anderen rechtlichen Voraussetzungen zusammengelebt hat - wenn man das überhaupt als Zusammenleben bezeichnen kann -, beerben könnte. Vielmehr haben wir beschlossen, daß grundsätzlich das Kind nur dann nach dem neuen Erbrecht erben kann, wenn es das 21. Lebensjahr beim Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht überschritten hat. Denn unter dem geltenden Recht bestehen nur schwache Beziehungen, und auch die sind im Regelfall längst schon erloschen; daher erschiene es uns nicht sachgerecht, wenn plötzlich erbrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden könnten. Eine Minderheit des Ausschusses hält allerdings, auch das möchte ich hier offen sagen, nicht das 21. Lebensjahr, sondern aus verschiedenen Gründen - wegen der steuerrechtlichen, versorgungsrechtlichen und anderen Parallelen - das 27. Lebensjahr für richtig. Es liegt ja auch wohl ein Änderungsantrag vor. Aber in der Sache als solcher wird dadurch nichts geändert. Das Inkrafttreten des Gesetzes haben wir im Ausschußantrag für den 1. Juli 1970 vorgesehen. Wir haben dazu die Landesjustizverwaltungen gehört. Diese waren der Meinung, daß etwa ein Jahr notwendig sein wird, um die Verwaltungen und vor allem die Gerichte auf die Handhabung und die Rechtsprechung nach dem neuen Gesetz vorzubereiten; außerdem müßten natürlich noch Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen werden. Nach Meinung der Mehrheit des Ausschusses ist diese Spanne auch mit der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts vereinbar, daß dieser Bundestag das Gesetz noch verabschieden muß. Eine Minderheit des Ausschusses ist für ein früheres Inkrafttreten. Dann möchte ich Sie als Berichterstatter noch um Verständnis für den Änderungsantrag auf Umdruck 666 bitten, der von Frau Schwarzhaupt, Herrn Stark und mir unterschrieben ist. Es handelt sich lediglich um redaktionelle Änderungen, die zum Teil deshalb 'erforderlich sind, weil das Jugendwohlfahrtsgesetz nicht mehr geändert werden konnte; wir wären dann in Zeitdruck gekommen. Die letzte Sitzung des Ausschusses war am vergangenen Donnerstag, und schon am Montag früh um 10 Uhr mußte zur Vermeidung einer Fristeinrede der gedruckte Bericht in den Fächern liegen. Ich darf Ihnen sagen, es ist für uns und auch für die Beamten, die uns dabei geholfen haben und denen ich hier danken möchte, ein sehr saures Wochenende gewesen, und da kann sich der eine oder andere Fehler einmal einschleichen. Aber es sind keine wesentlichen Dinge; es sind nur redaktionelle Änderungen. Und nun lassen Sie mich zum Schluß kommen, meine Damen und Herren. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stand - ich glaube, es war Anfang April - ein großer Artikel, der sich mit der sozialen Lage der nichtehelichen Kinder und der ledigen Mütter in der Bundesrepublik befaßt hat und der bereits auf dieses neue Gesetz einging. In diesem Artikel wurde vor alien Dingen auf die menschliche Situation hingewiesen, und es wurde sehr deutlich gesagt, daß gerade nicht nur die ledige Mutter, sondern auch das nichteheliche Kind in ihren mitmenschlichen Beziehungen erheblich benachteiligt sind. Und dann kommt dort im Hinblick auf das neue Gesetz der vielleicht etwas dramatisierende Satz: „Auch Gesetze trocknen keine Tränen." Gewiß, es klingt etwas dramatisierend. Aber was gemeint ist, stimmt nun einmal leider. Auch dieses neue Gesetz kann keine Vorurteile, kann keine Hartherzigkeit, kann kein Unverständnis und kann keine verklemmten Moralvorstellungen von heute auf morgen beseitigen. Und wenn wir in diesem Gesetz in Zukunft nicht mehr von unehelichen, sondern von nichtehelichen Kindern sprechen, dann bitte ich Sie, das nicht als eine Wortspielerei anzusehen. ({0}) - Ja, das will ich Ihnen gerade sagen, Herr Kollege. Ich bitte Sie, das nicht als Wortspielerei anzusehen. Wir wollten vielmehr damit zum Ausdruck bringen, daß dieses Gesetz ein kleines, aber längst fälliges und dringend notwendiges Teilstück einer Gesellschaftsreform ist, die es mit dem Art. 3 des Grundgesetzes ernst meint, nach dem alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind, nach dem niemand bevorzugt werden und nach dem niemand - auch durch seine Geburt nicht - benachteiligt werden darf. In diesem Sinne bitte ich Sie, dem Antrag des Rechtsausschusses zuzustimmen. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Ich danke dem Herrn Berichterstatter auch für seine mündliche Ergänzung. Meine Damen und Herren! Ich sehe von hier aus nicht klar. Es ist offenbar von Verschiedenen der Wunsch geäußert worden, jetzt in eine allgemeine Aussprache einzutreten; andere wiederum haben sich für eine allgemeine Aussprache in der dritten Beratung gemeldet. Die Geschäftsordnung sieht vor, daß eine allgemeine Aussprache in 'der Regel nur bei der dritten Beratung stattfindet, jedoch kann sie der Bundestag bei der zweiten Lesung zulassen. Das hat der Bundestag bei der Strafrechtsreform wegen ihres grundsätzlichen Charakters gemacht; er kann es hier auch machen. Was wünscht das Hohe Haus? ({0}) - Sie wünschen jetzt eine allgemeine Aussprache? - Dem wird nicht widersprochen. Gut, dann haben wir jetzt eine allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Stark.

Dr. Anton Stark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde mich in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit sehr kurz fassen, aber nicht nur deshalb, sondern auch, weil wir im Unterausschuß und im Rechtsausschuß diese Materie des Nichtehelichenrechts in einer sehr fruchtbaren und harmonischen Weise beraten haben und weil ich in vielen Punkten weitgehend dem zustimmen kann, was der Berichterstatter, Herr Kollege Stammberger, hier vorgetragen hat. Entgegen einem unsachlichen Artikel in einem deutschen Nachrichtenmagazin, das sich in diesem Falle durch Unterstellungen ausgezeichnet hat und das in der „bekannten Masche" über die Beratungen im Unterausschuß berichtet hat, hat hier niemand gebremst, sondern es wurde diese schwierige Materie unideologisch, sachlich und pragmatisch mit großer Aufgeschlossenheit beraten. Das hier festzustellen ist mir .ein Bedürfnis. Grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten, die an die Substanz der ansonsten auch nach Auffasssung der CDU/CSU-Fraktion guten Vorlage der Bundesregierung rührten, gab es nur in der Frage der vorgeschlagenen erbrechtlichen Lösung, nicht etwa aus ideologischen oder moralischen Bedenken gegen diese vorgesehenen Regelungen, sondern aus rein rechtlichen, verfassungspolitischen und pragmatischen Gründen. In diesem Zusammenhang mußte eben gefragt werden, ob das Erbrecht nur Ausfluß der Blutsverwandtschaft oder ob es daneben auch Ausfluß einer langjährigen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft ist. Diese Frage mußte in dem Zusammenhang erörtert werden, und das hat nichts mit kleinbäuerlicher Schollenverbundenheit oder sonstigen Dingen zu tun, wie sie uns unterstellt wurden. Hierbei kamen wir zu der Auffassung, daß in diesem Zusammenhang die sehr unpopuläre These „Kind gleich Kind" nicht annähernd der Schwierigkeit der Materie gerecht wird, wenn man bedenkt, daß es um Hunderttausende von Menschen, auch von Familien, und Eingriffen in Familien geht. Deshalb haben wir zu der vorgeschlagenen Erbrechtslösung einige Änderungen angebracht und sie erfreulicherweise am Schluß auch einstimmig im Ausschuß verabschiedet. Ich brauche hier nicht mehr im einzelnen auf alle diese Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage einzugehen. Ich darf nur noch einmal kurz verweisen auf die Verbesserung der Stellung der Ehefrau nach dem Tode ihres Mannes, wenn nur ein Kind oder zwei Kinder vorhanden sind. Hier waren wir übereinstimmend der Meinung, daß es ungerecht wäre, wenn in dem Falle, daß nur ein Kind da ist - in diesem Falle ein nichteheliches Kind, aber das gilt auch für den anderen Fall, daß es ein eheliches Kind ist -, die Frau nur ein Viertel und das Kind drei Viertel erben würde. Das wäre meines Erachtens keine sachgerechte, angemessene und richtige Lösung gewesen. Zum zweiten haben wir versucht - wir sind uns durchaus bewußt, wie schwierig das ist -, in dem § 2057 a das Problem der langjährigen Mitarbeit auf eine gerechte und billige Weise zu lösen. Ob diese Vorschrift in der Praxis nicht zu schwierig sein wird, ob sie nicht zu vielen Prozessen Anlaß geben wird, das können erst Jahre der Erfahrung mit diesem Gesetz erweisen. Wir haben drittens - und das ist eine sehr schwerwiegende Frage - den vorgezogenen Erbausgleich für das Kind eingeführt, weil wir der Meinung sind, daß dem nichtehelichen Kind in vielen Fällen eher damit gedient ist, zu einem Zeitpunkt zu Geld, zu ‘einem gewissen Vermögen zu kommen, in dem es 'in der Ausbildung steht, in dem es heiraten will, in dem es eine Existenz gründen will, als mit einem in vielen Fällen doch sehr fragwürdigen Erbrecht, das sich durch einen tüchtigen Anwalt - das muß ich hier einmal sagen - dann auch noch, wenn das gewollt wird, vereiteln läßt. Ich glaube, auch diese Lösung ist uns gelungen. Von manchen wird gesagt, diese Lösung würde dem Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes widersprechen, weil sie das nichteheliche Kind gegenüber dem ehelichen Kind bevorzugen würde. Hier gilt aber auch, daß der Art. 6 Abs. 5 des Grundgesetzes eben nicht eine schematische Gleichbehandlung von ehelichem und nichtehelichem Kind verlangt. Es kann durchaus gerechtfertigt sein, das nichteheliche Kind auf Grund seiner besonders schwierigen Lebenslage besser zu behandeln als das eheliche Kind. Ich persönlich habe Dr. Stark ({0}) keine Bedenken, daß diese Regelung etwa nicht verfassungskonform wäre. In der Diskussion war dann ein korrespondierendes Recht des Vaters, eine Art Erbabfindungsrecht. Hier schieden sich die Geister, sowohl was die Frage anbetrifft, ob das sachgemäß und zweckmäßig ist, wie auch in der Frage, ob das verfassungskonform ist, ob das vor dem Bundesverfassungsgericht zu halten ist. Wir haben uns schließlich mit Mehrheit darauf geeinigt, daß diese Lösung vielleicht zweckmäßig und sachgerecht sein mag, daß sie aber doch bezüglich der Verfassungskonformität fragwürdig ist, und wir wollten uns nicht in die Gefahr begeben, ein Nichtehelichenrecht zu machen, das dann womöglich vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wird. Das waren im wesentlichen die schwierigen Streitpunkte, die aber - ich muß es noch einmal sagen - in einer wirklich angenehmen, sehr sachlichen Atmosphäre unter dem sachkundigen Vorsitz von Frau Schwarzhaupt und auch einer sehr harmonischen Zusammenarbeit mit dem Berichterstatter, Herrn Stammberger, und den übrigen Kolleginnen und Kollegen aus der SPD- und der FDP-Fraktion behandelt wurden. Ich darf noch zu einem Einwand Stellung nehmen. In manchen Presseveröffentlichungen und in manchen Kreisen wird behauptet, die jetzt gefundene Lösung widerspreche dem Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes, nämlich dem Grundsatz des besonderen Schutzes von Ehe und Familie. Zweifellos besteht zwischen Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 5 eine gewisse Idealkonkurrenz im verfassungstechnischen Sinne; das läßt sich nicht abstreiten; aber diese Konkurrenz kann sicher nicht so gelöst werden, daß man das nichteheliche Kind schlechter stellt und sich auf den Standpunkt stellt, damit sei die Schwierigkeit und sei die Idealkonkurrenz beseitigt. Mir hat es auch nie eingeleuchtet, wenn immer wieder ausgeführt wird, eine Besserstellung des nichtehelichen Kindes würde den Schutz von Ehe und Familie gefährden. Hier muß einmal in aller Offenheit gesagt werden, daß nicht das nichteheliche Kind Ehe und Familie gefährdet, nachdem es überhaupt keinen Einfluß auf seine außereheliche Abstammung hat, sondern wenn hier jemand Ehe und Familie gefährdet - wenn man das schon behauptet -, dann doch nur die Eltern des Kindes, aber nicht das Kind, ({1}) und dafür darf das Kind nicht schlechter gestellt werden, während man beim Manne, dem Erzeuger des Kindes, das Ganze als eine Art Kavaliersdelikt ansieht. Ich bin der festen Überzeugung, daß das, was heute als Gesetz verabschiedet wird, zwar - wie vieles in dieser Großen Koalition - ein Kompromiß zwischen verschiedenen Auffassungen ist, daß es aber kein Kompromiß auf niedrigstem Level, sondern ein Kompromiß auf sehr hohem Niveau ist. Das kann man, glaube ich, auch dann sagen, wenn man diese Regelung mit ausländischen Regelungen des Unehelichenrechts vergleicht. Wir haben uns auch mit Rechtsvergleichung sehr viel Mühe gemacht, und ich darf sagen, wenn das, was hier vorgeschlagen wird, Gesetz wird, dann sind wir, was die Regelung des Unehelichenrechts anbetrifft, - ich übertreibe nicht - eines der fortschrittlichsten Länder. Nur wenige skandinavischen Länder gehen in dieser Hinsicht weiter. Ich würde Sie sehr bitten, meine sehr verehrten Damen und Herren, soweit Sie in irgendeiner Frage nicht hundertprozentig den jetzt gefundenen Lösungen zustimmen können: Geben Sie im Interesse des nichtehelichen Kindes, seines Wohles, seiner gleichen Entwicklungschancen im Verhältnis zu den übrigen Kindern Ihrem Herzen und vielleicht auch Ihrem Verstand einen Stoß und stimmen Sie dem zu, was wir in sechs Monaten miteinander erarbeitet haben. Letztlich, meine Damen und Herren, wird es aber nicht nur auf rechtliche Lösungen auf diesem Gebiet ankommen, sondern darauf, daß wir auch in unserem Bewußtsein, in unseren gesellschaftspolitischen Auffassungen davon abkommen, das nichteheliche Kind als Bankert, als Niemandskind und als zweitrangig zu behandeln. Hier sind in den letzten Jahren einige Fortschritte erzielt worden; aber in einem Teil der Bevölkerung bestehen hier noch gewisse Vorurteile. Ich hoffe, daß die Verabschiedung dieses Gesetzes dazu beiträgt, diese Vorurteile abzubauen. Schließlich wollen wir uns bei allem Bemühen um die Besserstellung des nichtehelichen Kindes aber auch bewußt sein, daß wir es trotzdem nicht erreichen werden, daß das nichteheliche Kind über alle Schwierigkeiten und sozialen Schranken hinwegkommt und daß es auch faktisch nie völlig dem ehelichen Kind gleichgestellt sein wird, das in der Geborgenheit einer intakten Familie aufwächst. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wahl.

