Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Im Namen der FDP-Fraktion beantrage ich, die Drucksache V/1091 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung zu setzen, und zwar in Verbindung mit dem Tagesordnungspunkt 5.
({0})
Es handelt sich um den Gesetzentwurf der FDP-Fraktion über die Teilzeitbeschäftigung von Beamtinnen mit Familienpflichten. Er wurde, wie Sie wissen, etwa zwei Jahre früher als der entsprechende Entwurf der Koalitionsfraktionen eingebracht und entspricht ihm in Zielsetzung und Inhalt weitgehend, ist allerdings in einigen Punkten weitergehend. Trotzdem wurde den Beratungen im Innenausschuß der Entwurf der Koalitionsfraktionen zugrunde gelegt, was weniger von der Sache als von den Mehrheitsverhältnissen im Innenausschuß bestimmt war. Die gleiche Mehrheit beschloß auch, den weitergehenden FDP-Entwurf für erledigt zu erklären.
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Wir stellen nun fest, Herr Kollege Rasner, daß auf Grund dieses Ausschußbeschlusses, den FDP-Entwurf für erledigt zu erklären, dieser überhaupt nicht mehr auf der Tagesordnung erscheint. Dem müssen wir widersprechen. Es kann nicht das Recht eines parlamentarischen Ausschusses sein, einen ordnungsgemäß vorgelegten Gesetzentwurf einer Fraktion einfach verschwinden zu lassen. Darüber kann nur das ganze Haus entscheiden.
Der FDP-Entwurf enthält Bestimmungen, die mehr als die des Koalitionsentwurfes der Doppelbelastung der Beamtinnen in Beruf und Familie Rechnung tragen. So ist z. B. nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf eine Frau, deren ältestes Kind gerade 12 Jahre ist, verpflichtet, wieder den vollen Dienst aufzunehmen.
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Wir sind der Meinung, daß hierüber das ganze Haus, insbesondere die Familienpolitiker, entscheiden sollten. Der FDP-Entwurf geht hier weiter und gibt so lange frei, bis das jüngste Kind 15 Jahre alt ist.
Würde so verfahren, wie hier geschehen, meine Herren und Damen
({3})
- jetzt kommt aber Geschäftsordnung -, so könnte die Mehrheit dieses Hauses alle Initiativen der Opposition unterlaufen. Sie könnte jeden Antrag der FDP erst verschleppen und dann, wie es bereits Übung zu werden scheint, durch einen eigenen Antrag ersetzen, diesen dann beraten und allein diesen ihren Antrag auf die Tagesordnung setzen.
Meine Herren und Damen, unabhängig davon, wie zufällig die Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause sind, ein solches Verfahren widerspricht dem parlamentarischen Stil und dem demokratischen Spiel der Kräfte und darf nicht Schule machen. Darum beantragen wir, daß auch unser Antrag auf die Tagesordnung gesetzt wird.
Wir könnten darüber hinaus, meine Herren und Damen, noch einen weiteren Geschäftsordnungsantrag bringen, nämlich den auf Absetzung des Tagesordnungspunktes 5,
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denn erst heute morgen haben die Abgeordneten den Ausschußbericht, über den beraten werden soll, erhalten. Er hat also bei den gestrigen Fraktionsberatungen noch nicht vorgelegen, obwohl die Beratungen des Innenausschusses bereits in der vorigen Woche abgeschlossen waren. Wir halten ein solches Verfahren nicht für zumutbar und für den Arbeitsstil des Hauses nicht angemessen.
Wenn wir der Beratung dennoch nicht widersprechen, was wir ja könnten, so deshalb, weil wir die Beamtinnen nicht noch länger warten lassen
wollen. Es ist schon sehr viel Zeit vergangen, denn unser Antrag lag bereits vor 21/4 Jahren vor. Er wurde zunächst verschleppt, weil der Bundesinnenminister Verfassungsbedenken geltend machte, die bereits damals widerlegt waren. Der Innenausschuß verschleppte die Beratungen dann weiter, um zu warten, bis der Koalitiosantrag auf dem Tisch lag. Es soll nun nicht noch länger dauern, die Wartezeit soll nicht noch einmal verlängert werden; denn die betroffenen Beamtinnen, so meinen wir, können erwarten, daß endlich etwas geschieht.
({5})
Präsident von Hassel: Herr Frehsee hat sich noch zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, diesen Wünschen oder Anträgen der sehr verehrten Frau Kollegin Funcke zu widersprechen. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß es ständiger parlamentarischer Übung entspricht und geschäftsordnungsmäßig völlig einwandfrei ist, wenn der Ausschuß beschließt, eine bestimmte Vorlage zur Grundlage seiner Beratungen zu machen, und wenn er dem Plenum des Bundestages vorschlägt, die andere, ihm in erster Lesung überwiesene Gesetzesvorlage für erledigt zu erklären. Ich möchte also jene Berner-kung der Frau Kollegin Funcke zurückweisen, daß hier eine Minderheit entgegen allgemeiner Übung majorisiert worden wäre. Dieses Vorgehen des Ausschusses entspricht guter parlamentarischer Übung und hier ständig geübtem Brauch.
({0})
Präsident von Hassel: Bevor ich das Wort zur Geschäftsordnung weitergebe, darf ich sagen: ich glaube, es ist kein Streit darüber, daß es parlamentarischer Brauch ist, den Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, wenn die Antragsteller nicht damit einverstanden sind, daß die Sache für erledigt erklärt wird. Wir können die Geschäftsordnungsdebatte wohl dadurch verkürzen, daß dieser Punkt mit unter Punkt 5 behandelt wird.
({1})
- Nein, aus ständigem parlamentarischem Brauch.
({2})
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksachen V/3824, V/3835 Zunächst behandeln wir die Dringliche Mündliche Anfrage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen, die der Herr Abgeordnete Mertes gestellt hat:
Welche Wirkung hat das vom baden-württembergischen Innenministerium verfügte Berufsverbot für die Ärzte Dr. Hrsak, Aalen, und Dr. Bondora, Bad Waldsee, auf das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland ({3})?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, nach meinen Feststellungen hat das Innenministerium des Landes Baden-Württemberg gegen die beiden Ärzte kein Berufsverbot ausgesprochen, sondern die ihnen auf Grund des § 10 der Bundesärzteordnung erteilten Erlaubnisse zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs nicht verlängert.
Bisher ist mir nicht bekanntgeworden, daß die Verweigerung der Verlängerung einer solchen Erlaubnis nachteilige Wirkungen für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gehabt hat. Im allgemeinen ist eher die Befürchtung begründet, Herr Abgeordneter, daß die Erteilung einer solchen Erlaubnis vor allem dann, wenn im Heimatland des Betroffenen Mangel an Ärzten herrscht, zu Verstimmungen im Heimatland führt.
Sie haben sich, Herr Abgeordneter, auf die Frage nach Auswirkungen auf das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland beschränkt. Sie werden verstehen, daß ich auch nur auf diese Frage eingehe und mich im übrigen einer wertenden Äußerung zu Entscheidungen, die allein in die Zuständigkeit des Landes fallen, enthalte.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen aus dem von mir zitierten Artikel nicht bekannt, daß es sich im Falle dieser beiden Ärzte um politisch Verfolgte handelt, denen also die Ausübung ihres ärztlichen Berufs in ihren Heimatländern zur Zeit unmöglich ist, und daß es deswegen unverständlich ist, daß bei dem Ärztemangel in der Bundesrepublik qualifizierten Ärzten ihre Berufsausübung durch einen solchen Beschluß einer vom Verfassungsrecht her an sich fragwürdigen Innenministerkonferenz verweigert wird?
Ich darf wiederholen, die Bestallungsordnung sieht für besondere Fälle, wo ein öffentliches Interesse gegeben ist, eine vorübergehende Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufes vor. Sie stellen hier ab auf die besondere Situation der beiden Ärzte; sie sagen, sie seien Verfolgte. Dazu ist nach den Informationen, die ich erhalten habe, festzustellen, daß der Antrag auf Asylrecht von der zuständigen Stelle abgelehnt worden ist, und zwar für einen der beiden. Der andere hat keinen Antrag gestellt.
Präsident von Hassel: Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Staatssekretär, da ich nur zwei Zusatzfragen habe, kann ich jetzt nicht weiter in die Sache einsteigen. Aber wären Sie bereit, an die Bundesregierung die Bitte weiterzuleiten, eine gründlichere Prüfung dieses Falles vorzunehmen - wobei ich durchaus einräume, daß die Zeit diesmal relativ kurz war - und daß sich vielleicht die
zuständigen Instanzen der Bundesregierung, die sich aus meiner Fragestellung ergeben, um eine Klärung dieser Frage mit dem Innenminister von, Baden-Württemberg bemühen?
Ich bin gerne dazu bereit, gemeinsam mit den zuständigen Bundesorganen und mit dem Innenminister, mit dem ich dieserhalb bereits gesprochen habe, um mich zu informieren, noch einmal in Verbindung zu treten.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritz.
Herr Staatssekretär, darf ich nach der Auskunft, die Sie soeben gegeben haben, annehmen, daß ein Arzt, der als ausländischer Flüchtling anerkannt ist, hier dann weiter als Arzt arbeiten darf, wenn die bekannten fünf Jahre um sind?
Davon darf man ausgehen.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Die Frage 1 stellt der Herr Abgeordnete Sänger:
Welche Zeitungen oder Zeitschriften meinte der Bundeskanzler, als er am 24. Januar 1969 in Köln vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie sagte: „Wer weiß denn, daß in deutschen Landen über 100 radikale, Tag für Tag zum gewaltsamen Umsturz aufrufende Zeitungen und Zeitschriften existieren, von den merkwürdigsten Quellen finanziert!"?
Herr Abgeordneter, der Herr Bundeskanzler hatte bei seiner Äußerung jene Publikationen im Auge, die für die Aufhebung, Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung im Bund oder in einem Land oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes eintreten.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sänger.
Herr Staatssekretär, da Sie von allgemeinen Publikationen sprachen, wollten Sie sicher sagen, es handelte sich in der Aussage also nicht um Tageszeitungen, obwohl der Herr Bundeskanzler sagte, Tag für Tag erschienen solche Zeitungen, sondern um Wochen- und Monatszeitungen oder in noch weiterem Abstand erscheinende Publikationen.
Präsident von Hassel: Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, es ist zutreffend, daß es sich bei diesen Publikationen im allgemeinen um Blätter handelt, die mit sehr geringer Auflage erscheinen. Ich darf aber doch sagen, daß die Zahl, die der Herr Bundeskanzler genannt hat, eher vorsichtig geschätzt ist. Nach meiner eigenen Kenntnis, die sich auf Unterlagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz stützt, beträgt die Zahl von Publikationen täglich, wöchentlich, monatlich oder auch unregelmäßig erscheinender Schriften dieser Art etwa 145, und obwohl die Gesamtauflage klein ist und sie auch in der Aufmachung oft nicht sehr eindrucksvoll sind, ist es doch nicht erlaubt, wie ich glaube, diese Vorgänge zu bagatellisieren.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sanger.
Herr Staatssekretär, verstehen Sie, daß bei der bekanntgewordenen Formulierung in interessierten Kreisen zunächst an Tageszeitungen gedacht wurde und daß nicht nur im Inland eine gewisse Erregung darüber entstand, daß ein so hoher Prozentsatz - mehr als 10% - der Tageszeitungen gemeint gewesen sein könnte, was nunmehr ausgeräumt erscheint? Verstehen Sie, daß es sinnvoll ist, deutlich zu sagen, daß nicht Tageszeitungen gemeint waren, die nahezu täglich strafbare Handlungen begingen, sondern eben solche Art von Publikationen gemeint war?
Präsident von Hassel: Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, im Zusammenhang mit der Rede, die der Herr Bundeskanzler vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie gehalten hat, war klar, daß es sich hier innerhalb der Publizistik um jene kleine radikale Minderheit handelte, die wir auch im allgemeinen politischen Leben antreffen. Ich glaube, gerade für diejenigen, die das Pressewesen in Deutschland kennen, war ein Mißverständnis nahezu ausgeschlossen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Holzmeister.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob die Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main, deren Geschäftsführer durch die Gewerkschaft gestellt wird und die ein gewisses Monopol für linksradikale Schriften hat - z. B. veröffentlicht sie fast alle Drucke der Apo -, durch gewerkschaftliche Kreise finanziert wird?
Nein, das ist mir nicht bekannt.
Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Holzmeister.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, mündlich oder schriftlich darüber zu berichten, welche GeldFrau Holzmeister
geber antidemokratisches Schrifttum und antidemokratische Aktionen finanzieren, wie z. B. die IG Metall in Mainz Teilnehmer von Studentendemonstrationen mit 20 DM je Person bezuschußt haben soll?
Frau Abgeordnete, die Unterlagen, die mir zur Verfügung stehen, sind solche des Bundesamtes für Verfassungsschutz; ich hatte das schon erwähnt. Ich bin sicher, daß der Innenminister bereit sein würde, im Innenausschuß darüber etwas nähere Auskunft zu geben und. - soweit bekannt - auch über die Geldquellen zu berichten.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung zur Vermeidung jedes weiteren Mißverständnisses bereit, die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten, an welche Zeitungen und Zeitschriften der Bundeskanzler dachte, als er davon sprach, daß diese radikalen Zeitungen und Zeitschriften Tag für Tag zum gewaltsamen Umsturz aufrufen?
Herr Abgeordneter, es ist kein Mißverständnis möglich, und ich habe auch nicht feststellen können, daß irgend jemand, der relevante Meinungen vertritt, ein solches Mißverständnis formuliert hat.
Ich habe ziemlich klar gesagt, welches die Zielsetzungen dieser Zeitungen und Zeitschriften sind. Ich kann Ihnen, wenn Sie es wünschen, im einzelnen sagen, wie sich die 145 Publikationen aufteilen. Sicher ist es auch möglich, Ihnen eine genaue Liste zur Verfügung zu stellen; ich bedarf dazu allerdings der Zustimmung des Innenministers, weil die Unterlagen - jedenfalls zu einem Teil - geschützt sind.
Präsident von Hassel: Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Genscher.
Können Sie mir sagen, Herr Staatssekretär, wieso es sich um geschützte Unterlagen handeln kann, wenn es um öffentlich erscheinende Zeitungen und Zeitschriften geht?
Das ist nicht so verwunderlich: In der Tat handelt es sich bei einem Teil dieser Publikationen um Veröffentlichungen, die auf konspirativem Weg und mit konspirativen Techniken hergestellt werden.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß man der Aussage des Herrn Bundeskanzlers, in der von „Tag für Tag" erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften die Rede ist, nicht unbedingt - wie es der
Fragesteller getan hat - entnehmen muß, daß es sich um Tageszeitungen handelt?
Ja, diese Meinung teile ich in der Tat.
Präsident von Hassel: Ich sehe keine weiteren Zusatzfragenwünsche. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes erledigt.
Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen. Ich rufe die Fragen 2 und 3 des Herrn Abgeordneten Orgaß auf:
Weshalb werden mit einem Tagespassierschein nach Ostberlin einreisenden Bundesbürgern die von den Behörden der Sowjetzone verlangten Visagebühren nicht auch entsprechend der Regelung gegenüber Reisenden in die Zone vom Bund erstattet?
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, künftig die Besucher Ostberlins in die Erstattungsregelungen einzubeziehen?
Ist der Abgeordnete Orgaß im Hause? - Das ist der Fall. Zur Beantwortung der Herr Bundesminister Wehner.
Herr Präsident, wenn Sie erlauben, möchte ich beide Fragen zusammen beantworten.
Präsident von Hassel: Bitte sehr!
Zwischen den beteiligten Ressorts der Bundesregierung und dem Berliner Senat ist die Frage eingehend geprüft worden, ob auch die Gebühren für Tagesaufenthaltsgenehmigungen beim Besuch Ostberlins erstattet werden können. Dabei hat es sich ergeben, daß es aus technischen Gründen nicht möglich ist, die von Westberlin aus mit der U- oder S-Bahn nach Ostberlin reisenden Personen zu kontrollieren und ihnen den Erstattungsvordruck der Verwaltung auszuhändigen. Dieser Vordruck ist aber die Voraussetzung für eine Erstattung der Gebühren, weil andernfalls die Gefahr eines Mißbrauchs besteht. Die Bundesregierung sieht sich zu ihrem Bedauern nicht in der Lage, auch die Gebühren für Tagesaufenthaltsgenehmigungen zu erstatten.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Orgaß.
Herr Minister, wäre es dann nicht möglich, die Gebühren in solchen Fällen zu erstatten, in denen sich zweifelsohne aus dem Zweck der Reise ergibt, daß kein Mißbrauch zu befürchten ist, beispielsweise, wenn sich die Besucher dort zu einer Familienzusammenführung treffen?
Die Bundesregierung kann keine ungleichmäßige Behandlung von Besuchern vornehmen oder ins Auge fassen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Orgaß.
Herr Bundesminister, ist aber nicht die jetzige Regelung auch eine ungleiche
Nein, denn sie trifft alle diejenigen, die vom West- in den Ostsektor reisen.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister. Damit sind die Fragen 2 und 3 erledigt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich rufe die Fragen 4 und 5 des Abgeordneten Härzschel auf:
Bis wann kann mit dem Empfang des 3. Programms in den Kreisen Lörrach und Müllheim gerechnet werden?
In welchen Bezirken dieser Kreise wird der Empfang des Telekollegs noch nicht möglich sein?
Die Fragen werden im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Staatssekretärs Dr.-Ing. Pausch vom 11. Februar 1969 lautet:
Zunächst sei festgestellt, daß zur Zeit in Baden-Württemberg noch kein regionales 3. Programm gesendet wird. Der Sendebetrieb wird erst am 1. April 1969 aufgenommen. Das bedeutet, daß bisher keine exakten Messungen über die tatsächlichen Empfangsverhältnisse durchgeführt werden konnten. Die folgenden Angaben beruhen also auf Schätzungen.
Im Landkreis Müllheim kann das 3. Fernsehprogramm bereits ab Beginn der Ausstrahlung am 1. April 1969 empfangen werden. Ich habe Ihnen eine Aufstellung beigefügt, aus der Sie die einzelnen Gemeinden ersehen können, in denen voraussichtlich das 3. Programm empfangen werden kann.
Im Landkreis Lörrach dagegen besteht, von wenigen Gemeinden abgesehen, vor Herbst 1969 keine Möglichkeit, das 3. Programm und damit auch das Telekolleg zu empfangen. Das wird erst möglich sein, wenn ab Herbst der Fernsehsender Hochrhein den Betrieb aufnimmt. Eine frühere Inbetriebnahme dieses Senders scheiterte an Lieferungsschwierigkeiten der Industrie. 1 Anlage
Im Landkreis Müllheim ist der Empfang des regionalen 3. Programms voraussichtlich ab 1. April 1969 in folgenden Gemeinden möglich ({0}) :
Badenweiler Bad Krozingen Ballrechten
Bamlath Bellingen Bremgarten Britzingen Buggingen Dettingen Dottingen
Eschbach Gallenweiler Grießheim
Grunern Heitersheim Hertingen
Hügelheim Müllheim Neuenburg Niederweiler Rheinweiler Schliengen Schweighof Seefelden Staufen Steinenstadt Tannenkirch Tunsel Vögisheim Wettelbrunn Zienken Zunsingen
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesschatzministers. Ich rufe die Frage 117 des Abgeordneten Felder auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage und bereit, einen abschließenden schriftlichen Bericht über die Verwendung des Kunstbesitzes aus dem Dritten Reich bzw. über die Verteilung von Gemälden an die Museen in der Bundesrepublik Deutschland zu geben?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Schmücker.
Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Kollege Felder, ich habe wiederholt Gelegenheit gehabt, das Hohe Haus über die Verwendung der in meiner Obhut stehenden Kunstgegenstände aus ehemaligem Reichsbesitz zu unterrichten. Nachdem die Verteilung der Kunstwerke vor dem Abschluß steht, werde ich dem Hohen Hause in Kürze einen ausführlichen Bericht vorlegen.
Ohne diesem Bericht im einzelnen vorzugreifen, möchte ich hier heute schon mitteilen, daß die deutschen Museen bisher 800 Gemälde, 100 Plastiken und 1600 Gegenstände antiker und neuzeitlicher Kleinkunst im Werte von zusammen rund 40 Millionen DM als Leihgaben erhalten haben. Etwa 80 Gemälde, eine Münzsammlung, eine Münzbibliothek und eine Sammlung bibliophiler Erstausgaben werden demnächst noch ausgeliehen werden.
Zur Ausstattung von obersten Bundesbehörden und deutschen Auslandsvertretungen sind bisher 800 Gemälde, Graphiken und Plastiken verwendet worden, die nach Auffassung der zu meiner Beratung berufenen Sachverständigen-Kommission nicht für die Ausstellung in Museen geeignet waren.
Weitere. Einzelheiten bitte ich dem angekündigten Bericht zu entnehmen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Felder.
Herr Bundesminister, werden Sie bei der Vorlage dieses Berichts auch eine Entscheidung über die Zuteilungen für die antiken Abteilungen der staatlichen Museen in Berlin und in München treffen? Da ist eine Zuteilung noch nicht erfolgt, obwohl die Vorschläge der Kommission seit über einem Jahr bei Ihrem Ministerium liegen.
Schmücker, Bundesschatzminister: Ich werde wie üblich nach den Vorschlägen der Kommission verfahren. Herr Kollege, es ist so, daß eine Vielzahl von Forderungen vorhanden ist; ich muß mich deshalb bemühen, einen Ausgleich zu erzielen. Aber Sie können sich darauf verlassen, daß fast ausschließlich im Sinne der Vorschläge der Kommission verfahren wird. Wie anders sollte es auch gehen? Ich kann ja nicht die Einzelentscheidungen an mich ziehen.
Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Felder.
Darf ich in diesem Zusammenhang, Herr Bundesminister, fragen, ob über die Vergabe der antiken, also der griechischen und römischen Kunstwerke, ohne Hinzuziehung eines sachkundigen Archäologen befunden wurde, obwohl der beratenden Kommission nach den mir bekanntgewordenen Nachrichten kein Fachvertreter angehörte.
Schmücker, Bundesschatzminister: Ich kann Ihnen im Moment darüber keine Auskunft erteilen. Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß ich Ihnen dies schriftlich mitteile. Ich möchte mich hier nicht auf einen Zuruf verlassen, sondern die Sache erst selbst prüfen. Ich darf vielleicht zur Erklärung dieser Antwort sagen, daß ich selbstverständlich die Richtlinien
Bundesminister Schmücker
mit der Kommission durchgesprochen habe. So war ich z. B. der Meinung, daß man nicht nur an zentrale Museen denken sollte, sondern auch an andere Museen. Ich werde Ihre Frage untersuchen und Ihnen Mitteilung machen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Fragen 118, 119 und 120 des Abgeordneten Jung auf:
Wieviel engere und wieviel offene Architektenwettbewerbe hat die Bundesbaudirektion für Baumaßnahmen der Bundesregierung in den vergangenen fünf Jahren ausgelobt?
Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß Architektenwettbewerbe das geeignete Mittel sind, die beste bauliche und wirtschaftliche Lösung und den besten Architekten zu finden?
Warum wurde bei Vergabe des Planungsauftrages für die neuen Bundesministerien zwischen Bonn und Bad Godesberg - für einen Auftrag von mehr als 100 Millionen DM - die Möglichkeit des Architektenwettbewerbs außer acht gelassen?
Die Fragen des Abgeordneten Jung werden vom Abgeordneten Opitz übernommen.
Bitte, Herr Bundesminister!
Schmücker, Bundesschatzminister: Die Bundesbaudirektion hat für die Baumaßnahmen der Bundesregierung in den vergangenen fünf Jahren fünf beschränkte und einen öffentlichen Architektenwettbewerb ausgelobt. Für das Jahr 1969 sind zwei weitere beschränkte Wettbewerbe vorgesehen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Opitz.
Herr Minister, warum hat die Bundesregierung zur Zeit der Vergabe der Planungs-und Bauaufträge für das neue Parlamentsviertel, dessen erster Teil in Form des Abgeordnetenhauses nun fertiggestellt wird, nicht auch einen offenen Ideenwettbewerb unter den deutschen Architekten ausgeschrieben?
Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Kollege Opitz, das hängt mit Ihrer dritten Frage zusammen, die Sie übernommen haben. Ich darf sie deshalb im Zusammenhang beantworten.
Ich habe bei Übernahme meines Amtes in Übereinstimmung mit meinen Mitarbeitern angeordnet, daß die Beteiligung der Architekten im Wettbewerb den Vorrang hat. Ich bin aber nicht der Meinung, daß dies die einzige Methode ist. Es können die Umstände so liegen, daß aus einem zahlenmäßig beschränkten Kreis die Architekten als Mitarbeiter auszusuchen sind. Hier im konkreten Fall ist es so, Herr Kollege, daß die Gesamtplanung für dieses Parlaments- und Regierungsviertel - das darf ich ergänzend sagen - noch nicht fertiggestellt ist. Wir müssen mit den kommunalen Behörden, mit den Landesbehörden verhandeln. Es steht auch noch nicht fest, ob über den akuten Bedarf hinaus heute weitere Ministerien in die Planungen aufgenommen werden sollen. Ich muß auch daran erinnern, daß dieses Hohe Haus vor einigen Jahren einen Beschluß gefaßt hat, der es uns geraten sein ließ, sehr behutsam mit derartigen Planungen umzugehen.
Ich stelle inzwischen einen Meinungswandel fest und möchte sagen, daß, sobald diese von kommunaler und Landesebene einzuholenden Erkundigungen, Mitteilungen und Vorbereitungen vorhanden sind, natürlich auch dieser Komplex in die Übertragungen einbezogen werden sollte.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, stimmen Sie demnach mit mir überein, daß die Aufgabe, für ein frei gewähltes Parlament zu bauen, für mehr als nur wenige Architekten eine interessante Aufgabe sein könnte?
Schmücker, Bundesschatzminister: Selbstverständlich. Ich bin der Meinung - ich habe das schon vorhin gesagt -, daß der freie Architektenwettbewerb den Vorrang haben soll. Aber es gibt Umstände, die es geraten sein lassen, einen engeren Kreis heranzuziehen. Aber hier liegt die Schwierigkeit im wesentlichen darin, daß die verkehrmäßigen Dinge - Sie wissen, was an infrastrukturellen Notwendigkeiten vorhanden ist -, kommunal- und landesmäßig noch nicht bereinigt sind, aber auch noch nicht die Anforderungen aller Ministerien vorliegen. Wir sollten hier zunächst einmal eine Grundsatzplanung - die übrigens unter Hinzuziehung von freien Architekten durchgeführt wird - beginnen und dann natürlich unter Einschaltung des Hohen Hauses - ganz selbstverständlich will der Abgeordnete daran beteiligt werden; er will sehen, was aus dem Parlaments- und Regierungsvietel wird -, auch die freien Architekten hinzunehmen.
Präsident von Hassel: Das war die zweite Zusatzfrage zu der Frage 118. Ich glaube, das Hohe Haus hat den Eindruck, daß durch Zusatzfragen und Antwort die Fragen 119 und 120 gleichzeitig mit beantwortet sind. - Ich kann damit die drei Fragen für beantwortet erklären.
Ich rufe die Frage 121 des Abgeordneten Schmidt ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit zu prüfen, ob durch die Gewährung von ERP-Krediten als Investitionskredite für Personenseilschwebebahnen ein gewisser Ausgleich für die durch die unterschiedlichen Steuersätze sehr zuungunsten der Personenseilschwebebahnen in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Wettbewerbsverzerrung ausgeglichen werden kann?
Bitte, Herr Bundesminister!
Schmücker, Bundesschatzminister: Grundsätzlich können unterschiedliche steuerliche Belastungen nicht durch ERP-Mittel ausgeglichen werden. Das ERP-Sondervermögen führt aber im Laufe des Jahres 1969 zwei Sonderkreditprogramme durch, mit denen u. a. auch Investitionen für Personenseilschwebebahnen gefördert werden können, sofern auch die zuständige oberste Landeswirtschaftsbehörde das Vorhaben als förderungswürdig ansieht. Voraussetzung für die Inanspruchnahme von ERP-Krediten ist, daß die Maßnahmen in Agrargebieten durchgeführt werden. Als Agrargebiete gelten das Zonenrandgebiet, die Bundesbaugebiete
Bundesminister Schmücker
und Bundesausbauorte sowie von der Natur benachteiligte Gebiete. Die letztgenannten Gebiete hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in einem Erlaß vom 6. März 1962 abgegrenzt. Das eine Sonderkreditprogramm für Infrastrukturmaßnahmen der Gemeinden wird angewandt, wenn Träger der Maßnahmen eine Gemeinde, ein Gemeindeverband oder eine andere öffentliche Körperschaft oder ein Wirtschaftsunternehmen der Gemeinden ist. Das zweite Sonderkreditprogramm gilt dann, wenn ein mittelständisches gewerbliches Unternehmen Träger der Maßnahme ist.
Präsident von Hassel: Das Wort zu einer Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte auf. Frage 6 des Abgeordneten Rollmann:
Ist es nicht an der Zeit, die Häftlinge des Kommunismus in der gleichen Weise zu entschädigen wie die Häftlinge des Nationalsozialismus?
Herr Kollege Rollmann, die Frage, ob es möglich ist, die ehemaligen politischen Häftlinge als Opfer der bolschewistischen Verfolgung den Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung gleichzustellen und ihnen grundsätzlich die Entschädigungsleistungen des Bundesentschädigungsgesetzes zu gewähren, ist immer wieder gestellt worden. So hat sich z. B. der Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen bereits anläßlich der Beratung der Zweiten Häftlingshilfe-Novelle mit diesem Problem befaßt. In dem schriftlichen Bericht vom 12. April 1960 - Drucksache III/1855 - hat der Ausschuß seine Auffassung dargelegt. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, daß einerseits das Schicksal der vom Nationalsozialismus oder vom Kommunismus Verfolgten in vielen Punkten übereinstimmt, andererseits aber wesentliche Unterschiede nicht zu übersehen sind, die für die Frage von Bedeutung sind, in welchem Umfange staatliche Leistungen zu gewähren sind.
So habe sich - so heißt es in dem Bericht - die Bundesrepublik als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches verpflichtet, für die im deutschen Namen durch nationalsozialistische Unrechtsmaßnahmen verursachten Schäden aufzukommen und die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung in einem besonderen Gesetz zu entschädigen. Dieses Gesetz sehe deshalb Leistungen vor, die über das Maß normaler Sozialhilfen hinausgehen. Der Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen war der Auffassung, daß eine solche Haftung der Bundesrepublik gegenüber den Unrechtstaten der Gewalthaber im anderen Teil Deutschlands nicht übernommen werden könne. Um der politischen Klarheit willen müßten deshalb die beiden Fragen getrennt bleiben und auch in der gesetzlichen Regelung der Entschädigung und Hilfen auseinandergehalten werden.
Die Bundesregierung teilt diesen Standpunkt.
Es ist jedoch hervorzuheben, daß jene ehemaligen politischen Häftlinge, die nur wegen ihres persönlichen Verhaltens nach dem 8. Mai 1945, also insbesondere wegen ihres politischen Widerstandes, in Haft genommen wurden, Eingliederungshilfen erhalten, die an den Entschädigungssatz für den Freiheitsentzug nach dem Bundesentschädigungsgesetz sehr nahe heranreichen. Die Eingliederungshilfe wird allerdings erst vom dritten Gewahrsamsjahr ab gewährt. Unter Berücksichtigung der zusätzlichen Eingliederungshilfe nach § 9 b des Häftlingshilfegesetzes beträgt die Eingliederungshilfe je Gewahrsamsmonat im Durchschnitt 143 DM.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Rollmann.
Muß ich Ihrer Antwort entnehmen, Herr Minister, daß die Bundesregierung eine Haftzeit unter dem Kommunismus politisch und ethisch anders bewertet als eine Haftzeit unter dem Nationalsozialismus?
Das ist sicher nicht der Fall, Herr Kollege Rollmann. Ich habe Ihnen aber dargetan, daß für die Entschädigung der Schäden durch den Nationalsozialismus andere rechtliche Grundlagen gegeben sind, insbesondere die Verpflichtungen aus dem Überleitungsvertrag.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rollmann.
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Herr Minister, wenigstens die Entschädigung für die ehemaligen politischen Häftlinge des Kommunismus zu verbessern, wenn auch nach Auffassung der Bundesregierung keine Gleichstellung mit den ehemaligen politischen Häftlingen des Nationalsozialismus erfolgen kann?
Die Bundesregierung wird den Gedanken einer Verbesserung der Leistungen für die auch durch die sowjetischen Unrechtstatbestände Verfolgten im Auge behalten. Sie wird aber Leistungen nur im Rahmen der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung einsetzen können.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Imle.
Herr Minister, würden Sie mir darin zustimmen, daß auch die in kommunistischen Ländern - Rußland, Polen, Jugoslawien usw. - zurückgehaltenen Kriegsgefangenen als politische Häftlinge zu betrachten sind, zumindest ab 1. Januar 1969, nachdem die Vereinbarung der Siegermächte von Ostern 1947 nicht eingehalten worden ist, die Kriegsgefangenen bis Ende 1948 freizulassen?
Ich habe den InBundesminister Windelen
halt Ihrer Frage nicht ganz verstanden, Herr Kollege.
Darf ich es dann noch einmal so sagen: Die Außenminister der Sowjetunion, Großbritanniens, Frankreichs und Englands haben auf der Moskauer Konferenz 1947 vereinbart, bis Ende 1948 alle Kriegsgefangenen freizulassen. Die Sowjetunion hat sich hieran nicht gehalten und hat zahlreiche Kriegsgefangene erst nach dem 1. Januar 1949 entlassen. Mit Bezug darauf frage ich, ob damit nicht auch, wie es im zuständigen Ausschuß immer erklärt worden ist, diese Kriegsgefangenenhaft in eine politische Haft umgewandelt worden ist und ob nicht insofern eine Gleichstellung mit den anderen Häftlingen erfolgen müßte.
Hier gibt es sicher Parallelen. Aber man wird auch diese Tatbestände rechtlich nicht völlig gleichsetzen können.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Imle.
Herr Minister, sind Sie im Hinblick darauf, daß das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz als erstes Gesetz und später hieraus das Häftlingshilfegesetz entwickelt worden ist, nicht mit mir der Meinung, daß man auch aus diesem Grunde beide Geschädigtengruppen gleichbehandeln sollte?
Ich glaube, daß eine absolute Gleichstellung nicht möglich sein wird, und zwar nicht nur aus rechtlichen, sondern - wegen des sehr großen Personenkreises, der damit erfaßt wird - sicher auch aus materiellen Gründen. Auch diese Fragen müssen selbstverständlich mit in die Betrachtung einbezogen werden.
Präsident von Hassel: Ich darf mir eine Bemerkung erlauben, Herr Dr. Imle, Ihre zweite Frage - auch die erste - war im Grunde am Rande dessen, wonach mit der Frage des ursprünglichen Fragestellers, Herrn Rollmann, gefragt worden ist. Ich habe sie zugelassen, obwohl sie etwas abseits von der eigentlichen Frage war.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bartsch.
Herr Minister, können Sie bestätigen, daß bei der Beratung der dritten Novelle zum Häftlingshilfegesetz im federführenden Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden ein Antrag der Kollegin Frau Korspeter und von mir bezüglich einer Gleichstellung auch nur in Fragen der Anerkennung von Gesundheitsschäden abgelehnt worden ist?
Das kann ich bestätigen. Ich kann auch hinzufügen, daß sich der
federführende Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden ebenfalls mit der hier behandelten Frage beschäftigt hat. Er sah sich dennoch zu einer Änderung der diesbezüglichen Bestimmungen nicht in der Lage.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bartsch.
Herr Minister, ist die Regierung bereit, dessenungeachtet bei einer weiteren Novellierung des Häftlingshilfegesetzes diese Gleichstellung wenigstens bezüglich der Gesundheitsschäden vorzunehmen?
Ich habe darüber schon Auskunft gegeben. Die Bundesregierung stellt entsprechende Erwägungen an. Ich wiederhole, sie wird es natürlich nur im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten bei der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung tun können.
Präsident von Hassel: Ich sehe keine weiteren Zusatzfragenwünsche. Ich danke, Herr Bundesminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf, zunächst Frage 82 des Herrn Abgeordneten Reichmann - Herr Abgeordneter Reichmann ist im Saal -:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß infolge der Stützung der flüssigen Magermilch durch die EWG die Verarbeitungskapazitäten der bestehenden Trockenmilchwerke nicht mehr ausgelastet sind?
Die Produktion von Magermilchpulver betrug im Jahre 1955 nur 28 400 t, 1960 aber bereits 77 900 und 1965 schon 202 000 t; sie stieg dann 1968 auf 400 000 t. Diese Entwicklung zeigt einen steten Anstieg der Magermilchpulverproduktion. Die vorliegenden Produktionszahlen für das letzte Quartal 1968 lassen allerdings einen leichten Rückgang gegenüber dem Vorjahr erkennen. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß die bestehenden Verarbeitungskapazitäten infolge von Stützungsmaßnahmen für flüssige Magermilch nicht mehr ausgelastet werden.
In der Bundesrepublik wird Futtermagermilch in flüssiger und in Pulverform seit August 1966 gestützt. Mit dem Inkrafttreten der gemeinsamen Milchmarktordnung wurde ab 29. Juli 1968 die Stützung der Futtermagermilch in der Gemeinschaft einheitlich geregelt. Die Stützung beträgt für flüssige Futtermagermilch 6 Pf pro Kilogramm und für Futterpulver 33 Pf pro Kilogramm. Das bedeutet 3 Pf pro Kilogramm verarbeiteter Magermilch. Der unterschiedlich hohe Stützungssatz für Futtermagermilch soll einen gewissen Anreiz für die Rücknahme von flüssiger Futtermagermilch geben. Das ist eine beabsichtigte Wirkung.
Tatsächlich ist eine verstärkte Rücknahme flüssiger Magermilch - entsprechend der Struktur der bäuerlichen Betriebe - im zweiten Halbjahr 1968 jedoch nur im norddeutschen Raum, insbesondere in Schleswig-Holstein, zu verzeichnen gewesen, während sich beispielsweise in Baden-Württemberg keine nennenswerten Veränderungen ergeben haben. Es ist also zu erwarten, daß sich hier der Trend zur Verfütterung von Magermilchpulver anstatt flüssiger Magermilch verstärken wird.
Ich würde die Beantwortung der Fragen 83 und 84 wegen des Sachzusammenhangs mit Ihrer Zustimmung gern anschließen.
Präsident von Hassel: Es bestehen keine Bedenken. Ich rufe dann die Fragen 83 und 84 des Abgeordneten Reichmann auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß trotzdem der Bau weiterer Trockenmilchwerke vorbereitet bzw. beabsichtigt ist?
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu ergreifen, um derartige Fehlinvestitionen zu verhindern?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß im Zuge der Durchführung der Maßnahmen zur Strukturverbesserung der Molkereiwirtschaft bei einzelnen Molkereien der Bau von Trocknungsanlagen beabsichtigt ist. Solche Anlagen werden aber nur dann gefördert, wenn sie sich in die Strukturpläne der Länder einfügen. Im Rahmen der Landesstrukturpläne wird den bereits bei der Beantwortung der Frage 82 erwähnten regionalen Unterschieden Rechnung getragen. Notwendigkeit und Umfang der Investitionen werden für jedes Vorhaben von den Ländern eingehend geprüft und auch wissenschaftlich untersucht.
Es kann demnach nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß jede Ausweitung von Trocknungskapazitäten als Fehlinvestitionen anzusehen wäre.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Reichmann.
Herr Minister, trifft es zu, daß bei der Entscheidung über die Neuerrichtung von Trockenwerken die Begutachtung durch das Milchwirtschaftliche Institut in Kiel entscheidend ist?
Sie ist zweifellos entscheidend.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reichmann.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, ,daß dieses Bundesinstitut zur Zeit die Errichtung von Trockenmilchwerken bei mehreren Milchwerken als richtig beurteilt und daß durch diese Zersplitterung die Gefahr einer unrationellen Struktur der Trockenmilchwerke im Bundesgebiet verursacht wird?
Ich glaube, daß diese Gefahr nicht besteht, weil - wie schon gesagt - alle diese Pläne auf Landesbasis abgestimmt sein müssen und weil sie dann bei der Subventionierung ebenfalls noch unter bundeseinheitlichen Gesichtspunkten gesehen werden. Ich sehe die Gefahr nicht so wie Sie.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reichmann.
Herr Bundesminister, darf ich Sie darauf hinweisen, daß besonders bei uns im Südwesten diese Gefahr zur Zeit sehr erheblich ist, und darf ich Sie bitten, den Sachverhalt zu überprüfen und gegebenenfalls mit Hilfe der Beihilferichtlinien eine unrationelle Struktur oder Entwicklung zu verhindern.
Herr Kollege, Sie dürfen mich selbstverständlich darauf hinweisen. Es ist so, daß gerade im Südwesten mit besonderer Sorgfalt gearbeitet wird, so .daß ich ,die Befürchtungen über die milchwirtschaftliche Entwicklung in Ihrer engeren Heimat nicht teile. Ich bin also unbesorgter als Sie.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Logemann.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß z. B. ein sehr modernes Trockenmilchwerk im Raume Bremen, das vor kurzer Zeit - vor etwa einem Jahr - in Betrieb genommen und mit Mitteln aus Brüssel gefördert wurde, jetzt schon monatelang stilliegt, weil es keine Produktionsmöglichkeiten sieht?
Ich kenne diesen Fall nicht, werde ihm aber nachgehen.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 85 des Abgeordneten Logemann auf:
Welches ist nach den einander widersprechenden Aussagen des Bundesernährungsministers im EWG-Ministerrat und des Bundesfinanzministers vor der Presse in Brüssel die verbindliche Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Memorandum der EWG-Kommission zur Reform der europäischen Landwirtschaft?
Die erste Stellungnahme zum Memorandum der Kommission wurde am 28. Januar 1969 von der deutschen Delegation abgegeben, und zwar von mir. Die Mitteilungen in der Pressekonferenz und die Aussagen im Ministerrat widersprechen sich nicht.
Wie in der für nächste Woche vorgesehenen Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP in der Bundestagsdrucksache V/3756 eingehend
erörtert werden wird, hat die deutsche Delegation gemeinsam mit den anderen Partnerstaaten nur zu einzelnen Punkten des Memorandums Stellung genommen. Sie hat dazu - wie bereits in der Aktuellen Stunde am 12. Dezember 1968, also schon sehr, sehr früh - Erklärungen abgegeben, die dem Hohen Hause bekannt sind und an denen festgehalten wird. Der deutschen Delegation kam es in erster Linie darauf an, die Vorschläge für die Preise des neuen Wirtschaftsjahres und die Maßnahmen zur Herstellung des gestörten Marktgleichgewichtes bei einigen Überschußprodukten zur Beschlußfassung zu bringen. Das ist zusammen mit anderen Partnerstaaten auch gelungen, und die nächste Veranstaltung auf diesem Gebiet wird am 17./18. Februar sein.
In zwei Diskussionen hat die deutsche Delegation ernste Bedenken zu den absolut offenen und ungeklärten finanziellen Konsequenzen der Vorschläge und Überlegungen zum Ausdruck gebracht. Der Bundesminister der Finanzen hat die gleichen Bedenken vor der Presse wiederholt. Für eine verbindliche Erklärung zu den vielen zum Teil völlig ungeklärten Einzelheiten des Memorandums ist es jetzt noch zu früh.
Ich würde jetzt gerne die Beantwortung der zweiten Frage anschließen, wenn Sie das gestatten.
Präsident von Hassel: Haben Sie Bedenken, Herr Logemann?
Ich habe gewisse Bedenken. - Herr Minister, da es sich bei meiner Frage um die Feststellung handelt, welche Aussage nun für die Bundesregierung verbindlich ist, die des Bundesfinanzministers oder die des Landwirtschaftsministers, darf ich Sie fragen: Stimmen Sie der Aussage des Bundesfinanzministers - die ja dadurch besondere Bedeutung bekommen hat, daß der Herr Bundesfinanzminister seine Erklärung schriftlich vorbereitet und verlesen hat - vor der Presse in Brüssel zu, daß er finanziell keinen Spielraum für andere Pläne als den Höcherl-Plan habe, der etwa nur die Hälfte des Mansholt-Plans koste?
Herr Kollege, zunächst stimme ich der Aussage des Bundesfinanzministers, daß der Plan, den wir vorgelegt haben, besser und überlegter sei, aus verständlichen Gründen, wie Sie mir abnehmen werden, durchaus zu. Zweitens: Was die finanziellen Konsequenzen betrifft, so sind wir alle an die mittelfristige Finanzplanung gebunden. Sie ist Ihnen bekannt, sie ist mir bekannt. Ich habe noch keine Erweiterung gesehen; ich müßte denn hoffen, daß es Ihrer Tätigkeit gelingt, die auch für mich etwas ungenügenden Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung auszuweiten. Dann würde sich Gelegenheit ergeben, auch dafür zusätzliche Leistungen zu erbringen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Logemann.
Herr Minister, damit teilt also die Bundesregierung die Auffassung des Bundesfinanzministers, der wörtlich gesagt hat, daß Bonn über das hinaus, was es jetzt in den EWG-Agrarfonds zahle, nichts zusätzlich übernehmen könne?
Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Bundesfinanzministers. Er ist ja Mitglied der Bundesregierung. Wir teilen unsere gemeinsame Armut.
({0})
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Ertl.
Herr Bundesminister, habe ich Sie richtig verstanden: Sie geben damit zu, daß das letzte Wort bezüglich Höcherl-Programm, Schiller-Programm, Mansholt-Plan auf jeden Fall beim Finanzminister liegt?
Nein, das letzte Wort liegt bei der Bundesregierung und bei dem Hohen Hause.
({0})
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ertl.
Darf ich Sie dann fragen, ob Sie die Beschlüsse des Hohen Hauses bezüglich der Preisvorschläge in Brüssel konsequent durchsetzen und den Versuch machen werden, das zu vollziehen.
({0})
Ich werde die Empfehlungen und die Beschlüsse des Hohen Hauses mit Nachdruck vertreten.
({0}) - Das kann ich nur hoffen.
({1})
Präsident von Hassel: Herr Kollege Logemann, Sie haben keine Zusatzfrage mehr. - Werden zu der Frage 85 noch Zusatzfragen gestellt? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 86 des Abgeordneten Logemann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts des von Minister Debré vorgetragenen Standpunkts die Möglichkeiten zu einer Neuregelung der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik?
Die Bundesregierung wartet zunächst die Vorschläge der Kommission ab. Sie wird ihre Auffassung an Hand dieser Vorschläge formulieren.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage wird das Wort nicht mehr gewünscht.
Ich rufe die Fragen 87, 88 und 89 des Abgeordneten Fellermaier auf:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung von einer Neuordnung des Milchmarktes, nachdem jetzt Pläne zur Schaffung eines Trinkmilchsyndikats für das gesamte Bundesgebiet bekanntgeworden sind?
Würde ein solches Trinkmilchsyndikat überhaupt den EWG-Wettbewerbsbedingungen entsprechen?
Wie beurteilt die Bundesregierung diese Pläne unter dem Gesichtspunkt eines echten Preiswettbewerbs für Trinkmilcherzeugnisse?
Die Fragen werden vorn Abgeordneten Dr. Rinderspacher übernommen. - Ich bitte, Herr Bundesminister.
Ich bitte, mir zu gestatten, die drei Fragen wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam zu beantworten.
Präsident von Hassel: Keine Bedenken.
Die Bundesregierung ist im Prinzip bemüht, eine Ordnung des Trinkmilchmarktes nach den Grundsätzen der Wettbewerbsförderung zu verfolgen.
Die Pläne über die Schaffung eines Trinkmilchsyndikats sind der Bundesregierung - wie offenbar auch Ihnen - insbesondere aus der Presse bekanntgeworden. Diese Pläne werden in den betroffenen Wirtschaftskreisen noch diskutiert und von ihnen in Verhandlungen mit dem Bundeskartellamt auf ihre Vereinbarkeit mit dem deutschen Kartellgesetz und den Kartellbestimmungen der EWG geprüft.
Die für die Gründung eines solchen Syndikats erforderliche Genehmigung kann vom Bundeskartellamt nur erteilt werden, wenn sich das Syndikat im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen hält. Die Kontrolle des Kartellamtes bietet für die Bundesregierung die Gewähr, daß sich kein rechtswidriger Zusammenschluß bilden wird.
Den gesetzmäßigen Zusammenschlüssen zur Rationalisierung der Milchwirtschaft steht die Bundesregierung aufgeschlossen gegenüber.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Rinderspacher.
Herr Minister, ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß durch eine solche monopolartige Zusammenfassung des Milchangebots, so wie ich es verstehe, die Verbraucherinteressen unter Umständen ungenügend geschützt wären?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das Filter der Kartellkontrolle ausreicht, um die Verbraucher angemessen zu schützen.
Präsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Rinderspacher.
Besteht nicht die Gefahr der Drosselung des Wettbewerbs in bezug auf die Qualitätsverbesserung der Milcherzeugnisse?
Ich glaube nicht, daß diese Gefahr besteht. Darüber hinaus würde, wenn es zu diesem Syndikat käme, eine dauernde Mißbrauchsaufsicht stattfinden, die beim Auftreten solcher Gefahren durchaus geeignete Abwehrmaßnahmen zuläßt.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Damit sind die Fragen 87, 88 und 89 erledigt.
Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft jetzt vorgelegten Bericht liber die Prüfung „der Zusatzstoffe in Tierernährung" ziehen?
Ist der Herr Abgeordnete im Saal? - Bitte, Herr Bundesminister!
Bei allen futtermittelrechtlichen Regelungen der letzten Jahre sind, unabhängig von den wirtschaftlichen Erfordernissen einer rationellen und bedarfsdeckenden tierischen Veredelungswirtschaft, grundsätzlich die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes berücksichtigt worden. Vor der Zulassung von Wirkstoffen - sogenannten Stoffen mit Sonderwirkung; hierunter fallen auch Antibiotika - für die Tierernährung werden von Fall zu Fall die wissenschaftlichen Leitlinien berücksichtigt, so z. B. ein auf Veranlassung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom Bundesgesundheitsrat unter dem 7. Juli 1961 abgegebenes Votum, ferner von der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, auf diesem Gebiet herausgegebene Empfehlungen wie insbesondere auch die Beratungsergebnisse der auf meine Initiative seit einigen Jahren sich speziell mit dem Einsatz von Wirkstoffen in Futtermitteln befassenden „Kommission zur Prüfung von Zusatzstoffen in der Tierernährung und Tierhaltung" der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die unter dem 15. August 1968 veröffentlichte Mitteilung Nr. III dieser Kommission bedarf keiner ergänzenden Berücksichtigung, da die hier mitgeteilten Grundsätze bereits seit Jahren Grundlage der entsprechenden futtermittelrechtlichen Entscheidungen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sind.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Meinecke.
Herr Bundesminister, aus der von der EWG-Kommission herausgegebenen
Richtlinie ist ersichtlich, daß der Zusatz von Penicillin in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch durchaus üblich ist, während die Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft dahin tendiert, das Penicillin grundsätzlich nicht mehr zu verwenden. Sind Sie bereit, gemäß § 8 die deutschen Bedenken den anderen Mitgliedstaaten mitzuteilen?
Ja.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 90 ist damit erledigt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf, zunächst die Frage 7 des Abgeordneten Meister:
Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuarbeiten, daß auch intellektuelle Urheber und mittelbare Täter in Untersuchungen und gegebenenfalls in Verfahren einbezogen werden?
Bitte, Herr Bundesminister!
Die Strafverfolgungsbehörden sind von Amts wegen verpflichtet, in die Ermittlung einer strafbaren Handlung alle an der Straftat beteiligten Personen einzubeziehen. Im Hintergrund bleibende Tatbeteiligte werden vielfach über die Vorschriften über Anstiftung oder versuchte Anstiftung oder Beihilfe oder auch wegen Aufforderung zum Ungehorsam oder zur Begehung strafbarer Handlungen zur Verantwortung gezogen werden können. Sofern eine strafbare Handlung in der Tätigkeit für eine verbotene Organisation oder eine kriminelle Vereinigung besteht, wird die Stellung des Täters als Rädelsführer oder Hintermann schon im Straftatbestand berücksichtigt.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Meister.
Herr Bundesminister, wieweit ist die Einschränkung oder Ausdehnung der freien Lehre an unseren Hochschulen zu sehen, um diesem Fragenkomplex in etwa gerecht zu werden?
Herr Kollege, habe ich Ihre Frage so zu verstehen, daß Sie in Äußerungen wissenschaftlicher Hochschullehrer Anstiftungen zu strafbaren Handlungen vermuten?
Ich halte dafür, hier die intellektuellen Urheber zu suchen.
Die Aufforderung zu einer strafbaren Handlung ist nur dann strafbar, wenn diese Aufforderung auf eine sehr konkrete Handlung abzielt. Allgemeine Äußerungen erfüllen einen strafbaren Tatbestand nicht.
({0})
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Meister auf:
Hält die Bundesregierung das geltende Recht für ausreichend, um revolutionäre Umtriebe wirksam und nachhaltig zu bekämpfen?
Soweit mit revolutionären Umtrieben Angriffe gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder ihre freiheitlich demokratische Ordnung gemeint sind, dienen ihrer Bekämpfung die Vorschriften über das Staatsschutzstrafrecht. Die hier in Betracht kommenden Vorschriften über Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats sowie Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit sind erst durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni vorigen Jahres neu gefaßt worden. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß das neue Recht den Sicherheitsbelangen des Staates Rechnung trägt.
Sofern auch ,die Bekämpfung von Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen oder mit Gerichtsverhandlungen gegen straffällig gewordene Demonstranten und dergleichen gemeint sein sollte, darf ich daran erinnern, daß der Sonderausschuß des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform in Übereinstimmung mit der Bundesregierung die Behandlung der einschlägigen Bestimmungen in sein Sofortprogramm aufgenommen hat. Den bevorstehenden Erörterungen möchte ich jetzt nicht vorgreifen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Meister.
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, Ausländer, die sich an derartigen Umtrieben beteiligen, auszuweisen?
Das wird nach Maßgabe des Ausländergesetzes hier und da der Fall sein.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 9 der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um das Ehegesetz aus dem Jahr 1946 aus den Fesseln des Kontrollratrechts zu lösen?
Frau Kollegin, nach Art. 1 Abs. 2 des Überleitungsvertrages kann die Bundesrepublik Deutschland das Ehegesetz aus dem Jahre 1946 nach Konsultation mit den Drei Mächten außer Wirksamkeit setzen. Sie wird die nötigen Schritte hierzu tun, wenn die Gesamtreform des Eherechts so weit fortgeschritten ist, daß ,das Ehegesetz des Kontrollrates durch ein neues deutsches Ehegesetz abgelöst werden kann.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Bundesjustizminister, bei dieser Ablösung ist wohl nicht mit Schwierigkeiten zu rechnen?
Nein. Bisher haben sich in den Fällen, in denen Änderungen auf Grund deutscher Rechtsgestaltung hier im Parlament schon vorgenommen worden sind, keine Schwierigkeiten ergeben.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Arndt ({0}) auf:
Sind die Vorarbeiten der Bundesregierung für ein einheitliches Verfahrensgesetz für alle Gerichtsbarkeiten ({1}) so weit fortgeschritten, daß dem 6. Deutschen Bundestag ein entsprechender Entwurf zur Verabschiedung vorgelegt werden kann?
Die Bundesregierung hält, wie das auch bereits früher bei Anfragen hier im Parlament zum Ausdruck gebracht worden ist, eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung des Verfahrensrechts für die verschiedenen Zweige der Gerichtsbarkeit für erstrebenswert. Zu diesem Zweck ist durch Kabinettsbeschluß vom November 1968 ein Koordinierungsausschuß eingesetzt worden, dessen Aufgabe darin besteht, zunächst Grundsätze für die künftige Vereinheitlichung der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsordnung auszuarbeiten. Der Ausschuß wird aber auch auf die Regelungen nach der Zivilprozeßordnung und nach dem Arbeitsgerichtsgesetz Rücksicht zu nehmen haben. Erst wenn die Ergebnisse dieses Ausschusses vorliegen werden, wird beurteilt werden können, ob und inwieweit eine Vereinheitlichung für alle fünf Verfahrensordnungen möglich ist. Die Bundesregierung ist bestrebt, die Arbeiten an diesem Vorhaben so zu fördern, daß die wesentlichen Ergebnisse in der nächsten Wahlperiode vorliegen. In der Zwischenzeit achten wir darauf, daß bei Novellen möglichst einheitlich verfahren wird.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, für dieses Reformwerk auch die intensiven Vorarbeiten mit zu berücksichtigen, die an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer geleistet worden sind?
