Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß eine solche Personalentscheidung auch angesichts anderer dringlicher Tagesordnungspunkte möglich sein müßte, weil sonst die Arbeitsfähigkeit dieses Gremiums erheblich beeinträchtigt wird? Denn sicherlich werden auch die künftigen Tagesordnungen der Kabinettssitzungen mit wichtigen Punkten angefüllt sein.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Diese Personalentscheidung konnte nicht schnell und nur nach einfacher Diskussion gefällt werden, weil zu erwarten ist, daß selbstverständlich auch der jetzt gerade in Ihrer Hand befindliche Artikel in der „Zeit" dabei besprochen werden würde. Dies erfordert eine längere, eingehende Berichterstattung.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Genscher.
Können Sie mir sagen, Herr Staatssekretär, wie ein am 25. April 1969 in der „Zeit" erscheinender Artikel die Beschlußfassung der Bundesregierung im März und in der ersten Hälfte des April aufhalten konnte?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es ist bekannt, daß die Vakanz im Sachverständigenrat durch den Rücktritt eines seiner Mitglieder, nämlich von Herrn Professor Dr. Stützel, eingetreten ist. Weiter ist bekannt, daß Herr Professor Stützel eine Korrespondenz mit dem Bundespräsidenten geführt hat, die auch dem Bundesminister für Wirtschaft seit einigen Wochen vorliegt. Das hätte selbstverständlich in die Berichterstattung einbezogen werden müssen.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung die Vorwürfe von Professor Stützel bestätigen, die er in den folgenden Worten zusammengefaßt hat: „Der Sachverständigenrat hat während meiner Zugehörigkeit im Sommer 1968 rechtswidrige Beschlüsse über den zulässigen Inhalt von Minderheitsvoten gefaßt und rechtswidrig Sitzungen ohne Ladung der Minderheit veranstaltet."
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das kann die Bundesregierung deshalb nicht bestätigen, weil sie keine Untersuchung in dieser Richtung geführt hat und auch keinen Beschluß gefaßt hat, eine Untersuchung zu führen. Es ist sogar zweifelhaft, ob sie
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
F nach dem Gesetz über den Sachverständigenrat eine solche Untersuchung führen könnte. Aber selbst wenn das alles mit Ja beantwortet werden würde, ist es fraglich, ob eine derartige Untersuchung ratsam wäre. Es ist lediglich zu fragen, ob die Geschäftsordnung des Sachverständigenrates - dieses Dokument soll es geben - im Einklang mit dem Gesetz über den Sachverständigenrat steht.
Präsident von Hassel: Zu einer vierten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Genscher.
Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß auch sie eine Verantwortung dafür trägt, daß Unklarheiten, wie sie sich aus dem Vorwurf von Professor Stützel ergeben, beseitigt werden, um Schaden vom Ansehen dieses wichtigen Gremiums abzuwenden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Genscher, das kann ich hier für den Bundesminister für Wirtschaft allein, dem der Sachverständigenrat nach dem Gesetz ja nicht zugeordnet ist, nicht beantworten, sondern das kann die Bundesregierung sicherlich nur nach einer gründlichen Diskussion sagen. Die Bundesregierung hat sich damit noch nicht beschäftigen können.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Spitzmüller.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dafür Sorge zu tragen, daß sich das Bundeskabinett, wenn irgend möglich, baldigst mit dieser Frage befaßt?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Bereit ist jedes einzelne Mitglied des Bundeskabinetts gewesen. Aber Sie werden mir vielleicht zustimmen können, Herr Kollege, daß ein derartiger Fragenkomplex nach Mitternacht und nach vorhergehenden schwierigen Beratungen und Entscheidungen zur Beratung nicht sehr geeignet ist.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Spitzmüller.
Ist nach diesen Ihren Ausführungen zu erwarten, daß sich das Bundeskabinett vielleicht im Laufe des Monats Mai mit dieser Frage befassen wird?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es stand zweimal auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts, nur konnte die Tagesordnung nicht bis zu dem Punkt abgewickelt werden. Es kommt automatisch auf die Tagesordnung der nächsten Kabinettssitzung.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 124 ist vom Fragesteller Dr. Apel zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 119 des Abgeordneten Fritsch ({0}) auf:
Wann ist mit einer Entscheidung über den Antrag der Deutschen Zündwaren-Monopolgesellschaft auf Erhöhung der Zündwarenpreise zu rechnen?
Herr Staatssekretär zur Beantwortung!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Fritsch, die Bundesregierung sieht sich noch nicht in der Lage, einen Termin für die Preiserhöhung oder für eine Entscheidung über einen Erhöhungsantrag der Deutschen Zündwaren-Monopolgesellschaft zu nennen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, mit welcher Erhöhung müßte gegebenenfalls gerechnet werden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es besteht nicht einmal über das qualitative Problem Einigkeit, ob bei diesem Monopolprodukt überhaupt eine Preiserhöhung angebracht ist.
Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, würde sich die Bundesregierung von einer fiskalischen Maßnahme in Form einer Erhöhung der Zündwarenpreise eine Verbesserung der Strukturverhältnisse der deutschen Zündwarenhersteller versprechen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Prüfungen des Bundesministers für Wirtschaft gaben keinen Anhaltspunkt, daß das zu erhoffen wäre.
Präsident von Hassel: Wir schließen den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Aufwärtigen Amts auf, zunächst Frage 74 des Abgeordneten Dr. Pohle:
Welche Initiative beabsichtigt die Bundesregierung in Abstimmung mit den Ländern hinsichtlich der Gründung einer europäischen Universität im Sinne von Artikel 9 Abs. 2 des Euratom-Vertrages zu ergreifen, nachdem die in den Jahren 1959, 1961 und 1963 unternommenen Ansätze keinen Erfolg hatten, die Arbeiten zur Gründung einer solchen Anstalt im Jahre 1965 offiziell unterbrochen worden sind und auch die Gründung einer europäischen Anstalt für Kernwissenschaft und Kerntechnik bis heute nicht zustande gekommen ist?
Zur Beantwortung der Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Kollege Dr. Pohle, vielleicht darf ich auf die drei Fragen zusammen antworten, weil sie zusammen gehören.
Präsident von Hassel: Einverstanden? Dr Pohle ({0}) : Einverstanden.
Präsident von Hassel: Dann rufe ich auch noch die Fragen 75 und 76 des Abgeordneten Dr. Pohle auf:
Sieht die Bundesregierung nach der außenpolitischen Entwicklung der jüngsten Zeit den Partnern des Euratom-Vertrages gegenüber auch unter Berücksichtigung dessen, daß die Bemühungen um die Gründung einer europäischen Universität in Italien bisher keinen Erfolg hatten, eine Chance für den Vorschlag, eine solche Universität auf deutschem Boden zu gründen?
Welche anderweitigen Möglichkeiten schweben der Bundesregierung vor, die gemeinsamen Bemühungen der Partner des Euratom-Vertrages um die Verstärkung der Ausbildung auf Hochschulebene - der unerläßlichen Grundlage des Fortschritts in Wissenschaft und Technik und jeder allgemeinen kulturellen Entwicklung in Europa überhaupt - zu intensivieren und zum Erfolg zu führen?
Herr Abgeordneter, zu Ihrer ersten Frage möchte ich sagen, daß die Bundesregierung heute wie früher bereit ist, an der Verwirklichung des Projekts einer europäischen Universität mitzuwirken. Sie hat jedoch feststellen müssen, daß die Vorstellungen über Charakter und Funktion der zu gründenden Einrichtung bei den beteiligten Regierungen noch sehr verschieden sind und daß einzelne EWG-Partner dem Vorhaben reserviert gegenüberstehen. Die Bundesregierung ist bemüht, zur Überwindung der noch bestehenden Widerstände beizutragen.
Zu 2: Die Bundesregierung hielte es nicht für glücklich, die Initiative zur Gründung einer europäischen Universität auf deutschem Boden zu ergreifen, solange über das Schicksal der europäischen Universität in Florenz noch nicht entschieden ist.
Zu 3: Erfolgversprechende Ansätze für eine verstärkte Zusammenarbeit der Partner des Euratom-Vertrages im Bereich der Ausbildung sieht die Bundesregierung vor allem in den Arbeiten der EWG-Arbeitsgruppe des Ausschusses für mittelfristige Wirtschaftspolitik, jener Arbeitsgruppe, die unter dem Titel „Politik auf dem Gebiet der wissenschaftlichen und technischen Forschung" tätig ist. Diese Gruppe prüft unter anderem die Mittel für eine koordinierte Ausbildung und einen intensivierten Austausch von Wissenschaftlern. Die Prüfung dieser Frage ist noch nicht abgeschlossen.
Schließlich darf ich in diesem Zusammenhang das Projekt eines europäischen Instituts für Technologie erwähnen, an dem sich bei der Vorbereitung neben der Bundesrepublik Deutschland Großbritannien, Italien und die Niederlande beteiligen. In diesem Institut sollen Führungskräfte aus dem Bereich der Wissenschaft und Technik in den modernen Methoden des Forschungsmanagements ausgebildet und fortgebildet werden.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Pohle.
Herr Bundesminister, ist der Bundesregierung bekannt, welchen Sitz dieses Institut für Technologie bekommen soll und ob die Vorbereitungen dazu schon konkreter Art sind?
Über den Sitz ist noch keine Vorentscheidung gefallen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Pohle.
Für den Fall, daß es doch zu einer europäischen Universität auf deutschem Boden kommen sollte - Sie haben soeben gesagt, Herr Bundesminister, daß das noch nicht spruchreif sei -: Bestehen irgendwelche Vorstellungen über die Kostenaufteilung zwischen den einzelnen EWG-Staaten und der Euratom-Gemeinschaft?
Sicher ist über diese Frage in verschiedenen Gremien wiederholt gesprochen worden. Die Vorfragen sind aber erst noch zu klären, bevor man abschließend über die Kostenaufteilung wird verhandeln können.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Fragen 77 und 78 des Abgeordneten Lenders auf:
Sind der Bundesregierung die Vorgänge bekannt, die sich am 25. März 1969 in Düsseldorf im Messerestaurant auf einer Veranstaltung des „Königlichen Griechischen Generalkonsulates" abgespielt haben?
Ist ein griechischer Diplomat in der Bundesrepublik Deutschland noch tragbar, wenn er wie Dr. Michel Papageorgiou nach vorliegenden Presseberichten wörtlich gesagt hat, er wolle „griechische Panzer gegen renitente griechische Gastarbeiter in Deutschland" auffahren lassen, daß aber „die derzeitige politische Konstellation" dies leider nicht zulasse?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe die Frage 79 des Abgeordneten Peiter auf. Ist der Abgeordnete im Saal? Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 80 des Abgeordneten Kahn-Ackermann auf:
Trifft es zu, daß infolge von Etatkürzungen die sich augenblicklich in Frankreich durch die Universitätsreform bietende Möglichkeit, eine größere Zahl Lektoren des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an den französischen Universitäten unterzubringen, nicht genutzt werden kann?
Die Frage wird übernommen vom Abgeordneten Brück ({0}).
Herr Abgeordneter, mit der französischen Hochschulreform ist in der Tat der Bedarf an deutschen Lektoren in Frankreich gestiegen, da ihnen im Bereich der germanistischen Ausbildung vor allem der neu eingeführte Unterricht der Civilisation Allemande bezeichneten Deutschlandkunde zufällt. Zusätzliche Lektorate können vom DAAD jedoch nur in dem Maße besetzt werden, wie das französische Finanzministerium den französischen Universitäten neue
Lektorenstellen bewilligt. Für das Jahr 1969 rechnet man mit etwa 8 bis 10 solcher Stellengenehmigungen.
Leider wird die Besetzung der Lektorate zu Beginn des Hochschuljahres, d. h. im Oktober, durch die späte Bekanntgabe der neu bewilligten Stellen erst im Juli sehr erschwert. Auf deutscher Seite ist unter diesen Umständen eine genaue Haushaltsplanung kaum möglich. Auch sind die deutschen Kultusministerien verständlicherweis nicht bereit, Kandidaten, die bereits im Schuldienst stehen, so kurzfristig für eine Lektorentätigkeit zu beurlauben. Dennoch bemüht sich der DAAD um eine personen-und sachgerechte Besetzung der Lektorate.
Die Zahl der vom DAAD vermittelten deutschen Lektoren hat sich, seitdem ein Expertenausschuß der Deutsch-Französischen Rektorenkonferenz im September 1966 ein Lektorenstatut ausgearbeitet hat, auf 63 erhöht. Es trifft daher nicht zu, daß die Möglichkeit nicht genutzt werden kann, weitere DAAD-Lektoren an französischen Universitäten unterzubringen.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 81 des Abgeordneten Dr. Marx ({0}) auf:
Wie lautet die Stellungnahme zu dem nachfolgenden Redeteil des ägyptischen Präsidenten Nasser ({1})
. . in den vergangenen Monaten wurden gewaltige Versuche von außen unternommen, die Heimatfront zu beeinflussen. Hunderttausende von Flugblättern, im Ausland gedruckt, wurden an Ägypter geschickt ... Eine große Anzahl dieser Flugblätter wurde an uns hierher gesandt. Natürlich versuchten wir, die Quellen dieser Flugblätter ausfindig zu machen. Sie stammten aus Deutschland und gewissen europäischen Staaten . . ."?
Der Herr Bundesminister zur Beantwortung.
Herr Abgeordneter, ich möchte zum Sachverhalt folgendes klarstellen. Der Staatspräsident der Vereinigten Arabischen Republik hielt am 27. März 1969 zur Eröffnung des ägyptischen Nationalkongresses eine anderthalbstündige Rede, in der er einen Bericht über die Lage der Nation erstattete. Darin erwähnte der Staatspräsident, daß im Ausland, namentlich in Deutschland und anderen europäischen Ländern, Flugblätter gedruckt und von ägyptischen Gruppen nach der VAR verschickt würden. Der Vorwurf von Staatspräsident Nasser richtet sich also nicht gegen die Bundesregierung oder gegen irgendeine amtliche oder halbamtliche Institution in der Bundesrepublik. Es wäre auch gar nicht denkbar, daß sich eine solche Institution an der Herstellung und Versendung von Flugblättern, die gegen eine ausländische Regierung gerichtet sind, beteiligt hätte. Dies wäre eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Ob und von wem solche Flurblätter tatsächlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik gedruckt und in die VAR versandt worden sind, läßt sich nicht feststellen, da es in der Bundesrepublik ja weder eine Genehmigungspflicht für Druckerzeugnisse noch eine Postzensur gibt. Aus der Bemerkung von Präsident Nasser ist überdies zu schließen. daß Staatsbürger der Bundesrepublik mit dem Vorgang wahrscheinlich nichts zu tun haben.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Bundesaußenminister, sind Sie bereit, meine Frage so zu verstehen: ob die Bundesregierung sich bemühen kann, etwa durch Mithilfe der Organe des Innenministeriums ausfindig zu machen, wer illegale Flugblätter herstellt, nämlich Flugblätter, die weder eine Absender- noch eine Druckerangabe enthalten und in periodischen Abständen mit Poststempeln in Köln, Frankfurt und Aachen verschickt und in die Vereinigte Arabische Republik gebracht werden?
Unsere Möglichkeiten sind begrenzt, aber ich will gern mit dem Bundesinnenminister darüber sprechen, Herr Abgeordneter. Sie wissen, daß die Behörden der Bundesrepublik sich z. B. nur bis zu einem gewissen Grade mit dem vertraut machen können, was in Gemeinschaften ausländischer Studenten vor sich geht. Wir haben in der Bundesrepublik etwa 3000 Studenten aus arabischen Ländern, darunter etwa 600 aus der VAR. Ich kann nicht sagen, ob aus diesen Kreisen etwa solche oppositionelle Tätigkeit herzuleiten wäre. Die Möglichkeiten, das festzustellen, sind begrenzt. Aber es läge in unserem Interesse, klarzusteleln, daß wir so etwas bei uns nicht wünschen.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 82 des Abgeordneten Prochazka auf:
Gedenkt der Bundesaußenminister mit einer Vertiefung der Kontakte zu den Ostblockländern, wie er sie nach seiner Rückkehr von der NATO-Jubiläumstagung forderte, die im tschechoslowakischen Fall gescheiterten deutschen Bemühungen fortzusetzen?
Darf ich klären, ob alle drei Fragen zusammen beantwortet werden sollen. - Ich rufe auch die Fragen 83 und 84 des Abgeordneten Prochazka auf:
Erkennt der Bundesaußenminister an, daß die Politik der Sowjetunion in den Fragen der Anerkennung der „DDR", aller von den Sowjets nach dem Kriege gezogenen europäischen Grenzen und des besonderen Status von Berlin auch nach der Budapester Erklärung völlig unbeweglich geblieben ist und auf eine politische Kapitulation der Bundesrepublik Deutschland abzielt?
Wie erklärt sich der Bundesaußenminister den Gegensatz zwischen seinen eigenen Bemühungen und der Skepsis der Vertreter anderer NATO-Staaten gegenüber den sowjetischen Vorschlägen zur Einberufung einer Mammutkonferenz über Sicherheitsfragen in Europa?
Zu Ihrer ersten Frage, Herr Abgeordneter, möchte ich folgendes sagen.
Als ich am Ende der Woche nach Ostern aus Washington zurückkam, habe ich von den Bemühungen gesprochen, auf die sich and NATO-Partner geeinigt haben. Im übrigen bin ich nicht bereit, Herr Abgeordneter, Ihrer Prämisse zu folgen, unsere Bemühungen um bessere Beziehungen zu den Ländern Osteuropas seien im Falle der Tschechoslowakei als gescheitert zu betrachten. Unsere Beziehungen zur Tschechoslowakei haben sich in den letzten Jahren - und zwar auch nach dem 21. August - zwar langsam, aber kontinuierlich verbessert. Die Ereignisse der letzten Monate dürften die Legende von den
„bösen Westdeutschen" in unserem östlichen Nachbarland kaum glaubhafter gemacht haben.
({0})
Die Bundesregierung hat stets betont, daß bei der schwierigen Politik des Ausgleichs mit unseren östlichen Nachbarn mit langen Fristen, mit großen Widerständen - und auch mit Rückschlägen gerechnet werden muß. Dies ist aber für uns kein Grund, unsererseits zu resignieren oder in negative Positionen zurückzufallen.
Wir wissen, daß das Hauptziel unserer Ostpolitik die Verständigung mit der Sowjetunion sein muß. Daran hat sich auch nach den Ereignissen in der Tschechoslowakei nichts geändert. Ich weiß mich mit dem Bundeskanzler und auch mit den Fraktionen dieses Hauses darin einig, daß es keine vernünftige Aternative zu dieser Politik gibt und daß wir zielstrebig weiter daran arbeiten müssen, das zwischen uns und der Sowjetunion bestehende Mißtrauen abzubauen. Nur auf diese Weise können wir einer Erstarrung der Fronten entgegenwirken, die Kräfte des Fortschritts und der Vernunft stärken und die Möglichkeiten für unsere Politik des Ausgleichs verbessern.
Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Abgeordneter, will ich mich hier nicht auf eine neue Variante von Anerkennungsdiskussion einlassen.
({1})
Der Herr Abgeordnete muß sich damit begnügen, daß ich den Sinn und die Absicht seiner Fragen erkenne, was nicht bedeutet, daß ich sie anerkenne.
({2})
Die Bundesregierung hat weder behauptet noch erwartet, daß die Sowjetunion die Zielsetzung ihrer Politik in Mitteleuropa aufgegeben oder wesentlich geändert hat. Wir jagen keinen Illusionen nach. Die Sowjetunion beharrt auf ihren Positionen. Allerdings ist uns bedeutet worden, daß die in der Budapester Erklärung genannten Hauptvoraussetzungen im Zusammenhang mit deutschen Fragen nicht Vorbedingungen für das Zustandekommen einer europäischen Sicherheitskonferenz seien. Ich registriere dies, ohne mich deswegen auf die Bahn des Wunschdenkens zu begeben.
In der dritten Frage stützt sich der Abgeordnete offensichtlich auf unzutreffende Mitteilungen in einigen Zeitungen. Ich habe mich in Washington nicht im Gegensatz zu meinen Kollegen befunden. Auf der NATO-Ministerratstagung ergab sich ein sehr hoher Grad grundsätzlicher Übereinstimmung in der Beurteilung der Budapester Erklärung, auch wenn Nuancen, etwa in der Frage bilateraler Kontakte und ihrer Harmonisierung innerhalb der Gruppe der NATO-Partner, zu verzeichnen waren. Das Kommuniqué der NATO-Konferenz, das einstimmig angenommen wurde, erklärt hierzu - ich darf zitieren -:
Die Verbündeten beabsichtigen, in enger Konsultation untereinander bei der Sowjetunion
und den anderen Ländern Osteuropas herauszufinden, welche konkreten Probleme sich am ehesten für fruchtbare Verhandlungen und eine baldige Lösung eignen.
Ich möchte hier noch einmal die entscheidenden Punkte nennen, die bei der weiteren Prüfung des Budapester Vorschlags nach gemeinsamer Überzeugung der NATO-Partner berücksichtigt werden müssen:
1. An eine europäische Sicherheitskonferenz dürfen keinerlei Vorbedingungen geknüpft werden.
2. Eine solche Konferenz muß gründlich vorbereitet werden.
3. Unsere nordamerikanischen Bündnispartner müssen an einer solchen Konferenz als vollberechtigte Partner teilnehmen.
4. Es muß begründete Aussicht dafür bestehen, daß auf einer solchen Konferenz einige Fortschritte erzielt werden.
Ich halte es in Übereinstimmung mit den meisten meiner Kollegen für erforderlich, daß der Westen sich nicht in eine negative Position oder in eine bloß reagierende Rolle drängen läßt.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Prochazka.
Herr Bundesminister, darf ich an den Aufenthalt des bulgarischen Ministerpräsidenten Schiwkoff in Wien erinnern. Dort hat er in einer Pressekonferenz deutlich gemacht, daß eine Sicherheitskonferenz nur auf der Basis der Budapester Beschlüsse zustande kommen könne, d. h. - das ist für jeden, der die ausführliche Budapester Erklärung genau kennt, deutlich - unter Aufgabe der Rechtspositionen durch die Bundesrepublik Deutschland.
Darf ich Sie fragen - ich weiß nicht, wonach ich gefragt bin, Herr Abgeordneter -: Soll ich mich jetzt zu Äußerungen von Herrn Schiwkoff äußern?
Zu Herrn Schiwkoff!
Ich sehe keine Veranlassung. Ich habe mich nach Ihren Fragen zu dem, was die NATO zu diesem Gegenstand sagt, zu äußern gehabt.
({0})
Ich nehme doch an, Herr Bundesminister, daß es mir gestattet ist, in diesem Zusammenhang Zusatzfragen zu stellen.
Sicher.
({0})
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, ich verweise darauf, daß Zusatzfragen mit der eingereichten Frage im Zusammenhang stehen müssen. Ich habe den Eindruck, daß es an diesem Punkte streitig sein kann, ob Ihre Zusatzfrage zu den drei Fragen, die Sie stellten, unmittelbar hinzugehört oder ob es schon eine entsprechende Ausweitung ist. Sie haben mehrere Zusatzfragen. Mit der einen sind Sie gescheitert. Möchten Sie noch weitere Zusatzfragen stellen?
Herr Bundesminister, sind Sie der Meinung, daß durch den Wechsel in Prag, durch den Abgang Dubceks und die neuesten Erklärungen Husaks das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland tatsächlich verbessert wurde, oder meinen Sie, daß sich hier eine Verschlechterung anbahnt?
Ich habe von der Tschechoslowakei gesprochen, und wenn man von einem anderen Staat spricht, meint man Regierung und Volk. Das muß immer in einem Zusammenhang gesehen werden. Ich habe nichts von der Feststellung, die ich getroffen habe, zurückzunehmen. Im übrigen halte ich es für höchst unzweckmäßig, daß sich ein Vertreter der Bundesregierung zu den jüngsten Veränderungen in der tschechoslowakischen Regierung öffentlich äußert.
({0})
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Pohle.
Herr Bundesaußenminister, meine Zusatzfrage bezieht sich auf die Frage 82, in der es um Kontakte zu Ostblockländern ging, also auf die erste von Ihnen beantwortete Frage. Herr Bundesminister, haben Sie gleich mir den Eindruck, daß der Sowjetunion gerade in der letzten Zeit außerordentlich viel an der Verstärkung der Handelskontakte zur Bundesrepublik gelegen zu sein scheint?
Ich glaube, uns gegenüber nicht viel mehr als gegenüber anderen. Ich möchte es so sagen, Herr Abgeordneter: ich habe den Eindruck, daß die Sowjetunion nicht beabsichtigt, die Bundesrepublik aus Handelskontakten auszuschalten, sondern daß sie daran interessiert ist, mit uns wie mit anderen westlichen Ländern Handel zu treiben und diesen Handel vielleicht noch auszuweiten.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Pohle.
Hat die Bundesregierung Feststellungen darüber getroffen, oder hat sie Eindrücke darüber, wie - unterstellt, daß der Sowjetunion wirklich an einer Vertiefung dieser Kontakte gelegen ist; den Eindruck habe ich jedenfalls - die Sowjetunion auf eine gleichzeitige Vertiefung
unserer entsprechenden Handelskontakte insbesondere zu den südosteuropäischen Ostblockländern reagiert?
Es gibt kein Anzeichen dafür, daß die Regierung der Sowjetunion hier eine Konkurrenzsituation gegeben sieht, sondern alles deutet darauf hin - was diesen Komplex angeht -, daß es der Bundesrepublik möglich sein kann, ihre Handelsbeziehungen zur Sowjetunion auszubauen, ohne damit Handelsverbindungen mit anderen ost- oder südosteuropäischen Staaten zu gefährden.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 85 des Abgeordneten Baier auf:
Wieviel Bände der „Dokumentation des Schicksals der deutschen Kriegsgefangenen des zweiten Weltkrieges" wurden bisher fertiggestellt?
Können wir auch hier die drei Fragen zusammen behandeln? - Dann rufe ich noch die Fragen 86 und 87 des Abgeordneten Baier auf:
Trifft es zu, daß das Auswärtige Amt gegen die Veröffentlichung dieser Bände Einspruch erhoben hat?
Welche Gründe haben das Auswärtige Amt dazu veranlaßt?
Bitte schön, Herr Bundesaußenminister, zur Beantwortung.
Herr Abgeordneter, die Ausarbeitung einer Dokumentation über das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen des zweiten Weltkrieges wurde auf Veranlassung des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte im Jahre 1957 zunächst unter Leitung des inzwischen verstorbenen Professor Koch begonnen, nach dessen Tod Professor Maschke die Leitung der Herausgabe der Dokumentation übernahm. Bisher sind einschließlich eines Beiheftes 10 Bände der Dokumentation fertiggestellt worden. Hiervon befassen sich zwei Bände mit dem Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen in Jugoslawien von 1941 bis 1953. Zwei Bände behandeln das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion, insbesondere die Lagergesellschaft und den Faktor Hunger. Drei Bände beschreiben die Straflager und Gefängnisse der Sowjetunion, in denen sich Deutsche befanden. Ein Band zieht eine abschließende Bilanz über die deutschen Kriegsgefangenen in sowjetischer Hand. Ein weiterer Band befaßt sich mit den deutschen Kriegsgefangenen in den Benelux-Ländern. Die Folge ist noch nicht abgeschlossen.
Die Antwort auf Ihre zweite und dritte Frage darf ich zusammenfassen. Bei der Gründung der zur Herausgabe der Dokumentation bestimmten Kommission wurde mit Professor Koch und den Stellen, die Material für die Dokumentation zur Verfügung stellen sollten, vereinbart, daß die Forschungsergebnisse nicht veröffentlicht werden sollten. Diese sollten vielmehr archivarischen Charakter haben und für wissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung stehen.
Nachdem die beiden ersten Bände vorlagen, entschieden sich jedoch die beteiligten Stellen mit Billi12630
gung des Auswärtigen Amts, diese Bände zu veröffentlichen. Für die restlichen Bände kam das Auswärtige Amt zu dem Ergebnis, daß es einstweilen besser sei, über die ursprüngliche Zweckbestimmung nicht hinauszugehen. Dies sollte von vornherein, so meinte mein Amt, das Mißverständnis ausschließen, mit einer massierten Publizierung des Materials werde eine politische Absicht verfolgt und eine Diskussion in der Öffentlichkeit des Inlands oder gar des Auslands provoziert. Dies hätte bei allen Beteiligten - oder bei vielen Beteiligten - alte Wunden aufreißen können und wäre der auf Versöhnung gerichteten Außenpolitik der Bundesregierung nicht dienlich gewesen.
Gleichwohl ist eine Reihe von Bänden einer beschränkten Anzahl von Dienststellen für den Dienstgebrauch zur Verfügung gestellt worden, und zwar den Bundesministerien, den obersten Bundesbehörden, den Parlamentsbibliotheken, den Länderministerien, den Staatsarchiven, den Bibliotheken der obersten Bundesgerichte und der Oberlandesgerichte, den Universitäts- und Hochschulbibliotheken sowie den Landes- und Staatsbibliotheken.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Baier.
Herr Bundesminister, können Sie mir Auskunft geben, wie hoch sich die Kosten für diese gesamte Dokumentation belaufen und wie groß die Auflage der jeweiligen Bände ist?
Da bin ich im Augenblick überfragt. Aber ich will gern, wenn Sie einverstanden wären, Herr Abgeordneter, die Antwort darauf schriftlich nachreichen.
Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage der Abgeordnete Baier.
Herr Bundesminister, auf Ihre Antwort Bezug nehmend darf ich Sie fragen, ob es nicht ein einseitiges und damit letztlich für Deutschland schädliches Verhalten ist, wenn wir und auch andere Nationen ständig über Scheußlichkeiten und all das, was von deutscher Seite während des Krieges begangen wurde, berichten und aus einer angeblichen Rücksichtnahme eine Dokumentation über Verbrechen an Deutschen nicht veröffentlichen.
Die beteiligten Bundesministerien waren der Meinung, Herr Abgeordneter, daß die Frage der Veröffentlichung der Gesamtdokumentation am besten entschieden werden sollte, wenn die Gesamtdokumentation vorliege.
Präsident von Hassel: Eine dritte Zusatzfrage der Abgeordnete Baier.
Wann ist mit dem Abschluß der Gesamtdokumentation und mit der Entscheidung der Bundesregierung zu rechnen?
Danach muß ich mich erkundigen, weil die Bundesregierung ja auf den Gang der Arbeit keinen direkten Einfluß hat. Aber ich werde gern versuchen, das festzustellen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Bundesaußenminister, würden Sie mir zustimmen in der Meinung, daß die objektive Darstellung von Verbrechen und Vergehen gegen die Menschenrechte und gegen die Menschlichkeit, die an Deutschen begangen wurden, in einer maßvollen Form auch zur Reinigung der Atmosphäre beitragen kann, wenn dies im richtigen Zeitpunkt und in vernünftiger Weise erfolgt?
Dem zuzustimmen würde ich durchaus bereit sein.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Würden Sie auch der Meinung sein, daß schon vom Legalitätsprinzip her die Beweissicherung bezüglich des Materials von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die an Deutschen begangen wurden, ebenfalls Aufgabe in der Bundesrepublik Deutschland ist?
Dieser Aufgabe wird nachgegangen. Ich glaube aber ebenso - und ich hoffe, daß wir auch dahin übereinstimmen -, daß wir der Versuchung widerstehen müssen, irgend etwas von dem, was zu Recht Deutschen angelastet werden kann, dadurch bagatellisieren zu wollen, daß wir über andere sprechen. Wenn wir das nicht tun, dann ist es sicher richtig, die Dinge so zu sehen, wie Sie sie darstellen.
Ich stimme mit Ihnen hinsichtlich des Nichtaufrechnens voll überein.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Bundesaußenminister, inwieweit ist das notwendige Prinzip der Wissenschaftlichkeit, was den Bereich der Veröffentlichung dieser Dokumentation anlangt, gewahrt, wenn diese Dokumentation nur in den von Ihnen soeben angeführten Archiven bzw. Bibliotheken erreichbar ist? Das ist doch nach dem, was Sie sagten, eine partielle Veröffentlichung, keine vollständige.
Dabei ist eben zu berücksichtigen, Herr Abgeordneter, - ich deutete es schon an -, daß die Überlegung die war - die Entscheidung hierüber geht ja zurück in eine Zeit, längst bevor ich die Verantwortung für das Auswärtige Amt übernommen habe -,
die Gesamtdokumentation zu beurteilen, bevor man an eine Gesamtveröffentlichung denkt. Und für diejenigen Stellen, die damit arbeiten sollen, glaubte man wohl, genügend Exemplare zur Verfügung zu stellen, wenn man die staatlichen Stellen und die Bibliotheken bediente, die genannt sind. Aber ich bin gern bereit, zu prüfen oder prüfen zu lassen, ob der Kreis der so Belieferten erweitert werden könnte.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister, für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zunächst die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Rinderspacher:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Geschäfte, die sogenannte Arbeitsvermittler mit „Leiharbeitern" und „Ausleihangestellten" machen?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Kattenstroth.
Herr Präsident, ich bitte, mir zu gestatten, die Fragen 4, 5 und 6 zusammenhängend zu beantworten.
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Ich rufe also noch die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Dr. Rinderspacher auf:
Trifft es zu, daß Verleiher, die etwa 500 „Leihkräfte" in ihren Diensten haben, innerhalb von einem halben Jahr eine persönliche Einnahme von 500 000 DM haben?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Höchststrafen für Verstöße gegen das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung unbedingt höher gesetzt werden sollten, da die „Ausleiher" die derzeitigen Bußen buchstäblich aus der Westentasche bezahlen können?
Die Bundesregierung geht bei der Beurteilung des gewerbsmäßigen Ausleihens von Arbeitskräften von den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 1967 aus. Nach ihnen ist das gewerbsmäßige Ausleihen von Arbeitskräften unzulässig, sofern es gegen das vom Bundesverfassungsgericht bestätigte staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt in Nürnberg verstößt und damit eine unerlaubte Arbeitsvermittlung ist. Dies ist der Fall, wenn die vom Verleihunternehmen gegen Entgelt zur Verfügung gestellten Arbeitskräfte in das andere Unternehmen als Arbeitnehmer eingegliedert werden. Das gewerbsmäßige Ausleihen von Arbeitskräften ist dagegen nach dem Bundesverfassungsgericht nicht zu beanstanden, sofern die ausgeliehenen Arbeitskräfte Arbeitnehmer des Verleihunternehmens bleiben, d. h. nicht in den Betrieb des Entleihers als dessen Arbeitnehmer eingegliedert werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat den für eine Abgrenzung zwischen unerlaubter und erlaubter Tätigkeit der Verleihunternehmen entscheidenden Begriff der Eingliederung nicht näher definiert. Wegen
dieser offengebliebenen Rechtsfrage führt die Bundesanstalt in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung einen Musterprozeß gegen ein Verleihunternehmen, den das Bundessozialgericht demnächst entscheiden wird. In diesem Rechtsstreit wird von der Bundesanstalt unter anderem die Auffassung vertreten, daß das gewerbsmäßige Ausleihen einer Arbeitskraft grundsätzlich zur Eingliederung in den Betrieb des Entleihers als dessen Arbeitnehmer führt und damit den Tatbestand der unerlaubten Arbeitsvermittlung erfüllt.
Von der Entscheidung des Bundessozialgerichts darf eine Klärung der gegenwärtigen Rechtsunsicherheit erwartet werden. In der Zwischenzeit befassen sich unter Berufung auf das Bundesverfassungsgericht eine Reihe von Unternehmen mit dem gewerbsmäßigen Ausleihen von Arbeitskräften, ohne daß die Bundesanstalt diese Tätigkeit unterbinden kann. Die Fälle eindeutig unerlaubter Arbeitsvermittlung werden jedoch dem geltenden Recht entsprechend strafrechtlich verfolgt.
Die Gewinnspannen von Verleihunternehmen weichen nach den Erfahrungen der Bundesanstalt stark voneinander ab. Allgemeine Angaben zu ihrem Verdienst sind nicht möglich. Einnahmen der in Ihrer Anfrage, Herr Abgeordneter, genannten Größenordnung dürften sich aber nur in Ausnahmefällen erzielen lassen, in denen zweifelsfrei eine unerlaubte Arbeitsvermittlung vorliegt und weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge für die vermittelten Arbeitnehmer abgeführt werden. In einem meinem Hause bekanntgewordenen Einzelfall dieser Art sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.
Die Bundesregierung ist - wie wohl auch Sie, Herr Abgeordneter - der Auffassung, daß die Strafverfolgung von Vergehen der unerlaubten Arbeitsvermittlung diese Straftaten bisher nicht in dem erforderlichen Umfang verhindert hat. Der Entwurf eines Arbeitsförderungsgesetzes sieht daher vor, die unerlaubte Arbeitsvermittlung im Regelfall nicht mehr als Straftat, d. h. mit Gefängnis oder mit Geldstrafe bis höchstens 10 000 DM, sondern als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Der Höchstbetrag der Geldbuße soll 30 000 DM betragen. Damit würde die Bundesanstalt unmittelbar Bußgelder gegen Personen verhängen können, die unerlaubte Arbeitsvermittlung betreiben. Dadurch würde sichergestellt werden, daß unerlaubte Arbeitsvermittlung künftig wirkungsvoller unterbunden werden kann.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß zu einer solchen Arbeitsvermittlung zwei Parteien gehören: ein Vermittler und einer, der die Vermittlung in Anspruch nimmt, und sind Sie nicht der Meinung, daß derjenige, der die Arbeitsvermittlung in Anspruch nimmt, zumindest in moralischer Hinsicht genauso zu beurteilen ist und sich rechtlich ebenso strafbar macht wie der Vermittler?
Herr Abgeordneter, diese Frage wäre in bezug auf den moralischen Vorwurf zu bejahen, wegen der rechtlichen Strafbarkeit müßte ich sie noch überprüfen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß diese skandalösen Zustände durch ein sehr rasches Einschreiten der zuständigen Stellen unterbunden werden müßten und daß man nicht warten sollte, bis ein neues Gesetz vorliegt?
Herr Abgeordneter, wenn Sie skandalöse Zustände erwähnen, wird man nach meiner Auffassung auch jetzt schon eingreifen können. Ich habe Ihnen aber dargelegt: es besteht eine Rechtsunsicherheit, weil eine Frage vom Bundesverfassungsgericht offengelassen worden ist; diese Frage steht, wie ich sagte, beim Bundessozialgericht zur Entscheidung an.
Präsident von Hassel: Eine dritte Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, wann ist nach Ihren Erfahrungen mit einer Entscheidung dieses obersten Gerichtes zu rechnen?
Herr Abgeordneter, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Es ist mir nur bekannt, daß das Bundessozialgericht weiß, wie dringend die Praxis - wenn ich so sagen darf - auf die Entscheidung wartet.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schwörer.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es das gesamte Gefüge vor allem unserer mittelständischen Wirtschaft sprengen würde, wenn man diese modernen „Sklavenhandelsmethoden" zulassen würde?
Herr Abgeordneter, hier besteht in der Tat eine große Gefahr.
Ich darf noch eine zweite Frage stellen. Nach meinen Informationen war es früher einmal notwendig, daß für jeden abgestellten Mann ein Arbeitsplatz im eigenen Hause vorhanden war. Ist diese Bestimmung abgeschafft worden, und wenn ja, könnte sie nicht wieder eingeführt werden? Sie würde hier etwas Abhilfe schaffen.
Herr Abgeordneter, eine solche Bestimmung kenne ich nicht. Ich werde die Frage prüfen und Ihnen schriftlich antworten.
Präsident von Hassel: Ich darf den Abgeordneten Dr. Schwörer darauf aufmerksam machen, daß das Wort „Sklavenhandel" bereits eine Wertung des Themas bedeuten würde,
({0})
und Wertungen in Zusatzfragen sind nicht gestattet.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Cramer auf:
Trifft es zu, daß die Verfolgten des nationalsozialistischen Gewaltsystems seit Verabschiedung des AngestelltenversicherungsNeuregelungsgesetzes vom 1. Januar 1957 an schlechter gestellt sind als diejenigen Verfolgten, deren Versicherungsfall vor dem 31. Dezember 1956 eingetreten ist?
Sollen die Fragen 7 und 8 miteinander verbunden werden? - Dann rufe ich noch die Frage 8 des Abgeordneten Cramer auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um eventuell eingetretene vom Gesetzgeber nicht gewollte Verschlechterungen zu beheben?
Zur gemeinsamen Beantwortung von Frage 7 und Frage 8 des Abgeordneten Cramer!
Die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze des Jahres 1957 haben für die Verfolgten ebenso wie für alle anderen Versicherten wesentliche Verbesserungen gebracht. Ich möchte daher annehmen, daß sich Ihre Fragen, Herr Abgeordneter, auf das besondere Problem der Bewertung der Verfolgungszeiten nach den Vorschriften des § 4 Abs. 4 und 5 des Gesetzes über die Behandlung der Vefolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 ({0}) beziehen. Nach diesen Vorschriften werden bei Verfolgten für die Berechnung ihrer Renten die glaubhaft gemachten konkreten Bruttoarbeitsentgelte als maßgebend angesehen, ,die der Versicherte während der Verfolgungszeit - ohne die Verfolgung - erworben haben würde. Für die durch die Verfolgung erlittene Minderung oder für den Ausfall des Arbeitsentgelts wird also ein Schadensausgleich gewährt.
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat bereits im Jahre 1959 die Ansicht vertreten, ,daß die genannten Wiedergutmachungsvorschriften auch auf Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1956 anzuwenden sind. Nicht alle Versicherungsträger sind dem gefolgt. Das Bundessozialgericht hat jedoch inzwischen in zwei Entscheidungen aus dem Jahre 1967 die Richtigkeit der von meinem Hause vertretenen Auffassung bestätigt.
Soweit die Versicherungsträger in der Vergangenheit auf Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1956 die erwähnten Wiedergutmachungsvorschriften des Verfolgtengesetzes nicht angewandt haben, dürften ,sie inzwischen diese Rentenbescheide in allen Fällen, die ihnen bekanntgeworden sind, entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berichtigt haben.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, der Abgeordnete Cramer.
Herr Staatssekretär, darf ich daraus entnehmen, daß es zwar vorher in der Auslegung keine Benachteiligung der Verfolgten gegeben hat, jetzt aber auch in der Praxis durch die Neuregelung ab 1957 keine solche mehr eintritt?
Diese Annahme, Herr Abgeordneter, ist richtig.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Staatssekretär, gibt es nicht noch weitere Benachteiligungen durch die 57er-Regelung gegenüber der 49er-Regelung als nur diese eine?
Ich kenne nur diejenige, die Sie hier selbst angeführt haben.
Präsident von Hassel: Eine dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Staatssekretär, warum wird dann die Novelle zum Neuregelungsgesetz nicht verabschiedet?
Sie ist verabschiedet, Herr Abgeordneter, und dem Bundesrat übersandt worden.
Präsident von Hassel: Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer.
Wann ist das erfolgt, Herr Staatssekretär?
Soweit mir bekannt ist, in dieser Woche.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Hirsch auf:
Was hat die Bundesregierung dazu veranlaßt, den seit langen Jahren ausstehenden und vom Bundesarbeitsminister auch seit Jahren schon immer wieder kurzfristig angekündigten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung noch vor seiner Behandlung im Bundesrat erneut zurückzuziehen?
Ist die Bundesregierung bereit, den Entwurf jetzt so schnell vorzulegen, daß er noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Kattenstroth vom 24. April 1969 lautet:
Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf beschlossen. Die Zuleitung des Entwurfs an den Bundesrat wurde zunächst zurückgestellt, um in Gesprächen mit den Koalitionsfraktionen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der Gesetzentwurf noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Die Bundesregierung wird die Gesetzesvorlage so rechtzeitig dem Bundesrat zuleiten, daß sie von ihm in seiner Plenarsitzung am 30. Mai, dem nächstmöglichen Termin, behandelt werden kann.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Schmidt ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Rechtsuchende bei den Sozialgerichten in der Regel Wartezeiten von einem Jahr und mehr in Kauf nehmen müssen, bis eine Entscheidung in der ersten Instanz gefällt wird?
Können die Fragen 11, 12 und 13 miteinander verbunden werden? - Dann rufe ich noch die Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Schmidt ({1}) auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um die derzeitige Laufzeit der bei den Sozialgerichten anstehenden Prozesse zu verkürzen?
Welchen Einfluß kann die Bundesregierung darauf nehmen, daß erforderlichenfalls die Zahl der Berufsrichter an Sozialgerichten erhöht wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung!
Der Bundesregierung ist bekannt, daß es oft längere Zeit dauert, bis die Sozialgerichte im ersten Rechtszug entscheiden. Dies liegt insbesondere daran, daß die Sozialgerichte vielfach nicht auf die Einholung ärztlicher Gutachten verzichten können. Solche Gutachten erfordern Zeit, zumal die ärztlichen Gutachter zumeist stark überlastet sind.
Die Verhältnisse haben sich jedoch in den letzten Jahren laufend verbessert. Die Sozialgerichte haben im Jahre 1964 vor Ablauf eines Jahres 54,7 % der Fälle, im Jahre 1968 aber bereits 60,6 % der Fälle entschieden. Vor Ablauf von sechs Monaten wurden im Jahre 1964 25,9% der Fälle, im Jahre 1968 29,3 % der Fälle von den Sozialgerichten entschieden.
Die Bundesregierung hat am 14. März 1969 dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung des Bundessozialgerichts und zur Änderung und Ergänzung des Sozialgerichtsgesetzes zugeleitet.
Nach Auffassung der Bundesregierung würde die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs durch die gesetzgebenden Körperschaften das Sozialgerichtsverfahren in allen Rechtszügen beschleunigen, im Verfahren vor den Sozialgerichten vor allem dadurch, daß nunmehr - von einigen Ausnahmen abgesehen - dem gerichtlichen Verfahren generell ein Vorverfahren vorausgehen wird. In dem Vorverfahren wird der erlassene Verwaltungsakt auf Grund eines Widerspruchs des Rechtsuchenden von der Verwaltung noch einmal überprüft. Es würden deshalb in Zukunft grundsätzlich nur solche Sachen bei den Sozialgerichten anhängig werden, bei denen auch nach wiederholter Überprüfung dem Begehren des Rechtsuchenden nicht entsprochen wird. Das würde dazu führen, daß weniger Sachen bei den Sozialgerichten anhängig würden und sich damit die Laufzeit der Prozesse bei den Sozialgerichten weiter verkürzen würde.
Da die Sozialgerichte und auch die Landessozialgerichte Gerichte der Länder sind, kann die Bundes12634
regierung keinen Einfluß auf die Zahl der Berufsrichter an den Sozialgerichten und den Landessozialgerichten nehmen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß durch die lange Laufzeit der Prozesse für die Klagenden, die ohnehin meist zu den sozial Schwachen zählen, große Härten auftreten können bzw. bislang aufgetreten sind?
Ich stimme Ihnen zu, Herr Abgeordneter.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. - Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob es bei der Dauer der Sozialgerichtsverfahren regionale Unterschiede, also Unterschiede nach Bundesländern, gibt?
Herr Abgeordneter, das ist mir nicht bekannt.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß durch die in Aussicht gestellte Regelung dem Zustand der Rechtsunsicherheit, der sich bei den Klagenden weit verbreitet hat, abgeholfen wird, wenn man dabei berücksichtigt, daß nicht nur das Klageverfahren, sondern in vielen Fällen auch das nachfolgende Berufungsverfahren, das noch viel längere Zeit dauert, dem Rechtsuchenden die Möglichkeit, Klarheit über seinen Rechtsanspruch zu bekommen, in einer ungebührlichen Weise hinausschiebt?
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß die Verfahren häufig zu lange dauern, und deswegen hat sie den Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung des Bundessozialgerichts und zur Änderung und Ergänzung des Sozialgerichtsgesetzes dem Deutschen Bundestag zugeleitet.