Dr. Eduard Wahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regelung der Rechtsstellung der nichtehelichen Kinder gehört seit eh und je zu den schwierigsten Aufgaben des Gesetzgebers. Der moderne Rechtsgrundsatz der Rechtsgleichheit der Menschen und das Prinzip, wie es oft formuliert wird, daß man niemanden für die Fehler seiner Eltern verantwortlich machen könne, weil er selbst daran schuldlos ist, führten im letzten Jahrhundert fast in allen Ländern zu einer wesentlichen Besserstellung des Kindes. Es ist an der Zeit, daß auch das deutsche Recht in dieser Hinsicht einer gründlichen Reform unterzogen wird. Aber der in unserem Grundgesetz verankerte Schutz der Ehe und Familie dürfte die völlige Gleichstellung mit den ehelichen Kindern ausschließen, wie auch in der Tat das Grundgesetz, anders als in Art. 3 Abs. 2 bei Mann und Frau, eine Gleichstellung nicht vorgeschrieben hat. Mit Bedacht wurde in Art. 6 Abs. 5 eine andere Formulierung gewählt. Es sollen für die unehelichen Kinder, heißt es, durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft geschaffen werden wie für die ehelichen Kinder. Selbstverständlich hat das nichteheliche Kind nicht nur eine Mutter, sondern auch einen Vater. Es scheint deshalb nahezuliegen, das Problem einfach damit zu lösen - wie es nach der französischen und der russischen Revolution ausdrücklich geschehen ist -, daß der rechtliche Unterschied zwischen beiden Arten der Kinder aufgehoben wird. Die historischen Erfahrungen sprechen aber dann eine andere Sprache. In Frankreich hat die Abschaffung der rechtlichen Sonderstellung der unehelichen Kinder durch die Revolution kaum mehr als zehn Jahre gehalten. Im Code Napoléon führte der Pendelschlag nach der anderen Seite gar zu einer wesentlichen Verschlechterung der Rechtslage des unehelichen Kindes gegenüber den Lösungen des Ancien régime. Art. 340 bestimmte: „La recherche de la paternité est interdite." Heute ist das weitgehend eingeschränkt. Nur bei freiwilliger Anerkennung des Kindes durch den Vater erhielt das Kind eine begrenzte Erbbeteiligung, die in der Zwischenzeit durch Gesetzesänderung zu einem echten Erbrecht ausgestaltet und von einem Drittel auf die Hälfte des normalen Kindesteiles angehoben worden ist. In der Sowjetunion brachte das Familiengesetzbuch von 1920 die volle Gleichstellung ehelicher und unehelicher Kinder. Auch hier hielt die Regelung noch nicht einmal für die Lebensdauer einer Generation. Durch Verordnung des Präsidenten des Obersten Rates der UdSSR vom 8. Juli 1944 wurde das Familiengesetzbuch wieder geändert und wurden die Vaterschaftsfeststellung und die Unterhaltsberechtigung der unehelichen Kinder gegenüber dem Erzeuger abgeschafft. Konnte man die Regelung des Code civil noch mit einer Überwindung des revolutionären Überschwangs der 90er Jahre erklären, so muß die russische Reform von 1944 tiefere Gründe haben. Stalin war ja kein Konterrevolutionär. Er erkannte, daß die Fürsorge für die Kinder auf die Dauer nur von den Familien garantiert werden könne, und hat deshalb die Elternpflicht gegenüber den Kindern zum tragenden Grund seiner Familienrechtsreform gemacht. Solange die Familie der Mutter das uneheliche Kind aus dem Hause schicken konnte, damit der Vater sich des Kindes annähme, war das Problem der umherziehenden Kinderhorden, die sich stellenweise zur Landplage ausgewachsen hatten, nicht zu bewältigen. Das Kind muß in eine bestimmende Familie aufgenommen werden, damit es, wie man heute sagt, in den Genuß jener Nestwärme kommen kann, die zu seiner Entwicklung nötig ist. Um das sicherzustellen, sind die Pflichten des Vaters und die Rechte des Kindes gegenüber dem Vater in Rußland praktisch wieder aufgehoben worden. Erst ganz zuletzt nähert man sich der französischen Linie. Die Vorlage, über die heute zu beraten ist, hat es bei der Ansiedlung des Kindes in der mütterlichen Familie mit Recht belassen. Um so unverständlicher ist die erbrechtliche Lösung, die dem nichtehelichen Kind einen vollen Erbteil oder wenigstens einen Erbausgleichsanspruch entsprechend dem vollen Wert seines Kindesteils einräumt. Nach unserer Vorstellung ist der Erbe der Nachfolger des Erblassers, und diesem dann bei der Erziehung, Berufswahl und Berufsvorbildung kein Mitspracherecht zu geben, ist ein Widerspruch zu dieser erbrechtlichen Konsequenz. Für den Namen und die Staatsangehörigkeit des nichtehelichen Kindes gilt Entsprechendes. Man kann eben die personenrechtlichen Fragen von den erbrechtlichen Fragen nicht einfach trennen. Hier besteht ein tieferer Zusammenhang, als der Entwurf es wahrhaben will. Wenn das uneheliche Kind zum Erben des Vaters berufen wird, müßte ihm eigentlich ein gewisser Einfluß auf die Entscheidung in der Jugendzeit des Kindes gelassen werden, weil in dieser Jugendzeit auch die Entscheidungen fallen, die die spätere Aufgabe des Kindes als Nachfolger seines Vaters erfordern. Es ist nun einmal so, daß der Vater, der sich nicht entschließt, die Kindesmutter zu heiraten, in einem wesentlich loseren Verhältnis zum Kinde steht. Das Kind gehört nun einmal nicht zu seinem engeren Lebenskreis, für den er die volle Verantwortung zu tragen hat. Dieses Faktum bei der erbrechtlichen Lösung völlig zu ignorieren, wird den Lebensverhältnissen nicht gerecht. Die Milderungen, die das Gesetz durch die Beratungsarbeiten im Sonderausschuß und später im Rechtsausschuß erfahren hat, verdienen allerdings unsere volle Anerkennung. Es sind hier nicht nur der Ausstattungsanspruch hervorzuheben, den das Kind zur frühzeitigen Abfindung seines späteren Erbrechts erheben kann, und der Voraus, den die ehelichen Kinder wegen ihrer Mitarbeit in Haus und Gewerbe des Vaters bei der Erbauseinandersetzung mit dem nichtehelichen Kind bekommen sollen, sondern auch die Erweiterung des Erbrechts der überlebenden Ehefrau, die keinesfalls auf ihr Viertel beschränkt bleiben soll, wenn das nichteheliche Kind drei Viertel des Nachlasses ihres Ehemanns bekommen müßte. Aber diese Erweiterung ist auf den Güterstand der Gütertrennung beschränkt. Das allein zeigt, daß hier zu einer systematisch einwandfreien Aushilfe eben nicht mehr die Zeit vorhanden war. Überhaupt muß die Praktikabilität dieses Gesetzes durch weittragende Neuerungen erkauft werden. Der Voraus der ehelichen Kinder ist mit dem bisherigen Grundsatz, daß Ehefrau und Kinder unentgeltlich in der Lebens- und Produktionsgemeinschaft der Familie zusammenwirken, ohne über ihren Beitrag genauestens Buch zu führen, nicht vereinbar. Wenn jetzt zwischen den Kindern die Auseinandersetzung nur auf Grund brauchbarer Beweise über die Beiträge der einzelnen richtig durchgeführt werden kann, bedeutet das eine schwere Belastung gerade der Lebenskreise, für die die ganze Regelung vorgesehen ist. Ich habe deshalb beantragt, daß in dem Bericht des Rechtsausschusses bei der erbrechtlichen Lösung zu vermerken sei, daß die erbrechtliche Lösung bei der anstehenden großen Erbrechtsreform erneut überprüft werden soll. Dieser Antrag ist von dem Ausschuß angenommen worden. Man hätte auch in Erwägung ziehen können, daß jetzt die Vorlage an den Rechtsausschuß zurückverwiesen würde. Aber angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß noch in dieser Legislaturperiode das Unehelichenrecht reformiert werden muß, wenn nicht den Zivilgerichten die Möglichkeit gegeben werden soll, auf diesem Gebiet durch eigene Rechtsschöpfung den Reformauftrag des Grundgesetzes zu erfüllen, hat sich der Rechtsausschuß entschlossen, das Gesetz in der jetzigen Form schon dem Plenum vorzulegen. ({0}) - Nur nicht ganz so. ({1}) Dabei muß ich die Frage stellen, ob es bei einer so schwierigen Rechtsmaterie überhaupt angebracht ist, von seiten des Bundesverfassungsgerichts dem Bundestag eine kurz bemessene Bearbeitungsfrist zu setzen ({2}) - im Januar ist das geschehen -, als ob es sich um eine Examensarbeit für einen Rechtskandidaten handelte. Der Rechtsausschuß hat mit der Notstandsverfassung, den Finanzgesetzen einschließlich der Finanzverfassungsreform, dem neuen Strafrecht und dem Reparationsschädengesetz - um nur einige Arbeiten der letzten vier Jahre zu nennen - ein riesiges Programm bewältigt. Hätte die Regierungsvorlage sich wenigstens an die alten erarbeiteten Entwürfe und an erprobte Gesetze gehalten, hätte man bei der Beratung schneller vorankommen können. So wurde einfach eine rein schematische Lösung unter dem Prinzip der Gleichheit vorgelegt und dem Rechtsausschuß die neuartige Aufgabe überlassen, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man angesichts des grundgesetzlichen Schutzes von Ehe und Familie eine lebensgerechte Lösung finden kann. Je mehr man die Konsequenzen des Gesetzes überlegt, um so deutlicher werden seine Mängel. Ich will das nicht weiter ausdehnen. Ich möchte nur noch einen Fall erwähnen: daß ein Onkel kein Testament macht, weil er auch ohne Testament seinen Nachlaß seiner einzigen Nichte vorbehalten glaubt, die ihn in den letzten Jahren gepflegt hat. Nun meldet sich nach seinem Tod ein nichteheliches Kind eines seiner Brüder, von dem er nichts wußte und nichts wissen konnte. Dann kann seine Nichte nur die Hälfte bekommen, da eine letztwillige Verfügung zu ihren Gunsten nicht vorliegt und, nachdem der Onkel verstorben ist, auch nicht mehr nachgeholt werden kann. Diese Lösung scheint mir ebenso übertrieben zu sein wie das Erbrecht des Erzeugers und seiner Verwandten gegenüber dem nichtehelichen Kinde selbst. Nicht umsonst beschränkt der Code civil das Erbrecht der natürlichen Kinder auf den Nachlaß ihrer Eltern, insbesondere des Vaters, und bezieht in das natürliche Verwandtschaftsverhältnis, das zweifellos gegeben ist, die beiderseitigen Familien nicht ein. Man kann nicht alles zugleich haben, das Prinzip der Einehe als eine der wesentlichen Grundlagen unserer Kultur und daneben die Gleichstellung der ehelichen und nichtehelichen Kinder, die im Grunde eine andere Sozial- und Familienstruktur voraussetzt oder fördert. Zu den wenigen klaren Lösungen des Grundgesetzes gehört gerade diese Erkenntnis. Nicht umsonst gibt es auf der ganzen Welt, weder im Ostblock noch in den westlichen Staaten - mit Ausnahme eines skandinavischen Landes - eine so weitgehende Lösung. Auch die deutsche Reformliteratur war mit einer einzigen Ausnahme wesentlich zurückhaltender. Selbst das Bundesverfassungsgericht spricht nicht davon, daß das nichteheliche Kind das gleiche Erb- und Pflichtteilsrecht haben müßte, wie das eheliche Kind. Das Gericht verlangt nur die Einräumung irgendeines Erbrechts. Bei diesen zurückhaltenden Forderungen geht es fürwahr nicht darum, lebendige Menschen einer veralteten Institution zu opfern. Gerade der Ausstattungsanspruch, den der Sonderausschuß verdienstvollerweise entwickelt hat, zeigt, daß es Rechtsformen geben kann, die der einmaligen Situation der Beteiligten gerecht werden, ohne daß man dem alten Denkzwang der schematischen Gleichstellung zu unterliegen braucht. Eine differenzierende Lösung je nach der Erbrechtssituation müßte gefunden werden; Sie sehen in der Bestimmung über die Stellung der gütergetrennten Ehefrau schon Ansätze dazu, daß man hier nicht alles über einen Kamm scheren kann. Aber ich sage noch einmal: es ist unsagbar schwer, solche schöpferischen Rechtsgedanken unter Termindruck zu entwickeln. Gerade im Familienrecht ist die Verantwortung des Gesetzgebers besonders groß, den richtigen Ausgleich zwischen den Interessen des einzelnen und den sozialen Notwendigkeiten zu finden. Alles in allem glaube ich nicht, daß wir Veranlassung haben, auf die Dauer diese weitgehend dem Leben widersprechenden Lösungen aufrechtzuerhalten. ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Heuser.

Dr. Hedda Heuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000892, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auf den Punkt der Verzögerung der Vorlage dieses Gesetzes auch noch einmal kurz eingehen. Man muß dabei auch an folgendes denken. Die Vorarbeiten zu einem solchen Gesetz, das die rechtliche Stellung des nicht ehelichen Kindes entsprechend dem Auftrag des Grundgesetzes ändern sollte, liegen schon seit langem im Bundesjustizministerium vor. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit meinem Fraktionsfreund Bucher, der damals Justizminister war. Er berichtete mir schon von solchen Arbeiten und ihren Ergebnissen. Meine Damen und Herren, wir haben seitdem einen großen Wechsel in der Führung dieses Hauses gehabt. Er vollzog sich nicht nur innerhalb einer Partei, sondern zwischen drei Fraktionen dieses Hauses. Jeder dieser Herren - das war ja auch seine Aufgabe - wollte seine Vorstellung von Recht und Gesellschaft mitprägend in eine solche Arbeit hineintragen. Wenn Sie wissen, daß der Nachfolger unseres Kollegen Bucher der jetzt amtierende Präsident war -

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Frau Kollegin, das war der Abgeordnete Dr. Weber.

