Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe zunächst die Freude, einige Geburtstagsglückwünsche zu übermitteln. Der Abgeordnete Dr. Krone hat am 1. Dezember seinen 73. Geburtstag gefeiert.
({0})
Am gleichen Tage, am 1. Dezember, wurde der Abgeordnete Schulhoff 70 Jahre alt.
({1})
Am 3. Dezember wurde Herr Bundesminister und Abgeordneter Dr. Schmid ({2}) 72 Jahre alt.
({3})
Am 3. Dezember wurde Abgeordneter Wullenhaupt 65 Jahre alt.
({4})
Ich darf allen diesen Kollegen die herzlichen Glückwünsche des Hauses entbieten.
Folgende amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 29. November 1968 zu dem
Gesetz über Maßnahmen zur außenwirtsdiaftlichen Absicherung gemäß j 4 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft ({5})
einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt. Er hat zu dem Gesetz eine Entschließung gefaßt, die als Anlage 2 diesem Protokoll beigefügt ist.
Der Bundesminister des Innern hat am 29. November 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Marx ({6}) , Dr. Klepsch, Dr. Frerichs, Baron von Wrangel, Rawe, Dr. Stark ({7}), Picard, Dr. Ritz, Schmidhuber und Genossen betr. Außenpolitische Wirkungen der NPD - Drucksache V/3320 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/3572 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft hat am 29. November 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ott, Frau Kalinke, Schlager, Dr. Stecker und Genossen betr. Textil-Einfuhren - Drucksache V/3384 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/3575 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Dreizehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
Sechzehnte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksache V/3552 an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 26. Februar 1969
Vierzehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksache V/3562 an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 19. März 1969
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um folgenden Punkt erweitert werden:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Stooß, Dr. Schmidt ({8}), Dr. Stecker, Struve, Bauknecht, Ehnes und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gasöl-Verwendungsgesetzes - Landwirtschaft
- Drucksache V/3581 Ist das Haus damit einverstanden? - Es wird nicht widersprochen; dann ist so beschlossen.
Dann, meine Damen und Herren, kommen wir zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
- Drucksachen V/3578, V/3574, zu V/3574 Zunächst rufe ich gemäß § 111 der Geschäftsordnung einige Dringliche Anfragen auf, die Sie auf Drucksache V/3578 finden und die vom Abgeordneten Ertl gestellt werden:
Welche Haltung im Hinblick auf die künftige Entwicklung von Euratom hat der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland auf der letzten Sitzung des Ministerrates der Europäischen Gemeinschaften eingenommen?
Hält die Bundesregierung die Besorgnis unter den in den europäischen Kernforschungszentren Beschäftigten über eine drohende einschneidende Reduzierung ihrer Arbeitsmöglichkeiten für gerechtfertigt?
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die jetzt eingetretene Entwicklung in diesem Bereich ursächlich auf die jüngsten währungspolitischen Beschlüsse zurückzuführen ist?
Zur Beantwortung ist hier der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung. Bitte, Herr Minister!
In der Ratstagung vom 28. November 1968 in Brüssel habe ich für die Bundesregierung im wesentlichen folgende Auffassung vertreten.
Es ist unbedingt erforderlich, innerhalb kurzer Zeit ein neues Mehrjahresprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft aufzustellen, das wesentliche und langfristige Aufgaben von der Forschung
bis zur kerntechnischen Entwicklung umfaßt. Ohne ein solches Programm würden das wissenschaftliche Potential der gemeinsamen Kernforschungsstellen gefährdet, ein wichtiger Impuls auf dem Wege zu einer wettbewerbsfähigen europäischen Atomindustrie bedroht und die Möglichkeit stark beeinträchtigt, auf anderen Gebieten der Forschung und Technik zu einer europäischen Zusammenarbeit zu gelangen, die wir dringend brauchen.
Ich habe dem Rat vorgeschlagen, in das Zukunftsprogramm von Euratom nicht nur klar definierte, auf die europäischen Bedürfnisse und die bereits bestehenden Projekte abgestimmte nukleare Aufgaben aufzunehmen, sondern auch Vorhaben in den Grenzgebieten der Kernforschung und außerhalb des nuklearen Bereichs, um auf diese Weise die durch die fortschreitende Entwicklung auf dem Kerngebiet freiwerdenden Kapazitäten optimal nutzen zu können.
Herr Ertl!
Herr Minister, erwarten Sie eine Entscheidung noch in diesem Jahr, und können Sie sagen, in welcher Form?
Ich möchte mich hier nicht auf das Gebiet der Prophezeiung begeben, Herr Kollege Ertl. Aber ich darf sagen, daß der Rat vor allem auf unseren Vorschlag hin noch in diesem Jahr zusammentritt. Er hat eine Gruppe hoher Beamter beauftragt, gemeinsam mit der Kommission Alternativvorschläge zu erarbeiten, die eine optimale Ausnutzung der Einrichtung der gemeinsamen Kernforschungsstelle sichern.
Herr Ertl!
Herr Minister, trifft es zu, daß diese Entscheidung eigentlich schon längere Zeit überfällig ist und daß daher echte Befürchtungen dahingehend berechtigt sind, daß die bisherige Arbeit gefährdet ist?
Der Rat hat am 6. Dezember vergangenen Jahres einige grundsätzliche Beschlüsse gefaßt und die Kommission wie auch' eine Gruppe von Beamten beauftragt, auf dieser Basis ein Mehrjahresprogramm zu konzipieren. Die Vorschläge der Kommission sind dem Rat im Oktober zugegangen.
Ich spreche kein Geheimnis aus, wenn ich sage, daß die Arbeiten der Gemeinschaft durch die politischen Auseinandersetzungen um den Beitritt Großbritanniens auch in 'diesem Punkte überschattet waren. Insofern kann man dem Rat keinen Vorwurf machen, daß er ein im Oktober vorgelegtes Programm erstmals Anfang Dezember behandelt hat.
Herr 'Rutschke!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die französische Regierung auf eine Verringerung um mehr als die Hälfte der Mitarbeiter bei Euratom drängt?
Es trifft zu, daß die französische Regierung auch auf dem Hintergrund ihrer eigenen bekannten Haushaltsprobleme und der Reduktion nationaler Programme verhältnismäßig einschneidende Reduzierungsvorschläge gemacht hat. Der Sinn der jetzt beschlossenen Überprüfung ist aber gerade, eine für alle tragbare Lösung 'zu erreichen.
Noch eine Frage, Herr Rutschke.
Herr Minister, glauben Sie, daß die Kapazität von Euratom insgesamt dann noch ausgelastet werden kann, wenn eine derartige Verringerung seiner Kräfte auf dem Personalgebiet durchgeführt würde?
Ich glaube nicht, daß eine derartige Verringerung durchgeführt werden kann, wie Sie sie angedeutet haben.
Frau Geisendörfer!
Herr Minister, sieht sich die Bundesregierung in der Lage, mit einem gewissen Nachdruck darauf zu drängen, daß möglichst bald diese neue Konzeption verabschiedet und beschlossen wird, nicht nur im Hinblick auf Euratom, sondern auch im Hinblick auf die Konzeption unserer eigenen Forschungsprogramme, die mit denen von Euratom ja verbunden sind?
Wir haben die Dringlichkeit und die Bedeutung dieser Frage in der Ratssitzung nachdrücklich betont. Es ist eine offene Frage, ob wir die für ein neues Mehrjahresprogramm erforderliche Einstimmigkeit erzielen; es ist insofern eine Frage an alle Sechs.
Herr Dorn!
Herr Minister, sieht die Bundesregierung die Gefahr, daß durch die beabsichtigten französischen Pläne eine finanzielle Mehrbelastung der Bundesrepublik Deutschland - im bisherigen Verhältnis - auftreten würde?
Die französische Regierung hat nicht eine Änderung des Beitragsschlüssels vorgeschlagen. Insofern sehe ich im Augenblick nicht das Problem einer finanziellen Mehrbelastung.
Herr Dorn!
Herr Minister, würde durch die vierjährige Planung, die jetzt vorgesehen werden soll, die mittelfristige Finanzplanung der Bundesrepublik in Schwierigkeiten geraten, - in der Form, daß hier von uns für die zukünftigen Planungen Mehrleistungen im finanziellen Bereich erbracht werden müssen, die in der mittelfristigen Finanzplanung bisher nicht vorgesehen waren?
Die Minister waren im Dezember vergangenen Jahres nicht in der Lage, sich über alle Fragen der sogenannten Assoziationen zu einigen. Das hat zu einer gewissen Kürzung des Euratombudgets für 1968 und einer Verlagerung der Aufgaben auf die nationalen Haushalte geführt. Die Gesamtbelastung ist aber durch diese Veränderung nicht beeinflußt worden. Es ist eine andere Art der Etatisierung mit negativen politischen Wirkungen. Die negativen Wirkungen liegen im Wissenschaftspolitischen und natürlich auch im Außenpolitischen, sie liegen nicht im Finanziellen.
Herr Moersch!
Herr Minister, Sie haben angedeutet, daß Sie bei Euratom auf neue Wissenschaftsgebiete ausweichen oder neue erschließen wollen. Halten Sie das für besonders sinnvoll, wenn die bisherige Art der Konstruktion von Euratom auf dem Gebiet der Kernforschung und Entwicklung zu großen Schwierigkeiten geführt hat? Ist es da nicht zu befürchten, daß es auf neuen Gebieten ebenso schwierig werden wird?
Es geht in der konkreten Fragestellung jetzt um die Ausnutzung der mit hohen Mitteln geschaffenen wissenschaftlichen und technischen Kapazitäten. Es gibt einzelne Programme von Euratom, die auch nach unserer Auffassung nicht in der bisherigen Form weitergeführt werden können, etwa das sogenannte ORGEL-Reaktorprojekt. An die Stelle dieser Vorhaben müssen, wenn man die Kapazitäten nutzen will und auch das qualifizierte Personal durch neue Aufgaben in den Stand setzen will, seine Arbeiten durchzuführen, andere Planungen treten. Diese Planungen können nach unserer Auffassung zum Teil im Grenzgebiet des nuklearen und nichtnuklearen Bereichs und im Einzelfall unter Umständen auch außerhalb dieses Bereichs liegen. Das ist eine Frage der Eignung dieser Kapazitäten, eine Frage nach ihrer Ausrichtung und nach dem politischen Willen der Mitgliedstaaten.
Herr Moersch!
Herr Minister, besteht nicht eine Gefahr, daß man auf Gebieten eine Zusammenarbeit forciert, auf denen man eine andere Form der Zusammenarbeit sehr viel wirksamer gestalten könnte, nur um vorhandene Personalkapazitäten im bisherigen Rechtsbereich zu nutzen?
Diese Fragen muß man im Einzelfall genau prüfen. Es gibt aber konkrete Beispiele, bei denen es möglich ist. Wir haben z. B. nukleare Festkörperforschung. Von der nuklearen Festkörperforschung kann man sinnvoll zu allgemeinen Problemen der Festkörperforschung übergehen. Das ist ein Beispiel der Erweiterung der Aufgabenstellung, die nicht künstlich ist und die nicht die von Ihnen erwähnten Gefahren heraufbeschwört.
Danke, Herr Minister! - Ich hätte gerne noch die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, die der Abgeordnete Flämig stellt, aufgerufen, aber der Abgeordnete Flämig ist nicht anwesend.
Darf ich zunächst die beiden weiteren Fragen von Herrn Ertl beantworten? Es sind noch zwei Fragen von Herrn Ertl.
Dann gewinnen wir vielleicht noch Zeit, bis der Abgeordnete Flämig erscheint.
Dann bitte die nächsten Fragen.
Die Besorgnis der Bediensteten der Euratomforschungszentren ist mir verständlich. Werden unsere Programmvorstellungen für Euratom, von denen ich gesprochen habe, verwirklicht, wird sich jene Ursache freilich als im wesentlichen unbegründet herausstellen. Ich habe am 28. November in Brüssel auch festgestellt, daß die Gemeinschaft - und damit ihre Mitgliedstaaten - nicht nur klare rechtliche Verpflichtungen gegenüber dem Euratompersonal hat, sondern eine Personalreduktion, die sich auf Grund der entwicklungsbedingten Verschiebung von Aufgabenstellungen im begrenzten Umfang als unvermeidlich herausstellen könnte, nur dann vornehmen sollte, wenn dies ein Teil einer langfristigen Ausrichtung ist, durch die die sinnvolle Aufgabenstellung für die Zentren sichergestellt wird.
Herr Ertl!
Herr Minister, darf ich jetzt in diesem Zusammenhang nochmals fragen: Glauben Sie, daß Ihre Vorstellungen verwirklicht werden, sehen Sie echte Chancen, oder ist das nur der Wunsch der Bundesrepublik? Welche Realität räumen Sie dem ein?
Es ist nicht nur der Wunsch der Bundesrepublik, sondern ein von anderen Mitgliedstaaten nachhaltig unterstützter Wunsch, ein sinnvolles langfristiges Euratomprogramm zu formulieren, das die Kapazitäten nutzt und den wissenschaftlichen Mitarbeitern neue Aufgaben gibt.
Herr Ertl!
Trifft es zu, daß die Mitarbeiter, wenn sie nicht in Kürze langfristige Verträge bekommen, gezwungen sind, im wesentlichen nach Übersee auszuwandern?
Die Rechtslage ist etwas anders. Die Rechtslage gibt den Mitarbeitern an sich eine relativ gesicherte Stellung durch das europäische Personalstatut. Das ist aber natürlich nicht befriedigend, wenn nicht angemessene Aufgaben vorliegen. Ich möchte also insoweit den weiteren Beratungen des Rates nicht vorgreifen und noch einmal versichern, daß es unser erklärter Wille ist, eine optimale Lösung zu erreichen.
Herr Dichgans!
Herr Bundesminister, würden Sie es für nützlich halten, wenn noch vor der nächsten Beratung im Rat - also praktisch in der nächsten Woche - der Bundestag in einem Dringlichkeitsverfahren eine Entschließung verabschiedete, die die starken Bedenken gegen eine so drastische Amputierung unserer wissenschaftlichen Möglichkeiten in Europa zum Ausdruck bringt?
Die Entscheidung darüber muß das Hohe Haus sicher selbst treffen. Die Bundesregierung würde eine solche Entschließung aber als eine Unterstützung der Politik betrachten, die sie in Brüssel vertritt.
Frau Geisendörfer!
Herr Minister, worin sehen Sie die Begründung für den Streik der Beschäftigten in Ispra? Ist es nur die Sorge um ihren Arbeitsplatz, oder ist es auch die Unzufriedenheit, keine Gewißheit über die künftigen Forschungsaufgaben zu haben?
Ich glaube, daß beides zusammenkommt.
Dann die dritte Frage des Abgeordneten Ertl.
Die Ursachen für die gegenwärtige Situation bei Euratom liegen schon länger zurück. Ihre Auswirkungen sind durch die Währungsreform und ihre Folgen allenfalls verstärkt worden, vor allem durch die bekannten großen Haushaltssorgen einiger Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, die auch in ihrem nationalen Wissenschaftsprogramm Reduktionen durchführen.
Herr Ertl!
Herr Minister, sind es nur währungspolitische und Haushaltssorgen, oder gibt es nicht auch Mitgliedstaaten, die Euratom generell nicht mehr fortsetzen wollen?
Das ist in den bisherigen Beratungen von keinem Staat zum Ausdruck gebracht worden.
Darf ich weiter fragen: Ist von einigen Staaten zum Ausdruck gebracht worden, daß sie das Programm von Euratom sehr kürzen wollen?
Eine Reduzierung, auch eine einschneidende Reduzierung, ist, wie schon gesagt, von einzelnen Mitgliedstaaten vorgeschlagen worden.
Herr Rutschke!
Herr Minister, liegt die ablehnende Haltung der französischen Regierung nicht auch hauptsächlich darin, daß man sich über die Programmpunkte insgesamt auch schon in der Vergangenheit nicht verständigen konnte und daß die französische Regierung andere Vorstellungen hatte, welche Forschungsrichtung eingeschlagen werden sollte, als die anderer Mitglieder?
Dieser Sachverhalt ist etwas komplexer. Man kann nicht sagen, daß es in den Sachfragen eine französische Haltung und eine Haltung der anderen Mitgliedstaaten gibt. Bei gewissen bedeutenden Einzelprogrammen, etwa den schnellen Brutreaktoren, ist es nicht Frankreich, sondern ein anderer Mitgliedstaat, der eine divergierende Haltung einnimmt.
Keine weiteren Fragen mehr.
Die Fragen aus diesem Bereich, die der Abgeordnete Flämig stellt, die Fragen 10 und 11, können noch nicht aufgerufen werden. Daher muß ich leider den Herrn Minister bitten, noch dazubleiben. Das wollte ich gerade vermeiden.
Besteht die Möglichkeit, sie an einem anderen Tag aufzurufen, Herr Präsident, weil ich andere Verpflichtungen habe?
Die besteht. Dann müßte der Abgeordnete Flämig allerdings seine Fragen zurückziehen, und da er nicht anwesend ist, kann er das nicht tun. Es ist also schwierig.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutVizepräsident Schoettle
sche Fragen. Es ist nur eine Frage, die Frage 1; sie stellt der Abgeordnete Rollmann:
Ist es richtig, daß die Bundesregierung die Absicht hat, das bisher finanziell von ihr getragene Herder-Institut für Ostmitteleuropa-Forschung in Marburg ({0}), das in der Fachwelt internationales Ansehen genießt, dem Land Hessen zu überantworten?
Zur Beantwortung ist Herr Staatssekretär Wetzel anwesend. Bitte, Herr Staatssekretär!
Seit langem werden Überlegungen angestellt, für das Johann-Gottfried-Herder-Institut in Marburg eine Rechtsform zu finden, die die bedeutungsvolle wissenschaftliche Arbeit des Instituts wirkungsvoll trägt. Die Initiative zu diesen Überlegungen ging vom Herder-Forschungsrat E. V. aus. Dieser Forschungsrat wird vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen finanziell in vollem Umfang gefördert. Er unterhält seinerseits das Herder-Institut in Marburg.
Die Rechtsform eines Eingetragenen Vereins bürgerlichen Rechts hat sich als nicht geeignet erwiesen, die wissenschaftliche Arbeit des Instituts zu sichern, das Institut in Lehre und Forschung der Hochschulen zu integrieren und vor allem geeigneten wissenschaftlichen Nachwuchs zu gewinnen. Das aber ist notwendig, um die Zukunft des Instituts zu gewährleisten. Es kommt also darauf an, das Institut in die universitas litterarum einzufügen, ohne daß der besondere wissenschaftliche Auftrag des Instituts dadurch tangiert wird und ohne daß das Recht des Bundes verlorengeht, Zugang zu den Forschungsergebnissen zu haben.
Die nur aus der Zeit der Gründung verständliche rechtliche Konstruktion eines bürgerlich-rechtlichen Vereins verhindert in steigendem Maße die Gewinnung qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses, da vom Institut her keine normale „Durchstiegsmöglichkeit" in die Dozentenlaufbahn gegeben ist. Eben aus diesem Grunde ist es nicht gelungen, die Stelle des wissenschaftlichen Institutsdirektors, die vakant ist, neu zu besetzen. Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen prüft alle Möglichkeiten, die sich ihm für eine Umwandlung der Rechtsform bieten. Im Rahmen dieser Prüfung wird zur Zeit auch mit dem hessischen Kultusministerium darüber verhandelt, das Herder-Institut als nicht rechtsfähige hessische Landesanstalt am Sitz der hessischen Landes univerität Marburg fortzuführen. Auf diese Weise könnte eine weitere Annäherung an die Universität und der engere Kontakt mit Lehrkörper und Studenten der Marburger Universität gefördert werden. Die Prüfung der Frage ist aber noch nicht abgeschlossen. Der Herder-Forschungsrat wird vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen über den Stand der Überlegungen laufend unterrichtet. Er drängt mit Recht auf eine baldige Lösung.
Herr Rollmann, bitte!
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß das Herder-Institut so originäre gesamtdeutsche Aufgaben wahrnimmt, daß auch in Zukunft die Zuständigkeit der Bundesregierung und des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen für dieses Institut mehr als gerechtfertigt ist?
Das ist richtig, Herr Abgeordneter. Die Rechtsform, die gefunden werden soll, darf, wie ich sagte, dieses Recht der Bundesregierung nicht tangieren. Nehmen wir an, die Lösung, die ich andeutete, würde zusammen mit der hessischen Landesregierung gefunden, käme es darauf an, die Rechte des Bundes durch einen Vertrag zu sichern.
Herr Rollmann!
Bietet es sich nicht an, Herr Staatssekretär, dieses Institut als eine unselbständige Bundesanstalt zu führen, wie es ja auch von Ihrem Hause bereits vor längerer Zeit erwogen worden ist?
Ja, unter anderem. Es gibt - wenn Sie so wollen - zehn verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Nur scheint es, da die Universitäten Landesanstalten sind, am günstigsten zu sein, eine solche Lösung, wie ich sie andeutete, anzusteuern. Dadurch ist die Kongruenz in rechtlicher Hinsicht gewährleistet. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.
Keine weitere Frage mehr.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Hierzu stellt der Abgeordnete Dichgans die Frage 2:
Ist die Bundesregierung bereit, zur Förderung eines hochbefähigten Richternachwuchses für die obersten Bundesgerichte im Zusammenwirken mit den Ländern die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß besonders tüchtigen jungen Richtern die Möglichkeit eines Ergänzungsstudiums oder eines Studienaufenthalts im Ausland geboten wird?
Bitte, Herr Bundesminister, wollen Sie antworten.
Herr Kollege, die Bundesregierung ist an einer Fortbildung der Richter durchaus interessiert und beteiligt sich deshalb z. B. an der Entwicklung einer Richterakademie. Insbesondere ist die Gewinnung eines befähigten Nachwuchses für die hohen Richterämter ein lebhaftes Interesse der Bundesregierung. Wir würden auch Ergänzungsstudien oder Auslandsaufenthalte für geeignete Mittel für eine solche Fortbildung halten. Da die weitaus größte Zahl der Richter aber im Landesdienst steht, müssen derartige Fortbildungsunternehmungen einvernehmlich mit den Ländern gefunden werden. Im übrigen - das ist ja bekannt - kommt zu den obersten Bundesgerichten nur, wer durch den Richterwahlausschuß gewählt worden ist. Ob also die besonders geförderten Richter dann auch bei den obersten Gerichten landen, hängt auch von diesem Richterwahlausschuß ab.
Herr Dichgans!
Herr Bundesminister, würden Sie mir in der Zahlenüberlegung folgen, daß wir bei einem Nachwuchsbedarf für die obersten Bundesgerichte in der Größenordnung von 10 bis 20 Richtern jährlich mindestens die dreifache Anzahl an Stipendien für eine solche Fortbildung bereitstellen sollten - „wir" heißt hier: die Landesjustizverwaltungen -, so daß wir in der Bundesrepublik etwa 50 zusätzliche Richterstellen und 50 Studienstipendien haben müßten?
In der Zahl würde ich gern folgen. Man kann in dieser Richtung überhaupt nicht genug tun.
Keine weitere Frage.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Strohmayr aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau auf:
Wird die Bundesregierung dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts entsprechend den als verfassungswidrig bezeichneten § 29 des Wohngeldgesetzes ändern, der Sozialhilfeempfänger von Wohngeldleistungen ausschließt, wenn die Sozialhilfe auch für Mietaufwendungen bestimmt ist?
Die Frage wird im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Bundesministers Dr. Lauritzen vom 2. Dezember 1968 lautet:
Beim Bundesverwaltungsgericht ist ein Rechtsstreit über das Verhältnis zwischen dem Wohngeld und den Sozialhilfeleistungen für die Unterkunft anhängig. Am 14. November 1968 hat das Gericht das Verfahren ausgesetzt, um dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 29 des Wohngeldgesetzes mit dem Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Eine etwaige Verfassungswidrigkeit kann nur das Bundesverfassungsgericht verbindlich feststellen. Wenn die Verfassungswidrigkeit festgestellt werden sollte, wird die Bundesregierung anregen, die Vorschrift entsprechend zu ändern.
Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend rufe ich die Fragen 4, 5 und 6 des Abgeordneten Dr. Wuermeling sowie die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Biechele auf:
Welche Arbeitsergebnisse hat der vor nunmehr einem Jahr gebildete Ministerausschuß zur Vorbereitung der Reform des Familienlastenausgleichs erzielt?
Welche positiven Beschlüsse hat das Bundeskabinett auf Vorschlag des Ministerausschusses zur Vorbereitung der Reform des Familienlastenausgleichs gefaßt?
Weshalb sind die Ergebnisse der einjährigen .Arbeit des Ministerausschusses zur Vorbereitung der Reform des Familienlastenausgleichs und etwaiger Kabinettsbeschlüsse hierzu nicht bekanntgegeben worden?
Warum werden Fahrten an die Zonengrenze und Schullandheimaufenthalte im Zonenrandgebiet von Schulklassen und Jugendgruppen nicht in gleicher Weise finanziell gefördert wie Fahrten nach Berlin?
Welche Möglichkeiten für eine gleichwertige finanzielle Forderung im Sinne der Frage 7 sieht die Bundesregierung, um in diesem Bereich politischer Bildungsarbeit einen wichtigen Beitrag für die Pflege und Vertiefung des gesamtdeutschen Bewußtseins in der jungen Generation zu leisten?
Die Fragen werden im Einverständnis mit den Fragestellern schriftlich beantwortet. Die Antworten liegen noch nicht vor. Sie werden nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Die Frage 9 stellt der Abgeordnete Moersch:
Ist es richtig, daß die Bundesregierung die Einrichtung eines Bundesamtes für Internationalen Jugendaustausch plant?
Bitte, Herr Staatssekretär, wollen Sie antworten!
Herr Abgeordneter, es ist nicht richtig, daß die Bundesregierung die Einrichtung eines Bundesamtes für Internationalen Jugendaustausch plant.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann, daß innerhalb der Jugendorganisationen verbreitet worden ist, aus dem Ministerium, speziell von Ihnen, seien entsprechende Andeutungen gemacht worden?
Dafür habe ich keine Erklärung. Ich habe solche Andeutungen auch nicht gemacht.
Keine weitere Frage. Dann sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich restlos erledigt.
Wir kommen jetzt zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung. Leider hat sich der Herr Minister inzwischen entfernt, der Fragesteller ist eingetroffen. Die Fragen werden also auf jeden Fall in der nächsten Fragestunde beantwortet.
Zum Geschäftsbereich des Bundesschatzministers stellt der Abgeordnete Dorn die Frage 12:
Was ist an Pressemeldungen der jüngsten Zeit, wonach in Bonn ein neuer Amtssitz für den Bundespräsidenten gesucht wird?
Herr Staatssekretär Dr. Vogel, wollen Sie bitte antworten!
Herr Abgeordneter, in den vergangenen Jahren sind wiederholt Überlegungen zur Verbesserung der Repräsentation der Bundesregierung und auch des Amtssitzes des Herrn Bundespräsidenten angestellt worden. So wurde anläßlich des Besuches der englischen Königin die Herrichtung des Schlosses Poppelsdorf für diese Zwecke erwogen. Die Überprüfung ergab, daß das Schloß Poppelsdorf selbst bei einem ungewöhnlich hohen finanziellen Aufwand nur unzureichend für eine solche Repräsentation hergerichtet werden kann, so daß der Gedanke nicht weiter verfolgt wurde, zumal auch die Vertreter der Universität keine Möglichkeit für eine Freigabe des Schlosses sahen.
Mitte dieses Jahres ist das Schloß Poppelsdorf erneut als Repräsentationsgebäude des Bundes bzw. als Amtssitz des Herrn Bundespräsidenten ins Gespräch gebracht worden, und es hat zur nochmaligen Orientierung eine örtliche Besichtigung mit Vertretern der Universität, der Stadt Bonn und den zuständigen Vertretern des Bundes stattgefunden. Neue Gesichtspunkte haben sich dabei nicht ergeben. Eine gewisse Bereitschaft von seiten der Universität zur Freigabe des Schlosses gegen entsprechende Ersatzbauten für die dort untergebrachten Institute scheint heute jedoch nicht ausgeschlossen zu sein. Ich muß aber feststellen, daß derartige Ersatzbauten das Vorhaben in nicht mehr vertretbarem Ausmaß verteuern würden.
In Verbindung mit den Erörterungen über das Schloß Poppelsdorf sind in letzter Zeit Erwägungen
auch über andere Grundstücke für Repräsentationszwecke der Bundesregierung und für den Amtssitz des Herrn Bundespräsidenten angestellt worden. Aber alle Erwägungen und Erörterungen zur Realisierung neuer Vorschläge haben noch zu keinerlei Verdichtung in Richtung von Kabinettsvorlagen geführt.
Herr Dorn!
Darf ich daraus schließen, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung in absehbarer Zeit keine Veränderung des Dienstsitzes des Herrn Bundespräsidenten in Erwägung zieht?
Herr Abgeordneter, es ist fast unmöglich, im gegenwärtigen Augenblick auf eine solche Frage zu antworten.
Herr Dorn!
Dann muß ich umgekehrt fragen: Beabsichtigt die Bundesregierung, in absehbarer Zeit eine Veränderung bezüglich des Dienstsitzes des Herrn Bundespräsidenten herbeizuführen?
Herr Abgeordneter, ich habe soeben dargelegt, daß wir eine ganze Reihe von Möglichkeiten erkunden und sie in der Zwischenzeit nach der Kostenseite hin sorgfältig überprüfen, um nach der Wahl eines neuen Herrn Bundespräsidenten gerüstet zu sein, eventuell derartigen Möglichkeiten näherzutreten.
({0})
Keine weitere Frage.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung ist der Herr Bundesminister Katzer anwesend. Die Frage 32 stellt die Frau Abgeordnete Rudoll:
Wieviel Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz wurden in den Jahren 1966 und 1967 von den Gewerbeaufsichtsbehörden der einzelnen Länder festgestellt?
Bitte, Herr Minister, wollen Sie antworten?
Herr Präsident, darf ich die drei Fragen wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantworten?
Sind Sie einverstanden, Frau Kollegin?
({0})
Dann rufe ich die Fragen 33 und 34 noch auf:
Wie hoch ist der Anteil der Verstöße gegen das Verbot der Kinderarbeit?
In wieviel Fällen sind Bestrafungen bzw. gebührenpflichtige Verwarnungen ausgesprochen worden?
Nach den Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbehörden der Länder sind im Bundesgebiet 1966 insgesamt 52 791 und im Jahre 1967 46 389 Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz festgestellt worden.
Gegen das Verbot der Kinderarbeit ist im gesamten Bundesgebiet im Jahre 1966 in 1177 Fällen und im Jahre 1967 in 1180 Fällen verstoßen worden. Der Anteil dieser Verstöße an der Gesamtzahl der Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz beträgt somit 1966 2,2 % und 1967 2,5 %.
Im Jahre 1966 sind 2127 und im Jahre 1967 2212 Bestrafungen bzw. Verwarnungen ausgesprochen worden. Eine schriftliche Zusammenstellung der Verstöße, aufgegliedert nach den einzelnen Ländern, kann ich Ihnen, Frau Kollegin, gern zur Verfügung stellen.
Frau Rudoll!
Da Sie zur Frage 32 nicht auf die Zahlen für die einzelnen Länder eingehen und ich auch einsehe, daß das im Rahmen dieser Fragestunde schlecht möglich ist, darf ich Sie bitten, diese Zahlen im Protokoll der Sitzung niederzulegen.
Ich habe die Zahlen dabei, Frau Kollegin. Ich bin gern bereit, diese Zahlen mit zu Protokoll zu geben.
Eine zweite Frage: Auf welchen Gebieten liegen die meisten Verstöße vor?
Am häufigsten wird gegen die Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes über die Dauer der Arbeitszeit verstoßen. Nach den Berichten der Gewerbeaufsichtsämter der Länder betrug die Zahl der Verstöße aus diesem Anlaß im Jahre 1966 17 139 und im Jahre 1967 15 304.
Frau Rudoll!
Haben Sie eine Möglichkeit, zu sondieren, ob die Hauptübertretungen in größeren Betrieben oder in Klein- oder Kleinstbetrieben erfolgen?
Wir sind dabei, darüber Erhebungen anzustellen.
Frau Rudoll!
Eine letzte Frage: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, in Zukunft auf eine bessere Einhaltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes hinzuwirken?
Frau Kollegin, es gibt drei Möglichkeiten. Die erste ist die, die Sie jetzt hier ergriffen haben, nämlich die Öffentlichkeit auf das Problem aufmerksam zu machen, und ich kann nur hoffen und wünschen, daß sich das auswirkt. Die zweite Möglichkeit ist die, daß die Gerichte bei der Bestrafung dieser Fälle etwas härter zufassen. Schließlich bleibt der Appell an alle Beteiligten, insbesondere an die Eltern, die oft nicht genügend auf mögliche Gesundheitsschädigungen bei den Kindern achten. Sie sollten nachdrücklich darauf hingewiesen werden, damit sie helfend eingreifen.
Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich erledigt. Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen können erst morgen beantwortet werden, da weder der Herr Bundesfinanzminister noch der Herr Staatssekretär heute zur Verfügung steht.
Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Sander auf:
Wird sich die Bundesregierung nachhaltig und unnachgiebig den geplanten Vorschlägen für Preissenkungen bei Zuckerrüben, Getreide und Raps widersetzen?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Höcherl.
Zur ersten Frage des Herrn Kollegen Sander darf ich sagen, daß es bis zur Stunde noch keine Vorschläge der Kommission für die Preise für Zuckerrüben, Getreide und Raps gibt. Die Kommission brütet noch über den Vorschlägen der Generaldirektion Landwirtschaft. Die Bundesregierung wird die Interessen der deutschen Landwirtschaft mit Festigkeit vertreten. Sie braucht darüber hinaus keine weiteren besonderen Kraftausdrücke.
Herr Sander!
In Anbetracht der Tatsache, daß ich das Wort „Kraftausbrüche" nicht verstehe - es übersteigt vielleicht meinen geistigen Horizont, Herr Minister -, frage ich Sie aber hiermit, ob die Bundesregierung bereit ist, den Beschluß dieses Hauses betreffend Wiederherstellung der alten Getreidepreise usw. nachher auch im Ministerrat kompromißlos durchzusetzen, und ob sie auch bereit ist, einmal die Praxis Frankreichs zu übernehmen, d. h. die Handhabung der Praxis des leeren Stuhls.
Die Bundesregierung wird im Sinne der Europäischen Gemeinschaft und im Geiste eines Kompromisses mit Festigkeit die Interessen der deutschen Landwirtschaft vertreten. Mehr zu sagen ist sie nicht bereit.
({0})
Herr Sander!
Herr Bundesminister, ich glaube Ihren, ich kann nicht sagen: klugen, aber: schlauen Ausführungen entnehmen zu können,
({0})
daß Sie nicht bereit sind, hier anzuerkennen, daß angesichts der Steigerung der direkten und indirekten Kosten in der Landwirtschaft kompromißlos der berechtigte Standpunkt der Landwirtschaft durchgesetzt werden muß. Sie werden damit rechnen müssen - ich hoffe, daß Sie mit mir dieser Ansicht sind -, daß es dann zur Resignation und wahrscheinlich zu sehr, sehr radikalen Maßnahmen kommen wird, die wir ja alle in diesem Hause nicht wünschen.
Das war eine Rede, aber keine Frage, Herr Kollege Sander.
Das waren zwei Fragen.
Das waren keine Fragen. Aber wenn Sie glauben, daß Sie damit Ihr Kontingent erschöpft hätten, haben Sie jetzt keine Fragen mehr.
Ich will versuchen, diese Rede als Frage aufzufassen, und darf darauf folgendes erwidern. Ich habe in all den bisherigen Verhandlungen gerade auf dem Sektor Rüben, Getreide und Zucker selbst zu Ihrer Zufriedenheit verhandelt - wie ich aus persönlichen Erklärungen von Ihnen weiß -, und das will schon sehr viel heißen.
Herr Ertl!
Herr Minister, darf ich ihre Antwort dahin verstehen, daß die Bundesregierung sich selbst noch nicht darüber klar ist, welche Zielsetzung bezüglich der Preisfestsetzung sie hat?
Nein, nein. Die Bundesregierung ist sich immer im klaren darüber, welche Zielsetzungen sie hat. Aber sie hat nur noch keinen Kommissionsvorschlag, und deswegen kann sie nicht über etwas debattieren, was es noch gar nicht gibt.
({0})
Herr Minister, darf ich Ihre Antwort haben, hier dem Hohen Hause konkret Ihre Zielsetzungen zu verkünden?
Die kann ich erst verkünden, wenn ich den Vorschlag der Kommission kenne. Ich hoffe, daß ich ihn schon am nächsten Montag kennen werde. Ich werde mich beeilen, auch Ihnen, Herr Kollege Ertl, alle Einzelheiten der Zielsetzungen in der richtigen Form vielleicht im Ausschuß usw. mitzuteilen.
Herr Logemann!
Herr Minister, wenn ich Sie soeben recht verstanden habe, haben Sie gesagt, Sie seien bereit, in Form eines Kompromisses alles abzuwägen. Kompromiß bedeutet für mich doch schon ein gewisses Nachgeben bezüglich der von Ihnen bisher vertretenen Preisvorstellungen.
Nein, Herr Kollege Logemann. In Brüssel wird ja alles einstimmig und deswegen nur im Kompromißwege entschieden. In einer solchen Entscheidung liegen sehr, sehr viele Einzelheiten, die uns vielleicht nicht so sehr, aber andere Partnerstaaten dafür um so mehr interessieren. Auf diese Weise kommt ein Beschluß zustande. Wenn wir das erreichen, was wir das letzte Mal erreicht haben, plus 4 % z. B. bei einigen Preisen, dann möchte ich meinen, daß selbst den sehr schweren Forderungen der Opposition Genüge getan ist.
Herr Dorn!
Herr Minister, darf ich aus Ihren Worten schließen, daß ein Kompromiß in Brüssel für uns in den Bereichen in Frage kommt, wo wir nicht so sehr interessiert sind?
Das wäre zu allgemein. Wenn ich den hier zur Rede stehenden Fall nehme, gibt es einige Dinge, die wir nicht mit einem Kompromiß abschließen möchten. Aber ganz allgemein kann man das nicht sagen. Europa ist viel zu kompliziert, als daß man solche Aussagen machen könnte.
Herr Dorn!
Herr Minister, würden Sie diesem Hause sagen können, in welchen Bereichen Sie nicht bereit wären, in Brüssel Kompromisse zu schließen?