Präsident von Hassel: Eine dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, zu der zweiten Frage, die hier gestellt ist, noch folgende Frage: Stellt sich denn nicht die Überlegung, ob das Vorverfahren, also das Widerspruchsverfahren, noch geeignet ist, dem Rechtsuchenden zu helfen, wenn dabei - ich spreche hier nur aus bayerischer Erfahrung - festzustellen ist, daß auch ein Vorverfahren ungefähr ein halbes Jahr in Anspruch nimmt, und nach meiner Kenntnis in der Mehrzahl der Fälle das Widerspruchsverfahren negativ für den Widerspruchführenden ausgeht und somit eine weitere Verzögerung im Ablauf des nachfolgenden Klageverfahrens mit sich bringt?
Herr Abgeordneter, die Frage, ob durch die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen eine Beschleunigung erreicht wird, muß nach meiner Auffassung in dem zuständigen Ausschuß des Hohen Hauses erörtert werden.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 14 des Abgeordneten Zebisch auf:
Sieht sich die Bundesregierung in der Lage, angesichts der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu § 368 a Abs. 1 RVO eine Novellierung vorzuschlagen, die eine ausreichende ärztliche Versorgung der Bevölkerung, besonders in strukturschwachen Regionen, wie dem Zonenrand- und Grenzgebiet, garantiert?
Nach geltendem Recht - § 368 n Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - ist die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten und ihrer Angehörigen den Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zugewiesen. Durch Verträge der Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Krankenkassen ist eine gleichmäßige, ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der versicherten Bevölkerung zu gewährleisten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen unterstehen der Aufsicht der Minister und Senatoren für Arbeit der Länder. Diese Aufsichtsbehörden haben auch zu prüfen, ob die kassenärztliche Versorgung in den einzelnen Ländern den gesetzlichen Erfordernissen entspricht. Der Bundesregierung liegen bisher keine Informationen der Aufsichtsbehörden darüber vor, daß die ärztliche Versorgung der Versicherten in bestimmten Gebieten nicht mehr sichergestellt werden kann. Ihr ist auch nicht bekannt, daß in den von Ihnen, Herr Abgeordneter, genannten Zonenrand- und Grenzgebieten eine ausreichende ärztliche Versorgung - auch bei Ausschöpfung der nach geltendem Recht zulässigen Möglichkeiten - nicht mehr gewährleistet ist. Für die Bundesregierung stellt sich daher gegenwärtig nicht die Frage, ob die Vorschriften des Kassenarztrechtes wegen einer ärztlichen Unterversorgung der Bevölkerung novelliert werden sollen. Längerfristig gesehen wird die Bundesregierung jedoch nicht versäumen, bei den weiteren Überlegungen zur Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung auch die Frage zu prüfen, ob die geltenden Vorschriften über die kassenärztliche Versorgung auch künftigen Erfordernissen genügen.
Zu der von Ihnen, Herr Abgeordneter, zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
23. März 1960 möchte ich noch ergänzend bemerken: Durch diese Entscheidung ist zwar die sogenannte Verhältniszahl - das heißt ein Arzt auf je 500 Versicherte - beseitigt und damit den Kassenärztlichen Vereinigungen die Möglichkeit genommen worden, mit Hilfe der Verhältniszahl die räumliche Verteilung von Kassenarztsitzen zu beeinflussen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hindert aber Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen nicht, mit anderen zulässigen Mitteln einer etwa auftretenden ärztlichen Unterversorgung in einzelnen Gebieten zu begegnen oder vorzubeugen. In Betracht kommen unter anderem die Garantie eines Mindesteinkommens oder andere Vergünstigungen, um einen Anreiz zur Niederlassung zu schaffen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zebisch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in Bayern 'im Landesdurchschnitt auf 2105 Einwohner ein Kassenarzt kommt, daß aber in gewissen von mir angesprochenen Zonenrandgebieten - z. B. in Neunburg vorm Wald - 5903 Einwohner sich mit einem Kassenarzt zufrieden geben müssen?
Herr Abgeordneter, die Zahl ist beeindruckend. Ich bin gern bereit - ich bin sogar verpflichtet -, den zuständigen Arbeitsminister hiervon zu unterrichten, damit er als Aufsichtsbehörde die Angelegenheit prüfen kann. Ich werde den zuständigen Arbeitsminister bitten, dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Ergebnis seiner Prüfung mitzuteilen, damit ich Sie, Herr Abgeordneter, in Kenntnis setzen kann.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zebisch.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob das bayerische Staatsministerium wegen dem von mir angesprochenen Fragenkomplex mit der Bundesregierung bereits Verhandlungen aufgenommen hat.
Das ist mir nicht bekannt, Herr Abgeordneter.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, gibt es bereits Vorstellungen über die Möglichkeit, Anreize dafür zu schaffen, daß sich in einem stärkeren Maße als bisher Ärzte in den erwähnten Gebieten niederlassen und dort praktizieren?
Herr Abgeordneter, ich habe einen Gedanken erwähnt: die Garantie eines Mindesteinkommens. Unter Umständen müssen andere Vergünstigungen erwogen werden.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Würde dabei besonders berücksichtigt werden, daß unter anderem das kulturelle Bedürfnis von Ärzten, die sich im Zonenrandgebiet und Grenzgebiet niederlassen, ob der Gegebenheiten besonders schwer zu erfüllen ist und daß das gelegentlich auch ein Hemmnis für die Niederlassungsbereitschaft ist und daß zum zweiten auch klimatische und geographische Bedingungen die Möglichkeit, sich in diesem Lande zu betätigen, beeinflussen werden?
Herr Abgeordneter, diese Möglichkeit besteht natürlich. Nur glaube ich nicht, daß die Aufsichtsbehörde irgendeine Möglichkeit hat, die klimatischen Verhältnisse in einem Gebiet im Zusammenhang mit dem Kassenarztrecht auszugleichen.
Präsident von Hassel: Die Fragen 15 und 16 sind bereits gestern durch den Herrn Bundesminister der Finanzen beantwortet worden.
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dröscher auf:
Entspricht es nach Ansicht der Bundesregierung den geltenden Gesetzen, wenn ein Arbeiter, dem das vorgezogene Altersruhegeld nach einer Arbeitslosigkeit von einem Jahr zu gewähren wäre, während dieser Zeit dreieinhalb Monate krank gewesen ist und es deshalb nicht erhält, weil angeblich eine Krankheitsdauer von über drei Monaten während dieses Jahres die Zeit der Arbeitslosigkeit unterbricht?
Nach den geltenden Gesetzen setzt die Zahlung des vorgezogenen Altersruhegeldes wegen Arbeitslosigkeit voraus, daß der Versicherte das 60. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist. Die von Ihnen, Herr Abgeordneter, geschilderte Verwaltungsübung gründet sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu der Voraussetzung der ununterbrochenen Arbeitslosigkeit von mindestens einem Jahr.
Nach dieser Rechtsprechung sollen das vorgezogene Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit diejenigen über 60 Jahre alten Versicherten erhalten, die auf unabsehbare Zeit aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind, obwohl sie arbeitsfähig und arbeitswillig sind und dies durch einjährige vergebliche Bemühungen bewiesen haben. Bei ihnen vermute - so die Rechtsprechung - das Gesetz, daß sie wegen ihres Alters nicht mehr vermittelt werden könnten. Diese Vermutung bestehe jedoch nicht ohne weiteres bei den über 60 Jahre alten Versicherten, die zwar ebenfalls seit einem Jahr ohne Arbeit sind, bei denen aber einer an sich möglichen Wiederauf12636
nahme der Arbeit eine längere krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit entgegenstand.
In solchen Fällen wird jedoch der Versicherungsträger besonders sorgfältig prüfen müssen, ob nicht die Voraussetzungen für die Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt sind.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Situation des betroffenen älteren Arbeitnehmers, was Arbeitsvermittlungserwartung angeht, durch seine Krankheit doch nicht verbessert, sondern verschlechtert worden ist und daß ihn deshalb die Rechtsprechung nachteilig trifft?
Herr Abgeordneter, ich glaube, es ist nötig, hierüber einmal nachzudenken.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Wären Sie bereit, Herr Staatssekretär, den zuständigen Gremien Vorschläge zu machen, wie dieser angesichts der allgemeinen Lage der älteren Arbeitnehmer doch unbefriedigende Zustand geändert werden könnte?
Herr Abgeordneter, wir werden diese Frage selbstverständlich, weil ihre Lösung in vielen Fällen nicht zufriedenstellend ist, weiterhin prüfen müssen.
Präsident von Hassel: Wir sind damit am Ende der Fragestunde angelangt. Ich glaube, das Hohe Haus ist mit mir sehr froh darüber, daß es, wie es selten passiert, gelungen ist, alle 134 Fragen durch die Konzentration auf kurze Zusatzfragen und kurze Antworten in dieser Woche zu beantworten.
({0})
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe den zweiten Punkt der heutigen Tagesordnung - in der alten Vorlage Punkt 46 -, und zwar a) und b) zusammen, auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Deutschlandpolitik
- Drucksachen V/3769, V/4101 -
b) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Deutschlandpolitik - Drucksache V/3866 Zur Begründung des Antrags zur Deutschlandpolitik auf Drucksache V/3866 erteile ich dem Abgeordneten Schultz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion Drucksache V/3866 zu begründen, mit dem die FDP die Bundesregierung auffordert, der Regierung der DDR den Abschluß eines Vertrages vorzuschlagen. Wir haben mit Befriedigung aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage - die ja heute ebenfalls zur Debatte steht - entnommen, daß die Bundesregierung einen solchen Vertrag nicht ausschließt.
Welches Ziel die FDP mit diesem Antrag verfolgt, ergibt sich aus der Präambel des von uns vorgelegten Vertragsentwurfs: der Zusammenhalt der deutschen Nation, die europäische Sicherheit und der Frieden in der Welt sollen dadurch gefördert werden, daß die Regierungen in Bonn und Ostberlin ihre Beziehungen so lange ordnen, bis unsere deutsche nationale Frage endgültig friedlich gelöst werden kann.
Dieser Vertrag, kommt er zustande, wird uns natürlich nicht die Wiedervereinigung bringen. Er würde aber, wie wir meinen, eine besonders wichtige Voraussetzung für eine spätere zufriedenstellende Lösung der deutschen Frage bedeuten. Es scheint uns eine der wichtigsten Aufgaben zu sein, im gegenwärtigen Zeitpunkt alles zu tun, um den Zusammenhalt der deutschen Nation zu wahren und zu festigen. Dieser Zusammenhalt ist durch die Spaltungsmaßnahmen der Regierung in Ostberlin, wie sie insbesondere am 13. August 1961 durchgeführt wurden, erheblich gefährdet. Diese Politik der DDR- Regierung, die mit der Errichtung der Berliner Mauer ihren Höhepunkt gefunden hat, wird von der DDR-Regierung auch heute noch fortgeführt. Sie hat erst in jüngster Zeit erneut ihren Ausdruck in Maßnahmen wie der Einführung des Visumszwangs für westdeutsche Besucher, zollähnlichen Abgaben auf Geschenke und willkürlichen Erhöhungen der Mindestumtauschsätze, denen westdeutsche Besucher unterliegen, gefunden.
Wir meinen, daß Bundestag und Bundesregierung demgegenüber die nationale Verpflichtung haben, sich mit dieser Politik der Regierung in Ostberlin nicht abzufinden. Es genügt allerdings nicht, lediglich darauf hinzuweisen, wer hier den nationalen Interessen zuwiderhandelt und wer der wahre Störenfried ist. Wir, die wir unser Mandat freien Wahlen verdanken und uns unserer moralischen Verpflichtung gegenüber dem deutschen Volk bewußt sind, haben eine wesentlich weitergehende Aufgabe. Wir dürfen es, wie wir meinen, nicht bei Wehklagen über Maßnahmen der anderen Seite bewenden lassen. Wir müssen, obwohl oder gerade weil die andere Seite böswillig ist, mit um so größerem Eifer immer wieder nach Mitteln und Wegen suchen, um aus dem Dilemma der deutschen Situation herauszukommen.
Es war nie ein ausreichendes Konzept in der Politik - und das ist es sicher auch heute noch nicht -, lediglich untätig auf schöneres Wetter zu warten. Wer politische Initiativen ergreift, hat zwar auch keinen Garantieschein für ihren Erfolg in der
Schultz ({0})
Tasche. Wer aber in der Untätigkeit verharrt, wird seinen politischen Zielen unter Garantie keinen Schritt näherkommen.
({1})
Diese Überlegungen haben die FDP-Bundestagsfraktion veranlaßt, einen Antrag einzubringen, den ich augenblicklich begründe. Er soll nach der Absicht der FDP eine Antwort unserer Bundesregierung auf den Vertragsentwurf darstellen, den der DDR-Ministerpräsident der Bundesregierung bereits 1967 übersandt hat. Wir haben nie ein Hehl daraus gemacht, daß dieses damalige Ostangebot für uns nicht akzeptabel ist. Es berücksichtigt nicht unsere nationalen Interessen. Es wäre aber, so meinen wir, ein schwerwiegender Fehler der Bundesregierung, den Stoph-Entwurf einfach so im Raum stehenzulassen, ohne daß die Bundesregierung ihre eigenen Vorstellungen für eine friedliche Neuregelung der Beziehungen zwischen beiden Teilen Deutschlands ebenfalls in Vertragsform und nicht nur in Vorschlägen konkretisiert und präzisiert.
Wir haben es uns mit der Ausarbeitung dieses Vertragsentwurfs nicht leicht gemacht, obwohl das manchmal behauptet worden ist. Monatelang wurden die Präambel und die einzelnen Artikel geprüft und in ihrer Konsequenz bedacht. Wir haben dabei - das werden Sie ohne Zweifel feststellen können - viele Überlegungen verarbeitet, die in der Vergangenheit auch von Politikern der Regierungskoalition öffentlich vorgetragen wurden.
Wir haben auf der anderen Seite aber auch Ideen in unsere Überlegungen einbezogen, die jenseits des Eisernen Vorhangs geäußert wurden, wenn und 'soweit sie mit unseren Interessen vereinbar gewesen sind. Ich denke an die Überlegungen, die zu einem vertraglichen Gewaltverzicht führen können. Ich denke aber auch an den Wortlaut der Verfassung der DDR vom 6. April 1968, in deren Art. 8 auch die Führung der DDR die Überwindung der deutschen Spaltung, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten und ihre schließliche Vereinigung als Ziel postuliert hat.
Die FDP hat mit großem Interesse das Echo verfolgt, das unser Vertragsentwurf seit seiner Veröffentlichung in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit gefunden hat. Selbst aus - osteuropäischen Staaten erreicht uns eine gewisse Zustimmung, zumindest inoffiziell, gelegentlich aber auch in der dortigen Presse. Offizielle Stellen der DDR haben sich hierzu interessanterweise bisher nicht geäußert. Wir Freien Demokraten sind natürlich nicht so naiv - was Sie vielleicht voraussetzen möchten -, daraus zu schließen, daß die UlbrichtRegierung einem entsprechenden Angebot, käme es von unserer Bundesregierung, ohne weiteres zustimmen wird. Die Tatsache aber, daß die Regierung in Ostberlin, die sich sonst zu fast jedem Vorgang im Westen und hier bei uns in der Bundesrepublik in tendenziöser und verfälschender Weise äußert, bis jetzt geschwiegen hat, beweist deutlich, daß eine schlichte Ablehnung unseres Vertragsentwurfs oder -angebots der DDR-Regierung zumindest nicht leichtfallen wird.
Angesichts dieser Situation können wir nur hoffen, daß Bundestagsmehrheit und Bundesregierung nicht schon hier in Bonn die Initiative torpedieren. Im Ergebnis wäre eine solche ablehnende Haltung eine Hilfe für alle konservativen Kräfte in der SED-Führung, die Kontakte mit Westdeutschland fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Diesen reaktionären und fortschrittsfeindlichen Kräften im deutschen Kommunismus dürfen wird die Arbeit nicht erleichtern. Eine Ablehnung des FDP-Antrags würde aber zweifellos diesen negativen Erfolg haben. Wenn die Bundesregierung darauf verzichtet, der Regierung der DDR diesen unseren Vertragsentwurf oder einen ähnlichen Entwurf vorzuschlagen, kommen die orthodoxen Kräfte im ostdeutschen Kommunismus gar nicht in die Verlegenheit, sich zu einer solchen Initiative entscheiden zu müssen. Darauf scheint es uns aber anzukommen.
Wir haben die Bundesregierung mit der Großen Anfrage veranlaßt, zu den Einzelproblemen, die wir auch in unserem Vertragsentwurf angesprochen haben, Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme der Bundesregierung - ich sagte es vorhin schon - ist im einzelnen durchweg positiv ausgefallen. Die Bundesregierung ist sowohl bereit, mit der Regierung der DDR ständige Beauftragte auszutauschen, als auch einen gegenseitigen Gewaltverzicht zu vereinbaren. Sie lehnt weder die Einrichtung paritätisch besetzter gesamtdeutscher Kommissionen noch die von diesen Kommissionen vorzubereitenden weiteren Vereinbarungen auf den Gebieten der Wirtschaft, des Finanz-, Post- und Fernmeldewesens, des Verkehrs, der Kultur, der Wissenschaft und des Handels ab. Sie ist darüber hinaus auch zu einer Amnestie für die politischen Gefangenen bereit, die wegen Verstoßes gegen die Staatsschutzbestimmungen inhaftiert sind, sofern dafür auch die politischen Häftlinge in der DDR ihre Freiheit wiedererhalten. Daß die Bundesregierung bereit ist, mit der DDR Vereinbarungen abzuschließen, die eine Verbesserung des Reiseverkehrs zwischen den beiden Teilen Deutschlands zum Ziele haben, ist selbstverständlich. Offenbar ist die Bundesregierung sogar bereit, mit der DDR-Regierung Vereinbarungen zu treffen, die die engen Verbindungen zwischen West-Berlin und Westdeutschland sichern und den ungehinderten Verkehr von und nach Berlin gewährleisten. Über gewisse rechtliche Überlegungen, die die Bundesregierung in diesem Zusammenhang anstellt, wird noch zu sprechen sein.
Diese in den Einzelheiten positive Antwort der Bundesregierung beweist - wenn auch vielleicht ungewollt -, wie absurd und infam all die Angriffe sind, die insbesondere aus Kreisen der CDU/CSU in den letzten Monaten gegen die deutschlandpolitischen Vorstellungen der FDP vorgetragen worden sind.
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Diesen Leuten, die das Geschäft der Demagogie und Brunnenvergiftung betreiben, wird es jetzt wesentlich schwerer fallen, ihrem unsauberen Handwerk nachzugehen.
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Schultz ({4})
Wir Freien Demokraten erkennen ausdrücklich an, daß der Inhalt der Antwort der Bundesregierung ein sachlicher, wenn auch insgesamt, wie wir meinen, noch nicht befriedigender Beitrag zur deutschlandpolitischen Diskussion ist. Es muß angesichts der Aufnahme, die die einzelnen Elemente des FDP-Vertragsentwurfs bei der Regierung gefunden haben, jeden Leser der Antwort der Bundesregierung sehr verwundern, warum sich die Bundesregierung nach wie vor weigert, diesen oder einen eigenen Vertragsentwurf der Regierung der DDR als Ganzes zu präsentieren. Die Gründe, die hier angeführt werden, die in der Antwort auf unsere Große Anfrage zum Ausdruck kommen, sind zum Teil unverständlich, zum Teil fadenscheinig, insgesamt nicht überzeugend. Daß entscheidende Qualitätsunterschiede zwischen dem Vertragsentwurf von Herrn Stoph und dem der FDP bestehen, wird sicherlich niemand bestreiten. Warum dieser Qualitätsunterschied die Bundesregierung .dann aber hindert, ihrerseits das Vernünftige vorzuschlagen, ist mir völlig unerfindlich. Warum die Bundesregierung einen eigenen Vertragsentwurf - wenn überhaupt - erst am Ende von politischen Verhandlungen der Ostseite präsentieren will, versteht niemand, der es gewohnt ist, Verhandlungen im wirtschaftlichen, politischen und Rechtsleben zu führen. Häufig ist derjenige im Vorteil, der gleich zu Beginn der Verwandlungen einen eigenen Vertragsentwurf präsentiert. Diesen Vorteil, den die DDR-Regierung seit dem Angebot des Ministerpräsidenten Stoph sowieso schon genießt, sollte die Bundesregierung nicht noch dadurch vergrößern, daß sie auf eine ähnliche Reaktion verzichtet.
Es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Bundesregierung diese soeben von mir skizzierten Überlegungen nicht nachvollziehen könnte. Wenn sie sich dennoch insgesamt zu dem FDP-Vertragsentwurf ablehnend äußert - was die Vorlage eines solchen betrifft -, so müssen die Gründe tiefer liegen, als in der Antwort der Bundesregierung zum Ausdruck gekommen ist. Die wahren Gründe für diese Ablehnung lassen sich - allerdings auf Grund von ernst zu nehmenden Indizien - nur vermuten. Offenbar hält die Bundesregierung immer noch an dem inzwischen schon berüchtigten Alleinvertretungsanspruch fest. Er ist zwar in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage nicht ausdrücklich bekräftigt worden, ist aber offenbar gemeint, wenn die Bundesregierung in der Antwort auf unsere Frage 2 ausführt, ihre eigene Rechtsauffassung werde kein Hindernis gegen Verhandlungen und Abkommen mit der DDR darstellen. Wir Freien Demokraten haben in der Vergangenheit mehrfach zu diesem Alleinvertretungsanspruch der Bundesregierung Stellung genommen, auch hier im Bundestag. Wir haben dazu auch schon vor längerer Zeit einen klarstellenden Antrag eingebracht, der nach dem Willen der Koalitionspartner anscheinend aber im Gesamtdeutschen Ausschuß versanden soll. Dabei, meine Damen und Herren, ist es doch ganz offenkundig, daß, da in der DDR, wie wir wissen, keine freien Wahlen stattfinden, die DDR-Bevölkerung natürlich auch Bundestag und Bundesregierung nicht mit ihrer Vertretung beauftragen kann.
Für Bundestag und Bundesregierung folgt daraus nur eines: wir sind moralisch verpflichtet, uns im Interesse des ganzen deutschen Volkes um die Lösung der schwierigen aus der Teilung Deutschlands resultierenden Probleme zu bemühen. Nur so tragen wir auch dem Auftrag des Grundgesetzes Rechnung. Eine rechtliche Vertretung der Bevölkerung drüben ist uns aber leider eben schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich.
Diese Tatsachen sind so klar, ein Rechtsanspruch so wenig begründet, daß man sich nur wundern muß, daß dieser ominöse Alleinvertretungsanspruch immer noch durch die politische Diskussion in der Bundesrepublik geistert. Dabei wäre ein Fallenlassen dieses Arguments alles andere als eine Vorleistung. Von diesem Wahn abzulassen, ist ein Gebot der Vernunft, um so mehr als die Bundesregierung auf diese Weise im speziellen Falle ihren politischen Handlungsspielraum erheblich vergrößern könnte. Die Ulbricht-Regierung, die bisher jeden Schein eines Vorwands dankbar aufgegriffen hat, um konkreten Verhandlungen ausweichen zu können, hätte einen Vorwand weniger. Sie könnte nicht mehr behaupten, sie werde diskriminiert und man könne daher von ihr keinen positiven Beitrag zur Lösung der anstehenden Probleme erwarten.
Darüber hinaus spielen bei der Beurteilung des von der FDP vorgelegten Vertragsentwurfs für die Bundesregierung offenbar immer noch formaljuristische Bedenken eine entscheidende Rolle. Der Regierungssprecher hat am 15. April 1969 nach Agenturmeldungen einige Einzelheiten aus einer juristischen Expertise vorgetragen, die im Gesamtdeutschen Ministerium zum FDP-Vertragsentwurf erarbeitet wurde. Darin heißt es, von der „Regierung der DDR" dürfe nicht die Rede sein, man könne höchstens von „Organen, Behörden, Autoritäten oder zuständigen Stellen" sprechen. Zumindest müßten die „unterschiedlichen Auffassungen über den jeweiligen Status" fixiert werden. Sieht denn die Bundesregierung nicht, daß die Diskussionen über diese Fragen nicht nur unfruchtbar sind, sondern vor allem auch Ulbricht wahrscheinlich die willkommene Gelegenheit geben, konkreten Verhandlungen überhaupt auszuweichen? Wem, so möchte ich fragen, bricht schon ein Zacken aus der Krone, wenn er die Regierung der DDR „Regierung der DDR" nennt? Wir wissen doch, daß dieses Regime nicht demokratisch, d. h. nicht durch freie Wahlen legitimiert ist; aber wir wissen, daß es existent ist. Über solche Selbstverständlichkeiten brauchten wir uns doch eigentlich nicht mehr zu streiten. Eine ausdrückliche Zustimmung der SED zu dieser unserer Meinung werden wir sicherlich nicht erreichen und können wir an sich auch gar nicht erwarten.
Lassen Sie mich abschließend sagen, daß die Vorlage eines Vertrages, wie ihn die FDP vorschlägt - oder auch eine Vorlage der Bundesregierung, wenn sie einen eignen Vertrag vorlegen würde -, endlich ein Durchbruch zu einer offensiven Deutschlandpolitik wäre. Ich kann nur wiederholen, was wir bereits in der schriftlichen Begründung zu unserer Großen Anfrage ausgeführt haben. Die Situation des geteilSchultz ({5})
ten Deutschlands ist so schlecht, daß sie kaum noch verschlechtert werden kann. Angesichts dessen geht die Bundesregierung überhaupt kein Risiko ein, wenn sie unsere Vorschläge akzeptiert. Hätte sie Erfolg und käme der Vertrag zustande, um so besser. Ein wichtiger Schritt zur Wahrung des Zusammenhalts der Nation wäre getan. Hätte die Bundesregierung aber keinen Erfolg, würde Ulbricht sich weigern, über einen vernünftigen und sachgerechten Vertrag zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu verhandeln, so hätte die Bundesrepublik dennoch ein weiteres Mal ihren Friedens- und Verständigungswillen überzeugend unter Beweis gestellt. Die Bundesregierung sollte nicht so selbstgefällig sein und annehmen, wie es in ihrer Antwort auf unsere Großen Anfrage zum Ausdruck kommt, sie brauche ihren Friedens- und Verhandlungswillen nicht mehr unter Beweis zu stellen, da sie das schon durch ihre frühere Politik getan habe. Ich will gar nicht untersuchen, was an dieser Behauptung richtig oder falsch ist. Sicher ist jedenfalls, daß auch diese Bundesregierung nicht darauf verzichten kann, immer wieder überzeugend darzutun, daß ihr Frieden und Verständigung über alles gehen. Durch die Zustimmung zu unserem Antrag könnten Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, der Bundesregierung hierfür eine wichtige Hilfestellung geben.
({6})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht wiederholen oder auszugsweise wiederzugeben versuchen, was in der schriftlichen Antwort auf die Große Anfrage dargelegt ist. Doch möchte ich einiges in zusammenfassender Form für diese Debatte und auch in Antwort auf die Begründung sagen, die mein verehrter Herr Vorredner hier gegeben hat.
Der Herr Kollege Schultz hat gemeint, es sei kein ausreichendes Rezept, lediglich untätig besseres Wetter abzuwarten. Das ist wahrlich richtig. Nur trifft es auf die Bundesregierung bei der Beurteilung dessen, was sie auf diesem äußerst schwierigen, steinigen Felde tut, bestimmt nicht zu. Es ist sehr schwer - das gebe ich zu -, wenn man nicht in die für diesen Teil der Politik völlig unbrauchbare Art der Selbstreklame verfallen will, in aller Breite und Öffentlichkeit über das zu reden, was es im beiderseitigen Interesse gibt. Die Damen und Herren von der Fraktion der FDP wissen, daß, wenn sie wollen, darüber, wenn auch mit der gebotenen Zurückhaltung, in Details im Ausschuß Auskunft gegeben und nie verweigert wird. Insofern ziehe ich mir den Schuh von dem nicht ausreichenden Rezept, besseres Wetter abzuwarten, nicht an.
Andererseits ist es schwer, mit der Beurteilung klarzukommen, die die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der FDP bei den Fragestellern gefunden hat und findet. Der Herr Kollege Schultz hat gesagt, in ihren Einzelheiten sei sie eine positive Antwort und beweise dadurch unter anderem, was von Angriffen zu halten sei, die schon in den Wochen, bevor wir hier zur Behandlung gekommen sind, in aller Öffentlichkeit gegen Intentionen und Motive gerichtet worden sind. Ich bin froh, wenn die Sachlichkeit der Antwort der Bundesregierung dazu beitragen wird, die Diskussion auf diesem äußerst heiklen Gebiet wieder von Invektiven, von Unterstellungen und von mehr als Unterstellungen frei zu machen, die in diesen und anderen Zusammenhängen leider immer wieder manche Teilnehmer an der öffentlichen Debatte zu übermannen scheinen. Aber das ist nicht bloß einseitig.
Der Herr Kollege Schultz hat auch gesagt, die Bundesregierung sollte nicht so selbstgefällig sein, als brauchte sie nichts unter Beweis zu stellen. Über Wertungen will ich hier nicht streiten; aber ich bin überzeugt, Herr Kollege Schultz, daß auch Sie und Ihre ganze Fraktion, wenn es um die Frage der Aufrichtigkeit unserer Friedens- und Verständigungsbemühungen geht, diese nicht in Zweifel stellen wollen. Wir werden darüber streiten können, ob diese Bemühungen zureichend sind, ob sie effektiv sind. Es gilt dann einiges von dem, was ich vorhin gesagt habe. Aber selbstgefällig - wissen Sie, dazu, das von uns anzunehmen, liegt weder auf diesem noch auf anderem Gebiete Anlaß vor.
Was die Antworten auf die Frage 1, wie die Bundesregierung die Chance beurteile, den Zusammenhalt der Deutschen zu wahren und zu festigen und damit die Voraussetzungen für eine Vereinigung in Frieden und Freiheit zu schaffen, und auf die Frage 2, welche konkreten Schritte die Regierung zu unternehmen gedenke, um dem eben genannten Ziele näherzukommen, angeht, so möchte ich nicht nur auf die schriftliche Antwort verweisen, in der dargelegt worden ist, was wir dazu zu sagen haben. Die Bundesregierung hat sich bemüht und ist auch weiter bemüht, im Sinne ihrer Erklärung vom Dezember 1966, soviel an uns liegt, zu verhindern, daß sich die beiden Teile unseres Volkes während der Trennung weiter auseinanderleben. Aus diesen Gründen - so haben wir gesagt, und so verhalten wir uns unter unsagbaren Schwierigkeiten, die die Gegenseite jedem Schritt gegenüber macht - wollen wir die menschlichen, wirtschaftlichen und geistigen Beziehungen zu unseren Landsleuten mit allen Kräften fördern. Wir haben auch klargemacht, daß unsere Rechtsauffassung kein Hindernis für die behördliche Regelung dieser Beziehungen ist und sein soll. Deshalb hat die Regierung auch zu verstehen gegeben, daß weder die Verhandlungsebene noch die Form der anzustrebenden Vereinbarungen ausschlaggebend sind, sondern die Qualität dessen, was im beiderseitigen Interesse erreicht werden soll. Vor allen Dingen in der schriftlichen Antwort auf die Frage 2 haben wir dann eine ganze Reihe von Hinweisen - und mehr als Hinweise - für die auf verschiedenen Gebieten bestehenden Beziehungen bzw. von uns angestellten Bemühungen, diese Beziehungen geregelter zu gestalten, als sie es bisher auf manchen Gebieten sein können, gegeben. Das also, so hatte ich gesagt, möchte ich nicht wiederholen.
Herr Kollege Schultz, ich bedaure es, daß Sie in bezug auf die schriftliche Antwort - ich bin soeben noch einmal kurz auf sie zu sprechen gekommen -, in der wir klargemacht haben, daß unsere eigene Rechtsauffassung kein Hindernis für die behördlichen Regelungen solcherart Beziehungen ist und auch nicht sein soll, sagen, das wäre wohl ein Ausdruck für das, was Sie Alleinvertretungsanspruch nennen. Mir tut das leid. Sie haben gesagt, die Gründe müßten tiefer liegen als in der Antwort erkennbar. Ich weiß es nicht. Ich nehme an, daß die Kollegen aus dem Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen ihrer Meinung hinsichtlich des hier monierten Schicksals eines Antrags, der sich mit dem Begriff „Alleinvertretungsanspruch" beschäftigte, Ausdruck geben werden. Mir wäre es sehr lieb, wenn es einmal zu einer sachlichen Klärung dieses mißbrauchten und häufig sogar verunstalteten Begriffs käme, der ja inzwischen auf der Gegenseite ständig als Alleinvertretungsanmaßung bezeichnet wird, ungeachtet dessen, daß die Gegenseite auf bestimmten Kerngebieten der deutschen Politik nun wahrlich nicht nur behauptet, sondern sich anmaßt, alles allein zu wissen und bestimmen zu können, z. B., was die Arbeiter in Deutschland betrifft, und auch fast alles, nein, man darf auch hier sagen: alles, was die wirklichen Sicherungen des Friedens betrifft. Aber wir wollen nicht in eine solche Idealkonkurrenz mit denen eintreten. Wir setzen auf Verständigung.
Ich komme zu einigen Bemerkungen zu der schriftlichen Antwort auf die Frage 3. Es ist die Frage nach der Bereitschaft der Bundesregierung, einen Vertrag zwischen beiden Teilen Deutschlands vorzuschlagen, dessen Ziel es sein soll, im Interesse des Zusammenhalts der Deutschen, der europäischen Sicherheit und des Friedens in der Welt die Beziehungen zwischen den beiden Teilen für die Übergangszeit bis zur friedlichen Lösung unserer nationalen Frage zu ordnen. Das ist von der Bundesregierung bejaht worden. Das heißt, wir schließen einen solchen Vertrag nicht aus. Sie, Herr Kollege Schultz, haben sich mit diesen Feststellungen hier befaßt. Insofern befindet sich die Bundesregierung nicht in einem Gegensatz zur Fraktion der FDP. Aber wir haben in unserer schriftlichen Antwort ausgeführt, daß es darüber, wie dieses Ziel zu erreichen ist, und darüber, wann und wie etwas auf den Tisch zu legen ist, Meinungsverschiedenheiten gibt. Wir haben heute noch einmal gehört, daß die FDP möchte, die Bundesregierung solle zu dem Vertragsentwurf der anderen Seite, der nun der Begriff eines Entwurfs eigentlich nicht verdiente, einen Gegenvertragsentwurf vorlegen.
Auch die FDP hat ja den Text, den uns die andere Seite seinerzeit mit dem Schreiben von Herrn Stoph, dem Ministerratsvorsitzenden, hierhergeschickt hat, als nicht annehmbar bezeichnet. Insofern gibt es da keine Differenz. Die Differenz besteht darin, wie man es jetzt weiter behandeln soll.
Ich möchte aus der Antwort, die wir schriftlich gegeben haben, in größter Kürze nur hervorheben: Während die Bundesregierung versucht, trotz der fortbestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen denen, die im anderen Teil Deutschlands die Verantwortung haben, und uns einen Modus vivendi zu erreichen, möchten die Verantwortlichen auf der anderen Seite Verhandlungen von vornherein von der vorherigen Anerkennung dessen abhängig machen, was sie alles anerkannt wissen wollen, bevor überhaupt in Verhandlungen eingetreten werden kann. Darauf werde ich noch einmal zurückkommen.
Der Botschafter der UdSSR in der DDR, Herr Abrassimow, hat dieser Tage in einer Rede, die er öffentlich gehalten hat und die in den dortigen Blättern entsprechend Verbreitung gefunden hat, wieder einmal deutlich gemacht, von welchen falschen Voraussetzungen das Begehren ausgeht, das gleichermaßen von der Regierung der UdSSR und von der DDR an uns gerichtet wird - man kann es auch anders sagen: was man uns alles unterstellt. Der Botschafter hat gesagt, in Bonn sei man der Meinung, daß die europäische Sicherheit nicht auf der Grundlage der Nachkriegsordnung in Europa gewährleistet werden könne, daß man mit dem Status quo nicht einverstanden sein könne und daß eine Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges notwendig sei. Soweit Herr Botschafter Abrassimow.
Dagegen legen wir hier Wert darauf, unseren Beitrag zur Verständigung zu leisten und dafür zu sorgen, daß er auch als solcher erkannt werde, damit eine Friedensordnung in Europa zustande gebracht werden kann, zu der es ja vieler Beiträge bedarf, die niemand aus dem Stand schaffen bzw. einem anderen aufnötigen kann, selbst wenn er es wollte; von manchen muß man allerdings den Eindruck haben, daß sie es wollten. Es geht um eine Friedensordnung in Europa, die von allen Beteiligten als gerecht und als dauerhaft empfunden werden kann und in deren Rahmen alle europäischen Staaten zum Wohle ihrer Völker zusammenarbeiten können.
Nun, man unterstellt uns statt dessen - und hier muß ich noch einmal Herrn Botschafter Abrassimow zitieren -, das Ziel der Bundesrepublik sei die Veränderung der existierenden europäischen Grenzen, anders gesagt - so betonte er -, Revanche und Revision der Ergebnisse des vom Hitler-Faschismus entfesselten zweiten Weltkrieges. So der Herr Botschafter Abrassimow laut „Neues Deutschland" vom 24. April dieses Jahres.
In diesem Hause gibt es niemanden, der solche Unterstellungen nicht tief bedauert und zurückweist.
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Dessen dürfen wir sicher sein. In Wirklichkeit bedürfte es lediglich des guten Willens der Verantwortlichen im anderen Teil Deutschlands, daß man miteinander in Gespräche kommt, die zu Verhandlungen führen würden.
Die Bundesregierung hat durch den Brief, den der Bundeskanzler am 28. September 1967 dem Vorsitzenden des Ministerrats in Ostberlin geschrieben hat, angeboten, Gespräche aufzunehmen, die zu Verhandlungen führen sollen, und hat auch gesagt, wer dazu befugt sei, die Vorbereitungen zu treffen.
Wir verstehen darunter Verhandlungen ohne Diskriminierung der einen oder der anderen Seite. Wir verstehen darunter Verhandlungen, in denen die Regelungen gesucht und gefunden werden können - sicher sehr allmählich und mühselig -, die den beiderseitigen Interessen entsprechen werden, Verhandlungen, in denen auch die Formen gefunden werden können, in denen beide Seiten miteinander verkehren können. Das ist es, was wir meinen, wenn auf unserer Seite von der Einleitung, von der Vorbereitung von Verhandlungen und von Verhandlungen selbst die Rede ist. Das ist ein Angebot. Keine Seite nötigt der anderen Seite die Form auf, in der beide miteinander verkehren sollen.
Was wir in der schriftlichen Antwort auf Frage 5 erwähnt haben, das soll auch in diesem Zusammenhang in Erinnerung gebracht werden. Es gibt da keine Ausschließlichkeit, weder für Modelle noch für Gebrauchsanweisungen. Ich würde sehr vorsichtig sein mit dem Begriff, der zur Zeit wieder umhergeistert, was alles ein Modell für ein vereinigtes Deutschland sein könnte und was man alles als solches zu bieten habe. Die Bundesregierung verkennt also keineswegs, daß eine Verbesserung der innerdeutschen Beziehungen nicht gegen den Willen der Verantwortlichen in Ostberlin, sondern nur mit deren Zustimmung erreicht werden kann. Das sei hier noch einmal in aller Deutlichkeit und frei von allem Drum und Dran gesagt.
Nun, auch in dieser Beziehung unterscheiden sich die Handlungen. Ich spreche hier auch von Handlungen der Bundesregierung; denn die Bundesregierung spricht nicht nur über etwas, was sie will, sondern im Bereich der Sachgebiete, in denen die Interessen der anderen Seite so gelagert sind, daß sie in Verkehr mit uns tritt bzw. bleibt, wird ja gehandelt.
Auch hier unterscheidet sich das, was darunter unsererseits zu verstehen ist, nicht grundsätzlich von Vorstellungen, wie sie etwa die FDP in dem Zusammenhang ihres Vorschlages und ebenso heute vorgetragen hat. Aber ich möchte doch betonen, daß es eine entscheidende politische Ermessensfrage ist, ob und wann ein solch umfassendes Vertragsprojekt übergeben werden soll oder kann. Wir haben gesagt: Solange damit zu rechnen ist, daß die Gegenseite einen solchen Vertrag einfach nicht zum Gegenstand ernsthafter Verhandlungen zu machen bereit ist, diente es dem angestrebten Ziele nicht, Vertragsentwürfe gegeneinanderzustellen.
Auch Herr Kollege Schultz hat hier eben das unterstrichen, was in der Begründung seiner Fraktion zu dem Entwurf geschrieben worden ist: wenn Ostberlin - d. h. die dortigen Instanzen - so einen Vorschlag ablehnten, hätte doch jedenfalls die Bundesrepublik ihren Friedens- und Verständigungswillen überzeugend unter Beweis gestellt.
Ich will hier nicht den Ball zurückspielen, um damit das Tätigwerden zunächst einmal auf sich beruhen zu lassen; danach ist mir nicht zumute. Nein, ich muß sagen, die Bundesregierung hält jede auch nur partielle Regelung, die unter den gegenwärtigen widrigen Umständen erreichbar ist, für wichtiger als die Beweisführung, daß die andere Seite einen umfassenderen Vertrag ablehne oder ihm sogar nur polemisch gegenüberstehe. Das ist eine Sache, über die man sicher nicht nur diskutieren, sondern auch streiten kann; ich gebe das zu. Aber das wäre, soweit es sich um das Streiten handelt, wirklich eine Angelegenheit, zu der man sich regierungsseitig vielleicht nur in Ausschußberatungen deutlicher äußern könnte, bei denen man in die Sache eindringen kann.
Jedenfalls möchte ich hier wiederholen, was wir in der schriftlichen Antwort in einem Absatz - nur in diesem! - betont haben: Nach dem Angebot der Bundesregierung zu Regierungsverhandlungen und der Benennung des Staatssekretärs des Bundeskanzleramtes zum Beauftragten der Bundesregierung ist es Sache der Gegenseite, von der dem Ministerrat am 9. August 1968 durch die Volkskammer erteilten Ermächtigung Gebrauch zu machen und einen Staatssekretär mit der Einleitung von Verhandlungen zu beauftragen. Wir haben es in anderen Teilen unserer Antwort deutlich gemacht: es gibt bei uns keine Ebenenbeschränkung. Ob Staatssekretäre, ob darunter oder darüber, das hängt vom Thema, vom Gegenstand ab. Das wollte ich nur noch einmal in Erinnerung gebracht haben, damit es hier nicht zu Mißverständnissen kommt.
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Hier geht es um die Einleitung! Wenn sich die andere Seite dieses Angebots bedienen und von ihrer eigenen Vollmacht Gebrauch machen will, die - jedenfalls für diejenigen, die die dortigen Veröffentlichungen lesen können - seit dem 9. August des vorigen Jahres, mit fast einem Jahr Verzögerung, gegeben worden ist, dann kommt man auch allgemein einen Schritt weiter. Bis dahin müssen wir uns weiter mit partiellen Regelungen begnügen, die, wo es die beiderseitigen Interessen zulassen, getroffen werden und die auch, ich will nicht sagen: florieren, aber doch in Ordnung gehen.
Der Bundeskanzler hat am 11. März des vorigen Jahres vor dem Bundestag erklärt, daß die zum Thema Gewaltverzicht gehörenden Fragen auch in den Kreis der zu behandelnden Gesprächs- und Verhandlungsgegenstände gehören und in ihn einbezogen würden, wenn es zu solchen Verhandlungen kommt. Das ist also ein Katalog, der keineswegs anderes ausschließt. Dazu haben wir in der schriftlichen Antwort auf die Frage 4 der FDP-Fraktion Weiteres ausgeführt.
Darf ich mit aller Behutsamkeit - auch weil es ein sehr schwieriges Thema ist - hier noch andeuten, daß weder die Gewähleistung der Unkränkbarkeit oder Unverletzbarkeit des Territoriums noch der faktischen Souveränität der im anderen Teil Deutschlands verantwortlichen Behörden von uns in Frage gestellt oder tatsächlich eingeschränkt wird. Das sind ja Tatbestände, an denen man auch nicht einfach vorbei kann. Es sind jedenfalls, um auch das einmal deutlich zu sagen, nicht unsere Sicherheitsorgane, die z. B. von der Schußwaffe Gebrauch machen, wenn jemand versucht, von Deutschland
nach Deutschland zu gelangen. Es sind auch nicht wir, die Minenfelder angelegt haben, in denen Menschen verbluten können, die hineingeraten. Ab und zu muß man darauf hinweisen, vor allen Dingen dann, wenn eine eigentümliche Kette von Schußwaffengebrauch wieder einmal aufeinander folgt; denn meist ist das kein Zufall.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal auf die schriftlich gegebene Antwort auf die Fragen 6 'und 7 hinweisen, die sich mit Amnestie, mit Gefangenen, mit menschlichen Härten befassen.
Nun einiges zu der Frage 8, die etwas anrührt, von dem ich gestehe, daß ich es für das Empfindlichste und Schwierigste im ganzen innerdeutschen Verhältnis halte. Die Sicherheit Berlins wird nach wie vor durch die Präsenz der alliierten Schutzmächte im Rahmen der für Berlin geltenden internationalen Vereinbarungen gewährleistet. Das gleiche gilt für die natürlichen Voraussetzungen der Lebensfähigkeit dieser Stadt, zu denen sowohl die mannigfachen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zwischen dem Bund und Berlin als auch die Benutzung der Verbindswege von und nach Berlin gehören. Alle praktischen Überlegungen der Bundesregierung in bezug auf Berlin gehen davon aus, daß der im Rahmen der geltenden internationalen Vereinbarungen gewachsene Status Berlins nicht zum Nachteil der Stadt und ihrer Bevölkerung beeinträchtigt werden darf.
Eine Regelung, die die gegenwärtige Situation der Verkehrsverbindungen mit Berlin verbessert, wäre durchaus wünschenswert und müßte in der entsprechenden Ordnung auch behandelt und verhandelt werden. Eine solche Regelung muß allerdings die grundlegenden Bedingungen für die Sicherheit und für die Lebensfähigkeit Berlins wirklich berücksichtigen, d. h., die Rechte, die Verantwortlichkeiten der Vier Mächte hinsichtlich des freien Berlin-Zugangs dürfen nicht eingeschränkt werden. Maßnahmen zur rechtlichen und politischen Absicherung des gewachsenen Status West-Berlins sind in erster Linie Sache der westlichen Schutzmächte, die gemeinsam mit der Sowjetunion im Rahmen der Viermächte-Verantwortung für ganz Berlin die internationale Verantwortung für das politische Schicksal der Stadt übernommen haben.
Es darf dabei, meine Damen und Herren, nicht außer acht bleiben, daß der Viermächte-Status der Stadt für ganz Berlin gilt, wie ich schon sagte. Weder im Wortlaut der Großen Anfrage noch in ihrer Begründung ist dazu besonders Stellung genommen worden. Ich nehme an, daß es in dieser Frage keine grundlegenden Meinungsverschiedenheiten gibt und aus diesem Grunde nur einmal darauf hingewiesen werden muß, daß das ein sehr empfindliches Gewebe ist, um das es hier geht. Jedenfalls kann sich die Bundesregierung in ihrer Deutschlandpolitik über diese Rechtslage nicht hinwegsetzen; sie will es auch nicht. Im Gegensatz zu Ostberlin ist sie jedenfalls entschlossen, sich an den in gültigen internationalen Vereinbarungen festgelegten Status Berlins zu halten.
Nun, ich muß zu dieser Bemerkung „im Gegensatz zu Ostberlin" einiges erläutern. Meine Damen und
Herren, am 11. Juni 1960 hat der Erste Sekretär der SED, Walter Ulbricht, u. a. gesagt: „Die Lösung der" - wie er sich ausdrückte - „West-Berlin-Frage" -nämlich durch einen damals in der Diskussion befindlichen separaten Friedensvertrag zwischen UdSSR und DDR - so sagte er wörtlich, „kann die Entstehung eines Konflikts bedeuten." Es war Ulbricht, der dem hinzugefügt hat - ich zitiere ihn hier wieder wörtlich -: „Aber dieser Konflikt bringt weniger Gefahren als das Weiterbestehen der Herde des Krieges." Herde des Krieges, - das ist in diesem Fall West-Berlin, und es ist sehr intensiv, wenn auch unheimlich entstellend versucht worden, diese
Beschuldigung zu belegen.