Dr. Hedda Heuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000892, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber Sie kamen unmittelbar danach. Ich glaube nicht, daß Herr Weber in der kurzen Zeit Wesentliches an diesen Vorlagen getan hat oder hätte tun können. Danach folgte dann Herr Heinemann und dann der jetzige Justizminister. Alle drei Herren haben dadurch - und auch das ist ihre Aufgabe -, daß sie 'verschiedener Grundauffassung waren, eine Verzögerung bewirkt. Ich muß gestehen, ich halte solche Verzögerungen durchaus nicht für schlecht. Sie kommen nämlich dem entgegen, was Herr Professor Wahl soeben gefordert hat, d. h. einer sehr ausgewogenen Bearbeitung eines gesellschaftspolitisch so wichtigen Gesetzes. Lassen Sie mich noch eine Vorbemerkung machen. Sowohl der Herr Berichterstatter wie der Herr Mitberichterstatter haben zur Arbeit in diesem vorbereitenden Ausschuß gesprochen. Ich kann mich ihrer Meinung nur anschließen, wie sehr fruchtbar diese Zusammenarbeit gewesen ist. Ich möchte mich insbesondere für meine Person nicht nur bei der Vorsitzenden, Frau Dr. Schwarzhaupt, sondern bei allen Kollegen bedanken, weil sie mir als einzigem Nichtjuristen in diesem Kreise die Arbeit so leicht gemacht haben. Vielleicht darf ich meinerseits in Anspruch nehmen, daß es für sie nicht ganz uninteressant war, ab und zu auch einmal die Meinung eines Nichtjuristen zu hören, ({0}) der auf andere Weise vom Beruf her mit diesem schwierigen gesellschaftlichen Problem immer wieder konfrontiert worden ist. Eine weitere Vorbemerkung bezieht sich auf jenen unseligen Artikel - ich möchte ihn wirklich so nennen -,der uns alle etwas schockiert hat, die wir in der Vorarbeit gesteckt haben. Meine Fraktionskollegen und ich haben daraus zu unserer größten Bestürzung entnehmen müssen, daß dort der Eindruck entstanden ist, die freie demokratische Fraktion habe sich in Widerspruch zu dem Grundsatz gestellt, das Erbrecht für das nichteheliche Kind vorzusehen. Vielleicht kam er dadurch zustande, daß wir natürlich sehr lange und sehr eingehend darüber zu debattieren hatten, wie die Lösung vom vorgezogenen Erbausgleich denn aussehen sollte. In der Öffentlichkeit mußte dadurch vielleicht der Eindruck entstehen, daß es uns mit dem eigentlichen Erbrecht gar nicht so ernst sei. Aber man muß doch wissen, daß man, um einen vorgezogenen Ausgleich zu institutionalisieren, das Erbrecht erst einmal grundsätzlich anerkennen muß. Das haben wir selbstverständlich von Anfang an getan. Dieser vorgezogene Erbausgleich scheint uns in der Tat eine vorzügliche Lösung insofern zu sein, als sie wesentlich mit zu dem beiträgt, was wir ja auch wollen, nämlich das nichteheliche Kind und seinen Vater mit den Mitteln, die das Gesetz überhaupt nur hat, einander näherzubringen. Was könnte neben den anderen Möglichkeiten, die wir haben, besser dazu geeignet sein, als dafür zu sorgen, daß unter Lebenden eine solche Vereinbarung möglich gemacht wird. ({1}) Ich glaube in der Tat, daß wir mit einer solchen Maßnahme dem Anspruch, den das Grundgesetz an uns gestellt hat, gerecht werden. In den vergangenen Wochen ist manchmal der Vorwurf erhoben worden, mit unseren Maßnahmen, die wir vorsähen, würden wir die Stellung des nichtehelichen Kindes zuungunsten des ehelichen Kindes stärken. Ich will hier ganz offen sagen, daß das durchaus einmal so sein kann. Aber wir müssen dazu sagen, daß - wie auch Herr Wahl ausgeführt hat - die absolute Gleichstellung aus der Lebenswirklichkeit heraus gar nicht möglich ist. Denn immer wird das nichteheliche Kind darunter leiden, daß es nicht im Familienverband groß werden kann. Deshalb ist es durchaus möglich, daß wir in verschiedenen Punkten unter Umständen, um eine möglichst weitgehende Gleichstellung zu erreichen, auch einmal eine Besserstellung des nichtehelichen Kindes institutionalisieren. Oftmals haben wir in diesem Hohen Hause in den letzten Jahren davon gesprochen, daß es in dieser pluralistischen Gesellschaft, in dieser rasanten Entwicklung für unsere jungen Menschen in der Zukunft lebensnotwendig ist, eine Ausbildung zu erlangen, die sie fähig macht, diesem schnellen Wechsel gerecht zu werden. Darum ist es doch nur recht und billig, daß wir gerade dem nichtehelichen Kind, das den ständigen Schutz einer Gesamtfamilie entbehren muß, zu einem Zeitpunkt eine zusätzliche Sicherung geben, zu dem diese für das Kind ganz besonders wichtig und entscheidend ist, nämlich beim Eintritt in das Erwachsenenleben, dann, wenn es die Chancengleichheit, die unser Grundgesetz allen Menschen verspricht, am allernotwendigsten braucht. Lassen Sie mich noch ein Wort zu der Stellung der Mutter zum Kind und umgekehrt sagen. Wir haben versucht, die Stellung der Mutter gegenüber dem bisherigen Recht zu verbessern. Wir konnten uns aber nicht entschließen, vielfachen Anregungen von außen zu folgen, die sagten, es bedeute eine weitere Diskriminierung der nichtehelichen Mutter, wenn wir den Beistand so institutionalisierten, wie es vorgesehen ist. Hier muß man doch einmal an die Praxis denken. Die Mutter, die eines Beistands bedürftig ist, ist, wenn sie ihn nicht automatisch bekommt, sicher in einer schlechteren Situation. Denn für sie ist das Anrufen und Beantragen bei einem Amt ohnehin sehr viel schwieriger. Ich darf dazu folgendes sagen - ich nehme da nicht die uneheliche Mutter aus allen Müttern aus, aber hiervon reden wir nun einmal -: die Mutter, die eines solchen Beistandes nicht bedarf - und ich denke, das ist die Mehrheit -, ist auch in der Lage, in dieser Situation einen Antrag zu stellen, den Beistand abzusetzen, wenn sie ihn nicht braucht. Ich finde, wenn man die Dinge so sieht, kann und darf man nicht von irgendeiner Diskriminierung sprechen. Ich war etwas betroffen über die Ausführungen von Professor Wahl. Ich erkenne mit ihm an, daß wir selbstverständlich für den Schutz der Familie verantwortlich sind. Aber ich war deswegen so betroffen, weil er nicht eine Spur davon anklingen ließ, daß wir ja auch diese kleinen Familien - Mutter und Kind - als eine Familie anzusehen haben, die genauso unter diesem Schutz zu stehen hat. ({2}) Da ,es bisher noch nicht angesprochen wurde, darf ich noch hinzufügen, daß dieses Gesetz eine große Reihe von Billigkeitsklauseln enthält mit dem Zweck, den vielen Wechselfällen des Lebens gerecht zu werden. Ich wollte das nur noch hinzufügen. Nun, meine Damen und Herren, stehen wir kurz vor der Verabschiedung dieses gesellschaftspolitisch so wichtigen Gesetzes. Wir können mit Hilfe des Gesetzes versuchen, Kind und Vater einander näherzubringen. Was wir vom Gesetz her nicht können, ist, Zuneigung und Liebe anzuordnen und zu verschreiben. Wir können auch voll Stolz sagen, daß unser Grundgesetz, das nun 20 Jahre alt ,ist, mit dieser Forderung, die es an uns gestellt hat, wohl moderner ist und seine Schöpfer moderner dachten, als große Kreise unserer Gesellschaft dies heute in diesem Punkt noch tun. Ich hoffe sehr, daß dieses Gesetz, das diesmal nicht in der Lebenswirklichkeit Vollzogenes nachvollzieht, sondern vorausgeht, die Meinung in unserer Gesellschaft von nichtehelicher Geburt und nichtehelicher Mutter wie auch die Haltung unserer Gesellschaft gegenüber dem nichtehelichen Kind und der nichtehelichen Mutter ein wenig schneller zum Positiven wandelt, ({3}) damit nicht mehr das passiert, was wir in diesen Tagen in einem der Publikumsorgane unseres Landes haben lesen können: daß eine qualifizierte Arbeitskraft, die alle Voraussetzungen für den Arbeitsplatz, den sie anstrebte, weitaus besser zu erfüllen imstande gewesen wäre als die anderen zwanzig Bewerber, deswegen nicht eingestellt wurde, weil sich hinterher im Personalbüro dieser Firma herausstellte, daß diese Arbeitskraft nichtehelicher Geburt war. Meine Damen und Herren, ich betrachte eine solche Haltung nicht nur als unserem Grundgesetz nicht entsprechend, sondern auch als inhuman. ({4}) Die FDP-Fraktion wird der Ausschußvorlage zustimmen, vorbehaltlich der Änderungsanträge, die noch kommen und über die wir natürlich noch gesondert abstimmen müssen. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es ein Grund zur Freude oder ein Grund zur Wehmut ist, daß wir heute hier eine Reform verabschieden, die seit einem halben Jahrhundert überfällig war und seit zwanzig Jahren vom Grundgesetz gefordert wurde, ohne daß sie verwirklicht worden wäre. Es stimmt nachdenklich über die Reformkraft dieses Landes, daß wir so lange Zeit gebraucht haben, um zu einem tragbaren Ergebnis in bezug auf diesen von der Verfassung gegebenen Auftrag zu kommen. Dies ist um so bedauerlicher, als, wie hier ja schon hervorgehoben worden ist, die Kinder, die durch das geltende Recht benachteiligt werden, am allerwenigsten für die Situation können, in der sie sich befinden. Das geltende Recht gibt dem nichtehelichen Kind nicht das, was ihm die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz verheißen haben und was ihm, ganz abgesehen von unseren Verfassungen, nach unserer Auffassung als Menschenrecht zusteht, nämlich - soweit das Recht das überhaupt erreichen kann - die gleichen Lebenschancen wie ehelichen Kindern. Mein verehrter Herr Amtsvorgänger, Herr Dr. Heinemann, dem ich bei dieser Gelegenheit noch einmal besonders herzlich für seine Arbeit gerade an diesem Entwurf danken möchte, hat anläßlich der ersten Lesung dieses Reformwerkes zu Recht betont, daß in der Verzögerung der Erfüllung dieses Verfassungsauftrags ein schwerer Vorwurf gegen unsere Gesellschaft liegt. Sie hat jahrzehntelang Grundsätze mißachtet, auf die sie sich gegenüber anderen Regimen beruft, um ihre Legitimation nachzuweisen. Ich bin der Meinung, daß die Bedeutung der Vorlage gerade unter diesem Gesichtspunkt kaum überschätzt werden kann, auch wenn nur ein kleiner Teil der Mitglieder des Hauses an der Debatte teilnehmen kann. Die Behandlung dieser Vorlage ist ein Prüfstein dafür, ob wir es mit den Grundsätzen, die wir in unserem Grundgesetz stehen haben, ernst meinen oder ob sie bloß ein Lippenbekenntnis sind. ({0}) Diese Vorlage ist auch ein Prüfstein dafür, ob unsere Gesellschaft überhaupt in der Lage ist, wichtige rechts- und sozialpolitische Fragen richtig und auch noch in einem einigermaßen vertretbaren Zeitraum zu lösen. Der Entwurf, den das Justizministerium seinerzeit vorgelegt hat, sieht drei entscheidende Änderungen im rechtlichen Status des nichtehelichen Kindes vor. Erstens wird der nach unserer heutigen Auffassung geradezu abstruse Satz, daß der Vater mit seinem nichtehelichen Kind nicht verwandt sei, beseitigt. Zweitens wird das nichteheliche Kind im Unterhaltsanspruch dem ehelichen Kind gleichgestellt. Drittens wird das nichteheliche Kind auch am Erbrecht beteiligt. Das Justizministerium hat einen Erbersatzanspruch vorgeschlagen. Ich darf noch einmal kurz sagen warum. Wir sind einerseits der Meinung, daß es schon von der Verfassung her geboten ist, das Kind in die erbrechtliche Lösung einzubeziehen. Wir waren aber andererseits der Meinung, daß weder der Familie, also der Mutter mit den ehelichen Kindern, noch dem nichtehelichen Kind damit gedient ist, wenn man das nichteheliche Kind im Erbfalle in die Erbengemeinschaft aufnimmt. Es würde bei der Realteilung des Nachlasses nur Streit geben. Wir waren der Meinung, daß es für beide Seiten das beste ist, einen Erbersatzanspruch vorzusehen, d. h. einen Geldanspruch in Höhe des Erbteils, wenn es zur Realteilung käme. Ich glaube, das ist eine Lösung, die einerseits der Verfassung gerecht wird, die dem nichtehelichen Kind das gibt, was ihm zusteht, und die andererseits auf das nun einmal gespannte und schwierige Verhältnis zwischen der ehelichen Familie auf der einen Seite und dem nichtehelichen Kind auf der anderen Seite Rücksicht nimmt. Der Entwurf sah gleichzeitig vor - mir scheint das genauso wichtig zu sein -, daß die Stellung der Mutter eines nichtehelichen Kindes erheblich verbessert wurde, daß diesen Frauen mehr Selbständigkeit gegeben wurde und daß, soweit es nicht unbedingt für den Schutz des Kindes erforderlich ist, mit der amtlichen Bevormundung dieser Mütter Schluß gemacht wurde. Ich muß sagen, es befriedigt mich, daß die Beratungen im Rechtsausschuß, die nun doch so rechtzeitig zu einem Ergebnis geführt haben, daß das Reformwerk noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann, im großen und ganzen die Grundrichtung des Entwurfs des Bundesjustizministeriums bestätigt haben. Die größten Schwierigkeiten und Widerstände und die meisten Änderungsvorschläge von seiten der Damen und Herren sowohl der CDU/ CSU wie der FDP gab es auf dem Gebiet des Erbrechts. Dabei ist übrigens auch noch einmal deutlich geworden, daß die jahrzehntelange Diskriminierung des nichtehelichen Kindes u. a. natürlich auch auf; handfesten wirtschaftlichen Interessen beruht. Sie werden sicher nicht erwarten, daß ich mich über alle Ergebnisse, die nun erreicht worden sind, über alle Änderungen der Vorlage glücklich zeige, zumal da einiges verfassungsrechtlich vielleicht nicht ganz unbedenklich ist. Trotzdem bin ich wie bei der Strafrechtsreform auch hier der Meinung, daß der Fortschritt auf diesem Gebiet trotz einiger Dinge, die ich persönlich anders sehe, sehr groß ist und daß dieser Entwurf einen entscheidenden Schritt zu einem modernen Recht und zu einem gerechteren Recht in unserer Gesellschaft darstellt. Ich möchte an dieser Stelle dem Ausschuß und dem Unterausschuß sehr herzlich für die Arbeit, die geleistet worden ist, danken. Ich denke vor allen Dingen an die Vorsitzenden des Rechtsausschusses, Herrn Dr. Wilhelmi und Herrn Dr. Reischl, an Sie, Frau Dr. Schwarzhaupt, die Sie Vorsitzende des Unterausschusses waren, an den Herrn Berichterstatter, Herrn Dr. Stammberger, und an die übrigen Ausschußmitglieder, vor allem an Herrn Dr. Stark und Frau Dr. Heuser. Ihnen allen sehr herzlichen Dank für die Mithilfe an diesem Entwurf, auch soweit unsere Meinungen in verschiedenen Punkten auseinandergegangen sind. Ich darf zum allgemeinen dann noch festhalten, daß die Änderungsvorschläge zum Jugendwohlfahrtsgesetz nicht mehr beraten werden konnten, zweitens, daß die beiden Regierungsentwürfe, also der BGB-Teil und das Einführungsgesetz, in einem Entwurf zusammengefaßt werden sollen, und schließlich, daß der Ausdruck „unehelich" durch den Begriff „nichtehelich" ersetzt worden ist. Lassen Sie mich nun kurz - mir scheint es richtig zu sein, das darzulegen - sagen, was das Justizministerium im einzelnen von den Änderungen denkt, die im Ausschuß beschlossen worden sind. Es gibt da, wenn ich so sagen darf, zwei Gruppen. Es gibt zunächst eine Gruppe von Änderungen, die wir als Verbesserung des eigenen Entwurfs empfinden wie z. B. die Vorschläge zum Namensrecht. Die Möglichkeit, daß der Vater dem Kind seinen eigenen Namen erteilt, halten wir für eine Verbesserung des Entwurfs. Das gleiche gilt in Art. 8, im Personenstandsrecht, für die Regel, daß in die Geburtsurkunden ausnahmslos sämtliche Randvermerke eingearbeitet werden. Soweit im Rechtsverkehr ein Bedürfnis besteht, die personenstandsrechtlichen Verhältnisse im einzelnen zu ersehen, kann eine beglaubigte Abschrift aus dem Geburtenbuch oder die vom Rechtsausschuß neu geschaffene Abstammungsurkunde verwendet werden. Wir hatten das seinerzeit auch vorgeschlagen, waren aber in dieser Frage in der Bundesregierung und bei den Landesjustizverwaltungen nicht durchgekommen. Es gibt dann eine zweite Gruppe von Änderungen, die unbedeutenderer Art sind und über die man weder sehr froh sein kann noch sehr traurig zu sein braucht. Hier sind zu nennen die Änderungen im Bereich der Vaterschaftsfeststellung, des Unterhaltsrechts, des mütterlichen Sorgerechts, des Verkehrsrechts des Vaters, der Adoption und der Vormundschaft. Wir sind der Meinung, daß alle diese Änderungen vertretbar sind. Es kommen dann noch Änderungen in der Vorschrift über das Höferecht hinzu. Auch diese Änderung halten wir für vertretbar. Das gleiche gilt für die vom Ausschuß beschlossenen Änderungen zum Verfahrensrecht und zum Kostenrecht. Damit komme ich zur dritten Gruppe, und zwar zu der Gruppe von Änderungen, denen das Justizministerium kritisch gegenübersteht und die es lieber nicht gesehen hätte. Zunächst ist im Recht der Legitimation und der Ehelichkeitserklärung eine Änderung vorgenommen worden, die die Möglichkeit des Vaters, das Kind für ehelich erklären zu lassen und dadurch die elterliche Gewalt zu erhalten, in den Fällen beschränkt, in denen der Vater verheiratet ist und seine Ehefrau die Zustimmung verweigert. In diesen Fällen wurde die Möglichkeit der Ehelicherklärung nur für den Fall eröffnet, daß die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten aufgehoben ist und berechtigte Interessen der Ehefrau und der Familie nicht entgegenstehen. Diese Lösung halten wir für rechtspolitisch bedenklich. Sie benachteiligt das nichteheliche Kind, weil es dadurch anders als eheliche Kinder nur beschränkt in die Obhut desjenigen Elternteils gelangen kann, bei dem es am besten untergebracht wäre. Gleichermaßen haben wir Bedenken gegen die Änderungen, die nach der langen Erörterung - wie gesagt: es ist klar, das Gesamtergebnis ist ein so großer Fortschritt, daß es von uns akzeptiert wird - in der Frage des Erbrechts erfolgt sind, Bedenken, die wir ja schon in den Beratungen im einzelnen vorgetragen haben. Das Recht auf vorzeitigen Erbausgleich kann dem nichtehelichen Kind bei der Gründung einer Familie oder im Berufsleben zweifellos eine wesentliche Starthilfe sein. Trotzdem bestehen gegen diese Regelung Bedenken, weil sie bei ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen den Vater und seine Familie stark belasten kann und außerdem den ehelichen Kindern ein entsprechendes Recht selbst dann nicht zusteht, wenn sie, etwa nach Scheidung der Ehe, gegenüber dem Vater in einer ähnlichen Situation sind wie ein nichteheliches Kind. Nun wissen wir aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß Gleichheit zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern nicht heißt, daß immer die gleiche Rechtsregel gelten muß. Wir sind aber nicht so sicher, daß dies rechtspolitisch eine glückliche Regelung ist. Das gleiche gilt für die Verstärkung des Erbrechts des überlebenden Ehegatten, durch die vermieden werden soll, daß das gesetzliche Erbteil des Ehegatten geringer ist als das eines Abkömmlings. Für diese Regelung lassen sich zweifellos eine große. Menge von guten Gründen anführen. Trotzdem erscheint uns die Regelung, die der Rechtsausschuß getroffen hat, nicht unbedenklich, da sie dazu führt, daß beim Vorhandensein nur eines Kindes der überlebende Ehegatte bei Gütertrennung ein ebenso großes Erbteil erhält wie bei Zugewinngemeinschaft, was eigentlich die Regelung der Zugewinngemeinschaft entwertet. In die Regelung der gesetzlichen Erbfolge der überlebenden Ehegatten, die eine der Kernfragen des Erbrechts ist, sollte unseres Erachtens auch nicht durch Einzelmaßnahmen eingegriffen werden. Wir sind ja dabei, für die nächste Legislaturperiode eine Neuregelung der gesamten Vorschriften in Angriff zu nehmen, und hätten es deshalb lieber gesehen, wenn das abgewartet worden wäre. Wir sind der Meinung, daß auch zur Regelung der Ausgleichungspflicht unter Abkömmlingen das gleiche zu sagen ist. Es handelt sich hier um ein Problem, das sich auf viele Rechtsgebiete auswirkt, und wir befürchten etwas, daß die Regelung in der vorgesehenen Form sich als eine ergiebige Quelle familiärer Streitigkeiten erweisen könnte. Lassen Sie mich schließlich ein Wort zu den Übergangs- und Schlußvorschriften sagen. Wie gesagt, bei den anderen erwähnten Punkten sind wir nicht ganz glücklich über die gefundenen Lösungen, respektieren aber selbstverständlich die Ergebnisse der Ausschußberatungen. In etwas stärkerem Maße haben wir Bedenken bei der vorgesehenen erbrechtlichen Übergangsregelung, durch die alle bei Inkrafttreten des neuen Rechts über 21 Jahre alten Kinder von einer Beteiligung am Nachlaß des Vaters ausgeschlossen sind. Ein nichteheliches Kind, welches das 21. Lebensjahr noch nicht lange überschritten hat, kann - was der Rechtsausschuß durch Zuerkennung eines vorzeitigen Erbausgleichs ausdrücklich anerkennt - für seine familiäre oder berufliche Entwicklung auf eine finanzielle Unterstützung des Vaters besonders angewiesen sein. Wir sind daher der Meinung, daß es jedenfalls nicht ganz unbedenklich ist - auch verfassungsrechtlich -, die Kinder über 21 Jahre durch die Übergangsvorschrift von einer Beteiligung am Nachlaß des Vaters auszuschließen. Ein letztes Wort zum Zeitpunkt des Inkrafttretens. Als Zeitpunkt des Inkrafttretens ist der 1. Juli gewählt worden. Wir befürchten, daß dieses weite Hinausschieben des Inkrafttretens dazu führen könnte, daß die Richter in der Zwischenzeit auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts das geltende Recht nicht mehr anwenden. Ich will mich jetzt nicht auf ein bestimmtes Datum festlegen; aber wir wären glücklich, wenn in diesem Punkt ein früheres Inkrafttreten, so wie es auch der vorliegende Gruppenantrag vorsieht, erreicht werden könnte. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich glaube, ich war es dem Hohen Hause schuldig, hier am Abschluß der Beratung noch einmal darzulegen, in welchen Punkten das Bundesjustizministerium anderer Meinung ist oder anderer Meinung war als die Mehrheit des Ausschusses. ({1}) - Nein, das war gar nicht überflüssig! ({2}) -Ich bitte hier sagen zu dürfen: es geht gar nicht um Zensuren. Ich bin der Meinung, ein Ministerium ist verpflichtet, wenn es einen Entwurf bringt und dieser Entwurf im Hause besprochen wird und geändert wird, hinterher auch zu sagen: Wie stehst denn du, Justizminister - ({3}) - Nun gut, das ist meine Auffassung dazu. Ich bin der Meinung, daß das auch für die Bildung des Urteils über die weitere Arbeit des Justizministeriums wichtig ist. Ich stelle ja keine Änderungsanträge; die kommen aus Ihren Reihen. ({4}) Zum Teil betreffen die Änderungsanträge die Punkte, die ich hier erwähnt habe. Alles dies, sage ich noch einmal, soll überhaupt keine Abwertung des Ergebnisses sein, zu dem man gekommen ist.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Memmel? ({0}) - Herr Abgeordneter Memmel!