Herr Kollege, ich muß Ihnen ganz offen sagen, ich würde meinen Pflichten nicht gerecht werden, wenn ich meine Verhandlungstaktik vorher hier ausbreitete, um meinen Partnern das Arbeiten zu erleichtern. Selbst dort ist in der ersten, zweiten oder dritten Runde noch sehr wenig von dem zu sehen, was man in der innersten und letzten Falte des Herzens verbirgt.
({0})
Frage 24 des Abgeordneten Sander:
Wie hoch ist die Eigenerzeugung der wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte in Deutschland, Frankreich und Italien?
Die Erzeugung von pflanzlichen Produkten betrug im Jahre 1968 nach den bisher vorliegenden, zum Teil noch vorläufigen Ernteschätzungen in den gefragten Ländern jeweils in Millionen t:
Bundes- Frank-
republik reich Italien
Deutschland
Weizen 6,2 14,6 9,4
übriges Getreide 12,9 17,3 4,7
Kartoffeln 19,1 10,1 3,9
Frischobst 3,3 3,4 6,7
({0})
Gemüse 2,5 7,4 11,3
({1})
Wein ({2}) 5,3 62,0 67,0
Ölsaaten 0,2 0,5 0,0
Zuckerrüben 13,8 16,6 12,0
Die Eiererzeugung belief sich im Jahre 1967 in der Bundesrepublik auf 13,8 Milliarden, in Frankreich auf 10,3 und in Italien auf 8,9 Milliarden Stück.
Für die übrigen tierischen Produkte liegen Erzeugungszahlen für alle drei Länder vergleichbar bis zum Wirtschaftsjahr 1966/67 vor. Die Produktion von Fleisch betrug 1966/67 in Millionen t in der Bundesrepublik Deutschland 3,87, in Frankreich 4,18, in Italien 1,54. - Ich gehe davon aus, daß Sie eine weitere Aufteilung nicht wünschen.
Vielleicht noch Butter: Bundesrepublik Deutschland 0,51, Frankreich 0,41, Italien 0,06. Vollmilch: Bundesrepublik Deutschland 21,5, Frankreich 28,6, Italien 10,7.
Ich glaube, das ist eine typische Frage, Herr Minister, wie sie in der Fragestunde nicht beantwortet werden sollte;
({0})
denn damit kann niemand etwas anfangen. Das muß man ja schwarz auf weiß vor sich haben. Aber ich sehe die Gründe für Ihre Antwort.
Herr Sander!
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, der leichteren Überschaubarkeit halber uns auch die Erzeugung in Prozenten mitzuteilen?
Ja, ich bin zu jeder Aufstellung bereit. Ich hätte auch diese Antwort lieber schriftlich geliefert, als mir eine Mahnung des Präsidenten wegen Ihrer Frage einzuhandeln.
({0})
Herr Fellermaier!
Herr Minister, würden Sie mir in der Feststellung zustimmen, daß das, was Sie soeben versucht haben aus einer Statistik vorzutragen, die man in allen Jahrbüchern des Statistischen Bundesamtes nachlesen kann, regelmäßig in den
Ausschußberatungen von der Bundesregierung immer dann rechtzeitig mitgeteilt wird, wenn die einzelnen Fachbereiche behandelt werden? Und Herr Kollege Sander wirkt da doch mit?
Ja.
Herr Sander!
Herr Bundesminister, in Anbetracht der Tatsache, daß auch mir das bekannt ist: sind Sie bereit, auch der Öffentlichkeit mitzuteilen, daß bei Wegfall der Fütterung mit Kraftfuttermitteln die Eigenerzeugung in Deutschland gegenüber derjenigen in Frankreich und Holland relativ klein ist?
Das will ich besonders gern tun.
Können wir zur nächsten Frage kommen? - Frage 25 des Abgeordneten Sander:
In welcher Höhe werden sich die von der Bundesregierung erwogenen Einfuhrerleichterungen auf das Einkommen der deutschen Land- und Forstwirtschaft auswirken?
Durch die Mechanisierung der Landwirtschaft innerhalb der letzten 20 Jahre sind in weiten Bereichen die menschliche Arbeitskraft und die tierische Zugkraft durch Maschinen ersetzt worden. Ich brauche die Zahlen hier nicht zu zitieren, darf aber folgendes sagen: Der Ausfall der Dieselöleinfuhren müßte, wenn die Dieselölvorräte aufgebraucht sind, praktisch zum Stillstand der deutschen Produktion führen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sander.
Herr Bundesminister, ist es nicht für unser gesamtes Volk wichtig, dies einmal auch der Öffentlichkeit bekanntzugeben?
Die beste Art von Öffentlichkeit, die es gibt, ist der Deutsche Bundestag, und hier ist es schon geschehen.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sander.
Die Frage ist an und für sich zurückgezogen. Die Frage 25 lautet:
In welcher Höhe werden sich die von der Bundesregierung erwogenen Einfuhrerleichterungen auf das Einkommen der deutschen Land- und Forstwirtschaft auswirken?
Die Frage ist nicht zurückgezogen, die habe ich gestern schriftlich beantwortet.
Der Fall ist nicht ganz klar; aber jedenfalls steht die Frage 25 hier auf unserem Papier, und der Herr Minister hat sie soeben beantworten sollen.
Ich habe sie gestern schriftlich beantwortet. Ich kann nur die Beantwortungsform wählen, die mir auf den Tisch gelegt wird. Ich bitte sehr zu entschuldigen. Die Minister sind in besonderer Form fehlbar, das gebe ich zu.
Das ist immerhin etwas. - Herr Sander, wollen Sie sich jetzt damit begnügen?
Herr Bundesminister, bei Ihren überragenden Wissen und Können bin ich doch der Überzeugung, daß Sie auch ohne Vorbereitung diese Frage sehr leicht beantworten können.
Herr Kollege, die Einleitung hat mir gar nicht gefallen, aber - - Welche Frage ist es?
({0})
Man muß unterscheiden zwischen Marktordnungswaren und Nichtmarktordnungswaren. 95 % sind Marktordnungswaren, was die Einfuhren betrifft, so daß nur ein ganz kleiner Prozentsatz in Betracht kommt, der unter die 4%ige Ermäßigung fällt. Das sind vor allem Waren im sekundären und tertiären Bereich. Was die Ausfuhr betrifft, ist es so, daß wir rund 58 % - legen Sie mich aber bitte nicht auf die Zahl fest, ich muß sie aus dem Gedächtnis holen - Waren haben, die darunter fallen; aber das sind im wesentlichen Spezialitäten, die wegen des Ranges und der Qualität ausreichende Chancen haben. Wir habe einige Schwierigkeiten bei - das brauche ich hier nur abzulesen, das hat der Kollege Logemann da hingeschrieben ({1})
Frühkartoffeln, Stärke und Holz. Das gebe ich ohne weiteres zu, und ich darf mich für diese Beantwortungshilfe herzlich bedanken.
({2})
Sie sehen, Herr Kollege Sander, Ihr Kompliment für den Herrn Minister vorhin war mindestens teilweise gerechtfertigt.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, teilen Sie die Befürchtungen, daß eine besonders schwierige Lage durch die jetzige Regelung des Gesetzes zur außenwirtschaftlichen Absicherung für den Hopfen entsteht?
Das glauben wir bei genauer Untersuchung nicht. Es bestand keine Möglichkeit, beim Hohen Haus für Hopfen eine Ausnahme zu erwirken, weil die Ausnahmen auf die Marktordnungswaren beschränkt werden mußten, um dem Gesetz nicht die letzte Wirkung zu nehmen. Aber wir glauben, daß wir bei der Qualität unseres Hopfens und angesichts der Tatsache, daß wir sowohl ein- wie ausführen, doch eine Chance haben, mit einem leichten blauen Auge davonzukommen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl.
Dann sind Sie der Meinung, daß der Hopfenexport nicht sehr tangiert wird?
Das ist meine Auffassung.
Keine weiteren Fragen.
Die Fragen 26, 27 und 28 des Abgeordneten Richarts:
Wieviel Landwirte in der Bundesrepublik Deutschland haben bisher Berufsumschulungslehrgänge besucht?
Wo haben diese Lehrgänge stattgefunden?
Wie werden die Kursteilnehmer und deren Familien während der Zeit der Umschulung finanziell unterstützt?
werden im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Bundesministers Höcherl vom 2. Dezember 1968 lautet:
Für Landwirte, die freiwillig den Beruf wechseln wollen, haben nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in der Bundesrepublik bisher 12 Speziallehrgänge stattgefunden, an denen etwa 250 Landwirte teilgenommen haben.
Landesarbeitsamt Durchführungsort Anzahl Teilnehmerzahl
Lehrgänge
Baden-Württemberg Freiburg 1 etwa 20
Niedersachsen Göttingen 2
Lehr und Vechta 3 166
Wiesmoor 3
Nordbayern Cham 2 etwa 60
Regensburg 1
Im übrigen wurden und werden an allen Landesarbeitsämtern Umschulungslehrgänge durchgeführt, an denen auch Landwirte teilnehmen. Zahlen über die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises an diesen Umschulungslehrgängen werden erst im Frühjahr 1969 vorliegen.
Nach den Richtlinien des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 22. März 1967 erhalten Teilnehmer an Umschulungsmaßnahmen ein Unterhaltsgeld in Höhe von 120 v. H. des Arbeitslosengeldes. Die Bemessungsgrundlage hierfür ist das am Ort maßgebliche, tarifliche oder übliche Entgelt der Beschäftigung, für die der Umschüler in Betracht käme. Lebensalter, Leistungsvermögen, Beruf und Ausbildung des Umschülers sind dabei zu berücksichtigen. Für unterhaltsberechtigte Familienangehörige wird ein Familienzuschlag gewährt. Die Umschüler erhalten weiterhin Lehrgangsgebühren, Kosten für Lernmittel, Fahrkosten und Kosten für Arbeitsbekleidung. Bei auswärtiger Unterbringung können Kosten für Unterkunft und Verpflegung übernommen werden. In jedem Falle sind die Umschüler gegen Krankheit und Arbeitsunfall versichert. Ausnahmsweise können sonstige Kosten, die im ursächlichen Zusammenhang mit der Teilnahme an der Umschulungsmaßnahme unvermeidbar entstehen, ganz oder teilweise übernommen werden; die Entscheidung hierüber trifft der Präsident der Bundesanstalt.
Es folgt die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Rinderspacher:
Trifft es zu, daß wegen bürokratischer Schwierigkeiten und wegen solcher der interessierten Kreise des einschlägigen Großhandels es fraglich geworden ist, ob caritative Organisationen, Kinderheime, Krankenhäuser usw. noch vor Weihnachten die stark verbilligte Butter erhalten können?
Ich bitte, mir zu gestatten, wegen des Sachzusammenhanges die beiden Fragen gemeinsam zu beantworten.
Bitte! Dann rufe ich auch die Frage 30 des Abgeordneten Dr. Rinderspacher auf:
Ist die Bundesregierung bereit, alles zu tun, um die bestehenden Schwierigkeiten auszuräumen, daß die verbilligte Butter noch in der Adventszeit ausgeliefert werden kann?
Es trifft nicht zu, daß die Abgabe von verbilligter Butter an gemeinnützige Einrichtungen wegen bürokratischer Schwierigkeiten nicht vor Weihnachten durchgeführt wird. Richtig ist vielmehr, daß der Haushaltsausschuß - und sein Votum mußte abgewartet werden - am 14. November 1968 einer überplanmäßigen Ausgabe zur Durchführung der Aktion erfreulicherweise zugestimmt hat. Die Länderministerien und die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette wurden mit Schreiben vom 15. November, also einen Tag danach, von der Durchführung der Aktion verständigt und beauftragt, das Notwendige zu veranlassen. Die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette hat die notwendigen Richtlinien am 28. November 1968 im Bundesanzeiger publiziert.
Zeitliche Schwierigkeiten ergaben sich nur beim Druckauftrag bezüglich der notwendigen Antragsformulare. Mit der Auslieferung der Formulare an die zuständigen Landesstellen ist noch in dieser Woche zu rechnen. Ich bin der Auffassung, daß die gemeinnützigen Einrichtungen die verbilligte Butter deswegen noch vor Weihnachten beim Handel abrufen können.
Im übrigen sind gewisse Kontrollvorschriften, die uns von der Gemeinschaft wegen der Kostenbeteiligung auferlegt worden sind, erforderlich, um zu verhindern, daß die verbilligte Butter in andere als die vorgesehenen Kanäle fließt.
Herr Rinderspacher!
Herr Bundesminister, halten Sie die Fristen, die nun zwangsläufig auf Sie zugekommen sind, nicht doch für ein bißchen kurz, und wäre es nicht möglich gewesen, die ganze Aktion einen oder zwei Monate früher einzuleiten, damit diese Schwierigkeit nicht entstanden wäre?
Wir haben uns in Brüssel ernsthaft bemüht und hatten große Schwierigkeiten zu überwinden. Voraussetzung war die Zustimmung
der Kommission und des Ministerrats. Ich darf daran erinnern, daß allein in der vorletzten Ministerratssitzung darüber eine sehr heftige Auseinandersetzung stattgefunden hat, weil es nicht allen Partnerstaaten gefällt, daß sie bei solchen recht teuren Aktionen finanziell beteiligt werden.
Herr Dr. Rinderspacher!
Herr Bundesminister, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die Schwierigkeiten also nicht von der deutschen Seite, sondern von Brüssel her gekommen sind?
Im wesentlichen.
Herr Dr. Rinderspacher!
Darf ich Sie dann weiter fragen, Herr Minister, ob es im Interesse des Abbaus unseres Butterberges und im Interesse der karitativen und sonstigen Organisationen nicht zweckmäßig wäre, schon jetzt daranzugehen, eine ähnliche Aktion vielleicht für Ostern zu initiieren.
Das ist bereits im Gange. Ich muß Sie aber darauf aufmerksam machen, daß es nicht der deutsche Butterberg ist, der so aufregend in die Höhe gewachsen ist. Holland z. B. hat mit 50 000 t einen Buttervorrat in Höhe des doppelten Jahresverbrauchs, während wir einen echten Vorrat nur in Höhe eines Monatsverbrauchs haben. Frankreich hat mit 200 000 t einen Butterberg - wenn Sie diesen alpinen Ausdruck schon verwenden wollen -, der einem Bedarf von vielleicht drei oder vier Monaten entspricht. Ich sage das, damit die Dinge etwas zurechtgerückt werden.
Herr Dr. Rinderspacher!
Sind Sie also der Meinung, Herr Minister, daß unser Butterberg in Wirklichkeit gar keiner ist?
Ein Hügel, möchte ich sagen.
Herr Dr. Czaja.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die karitativen Verbände diese verbilligte Butter insbesondere auch zur Herstellung von Backwaren für Weihnachten benötigten und daß, vor allem durch den Druck der Richtlinien und der Anträge, eine außerordentliche Verzögerung eingetreten ist, so daß der vorgesehene Zweck nicht erreicht wird, und sind Sie der Meinung, daß das wenigstens zu Ostern besser gemacht werden sollte?
Ich bin der Meinung, daß es noch zu Weihnachten geht. Ich halte auch nichts davon, wenn die Backwaren so früh gebacken werden; dann sind sie zu Weihnachten altbacken und schmecken nicht mehr.
({0})
Das trifft für das Weihnachtsgebäck im allgemeinen gar nicht zu, Herr Minister; das wird um so besser, je älter es ist.
({0})
Herr Fellermaier!
Herr Minister, glauben Sie, daß das, was Sie nun im Ministerrat als eine partielle Aktion durchgesetzt haben, auch im Jahre 1969 die Billigung des Rates finden wird angesichts dessen, daß zwar ein europäischer Butterberg vorhanden ist, der Butterberg bei uns aber, wenn ich Ihr Wort verwenden darf; nur einen Hügel darstellt?
Herr Kollege, ich glaube, daß wir in einigen Monaten zu einer grundsätzlichen Lösung, die den Absatz verstärkt, kommen müssen, damit sich diese Frage nicht mehr in dieser Form stellt.
Ich meine, die Frage ist jetzt genügend erörtert.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf:
Entspricht es dem agrarpolitischen Konzept der Bundesregierung, wenn Junglandwirte, die neben der alleinigen Bewirtschaftung des eigenen oder elterlichen Betriebes zur Verbesserung ihres Einkommens und ihrer Agrarstruktur einer vertretbaren Beschäftigung nachgehen, von der Wehrerfassungsbehörde als in der Landwirtschaft entbehrlich angesehen und ohne Rücksicht auf die Existenzgefährdung zur Ableistung der Wehrpflicht herangezogen werden?
Das Wort hat der Herr Minister zur Beantwortung der Frage.
Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß Junglandwirte, die dem angesprochenen Personenkreis angehören, hinsichtlich einer Wehrdienstpflicht genauso zu behandeln sind wie Wehrdienstpflichtige aus dem Bereich der Vollerwerbsbetriebe.
Gemäß § 12 Abs. 4 Ziffer 2 des Wehrpflichtgesetzes vom 14. Mai 1965 kann ein Wehrpflichtiger vom Wehrdienst dann zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst für ihn wegen persönlicher, insbesondere wegen häuslicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde. Ein solcher Härtefall liegt insbesondere dann vor, wenn der Wehrpflichtige für die Erhaltung und Fortführung eines eigenen oder elterlichen landwirtschaftlichen Betriebes unentbehrlich ist. Auch die hier angesprochenen NebenBundesminister Höcherl
und Zuerwerbsbetriebe sind in diesem Zusammenhang als landwirtschaftliche Betriebe anzusehen.
Herr Minister, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie die Landwirte, die zur Verbesserung ihrer Agrarstruktur einer Beschäftigung nachgehen, als für die Landwirtschaft entbehrlich ansehen?
So allgemein möchte ich es nicht sagen, sondern es wird sehr auf den Einzelfall ankommen.
Herr Enders!
Herr Minister, da die Wehrerfassungsbehörde darüber entscheidet, möchte ich fragen, ob Sie als zuständiger Ressortminister bereit sind, in schwierigen Fällen dafür einzutreten, daß die betroffenen Landwirte, um eine Existenzgefährdung ihres Hofes abzuwenden, vom Wehrdienst zurückgestellt werden.
In ein Verfahren kann ich selbst nicht eintreten. Ich kann mich auch nicht beteiligen und bin auch nicht beteiligt. Eine Besserung könnte allenfalls, wenn die Rechtsprechung auf diesem Gebiet nicht zufriedenstellend ausfallen sollte, durch eine Änderung der Gesetzgebung erreicht werden.
Herr Josten!
Herr Minister, sind Sie bereit, mit Ihrem Kollegen Minister Schröder ein Gespräch zu führen, damit bei Zurückstellungen bzw. Freistellungen von Junglandwirten im Interesse der Erhaltung kleinbäuerlicher Betriebe etwas großzügiger verfahren wird, als das bisher der Fall war?
In dieser Form machen Sie mir die Antwort sehr schwer. Ich bin nämlich grundsätzlich der Meinung, daß zunächst alles getan werden muß, damit unserer Wehrpflicht genügt wird, und daß nur in Ausnahmefällen, wo besondere Härten eine Rolle spielen, diese Gesichtspunkte Geltung haben dürfen. Das muß für alle gelten, nicht nur für diesen Bereich. Das ist meine Auffassung.
Herr Josten!
Herr Minister, da ich selbst Mitglied des Verteidigungsausschusses bin, darf ich Ihnen sagen, daß hier selbstverständlich nur Härtefälle angesprochen werden, und zwar besonders in Gebieten wie z. B. im Hunsrück und in der Eifel, wo kleinbäuerliche Betriebe tatsächlich nicht aufrechterhalten werden können, wenn der einzige Sohn, wie es mitunter der Fall ist, eingezogen wird.
Herr Kollege, der Kollege Schröder braucht von mir keine Belehrung in der
Frage Härtefälle. Er ist in dieser Beziehung genau im Bilde.
Herr Schulze-Vorberg!
Herr Bundesminister, stimmen Sie mit mir in der Auffassung überein, daß man auf solche Härtefälle eher eingehen kann, solange die Wehrpflicht bei uns in der Form gehandhabt wird, daß nur etwa die Hälfte der Anstehenden wirklich eingezogen wird?
Ich stimme mit Ihnen überein.
Keine weiteren Fragen mehr? - Die letzte Frage aus diesem Geschäftsbereich stand bisher beim Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Es handelt sich um die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Peiter:
Ist die Bundesregierung in Anbetracht des jüngsten bedauerlichen Todesfalles durch Tollwut der Auffassung, daß die Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Krankheit ausreichend sind?
Ist Herr Peiter anwesend? - Bitte, Herr Abgeordneter, wollen Sie sich ans Mikrofon begeben! Ihre Frage 43 wird jetzt vom Ernährungsminister beantwortet.
An dem gegenwärtigen Tollwutseuchenzug in der Bundesrepublik Deutschland sind mit etwa 20 Prozent Haustiere und mit etwa 80 Prozent wildlebende Tiere beteiligt. Seit Einschleppung der Seuche aus dem osteuropäischen Raum vor etwa 15 Jahren ist es unter den Haustieren niemals zu einem größeren Seuchengeschehen, sondern in der Regel nur zu Einzelerkrankungen gekommen. Die auf Grund der bestehenden tierseuchenrechtlichen Vorschriften ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Tollwut bei Haustieren sind nach wie vor geeignet, die Tollwut hier kurzfristig zum Erlöschen zu bringen.
Der eigentliche Träger der Seuche ist der Fuchs. Etwa 65 % der Wildtiertollwut sind Fuchstollwutfälle. Vom Fuchs aus werden immer wieder andere Wildtiere sowie Haustiere infiziert. Zur Bekämpfung der Fuchstollwut sind - auch nach internationaler Auffassung - nur die verschärfte Bejagung des Fuchses und die Begasung der Fuchsbaue geeignet. Hierdurch werden die Fuchspopulation und damit das Virusreservoir reduziert und mögliche Infektionsketten unterbrochen. Mit Hilfe dieser Maßnahmen konnte in weiten Teilen des Bundesgebietes die Tollwut unter den Füchsen und damit allgemein erheblich reduziert werden.
Bei dem vorliegenden Fall, den Sie ansprechen, ist infolge besonderer Umstände - der Hund war schon lange als bissig bekannt - nicht an Tollwut gedacht worden. Daher ist auch bei dem Kind keine Wutschutzbehandlung eingeleitet worden, die nach
aller Erfahrung das Kind möglicherweise hätte retten können. Nach Ausbruch der Krankheit kommt eine solche Behandlung leider zu spät.
Herr Peiter!
Herr Minister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Maßnahmen der Regierung ausreichend sind? Ich konnte Ihre Antwort eben akustisch kaum verstehen.
Höcherl Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich glaube, daß die Maßnahmen international vorbildlich sind und daß sie für alle Möglichkeiten auch ausreichend sind. Es hat bisher bedauerlicherweise sieben Todesfälle gegeben, aber sie sind vielfach auf menschliches Ungenügen zurückzuführen. Viel mehr als das, was bereits geschieht, ist nicht möglich.
Dann kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Frau Bundesminister Strobel ist anwesend. Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Wagner auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, zur Durchführung von Vorsorgeuntersuchungen einen öffentlichen Gesundheitsdienst ins Leben zu rufen, anstatt eine Lösung im Rahmen des öffentlichen Krankenkassenwesens voranzutreiben?
Herr Präsident, ich bitte darum, die drei Fragen zusammengefaßt beantworten zu dürfen.
Sind Sie einverstanden?
Ja.
Dann rufe ich noch die Fragen 36 und 37 des Herrn Abgeordneten Wagner auf:
Falls der Bundesgesundheitsminister tatsächlich die Absicht hat, Vorsorgeuntersuchungen durch einen neu zu errichtenden öffentlichen Gesundheitsdienst durchführen zu lassen, wie hoch würden die Kosten dieser Maßnahme zu schätzen sein?
Wie sollen die finanziellen Lasten aufgebracht und getragen werden?
Die Bundesregierung beabsichtigt weder, einen öffentlichen Gesundheitsdienst ins Leben zu rufen, noch ist sie dagegen, daß von der Krankenversicherung Vorsorgeuntersuchungen als Leistungen übernommen werden. So wie bisher wird bei der Begründung eines neuen Anspruchs auf gezielte Vorsorgeuntersuchungen zu prüfen sein, wer der Träger der Leistungen sein soll. Es gibt für die Differenzierbarkeit auf diesem Gebiet ja eine ganze Anzahl Beispiele in Bund und in den Ländern. Ich nenne das Jugendarbeitsschutzgesetz, die Vorsorgeuntersuchungen bei Schwangeren auf Bundesebene, die Schirmbilduntersuchungen, die Jugendzahnpflege, die Mütterberatung und teilweise auch die Krebsvorsorgeuntersuchungen in den Ländern und andere mehr. Zum Teil sind das Leistungen der
Krankenkassen, zum Teil der Länder bzw. des dort in den Ländern und Kommunen bestehenden öffentlichen Gesundheitsdienstes.
Berechnungen, was gezielte Vorsorgeuntersuchungen auf der einen oder anderen Basis kosten, sind selbstverständlich angestellt worden. Eine generelle Summe dafür zu nennen, halte ich nicht für sinnvoll, da die Kosten jeweils vom Umfang der Leistung abhängen. Außerdem wird natürlich die Einführung weiterer Vorsorgeuntersuchungen - sei es durch neue Regelleistungen der Krankenkassen, sei es durch Finanzierung aus öffentlichen Mitteln - von der Finanzierbarkeit abhängen.
Herr Wagner!
Frau Minister, sind Sie der Meinung, daß auch die Vorsorgeuntersuchungen von den privaten Ärzten nach freier Wahl des einzelnen vorgenommen werden sollten?
Herr Kollege Wagner, ich habe in diesem Hause wiederholt gesagt, daß eine Festlegung des Leistungsträgers keine Entscheidung darüber bedeutet, wer die Untersuchungen durchführen soll. Ich habe immer betont, daß ich der Meinung bin, daß der frei praktizierende Arzt, gerade weil er das beste Vertrauensverhältnis zum Patienten hat, sich für die Durchführung der Vorsorgeuntersuchungen anbietet.
Keine weiteren Fragen.
Frage 38 stellt der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, das Problem der Altölbeseitigung dadurch zu lösen, daß Kfz-Reparaturbetriebe mit dem dort anfallenden Altöl in geeigneten Verbrennungsanlagen beheizt werden können?
Der Abgeordnete ist nicht anwesend. Die Frage übernimmt der Abgeordnete Schmidt ({0}) .
Altöle, die in Kfz-Reparaturbetrieben anfallen, können im allgemeinen nicht ohne eine vorhergehende Aufbereitung als Heizöle verwendet werden. Die Altöle müssen im Interesse der Reinhaltung der Luft und aus sicherheitstechnischen Gründen von Wasser, flüchtigen und schlammförmigen Bestandteilen befreit werden. Eine solche Aufbereitung, bei der erneut ölhaltige Abfallstoffe übrigbleiben, dürfte für die kleinen und mittleren Betriebe zu aufwendig sein. Außerdem können die so aufbereiteten Altöle in den gebräuchlichen Ölheizungen gar nicht ohne weiteres verfeuert werden. Es ist also zu erwarten, daß die Mehrzahl der kleinen und mittleren Kfz-Reparaturbetriebe von der Möglichkeit, das dort anfallende Altöl zur Beheizung der Arbeitsräume zu verwenden, keinen Gebrauch machen werden. Altöl fält überdies nicht nur
in den Kfz-Reparaturbetrieben an, sondern auch an zahlreichen anderen Stellen und in unterschiedlicher Art und Zusammensetzung.
Ich bin der Ansicht, daß das Problem der Altölbeseitigung ohne eine geordnete Abholverpflichtung, wie sie der Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen zur Sicherung der Altölbeseitigung vorsieht, kaum zu lösen ist. Bei der Beratung des Gesetzentwurfs hat der Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages die Empfehlung ausgesprochen, im Interesse der Umwelthygiene die industrieeigene Verbrennung nicht zu fördern. Dieser Empfehlung hat sich auch der Wirtschaftsausschuß angeschlossen.
Herr Schmidt ({0}) !
Frau Minister, ich darf Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie mit mir der Auffassung sind: Wenn nicht rechtzeitig in bezug auf die Verwendung des immer mehr anfallenden Altöls etwas geschieht, werden wir mit einer Verseuchung weiter Bodenflächen zu rechnen haben.
Ich teile diese Auffassung. Das Altölgesetz steht ja im Bundestag gegenwärtig zur Beratung an.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf, die ebenfalls vom Abgeordneten Schmidt ({0}) übernommen wird:
Wäre die Bundesregierung bereit, bei der Einrichtung solcher Verbrennungsanlagen zur Altölbeseitigung auf die Heizölsteuer für das verbrannte Altöl zu verzichten?
Der Bundesminister der Finanzen ist der Ansicht, daß diejenigen Altöle, die innerhalb eines Betriebes anfallen, im Betrieb selbst heizölsteuerfrei verfeuert werden können.
Keine weiteren Fragen?
({0})
Ich rufe die Fragen 40 bis 42 des Abgeordneten Dr. Bechert ({1}) auf. Ist der Abgeordnete anwesend? - Das ist nicht der Fall. Dann werden die Fragen schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache V/2677 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache V/3506 ({3}) - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wahl ({4})
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1, Art. 2 sowie Einleitung und Überschrift auf.
- Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Wahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben.
Wir stimmen der sechzehnten Grundgesetzänderung zu, weil sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der verabschiedeten Notstandsverfassung steht und weil schon bei deren Beratung in den Ausschüssen zwischen den Parteien des Hohen Hauses wenigstens im Grundsätzlichen eine Einigung über die jetzt vorliegende Novelle zum Grundgesetz erzielt worden war.
Dabei geht es um zwei wichtige Neuerungen. Art. 115 g des Grundgesetzes sieht ausdrücklich vor, daß auch im Notstand das Bundesverfassungsgericht weiter amtieren soll, damit die richterliche Wahrung der Verfassung und ihrer Grundrechte gesichert bleibt. Es erschien deswegen richtig, die bisher nur in dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vorgesehene Verfassungsbeschwerde auch in das Grundgesetz aufzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich im gleichen Sinn für die verfassungsmäßige Anerkennung der Verfassungsbeschwerde ausgesprochen.
Zweitens. Bei der Verabschiedung der Notstandsverfassung ist in das Grundgesetz - Art. 20 Abs. 4
- auch das Recht aller Deutschen zum Widerstand gegen jeden aufgenommen worden, der es unternimmt, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, und zwar unter der ausdrücklichen Voraussetzung, daß andere Abhilfe nicht möglich ist. Dieses verfassungsmäßig außerordentlich bedeutsame Widerstandsrecht des Volkes wird nun auch wie die alten Grundrechte in dem Sinne als echtes, geschütztes Recht anerkannt, daß das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Betroffenen wegen Verletzung dieses Rechtes angerufen werden kann.
Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß viele, die um die Erhaltung der Staatsautorität besorgt sind, die verfassungsmäßige Anerkennung des Widerstandsrechts gegen den Staat nur mit Skepsis verfolgen. Das hängt damit zusammen, daß .sie die rechtliche Bedeutung dieses Widerstandsrechts nicht voll erfassen. Widerstand gegen die Staatsgewalt bleibt nach wie vor ein Delikt unseres Strafrechts. Der hier zugelassene Widerstand richtet sich, wie Herr Kollege Helmut Schmidt bei der Notstandsberatung klar ausgesprochen hat, gegen einen Staatsstreich, d. h. gegen den Versuch, die verfassungsmäßige Ordnung im ganzen zu beseitigen.
Auch hat sich das Bundesverfassungsgericht schon beim Verbot der Kommunistischen Partei mit dem
allgemeinen Widerstandsrecht des Volkes befaßt, auf das sich die Kommunisten berufen hatten. Dabei wurde vom Bundesverfassungsgericht klargestellt, daß der Widerstand nur erlaubt sein könne, wenn er mit der Absicht ausgeübt wird, das Grundgesetz und seine Ordnung zu erhalten, nicht aber, wenn der Widerstand darauf ausgeht, das Grundgesetz und seine Ordnung zu zerstören.
Auch sonst könnte sich das Bundesverfassungsgericht bei Verfassungsbeschwerden, die sich auf die Verletzung der allgemeinen Freiheit des einzelnen stützen, sich im Rahmen der Gesetze zu betätigen, aber auch bei anderen Freiheitsrechten, auch ohne die jetzt vorgeschlagene Verfassungsergänzung mit dem Widerstandsrecht beschäftigen und dabei den juristischen Gehalt dieses Widerstandsrechts entwickeln. Nur wären dann diese richterlichen Klarstellungen nicht in einem Prozeß - ({0})
Einen Moment, Herr Abgeordneter! Ich bitte doch um Ruhe im Saal. Ich bitte, vor allem die Bewegung einzustellen und die Plätze einzunehmen. - Ich bitte fortzufahren.
Nur wären dann diese richterlichen Klarstellungen nicht in einem Prozeß wegen Verletzung des Widerstandsrechts zu machen, sondern in einem Prozeß über sonstige Grundfreiheiten, die verletzt erscheinen können, wenn das Widerstandsrecht außer Betracht geblieben ist.
Angesichts dieser Sachlage stimmt die CDU der Grundgesetzänderung zu, die der Sache nach keine Erweiterung des Widerstandsrechts enthält, sondern nur die verfahrensrechtlichen Konsequenzen aus seiner grundgesetzlichen Anerkennung zieht. Diese verfahrensrechtliche Novelle ist natürlich ein verfassungspolitischer Schritt von großer Tragweite, zu dem ich Ihre Zustimmung erbitte.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Reischl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem Herr Professor Wahl, der ja zugleich Berichterstatter war, den Inhalt des Entwurfs schon sehr eingehend dargestellt hat, kann ich mich namens meiner Fraktion auf einige wenige Bemerkungen beschränken. Zunächst einmal darf ich feststellen, daß mit dieser Verfassungsänderung einem alten Wunsch meiner Fraktion Rechnung getragen wird. Wir haben schon in der vorigen Wahlperiode, als das Bundesverfassungsgerichtsgesetz geändert wurde, im Rechtsausschuß versucht, diese Verfassungsänderung zu initiieren, weil wir immer schon der Auffassung waren, daß die Verfassungsbeschwerde, nachdem sie sich nun einmal in der Praxis bewährt hatte, nunmehr auch im Grundgesetz verankert werden müsse, um jeden Versuch unmöglich zu machen, dieses Instrument, das ja in erster Linie dem Schutz des Staatsbürgers dient, wieder mit einfacher Mehrheit aus dem Gesetz herauszubringen. Deswegen freut es uns ganz besonders, daß es jetzt gelungen ist, eine einmütige Verabschiedung dieser Grundgesetzänderung herbeizuführen und damit der gesamten Bevölkerung zu zeigen, daß dieses Haus über die Bürgerrechte wacht und Wert darauf legt, daß diese Rechte so im Grundgesetz verankert sind, daß sie von niemandem und von keiner zufälligen Mehrheit beseitigt werden können. Diese Verankerung der Verfassungsbeschwerde ist der wichtigste Teil dieser Verfassungsänderung. Ich glaube, wir können wirklich froh darüber sein, daß es gelungen ist. Wir werden dann noch im Verfassungsgerichtsgesetz einige nähere Ausführungen dazu bringen müssen.
Wichtig erscheint es mir auch, festzustellen, daß zwar ein besonderes Vorprüfungsverfahren, ein Annahmeverfahren vorgesehen werden kann, daß aber, wie der Wortlaut des .Gesetzes aus dem Zusammenhang eindeutig ergibt, hier nur ein richterliches Annahmeverfahren in Betracht kommen kann, wobei allerdings der Senat nicht in voller Besetzung tätig werden muß.
Es freut mich auch sehr, feststellen zu können, daß die Änderung auch den Wünschen des Bundesverfassungsgerichts selbst entspricht. Der Text, so wie er jetzt hier vorgeschlagen wird, wurde auch mit dem Bundesverfassungsgericht abgesprochen, denn dieses Gericht ist es ja schließlich, das die Bestimmungen anwenden muß.
Sehr wichtig erscheint mir noch ein Punkt, nämlich die Aufnahme des Widerstandsrechts in den Katalog der Rechte, derentwegen das Bundesverfassungsgericht im Wege der Verfassungsbeschwerde angerufen werden kann. Herr Professor Wahl hat die Problematik gerade dieses neuen Rechts schon dargestellt. Ich bin diesem Widerstandsrecht gegenüber nicht so ängstlich und meine, es ist immanent ohnehin vorhanden und hier jetzt eben nur in einer geeigneten Weise in die Verfassung aufgenommen worden. Ich bin aber auch der Auffassung, daß es gut ist, daß nunmehr wegen dieses Widerstandsrechts, wegen seines etwaigen Mißbrauchs usw., das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann; denn auf diese Weise werden wir, so hoffe ich, eine Abgrenzung gegen extreme Ausnahmefälle bekommen, die ja auch möglich und denkbar sind und die uns damals von denen entgegengehalten wurden, die gegen die Aufnahme des Widerstandsrechts waren. Ich bin sicher, wenn sich solche, die dieses Widerstandsrecht überziehen wollen, die es also falsch auslegen, nunmehr an das Bundesverfassungsgericht wenden, wird dieses dann eine vernünftige Abgrenzung des Widerstandrechts finden und es damit so stärken, wie wir es brauchen; denn nur ein gut abgegrenztes, klar umrissenes Widerstandsrecht kann wirklich wirksam sein, und nur, wenn ein solches besteht, kann dem Staatsbürger klar sein, wann er zum Widerstand berechtigt ist. Das kann nur das höchste Gericht dieses Landes sagen. Ich glaube, diese Bemerkungen genügen.
Namens meiner Fraktion darf ich erklären, daß wir dieser Verfassungsänderung, die wir schon seit Jahren gern gesehen hätten, mit großer Freude zuDr. Reischl
stimmen und hoffen, daß sie sich in der Anwendung bewährt.
({0})
Meine Damen und Herren, ich darf nochmals bitten, die Plätze einzunehmen und Gespräche, wenn sie schon geführt werden müssen, nicht im Saal, sondern in den Wandelgängen zu führen. Es ist wirklich unmöglich, bei dem Lärm, der durch die verschiedenen im Saale vorhandenen Geräusche erzeugt wird, noch den Redner zu verstehen. Ich meine, das ist auch dem Redner gegenüber nicht fair.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Der Gesetzentwurf, der Ihnen heute zur endgültigen Entscheidung vorliegt, geht auf eine Initiative der SPD und der FDP zurück. Mit Recht hat Herr Dr. Reischl hervorgehoben, daß schon in der vorigen Legislaturperiode Bemühungen bestanden haben, der etwas stiefmütterlich behandelten Verfassungsbeschwerde, die lediglich in einem einfachen Gesetz geregelt war und die durch einfaches Gesetz abgeändert werden konnte, den Rang zu geben, der ihr nach unserer Auffassung eigentlich von Anfang an hätte gegeben werden sollen, und diese Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, wie andere Anrufungsmöglichkeiten mit den dadurch gegebenen Kautelen im Grundgesetz zu verankern.