Sie wird gerne darauf Bedacht nehmen, das zu berücksichtigen.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Lenz ({0}) auf:
Trifft es zu, daß die Bundsregierung zur Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Rahmen der EWG auf einen völkerrechtlichen Vertrag drängen wird?
Darf ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz zusammenfassend beantworten?
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Dann rufe ich noch die Frage 12 des Abgeordneten Dr. Lenz auf:
Warum zieht die Bundesregierung einen völkerrechtlichen Vertrag einer Verordnung oder einer Richtlinie gemäß dem EWG-Vertrag vor?
Die Bundesregierung drängt nicht auf einen völkerrechtlichen Vertrag. Diese Frage bedarf im Augenblick auch keiner Entscheidung. Es kann vielmehr zunächst abgewartet werden, welchen Weg die Regierungssachverständigen für den zweckmäßigsten halten. Das Ergebnis ihrer Erörterungen, die noch gar nicht begonnen haben, kann ich hier nicht vorwegnehmen.
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter Dr. Lenz zu einer Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es hier nur auf die Regierungssachverständigen ankommt, oder ist sie der Auffassung, daß es auch auf die Stellungnahme der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ankommt?
Alles das wird berücksichtigt werden. Aber im Augenblick haben weder die einen noch die anderen Stellung genommen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lenz.
Ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß die Verabschiedung einer Richtlinie z. B. nach dem EWG-Vertrag gewisse verfahrenstechnische Vorteile gegenüber einem völkerrechtlichen Vertrag hat, der ja bekanntlich von allen Parlamenten ratifiziert und unter Ausschluß der Kommission erarbeitet wird?
Die Probleme, ob wir nun über einen völkerrechtlichen Vertrag harmonisieren oder uns einer Richtlinie unterwerfen, sind immer dieselben.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lenz.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, daß in Kenntnis der bestehenden Unterschiede der Weg der Richtlinie und nicht der andere Weg begangen wird?
Ich wiederhole meine Aussage, daß wir zunächst einmal die Vorarbeit der enger Beteiligten einschließlich der Kommission abwarten.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 13 des Abgeordneten Bühler ist zurückgezogen. Dann rufe ich die Frage 14 des Abgeordneten Dröscher auf:
Ist die Bundesregierung, angesichts der Rentenerhöhungen der letzten Jahre und angesichts des weiteren Vermögenszuwachses der Lebensversicherungsgesellschaften, aber auch angesichts der sich ständig verringernden Zahl der Betroffenen, jetzt bereit, den ehemaligen Versicherungsnehmern, die ihre Altersversorgung nicht auf eine Pension, sondern auf eine Kapitalversicherung aufgebaut hatten und die durch die Währungsreform um ihr gesichertes Alter betrogen worden sind, dadurch zu helfen, daß durch Verhandlungen mit den Lebensversicherungsgesellschaften eine zusätzliche Leistung, notfalls auf freiwilliger Grundlage und im Interesse des Ansehens der Versicherungen, erreicht wird?
Die Frage wird mit Einverständnis des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort des Bundesministers Dr. Dr. Heinemann vom 12. Februar 1969 lautet:
Die Bundsregierung hat bereits anläßlich der früheren Anfragen die Möglichkeit von Hilfsmaßnahmen für die Altversicherten aus Kapital-Lebensversicherungen eingehend geprüft Hierbei hatte sich ergeben, daß von den Versicherungsunternehmen keine Mittel für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden können, weil die Erträgnisse des bei ihnen angesammelten Vermögens bis auf einen geringen Rest den Versicherten aus den laufenden Versicherungen zustehen und auch der Restbetrag, der ohnehin für derartige Maßnahmen nicht ausreichen würde, hierfür nicht herangezogen werden kann. Von einer erneuten Fühlungnahme mit der Versicherungswirtschaft wäre daher ein positives Ergebnis nicht zu erwarten.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Wir kommen zunächst zur Frage 15 des Abgeordneten Geldner:
Ist es zutreffend, daß die Kosten für die geplante Verlegung der amerikanischen EES-Hauptverwaltung von Nürnberg nach München in Höhe von 200 000 Dollar bis 500 000 Dollar für die erste Phase von der Bundesregierung und nicht von den US-Streitkräften getragen werden?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Leicht!
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich beantworte die Frage des Kollegen Geldner wie folgt: Ich habe Ihnen schon mit Schreiben vom 20. 1. 1969 den Stand der Angelegenheit im Hinblick auf die Verlegung der EES-Hauptverwaltung in Nürnberg mitgeteilt. Ein nochmaliger Versuch des Bundesfinanzministeriums, das amerikanische Hauptquartier zur Änderung seiner Entscheidung zugunsten des Raumes Nürnberg-Ansbach zu veranlassen, ist leider fehlgeschlagen.
Für die bauliche Herrichtung des nunmehr für die Verlegung der EES-Hauptverwaltung in Aussicht genommenen Gebäudes in München wird ein Teil der vom Bund global bereitzustellenden Mittel benötigt. Die übrigen Bundesmittel werden für bauliche Investitionen bei anderen militärischen Objekten verwendet. Die Investitionen gehen alle in das Eigentum des Bundes über. So gesehen ist es zwar richtig, daß ein Teil der Verlegungskosten vom Bund getragen wird, aber es ist dabei zu beachten, daß die amerikanischen Streitkräfte nach den geltenden Verträgen nicht verpflichtet waren, den Justizpalast in Nürnberg frei zu machen, und daß
dessen Freimachung durch ein dringendes deutsches Bedürfnis ausgelöst worden ist.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Wir gehen zu den Fragen 16 und 17 des Abgeordneten Picard über. Ist der Abgeordnete Picard im Saal? - Das ist nicht der Fall. Die Fragen 16 und 17 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Ramms auf:
Ist die Rechnung des Bundes der Steuerzahler in etwa richtig, wonach von dem erwarteten Betrag von rund 240 Millionen DM aus der Straßengüterverkehrsteuer über 15 Millionen DM an Erhebungskosten und etwa 140 Millionen DM Steuerausfall bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie bei der Gewerbesteuer abgehen werden, so daß der Fiskus die neue Steuer zu 50 Prozent bis 60 Prozent selbst zu tragen haben wird?
Herr Staatssekretär!
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Ramms, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Berechnung des Bundes der Steuerzahler ist nicht zutreffend. Nach der Schätzung meines Hauses, die sich mit der des Bundesverkehrsministeriums deckt, wird - berechnet für die ersten zwölf Monate nach voller Wirksamkeit - ein jährliches Aufkommen aus der Straßengüterverkehrsteuer von 360 Millionen DM erwartet. Davon entfallen etwa 330 Millionen DM auf das Rechnungsjahr 1969. Eine etwaige Minderung der Einnahmen aus der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer durch die Straßengüterverkehrsteuer sowie die Erhebungskosten bei der Steuerverwaltung dürften von relativ untergeordneter Bedeutung sein.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Ramms.
Dürften die Schätzungen nicht etwas hoch gegriffen sein, nachdem so viele Ausnahmen zugelassen worden sind?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Nach unserer Auffassung sind diese Schätzungen nicht zu hoch gegriffen. Sie wissen, daß wir für das Jahr 1969 nur 330 Millionen DM angesetzt haben. Das hängt aber damit zusammen, daß der Termin der 20. ist und insofern für 1969 die Einnahmen nur für einen Zeitraum von 11 Monaten anfallen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ramms.
Sind in diese Schätzungen auch die gebietlichen Ausnahmen mit einbegriffen?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Selbstverständlich mußten auch diese mit einbegriffen werden, wobei allerdings bei diesen Schätzungen sehr vorsichtig vorgegangen werden muß, weil wir ja noch nicht wissen, in welchem Umfang sich nun diese Ausnahmen auswirken werden.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Dr. Hauser auf:
Welche Gründe hat die Mehrheit der Kultusminister der Bundesländer bis heute dazu veranlaßt, bei Auslegung des Begriffes „Orchester", die bekanntlich von der Mehrwertsteuer befreit sind, nicht auch ein Trio als Orchester anzuerkennen, selbst wenn solche Trios andererseits als künstlerisch hochstehende „Kammermusik"-Vereinigung von der Vergnügungsteuer befreit sind?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Hauser, ich darf Ihre Fragen zusammen beantworten, weil sie zusammengehören und zum Verständnis wohl die zweite Frage zuerst beantwortet werden muß.
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Dann rufe ich noch die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Hauser auf:
War es nicht die Absicht des Gesetzgebers, ernsthafte kulturelle Institute und Unternehmen von der Mehrwertsteuer freizustellen?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Nach § 4 Nr. 20 des Umsatzsteuergesetzes sind die Umsätze der vom Bund, den Ländern und Gemeinden geführten Orchester von der Umsatzsteuer befreit. Die Befreiung hat ihren Grund darin, die öffentlichen Träger von Orchestern im Hinblick auf die kulturelle Bedeutung
der Orchester, insbesondere aber wegen des damit verbundenen hohen Personalkostenaufwandes umsatzsteuerlich zu entlasten.
Aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist die Befreiung auf private Orchester ausgedehnt worden, und zwar unter der Voraussetzung, daß ihnen von der zuständigen Landesbehörde bescheinigt wird, daß sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die Orchester der Gebietskörperschaften erfüllen. Es sollten also nicht alle kulturellen Unternehmen auf dem Gebiet der Musik von der Umsatzsteuer befreit werden, sondern nur Orchester, die in gleicher oder änhlicher Art wie von der öffentlichen Hand geführt werden.
Diese Voraussetzungen sind jedoch bei einem Trio nicht erfüllt. Zunächst kann ein Trio schon nach dem Sprachgebrauch, aber auch nach der Verkehrsauffassung nicht als Orchester angesehen werden. Außerdem werden von Gebietskörperschaften keine Trios oder andere kleine Kammerensembles als solche geführt. Schließlich liegt der beim Orchester in den hohen Personalaufwendungen bestehende sachliche Grund für eine Steuerbefreiung bei einem Trio nicht vor.
Im übrigen möchte ich zu der Frage bemerken, daß die nicht unter die Steuerbefreiung fallenden Konzerte dem ermäßigten Steuersatz von 5,5 % unterliegen. Nach den hier vorliegenden Bescheiden einiger Kultusminister der Länder wird aus den zu meinen bisherigen Ausführungen genannten Gründen die Anerkennung von kleinen Kammermusikensembles als Orchester abgelehnt.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie recht verstanden habe, sagen Sie, daß ein Trio nicht als Orchester angesehen wird. Darf ich Sie darauf hinweisen, daß im FremdwörterDuden als Orchester ein Ensemble von Instrumentalmusikern verschiedener Besetzung bezeichnet wird und daß man den Ländervertretern sehr wohl einmal den Hinweis auf den Fremdwörter-Duden geben kann?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, die Definition im Duden ist mir bekannt. Trotzdem bin ich der Meinung, daß nach den Feststellungen, wie wir sie treffen konnten, leider bisher nicht die Möglichkeit gegeben ist, auch ein Trio als Orchester anzusehen. Ich werde mich bemühen, mit den Ländern zu reden; vielleicht kann man dann überzeugen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, scheint es Ihnen nicht geraten, den ziselierenden Gesetzesinterpreten jenes etwas boshafte Frage- und Antwortspiel mitzuteilen, bei dem der eine fragt, warum denn die zehn Gebote jedem Menschen so eingängig seien, und der andere dann antwortet, allein deshalb, weil dabei keine Sachverständigenkommission mitgewirkt habe?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Hauser, es ist eine schwierige Frage, von zehn Geboten und Sachverständigen zu sprechen. Ich gebe Ihnen recht, daß die Sachverständigen bei uns eine große Rolle spielen und - das mag nicht immer angenehm sein - daß ihre Aussagen natürlich auch gewisse Auswirkungen haben. Aber, wie gesagt, ich werde mich bemühen, in dieser Frage noch weitere Klärungen zu versuchen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hauser.
Darf ich Sie, Herr Staatssekretär, - nun ernsthaft - darum bitten, noch einmal baldigst darauf hinzuwirken, daß diese Frage mit den Länderinterpreten erneut ernsthaft überprüft wird. Denn ich weiß, Herr Staatssekretär, daß gerade in solchen Fällen die Trios wirklich in eine wirtschaftliche Notlage geraten sind.
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich darf nochmals sagen, daß ich mich bemühen werde, dies zu versuchen. Wenn Sie einen besonderen Fall haben, Herr Kollege Hauser - Sie hatten es mir gegenüber angedeutet -, bitte ich, mir doch einmal die Unterlagen zu geben; vielleicht kann das dienlich sein.
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist beendet.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß § 4 des Landwirtschaftsgesetzes und
Maßnahmen der ' Bundesregierung gemäß Landwirtschaftsgesetz und EWG-Anpassungsgesetz
- Drucksache V/3810 Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Charakteristikum der volkswirtschaftlichen Entwicklung nach dem Kriege war die sprunghafte Steigerung der Arbeitsproduktivität. Diese Entwicklung verdanken wir im wesentlichen der zunehmenden Anwendung des technischen Fortschritts und der regen Investitionstätigkeit. Dies führte zu einer raschen Wohlstandssteigerung breiter Schichten unseres Volkes. Aber nicht alle Erwerbstätigen partizipierten in gleichem Maße an dieser Entwicklung. Weit an der Spitze liegen die Beschäftigten der sogenannten Wachstumsbranchen. Die große Masse der Berufstätigen hält sich im Mittelfeld der Einkommensentwicklung. Andere bleiben immer mehr zurück, und eine nicht geringe Zahl von Berufen mußte das Rennen aufgeben und sich nach Alternativen umsehen. Die Landwirtschaft liegt mit einer geringen Zahl von Betrieben im Mittelfeld der Einkommensskala, die Mehrzahl blieb mit zunehmendem Abstand zurück, und eine beträchtliche Anzahl von Landwirten wechselte in andere attraktivere Berufe über.
Die 14 Grünen Berichte, die wir nach der Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes bisher vorgelegt haben, machen diesen Differenzierungsprozeß deutlich. Von vielen untergeordneten Faktoren abgesehen, war im wesentlichen die mangelnde Produktionskapazität vieler Betriebe für diese Entwicklung verantwortlich. Wenn es sich hierbei auch in der Hauptsache um Betriebe mit einer ungenügenden Flächenausstattung handelt, so ziehe ich den Begriff „Produktionskapazität" vor, da es sich hier um einen besseren Maßstab zur Beurteilung der differenzierten Existenzgrundlage in der Landwirtschaft handelt.
Diese sehr vereinfachte Diagnose, die man in vielerlei Hinsicht noch verfeinern und vertiefen könnte, bedarf einer Ergänzung. Die zunehmende Einkommensdifferenzierung, die alle Wirtschaftsbereiche erfaßt und sich keineswegs auf die Landwirtschaft beschränkt, hat dank des hochentwickelten Kommunikations- und Informationswesens unserer Zeit eine einmalige Transparenz und damit Breitenwirkung sondergleichen erfahren. In früheren Wirtschaftsperioden hat es sicher auch erhebliche Differenzierungen in der Einkommensverteilung gegeben, aber in Ermangelung der täglichen Präsentation dieser
Zusammenhänge durch Funk, Film oder Fernsehen wurde dies der breiten Öffentlichkeit nicht in dem Maße bewußt, wie das heute der Fall ist. Insbesondere der jungen Generation wird das Prinzip der Einkommensmaximierung immer mehr zum Berufs-und Gedankeninhalt. Für uns kommt es nun darauf an, die daraus entstehenden geistigen Impulse in die richtige Richtung zu lenken.
Ich möchte mich mit diesem kurzen Abriß über die allgemeine geistige Situation und die Situation der Landwirtschaft zunächst begnügen, weil ich heute mit einer seit 1956 praktizierten Gewohnheit der sogenannten Einbringung des Grünen Berichts radikal brechen möchte. Ich halte es nämlich mit den Grundregeln der Arbeitsrationalisierung in diesem Hohen Hause für unvereinbar, Ihnen in epischer Breite einen Bericht über Fakten und Entwicklungen zu geben, die Ihnen gedruckt, und zwar, wie ich hoffe, in einer besseren Form als bisher bereits vorliegen.
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Ich darf verweisen auf das Agrarprogramm der Bundesregierung, den Bericht über die Auswirkungen der EWG-Marktorganisation auf dem Agrarsektor, auf den Grünen Bericht 1969 sowie auf die Ihnen noch vor der Agrardebatte zugehende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der FDP zum sogenannten Mansholt-Programm.
Der Bundestag hat mit Recht zur Rationalisierung seiner Arbeit mit der alten Praxis der Behandlung von Großen Anfragen gebrochen und deren sofortige Diskussion im Plenum möglich gemacht. Ich möchte mit dieser Einbringungsrede dem Grundgedanken dieser Reform folgen und mit dem meiner Ansicht nach gravierendsten agrarpolitischen Problem die in 14 Tagen stattfindende Agrardebatte einleiten. Vielleicht gelingt es auf diese Weise, dieser einmal jährlich stattfindenden agrarpolitischen Generalaussprache wieder das Gewicht und die Ausstrahlungskraft zu verleihen, die den agrarpolitischen Problemen heute im nationalen und im europäischen Rahmen zukommen.
Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, so müssen wir zugeben, daß den agrarpolitischen Auseinandersetzungen in diesem Hohen Hause in den letzten Jahren vielfach der politische Elan gefehlt hat.
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Wir dürfen uns unter diesen Umständen nicht darüber wundern, wenn sich die politische Diskussion mehr und mehr nach außerhalb des Parlaments verlagert, und zwar in einer Form, die unserer demokratischen Verfassung schadet.
Ohne nun eine Rangordnung aufstellen zu wollen, möchte ich in meinen Ausführungen zunächst die nach meiner Auffassung gravierendsten Probleme im Bereich der nationalen Agrarpolitik ansprechen, um mich nachher einigen nicht minder bedeutsamen Fragen der EWG-Agrarpolitik zuzuwenden.
Das abgelaufene Jahr war sowohl im nationalen als auch im supranationalen Bereich der EWG durch eine rege agrarpolitische Aktivität gekennzeichnet.
Doch nicht die Aktivität an sich ist das Bemerkenswerte, sondern die unverkennbar wachsende Bereitschaft, agrarpolitische Probleme unter Zurückstellung verständlicher Emotionen nüchterner als bisher zu diskutieren. An diesen Diskussionen hat sich in diesem Jahr zum erstenmal auch die breite Öffentlichkeit beteiligt.
Wenn Sie den Grünen Bericht 1969 studieren, wird Ihnen eine Reihe von Änderungen auffallen. So haben wir - einer Empfehlung des wissenschaftlichen Beirates zum Grünen Bericht folgend -in diesem Jahr darauf verzichtet, aus den Ergebnissen der rund 800 Testbetriebe eine Durchschnittsdisparität zwischen den landwirtschaftlichen Einkommen und dem gewerblichen Vergleichslohn zu berechnen,
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weil sich immer deutlicher zeigt, daß eine solche Globalzahl der zunehmenden Differenzierung der Einkommenssituation in der Landwirtschaft in keiner Weise gerecht wird und auch für gezielte Hilfsmaßnahmen keinerlei Anhaltspunkte liefert.
Die Paritätsberechnung ist aber keineswegs aufgegeben worden; sie wurde vielmehr von der globalen Betrachtung, die zu ständigen Fehlinterpretationen in der Öffentlichkeit führte, zu einer differenzierten Gruppenanalyse mit verbesserter Aussagekraft fortentwickelt. Die Globaldisparität, in der die Ergebnisse von Betrieben mit außerordentlich unterschiedlichen Produktionsvoraussetzungen zusammengefaßt waren, war nach meiner Auffassung nie ein ernst zu nehmender Maßstab für die sehr differenzierte Lage der Landwirtschaft. Die Landwirtschaft, die sich seit 14 Jahren der im Grünen Bericht durchgeführten ökonomischen Reihenuntersuchung wie kein anderer Wirtschaftszweig stellt, kann auf solche statistischen Gewaltakte verzichten. Sie muß im Gegenteil im hohen Maße daran interessiert sein, durch die Analyse ihrer differenzierten Situation Ansatzpunkte für wirksame agrarpolitische Hilfsmaßnahmen aufzuzeigen.
Viel aussagekräftiger sind demgegenüber die Zahlen des Grünen Berichts über die zum Teil beachtlichen Streuungen sowohl innerhalb der gleichen Betriebsgruppe als auch der beträchtlichen und im Durchschnitt der Jahre immer wiederkehrenden Einkommensunterschiede von der einen Betriebsgruppe zur anderen.
Die Einkommensstreuungen innerhalb der Betriebsgruppen, die zwischen dem Durchschnitt der besten und dem der schlechtesten Betriebe bis zu 10 000 DM je Arbeitskraft im Jahr ausmachen, darf man in den meisten Fällen den unterschiedlichen unternehmerischen Fähigkeiten der Betriebsinhaber zuschreiben. Die zum Teil sehr krassen Unterschiede von der einen Betriebsgruppe zur anderen gehen zweifellos auf strukturelle und preisbedingte Vor- und Nachteile bestimmter Betriebsgruppen und Produktionsrichtungen zurück.
Die im Grünen Bericht im Interesse der Landwirtschaft vorgenommene regionale Differenzierung der Auswertung läßt noch deutlicher als in den früheren Jahren .erkennen, daß das gravierendste
Problem der deutschen Agrarpolitik nach wie vor der erhebliche Einkommensrückstand der kleineren Bauernbetriebe in den Grünland- und Futterbaugebieten der Bundesrepublik darstellt.
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Dies gilt vor allem für .die Regionen, die neben der vielfach naturbedingten einseitigen Organisation der Betriebe darüber hinaus keine oder nur unzureichende außerlandwirtschaftliche Zuerwerbsmöglichkeiten besitzen. Die Folge ist hier ein Überbesatz von Arbeit und vielfach auch Kapital auf unzureichender Existenzgrundlage sowie eine Immobilität der Strukturen, die den dringend erforderlichen Anpassungsprozeß blockiert oder doch stark verzögert. Diese Erkenntnis darf und kann nicht ohne regionalpolitische Konsequenzen bleiben.
Es hat sich in den letzten Jahren deutlich gezeigt, daß diesem Problem mit den klassischen Mitteln der Agrarpolitik allein nicht beizukommen ist. In diesen Gebieten hilft nur eine regionale Wirtschaftspolitik, die in den ländlichen Problemgebieten in ausreichendem Umfang außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze schafft, um der zunehmenden Unterbzw. unproduktiven Beschäftigung der ländlichen Bevölkerung dieser Räume neue wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Es muß das Ziel dieser Politik sein, der ländlichen Arbeitskraft einen Vollerwerb zu gewährleisten, und zwar unabhängig davon, ob dieser Vollerwerb in einer rein landwirtschaftlichen Tätigkeit, in einer landwirtschaftlich-gewerblichen Berufskombination oder in einer gewerblichen Beschäftigung besteht.
Was auf diesem Wege in Wirklichkeit möglich ist, zeigt deutlich die Entwicklung in den wirtschaftlich gut erschlossenen Gebieten der Bundesrepublik. Hier ist in den letzten Jahren ein rasch wachsender Anteil von Landwirten der Gefahr einer unproduktiven oder Unterbeschäftigung in den durch den technischen Fortschritt zu klein gewordenen Betrieben durch die Übernahme einer außerbetrieblichen Tätigkeit entgangen. Heute sind in der Bundesrepublik zwei Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe Zu- oder Nebenerwerbsbetriebe. Mit den durch das Wirtschaftswachstum bedingten steigenden Einkommenserwartungen schreitet diese Entwicklung rasch weiter voran und dringt laufend in größere Betriebsklassen ein. Sie führt - wie der Grüne Bericht erkennen läßt - in der Regel zu einer wesentlichen Verbesserung des Gesamteinkommens und damit zu dem zentralen Ziel jeder Agrarpolitik, die soziale und wirtschaftliche Lage der betroffenen Menschen der allgemeinen Einkommensentwicklung anzupassen.
Mit der Berufskombination geht vielfach eine Extensivierung der landwirtschaftlichen Betriebsorganisation und damit eine Entlastung der Märkte einher; gleichzeitig ist damit eine Arbeitsentlastung der Familienangehörigen in den Nebenerwerbsbetrieben verbunden. Außerdem fördert die partielle Lösung der Inhaber aus ihrem Betrieb die so notwendige Bereitschaft zur überbetrieblichen Kooperation mit ihren vielseitigen, bislang in keiner Weise ausgeschöpften Möglichkeiten einer kostengünstigeren Erzeugung und rationelleren Vermarktung.
In diesem Zusammenhang bekommt die Initiative meines Kollegen Schiller zur Intensivierung und Koordinierung der regionalen Wirtschaftspolitik in den Gebieten eine besondere Bedeutung, die bislang im Schatten des Wirtschaftsaufschwunges gelegen haben.
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Wenn dieser Initiative konsequente Ausführungsmaßnahmen folgen, könnte zum erstenmal von einer vollintegrierten Wirtschafts- und Agrarpolitik gesprochen werden. Es ist politisch aber unmöglich, der Landwirtschaft dauernd zu empfehlen, sie müsse die Zahl der Arbeitskräfte weiter vermindern, solange in weiten Gebieten der Bundesrepublik keinerlei berufliche Alternativen außerhalb der Landwirtschaft bestehen.
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Dort, wo sich diese Alternativen boten, hat sich der erwünschte Prozeß freiwillig und geräuschlos und ohne besondere staatliche Anreize vollzogen.
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Wenn das Wachstum unserer Wirtschaft anhält - der Bundeswirtschaftsminister rechnet als Ergebnis seiner Initiative in den ländlichen Problemgebieten mit jährlich 20 000 neuen außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen -, dann besteht die begründete Aussicht, daß sich auch in diesen Gebieten der erwünschte Strukturwandel ohne tiefgreifende
soziale und ökonomische Spannungen vollziehen wird. Die für die Durchführung des Aktionsprogramms des Bundeswirtschaftsministers vorhandene breite finanzielle Basis aus Haushaltsmitteln, Krediten des ERP-Fonds, der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sowie neuerdings auch aus den Einnahmeüberschüssen des außenwirtschaftlichen Absicherungsgesetzes müßte schon für die nächsten Jahre greifbare Fortschritte möglich machen. Ich werde von mir aus alles Notwendige und Erforderliche unternehmen, um die regionalpolitischen Anstrengungen des Wirtschaftsministers durch flankierende Maßnahmen im Bereich der eigentlichen Agrarpolitik zu unterstützen und in ihrer Wirksamkeit zu fördern. Auch die dem Hohen Hause in Kürze zuzuleitende Novellierung der ländlichen Sozialpolitik dürfte einen entscheidenden Beitrag in dieser Richtung darstellen.
Ich möchte dieses Thema nicht verlassen, ohne den unermüdlichen Kritikern des angeblich viel zu langsamen Anpassungsprozesses der deutschen Landwirtschaft noch einmal mit Nachdruck einige Zahlen ins Gedächtnis zu rufen. Seit dem Jahre 1950 hat sich im Bundesgebiet die Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen von 3,8 Millionen Vollarbeitskräften auf 1,7 Millionen, also um weit mehr als die Hälfte, vermindert. Im gleichen Zeitraum hat die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebseinheiten um 563 000 abgenommen.
Dieser geradezu revolutionäre Anpassungsprozeß, hinter dem Hunderttausende menschlicher Schicksale stehen, hat sich bislang in einer lautlosen und disziplinierten Art vollzogen, die anstatt Kritik viel mehr unsere ungeteilte Bewunderung verdient.
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Bei der Steuerung dieses Prozesses, der keineswegs abgeschlossen ist, sind auch in der Zukunft Geduld, Behutsamkeit und Verständnis für die unvermeidlichen individuellen Härten oberstes Gebot, wenn wir eine politische Radikalisierung der Betroffenen verhindern wollen.
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Mir scheint, daß man heute in anderen Bereichen aus geringfügigerem Anlaß auf die Straße geht, um mit massivem Druck
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rigoros Gruppeninteressen durchzusetzen.
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Die Geduld dieser Menschen in der Landwirtschaft sollte nicht durch unqualifizierte Kritik provoziert und herausgefordert werden.
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Ich stelle die Frage: Wo gibt es in unserer so begehrlich gewordenen Gesellschaft mit ihrem Konsumfetischismus noch eine zahlenmäßig so starke Gruppe, die einen ähnlich schwierigen Umstellungsprozeß mit soviel positiver Haltung ertragen hat.
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Bei aller Bedeutung aber einer verstärkten regionalen Politik, von der nur langfristig eine durchgreifende Verbesserung der Einkommenssituation der auf dem Lande lebenden Menschen erwartet werden kann, nimmt die Preispolitik nach wie vor eine zentrale Stellung in der agrarpolitischen Diskussion ein. Preispolitische Maßnahmen werden im Gegensatz zu Struktur- und regionalpolitischen Initiativen sofort und unmittelbar in allen Betrieben einkommenswirksam.
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Sie sind in einer Gesellschaft unentbehrlich, in der mit sehr ungleichen Mitteln ein harter Kampf um Einkommenspositionen geführt wird.
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Wer mit guten Gründen eine Verstärkung der Strukturpolitik fordert, kann bis zum Wirksamwerden dieser Maßnahmen nicht einer preis- und sozialpolitischen Enthaltsamkeit das Wort reden.
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Wir haben im Agrarprogramm der Bundesregierung deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es auf dein Gebiet der Markt- und Preispolitik keine Patentrezepte, sondern nur differenzierte Lösungen geben kann. So ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die auf Grund der Nachfrageentwicklung vorhandenen preispolitischen Möglichkeiten in vollem Umfang ausgeschöpft werden sollen, um der Landwirtschaft - entsprechend der Entwicklung der Marktlage - aus ihren Verkaufserlösen ein mög11620
lichst hohes Einkommen zu sichern, um sie zur Selbsthilfe zu befähigen.
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Auf der anderen Seite halten wir bei den Überschußprodukten - insbesondere also bei Milch, bei Zucker und bei Weichweizen - eine Senkung der Preise nicht für vertretbar, weil sich Preissenkungen in der Bundesrepublik stärker und unmittelbarer einkommensmindernd auswirken als in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Ich komme aber auf diese Zusammenhänge noch einmal zurück.
Wir stehen jedoch nicht mit Resignation und Einfallslosigkeit den schnell steigenden Ausgaben der EWG-Agrarmarktordnung gegenüber. Hier stellt sich die Frage nach den wirksamsten Instrumenten für eine Eingrenzung der Ausgaben. Inzwischen werden die Zweifel immer lauter, ob das Instrument der Preispolitik ein ausreichendes Steuerungselement darstellt, um die dem technischen Fortschritt innewohnenden gewaltigen Kräfte zu bändigen, die zu diesen Überschüssen geführt haben und auch in der Zukunft noch geraume Zeit führen werden. Es ist unerträglich, bei diesen schwierigen Zusammenhängen immer wieder von den Kreisen auf die Steuerungsfunktion der Agrarpreise verwiesen zu werden, die selbst nicht bereit sind, die Steuerungsfunktion der Preise in ihrem Bereich anzuerkennen.
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Der von der EWG-Kommission immer wieder vorgebrachte Einwand, daß alle außerhalb des Preises liegenden Steuerungselemente die Gefahr nationaler Reservate oder die Konservierung überkommener Produktionsstrukturen heraufbeschwören, ist kein ausreichendes Argument, da es genügend andere Lösungsmöglichkeiten zur Herbeiführung eines Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage gibt.
Allen denjenigen aber, die immer wieder als Patentlösung die Herabsetzung der Richt- und Interventionspreise bei den Überschußprodukten fordern, sei gesagt, daß sie zwei wesentliche Faktoren unberücksichtigt lassen, nämlich erstens die auch in Kreisen der Agrarwissenschaft um sich greifenden Zweifel an der Behauptung, allein mit Hilfe der Preispolitik könnten im Agrarbereich Angebot und Nachfrage zum Ausgleich gebracht werden - ich darf in diesem Zusammenhang an eine interessante Studie des Ifo-Instituts über Getreidepreise und ihre inneren Strukturen erinnern -, zweitens das in den EWG-Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Gewicht der Preispolitik einerseits und der Beihilfenpolitik, vor allem der Sozialpolitik andererseits für die Einkommensbildung in der Landwirtschaft. Hierdurch wird verständlicherweise der preispolitische Spielraum in den einzelnen Mitgliedstaaten in erheblichem Maße beeinflußt.
Ich darf diese Feststellungen einmal exemplifizieren.
Im Rahmen der geltenden EWG-Marktordnungen sind die Preise zwar theoretisch geeignet, eine Steuerungsfunktion zu erfüllen und Angebot und
Nachfrage zum Ausgleich zu bringen. Bei der Konstruktion der Marktordnungen wurde jedoch völlig außer acht gelassen, daß es bei den sehr verschiedenartigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnissen in den Mitgliedstaaten auf absehbare Zeit nicht möglich sein wird, die Interventionspreise im politischen Kompromiß auf dem Niveau der Gleichgewichtspreise festzusetzen. Hier liegt der fundamentale politische Irrtum der Brüsseler Marktplaner.
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Die Begrenzung des preispolitischen Handlungsspielraumes der Bundesrepublik ergibt sich aus dem sehr unterschiedlichen Anteil der staatlichen Beihilfen, insbesondere der Sozialbeihilfen, an der landwirtschaftlichen Einkommensbildung in den Mitgliedstaaten. So macht z. B. in Frankreich 1968 der Anteil der staatlichen Zuschüsse zu den Sozialausgaben der Landwirtschaft etwa 15% des vergleichbaren Gesamteinkommens in der Landwirtschaft aus, während in der Bundesrepublik nur etwa 8 % des vergleichbaren landwirtschaftlichen Gesamteinkommens aus Sozialübertragungen kommen. Die EWG-Kommission macht heute kein Hehl mehr aus der offenbaren Tatsache, daß der Versuch, die Agrarmärkte der Gemeinschaft allein über den Preis steuern zu wollen, gescheitert ist. Die EWGKommission sieht neuerdings die Strukturpolitik als einzigen Ausweg aus der Sackgasse an, in die die bisherige gemeinsame Agrarpolitik geführt hat. In ihrem kurz vor Weihnachten veröffentlichten Memorandum zur Reform der Landwirtschaft schlägt sie einen Katalog von Maßnahmen zur Beschleunigung des Strukturwandels, d. h. zur schnellen Verminderung der Zahl der Erwerbstätigen und zur Vergrößerung der Wirtschaftseinheiten in der Landwirtschaft vor.
Die Kommission hofft offenbar - obwohl dies an keiner Stelle des Memorandums deutlich genug ausgesprochen wird -, durch eine forcierte Strukturpolitik Handlungsspielraum für drastische Preissenkungen bei den Überschußprodukten zu gewinnen und auf diesem Wege schließlich zu einer Verminderung der Marktordnungskosten zu gelangen.
Obwohl die Prüfung des sehr umfangreichen Memorandums der Kommission, bei der wir selbstverständlich auch namhafte Agrarwissenschaftler beteiligen, noch nicht abgeschlossen ist, läßt sich heute schon folgendes dazu sagen.
Das Memorandum der Kommission zieht mit einer Reihe von Maßnahmen zwar in die gleiche Richtung wie das Agrarprogramm der Bundesregierung; es unterscheidet sich jedoch ganz wesentlich in der Reihenfolge und in der Gewichtung der Maßnahmen, durch die die gesteckten Ziele erreicht werden sollten. Während die Bundesregierung den Schwerpunkt ihrer Maßnahmen auf die Bereitstellung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze legt, woraus sich eine Sogwirkung auf unterbeschäftigte Arbeitskräfte in der Landwirtschaft ergibt, haben in dem Memorandum der Kommission vor allem solche Maßnahmen ein großes Gewicht, die das Ausscheiden von Arbeitskräften aktiv fördern. Dies gilt vor allem
für die extreme Konzentration aller Beihilfen auf die als allein förderungswürdig bezeichneten sogenannten Produktionseinheiten und modernen landwirtschaftlichen Unternehmen.
Mit dieser forcierten Strukturpolitik ist die große Gefahr verbunden, daß Erwerbspersonen aus der Landwirtschaft herausgepreßt werden, die nachher keine adäquate außerlandwirtschaftliche Beschäftigung finden.
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Die von der Kommission für ungeschulte, nicht vermittlungsfähige Landwirte in Aussicht genommene Arbeitslosenunterstützung ist nach unserer Auffassung kein diskutabler Beitrag
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zur Lösung des Agrarproblems. Die weitere Konsequenz der von der Kommission beabsichtigten beschleunigten Strukturpolitik ist eine gigantische Entwertung noch nutzbarer Kapitalgüter. Bei dem Versuch eines grundlegenden Strukturwandels in der von der Kommission vorgesehenen einseitigen Form sind ferner Fehlinvestitionen größten Ausmaßes unvermeidbar,
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zumal dann, wenn öffentliche Mittel einseitig zur Förderung ganz bestimmter Betriebsformen eingesetzt werden, deren ökonomisches Optimum keineswegs erwiesen ist
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und die mit dem technischen Fortschritt sich möglicherweise schon bald wieder als überholt und als unmodern erweisen.
Gerade hieraus ergibt sich aber die Gefahr, daß wir uns in ein noch größeres und kostspieligeres Abenteuer stürzen als mit der gemeinsamen Markt-und Preispolitik.
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Es zeugt von politischer Naivität - ich gebrauche dieses harte Wort -, zu hoffen, man brauche nur ein „vernünftiges" Programm - in Anführungszeichen - mit vielen Maßnahmen vorzulegen, um von den Parlamenten der Mitgliedstaaten eine Globalbewilligung für ein nicht näher zu präzisierendes, jedenfalls außerordentlich hohes Haushaltsvolumen zu bekommen. Bei den für die Agrarpolitik in allen Volkswirtschaften nur begrenzt verfügbaren Haushaltsmitteln kommt es heute mehr denn je darauf an, zeitliche und sachliche Prioritäten zu setzen. Diese sind im Memorandum der Kommission nicht zu finden.
Das Agrarprogramm der Bundesregierung sowie die Initiativen des Bundeswirtschaftsministeriums zur Intensivierung der regionalen Wirtschaftspolitik tragen unseres Erachtens diesen Überlegungen Rechnung.
Die Spekulation, daß zu den beachtlichen Kosten der Marktordnungen zusätzlich durch die Gemeinschaft die für eine grundlegende Strukturbereinigung erforderlichen erheblichen Kosten gemeinschaftlich aufgebracht werden können, muß als eine - wenn auch wohlgemeinte - Illusion angesehen werden.
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Es ist nur erstaunlich, daß in der öffentlichen Diskussion dieser Gesichtspunkt bisher völlig unterging.
Die Bundesregierung hat sich in Brüssel - zusammen mit anderen Delegationen - eindeutig für eine vorrangige Lösung der Probleme auf dem Markt- und Preissektor ausgesprochen, weil sie es für nicht vertretbar hält, die hier auftretenden Probleme in einem Paket von Vorschlägen und Memoranden verschwinden zu lassen. Unsere Aufmerksamkeit in Brüssel wird sich also in den nächsten Monaten auf die Entwicklung praktikabler Marktmechanismen bei den Produkten mit strukturellen Überschüssen konzentrieren müssen.
Unser wichtigstes Ziel muß dabei auf eine Begrenzung der beängstigend ansteigenden Ausgaben zur Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik ausgerichtet sein, die den deutschen Landwirten - im Gegensatz zu denen anderer Mitgliedstaaten - nur in geringem Maße genutzt haben. Der Bundesregierung liegt vor allem daran, das letzte Übergangsjahr mit seinen termingebundenen Aufgaben auf den Gebieten der Preis- und Marktpolitik sowie der gemeinsamen Finanzierung zu nutzen, damit die Endphase des Gemeinsamen Marktes fristgerecht zum 1. Januar 1970 beginnen kann. Sie verschließt sich dabei schon im Interesse der Wettbewerbsgleichheit keineswegs der Notwendigkeit einer Koordinierung der Strukturpolitik in den Mitgliedstaaten. Die Durchführung und Finanzierung dieser Politik muß jedoch in nationaler Verantwortung bleiben.
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Man kann freilich das Problem der steigenden Aufwendungen für die gemeinsame Agrarpolitik nicht zutreffend politisch beurteilen, wenn man nicht gleichzeitig in aller Klarheit die dominierende Rolle anspricht, die die Agrarpolitik sowohl beim Zustandekommen dieser Gemeinschaft als auch bei jedem ihrer Integrationsfortschritte - ich betone: bei jedem - gespielt hat.
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Ich muß hier angesichts der bewußten Vergeßlichkeit mancher Kreise die entscheidenden Tatsachen rekapituileren: Frankreich, ohne dessen Beteiligung eine europäische Gemeinschaft unvorstellbar ist, hat bei der Formulierung des EWG-Vertrages die Einbeziehung des Agrarsektors zu einer absoluten „Conditio sine qua non" seiner Zustimmung gemacht. Warum? Den Franzosen, die über nahezu 50 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Gemeinschaft verfügen, war an einem handfesten ökonomischen Gegengewicht gegenüber den zu erwartenden Integrationsvorteilen für die deutsche gewerbliche Wirt11622
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zukommt und schaft gelegen. Ähnliches gilt für die Niederlande, ein traditionelles Agrarexportland.
Frankreich hat auch während des bisherigen Integrationsprozesses immer wieder seine Zustimmung zu den Bemühungen, die europäische Integration auf anderen Bereichen der Politik voranzubringen, mit der vorherigen Entscheidung ihm wichtig erscheinender agrarpolitischer Fragen gekoppelt. Dies gilt für die Agrarbeschlüsse vom Januar 1962 über die Marktordnungen bei Getreide, Schweinen, Geflügel und Eiern sowie über die gemeinsame Agrarfinanzierung; ohne diese Beschlüsse hätte es 1962 und 1963 auch keine Beitrittsverhandlungen mit England gegeben, unabhängig jetzt von dem weiteren Schicksal dieser Beitrittsverhandlungen.
Dies gilt ebenfalls für die Getreidepreisharmonisierung vom Dezember 1964, ohne die kein Verhandlungsangebot der Gemeinschaft für die Kennedy-Runde zustande gekommen wäre. Auch die politische „Conditio sine qua non" des Juli 1968, bei dem Frankreich ohne vorherige Verabschiedung der Marktordnungen für Milch und Rindfleisch den fristgerechten Beginn der Europäischen Zollunion und damit die Durchführung der handelspolitischen Beschlüsse der Kennedy-Runde blockiert hätten, dürfte Ihnen allen mit seinen dramatischen Zuspitzungen noch in frischer Erinnerung sein.
Es liegt mir fern, mit diesen Hinweisen etwa den Gemeinschaftsgeist Frankreichs in Zweifel zu ziehen. Nach dem Abklingen der europäischen Flitterwochen mußte die emotionale Begeisterung für den europäischen Gedanken ganz zwangläufig einer nüchternen Alltagsbetrachtung weichen. Das ist auch kein Nachteil, weil dieser Alltag in einem „Do ut des" und in einem Ausgleich handfester bedeutsamer materieller Interessen seine sichere Grundlage findet und ein solider Interessenausgleich wohl das stärkste Element einer haltbaren Bindung ist. Was aber in aller Deutlichkeit einmal gesagt werden muß, ist dies: Alle bisherigen Agrarbeschlüsse der Gemeinschaft haben nicht unter agrarpolitischen, sondern unter integrationspolitischen Aspekten die Zustimmung der Bundesregierung gefunden.
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Diese Beschlüsse als eine rationale oder gar für Deutschland optimale Agrarpolitik zu bezeichnen, wäre schlechterdings eine Tatsachenverdrehung.
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Daraus ergibt sich mit zwingender Logik, daß die von der Bundesrepublik für die europäischen Agrarmarktordnungen geleisteten finanziellen Opfer nicht im Interesse der deutschen Landwirtschaft übernommen worden sind. Sie sind angesichts der besonderen agrarpolitischen Interessenlage unserer EWG-Partner vielmehr ein „Kaufpreis" für die bisherigen Integrationsergebnisse. Ohne diesen Kaufpreis hätte es keinen EWG-Vertrag, sicher auch nicht die wirtschaftliche Integration der Sechs nach dem heutigen Stand gegeben. Die Politik des „leeren Stuhles" durch Frankreich im Jahre 1965/66 ist ein deutlicher Beweis dafür, welch entscheidendes politisches Gewicht der gemeinsamen Agrarpolitik im Rahmen der
welche Integrationsklammer die gemeinsame Agrarfinanzierung darstellt. Es ist unbestritten und leicht zu belegen, daß die Bundesrepublik vor der Anwendung gemeinsamer Agrarmarktordnungen auf Grund ihres nach wie vor sehr erheblichen Einfuhrbedarfs bei Nahrungsmitteln die Sicherung eines angemessenen Agrarpreisniveaus nahezu ausschließlich durch handelspolitische Maßnahmen bei voller Wahrung ihrer außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Interessen und ohne unangemessene Belastung des Steuerzahlers hätte erreichen können.
Wenn wir heute durch unsere Teilnahme am Gemeinsamen Markt im Agrarbereich beträchtliche Kosten zu tragen haben, so ist dies darauf zurückzuführen, daß die Gemeinschaft wegen der umfangreichen Agrarproduktion einiger Partnerländer bei wichtigen Agrarwaren Überschüsse aufweist. Das mußte jeder wissen, der diesen Weg zu gehen bereit war. Diese Überschüsse belasten den Gemeinsamen Markt, und sie müssen im Rahmen der gemeinsamen Agrarfinanzierung mit erheblichen Kosten entweder auf dem Binnenmarkt oder auf dem Weltmarkt verwertet werden, wenn die Gemeinschaft den Zusammenbruch ihres Agrarpreisgefüges verhindern will. Ich darf die Öffentlichkeit also noch einmal dringend um eine gerechte Beurteilung dieser Zusammenhänge bitten. Die Aufwendungen für die gemeinsame Agrarpolitik dürfen nicht unter dem billigen Begriff „landwirtschaftliche Subventionen" subsumiert werden;
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sie sind - ich darf es wiederholen - ein Kaufpreis für die europäische Integration.
Der mit der gemeinsamen Agrarmarktregelung von der Bundesregierung übernommene politische Beitrag zur Integration Europas, die ich - und das möchte ich hier ausdrücklich sagen - trotz aller Schwierigkeiten vorbehaltlos befürworte und unterstütze, kann und darf die deutsche Regierung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, für die unaufschiebbaren nationalen Initiativen zur Integration der deutschen Landwirtschaft in die moderne arbeitsteilige Gesamtwirtschaft einen gesicherten finanziellen Bewegungsspielraum zu schaffen. Diese Verantwortung hat die Bundesregierung mit der Verabschiedung des Agrarprogramms im Grundsatz anerkannt. Im Ausmaß gibt es noch einiges zu verbessern.
Es wäre gleichermaßen unverantwortlich und kurzsichtig, die für die nationale Agrarpolitik verfügbaren Mittel unter dem Druck der politisch bedingten steigenden Ausgaben für die EWG-Marktordnungen noch weiter zu kürzen, weil damit die dringend erforderliche strukturelle Anpassung der deutschen Landwirtschaft an den volkswirtschaftlichen Wachstumsprozeß weiter verzögert würde.
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Die Folge wäre eine fortschreitende relative Verarmung der Landwirtschaft, deren Schrittmacherfunktion bei der Integration Europas dadurch eine schlechte Honorierung erfahren würde.
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Damit würde gewiß ein abschreckendes Beispiel statuiert, das nicht gerade geeignet sein dürfte, die Integrationsbereitschaft anderer noch ausstehender Wirtschaftsbereiche zu aktivieren.
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Sie sehen, meine Damen und Herren, im Jahre 1969 stehen schwerwiegende und weitreichende agrarpolitische Entscheidungen vor uns. Die Europäische Gemeinschaft steht nach zwölfjähriger Übergangszeit am 1. Januar 1970 vor dem Eintritt in die Endphase des Gemeinsamen Marktes. An der Schwelle dieses entscheidenden Datums müssen wir nüchterne Bilanz ziehen über Erfolge und Mißerfolge. Wir müssen in aller Aufrichtigkeit dort Revisionen vornehmen, wo diese unausweichbar geworden sind.
Bei der Beurteilung unserer derzeitigen agrarpolitischen Situation müssen wir uns darüber im klaren sein, daß wir zugleich Zeugen, aber auch Handelnde eines weit ausgreifenden Umstellungsprozesses sind, der nicht nur die Landwirtschaft, sondern alle Bereiche unseres Lebens und alle Berufe erfaßt hat.
Auf die Früchte unseres technisch-wissenschaftlichen Zeitalters erhebt heute mit Recht auch die Landwirtschaft Anspruch. Die modernen Kommunikationsmittel, vor allem das Massenmedium Fernsehen, leuchten das immer noch bestehende beträchtliche soziale und regionale Gefälle zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen schonungslos bis in den letzten Winkel aus. Wir sollten den daraus resultierenden elementaren Druck der Egalisierungstendenzen gerade in der ländlichen Bevölkerung bei unseren politischen Entscheidungen nicht unterschätzen. Vor allem die junge Generation auf dem Lande fordert die beschleunigte Anpassung ihrer Lebensbedingungen an die ihrer städtischen Leitbilder, und sie ist - fern jeder Romantik - bereit, dafür auch einen Preis aufzubringen. Dieser Preis ist die zunehmende Einbindung des einzelnen in ein Netz von Abhängigkeiten, im Agrarbereich vor allem die verstärkte Bereitschaft zur Kooperation und Arbeitsteilung.
Der Ruf nach Sicherheit ist die natürliche Reaktion gegen diese wachsende Abhängigkeit. Aber Sicherheit ist heute weder durch Vermögen noch durch staatliche Institutionen auf die Dauer zu gewährleisten; sie kann nur durch schöpferischen Einsatz und geistige Mobilität aller Kräfte in der arbeitsteiligen Gemeinschaft ständig neu gewonnen werden. Das gilt uneingeschränkt, wenn nicht sogar in einem besonderen Maße für den ländlichen Bereich, für den deshalb ein verstärktes Bildungsangebot, vor allem an allgemeinbildenden Schulen, ein dringendes, vielleicht das dringendste Gebot der Stunde überhaupt ist.
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Bei der Lösung unseres Agrarproblems befinden wir uns in der Bundesrepublik aber gegenüber einigen unserer EWG-Partner in einer ungleich besseren Situation. So verfügen wir erstens - im Gegensatz zu Frankreich und Italien - über eine stark dezentrale Wirtschaftsstruktur, die - bei einer Verstärkung unserer regionalpolitischen Anstrengungen - eine reibungslose Fortsetzung des Integrationsprozesses unserer Landwirtschaft in die arbeitsteilige Volkswirtschaft erwarten läßt.
Und zweitens - das glaube ich hier in aller Deutlichkeit sagen zu können - haben wir ein gleichermaßen realistisches wie zukunftsorientiertes agrarpolitisches Konzept, das die unverzichtbare Elastizität des strukturellen Anpassungsprozesses sicherstellt und nicht in den Fehler verfällt, agrarpolitische Patentlösungen anzustreben, die sich vielleicht morgen schon als überholt erweisen.
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Durch das entscheidende politische Gewicht der Agrarpolitik in der Europäischen Gemeinschaft stehen die Agrarfragen heute weit mehr im Brennpunkt des öffentlichen Interesses, als das früher der Fall war. Wir haben gute Chancen, die Agrarpolitik in diesem Jahr mit dem Rückenwind der öffentlichen Meinung ein gutes Stück voranzubringen.
Nutzen wir diese Chancen, und benutzen wir die Agrardebatte der übernächsten Woche, um in die harten uns auf internationalem Parkett bevorstehenden agrarpolitischen Auseinandersetzungen des Jahres 1969 mit einer ausdiskutierten, abgeklärten und geschlossenen Haltung der Bundesrepublik einzutreten.
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Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für seine Ausführungen über die Lage der Landwirtschaft.
Die Aussprache ist nach einer Vereinbarung im Ältestenrat für den 26. Februar 1969 vorgesehen.
Ich rufe den Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Spitzmüller, Ertl, Geldner, Dr. Mühlhan, Peters ({36}), Dr. Staratzke, Schmidt ({37}) und der Fraktion der FDP
betr. Förderung des Fremdenverkehrs und seine volkswirtschaftliche, gesundheits- und gesellschaftspolitische Bedeutung
- Drucksachen V/2733, V/3433 Die Große Anfrage ist schriftlich beantwortet worden.
Ich muß zunächst feststellen, ob die Beratung von mindestens 30 Mitgliedern des Hauses verlangt wird. - Das ist der Fall.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Die Tatsache, daß diese Debatte vom vergangenen Freitag auf heute verlegt wurde, gibt uns die Gelegenheit, an den Grünen Bericht des Herrn Ministers Höcherl anzuschließen und dabei zwei Vorbemerkungen zu machen.
Erstens: Wir haben festzustellen, daß in 'der Landwirtschaft die Zahl der Erwerbspersonen in den letzten Jahrzehnten außerordentlich stark zurückgegangen ist und weiter zurückgehen wird, während die Zahl der Erwerbspersonen im weiten Bereich des Fremdenverkehrs zugenommen hat und in den nächsten Jahren weiter überdurchschnittlich zunehmen wird.
Wir können aber auch eine weitere Entwicklung feststellen, die nicht parallel dazu verläuft: in den klimatisch benachteiligten landwirtschaftlichen Gebieten - ich denke nur an die Eifel, den Bayerischen Wald oder den Schwarzwald - ist der Fremdenverkehr für die dort Landwirtschaft betreibenden Bürger ein wichtiger Nebenerwerbszweig, eine wichtige Möglichkeit des Zuerwerbs.
Meine Damen und Herren, wenn die Freien Demokraten vor nahezu einem Jahr diese Große Anfrage zum Thema Fremdenverkehr eingebracht haben, dann aus dem Grunde, weil wir den Eindruck hatten, daß die wirtschaftliche, gesundheitliche und gesellschaftspolitische Bedeutung des Fremdenverkehrs sowohl in der Öffentlichkeit wie auch durch die deutsche Bundesregierung verkannt oder zumindest übergewichtig unter rein wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten gesehen wird. Reisen und Urlaub sind keine Privilegien der Reichen mehr; Gott sei Dank! Sie sind zur Selbstverständlichkeit weitester Bevölkerungskreise geworden. Beides wird und muß in der Zukunft noch mehr zunehmen. Der Trend vom dreiwöchigen zum vierwöchigen Jahresurlaubsanspruch und das Steigen der Masseneinkommen sind die entscheidenden Faktoren für die Mobilität während des Urlaubs und die Bereitschaft, zu verreisen.
Die Dimensionen, die sich eröffnen, werden deutlich, wenn man die Ausgabemöglichkeiten für die Freizeit einmal betrachtet, die nach Schätzungen von Professor Wagenführ zur Zeit bei 8% liegen, aber schon bis zu dem nahen Zeitraum 1975 auf 12 % anwachsen werden. Die Reisewelle ernährt heute 7 bis 8% der Berufstätigen; sie wird bis 1975 rund 12% der Erwerbstätigen beschäftigen. Die Technisierung unseres Arbeitsprozesses stellt wachsende Anforderungen an den einzelnen im Beruf und fordert immer höhere Konzentration. Die Konsequenz ist der Drang nach Ausgleich und wird es in noch viel stärkerem Maße werden. Diese Ausgleichbedürfnisse können sich in den verschiedensten Formen äußern: in dem Drang nach Erholung, aber auch in dem Drang nach Erlebnis, was wir vor allem bei jungen Menschen im Urlaub feststellen, oder in dem Drang nach Bildung, um nur einige wesentliche Beispiele zu nennen.