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, würden Sie es nicht für zweckmäßig halten - weil Sie jetzt zu einem der vier Änderungsanträge gespro13006 chen haben -, wenn Sie zusammenfassend auch zu den anderen drei Anträgen Ihre Stellungnahme abgäben, weil Sie dann nicht mehrmals dort oben auftreten müssen. Das wäre eine Ersparnis für Sie.

Not found (Minister:in)

Ich habe auch nicht vor, dazu aufzutreten. Die Punkte, von denen ich meinte, hier sei das Justizministerium dem Hause Rechenschaft schuldig - so bitte ich das zu verstehen, was ich gesagt habe -, habe ich bereits erwähnt, und sie kommen zum Teil auch in diesen Anträgen vor. Ich sage es noch einmal: ich bin der Meinung, daß es richtig ist, hinterher zu sagen - wir sind mit diesem Entwurf so hereingegangen, und so kommt er heraus -, in welchen Punkten wir der Meinung sind, daß er verbessert worden ist, und in welchen Punkten wir der Meinung sind, wir hätten lieber eine andere Lösung erreicht. Das ändert an dem Wert dieser Arbeit gar nichts. Ich darf nach dieser Rechenschaftslegung über die einzelnen Dinge zum Schluß nochmals sagen, daß auch der Bundesminister der Justiz der Meinung ist, daß mit dem Entwurf - so wie er jetzt ist - ein sehr wesentlicher Fortschritt auf dem Gebiet des Familienrechts erreicht worden ist, ein Fortschritt, der viel zu lange Jahre und Jahrzehnte auf sich hat warten lassen. Und es gilt auch nach diesem Rechenschaftsbericht mein Dank allen Damen und Herren der Ausschüsse und der Fraktionen, die dieses Werk möglich gemacht haben. Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen. Wir sollten uns, nachdem dieses Ergebnis erreicht ist, davor hüten zu meinen, wir seien damit auf diesem Gebiet fertig. Denn die lange Dauer dieser Reformarbeiten hat ja dazu geführt, daß inzwischen ein anderes Problem fast vordringlicher geworden ist. Die Zahlen der nichtehelichen Kinder nehmen ab; dagegen nimmt die Zahl der Kinder aus Ehen, in denen die Eltern getrennt leben, oder aus geschiedenen Ehen rapide zu. Ich bin der Meinung - das jedenfalls ist die Absicht des Justizministeriums -, daß wir für die nächste Legislaturperiode schon jetzt Vorbereitungen treffen sollten, um an die Reform des Rechts der nichtehelichen Kinder und ihrer Mütter die Reform des Rechts der Kinder aus Ehen, in denen die Ehepartner getrennt leben, oder aus Ehen, die geschieden sind, anzuschließen. Wir sind der Meinung, das wäre der folgerichtige rechtspolitische Schritt nach dieser Arbeit, die alle drei Fraktionen hier gemeinsam geleistet haben. Im übrigen kann ich nur das aufnehmen, was hier schon von verschiedenen Sprechern der Fraktionen gesagt worden ist. Gerade als Jurist muß ich sagen: wir sollten die rechtlichen Möglichkeiten, die in einem solchen Bereich sehr alter, sehr lange begründeter und sehr harter sozialer Vorurteile bestehen, nicht überschätzen. Die Möglichkeiten des Rechts, in der Praxis und im gegenseitigen Umgang soziale Gerechtigkeit zu schaffen, sind weit geringer, als manche Nichtjuristen meinen. Es wird darauf ankommen, daß über die Änderung des Rechts hinaus unsere Gesellschaft auch in dieser Frage wie in der neulich diskutierten Frage des Strafvollzugs zu einer Einstellung findet, die dem humanistischen und christlichen Erbe unserer Kultur, auf das wir uns mit großem Recht sehr oft berufen, gerechter wird als ein ideologisches Festhalten und eine mißbräuchliche Berufung auf diese Tradition im Sinne vorgestriger Lösungen. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren! Wird weiter das Wort in der allgemeinen Aussprache dieser zweiten Beratung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache. Ich komme zur Einzelberatung und rufe den Art. 1, zuerst die Nrn. 1 bis 81 b, auf. Sie haben den Umdruck 666 der Abgeordneten Frau Dr. Schwarzhaupt, Dr. Stammberger und Dr. Stark ({0}) zu Art. 1 vor sich. Soweit ich sehe, handelt es sich bei den ersten drei Ziffern nur um redaktionelle Berichtigungen. Unter Ziffer 4 liegt eine sachliche Ergänzung vor. Ich darf wohl feststellen, daß das Haus mit den drei redaktionellen Berichtigungen einverstanden ist, so daß ich hier nicht formell abstimmen lassen muß. Das ist der Fall. Dann habe ich abstimmen zu lassen über die Ziffer 4, betreffend Nr. 57. Hier wird ein Satz neu eingefügt. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Frau Abgeordnete Schwarzhaupt!

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es handelt sich auch hier im Grunde um eine redaktionelle Änderung. Der Satz ist mit Mehrheit beschlossen und nur versehentlich nicht in die Synopse aufgenommen worden. Das gleiche gilt von allen folgenden Änderungen auf dem Umdruck 666; das sind beschlossene Texte, die in der Eile nur versehentlich nicht in den Ihnen vorliegenden Entwurf aufgenommen worden sind.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Ich danke für diese Feststellung und lasse jetzt also über Ziffer 4 abstimmen. ({0}) - Dazu hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus. Sie bereiten sich offenbar auf eine lange Rede vor.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Vorsitzende des Unterausschusses, Frau Schwarzhaupt, ich habe mir sehr sorgfältig den Umdruck 666 angesehen, um festzustellen, was er an Änderungen enthält. Ich verstehe nicht ganz die Begründung, die Sie hier zu der Ziffer 4 gegeben haben. In der Synopse heißt es: Beschluß des 12. Ausschusses - Nr. 57 entfällt. Das bedeutet, daß hier die Formulierung fortfällt, die für § 1838 Satz 1 BGB vorgesehen war und die wie folgt lauten sollte: Im Falle der Einzelvormundschaft kann das Vormundschaftsgericht anordnen, daß der Mündel zum Zwecke der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einem Heim untergebracht wird. Wenn jetzt aber diese Formulierung entfällt, dann bleibt es doch bei der Formulierung, wie sie jetzt in § 1838 BGB enthalten ist, und diese Formulierung lautet: Das Vormundschaftsgericht kann anordnen, daß der Mündel zum Zwecke der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungsanstalt untergebracht wird. In der Formulierung „in einer geeigneten Familie" - wir haben diese Regelung jetzt seit fast 70 Jahren - steckt selbstverständlich das darin, was jetzt in dem Antrag Umdruck 666 Ziffer 4 vorgeschlagen wird, nämlich: „Hierbei ist auf das religiöse Bekenntnis oder die Weltanschauung des Mündels und seiner Familie Rücksicht zu nehmen". Es hat doch in der Vergangenheit nie zu irgendwelchen Schwierigkeiten geführt, daß der § 1838 BGB in diesem Sinne angewendet wird. Ich halte es deshalb für überflüssig, jetzt einen solchen weiteren Satz anzufügen. Man soll nicht eine Regelung, die sich nahezu 70 Jahre bewährt hat, ausgerechnet jetzt mit derartigen zusätzlichen Erläuterungen belasten, wenn es bisher keine Schwierigkeiten gegeben hat. ({0}) Vizepräsdient Dr. Jaeger: Frau Abgeordnete Schwarzhaupt, wollen Sie dazu etwas erklären? ({1}) Es handelt sich um folgendes: Wenn jetzt der Änderungsantrag Umdruck 666 Ziffer 4 angenommen wird, bleibt in i§ 1838 Satz 1 der bisherige Text des Bürgerlichen Gesetzbuches bestehen; er wird nicht durch den Text des Entwurfs ersetzt, der offenbar ein anderer ist, ({2}) und dazu soll ein zweiter Satz hinzugefügt werden. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 666 Ziffer 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Bitte die Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen. Ich lasse jetzt abstimmen über die Nrn. 1 bis 81 b mit den drei redaktionellen Änderungen und der soeben beschlossenen sachlichen Änderung der Ziffer 4. Wer diesen Nummern zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Bitte die Gegenprobe! - Es ist so beschlossen. Ich rufe nunmehr Nr. 82 und dazu den Änderungsantrag der Abgeordneten Erhard ({3}), Frau Schroeder ({4}), Memmel und Genossen auf Umdruck 668 auf. *) Ich erteile das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Erhard ({5}).

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antrag- *) Siehe Anlage 5 steller begrüßen den erarbeiteten Entwurf in den Nummern bis zur Nr. 82 und auch in dem, was danach kommt. Wir begrüßen auch den Entwurf im Grunde, soweit es sich um die hier fragliche Bestimmung des § 1934 a des Bürgerlichen Gesetzbuches handelt. Mit einfachen Worten ausgedrückt wird im Gesetzentwurf gesagt: das nichteheliche Kind hat generell dieselbe erbrechtliche Stellung wie das eheliche Kind. Leider wird aber auch gesagt, der nichteheliche Erzeuger des Kindes, der Vater, hat hinter dem Kinde und seinen Abkömmlingen ein volles Erbrecht. Diese Verquickung und Verbindung ist mindestens problematisch. Sie wird für beide Seiten in einem bestimmten Fall modifiziert, in dem das Erbrecht in einen Erbersatzanspruch umgenannt wird, wenn das Erbrecht des Kindes mit dem Erbrecht ,der Ehefrau des Erzeugers und seinen ehelichen Kindern zusammentrifft, der Herr Justizminister hat ,das soeben schon 'hervorgehoben. Die volle Erbportion ist dann als Geldanspruch ausgestaltet. Das Erbrecht des nichtehelichen Vaters hinter seinem Kinde - das durchaus auch Vermögen haben kann -ist, wenn dieses Kind vor ihm verstirbt, genau in der gleichen Weise strukturiert. Das bedeutet, daß nicht etwa die nichteheliche Mutter mit dem Erzeuger in die Erbengemeinschaft geht, das dürfte die Regel sein, sonst kommt überhaupt kein Erbanspruch des Vaters in Frage. Der Vater hat also einen vollen Zahlungsanspruch .auf die Fälle des Nachlasses. Etwas anderes ist rechnerisch gar nicht möglich; mindestens in der Regel wäre das die Konsequenz. Daß diese Frage sicherlich so nicht ganz befriedigend gelöst ist, sollte uns einsichtig sein. Die andere Frage, ob das Kind den vollen Zahlungsanspruch neben den ehelichen Kindern und der Ehefrau haben soll, muß man sich einmal genau daraufhin ansehen, wie das konstruiert ist. Das ist nämlich recht schwierig: es geschieht durch die teilweise Anwendung der Pflichtteilsvorschriften auf den Erbersatzanspruch, wobei gewisse, durch Testament festlegbare Modalitäten in der Zahlungsverpflichtung leider ausgeschlossen werden. Ein gesetzgeberischer Grund dafür ist mir nicht einsichtig geworden. Aber das mag ein kleiner zweifelhafter Punkt sein, über den man hinweggehen kann. Der zweite Punkt neben dem von mir absolut nicht gutgeheißenen vollen Erbersatzanspruch des nichtehelichen Vaters hinter seinem Kinde ist das Zusammentreffen mit der ehelichen Familie des Vaters. Der in unserer Rechtsstruktur vorhandene Pflichtteilsanspruch, der dem ehelichen Kind zusteht, wenn es durch Testament enterbt wird, geht auf Zahlung von Geld. Nun weiß jeder Praktiker, daß die Zahlung von Geld im Erbfall, die innerhalb einer Dreijahresfrist nach dem Erbfall geltend zu machen ist, immer 'erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringt, und zwar auch dann, wenn ein eheliches Kind diese Ansprüche geltend macht. Die Hauptschwierigkeit liegt in der Bewertung des Sachnachlasses. Über diese Schwierigkeiten kommen wir nicht hinweg, weil ein Abfindungsrecht des Vaters zu Lebzeiten des Vaters leider von der Mehrheit nicht akzeptiert Erhard ({0}) worden ist; wir hätten das gern gesehen. Wenn aber dieser Zahlungsanspruch, modifiziert schon nach dem Entwurf, den wir hier vorliegen haben, zu erheblichen Erschütterungen und Schwierigkeiten führen kann ({1}) - und das wird

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Sie dürfen den Satz noch zu Ende sprechen.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Hochachtung vor der Glocke des Herrn Präsidenten ist unbeschreiblich groß.

Dr. Hedda Heuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000892, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, glauben Sie nicht, daß Sie mit Ihrem Halbierungsvorschlag zwar die Mittel halbieren, aber nicht die Probleme beseitigen, die gerade mit der Bewertung zusammenhängen. ({0})