Daß es sich bei derlei Äußerungen nicht um gelegentliche polemische Spitzen handelt, sondern daß
darin eine böse Grundauffassung zum Ausdruck
kommt, den Eindruck habe ich, wenn ich mir eine
Rede ansehe, die später gehalten worden ist, nämlich am 1. Dezember 1967 in der Volkskammer. Da
wurde vom Staatsratsvorsitzenden wörtlich gesagt:
Für den Status West-Berlins, das auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik
liegt und rechtlich zu ihr gehört, aber zur Zeit
noch einem Besatzungsregime unterworfen ist,
sowie für einige damit zusammenhängende Fragen, die Vereinbarungen zwischen den Vier
Mächten betreffen, gilt bis auf weiteres die
Regelung des Art. 6 des Vertrages über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen
Republik und der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken vom 12. Juni 1964.
Hinzugefügt hat Herr Ulbricht:
Die Volkskammer und die Regierung der DDR werden sich unablässig dafür einsetzen, daß Schritt für Schritt auch die letzten Überreste des zweiten Weltkriegs beseitigt werden, die von den imperialistischen Westmächten dazu benutzt werden, die DDR und ihre Bürger zu schädigen.
Das, wohlgemerkt, gesagt mit der unmittelbaren Spitze auf West-Berlin.
Nun, wir jedenfalls, die wir hier sind, wir wollen, daß die nach der Beendigung der militärischen Kampfhandlungen für die Zeit bis zu einer friedensvertraglichen Regelung mit einer vom ganzen deutschen Volk legitimierten Vertretung geschaffenen Viermächte-Regelungen einmal in die friedensvertragliche Regelung übergehen, d. h., daß sie abgelöst werden, aber nicht, daß sie durch systematische Handlungen ausgehöhlt werden und daß sozusagen der Ort abgesteckt wird, an dem man unter gewissem Schutz das, was man dort als Überreste aus Kriegs- und Nachkriegsbesatzungszeit bezeichnet, wegdrückt oder aushöhlt oder auch aushebt, während Deutschland im übrigen im Zustand der Teilung und ohne friedensvertragliche Regelung bleibt, bis genügend Tatsachen geschaffen sind, von denen diejenigen, die sie schaffen, annehmen, sie könnten nicht mehr rückgängig gemacht werden. Mit dieser Grundauffassung haben wir es da zu tun. Wir müsBundesminister Wehner
sen uns ihr jedenfalls politisch nicht nur stellen, sondern gewachsen zeigen durch unsere eigenen Handlungen, maßvoll, aber jedenfalls nicht, indem wir hier auch nur durch Unvorsichtigkeit oder Unbedachtsamkeit und Unachtsamkeit etwas mit zu verschulden oder zu verantworten hätten, das zu einem Gefälle führt. Denn von der anderen Seite sind systematisch Handlungen vorgenommen worden, durch die Viermächte-Verantwortlichkeiten gekränkt und ausgehöhlt worden sind.
Man beruft sich auf Viermächte-Verantwortlichkeiten auf .der anderen Seite gern, wenn man etwas aussetzen, etwas rügen, etwas verändern möchte, an West-Berlin z. B. Aber der 'andere Teil Berlins ist faktisch in die DDR einverleibt. Das muß man sehen, und daran kann man bei allem ehrlich einzuschätzenden Bemühen um Verständigung nicht vorbeigehen.
Immerhin, in der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik - so ist ihr Titel - vom 6. April 1968 heißt es im Art. 1: „Die Hauptstadt der Deutschen Deutschen Demokratischen Republik 'ist Berlin." Meine Damen und Herren, da steht nicht, welche Straßenzüge, da steht nicht, welcher Teil und in welchem Ausmaß. Es ist mir schon oft geschehen, daß Ausländer, Abgeordnete, Journalisten, Wissenschaftler, die wissen wollen, was der Satz eigentlich bedeutet, wie man ihn fassen kann, fragen: Also, was gilt dann ,als Berlin? Das ist ein Begriff in der Verfassung, der es in sich hat. Bitte, das richtet sich jetzt nicht an die FDP, aber es richtet ,sich an andere, die zum Thema auch immer wieder ihre Beiträge geben. Diejenigen, die der Meinung sind, wir sollten - wie es heißt - anerkennen oder die DDR anerkennen, d. h. eben anerkennen, was SED und DDR-Organe von uns anerkannt wissen wollen, ehe sie überhaupt bereit wären, in Verhandlungen mit uns einzutreten, mögen jedenfalls bedenken, was dieser Satz: „Die Hauptstadt .der Deutschen Demokratischen Republik ist Berlin" so gesehen bedeutet, nämlich die Legitimierung einseitig vollzogener Akte. Ich unterstelle niemandem, daß er das wissentlich wolle oder fordere; aber ich weiß, daß viele es dennoch begehren in der Annahme, dann wäre alles leichter, und es ließe sich endlich unbeschwert miteinander reden. Aber hier geht es um die Legitimierung einseitig vollzogener Akte.
Nun wird manchmal die Frage gestellt - auch mir ist sie in letzter Zeit wiederholt gestellt worden, auch wieder z. B. von achtbaren Persönlichkeiten aus dem Ausland -, ob wir denn meinten, Ost-Berlin, der andere Teil der Stadt, müsse oder könne nun in aller Form aus der DDR wieder ausgegliedert werden. Ich möchte den Betreffenden sagen - ich habe ihnen so geantwortet und werde ihnen auch weiter so antworten -: wir wollen jedenfalls nicht, daß West-Berlin aus der Obhut der drei westlichen Schutzmächte gelöst oder daß deren Verantwortlichkeit ausgehöhlt wird.
({2})
Das ist alles, was wir zur Zeit können. Das ist das
Wenige, was wir bewirken können, angesichts dessen, was nicht mehr rückgängig zu machen ist, jedenfalls nicht, bevor es eine endgültige friedensvertragliche Regelung geben wird. Durch das Festhalten an diesem Recht der Ausübung der obersten Gewalt in Berlin ({3}) durch die Drei Mächte, die zusammen mit einer vierten sich in die Viermächte-Verantwortlichkeit für ganz Berlin teilen, solange es keine friedensvertragliche Regelung gibt, haben wir wenigstens eine gewisse Sicherheit dafür, daß der Prozeß, der mit Ostberlin vorgenommen worden ist und dem es ausgeliefert war, nun nicht auch in Zeiten, die ich jetzt hinsichtlich der Länge nicht definieren will - auch nicht partiell -, auf den anderen Teil der Stadt übergreift. Das sind wir allen schuldig, nicht nur denen, die Einwohner West-Berlins sind, und denen, die unter schwierigen Verhältnissen als Einwohner des anderen Teils Berlins leben müssen, nein, auch all den anderen, die zum Teil unter Verhältnissen leben, in denen sie nicht einmal wirklich ungefälscht vernehmen können, ob wir uns denn überhaupt noch Gedanken über sie und über das machen, was uns gemeinsam ist. Das jedenfalls möchte ich hier gesagt haben.
({4})
Die Vereinigten Staaten von Amerika und die UdSSR bleiben in Berlin für den Status Berlin verantwortlich. Daran darf nicht - selbst wenn wir meinen, daß das vielleicht etwas wäre, was das komplementieren könnte - gerührt werden. Ich sage das deshalb, damit wir uns das genau überlegen. Wenn West-Berlin - und das wollen wir in einer absehbaren Zeit auch erreichen - die Gelegenheit bekommen soll und muß, eine konstruktive Rolle auch für die Verbesserung des Verhältnisses zwischen West und Ost in Deutschland - und, wir hoffen, auch ein wenig darüber hinaus - zu spielen, so muß gesichert bleiben, daß die Vereinigten Staaten von Amerika und die UdSSR - ich will dabei Großbritannien und Frankreich nicht einfach unerwähnt lassen; aber hier geht es vor allen Dingen um diese beiden Großen - in Berlin für den Status von Berlin verantwortlich bleiben. Und insofern - bei allem Respekt vor den aufrichtigen Bemühungen, Berlin und die Teile Deutschlands durch vertragliche Regelungen zwischen Bonn und Ostberlin in geregeltere Verhältnisse zueinander zu bringen was Berlin betrifft: die Verantwortlichkeiten der Mächte, die in Berlin ({5}) de jure die Gewalt haben, nicht einschränken oder erschlaffen zu lassen, das ist es, worum es hier geht, und nicht da irgend einen Überbau zu versuchen. Ich unterstelle dem nichts; ich unterstelle, daß es aus ehrlicher Sorge geschieht. Ich habe die Hoffnung- ich nehme an, manche hier im Hause teilen sie mit mir - aus den Erklärungen des Präsidenten der Vereinigten Staaten bei seinem Berlin-Besuch unlängst geschöpft, daß er bemüht sein wird, das, was am Status Berlins verbesserungsfähig ist durch Garantien der Mächte zu verbessern, daß er sich aber eindeutig gegen einseitige Veränderungen des Status ausgesprochen hat. Ich halte das für verbindlich und für verbindlich zu nehmen. Wir sollten das nicht nur würdigen, sondern auch für unsere eigenen Überlegungen immer parat haben.
Schließlich noch einiges ergänzend zu dem, was zu Frage 9 gesagt worden ist. Wir Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland sind nicht frei, uns entweder für Verständigung einzusetzen und konkret um Verständigung bemüht zu bleiben oder das Gegenteil zu tun bzw. die Dinge treiben zu lassen. Wir sind nur theoretisch frei. Wenn wir es ernst nehmen mit unserer eigenen Lage und mit der moralischen Verpflichtung, aber auch mit den Interessen, dann sind wir nicht frei in der Wahl. Wir können uns dann wirklich nur für Verständigung einsetzen und konkret um Verständigung bemüht bleiben. Da wird immer kritisch etwas zu verbessern sein, damit man nicht außer acht läßt, was unter diesen schwierigen Bedingungen vielleicht doch noch zusätzlich gemacht werden kann.
Die Bundesrepublik hat sich, so möchte ich es ausdrücken, der Aufgabe verpflichtet, dem ganzen deutschen Volk zu helfen, in freier Selbstbestimmung über seine Zukunft entscheiden zu dürfen. Wir können das nicht an Stelle aller Deutschen schlechthin. Aber ohne uns, diesen Faktor der Politik, ginge es eben auch nicht. Wenn wir darüber ernsthaft reden, kommen wir zu einer Relativierung dessen, was z. B. über den Alleinvertretungsanspruch gesagt und in die Welt gesetzt und von manchen - allerdings auch noch sogar bis in den zwischenstaatlichen Verkehr hinein - mißverstanden wird.
Aber um noch ein Wort von der Pflicht zu sagen: wer vermöchte uns aus dieser Pflicht, die wir uns auferlegt haben, zu entlassen? Meiner Ansicht nach theoretisch nur das ganze deutsche Volk. Wir haben, wenn wir dieser Pflicht gerecht werden wollen, eine Menge - und darunter sehr viel unbequeme -. reale Faktoren zu beachten. Wir haben sie so zu behandeln, daß wir durch sie nicht erdrückt werden oder am Bemühen um die Erfüllung unserer Pflicht gehindert werden.
Wenn in diesem Jahr „20 Jahre Grundgesetz" in Erinnerung gebracht wird, dann wird es, nehme ich an, für manche reizvoll, für andere erschütternd oder packend sein, noch einmal zu hören, vielleicht auch sich selbst zu vergegenwärtigen und zu prüfen, unter welchen Vorstellungen man damals, vor 20 Jahren, das begriffen hat, was im Grundgesetz über die Verhältnisse der getrennten Deutschen zueinander steht und wie wir es nun weiter damit zu halten versuchen müssen.
Wenn ich jetzt eine Frage stelle -- eine Frage, die viele andere sich auch stellen -, so ist es die: würde es zu einer objektiven Verbesserung der Lage für uns und im Sinne dieser Verpflichtung führen, lohnt es sich, sich etwa darüber zu zerstreiten, ob im anderen Teile Deutschlands staatliche Gewalt oder Staat existiert oder nicht oder ob wir oder ob wir nicht diese Existenz zu erkennen oder, insoweit sie eben Existenz ist, anzuerkennen hätten?
Wir haben gesagt: Unser Rechtsstandpunkt soll kein Hindernis gegen Verhandlungen und Regelungen sein, die zwischen Behörden erforderlich werden können oder hier und dort schon erforderlich sind, wobei wir keine behördlichen Ebenenbegrenzungen aufgestellt haben. Das finde ich, ist eine Brücke. Ich
wäre froh, wenn es ungeachtet der in dieser Beziehung nicht ohne weiteres zur Hoffnung berechtigenden Bemerkung des verehrten Kollegen Schultz, der hier für die FDP-Fraktion begründet hat, dort nicht als ein Vorwurf, sondern als eine ehrlich gemeinte Mahnung verstanden würde. Diese Brücke sollte niemand, auch die FDP nicht, in ihrem Wert herabsetzen.
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Es ist keiner vollkommen. Aber wenn es so ist, daß sich aus der Regierungserklärung ableiten läßt, daß unser Rechtsstandpunkt, über den es diese und jene Auffassung geben mag, kein Hindernis dort sein soll und wird, wo aus Gründen, die nicht bei uns, sondern in den Verhältnissen - wie sie von den anderen entwickelt worden sind - liegen, Verhandlungen über Regelungen mit den Behörden der anderen Seite notwendig sind, dann sollte man das als Brücke benutzen und sagen und zeigen: In diesem Punkt sind wir ungeachtet sonstiger Unzufriedenheiten miteinander einer übereinstimmenden Auffassung. Das kann doch einem Staat wie diesem einmal guttun, wenn er nicht nur Kontroversen auszutragen hat und schließlich damit - ({7})
Meine Damen und Herren, solange unser ganzes deutsches Volk nicht in der Lage ist, an den Umständen etwas Grundlegendes zu ändern, müssen wir zu unserem Teil und bescheiden in unserem Teil tun, was in unserem Vermögen steht, damit dieses Volk nicht mit sich selbst zerfällt. Das müssen wir auch in unserer Verantwortung gegenüber Europa und in unserer Verantwortung für den Frieden der Welt, die wir mittragen wollen, tun.
Ich möchte noch einmal auf den Gegenstand zurückkommen, der diese Debatte ausgelöst hat. Herr Kollege Schultz hat hier gesagt, wenn die Bundesregierung nicht dem Vorschlag entspreche, der mit diesem Antrag verbunden ist, dann sei das von Vorteil für diejenigen, die er die Konservativen drüben nennt. Dazu möchte ich zu bedenken geben, auch wenn es in dieser Debatte noch nicht zu einer völligen Übereinstimmung in diesem Punkt kommen kann: es kommt auf diesem Feld auf Schritte an, ja, wie ich sagen möchte, sogar auf Millimeterveränderungen der Lage, nicht in dem Sinne, den man uns von drüben unterstellt, sondern im Sinne des Dichterwerdens eines Gewebes der Verhandlungsbereitschaft und auch der Verhandlungspraxis und der Regelungen, auch wenn sie keine komplette oder umfassende Form annehmen, zur Zeit annehmen können und vielleicht noch geraume Zeit nicht annehmen werden. Die einen werden das sogar für einen Vorteil halten. Andere werden finden: Schade. Selbst in diesem Punkt sollten wir eine übereinstimmende Stelle finden, nämlich, daß es auf Regelungen ankommt, so viele eben nur möglich sind, durch die im beiderseitigen Interesse etwas Positives für den Zusammenhalt unseres geplagten Volkes getan werden kann.
Es ist eine bescheidene Bilanz. Sie würde im Ausschuß ein wenig belegt werden können. Aber
es ist etwas, was wir nicht beliebig Wind und Wetter aussetzen dürfen, wenn wir nicht lebensgefährliche Beschädigungen mitverschulden wollen.
Ich danke für Ihre Geduld.
({8})
Meine Damen und Herren. Ich eröffne die Aussprache.
Ehe ich das Wort gebe, gestatten Sie mir eine Bemerkung. Während ich hier vorgestern amtierte und wir über die Finanzreform abstimmten, hat Herr Abgeordneter Neumann ({0}) unserem Kollegen Dorn einen Zuruf gemacht, den weder ich noch einer der amtierenden Schriftführer gehört haben. Hätte ich den Zuruf gehört, hätte ich ihn scharf rügen müssen. Ich mußte diese Bemerkung jetzt machen, weil der Zuruf im Protokoll verzeichnet steht.
({1})
- Man soll Beleidigungen nicht wiederholen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter von Wrangel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben allen Grund, der Bundesregierung für die Antwort dankbar zu sein, die sie den Fragestellern gegeben hat, und wir haben, Herr Bundesminister Wehner, auch allen Grund, Ihnen für die Ausführungen zu danken, die Sie hier gemacht haben. Es ist Ihnen gelungen - dies richtet sich auch an Sie, meine Damen und Herren von der FDP -, die öffentliche Diskussion über die Deutschlandfrage, die sich dann und wann in einem Höhenflug befindet, wieder auf den Boden der Realitäten zu bringen. Wir in diesem Hohen Hause haben doch alle die Pflicht, den Denkprozeß anzuführen und nicht irgendwelchen Hoffnungen nachzujagen, von denen wir genau wissen, daß sie sich nicht erfüllen lassen. Ich möchte davor warnen, immer wieder Spaziergänge in trügerische Gefilde zu unternehmen, in denen sich Diktaturen harmlos darstellen und Tyranneien verniedlicht werden. Das führt dann auch dazu - und das betrifft die Bundesrepublik Deutschland in hohem Maße -, daß z. B. auch Demokratien wie unsere eigene Demokratie abgewertet werden könnten. Dem müssen wir doch alle entgegenwirken.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht auf die Fülle von Äußerungen eingehen, die zum Thema Deutschlandfrage gemacht worden sind. Eines müssen wir aber und dürfen wir auch, wie ich glaube, in diesem Zusammenhang einmal klar sagen. Sehen Sie, Herr Schultz, die FDP z. B. wendet sich in Inseraten an unsere Mitbürger in der Bundesrepublik und fragt, ob diese Mitbürger für Beziehungen mit der anderen Seite sind. Hier wird doch einfach der falsche Adressat angesprochen.
({1})
Diese Frage müssen Sie doch an Ostberlin und nicht an uns stellen.
({2})
Dies sollte man außerdem dann nicht auch noch mit dem Etikett „Fortschritt" versehen.
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Wir haben alle ein Interesse daran - und ich sage das jetzt wirklich nicht an Ihre Adresse, Herr Kollege Scheel -, daß die Deutschlandpolitik, wenn wir die innenpolitische und die außenpolitische Landschaft ansehen, nicht zu einer Art Exerzierplatz für Träumer, Demagogen und Schwätzer gemacht wird. Leider geschieht dies häufig in der öffentlichen Diskussion.
({4})
Ich gebe zu, daß Denkmodelle nötig sind, ja, es mag Situationen geben, wo sogar Vertragsentwürfe einen Wert haben könnten. Wir sollten aber eines nicht glauben und vor allen Dingen eines auch unserer jungen Generation nicht sagen: daß Denkmodelle am Grünen Tisch eine realistische und schwierige und so komplizierte Politik ersetzen könnten.
({5})
- Herr Kollege von Gemmingen, ich habe gesagt: Das richtet sich an uns alle. Ich will hier keinen billigen Streit vom Zaun brechen; daran liegt mir nichts. Aber einige Gesichtspunkte muß man erwähnen, wenn man Äußerungen liest, die mißverständlich sind. Einige sind es mit Sicherheit.
Herr Bundesminister Wehner hat Punkt für Punkt das gesagt, was die Bundesregierung zu Ihrer Anfrage zu sagen hat. Ich will das jetzt hier nicht wiederholen. Wir teilen den Standpunkt der Bundesregierung. Aber einen Gesichtspunkt möchte ich herausstellen. Ich glaube, daß gerade in unserer Lage Verhandlungen am Anfang und Verträge am Ende von Verhandlungen stehen müssen und nicht umgekehrt. Verträge sind nicht unbedingt ein Instrument, um das herbeizuführen, was Herr Bundesminister Wehner - so habe ich ihn verstanden - „ein Minimum an Interessenidentität" genannt hat. Solange es diese Interessenidentität nicht gibt, so lange wird man auch kein Verhandlungsziel erreichen.
({6})
Wenn hier von „Schönwetter" und „Schlechtwetter" gesprochen wurde, so möchte ich dazu sagen: Niemand sollte sich hier als eine Art gesamtdeutscher Petrus betätigen. Es ist immer der tragische Irrtum vieler Plänemacher gewesen, daß sie glaubten, Schönwetterperioden mit Plänen herbeiführen und Schlechtwetterperioden durch Pläne abwenden zu können.
Herr Bundesminister Wehner hat gesagt, daß vieles an diesem Entwurf Gedanken entspricht, die von der Bundesregierung entwickelt worden sind. Ich glaube, es ist - bis auf einige Punkte, von denen
ich dann noch sprechen will - in der Tat so, daß das, was vom Herrn Bundeskanzler dankenswerterweise vor zwei Jahren diesem Hohen Hause vorgetragen wurde, uns nun in gebündelter Form, zum Teil mit anderen Worten, von Ihnen nun vorgelegt worden ist.
({7})
So entbehrt, muß ich sagen, dieser Vertragsentwurf der Originalität.
({8})
Man sollte nicht so tun, meine Damen und Herren, als könne man die Partnerschaft allein herbeiführen. Zur Partnerschaft gehören zwei. Aber den kalten Krieg kann man leider allein führen; und dieser bedauerlichen Situation sehen wir uns ausgesetzt. Wir können nicht von Normalisierung sprechen, wenn der Partner, den wir suchen, aber nicht haben, sich so anomal verhält wie Ostberlin.
({9})
Hier ist von den Zielen der sowjetischen Politik gesprochen worden. Ich möchte das hier nicht in epischer Breite noch einmal sagen, aber feststellen. Wir müssen doch auch wieder erwähnen, welche Funktion Ostberlin im sowjetischen Konzept hat. Gerade die Vorgänge des vergangenen Jahres, aber auch die Vorgänge in diesen Tagen zeigen doch, daß sich Ostberlin leider als Speerspitze einer aggressiven, ideologischen, ja leider auch militaristischen
Politik versteht oder sich als solche Speerspitze willig benutzen läßt.
({10})
Diese Meinung entspringt doch nicht einer öden, blutarmen, einfallslosen Anti-Haltung oder einem einfallslosen Kaltkriegerdenken, sondern dies ist eine Feststellung, die wir mit Bedauern treffen müssen.
Ich möchte im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion besonders dem Herrn Bundeskanzler von dieser Stelle aus einmal dafür danken, daß er mit Beharrlichkeit und großem Mut, ohne sich durch einen falschen Mobilismus drängen zu lassen, immer wieder seine Verhandlungsangebote ohne Vorbehalte und ohne Ebenendiskussion bekräftigt. Wir, Herr Bundeskanzler, werden Sie in dieser offenen Politik immer unterstützen.
({11})
Wir bedauern es nur, Herr Bundeskanzler, daß diese Ihre Verhandlungsbereitschaft und diese Ihre solide Politik durch die Deutschlanddiskussion, die oft mit falschen Akzenten geführt wird, von der Öffentlichkeit nicht so zur Kenntnis genommen wird, wie sie es verdient.
({12})
Ein anderer Fehler wird ebenfalls in der Diskussion gemacht. Ich denke an den Vertragsentwurf der FDP. - Ich wäre dankbar, Herr Kollege Scheel, wenn Sie mir eine Sekunde zuhörten, denn es handelt sich um eine sehr wichtige Frage.
({13})
- Ja, ich weiß, daß ein Parteivorsitzender, der auf Jagd geht, besonders viel zu tun hat, Herr Kollege Scheel.
Aber, Herr Kollege Scheel, man darf doch nicht in die Versuchung verfallen, zu glauben, daß man durch eine verbale Anpassung an Teilforderungen der anderen Seite in der Substanz weiterkommt.
({14})
Das ist ein großer Fehler, der immer wieder gemacht wird. Ich fürchte, wenn wir uns - .das muß man gerade jetzt sagen - auf solche verbalen Abkommen einließen, die die weitergehenden Ziele, von denen auch Herr Minister Wehner sprach, nicht im Auge behielten, wenn wir solche Verträge schlössen, dann würden diese Verträge nicht den Geist der Entspannung atmen, nicht den Geist der Partnerschaft, nicht den Geist des geregelten Nebeneinanders und auch nicht den Geist einer wirklichen Kooperation im weisteten Sinne, sondern - das müssen wir warnend erklären - den Geist von München, und eine solche Entwicklung wollen wir doch gerade verhindern.
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- Herr Kollege Scheel, ich glaube, daß es notwendig ist, immer wieder - das kam in der Begründung vom Herrn Kollegen Schultz viel zuwenig zum Ausdruck - zu sagen, daß die deutsche Frage in den ungewöhnlich komplizierten internationalen Zusammenhang gestellt werden muß
({16})
und daß die Deutschlandpolitik immer ein Stück der auswärtigen Politik ist. Man darf wohl sagen, daß die nationalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland und des deutschen Volkes durchaus mit den nationalen und europäischen Interessen Deutschlands identisch sind. Das hat mit Nationalismus nichts zu tun.
Wir haben gerade in der Deutschlandfrage die Pflicht, die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik immer wieder in den Mittelpunkt aller unserer Überlegungen zu stellen. Wer den Katalog kennt - er fängt an mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie und setzt sich fort mit der Forderung nach Anerkennung eines zweiten deutschen Staates, natürlich nach völkerrechtlicher Anerkennung, mit der Forderung nach Umwandlung West-Berlins in eine freie Stadt, nach Denuklearisierung der Bundesrepublik Deutschland, sprich: Abbau der amerikanischen Präsenz; neuerdings werden noch die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zur Debatte gestellt -, der kann doch nur eines feststellen: Diese Bundesregierung hat wie frühere Bundesregierungen auf Gewalt verzichtet. Sie hat Angebote gemacht. Sie hat auf ABC-Waffen verzichtet. Dies alles wird als revanchistisches Getue abgetan. Meine Damen und Herren, wer uns das nicht glaubt, wird uns die Unterschrift unter Kapitulationsurkunden auch nicht glauben.
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Herr Bundeskanzler, erlauben Sie, daß ich in diesem Zusammenhang eine Frage - und eine
Bitte - an Sie richte, da ich weiß, daß Sie sich ganz besonders in dieser Frage engagiert haben. Wir beobachten alle mit Sorge, daß sich in die internationale Politik, wenn man die sowjetischen Forderungen berücksichtigt, mehr und mehr so etwas wie ein sektoraler Moralismus einzuschleichen beginnt. Ich glaube, daß die Bundesregierung gerade bei allen kommenden Verhandlungen die Frage in den Mittelpunkt stellen muß, ob eine deutsche Unterschrift geglaubt wird oder nicht und ob deutsche Unterschriften nur dazu benutzt werden, uns weiter in die Defensive zu drängen.
Herr Bundesminister Wehner hat heute und bei früheren Gelegenheiten etwas gesagt, worin ich ihm nur von Herzen zustimmen kann. Wir wollen uns nicht auf juristische Haarspalterei einlassen, aber es ist ja in der Tat so, daß, wenn wir - und das möchten wir - an einer Friedensordnung, an einer funktionsfähigen Völkerrechtsordnung arbeiten, wir doch nicht selber Rechtstitel aus der Hand geben können, die eine solche Ordnung zerstören.
({18})
Ich möchte nicht die vielen Gründe anführen, die gegen eine völkerrechtliche Anerkennung Ostberlins sprechen. So viel steht fest: Wer den anderen Teil Deutschlands zum Ausland macht, wird über Menschlichkeit nicht mehr verhandeln können.
Es gibt weitergehendere Probleme, die damit zusammenhängen. Ich will hier eines erwähnen. Stellen Sie sich einmal vor, daß zwischen Bonn und Ostberlin so etwas wie diplomatische Beziehungen bestünden. Würde es nicht bei dem Verhalten der anderen Seite das nächste Ziel sein, diese diplomatischen Beziehungen als Druckmittel zu benutzen, um Einfluß auf die innere Gestaltung der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen? Meine Damen und Herren, dies würde uns doch so stark in die Defensive drängen, daß der Spielraum der deutschen auswärtigen Politik vollends zusammenschrumpfen müßte.
Ich wende mich hier noch einmal an die Fragesteller. Hier gehen die Worte „Alleinvertretung" und „Hallstein-Doktrin" um. Das sind Formeln, die einer Interpretation bedürfen. Daß es eine Vertretungspflicht gibt, hat Herr Minister Wehner ja gesagt. Mit Sicherheit gibt es eine nationale Sorgepflicht. Es würde aber zu weit führen, das hier zu interpretieren. Zu dem, was Sie Hallstein-Doktrin zu nennen pflegen, möchte ich nur eins sagen. Wenn wir in der internationalen Politik einer Entwicklung Vorschub leisten, die dazu führt, daß Staaten und Staatengruppen Ostberlin anerkennen, ist die völkerrechtliche Anerkennung nicht aufzuhalten. Deshalb müssen wir diese Nichtanerkennungspolitik ganz entschieden fortsetzen.
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Meine Damen und Herren, wir leiden sicherlich alle unter dem inneren Drang, daß wir etwas erreichen wollen und etwas voranbringen möchten und müssen. Wir sollten uns aber davor hüten - um ein Bild zu gebrauchen -, eine eingebildete Einbahnstraße zu befahren, die angeblich aufgetaut ist,
obwohl sie durch die Fortführung des kalten Krieges i der anderen Seite längst überfroren ist. Auf diese Weise kämen wir ins Schleudern, nicht nur eine Partei, sondern die Bundesrepublik als Ganzes.
Erlauben Sie mir, daß ich nach der Begründung der Großen Anfrage und nach der Antwort von Herrn Bundesminister Wehner noch einmal die Frage stelle, ob dieses Hohe Haus sich an die Resolution vom 26. September 1967 gebunden fühlt. Herr Kollege Scheel, einem Teil haben Sie nicht zugestimmt; aber sonst haben Sie weiten Passagen der Resolution Ihre Zustimmung nicht versagt. Wenn Sie sich nicht an diese Resolution gebunden fühlen, muß dies hier heute erklärt werden. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur aus der Ziffer 6 zitieren:
Sie
- gemeint ist die Bundesrepublik spricht auch für jene, denen bisher mitzuwirken versagt ist. Die Anerkennung des anderen Teils Deutschlands als Ausland oder als zweiter souveräner Staat deutscher Nation kommt nicht in Frage.
Wir sagen dann in Ziffer 7 dieser Resolution:
Der Deutsche Bundestag wird alle Verhandlungen und Maßnahmen der Bundesregierung unterstützen, die zum Wohle der Menschen im gespaltenen Deutschland und im Interesse des Zusammenhalts der Nation möglich sind.
Dies sind entscheidende Punkte, und wir wollen wissen, ob wir uns alle weiterhin an diese Politik halten. Das ist auch für das Wahljahr entscheidend;
({20})
denn wenn es um die Frage der nationalen Existenz unseres Volkes geht, dürfen wir uns auch im Wahljahr nicht in kleinlichem demagogischem Streit verlieren.
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Es ist uns, der CDU/CSU, sicherlich erlaubt, daß wir auch in dieser Debatte - wir werden ja immer so gerne verketzert - auf eine Kontinuität unserer eigenen Politik hinweisen. Damals ist die Bundesregierung auch von Ihnen mit getragen worden. Es gibt Marksteine dieser kontinuierlichen CDU/CSU-Politik, zu der z. B. auch der westliche Friedensplan gehört, der später wiederholt modifiziert wurde. Bereits damals sind gesamtdeutsche Kommissionen von uns angeregt worden, und damals wurde doch der Zusammenhang zwischen allgemeiner kontrollierter Abrüstung, regionaler Abrüstung und deutscher Frage hergestellt. Ich darf Sie vielleicht an das Memorandum vom 21. Februar 1962 erinnern, dessen Verfasser, Herr Bundesminister Schröder, hier auf der Regierungsbank sitzt. Auch in diesem Memorandum war der Gewaltverzicht enthalten. Leider blieb dieser Vorschlag unbeantwortet. Ich darf an die Friedensnote des Jahres 1966 erinnern, die den Beifall des ganzen Hauses gefunden hat und in der gerade der Gewaltverzicht sehr gut und sehr klar präzisiert worden ist. Herr Bundeskanzler Kiesinger ist einen entscheidenden Schritt weitergegan12648
gen - ich erwähnte es schon -, und wir folgen ihm gern auf diesem Weg der offenen Verhandlungsbereitschaft, der ausgestreckten Hand, die leider mit einer Faust von drüben beantwortet wird.
Der Herr Bundesminister Wehner hat heute morgen etwas kritisch vor dem Begriff „Modell" gewarnt. Wenn wir sagen, daß die Bundesrepublik Deutschland als Modell entwickelt werden soll, so sollte dies nicht zu Mißverständnissen führen. Aber ich glaube, daß sich die Bundesrepublik, gerade wenn wir eine junge Generation für diesen Staat gewinnen wollen, als nachahmenswertes, demokratisches, friedfertiges Modell verstehen muß. Damit würden auch die sachlich orientierten Kräfte auf der anderen Seite aufgefordert, eines Tages mit uns - hoffentlich - in ein Gespräch zu kommen. So ist es auch gemeint, wenn wir sagen, daß wir die Provisoriumsdiskussion nicht mit falschen Akzenten führen dürfen. Ich glaube, daß der Modellcharakter immer etwas Vorläufiges hat, daß mit Sicherheit nicht Anschluß damit gemeint ist. Er ist als Angebot gedacht. Mein Berufskollege und Freund Dietrich Schwarzkopf hat dies heute morgen in der „Welt" sehr richtig dargestellt.
Aber, meine Damen und Herren, wir dürfen dann bei der Obhutspflicht der Westmächte in Berlin und bei allen Vorbehalten, die man selbstverständlich durch den Berlinstatus machen muß, auch sagen, daß West-Berlin, wenn wir die Bundespräsenz nicht abbauen wollen - und das wollen wir nicht -, selbstverständlich auch zu diesem Modellbereich gehören sollte. Ich will hierzu nur ein paar Sätze sagen. Es scheint mir für Berlin tödlich zu sein, so etwas wie eine völkerrechtliche Anerkennung auch nur ins Auge zu fassen.
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Wer dies tut, legt doch die Axt an die Wurzel von West-Berlin. Ich kann mir im Augenblick gar nichts davon versprechen, die Viermächte-Verantwortung auch nur irgendwo anzutasten oder gar zu demontieren.
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Wir demontieren damit unsere eigene Verhandlungsposition. Dies ist nicht ein Alibi, um selber nichts zu tun, sondern dies gehört zu dem Kapitel, das Herr Bundesminister Wehner erwähnte. Die Viermächte-Verantwortung für Deutschland muß fortbestehen. Wir können doch nicht erwarten, daß andere Länder sich für uns engagieren, wenn wir sie selber aus ihrer Verantwortung für Deutschland entlassen.
Ich möchte noch einmal das herausstellen, was ich eingangs gesagt habe: Vieles gehört zur Verhandlungsposition der Bundesrepublik Deutschland. Das Wichtigste ist das, was der Herr Bundeskanzler versucht, nämlich in zähem Ringen in allen internationalen Feldern voranzukommen. Dies ist sehr kompliziert. Hier kann man mit Schlagworten nicht arbeiten.
Das Zweite ist, daß wir natürlich alles tun müssen, um unsere Politik im Westen abzusichern, und daß ein wesentliches Stück unserer Ostpolitik immer eine
aktive Westpolitik sein muß. Und Westpolitik bedeutet nicht Verzicht auf Politik schlechthin.
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Es kommt hier aber noch ein Gesichtspunkt hinzu. Meine Damen und Herren, wenn eine Anerkennungspartei in diesem Lande wächst, muß man sich auch fragen, was wir morgen als Verhandlungspartner noch wert sind, wenn diejenigen, die mit uns vielleicht verhandeln würden, hoffen dürfen, daß ihnen alles ohne Verhandlungen in den Schoß fallen wird; sie hoffen, daß sich die Deutschen eben doch durch Pressionen in die Ecke drängen lassen, in die die Sowjetunion sie drängen will.
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Deshalb verfolge ich mit großer Sorge - ich sage das ohne Schadenfreude - die Diskussionen, die sich auf der linken und rechten Seite in den Parteien in Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung entwickeln. Wohlgemerkt, ohne Schadenfreude, aber mit großer Sorge.
Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU weiß, daß es schwierig ist und immer schwieriger wird, eine maßvolle, vernünftige Politik im Zeitalter von Schlagworten und Formeln populär zu machen. Wir werden aber versuchen, dieser Popularitätseffekthascherei nicht zum Opfer zu fallen. Wir glauben, daß die CDU/CSU in jedem Fall dieser maßvollen, vernünftigen, realistischen Politik allen Widrigkeiten zum Trotz treu bleiben muß. Dies ist auch ein Stück unseres eigenen demokratischen Verständnisses.
({26})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Franke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der Fraktion der FDP an die Bundesregierung zur Deutschlandpolitik und die Beantwortung dieser Großen Anfrage sind Anlaß der heutigen Debatte. Sicherlich stimmen wir alle in diesem Hohen Hause darin überein, daß die Sorge um den Zusammenhalt der Menschen in Ost und West nicht unberechtigt ist und daß es in der Tat aller nur denkbarer Anstrengungen bedarf, um diesen Zusammenhalt zu wahren und zu festigen und zu einem geregelten Nebeneinander und Miteinander zu kommen.
Um Klarheit darüber zu schaffen, was von der Bundesrepublik aus bisher getan wurde, getan wird und getan werden kann, ist die Große Anfrage der FDP durchaus zu begrüßen; denn sie gibt Veranlassung, hier darüber in aller Öffentlichkeit und sehr deutlich zu sprechen. Diskussionen über die Deutschlandfrage sind unentbehrlich; ich glaube, hierüber besteht in diesem Hause Klarheit. Jedoch werden sie leider wohl noch über eine langen Zeitraum geführt werden müssen; denn all die Bemühungen in den zurückliegenden Jahren haben deutlich gemacht, wie schwierig es ist, zu Ergebnissen zu gelangen, die den Interessen der Menschen in beiden Teilen Deutschlands gerecht werden können.
Franke ({0})
Aber das politische Gespräch und auch die kontroverse Auseinandersetzung besonders zu diesem Thema sollten in ausgeprägt sachlicher Weise geführt werden, sonst schadet es Deutschland, und das Vertrauen der Welt in die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sowie der Bundesregierung wird durch demagogische Bemerkungen erheblich eingeschränkt. Dieses Thema Deutschlandpolitik sollte in der Tat für niemanden Veranlassung sein, damit sein parteipolitisches Süppchen kochen zu wollen.
({1})
Die deutsche Teilung ist viel zu schmerzlich, als daß sie zu einem solchen Instrument erniedrigt werden dürfte.
Deutschland braucht zuverlässige Helfer und dazu Freunde in der Welt, und es braucht viele Freunde, viele Länder, es braucht alle Länder dieser Erde insoweit, als es darum geht, daß sie wenigstens verstehen, was wir wollen. Auch darüber sollte, glaube ich, hier Einigkeit bestehen, daß die besten Freunde nichts tun werden, wenn wir nicht selbst mit Bereitschaft, Initiative und Leistung für die Lösung der deutschen Frage wirken.
({2})
Die deutsche Frage ist und bleibt ein europäisches Problem. Angesichts der vielen Krisenherde in der Welt wachsen das Bedürfnis und ebenso die Erkenntnis, daß hier in Europa, wo zwei verheerende Weltkriege tiefe Wunden hinterlassen haben, wo die beiden zum Teil auf ideologischer, zum Teil auf militärisch-strategischer Basis begründeten Machtblöcke der Welt - für uns besonders sichtbar und fühlbar - unmittelbar miteinander konfrontiert sind. Hier wird besonders deutlich, daß eine umfassende Friedensordnung notwendig ist. Eine europäische Friedensordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß für alle Völker Ausgleich, Entspannung und Sicherheit bringen. Sie kann jedoch nicht Wirklichkeit werden, wenn in ihrem Zentrum die deutsche Frage ungelöst und als permanenter Spannungsherd erhalten bleibt. Deutschlandpolitik ist undenkbar ohne eine konsequente Friedenspolitik, ohne eine Politik der Verminderung der ,Spannungen in Europa und zwischen den Bündnissen. Sie ist außerdem für die Bundesrepublik Deutschland undenkbar ohne innere Handlungsfähigkeit im Rahmen der Bündnispolitik.
Wir Sozialdemokraten unterstreichen gern, daß diese Bundesregierung an den vorhandenen Tatsachen nicht vorbeischleichen will unid daß sie in ihrer Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 erstmals die DDR nannte, in ihren Gewaltverzicht einbezog und an dieser Politik unbeirrt festhält. Wir sind der Meinung, daß das ein guter Schritt ist, um der Wirklichkeit zu entsprechen. Für denjenigen, der den Frieden will, kann es keine Alternative zur Politik der Entspannung geben, und der muß jede Chance nutzen, ,die sich bietet, und muß auch die Lücken, die sich anbieten, erkennen, um sie füllen zu können. Die Schaffung einer europäischen Friedensordnung, die die deutsche Frage umschließen wind, erfordert Geduld und Zeit, aber vor allem
einen unbeirrbaren festen Willen. Es wird schwierige und komplizierte Situationen geben; dies steht außer Zweifel. Aber das darf für verantwortungsbewußte Politiker kein Anlaß zum Resignieren oder gar zum Kapitulieren sein.
Mir stellt sich die Frage: Kann man eine Politik, die Zielen zustrebt, die greifbare Ergebnise erreichen will, mit der Unterbreitung ,eines umfangreichen Vertragstextes beginnen, wenn die andere Seite, die zum Abschluß eines solchen Vertragswerks notwendig ist, bisher nicht einmal bereit ist, das 'angebotene bedingungslose Gespräch im politischen Bereich zu führen? Wir meinen als Sozialdemokraten, .daß wir von dieser Wirklichkeit ausgehen sollten, um von daher mühsam, Schritt für Schritt, voranzugehen, um ,das, was erreichbar ist, auch zu verwirklichen, mit der Absicht, recht viele Einzelfragen einer verträglichen und erträglichen Lösung entgegenzuführen.
Wir haben unsere Erfahrungen mit dem anderen Teil Deutschlands und mit den Verantwortlichen. Wir Sozialdemokraten haben im Frühjahr 1966 versucht, einen Dialog mit Politikern des anderen Teils Deutschlands herbeizuführen. Wir schlugen einen Redneraustausch vor. Die Sozialdemokratische Partei ist davon ausgegangen, daß die auf deutschem Boden wirkenden politischen Kräfte nicht allein 'in der Lage sind, die deutsche Teilung überwinden. Wir waren und sind jedoch der Meinung, daß es gerade auf diesem Hintergrund beachtlich ,gewesen wäre, wenn die nicht zu vereinbarenden Auffassungen über Kernfragen der Deutschlandpolitik unid vor allem über .das Schicksal der Menschen in beiden Teilen Deutschlands offen und öffentlich vor den Augen unid Ohren des ,ganzen Volkes und der Welt gegenübergestellt worden wären. Wir erhofften (damit, das große 'Gespräch mit den Menschen einzuleiten, um das ,es uns geht. Es geht doch darum, für die Menschen etwas zu tun, und nicht staatliche Ordnungen und Organisationen so oder so besonders zu sehen.
({3})
Aber die Tore blieben zu.
Nach der Wahl unseres Kollegen Dr. Dr. Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten hörten wir von der anderen Seite, die Verschärfung .der Sicherheitsbestimmungen sei ein notwendiges Mittel, die Erhöhung der Mauer sei notwendig, um die Menschen anderen Teil Deutschlands vor den zu erwartenden Schalmeienklängen aus der Bundesrepublik bewahren zu können. Das ist die Wirklichkeit, mit der wir konfrontiert sind, und von dieser Betrachtungs- und Verhaltensweise aus müssen wir uns bewegen.
Wir waren und sind der Meinung, daß, wenn in grundsätzlichen Fragen keine Übereinstimmung zu erzielen ist, wenigstens versucht werden muß, festzustellen, ob praktische Regelungen möglich erscheinen, die für die Menschen die Teilung erleichtern. Die Sozialdemokratische Partei hat ihre Vorschläge gemacht. Die SED ist ausgewichen. Gefesselt in ihrer Ideologie, gefesselt von Doktrinen, die sie lieben, die aber längst ihren Sinn und ihre Gültigkeit verloren haben - wenn sie sie je gehabt haben soll12650
Franke ({4})
ten -, konnten sich die Machthaber in der DDR damals, als es um diese Begegnung ging, nicht zu einer souveränen Entscheidung durchringen, die sowohl im deutschen Interesse gelegen hätte wie dem Frieden der Welt gedient hätte und durch die niemand im Ostblock provoziert worden wäre. Viele Menschen in der DDR, auch in anderen Ländern des Ostblocks haben es damals sehr bedauert, daß die von uns vorgeschlagene Gesprächsrunde nicht stattgefunden hat.
Wir Sozialdemokraten wissen, daß auch unterschiedliche Gesellschaftssysteme miteinander leben und bei gutem Willen und gesicherter Überzeugung für die Menschen nützlich zusammenarbeiten können. Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 deutlich gemacht, daß es darauf ankomme, zu entkrampfen und nicht zu erhärten, daß es darauf ankomme, Gräben zu überwinden und nicht zu vertiefen. Deshalb wollen wir die menschlichen, wirtschaftlichen und geistigen Beziehungen zu unseren Landsleuten im anderen Teil Deutschlands mit allen Kräften fördern. Wir wollen doch nicht teilen, wir wollen heilen. Das ist unsere Devise. Wir wollen nicht herrschen, sondern dienen, und das dem gemeinsamen Volke gegenüber. Das ist unser aller Verpflichtung, und darum gilt es, immer wieder neue Anstrengungen zu unternehmen, um dieser Aufgabe gerecht werden zu können.
Dabei helfen Einzellösungen. Sie sind wichtiger ) als manche anderen Probleme. Sie werden um so leichter erreicht, wenn es gelingt, beiderseitige Interessen miteinander zu verknüpfen. Ein Beispiel dafür ist der erst vor kurzer Zeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR für eine mehrjährige Zeitspanne und über ein beachtliches Volumen abgeschlossene Vertrag über den innerdeutschen Handel, der durch die Bundesregierung weiterentwickelt wurde und durch erfolgreiches Verhandeln im Laufe der Jahre zu einer nützlichen Angelegenheit wurde. Dieser Vertrag dient beiden Seiten, und gerade darin liegt seine besondere Bedeutung. Ich habe dieses Beispiel angefügt, um darzutun, wie mühsam es ist, Erreichbares, Notwendiges in Vertragsform unter Dach und Fach zu bringen, so daß daraus für beide Seiten Nutzen, aber auch Rechte und Verpflichtungen werden.
Es scheint geradezu utopisch zu sein, nachdem alle Denkmodelle, von denen so oft die Rede ist, durchgespielt sind, zu glauben, daß es sinnvoll sei, erneut die Runden zu beginnen, die sich bereits als erfolglos erwiesen haben. Komplette Vertragstexte, Vorschläge, was zuerst geschehen müsse, bevor man überhaupt miteinander spricht, haben sich als nicht realisierbar erwiesen. Darum sollte man sich mehr dem sachlichen Bemühen in den Ebenen und in der Weise, wie ich es soeben aufgezeigt habe, zuwenden, um das, was zum Wohle der Menschen im gespaltenen Deutschland notwendig ist, möglich zu machen. An Vorschlägen fehlt es doch wirklich nicht. Es kommt nur darauf an, daß die andere Seite von sich aus auch bereit ist mitzumachen. Da gilt es allerdings, durch eine vernünftige und sinnvolle Politik
auf beiden Seiten ein Klima zu schaffen, das auch die Bereitschaft zu sachlichen Lösungen ergibt.
