Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Petitionsausschuß ist der einzige Ausschuß, der nach unserer Geschäftsordnung in festgelegter Wiederholung hier vor dem Plenum vierteljährlich berichten darf. Aus diesem Vorrecht ist leider eine Routineangelegenheit geworden, die außerdem noch von vier Vierteln eines Jahres auf drei reduziert wurde. Die Ursachen sind ganz offensichtlich darin zu suchen, daß sich die Mitglieder des Petitionsausschusses in der Regel davor scheuen, noch offene und unentschiedene Fragen auf dem offenen Markt dieses Plenums zu diskutieren, um
*) Siehe 229. Sitzung, Seite 12626 C
bei den Petenten nicht voreilige Hoffnungen zu wecken. Das ist tatsächlich die Schwäche dieses Petitionsausschusses, daß wir die Sachfragen, die wir noch ändern wollen, nicht in ihrer ganzen Verworrenheit und in ihrem ganzen prinzipiellen Gehalt als Grundlage einer interessanten Diskussion vortragen. Wenn wir dann aber die wenigen erfolgreich gelösten Fälle hier im Plenum bringen, fehlt in der Regel jeder Anreiz zur Diskussion, weil wir natürlich das Schicksal eines Petenten, der in jahrelangem zermürbendem Kampf nur durch die Hilfe des Ausschusses zu seinem Recht kam, nicht zusätzlich noch mit einer nachträglichen Publizität belasten wollen.
Deshalb ist es ein ganz glücklicher Zufall, daß ich einmal an einem unpersönlichen Beispiel wie etwa einer Insel im Rhein diese ganze Schwierigkeit des Verfahrens aufzeigen kann. Da liegt eine Insel bei Bacharach, die nach der Meinung einiger Bürger durch die Einengung des Flußbettes wegen Baumaßnahmen der Schiffahrts- und Bahnverwaltung gefährdet ist. Die Ursache der tatsächlich festgestellten Schäden ist aber nach der Meinung eines Sachbearbeiters irgendeines nachgeordneten Verwaltungsamtes nicht festzustellen. Diese einmal geäußerte Meinung zieht sich nun jahrelang durch die Stellungnahmen der verschiedenen obersten Bundesbehörden. Von dort wird sie durch die Regierung übernommen. Diese berichtet genau die ursprünglich fixierte Meinung wieder dem Petitionsausschuß, und wenn dieser nicht aufpaßt, steht sie in der Sammelübersicht - Sie werden nachher zwei Sammelübersichten annehmen -, und dann hat das Parlament etwas genehmigt, hinter dem nicht die eigene Prüfung, sondern die weiter und immer wieder weitergeleitete Stellungnahme desjenigen steht, der sich als beamteter Sachbearbeiter ursprünglich in seinem Ermessensrahmen seine Meinung gebildet hat.
Dieser Fall ist für das Parlament - darum kann ich ihn hier nennen - vorläufig dadurch gelöst, daß die Regierung nun nach jahrelangem Hin und Her ein Gutachten über die Schäden erstellen läßt, damit nicht einzig und allein eine einmal geäußerte Meinung die endgültige bleibt.
Ich habe das Beispiel erwähnt, weil es die Mängel unseres Verfahrens zeigt, nicht nur im Petitionsrecht, sondern offensichtlich auch im Verhältnis der obersten Bundesbehörden zur Bundesregierung, und wir können als Parlamentarier nach dem bisherigen Recht nur die Bundesregierung prüfen.
Noch schwieriger verhält es sich mit der Kontrollfähigkeit bei Institutionen, die angeblich niemandem verantwortlich sind. Ich möchte hier von einer Reihe ungelöster Petitionen im Zusammenhang mit der Zulassung zum Studium sprechen. Ganz streng verfassungsrechtlich gesehen geht uns das gar nichts an, aber die Geschäftsführer aller Fraktionen müßten sich eigentlich einmal überlegen, ob wir hier nicht doch etwas zu sagen haben, wenn wir feststellen, daß diejenigen, die vor zwei Jahren ohne Wehrdienst zum Studium kamen, diesen Vorsprung von zwei Jahren nun noch um Jahre erweitern, weil jetzt für ihre gleichaltrigen Kameraden, die den Wehrdienst ableisten, keine Studienplätze zur Verfügung stehen. Ich persönlich bin der festen Auffassung, daß wir uns hier nicht weiterhin für unzuständig halten dürfen.
Es gibt auf Bundesebene eine Zentrale Registrier-stelle für das Medizinstudium. Ich zitiere aus einer wissenschaftlichen Arbeit darüber:
Die Zulassung zum Medizinstudium wurde bekanntlich kurz vor dem drohenden Eintritt chaotischer Zustände durch die ZRM
- also: Zentrale Registrierstelle Medizin - geordnet.
Bewiesen wird dieses Zitat durch Zahlen: 6000 Bewerber haben sich 30 000mal angemeldet. 30 000mal! Angenommen wurden in dem Jahr - das ist also 1967 - 3000 Bewerber. Einem Petenten, der über die Zentrale Registrierstelle eine Ablehnung seiner Immatrikulation für die Zahnmedizin erfuhr, wird aber noch am 19. März 1969 vom Bundesminister des Innern empfohlen, sich an möglichst vielen Universitäten zu bewerben. Geht uns diese Diskrepanz etwas an? Das müßten wir als Bundestag uns einmal ganz ernsthaft fragen.
Die Zentrale Registrierstelle ist sehr fleißig. Sie gibt uns die statistischen Zahlen: 1967 konnten 62,5 % aller Studienbewerber der Zahnmedizin mit einer Zulassung rechnen; 1968 waren es nur 20,9 %. Gehen uns die Bewerbungen der übrigen 80 % hier im Bundestag etwas an oder nicht? Nun stellt der Innenminister lapidar fest, die ZRM unterliege keiner speziellen parlamentarischen Kontrolle. Wir müssen die Fleißarbeit dieser Institution loben. Durch sie wissen wir, daß bei der Zulassung zum Studium der Zahnmedizin Nordrhein-Westfalen 13,2 % unter dem Durchschnitt des Bundes von nur 20 % liegt und Bayern um 4,9 % darüber. Ein Computer hat die Abiturdurchschnittsnoten der Bewerber berechnet, und die Zahnmediziner in Bayern liegen in Religion hoch über dem Bundesdurchschnitt der übrigen Zahnmediziner. Über die Zulassung der abgewiesenen 80 % der Bewerber hat der Computer aber nichts gesagt, und wir sollen hier nicht zuständig sein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Normalerweise ist der Petitionsbericht eine Erfolgsbilanz. Nun gut, wir haben beinahe 6 % der Petitionen positiv erledigt. Außerdem können wir bei den restlichen 94 % in großem Maße darauf hinweisen, daß viele berechtigte Petitionen nicht von uns allein gelöst werden können wie etwa die zahlreichen Eingaben kirchlicher Kreise zum Konflikt Nigeria-Biafra. Wir müssen aber dem Plenum berichten, daß sich in unserem Volk viele Menschen persönlich betroffen und mitverantwortlich fühlen, wenn zwischen anderen Menschen irgendwo auf diesem kleinen Planeten politische Gegensätze durch Gewaltanwendung entschieden werden sollen.
Eine weitere, sehr breit geäußerte Klage, die wir nur erwähnen können, weil ein anderer Ausschuß sie bereits behandelt, wird gegen das lange Hinauszögern der Entschädigung für die Sowjetzonenflüchtlinge geführt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte diesen Bericht über die Arbeit des Petitions12702
ausschusses ganz nüchtern und zielstrebig dazu benutzen - oder sagen Sie mir meinetwegen auch: dazu mißbrauchen -, dem Gesamtparlament eine Verantwortung aufzubürden, die wir aus einer Fülle von Petitionen zur Wehrgerechtigkeit nun einmal ableiten müssen. Hier ist nicht mehr mit einer Korrektur im Einzelfall zu helfen. Dieser Bundestag muß von der Regierung die Vorlage zu einer gerechten Lösung verlangen, oder er wird mitschuldig an einer krassen Ungerechtigkeit in diesem Volk.
Mitzuteilen wäre noch eine ziemliche Anzahl von Petitionen, die sich gegen die Genehmigungen durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen wandten. Im Grundsatz ergab sich kein Hinweis für die Notwendigkeit parlamentarischer Eingriffe, aber wir sollten nicht verkennen, daß sich im allgemeinen Bewußtsein eine Tendenz zu der Vorstellung anbahnt, die Versicherungswirtschaft sei so etwas wie eine staatliche Institution. Die Pannen dieser Wirtschaft schlagen im Bewußtsein des Bürgers zurück auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat.
In mehreren Eingaben wird ein Problem berührt, dessen Lösung ich besonders den Kolleginnen und Kollegen des Sozialpolitischen Ausschusses warm ans Herz legen möchte. Es geht um die Unterstützung geistig oder körperlich behinderter Personen, die infolge ihres Leidens keinen Beruf ausüben können und ihren nächsten Angehörigen, vor allem den Eltern, zum Teil bis ins Rentenalter der Eltern hinein zur Last fallen. Dabei erhalten die Eltern als Rentner natürlich keinen Kinderzuschlag mehr für die Betroffenen, weil diese schon das 25: Lebensjahr überschritten haben. Im allgemeinen kann und sollte in solchen Fällen - das war auch die Meinung des Petitionsausschusses - nur über das Bundessozialhilfegesetz geholfen werden. Dieses Gesetz läßt aber eine Hilfe nur dann zu, wenn die Eltern auf Grund niedriger Einkommen nicht in der Lage sind, ihrer Unterhaltspflicht gegenüber den behinderten Kindern nachzukommen.
Der zur Zeit in der Ausschußberatung befindliche Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes sieht nun Verbesserungen vor, mit denen auch der Lage der behinderten Kinder besser Rechnung getragen werden soll. Vorrangig geht es allerdings um Maßnahmen zur Eingliederung der Behinderten, in zweiter Linie erst um finanzielle Verbesserungen durch Heraufsetzung der Grenzen des zu berücksichtigenden Einkommens der Eltern oder der Verwandten.
Mit Rücksicht hierauf hat der Petitionsausschuß die Eingaben dem federführenden Ausschuß überwiesen. Aber er will der Hoffnung Ausdruck geben, daß sich die Position der Eltern behinderter Kinder verbessert. Ich möchte das mit allem Nachdruck hier unterstreichen. Wir wollen natürlich nicht von dem unser bürgerliches und soziales Recht beherrschenden Grundsatz abweichen, daß die Sorge für die Kinder in erster Linie Sache der Eltern ist. Aber wir müssen doch bedenken, daß die Eltern in Fällen dieser Art weit, weit über das normale Alter hinaus, in dem sie für Kinder unterhaltspflichtig sind, zur Zahlung herangezogen werden und dabei auch noch diese seelische Belastung tragen müssen, Eltern dieser unglücklichen Kinder zu sein.
Wie breit gestreut die Mitarbeit unserer Bürger ist, zeigen mehrere Eingaben zu aktuellen Fragen des Gesundheitswesens, vor allem zur Sektion von Verstorbenen. Dieses Problem ist ja in Zukunft von besonderer Bedeutung. Die Petitionen haben hier eine Diskussion weiterhin verbreitert. Im Augenblick läuft die Richtung dahin, daß sowohl das Gesundheitsministerium als auch die Ärzteschaft sich im Sinne der Petenten aussprechen.
Natürlich hat der Petitionsausschuß in der Zeit, über die ich berichte, auch Änderungen erreicht, von denen viele Mitbürger betroffen sind. Aber diese Änderungen sind meist ohne besonderen Glanz oder manchmal geradezu so selbstverständlich, daß man sich nur wundert, wie lange vorher eine unvernünftige Regelung bestehen konnte, bis der Petitionsausschuß eine Änderung erreichte.
Das betrifft z. B. für eine Änderung der Gebühren im Fernmeldewesen zu, bei der der jetzt erreichte Zustand jedem als normal ,erscheint, aber der frühere Zustand in seiner nicht begreifbaren Urnormalität jahrelang hingenommen wurde.
Interessanter ist die Änderung einer Auffassung der Verwaltung der Verkehrssünderkartei in Flensburg. Dort meinte man, der Bürger habe kein Recht, den Inhalt der ihn betreffenden Eintragungen zu erfahren. Wir waren anderer Meinung. Jetzt heißt ein neuer § 5 der entsprechenden Verwaltungsvorschrift:
Einer Privatperson wird über den sie betreffenden Inhalt des Verkehrszentralregisters auf Antrag Auskunft erteilt.
Eine Zusage zur Prüfung der Möglichkeit einer Abhilfe erhielt der Ausschuß von der Regierung für ein neu aufgetauchtes Problem. Die in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Arbeitnehmer müssen vom Zeitpunkt der Rentenantragstellung Beiträge zur Krankenversicherung entrichten, auch wenn sie vorher, etwa im Rahmen der Familienhilfe, bereits in einen anderen Versicherungsschutz einbezogen waren. Wird nun nach einigen Monaten der Rentenantrag abgelehnt, werden die Beiträge zur Krankenversicherung nicht erstattet. In wenigen Einzelfällen führte das zu wirklich unbilligen Härten. Es wäre gut, wenn 'die von der Regierung versprochene Prüfung bald ein positives Ergebnis hätte.
Einstimmig hat sich der Petitionsausschuß dafür ausgesprochen, die Subventionierung des Flugpreises auf der Strecke Hannover-Berlin auch auf die Zugänge von anderen Flughäfen in der Bundesrepublik nach Berlin auszudehnen. Die Subventionierung war nach 'der Einführung des Visumzwangs im anderen Teil Deutschlands notwendig geworden. Wer also von Süddeutschland aus erst mit der Bahn nach Hannover fahren muß, sollte von einem anderen Flugplatz aus mit der gleichen Vergünstigung - nicht mit einer höheren, 'sondern nur mit der gleichen - abfliegen können.
Zum Schluß noch eine kleine Bemerkung. Gelegentlich kommen Abgeordnete, die nicht dem PetiDr. Kübler
tionsausschuß angehören, zur Mitarbeit in den Ausschuß, wenn sie eine interessante Petition aus dem eigenen Wahlkreis unterstützen wollen. Wir würden uns freuen, wenn noch mehr Kolleginnen und Kollegen kämen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, würden vielleicht über die breite, lebendige Mitarbeit erfreut sein, die aus weiten Kreisen unserer Bevölkerung kommt. Die Beschäftigung mit der Fülle der Petitionen ist ja nicht nur eine Pflichtübung für Hinterbänkler dieses Bundestages. Ich möchte sie jedem schmackhaft machen mit dem Dichterwort:
Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt. Und wo ihr's packt, da ist's interessant.
({0})
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, eine Aussprache wird dazu, glaube ich, nicht gewünscht. Der Ausschuß schlägt vor, die Anträge in den beiden Drucksachen V/4065 und V/4119 so anzunehmen.
- Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts ({1})
- Drucksachen V/32, V/2285 -
Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
- Drucksache V/4094 -
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Müller-Emmert, Abgeordneter Schlee, Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus;
b)- Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts ({2})
- Drucksachen V/32, V/2285 Zweiter Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
- Drucksache V/4095 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. MüllerEmmert, Abgeordneter Schlee, Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus;
({3})
Ich danke zunächst einmal namens des Hauses für die Schriftlichen Berichte der Berichterstatter. Wir verfahren wie folgt. Zuerst wird eine mündliche Ergänzung durch die drei Berichterstatter gegeben. Alsdann spricht der Herr Justizminister. Danach geben die drei Fraktionen eine kurze Stellungnahme ab. Ich erteile dem Berichterstatter Abgeordneten Dr. Müller-Emmert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Straf-rechtsausschuß legt Ihnen mit dem heutigen Tage zwei Berichte vor, die das Ergebnis der Arbeit des Strafrechtsausschusses von sechs Jahren sind.
In dem ersten Bericht, der Ihnen vorliegt, hat der Strafrechtsausschuß die wichtigsten kriminalpolitischen Ergebnisse seiner Arbeit so transponiert, daß sie mit Wirkung ab 1. September 1969 bzw. - teilweise - mit Wirkung ab 1. April 1970 in das geltende Recht übertragen werden.
Der zweite Schriftliche Bericht hat einen komplett neuen Allgemeinen Teil eines Strafrechtsgesetzbuchs hat und darüber hinaus wichtige Änderungen des Besonderen Teils zum Inhalt.
Die Arbeiten des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform waren - dies ersehen Sie schon aus der langen Arbeitszeit von sechs Jahren - sehr mühsam. Wir waren uns alle darüber im klaren, daß es nicht möglich war, daß eine Gruppe oder Fraktion dieses Parlaments ihre Auffasungen in völliger Reinheit hätte durchsetzen können. Dies wäre nur dann möglich gewesen, wenn eine dieser drei Fraktionen über die absolute Mehrheit verfügen würde, was ja bekanntlich nicht der Fall ist.
Daraus folgt konsequent, daß die Ergebnisse unserer Arbeit letztlich Kompromißentscheidungen sind. Sie sind allerdings - das möchte ich besonders betonen - sehr fortschrittliche Kompromißentscheidungen, die von der Mehrheit des Ausschusses so abgestimmt und koordiniert worden sind, daß sie - das ist die Hoffnung der Ausschußmitglieder - von der überwiegenden Mehrheit dieses Hohen Hauses angenommen werden.
Erlauben Sie mir zunächst auch noch einige weitere kurze Bemerkungen. In der Offentlichkeit stoßen die Beschlüsse des Sonderausschusses nicht immer auf Verständnis. Manche Bürger verwechseln kriminalpolitisch notwendige Entscheidungen mit einer „weichen Welle" im Strafrecht. Mitunter bestehen auch reichlich altertümliche Vorstellungen über dieses neue Strafrecht. Die Aufgaben eines modernen Strafrechts müssen indessen von den praktischen Gegebenheiten her betrachtet werden. Der Staat darf nämlich nicht auf Grund irgendwelcher metaphysischer Vorstellungen, etwa weil eine Sünde begangen worden sein kann, sondern nur auf Grund einer bitteren Notwendigkeit strafen.
Daraus folgt, daß das Strafrecht nicht Racheinstinkten dienen soll, sondern ein modernes Reaktionsmittel unserer Gesellschaft auf das Verbrechen des 20. Jahrhunderts sein muß. Das Strafrecht soll eine wirksame Bekämpfung der modernen Kriminalität ermöglichen, mit Vorrang auf eine Resozialisierung des Täters ausgerichtet sein, einen umfassenden Schutz für die Rechtsgüter der Allgemeinheit und des einzelnen Bürgers gewähren und selbstverständlich auch die Grundlage für eine gerechte, schuldangemessene Bestrafung des Täters sein.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Strafrechtsausschuß ein neues modernes kriminalpolitisches Konzept entwickelt, das eine Fülle von verschiedenen Sanktionsmitteln dem Richter zur Auswahl . bietet und das mit Sicherheit dafür Sorge trägt, das die Hang-, Früh- und Gewohnheitskrimi12704
nalität rechtzeitig erkannt und entsprechend bekämpft wird.
Schwerpunkte dieses neuen kriminalpolitischen Programms sind zunächst einmal die sogenannte einheitliche „Freiheitsstrafe" und zum zweiten die sogenannte kurze Freiheitsstrafe. Zu dem ersten Problem ist in der gebotenen Kürze folgendes zu sagen. Der Sonderausschuß schlägt Ihnen die Beseitigung der Zuchthausstrafe, genauso aber auch der Einschließung, der Gefängnisstrafe, der Strafhaft und der Haft vor. All diese verschiedenen Freiheitsstrafarten gehen zukünftig in eine einheitliche Freiheitsstrafe, die sogenannte Freiheitsstrafe, über.
Die Überlegungen des Ausschusses waren die, daß ganz sicher feststeht, daß die Zuchthausstrafe einen entehrenden Effekt hat, daß sie den Bürger, der mit dieser Zuchthausstrafe belegt ist, zu einem Bürger zweiter Klasse stempelt, daß sie dadurch die Wiedereingliederung eines straffällig gewordenen Bürgers in die Gesellschaft erheblich erschwert und damit auch bei einem strafentlassenen Zuchthausgefangenen den Keim für zukünftige neue Kriminalität legt, weil erfahrungsgemäß ein solcher „Zuchthäusler", wie der Volksmund sagt, sich schwerlich wieder in die menschliche Gesellschaft eingliedern
kann.
Dabei geht es nicht - um dies auch noch besonders zu betonen - um eine „weiche Welle" im Strafrecht. Der Strafrahmen, der in den einzelnen Vorschriften vorgesehen ist, ist so weit gefaßt, daß jeder Straftäter die ihm gebührende Strafe erhält, wobei man bedenken muß, daß es in der Praxis ohnehin keinen Unterschied zwischen Zuchthaus und Gefängnis gibt, auch gar nicht geben kann, weil das Entscheidende dieser beiden Freiheitsstrafarten letztlich die Entziehung der Freiheit des einzelnen Verurteilten ist. Der Strafrechtsausschuß übernimmt mit diesem seinem Vorschlag die Ergebnisse der Reformarbeiten verschiedener europäischer Staaten, und darüber hinaus befindet er sich in diesem Punkt auch in völliger Übereinstimmung mit der weit überwiegenden Mehrheit der deutschen Rechtswissenschaft und insbesondere der Vollzugspraxis.
Der zweite Punkt, den ich schon angedeutet habe und der ebenfalls kurz behandelt werden muß, ist der der Einschränkung der sogenannten kurzen Freiheitsstrafe. Es gibt in der Strafrechtswissenschaft und in der Strafrechtspraxis keine Zweifel darüber, daß die kurze Freiheitsstrafe im Bereich bis zu etwa sechs Monaten kriminalpolitisch wenig Sinn hat. Dies ergibt sich daraus, daß in einer so kurzen Voll- zugszeit eine wirksame Beeinflussung des Strafgefangenen überhaupt nicht möglich ist, daß darüber hinaus die Tätergruppen, die mit einer solchen kurzen Freiheitsstrafe belegt werden, an sich weit überwiegend schon sozial eingegliedert sind und deshalb eigentlich gar keiner Resozialisierung bedürfen und daß schließlich auch eindeutige Nachteile der kurzzeitigen Freiheitsstrafe insofern vorliegen, als derjenige, der mit einer solchen Strafe belegt wird, erhebliche Nachteile in Form des Verlustes des Arbeitsplatzes oder in Form von familiären Schwierigkeiten während seiner Abwesenheit auf Grund des
Strafvollzugs gewärtigen muß. Deshalb ist im Straf-rechtsausschuß der Grundsatz beschlossen worden, daß die kurzzeitige Freiheitsstrafe erheblich eingeschränkt wird.
In diesem Punkt gab es weitergehende Anträge einer Minderheit des Ausschusses, die dahin gingen, die kurzzeitige Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten überhaupt abzuschaffen und durch ein anderes Sanktionensystem, insbesondere durch Erweiterung der Anwendung der Geldstrafe, zu ersetzen. In dieser Frage hat der Strafrechtsausschuß besonders lange diskutiert. Das Ergebnis dieser Diskussion ist eine Kompromißentscheidung, die dahin geht, daß für die Zukunft eine kurzzeitige Freiheitsstrafe im Bereich bis zu einem Monat überhaupt nicht mehr möglich ist und daß darüber hinaus der Richter verpflichtet ist, an Stelle einer Freiheitsstrafe im Bereich von einem Monat bis zu sechs Monaten grundsätzlich Geldstrafe anzuwenden, und daß er dann, wenn er gleichwohl ausnahmsweise zu der Verhängung einer Freiheitsstrafe in diesem Bereich kommt, diese Freiheitsstrafe grundsätzlich zur Bewährung aussetzen muß.
Gerade diese Entscheidung ist für die Praxis von wesentlicher Bedeutung. Dies ergibt sich aus der Verurteiltenstatistik, die für die Bundesrepublik ausweist, daß sage und schreibe jährlich rund 100 000 deutsche Bundesbürger zu Freiheitsstrafen bis zu einem Monat verurteilt werden. Rund zwei Drittel von diesen 100 000 Bundesbürgern müssen sogar ihre Freiheitsstrafe verbüßen, was bedeutet, daß nur ein Drittel dieser Verurteilten die Rechtswohltat der Strafaussetzung zur Bewährung erhält. Wir ersehen aus diesen Zahlen, daß für die Zukunft gerade in diesem unteren Bereich der Strafe eine erhebliche Einschränkung zu gewärtigen ist.
In gebotener Kürze - das Stoffgebiet ist zu groß - möchte ich einen anderen Punkt anschneiden. Wir führen ein neues Geldstrafensystem ein, das schuld- und vermögensbezogen ist. Jeder Täter wird im Rahmen der Festsetzung einer Geldstrafe nicht nur nach dem Maße seiner Schuld, sondern auch nach seinen Vermögensverhältnissen eingestuft und bewertet, so daß die Geldstrafe mit Sicherheit zukünftig sozialer gestaltet sein wird.
Darüber hinaus haben wir festgelegt, daß in Zukunft die Aussetzung von Freiheitsstrafen in erweiterter Weise angewendet werden kann. Bislang hat das Gericht nur die Möglichkeit, Freiheitsstrafen im Bereich bis zu 9 Monaten zur Bewährung auszusetzen. Dieser Rahmen wird auf 2 Jahre erweitert, wobei das Gericht grundsätzlich bis zu einem Jahr die Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen muß, während im Bereich von einem Jahr bis zu zwei Jahren das Gericht ausnahmsweise, wenn eine günstige Täterprognose vorliegt, diese Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen kann.
Neu ist auch das Sanktionensystem, soweit es sich um die freiheitsentziehenden und -beschränkenden Maßregeln der Besserung und Sicherung handelt, die neben einer Strafe angeordnet werden können. Wichtig ist dabei, daß in Zukunft das Arbeitshaus aus dem Bereich des Strafrechts verschwinden wird.
Bei diesen Tätergruppen handelt es sich durchweg um wohl gemeinlästige, aber nicht um gemeingefährliche Personen, gegen die das Strafrecht nicht angewendet werden soll. In Zukunft werden wir einmal die psychiatrische Krankenanstalt, zum zweiten die Entziehungsanstalt, schließlich die neue sozialtherapeutische Anstalt, die Sicherungsverwahrung, die Führungsaufsicht, die Entziehung der Fahrerlaubnis und das Berufsverbot haben. Diese freiheitsentziehenden und freiheitsbeschränkenden Maßregeln der Besserung und Sicherung finden sich nahtlos mit dem weiteren Strafensystem zusammen, so daß - davon sind wir überzeugt - wir eine wirksame Handhabe gegen die Hang-, Früh- und Abartigenkriminalität zur Verfügung haben.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß die wichtigsten kriminalpolitischen Ergebnisse schon mit Wirkung ab 1. September 1969 bzw. ab 1. April 1970 in das Gesetz aufgenommen werden. Dabei handelt es sich um die einheitliche Freiheitsstrafe, um die Beschränkung kurzer Freiheitsstrafen auf Ausnahmefälle, um die erweiterte Anwendung der Strafaussetzung zur Bewährung, um den Verzicht auf Strafe bei sonders schweren Tatfolgen für den Täter, um die Einführung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Anwendung freiheitsentziehender und freiheitsbeschränkender Maßregeln der Besserung und Sicherung, um den Wegfall des Arbeitshauses und die Umgestaltung der Sicherungsverwahrung. Das neue Geldstrafensystem und weitere Punkte, die in dieser letzten Liste nicht enthalten sind, können erst mit Wirkung ab 1. Oktober 1973 Gesetz werden; dies deshalb, weil der Strafrechtsausschuß, ich sage besser: weil der Bundestag in Zukunft noch eine Fülle von Arbeit im Bereich der Einführung der Strafrechtsreform erledigen muß, weil er nämlich ein neues Strafvollzugsgesetz beschließen muß, weil er ein Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch beschließen muß, weil er Angleichungen von rund 400 strafrechtlichen Nebengesetzen durchführen muß, weil er darüber hinaus die Strafregisterverordnung, das Straftilgungsrecht und das Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht auf das neue Strafrecht hin ausrichten muß.
Sie ersehen daraus, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß der Strafrechtsausschuß im Laufe dieser sechs Jahre eine Fülle von Arbeit geleistet hat. Diese Arbeit wurde, das möchte ich ganz besonders betonen, in sehr kollegialer Weise in einer guten menschlichen Atmosphäre hinter uns gebracht. Es ist uns gelungen, trotz vieler sachlicher Gegensätze immer eine Basis der Gemeinsamkeit zu finden und manchmal nach sehr langen Diskussionen doch eine Kompromißentscheidung zu finden, die von der Mehrheit des Ausschusses getragen werden konnte. Dabei sind wir uns der Tatsache bewußt, daß das Strafrecht wie kaum ein anderes Rechtsgebiet in die Einzelsphäre eines jeden Bürgers eingreift und daß es deshalb notwendig ist, daß dieses neue Strafrecht von der Mehrheit unseres Volkes, aber selbstverständlich erst recht von der Mehrheit ,dieses Hauses getragen wird.
({0})
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter und erteile das Wort nunmehr dem zweiten Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Berichterstattung befaßt sich im Anschluß an die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Müller-Emmert ebenfalls in der Hauptsache mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts, soweit der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform Ihnen hier einen neuen Allgemeinen Teil unseres Strafrechts vorschlägt.
Der erste Abschnitt dieses Entwurfs regelt zunächst den zeitlichen, örtlichen und persönlichen Geltungsbereich des deutschen Strafrechts. Er enthält in seinem zweiten Teils einige Bestimmungen über den Sprachgebrauch des Gesetzes. Es ist aus diesem Abschnitt folgendes hervorzuheben.
Erstens. § 1 des Entwurfs wiederholt im Wortlaut den Abs. 2 des Art. 103 des Grundgesetzes, daß eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
Dies ist der Grundsatz rechtsstaatlicher Strafrechtspflege schlechthin, der älter ist als das Grundgesetz und die Reichsverfassung von Weimar und der schon im alten Reichsstrafgesetzbuch enthalten war mit der präziseren Fassung, daß die Strafe gesetzlich bestimmt sein mußte, bevor die zu bestrafende Handlung begangen wurde.
Dabei steht außer Zweifel, daß zur gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit die gesetzliche Festlegung des strafbaren Tatbestandes, d. h. die Beschreibung des Handlungstyps, und der daraus folgenden Strafdrohung und Nebenfolgen gehören. Weil aber der Abs. 1 des Art. 104 des Grundgesetzes bestimmt, daß die Freiheit der Person nur ,auf Grund eines förmlichen Gesetzes beschränkt werden kann, dürfte 'es weiterhin außer Zweifel stehen, daß die Verhängung einer Freiheitsstrafe ihre Grundlage in einem förmlichen Gesetz, nicht nur in einer Rechtsverordnung haben muß.
Als eine Folge des § 1 und des Art. 103 des Grundgesetzes ist es selbstverständlich, daß weiterhin das Rückwirkungsverbot gilt, d. h., daß die Strafe und deren Nebenfolgen sich nach dem Gesetz bestimmen, das zur Zeit der Tat gilt. Dabei ist neu in der Formulierung, aber nicht in der Sache, daß bei einer Änderung der Strafdrohung während der Begehung der Tat das Gesetz anzuwenden ist, das bei Beendigung der Tat gilt. Wird aber zwischen Beendigung der Tat und deren Aburteilung das Gesetz geändert, so ist wie bisher das mildeste Gesetz anzuwenden. Für die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung dagegen gilt grundsätzlich das Gesetz zur Zeit der Entscheidung, weil die Notwendigkeit und Angemessenheit dieser in die Zukunft wirkenden Maßregeln aus dem Augenblick der Verhandlung zu beurteilen sind.
Aber eine Ausnahme soll bestehen für Anordnung und Dauer der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt, soweit sie sich als eine
völlig neue Einrichtung darstellt, ferner für Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung und der Führungsaufsicht. Für diese schweren Eingriffe in die Freiheit des Verurteilten sind die Grundsätze anzuwenden, die für die Bestimmung der Strafe gelten, also das Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.
Ferner soll das deutsche Strafrecht schlechthin gelten für Taten, die im Inland begangen werden, ferner unabhängig vom Recht des Tatortes für Taten, die auf deutschen Schiffen und Luftfahrzeugen begangen werden, und für eine Reihe von Tatbeständen und Taten, die unter den Voraussetzungen der §§ 5 bis 7 im Ausland begangen werden.
Im Entwurf 62 war in einer Anmerkung vorgeschlagen, daß im Einführungsgesetz zu dem neuen Strafgesetzbuch geregelt werden sollte, wie das deutsche Strafrecht auf Taten anzuwenden sei, die zwar im Inland, aber nicht im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuches begangen werden. Der Sonderausschuß hat diesen Vorschlag nicht übernommen. Er will die Auslegung des Begriffes des Inlands der Rechtsprechung überlassen.
Endlich ist noch hervorzuheben, daß dieses Strafrecht für die Taten Jugendlicher und Heranwachsender nur gilt, soweit das Jugendgerichtsgesetz keine abweichenden Bestimmungen enthält.
Sodann ist unter den Bestimmungen über den Sprachgebrauch der § 12 des Entwurfs von Bedeutung. Danach unterscheidet auch das neue Strafrecht zwischen Verbrechen und Vergehen. Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafen von einem Jahr oder darüber bedroht sind, Vergehen dagegen rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe als einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht werden. Diese Teilung beruht auf dem heùte geltenden Recht. Das gegenwärtige Strafrecht unterscheidet Verbrechen, Vergehen und Übertretungen. Diese unterscheiden sich wiederum grundsätzlich nach der Art der angedrohten Strafe, insbesondere Freiheitsstrafe, nämlich Zuchthaus für Verbrechen, Gefängnis oder Geldstrafe für Vergehen, Haft- oder Geldstrafe bis zu 500 DM für Übertretungen. Die weitere Strafart der Einschließung hat ihre Bedeutung seit Jahren völlig verloren.
Es ist schon in meiner Studienzeit von 35 Jahren als ein altes Problem des Strafrechts bezeichnet worden, das nicht kriminelle, sondern nur polizeiliche Unrecht der Übertretungen aus dem Strafrecht auszuscheiden. Diese Ausscheidung soll mit dem neuen Strafgesetz geschehen, das keine Übertretungen mehr enthalten wird. Die Mindeststrafe für Zuchthaus beträgt jedoch nach dem geltenden Recht ein Jahr. Daraus ergibt sich die oben wiedergegebene Einteilung, wonach Verbrechen rechtswidrige Taten sind, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht werden, und diese Einteilung hat für eine Reihe weiterer Bestimmungen, z. B. für die Strafbarkeit des Versuchs, weiterhin ihre Geltung.
Ich weise darauf hin, daß in Art. 1 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts diese Anpassung, die Neueinteilung der verschiedenen Verbrechen und Vergehen, neu geregelt werden soll unter der Voraussetzung, daß dieses Hohe Haus sich für die Einführung der einheitlichen Freiheitsstrafe entscheiden wird.
Sie finden hier noch Bestimmungen für die Übertretungen. Ich darf dazu aber hinweisen auf Nr. 30 des Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts, das am 1. Oktober 1973 in Kraft treten soll und mit dem dann der 29. Abschnitt unseres Strafgesetzbuchs, d. h. der Abschnitt über die Übertretungen, aufgehoben werden soll.
Ich komme damit zum Zweiten Abschnitt des Entwurfs, der unter der Überschrift „Die Tat" die wesentlichen dogmatischen Normen des Strafrechts enthält. Es ist eine weit verbreitete und wohl auch berechtigte Meinung der Sachverständigen, daß der dogmatische Teil unseres Strafrechts bei weitem nicht so dringend einer Reform bedarf wie z. B. die Strafe oder die Maßregeln. Man hat früheren Gesetzgebern das Lob gespendet, daß sie durch weise Zurückhaltung auf dem Gebiete dogmatischer Normierungen Rechtsprechung und Rechtslehre vor Erstarrung bewahrt haben. Der Ausschuß hat sich daher ebenfalls für die dogmatischen Bestimmungen tunlichster Beschränkung befleißigt und nur unbedingt notwendige Reformen aufgenommen. So hat er z. B. davon Abstand genommen, die in dem Entwurf 1962 unter dem Sprachgebrauch vorgeschlagenen Beschreibungen der Straftat und der rechtswidrigen Tat zu übernehmen.
Auch nach dem neuen Strafrecht - und es handelt sich weiterhin um ein Strafrecht - wird die strafrechtliche Verantwortung für eine Tat an drei unabdingbare Voraussetzungen gebunden sein: 1. Der Täter muß einen gesetzlich bestimmten Tatbestand verwirklicht haben, 2. die einen gesetzlichen Tatbestand verwirklichende Tat muß auch rechtswidrig sein, 3. der Täter muß schuldhaft gehandelt haben.
Über die Verankerung des gesetzlichen Tatbestandes im Grundgesetz habe ich bereits gesprochen. Nur wenn der Richter feststellt, daß die Umstände der abzuurteilenden konkreten Tat den Merkmalen eines gesetzlich geregelten, abstrakt beschreibenden Tatbestandes entsprechen, darf er verurteilen. Ein solches Strafrecht ist ohne Zweifel lückenhaft. Aber in einem Rechtsstaat kann es kein anderes Strafrecht geben als ein solches, das auf gesetzlich normierten Tatbeständen beruht.
Die tatbestandsmäßige Handlung muß ferner rechtswidrig sein, d. h. es dürfen dem Täter keine Rechtfertigungsgründe zur Seite stehen. Der Entwurf bringt weder eine Definition der Rechtfertigungsgründe noch eine abschließende Zusammenfassung aller Rechtfertigungsgründe. Er sagt in den §§ 32 und 33 des Allgemeinen Teils nur, daß eben nicht rechtswidrig handelt, wer sich in Notwehr oder im sogenannten rechtfertigenden Notstand befindet.
Außer diesen beiden Rechtfertigungsgründen gibt es andere, z. B. im Besonderen Teil die Wahrnehmung berechtigter Interessen bei der Beleidigung oder andere, die nicht im Strafgesetz enthalten sind, z. B. die Fälle der Selbsthilfe des bürgerlichen Rechts
oder Gründe, die die Rechtsprechung anerkennt, z. B. die Einwilligung oder die vermutete Einwilligung des Verletzten.
Die Rechtsprechung wird also auch in Zukunft nicht gehindert sein, über diese gesetzlich fixierten Normen des Strafrechts hinaus Rechtfertigungsgründe anzuerkennen, wo ein Bedürfnis der Gerechtigkeit hervortritt. So ist z. B. der nunmehr im Entwurf formulierte rechtfertigende Notstand eine Frucht der Rechtsprechung, die auf dem Prinzip der Abwägung der Rechtsgüter und der in ihnen verkörperten Interessen beruht. Ich verweise hier auf § 34 des Entwurfs.
Drittens muß der Täter schuldhaft gehandelt haben. Diese Schuld im weiteren Sinne besteht zunächst in einer intellektuellen Beziehung des Täters zu seiner Tat. Nur wenn der Täter vorsätzlich oder - wenn besonders angedroht - fahrlässigerweise den Tatbestand verwirklicht hat, wird er strafbar. Auch hier ist der Ausschuß dem Entwurf 62 nicht gefolgt, indem er die dort vorgesehene Normierung der Begriffe des Vorsatzes, der Fahrlässigkeit, der Absicht und der Wissentlichkeit nicht in den Entwurf aufgenommen hat, um künftigen Erkenntnissen der Rechtsprechung und der Rechtslehre den Weg nicht zu verbauen. Auch das bisherige Recht besaß keine Definitionen dieser Begriffe, ohne daß bisher ein Bedürfnis danach empfunden worden wäre. Es wird aber normiert, daß dem Täter solche Umstände nicht zugerechnet werden dürfen, die er nicht kannte, und daß die irrige Annahme von Umständen, die einen milderen Tatbestand ausmachen würden, ihm zugute kommt.
Zur Schuld gehört aber weiter, daß das vorsätzliche oder fahrlässige Verhalten dem Täter vorzuwerfen ist. Auch insoweit bestimmt der Entwurf nicht, was Vorwerfbarkeit ist oder wann der Täter schuldhaft handelt. Er bestimmt nur einzelne Voraussetzungen, unter denen der Täter ohne Schuld handelt.
Ohne Schuld handelt vor allem, wem die Einsicht in das Unrecht seines Tuns fehlt. Für das Kind - § 19 - darf kraft Gesetzes diese Einsicht niemals angenommen werden. Das Kind ist schuldunfähig. Ohne Schuld handelt aber auch, wer infolge gewisser geistiger oder seelischer Mängel bei Begehung der Tat unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Dies ist die Reformierung des bekannten § 51. Bei verminderter Schuldfähigkeit kann - muß aber nicht - die Strafe gemildert werden. Es war im Ausschuß erwogen worden, ob man hier eine allgemeine Formulierung finden solle, also ohne Anführung bestimmter seelischer Mängel oder Defekte. Der Ausschuß hat es aber für richtig gehalten, hier im einzelnen zu nennen, welche seelischen und geistigen Defekte er der Rechtsprechung als Grundlage für einen Ausschluß oder die verminderte Schuldfähigkeit nennen will.
Neu als gesetzliche Bestimmung, aber auf Grund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bereits angewandtes Recht ist die Aufnahme des sogenannten Verbotsirrtums als § 17 des Entwurfs. Fehlt dem
Täter, also dem sonst voll verantwortlichen Täter, bei der Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Hätte er den Irrtum vermeiden können, so kann die Strafe nach der allgemeinen Vorschrift des § 49 Abs. 1 des Entwurfs gemildert werden. Hier hat sich der Ausschuß nicht jener Rechtslehre angeschlossen, die das Unrechtsbewußtsein als Teil des Vorsatzes betrachtet. Diese Lehre hätte zur Folge, daß der Täter bei vorsätzlichen Taten immer freigesprochen werden müßte, wenn er sich im Augenblick der Tat des Unrechts seines Tuns nicht bewußt war, es sei denn, daß auch die fahrlässige Handlung mit Strafe bedroht wäre.
Die dem Entwurf zugrunde liegende Schuldtheorie dagegen hebt das Unrechtsbewußtsein vom Vorsatz ab, so daß der Täter nur straflos wird, wenn er die mangelnde Einsicht nicht vermeiden konnte. Hätte er sie vermeiden können, so bleibt er wegen vorsätzlicher Tat schuldig, jedoch kann seine Strafe gemildert werden.
Das Strafgesetz verlangt also im einzelnen, daß er sein Gewissen anstrengt, um sein Tun und Lassen straflos zu halten. Er muß sich z. B. bemühen, die strafgesetzlichen Normen zu kennen, die seinen Lebens- oder Berufskreis berühren. Ich meine aber, daß dieses Erfordernis der Einsicht in das Unrecht der Tat als Voraussetzung der Vorwerfbarkeit und damit der Strafbarkeit der Tat seine besondere Bedeutung auch bei denjenigen Tatbeständen des Besonderen Teils des Strafgesetzes besitzt, die das Verbot des rechtswidrigen Tuns oder das Gebot rechtmäßigen Verhaltens enthalten. Es bedeutet, daß das Strafrecht nicht allein auf Grund eines gesetzgeberischen Aktes gelten kann, sondern deshalb, weil der überwiegende Teil des Volkes die als strafbar normierten Tatbestände als Unrecht anerkennt. Der Gesetzgeber wird also strafrechtliches Unrecht nicht nach Willkür begründen können, sondern nur solche Tatbestände schaffen können, die dem Grundgesetz oder auch den überkommenen und in der Gegenwart noch geltenden Vorstellungen des Volkes von Recht und Unrecht nicht widersprechen.
Ohne Schuld handelt endlich nach dem Entwurf z. B. auch der Täter, der sich in einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit zu einer rechtswidrigen Tat hinreißen läßt.
Ich beziehe mich nun auf meinen Bericht bezüglich der Täterschaft, ferner bezüglich des Versuchs, möchte aber noch auf folgendes hinweisen. Nach den §§ 36 und 37 wird, wie bisher in den §§ 11 und 12 geregelt, die Straflosigkeit parlamentarischer Außerungen und der Berichte aus Parlamenten übernommen. In dem § 11 des geltenden Strafrechts sind nur die Mitglieder der Gesetzgebungsorgane der Länder, nicht aber die Mitglieder des Bundestages genannt, für die sich die sogenannte Indemnität ja aus dem Artikel 46 des Grundgesetzes ergibt. Der Ausschuß war der Meinung, daß mit dem neuen § 36 für die Mitglieder des Bundestages wie für die Mitglieder der Gesetzgebungsorgane der Länder einheitliches Recht geschaffen werden soll und auch geschaffen
12708 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 230. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 7. Mai 1969
wird. Er ist jedoch weiter der Meinung, daß es verfassungspolitisch erwünscht wäre, wenn auch den Mitgliedern - und zwar allen Mitgliedern - des Vermittlungsausschusses, des Richterwahlausschusses und des Gemeinsamen Ausschusses nach den Notstandsgesetzen diese Indemnität zugesprochen würde. Er meint jedoch, daß der richtige Platz für diese Regelung im Grundgesetz zu finden wäre und daß eine Regelung im Strafrecht allein dieses Bedürfnis nicht befriedigen würde.
Ich darf Ihre Aufmerksamkeit noch dem 2 und 3. Titel des Dritten Abschnitts zuwenden, in dem die Strafzumessung und die Strafbemessung bei mehre-Gesetzesverletzungen normiert sind. Unser Strafrecht ist ein Schuldstrafrecht. Schuld und Strafe müssen in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen. Wie aber dieses Verhältnis zu finden sei, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Die einen meinen, daß der konkreten Schuld des Täters im einzelnen Falle nur eine genau bestimmte Strafe gerecht werde, die der Richter suchen und erkennen müsse. Andere - und insbesondere ein Teil der oberen Gerichte - vertreten den Standpunkt, daß es für die Bemessung der Strafe nach der konkreten Schuld einen gewissen, allerdings eng begrenzten Spielraum gebe, so daß z. B. im einzelnen Fall eine Strafe zwischen sechs und acht Monaten angemessen sei, wobei selbstverständlich innerhalb dieses Entscheidungsraumes schließlich auf eine bestimmte Strafe zu erkennen ist. Der Alternativ-Entwurf der Strafrechtslehrer steht dagegen auf dem Standpunkt, daß in dem Strafgesetz normiert werden solle, daß das Maß der Tatschuld bei der Strafe nicht überschritten werden dürfe.
Der Entwurf lautet nun in § 46 in sachlicher und praktisch auch in wörtlicher Übereinstimmung mit dem Entwurf 1962 dahin, daß die Schuld die Grundlage für die Zumessung der Strafe ist. Der Ausschuß hat den weiteren Satz angeschlossen, daß bei der Zumessung der Strafe die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind. Der Ausschuß meint, daß damit den beiden oben wiedergegebenen Auffassungen über das Verhältnis von Schuld und Strafe genügend Raum gegeben sei. Ausgehend von der Schuld als der Grundlage der Zumessung soll es demnach erlaubt sein, auch andere Umstände, insbesondere solche, die für die Resozialisierung des Täters von Bedeutung sind, mindernd oder erhöhend zu würdigen. Insbesondere ist es nach Meinung des Ausschusses auch gestattet, aus spezialpräventiven - ich betone: nur aus spezialpräventiven - Gründen im Interesse eines erfolgreichen, auf Resozialisierung bedachten Vollzugs der Freiheitsstrafe das Maß der Schuld in geringen Grenzen zu überschreiten.
Bei der Unabhängigkeit der Gerichte wird das Verhältnis von Schuld und Strafe im einzelnen Fall immer auch von der strengeren oder milderen Einstellung des entscheidenden Richters beeinflußt werden. Bei den Kollegialgerichten wird es ohnehin immer darauf ankommen, voneinander abweichende Meinungen über das richtige Verhältnis von Schuld und Strafe auf eine bestimmte Strafe zu vereinigen.
In Übereinstimmung aber mit dem Entwurf 1962 und entgegen manchen Bedenken, z. B. auch der Verfasser des Alternativentwurfs, hat ,es der Ausschuß für gut gehalten, einen Katalog der für die Abwägung bei der Zumessung der Strafe in Betracht kommenden Umstände aufzunehmen. Dieser Katalog ist nicht enumerativ und ausschließlichgemeint. Es handelt sich auch nicht um zwingende Normen, sondern nur um Hinweise für den Richter, der in der Praxis derlei Erwägungen bisher bereits angestellt hat. Ich darf darauf hinweisen, daß 'diese Bestimmung unter Nr. 3 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts in das geltende Strafrecht aufgenommen wird.
Die strafschärfende Wirkung des Rückfalls war bisher nur bei bestimmten Delikten vorgesehen, so bei einem rückfälligen Dieb oder rückfälligen Betrüger, ferner beim Hehler oder Räuber. Der rückfällige Dieb oder Betrüger z. B. wurde zum Verbrecher, weil seine Rückfalltat mit Zuchthaus bedroht war. Ebenso galten allgemein Strafschärfungen für den Gewohnheitsverbrecher nach § 20 a des Strafgesetzbuchs.
Der Entwurf hat diese starre Regelung aufgegeben, weil sie oft zu inadäquaten Straffolgen führen mußte, denen dann wieder durch Annahme mildernder Umstände ausgewichen wurde. Der Rückfall soll nunmehr eine allgemeine Norm für die Strafzumessung werden. Sie gilt nach 48, wenn Vorstrafen und der Vollzug von Freiheitsstrafen dem Täter, der wiederum eine Freiheitsstrafe verwirkt hat, vorwerfen lassen, daß er sich die früheren Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen lassen. Ist diese Voraussetzung gegeben, so verhängt das Gericht für die neue Tat eine Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten, es sei denn, daß das Höchstmaß der für die neue Tat angedrohten Freiheitsstrafe weniger als ein Jahr beträgt.
Mit dieser Regelung, meine Damen und Herren, hat der Ausschuß keineswegs eine Art Lebensführungsstrafe einführen wollen, und er hat es daher auch vermieden, in diesen § 48 aufzunehmen, daß der Täter als Rückfalltäter bestraft wird. Es wird sich nicht ausschließen lassen, daß auch hier bei strenger Auslegung der Voraussetzungen unter Umständen eine Freiheitsstrafe verhängt werden müßte, die als zu hart empfunden wird. Aber es wird auch hier immer möglich sein, die Frage der Vorwerfbarkeit zugunsten des Täters zu prüfen und eine billige und gerechte Lösung zu finden.
Ich darf dann noch darauf hinweisen, daß, wenn der Täter in dem zu seiner Verurteilung führenden Verfahren Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsstrafe erlitten hat, in Zukunft diese Zeit auf die Strafe grundsätzlich angerechnet werden muß. Das Gericht kann jedoch davon absehen, wenn das Verhalten des Verurteilten nach der Tat diese Anrechnung der Freiheitsentziehung nicht rechtfertigt. Bisher konnte nur - nach § 60 des Strafgesetzbuches - Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung angerechnet werden. Die Anrechnung war jedoch allgemeine Praxis der Gerichte.
Ich übergehe nunmehr die Bestimmungen über Tateinheit und Tatmehrheit, die ebenfalls im wesentlichen auf dem Prinzip aufgebaut sind, das wir bereits bisher in unserem Strafgesetzbuch gehabt haben. Ich verweise bezüglich der Führungsaufsicht, bezüglich des Berufsverbots, der Entziehung der Fahrerlaubnis und des Verfalls und der Einziehung auf meinen Bericht, ebenso bezüglich Strafantrag und Ermächtigung zur Strafverfolgung, darf aber zu der Regelung des Verfalls hinzufügen, daß der Verfall ausgesprochen wird, wenn der Täter aus seiner Tat einen Vermögensvorteil erlangt hat. Bisher war es die Aufgabe der Geldstrafe, auch den Vermögensvorteil des Täters aus der Tat auszugleichen. In Zukunft soll tunlichst getrennt werden: die Geldstrafe oder die Freiheitsstrafe wird nur nach der Schuld bemessen, hingegen soll der Vermögensvorteil durch die besondere Einrichtung der Verfallserklärung hereingeholt werden.
Ich darf dann noch zum Schluß die Beschlüsse des Sonderausschusses zur Verjährung begründen. Wie das geltende Recht, so unterscheidet auch der Entwurf die Verfolgungsverjährung und die Vollstreckungsverjährung. Er trennt jedoch beide in zwei besondere Titel. Ich befasse mich daher zunächst nur mit der Verjährung der Strafverfolgung und meine immer nur diese, wenn ich jetzt kurz von „Verjährung" spreche.
Die rechtliche Natur der Verjährung ist umstritten. Die einen halten dafür, daß sie, wenn auch im Strafgesetz lokalisiert, nur eine verfahrensrechtiche Norm sei, also ein Verfahrenshindernis bewirke, und daß sie daher vom Gesetzgeber jederzeit ohne Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Täters und ohne Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot geändert werden könne, wenn es die Gerechtigkeit verlange. Die andere Meinung geht dahin, daß die Verjährung nicht nur verfahrensrechtliche Norm, sondern auch Norm des materiellen Strafrechts sei, indem sie den Strafanspruch des Staates vernichte.
Die Formulierung des § 66 des geltenden Rechtes läßt beide Auslegungen zu. Der Ausschuß stand auf dem Standpunkt, daß der Gesetzgeber diese Streitfrage nicht entscheiden, sondern sie weiterhin der Rechtsprechung und der Rechtslehre überlassen sollte. Er hat daher in sachlicher Übereinstimmung mit dem Entwurf 1962 so formuliert, daß auch in Zukunft das Gesetz für beide Meinungen von der Rechtsnatur der Verjährung offen ist.
Für den Tatbestand des Völkermords nach § 220 a des Strafgesetzbuchs soll es allerdings keine Verjährung mehr geben. Für diesen Wegfall der Verjährung bei Völkermord ist im Ausschuß angeführt worden, daß die Schwere dieser Taten die unbefristete Strafverfolgung fordert und daß auch die Resolution der 23. Vollversammlung der UNO vom 27. November 1968 die Nichtanwendung der Verjährung auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorsieht. Es ist allerdings bekannt, daß eine Reihe bedeutender Mitglieder der Vereinten Nationen dieser Resolution nicht zugestimmt hat.
Es wurde weiter angeführt, daß die Verjährung bei Völkermord zu einem paradoxen Ergebnis führe::
Je länger ein rechtsfeindliches Regime an der Macht bleibe, desto größer werde die Chance derjenigen, die unter diesem Regime Taten des Völkermords begingen, daß sie der Strafe entgingen. Etwaige Beweisschwierigkeiten seien dabei zurückzustellen. Dagegen wurde vorgetragen, daß die NS-Prozesse die Not der Beweisführung zeige, die sich bei längerer Zeitspanne zwischen Tat und Verhandlung einstellen müsse; auch erfasse der Tatbestand des Völkermordes nicht nur Mord und Totschlag, sondern auch nicht so schwerwiegende Delikte. Insoweit ging die Meinung dahin, die Delikte des Völkermordes hinsichtlich der Verjährung den mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Taten, also praktisch dem einfachen Morde, gleichzustellen.
Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß dieses Zweite Strafrechtsreformgesetz nach Vorschlag des Ausschusses erst mit dem 1. Oktober 1973 in Kramft treten soll und daß daher das Problem der Verjährung früher begangener Taten des Völkermordes hier jedenfalls nicht berührt wird. Es dürfte aber auch zu hoffen sein, daß Taten des Völkermordes von Deutschen in der Zukunft nicht mehr zu erwarten sind.
Schließlich sollen nach dem Entwurf die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Taten nicht mehr in 20, sondern in 30 Jahren und die mit mehr als 10 Jahren im Höchstmaße bedrohten Taten nicht mehr in 15, sondern in 20 Jahren verjähren.
Diese Erstreckung der Verjährung für Mord auf 30 Jahre wird schon seit langem erwogen. Es wurde auch im Ausschuß die Meinung vertreten, daß wie für Völkermord so auch für den Mord schlechthin die Verjährung in Wegfall kommen solle. Das Gerechtigkeitsgefühl spricht ohne Zweifel dafür, daß dieses schwerste der Delikte ahndbar bleiben sollte, solange man des Täters habhaft werden kann. Dagegen gibt es jedoch auch ernsthafte rechtspolitische Einwände und Bedenken. Die unbefristete Verfolgung des Mordes widerspricht ein wenig der neueren Vorstellung, daß auch der Mörder nach einer Strafverbüßung von 15 oder 20 Jahren der Straufaussetzung zur Bewährung durch gesetzlich vorgesehene richterliche Anordnung teilhaftig werden sollte, weil es inhuman sei, dem zu lebenslanger Strafe Verurteilten jede Aussicht auf einen erfolgreichen Strafvollzug zu nehmen. Damit verwandt ist der Einwand, daß eben das Bedürfnis und der Sinn der Strafe nach dem Ablauf längerer Zeit für den einzelnen Fall schwinde und nicht mehr so dringend empfunden werde und daß es zweifelhaft sei, ob man über Jahrzehnte nach der Tat noch immer berechtigt sei, an einem Menschen, der sich vielleicht geändert, der ein gesetzmäßiges Leben geführt hat, das Exempel der Strafe noch zu vollziehen. Würde zudem die Verjährung für Mord aufgehoben, hingegen nicht die Verjährung für das Verbrechen des Totschlages, so würde zu den allgemeinen Schwierigkeiten der Beweisführung noch die besondere Lage entstehen, daß die diffizile Unterscheidung von Mord und Totschlag auf eine ebenso diffizile Beweisführung stieße.
Eines besonderen Hinweises bedarf der Abs. 4 des § 78 b des Entwurfs, der sich auf die Mitglieder
des Bundestages und der Gesetzgebungsorgane der Länder bezieht. Die Verjährung beginnt nämlich, sobald das strafbare Verhalten beendet oder der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist. Sie ruht aber, solange nach, dem Gesetz die Verfolgung nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann. Die Immunität der Abgeordneten z. B. nach Art. 46 GG steht dem Strafverfahren zunächst entgegen. Der Ausschuß hatte das Bedenken, daß Abs. 1 Satz 1 des § 78 b des Entwurfs dahin ausgelegt werden könnte, daß die Immunität der Abgeordneten schlechthin von Anfang an das Ruhen der Verjährung zur Folge habe, ohne Rücksicht darauf, ob eine tatsächliche Möglichkeit der Strafverfolgung gegeben war. Der Bundesgerichtshof hat sich zwar dahin ausgesprochen, daß der § 69 Abs. 1 des geltenden Rechts nicht eindeutig der Auslegung entgegenstehe, daß die Immunität erst dann das Ruhen der Verjährung herbeiführe, wenn die Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall Kenntnis von dem Verdacht einer von einem Abgeordneten begangenen Straftat erhalten, weil sich erst dann die Immunität als ein Verfahrenshindernis auswirke. Der Ausschuß hat es daher vorgezogen, im Blick auf eine andere frühere Auffassung des Reichsgerichts die Rechtslage klarzustellen, und zwar dahin, daß das Verfahren bei mit Immunität ausgestatten. Mitgliedern des Bundestages oder eines Gesetzgebungsorgans eines Landes erst dann zu ruhen beginnt, wenn die Staatsanwaltschaft oder eine Behörde usw. von Tat und Person des Täters Kenntnis erlangt oder eine Strafanzeige oder ein Strafantrag eingebracht wird und damit nun die Immunität als Hindernis der Strafverfolgung in Erscheinung tritt.
Endlich soll nicht mehr jede gegen den Täter gerichtete Handlung des Richters die Verjährung unter- brechen. Nur bestimmten Vorgängen des . Strafverfahrens soll diese Wirkung zukommen, wie sie in § 78 c des Entwurfs enumerativ und ausschließlich aufgeführt werden. Es handelt sich dabei zumeist weiterhin um richterliche Handlungen.
Zur Vollstreckungsverjährung in § 79 des Entwurfs ist kurz zu sagen, daß die Vollstreckung von Strafen, die für Völkermord verhängt worden sind, und daß die Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen - einmal also wegen des Tatbestandes, der dem Urteil zugrunde liegt, und im anderen Fall wegen der Strafe, die ausgesprochen worden ist - in Zukunft nicht mehr verjähren soll. Bisher verjährte die Vollstreckung einer Strafe, die auf lebenslanges Zuchthaus lautete, in 30 Jahren.
Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß ich damit die wesentlichen Teile des Allgemeinen Teils, soweit sie meiner Berichterstattung unterlagen, erfaßt habe. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter und erteile der Berichterstatterin Frau Dr. Diemer-Nicolaus das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Meine beiden Herren Mitberichterstatter konnten ihrer Aufgabe, einen zusätzlichen mündlichen Bericht zum Schriftlichen Bericht zu geben, insofern leichter nachkommen, als sie zusammenhängende Teile zu behandeln hatten. Meine Berichterstattung erstreckt sich auf den Besonderen Teil. Hier muß ich erneut darauf aufmerksam machen, daß die Zeit einer Legislaturperiode leider nicht ausreicht, eine Gesamtreform durchzuführen. Wir haben es daher heute nur mit Teilreformen zu tun. Der Allgemeine Teil ist abgeschlossen beraten, darauf bezog sich die Mitberichterstattung. Bei der Reform des Besonderen Teils konnte aber noch sehr wenig getan werden. Hier ist nicht etwa ein bestimmtes Rechtssystem herausgegriffen worden, z. B. eine abgeschlossene Reform der Sexualdelikte oder eine abgeschlossene Reform der Eigentumsdelikte, sondern es sind nur solche Fragen des Besonderen Teils behandelt worden, die sich als vordringlich anboten.
Ich würde vorschlagen - und ich bitte Sie, damit einverstanden zu sein -, daß ich nicht schon jetzt über all die einzelnen Bestimmungen, die im Besonderen Teil reformiert werden, eine ergänzende mündliche Berichterstattung bringe. Ich glaube zwar, daß Sie als Bundestagsabgeordnete über ein phänomenales Gedächtnis verfügen - bei den vielen Zuschriften, die Sie bekommen, und den vielen Drucksachen, die Ihnen vorliegen -, aber ich befürchte, Sie wären doch überfordert, wenn Sie sich heute am späten Abend oder morgen, wenn die Beratungen heute nicht abgeschlossen werden, noch an all das erinnern sollten, was ich zu den einzelnen Bestimmungen vorgetragen habe. Deswegen bitte ich, damit einverstanden zu sein, daß ich die ergänzenden Ausführungen nachher bei den einzelnen Bestimmungen mache.
Ich darf Sie in bezug auf den Bericht zum Zweiten Gesetz nur darauf aufmerksam machen, daß in diesem Gesetz Reformierungen des Besonderen Teils vorgenommen werden, die erst später in Kraft gesetzt werden können. Im Ersten Gesetz werden dagegen schon einzelne Bestimmungen, wie z. B. die Straftaten gegen den religiösen Frieden und die Totenruhe, wie sie jetzt im Strafgesetzbuch enthalten sind, geändert. Auch die Überschrift wird geändert. Es heißt nicht mehr „Gotteslästerung", sondern nur noch „Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen".
In dem ersten Gesetz findet auch eine Reform - hier brauche ich ja nur die Paragraphen zu nennen - des § 175 statt sowie der bloße Anfang einer Reform des § 218. Es wird über den schweren Diebstahl schon eine Entscheidung getroffen. Die Regelung in bezug auf den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte wird bei der Gestaltung des Gesetzes seine besonderen Wirkungen zeigen. Die Polizeiaufsicht wird als solche aufrechterhalten.
Bei den Vorschriften im Zweiten Gesetz, die den Besonderen Teil betreffen, ist wohl das Wichtigste, daß einer Grundforderung der Reform Rechnung getragen wird. Die Übertretungen werden nämlich aus dem Strafgesetzbuch herausgenommen. Das ist die Nr. 30, auf die schon meine Herren Mitberichterstatter hingewiesen haben. Es handelt sich dabei um die
§§ 360 bis 370 des Strafgesetzbuchs. Hier wird eine Forderung erfüllt, die von der Rechtswissenschaft und von den Praktikern seit langer Zeit erhoben worden ist. Es geht nun darum, Regelungen zu finden, bei denen man die einzelnen Übertretungen danach unterscheidet, wieweit sie ein echtes kriminelles Unrecht enthalten. Gegebenenfalls werden sie zu Vergehen aufgewertet und bleiben - nunmehr als Vergehen - im Strafgesetzbuch. Bei einer ganzen Reihe von Vorschriften hat sich aber gezeigt, daß sie in unser modernes Leben heute einfach nicht mehr hineinpassen. Sie können teilweise ersatzlos gestrichen werden, teilweise können sie landesrechtliche Regelungen erfahren, teilweise können sie in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt werden. Das hierzu nur grundsätzlich. Ich werde nachher gerade zu dieser Nr. 30, zur Beseitigung der Übertretungstatbestände, wenn dieser Punkt aufgerufen wird, eine ergänzende mündliche Berichterstattung vornehmen.
({0})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der mündlichen Berichterstattung angelangt. Ich danke auch Ihnen, Frau Dr. Diemer-Nicolaus, für Ihre Berichterstattung.
Wie vorhin angekündigt, hat das Wort jetzt der Herr Bundesjustizminister. Bevor ich ihm das Wort erteile, mache ich darauf aufmerksam - mit Blickrichtung auf die Regierungsbank -, daß gegenwärtig das Bundeskabinett tagt und daher hier nur durch den zuständigen Minister vertreten sein kann. - Herr Bundesminister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, als Bundesminister der Justiz zu diesem Abschnitt in der 70jährigen Geschichte der Strafrechtsreform in Deutschland kurz Stellung zu nehmen.
Der Ausgangspunkt des heute vorliegenden Entwurfs war der Entwurf 1962, der Entwurf der früheren Bundesregierung, der in der 4. Wahlperiode nicht mehr fertig wurde und dann zu Beginn dieser Wahlperiode aus der Mitte dieses Hauses wieder 'eingebracht worden ist. Die Strafrechtsreform, über die heute zu beschließen ist, hat daher von vornherein in sehr starkem Maße auf der Initiative des Parlaments beruht. Das gilt auch für den AlternativEntwurf meiner 14 Strafrechtslehrerkollegen, der dann später von der FDP-Fraktion noch 'eingebracht worden ist.
Das Bundesministerium der Justiz hat sich während dieser ganzen Zeit, wenn ich so sagen darf, eigentlich darauf beschränkt, dem Sonderausschuß mit Rat und Tat, Formulierungshilfen und dergleichen, zur Verfügung zu stehen. Darum ist die erste Aufgabe des Justizministers heute die, dem Sonderausschuß für die gute Zusammenarbeit mit dem Justizressort zu danken und ihm den Dank und den Glückwunsch der Bundesregierung für den Erfolg seiner Arbeit auszusprechen, über die das Hohe Haus heute beschließen muß.
Gestatten Sie mir bitte, daß ich mich, wenn ich hier den Dank an den Sonderausschuß zum Ausdruck bringe, in ganz besonderem Maße an den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses wende, den Herrn Abgeordneten und ehemaligen Generalbundesanwalt Dr. Güde.
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Ich darf sagen, Herr Dr. Güde, es war eine schwere Arbeit, aber es war eine schöne Zusammenarbeit mit Ihnen und den Herren des Ausschusses. Das möchte ich festhalten, Herr Dr. Güde, bevor wir vielleicht später einmal in einer anderen Frage nicht ganz so einer Meinung sind wie in den Fragen, um die es heute geht.
Ich darf weiter sehr herzlich den drei Berichterstattern des Ausschusses danken, Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Herrn Dr. Müller-Emmert und Herrn -Abgeordneten Schlee. Wenn ich die Dame dabei zuerst nenne, so geschieht das nicht wegen eines Privilegs für den Wahlkreis Stuttgart III, sondern als generelle Verbeugung vor den Damen unseres Hauses.