Ein längeres Wochenende, ein Anspruch auf längeren Urlaub und das Reisen bieten sich als geradezu ideale Möglichkeiten an, um diesem differenzierten Ausgleichsbedarf gerecht zu werden. Der Fremdenverkehr muß daher genauso unter den gesundheitlichen und gesellschaftspolitischen Aspekten, wie unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen werden. Eine einseitige, nur wirtschaftliche Betrachtungsweise wird den Zukunftsfragen nicht gerecht.
Während, meine Damen und Herren - das wollen wir uns auch einmal vor Augen halten -, in anderen Ländern Ministern oder Staatssekretären die Fragen der Fremdenverkehrspolitik anvertraut sind, führt die Fremdenverkehrspolitik nach unserer Meinung, Herr Minister, aufgesplittert in zwei Ministerien, in der Bundesrepublik ein bescheidenes Dasein, um nicht sogar zu sagen, ein gewisses Kümmerdasein.
Eines möchten wir dankbar feststellen, Herr Minister Schiller, daß durch die Beantwortung unserer Großen Anfrage die Zuständigkeitsfrage gegenüber dem Parlament eindeutig geklärt wurde; denn während sich in der Vergangenheit Verkehrsminister Seebohm gern als Schirmherr des deutschen Fremdenverkehrs bezeichnete, ist nunmehr unsere Große Anfrage zu unserer und zu anderer Überraschung vom Wirtschaftsministerium beantwortet worden, und damit ist die Federführung eindeutig geklärt.
Die Antwort, die die Bundesregierung gegeben hat, beweist, wenn wir diesen Bericht einmal kritisch betrachten, daß man zu dem Ergebnis kommen kann, daß es mit der Fremdenverkehrssituation in der Bundesrepublik Deutschland nicht zum allerbesten bestellt ist und daß wir Gefahr laufen, von der internationalen Entwicklung überrollt zu werden, wenn wir diesem Sektor nicht mehr Aufmerksamkeit von Parlament und Regierung widmen. Immerhin gibt diese Große Anfrage die Möglichkeit, erstmals die Fragen der Fremdenverkehrspolitik auf breiter parlamentarischer Ebene zu behandeln und sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Die Tatsache, daß die Bundesregierung zur Beantwortung unserer Großen Anfrage sieben Monate gebraucht hat, beweist uns, daß sie offensichtlich mit diesen Fragen nicht so vertraut war, als daß sie sofort und schnell eine Antwort hätte geben können.
Meine Damen und Herren, wir möchten feststellen, daß die umfangreiche Antwort, die das Ministerium gegeben hat, ein Zeichen für das redliche Bemühen ist, die vorhandenen Daten und Zahlen zusammenfassend, einige wichtige Anregungen für weitere Maßnahmen zu geben.
Diese lobende Feststellung kann natürlich Parlament und insbesondere Opposition nicht von der Aufgabe entbinden, diese Antwort auch einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Nach unserer Meinung müssen in erster Linie die politischen Chancen gesehen werden, die in einer Förderung des Reiseverkehrs nach Deutschland im Hinblick auf das Deutschlandbild im Ausland liegen und genutzt werden müssen. In den letzten Jahren wurden die Deutschen zur mobilsten Reisenation Europas, aber für Ausländer blieb Deutschland weitgehend ein Durchreiseland. Der Anteil der Ausländerübernachtungen stagniert seit zehn Jahren zwischen 8 und 9 %. Die 36%ige absolute Zunahme im gleichen Zeitraum muß geradezu beunruhigen, wenn man die Entwicklung des Ausländerreiseverkehrs in anderen Ländern in den Vergleich einbezieht. Ich beziehe mich hier auf eine Zusammenstellung über den intereuropäischen Reiseverkehr in den
OECD-Ländern, aus der immerhin deutlich wird, daß die Zunahme der Ausländerübernachtungen in den letzten fünf Jahren in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten am geringsten ist.
Wir müssen also die Chance, das Deutschlandbild im Ausland durch den Fremdenverkehr besser zu gestalten, nutzen, insonderheit wenn wir daran denken, wieviel Aufwand und Mühe es von unserer Seite auf allen möglichen Gebieten und Ebenen gibt, um Verständnis für unsere politische Situation zu finden, wie wir in mühseliger Kleinarbeit Vorurteile, die nach wie vor bestehen, abzubauen versuchen.
Es ist deshalb ein wenig unverständlich, weshalb die Bundesregierung nicht in stärkerem Maße Werbemittel einsetzt, um Reiseströme auch nach Deutschland zu lenken. Sicherlich kommen Touristen nicht vorurteilsfrei in ein fremdes Land, aber die Chance, daß vorgefaßte Meinungen korrigiert werden, ist groß, wenn die Begegnung mit Menschen und Landschaft in ungezwungener Weise erfolgt. Zwischenmenschliche Kontakte bei uns sind die beste Möglichkeit, das Deutschlandbild im Ausland positiver zu gestalten.
Meine Damen und Herren, wir müssen doch auch klar erkennen, daß die Bundesrepublik vom Norden bis zum Süden eine solche Vielfalt landschaftlicher Reize, historischer und kultureller Sehenswürdigkeiten bietet, einen breiten Fächer gastronomischer Leistungen und Spezialitäten aufweist, eine Vielfalt von Erholungs- und Kurmöglichkeiten, folkloristische und kulturelle Erlebnisse zu vermitteln vermag, daß es unverständlich wäre, wenn wir mit diesen Pfunden nicht wuchern, sondern sie wie der ungetreue Knecht vergraben würden.
Dazu ist in der Antwort auf unsere Große Anfrage einiges gesagt. Ich möchte die Forderung der Freien Demokraten noch einmal klar in fünf Punkten zusammenfassen. Zunächst ist eine viel intensivere Auslandswerbung notwendig. Wir bedürfen dabei des Einsatzes modernster Werbemethoden. Dazu gehört eine Markttransparenz. Dazu wäre ein zentrales Auskunftsbüro für den deutschen Fremdenverkehr, wie es früher einmal in Berlin im Kolumbushaus vorhanden war, notwendig. Dazu wäre auch notwendig, daß der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr durch „Allgemeine Bewilligungsbedingungen" der Aktionsspielraum nicht mehr als nötig eingeschränkt wird. Nach unserer Auffassung gehört dazu die Zusammenfassung der Fremdenverkehrsaufgaben in einem einzigen Ministerium, das dann nicht nur die Federführung, sondern auch die Alleinverantwortung hätte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese große und bunte Angebotspalette, die wir in Deutschland zu bieten haben, wird aber nur dann wirksamer werden, wenn das deutsche Fremdenverkehrsgewerbe im internationalen Preisvergleich gut mithalten kann. Unabhängig -- das müssen wir uns klar vor Augen halten,- vom Preisniveau hat der deutsche Fremdenverkehr ohnehin vorab ganz besondere Leistungen anzubieten, um das auszugleichen, was anderen europäischen Feriengebieten durch Sonne
und Himmel in reichlicherem Maße als uns geschenkt ist.
Wenn die Bundesregierung auf unsere Frage nach Wettbewerbsnachteilen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen dem ausländischen und dem deutschen Fremdenverkehr in der Ziffer 4 der Antwort auf die Große Anfrage antwortet, daß die Bundesregierung weder an Hand von unterschiedlichen Arbeitskosten noch an Hand von unterschiedlichen Steuern usw. Wettbewerbsverzerrungen zwischen dem deutschen und dem ausländischen Fremdenverkehrsgewerbe festzustellen vermag, dann müssen wir Freie Demokraten einige Zweifel anmelden, vor allem weil die Bundesregierung den Beweis für diese Feststellung schuldig bleibt. Sie sagt nämlich nicht, daß keine Wettbewerbsverzerrungen vorhanden wären, sondern sie sagt, sie könne sie nicht feststellen. Wir kommen, wenn wir die Antwort auf die Große Anfrage genau durchlesen, zu dem Ergebnis, daß die Bundesregierung zu dieser Feststellung kommt, weil offensichtlich nicht genügend Unterlagen vorhanden sind, um positiv oder negativ die von uns gestellte Frage beantworten zu können. Da heißt es in der Ziffer 40 zu den Arbeitskosten, daß statistische Erhebungen nicht durchgeführt wurden; da heißt es unter Ziffer 41 bei den Steuerbelastungen:
Ebenso läßt sich ein zuverlässiger internationaler Vergleich der effektiven Belastungen durch Steuern ... allgemein ... nicht erstellen.
Die Ubersicht 25 macht dann deutlich, daß die Belastung bei 12,5 % beginnt und bis auf 0% heruntergeht und daß wir mit 11% dann eben doch schon außerordentlich hoch liegen.
Wenn ich nur daran denke, daß bei uns sogar die Kurtaxe mit der Umsatzsteuer belastet wird, dann ergibt eine überschlägliche Schätzung, daß beinahe 50 % der Mittel, die wir im Staatshaushalt für die Auslandswerbung ausweisen, allein schon aus dieser Abgabebelastung der Kurtaxe durch die Umsatzsteuer wieder in den Staatshaushalt hineinkommen. Wir können also nicht ganz so stolz sein auf das, was wir tun. Sicher, ich weiß, es gibt keine Steuern, die man für bestimmte Zwecke hereinnimmt und wieder ausgibt, aber man muß doch einmal die Zusammenhänge sehen, daß allein schon durch die Umsatzsteuerbelastung der Kurtaxe rund 50% dessen, was wir für Auslandswerbung ausgeben, wieder hereinkommt.
Wenn die Bundesregierung unter Ziff. 141 auf die Förderungsarten im Ausland eingeht und ausführt, daß dort keine klaren Ermittlungen möglich sind und weitere Untersuchungen laufen, dann müssen wir zu der Feststellung kommen, daß die Bundesregierung Nachteile und Verzerrungen nicht feststellen kann, weil sie über kein ausreichendes Material verfügt. Wir können aber nicht davon ausgehen, daß solche Wettbewerbsnachteile oder -verzerrungen überhaupt nicht vorhanden wären. ' Hätte die Bundesregierung nämlich unter allen Umständen Wettbewerbsnachteile finden wollen, so hätte sie zumindest auf dem Sektor der Kreditgewährung und der Bürgschaftsübernahme solche im OECD-Bericht finden können.
Meine Damen und Herren, hier hatten wir nicht ganz klar gefragt, und wir haben Verständnis, Herr Minister, daß Sie natürlich nicht von sich aus gesucht haben, wo Sie noch etwas finden können, was Sie dem Parlament vortragen können. Hier scheinen zu unserem Nachteil erhebliche Unterschiede zu bestehen. Es ist ja nicht unbedingt die Aufgabe des Ministeriums, den Finger in die Wunde zu legen. Wenn wir aber die Kreditprogramme und die sonstigen Investitionshilfen anderer Länder ansehen und ihre Auswirkungen betrachten, dann haben sie zumindest zu einem Wettbewerbsvorsprung im Hinblick auf die Qualität und Ausstattung des Unterkunftsangebots geführt. Ich brauche nur an die Ausstattung mit Duschen und Bädern in ausländischen Hotels und die geringe Ausstattung mit Duschen und Bädern in unseren Hotels zu denken. Hier wäre eine gleiche Hilfestellung wie in anderen Ländern sicherlich möglich, ohne daß deshalb der Haushalt allzusehr belastet würde.
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Meine Damen und Herren, ich möchte ausdrücklich betonen, daß wir der Politik einer größtmöglichen Liberalisierung des Fremdenverkehrs immer das Wort geredet haben und auch heute reden. Mir erscheinen aber Strukturverbesserungen durch staatliche Maßnahmen, durch staatliche Hilfen im deutschen Fremdenverkehrsgewerbe notwendig, um die Situation und die Startvoraussetzungen des deutschen Fremdenverkehrsgewerbes zu verbessern.
Ich habe den Zwischenruf „ERP-Mittel" gehört. Ich darf sagen, daß wir es durchaus begrüßen, daß
die Bundesregierung für das Jahr 1969 auch ERP-Mittel zur Förderung des Fremdenverkehrs in klimatisch benachteiligten Gebieten der Bundesrepublik eingesetzt hat. Nur scheinen die Zinskonditionen, die dort gegeben sind, im Verhältnis zu dem, was im Ausland gegeben wird, doch außerordentlich hoch zu sein. Sie sind teilweise doppelt so hoch wie bei den Kredithilfen, die im Ausland gewährt werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu einem Sektor des Fremdenverkehrs sagen, der sowohl in unserer Anfrage wie selbstverständlich auch in der Beantwortung durch die Bundesregierung etwas knapp weggekommen ist, d. h. von uns überhaupt nicht angeschnitten wurde. Es ist der zunehmende Verkehr auf den Campingplätzen. Auch dies gehört zu dem Bereich des Fremdenverkehrs. Wir sollten diese Entwicklung ebenfalls sehr sorgfältig beachten; denn das ist ein Sektor geworden, auf welchem zumindest in den Saisonmonaten mehr Fremdenübernachtungen stattfinden als in den statistisch erfaßten Fremdenbetten. Wir sollten auch erkennen, daß viele Familien der verschiedensten Nationen nicht von einem Campingplatz zum anderen reisen, sondern sich zwei, drei Wochen an einem Platz festsiedeln und dort eben auf ihre Art und auf ihnen gemäße Weise geruhsame und erlebnisfrohe Ferientage verbringen. Manche völkerverständigende und -verbindende Dauerfreundschaft wird gerade auch in der ungezwungenen Atmosphäre des Campens geschlossen und auch in der Zukunft geschlossen werden.
Da noch einige Kollegen meiner Fraktion auf einzelne Antworten der Bundesregierung eingehen werden, lassen Sie mich zum Abschluß nur noch zu der Frage 8 sprechen. Was als Antwort zur Frage 8 dargeboten wurde, rechtfertigt nach unserer Meinung sicherlich die Feststellung, daß die politische Entscheidungsfreudigkeit des Ministeriums in Sachen Fremdenverkehr nicht gerade als übergroß bezeichnet werden kann. Wir müssen hier lesen, daß die auch dem Ministerium erforderlich erscheinenden Untersuchungen jährlich rund 250 000 DM kosten würden und daß mit den vom Ministerium selbst gekennzeichneten Untersuchungen nach Ansicht dieser Bundesregierung alle für die Fremdenverkehrsentwicklung relevanten Tatbestände künftig erkannt und dargestellt werden könnten und der dafür erforderliche Mittelaufwand in Anbetracht der erzielbaren Ergebnisse als gering anzusehen ist. Das ist eine sehr wichtige Feststellung. Aber es ist dann doch sehr betrüblich, wenn man sehen muß, daß ,es in derselben Antwort heißt, diese 250 000 DM seien in der mittelfristigen Finanzplanung nicht frei zu machen.
Da wollen wir uns als Opposition doch die Frage erlauben: In welch unterschiedlichen Dimensionen denken Sie, Herr Minister, eigentlich in Ihrem Ministerium, wenn Sie in der schriftlichen Antwort auf unsere Große Anfrage darauf hnweisen, daß diese 250 000 DM nicht vorhanden und in der mittelfristigen Finanzplanung nicht frei zu machen sind, während Sie etwa zur selben Zeit, im September/Oktober, als Sie diese Antwort unterschrieben, mit einer Forderung in die deutsche Öffentlichkeit getreten sind, die, wenn sie erfüllt wird - und Sie haben erst dieser Tage wieder gesagt, daß die Bundesregierung in dieser Frage im Wort sei -, die ganze mittelfristige Finanzplanung um Milliardenbeträge verändern muß? Ich denke hier an die von Ihnen im September und Oktober ausgesprochene Forderung nach der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, die, wenn sie, sofern die Unterlagen nicht trügen, durchgeführt wird und voll in die Preise geht, über 1 Milliarde DM Mehreinnahmen für den Bund erbringt und, wenn sie nicht in die Preise eingeht - was aus Preisstabilitätsgründen zu begrüßen wäre -, also voll aus den Gewinnen geleistet würden, zu einer Steuermindereinnahme von 800 Millionen DM führen würde. Welche Dimensionen sind hier eigentlich anzuwenden, wenn Sie eine solche Forderung, die Milliardenveränderungen in der mittelfristigen Finanzplanung bedeutet, in die Öffentlichkeit stellen und zum gleichen Zeitpunkt erklären, 250 000 DM für notwendige Untersuchungen, für Untersuchungen, die einem ganz weiten Wirtschaftszweig unerhört wichtige Hilfestellungen geben, seien in der mittelfristigen Finanzplanung nicht zu finden?
Wir Freien Demokraten haben zu dieser Anfrage Anträge vorbereitet, weil wir der Meinung sind, daß das Parlament in diesen Fragen nunmehr dazu aufgerufen ist, der Regierung Hilfestellung zu geben, Richtungspfeiler zu setzen in den Dingen, die wir als Parlament für notwendig halten und worüber man sich in den Ausschüssen durchaus noch wird
unterhalten müssen. Wir sind auch der Meinung, daß unsere Anträge nicht der Weisheit letzter Schluß sind; aber sie sollen einen Anstoß dazu geben, daß in den zuständigen Ausschüssen und dann eben auch durch Beschlußfassung des Parlaments der Bundesregierung Richtpfeiler gesetzt werden, Weil wir den Eindruck haben, daß das Parlament hier die Aufgabe hat, die Regierung zum Handeln zu bringen. Die Antwort auf unsere Große Anfrage erweckt den Eindruck, als sei die Bundesregierung auf diesem Gebiet nur zu zögernden Schritten, zu zögerndem Handeln bereit.
Was wir wünschen, ist ein etwas eifrigerer, etwas mutvollerer Schritt in die Zukunft in der Frage des gesamten Fremdenverkehrs unter Beachtung seiner Bedeutung für die Gesellschaft.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmidhuber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/ CSU begrüßt es lebhaft, daß die Beantwortung der Großen Anfrage der FDP durch die Bundesregierung Gelegenheit zu einer Debatte über die vielschichtigen Probleme des Fremdenverkehrs in der Bundesrepublik gibt. Hier stehen nicht nur wirtschafts- und steuerpolitische Fragen zur Debatte, sondern es geht auch um wesentliche sozialpolitische, gesundheitspolitische und gesellschaftspolitische Zusammenhänge.
Eine Reihe von Kollegen meiner Fraktion werden sich in kurzen Beiträgen zu diesen speziellen Fragen äußern, die sich aus der Stellung des Fremdenverkehrs im Gesamtzusammenhang des wirtschaftlichen und sozialen Lebens ergeben, wie etwa die Förderung des Familien- und Sozialtourismus, die Rolle des Fremdenverkehrs im Rahmen der regionalen Strukturpolitik, die Bedeutung der Heilbäder oder das Verhältnis von Landwirtschaft und Fremdenverkehr schlechthin sowie das delikate Thema Gastronomie und Mehrwertsteuer, das auch der Herr Kollege Spitzmüller schon kurz angesprochen hat.
Lassen Sie mich zunächst einige Sätze zur gesamtwirtschaftlichen Situation des Fremdenverkehrs sagen. Nach Jahren eines teilweise stürmischen Wachstums brachte das Fremdenverkehrsjahr 1966/67 eine deutliche Abschwächung. Es ist verständlich, daß diese Veränderungen im Wachstumsrhythmus im Fremdenverkehrsgewerbe mit Besorgnis zur Kenntnis genommen worden sind, zumal diese Branche speziellen Belastungen ausgesetzt ist, die aus ihrer hohen Arbeitsintensität resultieren. Ich darf in diesem Zusammenhang nochmals das Stichwort Mehrwertsteuer aufgreifen und auch auf die Diskussion um die Problematik der Lohnfortzahlung hinweisen. Eine Einführung der Lohnfortzahlung würde ohne Zweifel das Fremdenverkehrsgewerbe hart treffen.
Es stellt sich für die Fremdenverkehrswirtschaft die Frage, ob diese Beruhigung der Nachfrage als
eine konjunkturell bedingte Wachstumspause oder als eine Tendenzwende zu deuten ist, - eine Frage, die z. B. für künftige Investitionsentscheidungen von größter Bedeutung ist. Betrachtet man die Daten, die für die mittel- und langfristigen Wachstumschancen des Fremdenverkehrs von Belang sind, so kommt man allerdings zu der beruhigenden Feststellung, daß die Aussichten des Fremdenverkehrs insgesamt gut sind, einfach deswegen, weil die Auftriebskräfte unverändert wirksam sind.
Es deutet alles darauf hat, daß das Bruttosozialprodukt weiterhin in angemessenen Raten wachsen wird, und damit werden auch die frei verfügbaren Einkommensteile bei breiten Schichten der Bevölkerung steigen, was sich in einer entsprechenden Ausgabebereitschaft für touristische Zwecke niederschlagen dürfte oder zumindest niederschlagen kann.
Es ist ferner damit zu rechnen, daß die Reiseintensität der Bevölkerung - das ist der Prozentsatz der Bevölkerung, der am Reise- und Erholungsverkehr teilnimmt - weiterhin beträchtlich ansteigen wird. Wie dem Bericht zu entnehmen ist, betrug diese Reiseintensität im Jahre 1966 etwa 34%. Aus dieser Zahl erkennt man, daß hier noch beträchtliche Wachstumsreserven vorhanden sind. Zusätzliche Auftriebskräfte werden sich aus der Expansion der von den Sozialversicherungsträgern geförderten Kuraufenthalte, aus der weiteren Zunahme der Motorisierung und der zu erwartenden Verbilligung der Flugpassagen durch Einsatz von Großflugzeugen ergeben.
Wenn wir den Futurologen Glauben schenken wollen, dann wird eines der größten sozialen Probleme der kommenden Jahrzehnte die sinnvolle Gestaltung der Freizeit sein. Je mehr sich die Tendenz zur Arbeitszeitverkürzung fortsetzt, desto größere wirtschafts- und gesellschaftspolitische Relevanz bekommt die Freizeitgestaltung. Dem Tourismus wird hierbei eine große Aufgabe zukommen. Die Fremdenverkehrswirtschaft wird sich weiterhin auf eine kräftige Expansion einstellen können; das heißt allerdings keineswegs, daß diese Expansion ein problemloser Weg zu großen Gewinnen wäre.
Diese sich heute abzeichnende Entwicklung bürdet den in der Fremdenverkehrswirtschaft tätigen Unternehmen große Aufgaben auf, Aufgaben, die sie nur im Zusammenwirken mit allen am Fremdenverkehr beteiligten Stellen lösen können. Die unterschiedlich strukturierten Zweige der Fremdenverkehrswirtschaft - Beherbergungsgewerbe, Reiseveranstalter, Reisebüros und Verkehrsträger - sind angewiesen auf Leistungen der öffentlichen Hand, insbesondere der Gemeinden, was die Bereitstellung und Vorhaltung von öffentlichen Einrichtungen anlangt. Diese Skala der öffentlichen Einrichtungen reicht von einem leistungsfähigen Straßennetz bis hin zur Schaffung von Erholungsflächen und Sportplätzen und zu der Errichtung von Hallenbädern. Erfolgreicher Fremdenverkehr ist erst möglich durch eine Kombination von öffentlichen und privaten Investitionen, durch ein vielfältiges Angebot kollektiver und individueller Dienstleistungen.
Die Koordinierung und Synchronisierung dieser Anstrengungen ist naturgemäß leine schwierige, aber sehr wichtige Aufgabe. Wenn auch die Hauptlast dieser Anstrengungen bei den Unternehmern der Fremdenverkehrswirtschaft, bei den Fremdenverkehrsgemeinden und bei 'den Verbänden des Fremdenverkehrs liegt - insbesondere was das Eingehen auf die Veränderungen der Marktstruktur anlangt -, so haben der Bund und die Länder doch spezifische Aufgaben zur Unterstützung :des Anpassungsprozesses im Fremdenverkehr. Hierher gehören z. B. die Kreditprogramme zur Modernisierung von Beherbergungsbetrieben, ,die finanzielle Förderung der Betriebsberatung und der überbetrieblichen Rationalisierungsmaßnahmen. Das sind in erster Linie Aufgaben der regionalen Wirtschaftspolitik, und sie fallen deshalb primär in die Zuständigkeit der Länder. Aber auch hier hat der Bund die Möglichkeit, über die Gestaltung der ERP-Kreditprogramme auf die Förderung dieser Anlagen positiv einzuwirken.
Ein besonderes Anliegen sind die Bestrebungen zur Saisonverlängerung, die nicht nur einer Verbesserung der Auslastung und damit der Rentabilität der Einrichtungen des Fremdenverkehrs dienen, sondern vor allem auch im Interesse des Urlaubers liegen, weil sie diesem manch unangenehme Begleiterscheinung der Hochsaison ersparen können. Hierher gehören Investitionen, die witterungsunabhängige Betätigungsmöglichkeiten für den Urlauber schaffen.
Die wichtigste Voraussetzung für eine Saisonverlängerung ist aber eine noch stärkere Auffächerung der Schulferien auch innerhalb der größeren Bundesländer, denn bei der jetzigen Regelung entsteht ein großer Stau, wenn z. B. die Ferien in Nordrhein-Westfalen oder auch in Bayern beginnen. Ein großer Prozentsatz der Urlauber hat schulpflichtige Kinder und muß sich nach den Ferienterminen richten. Auf diesem Gebiet könnte die Kultusministerkonferenz gleichzeitig auch einen wesentlichen Beitrag zur Entballung des Urlauberreiseverkehrs auf unseren Straßen leisten. Dasselbe gilt für die Festlegung von Betriebsferien; allerdings darf man hier nicht übersehen, daß gewisse saisonale Grenzen einzuhalten sind, die sich etwa aus der Vorbereitung des Weihnachtsgeschäftes ergeben.
Ein wichtiger Ansatzpunkt für das Engagement des Bundes im Bereich des Fremdenverkehrs ist die Tatsache, daß das Fremdenverkehrsgewerbe, wenn man von den großen Verkehrsträgern absieht, ein Wirtschaftsbereich ist, in ,dem mittelständische Unternehmensformen dominieren. So erzielten von etwa 34 000 steuerpflichtigen Unternehmen des bayerischen Beherbungs- und Gaststättengewerbes im Jahre 1964 nur 219 Unternehmen einen Umsatz von mehr als 1 Million DM. Ähnliche Relationen dürften in anderen Teilen des Bundesgebietes ebenfalls vorliegen.
Diese mittelständischen Unternehmen stehen in einem harten Konkurrenzkampf mit neuen Formen der Touristik wie Feriendörfern, Appartementhäusern, der Aktion „Ferien auf dem Bauernhof" und
Erholungsprogrammen auf gemeinnütziger Basis. Dies bedeutet für sie die Notwendigkeit, auf neue und plötzlich eintretende Marktveränderungen einzugehen, wie das etwa geschehen könnte durch zusätzliche Investitionen, um sich auf anspruchsvollere Gäste umzustellen. Gerade für die mittleren Unternehmen bringt dieses Eingehen auf spezielle Wünsche wie etwa Hobby-Urlaub oder auf spezielle Personenkreise neue Marktchancen. Diese Bemühungen der mittelständischen Fremdenverkehrswirtschaft verdienen öffentliche Förderung, weil sie insgesamt die Leistungskraft dieses Wirtschaftszweiges durch Erhöhung der Vielfalt und der Qualität des Angebots stärken.
Am Fremdenverkehr sind alle Stufen unseres föderalistischen Staatswesens interessiert: die Gemeinden, auf denen die Hauptlast der InfrastrukturInvestitionen ruht, die Länder, die den Fremdenverkehr im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik zu betreuen haben, und der Bund, der im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftspolitik an dem wichtigen Teilgebiet Fremdenverkehr nicht vorübergehen kann. Dies gilt insbesondere für die Zusammenhänge zwischen Außenwirtschaft und Fremdenverkehr. Ich darf hier einige Sätze anschließen über die Bedeutung des Tourismus für die Außenwirtschaft, insbesondere für unsere Zahlungsbilanz.
Wir begrüßen die Feststellung der Bundesregierung, daß die Reiseausgaben der deutschen Auslandstouristen nicht negativ zu beurteilen sind. Diese Ausgaben schaffen in vielen Fällen indirekt neue Exportmöglichkeiten für die deutsche Industrie. Dies gilt insbesondere für eine Reihe von bevorzugten Reiseländern des Mittelmeerraumes und Südosteuropas, die durch die Touristen aus der Bundesrepublik erst in die Lage versetzt werden, in größerem Umfang deutsche Industrieerzeugnisse zu beziehen. Insoweit ist der deutsche Auslandstourismus ein positives Beispiel für die internationale Arbeitsteilung und für die zunehmende Integrierung der deutschen Volkswirtschaft in größere ökonomische Zusammenhänge.
Ich möchte allerdings in diesem Zusammenhang die Bitte äußern, daß die statistischen Methoden zur Erfassung der deutschen Reisedevisenausgaben im Ausland verbessert werden, damit bei Handelsvertragsverhandlungen, insbesondere mit Staatshandelsländern, auf die Bedeutung dieses unsichtbaren Imports mit noch größerer Überzeugungskraft hingewiesen werden kann.
Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß durch das starke Anwachsen des Auslandstourismus manches kollektive Vorurteil hierzulande, aber auch im Ausland, durch die Chance der persönlichen Begegnung abgebaut werden konnte. Der sich auf breite Bevölkerungsschichten erstreckende internationale Tourismus ist ein wichtiges Medium der Völkerverständigung geworden. Daran können auch einige Pannen nichts ändern, die da und dort einmal auftreten mögen.
Das Anwachsen der Reiseintensität ist aber auch der deutschen Fremdenverkehrswirtschaft zugute gekommen. Die Ferienreisen nach inländischen ErhoSchmidhuber
lungsgebieten haben aber noch stärker zugenommen, so daß der Anteil der Auslandsreisen am gesamten Urlaubs- und Erholungsverkehr von 39 % im Jahre 1962 auf 37 % im Jahre 1966 abgenommen hat.
Was den Anteil des Ausländerreiseverkehrs in der Bundesrepublik anlangt, so können wir noch nicht ganz zufrieden sein. Der Ausländeranteil am innerdeutschen Fremdenverkehr beträgt derzeit etwa 8%. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß etwa 80 % der Ausländerübernachtungen auf Großstädte und sonstige Gemeinden, das heißt nicht auf die eigentlichen Erholungsgebiete, entfallen. Daraus muß man den Schluß ziehen, daß der überwiegende Teil des Ausländerreiseverkehrs auf den Geschäftsreiseverkehr entfällt.
Auf lange Sicht gesehen müssen wir danach trachten, daß wir einen angemessenen Anteil des ständig anschwellenden internationalen Touristenstroms für unsere Fremdenverkehrswirtschaft gewinnen. Eine Steigerung des Ausländeranteils würde - abgesehen von den höheren Pro-Kopf-Einnahmen - die Abhängigkeit der Fremdenverkehrswirtschaft von der Binnenkonjunktur vermindern.
Die Voraussetzungen für einen verstärkten Ausländerreiseverkehr sind in den meisten deutschen Heilbädern und Fremdenverkehrsgebieten gegeben. Der deutsche Alpenanteil und das Bodenseegebiet weisen die gleichen geographischen und klimatischen Bedingungen wie die von Ausländern viel stärker frequentierten vergleichbaren Gebiete Osterreichs und der Schweiz auf. Ob es gelingt, den Ausländeranteil zu steigern, hängt weitgehend davon ab, ob die Auslandswerbung, insbesondere in den angelsächsischen Ländern, intensiviert werden kann. Auf diesem Gebiet ist von den dafür zuständigen Stellen und Werbeträgern Beachtliches geleistet worden, vor allem, wenn man die schwierige politisch-psychologische Situation in den Jahren nach 1945 berücksichtigt. Es kann andererseits aber kein Zweifel darüber bestehen, daß sich die Werbeanstrengungen noch verstärken lassen und daß sie auch noch verstärkt werden müssen.
Der Bund kommt gegenwärtig fast ausschließlich für die Finanzierung der von der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr durchgeführten Auslandswerbung auf. Der weitere Ausbau dieser Auslandswerbung, insbesondere eine Steigerung der Ausgaben für die Auslandsbüros der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr, erscheint mir andererseits dringend erforderlich.
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Dieser zusätzliche Aufwand kann vom Bund allein angesichts seiner vielfältigen wirtschaftspolitischen Aufgaben nicht erbracht werden. Hier sollten sich alle am Fremdenverkehr mittelbar und unmittelbar interessierten Wirtschaftskreise, beginnend bei den Verkehrsträgern bis hin zu den Kreditinstituten, denen nicht unerhebliche Einnahmen aus dem Handel mit Reisezahlungsmitteln zufließen, an einer Gemeinschaftsaktion beteiligen. Im Zeitalter der Großflugzeuge dürfte dies eine ertragreiche, sich relativ kurzfristig liquidierende Investition sein. Ich sehe
außerdem noch zusätzlche Möglichkeiten der Verbundwerbung zwischen der Zentrale und anderen Werbeträgern, z. B. den großen Verkehrsträgern.
Angesichts des für die Amerikaner günstigen Kaufkraftverhältnisses Dollar : DM bieten sich gerade in den USA größere Möglichkeiten für die Gewinnung zusätzlicher Deutschland-Touristen. Neben der Erhöhung der Werbeausgaben sind auch gewisse Umstellungen in der Konzeption der Auslandswerbung erforderlich. Hier sind zu nennen der Übergang von der Repräsentationswerbung zur qualifizierten Reiseinformation, wenn nicht gar zur Verkaufswerbung, die Koordinierung der Werbemaßnahmen in Werbegemeinschaften für bestimmte Werbeziele, die Überwindung der Zersplitterung des Angebots an Fremdenverkehrsleistungen und die Verknüpfung der Inlands- mit der Auslandswerbung.
Allerdings ist es mit der Werbung allein nicht getan. Die Fremdenverkehrswirtschaft muß sich mehr als bisher auf die Besonderheiten des internationalen Tourismus einstellen. Das heißt: in erster Linie eine größere Verbreitung fremdsprachlicher Kenntnisse nicht nur in den großen Hotels, sondern auch in einfacheren Häusern, um eine gute Betreuung der ausländischen Gäste sicherzustellen.
Die Intensivierung der Bemühungen um den Gast ist auch im Hinblick auf die große Bedeutung der sogenannten „Mundreklame" wichtig. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, daß für weit mehr als die Hälfte der Urlaubsreisenden die persönliche Erfahrung oder der Ratschlag von Bekannten oder Verwandten bei der Reisezielauswahl entscheidend war. Diese „innere" Werbung ist Voraussetzung für den Erfolg der „äußeren" Werbung.
Im Rahmen eines kurzen Diskussionsbeitrages können selbstverständlich nicht alle aktuellen Probleme des Fremdenverkehrs angesprochen werden. Eine Anregung, die in der Fremdenverkehrswirtschaft diskutiert wird, möchte ich aber noch ausdrücklich unterstützen, nämlich das Projekt der Schaffung eines einheitlichen, neutral organisierten, d. h. nicht an eine bestimmte Hotelgruppe angelehnten Hotelreservierungssystems für die Bundesrepublik. Die Platzbuchungssysteme der Fluggesellschaften haben gezeigt, daß dieses Problem mit Hilfe von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen technisch und wirtschaftlich lösbar ist.
Was die Wettbewerbssituation der deutschen Fremdenverkehrsgebiete gegenüber der ausländischen Konkurrenz anlangt, so ist der Entschluß der Bundesregierung vom November vorigen Jahres bedeutsam, keine Aufwertung der Deutschen Mark vorzunehmen, sondern das außenwirtschaftliche Gleichgewicht mit steuerlichen Maßnahmen sicherzustellen, die zwar im Bereich des Warenverkehrs einer Aufwertung gleichkommen, den Bereich der Dienstleistungen, des unsichtbaren Exports - also des Fremdenverkehrs - aber aussparen.
Der stärkere Preisanstieg in einigen mit uns konkurrierenden Fremdenverkehrsländern hat andererseits zu einer Verbesserung unserer internationalen Wettbewerbsposition geführt. Der Kollege Spitzmül11630
ler ging in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen Förderungsmaßnahmen im Ausland ein. Ich möchte davor warnen, diese unterschiedlichen Förderungsbedingungen zum alleinigen Maßstab zu machen. Wir wissen ja, wohin die internationale Konkurrenz von staatlichen Förderungsmaßnahmen im Bereich der Agrarpolitik geführt hat. Ich glaube nicht, daß es gut wäre, wenn wir in einen solchen Wettlauf um Konditionen und Zuschüsse eintreten sollten.
Für den Ausländerreiseverkehr in die Bundesrepublik stellen die Olympischen Spiele 1972 in München einen großen Impuls dar, den es werblich voll auszuschöpfen gilt. Die Olympischen Spiele könnten einen entscheidenden Beitrag leisten, den gegenüber der Schweiz, Österreich und Italien geringeren Bekanntheitsgrad der deutschen Fremdenverkehrsgebiete anzuheben und so eine nachhaltige Steigerung der Frequenz des Ausländerreiseverkehrs nach Deutschland zu erreichen.
Noch ein Wort zur Bedeutung der Großstädte für den Fremdenverkehr. Der Geschäftsreiseverkehr ist ein wesentlicher Teil des Fremdenverkehrs mit nicht zu unterschätzenden Sekundärwirkungen für andere Wirtschaftszweige. In einigen Großstädten besteht allerdings immer noch ein gewisser Mangel an Großhotels der ersten Kategorie, die für den Geschäftsreiseverkehr, insbesondere aber für den Reiseverkehr in Zusammenhang mit großen wissenschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Kongressen von entscheidender Bedeutung sind.
Daß diese Frage auch für die großen Verkehrsträger von Bedeutung ist, ergibt sich schon daraus, daß sich die Deutsche Lufthansa beim Bau neuer Hotels finanziell und organisatorisch engagiert. Dem stehen allerdings die Klagen deutscher Hoteliers gegenüber, die sich durch die geschäftliche Aktivität großer ausländischer Hotelketten in ihrer Existenz bedroht fühlen.
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Um hier angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit den Betrieb von Großhotels zu sinnvollen Lösungen zu kommen, die die einheimische Hotellerie nicht benachteiligen, andererseits den zu erwartenden Bedarfssteigerungen Rechnung tragen, empfiehlt sich eine Kooperation in größerem Umfang. Ich begrüße daher, daß sich führende Hoteliers zusammengeschlossen haben, um den Bau und Betrieb von Großhotels in den Brennpunkten des großstädtischen Fremdenverkehrs zu ermöglichen.
Ich komme zum Schluß. Der rasche, sich akzelerierende Wandel unserer Lebensverhältnisse hat seine speziellen Auswirkungen auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs. Wir können davon ausgehen, daß sich auf diesem Sektor in den vor uns liegenden Jahren eine kräftige Expansion 'einstellen wird, allerdings verbunden mit einem Strukturwandel.
Den beteiligten Wirtschaftskreisen wird ein hohes Maß von Anpassungsfähigkeit abverlangt werden. Eine gründliche Analyse der gegenwärtigen Situation der Fremdenverkehrswirtschaft und eine sorgfältige Projektion der Chancen der Touristik, insbesondere der Veränderungen der Marktstruktur, ist daher als Orientierungshilfe notwendig. Der Fremdenverkehr ist - ob wir das positiv beurteilen oder nicht - in die Phase der Massenproduktion eingetreten. Der organisatorische Zusammenschluß einiger großer Reiseveranstalter, der in der letzten Woche bekanntgegeben wurde, ist ein Symptom für diese Tendenz. Neben steigenden Umsätzen ergeben sich daraus auch spezifische Risiken - gerade auch für die mittelständischen Betriebe -, auf die sich die beteiligten Wirtschaftskreise einstellen müssen.
Die Beantwortung .der Anfrage 'der FDP durch die Bundesregierung liefert bereits wichtiges Material. Dieser Bericht regt selber weitere Untersuchungen an, die einen vergleichsweise bescheidenen Aufwand von 250 000 DM jährlich verursachen würden. Ich möchte meinen, daß sich diese Summe im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers finden lassen müßte. Ich darf den anwesenden Herrn Bundeswirtschaftsminister herzlich bitten, sich dieser Sache persönlich anzunehmen.
Man könnte auch daran denken, diese Summe aus den beachtlichen Mehreinnahmen des Bundes aus den steuerlichen Maßnahmen zur außenwirtschaftlichen Absicherung abzuzweigen. Diese sollen ohnehin für die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur verwendet werden. Warum sollen daraus nicht Untersuchungen gefördert werden können, die der Vorbereitung von Strukturverbesserungen in der Fremdenverkehrswirtschaft dienen? Die Förderung des Fremdenverkehrs ist eine Gemeinschaftsaufgabe des Bundes, der Länder, der Gemeinden, der beteiligten Wirtschaftskreise und ihrer Verbände und nicht zuletzt der großen touristischen Organisationen, zu denen ich auch die Automobilverbände rechnen möchte.
Ich habe den Eindruck, daß sich viele Probleme leichter lösen lassen würden, wenn der Informationsfluß unter den beteiligten Stellen reibungsloser vor sich ginge als bisher. Ich möchte daher von dieser Stelle aus den Vorschlag des Präsidenten des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes und der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr, Staatsminister a. D. Dr. Rudolf Eberhard, unterstützen, eine Clearingstelle des Meinungsaustausches zu schaffen. In welcher organisatorischen Form dies erfolgen und welchen Namen diese Clearingstelle tragen soll, ist dabei von geringerer Bedeutung. Wichtig dagegen ist, daß man alle Beteiligten an einen Tisch bringt.
Diese Gedanken wird man auch im Zusammenhang mit den Entschließungsanträgen .der FDP und meiner Fraktion betreffend Gründung eines Fremdenverkehrsbeirats berücksichtigen müssen. Ich möchte allerdings dieses Haus davor warnen, sich hier in einen Kompetenzstreit der Bundesregierung einzumischen.
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Lassen Sie mich nur noch kurz auf die vorliegenden Entschließungsanträge eingehen. Ich glaube, wir können sie hier nicht im Rahmen einer PlenarSchmidhuber
debatte abhandeln. Sie verdienen eine ,eingehende Beratung. Ich möchte nur ein warnendes Wort dazu sprechen. Berichte an sich nützen in dieser Sache wenig. Sie sind nach rückwärts gewandt, und sie müssen allein aus technischen Gründen etwas verspätet kommen. Wichtig dagegen ist, daß sich das Bewußtsein von der steigenden Bedeutung des Fremdenverkehrs für die Gesamtwirtschaft in den für die Wirtschaftspolitik verantwortlichen Kreisen weiter festigt.
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Meine Damen und Herren, der Fremdenverkehr ist ein großes Thema. Hier liegen noch 14 Wortmeldungen vor.
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- Es stimmt aber. Wir müßten doch versuchen, bis 13 Uhr mit diesem Punkt fertig zu werden.
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- Ich danke Ihnen, daß Sie mir helfen. Ich wollte auch Herrn Schmidhuber empfehlen, sich den § 37 der Geschäftsordnung noch einmal anzusehen. Er ist überschrieben mit „Die Rede" und nicht mit „Die Schreibe" !
Wir waren aber noch in der ersten Runde. Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Schwabe.
Ich bitte alle Redner, immer einen Blick auf die Uhr dort zu werfen und daran zu denken, daß wir möglichst bis 13 Uhr dieses Thema abschließen möchten.
Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der FDP-Fraktion ist am 15. März 1968 eingebracht worden. Sie stellt einen komprimierten Fragenkatalog dar. Daraus erklärt sich zweierlei - ich möchte nach dem letzten Wort sogar sagen: es erklärt sich daraus dreierlei -, nämlich erstens, daß die Antwort der Bundesregierung erst siebeneinhalb Monate später erteilt werden konnte, und zweitens, daß auf vier Druckseiten Fragen rund 80 Druckseiten Antworten gegeben wurden. Man kann also, wenn man diese Stellungnahme der Regierung von der Parlamentsseite her wertet, getrost davon sprechen, daß .sie erschöpfend ist. Unter Fachleuten wird sie wohl auch als ermüdend bezeichnet.
Diese Feststellung braucht die Regierungsseite nicht zu schmerzen, sie bestätigt vielmehr die alte Volksweisheit: Wer viel fragt, bekommt auch viel Antwort. Ganz zwangsläufig ist aus dieser Antwort eine Anthologie geworden, eine Blütenlese von Statistiken. Die Fachwelt des Fremdenverkehrs findet in dieser Ad-hoc-Drucksache, was sie seither aus den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, der beiden wissenschaftlichen Fachinstitute in München und Frankfurt, einiger Fachverbände und anderer Stellen kannte. Gleichwohl bleibt diese weitgehende Materialsammlung verdienstvoll. Der
entsprechend diesem Fragenkatalog gegliederte Textteil - gegenüber der soeben genannten Anthologie könnte man also gewissermaßen von der Prosa sprechen - macht unter anderem deutlich, wie viele Ressorts betroffen sind. Auf eine Reihe von Einzelheiten wird in der Folge einzugehen sein.
Auf die Bemerkung, daß man sich hier der vorbereiteten Unterlagen nicht bedienen sollte, muß allerdings folgendes gesagt werden. Wenn vier Seiten detaillierter Fragenhäufung und achtzig Seiten detaillierter Antwort vorliegen, ist es für den Redner, wenn er auch nur einigermaßen die Auffassung seiner Freunde darlegen soll - und er tut es hier zu diesem Thema zum erstenmal in acht Jahren -, sehr schwer, nicht ganz den Faden zu verlieren.
Meine Damen und Herren, wenn wir als politisches Gremium hier zum erstenmal den Fremdenverkehr erörtern, so muß die innen- und außenpolitische Wertung deutlich werden. Wenn das nicht geschähe, wären all die Kolleginnen und Kollegen unglaubwürdig, die seit einer Reihe von Jahren bemüht sind, dem nationalen und internationalen Tourismus die ihm gebührende parlamentarische und gouvernementale Beachtung zu sichern.
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Der Präsident der Europäischen Kommission für Fremdenverkehr, Arthur Haulot, hat vor einiger Zeit festgestellt, daß der internationale Fremdenverkehr an der ersten Stelle des gesamten Welthandels steht. Wenn man bedenkt, daß die Summe dieser Umsätze nicht nach dem Schema einer Bedarfsdeckung oder einer kontinuierlichen Warenlieferung zusammenkommt, sondern daß diese Umsätze sich summieren aus Millionen immer wieder neu zu treffender menschlicher Einzelentscheidungen, dann wird doch vielleicht auch dem bisher weniger Interessierten der politische Gehalt dieses Sachgebiets deutlich. Immer mehr Menschen reisen immer häufiger und immer länger nach immer weiter entfernten Zielen. So wäre pauschal die Entwicklung zu umreißen, die für eine bemerkenswerte Zahl von Abgeordneten dieses Hohen Hauses der Anlaß zu einem losen Zusammenschluß war und dazu, sich mehr als bisher mit den Problemen des Fremdenverkehrs zu befassen.
Damals stieß man auf ein Vorurteil, meine Damen und Herren, das vielleicht heute noch nicht ganz ausgeräumt ist: Man glaubte, es könnte sich vielleicht um „Reiseonkels" handeln,- die öfters mal hinausfahren wollten. Demgegenüber sei festgestellt, daß in sieben Jahren drei Reisen in Sachen Tourismus stattgefunden haben; die Teilnehmerzahl lag zwischen zwei und zwölf Abgeordneten. Sie haben zudem bei allen Reisen wesentliche Kostenanteile selbst getragen. Gemessen an der unermüdlichen Mobilität, die man unseren bedauernswerten Kollegen von den Europa-Gremien zumutet, erscheint die Reisefrequenz der Tourismus-Spezialisten dieses Hauses bescheiden und die Kostenregelung geradezu spartanisch.
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Wir haben der Sache des Fremdenverkehrs hier an Ort und Stelle und natürlich in ganz Deutschland zu dienen versucht und wollen das weiter tun. Die laufende Information geschieht durch die über die Grenzen Deutschlands hinaus renommierte Fachzeitschrift „Der Fremdenverkehr", dazu die weitere Fremdenverkehrspresse und die großen Teile der Tagespresse, Beilagen usw., die sich diesem Phänomen widmen. Wir danken der Zentrale für Fremdenverkehr für die Bereitstellung der Fachzeitschrift. Wir geben einen Tip heraus und weisen unsere Kollegen hier auf wichtige Dinge hin. Ich sage das deshalb - und glaube es sagen zu müssen -, weil sonst der Eindruck entstehen möchte, daß erst ab heute hier im deutschen Parlament das Interesse für den Fremdenverkehr wach geworden sei.
Wir danken dem Verkehrsministerium und dem Bundespresseamt für viele wichtige Hinweise. Das Wirtschaftsministerium hat unlängst dankenswerterweise durch unsere Vermittlung den interessierten Mitgliedern des Hauses die OECD-Studie über den Fremdenverkehr 1967 übermittelt. Eine Reihe von Einzelberatungen haben zur Abstimmung über anstehende Fachfragen geführt. Mit unseren deutschen Spitzenverbänden und mit den fremdenverkehrstypischen Städten Berlin, München und Köln fanden fruchtbare Kontaktgespräche statt.
Zurück zur Drucksache! Sie versucht sich nach bewährter Weise an der Begriffsbestimmung. In einschlägigen Fachkursen lernt man das so: Fremdenverkehr treiben heißt, einen dazu geeigneten Platz, Ort oder Landschaftsteil zur Aufnahme von Gästen herzurichten und dann dafür zu sorgen, daß recht viele Gäste dort hinfahren, gut behandelt werden, sich wohlfühlen, wiederkommen und andere mitbringen. Der sozialdemokratische Sprecher kann indessen nicht umhin, weiter auszuholen. Früher konnte nur eine schmale Oberschicht verreisen. Heute sind es erheblich mehr Menschen - und trotzdem nach unserer Auffassung noch immer zu wenig Mitbürger -, die sich einen sorgenfreien Erholungsurlaub leisten können. Das jahrzehntelange unermüdliche Ringen um Urlaubsgeld, Urlaubszeit und Lohnfortzahlung hat - wie sollte es anders sein - harte Kontroversen hervorgerufen. Die Wirtschaft ist nicht daran zugrunde gegangen, sondern sie profitiert von der regenerierten Schaffenskraft ihrer Mitarbeiter. Nebenher hat sich der einstmals schmale Zweig der Fremdenverkehrswirtschaft zu einem beachtlichen Wirtschaftsfaktor in unserem Lande entwickelt. Sie konnte, ja sie mußte sich so entwickeln, weil mittlerweile drei Wochen bezahlter Erholungsurlaub die Durchschnittsregel geworden war. Auch mit der 5-TageWoche haben wir uns dann anschließend schwer getan. Selbst die Wirte haben sie wegen der Personalschwierigkeiten anfangs beklagt. Inzwischen ist aus der in der DDR allgemein, bei uns weitgehend erreichten 5-Tage-Woche ein kräftiger Impuls für den erweiterten Wochenendverkehr geworden. Die Naherholungsgebiete blühen auf.
Ich will nun nicht all die vorgelegten Statistiken, Schaubilder und Kurven interpretieren, sondern nur drei Feststellungen herausheben.
Erstens. Der Fremdenverkehr ist fast überall, insbesondere aber auch in Deutschland bemerkenswert gestiegen. Er ist gemessen an anderen Wirtschaftszweigen kräftig und erfreulich angewachsen. Im Vergleich zu anderen vergleichbaren Ländern ist er nicht so stark gestiegen, wie wir es gern möchten. Wir haben dabei zu beachten, daß es keineswegs etwa nur auf die absoluten Zahlen, sondern auf die Auslastungsquote ankommt. Wenn durch öffentliche und private Initiative ein Wirtschaftszweig angeregt, belebt, gefördert und ausgebaut wird, dann muß man seinen Erfolg natürlich auch relativ beurteilen. Aus dem gesamten Zahlenmaterial verdienen die Summe der Übernachtungen und die Belegquote vorrangige Bedeutung, so wie man vergleichsweise bei den Fluglinien aus den verkauften Passagierkilometern und aus dem sogenannten Sitzladefaktor, dem Ausnutzungsgrad der Maschinen, die endgültigen Schlüsse ziehen kann.
Zweite Feststellung: Der Fremdenverkehr ist ganz
besonders krisenempfindlich. Bei rückläufiger, bei stagnierender Konjunktur neigt man am allerehesten dazu, auf eine Reise zu verzichten. Gerade deshalb sollten alle am Fremdenverkehr Beteiligten dankbar dafür sein, daß die moderne Wirtschaftspolitik der Großen Koalition die sich abzeichnende Regression der Branche inzwischen wieder abgefangen hat.
Der deutsche Fremdenverkehr arbeitet aus mancherlei Gründen mit niedrigen Auslastungsquoten und daher unter dem Strich mit geringen Reinerträgen. Natürlich ist man auch in hohem Maße vom Wetter abhängig. Dazu gehört aber auch zwangsläufig ein gutes Wirtschaftsklima. Wären der Arbeitsertrag und die Beschäftigtenzahl nicht wieder kräftig angestiegen, dann wäre es heute um den deutschen Fremdenverkehr schlecht bestellt.
Dritte Feststellung: Alle Futurologen, also die ernsthaften Analytiker der Zukunft, sind sich darüber einig, daß die durchschnittliche Arbeitszeit schon in den nächsten zehn Jahren erheblich absinken wird. Die relativen Arbeitserträge und die Entgelte werden steigen. Konsequenterweise wird der gesamte Freizeitbereich stark anwachsen. Die Bevölkerungszahl wird wachsen. Mehr Menschen - mehr Reisen. Dazu kommt ein vergleichsweise rasches Anwachsen der Lebenserwartung, die ihrerseits eine weitere Steigerung der potentiellen Altersreisen ausmacht. Das sind einige Markierungen für den Weg, der einzuschlagen ist.
Hat die öffentliche Hand Rechte oder Pflichten einzugreifen? Welche öffentliche Hand? Wir wollen nicht die, ich weiß nicht wievielte, Zuständigkeitsdebatte hier am Beispiel des Fremdenverkehrs entfesseln. Das ist jedenfalls nicht unsere Absicht. Wir wissen um die Unterschiedlichkeit von Kommunal-, Länder- und Bundesaufgaben, und wir wissen auch, daß schwergewichtig im Vordergrund die private Initiative und die kollegiale Organisation zu stehen haben. Wir bejahen die Hilfe der Administration. Über das Wie, das Wo, das Wann, das Wieviel wird die Diskussion sowieso nie zur Ruhe kommen.
Viele Länder, meine Damen und Herren, auch durchaus vergleichbare Länder haben einen Minister
oder einen Staatssekretär für den Fremdenverkehr. In der Bundesrepublik wird der Tourismus durch je einen Regierungsdirektor im Wirtschafts- und im Finanzministerium betreut. Ich erwähne das ausschließlich, um die Situation zu kennzeichnen. Ich habe weder die Absicht, noch viel weniger den Auftrag meiner Fraktion, neue Spitzenstellungen zu fordern. Noch weniger möchte ich die Bedeutung von Regierungsdirektoren schmälern, zumal da es sich hier um zwei besonders verdienstvolle Kollegen handelt; Kollegen übrigens auch in dem Sinne, daß ich selbst lange genug Regierungsdirektor war.
Aber immerhin glauben sehr viele Leute, daß man das auch anders organisieren könnte. Es gibt da ein sehr interessantes weiß-blaues Intermezzo. Da hat ein bayerischer Staatsbürger, der Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen, vor einiger Zeit den Vorschlag gemacht, man solle den Fremdenverkehr in Bonn konzentrieren, alles dort zusammenfassen und ein Ministerium oder Staatssekretariat dafür einrichten.
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- Nicht die Fremden, sondern die Förderung des Fremdenverkehrs, mein Verehrter. Ich zitiere nur aus diesem bajuwarischen Hausintermezzo. Aber seien Sie sicher, die maßgeblichen Stellen - auch das steht in der Drucksache des bayerischen Landtags - haben sofort die notwendige föderalistische - und in diesem Falle auch berechtigte - Bremse gezogen.
In der Zwischenzeit hat der vorhin von meinem Vorredner schon genannte Staatsminister a. D. Dr. Eberhard in Doppelfunktion die Spitze des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes und der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr erklommen. Da er außerdem Vorsitzender des Nordbayerischen Fremdenverkehrsverbandes und des Bayerischen Fremdenverkehrsverbandes ist, waren manche Leute versucht, hier von einer ungemäßen Bajuwarisierung des Fremdenverkehrs zu reden. Ich mache mir das nicht zu eigen.
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Tüchtige Kräfte an die Front! Die können von überall her kommen, und wir werden uns schon einig werden.