Meine verehrten Damen und Herren, ich sagte schon, daß es an Vorschlägen nicht fehlt. Helmut Schmidt, unser Fraktionsvorsitzender, hat z. B. in einer Rede vor dem Hamburger Übersee-Club im Februar 1967 eine Reihe von Anregungen gegeben. Das war damals eine Rede, die in der deutschen und in der Weltöffentlichkeit sehr große Beachtung fand. Das war das Bemühen, einen umfangreichen Katalog von realisierbaren Vorstellungen anzubieten. Wir Sozialdemokraten sind erfreut, feststellen zu können, daß auf 'der gleichen Linie dieser Vorschläge sich die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung vom 12. Aprilbewegte, abs sie in ihrem 16 Punkte umfassenden Katalog ein ähnliches Angebot in offizieller Form unterbreitete, was praktisch getan werden könne, um die Not, die aus der Spaltung unseres Volkes entstanden ist, zu erleichtern.
Mit besonderem Nachdruck möchte ich an dieser Stelle vermerken, daß der Bundeskanzler am 13. Juni 1967 an den Vorsitzenden des Ministerrates Stoph einen Brief gerichtet hat, in dem vorgeschlagen wird, von beiden Seiten zu bestimmende Beauftragte zu benennen, die ohne politische Vorbedingungen Gespräche über praktische Fragen des Zusammenlebens der Deutschen aufnehmen sollten. Es ist mit ein Ergebnis der Großen Koalition, daß es zu einer offensiven Deutschlandpolitik kommen konnte, daß dieses Angebot aus einer Übereinstimmung in der Erkenntnis unterbreitet werden konnte, daß man über diesen sachlichen Weg ohne große Vorbedingungen zunächst einmal ins Gespräch kommen sollte. Wir sollten erfreut darüber sein, daß von dieser Seite aus nicht nur das Angebot im Prinzip gemacht wurde, sondern daß es auch durch die Nennung des Staatssekretärs konkretisiert wurde, der diese Verhandlungen führen sollte.
In einem Brief vom 28. September 1967 hat der Bundeskanzler diese Vorschläge noch einmal umrissen und erklärt, daß der für 'diese Gespräche vorgesehene Staatssekretär des Bundeskanzleramtes jederzeit in Bonn oder Berlin, wo es erwünscht sein sollte, zur Verfügung stehen würde. Von diesem Angebot ist bis heute keinerlei Gebrauch gemacht worden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie will man denn überhaupt ins Gespräch kommen mit dem Ziel, einen Vertrag zum Abschluß zu bringen, wenn nicht einmal die erste Begegnung von möglichen Verhandlungspartnern zustande kommt, von der aus das erforderliche Gespräch eingeleitet werden könnte?
Dieser Vorschlag, Beauftragte zu benennen, wurde vor einem Jahr in der Debatte über die Lage der Nation weitergeführt, als ,der Austausch von Generalbevollmächtigten vorgeschlagen wurde. Sie werden sich daran erinnern, daß es dabei darum ging, zu versuchen, zu umreißen, welchen protokollarischen Grad - oder wie immer man es nennen mag - dieser Beauftragte haben sollte. Da gab es die nette Formulierung, daß ein solcher Generalbevollmächtigter weniger Gewicht und Bedeutung haben solle als etwa der Botschafter der Republik Österreich, aber mehr abs der Bevollmächtigte des Freistaates
Franke ({5})
Bayern beim Bund. Man wollte - das war der Gedanke dieses Vorschlages - dem besonderen Anliegen durch einen Generalbevollmächtigten Rechnung tragen, der auch handlungsfähig sein sollte. Wir Sozialdemokraten machen heute diesen Vorschlag erneut und bitten über einen Debattebeitrag in diesem Hohen Hause darum, ihn auf höchster Ebene weiterzuverfolgen.
Ein weiteres Beispiel aus der Praxis: Das Bemühen darum, auch die Interessen auf der anderen Seite zu erfassen und durch entsprechende Bereitschaft zu erkennen zu geben, daß wir bemüht sind, Gemeinsamkeiten anzustreben. Walter Ulbricht hat in seiner dem Kenner der Wirklichkeit bekannten Bitterfelder Rede vom 28. April 1964 den für die dortigen Verhältnisse geradezu sensationellen Vorschlag unterbreitet, 'einige westdeutsche Zeitungen - wie etwa die „Zeit" oder die „Süddeutsche Zeitung" - zum Verkauf auszulegen, wenn die Garantie dafür gegeben sei, daß bei uns in der Bundesrepublik das „Neue Deutschland" in gleichem Maße öffentlich verkauft weren könnte. Nun, dieser Vorschlag war nicht in Vergessenheit geraten. Sie werden sich daran erinnern, daß wir vor Jahresfrist im Mai 1968 gemeinsam in diesem Hohen Hause unter Zustimmung aller Fraktionen die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß der Bezug von Zeitungen aus der DDR und vor allem der Verkauf des „Neuen Deutschland" an allen Kiosken der Bundesrepublik möglich wurde. Walter Ulbricht hat sich nicht an seine Offerte gehalten, sondern hat diese geschaffene Möglichkeit durch ein Nein beantwortet.
Er hat noch ein übriges getan. Er hat nicht einmal zu erkennen gegeben, daß er bereit sei, die Zahl der gegebenenfalls notwendigen Exemplare des „Neuen Deutschland" zu erhöhen, und er hat auch nicht zugelassen, daß die „Süddeutsche Zeitung", „Die Zeit" oder irgendein anderes Presseorgan aus der Bundesrepublik Deutschland in der DDR verkauft werden kann. Mehr noch: er hat sich auch geweigert, das „Neue Deutschland" in einer solchen Zahl anzubieten, daß jeder hier im Lande, der diese Zeitung lesen möchte, sie auch kaufen könnte.
Wir haben nichts zu fürchten. Wir wissen, daß in unserem Lande die Bürger zu diesem Problem eine ganz besondere und spezifische Auffassung haben und daß auch die Freiheit in der Information nützlich sein kann und sogar deutlich machen kann, daß wir eine demokratische Staatsordnung haben, in der dem Informationsbedürfnis des Staatsbürgers vollauf Rechnung getragen wird.
Ich glaube, es ist der Beweis erbracht, daß mit dieser Entscheidung kein Unheil angerichtet wurde. Ich darf mit Freude feststellen, daß nach der ersten Probezeit, die als Kompromiß leider zunächst nur zu erreichen war, nunmehr wiederum durch einstimmigen Beschluß dieses Hohen Hauses der Zeitungsbezug aus der DDR um weitere zwei Jahre verlängert wurde. Damit ist deutlich gemacht, daß man nicht nur einer unbegrenzten freien Entfaltung grünes Licht geben will, sondern daß man auch beobachten möchte, ob es nicht gediegenere Wege gibt, um das Ziel des Zeitungsaustauschs erreichen zu können.
Wir fragen uns nur: warum hat Ulbricht die Möglichkeiten, die sich bieten, nicht genutzt, um seine Zeitungen hier zum Verkauf anzubieten? Wahrscheinlich aus der Erkenntnis, daß durch den geringen Abruf dieser Zeitung gleichzeitig auch eine politische Ablehnung des politischen Systems deutlich wird, das er zu vertreten hat.
({6})
Unsere Entscheidung, die Zeitungen aus dem anderen Teil Deutschlands hier erwerben zu können, ist eine einseitige Maßnahme. Wir haben keine Gegenleistungen erwarten können und auch keine Gegenleistungen bekommen. Ich meine, es war eine gute politische Entscheidung, die dargetan hat, um was es uns geht. Es ist nicht der Fakt eingetreten - wie es in der gängigen Sprache heißt -, daß hier eine kommunistische Propaganda besonderer Art möglich wäre. Wir sind in guter Position. Die Bundesregierung hat eine Vielzahl von Angeboten unterbreitet. Die andere Seite hat nur ein Nein gehabt. Wir Sozialdemokraten sagen und meinen, daß alle Angebote von Verhandlungen Formen der Zusammenarbeit bringen sollen, die im beiderseitigen Interesse liegen. Wir Sozialdemokraten sind für ein beharrliches Fortsetzen und für Beständigkeit im Bemühen um ein geregeltes Nebeneinander. Andere Auffassungen scheinen uns der Verpflichtung nicht gerecht zu werden, vor Schwierigkeiten nicht zu kapitulieren. Wir müssen vielmehr unermüdlich bestrebt sein, das Leben in beiden Teilen Deutschlands zu erleichtern. Der Zeitpunkt ist mehr als überfällig, an dem Verantwortliche auf der anderen Seite den Beweis erbringen müssen, daß sie zu ihrem Teil dazu beitragen, die Spannungen nicht zu vermehren, sondern zu mindern. Wir warten auf eine solche Handlung und meinen, daß es Möglichkeiten der Gemeinsamkeit geben kann.
Wir sind aber auch der Überzeugung, daß die Spaltung Deutschlands nicht durch Untätigkeit und nicht durch Deklamationen überwunden werden kann. Die deutsche Spaltung ist zu schmerzlich und zu gefährlich, als daß in dieser Frage eine Aufsplitterung der politischen Kräfte erträglich wäre. Wir würden es als Sozialdemokraten sehr begrüßen, wenn die Deutschlandpolitik in gemeinsamen Erörterungen zwischen der Bundesregierung und allen im Bundestag vertretenen Parteien, also einschließlich der Opposition, sooft es nur geht, behandelt würde.
({7})
Herr Bundeskanzler, wir Sozialdemokraten wissen die Gemeinsamkeit aller in diesem Hohen Hause in dieser Frage Verantwortlichen besonders zu schätzen. In jener Zeit, in der wir uns in der Opposition befanden, haben wir lange gedrängt, um diese Gemeinsamkeit erringen zu können. Sie wurde schließlich in einem gewissen Ausmaß erreicht.
Unsere Meinung über das, was zur Deutschlandpolitik sinnvoll und notwendig sein könnte, die wir in der Zeit der Opposition für richtig gehalten
Franke ({8})
4 haben, halten wir auch jetzt, in der Zeit der Regierungsbeteiligung, für richtig und meinen, daß Gespräche über die Deutschlandpolitik im internen Kreis unter Hinzuziehung aller Fraktionen dieses Hauses geführt werden sollten.
({9})
Bei dieser Gelegenheit ein Wort zu einer Frage, die bei uns in einem gewissen Schwebezustand gehalten wird. Ich möchte einiges zu den sportlichen Begegnungen sagen. Sehen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, sosehr es beim Sport um Leistungen einzelner und auch von Mannschaften geht, die sich zusammengefunden haben, só sehr hat doch der landsmannschaftliche Prestigegedanke Eingang in den Sport gefunden. Wir wissen, daß ein großer Teil der Sportler darüber selbst nicht glücklich ist, daß er sportliche Kameradschaft über den Grenzen höher schätzt als nationale Symbolik. Nur knapp hat in Mexiko ein Antrag sein Ziel verfehlt, bei sportlichen Veranstaltungen auf das Abspielen von Nationalhymnen ganz zu verzichten. Bei dieser Sachlage haben die Sportler selbst die Formen gefunden, mit denen sie einem offenbar vorhandenen Bedürfnis Rechnung tragen. Nirgendwo in der Welt wird diesen Formen diplomatische Bedeutung zugemessen, nirgendwo außer bei uns.
Aber wenn die DDR-Regierung versucht, sportlichen Wettkampf zu politischen Aussagen hochzuputschen, müssen wir es dann gleichtun? Warum können und sollen wir nicht die Sportler in den Formen zusammenkommen lassen, die sie selbst geschaffen haben?
({10})
- Ganz allgemein. Ich komme noch auf ein praktisches Beispiel und auch auf das, was sich im Schwebezustand befindet. - Warum müssen wir denn das Spiel mitspielen, das sportlichen Wettkampf in politische Bedeutung ummünzen will?
Und reden wir nicht mit zwei Zungen, wenn wir sagen: „Jawohl, 1972 in München dürft ihr die Becher-Hymne spielen, aber 1969 in Mainz holen wir euch die Fahne vom Mast"? Da gibt es doch noch etwas zu tun, um den Sport sich in sportlicher Weise begegnen zu lassen und daraus nicht ein Politikum übergewichtiger Art werden zu lassen.
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Dabei wissen wir, wie sehr solche Begegnungen mißbraucht werden können, aber doch nur dann, wenn man zu erkennen gibt, daß man durch solche Verhaltensweisen gereizt wird.
Wir sollten uns stark genug erweisen. Wir können nicht mit zwei Zungen reden; denn wir haben eine gute Sache zu vertreten. Der Sport kann helfen, das Zusammenleben der Menschen aus der Bundesrepublik und der DDR zu erleichtern. Dieses Näherkommen der Sportler liegt, meine ich, doch wohl im beiderseitigen Interesse. Es sollte nicht kleinlich behindert oder durch Verhaltensweisen erschwert werden, die in einer längst überholten Zeit für richtig gehalten wurden. Es sollte uns in der Bundesrepublik nicht erschüttern, so meine ich,
wenn Teilnehmer an sportlichen Veranstaltungen meinen, Fahnen zeigen oder Melodien vortragen zu sollen, die nicht die unseren sind. Ich weiß, wie schwierig es ist, dabei die Formel für alle Bereiche zu finden, und doch meine ich, sollte man sich darüber verständigen können. Sorgen wir doch dafür, daß Begegnungen zwischen Sportlern beider Teile Deutschlands zur Selbstverständlichkeit werden, denn das scheint mir ein guter Beitrag zu einem geregelten nicht nur Nebeneinander, sondern auch Miteinander zu sein. Sowenig die Zeitungen aus der DDR Unheil anrichten, sowenig kann es die fair ausgetragene sportliche Begegnung.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschlandpolitik kann nicht debattiert werden ohne ein Wort zu Berlin. Die Bevölkerung West-Berlins hat mehr als einmal ihren Willen bekundet, unter dem Schutz alliierter Sicherheitsgarantien in enger Beziehung zur Bundesrepublik Deutschland zu bleiben. Wenn so oft von Realitäten die Rede ist: dies ist eine Realität, und dieser Realität ist Rechnung zu tragen. Die Sicherheitsgarantien der drei Schutzmächte für die Stadt müssen erhalten bleiben. Ebenso muß die Zugehörigkeit West-Berlins zum Wirtschafts-, Rechts- und Finanzsystem des Bundes erhalten bleiben. Die Bundesrepublik hat ihrer besonderen Verantwortlichkeit für die Lebensfähigkeit Berlins durch die Tat Nachdruck verliehen. Das muß so bleiben und sollte in jeder Situation so ausgebaut werden, daß das Erforderliche erreicht wird.
In der Verfassung der DDR wird Berlin als die Hauptstadt der DDR bezeichnet. Soweit es sich um Ostberlin handelt, steht diese Feststellung nicht in Einklang mit den übernationalen Verträgen. Was West-Berlin angeht, so ist diese Behauptung nie wahr gewesen und wird es niemals werden. Wir setzen dem Gedanken, ganz Berlin für einen Teil Deutschlands zu reklamieren, die Zielsetzung entgegen: West-Berlin muß die Möglichkeit bekommen, zur Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der beiden Teile Deutschlands beizutragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade in dieser Zeit, da der Versuch unternommen wird, uns gegeneinander auszuspielen, und da auch von einigen der Versuch unternommen wird, das Thema der Deutschlandpolitik zum Wahlkampfthema werden zu lassen, scheint es mir wichtig zu sein, daß in aller Deutlichkeit die Positionen der einzelnen Parteien zu diesem Thema umrissen werden. Daher erlaube ich mir, zusammenfassend die Grundauffassungen der Sozialdemokratischen Partei zur Deutschlandpolitik hier darzutun.
Erstens. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands lebt und wirkt im ganzen deutschen Volk. Sie steht zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. In seinem Sinne erstrebt sie die Einheit Deutschlands in gesicherter Freiheit. Die Spaltung Deutschlands bedroht den Frieden; ihre Überwindung ist für das deutsche Volk lebensnotwendig. Erst in einem wiedervereinigten Deutschland wird das ganze Volk in freier Selbstbestimmung Inhalt
Franke ({13})
und Form von Staat und Gesellschaft gestalten können.
Zweitens. Das letzte Wort über eine gemeinsame Zukunft der Deutschen können nur alle Deutschen in freier Selbstbestimmung sprechen. Bis dahin ist es die Aufgabe der frei gewählten Bundesregierung, sich stets von den Interessen der gesamten Nation leiten zu lassen und sich so zu verhalten, daß ihre Politik möglichst bei allen Deutschen in beiden Teilen des Landes Verständnis und Zustimmung findet. Dies hat nichts zu tun mit Bevormundung der Menschen im anderen Teil Deutschlands.
Drittens. Unser nationales Interesse erlaubt es nicht, zwischen dem Westen und dem Osten zu stehen. Unser 'Land braucht die Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Westen und die Verständigung mit dem Osten. Die Bundesrepublik braucht eine konsequente Politik zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs zwischen den Bündnissen von West und Ost, um zu einer dauerhaften Friedensordnung in Europa zu kommen. Auf der Grundlage der Regierungserklärung vom Dezember 1966 hat die Bundesregierung begonnen, konstruktive Vorschläge zur Verständigung mit der UdSSR, mit den Ländern Osteuropas und mit dem anderen Teil Deutschlands, der DDR, zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen. Diese Politik muß konsequent weiterentwickelt werden.
Viertens. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands setzt sich in Bundesregierung und Bundestag dafür ein, daß
a) Bundesregierung und Ministerrat der DDR sich über ein gemeinsam zu entwerfendes und gemeinsam zu verwirklichendes Programm verständigen, das die Bürde der andauernden Spaltung Deutschlands für die Menschen vermindert und beide Seiten zu einem geregelten Modus vivendi befähigt;
b) die besondere Viermächte-Verantwortung für Berlin bis zu einer friedensvertraglichen Regelung für Deutschland respektiert wird und einseitige Änderungen am Status von Berlin oder am ungehinderten Zugang von und nach Berlin für den Personen- und Güterverkehr nicht vorgenommen werden;
c) West-Berlin die Möglichkeit bekommt, zur Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der beiden Teile 'Deutschlands beitragen zu können;
d) in aller Form klarzustellen ist: die Bundesregierung bietet dem Ministerrat der DDR an, Verhandlungen ohne jegliche Diskriminierung auf der Ebene der Regierungen zu führen; diese Verhandlungen sollen zu den Formen der Zusammenarbeit führen, die im beiderseitigen Interesse liegen;
e) durch verbindliche Abkommen über Gewaltverzicht und Verzicht bis zu den endgültigen friedensvertraglichen Regelungen die territoriale Integrität und die Unverletzlichkeit der Demarkationslinien in Deutschland und der Grenzen im Osten gewährleistet wird;
f) das unter Androhung von Gewalt zustande gekommene Münchener Abkommen, das von Anfang an ungerecht war und ungültig ist, ausgelöscht wird durch vertragliche Regelungen, die ein für allemal jede auf die Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtete Politik unmöglich machen. Dabei wird es auch darum gehen, in Erfüllung der Obhutspflicht gegenüber den Vertriebenen dafür zu sorgen, daß den von den Folgen des Münchener Abkommens und der Nachkriegszeit betroffenen Menschen keine weiteren Nachteile entstehen.
Fünftens. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bringt in Erinnerung, daß sie im Jahre 1966 auf ihrem ordentlichen Parteitag einstimmig beschlossen hat: „Der Parteitag begrüßt die durch den Vorstand eingeleitete offene Auseinandersetzung mit der kommunistischen SED und erklärt sich einverstanden mit den offenen Antworten vom 18. März und 15. April 1966. Der Parteitag fordert den Vorstand auf, seine Bemühungen fortzusetzen, um vor den Menschen in ganz Deutschland den Austausch von Argumenten über die Kernfragen der deutschen Politik in Gang zu bringen und den Menschen im gespaltenen Deutschland das Leben leichter zu machen."
Sechstens. In den seit diesem Beschluß vergangenen Jahren haben sowohl der Parteivorstand durch seinen Brief an die Delegierten des Parteitages der SED im April 1967 als auch die Vertreter der SPD in Bundestag und Bundesregierung, im Abgeordnetenhaus und Senat von Berlin fortgesetzt konstruktive Vorschläge im Sinne der sozialdemokratischen Auffassungen, wie sie im Jahre 1966 beschlossen wurden, gemacht.
Die Führung der SED und die Organe der DDR sind diesen Vorschlägen ausgewichen, so wie die SED-Führung im Sommer 1966 dem schon vereinbart gewesenen Redneraustausch ausgewichen ist; sie haben sich auf die Polemik beschränkt, während sie gleichzeitig in Deutschland und im Ausland behauptet haben, es seien die Sozialdemokraten und die Organe der Bundesrepublik, die einer Verständigung über Minderung der Spannungen entgegenstünden. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands konstatiert ausdrücklich die Verantwortlichkeit der Führungsorgane der SED und der DDR am bisherigen Ausbleiben konkreter Verhandlungen über die Verständigung, die zur Minderung der Spannungen im gespaltenen Deutschland führen könnten.
Die DDR ist für uns kein Ausland. Die Deutschen im anderen Teil unseres Landes sind für uns kein anderes Volk. Es wäre aber wirklichkeitsfremd, die staatliche Existenz des anderen Teils Deutschlands leugnen oder nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Andererseits ist angesichts der Tatsache, daß die Führungsorgane von SED und DDR noch nicht einmal gewillt sind, in sachliche Verhandlungen über die Normalisierung der Verhältnisse in Deutschland einzutreten, die Anerkennungsforderung der Regierung der DDR kein konstruktiver Beitrag zu geregelten innerdeutschen Beziehungen.
({14})
Meine Damen und Herren, ich möchte das Haus informieren, daß es bei der Abmachung bleibt, unsere Beratungen nicht durch eine Mittagspause zu unterbrechen. Ich habe optimistische Stimmen gehört, die meinten, wir könnten bis 14 Uhr das Ende dieser Beratungen erreichen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Scheel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich mit dem auseinanderzusetzen, was die Kollegen von den Regierungsparteien zu unserer Anfrage als Parteimeinungen vorgetragen haben, und mit dem, was der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen für die Regierung gesagt hat. Vielleicht erlauben Sie mir zunächst ein paar allgemeine Bemerkungen.
Ich beginne mit einem Zitat aus einer Studie der führenden Koalitionspartei, der CDU/CSU, zu Fragen der Deutschlandpolitik. Dort heißt es:
Die CDU/CSU hält an ihrer Auffassung fest, daß der einzige Weg, um die deutsche Frage zu lösen, über eine Koordinierung der Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik im europäischen Rahmen führt.
Ich unterstreiche diese Feststellung in vollem Umfang und möchte an den Anfang die Bemerkung setzen, daß in unserer heutigen Debatte nach ihrer Anlage die Sicherheits- und die Außenpolitik kürzer kommen werden, als es das Thema verdient. Aber vielleicht wird das im Laufe der Debatte doch noch wieder in den Vordergrund treten. Nur möchte ich festhalten: es ist ein internationales Problem, in dessen Rahmen wir allein unsere nationale Frage, die vordringlich ist, lösen können. Die früher einmal vielleicht mit Recht vertretene Auffassung „erst Deutschland, dann Europa" ist durch die historischen Ereignisse überholt. Die deutsche Frage kann nur im europäischen und im weltpolitischen Rahmen gelöst werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Barzel?
Bitte sehr.
Ich möchte schon eins klären, damit ich das nicht nachher noch zu sagen brauche. Darf ich deshalb feststellen, daß auch Sie, Herr Kollege Scheel, nicht davon ausgehen, daß durch die Realisierung Ihres Vertragsentwurfs etwa die deutsche Einheit hergestellt werden würde, sondern daß Sie der Meinung sind, dies sei eine umfassende Sache, die mit der europäischen und Sicherheitspolitik zusammenhänge.
Das ist völlig richtig.
({0})
Unser Entwurf ist eine Stufe auf dem Wege zu einer
europäischen Friedensordnung, nur in diesem Rahmen zu verwirklichen und auch nicht ohne die ständige Fühlungnahme mit unseren Verbündeten. Aber das hat die FDP seit eh und je von ihrem eigenen Entwurf gesagt.
Nun diskutieren wir in einem Wahljahr, und zwar in einem gar nicht so langen Abstand von der Wahl. Es liegt deswegen nahe, daß man bei der Diskussion dieser für uns alle so wichtigen Frage mehr Gefühle - vor allen Dingen in seine Formulierungen - hineinzubringen versucht, als richtig ist, daß man mehr polemische Formulierungen gebraucht, die Gefühlswerte ansprechen sollen. Ich werde nachher noch darauf kommen, was ich darunter verstehe. Wir wollen uns aber durch diese Gefahr nicht den Blick dafür verbauen lassen, daß es in diesem Bereich - das ist von Herrn Franke eben mit Recht festgestellt worden - gemeinsame Ziele gibt und daß die in diesem Parlament vertretenen Parteien die Zielrichtung, nämlich das deutsche Volk zusammenzuführen, niemals aufgegeben haben und daß sie sich, was diese Zielrichtung angeht, auch niemals unterschieden haben.
({1})
Es kann Auseinandersetzungen über die Wege, zu diesem Ziel zu kommen, geben. Es ist gut, wenn demokratische Parteien solche Auseinandersetzungen in der Sachlichkeit führen, in der sie geführt werden müssen.
Ich bin wie Herr Franke der Meinung, daß es bedauerlich ist, daß die früher üblich gewesenen gemeinsamen Deutschlandgespräche aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien bisher noch nicht wiederaufgenommen werden konnten.
({2})
Ich weiß, daß der Bundeskanzler mehrfach leinen Ansatz dazu hat erkennen lassen, daß er mehrfach der FDP gegenüber seine Bereitschaft dazu erklärt hat. Ich weiß auch um die Überlastung eines Regierungschefs, der eine Menge Sorgen hat, nicht nur Sorgen um die Deutschlandpolitik. Ich glaube aber, daß diese Frage so wichtig ist, daß die Zeit zu gemeinsamen Gesprächen gefunden werden sollte. Auf jeden Fall ist die FPD zu solchen Gesprächen bereit, weil wir nicht zu ,einem Auseinanderfallen der parlamentarischen ,Parteien in der Frage der Deutschlandpolitik beitragen wallen, sondern weil wir uns sachlich auseinandersetzen wollen, und ,zwar nicht allein von dieser Tribüne aus, sondern auch in den Bereichen, in denen .das ebenso zweckmäßig erscheint, ;in vertraulicheren Beratungen.
Die Antwort der Bundesnegierung auf unsere Große Anfrage zeigt im großen und ganzen eine zustimmende Tendenz zu .der Grundabsicht der FDP, zu unseren Vorstellungen, daß man das Verhältnis der Bundesrepublik zur DDR vertraglich regeln müsse unid könne. In der Antwort der Bundesregierung heißt es aber, es komme immer auf den Zeitpunkt an, zu dem man so etwas tue, und dieser Zeitfaktor sei es, der die Bundesregierung jetzt daran hindere, eine umfassende vertragliche Regelung konkret ins Gespräch zu bringen.
Meine Damen und Herren, ich meine, dringlicher kann diese Frage wirklich nicht wenden. Wir leben hier in Europa in einer Situation, in der noch kein
Frieden herrscht, in der die kriegerische Auseinandersetzung 'zwar beendet ist, der Frieden aber noch nicht begonnen hat. Wir haben jüngst erlebt, welche Gefährdungen sich auf dieser Welt an solchen Brennpunkten der Politik ergeben, in Korea nämlich, wo gleichfalls ungeregelte Verhältnisse herrschen und wo sich jetzt zeigte, daß manchmal ein Funke genügt, um eine weltweite Gefahr herbeizuführen. Das sind Fragen von höchster Dringlichkeitsstufe. Ich stehe mit meiner Meinung nicht allein. Ich möchte mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten ein paar Sätze aus einer Studie vorlesen, die die Amerikanische Gesellschaft für die Vereinten Nationen angefertigt hat und dem amtierenden Präsidenten Nixon als Anregung für die Außenpolitik der Vereinigten Staaten gegenüber Europa übermittelt hat. Hier 'sagen die Verfasser:
Die jüngsten Erfahrungen in der Tschechoslowakei unterstreichen die Notwendigkeit neuer Wege zu einer Lösung der grundlegenden Frage der Zukunft Deutschlands.
Das bezog sich auf die Ereignisse in der Tschechoslowakei vom vorigen Jahre. Aber auch was jetzt in der Tschechoslowakei geschieht als eine bedauerliche Weiterentwicklung 'der Ereignisse vom vorigen Jahre, gibt nicht Anlaß zur Ruhe, sondern - ich teile diese Auffassung der Verfasser - muß .die Notwendigkeit neuer Wege zu einer Lösung der grundlegenden Frage der Zukunft Deutschlands unterstreichen.
Es ist interessant, was die Verfasser dieser Studie über das Problem insgesamt sagen. Der Gruppe gehören hochrangige politische Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten an; eine ganze Zeitlang gehörte ihr auch der inzwischen zum Berater des Präsidenten ernannte Professor Kissinger an. Diese Gruppe sagt:
Sie ist sich darüber im klaren, daß es zur Beendigung der Teilung Deutschlands und Europas unter Bedingungen, welche die Sicherheit der europäischen Völker gewährleisten, ohne Zweifel eines langen Zeitraums der Aussöhnung bedürfen wird. Hierzu werden umfassende und geordnete Konsultationen im Westen, lange Verhandlungen mit den osteuropäischen Staaten einschließlich der Sowjetunion und eine allmähliche Klärung der Beziehungen zwischen der Bevölkerung beider Teile Deutschlands gehören.
Und man sagt weiter:
Ferner empfiehlt die Gruppe: Der Außenministerrat
- der NATO nämlich sollte West- und Ostdeutschland vorschlagen, miteinander über ein Stufenprogramm zu verhandeln, dessen Endziel die Wiedervereinigung Deutschlands wäre. Die genaue Form der Beziehungen, die sich zwischen der Bevölkerung Ost- und Westdeutschlands entwickeln würden, könnte nur das. Ergebnis langer und ausdauernder Verhandlungen in einem Klima vertiefter Kontakte jeglicher Art sein.
Meine Damen und Herren, ich unterstreiche dabei
jedes Wort. Es geht darum, ein neues Verhältnis der
beiden Teile Deutschlands untereinander zu finden. Das ist nur möglich, wenn man mit der DDR verhandelt. Das geht nur, wenn man mit den Repräsentanten, nämlich der Regierung der DDR, darüber verhandelt, aber das nur im internationalen Rahmen und unter ständiger Konsultation mit unseren Verbündeten, ohne deren Consensus, was die allgemeine politische Richtung angeht, natürlich ein fruchtbares Ergebnis von Verhandlungen gar nicht erreicht werden kann. Es gehört aber dazu auch die Fühlungnahme mit der Sowjetunion als einem wichtigen Partner in allen europäischen Fragen.
Wir sind uns im klaren darüber - wenn ich den Gedanken noch einmal aufnehmen darf -, daß die Diskussion über die Deutschlandpolitik nicht zuletzt auch unter den Zuständen leidet, die immer noch die Tschechoslowaken bedrängen. Aber man sollte davor warnen - ich bin eigentlich froh, daß das in der bisherigen Debatte nicht überbetont worden ist -, mit der Not unserer Nachbarn politische Propaganda bei uns zu machen.
({3})
Insofern ist die Diskussion hier im Bundestag in einer Atmosphäre verlaufen, die es möglich macht, zu den Sachfragen vorzudringen, die wir ja nicht zuletzt auch zu lösen haben.
Anders dagegen war der publizistische Auftakt zu dieser Parlamentsdiskussion.
({4})
- Aber Herr Kollege Schmidt, wir haben mit keinem Wort die Atmosphäre vergiftet. Wir haben uns, weil wir es auch gar nicht nötig haben, jeglicher polemischer Formulierungen in unseren Erläuterungen tenthalten. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort gesagt, daß sie die Fragen der Deutschland-Politik ausschließlich sachlich betrachten und auch ausschließlich sachlich behandeln will. Dasselbe wollen wir auch. Aber, meine Damen und Herren, Sie werden mir zugeben: nicht alle - auch nicht alle Kollegen in diesem Hause -, haben sich an diese Regel gehalten. Es ist eine Polemik entwickelt worden, die bis an die Diffamierung und die Verleumdung herangegangen ist.
({5})
- Das ist keine Diffamierung, verehrter Herr Kollege Bechert. Aber was Kollegen Ihrer Fraktion sich an Diffamierungsversuchen geleistet haben, das hat, glaube ich, der Sache keinen Dienst erwiesen, und ich möchte davor warnen, das fortzusetzen.
Ich will mich heute nicht mit den Kollegen Müller-Hermann und Marx auseinandersetzen, weil das schon hinter uns liegt. Ich will nur erwähnen, was ich damit meine. Die Auseinandersetzung hat schon stattgefunden, und ich glaube, die Kollegen werden vielleicht die Berechtigung der Vorwürfe eingesehen haben, die man gegen sie erhoben hat. Das Wort von den Patrioten oder die ewig wiederkehrende Formel, daß derjenige, der eine vertragliche Regelung mit der DDR sucht, sich die Sprachregelungen, die Gedanken, die politischen Absich12656
ten der sogenannten anderen Seite oder der östlichen Seite oder der Bolschewisten oder Ulbrichts zu eigen macht, dienen nicht der sachlichen Auseinandersetzung. Wir sind in diesem Hause, meine sehr geehrten Damen und Herren, teilweise seit 20 Jahren auf diesem Felde in gemeinsamen Anstrengungen verbunden, und es ist kein besonders gutes Zeichen des Willens zu sachlicher Arbeit, wenn man das außer acht läßt.
Es dient auch nicht der Versachlichung der Diskussion, wenn in einer abwertenden und absichtlich vagen Art permanent von sogenannten Anerkennungsparteien gesprochen wird. Meine Damen und Herren, ich weiß gar nicht, an wen das auch heute wieder von dem Herrn Kollegen von Wrangel gerichtet war, wenn er von „Anerkennungspartei" spricht und doch so unterschwellig, in der Öffentlichkeit auf jeden Fall, damit den Eindruck erwecken möchte, er möchte Parteien dieses Bundestages darunter verstanden wissen. Es würde mich freuen, Herr Kollege von Wrangel, wenn Sie das korrigieren könnten.
Sie gestatten also eine Zwischenfrage von Herrn Baron von Wrangel?
Bitte, sehr gern!
Herr Kollege Scheel, Sie werden doch mit Sicherheit nicht bestreiten können, daß es eine starke Gruppe in diesem Lande gibt, die man als Partei bezeichnen kann - über die Formulierung läßt sich streiten -, die Ostberlin zu einem Völkerrechtssubjekt machen will?
Herr Kollege von Wrangel, es gibt zweifellos eine ganze Anzahl von Menschen in der Bundesrepublik, auch von Publizisten, von Wissenschaftlern usw., auch von Politikern - möglicherweise sogar in diesem Hause, wiewohl hier sicherlich sehr wenige vertreten sind -, die diese Meinung haben. Aber das Verleumderische liegt doch darin, daß man ganz bewußt, wenn man in abwertender Weise von „Anerkennungspartei" spricht, nämlich von diesem an sich wertfreien Begriff, diesem Begriff ganz bewußt einen negativen Wert mitgibt. „Anerkennungspartei" ist zunächst ja ganz wertfrei; es kommt doch darauf an, was ich anerkenne - oder anerkennen möchte - und was nicht. Aber wenn man in diesem Zusammenhang das Wort „Partei" wählt, dann geschieht es doch sicher nicht unbewußt; denn sonst würde man - ganz präzise - sagen: diejenigen, die dafür eintreten, das und das anzuerkennen. „Anerkennung" ist ein so kompliziertes Wort, daß man es einfach differenziert behandeln muß.
({0})
- Herr Kollege von Wrangel, ich komme gleich
noch darauf! - Aber es ist hier der Begriff der
Anerkennung zu interpretieren. Darüber haben sich
ganz kluge Leute in wissenschaftlichen Büchern geäußert; ich habe ein solches einmal mitgebracht; Sie werden es kennen, weil es Ihnen, wie ich glaube, zugeschickt worden ist, jedenfalls soweit Sie Mitglieder des Gesamtdeutschen Ausschusses sind. Das Buch heißt: -„Die Nichtanerkennung im modernen Völkerrecht". Der Verfasser, Ernst Civier, hat sich in diesem Werk nur darüber verbreitet, wie schillernd der Begriff geworden ist und wie unterschiedlich in der ganzen Welt er ausgelegt wird, und zwar in völlig unterschiedlichen Bezügen. - Deswegen, glaube ich, muß man immer ganz subtil darstellen, was man meint, wenn man den Begriff verwendet, und ich will das tun.
Nebenbei gesagt, Sie können das ganze Buch lesen, und Sie sind nachher doch nicht sehr viel klüger über den Begriff geworden.
({1})
Es kommt mir so vor - wenn ich das einmal dazwischenschieben darf, meine Damen und Herren - wie eine Diskussion in einer parlamentarischen Runde über ein sehr kompliziertes Problem, bei der jemand bat, man möge doch einmal die komplizierte Materie erhellen, und es einen unwahrscheinlich langen Vortrag eines sachverständigen Diplomaten gab, der die Konfusion aufhellen wollte. Nachdem er geendet hatte, antwortete der, der den Vorschlag gemacht hatte, ruhig: „I am still confused, but on a much higher level".
({2})
Das ist hier auch der Fall: die Konfusion verschwindet nicht, sondern man ist gebildeter, hat aber auch nicht den Stein der Weisen in der Definition des Begriffes gefunden.
Herr Kollege Müller ({0}) hat sich vor Herrn Kollegen Schmidt zu einer Zwischenfrage gemeldet.
Herr Kollege Scheel, wären Sie denn bereit, um alle Zweifel auszuräumen, sich ganz eindeutig von den Gruppen zu distanzieren, die mein Kollege von Wrangel hier genannt hat, oder haben Sie das bereits getan?
Herr Kollege Müller, wenn Sie von Zeit zu Zeit einmal die Bundestagsdrucksachen durchlesen würden, vor allem die so wichtige Entschließung, die der Bundestag zu diesem Problem gefaßt hat und deren Ziffer 6 wir widersprochen haben, dann würden Sie sehen, daß wir eine eigene Formulierung für die Ziffer 6 vorgeschlagen haben. Ich darf sie einmal verlesen; das dürfte, glaube ich, durch das Protokoll des Bundestages erhärtet, die Stellung der FDP präzisieren. Wir hatten vorgeschlagen, für die Ziffer 6 die Formulierung zu wählen:
Es entspricht dem Willen des ganzen deutschen Volkes und dem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes, daß die Bundesrepublik Deutschland den anderen Teil Deutschlands nicht völkerrechtlich als Ausland anerkennt.
Das ist unsere Position, die ich aber gern jetzt noch weiter erläutern möchte. Aber nun kommt wohl die Zwischenfrage von Herrn Kollegen Schmidt.
Herr Abgeordneter Schmidt ({0}) zu einer Zwischenfrage.
Verehrter Herr Scheel, trotz der Klarstellung, die Sie soeben unserem Kollegen gegeben haben, zweitens" in der Hoffnung, daß die heutige Debatte nicht zur „Konfusion auf höherer Ebene" führt, und drittens im Gefühl der Dankbarkeit dafür, daß Sie uns die Lektüre eines Buches, die zunächst notwendig schien, dann schließlich doch erlassen haben
({0})
- das wird auch geschehen! - möchte ich doch, ehe Sie in den soeben angekündigten Teil Ihrer Ausführungen eintreten, eine Frage aufwerfen - wenn ich Sie in den letzten zehn Minuten richtig verstanden habe, gebe ich mich sogar der Hoffnung hin, daß die Antwort bejahend ausfallen könnte -, nämlich ob nicht auch Sie der Meinung zuneigen könnten, daß es angesichts der Vielfalt des schillernden Begriffs der Anerkennung, von dem Sie gerade selber sprachen, angesichts der Vielfalt der Inhalte, die mit diesem Begriff verbunden werden, möglicherweise nicht klüger wäre, wenn wir uns in Fragen der Deutschlandpolitik auf das konzentrierten, was sachlich gewollt und was sachlich nicht gewollt ist, anstatt auf den Umgang mit Wortfetischen allzu viel Gewicht zu legen.
({1})
Ich teile Ihre Auffassung, Herr Kollege Schmidt. Wir sollten uns alle bemühen, Formeln dieser Art einfach nicht über die Zunge kommen zu lassen, sondern sollten den Versuch unternehmen, auszudrücken, was wir wirklich wollen. Ich will jetzt diesen Versuch einmal unternehmen. Dann kommen wir uns nämlich in manchem näher; in manchem werden wir vielleicht distanzierter. Das wird sich im Laufe dieser Debatte möglicherweise herausstellen, in der ich den Versuch machen möchte, Herr Kollege Barzel, einmal die Distanz ganz genau festzulegen, die es in unseren Auffassungen zu dieser Frage noch geben könnte und die es sicherlich geben wird.
Eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Barzel.
Herr Kollege Scheel, nach Ihrer soeben gegebenen erfreulichen Antwort auf die Zwischenfrage des Kollegen Schmidt können wir vielleicht gleich noch etwas anderes wegräumen. In dem Papier, das Sie diese Woche der Öffentlichkeit mit dem Blick auf die Wahl übergeben haben, stehen zwei andere Worte, über die eine theoretische Diskussion auch nichts nützt, nämlich „Alleinvertretungsanspruch" und „HallsteinDoktrin". Wären Sie nicht auch hier bereit, auf eine Debatte über solche Worte zu verzichten und eine praktische Politik der Vernunft zu machen, wie es der letzte Satz Ihrer Papiers uns allen empfiehlt, Herr Kollege Scheel?
Sie sehen, welch gute und vernünftige Sätze dieses Papier enthält und welch gute Empfehlungen darin enthalten sind.
({0})
Ich will das tun, Herr Kollege Barzel. Mein Beitrag soll diesem Ihrem Wunsch Rechnung tragen. Ich will mich auf die Inhalte in meinem Beitrag beziehen,
({1})
auch in der Interpretation der beiden anderen Begriffe.
In den letzten Wochen und Tagen hat auch der Herr Bundeskanzler nicht gerade mit letzter Präzision über dieses Thema gesprochen,
({2})
sondern hier sind eine ganze Menge Gefühlsbereiche - beim Herrn Bundeskanzler sage ich nicht etwa: zufällig, sondern mit ungewöhnlichem, meisterhaftem Geschick - zusammengebracht worden, aber in ganz durchsichtiger Absicht.
({3})
Ich darf aus einem Pressebericht, den ich in die Hand bekam, folgende Formulierung verlesen. Der Bundeskanzler sagte, die Sowjetunion - das, was jetzt kommt, sagte er in den letzten Tagen praktisch täglich zweimal - vertrete die These, daß ein Staat, der einmal zum kommunistischen Lager gehört habe, dieses Lager nie wieder verlassen dürfe, laut Breschnew-Theorie; so weit, so gut!
({4})
- „So weit, so gut" ist die Bemerkung des Bundeskanzlers. Oder sollte das nicht der Fall sein?
({5})
Er fährt aber fort, Herr Barzel: „Eine Anerkennung würde unter diesen Umständen bedeuten, daß 17 Millionen unserer Landsleute für immer unter kommunistischer Herrschaft leben müßten."
({6})
- Darf ich Sie einmal fragen, wo sie jetzt leben? Wo ist denn da der Bezug zur Anerkennung, einer Anerkennung, die ich gar nicht will? Das ist doch eine willkürliche Vermischung von zwei völlig unterschiedlichen Tatbeständen. Es könnte ja sein, daß eine Anerkennung - das weiß doch kein Mensch - bestimmter Dinge diese Leute aus dem kommunistischen Herrschaftsbereich sogar herausbringt.
({7})
- Ich behaupte das ja nicht; ich sage nur das, was sicher ist. Und sicher ist, daß sie jetzt - jetzt! - unter kommunistischer Herrschaft leben.
({8})
Wenn der Bundeskanzler ein Verfahren kennt, wenn er eine Methode entwickeln könnte, das zu beenden, sollte er das hier sagen. Er hat unsere Zustimmung.
({9})
Ich frage mich auch, gegen wen denn eine solche Kampagne gerichtet sein könnte. Sie kann offensichtlich -
Herr Kollege Majonica stellt eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Scheel, ist Ihnen entgangen, daß dieser Zusammenhang, den der Herr Bundeskanzler darstellt, nichts weiter bedeutet, als daß die Tatsache, daß 17 Millionen Menschen unter kommunistischer Herrschaft leben, durch eine Anerkennung von uns rechtlich akzeptiert werden würde?
Ich muß das noch einmal verlesen, weil es in Anführungsstrichen steht: „Eine Anerkennung würde unter diesen Umständen bedeuten, daß 17 Millionen unserer Landsleute für immer unter kommunistischer Herrschaft leben müßten."
({0})
- Aber, meine Damen und Herren, Sie wollen doch nicht bestreiten, daß das den Eindruck nicht nur erweckt, sondern erwecken soll, den ich von anderen, weniger subtil formulierenden Kreisen der CDU immer wieder höre, daß unser Vorschlag - und hier werden dann Anerkennung und Vorschlag der FDP leider verwechselt - zur endgültigen Trennung des deutschen Volkes führen würde. Und ein anderer sagt dann gleich noch dazu: daß Berlin seine jetzige Position verlieren würde. Das sind doch Formulierungen, die immer wiederkehren. Sie stehen in einem gewissen Zusammenhang mit dem, was der Bundeskanzler in sehr subtiler „Zusammenschau" - so hätte der Vorgänger des Bundeskanzlers gesagt -, in sehr subtiler Zusammenstellung heute bringt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Gradl?
Bitte schön!
Herr Kollege Scheel, ich habe den Eindruck, daß Sie der Aussage des Herrn Bundeskanzlers sehr subtil einen Eindruck unterschieben wollen,
({0})
den diese Aussage nicht macht. Oder wollen Sie wirklich bestreiten, daß mit der Bemerkung, daß dadurch die 17 Millionen für immer dem sowjetischen Herrschaftsbereich zugewiesen wären, nichts anderes gemeint ist als dies, daß durch eine Anerkennung der jetzige Zustand für immer - das heißt für den Politiker: für eine überschaubare Zeit -, und rechtlich unwiderruflich durch uns legitimiert würde, und daß wir exakt dies nicht wollen?
Herr Dr. Gradl, ich komme im Zusammenhang mit dem, was Sie sagen, gleich zu meiner Bemerkung, die sich darauf bezieht, soweit es die FDP angeht. Man sollte sich nämlich fragen: Gegen wen, an wen richtet sich diese Bemerkung? Ich wollte hier einmal feststellen, sie kann sich nicht an die FDP richten, auch nicht im Zusammenhang mit unseren Vorschlägen über vertragliche Regelungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR; denn die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsere Vorschläge selbst vertragliche Regelungen - auch umfassender Art - nicht ausgeschlossen, sondern als eine Möglichkeit einer aktiven Deutschlandpolitik bezeichnet. Das hier klarzustellen war meine Absicht.
Ich will diesen Teil abschließen, indem ich sage: Es wäre wirklich nützlich, daß wir uns in diesem Kreis ohne Polemik - und ich habe schon den ganzen Vormittag das Gefühl, daß der Wille vorhanden ist - differenziert über diese Fragen unterhalten.
Dann will ich Ihnen gern erläutern, was wir mit unseren vertraglichen Regelungen wollen, eben nicht: die Anerkennung der völkerrechtlichen Souveränität der DDR und sonst nichts, wie es manche vielleicht als eine Patentlösung in der Politik für richtig halten mögen. Wir sind der Überzeugung, daß diese „völkerrechtliche Anerkennung der DDR und sonst nichts" keine positive Entwicklung im Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander einleiten könnte.
({0})
Weil wir diese abstrakte, nutzlose Diskussion nicht wollen, haben wir konkrete Vorschläge entwickelt, das Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander vertraglich zu regeln und dabei konkrete Fragen zu lösen. Das ist das Entscheidende. Wir wollen mit unseren Vorschlägen nicht etwa den Schlußpunkt unter eine Auseinanderentwicklung der beiden Teile Deutschlands setzen, sondern einen neuen Anfang, einen neuen Versuch machen, die sich auseinanderentwickelnden Teile näher zueinander zu bringen. Das ist der Kern unserer Bemühungen.