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Weiß ich! Frau Kollegin, das ist mir völlig klar; aber ich entschärfe das Problem. ({0}) - Das sage ich noch, Herr Busse, langsam! Ich kenne Sie doch sehr gut, und Sie haben unzweifelhaft den Antrag gelesen. Wenn nun dieses Zusammentreffen eine entscheidende Rolle spielt, kann man sich vorstellen, daß das Recht des unehelichen Kindes zum Schutze der ehelichen Familie zurücktreten müßte. Das ist eine Meinungsfrage. Zweckmäßig ist in all solchen Fällen, wo wir rechtsgestaltend tätig sind, der Blick über die Grenzen unseres Rechtsbereiches hinaus. Herr Professor Wahl hat dazu einige grundsätzliche Ausführungen gemacht. Nun erlaube ich mir, einmal in unser deutsches Recht über unsere derzeitige unmittelbare Grenze hinaus in die Zone hineinzuschauen. Wie hat man dort, wo man die absolute Gleichstellung des nichtehelichen Kindes als Programmpunkt verwirklicht hat, diese Frage geregelt? Dort ist man auf die Lebensverhältnisse eingegangen und hat die konkreten Lebensverhältnisse zum Ausgangspunkt für die erbrechtliche Lösung gemacht. Dort hat man im Jahre 1965 erst durch Gesetz festgelegt, daß das nichteheliche Kind neben den ehelichen Kindern des Vaters, dessen Ehefrau und beiden Eltern des Vaters dann überhaupt keinen Erbanspruch hat, wenn es nicht in der Familie des Vaters mitgelebt hat. Wenn es also mit dem Vater in der gleichen Familie, im Haushalt gelebt hat - ein rein tatsächlicher Vorgang -, dann waren auch außerhalb der Zeugung nahe Verbindungen und Beziehungen zwischen Vater und Kind vorhanden. Das nimmt man als Anknüpfungspunkt. Das minderjährige Kind hat generell ein Erbrecht. Hier ist sehr wohl erkannt, daß man durch das unbekannte Kind, wie man es vielleicht oft nennen muß, nicht nach dem Tode des Erzeugers einen solchen Streit in die Familie hineintragen soll, so daß echte Störungen entstehen. Das ist also dort anders geregelt und nach meiner Ansicht - gestatten Sie, daß ich das ganz offen sage - lebensnäher und insofern besser gelöst als bei uns. Bei uns ist das nichteheliche Kind nach der jetzt vorgesehenen Regel besser gestellt als das eheliche Kind. Um diesen Schwierigkeiten etwas zu begegnen, bin ich der Meinung - ich will gar nicht so anspruchsvoll sein, daß ich „wir" sage, obwohl es „wir" heißen muß -, daß man eine Halbierung des Erbanspruchs vorsehen sollte. Der Gesetzgeber früherer Jahre, der das BGB konzipiert hat, hat den Anspruch des enterbten Kindes als Pflichtteilsanspruch, auf Geld gerichtet, gestaltet und bewußt auf die Hälfte des rechnerischen Erbteils gesetzt, weil der geltendzumachende Zahlungsanspruch viel härter ist als die mögliche Auseinandersetzung unter den Erben über das, was jeder zu bekommen hat. ({1}) - Das kann natürlich sein, Herr Busse, aber so, wie ich es sagte, ist die Regel, und deshalb hat der Gesetzgeber es auch so geregelt. Ich meine, man sollte diesem Vorbild nacheifern und in diesem begrenzten Fall den Erbersatzanspruch durchaus bejahen, ihn aber auf die Hälfte des rechnerischen Wertes des Nachlasses festlegen, und zwar generell, als konkrete Bemessungsgrundlage. Die Ausnahme nach § 2049 beim Landgut, wo es ja nur auf den Ertragswert ankommt, kann davon unberührt bleiben. Nichts anderes bezweckt dieser Antrag. Er sieht die Halbierung des Zahlungsanspruchs des Kindes gegenüber der Frau des Vaters - nicht der Mutter des Kindes - vor und kann damit gleichzeitig die Halbierung der Erbrechte des Vaters und seiner Familie hinter dem Kinde erreichen, weil wir diese Automatik ja im Gesetz haben. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Schwarzhaupt.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, dem Antrag des Kollegen Erhard aus verschiedenen Gründen nicht zuzustimmen. Erstens enthält der Antrag eine Menge Unklarheiten. Soll die Herabsetzung auf die Hälfte bedeuten, daß das der Pflichtteilsanspruch ist, der nicht zu vermindern ist? Nach dem uns vorliegendem Text kann der Vater durch Testament das eheliche Kind wiederum auf die Hälfte, also auf ein Viertel, setzen. Es ist auch nicht klar, ob der § 2057 a bleiben soll. Ihn haben wir ja gerade eingefügt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, daß viele eheliche Kinder im Haushalt oder im Betrieb mitgearbeitet haben. Ihnen soll allerdings auf Grund ihrer ZugeFrau Dr. Schwarzhaupt hörigkeit zu der Existenzgemeinschaft Familie etwas voraus zugewandt werden. Soll die Besserstellung der Ehefrau bei Gütertrennung bestehen bleiben, die wir auch eingefügt haben, weil wir der Meinung waren, daß die Mitarbeit der Ehefrau auch dann, wenn sie keinen Zugewinnanspruch hat, gewertet werden soll? Soll nun neben diesen Vorteilen für die eheliche Familie außerdem das uneheliche Kind auf die Hälfte gesetzt werden? Ist es verfassungsrechtlich tragbar, eine Reihe von Bestimmungen zu machen, die die Mitarbeit in der Existenzgemeinschaft Familie werten und zugleich das uneheliche Kind, weil es nicht zu dieser Existenzgemeinschaft gehört, durchweg auf die Hälfte zu setzen? Das ist der eine Punkt. Zweitens. Herr Erhard hat ausgeführt, daß das enterbte Kind deswegen immer einen Pflichtteilsanspruch in Geld in der Höhe der Hälfte erhalte, weil der Geldanspruch ein so großer Vorteil sei. Es ist doch ganz anders. Das enterbte eheliche oder nicht eheliche Kind bekommt die Hälfte, weil der Erblasserwille darauf ging, ihm überhaupt nichts zu geben. Das Gesetz spricht ihm als ein Minimum, das man ihnen gerechterweise geben muß, diese Hälfte zu, aber nicht deshalb, weil diese Hälfte in Geld besteht. Drittens. Die Tatsache, daß der Erbersatzanspruch ein Geldanspruch ist, ist keineswegs ein so entscheidender Vorteil für das Kind. Das Kind muß die Höhe seines Anteils am Nachlaß beweisen, und der Erbe, der pflichtteilsberechtigt ist - also vor allem die Geschwister -, hat das Recht, Stundung zu verlangen. Wir haben diese Stundungsbestimmungen neu gefaßt und gesagt, daß der Erbe die Stundung dieses Erbersatzanspruchs verlangen kann, wenn er sonst zur Aufgabe seiner Familienwohnung oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsguts gezwungen würde, das für den Erben und seine Familie die wirtschaftliche Grundlage bildet. Dieser Geldanspruch ist also durchaus mit einer Reihe von Begrenzungen belastet. Der entscheidende Grund, aus dem ich Sie bitte, diesem Antrag nicht zuzustimmen, ist der, daß ich es zumindest für sehr zweifelhaft halte, ob es dem Verfassungsauftrag, dem unehelichen Kind die gleichen Lebenschancen zu geben wie einem ehelichen, entspricht, wenn wir es in einem Punkt, und zwar ohne eine aus der Sache kommende und der soziologischen Lage entsprechende Begründung, glattweg auf die Hälfte der Ansprüche setzen, die ein eheliches Kind hat. Ich bitte deshalb, dem Antrag nicht zuzustimmen. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir Freien Demokraten werden dem Antrag nicht zustimmen, Herr Kollege Memmel. Ich möchte darauf hinweisen, daß Frau Kollegin Schwarzhaupt Ausführungen gemacht hat, die in juristischer Hinsicht vollkommen einwandfrei gewesen sind und die auch zeigen, welche Problematik in dem Erbrecht enthalten ist. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß das gesamte Erbrecht dringend einer Reform bedarf und daß das, was jetzt geschaffen wurde, nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus der Problematik ist, die zu lösen ist. Dabei geht es auch darum, gerade die Stellung der Ehefrau in erbrechtlicher Hinsicht zu verbessern. In diesem Zusammenhang muß nachher auch das, was jetzt beschlossen wird, noch einmal insgesamt überprüft und entsprechend eingeordnet werden, so, wie es der Entschließungsantrag zur dritten Lesung vorsieht. Herr Bundesjustizminister, Sie haben vorhin in Ihren Ausführungen sehr Kritik geübt an Beschlüssen, die Ausschüsse dieses Hohen Hauses gefaßt haben. Es ist das bisher eine durchaus unübliche Art gewesen, zu Beratungsergebnissen der Ausschüsse Stellung zu nehmen. ({0}) Ich habe es eigentlich in meiner nahezu zwölfjährigen Tätigkeit in dem Hohen Hause bisher nicht erfahren, daß im Bundestag bei der zweiten oder dritten Lesung von einem Minister Kritik an den Entscheidungen des Hohen Hauses geübt worden ist. Es mag durchaus sein, daß Sie nicht mit den Änderungen einverstanden sind, die die Regierungsvorlage erfahren hat. Ich möchte aber insofern auf eines zurückgreifen, was ich bei der ersten Lesung gesagt habe. Ich habe die rein dogmatischen Lösungen, wie sie in der Regierungsvorlage enthalten sind, nicht als sehr glücklich empfunden. Ich habe mich deshalb gefreut, daß in den Ausschüssen wenigstens dieser vorgezogene vorzeitige Erbausgleich im § 1934 d beschlossen worden ist. Ich darf aber auch für uns als Freie Demokraten folgendes sagen: Wir hätten es noch mehr begrüßt, wenn auch die andere Forderung von uns verwirklicht worden wäre: es dem Vater zu ermöglichen, schon zu Lebzeiten, ohne daß seine Familie mit unliebsamen Auseinandersetzungen belastet würde, von sich aus einen entsprechenden vorzeitigen Erbausgleich vorzunehmen. Vielleicht können diese Fragen nachher bei der Reform des Erbrechts noch einmal überprüft werden. Nach meiner Auffassung muß das geschehen. Nach unserer Meinung sollte das, was die Ausschüsse erarbeitet haben, heute in dieser Form verabschiedet werden. Ich darf auf die Ausführungen von Frau Kollegin Heuser hinweisen, die ganz klar dargelegt hat, daß damit ein echter Schritt vorwärtsgegangen wird. Die Lösungen, die gefunden worden sind, Herr Bundesjustizminister, halten auch bei dem vorgezogenen Erbausgleich in vollem Umfang einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht stand. Das würde nicht nur bezüglich des Ausgleichsanspruchs, soweit ihn das Kind geltend macht, sondern das würde nach meiner Auffassung genauso gelten, wenn man dem Vater auch die Möglichkeit dieses vorzeitigen Erbausgleichs gegeben hätte. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wird hierzu noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Erhard ({0}), Frau Schroeder ({1}), Memmel und Genossen auf Umdruck 668. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich komme damit zur Nr. 82 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Ich rufe die Nrn. 83 bis 85 auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Ich rufe den Art. 1 als Ganzes mit den beschlossenen Änderungen auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen. Wir kommen zu Artikel 2. Hier liegt der Änderungsantrag Umdruck 666 der Abgeordneten Frau Dr. Schwarzhaupt, Dr. Stammberger, Dr. Stark ({2}) vor, der offenbar mehr redaktionellen Charakter hat. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Ich lasse über Art. 2 mit der soeben beschlossenen Änderung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Dann kommen wir zu Art. 2 a und 3. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Zu Art. 4 liegen die Änderungsanträge Umdruck 666 Ziffern 6 und 7 vor. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Kann ich gemeinsam abstimmen lassen? - Wer den beiden Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Ich lasse über Art. 4 in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Ich rufe die Art. 5, 6, 7, 8, 9 - Art. 10 entfällt - und 11 auf. - Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Zu Art. 12 liegt der Änderungsantrag Umdruck 666 Ziffer 8 vor. - Das Wort wird hierzu nicht gewünscht. Wer der Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Ich lasse über Art. 12 mit der soeben beschlossenen Änderung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Ich komme nunmehr zu Art. 13. Hierzu liegen außer den Anträgen Umdruck 666 Ziffern 9 bis 11 noch die Anträge Umdrucke 662 *) und 669 **) vor. Soll einer dieser beiden Anträge begründet werden - Frau Abgeordnete Dr. Schwarzhaupt!

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Änderung, die mit dem Antrag Umdruck 669 vorgeschlagen wird, beruht darauf, daß wir bei der Herstellung der ersten Fassung davon ausgingen, daß das Rechtspflegergesetz mit Sicherheit vor diesem Gesetz in Kraft treten würde. Da dies nicht mehr mit der Sicherheit anzunehmen ist und wir keine unklare Zwischenphase eintreten lassen wollten, schlagen wir diese Änderung vor. Sie bedeutet, daß bei bestimmten Verhandlungen über den Regelunterhalt der Rechtspfleger die Zuständigkeit hat.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Des weiteren hat Herr Abgeordneter Hirsch das Wort.

Martin Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000909, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte, um Mißverständnisse zu vermeiden, zunächst betonen, daß dieser Änderungsantrag Umdruck 662 nicht von der SPD-Fraktion als solcher, sondern von den Unterzeichnern dieses Antrags, also einer Gruppe aus meiner Fraktion, gestellt wurde. In deren Namen möchte ich kurz zur Begründung dessen, was mit dem Antrag beabsichtigt ist, folgendes ausführen. Es ist natürlich schwierig, bei diesem Gesetz, mit dem wir genau genommen seit 1919 im Verzuge sind, eine Grenze zu ziehen, ab wann es gilt oder für wen es gilt. Mit jedem Tag, den es später in Kraft tritt - davon werden wir später noch zu reden haben -, schließen wir weitere Menschen von den Verbesserungen des Gesetzes aus. Denn wenn wir das Gesetz 1919 oder kurz darauf gemacht hätten, wären diese Menschen unter den Schutz für uneheliche Kinder gefallen. Sicher ist es schwierig, eine solche Grenze zu ziehen. Ich möchte mich darüber nicht näher auslassen. Wenn man sich die Kompromißlösung in der jetzt vorliegenden Ausschußfassung anschaut, könnte man auf den ersten Blick sagen: Irgendwo muß die Grenze ja liegen, und irgendeinen Strich mußte man ziehen. Ich bin nur der Meinung, daß der Strich, der hier gezogen worden ist, wonach nämlich diejenigen, die bei Inkrafttreten des Gesetzes 21 Jahre alt sein werden, nicht mehr in den Genuß der neuen erbrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes kommen sollen, willkürlich ist. Durch das Gesetz, insbesondere durch die erheblichen und, wie ich ausdrücklich sagen möchte, zusätzlichen Verbesserungen, die es in der Ausschuß- und Unterausschußberatung erfahren hat, zieht sich *) Siehe Anlage 6 **) Siehe Anlage 7 wie ein roter Faden der Grundsatz, den unehelichen Kindern gleiche Entwicklungsbedingungen, gleiche Chancen für ihre Ausbildung zu geben. Man hat sich dann an einem anderen Punkt - wenn Sie sich das Gesetz anschauen, werden Sie das immer wieder feststellen - entschlossen, zu sagen: Die Ausbildungszeit eines Kindes geht etwa bis zum 27. Lebensjahr; ab dann ist es weniger schutzwürdig. Aus diesem Grunde vermag ich nicht einzusehen, warum man hier bei dieser wichtigen Bestimmung von 21 ausgeht und meint, ein Kind, das über 21 sei, bedürfe nicht mehr des Schutzes, den man ansonsten richtigerweise im Gesetz denjenigen gegeben hat, die zwischen 21 und 27 alt sind. Allein dieser Grund rechtfertigt den Antrag. Man sollte in einem solchen Gesetz, das ja nicht nur für den Tag gemacht worden ist, konsequent sein. Man sollte sich allein aus diesem Grunde dazu entschließen, die 27jährigen mit in den Genuß der erbrechtlichen Bestimmungen zu bringen, ganz abgesehen davon, daß es nicht unerhebliche, auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen den sehr harten Strich gibt. Wenn man sich den Beschluß des Verfassungsgerichts, von dem hier schon mehrfach die Rede gewesen ist, genau durchliest, wird man einsehen, daß die Regelung mindestens an der Grenze dessen liegt, was das Verfassungsgericht gewollt hat. Das Verfassungsgericht wollte völlige Gleichstellung der unehelichen Kinder ab sofort. Es ist also sehr bedenklich - und wird mit Sicherheit zu verfassungsrechtlichen Verfahren bei dem Verfassungsgericht führen -, wenn diese Grenze von 21 Jahren bestehenbleibt. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Erhard ({0}).

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Schwarzhaupt, Sie haben uns vorgeschlagen, in Art. 13 den § 14 Abs. 6 in der Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen, nachdem der Rechtsausschuß die Streichung beschlossen hatte. So steht es in unserer Vorlage. Es handelt sich dabei nicht nur darum, daß Zuständigkeiten der Rechtspfleger für das Einigungsbemühen über die Höhe des Anspruches zu begründen sind; es wäre sicherlich gar nichts dagegen einzuwenden, den Rechtspfleger auch damit zu beauftragen. Problematisch ist aber, daß das alles so wie bei einem gerichtlichen Vergleich - unter Anwendung der ZPO - dann auch beurkundet werden soll. Ich weiß nicht, ob wir so weit gehen sollen, ohne daß wir das insgesamt und generell dann im Rechtspflegergesetz machen. Das so en passant jetzt zu machen, erscheint mir nicht zweckmäßig. Ich bitte Sie, diesen Antrag zurückzuziehen. Dann können wir uns bei der Verabschiedung des Rechtspflegergesetzes genau über die Zuständigkeiten unterhalten. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reischl.