Aber nochmals etwas zu diesen Organisationsfragen. Sehen Sie, meine Damen und Herren, es ist heute allgemein üblich, ein gewisses Unbehagen zu artikulieren. Seien Sie sicher, auch der deutsche Fremdenverkehr hat das Gefühl, daß man jahrelang die Dinge etwas zu dilatorisch behandelt hat. Meine Herren Kollegen von der FDP, wir von der SPD haben seit langen Jahren erkannt, daß man hier nachhelfen muß. Wir haben uns aber im wesentlichen auf die Aktivierung der einzelnen Abgeordneten, die sich da interessieren, beschränkt. Ich habe bisher eine fromme Scheu gehabt, das heraufzubeschwören, was heute hier stattfindet, nämlich daß sich sehr viele Kollegen offenbar für eine breite Erörterung
dieser Dinge doch nicht so sehr interessieren. Aber nun sind wir dabei - ({4})
- Wie Sie meinen! Ich bin's zufrieden; ich klage nicht. Ich freue mich - das muß gesagt werden -, wenn wir hier von Bundesdingen reden, daß der Herr Bundesminister für Verkehr und der Herr Bundesminister für Wirtschaft in dankenswerter Weise die Arbeit der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr finanziell laufend entsprechend unseren Vorstellungen verstärkt haben und daß dort auch ein jüngeres Team und eine neuere frischere Auffassung Platz gegriffen haben.
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Diese Zentrale für Fremdenverkehr hat 16 Vertretungen draußen. Hier ist vorhin einmal das Wort von einer „Verkaufswerbung" gefallen. Das genau können die Leute nicht. Sie sind Informanten und Helfer. Sie haben die Reisebüros - um es am Beispiel New York mal zu sagen: Hunderte von Reisebüros - und Luftlinien zu beraten, wie man die Wege nach Deutschland finden und ebnen kann. Sie können und dürfen natürlich nicht verkaufen.
Ich möchte aber auch im Sinne der Kollegen, die mit uns diese Stellen besucht haben und kennen, folgendes sagen. Die Länder, die Städte, Kurorte und Verkehrsorganisationen leisten durch die Bereitstellung von Broschüren, Plakaten, Filmen und Dia-Serien einen erheblichen Sachbeitrag. Ausländische Reisejournalisten und Reisebürofachleute werden von den gleichen Stellen in Deutschland betreut. Inseratkampagnen im Ausland erfahren von acht deutschen Großstädten und verschiedenen Fremdenverkehrsverbänden eine nachhaltige Unterstützung. Bei diesen und ähnlichen Maßnahmen geht es notwendigerweise um eine gezielte, aber in der Summe doch sehr breite Streuung.
Ich möchte Ihnen hier einige Zahlen über einen einzigen Werbeprospekt nennen, damit Sie sich eine Vorstellung machen können. Dieser Sammelprospekt für die Bundesrepublik hat 1 Million Auflage. Vom Bund her wurden 350 000 DM an Kosten gezahlt. Die Prospekte - alle verschiedensprachigen Fassungen zusammen - wiegen insgesamt 70 Tonnen. Überlegen Sie einmal, was es bedeutet, diese Menge in Deutschland herzustellen und dann an die Interessenten in aller Welt hinauszubringen. Das sind gewaltigen Aufgaben.
Ich möchte die Arbeit unserer Filialen draußen würdigen. Ich möchte unseren Vertretern mit ihren wenigen Mitarbeitern auch von hier aus ein Wort des Dankes sagen. Unsere Vertreter draußen sind gute Botschafter der Bundesrepublik in der Welt. Sie pflegen, über ihre dienstlichen Verpflichtungen hinausgehend, auch den wichtigen gesellschaftlichen Kontakt. Sie müßten einmal gesehen haben, wie sie mit ihren netten und nimmermüden Frauen - das muß einmal gesagt werden - dazu beitragen, daß draußen auch ein Stück deutsche Gastlichkeit lebendig wird. Die kollegiale Zusammenarbeit mit den Repräsentanten der Deutschen Lufthansa und mit den deutschen Auslandskorrespondenten ist auch
zu nennen. Das klappt hervorragend. Wir wollen dafür dankbar sein, und wir freuen uns, wenn die Regierung von Jahr zu Jahr etwas mehr hilft.
Lassen Sie mich zu diesem Punkt noch ein paar wichtige Worte sagen, damit das ganz klar ist. Als die menschlichen Beziehungen zu den ehemaligen Feindstaaten nach dem Krieg auf dem Nullpunkt standen, haben die Kollegen vom Fremdenverkehr ganz behutsam begonnen, vom Menschen her die ersten Beziehungen anzuknüpfen. Man hat versucht, Besucher zu werben, in der Hoffnung, daß diese Besucher durch ihr eigenes objektives Erkennen und auf Grund des Bemühens der deutschen Gastgeber eine wirkliche Gastfreundschaft erleben würden und daß aus Gästen Freunde würden.
Meine Damen und Herren, man mag mir vorhalten, das stehe expressis verbis weder in der Anfrage noch in der Antwort. Wir meinen, daß der Deutsche Bundestag ein Anrecht darauf hat, zu hören, wie mit Bundesgeldern auf diesem Sektor gearbeitet wird. Mich hat insbesondere immer beeindruckt, daß in all diesen Auslandsstellen nicht von der Politik der Bundesregierung gesprochen, sondern für den Besuch der Bundesrepublik geworben worden ist. Darüber sind wir uns doch alle klar: Deutschland braucht Freunde in der Welt, es braucht sie mehr denn je.
Ich habe bei anderer Gelegenheit darauf hingewiesen, daß Berlin, hätte es im Laufe seiner Geschichte nicht so viele Gäste aus aller Welt gehabt, Millionen von Menschen, die sich dort wohlgefühlt haben, Wurzeln geschlagen und Freundschaften geschlossen haben, heute gar nicht mehr diese Rolle in der Welt spielen könnte, die es spielt. Hier sind Tourismus und Außenpolitik eng verbunden.
Ich will den Streit um die Hotelketten und um die Beteiligung der Fluggesellschaften übergehen. Ich möchte hier aber noch sagen - ich wiederhole das eigentlich nur -: das Fremdenverkehrsgewerbe muß enger zusammenfinden, um als starker Gesprächspartner antreten zu können. Das ist leichter gesagt als getan, weil es in diesem breiten Spektrum des gesamten Fachs zahlreiche komplementäre, aber naturgemäß auch viele konträre Aspekte gibt. Ich will es mir versagen, das alles aufzuzählen. Ich überspringe Passagen, möchte Ihnen aber sagen, daß wir uns, weil wir hier nicht mit sechs oder acht Rednern, sondern nur mit zwei Rednern angegetreten sind, vorbehalten, eventuell noch auf die eine oder andere Sache einzugehen.
Man muß darauf hinweisen, daß es müßig ist, die Frage, ob die Kultusminister uns erheblich bei der Ferienordnung helfen können, immer wieder in den Vordergrund zu stellen. Meine Damen und Herren, auch darauf legen wir als Sozialdemokraten Wert festzustellen: die Hälfte der Familien mit Kindern, mindestens die Hälfte, kann im Urlaub nicht wegfahren, und diese Familien haben einen Anspruch darauf, daß insbesondere die großen Ferien in eine Zeit fallen, wo es heiß ist und wo sich die Kinder auch zu Hause in der stadtnahen Umgebung erholen können. Man kann nicht das ganze Ferienproblem, das ja von manchen Eiferern - ich sage das
überspitzt - am liebsten vom 1. Januar bis zum 31. Dezember abgewickelt werden möchte, so sehen. Ich weiß, daß das überspitzt wirkt, und deswegen sage ich es hier. Man muß darauf achten, daß die großen Ferien auch weitgehend für die Zuhausegebliebenen richtig eingerichtet werden.
Ich übergehe alles andere, vielleicht ganz wesentliche Dinge. Vielleicht kommen wir in den Ausschüssen dazu, uns darüber zu unterhalten.
Dem Komplex der Steuern kommt eine besondere Bedeutung zu. In einem der Papiere ist davon die Rede. Ich will auch das hier nicht ausbreiten, obwohl es wesentliche Dinge dazu zu sagen gäbe.
Meine Damen und Herren, bezüglich der Kompetenzen ist heute hier aktuell die Frage angeschnitten worden, ob man die Zuständigkeit von einem Ministerium ins andere gibt, also die Ministerialkompetenz. Ich möchte doch darauf hinweisen - ohne mich da ungebührlich einmischen zu wollen -, daß gute Gründe dafür vorliegen, daß das Verkehrsministerium die direkte Verbindung zu den Verkehrsträgern hat; nämlich zur Deutschen Lufthansa, zur Deutschen Bundesbahn und zu einem wichtigen privaten Unternehmen, das gleichbedeutend für andere mitstehen mag, nämlich zur Köln-Düsseldorfer Dampfschiffahrt, also zur Rheinschifffahrt, die in der Auslandswerbung eine besondere große Rolle spielt. Sehen Sie, meine Damen und Herren, das sind die bestehenden Verbindungen. Wenn man die Verkehrsträger zu betreuen hat, liegt es nahe, daß man auch für einen Teil der Verkehrswerbung zuständig ist; - damit das nicht falsch verstanden wird.
Ich wollte wenigstens zur Mehrwertsteuer, die sicherlich immer wieder einmal überdacht werden muß, sagen, daß wir doch nachher als positives Ergebnis der schmerzlichen Auseinandersetzung einen Inklusivpreis im allgemeinen Angebot erreicht haben; gerade auf den kommt es an. Meine Damen und Herren, man kann heute nicht mehr mit Worten werben wie „Hessen ist schön" und „Bayern ist romantisch" oder „Der Teutoburger Wald ist geschichtsträchtig", sondern man muß sich andere Dinge einfallen lassen. Im Wettkampf der ökonomischen Bestrebungen nach dem Ausland, nach dem Inland, nach privater, nach offizieller, nach gemeinnütziger Darbietung spielt eben der Preis eine erhebliche Rolle. Man muß sagen, was es kostet, und man muß nicht einen Preis nennen, von dem aus nachher der Verbraucher erst wieder eine Hochrechnung anzustellen hat, bis er zum endgültigen Preis kommt. Man muß ihm sagen, was das alles zusammen ausmacht. Ich darf in dem Zusammenhang auch sagen, daß es natürlich noch eine ganze Reihe von anderen Werbemöglichkeiten gibt.
Ich wollte abschließend eigentlich, auf die Vielfalt der Dinge hinweisend, bemerken, daß viel mehr Ressorts als die heute angesprochenen zuständig sind. Die Alltagsprobleme des Fremdenverkehrs sind angedeutet worden. Wir haben eine Reihe von Ministerien vor Augen. Lassen Sie mich - Ladies first - bei der Frau Ministerin für das Gesundheitswesen beginnen. Ihr Haus hat bevorSchwabe
zugt mit den deutschen Heilbädern zu tun. Wir möchten dem Gesundheitsministerium und der Aktion Gemeinsinn dafür danken, daß in dem ausgezeichneten Gesundheitskompaß auch der Wert von Urlaub und Erholung dargestellt ist, und wir möchten das Haus ermuntern, vielleicht auch einmal eine Urlaubsfibel herauszugeben.
Die Frau Ministerin für Familie und Jugend hat ein besonders dankbares Feld zu bestellen - ein Agrarvergleich; muß man gleich dazusagen -, so daß man ihr für diese Tätigkeit mehr Subventionen wünschen möchte, insbesondere für die bestehenden und geplanten Feriendörfer, denen eine jährlich steigende Bedeutung zukommt. Für den internationalen Jugendaustausch wird in ihrem Haus viel getan, und wir erleben eine ständig wachsende Resonanz unserer reisefreudigen Jugend.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat durch Beratung und Ausführungshilfe verschiedene ausländische Projekte betreut. In gründlich vorbereiteten internationalen Seminaren werden zu allseitigem Nutzen wechselseitige Erkenntnisse ausgetauscht, - eine gute Übung, die man beibehalten sollte.
Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen hat einiges mit dem innerdeutschen Verkehr zu tun, wie er ist und wie er sein könnte. Mein Kollege Dr. Kreutzmann war früher der Fremdenverkehrsreferent der hessischen Landesregierung und später deren Beauftragter für das Zonenrandgebiet. Er wird diese Fragen anschließend sachkundig ansprechen.
Das Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, aber auch die Abgeordneten des zuständigen Ausschusses sollten sich immer wieder bewußt sein, daß der von ihnen betreute Menschenkreis eine weit nachdrücklichere Erholungshilfe braucht und erwartet. Die Menschen werden älter und erholungsbedürftiger, aber ihre Renteneinkünfte lassen ihnen keinen Raum für eigene Urlaubsinitiativen. Hier ist der Staat am Zuge.
Dem Herrn Wohnungsbauminister möchten wir für heute einen bescheidenen Sonderwunsch mit auf den Weg geben. Beim sozialen Wohnungsbau in Erholungsgebieten wolle man hinsichtlich der Wohnungsgröße und der Raumanordnung großzügig ermöglichen, daß im Sommer für ein paar Wochen Kurgäste untergebracht und damit die Darlehensraten besser aufgebracht werden können. Das ist auch ein Stück Strukturhilfe für das Land. Wir haben da z. B. in Hessen schon einiges getan.
Der Herr Bundespostminister ist, wie wir hoffen, ständig bemüht, den Postreiseverkehr zu verbessern. Mit dem Postsparbuch hat er überdies einen beachtlichen Anteil am Umsatz der Reisegelder. Die Ausstrahlung deutscher Nachrichten in die bevorzugten Erholungsgebiete des Auslands wird dankbar vermerkt.
Das Verkehrs- und das Wirtschaftsministerium sind ja die Hauptbeteiligten in der heutigen Diskussion. Lassen Sie mich im Rahmen dieser Aufzählung nur feststellen, daß der Verkehrsplan der
Bundesregierung - vielfach auch als Leber-Plan bezeichnet - dem deutschen Fremdenverkehr nahezu ausschließlich spürbar nutzt und daß er ihn an keiner Stelle beeinträchtigt.
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- Die haben wir bis jetzt, glaube ich, nicht gar zu sehr enttäuscht, Herr Ertl. Aber dazu sind wir ja hier, um die Anregungen auch der Omnibusunternehmer zu unterstützen, auf die wir Sozialdemokraten wegen der Flächenbedienung und des innerdeutschen Fremdenverkehrs auch größten Wert legen.
Der wirtschaftliche Aufschwung nach Maß, meine Damen und Herren, in der Bundesrepublik hat zur Folge, daß wir heute hier über die Entwicklung und die Förderung des Fremdenverkehrs sprechen. Hätte sich die deutsche Wirtschaft im Trend des Jahreswechsels von 1966 auf 1967 weiterentwickelt, dann hieße das Thema heute wahrscheinlich „Vordringliche Stützungsmaßnahmen für den deutschen Fremdenverkehr". Es kamen keine Restriktionen, es kam keine Aufwertung. Das Dienstleistungsgewerbe blieb von der Exportausgleichsteuer verschont. Die symbolhafte Devisenschere zwischen den Ausgaben und den Einnahmen hat sich in unserem Sinne positiv bewegt. Alles in allem, man muß auch einmal „danke schön" sagen können.
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Dem Herrn Verteidigungsminister haben wir in diesen Tagen gemeinsam .eine Kleine Anfrage vorgelegt. Es geht darum, ob verschiedene Truppenübungsplätze am Wochenende als allgemeine Erholungsbereiche zugänglich gemacht werden können. Wir hoffen auf wohlwollende Prüfung.
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- Ich freue mich über Ihre Heiterkeit. Aber der Grund zu der Heiterkeit ist ein gemeinsamer Antrag von Angehörigen aller drei Fraktionen dieses Hohen Hauses. Es ist auch gar nicht so abwegig, wie manch einer sagt; so viel wird gar nicht geschossen. Aber wir reden ja darüber.
Ein anderes Thema, das jedenfalls nicht nur Ihre Heiterkeit hervorrufen wird, das uns wenigstens viel Sorge macht, ist, daß sich der deutsche Kurgast mit den tieffliegenden Düsenjägern offenbar abfinden muß. Angeblich hat man im allgemeinen, so ist mir gesagt worden, die Zeiten des Kirchgangs ausgespart. Wenn sich diese Rücksichtnahme noch auf die Zeit der Mittagsruhe ausdehnen ließe, so wäre das ein beachtlicher Fortschritt.
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Noch ein Wort an den Herrn Minister. Sie sind oberster Chef, insbesondere auch der Wehrpflichtigen. Wir haben eingangs festgestellt, daß in unserem sozialen Rechtsstaat Urlaub und Urlaubsentschädigung die Voraussetzung für einen Erholungsurlaub sind. Die Urlaubszeit unserer jungen Soldaten ist geregelt. Das Urlaubsgeld besteht aus 3 DM
Wehrsold und rund 3 DM Selbstverpflegungsentschädigung.
Mit weniger als 6 DM Urlaubsgeld steht der Pflichtsoldat am Ende der Skala der vergleichbaren Entgelte. Auch das ist eine Frage der Wehrgerechtigkeit!
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- Natürlich, wie alles.
Herr Minister Katzer weiß als Fachmann sicher sehr gut, daß in puncto Urlaub und Erholung noch längst nicht alle Fragen optimal geklärt sind. Lassen wir uns als alarmierende Tatsache - das ist eine sehr ernste Angelegenheit - im Bereich des Herrn Arbeitsministers herausgreifen, daß 1967
Herr Dr. Imle möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie sprachen eben von Wehrgerechtigkeit. Würden Sie es für eine gute Urlaubslösung halten, daß Rekruten, die beispielsweise zum 1. Juli eingezogen werden, während der nächsten drei Monate kein Urlaub gewährt wird und auf diese Weise Unteroffiziere nie gemeinsamen Urlaub mit ihren Kindern, mit ihren Familien machen können, insbesondere auch nicht
in den Schulferien?
Ich glaube, Sie verwechseln mich hier mit ,dem Sprecher des Verteidigungsministeriums. Das ist nicht meine Sache. Ich will lediglich darauf hinweisen, daß der normale Arbeitnehmer in Deutschland, wo immer er tätig ist, Urlaub und Urlaubsentschädigung in angemessenem Maße durch die Bemühungen insbesondere der Arbeitnehmervertretungen erkämpft hat und daß das für unsere Soldaten, die sowieso ein Opfer bringen, leider noch nicht möglich ist. Ich glaube, ich sehe wohlwollendes Interesse, sich auch dieser Frage anzunehmen. Daß Unteroffiziere mit ihren Kindern, Herr Kollege, gemeinsam in Urlaub fahren sollen, werde ich mir für die Zukunft zu einem der wichtigen Anliegen des deutschen Fremdenverkehrs machen; das verspreche ich Ihnen.
Lassen Sie mich jetzt doch noch einmal in allem Ernst sagen, was uns - meine Freunde und mich - im Geschäftsbereich des Herrn Arbeitsministers bewegt. Wir wissen, daß 1967 und 1968 eine große Zahl von Arbeitnehmern notwendige und ärztlich verordnete Heilkuren nicht angetreten haben, und zwar aus Sorge, sie könnten ihren Arbeitsplatz gefährden. Ich glaube, das 'ist eine Sache, der wir auf alle Fälle unsere Aufmerksamkeit zu widmen haben.
Das Landwirtschaftsministerium war heute hier zu Beginn vertreten. Herr Spitzmüller hat gleich an das angeknüpft, was ich natürlich auch sagen möchte: Ferien auf dem Bauernhof, daß also sozusagen eine Kuh durch einen Kurgast ersetzt werden kann. Diese
Entwicklung ist im Gange. Wir unterstützen sie, und wir glauben, daß wir hier einen guten Weg haben. Außerdem trägt das zum Verständnis zwischen Stadt und Land bei.
Für /den Bundesminister 'der Finanzen schließlich sind zwei Anmerkungen vorgesehen. Erstens. Die Werbemittel der Bundesregierung betragen zur Zeit etwa 1 DM pro Ausländerübernachtung in Deutschland. Der durchschnittliche Ausgabensatz dieses Personenkreises beträgt etwa 60 DM pro Tag. Man wird leicht errechnen, wieviel zusätzlicher Steuerertrag sich hieraus ergibt.
Zweitens. Die Initiativhilfen der Bundesregierung und ,anderer öffentlicher Stellen für Einrichtungen des Fremdenverkehrs sind keine verlorenen Gelder; sie beleben zunächst die ausführende gewerbliche Wirtschaft. Nehmen Sie einmal als konkretes Beispiel den Bau des Hallenbades in Westerland. Ich habe mich damals für diese Sache besonders interessiert. Schon im ersten Winter kamen zahlreiche Badegäste, die sonst in den fernen Süden ge'f'ahren wären, nach Westerland. Sie brachten zusätzliche Steuern und werden in übersehbarer Zeit die finanziellen Hilfen in Form von Steuern wieder einbringen.
Betrachten Sie es bitte nicht als irgendwie anmaßend oder verstehen Sie es nicht falsch, wenn ich in der Aufzählung am Schluß sogar .den Herrn Bundeskanzler nenne. Ich will keineswegs anregen, daß er in Zukunft die Richtlinien der Fremdenverkehrspolitik bestimmen möge. Ich darf aber darauf hinweisen, daß sich eine Reihe von Regierungschefs und Staatsoberhäuptern anderer Länder aktiv in die Fremdenverkehrsbemühungen eingeschaltet haben. Insbesondere verweise ich darauf, daß sowohl Präsident Kennedy als auch Präsident Johnson in sehr ernsten und sehr fundierten Aufrufen die Amerikaner ermutigt haben, ihr Land kennenzulernen, die Probleme Amerikas zu studieren, und sie haben die Ausländer ermutigt, Amerika mehr als seither zu besuchen. Mir ist bekannt, daß dabei auch Devisen-und Bilanzüberlegungen eine Rolle gespielt haben. Die erste Stimme im Staat ist für ein solches Gewerbe wichtig.
Hier liegen vier Anträge vor. Meine Herren Kollegen von der FDP, diese Anträge sind sehr vielseitig; wir werden sie in den Ausschüssen besprechen. Sie haben hier eine sehr fleißige Arbeit geleistet, und Sie werden es dem Kenner der Materie nicht verübeln: er kennt natürlich auch die geistigen Väter solcher detaillierten Unterlagen, nicht wahr. Ich will nicht von „ghostwritern" sprechen; fachliche Hilfe aus der gesamten Branche ist ja eine gute Sache.
Erlauben Sie mir nur, eines zu sagen: Ich sehe doch den heiligen Parkinson so ein bißchen am Horizont auftauchen, und das gerade durch die Liberalen in einer Branche, die sich seither so frei und so gut entwickelt hat, in einer Branche, die recht viel Hilfe bekommen hat. Ich will also hier keine unziemlichen Vergleiche anstellen - wir befinden uns ja noch in einem sehr ernsten Zeitpunkt; wenn die Debatte morgen wäre, könnte man sie vielleicht etwas heiSchwabe
terer aufzäumen -, aber sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn man diese vielen Einzelheiten sieht, wenn man das alles, was Sie wissen wollen, liest und wenn man vor allen Dingen liest, daß Sie so Verschiedenes doch ausgerechnet bis zum 30. Juni dieses Jahres wissen wollen, dann kann ich dem nur entgegenhalten: Wir von der linken Seite des Hauses - und Sie im wesentlichen doch alle mit - haben unsere Bemühungen seither in der schlichten Sacharbeit, mit der Hilfe durch die Regierung und im Kontakt mit ihr bestritten; wir haben zu keinem Zeitpunkt - und schon gar nicht ein paar Monate vor der Wahl - irgendwelche Fahnen dabei herausgestreckt.
Ich bin der Opposition nicht böse; ich will zur Entschuldigung gegenüber meinen Kollegen nur einmal sagen: Daß ich diese Initiativen nicht früher - als diese Seite des Hauses in der Opposition war - ergriffen habe, erklärt sich daraus, daß wir gemeint haben, es sei sehr schwer, dem Hause für dieses begrenzte Teilgebiet Aufmerksamkeit abzuverlangen.
Über die Frage, inwieweit Forschungen aus der Branche von der Branche selbst oder von der Regierung betrieben werden müssen, wird sicher der Herr Minister einiges sagen. Aber eines ist gewiß: Wir verhandeln hier ja nicht geheim, das ist ja der Sinn jeder Debatte, aber eine Konsequenz wird dann auch sein, daß sehr viele andere Wirtschaftszweige deutlich machen werden, daß sie diese Hilfe ebenso und vielleicht noch etwas mehr notwendiger brauchen. Das muß man jetzt schon wissen. Ein Beirat oder ein Arbeitskreis - wie immer er gebildet werden soll - müßte natürlich die Verbraucherseite mit einbeziehen. Und schließlich und endlich möchte ich sagen, man sollte auch nicht das, was inbesondere vom Statistischen Bundesamt über die Ministerien seither geleistet wurde und was uns ja in den regelmäßigen Nachrichten zugeht, gering bewerten. Das sind doch sehr wesentliche Hilfen.
Zusammengefaßt kann ich heute zu diesen Anträgen, die dann in den Ausschüssen beraten werden müssen, wirklich noch nicht sagen, daß sie so über die Bühne gehen werden. Aber ich möchte sie ganz allgemein unter dem Motto behandeln, daß der deutsche Fremdenverkehr im weitesten Sinne noch mehr als bisher zusammenarbeiten soll, daß er erkennen soll, wie er sich wechselseitig helfen kann, sowie sich jetzt z. B. wieder einige Unternehmen der Reisebürosparte zu einem Unternehmen mit einer halben Milliarde DM Umsatz zusammengefunden haben. Soweit allerdings der Fremdenverkehr insgesamt Hilfe braucht und Hilfe erwartet, muß man ihm diese subsidiäre Hilfe des Staates vielleicht mit den Worten ankündigen: Hilf dir selbst, dann hilft dir der Schiller.
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Das Wort hat Frau Dr. Heuser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schwabe, die Fraktion der Freien Demokraten hat überhaupt keine Angst, daß demnächst noch andere „Industrie"-zweige mit ihren Sorgen auf uns zukommen, damit sie mit der gleichen Bedeutung hier vorgetragen werden. Wir sind nämlich durchaus in der Lage und haben das nötige Selektionsvermögen, zu unterscheiden, wo hier etwas förderungswürdig ist und wo nicht. Herr Schwabe, ich glaube, daß Ihre Freude darüber, ,daß es dieses Thema hier überhaupt einmal gibt, zu der Schelte, die Sie der Opposition verpassen - sie tue dies mit Ausblick auf die Wahl -, nicht recht passen will. Wenn wir hier schon Motive erforschen, dann könnte man den Verdacht äußern, Sie grämten sich vielleicht darüber, weil es Ihnen nicht rechtzeitig eingefallen ist, dieses Problem selbst in unser Parlament zu tragen.
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Die Förderung des Fremdenverkehrs ist nicht nur vom wirtschaftlichen Aspekt her zu sehen - wiewohl man sich in der Debatte bisher vorwiegend damit befaßte -, sondern es ist ein wichtiges gesellschaftspolitisches, und da ich nun einmal hier oben stehe, eben auch ein gesundheitspolitisches Problem ersten Ranges.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch etwas sagen, was nicht hier auf dem Konzept steht. Die Freien Demokraten haben gefordert, daß die Belange des Fremdenverkehrs und ,die Zuständigkeit dafür in einem Hause zusammengefaßt werden. Danach bedauere ich es außerordentlich, daß das Bundesgesundheitsministerium hier nicht vertreten ist, um ,die Wichtigkeit ,der gesundheitspolitischen Belange, die mit diesem Problem verquickt sind, durch seine Anwesenheit zu unterstreichen.
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Wir haben gehört, daß Opas Ferienreise tot ist, daß Fremdenverkehr, daß Urlaub, daß Erholung heute andere Aspekte bekommen haben. Zum Teil soll der Urlaub der Wiederherstellung etwa des Familienlebens dienen, ,das ja 'durch unsere Arbeitsteiligkeit im Wirtschaftsprozeß vielfach auseinandergerissen wird. Der Urlaub ist auch dazu da, einem gewissen Anspruch auf Bildung zu genügen. Der Urlaub hat einen anderen Aspekt bekommen auch dadurch, daß wir uns von der Grundvorstellung abgekehrt haben, daß Arbeit ausschließlicher oder dominanter Lebenszweck ist.
Nun, ich habe davon gesprochen, daß ,der gesundheitspolitische Gesichtspunkt mir so wichtig erscheint und bisher vernachlässigt wurde. Die Formen unseres Erwerbslebens, die Konzentration am Arbeitsplatz, die Reizüberflutungen bringen einen wachsenden Bedarf nach Ausgleich mit sich. Deswegen ist der geruhsame Erholungsurlaub alter Zeiten eben nicht mehr aktuell, kann er nicht mehr die Wirkung haben, die wir uns von einem Urlaub heute versprechen. Wir bewegen uns hier vielfach auf Neuland, und es wäre notwendig, schnell und intensiv wissenschaftliche Untersuchungen einzuleiten, damit diese immer wachsende Chance für
Freizeit sinnvoller genutzt werden kann. Es sind ja nicht nur immer die unmittelbaren Arbeitsbedingungen, die zu physischen und psychischen Erschöpfungszuständen führen oder Abbauerscheinungen mit sich bringen, sondern es spielen auch andere Faktoren eine große Rolle. Die familiäre Situation, finanzielle Sorgen, sie alle haben mittelbare und unmittelbare Einwirkungen auf die Gesundheit und auf den Wunsch nach Erholung. Aber es genügt eben nicht nur der Wechsel der Umgebung, der Wechsel des Personenkreises, die Abwechslung, die Unterhaltung, um diese Situation zu überbrücken. Es ist wichtig zu wissen, inwieweit in solchen Fällen der Wechsel an sich ausreicht und inwieweit über diesen Wechsel hinaus und mit welchen Mitteln eine ausreichende Dauerwirkung erzielt werden kann. Der Erholungseffekt, der Kureffekt - diese Fragen spielen nicht nur für ,den Urlaub, sondern auch für Heil- und Erholungskuren eine große Rolle - ist oft mit dem Moment wieder dahin, in dem der Betreffende in den Arbeits- oder in den Lebensbereich zurückkehrt, der seine Krankheit, seine Erschöpfung mit verursacht hat. Es wäre auch zu untersuchen, unter welchen Bedingungen positive Wirkungen - nicht nur die der körperlichen Erholung - lange anhalten und sich nach der Rückkehr in den Alltag entsprechend auswirken.
Es geht also darum, das richtige Urlaubsrezept für den einzelnen zu finden. Wir sollten daher vorurteilsfrei die verschiedenen Erscheinungsformen der Urlaubsgestaltung, der Freizeitgestaltung be- trachten und untersuchen. Der eine sucht die Ruhe, der andere findet sie unerträglich. Der eine liebt den Urlaub im Wohnwagen und im Zelt, der andere im Hotel, im Gasthof oder im Privatquartier. Die einen bleiben an einem festen Ort, die anderen ziehen den örtlichen Wechsel vor.
Die Medizin hat in tastenden Versuchen Untersuchungen darüber angestellt, wie denn ein Erholungseffekt zustande kommt. Man ist darauf gekommen, daß der Mensch in einem sogenannten Dreierrhythmus ermüdet und ebenso in einem Dreierrhythmus sich wieder erholt. Wenn Sie eine längere Autofahrt machen, werden Sie, wenn Sie es einmal mit der Uhr kontrollieren, feststellen, daß ungefähr nach drei Stunden der erste echte Ermüdungseffekt einsetzt. Wenn Sie im Urlaub in einen anderen Ort fahren, werden Sie feststellen, daß sich bei Ihnen nach Ablauf von drei Tagen, vielleicht entgegengesetzt dem Wohlbefinden, das Sie in den zwei ersten Tagen hatten, ein Tag der Unruhe, der Nervosität, der Unzufriedenheit einstellt. Die Erfahrung hat gezeigt, daß dieser Dreierrhythmus auch für größere Zeiteinheiten gilt. Das heißt z. B., daß erst nach Ablauf von drei Wochen überhaupt von dem Einsetzen eines echten Erholungseffektes gesprochen werden kann.
Diese Erkenntnisse werden bisher leider nur im Bereich der Sozialkuren berücksichtigt. Wir sehen immer noch, daß unsere Erholungssuchenden in einem Geschwindmarsch z. B. bis nach Italien reisen, dort bis zum letzten möglichen Moment bleiben und dann in einem ebensolchen Geschwindmarsch, quasi mit heraushängender Zunge, nach einem anderthalbtägigen Trip wieder zu Hause ankommen, kaum Zeit haben, in Ruhe die Koffer auszupacken, und am nächsten Morgen wieder am Arbeitsplatz stehen.
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- Der Erholungseffekt ist nicht davon abhängig, ob sie in die Eifel oder nach Italien fahren, sondern lediglich davon, daß sie ihren Urlaub vernünftig einteilen. Aber Sie können nicht voraussetzen, daß jeder dies weiß. Eben darauf will ich hinaus. Wenn man diese Dinge weiß, muß man sie der Bevölkerung auch mitteilen. Aufklärung nennt man so etwas, und die hat auch in diesem Bereich ihren Sinn.
Einige Tatbestände, die besonderer Beachtung bedürfen, lassen Sie mich bitte noch anführen. Lassen Sie mich zunächst etwas zur Bewegungsarmut sagen. Es gibt - der gute Kollege Unertl sollte nicht so ungehalten sein, ich möchte nämlich gerade ein Kompliment an die Bayern los werden - in Bayern, und zwar in Inzell, den Prototyp eines neuen Urlaubsorts. Dort hat man einen sogenannten Sportkurort geschaffen, der dem Urlauber die Möglichkeiten gibt, quasi im Vorbeigehen seine körperliche Fitneß zu prüfen, an Sportgeräten, die ihm unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden, Bewegungstherapie zu betreiben, und dies mit den anderen zusammen, ohne daß er das Gefühl haben muß, daß er sich, weil ungeübt, blamiert.
Ein Weiteres! Die ganze Debatte und die gesamte Betrachtung des Urlaubswesens richtet sich eigentlich vorwiegend nach den Bedürfnissen des männlichen Arbeitnehmers. Ich glaube, das ist ungerecht. Wir sprechen zwar von den Familienferien, sehen die aber auch vorwiegend unter dem Aspekt, daß man den Familien vom Finanziellen her die Möglichkeit gibt, in Ferien zu kommen, weil sie sie sich sonst vielleicht nicht leisten können. Man denkt aber nicht immer daran, daß in solchen -Familienbungalows die ganze Hausarbeit doch wieder von der Mutter erledigt werden muß. Ich glaube nicht, daß das sinnvoll und richtig ist.
In diesem Zusammenhang ein Wort zu den Müttergenesungswerken. Wenn Sie mit den Leiterinnen solcher Heime sprechen, dann sagen sie Ihnen, daß die Mütter, die dort zur Erholung kommen, eigentlich gar nicht dafür geeignet sind. Das sind nämlich solche gesundheitlichen Wracks, daß sie zunächst in intensive ärztliche Betreuung hineingehörten, wenn nicht gar in ein Krankenhaus. Dennoch haben die Kuren mit diesen gesundheitlich stark herabgeminderten Frauen einen hohen Erholungseffekt. Dort werden diese Frauen für das gewappnet, was sie nachher wieder erwartet. Das geschieht dadurch, daß man ihnen beibringt, wie Erholung sinnvoll ist, ohne sie in ein starres Programm zu zwängen. Die Bundesregierung sollte gerade diesen Einrichtungen ihre besondere Aufmerksamkeit und Hilfe zuwenden.
Wir haben Ihnen auf Umdruck 581 einen an die Regierung gerichteten Fragenkomplex vorgelegt, der der dringenden Bearbeitung bedarf, damit nicht aus Fehleinschätzungen eine falsche Politik der Förderung betrieben wird, damit auch z. B. im Bereich der Sozialversicherung die guten Ansätze
zur Intensivkur gefördert und nicht Millionen an
Volksvermögen für Maßnahmen ausgegeben werden, die ohne echten Effekt für den einzelnen sind.
Wir stützen uns bei dieser Anfrage auf manche Forderungen, die bereits in der Antwort der Bundesregierung zu finden sind. Wir haben deswegen die Zuversicht, daß Sie mit uns stimmen werden, diese Anträge in den Ausschüssen für Wirtschaft und Verkehr zu behandeln.
Zwei Gesichtspunkte, die sich von dem unterscheiden, was von der Bundesregierung an Untersuchungen gefordert worden ist, möchte ich hier anführen. Erstens muß untersucht werden, welche Ergebnisse - jeweils gegliedert nach soziologischen Gruppen, Alter, Geschlecht und Familienstand - nach der Rückkehr aus dem Urlaub im Hinblick auf die Erfüllung der verschiedensten Urlaubserwartungen zu registrieren sind und welche Tatbestände jeweils als besonders positiv oder negativ empfunden werden. Die Auffächerung nach Alter und Geschlecht erschien uns deswegen besonders wichtig, weil wir auch der Altenerholung und eben auch der Erholung der Familienmütter mehr Aufmerksamkeit widmen müssen.
Der zweite Punkt, der mir besonders wichtig ist, ist der Punkt, den Sie unter 1 c in unserer Anfrage finden: Welche Möglichkeiten bestehen, einen Erholungseffekt medizinisch zu objektivieren, und welche Voraussetzungen sind erforderlich, um einen positiven Erholungseffekt zu erzielen? Die Untersuchungen darüber sind noch sehr in den Anfängen. Ich darf in diesem Zusammenhang an die Arbeiten der Deutschen Zentrale für Volksgesundheitspflege erinnern, die solche Untersuchungen erstmals vor einigen Jahren eingeleitet hat, aber, da nicht genügend Mittel zur Verfügung standen, nicht im erforderlichen Umfang hat weiterleiten können.
Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, daß der Studienkreis für Tourismus in Starnberg, daß die Evangelische Akademie in Tutzing, auch Einrichtungen der Katholischen Kirche auf Tagungen mit den Fremdenverkehrsorganisationen und der Fremdenverkehrswirtschaft wichtige Vorarbeiten geleistet haben, die zur Sichtung der Veröffentlichungen und des vorhandenen Materials beigetragen haben, daß sie aber nicht ausreichen.
Wir Freien Demokraten wären daher sehr dankbar, wenn wir von allen Seiten eine Unterstützung für unseren Antrag bekämen, zumal die Bundesregierung selbst erklärt hat, daß der dafür erforderliche Mittelaufwand in Anbetracht der erzielbaren Ergebnisse als gering anzusehen sei.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor Ihnen liegt eine sehr umfassende Bestandsaufnahme über den Fremdenverkehr. Manch einer hier in diesem Saale hat vielleicht die Länge der Antwort und auch die Länge der Fabrikationszeit dieses Berichtes moniert. Immerhin waren - wie von Herrn Schwabe erwähnt - 22 sehr detaillierte Fragen zu beantworten. Ich will sie nicht alle vorlesen. Bei manchen Fragen wurde ich an alte Fragebögen erinnert, auf denen dann hinter der Frage stand: „Wenn nicht, warum nicht?" So weit das!
Wir haben uns aber Mühe gegeben, mit 22 Fragen ein Siebenmonatskind zur Welt zu bringen. Wir sind dabei nicht der Versuchung erlegen, Parkinson hier besonders zu mobilisieren. Wenn wir in alle Details mit administrativen Maßnahmen gingen, würde die liberale Partei in diesem Hause - und sie ist größer als eine Fraktion - sicherlich mit dem Wort Dirigismus kommen.
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Ich bin der Meinung, daß der Fremdenverkehr und das Fremdenverkehrsgewerbe ein wesentlicher Bestandteil unserer marktwirtschaftlichen Ordnung ist, daß es hier auf die Unternehmer ankommt,
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auf den Service, auf die Initiative, auf den Einfallsreichtum des einzelnen Unternehmers und daß es nicht so sehr eine Sache ist, die vom Staate her detalliert gelenkt werden soll.
Im übrigen zählt die deutsche Fremdenverkehrswirtschaft, Herr Ertl, zu den „Wachstumsindustrien". Darüber besteht kein Zweifel. Die Zahl der Urlaubsreisenden hat in dem Zeitraum, den wir in den Berichten angegeben haben, um 40% zugenommen. Alle Untersuchungen zeigen, daß die Bundesrepublik Deutschland als Urlaubsland, als Reiseland, attraktiver geworden ist.
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Aber wir wissen auch, daß nur etwa ein Drittel unserer Bevölkerung eine Urlaubs- oder Erholungsreise unternimmt. Das heißt also, die sogenannte Reise- oder Urlaubsintensität - wie man das nennt - ist nicht sehr hoch im Vergleich zu anderen Ländern, wie etwa Großbritannien, das eine Reiseintensität von fast 60 % aufweist. Aber das hängt sicherlich mit der insularen Lage und mit der langen Reisetradition jenes Landes zusammen.
Bei uns selber gibt es auch ein paar Probleme, einmal möchte ich sagen, vom Angebot im Fremdenverkehrsgewerbe her. Es gibt da gewisse soziale Disparitäten, die dazu führen, daß für manchen eine Erholungsreise immer noch ein Traum ist. Das betrifft nicht nur die Einkommensunterschiede, sondern auch bestimmte soziale Schichten.
Vom Angebot des Fremdenverkehrsgewerbes bevorzugt sind ja bekanntlich kinderlose Ehepaare, oder sagen wir es noch genauer ohne irgendeinen Nebenklang: kinderlose Paare sind auf jeden Fall bevorzugt; ich glaube, darüber besteht kein Zweifel. Ferner sind junge Leute vom Angebot bevorzugt. Sie können am leichtesten reisen. Denken Sie daran, daß vor ein paar Jahren noch im „Simplicissimus" ein Bild erschienen ist, auf dem zu sehen war, wie sich Mädchen und Jungen draußen in einem Urlaubsort unterhielten und sagten: Schicken wir doch unserem Pauker von jedem Ort eine An11640
sichtskarte; dann kann er für das nächste halbe Jahr seinen Geographieunterricht an Hand der Ansichtskarten aufbauen. Das ist ein typisches Zeichen: die Jungen und Mädchen haben einen Vorteil im Reisen gegenüber dem armen Studienrat.
Kinderreiche Familien und Arbeiter werden außerdem sicherlich von dem bestehenden Angebot des Fremdenverkehrsgewerbes weniger angesprochen. Im übrigen ist die berühmte Reisewelle an einer Gruppe von Menschen in unserem Lande vollkommen vorbeigegangen, nämlich an den Bauern. Sie haben keinen Urlaub, und man hat es auch bisher nicht erreicht, ihnen einen Urlaub attraktiv zu machen. Umgekehrt ist man bemüht - das klang hier schon mehrfach an -, Urlaubs- und Erholungsmöglichkeiten auf Bauernhöfen zu schaffen. Ich kann das aus mehrmaliger eigener Erfahrung allen empfehlen. Aber umgekehrt sollten wir es auch den Bauern selber ermöglichen, mehr unter die Urlaubsreisenden zu gehen.
Ich sage es noch einmal, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung wird, wie in dem Bericht dargelegt, alles tun, um das Angebot im Bereich des deutschen Fremdenverkehrsgewerbes zu fördern und zu vervielfältigen. Aber all das ist in der Marktwirtschaft in erster Linie eine Aufgabe der Unternehmer, und das gilt insbesondere für diesen Wirtschaftszweig.
Einige Aktionen der Bundesregierung und dieses Hauses bedeuten auch ein zusätzliche Chance für die Entfaltung des deutschen Fremdenverkehrs. Ich erinnere hier einmal an das Agrarpapier vom 26. September 1968, in dem der Bundeswirtschaftsminister seine Vorschläge zur Koordinierung und Intensivierung der Strukturpolitik vorgelegt hat. 20 000 neue Arbeitsplätze in ländlichen Gegenden bedeuten auch zusätzliche Arbeitsplätze in tertiären Wirtschaftszweigen, also auch im Fremdenverkehr.
Zweitens. Der Finanzminister und ich haben diesem Hause eine 10%ige steuerliche Investitionszulage für die Zonenrandgebiete und die Bundesausbaugebiete vorgelegt. Leider ist das im Bundesrat bei den Länderfinanzministern auf Kritik gestoßen. Ich bitte auch die Damen und Herren dieses Hauses, die mit den Ländern besonderen Kontakt pflegen, noch einmal, diese Sache doch auf den richtigen Weg zu bringen. Das dient auch der Förderung von Investitionen für das Fremdenverkehrsgewerbe im Bayerischen Wald und in Schleswig-Holstein. Darüber besteht gar kein Zweifel.
Ein Drittes. Wir sind bei der Gemeindefinanzreform; wir sind bei den letzten Beschlüssen des Finanzplanungsrates. Sie werden im Jahreswirtschaftsbericht 1969, der Ihnen vorliegt, finden, daß wir ganz bestimmte, konjunkturfeste Investitionsausgaben für die Gemeinden schaffen wollen. Auch das ist eine Chance für die Förderung des Fremdenverkehrs. Viertens denke ich schließlich an unsere Bemühungen, „regionale Aktionsprogramme" im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik aufzustellen, damit die vielen Töpfchen, die in Bund und Ländern für Strukturpolitik zur Verfügung stehen, nun endlich einmal sauber und klar bestimmten Landschaften zugeordnet werden.
Ich will mich kurz fassen. Von der Nachfrageseite besteht für dieses Wachstumsgewerbe eine große Chance. Allein in unserer mittelfristigen Wirtschafts-Projektion bis 1973 rechnen wir mit einem Rückgang der Arbeitszeit um 3 %, d. h. um 0,6% pro Jahr. Nun geht es darum, ob diese Verkürzung der Arbeitszeit - die ich im Zuge des technischen Fortschritts für notwendig halte - zu einem verlängerten Wochenende führt oder zu einem Mehr an Jahresurlaub. Darüber zu entscheiden, ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien. Ich persönlich bin vom Standpunkt des Wirtschaftsministeriums aus und auch vom Standpunkt des Fremdenverkehrsgewerbes allerdings der Meinung, besser wäre ein Mehr an Jahresurlaub, nicht eine weitere Verlängerung der Wochenenden, so schön sie sein mögen. Ich sage aber noch einmal, es liegt bei den autonomen Tarifvertragsparteien, wie sie sich entscheiden. Sie sollten sich jedenfalls in dieser Frage klar entscheiden,
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und Sie, meine Damen und Herren, sollten gerade auch vom Standpunkt des Fremdenverkehrsgewerbes aus Ihren Einfluß in dieser Richtung ausüben.
Die langfristigen Perspektiven sind so günstig wie in kaum einem anderen Wirtschaftszweig. Wir haben ausgerechnet, daß wir bei normalem technologischem Fortschritt und bei normaler Arbeitszeitverkürzung, einfach in Fortrechnung der Zahlen bis 1973, bis 1980 ein Durchschnittseinkommen pro Kopf der Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik haben werden, das um 50 bis 60% höher sein wird als das Durchschnittseinkommen heute. An diesem Zuwachs des Durchschnittseinkommens partizipiert das Fremdenverkehrsgewerbe weit mehr als mancher andere. Wir alle wissen, daß nach den berühmten „Engel-schen Kurven" die Ausgaben für Nahrungsmittel unterproportional, die Ausgaben für Urlaubsreisen, für Freizeitgestaltung aber überproportional, also um mehr als diese 50 bis 60 %, ansteigen werden. Diese Chance sollte vom Fremdenverkehrsgewerbe wahrgenommen werden.
Ich bin sehr dankbar dafür, daß mehrere Redner, besonders Herr Schmidhuber und Herr Schwabe, darauf hingewiesen haben, daß unsere Maßnahmen zur außenwirtschaftlichen Absicherung das Fremdenverkehrsgewerbe, den gesamten Dienstleistungsbereich völlig, wie man bei uns oben an der Küste sagt, „außen vorgelassen" haben. Was andere Maßnahmen für die deutsche Fremdenverkehrswirtschaft selber bedeutet hätten, will .ich Ihnen nur an folgendem Beispiel zeigen. Wenn wir nur die 4% valutarisch im Sinne einer klassischen Aufwertung der DM durchgeführt hätten, dann hätte das gegenüber anderen Ländern für Inlandsreisen und Auslandsreisen eine Verschlechterung der Wettbewerbsposition um 8 % deuetet. Und wenn ich an die Maximalforderungen eines Landes denke: 11% Abwertung im eigenen Land und 8% klassische Aufwertung in Deutschland, dann hätten wir gegenüber diesem Land - und das Land, von dem ich jetzt spreche, ist ein Reiseland; aus Höflichkeit nenne ich nicht seinen Namen - mit einem Schlage eine Wettbewerbsbenachteiligung für die deutsche FremdenverkehrsBundesminister Dr. Schiller
wirtschaft um 19 Punkte bekommen. Aus dieser ganzen Sache ist das Fremdenverkehrsgewerbe völlig ungeschoren hervorgegangen. Ich freue mich, daß das erwähnt worden ist.
Im übrigen wissen wir alle, daß durch bestimmte große Reisewellen ins Ausland auch umgekehrt das Gefühl für die Schönheiten des eigenen Landes und für den Urlaub im eigenen Lande gestiegen ist. Ich glaube, Sie könnten noch mehr in der Beziehung tun. Der „Nahzoneneffekt", der „Heimateffekt", ja selbst der „Snobeffekt" - daß es also dazu gehört, daß ein Hamburger in die Lüneburger Heide fährt und nicht an südliche Küsten -, alles das ließe sich noch ein bißchen von Ihrer Seite her propanadistisch - ganz im Sinne der Wettbewerbswirtschaft - ausnutzen.
Aber nun muß ich umgekehrt sagen, seit 1957 ist vom merkatilistischen, vom autarkistischen Standpunkt unsere Devisenbilanz im Reiseverkehr natürlich passiv. Darüber ist gar kein Zweifel. 1968 haben wir 2,7 Milliarden DM im Ausland mehr ausgegeben gegenüber den Einnahmen aus Reisen von Ausländern im deutschen Inland. Das ist einmal ein Beitrag zum Ausgleich unserer Zahlungsbilanz, und das Ganze ist eine Erscheinung einer ganz normalen internationalen Arbeitsteilung. Aus der Konkurrenz zwischen Mallorca und Sylt hat auch Sylt einen Vorteil gehabt. Es ist animiert worden, um nur ein Beispiel zu nehmen. Konkurrenz belebt das Geschäft. Ich höre nicht gern das Wort von der Wettbewerbsverzerrung. Wir haben eine große „Wettbewerbsverzerrung", die können wir mit einer noch so guten Regierung einfach nicht aus der Welt schaffen, selbst wenn die FDP dabei wäre: das ist die fehlende Sonne.
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Diese „Wettbewerbsverzerrung" müssen wir in Kauf nehmen.
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- Meine Sonne strahlt doch auf Sie, die FDP, soweit ich in der Lage dazu bin, Sonne zu entfalten. Darüber ist auch kein Zweifel.
Meine Damen und Herren, wir sollten also hier jegliche autarkistischen und merkantilistischen Gesichtspunkte außer acht lassen. Wir sollten uns freuen, daß wir diesen Beitrag zum Ausgleich unserer Zahlungsbilanz leisten können. Im übrigen sind Reisen ins Ausland zwar ökonomisch Import; aber indirekt, das wissen wir alle, bedeuten sie - das klang auch an - Werbung für deutsche Güter. Ob Reisen ins Ausland immer Werbung für deutschen Lebensstil bedeuten, ist eine zweite Frage.
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Aber der deutsche Rasierapparat und das deutsche Transistorgerät, oder was auch immer mitgenommen wird, werden durch unsere vielen Reisen ins Ausland dort sicherlich propagiert. Ich freue mich auch, daß sozusagen in Unterstreichung dieser freiheitlichwettbewerbswirtschaftlichen Linie Herr Schmidhuber daran erinnerte, wir sollten um Gotteswillen nicht in den Fehler verfallen, nun für die deutsche Fremdenverkehrswirtschaft so etwas wie eine Agrarschutzpolitik aufzubauen. Ich glaube, ich habe Herrn Schmidhuber so richtig verstanden.
Ich freue mich also über den liberalen Geist, der heute hier gerade in diesem Bereich alle Reden mehr oder weniger erfüllt hat. Die Bundesregierung selber hat in dem Bericht angedeutet, daß ein „Arbeitskreis Fremdenverkehr" geschaffen werden soll, in dem die Vertreter der Fremdenverkehrsverbände, der beiden in erster Linie beteiligten Ministerien - des federführenden Wirtschaftsministeriums und des Verkehrsministeriums -, des Deutschen Industrie- und Handelstages, der Gewerkschaften und andere gemeinsam beraten und mit neuen Initiativen an den Fremdenverkehr herantreten werden. Das ist alles schon angedeutet. In dieser Richtung werden wir weiter arbeiten.
Ich werde mich auch bemühen, diese 250 000 DM für Untersuchungen in der kommenden Zeit irgendwie zu erlangen. Aber eines muß ich Ihnen sagen: Ich kenne ja nun die Universitäten, und ich kenne bestimmte Institute, und ich weiß, daß man sich an solchen Untersuchungen sehr lange festhalten kann.
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Wir haben unter Professoren vor vielen Jahren im Wissenschaftsrat, als wir 1957 die ersten Gehversuche zur Hochschulreform machten - ich glaube, es waren gute Gehversuche -, den Begriff des „Oberschweizers" geprägt. Das sind jene Professoren oder freien Wissenschaftler, die sich bei verschiedenen Ministerien Forschungsaufträge besorgen, möglichst bei jedem Ministerium, ohne Kenntnisgabe, daß sie auch bei einem anderen Ministerium melken. Deswegen bin ich ein wenig allergisch, wenn ich höre, daß 250 000 DM zur freien Vergabe, möglicherweise an mehrere clevere „Oberschweizer", zur Verfügung gestellt werden sollen.
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Ich möchte das also sehr genau prüfen. Ich kenne eben die andere Seite der Medaille. Wir sollten mit den 250 000 DM nicht etwa auch noch einen mittelbaren finanziellen Beitrag zum Reisen von Forschern in gute Kurorte des Auslandes leisten. Das wäre nicht der Sinn dieser ganzen Unternehmung.
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Im übrigen: Wir sind gesellschaftspolitisch, soziologisch - das wurde hier besonders von meiner verehrten Frau Vorrednerin angedeutet - auf dem Wege zu einer neuen, einer Freizeitgesellschaft. In dieser Freizeitgesellschaft - mit mehr Freizeit im Sinne eines längeren Jahresurlaubs, vielleicht aber zugleich auch des längeren Wochenendes - werden immer neue Berufe und Berufschancen kreiert. Nicht nur die Do-it-yourself-Industrie und die Schriftsteller haben erkannt, daß sie die Nutznießer der neuen Freizeitgesellschaft sind; auch die Massenmedien und die Automobilindustrie haben das verstanden. Die Fremdenverkehrswirtschaft sollte es ebenfalls erkennen. Übrigens auch die Landwirtschaft! Sie wissen, daß ich immer sehr freundschaftliche und sehr offene Gespräche mit Herrn Rehwinkel geführt habe.
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Ja, das ist ein sehr guter Gesprächspartner. Wir haben uns immer sehr klar und regelmäßig ausgesprochen. Er hat einmal gesagt: Vielleicht kommen wir wirklich zu einem Dreitageswochenende. Dann wird die Ehefrau froh sein, wenn der Mann nicht nur auf dem Sofa herumliegt, sondern sich produktiv betätigt.
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und wird dann vielleicht nebenberuflicher Landwirt - auch ein zukunftsweisendes Wort aus dem Munde des früheren Präsidenten des Bauernverbandes. Hier liegt also auch eine Chance.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß hier nicht verlangt wird, daß wir alles und jedes von Staats wegen organisieren. Als ich die ersten Fragen las, erinnerte mich das manchmal an die frühe Zeit nach dem Kriege in England, 1946/47, als man dort alles organisierte, nationalisierte, und als mir ein Kabinettsmitglied - als eine witzige Bemerkung - sagte - übrigens soll das keine Einleitung auf das Gespräch heute nachmittag mit Harold Wilson sein -, sie hätten im Kabinett eine Unterhaltung darüber, ob man einen Minister für „Wasser, kalt" und einen anderen für „Wasser, warm" einrichtet.