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Ich darf in dieser Stunde meinen Dank aber auch meinem Amtsvorgänger, Herrn Dr. Heinemann, sagen, der in die Debatte um die Reform neue Impulse gebracht hat und der sich besonders große. Verdienste dabei erworben hat, der Offentlichkeit die Probleme der Strafrechtsreform näherzubringen und für sie um Verständnis zu werben. In seiner nüchternen, ganz auf die Sache bezogenen Art hat er sehr viel zu dem Durchbruch moderner Reformideen in der Offentlichkeit beigetragen.
Nun ist oft gesagt worden - ich bitte Frau Dr. Diemer-Nicolaus, mir im Augenblick ein Wort zur Großen Koalition zu gestatten; zur FDP komme ich noch -, daß die Große Koalition eigentlich etwas sehr Rückständiges sei und daß es eine Koalition sei, die die Dinge nach hinten drehe, daß die Jugend damit sehr unzufrieden sei und dergleichen. Ich glaube, gerade die Strafrechtsreform zeigt - ich bin der Meinung, auch das sollte man festhalten -, daß die Große Koalition auf vielen' Gebieten zu weit fortschrittlicheren Lösungen geführt hat, als sie von der Regierung, die im Dezember 1966 abtreten mußte, angeboten wurden. Ich darf nur an die Reform des politischen Strafrechts durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz erinnern. Das war eine fortschrittliche Lösung. Ich bin der Meinung, auch das, was heute vorgelegt wird, kann sich als Ergebnis einer fortschrittlichen, modernen Rechtspolitik der großen Koalition durchaus sehen lassen. Damit, gnädige Frau, will ich keineswegs nur für die Parteien, die diese Koalition tragen, das Verdienst an dieser Arbeit in Anspruch nehmen. Es war vielmehr das Schöne, daß sich bei dieser großen Aufgabe alle drei Fraktionen, die im Bundestag vertreten sind, zu einer gemeinsamen Arbeit zusammengefunden haben.
Ich bin der Meinung, das war nicht nur gut, sondern auch notwendig. Denn gerade im Recht ist es so, daß man Fragen nicht mit knappen Mehrheiten entscheiden soll. In Rechtsfragen, besonders in so schwierigen Rechtsfragen wie der Strafrechtsordnung, muß es eine .breite Einigkeit im Parlament
12712 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 230. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 7. Mai 1969
geben, wenn es Verständnis und breite Einigkeit in unserem Volke geben soll.
Ich bin .der Meinung, daß unsere Nationalhymne nicht zu Unrecht die drei Worte „Einigkeit" und „Recht" und „Freiheit" zusammenstellt. Alles drei gehört zusammen. Eine Rechtsordnung, die hier nur mit knappen Abstimmungsergebnissen gesetzlich festgelegt würde, hätte keine Chance, sich im Bewußtsein des Volkes zu verankern und wirklich das Recht dieses Volkes zu werden.
Nun wird zum Teil kritisiert, daß wir hier keine Gesamtreform vorlegen. Ich bin der Meinung, daß dies ein Fortschritt. ist. Ich glaube, eines der wesentlichsten Hemmnisse für Reformvorhaben in diesem Land, gerade auch auf dem Gebiet des Rechts, ist die Vorstellung, die vielleicht noch vom Kodifikationsdenken her kommt, man müßte die ganze große, perfekte Reform, die gewissermaßen die Welt von heute auf morgen ändert, auf einmal machen.
Dieser gut deutsche Perfektionismus ist schuld daran, daß sich . auf vielen Gebieten Papier auf Papier und Weißbuch auf Weißbuch häuft, praktisch aber nichts passiert.
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Demgegenüber ziehe ich eine stufenweise Reform, die in überschaubaren Arbeitsgebieten Schritt für Schritt das macht, was möglich . ist, irgendwelchen solchen großen Ideen, die nicht zur Verwirklichung kommen, vor. Ich darf nur an das Schicksal des Entwurfs 1962 erinnern, . der gewissermaßen überholt war, als man endlich mit ihm fertig war.
Ich muß in diesem Zusammenhang allerdings auch folgendes sagen. Ich habe . nie zu den Bewunderern dieses Entwurfs gehört. Wir sollten in dieser Debatte aber auch anerkennen, daß die Große Strafrechtskommission mit dem Entwurf 1962 . Vorarbeit geleistet hat, ohne die die Diskussion über die Vorlagen, die heute hier auf den Tischen des Hohen Hauses liegen, gar nicht möglich wäre. Man sollte also auch anerkennen, was der nicht zum Zuge gekommene Entwurf für die Debatte über die Gesamtstrafrechtsreform bedeutet hat.
Eine weitere Frage ist die nach der Arbeitsmethode bei dieser Reform. Ich bin der Meinung, die Diskussion um diese Reform hat gezeigt, daß wir mit der bisherigen Methode große Reformvorhaben nicht weiter bearbeiten können. Das gilt meines Erachtens zum einen für das Kommissionsverfahren. Es ist ausgeschlossen, mit Kommissionen zu arbeiten, die nur ein paar Mal im Jahr zusammentreten können und deren Arbeit nebenberuflich von hauptberuflich anderweitig tätigen Leuten geleistet wird. Ich bin der Meinung, wir müssen entweder - wie in anderen Ländern auch - hauptberufliche Kommissionen auf Zeit bekommen, d. h. daß sich die Herren, die in der Kommission sind, völlig auf diese Arbeit konzentrieren können, oder aber wir müssen unsere Gesetzgebungsorgane - damit meine ich sowohl Regierung als auch Parlament - so ausbauen, daß sie eigene Entwürfe erarbeiten können und das Kommissionen' dann nur im zweiten Arbeitsgang kritisch dazu Stellung nehmen.
Im übrigen, Herr Präsident, hat ja auch das Verfahren des Sonderausschusses gezeigt, daß für solche Reformvorhaben auch erhebliche Maßnahmen der Parlamentsreform notwendig sind. Ich kann nur meine Bewunderung dafür ausdrücken, wieviel zusätzliche Arbeit, bis hin zur Klausurtagungen in den Ferien, die Damen und Herren Abgeordneten dieses Ausschusses auf sich genommen haben, um überhaupt soweit zu kommen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es sich um Abgeordnete handelt, die nebenbei auch noch ihren Beruf haben und zum anderen auch einmal in ihren Wahlkreis fahren müssen. Ich bin der Meinung, wir müssen da andere Lösungen finden. Mit dem normalen Verfahren sind so umfangreiche Reformvorhaben kaum zu bewältigen.
Das Werk, das heute zur Beschlußfassung vorliegt, weicht erheblich vom Ausgangspunkt des Entwurfs 1962 ab. Man darf sagen: es hat eine ganz andere kriminalpolitische Konzeption; es atmet einen moderneren Geist. Das liegt an verschiedenen Dingen: einmal an der fortschreitenden kriminalpolitischen Diskussion im Ausland und im Inland, zum anderen an der breiteren Basis, die mit der Großen Koalition im politischen Raum für diese Arbeit geschaffen wurde. Es liegt aber auch an einer ganzen Reihe von geistigen Faktoren, die in den letzten Jahren das geistige, politische Klima in diesem Lande geändert haben. Ich glaube, daß ich hier, ohne Widerspruch fürchten zu müssen, an erster Stelle das Zweite Vatikanische Konzil nennen darf, das für die katholische Kirche wie für die katholischen Laien doch ein Ausgangspunkt zu sehr neuen Ansätzen auch auf dem Rechtsgebiet gewesen ist.
Ich darf schließlich noch einmal den AlternativEntwurf meiner 14 Strafrechtskollegen - der „Alternativ-Professoren", wie wir sagen - erwähnen und darf mich hier auch für die Bundesregierung sehr herzlich bei diesen Kollegen bedanken, die sich neben aller Arbeit und neben aller heutigen zusätzlichen Arbeit an der Universität die Mühe gemacht haben, auf eigene Faust, wenn ich so sagen darf, dem Entwurf 1962 einen Spiegel gegenüberzustellen, in dem man sehen konnte: was ist davon brauchbar, was ist nicht brauchbar, was kann man übernehmen?
Ich freue mich auch, zu hören, daß diese großartige Initiative meiner Kollegen aus dem Strafrecht Schule gemacht hat. Ich höre gerade, daß sich jetzt für die Reform des Pressewesens eine ähnliche Gruppe zusammengefunden hat. Ich kann nur sagen, wir sind für jede Anregung und Kritik dankbar. Nochmals mein ganz besonders herzlicher Dank an diese Strafrechtskollegen.
({3})
Das Bundesjustizministerium hat, wenn ich es in Anführungsstrichen sagen darf, „nur" Formulierungshilfe geleistet, und das Hohe Haus hat daher ein Recht, zu erfahren, wie denn das Justizministerium nun zu dem Ergebnis steht, das der Sonderaus' schuß gefunden hat.
Da darf ich zunächst sagen, wir begrüßen die fortschrittliche Konzeption, die hier gegenüber dem EntBundesminister Dr. Ehmke
wurf 1962 gefunden worden ist, und ich möchte auch gleich sagen: mit einer „weichen Welle" hat diese moderne Konzeption nicht das geringste zu tun.
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Wir sind der Meinung, daß gerade ein modernes Strafrecht weit effektiver sein wird als ein überaltertes Strafrecht. Wir sind allerdings der Meinung - einer Meinung, die dann auch noch in der Strafvollzugsreform zum Ausdruck kommen muß -, daß es dieser Gesellschaft sehr gut ansteht, auch den Rechtsbrecher als Mitbürger und als Mitmenschen zu empfinden und zu behandeln. Einer Gesellschaft, die sich sonst so gern mit christlichen Werten schmückt, steht es nicht an, in dieser Frage besonders hartherzig zu sein. Im übrigen sind wir der Meinung, daß ein modernes Strafrecht zugleich auch der beste Schutz der Gesellschaft ist.
Die Bundesregierung ist außerdem der Meinung, daß der Sonderausschuß zu sehr ausgewogenen Lösungen gekommen ist, daß er ein rechtes Maß gefunden hat, ich scheue mich nicht zu sagen: in den umstrittenen Fragen einen guten Kompromiß. Es mag erschreckend klingen, daß in solchen Grundsatzfragen Kompromisse geschlossen werden, aber erschreckend nur in den Ohren derer, die wenig Verständnis für die Gesetzgebung eines freien, demokratischen Staates haben.
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Ich mache gar kein Hehl daraus: Es ist in einer Monarchie sicher leichter gewesen, vom logischen oder vom ästhetischen Gesichtspunkt her geschlossene Gesetze zu verabschieden. Die Demokratie mit der Mitwirkung von vielen Interessen und Gesichtspunkten führt dazu, daß wir nicht ganz so klare Gesetze bekommen wie etwa die Musterbeispiele aus dem Kaiserreich. Andererseits dürfen wir anerkennen, daß sich - im gewissen Gegensatz etwa zur Gesetzgebungspraxis in den Vereinigten Staaten - die große Gesetzgebungstradition aus früherer Zeit bei uns auch unter den demokratischen Verfassungen erhalten hat, so daß wir trotz des politischen Kompromisses, der in jeder demokratischen Gesetzgebung liegt, zu brauchbaren und vernünftigen Gesetzen kommen. Ich muß jedenfalls sagen: ich zahle diesen Preis an systematischer Geschlossenheit und Schönheit, den wir im demokratischen Gesetzgebungsverfahren oft erbringen, gern, weil dieses Verfahren andererseits zu einer wirklich breiten Basis für das führt, was wir als Recht für unser Volk beschließen.
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Nun, ich kann verstehen, daß die Kollegen Alternativ-Professoren das Ergebnis, das im Ausschuß herausgekommen ist, kritisieren, daß sie uns mangelnde Konsequenz der Gedankenführung vorwerfen und meinen, es wäre besser gewesen, die gesamte Systematik, die sie angeboten haben, zu übernehmen. Als Wissenschaftler verstehe ich, daß man nicht zufrieden ist, wenn vom Systematischen her in die eigenen Überlegungen Brüche kommen. Andererseits muß ich genauso offen sagen: gerade darin zeigt sich wieder, daß es doch gut ist, die Gesetzgebung nicht den Wissenschaftlern, sondern den Politikern und Praktikern zu überlassen. Denn das Ergebnis, das der Sonderausschuß gefunden hat, ist im großen und ganzen weit praktikabler, gerade dort, wo von dem Vorschlag der Herren Kollegen Alternativ-Professoren abgewichen worden ist. Schließlich ist die Praktikabilität auch etwas, was der Rechtsfunktion dient, den sozialen Frieden in unserem Lande zu erhalten.
Im. übrigen werden wir so oder so mit den neuen Gesetzen Erfahrungen sammeln müssen. Gegenüber der Kritik möchte ich aber doch sagen: die Richtung stimmt. Bei der Arbeit, die vor uns liegt, wird es auch unsere Aufgabe sein, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß die Richtung stimmt. Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen schon damit begonnen, die Information über die eigentlichen Ziele der Reform noch zu verstärken.
Lassen Sie mich nun zu Einzelheiten der Vorlage Stellung nehmen und zunächst zwei Punkte festhalten, in denen die jetzige Vorlage mit dem Entwurf 1962 übereinstimmt. Auch das sollten wir feststellen und nicht nur die Punkte hervorheben, wo wir Änderungen - wie ich meine, Fortschritte - gemacht haben.
Zunächst einmal steht auch dieser Entwurf auf dem Boden des Schuldstrafrechts, allerdings nicht in einem metaphysischen Sinne mißdeutet. Das Strafrecht - ich sage es auch hier noch einmal - dient nicht der Vorwegnahme des jüngsten Gerichts, und Gerichte sind nicht die Stellvertreter Gottes auf Erden. „Schuld" kann hier nur - sehr irdisch - heißen: Vorwerfbarkeit der individuellen Handlung, Zurechenbarkeit der Tat, und das Strafrecht muß anknüpfen an das Einstehen-Müssen für das eigenverantwortliche Tun.
Zum zweiten stimmt die Vorlage mit dem Entwurf 1962 auch darin überein, daß an der Kombination von Strafe und Maßregeln festgehalten wird, allerdings jetzt beides, die Strafen wie die Maßregeln, in viel stärkerem Maße als bisher dem Generalgedanken der Resozialisierung unterstellt wird.
Nach diesen Gesichtspunkten möchte ich einige der Neuerungen des Sanktionensystems betrachten und die Auffassung der Bundesregierung dazu darlegen. Im Allgemeinen Teil sind es vier Punkte, die die Bundesregierung als einen wesentlichen Fortschritt auf diesem Gebiet ansieht: 1. die Zusammenfassung von Zuchthaus, Gefängnis, Einschließung und Haft zur Einheitsstrafe, 2. die rigorose Einschränkung der kurzen Freiheitstrafe und, damit einhergehend, der Ausbau der Geldstrafe, 3. die wesentliche Ausdehnung der Strafaussetzung zur Bewährung und 4. die Neugestaltung des Maßregelsystems mit der Einführung der sozialtherapeutischen Anstalt sowie der Führungsaufsicht.
Zunächst zur Einheitsstrafe. Sie ist eine sehr alte Reformforderung, die in den modernen Strafrechtsgesetzen anderer Länder in zunehmendem Maße verwirklicht wird. Die Gründe, die hierzu schon die Herren Berichterstatter vorgetragen haben, tragen auch nach Meinung des Bundesministeriums der Justiz und der Bundesregierung diese Vorlage. In der Tat lassen sich im Strafvollzug keine
sinnvollen Unterschiede machen, und die Strafvollzugskommission wird auf der Basis dieser Grundsatzentscheidung des Hohen Hauses endlich Vorschläge für einen modernen Strafvollzug unterbreiten können, der sowohl den Forderungen des Grundgesetzes als auch modernen kriminalpolitischen Vorstellungen entspricht. Es ist die feste Absicht der Bundesregierung - und ich hoffe, daß eine künftige Bundesregierung, ganz gleich, wie sie zusammengesetzt sein wird, sich die Absicht dieser Bundesregierung zu eigen machen wird -, die Arbeiten an der Strafrechtsreform so zu fördern, daß zugleich mit dem Ihnen heute vorliegenden Zweiten Strafrechtsreformgesetz ein neues Strafvollzugsgesetz in Kraft treten kann.
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Der Entschließungsantrag, den 'der Sonderausschuß Ihnen heute ebenfalls vorgelegt hat, findet deshalb die volle Unterstützung der Bundesregierung.
Aber nicht nur die vollzugstechnischen Gesichtspunkte sind nach unserer Ansicht dafür maßgebend, daß es an der Zeit ist, die Zuchthausstrafe abzuschaffen. So bestechend nämlich zunächst der Gedanke klingen mag, die Schwere der Straftat möge sich auch und müsse sich auch in der Schwere der Strafart widerspiegeln, als so fragwürdig erweist sich dieser Gedanke doch. Eine entehrende Zuchthausstrafe, die den Täter für sein ganzes Leben abstempelt und seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellt, muß sich als ineffektiv erweisen und eröffnet den Teufelskreis des Rückfalls und neuer Verbrechen. Die Entscheidung des Gesetzgebers zur Einheitsstrafe würde kein Zurückweichen vor dem Verbrechen bedeuten, sondern eine Verbesserung der Verbrechensbekämpfung, die durch die größeren Chancen einer Resozialisierung des Täters auch einen erhöhten Schutz der Bürger bedeutet. Darüber hinaus glaube ich allerdings auch - ich sage es noch einmal -, daß es humaner, und wenn Sie so wollen, christlicher gedacht ist, demjenigen, der durch die Verbüßung seiner Strafe gesühnt hat, den Weg zurück in die Gemeinschaft zu erleichtern.
Der zweite Punkt ist die nachhaltige Einschränkung der kurzen Freiheitsstrafen. Auch hier hieße es Eulen nach Athen tragen, noch einmal alle Gründe anzuführen. Die Verfasser des Alternativ-Entwurfs haben Ihnen nahegelegt, hier einen ganz radikalen Schritt zu tun und die Freiheitsstrafe unter sechs Monaten gänzlich abzuschaffen. Ich meine, die Lösung des Sonderausschusses stellt einen wohlabgewogenen Kompromiß dar, der der grundsätzlichen Erkenntnis der Sinnlosigkeit kurzer Freiheitsstrafen Rechnung trägt, indem er Freiheitsstrafen unter einem Monat gänzlich abschafft, Strafen von einem bis zu sechs Monaten nur noch als Ultima ratio zuläßt und bei guter Täterprognose die Strafaussetzung vorschreibt. Aber Freiheitsstrafen unter sechs Monaten radikal auf einen Schlag abzuschaffen ohne die Möglichkeit der Korrektur im individuellen Falle, könnte in zahlreichen Fällen zu einem meines Erachtens nicht vertretbaren Verzicht auf eine angemessene und sinnvolle Tatreaktion führen. Und außerdem: ein solch radikaler
Schritt würde schwerlich von der Praxis in einem Schritte vollzogen werden können, so daß die Gefahr bestünde, daß zum Nachteil des Angeklagten statt bisher auf vier oder fünf Monate künftig auf sechs oder acht Monate Gefängnis erkannt würde, um überhaupt zu einer Freiheitsstrafe zu kommen.
In dem vorgeschlagenen Ausmaß erscheint mir dagegen die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe dringend erwünscht. Sie wird um so wirkungsvoller sein und um so besser verkraftet werden können, als mit dem Zweiten Reformgesetz das Tagesbußensystem für Geldstrafen in Kraft tritt, das eine den wirtschaftlichen Verhältnissen des einzelnen Täters angepaßte Reaktion ermöglicht.
Intensivierung der Geldstrafe und Ausbau der Strafaussetzung zur Bewährung - das sind die beiden nicht freiheitsentziehenden Reaktionen, mit denen der allzu weite Bereich, den die kurze Freiheitsstrafe bisher eingenommen hat, in Zukunft auszufüllen sein wird. Die Strafaussetzung zur Bewährung hat sich seit ihrer Einführung im Jahre 1953 ihrerseits bewährt. Die Erfahrungen rechtfertigen es durchaus, sie auszubauen. Nach den Vorschlägen des Ausschusses soll die Aussetzung bei Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr, in Sonderfällen sogar bis zu zwei Jahren möglich sein. Die Bundesregierung stimmt diesen Vorschlägen zu. Da z. B. 1966 nur 2,2 % aller verhängten Freiheitsstrafen höher als zwei Jahre waren und weniger als 4 % zwischen ein und zwei Jahren lagen, wird durch die erweiterte Aussetzungsmöglichkeit dem Richter ein kriminalpolitisch höchst bedeutsames Instrument in dem Bereich der leichten und der mittleren Krimi- nalität in die Hand gegeben. Deswegen liegt es mir besonders am Herzen, darauf hinzuweisen, daß Strafaussetzung nicht ein „Nochmal-laufen-Lassen" bedeutet, sondern eine 'eigenständige nichtfreiheitentziehende Reaktion auf die Straftat ist.
Der Entschluß des Ausschusses, in weit stärkerem Maße als bisher die Unterstellung unter einen Bewährungshelfer vorzusehen, zeigt, daß eine intensivere Bemühung um den Straffälligen gewollt ist, .die ohne die Nachteile eines stationären Vollzugs ihn wieder in das Gemeinschaftsleben eingliedern soll. Es sollten sich aber nicht nur die unmittelbar mit der Strafrechtspflege befaßten Behörden und Institutionen unseres Landes angelegen sein lassen, hier zu helfen. Dem Gestrauchelten mehr Rat und mehr Hilfe zu geben, ist eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft.
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Lassen Sie mich schließlich noch einige Worte zu den wesentlichsten Neuregelungen des Maßregelsystems sagen, die aus praktischen Gründen erst mit dem Zweiten Reformgesetz verwirklicht werden können. Ich meine die neu vorgesehene Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt und als nicht freiheitsentziehende Maßregel die Führungsaufsicht.
Mit der sozialtherapeutischen Anstalt wird ein Schritt in Neuland getan, jedenfalls für unsere deutschen Verhältnisse. Wir hoffen, damit jenen Täterkreis besser zu erfassen, von dem ständig
wiederholte schwere Straftaten, die die Bevölkerung gefährden, ausgehen. Es handelt sich einmal um die sogenannten Triebtäter, zum anderen um Täter, die, ohne geisteskrank zu sein, schwere Persönlichkeitsstörungen aufweisen und die im allgemeinen Strafvollzug nicht recht erfaßt und behandelt werden können. Diesen Personenkreis unter erhöhtem Einsatz sachlicher und personeller Mittel einer intensiveren Behandlung nach neuesten Erkenntnissen zuzuführen, ist eine generell anerkannte Notwendigkeit moderner Kriminalpolitik. Der Aufbau und auch die personelle Ausstattung solcher Anstalten wird unsere Gesellschaft vor schwierige und zweifellos teilweise auch kostspielige Aufgaben stellen. Sie müssen aber gemeistert werden, wenn wir den Schutz der Mitbürger vor diesen gefährlichen - und auch, von ihnen her gesehen, selbst gefährdeten - Tätern gewährleisten wollen.
Ähnlichen Zielen dient die Führungsaufsicht, die nach den Ausschußbeschlüssen den Charakter einer intensivierten Bewährungshilfe bekommen hat. Sie soll vor allem einen Täterkreis erfassen, den bisher die nachgehende Fürsorge nicht in dem notwendigen Maße erreicht hat.
Gerade diese beiden neuen Maßregeln - oder lassen Sie mich ruhig bescheidener sagen: Versuche - zeigen aber, daß moderne Kriminalpolitik eben nicht nur Abbau der Strafbarkeit heißen kann, sondern auch Einsatz neuer moderner Erkenntnisse, um den Wurzeln der Kriminalität - denn die Tat ist ja meist doch nur das Symptom - gründlicher als bisher zu Leibe zu gehen, nicht nur im Interesse des einzelnen Straftäters, sondern auch gerade zum Schutz unserer Gesellschaft. Auch diese Schritte in Neuland sollten wir daher beherzt tun, auch wenn sich die eine oder andere Regelung künftighin noch als ergänzungs- oder änderungsbedürftig erweisen wird.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nun noch ein kurzes Wort zu den Änderungen, die für den Besonderen Teil vorgesehen sind, gewissermaßen als erste Stufe der Reformaufgaben, die wir in der nächsten Legislaturperiode vor uns sehen. Dabei kommt der Aufhebung einer Reihe von Straftatbeständen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, und zwar auch von Straftatbeständen, die nicht gerade zum täglichen Brot der gerichtlichen Praxis gehören. Hier soll der Gesetzgeber ein Zeichen setzen, daß er mit dem äußersten staatlichen Machtmittel, mit der kriminellen Strafe, nur dort vorgehen will, wo der Schutz der Gesellschaft dies wirklich gebietet. Moralisch oder sittlich anfechtbare Verhaltensweisen allein sind noch kein Kriterium für die Strafwürdigkeit. Diese beginnt erst bei der Verletzung bestimmter Rechtsgüter und wichtiger Gemeinschaftsinteressen.
Auch dies hat mit einer „weichen Welle" nichts zu tun. Die Organe der Strafrechtspflege sollen von der Verfolgung solcher Verhaltensweisen entlastet werden, die zwar mißbilligenswert, aber doch nicht in solchem Maße sozialschädlich sind, daß eine kriminelle Strafe unumgänglich wäre. Die Strafrechtspflegeorgane sollen gerade dadurch in den Stand gesetzt werden, mit um so größerer Energie die Bekämpfung wirklich krimineller Taten aufzunehmen.
Und außerdem noch ein anderes Wort: Wir reden heute oft darüber, daß die Privatsphäre und die Intimsphäre des einzelnen in der modernen industriellen Gesellschaft in zunehmendem Maße gefährdet wird. Ich erinnere Sie nur an unsere Diskussionen strafrechtlicher und anderer Art über ein Verbot oder die Kontrolle von Mini-Abhörgeräten. Aber der Grundsatz, daß das Privat- und Intimleben des einzelnen zu respektieren ist, muß in zweifachem und dreifachem Maße auch gegenüber dem Staat gelten. Ich bin der Meinung, bezüglich des Verhältnisses des Staats zum Privat- und Intimbereich seiner Bürger sollten wir uns einen Grundsatz zu eigen machen, den der kanadische Ministerpräsident Trudeau auf die schöne Formel gebracht hat: "The government has no business in the bedrooms of the nation", oder zu deutsch: „Der Staat hat in den Schlafzimmern seiner Bürger nichts zu suchen".
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Es ist übrigens ein Mißverständnis, das auch noch durch weitere Aufklärung zu bekämpfen ist, wenn man unterstellt, die Entkriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen bedeute etwa eine moralische Billigung des nicht mehr strafbaren Verhaltens. Moralisches oder sittliches Verhalten beruht seinem Wesen nach auf Freiwilligkeit und kann nicht durch strafrechtlichen Zwang gebildet werden.
Man hört allerdings oft das Argument, eine indirekte Stützung moralischer Verhaltensweisen könne doch dadurch gegeben sein, daß bestimmte, als moralisch verwerflich angesehene Taten im Strafgesetzbuch stünden. Ich bin der Meinung, daß das nicht der Fall ist. Ich gebe nur ein Beispiel: die vom Ausschuß mit Zustimmung der Bundesregierung vorgeschlagene Aufhebung der Vorschrift über die Strafbarkeit des Ehebruchs. Es besteht kein Streit darüber, daß die Ehe eine zentrale, ich wage zu sagen: d i e zentrale Institution unserer Gesellschaft ist, die unter dem besonderen Schutz unserer Verfassung steht. Die Frage, um die es hier geht, ist nur, ob die Vorschrift über die Strafbarkeit des Ehebruchs zur Intaktheit der Ehe beiträgt. Das ist eindeutig nicht der Fall.
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Zunächst einmal schützt die Vorschrift die Ehe gar nicht,solange die Ehe zusammen ist, denn auch die Intaktheit der Ehe kann ja nur auf Freiwilligkeit und nicht auf strafrechtlichem Zwang beruhen. Wenn wir alle unsere gelegentlichen Eheschwierigkeiten mit der Androhung des Strafgesetzes austragen müßten, wäre das ja wohl sehr schwierig.
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Sondern: gerade wegen der freiwilligen sittlichen Natur der Ehe ist es so, daß das Strafrecht nicht in den Ehebereich eingreift, solange die Ehe intakt ist. Erst wenn sie auseinander, wenn sie geschieden ist, setzt die Sanktion der bisherigen Vorschrift an. Dann ist es aber zu spät. Man soll auch nicht meinen, daß diese Sanktion eine generalpräventive Wirkung bei Auseinandersetzungen oder beim Aus12716
einandergehen von Ehen hat. Sie hat sie um so weniger, als diese Sanktion in der Praxis kriminalpolitisch überhaupt keine Rolle spielt. Wir haben im Jahr etwa 140 Fälle, in denen überhaupt eine Bestrafung wegen Ehebruchs ausgesprochen wird. Ich habe schon Urteile gesehen, in denen für Ehebruch 50 Mark Geldstrafe verhängt wurde. Ich bin der Meinung, auch das muß zu falschen Auffassungen über die Institution der Ehe führen, wenn der Ehebruch „preislich" so etwa auf die gleiche Ebene gestellt wird wie falsches Parken.
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Die eigentliche Bedeutung, die die Vorschrift in der Praxis hat, ist die, daß bei der Auseinandersetzung nach der Scheidung - wenn die Ehe längst kaputt ist - diese Strafvorschrift als Erpressungsmittel benutzt wird, um eine bestimmte Regelung bei den Fragen „Wer kriegt die Kinder" und „wie hoch ist der Unterhalt?" zu erzwingen. Das ist unwürdig. Es ist oft genug noch so, daß derjenige am schnellsten mit dem Strafantrag da ist, der sich am ehesten und gründlichsten von der Ehe gelöst hat. Ich kann Ihnen nur sagen: ich bin davon überzeugt, daß diese Vorschrift sowohl der Würde der Ehe wie der Würde des Rechts widerspricht.
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Lassen Sie mich bei diesen einzelnen Beispielen bleiben; wir werden ja vielleicht im Laufe der Debatte auf weitere Beispiele kommen.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Schluß. Man hat sich in den letzten Wochen und Jahren häufiger gefragt, ob es denn gesamtpolitisch richtig sei, das alte Strafgesetz zu ändern und damit ein weiteres Band der Einheit mit dem anderen Teil Deutschlands zu zerschneiden. Nun, schon bisher traf eine solche Behauptung von der Einheit auf strafrechtlichem Gebiet kaum noch zu. Seit im vergangenen Jahr das neue Strafgesetzbuch der DDR in Kraft getreten ist, ist das Tischtuch von drüben, von der anderen Seite aus weiter zerschnitten worden. Ich bin der Meinung, .es ist an der Zeit, daß wir selbst unser Strafrecht modernen Erkenntnissen anpassen, damit wir später unsere Vorstellungen, unsere Ordnung und das, was wir zu sagen haben, mit einbringen können in eine größere europäische Ordnung - auch nach Osten hin -, auf die wir alle hoffen.
Die gesamte Lebensordnung eines Volkes wird nicht zuletzt davon bestimmt, welches Strafrecht es sich gibt und wie seine Strafrechtsordnung gehandhabt wird. Wenn wir darangehen, ein neues Strafrecht zu schaffen, sollten wir dessen eingedenk sein. In Ihre Hand, meine Damen und Herren, ist es heute gegeben, ob wir in Deutschland künftig ein Strafrecht haben, das modernen kriminalpolitischen Forderungen genügt. Helfen Sie mit, ein Gebäude zu errichten, das sich nicht nur vor der Mitwelt sehen lassen kann, sondern in dem auch kommende Generationen in Freiheit und Würde leben können.
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Präsident von Hassel: Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister, und eröffne die allgemeine Aussprache. Der Ältestenrat hat sich dahin verständigt, vorzuschlagen, daß es zunächst noch einen großen Durchgang der drei Fraktionen gibt. Dazu hat sich zunächst der Herr Abgeordnete Dr. Güde gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Bundesjustizminister für seine Ausführungen zu dem Entwurf, den der Ausschuß vorgelegt hat, nicht nur deshalb dankbar, weil er unsere Arbeit anerkannt hat, sondern auch deshalb, weil er sie gegen die Angriffe, die jetzt schon gegen unsere Lösungen erhoben werden, wirksam verteidigt hat.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre gehabt, durch sechs Jahre hindurch den Vorsitz dieses Sonderausschusses Strafrecht zu führen, der Ihnen heute seine Arbeit vorlegt. Deswegen darf ich als Vorsitzender einige Worte des Dankes sagen. Sie gelten zuerst allen Justizministern, die die Reformarbeit vorbereitet, eingebracht und auf ihrem Weg begleitet haben, also allen Justizministern, angef an-gen bei Dr. Dehler, der leider nicht mehr unter uns ist, bis zu Herrn Dr. Ehmke, der uns soeben mit seiner Rede erfreut hat. Die so verschiedenartigen Persönlichkeiten im Bundesjustizministerium und ihre große Zahl zeigen doch wohl, daß diese Strafrechtsreform, die von Ministern aller drei Fraktionen in irgendeiner Weise gefördert worden ist, auf einer allen gemeinsamen Grundlage, ich würde sagen, traditioneller Liberalität beruht. Ich verstehe freilich Liberalität nicht etwa als das Parteiprogramm der FDP, sondern als jene Überlieferung, die aus der Aufklärung über das 19. Jahrhundert bis in unsere Tage reicht und die für alle verbindliche Gestalt im Grundgesetz gefunden hat. Zu dieser Liberalität des Grundgesetzes bekennen wir uns sicher alle.
Da soeben von so vielen Ministern die Rede sein mußte, bin ich auch dankbar für die Bemerkung des Herrn Bundesjustizministers Dr. Ehmke über den Einfluß, den der Minister auf die Beratung eines solchen Gesetzes, eines großen Reformgesetzes, nimmt und nehmen kann. Er hat selbst gesagt, daß der Minister keinen anderen Einfluß nehmen kann als den durch seinen Rat und die Formulierungshilfen seines Hauses. Gern erinnere ich mich dabei daran, daß Herr Dr. Heinemann, der eine Zeitlang Mitglied des Ausschusses selbst war, bevor er Bundesjustizminister wurde, in seiner Ministerzeit wertvolle Vermittlungsarbeit zwischen den Koalitionsfraktionen geleistet hat. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar, weil er an einigen Krisenpunkten die Arbeit über diese Krisenpunkte hinausgebracht hat.
Die wahren Antriebskräfte zu der gefundenen Gesamtlösung liegen freilich in der Auseinandersetzung der Fraktionen miteinander. Darum gilt mein Dank allen Mitgliedern dieses unseres Ausschusses, vor allem meinem Stellvertreter, Herrn Dr. Müller-Emmert,
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der mit mir die Last im mühseligen Fortgang der
Beratungen getragen hat, aber auch der verehrten
Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, die mit unermüdlichem Fleiß und Eifer die Arbeit mit dem Stachel der Opposition angetrieben hat.
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Ich darf sagen, in herzlicher Dankbarkeit, in wirklicher Verbundenheit fühle ich mich mit der, ich sage es salopp, Mannschaft des Bundesjustizministeriums, von der ich sowohl den früheren Ministerialdirektor Dr. Schafheutle als auch Herrn Ministerialdirigent Dr. Dreher namentlich nenne, in die ich aber alle Herren mit einbeziehe, nicht nur diejenigen, die oben auf der Regierungsbank sitzen, sondern alle, die mit vorbildlicher Sachkenntnis dem Ausschuß in seiner Arbeit beigestanden haben. Ich werde nie vergessen, daß ich in diesen Jahren mit einer so vorzüglichen Mannschaft des Bundesjustizministeriums zusammenarbeiten durfte.
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Ich bin sehr froh darüber, daß der Herr Bundesjustizminister auch die Große Strafrechtskommission genannt hat. Sie wissen alle, daß die Arbeit dieser Großen Strafrechtskommission durch eine Reihe von weit fehlgehenden Angriffen in der juristischen Publizistik in ein sehr schlechtes Licht gerückt worden ist.
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Dabei war diese Arbeit die Grundlage der Ausschußberatung und noch des Alternativ-Entwurfs,
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wie im Vorwort der Verfasser dieses Entwurfs selber zu lesen ist.
Natürlich waren im Entwurf 1962 die Reformvorstellungen repräsentativer Wissenschaftler und Praktiker zusammengefaßt, so wie sie sich in der Mitte der 50er Jahre dargeboten haben, mit einem anderen Blick auf die Welt, auf die Reformmöglichkeiten, auf Neues, als ihn die Mitte oder gar die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts bietet. Das darf man nicht vergessen. Das gilt nicht nur für dieses Gebiet, sondern weithin. Das ist inzwischen eine andere Welt geworden.
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Niemand bestreitet, daß der Entwurf 1962 mehr Ernte aus den vorausgegangenen Jahrzehnten als neuer Weg war. Aber, wie gesagt, das liegt an der Situation. Ein neuer Weg wurde dann in der Tat von dem Alternativ-Entwurf beschritten. Unbefangen gilt mein Dank, ungeachtet aller gelegentlichen Angriffe auf den Ausschuß und auch auf mich, der Initiative des Alternativ-Entwurfs, der unsere Beratungen entscheidend befruchtet und auch zu dem Kompromiß geführt hat, den die jetzige Vorlage darstellt.
Meine Damen und Herren, man hat oft gesagt, daß eine große Reform, eine tiefgreifende Reform wie die des Strafrechts scheitern müsse, weil es unter den Parteien und Gruppen dieses Parlaments, insbesondere unter den Parteien der Großen Koalition, keine tragfähige gemeinsame Grundlage gebe. Ich habe diese Behauptung zweimal, meine Herren von der FDP, aus dem Munde von Herrn Scheel gehört.
Wenn das wahr wäre, daß es keine tragfähige gemeinsame Grundlage für große Reformen gebe, wäre dieser Staat ein Scheingebilde. Denn aus welcher gemeinsamen Substanz könnten wir dann überhaupt Entscheidungen treffen, die über den Tag hinaus gehen? Aber ich meine, unser Reformwerk widerlegt diese, ich sage, defätistische Behauptung. Darin liegt weit über das Strafrecht hinaus seine politische Bedeutung. Das Zustandekommen dieser Reform ist - ich scheue mich nicht, das zu sagen - ein Ergebnis der Großen Koalition, denn die Große Koalition hat die beiden großen Fraktionen zu dieser Einigung zusammengeführt, und sie haben beide redlich versucht, sie zu bewältigen.
Wenn es zu dieser Einigung kam, so deshalb, weil es zwei unabdingbare Grundlagen dieser Verständigung gab, und man sollte sie sich klarmachen. Entgegen der Gespensterfurcht vieler Intellektueller droht niemandem das „moralische Diktat der Weltanschauung einer politisch herrschenden Mehrheit oder gar Minderheit". Das ist ein Zitat von einem der Verfasser des Alternativ-Entwurfs - Professor Baumann, wenn sich mich nicht täusche. Die drohende Diktatur wird natürlich uns, der CDU/ CSU, zugeschrieben. Es droht auch nicht die ausschlaggebende Beeinflussung durch die Deutsche Bischofskonferenz. Auch das bezieht sich auf die CDU/CSU. Diese Beschwörungen gelten uns. Ich denke, mit der vorliegenden Reform haben wir erklärt und unter Beweis gestellt, daß auch für die Christen, die christlichen Gruppen, die Christlichen Demokraten das Strafrecht eine weltliche Sache in einem weltlichen Staat ist,
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eine weltliche Sache, die nach der konkreten Staats-und Gesellschaftsordnung zu gestalten ist, und zwar von allen auf der gleichen Grundlage. Die kirchliche und theologische Entwicklung hat das Strafrecht auch für den Christen in die Weltlichkeit entlassen. Auch wir diskutieren und entscheiden mit allen anderen zusammen die Probleme des Strafrechts auf gleichem Boden nach den Ergebnissen der kriminologischen Wissenschaft, nach den Maßen der Kriminalpolitik und zur Abwehr des Schadens, der der Gesellschaft aus der Kriminalität droht, und nicht anders. Das muß man einmal festhalten, meine Damen und Herren. Das ist nämlich unser Beitrag zur gemeinsamen Plattform, und Sie sollten ihn alle zur Kenntnis nehmen, damit die Gespensterfurcht aufhört.
Daß wir uns mit allen anderen auf die gemeinsame Plattform eines weltlichen Staates und eines sekularen Strafrechts stellen, darf nicht mißverstanden werden als Fehlen von Normen und verpflichtenden Werten überhaupt. Unser konkreter Staat beruht auf dem Grundgesetz, und an seine grundlegenden Wertentscheidungen sind wir alle gebunden. Die allseitige Anerkennung dieser Bindung im Sinne einer .weltlichen Sozialethik ist unverzichtbare und unabdingbare Grundlage auch der Ausgestaltung des Strafrechts. Wenn ich übrigens vorhin von der Liberalität des Grundgesetzes gesprochen habe, so will ich nicht verheimlichen, daß ich für meine Person diese Liberalität in einen breiten Strom von
Überlieferung christlichen Gedankengutes eingebettet sehe, das nach dem Verfassungsrechtler Dürig auch zur Deutung und zum Verständnis des Grundgesetzes herangezogen werden kann.
Auf dieser Grundlage also ist unsere Vorlage - die Vorlage des Ausschusses - als eine Kompromißlösung erwachsen, als ein Kompromiß zwischen den Parteien, ein Kompromiß zwischen dem Entwurf 1962 und dem Alternativ-Entwurf, ein Kompromiß auch in bezug auf viele andere Positionen, die in den beiden Entwürfen nicht ausgesprochen zutage kommen; denn in die große Einigung mußten doch einbezogen werden auch die Richter, die Rechtsanwälte, die Staatsanwälte und beispielsweise - auch ein wichtiges, Gremium - die Strafrechtsreferenten der Länder, in deren vielfältigen, interessanten Voten sich auch die Meinung und das Bedürfnis der Justizpraxis niedergeschlagen haben.
In den Beratungen des Schweizer Nationalrats, die sich gerade vor kurzer Zeit vollzogen haben, habe ich gelesen, daß einer der Redner vom sogenannten Volksempfinden und seinen Ressentiments sprach.
Er sagte:
Ich möchte lediglich feststellen, daß in der Referendumsdemokartie
- in der Schweiz muß oder kann nämlich die Teilrevision einem Referendum unterbreitet werden der Realpolitiker in der Gestaltung des Strafrechts darauf Rücksicht nehmen muß. Es richtet sich hier eine Schranke gegen allzu weitgehende Änderung des bestehenden Strafrechts auf.
Gilt das für uns gar nicht, weil wir keine Referendumsdemokratie haben? Ich meine doch. Auch wenn wir kein Referendum zu fürchten haben, werden wir, die wir mit Strafrecht auf Menschen Einfluß nehmen, auf sie einwirken wollen, auf ihr Verständnis Rücksicht nehmen müssen, allein schon um der Wirksamkeit dieses Strafrechts willen. Auch für uns ist Strafrechtsreform nicht nur Auseinandersetzung unter Intellektuellen oder mit Professoren, sondern uns ist aus breiter politischer Verantwortung ein offener Blick auf die Volksanschauung, die gerichtliche Praxis und die erstrebten Wirkungen aufgegeben.
Ich nehme es darum gelassen hin, meine Damen und Herren - ich bin dem Herrn Bundesjustizminister dankbar, daß er uns zur Seite getreten ist -, daß die Alternativ-Professoren unsere Lösung als einen nicht annehmbaren Kompromiß, als eine mit Widersprüchen behaftete Regelung bezeichnen. Ich tröste mich auch da mit einem Redner im Schweizer Nationalrat, der sagt, daß aus der Mischung zwischen Konservativismus, Anpassung an die Rechtswissenschaft und Anpassung an die Praxis eine klare Doktrin schwer zu gewinnen sei. Was im politischen Raum entsteht, meine Damen und Herren, wird kaum einmal lupenrein im Sinne der Wissenschaft sein.
Wenn sich freilich einer der Professoren-Kritiker, wie ich aus einer Zeitung sehe, zu der Anmaßung versteigt, daß unser Entwurf die schlechteste Gesetzesarbeit sei, die er je erlebt habe, dann erinnere ich mich an einen Satz bei Lichtenberg:
Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen, und es klingt hohl, muß nicht immer das Buch daran schuld sein.
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Ungeachtet aller Kritik der Alternativ-Autoren bleibe ich dabei, daß wir einen fruchtbaren Kompromiß gefunden haben, in dem das - wenn man so will - konservative Schuldstrafrecht mit dem -wenn man so will - fortschrittlichen Resozialisierungsziel verbunden wird. In der unbefangenen Verschränkung und Verbindung dieser beiden Grundgedanken eines fortschrittlichen Strafrechts, die bis dahin als unvereinbar gegolten haben, sehe ich immer noch den entscheidenden Gewinn für die Strafrechtsreform. Trotz des Widerspruchs der Alternativ-Autoren bekenne ich mich zu der Konzeption einer in den Grenzen des Tatschuldprinzips nach Resozialisierungsgesichtspunkten bemessenen Strafe. Denn das Bekenntnis zur Resozialisierung als Ziel macht ein entscheidend Neues, das entscheidend Neue in der Reform aus. Darin vor allem liegt die grundlegende Bedeutung für den künftigen Strafvollzug, der auf die Resozialisierung ausgerichtet sein wird.
Auswirkung der Wendung zur Resozialisierung ist der Verzicht auf die Zuchthausstrafe und die Annahme der einen Strafart - Freiheitsstrafe - als Einheitsstrafe. Dieser Verzicht auf die Zuchthausstrafe wird von einem Teil meiner Freunde in Zweifel gezogen und angefochten werden. Ich sage für mich und den Ausschuß: die reale Abwägung der Tatsachen hat den Ausschuß zur Einheitsstrafe geführt, weil das Zuchthaus von der Reformbewegung schon lange, überlange abgelehnt wird, weil ihm keine reale Unterscheidung mehr zugrunde liegt - es besteht kein Unterschied zwischen Gefängnis und Zuchthaus in der Wirklichkeit des Strafvollzuges -, weil das Zuchthaus in der Gesellschaft brandmarkt und die Resozialisierung erschwert. Zu diesem Ergebnis der Beratung des Ausschusses stehe ich auch jetzt.
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Vom Gedanken der Resozialisierung ist auch die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe geprägt. Der Ausschuß ist dabei den Vorstellungen der Reformer - das hat der Herr Minister vorhin schon vorgetragen - nicht gefolgt, indem er die Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nicht schon völlig abschafft. Aber er hat - ich werde mich in dem Punkt kurz fassen - die kurze Freiheitsstrafe entscheidend zurückgedrängt. Auch eine zulässigerweise noch verhängte kurze Freiheitsstrafe wird nur dann vollstreckt, wenn wegen der schlechten Prognose des Täters auf die Vollstreckung nicht verzichtet werden kann. Man kann vorsichtig sagen, daß die kurze Freiheitsstrafe keineswegs die Regel, sondern die Ausnahme bilden wird. Unsere Lösung läßt der Praxis noch einen gewissen Spielraum, um im Übergang auf das Ziel völligen Verzichts eine sachgemäße Abwägung von Rechtsgüterschutz und Resozialisierung zu ermöglichen. Der Herr Minister hat
mehr als recht, wenn er auch den Gedanken befürwortet, die Praxis langsam an diese Umstellung zu gewöhnen, um keine Brüche in der Praxis hervorzurufen.
Entscheidend ist die entschlossene Annäherung an das Ziel des Verzichts auf die kurze Freiheitsstrafe aus der Einsicht, meine Damen und Herren, daß die kurze Freiheitsstrafe, die keine wirksame Einwirkung auf den Täter zuläßt, in aller Regel mehr schadet als nützt. Ich werde nie vergessen, was ich im ersten oder zweiten Semester als Satz des Herr von Liszt, des großen deutschen Reformers, gehört habe: Wenn ihr einen Ersttäter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und ins Gefängnis schickt, dann ist die Aussicht, daß er als Rückfälliger wiederkommt, größer, als wenn ihr ihn überhaupt nicht bestraft hättet. Ich habe das ein Berufsleben hindurch nicht vergessen und in sehr vielen Fällen meiner Praxis bestätigt gefunden.
Dazu kommt noch etwas anderes, was man ebenso offen aussprechen muß. Für uns in diesem Jahrhundert ist der Zweifel an der Nützlichkeit der Freiheitsstrafe immer stärker geworden. Wir haben eingesehen, daß sie im ganzen doch wohl nur zu rechtfertigen ist entweder zur resozialisierenden Einwirkung auf den Täter oder zur Sicherung der Gesellschaft vor dem gefährlichen Täter.
Die beschlossene Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe wird mit der Entlastung des Gefängnisses Raum für eine wirksame Reform- des Strafvollzuges und für seine Konzentration auf einen pädagogischerzieherisch einwirkenden Vollzug schaffen.
Aus der gleichen Grundtendenz hat der Ausschuß die Möglichkeit, Freiheitsstrafen zur Bewährung auszusetzen, sehr erheblich erweitert, im übrigen im Ergebnis genau mit denselben Grenzen wie der Schweizerische Nationalrat, nämlich bis zu zwei Jahren. Sie können also sehen, das ist nicht etwa ein übertriebener Einfall von uns, sondern das liegt in der europäischen Gesamtentwicklung, wie überhaupt die Strafrechtsreform auf dem Hintergrund europäischer Reformentwicklungen gesehen werden sollte, die durch alle Länder der freien Welt hindurchgehen. Ich verkenne nicht, daß viele ob dieser Großzügigkeit erschrecken und fragen, ob wir des Guten nicht zuviel tun. Ich antworte mit den Worten des Berichterstatters im Schweizer Nationalrat, dessen Bericht ich gerade vor wenigen Tagen gelesen habe und der gesagt hat: „Maßgebend für diese neue Konzeption der Strafaussetzung zur Bewährung in diesem Umfang ist der Zweck der Verbrechensbekämpfung, der nicht ausschließlich in dem Schutz der Gesellschaft, sondern vorwiegend in der Resozialisierung des Delinquenten bestehen soll." Er sagt - und ich stimme dem völlig zu -: „Wenn es gelingt, den Täter auf den rechten Weg zu bringen, so daß er voraussichtlich in der Freiheit nicht wieder kriminell wird und als wertvolles Glied in der Gesellschaft wieder aufgenommen werden kann, dann liegt darin die wirksamste und zugleich humanste Verbrechensbekämpfung."
Im selben Bericht taucht das Wort „Warnstrafe" auf. Er sei überzeugt, sagt er, daß die resozialisierende Wirkung einer bloßen Warnstrafe stärker sein könne als der Entzug der Freiheit, wie man auch in einer anderen Rede dieser Debatte das sehr kluge Wort hören kann, die Wiedergewinnung der Freiheit sei für den Täter schwerer als der Weg ins Gefängnis und die Gewöhnung an das Gefängnis.
Im Ergebnis wird die kleine bis mittlere Kriminalität - das ist unbestritten - von der kurzen Freiheitsstrafe in erheblichem Ausmaß verschont bleiben. Sie darf selbstverständlich deswegen nicht unbekämpft bleiben. An die Stelle der kurzen Freiheitsstrafe wird und soll in weitem Umfang - in zeitlichem Abstand - eine wirksamere Geldstrafe treten. Das Geldstrafensystem wird dabei grundlegend reformiert. Darüber ist das Wesentliche schon gesagt worden und wird noch gesagt werden. Jedem Sachkundigen, meine Damen und Herren, ist klar, daß in der Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafe durch eine wirksamere Geldstrafe ein neuralgischer Punkt der Reform liegt, der besonderer Aufmerksamkeit bedarf und in dem unsere Konzeptionen der Bewährung bedürfen, der Bewährung vor allem in der Mithilfe der Praxis.
Aus dem Maßregelsystem weise ich - auch der Herr Minister hat das angeschnitten - ganz kurz nur auf die Einführung der sozialtherapeutischen Anstalt hin, wobei wir dänischen und holländischen Vorbildern gefolgt sind. Wir waren in beiden Anstalten, um nicht irgendwelchen Berichten leichtgläubig zu folgen, und haben uns davon überzeugt, daß in diesen beiden Anstalten wirklich Erfolge erzielt werden. Die Verwirklichung wird bei uns langsam vor sich gehen. Aber wir haben den Eindruck, daß sich unsere Länder auf diese Aufgabe, die schwierig und vielleicht teuer sein wird, guten Willens vorbereiten. In dieser neuen Anstalt kommt ebenso der Glaube an die Anwendbarkeit wissenschaftlicher, nämlich psychologischer, psychotherapeutischer, auch medikamentöser Methoden zum Ausdruck wie auch der Wille zur wirksamen Bekämpfung der Kriminalität von erheblich vorbestraften Tätern, vor allem solchen mit Persönlichkeitsstörungen.
Dabei ein Hinweis. Die Möglichkeit, daß gefährliche Triebtäter nach diesem Entwurf schon bei der Erstverurteilung erfaßt und einer Behandlung zugeführt werden - Voraussetzung ist mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe -, mag ein Beleg dafür sein, daß die Reform im ganzen keineswegs auf die sogenannte weiche Welle ausgerichtet ist. In der sozialtherapeutischen Anstalt vollzieht sich im Gegenteil die realistische Ausrichtung des Gesetzgebers auf beides, auf Schuld u n d Gefährlichkeit, auf Strafe u n d sachgemäße Behandlung, auf Humanität u n d Sicherung der Gesellschaft.
Im Rückblick wird noch einmal folgendes zu sagen sein. Die Reformbewegung hat von Anfang an zwei Wurzeln gehabt: zum einen soll die Strafe wirksamer zur Verbrechensbekämpfung werden, zum anderen soll die Strafe humaner werden. Zu diesen beiden Zielen, die nicht immer leicht zu vereinbaren sind, die in der Fassung seines Gesetzentwurfs zu vereinbaren auch dem Ausschuß Mühe gemacht hat, bekennt sich auch meine Fraktion. Sie wird sich
- wenn auch manchen meiner Freunde manche Einzelheit im Gesamtkonzept gewagt vorkommt - dem dem Grundzug der Humanisierung von Strafe und Strafvollzug nicht versagen. Dieser Grundzug beruht ja auf einer gemeinsamen Tendenz im europäischen Kulturbereich. Noch einmal: auch meine Fraktion stimmt der Reform, wie sie im neuen Allgemeinen Teil verkörpert ist, im Ergebnis zu. Die Reform will im Grunde größere Wirksamkeit der Strafe. Auch dort, wo sie im Ziel der Resozialisierung größere Humanität anstrebt, erhofft sie den Gewinn eines Menschen für die Gemeinschaft - etwa im Sinne der pädagogischen Maxime Goethes: Wenn wir die Menschen behandeln, wie sie sind, so machen wir sie schlechter; wenn wir sie behandeln, wie sie sein sollten, so machen wir sie zu dem, was sie werden könnten. Das ist eine gute und einsehbare Maxime für den resozialisierenden Vollzug und für das Ziel der Resozialisierung überhaupt.
Auch die humane Zuwendung zum Menschen macht uns nicht blind für die Gefahr der Kriminalität und des Kriminellen für die Gesellschaft. Wir wissen, daß die Gesellschaft die Milderung im Klein- und Mittelbereich der Kriminalität nur dann akzeptieren wird, wenn sie davon überzeugt werden kann, daß sie weder in ihrer Gerechtigkeitserwartung noch in ihrem Sicherheitsbedürfnis enttäuscht wird. Das freilich will sie: sie will Gerechtigkeit und Sicherheit für die Gesellschaft im ganzen und für ihre Glieder.
Wir haben diese beiden Ziele vor uns gehabt, und ich glaube, daß wir diesen Erwartungen der Gesellschaft mit unserem Etnwurf in einer guten Weise Rechnung tragen.
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Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die Abgeordneten Dr. Müller-Emmert und Frau Dr. Diemer-Nicolaus haben in dieser Runde verzichtet, so daß ich die allgemeine Aussprache schließe und in die Einzelberatung eintrete.
Ich darf Sie dazu auf folgendes aufmerksam machen. Damit wir den Ablauf erleichtern, schlagen die drei Berichterstatter vor, daß wir mit der Vorlage unter Punkt 3 b der Tagesordnung - Zweiter Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform; Drucksache V/4095 - anfangen und daraus zunächst den Allgemeinen Teil behandeln. Alsdann soll nach Abschluß des Allgemeinen Teils - er geht bis Seite 77 in Drucksache V/4095 - der gesamte Komplex der Drucksache V/4094 mit allen Umdrucken behandelt werden. Sodann wollen wir mit dem Besonderen Teil aus Drucksache V/4095 fortfahren.
Wir treten also jetzt in die Einzelberatung ein. Ich rufe aus Drucksache V/4095 Art. 1 Nr. 1 auf. Dazu liegen Ihnen zwei Änderungsanträge vor, Umdruck 644*) und Umdruck 646 **).
Ich rufe den Art. 1 § 1 dieses Entwurfes und dazu aus Umdruck 646 Ziffer I 1 - § 1 a - auf.
1 Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3
Zur Begründung des Antrags Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen, die der Vorsitzende des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Herr Güde, vorhin gemacht hat, und auch nach den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers Ehmke müßte ich eigentlich annehmen, daß unser Antrag, den wir hier stellen, angenommen wird.
Was soll er bezwecken? Vorhin wurde darauf hingewiesen, daß die Alternativ-Professoren eine außerordentlich verdienstvolle Arbeit zur Reform des Strafrechts geleistet haben. Wir Freien Demokraten haben diesen Alternativ-Entwurf eingebracht. Er wurde damit genauso wie der E 62 Beratungsgrundlage im Sonderausschuß. Ich möchte hier den Verfassern des Alternativ-Entwurfs auch von mir aus ganz besonders danken. Man muß erkennen, daß es ihnen gelungen ist, gegenüber früherem zu konservativem Denken den Durchbruch zu erreichen und die Probleme, die mit der Strafrechtsreform verbunden sind, nach außen zu tragen, so daß sie heute in großem Umfang in der Presse und in der Offentlichkeit diskutiert werden, und zwar im Sinne einer fortschrittlicheren Lösung, als sie ursprünglich vorhanden war. Ich hoffe, daß damit das Verständnis für das wächst, was durch die Reform des Strafrechts erreicht werden muß.
Die Alternativ-Professoren haben es in ihrem Entwurf für notwendig erachtet - diese Auffassung teilen wir Freien Demokraten -, daß man ein so wichtiges Gesetz nicht machen sollte, ohne daß man an die Spitze stellt, was eigentlich Zweck und Grenze von Strafe und Maßregel sein soll. Unser Antrag Umdruck 646 Nr. I 1 übernimmt im Wortlaut § 2 Abs. 1 des Alternativ-Entwurfs und sagt:
Strafe und Maßregeln dienen dem Schutz der Rechtsgüter und der Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft.
Hier werden zwei Probleme angesprochen. Das erste ist der Schutz der Rechtsgüter. Hier zeigt sich, was auch aus den Erklärungen von Herrn Güde hervorging, daß ein grundsätzlicher Wandel im Denken gegenüber früher eingetreten ist. In dieser grundsätzlichen Frage hatten wir in dem Sonderausschuß doch eigentlich eine einmütige Meinung, auch wenn sie im Gesetz nicht speziell ausgesprochen wurde. Herr Güde, Sie hatten vorhin das sehr schöne Wort gebraucht, daß die Kirchen das Strafrecht in die Weltlichkeit entlassen haben. Damit drückt sich die Grundlage unserer Beratungen aus. Wir wollten nach den kriminalpolitischen Bedürfnissen gehen. Das bedeutet, daß man heute eine Beschränkung des Strafbaren vornimmt, daß man unterscheidet zwischen dem, was als kriminell bestraft werden muß, und dem, was sittlich-moralisch nicht zu billigen ist. Dieser Unterschied ist heute allgemein anerkannt. Dann ist es aber nicht mehr als folgerichtig, auch zu sagen, daß zuerst einmal der Schutz der Rechtsgüter da sein muß. Der Schutz der Rechtsgüter bedeutet, daß der Bürger einen Anspruch an den
Staat hat, daß dieser Strafgesetze macht, die ihm ein Leben in Rechtsfrieden ermöglichen.
Dieses Setzen der Strafnormen hat an sich schon die generalpräventive Wirkung. Dadurch, daß der Gesetzgeber bestimmte Tatbestände, Verstöße gegen die Rechtsordnung als so schwerwiegend bezeichnet, daß sie eine Strafe nach sich ziehen, setzt er doch auch Normen; damit sagt er, daß ein derartiges Verhalten in einer Rechtsgemeinschaft einfach nicht geduldet werden kann. Wie diese Normen gesetzt werden, soll sich danach richten, welches kriminalpolitische Bedürfnis besteht.
Früger gab es einen Streit - wahrscheinlich ist er heute noch nicht ausgestanden - zwischen den einzelnen Rechtsschulen. Auf der einen Seite stand der Vergeltungsgedanke. Er kommt immer wieder hoch. Auch die Verfasser des Alternativ-Entwurfs haben Verständnis dafür, indem sie sagen: Das ist eine elementare Reaktion; bei einer schweren Straftat taucht zuerst der Gedanke der Vergeltung auf. Dieser Gedanke hat früher das Strafrecht sehr weitgehend bestimmt. Wenn wir heute davon abgehen - selbst diejenigen, die diesen Gedanken vielleicht unbewußt noch vertreten - und von „Sühne" sprechen, so steckt doch auch hinter diesem Sühnegedanken vielfach noch der alte Vergeltungsgedanke. Sühne, echte Sühne kann ein Straftäter nur dann leisten, wenn er selbst zu der Überzeugung gekommen ist, daß das, was er getan hat, schändlich war, wenn er das Unrecht seiner Handlung einsieht und zu einer inneren Wandlung bereit ist. Das ist etwas, was man nicht von außen erzwingen kann, sondern das ist ein innerer Vorgang.
Der Gedanke der Sozialschädlichkeit, der heute für uns im Vordergrund steht, ist gar nicht so sehr neu. Thomas von Aquin hat sich in einem äußerst modernen Sinne zu den Grenzen der Strafbarkeit und damit zu dem, was als Rechtsgut geschützt werden soll, geäußert. Er hat gesagt:
Und deshalb verbietet das menschliche Gesetz nicht alle Laster, deren sich die Tugendhaften enthalten, sondern nur die schwereren, deren sich zu enthalten der Mehrheit möglich ist; und vornehmlich die, durch die andere Schaden erleiden und ohne deren Verbot die menschliche Gesellschaft nicht erhalten werden könnte.
Also der Gedanke der Sozialschädlichkeit, von Thomas von Aquin ausgesprochen, ist heute so modern, wie er es wahrscheinlich auch damals gewesen ist.
Dann gab es eine Schule - ich darf auf den verstorbenen Generalstaatsanwalt Bauer als einen der eifrigsten Verfechter hinweisen -, die das Strafrecht völlig von dem Schuldgedanken lösen wollte und der défense sociale das Wort redete. Das Strafrecht sollte nur aufgebaut werden nach dem Gedanken: Wie kann ich einen Straftäter nachher wieder eingliedern? Welche strafrechtlichen Sanktionen sind insofern angebracht?
Auch wir, Herr Güde, halten es für richtig, das Schuldstrafrecht mit der Resozialisierung zu verbinden, und wenn wir Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen, daß hier der Schutz der Rechtsgüter gewahrt werden soll, so gehen wir dabei ebenso wie Sie von einem Schuldstrafrecht aus. Die Tatschuld ist in diesem „Schutz der Rechtsgüter" enthalten. Wir halten es für notwendig, daß die Verbindung mit der Eingliederung - das zweite grundsätzliche Ziel des Strafgesetzbuches - schon gleich zu Beginn herausgestellt wird.
Noch zu einer anderen, ganz grundsätzlichen Frage. Auch die Alternativ-Professoren - ich darf sie so nennen - gingen in der Frage des Schuldstrafrechts nicht alle von einem einheitlichen Gedanken aus. Sie haben sich in dieser einigenden Formel, in dem, was wir jetzt als § 1 bezeichnen, gefunden. Die Grundlage dafür ist auch etwas, das einer der Verfasser, Professor Arthur Kaufmann, gesagt hat. Ich darf ihn für uns sprechen lassen. Er sagt zu den Aufgaben des Strafrechts:
Es geht um nichts Geringeres als um das Ja oder Nein zu einer freiheitlichen Ordnung unserer Gesellschaft. Es geht darum, ob wir bereit sind, im Bereich des ethisch Differenten einen möglichst großen Raum der frei verantwortlichen, nicht durch Strafvorschriften gegängelten Entscheidung des einzelnen zu überlassen, oder ob wir glauben, uns ein solches fragmentarisches Strafrecht nicht leisten zu können, weil das bei uns - nach der Devise: was nicht strafbar ist, ist auch erlaubt - zu einem Absinken der allgemeinen Moral führen würde. Daß in deutschen Landen die letztere Ansicht zweifellos die herrschende ist - von allen Seiten, nicht zuletzt von kirchlicher, wird ja unablässig nach dem strafenden Staat gerufen -,
- insofern bin ich allerdings der Meinung, daß sich hier eine Wandlung abzeichnet, das möchte ich ausdrücklich betonen ist ein schlechtes Zeichen für das Verantwortungsbewußtsein unserer Bürger. Wird ihnen ja doch unterstellt, daß sie nur dann das Rechte zu tun wissen, wenn das Damoklesschwert der Strafe über ihnen schwebt, daß sie also unfreie Menschen sind, außerstande, die sittliche Entscheidung in die eigene Verantwortung zu nehmen. Für den freiheitliebenden und verantwortungsfreudigen Menschen machen Strafbarkeitslücken das Leben überhaupt erst lebensund liebenswert - nicht weil 'er hier nach Belieben alles tun und lassen dürfte, sondern weil er zur eigenverantwortlichen Entscheidung aufgerufen ist.
Daß wir hier manches vielleicht bei der Ausgestaltung des Besonderen Teils nicht mehr strafbar machen, weil wir der Auffassung sind, daß nicht mehr ein nach diesem Art. 1 a zu schützendes Rechtsgut vorliegt, bedeutet nicht, daß damit gegebenenfalls schon die Sanktionierung eines derartigen Verhaltens als immer sittlich tragbar verbunden ist - das möchte ich hier ganz klar vorausschicken -; aber es bedeutet, daß, wenn wir jetzt diesen § 1 a einfügen, wir nachher bei der Beratung des Besonderen Teils vor allem in der nächsten Legislaturperiode - der Allgemeine Teil gilt ja nicht nur jetzt, sondern soll auch nachher, wenn der Beson12722
dere Teil vollständig beraten ist, seine Gültigkeit behalten - jeweils bei den einzelnen Strafbestimmungen prüfen, ob ein Rechtsgut vorliegt, das geschützt werden muß, weil, wenn es nicht geschützt ist, das soziale Zusammenleben in einer nicht tragbaren Weise beeinträchtigt würde.
Das zu dem ersten Teil dieser Norm.
Die andere Frage ist die Wiedereingliederung des Täters. Ich kann insofern unterstreichen, was von meinen Vorrednern gesagt wurde. Es ist heutzutage eine ganz enge Verbindung zwischen der Rechtswissenschaft, gerade auch der Strafrechtswissenschaft, und anderen wissenschaftlichen Disziplinen da. Wir müssen auch insofern erkennen, daß es nicht möglich ist, abstrakt nur die Strafgesetze zu sehen; wir müssen uns insofern die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu eigen machen, die auch in anderen Disziplinen dasind, sei es vor allen Dingen auf medizinischem Gebiet, sei es auf dem kriminologischen Gebiet, sei es, daß wir auf die Praxis sehen und sehen - darauf wurde schon hingewiesen -, was man dort zu den Möglichkeiten der Wiedereingliederung eines Täters und zu dem Strafensystem und Maßregelsystem, das dafür angebracht ist, sagt.