Ich möchte besonders hervorheben, daß die Regelung, die wir jetzt treffen, ein Produkt unserer Beratungen anläßlich der Notstandsgesetzgebung ist. Gerade die Notstandsgesetzgebung hat in weiten Kreisen unserer Bevölkerung die Sorge hervorgerufen, daß die Rechte des Bürgers, die insbesondere in seinen Grundrechten zum Ausdruck kommen, hier mehr als notwendig eingeschränkt werden sollten, ja, daß sie unter Umständen ganz beseitigt werden sollten. Es muß mit aller Klarheit darauf hingewiesen werden, daß diese Situation durch das vorliegende Gesetz eine Gestaltung erfährt, die wir alle, glaube ich, nur begrüßen können. Jetzt wird das Recht des Bürgers, mit der Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht anzurufen, grundgesetzlich gesichert und kann auch im Notstandsfall nicht mehr durch einfache Mehrheit geändert werden. Wir sollten das jedem draußen, der bisher meinte, dieser Bundestag habe sich allzu sehr damit beschäftigt, die Grundrechte abzubauen, mit aller Deutlichkeit zu verstehen geben.
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Im übrigen brauche ich wohl den Ausführungen meiner Vorredner nichts hinzuzusetzen. Das Widerstandsrecht ist nunmehr trotz der Problematik, die darin liegt, in der Verfassung verankert, und es mag, wenn es erforderlich ist, durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Auslegung erfahren, die vernünftig und zweckmäßig ist. Ich glaube, daß dann auch dieses Grundrecht des Bürgers die Bedeutung erhält, die ihm in Wirklichkeit zukommt.
Wir freuen uns, daß ein altes Anliegen weiter Kreise dieses Hauses mit diesem Gesetz erfüllt wird, und geben dem Gesetz vorbehaltlos unsere Zustimmung.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Änderungen des Grundgesetzes haben inzwischen das Tempo von zwei im Monat erreicht. Angesichts der Vorschläge, die noch in den Ausschüssen liegen, werden wir das Tempo im nächsten Jahr noch beschleunigen müssen. Ich frage mich, wie solche Serien von Grundgesetzänderungen, die die Änderungen zur Routine werden lassen, auf die Dauer auf das Ansehen des Grundgesetzes, das Ansehen der politischen Führung wirken müssen.
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Wir haben es erreicht, daß zur Zeit in der Bundesrepublik kaum jemand mehr im Besitz der geltenden Fassung des Grundgesetzes ist. Die Grundgesetztexte, die wir an die Schüler verschenken, sind sämtlich falsche Texte.
Wir sollten uns ernstlich überlegen, ob wir nicht diese isolierten Änderungen durch eine organische Reform des Grundgesetzes ersetzen müssen, oder, wenn das nicht zu erreichen ist, ob wir uns nicht wenigstens vornehmen sollten, das Grundgesetz in jeder Legislaturperiode nur einmal zusammenfassend und aufeinander abgestimmt zu ändern.
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Die zweite Überlegung: Wenn ich richtig unterrichtet bin, hat die Zahl der Verfassungsbeschwerden inzwischen etwa 1800 im Jahr erreicht. Diese Zahl wächst weiter. Das Gesetz, das wir heute verabschieden, übt eine psychologische Wirkung in diesem Sinne aus. Es scheint sich so zu entwickeln, daß große Anwälte es heute ihrer Reputation und ihren Klienten schuldig zu sein glauben, an jeden großen Prozeß auch eine Verfassungsbeschwerde anzuhängen.
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Meine Damen und Herren, ist das zweckmäßig? Der jetzige Zustand hat bereits zu einer unerträglichen Überlastung und Verzögerung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geführt. Viele von Ihnen kennen den Fall der Stradivari-Geige, einen Fall, der seit mehr als zehn Jahren beim Bundesverfassungsgericht liegt. Der Kläger ist gestorben, der Anwalt ist gestorben, eine zweite Generation bearbeitet den Prozeß. Man fühlt sich an die Passagen von „Dichtung und Wahrheit" erinnert, in denen Goethe die Praxis des Reichskammergerichts in Wetzlar beschreibt. Meine Damen und Herren, dem müssen wir im Interesse des Ansehens unserer höchsten Gerichtsbarkeit begegnen.
Was kann geschehen? Wollen wir die Zahl der Richter erhöhen? Ich hielte dies für verkehrt. Wir haben heute schon 16 Bundesverfassungsrichter,
während der amerikanische Supreme Court bei einer dreifach größeren Bevölkerung mit nur neun Richtern auskommt. Dabei hat der Supreme Court außer den Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts noch zahlreiche Aufgaben unseres Bundesgerichtshofs und auch des Bundesverwaltungsgerichts. Natürlich ist die amerikanische Gerichtsverfassung anders als die deutsche. Aber in dem Auftrag, Hüter der Verfassung zu sein, sind die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts genau die gleichen wie die des Supreme Court. Auch wir sollten uns überlegen, ob wir nicht die Zahl der Bundesverfassungsrichter vermindern sollten. Die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht in Senate aufgespalten ist, muß es notwendigerweise auch im Ansehen bei der Bevölkerung den übrigen obersten Bundesgerichten mit Senatsverfassung annähern. Die Autorität des Bundesverfassungsgerichts würde sicher wesentlich wachsen, wenn alle seine Entscheidungen als Plenarentscheidungen getroffen würden.
Für das Gesetz, das wir heute hier verabschieden, bedeutet das folgendes: Die Zahl der Verfahren muß drastisch vermindert werden. Wir können dem Bundesverfassungsgericht nur raten, die Bestimmungen über die Annahme der Beschwerden - genaugenommen sind es Bestimmungen über die Ablehnung der Beschwerden - sehr großzügig zu handhaben. Der Supreme Court macht das bekanntlich so, daß dort Beschwerden nur aufgenommen werden, wenn zwei Richter bereit sind, sie zu übernehmen. Wenn sich nicht zwei Richter finden, ist die Sache damit erledigt, ohne daß es einer Begründung bedarf. Auch unser Bundesverfassungsgericht sollte grundsätzlich auf Begründungen verzichten, die ja in der Sache wenig Bedeutung haben, weil die Entscheidungen unangreifbar sind.
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Nur wenn es uns gelingt, die Zahl der Entscheidungen wesentlich zu reduzieren, werden wir dem Bundesverfassungsgericht die Autorität geben, die es braucht.
Die dritte Frage: Ist unser Glaube an die segensreichen politischen und juristischen Wirkungen einer möglichst ausgebreiteten Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, möglichst vieler Verfassungsbeschwerden, nicht vielleicht ein Glaube, der eine beträchtliche Illusion enthält? Wird unsere Gesetzgebung dadurch besser, daß uns das Bundesverfassungsgericht ständig Belehrungen erteilt? Ich darf ein Beispiel erwähnen. Ich habe volles Verständnis dafür, daß das Bundesverfassungsgericht sich dazu äußern muß, ob eine Finanzierung der Parteien aus dem Bundeshaushalt zulässig ist oder nicht. Darauf beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht aber nicht, sondern es belehrt uns, daß eine Teilfinanzierung zulässig ist, eine Finanzierung der Wahlkampfkosten ja, eine Finanzierung anderer Kosten nein. Ich will jetzt zu dieser Sache nichts sagen. Ich stelle hier nur die Frage: Woraus schließen Sie eigentlich, daß ein solches Sachproblem der Abgrenzung von acht Bundesverfassungsrichtern sachlich besser gelöst wird als
von 500 Abgeordneten, 20 Ministern und 10 000 Beamten?
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Eine weitere Frage betrifft die politischen Emotionen. Unsere Vorstellung vom Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß wir das Volk gegen die unvernünftigen Emotionen der Politiker durch ein Gericht schützen müßten. Worauf gründen wir eigentlich diese Erwartung? Die Geschichte bestätigt sie nicht. Wir denken an die Judikatur der Weimarer Zeit, in der nicht wenige Richter ihrer Abneigung gegen die Republik in ihrer Rechtsprechung sehr klar Ausdruck gaben.
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Die Behauptung, der Reichspräsident Ebert sei ein Landesverräter, kostete damals 50 RM Geldstrafe, und das Gericht schrieb in das Urteil hinein, er sei in der Tat ein Landesverräter. Ich will nicht auf die nationalsozialistische Zeit eingehen, in der wir ja auch einiges erlebt haben. Ich will nur die Frage stellen, wie voraussichtlich die Geschichtsschreibung in 30 Jahren die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beurteilen wird. Sind nicht vielleicht auch in dieser Rechtsprechung in dem einen oder anderen Falle politische Emotionen durchgeschlagen?
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Ich stelle nur diese Frage, meine Damen und Herren, ohne sie zu beantworten.
Ich habe nichts gegen das Bundesverfassungsgericht. Ganz im Gegenteil, ich möchte es stärken. Aber es wäre gefährlich, wenn wir nicht erkennen würden, daß der Schutz der Demokratie nur in einem einzigen Gremium möglich ist, nämlich hier in diesem Hohen Hause.
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Wenn es uns nicht gelänge, eine so gute Politik zu machen, daß die Wähler immer wieder einen demokratisch gesinnten Bundestag wählen, wenn die Wähler durch Emotionen so überspült würden, daß sie uns einen ganz anderen Bundestag lieferten, dann würde ich es für eine gefährliche Verkennung der Wirklichkeit halten, wenn wir glaubten, eine solche Entwicklung könnten wir mit acht Bundesverfassungsrichtern bekämpfen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme dem Gesetz zu, weil es im Notstandspaket verabredet worden ist. Aber ich meine, wir sollten uns auch über die Gesamtproblematik einmal etwas eingehender unterhalten.
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Ich habe den Herrn Abgeordneten Dichgans nicht zur Sache gerufen, weil ich glaubte, daß das, was er gesagt hat, in der Tat zur Sache gehört.
Wir kommen nun, nachdem die Aussprache abgeschlossen ist, zur Schlußabstimmung. Nach Art. 79
Vizepräsident Schoettle
Abs. 2 des Grundgesetzes bedarf ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.
Nach § 49 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundestages hat der Präsident, wenn für einen Beschluß die Zustimmung einer bestimmten Mitgliederzahl erforderlich ist, festzustellen, daß die Zustimmung der erforderlichen Mehrheit vorliegt. Da der Antrag auf namentliche Abstimmung nicht gestellt ist, geschieht dies durch Auszählen. Ich muß hinzufügen - leider, sage ich -, daß die Berliner Abgeordneten bei dieser Abstimmung gesondert gezählt werden müssen.
Wir stimmen in der Schlußabstimmung der dritten Beratung über das Sechzehnte Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes durch Auszählen ab.
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Es sind 375 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben 371 Mitglieder des Hauses gestimmt. NeinStimmen sind nicht abgegeben worden, wohl aber 4 Enthaltungen. Die Berliner Abgeordneten haben wie folgt gestimmt: mit Ja 12 Abgeordnete, keine Nein-Stimmen, keine Enthaltungen.
Die erforderliche Zweidrittelmehrheit der stimmberechtigten Mitglieder des Bundestages beträgt 331 Stimmen. Es sind 371 Stimmen abgegeben worden. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit ist daher erreicht, der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe dann den Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes
- Drucksache V/3495 Das Wort zur Begründung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Köppler.
Köppler, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt dem Hohen Hause den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes vor.
Das Bundessozialhilfegesetz wurde im Jahre 1961 vom Deutschen Bundestag beschlossen und trat ein Jahr später in Kraft. Es machte sich zur Aufgabe, das zersplitterte Bundesrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge in einem Gesetzeswerk zusammenzufassen und dabei den geänderten sozialen Verhältnissen und Anschauungen anzupassen. Die damaligen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Fraktionen dieses Hauses bezogen sich allein auf die Vorschriften über das Verhältnis der Sozialhilfe zur freien Wohlfahrtspflege. Hierüber hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 1967 abschließend entschieden.
Insgesamt gesehen haben sich die Erwartungen, die der Deutsche Bundestag in das Bundessozialhilfegesetz gesetzt hat, erfüllt. Das Gesetz wurde als fortschrittliches Sozialleistungsgesetz weitgehend positiv aufgenommen und seinem Sinn und Zweck entsprechend angewendet, wenngleich das letztere
hier und dort gelegentlich auch ein wenig zögernd geschah. Ich glaube aber, man sollte sowohl den Trägern der Sozialhilfe wie auch der freien Wohlfahrtspflege und allen in ihrem Dienst tätigen Personen Dank und Anerkennung sagen für ihre intensive Arbeit zugunsten der Menschen, die auf ihre Hilfe angewiesen waren und sind.
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Im Jahre 1965 beschloß der Deutsche Bundestag ein erstes Änderungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz. Es beschränkte sich auf wenige, vordringlich gewordene Punkte. Bei den Beratungen brachte der federführende Ausschuß dieses Hauses zum Ausdruck, daß für eine größere Novelle zunächst weitere Erfahrungen bei der Anwendung des Gesetzes gesammelt werden sollten. Diese Erfahrungen berücksichtigt der nunmehr vorgelegte Entwurf in der Mehrzahl der vorgeschlagenen Änderungs- und Ergänzungsbestimmungen. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf mehrere Leistungsverbesserungen, die nach der Meinung der Bundesregierung auch bei Berücksichtigung der' angespannten Finanzlage in den Haushalten der Länder und Gemeinden nicht länger zurückgestellt werden können.
Erlauben Sie mir, die wichtigsten Verbesserungsvorschläge ganz kurz zu erwähnen. Personen mit wesentlichen seelischen Behinderungen, die nach den jetzigen Bestimmungen Leistungen der Eingliederungshilfe für Behinderte erhalten können, sollen künftig einen Anspruch auf diese Leistungen haben. Die den Blinden gewährte Blindenhilfe, die jetzt 240 DM monatlich beträgt, soll auf 275 DM erhöht werden. Personen, die dauernd pflegebedürftig sind und die erforderliche Wartung und Pflege im häuslichen Lebensbereich erhalten, wird zur Zeit ein Pflegegeld in Höhe von 100 DM monatlich gewährt. Das Pflegegeld soll auf 120 DM erhöht werden.
Das Bundessozialhilfegesetz sieht für alle Hilfearten außer der Hilfe zum Lebensunterhalt besondere Einkommensfreigrenzen vor, die je nach Art, Dauer und Schwere der Notlage gestaffelt sind. Diese Freigrenzen sollen in mehrfacher Hinsicht erhöht werden. Außerdem sollen nach dem Vorschlag der Bundesregierung bei bestimmten Hilfearten günstigere Einkommensfreigrenzen als bisher zugrunde gelegt werden. Die Verbesserungsvorschläge des Entwurfs werden nach den angestellten Berechnungen Mehraufwendungen von etwa 55 bis 60 Millionen DM jährlich zur Folge haben.
Ich möchte nun noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, der im Rahmen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung von besonderer Bedeutung ist. Es handelt sich um den Abschnitt, der die Überschrift tragen soll: „Sonderbestimmungen zur Sicherung der Eingliederung Behinderter". Im Bundessozialhilfegesetz ebenso wie im sonstigen Sozialleistungsbereich nehmen die Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, den Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder wieder zu ermöglichen, einen hervorragenden Platz ein. Die auf dieses Ziel gerichteten Maßnahmen - sie werden mit dem Sammelbegriff „Rehabilitation" be10822
Parlamentarischer Staatssekretär Köppler
zeichnet - können entweder medizinischer oder aber auch schulischer, beruflicher oder allgemeiner sozialer Art sein.
Es hat sich nun immer wieder gezeigt - und dies in besonderem Maße bei jungen Menschen -, daß die Hilfe nicht mehr rechtzeitig kam, weil die Behinderungen den zur Hilfeleistung berufenen Stellen oder Personen verspätet oder überhaupt zu spät bekannt wurden. Die Gründe hierfür sind durchaus verschieden; falsche Scham und Unwissenheit spielen dabei keine geringe Rolle.
Es ist daher das Anliegen des Gesetzentwurfs, sicherzustellen, daß die Behinderten so frühzeitig wie möglich einem Arzt oder dem Gesundheitsamt zur Beratung über die geeigneten Eingliederungsmaßnahmen vorgestellt werden. Auf Grund dieser Beratung können und sollen dann die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen durch die zuständigen Rehabilitationsträger eingeleitet und durchgeführt werden. Darüber hinaus sollen die bei den Beratungen anfallenden Unterlagen - und das ist das weitere Anliegen dieses Entwurfs - so ausgewertet werden, daß sie die Grundlage für eine rechtzeitige Planung der zur Durchführung der Rehabilitation notwendigen Einrichtungen bilden.
Um die beiden genannten Ziele zu erreichen, sieht der Entwurf Verpflichtungen und Maßnahmen vor, die über die jetzigen Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes hinausgehen. Es war der besondere Wunsch der Bundesregierung, hierfür auch die Zustimmung der Ärzteschaft zu finden. Ich freue mich, hier sagen zu können, daß es nach längeren Verhandlungen mit der Bundesärztekammer gelungen ist, eine Einigung mit der Ärzteschaft über die Gesetzesvorschläge zu erzielen.
Meine Damen und Herren, das Bundessozialhilfegesetz als das maßgebende Leistungsgesetz des Bundes auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge steht vielleicht nicht so sehr im Vordergrund des sozialpolitischen Interesses wie andere Sozialleistungsgesetze. Gewiß aber gibt es niemanden in diesem Hohen Hause, der nicht davon überzeugt ist, daß die im Einzelfall notwendige Hilfe in einer sozialen Notlage für jeden rechtlich gesichert sein muß. Dieses Recht weiterzubilden und dabei an die allgemeine soziale Entwicklung anzupassen, ist das Ziel des dem Hohen Hause von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs.
({1})
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Kühn ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung über die von uns seit so langer Zeit erwartete Novelle zum Bundessozialhilfegesetz. Endlich! Ich sage das nicht in einem Ton des Vorwurfs gegenüber der Regierung, sondern um
unsere Genugtuung darüber zu unterstreichen, daß
uns nun endlich dieses langersehnte Gesetz vorliegt.
({0})
- Ich wollte das gerade sagen, Herr Kollege Glombig. Wir wissen, welche Schwierigkeiten dahintergesteckt haben, und wir sollten der Bundesregierung deswegen insbesondere im Hinblick auf einen Punkt, auf den ich noch im einzelnen zu sprechen kommen werde, dankbar sein, daß man hier zu einer Lösung gekommen ist. Denn wir wissen, von welcher Seite aus besondere Schwierigkeiten gemacht worden sind, und wissen auch, daß gerade dieser Punkt im Rahmen des Gesetzeswerks für uns alle, insbesondere aber für die Betroffenen draußen, von besonderer Wichtigkeit ist.
Wir, die Fraktion der CDU/CSU, begrüßen es, daß zunächst einmal die Lehren aus den Erfahrungen bei der bisherigen Anwendung des Sozialhilfegesetzes von 1961 gezogen worden sind. Wir möchten aber bei dieser Gelegenheit eine Bitte an die Bundesregierung, insbesondere an Ihr Haus, Herr Staatssekretär, richten, nämlich mit den zuständigen Länderministern zu verhandeln, daß die Schwierigkeiten bei der Anwendung, auf die Sie selber hingewiesen haben, nach Möglichkeit behoben werden. Wir wissen, daß an sehr vielen Stellen die Bestimmungen noch außerordentlich zögernd angewendet werden. Das .hat sicherlich seinen Grund auch darin, daß es über bestimmte Teile des Gesetzeswerks lange Zeit einen Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht gegeben hat. Es zeigt sich wieder einmal, wie schädlich solche Verfahren sein können. Es ist aber gewiß auch nicht der richtige Weg, wenn sich Abgeordnete dieses Hauses bei Verwaltungsstellen dafür einsetzen müssen, daß das, was in dem Gesetz klar ausgesprochen ist, überhaupt erst Rechtens wird.
({1})
Ich glaube, es wäre sicherlich gut, wenn Ihr Haus, Herr Staatssekretär, über diese Dinge noch einmal eingehend mit den Länderministern spräche und Wege suchte, um die zuständigen Dienststellen auf die Möglichkeiten und, wie wir meinen, die Verpflichtungen aus diesem Gesetz im Interesse der Leistungsempfänger hinzuweisen.
Was die Leistungsverbesserungen betrifft, die in dem Gesetz vorgesehen sind, werden sicherlich viele der Kollegen hier in diesem Hause mit mir der Meinung sein, daß wir den Wünschen, die vielfach von außen an uns herangetragen werden, gern nachgeben würden. Wir würden die Leistungen gern noch weiter verbessern. Aber wir wissen auch, unter welchen Verhältnissen die Bestimmungen und die Verbesserungen, die Sie jetzt eingeführt haben, zustande gekommen sind und welche Schwierigkeiten es auch im Bundesrat schon gegeben hat. Wir sind dankbar, daß der Bundesrat den Bestimmungen insgesamt dann doch zugestimmt hat. Wir werden im Ausschuß darüber noch im einzelnen beraten. Wir sollten aber nicht dadurch, daß wir übertriebene Forderungen stellen, das Gesetzeswerk im ganzen in Frage stellen; denn wir müssen auch die Zeit beKühn ({2})
rücksichtigen, die uns hier noch bis zum Ende dieser Legislaturperiode zur Verfügung steht. Ich meine, daß das ein Gesetzeswerk ist, das unter allen Umständen noch verabschiedet werden muß, eben weil diejenigen, die auf seine Anwendung angewiesen sind, schon seit so langer Zeit darauf warten.
Der dritte Punkt - und das ist jener besondere Punkt, auf den Herr Kollege Glombig soeben auch schon durch den Zwischenruf aufmerksam gemacht hat - ist jener auch von Ihnen, Herr Staatssekretär, unterstrichene neue 12. Abschnitt des Gesetzes über die Sonderbestimmungen zur Sicherung der Eingliederung Behinderter. In der Tat ist es eines unserer ganz gro großen, vordringlichen Anliegen, daß auf diesem Gebiet, auf dem wir bisher wirklich zu wenig getan haben, nun - ich will nicht sagen: etwas Entscheidendes geschieht; das wäre ein zu positiver Ausdruck - ein Schritt in Richtung auf das, was hier geschehen müßte, getan wird.
Ich bin sehr beglückt darüber, daß die Bundesärztekammer ihren anfänglichen Widerstand aufgegeben hat und daß es in sehr zähen Verhandlungen gelungen ist, eine Regelung zu finden, die die Zustimmung auch der Bundesärztekammer gefunden hat. Es ist ganz selbstverständlich, daß, wenn bestimmte Berufskreise in eine solche Regelung und in solche Bestimmungen einbezogen werden, eine positive Gestaltung nur unter Zustimmung der Betroffenen erfolgen kann. Sie kann wirklich positiv nicht gegen ihren Willen erreicht werden.
({3})
- In den Bestimmungen sind natürlich auch die Ärzte wegen der Durchführung angesprochen. Aber Sie haben völlig recht, die letztlich Betroffenen sind die Behinderten. In deren Interesse soll diese Regelung erfolgen. Aber Sie stimmen mir sicher zu, Herr Kollege Glombig, daß hier in freiwilliger Zusammenarbeit mehr zu erreichen ist, als wenn man erst den Widerstand einer Gruppe, die wesentlich beteiligt ist, immer wieder beseitigen müßte. Insofern ist dieser Abschnitt besonders zu begrüßen. Es gibt nichts darin, was völlig neu wäre. Ich erinnere daran, daß wir im Körperbehindertengesetz schon weitergehende Vorschriften hatten, als wir sie dann im Sozialhilfegesetz festgelegt haben. Eigentlich tun wir hier nur einen Schritt zurück auf einem guten Weg, den wir damals, Herr Kollege Glombig, wie ich meine, beschritten hatten. Wir sollten uns daher auch nicht von Kritiken, wie sie hier und da sicherlich noch kommen werden, in unserer Entscheidung beirren lassen.
Es geht darum, sicherzustellen - das haben wir hier bei vielen Gelegenheiten, z. B. bei der Diskussion über die Situation der Kinder, erörtert -, daß die behinderten Kinder zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in eine Förderung schulischer, beruflicher oder allgemeiner Art kommen, die es ermöglicht - ich will es noch einmal unterstreichen; ich habe es hier neulich schon einmal gesagt -, daß der Grundsatz jeder gesunden Sozialpolitik befolgt wird, daß nämlich der einzelne entsprechend seinen Fähigkeiten in den Stand versetzt wird, für sich selber zu sorgen. Letztlich ist es doch wirklich das sozialpolitische Ziel Nummer 1, dafür zu sorgen, daß der einzelne das Gefühl hat, sich seinen Fähigkeiten entsprechend im Leben bewähren zu können.
Es ist wohl selbstverständlich, daß hierzu im Ausschuß noch manches gesagt und beraten werden muß. Ich glaube, wir sollten bei dieser Gelegenheit als unsere Überzeugung auch unterstreichen, daß mit dieser Bestimmung nicht schon der letzte Schritt getan sein kann.
Ich glaube, bei dieser Gelegenheit ist noch ein Tatbestand zu erwähnen, nämlich die Tatsache, daß das Gesetz draußen immer noch nicht in dem Sinne verstanden wird, wie wir es gewollt haben: als ein modernes Sozialhilfegesetz, das von den Fürsorgevorstellungen alter Zeit weit entfernt ist. Wir haben hier einen Rechtsanspruch stabilisiert,
({4})
und es ist keineswegs so, daß diejenigen, die hier Hilfe in Anspruch nehmen müssen, befürchten müßten, daß dafür etwa ihre näheren oder weiteren Verwandten bis in ferne Zeiten hinein für die Rückleistung in Anspruch genommen werden.
Es ist sicherlich interessant, hier einmal eine Zahl zu nennen, wie hoch überhaupt solche Ansprüche im Verhältnis zu den gegebenen Leistungen sind. Sie betragen noch nicht einmal ein Prozent, sondern nur 0,75 %. Ich glaube, daß muß man von dieser Stelle in diesem Hause auch einmal sagen, um Befürchtungen auszuräumen. Wir haben hier ein Sozialhilfegesetz geschaffen, das wirklich einen Rechtsanspruch für denjenigen, der in Not geraten ist, etabliert,
({5})
und wir sollten das nach draußen immer wieder sagen; denn nur wenn das Bundessozialhilfegesetz richtig verstanden und von den Dienststellen, die dazu eingesetzt sind, richtig angewendet wird, wird es den Erfolg haben, den wir ihm alle wünschen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Könen ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht die Daten wiederholen, die der Herr Staatssekretär bei der Begründung des Gesetzentwurfs hier gebracht hat. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß dieses BSHG aus dem Jahre 1961 nicht nur eine Novelle hinter sich hat, sondern auch ein halbes Dutzend Bestimmungen verkraften mußte, die in anderen Gesetzen stehen. Dazu gehören so peinliche Gesetze wie das Haushaltssicherungsgesetz und ähnliches.
Und dann kommt das Verfassungsgerichtsurteil. Meine Damen und Herren, die Wirkung dieses Urteils ist von der Bundesregierung in der Novelle selbstverständlich berücksichtigt worden, insbesondere im Hinblick auf das Thema der Hilfe für Gefährdete. Es steht jetzt also nur sehr wenig drin. Als meine persönliche Auffassung möchte ich sagen:
Könen ({0})
Ich habe große Bedenken, ob das, was drinsteht, noch ausreicht, um gefährdeten Menschen wirklich helfen zu können. Ich bin immer noch nicht fertig mit der Feststellung des Verfassungsgerichts - aber das ist wirklich meine persönliche Meinung, das spreche ich hier nicht im Namen meiner Fraktion aus -, das ja heute hier überhaupt eine merkwürdige Rolle spielt, wie mir gerade einfällt, daß der Staat nicht dazu da sei, seine Bürger zu bessern. Na ja, wollen wir einmal abwarten, auf welche Gebiete sich das alles ausdehnen läßt.
Wir haben also diesen Entwurf auf Grund des Verfassungsgerichtsurteils in § 73 sehr entschärfen müssen. Eine weitere durch Verfassungsgerichtsurteil bedingte Änderung haben wir in § 96. Da hat, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Föderalismus gesiegt: Der Bund ist nicht dazu da, festzustellen, wo in der Gemeinde jemand das Sozialhilfegesetz durchführt. Das tut denn auch weiter nicht weh.
Aber, meine Damen und Herren, diese Dinge, die sich bis zu dieser vorgelegten Novelle entwickelt haben, haben auch noch eine andere, ernste Seite. Es ist nämlich die Frage aufzuwerfen, ob das, was in der Novelle jetzt steht, eigentlich dem genügt, was die Bundesregierung in ihrer Begründung gesagt hat. Es ist zuzugeben, daß sich das BSHG bis heute, trotz einiger Mängel und obwohl manches von dem noch nicht verwirklicht ist, was die SPD sowohl als Opposition früher verlangt hat als auch heute noch fordert, bewährt hat. Manches hätte verhindert werden können, wenn 1961 und auch bei der ersten Novelle, die ja nur sozusagen eine sehr gekürzte Novelle darstellte, unsere Anträge angenommen worden wären; man wollte schnell und ohne viel Zeitverlust Dringendes ändern.
Wir haben jetzt die erste Lesung. Ich habe also nicht die Absicht, hier Paragraph für Paragraph durchzugehen. Aber sehen Sie sich einmal nur den ganzen Komplex der Hilfen für die körperlich und geistig Behinderten und der damit in Zusammenhang zu bringenden Fragen der Einkommensverhältnisse, der Grenzen bei den Einkommen und der Belastungen der Familien an; diese Belastungen der Familien dauern manchmal viele Jahre. Ich sagte nicht etwa aus Versehen nicht „Eltern". Diese Belastung bleibt nämlich, bei Familien mit mehr als diesem einen kranken Kind nicht bei den Eltern stehen. Sie trifft auch deren andere, gesunde Kinder. Darum bin ich der Auffassung, daß hier etwas getan werden muß.
Wir von der Sozialdemokratie werden uns in den Ausschüssen darum bemühen, ob nicht etwas mehr getan werden kann, als die Novelle vorsieht. Die Einkommensgrenzen haben nicht ausgereicht. Ich möchte feststellen, daß sich die Bundesregierung in ihrer Antwort Drucksache V/1804 vom Mai 1967 auf eine Frage von uns nach den Belastungen, die den Eltern entstehen, darauf zurückgezogen hat, festzustellen, daß sich das bei den Leistungen der Krankenversicherung nach der Satzung richtet und, soweit die Sozialhilfe eingreift, nach den Bestimmungen des BSHG. Sie hat in der Sache völlig recht. Dann wird von der Zumutbarkeit gesprochen, und die Regierung sagt:
Die Zumutbarkeit ergibt sich aus Einkommensgrenzen, die im Gesetz festgelegt und als Schongrenzen anzuwenden sind. Bei der Beurteilung der Frage,- ob und in welchem Umfang Einkommen heranzuziehen ist, das die maßgebende Einkommensgrenze übersteigt, sind die besonderen Umstände und Belastungen zu berücksichtigen, die sich für die Familie aus der Behinderung des Kindes ergeben. Ähnliches gilt für den Einsatz des Vermögens.
Das ist in der Sache alles richtig. Nur, meine Damen und Herren, wir hörten eben vom Kollegen Kühn aus Hildesheim einiges über Unverständnis bei Verwaltungen. Das trifft auch hier zu. Das Gesetz wird nicht immer so großzügig gehandhabt, wie es gehandhabt werden müßte gerade in diesen Fällen, weil schon an und für sich der Aufbau der Einkommensbegrenzungen in unserem Gesetz nicht dazu ausreicht, solche lang andauernden schweren Belastungen durch die Familien verkraften zu können. Darauf kommt es nämlich an.
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Wir begrüßen also, daß Verbesserungen und Änderungen dieser Lösung nahekommen. Wir werden uns im Ausschuß darüber unterhalten müssen.
Da wir gerade bei den Einkommensgrenzen und den Anrechnungen sind, ein kurzes Wort zum Thema Anrechnung von Grundrenten auf Sozialhilfeleistungen. Wir sind der Auffassung, daß wir uns in den Ausschüssen ernst damit auseinandersetzen müssen, ob es richtig ist, daß nach wie vor die Grundrenten aus der Kriegsopferversorgung angerechnet werden, oder ob hier nicht endlich einmal mit dieser Methode der Anrechnung Schluß gemacht werden muß. Es widerspricht dem Sinngehalt der Grundrente, daß man sie in dieser Form anrechnet.
Der Abschnitt 12, die Sonderbestimmungen zur Sicherung der Eingliederung von Behinderten und das, was man „Meldepflicht" nennt! Ich bin ja eigentlich der Auffassung: das, was jetzt in der Novelle darinsteht, ist mehr eine Hinweisverpflichtung, und wenn die Hinweisverpflichtung nicht genügt, wird daraus eine Benachrichtigungspflicht. Es gibt viele Argumente pro und kontra. In meinen Notizen hier habe ich sonst nichts stehen, Herr Kollege Kühn; nun haben Sie mich provoziert. Ich wollte wirklich nichts dazu sagen, weil wir das im Ausschuß behandeln können. Sie haben hier von den Betroffenen gesprochen. Sie meinen die Ärzte. Das erinnert mich an die Zeiten des Körperbehindertengesetzes. Als wir das Körperbehindertengesetz machten, hatte man nicht nur den Eindruck, sondern die Ärzte meinten das auch so, daß wir hier nicht ein Gesetz für Körperbehinderte machen würden, sondern ein Gesetz für den Ärztestand. Das war ein grober Irrtum sondergleichen. Darum haben sie sich wahrscheinlich auch damals so sehr im Ton vergriffen. Ich erinnere mich noch sehr gut der Überschrift in einer Fachzeitschrift: „Orthopäden, packt eure Koffer". Man kann also heute nur noch hinzusetzen: Komma, denn ihr könnt jetzt
Könen ({2})
Weltreisen machen. - Wir sollten nicht von den Betroffenen reden, wenn wir nicht die meinen, denen geholfen werden soll. Man kann sich darüber unterhalten, wie weit darüber hinaus nicht nur Ärzte, sondern auch andere an der Durchführung eines solchen Gesetzes Beteiligte gehört werden müssen, wieweit ihre Wünsche usf. usf. berücksichtigt werden müssen. Aber das will ich Ihnen ehrlich sagen: mir wäre es lieber gewesen, wenn der Herr Staatssekretär hätte sagen können, daß die Verbände - das sind ja keine Lobbyisten im Sinne der Dinge, die wir vorige Woche erlebt haben -, die sich dieser Menschen annehmen, mit den Regelungen dieser Novelle zufrieden gewesen wären, weil sie ihren Ansichten entsprächen. Das wäre mir viel lieber gewesen als die Mitteilung, daß die Bundesärztekammer einverstanden ist. - Also, wie gesagt, das zu sagen hatte ich nicht vorgehabt, aber es schien mir notwendig, es nun doch zu tun.
Auch zur Ausweitung des § 39 in diesem Gesetz will ich hier nur kurze Anmerkungen machen, weil es eben die erste Lesung ist. Wir haben also die seelisch Behinderten in der Novelle zum BSHG, die jetzt vorliegt, mit drin. Wir werden eine Verschiebung der Kannleistungen und des Rechtsanspruches bekommen. Wir als Fraktion sind uns darüber klar, daß es hier zu schwierigen Dingen kommen kann. Wenn ich daran denke, wie ich als Laie monatelang mit den Professoren darum gerungen habe, was diese unter einem geistig behinderten Menschen verstehen, sehe ich eine Neuauflage kommen, wenn ich sie fragen werde: Was verstehen Sie unter einem seelisch behinderten Menschen? Wir werden also im federführenden Ausschuß eine Sachverständigenanhörung zu dieser Frage fordern, weil wir meinen: bevor wir uns entscheiden, müssen wir genau wissen, wo diese Reise dann hingeht. Wir sollten die Beratung dieser Novelle auch dazu benutzen, uns einmal Gedanken darüber zu machen, wie wir eine Fortführung des Rechtes der Rehabilitation überhaupt in den Griff bekommen.
Die Leistungserhöhung. Selbstverständlich sind die Leistungserhöhungen im allgemeinen zu begrüßen, sie sind aber zum Teil noch ungenügend. Ich will als Beispiel nur das Pflegegeld nehmen: von 100 auf 120 DM, und die Regierung sagt in ihrer Begründung, die Lebenshaltungskosten seien um 17 % gestiegen. Sie hat ganz vergessen, daß die Arbeitsleistungskosten, die damit zusammenhängen, ebenfalls gestiegen sind. Wir werden uns darüber unterhalten müssen.
Wir freuen uns darüber, daß z. B. bei der Ausbildungshilfe, bei den Voraussetzungen für den Besuch von Hochschulen usw. der Begriff des „erheblich über dem Durchschnitt" heraus ist. Dieses „erheblich" hat uns ja schon früher in den Ausschüssen viel Sorge gemacht, weil uns auch hier kein Mensch sagen konnte: Was ist eigentlich „erheblich über dem Durchschnitt" ? Ich will die Ausführungen, die ich damals dazu gemacht habe, aus Zeitgründen nicht wiederholen. Wir werden aber auf diesem Gebiet weitere Wünsche äußern.
Ich möchte allerdings auch eine Hoffnung aussprechen. Wir bekommen jetzt ja endlich das Ausbildungsförderungsgesetz auf den Tisch; in welcher Form weiß ich noch nicht ganz genau, aber wir bekommen es auf den Tisch. Ich hoffe sehr, daß dieses Ausbildungsförderungsgesetz ein so gut funktionierendes Gesetz wird, daß wir die Bestimmungen zur Ausbildungshilfe im Bundessozialhilfegesetz weitgehend als erledigt betrachten können. Ich glaube, die Güte des Ausbildungsförderungsgesetzes kann daran gemessen werden, was nicht mehr im BSHG zu stehen braucht; denn das Bundessozialhilfegesetz - das wissen alle Fachleute - ist nicht dazu da, solche Bestimmungen zu enthalten. Das war der Notanker, den wir werfen mußten, weil wir dieses Ausbildungsförderungsgesetz nicht hatten. Keiner wird dem Ausmerzen dieser Bestimmungen eine Träne nachweinen, wenn das Ausbildungsförderungsgesetz würdig an deren Stelle tritt.