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So weit wollen wir auch mit den Staatssekretären hier nicht gehen. Das fiele dann ja beinahe ins Fremdenverkehrsgewerbe, ob man einen Staatssekretär für „Wasser, kalt" und für „Wasser, warm" einrichtet. Das wollen wir nicht. Ein Regierungsdirektor für Fremdenverkehr genügt, wie ich glaube, vollkommen. Wir sollten hier tatsächlich der Gefahr, in der Organisation und der Administration zu weit zu gehen, auf jeden Fall rechtzeitig Einhalt gebieten.
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Meine Damen und Herren, zum Abschluß dieser Debatte möchte ich etwas zitieren.
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- Zum Abschluß meines Beitrags! Ich bitte um Entschuldigung. Heute nachmittag muß ich, wie Sie wissen, mit dem Herrn Premierminister Harold Wilson zusammenkommen.
Zum Abschluß meines Beitrags möchte ich aus einem kleinen Band über einen Autor zitieren, der nach meiner Ansicht zu den Aktiven des deutschen Fremdenverkehrsgewerbes gehört, ohne es selbst je gewußt zu haben; aber er gehört dazu. Wenn die Bayern ihn richtig verkaufen, wird da noch mehr zu machen sein. Der Autor heißt Karl Valentin,
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und er hat etwas über den Fremdenverkehr gesagt, was ich jetzt zum Abschluß vorlesen will, weil es uns, glaube ich, allen Anlaß gibt, über die eigenartige Philosophie nachzudenken, die eigentlich hinter dem Wort „Fremder" steht. Ich finde deshalb auch das Wort „Tourismus" besser als das Wort „Fremdenverkehr". Wenn man nämlich Valentin liest, merkt man, daß das Ganze ein bißchen problematisch ist.
Er schildert ein Gespräch zwischen einem Lehrer und einem Schüler, in München natürlich, Herr Unertl. Nach einer bestimmten Frage des Lehrers entwickelt sich folgender Dialog:
Schüler: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.
Lehrer: Das ist nicht unrichtig. - Und warum fühlt sich ein Fremder nur in der Fremde fremd?
Schüler: Weil jeder Fremde, der sich fremd fühlt, ein Fremder ist, und zwar so lange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt, dann ist er kein Fremder mehr.
Lehrer: Sehr richtig! Wenn aber ein Fremder schon lange in der Fremde ist, bleibt er dann immer ein Fremder?
Schüler: Nein. Das ist nur so lange ein Fremder, bis er alles kennt und gesehen hat, denn dann ist er nicht mehr fremd.
Lehrer: Es kann aber auch einem Einheimischen etwas fremd sein.
- Herr Unertl! Schüler: Gewiß, manchem Münchner zum Beispiel ist das Hofbräuhaus nicht fremd, während ihm in der gleichen Stadt das Deutsche Museum, die Glyptothek, die Pinakothek usw. fremd sind.
Lehrer: Damit wollen Sie also sagen, daß der Einheimische in mancher Hinsicht in seiner eignen Vaterstadt zugleich noch ein Fremder sein kann. - Was sind aber Fremde unter Fremden?
Und nun kommt die letzte philosophische Antwort des Schülers:
Schüler: Fremde unter Fremden sind: wenn Fremde über eine Brücke fahren und unter der Brücke fährt ein Eisenbahnzug mit Fremden durch,
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so sind die durchfahrenden Fremden Fremde unter Fremden, was Sie, Herr Lehrer, vielleicht so schnell gar nicht begreifen werden.
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Meine Damen und Herren, das war ein vorzüglicher Abschluß für heute morgen. Wir haben hier noch zahlreiche Wortmeldungen liegen und fahren in unserer Sitzung mit diesem Thema um 15 Uhr fort.
Die Sitzung ist unterbrochen.
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Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir setzen die Aussprache über Punkt 3 der Tagesordnung fort. Als nächster Redner hat der Abgeordnete Dr. Kreutzmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten wohl alle ein wenig das Gefühl, daß die bisherige Debatte bis auf die humorvollen Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers nicht das von ihren Initiatoren gewünschte Interesse des Hauses gefunden hat, und das, obwohl der Gegenstand dieser Diskussion wohl mit zu den beliebtesten Themen breiter Schichten der Bevölkerung gehört.
Das scheint mir an zwei Momenten zu liegen: zunächst an der Art der Großen Anfrage der FDP-Fraktion. Sie war so angelegt, als handele es sich um eine Materialsammlung für eine Habilitationsschrift, mit der sämtliche Probleme des deutschen Fremdenverkehrs auf einmal gelöst werden sollten.
Der zweite Grund scheint mir der folgende zu sein: Wenn wir Sozialdemokraten uns bisher gescheut haben, dieses Thema im Plenum zur Diskussion zu stellen, dann deshalb, weil wir der Meinung sind, daß es sich dabei um eine Frage handelt, die wegen ihrer regionalen Gebundenheit und Besonderheiten in erster Linie Sache der Länder und Gemeinden ist. Es gibt wohl kaum einen anderen Wirtschaftszweig, der so stark vom regionalen Charakter geprägt ist wie der Fremdenverkehr. Fremdenverkehr in den Alpengebieten ist etwas anderes als Fremdenverkehr an der See; Fremdenverkehr im Mittelgebirge ist grundsätzlich unterschieden vom Fremdenverkehr in der Lüneburger Heide oder in den Gebieten an der Zonengrenze.
Wenn es daher die Absicht der Großen Anfrage der FDP-Fraktion war, hier Versäumnisse der Bundesregierung nachzuweisen, dann - so meine ich - findet diese Schlacht im falschen Saal statt. Die Fremdenverkehrspolitik in der Bundesrepublik ist entscheidend von den Wirtschaftsministerien der Länder geprägt worden, und daran haben sie ja auch Anteil gehabt. Der Bund hat sich in der Fremdenverkehrspolitik an die Grenzen gehalten, die ihm zugewiesen sind. Er hat nur dort in die Fremdenverkehrsförderung eingegriffen, wo ihm eine Einschaltung im Benehmen mit den Ländern möglich war, d. h. auf dem Gebiet der Auslandswerbung und in der Frage der Regeneration jener Teile der Bundesrepublik, die durch die Kriegseinwirkungen in besondere Schwierigkeiten geraten waren. Dazu gehören das Zonenrandgebiet und die unter dem Begriff Bundesausbaugebiete zusammengefaßten strukturschwachen Teile der Bundesrepublik. Diese Förderung des Bundes ist mit unterschiedlichem Nachdruck vor sich gegangen. Von den beiden für Förderung dies Fremdenverkehrs auf Bundesebene in erster Linie zuständigen Ministerien - dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesministerium für Verkehr - haben die in diesen Häusern am längsten maßgeblichen Minister dien Problemen des Fremdenverkehrs mit unterschiedlichem Interesse gegenübergestanden. Der langjährige Bundeswirtschaftsminister hat nie ein besonderes Interesse an der Fremdenverkehrsförderung erkennen lassen; bei dem verstorbenen Bundesverkehrsminister wurde die Fremdenverkehrsförderung in erster Linie unter dem Aspekt der Förderung öffentlicher Verkehrsträger gesehen. Die zuständigen Referenten beider Häuser
haben sich im Rahmen dieser Spielräume bemüht, das Bestmögliche aus ihrer Aufgabe zu machen.
Ich meine daher, daß es schon ein recht beachtlicher Fortschritt ist, wenn in der Beantwortung dieser Großen Anfrage ein verhältnismäßig abgerundetes Konzept der Vorstellungen der Bundesregierung über ihre Fremdenverkehrspolitik vorgelegt wurde und zugleich praktische Vorschläge über die in Zukunft von seiten des Bundes zu betreibende Fremdenverkehrspolitik dargelegt worden sind.
Dabei darf ich gleich feststellen, daß aus der Sicht der staatlichen, wirtschaftlichen und kommunalen Stellen des Zonenrandgebietes und der Ausbaugebiete, die ich hier besonders ansprechen möchte, die von der Bundesregierung gewünschte und geforderte verstärkte Marktforschung und Marktanalyse besonders begrüßt wird. Es ist heute schon gesagt worden, und ich glaube, ich brauche es nicht zu wiederholen, daß es kaum einen anderen Wirtschaftszweig gibt, der so sehr von modischen Fragen, Prestigefragen, von Fragen des Geschmacks und Komforts beeinflußt wird wie der Fremdenverkehr. Hier kann sich sehr schnell eine Reihe von negativen Faktoren ergeben, die mühsam geschaffene Einrichtungen und eine mühsame Aufbauarbeit zu einem schnellen Scheitern führen.
Auf dem Gebiet der Marktforschung und der Marktanalyse kann der Bund daher dem regionalen Fremdenverkehr gute Dienste leisten. Er sollte dabei aufs engste mit den in der Bundesrepublik vorhandenen wissenschaftlichen Instituten der Fremdenverkehrswirtschaft zusammenarbeiten, bei denen allerdings - wie es auch schon in den Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers anklang; und das darf man wohl sine ira et studio sagen - der Kontakt zur Praxis und die Zusammenarbeit mit den Fremdenverkehrsverbänden zu wünschen übrig läßt. Man hat vielfach den Eindruck, daß gerade bei der Förderung wissenschaftlicher Arbeiten keine Systematik in der Vergabe solcher Aufträge liegt, sondern daß dies eben dem guten Willen oder dem Interesse des einzelnen Doktoranden überlassen werden.
Aber nun zurück zu dieser Großen Anfrage. Ihre leicht unterschwellige Kritik ist um so erstaunlicher, als man gerade diesem Wirtschafts- und diesem Bundesverkehrsminister nicht nachsagen kann, daß sie die Chancen und Möglichkeiten staatlicher Fremdenverkehrsförderung nicht erkannt hätten. Der Herr Bundesverkehrsminister hat dafür Sorge getragen, daß die in erster Linie von seinem Hause zu vertretende deutsche Werbung im Ausland auf eine ganz neue Grundlage gestellt worden ist; und darin, glaube ich, liegt schon ein Fortschritt gegenüber der Vergangenheit.
Erstmals ist an die Spitze der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr kein Exponent eines Verkehrsträgers, sondern ein Fachmann für Fremdenverkehrsförderung gestellt worden; damit ist die Deutsche Zentrale für Fremdenverkehr aus dem Widerstreit reinen Interessendenkens herausgenommen worden. Wer sich die seither erfolgten Bemühungen der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr einmal kritisch angesehen hat, der wird zu dem Ergebnis
kommen, daß man sich hier redlich bemüht, die Bundesrepublik als ein modernes und leistungfähiges Touristenland darzustellen, das nicht nur romantische Winkel, sondern auch höchste Leistungen und anspruchsvollen Komfort zu vermitteln versteht.
Die Zentrale hat daneben ihre weitverzweigten Verbindungen mit dafür eingesetzt, auch Vertrauen in die Bundesrepublik zu wecken und die vielfach noch vorhandenen unfreundlichen Klischeevorstellungen von Deutschland zu überwinden. Es ist ihr weiterhin gelungen - und auch das darf als ein Erfolg angesehen werden, wenn man die Entwicklung und Geschichte dieser Zentrale kennt -, mit den Ländern Anschlußwerbungen zustande zu bringen und damit die Effektivität ihrer eigenen Werbungsarbeit zu steigern.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat schließlich voll die Möglichkeiten auszuschöpfen versucht, die der Fremdenverkehr als Instrument der Strukturpolitik zu vermitteln vermag. Es ist entscheidend auf seine Initiative zurückzuführen, daß in den strukturschwachen Gebieten, in denen durch die ungünstige Verkehrslage oder wegen der Marktferne Industrieansiedlungen erheblich erschwert sind, die Mittel der öffentlichen Hand für den Fremdenverkehr zu den gleichen Konditionen zur Verfügung gestellt werden wie die für ,die Neuansiedlung von Industrie. Auf diesem Wege sind einige Länder mit großangelegten Fremdenverkehrsplänen vorangegangen; ich darf dabei besonders auch auf das Beispiel Hessens hinweisen, an dem ja mein Kollege Schwabe maßgeblich mitgewirkt hat. Die Einschaltung des Bundes hat jedenfalls bewirkt, daß die vielfach vorhandenen Vorbehalte gegen die Gleichstellung der „Weißen Industrie" mit der übrigen Industrie beseitigt werden konnten.
Es soll weiterhin dankbar anerkannt werden, daß sich das Bundeswirtschaftsministerium nicht zum Fürsprecher jener Kreise gemacht hat, die sich so leidenschaftlich für einen Sachkundennachweis oder Befähigungsnachweis im Hotel- und Gaststättengewerbe eingesetzt haben. Ebensowenig hat es sich dafür ausgesprochen, hinsichtlich der Privatzimmer weitere Begrenzungen und weitere Verschärfungen einzuführen. Wenn, dann hat sich nämlich hier auf idem Gebiet der Fremdenverkehrsförderung gezeigt, daß interessierte Außenseiter, die sich bemühen, ihren Betrieben ein eigenes Gesicht und eine besondere Note zu geben, eher das Geschäft heben, als es in Mißkredit bringen.
Besonders nachdrücklich ist .es zu begrüßen, daß das Bundeswirtschaftsministerium auch in seinem Strukturprogramm Ruhr-Saar-Zonenrand dem Fremdenverkehr und seiner Förderung einen recht breiten Raum eingeräumt hat. Wir wollen hoffen, daß bei den vorgesehenen regionalen Entwicklungsplänen auch Modellversuche für den Fremdenverkehr in gewissen Teilen der Bundesrepublik entwickelt werden.
Gerade für das Zonenrandgebiet aber hat 'der Fremdenverkehr - und ich möchte besonders diese Frage hier in meinen Ausführungen ansprechen - seine ganz besondere Bedeutung. Bei der Randlage dieses Raumes in der EWG und seiner Entfernung von den wirtschaftlichen Ballungsgebieten sind der Industrieansiedlung in diesen Räumen Grenzen gesetzt. Hier bietet sich der Fremdenverkehr als ideale Ausweichmöglichkeit an. Die landschaftliche Schönheit dieses Raumes von der Saale bis zur Ostsee ist dabei ein unschätzbares Kapital, und es kann nicht bestritten werden, daß man dieses Kapital vielfach auch erfolgreich genutzt hat. Ich glaube - das hat auch der Bundeswirtschaftsminister hier deutlich ausgedrückt -, ,daß in diesem Kapital auch noch erhebliche Reserven für die Zukunft liegen.
Das gilt besonders ,für die Umstrukturierung der Landwirtschaft, der der Fremdenverkehr erhebliche zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten bieten kann. Gerade in den wirtschaftsschwachen Mittelgebirgsräumen des Zonenrandgebietes und der Ausbaugebiete hat die Aktion „Ferien auf dem Bauernhof" vielfach einen besonderen Erfolg gehabt. Durch die Errichtung von Fremdenzimmern, den Ausbau von Appartementwohnungen in dien vielfach leerstehenden Landarbeiter- und Einliegerwohnungen, haben sich viele Landwirte zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten schaffen können. Der dabei erzielte finanzielle Erfolg konnte durch den Absatz eigener landwirtschaftlicher Erzeugnisse an die Gäste gesteigert werden. Die Ferien auf dem Bauernhof bieten darüber hinaus vielen Menschen aus der Großstadt, besonders den Kindern, einen Einblick ins ländliche Leben und wecken Verständnis für die Probleme der bäuerlichen Bevölkerung. Das Interesse an diesen Ferien ist nachgewiesenermaßen vielfach so groß, daß, wie man übereinstimmend von den Fremdenverkehrsverbänden hören kann, die bereitstehenden Fremdenzimmer auf den Bauernhöfen fast ständig ausverkauft sind.
Trotz mancher Erfolge, die in den letzten Jahren erzielt werden konnten, bleibt dennoch auch für die Fremdenverkehrsentwicklung im Zonenrandgebiet noch einiges zu tun übrig. Die wesentlichste Aufgabe für diesen Raum ist nach meinem Empfinden die Vermittlung eines besseren Images dieses Raumes. In manchen Teilen der Bundesrepublik wird der Zonengrenzraum vielfach als ein Gebiet angesehen, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen oder in dem' Tag und Nacht Menschenjagden im Gange sind. Die meisten Bürger der Bundesrepublik haben schon vergessen, daß dieser Raum fast ein Jahrtausend die deutsche Mitte war und mit die schönsten Kleinodien der deutschen Barockkunst, der Renaissance und der hansischen Bürgerkunst aufzuweisen hat.
Was dieses Gebiet braucht, ist eine Hilfe von Bund und Land bei seinen Werbebemühungen um Gäste. Das dafür Notwendige kann es größtenteils nicht aus eigener Kraft bewerkstelligen. Sonderwerbungen und Kontaktwerbungen können dabei von außerordentlichem Erfolg sein. Ich darf gerade aus meinem hessischen Heimatland berichten, daß man bei diesen Kontakt- und Sonderwerbungen gerade für den Zonengrenzraum recht beachtliche Erfolge erreichen konnte.
Auch auf komunaler Ebene sind überdurchschnittliche Leistungen erbracht worden. Manche Gemeinden des Zonengrenzraumes, die von der Natur aus
für eine Fremdenverkehrsentwicklung überhaupt nicht prädestiniert waren, haben angesichts der Notwendigkeit, sich neue Lebensgrundlagen schaffen zu müssen, durch eine besonders gute Betreuung der Gäste, durch deren Aufnahme in die dörflichen Gemeinschaften dazu beigetragen, daß sich die Gäste nicht als Eindringlinge oder als Fremde gefühlt haben und gern wiedergekommen sind. Sie haben durch die Aufnahme von Kontakten mit Betriebsräten und Personalräten von Großunternehmen des Ruhrgebiets und des norddeutschen Raumes Verbindungen herstellen können, die es ihnen ermöglicht haben, in einem landschaftlich nicht unbedingt begünstigten Gebiet bis zu 30 000 und 40 000 Übernachtungen im Jahr zu erreichen. Viele dieser Gemeinden haben es so verstanden, ihr Schicksal in hervorragender Weise zu meistern.
Dabei kommt der Förderung der Familienerholung großes Gewicht zu. Private Unternehmer, die Kirchen und nicht zuletzt die Arbeiterwohlfahrt haben erfreuliche Musterbeispiele dafür geschaffen. Das Angebot an solchen Familienferiendörfern genügt aber längst nicht der Nachfrage. Es reicht vor allem nicht aus, die Nachfrage der gerade für derartige Einrichtungen ansprechbaren, neu für den Fremdenverkehr zu gewinnenden Bevölkerungsschichten, der kinderreichen Familien und der Arbeiterschaft, zu befriedigen. Dazu kommt, daß die Preise dieser Ferieneinrichungen vielfach erheblich über den Preisen vergleichbarer ausländischer Einrichtungen liegen. Es ist daher mehr als bedauerlich, daß das Bundesfamilienministerium seit längerer Zeit infolge von Meinungsverschiedenheiten mit den Ländern aus der Förderung von Familienerholungseinrichtungen in den Ländern ausgestiegen ist.
Nicht weniger bedauerlich ist es, daß die großen deutschen Reiseunternehmen und privaten Unternehmer lieber Ferienhäuser im Ausland errichten, als solche Vorhaben im Inland zu fördern. Hier könnte der Anreiz vermehrt werden, wenn durch verstärkte Auslandswerbung auch ausländische Gäste für derartige Familienferiendörfer und Bungalowsiedlungen gewonnen würden. Wenn die Hotellerie heute darüber klagt, daß eine zu starke Förderung ausländischer Hotels innerhalb der Bundesrepublik einsetze, so meine ich, daß sie hier auch noch ein dankbares Feld hat, durch Errichtung von Bungalows und Feriendörfern im Inland Neuland für sich zu erobern.
Erfreulich ist es dabei, feststellen zu können, daß die Deutsche Zentrale für Fremdenverkehr bereits jetzt von ihrer früheren einseitigen Alpen-NordseeWerbung abgekommen ist und nicht nur für diese Räume oder die „Big Eight", die acht großen Städte der Bundesrepublik, wirbt, sondern auch für die Teile der Bundesrepublik, die dazwischen liegen. Daß man für diesen Raum etwas tun muß, kann nicht angezweifelt werden.
Ich meine auch, daß bei aller Priorität der privaten Initiative für diesen Raum andere Gesetze als in den übrigen Teilen der Bundesrepublik gelten. Das gilt sowohl für eine verstärkte Werbung zur Privatzimmervermietung als auch für Finanzierungshilfen für die teilweise in diesem Raum vorhandenen kommunaleigenen Gasthäuser und Hoteleinrichtungen. Wenn ich das sage, so will ich damit nicht einer heimlichen Verstaatlichung des Fremdenverkehrs im Zonenrandgebiet der Bundesrepublik das Wort reden. Der weitere Ausbau von Privatzimmern im Zonengrenzgebiet hat sich nicht nur als ein gutes Preiskorrektiv bewährt; er ist einfach deshalb notwendig, weil das vorhandene gewerbliche Angebot nicht ausreicht.
Im übrigen ist die Gastronomie vielfach auch Nutznießer der Privatzimmervermietung: die Gäste nehmen in den gewerblichen Betrieben ihre Mahlzeiten ein, die Gastronomen haben oft durch die Zimmervermittlung zusätzliche Einnahmequellen. Gemeindegasthäuser sollte man daher dort fördern, wo keine privaten gewerblichen Betriebe vorhanden sind. Sie werden ohnehin meist an private Gastronomen verpachtet und können der Fremdenverkehrserschließung von Räumen dienen, in denen gewerbliche Gastronomen das Investitionsrisiko scheuen.
Gestatten Sie, daß ich noch ein anderes Problem aufgreife, das in der Großen Anfrage der FDP zur Diskussion gestellt ist. Für das Zonenrandgebiet sind die Sanatorien der Versicherungsträger ein nicht zu unterschätzender Stabilisierungsfaktor. Erstens ist durch ihre Ansiedlung in vielen Bade-und Erholungsorten die volle wirtschaftliche Ausnutzung der balneologischen und Fremdenverkehrseinrichtungen gewährleistet. Zweitens sind auch die privaten Hotels und Pensionsbetriebe durch das Vorhandensein von Einrichtungen der Versicherungsträger nicht benachteiligt. Sie werden bei Überfüllung zu zusätzlicher Belegung herangezogen. Die Besuche der Gäste der Versicherungsanstalten bringen dem Hotel- und Gaststättengewerbe zusätzliche Belegungen. Ich darf hier auch einmal dankbar anerkennen, daß ich in zahlreichen Verhandlungen mit Versicherungsträgern im Zonnerandgebiet die Erf ah-rung gemacht habe, daß man, um diesem Raum zu helfen, private Hotel- und Pensionseinrichtungen in diesen Räumen selbst dann noch belegt hat, wenn die eigenen Häuser nicht voll ausgenutzt waren.
Lassen Sie mich noch ein weiteres Problem der Fremdenverkehrsförderung für das Zonenrandgebiet anschneiden. Die besondere Sorge Berlins ist der Mangel an Arbeitsplätzen. Die Platzangst hält viele junge Menschen ab, die sonst so lebendige und bei ihrer Lage so erstaunlich rege Stadt zum ständigen Wohnsitz zu nehmen. Man könnte Berlin und den Berlinern nicht unerheblich helfen, wenn man ihnen in den Grenzräumen der Bundesrepublik zum anderen Teil Deutschlands preiswerte und gut ausgestattete Naherholungsmöglichkeiten für Kurz- und Wochenendurlaube böte, die ihnen jederzeit offenstünden. So könnte ein sinnvolles Zusammenwirken des Fremdenverkehrs in Berlin und aus Berlin erreicht werden. Gerade diese Stadt - mit einer sehr rührigen Leiterin des Fremdenverkehrsamtes - zeigt, wie man es erreicht, durch Gastlichkeit, durch Aufgeschlossenheit gegenüber den Gästen einer Stadt eine besondere Note und eine besondere Prägung und ein besonders vorteilhaftes Gesicht zu geben.
Die Förderung des Fremdenverkehrs von Berlin her, in den Zonengrenzgebieten aber auch die Förderung des Fremdenverkehrs in Berlin selbst, erfordern es allerdings, das alles getan wird, um die Bus-Landverbindung nach Berlin und zurück zu erhalten. Für weite Teile des Zonenrandgebietes und auch für den Fremdenverkehr in der Stadt Berlin ist dieser Busverkehr ein unerläßlicher Faktor der weiteren Fremdenverkehrsentwicklung.
Eine besondere Sorge für den Fremdenverkehr im Zonengrenzraum bereiten daneben die Bahnverbindungen. Man kann sicherlich im Zonengrenzgebiet nicht überlebte Verkehrsstrukturen künstlich aufrechterhalten wollen. Bei Streckenstillegungen sollte deshalb auch immer die Frage geprüft werden, ob dabei nicht mühsam aufgebaute Fremdenverkehrszentren zerstört und Entwicklungsmöglichkeiten für morgen und übermorgen verhindert werden. Bahn- und Postbusverbindungen sind nur dann ein Ersatz, wenn sie dem Besucher den gleichen Komfort bieten, den er von Reisebussen gewöhnt ist. Ein Stehplatz im überfüllten Bahnbus ist für den mit Gepäck anreisenden Feriengast eine Abschreckung, die er damit quittiert, daß er das auf diesem Wege zu erreichende Feriengebiet nie wieder aufsuchen wird.
Zum Schluß lassen Sie mich noch ein paar grundsätzliche Gedanken zur Fremdenverkehrsentwicklung im Zonenrandgebiet sagen. Der Fremdenverkehr hat in diesem Raum auch eine politische und menschliche Bedeutung. Wir wollen aus ihm nicht
I die Klagemauer der deutschen Teilung machen, so wenig wie er für uns zu einem Tanzboden auf dem deutschen Vulkan werden soll. Aber jeder Tourist, der diesen Raum besucht, wird ohne Worte und billige Propaganda durch die Tatsachen von der deutschen Tragödie überzeugt. Jeder Tourist, der in diesen Raum reist, ist für die dort lebenden Menschen ein lebendiger Beweis, daß man sie nicht abgeschrieben hat und diese Teilung nicht als unabänderliches Faktum hinzunehmen gedenkt. Der Tourismus im Zonengrenzraum erfüllt damit eine doppelte Aufgabe. Er hilft die Wirtschaftskraft des Raumes sichern, und er hilft den Menschen.
Wir bedauern es außerordentlich, daß die Regierung im anderen Teil Deutschlands die Tore nach Mitteldeutschland geschlossen hält und sich und den Menschen dort drüben Milliarden an Einnahmen zur Steigerung des Lebensstandards entgehen läßt, während andere Staaten Osteuropas die Möglichkeiten und Chancen, die in einem Austausch der Menschen im Rahmen des Tourismus liegen, voll zu nutzen wissen.
Wir sind der Meinung, daß in den vergangenen Jahren gerade hier Entscheidendes geschehen ist, um die Menschen einander besser verstehen zu lehren und manche Vorbehalte und Ressentiments zu überwinden - nicht immer zur Freude der Machthaber. Wir wollen hoffen, daß sich auch in diesem anderen Teil Deutschlands eines Tages die Vernunft durchsetzen wird und daß einmal zwischen den Räumen in der Mitte Deutschlands wieder eine lebendige Begegnung möglich ist.
Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung bei ihren jüngsten Maßnahmen zur Förderung des Zonenrandgebietes erkannt hat, daß es sich hier nicht nur um ein wirtschaftliches, sondern auch um ein eminent politisches Problem handelt. Ich glaube, dafür sollten wir Dank sagen. Es sollte unsere Aufgabe auch im Rahmen dieser Debatte sein, die Möglichkeiten und die Voraussetzungen, die vom Tourismus her geboten sind, zu sehen, um die Wirtschaftskraft dieses Raumes zu stärken und die innere Festigung dieses Raumes zu unterstützen.
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Das Wort hat jetzt Herr Kollege Josten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Wirtschaftsminister, Herr Professor Schiller, hat heute hier erwähnt, daß der Fremdenverkehr ein wesentlicher Bestandteil unserer Wirtschaft ist. Was er hier zum Ausdruck brachte, ist nichts Neues, sondern eine Frage, mit der wir uns schon seit Jahren in diesem Hause befassen. Das sage ich besonders den Kollegen von der FDP. Das Problem des Fremdenverkehrs ist ja nicht erst heute entdeckt worden.
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- Sicher, es wiederholt sich immer. Ich bin auch gar nicht böse, daß Sie diese Anfrage gestellt haben. Ich wehre mich nur dagegen, daß Sie so tun, als ob wir uns heute das erste Mal hier im Hause über den Fremdenverkehr unterhielten. Das, meine Herren von der FDP, ist nicht der Fall. Schon oft stand in den Arbeitskreisen unseres Hauses auch bei uns in der CDU/CSU und natürlich gerade hier im Bundestag das Thema des Fremdenverkehrs auf der Tagesordnung. Immer gingen wir bei all diesen Gesprächen von der Erkenntnis aus - wie Minister Schiller sagte -, daß der Fremdenverkehr ein Wirtschaftszweig ist, dem eine große Bedeutung zukommt.
Im letzten Bundestag hatten die Abgeordneten Burgemeister, Dr. Brenck, unser Kollege Riedel ({1}), Wieninger, weitere Kollegen und ich eine Kleine Anfrage eingebracht, um die Bundesregierung wegen ihrer Haltung im Hinblick auf die Konkurrenzfreiheit der deutschen Beherbergungsbetriebe auf wichtige Fragen hinzuweisen. Die Antwort der damaligen Bundesregierung unter der Drucksache IV/3766 brachte dem Hohen Hause - und darüber hinaus dem gesamten Zweig des Fremdenverkehrs, das wissen wir - eine Mitteilung, die mit großer Freude zur Kenntnis genommen wurde.
Der Kollege Schwabe hat hier heute schon darauf hingewiesen, daß wir auch im Rahmen des Parlaments immer eine Arbeitsgruppe hatten, die allerdings - das möchte ich sagen, Herr Kollege Schwabe - nach außen wenig in Erscheinung getreten ist, die aber in wesentlichen Fragen, wenn es z. B. um die Erhöhung von Mitteln oder überhaupt darum ging, Mittel für die Deutsche Zentrale für
Fremdenverkehr zur Verfügung zu stellen, zusammentrat. Ich glaube, das sollten wir auch in Zukunft tun, erst recht dann, wenn das Anliegen, das in dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD und natürlich auch von seiten der FDP zum Ausdruck kam - Herr Kollege Spitzmüller hat darauf hingewiesen - zutage tritt, daß wir nämlich zu einer Koordinierung aller Planungen und Maßnahmen der privaten und der öffentlichen Träger des Fremdenverkehrs kommen müssen. Dies sollte im Rahmen eines Arbeitskreises für Fremdenverkehr geschehen. Das ist ja in dem Antrag der Koalitionsparteien auch zum Ausdruck gekommen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem Problem der Fremdenverkehrsstatistik und zu unseren Heilbädern und Kurorten doch einiges sagen; denn gerade auf Grund der Antwort der Bundesregierung zur Förderung des Fremdenverkehrs sollten wir, glaube ich, hier noch einige wesentliche Punkte ansprechen. Die von der Bundesregierung uns hier vorgelegte Antwort - sie ist vom 28. Oktober - enthält eine Anzahl von Statistiken, die teilweise vom Statistischen Bundesamt, von verschiedenen anderen Institutionen und vom Deutschen Bäderverband stammen. Sie gaben uns durchaus die Möglichkeit, die Entwicklung der letzten Jahre auf dem Gebiete des Fremdenverkehrs zu beurteilen. Ich glaube, Herr Kollege Spitzmüller - wenn ich Sie jetzt gerade einmal ansprechen darf -, daß man bei der Bilanz nicht nur einen Rückgang, der sich in den letzten Jahren einmal abzeichnete, sehen sollte, sondern natürlich die gesamten vergangenen Jahre. Und da ist doch eine sehr positive Entwicklung festzustellen.
Ich glaube, diese für uns erfreuliche Entwicklung ist sicher auch ein Erfolg, der durch weltweite und systematische Werbung von seiten der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr in Frankfurt mit erreicht wurde, einer Zentrale, deren Arbeit ja heute schon mehrfach von den einzelnen Kollegen angesprochen wurde.
Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich der Nutzen aus dem Ausländerbesuch für die Bundesrepublik, der auch heute hier zur Sprache kam, auf das politische Feld, so möchte ich sagen, verlagert. Wir konnten jedenfalls feststellen, daß ein Besuch in der Bundesrepublik und der persönliche Kontakt mit den Bundesdeutschen eine ausgezeichnete politische Werbung für Deutschland ist. Herr Kollege Schwabe, Sie nannten heute das Beispiel Berlin. Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel. Jede Vermehrung der Freunde unseres Landes trägt dazu bei, daß eine sachliche und gerechte Beurteilung im Ausland möglich wird. Wie notwendig wir das haben, können wir praktisch jede Woche feststellen, und wir sehen immer wieder, wieviel Mißtrauen wir noch abbauen müssen. Es ist sicherlich gut, wenn uns immer mehr Freunde unseres Landes besuchen und sich selber hier im Lande von der Unrichtigkeit alles dessen überzeugen, was sie entweder durch falsche Informationen oder Verdächtigungen über unser Land erfahren.
Über den Aussagewert der internationalen und auch der deutschen Fremdenverkehrsstatistik liegt genügend Literatur vor. Es zeigt sich, daß die absoluten Zahlen wenig verläßlich sind. Demgegenüber, glaube ich, sind die Zahlen der Deviseneinnahmen aus dem Fremdenverkehr sehr zuverlässig. Und dies ist ja bei der Betrachtung von der wirtschaftlichen Seite her das Entscheidende.
Meine Damen und Herren! Das statistische Material, welches uns die Bundesregierung in der Drucksache V/3433 vorgelegt hat, zeigt auch die Bedeutung der Heilbäder und Kurorte im Rahmen des Fremdenverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland. Auf Seite 4 sind in der Tabelle 1 die Fremdenübernachtungen - Inländer und Ausländer nach Gemeindegruppen - aus den Jahren 1958 bis 1967 im Vergleich aufgezeichnet. Wir ersehen aus dieser Darstellung folgende Entwicklung: In dem gesamten Zeitraum haben die Übernachtungen von Inländern um 48 % und die von Ausländern um 36% zugenommen. Daher auch mein Hinweis zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Spitzmüller: Wenn man die gesamte Zeitspanne sieht, stellt man eine positive Entwicklung fest. Es ist verständlich, daß die Zuwachsraten von Jahr zu Jahr geringer wurden. Ich glaube, wir können mit Freude feststellen, daß die Bedeutung der Heilbäder und Kurorte immer größer wird. Der Anteil der Übernachtungen in Heilbädern und Kurorten beträgt, wenn wir die uns in dem Bericht der Bundesregierung vorliegende Gesamtzahl der in der Bundesrepublik Deutschland gezählten Fremdenübernachtungen zugrunde legen, rung 41,1 %. Hier muß auch erwähnt werden, daß in der Statistik des Deutschen Bäderverbandes Aufenthalte bis zu drei Übernachtungen nicht gezählt werden, so daß der tatsächlich auf die Heilbäder und Kurorte entfallende Anteil unter Einbeziehung dieser kurzzeitigen Aufenthalte noch höher liegt.
Die Fragen, welche unter Punkt 1 der Großen Anfrage gestellt sind und von der Bundesregierung beantwortet wurden, zeigen mehrere Lücken in der Statistik. Für den Bereich der deutschen Heilbäder und Kurorte haben wir im wesentlichen zwei statistische Quellen. Es handelt sich einmal um die im Rahmen der Fremdenverkehrsstatistik des Statistischen Bundesamtes veröffentlichten Daten, zum anderen um die Statistik des Deutschen Bäderverbandes. Die Fremdenverkehrsstatistik des Statistischen Bundesamtes berücksichtigt bekanntlich eine Auswahl von Heilbädern und Kurorten in der Bundesrepublik und berichtet so über die Zahl der Übernachtungen. Hierbei werden die Übernachtungen von Ausländern gesondert ausgewiesen. Die Statistik des Deutschen Bäderverbandes dagegen, welche vorwiegend den speziellen Belangen dieses Fachverbandes dient, geht deshalb auch von anderen Erhebungsmerkmalen aus.
Ich möchte auch hierzu ein Beispiel nennen. Das Statistische Bundesamt zählt, wie schon erwähnt, jede Übernachtung, während die Statistik des Deutschen Bäderverbandes nur die Übernachtungen von der jeweils vierten Übernachtung an registriert. Auf diese Weise soll der Kreis der, ich möchte sagen, Passanten unberücksichtigt bleiben. Auch gibt es Unterschiede in den Befragungen bei einzelnen Kurverwaltungen. Das wissen die Damen und Herren
aus ihren Ländern. Eine sehr weitgehend aufgegliederte örtliche Kurgaststatistik haben wir z. B. in Baden-Baden und in Badenweiler.
In der Antwort der Bundesregierung ist auch eine Feststellung bezüglich der Aufenthaltsdauer der Reisenden in der Bundesrepublik an einzelnen Orten und in bestimmten Gebieten getroffen. Das kann natürlich nicht exakt angegeben werden. Es ist aber interessant, daß in Heil- und Seebädern die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Inländer bei 121/2 bzw. 111/2 Tagen liegt, wogegen die Aufenthaltsdauer in Großstädten im Durchschnitt nur bei zwei Tagen liegt.
Herr Minister Schiller sagte heute morgen sinngemäß, für den Hamburger liege die Lüneburger Heide nahe. Man könnte viele entsprechende Beispiele nennen, meinetwegen daß die Bewohner von Ludwigshafen und Mannheim natürlich schneller und günstiger zum Pfälzer Wald, zur Deutschen Weinstraße oder zum Schwarzwald kämen.
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- Selbstverständlich kann man auch Gebiete des eigenen Wahlkreises sehen, Herr Schulze-Vorberg. Ich würde sagen, den Reisenden aus dem Ruhrgebiet oder Köln sollte man empfehlen, in die Eifel, an die Ahr, den Rhein oder die Mosel zu kommen. Ich habe den Hinweis verstanden. Aber das könnte man genauso auf jedes andere Gebiet ausdehnen. Ich glaube, was hier angesprochen wurde, ist sicher richtig: daß heute schon bei vielen ein Trend in der Richtung vorhanden ist, daß sie nicht mehr am Wochenende unbedingt noch etwa über den Brenner wollen, sondern daß sie erkennen, daß in der eigenen Heimat Erholungsmöglichkeiten bestehen, die es ratsam erscheinen lassen, zuerst dort Erholung zu suchen. Jeder kennt ja im europäischen Reiseverkehr den dominierenden Trend der Urlaubsreisen von Norden nach Süden, wie heute gesagt wurde. Demgegenüber ist aber aus den Zahlen, wie wir sie von den einzelnen Institutionen bekommen haben, auch zu ersehen, daß die Entfernung für die Wahl des Reiseziels nach wie vor eine große Rolle spielt.
Es ist anzunehmen, daß durch wachsenden Verkehr das nahegelegene Reisegebiet zukünftig bevorzugt werden wird. Für denjenigen, der ein Heilbad, einen bestimmten Luftkurort oder ein Seebad aufsucht, spielt die Entfernung eine untergeordnete Rolle, da er an diesem Platz einen längeren Aufenthalt eingeplant hat. Wir können aus den Unterlagen, die wir erhalten haben, auch hier eine Entwicklung feststellen. Darüber hinaus sucht - das wurde heute schon einmal erwähnt - neben den Touristen auch ein großer Kreis deutscher Kurgäste den Aufenthalt in Heilbädern in Österreich, Frankreich, Italien, Spanien sowie neuerdings auch in Rumänien und in anderen Ostblockländern.
In dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU sind unter Punkt 2 und 3 zwei wichtige Hinweise gegeben, die hier besonders angesprochen werden müssen, weil wir ja auch in unseren heimatlichen Gebieten finanziell an der Modernisierung und dem Ausbau des Hotel- und Gaststättengewerbes mithelfen
wollen. Im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung muß geprüft werden, wie wir hier noch verstärkt Mittel ansetzen können. Wir wollen auch nicht verkennen, daß die einzelnen Länder auf diesem Gebiet schon Beachtliches leisten. Aber sicherlich wissen Sie, es gibt viele schöne deutsche Gebiete, wo die entsprechenden Lokale noch fehlen. Es fehlt nicht an der guten Luft, es fehlt nicht an der schönen Landschaft, es fehlt mitunter auch nicht mal an den guten Straßen. Es fehlt einfach noch an den entsprechenden Hotels und Gaststätten. Dieses sollten wir erkennen.
In der letzten Woche hat der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Herr Dr. Altmaier, in Bad Neuenahr im Auftrag des Bundespräsidenten den Vorsitzenden des Deutschen Bäderverbandes, Herrn Dr. Rütten, mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Bei dieser Gelegenheit, wo ein Mann geehrt wurde, dessen Verband und der persönlich Hervorragendes für das Ansehen unserer Heilbäder und Kurorte geleistet hat, wurde auf die gute Entwicklung unserer Bäder hingewiesen. Das sollten wir auch heute unterstreichen.
Trotz vieler Schwierigkeiten, die ich wegen Zeitmangels nicht im einzelnen aufführen will, sind die Angebote deutscher Heilbäder und Kurorte infolge der modernen Kuranlagen und der vorbildlichen Betreuung der Kurgäste unter ärztlicher Leitung gegenüber Angeboten aus dem Ausland konkurrenzfähig.
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- Na ja. Aber ich glaube, wir müssen erkennen, daß unsere Bäder und Kurorte heute tatsächlich gegenüber denen im Ausland konkurrenzfähig sind. Wir haben heute in der Bundesrepublik weit über 200 Heilbäder und Kurorte, davon 142 Mineral- und Moorbäder. Wir haben rund 40 Seebäder und Seeheilbäder, 33 Kneippheilbäder und Kneippkurorte sowie rund 30 heilklimatische Kurorte.
Wir haben im Antrag der Koalition unter Punkt 3 einen besonderen Hinweis, bei dem es um die Zuschußgewährung für die Deutsche Zentrale für Fremdenverkehr geht. Es liegt uns daran, daß Sorge getragen wird, daß die Auslandswerbung für die Kur- und Badeorte noch stärker berücksichtigt wird, als das bis heute geschehen ist. Wenn wir für unsere Heimat werben - das wurde heute schon gesagt -, dann sollten wir das - diese Ansicht wurde auch öfter vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband zum Ausdruck gebracht - nicht nur mit unserem alten Kulturgut tun, sondern wir sollten auch auf unsere Möglichkeiten, auf das Ferienmachen und auf das Sicherholen in Deutschland hinweisen.
Dieser Hinweis dürfte auch von Bedeutung sein, wenn wir die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur Förderung des Fremdenverkehrs betrachten, worin besondere Erwartungen seitens der Luftverkehrsunternehmen an die Entwicklung der Flugreisen geknüpft werden. Unser Parlamentarischer Staatssekretär, Kollege Börner, ist hier. Ich glaube, das ist das zuständige MinisteJosten
rium. Daraus sehen wir, daß im Streit um die Kompetenz auch heute noch das Verkehrsministerium eine Rolle spielt, wenn es um Fragen des Fremdenverkehrs geht. So könnte in Zukunft eine stärkere örtliche Streuung des amerikanischen Touristenverkehrs für unsere Bäder und Kurorte von Nutzen sein. Sowohl die vier Anträge von der FDP wie der Koalitionsantrag werden ja in die Ausschüsse überwiesen. Dort werden die Dinge im einzelnen beraten. In den Anträgen der FDP gibt es einige Fragen, die sehr ins Detail gehen. Wir sollten die Dinge, auf gut deutsch gesagt, auch nicht übertreiben. Herr Kollege Spitzmüller, man könnte bei jedem Ausländer auch noch feststellen, ob er echte oder falsche Zähne hat, und was man noch alles statistisch oder im Fragebogen erfassen könnte. Wir sollten also auch hier im Rahmen der Erhebungen - ({4})
- Die Hühneraugen! Sie haben den scherzhaften Hinweis gemacht. Ich habe es im gleichen Sinne gedacht. Ich glaube, wir werden mit den Kollegen der FDP schon eine Einigung erzielen.
Lassen Sie mich kurz noch etwas zu dem Anerkennungsverfahren, d. h. zu der Verleihung von Artbezeichnungen und Begriffsbestimmungen sagen, was für unsere Bäder oder Kurorte gilt, ein Thema, das heute im Rahmen der Aussprache noch nicht erwähnt wurde, das aber bedeutungsvoll ist; denn in den einzelnen Ländern unserer Bundesrepublik, zu deren verfassungsrechtlicher Zuständigkeit das Gesundheitswesen gehört, sind verschiedene Ministerien mit der Behandlung der Bäderfragen betraut. So z. B. die Ministerien für Wirtschaft, Soziales oder Inneres. Meine Damen und Herren, sowohl dadurch als auch auf Grund der föderalistischen Ordnung im allgemeinen besteht die Gefahr einer nach Ländern unterschiedlichen Betrachtung auf dem Gebiet der Anerkennungsverfahren bzw. bei der Verleihung von Artbezeichnungen wie Mineralbad, Moorbad, Seeheilbad, Seebad. Wir kennen Kneipp-Heilbäder, Kneipp-Kurorte, heilklimatische Kurorte, Luftkurorte, Erholungsorte usw.
Wir brauchen für die Bundesrepublik insgesamt Richtlinien, nach denen die Artbezeichnungen für Kurorte, Erholungsorte und Heilbrunnen einheitlich sind. \Diese Vereinheitlichung ist von den Verbänden schon immer angestrebt worden; sie ist bis zu einem gewissen Grade auch erreicht worden. Aber wir wissen, daß es noch Unterschiede gibt. Ich glaube, die Begriffsbestimmungen für Kurorte, Erholungsorte und Heilbrunnen dienen bei den Anerkennungsverfahren in den einzelnen Ländern als einheitliche Arbeitsgrundlage. So soll es jedenfalls sein. Das ist Voraussetzung für eine weitgehend einheitliche Spruchpraxis auf diesem Gebiet im gesamten Bereich der Bundesrepublik. Es wird dann auch in der Werbung - besonders für unsere ausländischen Gäste -von vornherein klar sein, daß man tatsächlich nach dem Namen gehen kann.
Bisher sind die Begriffsbestimmungen von dem Deutschen Bäderverband und dem Deutschen Fremdenverkehrsverband vorgenommen worden, die seit langen Jahren in einem gemeinsamen Fachausschuß diese Normen prüfen. Ich glaube, wenn diese Fragen
im Ausschuß beraten werden, sollte man auch darauf zurückkommen, damit wir zumindest hier zu einer einheitlichen Regelung kommen.
Meine Damen und Herren, einige Kolleginnen und Kollegen wollen zu dem einen oder anderen Problem noch etwas sagen. Ich will mich aus diesem Grunde kurz fassen, besonders weil die vorliegenden Anträge im Ausschuß noch im einzelnen beraten werden.
Ich möchte zum Ende meiner Ausführungen an die Deutsche Zentrale für Fremdenverkehr in Frankfurt noch die Anregung geben, daß sie auf die Werbung im Hinblick auf das Ausland - das haben ja heute schon mehrere Kolleginnen und Kollegen angesprochen - noch größeres Gewicht legt. Die Werbung für unsere Bäder und Kurorte - sie ist von der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr bisher auch schon betrieben worden - muß in Zukunft noch verstärkt werden.
Wir wissen, daß neben der Werbung für Bäder und Kurorte für die Bundesrepublik im Ausland unter fünf Themen geworben wird. Das erste Thema ist „Land und Leute". Zweitens wird unter dem Thema „Kultur und Zivilisation" geworben. Die weiteren Themen sind „Handel, Industrie und Verkehr”, „soziale Einrichtungen", und „Gastlichkeit, Sport, Vergnügen und Erholung".
Auch ich möchte - Herr Kollege Schwabe sagte heute morgen schon ein Wort des Dankes - all denen, die für unsere 'deutschen Bäder unid Kurorte im In- und Ausland wirken, ein Wort des Dankes sagen. Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage betreffend Förderung des Fremdenverkehrs konnten wir entnehmen, daß auch statistisch nachgewiesen ist, daß eine positive Entwicklung zu verzeichnen ist. Wir wissen, das ist sicher .ein Verdienst von Tausenden von Mitbürgern, die sich in der Bundesrepublik um den Fremdenverkehr bemühen oder im Hotel- und Gaststättengewerbe tätig sind. All denen, die im In- und Ausland zum guten Ruf unserer Heilbäder und Kurorte beigetragen haben, möchte ich im Auftrag der Fraktion der CDU/CSU ein besonderes Wort des Dankes sagen. Möge auch die nächste Bundesregierung die große Bedeutung des Fremdenverkehrs und im Zusammenhang damit die besondere Bedeutung unserer Heilbäder und Kurorte erkennen und zu deren finanzieller Unterstützung beitragen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Geldner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die heutige Debatte hat gezeigt, daß in den Grundsätzen hier in diesem Hause eine weitgehende Einigung entstanden ist. Ich möchte deswegen hier nicht mehr allzu lange Ausführungen machen, denn es ist schon Kritik an der Präsenz geübt worden. Ich möchte aber darauf verweisen, daß bei der Großen Anfrage zum Sport und zur Gesundheit die Präsenz in diesem Hause auch nicht größer war. Ich will mich mit mei11650
nen Ausführungen relativ kurz fassen; denn die Anträge werden ja, wie ich glaube, in den zuständigen Ausschüssen in einer Richtung behandelt werden. Der Antrag der Großen Koalition, der gegenüber unserem Antrag eine Pauschalierung zeigt, ist angetan, gemeinsam mit unseren Anträgen debattiert zu werden.
Lassen Sie mich einige Anmerkungen zur Struktur des Fremdenverkehrs schlechthin darlegen. Wenn wir den Fremdenverkehr in seiner wirtschaftlichen Bedeutung betrachten, wird deutlich, daß es sich hier um einen typisch mittelständisch-gewerblichen Erwerbszweig handelt. 45 000 Beherbergungsbetriebe mit 924 000 Betten und weitere 379 000 Betten in Privatquartieren geben darüber ein anschauliches Bild. Zuzurechnen sind unter anderem die Reiseverkehrsunternehmen mit Omnibussen, der Sektor des Einzelhandels, des Handwerks, Speiserestaurants, Cafés usw., die ganz oder teilweise, direkt oder indirekt, vom Tourismus leben.
Diese Bereiche haben die Entwicklung der letzten Jahre mit einer gewissen Sorge verfolgt. Ihre wirtschaftliche Situation ist von einer Reihe von Faktoren abhängig, die sie direkt und allein durch ein entsprechendes Leistungsangebot nicht beeinflussen können. Der Reise- und Urlaubsverkehr ist in hohem Maße, wie Sie wissen, bei uns in der Bundesrepublik witterungsabhängig. Das bedeutet, daß unter Umständen hohe Risiken einzukalkulieren sind, weil entsprechende fixe Kosten - ich denke hier an die Personal-, an die Pachtkosten, an die Vorratshaltung usw. - unabhängig vom Geschäftsverlauf vorhanden sind. Es handelt sich also zu einem hohen Prozentsatz um Dienstleistungen, d. h. um lohnintensive Wirtschaftsbereiche. die starke Industrialisierung bestimmt das Lohn- und Gehaltsniveau, dem sich der lohnintensive Bereich aus arbeitsmarktpolitischen Gründen ohne entsprechende Rationalisierungsmaßnahmen anpassen muß.
Hieraus ergeben sich wesentliche Wettbewerbsnachteile im Vergleich zu anderen Ländern. In der Antwort zur Großen Anfrage ist erklärt worden, es seien keine erkennbaren Wettbewerbsnachteile vorhanden. Wenn ich das Kreditvolumen unseres Nachbarlandes Frankreich betrachte - nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes -, das im Vergleich zur Bundesrepublik die zehnfache Summe ausweist, muß ich schon sagen, daß hier echte Verzerrungen vorhanden sind. Diese Beihilfen schaffen einen Wettbewerbsvorsprung im Hinblick auf die Qualität der Unterkunftsangebote und der öffentlichen Einrichtungen für Erholung, Unterhaltung und sportliche Betätigung, denen diese Einrichtungen dienen.
Ein Sonderproblem, das vielleicht auch noch einmal angesprochen werden müßte, sehe ich in der alteingesessenen Gastronomie und Hotellerie. Sie steht im Hinblick auf die Neuausstattung und die Renovierung vor besonderen Schwierigkeiten, wenn sie den heutigen Anforderungen in etwa gerecht werden will. Sie sieht sich einer besonderen Wettbewerbssituation nicht nur wegen des unterschiedlichen internationalen Preisniveaus, sondern auch wegen des enormen - und das muß einmal klar
gesagt werden - Verdrängungswettbewerbs der Großkonzerne gegenüber, die direkt oder indirekt durch die öffentliche Hand begünstigt werden. Es handelt sich, um es ganz deutlich zu sagen, nicht um eine Forderung, den Wettbewerb einzuschränken, sondern darum, gleiche und vergleichbare Wettbewerbschancen zu gewähren. Es handelt sich auch um eine Frage an die Bundesregierung, ob sie durch ihre Steuer- und Kreditpolitik eine Gesellschaftspolitik betreiben will, die den vorhandenen selbständigen Existenzen in diesem Bereich das Leben mehr und mehr erschwert. Wir Freien Demokraten fordern deshalb, mit zusätzlichen Zinsverbilligungsaktionen des Bundes und der Länder unter Einsatz von verhältnismäßig geringen Mitteln hier echte, fühlbare Hilfestellungen zu geben, wie sie für andere Sektoren längst eine Selbstverständlichkeit sind.
Hinzu kommt natürlich, was auch schon angesprochen wurde, das steuerliche Problem. Die 11%ige Mehrwertsteuer ist von der Gastronomie, wie Sie wissen, als ein schwerer Schlag empfunden worden. Für Lebensmittel sind mit Rücksicht auf den Verbraucher bewußt 5,5 % Mehrwertsteuer festgesetzt worden. Wir Freien Demokraten haben den Verdacht, daß bei der hohen Besteuerung des Gastgewerbes überholte Vorstellungen eine Rolle gespielt haben. Man ist wohl davon ausgegangen, daß nur diejenigen in Urlaub fahren könnten, die sich viel leisten können. So ist es nicht. Das Gros der Urlauber ist heute gerade die Masse derjenigen, die nicht über Höchstverdienste verfügen. Das gilt insbesondere für die Mehrheit der Urlauber.
Abgesehen von dieser Mehrwertsteuerfrage ist der Bund selbst etwas mit ein Opfer dieser ungerechten und einseitigen Besteuerungspolitik für die Gastronomie geworden. Wegen der gestiegenen Verpflegungskosten mußte er nämlich die Tagegelder der Bediensteten heraufsetzen, was schon mehr als die Hälfte dessen kostet, was der Steuerausfall ausgemacht hätte. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, daß ein Teil die Speisen nicht mehr in den Gaststätten einnimmt.
In diesem Zusammenhang ist auch interessant, daß der Rückgang des Fremdenverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland im Sommerhalbjahr 1968 0,6 % ausgemacht hat. Auch das sollte etwas zu denken geben, wenn man sich vor Augen hält, daß auf diesem Wirtschaftssektor eine weltweite Expansion stattfindet.
Die Mehrwertsteuer wirkt sich - das muß hier auch einmal gesagt werden - in anderen Fällen aber auch sektoral nachteilig aus. Ich denke hier z. B. an die Seil- und Bergbahnen, die im bayerischen Raum gegenüber der Konkurrenz von Osterreich und der Schweiz mit der Besteuerung sehr im Nachteil liegen. Auch hier müßte eine Abhilfe geschaffen werden.
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Es wurde schon von den körperschaftseigenen Einrichtungen gesprochen. Auch ich will kurz darüber sprechen. Die steuerliche Belastung wirkt sich auch für diejenigen Unternehmen nachteilig aus,
die Verträge mit den Körperschaften des öffentlichen Rechts im Hinblick auf die Durchführung von Gesundheitsmaßnahmen für deren Mitglieder haben. Die Antwort der Bundesregierung zu diesem Gesamtfragenkomplex ist unbefriedigend. Die FDP hat nicht nach dem Verhältnis gefragt, in dem die Belegung körperschaftseigener Einrichtungen und privater Häuser erfolgt, sondern nach den konkreten Zahlen im einzelnen und der voraussichtlichen Entwicklung. Es geht hier einmal um den optimalen gesundheitlichen Effekt, den Kur- und anderen Heilmaßnahmen erzielen sollen und können, und zum anderen um die Frage, wie dies in der wirtschaftlichsten Form geschehen kann.