Die Kritik, die an dem jetzt gültigen System geübt wurde, ist zu Recht geübt worden. Wir haben mit Erschrecken feststellen müssen, daß bei dem derzeitigen Strafen- und Maßregelsystem die Zahl der Rückfälle wesentlich höher liegt als in anderen Ländern, die schon zu einem modernen Strafensystem übergegangen sind. Die Strafvollzugskommission arbeitet an diesem Problem.
Der Herr Bundesjustizminister hat vorhin in seinen grundsätzlichen Ausführungen die Frage aufgeworfen, ob es auf die Dauer tragbar sei, daß derartige Kommissionen von Wissenschaftlern und anderen Sachverständigen so sporadisch tagten, ob man nicht zu anderen Lösungen kommen sollte. Ich möchte das Problem im Augenblick nicht vertiefen, aber, Herr Minister, ich kann doch sicherlich davon ausgehen, daß Sie damit nicht gemeint haben, daß jetzt die Strafvollzugskommission bei einer Reform etwa nicht ihre Arbeit fortsetzen sollte. Sie wissen ja, wie intensiv gerade diese Kommission arbeitet, um dem Ministerium die Vorschläge zuleiten zu können, nach denen ein Strafvollzugsgesetz so rechtzeitig in der nächsten Legislaturperiode von der nächsten Bundesregierung vorgelegt werden kann, daß gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Teils am 1. Oktober 1973 und der weiteren Reformen des Besonderen Teils auch das Strafvollzugsgesetz und die entpsrechenden Einführungsgesetze verabschiedet werden können. Das eine kann man feststellen: daß die gleichzeitigen Tagungen der Strafvollzugskommission sich für die Beratung im Sonderausschuß außerordentlich fruchtbar ausgewirkt haben, und zwar in einem fortschrittlichen Sinne, in einem liberalen Sinne.
Die Wiedereingliederung des Täters gibt der Allgemeinheit die größte Sicherheit. Hier gilt es, das Strafensystem so umzugestalten, daß es - auch das wurde schon wiederholt gesagt - wirksamer wird, effektiver wird, als es bisher der Fall war. Ausschließlich nach diesen Gesichtspunkten werden sich auch das Strafensystem und das Maßregelsystem in ihrer Einzelausgestaltung richten müssen. Hier ist die Verbindung da zwischen Strafvollzug und diesem Gesetz.
Ich wäre Ihnen nun wirklich dankbar, nachdem wir ja in den Prinzipien übereinstimmen, wenn Sie sich doch jetzt bereit erklären könnten, diese Grundsätze, die wohl auch die Ihren sind, es sei denn, Sie würden mir jetzt etwas anderes sagen, das würde mich allerdings überraschen, am Anfang eines so wichtigen Gesetzes einzufügen.
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Das Wort hat Herr Kollege Kaffka.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Antrag, den die FDP gestellt hat, wird das Haus in die Versuchung geführt, sehr lange und sehr ausgiebig über Zweck und Sinn der Strafe zu diskutieren. Ich gebe zu, daß es ein Vergnügen sein kann, nun die ganze Geistesgeschichte hier aufzurollen, beim alten Plato anzufangen über Kant, Hegel, Lißt, Binding bis in die Gegenwart hinein alles das einmal aufzuführen, was zum Strafrecht, über den Zweck der Strafe gesagt wurde.
Ich muß sagen: es ist sehr weise von dem Sonderausschuß gewesen, auf eine besondere Darstellung des Zweckes der Strafe zu verzichten. Ich stimme Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, im Inhalt, in der Aussage des § 1 a vollkommen zu.
Aber demgegenüber muß ich die Abstinenz des Sonderausschusses im Blick auf Strafzwecke begrüßen, denn sie ist die einzige Möglichkeit, in der pluralistischen Gesellschaft ein solches Reformwerk hinzustellen. Ich gestehe Ihnen offen zu, daß ich mit vielen Punkten, die drinstehen, nicht übereinstimme; aber ich verzichte darauf, nun meine Stimme gegen das Ganze zu erheben, weil ich im Ganzen einen wesentlichen Fortschritt sehe.
Der Herr Justizminister hat vorhin in seiner Rede gesagt, daß in einer Monarchie oder einer Diktatur das Strafrecht wohl einheitlicher gegründet und vom ästhetischen Gesichtspunkt ansehnlicher sei. Ich verstehe zwar nicht recht, was die Ästhetik mit dem Strafrecht zu tun hat. Aber Kompromisse in grundsätzlichen Fragen müssen für die Demokratie und eine pluralistische Gesellschaft als notwendig erachtet werden, so unschön sie auch aussehen und so schwierig sie erscheinen mögen. Deshalb täte das Haus gut daran, den Antrag der FDP abzulehnen, weil er im Grunde eine Festlegung bewirkt, die in wenigen Jahren sicher umgestoßen wird.
({0})
- Und zwar nach der positiven Seite hin, Herr Genscher, nicht in Richtung auf eine Verhärtung und auf das Vergeltungsstrafrecht hin. Ich bin durchaus so optimistisch, daß ich da Fortschritte für
möglich halte. Nur sträube ich mich gegen eine solche Festlegung, die ich in fünf, sechs oder zehn Jahren umstoßen muß. Sehen Sie, vor wenigen Jahren, 1963, waren die Vertreter Ihrer Fraktion und Sie, gnädige Frau, in Bad Nauheim ganz leidenschaftliche Anhänger der Beibehaltung des Zuchthauses. Heute werden Sie mit uns doch sicher darin übereinstimmen, daß die Einheitsstrafe das richtige ist. Im Hinblick auf diesen Fortschritt sollten wir uns hüten, die allgemeine Zweckbestimmung der Strafe und der Maßregel hineinzubringen.
Erlauben Sie eine Frage der Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus?
Herr Kollege Kaffka, die Frage Zuchthaus werden wir ja später diskutieren; das gehört hier nicht hinein. - Ich frage Sie hierzu: was können Sie sich denn anderes als Zweck und Aufgabe der Strafe vorstellen, als die Sicherung der Rechtsgüter und die Wiedereingliederung des Täters? Was könnte davon in zehn Jahren anders sein? Das würde mich interessieren. Ich könnte mir vorstellen, daß nachher bei den einzelnen Bestimmungen, was als Rechtsgut geschützt werden soll, Differenzen auftreten. Aber es besteht das Grundprinzip: Rechtsgüter müssen geschützt werden, und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Sie gegen die Wiedereingliederung sein sollten.
Gnädige Frau, ich kann mir zunächst nichts anderes vorstellen. Aber auf der anderen Seite gibt es sehr viele, die sich als Zweck der Strafe wesentlich mehr vorstellen können, als Sie hier darstellen. Deshalb meine ich, wir lassen besser den Zweck hier heraus und stellen uns auf die Basis des gemeinsam erreichbaren Minimums, auf die Basis,
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die gemeinsam erreichbar ist.
Würden Sie eine weitere Zwischenfrage erlauben, Herr Kollege Kaffka?
Herr Kollege Kaffka, wenn Sie sagen, daß es vielleicht nicht ausreicht, muß ich fragen: in welcher Hinsicht sollen dann noch zusätzliche Forderungen kommen? Wir wären ja bereit, wenn Sie eine Ergänzung vorschlagen, zu überlegen, ob unsere Forderung zu 'eng ist. Aber.wir müssen es schon präziser wissen.
Gnädige Frau, ich selber kann mir nichts vorstellen. Aber ich kann mir Herren in diesem Hause vorstellen, die etwas anderes hinzufügen möchten. Ich möchte grundsätzlich darauf verzichten. Ich begrüße es, daß der Sonderauschuß auf eine explizite Darlegung der Strafzwecke verzichtet hat. Ich bitte deshalb, den Antrag der FDP zu § 1 abzulehnen.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Güde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soeben ist in dem Zwiegespräch zwischen Herrn Kaffka und Frau DiemerNicolaus gefragt worden: Was könnte denn da noch darin sein? Beispielsweise hatte in der Großen Strafrechtskommission eine Minderheit eine Formel beantragt: „Die Strafe dient der Bewahrung der Rechtsordnung, dem Schutz der Allgemeinheit und der Wiedereingliederung des Täters in die Gemeinschaft. Sie darf das Maß seiner Schuld nicht überschreiten." Das nur als Beispiel, was noch darin stehen könnte.
Aber mit dem Herrn Kollegen Kaffka bitte ich, den Antrag der FDP abzulehnen. Das ist ein Lehrbuchsatz, und Frau Diemer-Nicolaus war so liebenswürdig, zu versuchen, zu explizieren, was in dem Satz impliziert ist. Da ist schrecklich viel drin - und vieles, was den Richter belasten wird. Wir haben bewußt auf solche Definitionen verzichtet und. auf Lehrbuchsätze erst recht, weil wir gesagt haben: Das möge der Rechtsprechung und der Rechtslehre überlassen bleiben; versteinernde Formulierungen dieser Art belasten, sie fördern nicht. Deswegen meine ich, meine Damen und Herren, den Antrag sollten Sie ablehnen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kaffka hat hier von dem gemeinsam erreichbaren Minimum gesprochen. Herr Kollege Kaffka, ich gehöre nicht zu den Theoretikern der Demokratie, die der Meinung sind, man komme in der Praxis des politischen Alltags ohne Kompromisse aus. Die Frage ist nur, ob diese Bestimmung, über die wir hier sprechen, Gegenstand eines Kompromisses durch Verzicht des Gesetzgebers auf eine Willensäußerung in einer ganz grundsätzlichen Frage unseres künftigen Strafrechts sein kann. Ich meine, genau das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen mit der Definition des Strafzwecks - nämlich sowohl Schutz der Rechtsgüter wie Wiedereingliederung des Täters - zeigen, was der Gesetzgeber will. Wenn Sie das heute offenlassen, wenn Sie Probleme ausklammern, wenn Sie Ansichten, die natürlich in diesem Hause vertreten werden und die wir unter dem Titel „Sühnestrafrecht" zusammenfassen können, sozusagen verschweigen wollen, dann übertragen Sie den Gerichten, dann übertragen Sie den Richtern eine Aufgabe, die zu erfüllen eigentlich nicht ihre Aufgabe ist. Ein Gesetzgeber, der darangeht, eine Große Strafrechtsreform zu verwirklichen, muß die Kraft haben, auch den Strafzweck im Gesetz deutlich zu machen, er muß die Kraft haben, das auch durch Stimmabgabe der einzelnen Mitglieder dieses Hauses zum Ausdruck zu bringen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kaffka?
Herr Kollege Genscher, wären Sie so freundlich und würden einmal kurz darlegen, was Sie alles unter zu schützenden Rechtsgütern verstehen?
Herr Kollege, das wissen Sie doch sehr genau. Das sind die Rechtsgüter, die wir mit dem jeweiligen Text des Strafgesetzbuches schützen wollen. Frau Kollegin Diemer-Nicolaus hat Ihnen in ihrer Zwischenfrage deutlich gemacht: Wandelbar kann in vorausschaubarer Zukunft für diejenigen, die sich zu einem liberalen Strafrecht bekennen, nicht der Strafzweck sein; der Wandlung unterliegen vielmehr der Inhalt der geschützten Rechtsgüter und diese Rechtsgüter selbst. Dort müssen Sie ansetzen, wenn Sie der Meinung sind, hier könne sich etwas ändern. Aber wenn Sie etwa der Auffassung sein sollten, deshalb dürfe man den Strafzweck nicht hineinschreiben, dann könnten Sie mit derselben Begründung sagen: Wir ändern überhaupt nichts, weil sich möglicherweise die Rechtsauffassung auch in anderen Bereichen vor allem des Besonderen Teils des Strafrechts demnächst wieder durch Veränderung der gesellschaftlichen Umstände ändern wird.
Ich möchte das Hohe Haus bitten, daß hier im Deutschen Bundestag am Beginn einer solchen Beratung über die Große Strafrechtsreform jeder Kol' lege für sich - und ich möchte hier fragen: kann das eigentlich eine Frage von Koalitionen und Fraktionen sein? - durch die Abstimmung, durch seine Entscheidung zu unserem Antrag deutlich macht, ob er ein Strafrecht will, dessen Strafzweck es ist, die Rechtsgüter zu schützen und die Wiedereingliederung des Täters zu bewirken, oder ob er möglicherweise als Gesetzgeber darüber hinaus dem Sühnegedanken eine stärkere Geltung verschaffen will, als wir es wollen. Aber wir sollten nicht die Gerichte im unklaren über die Motive und über den rechtspolitischen Willen des Gesetzgebers lassen.
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Das Wort wird nicht weiter gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über die Ziffer 1 des Änderungsantrages auf Umdruck 646. Wer dieser Ziffer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über § 1 in der Ausschußfassung. Wer § 1 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 1 ist einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zu § 2. Wird das Wort gewünscht?
- Das ist nicht der Fall. Wer § 2 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Zu § 3 liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 6461 Ziffer 2 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist der Fall.
Das Wort hat der Herr Kollege Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren Kollegen! Ich muß zunächst um Entschuldigung dafür bitten, daß in der Hitze und in der Eile, in der vieles in der letzten Phase bearbeitet werden mußte - wir haben noch gestern abend bis tief 'in die Nacht gesessen -, in die formulierte Vorlage ein zwar nicht sinnentstellender, aber doch erheblicher Fehler geraten ist. Ich darf kurz einmal klarmachen, was ich damit sagen will.
Wir haben für § 3 in der gedruckten Vorlage die Formulierung vorgeschlagen: „Geltung für Taten innerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes." Das trifft zwar sinngemäß auch das, was wir wollen. Aber klarer ist das, was wir 'eigentlich sagen wollten: „... innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes". Das ist es, was wir erstreben. Lediglich um dieser Klarheit willen darf ich darum bitten, sowohl 'in der Überschrift als auch in allen folgenden Passagen, wo es „innerhalb" oder „außerhalb dieses Gesetzes" heißt, zu sagen: „innerhalb" oder „außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes". Das gilt generell für alle Anträge, die wir in dieser Hinsicht gestellt haben.
Das Problem, das wir mit unserem Antrag anschneiden, hat uns sowohl im Ausschuß als auch hier im Plenum bereits verschiedentlich beschäftigt. Ich erinnere mich an eine Ausschußsitzung in Berlin, als wir seinerzeit über die Frage des Redneraustauschs verhandelten. Bestimmt weiß ich es von Herrn Kollegen Hirsch; ich meine aber auch, Herr Kollege Besold und ich selbst haben damals die Ansicht vertreten, daß eine Fülle von Problemen, die insbesondere im Zusammenhang mit dem damals erörterten Gesetz auftauchten, eigentlich nur so geregelt werden könnten, daß wir die Geltung unseres Strafrechts auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes beschränkten, daß also alle Probleme, die sich aus der unmöglichen Situation ergeben, daß unser Strafgesetz, so wie es heute noch ist, auch in der DDR gelten soll - und infolgedessen Leute, die sich nach unseren Strafgesetzen strafbar gemacht haben, verfolgt werden können, wenn sie auf das Gebiet der Bundesrepublik kommen -, nur mit der Lösung, die wir hier anstreben, gelöst werden könnten.
Wir haben die praktische Konsequenz aus dieser Grundauffassung auch bereits in diesem Hause gezogen, als wir die von uns jetzt allgemein gewollte Beschränkung für das politische Strafrecht einführten. Ich verkenne dabei nicht, daß sich beim politischen Strafrecht die Notwendigkeiten besonders deutlich zeigten. Wir 'bewegen uns jedoch, wenn wir es nicht auch hier tun, in einem Raum der Illusion. Und nicht nur das: wir bewegen uns auch in einem Raum völliger Unklarheit darüber, was denn nun eigentlich geschieht, wenn wir es bei dem belassen, was in der Gesetzesvorlage steht.
Busse ({0})
Ich muß Ihnen gestehen, ich habe mit einigem Erschrecken in der Begründung zu den einzelnen Vorschriften folgendes gelesen: „Die Auslegung des in dieser Vorschrift verwendeten Inlandbegriffs soll der Rechtsprechung überlassen bleiben." Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es nicht Sache des Gesetzgebers ist, klar zu sagen, wo seine Gesetze gelten sollen, sondern wenn das erst die Rechtsprechung entscheiden soll, sind wir, glaube ich, in einer Situation, die rechtsstaatlich einfach nicht mehr zu vertreten ist.
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Wir sind dann aber auch in einer Situation der Illusion. Denn unzweifelhaft meinen doch diejenigen, die nicht die Begrenzung auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes gewollt haben, immer noch, wir sollten den jetzt theoretisch bestehenden Zustand, nach dem unser Strafgesetz auch noch in der DDR gilt, obgleich dort längst ein leider Gottes von unseren Vorstellungen völlig abweichendes Strafgesetz in Kraft getreten ist, wenn auch versteckt und unklar, beibehalten. Gerade beim Strafgesetz zeigt es sich doch eigentlich in der deutlichsten Form, daß Strafgesetze nur da gelten und praktiziert werden können, wo die Möglichkeit tatsächlich gegeben ist, Staatsgewalt auch auszuüben. Die Ausübung der Strafgewalt ist eine der wichtigsten Ausprägungen ,der allgemeinen Staatsgewalt, und sie kann nur da ausgeübt werden, wo tatsächlich die faktischen Möglichkeiten dazu bestehen. Das sind die Gründe, die uns zu unserem Antrag veranlassen.
Alles, was ich gesagt habe, steht in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem, was zu § 5 beantragt ist. Denn wenn man so den Begriff des Inlandes ausschaltet, ist die logische Folge, daß der Begriff des Auslandes entsprechend definiert werden muß. Ausland - um zunächst einmal das Wort zu gebrauchen - ist dann eben alles das, was außerhalb des Geltungsbereiches unseres Grundgesetzes liegt.
Ich möchte hier sehr deutlich sagen: Es ist nicht unsere Absicht und das alles hat nichts damit zu tun, wie unsere Stellung zur DDR ist, wie die Gesamtbeziehungen staatsrechtlicher, völkerrechtlicher oder welcher Art auch immer dm geteilten Deutschland sind, sondern es ist lediglich die Anerkennung eines real bestehenden Zustandes und seiner Auswirkungen. Ich unterstreiche noch einmal, alles das können wir nicht dem Richter überlassen, sondern das muß dieses Haus entscheiden. Darum wollen wir diese Entscheidung herbeiführen.
Ich werde nachher nicht noch einmal besonders begründen, was wir zu § 5 beantragt haben. Wir bitten, unseren Anträgen zuzustimmen, wobei alles das, was für den Inlandsbegriff gesagt ist, auch entsprechend für den Auslandsbegriff zu gelten hat.
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Das Wort hat der Kollege Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Herr Busse, hinsichtlich des materiellen Anliegens, das Sie hier vertreten haben, sind wir beide uns völlig einig. Natürlich wollen wir hier bei uns zur Zeit nur diejenigen bestrafen, die bei uns im „Inland" Taten begehen, und das Inland in diesem Sinne ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, also der Geltungsbereich des Grundgesetzes. Hier geht es doch aber gar nicht um ein Gesetz, das sofort in Kraft tritt und in dieser Hinsicht gegenwärtige Miseren - wenn ich so sagen darf - beseitigen könnte, sondern es geht um die Strafrechtsreform, die bekanntlich am 1. Oktober 1973 in Kraft treten soll. Daher muß man die Dinge hier ganz anders beurteilen.
Der gute Begriff „Inland" ist an sich bei jedem normalen Land der Welt völlig eindeutig. Er ist bei uns aus den Gründen, die Sie alle kennen, leider nicht mehr ganz eindeutig. Warum sollen wir aber heute, wenn wir ein Gesetz machen, das 1973 in Kraft treten soll, so pessimistisch sein, daß wir von vornherein davon ausgehen, daß diese Eindeutigkeit des Begriffes Inland bis 1973 nicht wieder hergestellt werden kann? Wir hätten die Sache ganz anders zu beurteilen, wenn etwa ein solcher Paragraph in dem Ersten Änderungsgesetz stünde. Dann könnte man vielleicht darüber reden. Aber, Herr Busse, diese Klausel „Geltungsbereich des Grundgesetzes", die wir in vielen unserer Gesetze haben, auch, wie Sie richtig erwähnt haben, im politischen Strafrecht, ist doch eine Notwehrmaßnahme von uns gewesen, die wir anwenden mußten, um klarzustellen, daß gewisse Dinge, ob es nun Wiedergutmachung war oder Lastenausgleich oder was da sonst alles noch war, eben nicht auf den völlig unklaren Inlandsbegriff abgestellt werden konnten, sondern nur auf das Gebiet, wo das Grundgesetz gilt. Ich weiß nicht, ob es richtig wäre, wenn wir eine Strafrechtsreform machen, die ja etwas länger gelten soll als ein paar Jahre, hier nun zu unterstellen, diese Unklarheit unseres staatlichen Lebens müsse nun für immer bestehen.
Was kann nun passieren, wenn da „Inland" steht? Ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß Sie ja selber die Vorlage, die an sich die Grundlage der Beratung hier war, mit unterzeichnet habe. Darin war die Idee vertreten - und die halte ich gar nicht für schlecht -, daß die Anwendung des deutschen Strafrechts auf Taten, die zwar im Inland, aber nicht im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuches begangen werden, im Einführungsgesetz geregelt werden sollte. Das ist etwas, was viel weiter geht als das, was jetzt darinsteht. Es steht jetzt schlicht und einfach darin „Inland". Sie haben, glaube ich, auch übersehen, daß diese neue Textierung gegenüber dem geltenden Recht auch etwas anderes darstellt; denn nach dem geltenden Recht ist auf die deutsche Staatsangehörigkeit abgestellt.
Ich weiß also nicht, ob Sie der Sache, die Sie vertreten, dienen werden, wenn Sie jetzt von vornherein unteristellen, die Unklarheit müsse bleiben, und wenn Sie diese verklausulierte Formulierung „Geltungsbereich des Grundgesetzes" in ein Gesetz ein12726
führen, das kein Tagesgesetz ist, sondern ein Gesetz, das vermutlich doch mindestens Jahrzehnte halten soll.
Ich sage es noch einmal, „Inland" ist an sich, im Normalfall, ein Begriff, mit dem jeder Richter immer fertig geworden ist - ganz klar! Bei uns hat er damit zur Zeit Schwierigkeiten. Darüber sage ich gleich noch etwas. Sofern der Richter etwa im Jahre 1973 auch noch diese Schwierigkeiten haben sollte, haben wir die Möglichkeit, ihm - unter Umständen über das Einführungsgesetz usw. - in dieser Schwierigkeit zu helfen. Ich weiß aber gar nicht, ob die Schwierigkeit noch so groß ist. Es ging ja um diese berühmten Verfahren wegen der Schießbefehle der DDR-Machthaber. Mit diesen Verfahren sind unsere Gerichte zunächst - das meine ich ebenso wie Sie, Herr Busse - nicht recht fertig geworden, und es gibt da einige Urteile, die ich für Fehlurteile halte. Aber das ist doch vorbei. Es ist inzwischen sowohl in der Wissenschaft als auch in der Rechtsprechung geklärt, daß diese Täter hier bei uns nicht zur Rechenschaft gezogen werden können - aus Gründen im Zusammenhang mit der Rechtswidrigkeit, aus Gründen des Nichtverschuldens. Und wenn man bisher damit fertig geworden ist, wird man noch besser fertig werden mit dem künftigen und insofern eben auch doch reformierten Strafgesetzbuch. Die Gefahr, die Sie da sehen, ist ein Gespenst.
Ganz abgesehen davon habe ich so die stille Vermutung - bitte, nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Busse -, daß man auf diese Weise hier irgendwie versucht, „gesamtdeutsche Politik" über die Reform des Strafgesetzbuches zu machen.
({0})
- Herr Busse, ich habe doch ausdrücklich gesagt: bitte, kein Vorwurf.
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- Wir sind uns doch in der Sache einig. Warum werden Sie denn da so böse? Man soll sich hüten, über die Strafrechtsreform - Inkrafttreten erst 1973 - hier nun gewisse Weichen zu stellen in der Richtung, als ob nun endgültig und wirklich die DDR immer „Ausland" im Sinne der normalen völkerrechtlichen Bestimmung sein sollte.
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- Bitte schön, wenn Sie das so beschreiben, wie Sie das vorhaben, sicherlich - ich sage es noch einmal - nicht absichtlich, besteht die Gefahr, daß darin eine gewisse Kapitulation vor diesem Gesamtproblem gesehen wird, und davor sollten wir uns hüten.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Hirsch?
Trifft es zu, Herr Kollege Hirsch - oder habe ich Sie falsch verstanden -, daß auch Sie den Geltungsbereich dieses Gesetzes nur erstrecken wollen auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes? Trifft das zu oder nicht?
Das habe ich doch gesagt: In der gegenwärtigen Situation sollten wir unser Strafrecht nur auf Taten anwenden, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes begangen werden. Da sind wir uns völlig einig. Aber das wird ja durch die Strafrechtspraxis auch bereits so gemacht. Wogegen ich mich wende, ist, daß Sie jetzt schon behaupten wollen oder daß Sie den Eindruck erwecken könnten, Herr Genscher, daß im Jahre 1973 die deutsche Misere noch genauso sein müßte, wie sie heute ist.
Würden Sie eine weitere Frage zulassen, Herr Kollege Hirsch?
Wollen Sie, Herr Kollege, da Sie der Meinung sind, dieses Gesetz soll nur im Geltungsbereich des Grundgesetzes gelten, durch die Verwendung des Begriffs „Inland" etwa zum Ausdruck bringen, daß die DDR für Sie Ausland ist?
Herr Genscher, dieses Problem will ich hier überhaupt nicht lösen. Der richtige Begriff - und den haben in diesem Fall, Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, auch die Alternativ-Professoren - ist „Inland". Die Frage, was bei uns jetzt „Inland" ist, ist leider zur Zeit nicht ganz geklärt. Aber ich habe die Hoffnung, daß sie bis 1973 geklärt sein könnte. Ich will nicht kapitulieren, indem ich bereits in diesem Jahr davon ausgehe, daß auch nach 1973 die Situation noch sein muß, wie sie leider heute ist.
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Darüber sollten wir uns doch eigentlich einig sein, Herr Genscher.
({1})
Warum sollen wir jetzt eine Definition nehmen, die nicht in ein Gesetz paßt, das nicht auf den Tag abgestellt ist, sondern das ein Dauergesetz sein soll? Wenn wir die heutige Misere noch im Jahre 1973 haben, dann werden wir überlegen müssen, ob es notwendig ist, den Richtern für den Begriff „Inland" noch etwas an die Hand zu geben. Aber heute weigere ich mich, von vornherein so pessimistisch zu sein.
Aus diesem Grunde bitte ich, den Antrag abzulehnen, und zwar in diesem Fall auch im Namen der CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Wird das Wort weiter gewünscht? - Herr Genscher!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß der Kollege Hirsch bei einer Frage, die eigentlich der Klarstellung der Rechtssituation dienen soll, politische Vermutungen geäußert hat, ohne die Adressaten zu nennen, an die er sich mit seinen Vermutungen und seinen Warnungen wendet.
Ich stelle fest, es besteht Übereinstimmung zwischen allen Fraktionen dieses Hauses, daß dieser
Entwurf eines Strafgesetzbuchs nur im Geltungsbereich des Grundgesetzes gelten soll. Wir sind der Meinung, es würde der Klarstellung dienen, wenn wir das in das Gesetz hineinschreiben. Sie, meine Damen und Herren, können mit Ihrer Formulierung allenfalls die Deutungen begründen und nähren, die Herr Hirsch in Bezug auf uns befürchtet hat. Wenn Sie nämlich „Geltungsbereich des Grundgesetzes" mit dem Begriff „Inland" identifizieren, dann machen Sie damit die deutschen Teile außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes automatisch zum Ausland. Diesem logischen Gedanken können Sie sich nicht entziehen. Es ist viel sauberer, wenn Sie die Formulierung, die wir in anderen Gesetzen verwenden, auch für diesen Entwurf eines Strafgesetzbuches übernehmen, nämlich „Geltungsbereich des Grundgesetzes".
Meine Damen und Herren, zum Grundgesetz gehört eine Präambel, die ein politisches Ziel unserer Politik zum Ausdruck bringt, das Ziel nämlich, die getrennten Teile unseres Vaterlandes zusammenzuführen. Gerade die Bezugnahme auf das Grundgesetz und seinen Geltungsbereich macht deutlich, daß wir uns auch bei diesem Gesetz nicht mit der deutschen Spaltung abfinden wollen, sondern daß wir die Zusammenführung bewirken wollen. Wir sollten auf Unterstellungen verzichten. Aber wir sollten den Begriff des Geltungsbereichs ebensowenig wie die vorangegangene Frage des Strafzwecks der Rechtsprechung überlassen. Wir sollten nicht in diesen Fehler, den der Gesetzgeber sehr häufig macht, verfallen, sondern wir -sollten Entscheidungen, auch solche, die einen politischen Inhalt haben, hier im Deutschen Bundestag fällen und nicht Unklarheiten auf die Gerichte abladen. Das ist unsere Aufgabe.
Deshalb bitte ich Sie, das, was Sie hier selbst als Ihre Meinung dargelegt haben, nämlich daß das Gesetzt im Geltungsbereich des Grundgesetzes gelten soll, .auch in das Gesetz selbst hineinzuschreiben.
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Das Wort hat der Kollege Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Genscher, ich muß ein Mißverständnis klarstellen. Wir sind uns keineswegs einig, daß dieses Gesetz im Jahre 1973 nur im Geltungsbereich des derzeitigen Grundgesetzes gelten soll, sondern es soll gelten im Inland, wie es 1973 Inland sein wird. Was das ist, weiß keiner von uns. Welches Grundgesetz dann bei uns gelten wird, weiß keiner von uns. Es gibt ja durchaus Ideen, das geltende Grundgesetz zu ändern. Ich würde hoffen, wir können es dann in einem größeren Bereich ändern. Warum sollen wir uns jetzt mit Ihrer Notformel festlegen, wenn es gar nichts nutzt, wenn es dem Richter heute nicht hilft? Denn das Gesetz tritt ja erst 1973 in Kraft. Und warum sollen wir außenpolitisch oder deutschlandpolitisch eine solche Festlegung treffen, mit der niemandem geholfen ist?
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Also keine Einigkeit, Herr Genscher! Das ist eine sehr wichtige Frage, da können wir uns nicht aneinander vorbeimogeln. Ich möchte ausdrücklich sagen, ich bin nicht der Meinung, daß wir mit dieser Klausel festgelegt haben: Dieses Gesetz wird im Jahre 1973 unbedingt nur für das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland gelten. Ich sage noch einmal, es soll nach unserer Konzeption für den Bereich gelten, den wir im Jahre 1973 als Inland haben werden. Dieser Begriff hat sich in der deutschen Rechtsgeschichte bewährt; er war ein fester Begriff. Daß er durch die Situation nach dem Kriege schwimmend geworden ist, wissen wir leider. Aber das heißt doch nicht, daß er so schwankend und schwimmend bleiben muß. Ich sage noch einmal, ,,Inland" ist besser als „Geltungsbereich des Grundgesetzes". Das ist eine Formel, deren wir uns in manchen Gesetzen als Notlösung bedienen mußten. Aber in einem so entscheidenden Grundlagengesetz sollte man sich nicht solcher Ausweichformeln bedienen, sondern ganz klar sagen, was gemeint ist. Ein deutsches Strafgesetzbuch soll im Inland dieses Staates gelten. Das ist die richtige Formel.
({1})
Das Wort hat der Kollege Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Ich bin noch einmal wegen des Begriffs „Ausweichformel" heraufgekommen, den Herr Kollege Hirsch hier zum Schluß gebraucht hat. Er meinte, die Klausel „im Geltungsbereich des Grundgesetzes" sei eine solche Ausweichformel. Herr Kollege Hirsch, eines haben Sie ganz klar gesagt: Heute soll sich auch nach Ihrer Meinung der Begriff „Inland" mit dem Begriff des Geltungsbereichs des Gesetzes decken. Dann ist die Konsequenz, die Herr Genscher soeben gezogen hat, unausweichlich. Wenn Sie sagen, „Inland" sei dasselbe, dann ist Ausland eben das, was nicht Geltungsbereich unseres Grundgesetzes ist.
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- Heute, jawohl! Und heute beschließen wir dieses Gesetz. - Das ist die unausweichliche Konsequenz daraus. Wenn Sie diesen Begriff als eine Ausweichformel ansehen, dann freilich stimme ich Ihnen zu und sage, ja das möchte ich; denn ich möchte nicht, daß wir heute sagen: Was nicht der Geltungsbereich des Grundgesetzes ist, wird von uns als Ausland angesehen.
({1})
Das möchte ich auch heute nicht sagen. Aber wir sagen es heute, wenn wir beschließen, was Sie geschrieben haben.
Nun ein Blick auf die Zukunft. Es ist abwegig, zu sagen, daß der Geltungsbereich dieses Grundgesetzes, selbst wenn im Laufe der Jahre wie in der Vergangenheit Änderungen an ihm vorgenommen werden, dadurch berührt wird, und darum nicht zu sagen, daß das Grundgesetz, wie es jeweils in der Bundesrepublik gilt, den Geltungsbereich bestimmen soll. Ich glaube, darüber brauchen wir nicht
Busse ({2})
lange zu diskutieren; denn das halte ich für selbstverständlich. Ob wir ein Referendum oder was immer sonst einführen, es kann an dem Grundgesetz in seiner Institution nichts ändern, sondern ändert nur gewisse Formen seines Inhalts, nicht aber seinen Geltungsbereich.
Jetzt zu dem Ausblick auf 1973. Sie haben insofern recht, als wir alle prophetisch nicht genügend begabt sind, um zu wissen, was 1973 auf uns zukommt. Und bei Gott, meine Freunde und ich sind die letzten, die nicht von Herzen wünschten, daß die Möglichkeiten, ganz andere Regelungen zu treffen, weil sich die Situation gegenüber der heutigen scharfen Trennung entschärft hat, einträten. Ich sage, wir alle würden es begrüßen. Dann, so meine ich, sollte man aber nicht den Weg gehen, den Sie vorschlagen, daß wir 1973 eine neue Formulierung für die jetzt mißverständliche finden. Ich glaube vielmehr daran, daß wir, wenn wir das erreicht haben und sich diese Notwendigkeit ergeben hat, weitergehende Änderungen an diesem Gesetz treffen müssen als das, was hier 'im Moment zur Diskussion steht. Das wäre der klarere und bessere Weg. Wir sollten heute nicht ein Gesetz beschließen, das diese Mißdeutung offenläßt.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß hier eine Diskussion um eine Frage geführt wird, die keinerlei praktische Bedeutung hat. Es ist nun einmal so, daß unser Land geteilt ist und daß die Geeichte der Bundesrepublik bei solchen Dingen vor der Frage stehen, welches Recht angewandt wird, das in der DDR oder das in der Bundesrepublik geltende. Wie immer wir die Bezeichnung wählen, Herr Busse, wir werden um diese Fragen der Anwendung des interlokalen Strafrechts nicht herumkommen, solange unser Land faktisch geteilt ist. Ich bin der Meinung, solange das so ist, sollten wir nicht im Zusammenhang mit einer Frage, die eine Definitionsfrage ohne jede praktische Auswirkung im Zusammenhang mit diesem Gesetz ist, Grundsatzfragen des geteilten Deutschland, die schmerzlich und wichtig sind, erörtern. Sie können bei besserer Gelegenheit erörtert werden, als hier jetzt damit die Debatte um die Strafrechtsreform zu belasten.
Ich sage noch einmal, was immer Sie hineinschreiben - das Problem bleibt die Anwendung des interlokalen Strafrechts.
Das Wort hat der Herr Kollege Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlau ben Sie mir noch eine kurze Klarstellung. Es ist nicht so, als ob es im Strafrecht nur das Inland und das Ausland gäbe. Es gibt hier auch noch Zwischenstufen. Dies mögen sich die Damen und Herren von der FDP-Fraktion überlegen.
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Es gibt nämlich auch Inland, in dem das Grundgesetz gilt, und darüber hinaus Inland, in dem das Grundgesetz nicht gilt. Das ist die entscheidende Frage, die wir hier sehen müssen.
Im Rahmen unseres Strafrechts in der Bundesrepublik werden die Regeln des interlokalen Strafrechts angewendet. Diese Anwendung der Regeln des interlokalen Strafrechts gewährleistet auf der einen Seite, anzuerkennen, daß die DDR Inland ist, auf der anderen Seite aber wird dabei berücksichtigt, daß man analog entsprechend die Regeln des internationalen Strafrechts im Rahmen des interlokalen Strafrechts anwendet, so daß man im Endergebnis dazu kommt, die DDR als Inland anzuerkennen, in dem das Grundgesetz allerdings nicht gilt. Dies ist letztlich der Inhalt unserer Erwägungen, daß wir in § 3 von „Inland" sprechen.
Es wurde gesagt, daß diese neue Regelung _ab 1. Oktober 1973 in Kraft treten wird. Wir haben bis dahin noch viel Zeit, alle diese Punkte noch einmal zu überlegen. Man muß auch bedenken, Herr Kollege Busse, daß wir, wenn Ihr Antrag durchginge, vor der technisch-organisatorischen Konsequenz stünden, noch eine Fülle anderer Folgeänderungen vornehmen zu müssen. Dafür mögen Sie doch bitte Verständnis haben. Das ist ein praktikabler und technischer Grund. Ich kenne Ihre Abänderungsanträge.
({1})
- Sie haben dies ja auch in weiteren Punkten berücksichtigt. Ich bin mir aber nicht darüber im klaren - das sage ich Ihnen freiweg -, ob Sie dabei auch alle Punkte berücksichtigt haben. Wiewohl ich natürlich einen sehr großen Respekt vor Ihrer Gründlichkeit und vor Ihrem Arbeitseifer habe, weiß ich nicht, ob hier alles erfaßt ist.
Da in diesem Punkt die Zeit nicht drängt, da es keine Frage grundsätzlichster Bedeutung ist, verstehe ich nicht, daß Sie mit aller Macht darauf drängen, daß hierüber eine Abstimmung in Ihrem Sinne durchgeführt wird. Wir würden damit nur in gewisse Schwierigkeiten, die ich angedeutet habe, kommen.
Ich bitte deshalb namens der Fraktion der CDU/ CSU und der SPD, diesen Antrag und auch die Folgeanträge abzulehnen.
Das Wort wird nicht weiter gewünscht.
Wir stimmen dann über Ziffer 2 des Umdrucks 646 ab. Dabei unterstelle ich, daß dies sich auf die vom Antragsteller abgeänderte Form bezieht. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt worden.
Wir kommen dann zur Abstimmung über § 3 in der unveränderten Form, die der Ausschuß vorschlägt. Wer § 3 zustimmt, den bitte ich um das
Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 230. Sitzung.. Bonn, Mittwoch, den 7. Mai 1969 12729
Vizepräsident Scheel
Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? § 3 ist bei Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zu § 4. Wird das Wort gewünscht?
- Das ist nicht der Fall. Wer § 4 in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Form zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Zu § 5 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, der soeben bereits von Herrn Kollegen Busse begründet worden ist.
Wird das Wort zu § 5 gewünscht? - Herr Kollege Rutschke, bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine Änderung des § 5 Nr. 6 vorgeschlagen. Hier handelt es sich darum, ob unter den Ausnahmekatalog des § 5 auch die Bestimmung des § 218 fallen soll.
Der § 218 ist in Deutschland sowohl in der Rechtslehre als auch in der Rechtsüberzeugung sehr umstritten. Die Rechtslehre hat hier Vorschläge gemacht - auch die sogenannten Alternativ-Professoren haben es getan -, die zur Debatte stehen. Außerdem ist die Dunkelziffer bei § 218 außerordentlich hoch. Auch das spricht für eine Änderung des § 218. Jetzt wollen Sie diesen umstrittenen § 218 in den Ausnahmekatalog des § 5 aufnehmen. Wir sind der Überzeugng, daß man diese so umstrittenen Bestimmungen nicht in den Ausnahmekatalog hineinnehmen kann.
Gegen unsere Auffassung wurde in den Ausschüssen eingewandt, daß die Folge ein Privileg der Reichen wäre, die in der Lage wären, die im Inland noch strafbare Handlung in einem Land, das den Tatbestand des § 218 nicht mit Strafe bedroht, vorzunehmen. Ich weiß nicht, ob das heute noch richtig ist. Da jedes Jahr Millionen von Bürgern ins Ausland fahren, kann es sich dabei nicht nur um Leute handeln, die mit Gütern besonders gesegnet sind.
Hinzu kommt, daß die Dunkelziffer in diesem Bereich noch größer sein wird, weil die Beweislage bei Straftaten, die im Ausland begangen worden sind, aber vor deutschen Gerichten im Inland verhandelt werden müssen, weil die Tat im Ausland nicht strafbar ist, außerordentlich schwierig ist. Sie werden, wenn Sie diese Bestimmung beschließen, bei der Durchführung praktisch nur ein Minimum an Fällen erfassen können, während 99 °Io der Fälle wegen der Nachweisschwierigkeiten nicht verfolgt werden. Diese Bestimmung wird also nicht wirksam und damit auch rechtspolitisch nicht zweckmäßig sein.
Ich darf vielleicht auch in diesem Zusammenhang noch einmal das Wort des kanadischen Ministerpräsidenten Trudeau anführen, das der Herr Bundesjustizminister zitiert hat, daß sich der Staat nicht in die Schlafzimmer der Bürger begeben solle; darin habe er nichts zu suchen. Hier könnte man sagen, daß der Staat seinen Bürgern nicht ins Ausland, wo eine solche Handlung straffrei ist, hinterherreisen sollte.
Herr Präsident, darf ich vielleicht auch noch den Antrag zu Nr. 8 begründen?
Bitte!
Nach § 5 Nr. 8 sollen Taten, die der deutsche Träger eines deutschen staatlichen Amtes oder ein Soldat der Bundeswehr während eines dienstlichen Aufenthalts oder in Beziehung auf den Dienst im Ausland begeht, auch dann strafbar sein, wenn diese Taten im Ausland nicht mit Strafe bedroht sind. Wir halten diese Bestimmung für insoweit nicht notwendig, als wir bitten, nach dem Wort „Aufenthalts" das Wort „oder" zu streichen. Das würde bedeuten, daß nur noch Straftaten, die in Beziehung auf den Dienst unter den genannten Voraussetzungen begangen werden, bestraft werden sollen. Der Bundeswehrsoldat soll nicht das Strafgesetzbuch im Tornister und der Diplomat oder der Behördenangestellte es nicht in seiner Aktentasche ins Ausland mitschleppen müssen. Ich bin der Meinung, daß das das Äquivalent dafür ist, daß sie unter Umständen für Handlungen, die im Ausland als strafbar angesehen werden, aber in Deutschland nicht strafbar sind, bestraft werden können.
Das Wort hat der Kollege Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie, die beiden Anträge abzulehnen.
Die Problematik der Abtreibung ist uns zur Genüge bekannt. Etliche in diesem Hause haben die eine und etliche haben die andere Meinung. Das ist nun wirklich der typische Fall einer an Nerven und Nieren gehenden Meinungsverschiedenheit in einem pluralistischen Lande.
Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hat das Problem der Abtreibung mit all seinen Verzweigungen noch nicht gelöst. Er hat sich aber, als diese Nr. 6, die schon einmal gestrichen war, zur Beratung stand, schließlich entschieden, sie doch in das Gesetz aufzunehmen, weil sich ein gewisser Mißstand ergeben hat. Bei uns ist nach geltendem Recht die Abtreibung strafbar. Es gibt andere Länder, in denen sie zum Teil nicht strafbar ist. Dazu gehört z. B. England. Wenn wir also eine solche Bestimmung nicht hätten, würden deutsche Staatsangehörige die Möglichkeit haben, ins Ausland zu gehen und dort etwas zu machen, was bei uns - jedenfalls heute noch - strafbar ist. Das halte ich für keine gute Sache, ganz gleich, wie man zu dem Problem der Abtreibung als solchem steht; darüber will ich jetzt gar nicht reden.
Sie haben gesagt, Herr Kollege Rutschke, das sei keine Frage des Geldes. Ich muß dem widersprechen. In diesem Lande gibt es wahrlich Menschen, die , nicht das Geld für eine Reise nach England haben, die nicht dort ihren Aufenthalt nehmen und auf eigene Rechnung so etwas vornehmen lassen können. Sie aber schaffen ohne diese Bestimmung
tatsächlich die Situation, daß wohlhabende Leute trotz des Verbots der Abtreibung in der Bundesrepublik die Möglichkeit bekommen, etwas Derartiges straflos zu tun. Das kann nicht gut sein. Deshalb kann auf die Nr. 6 nicht verzichtet werden. Mit dem Abtreibungsparagraphen und allen seinen Verzweigungen wird sich dieses Haus in drei oder vier Jahren noch zu beschäftigen kaben.
Nun zu der Nr. 8. Da liegt der typische Fall eines echten Kompromisses vor. Man kann weiß Gott versichedener Meinung sein. Natürlich kann man auch Ihre Meinung vertreten und sagen: Es ist nicht nötig, daß eine Tat unter Strafe gestellt wird, die nicht in Beziehung auf den Dienst begangen worden ist. Ich weiß aber nicht recht, ob das „oder" gestrichen werden sollte. Das Wort hat schon seinen guten Sinn. Es geht doch um Träger eines deutschen staatlichen Amtes oder um einen Soldaten der Bundeswehr. Das sind also Leute, die von Amts wegen im Ausland sind.
({0})
Es geht nicht um Leute, die auf einer privaten Reise sind. Wenn nun der Betreffende während dieses dienstlichen Aufenthalts, wo er von Amts wegen im Ausland ist, eine Straftat begeht, die nach deutschem Recht strafbar ist, gibt es einen guten Grund, ihn zur Verantwortung zu ziehen; denn er ist dort gewissermaßen als Aushängeschild dieses Landes, als Amtsträger. Deshalb läßt sich das rechtfertigen.
Für sehr wichtig halte ich die Streichung des Wortes „oder" nicht. Ich weiß, daß im Ausschuß über diese Frage lange diskutiert worden ist. Man hat sich schließlich auf die jetzige Formulierung der Nr. 8 geeinigt, und ich meine, daß man bei dem Kompromiß bleiben sollte. Wenn man anfängt, herumzuflicken - das ist hier schon mehrfach grundsätzlich gesagt worden -, wenn man einmal so und einmal so stimmt, kann dieses Strafgesetzbuch überhaupt keine klare Linie mehr haben. Es gibt Einzelfragen, in denen ich - das wird sich bei der weiteren Debatte zeigen - mit Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, durchaus übereinstimme. Dennoch werde ich nicht mit Ihnen stimmen, weil ich der Meinung bin, eine Strafrechtsreform kann man nur über einen vernünftigen Kompromiß machen. Warum ist denn die Strafrechtsreform im Kaiserreich, warum ist sie in der Weimarer Republik gescheitert? Weil man damals nicht zu einem Kompromiß bereit war, sondern jeder sich mit seinem Kopf durchsetzen wollte.
({1})
Es ist völlig undenkbar, daß wir ein Strafgesetzbuch zustande bringen, bei dem jeder mit jedem Wort und jedem Komma einverstanden ist. Auf der rechten Seite dieses Hauses haben einige Konzessionen machen müssen, die ihnen bestimmt schwergefallen sind. Genauso sollte auch die sogenannte linke Seite - man kann darüber reden, was heute rechts und was links ist -({2})
dazu bereit sein. Man kann nicht umgekehrt verfahren und sagen: Eire Konzessionen nehmen wir gern
an; aber wir sind nicht zu einem gleichen Verhalten
bereit. Nie würden wir eine Strafrechtsreform ohne einen Kompromiß zustande bringen. Ich bitte also, den Antrag abzulehnen, nachdem der Ausschuß das „oder" aus wohlerwogenen Gründen eingesetzt hat.
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Das Wort hat Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hirsch, daß Sie sich für Kompromisse aussprechen, kann ich aus Ihrer Situation heraus verstehen. Aber ich war überrascht, daß Sie gesagt haben, wenn Sie unserem Antrag zustimmten, würde das Gesetz die klare Linie verlieren. Umgekehrt ist es, meine Damen und Herren!
({0})
Tatsache ist, daß das Abgehen von dem Personalitätsprinzip, das wir in unserem bisherigen Strafensystem haben, ein Fortschritt in der Reform ist. Es ist allgemein anerkannt, daß wir dem Reformdenken auch außerhalb Deutschlands Rechnung tragen, indem wir zu dem Territorialitätsprinzip übergehen. Bisher schleppte der Deutsche praktisch überall sein Strafrecht mit sich herum, wenn er im Ausland war; nachher konnte er hier zur Verantwortung gezogen werden. Dagegen sollen jetzt die strafbaren Handlungen grundsätzlich nur dann bestraft werden, wenn sie innerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen werden. Darüber sind wir uns einig.
§ 5 ist eine Durchbrechung dieses Prinzips. Das Prinzip sollte doch nur dann durchbrochen werden, wenn es sich um unabwendbare Forderungen handelt, ohne die man nicht auskommt. Das ist bezüglich aller Nummern mit Ausnahme von 6 und 8 unbestritten. Der erste Einbruch kam bei der Nr. 5, die sich mit den homosexuellen Taten befaßt. Sie war ursprünglich nicht im Entwurf enthalten. Doch haben wir uns im Ausschuß davon überzeugen lassen, daß z. B. ein Jugendgruppenleiter, der mit einer Gruppe ins Ausland fährt und dort etwa mit einem der Jungen derartige bei uns strafbare Handlungen begeht, die im Ausland schon lange nicht mehr strafbar sind, hier doch strafrechtlich belangt werden muß, wenn die Jugendgruppe zurückkommt. Dieser Grund hat uns eingeleuchtet, so daß wir hier eine Ausnahme gemacht haben.
Aber deshalb muß man dieses Prinzip doch nicht immer weiter durchbrechen. Zum § 218 wurde gesagt, Herr Kollege Hirsch, dort wäre nachher ein untragbares Gefälle zwischen dem ausländischen und dem deutschen Recht. Ich habe in meinem Bericht zu dem § 218 nur kurz gesagt, daß wir mit einer Reform noch gar nicht begonnen, sondern nur die überhöhten Strafen etwas zurückgedreht haben. Von einer Reform auch nur andeutungsweise zu sprechen, wäre zuviel. Daß hier eine Reform erfolgen muß, ist ganz klar. Daß wir in diesem Zusammenhang bei den engen Grenzen, die heute in Deutschland einer Schwangerschaftsunterbrechung gesetzt sind, nämlich nur aus rein medizinischen Gründen ohne BerückDeutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 230. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. Mai 1969 12731
sichtigung von sozialen Tatbeständen, nicht bleiben können, wird wohl nicht von allen, aber doch von einem sehr großen Teil hier im Hause und auch in der Bevölkerung als die richtige Lösung angesehen. Diese Reform muß erfolgen. Sie ist eine der vordringlichsten vom nächsten Bundestag zu behandelnden Fragen. Ob dann noch ein Gefälle vorhanden ist, ist sehr fraglich. Es ist keineswegs so, daß in den anderen Staaten einer Schwangerschaftsunterbrechung auf Grund gesetzlicher Bestimmungen in einem weiteren Umfang Tür und Tor geöffnet wäre.
Es dient dem Ansehen des Deutschen, daß sich ein Deutscher, der sich im Ausland aufhält, den Gesetzen fügen muß, die in dem betreffenden Land gelten. Das gilt auch bei den anderen Bestimmungen, die in diesem Zusammenhang angesprochen sind, also auch für die Staatsbeamten und die Soldaten, die sich im Ausland aufhalten. Sie schaden nicht dem deutschen Ansehen, wenn Sie sich dort den Gesetzen entsprechend verhalten.
Das gilt nicht nur für den Straftatbestand des § 218. Sie müßten eigentlich alle Gesetze in den anderen Ländern darauf hin überprüfen, inwieweit diese Bestimmungen mit den deutschen nicht übereinstimmen. Dann müßten Sie konsequenterweise auch diese mit in § 5 aufnehmen.
Wir haben endlich das Territorialitätsprinzip, und es geht darum, daß es auch verwirklicht wird. Ich bitte Sie deshalb, Ihre Ausführungen, mit denen Sie doch sehr stark versucht haben, von der grundsätzlichen Frage abzulenken, noch einmal eingehend zu überdenken. Hier geht es nicht um ein „Herumflicken", sondern hier geht es darum, einen Grundsatz aufrechtzuerhalten.
({1})
Hier geht es nicht darum, einen Mißstand zu beseitigen. Wenn eine Frau oder ein Mädchen in einem anderen Land eine Abtreibung vornimmt, die durch die Gesetze des betreffenden Landes nicht gedeckt ist, so bleibt die Betreffende nach den dortigen Gesetzen selbstverständlich strafbar; das soll auch von uns in gar keiner Weise gedeckt werden. Aber das Prinzip, daß jemand, der sich im Ausland nach den ausländischen Gesetzen straffrei führt, nachher hier nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, muß in solchen Fällen erhalten bleiben.
({2})
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Antrag trotz des Appells von Frau Dr. Diemer-Nicolaus widersprechen. Ich darf zunächst sagen: Herr Dr. Rutschke, ich hatte sicher nicht an diesen Fall des § 218 gedacht, als ich vorhin Herrn Trudeau zitiert habe, und ich bin sicher, er auch nicht; das sind wohl völlig andere Dinge.
Ich bin der Meinung, gnädige Frau, daß hier der Versuch gemacht wird, durch die Herausnahme der Nr. 6 die Reform des § 218 vorwegzuziehen.
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- Doch! Das ist im Grunde die Frage, um die es geht. Wir haben eine ganze Menge von Ausnahmevorschriften in den §§ 5 und 6 für Auslandstaten.
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Ich muß sagen: Das Justizministerium hat Kenntnis von den Erfahrungen, die vor allen Dingen in einem nördlich von uns liegenden Land auf dem Gebiet des § 218 gemacht worden sind. Man fährt dort hin; es gibt dort dafür Kliniken etc. Wir haben uns mit diesen Dingen zu beschäftigen. Nach diesen Kenntnissen bin ich der Meinung, wir sollten das sicher jetzt nicht an dieser Stelle machen. Es heißt ja in § 5 Nr. 6 extra: Wer seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat. Für jemanden, der als Deutscher generell im Ausland wohnt, gilt die Ausnahme also sowieso nicht. Sie gilt für jemanden, der grundsätzlich hier wohnt, aber dorthin geht, um es machen zu lassen. Diese Einschränkung steht ja in der Nr. 6. Wir sollten es wirklich nicht zulassen, daß diejenige Frau, die Geld hat und sich die Reise leisten kann, die Möglichkeit hat, während die andere Frau sich strafbar macht. Das wäre ungerecht, und das ist rechtspolitisch nicht zu vertreten.
Ich bin der Meinung, wir müssen mit der auch meines Erachtens notwendigen Reform des § 218 - wie weit das geht, darüber werden wir uns noch streiten müssen - eben warten, bis wir das Gesamtproblem anpacken können. Ich bin dagegen, für bestimmte Bevölkerungskreise, die sich das leisten können, über eine Streichung der Nr. 6 diese Reform schon jetzt vorwegzunehmen.
Meine Damen und Herren! Ich denke, wir gehen bei der Abstimmung so vor, daß wir über die Buchstaben e und f der Ziffer 3 des Änderungsantrages der FDP gesondert abstimmen, weil der Rest sich nur auf redaktionelle Änderungen bezieht.
Wir stimmen zunächst über Buchstaben e ab; das ist der Änderungsantrag zu Nr. 6 des § 5. Wer dem Änderungsantrag unter Buchstaben e zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Buchstaben f des Antrags zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Jetzt Abstimmung über Ziffer 3 Buchstaben a, b, c und d des Änderungsantrags Umdruck 646. Wer den Buchstaben a bis d zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der FDP insgesamt abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den § 5 in der Ausschußfassung. Wer dem § 5 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen ist § 5 angenommen.
Wir kommen zu § 6. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 646 unter Ziffer 4 vor.
({0})
Vizepräsident Scheel
Wenn ich es richtig sehe, bezieht sich das wieder auf den ursprünglichen Antrag und hat sich mit der Ablehnung des Antrags zu § 3 erledigt. Wir kommen also zur Abstimmung über § 6 in der vom Ausschuß vorgesehenen Fassung. Wer dem § 6 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 6 ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu § 7. Dazu liegen gleichfalls Anträge vor, die erledigt sind. Also Abstimmung über
§ 7 in der Ausschußfassung. Wer dem § 7 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? -- § 7 ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu § 8 in der Ausschußfassung. Wer dem § 8 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
§ 8 ist einstimmig angenommen.
Zu § 9 liegt ein Änderungsantrag unter Ziffer 6 des Umdrucks 646 vor.
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Auch er ist durch die Ablehnung des Antrags zu § 3 erledigt. Also Abstimmung über § 9 in der Ausschußfassung. Wer dem § 9 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
§ 10! Wer dem § 10 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Zweiten Titel, § 11. - Wer dem § 11 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 11 ist einstimmig angenommen.
Zu § 12 liegt ein Änderungsantrag unter Ziffer 7 des Umdrucks 646 vor. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist der Fall. Das Wort zur Begründung des Antrags hat Frau Kollegin Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen, daß wir heute in unserem Strafrecht eine Dreiteilung haben, und zwar ist in § 1 des jetzt geltenden Strafgesetzbuches eine Dreiteilung der Straftaten in der Weise vorhanden, daß es heißt:
Eine mit Zuchthaus oder mit Einschließung von mehr als fünf Jahren bedrohte Handlung ist ein Verbrechen.
Eine mit Einschließung bis zu fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe von mehr als fünfhundert Deutsche Mark oder mit Geldstrafe schlechthin bedrohte Handlung ist ein Vergehen.
Eine mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Deutsche Mark bedrohte Handlung ist eine Übertretung.
Die Unterscheidung zwischen Verbrechen, Vergehen und Übertretung ist hier an die Strafdrohung gebunden, vor allen Dingen aber auch an die Art der Strafe. Eine mit Zuchthaus bedrohte Straftat ist immer ein Verbrechen gewesen.
Dies hat dann gewisse Folgen. Wenn eine Straftat ein Verbrechen ist, dann ist, ohne daß es im Gesetz besonders gesagt werden muß, der Versuch strafbar; es gibt eine Reihe von weiteren Folgewirkungen, die sich aus dieser Klassifizierung ergeben.
Jetzt fällt aber ein Merkmal, das zu dieser Einteilung geführt hat, weg. Denn wir wollen, wie der Sonderausschuß es beschlossen hat - darüber wird es bestimmt noch eine Diskussion geben -, die einheitliche Freiheitsstrafe einführen. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß dies einer der großen Vorzüge der Reform sein solle. Dazu gehört aber dann auch die Frage, ob es, wenn wir nur die einheitliche Freiheitsstrafe haben, noch angebracht ist, daß man an der Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen festhält? Rein psychologisch wirkt nämlich eine Verurteilung wegen eines Verbrechens schon so, daß man weiß: hier handelt es sich um schwerste Kriminalität. Weil sich jedenfalls an schwere Kriminalität entsprechende Folgen automatisch anschließen und man das nicht jedesmal bei jedem Tatbestand schreiben soll, waren wir im Sonderausschuß der Auffassung, daß man trotzdem aus technischen Gründen an dieser Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen trotz der einheitlichen Freiheitsstrafe festhalten soll.
Jetzt geht es darum, wo die Grenze gesetzt werden soll. Es wurde gesagt, die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen solle an und für sich nur eine technische Erleichterung darstellen. Aber, meine Damen und Herren, machen wir uns doch nichts vor: Wenn wir als Juristen dies auch grundsätzlich wissen, - der Begriff „Verbrechen", der nach wie vor schwerste Kriminalität bedeutet, ist der Bevölkerung geläufig, und Sie werden ihn jetzt nicht dadurch ausradieren können, daß Sie sagen, das sei nur noch ein technischer Anknüpfungspunkt. Der Begriff „Verbrechen" wird ganz automatisch mit der Schwerstkriminalität verknüpft bleiben; und da fragt es sich ja nun, bei welcher Androhung eimer Freiheitsstrafe man diesen Verbrechensbegriff anknüpft, nachdem das Zuchthaus und die Einschließung weggefallen sind. Die Mehrheit im Sonderausschuß war der Auffassung, daß das bei einem Jahr sein sollte, und es wurden daraus Konsequenzen gezogen. So ergab sich - das möchte ich einmal mit aller Deutlichkeit sagen - eine Sisyphusarbeit für die Herren des Justizministeriums; denn daraufhin wurde der Besondere Teil durchgesehen, und es wurde jeweils festgestellt, ob man bei Straftaten, die bisher Vergehen waren, jetzt mit der Mindeststrafandrohung unter ,ein Jahr gehen müßte, damit nicht solche Tatbestände, die nach unserer Auffassung nur ein Vergehen sind, auf einmal ein Verbrechen würden.
Aber wir Freien Demokraten sind trotzdem der Auffassung, daß diese Grenze, die hier gesetzt wird, wenn von einer Strafandrohung von mindestens einem Jahr ausgegangen wird, zu niedrig ist. Man sollte mindestens eine Strafandrohung von zwei Jahren verlangen. Ich mache daraufaufmerksam, daß von uns als Freien Demokraten jetzt insofern einmal ein Kompromißangebot an Sie, meine Kollegen und Kolleginnen von den Regierungsparteien, vorliegt, als nämlich in dem von uns eingebrachten Alternativ-Entwurf wirklich eine echte BeschränFrau Dr. Diemer-Nicolaus
kung auf die Schwerstkriminalität dadurch vorgenommen worden ist, daß es sich dort bei Verbrechen um eine fünfjährige Freiheitsstrafe handeln soll. Wir waren der Meinung, daß .es noch gerade tragbar ist, wenn man diese zwei Jahre als Mindeststrafdrohung nimmt und dementsprechend auch bei den Strafandrohungen im Besonderen Teil darauf Rücksicht nimmt.
Ich bin mir bewußt, daß Sie mir jetzt wahrscheinlich sofort entgegenhalten werden: Wenn Sie diesen Antrag stellen, dann müssen Sie aber auch noch eine ganze Reihe anderer Bestimmungen reformieren. - Ich hatte jedoch schon, bevor die Beratungen überhaupt begonnen haben, den Eindruck und habe ihn auch jetzt - insofern habe ich mich in meinen Erwartungen nicht getäuscht -, obwohl die Beratung noch nicht so lange dauert: Wir Freien Demokraten könnten hier die bestfundierten Anträge stellen, wir könnten die bestfundierten Begründungen geben, aber der Kompromiß, der nun einmal zwischen den beiden Regierungsparteien geschlossen worden ist, hält so eisern - siehe selbst diese Fragen, die wir gerade vorher behandelt haben -, daß wir nicht damit rechnen können, daß unsere Anträge angenommen würden.
Ich sage Ihnen aber das eine: Wenn Sie bereit wären, diesen Antrag anzunehmen, wären wir ohne weiteres bereit, auch noch die notwendigen Änderungen als Folgewirkung bis zur dritten Lesung vorzunehmen. Ich bin überzeugt, daß uns die Herren vom Justizministerium insofern mit ihrer großen Sachkunde noch behilflich sein würden.
Überlegen Sie es sich also doch noch einmal, ob Sie - für die Ewigkeit gilt das bei den Gesetzen, die wir heute machen, sicherlich nicht, aber doch für einen größeren Zeitraum, für den, wie wir hoffen, der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuchs Gültigkeit haben soll - die Androhung von einem Jahr Freiheitsstrafe für die betreffende Straftat als eines Verbrechens mit den nach wie vor daraus folgenden sehr schwerwiegenden Konsequenzen verantworten können.
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Meine Damen und Herren Kollegen, wir stehen vor folgender Frage. Jetzt hat sich Herr Dr. Güde gemeldet. Ich gehe davon aus, daß Herr Dr. Güde keine langen Ausführungen machen, sondern nur dem widersprechen möchte.
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Nachher wird nämlich zu demselben Thema, zu dem allgemeinen Problem der einheitlichen Freiheitsstrafe, noch der Kollege Jaeger sprechen. Er wird aber länger sprechen. Wir wollen dann nach den Ausführungen von Herrn Dr. Güde die Beratung unterbrechen.
Bitte, Herr Kollege Dr. Güde!
Herr Präsident, ich verspreche in der Tat, nicht länger als drei Minuten zu sprechen; denn die Frau Kollegin Dr. DiemerNicolaus war so liebenswürdig, die Bedenken, die
sich gegen ihren Antrag stellen, selbst auszubreiten
Es handelt sich in der Tat um ein technisches Problem. Ich kann nicht sagen: der Antrag ist falsch. Aber ihn jetzt in diesem Stadium der Reform zu stellen, ist sicher falsch. Denn wenn man ihn annähme, müßte man das ganze Feld noch einmal durchackern. Es müßte - das ergibt sich für den Juristen jedenfalls mit einem Blick - die Frage des Versuchs, die Frage des neuen § 40 a, geprüft werden, und es würde sich eine weite Umschichtung ergeben. Frau Dr. Diemer-Nicolaus war so liebenswürdig zu sagen, die „armen" Herren vom Bundesjustizministerium würden diese Aufgabe lösen.
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Aber mit einem Handstreich kann man nicht kurzerhand eine Reform umstülpen.
Deswegen sage ich aus praktischen und pragmatischen Überlegungen nein zu diesem Antrag, und zwar namens der SPD und der CDU/CSU, und. bitte, ihn abzulehnen.
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Meine Damen und Herren, damit ist die Beratung unterbrochen. Wir unterbrechen die Sitzung bis 14 Uhr und beginnen um 14 Uhr mit der Fragestunde, um 15 Uhr mit der Weiteren Beratung dieses Tagesordnungspunktes.
Die Sitzung ist unterbrochen.
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Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, wir beginnen die Nachmittagsarbeit mit der
Fragestunde
- Druchsache V/4156 Wir kommen zuerst zu den Mündlichen Anfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen, zunächst zur Frage 1 des Abgeordneten Folger:
Aus welchem Grund müssen Autoradio und Kofferempfänger als Zweitgeräte bei der Deutschen Bundespost angemeldet werden, obwohl sie gebührenfrei sind?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Autoradios und Kofferempfänger, die außerhalb der Wohnung betrieben werden sollen, müssen ebenso wie die in einer Wohnung verwendeten Rundfunkgeräte angemeldet werden, da sie nach dem geltenden Recht genehmigungspflichtig sind. Die Genehmigungsunterlagen sind aus praktischen Gründen bisher zugleich die Grundlage für die Gebühreneinziehung. Durch den Wegfall der Gebühr für die genannten Zweitgeräte im Jahre 1960 ist die Genehmigungspflicht und damit die Anmeldepflicht hierfür
keineswegs aufgehoben. Eine Trennung der Genehmigungskartei für alle gemeldeten Empfänger und der Gebührenunterlagen für die gebührenpflichtigen Anlagen ist nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 1968, nach denen die Rundfunkgebühr als Anstaltsnutzungsgebühr durch die Länder zu regeln ist, denkbar. Durch die für den 1. Januar 1970 in Aussicht genommenen Staatsverträge der Länder sind alle zum Empfang bereitgehaltenen Rundfunkgeräte anzeigepflichtig mit entsprechender Zuständigkeit der Länder für die Gebührenregelung. Die Deutsche Bundespost hat diese Sachlage zum Anlaß genommen, ihr Genehmigungsverfahren für Rundfunkgeräte zu überprüfen und entsprechend dem beabsichtigten Staatsvertrag anzupassen.
Keine Zusatzfrage.