Prof. Dr. Gerhard Reischl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst zu dem Antrag des Kollegen Hirsch und weiterer meiner Freunde hier in aller Form bitten, diesen Antrag abzulehnen, und zwar aus folgendem Grund. Herr Kollege Hirsch hat schon sehr richtig gesagt: es ist kein Fraktionsantrag. Durch eine solche Regelung würde ein Kompromiß wieder ins Wanken gebracht, den wir im Ausschußgeschlossen haben und der manchem Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, wie ich sicher weiß, die Zustimmung zur erbrechtlichen Regelung erleichtert hat. Das ist damals lange hin und her gegangen, 'welche Anknüpfungspunkte man suchen soll. Einigkeit bestand darüber, daß man nicht - wie die Regierungsvorlage -weit zurückgehen kann. Aber ebenso 'bestand Einigkeit darüber, daß man einen Zeitpunkt nehmen muß, der nicht zu willkürlich gegriffen erscheint. Die Anknüpfung an das 21. Lebensjahr scheint mir sachgemäß. Es ist das Volljährigkeitsalter. Man hätte genauso gut 18 sagen können, man hätte 27 sagen können. Ich bitte, es doch bei der Regelung zu lassen, die wir im Ausschuß beschlossen haben. Das zweite Anliegen betraf das Inkrafttreten des Gesetzes; ich glaube, es ist gleich mit begründet worden. Hierzu darf ich ebenso dringend bitten, den Antrag abzulehnen. Denn sonst geraten wir in die Gefahr, daß der Bundesrat ausgerechnet deswegen den Vermittlungsausschuß anrufen muß. Er wird wahrscheinlich einwenden, daß er mit seinen Ausführungsgesetzen bis zum 1. Januar nächsten Jahres nicht zu Rande kommen kann. Hinzu kommt, daß wir ja das Jugendwohlfahrtsgesetz noch nicht anpassen konnten. Der neue Bundestag muß dazu erst Zeit haben. Ich meine, wir sollten auch in diesem Punkt bei dem bleiben, was der Ausschuß aus wohlerwogenen Gründen beschlossen hat. Zu der Bitte des Kollegen Erhard glaube ich sagen zu können: nachdem auch das Ministerium ganz offensichtlich nicht darum kämpft, daß diese Bestimmung stehenbleibt, bin auch ich der Meinung, wir könnten den Antrag auf Umdruck 669 ruhig zurückstellen. Das kann im Rechtspflegergesetz geregelt werden. Es ist ein Problem, hier en passant eine solch grundlegende Frage zu regeln. Wir glaubten, einer Bitte aus dem Ministerium, diese Frage noch mit zu regeln, folgen zu sollen. Im Ausschuß haben wir die Vorschrift - das muß ich mit Nachdruck sagen gestrichen, weil wir sie dem Rechtspflegergesetz vorbehalten wollen. Ich meine, wir sollten es dabei belassen. Ich plädiere dafür, daß die Antragsteller - ich gehöre ja nicht dazu - diesen Antrag zurückziehen. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der von meinen Vorrednern bereits angesprochenen Frage, ob schon vorweg eine Änderung vorgenommen werden soll oder ob man es im Zusammenhang mit der Beratung des Rechtspflegergesetzes tun soll, sind wir der Auffassung, daß wir nicht vor der Beratung des Rechtspflegergesetzes eine Entscheidung treffen sollen. Deswegen werden wir insofern, Frau Kollegin Schwarzhaupt, gegen den von Ihnen begründeten Antrag stimmen. Soweit es sich um Umdruck 662 handelt, sind wir allerdings der Auffassung, daß man konsequent sein muß, und zwar konsequent, wenn es sich um entsprechende Lebensalter handelt. Da nach § 1934 d von einem nichtehelichen Kind, welches das 21., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, der vorzeitige Erbausgleich gefordert werden kann, ist nach unserer Auffassung die Konsequenz die, daß man in diesem Fall aber auch den Erbersatzanspruch bis zum 27. Lebensjahr gewähren muß. Andernfalls hätten wir folgende Situation: das nichteheliche Kind hätte gegebenenfalls bis zum 27. Lebensjahr den Erbausgleichsanspruch, nicht aber den Erbersatzanspruch. Das ist inkonsequent; man muß die gleichen Lebensalter nehmen. Deshalb halten wir den Antrag auf Umdruck 662 Ziff. 1 für berechtigt.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Schwarzhaupt.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin bereit, den Antrag, den ich zuerst begründet habe, zurückzunehmen, weil ich ihn nicht für so außerordentlich wichtig halte. Ich tue das aber nicht etwa deshalb, weil das Ministerium, das ja durch eine so außerordentlich prononcierte Kritik an diesem Hohen Hause vertreten wurde und das den Antrag zunächst angeregt hatte, dies jetzt will. Ich tue das deshalb, weil ich diese Sache nicht für eine Sache halte, über die man sich streiten soll. ({0}) Es war gesagt worden, es werde vom Ministerium gewünscht, und dann wurde gesagt: Das Ministerium legt keinen großen Wert mehr darauf. Ich bin der Meinung: dieses Parlament hat zu entscheiden ({1}) und hat sich nicht gar zu viel mit kritischen Äußerungen, wie sie heute gefallen sind, auseinanderzusetzen. Das Parlament entscheidet. Ich bin davon überzeugt, daß wir auch ohne diesen Antrag auskommen. Ich ziehe ihn deshalb zurück. Zum Inkrafttreten und der Erstreckung auf Kinder, die über 21 Jahre alt sind, möchte ich folgendes sagen. Es ist keineswegs eine Konsequenz aus dem vorgezogenen Erbausgleich im Alter zwischen 21 und 27 Jahren, daß man Kinder bis zum 27. Lebensjahr mit einbeziehen soll. Man würde damit nämlich Kinder einbeziehen, bei denen die Zeit schon abgelaufen ist, in der sie den vorgezogenen Erbanspruch geltend machen können. Die weit überwiegende Mehrzahl der Kinder wird den Erbanspruch mit 21 Jahren oder bald danach geltend machen. Diese Kinder sind hier mit einbezogen, und das genügt.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, die Abgeordneten Frau Dr. Schwarzhaupt, Dr. Stammberger und Dr. Stark ({0}) - sie sind alle im Saal anwesend - haben den Umdruck 669 zurückgezogen. Ich komme damit zu den Einzelabstimmungen. In Umdruck 666 Ziffer 9 wird beantragt, in Art. 13 § 5 das Wort „dem" vor „Erben" einzufügen. Das ist eine rein redaktionelle Änderung. Dem wird sicherlich nicht widersprochen. - Es ist so beschlossen. Herr Dr. Reischl, es ist nicht möglich, fortzufahren, wenn ausgerechnet die Abgeordneten, die hier Anträge stellen, nicht zuhören, wenn ich ihre Anträge verhandle. Der Sachverstand der im Ausschuß gewesenen Herren ist immerhin größer als der des Präsidenten. In Umdruck 666 Ziffer 10 wird beantragt, in § 7 die Worte „in der bisher geltenden Fassung" zu streichen. Das ist meines Erachtens auch eine Änderung redaktioneller Art. Darüber besteht dann auch Einverständnis. Dann stelle ich die §§ 1 bis 9 mit den so beschlossenen redaktionellen Änderungen zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Ich komme dann zu § 10. Dazu liegt auf Umdruck 662 Ziffer 1 ein Änderungsantrag vor, der vom Abgeordneten Hirsch begründet worden ist. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Ich mache es ganz genau: Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. Wer § 10 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Dann rufe ich die §§ 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 22 a, 23 und 24 auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Ich komme zu § 25. Dazu liegt auf Umdruck 666 Ziffer 11 ein Änderungsantrag vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Wer § 25 mit der soeben beschlossenen Berichtigung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Wir kommen zu § 26. Auf Umdruck 662 Ziffer 2 wird beantragt, in § 26 die Worte „1. Juli" durch die Worte „1. Januar" zu ersetzen. Dazu hat der Abgeordnete Hirsch das Wort.

Martin Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000909, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer sich den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom Januar dieses Jahres genau anschaut - ich habe das getan; Sie haben es sicher auch getan -, wird feststellen, daß das Bundesverfassungsgericht im Kern gesagt hat: Eigentlich ist der Gesetzgeber so im Verzuge, daß die Gerichte beinahe jetzt schon das Grundgesetz direkt anwenden und sich über das geschriebene BGB hinwegsetzen könnten. Dieser Beschluß schließt dann - ich möchte das wörtlich vorlesen - auf Seite 27 in Ziffer 6: Insgesamt ist danach festzustellen, daß der Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 5 GG unmittelbar durch die Gerichte verwirklicht werden kann und muß, sofern der Gesetzgeber ihn nicht binnen angemessener Frist erfüllt. Diese Frist läuft jedoch erst mit dem Ende der gegenwärtigen Legislaturperiode ab. So steht es da. Nun hat sich der Gesetzgeber also entschlossen, das Gesetz innerhalb dieser Frist - Gott sei Dank; auch in einer erfeulichen Art und Weise - zu verabschieden. Er sagt aber, das Gesetz solle erst Mitte des nächsten Jahres, also praktisch ein Jahr nach der Beschlußfassung in Kraft treten. Das halte ich - ich bitte mir das nicht zu verübeln - für verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Wenn das Verfassungsgericht gesagt hat, eigentlich sei der Ablauf dieser Legislaturperiode die äußerste Frist, ist der Gesetzgeber nicht, wie sonst in den meisten Fällen, frei, das Inkrafttreten des Gesetzes so festzulegen, wie er es aus technischen Gründen für richtig halten mag. Ich weiß, es gibt Schwierigkeiten. In den Ländern muß alles mögliche, was sich aus diesem Gesetz ergibt, durch Verordnungen und durch Verwaltungsanweisungen vorbereitet werden. Aber zunächst einmal meine ich: technische Schwierigkeiten, Verwaltungsschwierigkeiten müssen zurücktreten gegenüber dem Gebot der Verfassung und gegenüber einer konkreten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem besonderen Fall. Zum anderen meine ich: es war all den beteiligten Behörden mindestens seit zwei Jahren bekannt, daß voraussichtlich gegen Ende dieser Legislaturperiode das Unehelichenrecht endlich geregelt würde, und die Entschuldigung: wir müssen jetzt mehr Zeit haben, um das verwirklichen zu können, zieht nicht einmal technisch. Ich bin auch sicher, daß die Vorbereitungen überall getroffen worden sind. Sonst hätten die betreffenden Leute, die damit in den Länderministerien zu tun haben, ihre Pflicht, glaube ich, nicht erfüllt. In dem Fall habe ich also echte verfassungsrechtliche Bedenken, und ich bitte zu beachten, daß nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Gerichte, die mit diesen Fragen befaßt sein werden, sich bis zum 1. Juli unter Umständen an das halten könnten und vielleicht sogar halten müßten, was das Verfassungsgericht gesagt hat. Dann aber haben wir ein völliges Durcheinander, dann gibt es Gerichte, die entscheiden nicht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der geltenden Fassung, sondern in einer ihnen als angemessen erscheinenden direkten Auslegung des Grundgesetzes, und dann gibt es andere Gerichte, die wenden das BGB noch an. Und in jedem Fall geht das ohnehin an das Bundesverfassungsgericht. Ich glaube, wir wären gut beraten, wenn wir diesem Durcheinander, das sonst mit Sicherheit kommt, begegneten, indem wir sagten: mindestens ab 1. Januar soll das, was wir hier beschließen werden, auch in Kraft treten. Ich hätte sonst ernstliche Sorge, daß das, was wir hier verabschieden wollen, gefährdet wird durch Klagen beim Bundesverfassungsgericht, aber auch durch ein Durcheinander in der normalen Gerichtsbarkeit bis zu der Zeit, bis das Bundesverfassungsgericht dann eines Tages entschieden haben könnte. Aus diesem Grunde bitte ich Sie sehr herzlich, der Ziffer 2 des Antrags Umdruck 662 zuzustimmen, mit anderen Worten: zu entscheiden, daß dieses Gesetz nicht erst am 1. Juli des nächsten Jahres, sondern am 1. Januar 1970 in Kraft tritt.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark.

Dr. Anton Stark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte bitten, diesem Antrag nicht stattzugeben. Wir haben uns sehr wohl überlegt, das Gesetz zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Kraft treten zu lassen. Es spricht folgendes dagegen: Wir haben ganz wesentliche Änderungen im Personenstandrecht vorgenommen, wir haben im Verfahrensrecht, in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in der Zivilprozeßordnung sehr wesentliche Änderungen durchgeführt. Ich habe mit verschiedenen Jugendämtern gesprochen, und sie haben gebeten - sicher, es gibt vielleicht auch andere -: Bitte, laßt uns Zeit, damit wir uns auf dieses Gesetz einstellen können. So viel zur Sache. Deshalb haben wir auch diesen Termin vorgesehen. Zum zweiten, Herr Kollege Hirsch: Ich habe nahezu keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken. Ich habe gar keine Sorge, daß das Bundesverfassungsgericht, das uns in seinem Urteil sogar noch sehr entgegengekommen ist und gesagt hat: es sprach das und das dafür, das uns 20 Jahre Zeit gegeben hat - daß dasselbe Bundesverfassungsgericht, nachdem es sagt, das Gesetz müsse in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden, nicht etwa in Kraft treten - und das nur in den Gründen im Zusammenhang mit der Erörterung des anhängigen Rechtsstreits -, der Meinung wäre, für die Übergangsperiode bis zum 1. Juli 1970 müsse dann Richterrecht gelten. Für so unvernünftig halte ich das Bundesverfassungsgericht nicht. ({0}) - Ich sprach ja zunächst zum Sachlichen. Hier spricht alles dafür. Bitte, meine Damen und Herren, es tut mir leid, daß es fünfzig Jahre gedauert hat, bis das Gesetz gekommen ist. Aber tun wir jetzt doch nicht so, als ob es Dr. Stark ({1}) auf sechs Monate ankäme, und machen wir nichts Überhastetes, auf das sich die Ämter nicht einstellen können! Es gibt dann nur Schwierigkeiten, und das Gesetz hat einen schlechten Start, auch psychologisch. Ich würde Sie also bitten: Bleiben Sie bei dem von uns nach reiflicher Überlegung vorgeschlagenen Termin. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wünscht noch jemand das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 662 Ziffer 2 die Worte „1. Juli" durch die Worte „1. Januar" zu ersetzen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich komme nunmehr zu § 26 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Ich lasse nunmehr über den gesamten Art. 13 einschließlich der soeben beschlossenen Änderungen abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Damit ist die zweite Beratung beendet. Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung dem Abgeordneten Memmel.