Hier stehen jährlich Hunderte von Millionen an Beiträgen von Versicherten und der öffentlichen Hand auf dem Spiel. Es ist kein Geheimnis, daß bei vergleichbaren Leistungen die privaten Häuser nicht nur geringere Pflegesätze erhalten, sondern damit auch wesentlich wirtschaftlicher arbeiten müssen. Saubere und vergleichbare Kostenanalysen sind hier unbedingt erforderlich, damit der zweckmäßigste Einsatz der Mittel im. Sinne der betroffenen Staatsbürger erfolgen kann.
Wenn man jedoch weder über eine hinreichende Kostenanalyse noch über die Kostenstruktur der vorhandenen Kapazitäten oder der geplanten Kapazitätsausweitung irgendeine Auskunft hat, besteht die Gefahr, daß enorme Summen - ich möchte fast sagen - sinnlos vertan werden.
Lassen Sie mich schließlich die Fremdenverkehrspolitik noch etwas unter dem Gesichtspunkt der Strrukturpolitik betrachten. Viel zu allgemein sind in der Antwort der Bundesregierung zur Großen Anfrage von uns Freien Demokraten die Darstellungen über die Fremdenverkehrsstrukturpolitik als Teil einer regionalen und wirtschaftlichen Strukturpolitik. Gerade in der Phase eines gewissen konjunkturellen Stillstands hat sich die preismäßige Orientierung der Urlauber in der Wahl der Urlaubsziele gezeigt. Vor allem die industriell benachteiligten Bundesausbaugebiete könnten hier ihre große Chance haben, wenn man ihnen bei entsprechender Hilfestellung einmal die Erfahrungen der traditionellen Fremdenverkehrsgebiete etwas näherbringt und darlegt. Denn in diesen Bundesausbaugebieten könnten Möglichkeiten für spezielle Urlaubsziele geschaffen werden. Ich denke hier an Familienferien oder Altenerholung usw. Dieses Problem muß einmal diskutiert werden, um hier Wege für Abhilfen zu suchen und zu finden. Damit kann nämlich der einheimischen Bevölkerung eine neue Existenzgrundlage oder eine Zuerwerbsmöglichkeit gegeben werden und der vielfach zu beobachtenden Abwanderung in industrielle Ballungsräume sinnvoll entgegengewirkt werden.
Hier erwarten wir von der Bundesregierung klare Aussagen, wie und in welchem Umfange sie sich die strukturellen Förderungsmaßnahmen in Zusammenarbeit mit den Ländern und den einzelnen Regionen konkret vorstellt. Mit allgemeinen Erklärungen und der Bereitschaft zur wohlwollenden Prüfung ist es leider nicht getan.
Diese wenigen Beispiele zeigen Chancen, die einem Teil der mittelständischen gewerblichen Wirtschaft durch eine vernünftige Fremdenverkehrspolitik geboten werden können. Sie zeigen aber auch, wie leicht dieser Wirtschaftszweig existenzbedroht ist, wenn diesem Sektor nicht mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als bisher. Die betroffenen Bereiche verlangen keine Sonderbehandlung und keine Errichtung interessenbezogener wirtschaftlicher „Naturschutzparks", aber sie erwarten, daß das Parlament und die Bundesregierung sie nicht schlechter stellen als andere Bereiche, die sich vor ähnliche oder gleiche Probleme gestellt sehen.
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Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Prassler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß wir mit dieser Art von Debatten weder der Frage des Fremdenverkehrs noch dem Ziel dieses Hohen Hauses einen gulen Diensi erweisen und daß es höchste Zeit wäre, daß wir uns andere Methoden und Möglichkeiten überlegen, wie wir mit solchen Problemen in diesem Hause fertig werden.
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Lassen Sie mich deshalb einen Versuch machen, diese Debatte in einer etwas anderen Form mit einem kleinen Beitrag zu bereichern.
Ich möchte mir die Frage vorlegen und damit Ihnen als Überlegung weitergeben, wieweit mit einem solchen in der Fülle nicht mehr überbietbaren Katalog von Fragen, wie er hier von der FDP eingereicht wurde, einmal über statistische Wertvorstellungen und zusammenfassende Berichte hinaus diesem Problem überhaupt beigekommen werden kann. Ich bin der Meinung, daß hier wesentlichere Dinge angesprochen werden müßten, die weit über den Komplex statistischer Erhebungen und statistischen Materials hinauszugehen hätten.
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Der Kollege von der FDP hat soeben die Frage der Struktur angesprochen. Es sind heute schon die Fragen der Landwirtschaft ganz am Rande angesprochen worden, sogar vom Herrn Bundeswirtschaftsminister. Heute früh ist in diesem Hause der Grüne Bericht der Bundesregierung eingebracht worden, der Bericht über ein Problem, das in diesem Jahr ganz besonders sorgfältig debattiert und überlegt werden muß. Ich frage mich: Warum ist dieser wesentlichste Fragenkomplex der unglaublichen, riesenhaften Strukturveränderungen auf dem breiten Lande bei uns im Zusammenhang mit diesem Gebiet kaum angesprochen worden? Er findet sich in der Antwort der Bundesregierung lediglich in zwei Zeilen, obwohl der Herr Bundeswirtschaftsminister eine ausführliche Studie dazu im Laufe des letzten Jahres erstellt hat und sogar mit konkreten Zahlen und Maßstäben theoretisch errechnet hat, in welchen Dimensionen sich dieser Strukturwandel von der Landwirtschaft her gesehen ergeben würde.
Nach meiner Auffassung wäre es deshalb dringend notwendig, die Frage zu stellen, welche Möglichkeiten zwischen diesen Bereichen, die irgendwelche kongruierende, verbindende Momente in sich tragen, insgesamt gesehen werden sollten.' Die Frage des Strukturwandels bezieht sich doch nicht nur auf die Landwirtschaft. Sie bezieht sich doch nicht nur auf die gewerbliche mittelständische Wirtschaft draußen auf dem Lande; sie bezieht sich auf alle miteinander, und alle miteinander müssen sich überlegen, wie sie das eine durch das andere sinnvoll ergänzen oder verbessern könnten.
Ich möchte mir in diesem Zusammenhang auch die Frage erlauben, ob es nicht dringend erforderlich wäre, nicht nur zu prüfen, wie weit die bisherigen Förderungsmaßnahmen lediglich in Verbesserungs-und Erweiterungsmöglichkeiten gesehen werden dürfen, sondern auch zu überlegen, wie weit sie insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt gesehen werden müssen, daß sie nicht nur - ich spreche jetzt bewußt von der Frage der Fremdenverkehrsförderung - streng begrenzt sind auf die bisherigen Möglichkeiten, die - vom Bund her - im Zonenrandgebiet, in den Bundesausbauorten und Bundesausbaugebieten gesehen werden, sondern darüber hinaus ein globales Anliegen bei der ländlichen Strukturveränderung sind und sein müssen und so auch in Zukunft gesehen werden müssen.
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Ich gebe zu, daß diese Frage selbstverständlich den Kompetenzbereich der Länder und der privaten Träger in gleichem Umfang berührt. Es wäre aber ein dringendes Anliegen, hier eine Koordinierung durchzuführen. Wenn ich als Beispiel aus diesem Bereich der landwirtschaftlichen Strukturveränderungen hier etwas anmerken darf, dann nur folgendes: Wir wissen alle, daß sowohl in den Programmen, die die Bundesregierung zum Strukturwandel in der Landwirtschaft aufgestellt hat, als auch in den vorgesehenen Programmen, die von Brüssel, von der EWG auf uns zukommen werden, für ausscheidende landwirtschaftliche Betriebe bzw. Betriebsinhaber Möglichkeiten der Prämiengewährung, der Gewährung von zinsverbilligten Darlehen für stillzulegende Flächen - ganz gleich, in welchem Umfang und zu welchem Zweck - eingeräumt werden können. Wäre es deshalb nicht gleichzeitig eine Frage der Koordinierung, die sich in diesem Zusammenhang stellen müßte: Wie weit können solche Mittel von diesen Menschen sinnvollerweise unmittelbar in einem anderen Bereich auf dem Lande, in derselben Gemeinde, einem Zweck zugeführt werden, bei dem sie mit höchster Effizienz einem wirtschaftlichen Bereich zugute kommen, der es dringend notwendig hat?
Und wenn von der Stillegung von Arbeitskräften gesprochen wird, meine sehr verehrten Damen und Herren: Im gleichen Atemzuge hören wir von dem Personalmangel in vielen Bereichen der Gastronomie und des Fremdenverkehrsgewerbes. Sind das nicht doch irgendwelche Ungereimtheiten, die es aufzudecken und im Rahmen einer solchen Debatte bzw. der nachfolgenden Ausschußberatungen einer sinnvollen Lösung zuzuführen gilt?
Weil ich gerade eben von stillzulegenden Flächen spreche, darf ich in diesem Zusammenhang auch auf das Problem der Naturparks eingehen, das bei uns in der Bundesrepublik im Moment in diesem Umfang noch gar nicht ansteht, weil die Flächen dafür bisher nicht zur Verfügung standen. Vielleicht werden aber in der Zukunft ganz zwangsläufig Flächen dafür zur Verfügung stehen, und es wäre sehr zu überlegen, ob im Rahmen der öffentlichen Investitionen, die weit über den Bereich des privat Möglichen hinausgehen, hier zur Erhöhung des Freizeitwertes sinnvolle und immer noch mit mäßigen Mitteln zu versehende Möglichkeiten gesehen werden könnten, die hier angesprochen werden müssen.
Ich möchte damit meinen Beitrag bereits zum Abschluß bringen und Ihnen nur eines sagen: Als Vertreter der Landwirtschaft - es geht mir beileibe nicht darum, hier eine Expertenrede, perfektionistisch bis zum letzten Detail, zu halten, sondern ich möchte nur mit einigen Fragen das herausgreifen, was in diesen Randgebieten wesentlich zu sein scheint - möchte ich sagen, es geht nicht um die Begründung neuer Konkurrenz zur bestehenden und gut funktionierenden deutschen Gastronomie, zum deutschen Beherbergungs- und Gaststättengewerbe, sondern es geht nur um eine sinnvolle Ergänzung. Und dazu muß, so glaube ich, die Frage der Koordination in diesem Hause mehr als bisher und etwas sinnvoller angesprochen werden.
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Meine Damen und Herren, wir werden jetzt das Vergnügen haben, unsere Kollegin Frau Holzmeister zu hören. Diese unkonventionelle Art der Ansage soll Sie darauf aufmerksam machen, daß unsere Kollegin Frau Holzmeister ihre Jungfernrede zu halten sich jetzt anschicken möchte.
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Meine Damen und Herren, ich will es ganz kurz machen und nur schnell einige konkrete Erscheinungen zum Thema „Inanspruchnahme der einzelnen Verkehrsmittel" ansprechen. Auf verschiedenen Seiten des Berichts finden sich eine Reihe von statistischen Angaben, die eines hervorstechend erkennen lassen: Die Benutzung der Verkehrsmittel ist seit 1954 um das Dreifache gestiegen. Das ist einerseits ein erfreuliches Bild, wenn man darauf hinweisen kann, daß immer mehr Bürger unseres Landes zu Urlaub und Erholung auf Reisen gehen. Andererseits fordern diese Zahlen eine Fülle von Verpflichtungen für die Strukturmaßnahmen von Bund und Ländern. Zudem ist es interessant, daß zwar die Eisenbahnfahrten in dem genannten Zeitraum von rund 12 Millionen auf 16 Millionen angestiegen sind, jedoch der prozentuale Anteil an den Gesamtreisen von 53 auf rund 25% gefallen ist. Deshalb sollten die Bemühungen um neue Fahrgäste, Rentner und Rosa Zeiten und Familienfahrten in reiseschwachen Monaten fortgesetzt werden.
Demgegenüber ist die Benutzung von Personenkraftwagen für Urlaubsreisen von 4,4 Millionen um
fast das Zehnfache gestiegen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich die überfüllten Straßen vorzustellen, so daß nur die Hoffnung auf die intensive Weiterführung des Straßenbaus bleibt.
Die Kombination Eisenbahn und Pkw, Auto im Reisezug, eine Entlastung der Straßen für die An-und Rückfahrwege, wird in dem Bericht als „bisher zu wenig genutzt" bezeichnet, ohne daß Vorschläge zur Werbung und für den Ausbau dieses lobenswerten Programms gemacht werden.
Ein Blick auf die Zahl der Flugreisen läßt ein starkes Ansteigen erkennen: von null Prozent 1954 auf ungfähr 5 % der heutigen Urlaubsreisen, wobei jedoch auf den notwendigen Ausbau der deutschen Fluglinien nicht besonders hingewiesen wurde.
Nun möchte ich in dem sonst so fleißigen Bericht folgendes bemängeln: Ich vermisse bei der Erfassung der Verkehrsmittel die Fahrgastschiffahrt. Hält das Ministerium für Wirtschaft diesen Bereich des Fremdenverkehrs für so unbedeutend? Die Zahlen wären schnell zu erfragen gewesen. Bei der Wasser- und Schiffahrtsdirektion in Mainz wird z. B. für den Rhein und seine Nebenflüsse eine Statistik über die beförderten Fahrgäste geführt. Ich habe mir die Zahlen telefonisch durchgeben lassen, die 1954 bereits 2,5 Millionen pro Jahr betrugen und in den folgenden Jahren stetig anstiegen und heute ungefähr bei 3 Millionen liegen. Dazu müßten die Zahlen z. B. der Weser- und Donauschifffahrt hinzugerechnet werden. Das sind meines Erachtens ganz ansehnliche Ergebnisse, die Erwähnung verdient hätten. Ich nehme an, daß der Bericht in dieser Hinsicht noch ergänzt wird. Die Folgerungen, die aus den Zahlen der Fahrgastschiffahrt zu ziehen sind, fordern eine Erneuerung oder Modernisierung der teilweise recht veralteten Flotte. Es sollten Überlegungen angestellt werden, auf welche Weise rentabel geführte Betriebe z. B. mit zinsgünstigen Darlehen unterstützt werden könnten. Zur Vielfalt des deutschen Fremdenverkehrs sollte auch weiterhin die Fahrgastschiffahrt gehören. Was wäre z. B. der Rhein ohne die Weiße Flotte?!
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Nun noch einige Vorschläge zur Verbesserung der statistischen Unterlagen des Berichts. Auf Seite 4 wird erwähnt, daß weder für Inländer noch für Ausländer die durchschnittliche Aufenthaltsdauer angegeben werden kann. Wieso? Aus den Erhebungen der Stadtverwaltungen bzw. der Fremdenverkehrsämter ließen sich die Angaben über die Zahl der Übernachtungen, das jeweilige Land und die Gästezahlen ohne großen Aufwand zu Gebietsstatistiken zusammenstellen.
Auf Seite 6 zeigt sich ein mangelndes Interesse an den Kurzurlaubern, da nur bei einer Aufenthaltsdauer über fünf Tage die Zahlen aufgenommen wurden. Verschiedene Bereiche der Bundesrepublik sind für viele Millionen Ausländer, auf der Fahrt in den Süden und zurück, ein Durchreiseland mit allen Vor- und Nachteilen. Der Kurzaufenthalt sollte als wirtschaftlicher Faktor nicht unterschätzt werden.
Neben dieser Transiteigenschaft bedrängt das Beherbergungswesen ein anderes Problem. Es ist der
Zwang zum Saisonbetrieb. Außer in den wenigen schneesicheren Gebieten ist der Fremdenverkehr bei uns auf die Sommersaison angewiesen, zuweilen flankiert von einer Vor- und Nachsaison. Saisonbetriebe kosten aber auch in der stillen Zeit ständige Warte- und Heizgebühren sowie das Durchbeschäftigen der Fachkräfte. Schwimmbäder, Heilbehandlungen und kulturelle Veranstaltungen könnten einen ganzjährigen Betrieb rechtfertigen. Hier sollten die Vorstellungen und Pläne der öffentlichen und privaten Stellen des Fremdenverkehrs in dem vom Ministerium empfohlenen Arbeitskreis koordiniert werden.
In dem vom Bundestag zuzustimmenden Entschließungsantrag wird weiterhin eine Intensivierung der Auslandswerbung für Kur- und Badeorte in der Bundesrepublik gefordert sowie eine Überprüfung unter dem Gesichtspunkt der Fremdenverkehrsförderung und ein breiteres Angebot von Familienferienstätten.
Es kommt aber nicht nur auf solche äußeren Maßnahmen an. Ich möchte deshalb zum Schluß auf ein psychologisches Moment hinweisen: Es mangelt in der Bundesrepublik im Gegensatz zu anderen, insbesondere südlichen, Ländern an dem notwendigen Fremdenverkehrsbewußtsein. Es wird auf die Dauer nicht genügen, wenn nur die wirtschaftlich direkt Interessierten zur rechten Einstellung finden. Auch die übrigen Bürger einer Gemeinde, in deren Mauern jährlich Tausende von Fremden weilen, sollten diese Fremden als Gäste betrachten. Nicht nur der Kunde, sondern besonders der Gast ist König.
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Er hat ein Recht darauf, daß ihm die landschaftlichen und baulichen Besondersheiten gezeigt werden. Die Gemeinden werden um Parkplätze, Vermittlungsbüros und kulturelle Veranstaltungen bemüht sein müssen, zumindest private Bemühungen unterstützen müssen. Aber gerade jene Erscheinungen, die kein Geld kosten - freundliches Entgegenkommen und Hilfsbereitschaft der einheimischen Bevölkerung - veranlassen oft den Gast zur Wiederholung des Besuchs. Die Wechselbeziehung von Gastfreundschaft und einer gut belegten Saison kann sich auf solche Weise immer wieder erneuern.
Des weiteren sollte man ganz nüchtern einkalkulieren, daß die „Fremdenindustrie" - um sie einmal so zu nennen - zu einer der expansivsten Branchen geworden ist. Die moderne Wohlstandsgesellschaft gibt immer mehr von ihrem steigenden Einkommen für Güter und Zwecke der Freizeit aus. Das Angebot an Erholungsgütern ist gestiegen. Frische Luft und unbebaute Landschaften wurden plötzlich zu Werten besonderer Art. Die Betriebe des Dienstleistungsgewerbes werden immer stärker in den Mittelpunkt rücken, immer mehr Menschen werden mit der Zeit dort beschäftigt sein, weil immer mehr Menschen von Jahr zu Jahr immer mehr Freizeit zur Verfügung haben werden.
In dem zu gründenden Arbeitskreis sollten deshalb auch alle jene Projektionen in die Zukunft beachtet werden, die auch für den Fremdenverkehr die kommenden Jahrzehnte der wirtschaftlichen Umstrukturierung berücksichtigen.
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Das Wort hat Herr Kollege Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schmidhuber hat heute morgen schon angekündigt, daß in dieser Debatte auch - in gebotener Kürze - über die Mehrwertsteuer im Fremdenverkehr gesprochen werden soll. Ich werde mir allerdings die Mahnung, die der Herr Präsident heute morgen ausgesprochen hat, zu Herzen nehmen und mich nur mit der Besteuerung der für den Fremdenverkehr wichtigen Umsätze durch die Mehrwertsteuer befassen und alles andere auslassen, was über steuerliche Maßnahmen im Fremdenverkehr sonst noch gesagt werden könnte. Ich bin bei meinen vorbereitenden Überlegungen überhaupt zu der Auffassung gekommen, daß in der Gegenwart eine Förderung des Fremdenverkehrs nur im Rahmen der Mehrwertsteuer näher ins Auge gefaßt werden kann. Ich werde also das aufgreifen, was Herr Kollege Geldner vor mir schon gesagt hat, und will versuchen, es noch etwas weiter auszudehnen.
Sie müssen mir eine Vorbemerkung gestatten zu einem Punkt, auf den Herr Minister Schiller heute morgen schon hingewiesen hat. Es ist selbstverständlich, daß die Urlaubsreiseintensität mit der Höhe des Einkommens und mit dem Familienstand zusammenhängt. Die Bundesregierung hat festgestellt, daß die Personen mit einem monatlichen Haushaltseinkommen bis zu 1000 DM zwar 54 % der Bevölkerung, aber nur 41% der Urlaubsreisenden ausmachen. Sie hat ferner, gemessen an der Gruppe der Arbeitnehmer, festgestellt, daß Ehepaare ohne Kinder eine Urlaubsintensität von 41,2 %, Ehepaare mit drei Kindern aber - das andere Extrem - eine Intensität von nur 25,5 % aufweisen. Sie kommt drittens zu der sehr interessanten Feststellung, daß die Reisenden mit einem monatlichen Einkommen bis zu 1000 DM in der überwiegenden Mehrheit die Bundesrepublik als Ferienort bevorzugen, während die Bezieher höherer Einkommen bis zu 2000 DM mehr das Ausland aufsuchen; dann wieder steht die Bundesrepublik im Vordergrund.
Die „Deutsche Hotelzeitung" hat in ihrer Nr. 2 vom 11. Januar 1969 einen Artikel des SPD-Pressedienstes abgedruckt und sich damit die Behauptung zu eigen gemacht, -daß der Rückgang der Umsätze im Fremdenverkehr in den ersten zehn Monaten des Jahres 1968 um etwa 5% dem Prozentsatz entspreche, um den bei der Einführung der Mehrwertsteuer das Gaststättengewerbe benachteiligt worden sei. Diese Behauptung hinsichtlich Ursache und Wirkung kann man natürlich nicht beweisen; aber man kann sie bei den Größenordnungen der Reiseklassen, wie ich sie vorhin vorgetragen, auch nicht bestreiten.
Wie ist die Rechtslage? Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Mehrwertsteuergesetzes werden - statt mit dem vollen Steuersatz von 11 % - mit dem ermäßigten Steuersatz von 5,5% die in der Anlage 1 des Gesetzes aufgeführten Umsätze besteuert. Dazu gehören nahezu alle Speisen, aber auch Milch und Milchmischgetränke. Diese Ausnahme gilt aber nicht für Speisen und Getränke, die zum Verzehr an Ort
und Stelle in Gaststätten, Hotels und Gasthöfen abgegeben werden. Sie gilt dort auch nicht für Milch und Milchmischgetränke. Wer einmal durch den skandinavischen Norden gefahren ist und gesehen hat, welche Mengen an Milch in den Gaststätten und Hotels dort noch getrunken werden, der kann ermessen, wie stark der Verbrauch an Milch in der Bundesrepublik noch gesteigert werden könnte. Mineralwasser, Fruchtsäfte, Bier und Wein sind in der Anlage zu § 12 überhaupt nicht aufgeführt, d. h. für sie gilt schlechthin der Steuersatz von 11%. Ebenso finden Sie die Beherbergungen nicht in der Anlage.
Bei der ersten Novellierung des Mehrwertsteuergesetzes, die noch vor uns steht, werden wir also zu prüfen haben, ob die finanziellen Verhältnisse des Bundeshaushalts es gestatten, die Änderung eintreten zu lassen, die bereits bei der Verabschiedung der Mehrwertsteuer vorgeschlagen worden ist. Denn ich habe damals bei den Beratungen zur Verabschiedung des Mehrwertsteuergesetzes bereits darauf hingewiesen, daß die unterschiedliche Besteuerung der Deckung des Lebensbedarfs schon bedenklich ist. Sie ist unterschiedlich je nachdem, ob man seinen Nahrungsmittelbedarf durch Ankauf der Lebensmittel für den Haushalt deckt und darum nur 5,5% zu zahlen hat oder ob man seinen Nahrungsmittelbedarf in Gaststätten deckt; denn ein großer Teil der Bevölkerung ist gezwungen, seinen Nahrungsmittelbedarf in Gaststätten zu decken. Auch die Urlaubsverpflegung stellt nach unserer Meinung heute keinen Luxus mehr dar.
Auch ein Blick ins Ausland zeigt, daß die Förderung des Fremdenverkehrs in erster Linie auch dort bei der Besteuerung des Verbrauchs ansetzt. In Frankreich wird der allgemeine Steuersatz der Mehrwertsteuer von 15 % für die Beherbergungsumsätze der Touristenhotels und ähnlicher Einrichtungen auf 7 % ermäßigt. Die Umsätze und die Besteuerung in Belgien sind schwerer zu vergleichen. Aber in den Niederlanden gilt ebenfalls für Beherbergungsleistungen ,der ermäßigte Steuersatz von 4 %. Die Schweiz und Norwegen besteuern die Vermietung von Zimmern nicht. Österreich besteuert sie mit 20% und nimmt dabei an, daß diese Leistungen Dienstleistungen und damit steuerpflichtig seien. Schweden verlangt eine Umsatzsteuer von 10% für Beherbergungsumsätze, legt dem aber nur 20% der Bemessungsgrundlage zugrunde. Dänemark allein liegt mit einem Steuersatz von 12,5% über dem allgemeinen Steuersatz der Bundesregierung, der dort auch für Gaststätten, Hotels und Beherbergungen gilt. Ich lese jedoch auch hier in der „Hotelzeitung" Nr. 2 vom 11. Januar 1969, daß auf Grund der Proteste des dänischen Hotel- und Gaststättengewerbes die dänische Regierung angekündigt habe, daß sie diesen Satz der Umsatzsteuer von 12,5 % einer Überprüfung unterziehen wolle.
Man kann natürlich als Mitglied des Finanzausschusses über ein solches Problem der Steuerermäßigung und der Steuerreform nicht sprechen, ohne auch die Ausfälle zu nennen, wie sie sich nach der heutigen Berechnung 'darstellen. Eine Ermäßigung der Besteuerung der Getränke insgesamt - d. h. für den Verkauf zum häuslichen Verzehr und für den VerSchlee
kauf zum sofortigen Verzehr an Ort und Stelle - auf 5,5 % würde einen Ausfall von 1,3 Milliarden DM bedeuten. Die Ermäßigung der Besteuerung von Getränken, die nur für den Verkauf - nicht für den sofortigen Verzehr - geliefert werden, würde eine Minderung des Steueraufkommens in Höhe von 850 Millionen DM ergeben. Eine Ermäßigung der Besteuerung von Getränken, die für den sofortigen Verzehr in den Gaststätten bestimmt sind, hätte demnach einen Ausfall von 450 Millionen DM zur Folge. Ich glaube allerdings nicht, daß man eine unterschiedliche Besteuerung von Getränken für den Verkauf und für den Verzehr innerhalb und außerhalb von Gaststätten würde einführen können.
Die Ermäßigung der Besteuerung von Speisen für den sofortigen Verzehr in Gaststätten und Hotels von 11 % auf 5,5% würde einen Ausfall von 220 Millionen DM bedeuten. Was für ein Ausfall bei einer Ermäßigung der Besteuerung von Beherbergungsleistungen an sich entstünde, konnte bisher noch nicht errechnet werden. Die vom Herrn Kollegen Geldner auch erwähnte etwaige Ermäßigung der Besteuerung der Benutzung von Seil- und Bergbahnen - auch dies war ein Antrag bei der Verabschiedung der Mehrwertsteuer - hätte einen Ausfall von 1 Million DM zur Folge.
Es kann natürlich mit Recht der Einwand gemacht werden, daß es darauf ankommt, daß eine Ermäßigung der Mehrwertsteuer für die Umsätze, die bei der Beherbergung und bei der Verköstigung erholung- und heilungsuchender Fremder getätigt werden, auch weitergegeben wird. Das hat der Gesetzgeber nicht in der Hand. Er kann nicht mit gesetzlichen Maßnahmen ereichen, daß eine Steuerermäßigung, die er zur Förderung eines Gewerbes oder zur Förderung und Begünstigung der erholungsuchenden Reisenden einführen will, auch weitergegeben wird. Aber, meine Damen und Herren, wenn dieses Haus überhaupt eine Vergünstigung, und zwar eine mittelbare Vergünstigung des Fremdenverkehrsgewerbes ins Auge fassen will, so wird es den Ansatz dafür nur bei der Mehrwerststeuer finden können.
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Das Wort hat jetzt Herr Kollege Ertl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige meiner Kollegen, die vielleicht mit Recht wegen der Länge dieser Debatte Kritik geübt haben, haben dann gleich im Anschluß daran sehr sachkundige, ergänzende und, wie ich meine, auch notwendige Beiträge geliefert. Das ist für mich der Beweis, daß diese Debatte wegen der großen Problematik, unter der nun einmal ein solcher wichtiger Zweig unserer Wirtschaft wie der Fremdenverkehr steht, notwendig war.
Ich glaube auch nicht, daß man immer auf die schlechte Besetzung des Plenarsaals verweisen sollte. Wir alle wissen, daß viele Kollegen in Ausschüssen sitzen oder andere Verpflichtungen haben und daß Debatten, die spezielle Zweige berühren, zwangsläufig von den interessierten Kollegen ge-
führt werden. So war es bei der Sportdebatte, die interfraktionell beantragt wurde. So war es auch bei der Gesundheitsdebatte, die von der SPD beantragt wurde. Wir sollten das nicht zum Anlaß nehmen, uns hier gegenseitig Vorwürfe zu machen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will hier nur noch einige ergänzende Bemerkungen zu unseren Entschließungsanträgen auf den Umdrukken 578 *) und 5791 machen. Der Herr Minister hat in seiner Rede darauf hingewiesen, daß die Beantwortung der Großen Anfrage ein Siebenmonatskind geworden ist. Das bedeutet, daß der Fremdenverkehr natürlich des Brutkastens bedarf, daß er, wie ich meine, auch des Brutkastens des Parlaments, des Deutschen Bundestages bedarf, der sich auch in Zukunft, nachdem nun einmal das Kind geboren ist, mit diesem Kind befassen sollte.
In diesem Zusammenhang darf ich noch ergänzend darauf hinweisen, daß die Fremden heute sicherlich im Hofbräuhaus heimisch sind, auch wenn es Valentin vielleicht in früheren Jahren anders gesehen hat. Ich würde sagen, daß die Fremden dort mehr heimisch sind als die Heimischen in München. So ist wenigstens mein Eindruck vom Hofbräuhaus. Er hat darauf hingewiesen, wie notwendig es eben ist, sich dieser Materie anzunehmen.
Ich möchte hier aus der Sicht der Freien Demokraten eines feststellen: Uns geht es hier nur darum, daß der deutsche Fremdenverkehr gleiche Wettbewerbsverhältnisse, gleiche Leistungschancen und die gleiche Konkurrenzfähigkeit hat. Es geht uns nicht darum, einem staatlich gelenkten Fremdenverkehr das Wort zu reden, sondern darum, die Marktsituation gleichwertig zu gestalten. Das ist unser Hauptanliegen, und das war auch der Grund, aus dem wir die Große Anfrage eingebracht haben. Daß es vielfältige Probleme gibt, wenn man diese gleiche Konkurrenzmöglichkeit schaffen will, hat diese Debatte erwiesen. Dabei sind viele, viele Aspekte noch gar nicht ausführlich behandelt worden, weder der vom Kollegen Prassler genannte Aspekt der Möglichkeiten des Urlaubs, der Ferien auf dem Bauernhof noch die Möglichkeit einer verbesserten Wintersaison. Sie würden natürlich Investitionen verlangen; denn die verbesserte Wintersaison z. B. ist nur möglich, wenn die entsprechenden Voraussetzungen in den Fremdenverkehrsorten vorhanden sind. Die Leistungsfähigkeit und Konkurrenzfähigkeit des deutschen Fremdenverkehrs wäre aber wesentlich gestärkt, wenn zu der Sommersaison noch eine Wintersaison hinzukäme.
Ich betone noch einmal: Uns geht es nicht darum, dem staatlichen Dirigismus das Wort zu reden, sondern wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit bei gleichen Verhältnissen schaffen. Das, glaube ich, ist ein Gebot der Fairneß, die wir dem deutschen Fremdenverkehr als einem bedeutenden Zweig unserer Volkswirtschaft schulden.
Nachdem die Bundesregierung in ihrem Bericht darauf hingewiesen hat, daß sie die Absicht hat, einen Arbeitskreis Fremdenverkehr zu berufen,
*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 4
haben wir einen Entschließungsantrag vorbereitet, der diese Frage in konkrete Formen bringt. Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen Arbeitskreis möglichst bald ins Leben zu rufen, und wir hoffen, daß Sie diesem unserem Antrag zustimmen. Dabei gehen wir davon aus, daß selbstverständlich zuvor auch dieser Antrag Umdruck 578 im Verkehrsausschuß und im Wirtschaftsausschuß beraten wird. Wir sind der Meinung, daß viele Fragen zuerst wirklich noch ausführlich im Ausschuß behandelt werden müssen und daß auch viele Fragen offengeblieben sind.
Um laufend die Entwicklung im Fremdenverkehr verfolgen zu können, ist es, meinen wir, notwendig, einen Bericht über die Entwicklung des Fremdenverkehrs zu geben. Ich möchte es mir ersparen, die einzelnen Punkte zu nennen. Wir sind der Meinung, es würde dem Anliegen des Parlaments und der Fürsorgepflicht des Parlaments gerecht werden, wenn wir einen solchen Bericht verlangten. Es würde aber auch die Bundesregierung verpflichten, dem Fremdenverkehr ein permanentes Augenmerk zu schenken und auch permanent Vergleiche mit der internationalen Konkurrenz anzustellen. Daher bitte ich Sie namens meiner Fraktion, unsere beiden Anträge dem Wirtschaftsausschuß und dem Verkehrsausschuß zur weiteren Behandlung zu überweisen.
({0})
Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Mönikes. Ich darf die Damen und Herren darauf aufmerksam machen, daß auch Frau Kollegin Mönikes ihre Jungfernrede halten wird.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis jetzt sind in der Debatte in der Hauptsache die wirtschaftlichen Aspekte des Fremdenverkehrs von allen Seiten beleuchtet worden. Meines Erachtens sind dabei die gesundheitspolitische und die gesellschaftspolitische Seite zu kurz gekommen - bis auf den Beitrag von Frau Dr. Heuser -, so daß es jetzt unumgänglich wäre, über den Sozialtourismus zu sprechen, einen Sozialtourismus, der die einkommensschwache Bevölkerungsgruppe erreichen will: Familien, Mütter, alte, _aber auch junge Menschen. Es ist dies ein großes Paket; sehr vielschichtige Probleme tauchen auf. Ich kann Ihnen dieses große Paket nicht in fünf und auch nicht in zehn Minuten auseinanderblättern; ich müßte dafür doch etwas mehr Zeit haben.
Angesichts der vorgeschrittenen Zeit und auch in Anbetracht der Tatsache, daß sich das Hohe Haus einen ganzen Tag lang mit diesem Problem beschäftigt hat, möchte ich Ihnen vorschlagen, daß ich meine Ausführungen - ich habe sehr eingehend zu allen diesen Problemen Stellung genommen - zu Protokoll gebe *), damit sie als Arbeitsgrundlagen in den Ausschüssen benutzt werden können.
Ich möchte mir zum Schluß eine kritische Berner-kung zu dem Wort „Sozialtourismus" erlauben. Ich
*) Siehe Anlage 12
gebe zu bedenken, ob man dafür nicht ein anderes Wort wählen könnte.
({0})
Es wäre notwendig, in den Ausschüssen darüber zu sprechen. Denn ich befürchte, daß wir mit diesem Wort nicht die Kreise und die Bevölkerungsgruppen erreichen, um die es uns geht.
({1})
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Dr. Dittrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde dem Beispiel meiner Vorrednerin nicht in der Weise folgen, daß ich ein Manuskript übergebe, wohl aber in der Weise, daß ich mich sehr kurz fassen und nur ein spezielles Thema ansprechen werde.
Ich glaube; es ist vorn Deutschen Bundestag verdienstvoll, daß er sich mit einem Wirtschaftszweig beschäftigt, der nicht unbedeutend ist, der sowohl von der gebenden als auch von der nehmenden Seite mit den breiten Schichten unserer Bevölkerung befaßt ist. Es ist aber ein Nachteil dieses Themas, daß es so umfangreich ist, daß es unmöglich in einer Bundestagsdebatte ausgefüllt werden kann. Man wird sich diesem Thema wohl erst in der Ausschußberatung in allen Einzelheiten widmen können.
Ein Kollege der SPD-Fraktion hat heute schon ein Thema angesprochen, das mir deshalb am Herzen liegt, weil ich selbst aus dem Zonenrandgebiet komme. Ich meine die wirtschaftlichen Fragen des Zonenrandgebiets im Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr. Ich darf feststellen, daß im Zonenrandgebiet die Privatinitiative außerordentlich groß war, als es darum ging, die Folgen dieser Grenzziehung dadurch zu überwinden, daß man sich mehr und mehr auf den Fremdenverkehr warf. Die Privatinitiative, sage ich, ist in diesem Zusammenhang das Hervorstechende und ist das, was hervorgehoben werden muß. Daß es dabei ohne Mithilfe des Staates nicht geht, ist selbstverständlich, und ich möchte meinen, daß gerade der Fremdenverkehr, der einer der Wirtschaftszweige in diesem Zonenrandgebiet ist, von der staatlichen Seite her noch mehr gefördert werden müßte. Wenn man aus dem Bayerischen Raum, aus dem ich komme, die Fremdenverkehrsgebiete vom Südosten hinauf nach dem Norden betrachtet und wenn man feststellt, wie man im Bayerischen Wald, im Fichtelgebirge, im Spessart und in der Rhön versucht hat, die Fremden anzulocken und sie gut zu bewirten, dann wird man das sicher als ein absolutes Positivum werten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur einige Punkte anmerken, auf die die Bundesregierung und wir alle ein Schwergewicht legen müssen. Das ist einmal die Frage, daß neben dem kommerziellen, dem gastronomischen Fremdenverkehr auch die Privatbetriebe eine Förderung erfahren müssen, weil sie ein wesentliches Potential darstellen. Zum anderen meine ich, daß man den „Ferien auf dem Bauernhof" ein ganz besonderes Augenmerk zuDr. Dittrich
wenden muß. Denn Sie dürfen überzeugt sein, daß diese „Ferien auf dem Bauernhof" eine wertvolle Ergänzung nicht nur der Wirtschaft des Zonenrandgebiets, sondern darüber hinaus auch der dort auf schwierigen Böden arbeitenden Landwirtschaft sind.
In diesem Zusammenhang habe ich eine herzliche Bitte, die nicht unmittelbar an die Bundesregierung gerichtet ist, auf die aber die Bundesregierung und die Persönlichkeiten, die in diesen Gremien sitzen, Einfluß nehmen können. Diese Bitte geht dahin, daß bei der Werbung in den Massenmedien, vor allem im Fernsehen, im Rundfunk und in den Tageszeitungen, auch diese Gebiete, die schwer um ihre Existenz ringen, nicht vernachlässigt werden, sondern daß diese der Bevölkerung in derselben, oftmals propagandistischen Weise nahegebracht werden, wie das bei den klassischen Fremdenverkehrszentren der Fall ist.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich gebe Ihnen noch bekannt, daß außer Frau Mönikes die Abgeordneten Baier, Kubitza, Rock und Porsch *) Interventionen zu Protokoll gegeben haben.
Zu diesem Punkt der Tagesordnung liegt eine Anzahl von Anträgen vor ({0}) **). Wenn ich richtig gehört habe, sind alle diese Anträge in der Zwischenzeit schon begründet worden, so daß wir auf eine weitere Begründung verzichten können. Die Antragsteller - das habe ich jetzt festgestellt - beantragen, diese Anträge an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend - und an den Verkehrsausschuß - mitberatend - zu überweisen. Wer mit diesen Vorschlägen einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung ({1})
- Drucksache V/3616 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache V/3830 -Berichterstatter: Abgeordneter Bremer
b) Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({3})
- Drucksache V/3823-
Berichterstatter: Abgeordneter Haar
({4})
({5})
Es liegt ein Änderungsantrag Umdruck 582 vor ***). Wird zur Begründung dieses Antrages das
*) Siehe Anlagen 13 bis 16 **) Siehe Anlagen 5 bis 7 ***) Siehe Anlage 8
Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann möchte ich über diesen Antrag, der sich auf eine Ergänzung des § 8 unseres Gesetzentwurfs bezieht, zunächst abstimmen lassen. Wer dem Änderungsantrag des Abgeordneten Haar ({6}) zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Eine Zustimmung! Herr Haar befindet sich offensichtlich nicht unter den Mitgliedern, die im Saal sind. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Wer den §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, Einleitung und Überschrift in der vom Innenausschuß vorgelegten Fassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entwurf ist einstimmig in zweiter Lesung angenommen.
Dritte Beratung
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als ganzem zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung von Beamtinnen und Richterinnen
- Drucksache V/3087 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache V/3841 -
b) Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({8})
- Drucksachen V/3831, zu V/3831 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Renger
({9})
Das Wort zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem jetzt vom Innenausschuß vorgelegten Gesetzentwurf wird der Versuch gemacht, im öffentlichen Dienst für Beamtinnen und Richterinnen der veränderten Situation der Frau in unserer Gesellschaft Rechnung zu tragen. Dafür sollten wir alle dankbar sein. Vor allen Dingen soll die Möglichkeit gegeben werden, der Frau, wenn sie es wünscht, auch eine lebensbegleitende berufliche Sphäre zu schaffen, ohne daß sie ihre familiären Aufgaben vernachlässigen muß. Ich möchte das betonen - das ist nicht nur in diesem Hause von Bedeutung -, weil wir auf diese Weise besonders qualifizierte und interessierte Arbeitskräfte gewinnen und darüber hinaus den Frauen auch außerhalb ihrer Familie noch eine Bestätigung geben.
Dieses Gesetz soll aber auch den Tarifpartnern, den Gewerkschaften ebenso wie der Wirtschaft, als Vorbild dienen. Die Teilzeitbeschäftigung wird mehr und mehr dazu führen, daß die Frauen in einem bestimmten Abschnitt ihres Lebens Beruf und Familie in Einklang bringen können. Es gilt, die Teilzeitbeschäftigung als eine vollwertige Leistung anzuerkennen und auch vielfältige neue Formen der Beschäftigung zu entwickeln.
Der vorgelegte Gesetzentwurf ist sicher noch nicht der Weisheit letzter Schluß. Der Innenausschuß hat deshalb auch in einem Entschließungsantrag den Wunsch geäußert, daß bis zum 31. März 1971 ein Erfahrungsbericht vorgelegt wird, der im besonderen die Erfahrungen der Länder mit einbezieht, weil es sich bei dem in Frage kommenden Personenkreis besonders um die Lehrkräfte in den Ländern handelt. Es ist klar, daß die Verwaltung selbst eine entsprechende neue Einstellung zu dieser Art von Beschäftigung und Beurlaubung von Beamtinnen und Richterinnen einnehmen muß. Der Ausschuß ist davon ausgegangen, daß seitens der Behörden die Bereitschaft besteht, solchen Wünschen auf Beurlaubung und Teilzeitbeschäftigung nachzukommen, und daß nicht unnötige Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden. Der federführende Innenausschuß hat auch der personalwirtschaftlichen Seite im öffentlichen Dienst, wie wir glauben, ausreichend Rechnung getragen, so daß wir ein entsprechendes Entgegenkommen erwarten können.
In dem FDP-Entwurf - Drucksache V/1091 - wurde das Petitum ausgesprochen, eine frühere Beamtin, die aus familiären Gründen ihr Dienstverhältnis aufgegeben hat, dann, wenn es nicht länger als zehn Jahre zurückgelegen hat, wieder bevorzugt in das Beamtenverhältnis aufzunehmen. Der Ausschuß konnte sich hierzu nicht entschließen, hat aber in einem Entschließungsantrag darum gebeten, daß diejenigen, die vor ungefähr zwei Jahren vorzeitig aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden sind, wieder bevorzugt in das Beamtenverhältnis übernommen werden.
Eine andere wesentliche Regelung ist hinzugekommen. Der Ausschuß hat die Möglichkeit der Beurlaubung und Teilzeitbeschäftigung auf die, Beamtin auf Probe ausgedehnt, weil gerade die Beamtinnen auf Probe diejenigen Frauengruppe bzw. Generation ist, die wahrscheinlich im größten Umfange familiäre Pflichten zu erfüllen hat.
Ich bedauere bei dieser Gelegenheit, daß es heute früh zu einer Kontroverse über die Behandlung des FDP-Entwurfs gekommen ist. Wie Sie aus dem Ausschußbericht ersehen, ist dieser Entwurf im Innenausschuß voll mit behandelt worden. Es entspricht doch einer Übung, daß man den weitergehenden und umfassenderen Entwurf als Beratungsgrundlage wählt. Wir haben das getan, ohne daß ein Widerspruch erfolgt ist.
Herr Präsident, wenn Sie mir erlauben, könnte ich vielleicht gleich zu dem Antrag, der seitens meiner Fraktion vorgelegt ist, Stellung nehmen.
Ich bitte darum. Das ist zweckmäßig, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Ich darf folgende Bemerkung zu dem auf Umdruck 583 *) vorgelegten Antrag machen. Nachdem die Abschlußberatung im Innenausschuß abgeschlossen war, ist insbesondere von einem Land, aber auch von anderen Ländern gesagt worden, daß man sich nicht entschließen könne, der vom Innenausschuß beschlossenen Änderung des § 152 BBG zuzustimmen. Danach sollten der Beamtin, die aus dem Dienst ausscheidet, bei der Bemessung der Abfindungssumme die Vorzeiten, also auch ,die Studienzeiten, angerechnet werden. Die Länder haben gesagt, wenn diese Änderung angenommen würde, kämen so hohe Kosten auf +die Länder zu, daß sie gegebenenfalls den Vermittlungsausschuß anrufen müßten.
Deswegen hat meine Fraktion den Antrag vorgelegt, diesen Passus wieder zu streichen und die Einwendungen zu berücksichtigen, nicht weil wir finden, daß das ganze richtig ist, was da eingewendet worden ist, sondern weil uns soviel daran liegt, daß mit diesem Gesetzentwurf Erfahrungen gesammelt werden und die Beamtinnen, die jetzt schon so dringend auf die Verabschiedung des Gesetzes warten, endlich in den Genuß des Gesetzes kommen. Wir bitten daher, diesen Änderungsantrag meiner Fraktion anzunehmen, damit dieses Gesetz so schnell wie möglich in Kraft treten kann.
({0})
Meine Damen und Herren, wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das ist der Fall.
Ich denke, wir sollten so verfahren, daß wir über diesen Gesetzentwurf und den zur Abstimmung stehenden. Antrag der Fraktion der FDP, der sich auf den gleichen Gesetzentwurf bezieht, jetzt debattieren und dann nach der Debatte abstimmen.
Das Wort hat als erste Frau Kollegin Enseling.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Ich hatte schon bei der ersten Lesung des „Gesetzes über Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung von Beamtinnen und Richterinnen", das wir nun als ein „Sechstes Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften" verabschieden wollen, gasagt, daß es meiner Fraktion hierbei um die Wertverwirklichung der Verpflichtung aus Art. 6 des Grundgesetzes ankommt. Es geht uns vor allem um eine gesellschaftspolitische Entscheidung. Wir wollen hier den Beamtinnen, die in dem Konflikt zwischen der Sorge für ihre Kinder und für ihre Familie und dem Anspruch, den ihnen der Beruf auferlegt, stehen, helfen, beiden Bereichen so weit wie irgend möglich gerecht werden zu können.
Wir können nicht mehr davon ausgehen, daß eine Frau, wenn sie Mutter ist, ihren Beruf aufgeben soll oder aufgeben muß. Ausbildung und auch Studium sind heute zu kostbar, als daß sie sich nur kurzfristig niederschlagen könnten. Wir alle nehmen es
*) Siehe Anlage 9
schon lange als ziemlich selbstverständlich hin, daß für Arbeiterinnen und Angestellte in Wirtschaft, Industrie und auch im öffentlichen Dienst ein recht breit gefächertes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen besteht. Für die Beamtinnen fehlt bis heute dieses Angebot.
Ich hoffe, daß wir mit der Verabschiedung des uns vorliegenden Gesetzentwurfes - ich brauche auf Einzelheiten nicht mehr einzugehen; sie sind im Schriftlichen Bericht von Frau Renger einschließlich der verändernden Ausschußbeschlüsse in Drucksache V/3087 gut durchleuchtet - den Beamtinnen die Möglichkeiten schaffen, die Frauen in anderen Berufen längst gegeben sind.
Ich gebe mich dabei gar nicht der Täuschung hin, daß wir mit diesem Gesetz, das in recht zäher Auseinandersetzung, so wie es jetzt vor uns liegt, entstand, alle beamtenrechtlichen Probleme ausgeräumt hätten. Doch das bewegt mich gar nicht so sehr, und die Juristen mögen es mir nicht übelnehmen. Mich bewegt und beunruhigt aber die Frage nach der Prakikabilität und vor allem die Frage nach der gerechten Anwendung dieses Gesetzes.
Der Erfahrungsbereich in den beiden Ländern Baden-Württemberg und Niedersachsen ist für eine gültige Aussage heute noch zu klein, zumal da bisher fast nur Lehrerinnen und diese meist nur im Eingangsamt betroffen waren. Ich will die Richterin bei der folgenden Betrachtung einmal auslassen, zumal da wir ja in § 48 a Abs. 3 des Richtergesetzes eine Handhabe haben, wonach Anträgen von Richterinnen auf Ermäßigung der regelmäßigen Dienstzeit nur dann zu entsprechen ist, wenn die Richterin von vornherein zugleich der Verwendung auch in einem anderen Richteramt desselben Gerichtszweigs zustimmt.
Wenn ich aber die sehr verschiedenen Verwaltungen durchdenke und hier vor allem eine der großen Betriebsverwaltungen, so glaube ich, daß das Abwägen zwischen den Interessen der Beamtin und den oft zwingenden Interessen der Verwaltungen - und zwar zwingend aus Gründen des Allgemeinwohls wie auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und hin und wieder auch aus Gründen des Betriebsklimas - einen Umdenkungsprozeß voraussetzt, der mit schweren Vorbehalten belastet ist. Ich glaube nicht, daß es bei der Organisation nur „Unbequemlichkeiten" zu überwinden gilt. Bei den einfachen Diensten mag das so sein. Sie sind meist von Verkehrskurven, vom Arbeitsüberhang und genau ermittelter Arbeitsmenge bestimmt. Diesem Anliegen kommt der Wunsch nach Teilzeitarbeit weithin entgegen.
Die mittleren Dienste aber, die oft termingebundene Arbeiten mit Arbeits- und Fristenplänen beinhalten und die in hohem Anteil den unmittelbaren Kontakt mit dem Bürger aufrechterhalten, werden schon stärker in den Abwägungskonflikt hineingezogen.
Von der Beamtin des gehobenen und des höheren Dienstes verlangt man als ganz selbstverständlich ungeteilte Verantwortung. Und dann wird der Interessenstreit am deutlichsten. Hier wird auch stark
die Chancengleichheit zwischen halb- und vollbeschäftigten Beamtinnen, ja, zwischen Mann und Frau tangiert. Hier wird sich auch am deutlichsten zeigen, wie schwierig es sein wird, nach einigen Jahren der Beurlaubung wieder voll Verantwortung übernehmen zu können.
Wir werden in Zukunft gar nicht umhinkönnen, Institutionen zu schaffen und Institutionen zu fördern, die gefächerte Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten, speziell für Mütter und Hausfrauen, die ihre Berufstätigkeit begrenzt unterbrechen. Ob und wie ein solches Angebot dann angenommen wird, hängt vom Maß des Interesses jeder Frau selbst ab. Aber die Verwaltungen sollten nicht versäumen, alle nur möglichen Wege für eine sinnvolle Weiterbildung aufzuzeigen.
Ich meinte das hier ansprechen zu müssen, um vor Illusionen zu warnen. Alle Beamtinnen, die sich auf Jahre beurlauben lassen, müssen auch wissen, daß sich die Verwaltungen in Zukunft wandeln werden, und zwar sehr schnell. Der Arbeitsplatz, den sie heute verlassen, sieht anders aus als der, den sie nach einigen Jahren wieder übernehmen wollen und können.
Wir wissen, daß dieses Gesetz auch noch eine Reihe von Nebenfragen aufwirft, die seinen Text nicht unmittelbar berühren. Ich denke da z. B. an die Fragen der Beförderung, an Fragen des Aufstiegs und auch an Fragen der Probezeit nach der Bundeslaufbahnverordnung - um nur einige zu nennen. Trotzdem dürfen wir nicht zulassen, daß dieses Gesetz nur Theorie bleibt. Ich appelliere deshalb von dieser Stelle aus an alle Dienstherren, gleich welcher Verwaltung, dem Anliegen dieses Gesetzes Aufmerksamkeit zu widmen und ihm nach bestem Wissen und Gewissen gerecht zu werden.
Erlauben Sie mir bitte, Herr Präsident, im Zusammenhang mit den Beamtinnen, die von diesem Gesetz Gebrauch machen wollen, einen Satz zu zitieren, den ich kürzlich in einem Aufsatz gelesen habe:
Das Ziel, jeder Beamtin, die eine Familie gründet, die Anpassung ihrer dienstlichen an ihre familiären Pflichten zu ermöglichen, ohne daß sie eine Einbuße in Stellung und Fortkommen im Beruf in Kauf nehmen muß, erscheint etwas zu hochgesteckt, denn der Satz, daß Entschluß zugleich auch Verzicht bedeutet, gilt auch in diesem Bereich."
Ich hoffe, daß das Hohe Haus, vor allem aber Sie, meine Herren, trotz Kenntnis mancher Schwierigkeiten dem Gesetz mit voller Bereitschaft Ihre Zustimmung geben werden.
Dem Änderungsantrag des von mir sehr geschätzten Herrn Kollegen Schmitt-Vockenhausen kann ich zwar, wenn ich das noch hinzufügen darf, nicht vollen Herzens zustimmen, obwohl ich bitte, den Antrag heute anzunehmen. Bei dieser Veränderung handelt es sich um einen Eingriff in den § 152 des Bundesbeamtengesetzes, der nach vielen Jahren in bezug auf die Abfindung einen Ungerechtigkeitsfaktor ausräumen sollte. Der Abfindung, bei der es sich um die Abgeltung eines Versorgungsanspruchs handelt, wird bisher die ruhegehaltfähige
Dienstzeit nicht zugrunde gelegt. Das wollten wir mit dem Text, wie er in der Gesetzesvorlage steht, erreichen. Ich sehe die Schwierigkeiten, die sich zeitlich einstellen würden, wenn einzelne Länder den Vermittlungsausschuß anrufen wollen, und ich möchte nicht, daß sich die Verabschiedung dieses Gesetzes auch nur noch um einen, oder gar zwei oder drei Monate verschiebt. Somit darf ich für meine Fraktion sagen, daß wir diesem Änderungsantrag zustimmen werden.
({0})
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Dr. Miessner, der vermutlich auch den Änderungsantrag der Fraktion der FDP begründen wird.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die FDP-Fraktion ist die Verabschiedung dieses Gesetzes gewissermaßen ein Freudentag; denn nachdem wir vor gut zwei Jahren den Antrag hier eingebracht haben und damit in dieser Wahlperiode die Initiative zur Regelung dieser Materie ergriffen haben, ist diese Materie nun endlich in gesetzlicher Form verabschiedungsreif. Allerdings hatte die Sache ja noch einen formalen Schönheitsfehler. Unser Antrag vom November 1966 ist, wie man das parlamentarisch so macht, später von den Regierungsparteien durch einen fast gleichlautenden Antrag vom 26. Juni 1968 überdeckt worden, der dann den Ausschußberatungen zugrunde lag.
Das ist hier im Hause durchaus üblich. Das hat man auch in der Zeit nicht anders gemacht, als die SPD in der Opposition war. Damals wurden auch Anträge der SPD-Opposition einige Wochen oder Monate später durch. eine Regierungsvorlage überdeckt, damit die Initiative der Opposition nicht mehr so in Erscheinung trat. Das ist nun einmal so. Aber dennoch gehört es sich, daß wenigstens der Antrag, der die erste Initiative darstellte, hier in der Tagesordnung mit Text und Drucksachennummer aufgeführt wird. Um weiteres ging es ja heute morgen nicht. Ich denke, daß dieser Vorfall, der nun von uns in dieser Weise angemerkt wurde und bei dem wir unsere Auffassung auch durchsetzen konnten, dazu führen wird, daß so etwas in Zukunft nicht wieder passiert. Es ist meines Erachtens die erste Panne, die in dieser Richtung passiert ist.