Darin komme ich zur Frage 2 des Abgeordneten Könen ({0}). - Der Abgeordnete ist nicht im Saal, die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend, der Frage 3 des Abgeordneten Zebisch:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Gemeinden einen forcierten Bau von Kindertagesstätten zu erleichtern?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Herr Abgeordneter, ich kann Ihre Frage nur mit dem Hinweis auf das Jugendwohlfahrtsgesetz beantworten. Dort ergibt sich aus § 5, daß die Einrichtung von Kindertagesstätten Aufgabe der Jugendämter ist. Die Bundesregierung hat daher keine Möglichkeit, die Errichtung solcher Tagesstätten in irgendeiner Weise materiell zu fördern.
Keine Zusatzfrage. - Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz, zunächst zur Frage 25 des Abgeordneten Dr. Hauser ({0}) :
Bewährten sich nach Auffassung der Bundesregierung die in verschiedenen Großstädten der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Gerichtshilfen als Einrichtungen, deren Aufgabe darin besteht, den Gerichten insbesondere bei problematischen Tätertypen die erforderlichen Grundlagen zu vermitteln, um sich über deren Persönlichkeit, ihr Vorleben und ihre Lebensumstände eine möglichst umfassende Überzeugung bilden zu können?
Herr Präsident, vielleicht darf ich die Fragen im Zusammenhang beantworten.
Bitte sehr! dann rufe ich auch noch die Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Dr. Hauser ({0}) auf:
Wird die Bundesregierung, sofern sie die Bewährung der Gerichrtshilfe im Tätigkeitsbereich der Kriminaldiagnostik bestätigen kann, die Einrichtung solcher Stellen in verstärktem Maße empfehlen?
Scheint nicht eine gesetzliche Verankerung des Instituts der Gerichtshilfe empfehlenswert, etwa in der Weise, daß bereits bei der Vorbereitung der öffentlichen Klage wie auch im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens die Tätigkeit der Geriçhtshilfe innerhalb der Bestimmungen der Strafprozeßordnung statuiert wird, wie dies bereits in den §§ 38 und 43 des Jugendgerichtsgesetzes für das Jugendstrafverfahren geschehen ist?
Die Frage der allgemeinen Einführung der Gerichtshilfe für Erwachsene wird schon seit geraumer Zeit geprüft. Zur Zeit bestehen in den Ländern Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen bereits Einrichtungen der Gerichtshilfe. Eine mit Unterstützung des Bundesministeriums der Justiz vom Verein Bewährungshilfe e. V. durchgeführte Versuchsreihe in den Städten Augsburg, Bonn, Osnabrück, Ulm und Wiesbaden hat ein gutes Ergebnis gezeigt. Die 36. Justizministerkonferenz hat sich im Oktober 1968 in München für die allgemeine Einführung der Gerichtshilfe für Erwachsene durch eine bundesgesetzliche Regelung ausgesprochen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Tätigkeit der Gerichtshilfe besonders geeignet ist, Feststellungen zu treffen, die für die Strafbemessung, die Strafaussetzung zur Bewährung und die Anordnung von Maßnahmen der Sicherung und Besserung von Bedeutung sein können. Sie ist der Meinung, daß die Einrichtung der Gerichtshilfe für eine moderne Strafrechtspflege unerläßlich ist, und würde deshalb die Einrichtung weiterer Stellen der Gerichtshilfe begrüßen. Die gesetzlichen Regelungen über die Tätigkeit der Gerichtshilfe sollen alsbald im Rahmen der Strafprozeßordnung in Angriff genommen werden. Wir haben ja die Strafprozeßreform in dieser Legislaturperiode nicht angefaßt, weil noch die materielle Reform lief und die Vollzugsreform begonnen wurde.
Das Bundesministerium der Justiz wird Vorkehrungen dahin treffen, daß die gesetzlichen Regelungen zur allgemeinen Einrichtung der Gerichtshilfe für Erwachsene alsbald nach Zusammentreten des 6. Deutschen Bundestages in diesem Hause erörtert werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauser.
Herr Justizminister, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie im Grunde nur die Folgemaßnahmen eines Strafverfahrens eingeschlossen wissen wollen, nicht aber auch die Vorbereitungen, womit etwa in *1.60 der Strafprozeßordnung eine ähnliche Lösung oder gesetzliche Verankerung zur Einschaltung der Gerichtshilfe vorgesehen werden könnte?
Über die Frage, welche Aufgaben man dann den Gerichtshilfeinstitutionen überträgt, müßte man, glaube ich, beraten, wenn man die generelle gesetzliche Regelung trifft und sieht, wieviel Personal und welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Heute ist es im allgemeinen so, daß sich die Gerichtshilfe auf die nach der Tat vorliegenden Probleme konzentriert, wie eben Beurteilung des Täters schon vor der Aburteilung für die Frage der Strafzumessung, dann aber auch für die Strafaussetzung zur BewähBundesminister Dr. Ehmke
rung. Das muß nicht so sein; das kann man durchaus diskutieren.
Eine zweite Zusatzfrage.
Die zweite Frage! Ich könnte mir doch auch denken, Herr Minister, daß man im Entmündigungsverfahren die Gerichtshilfe mit einschaltet, wenn etwa die Voraussetzungen nach § 6 BGB zu klären sind, ob nämlich der zu Entmündigende seine Angelegenheiten zu besorgen nicht mehr in der Lage ist, oder wenn klarzustellen ist, ob er sich oder seine Familie der Gefahr des Notstandes aussetzen würde.
Herr Abgeordneter, das wäre zu prüfen. Mir will auf den ersten Blick scheinen, daß das doch eine Frage nur der Sachverständigenbeurteilung ist, nämlich Krankheitsgrad des Betroffenen. Aber auch da könnte man sich überlegen, ob es Zweck hat, die Gerichtshilfe für die Beurteilung der Frage einzusetzen, wie sich der Betreffende im Kreise der Familie verhält. Ich würde auf den ersten Blick meinen, das wäre mehr eine Frage der Sachverständigenbeurteilung. Ich bin aber sehr gern bereit, diese Frage im weiteren Verfahren zu prüfen.
Aus der Erfahrung - etwa aus Karlsruhe - weiß ich, daß sehr gute Erfolge auch hier erreicht wurden.
Herr Abgeordneter, Sie können nur Fragen stellen, nicht aber Tatsachen feststellen.
Ich komme zu den Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Dr. Hofmann ({0}) :
Wie hoch ist die Zahl der durch fremde Staaten verurteilten ausländischen Staatsangehörigen wegen Mordes an Deutschen in der Zeit während und nach dem letzten Weltkrieg?
Gibt es ausländische Staaten, die ihre wegen Mordes und Völkermordes Verurteilten auf Grund von Verjährung außer Verfolgung gesetzt haben?
Zu der ersten Frage: Diese Frage betrifft ein Thema, das bei der Beratung des Gesetzes über die Aufhebung der Verjährung für Mord und Völkermord sicher noch mit erörtert werden wird. Ich möchte mich deshalb auf die Mitteilung beschränken, daß uns von polnischer Seite z. B. erklärt wurde, in Polen seien nach dem letzten Weltkrieg polnische Staatsangehörige wegen Mordes an Deutschen verurteilt worden. Angaben über die Anzahl derartiger ausländischer Verurteilungen liegen der Bundesregierung nicht vor.
Die zweite Frage ist schwierig zu beantworten, weil die meisten ausländischen Staaten entweder das Institut der Verjährung überhaupt nicht kennen oder aber die Verjährung für Mord und Völkermord durch Gesetz ausgeschlossen haben. Ob wegen solcher Taten eingeleitete ausländische Ermittlungsverfahren auf Grund des Eintritts der Verjährung eingestellt worden sind, können wir nicht sagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hofmann.
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß man dies etwas präziser hätte sagen können, auch unabhängig von der Tatsache, daß die Frage der Verjährung bei uns ganz allgemein diskutiert wird? Denn es ist eine ganz konkrete und nicht unmittelbar mit der Verjährung zusammenhängende Frage, wenn ich fest-. stellen lassen möchte, wie viele Angehörige fremder Staaten wegen Mordes gegenüber deutschen Staatsangehörigen verurteilt worden sind. - Herr Präsident, das war alles noch eine Frage.
Ich sagte Ihnen schon, da müßten wir Material haben über die Verurteilungsstatistik ausländischer Staaten. Wir haben Mühe, unsere eigene Statistik zu verfolgen. Man müßte die Urteile kennen und müßte wissen, worum es geht. Die Zahlen können wir hier nicht geben. Ich kann Ihnen nur sagen, daß uns nach unseren Erkundigungen gesagt wird: Jawohl, solche Taten sind auch dort verfolgt worden. Wir haben natürlich keinen Überblick über die Verfahren. Die reine Statistik reicht ja nicht aus. Man müßte ja sagen: wegen einer solchen Tat ist ein Urteil ergangen. Man müßte also praktisch die ausländische Rechtsprechung sammeln.
Herr Minister, ist die Bundesregierung wirklich nicht in der Lage, wenigstens in etwa zu sagen, wie viele deutsche Menschen in Ungarn, Jugoslawien, Polen und in der Tschechoslowakei nach der Vertreibung der Deutschen oder nach den Kriegswirren - ich frage ohne moralische Wertung - wegen Mordes an Deutschen verurteilt worden sind?
Nein, dazu ist die Bundesregierung nicht in der Lage. Dann hätte sie sich ja sehr früh darum bemühen müssen, alle derartigen Urteile, die zum großen Teil gar nicht veröffentlicht werden, von den ausländischen Gerichten zu sammeln. Das wäre ein ganz ungewöhnlicher Vorgang gewesen.
Ich habe noch zwei Fragen.
Ich beschneide Ihr Fragerecht nicht, Herr Abgeordneter.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, halten Sie es nicht für sinnvoll, daß die Bundesregierung einmal feststellt, wie viele Menschen im Ausland, auch im westlichen Ausland, verurteilt worden sind auf
Grund der Tatsache, daß viele Hunderttausende deutsche Kriegsgefangene - mit allem Vorbehalt und ohne jegliche moralische Wertung ist das gesagt - z. B. in dem Hungerlager Bad Kreuznach bei den Amerikanern oder in den Kriegsgefangenenlagern in Mainz-Hechtsheim mindestens unter
Dr. Hofmann ({0})
ähnlichen Umständen wie denen eines Mordes umgekommen sind?
Herr Abgeordneter, Sie müssen zweierlei unterscheiden. Soweit es darum geht, solche Taten festzustellen, gibt es ja eine Dokumentation, z. B. über die Taten, die anläßlich der Vertreibung begangen worden sind. Im Augenblick läuft ja auch ein Auftrag im Ressort von Kollegen Windelen in dieser Richtung. Aber danach fragen Sie ja nicht. Sie fragen danach, welche Aburteilungen vorgekommen sind. Wir können tatsächlich nicht überprüfen, welche Urteile in solchen Sachen von den ausländischen Gerichten ergehen. Es gibt einzelne Fälle, die bekannt geworden sind. Denken Sie an den kanadischen Fall mit der Erschießung von Kriegsgefangenen unter Zuständigkeit kanadischer Offiziere. Dabei tauchten auch Rechtshilfeprobleme auf, so daß wir über diesen Vorgang und seine Behandlung Kenntnisse haben. Aber normalerweise würde das ja voraussetzen, daß wir in allen europäischen und nicht nur europäischen Ländern verfolgen, was die einzelnen Gerichte entscheiden.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es bedauerlich ist, daß die Bundesregierung nicht einmal wenigstens annähernd sagen kann, wie viele ausländische Staatsangehörige, ganz gleich, in welchem Staate, verurteilt worden sind und ob überhaupt wegen Taten, die ein, zwei, drei, vier, fünf Jahre nach dem Kriege, in aller Ruhe, an deutschen Kriegsgefangenen begangen wurden, Verfahren durchgeführt wurden?
Herr Abgeordneter, Sie mögen das bedauerlich finden. Sie müssen dann nur einen Vorschlag machen, auf welche Weise die Bundesregierung, ich sage noch einmal: nicht an die Feststellung der Taten - danach haben Sie nicht gefragt, darüber liegen ja Dokumentationen vor -, sondern an die Zahl der Aburteilungen herankommen sollte. Das würde voraussetzen, daß wir die Urteile sämtlicher ausländischen Gerichte, an denen solche Taten abgeurteilt werden können, sammeln.
({0})
Ihre Möglichkeiten, Herr Abgeordneter Dr. Hofmann, sind jetzt erschöpft. Aber es gibt ja noch spätere Fragestunden, in denen Sie neue Originalfragen stellen können. - Wünscht Herr Abgeordneter Weigl das Wort zu einer Zusatzfrage? - Bitte sehr!
Herr Bundesminister, können Sie bestätigen, daß z. B. im Bereich der Tschechoslowakei die Aburteilung von Leuten, die Morde an Deutschen begangen haben, gar nicht möglich war, weil entsprechende Amnestiegesetze erlassen wurden?
Nach einer mir vorliegenden Studie der Vereinten Nationen, die allerdings vielleicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann - das weiß ich nicht -, sind nur in Polen und Ungarn Amnestiegesetze für derartige Fälle ergangen. In der Tschechoslowakei ist kein Amnestiegesetz in diesem Sinne ergangen. Ich kann Ihnen also nicht sagen, ob in der Praxis die Dinge anders gehandhabt worden sind. Uns ist berichtet worden, daß es auch in der Tschechoslowakei in solchen Fällen Verurteilungen durch tschechiche Gerichte gegeben hat. Eine Bestätigung, d. h. die Urteile selbst, haben wir nicht bekommen können. Im übrigen wird zum Teil auch, soweit uns diese Verurteilungen berichtet sind, unterschiedlich berichtet, aus welchen Gründen die Verfahren durchgeführt worden sind. Aber auf die präzise Frage nach den Amnestiegesetzen kann ich antworten, daß nach einer Zusammenstellung der Vereinten Nationen solche Gesetze in Polen und Ungarn erlassen worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Abelein.
Herr Minister, kürzlich ist bekanntgeworden, daß eine deutsche Delegation ins Ausland reiste, um zu erforschen, welche Straftaten deutsche Staatsangehörige während des Dritten Reichs im Ausland begangen haben. Gibt es ähnliche Fälle, in denen ausländische Delegationen in die Bundesrepublik reisten, um hier Dokumentationen über Straftaten einzusehen, die von ihren Staatsangehörigen begangen wurden?
Herr Abelein, die Fälle liegen ja wohl sehr verschieden - so schön die Frage sonst gestellt ist -, aus dem einfachen Grunde, daß ja von deutscher Seite Straftaten im Ausland in der Nazizeit in großer Menge und in grausamem Umfang begangen worden 'sind, während, soweit es um die hier genannten Taten geht, sich diese Taten auf den Territorien anderer Staaten abgespielt haben. Wenn es darüber Material gibt, dann doch drüben. Da liegen die Dinge doch sehr verschieden.
Vizenräsident Dr. Jaeger: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Abelein.
Gibt es auch im Ausland Dokumentationszentralen - ähnlich der Ludwigsburger Zentrale - zur Erfassung von Kriegsverbrechen während dieses Zeitraums?
Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich würde aber sagen: Da die Taten, die hier angeschnitten wurden - bei der Vertreibung, in Kriegsgefangenenlagern usw. - so grausam sie auch sind, im Ausmaß nicht mit den millionenfach organisierten
staatlichen Massenmorden zu vergleichen sind, die unter dem Naziregime in Europa begangen worden sind, liegt es vielleicht auch weniger nahe, solch eine Zentralstelle einzurichten wie bei uns.
Damit ist dieser Geschäftsbereich erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft.
Die Fragen 34 bis 36 des Abgeordneten Baron von Wrangel:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei dem Attentat auf dem Frankfurter Flugplatz auf die äthiopische Maschine Sprengstoff aus einem der Ostblockländer verwendet wurde in einer Type, die auch in die Bundesrepublik Deutschland importiert wird?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Sprengstoffeinfuhr aus osteuropäischen Staaten einen Anteil von über 35 % erreichen wird und dies zu einer ernsthaften Existenzbedrohung der deutschen Sprengstoffindustrie führen kann?
Ist die Bundesregierung bereit, in diesem Zusammenhang auch das Problem der Einfuhr des Sprengstoffs aus Jugoslawien zu prüfen, um sie möglicherweise zu begrenzen, zumal diese Einfuhren ständig steigen?
werden mit seinem Einverständnis schriftlich beantwortet. Die Antwort des Staatssekretärs Dr. von Dohnanyi vom 7. Mai 1969 lautet:
Bei dem auf dem Frankfurter Flugplatz am 11. März 1969 auf eine äthiopische Maschine verübten Attentat ist vermutlich ein Sprengstoff ungarischer Fertigung verwendet worden. Sprengstoff des gleichen Typs ist aufgrund der handelsvertraglichen Abmachungen aus Ungarn auch in die Bundesrepublik geliefert worden. Bei Überprüfung konnte ein Zusammenhang zwischen diesen Einfuhren und dem bei dem Attentat verwendeten Sprengstoff nicht festgestellt werden.
Die Sprengstoffeinfuhren aus der CSSR und Ungarn, die noch kontingentiert sind, machten 1968 41,3 % der gesamten Sprengstoffeinfuhren der Bundesrepublik Deutschland aus, die Sprengstoffeinfuhren aus Jugoslawien weitere 34,5 %. Sprengstoffeinfuhren aus anderen osteuropäischen Staaten waren 1968 nicht zu verzeichnen.
Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß die Einfuhrentwicklung in absehbarer Zeit zu einer ernsthaften Existenzbedrohung der deutschen Sprengstoffindustrie führen wird. Die Einfuhr ist zwar seit 1965 beachtlich gestiegen. Bei gleichzeitig rückläufiger deutscher Erzeugung hat die Einfuhrquote daher ebenfalls zugenommen. Sie erreichte 1968 aber erst 4,9 °/o des Produktionswertes. Davon abgesehen erzielt die deutsche Sprengstoffindustrie nach wie vor beträchtliche Ausfuhrüberschüsse. Der Anteil ({0}) der deutschen Ausfuhr von Sprengstoffen an der Produktion hat betragen:
1965 9,2 °/o
1966 10,3 °/o
1967 11,8 °/o
1968 12,3 °/o.
Wegen des Anstiegs der Sprengstoffeinfuhren aus Jugoslawien haben bereits Besprechungen zwischen der Sprengstoffindustrie und dem Bundeswirtschaftsministerium stattgefunden, in denen von seiten der Industrie die Nachlieferung weiteren Materials zugesagt worden ist. Die Bundesregierung ist zu einer abschließenden Prüfung der aufgeworfenen Fragen bereit, sobald die in Aussicht gestellten Unterlagen übermittelt worden sind.
Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Opitz auf:
Kann die Bundesregierung die Berechnung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes bestätigen, daß allein die Kunden der Sparkassen durch die Preissteigerungen der letzten zwölf Monate einen Vermögensverlust von über 2 Milliarden DM erlitten haben?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung kann die Berechnung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes so nicht bestätigen. Die Berechnung des Sparkassen- und Giroverbandes geht von einem Spareinlagenbestand der Sparkassen aus, stellt dieser Gesamtgröße dann die Entwicklung des Preisindexes für die Lebenshaltung gegnüber und versucht so, den angeblichen Vermögensverlust zu quantifizieren.
Die Bundesregierung hält dieses Verfahren für sehr problematisch. Zunächst kann man nach einer gutachtlichen Aussage der Bundesbank eine Erhöhung des Preisindexes für die Lebenshaltung bis zu etwa 2'0/o - ich zitiere jetzt - nur mit Einschränkung als Indiz für Geldwertverschlechterung gelten lassen. Schon deswegen ist eine einfache Gleichsetzung des Preisanstiegs für die gesamte Lebenshaltung mit dem angeblichen Vermögensverlust nicht vertretbar.
Im übrigen hängt die Frage, ob und inwieweit die Sparer einen Vermögensverlust erleiden, entscheidend von der späteren Verwendung der Spareinlagen ab. Werden z.. B. die Spareinlagen in erster Linie zur Anschaffung langlebiger und hochwertiger Gebrauchsgüter verwendet, wofür gerade bei den Sparkonteninhabern nach unseren Erfahrungen viel spricht, dann hätte sich in den letzten zwölf Monaten nicht nur kein Vermögensverlust, sondern sogar eine Zunahme der Kaufkraft ergeben. Denn der Preisindex für langlebige und hochwertige Gebrauchsgüter, Herr Abgeordneter, ist in der Zeit von März 1968 bis März 1969, wie Ihnen sicher bekannt ist, um etwa 0,1 °/a gefallen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, daß man es so, wie es der Sparkassen- und Giroverband gemacht hat, nicht ausrechnen kann. Können Sie mir sagen, wie die Bundesregierung glaubt, daß man es ausrechnen könnte?
Wir sind der Auffassung, daß eine solche Berechnung mit den vorliegenden Methoden - wie auch die Bundesbank gutachtlich festgestellt hat - nicht möglich ist. Man müßte den Verwendungszweck mit einbeziehen und müßte den Versuch machen, für bestimmte Produkte und bestimmte Verwendungszwecke eine solche Errechnung durchzuführen.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Opitz.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß dann die Bundesregierung in irgendeiner Form eine Gegenberechnung aufstellen sollte, um dem zu widersprechen, was nach Ihrer Aussage in diesem Fall so nicht stimmt?
Herr Abgeordneter, der Bundeswirtschaftsminister hat dieser Feststellung, wie Sie wissen, bereits widersprochen. Insofern hat er auch schon eine Gegendarstellung vorgenommen.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
12738 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 230. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 7. Mai 1969
Ich habe eine Zusatzfrage.
Es sind schon beide Fragen beantwortet; Sie haben keine Zusatzfrage mehr. - Dann kommt der Abgeordnete Moersch.
Es kommt noch die zweite Frage!
Die zweite Frage ist doch schon beantwortet!
Ich habe die zweite Frage noch nicht beantwortet.
Die zweite Frage ist noch nicht beantwortet? - Dann möchte ich jetzt Herrn Abgeordneten Moersch das Wort zu einer Zusatzfrage der ersten Frage erteilen.
Herr Staatssekretär, ist die Antwort, daß man die Entwertung eines Sparguthabens nur danach bemessen könne, welchen Gegenstand man jeweils mit diesem Sparguthaben kaufe, so zu verstehen, daß die Bundesregierung der Ansicht ist, daß dann, wenn man das Sparguthaben überhaupt nicht angreife oder auflöse, garantiert kein Verlust entstehen könne?
Herr Abgeordneter, ich habe nicht gesagt, daß man eine Berechnung n u r so durchführen kann. Die Fragestellung ging doch wohl dahin, ob wir einer bestimmten Berechnung, die von anderer Stelle gemacht worden ist, zustimmen können. Dazu habe ich gesagt: eine Berechnung in dieser Form ist nicht machbar.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß sie die Indexangaben des Statistischen Bundesamtes in diesem speziellen Fall nicht für relevant halten, während Sie sonst den amtlichen Index als Grundlage Ihrer Berechnungen nehmen?
Herr Abgeordneter, ich habe versucht, an dieser Stelle zu zitieren; ich habe das Gutachten der Deutschen Bundesbank zitiert. Das Gutachten sagt an dieser Stelle, daß bis zu 2 % eine derartige Berechnung des Lebenshaltungskostenindexes nur mit Vorbehalt für eine ,Projektion akzeptiert werden kann.
({0})
Herr Abgeordneter Moersch, jetzt ist Ihr Kontingent vorerst erschöpft. - Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 38 des Abgeordneten Opitz auf:
Welchen Vermögensverlust erlitten alle Sparer der Bundesrepublik Deutschland durch die Preissteigerungen der letzten zwölf Monate?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Aus den in der Antwort zu Frage 37 dargelegten Gründen hält die Bundesregierung eine generelle Aussage darüber, ob und inwieweit alle Sparer in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 12 Monaten Vermögensverluste erlitten haben, nicht für möglich. Dies gilt um so mehr, als sich ja Ihre Frage, Herr Abgeordneter, auf alle Sparer bezieht, und die vermögensmäßige Auswirkung von Preissteigerungen ist, wie ich schon gesagt habe, je nach Sparform sehr unterschiedlich. Zum Beispiel werden Sparer, die ihre Ersparnisse in Beteiligungspapieren angelegt haben, im Regelfall von Preissteigerungen überhaupt nicht nachteilig betroffen.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe dann die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Luda auf:
Trifft die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21. April 1969 zu, wonach im Bundeswirtschaftsministerium die Ansicht vertreten wird, die Deutsche Bundesbank könne für die Geldwirtschaft nicht allein zuständig bleiben, sie sollte die Konjunktursteuerung weitgehend der Fiskalpolitik überlassen und kreditpolitische Maßnahmen nur noch im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium ergreifen?
Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Abgeordneter, so, wie die Frage gestellt wird, lautet die Antwort zunächst: nein.
Aber in Ergänzung möchte ich folgendes hinzufügen. Der Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 21. April 1969 gibt über die Ansichten des Bundesministers für Wirtschaft insofern zutreffend Auskunft, als davon die Rede ist, daß a) die Bundesbank nicht allein für unsere Geldwirtschaft zuständig ist und b) bei der Konjunktursteuerung ein Zusammenwirken von Bundesbank und Bundesregierung erforderlich ist. Die Zuständigkeiten von Bundesbank und Bundesregierung lassen sich dabei etwa wie folgt abgrenzen. Entsprechend dem Gesetz über die Deutsche Bundesbank steht dieser die Währungssteuerung mit Hilfe der im Gesetz genannten währungspolitischen Befugnisse zu. Die Deutsche Bundesbank ist hierbei von Weisungen der Bundesregierung unabhängig, zugleich aber auch verpflichtet - ich zitiere - „unter Wahrung ihrer Aufgabe die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen".
Währungspolitische Einwirkungsmöglichkeiten, die im Gesetz über die Deutsche Bundesbank nicht ausdrücklich aufgeführt sind, stehen dagegen auch der Bundesregierung zu. In die Zuständigkeit der Bundesregierung fallen ferner die Festsetzung der Währungsparität sowie die Ordnungs- und Strukturpolitik im Kreditwesen.
Unbeschadet dieser Zuständigkeitsverteilung können Wirtschaftspolitik und Notenbankpolitik nicht isoliert betrieben werden; dies um so weniger, als der Aktionsradius für eine binnenwirtschaftlich orientierte Notenbankpolitik auch von der Entwicklung der Zahlungsbilanz mit bestimmt wird.
Die Deutsche Bundesbank hat selbst wiederholt betont, daß die Konjunktursteuerung nicht allein der Kreditpolitik überlassen werden könne.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Luda.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß man unterstellen kann, daß der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die Rechtslage, wie Sie sie jetzt geschildert haben, genauso bekannt gewesen ist? Sind Sie mit mir ferner der Auffassung, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" davon ausgegangen ist, daß in Ihrem Hause in Wahrheit die Absicht besteht, das bestehende Bundesbankgesetz zu ändern?
Herr Abgeordneter, weil dem möglicherweise so gewesen sein mag - ich kenne nicht die Intentionen der „Frankfurter Allgemeinen" -, haben Sie diese Frage gestellt und habe ich diese Antwort gegeben. Die Position des Bundeswirtschaftsministers ist deutlich präzisiert. Es besteht nicht die Absicht, ein solches Gesetz vorzulegen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da zweifellos davon auszugehen ist, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" diese Information nicht aus der Luft gegriffen hat, frage ich Sie: Sind Sie bereit, nachzuprüfen, wie es gekommen ist, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" so informiert worden ist?
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Ich werde das gern nachprüfen lassen.
Damit sind beide Fragen erledigt.
Nein, ich habe die zweite Frage noch nicht beantwortet.
Ach so; daraus, daß sich der Abgeordnete .Luda gesetzt hat, habe ich das geschlossen.
Dann rufe ich die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Dr. Luda auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß derartige Bestrebungen, die gesetzlichen Zuständigkeiten der Deutschen Bundesbank einzuschränken und ihr die Unabhängigkeit zu nehmen, in der heutigen Preissituation das Vertrauen in die Stabilität unserer Währung ganz besonders gefährden müssen, einer Preissituation, welche durch die Feststellung des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 11. April 1969 gekennzeichnet ist, wonach die Preissteigerungen schon im ersten Vierteljahr 1969 die Zielprojektion der Bundesregierung für das ganze Jahr erreicht haben?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Wie bereits in der schriftlichen Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Starke, Mertes und der Fraktion der FDP ausgeführt wurde, hat die Bundesregierung keineswegs die Absicht - und das bestätigt es wieder -, die gesetzlichen Zuständigkeiten der Deutschen Bundesbank einzuschränken oder ihre Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Die Bundesregierung weiß das unabhängige Urteil der Bundesbank auch angesichts der öffentlichen Diskussionen um die weitere Sicherung der Preisstabilität sehr zu schätzen.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Ist die Bundesregierung bereit, das von der deutschen Luftfahrtindustrie in Angriff genommene Projekt eines senkrecht startenden Zivilflugzeuges wegen seiner zukunftsweisenden Bedeutung finanziell zu unterstützen?
Die Frage wird im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Staatssekretärs Dr. von Dohnanyi vom 7. Mai 1969 lautet :
Die deutsche Luftfahrtindustrie hat mehrere Vorschläge für ein senkrechtstartendes Zivilflugzeug, die auf unterschiedlicher technischer Konzeption beruhen, ausgearbeitet. Die Bundesregierung hat eine Expertengruppe beauftragt, diese Vorschläge auf ihre Förderungswürdigkeit zu prüfen. Sobald die Ergebnisse dieser Untersuchung vorliegen, und damit ist in einigen Monaten zu rechnen, wird die Bundesregierung über die finanzielle Unterstützung eines der Vorhaben entscheiden.
Die Bundesregierung ist im übrigen dabei, im Rahmen des Arbeitskreises für Fragen der Luft- und Raumfahrtindustrie beim Bundesminister für Wirtschaft ein Konzept für die zukünftige Struktur der deutschen Luftfahrtindustrie zu erarbeiten. Diese Konzeption wird verbesserte Maßstäbe für den effizienten Einsatz der notwendigerweise begrenzten Förderungsmittel schaffen und dabei auch dieses Projekt in die Überlegungen einbeziehen.
Ich komme zur Frage 42 des Herrn Abgeordneten Gewandt:
Treffen Pressemeldungen zu, daß von der Mehrheit der Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung offenbar rechtswidrige Beschlüsse zur Geschäftsordnung gefaßt wurden, die das Recht eines der fünf Sachverständigen zur Verbreitung einer abweichenden Meinung im gemeinsam zu erstattenden Gutachten zumindest beschränken, wenn nicht unmöglich machen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, ob diese Pressemeldungen zutreffen oder nicht, vermag die Bundesregierung ohne Vorliegen eines Untersuchungsergebnisses nicht zu übersehen. Die Bundesregierung selbst sieht sich entsprechend der im Gesetz gewährleisteten Unabhängigkeit des Sachverständigenrates nicht in der Lage, eine Prüfung dieser Frage von sich aus vorzunehmen. Wie Sie wissen, hat sich der Sachverständigenrat am 24. April 1969 mit einem inzwischen veröffentlichten Schreiben an den Herrn Bundespräsidenten gewandt
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und ihn gebeten, auf eine Klärung dieser Angelegenheit durch eine neutrale Stelle hinzuwirken.
Herr Abgeordneter Gewandt zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, unterstützt die Bundesregierung die Klärung durch eine unabhängige Kommission?
Die Bundesregierung unterstützt die Klärung durch eine Kommission.
Eine zweite Zusatzfrage.
Haben Sie schon Kenntnis, wann diese Kommission in Aktion tritt?
Diese Angelegenheit, Herr Abgeordneter, liegt gegenwärtig in der Hand des Herrn Bundespräsidenten.
Ich komme zur Frage 43 des Abgeordneten Gewandt:
Ist die Bundesregierung bereit, zu prüfen, ob die Geschäftsordnung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit dem gesetzlichen Auftrag in Einklang steht, und dem Deutschen Bundestag hierüber zu berichten?
Die Bundesregierung geht davon aus, daß es der Entscheidung des Herrn Bundespräsidenten überlassen bleiben sollte, diese Frage möglicherweise im Zusammenhang mit der Prüfung der gesamten Angelegenheit durch eine neutrale Stelle klären zu lassen.
Eine Zusatzfrage? - Nein.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Gewandt auf:
Ist die Bundesregierung, nachdem der Vorwurf der Rechtswidrigkeit erhoben wurde, bereit, darauf hinzuwirken, daß die umstrittenen Beschlüsse veröffentlicht werden?
Nach § 10 des Gesetzes über den Sachverständigenrat sind dessen Mitglieder sowie die Angehörigen der Geschäftsstelle zur Verschwiegenheit über die Beratung sowie die vom Sachverständigenrat als vertraulich bezeichneten Beratungsunterlagen verpflichtet. Die Bundesregierung ist mit den Mitgliedern des Sachverständigenrates der Ansicht, daß dieses Beratungsgeheimnis auch in Zukunft eine unerläßliche Voraussetzung für die Arbeitsfähigkeit des Rates ist. Sie hält es daher nicht für ratsam, von sich aus auf eine Veröffentlichung der umstrittenen Beschlüsse hinzuwirken. Sie hält die vom Sachverständigenrat vorgeschlagene Prüfung durch eine neutrale Stelle für den besseren Weg.
Eine Zusatzfrage, 11 Herr Abgeordneter Gewandt.
Herr Staatssekretär, erschwert nicht die Unterdrückung einer Minderheitenmeinung die Urteilsfindung hier im Parlament über die wirtschaftliche Situation, wie sie im Sachverständigenrat gesehen wird?
Wenn das, was Sie soeben ausgedrückt haben, Herr Abgeordneter, eine Tatsache wäre - darüber ist ja zu befinden -, dann würde die Bundesregierung wohl zustimmen, daß das die Urteilsbildung erschweren würde.
Dann komme ich zur Frage 45 der Frau Abgeordneten Klee:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Auswahl neuer Bundesausbauorte nunmehr die Stadt Alzey zu berücksichtigen?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, jeden Vorschlag eines Bundeslandes zu prüfen. Aber das Vorschlagsrecht für neue Bundesausbauorte haben die Länder. Entscheidend ist daher zunächst, welche Chance die Kreisstadt Alzey hat, zu gegebener Zeit vom Lande Rheinland-Pfalz als Bundesausbauort vorgeschlagen zu werden. Der interministerielle Ausschuß für regionale Wirtschaftspolitik entscheidet dann nach Vorliegen aller Ländervorschläge und sorgfältiger Prüfung der wirtschaftlichen Entwicklungschancen.
Wir kommen zu den Fragen des Herren Abgeordneten Dr. Enders.
Herr Präsident, ich bitte, die drei Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich die Fragen 46, 47 und 48 des Abgeordneten Dr. Enders auf:
In welchem Umfang liefert die deutsche Kaliindustrie Düngemittel in die Entwicklungsländer?
Kann durch die erhöhte Verwendung von Kalidüngemitteln die Erzeugung von Agrarprodukten in den Entwicklungsländern gesteigert werden?
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß durch größere Kaliexporte in die Entwicklungsländer zur Sicherung der Arbeitsplätze in unseren Kalirevieren beigetragen wird?
In die vom GATT als Entwicklungsländer behandelten Gebiete sind im Kalenderjahr 1968 aus der Bundesrepublik Deutschland rund 180 000 t Kalidüngemittel, nach dem K90-Gehalt bemessen, geliefert worden.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß zur Sicherung des Ernährungsbedarfs der insbesondere in den Entwicklungsländern wachsenden Bevölkerung eine Erhöhung der Agrarproduktion dieser
Länder erforderlich ist. Der Weltkali düngemittelverbrauch wird für das Düngejahr 1970/71 auf rund 18,6 Millionen t K2O-Gehalt geschätzt gegenüber einem tatsächlichen Verbrauch im Düngejahr 1965/66 von rund 12 Millionen t. Der Verbrauch Südamerikas, Asiens, Afrikas und Ozeaniens, also der wesentlichen Entwicklungsgebiete, hat im Jahr 1965/66 rund 1,5 Millionen t betragen und wird für das Düngejahr 1970/71 auf rund 2,5 Millionen t geschätzt.
Da der deutsche Inlandsabsatz von Kalidüngemitteln bei gleichzeitig steigendem Verbrauch von Stickstoffdüngemitteln seit einigen Jahren stagniert, wäre eine entsprechende Steigerung der Ausfuhr wünschenswert. Ob aber eine entsprechende Steigerung der Exporte in die Entwicklungsländer möglich ist, hängt von der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gegenüber der ausländischen Kaliproduktion sowie gegenüber den sonstigen Düngemitteln ab.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Enders.
Herr Staatssekretär, haben bereits andere Staaten den Markt für Kalidüngemittel in den Entwicklungsländern besser erschlossen als wir?
Herr Abgeordneter, es gibt dort eine Reihe von Vorgängen, bei denen, insbesondere im Barter-Geschäft, Kalidüngemittel in die Entwicklungsländer geliefert werden. Ein Urteil darüber, ob diese Länder die Märkte besser erschlossen haben oder nicht, kann ich im Augenblick nicht abgeben. Ich bin aber gern bereit, dieser Frage nachzugehen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Enders.
Herr Staatssekretär, ist auch dafür Sorge getragen, daß die Entwicklungshelfer eine entsprechende Ausbildung erhalten, die es Ihnen ermöglicht, während ihres Einsatzes zur Steigerung der Verwendung von Kalidüngesalzen beizutragen?
Herr Abgeordneter, die Frage richtet sich in erster Linie an den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Im Zusammenhang mit der Ausbildung von Entwicklungshelfern wird natürlich in erster Linie Wert darauf gelegt, daß diese eine möglichst umfassende Kenntnis von den agrartechnischen Vorgängen erhalten. Ich bin sicher, daß die gegenwärtige Ausbildung dem auch in bezug auf die Kalidüngemittel Rechnung trägt.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Enders.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß durch Rationalisierungsmaßnahmen im Kalibergbau und auch durch das Auftreten neuer Lieferanten die Arbeitsplätze im Kalibergbau erheblich reduziert worden sind?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Gesamtzahl der im Kalibergbau Beschäftigten etwas über 11 000 beträgt und daß diese Zahl in den vergangenen Jahren um etwa 9,6 % rückläufig gewesen ist. Die Bundesregierung begrüßt aber natürlich die Rationalisierung im Bergbau.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß eine Stärkung der Wirtschaft des Zonenrandgebiets einträte - dort gibt es ja erhebliche Kaliabbaugebiete -, wenn eine Steigerung des Kaliexports erreicht werden könnte?
Es kann kein Zweifel daran bestehen, Herr Abgeordneter, daß, wenn unter den von mir genannten Voraussetzungen und Bedingungen eine Steigerung des Kaliabsatzes möglich wäre, damit auch eine gewisse Stärkung in den Gebieten entreten würde, in denen diese Kalibergwerke gelegen sind.
Wir kommen dann zur Frage 22 des Herrn Abgeordneten Picard:
Wie weit sind die Bemühungen der Bundesregierung gediehen, eine Anerkennung des deutschen graduierten Ingenieurs im EWG-Bereich zu erreichen?
Die Frage wird vom Abgeordneten Dr. Abelein übernommen.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung setzt sich in Brüssel dafür ein, daß der deutsche graduierte Ingenieur in die Anerkennung im EWG-Bereich einbezogen wird. Nach Auffassung der Bundesregierung sollte, ähnlich dem deutschen Ingenieursgesetz, eine einheitliche Gruppe Ingenieure gebildet werden, in die die Diplom-Ingenieure und die graduierten Ingenieure unter Berücksichtigung ihrer jeweils eigenständigen Ausbildung einbezogen werden.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften bereitet zur Zeit einen Richtlinienvorschlag an den Rat vor. Nach dem heutigen Stand unserer Informationen sollen die Anforderungen für den praktischtechnischen Ingenieur denen entsprechen, die auch nach dem Beschluß der Ministerpräsidenten für die Fachhochschulen vorgesehen sind. Nach Auffassung der Bundesregierung muß in der Richtlinie eindeutig festgelegt werden, daß die Angehörigen dieser Gruppe die Berufsbezeichnung „Ingenieur" führen und die Ingenieurstätigkeit entsprechend ausüben dürfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Abelein.
Wie weit sind diese Bemühungen der Bundesregierung in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik gediehen?
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß es hierzu einen Beschluß der Konferenz der Ministerpräsidenten gibt, und wir betrachten dies bereits als einen ersten Erfolg der Bemühungen der Bundesregierung.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Abelein.
Ich wollte meine Frage so verstanden wissen, ob die Bundesregierung darüber Bescheid weiß, ob ,es in den einzelnen Ländern noch große Unterschiede bezüglich der Erreichung dieses Zieles gibt.
Es gibt in den einzelnen Ländern noch Unterschiede.
Herr Abgeordneter Strohmayr zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gelten dann unter Umständen im EWG-Raum die gleichen Betstimmungen, die jetzt für die Ingenieure angestrebt werden, auch für die Architekten?
Es soll hier eine ähnliche Regelung erfolgen.
Herr Abgeordneter Dorn zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß das ganze Dilemma mit der Zustimmung der Bundesregierung zu den Eingangsvoraussetzungen für den Schulbesuch bei den Römischen Verträgen begonnen hat?
Ganz sicherlich, Herr Abgeordneter, hängt alles das, was heute zu diesem Punkt diskutiert wird, mit den Eingangsvoraussetzungen und damit mit den Römischen Verträgen zusammen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dorn.
Herr Staatsserketär, was ist die Bundesregierung denn nunmehr in den Verhandlungen mit den Länderregierungen zu tun bereit, um hier endlich die Ministerpräsidenten und die zuständigen Fachminister, die Kultusminister, dazu zu brngen, daß sie nach monatelangen Beratungen nunmehr zu einem Ergebnis kommen und daß dieses Ergebnis dann auch in Brüssel bei der Kommissionsrichtlinienvorlage berücksichtigt werden kann?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist nicht nur bereit, etwas zu tun, sie tut auch etwas. Sie hat nämlich, wie ich gesagt habe, auf der einen Seite den Beschluß der Ministerpräsidenten mit herbeigeführt, indem sie die Anrgung dafür gegeben hat,
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und zum anderen, Herr Abgeordneter, ist sie in Brüssel wegen der damit verbundenen Voraussetzungen vorstellig geworden und hat entsprechende Gespräche und Verhandlungen geführt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Darf ich, Herr Staatssekretär, an die Frage des Kollegen Abelein anknüpfen: Welcher Art und wie groß sind die Unterschiede in den Auffassungen der einzelnen Bundesländer in dieser Richtung?
Herr Abgeordneter, ich glaube, es wäre mir hier unmöglich, im einzelnen die Unterschiede darzustellen. Die Unterschiede sind nicht so groß, wie häufig vermutet wird, und nach dem Beschluß der Ministerpräsidenten ist anzunehmen, daß rechtzeitig für die Verabschiedung der Richtlinien in Brüssel eine entsprechende Einigung und damit die Möglichkeit der Anerkennung gegeben sein wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bewußt, daß die Ingenieurschulstudenten und ihre maßgebenden Vertreter - wie ich meine, mit Recht - der Ansicht sind, daß die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz von den einzelnen Kultusministern in völlig unzulänglicher Weise ausgeführt werden und daß sich deshalb die Hoffnung, daß hier eine Gleichheit hergestellt werden kann, vorläufig jedenfalls nicht erfüllen wird?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung muß die Durchführung der Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz in den Ländern den Ministerpräsidenten und den dortigen Kultusministern überlassen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Was hat die Bundesregierung bisher getan, um festzustellen, inwiefern die ZuMoersch
sagen, die die Ministerpräsidenten gegeben haben, nun tatsächlich auch ausgeführt werden?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist in ständigem Kontakt mit den Kultusministern und den Ministerpräsidenten der Länder. Mehr ist in dieser Richtung nicht zu tun. Die anderen Möglichkeiten ergeben sich hinsichtlich der Tätigkeit der Bundesregierung bei der Formulierung in Brüssel.
Damit ist die Frage erledigt. Wenn sich ein Abgeordneter nach der ersten Frage setzt, hat er durch konkludentes Verhalten auf die zweite Frage verzichtet; das ist die Übung dieses Hauses.
Herr Abgeordneter Bühler, haben Sie noch eine Frage?
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß z. B. Absolventen deutscher Ingenieurschulen, die in der Schweiz eine Tätigkeit aufnehmen, dort nur als Techniker eingestuft werden?
Herr Abgeordneter, wir diskutieren zunächst über das Problem der EWG. Natürlich gibt es eine ganze Reihe anderer Fragestellungen gegenüber dritten Ländern. Aber diese Probleme sind anderer Natur. Sie müssen zumeist bilateral gelöst werden und stehen etwas abseits der Problematik der Gleichberechtigung deutscher Ingenieure im Rahmen der EWG-Richtlinien.
Herr Staatssekretär, Sie waren so liebenswürdig, die Frage gleich zu beantworten; an sich hätte ich sie als Zusatzfrage gar nicht zulassen können; denn ich kann nur Fragen, die die EWG betreffen, zulassen.
Ich meine, hier sollten Sie lieber eine selbständige Frage stellen, auf die sich der Herr Staatssekretär dann auch eingehend vorbereiten kann.
Damit ist der Punkt abgeschlossen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, und komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Ich rufe die Frage 54 des Abg. Hirsch auf:
Sieht die Bundesregierung in der Regelung des § 143 a AVAVG und der auf seiner Grundlage erlassenen Richtlinien und Dienstanweisungen, wonach öffentlich-rechtliche Bauherren von den Zuschüssen für durch das Bauen in Schlechtwetterzeiten verursachte Mehrkosten ausgeschlossen sind, eine sinnvolle Förderung des kommunalen Wohnungsbaues und der kommunalen Bemühungen zur Arbeitsplatzsicherung?
Herr Abgeordneter hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Kattenstroth vom 7. Mai 1969 lautet:
Der Gesetzgeber hat die Bauten der öffentlichen Hand von der Förderung nach § 143 a AVAVG ausgeschlossen, weil er davon ausging, daß die öffentliche Hand ihre Bauvorhaben auch während der winterlichen Schlechtwetterzeit fortzuführen hätte, ohne dafür besondere Zuschüsse aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung zu erhalten. Der von Ihnen erwähnte kommunale Wohnungsbau ist von diesem Ausschluß im allgemeinen nicht betroffen, da er in aller Regel von juristisch selbständigen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften durchgeführt wird; diese werden von der Ausschlußvorschrift nicht erfaßt.
Der Entwurf des Arbeitsförderungsgesetzes sieht eine dem § 143 a AVAVG entsprechende Regelung nicht mehr vor, da sich die Gewährung von Zuschüssen an die Bauherren nicht bewährt hat. Diese Form der Förderung des Winterbaus soll nach dem künftigen Arbeitsförderungsgesetz durch die sogenannte Produktive Winterbauförderung abgelöst werden. Dabei handelt es sich um Zuschüsse an Bauunternehmen, die in der winterlichen Förderungszeit kein Schlechtwettergeld für ihre Arbeitnehmer in Anspruch nehmen. Von dieser Förderung sind die Bauten der öffentlichen Hand nicht mehr ausgeschlossen.
Ich komme zur Frage des Herrn Abgeordneten Paul:
Wann ist damit zu rechnen, daß zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden ein Sozialabkommen abgeschlossen werden kann?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Schon vor längerer Zeit haben deutsch-schwedische Regierungsverhandlungen über den Abschluß eines Gegenseitigkeitsabkommens auf dem Gebiete der Sozialversicherung stattgefunden. Inzwischen hat sich die Lage insofern geändert, als gegenwärtig im Europarat in Straßburg über den Entwurf eines Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit beraten wird. Dieses Abkommen soll, ähnlich wie die zweiseitigen Abkommen über Sozialversicherung, auf den Grundsätzen der uneingeschränkten Leistungsgewährung und der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten und diesen gleichgestellten Zeiten beruhen. Das Europäische Abkommen würde nach seinem Inkrafttreten zweiseitige Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats weitgehend entbehrlich machen. Es erscheint daher angebracht, zunächst den Fortgang der Beratungen im Europarat abzuwarten und vorerst davon abzusehen, den Abschluß eines zweiseitigen Sozialversicherungsabkommens mit Schweden weiter zu verfolgen. Wann das Europäische Abkommen im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Schweden wirksam werden wird, läßt sich noch nicht sagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paul.
Ist es nicht doch möglich, inzwischen ein Abkommen zwischen dem Königreich Schweden und der Bundesrepublik zu treffen mit Rücksicht darauf, daß die Anzahl der beiderseitigen Rentner erheblich ist? Da es aktuelle Rentenangelegenheiten gibt, scheint es mir nach meinen Erfahrungen auch in der europäischen Arbeit doch nützlich zu sein, wenn die Bundesregierung in der Lage wäre, dieses Abkommen mit Schweden zu verwirklichen.
Herr Abgeordneter, ich verstehe Ihr Anliegen. Für den Fall, daß das Europäische Abkommen über Soziale Sicherheit nicht bald zustande kommt, muß sich die Bundesregierung in der Tat überlegen, die zweiseitigen Verhandlungen mit Schweden wieder aufzunehmen. Im Augenblick möchte sie davon absehen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paul.
Ist der Herr Staatssekretär in der Lage zu erklären, welche Zeitspanne unter dem Wort „bald" zu verstehen ist?
Herr Abgeordneter, Sie wissen, wie schwer und wie langwierig es ist, zweiseitige Abkommen internationaler Art zu schließen. Noch viel schwieriger ist es natürlich, ein Abkommen im Rahmen des Europarates zustande zu bringen. Ich kann Ihnen keine bestimmte Frist angeben. Wir sind aber der Meinung, daß es im Augenblick viel zweckmäßiger ist, uns in Straßburg so weit wie möglich zu einigen. Wenn wir dort nicht zu einem Ergebnis kommen, sind die Verhandlungen, die in Straßburg geführt worden sind, auch für ein zweiseitiges Abkommen mit Schweden von Bedeutung, so daß die Verhandlungen so oder so nützlich sind.
Wir kommen zu der Frage des Herrn Abgeordneten Zebisch:
Wird die Bundesregierung durch entsprechende Gesetzesvorschläge darauf dringen, daß Unfälle auf dem Umweg von und zur Arbeit, der zur Unterbringung von Kindern berufstätiger Arbeitnehmer notwendig ist, als Wegeunfälle anerkannt werden?
Der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung erstreckt sich auch auf Unfälle, die sich auf dem Wege nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit - das ist in der Regel die Arbeitsstätte - ereignen. Voraussetzung ist u. a., daß der Weg mit der versicherten Tätigkeit in einem wesentlichen inneren Zusammenhang steht. Dieser Zusammenhang wird im allgemeinen für solche Umwege auf dem Weg nach und von der Arbeitsstätte nicht gegeben sein,' die dazu dienen, ein Kind für die Dauer der Arbeitszeit der Eltern unterzubringen. Solche Umwege gelten in der Regel als zum privaten Bereich der Versicherten gehörend, ebenso wie etwa die Besorgung von Arbeitskleidung. Das schließt aber nicht aus, daß in besonders gelagerten Fällen auch hier der wesentliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit anzunehmen ist. Es wird immer auf die rechtliche Würdigung der Umstände des Einzelfalles ankommen.
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Die Einbeziehung der von Ihnen, Herr Abgeordneter Zebisch, erwähnten Fälle in den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz dürfte äußerst schwierig sein. Es ist zu fragen, ob es gerechtfertigt werden kann, lediglich in bestimmten Fällen von dem Grundsatz abzuweichen, daß Wege oder Umwege im privaten Bereich des Versicherten dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nicht unterliegen. Außerdem erscheint es zweifelhaft, ob es zweckmäßig ist, durch eine Anzahl gesetzlicher Kriterien in den von Ihnen genannten Fällen die rechtliche
Würdigung der Umstände des Einzelfalles weltgehend auszuschließen. Gleichwohl wird geprüft werden müssen, ob für diesen Problemkreis eine gesetzliche Lösung in Betracht kommt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zebisch.
Herr Staatssekretär, haben Sie eine Unfallstatistik bezüglich des Personenkreises, den ich angesprochen habe? Es geht hauptsächlich um die berufstätigen Frauen, die auf dem Weg zur Arbeitsstätte sehr oft ihre Kinder bei Kindertagesstätten abgeben.
Herr Abgeordneter, ich werde Ihnen die Zahlen, die wir haben, schriftlich mitteilen.
Keine Zusatzfrage.
Frage 57 des Herrn Abgeordneten Killat:
Wann wird die Bundesregierung den am 27. November 1968 einstimmig gefaßten Beschluß des Deutschen Bundestages erfüllen, einen Gesetzentwurf über die Gewährung von Unfallversicherungsschutz für Schulkinder vorzulegen, durch den diese während des Unterrichts, bei schulischen Veranstaltungen und auf dem Wege von und zur Schule kraft Gesetzes versichert werden?
Die Bundesregierung ist bemüht, den Auftrag des Hohen Hauses, ihm einen Gesetzentwurf über die Unfallversicherung für Schulkinder vorzulegen, bald zu erfüllen. Ein genauer Termin läßt sich jedoch heute noch nicht angeben, da den Ländern als Kostenträgern und als Trägern der Kultushoheit ausreichend Gelegenheit gegeben werden muß, sich zu dem Gesetzesvorhaben zu äußern.
Die Grundsätze eines Gesetzentwurfs wurden im März dieses Jahres mit den Vertretern der Länderarbeitsminister besprochen. Es konnte eine weitgehende Einigung erzielt werden. Zur Klärung von Einzelfragen, vor allem hinsichtlich der zu erwartenden Kosten, wurden die Länder um Unterlagen gebeten. Sobald das Material vorliegt, wird das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung den Ländern und den sonst zu beteiligenden Stellen einen ersten Gesetzentwurf zuleiten. Bis wann ein Regierungsentwurf dem Bundestag vorgelegt werden kann, wird maßgeblich davon abhängen, ob die Stellungnahmen der Länder und der anderen Beteiligten zu mehr oder weniger umfangreichen Änderungen des ersten Entwurfs Anlaß geben.
Eine Zusatzfrage, Herr Killat.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß die Regelung dieser Frage gesetzestechnisch überhaupt kein Problem ist, weil in der RVO ja schon Fachschulen, BerufsfachKillat
schulen und Schülerlotsen erfaßt sind, so daß wir den Personenkreis nur der Bezeichnung nach mit aufzunehmen brauchen und damit die Frage gelöst ist, - zumal auch in dem Schriftlichen Bericht seinerzeit zum Ausdruck gebracht worden ist, daß der Bund dafür die Kompetenz hat?
Herr Abgeordneter Killat, es besteht sicher keine Schwierigkeit, das Problem gesetzestechnisch schnell zu lösen. Aber es taucht die Frage auf: Wer trägt die Kostenlast? Und das müssen wir nun einmal mit den Ländern erörtern. Wir haben die Länder um Unterlagen gebeten. Ich rechne nicht damit, daß das Hohe Haus noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf beschließen kann. Das wäre wünschenswert. Aber ich muß offen sagen, dafür werden die jetzt noch vor uns liegenden sechs Parlamentswochen meiner Meinung nach nicht ausreichen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Killat.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß praktisch auch heute schon die Gemeinden oder Schulverbände bzw. auch die Länder, soweit solche Regelungen schon bestehen, dafür die Kosten aufbringen - und aufbringen müssen - und daß die Regelung, die wir anstreben, einmal zur Vereinheitlichung und zur allgemeinen Sicherheit führen soll und daß dieses Problem auch im Interesse der bedrohten Kinder und der sorgenvollen Eltern schneller gelöst werden muß, zumal da dieser Antrag seit dem 1. Januar 1968 hier im Bundestag behandelt worden ist, im Oktober im Ausschuß erledigt und einstimmig beschlossen und im November des vergangenen Jahres als einstimmiger Beschluß des Hauses der Regierung mit der Bitte zugeleitet wurde, nun das Gesetzeswerk vorzulegen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, es besteht zwischen Ihnen, dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und - ich meine auch sagen zu dürfen - den Fraktionen des Hohen Hauses überhaupt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß eine Regelung in Ihrem Sinne getroffen werden muß. Nur müssen wir mit den Partnern darüber verhandeln. Daran kommen wir nicht vorbei. In der Sache sind Sie, Herr Abgeordneter Killat, mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung völlig einer Meinung.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Weigl auf:
Welche Tarifpartner haben bisher vermögensbildende Leistungen nach dem sogenannten 312-DM-Gesetz vereinbart?
Herr Präsident, ich bitte mir zu gestatten, die Fragen 58 und 59 zusammen zu beantworten.
Herr Weigl ist einverstanden. Dann rufe ich noch die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Weigl auf:
Kann die Bundesregierung Tarifpartner benennen, die Angebote des Partners auf Einbeziehung von vermögenswirksamen Leistungen nach dem sogenannten 312-DM-Gesetz in Tarifvertragsvereinbarungen abgelehnt haben?
Bisher sind, soweit bekanntgeworden ist, 73 Tarifverträge über vermögenswirksame Leistungen abgeschlossen worden. Es sind vor allem Verträge der Tarifpartner des Bau- und Baunebengewerbes sowie des Saarbergbaus. Im übrigen handelt es sich im wesentlichen um Firmentarifverträge. Ich habe hier eine Aufstellung mit den Einzelheiten der bisher abgeschlossenen Tarifverträge, die ich Ihnen, Herr Abgeordneter, gern zur Verfügung stelle.
Ihre weitere Frage verstehe ich dahin, daß Sie wissen möchten, welche Gewerkschaften Angebote der Arbeitgeberseite aúf vermögenswirksame Leistungen nicht angenommen und welche Arbeitgeberverbände Forderungen der Gewerkschaften auf die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen abgelehnt haben. Die Bundesregierung kann hierzu keine genauen Angaben machen. Solche Angaben wären auch nur wenig aussagekräftig für die Aufgeschlossenheit der einzelnen Tarifpartner zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Entscheidend ist vielmehr, mit welcher Intensität der einzelne Tarifpartner vermögenswirksame Leistungen angeboten oder ihre Gewährung gefordert hat und mit welcher Intensität er in den Tarifverhandlungen im Rahmen des üblichen Verhandlungspakets auf Durchsetzung der Forderung oder auf Annahme des Angebots bestanden hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Weigl.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie viele Arbeitnehmer insgesamt bisher in den Genuß vermögensbildender Leistungen nach dem 312-DM-Gesetz kommen?
Wir haben in der Antwort auf eine Kleine Anfrage die von Ihnen gestellte Frage beantwortet. Ich werde Ihnen in Ergänzung Ihrer jetzigen Frage eine Antwort dazu geben, was wir im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung an Unterlagen besitzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abelein.
Ermuntert die bisherige Erfahrung mit dem 312-DM-Gesetz die Bundesregierung, die Möglichkeiten vermögenswirksamer Leistungen für Arbeitnehmer nach diesem Gesetz in absehbarer Zeit zu erweitern?
Herr Abgeordneter, in einigen Monaten sind Bundestagswahlen. Über diese Frage kann erst die neue Bundesregierung entscheiden.
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Eine Zusatzfrage, Herr Dorn.
Herr Staatssekretär, würde die Bundesregierung Tarifabschlüsse nach dem 312-DM-Gesetz auch für den öffentlichen Dienst befürworten?
Herr Abgeordneter, das ist eine alte Streitfrage. Der Bundesminister des Innern wird sich darum bemühen, daß bei den Beratungen über die mittelfristige Finanzplanung entsprechende Beträge eingesetzt werden.
Noch eine Frage, Herr Dorn.
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann die Frage beantworten, warum die Bundesregierung bisher nicht in der Lage war, den Angehörigen des öffentlichen Dienstes entsprechend dem Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages ebenfalls die Möglichkeit zu geben und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie hier beteiligt werden können?
Herr Abgeordneter, Sie kennen die Haushaltsverhandlungen, die in jedem Jahr stattfinden. Das ist eine Folge der Haushaltsverhandlungen. Die erforderlichen Mittel sind bisher nicht bereitgestellt worden.
Hatten Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Weigl? - Dann bedanke ich mich für die Beantwortung dieser Fragen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung ist hier der Herr Parlamentarische Staatssekretär Leicht. Wir kommen zunächst zur Frage 30 des Herrn Abgeordneten Josten:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode eine Reform der Erbschaftsteuer anstrebt?
Können die Fragen 30 und 31 zusammen beantwortet werden?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich will mich bemühen, sie zusammen zu beantworten.
Dann rufe ich noch die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Stimmen die Nachrichten, daß auf Grund eines Planes des hessischen Finanzministers die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer um 2,5 Milliarden DM gesteigert werden sollen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Bundesregierung, Herr Kollege Josten, zieht eine Reform der Erbschaftsteuer noch in dieser Legislaturperiode keinesfalls in Erwägung. Dies ist in den letzten Monaten bereits mehrfach von mir betont worden, zuletzt übrigens auch in den „Finanznachrichten" vom 16. April 1969. Die Reform der Erbschaftsteuer wird vielmehr erst im Rahmen der gesetzgeberischen Arbeiten vorbereitet werden, die für die erstmalige Anwendung der neuen Grundbesitzeinheitswerte, die zur Zeit auf den 1. Januar 1964 festgestellt werden, u. a. auch bei der Erbschaftsteuer erforderlich sind. Im übrigen wird sich auch die von dem Bundesminister der Finanzen eingesetzte Steuerrechtsreformkommission mit der Überprüfung des Erbschaftsteuerrechts eingehend befassen.
Zur Frage 31: Ich vermag nicht zu beurteilen, ob die Nachrichten stimmen, daß der Herr hessische Finanzminister Pläne verfolgt, die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer um 2,5 Milliarden DM zu steigern. Ich habe von solchen Plänen bislang auch nur aus der Tagespresse gehört. Nach diesen Meldungen in der Presse sollen die Änderungsvorstellungen allerdings etwa auf eine Verzehnfachung des jetzigen Aufkommens an Erbschaftsteuer - das sind im Augenblick rund 300 Millionen DM - abzielen. Einzelheiten sind mir jedoch nicht bekannt.
Selbst wenn - womit ich indessen kaum rechne - das Land Hessen einen den Pressemeldungen entsprechenden Antrag auf Änderung des Erbschaftsteuergesetzes noch in dieser Legislaturperiode einbringen sollte, dürfte schon wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit die eingehende Prüfung und Erörterung derartig einschneidender Maßnahmen, wie sie hier vorgesehen werden sollen, nicht mehr durchgesetzt werden können. Vor allem aber würde damit auch der Arbeit der Steuerrechtsreformkommission für einen wichtigen Teilbereich vorgegriffen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, wann ist mit dem Ergebnis der Arbeit der von Ihnen genannten Steuerreformkommission bezüglich des Erbschaftsteuerrechts zu rechnen?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das wird sicherlich nicht möglich sein, bevor die anderen Ergebnisse der Steuerreformkommission vorliegen. Wir rechnen damit, daß das im Jahre 1970, wahrscheinlich Ende 1970, geschehen kann.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß nach dem Inkrafttreten der Steuerwirksamkeit der Neubewertung eher eine Herabsetzung der Erbschaftsteuersätze als eine Heraufsetzung notwendig wäre?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich möchte abwarten, was die Steuerrechtsreformkommission dazu sagt, nachdem die Dinge geprüft worden sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Marx ({0}) auf:
Wie hoch ist - falls man eine möglichst überzeugende Definition des Begriffs „Bruttosozialprodukt" finden und vergleichend anwenden kann - der Anteil für Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt in den USA, in Kanada, Großbritannien, Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1968?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich darf die Frage wie folgt beantworten.
Das Bruttosozialprodukt wird als eine Größenordnung volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen international einheitlich als Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen oder als Bruttosozialprodukt zu Faktorkosten festgestellt. Das Bruttosozialprodukt zu Faktorkosten ist gleich dem Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen minus indirekte Steuern plus Subventionen. Die Verteidigungsausgaben werden nach NATO-Kriterien international einheitlich in der Regel dem Bruttosozialprodukt zu Faktorkosten, also minus indirekte Steuern plus Subventionen, gegenübergestellt.
Für 1968 liegen Berechnungen des Bruttosozialprodukts zu Faktorkosten noch nicht für alle Staaten vor. Die Verteidigungsausgaben können deshalb nur für 1967 dem Bruttosozialprodukt zu Faktorkosten gegenübergestellt werden. Danach ergibt sich folgendes Bild: USA einschließlich Vietnam 10,3 %, ohne Vietnam 6,9%, Kanada 3,6 %, Großbritannien 6,6%, Frankreich 6,2 %, Bundesrepublik einschließlich Berlin-Hilfe - wir müssen das hinzunehmen; Sie wissen, daß es nach langem Hin und Her gelungen ist, es wenigstens unter dem Strich ausweisen zu können - 5,7%, ohne Berlin-Hilfe 5,1 %.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Marx ({0}).
Herr Staatssekretär, wir erklären Sie sich diese von Ihnen soeben genannten, allerdings auf das Jahr 1967 bezogenen Unterschiede zwischen den Anteilen der vergleichbaren Länder und zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten von Amerika, wobei man natürlich sagen muß, daß nach Ihren Darlegungen die Vergleichszahl heute günstiger aussieht als in früherer Zeit?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die letzte Feststellung möchte ich unterstreichen.
Ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Die höheren Verteidigungsausgaben der USA, nach denen Sie zu Recht besonders gefragt haben, sind zu einem Drittel, wie sich schon aus meinen Angaben ergibt, durch Vietnam-Ausgaben bedingt. Außerdem entfallen von den Verteidigungsausgaben der USA, aber auch Großbritanniens, 1967 rund 11 % auf Forschung und Entwicklung und in Frankreich sogar rund 20 %. Diese hohen Forschungsausgaben im Verteidigungssektor beruhen vor allem auf Nuklear-und Atomforschungsprogrammen. In der Bundesrepublik liegen die Ausgaben für wissenschaftliche Forschung im Verteidigungssektor, wie Sie als Mitglied des Verteidigungsausschusses sicherlich wissen, unter 1 v. H. Läßt man diese Forschungs- und Vietnam-Ausgaben außer Ansatz, so beträgt der Verteidigungsaufwand in v. H. des Bruttosozialprodukts zu Faktorkosten 1967 in den USA 6,1, in der Bundesrepublik 5,7, in Großbritannien 6 und in Frankreich 5 v. H. und weicht somit in diesen vier Staaten - ich glaube, das kann man auf Grund dieser Zahlen feststellen - nicht allzu wesentlich voneinander ab.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, wäre es nach Ihren Darlegungen nicht angebracht, daß wir uns von unserer Seite bemühten, das Defizit hinsichtlich der Forschung und der Entwicklung durch ein höheres Engagement auszugleichen, weil wir sonst nur von Lizenzen aus zweiter Hand leben?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, wir kennen das Problem der technologischen Lücke, und ich möchte feststellen - ohne mich festzulegen, ob im Verteidigungsbereich oder allgemein -, daß die Bundesregierung sich, wie ja auch deutlich geworden ist, in den letzten Jahren doch bemüht, in diese technologische Lücke hineinzustoßen und das Erforderliche zu tun, um aufzuholen.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Zebisch auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Kosten für die Unterbringung der Kinder berufstätiger Mütter in Tagesheimstätten ({0}) von der Lohnsteuer als Sonderausgaben absetzen zu lassen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Zebisch, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Nach dem geltenden Recht werden durch die Kinderfreibeträge grundsätzlich alle Aufwendungen von Steuerpflichtigen für den normalen Unterhalt, die Erziehung und Ausbildung von Kindern abgegolten. Dazu gehören auch die bezeichneten Kosten für die Unterbringung von Kindern berufstätiger Mütter. Sie können deshalb nach geltendem Recht nicht als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen bei der Einkommen- oder Lohnsteuer berücksichtigt werden. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.