({1})
Nun haben wir gesagt, daß es sich um einen staatsrechtlichen Vertrag oder um staatsrechtliche Verträge handeln wird. Es ist - wenn ich das einmal festhalten darf - hier ebenfalls offenkundig ganz unbestritten, daß die staatliche Existenz der DDR nicht diskutiert werden kann. Das hat auch ausdrücklich - wenn ich das aus einem Protokoll richtig ersehe - der sonst sehr aggressive stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion Müller-Hermann festgestellt. Es werde selbstverständlich respektiert - so sagte er in einem Rundfunkinterview -, daß tatsächlich auf der anderen Seite ein Staatsgebilde vorhanden sei. Das ergebe sich schon daraus - so schließt er messerscharf -, daß von der Bundesregierung selber Ostberlin verschiedene Gespräche auch auf Ministerebene angeboten worden seien. Dazu sind ja, wie ich hinzufüge, StaatssekreScheel
täre als Gesprächspartner genannt worden. Schon die Tatsache, daß sie auf beiden Seiten „Staats"sekretär heißen, deutet darauf hin, daß wir also darüber schon einig sind. Das sagen auch wir.
Natürlich ist es ein staatsrechtlicher Vertrag. Aber wir haben uns in unseren Vorschlägen bemüht, in diesem Vertrag die besondere Qualität der Abmachungen sichtbar zu machen, nämlich festzustellen - das ist ja Gegenstand unseres Vertrages -, daß die beiden Teile Deutschlands untereinander nicht Ausland sind - das hat die SPD soeben auch betont -, daß die DDR nicht Ausland für uns ist und wir nicht Ausland für die DDR sind. Damit steht fest, daß wir keine Botschafter untereinander austauschen. Der Begriff des „Beauftragten" und des „Bevollmächtigten" ist in diesem Falle das Richtige.
Nebenbei, Herr Kollege Schmidt, das spielt hier in diesem dicken Buch eine ganz große Rolle. Der Verfasser sagt, die Frage ,der Anerkennung - ja oder nein - sei in letzter Zeit immer stärker auf die formale Seite bezogen worden, der Austausch von Botschaftern sei fast das entscheidende Merkmal geworden. Genau das wollen wir nicht, weil auch wir das nicht für richtig halten, wenn wir auf das Ziel schauen, das wir anstreben, nämlich die beiden Teile Deutschlands näher zusammenzubringen.
Wir haben in diesem Vertrag festgelegt, daß diese Regelungen für eine Übergangszeit gelten sollen, nämlich nur für die Übergangszeit, bis die zentraleuropäischen Fragen durch einen umfassenden Friedensvertrag - lassen Sie mich besser sagen: durch eine umfassende Friedensvertragsregelung - geklärt werden. Es geht doch heute in der gefährdeten Situation, in der wir uns befinden, und in der internationalen Politik, die doch auf einen Ausgleich zwischen unseren wichtigsten Verbündeten und der Sowjetunion zustrebt, darum, daß wir in dieser Bewegung Vorschläge diskutieren und daß die Regierung Maßnahmen, Initiativen ergreift, die in eine solche Richtung führen könnten.
Wenn wir das vorschlagen, dann heißt das doch nicht, daß wir damit - wie häufig, manchmal gar nicht unbewußt, gefühlsmäßig zumindest, zu unterstellen versucht wird - die politische Ordnung in der DDR anerkennen würden. Daß liberale Politiker eine Ordnung kommunistischer Provenienz nicht als für sich verbindlich anerkennen, das, glaube ich, brauche ich hier gar nicht zu erzählen. Dagegen spricht wohl auch die Tätigkeit der FDP in diesem Parlament seit 20 Jahren.
Das heißt auch nicht, daß wir durch eine solche vertragliche Regelung die demokratische Legitimation der Regierung, mit der wir es zu tun haben, akzeptieren würden. Das kann das auch gar nicht heißen; denn wenn wir mit Regierungen, die nach unserer Überzeugung keine demokratische Legitimation haben, nicht mehr verhandeln könnten, dann möchte ich nicht wissen, wieviel diplomatische Beziehungen, die wir noch unterhalten, wir in der Zwischenzeit abbrechen müßten.
({2})
Diese Beziehungen unterhalten wir aber wegen des gleichen außenpolitischen Ziels, wegen dessen wir das Verhältnis zur DDR regeln müssen, nämlich um dem Frieden zu dienen, in diesem speziellen Fall dem Frieden in Europa. Das ist der Grund für unseren Antrag, vertragliche Regelungen mit der DDR zu suchen.
({3})
Sie gestatten eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Barzel?
Bitte sehr!
Herr Kollege Scheel, räumen Sie ein, daß hier ein Unterschied zu machen ist zwischen anerkannten Völkerrechtssubjekten, mit denen wir diplomatische Beziehungen haben, in deren innere Angelegenheiten wir uns nicht einmischen dürfen, mit denen wir auf Grund unserer Interessenlage diplomatische Beziehungen unterhalten, und dem Gebilde, über das wir jetzt sprechen, das die völkerrechtliche Anerkennung durch die Völkerrechtsgemeinschaft nicht bekommen hat? Wenn Sie dieses Argument gebrauchen, geraten Sie doch in die Nähe der völkerrechtlichen Anerkennung, Herr Kollege Scheel.
Herr Dr. Barzel, bei der Beurteilung, was demokratische Legitimation ist, ja oder nein, gibt es keinen Unterschied für mich. „Demokratische Legitimation" ist ein eindeutiger Begriff. Es gibt Regierungen, die haben eine demokratische Legitimation - diese hier, die unsere, hat eine, sage ich, obgleich ich in Opposition zu ihr stehe -, und es gibt Regierungen, die haben keine. Aber das kann kein Grund sein, mit diesen Staaten nicht im Interesse des Friedens in der Welt zu verhandeln. Das ist ja auch in anderen Fällen für uns die Ursache unserer diplomatischen Beziehungen, manchmal sogar enger diplomatischer Beziehungen..
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Die Bundesregierung hat nun in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage gesagt - damit komme ich zu Herrn Wehner und seinen zusätzlichen Erläuterungen -, und zwar in der Antwort auf die erste Frage, daß sie verhindern will, daß sich die beiden Teile Deutschlands in der Trennung auseinanderentwickeln. Meine Damen und Herren, das kann ja wohl nur ein Druckfehler sein. Denn daß sie sich längst schon auseinanderentwickelt haben, ist ja nachgerade niemandem entgangen. Die Bundesregierung muß aber alles tun, damit dieser Zustand, der eingetreten ist, beendet und beseitigt wird. Diesem Ziele dient der Antrag, den wir vorgelegt haben, und diesem Ziele dient auch unsere Große Anfrage.
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Herr Wehner hat gesagt, daß das Rezept, besseres Wetter abzuwarten - das wir in unserer Begründung als ein ungeeignetes Rezept bezeichnet haben -, doch mehr positive Seiten habe, als wir vermuteten. Denn man müsse eben in einzelnen und
partiellen Entwicklungen zu gewissen Teilergebnissen kommen. Das sei auch geschehen, und darauf wolle sich die Bundesregierung auch in Zukunft konzentrieren.
Hier, glaube ich, sollten wir einhaken. Denn die Bundesregierung hat zwar - und Ihre ganze Antwort ist ja eine historische Betrachtung dessen, was sie getan hat, ohne ein Konzept für die Zukunft zu entwickeln -, zwar Vorschläge an die Regierung der DDR unterbreitet am 12. April 1967 und am 11. März 1968. Aber diese Angebote, die sie unterbreitet hat, hatten einen sehr stark formal-technischen Charakter, es waren formal-technische Angebote. Sie waren alle entweder mit diskriminierenden Bezeichnungen - in der Anrede schon - oder aber mit diskriminierenden Weglassungen von Bezeichnungen verbunden. Das heißt, die Bundesregierung hat sich schwergetan, die DDR in diesem Zusammenhang als das zu bewerten, was sie ist: als einen Verhandlungspartner, mit dem wir in gleichberechtigten Verhandlungen verhandeln müssen. Sie ist einfach - jetzt komme ich auf Herrn Barzel - diese verbale Aufrechterhaltung des sogenannten Alleinvertretungsanspruchs, der ja verbal betont wird und der uns im Augenblick daran hindert, mit der DDR zu weiteren Regelungen zu kommen. Denn es ist offensichtlich, daß es im Augenblick auch keine weiteren gibt, weil sie daran scheitern, daß wir dieses wesentliche Element nicht ausgeräumt haben.
Ich will den Versuch machen, an Hand der Diskussion dessen, was Herr Minister Wehner gesagt hat, einmal die Entfernung zwischen den Fraktionen genau zu fixieren, weil es mir so schien, als ob man in manchen Fragen näher zueinandergerückt sei. Es kommt also auf die Grenze an, bis zu der man gehen will und kann und bis zu der die Bundesregierung nach unserer Überzeugung noch nicht gegangen ist.
Ich habe soeben gesagt, daß die „Anerkennung der völkerrechtlichen Souveränität und sonst nichts" keine Lösung ist und daß auf der anderen Seite die staatliche Existenz der DDR offensichtlich von allen in diesem Hause erkannt wird. Aber um eines streiten sich die Parteien, offenbar auch noch die Koalitionsparteien, nämlich darüber, ob ein Alleinvertretungsanspruch in einer Kombination mit der fälschlicherweise Hallstein-Doktrin genannten Methode nach wie vor die Grundlage der Politik der Bundesregierung sein kann oder ob man das nicht etwas differenzierter darstellen muß; und das will ich herauszufinden versuchen.
Meine Damen und Herren, die Frage des „Wann", die auch Herr Wehner als eine ganz besonders wichtige Frage bezeichnet hat, ist, wie ich soeben schon erwähnt habe, ebenfalls von den dem Ausschuß der Vereinten Nationen angehörenden Sachverständigen der USA anders beurteilt worden, als sie die Bundesregierung beurteilt, nämlich so, wie ich sie soeben interpretiert habe.
Herr Abgeordneter Scheel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Becher?
Herr Präsident, wenn es die Kollegen mir nicht verübeln, möchte ich jetzt gern einmal die Diskussion mit Herrn Wehner zu Ende führen. Ich will Sie nicht allzulange strapazieren. Wenn nachher noch Zeit ist, ,hin ich für jede Zwischenfrage, wie Sie wissen, sofort wieder zu haben. Aber jetzt führt das ,zu .einer schwierigen, nicht so konzentrierten Diskussion, wie ich sie gerne hätte.
Jetzt kommt natürlich ein sehr schwieriges Kapitel, wo ich die beiden Koalitionsfraktionen noch zu zusätzlichen klareren Formulierungen veranlassen möchte. Ich wiederhole, die Frage des „Wann" wird auch von ,den Amerikanern anders gesehen, nämlich so, wie wir sie sehen.
Nun sagte Herr Minister Wehner, daß in ,der Vergangenheit in dem Briefwechsel mit der DDR deswegen keine konkreten Ergebnisse hätten erzielt werden können, weil die DDR vor jeder praktischen Vereinbarung die vorherige völkerrechtliche Anerkennung der DDR verlangt habe.
Dies kann ich aus den Dokumenten, die dazu zur Verfügung stehen, soweit sie von der Regierung der DDR übermittelt worden sind, nicht entnehmen. Denn in dem Brief und dem Vorschlag, der ins am 18. September 1967 von Ministerpräsident Stoph zugeschickt wurde, gibt es dafür keinen Anhaltspunkt. Hier ist in der, ich will einmal sagen, Hallstein/ Grewe-Doktrin - man muß in dieser Hinsicht wissenschaftlich genauer werden; langsam wollen wir den armen Hallstein am Ende vielleicht sogar aus der Bezeichnung entlassen - festgestellt, daß der Alleinvertretungsanspruch und seine Durchsetzung zwar aufgegeben werden müßten, aber die Anerkennung :der DDR als souveräner Staat erst im Laufe der Verhandlungen Gegenstand der vertraglichen Abmachungen sein sollte. Es ist also nicht so, daß daran etwa die konkrete Aufnahme von Verhandlungen von vornherein hätte scheitern müssen, wenn man den Darlegungen der Regierung der DDR Glauben schenken will; ich glaube, insoweit kann man das sogar. Es ist :einfach notwendig, daß Verhandlungen ohne diskriminierende Begleitumstände - ich meine das politisch jetzt ganz wertfrei - begonnen werden. Anders geht es nun einmal nicht.
Ich höre jetzt, daß jüngst, vor einigen Wochen, wieder der Regierungssprecher in einer Darlegung über eine juristische Betrachtung der ganzen Schwierigkeiten im Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander sogar den Begriff „Regierung der DDR" als höchst bedenklich bezeichnet hat. Daran sehen Sie, daß hier immer noch ein Geist herrscht, der wirklich ein Hindernis auf dem Wege zu konkreten Ergebnissen ist.
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Herr Bundesminister Wehner sagt, daß der Bundesregierung eine partielle Regelung wichtiger erscheint als ein :umfassendes Angebot, die Verhältnisse zu regeln. Ich sage aber noch einmal, .es gibt schon seit längerer Zeit keine Teilregelungen mehr, weil diese von mir genannten Hindernisse dem im Wege stehen. Ich meine, es nützt auch nichts, wenn die Bundesregierung sagt, wir sollten warten, bis die Regierung der DDR einen Staatssekretär beaufScheel
tragt habe, der mit dem Staatssekretär des Bundeskanzleramtes sprechen solle. Darauf zu warten -das weiß jeder von uns -, hat nun wahrlich keinen Zweck.
Lassen Sie mich nun zu etwas anderem kommen, was Herr Bundesminister Wehner gesagt hat, nämlich zu den sehr schwierigen Berlin betreffenden Fragen im Zusammenhang mit unseren Vorschlägen über eine vertragliche Regelung. Die FDP hat ja - und das ist auch manchem Kritiker unserer Vorschläge entgangen - in ihren Verträgen selbst ausdrücklich einerseits auf die Viermächte-Verantwotung und andererseits auf die Verantwortung der drei westlichen Verbündeten in ihren jeweiligen Berliner Verantwortungsbereichen und auf die Verantwortung der drei westlichen Verbündeten für die Zufahrtswege nach Berlin hingewiesen. Das haben wir nicht übersehen. In Art. 6 Abs. 1 unseres Vertragsentwurfs ist das expressis verbis gesagt. Die FDP denkt ja nicht im Traum daran, eine wenn auch noch so unvollkommene Sicherheitsregelung für Berlin durch irgendwelche Vorschläge zu verringern, einzuengen. Unsere Vorschläge gehen vielmehr allein darauf aus, zu den vorhandenen Garantien der westlichen Verbündeten und zur Verantwortung der Vier Mächte insgesamt zusätzliche Sicherheiten hinzuzufügen. Denn es hat sich doch gezeigt, daß, obgleich all diese Verantwortlichkeiten bestehen, die Zufahrtswege nach Berlin von der DDR ganz allein, aber mit Zustimmung der Sowjetunion, in gewisser Weise verändert, bedroht und vorübergehend gestört worden sind. Dieses zu ver- meiden ist unsere Absicht. Ich muß ausdrücklich noch einmal hinzufügen, das alles bis zu einer Friedensregelung, die ja alle diese Fragen regeln soll - vor allem auch die Frage, was mit Berlin geschieht.
Die Friedensregelung soll die Position, den Status von Berlin festigen, fixieren, den Berlinern endgültig die Sicherheit geben, die sie brauchen. Bis dahin geht es darum, zusätzliche Regelungen zu finden. Deswegen haben wir auch die Art der Regelungen ganz betont in unseren Vertrag eingebaut. Wir haben die wesentlichen Punkte der Lebensfähigkeit dieser Stadt in unserem Vertrag besonders erwähnt, und wir meinen, daß sich schon allein deswegen der Versuch lohnen sollte, mit der DDR zu vertraglichen Regelungen zu kommen. Das ist eben der Unterschied zwischen den vertraglichen Regelungen, wie wir sie wollen, und manchen Illusionen, über die in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Wir wollen substantielle Regelungen, wir wollen z. B. durch den Vertrag erreichen, daß diese in der Verfassung der DDR gemachte Bemerkung über „Berlin, Hauptstadt der DDR" durch substantielle Abmachungen so interpretiert wird, wie wir das im einzelnen im Vertrag sagen. Das also ist unsere Absicht und gleichzeitig das, was der Bundesminister selber auch anstreben sollte und sicherlich auch anstreben will.
Die Interpretation des Alleinvertretungsanspruchs durch den Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen - ich konnte sie mir nicht so schnell wörtlich aufschreiben ist auf jeden Fall sehr interessant. Sie sollte geprüft werden. Denn offenbar ist der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen gewillt,
diesen etwas globalen Begriff zu interpretieren, ihm damit die Schärfe zunehmen, vielleicht auch auf die Hallstein-Grewe-Doktrin in der Zukunft zu verzichten.
Hier ergab sich eine Unklarheit. Der Kollege von Wrangel hatte messerscharf erkannt, daß er das hier erwähnen mußte, in einer wieder etwas egalisierenden Formulierung, wie ja die Formulierungen von Herrn von Wrangel überhaupt nicht sehr präzise waren, sondern eher propagandistische Töne brachten.
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Ich möchte also in der Diskussion hier gern eine weitere Fixierung dieses Begriffes durch die Beteiligten sehen, durch den Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, möglicherweise auch durch Sprecher der CDU/CSU-Fraktion.
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- Herr Kollege Kiep, einen Moment noch, weil ich mich immer noch auseinandersetze. Ich komme nachher dazu. Ich bin bald mit den Auseinandersetzungen fertig.
Der Rechtsstandpunkt der Bundesregierung, der Bundesrepublik in dieser Frage, so hat abschließend der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen gesagt - das war ja nicht uninteressant zu hören -, sollte kein Hindernis für konkrete Abmachungen sein. Das deutet darauf hin, daß der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen - wenn ich ihn richtig verstanden habe - dazu neigt, bei der Eröffnung solcher Gespräche sehr wohl auf den Rechtsstandpunkt „Alleinvertretungsrecht" zu verzichten, wenn auf der anderen Seite auf den Rechtsanspruch „Anerkennung der völkerrechtlichen Souveränität" bei Eröffnung von konkreten Verhandlungen verzichtet wird. Dies scheint mir eine konkrete Frage zu sein, zu der ich in dieser Interpretation sofort ja sagen würde, zu der ich aber gern die Meinung der Koalitionsparteien und der Bundesregierung hätte.
Jetzt lassen Sie mich einige Bemerkungen zu dem machen, was Herr von Wrangel vorgetragen hat. Er hat, und das ist psychologisch zu verstehen, in seinem Vortrag recht häufig das Wort „Demagogie" verwandt - sehr häufig sogar, zählen Sie einmal nach! -, und zwar immer in negativem Sinne. Er hat von den „Träumern" und „Demagogen" und „Schwätzern" - ich weiß gar nicht, wen er damit meinen könnte - gesprochen und, er hat gesagt, daß man keine Demagogie anwenden sollte und daß Demagogie ganz schlecht wäre. Ich muß ihm aber bescheinigen, daß sein Vortrag hier,
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allerdings unter Ausschöpfung der parlamentarischen Möglichkeiten, ein Maß an Demagogie entwickelte, das er sicherlich auch entwickeln wollte.
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Seine Formulierungen sind zwar durchaus unumstößliche Weisheiten gewesen, z. B. daß „Denk12662
modelle keine Politik ersetzen" können. Es wäre aber viel interessanter gewesen, einmal festzustellen, was denn die Politik ist, um die wir jetzt diskutieren. Denkmodelle können zwar keine Politik ersetzten; aber wir haben hier ja gar keine Politik, die wir ersetzten könnten; im Moment wird ja in dieser Hinsicht keine getrieben, Herr Kollege von Wrangel,
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Darum ging es uns.
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Es gibt keine weiteren Schwierigkeiten, Herr von Wrangel. Ich wollte Ihnen nur bescheinigen, daß Ihnen hier ein Mindestmaß an Polemik unterzubringen sehr wohl gelungen ist.
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- Nein, Herr von Wrangel!
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Ich versuche hier in aller Nüchternheit einzelne Fragen zu klären. Eine davon habe ich gestellt. Jetzt ist mir in der Tat aufgefallen, daß zischen Ihnen und dem Vertreter der Bundesregierung unterschwellig, aber auch in den Formulierungen, doch eine gewisse Diskrepanz herrscht, die sich sicher im Verlauf der Diskussion noch aufklären wird, was sehr viel zur Erhellung der Positionen der einzelnen Parteien beitragen könnte. Es ist eben nicht so, wie Sie sagen, Herr von Wrangel, daß Verträge erst am Ende von Verhandlungen entwickelt werden könnten. Wer das sagt, der ist wirklich noch niemals in eine Verhandlung gegangen. Selbstverständlich hat jeder, der eine Verhandlung beginnt, die mit vertraglichen Regelungen enden müßte, sei sie nun zivilrechtlicher Art oder sei sie völkerrechtlicher Art, seine Vorstellung von dem Vertrag, den er erreichen will. Er läßt sich ja nicht nur durch die Formulierungen der anderen in seinem eigenen Handeln festlegen, sondern er versucht selber, Vertragstexte zu entwickeln. Und das ist doch unsere Absicht gewesen: der Bundesregierung einmal überhaupt einen Vertragstext vorzulegen als eine Entgegnung auf den Vertragstext der DDR, dessen Inhalt wir genausowenig wie Sie auch nur im entferntesten gutheißen könnten, von „annehmen" will ich gar nicht reden.
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Sie haben auch, Herr von Wrangel, wieder - ohne Bezug auf jemanden zu nehmen - von der Anpassung an die Forderungen der anderen Seite gesprochen, die hier und da festzustellen seien. Wie gesagt, Sie haben das ohne Bezugnahme getan; aber Sie haben dabei den Eindruck erweckt - ob Sie ihn erwecken wollten, will ich gar nicht ausdrücken -, Sie meinten irgendwelche Gruppen in diesem Parlament.
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- Natürlich „verbal"; aber auch die zufällige Identität von Begriffen sollte nicht zu der Diffamierung führen, die ich als Verlautbarung der Partei der CSU in der Presse gelesen habe, nämlich daß sich hier irgendwelche Leute schon dem Denken der-östlichen Seite anpaßten. Das ist doch nicht die Ursache für unser Handeln, und wir sollten das aus unserer Diskussion weglassen.
Ich stimme Ihnen vollkommen darin zu, daß die deutsche Frage - ich habe das schon am Anfang gesagt - im internationalen Zusammenhang gesehen werden muß und nur im internationalen Zusammenhang gelöst werden kann. Ich möchte noch eins dazu sagen: wenn das so ist, dann wundere ich mich manchmal allerdings über das Verhalten einzelner Abgeordneter der Regierungskoalition zu dem Atomsperrvertrag; denn das dieser auch im internationalen Zusammenhang für unsere eigenen Probleme von entscheidender Bedeutung ist, sollten wir doch alle wissen. Auch da sollten wir die Zusammenhänge sehen. Deshalb meine Bitte an Sie, in der Zukunft diese Zusammenhänge vielleicht noch stärker zu beachten.
Herr Abgeordneter Scheel, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie Ihre Redezeit schon überschritten haben.
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident. Ich hatte hier immer nur die fünf mir noch zustehenden Minuten gesehen. Ihr wunderbares Lichtzeichen war verdeckt. Ich werde dem jetzt Rechnung tragen.
Eine Unterschrift unter eine Kapitulationsurkunde ist die Unterzeichnung des Atomsperrvertrags nicht, kann es nicht sein und soll es auch auf gar keinen Fall sein. Richtig ist, daß wir mit unserem Vorschlag eines Generalvertrages einen Beginn für eine Politik setzen wollen, die die beiden Teile Deutschlands näher aneinander führen könnte, die das Verhältnis der Menschen untereinander erleichtern und die die europäische Friedenspolitik, die von dieser Regierung in ihrer Regierungserklärung zum außenpolitischen Ziel Nr. 1 erklärt worden ist, fördern könnte. Wenn man das will, meine Damen und Herren, muß man nicht nur, wie der Bundeskanzler es immer sagt, geduldig sein, passiv geduldig sein,
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sondern dann muß man auch geduldig immer wieder neue Initiativen ergreifen. Das gehört auch zur Geduld: Man muß geduldig neue Initiativen ergreifen, geduldig Versuche unternehmen, in diesem Teil der Politik etwas weiterzukommen.
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Daß wir das mit unserem Vorschlag erreichen können, können wir nur hoffen. Das ist unser Ziel. Daß etwas geschehen muß - auch heute! -, hat niemand anders als der amerikanische Präsident Nixon bei seinem Besuch in Berlin gesagt, als er in seiner Rede von den Siemens-Arbeitern folgendes ausführte: „Eine festgefahrene Lage" - und wir sind
in einer solchen - „nützt niemandem, am wenigsten den Menschen in Berlin." Dann fuhr er fort: „Lassen Sie uns die Situation in Berlin als einen Appell zum Handeln betrachten, als eine Aufforderung zur Beendigung der Spannungen eines vergangenen Zeitalters." Meine Damen und Herren, ein Appell zum Handeln sind auch unsere Vorschläge.
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort auf die Große Anfrage der FDP ist erteilt worden. Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat dazu noch einige Erklärungen gegeben. Ich bin vorhin von Herrn Scheel auf gewisse Äußerungen angesprochen worden. Ich bin ihm dankbar dafür, daß er mir die Gelegenheit gibt, diese meine Äußerungen der vergangenen Tage vor diesem Hohen Hause noch einmal zu wiederholen und zu verdeutlichen.
Wir haben in diesem Hause schon des öfteren über die Fragwürdigkeit des Begriffs der Anerkennung gesprochen. Ich habe in der Debatte am 13. Oktober 1967 gesagt, daß man natürlich immer mit Worten streiten könne, daß man auch darüber streiten könne, was der eine oder andere unter Anerkennung verstehe. Man kann Unterschiede machen. Ich habe heute allerlei gehört: Anerkennung als
Staat; staatliche Anerkennung, aber nicht völkerrechtliche Anerkennung; völkerrechtliche Anerkennung, aber nicht so, daß wir zueinander im Verhältnis von Ausland zu Ausland stehen - so etwas fiel auch -. Wenn man in der Tat davon überzeugt ist, daß der Begriff Anerkennung diffus ist, muß man zugleich auch wissen, daß er gefährlich ist.
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Wenn man völkerrechtliche Anerkennung nicht meint, sollte man lieber einen anderen Ausdruck gebrauchen, etwa den Ausdruck, den der Koalitionspartner benutzt hat, daß man die Wirklichkeit nicht leugnen könne, an der Wirklichkeit nicht vorbeigehen könne.
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- Ja, das „Gebilde" paßt Ihnen gar nicht. Aber ich ziehe es vor, von dem, was dort drüben ist, als einem Gebilde und nicht als einem Staat zu sprechen.
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Ich will Ihnen auch genau sagen, warum. Das ist gleich eine Antwort auf das, was Herr Kollege Scheel hier ausgeführt hat.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dorn?
Bitte sehr!
Bitte sehr, Herr e Abgeordneter Dorn!
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Herr Bundeskanzler, da Sie einen Brief an den „Ministerpräsidenten Stoph" geschrieben und ihn auch so adressiert haben, frage ich Sie: Gibt es außer diesem Bereich noch andere „Gebilde", die durch eine Regierung repräsentiert werden, an die Sie Briefe schreiben?
Ich schreibe dem Teufel einen Brief, wenn das unserem Volke gemeinsam nützt.
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Aber ich möchte mich jetzt mit Herrn Scheel ein bißchen auseinandersetzen, aber auch mit dem Begriff „staatliche Existenz", den unser Koalitionspartner gebraucht hat, nur um klarzumachen, was ich meine, wenn ich hier immer wieder warne. Daß das Regime drüben von uns allen nicht als legitim anerkannt wird, darf ich als selbstverständlich voraussetzen. Dieses Regime ist nicht von einem Volk in demokratischer Freiheit gewählt, es ist der Bevölkerung drüben aufgezwungen worden. Nun findet man das ja auch in anderen Staaten. Es gibt Staaten, die eine nicht legitime demokratisch gewählte Regierung haben. Deswegen wird eine solche I Regierung vielfach auch nicht anerkannt. Das ändert aber nichts daran, daß der Staat, in dem diese nicht legitime Regierung herrscht, tatsächlich ein Staat ist.
Aber es gibt einen Unterschied drüben. Wenn nach der traditionellen Staatslehre zum Begriff eines Staates drei Elemente gehören: Staatsgebiet, Staatsvolk und oberste Gewalt, dann möchte ich doch Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, daß im Begriff des Staatsvolks mehr steckt als nur eine Gruppe von Menschen, die von einem illegitimen Regime beherrscht wird.
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Ich gebe Ihnen zu bedenken, daß zum Begriff des Staatsvolks wohl doch gehören muß, daß sich die von einem illegitimen Regime beherrschte Gruppe von Menschen selbst als Staatsvolk, d. h. als Volk eines eigenen, souveränen Staates, begreifen will. Das ist eben nach unserer Meinung - und ich hoffe, nach unser aller Meinung - drüben nicht der Fall.
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- Für welche bitte?
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- Gut, das gibt es. Nehmen Sie den Konflikt Nigeria-Biafra.
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Die Leute tin Biafra wollen ;sich nicht als Angehörige eines gemeinsamen Staatsvolkes begreifen.
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- Das ist eine andere Frage. Ich versuche ja nur, Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren, darauf zu richten, daß wir, wenn wir schon für das Gebilde drüben den Ausdruck Staat gebrauchen
- wobei wir immer hinzusetzen: ein nicht legitimes Staatswesen -, immerhin dieses eine Element mit bedenken sollten, daß die Bevölkerung drüben sich eben nicht als ,ein Staatsvolk begreift.
Herr Ulbricht meint das ganz anders. Herr Ulbricht spricht von einem „sozialistischen Staat deutscher Nation". Gut, wir halten ihn daran fest, daß er von einer deutschen Nation gesprochen hat. Aber er meint, daß in diesem sozialistischen Staat ein sich zu diesem sozialistischen Staat bekennendes Staatsvolk vorhanden sei. Das bestreiten wir.
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Wenn wir uns schon darüber einig sind, - wenn wir nicht durch taktische Gegebenheiten uns gelegentlich dazu gezwungen glauben - dann frage ich mich, warum wir überhaupt - in diesem Zusammenhang von einem Staat reden und nicht nur einfach von den Machthabern im anderen Teil Deutschlands, mit denen wir bereit sind, so wie es diese Bundesregierung bekundet hat, Gespräche, Verhandlungen zu führen, um die Misere der Teilung des deutschen Volkes in vielen Fragen zu überwinden. Das ist eine ganz klare Sprache, und niemand kann sich dann täuschen, was wir meinen.
Was meinen Sie denn nun wirklich, wenn Sie von „staatsrechtlicher Anerkennung" sprechen? Herr Mischnick hat in einem Interview im Südwestfunk folgenden Satz gesagt:
Mit unserem Generalvertrag wollen wir die staatsrechtliche Anerkennung der DDR praktisch durch einen Vertrag niedergelegt wissen.
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Meine Damen und Herren, was soll das heißen? Es geht dann weiter:
Diese Anerkennung würde selbstverständlich
dazu führen, daß die beiden deutschen Staaten
gleichberechtigt international mitarbeiten, . . .
Was soll das bedeuten? Dann kommt das Schwänzchen, das darangeheftet wird:
... ohne daß das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ein Verhältnis von Ausland zu Ausland wird.
Ja, meine Damen und Herren: nach dem, was Sie
zuvor gesagt haben, wird die Aussage „ohne daß das
ein Verhältnis von Ausland zu Ausland wird" ein frommer Wunsch.
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Denn dann haben Sie praktisch anerkannt.
Warum denn dieser Eifer für eine staatliche Anerkennung? Was zwingt Sie denn dazu? Welche Hoffnung, im Interesse des deutschen Volkes weiterzukommen, bewegt Sie, derartige Vorschläge zu machen?
Was Sie in Ihrer Großen Anfrage vorgeschlagen haben, darauf haben wir geantwortet. Sie sagen, es sei eine Zustimmung. Ich würde eher umgekehrt sagen: es hat sich erwiesen, daß das, was in Ihrer Großen Anfrage vorgeschlagen wurde, längst praktizierte Politik der Regierung ist,
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wobei es natürlich einige Dinge gibt, in denen Sie weiter gehen, etwa die Frage eines Generalvertrags überhaupt oder die Angelegenheit mit dem Austausch von Generalbeauftragten, auf die ich noch zurückkommen möchte.
Einer der Redner - ich glaube, Herr Schultz ist es gewesen - hat vom Echo aus dem Ausland gesprochen. Ich war gespannt, was er sagen würde. Dann hat er nur gesagt, es sei sogar ein Echo aus dem Osten gekommen.
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Das glaube ich gern, meine Damen und Herren. Aber betrachten Sie einmal das Echo aus dem Westen! Ich habe heute einen Artikel in „Time" gelesen, in dem ganz schlicht und einfach das, was Sie vorschlagen, als Anerkennung der DDR ausgelegt wird.
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Das ist doch die Wirkung. Die Menschen - auch in unserem Volk - können doch derart subtile Unterscheidungen nicht nachvollziehen wie „Anerkennung als Realität", „Anerkennung als ein deutscher Staat", oder wie es Herr Dahrendorf gesagt hat, dem ja immer wieder neue Formulierungen einfallen, „als ein zweiter deutscher Staat auf deutschem Boden", „Anerkennung als Staat", „staatsrechtliche Anerkennung, aber nicht völkerrechtliche Anerkennung", „völkerrechtliche Anerkennung, aber nicht so, daß ein Verhältnis Ausland zu Ausland entsteht". Was soll denn dieses Hexeneinmaleins, meine Herren? Wenn von Anerkennung die Rede ist, versteht das deutsche Volk sie so, wie sie in all den Debatten der vergangenen Jahre verstanden worden ist, wenn man von Anerkennung sprach, d. h. als eine Aufgabe unserer bisherigen gemeinsamen Politik.
({12})
Und so, meine Herren von ,der FDP - und das ist noch viel gefährlicher - versteht sie eben auch das Ausland. Ich empfehle Ihnen die Lektüre dieses „Time"-Artikels.
Aber ich will jetzt diese Debatte über den Gebrauch des Wortes „Anerkennung" zurückstellen. Ich kann nur immer wieder warnen, dieses Wort in den Mund zu nehmen, und nur raten, lieber über die praktischen Dinge zu sprechen, die wir vielleicht tun können und vielleicht gemeinsam zu tun bereit sind, um weiterzukommen.
Sie haben gerügt, Herr Scheel, daß ich im Streit wider das Wort „Anerkennung" auf den Zusammenhang mit der Breschnew-Theorie hingewiesen hätte. Sehen Sie diesen Zusammenhang nicht?
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- Bitte, Herr Mischnick, schütteln Sie nicht zu früh den Kopf; vielleicht kann ich Sie doch noch überzeugen!
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Die Breschnew-Theorie besagt: Jeder sozialistische Staat - siehe Herrn Ulbricht! -, der einmal entstanden ist, muß für ewige Zeiten im sozialistischen Lager, muß für ewige Zeiten ein sozialistischer Staat bleiben. - Wenn wir nun von uns aus eine staatsrechtliche Anerkennung aussprechen, dann geben wir selbst - ob wir es wollen oder nicht - der sowjetischen Politik das Argument in die Hand zu sagen: Niemals wird auch dieser Staat aus dem sozialistischen Lager wieder ausscheiden können! Und das ist es ja, was wir jede Woche einmal von drüben hören.
({15})
Ich mache mir keine Illusionen darüber, daß drüben an dieser Theorie festgehalten wird, gleich- gültig, ob wir von staatlicher Anerkennung sprechen oder nicht. Aber daß wir ihnen selber, wenn wir von staatlicher Anerkennung sprechen, ein weiteres Argument liefern, liegt auf der Hand. Nehmen Sie einmal an, die Entwicklung hätte sich so vollzogen, daß zwar drüben ein kommunistisches Regime herrschte, man dort aber nicht so weit gegangen wäre, von einem sozialistischen Staat zu sprechen; es hätte ja auch eine solche Entwicklung geben können. Dann gäbe es eine Chance, in der Auseinandersetzung mit der Breschnew-Theorie zu argumentieren: Im Osten Deutschlands ist es eben nicht so wie in Polen oder in der Tschechoslowakei oder in Ungarn oder Rumänien, denn dort gibt es keinen sozialistischen Staat. - Auch deswegen warne ich; denn dieser Zusammenhang besteht nun einmal!
Und schließlich Berlin! Wenn Sie den anderen Teil Deutschlands staatlich oder gar völkerrechtlich mit ihrem Schlenker anerkennen, daß nicht ein Verhältnis von Ausland zu Ausland entstehen würde, was soll dann, wenn dies wirklich geschähe, aus Berlin werden?
({16})
Das Lebensprinzip Berlins - worin besteht es denn? Es besteht darin, daß wir alle davon ausgehen, daß eines Tages Deutschland wiedervereinigt und daß Berlin wieder die Hauptstadt Deutschlands werden wird!
({17})
Welchen merkwürdigen Umweg wollen Sie gehen? Sie wollen erst das, was drüben erzwungen worden ist, staatsrechtlich anerkennen, um dann zu sagen: So, jetzt können wir miteinander darüber sprechen, daß und wie wir uns wieder vereinigen. - Darauf läuft es doch bei Ihnen hinaus.
Wir aber behaupten: genau dieser Schritt würde es sein, der eine Wiedervereinigung der Deutschen in einem Lande praktisch unmöglich machen würde.
({18})
Ich bin also der Meinung, daß in dem Augenblick, in dem wir diese staatsrechtliche Anerkennung aussprächen, genau das passieren würde - Herr Kollege Wehner hat es schon zitiert -, was Herr Ulbricht in ganz brutaler Weise gesagt hat: daß West-Berlin auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik liege, daß es praktisch zu ihr gehöre und daß man sich drüben unablässig dafür einsetzen werde, daß „Schritt um Schritt auch die letzten Überreste des zweiten Weltkriegs beseitigt werden, die von den imperialistischen Westmächten dazu benützt werden, die Deutsche Demokratische Republik und ihre Bürger zu schädigen" . Berlin gehört dann eben ganz und gar, mit Haut und Haaren zu dieser „Deutschen Demokratischen Republik".
Deswegen möchte ich vorschlagen: wenn wir gemeinsame Deutschlandpolitik machen und über gemeinsame Deutschlandpolitik miteinander sprechen wollen - ich tue es gern -, sollten wir lieber über die praktischen Maßnahmen sprechen, als uns in scholastische Wortstreitigkeiten einlassen.
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Sie haben bezweifelt, Herr Kollege Scheel, daß in dem Brief des Herrn Stoph die Anerkennung der DDR als Voraussetzung für alle übrigen Verhandlungen angesprochen sei. Das ist unzweifelhaft der Fall. Er sagt in diesem Brief folgendes:
Es ist verständlich, daß eine Vereinbarung über die Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten der erste und wichtigste Schritt ist, der eine wesentliche Quelle der Spannungen in Europa zum Versiegen bringen wird.
Nun könnten Sie sagen: Was heißt das: „Normalisierung der Beziehungen"? - Er sagt das ein wenig weiter:
Die Regierung der Bundesrepublik sollte sich endlich von Realitäten leiten lassen. Das hartnäckige Negieren der im Ergebnis des zweiten Weltkrieges entstandenen realen Lage in Europa widerspricht den Interessen der europäischen Sicherheit und kann der westdeutschen Bevölkerung selbst nur zum Nachteil gereichen. Es ist an der Zeit, die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten zu normalisieren.
Kann jemand daran zweifeln, daß er also unter der „Normalisierung der Beziehungen" die Anerkennung der DDR versteht?
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- Natürlich, die Voraussetzung der von uns gewünschten Verhandlungen überhaupt, Herr Scheel! Wollen Sie sich in Verhandlungen mit Herrn Ulbricht darüber einlassen, ob oder daß wir bereit sind, die Beziehungen zur DDR so zu normalisieren, wie er es wünscht, nämlich daß wir anerkennen? Das wäre doch ein völlig illusionäres Unterfangen.
Wir haben nun seit der Gründung der Bundesrepublik, wir alle zusammen, Parlament und Regierung und viele außerhalb von Parlament und Regierung, auf immer neue Weise über die Frage nachgedacht, wie wir weiterkommen könnten in dem dringlichen Anliegen der deutschen Wiedervereinigung. Dringlich bedeutet aber nicht, daß man jeden Augenblick irgend etwas unternehmen muß. Es ist die Rede davon gewesen, Untätigkeit führe niemals zum Ziel. Gewiß! Aber wir wissen auch, daß man nicht tätig werden kann in einer politischen Situation, in der sich für ein solches Tätigwerden überhaupt keine Chance anbietet. Dann ist nämlich Tätigwerden nicht nur erfolglos, sondern wird notwendigerweise zu einer politischen Niederlage.
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Wir wollen nicht untätig bleiben. Wir halten unsere Hand ausgestreckt. Wir wollen verhandeln mit drüben. Wir wollen auch mit der Sowjetunion verhandeln, wenn sie zu einer solchen Verhandlung bereit ist, aber nicht unter der Bedingung der Anerkennung der sogenannten Realitäten. Das ist eben die bitterste aller Realitäten, daß die Sowjetunion von uns die Anerkennung des Status quo als Ergebnis des zweiten Weltkriegs verlangt. Jedesmal, wenn wir Gespräche vorschlagen, wind uns die Anerkennung dieser angeblichen Realitäten, die auch als Rechtsrealitäten aufgefaßt werden, vorgeschlagen. Das ist eine bittere Situation, und wir sollten endlich aufhören, uns gegenseitig diese bittere Tatsache zum Vorwurf zu machen.
Es nützt unserem Volk nichts, etwa mit 'dem Blick auf einen Wahlkampf ,'so zu tun, als habe die Regierung nichts unternommen, um in der gegebenen Situation unser Problem voranzubringen, oder als wolle sie gar nichts tun. wir sollten diese Dinge aus dem Wahlkampf herauslassen.
Wir sind alles andere als selbstgefällig in diesem Punkt, meine Damen und Herren von der Opposition. Herr Schultz hat selbst gesagt, daß Sie nicht damit rechnen, daß Ihr Generalvertrags-Vorschlag von drüben sofort angenommen würde. Er fügte, durchaus realistisch, hinzu, dann werde aber den Machthabern drüben oder, wie es wahrscheinlich vorziehen würde: der Regierung drüben, zum mindesten die Ablehnung nicht leichtfallen. Gewiß, das ist eine Überlegung, die wir bei unseren Vorschlägen auch angestellt haben. Wir haben bei manchem Vorschlag nicht die Illusion gehabt, daß man ihn drüben annehmen würde. Aber solche Vorschläge haben auch dann ihren Wert, wenn sie den 'anderen vor aller Welt 'zwingen, Farbe zu bekennen, d. h. zu sagen, was er will und was 'er nicht will. Darum, gut: es bleibt bei 'unserer Aussage: alles zu seiner Zeit. Es ist durchaus eine Lage, .ein Zeitpunkt denkbar, in dem wir einen solchen Vertrag abzuschließen bereit wären. Darüber läßt sich 'in der Zukunft miteinander reden.
Ich will noch ein Wort zu der Frage des Austauschs von Generalbevollmächtigten oder Generalbeauftragten sagen. Das war 'ein Vorschlag von Herrn Kollegen Hellmut Schmidt. In der Antwort der Bundesregierung ist vorsichtig darauf eingegangen worden. Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich sage: in Bonn hält sich ein hoher Beamter, der Staatssekretär des Bundeskanzleramts, ständig für Gespräche mit einem Beamten entsprechenden Niveaus drüben bereit, oder ob man Generalbevollmächtigte austauscht, die als eine Art von Halbbotschaftern in Ostberlin und hier in Bonn säßen. Ich will dazu folgendes sagen. Jetzt etwa etwas Derartiges zu machen hielte ich für schlechthin verfrüht und gefährlich. Aber auch hier kann ich mir eine spätere Möglichkeit denken, nämlich dann, wenn sich die Beziehungen, der Modus vivendi zwischen uns und drüben so entwickelt hätten, daß man sagen könnte: Jetzt sind viele unserer Vorstellungen zur Überwindung der Not der Spaltung erfüllt, oder dann, wenn man drüben bereit ist, auf unsere Vorschläge einzugehen. Dann könnte ich mir denken, daß auch ein solcher Austausch von Bevollmächtigten von Nutzen sein könnte. Man muß bei all diesen Dingen eben immer abwägen, ob das, was man vorschlägt und was man tut, ohne fruchtbares Ergebnis für die gesamtdeutsche Sache nur zu einer formalen und rechtlichen Stärkung .der Position der anderen führt, oder ob wir in der Sache selbst weiterkommen.
Herr Schultz ist es, glaube ich, gewesen, der gesagt hat, wir müssen bei all dem der Welt beweisen, daß uns der Friede und die Verständigung über alles gehen. Gut; ich habe in meiner Regierungserklärung gesagt, daß unser erstes Wort und das Grundanliegen dieser Regierung der Frieden sei. Aber „Frieden" und „Verständigung" bedürfen dann auch der Interpretation, meine Damen und Herren. Friede und Verständigung gehen uns über alles; aber dann auch eine Verständigung über die deutsche Frage, nicht im Sinne der uns abgeforderten Anerkennung des Status quo, sondern in dem Sinne, daß endlich unserem deutschen Volk dadurch Gerechtigkeit widerfährt, daß man den Weg bahnt zu der Möglichkeit für unsere Landsleute drüben, zu sagen, was sie wollen und wohin sie wollen.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg das Geständnis machen, daß ich der Debatte des heutigen Tages in den letzten 14 Tagen oder drei Wochen nicht gerade mit Freude entgegengesehen habe. Ich habe im vorhinein schwer zu erkennen vermocht, wie denn in der gegenwärtigen internationalen Diskussion, zu diesem Zeitpunkt, hier eine Situation geschaffen werden könne oder geschaffen werden solle, in der für die deutsche Frage und ihre
Schmidt ({0})
Bewegung, ihr Bewegtwerden, etwas Fruchtbares herauskommt. Ich hatte auch nicht die Absicht, Herr Scheel, mich an dieser Debatte zu beteiligen. Allerdings muß ich sagen, daß ich während des zweiten Teils Ihrer Rede und auch während der Rede des Bundeskanzlers von einem zunehmenden Unbehagen
- auch über die Reaktion des Hauses bei einzelnen Passagen - erfüllt worden bin.
({1})
- Das gilt für die letzten anderthalb Stunden.
Ich muß sagen, Herr Scheel, Sie mögen recht gehabt haben, als Sie an einer Stelle, den Bundeskanzler zitierend, sagten, das sei eine sehr elegante Formulierung, aber sie sei eben auch sehr durchsichtig. Dann versuchten Sie zu zeigen, was nach Ihrer Auffassung wohl der eigentliche Zweck der Rede von Herrn Kiesinger, die er an einem dritten Ort gehalten hat, gewesen sein möge.
Lieber Herr Scheel, das, was Sie heute gemacht haben, ist in gleicher Weise sehr durchsichtig. Was ist der eigentliche Zweck Ihres ganzen Vortrages und des Vortrages Ihrer Fraktion? Sie stellen Ihre Partei als initiativreich dar. Das ist gut und in Ordnung; das wird niemand kritisieren. Aber Sie nehmen dabei in Kauf, den Eindruck zu erwecken - und ich drücke mich vorsichtig aus, wenn ich nur sage, Sie nehmen es in Kauf; vielleicht wollen Sie den Eindruck erwecken -, als ob gegenwärtig Möglichkeiten zu Initiativen bestünden, die, wenn man sie nur ergreift, die Lage verändern würde.
({2})
Das finde ich nun meinerseits - und das ist auch ein freundlicher Ausdruck - sehr durchsichtig. Denn Sie selber wissen ganz genau, daß sieben oder acht Monate nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei
- es ist wenige Tage her, daß Dubček beseitigt wurde, es ist wenige Tage her, daß die konservativen Kräfte im kommunistischen Lager in Osteuropa eine neue Bestätigung erfahren haben - ({3})
- Ich weiß, wie kompliziert es ist. Ich habe mir auch Mühe gegeben, darüber nachzudenken. Ich habe zwar nicht über die verschiedenen Wortphilosophien geschrieben, die man im Zusammenhang mit den Begriffsinhalten zum Begriff Anerkennung anstellen kann. Ich habe mir aber z. B. Gedanken über die Breschnew-Doktrin, ihre Konsequenzen für die DDR wie für uns und ihre Konsequenzen für das Verhältnis beider Teile gemacht. Ich glaube von daher, dies ist ein sehr schwieriger internationaler Zeitpunkt.