Die Novelle zeigt bei verschiedenen Vorschlägen wiederum Festbeträge. Meine Damen und Herren, wir haben es früher gesagt, wir sagen es heute: Wir halten es für eine schlechte Sache, daß wir uns immer an Festbeträgen festhalten, die wir dann immer durch eine Novelle ändern müssen. Wenn hier von dem Herrn Staatssekretär u. a. gesagt worden ist, daß die Blindenhilfen von 240 auf 275 DM erhöht werden sollen, habe ich eine Frage. Das Bundesversorgungsgesetz hat vor rund zwei Jahren diese Bestimmung aufgenommen, und nun passen wir uns an. Warum passen wir uns erst nach zwei Jahren an, warum passen wir uns überhaupt in Form einer Novelle an, warum schreibt man nicht in ein solches Gesetz schlicht hinein, daß sich die Dinge nach dem richten, was dort geschieht? Das meinen wir mit der überflüssigen Fixierung von Festbeträgen. Die Dummen sind nämlich diejenigen, die dann diese Leistungen erhalten sollen.
Wir begrüßen die Vorschläge der Bundesregierung bezüglich des Kostenersatzes. Sie ist davon ausgegangen, überflüssige und unwirtschaftliche Verwaltungsarbeit entfallen zu lassen. Wir hoffen, daß wir vielleicht hier bei der Beratung auch noch einiges ändern können. Wir sind nämlich auch der Meinung, man sollte das Aktenwälzen ohne Erfolg abstellen.
Damit sind wir beim Geld. Wie sieht es denn nun bei dieser Geschichte mit den Gesamtkosten aus? Die Novelle spricht von Mehraufwendungen von 55,37 Millionen DM; davon soll der Bundeshaushalt ganze 3,72 Millionen DM mittragen. Ich nehme also an, daß der Haushaltsausschuß, der nach § 96 der Geschäftsordnung beteiligt werden soll, sehr schnell mit der Sache fertig ist. Der Rest von 51,65 Millionen DM bleibt bei den Ländern und Gemeinden hängen. Nun ist das so, daß wir es in diesem Hause ja gewohnt sind, mit Milliardenbeträgen zu jonglieren. Vielleicht haben wir das Gespür dafür verloren, was 50 Millionen DM draußen ausmachen. Hin und wieder bekommt man nämlich gesagt: Lieber Gott, da kommen da 50 Millionen und da 12 und da 17 und da 3 und da 12 und da 15, und auf einmal stellen wir fest, daß die Gemeinden kein Geld haben, um die Dinge durchzuführen. Unser Auge für die Größenordnungen ist da wohl etwas getrübt. Wir werden also wieder einmal etwas beschließen, was die
Könen ({3})
anderen bezahlen müssen - bis auf die 3,72 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt.
Wir von der Sozialdemokratie haben das schon vor 1961, bei der Verabschiedung des Gesetzes 1961 und bei der ersten Novelle angesprochen. Wir haben immer wieder gesagt: Hier ist auch eine Frage, die etwas mit der Finanzreform zu tun hat. Wir müssen heute erneut auf diese Frage hinweisen, auf die Finanzreform, ganz besonders auf die Gemeindefinanzreform; denn Gemeinden, große und kleine, können mehr und mit mehr Freude tun, wenn ihre Kasse stimmt, wenn die Kasse es ohne zu große Schwierigkeiten zuläßt. Daran sollten auch wir bei diesen Zusammenhängen denken. Ich möchte dazu nur sagen, daß es nach meiner persönlichen Auffassung bei der Gemeindefinanzreform nicht gerade rosig aussieht.
Die Begründung der Bundesregierung hat der Herr Staatssekretär bereits vorgetragen. Wir können dazu nur sagen: Jawohl, sehr einverstanden.
Wir sind der Auffassung, daß wir uns bei der Beratung in den Ausschüssen mit allen Eingaben, ob sie nun von den kommunalen Spitzenverbänden, von den Ärzten oder von den Verbänden gekommen sind, die sich um die Betroffenen kümmern, die aus diesem Gesetz Leistungen erhalten sollen, sehr ernsthaft auseinandersetzen und sie auf ihre sachliche und fachliche Notwendigkeit prüfen sollten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen. Als die CDU und die SPD noch nicht gemeinsam Minister in einer Regierung hatten so wie jetzt, hatten wir harte Auseinandersetzungen. Wir haben ein Bundesverfassungsgerichtsurteil hinter uns, das die Dinge geklärt hat. Ich will nicht die Frage nach Siegern und Besiegten stellen. Ich möchte nur mit Genugtuung feststellen - und ich glaube, Herr Kühn, da nähere ich mich Ihrer Auffassung -, daß jetzt Klarheit und Frieden herrschen und daß dieses Gesetz nun endlich so durchgeführt werden kann, wie man sich das vorstellt.
Damals hatte die CDU als Begründung für ihre Hartnäckigkeit und ihren enormen Widerstand angeführt, dieses Gesetz sei ein Teil der Gesellschaftspolitik. Ich darf Ihnen heute sagen: sehr richtig, es ist eine gesellschaftspolitische Angelegenheit. Der Hintergrund war einfach der, daß Ihre Vorstellungen von Subsidiarität andere sind als unsere. Wenn wir uns darüber einig sind, daß dieses Gesetz mehr als ein Fachgesetz ist, nämlich auch eine gesellschaftspolitische Aussage, dann kann ich nur mein Bedauern darüber aussprechen, daß in der Sozialenquete dieser Sektor so schlecht und billig weggekommen ist. Dort hat man die Funktion des Sozialhilferechts nicht nur als eine Lückenbüßerfunktion angesehen, sondern man hat es auch so ausgedrückt, und dagegen möchte ich mich an dieser Stelle doch einmal verwahren. Wir sind der Auffassung, daß ein modernes Sozialhilferecht, so wie es heute schon ist und das noch auf dem Wege zur Verbesserung ist, Funktionen haben muß, die von uns allen unterstützt werden, weil moderne Sozialhilfe eine wichtige und kontrollierbare Aussage zur Gesellschaftspolitik darstellt. Da kann man sich mit Sonntagsreden nicht aus der Affäre ziehen, sondern da muß man Fakten auf den Tisch legen, damit man feststellen kann, ob da etwas gesellschaftspolitisch Interessantes ist oder nicht.
Die Aufgabe, die vor uns steht, kann nicht auf einmal gelöst werden, auch nicht nur mit Leistungsverbesserungen. Leistungsverbesserungen schlechthin bedeuten noch kein Hinwenden zu gesellschaftspolitischen Funktionen. Wir als Sozialdemokraten werden uns darum bemühen, daß der kleine Schritt, den diese Novelle darstellt, zu einem größeren Schritt werden wird. Dann, meine Damen und Herren, werden wir Sozialdemokraten uns zu gegebener Zeit auch darum bemühen, die Wegweiser aufzustellen, damit diese Schritte in die richtige Richtung gelenkt werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn ich an die Verabschiedung des Bundessozialhilfegesetzes und die heißen Redeschlachten denke, die in diesem Hause bei großer Besetzung bis in die Nacht hinein und am nächsten Tage geführt worden sind, dann kann ich nur sagen: Welch erfreuliche Entwicklung, daß wir uns in den Fragen, die in dieser Novelle anstehen, beinahe einig sind, daß es nur um Nuancen geht, daß es darum geht, ob das, was die Regierung in der Begründung sagt, wirklich zutrifft oder ob nach unserer Meinung noch Verbesserungen vorgenommen werden sollten! Die Regierung sagt in ihrer Begründung, daß sie vor allem drei Dinge anstrebt. Sie will die gesetzgeberischen Folgerungen aus den Erfahrungen ziehen, die man gemacht hat, sie will die Leistungen in einigen Bereichen der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung anpassen und sie will bei der Eingliederung der Behinderten besondere neue Regelungen in Abschnitt 12 treffen.
Die Freien Demokraten können nicht die Auffassung teilen, daß mit dem Entwurf die gesetzgeberische Folgerungen aus allen Erfahrungen gezogen werden, die bei der Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes gemacht wurden, sondern meinen, daß im Ausschuß noch eine ganze Reihe von Fragen anzusprechen sind. Wir sind z. B. der Meinung, daß die Probleme der Schwerst- und Mehrfachbehinderten erörtert werden müssen und daß hier zusätzliche Folgerungen zu ziehen sind.
Wir haben auch die Meinung, daß der zweite Punkt, die Anpassung der Leistungen an die allgemeine wirtschaftliche und soziale Entwicklung, nicht in allen Teilen dem gerecht wird, was die Regierung in der Begründung sagt. Auch hier werden wir uns sehr deutlich darüber unterhalten müssen, was richtig und zweckmäßig ist. Ich darf hier wie meine Vorredner im Zusammenhang mit § 81 die besondere Einkommensgrenze ansprechen, die nach § 82 ständig hätte angepaßt werden können; denn wir haben im Jahre 1961 der Bundesregierung eine ErmächtiSpitzmüller
gung gegeben. Aber die Bundesregierung hat von dieser Ermächtigung nicht Gebrauch gemacht.
({0})
Wir werden im Ausschuß einmal zu prüfen haben, warum sie von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht hat bzw. was wir tun können, damit Verbesserungen nicht nur dadurch vorgenommen werden können, daß wir das Gesetz im Bundestag novellieren.
Der Vorschlag, der jetzt gemacht worden ist, ist nach meiner Meinung ungenügend, vor allem wenn wir an die geschichtliche Entwicklung denken. Das Körperbehindertengesetz hatte höhere Sätze. Das Tbc-Hilfegesetz hat die Sätze ein bißchen nach unten gedrängt. Die Grenze ist also immer nach unten bewegt worden, während die Löhne und die Lebenshaltungskosten im gleichen Zeitraum gestiegen sind. Diese Entwicklung haben wir im Jahre 1960/61 im Ausschuß sicher nicht so übersehen können. Sonst hätten sicher auch Herr Willeke und Frau Niggemeyer, die leider nicht mehr unter uns weilen, die sich aber um das Gesetz außerordentlich bemüht haben, vielleicht mit uns gemeinsam eine bessere Regelung angestrebt. An uns ist es nun, im Ausschuß zu versuchen, bessere Regelungen für die Zukunft einzubauen.
Namens der Freien Demokraten möchte ich auch dem Bundesrat Dank aussprechen. Er hat nicht nur einschneidende Verschlechterungen vorgeschlagen oder sich gegen die eine oder andere Fassung gewandt, sondern er hat in sehr vielen Punkten positive, durchdachte Ergänzungsvorschläge gemacht, für die wir dankbar sind, weil damit im Ausschuß schon viel Arbeit sozusagen über den Tisch erledigt ist, da die Regierung in den meisten Fällen zugestimmt hat. Ich weise nur hin auf die Regelung beim Pflegegeld, bei dem der Bundesrat vorgeschlagen hat, es unabhängig von der Einkommensgrenze zu gewähren, auf die häusliche Entbindung und auf die teilstationäre Betreuung. Wir sind darüber hinaus noch der Meinung, daß im Zusammenhang mit dem Leistungskatalog in § 40 zu prüfen sein wird, ob nicht die Behandlung und Betreuung in Sondereinrichtungen, insbesondere in Tagesstätten, in das Gesetz aufgenommen werden sollten.
Nun komme ich zu dem sehr schwierigen Problem des Abschnitts 12, der schon eine bedeutende Rolle gespielt hat. Es handelt sich um die Meldepflicht für Behinderte. Wir sehen noch nicht ganz ein, daß diese Meldepflicht für Behinderte tatsächlich Vorteile bringt. Wir müssen uns über die Vorteile, die diese Meldepflicht bringen kann, im Ausschuß noch einmal unterhalten und müssen auch erfahren, was die Bundesärztekammer veranlaßt hat, ihren Widerstand nun aufzugeben.
Wenn Sie uns aber davon überzeugen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Meldepflicht Vorteile bringt, dann sind wir der Meinung - das darf ich für meine Fraktion klar aussprechen -, daß die Meldepflicht nur dann sinnvoll ist, wenn wir im Gesetz die Grundlage dafür schaffen, daß die Träger. geeignete Einrichtungen zu bilden haben. Die Meldepflicht nützt uns gar nichts, wenn
wir nicht die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, damit diejenigen, die erfaßt sind, tatsächlich einer guten Behandlung zugeführt werden können; sonst gibt es doch nur Verärgerungen.
Der Herr Kollege Könen hat das Problem der Ärzteschaft ein bißchen scharf angegangen. Ich glaube, wir brauchen die Mitarbeit der Ärzte. Bei der Frage der Meldepflicht der Ärzte geht es doch nicht um die berufständischen Möglichkeiten, sondern einfach um das Verhältnis Arzt - Patient. Hier handelt es sich um mitmenschliche und zwischenmenschliche Beziehungen, in die man möglichst nicht eingreifen soll. Man muß hier doch auch erkennen - das möchte ich als Nichtarzt sagen -, daß die Ärzte natürlich immer vor der Frage stehen: wo fängt es an, wo führt es hin, und wo hört es auf? Von da her muß man den Bedenken, die die Ärzte hier vorgetragen haben, durchaus Verständnis entgegenbringen. Wir sind also der Meinung, daß, wenn eine Meldepflicht verankert wird, auch die gesetzliche Verpflichtung vorhanden sein sollte, die notwendigen Einrichtungen zu schaffen.
({1})
Ich möchte jetzt die Verhandlungen nicht mehr weiter aufhalten. Es war das erklärte Ziel des Bundessozialhilfegesetzes, Hilfen für alle jene Fälle zu normieren, die nicht anderweitig geregelt sind und die sich der Vorsorge des einzelnen oft entziehen. Das bedingt eine Vielzahl von Einzelregelungen. Diese sind zunächst für sich allein, dann aber auch im Gesamtzusammenhang zu sehen. Hier geben die. Vorschläge im Entwurf zu Fragen Anlaß, die ich nicht jetzt, sondern im Ausschuß stellen möchte.
Ich hoffe, daß wir diesen Gesetzentwurf zügig beraten und als ein weiteres sozialpolitisches Gesetzgebungswerk in diesem Bundestag verabschieden können.
({2})
Keine weiteren Wortmeldungen.
({0})
- Zu diesem Punkt? - Bitte sehr, zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zur Geschäftsordnung den Antrag stellen, diesen Gesetzentwurf auch an den Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden zu überweisen. Ich weiß, daß vor allem die Parlamentsreformer über diesen Vorschlag nicht glücklich sind.
({0})
Ich darf hier nur an die Rede des Kollegen Könen erinnern. Er hat drei wesentliche Punkte genannt, bei denen ein Zusammenhang mit dem Bundesversorgungsgesetz gegeben ist. Ich habe bei der letzten Beratung im Jahre 1961 im Kommunalpolitischen Ausschuß mitgewirkt. Damals mußte der Kriegsopferausschuß wiederholt Stellung nehmen.
Um das von vornherein zu vermeiden, möchte ich, weil das der schnellste und der richtigste Weg ist, diesen Überweisungsantrag stellen.
Herr Kollege Maucher, ich habe mir gleich gedacht, daß Sie zur Überweisung sprechen wollen.
Meine Damen und Herren, Sie haben diesen Antrag gehört. Im Ältestenrat kämpfen wir gewöhnlich einen harten Kampf gegen die zahlreichen Überweisungswünsche. In der Geschäftsordnung steht, daß nach Möglichkeit an nicht mehr als zwei Ausschüsse - den federführenden und den mitberatenden Ausschuß - überwiesen werden sollte.
Der Sozialpolitische Ausschuß soll im vorliegenden Fall federführend sein. Ist das unstrittig? - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Dann der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen! Ist das auch unstrittig?
({0})
- Wenn Sie widersprechen wollen, tun Sie es bitte. - Zum Überweisungsvorschlag hat der Kollege Frehsee das Wort. Ich bitte Sie, sich auch zu dem soeben gestellten Überweisungsantrag zu äußern. Wenn wir es nicht anders machen können, muß abgestimmt werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist offensichtlich der Eindruck entstanden, daß die gutachtliche Äußerung eines Ausschusses sehr viel weniger bedeuten würde als die Mitberatung. Ich finde, wir sollten diesem Eindruck entgegentreten. Das, was dem Ältestenrat an Wünschen für Ausschußüberweisungen vorgetragen wird, nimmt überhand. Wir haben uns nicht nur in diesem, sondern auch in einem anderen Falle im Ältestenrat Gedanken darüber gemacht, wie man mit diesen Wünschen zurechtkommen soll und wie man im Interesse der Sache am zweckmäßigsten verfährt.
Meine Freunde sind der Meinung, daß dieser Gesetzentwurf zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes nicht unbedingt zur Mitberatung an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen und auch nicht unbedingt an den Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden überwiesen werden muß. Deswegen, Herr Präsident, werden wir sowohl dem Vorschlag des Ältestenrats auf Überweisung an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen als auch dem hier soeben vorgebrachten Antrag des Kollegen Maucher nicht zustimmen. Wir bitten das Hohe Haus, dieser Stellungnahme zu folgen. Der Sache wird damit kein schlechter Dienst erwiesen.
Eine Sekunde, Herr Abgeordneter. - Meine Damen und Herren, ich kann mich in die Diskussion über die Frage, an welche Ausschüsse der Gesetzentwurf überwiesen werden soll, nicht einmischen, muß aber an das Haus appellieren, ihn an so wenig Ausschüsse wie möglich zu überweisen. Wir kommen jetzt in das letzte Jahr der Legislaturperiode, Herr Kollege Maucher, und die Ausschüsse müssen noch eine ganze Reihe von Arbeiten erledigen. Es liegt im Interesse des Ausschusses, wenn nach Möglichkeit die Geschäftsordnungsvorschrift befolgt wird.
Das Wort hat Herr Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben sehr viel Sympathie für Ihren Vorschlag, Herr Kollege Maucher. Die Erfahrung lehrt jedoch, daß es für den federführenden Ausschuß sogar von Vorteil ist, wenn er die Möglichkeit hat, bei bestimmten Paragraphen eines Gesetzentwurfs, bei denen er sich noch nicht festlegen will, andere Ausschüsse um gutachtliche Stellungnahme zu bitten, damit, wenn es die Beratungssituation gerade erfordert, ein Ausschuß, der berührt ist, sich gutachtlich äußern kann.
Ich meine deshalb, daß wir dem Antrag des Kollegen Frehsee folgen sollten, und kann Ihnen versichern, daß der Sozialpolitische Ausschuß mit seiner Mehrheit in all den Punkten, die Familienfragen und Kriegsopferfragen berühren, rechtzeitig um eine gutachtliche Stellungnahme nachsuchen wird. Ich glaube, das ist für die Behandlung des Gesetzentwurfs im Ausschuß von Vorteil und eine bessere Regelung für uns alle miteinander.
({0})
Einverstanden? - Herr Abgeordneter Maucher!
Ich bin damit einverstanden, habe aber nur die Bitte, daß der federführende Ausschuß nicht erst dann um gutachtliche Stellungnahme bittet, wenn der Gesetzentwurf beraten wird, sondern sich der Vorsitzende schon vorher überlegt, zu welchen Punkten die gutachtliche Stellungnahme eingeholt werden soll, und diese dann sofort anfordert, damit keine Verzögerung eintritt.
Damit ist mein Antrag gegenstandslos.
Also der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Kriegs-und Verfolgungsschäden ist zurückgezogen. Wie ist es mit dem Ausschuß Familien- und Jugendfragen?
({0})
- Er soll gutachtlich gehört werden. Dann erfolgt keine Überweisung. Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen?
({1})
- Das Wort hat Herr Abgeordneter Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das hat eine ganz einfache BeKönen ({0})
gründung: Das ist der Ausschuß, der sich mit denen befassen muß, die die Hochzeit bezahlen müssen.
({1})
Also die Städte müssen hauptsächlich zahlen.
({0})
Dann empfehle ich dem Haus, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen zur Mitberatung zu überweisen. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Was ist mit dem Ausschuß für Gesundheitswesen?
({1})
- Gutachtlich.
Ferner ist der Gesetzentwurf an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Das Haus ist einverstanden; damit ist diese Überweisung beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Städtebau- und Gemeindeentwicklungsgesetzes
- Drucksache V/3505 Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Lesung des Entwurfs eines „Städtebauförderungsgesetzes" im Bundestag ist die erste große Städtebaudebatte, die in diesem Hohen Hause stattfindet. Und das, obwohl doch die Erneuerung und Entwicklung unserer Städte und Gemeinden uns alle unmittelbar angeht und uns alle täglich betrifft.
Ohne Zweifel sind gerade in der Bundesrepublik in den vergangenen zwei Jahrzehnten nach der Währungsreform auf baulichem Gebiet so außergewöhnliche Leistungen zu verzeichnen, daß man sie nicht genug rühmen kann, Leistungen, die auch im Ausland oft mit Bewunderung und in größtem Umfang anerkannt worden sind. Mit den mehr als 10 Millionen Wohnungen, die in dieser Zeit entstanden sind, konnte nicht nur der normale Zuwachs der Bevölkerung im wesentlichen versorgt werden, sondern es ist uns darüber hinaus gelungen, die Millionen von Flüchtlingen, die aus dem Osten in die Bundesrepublik eingewandert sind, unterzubringen, und die enormen Kriegszerstörungen zu beseitigen. Wir können nur immer wieder allen danken, die an diesen großen Leistungen mitgewirkt haben, und ihnen unseren Dank und unsere besondere Anerkennung aussprechen.
Und doch kann man trotz dieser gigantischen Aufbauleistungen der letzten zwanzig Jahre gelegentlich auch Kritik hören: Bei dem Wiederaufbau sei versäumt worden, die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft in stärkerem Maße planvoll zu berücksichtigen, wir hätten nicht genug Nerven und nicht genug Intelligenz aufgewandt, die Weichen für eine nur scheinbar undurchsichtige Zukunft richtig zu stellen, und es wäre keineswegs notwendig gewesen, die schon seit Jahrzehnten kritisierten planerischen Fehler zu wiederholen.
Sicherlich ist eine so scharfe Kritik, meine Damen und Herren, nicht berechtigt; denn es steht wohl fest, daß niemand die stürmische Entwicklung der letzten zwanzig Jahre voraussehen konnte. Gewisse Fehlentwicklungen waren deshalb wohl unvermeidlich. Fest steht aber auch, wie mir scheint, daß durch intensive Planungen und die Möglichkeiten, diese Planungen zügiger zu verwirklichen, mancher Fehler hätte vermieden werden können. Der Wiederaufbau unserer Städte nach dem Kriege war deshalb - ich wiederhole: so imponierend diese Leistungen auch sein mögen - im Prinzip in erster Linie mehr ein Wiederaufbau als ein Städtebau.
Es ist jedoch wenig sinnvoll, Fehlleistungen der Vergangenheit zu beklagen und Unterlassungen nachtrauern zu wollen. Wichtig scheint mir zu sein, zu erkennen, daß wir uns jetzt in einer neuen, einer zweiten Phase des Baugeschehens befinden. Worauf es heute ankommt, ist doch dies:
Wir müssen alles tun, den Wohnungsbau viel mehr als bisher in die Gesamtproblematik des Städtebaues zu integrieren und die interdisziplinäre Komplexität des Städtebaues besser zu begreifen und nutzbar zu machen, damit nicht in zwei Jahrzehnten wieder rückblickend gesagt werden kann, wir hätten nicht vorausschauend genug gehandelt und wir hätten nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die zukünftige Entwicklung unserer Städte und Gemeinden so zu lenken, daß wir selbst und die nach uns kommende Generation darin menschenwürdig leben könnten.
Die Verwirklichung dieser Ziele ist nicht nur eine kommunalpolitische Aufgabe, wie man vielleicht aus der Bezeichnung des Gesetzes „Städtebauförderungsgesetz" ableiten könnte. Im Gegenteil, hier stellt sich eine der großen gesellschafts- und strukturpolitischen Aufgaben der Zukunft, die von den Ländern und Gemeinden allein nicht wahrgenommen werden kann, bei der vielmehr auch der Bund aufgerufen ist, durch Koordination seiner wirtschafts- und strukturpolitischen sowie gesellschaftspolitischen Maßnahmen auf Bundesebene aus seiner bundesstaatlichen Verantwortung heraus mitzuwirken.
Als eines der wichtigsten Hilfsmittel zur Lösung dieser Aufgabe wird von der politischen und fachlichen Öffentlichkeit in immer stärkerem Maße und fast einhellig eine gesetzliche Regelung der vielschichtigen Probleme des Städtebaues und der Gemeindeentwicklung gefordert. Warum wird diese Forderung so nachdrücklich erhoben? Warum befaßt sich die Öffentlichkeit in einer solchen Intensität mit diesen Fragen? Und wie ist überhaupt die Situation, die solche Probleme aufwirft? Wenn man die politische und hier vor allem die gesellschaftspolitische Situation im städtebaulichen Bereich untersuchen und darlegen will, wird man - wie mir scheint - von drei Feststellungen ausgehen müssen.
Erstens. Es gibt kaum Gemeinden und Städte, in denen nicht Gebiete mehr oder minder großen Umfanges in ihrer Bausubstanz hoffnungslos veraltet sind. Die Wohnverhältnisse in diesen Gebieten sind menschenunwürdig, die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind rückständig und für die Menschen eine schwere Belastung. In diesen Gebieten besteht die Notwendigkeit einer Sanierung in des Wortes ureigenster Bedeutung. Zwar handelt es sich bei diesen Stadt- und Gemeindebereichen mit verfallenen Gebäuden und überalteter Bausubstanz keineswegs um reine Slumgebiete. Dennoch sind als Folge der beiden Kriege, der wirtschaftlichen Krisen, der Wohnraumbewirtschaftung, der Mietpreisbindung usw. Gebiete übriggeblieben, die den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und an die Sicherheit der dort wohnenden und arbeitenden Menschen einfach nicht mehr entsprechen.
Auf der anderen Seite aber stehen heute insbesondere im Bereich früher stark zerstörter Stadtzentren und ehemaliger Altstadtwohngebiete neben mängelbehafteten überalterten Bauten ganz moderne Wohnungen, die allen Anforderungen unserer Zeit gerecht werden. Gerade dieser Kontrast ist aus gesellschaftspolitischen Gründen unerträglich. Das harte Nebeneinander von alt und neu muß einer organischen und harmonischen städtebaulichen Entwicklung zugeführt werden.
Neben diesen Mängeln in ihrer Bausubstanz zeigen viele Städte und Gemeinden Mängel in ihren urbanen Funktionen. Ganze Teile unserer Städte und zahlreiche Dörfer sind nicht mehr den Aufgaben gewachsen, die ihnen innerhalb des gemeindlichen Organismus oder der größeren Region zukommen. Ich weise hin auf die Zentren vieler Städte, die ihre Leistungsfunktion als Mittelpunkt des städtischen Lebens kaum noch erfüllen können. Ich weise hin auf Stadtgebiete, die mit störendem Gewerbe durchsetzt sind und ihrer Wohnfunktion nicht mehr genügen. Wir alle kennen Stadtstrukturen, deren uferloses Auseinanderfließen anscheinend auf keine Weise aufzuhalten ist. Wir alle kennen Innenstädte, die vom Individualverkehr erstickt werden, auszusterben beginnen und ihre Funktionen an Randgebiete der Städte abgeben. Wir kennen das wachsende Mißverhältnis zwischen Anspruch und Erfüllung des Bedarfs an Schulen, Krankenhäusern, Erholungs- und Grünflächen, Kinderspielplätzen usw. Ich erinnere an die quantitativ und qualitativ unzureichende Ausstattung mit Einrichtungen der Infrastruktur wie Verkehrsnetz, Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Energieversorgung. Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang insbesondere an die unerträglichen Verkehrsverhältnisse in unseren Städten mit den täglichen Zeitverlusten durch Stauungen, erhöhten Unfallgefahren und übermäßigen Lärmbelästigungen. Ich erinnere Sie an die uns bedrohenden Gefahren aus der Verunreinigung der Luft und des Wassers. Wir alle kennen die Häufung von Arbeitsplätzen auf engem Raum, die ungeregelte Umwandlung älterer Wohngebiete in Kerngebiete, die ungesunde Mischung von Wohn-und Betriebsstätten mit ihren negativen physischen
wie psychischen Auswirkungen auf die Menschen,
die in solchen Gebieten leben und arbeiten müssen.
Sicherlich sind diese Erscheinungen nicht von heute auf morgen aufgetreten. Es wird auch niemandem ein Versagen vorgeworfen werden können. Diese Erscheinungen sind eine zwangsläufige Folge der technischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, der sich unsere Städte nicht immer in dem gebotenen Maße und mit der gebotenen Schnelligkeit anpassen konnten. Diese Mängel treten jedoch heute mit so erschreckender Häufigkeit zutage und werden zunehmend derart als Belastung und Herausforderung empfunden, daß sie dringend der Beseitigung bedürfen. Auf beiden Gebieten, der Verbesserung der Bausubstanz und der Beseitigung städtischer Funktionsschwächen, ist also schon jetzt ein großer Nachholbedarf auszugleichen.
In dieser Situation - und das ist die dritte Feststellung - werden neue Strukturwandlungen sichtbar. Sie haben gleichfalls in der Vergangenheit begonnen, setzen sich heute aber immer rascher fort und bringen neuartige städtebauliche Aufgaben und Probleme mit sich. Wir leben in einer Zeit, die als „zweite industrielle Revolution" bezeichnet wird. In den letzten Jahren haben die wissenschaftlichen Erkenntnisse so schnell zugenommen, und die darauf beruhende technische Entwicklung ist so schnell in die Tat umgesetzt worden, wie das noch vor einem Jahrzehnt vielleicht niemand geglaubt hätte. Es deutet doch alles darauf hin, daß sich diese Entwicklung in der Zukunft eher noch verstärken als verlangsamen wird, und zwar in einem Maße, daß die Auswirkungen uns heute noch als utopisch erscheinen mögen. Lassen Sie mich dies, meine Damen und Herren, durch einige wichtige Hinweise verdeutlichen.
Die technische und zivilisatorische Entwicklung führt zum Arbeitsteilungsprozeß und zu zunehmender Automation. Dadurch ist die räumliche Expansion bestehender und die Gründung zahlreicher neuer Produktionsstätten notwendig. Das alles führt zu einem steigenden Bedarf an Flächen von Industrie und Gewerbe, der an den bisherigen Standorten innerhalb der Städte nicht mehr befriedigt werden kann. Viele Betriebe werden daher gezwungen, in den Randgebieten der Verdichtungsräume oder in noch weiterer Entfernung in ländlichen Gebieten neue Standorte zu suchen. Daneben ist eine zunehmende Bevölkerungsbewegung aus den ländlichen Gebieten in die städtischen Räume zu beobachten. Diese Abwanderungstendenz wird sich mit Sicherheit noch fortsetzen und führt zu einem weiteren starken Anwachsen der Einwohnerzahlen in den Stadtregionen.
Diese Strukturveränderungen sind weiterhin gekennzeichnet durch eine ständige erhebliche Zunahme der Zahlen der Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich, d. h. in der öffentlichen und privaten Verwaltung, bei Banken, Versicherungen usw. Dienstleistungsbetriebe suchen und finden ihre Standorte vorwiegend in den Städten und innerhalb der Städte in den Stadtkernen. Ihr Flächenbedarf ist oft nur noch dadurch zu befriedigen, daß sie auf angrenzende, d. h. citynahe Wohnbezirke ausweisen.
Dort fügen sie sich nicht organisch ein und verändern deshalb insgesamt deren Funktion.
Neben den Wanderungsbewegungen aus den schwach strukturierten Gebieten in die Verdichtungsräume und neben der Bevölkerungsverschiebung innerhalb der Verdichtungsräume selbst gibt es auch eine sogenannte kleinräumige Wanderungsbewegung auf dem Lande, nämlich von dem kleinen Dorf in die zentralen Orte, insbesondere in die Klein- und Mittelstädte. Die Statistik zeigt, daß neben den Randzonen der Großstädte gerade diese zentralen Orte den größten Einwohnerzuwachs zu verzeichnen haben.
Ihre Infrastruktur muß den veränderten Bedürfnissen angepaßt werden und dabei - ganz anders als bisher - den gesamten regionalen Einzugsbereich berücksichtigen. Zusammen mit der Tatsache, daß gerade in den ländlichen Gemeinden oft der Wohnungsbestand überaltert ist, zentrale Wasserversorgungsanlagen und Anlagen für die zentrale Beseitigung von Schmutzwasser usw., aber auch weiterführende Schulen, andere Bildungsstätten, Sportplätze, Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen des Gemeinbedarfs fehlen, stellen diese Veränderungen ein hohes Maß an Anforderungen an den modernen Städtebau im ländlichen Bereich.
Meine Damen und Herren! Darüber hinaus führt die wirtschaftliche, soziale und technische Entwicklung unverkennbar auch zu einer Steigerung der individuellen Ansprüche der Bevölkerung. Mit dem steigenden Einkommen ist die Zunahme der Motorisierung eng gekoppelt. Schon heute hat die Massenfabrikation von Individualverkehrsmitteln Ausmaße erreicht, die das Bild unserer Gemeinden verändert und zu völlig neuartigen Zeit-, Entfernungs- und Flächenmaßstäben geführt haben. Für die Zukunft ist sicherlich mit einer weiteren beträchtlichen Steigerung der Motorisierung zu rechnen. Auch dadurch werden die Lebensverhältnisse der Bevölkerung wesentlich verändert. Der Bedarf an öffentlichen Verkehrsflächen vervielfacht sich.
Andererseits steigt mit zunehmender Freizeit das Verlangen nach zahlreicheren und größeren Freizeit- und Erholungseinrichtungen. Der steigende Lebensstandard hat aber auch steigende Ansprüche an Art und Umfang der sonstigen gemeindlichen Grundausstattung zur Folge, denn das persönliche Leben des einzelnen wird wesentlich durch das Vorhandenseins und Funktionieren von Gemeinschaftseinrichtungen wie z. B. fortbildenden Schulen, kulturellen Einrichtungen, Krankenhäusern, Sport-und Spielplätzen usw. bestimmt. Erst in einem ausgewogenen Verhältnis dieser Einrichtungen mit den Wohn- und Arbeitsstätten erreichen die Gemeinden den Gemeinschaftswert, den unsere Bevölkerung erwarten kann und benötigt.
Übersehen wir dabei vor allem auch nicht, meine Damen und Herren, daß sich die Bevölkerungsstruktur wandeln wird! Die Zahl der Menschen wird ständig steigen. Durch die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und die bessere Gesundheitsvorsorge wächst die Lebenserwartung der Menschen. Mit der Zunahme der Gesamtzahl ändert sich
auch der altersmäßige Aufbau. Schätzungen gehen dahin, daß schon bald mehr Einwohner im Rentenalter stehen werden. Aber auch die Zahl der Jugendlichen und Kinder wird kräftig steigen. Diese Bevölkerung wird vornehmlich in Städten, Stadtregionen und zentralen Orten wohnen. Denn Sachverständige nehmen an, daß bereits im Jahre 1985 drei Viertel unserer Bevölkerung in diesen eben genannten Bereichen leben werden. Der Städtebau der Zukunft wird auch dem entscheidend Rechnung tragen müssen.
Das alles aber, meine Damen und Herren, bedeutet doch folgendes. In unseren Gemeinden haben die vielerorts anzutreffenden Unzulänglichkeiten ihre Ursachen in der immer stärker werdenden Diskrepanz zwischen der technischen und wirtschaftlichen, biologischen und sozialen Entwicklung und den überkommenen baulichen Strukturen in Städten und Gemeinden, Strukturen, die einstmals unter völlig anderen Bedingungen ihren Sinn und ihre Bedeutung gehabt haben mögen, die jedoch mit den Aufgaben der Gegenwart und erst recht mit denen der Zukunft kaum noch in Einklang zu bringen sind. Das gilt für städtische und ländliche Gemeinden in gleicher Weise. Während in der Vergangenheit Stadt und Land deutlich gegeneinander abgegrenzt waren, ja, als Gegensätze galten, gleichen sich heute die Lebensformen im ländlichen Bereich zunehmend denen im städtischen Bereich an, und diese Entwicklung wird sich sicherlich noch fortsetzen.
Meine Damen und Herren, diese Entwicklungstendenzen sind nicht etwa durch eine Besonderheit der wirtschaftlichen, soziologischen oder politischen Struktur der Bundesrepublik bedingt. Diese Probleme, die aus dem sich mit zunehmender Beschleunigung vollziehenden wirtschaftlichen und soziologischen Strukturwandel und der fortschreitenden Industrialisierung und Technisierung erwachsen, stellen sich überall in der Welt, z. B. auch in England, in Schweden, in den Niederlanden und in Amerika. Überall werden deswegen enorme Anstrengungen unternommen, um mit den städtebaulichen Auswirkungen fertig zu werden.
Es verdient, wie mir scheint, hervorgehoben zu werden, daß Präsident Johnson zuletzt am 17. Februar dieses Jahres in seiner Botschaft über die Lage der Nation auf die wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung städtebaulicher Erneuerungsmaßnahmen hingewiesen hat. Er ersuchte den Kongreß, eine Milliarde Dollar für ein „Modellstädtebauprogramm zur Neugestaltung der Zentren amerikanischer Städte" bereitzustellen. Vergessen wir es nicht: eine Milliarde Dollar! Im April dieses Jahres gründete er in Washington ein besonderes Institut für Städtebau mit dem Auftrag, die wissenschaftlichen Unterlagen für die „Erneuerung des Lebens in den Städten Amerikas" zu schaffen. Meine Damen und Herren, wenn ich mir demgegenüber den mehr als bescheidenen Ansatz in meinem eigenen Haushaltsplan ansehe, möchte ich fast vor Neid erblassen.
Jetzt geht es darum, die festgestellten Unzulänglichkeiten zu beseitigen und Voraussetzungen für die zukünftige Entwicklung zu schaffen. Es geht
darum, unsere Gemeinden diesen tiefgreifenden und noch immer fortschreitenden Strukturwandlungen anzupassen. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, daß sich alle für die Gesellschaft förderlichen sozialen und wirtschaftlichen Kräfte frei entfalten können. Die Bewältigung dieser städtebaulichen Probleme ist darum eine gesellschaftspolitische und eine wirtschaftspolitische Aufgabe ersten Ranges. Sie ist uns aus der Entwicklung der Zeit heraus gestellt und muß erfüllt werden, wenn nicht wesentliche Schäden für unsere gesamte Gesellschaft eintreten sollen. Es liegt darum nicht mehr in unserem Belieben, zu entscheiden, ob wir diese Aufgabe anpacken wollen oder nicht. Die Verhältnisse zwingen uns einfach dazu.