Parlamentarischer Staatssekretär Leicht
Die Bundesregierung verkennt jedoch nicht, daß die Frage der einkommen- bzw. lohnsteuerlichen Behandlung dieser Kosten durch die gesellschaftliche Entwicklung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Deshalb wird diese Frage in die Vorarbeiten der für die nächste Legislaturperiode vorgesehenen umfassenden Steuerreform einbezogen werden.
Da es sich hierbei aber auch um ein Problem mit familienpolitischem Einschlag handelt, ist darüber hinaus ein enger Zusammenhang mit der geplanten Neuregelung des Familienlastenausgleichs gegeben, durch die steuerliche Erleichterungen für Kinder und Kindergeldzahlungen in einem einheitlichen System zusamengefaßt werden sollen.
Eine Entscheidung über eine Begünstigung der Aufwendungen im jetzigen Zeitpunkt würde diese Reformpläne in einem wichtigen Punkt präjudizieren. Sie kann daher nur im Zuge der geplanten Reform getroffen werden.
Keine Zusatzfrage. - Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen, Herr Staatssekretär.
Die Fragestunde ist beendet.
Wir fahren nunmehr in der Beratung der Strafrechtsreform fort.
Zunächst zur Orientierung: Wir hatten mit der Einzelberatung des Punktes 3 b der Tagesordnung - zweite Beratung eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts - begonnen und hatten Art. 1 Ziffer 1 § 12 aufgerufen. In Beratung war der Änderungsantrag der FDP-Fraktion auf Umdruck 646, Ziffer 7.
In der Aussprache über diesen Änderungsantrag hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Jaeger das Wort.
Dr. Jaeger: ({0}) : Herr Präsident, erlauben Sie mir, zu bemerken, daß ich nicht zu diesem Änderungsantrag, sondern zu § 12 grundsätzlich zu sprechen wünsche, was den Damen und Herren wahrscheinlich aus dem Verlauf der vormittäglichen Debatte schon einsichtig war.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 12 dieses Gesetzes ist der Ort, an dem zum erstenmal über das Strafensystem gesprochen wird und es also sinnvoll ist, über die Einheitsstrafe zu diskutieren, die eines der zentralen Probleme des Reformgesetzes ist, das uns vorliegt. Es ist allerdings keine sehr günstige Stunde, denn die mittägliche Ruhe hält noch etliche Kollegen davon ab, diesen Beratungen zu folgen. Sie ist aber noch aus einem Grunde nicht günstig Bei den Beratungen unserer Fraktion gingen wir alle - auch der Herr Vorsitzende des Sonderausschusses, der uns zu diesen Fragen den grundlegenden Bericht erstattet hat - davon aus, daß heute zuerst das erste Gesetz der Reform und nachher das zweite, wie es allgemein logischem Denken entspricht, vorgelegt würde. Heute früh hat das Haus oder haben die Fraktionsgeschäftsführer - aus sicherlich triftigen, mir aber unbekannten Gründen - die umgekehrte Reihenfolge gewählt.
Bei dem ersten Gesetz war die Bekämpfung der Einheitsstrafe geschäftsordnungsmäßig einfach, weil die Streichung der entsprechenden Bestimmungen das bisherige Recht hätte fortleben lassen. Aus diesem Grunde wurde von der Gruppe der Abgeordneten der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union, für die ich zu sprechen den Auftrag habe, kein Änderungsantrag vorbereitet.
Ich habe mir nun heute früh überlegt, ob man noch schnell eine solche Liste - die übrigens sehr umfangreich hätte sein müssen - erstellen sollte, bin aber dann zu der Erkenntnis gekommen, daß ein Antrag auf Streichung der ganzen Bestimmung des § 12 genau zu dem gleichen Erfolg führen muß ; denn wenn hier jetzt die Einheitsstrafe fallen sollte, muß der Gesetzentwurf sowieso zurückverwiesen werden. Ich weiß, daß die Anhänger der Einheitsstrafe das nun als besonderes Argument für ihre Sache ins Feld führen. Sie meinen, daß dann dieser Gesetzentwurf nicht mehr so schnell, wie wir es uns alle denken, verabschiedet werden könnte. Nun, bei einem Gesetzentwurf, der erst im Jahre 1974 in Kraft treten soll, wäre das vielleicht zu verschmerzen; bei dem anderen Gesetzentwurf könnten Sie ja die Reformen des Besonderen Teils, die zum Teil von allen Mitgliedern, zum Teil von einem Teil der Mitglieder des Hauses begrüßt werden, trotzdem noch verabschieden. Im übrigen glaube ich, daß die Vertreter der Einheitsstrafe sachlichere und bessere Gründe anzuführen haben als bloß den Hinweis auf die Auswirkungen der Streichung dieses Gesetzentwurfs auf das Reformgesetz als ganzes.
Außerdem aber muß ich etwas ganz Ernstes grundsätzlich sagen. Bisher haben über die Frage der Einheitsstrafe einzig und allein die Mitglieder des Ausschusses - sachverständige Männer - zu bestimmen gehabt. Aber die Frage ist so wichtig, daß jeder in diesem Hause, sei er Jurist oder Nichtjurist, sei er Mitglied des kleinen Sonderausschusses oder sei er .es nicht, hierüber mit zu entscheiden hat, so sachkundig die Damen und Herren des Sonderausschusses auch sein mögen, die persönliche Verantwortung können sie keinem der hier anwesenden Abgeordneten abnehmen. Nachdem wir hier an einer Wegscheide, an einer Weichenstellung unseres Strafrechts stehen, kann diese Entscheidung letzthin nur in diesem Plenum fallen.
Meine Damen und Herren, ich wende mich nun dem Thema selber zu. Wenn man sich als ein Jurist, der den Fragen der Rechtspolitik sehr engagiert gegenübersteht, aber kein Spezialist des Strafrechts ist, die Diskussion des Strafrechts auf allen möglichen Gebieten ansieht, dann möchte man fast meinen, daß die Theorien - vor allem die einseitigen Theorien - auf keinem Gebiet so häufig, so scharf und gelegentlich auch so intolerant sind wie auf dem Gebiet des Strafrechts. Und wenn man Strafrechtsprofessoren zuhört, kann man davon in besonderer Weise etwas erfahren. Aber auch auf diesem Gebiet möchte ich als ein Praktiker der Rechtsfragen meinen, daß sich, vielleicht nicht immer, aber sehr oft, eine mittlere Lösung als die beste abzeichnet, auch wenn sie dann den Professoren der einen und der anderen Richtung nicht ganz entVizepräsident Dr. Jaeger
spricht. Hier glaube ich z. B., daß der Strafrechtssonderausschuß auf dem Gebiete der kleinen Freiheitsstrafe eine Lösung gefunden hat, die theoretisch weder der bisherigen Ordnung noch den radikalen Forderungen der Alternativ-Professoren entspricht, aber als eine mittlere Lösung wahrscheinlich das Beste und Praktikabelste ist, was im Augenblick erreicht werden kann. Ich möchte diese Lösung deshalb hier sehr begrüßen. Ich bedaure es um so mehr, daß man auf dem Gebiete der Einheitsstrafe einen solchen Kompromiß nicht gefunden hat.
Als ich am Beginn dieser Wahlperiode die Ehre hatte, das Amt des Bundesministers der Justiz zu verwalten, habe ich mich darum bemüht - sehr unterstützt von dem Herrn Vorsitzenden des Sonderausschusses -, eine solche mittlere Lösung zu finden. Nach meinem Ausscheiden aus der Bundesregierung ist in diesem wie in manchem anderen Punkt der Kurs der Rechtspolitik ein anderer geworden. Sicherlich nicht nur aus diesem Grunde - ich weiß, auch aus anderen Gründen - haben die Herren des Sonderausschusses auch dieses Bemühen nachher aufgegeben und sich zu einer einheiligen oder fast einhelligen, jedenfalls zu einer sehr einseitigen Lösung entschlossen, der Lösung, die das Zuchthaus beseitigt und die Freiheitsstrafe genannte Einheitsstrafe im höheren Strafbereich einführt, so daß es nur noch Gefängnis gibt, um diesen hergebrachten Ausdruck zu verwenden. Ich bedauere, daß man den Versuch aufgegeben hat, die Tatbestände, die mit Zuchthaus bedroht sind, so einzuschränken, daß die Verurteilung zu Zuchthaus eine noch größere Seltenheit ist als bisher, aber doch für besonders schwere Delikte diese Strafart beizubehalten.
Nun, meine Damen und Herren, darf ich Ihnen die Gründe, die meines Erachtens dafür sprechen, das Zuchthaus beizubehalten und die Einheitsstrafe abzulehnen und damit den § 12 dieses Gesetzes abzulehnen, darlegen.
Unser Strafrecht, auch das neue Strafrecht, gründet auf dem Schuldprinzip. Welche weltanschauliche Grundierung der einzelne dem auch beizulegen vermag, - die Übereinstimmung jedenfalls, daß ein vorwerfbares und verantwortbares Unrecht durch eine Maßnahme des Gerichts, durch eine Strafe, zu beantworten ist, ist wohl im ganzen Hause vorhanden. Mir jedenfalls erscheint es als die logische Folge des Schuldstrafrechts, daß man zwischen den Strafarten von Gefängnis und Zuchthaus unterscheidet. Ist die Strafe ein Unwerturteil über menschliches Verhalten, dann sollte dieses sozialethische Unwerturteil nicht nur in der Länge der Strafe, sondern auch in der Art des Strafmaßes zum Ausdruck kommen. Nur damit wird die Verantwortung des Täters klar herausgestellt und die Sühne für das Unrecht in entsprechender Weise verhängt. Der größere Ehrverlust, der mit dem Zuchthaus verbunden ist, entspricht der größeren Verwerflichkeit der Straftat, entspricht dem Mehr an inhumanem Verhalten des Täters. Die Beseitigung des Zuchthauses wird nach meiner Überzeugung zu einer Nivellierung der Strafrechtspflege führen und die Möglichkeiten des Gerichts einschränken, weshalb ich das variablere System der jetzigen Strafarten, jedenfalls was Vergehen und Verbrechen betrifft, vorziehe.
Dazu kommt noch etwas anderes. Unserer Strafrechtsreform liegen selbstverständlich die Normen des Grundgesetzes zugrunde, auch der Art. 102, der die Todesstrafe abgeschafft hat. Man muß also all denen, die jetzt reichlich Briefe schreiben, man solle die Strafrechtsreform benutzen, auch diese Frage zu regeln, sagen, daß das nach deutschem Recht keine Frage der Strafrechtsreform, sondern eine Frage der Grundgesetzgebung, also auch der Grundgesetzänderung, ist. Gehe ich aber von der bestehenden Tatsache aus, daß in diesem Land die Todesstrafe abgeschafft ist, so ist sehr zu befürchten, daß man im Volk nun sagt: Früher wurden Mörder hingerichtet, jetzt kommen sie nicht einmal mehr ins Zuchthaus. Das, glaube ich, ist ein Punkt, der im Volk sehr starke Ressentiments hervorrufen kann. Thomas Dehler, der erste Bundesjustizminister und ein großer Liberaler, hat einmal gesagt, das Strafgesetzbuch solle ein volkstümliches Gesetz sein. Ich glaube, ein Gesetz mit der Einheitsstrafe wird kein volkstümliches Gesetz sein und wahrscheinlich nie ein volkstümliches Gesetz werden. Ich fürchte vielmehr, daß es die Vertrauenskrise, die in manchen Organen der öffentlichen Meinung und noch viel mehr im Volke gegenüber der Justiz zweifellos besteht, noch verstärkt.
Viele Redner dieses Hauses haben heute gesagt, das Schlagwort von der weichen Welle entspreche nicht den Tatsachen. Es wird, wie Sie wissen, abwechselnd dem Gesetzgeber wie der Justiz vorgeworfen. Darüber brauchen wir uns hier nicht zu unterhalten. Tatsache ist, daß es uns in soundso vielen Versammlungen in unseren Wahlkreisen, und wo wir sonst sprechen, entgegenklingt. Ich glaube, die Abschaffung des Zuchthauses wäre ein Indiz dafür, daß man nun tatsächlich darüber sprechen kann, ob das nicht eine Erweichung des Staates und seiner Strafjustiz bedeutet.
Ich halte es einfach nicht für richtig, daß der Gelegenheitsdieb oder der Fahrlässigkeitstäter im Straßenverkehr mit der gleichen Strafart bedacht wird wie der Räuber und wie der Mörder. Ich halte dies für besonders bedenklich im Zeichen einer wachsenden Kriminalität.
Ich weiß, meine Damen und Herren, daß man heute - mit Recht - den Gedanken der Resozialisierung stärker betont, als dies in der Vergangenheit geschehen ist, also die Frage der Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft. Ich weiß auch, daß die Zuchthausstrafe diese Wiedereingliederung sicherlich nicht gerade erleichtert. Aber ich frage mich, was dies etwa bei denen zu sagen hat, die - als Mörder - lebenslänglich verurteilt werden, die also gar nicht resozialisiert, d. h. in die Gesellschaft wiedereingegliedert werden können, weil sie eben lebenslänglich hinter schwedischen Gardinen sitzen.
Auch glaube ich, daß die Brandmarkung des Verbrechers weniger durch die Strafart des Zuchthauses als durch die Tat selbst geschieht. Der Mörder bleibt nun einmal für viele sein Leben lang ein Mörder, selbst wenn er wegen besonderer Umstände einmal
Vizepräsident Dr. Jaeger
vorzeitig entlassen werden sollte. Vom Räuber gilt das gleiche. Sie sind beide kein unbeschriebenes Blatt mehr, wenn sie herauskommen. Ich meine, der Unterschied, der heute vorhanden sein mag, daß ein Mann, der aus dem Gefängnis kommt, leichter eine Stellung findet als ein Mann, der aus dem Zuchthaus kommt, wird auch in Zukunft so bleiben, weil die Tat unterschiedlich ist. Ein Arbeitgeber wird immer lieber einen früheren Dieb als einen früheren Räuber einstellen, weil das Risiko, daß eine Wiederholung eintritt, beim Räuber doch viel höher ist als beim Dieb.
({1})
Ich glaube, daß dieser Gesichtspunkt jedenfalls dann nicht überzeugend ist, wenn man bedenkt, daß die Bemühungen hätten fortgesetzt werden können, die Tatbestände, die mit Zuchthaus bedroht werden, weiter einzuschränken.
Meine Damen und Herren, man hat oft das halb heitere, halb ernste Wort gesprochen, ein Kraftfahrer sei ein Mensch, der immer mit einem Fuß im Gefängnis stehe, - wegen Fahrlässigkeitsdelikten. Wer selber .Kraftfahrer ist, weiß, daß an diesem Wort ein Stückchen Wahrheit ist. Wollen Sie jetzt, daß der Kraftfahrer mit einem Fuß in jener Anstalt steht, in der auch der Räuber und der Mörder sitzen? Ich halte das weder für sachlich gerecht noch im Interesse des Volkes liegend, das doch, wie man immer wieder hört, eigentlich einen Souveränitätsanspruch auch gegenüber diesem Hause geltend
macht, in dem seine Vertreter sitzen.
Nun wird erklärt - ich kann das nicht bestreiten -, daß sich die Unterschiede zwischen Zuchthaus und Gefängnis immer mehr verringert haben, zumindest seit dem Zeitpunkt, da - obwohl nur im Zuchthaus eine Arbeitspflicht besteht - auch im Gefängnis gearbeitet wird, weil für die meisten Strafgefangenen die Nichtarbeit ein schwerer zu ertragendes Los ist als die Arbeit. Trotzdem meine ich, man brauchte nur einige Differenzierungen neu oder wiedereinzuführen, etwa Vergünstigungen zu streichen, um auch hier einen wirklichen Unterschied zu finden.
Man weist auch darauf hin, daß die Zuchthausstrafe im Rückgang begriffen ist, im Inland wie im Ausland. Schon der Entwurf 1962 hat die Zahl der möglichen Zuchthausfälle auf die Hälfte beschränkt. Ich finde es gerade gut, wenn diese Verurteilungen zurückgehen; mit um so größerer Überzeugung kann man die Notwendigkeit des Zuchthauses für die schwerste Kriminalität vertreten.
Meine Damen und Herren, in dieser Beschränkung scheint mir das Zuchthaus ein unverzichtbares Mittel der Strafrechtspflege zu sein. Ich glaube, seine Beibehaltung für schwerste Kapitalverbrechen ist geboten. Ich bitte Sie deshalb, der Einheitsstrafe nicht zuzustimmen und § 12 zu streichen.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kaffka.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß gestehen, es fällt mir nicht leicht, von dem, was der Kollege Jaeger eben sagte, nicht fasziniert zu sein. Seine Eloquenz, seine Argumentationskraft ziehen in Bann. Aber trotz aller Faszination kann ich seine Argumente nicht teilen und möchte Ihnen nahelegen, ihm und seiner Argumentation nicht zu folgen.
Im Jahre 1595 wurde in Amsterdam das erste Zuchthaus eingerichtet. Mit ihm war gerade keine entehrende Strafe verbunden. Seine heutige Bedeutung und Bewertung erhielt das Zuchthaus Anfang des 19. Jahrhunderts in Preußen, wobei festgehalten werden muß, daß die Unterscheidung zwischen Gefängnis und Zuchthaus nicht plötzlich von einem gleichbleibenden Vollzug her aufgekommen ist, sondern sie gründet in der unterschiedlichen Schwere des Vollzugs. Nicht ohne Grund fordern gerade die Vertreter des Strafvollzugs schon seit vielen Jahren die Einheitsstrafe, weil im Grunde genommen die Folgen des Etikettenschwindels der Beibehaltung der Zuchthausstrafe auf dem Rücken des Strafvollzugs ausgetragen worden sind, es sei denn - Herr Jaeger hat das ja angeführt -, daß man die Zuchthausstrafe wieder mit bestimmten qälenden Einrichtungen oder Plagen anreichern wollte. Aber wo kämen wir da hin? Ich glaube, es würde sehr bald unerträglich gegen die Würde des Menschen verstoßen und jede weitere Resozialisierung ausschließen.
Ich stelle nicht in Abrede, Herr Kollege Jaeger, daß der Popularitätsgewinn erheblich ist, wenn man in Beantwortung einer begreiflichen Erregung der Offentlichkeit über ein besonders abscheuliches Verbrechen harte Strafen fordert. Ich unterstelle Ihnen nicht ein solches Motiv. Aber ob ein Politiker verantwortungsbewußt ist, der solchem Drängen der Emotionen nachgibt, möchte ich dahingestellt sein lassen.
Der beste Schutz der Bevölkerung vor Verbrechen ist meiner Überzeugung nach in erster Linie gerade nicht die Androhung schwerer Strafen. Es bleibt Diktatoren und solchen, die es werden wollen, vorbehalten, durch Androhung von besonders harten Strafen ihre Stärke und ihre Macht gegenüber der angeblich so schlappen Strafrechtspflege in der Demokratie auszudrücken und damit der Bevölkerung ein Bewußtsein größerer Sicherheit zu verleihen.
Es ist nicht meine Behauptung, sondern eine vielfältig erhärtete Tatsache, daß die Zuchthausstrafe keine größere abschreckende Wirkung hat als die Gefängnisstrafe. Ich bin der Ansicht, daß durch die Strafdrohung des Gefängnisses oder Zuchthauses im Grunde nur derjenige abgeschreckt wird, der auf Grund seiner Lebensführung, seiner persönlichen Situation und seiner psychologischen Struktur kaum in die Lage kommen wird, eine Tat zu begehen, die mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft wird.
Abschreckend - das ist meine Überzeugung - wirkt in erster Linie die schnelle Aufklärung von Verbrechen und das schnelle Zuschlagen gegen den Verbrecher durch die Polizei. Ich glaube, wir sollten
hier alle auf unsere Länderregierungen einwirken, daß sie endlich den Länderegoismus etwas einschränken und mithelfen, daß unsere Polizei im Bundesgebiet besser zusammenarbeiten kann.
({0})
Kriminalpolitisch bedeutet die Beibehaltung des Zuchthauses einen schweren Mangel. Die Zuchthausstrafe ist ausgesprochen resozialisierungsfeindlich. Die Diskriminierung, die ihr anhängt und die Statusfolge, die mit der Zuchthausstrafe verbunden ist, verlängern gewissermaßen die Strafe über die Zeit des eigentlichen Freiheitsentzuges hinaus. Dem Übel der Freiheitsentziehung wird ein weiteres Übel hinzugefügt. Das ist mit dem Schuldprinzip nicht zu vereinbaren.
Es ist zweifellos richtig, Herr Kollege Jaeger, daß der Makel und die Brandmarkung nicht dem Zuchthaus anhängen, sondern der Tat. Das gebe ich Ihnen zu. Es wäre aber wohl zu einseitig, wollte man das so im Raum stehenlassen. Jede Tat und jedes Verbrechen ist auch ein Makel, der auf der Gesellschaft liegt, in der dieses Verbrechen begangen worden ist. Ich möchte hier nicht eine naive Milieutheorie entfalten, die zu ihrer Zeit gewiß einer Notwendigkeit entsprach, als man sich, vom deutschen Idealismus ausgehend - Kant und Hegel -, in der starren Denkweise des Vergeltungsprinzips befand. Der naive Hinweis auf das Milieu, in dem der Verbrecher Verbrecher werden konnte, hat da ohne Zweifel seinen Zweck erfüllt. Wir sind heute etwas weiter und können uns ganz gewiß nicht allein auf die Milieutheorie stützen. Aber die Gesellschaft kann sich nicht von der Last und der Verpflichtung freisprechen, die ihr durch die Tatsache, daß Verbrechen geschehen, auferlegt wird. Es genügt nicht, allein nach Vergeltung zu schreien. Sie hat die Hauptaufgabe, den Täter wieder in die menschliche Gemeinschaft zurückzuführen.
Es ist nun das Wort „Sühne" gefallen. Ich möchte Sie nicht schulmeistern, aber ich bin der Überzeugung, daß das Wort „Sühne" Oft in falscher Weise angewendet wird. Sühne wird als etwas Verordnetes aufgefaßt, das dem straffällig Gewordenen durch die strafende Gewalt auferlegt wird. Gerade das ist Sühne nicht, sondern Sühne ist eine individualethische Leistung, die der Betreffende, der einsitzt, zu erbringen hat. Ober er sie erbringt, das liegt nicht in unserer Macht, sondern es ist seine eigene Leistung. Sein Einsehen in die Strafwürdigkeit seiner Tat kann Sühne erwirken, aber es muß nicht so sein. Ich glaube, daß gerade das Beharren auf der Zuchthausstrafe diese individualethische Leistung der Sühne unterdrückt und zur gegenteiligen Konsequenz führt.
Ich möchte Sie herzlich bitten, meine Damen und Herren, dem Antrag des Kollegen Jaeger nicht zu folgen und der Vorlage des Ausschusses zuzustimmen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rollmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor beinahe genau 70 Jahren hat Franz von Liszt, der am Anfang der Strafrechtsreformbewegung in unserem Lande gestanden hat, in einem Vortrag gesagt - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Worte daraus zitieren -:
Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand ein Verbrechen begeht, ist größer, wenn er bereits bestraft ist, als wenn dies nicht der Fall ist. Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand ein Verbrechen begeht, wächst mit der Zahl der erlittenen Vorstrafen. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein aus der Strafe Entlassener in kürzester Frist ein neues Verbrechen begeht, wächst mit der Dauer der gegen ihn vollstreckten Vorstrafen.
Franz von Liszt fährt dann fort:
Eine schärfere Verurteilung unseres heutigen Strafensystem, als sie in diesen drei Sätzen ausgesprochen ist, kann wohl nicht gedacht werden. Unsere Strafen wirken nicht bessernd und nicht abschreckend, sie wirken überhaupt nicht präventiv, d. h. vom Verbrechen abhaltend, sie wirken vielmehr geradezu als eine Verstärkung der Antriebe zum Verbrechen.
Das war die Aussage von Franz von Liszt vor beinahe 70 Jahren. Heute sind wir im Begriff, eine wichtige Konsequenz aus dieser Aussage des Mannes zu ziehen, der am Beginn der Strafrechtsreformbewegung in unserem Lande gestanden hat.
Die Einheitsstrafe, die Verschmelzung von Zuchthaus und Gefängnis, bezweckt nicht, wie hier bereits mehrfach gesagt wurde, die sogenannte weiche Welle im Strafrecht und Strafvollzug, sondern die Einheitsstrafe ist geradezu die Voraussetzung dafür, daß der Strafvollzug in unserem Land in Zukunft sinnvoller gestaltet wird, als es bisher der Fall war.
Franz von Liszt hat an einer anderen Stelle gesagt:
Individualisierung des Strafvollzugs, das ist genau der Standpunkt, den ich mit meinen Freunden einnehme.
Diese Individualisierung des Strafvollzugs ist nur im System der Einheitsstrafe möglich, dann, wenn der Strafvollzug differenziert wird auf die einzelnen Tätergruppen und auf die einzelnen Täter.
Hier ist soeben gesagt worden, daß die öffentliche Meinung kein Verständnis dafür aufbringen werde, wenn wir das Zuchthaus abschafften, daß sie vielmehr von uns die Aufrechterhaltung der traditionellen Unterscheidung von Zuchthaus und Gefängnis erwartet. Meine Damen und Herren, uns fehlen zuverlässige Unterlagen darüber, wie die Bevölkerung in unserem Lande über diese Frage wirklich denkt. Ich glaube aber, daß die Menschen in unserem Lande an einer wirksamen Bekämpfung der Kriminalität und an einem sinnvollen präventiven Strafvollzug mehr interessiert sind als an der Aufrechterhaltung des Zuchthauses.
({0})
Wir haben uns in diesem Hause immer auf den. Standpunkt gestellt, daß wir hier nicht einfach die öffentliche Meinung zu vollziehen haben, daß 'es nicht unsere Aufgabe ist, die öffentliche Meinung einfach in die Sprache der Gesetze umzusetzen. Um wieviel mehr muß das gelten auf einem Sektor wie dem des Strafrechtes, wo alle Fortschritte im Laufe der Geschichte jedesmal weitgehend ohne, ja gegen die öffentliche Meinung erzielt worden sind. Wir haben die Verpflichtung, uns nach den Erkenntnissen und Einsichten zu richten, die uns in den langen Jahren der Arbeit an der Strafrechtsreform zugewachsen sind. Diese Erkenntnisse und Einsichten haben wir in die Tat umzusetzen. Mit anderen Worten: Wir haben der öffentlichen Meinung voranzugehen und dafür Sorge zu tragen, daß unsere Anschauungen in der Bevölkerung Allgemeingut werden.
Wenn wir uns heute gegen die Einheitsstrafe entschieden, würden wir uns nicht nur gegen das System der Freiheitsstrafe aussprechen, wie es in anderen Ländern, die im Strafrecht und im Strafvollzug die Spitze einnehmen, in den vergangenen Jahren eingeführt worden ist, sondern wir würden auch gegen die einhellige Meinung der gesamten Strafrechtswissenschaft in unserem Lande, gegen die einhellige Meinung aller Theoretiker und Praktiker des . Strafvollzuges handeln.
Auf der Tagung der deutschen Strafrechtslehrer in Münster im Jahre 1967, wo man- sich mit der Frage der Einheitsstrafe befaßt hat, gab es keine einzige Stimme für das Fortbestehen von Zuchthaus und Gefängnis. Die deutschen Strafrechtslehrer waren einmütig für die Einheitsstrafe. Die Landesjustizverwaltungen der deutschen Länder haben sich - bis auf Bayern - auf einer Tagung, die im vorigen Jahr stattgefunden hat, ebenfalls für die Einheitsstrafe ausgesprochen.
Wenn man die Einheitsstrafe aus dieser Vorlage herausschneidet, beraubt man die große Strafrechtsreform eines ihrer wichtigsten Kernstücke, vielleicht des entscheidenden Kernstücks überhaupt.
({1})
Wir haben in diesem Lande bei der Reform des Strafrechts und des Strafvollzuges eine große Tradition zu verteidigen. Ich habe daran erinnert, daß am Anfang der Strafrechtsreformbewegung in unserem Lande bereits am Ende des vorigen Jahrhunderts Franz von Liszt gestanden hat, ein Vorbild für die gesamte Welt, für den gesamten europäischen Rechtskreis. Wenn wir heute hier durch die Beschlüsse des Deutschen Bundestages die Einheitsstrafe verwirklichen, dann, meine Damen und Herren, gelangen wir wieder in die Reihe jener Länder, in die Reihe jener Staaten, die für sich den Anspruch erheben können, wegweisend für ein neues Strafrecht und einen sinnvolleren Strafvollzug einzutreten.
Aus diesem Grunde möchte ich Sie darum bitten, der Fassung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform Ihre Zustimmung zu geben.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen Kollegen und Kolleginnen! Ich habe vorhin schon zu diesem Paragraphen gesprochen, allerdings in bezug auf unseren Abänderungsantrag, während jetzt die ganz grundsätzliche Frage angesprochen wurde, ob es bei einer Einheitsstrafe, die wir im Ausschuß einmütig vertreten hatten, bleiben soll oder nicht. Es konnte nicht ausbleiben - und dafür habe ich volles Verständnis, nachdem auch in der Bevölkerung die Auffassungen darüber nicht einheitlich sind -, daß diejenigen durch Herrn Kollegen Jaeger zu Worte kamen, die nach wie vor für die Zuchthausstrafe sind.
Ich muß Ihnen nun eines ganz ehrlich bekennen, und ich werde es später noch einmal tun: Als wir mit der Strafrechtsreform begannen, war ich noch der Meinung, daß tatsächlich durch die Art der Strafe auch eine gewisse Klassifizierung vorgenommen werden sollte, daß mit der Art der Strafe auch ein gewisses Unwerturteil gesprochen werden sollte. Aber, Herr Kollege Jaeger, im Gegensatz zu Ihnen muß ich sagen, daß ich im Laufe der Zeit immer mehr davon überzeugt wurde, und daß ich beim Abwägen des Für und Wider erkannt habe, daß die Nachteile, die mit einer Zuchthausstrafe, mit der Beibehaltung der Drohung einer Zuchthausstrafe verbunden sind, so groß sind, daß sie unmöglich in einem modernen, in die Zukunft weisenden Strafrecht erhalten bleiben können, daß, wenn wir bei der Zuchthausstrafe bleiben, das andere praktisch unmöglich gemacht wird, was von uns schon mit angesprochen wurde, als wir die Einfügung eines § 1 a vorschlugen, nämlich die Wiedereingliederung eines Täters in die Gesellschaft.
Sie haben gesagt, es sei die Tat, die als solche bleibe: Mord bleibt Mord, Mörder bleibt Mörder, Räuber bleibt Räuber. Herr Kollege Jaeger, sehen Sie, wenn ich mir überlege, daß CSU „ChristlichSoziale" Union heißt, dann ist doch, muß ich sagen, eigentlich eine derartige Auffassung sehr wenig in Übereinstimmung mit den christlichen Grundsätzen zu bringen, mit dem, was in der Bergpredigt gesagt wurde, wie wir uns gegenüber Sündern und Übeltätern zu verhalten haben, nämlich mit christlicher Nächstenliebe und christlichem Verständnis. Wir müssen auch einmal das eine sehen: Wenn einer gesündigt hat, und er hat nachher gesühnt, hat seine Strafe verbüßt, dann müssen wir, auch wenn er ein schweres Verbrechen begangen hat, bereit sein, ihn wieder als Mitmenschen in unsere Gemeinschaft aufzunehmen.
({0})
Sie gestatten jetzt eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Jaeger?
Verehrte Frau Kollegin, sollte es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, daß ich nicht eine moralische Qualifizierung oder persönliche Meinung geäußert habe, sondern die ReakVizepräsident Dr. Jaeger
tion der Offentlichkeit, des durchschnittlichen Arbeitgebers, und das alle Christlichkeit, die Sie z. B. an den Tag legen, wahrscheinlich auch nicht verhindern wird, daß es weiter Arbeitgeber gibt, für die ein Mörder 'ein Mörder und ein Räuber ein Räuber bleibt?
({0})
Herr Kollege Jaeger, es ist richtig, Sie haben sich in dieser Weise ausgedrückt, aber es stand doch Ihre eigene, Ihre persönliche Auffassung dahinter. Das dürfen Sie doch insofern nicht verkennen.
Wenn Sie auf die Volksmeinung abstellen und in dem Zusammenhang unseren Parteifreund von den Freien Demokraten Dehler genannt haben, dann war er von Ihnen an einer vollkommen falschen Stelle zitiert. Was er gesagt hat, daß nämlich ein Strafgesetz auch ein Volksgesetz sein sollte, war bestimmt nicht in dem Sinne gemeint, daß überholte konservative Vorstellungen erhalten bleiben, sondern es war so gemeint, daß ein Strafgesetz so geschaffen werden soll, daß es auch für das Volk verständlich ist, daß die Straftaten bestraft werden, die vom Volk auch als strafbar empfunden werden und daß nicht Straftaten weiter aufrechterhalten bleiben, die heute in der Überzeugung des Volkes überhaupt keine Grundlage mehr haben. Auf diese Probleme werden wir noch in anderem Zusammenhang zu sprechen kommen,
({0})
Ich kann mich nur dem anschließen, was insofern zugunsten der Einheitsstrafe von meinen Herren Vorrednern von der SPD und der CDU, von Herrn Kaffka und von Herrn Rollmann, gesagt wurde. In diesem Falle stimmen die Freien Demokraten mit der überwiegenden Mehrheit der Regierungskoalition in vollem Umfang - und, das darf ich auch sagen, aus vollster Überzeugung - überein. Wir hoffen, daß es bei der Entscheidung, die im Sonderausschuß gefallen ist, bleibt, und wir betrachten die Bildung der Einheitsstrafe als einen ganz wesentlichen Fortschritt. Dieser Fortschritt kann aber nur erhalten bleiben, wenn nachher bei der kurzen Freiheitsstrafe nicht nur halbe Schritte vollzogen werden, sondern wenn auch dort ganze Schritte vollzogen werden.
({1})
Ich darf eine Bemerkung machen, ehe ich das Wort weitergebe. Wir freuen uns immer über die Besucher im Plenum und über die vollen Besuchertribünen. Ich muß aber darauf hinweisen, daß Äußerungen des Beifalls oder der Mißbilligung nicht gestattet sind.
Nun hat Herr Abgeordneter Dr. Güde das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute morgen schon meinen grundsätzlichen Standpunkt in dieser Frage dargelegt und ihn begründet
für mich und, ich glaube, für einen großen Teil meiner Fraktion. Ich komme jetzt nur noch einmal, weil mir das Thema zu leidenschaftlich hochgespielt wird. So kann man es nicht sehen, sage ich auch zu der verehrten Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus. Sie haben vorhin gesagt, was ich für mich jetzt gleich auch bekenne: Ich habe im Beginn der Reformarbeit den Standpunkt vertreten, die Zuchthausstrafe kann man mit dem Schuldprinzip begründen. Auch Sie, Frau Diemer-Nicolaus, haben das getan. Und wenn jemand gesagt hätte: Sie sind doch eine Freie Demokratin, frei und demokratisch, wie verträgt sich das mit der Vertretung des Standpunktes für Zuchthaus, dann müßte 'ich sagen, diese Argumentation finde ich unsachlich. Es wäre unsachlich, Ihnen gegenüber, wenn jemand so argumentieren würde. - Und reine Unsachlichkeit war es gegenüber Herrn Dr. Jaeger, wie Sie argumentiert haben.
Eine Zwischenfrage von Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Kollege Güde, darf ich Sie bitten, mir das doch etwas ausführlicher zu erklären? Ich habe doch folgendes gesagt: Ich war ursprünglich der Auffassung, und zwar aus Überzeugung, .daß man an der Zuchthausstrafe festhalten sollte. Ich habe aber nachher im Laufe der Zeit in vollstem Umfange erkannt, wie resozialisierungsfeindlich diese Zuchthausstrafe ist, und aus diesem Grunde habe ich meine Auffassung geändert und stehe heute voll und ganz hinter der Einheitstrafe. - Was hat das eigentlich damit zu tun, daß die Freien Demokraten keine freie Auffassung mehr hätten?
Soviel wie mit den Vokabeln „christlich" und „sozial", genauso viel, Frau Kollegin, hat es damit zu tun.
({0})
Gestatten Sie noch eine Frage, Herr Dr. Güde?
Ja, bitte!
Herr Kollege Güde, da ich jetzt verstehe, aus welchem Grunde Sie diese Bemerkung machten, was Sie verärgert hat, darf ich vielleicht darauf hinweisen, daß gerade der humanitäre Gedanke, der heute morgen auch von Ihnen angesprochen wurde, für mich mitbestimmend war, und zwar im Sinne eines gelebten Christentums, daß man Sünden auch vergeben muß.
Ich setze an diesem Punkt die Debatte nicht fort. Sondern ich sage jetzt für mich, warum ich, der ursprünglich den Standpunkt „Zuchthaus" vertreten hat - und zwar ungefähr wie Herr Dr. Jaeger vom Schuldstrafrecht her -, diesen Standpunkt aufgegeben habe: aus ganz sachlichen Überlegungen und Begründungen. Erstens habe ich im Laufe der Jahre eingesehen, daß die Zuchthausstrafe abstirbt; das Zuchthaus
Dr. h. c. Gilde
stirbt in Europa ab. Es ist nur noch ein Relikt aus einer alten Zeit. Es ist noch ein Wort ohne Realität. Wenn wir unseren Wählern sagen: „Wollt Ihr etwas Unreales?", dann würden sie auch sagen: Nein, wenn da gar kein Unterschied mehr darin ist, dann legen wir auch keinen Wert darauf.
Herr Dr. Jaeger hat gesagt: Die mittlere Lösung habt Ihr ursprünglich mit mir - mit Dr. Jaeger - versucht, und die habt Ihr auch aufgegeben. Was ist die mittlere Lösung? Die mittlere Lösung wäre gewesen: schweres Gefängnis und Gefängnis. Ich habe immer das Gefühl gehabt: das Wort wiegt noch weniger als das Zuchthaus; denn das „schwere Gefängnis" wäre in keiner Weise ein schwereres Gefängnis als das Gefängnis gewesen.
In das Zuchthaus - wenn wir die Einrichtung beibehalten hätten - wären nur noch höchstens 1 % aller zu Freiheitsstrafen Verurteilten gekommen. Das ist die objetkive Bedeutung dieser Frage. Dann wäre das Zuchthaus entweder eine Strafanstalt allein für Mörder geblieben; ich will das nicht ausspinnen, wie sich das auswirkt. Ich kann bloß im ganzen sagen: das Zuchthaus wäre ein störendes Element im Aufbau der Strafanstalten und des Strafvollzugs geworden. Bei all diesen negativen Momenten muß ich - wenn ich zugebe, daß das Zuchthaus resozialisierungsfeindlich ist - auch die Folgerung ziehen und sagen: dann verzichte ich im Interesse eines einheitlichen Strafvollzugs auf das Zuchthaus. Das sage ich ohne alle positive und negative Leidenschaft, sondern aus den rationalen Gründen, die ich Ihnen dargelegt habe. Aus diesen Gründen bitte ich Sie auch, dem Antrag des Herrn Dr. Jaeger nicht zuzustimmen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenze.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Entschuldigen Sie, wenn ich zu dieser Materie als Nichtjurist Stellung nehme. Da ich aber von Beruf Pädagoge bin, glaube ich, daß es vom Beruf her schon eine gewisse Berechtigung gibt, zu diesen Dingen Stellung zu nehmen.
Ich bedauere, daß die Auffassung des einen vom anderen sehr oft in diesem Hause ohne eine zwingende Begründung als konservativ, nicht fortschrittlich oder sogar reaktionär bezeichnet wird, bei der Diskussion einer Materie, bei der man sich sicherlich nur von sachlichen Gesichtspunkten leiten lassen sollte. Was bei der Gestaltung des Strafrechts der Einheitsstrafe an dieser Stelle wirklich Fortschritt und was nicht Fortschritt ist, wird wahrscheinlich erst eine kommende Zeit zeigen, in der sich das Strafrecht, das wir in diesen Tagen gestalten, auswirken wird.
Ich halte es aber für absolut falsch, Frau Kollegin - Sie wissen, daß es mir nicht leichtfällt, Ihnen zu widersprechen ({0})
- Damen widerspricht man nicht gern, Herr Kollege Güde -, daß Sie in diesem Zusammenhang das Wort „christlich" mit derart außergewöhnlich starkem Nachdruck in die Debatte geworfen und außerdem die Bergpredigt zitiert haben. Es wäre sicherlich sehr interessant, einmal darüber zu diskutieren - ich glaube aber, es gehört gar nicht hierhin, Frau Kollegin -, was die Bergpredigt bedeutet und was das natürliche Recht, das einige als Naturrecht bezeichnen, in der Politik bedeutet. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Bergpredigt, der Inhalt der Bergpredigt, keine Sache ist, die in die praktische Politik hineingehört. Sie liegt vielmehr auf einem ganz anderen Feld. Ich möchte aber darauf verzichten, darüber hier zu diskutieren, Frau Kollegin.
Wenn man auf der anderen Seite immer wieder denjenigen Kollegen, die der Auffassung des Kollegen Dr. Jaeger sind - ich gehöre zu den Kollegen, die der Meinung von Herrn Dr. Jaeger sind -, so leicht unterstellt, sie ließen sich von Emotionen oder von der Stimme des Volkes draußen leiten, muß ich einem solchen Vorwurf ganz entschieden widersprechen. Wir wissen alle, daß, als die Todesstrafe zur Diskussion stand, genau dieselbe Charakterisierung, man lasse sich von Emotionen leiten, eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Herr Kollege Lenze, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Moersch?
Bitte sehr!
Herr Kollege Lenze, können Sie mir erklären, weshalb Sie meine Kollegin Dr. Diemer angreifen, nur weil sie sich mit Ihrem Parteinamen in dieser Debatte auseinandergesetzt hat? Haben Sie diese Frage nicht eigentlich allein durch den Namen, den Sie sich gegeben haben, provoziert?
({0})
Herr Kollege Moersch, ich glaube, es lohnt sich nicht, darauf eine Antwort zu geben.
({0})
Bei der Todesstrafe hat man uns den Vorwurf gemacht, wir ließen uns von Emotionen leiten. Dieser Vorwurf sollte aber ganz aus der Debatte verschwinden. Man sollte sich hier vielmehr nur mit sachlichen Charakterisierungen und mit gar nichts anderem befassen.
Was bewegt uns, die wir gegen die Einheitsstrafe eingestellt sind? Es läßt sich nicht leugnen, daß die Strafe sowohl in der Pädagogik als auch im Strafrecht immer mehr umstritten ist. Auf der anderen Seite läßt sich nicht leugnen, daß wir es mit einer permanenten Strafminimierung zu tun haben. Diejenigen, die seinerzeit noch für die Todesstrafe waren, haben damals schon befürchtet, daß es nicht dabei bleiben werde, sondern daß die Strafe im Laufe der Entwicklung immer mehr gemildert werden würde. Wir erleben jetzt den Fortfall der ZuchthausLenze ({1})
strafe. Herr Kollege Güde selbst hat sich geäußert, es gebe heute auch schon Theorien, die forderten, die Strafe im Grunde genommen ganz abzuschaffen. Das heißt, wir stehen an einem Punkt der Entwicklung, wo keiner in diesem Hause sagen kann, was in den kommenden Jahrzehnten überhaupt mit dem Strafrecht geschehen wird und welche Entwicklung
wir hier erleben werden.
Ein Weiteres. Die Bevölkerung, die in dieser Frage sicherlich zu einem ganz großen Teil auf seiten des Kollegen Dr. Jaeger steht, hat gewiß auch Verständnis dafür, daß ein modernes Strafrecht gerade die Resozialisierung ins Auge fassen muß. Aber sie ist auch der Auffassung, daß man nicht nur an den Täter und den Verbrecher denken, sondern daß man die Gemeinschaft, die geschützt werden soll, nicht aus den Augen verlieren darf. Wir haben immer mehr den Eindruck, daß derjenige, der ein Vergehen oder Verbrechen begangen hat, zu sehr im Mittelpunkt steht und der Schutz der Gemeinschaft, der Gesellschaft, immer mehr zurücktritt.
Man hat gesagt, es sei sehr schwer, bei der Art des Vergehens oder Verbrechens einen Qualitätssprung festzustellen. Hier sind wir anderer Auffassung. Ohne Zweifel ist eindeutig an einer bestimmten Grenze festzustellen, daß es hier nicht mehr um die Frage der Quantität geht, sondern um eine radikale Veränderung im Sinne der Qualität und daß dieser radikalen Veränderung im Sinne der Qualität nicht nur ein Name, sondern eine Wirklichkeit entsprechen muß. Wir halten es für bedenklich, nur durch die Länge der Gefängnisstrafe dem Ausdruck verleihen zu wollen.
Wenn der Herr Minister erklärt hat, wir seien nicht das Weltgericht, und wenn er auf der anderen Seite erklärt hat, man solle diese Dinge nicht so sehr vom Metaphysischen her sehen, dann muß ich für meine Person dazu sagen, daß er selber zum Ausdruck gebracht hat, er sei von einer Verantwortlichkeit des einzelnen Menschen und von der Zurechenbarkeit der Tat überzeugt. Das bedeutet, Herr Minister, daß Sie genausogut wie ich gegen eine radikal deterministische Einstellung sind und daß Sie von der Freiheit des Willens und der Verantwortung des einzelnen überzeugt sind.
Wir, die wir der Auffassung von Herrn Dr. Jaeger sind, wollen hier kein Weltgericht ersetzen, sondern wir wollen ein Strafmaß, das der Größe des Verbrechens entspricht, und wollen etwas, von dem auch noch eine Abschreckung ausgeht. Ich stimme mit Herrn Kollegen Dr. Jaeger darin überein: Das Brandmal, das jemand hat, erhält er nicht dadurch, daß er im Zuchthaus gewesen ist, sondern dadurch, daß er eine Tat begangen hat, durch die er es verdient, in entsprechender Weise bestraft zu werden. Dieses Brandmal, das er selber verschuldet hat, können Sie durch nichts aus der Welt schaffen.
Es gibt auch, was die Resozialisierung angeht, ohne Zweifel eine bestimmte Grenze. Ich habe soeben noch mit einem Kollegen gesprochen, der sich im Landtag fünf Jahre mit diesen Dingen beschäftigt hat und der aus den langen Beratungen dieses Ausschusses eindeutig festgestellt hat, daß es eine
Grenze der Resozialisierung gibt. Dort aber, Herr Kollege Güde, wo diese Grenze der Resozialisierung erreicht ist, sollte man überlegen, ob nicht an dieser Stelle tatsächlich die Zuchthausstrafe einzusetzen hätte. Wir sind jedenfalls der Auffassung, daß das auch heute noch notwendig ist.
Das Volk draußen, die sogenannte öffentliche Meinung, die sicherlich zu einem großen Teil in diesem Punkte uns folgt, verlangt von diesem freiheitlichen sozialen Rechtsstaat, daß er für Sicherheit und Ordnung sorgt. Sicherlich ist die Gestaltung des Strafrechts von großer Bedeutung für Ordnung und Sicherheit in diesem Lande. Wenn wir uns für diese Dinge einsetzen, glauben wir auch, daß sich die Demokratie bei der Gestaltung des Strafrechts so verhalten soll, daß allen denjenigen, die nur darauf warten, diesen freiheitlichen sozialen Rechtsstaat des Grundgesetzes auszuhöhlen und zu unterminieren, auch an dieser Stelle in entsprechender Weise entgegengetreten wird. Wir sind jedenfalls dafür verantwortlich, was die Zukunft infolge der Strafrechtsreform für die Gesellschaft, für die Gemeinschaft und für den sozialen Rechtsstaat bringt.
Man sollte aber endgültig davon Abschied nehmen, daß man denen, die für die Einheitsstrafe sind, zubilligt, daß sie fortschrittlich seien, und denjenigen, die gegen die Einheitsstrafe sind, den Vorwurf macht, sie seien im Grunde genommen reaktionär, konservativ oder nicht fortschrittlich. Wir sollten uns gegenseitig das redliche Bemühen konzedieren, daß wir alle in der Sorge um den Bestand dieses sozialen Rechtsstaates des Grundgesetzes hier angetreten sind und auch in diesem Augenblick um die Zukunft dieses Staates ringen. Möge die Zukunft beweisen, wenn die Befürworter der Einheitsstrafe in der Abstimmung obsiegen sollten, daß Sie eine gute Entscheidung getroffen haben. Wir aber und ich für meine Person möchten Sie auffordern, dem Antrag des Kollegen Dr. Jaeger zu folgen.
({2})
Das Wort hat Herr Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich in der gebotenen Kürze noch zu einigen Punkten Stellung nehme, die insbesondere von Herrn Kollegen Dr. Jaeger vorgetragen worden sind. Herr Kollege Dr. Jaeger hat erklärt, die Todesstrafe sei abgeschafft worden, wenn man nunmehr die Zuchthausstrafe abschaffen würde, verschwände überhaupt jegliche abschreckende Wirkung der Strafe. Dazu darf ich zunächst sagen, daß dieses Argument deshalb nicht überzeugend ist, weil wir ja die lebenslange Freiheitsstrafe in Zukunft ohnehin haben werden - ohne irgendeine Differenzierung ihres Namens -, so daß schon deshalb die notwendige Abschreckung vorliegt, weil ein lebenslanger Freiheitsentzug jedenfalls ein ungewöhnlich hartes Übel ist, ganz gleich, ob dieser lebenslange Freiheitsentzug in Form des Zuchthausvollzuges oder vielleicht des Gefängnisvollzuges erfolgt. Wenn man sein ganzes Leben lang in Unfreiheit, hinter
Gittern, zugebracht hat, dann ist man letztlich genaugenommen kein Mensch mehr, sondern die leere Hülse eines Menschen.
Der zweite Punkt, der dabei anzusprechen ist, ist der folgende. Wir haben gerade aus diesen Gründen der Abschreckung, die Herr Kollege Jaeger angesprochen hat, bei dem bedingten Erlaß einer Reststrafe ausdrücklich vorgesehen, daß ein bedingter Erlaß einer Reststrafe dann nicht möglich ist, wenn auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt worden ist. Darüber hinaus muß in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, daß bekanntlich die Gnadenpraxis der Bundesländer, sofern es um lebenslange Freiheitsstrafen geht, eine sehr, sehr strenge ist. Ich habe noch in etwa die Zahlen bis 1965 im Kopf. Damals waren in der Bundesrepublik rund 1000 Personen, die zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt worden waren. Von diesen rund 1000 wurden von 1946 bis 1965 nur etwa 18 begnadigt und vorzeitig entlassen. Auch dies muß man bei dieser Frage berücksichtigen, Herr Kollege Jaeger.
Noch ein letzter Punkt dazu. Herr Kollege Jaeger, wenn Sie schon von dem abschreckenden Effekt sprechen, der von einer Strafe ausgehen muß, dann darf ich Sie daran erinnern, daß Sie es in der Hand haben, durch die Abschaffung der Verjährungsfrist bei der Strafverfolgungsverjährung ebenfalls einen weiteren abschreckenden Effekt hinzuzufügen, weil damit ganz sicher erreicht ist, daß dadurch auch mancher Täter, besser gesagt: mancher eine Tat Planende von seinem Tun Abstand nimmt, wenn er weiß, daß in Zukunft ein Mord oder ein schweres Verbrechen nicht mehr unter die Strafverfolgungsverjährung fällt.
Sie haben noch angeführt, Herr Kollege Dr. Jaeger, daß letztlich dann, wenn man die Zuchthausstrafe abschaffen würde, eine Differenzierung der Täter gar nicht mehr möglich wäre, so daß unter Umständen ein kleiner Dieb neben einem „großen" Mörder in einer Zelle säße. Dabei verkennen Sie, daß zusammen mit der Einführung der einheitlichen Freiheitsstrafe ganz zwangsläufig ein differenzierter Strafvollzug erfolgen wird, bei dem verschiedene Tätergruppen zusammengefaßt werden, so daß es letztlich kaum möglich ist, daß dieser Fall, von dem Sie gesprochen haben, eintreten wird, daß nämlich unter Umständen ein Dieb zusammen mit einem Mörder in eine Zelle kommen könnte. Man muß dabei berücksichtigen, daß die Einführung einer einheitlichen Freiheitsstrafe voraussetzt, daß selbstverständlich auch entscheidende Reformen im Strafvollzug durchgeführt werden und daß im Rahmen des Strafvollzuges eine sehr differenzierte individuelle Erziehung der straffällig Gewordenen ausgeübt wird, um dem Grundsatz der Resozialisierung zu entsprechen.
Dabei muß ich noch folgenden Punkt ansprechen. Wir sind dabei, ein neues Strafrecht zu schaffen. Dieses neue Strafrecht wird, wenn wir das alte in etwa als Maßstab nehmen, vielleicht auch rund hundert Jahre in Geltung sein. Wir haben es also in der Hand, ein Strafrecht in die Zukunft hinein zu planen. Dabei müssen wir doch mit aller Sicherheit von Ideen und Grundsätzen ausgehen, die auch für die Zukunft haltbar sind.
Es steht fest, Herr Kollege Jaeger, daß wir im Rahmen des Strafrechts grundsätzlich von der Besserungsfähigkeit des Menschen ausgehen müssen, d. h. davon, daß wir dann, wenn wir Menschen, die voll verantwortlich sind, in entsprechender Weise bestrafen, auch erwarten können, daß wir positiv auf sie einwirken und sie zum Guten hin erziehen können. Dies wird uns in der Praxis mit Sicherheit nicht überall gelingen. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist, daß wir in der Idee den Glauben an die Besserungsfähigkeit eines jeden Menschen erkennen und diesen Glauben auch haben müssen.
({0})
Aus Saulus, Herr Kollege Jaeger, wurde Paulus, aus der Dirne Maria Magdalena wurde sogar eine Heilige, die heute allseitige Verehrung findet.
({1})
Ich sage dies nur deshalb, weil daraus deutlich wird, daß wir auch im Rahmen des Strafrechts an die Besserungsfähigkeit des Menschen glauben sollten.
({2})
Ein Letztes, was hierzu noch zu sagen ist. Es wird davon geredet - dies sagte Herr Kollege Lenze -, die Bevölkerung schreie nach Sicherheit und Ordnung. Sicher, es ist notwendig, daß wir unser Strafrecht wirksam gestalten. Dieses Strafrecht kann aber nie durch übertriebene Härte wirksam sein. Ganz sicher ist dasjenige Strafrecht das beste, das es fertigbringt, straffällig Gewordene tunlichst zu resozialisieren, sie nämlich wieder in die menschliche Gesellschaft einzugliedern, so daß sie künftig nicht mehr strafbar werden. Auf diese Weise haben wir den entscheidendsten Schritt zu einer richtigen gezielten Verbrechensbekämpfung hin getan.
Aus diesen Gründen müssen wir den Antrag, die Zuchthausstrafe beizubehalten, ablehnen.
({3})
Das Wort hat Herr Busse.
Herr. Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Nur zwei, drei Sätze zu dem, was Herr Kollege Lenze gesagt hat und was bereits in den letzten Ausführungen von Herrn Müller-Emmert angesprochen ist. Ihren Worten, Herr Kollege Lenze, konnte man entnehmen, daß Sie die Sorge haben, durch die Regelungen, die hier getroffen werden sollen, könnten die Sicherheit und Ordnung in unserem Staate gefährdet, die Gefahren einer solchen Gefährdung vergrößert und die Möglichkeit, diese Gefährdungen zu verhindern, gemindert werden. Wäre das der Fall, so müßte man in der Tat über Ihr Anliegen ernsthaft reden. Ich glaube aber, nach allen Erkenntnissen der Vergangenheit hier mit Fug und Recht behaupten zu können, daß das nicht nur nicht der Fall ist, sondern daß wir, wenn wir den Weg gingen, den Sie als richtig empfunden haben, die Sicherheit und Ordnung in unserem Staate in der Zukunft mehr
Busse ({0})
gefährden würden, als es der Fall sein wird, wenn
wir das durchführen, was wir heute hier wollen.
({1})
Denn der resozialisierte Täter ist für die Gemeinschaft weniger gefährlich als der Mann, den wir, ohne ihn nachher resozialisiert zu haben, ins Zuchthaus gesteckt haben. Dort, wo diese Möglichkeiten der Resozialisierung nicht gegeben sind, versagt der vorliegende Entwurf keinesfalls. Es sind sehr eingreifende Mittel da, um die Gesellschaft vor dem, der sich nicht wieder in sie einordnen will oder kann, unter Umständen lebenslänglich, zu schützen.
Das alles, im Zusammenhang gesehen, zeigt deutlich, daß diese Punkte des Entwurfs klar das Ziel haben, an die Stelle einer erkannten nicht genügenden Schutzfunktion der Strafgesetze und des Strafvollzugs eine Schutzfunktion zu setzen, die wirksamer ist für Staat und Gesellschaft.
({2})
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zur Entscheidung über den § 12.
Zunächst müssen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 646 Ziffer 7 abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den § 12 in der vorliegenden Fassung. Herr Dr. Jaeger hat den Streichungsantrag gestellt, über den wir 'entscheiden, indem wir über den § 12 abstimmen.
Zunächst hat aber zur Abstimmung Herr Abgeordneter Wagner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung über die Einheitsstrafe ist zweifellos eine der zentralen Entscheidungen der Strafrechtsreform. Im Hinblick auf diese Gewichtigkeit beantrage ich, darüber in namentlicher Abstimmung zu entscheiden.
Ich unterstelle, daß dieser Antrag von 26 anwesenden Mitgliedern des Hauses unterstützt wird.
({0})
- Ich kann auch fragen. Wer unterstützt diesen Antrag? - Das reicht aus.
Wir kommen zu der namentlichen Abstimmung über den § 12. Wer dem § 12 in der Ausschußfassung zustimmen will, stimmt mit Ja. Wer ihn ablehnt, stimmt mit Nein.
Meine Damen und Herren, um alle Zweifel zu beseitigen: wi,r stimmen ab über den ;§ 12 in der Ausschußfassung. Wer mit Ja stimmt, stimmt der Ausschußfassung zu, wer mit Nein stimmt, stimmt dem Streichungsantrag von Dr. Jaeger zu.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Von den voll stimmberechtigten Abgeordneten haben 354 an der Abstimmung teilgenommen. Mit Ja haben 260 gestimmt, mit Nein 92; 2 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Von den Berliner Abgeordneten haben 13 mit Ja und 2 mit Nein gestimmt. Der § 12 ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 351 und" 15 Berliner Abgeordnete davon
Ja: 257 und 13 Berliner Abgeordnete Nein: 21 und 2 Berliner Abgeordnete Enthalten: 2
Ungültig: 1
Ja CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Arnold Dr. Barzel Berberich
Berendsen Dr. Resold Bewerunge Biechele
Blumenfeld Bremer
Burgemeister Burger
Damm
Dr. Elbrächter Frau Enseling
Erhard ({1}) Ernesti
Dr. Freiwald Fritz ({2}) Gewandt
Dr. Giulini Gottesleben Frau Griesinger
Dr. h. c. Güde Dr. Häfele Härzschel
Dr. Hammans Hanz ({3})
von Hassel Dr. Hesberg
Frau Holzmeister Horstmeier
Dr. Hudak
Frau Jacobi ({4}) Josten
Dr. Jungmann Klein
Dr. Kopf
Dr. Krone Lampersbach
Dr. Lenz ({5})
Dr. Martin Maucher
Meis
Meister
Dr. von Merkatz
Dr. Müller-Hermann Müser
Niederalt Orgaß
Petersen
Frau Pitz-Savelsberg
Porten
Dr. Prassler
Rawe
Dr. Reinhard
Riedel ({6})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rösing Rollmann
Rommerskirchen
Ruf
Russe ({7})
Dr. Schmid-Burgk Schmidhuber
Dr. Schmidt ({8}) Schulhoff
Frau Dr. Schwarzhaupt
Dr. Sinn Stool!,
Varelmann
Weiland
Frau Dr. Wex
Windelen
Winkelheide
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Zink
Berliner Abgeordnete Frau Pieser
SPD
Adams
Ahrens ({9}) ({10})
Frau Albertz
Dr. Apel
Dr. Arndt ({11})
Bäuerle Bals
Baltes Barche Dr. Bardens
Bauer ({12})
Dr. Bayerl
Bazille
Dr. Bechert ({13}) Berkhan
Berlin Biermann
Blume Böhm
Börner Brück ({14})
Brünen Buchstaller
Büttner Buschfort Collet
Cramer Diekmann
Eckerland Frau Eilers
Eschmann Felder
Feuring Flämig Folger
Franke ({15})
Frehsee Frau Freyh
Fritsch ({16})
Fritz ({17})
Geiger Gertzen Gscheidle
Haage ({18})
Haar ({19})
Haase ({20}) Haehser
Hansing Hauck
Hauffe
Dr. Dr. Heinemann Herberts
Frau Herklotz
Hermsdorf
Herold Hirsch
Höhmann ({21}) Hölzle
Hörauf
Hörmann ({22})
Hofmann ({23})
Frau Dr. Hubert
Hufnagel Iven
Jacobi ({24})
Jaschke Jürgensen
Junghans
Junker Kaffka Kahn-Ackermann
Killat
Frau Kleinert
Koenen ({25})
Frau Korspeter
Dr. Kreutzmann
Kurlbaum
Lemp
Lemper Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Lotze
Maibaum Marquardt
Marx ({26})
Matthes Matthöfer
Frau Meermann
Dr. Meinecke
Michels
Dr. Müller ({27}) Müller ({28}) Müller ({29})
Dr. Müthling
Dr. Nann Neumann ({30})
Paul Peiter
Peters ({31})
Pöhler Porzner Raffert Dr. Rau Ravens Regling Rehs
Dr. Reischl
Reitz
Frau Renger
Richter
Riegel ({32})
Dr. Rinderspacher
Roß
Frau Rudoll
Sänger Saxowski
Frau Schanzenbach
Dr. Schmid ({33})
Dr. Schmidt ({34}) Dr. Schmidt ({35}) Schmidt ({36}) Schonhofen
Schulte Seidel Seifriz Seither Frau Seppi
Dr. Stammberger
Stephan Strohmayr
Tallert Tönjes Vit
Welke Wendt Westphal
Wilhelm
Berliner Abgeordnete
Bartsch
Frau Berger-Heise Bühling
Frau Krappe
Liehr
Frau Lösche
Mattick
Neumann ({37}) Dr. Schellenberg Dr. Seume
Wellmann
FDP
Busse ({38})
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Ertl
Geldner
Freiherr von Gemmingen Genscher
Dr. Haas
Frau Dr. Heuser
Kubitza Freiherr
von Kühlmann-Stumm Logemann
Dr. h. c. Menne ({39}) Mertes
Mischnick Moersch
Dr. Mühlhan
Ollesch
Peters ({40}) Ramms
Sander
Spitzmüller
Dr. Staratzke
Dr. Starke ({41}) Wächter
Zoglmann
Berliner Abgeordnete Bonn
Nein
CDU/CSU
Dr. Althammer
Baier Balkenhol
Bauer ({42}) Prinz von Bayern
Dr. Becher ({43}) Becker
Blank Blöcker Brand Brese
Dr. Conring
Dr. Czaja
Diebäcker
Draeger
Dr. Eckhardt
Ehnes Enk
Erpenbeck
Exner Falke Franke ({44})
Dr. Frey
Frieler
Frau Geisendörfer Geisenhofer
D. Dr. Gerstenmaier Gierenstein
Dr. Gleissner
Glüsing ({45}) Dr. Götz
Haase ({46}) Häussler
Dr. Hauser ({47})
Dr. Hellige
Hilbert
Hörnemann ({48}) Hösl
Dr. Hofmann ({49})
Dr. Jahn ({50}) Dr. Kempfler
Frau Klee
Dr. Klepsch
Knobloch
Krammig
Krampe
Krug
Frau Dr. Kuchtner Kuntscher
Leicht
Lemmrich
Lenze ({51}) Leukert
Dr. Lindenberg
Dr. Luda Majonica
Dr. Marx ({52}) Missbach
Frau Mönikes
Ott
Dr. Pohle Dr. Preiß Prochazka Rainer
Rasner
Rock
Röhner
Schlager
Schmitt ({53}) Frau Schroeder ({54}) Schröder ({55})
Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Dr. Siemer Dr. Steinmetz
Stiller
Storm
Struve
Stücklen
Dr. Süsterhenn
Teriete
Unertl
Wagner Weigl
Wendelborn
Dr. Wuermeling Wullenhaupt
Ziegler
Dr. Zimmermann
Berliner Abgeordnete
Dr. Gradl Müller ({56})
FDP
Porsch
Enthalten
SPD
Frau Kurlbaum-Beyer
FDP
Reichmann
Ungültig
SPD Tobaben
Ich rufe dann die §§ 13 bis einschließlich 37 der Vorlage mit der Maßgabe auf, daß wir in § 36 einen kleinen Druckfehler berichtigen. Dort heißt es in der vierten Zeile: „wegen einer Änderung". Es muß richtig heißen: „wegen einer Äußerung".
Wer den aufgerufenen §§ 13 bis 37 zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Vizepräsident Dr. Mommer
Wir kommen zu § 38. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 646 Ziffer 8 vor. Wird dieser Antrag begründet? - Frau Dr. Diemer-Nicolaus hat das Wort zur Begründung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Eigentlich paßt es ganz gut, daß wir nach einer so grundsätzlichen Frage, wie es die Einheitsstrafe ist, jetzt zu einem weiteren grundsätzlichen Punkt der beabsichtigten Reform kommen, nämlich zur Frage der kurzfristigen Freiheitsstrafe. Hier möchte ich, Herr Kollege Kaffka, auf eine persönliche Entwicklung hinweisen. Als vor 7 Jahren die Beratungen begannen, war auch ich noch für die kurzfristige Freiheitsstrafe. Damals glaubte ich noch, für jemanden, der an und für sich sozial eingeordnet sei, müsse ,es doch eigentlich ein Schock sein, wenn er wegen einer Verkehrsstraftat ins Gefängnis komme, sei es auch nur für kurze Zeit. Ich war der Meinung, das müsse derart abschreckend wirken, daß man an einer kurzfristigen Freiheitsstrafe nicht vorbeigehen könne. - Heute morgen ist bereits darauf hingewiesen worden, daß diese Strafform gerade auch von der Praxis weiter verlangt werde. - Erst im Laufe der Zeit bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß der Möglichkeit einer abschreckenden Wirkung der kurzfristigen Freiheitsstrafe auf den einen oder anderen viele Nachteile gegenüberstehen. Heute meine ich: wenn wir eine echte Reform haben wollen, eine Reform, die in die Zukunft weist und einen modernen Strafvollzug ermöglicht, der dahin führt, daß weniger Täter rückfällig werden, dann können wir die kurzfristige Freiheitsstrafe - darunter werden Freiheitsstrafen bis zu 6 Monaten verstanden - nicht mehr länger aufrechterhalten. Ich halte das für eine unabdingbare Forderung.
Hier haben sich die Fronten verschoben. In der letzten Legislaturperiode dachte die SPD fortschrittlicher als ich von der FDP. Damals wurde von Ihnen die Beseitigung der Freiheitsstrafe unter 6 Monaten vertreten. Das ist von Ihnen, Herr Kollege Hirsch und meine anderen Damen und Herren Kollegen von der SPD, mit so überzeugenden Gründen geschehen - noch zusammen mit den überzeugenden Gründen, die von anderen vorgetragen wurden -, daß ich insofern bekehrt worden bin. Sie sind nun in der schwierigen Situation, daß Sie kompromißlos einen Kompromiß vertreten, auf den Sie, Herr Kollege Hirsch, heute morgen hingewiesen haben, und daß es für Sie jetzt natürlich darum geht, an diesem Kompromiß gerade auch wegen der kurzfristigen Freiheitsstrafe festzuhalten. Ich verspreche mir deshalb für meinen Änderungsantrag bei Ihnen keinen Erfolg. Daß sehr viele auf seiten der CDU/CSU eine andere Auffassung haben, ist klar. Das respektiere ich selbstverständlich. Ich bin mir dessen bewußt, daß die Auffassungen in der Bevölkerung insofern keineswegs einheitlich sind, weder bei der Bevölkerung noch bei den Richtern.