Was mir in dieser Debatte leid tut - und deswegen nehme ich überhaupt nur das Wort - ist folgendes: Diese Debatte könnte gegenüber dem Publikum, gegenüber der öffentlichen Meinung draußen den Eindruck erwecken, als ob im Grunde dies leine Situation in der man handeln könne, und es liege nur daran, daß einige zwar handeln wollten; aber die hätten nicht die Macht, und die, die die Macht hätten, wollten nicht handeln. Dieser Eindruck tut mir leid.
({4})
Das tut mir wirklich leid. Damit täuschen wir mindestens einen Teil des Publikums über die reale Lage, über die Wirklichkeit.
Erlauben Sie mir, daß ich - scheinbar aus dem bisherigen Duktus der Debatte herausspringend - ein paar Absätze zur wirklichen Lage sage, wie sie ist, unabhängig von den Illusionen über mögliche Dinge, die die Deutschen sagen oder nicht sagen oder vielleicht so oder so meinen könnten. Ich will durch das Konzentrieren auf den sehr schmalen Spielraum der deutschen Beteiligten den Eindruck wieder vom Tisch bringen, als ob wir im Augenblick diese Frage bewegen könnten. Das nämlich scheint mir eine Illusion zu sein. Ich bin dankbar dafür, daß die alten Illusionen aus den fünfziger Jahren nun endlich vom Tisch gekommen sind: die NATO arbeite für die Wiedervereinigung oder die Zeit arbeite für die Wiedervereinigung, oder was für Illusionen wir alles gehabt haben. Aber ich bin wirklich dagegen, alte Illusionen durch neue zu ersetzen; wem würde das helfen?
({5})
- Lieber Ernst Lemmer, Sie sind ja noch gar nicht angegriffen; von mir aus werden Sie auch nicht angegriffen, heute jedenfalls nicht. Sie haben gar keinen Anlaß geboten. Mir bietet das, was die FDP heute vorträgt, Anlaß, davor zu warnen, daß man an die Stelle alter Illusionen neue setzt.
Ich treffe also mal - herausspringend aus dem Duktus der Debatte - ein paar Feststellungen zur Lage. Diese Lage ist voller Widersprüche für uns, voller widerstreitender Prinzipien, eine Kette von Paradoxa, mit denen wir es zu tun haben. Zum Beispiel: daß unsere Nachbarn in Ost und West, daß die Vereinigten Staaten wie die Sowjetunion die Probleme, die aus der andauernden Spaltung unseres Landes immer wieder entstehen, durchaus besorgt betrachten, mit Sorge um den Frieden betrachten, aber zweitens: daß viele in unseren Nachbarstaaten und z. B. auch manche in den Weltmächten noch besorgter wären, wenn dieses Land wiedervereinigt wäre, und daß sie möglicherweise die Sorgen zum Punkt 1 leichter in Kauf nähmen als die Sorgen zum Punkt 2, die sie noch nicht ganz zu übersehen vermögen.
Da haben wir neulich einen Film im Fernsehen gesehen - ich glaube, es war im Zweiten Deutschen Fernsehen -, wo ein Fernsehteam einmal gezeigt hat, wie eigentlich Franzosen oder Engländer oder Holländer oder Russen darüber denken, wenn hier ein wiedervereinigtes Deutschland mit 75 Millionen Menschen und dieser Leistungsfähigkeit industriell und technisch und wissenschaftlich usw. entstünde. Die hatten offenbar alle sehr viel Angst davor. Bei den Diskussionsteilnehmern war ein einziger, der nach diesem Film in großer Fairness sagte - es war übrigens ein Engländer -: Es mag so sein, daß man da besorgt sein muß, aber bei aller Gefahr, die ein großes wiedervereinigtes Deutschland bedeuten mag, bei aller Gefahr für den Frieden, die der Prozeß, der dahinführt, auslösen mag, bin ich - so hat dieser eine gesagt - doch dafür, daß man die Tei12668
Schmidt ({6})
lung des Landes als anomal, als unerträglich ansieht; und wenn es sein Land wäre, würde er es genau sehen wie die Deutschen, und infolgedessen müsse etwas geschehen.
Jetzt haben wir also schon den dritten Widerspruch. Die einen sagen - international, ich rede gar nicht von den Deutschen, 'ich rede von unseren Nachbarn und von den Großmächten -: die Tatsache der andauernden Teilung ist gefährlich für den Frieden. Dann sagen sie zweitens: Ja, aber wenn wir die zusammenbringen, dann wird es vielleicht noch gefährlicher, dann werden sie zu stark. Dann sagt drittens einer: Ja, aber man muß sie zusammenbringen, denn das Ganze ist anomal; das kann man denen nicht zumuten. Dann kommen die anderen und sagen: Ja, schön, die beiden deutschen Teile zusammenbringen schon, aber wir Franzosen, wir Holländer, wir Polen, wir Dänen finden, so gut ihr Deutschen das auch rechtlich begründet und so lange das auch in geschichtlicher Entwicklung mit den Ansprüchen auf eure Heimat gewachsen sein mag, ihr müßt euch darauf einstellen, daß unsere Regierung oder unsere zukünftige Regierung, oder unsere übernächste Regierung in Den Haag oder in Paris usw. das sicherlich nicht mitmachen wird, was ihr euch in diesem Punkt vorstellt.
Bei den Darlegungen von Herrn Schultz und auch bei den Darlegungen von Herrn Scheel, aber auch, Herr Bundeskanzler, bei Ihren Darlegungen, hat mir etwas gefehlt. Herr Scheel hat zwar gesagt, man müsse es im internationalen Rahmen sehen, aber er hat dann von den Bedingungen des internationalen Rahmens konkret überhaupt nicht gesprochen.
({7})
- Das ist ja sehr lieb, aber indem Sie auf mich verweisen, ersetzen Sie ja nicht das, was Sie hier zu Protokoll des Bundestages zu sprechen haben. Das geht nicht, daß man sich auf andere bezieht, oder daß Herr Mischnick woanders einen Aufsatz schreibt, der einen anderen Tenor hat als das, was hier gesagt wird.
({8})
- Aha, das kommt noch, entschuldigen Sie; ich will von mir aus keine Polemik in die Debatte bringen, Herr Scheel. Aber was mir notwendig zu sein scheint, ist, zu begreifen, daß alle, die an dieser Debatte über die ganzen Wortfetische „Anerkennung" oder „Gebilde" oder „Phänomen" - das ist ja weiß Gott auch nicht besser - beteiligt sind, doch dem eigenen Publikum sagen müssen, wie die Faktoren draußen in der Welt um uns herum nun einmal gestaltet sind. Dazu gehört eben dann auch, die Konsequenz zu ziehen: was auch limmer wir gegenüber der Regierung in Ostberlin machen, wir allein sind nicht die Beweger, und die dort auch nicht. Nicht einmal wir beide allein werden etwas bewegen, selbst wenn wir beide es wollten.
({9})
- Aber lieber Herr Scheel, ich will Ihnen nicht Unrecht tun. Der Gesamteindruck, den Sie durch die
öffentliche Debatte der letzten 14 Tage erzeugt
haben, war der, es fehle hier in Bonn am Willen, und wenn der gute Wille da wäre, würde auch mehr bewegt werden können.
({10})
Das ist einfach nicht in Ordnung. Das ist der Eindruck, den Sie erzielt haben. Den kann ich weder auf der Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten noch auf der der Christlichen Demokraten noch auf der Bundesregierung sitzen lassen; das geht einfach an der Wirklichkeit vorbei.
Es tut mir leid, daß Sie nicht mit derselben Deutlichkeit vortragen, wie sehr nicht nur durch den Einmarsch in Prag, nicht nur durch das, was seither in der Tschechoslowakei geschehen ist, wie sehr auch durch die Rückwirkung dessen, was dort geschehen ist, auf die psychologische Verfassung der kommunistischen Parteien in anderen osteuropäischen Staaten, auf die Seelenverfassung und auf die Machteinschätzung der sich tatsächlich geändert habenden Lage in Osteuropa durch die dortigen kommunistischen Regierungen - sagen wir es ganz offen - die Möglichkeiten, die wir vielleicht heute vor zwölf Monaten größer eingeschätzt haben, im Laufe des letzten Jahres verringert worden sind und wie sehr die beharrenden Kräfte drüben gegenwärtig gestärkt worden sind.
Es ist doch nicht so, Herr Scheel, daß wegen des Streits um diesen Anerkennungsfetisch die Herrn Ulbricht auf seine Bestellung am 9. August von der Volkskammer ausdrücklich erteilte Vollmacht nicht benutzt worden wäre. Diese Vollmacht hat die Volkskammer Herrn Ulbricht auf seinen Wunsch vor dem Einmarsch in die Tschechoslowakei erteilt. Dann kam der Einmarsch mit all den Konsequenzen. Nachher ist die Vollmacht nicht benutzt worden.
Nun seien Sie doch bitte nicht der Meinung, es komme darauf an, wie wir irgendwelche Worte gebräuchten, damit die Vollmacht benutzt wird. Es stecken drüben doch ganz andere Erwägungen dahinter, Erwägungen, die auch Rücksicht auf die Situation gegenüber anderen kommunistischen Staaten, vornehmlich der Sowjetunion, nehmen. Da wird doch drüben auch versucht, mit der Ostberliner Deutschlandpolitik die sowjetische Deutschlandpolitik, die sowjetische Ostblockpolitik insgesamt zu beeinflussen und umgekehrt auch. Wir alle waren uns darüber einig und sind uns wohl auch jetzt noch darin einig, daß die Ereignisse im Ostblock im August letzten Jahres unsere Sorge um die Kontinuität unserer Sicherheit verstärkt haben und daß die Aufrechterhaltung der Sicherheit eine der wesentlichen Grundlagen ist, von denen aus - nur wenn sie sicher gehalten werden - wir das alles betreiben können, wovon heute die Rede sein soll. Sicherlich hat die FDP recht, wenn sie meint, man dürfe dieses Sicherheitsdenken nicht überbetonen. Es gibt sicherlich Kräfte in der deutschen Politik, die das überbetonen. Aber es gibt eben auch die umgekehrte Gefahr, Herr Scheel, daß man davon kaum noch richtig redet, eigentlich nur noch so, weil es dazugehört und im Katalog mit erscheinen muß, es aber im Grunde nicht mehr ganz ernst nimmt; dafür dann aber überbetont: es bestehe die HoffSchmidt ({11})
nung, daß etwas anderes geschehe, wenn man selbst nur ein paar andere Worte wählte.
({12})
- Ich hoffe. Ich habe ein bißchen das Gefühl, daß die einen mehr zu dem einen Überbetonen und die anderen mehr zu dem anderen Überbetonen neigen könnten.
Gewiß hat die FDP recht, daß die deutsche Frage nicht bewegt wird, wenn nicht die Deutschen den Versuch machen, sie zu bewegen. Das darf aber nicht dazu führen, daß wir uns selbst einreden, daß es Möglichkeiten gäbe, die in Wirklichkeit nicht da sind und die in Wirklichkeit doch wieder an das irrationale Moment in der deutschen Seele, an dieses romantische, voluntaristische Engagement appellieren, man müsse nur wollen, dann gehe es auch. Ich weiß genau, daß das sehr unpopulär ist, was ich hier sage, und es wird draußen auch keine Wirkung erzielen. Aber ich möchte damit gern auf uns selber die Wirkung erzielen, daß wir endlich einmal Schluß machen mit dieser ewig wiederkehrenden Romantik in der deutschen Politik: Man müsse nur etwas wollen; wo ein Wille ist, ist ein Weg, auf Biegen oder Brechen.
({13})
Das sage ich übrigens nicht nur an die Adresse der FDP, sondern genauso an gewisse junge Leute in meiner eigenen Partei.
Es ist schon immer die Gefahr gewesen, die konkret in dieser Deutschland-Debatte wieder virulent wird, daß man in Deutschland politisch sagt: Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Die einen möchten durch Lob und Anerkennung die polizeistaatliche Wirklichkeit in der DDR vergessen machen und beiseite schieben. Andere Extreme glauben, dem Shylock aus Shakespeares „Kaufmann von Venedig" gleich, durch endlose Wiederholung von moralischen Ansprüchen und Bestehen auf Papieren die Lage zu verändern. Weder der eine noch der andere verändert das wirkliche Geflecht der Interessengegensätze. Beides sind nur Spielarten des gleichen Typs, dessen Engagement, das hier nicht bezweifelt wird, im umgekehrten Verhältnis zu seiner Fähigkeit zum abwägenden politischen Urteil über das, was möglich ist, steht.
Was sind denn die tatsächlichen Möglichkeiten? Herr Scheel sagt: Man muß mit der DDR verhandeln. Das sagt auch der Bundeskanzler - das schreibt er sogar in Briefen an den Ministerrat in der DDR -, das sagen die Sozialdemokraten, das sagen die Christdemokraten, das haben wir alle gesagt. Die DDR hat sich sogar nach 10 Monaten durch einen Beschluß ihres Parlaments darauf eingelassen und gesagt: Jawohl, wir erteilen eine Vollmacht an den Ministerrat; er soll verhandeln. Er tut es aber nicht. Da sagt Herr Scheel: Gut, das ist jetzt beinahe ein Jahr her, da müssen wir ein neues Angebot machen. Ich bin im Grunde nicht dagegen, daß wir immer wieder zeigen, daß es uns mit dem Verhandlungsangebot ernst ist. Ich bin dafür, daß wir in der Frage, wie man ein geregeltes Auskommen miteinander oder - wie Wehner immer sagt - wie man einen
modus vivendi mit der DDR zustande bringt, die Initiative behalten, daß wir uns weder in die Resignation noch in die Defensive ,drängen lassen. Ich habe im Grunde nichts 'dagegen, wenn dies die Absicht ist, auch nichts gegen die Absicht, die Ihrem heutigen Auftreten zugrunde liegt.
Wir wollen uns auch darüber nichts vormachen: Wenn hier ein Urheberrechtsstreit ausbräche, welcher Gedanke woher stammt und was bei der Regierung abgeschrieben ist und was bei der Christlich-Demokratischen Union und was bei der Sozialdemokratischen Partei und was von der FDP selbst stammt - ich meine, Sie sind ja auch nicht die einzigen, die solche Entwürfe gemacht haben; Sie wissen ja auch, daß andere solche Entwürfe gemacht haben -
({14})
- Gut, wir wollen den Streit um Prioritäten hier nicht anfangen.
Wir haben es im Augenblick nicht für opportun gehalten - andere auch nicht -, mit solch einem vollständigen Kompendium aufzukreuzen. Gleichwohl wird sich von uns im Grunde keiner dagegen wehren, wenn das das eigentliche Moment dessen ist, was Sie uns ins Bewußtsein träufeln wollen. Keiner wird sich dagegen wehren, wenn Sie sagen: Der Westen, die Bundesrepublik, Bonn muß hier aber initiativ bleiben, muß zeigen, daß es nach wie vor unser Wille ist, zu verhandeln. Da sind wir einig.
({15})
Der Zwischenruf, der da eben gemacht wurde, dann seien wir schon einen Schritt weiter, war nicht korrekt; denn das wissen Sie von 'der Sozialdemokratischen Partei und von mir seit vielen Jahren. Wir sahen das so, noch bevor ihr auf den Trichter kamt, meine Herren von der FDP.
({16})
Darum geht es hier aber nicht. Mir geht es bei der Auseinandersetzung mit euch von der FDP darum, daß ich Angst habe, daß ihr plötzlich auf die Ebene geratet, wo man Positionen fallenläßt, wo Positionen auf die schiefe Ebene gesetzt werden.
Während Herr Scheel noch einmal auf .die beiden Entschließungen zurückgriff, die der Bundestag am 26. September 1968 vorgelegt bekam, habe ich sie mir noch einmal kommen lassen: Entschließungen, einmal vorgelegt von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gemeinsam 15 Punkten, zum anderen vorgelegt von der FDP-Fraktion. Die Entschließungen stimmten bekanntlich in 14 Punkten überein; in einem Punkte differierten sie voneinander. Nun kommt aber ein Punkt, Herr Scheel, in dem sie übereinstimmten und den ich einmal zitieren will. In Ihrer Entschließung wie in der von Herrin Barzel und mir unterschriebenen steht gleicherweise der Punkt 8: „Der Deutsche Bundestag hält fest am Viermächtestatus ganz Berlins ...". Dann wird über Berlin gehandelt.
Schmidt ({17})
Wenn ich nun Ihren Vertragsentwurf ansehe, dann handeln Sie bloß noch von West-Berlin
({18})
- Ja, den habe ich vor mir.
({19})
- Ich kann ihn nicht ganz vorlesen, aber zeigen Sie mir die Stelle!
({20})
- Ich habe ihn vor mir: „Ausgehend von den Abmachungen der Vier Mächte über Berlin"
({21})
- einen Augenblick! - „stellen beide Seiten fest, daß die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie die Französische Republik in ihren Sektoren in Berlin ({22}) die oberste Gewalt innehaben".
({23})
- Dann geht es die ganze Zeit weiter über „West-Berlin".
({24})
- Ich werfe Ihnen das doch nicht vor!
({25})
- Moment, ich werfe Ihnen ja auch nicht vor, daß Sie leichtfertig wären. Ich werfe Ihnen nichts vor. Nur möchte ich Sie angesichts dieses Art. 6 - der uns am nachdenklichsten gemacht hat, weil er am umfangreichsten ist und mit vielen Worten in Wirklichkeit das Problem doch nicht löst - bitten, doch einmal zu überlegen, ob hier nicht die Gefahr besteht, daß man in dem Wunsche, etwas Neues zu machen und dabei auch neu auszusehen, einen Fehler macht, indem man Positionen, wie ich das nenne, ins Rutschen geraten läßt, die man im Grunde selber auf jeden Fall halten will; siehe Entschließung vom September.
({26})
Ich bin weit davon entfernt - innerlich, denke ich, weit davon entfernt -, in die Gefahr zu geraten, daß man sich hier gegenseitig moralische Vorwürfe macht. Insofern war die Debatte gut angefangen. Jeder hat versucht, offen seine Erwägungen auszubreiten. Das sollte auch in Zukunft möglich sein. Es sollte auch möglich sein ohne gleichzeitigen Appell an Emotionen hier in diesem Hause oder auch draußen. - Das war nicht an Ihre Adresse, Herr Scheel.
Die FDP ist ja auch nicht der einzige, der meint, Neues sagen zu sollen, was man dann mit einigen Bedenken hört oder liest, ob nicht aus dem Wunsche heraus, etwas Neues zu machen, vielleicht eine Position gefährdet wird, die man eigentlich gemeinsam halten möchte. Ich habe hier ein Buch von jemand anderem vor mir liegen; der schreibt in
dieser Zeit, wir sollten bereit sein, die deutschen Forderungen auf der Basis staatlicher Souveränität fallenzulassen und unsere nationalen Anliegen in die Mitgliedschaft einer europäischen Föderation einzubringen. Das ist - Sie haben erraten, wo es herkommt - sicherlich auch nicht jedes Kollegen Meinung hier. Es ist die Meinung von Franz Josef Strauß. Aber es ist gut, daß inzwischen überall so etwas in Deutschland offen geschrieben und debattiert werden kann, ohne daß man sich dem Vorwurf aussetzt, moralische Positionen zu gefährden. Das ist gut, das sollte auch nicht wieder in Frage gestellt werden, daran sollten sich alle halten. Herr Scheel, darf ich einmal in Fußnote sagen: das ist ja eines der positiven Ergebnisse von zweieinhalb Jahren Großer Koalition, daß hier inzwischen im Verhältnis von drei Polen jedenfalls die Vernünftigen so miteinander reden können, ohne daß einer den anderen verteufeln muß. Das laute Denken ist also nicht nur erlaubt, meine ich, sondern sogar erwünscht. Aber man soll dabei sich selber darauf hin kontrollieren, daß man nicht beim lauten Denken sich und andere über das, was vielleicht möglich sei, täuscht.
Ganz wesentlich hängt das Verhältnis der beiden deutschen Teile zueinander und die Möglichkeit, da auf einem schmäleren oder einem breiteren Gebiet etwas auszuhandeln, von der Antwort auf die Fragen ab: Wie wird das zukünftige Verhältnis von Sowjetunion und Vereinigten Staaten von Amerika, was wird mit den Gesprächen über den Mittleren Osten, über die Begrenzung strategischer Waffen, über Vietnam, über europäische Sicherheit? Die Sowjets beschimpfen uns - anders kann man die Rede von Abrassimow kaum qualifizieren -, daß wir auf ihren Appell von Budapest nicht eingegangen seien. Bisher haben sie, soweit ich sehe, das gar nicht in den diplomatischen Verkehr eingeführt, was sie dort rein propagandistisch in die Welt gesetzt haben. Es ist auch nicht konkretisiert. Aber von all diesen Dingen, von der Frage, wieweit sich das konkretisiert, auch im Verhältnis von Sowjetrußland und Amerika, hängt ab, ob die Möglichkeiten wieder besser werden, ob die Chancen wieder größer werden. Das ist viel wichtiger als die Frage, ob wir ein bißchen mehr oder ein bißchen weniger Semantik in unsere Sprache hineinlegen oder aus der Sprache des anderen herauslesen.
Dies war, wie ich zugebe, Herr Scheel, und wie ich auch dem Bundeskanzler gegenüber zugebe, keine konzipierte Rede; ich habe mich nur zu ein paar Anmerkungen veranlaßt gesehen durch ein paar Beobachtungen, die ich während der Debatte gemacht habe. Ich finde, man sollte im Verhältnis zueinander in solchen Debatten ganz bewußt und absichtlich Reizworte vermeiden, die im Grunde nur den Zweck haben, den anderen zu provozieren. Das gilt für mehrere, die heute morgen gesprochen haben. Man sollte auch Worte vermeiden, die außerhalb unseres Landes verschieden aufgefaßt werden können. Man soll versuchen, so wenig wie möglich Weltanschauung in diesen Debatten zu haben, so wenig wie möglich Rechthaberei - ({27})
Schmidt ({28})
- Werfen Sie mir das vor?
({29})
- Ich höre mir das gern an. Was haben Sie mir vorzuwerfen? Hören Sie mal, so wie ich mich zurückgehalten habe!
({30})
- Das ist wirklich wahr; das hat mir schon Vorwürfe eingebracht.
({31})
Darf ich zum Schluß kommen. Ich war schon beim letzten Satz: So wenig wie möglich Rechthaberei und so viel wie möglich Einfühlungsvermögen in die Positionen der anderen, und die Positionen der anderen sind nicht nur die der DDR, keineswegs. Da sind viele andere mit zu bedenken. Dazu gehört schließlich auch das Einfühlungsvermögen in die Positionen der anderen hier in diesem Hause. Die FDP wäre, glaube ich, gut beraten, wenn sie irgendwann im Laufe dieser Debatte noch einmal deutlich sagte, Herr Scheel, daß auch sie der Meinung ist, daß jedenfalls nach den Ereignissen der letzten acht, neun, zehn Monate dies nicht ein Zeitpunkt ist, der als so besonders günstig angesehen werden muß, wie es hier ein bißchen herausklang, nicht der Zeitpunkt ist, zu dem dringend etwas geschehen müßte, weil sonst die Chance versäumt würde, die auf dem Tische läge. Wenn Sie diesen Eindruck bitte noch korrigieren wollten, täten Sie sich und dem Gefühl, daß wir ehrlich miteinander handelten, einen guten Gefallen.
({32})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist eine in mancher Hinsicht bemerkenswerte Debatte, auch deshalb, weil die Erwartungen, die in der Öffentlichkeit mit dieser Debatte verbunden werden, sicher in keinem Verhältnis zu den realen Möglichkeiten stehen, die von dieser Debatte ausgehen. Bemerkenswert ist diese Debatte auch deshalb, weil ganz sicher in dem westlichen befreundeten Ausland genauso wie auf der anderen Seite bemerkt werden wird, daß in dieser gesamtdeutschen Debatte das Wort „ganz Deutschland" und „Wiedervereinigung" besonders selten gefallen ist. Deshalb werden wir es besonders stark betonen. Denn sonst gäbe es den falschen Eindruck, dies würden wir aus unserem Vokabular streichen, weil es vielleicht ein, Herr Kollege Schmidt, „Reizwort" für andere geworden sein könnte.
Bemerkenswert an dieser Debatte ist ferner
- außer der Sachlichkeit, über die ich mich freue, mit Ausnahme weniger Sätze des Herrn Kollegen Schultz heute morgen; aber die sind wohl inzwischen verklungen -, daß die Fraktion der CDU/CSU mit großer Unterstützung die Rede des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen aufgenommen hat
- das muß ich hier festhalten -, während die Rede
des Herrn Bundeskanzlers sich derselben Unterstützung durch die andere Koalitionsfraktion nicht erfreuen konnte. Ein bemerkenswerter Vorgang.
Herr Kollege Schmidt, von „alten Illusionen" sollten Sie nicht sprechen. Sonst müßten wir eine Debatte darüber anfangen, wer sie wann und wo gehabt hat. Fangen wir die NATO-Debatte wieder an? Soll das hier eigentlich etwas nützen? Ich meine, es ist nicht gut, wenn Sie sagen, dies und das habe Ihnen an der Rede des Herrn Bundeskanzlers nicht gefallen. Soll ich hier einmal sagen, was mir nicht gefallen hat, als ich in der Zeitung den Bericht über den Washington-Besuch des Bundesaußenministers gelesen habe? - Koalition heißt auch, einmal etwas nicht aussprechen. Deshalb hat's bisher doch gut funktioniert.
({0})
Herr Kollege Scheel, ich hatte Ihnen eine Zwischenfrage gestellt, und danach hat sich ganz klar ergeben, daß auch Sie bei den Dingen, die Sie heute hier im Nachvollzug zu der Politik der Regierung vorgetragen haben - das ist also keine neue Initiative, sondern ein Abklatsch von Dingen, die hier schon laufen -, nicht der Meinung sind, das, was Sie da machten, führe direkt zur Wiedervereinigung. Das war eine wichtige Klarstellung. Unsere Debatte findet wohl nicht zufällig, Herr Kollege Scheel, wenige Monate vor einem wichtigen Datum statt - Sie wissen, daß ich den 28. September meine -, und ich glaube, Sie haben sie deshalb auch herbeigeführt.
An zwei Stellen Ihrer Rede haben Sie, wenn ich es recht verstanden habe, auf eine Studie in den USA Bezug genommen und dabei so den Eindruck erweckt: Die ist dem Präsident Nixon zugegangen. Da hatte man schon fast den Eindruck: das ist amtliche Politik. Sie wissen, Herr Kollege Scheel, daß das eine private Studie wichtiger amerikanischer Bürger ist, zu der wichtige Bürger ihre abweichende Meinung öffentlich kundgetan haben. Sie soll, wie Studien eben so sind, zur Diskussion anregen. Das ist keine amtliche Politik. Die amtliche Politik haben wir gemerkt, als Herr Präsident Nixon hier war und von der NATO gesprochen hat, als er in Berlin war, als er mit dem Bundeskanzler gesprochen und gesagt hat, in Sachen Atomsperrvertrag gebe es keinen Druck. Dies ist amtliche Politik, nicht aber solche Papiere.
Ich möchte etwas unterstreichen, was der Kollege Schmidt gesagt hat. Herr Kollege Scheel, Sie haben in einer langen Passage - einer zu langen, wie ich glaube - festgestellt: Dies und das geht nicht, wenn wir nicht mit denen drüben sprechen. Gegen wen haben Sie da eigentlich geredet? Nicht gegen die Regierung, gegen kein Mitglied dieser Koalition - gegen wen haben Sie eigentlich geredet?
({1})
Wir haben uns verstanden. Ich brauche das nicht weiter vorzutragen.
({2})
- Lieber Herr Kollege Mattick, machen Sie einen besseren Zwischenruf, dann kriegen Sie eine bessere Antwort. Ich will jetzt darauf nichts entgegnen. Ich hatte eben gesagt, es ist die Bedingung einer Koalition, daß man auch etwas herunterschlucken können muß.
Herr Kollege Scheel, ein Punkt noch. Ich fand gut, daß Sie sagten, man solle nicht mit der Not von Miteuropäern, von Mitbürgern wie denen in der Tschechoslowakei Propaganda machen. Das fand ich sehr gut! Propaganda damit zu machen, ist das eine Extrem. Das andere Extrem ist natürlich, daß man nicht zur Kenntnis nimmt, was dort - gestützt auf die Breschnew-Doktrin - passiert ist.
({3})
Das haben Sie nicht gemacht. Sie haben aber gesagt - ich habe das mitgeschrieben -: eine Situation, die die Menschen in der Tschechoslowakei bedrängt. „Bedrängt" - lassen Sie das einmal auf der Zunge zergehen und überlegen Sie einmal, ob Sie damit bestehen können. Stellen Sie sich vor, vor dem italienischen Parlament würde Ihr liberaler Kollege Malagodi auftreten und von Sachen, die die Deutschen „bedrängen", reden. Ich nehme an, Sie würden das als ein bißchen zuwenig Anteilnahme eines Liberalen für die Position der Menschenrechte empfinden.
({4})
Herr Kollege Franke, Sie haben eine sehr interessante Anregung in Fragen des Sports gegeben. Ich will dazu hier jetzt nicht sprechen - die Zeit ist wirklich knapp -, aber wir sind bereit, diese Frage, die Sie verdienstvollerweise gestellt haben, intern im Ausschuß oder wo immer Sie wünschen, zu beraten und eine konstruktive Antwort zu finden.
Meine Damen und Herren, dann ist von manchen, auch von Herrn Scheel, Kritik an der glänzenden Rede geübt worden, die heute morgen von meinem Kollegen und Freund Olaf von Wrangel, dem ich an dieser Stelle danken möchte, gehalten worden ist. Er hat so gut geredet, daß dem Fraktionsvorsitzenden erfreulicherweise nicht mehr viel zu sagen übrigbleibt. Aber diese Debatte hier ist nicht ganz dieselbe Debatte wie die, die draußen geführt wird. Herr Kollege Scheel, das ist z. B. an dem Zitat meines Kollegen Mischnick, des Fraktionsvorsitzenden der Opposition, deutlich geworden, das der Bundeskanzler hier vorgetragen hat. Da finden sich ambivalente Ausdrücke. Manchmal wußte ich auch nicht, Herr Kollege Scheel, ob Sie eigentlich noch gegen die Leute in Ihrer Partei reden, die die Formel der Anerkennung im Wahlpapier Ihrer Partei haben wollten, oder ob Sie sich schon darauf umgestellt hatten, daß sie nicht drinsteht, und sich deshalb hier ein bißchen anders einstellen konnten. Ich glaube, das war nicht jederzeit klar erkennbar. Jedenfalls ist der Versuch mißlungen, heute hier für einen vielleicht zu früh beginnenden Wahlkampf ausgerechnet über diese Frage falsche Startlöcher zu bauen. Das ist nicht passiert, und ich kann nur jeden warnen, dies zu versuchen.
Der Kollege Franke hat völlig richtig begriffen, was diese Debatte soll. Sie hat doch etwas mit den Vorgängen draußen im Lande zu tun. Draußen gibt es auch eine Debatte, die wir aufnehmen müssen. Hier sind die Positionen abzustecken, damit nicht irgend jemand einen in die falsche Ecke stecken kann. Deshalb hat der Kollege Franke einige Minuten darauf verwandt, ganz deutlich zu sagen, was ist und was nicht ist, damit eben keiner mit einem Popanz arbeiten kann. Eben dies wünschen wir auch zu tun, meine Damen und Herren.
Zuvor aber noch ein paar Sätze zur Beantwortung der Fragen und der Vorlagen durch die Regierung. Wir finden, daß die Antwort der Bundesregierung, vor allen Dingen ihr schriftlicher Teil, nüchtern und gut ist und daß sie zweierlei zeigt. Sie zeigt erstens, daß nicht Bonn, sondern Ostberlin der innerdeutschen Entkrampfung entgegensteht. Die Neinsager sitzen nicht hier, sondern drüben.
({5})
Das zweite, meine Damen und Herren, was dieser nüchterne Bericht zeigt - das sollten wir aufnehmen als Realität, auch diese Realität muß man sehen und erkennen -, ist die Realität, daß auf dem direkten Weg zwischen Bonn und Ostberlin zur Zeit nichts zu erreichen ist. Die Realität gehört hier in die Debatte, und ich hoffe, keiner wird sie bestreiten. Das ist Realität.
Was ist da zu tun? Nicht: nachlassen. Denn es ist ja unser Land, und es sind unsere Landsleute. Aber es ist die Frage, ob wir eigentlich uns allen einen Gefallen tun, wenn man jeden Tag mit neuen sogenannten Konzeptionen kommt. Ich weiß nicht, ob alle die, die immer mit neuen sogenannten Konzeptionen kommen, nicht in Wirklichkeit mehr die neue Schlagzeile meinen als die neue Konzeption, meine Damen und Herren.
({6})
Ich werde mich an eines immer erinnern. Das was früher ein Vorwurf. Ich hoffe, ich habe ihn heute beherzigt. Bundeskanzler Adenauer hat einmal den jungen Abgeordneten Barzel zu sich gebeten, um ihm zu sagen: Hören Sie zu, es ist ganz schön, jeden Tag einen neuen Gedanken, möglichst brillant formuliert, in die Welt zu setzen, aber ein anderes ist wichtiger: einen zu haben und in konsequenter Arbeit zu verwirklichen. Das ist, glaube ich, die Aufgabe dieses Hauses. Statt alle möglichen Theoreme in die Welt zu setzen, sollten wir alle, mit aller Energie, diese Regierung unterstützen, die das Gespräch in Deutschland erreichen will, meine Damen und Herren, und nicht jeden Tag etwas Neues bringen; das bringt uns doch hier nur durcheinander.
({7})
Wir müssen das, glaube ich, sehen. Das ist wichtig.
In diese Debatte gehört dann auch, wenn wir es so sehen, daß wir das Gespräch suchen, daß wir West-Berlin kräftigen, daß wir uns bemühen, die Bedingungen zur Lösung der deutschen Frage zu verbessern, und daß wir nicht müde werden, aber in der Richtung, die wir eingeschlagen haben, und nicht jeden Tag in einer neuen; denn mit der KurDr. Barzel
venfahrerei entsteht keine Kraft und keine Geschwindigkeit auf das richtige Ziel hin.
Hier spielt eines eine Rolle, was man nicht übersehen sollte, und das sage ich nun an die Adresse all derer, die es angehen mag. Die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs haben auf der Londoner Neunmächtekonferenz im Oktober 1954 erklärt und sich, wie andere Freunde, bis zur Stunde minutiös daran gehalten, wofür wir ihnen danken, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als die einzige deutsche Regierung zu betrachten ist, die frei und rechtmäßig gebildet wurde und daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreter des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen. Dies, meine Damen und Herren, ist geltendes Recht. Das ist ein erstklassiger Rechtstitel, den man nicht in Frage stellen oder gar umsonst verschenken sollte.
Vor dem Hintergrund dieses internationalen Rechtstitels muß noch ein Wort gesagt werden zu der Debatte über unsere Erklärung vom 25. September 1968. So kurz ist es her! Es war die Debatte nach der Besetzung der Tschechoslowakei mit dem Versuch des ganzen Hauses, einmütige Auffassungen festzuhalten. In einem Punkte gelang es nicht. Ich frage mich, ob wir alle noch in allen Punkten, in denen wir damals angesichts dieser Lage einig waren, wirklich einig sind. Deshalb will ich die beiden Passagen, um die es geht, noch einmal verlesen. Einvernehmlich zwischen allen Fraktionen, Sozialdemokraten, Freien Demokraten und uns, ist am 26. September 1968 folgendes beschlossen worden:
Der Deutsche Bundestag wird zu keiner Zeit und unter keinen Umständen davon abgehen, daß das Selbstbestimmungsrecht der Völker zentraler Grundsatz der internationalen Politik sein muß und durch keine militärische Macht gebeugt werden darf. Die USA, Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland haben sich im Deutschlandvertrag völkerrechtlich bindend verpflichtet, bis zum Abschluß einer friedensvertraglichen Regelung zusammenzuwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitliche, demokratische Verfassung besitzt und in die Gemeinschaft der europäischen Völker eingebettet ist. Die Völker Europas werden einen dauerhaften und gerechten Frieden nicht finden, solange unserem Volke die Teilung aufgezwungen bleibt.
Soweit waren wir damals alle einig.
Dann waren wir einig in folgender nächster Ziffer: Unsere Verbündeten usw. Das habe ich eben vorgetragen. Dann kommt:
Sie
- nämlich die Bundesregierung spricht auch für jene, denen mitzuwirken bisher versagt ist. Die Anerkennung des anderen Teiles Deutschlands als Ausland oder als zweiter souveräner Staat deutscher Nation kommt nicht in Betracht.
Das fand damals die Mehrheit der Koalition. Ich hoffe, daß dies noch gilt. Das letzte fand nicht die Stimmen der FDP.
Herr Kollege Scheel hat gesagt, daß er zu der damaligen Erklärung noch steht. Nur, ein Satz fehlte in Ihrer Erklärung., Das ist eine ernste Sache, Herr Kollege Scheel. Vielleicht kann Herr Kollege Mischnick, der sich ja gemeldet hat, gleich darauf antworten.
Damals gab es Streit um den Satz:
Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Darüber sollte eigentlich kein Streit sein; denn dieser Satz steht im Grundgesetz. Diese Frage müssen Sie beantworten. Sie sollten sie beantworten und sich selbst und uns und allen künftigen Überlegungen den guten Dienst tun, an dieser Frage nicht vorbeizugehen.
({8})
- Wenn es eine Selbstverständlichkeit war, dann hätten Sie es damals in Ihre Ziffer 6 hineingeschrieben und hätten heute darauf Bezug genommen; dann hätte Ihre Einlassung zu dem, was Herr Schultz heute morgen hier als verrotteten - oder was weiß ich - Alleinvertretungsanspruch bezeichnet hat, ganz anders ausgesehen. Wir legen Wert auf die Feststellung, daß wir unverändert zu den gesamten Ziffern der damals einstimmig in der Koalition festgehaltenen Position stehen, und wir sehen weder Recht noch Anlaß, daran etwas zu verändern.
Wir haben, meine Damen und Herren - das muß in dieser Debatte gesagt werden -, den 21. August nicht vergessen. Wir haben auch nicht - ich habe neulich davon gesprochen - die 30 jungen Tschechen vergessen, die sich inzwischen zum Zeichen des Protestes selbst verbrannt haben. Wir haben nicht vergessen, was in und um Berlin ist und war. Dies alles gehört zu den Realitäten, die wir nicht gerne sehen. Aber mit Kopfschütteln werden die Realitäten nicht anders, Herr Kollege.
({9})
- Ja, der Geschmack! Wenn Sie dann über Geschmack sprechen, will ich Ihnen eines sagen: Daß eine solche Meldung wie die, daß sich nun der Dreißigste verbrannt hat, auf Seite 5 einer großen deutschen Tageszeitung mit zehn Zeilen steht, das halte ich allerdings für eine Frage des schlechten Geschmacks. Ich glaube, daß wir hier, wenn wir die Position der Menschenrechte für die Deutschen wollen, etwas stärker sehen sollten, was mit Menschenrechten anderer geschieht, ohne das, Herr Scheel, propagandistisch auszunutzen.
Meine Damen und Herren, wir müssen, wenn wir von den Realitäten ausgehen, in diese Realitäten auch noch hineinnehmen - das ist das einzige, was in der Antwort der Regierung fehlt, aber danach hatte die Opposition auch nicht gefragt, das gehört jedoch in das Bild hinein -, daß wir eben in der Zwischenzeit auch noch eine Militärdoktrin der „DDR" erlebt haben, ein schauerliches Dokument vom 23. November 1968, wonach ein „innerdeutscher Krieg" „kein Bruderkrieg" wäre, sondern ein
„nationaler Befreiungskrieg", der mit Raketenwaffen geführt würde.
Auch das gehört in dieses Bild, das uns nicht paßt. Aber wir können uns nicht ein Bild malen, das uns paßt, und uns dann in Illusionen wiegen, um in anderen Realitäten aufzuwachen. Und es sollte jeder den Rang solcher ideologischer Feststellungen nach den Erfahrungen der Tschechoslowakei ernst nehmen.
Meine Damen und Herren, wir unterstützen den Kanzler in dem, was er hier soeben noch einmal gesagt hat. Unsere Antwort auf diese Lage ist nicht, auf eine geballte Faust mit einer geballten Faust zu reagieren, sondern unsere Antwort ist, gestützt im Bündnis, auf dem sicheren Boden der NATO stehend, weiter die Hand zum Ausgleich hinzuhalten, dies freilich auf der Basis des Rechts und nicht im vorherigen Ausverkauf der wenigen vitalen Positionen unseres Landes.
({10})
Ich möchte noch ein paar Sätze sagen zu dem politischen Teil der Anerkennungsdebatte, nachdem über den juristischen Teil - mit sehr unterschiedlicher Qualifikation freilich - gesprochen worden ist. Ich möchte den Bundeskanzler beglückwünschen zu der Klarheit, auch der juristischen Klarheit seiner Erklärung. Zum politischen Teil dieser Debatte! Ich glaube, ich tue Peter Bender kein Unrecht - nachdem hier Literatur in die Debatte eingeführt worden ist, Herr Scheel -, wenn ich ihn als den Chefideologen der Anerkennler bezeichne. Er hat das Verdienst, durch seine Bücher die Argumente aufbereitet zu haben. Gleichwohl ist es ihm nicht gelungen, die Position derer, die dafür sind, durch diese Argumente zu verstärken. Das ist sein Pech, meine Damen und Herren.
Mit Recht hat eine Zeitschrift, die, wenn ich es richtig sehe, dem Herrn Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen nahesteht, in einer Rezension dieser Schrift die folgende Frage gestellt, die ich jetzt zitieren möchte, weil sie fundamental für unser Problem ist, wenn wir es politisch betrachten. Die Frage lautet:
Noch ist die Bundesrepublik für Moskau und Ostberlin der Gegner, der Feind, und sie wird es auf absehbare Zeit bleiben, schon aus ideologischen Gründen. Noch ist man im Ostblock nicht bereit, in der Koexistenz etwas anderes zu sehen als eine andere Form des Klassenkampfes. In dieser Situation ist Anerkennung nur als einseitige Erklärung der Bundesregierung möglich, ohne Gegenleistung.
- So weit dieses wichtige Zitat! - Und nun Peter Bender! Man muß solche Stimmen von draußen aufnehmen; denn hier im Hause hat ja keiner von der Anerkennung gesprochen, selbst die nicht, die draußen in Reden ganz andere Eindrücke erwecken. Deshalb nehmen wir einmal diesen Mann, der sich dadurch sicher nicht beschwert fühlt, weil er seine Auffassung sehr deutlich formuliert hat. Auch Peter Bender hält eine Anerkennung für völlig indiskutabel, wenn nicht die Sowjetunion und die DDR in
Sachen Berlin bereit wären, die erforderlichen Garantien zu geben. Daraus muß man wohl folgern, daß auch er gegen eine Anerkennung im voraus, ohne Gegenleistung, und vor allem vor dem Beginn von Gesprächen ist. Denn erst muß man doch im Gespräch feststellen, ob es solche Garantien geben kann.
({11})
Daher sollten sich eigentlich Peter Bender und alle, die hinter ihm stehen, auch noch in die Front derer einreihen, die das innerdeutsche Gespräch erzwingen wollen, das Gespräch auch der Deutschen über Deutschland. Das ist doch, glaube ich, die Frage, die diese Debatte hier aufgeworfen hat, und diese Energien zu verstärken, darauf kommt es an!
Politisch bleibt ein Weiteres hinzuzufügen. Meine Damen und Herren, mit der Anerkennung ist es wie mit dem Kommunismus: den kann man nicht ein bißchen haben oder probieren und ihn wegwerfen, wenn er nicht gefällt.
({12})
Die Anrechnung, einmal ausgesprochen, ist unwiderruflich und endgültig. Sie würde das Instrumentarium für Herrn Ulbricht vermehren und ihm dazu die Chance geben, Beziehungen dann wieder abbrechen zu können.
Vor allem hoffe ich - ich argumentiere jetzt nur politisch in dieser Frage; das andere ist gesagt -, ein offenes Ohr bei unseren Kollegen aus der „liberalen Opposition" zu finden, wie sie selbst sagen. Ich frage mich, Herr Kollege Scheel und Herr Kollege Mischnick, ob Sie nicht mit uns in folgendem übereinstimmen können: Die Frage der Anerkennung, die Ulbricht an uns richtet, ist doch eigentlich dem falschen Adressaten gestellt. Es würde doch überflüssig, die Frage zu stellen, das Problem würde doch in sich zusammenbrechen, wenn die einzig wirklich Zuständigen zur Beantwortung dieser Frage sie aussprächen. Und wer sind die einzig wirklich Zuständigen? Es sind die Menschen, die drüben wohnen,
({13})
wo das Regime Ulbricht Macht ausübt und Verantwortung trägt.
Wir leugnen doch nicht, daß das Regime da ist, daß es Macht hat und daß es Verantwortung trägt. Aber wir dürfen ebensowenig übersehen, daß die Menschen drüben, die unsere Landsleute sind, eben die Anerkennung verweigern und deshalb kaserniert und eingemauert werden, weil sonst die Gefahr besteht, daß das passiert, was man in der Welt das „Abstimmen mit den Füßen" nennt. Die Menschen dort, sie sind die richtigen Adressaten für eine Bemühung um Anerkennung. Wenn Ulbricht die Anerkennung von denen bekäme, dann wäre eine neue Lage entstanden.
({14})
Soll er sich doch bemühen um die Zustimmung der Menschen drüben! Meine Damen und Herren, wenn wir sie ihm vorher gehen, dann wird er sich um
diese Zustimmung in noch viel geringerem Maße bemühen.
({15})
Ich will noch ein politisches Argument anführen, das der Debatte mit jungen Menschen- entnommen ist. Die reale Lage im anderen Teil Deutschlands ist durch die Erstarrung des Systems und - wenn ich so sagen darf - die zementierte Etabliertheit der Mächtigen gekennzeichnet. Es gibt kein Auswechseln der Führung, keine Transparenz der politischen und ökonomischen Vorgänge, keine öffentliche und freimütige Diskussion. Statt des freien Zugangs zu allen Informationen gibt es eine manipulierte Selektion an Informationen. Von Freiheit der Meinung ist so wenig zu spüren wie von Freizügigkeit und Menschenrechten, und selbst eine innerkommunistische Reformergruppe ist dort nicht zu erkennen.
Kurzum: die reale Lage im anderen Teil Deutschlands ist reaktionär. Deshalb werde ich nie begreifen, wie es vis-à-vis dieser Wirklichkeit, eine linke Mode in unserem Land zu werden droht, dieses Reaktionäre als einen möglichen Weg deutscher Politik anzuerkennen.
({16})
Ich habe jetzt mit „links" - damit wir uns richtig verstehen - nicht die Sozialdemokratische Partei gemeint. Sie haben es auch nicht - ({17})
- Herr Kollege Mommer, Sie haben sich in der Vergangenheit gelegentlich dadurch ausgezeichnet, wenn ich mich an die „trojanischen Esel und Pferde" erinnere, daß Sie eine sehr mutige, eigenständige Position hatten, und Sie wissen, daß dies einer der Punkte ist, die das ganze Haus Ihnen nie vergessen wird.
({18})
- Das geht gar nicht so leicht; das haben wir früher vergeblich versucht, meine Damen und Herren. Außerdem, - ich will es wieder herunterschlucken. Das wollen wir ja noch üben, bis wir hier so weit sind.