Zur Sache selbst ergibt sich natürlich schon aus meinem Eingangssatz, daß wir nur sehr wenige Abänderungswünsche haben; Sie finden diese auf Umdruck 585 *) in sechs Ziffern zusammengestellt. In Wahrheit handelt es sich aber nicht um sechs, sondern nur um zwei Änderungsanträge; es gehören einerseits die Ziffern 1, 3 und 5 und andererseits die Ziffern 2, 4 und 6 dieses Umdrucks innerlich zusammen.
Die Ziffern 1, 3 und 5 befassen sich mit der Frage der Gesamtdauer der Zeit, in der die Beamtin Teilzeitarbeit leisten oder beurlaubt sein kann. Bei unserem Versuch, mit unserem Antrag diese Zeit auf
1 Siehe Anlage 10 insgesamt 16 Jahre und nicht, wie hier in der Ausschußvorlage vorgesehen, auf 12 Jahre zu bemessen, können wir nun eine erfeuliche Übereinstimmung mit der ursprünglichen Vorlage der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD vom Juni 1968 feststellen. Dort heißt es in dem Antrag der beiden Regierungsparteien zu § 48 a Abs. 3:
Teilzeitarbeit und Beurlaubung nach den Absätzen 1 und 2 sollen insgesamt 16 Jahre nicht überschreiten.
Meine Damen und Herren, von dieser in ihrem eigenen Antrag festgesetzten Frist sind die Regierungsparteien in den Beratungen abgegangen und auf 12 Jahre zurückgegangen. Das halten wir nicht für gut. Wir bitten also - ich muß es noch einmal sagen -, insoweit die Vorlage der beiden Regierungsparteien wiederherzustellen und die Zeit auf 16 Jahre zu bemessen.
Eine vielleicht aber für die Praxis noch wichtigere Frage ist die, wie wir diejenigen Fälle behandeln wollen, die sich in der Übergangszeit ereignet haben, also in der Zeit, in der diese Gesetzesanträge dem Parlament vorgelegt wurden und zur Verabschiedung anstanden. Wir haben, wie ich schon sagte, unseren Antrag im November 1966 eingebracht. Dementsprechend schlagen wir in den Ziffern 2, 4 und 6 unseres Änderungsantrages vor, dieses Datum auch in das Gesetz einzufügen mit dem Ziel, daß alle diejenigen Beamtinnen, die in dieser Zeit, also nach dem 1. November 1966, aus den im Gesetz festgelegten Gründen ausgeschieden waren, einen rechtlichen Anspruch haben, jetzt wieder in den Dienst einzutreten. Wir haben darüber im Ausschuß lange diskutiert, und es gab durchaus zustimmende Meinungen zu unserer Auffassung.
Leider hat sich aber schließlich der Ausschuß lediglich dazu durchgerungen, dieses Problem, wie es die Frau Kollegin Renger eben schon erwähnt hat, nur in Form einer Art Entschließung, in einem Ersuchen an die Dienstherren zu erwähnen. Die Übergangszeit deckt sich ungefähr. Bei uns würde es ein Zurückgehen um etwas mehr als zwei Jahre bedeuten. Die Ausschußvorlage sieht vor, daß Beamtinnen und Richterinnen, die innerhalb von zwei Jahren vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ausgeschieden sind, bevorzugt wieder eingestellt werden sollen. Aber wir meinen, daß man für eben dieselbe Zeit, über die es im Ausschuß keinen Streit gab, einen rechtlichen Anspruch im Gesetz statuieren, daß man also über eine bloße Entschließung und Empfehlung an die Dienstherren hinausgehen sollte. Das ist die Begründung unserer Anträge. Die allgemeinen Ausführungen dazu wird meine Kollegin Frau Dr. Heuser zur dritten Lesung noch machen.
Nun noch zu dem Änderungsantrag Umdruck 583 des Kollegen Schmitt-Vockenhausen. Ich bin eigentlich etwas betrübt darüber, daß wir nun doch das, was wir in dem Ausschuß erarbeitet haben und für gut fanden, hier wieder ändern sollen, weil ein Land schriftlichen Protest eingelegt hat. Wir haben doch nicht ohne Grund gesagt, daß auch für diese Abfindungsregelung als Dienstzeit die ruhegehaltfähige
Dienstzeit gilt. Das ist ein bekannter Begriff im Beamtenrecht. Nachdem das ganze Beamtenrecht ohnehin recht kompliziert ist, würde ich es schon allein aus diesem Grund bedauern, wenn man nun für diese Art .Abfindung noch einen modifizierten Begriff von ruhegehaltfähiger Dienstzeit einführen würde. Ich möchte also die Kollegen bitten, schon um die Dinge nicht weiter zu komplizieren, diesen Antrag abzulehnen. Wir meinten ja alle im Ausschuß, daß die Regelung so, wie sie hier der Ausschuß zu § 152 vorgesehen hat, die beste ist und daß sie auch für alle Fälle tragbar ist. Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen.
({0})
Wird in zweiter Lesung das Wort weiter gewünscht? - Bitte sehr, Frau Kollegin Enseling.
Herr Kollege Dr. Miessner, ich möchte zu Ihrem Änderungsantrag ein paar Worte sagen. Sie schlagen unter den Ziffern 1, 3 und 5 die Änderung auf die alte Entwurfsfassung, also von 12 auf 16 Jahre, vor. Mit diesem Zeitabschnitt haben wir uns während der Beratungen ernsthaft befaßt. Wir sind zu der Auffassung gekommen, daß aus rein versorgungsrechtlichen Gründen 16 Jahre ein zu weiter Zeitraum sind. Wir meinen, zum Schutze der Beamtin die Zeit auf 12 Jahre begrenzen zu müssen. Ein weiterer Zeitraum wirkt sich sonst später bei ihrer Versorgung relativ ungünstig aus.
Zu den Ziffern 2, 4 und 6 möchte ich sagen, daß es für die Verwaltungen heute kaum zu verkraften wäre, wenn sie von zehn Jahre zurückgehen und Beamtinnen, die vor zehn Jahren ausgeschieden sind, jetzt wieder einstellen müßten. Es würde eine Schleuse geöffnet, die sicher -
({0})
- Ach ja, drei Jahre. Sie hatten es ursprünglich so. Entschuldigen Sie bitte; da habe ich mich geirrt. Aber wir hatten auch diese Frist von zwei Jahren wohl überlegt, und wir möchten - ich glaube, ich darf das hier für die SPD mit sagen - diesem Antrag nicht zustimmen.
Das Wort hat Herr Dr. Miessner.
Es handelt sich in dem letzten Punkt in der Tat nicht um ein Abweichen im Zeitpunkt. Wir wollen also nicht etwa, Frau Kollegin, in utopischer Weise die Zeit nach rückwärts wiederaufrollen. Wenn wir sagen: die Beamtinnen, die nach dem 1. November 1966 ausgeschieden sind, sollen einen Rechtsanspruch haben, so deckt sich das praktisch mit den zwei Jahren, die Sie in der Entschließung haben; Sie sagen nämlich: zwei Jahre rückwirkend ab Inkrafttreten. Das ist etwa dasselbe. Über die Zeit also brauchten wir uns nicht zu streiten. Es geht nur darum, ob man will, daß diese Beamtinnen einen Rechtsanspruch haben, oder ob man
sich mit einer Empfehlung an den Dienstherrn begnügt. Das ist die einzige Kontroverse, die in diesem Punkt besteht. Ich bin nur deshalb noch einmal hier heraufgegangen, weil ich dem Hause sagen wollte, daß es nur eine geringe Kontroverse ist, und um Sie zu animieren, doch möglichst unserem Antrag zuzustimmen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
({0})
Herr Miessner, könnten Sie mir vielleicht aber doch darin zustimmen, daß, wenn wir diese Fassung jetzt in den Gesetzestext hineinnehmen, es für die Verwaltung zwingend ist - meinen Sie, daß die Verwaltungen das verkraften werden? -, während, wenn wir es in die Entschließung hineinnehmen, es ein kleines bißchen flexibler bleibt?
Frau Kollegin, daß es dann zwingend ist, ist klar. Das ist ja die logische Folge: wenn man es ins Gesetz nimmt, so wie wir es wollen, ist es ein gesetzlicher Anspruch, den man notfalls auch einklagen kann. Das heißt, die Dienstherren sind gebunden.
Nun sagen Sie, Frau Kollegin, das würde in der Praxis den Dienstherren große Schwierigkeiten bereiten. Da darf ich Sie aber an die Ausschußberatungen erinnern. Dort fragten wir die Vertreter eines Ministeriums, wie viele Fälle von Beamtinnen, die in den letzten beiden Jahren aus diesen hier im Gesetz aufgeführten Gründen ausgeschieden sind, denn in Betracht kämen. Ich glaube, es handelte sch um die Postverwaltung. ({0})
- Nein, Herr Schmitt-Vockenhausen. Ich erinnere mich eigentlich ganz gut daran. Das war, glaube ich, eine Ministerialrätin aus dem Postministerium. Die Post hat 450 000 Bedienstete, und viele, auch ich, erwarteten, daß eine Zahl von ein paar tausend Fällen genannt werden würde.
({1})
Es kam eine Zahl heraus, die ungefähr - ich erinnere mich nicht mehr genau - bei 70 oder 170 lag. Es war also eine wirklich ganz kleine Zahl. Man kann sich das ja eigentlich auch vorstellen; denn ganz leicht ist es bei dem heutigen Recht für eine verheiratete Beamtin ja nicht gewesen, sich zum Ausscheiden zu entschließen, weil sie damit nach dem derzeitigen Recht aller Beamtenrechte verlustig ging. Die Zahl, Frau Kollegin, konnte also gar nicht sehr groß sein. - Vielleicht hilft mir einer der Kollegen aus dem Ausschuß. Ich habe eine Zahl von 70 oder 170 Fällen für die Riesenpostverwaltung in Erinnerung. Aber Sie sind ja von der Post, Frau Kollegin; vielleicht haben Sie sie besser in Erinnerung.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
({0})
Herr Kollege Miessner, Sie erinnern sich sicher richtig, daß die Zahl nicht sehr hoch war.
({0})
- Ich kann sie auch nicht genau wiederholen; auch ich habe sie vergessen.
Aber ich kann Sie vielleicht fragen, ob nicht doch davon auszugehen ist, daß das bisherige Fehlen einer gesetzlichen Regelung für die Wiedereinstellung -- einige Verwaltungen haben es ohne eine gesetzliche Regelung gemacht - das Einstellen um vieles schwieriger machte. Wenn wir aber jetzt durch eine gesetzliche Regelung eine solche Erleichterung bieten, wird die Zahl unverhältnismäßig größer. Sind Sie nicht dieser Meinung?
Das kann ich nicht sagen. Ich verstehe einfach die Logik nicht. Wir haben doch die anwesende Ministerialrätin gefragt, wieviel Fälle dafür bei einer Rückwirkung von etwa 2 Jahren in Betracht kämen. Da mußte sie doch die Zahl der Personen nennen, die in den letzten beiden Jahren aus diesem Grunde ausgeschieden sind; das nahm ich jedenfalls an. Diese Zahl war ebenso erstaunlich gering.
Wir wollen aber hier die Debatte nicht verlängern. Ich glaube, für alle Kollegen und Kolleginnen, die diese Fragen nicht aus eigener Anschauung kennen können, ist hinreichend klargeworden, daß es nicht um einen Unterschied in der Sache ging. Wir wollten alle dasselbe: wir wollten denjenigen, die in den letzten zwei Jahren ausgeschieden sind - vielleicht schon im Vertrauen auf eine neue gesetzliche Regelung -, einen rechtlichen Anspruch auf Rückkehr geben. Die Ausschußvorlage sieht ihn nicht vor, sondern nur eine Empfehlung an die Dienstherren. Das wird zweifellos in vielen Fällen helfen, aber eben leider nicht in allen. Eben weil es nur eine kleine Differenz ist, könnte das doch - so meine ich - einige der Damen und Herren bewegen, unserem Antrag zuzustimmen, wenn sie eine gesetzliche Regelung für besser halten als nur eine Aufforderung an die Dienstherren.
({0})
Das Wort hat Frau Kollegin Renger.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Miessner, wir haben im Ausschuß lange darüber geredet. Es bestand Übereinstimmung, daß wir hinsichtlich der bevorzugten Wiedereinstellung möglichst weit zurückgehen wollten. Wir haben im Ausschuß in dem Entschließungsantrag für die Möglichkeit der Wiedereinstellung zwei Jahre beantragt. Auch dort ist es eine Kann-Bestimmung, wie Sie sie auch in das Gesetz hineinbringen wollen. Ich sehe also kaum einen Unterschied, außer vielleicht dem, daß das ein bißchen stärker ist, wenn es direkt im Gesetz steht.
Aber auch bei den Diskussionen mit den Sachverständigen ergab es sich, daß die Bestimmung in dieser Form einfach nicht in das Gesetz hineingehört; sie ist systemfremd. Man kann annehmen, daß auch eine Empfehlung des Ausschusses von den Dienststellen in diesem Sinne berücksichtigt wird. Im übrigen kann man ja heute schon dasselbe tun ohne die Empfehlung. - Bitte, Herr Miessner!
({0})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, gnädige Frau?
Bitte schön!
Frau Kollegin, ich setze auch hier alle Hoffnungen auf Ihre Unterstützung: können Sie sich denn noch an die Zahl erinnern, die dort von der Vertreterin des Postministeriums genannt wurde?
Ich bitte sehr um Entschuldigung. Aber Zahlen sind für mich eine ganz komplizierte Sache; ich kann mich nicht mehr an die Zahl erinnern.
Das ist aber traurig, daß sich die ganze Koalition an diese Zahl nicht mehr erinnern kann.
Ich glaube, das ist gar nicht so entscheidend, Herr Kollege Miessner. Es geht doch nur darum, daß man die Möglichkeit für den Kreis schafft, der jetzt in Frage kommt, wie hoch oder wie niedrig die Zahl dann auch immer ist. Wir glauben, daß wir durch die Empfehlung an dieser Stelle doch den Druck ausüben, um zu erreichen, daß die Damen, die wieder in das Beamtenverhältnis aufgenommen werden wollen, auch aufgenommen werden.
Wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, wenn ich das richtig verstanden habe, beabsichtigen die beiden Koalitionsfraktionen, alle Ziffern des Änderungsantrags der FDP abzulehnen. Wenn das der Fall ist, können wir uns die Abstimmung etwas erleichtern, wenn der Antragsteller nichts dagegen hat. - Der Antragsteller möchte, wie ich sehe, daß die Anträge ziffernweise bei ,den einzelnen Artikeln aufgerufen werden.
({0})
- Herr Kollege, von meinem erhöhten Sitz aus muß ich meinem Eindruck Ausdruck geben, daß Ihre Hoffnung eine vergebliche bleiben wird.
({1})
Aber ich will es gern so machen. Sie wollen - es ist doch eine Erleichterung - die Ziffern 1, 3 und 5 zusammenfassen. Ich nehme an, Sie sind damit einverstanden, daß wir so getrennt über den Antrag abstimmen.
Wer den Ziffern 1, 3 und 5 des Änderungsantrages der FDP zustimmen will, den bitte ich um idas Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer den Ziffern 2, 4 und 6 ides FDP-Antrages zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.
Sie sehen, Herr Kollege, mein erhöhter Sitz macht sich manchmal doch bezahlt,
({2})
was das Urteil über die Mehrheiten angeht.
Ich darf dann über .den Änderungsantrag des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen abstimmen lassen, bevor ich nachher die Abstimmung zur zweiten Lesung vornehme. Wer dem Änderungsantrag des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf Umdruck 583 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung in zweiter Lesung. Wer den Artikeln I, II - und zwar II mit der Änderung betreffend die Nr. 5 -, III, III a, IV, V, VI, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Lesung.
Wird das Wort zur drittten Lesung gewünscht? - Frau Dr. Heuser, bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir holen heute ein Versäumnis nach. Darüber sind sich ganz sicher die Frauen in diesem Parlament in allen Fraktionen einig. Es genügt eben nicht, allerorts darüber zu klagen, wie sehr berufstätige Familienmütter unter der Doppelbelastung leiden. Es genügt nicht, darüber zu klagen, welche Lücken in den Stellenplänen unserer Schulen und Ämter dadurch entstehen, daß sie sich ihren Familienpflichten widmen müssen und ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Es genügt eben nicht, in einer Frauenenquete die schädlichen Folgen aus eben dieser mißlichen Situation darzustellen.
Es war vielmehr notwendig, zu erkennen, daß hier vom Gesetzgeber eine Bresche hinein in fest eingemauerte tradierte Vorstellungen geschlagen werden mußte. Die FDP und vor allem unsere Kollegin Frau Funcke, die leider an dieser Debatte nicht teilnehmen kann, hat den Versuch, diese Bresche zu schlagen, bereits 1966 unternommen - und mit ihr mancher Vertreter unserer Partei draußen in den Länderparlamenten, manchmal mit, manchmal gegen die Stimmen der Vertreter Ihrer Parteien, meine Damen und Herren von der Großen Koalition.
Meine Damen und Herren, ab heute soll es denn also den Beamtinnen möglich sein, gleichermaßen ihren familiären wie ihren beruflichen Pflichten und - sagen wir das ruhig auch hier deutlich - Neigungen nachzukommen, ohne daß sie ständig ein schlechtes Gewissen haben müssen, ohne daß entweder Beruf oder Familie darunter leiden und ohne daß sie selbst dabei einen Schaden erleiden müssen.
({0})
Gesellschaftspolitisches Umdenken verläuft immer auf mehreren Wegen. Ein Stück Wegs muß der Gesetzgeber gehen, ein anderes Stück die Gesellschaft selber, indem sie gesetzgeberische Tendenzen entweder akzeptiert oder ihnen vorauseilt. In diesem Fall war es die praktische Wirklichkeit, die sowohl der gesellschaftlichen Beurteilung als auch dem Gesetz davongelaufen war.
Erinnern Sie sich an die Frauenenquete. Erinnern Sie sich daran, daß die Frage, die dort gestellt war, wer denn in der Gesellschaft der Bundesrepublik unter den Frauen auf dem höchsten Podest stehe, damit beantwortet wurde, daß es sich um die verheiratete Frau mit Kindern, aber ohne Beruf handle. Das war eine Feststellung, an der wir nicht vorbeigehen können. Das gehört zu den tradierten Vorstellungen, von denen ich vorhin gesprochen habe.
Eine andere tradierte Vorstellung, die es hier zu ändern galt, war die beamtenrechtliche. Sie wissen selber aus der Erfahrung, die Sie in der Vorarbeit für dieses Gesetz gemacht haben, wie schwierig, es war, gerade hier einzubrechen. Wir freuen uns, daß die verfassungsrechtlichen Bedenken, gerade was die beamtenrechtlichen Fragen betrifft, die noch Innenminister Lücke sehr nachdrücklich geltend gemacht hat, nun endlich ausgeräumt sind. Daß sie ausgeräumt sind, hat sicher nicht nur formale Gründe. Vielmehr hat sich offensichtlich die Auffassung durchgesetzt - nicht nur in diesem Hause, sondern eben auch in unserer Gesellschaft -, daß dieses Problem nicht allein ein Problem der Gleichberechtigung ist, sondern daß es ein Schritt ist auf dem Wege zu einer etwas fortschrittlicheren Familienpolitik, wie wir sie nach Art. 6 Abs. 1 und 4 des Grundgesetzes gern sehen möchten.
({1})
Meine Damen und Herren! Die FDP bedauert, daß die Große Koalition unseren Änderungsanträgen in der zweiten Lesung nicht gefolgt ist und daß damit die Beamtin nur für eine Gesamtzeit von zwölf
Jahren die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung haben wird. Sie können sich selber ausrechnen, was das bedeutet. Wenn das älteste Kind zwölf Jahre alt ist, muß sie also wieder zurückkommen. Zweitens bedeutet Ihre Entscheidung, daß die Beamtinnen, die jetzt schon ausgeschieden sind, keinen Rechtsanspruch auf 'Reaktivierung haben. Ich muß mein Bedauern hierüber noch einmal äußern.
Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes werden die Bundesbeamtinnen sofort in den Genuß dieser Bestimmung kommen, die Länderbeamtinnen allerdings noch nicht alle. Wir ändern mit dem Bundesbeamtengesetz zwar auch das Beamtenrechtsrahmengesetz, aber der Einfluß unseres Parlaments auf die Geschwindigkeit, mit der sich die Länder an das Rahmengesetz anpassen, ist natürlich sehr begrenzt, es sei denn, daß sich die Bemühungen der beiden großen Fraktionen eben auch auf ihre Freunde in den Länderparlamenten erstrecken.
Die Volkswirtschaft kommt ohne die Mitarbeit der Frau nicht mehr aus. Also muß sie ihr diese Mitarbeit auch möglich machen. Die Lebensphasen der Frau schreiben ihr Unterbrechungen in der Berufstätigkeit vor. Also muß die Gesellschaft dafür sorgen, daß ihr der Weg zurück, wenn sie ihn gehen will, nicht unnötig erschwert wird. Die Aufgaben in der Gesellschaft haben sich zu Lasten der Frau verschoben.
Wir sind heute froh, daß hier ein Stück neuer Gerechtigkeit gefunden worden ist.
({2})
Das Wort hat Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorstöße zu neuen gesellschaftspolitischen Entwicklungen sind nicht einfach, wir wissen das alle. Es ist verhältnismäßig leicht, Anträge dazu zu stellen; die Verwirklichung, Frau Kollegin, ist bekanntlich immer ,das eigentlich schwierige Stück. Daher kam der Antrag der Koalition später.
An der vorliegenden Lösung haben - und dafür wollte ich als Vorsitzender des zuständigen Ausschusses danken - vor allem die Frau Kollegin Renger und die Frau Kollegin Enseling in den Ausschußberatungen besonders stark mitgewirkt. Ich darf auch der abwesenden Frau Kollegin Funcke, die ja normalerweise nicht im Innenausschuß mitarbeitet, sehr herzlich dafür danken, daß sie uns bei der Erarbeitung dieser Lösung unterstützt hat.
Meine Damen und Herren! Es war doch so, daß nur in zwei Ländern das Institut der Teilzeitbeamtin eingeführt worden war und daß die von dort vorgetragenen Erfahrungen den Bundesgesetzgeber veranlassen sollten, diese Frage nicht weiterzuverfolgen. Wir haben uns trotzdem - und dafür möchte ich hier noch einmal den Damen sehr herzlich danken - zu einer Lösung entschlossen.
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Wir hoffen, daß wir damit für viele Frauen den Weg frei gemacht haben zur weiteren beruflichen Tätigkeit und damit auch zu der Erfüllung einer Lebensaufgabe, die sie sich neben dem Beruf der Hausfrau und der Mutter gesetzt haben.
Ich muß aber hier sagen, schon um keine Legendenbildung aufkommen zu lassen; auch nach den Anträgen der FDP in der zweiten Lesung gibt es kein Recht auf Wiedereinstellung, sondern mach wie vor hängt das selbstverständlich von den zuständigen Behörden ab. Der Entschließungsantrag trifft dies auch. Wir verschaffen uns in absehbarer Zeit einen Überblick, wie die Sache in der Praxis funktioniert. Darauf kommt es an, und ich bin nicht in Sorge, daß uns etwas nicht mitgeteilt wird, was nicht funktioniert. Wenn alles so gut funktionieren würde wie die Musik, glaube ich, hätten wir weniger Sorgen.
Ein Letztes und sehr Wesentliches: Auch in der Begrenzung auf zwölf Jahre sind wir ,einen Weg gegangen, von dem wir sicher sind, daß wir uns mit den Versorgungsansprüchen, die wir der Beamtin nach dem Beamtenleben geben wollen, auf einer Linie befinden, die .den Voraussetzungen für das Ruhegehalt noch gerecht wird. Denn alles muß solche Proportionen haben, .daß wir es, wenn es viele Frauen gibt, die von den Bestimmungen des Gesetzes Gebrauch machen, verteten können.
Hier ist ein Schritt gewagt worden, mit dem wir Hoffnungen verbinden. Wir können nur wünschen, daß sich diese Hoffnungen für den Staat und die Gesellschaft erfüllen.
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Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommene wir zur Schlußabstimmung in der dritten Beratung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir haben nun noch über den Antrag des Ausschusses unter 2 und 3 abzustimmen. Dabei kann ich über den Antrag zu 2 nicht so abstimmen, wie es hier steht, sondern ich muß über den zugrunde liegenden Gesetzentwurf abstimmen.
Ich rufe also in zweiter Beratung die Drucksache V/1091, Antrag der Fraktion der FDP: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbeamtengesetzes, auf, und zwar Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ausschuß schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Das bedeutet, daß Sie ihn ablehnen müssen, wenn Sie dem Ausschußantrag folgen wollen. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Die Antragsteller stimmen dafür. Wer stimmt dagegen? - Das ist die große Mehrheit des Hauses. Damit ist dieser Antrag erledigt.
Es folgt der Antrag unter 3, ein Ersuchen an die Bundesregierung. Wird hierzu das Wort gewünscht?
Vizepräsident Dr. Jaeger
- Das ist nicht der Fall. Wer dem Ersuchen zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen!
Dann komme ich zu Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. Dezember 1958 über den zwischenstaatlichen Austausch von amtlichen Veröffentlichungen und Regierungsdokumenten
- Drucksache V/3372 Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({0})
- Drucksache V/3819 Berichterstatter: Abgeordneter Rehs ({1})
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht.
Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1, - 2, -3, - Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Deutsche Bibliothek
- Drucksachen V/3103, V/2400, V/3733 ({2}) Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung
- Drucksache V/3813 ({3})
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Freyh.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem wir - damit meine ich den Kreis derer, die sich auch schon im interfraktionellen Antrag, der den Ausgangspunkt bildete, zusammengefunden haben, und darüber hinaus auch die Kollegen aus den Ausschüssen, die sich federführend und mitberatend mit dieser Materie beschäftigt haben - offensichtlich zu einer Übereinstimmung gekommen sind, wird, wenn wir diesem
Gesetz im Anschluß an die dritte Lesung zustimmen, die Deutsche Bibliothek eine Bundesanstalt sein, und es wird auch eine gesetzliche Regelung geben, die die Ablieferung von Pflichtstücken vorsieht und die damit sicherstellt, daß in der deutschen Bibliographie ein lückenloses Verzeichnis deutscher Schriftwerke zu finden sein wird. In Anbetracht der inzwischen weit vorgeschrittenen Zeit beschränke ich mich auf diese wenigen Bemerkungen; was ich sonst allgemein in dieser Aussprache sagen wollte, gebe ich zu Protokoll *).
({0})
Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete. Ich entspreche Ihrem Wunsch mit Zustimmung des Hauses gern. - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mühlhan.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor der Verabschiedung dieses Gesetzes sind noch einige Änderungsanträge nötig. Die Drucksache V/3733, die Deutsche Bibliothek betreffend, bedarf nach ihrer Änderung während der zweiten Lesung in der Drucksache V/3813 in dieser Lesung einer weiteren Änderung, wie sie in Umdruck 586 **) vor Ihnen liegt. Dabei weise ich auf einen Druckfehler in diesem Umdruck hin, dessen Berichtigung ich mir erlaube hiermit schriftlich zu überreichen, in Verbindung mit einem weiteren Änderungsvorschlag, der die Streichung des § 27 dieses Gesetzes vorsieht.
Diese Änderungsvorschläge sind in Übereinstimmung mit sämtlichen Fraktionen und mit dem Innenministerium erwogen und für zweckmäßig angesehen. Es handelt sich darum, die Namensnennung des zuständigen Ministeriums zu vermeiden und hierfür nur den Ausdruck „zuständiges Bundesministerium" zu verwenden. Denn es wird sich in der Folgezeit wahrscheinlich als notwendig erweisen, eine neue Geschäftsverteilung in der Bundesregierung, die sogenannte Kabinettsreform, zu verwirklichen, durch die vermutlich die Deutsche Bibliothek einem anderen Ministerium unterstellt werden wird.
({0})
Ich werde den Änderungsantrag verlesen und Ihre Aufmerksamkeit auf die entscheidenden Punkte lenken
§ 5 Abs. 3 erhält folgende Fassung:
({1}) Errichtung und Änderung der Satzung bedürfen der Genehmigung des zuständigen Bundesministers.
§ 7 soll folgendermaßen lauten:
({2}) Der Verwaltungsrat besteht aus vier Vertretern der Bundesregierung, davon zwei Vertretern des für die Aufsicht zuständigen Bundesministeriums, einem Vertreter der Deutschen
*) Siehe Anlage 17 **) Siehe Anlage 11
Forschungsgemeinschaft, aus drei Mitgliedern des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, je einem Mitglied des Deutschen Musikverlegerverbandes und des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft und aus einem Vertreter des Magistrats der Stadt Frankfurt ({3}). Den Vorsitz führt ein Vertreter des zuständigen Bundesministeriums, dessen Stimme bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt.
§ 10 Abs. 1 wird wie folgt geändert:
({4}) Die Deutsche Bibliothek untersteht der Aufsicht des zuständigen Bundesministers.
§ 13 Abs. 4 wird folgendermaßen formuliert:
({5}) Der Haushaltsplan bedarf der Genehmigung des zuständigen Bundesministers.
§ 18 Abs. 2 wird geändert in:
({6}) Für Musiknoten und Musiktonträger wird der Beginn der Pflichtablieferung entsprechend dem jeweiligen Stand der Errichtung des Deutschen Musikarchivs vom zuständigen Bundesminister durch Rechtsverordnung gemäß § 24 bestimmt.
§ 24 erhält folgende Fassung:
Zur geordneten Durchführung der Pflichtablieferung und um einen nicht vertretbaren Aufwand der Deutschen Bibliothek ebenso wie Unbilligkeiten zu vermeiden, wird der zuständige Bundesminister ermächtigt, durch Rechtsverordnung Bestimmungen zu treffen über:.. .
Ich bitte Sie, diesen Änderungsanträgen und dem nachträglichen Antrag auf Streichung des § 27 zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Huys.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Änderungsantrag Umdruck 586 einschließlich der Einfügung „einem Vertreter der Deutschen Forschungsgemeinschaft" zu. Wir haben festgestellt, daß keine rechtlichen Bedenken gegen diese Fassung bestehen. Ebenso stimmen wir der Streichung des § 27 zu.
Ich begrüße diesen Gesetzentwurf. Es handelt sich um ein Initiativgesetz, das von allen drei Parteien getragen wurde. Die Deutsche Bibliothek ist eine Einrichtung, die als Archivbibliothek nicht nur dem wissenschaftlichen und kulturellen Leben im reinen Sinne des Wortes dient; sie ist darüber hinaus auch eine Klammer für die deutsche Kultur. Die Tradition, die der Deutsche Börsenverein ins Leben gerufen hat, ist auch heute noch nicht abgerissen. Sie besteht trotz der Teilung Deutschlands weiter, und die Bibliothek steht den Deutschen diesseits und jenseits der Zonengrenze zur Verfügung.
Wir danken für die Mitarbeit der drei Fraktionen, aber auch dem Parlamentarischen Staatssekretär Köppler, der sich persönlich in allen Phasen des
Gesetzgebungsweges um die Erreichung des angestrebten Zieles bemüht hat.
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Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe § 5 und dazu die Neufassung von Abs. 3 auf, die in Umdruck 586 des Abgeordneten Dr. Mühlhan und der Fraktion der FDP - das ist der Änderungsantrag, den ich jetzt laufend zu behandeln habe; es ist der einzige, der gestellt worden ist - enthalten ist. Wer der Neufassung von § 5 Abs. 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wer § 5 in der nunmehr beschlossenen Neufassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu § 7 mit der Berichtigung, die hier mündlich vorgetragen wurde und die mir schriftlich vorliegt. Wer der Neufassung von § 7 Abs. 1, wie sie von der FDP beantragt ist, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wer § 7 in der nunmehr beschlossenen Neufassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Wir kommen dann zu § 10. Wer dem Änderungsantrag der FDP auf Neufassung von Abs. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wer § 10 in der nunmehr beschlossenen Neufassung im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu § 13. Wer dem Antrag der Fraktion der FDP auf Änderung von Abs. 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wer § 13 im ganzen mit der nun beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den .bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Damit komme ich zu § 18 Abs. 2. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der FDP zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
§ 18 im ganzen mit der Änderung! Wer wünscht zuzustimmen? - ,Gegenprobe! - Es .ist so beschlossen.
Damit komme ich zu § 24. Wer dem Änderungsantrag zu Satz 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Jaeger
§ 24 im ganzen mit der soeben beschlossenen Änderung! - Ich bitte um die Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Als letztes kommt der Antrag, den § 27 zu streichen. Wer der Streichung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Es list so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Dann haben wir die Ausschußanträge. Zunächst muß zu Nr. 2 ein Gesetzentwurf für erledigt erklärt werden. Diesen Gesetzentwurf auf Drucksache V/2400 darf ich in zweiter Beratung aufrufen: §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift. Das soll nach der Meinung des Aussuchusses abgelehnt werden.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Wer für Ablehnung ist, wie es der Ausschuß wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist sicherlich die große Mehrheit. Die Angelegenheit ist erledigt; der Gesetzentwurf ist fürerledigt erklärt.
Jetzt müssen wir noch die zu diesen Entwürfen eingegangenen Petitionen für erledigt erklären. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht
- Drucksache V/3816 Wird der Gesetzentwurf begründet? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Süsterhenn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht ist die dritte große tragende Säule in unserem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat. Dieses Bundesverfassungsgericht hat durch seine Existenz und durch seine Rechtsprechung ganz wesentlich die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere unsere rechtsstaatliche Entwicklung mitgeprägt.
Die Bundesregierung hat in der Begründung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf ausgeführt, daß sich das Gesetz, das die Tätigkeit und den Status des Bundesverfassungsgerichts regele, im wesentlichen bisher bewährt habe. Ich glaube, man kann diese Feststellung durchaus vom Bundesverfassungsgerichtsgesetz auf das Bundesverfassungsgericht selbst ausdehnen.
Als wir uns im Parlamentarischen Rat entschlossen, in das Grundgesetz eine sehr starke Verfassungsgerichtsbarkeit einzubauen, waren wir uns darüber im klaren, daß dieser dritte Fraktor im Zusammenspiel der politischen Kräfte, im Zusammenspiel und auch in der Auseinandersetzung mit der ersten und zweiten Gewalt das politische Leben nicht gerade besonders erleichtern würde. Wir haben es mehrfach in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts erlebt, daß aus Kreisen der Regierung oder aus Kreisen des Parlaments eine mehr minder vehemente Kritik an dieser Institution und an ihrer Rechtsprechung geübt worden ist. Trotz alledem glaube ich, daß wir anerkennen müssen, daß sich das Bundesverfassungsgericht im großen und ganzen bei der Erfüllung seiner höchst schwierigen Aufgabe in einer Form bewährt hat, daß auch die Vertreter der anderen Gewalten im Endergebnis damit zufrieden sein können. Es gilt jetzt, auf Grund der Erfahrungen, die in den Jahren seit der Errichtung des Bundesverfassungsgerichts gesammelt worden sind, einige Konsequenzen zu ziehen, soweit sich das bisherige Bundesverfassungsgerichtsgesetz als verbesserungsbedürftig erwiesen hat.
Ich möchte hier lediglich einige Hauptprobleme herausgreifen, um die es sich handelt.
Es ist erstens die Angleichung des Status der Verfassungsrichter, die von den oberen Bundesgerichten kommen, und der gewählten Richter, die also nicht bereits vorher Richter an den obersten Bundesgerichten gewesen sind. Ich glaube, daß dass notwendig und gut ist und daß die von der Bundesregierung hier vorgeschlagene Regelung grundsätzlich akzeptabel erscheint.
Der zweite Punkt ist wohl eine Neuerung, die in unserer Verfassungsgerichtsbarkeit und, ich glaube, überhaupt in die gesamte deutsche Gerichtsbarkeit eingeführt werden soll. Das ist die Frage des Sondervotums der überstimmten Minderheit der Richter. Es entspricht nicht unserer deutschen Gerichtstradition. Wir haben immer den Gedanken und die Vorstellung gehabt, daß das Gericht eine Einheit sei. Daher sind manche Bedenken geäußert worden, ob nicht, wenn das einheitliche Auftreten des Gerichts nach außen durch ein Sondervotum beseitigt würde, die Autorität des Gerichts und des Richterspruchs Schaden leiden würde. Die Erfahrungen in anderen Ländern, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, haben bewiesen, daß eine solche Autoritätsminderung durch die Zulassung des Sondervotums in keiner Weise eintritt, sondern vielleicht sogar eine Stärkung der Autorität dieses Gerichts. Denn wenn man sieht, daß innerhalb des höchsten deutschen Gerichts, des Bundesverfassungsgerichts, Meinungsverschiedenheiten sein können und auch auftreten, und wenn man auch sieht, wie ernsthaft sich etwa die Vertreter des Minderheitenvotums mit diesen Problemen auseinandersetzen, dann wird die bisher vielfach verbreitete Vorstellung beseitigt, als ob im Bundesverfassungsgericht Halbgötter säßen, die keines Irrtums und keiner Meinungsverschiedenheit fähig seien. Ich glaube, daß das durchaus gut ist, zumal da wir davon ausgehen, daß sich auch das Parlament und die Regierung nicht aus Halbgöttern zusammensetzen, sondern aus Menschen, die auch einmal eine Fehlentscheidung treffen können.
Zu behandeln ist noch die einstweilige Anordnung, die nach dem Vorschlag der Bundesregierung,
wenn der Senat nicht vollständig versammelt ist oder versammelt werden kann, bereits durch den einstimmigen Beschluß von drei Richtern erlassen werden kann. Eine derartige einstweilige Anordnung ist natürlich eine Maßnahme von sehr starker Eingriffswirkung in die rechtliche Situation. Bisher hat sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Erlaß einstweiliger Anordnungen, glaube ich, sehr vorsichtig und weise zurückgehalten. Angesichts dieser guten Erfahrungen glaube ich, daß man auch dieser Änderung des Gesetzes zustimmen kann.
Nun zu der Änderung des § 79 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Dieser Paragraph befaßt sich mit den Folgen der Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes, und zwar heißt es:
Hat das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz für nichtig erklärt, das für den einzelnen öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Geldleistungspflichten begründet oder erweitert, so bestimmen sich die Wirkungen der Entscheidung wie folgt:
Ich darf das in ein allgemeinverständliches Deutsch übersetzen und an einem Beispiel illustrieren. Wenn z. B. ein beschlossenes Steuergesetz später angefochten wird und das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis kommt, daß das Gesetz verfassungswidrig und deshalb nichtig ist, dann gilt der alte juristische Grundsatz, daß die Nichtigkeitswirkung ex tunc, d. h. von dem Moment an wirksam ist, in dem dieses Gesetz erlassen wurde. Mit dieser Vorlage wird der Versuch gemacht, diese Ex-tunc-Wirkung durch eine Ex-nunc-Wirkung zu ersetzen, das heißt, daß die Nichtigkeit erst zu Ende des letzten Jahres eintreten soll, das der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorangegangen ist. Zwar will man dem Bundesverfassungsgericht durch eine Kann-Bestimmung die Möglichkeit geben, einen früheren Zeitpunkt für das Außerkrafttreten eines Gesetzes zu bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht kann sich also in seiner Entscheidung bespielsweise auf den Standpunkt stellen, ein bestimmtes Gesetz sei von vornherein als nichtig zu behandeln. Aber diese Kann-Bestimmung, diese Ermächtigung des Bundesverfassungsgerichts ist an die Bedingung geknüpft:
... sofern dies bei Abwägung zwischen den schutzbedürftigen Rechten der Betroffenen, der Rechtssicherheit und anderen schwerwiegenden öffentlichen Belangen zwingend geboten erscheint.
Eine Bezugnahme in genereller Form auf die öffentlichen Belange ist an sich eine tragbare Formulierung. Aber in der Begründung der Bundesregierung heißt es:
Es sollte auch anerkannt werden, daß die staatliche Gemeinschaft ihrerseits gleichfalls in unabdingbarem Maß darauf vertrauen können muß, daß insbesondere die haushaltsmäßige Grundlage nicht durch eine rückwirkende Nichtigkeitserkenntnis erschüttert oder ausgehöhlt wird.
Da muß man nun erkennen, daß gerade in einem
Rechtsstaat mit seinen vielfältigen Leistungsverpflichtungen der sozialen Daseinsvorsorge nur Rechnung getragen werden kann, wenn die entsprechenden Einrichtungen gesichert sind. Die soziale Daseinsfürsorge und die sozialpolitischen Maßnahmen, die getroffen werden und von uns beschlossen werden müssen, müssen aber auch auf einer einwandfreien rechtlichen
({0})
Grundlage finanziert werden. Ich halte es nicht für möglich, daß hier sozusagen einfach in favorem fisci - im Interesse des Fiskus - eine besondere Begünstigungsklausel eingesetzt wird.
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Ich möchte diese Bedenken gerade zum letzten Punkt angemeldet haben. Es wird noch eingehender Prüfung dieser Zusammenhänge im Rechtsausschuß bedürfen; denn ich glaube, wir können und sollten es uns nicht leisten, ein verfassungsrechtlich problematisches Gesetz über das Bundesverfassungsgesetz zu beschließen.
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Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst Herrn Minister Heinemann entschuldigen, der zu einer Besprechung abgerufen worden ist, und muß Sie bitten, mit mir vorliebzunehmen.
Das Grundgesetz hat vor zwanzig Jahren mit der Einrichtung einer ausgebauten Verfassungsgerichtsbarkeit, mit dem Ausbau des Bundesverfassungsgerichts zu einem echten Verfassungsorgan neue Wege beschritten. Ich glaube, daß im Hause Übereinstimmung darüber besteht, daß diese neuen Wege mit Erfolg beschritten worden sind; denn das Gericht hat sich - über einzelne Entscheidungen wird man immer wieder streiten können - im Grunde über alle Maßen bewährt. Das Hohe Haus hat dem Ausdruck gegeben, als es vor einiger Zeit auch die Verfassungsbeschwerde im Grundgesetz verankert hat.
Die große Bedeutung des Verfassungsgerichts als eines Verfassungsorgans erfordert es, daß der Gesetzgeber die optimale Funktionsfähigkeit des Gerichtes sichert. Diesem Ziel dient auch der Entwurf. Ich darf mich auf drei wesentliche Gesichtspunkte beschränken, die Herr Abgeordneter Süsterhenn soeben schon angesprochen hat.
Zunächst die Frage des Status der Richtergruppen. Wir haben bis jetzt einen Unterschied zwischen den Richtern auf Zeit und den Richtern der obersten Gerichtshöfe des Bundes, wie es jetzt heißt, auf Lebenszeit. Diese Differenzierung ist nicht berechtigt. Sie war ursprünglich wohl von dem Gedanken getragen, daß das Gericht gar nicht in Permanenz zu tagen hätte, daß die Aufgaben und die Menge der Arbeit des Gerichtes nicht so groß sein würden, wie sie heute sind. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß das Gericht, selbst wenn es permanent
tagt, kaum mit der vielen Arbeit fertig wird, die an es herangetragen wird, so daß eine Neuregelung gerechtfertigt ist. Es ist vorgesehen, eine einheitliche Amtszeit - nach der ersten Wahl zunächst 12 Jahre - einzuführen, ferner Festsetzung der Altersgrenze auf 68 Jahre und bei einer Wiederwahl nach 12 Jahren dann auch eine Mitgliedschaft beim Gericht eben bis zur Erreichung der Altersgrenze. Diese Regelung soll einmal der Einheitlichkeit des Spruchkörpers dienen, vor allem aber auch der Stärkung der Unabhängigkeit der Richter des Bundesverfassungsgerichts.
Die zweite große Frage in diesem Entwurf ist dann die Frage des abweichenden Votums. Diese Frage ist seit Jahren im Gespräch und hat ja auch schon gewisse Auswirkungen auf die Praxis des Bundesverfassungsgerichts selbst gehabt. Ich darf daran erinnern, daß das Gericht im „Spiegel"-Fall die Stimmverhältnisse - 4 zu 4 - bekanntgegeben hat und einer der Senate auch darüber hinaus das Abstimmungsergebnis mitteilt. - Schließlich darf ich darauf hinweisen, daß sich der Deutsche Juristentag nahezu einhellig für die Einführung des dissenting vote ausgesprochen hat. Wir sind im Justizministerium der Meinung, daß man den Anfang einmal bei der Verfassungsgerichtsbarkeit machen sollte, in der das dissenting vote ja schon heute kein Fremdkörper mehr im deutschen Recht ist. Was man dann später bei den anderen Gerichten macht, das sollte man entscheiden, wenn man mit dieser Institution Erfahrungen gesammelt hat.
Wir sind gegenüber der Kritik an diesem Versuch der Meinung, daß die Einführung des abweichenden Votums die Autorität des Gerichts nicht schwächt, sondern stärkt, weil die Autorität eines Gerichtes nicht in der Anonymität der Entscheidung, sondern nur in der Kraft der Argumente liegen kann.
Schließlich die - wie schon die Ausführungen von Herrn Abgeordneten Süsterhenn zeigten - umstrittene Frage der Begrenzung der Rückwirkung der Nichtigerklärung eines Gesetzes. Ich darf gegenüber der Kritik darauf hinweisen, daß der Grundsatz der reinen Rückwirkung, also der reinen Ex-tuncWirkung, schon heute im Gesetz nicht rein verwirklicht ist und auch gar nicht verwirklicht werden kann, denn es bleibt bei der Bestandskraft rechtskräftiger Entscheidungen. Der Grundsatz ist also heute ohnehin durchbrochen; und ich sehe im Prinzip keinen Unterschied zwischen dieser Durchbrechnung und der Durchbrechung, die hier vorgesehen worden ist.
Ich darf auch darauf hinweisen, .daß die geltende Regelung zu sehr unerfreulichen Ergebnissen geführt hat. Im Steuerrecht kam die Ex-tunc-Wirkung nur dem zugute, der die Steuer noch nicht bezahlt oder Rechtsmittel eingelegt hatte, während die Bürger, die vertrauensvoll ihre Steuern gezahlt hatten, benachteiligt waren.
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- Doch, es ist ungerecht, und es wirft erhebliche
Fragen bei der Vollziehung von Steuergesetzen
oder generell von Geldleistungsgesetzen auf. Wir
sind der Meinung, daß bei schon lange bestehenden Gesetzen die absolute Ex-tunc-Wirkung vielfach reines Dogma ist. Die haushaltsmäßigen Auswirkungen einer Nichtigkeitsentscheidung sind oft überhaupt nicht zu übersehen, und ich nehme die Schwierigkeiten, die sich auch für den Rechtsstaat daraus ergeben, ungeheuer ernst.
Ich glaube nicht, Herr Abgeordneter Süsterhenn, daß die Tatsache, daß diese Vorschriften des Entwurfs auf die Geldleistungsgesetzes beschränkt ist, etwa eine Verbeugung vor dem Fiskus darstellt; wir sind aber der Meinung, daß die wegen der Praktikabilität und der Gleichmäßigkeit der Behandlung der Bürger erforderliche Einschränkung auf einem Gebiet, in dem es „nur" um Geld geht, eher zu verantworten ist als auf Gebieten, auf .denen etwa in Grundrechte der Meinungsfreiheit, der Gedankenfreiheit und dergleichen 'eingegriffen wird. Wir sind also der Meinung, daß hier gerade durch ,die Beschränkung versucht wird, Ihren Gesichtspunkten Rechnung zu tragen.
Die volle Ex-tunc-Wirkung im Geldleistungsbereich" wird immer eine hohe „Hemmungsschwelle" für das Gericht sein. Ich glaube, daß die Situation so ist, daß gerade die reine Ex-tunc-Wirkung verhindern kann, daß der Verfassung volle Geltungskraft verschafft wird. Sie führt - da das Gericht die Wirkung seiner Entscheidung mit überlegen muß - dazu, daß das Gericht dann keine Nichtigkeitserklärung ausspricht, sondern bestenfalls - wenn man es so sagen darf - „Anpassungszeiträume" festsetzt. Solche Entscheidungen haben wir ja auch schon gehabt. Das Ziel des Entwurfes ist es, hier eine praktikable Regelung zu erreichen, von der ich noch einmal sage, daß sie nicht etwa die erste Durchbrechung des reinen Grundsatzes der Rückwirkung darstellt, sondern eben nur eine Modifikation der Durchbrechung, die heute schon im Gesetz steht.
Ich darf übrigens in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß das Bundesverfassungsgericht, mit dem wir uns wie immer in diesen Dingen sehr freundschaftlich und sachverständig unterhalten haben, in seinen Vorstellungen weit über die Vorstellungen des Bundesjustizministeriums hinausgeht, daß also diese Fassung, .die hier vorliegt, von der Meinung des Gerichts her gesehen ungefähr die engste Fassung ist, die man sich vorstellen kann. Uns ist klar, daß diese Frage, die in der Literatur und in früheren Diskussionen in diesem Hause immer wieder erörtert worden ist, einer sorgfältigen Prüfung in den Ausschüssen bedarf. Wir sind aber der Meinung, daß eine Frage, die zu so großen praktischen Schwierigkeiten geführt hat, bei der Novellierung des Verfassungsgerichtsgesetzes nicht einfach unangesprochen bleiben kann, sondern daß es die Aufgabe des Justizministeriums ist, diese Frage im Hohen Hause und in seinen Ausschüssen zur Diskussion und zur Entscheidung zu stellen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus Respekt vor der Geschäftsordnung dieses Hohen Hause habe ich trotz der relativ fortgeschrittenen Zeit darauf verzichtet, das, was ich Ihnen zu diesem Thema heute hier vortragen möchte, schriftlich zu fixieren. Ich kann es daher nicht zu Protokoll geben und muß Sie bitten, die zum Teil etwas grundsätzlicheren Ausführungen auch dann anzuhören, wenn ich mich nicht so ganz kurz fasse. Im übrigen meine ich, durchaus hier sagen zu dürfen, daß es im Hinblick auf die Tatsache, daß dieses Hohe Haus die sicherlich wichtige Materie des Fremdenverkehrs heute über eine Unzahl von Stunden diskutiert hat, eine durchaus angemessene Verteilung der Gewichte ist, wenn jetzt auch ein Zentralproblem der dritten Gewalt, die Stellung und die Funktionen des Bundesfassungsgerichts, hier ausreichend behandelt wird.
Ich kann anknüpfen an das, was der Herr Vertreter der Bundesregierung, Herr Staatssekretär Professor Ehmke, eben gesagt hat, und auch daran, was Herr Professor Süsterhenn soeben von diesem ' Platz aus dargelegt hat. Die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts für die freiheitliche Ordnung in unserem Land kann man gar nicht überschätzen. Weil man aber die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts in unsrem gewaltengeteilten Staat nicht überschätzen kann, deswegen muß man auch immer das Gesetz, das das Bundesverfassungsgericht - neben dem Grundgesetz - seiner Arbeit zugrunde zu legen hat, nämlich das Bundesverfassungsgerichtsgesetz, entsprechend wichtig nehmen. Wir haben hier nämlich materielles Verfassungsrecht vor uns.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur daran erinnern, daß nach dem Grundgesetz zahlreiche Entscheidungen dieses Gerichts Gesetzeskraft haben, daß sie also den gleichen Rang besitzen wie die Entscheidungen dieses Hohen Hauses, was der Bürger äußerlich ja schon daran erkennt, daß die Urteilsformeln formell im Bundesgesetzblatt neben anderen Gesetzen verkündet werden. Weil das aber so ist, ist dieses Gesetz zugleich nicht ein Gesetz unter vielen anderen, sondern ist ein Politikum ersten Grades, ein Politikum, das es in diesem Hohen Hause erfordert, daß das Parlament sich eingehend mit ihm befaßt.
Das Bundesverfassungsgericht in seiner Existenz ist zugleich das Symbol dafür, daß in unserem Lande Recht vor Macht geht. Dies anzuerkennen heißt zugleich aber auch, sich auseinanderzusetzen mit Angriffen auf die Institution und auf die Kompetenzen dieses Verfassungsorgans, das im Range gleichberechtigt neben dem Bundespräsidenten, der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat - von der Bundesversammlung einmal abgesehen - steht.
Ich sehe vor mir den von mir wegen seiner Äußerungen auf zahlreichen Gebieten sehr verehrten Kollegen D i c h g an s. Zu dem, was er zu dem heute zur Debatte stehenden Thema in letzter Zeit an zahlreichen Stellen schriftlich und mündlich geäußert hat, vermag ich mich allerdings nur kritisch zu äußern.
Ich darf einige wenige Kernsätze, von denen ich glaube, daß sie ihrem Sinn nach nicht aus dem Zusammenhang gerissen sind, hier zitieren und dann sagen, warum ich es für in hohem Maße gefährlich für die freiheitliche Ordnung unseres Landes halte, wenn man so etwas niederschreibt. Ich sage das durchaus im vollen Bewußtsein, wie schwerwiegend ein solcher Ausspruch hier ist. Es heißt dort bei Herrn Kollegen Dichgans u. a., das Bundesverfassungsgericht regiere ständig in die Arbeit des Bundestages hinein. „Das Bundesverfassungsgericht" - heißt es wörtlich - „gibt kein Recht, es gibt nur Meinungen von Richtern". Ein anderes Zitat lautet: „Das Gericht dringt in den legitimen Ermessensspielraum dieses Parlaments ein". Ja, es ist sogar die Rede vom „zerstörerischen Eifer" dieses Gerichts. Schließlich wird an diese Überlegungen die Frage angeknüpft, ob nicht das Bundesverfassungsgericht alle Entscheidungen dieses Parlaments hinnehmen sollte, und zwar so hinnehmen sollte, wie das Parlament sie gefällt hat, solange es diesem Hohen Hause nicht nachzuweisen in der Lage sei, daß seine Mitglieder bei der Abstimmung nicht subjektiv gutwillig gewesen seien.
Meine Damen und Herren, diese Äußerungen verkennen meines Erachtens - und ich bin aus den vorangegangenen Aussprachen sicher, daß ich hier nicht nur für meine Person, sondern zumindest auch für meine Fraktion, für die Sozialdemokraten in diesem Hause, das sagen kann - in einem - entschuldigen Sie, Herr Kollege Dichgans - erschrekkenden Maße den Charakter des Grundgesetzes als einer freiheitlich-demokratischen Verfassung auf der Basis der Volkssouveränität.
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- Ich glaube, Herr Kollege Ott, ich habe dieses Recht nicht bezweifelt; aber ich nehme für meine Fraktion und mich das Recht in Anspruch, hier auch unsere Meinung über die Gefährlichkeit bestimmter Meinungen - die ich ja nicht verbieten will, mit denen ich mich aber auseinandersetzen will - darzutun.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön; gern!
Bitte, Herr Abgeordneter Rutschke!
Herr Kollege Arndt, können Sie die Aussagen von Herrn Dichgans, die hier soeben zitiert worden sind, vielleicht darunter rubrizieren, daß Herr Dichgans früher einmal festgestellt hat, auch der Abgeordnete habe das Recht, Unsinn zu reden?
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Herr Abgeordneter Dr. Rutschke, wir erleben soeben etwas, was ich eine „männliche Jungfernrede" nennen möchte, und da hätte ich eigentlich von Ihrer Seite eine besondere Liebenswürdigkeit erwartet.
Herr Präsident, ich darf mir die Bemerkung gestatten, daß es ein gewisses Paradoxon ist - Sie haben es ja durch Ihre Formulierung schon selber aufgezeigt -, wenn ein offensichtlich männliches Individuum seine Jungfernrede hält. - Herr Kollege Dr. Rutschke, Sie werden sicher Ihre Frage als rhetorische gemeint haben und von mir nicht verlangen, daß ich mich Ihrer Wertung hier anschließe, obwohl Sie ja sehen und hören werden, was ich in der Sache zu einigem zu sagen habe, was Herr Kollege Dichgans ausgeführt hat.