Herr Kollege Güde und ich hatten ein kurzes Rundfunkgespräch, in dem er darauf hinwies, daß die Verkehrsrichter beim Verkehrsgerichtstag in Goslar die Auffassung vertreten hätten, an der kurzfristigen Freiheitsstrafe müsse unbedingt festgehalten werden; sie brauchten sie für die Verkehrsdelikte. Ich habe Herrn Kollegen Güde entgegengehalten, daß ich vor nicht ganz zwei Wochen eine Veranstaltung mit einer Diskussion über die Strafrechtsreform durchgeführt habe, auf der auch Richter an mich herantraten, aber in einem anderen Sinne. Ich glaube, es ist auch ein Generationenproblem. Dabei taucht natürlich die Frage auf, was bei einem Verzicht auf die kurzfristige Freiheitsstrafe an ihre Stelle treten soll. Wie kann man nachher eine wirksame Maßnahme ergreifen, um tatsächlich eine schuldangemessene Strafe auszusprechen, die auch dahin wirkt, daß möglichst kein Rückfall eintritt?
Warum wird denn seit so vielen Jahrzehnten gegen die kurzfristige Freiheitsstrafe angegangen? Doch deshalb, weil sich gezeigt hat, daß die Verbüßung der kurzfristigen Freiheitsstrafen für solche, die zum erstenmal mit dem Gefängnis in Berührung kommen, eine sehr große Gefahr der Ansteckung für kriminelle Taten darstellt, aber nicht eine entsprechende Abschreckung. Wir haben heuzutage genaue Statistiken, aus denen zu ersehen ist, daß die Rückfallhäufigkeit wesentlich größer ist, wenn eine kurzfristige Freiheitsstrafe vollzogen wird, als wenn sie zur Bewährung ausgesetzt wird. Nun werden Sie mir entgegenhalten: Wir wollen ja die Strafaussetzung zur Bewährung weitgehend ermöglichen. Aber da haben wir nun einmal unsere Erfahrung. Wir haben heute schon die Möglichkeit, kurzfristige Freiheitsstrafen bis zu neun Monaten zur Bewährung auszusetzen, ein Rechtsinstitut, das wir erst nach 1950, also nach dem zweiten Weltkrieg, eingeführt haben. Ich habe das damals für richtig erachtet. Wir müssen aber leider feststellen, daß von der Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung nicht in einem entsprechenden Umfang Gebrauch gemacht wird. Statt von diesem bewährten Rechtsinstitut mehr Gebrauch zu machen, ist es heute im Gegenteil so, daß man in der Rechtsprechung weniger davon Gebrauch macht. Das ist unsere Sorge. Wenn auch auf Grund der sogenannten Ultimo-ratioKlausel, die Sie in einer komplizierten Bestimmung haben, auf die kurzfristige Freiheitsstrafe nur als äußerste Maßnahme zurückgegriffen werden kann, so bestehen dennoch viele Möglichkeiten, der Aussetzung zur Bewährung auszuweichen. Wenn Sie hier nicht einen eindeutigen Einschnitt vornehmen, wird das Ziel der effektiven Zurückdämmung der Verbüßung der kurzfristigen Freiheitsstrafen nicht erreicht werden.
Wir hatten erst in letzter Zeit eine weitere Tagung der Strafvollzugskommission. Die Strafvollzugskommission ist nicht nur einmal, sondern wiederholt an den Sonderausschuß und an die Abgeordneten herangetreten und hat dringend darum gebeten, von den kurzfristigen Freiheitsstrafen abzusehen. Das sind die Praktiker, die draußen dauernd mit den Häftlingen in Berührung sind, das sind die Leiter der Strafanstalten; das sind nicht weltfremde Theoretiker. Sie haben mit aller Deutlichkeit auf die kriminogene Ansteckung hingewiesen und herausgestellt, daß die Wahrscheinlichkeit viel größer ist, daß die Häftlinge erneut Straftaten begehen, wenn
sie die kurzfristigen Freiheitsstrafen abbüßen müssen, als das sonst der Fall ist. Sie haben uns zwei Dissertationen zur Kenntnis gebracht, in denen neuestes Material erarbeitet worden ist und die ganz klar zeigen, wie stark die Rückfallhäufigkeit zunimmt, wenn die kurzfristigen Freiheitsstrafen vollzogen werden, und daß es nur möglich ist, in dieser Hinsicht zu Änderungen zu kommen, wenn man von den kurzfristigen Freiheitsstrafen völlig absieht.
Das ist möglich. Wir müssen es auch tun, damit die Anstalten frei werden für die Resozialisierung, die mit einem modernen Strafvollzug einfach verbunden sein muß. Das möchte ich noch einmal mit aller Eindeutigkeit betonen: Es handelt sich hier nicht darum, den Vollzug weich oder hart oder streng oder weniger streng zu gestalten - darauf kann nicht häufig genug hingewiesen werden -, sondern ihn wirksam in der Weise zu gestalten, daß möglichst wenige Täter rückfällig werden, weil nämlich damit die Rechtsordnung, Sicherheit und Ordnung am allerstärksten geschützt werden. Ich habe soeben erst wieder bei Gesprächen während der namentlichen Abstimmung festgestellt, daß dies noch nicht in aller Eindeutigkeit erkannt wurde, obwohl es schon wiederholt angesprochen wurde.
Ich möchte noch auf die Verkehrsstraftaten zu sprechen kommen. Wir wissen heute, daß jährlich etwa 112 000 kurzfristige Freiheitsstrafen abgebüßt werden müssen. Ein großer Teil davon betrifft Verkehrssünder. Vielfach handelt es sich dabei um die sogenannten Alkoholsünder, also um die Fälle, in 1 denen jemand unter Alkoholeinfluß ein Kraftfahrzeug gefahren hat. Es hieß dann meistens, im Interesse der öffentlichen Ordnung müsse diese kurzfristige Freiheitsstrafe verhängt und vollzogen werden. Kurzfristig war die Freiheitsstrafe meistens dann, wenn keine weiteren Folgen eingetreten sind. Aber nun gab es Gerichte, die auch in derartigen Fällen kurzfristige Freiheitsstrafen nicht vollziehen ließen, sondern zur Bewährung aussetzten. Auch hier haben die Statistiken wieder gezeigt: Wenn die Strafe ausgesetzt wurde, wenn an die Anständigkeit des Menschen appelliert wurde, waren weniger Rückfälle da als in den Fällen, in denen die kurzfristigen Freiheitsstrafen auch bei Verkehrssündern vollzogen wurden.
Wir sind der Meinung, daß der Ersatz für die kurzfristige Freiheitsstrafe, das geänderte Geldstrafensystem, heute wirksamer sein wird, um einer Rückfälligkeit vorzubeugen, als das bisher mit der Verbüßung von kurzfristigen Freiheitsstrafen der Fall ist. Sie wissen, daß in dem Alternativ-Entwurf von den Professoren ein außerordentlich wirksames System von Geldstrafen angeboten und gefordert wird, und zwar die sogenannte Laufzeit-Geldstrafe. Das bedeutet, daß nicht ein bestimmter Betrag als Geldstrafe ausgesprochen wird, sondern daß während einer bestimmten Zeit festgelegte Beträge entrichtet werden müssen. Wenn z. B. seither zwei oder drei Monate Gefängnis verhängt wurden, dann heißt es, daß während zwei oder drei Monaten bestimmte Beträge zu zahlen sind, deren Höhe sich nach dem Vermögen und dem Einkommen des Übeltäters zu richten hat.
Der Sonderausschuß hat nicht dieses System, sondern ein anderes Geldstrafensystem übernommen, nämlich das der Tagessätze, das auch insofern mit Gedanken des Alternativ-Entwurfs übereinstimmt, als man nicht mehr absolute Strafen festsetzt, sondern nach soundso vielen Tagessätzen bestraft. Ein Tagessatz bemißt sich nach Einkommen und Vermögen des zu Bestrafenden. Bei einem ganz armen Schlucker könnte sich der Tagessatz gegebenenfalls auf nur 2 DM belaufen; allerdings soll zu weniger als fünf Tagessätzen nicht verurteilt werden. Aber gegebenenfalls kann bei sehr gut Verdienenden der Tagessatz bis zu 1000 DM betragen.
Dieses System unterscheidet sich von dem anderen System des Alternativ-Entwurfs der Professoren dadurch, daß eine bestimmte Zahl der Tagessätze gleich ausgesprochen wird. Dieses Geldstrafensystem gibt die Möglichkeit, heute mit exemplarischen Geldstrafen -in diesem Fall kann man nicht sagen: die „Gentlemen"; es sind ja Übeltäter - zur Kasse zu bitten. Es ist heute festzustellen, daß materielle Einbußen wirksamer als kurzfristige Freiheitsstrafen sind.
Ich habe zu meiner Überraschung gehört - das diente mit zu meinem Gesinnungswandel in dieser Hinsicht -, daß heute kurzfristige Freiheitsstrafen vielfach, gerade bei Verkehrssündern als ein Risiko hingenommen werden, daß man tragen muß. Die abschreckende Wirkung, die innere Wandlung, die Einsicht, daß man so etwas nicht tun sollte, treten nicht in dem Maße ein, wie es richtig wäre. Einzelheiten, die mir aus dem Vollzug an Hand von Fällen, die sich ereignet haben, vorgetragen worden sind, will ich dem Plenum lieber ersparen.
Bei der Kritik, die an den Ergebnissen des Sonderausschusses geübt wurde, spielt der Kompromiß zwischen den Regierungsparteien eine erhebliche Rolle, demzufolge die Freiheitsstrafe von weniger als einem Monat doch bleiben soll und nur die Aussetzungsmöglichkeiten erweitert werden. Diese Kritik sieht die grundsätzliche Seite der Frage.
Ich darf noch einmal auf die letzte Tagung der Großen Strafvollzugskommission zurückkommen. Da herrschte eine allgemeine Betroffenheit, meine Herren Kollegen vom Sonderausschuß, nachdem Professor Sievers, der Vorsitzende der Strafvollzugskommission dagewesen war und festgestellt hatte, daß alle Bemühungen der Strafvollzugskommission, die kurze Freiheitsstrafe völlig zu beseitigen, vergeblich waren; ihre Reformarbeiten basieren darauf, daß - auch entsprechend den Erfahrungen im Ausland über die Wirkung beim Absehen vom Vollzug kurzfristiger Freiheitsstrafen; dafür werden entweder Aussetzung zur Bewährung oder entsprechend hohe Geldstrafen ausgesprochen -, diese Strafen nicht mehr vollzogen werden müssen.
Ich bitte Sie daher, bei dieser grundsätzlichen Frage zu überlegen, ob Sie Ihr Gewissen beruhigen können, wenn Sie heute bei diesem Kompromiß so kompromißlos stehenbleiben. Wenn ich heute diese grundsätzliche Frage anschneide - obwohl ich vermute, daß wir abermals überstimmt werden -, so tue ich es aus folgendem Grund: Wir stehen am
1 Ende dieser Legislaturperiode. Der nächste Bundestag wird die Reform fortsetzen müssen. Der nächste Bundestag wird vielleicht aufgeschlossener für die Forderungen der FDP sein. Er wird vielleicht ein offenes Ohr für das haben, was auch von den Praktikern des Strafvollzuges vorgetragen wird, denen ja daran liegt, möglichst viele zu resozialisieren und möglichst wenig mit Kriminellen in Berührung zu bringen mit der Gefahr einer kriminogen Infektion; diese Möglichkeit ist tatsächlich geschaffen worden. Im nächsten Bundestag wird sich dann auch erweisen, ob die auf dem Kompromiß basierende Erweiterung der Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung bei den kurzfristigen Freiheitsstrafen zu den Ergebnissen geführt hat, die diejenigen erhoffen, die jetzt den Kompromiß vertreten, oder ob ich mit meiner Skepsis recht behalten werde, daß dadurch nicht die notwendige Einschränkung des Vollzuges von kurzfristigen Freiheitsstrafen erfolgt, auch soweit sie durchaus möglich wäre. Es gilt heute schon die Punkte aufzuzeigen, in denen wir Freien Demokraten uns unter keinen Umständen mit den Beschlüssen abfinden werden, auch wenn wir heute überstimmt werden. Insofern handelt es sich für uns schon wieder um ein Programm für den nächsten Bundestag. Dieses Programm werden wir entsprechend weiterverfolgen in der Hoffnung, dann die notwendige Unterstützung zu finden, wenn sie uns heute versagt werden sollte.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat sich vor kurzem mit großer Mehrheit für die Einführung der einheitlichen Freiheitsstrafe entschieden. Der Herr Kollege Dr. Güde hat vorhin betont, daß sich die Mitglieder des Sonderausschusses nicht von heute auf morgen, sondern aus sachlichen Gründen und nach vielen Überlegungen zur Einführung dieser einheitlichen Freiheitsstrafe, ich möchte fast sagen, durchgerungen haben. Der Herr Kollege Rollmann hat mit Recht darauf hingewiesen, idaß es sich hierbei rum den zentralen Punkt der Strafrechtsreform handle.
Die Einheitsstrafe - das ist wiederholt zum Ausdruck gebracht worden - wird eingeführt in der Hoffnung, daß es uns gelingt, einen neuen Strafvollzug aufzubauen, der auf die Resozialisierung des zu Freiheitsstrafe verurteilten Täters ausgerichtet ist. Wir können nur wünschen, daß sich diese Hoffnungen erfüllen werden.
Es ist richtig und es ist der Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus zuzugeben, daß bei einer zu kurzen Freiheitsstrafe eine Resozialisierung mit Erfolg nicht in Angriff genommen werden kann. Es ist auch richtig, daß sich die von dem Herrn Bundesminister der Justiz berufene Strafvollzugskommission wiederholt an den Sonderausschuß des Bundestages für die Strafrechtsreform gewandt hat und wieder und wieder mit dem Petitum vorstellig geworden ist, daß auf die kurze Freiheitsstrafe verzichtet werden möge.
Meine Damen und Herren, wir wollen nun aber auf der anderen Seite, so möchte ich einmal sagen, nicht wiederum in eine Art ideologische Befangenheit geraten. Denn selbst in dem Entwurf, der als Alternativ-Entwurf bezeichnet wird, steht - heute morgen war das Gegenstand eines Antrags der Fraktion der Freien Demokraten -, daß der Sinn der Strafe nicht nur die Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft, sondern auch der Schutz der Rechtsgüter sei. Es ist mir zwar gelungen, verehrte Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, im Laufe der Zeit meine Vorstellungen von den verschiedenen Strafarten aufzugeben und mich zu der Einheitsstrafe zu bekennen. Aber leider ist mir das bei der Frage der kurzen Freiheitsstrafe nicht ganz gelungen, weil ich der Überzeugung bin, daß es nach wie vor einzelne Täter gibt, für die der Schock einer kurzen Freiheitsstrafe über eine Geldstrafe hinaus im Strafgesetzbuch möglich und vorgesehen bleiben sollte.
Selbstverständlich gehen wir dabei nicht davon aus, daß diese kurze Freiheitsstrafe nun reichlich ausgestreut wird. Auch wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Geldstrafe, soweit nicht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und mehr verwirkt ist und verhängt werden muß, die Strafe schlechthin sein soll. Aber es gibt eben doch nach unserer Meinung auch Täter, bei denen, wie es in § 47 heißt, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Bewährung bzw. zur Verteidigung der Rechtsordnung einmal unerläßlich ist, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters liegen, gegeben sind. Wir haben lange nach einem Wort gesucht, das diese besondere Einschränkung der kurzen Freiheitsstrafe im Gesetz deutlich macht, und wir sind zu dem im Gesetz ganz neuen Ausdruck „unerläßlich" gekommen.
Ich weise darauf hin, daß auch diese Strafe, wenn sie verhängt wird, zur Bewährung ausgesetzt werden kann und daß sie sogar ausgesetzt werden soll, wenn die Prognose für den Täter dahin geht, daß schon die Drohung der Strafverbüßung für die Einwirkung auf den Täter genügt, wobei der Umstand, daß die Verteidigung oder Bewährung der Rechtsordnung die Verbüßung der Freiheitsstrafe erfordert, bei diesen kurzen Freiheitsstrafen keinen Ausschlag geben darf. Wir sind aber nach wie vor der Meinung, daß man auch in Zukunft in diesem Strafgesetz die Organe der gesellschaftlichen Ordnung nicht so weit entmachten darf, daß sie nicht gegenüber gewissen Tätern, die gegen die Geldstrafe unempfindlich sind, dieses letzte Mittel besitzen.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß, solange wir noch eine Ersatzfreiheitsstrafe für die Geldstrafe haben, wobei eine Tagesbuße gleich einem Tag ist, die Möglichkeit einer sinnvollen Vollziehung einer kurzen Freiheitsstrafe nicht ausgeschlossen sein kann. Ich glaube auch, daß das Argument der „Ansteckungsgefahr" kaum ganz vollgewichtig sein kann. Wenn, wie ja gefordert wird, der neue Strafvollzug nicht nach Strafarten, sondern nach
Tätertypen eingerichtet wird, wird es wohl auch möglich sein, den Strafvollzug so zu gestalten, daß die Täter mit kurzer Freiheitsstrafe, die keiner Resozialisierung bedürfen, sondern nur eines ernsthaften Anpackens, auch entsprechend behandelt werden können.
Es ist vielfach, auch in der Strafvollzugskommission, die Befürchtung ausgesprochen worden, daß die kurze Freiheitsstrafe dahin führen werde, daß sich in der Strafpraxis nichts ändere und daß die Richter nach wie vor in der großen Zahl wie bisher kurze Freiheitsstrafen verhängen würden. Das ist eine unberechtigte Befürchtung; denn wenn Sie schon den deutschen Richtern ein neues Strafrecht an die Hand geben, werden diese das Strafrecht mit der gleichen Loyalität und mit dem gleichen Geiste praktizieren, wie sie das mit dem bisher geltenden Recht getan haben.
Ich darf zum Schluß noch auf das hinweisen, was in dem Bericht Drucksache V/4095 auf Seite 19 dazu ausgeführt ist. Dort wird festgestellt, daß die kurze Freiheitsstrafe keineswegs ,im Absterben ist und daß das Land Schweden, das ja immer in dem Rufe steht, in der Strafrechtspflege besonders avantgardistisch zu sein, in dem neuen, am 1. Januar 1965 in Kraft getretenen Kriminalgesetzbuch ebenfalls ein Strafminimum von einem Monat bestimmt. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich auch zitieren, was an der genannten Stelle gesagt ist über die Entscheidung des 2. Kongresses der Vereinten Nationen über Verbrechensverhütung und Behandlung Straffälliger, der im August 1960 in
London stattgefunden hat, zu dem Thema der kurzen Freiheitsstrafe. Der Kongreß hat sich dazu wie folgt geäußert:
Der Kongreß ist zur Erkenntnis gelangt, daß die kurze Freiheitsstrafe in vielen Fällen schädlich sein kann ... er hält daher ihre häufige Anwendung für unerwünscht. Der Kongreß verschließt sich jedoch der Erkenntnis nicht, daß die Ziele der Rechtspflege in einigen Fällen die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe notwendig machen können. Angesichts dieser grundlegenden Erkenntnis ist sich der Kongreß bewußt, daß die völlige Abschaffung der kurzen Freiheitsstrafe in der Praxis undurchführbar ist und daß eine wirklichkeitsnahe Lösung dieses Problems nur durch eine Einschränkung der Anwendung in den Fällen erreicht werden kann, in denen sie unangebracht ist.
Ich bitte Sie daher, meine Damen und Herren, den Antrag der Fraktion der Freien Demokraten abzulehnen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ganz kurz noch einige Argumente zu dem Antrag der Freien Demokraten.
Erstens. Frau Dr. Diemer-Nicolaus, wir freuen uns sehr über Ihren Sinneswandel. Wir haben es sehr begrüßt, daß Sie in der Frage der kurzzeitigen Freiheitsstrafe Ihre Meinung erheblich, ich darf sagen, um 180 Grad, geändert haben. Es wäre allerdings gut gewesen, wenn Sie Ihre Meinung schon früher geändert hätten; denn dann wären wir ganz sicher nicht in dieser Zeitnot, in der wir uns befinden, und dann wäre sicher materiell viel mehr geschehen, als geschehen ist.
Zum zweiten. Es ist richtig, daß wir in dieser Frage zu einer Kompromißentscheidung gekommen sind. Die Große Koalition trägt diese Kompromißentscheidung. Es ist wahr, daß wir Sozialdemokraten insofern nachgeben mußten. Unsere lupenreine Lösung, die dahin ging, daß die kurzzeitige Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten ganz abgelöst werden sollte, konnten wir, das räumen wir ein, nicht durchsetzen. Wir räumen dies aber allein schon deshalb mit Nachdruck ein, weil wir wissen, daß diese Entscheidung eben mit vielen anderen genauso wertvollen Entscheidungen zusammenhing und daß durch diese Kompromißentscheidung gewährleistet ist, daß die gesamte Strafrechtsreform unter Dach und Fach gebracht wird. Das ist für uns von wesentlicher Bedeutung.
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Noch ein Weiteres. Sie wissen genau, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, daß die Einschränkung der kurzzeitigen Freiheitsstrafe schon ab 1. September 1969 vorgesehen ist, daß allerdings - zugegebenermaßen mehr aus technischen Gründen - ein endgültiger Wegfall der kurzzeitigen Freiheitsstrafe bis zu einem Monat erst ab 1. Oktober 1973 möglich ist. Wir haben daher in den nächsten Jahren genug Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln, festzustellen, wie die Gerichte mit dem Institut der kurzzeitigen Freiheitsstrafe und ihrer Einschränkung zurechtkommen, so daß wir jederzeit für die Zukunft - ich glaube, dies gilt auch für die CDU - offen dafür sein werden, Nachprüfungen und unter Umständen in einigen Jahren auch Korrekturen durchzuführen.
Deshalb beantragen wir, den Änderungsantrag der Freien Demokraten abzulehnen.
Herr Abgeordneter Genscher hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere sehr, daß auch hier der Versuch unternommen wird, eine vorläufige Regelung zu erproben. Ich glaube, gerade die Frage der kurzfristigen Freiheitsstrafe ist ein Problem, das Anspruch auf eine langfristige Regelung hat. Unter anderem an dieser Frage wird sich entscheiden, ob das, was wir heute als Strafrechtsreform beraten, wirklich ein großer Schritt nach vorn ist.
Wir verkennen dabei nicht, daß der Sonderausschuß durch seine Neufassung entgegen dem Entwurf 1962 den Versuch unternommen hat, den Erkenntnissen der Wissenschaft und der Praxis Rechnung zu tragen, daß sich nämlich die kurze FreiGenscher
heitsstrafe in Wahrheit aus zwei Gründen verbietet. Sie verbietet sich einmal wegen ihrer Einwirkung auf den Strafvollzug. Wir alle wissen, daß der Strafvollzug unter einer Überbelegung leidet, daß die wirklich schweren Täter, bei denen Resozialisierungsbemühungen im Strafvollzug dringend erforderlich wären, heute nicht in der Weise unter Aufsicht - auch im Strafvollzug - stehen können, wie es der Fall wäre, wenn die Gefängnisse, die Strafanstalten, nicht mit den kurzfristigen Tätern überlastet würden. Wir kennen die Probleme, die sich aus der Fluktuation bei der Belegung der Strafanstalten ergeben. Das alles sollte uns veranlassen, den Strafvollzug für diejenigen frei zu machen, für die wirklich die Wirkungen des Strafvollzuges erforderlich sind, um sie in die Gesellschaft zurückzuführen.
Bei den Tätern, um die es hier geht, bei den Tätern, bei denen das Gericht zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Monaten kommt, entfallen alle diese Begründungen. Hier steht die Frage im Vordergrund, ob sich nicht für den Bestraften der Vollzug der kurzfristigen Freiheitsstrafe nachteilig auswirkt. Wir wollen uns doch einmal vor Augen halten, was es heißt, wenn jemand für wenige Monate aus seiner Umgebung herausgerissen wird, aus seiner beruflichen Umgebung, aus seiner familiären Umgebung. Hier werden wertvolle Sozialkontakte zerschnitten, und es werden weniger wertvolle, nämlich schlechte Sozialkontakte herbeigeführt, indem man diesen kurzfristig bestraften Mann in Strafanstalten zusammenbringt mit anderen Leuten, die auf ihn einen verderblichen Einfluß ausüben.
Das alles sollte uns veranlassen, auf die kurzfristige Freiheitsstrafe zu verzichten, und zwar nicht nur unter einem Monat, sondern unter sechs Monaten. Die Alternativen, die angeboten werden, sind in ihrer Auswirkung auf den Täter einschneidend. Gerade die Belastung mit einer Geldstrafe kann ihm möglicherweise das Unrecht seiner Tat viel stärker vor Augen führen, aber sie führt nicht dazu, daß ihm Wirkungen aufgebürdet werden, die ihn am Ende noch zu einem Resozialisierungsfall machen, obwohl er es eigentlich von der Tat her, vor allem dadurch, daß er in den meisten Fällen Gelegenheitstäter ist, nicht ist.
Nun ist hier eingewendet worden: Es gibt einzelne Täter, für die möglicherweise schon die Schockwirkung der ersten Strafe, die Schockwirkung auch einer geringen Freiheitsstrafe, erforderlich ist. Das mag sein. Aber wollen Sie wegen dieser einzelnen Täter wirklich in Kauf nehmen, daß für eine große Anzahl anderer Täter der verderbliche Einfluß der Umgebung mit wirklichen Kriminellen herbeigeführt wird? Wir glauben, daß das nicht gerechtfertigt ist.
Sie werden mir entgegenhalten, die Formulierung des Sonderausschusses werde immerhin bewirken, daß der Richter nur in Ausnahmefällen von der Möglichkeit der Verhängung der Freiheitsstrafe Gebrauch machen werde. Sie sagen aber selber, daß Sie die Entwicklung abwarten wollen. Sie räumen damit also ein, daß durchaus eine Rechtsprechung denkbar ist, die wegen dieser sehr akademischen Erklärung auch in Zukunft oft zu einer Anwendung der kurzfristigen Freiheitsstrafe kommt. Um gerade diese Entwicklung zu vermeiden, stellen wir den Antrag, auf die kurzfristige Freiheitsstrafe, also die Freiheitsstrafe unter sechs Monaten, zu verzichten und dem Täter in anderer Weise, nämlich vor allem durch eine finanzielle Belastung, durch einen Zwang zum Konsumverzicht das Unrecht der Tat vor Augen zu führen, aber nicht zu bewirken, daß wir auf der einen Seite den Strafvollzug für diejenigen gefährden, für die er erforderlich ist, auf der anderen Seite den Täter beruflich und familiär aus seinem Kreis, us seinem gesellschaftlichen Kreis herausziehen und damit unter Umständen etwas erreichen, was doch nicht Ziel der Strafverfolgung sein kann, nämlich daß der Täter nach einer so kurzfristigen Strafe in ein Milieu hineingerät, das ihn endgültig in den Bereich der Kriminalität absinken läßt.
Ich glaube, Sie sollten nicht nur das ernst nehmen, was die Wissenschaft zu dieser Frage sagt. Sie sollten auch das ernst nehmen, was die Strafvollzugskommission auf Grund ihrer Einsicht in die Auswirkungen der kurzfristigen Freiheitsstrafe empfohlen hat, weil sie aus der Praxis weiß, wie verderblich der Einfluß einer solchen Strafe auf Gelegenheitstäter sein kann und wie hier aus Gelegenheitstätern Rückfalltäter werden können. Genau das aber wollen wir vermeiden.
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Meine Damen und Herren, wir stimmen nun über den Änderungsantrag der FDP-Fraktion auf Umdruck 646 Ziffer 8 ab, wenn keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen. - Das ist der Fall. Dann darf ich die Damen und Herren, die Ziffer 8 zustimmen wollen, um das Handzeichen bitten. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 38 im Wortlaut der Ausschußvorlage. Wer § 38 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist § 38 angenommen.
§ 39! Wer § 39 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -§ 39 ist einstimmig angenommen.
§ 40! Wer § 40 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 40 ist einstimmig angenommen.
Zu § 41 liegen zwei Änderungsanträge vor. Der erste ist der Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Güde, Dr. Müller-Emmert und Genossen auf Umdruck 644 Ziffer 1. Wird zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht? - Herr Kollege Müller-Emmert, bitte!
Herr Präsident, darf ich die Anregung geben, daß zunächst über den Antrag der FDP-Fraktion abgestimmt wird; denn wenn dieser Antrag Erfolg hätte und die Absätze gestrichen würden, brauchten wir uns darüber nicht mehr zu unterhalten.
Gut. Dann wollen wir also zunächst über den Antrag der FDP-Fraktion auf
Vizepräsident Scheel
Umdruck 646 Ziffer 9 abstimmen. Wird der Antrag begründet? - Das ist der Fall. Das Wort hat Kollege Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen, die Worte „oder zur Bewährung der Rechtsordnung" zu streichen. Der Begriff „Bewährung der Rechtsordnung" ist in erster Linie nur im Zusammenhang mit § 47 Abs. 1 erklärbar, der heißt:
Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit keit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Bewährung der Rechtsordnung unerläßlich machen.
Aus der Begründung habe ich erkennen können, daß dieser Begriff sehr umstritten war. Herr Dr. Güde und andere haben jetzt noch den Antrag gestellt, den Ausdruck „Bewährung der Rechtsordnung" abzuändern in: „Verteidigung der Rechtsordnung". Daraus möge man erkennen, wie unsicher die Vorstellungen hierüber sind. Ich habe mich bemüht, festzustellen, was man eigentlich unter der „Bewährung der Rechtsordnung" verstehen mag. Ich habe verschiedenen Erklärungen für denselben Begriff bekommen. Der Begriff „Bewährung" ist gerade im Strafrecht in einer bestimmten Weise festgelegt. Wenn man nun von der Bewährung der Rechtsordnung oder von der Verteidigung der Rechtsordnung spricht, so möchte ich meinen, daß das ganze Strafgesetzbuch praktisch die Verteidigung der Rechtsordnung ist. Sie bringen somit in das Strafgesetzbuch einen Begriff hinein, der unbestimmt ist und von dem Sie selbst, glaube ich, noch nicht einmal genau wissen, was Sie konkret im einzelnen speziell damit meinen. Das halte ich für sehr gefährlich. Denn wie soll dann der Richter mit diesen Begriffen fertig werden?
Wir sind der Meinung, wenn wir diesen Satz streichen, wird der Inhalt der §§ 41 ff., in denen dieser Begriff immer wieder auftaucht, nicht geschmälert. Denn die Voraussetzungen für die kurze Freiheitsstrafe - wir sind grundsätzlich gegen sie, aber man hat sie nun schon einmal - sind bereits so, daß der Richter an den Merkmalen, die hier vorgetragen worden sind, erkennen kann, was damit gemeint ist. Es dient keinesfalls der größeren Klarstellung des Sinns dieser Bestimmungen, wenn man den Ausdruck „zur Bewährung der Rechtsordnung" oder „zur Verteidigung der Rechtsordnung" noch hinzufügt.
Deshalb bitten wir, diese Worte zu streichen.
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Das Wort hat Herr Kollege Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, diesen Änderungsantrag der FDP-Fraktion abzulehnen, und bitte Sie gleichzeitig, den entsprechenden Änderungsantrag der Antragsteiler Dr. Güde, Bühler usw. anzunehmen. Ich habe den Eindruck, dieser FDP-Antrag, der letzten Endes auf eine reine Spezialprävention hinausläuft, ist wohl nicht mit dem von uns inzwischen, wie ich meine, zu Recht abgelehnten Antrag der FDP-Fraktion Umdruck 646 Nr. I Ziffer 1 in Einklang zu bringen; denn da wollen Sie u. a. auch den Schutz der Rechtsgüter und nicht nur die Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft. Das letzte ist, wie ich es auffasse, Spezialprävention, und das andere ist ein Stückchen 'Generalprävention. Deshalb wäre es folgerichtig gewesen, wenn Sie unserem Antrag zugestimmt hätten.
Aber ich möchte hier gar nicht polemisieren, sondern nur ganz einfach sagen: wir halten es für erforderlich, nicht nur auf die spezialpräventiven Dinge abzustellen, sondern klarzustellen, daß es in besonderen Fällen nötig ist, wenn ich so sagen darf, auch die Rechtsordnung als solche zu schützen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Ja, bitte!
Herr Kollege Hirsch, würden Sie die Güte haben, mir zu erklären, was Sie unter dem Begriff „Bewährung ,der Rechtsordnung" verstehen? Es würde mich interessieren, Ihre Auslegung zu erfahren.
Herr Kollege, weil dieser Begriff „Bewährung der Rechtsordnung" nicht mehr unserem heutigen Sprachgebrach entspricht, weil er außerdem, wenn man sich das genau anschaut, mißverständlich ausgelegt werden könnte - wenn Sie Binding und Maurach nachlesen, kommen Sie darauf, daß er von diesen Rechtsgelehrten jedenfalls so aufgefaßt worden ist, wie wir ihn nicht aufgefaßt haben wollten -, haben wir den Antrag gestellt - zu dem ich gleichzeitig spreche -, dieses Wort „Bewährung" durch „Verteidigung" zu ersetzen. Wir brauchen uns also über dieses schwierige Wort „Bewährung" in diesem Zusammenhang nicht mehr zu unterhalten. Wir haben aus der Debatte - das sollte man ja tun - gelernt und hab-en gemeint: „Verteidigung der Rechtsordnung" ist besser.
Es geht hier also wirklich um die Frage, was Sie wollen. Wir wollen, daß in gewissen beschränkten Fällen nicht nur auf den Täter als solchen, sondern auch auf die Verteidigung der Rechtsordnung im allgemeinen abgestellt wird. Das kann nie auf Normalfälle angewendet werden, sondern es müssen Fälle sein, wo etwas ganz Besonderes geschieht, wo wir durch die Strafmaßnahmen die Rechtsordnung als solche zu verteidigen haben.
Aus diesem Grunde halten wir den Begriff „Verteidigung" für besser als „Bewährung" und halten gleichzeitig Ihre Vorschläge effektiv für zu eng. Wenn man es so machte, wie Sie es vorschlagen, würde in einer ganzen Anzahl von Fällen nicht die richtige Maßnahme oder Strafe ausgesprochen werden können.
Das gehört zu den Dingen - das müssen Sie wieder einmal von mir hören -, wo ich wirklich mit innerster Überzeugung und nicht etwa aus Koalitionstreue das ablehne, was Sie vorgeschlagen haben. Ich halte das, was Sie da wollen, für falsch. Ich halte außerdem - ich möchte es wiederholen - das, was Sie hier als Zweck von Strafe und Maßregel definieren wollten, und das, was Sie mit diesem Antrag wollen, für widersprüchlich; das ist überhaupt nicht miteinander in Einklang zu bringen.
Ich wiederhole, ich bitte, Ihren Antrag abzulehnen und umgekehrt das Bündel der Anträge, in denen vorgeschlagen wird, die Worte „Bewährung der Rechtsordnung" durch „Verteidigung der Rechtsordnung" zu ersetzen, anzunehmen.
Das Wort hat Herr Kollege Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Ich möchte hier wenige Worte zu dem Änderungsantrag der Kollegen Dr. Güde usw. sagen. Ich muß offen gestehen, mich befällt ein leises Grauen. Hier dreht es sich darum, ob eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten ausgesetzt werden soll oder nicht. Für die Frage, ob die Strafe ausgesetzt werden soll, soll bedeutsam sein, ob damit eine Verteidigung der Rechtsordnung erfolgt. Man kann doch nur noch mit dem Kopf schütteln, wenn man z. B. einem Autofahrer sagt: Du hast so viel gesündigt, jetzt muß du deine drei Monate absitzen, weil es die Verteidigung der Rechtsordnung erfordert. - Ich glaube, zur Verteidigung der Rechtsordnung ist unser gesamtes Strafrecht da.
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Wo wirklich die Notwendigkeiten dafür da sind, daß die Rechtsordnung angemessen verteidigt wird, müssen die Strafrahmen so gesetzt werden, daß wirklich eine Verteidigung der Rechtsordnung eintritt, aber nicht bei der Frage, ob eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten wirklich vollstreckt oder ausgesetzt werden soll.
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Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier liegt doch offensichtlich ein Mißverständnis vor, Herr Busse. Wenn ich den § 56 richtig lese, ist es doch wohl so, daß bei einer Strafe unter sechs Monaten der Gesichtspunkt der Bewährung der Rechtsordnung gerade keine Rolle spielt,
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so daß Ihre Argumentation hier an der Fassung des § 56 vorbeigeht.
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Das Wort hat Herr Kollege Güde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ganz wenige Sätze aus der Entstehungsgeschichte dieses Begriffs. Der geistige Ursprungsort dieser Wendung liegt im schwedischen Strafrecht. Dort steht in einer entsprechenden Bestimmung, die mir übersetzt worden ist: „Die Rücksicht auf die Rechtstreue des Volkes".
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Auch dort findet sich in einem spezialpräventiven Gesetzbuch also ein offenkundiger Hinweis auf ein generalpräventives Element. Wir haben immer gesagt, der Sinn kommt von dorther. Ganz klar: es ist ein generalpräventives Element, das, wie Herr Minister Dr. Ehmke soeben gesagt hat, im Zusammenhang mit § 56 keine Rolle spielt. Dort, wo es eine Rolle spielt, heißt es: Richter, überlege die Resozialisierung und auf der anderen Seite den Rechtsgüterschutz!
Das ist der Sinn. Also bitte keine Mystik! Wir hatten zunächst den Ausdruck „Bewährung der Rechtsordnung" gewählt. Weil wir aber in der Tat zu oft gefragt worden sind, was das heißen soll, haben wir überlegt: „Schutz der Rechtsordnung"? - Wir sind dann bei „Verteidigung der Rechtsordnung" verblieben. Was das bedeuten soll, habe ich soeben zu sagen versucht:
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der FDP auf Umdruck 646. Wer für den Antrag unter Ziffer 9 ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Dann können wir jetzt über den Antrag der Abgeordneten Dr. Güde, Dr. Müller-Emmert und Genossen auf Umdruck 644 abstimmen, und zwar zunächst über Ziffer 1. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
Dann stimmen wir über § 41 mit der soeben beschlossenen Änderung ab. Wer § 41 mit dieser Änderung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 41 ist bei 1 Stimme Enthaltung angenommen.
Zu den §§ 42 bis 45 b sind keine Änderungsanträge gestellt. Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind, daß wir über diese Paragraphen gemeinsam abstimmen. Wer den §§ 42, 43, 44, 45, 45 a und 45 b zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zum Zweiten Titel. § 46! Hierzu liegt auf Umdruck 646 unter Ziffer 10 ein Änderungsantrag vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort hat Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine der schwierigsten Aufgaben des Richters in einem Strafverfahren, dann, wenn er zu der Überzeugung gekommen ist, daß der Angeklagte die Tat begangen hat und eine Verurteilung erfolgen muß, die Strafe zu finden, die einerseits der Schuld des Täters angemessen ist und andererseits die seiner Persönlichkeit entsprechende Reaktion ist.
Dabei sind Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die in § 46 angesprochen sind. Es heißt dort zu Recht am Anfang, daß die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe ist. Wir Freien Demokraten möchten nach diesem Satz den Satz eingeschoben haben: „Die Strafe darf das Maß der Tatschuld nicht überschreiten.".
Was heißt das? Wir sind der Auffassung, daß die Höchstgrenze sich nach der Schuld zu. richten hat und daß diese Grenze nicht aus irgendwelchen spezialpräventiven Gründen überschritten werden darf. Ich möchte insofern wieder einen der Alternativ-Professoren zitieren, und zwar Herrn Professor Noll. Er sagt dazu:
Soweit Strafe zum Schutz der Ordnung notwendig ist, muß sie schuldangemessen sein. Die Schuld gibt nicht die Grundlage, sondern nur das Höchstmaß der Strafe. Nur schuldangemessene Strafe ist gerecht, und nur schuldangemessene Strafe erfüllt den generalpräventiven Zweck, die Verantwortung der Glieder der Gemeinschaft für die von ihnen getragene Ordnung zu stärken. Auch aus Gründen der Spezialprävention muß die Schuld das Höchstmaß der Strafe bilden. Schuldübersteigende Strafen werden vom Verurteilten nicht verstanden, weil sie, indem sie von seiner Verantwortung absehen, es unterlassen, an seine innere Ordnung anzuknüpfen. Gerade indem die Strafe an Unrecht und Schuld anknüpft, vermittelt sie dem einzelnen und der Gemeinschaft die Einsicht in die ethische und rechtliche Ordnung, der diese Werturteile entnommen sind. Daraus folgt, daß besonders die spezialpräventive Strafe des Schuldgedankens bedarf. Eine spezialpräventive Theorie, die glaubt, des Schuldgedankens entraten zu können, verfehlt völlig den Zweck, auf den sie sich beruft.
Die Schuld muß aber auch die Obergrenze für das Strafmaß sein. Dieses Problem wurde heute in der allgemeinen Aussprache schon einmal angesprochen. Dabei sind wir uns vollkommen darüber klar, Schuld ist kein quantifizierbarer Begriff in dem Sinne, daß man auf Tag und Stunde oder auch nur auf Woche oder Monat genau sagen könnte: Das ist noch schuldangemessen, das ist nicht mehr schuldangemessen. Aber alle sind sich darüber klar, daß man ungefähr schon beurteilen kann, ob eine Strafe, die für einen speziellen Täter verhängt werden muß, auch seiner Schuld angemessen ist.
Ich hatte diesen Antrag, daß die Schuld die Obergrenze der Strafe sein soll, im Ausschuß bei den verschiedenen Paragraphen wiederholt gestellt. Wir haben uns jetzt dazu entschlossen, diesen Antrag nur
bei dem § 46, wo es um die Grundsätze der Strafzumessung geht, zu wiederholen.
Es ist auch etwas anderes, wenn nur die Norm gesetzt wird, was strafbar sein soll, wie wir es mit dem von uns vorgeschlagenen § 1 a wollten. Dann kommt es, worauf Herr Kollege Busse mit Recht hingewiesen hat, darauf an, daß mit dieser Normsetzung der Rechtsgüterschutz gewährleistet sein muß. Im Sinne der „Verteidigung der Rechtsordnung" - um einmal diesen Begriff zu gebrauchen - muß man ganz klar herausstellen, welches die Straftatbestände sein sollen.
Aber wenn nachher in einem Strafverfahren festgestellt werden soll, welches die angemessene Strafe ist, ob zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe eine Geldstrafe verhängt werden muß - das ist der Punkt, über den vorhin gesprochen wurde - oder ob, worauf wir noch zu sprechen kommen werden, eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden sollte, kann es nur um die Spezialprävention gehen, nur darum, wie jetzt auf den betreffenden Täter eingewirkt werden kann. Hier muß eine Strafe verhängt werden, von der der Richter die Überzeugung hat, daß sie einmal seiner Schuld gerecht wird, die richtige Reaktion auf sein Verhalten ist, und zum anderen geeignet ist, ihn von der Begehung weiterer Straftaten in Zukunft abzuhalten. Hinter all den generalpräventiven Gesichtspunkten, die in diesem Zusammenhang vorgebracht werden - statt „Bewährung der Rechtsordnung" jetzt „Verteidigung der Rechtsordnung" -, steckt der bekannte Gedanke des öffentlichen Interesses, der nicht mehr gewollt ist.
Bei der Spezialprävention soll keiner eine höhere Strafe erhalten, als seiner Schuld entspricht. Das ist nach unserer Auffassung ein Gebot der Gerechtigkeit. Heute morgen wurde ausgeführt, daß in besonderen Fällen die schuldangemessene Strafe überschritten werden könne. Wir halten das für mit dem Sinn der Strafe und mit dem Gedanken einer gerechten Strafe nicht mehr vereinbar.
Wir bitten Sie deshalb um Ihre Zustimmung zu diesem Änderungsantrag.
Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Kollege Schlee, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was hier in das Strafgesetz aufgenommen werden soll, ist nichts Neues. Es handelt sich um eine Norm, die sich mit der Bemessung der Strafe nach der Schuld befaßt. Wir haben seit eh und je, ich möchte sagen, seit Jahrzehnten, ein Schuldstrafrecht in Deutschland gehabt. Es war immer die Aufgabe der Richter, die Strafe nach der Schuld zu bemessen. Aber das richtige Verhältnis von Schuld und Strafe zu finden, ist natürlich eine schier unlösbare Aufgabe. Im einzelnen Fall wird es niemals einheitliche Meinungen geben.
Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hat den § 46 Abs. 1 wie folgt formuliert:
Die Schuld des Täters ist die Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die
von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
Ich habe heute morgen schon Gelegenheit gehabt, auf die Überlegungen hinzuweisen, die der Sonderausschuß bei dieser Formulierung angestellt hat. Ich darf sie kurz wiederholen. Eine Lehrmeinung geht dahin, daß es für die Schuld einer konkreten Tat eine ganz genau bemessene Strafe gebe und daß es Aufgabe des Richters sei, diese genau bemessene Strafe zu erkennen und auszusprechen. Es gibt eine andere Meinung, die wohl zum Teil von den oberen Gerichten vertreten wird. Danach gibt es für die Schuld einer konkreten Tat einen gewissen Spielraum bei der Strafe. Etwa in einer Grenze von einem Jahr und einem Jahr und zwei Monaten kann die Strafe schuldangemessen sein, und innerhalb dieses Spielraums können andere Umstände, z. B. die Umstände der Resozialisierung, auch die Umstände der Verteidigung der Rechtsordnung bei der Strafzumessung, mit berücksichtigt werden.
Der Sonderausschuß glaubt - jedenfalls in seiner Mehrheit -, daß er mit der Formulierung des § 46 eine brauchbare Richtlinie für die Praxis der Gerichte gefunden hat.
Heute morgen ist schon ausgesprochen worden, daß in geringen Grenzen aus Gründen der Spezialprävention auch einmal über das der konkreten Schuld angemessene Maß hinausgegangen werden darf, auch dann, wenn man den Standpunkt vertritt, daß an sich Schuld und Strafe einander genau entsprechen müßten. Sehr verehrte Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, ich glaube in den Sitzungen der Strafvollzugskommission - soweit ich daran teilnehmen konnte - die Meinung gehört zu haben, daß man durchaus die schuldangemessene Strafe im Interesse eines erfolgreichen Strafvollzugs auch einmal in geringen Grenzen überschreiten könne. Man hat dort in Referaten sogar die Meinung vertreten - und sie wird sicher richtig sein -, daß eine lange Strafe, ein langer Strafvollzug weit eher den Erfolg, daß eine Rückfälligkeit vermieden wird, erwarten läßt als eine zu kurze Strafe.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter? - Bitte!
Herr Kollege Schlee, ich möchte Sie fragen, wie Sie zu folgendem Fall stehen. Da begeht einer einen verhältnismäßig geringfügigen Diebstahl. Er soll zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden. Bei der Verhandlung vor Gericht stellt sich heraus, daß der Mann keine ordnungsgemäße Berufsausbildung hat. Man weiß heute, daß eine ordnungsgemäße Berufsausbildung die sicherste Garantie für ein straffreies Leben ist. Aus spezialpräventiven Gründen wäre es notwendig, eine so lange Strafe zu verhängen, daß die außerhalb der Strafanstalt versäumte Berufsausbildung jetzt nachgeholt werden könnte. Das würde natürlich eine sehr lange Strafe bedeuten. Würden Sie das noch für richtig halten? Sind Sie nicht der Auffassung, daß auch insofern eine schuldangemessene Höhe der Strafe gegenüber der Spezialprävention den Vorzug verdient?
Verehrte Frau Kollegin, selbstverständlich käme in diesem Fall eine Strafe, die eine Berufsausbildung ermöglicht, wohl nicht in Betracht. Ich muß Ihnen hier das entgegenhalten, was wir vorhin diskutiert haben. Wegen eines einfachen Diebstahls wird jemand, zumal angesichts der mildernden Umstände, daß er keine Berufsausbildung hat, in Zukunft in der Regel wohl mit einer Geldstrafe und nicht mit einer Freiheitsstrafe belegt werden. Ich habe ausdrücklich betont, daß aus spezialpräventiven Gründen bei der Strafe das Maß der Schuld wohl ein wenig überschritten werden kann, aber eben in ganz geringen Grenzen. Für einen einfachen Diebstahl kann man sicher niemanden so lange ins Gefängnis sperren - wenn überhaupt -, bis er eine Berufsausbildung nachgeholt hat.
Ich komme jetzt zu dem Vorschlag, den die Fraktion der FDP aus dem Alternativ-Entwurf deutscher Strafrechtslehrer übernommen hat. Ich habe hier wohl schon ausgeführt, daß der Satz: „Die Strafe darf das Maß der Tatschuld nicht überschreiten" etwas völlig Unmögliches verlangt. Diese scharfe Grenze von Schuld und Strafe ist nie eindeutig festzusetzen. Setzen wir aber eine solche Norm ins Gesetz, dann wird, das ist die allgemeine Meinung auch im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform gewesen, der Verurteilte immer das Recht haben, eine Revision darauf zu gründen, daß bei der Bemessung seiner Strafe das Gesetz verletzt worden sei, weil man das in Anbetracht seiner Schuld zulässige Höchstmaß der Strafe überschritten habe. Daraus wird sich eine Flut von Revisionen ergeben.
Ich kann Ihnen heute nicht sagen, inwieweit in Zukunft auch bei der Formulierung, die der Sonderausschuß Ihnen vorschlägt, die Möglichkeit von Revisionen gegeben sein wird. Ich darf aber sicher sein, daß sie bei weitem nicht in dem Ausmaß gegeben sein wird, wie sie gegeben wäre, wenn wir die - auch in der Praxis einfach nicht durchzuführende - Norm von der absoluten Grenze der Strafe nach dem Maß der Tatschuld aufnähmen.
Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Kollege? - Bitte!
Herr Kollege Schlee, ist nicht eine noch wesentlich größere Flut von Revisionen zu erwarten, wenn es bei der jetzt im Abs. 2 enthaltenen Aufzählung der bei der Zumessung der Strafe zu berücksichtigenden Umstände verbleibt?
Sie meinen, Frau Kollegin, den Katalog?
({0})
- Nein, der Meinung bin ich nicht. Es handelt sich
da - wie ich heute morgen schon gesagt habe 12768 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 230. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 7. Mai 1969
nicht um zwingende Normen, sondern um Hinweise auf Überlegungen, die der Richter anzustellen hat. Ich kann Ihnen nicht mit Sicherheit sagen, ob nicht die Rechtsprechung in Zukunft auch die Formulierung des § 46 in der Fassung des Sonderausschusses als Grundlage einer Revision anerkennen wird. Aber bei dem weiteren Spielraum, der hier gegeben ist, werden, glaube ich, darauf nicht so einfach und so häufig Revisionen gestützt werden können wie auf eine Fassung, die eindeutig lautet: „Die Strafe darf das Maß der Tatschuld nicht überschreiten." Bei dieser Fassung genügt es, daß der Täter sagt: „Ich rüge Verletzung des Gesetzes, meine Strafe überschreitet das Maß der Tatschuld." Ich bin der Überzeugung und mit mir die Mehrheit der Mitglieder des Sonderausschusses - ich darf das hier wohl für beide Fraktionen der Regierungskoalition sagen -, daß wir die beste Formulierung gefunden haben, die es auf diesem Gebiet - das Neuland ist - gibt.
Ich bitte, meine Damen und Herren, den Antrag der FDP abzulehnen und der Formulierung des Sonderausschusses zu § 46 zuzustimmen.
({1})
Wir stimmen über die Ziffer 10 des Änderungsantrages der Fraktion der FDP Umdruck 646 ab. Wer dieser Ziffer zustimmt, gebe das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
B) Wir kommen zur Abstimmung über den § 46 in der Ausschußfassung. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist der § 46 angenommen.
Wir kommen zu § 47. Hier liegen zwei Änderungsanträge vor, der eine wieder auf Umdruck 644 und der zweite auf Umdruck 646 unter Ziffer 11. Auch hier sollte zunächst über den Änderungsantrag auf Umdruck 646 und anschließend über den auf Umdruck 644 diskutiert werden.
Herr Kollege Müller-Emmert!
Herr Präsident, gestatten Sie den Hinweis, daß zu diesen beiden Abänderungsanträgen schon genaue Begründungen vorgetragen worden sind.
Die Begründungen sind vorgetragen worden, das ist klar. Nur wegen der Reihenfolge der Abstimmung ist es sinnvoll, so zu verfahren, wie ich vorgeschlagen habe.
Wird zu dem Antrag auf Umdruck 646 das Wort gewünscht?
({0})
- Wir brauchen nicht abzustimmen, weil der Antragsteller den Antrag als erledigt betrachtet und zurückzieht.
Wir hätten dann abzustimmen über die Ziffer 2 im Änderungsantrag Umdruck 644. Wer der Ziffer 2 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen ist die Ziffer 2 angenommen worden.
Wir stimmen dann ab über den § 47 in der soeben abgeänderten Fassung. Wer dem § 47 in der abgeänderten Fassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist der § 47 angenommen worden.
Wir kommen zu § 48. Hier liegt ein Abänderungsantrag auf Umdruck 646 unter Ziffer 12 vor. Zur Begründung hat Herr Kollege Busse das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Ich kann die Begründung unseres Antrages, den § 48 wegfallen zu lassen, sehr kurz fassen.
In unserem bisher geltenden Strafgesetzbuch hatte es schon Bedeutung, in gewissen Fällen Rückfalltatbestände als besonders strafverschärfende Umstände aufzuführen, insbesondere weil es häufig nur so möglich war, von der Gefängnisstrafe zur Zuchthausstrafe überzugehen. Dieser Grund besteht heute nicht mehr, nachdem sich das Hohe Haus mit uns dafür entschieden hat, die Einheitsstrafe einzuführen. Das einzige Moment, das also bleiben kann, über den Rückfall überhaupt zu sprechen, wäre, daß bei wiederholten Verstößen gegen Strafbestimmungen eine Verschärfung der Strafe gegenüber der, die ansonsten für die begangene Tat hätte ausgesprochen werden müssen, ausgesprochen werden kann.
Ich meine aber, daß bei der Anwendung des soeben beschlossenen § 46, wonach der Richter bei der Zumessung der Strafe u. a. das Vorleben des Täters zu berücksichtigen hat, die Tatsache, ob und wie häufig er bereits vorbestraft ist, natürlich eine ganz entscheidende Rolle spielen muß. Die einzige Frage, die sich dann stellt, ist, ob die Strafrahmen, die im allgemeinen ausgesprochen sind, ausreichen, um dieser Tatsache des Vorbestraft-Seins Rechnung zu tragen. Ich glaube, in allen Fällen, die in Betracht kommen, kann man das bejahen.
Hinzu kommt, daß gerade die Praktiker, die Richter, der Ansicht sind, daß die komplizierten Bestimmungen, wie sie etwa der § 48 heute noch enthält, zu unmöglichen Komplikationen des Verfahrens - sowohl zu unnötigen Feststellungen als auch zu schwer zu entscheidenden Rechtsfragen - führen, und daß sich im Endeffekt, wie meist bisher schon, im Wege dessen, was man bisher mildernde Umstände nannte, eine Strafe ergibt, die man eigentlich gar nicht so recht wollte.
Unter Berücksichtigung all dessen sage ich: hier sollten wir wirklich das tun, was Herr Jaeger heute morgen angesprochen hat und was unser Freund Thomas Dehler einmal gesagt hat, nämlich eine
Busse ({0})
möglichst einfache Regelung zu treffen, die aber allen Bedürfnissen dann Rechnung trägt.
Der § 46 in seiner jetzigen Fassung, insbesondere die soeben von mir zitierte Bestimmung, trägt dem, was erforderlich ist, absolut Rechnung. Der Richter hat in diesem Rahmen auch die Möglichkeit, die Rückfalltat als Rückfalltat mit zu berücksichtigen, und zwar so, wie es sich gebührt. Es bedarf keiner besonderen Vorschrift.
Das Wort hat Herr Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der Fraktionen der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union und der Sozialdemokratischen Partei bitte ich, den soeben von Herrn Kollegen Busse begründeten Antrag abzulehnen.
Die deutsche Sozialdemokratie hat in ihrer langen Geschichte immer die innere Ungerechtigkeit bekämpft, die darin lag, daß nur bei einzelnen Vermögensdelikten der Rückfall durch eine besondere Verschärfung im Strafgesetzbuch gekennzeichnet war. Die Christlich-Demokratische Union sieht es als willkürlich an, wenn nur bestimmte Vermögensdelikte rückfallbegründend im Strafgesetzbuch vorgesehen sind. Diese gedanklichen Traditionen der beiden großen Koalitionsparteien lassen es angezeigt erscheinen, im neuen Strafgesetzbuch eine ausdrückliche Regelung über den Rückfall vorzusehen. Wir folgen dabei den demokratischen. Vorbildern der deutschsprachigen Umwelt unseres Vaterlandes, insbesondere dem schweizerischen und dem österreichischen Strafrecht.
Der Sinn einer solchen besonderen Rückfallregelung im Strafgesetzbuch ist erstens einmal der Schutz der Allgemeinheit vor besonders hartnäckigen Tätern, die ihre kriminelle Hartnäckigkeit dadurch unter Beweis stellen, daß sie häufig wieder straffällig werden. Es sollte uns zu denken geben, daß die kriminologischen Erfahrungen gerade der letzten Jahre gezeigt haben, daß immer mehr Taten von immer weniger Tätern begangen werden. Das ist ein Umstand, der auch bei der Frage des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr und bei der sich anschließenden Diskussion in den letzten Monaten eine große Rolle gespielt hat. Es ist jenes merkwürdige Phänomen, daß sich der Täterkreis immer mehr verringert, daß immer mehr Taten von immer weniger Tätern begangen werden. Hier, Herr Kollege Busse, reicht es nach dem Dafürhalten der beiden Koalitionsfraktionen nicht aus, daß der Richter nach § 46 das Vorleben des Täters mit zu berücksichtigen hat. Wir meinen, dem Richter muß etwas Konkreteres an die Hand gegeben werden, damit er im Einzelfall eine gerechte Entscheidung treffen kann. Wir sollten das gerade von Ihnen und den Sprechern Ihrer Partei heute morgen so oft kritisierte „Verlassen auf die Rechtsprechung" nicht zu weit treiben. Wir sollten als Gesetzgeber dem Richter eine Handreichung zur Verfügung stellen, die ihm die gerechte Zumessung der Strafe gerade auch
bei solchen hartnäckigen, bei solchen Wiederholungstätern ermöglicht.
Zweitens ist der Sinn der Rückfallregelung daneben der, Schutz des Täters selber, also auch wieder eine Frage der Resozialisierung; dieser Begriff ist heute in diesem Raum schon so oft gefallen. Dem Täter muß durch die Strafe nachdrücklich klargemacht werden, daß er umkehren muß. Ihm muß deutlich gemacht werden, daß er den Weg, den er durch die Wiederholung seiner Straftaten beschritten hat, nicht weiter gehen darf, wenn er noch ein wertvolles Glied der menschlichen Gemeinschaft bleiben will. Das muß ihm mit allem Nachdruck klargemacht werden, auch im eigenen Interesse.
Diese beiden Gründe sprachen dafür - ja, sie erfordern es -, daß wir eine besondere Vorschrift über den Rückfall in unserem neuen Strafgesetzbuch haben.
Es kommt aber noch ein Grund hinzu, den ich nicht nur als technisch bezeichnen möchte, der aber vielleicht gegenüber dem, was ich bisher vorgetragen habe, von etwas minderem Gewicht ist. Wenn wir an der Gesamtkonzeption des Entwurfs festhalten, müssen wir ohne eine solche Rückfallregelung beobachten, daß immer dann, wenn der Rückfalltäter im Einzelfall, für die einzelne Tat, auf Grund seiner Schuld und der übrigen hier zu berücksichtigenden Umstände nur eine Strafe unter sechs Monaten verwirkt haben würde, er niemals mit Freiheitsentziehung bestraft werden könnte, sondern immer in Geldstrafe genommen werden müßte, wie häufig er auch seine Taten begeht. Dies hätte aber zugleich nach der Systematik des neuen Entwurfs die unangenehme Nebenfolge, daß auch Maßregeln der Sicherung und Besserung, die die Freiheitsentziehung voraussetzen, nicht gegen ihn angewendet werden könnten. Um Ihnen ein kleines Beispiel zu nennen: Der leicht kleptomanische Dieb, der deswegen aber noch nicht unzurechnungsfähig ist, der also nur Dinge minderen Wertes häufig stiehlt - heute eine Kinderarmbanduhr im Kaufhaus, morgen ein Taschentuch und übermorgen eine Mütze -, würde niemals in den - ich sage das mit Absicht - Genuß der Einweisung etwa in die neue sozialtherapeutische Anstalt gelangen können, sondern immer und immer wieder mit einer Geldstrafe bestraft werden müssen, wenn wir diese Vorschrift nicht hätten. Auch das wäre sicherlich ein Ergebnis, das wir nicht wünschen können, weder im Interesse des Schutzes der Rechtsgüter noch im Interesse des einzelnen Täters.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, noch folgendes. Die Fassung, die jetzt § 48 als rückfallbegründende Vorschrift erhalten hat, unterscheidet sich sehr wesentlich von den eingeschränkten Rückfallvorschriften im bisherigen Strafgesetzbuch, die sich auf ganz wenige Vermögensdelikte beschränkten. Es ist eine ausgesprochen moderne Fassung. Sie zeichnet sich durch zweierlei aus, nämlich einmal dadurch, daß die Voraussetzungen, unter denen ein Rückfall angenommen werden kann, verschärft worden sind, daß also hier die Gefahr, daß zu schnell Rückfallrecht angewendet wird, nicht gegeben ist, und auf der anderen Seite dadurch, daß
Dr. Arndt ({0})
gerade jene Flexibilität, die letzten Endes auch gerade Herr Kollege Busse soeben in der Begründung seines Antrages gefordert hat, in dieser modernen Fassung des § 48 enthalten ist. Der Richter ist nämlich flexibler in der Auswahl der Folgen, als dies bisher bei den Rückfalldelikten in unserem Strafgesetzbuch der Fall war. Die Folgen des Rückfalls sind also relativ gemildert.
Unter diesen Gesichtspunkten, weil wir also erstens generell nicht auf eine besondere Handreichung für den Richter beim Rückfalltäter verzichten können und wollen, weil wir auf der anderen Seite im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform eine moderne, sachgemäße Form für diese Rückfallbegründung gefunden haben, sollten wir es bei der Ausschußfassung belassen und sollten den Antrag der Freien Demokratischen Partei ablehnen.
({1})
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht weiter dazu gewünscht.
Der Antrag der Freien Demokraten geht darauf hinaus, § 48 zu streichen. Wir können also, wenn wir über den Antrag abstimmen, über § 48 abstimmen. Das heißt, wer dem Antrag zustimmt, muß § 48 bei der Abstimmung ablehnen. Das ist klar. Also stimmen wir über § 48 ab.
Wer § 48 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 48 ist bei Gegenstimmen der Freien Demokratischen Partei angenommen.
Jetzt haben wir über die §§ 49, 50, 51, 52, 53, 54 und 55 abzustimmen. Zu keinem der Paragraphen liegt ein Änderungsantrag vor. Wir können über die Paragraphen gemeinsam abstimmen.
Wer den §§ 49 bis einschließlich 55 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Vierten Titel, und zwar zunächst zu § 56. Hierzu liegen wieder zwei Änderungsanträge vor: der Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. h. c. Güde, Dr. Müller-Emmert und Genossen Umdruck 644 Ziffer 3 und der Antrag der Fraktion der FDP Umdruck 646 Ziffer 13.
Wir verfahren auch hier so, daß wir zunächst den Antrag auf Umdruck 646 behandeln. Wird das Wort dazu vom Antragsteller gewünscht?
({0})
- Der Antrag ist begründet worden und ist - der
Antragsteller weist darauf hin - ebenfalls erledigt.
Wir kommen dann zu dem Änderungsantrag Umdruck 644 Ziffer 3. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! Enthaltungen? - Bei mehreren Gegenstimmen ist der Antrag Umdruck 644 Ziffer 3 angenommen.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den § 56 in der geänderten Form. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 56 in der geänderten Form ist einstimmig angenommen.
Wir kommen dann zu den §§ 56 a und 56 b. Wer diesen beiden Paragraphen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Beide Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Es folgt § 56 c. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 646 unter Ziffer 14 vor. Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Auch nach diesem Antrag soll lediglich ein Wort gestrichen werden. Das veranlaßt mich, einige kurze Bemerkungen zu dem zu machen, was Herr Kollege Hirsch heute morgen, als es sich um das Wort „oder" handelte, gesagt hat. Herr Kollege Hirsch, ich kann Ihnen versichern, wir haben bei unseren Beratungen eigentlich noch viel, viel mehr zu beanstanden gehabt, als wir heute hier vortragen. Wir haben es zurückgestellt; denn dieses Gesetz enthält so viel Gutes, daß wir mit Ihnen dringend daran interessiert sind, daß es verabschiedet wird. Wenn wir aber meinen, daß an dem Guten vielleicht dieses und jenes noch gebessert werden könnte, so ist das ein Anliegen, das durchaus vertretbar ist, auch für eine Opposition.
Ein Zweites. Der Antrag, ein einzelnes Wort zu streichen, hinzuzufügen oder zu ändern, hört sich natürlich zunächst außerordentlich harmlos an. Aber wie bedeutsam die Hinzufügung oder die Streichung eines einzelnen Wortes sein kann, zeigt sich, glaube ich, an dem Beispiel, das wir jetzt zu erörtern haben.
Worum geht es dabei? Es handelt sich darum, daß das Gericht dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen erteilen kann, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. In Absatz 2 wird dann gesagt: „Das Gericht kann den Verurteilten namentlich anweisen", das und das zu tun. Das bedeutet, daß der Katalog in Abs. 2 lediglich exemplifikativ ist, daß andere Möglichkeiten dadurch nicht ausgeschlossen werden, sondern daß der Richter lediglich eine Begrenzung hat, nämlich die Generalklausel des § 56 c Abs. 1 - eine Generalklausel, die so weit gefaßt ist, daß sie praktisch nur beinhaltet: der Richter kann dem Betroffenen Weisungen erteilen. Hier kommen wir mindestens - ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken - auf ein verfassungspolitisches Problem. Denn ob eine so generelle Klausel den Eingriff in die Freiheit des Betroffenen im Sinne des Grundgesetzes ausreichend rechtfertigt, ist mindestens problematisch, und rechtspolitisch ist es sicherlich nicht erwünscht.
Dem entgehen wir, wenn wir die Generalklausel dahin spezifizieren, nicht, was der Richter „namentlich" machen kann, sondern was er machen kann, und damit die Weisungen, die er erteilen kann, auf das begrenzen, was in den Nummern 1 bis 5 des Abs. 2 aufgezählt ist. Dann sind alle verfassungspolitischen oder verfassungsrechtlichen Bedenken
Busse ({0})
unzweifelhaft ausgeräumt; denn dann ist die Konkretisierung, die für das Strafgesetz und auch für diese Maßnahmen und Weisungen notwendig ist, tatsächlich erfolgt. Sie fehlt aber, wenn das Wort „namentlich" stehenbleibt.