Die Stadt- und Dorferneuerung ist ihrem Wesen nach unmittelbar angewandte Gesellschaftspolitik unserer Zeit. Bei allen Erneuerungsmaßnahmen größeren und kleineren Umfangs geht es aber um mehr als um die Beseitigung baulicher Mißstände. Es geht um mehr als um das Abreißen überalterter Bausubstanzen, mehr als um ästhetische und technische Ordnungsvorstellungen. Mit der Vorbereitung und Durchführung städtebaulicher Erneuerungsmaßnahmen werden Entscheidungen getroffen, von denen es abhängt, in welcher Umwelt wir selbst und unsere zukünftigen Generationen leben werden. Denn, meine Damen und Herren, der Charakter einer Stadt und ihre Anpassung an den Wandel der Lebens-und Umweltbedingungen lassen erkennen, welche Vorstellungen eine Gesellschaft vom Wert des Menschen und von der richtigen Ordnung der menschlichen Gesellschaft hat.
Meine Damen und Herren, der gesellschaftspolitische Aspekt städtebaulicher Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen ist so weit gefächert, daß er sich nur schwer gegen andere Gesichtspunkte abgrenzen läßt, die dabei aber nicht übersehen werden dürfen. Ich meine die wirtschafts- und strukturpolitischen Gesichtspunkte. Letzten Endes müssen auch deren Zielvorstellungen im Zusammenhang mit einer zeitgemäßen Gesellschaftspolitik stehen. Gerade bei der Förderung städtebaulicher Entwicklungs- und Sanierungsmaßnahmen geht es nämlich vor allem um die langfristigen Perspektiven der Wachstums- und Strukturpolitik. Eine vorausschauende Wachstumspolitik ist uns seit gut einem Jahr gesetzlich zur Pflicht gemacht. Aus der unmittelbaren Erfahrung zuerst der konjunkturellen Überhitzung und dann der Rezession ist die doppelte Zielsetzung des Stabilitätsgesetzes, nämlich Stabilität und Wirtschaftswachstum zu sichern, deutlich geworden.
Daran schließt sich die Frage an: Was können städtebauliche Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen beitragen, um dieses Ziel verwirklichen zu helfen? Aus der Erfahrung wissen wir, daß sich der Wohnungsbau auf Grund seiner Schlüsselposition innerhalb der Bauwirtschaft als wirksamer Stabilisierungsfaktor erwiesen hat. Nun ist in den nächsten Jahren jedoch mit einem allmählichen Rückgang des Wohnungsneubauvolumens zu rechnen. Es geht unter anderem darum, den dadurch bedingten Auftragsrückgang auf andere Weise aufzufangen. Die
Bundesregierung hat deswegen schon in ihrer Projektion der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung bis zum Jahre 1971 zum Ausdruck gebracht, daß der Rückgang im Wohnungsneubauvolumen durch städtebauliche Sanierungsmaßnahmen und höhere Infrastrukturinvestitionen aufgefangen werden müsse. Die Höhe und die regionale Verteilung der notwendigen Investitionen im Städtebau werden dabei die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nachhaltig beeinflussen. Sanierungsmaßnahmen sollen und können daher den Rückgang des Wohnungsbaus bisheriger Prägung weitgehend kompensieren.
Meine Damen und Herren, dabei möchte ich allerdings gleich dem Einwand begegnen, daß der Städtebau als Mittel der Wirtschaftspolitik ungeeignet sei, da er eine zu lange Vorbereitungsphase erfordere. Selbstverständlich erfordern neue Projekte eine lange Vorbereitungszeit, aber gerade der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ermöglicht es, so viele Projekte vorzubereiten, sie gewissermaßen in Reserve zu halten, daß neue Investitionen schnell möglich sein werden. Andererseits können aber auch in Durchführung befindliche Maßnahmen jederzeit, wenn auch vorsichtig, gestreckt werden, wenn dies zur Dämpfung der Konjunkturüberhitzung notwendig ist. Der Städtebau ist also ebenso wie der Wohnungsbau durchaus ein geeignetes und wirkungsvolles Mittel der Wirtschaftspolitik.
Daneben dürfen wir aber auch die Bedeutung des Gesetzentwurfs auf dem Gebiete der Strukturpolitik nicht übersehen. Sie wissen, daß wir in der Bundesrepublik Gebiete haben, die aus unterschiedlichen Gründen in der wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben sind. Zum Teil handelt es sich um sogenannte Notstandsgebiete, zum Teil um Gebiete, die heute unter ihrer einseitigen Wirtschaftsstruktur zu leiden haben. Typische Gebiete sind einerseits weite Teile des Zonenrandgebiets, andererseits das Ruhr- und Saargebiet. Die Bundesregierung unternimmt zusammen mit den Länderregierungen erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und der Infrastruktur in diesen Gebieten. Mit Recht wird in letzter Zeit auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, in diesen Gebieten Kristallisationspunkte zu bilden, die nicht nur wegen ihrer wirtschaftlichen Aktivität, sondern auch wegen ihres Wohn- und Freizeitwertes eine Anziehungskraft ausüben. Ich meine, in dieser Richtung ist noch viel zu tun. Gerade im Zonenrandgebiet und in größeren Teilen des Ruhr- und Saargebietes bedarf die städtebauliche Struktur in besonderem Maße einer Anpassung an die heutigen Bedürfnisse und Vorstellungen. Zwar geschieht auch heute schon manches in Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur, aber der vorliegende Entwurf eines Städtebauförderungsgesetzes wird diese Bemühungen noch intensivieren und sie vorantreiben helfen.
Meine Damen und Herren, die in den letzten Jahren mit Demonstrativstudien und Modellvorhaben gewonnenen praktischen Erfahrungen haben zu der Erkenntnis geführt, daß die geltenden materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften zur Bewältigung dieser anstehenden städtebaulichen Aufgaben nicht ausreichen. Diese Vorstellung kann
auch nicht durch den Hinweis entkräftet werden, daß die für den Städtebau in der Bundesrepublik maßgebenden bodenrechtlichen Vorschriften bereits im Bundesbaugesetz des Jahres 1960 enthalten seien. Dieses Gesetz beschränkt sich nach seiner Grundkonzeption darauf, einer organischen städtebaulichen Entwicklung der Gemeinden den planerischen Rahmen zu setzen. 'Den Rahmen auszufüllen, überläßt das Bundesbaugesetz grundsätzlich der privaten Initiative. Füllt aber die Privatinitiative diesen Rahmen nicht aus, so fehlen den Gemeinden ausreichende Handhaben, selbst tätig zu werden. Gerade bei Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen kommt es aber ganz entscheidend darauf an, nicht nur zu planen, sondern den Plan auch alsbald in die Wirklichkeit umzusetzen. Es liegt daher im öffentlichen wie im privaten Interesse, daß die Planung auch vollzogen wird. Aus diesen Gründen müssen die rechtlichen Handhaben des Bundesbaugesetzes ergänzt und fortgebildet werden.
Daß der Wiederaufbau nach dem Kriege ohne diese besonderen rechtlichen Instrumentarien möglich war, spricht keineswegs gegen die Notwendigkeit des Gesetzentwurfs. Die Wiederaufbaumaßnahmen sind mit den in dem Entwurf angesprochenen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen nicht vergleichbar. Während es beim Wiederaufbau darum ging, zerstörte Gebäude wiederaufzurichten, wobei die überkommenen Strukturen des betreffenden Gebietes weitgehend erhalten blieben, sollen durch Sanierungsmaßnahmen bebaute Gebiete zur Beseitigung städtebaulicher Mißstände wesentlich verbessert, umgestaltet und in ihrer Funktion erneuert werden.
Für die speziellen Probleme, die sich bei den Entwicklungsmaßnahmen, also bei dem Bau neuer Ortschaften und neuer Ortsteile ergeben, bietet das Bundesbaugesetz überhaupt kein Instrumentarium an.
Lassen Sie mich nun, meine Damen und Herren, kurz auf die tragenden Gedanken des Gesetzentwurfs eingehen.
Die Regierungsvorlage ist auf folgenden drei Grundgedanken aufgebaut:
1. Bei der Anwendung des Gesetzes sind die Eigentümerbelange weitgehend zu berücksichtigen. Insbesondere ist Eigentum im Rahmen des Möglichen zu erhalten oder an anderer Stelle oder gegebenenfalls in anderer Rechtsform neu zu begründen.
2. Bei der Anwendung des Gesetzes soll niemand einen Schaden erleiden, aber auch niemand auf Kosten der Allgemeinheit einen ungerechtfertigten Gewinn erzielen.
3. Die materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Handhaben sollen unter Berücksichtigung des besonderen Charakters der Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen so ausgestaltet werden, daß sie im Interesse der Allgemeinheit und der Betroffenen die zügige Abwicklung derartiger Maßnahmen sicherstellen.
Zu 1. Um den besonderen Belangen der Eigentümer im Sanierungs- und Entwicklungsgebiet Rechnung zu tragen, ist in zahlreichen Vorschriften des Gesetzes festgelegt, daß die betroffenen Eigentümer, um sie zu einer Mitwirkung zu veranlassen, zu jeder Phase des Verfahrens eingehend über die beabsichtigten Maßnahmen und deren Notwendigkeit unterrichtet werden und sie dazu auch angehört werden. Auch die Durchführung der Sanierungsmaßnahmen selbst bleibt vorrangig den Eigentümern überlassen. Die Gemeinden werden verpflichtet, Initiativen der Eigentümer in jeder Hinsicht zu unterstützen. Bei Erneuerungsmaßnahmen wird sich zwar eine Inanspruchnahme der Grundstücke durch die öffentliche Hand vielfach nicht vermeiden lassen. Nach der Konzeption des Entwurfs soll indessen diese Inanspruchnahme abgesehen von den für öffentliche Zwecke benötigten Grundstücken nur eine Durchgangsstufe auf dem Wege darstellen, wiederum privates Eigen-turn zu begründen. Diese Durchgangsstufe ist allerdings notwendig, um die bei Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen unentbehrliche Bodenordnung auch durchführen zu können.
Der gegen den Entwurf gelegentlich erhobene Vorwurf, er bezwecke eine Kommunalisierung oder gar Sozialisierung des Eigentums, ist absolut unzutreffend. Auf Grund zwingender Vorschriften des Entwurfs werden die Gemeinden und die Sanierungsträger verpflichtet, die von ihnen erworbenen Grundstücke wieder zu veräußern. Diese Veräußerungspflicht gilt sowohl für freihändig erworbene Grundstücke als auch für Grundstücke, die durch Ausübung des Vorkaufsrechts, des Grunderwerbsrechts oder durch Enteignung in das Eigentum der Gemeinde oder des Sanierungsträgers gelangt sind.
Der zweite Grundgedanke, daß niemand aus der Sanierung einen Schaden erleiden soll, aber auch niemand ungerechtfertigte Gewinne erzielen darf, wird durch eine Reihe sorgfältig aufeinander abgestimmter Vorschriften verwirklicht. Allen diesen Regelungen liegt die Überlegung zugrunde, daß durch die von der Gemeinde veranlaßte, von ihr geleitete tatsächliche und rechtliche Neuordnung im Sanierungsgebiet eine beträchtliche Wertsteigerung der Grundstücke gegenüber den Verhältnissen vor Beginn der Sanierung eintritt.
Die Kosten der Ordnungsmaßnahme müssen von der Sache her grundsätzlich der öffentlichen Hand angelastet werden. Andererseits dienen aber die nachhaltige Verbesserung des strukturellen Gefüges im Sanierungsgebiet und die nachhaltige Sicherung seiner Funktionsfähigkeit zugleich auch dem wirtschaftlichen Interesse der Eigentümer. Ohne die Aktivität der Gemeinde müßten sie zusehen, wie ihr Eigentum langsam wirtschaftlich verfällt. Unter Würdigung und in Abwägung der beiderseitigen Interessen ist es daher gerechtfertigt, die Eigentümer mit der Werterhöhung ihrer Grundstücke zu den Kosten der Ordnungsmaßnahmen heranzuziehen. Der Zweck dieser gesetzlichen Regelung besteht also darin, die Werterhöhung der Grundstücke zur Dekkung der dabei anfallenden unrentierlichen Kosten mit in Anspruch zu nehmen.
Diese gesetzliche Regelung bezweckt demnach keineswegs eine Gewinnabschöpfung im Sinne frü10834
herer insbesondere bodenreformerischer Vorstellungen. Die auf diesem Grundgedanken beruhenden Vorschriften des Entwurfs berühren ein zentrales Problem für die Durchführbarkeit städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen überhaupt. Die Bewältigung dieses Problems ist aber nicht nur für unsere spezifischen Verhältnisse von Bedeutung, sondern stellt sich auch in anderen Ländern wie z. B. in den USA und in den Ländern Westeuropas. Sie hat dort ihren Niederschlag in gesetzgeberischen Maßnahmen gefunden, die zum Teil weit über das hinausgehen, was in dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagen wird.
So kennt z. B. Belgien das Rechtsinstitut der Enteignung zur Realisierung einer Bebauungsplanung und ebenso die Zonenenteignung. Planungsgewinne sollen dort bei der Enteignungsentschädigung nicht berücksichtigt werden. Ebensowenig werden allgemeine Wertsteigerungen der zu enteignenden Grundstücke berücksichtigt. Bei einer sukzessiven Enteignung wird die Entschädigungshöhe für sämtliche Zonenparzellen auf die Höhe der erstgezahlten Entschädigung fixiert. Das belgische Recht unterwirft darüber hinaus Veräußerungsgewinne bei im wesentlichen unbebauten Grundstücken einer Bodenwertzuwachssteuer. Ähnliche Regelungen finden wir im dänischen, im französischen, im niederländischen und im englischen Recht. Um eine genaue Übersicht über das europäische Sanierungsrecht zu erhalten, habe ich eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die ich in Kürze der Öffentlichkeit vorlegen möchte.
Mit dem dritten Grundgedanken, eine zügige Durchführung der Maßnahmen sicherzustellen, wird einmal das Anliegen verfolgt, Belastungen für die Betroffenen möglichst schnell wieder zu beseitigen, um eine rentable Grundstücksausnutzung zu ermöglichen und im Interesse aller Beteiligten die Kosten zu verringern. Diesem Ziel dienen z. B. die Einführung eines Abbruch- und Baugebots, eines gemeindlichen Grunderwerbsrechts und die zeitliche Abkürzung des Enteignungsverfahrens. Zum anderen soll das gemeindliche Vorkaufsrecht, um eine wesentliche Entlastung des Rechtsverkehrs zu erreichen, durch den Entwurf seiner dinglichen Wirkung entkleidet werden. Durch die Zusammenfassung der nach geltendem Recht bestehenden Genehmigungspflichten und durch Verzicht auf entbehrliche Genehmigungstatbestände soll eine wesentliche Vereinfachung und Liberalisierung der behördlichen Kontrollen erreicht werden.
Ich darf wohl sagen, daß wir alle, die wir an diesem Gesetzentwurf gearbeitet haben - und darunter verstehe ich auch die fachliche und politische Öffentlichkeit, die uns mit ihren Vorschlägen und auch mit ihrer Kritik in unserer Arbeit wesentlich unterstützt hat -, uns die Arbeit nicht leicht gemacht haben. Wir haben uns redlich bemüht, bei jeder Vorschrift sehr sorgfältig die sachliche Notwendigkeit zu prüfen und die Interessen der Beteiligten gerecht gegeneinander abzuwägen. Schon an der Erarbeitung der Vorlage haben in meinem Hause verschiedene Gremien mitgewirkt, deren Vorschläge veröffentlicht und allen interessierten Verbänden zugeleitet worden sind. Es ist uns eine Fülle von Anregungen zugegangen. Im wesentlichen beschränken sich die Vorschläge auf die Ausgestaltung der Gesetzesvorschriften. Die Notwendigkeit des Gesetzes wurde überwiegend ebenso eindeutig bejaht wie seine grundsätzliche Zielsetzung. Die Zahl der kritischen Stimmen ist relativ klein. Sie behaupten, das Gesetz sei unnötig, da das Bundesbaugesetz zur Durchführung städtebaulicher Maßnahmen ausreiche.
Ich bin auf diese Fragen bereits eingegangen. Die Notwendigkeit des Gesetzes ergibt sich - wie dargelegt - aus der ganz unterschiedlichen Aufgabenstellung. Die Kritik, meine Damen und Herren, wendet sich insbesondere gegen die Vorschrift des § 15 des Entwurfs, der die Nichtberücksichtigung von Werterhöhungen regelt. Auf die grundsätzliche Bedeutung habe ich schon hingewiesen. Soweit gegen die Fassung der Vorlage der Vorwurf mangelnder Bestimmtheit erhoben wird, sollte im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens versucht werden, vielleicht eine konkretere Fassung zu finden, die einerseits die vom Grundgesetz geforderte gerechte Interessenabwägung zum Ausdruck bringt, damit vor allem soziale Härten vermieden werden, und andererseits die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung nicht den Gerichten aufbürdet.
Im übrigen, meine Damen und Herren, ist die hier vorgelegte Gesetzesvorschrift keineswegs völlig neu. Auch das Flurbereinigungsgesetz enthält eine Vorschrift, die die Berücksichtigung von Wertsteigerungen ausschließt, die durch die Aussicht auf Durchführung einer Flurbereinigung etwa entstanden sind.
Bei den Einwendungen gegen den § 16 der Vorlage über genehmigungspflichtige Vorhaben und Rechtsvorgänge wird einfach übersehen, daß die Vorschrift lediglich verschiedene Genehmigungspflichten des Bundesbaugesetzes unter Verzicht auf entbehrliche Genehmigungstatbestände zusammenfaßt. Anders als im Bundesbaugesetz wird nur vorgesehen, daß die Genehmigung auch bei überhöhten Preisforderungen zu versagen ist. Diese Regelung steht allerdings in engem Zusammenhang mit dem § 15 des Entwurfs. Sie soll sicherstellen, daß Werterhöhungen im rechtsgeschäftlichen Verkehr nicht vorweggenommen werden. Sie ist zudem, meine Damen und Herren, örtlich auf förmlichfestgelegte Entwicklungs- und Sanierungsgebiete und zeitlich bis zur Aufhebung der Sanierung begrenzt. In unserer Marktwirtschaft mag eine derartige Kontrolle einigen als systemwidrig erscheinen. Sie ist aber unter den derzeitigen Bodenmarktverhältnissen unerläßlich, wenn wir nicht die Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen gefährden oder gar unmöglich machen oder sie mit hohen Kosten belasten wollen. Die Prüfung von Kaufverträgen unter Einbeziehung der Höhe des vereinbarten Kaufpreises ist im übrigen dem geltenden Recht keineswegs fremd. Im weiten Bereich des landwirtschaftlichen Grundstücksverkehrs gilt seit eh und je eine solche Regelung, und sie ist auch durchaus mit dem Grundgesetz vereinbar, wie das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen ausdrücklich festgestellt hat.
Nun, meine Damen und Herren, von besonderer Bedeutung ist natürlich die Frage der finanziellen Beteiligung des Bundes an den Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen. Ich meine, die hier aufgezeigte Aufgabe ist so groß, daß Gemeinden und Länder sie allein nicht verwirklichen können. Eine finanzielle Mithilfe des Bundes ist daher unerläßlich. Wenn es richtig ist, daß die Erneuerung und Entwicklung unserer Gemeinden eine der großen gesellschaftspolitischen Aufgaben der nächsten Jahrzehnte sein wird, dann kann die Inangriffnahme und Durchführung dieser Aufgabe nicht von der Finanzkraft der jeweiligen Gemeinde und des Landes abhängig sein. Die Lösung dieser Aufgabe muß vielmehr überall gewährleistet sein, wo Menschen wohnen, und der Bund, der für die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zu sorgen hat, muß dann dabei finanziell mithelfen.
Die verfassungsrechtliche Grundlage für diese Mitfinanzierungskompetenz des Bundes soll durch das Finanzreformgesetz geschaffen werden, das gegenwärtig in diesem Hohen Hause beraten wird. Ursprünglich beabsichtigte die Bundesregierung, den Wohnungs- und Städtebau in den Katalog der Gemeinschaftsaufgaben aufzunehmen. Dies hätte eine 50%ige Kostenbeteiligung des Bundes zur Folge gehabt. Dieser Gedanke ist im Laufe der Besprechungen und Beratungen aufgegeben worden, da diese Beratungen zu einer starken Einschränkung der Liste der Gemeinschaftsaufgaben geführt haben.
Nunmehr ist die Einfügung eines Art. 104 a in das Grundgesetz vorgesehen, der dem Bund die Gewährung von Finanzhilfen zur Förderung städtebaulicher Maßnahmen ermöglichen soll. Mag auch die endgültige Fassung dieses neuen Artikels noch nicht feststehen, bei allen Erörterungen ist jedoch immer wieder zum Ausdruck gebracht worden, daß diese neue Grundgesetzvorschrift den Wohnungsbau sowie die Erneuerung und die Entwicklung der Gemeinden mitumfassen soll. Das Städtebauförderungsgesetz wird dann eines der ersten Ausführungsgesetze zu diesem Art. 104 a des Grundgesetzes sein. Bund und Länder werden dann im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung in dem Umfang Mittel einsetzen müssen, wie es die jeweilige finanzielle Situation zuläßt.
Welche Maßnahmen damit finanziert werden können, wird nach der Dringlichkeit zu entscheiden sein. Deshalb enthält das Gesetz auch hierüber keine detaillierten Angaben, sondern überweist die Regelung der Einzelheiten einer Verwaltungsvereinbarung, die naturgemäß mit allen Ländern einheitlich abgeschlossen werden muß. Da es sich um die Finanzierung sehr unterschiedlicher Maßnahmen wie Strukturanalysen, Planungsaufträge, Bodenordnungsmaßnahmen, den Bau von Wohnungen und Verkehrseinrichtungen usw. handelt, entzieht sich die Regelung der finanziellen Einzelfragen weitgehend einer gesetzlichen Normierung. Es handelt sich auch hier vielmehr um ein Problem der politischen Koordination.
Dabei soll nicht verkannt werden, daß sich die im Entwurf angesprochenen städtebaulichen Erneue-rungs- und Entwicklungsmaßnahmen über längere Zeiträume erstrecken werden und die Langfristigkeit der Vorbereitung, Planung und Durchführung dieser Maßnahmen zugleich einen langfristigen Mittelbedarf bedingt, der nur im Rahmen mehrjähriger Programme und unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen und regionalwirtschaftlichen Notwendigkeit sichergestellt werden kann,. aber wegen der Kontinuität der Aufgabe in absehbarer Zeit den Einsatz bestimmter feststehender Mittel erfordert. In diesem Zusammenhang möchte ich als sicher annehmen, daß sich unter Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des Bundes in der Zukunft auch die Städtebauförderung in die langfristigen Haushaltsüberlegungen im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung einordnen läßt.
Alle diese Überlegungen, meine Damen und Herren, waren für die Ihnen vorliegende Fassung des § 69 des Entwurfs ausschlaggebend.
Bei der Erörterung der Finanzierungsprobleme tauchen nun immer wieder zwei Fragen auf: Wie groß ist der Erneuerungsbedarf, und wie hoch werden die Kosten für die Erneuerungsmaßnahmen sein? Beide Fragen lassen sich, um das vorweg zu sagen, zur Stunde praktisch nicht beantworten. Es scheint mir aber auch nicht notwendig zu sein. Über den Sanierungsbedarf gibt es bereits Material, aus dem grobe Annäherungswerte abgeleitet werden können. Ein tieferes Eindringen in die Problematik der Ermittlung des Sanierungsbedarfs führt jedoch zu der Einsicht, daß der Aussagewert jeder Globalschätzung zwangsläufig begrenzt ist und begrenzt bleiben muß. Wir können aber davon ausgehen, daß sich in der Zeit, in der wir uns in der Wohnungspolitik auf die Beseitigung der größten Wohnungsnot konzentrieren mußten, ein städtebauliches Defizit aufgestaut hat. Über die Größe dieses Defizits werden uns die Ergebnisse der im Oktober dieses Jahres durchgeführten Wohnungszählung wesentliche Unterlagen vermitteln.
Auch über den notwendigen Kostenaufwand ist in der letzten Zeit viel spekuliert worden. Ich halte solche Spekulationen für gefährlich und für die weitere Beratung des Gesetzentwurfs auch nicht förderlich. Es' scheint mir auch nicht notwendig zu sein, den Kostenaufwand in seiner Gesamthöhe exakt zu ermitteln. Denn als wir nach dem Kriege mit der öffentlichen Förderung des Wohnungsbaues begannen, hat sich niemand die Frage gestellt, welchen Gesamtbetrag wir damit letzten Endes aufbringen müßten. Dasselbe gilt für jede andere langfristige Daueraufgabe. Nach unseren Erfahrungen aus den Studien- und Modellvorhaben werden sich die unrentierlichen Kosten von Sanierungsmaßnahmen - und nur an diesen unrentierlichen Kosten wird sich der Bund zu beteiligen haben - zwischen 20 und 30 % der Gesamtkosten einer Sanierungsmaßnahme bewegen. Wenn Sie weiter bedenken, daß der Bund von diesen Kosten jeweils nur einen Teil übernimmt, dann werden Sie zu dem Ergebnis kommen, daß sich die auf den Bund zukommenden Gesamtkosten in einer Größenordnung halten werden, die nach meiner Auffassung auch verkraftet werden kann.
Darüber hinaus wird durch die im Entwurf vorgesehene Inanspruchnahme der Bodenwerterhöhungen sichergestellt, daß sich die unrentierlichen Kosten der Sanierungsmaßnahmen noch weiter verringern werden. Es wäre in jedem Falle aber gut, wenn man aus der vorsichtigen Prognose, die städtebaulichen Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen würden sicherlich nicht teurer sein als der Wohnungsbau der Vergangenheit, nicht sofort den bedenklichen Umkehrschluß zöge, diese Maßnahmen kosteten mindestens genauso viel wie der Wohnungsbau der Vergangenheit.
Im übrigen müssen die Kosten auch nicht auf einmal aufgebracht werden. Wir haben mit Sicherheit eine Aufgabe vor uns, die Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird, und niemand mag dem Bundesratsausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen widersprechen, wenn er die Städtebauförderung als eine permanente Zukunftsaufgabe bezeichnet hat.
Meine Damen und Herren, diese Aufgabe ist nicht nur sehr schwierig und wird erhebliche finanzielle Mittel erfordern, sie wird auch auf Jahrzehnte hinaus große Anstrengungen notwendig machen.
Das Ihnen im Entwurf vorliegende Gesetz kann und soll dabei nicht mehr und nicht weniger sein als ein Hilfsmittel, ein notwendiges Instrument. Wie dieses Instrument funktioniert, ob es wirksam sein wird, die Verantwortung dafür wird vor allem bei den Gemeinden liegen und bei allen, die bei uns in den Gemeinden, in den Ländern und im Bund für die städtebaulichen Aufgaben verantwortlich sind. Es sind vor allem die Gemeinden, die auf dieses Gesetz warten. Viele Pläne liegen in den Schubladen, können aber nicht realisiert werden. Es gibt bisher nur wenige Stadterneuerungsmaßnahmen, die in Angriff genommen werden konnten, und auch diese nur unter Schwierigkeiten, Verzögerungen und erheblichen Kosten, eben weil es an dem notwendigen Instrumentarium fehlte.
Der Gesetzentwurf soll die Voraussetzungen schaffen für eine planvolle Erneuerung und Entwicklung unserer Gemeinden. Über die Notwendigkeit und den Sinn des Gesetzes schreibt der Baseler Nationalökonom Professor Salin, der den Vorsitz in dem bei meinem Ministerium gebildeten Arbeitskreis für Stadtentwicklung hat:
Es wird unerläßlich sein, der Bevölkerung als Ganzer deutlich zu machen, daß mit dem hier vorgelegten Gesetz ihr ein Programm unterbreitet wird, das für die eigene Zukunft und für die Zukunft ihrer Kinder von ganz entscheidender Bedeutung sein kann, wenn an ein menschenwürdiges Leben gedacht wird und ein menschenwürdiges Leben durch den Bau der Stadt gefördert werden soll.
Hier wird sichtbar, daß es um eine fundamentale innen- und gesellschaftspolitische Aufgabe der nächsten Jahrzehnte geht.
In seiner Botschaft an den Kongreß über den Wohnungs- und Städtebau hat Präsident Kennedy im März 1961 es einmal - wie mir scheint, sehr zutreffend - so formuliert:
Die bisherigen Stadterneuerungspläne waren zu eng begrenzt, um den Grundproblemen der alten Städte wirklich gerecht zu werden. Es genügt nicht, wenn wir uns nur mit den den heutigen Anforderungen entsprechenden Wohnungen befassen; wir müssen unsere Städte umgestalten, damit sie das Nervenzentrum sich ausbreitender Stadtgebiete werden. Unsere Bemühungen um die Stadterneuerung müssen über Sanierungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung einer Neuentstehung von Elendsvierteln hinaus dem positiven Moment einer wirtschaftlichen und sozialen Regeneration zugewandt sein.
Hinter diesen weitreichenden Zielen, hinter diesen weitgesteckten Erwartungen steht die Erkenntnis, daß unsere Städte und Gemeinden Katalysatoren fast aller Lebensvorgänge sind, Kristallisationspunkte unserer Kultur und unserer Zivilisation. Kein Dogma kann uns helfen, diese Problem zu lösen, sondern nur klare Erkenntnisse und realitätsgerechtes Handeln und, meine Damen und Herren, schnelles Handeln!
Ich weiß, daß dem Hohen Hause ein große Bürde auferlegt wird, wenn dieser Gesetzentwurf in den noch verbleibenden Arbeitsmonaten dieser Wahlperiode beraten und verabschiedet werden soll. Ich meine allerdings auch, daß überzeugende Arbeit bis zum Schluß die beste Präsentation für die Wahlen ist, und glaube, daß das die Wähler merken und honorieren werden.
Die Notwendigkeit des Gesetzentwurfs hoffe ich überzeugend dargelegt zu haben. Daß es möglich sein wird, ihn bei ernsthaftem politischen Willen und bei Anstrengung aller Kräfte noch in dieser Wahlperiode zu verabschieden, ist meine Überzeugung, meine Hoffnung, aber auch mein Appell an das Hohe Haus. Die Probleme, um die es geht, stehen seit Jahren zur Diskussion. Aller Sachverstand ist aufgeboten, alles Sachwissen ist aufbereitet. Die Diskussion städtebaulicher Probleme in der Öffentlichkeit hat bei uns noch nie eine solche Breite gehabt wie in den letzten Monaten; die Forderungen nach einem solchen Gesetz und die Aufnahmebereitschaft dafür waren noch nie so offenkundig wie gerade jetzt. Daran, meine ich, ändern auch nichts die uneinsichtigen Gegenstimmen und gelegentlichen Verzerrungen einiger Kritiker.
Meine Damen und Herren! Die Entwicklung unserer Städte hat seit Beginn des Industriezeitalters immer etwas Düsteres an sich gehabt. Nichts spiegelt dies besser wider als nun schon klassische Formulierungen wie das gespenstische „Im Dickicht der Städte", der Titel eines Stücks von Bert Brecht anfangs der 20er Jahre, das unfreundliche Signal Mitscherlichs von der „Unwirtlichkeit unserer Städte" oder das Wort von der großen Landzerstörung, das aus dem Deutschen Werkbund kommt. Sprachliches - so scheint mir - wird hier zum Symptom für unbewältigte Probleme. Und in der Tat: die Industriegesellschaft hat es bisher nicht
fertiggebracht, die durch die Industrialisierung entstandenen Probleme des Städtebaus zu lösen.
Von dem britischen Geschichtsphilosophen Toynbee stammt das Wort, daß Kultur entsteht, wenn der Mensch herausgefordert wird und er dann auf die Fragen der Zeit eine Antwort findet. Die Zukunft unserer Städte und Gemeinden, der Wohnstätten und der Umwelt unserer Menschen ist für uns eine solche Herausforderung. Sie stellt uns Fragen, wie mir scheint: sehr schwerwiegende Fragen. Der Gesetzentwurf, den ich die Ehre habe namens der Bundesregierung dem Hohen Hause vorzulegen, will auf einen Teil dieser Fragen eine Antwort geben. Ich darf das Hohe Haus bitten, diesen Entwurf, der mir sehr dringlich zu sein scheint, noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
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Sie haben die Ausführungen des Herrn Bundesministers zur Einbringung gehört, meine Damen und Herren. Die Aussprache ist eröffnet. Das. Wort hat der Herr Abgeordnete Hesberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine große Tageszeitung hat vor einigen Wochen geschrieben, daß die Stadt- und Dorferneuerung wenig Gegner habe. Auch meine Freunde stehen der Gesetzesvorlage positiv gegenüber.
Wir haben schon im Jahre 1961 die Tatsache begrüßt, daß der damalige Wohnungsbauminister Paul Lücke den Bundeskanzler Adenauer zu bewegen vermochte, diese Aufgabe der Stadt- und Dorferneuerung in das Programm der Bundesregierung zu übernehmen. Es kam dann, wie Sie alle wissen, schon im Jahre 1963 zu der Vorlage dieses Gesetzes, welches aber über den Bundesrat nicht hinauskam. Wir haben es sehr bedauert, daß diese Vorlage an der mangelnden Finanzierungsgrundlage scheiterte. Wir haben es ebenso bedauert, daß Herr Kollege Dr. Bucher als Nachfolger von Minister Lücke an der gleichen Klippe gescheitert ist.
Auch zur Vorlage der derzeitigen Bundesregierung hat es der Bundesrat nicht an deutlicher Kritik an den Finanzierungsbestimmungen fehlen lassen, Einwendungen, die schon bei den Vorlagen von Herrn Minister Lücke und Herrn Bucher maßgebend waren. Ich werde noch auf diesen Teil der Vorlage zurückkommen. An dieser Stelle möchte ich nur dem lebhaften Bedauern meiner Freunde darüber Ausdruck geben, daß die Einbeziehung der Stadt- und Dorferneuerung in die Gemeinschaftsaufgaben bei den Vorberatungen mit den Ländern gescheitert ist. Mit dieser Einbeziehung wäre eine sichere Basis für dieses -Aufgabengebiet gegeben.
Unsere Einstellung zum Entwurf der Bundesregierung ist von den gleichen Grundsätzen getragen, die unsere Wohnungspolitik bis auf den heutigen Tag bestimmt haben und auch weiter bestimmen werden. Nach unserer Auffassung ist es eine vorrangige Aufgabe des sozialen Rechtsstaates, ungesunde Wohnungsverhältnisse, die in den zu sanierenden
Wohnungsgebieten unserer Städte ,und der kleinen Gemeinden leider noch in beträchtlichem Umfang anzutreffen sind, in einem möglichst knappen Zeitraum zu beseitigen. Unzulängliche Wohnungsverhältnisse in zu dicht besiedelten Gebieten beeinträchtigen nicht nur die Gesundheit der Bewohner, sondern auch deren Familienleben. Das Wohnen in sanierungsreifen Wohngebieten muß zudem angesichts der qualitativen Entwicklung unserer Wohnungsproduktion in den zurückliegenden Jahren mit zur Kritik an unserer Gesellschaftsordnung beitragen.
Ein soziales Anliegen ist es natürlich für uns, den Bewohnern der Sanierungsgebiete die Sorge zu nehmen, daß ihnen Belastungen für das Wohnen bevorstehen, die mit ihren Einkommensverhältnissen nicht vereinbar sind. Ich hebe das deswegen hervor, weil diese Sorge häufig schon an uns herangetragen worden ist. Es wird zwar noch nicht saniert, aber schon eifrig mit Plänen jongliert. Deswegen erscheint es mir geboten, an dieser Stelle festzustellen, wie sehr wir uns dieses soziale Anliegen für die Beratungen vormerken.
Es ist unmöglich, zu Bedingungen zu sanieren, die sich ergeben, wenn die unrentierlichen Kosten bei der Sanierung der Wohngebiete nicht abgefangen werden. Hier ist soeben schon darauf hingewiesen worden, daß diese Kosten im Schnitt ungefähr 30 % ausmachen. Auf die Kosten insgesamt will ich nicht eingehen. Ich stimme dem Herrn Minister darin zu, daß wir erst endgültige Angaben durch die Wohnungszählung gewinnen werden. Immerhin muß eines nach meiner Überzeugung gewährleistet werden: gerade auf dem Wohnungssektor sind die unrentierlichen Kosten abzufangen und normale Kosten der Wohnungserstellung, wie wir sie heute im Wohnungsbau haben, zugrunde zu legen.
Unsere Wohnungsbaupolitik war bisher auch von dem gesellschaftspolitischen Grundsatz getragen, Eigentum zu erhalten bzw. neues Eigentum soweit wie möglich zu schaffen. Wir haben dadurch Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten zu neuem Eigentum verholfen.
Unter diesen Aspekten sehen wir auch die Existenzsorgen der gewerblichen Mieter und der Hausbesitzer in den Sanierungsgebieten, sei es der mittelständische Gewerbetreibende und Handwerker oder seien es die mittelständischen Grundeigentümer, denen der Haus- und Grundbesitz im Sanierungsgebiet eine bescheidene Altersversorgung gewährleistet. Wie diesem berechtigten Anliegen Rechnung getragen werden kann, bedarf sorgfältiger Überprüfung in den Ausschußberatungen. Denn weit wichtiger als die Gewährleistung von Umzugskosten und dergleichen mehr ist die Sicherung und Erhaltung solcher Existenzen, die unter den gegebenen volkswirtschaftlichen Bedingungen ihre Daseinsberechtigung erwiesen haben.
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Was insbesondere die von der Sanierung betroffenen Grundeigentümer anbelangt, begrüßen wir sowohl die Bestimmung in § 1 Abs. 4 der Vorlage, daß sie Träger der Sanierung sein sollen, als auch
das Reprivatisierungsgebot. Wir sind aber der Ansicht, daß es noch eingehender Überprüfung in den Ausschußberatungen bedarf, ob diese Bestimmungen des Gesetzentwurfs die Verwirklichung dieser Zielsetzungen in vollem Umfange gewährleisten.
Je weniger Bund, Länder und Gemeinden in der Lage sein werden, die Sanierungsmaßnahmen finanziell ausreichend zu fördern, desto mehr werden sie genötigt sein, die Initiative der Eigentümer in den Sanierungsgebieten anzuregen, die Erneuerungsvorhaben zu verwirklichen. Weit davon entfernt, spekulative Tendenzen fördern zu wollen - wir wollen, daß mit der Sanierung keine großen Sanierungsgewinne gemacht werden, das lehnen wir alle entschieden ab -, sehen wir auf der anderen Seite in zu starren Vorschriften die Gefahr einer Überstrapazierung der Gerichte. Es mehren sich die prozessualen Auseinandersetzungen, wenn man hinsichtlich der Enteignungsentschädigung zuviel Dirigismus walten läßt.. Nur dann wird der einzelne an die Sanierung herangehen wollen und können, wenn er in einer Weise behandelt wird, die jeden Gedanken an ungerechte Behandlung von vornherein ausräumt.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat gut daran getan, manche Vorschriften des ersten Entwurfs aus der Vorlage zu eliminieren, die nach Ansicht des Bundesrates - der meine Freunde beipflichten - die Eingriffe in Privateigentum überziehen. Ich denke hier u. a. an das Abbruchgebot bereits vor Vorliegen eines Sanierungsplanes, ich denke weiter an die Vorschriften über das Grunderwerbsrecht der Gemeinden und die Einlassungen des Bundesrates zum Modernisierungsgebot, nicht zuletzt aber auch an die Empfehlung, eine Entschädigungsregelung für die Fälle scheiternder Sanierungsprojekte in Aussicht zu nehmen.