({19})
Damit es noch einmal klar wird - ich sage es jetzt nicht in einem freien Debattendeutsch, sondern an Hand eines aufgeschriebenen Textes -: Wir anerkennen, daß auch die Bevölkerung im anderen Teil 'Deutschlands über ihr Schricksal frei entscheiden können soll. Was an Kontakten, Gesprächen, Verabredungen zwischen den Verantwortlichen hüben und drüben geschehen kann, um das Leben der Menschen zu erleichtern, den Zusammenhang der deutschen Nation zu stärken und den Frieden zu fördern, muß geschehen. Durch eine Anerkennung der Ostberliner Regierung kann eine Verbesserung der Lebensverhältnisse im geteilten Deutschland nicht erreicht werden.
Meine Damen und Herren, ich will es damit bewenden lassen, mit Ausnahme eines einzigen politischen Punktes noch. Wir alle haben uns daran gewöhnt - und die Kollegen unter uns, die in Länder des Warschauer Paktes gefahren sind„ berichten ständig darüber -, daß in der kommunistischen Welt ein Parteichef mehr ist als ein Regierungschef, daß ein Gespräch - ich hätte das gern dem Herrn Außenminister gesagt - mit einem Mitglied des Zentralkomitees einer kommunistischen Partei oft wichtiger ist als mit einem Außenminister. Daran haben wir uns gewöhnt.
Diese Differenzierung vergessen viele, wenn sie von der Lage in Deutschland sprechen. Deshalb ist es falsch, die reale Lage in beiden Teilen Deutschlands und vor allen Dingen drüben allein nach formalistischen, statischen Kriterien aus Lehrbüchern, möglichst noch solchen der Jurisprudenz allein - so wichtig sie sind -, beurteilen zu wollen. Drüben hat die Partei den Vorrang, und wenn wir die reale Lage beschreiben wollen, können wir, glaube ich, „DDR" am besten mit „SED plus Rote Armee" übersetzen. Dann haben war die reale Lage, meine Damen und Herren.
({20})
- Sprechen wir doch nicht dauernd von allen möglichen anderen Geschichten, um die es gar nicht geht.
Schauen Sie, das ist, glaube ich, eine Analyse - sofern sie hier möglich ist -, die der Wirklichkeit näherkommt. Ulbricht selbst sagt doch - und da bei ist es ihm ganz gleich, ob Staat oder Anerkennung -, die Frage in Deutschland heiße: wer wen? - Herbert Wehner hat dies hier einmal deutlicher, als wir dies alle können, dargetan. Wer wen, das heißt: wer schluckt wen? Dies sei die Frage in Deutschland.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es eben, solange dies so 'ist, eine Illusion zu glauben, .daß man durch Anerkennung der Lösung irgendeiner Frage ein Stückchen näherkommen könnte. Die wirkliche Frage, um die es in Deutschland und für die Deutschen geht, heißt doch ganz anders. Sie heißt: Soll die Zukunft unseres Landes der Demokratie gehören oder einer linken Diktatur? Das ist die wirkliche Frage.
({21})
Soll eine kommunistische Minderheit oder eine demokratische Mehrheit regieren? - Das ist die wirkliche Frage. Lassen wir uns 'doch nicht durch die von drüben erfundene Anerkennungsphraseologie ablenken!
Wer das so sieht, meine Damen und Herren, der muß eines einräumen. Ob uns das paßt oder nicht, ob es lange :dauert oder nicht: Wir als deutsche Demokraten können uns gar nicht - es 'gibt keine Möglichkeit dafür - aus dem Kampf um Deutschland und dessen demokratische Zukunft herausstehlen. Da gibt es gar nichts, und wer meint, er könne hier durch eine Anerkennung ein Nebeneinander erreichen, muß einsehen, daß das gar nicht möglich ist; denn die drüben wollen ja kein Neben-und kein Miteinander, sondern Ulbricht sagt: wer wen?
Meine Damen und Herren, daß muß man, glaube ich, sagen, aber nun nicht etwa, um dabei stehenzubleiben, sondern um, auf diese Analyse gestützt, die Politik dieser Bundesregierung praktisch zu unterstützen. Was soll der ganze Streit über die Anerkennung und die anderen Vokabeln! Ich habe in den Zwischenfragen zu Herrn Scheel gesagt: Lassen wir das doch bleiben! Etwas für die Menschen praktisch zu erreichen und das miteinander zu machen, ist doch viel wichtiger.
Ich denke, nach dieser Debatte wird auch keiner für den Wahlkampf Popanze aufbauen können. Ich meine, wir wären auch ganz schlecht dran, wenn wir - mangels anderer Themen - etwa versuchten - sprechen wir es offen aus -, jetzt einen Wahlkampf mit dieser Frage als Thema Nr. 1 zu beginnen. In Wirklichkeit sind sich in der praktischen Politik doch alle hier einig. Das ganze Haus steht hinter den Initiativen des Kanzlers; so ist ,es doch. Die Uneinigkeit besteht in irgendwelchen Theoremen, die der eine oder der andere hier erfunden hat. In der praktischen Politik stehen wir doch zusammen, und das sollte die Welt wissen. Es wäre ganz schön, wenn Sie, Herr Mischnick, nun hier als nächster ,das noch einmal sagen könnten, daß Ihre Fraktion nicht nur an Ihren Papieren interessiert ist, die Sie mit gutem Recht vorgelegt haben, sondern daß sie bereit ist, ganz zu unterstützen, was dieser Kanzler in Gesprächen mit Ostberlin, mit anderen und mit Moskau erreichen will. Das, glaube ich, wäre ein Verdienst ,der Opposition.
({22})
Meine Damen 'und Herren, ich muß noch einen Punkt hinzufügen. Er ist zwar schon von anderen angesprochen worden. Aber ich möchte in der Konsequenz einen Schritt weiter gehen. Bei all dem, was mit Berlin zusammenhängt, kann man sehr schön theoretisch formulieren, „auf der Basis der Viermächte-Verantwortung" und „zusätzliche Sicherheit". Das kann man alles 'formulieren, Herr Scheel. Nur muß man sich in ,der Welt, in der wir sind, überlegen, daß uns ,eine solche Politik doch auf gar keinen Fall dahin bringen darf, daß am Schluß wir, allein wir die Verantwortung für Sicherheit, Lebensfähigkeit und freien Zugang nach Berlin tragen. Wir müssen uns doch davor hüten, uns- zu übernehmen und in Verantwortungen hineinzukommen, die wir allein so gar nicht tragen könnten.
({23})
Und woher nimmt irgend jemand den Mut, zu glauben, daß etwa eine Verabredung zwischen Bonn und Ostberlin über Berlin besser eingehalten würde als die gegenwärtig geltenden 'Rechtsnormen, deren Partner auf der westlichen Seite immerhin die nuklearen Westmächte sind? Vorsicht mit Berlin! Berlin ist nicht geeignet als Exerzierplatz für alle möglichen Experimente. Der Spielraum dort ist ganz besonders gering.
Ich möchte deshalb ganz besonders unterstreichen, was die Bundesregierung zu dieser Frage in ihrer schriftlichen Antwort gesagt hat, und aus dieser schriftlichen Antwort noch mit Genugtuung den letzten Satz festhalten; denn wir hatten in
diesem Hause früher eine kontroverse Debatte über Vorleistungen. Der letzte Satz dieses Papiers der Bundesregierung macht dieser Kontroverse ein Ende, weil es nun heißt: nichts ohne Gegenleistung; eine Position, die wir gern, sehr gern unterstützen.
Meine Damen und Herren, ich möchte, auf die Gefahr hin, Sie noch fünf Minuten in Anspruch nehmen zu müssen, gern noch ein paar Sätze über die Zusammenhänge sagen, in denen das alles zu sehen ist. Herr von Wrangel hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Friedenspolitik nicht erst eine Erfindung der allerjüngsten Geschichte ist; lassen wir das. - Meine Damen und Herren, es sind ein paar Mißverständnisse - erfunden, gewollt oder wirklich - aufgetaucht über die verschiedenen Haltungen zu diesem Budapester Papier. Ich meine, es ist notwendig, auch das hier eben noch einzuführen, damit wir uns verstehen. Wir alle wollen - so ist das jetzt deutlich - eine europäische Friedensordnung, und das bedeutet mehr als ein Sicherheitssystem; denn das heißt auch Lösung der Spannungsursachen. Nachdem dieses Budapester Papier da vorliegt - und Helmut Schmidt hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es noch gar nicht in den diplomatischen Verkehr eingeführt ist; es ist also eigentlich noch gar nicht da -, wäre es doch sehr gut, dies auf diplomatischem Wege auszuloten; freilich nicht so sehr im Alleingang. Wir sehen den deutschen Außenminister in solchen Fragen immer möglichst gern nahe bei den Außenministern der USA, Großbritanniens und Frankreichs.
({24})
Walter Ulbricht drüben hätte die Möglichkeit - das will ich hier sagen -, zu beweisen, daß dieses Papier ernst gemeint ist. Bisher kennen wir ihn nur als einen Mann des Nein, des Mauerbaus, der Drohungen und all solcher schrecklicher Geschichten. Wir würden ihn gern als den Mann des Gesprächs kennenlernen. Er könnte doch zeigen, indem er auf unsere Bereitschaft eingeht, was der Geist dieses Budapester Papiers eigentlich sein soll.
Wer ein europäisches Sicherheitssystem als einen Teilaspekt einer europäischen Friedensordnung gelten läßt, muß eines ganz deutlich sagen, damit wir hier nicht in Mißverständnisse kommen: Ein europäisches Sicherheitsssystem ohne die USA - oder auch nur eine Konferenz über solche Sachen ohne die USA - ist vollkommen außerhalb unserer Betrachtung. Denn die fundamentale Bedingung ,der europäischen Sicherheit, so, wie die Lage ist, ist die unverminderte Anzahl und die fortdauernde Schlagkraft der Truppen der USA in unserem Lande.
({25})
Das muß man wieder mal sagen, weil der 21. August so schnell vergessen wird. Das Budapester Papier will vielleicht die USA so ein bißchen herausdrängen; das kann man nicht so genau sehen. Auf jeden Fall will es auf der Basis der Breschnew-Doktrin die sowjetrussische Hegemonie stabilisieren und auf diese Weise statt einer Friedensordnung eine erzwungene Ruhe bewirken.
Ohne die Beteiligung der USA, ohne diplomatische Beziehungen zwischen allen Ländern, auf die es hier ankommt, ohne Gewaltverzichtserklärung zwischen allen und ohne ein innerdeutsches Gespräch sehe ich nicht die Landschaft, in der eine solche Konferenz sinnvoll sein könnte. Ich sage dies nicht, um hier Argumente für ein Nein zu sammeln, sondern im Gegenteil. Wir sollten uns auch hier vor Illusionen und Schlagzeilen hüten und mit Geduld und in diplomatischer Arbeit ausloten, was wirklich in diesem Papier drin ist, ob es wirklich eine „Kehrtwende" der sowjetrussischen Politik in Mitteleuropa ist.
Ich komme zum Schluß. Es ist heute morgen vom Herrn Kollegen Schultz vom Grundgesetz gesprochen worden. Er hat auch gesagt, es sei sehr formaljuristisch, über manche Dinge zu sprechen. Ich denke, ich habe das nicht getan, ich habe politisch argumentiert. Aber deshalb muß am Schluß doch auch noch eine juristische Überlegung stehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vom 17. August 1956 - diese Urteile haben Gesetzeskraft - aus dem Grundgesetz - wie es dort heißt - „für alle politischen Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland die Rechtspflicht" abgeleitet - ich zitiere wörtlich -, „die Einheit Deutschlands mit allen Kräften anzustreben, ihre Maßnahmen auf dieses Ziel auszurichten und die Tauglichkeit für dieses Ziel jeweils als ein Maßstab ihrer politischen Handlungen gelten zu lassen". Dieses Urteil fährt fort:
Nach der negativen Seite hin bedeutet das Wiedervereinigungsgebot, daß die staatlichen Organe alle Maßnahmen zu unterlassen haben, die die Wiedervereinigung rechtlich hindern oder faktisch unmöglich machen.
Soweit das Bundesverfassungsgericht.
Meine Damen und Hrren, unseren freiheitlichen Rechtsstaat kann man nur ganz oder gar nicht haben; das gilt auch für das Grundsetz. Wer das an einem Punkt verläßt, wird das Ganze verlieren. Wer die Realitäten so sieht, der wird zustimmen, wenn ich sage, daß der kein Realist ist, der glaubt, die deutsche Frage sei leicht zu lösen. Aber wir fügen hinzu: Wer deshalb aufgibt, ist kein deutscher Patriot.
({26})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat aus seinem Interview im Süddeutschen Rundfunk ein Zitat gebracht. Ich habe volles Verständnis dafür, daß man für solche Debatten auch Zitate verwendet, die in die eigene Diktion hineinpassen.
Ich wäre aber dankbar, Herr Bundeskanzler, wenn Sie das gesamte Interview - ich will es gern zur Verfügung stellen - einmal nachläsen. Daraus geht hervor, daß eis ausschließlich um die Frage ging
- das habe ich in einem weiteren Artikel klargestellt -, gerade den Begriff Anerkennung, der nicht von mir in die Diskussion gebracht wurde, möglichst aus der Diskussion herauszubringen, weil ich ihn eben in vielen Punkten für zu schillernd, vorbelastet und in einer Weise gebraucht ansehe, daß er eben zu den unterschiedlichsten Auslegungen führt. Wir haben ja nicht nur den Gebrauch des Wortes Anerkennung von denjenigen, die darunter eine echte völkerrechtliche Anerkennung mit der Zementierung der deutschen Teilung verstehen. Der Begriff Anerkennung wird aber von vielen als eine Vokabel verwendet, durch die die wirkliche Meinung anderer möglichst diffamiert werden soll. Diese beiden Pole, die hier vorhanden sind, müssen wir berücksichtigen. Es wäre gut, wenn wir uns wirklich entschließen könnten, diese Vokabel herauszunehmen.
Folgendes ist aber für uns in ,der Diskussion von entscheidender Bedeutung. Auch die Regierung sagt, die Möglichkeit eines Vertrages sei nicht auszuschließen. Wenn ich jetzt unterstelle, daß die Voraussetzungen für 'einen solchen Vertrag in zeitlicher Hinsicht geschaffen sind und daß der Vertragsinhalt nach gleichberechtigter Verhandlung beiderseits akzeptabel ist, wird der Vertrag von den beiden, die darüber verhandelt haben, unterzeichnet werden müssen, und er wird dann einen bestimmten Charakter haben, nämlich .den eines Vertrages zwischen zwei Partnern, die in ihrem Bereich staatliche Macht ausüben, wenn ich es einmal ganz vorsichtig ausdrücke. Dann liegt es nahe, daß man danach anfängt, darüber zu rätseln: ist es ein staatsrechtlicher Vertrag, wie es Walter Scheel gesagt hat, oder ist es kein staatsrechtlicher Vertrag? Das mag eine Sache sein, die für Juisten sehr interessant ist, die aber für uns politisch nicht das Schwergewicht der Überlegungen ausmacht, weil wir davon ausgehen, daß die besonderen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR in einem gesonderten Vertrag zu regeln sind und nicht durch diplomatische Beziehungen oder sonst etwas ersetzt werden können.
Daß diese Überlegungen nicht ganz im leeren Raum angestellt werden, ersehen Sie daraus, daß auch in den Erklärungen der DDR, der SED immer wieder von einem Vertrag die Rede ist. Dabei unterstelle ich selbstverständlich, daß das Ziel eines Vertragsentwurfs der DDR - siehe Stoph-Brief - ein anderes ist ,als unser eigenes. Aber gehen wir, wenn wir sagen, der Zeitpunkt für einen solchen Vertragsentwurf sei noch nicht gekommen, nicht zu leicht darber hinweg, .daß die andere Seite seit über einem Jahr, ja fast zwei Jahren, mit ihrem eigenen Entwurf innerhalb des Warschauer Pakts bei ihren befreundeten Mächten darauf hinweist, sie habe einen entsprechenden Vorschlag gemacht, die Bundesregierung habe keinen Gegenvorschlag unterbreitet und beweise damit, daß sie es mit dem Gesprächswillen reicht ernst meine. - Ich wiederhole: das ist die Darstellung der DDR, das ist nicht meine Darstellung.
Aus diesen Überlegungen heraus ist es doch legitim, sich die Frage zu stellen: verbessert nicht der eigene Vertragsentwurf die Verhandlungsposition der Bundesrepublik nicht nur für mögliche Ge- 12678
spräche mit der DDR, sondern auch gegenüber Dritten im Warschauer-Pakt-Gebiet? Auch diesen Gedanken sollte man nicht von der Hand weisen.
Es ist davon gesprochen worden, es gebe keine positiven Reaktionen. Dazu darf ich darauf hinweisen - um hier nur zwei Stimmen, die ich in der Zwischenzeit bekommen habe, zu zitieren -, daß in der Preßburger Prawda, dem Zentralorgan der slowakischen KP, ausdrücklich zum Ausdruck gebracht worden ist, daß dieser Vertragsentwurf ein interessantes Stück für Verhandlungen sei. Darüber hinaus ist mit einer weiteren Äußerung einer Gewerkschaftszeitung in Polen zum Ausdruck gebracht worden, daß man darüber noch diskutieren könne.
Wir gehen von der Überlegung aus, daß man eigene Initiativen der Bundesrepublik nicht nur nach ihrer Wirkung in der Bundesrepublik oder in der DDR, sondern auch nach ihrer Wirkung im gesamten Raum der Warschauer-Pakt-Staaten bewerten sollte. Unter diesem Gesichtspunkt ist meiner Überzeugung nach der Zeitpunkt eines solchen Vorschlags nicht so schlecht gewählt, wie man es aus der Antwort der Bundesregierung entnehmen könnte. Hinzu kommt noch, daß wir diesen Vertragsentwurf in aller Ruhe im zuständigen Ausschuß beraten wollen. Wenn konstruktive Anregungen kommen, sind wir selbstverständlich bereit, sie in unseren Vorschlag einzubauen. Es wäre uns aber lieber gewesen, wenn die Regierung selbst einen solchen Vorschlag vorgelegt hätte.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Becher?
Herr Kollege Mischnick, ich möchte in diesem Zusammenhang gern eine Frage an Sie richten, die ich eigentlich schon gern Herrn Scheel gestellt hätte. Er hat mir leider keine Gelegenheit gegeben, eine Antwort zu erhalten. Es ist die Frage: Ist die von Ihnen jetzt erwähnte Rücksichtnahme auf angebliche Stellungnahmen 'im Ostblock vielleicht auch dafür maßgebend, daß Herr Scheel, also Ihr Parteivorsitzender, in einem Schreiben an den Sprecher der Schlesischen Landsmannschaft erklärt hat, die Bundesrepublik Deutschland sei nicht befugt, über die Ostgrenze des anderen deutschen Staates, also über die Oder-Neiße-Linie, zu reden? Darf ich darüber eine Aufklärung haben?
Lieber Herr Kollege Becher, ich kenne nicht den Gesamtinhalt des Briefes. Ich kann mir aber vorstellen, daß es darum geht: Solange - diese Formel haben wir immer wieder gebracht, sie ist auch im Bundestag als Antrag eingebracht worden und liegt dem Gesamtdeutschen Ausschuß zur Beratung vor - die Entscheidung über ganz Deutschland nicht gefallen ist, ist diese Frage eben nicht von der Bundesrepublik als Bundesrepublik zu entscheiden. Nur um das ging es in dem Brief; Walter Scheel wird es - so meine
ich, ich kenne den Gesamtinhalt nicht - nicht anders gemeint haben.
Das paßt übrigens gar nicht zu dem Punkt, den ich eben hier genannt habe. Sie versuchten, einen Aufhänger zu finden. Das ist verständlich. Aber zu dem, was 'ich gesagt habe, paßt es nicht.
Lassen Sie mich meinen Gedankengang fortführen. Ist es nicht bei aller Diskussion über vertragliche Regelungen zwischen den beiden deutschen Staaten auch notwendig, daran zu denken, daß eine Wirkung innerhalb der Bevölkerung der DDR im Zusammenhang mit dem Vertragsentwurf von Stoph vorhanden ist? Ich gestehe gern zu, daß der Inhalt unseres Vertragsentwurfs in vielen Dingen mit Punkten des Kanzler-Briefes übereinstimmt, dem wir ja in diesem Punkte zugestimmt haben. Muß nicht der Eindruck entstehen, daß zwar von Stoph ein Vertragsvorschlag gemacht wird - den die Bundesregierung und die Parteien im Deutschen Bundestag ablehnen - daß aber bei uns, weil wir keinen eigenen Gegenvorschlag entwickeln, die Bereitschaft, hier zu einer Normalisierung zu kommen, nicht in dem Maße vorhanden ist, das wir, die FDP, für notwendig halten? Wir wissen, daß die Bereitschaft da ist. Aber auch einen falschen Eindruck zu vermeiden wäre möglich, wenn man unserem Gedanken, einen solchen Vertragsvorschlag zu machen, folgte.
Der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat heute früh gesagt: Unser Rechtsstandpunkt soll und wird kein Hindernis sein. Wir begrüßen diese Erklärung. Wenn aber der Rechtsstandpunkt kein Hindernis sein soll und sein wird, dann heißt das doch nichts anderes, als daß die Bereitschaft vorhanden ist, trotz unterschiedlicher Rechtsauffassungen zu vertraglichen Vereinbarungen zu kommen. So steht am Ende des Vereinbarung - auch nach unserer Auffassung - fest, daß die beiden Partner eines solchen Vertrages nicht nur gleichberechtigt verhandelt, sondern auch gleichberechtigt unterschrieben haben und damit gleichberechtigt für seine Durchführung verantwortlich sind. Darum geht es uns bei der Frage des staatsrechtlichen Vertrags und um nichts anderes. Wer das nicht will, muß natürlich wissen, daß die Chance für ein Gespräch, für eine Verhandlung überhaupt nicht gegeben ist.
Nun ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die DDR bis zur Stunde noch nicht die Vollmacht wahrgenommen hat - das hat der Gesamtdeutsche Minister gesagt, das ist später wiederholt worden -, die die Volkskammer ausgesprochen hat. Meine Damen und Herren, ich bin mir ziemlich sicher, daß es gar nicht lange dauern wird, bis auf Grund der Budapester Erklärung neue Initiativen kommen werden. Ich kann mir sogar vorstellen, daß man eine Initiative aus der DDR, um dem Budapester Appell, zu dem natürlich in diesem Zusammenhang noch einiges gesagt werden muß, die entsprechende Resonanz zu verschaffen - denn er ist das Ziel der Staaten des Warschauer Pakts -, nicht mit Forderungen, mit Vorbedingungen wie der völkerrechtlichen Anerkennung und so fort belasten wird. Wenn man das aber erwarten muß, ist es dann nicht für die
Position der Bundesrepublik besser, vorher mit eigenen Initiativen in diese Diskussion zu gehen?
Leider muß ich feststellen, daß die Wertung des Budapester Papiers auch hier in diesem Hause noch vor 14 Tagen, drei Wochen weniger positiv - das ist vielleicht schon zuviel gesagt -, weniger nüchtern gewesen ist, als es heute der Fall war. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß der Kollege Barzel heute davon sprach, daß man das ausloten müsse. Als ich vor ein paar Wochen hier in einer Debatte davon sprach, man müsse die Budapester Erklärung darauf abklopfen, welche Möglichkeiten darin enthalten seien, wurde das noch als ein sehr gewagter Schritt nach vorn angesehen.
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Heute ist man erfreulicherweise so weit, daß ein „Ausloten" erfolgt. Ich spreche jetzt von der Diskussion im Parlament, nicht von dem, was der Herr Bundesaußenminister hier gesagt hat. Er stimmte nämlich mit meinen Überlegungen überein.
Die Budapester Erklärung - der Kollege Barzel nahm dazu Stellung - bringt tatsächlich einen Unterschied zur Bukarester Erklärung. Sie wird allerdings in Bezug dazu gebracht. Das veranlaßt mich zu der Feststellung, daß es dann von uns aus gar keine Schwierigkeit ist, auf diplomatischem Wege auszuloten - wir sollten nicht warten, bis uns etwa offiziell mitgeteilt wird, daß die Budapester Erklärung Gegenstand von Gesprächen sein soll -, ob dann nicht auch die Rede von Gromyko in Rom vor der Bukarester Erklärung von 1966, als er davon
sprach, daß eine solche europäische Sicherheitskonferenz einberufen werden sollte, heute noch Gültigkeit hat. Er wurde nämlich damals gefragt, ob dabei die Vereinigten Staaten ausgeschlossen werden sollen oder nicht. Er hat dann ausdrücklich festgestellt, daß die Vereinigten Staaten selbstverständlich, wenn sie an einer solchen Konferenz interessiert seien, auch daran teilnehmen könnten. Hier wäre eine Aufgabe der deutschen Politik, festzustellen, ob das für die Budapester Erklärung genauso gilt, wie es von der Bukarester Erklärung zum Ausdruck gebracht worden ist. Ich bin überzeugt, daß sich diese Auffassung nicht geändert hat. Das bedeutet aber, daß der Verdacht, daß man hier die Vereinigten Staaten ausschalten wolle, eben nicht auf festen Füßen steht.
Immer wieder - sowohl in der Erklärung des Bundeskanzlers wie auch in den Diskussionsbeiträgen der Kollegen Schmidt und Barzel - ist davon gesprochen worden, daß wir mit unseren Vertragsentwurf auf keinen Fall die Position Berlins schwächen dürfen. Wir teilen diese Meinung. Ich habe immer das Gefühl, daß der genaue Text unseres Art. 6 von all denen, die dagegen polemisieren, nicht - ich will es vorsichtig ausdrücken - Buchstabe für Buchstabe richtig aufgenommen worden ist; denn wir gehen ja ausdrücklich von der Viermächte-Verantwortung aus. Viermächte-Verantwortung bezieht sogar ein, daß sie ursprünglich ja einmal für ganz Berlin galt. Wir müssen aber leider feststellen, daß auch zu- Zeiten, als die CDU/CSU allein die Regierung stellte, gegen dieses langsame Aushöhlen bis zu einer Dreimächte-Verantwortung für West-Berlin damals nicht entschieden genug vorgegangen worden ist, wie es notwendig gewesen wäre. Wir sind, wenn im Rahmen der Ausschußberatung Verbesserungsvorschläge kommen, gern bereit, diese entsprechend einzubauen. Es geht uns darum, daß Sie alle, die Sie heute betont haben: „Wir sind bereit, vertragliche Regelungen abzuschließen; wir halten aber den Zeitpunkt im Augenblick noch nicht für gekommen", bereit sind, jetzt alles so vorzubereiten, daß im richtigen Zeitpunkt auch sofort ein solcher Vertragsentwurf zur Verfügung steht. Es gilt also eine Arbeit zu leisten, die uns in die Lage versetzt, auf der Stelle reagieren zu können und nicht erst, wie wir es oft erlebt haben, einen Zeitraum verstreichen lassen zu müssen, was die andere Seite dann wiederum berechtigt, zu sagen, hier fehle .es an entsprechender Reaktion.
Es ist die Frage gestellt worden, ob wir uns noch zu der Entschließung bekennen, die in den meisten Punkten gemeinsam war. Wir gehen von keinem der Punkte ab, denen wir hier zugestimmt haben. Wir hatten einen Punkt, in dem wir leider unterschiedlicher Meinung waren; und das sind wir auch heute noch. Ich hoffe allerdings, daß sich die Meinungsbildung bei Ihnen fortentwickelt und Sie eines Tages einsehen werden, daß der Punkt 6 der Entschließung in der Fassung der Freien Demokraten der Situation besser gerecht wurde als Ihre Formulierung,
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die doch wieder eine Barriere aufgebaut hat, wie wir sie eben nicht haben wollten.
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Meine Damen und Herren, es ist am Freitag von einem gewissen Zeitpunkt ab schwierig, solche Debatten noch sehr intensiv zu führen. Lassen Sie mich deshalb zum Schluß nur noch einige wenige Bemerkungen zur Situation in der CSSR machen.
Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß die Ereignisse in der Tschechoslowakei manches erschwert haben. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, machen wir doch nicht den Fehler, die tschechischen Ereignisse immer nur unter einem Blickwinkel zu ,sehen. Die tschechischen Ereignisse sind nach meiner Überzeugung Warnung und Mahnung zugleich: Warnung davor, leichtfertig zu glauben, daß alle Sicherheitsfragen nachrangig sind, Warnung davor, sich einzubilden, man könne leichtfertig vorhandene Sicherheitssysteme aufgeben; daran denkt niemand. Mahnung daran, daß alle die, die heute noch von einem vergangenen Blockdenken, von einer Einheitlichkeit der Auffassungen innerhalb des ganzen Waschauer Paktsystems sprechen, Monat für Monat erleben mußten, daß die Entwicklungen auch in diesem Bereich laufend weitergehen, trotz der bitteren Ereignisse in der Tschechoslowakei.
Das bedeutet für uns, daß wir in unserer eigenen politischen Arbeit flexibel genug sein müssen, um die jeweiligen Nuancierungen, die sichtbar werden, durch eigene Aktionen da zu unserem Nutzen zu verwerten, wo es möglich ist, aber auf keinen Fall
durch Reaktionen zum falschen Zeitpunkt positive Entwicklungen erschweren.
Ich bin fest überzeugt, meine politischen Freunde sind fest überzeugt, daß eine Initiative der Bundesrepublik mit einem solchen Vertragsvorschlag, mit einem konkreten Vorschlag, wie wir die Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands vertraglich geregelt wissen wollen, dazu beiträgt, die Position der DDR innerhalb des Warschauer Paktes nicht zu festigen, sondern deutlich zu machen, daß diese DDR selbst bereit sein muß, Entgegenkommen zu zeigen, wenn sie sich nicht innerhalb des Warschauer Paktbereichs auf die Dauer isolieren will. Das in die Diskussion in den Ausschüssen mit einzubeziehen, scheint uns unbedingt notwendig.
Zum Abschluß noch eine Bitte. Es ist hier erfreulicherweise unterlassen worden, manches an Unterstellungen zu bringen, was draußen gern an Unterstellungen gebracht wird. Wir werden unserer gemeinsamen Aufgabe, die hier so oft beschworen worden ist, nicht gerecht, wenn jeder von uns, der entsprechende Überlegungen anstellt, selber - wie es eine Zeitlang leider geschah - schon als Kommunist abgestempelt wird oder wenn einer, der gar mal eine Reise in die DDR unternimmt, als ein Mensch hingestellt wird, der auf der anderen Seite steht. Wenn wir die Gemeinsamkeit wollen - ich wäre dankbar, wenn auch die Deutschlandgespräche aufgenommen würden -, dann muß die Bereitschaft bestehen, die Diskussion sachlich zu führen und nicht Dinge zu unterstellen, die keiner von uns gewollt oder gesagt hat.
Sie gestatten eine Zwischenfrage von Herrn Kiep?
Bitte!
Herr Kollege Mischnick, Sie waren vorhin so freundlich, eine Frage zu beantworten, die an sich an Herrn Scheel gerichtet war. Wären Sie bereit, auch eine Frage von mir an Herrn Scheel zu beantworten, die ich leider nicht anbringen konnte?
Wenn ich es kann.
Sie haben im Zusammenhang mit der Frage des Alleinvertretungsanspruchs, der Hallstein-Doktrin, verschiedene Äußerungen gemacht. Ich wollte Sie fragen: Sind Sie im Rahmen der von Ihnen vorgeschlagenen Politik bereit, als Konsequenz dieser Politik die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch eine ganze Reihe von dritten Staaten anzunehmen und hinzunehmen?
Herr Kollege Kiep, wir gehen von der Überlegung aus, daß eine vertragliche Vereinbarung zwischen den beiden deutschen Teilen getroffen werden soll. Wenn ein solcher Vertrag abgeschlossen und damit die Sondersituation zwischen den beiden deutschen Staaten festgestellt ist, werden sich daraus Überlegungen entwickeln, die
Sie im einzelnen in dem Vorschlag unserer „Wahl- Plattform" nachlesen können. Wenn daraus von anderen Staaten Konsequenzen gezogen werden, haben wir nur zu prüfen: Was ist im Interesse des gesamten deutschen Volkes in dieser Situation richtig und was ist nicht richtig? Darum geht es und um nichts anderes.
Würden Sie mir zugeben, Herr Kollege Mischnick, daß genau das, was Sie soeben zum Schluß gesagt haben, Inhalt der deutschen Politik der Gegenwart ist, nämlich bei der Anerkennung der DDR durch einen dritten Staat zu überlegen, ob das der deutschen Sache nützt?
Leider sind wir dann manchmal in der Frage, was der deutschen Sache nützt, zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen, und wir sind in der Ablehnung mancher Vorschläge, gerade durch Ihre Freunde, zu dem Ergebnis gekommen, daß das der deutschen Sache geschadet hat. Ich denke z. B. an den Punkt 6 Ihrer Entschließung und daran, wie Sie erneut Hürden aufgebaut haben. Das ist eben der Unterschied in den Auffassungen.
Aber dürfen wir davon ausgehen -
Verzeihung, Herr Kollege Kiep, die Geschäftsordnung verbietet mehr als zwei Zwischenfragen zu einem Punkt. -Aber Herr Scheel wollte Ihnen jetzt eine Frage stellen. Sind Sie einverstanden, Herr Mischnick? - Bitte!
Herr Kollege Mischnick, sind Sie mit mir der Meinung, daß sich die Bundesregierung schon damals beim Atomteststoppvertrag - einem multilateralen Vertrag -, wohl wissend, daß die DDR zu den Unterzeichnern ,gehören würde, die gleiche Frage nach der Wirkung auf andere Staaten hat stellen müssen?
Ich bin nicht nur überzeugt, daß sie sie gestellt hat, sondern das wird durch die Tatsache unterstrichen, daß wir eine ganze Reihe weiterer Aktionen haben - Beschlüsse, Vertragsunterzeichnungen, Aufnahme diplomatischer Beziehungen -, wo diese Frage immer wieder gestellt worden ist. Wir sind der Auffassung, daß diese Handlungsweise - Unterzeichnung des Atomteststoppabkommens, Aufnahme diplomatischer 'Beziehungen - die deutsche Situation gestärkt hat, und wir wären froh, wenn Sie, verehrte Kollegen der CDU/CSU, auch bei anderen noch anstehenden Punkten .diesen Weg, der ja 'auch zur Zeit unserer Regierungsbeteiligung gegangen wurde, fortsetzen und immer rechtzeitig mitziehen würden. Wenn ich daran denke, daß die paritätisch besetzten Kommissionen, die heute so begrüßt worden sind, noch im August 1963, während unserer Regierungsbeteiligung, hart umstritten waren und vom Kollegen Strauß im September/Oktober 1965 noch als nicht existent bezeichnet wurden, obwohl sie die RegieMischnick
rung schon vorgeschlagen hatte, so muß ich sagen: hier zeigt sich eben, daß Ihre Freunde, Herr Kollege Kiep, aus der CDU in diesen Fragen leider meistens hinterherhinken und eben nicht rechtzeitig dort sind, wo es notwendig ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn von Wrangel? - Bitte!
Herr Kollege Mischnick, würden Sie mir zugeben, daß auch Sie und wir alle selbstverständlich in früheren Phasen eine andere Politik machen mußten und daß man seine jeweilige Politik, auch sein Vokabular, bestimmten Entwicklungen anpassen muß?
Ich stimme Ihnen zu, daß das geschehen muß. Nur ist es bedauerlich, daß während der Regierung Adenauer - Beteiligung CDU und FDP - im August 1963, als ein entsprechendes Memorandum über die paritätisch zusammengesetzten Kommissionen erstellt wurde, aus Ihren Reihen der Widerstand dagegen kam, daß .die Regierung das gemacht hatte. Noch im September und Oktober 1965 wurde das, was rechtzeitig von der Regierung erkannt worden war, durch ihre Freunde, insbesondere aus der CSU, in Frage gestellt. Es kommt eben auch darauf an, das Erkannte zum richtigen Zeitpunkt zu tun und nicht zwei Jahre später, wie das bei Ihrer Politik oft geschieht.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seien Sie bitte nicht argwöhnisch; mit dem, was ich zu sagen habe, werde ich Sie nicht lange aufhalten, ebenso wie Sie sich bei dem Teil der Debatte, den ich zu tragen hatte, nicht lange aufgehalten haben. Das gilt sowohl für die mündlichen Ausführungen als auch für den Schriftlichen Bericht, auf dem sie fußten. Aber das ist das Schicksal solcher Debatten.
Es geht um sehr harte Dinge, über die es zu sprechen lohnte. Ich habe vorsichtig gesagt: Manche davon vertragen es nicht, breit besprochen zu werden. Ich stehe für Gespräche zur Verfügung; ich würde mich aber sehr wundern, wenn von meinem Angebot Gebrauch gemacht würde. Das muß ich sagen, wenn auch nur, um etwas nicht versäumt zu haben. Wir sind noch ein ganzes Stück von dem weg, was wir tun müssen und auch dürfen, wenn wir bei solchen gelegentlichen Debatten nicht komisch erscheinen wollen. Ich trete damit niemandem zu nahe. Das Bekennen, das uns ja so sehr liegt, ist eben so eine Sache. Das kann man in feierlichster und konzentriertester Form für bestimmte Tage aufsparen. Das Suchen und notfalls Mit-den-Fingernägeln-Herauskratzen von Ansatzpunkten ist eine Sache, die allerdings weniger resolutionär wirken wird, wie eben überhaupt das Umgehen damit wenig telegen wirkt. Wir sind in dieser Debatte, deren Schiedsrichter und auch Beck-, Heckmesser ich nicht bin, streckenweise dicht an die Grenze ganz gewaltiger Wortgefechte gekommen. Wir sollten nicht annehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß sich, bloß weil wir in einem Wahljahr sind, an der deutschen Situation etwas geändert hätte. Es sollte Ehrensache sein, diese triste Lage nicht auch noch ausnützen zu wollen - wer immer meint, es nötig zu haben. Natürlich will das niemand bewußt. Aber passen Sie auf, das ist weniger lukrativ, als der eine oder andere meint.
Herr Scheel, dem ich einige Bemerkungen schuldig bin, weil er mich direkt angesprochen hat, hat in einer langen Passage über Anerkennung und Völkerrecht und was es sonst noch alles auf diesem Gebiet gibt gesprochen. Ich sage Ihnen, wer darüber so viel redet, kommt darin um, gleichgültig, welche Rolle er zeitweilig spielt. Das deutsche Problem ist weder beim Kamelhöcker „Anerkennung" noch beim Kamelhöcker „Nichtanerkennung" gut aufgehoben. Wenn es zwischen den beiden Kamelhöckern verschaukelt werden soll: viel Spaß! Dem Problem wird es nicht bekommen.
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- Ich sage es ja auch nicht strafend zu Ihnen. Das ist etwas, dessen wir uns alle immer erinnern werden. Ich weiß, wo Affinitäten sind. Ich weiß, wo noch mehrere Reserven sind, wenn es darauf ankommt. Nur kommen wir mit der Beackerung des schwierigen Bodens keinen Millimeter weiter, obwohl es gar nicht ganz unmöglich ist. Herr Kollege Scheel, Sie haben gesagt, eine „völkerrechtliche Anerkennung der DDR und sonst nichts" wäre keine Lösung. Ich greife das nur auf, um daran zu erinnern, warum ich mich jetzt noch einmal darauf berufe und mich damit befasse. Sie haben gesagt, Ihre Vorschläge wollten keinen Schlußpunkt unter die Teilung Deutschlands setzen, sondern der Anfang der Überwindung dieser Teilung sein. Das verstehe ich, und dazu will ich gar kein Wort mehr sagen. Ich möchte Ihnen, um in Ihrem Bild zu bleiben, nur zum Nachdenken mitgeben: Das Angebot eines Vertrages, Herr Kollege Scheel, halte ich dann, wenn nicht „und sonst nichts" dazu gesagt werden muß, für richtig. Sie haben ja gesagt, Sie wollten „nicht völkerrechtliche Anerkennung und sonst nichts". Ich sage Ihnen, weil Sie gerade mit diesen Worten so umgehen, aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor: Vertrag oder nicht Vertrag, das ist nicht die Streitfrage. Es ist eine Streitfrage, wann und womit und wie. Deswegen sage ich Ihnen noch: das Angebot eines Vertrages dann - als Faustregel -, wenn man nicht zu erwarten hat: „und sonst nichts dazu". Das ist das Problem.
Aber es ist auch nicht übel zu nehmen, daß manche von Ihren Sprechern daran festhalten - irgend etwas muß man ja haben -, daß ich doch für eine Abwartepolitik sei. Kommt Zeit, kommt Rat, aber nicht durch Abwarten, sondern durch Beharrlichkeit. So glaube ich auch: kommt Zeit, kommt auch Vertrag.
Etwas ist falsch verstanden worden. Das liegt sicher an meiner etwas undeutlichen Darstellung. Das möchte ich an diesem Punkt gern zugeben, weil ich mir sehr überlegt habe, wieweit man da gehen soll. Sie haben es so verstanden, daß ich eine Art Rezept „abzuwarten, bis besseres Wetter sei" empfohlen hätte, damit man auch zu partiellen Regelungen kommt. Nein, diese Bemerkung geht daran vorbei, Herr Kollege Scheel, daß ich sagen wollte - und das Protokoll wird es auch ausweisen, daß ich es gesagt habe -, es gebe ja manche partielle Regelung, im Handel und nicht nur dort. Das betraf auch gerade das, von dem ich sagte, man sollte darüber, soweit man es dort kann, im Ausschuß reden. Das ist nicht einfach nur Vertröstung.
Aber lassen Sie mich bitte noch einmal zu Berlin kommen. „Berlin, Hauptstadt der DDR" heißt es in der Verfassung, und es heißt: DDR - Glied, Bestandteil der Gemeinschaft sozialistischer Länder, wie die Kommunisten ihre Länder nennen. Sie wissen, daß es niemandem erlaubt ist, auch nur ein Glied herauszulösen oder herauszubrechen. Ich halte das alles nicht für furchtbar dramatisch, weil, wer sich damit befassen mußte, weiß, wie alt manche Bestandteile dieser Doktrin sind und daß sie auch nicht ewiger sein werden als die übrige Ewigket, mit der wir es, jeder in seinem Leben, zu tun haben werden. Nur, anzufassen sind sie nur mit politischen Mitteln. Anders sind sie nicht anzufassen.
Wenn man dann so episodische Vorgänge, die für eine gewisse Zeit eine Rolle spielen werden, wie etwa jetzt diese Budapester Erklärung, nimmt und wenn man sich dabei überlegt, wie das in die Landschaft hineinpaßt, haben wir wohl festzustellen, daß hier der ernsthafte Versuch -- ich finde auch, ein mit sehr viel anerkennenswerter Kunstfertigkeit unternommener Versuch - vorliegt für die sowjetische Politik und für diejenigen, die im Warschauer Pakt mit ihr zusammen sind, wieder anzuknüpfen an jene Beschlüsse aus dem März 1966 vom damaligen Parteikongreß. Dazu ließe sich schon manches sagen.
Sie haben recht, Herr Kollege Scheel - ich muß noch einmal darauf zurückkommen -, daß heute die konkrete zu dieser Politik gehörende Außen-und Friedenspolitik zu kurz gekommen ist. Der Herr Außenminister ist nicht mehr da; sicher hat er andere wichtige Verpflichtungen. In dem letzten Teil des schriftlichen Berichts, zu dem ich auch noch einige mündliche Bemerkungen gemacht habe, befindet sich ein Abschnitt aus jener Rede, die der Herr Außenminister am 3. in Genf gehalten hat und die ich für eine bemerkenswerte Rede halte, weil sie für eine gewisse Zeit den Rahmen dargestellt und abgesteckt hat für das, worin sich unsere Bemühungen bewegen können auf diesem an sich nicht sehr glorreichen Felde der Deutschlandpolitik, soweit es sich um innere Beziehungen handelt. Da kommt sogar immer der zu kurz, der sich damit zu befassen hat, weil, wenn es hart auf hart geht, alle über das sprechen, was Interesse findet. Das ist eben Kärrnerarbeit.
Budapest wird uns noch lange beschäftigen, und wir sollten das nicht unter der Arbeits- oder Schlagworthypothese behandeln, daß da gar nichts oder daß da sehr viel drin sei. Ich habe den Außenminister hier - ich meine, ich muß es als Kollege sagen, weil es sonst im Raume stehenbleibt - wohl nicht falsch verstanden, daß er am 19. - ich saß damals auch auf der Regierungsbank - gesagt hat, daß es sich vom Taktischen her gesehen geradezu um einen Kurswechsel handelt. Das ist selbstverständlich eine Eingrenzung, und man kann nicht so tun, als ob da jemand zuerst Halleluja gesagt hätte und dann nichts mehr. Nein, so war das nicht. Es gibt einige Bemerkungen. Nicht jeder kann jede Bemerkung jeden Tag zehn Jahre lang wiederholen, ohne zugeben zu müssen, daß hier oder da einmal etwas auf Grund der Ereignisse hart korrigiert werden müsse. Ich sehe bisher hier noch nichts. Doch das hatte heute ja schon ein Vorspiel in der Fragestunde.
Sicherheitskonferenz, Budapest, Bukarest - in Ordnung, in Ordnung. Wissen Sie, wenn man Berlin in einer sehr zentralen Rolle, als eine sehr zentral plazierte Sache im ganzen Komplex Deutschlandpolitik ansieht, dann muß man aufpassen wie ein Luchs und mit Argusaugen. In der Berliner Sache, Herr Kollege Scheel, ist es z. B. so, und da ist es auch ein Glück im Unglück: Dort sind die beiden großen Weltmächte, die westliche und die östliche - jedenfalls die eine von den großen östlichen, aber immerhin die jetzt noch unvergleichlich stärkere. Ihr Interesse ist es, nehme ich an, dort zu sein, bis es zu einer friedensvertraglichen Regelung kommt. Und unser Interesse ist das ja auch. Ich glaube nicht, daß es bei uns darüber wirkliche Unterschiede gibt, die sich beißen. Nun wird wieder einmal zeitweilig - das kommt, das geht, das kommt, das geht - von der Sicherheitskonferenz gesprochen, mit einem interessanten Konzept in diesem Fall: um wegzukommen von einer Schockwirkung, die der 21. August rundherum in der Welt ausgelöst hat, und um da wieder in Ruhe weiterhäkeln zu können, wo man mit diesem Stück im März 1966 angefangen hatte. Das kann man ja verstehen. Bloß, hier geht es wie jemandem, der eine Schülerklasse oder eine kleine Gruppe hinter sich hat: merkt er plötzlich, daß die sich da hinten zanken, dann muß er nach hinten sehen oder treten. Das passiert jetzt ja ab und zu. Denn sie sind ja in einer Aktion; sie müssen einheitlich sein. Doch spotten wir nicht darüber! Die Lage für sie ist in mancher Beziehung schwer. Aber der Westen hat es ja auch nicht mehr so einfach mit seiner Homogenität.
Wenn von europäischer Sicherheit gesprochen wird, gehört ja wohl Berlin dazu; das ist doch überhaupt kein Diskussionsgegenstand. Es ist auch in der Budapester Erklärung drin mit einem kargen Satz, nämlich mit dem Satz daß „West-Berlin nicht zu Westdeutschland" gehöre. Ich habe darauf ein wenig spöttisch gesagt, der Satz kann gern auch heißen: auch nicht, wenn man es so nennen will, zu Ostdeutschland, zur DDR. Gut. Im übrigen bleiben wir, bleiben sie und wir alle, zusammen mit den Sorgen um Berlin. Aber dann gehört auch Amerika dorthin, wo auch über Berlin gesprochen wird. Das ist doch
ein ganz klarer Fall. Da sollten wir also Ruhe, Bierruhe, möchte ich einmal sagen, haben und uns von niemandem nervös machen lassen, ob die Amerikaner oder ob sie nicht dabei sein dürften. Ich finde, eine Weltmacht, die dort Interessen hat, würde, wenn über dieses Stückchen unserer Erde gesprochen wird, auch dort sein, wo gesprochen wird. Das ist doch ganz selbstverständlich. Fangen wir nicht wieder an, zurückzufallen in Zeiten, in denen wir jeden zweiten Tag eine Erklärung haben wollten, ob sie uns noch gern hätten.
({1}) Das ist ein ganz klarer Fall.