Das sind die Gründe, und ich glaube, das sind tragende Gründe, sehr bedeutsame Gesichtspunkte, die an dem kleinen Wort „namentlich" hängen. Darum bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen, weil wir hier eine in jeder Hinsicht klarere Rechtslage schaffen, als sie sonst nach dem vorgelegten Entwurf geschaffen würde.
Das Wort hat Herr Kollege Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe noch einmal die Ehre, in Kürze zu diesem Antrag der Freien Demokratischen Fraktion für die beiden Regierungsparteien Stellung zu nehmen. Ich meine, daß der Antrag eigentlich etwas anders hätte formuliert werden müssen, wenn das erreicht werden soll, was beabsichtigt ist. Es dürfte dann nicht vorher heißen:
Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen.
Es hätte dann von vornherein lauten müssen: Das Gericht kann dem Verurteilten die und die Weisungen erteilen, wenn es zur Lebensführung notwendig ist.
Nun aber wird eingewendet, daß vielleicht das Grundgesetz dem entgegenstehe, was hier beschlossen werden solle. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir uns hier auf dem Gebiete der Strafaussetzung zur Bewährung befinden. Man könnte vielleicht, wenn man ganz streng wäre, den Standpunkt vertreten, eine Strafaussetzung zur Bewährung dürfte es überhaupt nicht geben, sondern der Verurteilte habe ein Recht, seine Strafe zu verbüßen, um dann nichts mehr mit dem Staat zu tun zu haben, soweit er nicht wieder straffällig wird.
Ich glaube, wir sind alle einer Meinung, daß man dieses wohlbewährte Institut der Strafaussetzung zur Bewährung einsetzen bzw. beibehalten sollte. Wir versprechen uns sogar viel davon. Wer aber nun einmal zur Strafe verurteilt ist, der ist - .das läßt sich nicht bestreiten - der Gewalt des Staates in besonderer Weise unerworfen. Mit dieser Unterwerfung unter die Gewalt des Staates, die sich normalerweise in verschlossenen Zellen und vergitterten Fenstern ausdrückt, wird er hier von der eigentlichen Strafe verschont und in Freiheit gelassen. Es ist aber wohl verständlich, daß sich diese Unterwerfung dann in einer Minderung seiner freien Bewegung und in einer Aufsicht über seine Lebensführung äußert.
Nun sind also hier die Möglichkeiten gegeben, Weisungen zu erteilen. Wenn der Ausschuß meint, daß man diese Möglichkeiten der Weisung nur beispielhaft - und ich glaube in der Tat, daß sie ziemlich erschöpfend sind - aufführen soll, daß man
aber dem Gericht die Möglichkeit lassen muß, auch einmal nach Lage des einzelnen Falles eine andere Weisung zu erteilen, dann halte ich das für eine völlig richtige Konsequenz des Gedankens, daß der Verurteilte vor der Strafe verschont, daß er in Bewährung geschickt wird, daß er aber in der Bewährung Hilfe braucht, die Hilfe des Staates bzw. der Bewährungshelfer. Diese Hilfe kann man hier im Gesetz nicht abschließend festlegen, sondern über sie kann letzten Endes nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalles entschieden werden. Ich weise besonders darauf hin, daß es hier heißt:
Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.
Weiter heißt es: Die Weisung,
1. sich einer Heilbehandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen oder
2. in einem geeigneten Heim oder einer geeigneten Anstalt Aufenthalt zu nehmen,
darf nur mit der Einwilligung des Verurteilten erteilt werden.
Hier wird nun die Meinung geäußert, das Grundgesetz könne verletzt sein, könne dem entgegenstehen. Ich möchte meinen, wir sollten den guten Gedanken, der hier kodifiziert worden ist, zum Gesetz erheben und dabei durchaus das Risiko eingehen, daß das Bundesverfassungsgericht anderer Meinung sein könnte. Ich bin überzeugt: es wird das, was hier vorgeschlagen wird, nicht verwerfen.
({0})
Wird das Wort sonst gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir stimmen über die Ziffer 14 des FDP-Antrags auf Umdruck 646 ab. Wer der Ziffer 14 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ziffer 14 ist abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über § 56 c. Wer § 56 c in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist § 56 c angenommen.
Wir stimmen jetzt ab über die §§ 56 d, 56 e, 56 f und 56 g. Wer diesen Paragraphen, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen, zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Wir kommen zu § 57. Hierzu liegt ein Antrag der FDP-Fraktion auf Umdruck 646 Ziffer 15 vor. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort zur Begründung hat Herr Kollege Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns bewußt, daß wir mit diesem Antrag ein heißes Eisen anrühren und manchem Mitglied dieses Hohen Hauses einiges zumuten; denn weit davon entfernt, etwa die Todesstrafe wie12772
der einzuführen, hat dieses Hohe Haus die Zuchthausstrafe als besondere Form der Freiheitsstrafe abgeschafft, so daß jetzt als schärfste Strafe, vor allem für Mord, aber auch für politische Verbrechen, die lebenslängliche Freiheitsstrafe besteht. Wir beantragen hier, auch bei der lebenslänglichen Freiheitsstrafe die Möglichkeit der Aussetzung zur Bewährung zu schaffen, wenn mindestens 15 Jahre verbüßt sind.
Bisher war es so, daß es bei lebenslänglicher Freiheitsstrafe keine Aussetzungsmöglichkeit gab, und der jetzige Entwurf sieht diese Möglichkeit auch nicht vor. Es gab nur und es soll nach diesem Entwurf nur die Möglichkeit des Gnadenerweises geben. Von dieser Möglichkeit wurde aber bisher - aus sehr verständlichen Gründen - außerordentlich wenig Gebrauch gemacht. Herr Kollege Müller-Emmert hat die Zahl heute schon genannt. Ich glaube, von 1949 bis 1965 waren es 18 Fälle - wohlverstanden: in der ganzen Bundesrepublik. Ich hatte selber einmal Gelegenheit, diese Zahl in diesem Hohen Hause bekanntzugeben, als ich in der Fragestunde - damals als Justizminister - danach gefragt wurde. Es kochte damals irgendwo die Volksseele, weil die allgemeine Meinung bestand und zum Teil heute noch verbreitet ist, daß die zu „Lebenslänglich" Verurteilten im großen ganzen alle irgendwann einmal entlassen werden. Ich war damals in der „glücklichen" Situation, diese geringe Zahl von 18 tatsächlichen Gnadenerweisen nennen zu können.
Ich sagte, es werde aus verständlichen Gründen wenig Gebrauch vom Gnadenrecht gemacht; dies deswegen, weil die für die Gnadenerweise zuständigen Behörden politische Behörden sind: die Ministerpräsidenten bzw. unter den Ministerpräsidenten - mit dem Vorschlagsrecht - die Justizminister. Eine politische Stelle dieses Ranges wird natürlich nicht gern eine solche Verantwortung übernehmen. Demgegenüber soll hier nun, wie auch sonst, die Möglichkeit der Aussetzung zur Bewährung in die Hände des Vollstreckungsgerichts, also eines justizförmigen Organs, gelegt werden.
Wir meinen, es ist, auch wenn die Todesstrafe nicht besteht, ein Gebot der Humanität und ein Gebot christlicher Gesinnung, einem Menschen - auch einem Menschen, der schwerste Taten begangen hat und die schwerste Bestrafung verdient - doch nun nicht sämtliche Hoffnung zu nehmen. Das aber tut man auf Grund der gegenwärtigen Lage gegenüber einem Täter, den man auf Lebenszeit hinter Mauern schickt.
Es besteht hier ein ganz plötzlicher Sprung im Strafmaß. Es steigt von sechs Monaten - oder so-sogar, wie Sie beschlossen haben, von einem Monat - bis zu fünfzehn Jahren Gefängnis, und in diesem weiten Rahmen ist die Möglichkeit der Aussetzung zur Bewährung gegeben. In den meisten Fällen wird sie sogar stattfinden, so daß man in diesem Bereich sagen kann: wenige von denen, die zu fünfzehn Jahren verurteilt sind, werden tatsächlich die fünfzehn Jahre voll absitzen.
Aber dann kommt ein ganz scharfer Schnitt, es ist der Sprung von 15, ich möchte nicht sagen: zum Unendlichen, aber zum Lebenslänglichen. Dieser Sprung in der ausgesprochenen Strafe besteht aber nicht in der Realität, er besteht nicht in der Gestaltung der Taten, die zur Bestrafung anstehen. Auch hier gilt der alte Satz, daß die Natur keine Sprünge macht, sondern daß es nur gleitende Übergänge gibt. So sind die Übergänge in dem Gehalt an Rechtswidrigkeit und Schuld auch schwerer Delikte gleitend. Ich brauche nur an die Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen Mord und Tatschlag zu erinnern, die schon immer bestand und die, wie wir auch die Tatbestände fassen werden, immer bestehen wird. Dieser tatsächlichen Lage bei der Schwere der Straftat und der Schwere der Schuld wird man nicht gerecht, wenn man bei lebenslänglichen Verurteilungen eine Aussetzung zur Bewährung von vornherein ablehnt.
Dieser Ausschluß der Bewährung ist eigentlich nur historisch zu erklären, vor allem wohl als Gegenwirkung gegen den Druck einer gewissen Stimmung, die immer mal wieder auf die Todesstrafe drängt. Ihr hält man entgegen: Es gibt zwar keine Todesstrafe, aber wir wollen garantieren, daß ein solcher Mensch für immer hinter Gittern bleibt. Aber das ist - entschuldigen Sie den Ausdruck - ein Selbstbetrug, den wir hier begehen. Denn ich kann mir vorstellen, daß für manche Menschen, für sensible Menschen, ein lebenslängliches Verdikt fast noch schwerer wiegt als eine Verurteilung zum Tode. Man darf sich deshalb nicht auf Kosten einzelner Verurteilter auf das Prinzip versteifen, daß die lebenslängliche Freiheitsstrafe praktisch in allen Fällen lebenslänglich sein müsse.
Umgekehrt sagen wir nicht, sie soll meistens nicht lebenslänglich sein, sondern wir wollen nur eine Möglichkeit in Form einer Kann-Bestimmung geben. Schließlich wird auch das Vollstreckungsgericht die Unterschiede in den Fällen sehen. Es gibt z. B. Mordtaten, bei denen man genau weiß, daß der Täter den Mord aus Eifersucht oder aus sonstigen rein persönlichen, nicht materiellen Motiven begangen hat, oder bei denen man weiß, daß dieser Mensch, der einmal einen Mord begangen hat, es, selbst wenn wir ihn gar nicht bestrafen würden, nie wieder tun wird. Es gibt andererseits Fälle schwerer Kriminalität, etwa Massenmörder oder Wiederholungstäter, Fälle, in denen sowieso zusätzlich Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Kein Vollstreckungsrichter wird auf den Gedanken kommen, in solchen Fällen eine lebenslängliche Strafe zur Bewährung auszusetzen. Aber ich bitte Sie, auch an die anderen zu denken.
Ich rede jetzt bewußt nur vom Bereich des Mordes. Im Bereich des politischen Strafrechts wird die Frage vielleicht gar nicht so akut werden. Da wird die lebenslängliche Strafe öfter auf andere Weise umgangen. Ich brauche das hier nicht auszubreiten. Ich spreche deshalb bewußt nur von Mordtaten.
Es gibt dort sehr große Unterschiede im Schuldgehalt. Daß lebenslängliche Strafe bei Mord ausgesprochen werden muß, sieht jeder ein. Aber daß die Möglichkeit, diese Strafe auszusetzen, völlig ausgeschlossen sein soll, ist, so meinen wir, eine menschliche Härte, die man nicht von vornherein jedem
Täter antun sollte. Ihm jede Hoffnung von vornherein zu nehmen, halten wir für unmenschlich.
({0})
Wird das Wort dazu gewünscht? - Herr Kollege Dr. Güde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, den Herr Kollege Dr. Bucher soeben begründet hat, ist ein Beispiel dafür, daß die Tatsache, daß ein Antrag sympathisch sein kann, nicht genügt, ihn zu verwirklichen. Der Sonderausschuß hat das Problem geprüft und auch- das Denkmodell, das hier vorgeschlagen wird, nämlich die Aussetzung zur Bewährung, in Betracht gezogen. Er hat allerdings schon gesagt: Die Zahl 15 Jahre liegt sicher zu niedrig, weil zu befürchten ist, daß die Aussetzung auf den Jedermann von den lebenslänglich Verurteilten - das sind in der Bundesrepublik 1964 immerhin 927 gewesen, also annährend 1000 Lebenslängliche - angewendet werden könnte. Wir haben das Denkmodell geprüft und haben das Bundesjustizministerium gebeten, mit den Landesjustizverwaltungen Fühlung darüber aufzunehmen, wie die Länder darüber denken.
Die Materie war Gegenstand einer Justizministerkonferenz. Das Ergebnis dieser Konferenz hat uns veranlaßt, davon aus einer Reihe von Gründen Abstand zu nehmen, von denen einmal der vorhin erwähnte psychologische Effekt eine Rolle gespielt hat, daß die lebenslängliche Strafe in einer gefährlichen Weise abgewertet wird, zum zweiten aber die Stellungnahme der Länder, die es, wie ich einmal sagen will, nicht gern gesehen haben, daß der Bund in das Gnadenrecht der Länder eingreift. Ich will das gar nicht lang ausspinnen, sondern es ganz pragmatisch sagen: Wir haben fürchten müssen, daß die Länder, wenn die Frage etwa im Sinne Ihres Antrags geregelt wird, den Vermittlungsausschuß anrufen werden. Darauf muß ich jetzt mit ganz deutlichem Finger hinweisen, weil ich allein aus diesem Grunde sagen muß: Erstens ist die Frage nicht zur Entscheidung ausgereift. Zweitens. Wer diesem Reformwerk gönnt, daß es ungestört durch die Instanzen geht, sollte den Antrag der FDP nicht annehmen. Ich bitte Sie darum, ihn abzulehnen.
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann stimmen wir über den FDP-Antrag Umdruck 646 Ziffer 15 ab. Wer Ziffer 15 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ziffer 15 ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen über § 57 in der Ausschußfassung ab. Wer § 57 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Bei mehreren Enthaltungen ist § 57 angenommen.
Wir kommen zu § 58. Wer § 58 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe!
- Enthaltungen? - § 58 ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu § 59 im Fünften Titel. Hierzu liegen wieder zwei Anträge vor. Zunächst haben wir den Antrag Umdruck 646 Ziffer 16.
({0})
- Von seiten der Antragsteller wird mitgeteilt, daß der Antrag durch die vorherigen Entscheidungen erledigt ist.
Dann kommen wir zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Güde, Dr. Müller-Emmert und Genossen Umdruck 644 Ziffer 4. Wer Ziffer 4 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Bei mehreren Gegenstimmen ist der Antrag angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über § 59 in der veränderten Fassung. Wer § 59 in der veränderten Fassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? -§ 59 ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen jetzt über die §§ 59 a, 59 b, 59 c, 60, 61, 62, 63, 64, 65 und 66 ab. Es liegen keine Änderungsanträge vor. Wer den §§ 59 a bis 66 einschließlich zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Wir kommen zu § 67. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 646 vor.
({1})
- Er wird zurückgezogen.
Also können wir jetzt abstimmen über die §§ 67,
67 a, 6713, 67 c, 67 d, 67 e, 67 f, 67 g, 68, 68 a, 68 b,
68 c, 68 d, 68 e, 68 f, 68 g, 69, 69 a, 69 b, 70, 70 a, 70 b, 71, 72, 73, 73 a. Zu § 73 a eine Bemerkung.
({2})
- Eine Bemerkung zu I§ 73 a. Diese Bemerkung
möchte ich selber machen; dann ist es gleich erledigt. Zu § 73 a eine Bemerkung redaktioneller Art: in der fünften Zeile ist hinter „§ 73 Abs. 2" einzuschieben „Satz 2".
Wir können nun weiter abstimmen über die §§ 73 b, 73 c, 73 d, 74, 74 a, 74 b, 74 c, 74 d, 74 e, 74 f, 75, 76, 76 a, 77, 77 a, 77 b, 77 c, 77 d, 77 ,e. Wer diesen §§ 67 bis einschließlich 77 e mit der von mir eben gemachten Ergänzung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Wir kommen damit zu I§ 78. Dazu liegt auf Umdruck 646, Ziffer 18, ein Änderungsantrag vor. Das Wort zur Begründung hat Herr Kollege Busse.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Herr Präsident, ich darf zunächst um die Erlaubnis bitten, die Anträge unter Ziffer 18 und 19 zu den §§ 78 und 79 zusammen begründen zu dürfen, weil sie einen Komplex umfassen, der jedenfalls innerlich irgendwie zusammengehört.
Bitte sehr!
Die §§ 78 und 79 des Gesetzentwurfs befassen sich mit der Verjährungsfrage. Dies ist eine Frage, die in den letzten Jahren nicht nur die deutsche, sondern auch die Weltöffentlichkeit bewegt hat, und zwar in einem Zusammenhang, der uns voraussichtlich in nicht zu ferner Zeit hier im Hause besonders beschäftigen wird, nämlich im Zusammenhang mit der Verjährung der NS-Verbrechen.
Ich möchte heute die Fragen, die sich speziell dort ergeben, nicht im Zusammenhang mit dem bringen, was wir jetzt zu entscheiden haben, wenn auch gewisse Hinweise an dem einen oder anderen Punkt dazu vielleicht erforderlich sein werden.
Wie gesagt: ich begrüße es, daß wir heute die Gelegenheit haben, einmal ohne diesen Hintergrund der NS-Verbrechen die Frage der Verjährung grundsätzlich anzusprechen und damit vielleicht auch Erkenntnisse für die Dinge zu gewinnen, die demnächst von uns zu entscheiden sind.
Wodurch unterscheidet sich der vorliegende Entwurf vom geltenden Recht? Das geltende Recht sieht vor, daß sowohl Strafverfolgung als auch Strafvollstreckung durch die Verjährung ausgeschlossen werden. Dabei differenziert das geltende Recht hinsichtlich der Zeiträume, innerhalb deren die Verjährung eintreten kann, und zwar dahin, daß die Verjährungsfristen um so länger sind, je schwerer die Tat und je strenger das Urteil ist. Nach dieser Maßgabe sind aber dann nach geltendem Recht alle Straftaten der Verjährung unterworfen.
An dieser grundsätzlichen Regelung hält das Erste Strafrechtsänderungsgesetz, auf das wir nachher noch zu sprechen kommen, fest. Das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts sieht in den §§ 78 und 79, die wir jetzt erörtern, demgegenüber vor, daß zwei gewichtige Änderungen durchgeführt werden sollen. Zum ersten soll bei der Verfolgungsverjährung für ein bestimmtes Delikt, nämlich für den in- § 220 a geregelten Völkermord, die Möglichkeit der Verjährung überhaupt beseitigt werden. Zum zweiten soll bei den übrigen Verjährungsfristen grundsätzlich eine Verlängerung herbeigeführt werden, wobei be: deutsam ist, daß die Frist bei den mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedrohten Delikten von 20 auf 30 Jahre heraufgesetzt werden soll.
Bei der Vollstreckungsverjährung ist vorgesehen, daß die Bestrafung wegen Völkermord und zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen keiner Verjährung unterliegen soll; beim Völkermord also auch dann - das darf ich gleich hervorheben -, wenn nicht auf lebenslängliche Freiheitsstrafe erkannt ist. Darüber hinaus sind auch hier die Verjährungsfristen verlängert.
Es stellt sich die Frage, ob diese Änderungen, die vorgesehen sind und die, wie sich eindeutig ergibt, in einer Verschärfung der Verjährungsbestimmungen zuungunsten des Täters bestehen, wirklich erforderlich sind, ja, ob sie rechtspolitisch richtig sind.
Ich darf an den Anfang meiner Erwägungen die stellen, daß die lange Zeit, die seit der Festlegung der Verjährungsfristen im alten Strafgesetzbuch verflossen ist, keinen Anlaß gezeigt hat, der zu einer Änderung dieser Bestimmungen herausgefordert hätte. Ich sagte, ich muß die NS-Dinge - am Rande jedenfalls - hier mit erwähnen. Ich persönlich bin überzeugt, daß, wenn nicht dieser unselige Zeitraum mit den unseligen Taten gewesen wäre, auch heute niemand daran denken würde, die Verjährungsfristen zu ändern.
Es wird gesagt, daß die Situation, daß etwa ein Mörder dann wegen der Verjährung frei herumlaufen könnte, eigentlich unerträglich wäre. Meine Damen und Herren, seit Kain und Abel - die Bibel muß heute häufig zitiert werden - laufen wir mit Mördern herum, und keine noch so weitgehende Verlängerung der Verjährungsfrist und keine Abschaffung der Verjährungsfrist wird an diesem Zustand etwas Entscheidendes ändern. Darüber wollen wir uns doch keinen Illusionen hingeben. Ich glaube deshalb, daß man so nicht argumentieren sollte.
Nein, das, was gewesen ist, hat sich in diesem Fall wirklich bewährt, und es ist mir in der Vergangenheit kein Fall bekanntgeworden - um auch hier etwas, was man draußen so häufig hört, zu erwähnen -, daß dann nach der Verjährung sich jemand hingestellt hätte und gesagt hätte: Jawohl, ich habe gemordet, aber jetzt ist es Gott sei Dank verjährt, jetzt kann mir niemand mehr etwas wollen. Das sind doch alles graue Theorien. Das gibt es doch in der Wirklichkeit nicht, daß so etwas vorkommt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Arndt?
Bitte schön.
Herr Kollege Busse, ist Ihnen der Fall Pabst bekannt, des Mörders von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, der die Verjährung abgewartet hat, dann ins Bundesgebiet zurückgekehrt ist und in einem „Spiegel"-Interview erklärt hat, daß er der Mörder .sei?
Ja, der Fall ist mir in der jüngsten Zeit bekanntgeworden. Mir wurde gestern in der Fraktion auch gesagt, daß es in Bayern sogar einmal einen Mann gegeben habe, der sich am Biertisch mit einer ähnlichen Äußerung zu einem Mord bekannt habe. Aber, Herr Kollege Arndt, nach solchen einzelnen Ausnahmefällen werden wir doch die generelle Regelung unseres Gesetzes nicht gestalten können.
Darum noch einige Sätze zu allgemeinen Gesichtspunkten, die in diesem Zusammenhang auch erörtert werden müssen. Ich denke dabei nicht so sehr an die Frage, ob es sich bei den Verjährungsbestimmungen um materielles Recht oder um Verfahrensrecht handelt. Diese Streitfrage wird uns demnächst in anderem Zusammenhang noch einmal beschäftigen. Immerhin möchte ich aber bemerken, daß auch
Busse ({0})
dann, wenn man die Vorschriften über Verjährung nur dem Verfahrensrecht zuordnen, das Problem, das wir heute zu entscheiden haben, dadurch nicht vereinfacht wird. Denn auch in einem Staat, der sich um Rechtsstaatlichkeit bemüht, ja, ich bin versucht, zu sagen: gerade in einem solchen Staate haben die Verfahrensvorschriften, insbesondere die mit so weittragender Wirkung wie die Verjährungsvorschriften, eine bemerkenswerte und elementare Bedeutung. Mir ist die Äußerung eines erfahrenen Rechtsgelehrten bekannt, der gesagt hat: Je älter ich werde und je mehr ich mich mit dem Recht beschäftige, desto mehr erkenne ich die große Bedeutung der Verfahrensvorschriften für die Einhaltung einer Rechtsstaatlichkeit.
Wer sich mit Verfahrensfragen beschäftigt hat, der weiß, wie weit insbesondere die Ausgestaltung der Verjährungsvorschriften in das Recht und in das Rechtsleben eingreifen kann. Dieses Eingreifen der Verjährung in das Recht bestimmt das Gesetz dahin, daß sie die Ahndung der Tat ausschließt. Soweit ich habe feststellen können, bedeutet das nichts anderes, als daß der Anspruch des Staates auf Bestrafung des Täters, wenn er überhaupt bestanden haben sollte, mit der Verjährung untergeht. Die prozessuale Konsequenz dieser Wirkung ist die, daß kein Verfahren mehr durchgeführt werden kann. Es bleibt also offen, ob überhaupt ein Strafanspruch bestanden hat oder nicht. Weder ein Interesse der Allgemeinheit noch aber auch ein noch so großes Interesse des verdächtigen Beschuldigten kann diese Folge ausschließen. Da diese letzte Konsequenz weitestens nicht erwähnt wird, möchte ich sie hier noch einmal besonders unterstreichen.
Sie wissen, wie sehr wir, etwa bei der Regelung der Amnestie, dieses Interesse des Beschuldigten, des verdächtigten Beschuldigten, an der Feststellung seiner Unschuld immer berücksichtigt haben, obgleich ihm die Amnestie die Möglichkeit gibt, jedem Verfahren auszuweichen. Hier sind beide in Konsequenz der Verjährung der Tat gleichbehandelt; beide können nicht mehr auf der Durchführung eines Verfahrens und einer Beurteilung des Falles bestehen.
Es werden keine unwesentlichen Gründe gewesen sein, die seit Menschengedenken diesen Inhalt des Instituts der Verjährung bedingt haben. Selbst in Zeiten autoritären Staatsdenkens galten die Grundsätze der Verjährung. Ja, es ist interessant, festzustellen, daß bei den Autoren und Richtern, die noch etwa aus der kaiserlichen Zeit stammten, die Bedeutung der Verjährungsfristen umfassender verstanden wurde, als es heute häufig der Fall ist; denn sie erkannten klarer die Notwendigkeit der Begrenzung der Staatsgewalt. Daß diese Funktion der Verjährungsvorschriften den nationalsozialistischen Machthabern ein Dorn im Auge war, ist eine Konsequenz ihres Denkens, und daß sich ausgerechnet in dieser Zeit auch die Rechtsprechung gegenüber früher wandelte, ist nach vielen anderen Erfahrungen aus dieser Zeit nicht verwunderlich. Man versucht diese Tatsache des zeitlichen Zusammenfalls der Verschärfung der Verjährungsvorschriften heute leicht zu bagatellisieren. Für mich, der ich diese Zeit miterlebt habe, ist völlig klar, welche Vorstellungen und Gedanken damals dazu geführt haben.
Sieht man diese Entwicklung einmal so, dann wird es wohl dem einen oder anderen verständlich, wenn man die Frage aufwirft, ob es einem freiheitlichen Rechtsstaat wirklich gut ansteht, seinerseits fortzusetzen, was in jener Zeit des Unrechtsstaates begann. Ist unter diesem Aspekt nicht die Frage berechtigt, ob es nicht richtiger wäre, an dem Bewährten festzuhalten, ja in Überlegungen einzutreten, ob wirklich unter dem Gesichtspunkt einer freiheitlichen Staatsordnung noch alles berechtigt ist, was heute unter dem Gesichtspunkt der Verjährung geregelt werden soll?
Man sollte diesen Hinweis nicht zu leicht nehmen. Denn die Gründe, die zur Schaffung und Beibehaltung des Instituts der Verjährung geführt haben, sind vielfältig. Es kann schlechterdings nicht bestritten werden, daß das Bedürfnis nach Sühne einer Tat mit der Zeit abklingt. Das kann auch nicht dadurch ausgeräumt werden, daß es Taten gibt, bei denen das nicht der Fall ist; denn das würde in letzter Konsequenz bedeuten, daß man für die Verjährung nicht generelle Regeln schafft, sondern auf das Fortbestehen des Sühnebedürfnisses im Einzelfall oder in Gruppenfällen abstellt; ein unmöglicher Gedanke.
Was in dieser Hinsicht geschehen kann, tut das Gesetz, das bestehende sowohl wie das gewollte, in der Abstufung der Verjährungsfristen je nach dem Grad des Schuldvorwurfs und des Strafmaßes.
Es kann des weiteren schlechterdings nicht bestritten werden, daß nach Ablauf einer gewissen Zeit der Zweck der Strafe nicht mehr erfüllt wird. In diesem Zusammenhang über die Generalprävention, die ja an sich im Strafgesetz selbst schon ihre Grundlage gefunden hat, noch näher zu sprechen, erübrigt sich wohl. Aber völlig verfehlt scheint es mir, auch noch den Gedanken der Spezialprävention in diesem Zusammenhang in die Diskussion zu werfen. Wenn ein Mensch zehn oder zwanzig Jahre lang gezeigt hat, daß er in der Ordnung seiner Gesellschaft und seines Staates leben will und kann, so braucht er nicht von neuen Taten abgeschreckt zu werden, so ist es vollends widersinnig, einen solchen Menschen durch die Strafe „resozialisieren" zu wollen. Man würde in vielen Fällen genau das Gegenteil erreichen.
Aber nicht diese Gesichtspunkte, die ich zuletzt vorgetragen habe - abgesehen von dem, daß sich das andere bewährt hat -, sind für meine Freunde und mich entscheidend. Der erheblichste Gesichtspunkt, so gewichtig die anderen auch sein mögen, ist die Tatsache, daß die Rechtsstaatlichkeit selbst unerträglichen Gefahren ausgesetzt wird, wenn die Verjährung aufgehoben oder die Verjährungsfrist zu sehr ausgedehnt wird. Denn es ist schlechterdings nicht zu bezweifeln, daß sich mit der Länge der Zeit die Möglichkeit einer gerechten Beurteilung eines Delikts mindert. Alle Hinweise darauf, daß das heute nicht im gleichen Umfange der Fall sei, sind nur sehr begrenzt richtig. Die täglichen praktischen Erfahrungen gerade in der heutigen Zeit liegen bei unseren Gerichten vor. Es
Busse ({1})
ist nicht nur der eine oder andere Richter, es sind deren viele, und von ihnen gerade die gewissenhaftesten, die darauf hinweisen, daß sie ganz einfach überfordert sind, wenn sie nach Jahrzehnten noch über eine Tat gerecht urteilen sollen. Dabei ist es doch nicht nur so, daß nur die Tatsachen zu Lasten des Beschuldigten nicht mehr hinreichend aufgeklärt werden können, auch seine Verteidigungsmöglichkeiten werden von Jahr zu Jahr geringer; ganz zu schweigen davon, daß die allgemeinen Vorstellungen über Recht und Unrecht, über Erwünschtes und Verwerfliches und Gewolltes sich laufend ändern und kaum oder nur mangelhaft rekonstruiert werden können. Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, sehen Sie nur einmal die im Laufe der Geschichte kurze Frist an, die die Beratung dieses Gesetzes gebraucht hat. Welche Änderungen in den Vorstellungen derer, die sich damit beschäftigt haben, sind in dieser kurzen Frist eingetreten! Glauben Sie nicht etwa, das würde sich in der Zukunft dahin ändern, daß in so kurzen Zeiten solche Änderungen nicht mehr einträten. Ich bin der festen Überzeugung, daß, wie alles in unserer heutigen modernen Welt, auch die Vorstellungen über das, was strafrechtlich geschehen soll, was als gut und böse angesprochen werden soll, sich in demselben Tempo ändern, wie sich Technik und gesellschaftliche Formen und alles, was damit zusammenhängt, laufend ändern.
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- Herr Kollege, „es kann nicht bei nachweisbarem Mord gelten" - warum nicht? Es hat jahrzehntelang, Hunderte von Jahren lang bei nachweisbarem Mord gegolten, daß, wenn man ihn nicht rechtzeitig nachweisen kann, der Mörder nicht mehr bestraft werden kann. Es hat sich keine Situation daraus ergeben - ich klammere immer die Nazizeit aus
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- Weiß ich, weiß ich! Darüber wollen wir noch gesondert sprechen. Aber in den normalen Zeiten hat sich keine Situation ergeben, die die Notwendigkeit dessen hervorgerufen hat.
Ich habe erst in jüngster Zeit gelesen - es kam von sehr prominenter Seite -, daß man diesen zuletzt von mir vorgetragenen Grundsätzen mit dem lateinischen Satz „In dubio pro reo", „Im Zweifel für den Angeklagten", Rechnung tragen könne. Darin steckt natürlich etwas Richtiges. Aber den Kern des Problems trifft diese Überlegung nicht. So einfach geht es nicht, denn es ist wirklich keine Theorie, wenn ich aus Erfahrung feststelle, daß auch die richtige Anwendung dieses Grundsatzes die Gerichte in böses Zwielicht bringen kann. Gerade wenn die Tat besonders verabscheuungswürdig war, wenn eine Reihe von Verdachtsgründen gegen den Beschuldigten sprechen und er trotzdem freigesprochen werden muß, weil bei dem Richter die letzten Zweifel nicht ausgeräumt werden können, empört sich die erregte Offentlichkeit, obgleich hier rechtsstaatlich richtig verfahren ist.
Ich glaube, ich bin nicht der einzige, der bis in die jüngsten Tage hinein laufend Briefe bekommt, daß wir als Abgeordnete dieses Hauses gegen gewisse Urteile, die heute in der Bundesrepublik gesprochen werden, öffentlich protestieren sollten, weil sie der erregten Offentlichkeit zu milde oder weil freisprechende Urteile zu Unrecht ergangen zu sein scheinen.
Noch gefährlicher werden die Dinge für unsere Justiz dann, wenn gerade diese Erregung in der Öffentlichkeit einen Richter, der sonst seine letzten Zweifel vielleicht doch nicht überwunden hätte, dazu bringen sollte, es mit dem Satz in dubio pro reo nicht so scharf zu nehmen, wie es an sich wünschenswert und gewollt sein sollte. Auch Richter sind Menschen, und ich weiß von vielen, wie sie über das Hineinwirken der Publizitätsmittel in die Gerichtssäle, in die Möglichkeit einer freien und gerechten Urteilsfindung klagen und es als eine schwere Last empfinden.
Alle diese Dinge haben aber eine Konsequenz, die gerade für uns, für meine Freunde und mich, von gar nicht zu überschätzender Bedeutung ist. Sie sind geeignet, das Vertrauen in unsere Justiz zu unterhöhlen. Solange die Justiz nicht in angemessener Zeit, wo es möglich ist, ein angemessenes faires Verfahren durchführen kann, so lange ist sie einfach überfordert, und das heißt, sie wird in den Augen der Offentlichkeit, in den Augen der Staatsbürger herabgesetzt und herabgewürdigt, sei es so oder so. Und um sie als eine der tragenden Säulen unseres gesamten Staatslebens, ja im Rechtsstaat sogar als eine der besonders wichtigen Säulen dieses Staatslebens, nicht in dieses Zwielicht zu bringen, sollten wir alles vermeiden, was dazu führen könnte.
Nun hat man gegenüber der Verjährung selbst in den Fällen, in denen auf lebenslängliche Freiheitsstrafe erkannt werden kann, eingewendet, daß sich dann weder eine solche Strafe noch die Unterbrechung der Verjährung rechtfertigen lasse. Darin steckt viel Richtiges. Die Konsequenz aus dieser Feststellung muß aber nicht die sein, daß man nun die Möglichkeit der Verjährung besonders schwerer Straftaten ausschließt. Sie kann auch die sein, daß man dann in Überlegungen eintreten muß, ob in der Tat eine lebenslängliche Freiheitsstrafe noch vertretbar ist und ob man nicht mindestens auch bei solchen Strafen die Möglichkeit einer Aussetzung eines Strafrestes schaffen soll. Wir haben heute versucht, diesen letzteren Weg hier zu gehen. Sie haben gemeint, ihn nicht gehen zu sollen. Diese Frage wird weiter auf uns zukommen, und sie wird das Argument entkräften, das man hier eben vorgetragen hat, um so mehr, als heute bereits in der Überzahl der kultivierten Staaten die Vollstreckung einer Strafe über einen Zeitraum von 20 Jahren hinaus praktisch nicht mehr durchgeführt wird.
Auch der Sonderausschuß hat sich ja mit dieser Frage beschäftigt; wir haben es heute bereits gehört, aber leider nur mit dem Hinweis auf den Gnadenweg für diese Fälle. Immerhin ist auch hier erkannt, daß die vollständige Vollstreckung einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe etwas Widersinniges sein kann. Deshalb ist das Argument, die lebenslängliche Freiheitsstrafe sei mit der VerjähBusse ({4})
rung nicht in Einklang zu bringen, nicht mehr schlüssig. Konsequenterweise vertreten eine Reihe von Mitgliedern dieses Hauses, und zwar nicht nur aus unserer Fraktion, den Standpunkt, daß auch die Möglichkeit geschaffen werden sollte, die Verjährung nicht ad libitum zu unterbrechen; auch das kann man ja heute nicht mehr nach den Vorschriften, die hier vorgesehen sind; auch da sind Begrenzungen schon eingeführt. Aber man vertritt den Standpunkt, daß man zu einer bestimmten Begrenzung, etwa wie bei der Verjährung - zehn, zwanzig, dreißig Jahre -, irgendwie kommen wolle. Es gibt, wie ich sage, eine Reihe von Mitgliedern dieses Hauses, die diesen Standpunkt heute schon vertreten. Auch mit ihnen werden wir uns demnächst auseinandersetzen müssen.
Aus diesen Gründen lehnen wir nicht nur die Aufhebung der Verjährungsfrist für Völkermord, sondern auch die vorgeschlagene Verlängerung der Verjährungsfristen ab. Dabei darf ich darauf hinweisen, daß zwar die in § 220 a geregelten Tatbestände zu dem Scheußlichsten gehören, was Menschen begehen können, daß gerade hier aber auch die Feststellung der individuellen Schuld - das ist doch das Entscheidende - mit zu den schwierigsten Fragen gehört.
Wer sich mit den uns in den letzten Jahren bedrängenden Problemen der NS-Verbrechen hat auseinandersetzten müssen, kennt die Problematik. Der Gesetzgeber war weise, der das Vorliegen mildernder Umstände auch bei § 220 a mit berücksichtigt und auch für einen solchen Fall einen Mindeststrafrahmen von fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen hat. Wenn ich gestern abend im Radio richtig gehört habe, wird dieses Problem - wie schwer es bei diesen schwersten Taten ist, zu differenzieren zwischen dem, was wirklich unter die weitere Verfolgung fallen soll, und dem, was nun als abgeschlossen angesehen werden kann - insbesondere in der Fraktion der CDU/CSU in anderem Zusammenhang auch heute noch eingehend erörtert. Denn in der Tat, es scheint wenig sinnvoll und einsichtig zu sein, wenn wir nicht im Hinblick auf die Verjährung alle gleich behandeln, den kleinen Handlanger und den großen Initiator.
Meine Freunde und ich sind nicht die ersten, die die ganze Last und Bürde einer solchen Entscheidung empfinden. Häufig wird so getan, als ob wir damit Untaten decken oder nicht mehr verfolgen wollten, die eigentlich nach allgemeinem Empfinden weiter verfolgt werden müßten. Man nennt das dann, - na, ich lasse es weg. Dazu kann ich nur sagen: so leicht haben wir uns die Dinge nicht gemacht. Wir wissen, daß hier eine echte Bürde für jeden ist, der diese Entscheidung zu treffen hat. Ich meine freilich auch, daß nicht die Frage der Verlängerung oder der Abschaffung der Verjährungsfrist der entscheidende Gesichtspunkt sein kann, sondern hier gilt das, was auch auf anderen Gebieten gilt: daß Vorsorge dafür getroffen werden muß, daß derartige scheußliche Taten eben nicht oder jedenfalls in möglichst geringem Umfang passieren und daß für den Fall, daß sie trotzdem passieren, unsere Polizei und die Verwaltungsorgane in den Stand gesetzt werden müssen, die Taten nicht erst nach 20 oder 30 Jahren, sondern möglichst bald aufzudecken und den Täter seiner gerechten Strafe zuzuführen. Das scheint mir wichtiger zu sein.
Was ich hier allgemein zu der Frage der Bürde gesagt habe, die das Bemühen um eine möglichst große Rechtsstaatlichkeit mit sich bringen kann, möchte ich an einem Beispiel konkret erläutern, das mir in den letzten Monaten persönlich begegnet list, das aber auch Ihnen bekannt sein wird. Ich war in Israel und bin von tiefer Bewunderung erfüllt von dem, was ich in diesen Wochen an freundschaftlicher Aufnahme, an Neuem, an gesellschaftlichem, menschlichem und wirtschaftlichem Leben habe kennenlernen können. In dieser Zeit passierte eines jener greulichen Attentate, die 20, 30 völlig unschuldige Menschenleben auf einem freien Platz in Jerusalem vernichteten, eine reine Terroraktion, bei der sowohl die Terroristen wie auch die hinter ihnen stehenden Gewalten mehr im Auge haben, als nur diese Terroraktion zu führen, sondern bei der es letzten Endes um Sein oder Nichtsein des gesamten israelischen Volkes geht. Als wir damals an Ort und Stelle, bei diesen Menschen, waren, habe ich die Erregung, die Empörung, die sich in der israelischen Öffentlichkeit und beim israelischen Volk zeigte, durchaus verstehen können. Als langjähriger Feind der Todesstrafe muß ich sagen: Menschlich gesehen hätte ich es verstanden, wenn man diese Verbrecher dem zugeführt hätte, was sie selber angerichtet hatten, nämlich dem Tode. Ich glaube, wenn überhaupt irgendwo, wäre es in Israel, aber auch in der Weltöffentlichkeit weitestgehend auf Verständnis gestoßen, wenn in diesen besonderen Fällen, in dieser besonderen Situation, diese Konsequenz gezogen worden wäre.
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Israelis ziehen diese Konsequenz nicht. Sie bestrafen auch solche Täter nur mit Freiheitsstrafen. So schwer kann Rechtsstaatlichkeit sein!
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Das Wort hat Herr Kollege Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir schulden dem Kollegen Busse Dank für die Art und Weise, wie er dieses ernste Problem, das uns alle seit vielen Jahren bewegt, aus seiner Sicht hier dargestellt hat. Ich schulde ihm persönlich Dank, weil er mir Gelegenheit gibt, auch von hier aus noch einmal klarzustellen, wie meine Fraktion über das Problem der Verjährung von Morden denkt.
Es trifft nicht zu, Herr Busse, daß wir auf den Gedanken, die Verjährungsfrist für Mord abzuschaffen, nur wegen der Nazimorde gekommen wären.
,({0})
Wir sind der Meinung, daß in einem Land, in dem
man die Todesstrafe zu Recht abgeschafft hat, die
Konsequenz gezogen werden muß, daß Mordtaten
überhaupt nicht mehr verjähren dürfen. Wenn das grundsätzlich gilt, muß es, meinen wir, auch für diejenigen gelten, die nicht nur einen Taximord begangen haben, die mehrere Tausend Menschen auf bestialische Art und Weise umgebracht haben. Wir denken also, glaube ich, umgekehrt.
Ich möchte nun dieses Thema hier nicht vertiefen; die Standpunkte sind bekannt. Ich möchte aber doch vor bestimmten Argumenten warnen, etwa dem, es müsse eine relativ kurze Verjährungsfrist für Mord
- bei uns sind es traditionell 20 Jahre - geben, weil man sonst auf rechtsstaatlichen Bedenken stoße oder weil man eine Tat dann nicht mehr mit genügender Sicherheit aufklären könne usw. In dieser Allgemeinheit, Herr Busse, sind diese Argumente bestimmt nicht richtig. Es gibt Mordtaten, bei denen es so aussieht, als ob sie relativ schnell aufgeklärt würden, bei denen es sich dann aber herausstellt, daß auch eine Hauptverhandlung nach ganz kurzer Zeit zu keinem Ergebnis führt. Es gibt andere Mordtaten, die unter Umständen erst nach 30, 40 Jahren zur Entdeckung des Täters führen und bei denen die Überführung des Täters auf Grund ganz bestimmter eindeutiger Beweise leicht und eindeutig sein kann. Beide Möglichkeiten sind denkbar.
({1})
- Selbstverständlich kann es den geben. Wenn Sie von einem Mörder ganz eindeutige Fingerabdrücke, eine ganz eindeutige Blutgruppenfeststellung, eindeutige Spuren, die er hinterlassen hat, haben, er dann verschwunden ist und Sie den Namen nicht kennen, und wenn Sie nur durch irgendeinen Zufall feststellen: die Fingerabdrücke stimmen, die Blutgruppe stimmt, die Kleider stammen von ihm, dann haben Sie ihm den Mord fast eindeutig nachgewiesen. Doch, Herr Genscher, denkbar sind beide Möglichkeiten.
({2})
- Nein, das ist nicht rein theoretisch; solche Fälle gibt es. Ich gebe Ihnen recht, der Normalfall mag sein, daß es natürlich, je länger eine Tat zurückliegt, um so schwieriger ist, den Mörder zu überführen, Aber ich würde es nicht verallgemeinern; beides ist denkbar.
Dieses Problem stellt sich doch, gleichgültig, wie lang die Verjährungsfrist ist, auch heute schon bei einer Verjährungsfrist von 20 Jahren einfach wegen der Unterbrechungsbestimmung. Es ist doch durchaus denkbar, daß der Mörder bekannt ist, daß er aber verschwunden ist. Die Verjährung - das wissen Sie genau - wird immer wieder unterbrochen, und die Verfolgung findet, wenn man ihn dann ertappt hat, unter Umständen nach 40, 50 Jahren statt. Wir haben doch jetzt Fälle, die Taten betreffen, die schon Jahrzehnte zurückliegen. Sie wissen genauso gut wie ich: Gleichgültig wie wir die Verjährungsfrage für die Vergangenheit oder die Zukunft lösen, wir werden noch viele, viele Jahre mit solchen Fällen zu tun haben, in denen die Taten sehr lange zurückliegen. Mit ihnen müssen wir doch fertigwerden.
({3})
- Manchmal ja, manchmal nein; das ist ganz verschieden, je nachdem, wie der Fall liegt. Natürlich ist es so, wie Sie gesagt haben, Herr Busse, daß in solchen Fällen, in denen die Tat sehr lange zurückliegt viele Beweise, die vielleicht einmal gut gewesen sind, schlecht werden können, daß Zeugen sich nicht erinnern können oder Dinge verwechseln und daß der Richter dann zu dem Entschluß kommen muß: ich kann den Beweis nicht führen, ich muß den Angeklagten nach dem Grundsatz „in dubio pro reo" freisprechen. Das muß so sein, und das soll so bleiben.
Wenn ich aber einen Mörder lediglich deswegen nicht mehr zur Rechenschaft ziehen kann, obwohl ihm die Tat eindeutig zu beweisen ist, weil eine bestimmte Frist abgelaufen ist, dann ist das für mich unerträglich. Wenn einer aus dem Grundsatz „in dubio pro reo" freigesprochen ist, dann ist er kein Mörder, auch wenn der Verdacht gegen ihn noch so stark war. Aber der andere, dem die Schuld auch nach zwanzig, nach dreißig Jahren eindeutig bewiesen werden kann - mit dem soll ich dann zusammenleben und der soll für mich ein ehrenwerter Mann sein?! Der Name Pabst ist vorhin hier erwähnt worden. Ich verstehe Ihren Standpunkt, Herr Busse, und ich bin weiß Gott kein rachsüchtiger Mensch, und mich treiben da keineswegs Gedanken der unersättlichen Sühne oder Rache. Für mich ist einfach die Gerechtigkeit, ist das Rechtsgefühl in einem Staate gestört, wenn ein Mörder, dem die Tat eindeutig zu beweisen ist, nur wegen einer Verjährungsfrist frei herumlaufen kann.
({4})
- Ja, Herr Genscher, darauf komme ich jetzt.
Aus den Gründen, die ich eben erwähnt habe, bin ich mit dem Text des Ausschusses, über den wir hier zu beschließen haben, gar nicht sehr einverstanden. Denn er schafft zwar die Verjährung für Völkermord ab, will aber die Verjährungsfrist für den, wenn ich so sagen will - es ist ja fast zynisch -, „normalen Mord" lediglich von zwanzig auf dreißig Jahre verlängern. Da haben Sie mit Ihrem Zwischenruf durchaus recht. Ich bin der Meinung, man muß da konsequent sein, und ich würde die Regelung vorziehen, auch bei diesem „Normalmord" die Verjährungsfrist ganz zu streichen. Ich gebe die Hoffnung, daß wir das erreichen werden, auch nicht auf. Denn - uns bringt das hier in eine gewisse technische Verlegenheit, wie Sie wissen - wir werden heute über die Verjährungsfrist einen Beschluß so oder so fassen, und wir werden diesen Entschluß in relativ sehr kurzer Zeit zu überprüfen haben, weil es dann nämlich um die Frage geht, nicht mehr wie bei diesem Gesetz, was in der Zukunft sein soll, sondern was in der Vergangenheit zu sein hat. Bei dieser Überprüfung werden wir dann unter Umständen das, was wir heute beschlosHirsch
sen haben, ändern müssen. Denn eines scheint mir klar zu sein: Man kann eine solche Regelung nicht für die Zukunft anders machen als für die Vergangenheit.
({5})
- Herr Genscher, Ihr Einwurf stimmt doch nicht. Wir beraten doch hier das Strafrechtsreformgesetz, das ohnhin erst 1973 in Kraft treten soll. Das ist ein Gesetz, durch das die Rechtssicherheit in keiner Weise so herum oder so herum beeinträchtigt werden kann. Nun gebe ich Ihnen recht, Herr Genscher: natürlich ist es nicht schön, daß man binnen kurzer Zeit ein Gesetz wieder ändert und das schon jetzt bei der Beschlußfassung darüber weiß. Das ist natürlich ein unnormaler Vorgang. Wir sind aber dazu gezwungen; denn es war bisher nicht möglich, in diesem Gesetz und damit dann auch in dem Ersten Strafrechtsreformgesetz eine Regelung zu finden, die dem entspricht, was wir uns konsequenterweise aus dem, was für die Zukunft gedacht ist, für die Vergangenheit vorstellen.
Wir können nun nicht gut - das hätte man auch machen können - die Bestimmungen über Verfolgungsverjährung und Vollstreckungsverjährung ausklammern und den Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches ohne sie verabschieden. Das wäre eine Lex imperfecta. Das wäre sicherlich gesetzestechnisch keine gute Arbeit. Das wäre ein Weg gewesen, dem ich sogar eher zugeneigt hätte, den aber andere nicht für gangbar hielten. Aus diesem Grunde sind wir gezwungen - und vielleicht ist das sogar ganz gut -, hier über das Verjährungsproblem an sich zu reden, um uns einmal von all den Argumenten zu befreien, die uns sonst wegen der Vergangenheit bewegen. Man muß sich ja erst einmal im klaren sein: Was will ich eigentlich für die Zukunft haben? Und dann muß man sich überlegen: Gilt das auch für die Vergangenheit? Insofern ist dieses merkwürdige Verfahren vielleicht ganz gut, und die Rede des Herrn Busse hat doch bewiesen, wie gut es ist, das einmal objektiv und abstrahiert von der Vergangenheit zu behandeln.
Ich meine also, von meinem Standpunkt aus sollte es keine Verjährung für Mörder geben, weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft. Wenn wir jetzt diesem Kompromiß, den die Ausschußvorlage darstellt, zustimmen, so ist damit keinerlei Festlegung hinsichtlich der Beschlüsse erfolgt, die wir demnächst über die Regierungsvorlage betreffend Verjährung von Mord in der Vergangenheit werden treffen müssen. Wir schließen damit diesen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches ab und behalten uns die endgültige Regelung vor, die dann auch die Vergangenheit einbezieht. Wir werden das auf Grund dessen, was in der letzten Zeit von der Bundesregierung und von den einzelnen Parteien gesagt und erarbeitet worden ist, noch einmal sehr sorgfältig überprüfen und werden dann hier zu entscheiden haben. Ich bitte also um Ihr Verständnis für dieses Verfahren. Auch Sie, Herr Genscher, werden uns keinen besseren Weg sagen können. Auch Sie wissen ja, daß wir uns mit diesem Beschluß nicht werden begnügen können und daß wir gezwungen sind, ob wir es wollen oder nicht - diese Vergangenheit haben wir nun einmal -, noch in diesem Jahr zu entscheiden, ob die Mehrheit in diesem Hause der Meinung ist, Mord in der Vergangenheit solle am 31. Dezember 1969 verjährt sein, oder ob die Mehrheit einer anderen Meinung ist oder ob es Zwischenlösungen gibt, über die ja auch gesprochen worden ist. Ein besseres Verfahren gibt es nicht, und ich bitte also, die Änderungsanträge der FDP abzulehnen, andererseits die Fassung der Ausschußvorlage jetzt anzunehmen. Ich möchte noch einmal sagen: Zustimmung jetzt beinhaltet keinerlei Präjudiz, beinhaltet keinerlei Vorwegnahme der Entscheidung über die Verjährungsfrage für die Vergangenheit, der wir uns demnächst werden stellen müssen. Diese Entscheidung wird dann für dieses Haus und für alle, die davon betroffen sind, maßgeblich sein. In diesem Sinne bitte ich zuentscheiden.
({6})
Das Wort hat Herr Kollege Dr. Güde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde kürzer sein als Herr Busse und auch kürzer als Herr Hirsch, denn ich bin im Ergebnis mit dem einverstanden, was Herr Hirsch eben vorgetragen hat, und will mich mit seinen Gründen nicht auseinandersetzen.
Die Sachlage ist so: Der Ausschuß hat - ebenso wie der E 62 - schon vor Jahren und ebenso wie der Alternativ-Entwurf eine Verjährungsfrist für Mord von 30 Jahren und die Unverjährbarkeit für den Völkermord vorgeschlagen. Wenn nicht die Induktionsströme auf Grund jenes Problems bestünden, das wir alle kennen, würde, so glaube ich, diese Vorlage des Ausschusses unproblematisch sein. Der Völkermord - das muß ich mit einem Satz sagen - ist, wie uns in der Beratung schien, nicht mit den Einzeltaten gegen einzelne nach nationalem Recht vergleichbar. Er entstammt dem Völkerrecht und ist sozusagen mit dem Charakter der Unverjährbarkeit zur Welt gekommen. Über die Aufhebung der Verjährung für Mord ist in der bisherigen Reformtradition niemals geredet worden. Es ist in der Tat so, daß die beiden Dinge in sich selbständig stehen können, und ich bestätige auch für die CDU/CSU, was Herr Hirsch für die SPD gesagt hat: Damit ist in keiner Weise die Entscheidung über das andere Verjährungsproblem präjudiziert. Das wird uns nach menschlichem Ermessen sehr bald beschäftigen, und es kann auf die eine oder die andere Art mit dieser Regelung verbunden werden. Es ist keineswegs jetzt schon sicher, daß die heute vorgeschlagene Regelung dadurch aufgehoben werden müßte. Aber ich sage noch einmal: einverstanden mit Herrn Hirsch, kein Präjudiz für diese Frage. In diesem Sinne scheint es uns richtig, Sie zu bitten, die Ausschußtexte anzunehmen und die Änderungsanträge der FDP abzulehnen.
({0})
Wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir stimmen dann zunächst ab über den Antrag der FDP auf Umdruck 646 Ziffer 18. Wer Ziffer 18 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit ist der Antrag unter Ziffer 18 abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über § 78 in der Ausschußfassung. Wer § 78 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung und Gegenstimmen ist § 78 angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die §§ 78 a, 78 b und 78 c. Wer diesen Paragraphen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese drei Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Wir kommen damit zu § 79 und können abstimmen über den Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 646 Ziffer 19, der vorhin schon von dem Kollegen Busse begründet worden ist. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
- Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Stimmenmehrheit abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über § 79 in der Ausschußfassung. Wer § 79 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 79 ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die §§ 79 a und 79 b. Wer diesen beiden Paragraphen zustimmt, ) den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Diese beiden Paragraphen sind einstimmig angenommen worden.
Meine Damen und Herren! Wir hatten uns dahin gehend verständigt, daß wir die Beratungen über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts hier abbrechen und jetzt zu dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts übergehen, und zwar beginnend mit Art. 1. Zu Art. 1 liegen Änderungsanträge vor, und zwar zu den Nrn. 1, 3 und 4. Wir werden also nummernweise abstimmen.
Zunächst Nr. 1. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 645 *) Ziffer 1, vor. Wird dieser Antrag begründet? - Frau Dr. Diemer-Nicolaus hat das Wort zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Angst, daß ich jetzt noch einmal genau das gleiche sage, was ich bei der Beratung zum Zweiten Gesetz gesagt habe. An und für sich sind Abstimmungen schon bei dem Zweiten Gesetz in den Fragen erfolgt, die hier erneut angesprochen sind.
In Ziffer 1 betreffend § 1 handelt es sich darum, was unter „Verbrechen" zu verstehen ist, in Ziffer 2 - wenn ich das auch gleich sagen darf, Herr Präsident - geht es um die Fassung „Die Strafe darf das Maß der Tatschuld nicht überschreiten", und in
*) Siehe Anlage 4
Ziffer 3 geht es wieder um den nebulosen Begriff der „Bewährung der Rechtsordnung", bei Ihnen jetzt der „Verteidigung der Rechtsordnung". Soweit schon Abstimmungen - das darf sich zu dem ganzen Antrag auf Umdruck 645 sagen - im Zusammenhang mit den Beratungen des Allgemeinen Teils im Zweiten Strafrechtsreformgesetz erfolgt lind, erhalten wir diese Anträge nicht mehr aufrecht.
Ich wäre Ihnen dankbar, Frau Kollegin, wenn Sie das in jedem einzelnen Fall mir noch einmal angäben. Es vereinfacht das Verfahren, wenn. der Antragsteller jeweils im Augenblick der Abstimmung diese Bemerkung macht.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 645 Ziffer 1. Sehe ich das richtig, Frau Kollegin? ({0})
- Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! ({1})
- Herr Kollege Müller-Emmert!
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident. Könnte nicht die FDP-Fraktion zur Klarstellung zunächst erklären, daß sie den Antrag Umdruck 645 Ziffer 1 nicht mehr aufrechterhält? So ist es doch gemeint. Es gab nämlich dabei eine Abstimmungsschwierigkeit. Es war hier nicht verstanden worden.
Ich habe gefragt, und es ist mir nicht so geantwortet worden. Wenn also der Antrag nicht aufrechterhalten wird, brauchen wir darüber auch nicht abzustimmen. Ist das richtig? ({0})
- Der Antrag wird also nicht aufrechterhalten. Dann können wir über Art. 1 Nrn. 1 und 2 abstimmen.
Darf ich fragen, ob der Antrag Umdruck 645 Ziffer 2 zu Nr. 3 aufrechterhalten wird. - Auch nicht. Wir können also auch noch über die Nr. 3 abstimmen.
Über Nr. 4 können wir noch nicht abstimmen, weil dazu ein Antrag der Abgeordneten Güde, Müller-Emmert und Genossen vorliegt.
Meine Damen und Herren, wir stimmen über Art. 1 Nrn. 1, 2 und 3 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung ab. Wer diesen drei Nummern zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Diese drei Nummern sind einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Nr. 4. Dazu liegen Änderungsanträge auf Umdruck 643 *) Ziffer 1 und auf Umdruck 645 Ziffer 3 vor. Werden die Anträge begründet? ({1})
*) Siehe Anlage 5
Vizepräsident Scheel
Wer dem Änderungsantrag Umdruck 643 Ziffer 1 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Es liegt ferner der Änderungsantrag Umdruck 645 Ziffer 4 vor. Das ist ein Streichungsantrag. Wird auch er zurückgezogen, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus?
({2})
- Dann müssen wir über Nr. 4 paragraphenweise abstimmen. - Meine Kollegen, darf ich um Aufmerksamkeit bitten. Wir stimmen jetzt ab über die §§ 14, 15 und 16 mit der Änderung, die wir soeben beschlossen haben. Wer diesen Paragraphen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Nunmehr stimmen wir ab über den § 17. Wer dem § 17 zustimmt, lehnt damit gleichzeitig den Antrag der FDP-Fraktion Umdruck 645 Ziffer 4 ab. Wer § 17 zustimmt, gebe das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der FDP-Fraktion ist der § 17 angenommen worden.
Wir stimmen dann über die §§ 18 und 19 ab. Wer den beiden Paragraphen zustimmt, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Beide Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu den Nrn. 5, 6, 7 und 8 des Art. 1. Wer diesen Nummern zustimmt, gebe das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Zu Nr. 9 liegen der Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. h. c. Güde, Dr. Müller-Emmert und Genossen auf Umdruck 643 Ziffer 2 und der Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 645 Ziffer 5 vor. Gilt hier dasselbe, Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, daß der Antrag hinfällig wird? - Das gilt auch hier.
Wir stimmen daher nur über den Änderungsantrag Umdruck 643 Ziffer 2 ab. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Gegenstimmen ist der Antrag angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Nr. 9 in der so geänderten Fassung ab. Wer der Nr. 9 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nr. 9 ist in der geänderten Form angenommen, wobei ich unterstelle, daß auch der Änderungsantrag Umdruck 645 Ziffer 6 genauso wie bei Umdruck 645 Ziffer 5 behandelt werden muß.
Jetzt stimmen wir ab über die Nrn. 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17. Darf ich unterstellen, daß Antrag Umdruck 645 Ziffer 7 genauso behandelt wird? - Dann stimmen wir weiter ab über die Nrn. 18, 19, 20, 21. - Frau Dr. Diemer-Nicolaus!
Herr Präsident, zu Nr. 18 liegt ein Änderungsantrag von uns auf Umdruck 645 vor.
Ich hatte gerade gefragt, ob Sie den auch als zurückgestellt betrachten.
({0})
- Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir zunächst über die Nrn. 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17 ab. Wer diesen Nummern zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nummern sind einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Nr. 18. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 645 Ziffer 7 vor. Er wird aufrechterhalten. Frau Dr. Diemer-Nicolaus hat das Wort zur Begründung.
Frau Dr. Diemer-Nicolaus: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Ersten Strafrechtsreformgesetz handelt es sich um Bestimmungen, die schon in Kürze in Kraft treten. Es handelt sich um eine Reform des jetzt gültigen Strafgesetzbuchs, und zwar darum - soweit es schon möglich ist -, Bestimmungen aus dem eben beschlossenen Allgemeinen Teil des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes schon jetzt einzuführen und zum anderen bestimmte Einzelreformen vorzunehmen.
Ihnen ist bekannt, daß wir heute ein zweispuriges System haben, nämlich Strafen und Maßregeln. Bei den Maßregeln handelt es sich gegebenenfalls um schwerste Eingriffe in die persönliche Freiheit von Verurteilten, auch wenn sie bereits eine Strafe verbüßt haben, darum, daß sie, wenn es die Sicherheit der Allgemeinheit erfordert, trotzdem in einer Verwahrung bleiben. Die schwerste Form davon ist die Sicherungsverwahrung.
Bei dem Antrag auf Umdruck 645, den ich jetzt begründe, handelt es sich um die Frage, wie gegebenenfalls die Voraussetzungen gestaltet sein müssen, damit eine Sicherungsverwahrung verhängt werden kann. Durch die Sicherungsverwahrung wird heute jemand als unverbesserlich und als für die Allgemeinheit nicht tragbar abgestempelt. Es ist somit einer der schwersten Eingriffe, die in das persönliche Leben eines Täters vorgenommen werden.
Deswegen ist es notwendig, sehr sorgfältig zu überlegen, unter welchen Voraussetzungen jemand nach Verbüßung einer Strafe nicht in die Freiheit entlassen werden darf. Es werden bestimmte Vorverurteilungen verlangt. Es ist sicherlich richtig, daß die Formulierung, wie sie in dem vorgeschlagenen § 42 e enthalten ist, schärfere Voraussetzungen enthält, als es bisher der Fall ist. Aber uns Freien Demokraten erschien es doch bedenklich, daß man gegebenenfalls auch Verurteilungen als begründend für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gelten lassen will, wenn es sich um Verurteilungen auf Grund von Taten handelt, die in jüngeren Jahren vorgenommen wurden, wenn der Täter noch nicht 25 Jahre alt ist.
Es ist weiterhin eine Tatsache, daß die Jugend für Straftaten anfälliger ist. Man kann an den Statistiken genau verfolgen, wie die Anfälligkeit mit zunehmendem Alter abnimmt. Gerade bei Jugend12782
lichen sind die Labilität und ,die Möglichkeit zu Straftaten größer als bei Älteren.
Deswegen sind wir der Meinung, man sollte die Voraussetzungen noch weiter verschärfen und nur solche Vorverurteilungen gelten lassen, die über den jetzt zu Verurteilenden wegen Taten ausgesprochen wurden, die er vor dem 25. Lebensjahr begangen hat. Wir wollen auf diese Art und Weise vermeiden, daß jemand noch in verhältnismäßig jungen Jahren in die Sicherungsverwahrung kommt und damit doch eine Abstempelung erfährt, die nachher im Berufsleben vielfach nicht weniger einschränkend und belastend ist, als es der Makel des Zuchthauses ist, den wir mit der Einheitsstrafe beseitigt haben.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie doch diesem Antrag zustimmen wollten.
Herr Kollege MüllerEmmert, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu diesem Änderungsantrag ist zu sagen, daß hier fraglos gewisse Schwierigkeiten überwunden werden müssen. Wenn dieser Änderungsantrag Erfolg hätte, wäre die Situation die, daß wir in unserem Sanktionensystem eine Lücke für diejenigen Täter hätten, die nach Erreichung des 21. Lebensjahres bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres erhebliche strafbare Handlungen begehen würden, die normalerweise die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen würde; diese könnte dann aber nicht angeordnet werden.
Nun ist zuzugeben, daß ein solcher Fall verhältnismäßig selten sein kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Müller-Emmert?
Bitte sehr!
Herr Kollege Müller-Emmert, nur, damit keine Mißverständnisse auftreten: ist es nicht so, daß, wenn zwischen dem 21. und 25. Lebensjahr erhebliche Straftaten verübt werden, dann natürlich auch schon einmal hohe Strafen ausgeworfen werden?
Da haben Sie recht; das ist richtig. Das hat man ohne weiteres zur Verfügung. Andererseits aber kann der Richter in solchen Fällen, wenn die Schuld des Täters eine höhere Strafe nicht zuläßt, der Täter aber doch äußerst gefährlich ist, gegen ihn keine Sicherungsverwahrung anordnen. Das können Sie nicht bestreiten.
Theoretisch ist dieser Fall wohl klar: Sie schaffen damit eine Lücke. Ich räume Ihnen allerdings ein, daß in der Praxis solche Fälle sehr selten vorkommen werden. Da es sich hier aber auch nur um eine Übergangserscheinung handelt - Sie wissen ja, daß wir hier nun die wichtigsten kriminalpolitischen Ergebnisse in das jetzt geltende Recht transponieren wollen -, bitte ich Sie, Frau Kollegin, Verständnis dafür zu haben, daß wir auch hier konsequent sein und Ihren Antrag auch in diesem Punkt ablehnen müssen.
Wir würden andernfalls eine Lücke schaffen, die schwerlich zu rechtfertigen wäre. Denken Sie sich bitte den Fall Bartsch in der Weise um, daß der Täter 22 Jahre alt und voll zurechnungsfähig - das muß ich auch unterstellen - gewesen wäre und im Alter zwischen 22 und 25 Jahren erhebliche strafbare Taten begangen hätte. Wir stünden dann vor dem Problem, daß wir gegen einen solchen Mann nicht die Sicherungsverwahrung anordnen könnten.
Zugegeben: in der Praxis sehr selten. Aber ich muß in diesem Fall doch sagen: sicher ist sicher. Aus diesen Erwägungen heraus bitte ich darum, daß der Antrag der Freien Demokraten abgelehnt wird.
({0})
Frau Kollegin DiemerNicolaus, wollen Sie dazu noch das Wort? - Da das nicht der Fall ist, stimmen wir jetzt über die Ziffer 7 des Änderungsantrags auf Umdruck 645 ab. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich -um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Der Antrag ist mit Stimmenmehrheit abgelehnt.