Ergänzend zu den Einlassungen des Bundesrates möchte ich meinen, daß es bei den Ausschußberatungen auch notwendig sein wird, die Vorschriften über die Sanierungsträger zu überprüfen. Es ist nicht einzusehen, daß gemeinnützige Wohnungsunternehmen per se anerkannt werden können, während sich leistungsfähige, große, gut arbeitende private Wohnungsunternehmen langen Prüfungen unterziehen müssen.
Die Bundesregierung war gut beraten, daß sie dem größten Teil der Einlassungen des Bundesrates Rechnung getragen hat.
Die Konzeption des dem Bundestag jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs greift, wie die Ausführungen von Herrn Minister Lauritzen dargetan haben, über das ehedem ausschließliche Ziel, abbruchreifen Gebäudebestand in Stadt und Land zu sanieren, weit hinaus. Die Neuordnungsmaßnahmen sollen sich bekanntlich künftig auch auf solche Baugebiete erstrecken, in denen sich ein Struktur- oder Funktionswandel vollzogen hat. Dasselbe gilt auch für die Ausweitung der Maßnahmen im ländlichen Raum, wo nicht nur abbruchreifer Gebäudebestand saniert werden soll. Hier ist der Umfang weit größer, als im allgemeinen angenommen wird. Auch hier sollen die Entwicklungsmaßnahmen gemäß den Plänen der
Raumordnung und Landesplanung mit in die Förderung nach diesem Gesetz einbezogen werden.
Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, wird so viele praktische Erfahrungen gesammelt haben, um zu erkennen, welche finanzielle Größenordnung hier bei all den gestellten Aufgaben auf uns zukommt. Ich versage es mir daher, wiederholt genannte Schätzungen über die Gesamtkosten und insbesondere über die sogenannten unrentierlichen Kosten hier noch klarzustellen. Ich möchte nur klarstellen, daß für die verschiedenen Ziele dieses Gesetzes ungewöhnlich hohe Geldsummen erforderlich sind. Angesichts der gegebenen Situation auf dem Gebiete der Finanzierung scheint es mir überlegenswert zu sein, ob man nicht bei der Rangordnung, die hier zu beobachten ist, die Sanierung in den Vordergrund stellen sollte.
Wir sollten uns aber vor allen Dingen auch überlegen, bei der Finanzierung nicht nur von den Vorschriften auszugehen, die in der Vorlage vorgesehen sind. Sie dürften nicht ausreichend sein. Wir sollten uns überlegen, ob und inwieweit die im sozialen Wohnungsbau oder sonstwie eingesetzten Mittel dieser Aufgabe der Sanierung und Erneuerung nutzbar gemacht werden können. Wir waren ja auch sehr findig, als es galt, bei der Wohnungsnot unmittelbar nach dem Kriegsende steuerliche Maßnahmen zu ergreifen, die die Privatinitiative entsprechend anfachten. Wir sollten in den Beratungen, die uns hier bevorstehen, auch diese Frage eingehend untersuchen, um auf diese Weise mehr Sicherheit zu bekommen, daß die Mittel zur vollen Deckung der unrentierlichen Kosten auch aufgebracht werden können und eine Abwicklung in einer Zeit möglich ist, die nicht mit dem St. Nimmerleinstag endet.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein grundsätzliches Wort sagen. Die Städtebauförderung muß in das Ordnungsbild der sozialen Marktwirtschaft hineinpassen, sie muß kleinen, mittleren und großen Unternehmen angemessene Chancen geben. Eine Finanzierung sollte nicht ausschließlich eine Sache der Kapitalstarken werden, eine gesunde Mischung wäre -das Richtige. Den Mittelstand zu enteignen und auf dem Weg staatlich fixierter Abfindungen an -den Stadtrand zu verdrängen, wäre nicht im Sinne des Ordnungsbildes der sozialen Marktwirtschaft. Hier muß sich -der Gesetzgeber um Lösungen bemühen, die jegliche Möglichkeit der Benachteiligung kleinerer und mittelständischer Existenzen ausschließt. Die Städtebauförderung muß unter allen Umständen zu Lebens- und funktionsfähigen Neugestaltungen führen und darf nicht erneut Anlaß zur Unzufriedenheit mit der Entwicklung unserer Städte geben.
Nur auf dem Wege der gerechten Abwägung aller Interessen leisten wir -der Sache, um die es hier geht, einen guten Dienst. Nichts sollte zu kurz kommen, weder der Wohnungsbau noch -die gewerblichen, administrativen und infrastrukturellen Einrichtungen. Wenn Sie mich fragen, wo ein Schwergewicht liegen sollte, möchte ich Ihnen zur Antwort geben: nicht bei -den Fassaden, sondern, um es zu wiederholen, bei der Rentierlichkeit. Mit Sorgenkindern städtebaulicher Planung unid ihrer VerwirkDr. Hesberg
lichung tun wir niemandem einen Gefallen, weder den Gemeinden noch den Ländern und auch nicht dem Bund. Gesundete Gemeindebereiche werden aber wieder leistungsfähige Steuerzahler sein.
Meine Damen und Herren, ich sage das deswegen, weil in diesem Jahre - im März - 50 Jahre vergangen sind, seit im Deutschen Reichstag das Wohnungsgesetz verabschiedet worden ist, ein Gesetz, das auch zurückging auf ,die Sanierungswünsche der Wohnungsreformer und auch der Kommunalpolitiker. Wir haben damals ein Polizeistaatsgesetz bekommen, das keine öffentliche Förderung für den Wiederaufbau vorsah, sondern nur die Stillegung dieser Gebäude für Wohnzwecke. Die Wohnungsnot nach dem ersten Weltkrieg hat es nicht ermöglicht, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen. Hitler hat dann nach 1933 andere Aufgaben für wichtiger gehalten. Wir sollten es uns nun nach über 20jähriger Tätigkeit im Interesse des sozialen Wohnungsbaus angelegen sein lassen, dieser Frage, die in ihrer Bedeutung der Frage der Wohnungsneubautätigkeit gleichgewichtig ist, unsere ganz besondere Aufmerksamkeit entgegenzubringen.
Namens der CDU kann ich zum Ausdruck bringen, daß wir eine gründliche, aber auch zügige Beratung wünschen und daß wir beantragen, diese Vorlage dem Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen als federführendem Ausschuß zu überweisen und mitwirken zu lassen den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie .den Haushaltsausschuß nach § 96 der Geschäftsordnung. Die Bildung eines Sonderausschusses für diese Aufgaben lehnt unsere Fraktion ab.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau hat seine Bemerkungen mit der Erklärung eingeleitet, hier finde die erste große Städtebaudebatte statt. Das ist aber - ich möchte sagen: leider - heute nicht der Fall, weil uns die Zeitpeitsche drängt, hier möglichst knapp zu verfahren. Um 14.30 Uhr soll das Hohe Haus in die Aussprache über die Regierungserklärung der vergangenen Woche eintreten. Ich glaube, wir sollten dem Rechnung tragen, weil wir nichts davon haben, wenn wir jetzt die Aussprache auseinanderreißen und sie etwa am Abend wieder aufgreifen. Ich will mich deshalb bemühen, diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen und darauf verzichten, zu wiederholen, was von meinen Vorrednern zur Sache bereits gesagt worden ist, obwohl es den Experten förmlich juckt, zu der einen oder anderen Frage doch noch etwas zu sagen; der Politiker aber muß die vordringlichen Bedürfnisse dieses Hauses respektieren. Ich will infolgedessen nicht von einem vorbereiteten Manuskript ausgehen, sondern lediglich ein paar Punkte aufgreifen, die mir der Erörterung zu bedürfen scheinen.
Ich halte es für ein gutes Omen, daß zwei Minister vor dem jetzigen Minister bereits mit dieser Vorlage vom Grundsatz und von der Aufgabe her beschäftigt waren. Ich hoffe, daß sich daraus die Fähigkeit aller Fraktionen dieses Hauses ergibt, sachkundig und interessiert an dem wieder vorgelegten Entwurf mitzuwirken. Dieser Entwurf hat nicht nur bei den Fachleuten, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit ein lebhaftes Echo gefunden. Den Vorbemerkungen des Herrn Kollegen Dr. Hesberg entnehme ich, daß gewisse Bedenken, die auch in seinen Reihen eine Zeitlang geltend gemacht wurden, hier doch offenbar hinter der erkannten großen Aufgabe zurückgestellt werden. Von Herrn Dr. Bucher wissen wir bereits, daß er sich in letzter Zeit wiederholt positiv zu den Grundsätzen dieses Entwurfs erklärt hat. Das gibt uns die Hoffnung, daß wir weitgehend einvernehmlich verfahren, auch wenn noch Einzelfragen offen sind und der Klärung bedürfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gelegentlich ist allerdings kritisch bemerkt worden, daß es dieses Gesetzes gar nicht bedürfe, weil das Bundesbaugesetz ausreiche. Das ist ein Irrtum. Das Bundesbaugesetz kann den Notwendigkeiten, von denen hier ausgegangen wird, nicht Rechnung tragen. Herr Minister Dr. Lauritzen hat auf einige Punkte, aus denen sich das ergibt, bereits hingewiesen, z. B. auf den wesentlichen Unterschied zwischen der Bauleitplanung und den Sanierungs- und Entwicklungsplanungen. Aufgabe der Bauleitplanung ist es bekanntlich, einen planerischen Rahmen für die geordnete bauliche Entwicklung zu setzen. Der Vollzug der Planung aber bleibt grundsätzlich der Initiative der Grundeigentümer überlassen, und die reicht hier nicht aus, um städtebauliche Mißstände beseitigen zu lassen oder zu verhindern. Die Durchführung dieser im öffentlichen Interesse liegenden Maßnahmen ist nun einmal nicht und kann nun einmal nicht sein eine Sache freier Initiativen. Vielmehr müssen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen von der öffentlichen Hand nicht nur veranlaßt, sondern oft von ihr durchgeführt und regelmäßig auch durch den Einsatz öffentlicher Mittel ermöglicht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es bedarf in diesem Zusammenhang eines wenn auch kurzen Wortes zu einer der Hauptfragen, die hier berührt werden, nämlich zu dem leidigen Komplex der ungerechtfertigten Bodengewinne, die durch spekulative Maßnahmen erzielt werden. Jedermann weiß, daß in Sanierungs- und Entwicklungsgebieten die Bodenpreise meist dann schon ins Uferlose steigen, wenn sich auch nur die Absicht städtebaulicher Planungen herumzusprechen beginnt. Dann hat nun einmal - so leid uns das tun mag: es ist die reine Wahrheit - die Stunde der Bodenpreistreiberei begonnen. Die Spekulanten schließen ihre Reihen, und sehr oft wird hierdurch nicht nur die Verwirklichung der im öffentlichen Interesse liegenden Planungen erschwert, sondern sogar verhindert. Diese spekulativen Bereicherungen einiger gehen aber immer zu Lasten der Allgemeinheit, einmal deshalb, weil die überhöhten Bodenpreise nicht von einer abstrakten öffentlichen Hand, sondern letztlich von den Steuerzahlern beglichen werden müssen, zum anderen, weil durch unangemessene Bodenpreise
Jacobi ({0})
die Verwirklichung der dem Allgemeinwohl dienenden Planungen immer zeitlich verzögert, mitunter sogar total verhindert wird.
Über das Ausmaß dieser Bodenpreissteigerungen ist seit mehr als zehn Jahren in diesem Hause immer wieder lebhaft geklagt worden; abgeholfen worden ist dem Übel nicht. Wir alle wissen, daß sich Jahr für Jahr das Ergebnis unserer Prüfungen in Bildern niederschlägt, die uns nur traurig stimmen können. Nach einer Erhebung des Deutschen Städtetages sind die Grundstückspreise von 1936 bis 1964 im Durchschnitt um 800 Prozent gestiegen. Dabei muß berücksichtigt werden, daß von 1936 bis zur Aufhebung des Preisstopps im Jahre 1950 die Bodenpreise in Grenzen konstant geblieben sind. Der Preisanstieg um 800 Prozent fällt also überwiegend in die Zeit von 1950 bis 1964.
Wir kennen Zahlen aus München, wo heute hier und da für den zur Durchführung öffentlicher Planungen benötigten Boden Preise verlangt werden, die um 1000 Prozent angestiegen sind. Ähnliche Beispiele uferloser Bodenpreissteigerungen werden aus zahlreichen anderen Städten berichtet. In einer niedersächsischen Stadt - das Beispiel liegt noch gar nicht lange zurück - bedurfte es nur der Ankündigung eines Kaufhausbaues - in einem Sanierungsgebiet -, um die Grundstückspreise über Nacht von 20 und 30 DM auf 300 DM pro qm ansteigen zu lassen. Aus dem benachbarten Bad Godesberg wird über einen ähnlichen Fall berichtet. Da schaffte es ein Grundeigentümer sogar, für den Quadratmeter 1100 DM einzuhandeln, weil sein Grundstück unbedingt erworben werden mußte und die, die daran interessiert waren, nicht jahrelang warten wollten. Mag das auch ein extremer Einzelfall sein, es bleiben in großer Zahl normale Fälle, die mit ihren spekulativen Erscheinungsformen empörend genug sind. Wir sollten die Problematik der spekulativen Bodengewinne im übrigen auch unter gesellschaftspolitischen Aspekten sehen.
Heute ist die Forderung nach einer gerechten Einkommens- und Vermögensverteilung nahezu Allgemeingut geworden. Sie findet ihren Niederschlag in den Programmen der Parteien. Das ist vortrefflich! Aber gehört hierzu nicht logischerweise, den sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichernden Bodenspekulanten mit größerer Entschiedenheit und mit wirksamen Mitteln entgegenzuwirken? Es bedarf gesetzlicher Regelungen, die unvertretbaren Bodenpreissteigerungen einen Riegel vorschieben. Wir wissen, daß das im Bundesbaugesetz verankerte bodenrechtliche Instrumentarium dem nicht hat abhelfen können.
Ich habe vor etwa sieben Jahren im Rahmen einer Großen Anfrage in diesem Zusammenhang eingehende Ausführungen gemacht. Ich bedauere sehr, feststellen zu müssen, daß diese Ausführungen bis zur Stunde leider nichts an Aktualität verloren haben.
Inzwischen ist allerdings die Einsicht auch außerhalb der Reihen meiner Parteifreunde gewachsen. So können wir im Berliner Aktionsprogramm der CDU lesen, daß auch sie es für unerläßlich hält, ein neues Bodenrecht zu schaffen, welches berücksichtigt, daß das Eigentum an Boden besonderen Sozialbindungen unterliegt. Der Satz „Planungen und Neuordnungen in Stadt und Land müssen von Verzögerungen und ungerechtfertigten Verteuerungen befreit werden" läßt trotz seiner vagen Formulierung eine gewisse Hoffnung aufkommen. Auch Ihre Forderung, meine Herren von der CDU, daß Spekulationsgewinne aus Bodengeschäften steuerlich stärker zu erfassen sind, wollen wir gern und mit Hoffnung vermerken. Unsere Wertschätzung wäre aber noch größer gewesen, wenn in Ihrem Aktionsprogramm der im ursprünglichen Entwurf enthaltene Satz stehengeblieben wäre, der folgendermaßen lautet:
Die CDU will, daß Wertsteigerungen an Grundstücken, die durch öffentliche Planungen verursacht sind, beim Enteignungsverfahren den Privateigentümern nicht zugute kommen.
Sie haben diesen Satz gestrichen. Hoffentlich ist Ihre Grundhaltung, die Ihnen die „einkassierte" Formulierung eingab, unverändert geblieben.
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- Ich denke, das ist sehr zur Sache gesprochen, auch wenn es dem einen oder anderen in Ihren Reihen, wie lich nach diesem Zwischenruf befürchten muß, unangenehm sein sollte, daß wir auf diesen Punkt zu sprechen kommen.
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- Verzeihen Sie, 'ich mache das Gesetz doch nicht schwerer. Ich wecke vielmehr. die Bereitschaft, gemeinsame Wege zu finden. Darauf hoffe ich!
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Wir haben im übrigen mit Interesse vermerkt, daß auch maßgebliche Kollegen aus der FDP-Fraktion, so Herr Dr. Bucher, zur Schaffung eines sozialen Bodenrechts eine erfreulich positive Haltung eingenommen haben. Herr Dr. Bucher hat das in Übereinstimmung mit dem von ihm als Minister vorgelegten Gesetzentwurf getan.
Hoffen wir, daß den Worten Taten folgen. Das bedingt aber, daß § 15 der jetzigen Vorlage einer kritischen Prüfung unterzogen wird. In der jetzigen Form ist er weder praktikabel noch justitiabel. Er schiebt Sachbearbeitern und Richtern eine politische Entscheidung zu, die sie kaum treffen können, und es wird dabei übersehen, daß die Forderung des Grundgesetzes an den Gesetzgeber dahin geht, den Eigentumsinhalt gesetzlich klar zu begrenzen.
Ich weise in diesem Zusammenhang und im Blick auf irrige Kommentare darauf hin, daß durch den Ausschluß von Werterhöhungen, die in Erwartung der Sanierung oder durch ihre Durchführung eintreten, keineswegs eine Werteinfrierung eintritt. Der Eigentümer nimmt vielmehr an der allgemeinen Werterhöhung teil. Auch kommt die weitere Entwicklung nach dem Abschluß der Ordnungsmaßnahmen dem Eigentümer zugute. Insofern stellt die von uns angestrebte Nichtberücksichtigung von WertJacobi ({4})
erhöhungen, die aus Anlaß von Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen entstehen, zu dem der einzelne keinen Beitrag geleistet hat, lediglich eine zeitlich und örtlich begrenzte Maßnahme dar. Das will wohl beachtet werden.
Auch sollte nicht übersehen werden, daß die bei der Wertermittlung nicht berücksichtigten Werterhöhungen zur Tragung der unrentierlichen Kosten der Sanierung einzusetzen und erforderlich sind. Wer behauptet, daß die Gemeinden diese nicht berücksichtigten Werterhöhungen in ihre eigene Tasche stecken könnten, sollte erst einmal einen Blick in das Gesetz werfen. Dies ist überhaupt allen Kritikern anzuraten, vor allem denjenigen, die zu eifervoller und hierdurch oft an der Sache vorbeigehender Kritik neigen. Sie sollten beispielsweise auch bedenken, daß die Sanierung nicht nur im öffentlichen, sondern auch im Interesse des einzelnen Eigentümers selbst liegt. Wenn die öffentliche Hand nichts unternähme, würde möglicherweise eine derartige Verschlechterung des Eigentums eintreten, daß der Eigentümer noch weniger hätte, als ihm jetzt gegeben werden kann.
Auf die zwar nur vereinzelt, aber lautstark ausgesprochene Verdächtigung, das Gesetz ziele auf eine Sozialisierung des Grund und Bodens auf kaltem Wege ab, lohnt sich ein Eingehen nicht. Auch hier läßt der vorliegende Gesetzentwurf mit seinen umfassenden Reprivatisierungsvorschriften, die weitergehen als die Vorlagen der Minister Lücke und Bucher, die Haltlosigkeit solcher Ausstreuungen erkennen.
Dem vorgesehenen Institut des gemeindlichen Grunderwerbsrechts und einigen besonderen Vorschriften über die Enteignung stehen wir grundsätzlich positiv gegenüber. Hierzu noch offene Fragen werden in den Ausschußberatungen hoffentlich eine allgemein vertretbare Klärung finden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf zum Schluß auf die Bemerkungen Bezug nehmen, die Herr Minister Lauritzen zu der Finanzierungsproblematik gemacht hat. Wir sollten hier wirklich alles daransetzen, um bessere Voraussetzungen und größere Klarheit zu schaffen, als sie heute besteht. Im übrigen aber sollten wir eines nicht außer acht lassen. Wir dürfen bauliche Mißstände und städtebauliche Fehlentwicklungen sich nicht weiter fortentwickeln lassen und damit die Kosten der Sanierung und Entwicklung in gleichem Maße zu weiterem Steigen bringen. Denn wir werden damit zugleich die sozialen Folgekosten, d. h. die Kosten zur Beseitigung oder Milderung der Folgen der Mißstände, wachsen lassen, ohne daß die Wurzel des Übels beseitigt wird. Auch werden unserer Volkswirtschaft beträchtliche Verluste dadurch entstehen, daß auf Grund unzureichender Siedlungsstrukturen ein optimales Wirtschaftswachstum verhindert wird. Nicht zuletzt werden eine aktive regionale Strukturpolitik und eine koordinierte Raumordnungspolitik durch das Fehlen der städtebaulichen Grundlagen in beträchtlichem Umfang erschwert.
Ich hoffe, daß sowohl bei der mittelfristigen Finanzplanung als auch bei der endgültigen Fassung des Art. 104 a Abs. 3 des Grundgesetzes den Erfordernissen, die hier angedeutet worden sind, Rechnung getragen wird.
Ich darf zusammenfassen: Die seit Jahren hinausgeschobene Erneuerung und Entwicklung unserer Städte und Gemeinden liegt dm öffentlichen Interesse. Sie ist ein Gebot des Allgemeinwohls. Der uns vorliegende Gesetzentwurf bietet ein praktikables Instrumentarium zur Durchführung städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen an. Er bietet es an, meine Damen und Herren! Seine bodenordnungspolitischen Bestimmungen können auf der Grundlage der verfassungsrechtlich postulierten Sozialpflichtigkeit des Eigentums einen bedeutsamen Schritt auf dem Wege zur Schaffung eines sozialen Bodenrechts darstellen.
Bei gutem Willen aller Beteiligten muß es gelingen, den Gesetzentwurf bis zum Ende der Legislaturperiode zu verabschieden. An diesem guten Willen wird es seitens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nicht fehlen. Die lange, leidvolle Vorgeschichte des Entwurfs, die umfangreichen Materialien, die in der Zwischenzeit entstanden sind - das ist die positive Seite dieser Vorgeschichte -, erleichtern die Beratungen. Wir bedauern, daß unser Vorschlag auf Einsetzung eines Sonderausschusses bei der Mehrheit dieses Hauses auf Widerspruch gestoßen ist. Um so mehr hoffen Wir, daß alles darangesetzt wird, die Ausschußberatungen sowohl mit Sorgfalt als auch zügig, in jedem Falle mit der festen Absicht durchzuführen, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
Wir möchten allerdings im Gegensatz zu Herrn Kollegen Dr. Hesberg darum bitten, die beiden von ihm zur Mitberatung vorgeschlagenen Ausschüsse - Rechtsausschuß und Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - darauf zu beschränken, sich votierend zu äußern, da es sich hier zumeist um Einzelfragen handelt und weil wir die Sorge haben, daß die direkte Mitbeteiligung das Ziel, von dem wir sprechen, vereiteln könnte. Ich darf hier darauf Bezug nehmen, daß soeben bei der ersten Lesung der Novelle zum Bundessozialhilfegesetz so verfahren worden ist.
({5})
Ich bitte also, die beiden Ausschüsse nicht mitzubeteiligen.
Im übrigen sollten wir alle daran denken, daß wir einer Aufgabe entsprechen müssen, die über die Gegenwart hinaus bedeutsam ist, bei der wir sogar von unserer „Verantwortungsbereitschaft für künftige Generationen" ausgehen müssen.
Bemühen wir uns, mit diesem Gesetz ein brauchbares Werkzeug für die Anpassung unserer räumlichen Umwelt an die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse unserer heutigen Gesellschaft zu schaffen! Der Gesetzentwurf bietet uns hier eine Chance. Wir alle sollten sie nutzen.
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Herr Kollege Jacobi, habe ich Sie recht verstanden, daß Sie keinen Sonderausschuß beantragen?
({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun ist mir der Schwarze Peter zuteil geworden, daß ich Ihnen, die Sie hier so wacker aushalten, die Mittagspause verkürzen muß.
({0})
Ich möchte es deshalb möglichst human machen und darauf verzichten, noch Wesentliches zur Notwendigkeit des Gesetzes zu sagen. Das hat der Herr Minister bei der Einbringung getan. Wir sind uns alle dessen bewußt, daß es auf dem Wege vom Wohnungsbau zum Städtebau darauf ankommt, nicht nur daß gebaut wird, sondern wie gebaut wird. Wir alle wissen, welche Versäumnisse in der Vergangenheit begangen worden sind, obwohl keiner von uns bereit sein wird, hier mit Steinen zu werfen. Denn wir erinnern uns ja an die Zeit, wo es einfach eine Notwendigkeit war, zu bauen, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, und wo es Luxus gewesen wäre, an städtebauliche Prinzipien zu denken. Das muß man in dieser Nüchternheit aussprechen.
Aber wir sehen doch so manches, wo wir uns fragen: Mußte das so sein, konnte hier nicht mit demselben Geld etwas anderes gemacht werden? Oder wenn ich einen Satz aus der Begründung, aus der Einbringungsrede in Frageform wiedergeben darf: Welche Vorstellungen macht sich unsere Gesellschaft vom Wert des Menschen an Hand seiner Wohnungen? Wird der Wert des Menschen nur in PS ausgedrückt und in den Hubraummaßen seines Autos? Sollten wir nicht vielmehr zu der Anschauung kommen, daß eine Wohnung eben nicht nur aus vier Wänden und einem Dach darüber besteht und Städte nicht nur eine Ansammlung von solchen Wänden und Dächern sind? Vielmehr sollen sie einem Wert entsprechen, was ich als ein treffendes Motto für dieses Gesetz betrachten würde. Ich habe dieses Wort neulich bei der Einweihung eines Demonstrativbauvorhabens von einem Bischof gehört - es war ein kirchlicher Bauträger -, und der Bischof zitierte das Bibelwort vom „lebendigen Stein". Ich glaube, dieses Motto vom lebendigen Stein, über die Aufgabe des Städtebaus geschrieben, wäre ein sehr gutes.
Aber abgesehen von diesen mehr transzendentalen Überlegungen gibt es ja auch sehr nüchterne Überlegungen. Es sind konjunkturpolitische Gründe angeführt worden. Allerdings bin ich etwas skeptisch, ob hier wirklich Konjunkturpolitik gemacht werden kann. Sicherlich ist Städtebau beweglicher als Wohnungsbau. Aber wenn wir hier auch keine Konjunkturreserve bilden können, so können wir zumindest eine Konjunkturgrundlage schaffen; denn wir haben ja bis jetzt nicht „zu befürchten", daß von seiten des Bundes allzuviel Geld hineingesteckt und die Konjunktur angeheizt wird. Es wird vielleicht zu einer bescheidenen Grundlage reichen.
Damit bin ich nun schon beim ersten Problem, um das es uns von der FDP hier vor allem geht, der Finanzierung. Wir sehen in dem Gesetz zwei Hauptprobleme, deren Lösung für uns sehr wesentlich ist, erstens die Finanzierung und zweitens die Art und Weise, in der die Bodenordnung geregelt wird. An diesem Problem der Finanzierung sind ja die bisherigen Versuche gescheitert. Die beiden Herren Vorredner haben das bereits zum Ausdruck gebracht. Es war nicht etwa so - was ich bei dieser Gelegenheit doch noch betonen möchte -, wie es neulich Herr Kollege Wienand in einem Pamphlet der SPD dargestellt hat - Entschuldigung, „Pamphlet" ist ein Amerikanismus; ich meine, in einer Broschüre der SPD -, als er sagte, die früheren Regierungen aus CDU/CSU und FDP hätten es nicht geschafft, einen Gesetzentwurf zuwege zu bringen. Das haben wir schon geschafft, es ist aber an der Finanzierung gescheitert, d. h. praktisch am einhelligen Widerstand aller Finanzminister der Länder ohne Ansehen der Couleur parteipolitischer Art. Dieses Schicksal möchten wir diesem Entwurf nicht wünschen.
Nun ist es bedauerlich, daß auch hier nur wieder der Bekenntnisparagraph 69 - bei mir war es auch nicht anders - dasteht, in dem der Bund sich zu seiner Finanzierungsverpflichtung bekennt; in der mittelfristigen Finanzplanung sehen wir bis jetzt nichts. Herr Minister Lauritzen hat uns einige Hoffnungen darauf gemacht. Es ist wirklich dringend notwendig, daß hier eine konkrete klare Finanzierungsgrundlage hineinkommt. Im früheren Entwurf war wenigstens noch die Bestimmung des § 7, daß die Rückflüsse aus dem sozialen Wohnungsbau hier eingesetzt werden könnten. Die ist jetzt leider auch nicht mehr drin. Nun, der Finanzminister hieß damals Dahlgrün, das soll bei der Gelegenheit auch bemerkt werden. Es wird wirklich die Aufgabe sein, diese Finanzierung eindeutig zu klären, sonst ist es eben kein Städtebauförderungsgesetz, sondern allenfalls eine Novelle zum Bundesbaugesetz.
Damit zum zweiten Punkt: Bodenrecht. Dieses Problem muß wirklich sehr eingehend behandelt und sehr kritisch betrachtet werden, denn es ist nun einmal sehr viel Mißtrauen verbreitet. Ich meine nicht die populären Bedenken, die von manchen Kreisen geäußert worden sind, sondern ich meine Mißtrauen, daß hier das Eigentum mehr als notwendig eingeschränkt werden solle. Dabei ist es ganz klar - das gebe auch ich ohne weiteres zu -, es ist ein Instrumentarium notwendig, um den Städtebau zu ermöglichen, ein rechtliches Instrumentarium, das die Sozialbindung des Eigentums, wie sie im Grundgesetz postuliert ist, hier konkretisiert. Ohne das kommt man nicht aus.
Es gibt zwar heute schon Einzelfälle erfolgreicher Stadtsanierungen, ich nenne Kempten und Bietigheim als Beispiele, die ohne ein solches Gesetz auskamen. Das sind aber glückliche Einzelfälle, das wird nicht immer so möglich sein. Wir brauchen also ein solches Instrumentarium, und dieses Instrumentarium ist unter zwei Voraussetzungen zu vertreten, nämlich, daß sich das Gesetz erstens auf wirklich notwendige Sanierungsfälle beschränkt und daß
es zweitens eine ganz klare Haltung zum Eigentum einnimmt. Unter der ersteren Voraussetzung verstehe ich, daß es bedenklich ist, wenn neben die eigentlichen Sanierungsfälle, also wenn die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht gegeben sind, nun noch in § 3 Abs. 2 die sogenannte Funktionsuntüchtigkeit gestellt wird. Das ist ein Ersatz für die frühere Bestimmung „Sonstige Erneuerung". Ich finde aber auch diesen Ersatz nicht sehr glücklich, denn das kann nun eben Veranlassung geben zu einer - lassen Sie es mich einmal etwas pointiert ausdrükken - gewissen Hybris der Kommunen.
Ich kenne einen Fall in einer Stadt, da wurden mir am Stadtplan vom Bürgermeister zwei Sanierungsgebiete gezeigt, das eine ganz klar ein Fall notwendiger Sanierung, bei dem anderen Fall war ich baß erstaunt, als ich dieses Gebiet ansah: es bestand aus Villen und drei- und vierstöckigen Häusern aus der Zeit um 1900 - sicher keine Meisterleistungen der Architektur, aber keine Rede von Sanierungsbedürftigkeit. Dieses Beispiel zeigt, daß man mit solchen etwas weitgehenden Formulierungen über das Ziel hinausschießen könnte. Angesichts des Mißtrauens, das hier herrscht, möchten wir darauf drängen, daß der Sanierungsbegriff wirklich ganz klar formuliert wird.
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Ebenso gilt es, bei den Entwicklungsmaßnahmen zunächst vorsichtig zu sein, bei denen man mehr oder weniger eine Terra incognita betritt.
Die zweite Voraussetzung dafür, daß wir diesem Bodenrechtsinstrumentarium zustimmen können, ist, wie ich sagte, die Haltung zum Eigentum. Auch hier ist Mißtrauen angebracht. Ich erinnere mich, in den ersten Wochen meiner damaligen Amtstätigkeit als Wohnungsbauminister mit dem Stoßseufzer von Herrn Professor Mitscherlich konfrontiert worden zu sein: Wie schön wäre es doch, wenn die Gemeinden bei uns ein unumschränktes Enteignungsrecht hätten! Nun, ich fragte ihn, ob er schon einmal etwas von Art. 14 des Grundgesetzes gehört habe, und er sagte, ja; eben das sei es, was er beklage. Nun, Herr Mitscherlich ist nicht nur der Mann, der uns empfiehlt, in Zelten zu wohnen, solange nicht anständig gebaut wird, sondern ein mit Recht hochangesehener Wissenschaftler. Wenn solche Äußerungen verbreitet werden, ist das Mißtrauen verständlich. Deshalb müssen wir alles tun, um dieses Mißtrauen abzubauen.
Ich anerkenne, daß im Entwurf, wie es auch in dem früheren Entwurf war, nach wie vor das Prinzip durchgehalten ist, daß keiner, der von einem Sanierungsvorhaben betroffen ist, Grundeigentum verlieren soll. Nur die Form, in der er wieder Grundeigentum bekommt, kann verschieden sein, Teileigentum, Immobilienanteilscheine usw. Das ist richtig. Dieses Prinzip ist gewahrt. Ich begrüße es auch, daß in § 1 Abs. 4 dieses Prinzip, wenn auch in deklamatorischer Form, wieder verankert ist. Man könnte allerdings wünschen, daß es statt in der SollForm in der Muß-Form hier zu lesen stünde. Ohne weiteres ist also einzuräumen, daß der einzelne, der
von einer Sanierung betroffen wird, bezüglich der Form des Eigentums, das er wieder erhält, Konzessionen machen muß.
Der neuralgische Punkt aber ist § 15, die Frage der Wertermittlungen für Ersatzleistungen. Einigkeit besteht darüber - und ich glaube, auch Einigkeit mit den Haus- und Grundbesitzer-Verbänden -, daß keine Spekulationsgewinne dadurch gemacht werden dürfen, daß etwa ein Dritter von außerhalb des Sanierungsgebietes dort Grund und Boden aufkauft und dabei ein Geschäft macht. Dieser Fall ist ganz klar auszuschließen. Einigkeit besteht wohl auch darin, daß die Kosten der Ordnungsmaßnahmen, die dem Grundstück direkt zugute kommen, bei der Wertfestsetzung für Ersatzleistungen nicht berücksichtigt werden sollen.
Nun aber beginnt schon der Streit. Ich glaube, man muß dabei davon ausgehen, daß die Gründe für eine Sanierung sehr verschieden sein können. Sie können subjektiv sein, etwa eine Verwahrlosung des Hauses, die auf Schlamperei oder auf Untüchtigkeit des Hauseigentümers beruht. Aber das dürften eigentlich die seltensten Fälle sein, und auch diese Fälle können zum Teil wieder auf Vorgänge in der Vergangenheit - ich meine den langandauernden Mietenstopp - zurückzuführen sein.
Meistens aber werden die Gründe objektiver Art sein. Wenn etwa ein ganzes Viertel nach Art des Berliner Wedding sanierungsbedürftig ist, wenn dort sechs, sieben Hinterhöfe sind, deren Größe nach der Abmessung des Sprungtuchs der Feuerwehr für .den Fall eines Brandes bemessen war, dann ist dafür der jetzige Eigentümer solcher Häuser und Grundstücke sicher nicht verantwortlich. Dieser Eigentümer hat schon bisher wenig Freude an seinem Haus gehabt, vielleicht mit Ausnahme derjenigen, die ein gutgehendes Geschäft unten drin hatten, und mit dieser Ausnahme wird er auch verhältnismäßig wenig Miete bezogen haben.
Die Verhältnisse sind also sehr unterschiedlich, Es wird kaum möglich sein, hier in einer perfekt gerechten Weise zu differenzieren. Deshalb möchte ich eigentlich .als Motto vorschlagen: in dubio pro proprietario, wobei ich den Eigentümer nicht einem vor .dem Strafrichter stehenden Angeklagten gleichstellen möchte. Aber ich möchte zum Ausdruck bringen, daß .die Eigentumsgarantie in Art. 14 des Grundgesetzes sehr klar ausgedrückt ist. Demgegenüber steht die Sozialbindung, die ich durchaus bejahe, die sich aber praktisch von Fall zu Fall, d. h. nach Sachgegenstand und nach Zeit, ganz verschieden auswirken wird. Deswegen, meine ich, muß man sich etwas mehr an die feststehende Größe, die Eigentumsgarantie, anlehnen und sollte deshalb etwas großzügig verfahren. Ich habe das mit dem Stichwort ausgedrückt: dem Eigentümer einen gewissen Bonus, eine gewisse Prämie zubilligen. Dabei denke ich auch daran, daß damit für den Eigentümer ein Anreiz geschaffen wird, selbstverantwortlich zu sanieren.
Der Entwurf trägt in § 15 .diesem Gedanken Rechnung, indem der § 15 zugegebenermaßen heute für den Eigentümer günstiger und beweglicher gefaßt
ist, als er es im alten Entwurf war. Dafür hat § 15 aber nun den Nachteil - das hat Herr Jacobi hervorgehoben -, daß er schwer praktikabel ist und womöglich in starkem Umfang die Gerichte beschäftigt. Es wird unsere Aufgabe sein, hier vielleicht doch eine konkrete Lösung zu finden. Ich habe mir darüber einige Gedanken gemacht, die aber jetzt vorzutragen zu weit führen würde.
Nur stichwortartig etwas zu dem übrigen Instrumentarium. Wir lehnen entschieden das neu eingeführte Ankaufsrecht ab. Man nennt es jetzt etwas verschämt „Grunderwerbsrecht". Eine solche verschämte Bezeichnung ist immer ein Hinweis darauf, daß etwas nicht klar bezeichnet werden soll. Es ist ein klares Ankaufsrecht. Ich halte es für wenig praktikabel; denn das Ankaufsrecht ist an die Versagung der Genehmigung geknüpft. Wer also mit der Ablehnung seines Verkaufsbegehrens rechnen muß, wird schon gar keinen Antrag auf Genehmigung eines solchen Kaufvertrags stellen, weil er ja dann automatisch das Ankaufsrecht provozieren würde. Dadurch werden vielleicht Verkäufe verhindert, die im Interesse der Sanierung nur wünschenswert wären. Rechtlich stellt das Ankaufsrecht oder Grunderwerbsrecht eine vereinfachte Enteignung dar. Deshalb halten wir es für keine gute Erfindung.