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe heute bewußt darauf verzichtet, und mit mir haben das einige Kollegen getan, den § 77 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu bemühen, weil ich nicht in den Geruch geraten will, daß ich etwa gegen das Reformwerk sei oder daß ich mich gegen den Verfassungsbefehl stemme; obwohl ich Sie bitte, mir zuzugestehen, daß es für viele Kollegen, gelinde gesagt, eine gewisse Zumutung war, gestern zwei Drucksachen, eine mit 68 Seiten und eine mit 10 Seiten, in die Hand zu bekommen, über die wir heute beraten sollten. Aber was jetzt der Fall ist, veranlaßt mich doch, nun ein paar Worte zur Geschäftsordnung zu sagen. Wir haben vier Änderungsanträge gehabt. Einer ist zurückgezogen worden, einer ist abgelehnt worden, zwei sind angenommen worden. Es muß doch der Kollege im Hause die Möglichkeit haben, nachzuprüfen, ob das, was wir in zweiter Beratung beschlossen haben, in das Gefüge des ganzen Gesetzes hineinpaßt. - Nummer eins. Zweitens muß der Kollege, der das, was in der zweiten Lesung hineingekommen ist, für nicht richtig hält, Gelegenheit haben, es in der dritten Beratung wieder zu eliminieren. Dazu braucht er Zeit, er braucht Unterschriften. Das gibt es nicht, wenn Sie die dritte Beratung sofort anschließen. Zum dritten sollte man - und jetzt appelliere ich ein bißchen an Ihre Fairness - den Kollegen, die jetzt unterlegen sind, auch die Möglichkeit geben, den Versuch in der dritten Lesung noch einmal zu machen. Das alles geht nicht, wenn sich die dritte Beratung sofort anschließt. Aus gutem Grund ist in § 85 Buchstabe a) der Geschäftsordnung vorgesehen, daß die dritte Beratung erst dann erfolgen soll, wenn die in der zweiten Beratung gefaßten Beschlüsse vorliegen, d. h. wenn man sich damit befassen kann. Und nun appelliere ich an Sie, Frau Kollegin Schwarzhaupt, und auch an Sie, verehrter Herr Bundesjustizminister. Wir haben vorhin eine Besetzung von - ich habe gezählt - 12 Damen und 24 Herren gehabt. Für die Damen ein erfreuliches Kompliment, wenn man die Zusammensetzung des Hauses bedenkt, für uns Männer eine schlechte Sache. Jetzt hat es sich ein bißchen zugunsten der Männer verbessert, zu den 24 Männern sind ein paar hinzugekommen. Es ist doch auch gar nicht schön und angenehm, wenn ein solches Reformwerk, auf das wir ein halbes Jahrhundert gewartet haben, Herr Justizminister, von einem so schwach besetzten Haus verabschiedet wird - wenn auch einstimmig - und hintennach jemand kommen und sagen kann: „Haha - einstimmig? Es war ja bloß ein Zehntel oder nicht einmal ein Zehntel des Bundestages anwesend!" Ich widerspreche also, gestützt auf § 85 Buchstabe a) der Geschäftsordnung, der sofortigen dritten Beratung und bitte wirklich dringend, daß mich Kollegen in diesem Petitum unterstützen. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, hier geht es nicht um eine Abstimmung. Der Abgeordnete Memmel widerspricht der dritten Beratung. Einer Begründung hätte es dazu nicht bedurft, aber er durfte sie geben. Dem kann nicht widersprochen werden, außer dadurch, daß man nicht die Hand hebt, wenn abgestimmt wird. Ich lasse nur abstimmen, ob sich zehn Mitglieder des Hauses finden, die der dritten Beratung widersprechen. Wenn das zehn Mitglieder als Minderheitsrecht fordern, muß ich dem stattgeben. ({0}) - Hierzu kann es keine Wortmeldung geben. Gibt es zehn Mitglieder des Hauses, die der dritten Beratung widersprechen? - So viele sind es nicht. Wir treten in die dritte Beratung ein. ({1}) Ich rufe nunmehr zur dritten Beratung auf und eröffne die allgemeine Aussprache. Dazu zuerst Frau Abgeordnete Schwarzhaupt.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben ein Gesetz verabschiedet, mit dem wir in vieler Beziehung Neuland betreten haben. Wir haben Bestimmungen eingeführt auf einem Rechtsgebiet, das bisher in unserem Recht ganz anders geregelt war. Wir haben, wie mir scheint, wichtige und richtige Schritte in dieses Neuland getan. Wir wissen, daß das Gesetz, so wie es jetzt vorliegt, auch angegriffen wird, auch bestritten wird. Ich möchte in dieser Schlußaussprache nur auf einen Punkt, der mir besonders wichtig und zentral zu sein scheint, eingehen und ein paar Worte darüber sagen, nämlich auf das Verhältnis der Absätze 1 und 5 des Art. 6 des Grundgesetzes. Steht die Zusage des besonderen Schutzes der staatlichen Ordnung für Ehe und Familie wirklich in einem Spannungsverhältnis zu dem Auftrag, den unehelichen Kindern die gleichen Lebenschancen zu schaffen wie den ehelichen Kindern? Hat der Entwurf das Verhältnis zwischen diesen Bestimmungen richtig gesehen? Ist es richtig, daß das Prinzip der Einehe mit der Gleichstellung des unehelichen Kindes, mit der Art Gleichstellung, wie wir sie hier geschaffen haben, in einem Widerspruch steht? Ich glaube: nein. Es ist unbestreitbar, daß die rechtliche und gesellschaftliche Schlechterstellung der unehelichen Kinder im mittelalterlichen Recht in einem inneren Zusammenhang mit den Bemühungen der damaligen Gesellschaft stand, die Einehe durchzusetzen. Es entsprach dem mittelalterlichen Denken, daß derjenige, der - unter Umständen ohne jede eigene Schuld - außerhalb einer als allein legitim angesehenen Institution lebte, ausgeschlossen und minderen Rechts war. Dem Denken unserer Zeit, das von dem Recht und der Würde des Menschen und von der Verantwortung der Menschen füreinander ausgeht, wie das in den ersten Artikeln unseres Grundgesetzes Niederschlag gefunden hat, ist dieses auf Schutz einer Institution wie der Ehe durch Schlechterstellung derjenigen, die außerhalb derselben stehen, gerichtete Denken nicht mehr möglich. Unsere Auffassung vom Menschen läßt es nicht zu, die Lebenschancen schuldloser Menschen zurückzustellen, sie zum Opfer zu bringen, um eine Gemeinschaft - auch eine Gemeinschaft von höchster rechtlicher und sozialer Relevanz wie die eheliche Familie - zu sichern. Dem Denken unserer Zeit entspricht es, Menschen, die mit einer außerehelichen Beziehung die Erzeugung von nichtehelichen Kindern in Kauf nehmen, gerade die schwere Verantwortung, die jedes Kind für seine Eltern bedeutet, in ihrer ganzen Schwere fühlbar zu machen, und zwar auch dem Vater. Und ich glaube, damit dienen wir auch der monogamen Ehe mehr als dadurch, daß wir dem Vater diese Verantwortung leicht machen, nebensächlich machen und sie nicht genügend rechtlich sichern. Zum zweiten. Eine Kollision zwischen den Absätzen 1 und 5 des Art. 6 könnte entstehen, wenn man die unehelichen Kinder zu einer menschlichpersönlichen Annäherung an die eheliche Familie ihres Vaters brächte, durch die die personale Gemeinschaft, die eine Familie bedeutet, unklar und verwischt würde. Die Ausschußvorlage hat, wie wir meinen, diese Gefahr vermieden. Die Zuteilung der elterlichen Gewalt allein an die Mutter, die Zuordnung des Kindes zur Mutter und ihrer Familie schließen eine Verwischung dieser Verantwortung des unehelichen Vaters aus. Es wird vermieden, daß ein Zwang zu einer elternähnlichen Gemeinschaft zwischen dem vielfach verheirateten unehelichen Vater und der unehelichen Mutter, der bei einer etwaigen gemeinsamen Ausübung der elterlichen Gewalt entstünde, hergestellt wird. Eben das alles vermeidet der Entwurf. Auch bei den Regelungen, die der Herr Justizminister vorhin mit einer schlechten Note versehen hat, haben wir diese Annäherung bewußt vermieden, beispielsweise bei der Ehelicherklärung eines unehelichen Kindes durch einen verheirateten Vater ohne Zustimmung seiner Ehefrau. Hier haben wir aus den Gründen, die ich eben dargelegt habe, bewußt die Ersetzung dieser Zustimmung nur für einen sehr eng begrenzten Ausnahmefall zugelassen. Dies entsprach der Auffassung aller Mitglieder des Unterausschusses und des Rechtsausschusses. Schließlich kann das Recht des unehelichen Kindes in finanzieller Beziehung im Unterhaltsrecht und im Erbrecht mit dem der ehelichen Familie kollidieren. Wenn ein bestimmtes begrenztes Einkommen des Vaters zur Verfügung steht, wird naturgemäß der Betrag, der der ehelichen Familie zur Verfügung steht, verringert, wenn das uneheliche Kind besser versorgt wird als bisher. Die neue Regelung enthält zwar für eine Reihe von Fällen eine Verbesserung in bezug auf die Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters; aber sie gibt auch Vätern mit geringem Einkommen und mit hohen Familienpflichten - weil sie viele Kinder zu versorgen haben - den Einwand, daß die Rücksicht auf ihre eheliche Familie ihnen nur weniger als den Regelunterhalt möglich macht, - einen Einwand, der bisher dem nichtehelichen Vater nicht gegeben war, was oft zu außerordentlich harten Belastungen vieler nichtehelicher Väter durch rückständige Unterhaltsbeträge etwa aus Zeiten der Arbeitslosigkeit oder eines sehr geringen Einkommens geführt hat. Das ist beseitigt. Allerdings kann der Schutz von Ehe und Familie nicht so weit gehen, daß gesetzliche Verpflichtungen, die einem nichtehelichen Kind gegenüber bestehen, nicht erfüllt zu werden brauchen, weil die Ansprüche der ehelichen Familie durch sie verkürzt werden. Der Familienvater muß auch andere Schulden begleichen, wie sie auch zustande gekommen sein mögen. Es gehört zu der Existenzgemeinschaft der Familie, daß die Angehörigen im Guten wie im Schlechten von der Einkommens- und Vermögenslage des Ernährers und von seinen legalen, gerechtfertigten Verpflichtungen mit abhängig sind. Die staatliche Ordnung schützt Ehefrau und Kinder durch Vollstreckungsgrenzen davor, daß die Gläubiger ihres Ernährers ihnen das Existenzminimum nehmen. Es ist aber kein Grund, die Ansprüche eines nichtehelichen Kindes, eines lebendigen Menschen, der Unterhalt und Ausbildung braucht, schlechter zu stellen als die Ansprüche anderer Gläubiger. Ich verstehe wohl, daß hierin für die Ehefrauen vieler unehelicher Väter eine schwere menschliche Belastung liegt. Das zeigen viele Briefe, die ich bekommen und aufmerksam gelesen habe. Aber wir müssen auch sehen, daß nur eine Minderzahl der unehelichen Kinder im Ehebruch erzeugt ist, daß die weitaus meisten unehelichen Väter in der Zeit, als das Kind geboren wurde, unverheiratet waren und später geheiratet haben. Es wird künftig etwas mehr Ehrlichkeit und Offenheit unter den Menschen nötig sein, so daß nicht Frauen später dadurch überrascht werden, daß ihr Mann vor der Ehe schon ein uneheliches Kind hatte. Wir sind uns darüber klar, daß hier manches Umdenken nötig ist. Die Reste längst vergangener Vorstellungen, die in dem unehelichen Kind prinzipiell ein Wesen mit geringeren Rechten sehen, sind weitgehend verschwunden und werden verschwinden, soweit sie noch vorhanden sind. Insbesondere aber müssen in vieler Hinsicht neue Wege gefunden werden, um die Zusage der staatlichen Ordnung, Ehe und Familie zu schützen, in positiver Weise zu verwirklichen. In einer sich schnell verändernden Industriegesellschaft ist dieser Schutz eine Aufgabe, die immer neues Umdenken erfordert. Dieser Schutz kann aber am allerwenigsten dadurch gewährleistet werden, daß man die Menschen, die außerhalb einer Ehe Kinder erzeugt haben, nicht bei ihrer vollen Verantwortung für die Lebenschancen dieser Kinder festhält. Nötig ist, daß wir zu einem Familienlastenausgleich kommen, der diesen Namen Wirklich verdient, daß wir zu Leistungen für die Familie auf dem Wege der Beratung und der Hilfe - der Ehe- und Familienberatung, der Bildungsberatung, der Hilfe bei der außerschulischen Bildung und Erziehung der Kinder - kommen. Hier ist noch sehr vieles für die Familie, für die eheliche, aber auch für die uneheliche Mutter und ihr Kind zu tun. Hier, glaube ich, ist der Schutz der Familie am Platz, und hier kann noch sehr viel mehr - positiv, modern, auf die sich wandelnde Gesellschaft unserer Zeit bezogen - geschehen. Schließlich möchte ich den Kollegen, die im Unterausschuß mitgearbeitet haben, noch einmal meinen besonderen Dank aussprechen für ihren Verzicht, an anderer politischer Arbeit teilzunehmen, den sie auf sich nehmen mußten; ich will den Juristen, deren Geschäft so etwas ist, danken, aber auch den Nichtjuristen, Frau Heuser, die uns mit ihren Erfahrungen als Ärztin geholfen hat, und Frau Jacobi, die mit ihrer großen Erfahrung, die ihr ihre Arbeit im Petitionsausschuß gegeben hat, vieles Gute und Nützliche beitragen konnte. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wir fahren in der Rednerliste fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reischl.

Prof. Dr. Gerhard Reischl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf für die SPDFraktion erklären, daß wir diesem Gesetz aus voller Überzeugung zustimmen können. Wir sind glücklich darüber, daß der Verfassungsauftrag, der in der Weimarer Verfassung vor jetzt fast 50 Jahren das erste Mal auftrat, und der im Grundgesetz 1949 erneuert wurde, nunmehr endlich erfüllt worden ist. Ich darf Herrn Professor Wahl in diesem Zusammenhang sagen, daß die von ihm gerügte Eile bei der Verabschiedung des Gesetzes wohl nur die Eile im Abschlußverfahren hier im Parlament war. Es ist dem eine lange Diskussion in der Öffentlichkeit vorausgegangen, aus der sich gerade diejenigen, die sich mit der Sache befaßt hatten, schon seit Jahren informieren konnten und auch informiert hatten. Ich glaube, daß die Verhandlungen im Unterausschuß des Rechtsausschusses, aber auch im Rechtsausschuß gezeigt haben, daß diejenigen, die an der Entscheidung über dieses Gesetz mitgewirkt haben, tatsächlich die Materie kannten und daß sie auf Grund dieser Kenntnis der Materie und dieser langen vorparlamentarischen Diskussion in der Lage waren, darüber in einer verhältnismäßig kurzen Zeit zu entscheiden. Ich darf für meine Fraktion sagen, daß wir auch stolz darauf sein können, daß es gerade der erste sozialdemokratische Justizminister der Bundesrepublik war, unser Freund Gustav Heinemann, der den Gesetzentwurf nach den langen Vorarbeiten, nachdem er ihm einen Trend ins noch Modernere hatte geben können, in diesem Hause eingebracht hat; daß es ihm gelungen ist, die Bundesregierung so sehr von der Richtigkeit dieses Entwurfs zu überzeugen, daß er damals im Kabinett einstimmig angenommen wurde. Dies allein zeigt ja auch, welch guter Entwurf uns schon vorgelegen hat. Infolgedessen war es uns im Unterausschuß des Rechtsausschusses und im Rechtsausschuß um so leichter möglich, in diesen Fragen zu raschen Entscheidungen zu kommen, zumal nur noch eine ganz grundsätzliche Frage wirklich streitig war, nämlich die des Erbrechts, während vieles andere Fragen der Technik waren, die von den Kollegen im Unterausschuß und im Rechtsausschuß mühelos bewältigt werden konnten. Ich glaube sagen zu können, daß dieser Gesetzentwurf - und ich will nun nicht das alles wiederholen, was meine Vorredner schon ganz ausgezeichnet ausgedrückt haben - tatsächlich gleiche Bedingungen für die leibliche und seelische Entwicklung und die Rechtsstellung des unehelichen Kindes in der Gesellschaft mit sich bringt. Ich darf aber auch feststellen - da möchte ich gerade dem Kollegen Stark zustimmen -, daß es jetzt darauf ankommen wird, daß auch im Bewußtsein der ganzen Bevölkerung die gesellschaftspolitische Gleichstellung folgt. Hier muß sich einmal zeigen, daß ein Gesetz auch erzieherisch wirken kann. Das haben wir bei der Verabschiedung eines solchen Gesetzes natürlich nicht in der Hand. Aber ich glaube, daß das Gesetz in der Lage ist, diese Umerziehung zumindest anzustoßen. Ich hoffe sehr, daß nunmehr der rechtlichen Gleichstellung, der Schaffung gleicher Chancen, auch die Gleichstellung in der Gesellschaft, im Bewußtsein der Gesellschaft, folgt und daß das von allen mitgetragen wird. Ich darf jetzt in meiner Eigenschaft als derzeit amtierender Vorsitzender des Rechtsausschusses noch ein Wort des Dankes anfügen. Ich tue dies im vollen Einvernehmen mit dem Kollegen Dr. Wilhelmi, dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses, mit dem ich mich darüber verständigt habe. Ich möchte sehr, sehr herzlich den Kolleginnen und Kollegen des Unterausschusses danken, an ihrer Spitze der Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt mit den beiden Berichterstattern, dem Kollegen Dr. Stammberger und dem Kollegen Dr. Stark, die in unermüdlicher und hart an die Grenze der möglichen Belastung gehender Arbeit diesen Gesetzentwurf mit der gebotenen Gründlichkeit beraten haben. Das haben die Beratungen im Rechtsausschuß und das hat der Bericht, der von diesen Kollegen gegeben wurde, ergeben. Herzlichen Dank dafür! ({0}) Ich darf gleichzeitig - das möchte ich an dieser Stelle tun - auch unserem Hilfspersonal im Rechtsausschuß sehr herzlich dafür danken, dem Assistenten des Unterausschusses, Herrn Piro, und auch den Damen und Herren des Büros des Rechtsausschusses, die sich mit diesem Gesetz sehr plagen und Nacht- und Sonntagsarbeit hinnehmen mußten, um es zum Abschluß zu bringen, vielleicht auch manche gereizte Reaktion von uns, wenn es immer noch mehr pressiert hat. Ich darf außerdem natürlich allen Kolleginnen und Kollegen des Rechtsausschusses für die intensive Mitarbeit sehr herzlich danken. In diesen Dank schließe ich zuletzt - aber hier möchte ich wirklich sagen: last, not least - auch das Bundesministerium der Justiz ein, vor allem die Beamten des Hauses, ({1}) die in unermüdlicher Arbeit immer wieder durch Formulierungshilfen, Mithilfe im Ausschuß und Teilnahme an von uns oft sehr weit in die Nacht hinein ausgedehnten Sitzungen dazu beigetragen haben, daß dieses Gesetz gut geworden ist. Wenn es dem jetzigen Bundesjustizminister auch notwendig erschien, uns hier im Parlament Zensuren zu geben, muß ich ihm an dieser Stelle doch sagen: Das Bundesjustizministerium hat sich sowohl durch die Vorlage des Entwurfs wie auch durch weitere Mitarbeit in einer dankenswerten Weise an der Gesetzgebung beteiligt. Letzte Verantwortung für dieses Gesez aber trägt einzig und allein dieses Haus. ({2}) Infolgedessen sind wir es, die letzten Endes darüber zu entscheiden haben, ob eine Regelung zweckmäßig, ob sie richtig und ob sie - nach unserer Überzeugung - verfassungsmäßig ist. Sicher, es gibt noch eine Instanz, die über die Verfassungsmäßigkeit entscheidet. Das ist aber nicht die Bundesregierung, sondern das Bundesverfassungsgericht. ({3}) Zum Schluß darf ich die Hoffnung aussprechen, daß nunmehr alle, die mit der Anwendung dieses Gesetzes befaßt sein werden - Gerichte, Anwälte, Notare, Behörden und alle Menschen in diesem Land -, das Gesetz im Geiste des Grundgesetzes anwenden und damit tatsächlich gleiche Chancen für die unehelichen Kinder schaffen. ({4})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Busse.

Hermann Busse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000316, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn ich den Ausführungen, die Frau Kollegin Dr. Heuser zu Beginn der zweiten Lesung gemacht hat, jetzt noch etwas hinzusetzen wollte. Ich kann also auf diese Ausführungen Bezug nehmen und nur wünschen, daß sie nicht nur im Ohr vieler derer bleiben, die sie gehört haben, sondern auch in ihrem Herzen. ({0})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Meine Damen und Herren, die dritte Beratung ist damit beendet. Wir kommen damit zur Schlußabstimmung. ({0}) - Zur Abstimmung hat der Herr Kollege Memmel das Wort.

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, mir unter Bezugnahme auf die Anmerkung zu § 59 der Geschäftsordnung und die von Herrn Präsidenten Gerstenmaier in der 130. Sitzung am 28. Oktober 1960 eingeführten Übung zu gestatten, daß ich als Einzelperson eine Erklärung zur Abstimmung abgebe.

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

In Ordnung.

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich habe vorhin interveniert, weil ich erreichen wollte, daß derjenige Teil der Kollegen, der mit dem Antrag Umdruck 668 unterlegen ist, Gelegenheit bekommt, diesen Antrag in der dritten Lesung zu wiederholen, und ich habe interveniert, weil ich meine, daß dieses Reformwerk eine bessere Besetzung verdient. Beide Interventionen hatten keinen Erfolg. Die Besetzung ist nicht besser geworden, und ich hatte keine Möglichkeit, diesen Antrag zu wiederholen. Ich habe gar nicht die Zeit gehabt, herumzugehen und die Unterschriften zu sammeln, die für einen Antrag in der dritten Lesung erforderlich sind. Ich sehe mich nicht in der Lage, diesem Gesetz zuzustimmen, und werde mich bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten.