Um meinen Faden wiederaufzunehmen: ich hatte zuletzt gesagt, daß das Grundgesetz als freiheitlich demokratische Verfassung auf der Volkssouveränität basiert sei. In Art. 20 Abs. 2 unseres Grundgesetzes steht geschrieben, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe. Das bedeutet, daß unsere Verfassung jedem einzelnen Organ, das sie konstituiert, nur diejenigen Kompetenzen einräumt, die es eben expressis verbis dorthin delegiert. Andersherum ausgedrückt: jede Handlung eines Verfassungsorgans, die nicht von einer solchen ausdrücklichen Delegation seitens der Verfassung legimitiert ist -also einer Delegation durch das Volk mit Hilfe der Verfassung -, ist out of power, ist ultra vires dieses Verfassungsorgans. Um es nicht in der juristischen Fachsprache auszudrücken: eine solche Entscheidung, eine solche Maßnahme, ein solcher Akt eines Verfassungsorgans kann bei den Bürgern dieses Landes keinen Glauben für sich beanspruchen, weil die Bürger dieses Landes eben nur limitierte Gewalten auf die einzelnen Verfassungsorgane delegiert haben.
Darüber hinaus gehört Ar.t 1 Abs. 3 unseres Grundgesetzes sogar zu den - wie Friesenhahn es einmal genannt hat - Staatsfundamentalnormen, d. h. zu denjenigen Vorschriften des Grundgesetzes, die legal nicht abänderbar sind: Art. 79 Abs. 3. Dieser Art. 1 Abs. 3 legt aber nun fest, daß die Grundrechte auch die gesetzgebende Gewalt, also auch dieses Parlament, an Recht und Gesetz binden. Eine Vorschrift unserer Verfassung, die allen Akten der Gesetzgebung, allen Parlamentsakten den Glauben und die Wirkung versagt, wenn sie in Grundrechte eingreifen, bedarf natürlich des institutionellen Schutzes. Hier ist in der Ordnung unserer Verfassung das Bundesverfassungsgericht angesiedelt.
Die Freiheitlichkeit unserer Verfassung hängt nämlich nicht nur von der Möglichkeit der Mehrheitsbildung ab, auch nicht nur der Mehrheitsbildung im Parlament; vielmehr hängt die Freiheitlichkeit, die demokratische Rechtsstaatlichkeit in unserem Lande auch gerade davon ab, daß es Schranken für die Mehrheitsbildung gibt, daß es einen jeder legitimen Abstimmung entzogenen Raum in diesem Lande gibt, und sie hängt davon ab, daß alle Organe nur .die aus dem Grundgesetz ablesbaren Kompetenzen im Sinne des von mir eben Dargelegten haben. Wer sollte den Bürger und die :Freiheit in diesem Lande vor lEingriffen in den von den Kompetenzen nicht gedeckten Raum, wer sollte den Bürger dieses Landes vor Eingriffen in seine Grundrechte schützen, die ihm ja erst die elementare Möglichkeit schafft, erhobenen Hauptes durch dieses Land zu gehen und zu sagen „Ich bin ein Mensch" - das stolzeste Wort, das man überhaupt aussprechen kann - wer sollte diesen Schutz gewähren, wenn nicht ein unabhängiges Gericht, eine Institution, die nicht nach politischen Zweckmäßigkeitserwägungen entscheidet, sondern auch die politischen Erwägungen und Entscheidungen am Maßstab des Rechts, d. h. am Maßstab der Verfassung mißt? Dies ist also eine echte Gerichtsaufgabe.
Darum war es .in der Tat für die Freiheit eine große Leistung, als fast genau auf den Tag vor 166 Jahren der oberste amerikanische Richter, John Marshall, sein berühmtes Urteil gefällt hat, mit dem er die Tradition des richterlichen Prüfungsrechts für alle freiheitlich-demokratischen Verfassungen begründet hat. In dieser Entscheidung kommt auch jener berühmte und stolze Satz vor, daß die Verfassung 'das alles beherrschende Grundgesetz der Nation sei, also jenes Wort, das davon spricht, daß die Verfassung sich aus allen anderen Gesetzen qualitativ heraushebt, daß sie also nicht bloß ein Gesetz ist, das kraft positiver Bestimmung irgendwo
etwa bei uns im Art. 79 - schwerer, also mit qualifizierter Mehrheit abzuändern sei, sondern daß der Verfassung eine andere Qualität als Rechtsnorm zukommt als dem einfachen Gesetz. Sicherlich, auch damals ist die Entscheidung Marshalls auf den Widerstand der politischen Kräfte jenes Landes, der Vereinigten, Staaten von Amerika, gestoßen. Thomas Jefferson, der damalige amerikanische Präsident, hat dieses Urteil kommentiert, .es rufe die Despotie einer Oligarchie hervor, nämlich der Oligarchie der Richter im anderen Gebäude des Weißen Hauses.
Wie immer in der Politik wird aber besonders deutlich, welchen Weg wir gehen müssen, wenn wir uns hier die Alternativen verdeutlichen, wenn wir überlegen: Sollen wir - symbolisch - Marshall oder sollen wir Jefferson folgen?
Sehen Sie, es hat durch die Geschichte der letzten 170 Jahre einen großen Streit gegeben, den Streit nämlich, ob sich die Demokratie durch schlichtes Parlamentsrecht ausgiebig und zum Schutze der Freiheit ihrer Bürger regieren könne, oder aber, ob ein unabhängiges Verfassungsgericht - also ein Gericht, das auch über die Verfassungsmäßigkeit entscheiden kann; es muß nicht 'den Namen Verfassungsgericht haben - als Symbol für jenen Raum vorhanden sein sollte, in den idas Parlament zum Schutze der Freiheit des 'Bürgers eben nicht mit politischer Entscheidung mehr hineinregieren darf.
Es ist doch eine Anknüpfung an jene 'ideologischen Irrlehren Jean Jacques Rousseaus vom Mehrheitswillen, der nicht nur maßgebend sein soll, wie es in der Demokratie richtig ist, sondern der zugleich gesalbt wird, so daß die Mehrheit sogar auch recht
Dr. Arndt ({0})
hat. Es ist jene Pflanze, die im Grunde in der Ideologie von der Einheit des Willens aller Bürger wurzelt. Es ist dies der Weg, der geradewegs zu dem Totalitären führt.
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Nicht ohne Grund - wenn auch hier im Westen vielfach sehr wenig beachtet - sieht auch die Verfassung der Sowjetunion eine Bestimmung darüber vor, wie die Frage zu klären ist, ob ein Gesetz mit der Verfassung vereinbar sei. Die Verfassung der Sowjetunion schreibt nämlich vor, daß bei Zweifeln über die Vereinbarkeit eines Gesetzes, das der Oberste Sowjet verabschiedet hat, oder einer anderen Maßnahme, die in der Sowjetunion von der öffentlichen Gewalt getroffen worden ist, der Verfassungsausschuß des Obersten Sowjets der UdSSR entscheidet. Was heißt das? Das heißt doch weiter nichts, als daß auch hier letztendlich die politische Entscheidung des wenn auch quasi-Parlaments für die Frage maßgebend sein soll, ob die Verfassung rechtliche Verbindlichkeit auch jenseits des Mehrheitswillens hat. Das heißt doch weiter nichts, als die Theorie Rousseaus zu Ende zu denken und hier zu bestreiten, daß es so etwas wie einen Raum gibt, der für das Individuum und der für das nicht kompetente Organ frei bleiben muß.
Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle ein mich sehr bewegendes Erlebnis einschalten, das ich vor vielen Jahren in der Sowjetunion einmal hatte. Ich traf dort einen alten Bolschewiken, der 1936 im Rahmen der großen Stalinschen Säuberungen einer Irrlehre beschuldigt worden und der nun wieder nach Hause zurückgekehrt war. Dieser Mann war dessenungeachtet ein gläubiger Bolschewik. Ich habe mich mit ihm über diese Frage, die hier zur Debatte steht, unterhalten, nicht so, wie wir hier sprechen, sondern etwas primitiver, wie man sich eben in einer Arbeitspause unterhält, wenn man auf einer Baustelle Zementeimer trägt. Ich sagte ihm: Wie können Sie es verantworten, daß zur Durchführung des - ich glaube - ersten Fünfjahresplanes in der Sowjetunion 8 Millionen Menschen - 8 Millionen Kulaken, wie sie es genannt haben - ihrer physischen Existenz beraubt werden? Darauf sagte er: „Ach, in jener Zeit! Ich verstehe gar nicht. Erstens waren es gar keine 8 Millionen, und zweitens - ich will gar nicht über die Zahl streiten - verstehe ich Ihr Argument nicht. Sehen Sie: Damals hatte die Sowjetunion 150 Millionen Einwohner, und wenn ich Ihre Zahl unterstelle und annehme, 8 Millionen wären gestorben, so sind das ganze 6% unserer Bevölkerung. Die Geschichte hatte die Kollektivierung auf die Tagesordnung gesetzt. 6 % waren dagegen. Es können doch nicht 6% des Volkes ein Recht gegen die übrigen 94% haben. Und wenn sie sich eben gegen diese Entscheidung stellen, dann ist es das gute Recht dieser doch schließlich überwältigenden Mehrheit, notfalls auch über die physische Existenz dieser 6% hinwegzugehen." Der Mann verstand gar nicht, wieso das für mich zweifelhaft sein kann.
Meine Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß jener Mann jemals etwas von Rousseau und seinen Theorien gehört hat, aber er hat sie der Sache nach
in sich aufgenommen. Es ist die letzte, aber das vor uns stehende Problem deutlich machende Konsequenz jener Vorstellung, daß es, wenn Freiheit herrschen soll, einen Raum geben müsse, in dem politische Entscheidungen, in dem Mehrheitsentscheidungen keinen Raum mehr haben können. Es ist eine sehr extreme Konsequenz, aber sie macht uns unser Problem sehr deutlich.
Ich möchte nun gleich, um Mißverständnisse zu vermeiden, ausdrücklich sagen: Es war nicht meine Absicht, mit diesen Beispielen, die ich hier gewählt habe, den, wie ich vorhin schon sagte, aus anderen Gründen sehr verehrten Kollegen Dichgans nun etwa an die Seite Josef Stalins als des Autors jener Verfassung zu stellen. Nichts lag mir ferner. Aber er wird es mir vielleicht doch gestatten, hier durch dieses ganz deutliche Beispiel klarzumachen, für wie schwergewichtig für die Freiheit ich diesen Denkansatz und diese Problematik halte.
Immerhin können wir ja sehen, daß in der politischen Geschichte auch ehrwürdigere Männer, als es gerade Stalin sein mag, sich auf die Seite derjenigen geschlagen haben, die die Berechtigung eines solchen freien Raumes bestritten haben. Ich brauche hier nicht nochmals Jefferson zu zitieren; auch Otto von Bismarck hat uns zahlreiche Zitate in der gleichen Richtung hinterlassen. Und ich glaube, auch von dieser Tribüne ist manches Wort des ersten Bundeskanzlers gefallen, das durchaus auch in ähnlicher Richtung ging.
Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist also zu empfinden als die Hemmung der politischen Mächte in diesem Lande, d. h. in erster Linie des Parlaments, in Richtung auf das Recht. Diese Ansicht über die Dinge schließt natürlich nicht aus und übersieht nicht, daß es keineswegs so ist, wie Herr Kollege Dichgans - sicherlich mehr popularitätswirksam als erst - in einer seiner Darlegungen gemeint hat, als er nämlich sagte, die richterliche Aufgabe sei letztlich darin zu sehen, daß man zwei plus zwei zusammenzählen müsse, wobei dann vier herauskommen müsse. Nun, ich glaube, auch Herr Kollege Dichgans wird nicht ernsthaft die Auffassung vertreten, daß dies das Bild des Richters unter dem Grundgesetz sei, selbst wenn er das damals schriftlich an dieser Stelle so niedergelegt hat.
Denn spätestens seit Thoma wissenwir schließlich, daß jeder Richterspruch außer der eigentlichen Subsumtion des Tatbestandes unter das Gesetz notwendigerweise und unentrinnbarerweise auch ein Element der Rechtsschöpfung enthält. Ich meine, in der Qualität ist es daher kein Unterschied, wenn das Bundesverfassungsgericht - um das Beispiel des Parteiengesetzes, das dieses Haus verabschiedet hat, zu nehmen - die Grenze von 2,5% der abgegebenen gültigen Stimmen als Voraussetzung für eine Erstattung der Wahlkampfkosten aufgehoben und an ihre Stelle seine Grenze von 0,5% der abgegebenen gültigen Stimmen gesetzt hat. Auch ich war über dieses Ergebnis sicherlich nicht glücklich, das liegt auf der Hand; denn nichts ist gerade in diesem Lande gefährlicher als alles, was auf eine Zersplitterung der politischen Parteien hinwirkt. Dennoch ist es für mich wegen der vorhin von mir geschilderten
Dr. Arndt ({2})
Achtung vor der Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts selbstverständlich, daß ich diese Entscheidung respektiere.
Aber, meine Damen und Herren, wo liegt der materielle Unterschied etwa zu der Entscheidung, die jedes Strafgericht, die jeder Amtsrichter Monate und Jahre hindurch darüber zu fällen hatte, wo die absolute und relative Fahruntüchtigkeit nach Alkoholgenuß beim Lenken eines Kraftfahrzeuges liegt? Auch hier läßt das Gesetz formal - jedenfalls bisher noch; das sogenannte 0,8-Promille-Gesetz ist ja erst in der Parlamentarischen Beratung - den Richter im Stich, und dennoch hat niemand in diesem Lande jemals bezweifelt, daß es eine echte richterliche Aufgabe jedes Verkehrsgerichts gewesen ist, hier zu sagen: mit 1,5 Promille Alkoholgehalt im Blut ist man absolut fahruntüchtig. Ich vermag jedenfalls in der Sache den qualitativen Unterschied zwischen beiden Dingen nicht zu erkennen.
Das will sagen, daß es kein Argument gegen die richterliche Qualifikation des Bundesverfassungsgerichts ist, wenn es auch unbestimmte Rechtsbegriffe aus der Materie des Verfassungsrechts auszulegen hat. Es ist vielmehr eine legitime richterliche Aufgabe. Das gilt gleichermaßen auch für die Gebiete etwa des Apothekenrechts oder des Rechts des Handwerks - die berühmte Geschichte mit dem Schornsteinfegerwesen, und was da alles in der Vergangenheit in der Debatte schon eine Rolle gespielt hat.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Es kann nicht deutlich genug unterstrichen werden, welch hohe Aufgabe das Bundesverfassungsgericht für die Sicherung unserer Freiheit in diesem Lande hat, und daß diese Aufgabe eine echte richterliche Funktion ist. In diesem Lichte werden wir auch die uns heute vorliegende Novelle betrachten müssen. Ich darf an dieser Stelle für die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses ausdrücklich die Novelle als einen echten Fortschritt in dier Weiterentwicklung des Rechts des Bundesverfassungsgerichts begrüßen.
An erster Stelle ist hier das auch schon von meinen Herren Vorrednern angesprochene Sondervotum lobend zu erwähnen. Der Gutachter des 47. Deutschen Juristentages - der sich ja, wie Herr Staatssekretär Professor Ehmke bereits erwähnt hat, mit großer Mehrheit für die Einführung dieses Sondervotums ausgesprochen hat - hat die Bedeutung dieser in unserer Rechtsordnung neuen Institution als „ein Stück großer Justizreform mit kleinen Mitteln" bezeichnet. Ich könnte die Bedeutung des Sondervotums nicht besser umschreiben.
Als Vorzüge dieser Regelung möchte ich hier erstens die erhöhte Voraussehbarkeit der Rechtsprechung erwähnen, die ja eine erhebliche Verstärkung auch der Rechtssicherheit mit sich bringt.
Zweitens eine Läuterung des Rechtsempfindens in diesem Lande durch Einsicht in die Relativität und Zeitgebundenheit allen Rechts, insbesondere dadurch, daß deutlich gemacht wird, wie es schon - vielleicht extra legem - das Bundesverfassungsgericht im „Spiegel"-Urteil und inzwischen auch in
einigen anderen Entscheidungen deutlich gemacht hat, welches Ringen um das Recht in diesem höchsten Spruchkörper der rechtsprechenden Gewalt vor sich gegangen ist. Ich glaube, gerade die Überzeugungskraft einer gerichtlichen Entscheidung wächst mit der beobachtbaren Erkenntnis, wie dieses Urteil zustande gekommen ist, wie die Richter es sich nicht leichtgemacht haben, wie sie wirklich Argument für Argument abgewogen und dann, um es mit dem Beispiel ,des Athenischen Gerichts zu sagen, ihren Stein gesetzt haben.
Schließlich, drittens, bin ich auch mit der Bundesregierung der Meinung - ich teile sie mit der sozialdemokratischen Fraktion -, daß das Sondervotum eine Steigerung des Verantwortungsgefühls der Richter und damit zugleich eine Heraushebung der Richterpersönlichkeit und, meine Damen und Herren, damit im engsten Zusammenhang auch eine Befreiung des richterlichen Gewissens mit sich bringt. Ich habe es als Referendar gerade in dieser Stadt manchmal mit Unbehagen gesehen, wenn der Amtsrichter, der Vorsitzende eines Schöffengerichts etwa, ein Urteil begründen mußte, gegen das er mehrere Stunden in der Beratung gekämpft hatte. Sicher, er hat es dann manchmal so getan, daß er wußte: Dieses Urteil wird aufgehoben. Er hat die Gründe so gemacht, daß er 'sicher war, daß diese von ihm für falsch gehaltene Entscheidung nicht blieb. Aber selbst dann, wenn er loyal - ({3})
- Was ich dazu meine, merken Sie bereits daran, daß ich hier das Wort „loyal" eingefügt habe. Aber selbst wenn er die Mehrheitsmeinung, die nicht seine war, loyal vor der Öffentlichkeit vertritt, muß er hier doch immer eine gewisse Vergewaltigung seiner eigenen rechtlichen Überzeugung vornehmen. Um wieviel freier ist doch die Richterpersönlichkeit, die sagen kann: „Die Mehrheit meines Gerichtes ist dieser Meinung. Sie hat dafür diese Gründe." Natürlich muß er die völlig loyal und objektiv darstellen. Er kann aber in Zukunft auch sein eigenes Gewissen entlasten und kann sagen: „Ich teile diese Meinung - ich bleib in der Minderheit damit - aus diesen und jenen Gründen nicht." Deswegen meine ich, daß das Sondervotum nicht nur die Persönlichkeit des Richters hebt, sondern auch zugleich sein Gewissen von Belastungen befreit, die es nicht unbedingt tragen muß.
Schließlich und endlich, viertens, ist zu sagen, daß das Sondervotum Erleichterungen der wissenschaftlichen Rechtsfortbildung mit sich bringt. Gerade die Geschichte der Sondervoten in internationalen Gerichtshöfen und beim amerikanischen Supreme Court hat uns ja gelehrt, wie häufig neue juristische Entwicklungen, neue Entwicklungen der Freiheitsrechte ihren Ausgang von Minderheitsmeinungen des Gerichts genommen haben, die dann im Laufe der geschichtlichen Entwicklung zu Mehrheitsmeinungen geworden sind. Welche bedeutsamen geschichtlichen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten durch die Entscheidungen des Supreme Courts herbeigeführt worden sind, das verdeutlicht nicht zuletzt gerade die Rassenfrage, von jenem
Dr. Arndt ({4})
„gleich, aber getrennt" bis zu jenem „gleich" von heute.
Das zweite große Gebiet, das die sozialdemokratische Fraktion bei diesem Gesetzentwurf begrüßt, ist, daß nunmehr ein einheitlicher Richter am Bundesverfassungsgericht geschaffen wird, daß wir nicht mehr zwei Sorten von Richtern haben, die Richter aus den damaligen oberen, jetzigen obersten Bundesgerichten, die dem Gericht auf Lebenszeit angehören, und die auf Zeit gewählten Richter. Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt diese Vereinheitlichung, wenn sie es auch bedauert, daß die Bundesregierung sich nicht hat dazu durchringen können, nunmehr auch die Richter am Bundesverfassungsgericht auf Lebenszeit zu bestellen.
Andererseits meint die SPD-Fraktion jedoch, daß mit der Anerkennung des Sondervotums zugleich die Möglichkeit der Wiederwahl eines Richters ausgeschlossen sein muß; denn es wäre im höchsten Maße gefährlich, wenn Wiederwahlmöglichkeit und Sondervotum nebeneinander bestünden. Viel zu sehr würde selbst eine starke Richterpersönlichkeit verführt, zumindest gegen Ende seiner Wahlperiode auf seine Wiederwahl durch die Gremien, deren Entscheidungen er aufheben soll, zu schielen - muß ich hier sagen -, als daß dies noch vertretbar wäre. Wir werden also nur entweder Sondervotum oder Wiederwahl haben können. Die Sozialdemokraten haben sich für das Sondervotum und gegen die Wiederwahl entschieden.
Drittens möchte ich Ihnen namens der sozialdemokratischen Fraktion vorschlagen, die Reform des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes auf diese beiden zentralen Punkte zu beschränken. An diesem Gesetz ist noch sehr viel mehr, als in diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung enthalten ist, reformbedürftig. Das wird niemand in diesem Lande ernsthaft bestreiten können. Andererseits stehen wir in einem Stadium der Legislaturperiode, das eine sinnvolle Beratung über eine umfassende Reform des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr ermöglicht. Deswegen sollten wir uns auf die, wie ich meine, im wesentlichen einhellig begrüßten Punkte dieses Gesetzes beschränken und sollten dafür sorgen, daß diese jedenfalls noch in dieser Legislaturperiode geregelt werden.
Das gilt sowohl für Vorstellungen, die die Bundesregierung hier in diesem Gesetzentwurf geäußert hat, insbesondere für die für mein Gefühl ungeheuer schwerwiegende Frage, von wann ab ein verfassungswidriges Gesetz als unwirksam - um einen neutralen Ausdruck zu wählen - angesehen werden soll, und für die zusätzlichen Anregungen, die von seiten des Gerichts gekommen sind - es gibt ja auch von daher Vorschläge, die zum Teil nicht einmal in der offiziellen Stellungnahme des Gerichts enthalten sind, sondern ihr nur als Anlage, als die Anregung einzelner Richter, über die das Gericht aber nicht abgestimmt hat, angefügt worden sind -, als auch für weitere Fragen, die in der wissenschaftlichen Diskussion und in der öffentlichen Debatte über die Reform des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes aufgeworfen worden sind. All das sollten wir uns für eine gründliche
Reform des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes an Haupt und Gliedern in der nächsten Legislaturperiode vorbehalten.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, daß Sie, obwohl mancher von Ihnen während meiner Ausführungen auf seine Uhr oder auf die Bundeshausuhr geguckt hat, bis hierher so aufmerksam zugehört haben. Vielleicht sehen Sie es mir doch nach, daß ich hier so relativ ausführlich gesprochen habe. Ich hielt das wegen der Bedeutung der Materie einfach für notwendig, einmal wegen der Bedeutung des Gesetzes, das hier zur Debatte steht, zugleich aber auch, weil von der Tribüne dieses Hauses aus einmal die grundsätzlichen Probleme und auch die Kritik erörtert werden sollten, die das Gericht, sein Verfahren und seine Stellung in der Öffentlichkeit in den letzten Monaten und Jahren erfahren haben.
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Herr Abgeordneter Dr. Arndt, aus dem Beifall des ganzen Hauses, also sicher auch solcher Mitglieder, die Ihren Ausführungen nicht in allem zustimmen, ersehen Sie die Gratulation zu Ihrer besonders ernsthaften und tiefschürfenden Jungfernrede.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Arndt, auch ich darf an Ihre erste Rede hier meine herzlichen Glückwünsche anschließen. Ich glaube, daß die Ausführungen, die Sie gemacht haben, sehr wesentlich waren. Jeder hat aufmerksam zugehört, was Sie zu den Fragen des Bundesverfassungsgerichts zu sagen hatten. Es wird kaum jemand in diesem Hause sein, der eine andere Auffassung vertritt. Für meine Fraktionskollegen möchte ich das jedenfalls sagen.
Ich möchte mich kurz fassen, weil ohnehin schon so vieles gesagt worden ist, das zum großen Teil auch unsere Zustimmung findet. Meine Damen und Herren, das Vierte Gesetz zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes bringt zunächst einmal ein Erfahrungsresultat aus der Vergangenheit. Ich glaube, daß die Verantwortung, die das Gericht trägt - das haben Sie, Herr Kollege Arndt, ja besonders betont -, es wirklich notwendig macht, daß man ihm die rechten Mittel in die Hand gibt. Dieser Versuch wird hier gemacht.
Ich stimme allerdings nicht ganz zu, oder ich möchte sagen, man sollte sehr gut untersuchen, ob dieses dissenting vote nun bei uns eingeführt werden sollte. Es wurde ja bisher von allen Kollegen, die dazu gesprochen haben, und auch von Herrn Staatssekretär Ehmke immer nur von seiten der Richter und der Rechtsbeflissenen gesehen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Bevölkerung, insbesondere auch der Kläger, wahrscheinlich nicht so viel Verständnis dafür haben wird, wenn man sieht, daß sich das oberste Gericht in einer entscheidenden Frage dann so entscheidet, daß man fragt: Habe ich nun eigentlich recht, oder habe ich nicht recht? Das
ist das, was den Mann auf der Straße, der das Gericht anruft, in erster Linie interessiert. Selbstverständlich sind genügend Gründe vorgebracht worden, nun auch diese - wohl amerikanische - Einrichtung hier zu übernehmen. Ich glaube aber, wir sollten uns im Rechtsausschuß sehr gut überlegen, in welcher Form das gemacht werden soll.
Herr Kollege Professor Süsterhenn, Sie haben ja bereits Ihre Ablehnung der Nr. 12 - das ist die Änderung des § 79 - hier anklingen lassen und, Herr Kollege Arndt, Sie haben diese Sache ja offensichtlich überhaupt nicht haben wollen, was mich persönlich sehr freut. Es war also nur der Herr Staatssekretär des Justizministeriums, der diese Änderung verteidigt hat. Herr Staatssekretär, ich muß Ihnen offen sagen, als ich das gelesen hatte, war ich eigentlich der Meinung, das sei ein Vorschlag des Bundesfinanzministeriums; das sieht so fiskalisch aus. Es betrübt mich fast, daß das Bundesjustizministerium diese Sache hier durch Ihren Mund so verteidigt hat.
Man kann diese Bestimmung mit dem Wort überschreiben: Wenn es ums Geld geht, hört die Gemütlichkeit auf oder hören vielleicht sogar die Grundsätze der Verfassung auf; denn hier wird eine Bestimmung eingeführt, die nach unserem Empfinden nicht zu rechtfertigen ist. Es heißt also: „Das für nichtig erklärte Gesetz gilt mit dem Ende des Jahres, das der Entscheidung vorangeht, als außer Kraft getreten." Es ist also praktisch so, daß Sie durch ein einfaches Gesetz zumindest für diese Zeit die Bundesverfassung außer Kraft setzen. Das ist die logische Folge daraus. Ich meine, das sind wirklich „beachtliche" Vorschläge, die hier gemacht werden, und daß das von seiten des Bundesjustizministeriums kommt, bedrückt mich sehr; das habe ich bereits gesagt.
Die Begründung, die die Bundesregierung auch in ihrer schriftlichen Begründung gebracht hat, ist - wie soll ich sagen, entschuldigen Sie, aber ich muß das Wort gebrauchen - ein Eiertanz. Man sagt, die Braven, die also z. B. keinen Einspruch gegen einen Steuerbescheid erheben, würden damit bestraft, daß sie ihre Steuern zahlten. Ich meine: selbstverständlich im Vertrauen darauf, daß sich der Staat an die Verfassung gehalten hat. Und dann wird gesagt: Aber die bösen Menschen, die nicht bereit waren, diesen Steuerzettel anzunehmen, sondern Widerspruch eingelegt haben und dann noch zum Verfassungsgericht gelaufen sind und - man höre und staune - recht bekommen haben, das sind die Schlimmen, die sind wesentlich besser gestellt. Herr Staatssekretär, ich kann Ihnen nur sagen: Das ist in jedem Fall so, daß derjenige, der sich gegen einen Strafbescheid - vielleicht nicht wegen 0,7 Promille, sondern wegen des neuen Katalogs, der da aufgestellt worden ist - wendet und dann vor dem Richter recht bekommt, natürlich besser dran ist als derjenige, der die 50 DM gleich beim Polizisten bezahlt. Der ist natürlich dann der Dumme. Ich meine, so, wie das hier getan wird, kann man doch schlecht bei einem Gesetz argumentieren. Es wird fernerhin daraus geschlossen, daß weder die Rechtssicherheit gegeben noch der Rechtsfriede gewahrt sei - das steht
alles in Ihrer Begründung - und daß damit auch die materielle Gerechtigkeit verletzt werde. Ich kann nur sagen: Machen Sie Gesetze, schlagen Sie Gesetze vor, die mit der Verfassung übereinstimmen! Dann sind alle diese Probleme nicht vorhanden. Ich glaube, das ist der Weg, auf dem wir weitergehen sollten.
Nun kommt natürlich wiederum die Klage in der schriftlichen Begründung der Bundesregierung, es sei fürchterlich, daß die Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen nunmehr durch die Presse so bekannt würden. Man bedauert es fast und meint, daß dadurch viele Menschen angeregt werden, Widersprüche gegen irgendwelche Entscheidungen zu erheben.
Sicherlich, die Bundesregierung gibt sich sehr viel Mühe, immer wieder zu beteuern, daß „die Richtung stimme". Nach meiner Meinung wäre es staatsbürgerlich mehr gerechtfertigt, wenn man sich diese Mühe auch von Amts wegen macht, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auch so zu publizieren.
Dann kommt es in dieser Begründung zu der Bemerkung, daß man doch nur vernünftige Regelungen anstrebe. Selbstverständlich wollen wir zu vernünftigen Regelungen kommen, auch in der Steuergesetzgebung; aber die Verfassung darf dabei nicht zweitrangig werden; denn sonst, meine sehr verehrten Damen und Herren, riecht es so ein bißchen nach „gesundem Volksempfinden", was wir ja kannten, daß also eine vernünftige Regelung nur auf diesem Wege, außerhalb der Verfassung, gefunden werden könne. Wir haben gesehen, daß von 1933 bis 1945 die Verfassung mit Füßen getreten worden ist. Wir sollten deshalb allen Grund haben, jetzt besonders achtsam mit der Verfassung, die uns gegeben ist, umzugehen, um hier nicht in eine falsche Richtung zu kommen.
Ich glaube, daß die schriftliche Begründung der Bundesregierung schlicht und einfach Ursache und Wirkung durcheinandergewirbelt hat, so daß kein Mensch mehr weiß, was hier noch eigentlich Rechtens ist, was verfassungsmäßig ist und was zweckmäßig und irgendwie opportunistisch ist.
Nun gibt uns die Bundesregierung in der Begründung einen Trost. Sie sagt da, es sei doch schon so, daß in den Länderverfassungen von Hessen und Rheinland-Pfalz Ex-tunc-Wirkungen abgeschafft und durch Ex-nunc-Wirkungen ersetzt worden seien. Man sagt, verfassungswidrige Gesetze werden auch in anderen Staaten, und zwar in solchen, die in Richtung Balkan liegen, so gehandhabt, daß sie nach dem Termin der Entscheidung des jeweiligen Verfassungsgerichts noch für einen begrenzten Zeitraum weitergelten. Als besonders delikat empfinde ich es allerdings, daß dabei auch noch ein kommunistischer Balkanstaat genannt wird. Man hebt sich dann in dieser Begründung davon ab und sagt: Wir sind gar nicht so schlimm, wir wollen diese Entscheidung doch nicht vor uns herschieben, sondern nur Schluß machen erst am 31. Dezember des Jahres, das vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt.
Dann, meine Damen und Herren, kommen weitere, sehr theoretische Überlegungen, ob es nicht - so sagt die Bundesregierung - vielleicht zweckmäßig sei, die Ex-tunc-Wirkung nur für diejenigen Gesetze wirksam werden zu lassen, die bei den Richtern eine qualifizierte Mehrheit gefunden haben, während, wenn sich bei der Abstimmung nur einfache Mehrheit ergibt, die Ex-nunc-Wirkung eintreten solle. Das sind alles Spielereien mit der Verfassung, meine Damen und Herren. Mit der Verfassung sollte man nicht so umgehen.
Selbst der Bundesrat hat hier eine sehr, sehr zurückhaltende Stellung eingenommen, Herr Staatssekretär. Er ist leider nicht sehr ausführlich geworden, was ich eigentlich gewünscht hätte, aber eines ist sicher: daß er sich nicht der Meinung der Bundesregierung angeschlossen, sondern verfassungsmäßige Bedenken jetzt schon vorgetragen hat.
Meine Damen und Herren, es gäbe noch viele Gründe, diesen Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht in diesem Bereich zu kritisieren. Ich möchte es aber genug sein lassen; denn das, was bereits vorgetragen worden ist und was vorzutragen ich mir erlaubt habe, sollte schon ausreichen, die Bundesregierung erkennen zu lassen, daß das Parlament nicht bereit sein wird, das ohne weiteres zu schlucken.
Wenn schon ein früherer Innenminister, der auch immer Verfassungsminister ist, die Meinung vertrat, daß der Verfassungsschutz nicht ständig mit dem
Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen kann, so sind wir der Meinung, daß zumindest Regierung und Gesetzgeber bei ihren Aufgaben stets das Grundgesetz vor Augen haben sollten.
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Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht vor, noch einmal zu sprechen, aber die Ausführungen von Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke zu diesem Thema scheinen mir doch eine Erwiderung zu fordern. Ich glaube, Herr Abgeordneter, Sie haben es sich etwas sehr leicht gemacht.
Zunächst darf ich noch einmal sagen, daß hier nicht der Grundsatz gilt „Beim Geld hört die Gemütlichkeit auf", sondern daß wir die Regelung deshalb auf Geldleistungen eingeschränkt haben, weil wir der Meinung sind, daß dies ein Bereich ist, in dem andere Rechtsgüter, die Rechtssicherheit und die Stabilität der haushaltsmäßigen und finanziellen Ordnung, von der auch die Stabilität des sozialen Rechtsstaates abhängt - wie wir in der Krise, aus der wir gerade herausgekommen sind, gesehen haben -, Abwägungskriterien für die hier zu entscheidenden Fragen sein können.
Wenn Sie sagen, wir hätten von Guten und Bösen - je nachdem, ob sie Rechtsmittel eingelegt
haben oder nicht - geredet, kann ich nur erwidern: Wir haben nicht von gut und böse gesprochen. Diese Frage geht tiefer, als daß man sagen könnte: Wer Rechtsmittel einlegt, der hat es besser. Wenn alle Rechtsmittel einlegen würden, wären Sie beim Problem der aufschiebenden Wirkung; dann hätten wir gar keine Steuergesetze, die wir vollziehen könnten. So einfach, wie Sie es sich gemacht haben, ist es nicht.
Darauf, daß Sie sagen, wir sollten einfach verfassungsmäßige Gesetze vorschlagen, kann ich nur antworten: Da bin ich der falsche Adressat; die Gesetze werden hier in diesem Hause beschlossen.
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- Gut. Ich meine, wenn in diesem Haus nach Treu und Glauben nur Gesetze beschlossen würden, die der Nachprüfung des Gerichts standhielten, hätten wir das Problem nicht. Der Vorschlag, die Regierung sollte verfassungsmäßige Gesetze vorlegen, ist kaum ein Beitrag zu dem Problem.
Natürlich haben wir gesagt: Wir wollen eine vernünftige Regelung. Wir halten sehr viel von praktischer Vernunft, auch in der Rechtspolitik. Wir haben niemals gesagt, daß das außerhalb der Verfassung geschehen soll. Ich muß schon sagen: In einer Zeit, in der mit der Verfassung und der Behauptung der Verfassungswidrigkeit so ein Schindluder getrieben wird wie heute in unserem Land, wäre ich sehr dankbar gewesen, wenn von Ihnen nicht der Schritt von dem Begriff der Vernunft, wie wir ihn in der Begründung benutzen, zum „gesunden Volksempfinden" gemacht worden wäre. Das hat wirklich nichts miteinander zu tun; das muß ich auch für mein Haus zurückweisen. Sie kennen das Haus gut genug, um zu wissen, daß wir nicht Anklänge an die unselige NS-Zeit im Auge haben, wenn wir von einer „vernünftigen Regelung" sprechen.
Im übrigen bin ich der Meinung, daß „zweckmäßig" und „opportunistisch" zwei sehr verschiedene Dinge sind. Eine gute Regelung auch im Gerichtswesen muß zweckmäßig sein; die Zweckmäßigkeit ist auch ein Teil der Gerechtigkeit. Was hieran „opportunistisch" sein soll, vermag ich wirklich nicht zu sagen.
Des weiteren darf ich noch auf folgendes hinweisen: Die Vermutung der Gültigkeit eines Gesetzes beruht auf der hohen Autorität dieses Hauses, welche doch gerade dieses Haus ernst nehmen sollte. Man kann noch darüber diskutieren, ob man sagen soll: Die Vermutung der Gültigkeit gilt bis zu dem Spruch. Es ist wirklich nicht so, daß man hier sagen muß, jede Einschränkung dieses dogmatischen Grundsatzes wären schon eine Verletzung der Verfassung.
Ich gebe Ihnen zu: Darin stecken viele Probleme; über die muß man reden. Ich wäre sehr dankbar - vielleicht haben Sie es nicht so gemeint -, wenn wir in einem etwas freundschaftlicheren Ton, als ich ihn aus Ihren Ausführungen herausgehört habe, darüber reden könnten.
Zum Schluß möchte ich noch sagen: Ich weiß nicht,
warum Länder, die in Richtung Balkan liegen, für die Rechtsvergleichung weniger interessant sein sollen als andere Länder. Ich teile auch nicht die darin zum Ausdruck kommende Abwertung gegenüber dem Balkan. Mir scheint jedenfalls, daß die Regelungen in den Ländern, die wir aufgeführt haben, nämlich Österreich, Italien, die Türkei und Jugoslawien, durchaus Regelungen sind, die auch der deutsche Gesetzgeber bei seiner Arbeit an der Lösung dieses Problems berücksichtigen soll.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Schriftfüherin! Meine Herren! Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, daß diese erste Lesung eine so gründliche Debatte über die Problematik des Bundesverfassungsgerichts bringen würde. Herrn Arndt möchte ich zu seiner substanzreichen Jungfernrede herzlich beglückwünschen. Ich bin ihm für seine kritischen Bemerkungen sehr dankbar; sie beleben die Debatte. „Debatte" kommt bekanntlich vom Wortstamm „schlagen". Und ich habe mit Vergnügen registriert, daß das Bundesjustizministerium in die Nähe des gesunden Volksempfindens geriet, ich sogar in die Nähe des großen Josef Stalin.
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Die Kritik, die Herr Kollege Arndt hier vorgetragen hat, führt zum Kern des Problems. Erlauben Sie mir zwei Vorbemerkungen.
Ich hatte den Eindruck, Herr Kollege Arndt, daß Ihre Kritik eine gewissen Unterton von Entrüstung hatte, Entrüstung darüber, daß man eine so erhabene Institution wie das Bundesverfassungsgericht zu kritisieren wagt. Ich möchte empfehlen, solche Emotionen auszuschalten; selbst das Bundesverfassungsgericht darf kein Tabu sein, und in einer Demokratie muß man über alles reden dürfen, selbst über Karlsruher Institutionen.
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Eine zweite Vorbemerkung. Ich habe eine hohe Meinung vom Bundesverfassungsgericht. Ich hatte den Eindruck, Herr Arndt, ich habe sogar eine höhere Meinung von ihm als Sie. Ihre Befürchtung z. B., daß die Bundesverfassungsrichter bei Ende ihrer Amtsperiode auf die Wiederwahl schielen, teile ich nicht.
Zur Problematik möchte ich anknüpfen an die mehrfach angeschnittene Frage der Rückwirkung. Unsere gelehrten Juristen, voran Professor Süsterhenn, haben dazu vieles Bemerkenswerte gesagt, und auch Herr Dr. Rutschke hat dazu einiges Treffende geäußert. Auf diese juristischen Fragen will ich hier nicht eingehen; meine Bedenken gegen diese Bestimmung sind vielmehr ganz andere. Ich lege mir die Frage vor, ob nicht die Änderung, die uns hier vorgeschlagen wird, die Zahl der Aufhebungen von Gesetzen wesentlich vergrößert. Herr Arndt, das haben Sie ja selbst angeschnitten. Sie haben gesagt, daß das Bedenken wegen der Rückwirkung das Bundesverfassungsgericht zuweilen davon abgehalten hat, ein Gesetz aufzuheben, das es sonst vielleicht aufgehoben hätte. Es ist kein Geheimnis, daß z. B. unser altes Umsatztseuergesetz aus diesem Grunde einer solchen Gefahr entgangen ist.
Ich werte diesen Tatbestand genau umgekehrt wie Sie, Herr Staatssekretär. Ich finde, es ist ein Vorteil, daß das Bundesverfassungsgericht zuweilen durch die geltenden Bestimmungen über die Rückwirkungen daran gehindert worden ist, noch mehr Gesetze aufzuheben, als es das ohnehin bereits tut. Ich möchte das Hohe Haus dringend bitten, sich gründlich zu überlegen, ob man diese Schranke beseitigen sollte.
Man mag sagen, die Zahl der Gesetzesaufhebungen, die das Bundesverfassungsgericht beschlossen hat, sei nicht allzu groß. Eine Statistik, die mir ein Fachmann in die Hand gedrückt hat, weist aus, daß 222 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in der feierlichen Form, die Sie mit Recht erwähnt haben, Herr Arndt, im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden sind. Davon sind 98 Nichtigkeitserklärungen; das sind immerhin 45% der Fälle, die zur Entscheidung gekommen sind.
Aber, meine Herren, meine Besorgnisse richten sich gar nicht gegen die Quantität der Aufhebungen, sondern gegen die Qualität. Und da fürchte ich, Herr Arndt, wir haben etwas aneinander vorbeigeredet. Das, was Sie gesagt haben, möchte ich zum größten Teil unterschreiben, aber nur für einen Teilbereich, den juristischen.
Die Philosophie des Bundesverfassungsgerichts beruht auf der Vorstellung, daß es zwei Bereiche gibt: einen politischen Bereich - das ist der Bereich der Alternativen, wo man unter mehreren möglichen Lösungen die jeweils zweckmäßigste heraussucht - und daneben einen juristischen Bereich, wo man mit der strengen Logik, die ich klarzumachen versucht habe an dem Beispiel zweimal zwei gleich vier, aus einem vorgegebenen Recht Folgerungen ableitet, einen juristischen Bereich, in dem es nur eine Antwort geben kann: zulässig oder nicht, ja oder nein; aber keine Alternativen. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Problem selbst gesehen und sich mehrfach damit beschäftigt. Aber ich habe den Eindruck, daß es mehrfach der Versuchung erlegen ist, sicher aus den besten Motiven, in den politischen Bereich einzudringen.
Ich möchte Herrn Kollegen Arndt noch einmal beruhigen: Ich will das Bundesverfassungsgericht keineswegs abschaffen. Ich bin auch der Meinung, daß es einen echten Rechtsraum gibt, in dem das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort haben muß, sozusagen für Marshall, gegen Jefferson. Aber die Frage ist: Ist wirklich der gesamte Bereich der Entscheidungen des Bundestages justiziabel? Herr Präsident, wir sind in der Plenarsitzung, und ich will deshalb nicht in eine gelehrte Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eintreten. Ich möchte nur das, was mir Sorge bereitet, an zwei einfachen Beispielen darstellen:
Das erste ist das bayerische Apothekengesetz. Der Bayerische Landtag hat, wie viele von Ihnen
wissen - Herr Kollege Dittrich, der sich mit der Sache beschäftigt hat, sitzt ja hier unter uns -, anknüpfend an eine hundertjährige Geschichte, für die Apotheken eine milde Form der Konzession vorgesehen. Die Konzessionen sind ja in anderen Fällen nach wie vor verfassungskonform. Sie haben mit Recht die Schornsteinfeger erwähnt. Ich bin darauf hingewiesen worden, daß ich Kaminfeger hätte sagen müssen. Ich bin bereit, mich mit beiden handwerklichen Bezeichnungen abzufinden. Auch die Notariate werden ja bekanntlich, jedenfalls bei uns im Rheinland, nicht nach dem Gesichtspunkt der Berufsfreiheit besetzt.
Aus welchen Erwägungen heraus ist das Bundesverfassungsgericht nun zu einer Aufhebung des bayerischen Apothekengesetzes gekommen? Es hat eine eingehende Begründung gegeben. Der Bayerische Landtag war der Meinung, zur Sicherung der Heilmittelversorgung auf dem Lande sei eine Apothekengesetzgebung dieser Art erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu gesagt, wenn das zutreffe, dann sei das Gesetz zulässig. Aber jetzt kommt die gefährliche Wendung: Das Gericht hat erklärt, die Befürchtungen des Gesetzgebers seien unbegründet. Herr Arndt, das ist gar kein juristischer Tatbestand, das ist eine Annahme über die Zukunft, und ich frage Sie: Mit welcher Berechtigung fordert eigentlich das Bundesverfassungsgericht, daß seine Prophetie über eine zukünftige Entwicklung mehr Autorität haben soll als die Prophetie eines Parlaments, das sich monatelang mit der Sache beschäftigt, dem der Sachverstand eines ganzen Ministeriums zur Verfügung steht, das Sachverständige hören kann?
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Nicht Tatsachenfeststellungen aus der Gegenwart oder der Vergangenheit, sondern Annahmen über die Zukunft: Warum sollte das Bundesverfassungsgericht hier eine höhere Autorität haben als das Parlament? Diese Vorstellung ist deshalb so problematisch, Herr Kollege Arndt, weil das Gericht, wenn sich seine Prognose als falsch erweist, sie gar nicht mehr korrigieren kann. Die Entscheidung des Gerichts blockiert die Gesetzgebung. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß diese Beschlüsse - richtig oder falsch -, die Kraft von Gesetzen haben, während wir, wenn wir uns irren, neue Gesetze beschließen können. Das tun wir ja auch von Zeit zu Zeit. Das Bundesverfassungsgericht kann das nicht. Ich bin nicht der erste, der das kritisiert. Es gibt darüber sehr gescheite Ausführungen von Professor Ehmke aus Freiburg, und ich würde dem Staatssekretär Ehmke vielleicht raten, diese seine Ausführungen noch einmal nachzulesen.
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Ich möchte mich im übrigen noch einmal auch auf das beziehen, was Herr Dittrich dazu gesagt hat.
Ich halte idas Apothekenurteil - ich möchte mich jetzt deutlich ausdrücken, Herr Arndt - für einen unerträglichen Einbruch in die politische Sphäre unserer bayerischen Kollegen. Sie haben von „ultra vires" gesprochen. „Vires", das möchte ich nicht sagen; aber über die Grenzen hinaus, die dem Bundesverfassungsgericht meiner Ansicht nach von Rechts wegen gesetzt sind.
Ich registriere erfreut, daß das Bundesverfassungsgericht inzwischen offenbar selbst Bedenken bekommen hat. Der Beschluß über die Mühlengesetze ist sehr viel vorsichtiger. Herr Staatssekretär, Sie nicken. - Aber was ,ich dabei beanstande, ist folgendes: Während der Supreme Court, der ebenfalls gelegentlich seine Meinung ändert, dann in das neue Urteil hineinschreibt: „Wir halten nicht mehr an ,der alten Entscheidung fest", tut das Bundesverfassungsgericht das, soweit ich sehen kann, niemals, so daß die Apothekenentscheidung - die ich für falsch halte - nach wie vor in der Welt steht.
Es .ist mir gesagt worden, wir dürften die Hoffnung haben, daß das Bundesverfassungsgericht nach stürmischen Jahren des Anfangs allmählich die legitimen Rechte der Parlamente etwas mehr respektieren würde. Leider hat sich diese Erwartung nicht erfüllt.
Ich darf ein zweites Beispiel anführen; es ist das letzte. Herr Arndt hat es selbst bereits erwähnt. Es handelt sich um das Urteil über die Parteifinanzierung. Herr Arndt, ich muß doch noch etwas mehr ins juristische Detail gehen. Es gibt ein Urteil vom Jahre 1966, in dem es heißt, es seien Grenzen für die Finanzierung von Splitterparteien zulässig, aber diese Grenzen müßten erheblich - „erheblich" - unter der Fünf-Prozent-Grenze liegen. Ich habe noch deutlich in Erinnerung, wie sich die Experten unserer Fraktionen damals den Kopf zerbrochen haben: Was heißt „erheblich"? ¡Die Experten waren der Meinung, die Hälfte wäre erheblich, und ich habe den Eindruck, daß ,das auch dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Wenn etwa ein Verkäufer seinen Preis um die Hälfte reduziert, kann man gewiß nicht sagen, das sei unerheblich. Aber als wir dm Jahre 1968 das zweite Urteil des Bundesverfassungsgerichts lasen, erfuhren wir zu unserer Überraschung, „erheblich" heiße neun Zehntel, die Grenze müsse also mindestens von 5% auf 0,5% gesenkt werden.
Meine Herren, das zeigt die ganze Problematik. Natürlich kann man statt 2,5 auch 0,5% sagen, und, Herr Arndt, ich gebe Ihnen ausdrücklich zu, daß das, was das Bundesverfassungsgericht zu 0,5% gesagt hat, sich durchaus hören läßt. Aber ich wäre bereit gewesen, ein Urteil zu schreiben mit vielen guten Argumenten für 0,1 % oder für 1 %. Für oder gegen diese Zahlen läßt sich eine Menge sagen. Aber dieser Tatbestand zeigt doch, daß es wich hier nicht um eine Frage der juristischen Argumentation, der logischen Deduktion - zwei mal zwei gleich vier - handelt. Hier wird viel mehr eine Auswahl zwischen Alternativen getroffen,
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Das Bundesverfassungsgericht setzt sich kurzerhand an ,die Stelle des Gesetzgebers und bestimmt den Inhalt von Gesetzen.
Meine Herren, zurück zu Ziffer 12 des Entwurfs und dem neuen § 79. Ich bin keineswegs gegen eine Neuregelung der Rückwirkung. Aber ich bin sehr
Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 215. Sitzung: Bonn, Mittwoch, den 12. Februar 1969 11679
dagegen, daß wir das isoliert vorwegziehen. Wir sollten jetzt zunächst einmal sorgsam überlegen, ob nicht die Abgrenzung zwischen Legislative, Exekutive und Justiz einer gründlichen Überprüfung bedarf. Das ist keineswegs nur ein Problem der Verteidigung der politischen Lebensrechte des Parlaments. Es ist mir sehr ernst damit, Herr Arndt, Das ist keine Frage der Popularität, sondern ich habe das Gefühl: das ist eine Grundfrage des Parlaments. Wir müssen uns damit beschäftigen, wenn wir der Gefahr entgehen wollen, auf die Dauer eine Art „Beratende Versammlung des Bundesverfassungsgerichts" zu werden. Wir müssen das abgrenzen. Wir müssen uns mit diesem Problem auseinandersetzen. Das ist nicht nur eine Frage der Abgrenzung zwischen Legislative und Justiz, es ist ebenso eine Frage dier Abgrenzung der Exekutive von der Legislative.
In dieser vorgerückten Stunde, wo wir sozusagen unter uns sind, möchte ich Ihnen einmal die Frage vorlegen: wie lange wollen Sie eigentlich noch den Zustand akzeptieren, daß bei 90% unserer Gesetze 90 % der Abgeordneten die Konsequenzen dessen, was sie beschließen, im einzelnen gar nicht übersehen? Die politische Mechanik unserer Parlamente ist jahrhundertealt. In den letzten 300 Jahren ist uns keine einzige neue Idee dazu eingefallen. Unser Parlament arbeitet noch genauso wie das englische Parlament zur Zeit von Oliver Cromwell. Daß wir die Konsequenzen unserer Gesetze nicht übersehen, liegt nicht an mangelndem Fleiß. Wir Abgeordneten sind außerordentlich fleißig, viel zu fleißig. Aber
die Kompliziertheit des heutigen Lebens ermöglicht es dem einzelnen Abgeordneten einfach nicht mehr, den Gesamtbereich der Gesetzgebung zu übersehen. Das führt dazu, daß wir ständig Entscheidungen treffen, die nicht auf unserer eigenen Sachkenntnis basieren, sondern auf dem Vertrauen zu sachkundigen Kollegen.
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- Ich kann nur für meine Person sprechen. Ich glaube nicht, daß ich diesen Zustand, wie er sich entwickelt hat, noch sehr lange ertragen kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat ein gerütteltes Maß an Mitschuld, daß es sich so entwickelt hat. Ich erinnere Sie an die Einschränkung der Ermächtigungen. Wir waren im Finanzausschuß und später im Plenum gezwungen, als Gesetzgeber Umsatzausgleichssteuersätze für 300 Positionen einzeln festzusetzen, in einigen Fällen für Erzeugnisse, von denen niemand in diesem Ausschuß sagen konnte, wozu sie eigentlich verwendet werden.
Mit dieser Frage sollten wir uns sehr ernsthaft befassen. Die heutige Debatte gibt dazu eine Menge von Anregungen. Wir sollten uns erneut mit der Abgrenzung zwischen Bundesverfassungsgericht und Parlament beschäftigen. Wir sollten öffentliche Anhörungen veranstalten, auch Anhörungen von Bundesverfassungsrichtern, eine Praxis, wie sie, wie wir wissen, der amerikanische Senat seit jeher übt.
Die Zeit ist fortgeschritten, ich will es also kurz machen. Von den zahlreichen Fragen, zu denen ich noch gern etwas sagen möchte, will ich nur eine
einzige herausgreifen: das ist das Problem der Mehrheiten im Bundesverfassungsgericht. Ich erinnere Sie an das Gesetz über den Stichentscheid im Familienrecht, das, wenn ich mich recht erinnere, in diesem Hause mit allen Stimmen gegen eine Stimme verabschiedet worden ist. Trotzdem hat das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz aufgehoben. Dazu genügen, wie wir wissen, 5 gegen 3 Stimmen. Mehrheitsentscheidungen dieser Art sind im Bundesverfassungsgericht nicht selten. 5 gegen 3 Stimmen haben also die Möglichkeit, auch eine einstimmige Auffassung von 500 Abgeordneten dieses Bundestages außer Kraft zu setzen, - 5 gegen 3! Ist das nicht ein Indiz dafür, daß es sich hier im Grunde gar nicht um die Frage der juristischen Gewißheit handelt, die sich nach logischen Operationen entscheiden läßt, sondern um eine Frage von Alternativen, also keine juristische Frage, sondern eine politische Frage?
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Die Politik muß aus mehreren Alternativen eine auswählen, und zwar durch Mehrheit. Aber darf man die Aufhebung eines Gesetzes einer Mehrheitsentscheidung überlassen? Sollte man die Aufhebung eines Gesetzes nicht für so wichtig halten, daß sie nur dann eintritt, wenn Gewißheit besteht, Gewißheit durch Einstimmigkeit des Bundesverfassungsgerichts?
Mit dieser Frage an den Rechtsausschuß, der meinen Respekt und mein Vertrauen besitzt, möchte ich meine Bemerkungen schließen.
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Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache und schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Finanzausschuß - mitberatend - zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen ({0}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Veräußerung eines Teilgrundstücks in Ludwigsburg an die Katholische Kirchengemeinde Ludwigsburg und an die Stadt Ludwigsburg
- Drucksachen V/3502, V/3809 -Berichterstatter: Abgeordneter Srohmayr
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
- Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen ({1}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Veräußerung von Teilflächen des Standortübungsplatzes Hameln an die Stadt Hameln - Drucksachen V/3556, V/3811
Berichterstatter: Abgeordneter Strohmayr
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag des Ausschusses - Ziffern 1 und 2 - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für
eine Verordnung des Rates über die Finanzierung der Ausgaben für Interventionen auf
dem Binnenmarkt im Sektor Schweinefleisch
eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 172/67/EWG über die Grundregeln zur Denaturierung von Weizen und von zur Brotherstellung geeignetem Roggen
eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 120/67/EWG im Hinblick auf die Bereitstellung von Getreide für die Nahrungsmittelhilfe
eine Verordnung des Rates über die Kriterien der Bereitstellung von Getreide für die Nahrungsmittelhilfe
eine Verordnung des Rates betreffend Maßnahmen zur Erleichterung des Absatzes von in den französischen überseeischen Gebieten produziertem Zucker
- Drucksachen V/3530, V/3563, V/3587, V/3588, V/3642, V/3796 Berichterstatter: Abgeordneter Blume
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht. Wer mit den Anträgen des Ausschusses einverstanden ist, gebe bitte das Zeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Donnerstag, 13. Februar 1969, 14 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.