Auch das Abbruchs- und Modernisierungsgebot halten wir nicht für unbedingt notwendig. Ich meine, hier herrscht ein gewisser Perfektionismus, und es besteht auch hier wieder die Befürchtung, daß manche Ideologen zu weit gehen könnten, wenn es heißt: Abgebrochen werden muß, was die Erneuerung des Sanierungsgebiets beeinträchtigt. Entweder ist der Bau polizeiwidrig, dann könnte man ihn heute schon abbrechen lassen. Oder es ist in Einzelfällen ein Sonderling da, der eine Bruchbude noch eine Zeitlang stehenlassen will. Ich meine, damit werden wir schließlich auch fertig.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir begrüßen es, daß der Entwurf eines Städtebauförderungsgesetzes vorgelegt worden ist. Dafür, ob wir ihm in seiner endgültigen Fassung zustimmen, sind ,die beiden Punkte entscheidend: daß die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung geregelt ist und daß das bodenrechtliche Instrumentarium rechtlich einwandfrei ist, d. 1h. daß Einschränkungen des Eigentums nur in dem geringstnotwendigen Umfang vorgenommen werden.
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Keine weiteren Wortmeldungen.
Beantragt ist unbestritten die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen als federführenden Ausschuß. - Soweit besteht Einverständnis.
Weiter ist beantragt die Überweisung an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatende Ausschüsse. Dem steht der Antrag gegenüber, daß der Rechtsausschuß und der Ausschuß für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten nur gutachtlich gehört werden sollen. Ich muß darüber abstimmen lassen. Der weitergehende Antrag ist natürlich der Antrag auf Überweisung an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatende Ausschüsse. Kann man über beides zusammen abstimmen lassen, oder wollen Sie die Teilung der Frage, Herr Kollege Jacobi?
({0})
- Gemeinsam. Der Antrag lautet, den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatende Ausschüsse zu beteiligen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Die Frage ist entschieden. Rechtsausschuß und Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten werden als mitberatende Ausschüsse beteiligt, der Haushaltsausschuß ohnehin nach § 96 der Geschäftsordnung.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
a) Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Schultz ({0}), Ollesch, Jung und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Spitzengliederung der Landesverteidigung
- Drucksache V/2994 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Mommer, Metzger, Dr. Schulz ({1}), Dr. Rutschke, Borm, Dr. Achenbach und Genossen
betr. Ausbau und Erweiterung der EWG - Drucksache V/3084 -
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Mommer. Metzger, Bading und Genossen betr. Stärkung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
- Drucksache V/3211 ({2})
- Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Majonica.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion beantrage ich, für die heutige außen- und verteidigungspolitische Debatte die Redezeit für den ersten Redner jeder Fraktion auf 30 Minuten und für jeden weiteren Redner auf 15 Minuten zu begrenzen. Für diesen Antrag gibt es eine Fülle von Gründen.
Der wichtigste ist der, daß wir eine wirkliche Debatte wollen und nicht lange Monologe. Wir wollen, daß in einer zügigen Debatte Argument gegen Argument gesetzt wird.
Zweitens wollen wir eine breit gefächerte Debatte. Wir wollen kein Monopol gewisser Redner, sondern möchten eine möglichst große Anzahl unserer Kollegen gerade zu diesen wichtigen außen- und verteidigungspolitischen Fragen zu Wort kommen lassen.
Der dritte Grund ist, daß wir eine möglichst attraktive, interessante Debatte wollen. Wir haben bei früheren Debatten zu diesem Thema erlebt, daß sich das Haus nach dem zweiten oder dritten Redner jeder Fraktion leerte, weil es einfach nicht zuzumuten war, diese langen Monologe anzuhören. Wir wollen durch eine kurze und zügige Debatte das Interesse des Hauses und das Interesse der Offentlichkeit für unsere verteidigungs- und außenpolitischen Fragen erneut wecken.
Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß das eine Benachteiligung irgendeiner Fraktion - auch nicht der Opposition - ist. Denn die Gesamtredezeit wird já dadurch nicht begrenzt, sondern nur die Redezeit für den einzelnen Abgeordneten wird durch diesen Antrag für diese Debatte begrenzt. Wir wollen damit erreichen, daß dieses Haus in diesen Fragen, die wir hier zu debattieren haben, d a s Forum wird; es soll gerade durch kurze Reden dieser Aufgabe gerecht werden. Ich bin der Auffassung, daß jeder in 15 Minuten das wirklich Neue, das er zu einer Debatte beizutragen hat, sagen kann. Sonst ergeht er sich einfach in Allgemeinplätzen und versucht, bei Adam und Eva anzufangen.
Ich meine, daß wir mit diesem Antrag - für den ersten Redner 30 Minuten, für alle weiteren 15 Minuten - einen kleinen Beitrag zu einer versuchten Parlamentsreform liefern. Wir sollten diesen Versuch gerade in dieser Debatte wagen.
({0})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich widerspreche dem Antrag des Kollegen Majonica, weil dieser Antrag nach unserer Auffassung völlig unbegründet ist und weil er auch an den Entscheidungen dieses Hauses, die schon einmal getroffen worden sind, vorbeigeht. In der 161. Sitzung am 27. März dieses Jahres ist ein Antrag auf Begrenzung der Redezeit mit denselben Argumenten - es handelte sich um dieselben Redezeiten - begründet worden. Dieser Antrag ging in erster Linie von dem Kollegen Dichgans und in zweiter Linie von dem Kollegen Häfele aus. Dieser Antrag ist bei der Beratung der Geschäftsordnung mit 177 zu 151 Stimmen - mit den Stimmen der SPD und der Freien Demokraten - abgelehnt worden. Wir halten es für einen unmöglichen Stil dieses Parlaments, eine Regelung, die im Rahmen der Geschäftsordnung nicht von der Mehrheit des Hauses akzeptiert wurde, nun über die Hintertür durch Einzelanträge bei Einzelberatungen wieder einführen zu wollen.
({0})
Wenn Sie, Herr Kollege Majonica, in Ihrer Fraktion befürchten, daß ein Rednermonopol auftreten könnte, so muß ich sagen: es liegt allein an Ihrer eigenen Fraktion, diese Schwierigkeiten zu meistern oder ihnen aus dem Wege zu gehen. Ich wundere mich sehr, meine Damen und Herren - lassen Sie mich das hier sehr offen sagen -, wenn ein Minister zu diesem sehr wichtigen Thema mehr als eine Stunde gesprochen hat, ein anderer Minister zum gleichen Thema zur Vorbereitung der heutigen Sitzung nicht sehr wesentlich kürzer gesprochen hat, wenn ferner heute vormittag in diesem Hause Redner zum Thema „Städtebauförderung" 45 bis 50 Minuten gesprochen haben und wenn Sie dann zu einem solch hochexplosiven politischen Thema wie dem der Verteidigungspolitik unseres Landes die Redezeit auf 15 Minuten beschränken wollen. Das halte ich für einen schlechten politischen Stil in diesem Hause.
({1})
- Ach, Herr Kollege Rösing, das ist doch kein Argument. Hier geht es doch um Sachargumente, mit denen man überzeugen kann, und nicht um billige Tricks, etwas auf diesem Wege wieder einzuführen, was man bei der Debatte über die Änderung der Geschäftsordnung nicht durchsetzen konnte.
Kein Redner ist daran gehindert, 15 Minuten oder kürzer zu sprechen. Das hängt davon ab, was er auszusagen hat und wie er es aussagt. Jedem Redner ist also überlassen, darüber zu entscheiden, wie er auftritt und wie lange er hier spricht.
Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß es gut wäre, wenn sich gerade diejenigen Kollegen, die sich immer so sehr für die Zuteilung von Rednerzeiten eingesetzt haben, einmal Gedanken darüber machten, ob sie hier frei zu sprechen oder eine Vorlesung zu halten haben. Auch diese Frage ist eindeutig durch die Geschäftsordnung geregelt. Dieses Parlament ist der Ort der Aussprache, und in diesem Parlament sollte es nicht möglich sein, die Diskussion über so entscheidende politische Fragen, wie wir sie heute nachmittag zu behandeln haben, durch formelle Festlegung von Redezeiten abzubrechen oder zu verkürzen. Ob eine echte Diskussion mit Rede und Gegenrede stattfindet, hängt einzig und allein von den Rednern und ihren Argumenten ab, nicht aber davon, ob sie nur 30 oder 15 Minuten sprechen.
({2})
Präsident D. Dr. Gerstenmaier Die Geschäftsordnungsdebatte über diesen Punkt ist abgeschlossen. Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Majonica und auch den Widerspruch gehört. Ich mache darauf aufmerksam, daß, wenn der Antrag des Herrn Abgeordneten Majonica angenommen wird, der Präsident des Hauses sich für verpflichtet hält, nach § 39 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu verfahren, damit wir uns hier nicht immer in moralischen Übereinkünften ergehen, die nachher dann doch nicht gehalten oder wieder schnell vergessen werden.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Wenn ich den Abgeordneten Majonica richtig verstanden habe, soll die von ihm beantragte Regelung nur für heute nachmittag gelten.
({3})
Was sagt § 39 Abs. 2 der Geschäftsordnung? Dort heißt es:
Spricht ein Abgeordneter über die Redezeit hinaus,
- also der erste 30 Minuten, der zweite und alle folgenden 15 Minuten so kann ihm der Präsident nach einmaliger Mahnung das Wort entziehen.
- Ich sage gleich: dann wird ihm der Präsident nach einmaliger Mahnung das Wort entziehen. Das ist bitter, unter Umständen sehr bitter, und ich bitte, sich das zu vergegenwärtigen. Ist einem Redner das Wort entzogen, so darf er es zum gleichen Gegenstand nicht wieder erhalten.
Im Bewußtsein dieses Hausgesetzes wollen wir nun abstimmen. Wer dem Antrag des Abgeordneten Majonica zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste ist die Mehrheit; - ({4})
- Was denn? Eine Sekunde! - Das erste ist die Mehrheit; der Antrag des Herrn Abgeordneten Majonica ist angenommen.
Jetzt hat das Wort zur Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Ich beantrage, die Beschlußfähigkeit des Hauses festzustellen. Das Haus ist eindeutig nicht beschlußfähig.
({0})
Eine Sekunde, Herr Abgeordneter Dorn! Ich muß einmal nachsehen, was darüber in der Geschäftsordnung steht.
({0})
- Das weiß ich auch; aber jetzt kommt es darauf an, daß wir uns an den Wortlaut halten. In § 50 der Geschäftsordnung heißt es:
. . . Wird vor ihrem Beginn
- nämlich vor der Abstimmung; Herr Abgeordneter Dorn, Sie hätten vor der Abstimmung Ihre Zweifel anmelden müssen ({1})
die Beschlußfähigkeit von mindestens fünf Abgeordneten bezweifelt
- ich unterstelle, daß sich Ihre Fraktion anschließt, also insoweit die Voraussetzung des § 50 der Geschäftsordnung erfüllt ist und auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht,
- ich will zur Vorsicht fragen, wie es damit bestellt ist; der eine sagt nein, der andere sagt ja; also bestehen Zweifel, und so ist auch diese Voraussetzung des § 50 der Geschäftsordnung erfüllt so ist in Verbindung mit der sachlichen Abstimmung die Beschlußfähigkeit durch Zählung der Stimmen ({2}) festzustellen.
Herr Abgeordneter Dorn, Sie sind also mit Ihrem Antrag zwei Minuten zu spät gekommen.
({3})
Jetzt zur Tagesordnung der Herr Abgeordnete Mertes. Das ist aber ein anderes Kapitel!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich beantrage, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, Drucksache V/3018, mit auf die Tagesordnung zu setzen und zusammen mit Punkt 5 der Tagesordnung aufzurufen.
Dieser Gesetzentwurf steht in einem direkten und ursächlichen Zusammenhang mit dem bereits auf der Tagesordnung stehenden Gesetzentwurf über die Spitzengliederung der Landesverteidigung, Drucksache V/2994. Um eine konstruktive Beratung zu ermöglichen, sollten beide Gesetzentwürfe behandelt werden.
({0})
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Mertes; würden Sie so nett sein, mir diese Drucksache einmal zu geben. Meine Damen und Herren, da geht es wieder um eine Geschäftsordnungsfrage. Wir haben seit längerer Zeit keine Streitereien über die Geschäftsordnung mehr gehabt. Deshalb sehe ich diesem Intermezzo mit einem gewissen Vergnügen entgegen.
In § 26 Abs. 3 der Geschäftsordnung heißt es:
Gegenstände, die nicht auf der Tagesordnung stehen, dürfen nur beraten werden, wenn nicht fünf Mitglieder widersprechen oder diese Geschäftsordnung die Beratung außerhalb der Tagesordnung zuläßt.
Das letztere trifft nicht zu. Ich könnte den Gesetzentwurf also nur auf die Tagesordnung setzen, wenn
nicht fünf Mitglieder widersprechen oder aber ich habe allerdings auch noch den 1§ 128 als letzte
Hilfe - wenn das Haus übereinkommt, zu erklären,
daß dieser Antrag jedenfalls dem Gegenstand nach
bereits auf der Tagesordnung stehe. So haben Sie
argumentiert, Herr Kollege Mertes, wenn ich Sie
recht verstanden habe?
({0})
Sie haben gesagt, daß der Gegenstand bereits auf der Tagesordnung stehe, wenn auch noch nicht der Antrag.
({1})
Man kann hier also Zweifel anmelden. Im Zweifelsfalle würde ich nach § 128 der Geschäftsordnung
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
entscheiden. Ich frage aber, ob dem Antrag des Kollegen Mertes widersprochen wird.
({2})
- Das ist ein anderes Argument; aber das gilt auch.
- Herr Abgeordneter Mertes, ich lasse Sie hier nicht gern durch Kampfabstimmung niederbügeln und würde deshalb empfehlen, daß Sie in Anbetracht dieses Widerspruchs Ihren Antrag zurücknehmen.
({3})
- Zur Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn über diesen Antrag abgestimmt wird, beantrage ich, diese Abstimmung in Zusammenhang mit der Feststellung der Beschlußfähigkeit des Hauses durchzuführen.
Herr Abgeordneter Dorn, ich kann darüber jetzt nicht abstimmen lassen. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß jedenfalls mehr als fünf Abgeordnete diesem Antrag widersprechen. Damit ist die Sache ausgestanden. Wenn der parlamentarische Geschäftsführer einer Fraktion erklärt, daß nicht nur er selber dagegen ist - Sie haben doch für Ihre Fraktion gesprochen, Herr Kollege Rösing? -,
({0})
sondern die ganze Fraktion, dann ist damit doch die Sache erledigt. Zu diesem Punkt kann ich jetzt also eine Abstimmung nicht zulassen. Es tut mir leid. Ich persönlich hätte keine Bedenken, die Sache jetzt zu behandeln. Aber ich muß nach der Geschäftsordnung gehen, ohne jede persönliche Meinung. Infolgedessen kann ich es jetzt nicht zulassen; die Sache wird nicht auf die Tagesordnung gesetzt.
Damit beginnt die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung nach dem vom Hause beschlossenen Grundsatz: erster Redner jeder Fraktion 30 Minuten, alle anderen Redner 15 Minuten Redezeit. Eine Beschränkung der Redezeit für die Fraktionen gibt es nicht. Das sage ich ausdrücklich für diejenigen, die sich darüber nicht ganz klar sind. Das steht in Übereinstimmung mit Ihrem Antrag, Herr Kollege Majonica.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermarin.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Zeit befinden sich nach wie vor 42 sowjetische Divisionen westlich der Weichsel, d. h. in Westpolen, in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, in der CSSR und in Ungarn, also rund 15 Divisionen mehr als vor Beginn der sowjetischen Intervention vom 21. August dieses Jahres. 20 sowjetische Divisionen stehen allein in der Tschechoslowakei, und ein großer Teil von ihnen ist an der bayerischen Grenze stationiert, in einem Gebiet also, in dem es vorher keine sowjetischen Divisionen gab. Die sowjetischen Streitkräfte sind näher an uns herangerückt und befinden sich in einem höheren Grad der Einsatzbereitschaft als zuvor. Mithin war im Ergebnis für die Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland und Europas das Ereignis vom 21. August keineswegs ein nur interner Vorgang ides Ostblocks.
Die Strategie der Sowjetunion hat sich als imperialistisch, global und total erwiesen. Sie reicht von Landungsmanövern bei Nord-Norwegen, dem Druck auf Finnland, der wachsenden Präsenz im Mittelmeer bis zur Interventionsdrohung nach den Art. 53 und 107. Die Teilung der Welt, die seit 1945 wohl eine Tatsache ist, wird im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, die sie defensiv auslegen, von der Sowjetunion offensiv ausgelegt. Die Vereinigten Staaten haben sich weder 1953 in Ost-Berlin noch 1956 in Budapest noch 1968 in Prag engagiert. Die Sowjetunion dagegen betrachtet diese Teilung unter anderen Gesichtspunkten. Sie tastet ständig die westliche Welt nach schwachen Stellen ab, um ihren eigenen Einflußbereich zu vergrößern.
Trotz allem bleibt, wie die Bundesregierung hier mit Recht gesagt hat, die Politik der aktiven Friedensbereitschaft und Friedenssicherung, wie sie die Bundesrepublik gegenüber West und Ost verfolgt, richtig. Eine Entspannung jedoch als Monolog und ohne Antwort aus dem Osten wäre sinnlos und illusionär..
Der Breschnew-Doktrin, nach der eine Intervention in einem sozialistischen Lande möglich und notwendig ist, wenn dieses Land von der von Moskau verkündeten Linie abweicht, ist nun eine Militärdoktrin Ost-Berlins gefolgt. In ihr wird das, was die Warschauer-Pakt-Staaten zur Rechtfertigung der Aggression vom 21. August anführen, weiter entwickelt und besonders auf die Bundesrepublik Deutschland ausgedehnt. Das scheint uns ein Rückfall in die stalinistische Ara zu sein, der offenbar aggressive Züge trägt und aus dem heraus man sich eine ideologischpolitische Ausgangsposition für mögliche Schikanen und mehr gegenüber der Bundesrepublik und West-Berlin aufzubauen suchen könnte. Mit dieser Doktrin wird gegen alle internationalen Vereinbarungen verstoßen und idas genaue Gegenteil von Friedenspolitik gemacht. Diese Ostberliner Politik fügt sich nahtlos in den praktizierten Imperialismus der Sowjetunion ein.
Mit dem Einmarsch in Prag hat die Sowjetunion alle Spekulationen auf ein Auseinanderfallen des Ostblocks und auf selbständige Politik dort widerlegt. Es gibt also keinen östlichen Polyzentrismus, wie es vor allem die gaullistische Politik so lange glaubte. Der Ostblock ist zwangsweise geeint worden, wenn auch einige osteuropäische Staaten noch einen, wenn auch eingeschränkten, Grad an Handlungsfreiheit behalten haben.
Die fortschreitende Erosion der NATO 'allerdings ist durch diese Entwicklungen drastisch gestoppt worden. Sie haben gezeigt, daß sich die Absichten eines potentiellen Gegners sehr rasch ändern können. Wir haben uns daher - was andere und ich schon mehrfach betont haben - wieder einmal
primär nach den Fähigkeiten und Möglichkeiten der anderen Seite einzurichten und nicht nach den Absichten, wie sie heute und morgen sehr verschieden sein können.
An diese Stelle gehört auch die vieldiskutierte Frage der Vorwarnzeit. Die Sowjetunion hat über Monate hinweg Manöveroperationen und Truppenverschiebungen bis zur Intervention durchgeführt. Obwohl sie in ihrem Ablauf für den Westen kein Geheimnis blieben, war der Zeitpunkt der Intervention überraschend. Die Sowjetunion vermag aus ihrer gegenwärtigen Position und aus ihrem Bereitschaftsstand jederzeit überraschende Aktionen vorzunehmen. Aus diesem Grunde haben wir sicherzustellen, daß unsere eigene Präsenz überall da vorhanden ist, wo sie möglicherweise notwendig ist. „Rotation" und „Big Lift" können nur mehr als zusätzliche Ergänzungen einen gewissen Wert behalten.
Mit Befriedigung haben meine Freunde und ich aus den Darlegungen der Bundesregierung, insbesondere des Herrn Verteidigungsministers, entnommen, daß die Regierung der Präsenz voll aufgefüllter und ausgebildeter Verbände im Rahmen der NATO eine hohe Priorität zuweist. Die dafür erforderlichen Mittel müssen über die mittelfristige Finanzplanung hinaus von der Regierung aufgebracht und von diesem Hause bewilligt werden. Unsere Bevölkerung wünscht zuallererst Sicherheit und ist bereit, Anstrengungen dafür die gleiche Priorität zu geben, wie sie die Regierung vorgeschlagen hat. Unsere Verbündeten sind nach allen ihren Äußerungen bereit, auch ihre Verteidigungsbudgets der veränderten Lage anzupassen. Dem möglichen Gegner müssen das Risiko und die Gefahr eines Angriffs glaubwürdig aufgezeigt werden.
Voraussetzung für eine glaubhafte Abschreckung sind ausreichende militärische Mittel und die Entschlossenheit, sie gegebenenfalls zur rechten Zeit und am rechten Ort einzusetzen. Die wesentlichsten Merkmale dieses Konzepts müssen die eindeutige Absicht beinhalten, im Bündnis gemeinsam zu han- dein und das Bündnisgebiet gegen alle möglichen Formen einer Aggression zu verteidigen. Die Allianz muß auf jeder Stufe einer Aggression wirksam reagieren können und ein so hohes Maß an Flexibilität in der Abwehr haben, daß der Gegner bei jeder Art einer Aggression ein unkalkulierbares und daher untragbares Risiko eingehen würde.
({0})
Der Verteidigungsausschuß dieses Hauses hat sich seit November 1966, also seit zwei Jahren, wiederholt mit den Strukturproblemen unserer Streitkräfte, vor allem mit den Unteroffiziersproblemen, beschäftigt. Im Juni 1967 hat das Parlament darüber eine Entschließung gefaßt und im Dezember 1967 in einer Wehrdebatte ausführlich diskutiert. Aus gegebener Veranlassung darf ich darauf hinweisen, daß die entscheidenden Gesetze, deren Ausarbeitung wegen der Komplexität der Sachverhalte und der haushaltsmäßigen Abdeckung sich im allgemeinen einer Initiative aus dem Hause entziehen, von der Regierung erst vor einer Woche dem Bundestag zugeleitet werden konnten und nun unverzüglich von uns behandelt werden. Wie unverzüglich dieses Haus und seine Ausschüsse sich dieser für unsere Soldaten so wichtigen Gesetze annehmen, geht wohl am besten daraus hervor, daß der Verteidigungsausschuß die Vorlagen, bei denen er mitberatend ist, schon auf die Tagesordnung seiner morgigen Sitzung an erster Stelle gesetzt hat. Das gleiche gilt für den Innenausschuß, der sämtliche Vorlagen, bei denen er mitberatend und der Verteidigungsausschuß federführend ist, ebenfalls auf seine morgige Tagesordnung gesetzt hat, wofür ich dem Herrn Vorsitzenden des Innenausschusses ausdrücklich Dank sagen möchte.
({1})
Es handelt sich bei den Entwürfen um die Strahlenflugzeugführerlaufbahn, die Einführung einer Laufbahn des militärfachlichen Dienstes, also einer neuen Laufbahn für besonders qualifizierte Unteroffiziere, die Wiedereinführung des Soldaten mit zweijähriger Dienstzeit, die Ausdehnung der Unfallentschädigung auf alle Verunglückten, die Erhöhung der Verdienstausfallentschädigung für Wehrübende, die Verdoppelung des Entlassungsgeldes für Wehrpflichtige und eine Ausdehnung der Erfassungsmöglichkeit für Wehrpflichtige.
Ich nenne diese Maßnahmen an erster Stelle der Probleme der Streitkräfte, weil nach meiner Meinung Maßnahmen der Bewaffnung und Ausrüstung, der Technologie und auch der Strategie gegenüber der Forderung, den Personalstand nach Qualität und Quantität auf einen optimalen Stand zu bringen, so wichtig sie sein mögen, zweitrangig sind gegenüber diesem primären Problem.
({2})
Das sogenannte Eingliederungsgesetz wird hoffentlich das Kabinett ebenfalls bald verlassen. Es betrifft die Soldaten mit 12- bis 15jähriger Dienstzeit und soll ihnen einen Rechtsanspruch auf weitere Verwendung im öffentlichen Dienst, verbunden mit der Wahrung ihres Besitzstandes, bringen. Mit diesem Gesetz wird der länger dienende Unteroffizier eine überschaubare Laufbahn vor sich haben, und ich bin sicher, daß das eine anziehende Wirkung auch in unserer hochbeschäftigten Industriegesellschaft haben wird.
Zu verwirklichen sind die Absichten des Gesetzgebers aber nur, wenn Länder und Gemeinden bereit sind, die Übernahme der ausscheidenden langdienenden Soldaten ebenso wie der Bund zu gewährleisten.
({3})
Ich darf an dieser Stelle unsere Länder und Kommunen dringend bitten, sich hier nicht zu verschließen, denn ohne ihre Hilfe und Mitwirkung ist das Problem nicht zu lösen.
({4})
Vor wenigen Wochen war ich im Bereich einer Handwerkskammer auf Regierungsbezirksebene eingeladen, bei der Freisprechung von 45 Meistern und
55 Gesellen, die als Unteroffiziere durch den Berufsförderungsdienst der Bundeswehr bei diesem Festakt freigesprochen werden konnten, die Festansprache zu halten. Bei dieser Gelegenheit ist mir die Bedeutung, ja, die Attraktivität dieser Einrichtung der Bundeswehr besonders deutlich geworden. Wir beklagen mit Recht, daß die hochwichtigen und speziellen Funktionen unserer Unteroffiziere in einer modernen technisierten Armee noch nicht den Grad von gesellschaftlicher Anerkennung gefunden haben, den sie verdienen. Um so mehr ist diese Anerkennung bei der von mir gerade erwähnten Gelegenheit deutlich geworden. Ein qualifizierter Ausbilder der Bundeswehr ist zum qualifizierten Handwerksgesellen und -meister geworden. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, diese Möglichkeiten und ihre Ergebnisse, die man als vorzüglich und beispielhaft für alle Streitkräfte, auch die unserer Verbündeten, empfinden muß, öffentlich mehr herauszustellen, als das bisher geschehen ist.
({5})
Das Thema „Wehrgerechtigkeit" hat Regierung und Parlament seit vielen Jahren beschäftigt. Schon im Juni 1962 ist die Bundesregierung auf Antrag aller Parteien einstimmig ersucht worden, die Wehrpflichtigen, die nicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes einberufen werden konnten, in größerer Zahl zum verkürzten Grundwehrdienst oder zur zivilen Dienstpflicht heranzuziehen. Vor einem Jahr ist erstmals der Gedanke einer Wehrsteuer aufgeworfen worden. Das führte dann im Dezember 1967 zu dem Vorschlag des Bundesministers der Verteidigung, eine parlamentarische Kommission unter Vorsitz des Parlamentarischen Staatssekretärs zu bilden, die sich mit den Lösungsmöglichkeiten des Problems der Wehrgerechtigkeit befassen sollte.
Noch vor der Sommerpause in diesem Jahr hat die Kommission dem Parlament und der Bundesregierung einen umfangreichen Bericht mit Zahlenmaterial und eine Reihe von konkreten Vorschlägen vorgelegt. Als sich der Verteidigungsausschuß sogleich nach den Parlamentsferien mit den Vorschlägen, die übrigens von delegierten Vertretern aller Fraktionen des Hauses unterschrieben worden waren, befassen wollte, ersuchte die Bundesregierung, damit noch zuzuwarten, bis eine innerhalb der Bundesregierung abgestimmte Stellungnahme erarbeitet worden sei. Wie ich gestern von Herrn Staatssekretär von Hase erfahren habe, steht die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vorschlägen der Kommission nun unmittelbar bevor. Es darf aber hier gesagt werden, daß ein Teil des Anliegens der Dienenden durch die von mir vorher genannten Novellierungen von Gesetzen erfüllt werden wird. Aber nur ein Teil! Ich halte es für unbedingt notwendig, daß der gediente Wehrpflichtige, wenn er schon 1 1/2 Jahre für den Dienst an der Gemeinschaft herangezogen worden ist, bevorzugt zum Studium zugelassen, bevorzugt im öffentlichen Dienst eingestellt wird und überall da, wo es nur irgend möglich ist, einen gerechten Ausgleich gegenüber dem Nichtdienenden erhält.
({6})
Ich glaube, wir alle, das ganze Haus, sollten die Konferenz der Kultusminister und alle Behörden und Institutionen, die sich angesprochen fühlen müssen, bitten, in Zukunft so zu verfahren, weil es dem Gesetzgeber allein niemals möglich sein wird, die Wehrgerechtigkeit von sich aus erschöpfend und gerecht für alle zu regeln.
({7})
Allein bis Ende Oktober 1968 haben fast 3000 Soldaten Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer - ich sage lieber „Wehrdienstverweigerer" - eingereicht. Das sind in den ersten zehn Monaten dieses Jahres 600 mehr als in den letzten zehn Jahren zusammen!
({8})
Diese Zahlen sagen alles. Die außerordentlich weitgehende Regelung unseres Grundgesetzes in dieser Frage beginnt durch einen organisierten Mißbrauch ausgenützt zu werden.
({9})
Die frühere reguläre und achtbare Antragstellung vor der Einberufung macht zunehmend einer Antragstellung nach der Einberufung Platz. Die Erträglichkeit muß dort ihre Grenze finden, wo die von unserem ganzen Volk gewünschte Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gefährdet wird.
({10})
Wenn sich in einer Batterie mehrere Soldaten verschiedener Geschütze als Kriegsdienstverweigerer melden und nun nicht mehr an ihrer Waffe verwendet werden dürfen, so fallen diese Geschütze aus, da ausgebildeter Ersatz hierfür naturgemäß nicht vorhanden ist. Wenn sich in einer Panzerkompanie mehrere Panzerfahrer als Kriegsdienstverweigerer melden, sind die Panzer nicht mehr einsatzbereit; denn die Heranbildung von Panzerfahrern erfordert Zeit. Wie wir aus zahlreichen Gesprächen mit der Truppe wissen, verursacht auch nur ein Soldat als Kriegsdienstverweigerer in einer Kompanie Unruhe, insbesondere wenn durch Gehorsamsverweigerung und anderes die Befassung mit disziplinären Maßnahmen und unendlichem Papierkrieg den Kompaniechef von seiner eigentlichen Aufgabe, Soldaten auszubilden, fernhält.
Dazu kommt, daß sich mehr und mehr Soldaten als Kriegsdienstverweigerer erst nach der Grundoder Spezialgrundausbildung melden, so daß ein Ersatz für sie einfach nicht sofort vorhanden sein kann. Sie wollen durch eine späte Meldung offensichtlich dem Ersatzdienst entgehen. Einschlägige Hinweise durch Verbände und Anzeigen in bestimmten Zeitschriften liefern die Gebrauchsanweisung für solches Verhalten.
In keinem Land der Welt tritt das Problem so extrem in Erscheinung wie gegenwärtig bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
({11})
In Frankreich werden, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, von 225 000 Einberufenen im Jahr 50 bis 60 Kriegsdienstverweigerer anerkannt und 100 bis 120 abgewiesen. Die Bundesrepublik ist das
einzige Land der Welt, in dem das Recht auf Kriegsdienstverweigerung durch die Verfassung garantiert ist. Die Minderheiten, die versuchen, unsere staatliche Ordnung und die Bundeswehr anzugreifen und auszuhöhlen, sollten daran denken, daß sie letzten Endes nur durch unsere demokratische Verfassung die Möglichkeit der Betätigung und Meinungsäußerung haben, deren Bestand gerade die Bundeswehr zu schützen berufen ist.
({12})
Meine Fraktion erwartet in dieser Frage Vorschläge der Bundesregierung, insbesondere über die Möglichkeiten einer unverzüglichen Überführung von Antragstellern aus der Truppe in einen zivilen Ersatzdienst, der in jeder Beziehung mit dem Truppendienst vergleichbar ist.
An die zweite Stelle der von mir skizzierten Prioritätenliste gehören Bewaffnung und Ausrüstung der Truppe. Zur Abschreckung, die ich eingangs in ihren unverzichtbaren Wirkungen darzustellen versuchte, gehören auch für die Bundesrepublik Gleichartigkeit und Gleichmäßigkeit der Bewaffnung mit den Verbündeten in Zentraleuropa sowie die Unmöglichkeit für den potentiellen Gegner, sich auf minderbewaffnete Gefechtsfeldabschnitte einrichten zu dürfen, mithin die nukleare Komponente.
Ein Mitspracherecht bei der Zielauswahl und beim Einsatz ist gerade für ein geteiltes Land unerläßlich und in der Tat nach meiner Überzeugung geradezu eine eminente Frage gesamtdeutscher Verantwortung. Meine Herren von der FDP, vielleicht betrachten Sie diese Frage auch einmal unter diesem Aspekt.
({13})
Ich bin dem Kollegen Berkhan für die Auffassung, die er zu diesem Punkt in einer deutschen Zeitung in diesen Tagen geäußert hat, außerordentlich dankbar. Sie deckt sich ganz und gar auch mit meinen eigenen Motiven.
Aus den Gründen, die ich vorher genannt habe und von denen jeder einzelne gewichtig genug wäre, um die Entscheidung allein auf ihm aufzubauen, die aber in ihrer Gesamtheit uns geradezu zwingen, so zu handeln, halten wir es für notwendig, die zweite Generation der Pershing, mit der die 7. US-Armee gegenwärtig ausgerüstet wird, auch für die Bundeswehr zu beschaffen.
Unsere Panzerwaffe ist durch die Einführung des Kampfpanzers „Leopard" erheblich verstärkt worden. Die Exporterfolge dieses Waffensystems beweisen, daß wir für die europäischen Gegebenheiten ein kampfkräftiges und nicht überteuertes System gefunden haben, das gleichgeartete Entwicklungen verbündeter Staaten hinter sich gelassen hat.
({14})
Ich habe durchaus nichts gegen die gemeinsame Entwicklung des Panzers 70 mit den Vereinigten Staaten von Amerika einzuwenden, auch wenn diese Entwicklung erhebliche finanzielle Mittel in Anspruch genommen hat. Aber ich befürworte nach wie vor für den nächsten halben Generationswechsel einen
kampfkraftverstärkten „Leopard", weil es sich nach meiner Meinung beim Panzer 70 um ein überperfektioniertes System handelt,
({15})
bei dem die Kosteneffektivität wohl nicht ohne weiteres zu bejahen ist. Auf diesem Sektor geht die Sowjetunion seit langer Zeit den Weg der Qualität und Quantität, und hier ist eine vielfache quantitative Überlegenheit nicht durch ein noch so perfektes Einzelfahrzeug auszugleichen.
({16})
Einzelne technische Komponenten und wichtige technische Erfahrungen bei der Entwicklung des Panzers 70 können auch in der nächsten Generation des „Leopard" ohne extreme Verteuerung dieses Systems übernommen werden.
Ein Hauptaugenmerk werden wir weiterhin auf die Panzerabwehr zu richten haben. Kanonenjagd-und Raketenpanzer sind die eine Seite, tragbare Panzerabwehrwaffen des Einzelkämpfers die andere Seite der Lösungsmöglichkeiten dieses Problems. Hier sind Entwicklungen in unserem Land vorhanden, die zu guten Hoffnungen berechtigen und die mit einem großzügigen Einsatz von Entwicklungsmitteln bedacht werden sollten, um so schnell wie möglich zur Serienreife zu gelangen. Ich gestehe offen, daß ich weitreichende und wegwerfbare Rohrwaffen für den Grenadier für kosteneffektiver und in der Quantität für wirksamer halte als montierte Raketen, die eines teueren „Leopard"-Fahrgestells bedürfen, um für den Einsatz in Betracht zu kommen. Auf dem Gebiet des Schützenpanzers haben wir ohne Zweifel verlorenes Terrain aufzuholen. Hier bedarf auch der Radpanzer einer raschen Vervollständigung zur Einsatzreife und Einführung.
({17})
Die Lücke in unserer Tieffliegerabwehr muß ehestens geschlossen werden. Tieffliegerangriffe werden auf absehbare Zeit fast ausschließlich bei guter Sicht ausgeführt werden können. Zu ihrer Abwehr genügt ein Rohrwaffensystem mit Radarortung und optischem Feuerleit- und Richtsystem. Ein Allwettersystem ist eine nützliche Forderung, die ich aber gleichwohl angesichts der Dringlichkeit der Vorhaben für überspitzt halte.
Schließlich haben wir unser Augenmerk auf eine ausreichende Bevorratung, vor allem bei Munition und Sprengstoff, zu lenken. In einer ganzen Reihe von Munitionsarten sind wir unterbevorratet. Die Ansätze des Haushaltsplanes 1969 sehen endlich wieder Steigerungen in diesem Kapitel vor, die ihre Fortsetzung auch in den darauffolgenden Jahren finden müssen. Wir können uns auf diesem Gebiet keine unbeschränkte Einfuhr aus anderen Ländern leisten, sondern müssen unserer eigenen, auf diesem Sektor sehr leistungsfähigen Industrie mehr Geltung verschaffen.
Die Akzente, die ich in den Fragen der Rüstungsbeschaffung setzen wollte, ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben - sonst hätte ich dem Antrag meines Freundes Majonica widerDr. Zimmermann
sprechen müssen und statt 30 Minuten etwa 130 Minuten in Anspruch nehmen müssen - wären unvollständig, würde ich das Projekt „Neues Kampfflugzeug" - NKF - außer acht lassen.
Die Bundeswehr hat mit der Beschaffung von 88 „Phantom"-Aufklärern ihr bisher größtes, finanziell umfangreichstes Vorhaben in die Wege geleitet. Ich bestreite keineswegs - weder jetzt noch früher -, daß es sich bei diesem Flugzeug um das beste seiner Art für die gedachte Verwendung handelt. Ich bestreite aber nach wie vor, daß die Kosteneffektivität, die Mr. McNamara zu Recht großgeschrieben hat, ohne mit ihr alle Rüstungsentscheidungen der USA optimal getroffen zu haben, bei diesem System noch gegeben ist. Ich bin aber zufrieden, wenn es der deutschen Luftfahrtindustrie gelingt, an ihre große technische Leistung, das erste strahlgetriebene Flugzeug der Welt entwickelt zu haben, anzuknüpfen und mit der systemführenden Entwicklung eines Kampfflugzeuges für die zweite Hälfte der siebziger Jahre zu beweisen, zu welchen technischen Leistungen sie heute noch imstande ist.