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Meine Damen und Herren, wir kommen dann zur Schlußabstimmung über dieses Gesetz. Wer dem Gesetz als ganzem zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist das Gesetz angenommen. Wir haben noch über Nr. 2 des Ausschußantrags abzustimmen. Wer dem Ausschußantrag Nr. 2 zu- Vizepräsident Scheel stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Wir haben jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP auf Umdruck 667 *) abzustimmen. Das Wort zu diesem Entschließungsantrag hat Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, dieser Entschließungsantrag wird von den drei Fraktionen gemeinsam vorgelegt. Er betrifft eine Materie, die auch schon in der Aussprache mehrmals angesprochen worden ist, nämlich die Tatsache, daß es notwendig ist, in der nächsten Legislaturperiode das Erbrecht, insbesondere das Erbrecht der Ehegatten - hier wieder insbesondere der Ehefrau - und der Kinder, der ehelichen und der unehelichen, zu überprüfen. Selbstverständlich müssen die Bestimmungen über das Erbrecht, die wir jetzt getroffen haben, auf das abgestimmt werden, was wir künftig an neuem Ehegattenerbrecht einzuführen beabsichtigen. Ich bitte Sie deshalb, diesem Entschließungsantrag, der auf die Aufgaben auf dem Gebiet des Familienrechts in der Zukunft hinweist, zuzustimmen. ({0})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Das Wort wird nicht weiter gewünscht. Wer dem Entschließungsantrag auf Umdruck 667 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist einstimmig angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Wir kommen zu Punkt 15 der alten Tagesordnung, dem 5. Punkt der heutigen Tagesordnung: 15. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU betr. verbesserte Familienzusammenführunng aus den Ostblockstaaten - Drucksache V/4173 Zu diesem Punkt haben Fraktionen darum gebeten, Erklärungen abgeben zu dürfen. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das Wort hat Herr Kollege Ahrens.

Hermann Ahrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte dem vorliegenden Antrag auf Verbesserung der Familienzusammenführung aus den Ostblockstaaten nur einige erläuternde Angaben vorausschicken. Es war aufgefallen, daß die Zahl der aus den Vertreibungsgebieten und den Staaten Südosteuropas in die Bundesrepublik übergesiedelten deutschen Staats- und Volkszugehörigen rückläufig geworden war, ohne daß die eigentlichen Gründe und die Ursache nach außen erkennbar wurden. Die so veränderte Lage führte dann zu einer Kleinen Anfrage *) Siehe Anlage 8 an die Bundesregierung. Es wurde gefragt nach der Zahl der in den Vertreibungsgebieten und im südosteuropäischen Raum zurückgebliebenen Deutschen, nach dem Umfang der Absichten und dem Wunsch zur Übersiedlung und Familienzusammenführung. Es wurde nach der Möglichkeit zur Kontaktaufnahme gefragt, nach Maßnahmen zur Erweiterung der Pläne und Vorhaben und nach einigen Fakten und Möglichkeiten darüber hinaus. Die Antwort der Bundesregierung auf diese Fragen zeigte, wie schwierig und im Grunde unübersichtlich der ganze Komplex war und wie wenig konkrete Unterlagen über die damit zusammenhängenden Fragen vorhanden waren. Es zeigte sich aber in weiterem Verfolg der Angelegenheit auch, daß sich vor allein im Besitz humanitär-karitativer Organisationen sehr aufschlußreiche Unterlagen befinden. Sie geben Auskunft sowohl zahlenmäßig als auch über die Schwierigkeiten, mit denen sich die deutschen Staats- und Volkszugehörigen auseinanderzusetzen haben, vor allem, wenn sie ihre Übersiedlungsanträge gestellt haben. Diese Situation hat zu dem vorliegenden Antrag geführt. Es wurde nämlich geltend gemacht, daß die karitativen Organisationen bei uns in der Bundesrepublik in ihrer humanitären Arbeit durch die Zersplitterung der Zuständigkeiten bei unseren Behörden, vor allem bei der Bundesregierung, stark behindert werden. Mir ist gesagt worden, und ich gebe das mit allem Vorbehalt wieder - ich betone das ausdrücklich -, daß sechs Ministerien mit 24 Referaten beteiligt seien. Ich neige nicht zu der Annahme - hier bin ich sicher mit Ihnen in Übereinstimmung -, daß eine solche Zersplitterung der Zuständigkeiten der Aufgabe förderlich ist. Wenn wir deshalb mit diesem Antrag die Bundesregierung bitten, eine Zusammenfassung der Zuständigkeiten herbeizuführen, so liegt das im Interesse der Sache. Im übrigen sind wir der Meinung und möchten das besonders betonen, daß sich der Komplex weitestgehend der Legislative entzieht und absolut in die Zuständigkeit der Bundesregierung gehört. Dieser Auffassung entspricht auch der Wunsch, sie möge in eigener Zuständigkeit die Verhältnisse untersuchen, unter denen die Menschen drüben leben müssen. Sie möge aber auch nach Wegen suchen, ihnen die Übersiedlung und Familienzusammenführung, soweit die Menschen drüben es überhaupt wollen, zu erleichtern. Wir meinen weiter, daß sie sich bei der Durchführung dieser Aufgabe der Mitwirkung und des Rates von Persönlichkeiten bedienen sollte, die Erfahrung auf diesem Gebiet haben. Wenn ich davon ausgehe, daß es das erklärte Ziel von Bundestag und Bundesregierung ist, den Deutschen jenseits der Demarkationslinie ihr Leben zu erleichtern, so bin ich sicher, daß Sie dem vorliegenden Antrag der Koalitionsparteien Ihre Zustimmung nicht versagen werden. ({0})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Das Wort hat der Kollege Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hierbei um eine eminent menschenrechtliche Frage. Sicherlich wird es darauf ankommen, die Arbeit in den Fragen der Familienzusammenführung zu koordinieren und zu konzentrieren. Aber noch mehr kommt es nach Meinung unserer Fraktion darauf an, in diesen Fragen menschenrechtlicher Art wenn auch mit klugem Maß, so doch mit größter Entschiedenheit aufzutreten. Die Beratungen in den Ausschüssen werden es notwendig machen, über diese Fragen hinsichtlich aller Beteiligter zu verhandeln und die nötigen Konsequenzen zur Debatte zu stellen. Es ist die Familienzusammenführung aus den Ostblockstaaten und den südosteuropäischen Staaten angesprochen. Von Staat zu Staat stellt sich die Situation divergent dar und hat sich in den letzten Jahren unter verschiedenen Aspekten geändert. Dies wird zu erörtern sein. Es wird aber langsam unerträglich, daß Zusicherungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere auch von einzelnen südosteuropäischen Staaten, zu denen sich die beiderseitigen Verhältnisse gebessert haben, dahin gegeben werden, daß die Familienzusammenführung großzügig gehandhabt wird, daß dann aber der Vollzug dieser Zusagen nicht erfolgt. Wir bedauern, daß hier eine Desavouierung nicht nur der Zusagen, sondern fast auch der an den Verhandlungen Beteiligten eine Rolle zu spielen beginnt. Insbesondere läßt die Familienzusammenführung aus Rumänien außerordentlich zu wünschen übrig. Sie ist seit dem Beginn der Verhandlungen von Staatssekretär Lahr, wo sie ein befriedigendes Ausmaß zu erreichen schien, in den letzten Jahren und Monaten außerordenlich zurückgegangen. Wir müssen das ausdrücklich feststellen. Das steht im Gegensatz zu den Zusagen. Selbst die Familienzusammenführung im engsten Familienkreis, soweit sie durch die Rote-Kreuz-Abmachungen, insbesondere die Wiener Abmachungen, zugesagt worden ist, ist auch seitens von Ostblockstaaten nicht eingehalten worden. Ich sagte schon einmal, daß es sich um eine menschenrechtliche Frage handelt, menschenrechtlich im doppelten Sinne, einmal in dem Sinne, daß die Familienzusammenführung dann nicht die eminente Rolle spielen würde, wenn die Menschen, die getrennt sind oder hier und dort Teile der Familien haben, sich in ihrer kulturellen, in ihrer bürgerlichen, in ihrer menschlichen Situation im Sinne der Menschenrechte in ihrer Heimat frei entfalten könnten. Viele Probleme der Familienzusammenführung würden dann nicht so scharf in Erscheinung treten. Auch das wird bei der Besprechung der Lage der Nation am 17. Juni, insbesondere dort, wo es sich um deutsche Staatsangehörige außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik handelt, eine Rolle spielen müssen. Zum anderen aber ist die menschenrechtliche Frage die, ob nach dem völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht - und die Vorlage der Bundesregierung zur Ratifizierung des 4. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention hat dies unterstellt und als wahrscheinlich bezeichnet - die Freizügigkeit; auch die Ausreise aus einem anderen Land, nicht nur als Recht der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern als allgemein geltende völkerrechtliche Norm tatsächlich zum Tragen kommt. Die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesregierung sind hier jedenfalls durch das europäische Vertragswerk gebunden - nicht nur zum Schutze der eigenen Staatsangehörigen, sondern in der eigenen Entscheidung der inneren Behörden -, dem § 2 Abs. 2 des 4. Protokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention zu folgen, wonach sich die vertragschließenden Staaten verpflichten, dafür zu sorgen, daß die Ausreise - der Europarat hat diese Frage eingehend diskutiert - aus jedem Land, nicht nur aus den Vertragsstaaten, unterstützt und gefördert wird. Die Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutschland sowie dieses Parlament sind schließlich durch Art. 17 der Europäischen Menschenrechtskonvention gehalten, alle Maßnahmen und Handlungen zu unterlassen, die zu irgendeiner Beschränkung der Menschenrechte auch bei Dritten beitragen könnten. Das betrifft auch die Freizügigkeit. Insbesondere werden diesbezüglich auch die wirtschaftlichen Verhältnisse zu dritten Staaten und die Konsequenzen, die zu ziehen sind, wenn die menschenrechtlichen Fragen unzureichend gelöst werden, in den Ausschußberatungen untersucht werden müssen. Meine Damen und Herren, ich will diesen Beitrag zur ersten Beratung dieses Antrags mit einem allgemeinpolitischen Hinweis schließen. Bei den Budapester Erklärungen haben die Warschauer-PaktStaaten gewisse Hauptvoraussetzungen für ein europäisches Sich-näher-Kommen genannt. Ich glaube, eine der wichtigsten Hauptvoraussetzungen von unserem Gesichtspunkt aus ist das, was der Bundesaußenminister einmal als eine der Hauptvoraussetzungen zur Europäischen Friedensordnung bezeichnet hat: durch praktizierte Menschenrechte schrittweise zur Praktikabilität der Menschenrechte allüberall zu kommen, der Menschenrechte, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention präzisiert sind, der die osteuropäischen Staaten noch nicht beigetreten sind. Sie haben sich aber der allgemeinen UNO-Deklaration über die Menschenrechte angeschlossen. Wir sind weiter gegangen. Wir sind durch Konventionsrecht gebunden. Wir und die europäischen Staaten, die in diesem Konventionsrecht stehen, müssen immer wieder betonen: der erste und wichtigste Schritt, die Hauptvoraussetzung eines Sich-näher-Kommens in Europa ist die schrittweise Verwirklichung der Menschenrechte, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention normiert sind. Schafft mehr verwirklichte Menschenrechte, dann kommen wir uns näher! ({0})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Die Aussprache ist geschlossen. Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates lautet, den Antrag dem Auswärtigen Aus13020 Vizepräsident Scheel schuß - federführend - und dem Ausschuß für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge zu überweisen. Ich nehme an, daß Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind. - Es ist so beschlossen. Wir kommen damit zu Punkt 6 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Dezember 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 22. Dezember 1966 zur Durchführung des Abkommens - Drucksache V/2584 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik ({0}) - Drucksachen V/4195, zu V/4195 - Berichterstatter: Abgeordneter Killat ({1}) Wird das Wort dazu gewünscht? - Der Herr Berichterstatter, der Abgeordnete Killat, wünscht das Wort. Bitte sehr!

Arthur Killat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001098, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man wird der Bedeutung dieser beiden Abkommen nicht gerecht, wenn man nicht eine kurze Erläuterung zu dem Abkommen von 1966 und dem Zusatzabkommen von 1969 gibt. Es handelt sich um Abkommen, die die soziale Sicherheit von Österreichern in Deutschland und umgekehrt von Deutschen in Österreich gewährleisten. Aus der Tatsache, daß uns beide Abkommen vorliegen und wir ihre Behandlung erst heute zum Abschluß bringen, wird deutlich, daß wir das Abkommen von 1966 in diesem Hause nicht ratifizieren konnten. Der Sozialpolitische Ausschuß hat sich mit allem Nachdruck gegen die Regelung gewandt, die vorsah, daß die deutschen Urlauber in Österreich - obwohl darüber eine Vereinbarung seit 1951 und 1953 vorlag - nicht die. gleiche Behandlung erfahren sollten, die für Österreicher in Deutschland gilt, nämlich bezüglich der kostenlosen Krankenbehandlung.

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Herr Kollege, ich darf Sie eine Sekunde unterbrechen. Sie sprechen zu beiden Punkten, wie ich höre?

Arthur Killat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001098, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Also rufe ich wegen der verbundenen Begründung auch den Punkt 7 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 10. April 1969 zum Abkommen vom 22. Dezember 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit und zu der Zusatzvereinbarung vom 10. April 1969 zu der Vereinbarung vom 22. Dezember 1966 zur Durchführung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit - Drucksache V/4182 -Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik ({0}) - Drucksachen V/4196, zu V/4196 - Berichterstatter: Abgeordneter Killat ({1})

Arthur Killat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001098, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das geht auch aus dem Schriftlichen Bericht hervor, Herr Präsident. Es ist jetzt gelungen, und zwar erst am 10. April, die österreichische Regierung zu bewegen, ein Zusatzabkommen abzuschließen, mit dem endgültig für rund drei Millionen deutsche Urlauber in Österreich in Zukunft die kostenlose Behandlung nach dem Sachprinzip gewährleistet wird, wie dies in dem früheren Abkommen vereinbart war, aber nicht praktiziert worden ist. Ich glaube, das ist ein Erfolg. Es bestätigt auch, daß die Beharrlichkeit des Sozialpolitischen Ausschusses gegenüber der Bundesregierung in diesem Punkt richtig war. In einem weiteren Punkt haben wir durchsetzen können, daß Deutsche, die, ich darf jetzt sagen in reichsdeutschen Gebieten gewohnt haben, und nach 1938 in Östereich ihre Arbeit aufgenommen haben oder dazu abgeordnet worden sind, nunmehr entgegen der bisherigen Regelung deutsche Renten für die Zeit von 1938 bis 1945 erhalten. Bis zum Abschluß dieses Abkommens und bis zur Ratifizierung erhielten sie eine österreichische Rente, die wesentlch niedriger war als die deutsche. Sie erhalten nun die österreichische Rente und zusätzlich den deutschen Anteil auf Kosten der deutschen Sozialversicherungsträger. Damit ist eine wesentliche Benachteiligung beseitigt worden. Für die Vertriebenen sei noch erwähnt, daß für diejenigen, die in Österreich wohnen, nunmehr auch die Stichtagvorschriften gefallen sind, die verhinderten, daß sie einen Anspruch auf Rente nach dem Fremdrentengesetz hatten. Die Sperrklausel für diese Stichtagvorschrift ist für diesen Personenkreis aufgehoben worden. Ich glaube abschließend noch darauf aufmerksam machen zu sollen, daß wir für den Personenkreis, der Fremdrenten erhält, von dem Territorialprinzip abgegangen sind. Das heißt, auch wenn sie in Österreich wohnen, erhalten sie ihre Renten nach dort überwiesen. In dieser Woche wird der österreichische Nationalrat dieser Ratifizierung - wir nehmen an: ebenso postiv wie in diesem Hause - seine Zustmmung geben. Damit dürfte für die deutschen Urlauber eine sehr leidige und ungelöste Frage positiv entschieden worden sein. Zum anderen dürften Vertriebene oder auch Reichsdeutsche für die Zeit von 1938 bis 1945 bezüglich ihrer Renten so gestellt worden sein, als wären sie immer im Bundesgebiet versichert gewesen. Ich glaube, das sind positive Entscheidungen, die wir in diesem Hause begrüßen können. ({0})

Walter Scheel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001949

Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Abkommen vom 22. Dezember 1966 - Drucksache V/2584 -. In der zweiten Lesung stimmen wir ab über die Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, Einleitung und Überschrift. Wer den Artikeln 1, 2, 3, 4, 5, 6, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Die dritte Beratung ist damit geschlossen. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als ganzem zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Wir kommen damit zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 10. April 1969 zum Abkommen vom 22. Dezember 1966 - Drucksache V/4182 -. Ich weise darauf hin, daß hier in Art. 5 eine Zusatzformulierung einzufügen ist. Im Anschluß an „Dieses Gesetz gilt auch im Land Berlin, sofern das Land Berlin die Anwendung dieses Gesetzes feststellt" wird eingefügt: „Rechtsverordnungen, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen werden, gelten im Land Berlin nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes vom 4. Januar 1952 ({0}) ." Wer mit dieser Einfügung den Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, der Einleitung und der Überschrift des Gesetzes zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein. Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung über dieses Gesetz. Wer dem Gesetz als Ganzem zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wird sind damit am Schluß der Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. Juni 1969, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.