Wir stimmen dann über Nr. 18 ab. Wer der Nr. 18 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. 18 ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir stimmen jetzt über die unveränderten Nrn. 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46 und 47 ab. Wer den Nrn. 19 bis einschließlich 47 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Nummern sind einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zu Nr. 48. Dazu liegen Abänderungsanträge vor. Wir müssen hier paragraphenweise abstimmen. Auf Umdruck 645 Ziffer 8 liegt ein Streichungsantrag zu § 166 vor. Dazu wird das Wort gewünscht. Herr Kollege Dr. Bucher!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Streichungsantrag kommt nicht
- um Wilhelm Busch zu zitieren - aus dem Kreis der Liberalen, wo man den Heiligen Vater haßt, sondern wir sind durchaus dafür, daß die früheren Bestimmungen über Gotteslästerung im wesentlichen so geändert werden, wie das hier geschehen ist. Ich möchte deshalb ausdrücklich einige Punkte aus der Begründung im Schriftlichen Bericht zitieren, die wir voll und ganz unterschreiben. Es heißt hier, daß die jetzige Formulierung dieser Bestimmungen dem Mißverständnis vorbeugen solle, daß Gott Gegenstand eines weltlichen Schutzes sein könne, und daß unnötige Diskussionen über den Gottesbegriff im Gerichtssaal vermieden werden sollten. Weiter heißt es, es sollten Bekenntnisse sowohl kollektiver als auch individueller Natur gleichbehandelt werden, und das geschützte Rechtsgut sei der öffentliche
Friede. Schließlich gehe es vor allem darum, daß die Art und Weise der Auseinandersetzung um religiöse Fragen vor grobem Mißbrauch geschützt und die Fairneß in gebotenem Umfang gewährleistet werden sollten. Diese Begründung ist vollkommen richtig, und sie trägt unseres Erachtens voll und ganz den jetzigen § 167.
Dagegen halten wir den § 166 für unpraktikabel und deshalb überflüssig. Geschütztes Rechtsgut ist der öffentliche Friede. Es ist bezeichnend, daß dieses geschützte Rechtsgut in § 167 gar nicht erwähnt zu werden braucht, weil ganz offensichtlich ist, daß, wer den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche Handlung böswillig stört oder wer beschimpfenden Unfug verübt, den öffentlichen Frieden gefährdet. Das ist ganz selbstverständlich. Deshalb steht es mit Recht nicht drin. In § 166 aber steht es als zusätzliches Tatbestandsmerkmal drin, und ich fürchte, damit werden wir wenig anfangen können.
Lassen Sie mich ein aktuelles Beispiel nennen. Vor wenigen Tagen ging durch die Presse die Nachricht, daß ein bestimmtes Magazin, das sich, glaube ich, Schülermagazin nennt, einige Schüler beauftragt habe, eine fingierte Beichte abzulegen. Sie beichteten dem Geistlichen, sie hätten geschlechtliche Beziehungen, selbstverständlich ohne verheiratet zu sein, und testeten nun, was der jeweilige Geistliche ihnen darauf antwortete. Ich meine, diese Tat könnte man auf Grund dieses § 166 nicht erfassen, weder bei den Schülern, sofern sie überhaupt strafmündig sind, noch beim Anstifter, also diesem Verleger, oder wer das war, weil man doch schwer wird sagen können, daß dadurch der öffentliche Friede gestört worden sei. Wohl aber halte ich ohne weiteres den Tatbestand einer Beleidigung des betreffenden Geistlichen für gegeben, wenn man den Geistlichen in dieser Weise geradezu verhöhnt und seine Funktion mißbraucht, um mit ihm einen Test anzustellen. Man kann also die Leute, die das getan haben, insbesondere die Anstifter, ohne weiteres auf Grund des Beleidigungsparagraphen bestrafen, und ich meine, man sollte dabei auch gar nicht zimperlich sein.
Deshalb halten wir diese Bestimmung des § 166 für überflüssig und glauben, daß sie schwer praktikabel ist, und schlagen vor, sie zu streichen.
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Kern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme Stellung zu dem Antrag der FDP-Fraktion Umdruck 646 Ziffer 8. Meine Fraktion geht davon aus, daß dadurch, daß der öffentliche Friede das geschützte Rechtsgut ist, hier nicht ein besonderes Interesse der Kirchen im Strafrecht wahrgenommen wird, sondern tatsächlich nur das staatliche Interesse wahrgenommen wird, der religiöse Friede also nur insofern geschütztes Rechtsgut ist, als er Teil des öffentlichen Friedens ist.
Wir sind für den veränderten § 166 insbesondere deshalb eingenommen, weil es in dieser Formulierung gelungen ist, die etablierten Kirchen, die anderen Religionsgemeinschaften und die Weltanschauungsgemeinschaften einander gleichzustellen. Hier ist also der Gedanke der Toleranz verwirklicht. Ein Staat mit einer pluralistischen Gesellschaft ist nun einmal nur dann lebensfähig, wenn die Toleranz gewährleistet ist. Gerade deshalb halten wir es für notwendig, daß dieser § 166 erhalten bleibt. Ein Rechtsvergleich zeigt, daß alle Staaten mit einer europäischen Rechtstradition mindestens Schutzbestimmungen für den öffentlichen Frieden haben. Wir befinden uns mit diesem § 166 insofern in guter Gesellschaft, als der Toleranzgedanke im Radbruchschen Entwurf verwirklicht war, in früheren und auch in späteren Entwürfen dagegen nicht, so daß der jetzige § 166 den Radbruchschen Gedanken wieder aufnimmt. Ich bitte Sie daher namens meiner Fraktion, den Antrag der FDP abzulehnen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Bühler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist es fast überflüssig, daß ich hier noch heraufgehe und dasselbe sage, was der Kollege Kern soeben vorgetragen hat. Auch was der Kollege Dr. Bucher vorhin aus den Protokollen vorgetragen hat, ist Ihnen sicher allen bekannt. Ich könnte höchstens noch eine Ergänzung aus den Protokollen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform anbringen, möchte das aber mit dem Blick auf die Uhr unterlassen.
Ich bitte ebenfalls, den Antrag der FDP auf Streichung des § 166 abzulehnen. Ferner unterstütze ich den Antrag des Abgeordneten Köppler auf Umdruck 649 *), in § 167 Abs. 1 Nr. 1 das Wort „böswillig" durch die Worte „absichtlich und in grober Weise" zu ersetzen. Ich nehme an, daß ich diese Änderung nicht begründen muß. - Herr Kollege Köppler, wollen Sie das noch selber begründen? Sie gehen da einen Mittelweg zwischen zwei Extremen, und ich kann nur empfehlen, diesem Weg zu folgen.
Meine Kollegen, darf ich zunächst über den § 166 abstimmen lassen, da wir ja über die Nr. 48 paragraphenweise abstimmen müssen. Wir nehmen jetzt Stellung zu dem Antrag der FDP durch Abstimmung über den Paragraphen. Wer dem § 166 zustimmt, lehnt damit gleichzeitig den Antrag der FDP ab.
Wer dem § 166 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 166 ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen jetzt zu § 167. Dazu liegen zwei Anträge vor, einmal der Antrag des Kollegen Köppler und zum anderen der Antrag der Kollegen Dr. Süsterhenn, Dr. Jaeger, Dr. von Merkatz und Genossen auf Umdruck 6471. - Herr Kollege Köppler zur Begründung des Antrags Umdruck 649.
*) Siehe Anlage 6
*) Siehe Anlage 7
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen sie mich wenige Sätze zur Begründung meines Änderungsantrages sagen. Ich glaube, daß der Wunsch einer Reihe von Kollegen aus dem Hause, der sich in dem Antrag Umdruck 647 verdichtet hat, nämlich das Wort böswillig" durch das Wort „absichtlich" zu ersetzen, sehr viel Berechtigung hat, daß er sehr viel für sich hat. Es ist völlig klar, daß wir uns heute in der Farge der möglichen Störung von Gottesdiensten Situationen gegenübersehen, die man früher nur mit sehr viel Phantasie als „Fälle" bilden konnte, die heute aber in den Bereich der Praxis gerückt sind.
({0})
Nun ist es durchaus denkbar, daß Fälle solcher Gottesdienststörung statfinden, bei denen die Störer subjektiv durchaus abnehmbare Motive haben, daß sie aus einer Absicht Dinge in einen Gottesdienst hineintragen, auch Veranstaltungen in einen Gottesdienst hineintragen, die nach ihrer subjektiven Überzeugung vielleicht sogar dem Ausdruck eines religiösen Bedürfnisses dient.
({1})
- Nach ihrer subjektiven Auffassung! - Dennoch glaube ich, der übergeordnete Gesichtspunkt, das geschützte Rechtsgut, um das es hier geht, nämlich die Aufrechterhaltung des religiösen Friedens verträgt es einfach nicht, daß solche Störungen - die ich gar nicht näher charakterisieren will - straffrei bleiben, das heißt, unsere Strafrechtsordnung keine Möglichkeit bietet, auch in diesem Bereich Störungen zu wehren.
Deshalb halte ich es für richtig, statt von „böswillig" von „absichtlich" zu sprechen.
„Absichtlich" allein aber scheint mir die Gefahr mit sich zu bringen, daß eine Reihe von Fällen, in denen es wirklich um Kleinigkeiten geht, dann durch die Verlockung des Gesetzestextes bei den Gerichten anhängig werden. Wir sind uns jedoch sicherlich alle darüber einig, daß man Prozesse dieser Art vermeiden sollte. Ich meine deshalb, daß Bagatellfälle, Fälle, wie sie - ich habe das Protokoll nachgelesen - der Sonderausschuß bei seiner Beratung über diesen Gegenstand erörtert hat, aus der Strafjustiz, aus der Verfolgbarkeit ausgeschieden bleiben sollten. Das erreicht man, wenn man meinem Vorschlag folgt, nämlich nur solche Störungsfälle, die eine gröbliche Verletzung des Gottesdienstes darstellen, unter die Strafandrohungen unseres Strafgesetzes stellt. Ich bitte Sie, dieser mittleren Lösung zuzustimmen. Wir würden damit die Möglichkeit haben, gegen eklatante Störungen, auch wenn sie aus subjektiv wohlmeinenden Motiven heraus begangen werden, die Strafjustiz anzurufen, die Strafjustiz einschreiten zu lassen. Wir würden die Möglichkeit haben, interne kirchliche oder religiöse Auseinandersetzungen oder Fälle, die mehr oder weniger Bagatellfälle sind, aus dem Bereich der Strafjustiz auszuschalten.
Aus diesem Grunde bitte ich Sie, dem Antrag Umdruck 649 Ihre Zustimmung zu geben.
({2})
Das Wort hat Herr Kollege Kern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hat bereits einmal die Frage diskutiert, ob in § 167 „absichtlich" oder „böswillig" stehen soll. „Absichtlich" ist die Formulierung, die im Entwurf 1962 enthalten war. Der Antrag Süsterhenn geht also auf den Entwurf 1962 zurück und will ihn wiederherstellen.
Der Sonderausschuß hat einstimmig beschlossen, die Formulierung „böswillig" zu nehmen, und zwar, um den Tatbestand einzuengen. Es geht hierbei darum - das ist von Herrn Kollegen Köppler schon sehr richtig angesprochen worden -, daß nicht innergottesdienstliche und innerkirchliche Vorgänge vor ein Gericht kommen. Aber gerade aus diesem Motiv bin ich der Meinung, wir können gar nicht anders, als hier eine subjektive Begründung zu wählen. Die objektive Begründung, die Herr Kollege Köppler hier anstrebt, achtet nicht darauf, ob eine Störung des Gottesdienstes auf Grund einer kirchlichen Bindung oder etwa aus dem Wunsch erfolgt, eine Reform in der Kirche in Gang zu bringen.
Wir haben jetzt gerade in einem Prozeß, der in Rom abgelaufen ist, ein sehr interessantes Beispiel. Ich meine den Prozeß, in dem der Universitätsdozent Fabricio Fabrini angeklagt war, weil er in der Karwoche 1968 die Predigt eines Geistlichen unterbrochen hatte, von dem erklärt worden war, die Verfolgungen, die das jüdische Volk im Laufe der Geschichte zu erdulden gehabt habe, seien eine Strafe Gottes für die Schuld am Tode Christi. Der Zwischenruf, der darauf erfolgte, war Gegenstand dieser Gerichtsverhandlung, und der Turiner Kardinal Pellegrino erklärte wörtlich - ich nehme die Übersetzung -: „Ich kann nicht schweigen, wenn sich ein Gericht anmaßt, über die Rechtmäßigkeit einer gottesdienstlichen Handlung in letzter Instanz zu befinden."
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Haase?
Ja, bitte!
Herr Kollege, halten Sie wirklich gottesdienstliche Störungen für ein geeignetes Mittel, Reformen in den Kirchen herbeiführen zu können?
Um diese Frage geht es zunächst einmal gar nicht, sondern es geht um die Frage, ob der Staat sich das Recht anmaßen soll, innerkirchliche Vorgänge vor Gericht zu verhandeln und darüber zu befinden. In unserer Zeit können durchaus auch Situationen entstehen, in denen gottesdienstliche Handlungen etwa durch Transparente gestört werden, gottesdienstliche Handlungen beispielsweise, die im Freien stattfinden; ich denke da an Schlußgottesdienste bei den Kirchentagen. Wenn da jemand mit einem Transparent auftritt, kann das als eine grobe Störung verstanden werden.
Ich würde sagen: Niemals sollten der Staat und das Gericht darüber befinden müssen. Wir können aus der jüngsten Geschichte einige Beispiele dafür anführen. Wenn in einem Weihnachtsgottesdienst des vergangenen Jahres ein Plakat hochgehalten wird - als Begründung wurde nachher angegeben: Konkretisierung der Friedensbotschaft von Weihnachten - mit der Aufschrift „Friede auch für Nigeria!", kann das als grobe Störung des Gottesdienstes empfunden werden.
Deswegen bin ich der Meinung, man sollte hier tatsächlich die subjektive Begründung wählen, wail für eine solche Form von Störung entscheidend ist, ob eine innerkirchliche Reform als Motiv gewählt ist oder ob von außen her böswillig eine Störung des Gottesdienstes erfolgt.
Ich trage hier meine persönliche Meinung vor, das will ich ausdrücklich sagen. Ich bin der Meinung, wir sollten bei dem einstimmig gefaßten Beschluß des Sonderausschusses bleiben und es bei der Formulierung „böswillig" belassen.
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Wird das Wort weiter gewünscht? - Herr Kollege Müller-Emmert, bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf nur zur Klarstellung folgendes sagen: Die SPD-Fraktion beantragt Ablehnung des Änderungsantrages Umdruck 647 der Abgeordneten Dr. Süsterhenn, Dr. Jaeger, Dr. von Merkatz und Genossen.
Bezüglich deis anderen Änderungsantrages - Köppler - hat die SPD-Fraktion keinen Beschluß gefaßt. Das heißt also, bezüglich dieses Änderungsantrages möge von der Fraktion der SPD jeder so entscheiden, wie er es für richtig hält.
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Meine Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor einer etwas schwierigen Situation. Es liegt ein weiterer Änderungsantrag auf Umdruck 647 vor, der bisher noch nicht begründet worden ist. Die Abwägung, welcher Antrag weitergeht, fällt deswegen schwer, weil man das formal und dem Sinn nach unterschiedlich bewerten kann. Ich bitte einen der Antragsteller - vielleicht Herr Kollege Jaeger -, in der Begründung auch dazu Stellung zu nehmen oder zu sagen, ob er seinen Antrag zugunsten des Antrags des Kollegen Köppler zurückziehen kann.
Herr Präsident, es ist nicht meine Aufgabe, den Antrag zu begründen. Ich bin mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Köppler weitgehend einverstanden. Aber ich bin nicht in der Lage, einen Antrag, den andere mitunterschrieben haben - an erster Stelle Herr Dr. Süsterhenn, der ihn entworfen hat -, zurückzuziehen.
Aber ich schlage Ihnen, Herr Präsident, folgenden Abstimmungsmodus vor. Die Frage, welches der weitergehende Antrag ist, ist vom Recht des Ausschußantrages her zu entscheiden. Der Ausschußantrag sagt „böswillig", bedeutet also eine starke Einschränkung. Der Antrag Köppler sagt „absichtlich und in grober Weise", ist also eine Erweiterung. Der Antrag Süsterhenn sagt nur „absichtlich", ist also eine noch größere Erweiterung. Vom heutigen Text her ist der Antrag Süsterhenn der weitestgehende; über ihn müßte man also zuerst abstimmen, dann über den Antrag des Herrn Kollegen Köppler, der nicht so weit geht. Das scheint mir geschäftsordnungsmäßig der richtige Weg zu sein. Ich sehe, daß die Damen und Herren mir zustimmen.
Ich teile Ihre Auffassung, Herr Kollege, daß der Antrag Umdruck 647 der weitergehende ist. Über ihn wollen wir zuerst abstimmen. Denn wenn ich in der anderen Reihenfolge vorginge, müßten die Antragsteller des Antrags Umdruck 647, um ihren Antrag wieder durchzusetzen, einen Zusatzantrag auf Streichung der Worte „und in grober Weise" stellen. Dann wären sie wieder da, wo sie hinwollen. Wir werden also in dieser Weise verfahren. Das scheint der richtige Weg zu sein.
Wer dem Antrag auf Umdruck 647 zustimmt - das ist der Antrag Dr. Süsterhenn, Dr. Jaeger und andere -, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Neinstimmen waren die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Antrag des Abgeordneten Köppler auf Umdruck 649 ab. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen über den § 167 in der so geänderten Form ab. Wer dem § 167 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Anzahl Enthaltungen ist § 167 angenommen.
Wir kommen zu Nr. 49. - Keine Wortmeldung. Wer der Nr. 49 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Zu Nr. 50 hat der Kollege Dr. Wuermeling um das Wort gebeten. Bitte, Herr Kollege Dr. Wuermeling!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nr. 50 beinhaltet die Aufhebung der bisherigen Strafbarkeit des Ehebruchs. Ich hoffe, daß Sie mir alle zustimmen, wenn ich sage, daß wir die Debatte über diese Frage in absoluter Sachlichkeit und ohne jede Emotion führen sollten. Ich möchte mich deswegen auf ganz wenige, mehr tatsächliche, kurze Feststellungen beschränken.
Erstens. Die Befürworter der Aufhebung der Strafbarkeit des Ehebruchs sagen mit Recht, daß die Vor12786
schrift wenig praktische Bedeutung hat. Sie sagen weiter mit Recht, daß nur sehr geringfügige Bestrafungen ausgesprochen wurden. Ich stimme auch der These zu, daß nicht jede Sittenwidrigkeit strafbar sein muß, und bestätige auch meinerseits, daß der Staat das zu bestrafen hat, was besonders sozial schädlich ist.
Zweitens. Der Ehebruch, meine Damen und Herren, ist unbestritten ein sozialschädliches Verhalten. Er wird wohl auch von den meisten von uns für verwerflicher gehalten als mancher selbstverständlich strafbare Einbruch oder manche strafbare Körperverletzung. Ich frage, ob da der schwerste und folgenreichste Einbruch in die persönliche Sphäre des Mitmenschen, wie es der Ehebruch ist, grundsätzlich straffrei gestellt werden kann.
Drittens. Wer die Strafbarkeit des Ehebruchs aufhebt, hält wohl nachträglich die immerhin 1365 Bestrafungen wegen Ehebruchs in den Jahren 1958 bis 1966 nicht für richtig.
Viertens. Außer in Skandinavien und England ist im benachbarten freien Europa die Strafbarkeit des Ehebruchs geltendes Recht. Ich darf deshalb sagen, daß wir uns mit der Aufhebung der Strafbarkeit des Ehebruchs aus der engeren Gemeinschaft der EWG desintegrieren würden.
Meine Damen und Herren, nach diesen vier kurzen Punkten glaube ich das, was ich sonst zu sagen habe, nicht besser zusammenfassen zu können als durch die Formulierungen, die in dem Entwurf der Bundesregierung von 1962 als Begründung für die Nichtaufhebung der Strafbarkeit des Ehebruchs angeführt sind. Es ist die Begründung der damaligen von Adenauer geführten Regierung mit dem Justizminister Schäffer. Ich begnüge mich mit der Zitierung der fünf Sätze, die dort dazu gesagt sind.
Erster Satz:
Gewiß ist der strafrechtliche Schutz der ehelichen Treuepflicht für die einzelne Ehe nur von beschränktem Wert.
Zweiter Satz:
Allein die wesentliche Bedeutung der Vorschrift liegt darin, daß von ihr eine sittenprägende und sittenerhaltende Wirkung ausgeht, und daß in ihr das Bekenntnis des Staates zu der Einrichtung der Ehe als einer der tragenden Grundlagen unserer Gemeinschaft zum Ausdruck kommt.
Dritter Satz:
Daher würde, zumal in einer Zeit, in der sich vielfach eine Lockerung der Auffassungen über die Beziehungen der Geschlechter zueinander bemerkbar macht, ein Abbau des strafrechtlichen Schutzes in weiten Kreisen des Volkes nicht verstanden und von anderen Kreisen dahin mißverstanden werden, daß der Staat der Ehe nicht mehr dasselbe Gewicht beimißt wie bisher.
Vierter Satz:
Er
- nämlich der Abbau der Strafbarkeit würde auch der durch Artikel 6 GG begründeten Verpflichtung widersprechen, Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung zu stellen.
Fünfter und letzter Satz:
Der Entwurf - von 1962 hält daher im Umfang des geltenden Rechts, wie die meisten früheren Entwürfe und zahlreiche ausländische Rechtsordnungen, an der Bestrafung des Ehebruchs fest.
So weit die Begründung zum Entwurf 1962.
Meine Damen und Herren, ich meine, gegenüber dem, was hier gesagt worden ist, kann heute zu dem jetzt vorgesehenen § 172 nichts Neues angeführt werden, das nicht damals schon an Gegenargumenten vorgebracht und gründlich geprüft worden wäre, und zwar mit dem Ergebnis, das ich eben vorgetragen habe. Ich habe dem nichts hinzuzufügen als die Bitte, auf der Linie der damals in vorderster Front Verantwortlichen, nämlich Konrad Adenauers und Fritz Schäffers, auch heute zu bleiben und deshalb die Nummer 50 des vorliegenden Entwurfs abzulehnen.
Wird das Wort weiter gewünscht? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Kern!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling hat aus der Begründung für .die frühere Entscheidung, den Ehebruch weiterhin unter Strafe zu stellen, u. a. den Satz zitiert, daß von dieser Vorschrift eine sittenprägende und sittenerhaltende Wirkung ausgehe. Ich muß dem entschieden widersprechen, und zwar deswegen, weil die Vorschrift des § 172 den Ehebruch nur dann bestraft, wenn bereits die Scheidung erfolgt ist und wenn Strafantrag gestellt ist, d. h. wenn ein Schutz der Ehe ohnehin nicht mehr in Frage kommt. Was die sonstige Begründung anlangt, ist zu sagen: Die Ehe und die Familie, die nach dem Grundgesetz unter ,dem besonderen Schutz des Staates stehen, werden geschützt und sollen geschützt werden durch das Ehegesetz und durch das Familienrecht, nicht aber durch das Strafrecht. Man kann sagen, daß die Bestimmung des § 172 keineswegs dazu geeignet ist, die Ehe zu schützen.
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Im Gegenteil! Wenn man sieht, welche niedrigen Motive teilweise zur Stellung des Strafantrages führen - Motive, die Erpressungsversuche zum Inhalt haben, Motive, die auf wirtschaftlichen Vorteil ausgehen -, kann man nicht sagen, daß davon eine sittenprägende Wirkung ausgehe. Wenn man noch hinzunimmt, daß - obwohl das statistische Material nur schwer eindeutig zu werten ist - nur etwa jeder millionste Ehebruch bestraft wird, muß man zu dem Ergebnis kommen: Durch eine solche Vorschrift wird die Ehe nicht geschützt, sondern verhöhnt.
Deswegen bitte ich, den Antrag des Kollegen Wuermeling abzulehnen.
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Wird zu diesem Punkt weiterhin das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall.
Wenn ich es recht in Erinnerung habe, hat der Herr Abgeordnete Wuermeling die Streichung der Nr. 50 beantragt, so daß darüber nicht abgestimmt werden kann, außer in der Form, daß die Mitglieder des Hauses, die die Nummer streichen wollen, dagegen stimmen.
Ich lasse also über die Nr. 50 abstimmen, die lautet: „§ 172 wird aufgehoben". Wer dieser Bestimmung in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Nr. 50 ist mit großer Mehrheit bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe Nr. 51 auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer Nr. 51 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe Nr. 52 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 645 unter Ziffer 9 vor.
Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Busse das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Das parlamentarische Leben ist grausam. Ich muß gestehen, ich habe das, was ich vorhin gesagt habe, mit einiger Hingebung an die Sache gesagt. Und dann zu § 175 reden zu müssen, wie es die Fraktion befiehlt, ist nicht so ganz einfach.
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Aber diese Bemerkung einmal beiseite!
Unsere Anträge zu § 175 betreffen zwei Dinge. Einmal geht es darum, ob so, wie es der Entwurf des Ausschusses vorsieht, bei Unzucht unter Männern das Objekt der unzüchtigen Handlung nur solange geschützt sein soll, bis es 18 Jahre alt ist, oder so lange, bis es 21 Jahre alt ist. Die Ausschußvorlage sieht das 21. Lebensjahr vor. Wir meinen, daß eine Reduzierung auf das 18. Lebensjahr den Lebensnotwendigkeiten und den Notwendigkeiten des Schutzes der Jugend genügend Rechnung trage. Es ist heute eine Illusion, zu glauben, daß der 18jährige Mensch in sexuellen Dingen noch nicht hinreichend aufgeklärt sei, noch nicht hinreichend gefestigt oder noch ungefestigt sei. Da verhält es sich in allem, nicht nur beim gleichgeschlechtlichen Verkehr, sondern auch bei anderen Dingen, wie beim 21jährigen. Wenn wir zu einer weiteren Entkriminalisierung kommen wollen, sollten wir diese 'Dinge so regeln, um so mehr, als sich bei der Beibehaltung der Differenzierung von 18 und 21 Jahren - aktiv 18, passiv 21 - die tollsten Fälle ergeben können, wenn man das Zahlenspiel einmal durchführt, daß nämlich der 18jährige, der es tut bestraft wird, der 19 1/2jährige aber dann noch geschützt bleibt. Nein, ich glaube, unser Vorschlag schafft klare Verhältnisse, und darum bitte ich Sie, diesem Antrag insoweit zuzustimmen.
Unser Antrag beinhaltet aber mehr, daß nämlich auch die Nrn. 2 und 3 des Abs. 1 und die Absätze 2 und 3 des § 175 entfallen. Dabei wäre der Fortfall der Absätze 2 und 3 nur eine Konsequenz, wenn unser Antrag, Abs. 1 Nrn. 2 und 3 zu streichen, angenommen würde.
Ich darf einmal mit der Nr. 3 beginnen, weil es hier doch wohl am einfachsten und am klarsten ist. Wenn wir nun anfangen wollen, gewerbsmäßige Unzucht unter Männern zu bestrafen, während sonst seit Jahr und Tag die gewerbsmäßige Unzucht nicht mehr bestraft wird, so glaube ich, daß man keinen vernünftigen Grund dafür finden kann, jetzt eine sogar recht 'erhebliche Bestrafung, nämlich Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, einzuführen.
Bei Nr. 2 stimmen wir dem Grundanliegen, das darin zum Ausdruck kommt, an sich zu. Wir meinen aber, daß die allgemeinen Strafrechtsbestimmungen der Nötigung, der Notzucht usw. genügen, um die Fälle zu erfassen, die wirklich strafbaren Charakter haben. Eine Notwendigkeit für Strafvorschriften fehlt. Diese recht umstrittene und vage Formulierung ,,... unter Mißbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnisses begründeten Abhängigkeit ..." schafft sowohl für die Justiz wie auch für mögliche Täter keine Klarheit. Dieser Unklarheit können wir sie einfach nicht aussetzen. Die Tatbestände der Nötigung, der Notzucht usw. sind klarer und deutlicher, und ihre Grenzen sind allgemein bekannt, so daß wir glauben, daß diese Strafvorschriften den gewollten Zweck hinreichend erfüllen. Wir bitten daher um Annahme unseres Antrags.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jungmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist nicht erforderlich, zu der Problematik des § 175 generell und grundsätzlich Stellung zu nehmen. Es genügt wohl die Feststellung, daß wir uns in Übereinstimmung mit den Gesetzgebern fast aller Staaten der Welt befinden, wenn wir, ohne die Homosexualität unter Männern als solche zu pönalisieren, die damit verbundenen Gefahren für die geschlechtliche Entwicklung erkennen und wenn wir den Schutz der dadurch gefährdeten jungen Menschen auch weiterhin für strafrechtlich relevant halten. Das hat den Strafrechtssonderausschuß dazu veranlaßt, die homosexuelle Unzucht zwischen Männern unter 18 bzw. 21 Jahren auch in Zukunft mit Strafe zu bedrohen. Hier geht es nun um die Grenze von 21 Jahren, die von der FDP als zu hoch angesetzt betrachtet wird.
Für die Beibehaltung des im strafrechtlichen Sinne schutzbedürftigen Alters von 21 Jahren sind aber nicht nur Überlegungen sexualpsychologischer Art maßgebend gewesen, über die der Schriftliche Bericht eingehend Auskunft gibt. Man muß diese im Sonderausschuß getroffene Entscheidung vielmehr im Zusammenhang mit der über den Mißbrauch der in einem Unterordnungs- oder Abhängigkeitsverhältnis stehenden jungen Männer sehen. Die Minderheit, die sich im Ausschuß für die Streichung auch dieser Strafbestimmung eingesetzt hat, hat jetzt wieder entsprechende Änderungsanträge gestellt. Diesen Forderungen muß im Interesse der heranwachsenden Jugend, nicht zuletzt im Interesse unserer jungen Soldaten, widersprochen werden.
Statt alle einschlägigen Argumente zu wiederholen, möchte ich nur zu bedenken geben, daß hier nicht mit zweierlei Recht gemessen werden kann, daß es also keine „Lex Bundeswehr" geben kann. Eine zu niedrige Festsetzung des Schutzalters müßte deshalb zu einer unerträglichen Belastung, wenn nicht sogar zu einer Vergiftung der psychologischen Atmosphäre in der Bundeswehr führen.
Das nächste Anliegen der Antragsteller richtet sich auf den Wegfall der in der Vorlage vorgesehenen Bestimmung über die Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Prostitution unter Männern. Sie muß nach Ansicht der Mehrheit des Sonderausschusses unter Strafe gestellt bleiben. Es ist nicht nur wegen der erfahrungsgemäß hohen allgemeinen Kriminalität der sogenannten Strichjungen nach allgemeiner, auch internationaler, kriminologischer Erfahrung ein Gebot der öffentlichen Sicherheit, daß die homosexuelle Prostitution auch mit den Mitteln des Strafrechts unter Kontrolle gehalten wird.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß die Taten nach dem neuen § 175 in Zukunft keine Verbrechen, sondern nur noch Vergehen sein sollen und deshalb nur noch mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht werden sollen.
Durch Abs. 3 des § 175 in der Fassung des Strafrechtssonderausschusses soll der Richter im übrigen die Befugnis erhalten, bei Beteiligten, die zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt gewesen sind, ganz von einer Bestrafung abzusehen. Diese Vorschrift - auch darauf ist in der Schriftlichen Begründung ausdrücklich hingewiesen worden - ist vor allem für diejenigen Heranwachsenden bedeutsam, bei denen es sich bei gleichgeschlechtlichen Kontakten mit Gleichaltrigen um den Ausdruck von Entwicklungsstörungen oder andere altersspezifische Schwierigkeiten handelt. Das gilt übrigens auch für solche Jugendliche, die einer Verführung durch einen anderen Mann unter 21 Jahren erlegen sind.
Die Aufrechterhaltung der Strafbarkeit bestimmter Tatbestände der männlichen Homosexualität ist also nicht der Ausdruck eines Mangels an fortschrittlicher oder freiheitlicher Gesinnung. Sie ist das Ergebnis sorgfältiger Überlegungen und Abwägungen. Ich bitte deshalb, den Änderungsanträgen der FDP nicht zuzustimmen und der Vorlage des Sonderausschusses Ihre Zustimmung zu geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kübler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche für die Beibehaltung der Vorlage des Sonderausschusses Strafrecht, obwohl uns klar ist, daß der Antrag der FDP, von der wissenschaftlichen Interpretation her gesehen, einiges für sich hat. Wir stehen aber in einer echten Kompromißsituation, die wir auch ruhig ansprechen sollten. Es ist die erste Änderung, in der etwas straffrei wird, was' bisher in diesem Volk strafbar war, und wir müssen den ersten Schritt nun nicht bis zu dieser von einzelnen Wissenschaftlern geforderten Endlösung tun, sondern wir müssen das in Phasen durchführen und sehen, wie sich die Geschichte weiterentwickelt.
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Ich will ausdrücklich sagen: Der Entwurf des Sonderausschusses nähert sich auf der einen Seite natürlich nicht ganz der wissenschaftlichen Erkenntnis, wie sie vertreten werden könnte, aber er entspricht auch nicht mehr nur dem Erkenntnisgrad des allgemeinen Bewußtseins. Von da her plädiere ich für die Beibehaltung der Ausschußfassung.
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Wird des weiteren zu Nr. 52 das Wort gewünscht? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Erhard!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich vermag auch bei aller Sorge und Sorgfalt - auch jetzt nach 20 Uhr - nicht zu erkennen, warum wir de facto doch eine „Lex Bundeswehr" hier in das Gesetz schreiben sollen.
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Ich kann nicht einsehen, warum der gleichgeschlechtliche Verkehr zwischen Männern - die Homosexualität - im Alter zwischen 18 und 21 Jahren der einzige Tatbestand sein soll, bei dem sich beide Täter strafbar machen. Das ist mir zu hoch. Ich beantrage zu Nr. 52 die Streichung der Nr. 1 des Abs. 1 von § 175.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich werde wohl rechtmäßig so vorgehen, daß ich zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 645 Ziffer 9 abstimmen lasse, der den ganzen Paragraphen neu fassen will. - Das Haus ist mit dem Verfahren einverstanden.
Wer diesem Antrag der FDP zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Der Abgeordnete Erhard hat beantragt, in dem vom Ausschuß vorgeschlagenen § 175 die Nr. 1 des
Vizepräsident Dr. Jaeger
Abs. 1 zu streichen. Das kann ich nicht als selbständigen Antrag zulassen. Aber ich muß demgemäß die Nummern einzeln aufrufen, und wir werden dann darüber abstimmen. Wer streichen will, stimme dagegen.
Ich rufe also die Nr. 1 des Abs. 1 besonders auf. Wer dem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste ist. die Mehrheit. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Nr. 1 bleibt.
Wer Nr. 2 und 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit beschlossen.
Meine Damen und Herren, der Einfachheit halber lasse ich jetzt über den gesamten § 175 unverändert in der Ausschußfassung abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
- Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit bei einigen Enthaltungen so beschlossen.
Ich komme nunmehr zu Art. 1 Nr. 53, nach der § 175 b aufgehoben wird. Wird das Wort gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Wer dem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen.
Ich kann vielleicht davon ausgehen, daß das Wort jetzt nicht mehr gewünscht wird und rufe die Nr. 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 60 a, 61 und 62 auf. Wird zu einer der Bestimmungen das Wort gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Ich lasse gemeinsam abstimmen. Wer den Nummern in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen beschlossen.
Ich komme nunmehr zu Nr. 63. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 645 Ziffer 10 vor. Wer begründet den Änderungsantrag? - Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Zu Nr. 63 darf ich folgendes bemerken. Soweit es sich hier um die §§ 235 und 236 handelt, stellen wir keinen Änderungsantrag. Unser Änderungsantrag bezieht sich sachlich lediglich auf den § 237. Der Antrag zu § 238 ist nur eine redaktionelle Folge.
Meine Damen und Herren, § 237 behandelt das Thema der Entführung. Damit keine Mißverständnisse entstehen, möchte ich vorausschicken, daß nach der Auffassung der Freien Demokraten Frauen selbstverständlich davor geschützt werden müssen, daß gegen ihren Willen, ohne ihr Einverständnis irgendwelche sexuellen Handlungen an ihnen vorgenommen werden. Das ist ganz selbstverständlich.
Es ist weiterhin ganz selbstverständlich, daß es sich, wenn eine wirkliche Entführung vorliegt, also jemand gegen seinen Willen irgendwohin gebracht
wird, um eine Freiheitsberaubung handelt, die natürlich auch strafbar ist.
Sehen Sie sich § 237 einmal auf diese Grundvoraussetzungen hin an! Da heißt es: „Wer eine Frau wider ihren Willen" - das wollen wir natürlich nicht - „durch List", - was ist List?; das ist eine sehr ausdehnungsfähige Materie, festzustellen, ob jemand listig gehandelt hat oder nicht - „Drohung oder Gewalt . . .". Drohung und Gewalt sind auch sonst bestraft. Gegebenenfalls sind es Nötigungen, gegebenenfalls bei Gewaltanwendung Straftaten mit ganz erheblichen Strafdrohungen. Schon der Versuch einer Notzucht wird auf das schärfste bestraft. Wir haben die Nötigungsbestimmung des § 240, nach der es noch gar nicht einmal bis zu einer Drohung gekommen zu sein braucht, damit gegebenenfalls eine entsprechend hohe Strafe verhängt werden kann.
Praktisch bleibt jetzt also nur noch der Fall übrig: „Wer eine Frau wider ihren Willen durch List an einen anderen Ort bringt und eine dadurch für sie entstandene hilflose Lage" - wann ist nun eine derartige Lage hilflos?; das ist auch eine sehr unbestimmte Angelegenheit - „zur Unzucht mit ihr ausnutzt".
Meine Damen und Herren, jetzt bitte ich Sie, einmal in der Begründung nachzusehen. Damit sollte nämlich folgendes erfaßt werden; der sonst so sehr hoch von mir geschätzte Kollege Arndt hat das so begründet - es betrifft die von ihm gedachte „Sexfalle" -: Dann könne sich eine Frau so hilflos fühlen, daß sie gar nicht wage, zu sagen, daß sie mit derartigen Handlungen nicht einverstanden sei. Nehmen wir den anderen Fall, daß sie sich widersetzt, und es passiert doch, dann haben wir ja schon die Notzucht oder die versuchte Notzucht. Wir haben gegebenenfalls auch einen Körperverletzungs- oder anderen Straftatbestand.
Es bleibt nur übrig, daß die Frau nicht zu erkennen gibt, daß sie in dieser Lage nicht will. Nun frage ich - ich muß mich in dem Fall auf die Seite der Männer stellen -: Ja, woher soll denn dann der Mann wissen, daß sie nicht will?
({0})
Der für heute typische Fall ist, daß jemand einem Mädchen oder einer Frau auf einer Veranstaltung sagt: Ich bringe dich nach Hause. Sie ist damit einverstanden. Dann fährt er nicht direkt nach Hause, sondern etwas in einen Seitenweg hinein oder auf einen Parkplatz, und dann möchte er gern ein Schäferstündchen. Meine Damen und Herren, es soll vorkommen, daß die Frauen damit auch durchaus einverstanden sind.
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Aber jetzt soll, wenn sie noch nicht einmal sagt, daß sie damit nicht einverstanden ist, wenn sie nicht zu erkennen gibt, daß sie nicht will, doch die Strafbarkeit bestehen.
Deswegen sind wir der Auffassung, daß wir, da der Schutz der Frauen vor unliebsamen Sexualhandlungen tatsächlich auch sonst ausreichend gegeben ist, auf die wirklich überflüssige Bestim12790
mung mit dieser „Sexfalle", die für die Frau wahrscheinlich gar keine Sexfalle in dem Sinne zu sein braucht, verzichten sollten. Der Schutz der Frauen wird dadurch nicht beeinträchtigt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir kommt die eigentlich etwas undankbare Aufgabe zu, zu diesem Antrag der FDP-Fraktion zu sprechen und sogar, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, seine Ablehnung zu beantragen.
Ich räume Ihnen ein, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, daß § 237 in unseren Ausschußberatungen eine leidvolle Geschichte hinter sich gebracht hat. Dieser Paragraph hat uns einige Zeit beschäftigt, wobei mehrmals abgestimmt wurde, teilweise auch mit sich gegenseitig sehr widersprechenden Abstimmungsergebnissen.
Wenn man diesem Paragraphen mit juristischer Gründlichkeit beigeht - wozu heute die Zeit beim besten Willen nicht mehr reicht -, dann müßte man doch kurz folgende Punkte ansprechen. Einmal ist richtig, daß dieser Paragraph einen Sonderfall der Freiheitsberaubung umfaßt. Zum zweiten muß man wohl von Ihrer Seite, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, einräumen; daß dieser Paragraph zumindest insofern eine Verbesserung beinhaltet - sofern man überhaupt ja zu ihm sagen will -, als die Strafandrohung insgesamt erheblich im günstigen Sinne geändert worden ist.
Zum dritten muß ich auf Ihre Behauptung zu sprechen kommen und die Frage prüfen, ob tatsächlich alle Fälle, die in diesem Lebensbereich denkbar sind, durch andere Straftatbestände abgedeckt sind. Sie sagen, es sei der Fall: einmal gebe es den Tatbestand der Freiheitsberaubung, zum anderen gebe es den Tatbestand der Notzucht, der versuchten Notzucht, der Nötigung, der versuchten Nötigung, der Körperverletzung.
Das ist alles richtig. Gleichwohl kann man sich aber in praxi vorstellen, daß noch ein letzter Rest übrigbleibt, der strafrechtlich anderweitig nicht abgedeckt ist, wenn wir diese Vorschrift streichen. Denken wir an den Fall, daß ein junges Mädchen in durchaus „honoriger Weise" - ein Modewort unter Bürgern - die Einladung eines jungen Mannes annimmt, sie nach dem Theater nach Hause zu fahren. Der junge Mann fährt .sie aber nicht nach Hause; er fährt einen riesigen, großen Umweg in eine Gegend, die kilometerweit von irgendeiner menschlichen Ansiedlung entfernt ist, sagen wir: mitten in den Wald.
Das Mädchen weiß, daß Schreien und Sich-Wehren gegen einen - entschuldigen Sie, wenn ich das sage - Zweizentnermann wenig Sinn hat. Wiren ja etwas Dynamik in diesen Fall hineinbringen. Das Mädchen erkennt nach längerem Hin und Her, daß seine Lage tatsächlich völlig hilflos ist.
Nun bitte ich Sie: denken Sie sich einmal in einen solchen Fall hinein,
({0})
sofern Ihre Vorstellungskraft in dieser Richtung ausreicht!
({1})
Es ist möglich, daß in einer solchen Situation eine Frau so hilflos ist, daß sie letztlich sagt: Es hat ja keinen Sinn, mich zu wehren, es hört mich niemand, und Widerstand ist gegen diesen Mann ohnehin völlig hoffnungslos, also ergebe ich mich.
({2})
Das ist die letzte Quintessenz, die hier noch übrigbleibt.
Aus diesen Erwägungen heraus haben wir uns
- ich sage ausdrücklich: nach einer leidvollen Beratungsgeschichte in diesem Fall; insbesondere deshalb, weil unser sehr verehrter Freund Dr. Adolf Arndt uns mit diesem Fall immerhin einige Zeit, wie ich meine: sogar aus guten Gründen, beschäftigt hat - dahin durchgerungen, daß die Mehrheit des Ausschusses, die, wie Sie ja wissen, sehr wechselnd war, letztlich doch für diese Strafvorschrift war.
({3})
- Das mag möglich sein; aber da ist man ja nicht immer dabei.
Aus diesen Gründen beantrage ich namens der Koalitionsfraktion die Ablehnung des Antrags der Freien Demokraten.
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Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Es steht der Antrag der Fraktion der Freien Demokraten Umdruck 645 Ziffer 10 zur Abstimmung. Kann ich über die Ziffer 10 als Ganzes abstimmen lassen?
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- Auch noch über jeden Paragraphen einzeln? Ich hätte sonst über die beiden Änderungsanträge und dann über die Ziffer 63 abstimmen lassen.
Schließt sich das Haus der Meinung der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus an? - Dann machen wir es so und diskutieren nicht lange.
Wer der Ausschußfassung des § 235 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Angenommen.
Wer der Ausschußfassung des § 236 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Angenommen.
Zu § 237 liegt ein Antrag auf Streichung vor. Darüber kann ich nicht abstimmen lassen. Deshalb
Vizepräsident Dr. Jaeger
stimme ich über § 237 selbst ab; wer für die Streichung ist, stimmt eben dagegen. Wer § 237 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Enthaltungen? - Es ist im Sinne des Ausschusses beschlossen.
Nun kommt § 238. Hier muß ich über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP abstimmen lassen.
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- Ist erledigt. Dann brauchen wir nur noch über § 238 in der Ausschußfassung abstimmen zu lassen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Damit haben wir nun über Nr. 63 im ganzen abzustimmen. Die Ausschußfassung ist nicht verändert. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen rechts verabschiedet.
({2})
Ich rufe die Nr. 64 bis 98 auf. Wird das Wort zu einer der Bestimmungen gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich komme damit zur Abstimmung über den gesamten Art. 1 in der Ausschußfassung mit den Änderungen, die soeben beschlossen worden sind. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Art. 2 bis 8 auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Dritten Abschnitt auf, und zwar zunächst Art. 9. Ein Änderungsantrag ist erst zu Nr. 5 gestellt.
({3})
Ich rufe also die Nr. 1 bis 4 auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme nunmehr zu Nr. 5 mit dem Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 645 Nr. 11. Das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
({4})
- Sie können doch der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus nicht das Wort entziehen oder verwehren!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben vorhin
unsere Auffasung gehört, daß wir die Nr. 2 und 3 des neugefaßten § 175 Abs. 1 nicht für richtig erachten. Aber der Antrag Umdruck 645 Nr. 11 zu Art. 9 Nr. 5 ist damit nicht erledigt. Sie wollen, daß in § 112 Abs. 3 der Strafprozeßordnung, der die Wiederholungsgefahr als Haftgrund enthält, also die schon an sich fragwürdige Bestimmung, die als Vorspann für die Vorbeugehaft dient, jetzt ausgerechnet noch der sehr bestrittene Tatbestand des § 175 Abs. 1 Nr. 2 und 3 - allerdings nicht Nr. 1 - aufgenommen wird. Auch wenn Sie an der Strafbestimmung als solcher festhalten wollen, sollten Sie sich überlegen, ob in diesem Falle noch eine weitere Vorbeugungshaft, eine Sicherungshaft, eine Ausweitung der Untersuchungshaft erforderlich ist. Wir halten das für mehr als fraglich.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz kurz. Es handelt sich weder um Vorbeugehaft, noch um Vorbeugungshaft, noch um Sicherungshaft - es ist schon bedauerlich, daß man so mit den Vokabeln um sich wirft -, sondern es handelt sich um einen längst im Gesetz, nämlich in § 112 StPO, stehenden Fall des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr - um nichts anderes - und um eine technische Anpassung an dieser Stelle an die Änderung des materiellen Rechts. Über das materielle Recht sollte man, darf man an dieser Stelle gar nicht streiten. Ich bite Sie, einem völlig technischen Vorgang, der sich an dieser Stelle vollzieht, ohne weitere Diskussion zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der Freien Demokraten Umdruck 645 Nr. 11. Wer dieser Streichung des Zitats zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen damit zu der Nr. 5 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Nrn. 6 his 24 auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Nummern zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ohne Gegenstimmen so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Art. 9 im ganzen auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Artikel 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42 und 43 auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Artikeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig beschlossen.
Wir kommen nun zu Art. 44. Dazu liegt ein Änderungsantrag Umdruck 642 *) Ziffer 1 vor. Zur Begründung der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier handelt es sich praktisch um eine Technik, die Ihnen den Abstimmungsvorgang erleichtern soll. Das Beurkundungsgesetz ist bisher noch nicht verabschiedet worden. Als wir unseren Bericht fertigten, nahmen wir an, daß das Beurkundungsgesetz bis zur Lesung des 1. und 2. Strafrechtsreformgesetzes verabschiedet sein werde. Das ist nicht der Fall. Deshalb müssen wir so beschließen, wie mit Umdruck 642 beantragt wird. Kriminalpolitisch oder politisch steckt also in diesem Antrag nicht das Geringste.
Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dem Streichungsantrag kann ich nur in der Form entsprechen, daß ich über den Artikel selbst abstimmen lasse. Wer dem Art. 44 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die große Mehrheit; der Art. 44 ist gestrichen.
Ich rufe die Art. 45, 46, 47, 48 und 49 auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall: Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu Art. 50. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 642 Ziffer 2 vor. - Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier gilt genau dasselbe wie bezüglich des Antrags, den Art. 44 zu streichen. Das ist reine Technik.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Hier geht es nur um die Streichung einer einzigen Nummer. Wer der Streichung der Nr. 3 des Art. 50 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit so beschlossen.
Wer dem Art. 50 in der Ausschußfassung minus der soeben gestrichenen Nr. 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Art. 51, 52, 53, 54, 55, 56 - dazu die Bemerkung, daß die Überschrift nicht „Gesetz über den unlauteren Wettbewerb", sondern „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb" heißt -, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86,
*) Siehe Anlage 8
87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100 und 101. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu dem Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Güde, Dr. Müller-Emmert und Genossen - Umdruck 650 -*) auf Einfügung eines Art. 101 a. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Milller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist bei den Ausschußberatungen vergessen worden - was bei der Fülle des Stoffes einmal geschehen kann -, eine Einschränkung eines Grundrechts - wie sie in dem beantragten Art. 101 a vorgesehen wird - im Gesetz festzulegen. Es geht darum, daß wir auch das Jugendgerichtsgesetz geändert haben und daß im Rahmen der Jugendgerichtshilfe und auch dann, wenn ein jugendlicher Verurteilter einen Bewährungshelfer bekommen hat, der Bewährungshelfer die Wohnung des Jugendlichen aufsuchen darf. Dies setzt aber, vom Grundgesetz her gesehen, voraus, daß die Einschränkung des Grundrechts des Art. 13 Abs. 1 GG besonders festgelegt sein muß. Deshalb dieser Antrag.
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem soeben begründeten Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe? - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Art. 102, 103, 104, 105. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Artikeln zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen!
Art. 106! Hierzu liegen eine ganze Reihe von Änderungsanträgen vor: Umdrucke 643 Ziffer 3, 645 Ziffer 12, 648 **), 649 Ziffer 2. Ich gehe nummernweise vor, komme also zuerst zur Nr. 1 und damit zu Umdruck 643, Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Güde, Dr. Müller-Emmert und Genossen. Zur Begründung der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Frage hat schon im Laufe unserer Beratungen eine Rolle gespielt. Eine Begründung des Änderungsantrages ist nicht notwendig. Es geht nur darum, daß in den genannten Paragraphen anstatt der Worte „Bewährung der Rechtsordnung" die Worte „Verteidigung der Rechtsordnung" eingesetzt werden.
Nur zur Sicherheit darf ich auf einen Fehler hinweisen. Es muß unter Ziffer 3 b) heißen: „in § 27 b Abs. 1". Der Buchstabe b ist vergessen worden.
*) Siehe Anlage 9 **) Siehe Anlage 10
Wird hierzu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Die Berichtigung ist zur Kenntnis genommen.
Kann über a) und b) zusammen abgestimmt werden? Ich nehme das an.
({0})
Wer dem soeben begründeten Änderungsantrag Umdruck 643 Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen angenommen.
Änderungsantrag Umdruck 645 Ziffer 12 der Fraktion der FDP. Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus!
Herr Präsident, dieser Antrag ist erledigt. Die Streichung des § 166 ist abgelehnt worden.
Änderungsantrag Umdruck 648, ebenfalls ein Antrag der Fraktion der FDP.
({0})
- Der ganze Antrag ist erledigt.
Änderungsantrag Umdruck 649 des Abgeordneten Köppler.
({1})
- Nein, das muß hier noch einmal gemacht werden: Ziffer. 2. Muß darüber noch einmal diskutiert werden? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag des Abgeordneten Köppler - wir hatten vorhin eine lange Diskussion darüber - in Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Es liegen, glaube ich, zu Nr. 1 überhaupt keine Änderungsanträge mehr vor. Ich kann also jetzt über Nr. 1 in der Ausschußfassung mit den beschlossenen Änderungen abstimmen lassen.
({2})
- Der ist erledigt, wird mir gerade gesagt, Herr Dr. Müller-Emmert.
Es bleibt bei Nr. 1 der Ausschußfassung mit beschlossenen Änderungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Nr. 2, Ausschußfassung mit beschlossenen Änderungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Nm. 3, 4 und 5; hier sind keine Änderungen beantragt. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Damit kommt Art. 106 als Ganzes. Wer der Ausschußfassung mit den beschlossenen Änderungen
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir haben noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wird das Wort begehrt? - Das ist nicht der Fall. Wer Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Damit, meine Damen und Herren, fahren wir in dem zuerst behandelten Zweiten Strafreformgesetz fort, und zwar im Besonderen Teil. Hier liegen - es ist Seite 77 der Vorlage V/4095 - zu den Nummern 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13 keine Änderungsanträge vor. Wird das Wort begehrt? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig beschlossen.
Damit kommen wir zu Nr. 14. Hierzu liegt der Umdruck 646 Ziffer II vor. Wer wünscht den Antrag zu begründen? - Das Wort hat Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dieser späten Stunde werde ich mich sehr kurz fassen, kürzer, als es diese Materie eigentlich verdient.
Zu den Maßregeln, die jetzt neu eingeführt werden, gehört auch die sogenannte Führungsaufsicht. Was hat es damit auf sich? Ein Verurteilter, ein Häftling, der entlassen wird, steht heute vielfach ohne eine entsprechende Stütze da, ohne einen Helfer, der ihm dabei zur Seite steht - lassen Sie es mich einmal so sagen -, ein rechtschaffenes Leben zu führen. In dieser Hinsicht geben andere Länder gute Beispiele. Ein Helfer, der dem entlassenen Häftling zur Seite steht - wie wir das ja auch bei den Bewährungshelfern bei der Aussetzung zur Bewährung haben -, kann außerordentlich gute Dienste leisten.
Ich war deshalb zunächst für ein derartiges Institut. Aber in der Art, wie die Führungsaufsicht nachher ausgestaltet wurde, steckt viel zu viel von dem, was wir ablehnen und was bleiben soll, nämlich von der Polizeiaufsicht. Aus dem § 68 b, auch in der Drucksache V/4095, können Sie sehen, welche verschiedenartigen Weisungen gegebenenfalls einem entlassenen Häftling erteilt werden können, der nach der Verbüßung seiner Strafe wieder in Freiheit leben soll. Es sind eingehende Bestimmungen über seine persönliche Lebensgestaltung möglich. Über den Katalog als solchen kann man schon streiten; ich möchte das jetzt nicht tun.
Nach der Nr. 14 soll jemand, der unter Führungsaufsicht steht, gegebenenfals mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden können, und zwar nicht, wenn er irgend etwas Kriminelles in dieser Zeit tut, in der er unter Führungsaufsicht steht; es ist selbstverständlich, daß er dann wegen dieser kriminellen Tat bestraft wird. Aber hier geht
es darum, daß der Betreffende den Weisungen zuwiderhandelt, z. B. wenn er sich zu bestimmten Zeiten nicht meldet oder wenn er, obwohl es ihm verboten ist, ein Kraftfahrzeug hält oder wenn er mit bestimmten Personen doch immer wieder Umgang hat, obwohl er das nicht soll, alles also keine kriminellen Taten, sondern reine Ungehorsamsdelikte.
Wenn man schon so weit geht, so weitgehende Weisungen in dieser Möglichkeit zuzulassen, dann sollte man aber, wenn einer gegen diese Weisungen verstößt, nicht ausgerechnet jetzt, nachdem wir doch unser sonstiges Strafgesetzbuch entkriminalisieren und entpönalisieren wollen - hier handelt es sich nicht um kriminelles Unrecht, sondern um eine reine Ungehorsamkeit gegen Weisungen - nicht mit einem derartigen Hammer wie hier, mit der Strafbestimmung des § 145 a kommen.
Wir halten deshalb eine derartige Strafbestimmung für im Gegensatz stehend zu den Grundsätzen, die wir sonst bei. der Ausarbeitung unserer Reformvorschläge hatten. Deswegen beantragen wir insofern, die Nr. 14 zu streichen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, Sie räumen 'ein, daß die Führungsaufsicht notwendig ist; denn sonst hätten Sie einen Änderungsantrag gestellt. Das haben Sie bisher nicht getan. Infolgedessen müssen Sie von dem Institut der Führungsaufsicht ausgehen. - Bitte sehr!
Herr Kollege Müller-Emmert, wenn wir uns im Stellen von Anträgen bei Regelungen, die wir nicht für richtig erachten, zurückgehalten haben, dann sollten Sie uns doch eigentlich dankbar sein. Meine ablehnende Haltung bezüglich der Führungsaufsicht in dieser Hinsicht kennen Sie ja noch. Ich werde sie auch in der dritten Lesung entsprechend zum Ausdruck bringen.
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, ich habe zur Kenntnis genommen, daß Sie keinen Änderungsantrag gestellt haben. Das Institut der Führungsaufsicht ist in dem Gesetzentwurf bisher beschlossen worden. Davon müssen wir ausgehen und unsere Konsequenzen ziehen; wir müssen auch die entsprechende Argumentation zur Verfügung haben.
Wenn wir ja sagen zur Führungsaufsicht - die im übrigen die beiden Koalitionsfraktionen für in jeder Weise kriminalpolitisch richtig ansehen, da sie diejenigen Tätergruppen trifft, bei denen die Gefahr besteht, daß sie, nachdem sie schon erhebliche strafbare Handlungen begangen haben, weitere strafbare Handlungen begehen werden -, muß auch dafür Sorge getragen werden, daß diese Führungsaufsicht entsprechend ausgefüllt wird. Dies geht in der
Weise, daß eine Aufsichtsstelle und Bewährungshilfe dem Verurteilten helfend und betreuend zur Seite stehen und das Verhalten des Verurteilten überwachen und darüber hinaus die Erfüllung von Weisungen kontrollieren.
Damit ist festgelegt, daß der Verurteilte in seiner Lebensführung kontrolliert werden kann. Das erachten wir bei solchen Tätergruppen durchaus als richtig, die schon durch ihre Vorstrafen bewiesen haben, daß sie eine Gefahr für die Öffentlichkeit werden können. Damit haben wir zwei Zwecke erreicht: den einen Zweck, daß die Resozialisierung tunlichst bei diesen Gruppen auch noch vorangetrieben werden kann, soweit dies möglich ist. Darüber hinaus wird im gleichen Zusammenhang eine Art vorbeugende Verbrechensbekämpfung betrieben, indem wir diese Gruppen unter Kontrolle haben und ihnen, mit Verlaub gesagt, auf die Finger schauen.
Die Weisungen, die im § 68 b vorgesehen sind, sind die, daß diesem Verurteilten gesagt werden kann, wo er Wohnung nehmen muß, daß ihm verboten werden kann, an bestimmte Orte zu gehen und sich dort aufzuhalten, wo er früher einmal strafbare Handlungen begangen hat; denken Sie an den Kindergarten und an Kinderspielplätze bei Sittlichkeitsverbrechern. Darüber hinaus wird ihm auch der Verkehr mit gewissen Personen, mit denen er von früher her bekannt ist und mit denen er auch schon strafbare Handlungen begangen hat, verboten, und es wird ihm auferlegt, bestimmte Tätigkeiten auszuüben, beispielsweise wenn er erwerbslos ist, das Arbeitsamt aufzusuchen und dort wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen, und ähnliches in dieser Weise.
Wenn aber die Aufsichtsstelle, der Bewährungsheifer und das Gericht zusammen diese Weisungen erteilen bzw. dafür sorgen, daß die Weisungen durchgeführt werden, hat dies keinen Sinn, wenn man keine Strafsanktionen hinten daransetzt. Denn: hat man keine Strafsanktionen, dann bleibt nur die Kontrollmöglichkeit. Derjenige, der unter Kontrolle steht, kann alle möglichen Entschuldigungen finden. Er kann aber nicht mit Nachdruck dahin geführt werden, daß er auch ein vernünftiges und richtiges Leben führt.
Aus diesen Gründen muß man zwangsläufig zu einer Strafandrohung kommen. In diesem Fall betrifft § 145 d eine Art Ungehorsam; das ist gar keine Frage. Ich glaube, er ist auch mit Recht in dieser Weise ausgestaltet worden.
Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß § 145 d ein Strafantragsdelikt betrifft, wobei nur die Aufsichtsstelle strafantragsberechtigt ist. Damit haben wir eine weitere Kontrolle eingebaut. Wenn sich der Betroffene nicht richtig verhält, die Weisungen nicht erfüllt, kann ihm die Aufsichtsstelle entsprechend Bescheid sagen, kann ihn verwarnen und kann sagen: Eigentlich könnte ich Strafantrag gegen dich stellen; ich nehme aber aus gewissen erzieherischen Gründen davon Abstand; reiß' dich bitte zusammen, tue das nicht mehr. Dadurch wird mit Sicherheit ein weiterer erzieherischer Effekt erreicht. Das können Sie füglich nicht bestreiten.
Aus diesen Erwägungen - es wäre noch mehr zu sagen, aber die Zeit rückt voran - beantragen die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD die Ablehnung des Antrags der FDP.
Wird hierzu weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dem Streichungsantrag zu Nr. 14 wird dadurch entsprochen, daß hier über Nr. 14 abgestimmt wird.
Wer der Nr. 14 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit angenommen!
Ich rufe die Nrn. 15, 16, 17 und 18 auf. - Das Wort wird nicht begehrt. Wer den aufgerufenen Nummern in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Nr. 19 und dem Änderungsantrag der Freien Demokraten auf Umdruck 646 Ziffer III.
Zur Begründung, bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 184 c hat im wesentlichen zum Inhalt, daß, wenn durch Polizeiverordnung gewisse Sperrbezirke für Dirnen eingerichtet worden sind, ein Verstoß gegen diese Polizeiverordnung mit einer kriminellen Strafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe geahndet werden kann. Wir halten die Maßnahme, die hier vorgeschlagen wird, für eine systemwidrige Maßnahme, weil wir der Auffassung sind, daß das durch das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten und nicht durch eine Kriminalstrafe geahndet werden sollte, zumal hier Verwaltungsanordnungen oder Rechtsverordnungen der Verwaltungen zuwidergehandelt würde. Ich glaube, daß die im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vorgesehenen Maßnahmen die richtige Antwort auf einen solchen Verstoß wären. Wir bitten daher, diesen Paragraphen zu streichen und in das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten eine entsprechende Bestimmung einzufügen.
Wird hierzu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Kübler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Antrag geht es darum, daß diejenigen Fälle erfaßt werden sollen, in denen Täter bzw. Täterinnen in Gemeinden oder in Sperrbezirken, in denen die gewerbsmäßige Unzucht nicht gestattet ist - das ist, wie Sie richtig sagten, in unseren Gemeinden fast überall von den Gemeinderäten ordentlich und sauber durch Ortsgesetz festgelegt -, ihre Tat beharrlich wiederholen, obwohl sie bereits mit Ordnungsstrafen belegt worden sind. Diese Vorschrift soll also nur den Wiederholungstäter treffen. Das steht ganz deutlich in dem Entwurf. Der einmalige Verstoß gegen die Sperrbezirksverordnung wird also fortan als Ordnungswidrigkeit behandelt.
Die Verfolgung der Wiederholungstaten mit kriminalstrafrechtlichen Mitteln ist nach unserer Meinung und auch nach Meinung des Ausschusses gerechtfertigt. Wer die Belästigungen erlebt hat, denen die Bürger in ausufernden Dirnenbezirken ständig ausgesetzt sind, wird die härtere Maßnahme befürworten müssen. Es geht in diesem Fall nicht darum, Moralanschauungen zu schützen, sondern es geht um das Recht der Bürger auf eine ungestörte Nachtruhe. Es geht aber auch um den Schutz der Frauen, denen nicht zugemutet werden kann, ständig mit eindeutigen und unzweifelhaften Angeboten konfrontiert zu werden, wenn sie sich abends irgendwo auf einer normalen Stadtstraße befinden. Unsere Frauen und Mädchen müssen das Recht haben, abends ohne Furcht vor Verwechslung auch allein einen Schaufensterbummel machen zu können.
Wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Die Fraktion der Freien Demokraten hat in Umdruck 646 Ziffer III beantragt, in der Nr. 19 der Ausschußvorlage den § 184 c zu streichen. Wer aus der Nr. 19 den § 184 c streichen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit abgelehnt.
Damit lasse ich über Nr. 19 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit angenommen.
Nunmehr rufe ich auf die Nrn. 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29. - Wer den aufgerufenen Nummern zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Es ist so beschlossen.
Zu Nr. 30 hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatterin hatte ich heute morgen angekündigt, daß ich zu der Nr. 30, Wegfall der Übertretungen, noch zusätzlich zu meinem Schriftlichen Bericht mündlich Stellung nehmen wollte. Bei dieser vorgerückten Stunde sind Sie wahrscheinlich einverstanden, wenn ich Sie jetzt insofern auf die schriftliche Begründung verweise, die gerade dieses Problem und die Frage, wie die Fälle gelöst werden sollen, sehr ausführlich behandelt.
({0})
Ich danke der Frau Berichterstatterin. Das Wort wird nicht weiter gewünscht.
Wer der Nr. 30 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wer nunmehr dem Art. 1 im Ganzen mit den im Laufe des Tages beschlossenen Änderungen zuzu12796
Vizepräsident Dr. Jaeger
stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die Artikel 2, 3, 4, 5, 6, 7, Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht begehrt. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Damit ist die Beratung der beiden Strafrechtsreformgesetze in zweiter Lesung nach zehn Stunden beendet.
({0})
Ich rufe nunmehr noch die Punkte 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11 und 12 der Tagesordnung auf:
4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Oktober 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit
- Drucksache V/4124 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Sozialpolitik ({1}), Auswärtiger Ausschuß
5. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Oktober 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Arbeitslosenversicherung - Drucksache V/4149 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit ({2}), Auswärtiger Ausschuß
6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ({3}) - Drucksache V/4125 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
7. a) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 1 des Grundgesetzes
- Drucksache V/3886 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hofmann ({4}), Leicht, Dr. Burgbacher, Dr. Wuermeling, Dr. Klepsch und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes
- Drucksache V/3902 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Anderung des Mühlengesetzes Drucksache V/4115 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5}), Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen
9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes
- Drucksache V/4117 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Häftlingshilfegesetzes ({6})
- Drucksache V/4147 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden ({7}), Rechtsausschuß, Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes
- Drucksache V/4148 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden, Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
12. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache V/4138
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({8}), Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Wird das Wort zu den aufgerufenen Punkten gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ist das Haus mit den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrates einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Dann rufe ich Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Busse ({9}) Dr. Hauser ({10}) Dr. Reischl und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften
- Drucksache V/4146 Vizepräsident Dr. Jaeger
Unter der Drucksache steht der Name „Dr. Arndt ({11})". Das ist eine Verwechslung ; es handelt sich nicht um den Abgeordneten Dr. Arndt ({12}), sondern um den Abgeordneten Dr. Arndt ({13}). Ich bitte das zu Protokoll zu nehmen und die Drucksache entsprechend zu berichtigen.
Wird zur Sache das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich schlage Überweisung an den Rechtsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist zu beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 8. Mai 1969, 14 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.