Nun noch einmal. Bei manchen Dingen, die hier gesagt worden sind - es sind ja nicht sehr viele -, z. B. mit den Bevollmächtigten - darauf ist der Herr Bundeskanzler ja dankenswerterweise schon zu sprechen gekommen -, handelt es sich um eine Zeitfrage, nämlich, wann es helfen kann. Es gibt eine Reihe solcher Dinge. Ich habe mich mit einigen Sachen früher unbeliebt gemacht. Das ist nicht besser geworden, seitdem ich die kurze Ehre habe, in der Regierung zu sein. Da habe ich gesagt: Manche Instrumente sollte man nicht wegwerfen, bloß weil sie zeitweilig von anderen für ihre Zwecke benutzt werden. Es gibt da eine ganz neumodische Sache, daß man jetzt Teller kauft, die man nach dem Essen wegwirft. Ich bin da allerdings mehr für das Altmodische, für altes Porzellan und solche Dinge!
(
Für gutes Porzellan! - Heiterkeit und Beifall.)
- Aber sicher! Warum sollte man denn nicht sagen, wie man selber ißt? Man sollte also aufpassen, daß man nicht manche dieser an und für sich wertfrei zu betrachtenden Instrumente, die irgendwann, unter völlig anderen Verhältnissen, wieder ihren positiven Wert bekommen, während sie jetzt gar keinen haben, wegwirft. Ich will mich nicht drastischer ausdrücken - das könnte ich; ich nehme an, Sie glauben es mir sogar -, dann wäre es ganz deutlich, warum ich der Meinung bin, man sollte nicht so schnell etwas wegwerfen.
Herr Scheel, Sie haben Zweifel daran - und ich glaube, Herr Mischnick hat sie auch; warum sollte das anders sein -, ob es denn tatsächlich stimme, daß die andere Seite eigentlich gar nicht in Verhandlungen mit uns eintreten wolle, bevor nicht - - Hier könnte ich Ihnen lange etwas vorlesen, woraus das zu schließen ist, und sagen, wo das steht. Aber wir brauchen uns doch nicht gegenseitig zu ärgern. Mir ist jeder Schritt, der mit der politischen Absicht getan wird, Verhandlungen einander nicht diskriminierender Verhandlungspartner in Gang zu bringen und - das sage ich ganz bewußt - dort, wo sie geführt werden, in Gang zu halten, wichtiger als noch so lebhafte Anerkennungsdisputationen.
Das, meine ich, sollten wir auf einigen Gebieten versuchen, z. B. auf dem des Sports. Ich bin betrübt, wir haben in unserer schriftlichen Antwort nur eine kurze Bemerkung zum Sport gemacht. Das konnte nicht anders sein; denn der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat da - wie auch sonst - wenig zu sagen. Für den Sport ist der Bundesminister des Innern federführend; was der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen dazu zu sagen hat, das muß er dann Inoch mit dem Bundesminister des Auswärtigen teilen. Aber ich denke auch da: Kommt Zeit, kommt vielleicht auch Sport!
({0})
Vorschläge dazu habe ich öffentlich gemacht; ich scheue mich ja auch nicht; ich bin ganz in der Minderheit in dieser Frage und vertrete die Auffassung - das habe ich hier an dieser Stelle im Dezember 1967 gesagt -, wir müssen alles tun, was in unseren Kräften steht, um den Sport von politischen Auflagen frei zu halten und frei zu machen. Er soll sich nach den Regeln vollziehen können, die in den Sportorganisationen für Meisterschaften und auch sonst gelten!
({1})
Die Sache ist schwer genug, sehr schwer, das weiß ich. Anders geht es gar nicht.
Es gibt noch einige Dinge, bei denen wir merken werden: es ist noch nicht aller Tage Abend; wir haben noch einige Arbeitsgebiete, solange wir noch leben dürfen. Zu den Arbeitsgebieten in diesem Bereich gehört auch der Sport. Vielleicht hat es wenigstens geholfen, daß heute auch Herr Kollege Dr. Barzel gesagt hat, er nehme den Vorschlag des Kollegen Franke gern auf und werde sich eingehend mit ihm befassen. Es wird gut sein, wenn man sich ernsthaft mit diesen Dingen beschäftigt, und zwar nicht deshalb, weil man nicht auch gelegentlich mal Krach haben dürfte. Diese Dinge jedoch sollte man, soweit es um die Orientierung und ,soweit es darum geht, Tatbestände, Sachverhalte für den informatorischen Zweck darzulegen und dann die Schlußfolgerungen daraus zu ziehen, zwar nicht sehr oft behandeln; denn so viel kommt beim Reden auch nicht heraus. Beratungen darüber sollte man aber doch so anlegen, daß 'es Gespräche sind, von denen alle Seiten dieses Hauses etwas haben und woran sie alle mitwirken können. Dieses Minimum brauchen wir!
Ich bedanke mich für Ihre Geduld.
({2})
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Prochazka hat die beabsichtigten Ausführungen zu Protokoll gegeben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Neumann ({0}) .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wäre gern dem Beispiel des Herrn Kollegen Prochazka gefolgt; aber da ich kein Manuskript habe, kann ich es nicht abgeben.
({0})
Ich kann mich auch sehr kurz fassen, da Herr Minister Wehner eben das über die Budapester Erklärung zu Berlin vorgetragen hat, was ich sagen wollte.
Neumann ({1})
Ich will mich, wie es der Herr Kollege von Wrangel gesagt hat, auch nicht an Denkmodellen vom Grünen Tisch aus beteiligen. Ich möchte einiges aus der Erfahrung meiner politischen Arbeit in Berlin unmittelbar nach dem Zusammenbruch 1945/46 - mit Rücksicht auf die Zeit im Telegrammstil - sagen. Es behandelt insbesondere das, was die Bundesregierung in der Antwort zur Frage 8 gesagt hat:
Alle praktischen Überlegungen der Bundesregierung in bezug auf Berlin gehen davon aus, daß der im Rahmen der geltenden internationalen Vereinbarungen gewachsene Status Berlins nicht zum Nachteil der Stadt und ihrer Bevölkerung beeinträchtigt werden darf.
Dann heißt es an anderer Stelle:
Dabei darf nicht außer acht bleiben, daß der Viermächte-Status der Stadt für ganz Berlin gilt.
Und weiter:
Die Bundesregierung kann sich jedoch in ihrer Deutschlandpolitik über diese Rechtslage nicht hinwegsetzen. Im Gegensatz zu Ost-Berlin ist sie entschlossen, sich an den in gültigen internationalen Vereinbarungen festgelegten Status Berlins zu halten.
Ich stimme dem absolut zu und möchte nur einiges ergänzen.
Meine Damen und Herren, der Status oder, andersherum gesagt, die Aufteilung Deutschlands in drei Zonen und das besondere Gebiet von Groß-Berlin ist am 12. September 1944 in London beschlossen und am 5. Juni 1945 in Potsdam nur insoweit ergänzt worden, als die Franzosen neu zu den Verträgen hinzugezogen wurden. Hier sind die Grundlagen, auf die wir uns stützen müssen. Eine wichtige Ergänzung erscheint so interessant, daß ich sie hier geben will.
Zuvor nur im Telegrammstil: Die Allianz hat sich gefunden, um die Diktatur in Deutschland zu beseitigen. Es ist heute gerade 24 Jahre her, daß der Kampf um Berlin begann und wir versuchten, wir, die wir in Berlin waren, uns in die neue Verwaltung mit einzuschalten. Auf den Tag genau vor 24 Jahren ist in der sowjetischen Besatzungszone, in dem Gebiet, das damals schon besetzt war, die erste Bürgermeisterei in Berlin, in Hermsdorf, von den Sowjets eingesetzt worden. Es ist interessant, daß der damalige Erste Bürgermeister, der spätere stellvertretende Finanzminister der Zone, der später von seinen eigenen Freunden jahrelang ins Zuchthaus gesteckt wurde, mir, als ich mich zur Mitarbeit bereit erklärte, sagte, daß das nicht möglich sei. Ich konnte meine politischen Papiere vorzeigen, ich konnte mein Staatsexamen vorzeigen, - ich war nicht Kommunist und war infolgedessen politisch nicht zuverlässig.
Aber Sie wissen ja, wie wir Männer der ersten Stunde uns dann durchgesetzt haben, wie wir dies nicht nur in Berlin, sondern auch in der Zone getan haben und wie wir mit den Vier Mächten verhandelt haben, um eigene Rechte zu bekommen. Wir haben gesagt, wir hätten im Kampf gegen den Faschismus so viele Opfer gebracht, daß wir uns berechtigt fühlten, heute mitzubestimmen. Es hat über ein Jahr gedauert, und am 13. August wurde dann dem Oberbürgermeister in Berlin die vorläufige Verfassung überreicht, die uns in den Art. 1 bis 35 Rechte gab und dann im Art. 36 diese Rechte wieder nahm, da die berühmte Einstimmigkeit der Vier Besatzungsmächte verlangt wurde.
Meine Damen und Herren, was ich hier sagen will, ist folgendes. Der Begleitbrief zur Überreichung der vorläufigen Verfassung Berlins ist das Interessante, und nur die Zeitknappheit verbietet, daß ich alles vorlese. Es heißt darin:
BK/O ({2}) 326
- Das heißt: Berliner Kommandantur, Order ... Die Alliierten Kommandanten betrachten die Wiederherstellung einer konstitutionellen Regierung für die Stadt Berlin als ein geschichtliches Ereignis. Mit der Übermittlung der vorläufigen Verfassung an den Magistrat zusammen mit der Anordnung der Alliierten Kommandatura geben die Besatzungsmächte nochmals ihrem Bestreben Ausdruck, die politische Unabhängigkeit in Berlin
- nicht in West- oder "Ost-, sondern in Berlin herzustellen und der Bevölkerung in Angelegenheiten der Stadtverwaltung das Selbstbestimmungsrecht wiederzugeben.
Dann heißt es - ich lasse jetzt einen Absatz aus -:
Die Verfassung vom Jahre 1946 ist ein provisorisches Dokument, das die Wiederherstellung politischer Freiheit und deren Anvertrauung an die Berliner Bevölkerung bezweckt. Sie legt die Gesamtheit der Machtbefugnisse in die Hände
der vom Volke gewählten Vertreter.
Der letzte Absatz lautet - ich überspringe wieder -:
Die Alliierten Kommandanten haben beschlossen, daß diese neue Verfassung im Oktober in Kraft treten wird, zu welcher Zeit Wahlen stattfinden werden, und im Vertrauen darauf, daß die demokratische Entwicklung nie wieder aufhören wird, übertragen sie die Verantwortung für die der Alliierten Kommandatura unterstellte Regierung von Berlin auf die Bevölkerung der Stadt.
Daß Wichtige ist, daß nicht nur die Generäle Keating, Nares und Lancon - USA, Großbritannien und Frankreich -, sondern auch der sowjetrussische General Kotikow diesen Brief unterschrieben haben. Das ist das Interessante und für uns auch Wichtige: „Wiederherstellung politischer Freiheit", „deren Anvertrauung an die Berliner Bevölkerung", „politische Unabhängigkeit" und „der Bevölkerung das Selbstbestimmungsrecht wiederzugeben", „im Vertrauen darauf, daß die demokratische Entwicklung nie wieder aufhören wird". Das waren nicht nur die vier Stadtkommandanten, sondern das ist vom Alliierten Kontrollrat vorher festgelegt worden.
Meine Damen und Herren, wir hören so oft von Herrn Ulbricht - und haben heute wieder eine
Neumann ({3})
Reihe Zitate gehört, auf die ich nicht zurückkommen will -: die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges. Das, was ich zitiert habe, ist ein Ergebnis des Alliierten Kontrollrats. Wir wissen alle, daß diese Dinge heute einfach nicht mehr so praktiziert werden, wie es festgelegt worden ist, sondern daß wir hier durch Macht der einen Seite Verhältnisse bekommen haben, die wir bedauern.
Warum habe ich das gesagt, Herr gesamtdeutscher Minister? Ich bin der Auffassung, daß wir bei all den Schwierigkeiten, die wir durch die andere Seite haben, nicht beharren dürfen, sondern daß wir aktiv werden müssen, daß wir diese und ähnliche Dokumente denen, die im Inland und im Ausland gegen uns opponieren, vorhalten sollten, um zu zeigen, was am Ende des Krieges einmal festgelegt worden ist und was wir anerkennen, was die anderen aber heute nicht wahrhaben wollen. Das ist das, was ich zu diesem Problem sagen wollte.
Und nun noch etwas Persönliches: das Stimmrecht der Berliner Abgeordneten. Meine Damen und Herren, wir Berliner haben durch unseren politischen Kampf 1945 und 1946 doch manches dazu beigetragen, daß das Vertrauen zu Deutschland wieder gestärkt worden ist. In dem Schreiben der Militärgouverneure an den Präsidenten des Parlamentarischen Rates vom 22. Mai 1949 sind dann Vorbehalte hinsichtlich der Rechte der Abgeordneten aus Berlin gemacht worden. In langen und mühseligen Verhandlungen sind diese Vorbehalte bis auf den Vorbehalt bezüglich des Stimmrechts der Berliner ausgeräumt worden.
Wir sollten doch von deutscher Seite aus uns gegenseitig keine Schwierigkeiten machen. Meine Herren von der FDP, ich habe keinen von Ihnen beleidigen wollen. Aber verstehen Sie doch, wie unwürdig es ist, wenn wir Berliner SPD- und CDU-Abgeordnete -
Herr Abgeordneter, jetzt kommen Sie auf etwas zu sprechen, was ich heute habe rügen müssen, und ich bitte Sie, das nicht zu tun. Die Geschäftsordnung verbietet in § 40 ausdrücklich, daß man auf einen Ordnungsruf zu sprechen kommt, gleichviel wer.
Herr Präsident, ich will Sie ja gar nicht kritisieren. Ich will nur die Bitte aussprechen -
Nein, darum geht es nicht; es geht nicht um das Kritisieren. Gegen einen Ordnungsruf steht Ihnen ein Mittel zu: die schriftliche Beschwerde. Aber man darf auf den Ordnungsruf nicht zu sprechen kommen. Es hat einen guten Grund, daß das so in der Geschäftsordnung steht. Ich bitte Sie, sich daran zu halten.
Gut, ich darf den Satz zu Ende sprechen. Das ist der Grund, und wir sollten doch zusammenstehen, um für die Abgeordneten aus dem freien Teil Berlins nach Möglichkeit die Rechte zu schaffen, die die anderen Abgeordneten aus dem freien Teil Deutschlands haben. Ich hoffe, daß wir uns da einig sind.
Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freien Demokraten haben mehrfach in diesem Hause verlangt, daß die Berliner Abgeordneten volles Stimmrecht bekommen. Wir würden uns freuen, wenn dem alle zustimmten.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Gradl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich soeben hier heraufging, hörte ich hinter mir eine befreundete Stimme: Mach's kurz!
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Ich werde mich bemühen, dies zu tun. Aber ich will Ihnen auch ganz offen sagen: es ist nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, nicht gut, daß wir in diesem Hause Debatten über große politische Fragen auf einen solchen Tag legen. Wir haben unsere Erfahrungen, und wir sollten uns jedenfalls in Zukunft darüber verständigen, daß wir solche Themen mitten in der Woche behandeln, wo wir sicher sein können, daß auch alle Kollegen da sein können; denn nicht alle, die hier fehlen, sind weg, weil es sie nicht interessiert, sondern sie sind weg, weil sie Verpflichtungen haben, die sich in diesem Jahr ohnehin besonders häufen. Dies also als Anmerkung, Ernst Lemmer, zu deinem Zuruf: Mache es kurz!
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- Nun, er hat ja eine sehr ähnliche Stimme.
Herr Kollege Mischnick, ich will den Ton, der hier bei dieser Debatte gepflogen worden ist, beibehalten. Ich will versuchen, ganz sachlich noch etwas Kritisches zu dem, was Sie hier mit dem Generalvertragsentwurf eingeleitet haben, und zu Bemerkungen zu sagen, die Sie und Herr Scheel gemacht haben. Aus der ersten Reaktion und aus dem, was heute hier gesagt worden ist, werden Sie folgendes gesehen haben: Es ist nicht so, daß hier ein grundsätzlicher Widerspruch gegen das besteht, was Sie in Ihrem Generalvertragsentwurf dargestellt haben. Darum geht es in der Auseinandersetzung zwischen Ihnen und uns und, ich glaube, auch den Kollegen von der anderen Koalitionsfraktion nicht, ohnehin auch deshalb nicht, weil ja in den materiellen Vorschlägen, die Sie machen, fast alles wiederkehrt, was die Bundesregierung in der Vergangenheit ihrerseits vorgeschlagen hat, nur eben nicht gebündelt, sondern jeweils von Fall zu Fall.
Der Punkt, an dem wir auseinandergehen und der nicht gleichgültig ist - er ist heute hier einige
Male schlicht bezeichnet worden -, ist die Frage des Zeitpunkts. Und dann gibt es einiges, was ich die Begleitmusik Ihres Generalvertragsentwurfs nennen möchte, einiges was in der Begründung steht, und ferner einiges, was, nachdem er eingebracht war, von Ihrer Seite draußen im Lande und auch jetzt in Ihrem Wahlkonzept gesagt worden ist. Es versieht diesen Generalvertragsentwurf mit Akzenten, die nach meiner Meinung - ich glaube, auch nach der Meinung meiner Freunde - nicht glücklich und nicht sachdienlich sind. Hinsichtlich der Frage des Zeitpunkts müßte man ja genauer sagen: es ist die Frage, ob jetzt eine Situation ist, in der einem solchen Vorhaben, wie Sie es angeregt haben, eine reale Chance gegeben werden kann. Da sind wir der Meinung - und im Grunde Sie doch wohl selber auch -, daß gegenwärtig eine reale Chance für diesen Generalvertragsentwurf nicht besteht, für diesen Versuch einer normalisierenden Regelung des Verhältnisses zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Denn es ist nichts auf der Gegenseite zu erkennen, was die ernsthafte Bereitschaft zeigte, sich auf einen solchen Weg zur besseren Regelung der Beziehungen zwischen den Menschen - menschlich und sachlich - auf den beiden Seiten unseres Landes zu begeben. Nichts davon ist erkennbar. Sie haben ja selber in der Begründung auch gesagt: Zur Zeit ist offensichtlich nur ein geringes oder gar kein Interesse auf der anderen Seite vorhanden.
Nun frage ich Sie: warum haben Sie dann diesen Vorschlag jetzt gemacht? Sie selber haben durchaus ein Gefühl dafür gehabt - früher schon -, daß das Problem des Zeitpunkts, das Problem der realen Chance ein ernst zu nehmendes Problem ist. Denn Sie haben sich mit diesem Gedanken ja nicht erst seit gestern oder seit Januar beschäftigt. In einem Ihrer Berliner Blätter kann man das nachlesen. Ihre Überlegung geht mindestens ein Jahr zurück. Sie haben diese Überlegung eines Vertragsentwurfes dann unter dem Eindruck der tschechoslowakischen Vorgänge zurückgestellt. Sie haben also selber das Gefühl dafür: Man muß doch sehen, daß man die rechte Situation faßt. Wo um alles in der Welt ist die rechte Situation? Heute doch jedenfalls nicht.
Das tut mir leid, aus sachlichen Gründen tut es mir leid, weil nämlich ein Instrument, das man gebrauchen könnte, wenn die Situation danach ist, jetzt voreilig in die öffentliche Diskussion kommt. Dadurch wird es natürlich nicht gerade besser. Ich will nicht gleich sagen, daß es verwirtschaftet wird. Aber es wird vorzeitig gebraucht. Instrumente soll man gebrauchen, aber nur dann, wenn sie richtig angewandt werden können. - Bitte schön!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Mischnick? - Bitte, Herr Mischnick!
Herr Kollege Gradl, können Sie mir nicht in der Auffassung zustimmen, daß es gut gewesen wäre, durch die Wiederaufnahme der Deutschland-Gespräche uns die Möglichkeit zu
geben, das in diesen direkten Gesprächen vorzutragen?
Herr Kollege Mischnick, ich will jetzt nicht mit Ihnen darüber rechten, nicht mit Ihnen und auch nicht mit der Bundesregierung, ob es in der Vergangenheit, in der jüngsten Vergangenheit solche Gespräche hätte geben können oder nicht. Ich gehöre zu denen in diesem Hause - und ich erinnere mich, daß auch der Bundeskanzler, als er hier unten auf den Bänken saß, zu denen in diesem Hause gehörte, ich denke z. B. an das Jahr 1958, .als das alles noch gar nicht so selbstverständlich war -, die auf ein Höchstmaß von Gemeinsamkeit gerade in der Deutschlandpolitik Wert gelegt haben. Aber, Herr Kollege Mischnick, nichts hätte doch im Wege gestanden, wenn Sie dieses Vorhaben so ernst nahmen, wie Sie es offensichtlich genommen haben und wie es auch genommen werden muß, zu dem Bundeskanzler zu gehen und zu sagen: Dies ist eine Sache, die uns alle angeht, was halten Sie davon? Das hätten Sie tun können, ohne daß es institutionalisierte gesamtdeutsche Gespräche gab.
Gestatten Sie noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Mischnick?
Ist Ihnen nicht bekannt, Herr Kollege Dr. Gradl, daß unmittelbar nach der tschechoslowakischen Krise der Bundeskanzler in einem Gespräch mit allen drei Fraktionen von uns darum gebeten worden ist, es :nicht bei diesem Gespräch zu belassen, sondern es fortzusetzen, um die konkreten Antworten gemeinsam beraten zu können?
Herr Kollege Mischnick, Sie weichen aus. Ich bin nicht befugt, hier für die Bundesregierung zu sprechen. Ich habe aber gesagt, und dabei bleibe ich: wenn Sie mit dem Vorhaben zum Bundeskanzler gegangen wären, dann wäre er - das kann ich mir jedenfalls nicht anders vorstellen - selbstverständlich bereit gewesen, mit Ihnen im kleineren oder größeren Kreise darüber zu sprechen. Ich hatte erwartet, Herr Kollege Mischnick, daß Sie jetzt einen ganz anderen Einwand gemacht hätten, daß Sie vielleicht angenommen hätten, ich hätte überhört, was Sie vorhin als weitere Begründung für Ihr Vorhaben in Ihren eigenen Ausführungen von diesem Platz aus gesagt haben. Sie haben nämlich gesagt: Wenn man schon eine Initiative - Sie meinten: von der anderen Seite - erwarten muß, müßte es doch gut sein, wenn man selber darauf vorbereitet ist. Ihren Entwurf betrachten Sie also als eine Vorbereitung darauf.
Herr Kollege Mischnick, ich weiß nicht, woher Sie die Information haben, daß man mit einer Initiative der anderen Seite rechnen muß. Ich kann es mir zunächst auch nicht vorstellen. Ich lasse mich überraschen und lasse auch die Frage offen, was das denn für eine Initiative sein könnte. Aber auf jeden Fall, so meine ich, mußte man eben abwarten, wie das aussieht, was uns die andere Seite zu ,offerieren beabsichtigt. Es ist ein Unterschied, meine Herren von
der FDP und meine verehrten Kollegen, ob ich mich auf einen solchen Fall gedanklich vorbereite und vorarbeite oder ob ich das Ergebnis dieses Vorausdenkens publiziere. Dies ist ein wesentlicher Unterschied. Gegen das erste ist nichts zu sagen, natürlich nicht. Was das zweite betrifft, Herr Kollege Mischnick, so halten wir die Publizierung in dieser Situation eben für unglücklich.
Ich denke an den Ruf: „Nicht zu lang!" Deswegen verkneife ich es mir, obwohl es mir als Berliner durchaus zustünde, eingehendere Bemerkungen zu dem zu machen, was in Ihrem Entwurf in bezug auf Berlin gesagt ist, und dazu daß überhaupt etwas zu Berlin gesagt ist. Ich will Sie nur bitten, sich in Ihrer Phantasie einmal für einen Moment vorzustellen, man säße an dem Tisch. Wir kennen den ganzen Katalog, den die andere Seite in bezug auf die Minderung der Position West-Berlins vorzubringen hat. Das würde sie natürlich tun, und sie könnte es dann an einem Tisch tun, den wir ihr sozusagen selber offeriert haben.
Lassen Sie bei diesen Dingen Berlin aus dem Spiel! Es gibt nur eine wirkliche Garantie für die Sicherheit des freien Teils der Stadt, das ist das unmittelbare Engagement, auch 'dais militärische, der drei westlichen Mächte und unser eigener Beitrag als Bundesrepublik in jeder Weise zu dem gemeinsamen Bündnis. Das ist die eigentliche Basis der freiheitlichen Existenz Berlins, und daran sollte man nicht einmal dadurch rühren, daß man das Thema in solche Verhandlungen einzufügen versucht.
Herr Kollege Scheel hat - vielleicht auch aus dem Gefühl heraus, daß die Gründe, die von der Sache her für diesen Entwurf und vor allen Dingen für sein derzeitiges Einbringen angegeben worden sind, nicht ausreichen - etwas gesagt, was diesem Entwurf gewissermaßen eine zusätzliche Begründung geben soll. Er hat sehr eindringlich gesagt, man müßte doch dem Vertrag, den die andere Seite präsentiert hat, dem Stoph-Vertrag, etwas entgegenstellen. Wir stünden dann glaubwürdiger oder überzeugender da. Auch dazu ließe sich viel sagen; auch dies will ich mir versagen. Nur zwei Bemerkungen. Die eine ist die, daß dieser Vertragsentwurf, den Herr Stoph vorgelegt hat, nur verbal als Vertragsvorschlag angesehn werden kann. Man muß Brief- und Vertragsentwurf als Einheit sehen. Wenn Sie beides sorgfältig lesen, müßten Sie mir eigentlich zustimmen, wenn ich sage: dieser Vertragsentwurf und der Brief sind ein glatter Hohn und sollen auch gar nichts anderes sein! Auf einen solchen Vertragsentwurf hin brauchen wir uns nicht mit 'einem Gegenentwurf zu präsentieren. Wozu denn auch? Wer überzeugt sein will und wer draußen überhaupt überzeugungsfähig ist, muß durch all das, was wir angeregt und vorgeschlagen halben, von unserem Friedens- und Entspannungswillen überzeugt sein. Diejenigen, die nicht überzeugt sein wollen, können Sie mit einem solchen Entwurf auch nicht überzeugen.
Um das deutlich zu machen, muß ich Ihnen sagen: Nehmen Sie den Art. 6 dieses Vertragsentwurfs. Nachdem vorher im Stoph-Entwurf gesagt worden ist, was wir alles zubilligen sollen: Achtung der Souveränität, Gleichberechtigung, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, Anerkennung der bestehenden Grenzen usw. usw. - das ist die Anerkennung der territorialen Teilung Deutschlands -, kommt dann dieser Art. 6:
Die Regierungen der beiden deutschen Staaten erklären ihre Bereitschaft, nach der Normalisierung ihrer Beziehungen
- „nach der Normalisierung" : das ist das, was ich gerade vorher aus den früheren Artikeln zitiert habe unter der Voraussetzung der Überwindung des Militarismus, Neonazismus und der Macht der Monopole
- das wissen wir alles, was das heißt: nämlich unter der Voraussetzung, daß wir, in unsere Sprache übersetzt, die freiheitlichen Bedingungen, in denen wir leben, aufgeben. Und dann kommt nicht etwa, daß das und das geschieht, sondern dann heißt es Verhandlungen einzuleiten.
Herr Kollege Mischnick, der Stoph-Vertrag ist kein Argument für dieses Vorhaben, das Sie hier gestartet haben.
Ich will aber jetzt das Problem des Zeitpunkts und der realen Chance beiseite lassen. Ich will hier auch nicht den Widerspruch aufgreifen, der deutlich macht, welche Zwiespältigkeit in Wahrheit in Ihrem Denken ist - ich will es noch dezenter ausdrücken -, in Ihrem Denken zu sein scheint. Sie sagen in der Begründung, bei einem Vertragsangebot sei nur eines zu beachten und von Anfang an klarzustellen, daß die DDR für uns kein Ausland und das Ziel unserer Bemühungen die Überwindung der deutschen Spaltung sei. Nichts dagegen! Sie haben das heute wieder gesagt. Darin stimmen wir überein, und keiner unterstellt Ihnen andere Motive als diese Sorge. Aber schon im nächsten Satz steht dann, mit einem solchen generellen Vorbehalt werde die Anerkennungsfrage zu einem - so sagen Sie - Scheinproblem. Und dann fahren Sie, alles in demselben Absatz, fort, man dürfe nicht über juristische Zwirnsfäden stolpern. Da fragt man sich natürlich: was ist denn da mit „Scheinproblem" und „juristischen Zwirnsfäden" gemeint? Dann schließen Sie denselben Absatz damit ab, daß. Sie sagen, daß dann auch die Frage nebensächlich ist, welchem Rechtsgebiet ein derartiger Vertrag zuzuordnen wäre. Womit - sage ich jetzt - am Ende wieder aufgehoben scheint, was am Anfang gesagt ist.
Diese Unklarheit ist einer der Punkte, die uns gegen Ihr Vorhaben, nun, sagen wir ruhig, mißtrauisch gemacht haben; nicht der Wortlaut des Vertragsentwurfs als solcher. Ich brauche nicht zu wiederholen, daß für uns die Fragen, um die es hier geht, kein Scheinproblem sind, sondern daß es von fundamentaler Bedeutung ist, welchem Rechtsgebiet ein solcher Vertrag zuzurechnen wäre. Aber ich brauche hier nicht all das zu wiederholen, was heute zur Problematik Anerkennung und Nichtanerkennung gesagt worden ist.
Aus der Begleitmusik, die Ihr Vorhaben jedenfalls nicht schöner macht, will ich Ihnen noch etwas vorführen. Ich habe natürlich Ihr Wahlkonzept gelesen. Ich habe auch gehört, was Ihr Vorsitzender in einem Gespräch im Fernsehen mit Günter Gaus gesagt hat. Ich bin dabei reichlich erschrocken. Es hatte nur keinen Sinn, gegenüber dem Apparat tätlich zu werden.
Was alles sagen Sie im Zusammenhang mit Ihrem Vorhaben! Botschafter bei den Vereinten Nationen wünschen Sie. Sie haben vorhin eine Einschränkung gemacht: nachdem vorher klargestellt ist, daß die beiden Teile Deutschlands zueinander nicht Ausland sein sollen. Um alles in der Welt, andere haben es hier gesagt, sicherlich besser als ich, aber noch einmal: Reicht denn Ihre Phantasie nicht aus, sich vorzustellen, was es heißt, wenn in den Vereinten Nationen, der internationalen Staatengemeinschaft par excellence, zwei deutsche Botschafter, zwei deutsche Delegationen so wie alle anderen vertreten sind, und wie das draußen in der Welt verstanden wird? Da können Sie mit Engelszungen reden, um klarzumachen: „Dies ist etwas anderes mit diesen beiden .deutschen Staaten." Sie irren sich! Wenn zwei deutsche Botschafter dort erscheinen, ist damit für die ganze Welt die Vermutung begründet, daß die Deutschen zwar vielleicht verbal und aus innenpolitischer Taktik noch an der Einheit festhalten, aber real sich mit der Teilung abgefunden haben. Dasselbe gilt, wenn - meine Herren, stellen Sie es sich einmal real vor - in allen Hauptstädten auf dieser Erde zwei deutsche Botschafter nebeneinander wären. Nebenbei bemerkt: „Vereinte Nationen . . . Schaden abwenden vom deutschen Volk" - welchen Schaden haben wir in der Situation, in der unser Volk und Land ist, bisher eigentlich dadurch gehabt, daß wir nicht in den Vereinten Nationen sind? Darüber sollten Sie vielleicht auch ein bißchen nachdenken, ehe Sie das so einfach in Ihrer Wahlplattform sagen.
Noch eine letzte Bemerkung. Da muß ich mich erst einmal ein bißchen zusammennehmen; denn ich habe mich doch sehr geärgert. Herr Kollege Scheel hat hier festgestellt: Wir haben keine Politik; wir müssen sie erst schaffen. Das hat er sehr betont gesagt, und das hat mich geärgert, weil er bestimmt weiß - und auch Sie wissen das -, wie schwer deutsche Politik ist. Weil er weiß und auch Sie sicher wissen, wie leicht vor allem in der jungen Generation, die mit alledem gar nicht mehr so vertraut ist, das Gefühl hochkommt: Die in Bonn könnten doch mehr tun, aber sie tun's nicht. Sie sollten doch sehr vorsichtig sein mit Aussagen, die solchen falschen Eindruck scheinbar bestätigen könnten. Wollen Sie wirklich dabei bleiben, daß wir keine Politik haben? Muß ich Ihnen alles das aufzählen, was in der Politik dieser Bundesregierung und ihrer Vorgänger, in der Politik dieses Hauses gemacht, vertreten und verantwortet worden ist, um das einzige zu tun, was man in der heutigen Situation tun kann, nämlich den Boden international vorbereiten, damit wir dann, wenn einmal die Stunde günstig ist, wenn der Geschichte - wie der Bundeskanzler gern sagt - etwas Besseres einfällt für die Deutschen, als ihr in
den letzten Jahrzehnten eingefallen ist, die Möglichkeit haben, diese Situation für uns zu nutzen? Muß ich Ihnen sagen, daß dahin natürlich auch alle Bemühungen gehören, das Verhältnis zum anderen Teil Deutschlands zu verbessern, daß dahin alles das gehört, was man in den Beziehungen mit den osteuropäischen und südosteuropäischen Staaten versucht, und daß dahin auch der Versuch gehört, mit der Sowjetunion in ein besseres Verhältnis zu kommen, so schwer das auch sein mag? Vieles könnte man da als Beispiel sagen. Nein, Herr Kollege Mischnick oder Herr Kollege Scheel - er ist nicht da; sicher aus gutem Grunde -, wir haben schon eine Politik. Was wir nicht haben, ist ein Patentrezept. Das haben wir in der Tat nicht, und keiner von uns sollte den Eindruck erwecken, als ob es so etwas gäbe. Ich weiß, daß diese Bemerkung schon wieder eine Art Schlagwort ist. Für viele ist die Aussage, es gebe kein Patentrezept zur Lösung der deutschen Frage, eine Phrase. Denen kann ich nur sagen, sie sollten darüber nachdenken, was das heißt. Kein Patentrezept haben heißt nämlich, daß man nur mühsam deutsche Politik in eine geschichtlich ungewisse Zukunft hinein betreiben kann, daß man mühsam die Hindernisse aufspüren, die Barrieren abtragen muß, daß man mühsam die Vorbehalte abbauen und die Interessen abstimmen muß und daß zu alledem eben sehr viel Geduld gehört, eine Tugend, die die Deutschen in der Politik am wenigstens haben. Das ist die Situation. Wir sollten sie vor niemandem in unserem Volk zweifelhaft erscheinen lassen und nicht so tun, als ob dies gleichbedeutend wäre mit dem Unvermögen, deutsche Politik zu machen.
({0})
Meine Damen und Herren, das letzte Wort in der Aussprache über die beiden Vorlagen der FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des verehrten Kollegen Gradl erfordern doch eine Antwort der Fragesteller und der Antragsteller. Aber lassen Sie mich zunächst ein Wort zu dem sagen, was Herr Kollege Barzel als Mangel der Debatte beklagt hat. Er hat davon gesprochen, daß in dieser Debatte zu wenig die Rede von „ganz Deutschland" gewesen sei, und gemeint, das müsse er nun nachholen. Das war der Sinn seiner Worte. Herr Kollege Dr. Barzel, die Frage nach ganz Deutschland ist Gegenstand und Grundlage dieser Debatte.
({0})
In dem Antrag der FDP für einen solchen Vertrag wird in der Präambel gesagt - ich wiederhole es hier für das Haus und für die, die uns zuhören -, daß „... im Bewußtsein ihrer Verantwortung für den Zusammenhalt der deutschen Nation, für die europäische Sicherheit und den Frieden der Welt" und mit dem Ziel, für eine Übergangszeit die Beziehungen zu ordnen, etwas geschehen solle. Das ist das Thema, meine Damen und Herren. Dieses Thema
lautet: das deutsche Volk hier und im anderen Teil unseres Vaterlandes.
Von dieser Plattform aus wollen wir diese Diskussion führen. Niemand braucht in Sorge zu sein, daß wir uns auf Ebenen begeben, wo wir etwas verlieren könnten, wo Positionen verlorengehen könnten. Der Kollege Schmidt hat im Zusammenhang mit der Position Berlins eine solche Befürchtung geäußert, und der Kollege Gradl hat das hier in einem anderen Sinn noch einmal aufgegriffen.
Meine Damen und Herren, auch die Bestimmung des Vertragsentwurfs über Berlin muß wiederholt werden, um zu zeigen, wie ernst es uns damit ist, die Lage zu verbessern und nicht etwas Schlechtes zu zementieren. Dort heißt es nämlich:
Ausgehend von den Abmachungen der vier Mächte über Berlin - und „Berlin" kann ja wohl für jeden, der die deutsche Sprache versteht, nur heißen: das ganze Berlin stellen beide Seiten fest, daß die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie die Französische Republik in ihren Sektoren in Berlin ({1}) die oberste Gewalt innehaben.
Das ist eine Absage an den Anspruch Ostberlins, an den Anspruch der Regierung der DDR, daß West-Berlin zu ihrem Herrschaftsbereich gehöre. Meine Damen und Herren, das sollte mit dieser Formulierung dargelegt werden. Es ist auch eine Absage an einen Diskussionsvorschlag, der ebenfalls aus dem Osten gekommen ist, und zwar von der sowjetischen
Regierung. Danach wird für West-Berlin, für die drei Westsektoren eine gesonderte Viermächte-Verantwortung gefordert. Das wäre in der Tat eine Verschlechterung des Rechtsstatus.
Meine Damen und Herren, Sie können der Meinung sein, daß dieser Vertragsentwurf keine Aussicht hat, von der anderen Seite akzeptiert zu werden. Wenn das so wäre, hätte er kein anderes Schicksal als viele andere Initiativen, die in der Deutschlandpolitik in der Vergangenheit von diesem Hause - gemeinsam oder auch kontrovers - ergriffen worden sind. Es kann aber überhaupt kein Zweifel darüber bestehen, daß der Entwurf, wenn er angenommen würde, eine wesentliche Verbesserung des Status in Deutschland bringen würde. Das einzuleiten, hier zu einer Aktion zu kommen, ist das Ziel unserer Politik und ist auch Ziel dieses Antrages.
Nun ist hier die Frage gestellt worden, ob der Zeitpunkt für einen solchen Vertragsentwurf richtig sei. Solange man die Diskussion über die Fragen der Deutschlandpolitik im Deutschen Bundestag verfolgen kann, ist diese Problemstellung immer wieder aufgeworfen worden. Es ist immer wieder gesagt worden: Ist denn heute der richtige Zeitpunkt? Vielleicht morgen. Ich glaube, wird sollten keinen Tag ungenutzt lassen, ohne den Versuch etwas in Deutschland zu verändern, um die Tendenz des Auseinanderwachsens zu überwinden und in eine Tendenz umzukehren, die es uns möglich macht, die Gräben in Deutschland einzuebnen. Man kann nicht darauf warten, daß der Geschichte etwas einfällt,
sondern es ist zunächst einmal unsere Aufgabe, uns etwas einfallen zu lassen und Beiträge zu einer solchen Politik zu leisten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun noch etwas zum Verhältnis von Regierung und Opposition in der parlamentarischen Demokratie sagen. Es ist von uns wiederholt beklagt worden, daß die gemeinsamen Deutschlandgespräche nicht mehr stattfinden. Es gibt eine Reihe von Politikern der Koalition, die das wie wir bemängelt haben. Der Bundeskanzler wird seine Gründe haben, warum er zu diesen Gesprächen nicht einlädt. Ist es aber nicht so, daß es in einer parlamentarischen Demokratie auch von Nutzen für das Ganze sein kann, wenn die Opposition in einer bestimmten Situation einen Schritt tut und die Regierung, zunächst diesem Schritt nicht voll folgt, aber sagt, wenn der Schritt Erfolgsaussichten hat, sei sie bereit, ihn nachzuvollziehen. So jedenfalls habe ich eine Formulierung in der Antwort der Bundesregierung verstanden. Dort heißt es:
Die Bundesregierung schließt auch einen solchen Vertrag nicht aus.
Meine Damen und Herren, das ist fest geschrieben. Das ist über eine Initiative der Opposition hinaus auch ein Angebot der Regierung. So werte ich es. Deshalb habe ich manchen Diskussionsbeitrag heute in diesem Haus nicht verstehen können, wenn aus dem Regierungslager in Zweifel gezogen worden ist, ob dieser Schritt der Opposition überhaupt richtig sei. Dadurch wird diese verklausuliert erklärte Bereitschaft der Regierung, zu folgen, wenn hier etwas erreicht werden kann, auch in Zweifel gezogen. Ich will nicht von den unqualifizierten Äußerungen bestimmter Mitglieder dieses Hauses sprechen, die sie außerhalb dieses Hauses und Gott sei Dank nicht in der heutigen Debatte vorgebracht haben.
Meine Damen und Herren, wir werden hier nicht und wollen nicht zu jeder Frage im Gleichklang der Worte sprechen. Wichtig ist, daß wir alle dasselbe Ziel haben, nämlich die Teilung dieses Landes zu überwinden und keine Rechtsposition, vor allem nicht den Anspruch auf Freiheit für das ganze deutsche Volk, aufzugeben. Aber was uns im Unterschied zu den Verhältnissen in der DDR auszeichnet, ist, daß hier eine freie Aussprache möglich ist. Und was uns in Zukunft auszeichnen sollte, ist die gute Erfahrung, die andere Länder gemacht haben, daß es sich manchmal lohnt, auch in einem Zusammenwirken von Regierung und Opposition die Opposition einen Schritt tun lassen zu können, der erprobt wird und dem die Regierung folgt, wenn er Aussichten eröffnet ohne Egoismus, zum Wohle des Ganzen und damit jedes einzelnen.
({2})
Meine Damen und Herren, die Aussprache über ,die Große Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Deutschlandpolitik und über den Antrag zur Deutschlandpolitik ist geschlossen.
Vizepräsident Dr. Mommer
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache V/3866 dem Ausschuß fürgesamtdeutsche und Berliner Fragen als federführendem Ausschuß und dem Auswärtigen Ausschuß als mitberatendem Ausschuß zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden.
Meine Damen und Herren, noch eine Weile Geduld! Wir müssen noch ein paar kleinere Punkte abwickeln.
Ich rufe den Punkt 25 a auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache V/4085 -
Das Wort zur Begründung und Aussprache wird nicht gewünscht.
Die Vorlage soll an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform als mitberatenden Ausschuß überwiesen werden. - Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe Punkt 25 b auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen
- Drucksache V/4086 -
Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates I) geht dahin, 'den Gesetzentwurf dem Sonderausschuß
für die Strafrechtsreform zu überweisen. - Das Haus
ist damit einverstanden.
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus hat zu diesem Punkt der Tagesordnung eine Erklärung zu Protokoll gegeben *)
Ich rufe den Punkt 47 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen vom 7. März 1966 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung
- Drucksachen V/3960, zu V/3960 Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({1})
- Drucksache V/4127 - Berichterstatter: Abgeordneter Sänger
({2})
Zur Ergänzung des Schriftlichen Berichts hat .der Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Vorgang ist deshalb von besonderer Art, weil er überaus eilig zu uns kommt und auch eilig verabschiedet werden muß. Hier müssen Termine eingehalten werden. Der Bundestag hat in diesem Fall übrigens für alle, die ihn gern kritisieren, deutlich gezeigt, daß er auch in wenigen
*) Siehe Anlage 3 Stunden eine schwierige und gar nicht unwichtige Materie verabschieden kann.
Die Notwendigkeit, diese Verabschiedung heute vorzunehmen, ergibt sich daraus, daß bereits in wenigen Wochen auf Grund dieses Gesetzes die Institution gebildet werden soll, die die Rassendiskriminierung in allen Ländern, die diesen Vertrag unterschreiben, beseitigen soll. Diese Institution muß und kann möglicherweise unter Mitwirkung und Mithilfe eines deutschen Mitarbeiters und Angehörigen des zu bildenden Ausschusses errichtet werden.
In der Sache selbst gibt es zwischen dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden nationalen Recht, wie es unser Grundgesetz festgelegt hat, und dem internationalen Recht, das durch diesen Vertrag festgelegt werden soll, keinen Unterschied, eine, wie ich meine, höchst erfreuliche Feststellung, die gerade in diesem Land und in diesem Hause von dieser Stelle aus unterstrichen werden sollte und die uns veranlassen kann und muß, einen Dank denen auszusprechen, die ungeachtet der turbulenten Situation in dieser Welt, ungeachtet der fürchterlichen Dinge, die in vergangenen Jahrzehnten hinter uns liegen, dennoch die Aufgabe auf sich genommen und erfüllt haben, ein internationales Recht dafür zu schaffen, daß in der ganzen Welt - soweit die Welt diesen Vertrag unterschreibt - niemand wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft benachteiligt oder verfolgt werden kann. Ich bin sehr froh, daß ich dieses Zitat aus dem deutschen Grundgesetz entnehmen konnte und nicht nur aus dem internationalen Vertrag.
Ich glaube, daß ich diesen Vertrag und das Gesetz, das wir dazu hier heute als Ratifikationsgesetz zu beschließen haben, im Sinne des' Ausschusses für auswärtige Politik dieses Bundestages richtig und unter Zustimmung aller interpretiere, wenn ich diesem hinzufüge, daß es ein großes Glück für unser Land und für die Menschheit, glaube ich, sein könnte, wenn die Jugend, die so mobile, die so stark vorwärts drängende Jugend bei dieser Gelegenheit einmal erkennt, daß hier die Nationen in freier Vereinbarung einen Vertrag abgeschlossen haben, zu dem sie nur die Erkenntnis der Notwendigkeit des Rechtes und der Wahrung der Rechte der Menschen und der Würde des Menschen gebracht hat.
Es wäre ein großes Glück, wenn die Jugend dabei auch verstehen würde, daß dieses Recht und daß dieser Fortschritt, den es bringt, erlitten worden ist in dem unfaßbaren Leid ungezählter Menschen in vielen Völkern, erlitten worden ist durch die physische und seelische Not ihrer, dieser Jugend, Väter und Mütter, vor allem auch in diesem Lande, und erlitten worden ist und erlitten wird durch die Last einer ganzen Nation, die diese Last zu tragen hat. Wenn die Jugend dann die Folgerung ziehen würde, daß das niemals wieder so sein darf und daß niemals Haß die Welt regieren darf, so wäre das ein großer Fortschritt.
Die Jugend übernimmt mit diesem Vertrag, wenn wir ihn heute hier ratifizieren, die Pflicht, das einSänger
mal Wirklichkeit werden zu lassen, was in diesem Vertrag noch nur geschriebenes Recht sein kann, aber erst als lebendiges Recht seine Wirkung tun wird.
({0})
Wir danken dem Herrn Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht und insbesondere für die mündliche Ergänzung, die er gegeben hat. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1, - 2, - 3 - sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entwurf ist in zweiter Beratung angekommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 48 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Eingliederungsgesetzes für Soldaten auf Zeit ({0})
- Drucksache V/4113 Das Wort zur Begründung und zur Aussprache wird nicht gewünscht. Die Vorlage soll dem Verteidigungsausschuß - federführend - und dem Innenausschuß - mitberatend - überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Jetzt noch die drei Punkte der Zusatzliste! Zunächst:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({1}) über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({2})
- Drucksachen V/4001, V/4128 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Staratzke
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Der zweite Zusatzpunkt:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes
- Drucksache V/4126 Das Wort zur Begründung und zur Aussprache wird nicht gewünscht. Die Vorlage soll dem Innenausschuß überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen zum Letzten Punkt:
Erste Beratung des von den Abgeordneten van Delden, Burgemeister, Dr. Giulini, Rawe und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bilanzpublizistik
- Drucksache V/3771
Das Wort zur Begründung und zur Aussprache wird nicht gewünscht. Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß - federführend - und den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - mitberatend - zu überweisen. - Ich stelle fest, daß das Haus damit einverstanden ist.
Wir sind am Ende der Tagesordnung dieser Woche angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. Mai 1969, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.