({18})
Es ist dies die erste wirkliche und ganz sicher die letzte Chance, eigenen technischen Know-how zu erringen und sich auf einem Gebiet zu bewähren, das maximale Ausflüsse auf den zivilen Standard hat.
Wir müssen in Forschung und Entwicklung, Technologie und industrieller Rüstung eine Lücke zu schließen versuchen, die in den letzten Jahren nicht kleiner, sondern größer geworden ist. Vor wenigen Jahrzehnten waren deutsche Forscher führend auf den Gebieten der Kernspaltung, des Raketenantriebs und der Strahlflugzeuge. Diese drei Gebiete sind die großen Motoren für die technische Revolution dieses Jahrhunderts geworden. Wir waren daran nach dem zweiten Weltkrieg nurmehr minimal beteiligt.
Es geht weit über das eigentliche Thema der Debatte hinaus, und trotzdem ist es notwendig, daß ich hier postulieren möchte, daß auch unser ziviler Fortschritt in dieser Welt, unser Bestehen auf den Märkten dieser Welt und unsere Geltung als Industrienation davon abhängen werden, ob es uns gelingt, an den Spitzenleistungen des technischen Fortschritts zu partizipieren oder ob wir uns in der Rolle des Konsumgüterfabrikanten bescheiden wollen.
Wenn wir, meine politischen Freunde und ich, an dieser Stelle unsere absolute Entschlossenheit bekunden, mit unseren Verteidigungsanstrengungen zur Regeneration des nordatlantischen Bündnisses zur Erfüllung des gemeinsamen Zieles, den Frieden zu erhalten, der Bedrohung zu begegnen, unser Volk und Land zu schützen - so hat es der Verteidigungsminister formuliert -, so tun wir das in der ständigen Bereitschaft, uns größeren europäischen Zusammenschlüssen zu öffnen und gerade dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Unsere Geltung, unsere Verhandlungsposition, unser Wert als Gesprächspartner sind aber bis dahin davon abhängig, daß wir, ohne Großmacht zu sein und ohne es je wieder werden zu wollen, unsere Position auf allen Gebieten unseres Lebens, unserer staatlichen Existenz, unserer Verteidigung und unserer technischen
Leistungen so ausbauen, daß wir ein Partner sind, mit dem man sprechen kann und muß.
Unsere Haltung in der internationalen Währungspolitik hat trotz mancher falscher Töne, die in der internationalen Kommentierung mit eingeflossen sind, uns letztlich doch Achtung und Respekt in West und Ost gebracht. Lassen Sie uns auch auf dem Gebiet der Stärkung des Bündnisses und der Verteidigung Europas Beiträge leisten, die uns konstruktiv und opferbereit für das große Bündnis unserer verbündeten Völker, aber auch existenzfähig und respektiert als Nation vor der Welt bestehen lassen.
({19})
Mit einer Marge von zwei Minuten plus und der vorgezeigten Uhr eines Obersten der Reserve sind wir gerade noch hingekommen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berkhan.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unmittelbarer Anlaß für diese Debatte waren die Regierungserklärung, die-Erklärungen des Außenministers und des Verteidigungsministerssowie Inhalt, Beratung und Beschlüsse der Ministerratstagung; vermutlich werden das !auch die Akzente sein, die heute die Debatte bestimmen. Daher meinen wir Sozialdemokraten, daß die Fragen der inneren Führung, die wirklich schwerwiegenden Fragen der Wehr- und Kriegsdienstverweigerer - hier insbesondere in der Truppe - bei einem anderen Anlaß beraten werden können, wenn wir .den Bericht des Wehrbeauftragten zur Debatte stellen.
Heute lassen Sie mich also zur Erklärung des Außenministers sagen, daß die Intervention der Sowjetunion in die Tschechoslowakei hinein in West-, aber auch in Osteuropa einen Schock ausgelöst hat. Für uns ist das ein Anlaß, die Positionen unserer Außenpolitik und die Positionen unserer Sicherheitspolitik 211 überprüfen und gegebenenfalls Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Zweifellos sind durch das Vorgehen der Sowjetunion die sich normalisierenden Beziehungen zwischen West- und Osteuropa beeinträchtigt worden.
Der brutale Eingriff in die Souveränitäteines selbständigen und unabhängigen Staates wurde zu unserem Bedauern im Anschluß daran von der Hauptinterventionsmacht noch durch eine neue Doktrin gerechtfertigt. Danach verlangt die sowjetische Staatsführung für sich das Recht, sich in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen, wenn diese eine politische Entwicklung einleiten, die von der Sowjetunion als Bedrohung Ides sozialistischen Systems, wie sie es auffaßt, angesehen wird. Diese neue Interventionsdoktrin widerspricht nach unserer festen Überzeugung dem Völkerrecht. Sie ist für uns Anlaß ernster Besorgnisse. Wer beurteilt denn, wann und wo unter Berufung auf dieses Interventionsrecht Gewalt angewendet wird oder nicht?
Die Antwort der freien Staaten des Westens und ihres Verteidigungsbündnisses auf diese neue Situation muß 'in einem engeren Aneinanderrücken bestehen. Dabei haben wir den veränderten militärischen Bedingungen in Europa Rechnung zu tragen. Alle Maßnahmen .der einzelnen Staaten und der westlichen Allianz insgesamt müssen auf die vorrangige Aufgabe der NATO abgestellt sein, die da lautet: Friedenssicherung durch Aufrechterhaltung eines angemessenen militärischen Gleichgewichts und gleichzeitig beständige Bemühung um Verständigung ialler Staaten und Völker in West- und Osteuropa. Dieser Dualismus unserer Bündnisaufgabe hat gerade in den letzten Jahren .an Bedeutung 'gewonnen. Zur Zeit des Amtsantritts der Regierung der Großen Koalition haben im Dezember 1966 die 15 Außenminister der in der NATO verbündeten Staaten beschlossen, die friedenssichernde Funktion der Allianz einer Analyse zu unterziehen und dabei die Allianzaufgabe in einer sich verändernden Welt deutlich herauszuarbeiten. Ergebnis war der sogenannte Harmel-Bericht. Dieser Bericht ist auch in der Situation nach dem 21. August immer noch aktuell.
Das gilt auch für die Vorschläge und Angebote, die bei der NATO-Ministerratstagung in Reykjavik gemacht wurden. Die Allianz steht nach wie vor zu ihrem Angebot einer beiderseitigen gleichwertigen und gleichzeitigen Rüstungsbegrenzung in Europa, weil alle Regierungen - auch unsere Regierung -davon ausgehen, daß ein Abbau .der gegenseitigen Hochrüstungen ein sinnvoller Schritt auch auf dem Wege ,der politischen Annäherung wäre.
Wir müssen aber daran erinnern, daß uns der Dualismus unseres Verteidigungsbündnisses in den letzten Jahren besonders klar vor Augen gestanden hat. Es ist auf der einen Seite eine Gemeinschaft mit der Aufgabe, die Sicherheit der ihr zugehörigen Staaten zu gewährleisten, und auf der anderen Seite ein politisches Bündnis von Staaten, die wissen, daß nur ein Abbau der Spannungen zwischen Ost und West eine dauerhafte Friedensordnung in Europa begründen kann. Diese Aufgaben widersprechen sich nicht, sondern sie ergänzen sich. Militärische Anstrengungen sind für uns notwendig, weil sie das Risiko von Übergriffen verhindern und ein Gleichgewicht der Potentiale begründen, das uns den nötigen Rückhalt für Sicherheitsarrangements und die vertragliche Absicherung einer neuen Friedensordnung gibt. Beharrliche Politik des Abbaus der Spannungen aber muß den militärischen Anstrengungen ihre Zielsetzung und langfristige Perspektiven eröffnen. Eine nur militärische Antwort - das hat der Außenminister in der vergangenen Woche hier sehr deutlich gesagt - hat in der Vergangenheit nicht ausgereicht und wird auch in der gegenwärtigen Situation unserer Lage nicht gerecht. Die Aktionen der Sowjetunion in diesem Sommer und im Herbst haben den Ländern der westlichen Allianz eindeutig die Notwendigkeit klargemacht, die allgemeinen Probleme der europäischen Sicherheit, die von Natur aus kollektiven Charakter haben, auch gemeinsam zu lösen.
Der Zusammenhalt im Bündnis ist in der gegenwärtigen Situation wieder gewachsen. Die Sowjetunion hat in einer TASS-Erklärung zur Brüsseler Ratstagung vom 24. November 1968 festgestellt, daß an der Schwelle des Jahres 1969, „da jeder Teilnehmer des Nordatalantikvertrages juristisch das Recht des Austritts erhält", der NATO-Ministerrat versuche, alles zu tun, „um mit der abgegriffenen These von der sowjetischen Gefahr die in einer Reihe von Mitgliedstaaten der NATO in Erscheinung tretende Tendenz zu einer größeren Selbständigkeit in der eigenen europäischen und internationalen Politik zu ersticken". - Soweit die TASS-Erklärung.
Jeder in diesem Hause weiß, aber auch die Sowjetunion weiß, daß nicht eine Gruppe von Ministern versucht, den Handlungsspielraum von Staaten unseres Bündnisses einzuengen, sondern daß es die sowjetischen Maßnahmen waren, die zu einem engeren Aneinanderrücken unserer Staaten geführt haben und die uns den Wert des Bündnisses sehr deutlich vor Augen führen.
Wir werden an unseren Zielen einer langfristigen Politik des Abbaues der Spannungen in Europa festhalten, obwohl die andere Seite mit dem Einmarsch in die CSSR eine bedauerliche Verschärfung der Situation herbeigeführt hat. Die Präsenz sowjetischer Divisionen in diesem Nachbarlande verändert die Dislozierung der Streitkräfte des Warschauer Paktes in Mitteleuropa und zwingt uns, die NATO-Streitkräfte in die Lage zu versetzen, auch in der veränderten militärischen Situation ihren Aufgaben in bezug auf Sicherheit gerecht zu werden. Gerade das Ergebnis der Ministerratstagung von Brüssel hat klargemacht, daß die Allianz trotz aller Rückschläge an ihrem Ziel der Herbeiführung gesicherter, friedlicher, für beide Seiten nutzbringender Beziehungen zwischen Ost und West festhält. In dem Abschlußkommunique wurde ausdrücklich betont, daß der Wunsch nach Frieden Fortschritte auf den entscheidenden Gebieten der Rüstungskontrolle und Abrüstung verlange. Ich glaube, das ist der Absatz 12 in dem Kommuniqué. Weitere Bemühungen um die Lösung der grundlegenden Fragen, die Ost und West trennen, blieben notwendig.
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und die Entspannungspolitik müßte fortgesetzt werden.
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- Ich habe ja nur eine halbe Stunde.
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Darum habe ich ja mit Ihnen gestimmt, Herr Scheel. Jetzt will ich mich aber bemühen, langsamer zu sprechen. Danke schön!
Das ist sicher eines der wichtigsten Ergebnisse der Tagung von Brüssel. Nach dem Willen der Staaten des Westens gibt es keine Rückkehr zum Kalten Krieg, die von uns ausginge. Wir werden die Sowjetunion nicht aus dem Zwang entlassen, sich mit
unseren zukunftweisenden Angeboten auseinanderzusetzen. Wir haben dabei nicht die Absicht, Differenzen in den Warschauer Pakt zu tragen. Wir meinen aber, daß es keinen anderen Weg zur Bewahrung des europäischen Friedens und zur Überwindung der vorhandenen Gegensätze gibt. Wir können aber auch dann von dieser Politik nicht abgehen, wenn sie der Sowjetunion auf die Nerven geht und wenn sie die Homogenität ihres Blocks einem Differenzierungsprozeß unterwirft.
In der Vergangenheit bemühten sich die Staaten des Westens, die Entspannungspolitik sowohl durch bilaterale Verträge zwischen einzelnen westlichen und östlichen Staaten als auch durch multilaterale Verhandlungen zu fördern. Beides widerspricht einander nicht. Dennoch werden wir in Zukunft stärker als in der Vergangenheit darauf angewiesen sein, das Bündnis selbst als ein Instrument der Entspannung zu nutzen.
Die Sowjetunion hat uns eindeutig klargemacht, welche Bedeutung sie dem Warschauer Pakt zumißt und in wie starkem Maße dieser Vertrag als System politischer Koordination aufzufassen ist. Die Staaten des Westens werden der von der Sowjetunion erzwungenen kollektiven Einheitsfront nicht erfolgreich gegenübertreten können, wenn sie nicht ebenfalls ihre Interessen und Ziele in Zukunft enger koordinieren, und zwar freiwillig enger koordinieren.
Dabei wird es auch auf eine bessere Verdeutlichung der europäischen Interessen im Rahmen der NATO ankommen. Der Bündniszusammenhalt zu unseren nordatlantischen Partnern, zu den USA und Kanada, darf dabei sicher nicht geringer werden. Unser Außenminister hat am vorigen Mittwoch von der stärkeren Betonung der europäischen Identität im Bündnis gesprochen. Die Westeuropäische Union kann vielleicht ein Instrument sein, diese Identität mehr zu betonen und herauszuarbeiten. Sie kann der Sache dienen. Das gleiche gilt für eine Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften. Es gilt, eine bessere Zusammenarbeit der sechs Kernstaaten mit Großbritannien und anderen beitrittswilligen Staaten in einer Form zu finden, die sowohl mit den bestehenden Verträgen vereinbar ist als auch den Interessen Dritter gerecht zu werden vermag. Die Gesamtheit der Bündnisstaaten hat gleichzeitig sowohl ihre Bemühungen zu intensivieren, die Verteidigungsmaßnahmen der geänderten Situation anzupassen, als auch ihre Entschlossenheit zu bekunden, die Bemühungen um eine friedliche Ordnung in Europa weiter zu verfolgen. Alle Partner, insbesondere aber die Bundesrepublik Deutschland, sind an dieser Geschlossenheit des Bündnisses in der Verfolgung des doppelten Zieles des Bündnisses - Sicherheit für Westeuropa und Entspannung und Frieden für ganz Europa - vital interessiert.
Wir stellen zu unserem Bedauern nach wie vor fest, daß die Sowjetunion trotz unseres ehrlichen und ernstgemeinten Angebots an ihrer Diskriminierung der Bundesrepublik festhält. Wir müssen den Menschen in den Staaten des Ostens klarmachen, immer wieder klarmachen, daß das künstlich aufgebaute Gespenst des deutschen Revanchismus der realen Grundlage entbehrt.
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Das bedeutet für uns eine Verpflichtung: wir müssen eine Politik betreiben, die mit unseren militärischen Anstrengungen und unseren politischen Initiativen nirgendwo den Verdacht aufkommen lassen kann, daß wir eine gewaltsame Veränderung des Status quo anstreben. Unsere Verteidigungsanstrengungen müssen immer eindeutig defensiv sein. Das gilt für die Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr und für die Zahl der bei uns unter Waffen stehenden Soldaten, das gilt aber auch für jede Äußerung in Wort und Schrift seitens der verantwortlichen deutschen Politiker.
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Wir wissen, daß die Gefahr bewußter Mißdeutungen nie ausgeschlossen werden kann, und dürfen deshalb um so eher erwarten, daß die hohlen Formeln der Politik der Stärke und die groben Schlagworte mancher Sonntagsreden aus dem Wortschatz der Politiker gestrichen werden,
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zumindest derjenigen Politiker, die hier in diesem Hause die drei demokratischen Parteien vertreten. Nur auf diese Weise bleibt uns das Vertrauen unserer Freunde erhalten. Die Bundesrepublik Deutschland kann es sich nicht leisten, eine Politik zu betreiben, die sie von ihren Verbündeten trennt. Die Diskriminierung unserer Politik und unserer Ziele durch die Sowjetunion bleibt bei unseren Freunden so lange unwirksam, wie wir uns nicht eine dominierende Rolle anmaßen, die wir auf Grund historischer Vorgänge, auf Grund unserer besonderen Lage in Mitteleuropa und auf Grund unserer Spaltung in diesem Kontinent nicht spielen wollen, aber auch nicht spielen können.
Schon in der Vergangenheit hat man sich vergeblich bemüht, die Bundesrepublik als einen aggressiven und revanchistischen Staat hinzustellen, uns von unseren Verbündeten zu isolieren und das Mißtrauen aller europäischen Länder - der kommunistischen wie der nichtkommunistischen - auf die Bundesrepublik Deutschland zu konzentrieren. Diesen Bemühungen müssen wir eine offene und beharrliche Politik der Verständigung entgegensetzen, die von einer stabilen Sicherheitslage aus auf dem Wege des gegenseitigen Gewaltverzichts, der Rüstungskontrolle und Abrüstung durch Überwindung ,der politischen und sozialen Gegensätze zu einem europäischen Sicherheitssystem, zu einer europäischen Friedensordnung führen kann. Nur eine solche Politik gewährleistet uns die dauerhafte Unterstützung unserer Verbündeten sowohl in bezug auf eine schließliche Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas als auch in bezug auf eine Sicherung der Stellung Berlins.
Wir sind dankbar dafür, daß der Ministerrat der NATO im Sommer in seinem Kommuniqué von Reykjavik jede Behinderung oder Gefährdung des freien Zugangs nach Berlin und jede Änderung des
Status der Stadt als Gefährdung der Entspannungspolitik angesehen hat. Auch bei der Brüsseler Sitzung haben die Minister wiederum an die Sowjetunion appelliert, die Vier-Mächte-Vereinbarungen über Berlin und die auf Grund dieser Vereinbarungen von den Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien getroffenen Entscheidungen zu respektieren. Es wurde erneut bekräftigt, daß die drei Mächte entschlossen sind, die Sicherheit der Stadt zu gewährleisten und den freien Zugang aufrechtzuerhalten.
Unsere Entschlossenheit, auf dem Wege zu einer europäischen Friedensordnung fortzuschreiten, darf uns aber nicht davon abhalten, zu jeder Zeit Entscheidungen zu treffen, die wir für notwendig halten, wenn es gilt, die Sicherheitsfunktion der Allianz zu gewährleisten. Angesichts der Ereignisse dieses Sommers haben wir Sozialdemokraten von Anfang an erklärt, eine gemeinsame Lageanalyse und Bestandsaufnahme sei notwendig. Sollte diese Bestandsaufnahme zu dem Ergebnis kommen, daß gemeinsame Aktionen zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft der militärischen Kräfte des westlichen Bündnisses erforderlich würden, könnte sich kein Bündnispartner seinen Verpflichtungen entziehen, auch die Bundesrepublik Deutschland nicht.
Diese gemeinsame Analyse hat inzwischen zu dem Ergebnis geführt, daß im Potential des Warschauer Paktes erhebliche Verschiebungen stattgefunden haben. Und die Tatsache, daß hervorragend ausgerüstete sowjetische Divisionen heute im Böhmerwald jenseits der bayerischen Grenze stehen, hat ohne Zweifel die operativen Möglichkeiten der Streitkräfte des Warschauer Paktes verbessert. Diese Verschiebung der militärischen Kräfteverhältnisse in Mitteleuropa war begleitet von einer Verstärkung der sowjetischen Seestreitkräfte im Mittelmeer und von einer erheblichen Erhöhung der Rüstungshaushalte in den Staaten des Warschauer Paktes im gegenwärtigen Rechnungsjahr.
Die 14 an der gemeinsamen NATO-Verteidigung teilnehmenden Staaten haben als Reaktion darauf eine Verbesserung der Qualität und der Einsatzbereitschaft ihrer eigenen Streitkräfte vereinbart. Damit soll kein neuer Rüstungswettlauf eingeleitet werden: Nach den Worten von Außenminister Brandt bezwecken die in Brüssel getroffenen Vereinbarungen nichts anderes, als durch angemessene undramatische Verbesserung die NATO-Streitkräfte in die Lage zu versetzen, auch in der veränderten militärischen Situation ihren Aufgaben gerecht zu werden.
Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie in den Grenzen des unbedingt Notwendigen die Mängel beseitigen will, die weder mit unserer Sicherheit noch mit unserer Verpflichtung im Bündnis vereinbar sind. Der Verteidigungsminister hat in seiner Rede in der vergangenen Woche u. a. ausgeführt, daß zur Beseitigung dieser Mängel zusätzlich zu den bereits in der mittelfristigen Finanzplanung ausgewiesenen Summen etwa 2,5 Milliarden DM erforderlich sind. Diese Summe wird in den Jahren 1969 bis 1972 benötigt. Wenn sie voll ausgeschöpft wird, sind das pro Jahr 625 Millionen DM.
Die SPD-Fraktion bleibt bei ihrer Zusage, die hier grundsätzlich durch den Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt ausgesprochen wurde. Keiner kann aber erwarten - weder der Verteidigungsminister noch der Finanzminister -, daß das Parlament gewissermaßen eine Blankovollmacht ausstellt. Der Finanzminister muß schon sagen, wie die 2,5 Milliarden DM aufgebracht werden sollen.
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Erstens: Sollen an anderer Stelle Einsparungen vorgenommen werden? Oder erwartet man - zweitens - ein höheres Steueraufkommen, als es bisher den Schätzungen der mittelfristigen Finanzplanung zugrunde gelegt wurde? Oder soll - drittens - eine zusätzliche Belastung erfolgen wie etwa bei der Ergänzungsabgabe? Oder denkt man - viertens - an die Aufnahme von Anleihen?
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- Zusätzlich! Wir sind uns doch einig! ({8})
- Ja, ja, zusätzlich, meine ich. Wir sind uns doch einig, Herr Scheel. Ich weiß gar nicht, warum Sie das so betonen.
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- Wir sind uns nicht einig? Dann müssen wir sehen, was nachher Herr Schultz dazu sagt. Dann werden wir sehen, wo die Differenz liegt.
Der Verteidigungsminister muß uns wissen lassen: wie wird diese Summe in den einzelnen Jahren verteilt sein, und wie wird sie aufgeteilt werden z. B. bei den fortlaufenden Kosten - Personal, Materialerhaltung, allgemeine Kosten - und bei den einmaligen Kosten, Beschaffung und dergl.? Ich meine, der Verteidigungsrat sollte bald diese Fragen klären, dem Kabinett berichten, und dann kann der Verteidigungsminister dem Verteidigungsausschuß in dieser Frage zur Verfügung stehen. Doch hielte ich es für gut, Herr Minister Schröder, wenn Sie heute schon - ohne Einzelheiten zu nennen - ganz allgemein zu diesen Fragen einmal Stellung nähmen.
Die Forderungen der NATO konzentrieren sich auf zwei Schwerpunkte. Diese Schwerpunkte sind: erstens eine Verbesserung der Qualität, Schlagkraft und Bereitstellung der Bündnisstreitkräfte sowohl hinsichtlich der Mannschaftsstärke als auch ihrer Ausrüstung und zweitens eine Erhöhung der Qualität der Reserven und die Steigerung ihrer Fähigkeit zu einer raschen Mobilmachung. Wir wissen, daß Schlagkraft und Bereitstellung der Streitkräfte in bezug auf die Mannschaftsstärken vor dem Hintergrund der schwierigen Personallage der Bundeswehr gesehen werden müssen.
Der Verteidigungsminister hat in der vorigen Woche darauf hingewiesen, daß uns Anfang 1969 nur noch etwa 200 000 längerdienende Soldaten für den Dienst in der Truppe zur Verfügung stehen. In diesem Hause haben wir seit Jahren häufig über ein angemessenes Verhältnis zwischen der Zahl der längerdienenden Soldaten und der Zahl der Wehrpflichtigen diskutiert. Wir kennen die Idealvorstellung: 62 % Längerdienende und 38 % Wehrpfichtige.
Wir wissen aber auch, daß diese Zahl nie erreicht wurde. Wir sehen die Gefahr, daß sich das Verhältnis in absehbarer Zeit genau umgekehrt einpendeln kann.
Zur Lösung des dringenden Personalproblems wird - zum Teil durch Initiative des Parlaments -inzwischen eine ganze Reihe von Gesetzentwürfen vorgelegt. Alle diese Gesetze finden ihre Deckung im Rahmen des Haushalts, im Rahmen des Einzelplans 14. Sie erfordern also keine zusätzlichen Mittel, sondern die Beträge sind im Haushalt drin.
Aber keiner sollte heute so tun, als käme die Zuspitzung der Personalmisere unerwartet und als hätte sie nicht vorausgesehen werden können. In den zuständigen Referaten, Unterabteilungen und Abteilungen des Ministeriums mußte doch seit Jahren bekannt sein, welcher Abgang an längerdienenden Zeitsoldaten mit dem Auslaufen der jeweiligen Verpflichtungszeiten zu erwarten war und welche abwärtsweisende Tendenz die Zahl der Neuverpflichtungen beharrlich aufwies. Man sage nicht, daß durch die Einsparungen unter dem Zwang der mittelfristigen Finanzplanung die militärische Laufbahn an Attraktivität verloren habe. Diese Einsparungen haben auch andere Bereiche getroffen, ohne daß derartige Folgen eingetreten sind. Sicher ist es auch eine Unterbewertung unserer Soldaten, wenn wir glauben, ihre Probleme könnten ohne größere Schwierigkeiten durch Geld gelöst werden.
Wir sind auch der Meinung, daß die schematische Anpassung der Soldatenbesoldung an bestimmte Regelungen des öffentlichen Dienstes zum Teil korrekturbedürftig ist. So ist die strukturelle Verbesserung vor allem der vernachlässigten Unteroffiziersbesoldung sicher dringend.
Dennoch liegen die Probleme tiefer. Hoffentlich kommen wir nicht zu spät. Das Verteidigungsministerium hat anerkannt, daß Befähigung und Leistung auch bei unseren Soldaten in anderer Weise honoriert werden müssen als in der preußischen Armee des vergangenen Jahrhunderts. Mein Kollege Detlef Haase wird zu dieser Frage und mein Freund Karl Herold noch zu anderen Fragen Stellung nehmen. Ich will hier nur sagen, daß alle Laufbahnen in Zukunft allen Soldaten, die befähigt sind, offenstehen müssen. Diese Armee muß voll in unsere Leistungsgesellschaft integriert werden. Das gilt für den Grenadier wie für den General.
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Wenn es uns gelingt, diese Armee in den Staat zu integrieren, wenn es uns also gelingt, die Normen unserer Leistungsgesellschaft in der Armee wirksam werden zu lassen, dann - davon bin ich überzeugt, Herr Barzel - wird der Dienst in dieser Armee attraktiv werden, und dann werden wir leichter mit den Personalproblemen fertig werden.
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- Ich weiß, daß Sie natürlich eine besondere Vorliebe für Generale haben, während ich eine besondere Vorliebe für Grenadiere habe.
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- Natürlich ist das eine Unterstellung. ({13})
Das wird der Redezeit zugeschlagen. - Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Barzel.
Ich bin sicher, daß Ihnen der Unterschied zwischen der Übertragung der Normen der Leistungsgesellschaft - das war Ihr letzter Satz - und der Integration in die Leistungsgesellschaft völlig klar ist, und deshalb mein unterschiedliches Verhalten zu diesen beiden Sätzen.
Dann sind wir ja darüber klar, was Sie gemeint haben. Und dann will ich Ihnen sagen, Herr Dr. Barzel: Sie sind ja nicht empfindlich, und Sie können ganz gut austeilen, dann müssen Sie auch einmal einstecken.
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- Natürlich, Herr Dr. Marx! Warum soll ich unfreundlich werden? Es geht hier um eine sachliche Differenz, und die muß ausgetragen werden.
Wir dürfen bei all diesen Betrachtungen den wehrpflichtigen Soldaten nicht vergessen, den wir 18 Monate aus seinem Lebensberuf, aus seiner Ausbildung, aus seiner Schulzeit, aus seinem Studium herausnehmen und Dienst in der Bundeswehr leisten lassen.
Die Kommission, von der Herr Dr. Zimmermann schon gesprochen hat, hat ihren Bericht vorgelegt. Darin ist sehr wertvolles und nützliches Material. Ich will Ihre Ausführungen nur unterstreichen, Herr Dr. Zimmermann. Ich will nur feststellen, daß die Verzögerung nicht durch den Verteidigungsausschuß und durch keine Fraktion zustande gekommen ist, sondern das Ministerium hat fünf Monate gebraucht, um seine zusätzliche Stellungnahme zu erarbeiten. Ich bin dankbar, daß ich von Ihnen vernehmen konnte, daß wir in der nächsten Woche an die Arbeit herangehen können. Allerdings möchte ich, wenn der Herr Verteidigungsminister sagt, er möchte den Wehrpflichtigen eine größere Förderung zukommen lassen, gern wissen, wie er sich das vorstellt. Ich hätte gern Einzelheiten darüber gehört. Ein Ansatzpunkt ist sicher die Verdoppelung des Entlassungsgeldes, das ist unbestritten; aber ich meine, wir müssen in die Überlegungen auch Betrachtungen über den Wehrsold, über das Geld des Alltags, einbeziehen. Seit Jahren ist die Größenordnung unverändert. Überall redet man von Dynamisierung. Warum wollen wir unsere Wehrpflichtigen von dieser Dynamisierung- ausschließen?
Die Verwendung des Wehrpflichtigen sollte, wo es möglich ist, so erfolgen, daß seine 18 Monate Dienst in der Truppe eine gewisse Berufsbezogenheit hat. Das wird nicht immer möglich sein; militärische Gründe stehen dem häufig entgegen. Aber ein gleitender Grundwehrdienst könnte gewisse Erleichterungen schaffen.
Zum Abschluß lassen Sie mich an dieser Stelle anführen, was am 23. November im „Neuen Deutschland" zitiert wurde und was bei den Überlegungen der sozialdemokratischen Fraktion eine Rolle gespielt hat. Dort wurde Walter Ulbricht zitiert - ich bringe dieses Zitat von Ulbricht wörtlich
. . . , daß sich die Nationale Volksarmee auf alle Varianten der modernen Kriegführung vorbereiten muß. Sie hat bereit zu sein, ihre Aufgaben sowohl unter den Bedingungen des verdeckten und des begrenzten Krieges als auch des Raketen-Kernwaffen-Krieges zu erfüllen. Da die Führung des Raketen-KernwaffenKrieges die höchsten Anforderungen an die Truppen stellt, muß diese Variante im Mittelpunkt der Ausbildung stehen.
Ich glaube, eine bessere Rechtfertigung meiner Ausführung vom 6. Dezember 1967 und des Zeitungsartikels, den Sie hier genannt haben, Herr Dr. Zimmermann, vermag ich nicht zu geben. Damals - 1967 - sagte ich von dieser Stelle aus:
Die Ausstattung des Heeres mit nuklearen Trägerwaffen sollte jener entsprechen, welche die auf unserem Boden stationierten verbündeten Truppen besitzen. Vor allem aber auch angesichts der Ausstattung der Nationalen Volksarmee der Warschauer Paktstaaten mit ähnlichen nuklearen Waffenträgern können wir Vorschlägen, die auf eine Entblößung der Bundeswehr von solchen nuklearen Trägern hinzielen, nicht zustimmen, solange es nicht zu gleichgewichtigen und kontrollierten Rüstungsbegrenzungen in Gesamteuropa kommt.
Ähnliche Ausführungen machte ich für die Luftwaffe.
So wie wir im vorigen Jahr hier anläßlich der Verteidigungsdebatte unsere Auffassung zur Verteidigungspolitik dargelegt und gleichzeitig unsere Bereitschaft zu gleichgewichtiger Rüstungsbeschränkung erklärt haben, ist auch heute noch unverändert unser Standpunkt. Uns bedrückt, daß die konstruktiven Vorschläge der NATO und der Bundesregierung im vergangenen Jahr von der Sowjetunion nicht positiv aufgenommen wurden; wir werden dennoch auch in der Zukunft nicht aufhören, unsere ehrliche Bereitschaft zu erklären, eine Politik einzuleiten, deren Ziel bestimmt ist durch gegenseitigen Gewaltverzicht, Überbrückung des Ost-West-Gegensatzes, Normalisierung der Beziehungen zu allen Staaten und durch eine auf kontrollierter Rüstungsbeschränkung beruhende Friedensordnung.
Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Herr Minister Schröder, Sie haben vor diesem Hause den Soldaten der Bundeswehr Dank und Anerkennung ausgesprochen. Ich unterstreiche das für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion. Aber vielleicht darf ich hier jetzt als Geschäftsführer ohne Auftrag sagen, daß wir diesen Dank und diese Anerkennung ausdehnen auf die nahezu 170 000 - oder sind es ein paar mehr - Arbeiter, Angestellte und Beamte.
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Ich habe mir hier einen ganzen Katalog aufgeschrieben. Das geht von hockqualifizierten Wissenschaftlern bis zu den Reinemachefrauen. Alle diese Damen und Herren unterstützen die Soldaten in ihrem schwierigen Alltag, und ohne sie, glaube ich, wäre die Bundeswehr in Bereitschaft und im Verteidigungsauftrag nicht von dem Wert, wie sie sich uns heute darstellt. Dafür sei auch diesen Damen und Herren gedankt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schultz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beschränkung der Redezeit auf eine halbe Stunde für den ersten Redner einer Fraktion läßt es leider nicht zu, auf das einzugehen, was bisher vom Kollegen Zimmermann und auch vom Kollegen Berkhan gesagt worden ist, es sei denn mit dem einen oder anderen Schlenker. Ich möchte nur fragen: ist das dann die farbige Debatte, die Sie hier haben wollen? Ich muß mich also hier darauf beschränken, - ({0})
- An sich ist es nützlicher, wenn man es gleich sagt, statt dann nach sechs oder sieben Rednern mit den alten Kamellen anzufangen.
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Ich muß mich also darauf beschränken, auf die Erklärung der Bundesregierung einzugehen und noch einige Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf zu machen, den wir Ihnen heute vorgelegt haben, wobei ich es nicht gerade außerordentlich fair von dem Herrn Kollegen Rösing fand, daß er durch seinen Widerspruch verhindert hat, daß das, was zu diesem Gesetzentwurf sachlich dazugehört, mit auf die Tagesordnung gesetzt wurde.
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Aber das nur nebenbei.
Der Herr Verteidigungsminister hat an den Beginn seiner Erklärungen eine Lagebeurteilung gestellt, in der er zu dem Schluß kommt, die militärische Lage habe sich seit dem Einmarsch der Sowjets in die CSSR entscheidend zu unseren Lasten verschlechtert, da jetzt zehn sowjetische Divisionen mehr als vorher westlich der Weichsel stünden. Herr Zimmermann war inzwischen auf 15 gekommen. Selbst wenn ich die Zahl des Verteidigungsministers nicht in Zweifel ziehe - wir haben in den vergangenen Wochen sehr verschiedene Zahlen gehört -, meine ich, daß man bei dieser Lagebeurteilung noch einiges berücksichtigen muß, was der Herr Verteidigungsminister hier nicht ausgesprochen hat.
Schultz ({3})
Der Minister verliert z. B. kein Wort darüber, daß die tschechoslowakischen Divisionen als Faktor der militärischen Potenz des Warschauer Paktes zur Zeit praktisch ausgefallen sind. Das kann sich selbstverständlich wieder ändern. Wir können also ihre Kampfkraft durchaus von dem jetzt in der CSSR stationierten militärischen Potential der Sowjets abziehen. Das gilt selbst dann, wenn man den Divisionen der Verbündeten der Sowjets schon vor dem August 1968 einen geringeren Kampfwert zugemessen hat. Darüber hinaus muß, glaube ich, auch gesagt werden, daß nicht nur die praktisch ausgefallenen CSSR-Verbände ersetzt werden müssen, sondern daß es auch wohl eine der wichtigsten Aufgaben der sowjetischen Truppen in der CSSR ist, das Land in sich in dem Zustand zu halten oder es wieder in den Zustand zu bringen, den die Sowjets dort haben möchten.
Ich meine - hier kommt der Schlenker -, daß die lapidare Bemerkung des Herrn Kollegen Zimmermann, es gebe keinen Polyzentrismus im Ostblock - so etwa hat er sich ausgedrückt -, einfach nicht haltbar ist. Das muß man schon noch etwas differenzierter betrachten.
Lassen Sie mich auch etwas zu der Frage der Vorwarnzeit sagen, mit der wir im Falle eines Angriffs aus dem Osten rechnen könnten. Diese Frage hat alle militärischen Fachleute immer bewegt; sie hat insbesondere auch die NATO immer bewegt. Die Schätzungen schwanken zwischen wenigen Stunden und zwei bis drei Wochen Vorwarnzeit. Ich meine aber doch, daß der Gedanke, der sich in NATO-Kreisen durchgesetzt hat, daß man von einer Vorwarnzeit ausgehen und mit ihr rechnen könne, richtig ist. Dieser Gedanke hat sich zu Recht durchgesetzt. Auch nach den Ereignissen des 21. August kann man nicht sagen: das stimmt nicht mehr. Denn gerade dem Angriff der Sowjetunion auf den Bündnispartner CSSR ist eine außerordentlich lange Vorwarnzeit vorausgegangen. Niemand kann sagen, daß die Besetzung dieses Landes überraschend gekommen ist. Die endgültige Auslösung der militärischen Aktion kam allerdings sehr schnell und überraschend; aber eine politische Vorwarnzeit war ohne Zweifel vorhanden.
Ich meine, daß es bei der Frage der Vorwarnzeit nur darauf ankommt, ob der Politiker bereit ist, diese auch zu nutzen bzw. die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Das ist nämlich der entscheidende Punkt.
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- Selbstverständlich ohne zu eskalieren! ({5})
- Das Problem ist gar nicht so schwierig. Aber ich will nicht auf Zwischenrufe eingehen.
Wir können also nach wie vor damit rechnen, daß auch bei einem Angriff auf die NATO eine Vorwarnzeit gegeben ist, d. h. daß einem solchen Angriff eine Spannungszeit vorausginge, in der dann natürlich die entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden müßten. Ich meine damit, daß man diese Zeit jedenfalls zur Mobilisierung von Kräften nutzen
könnte. Wir können davon ausgehen, daß auch ein Angriff auf uns immer einer entsprechend langen Vorbereitungszeit bedürfte. Diese Erkenntnis scheint mir wichtig zu sein, wenn man über die Frage der Mobilisierung von Reserven spricht.
Ich möchte nun mit dieser Kritik an der Lagebeurteilung des Verteidigungsministers oder mit diesen Zusätzen nicht etwa der Sorglosigkeit das Wort reden. Ich möchte nur davor warnen, daß man die Argumente zu einseitig setzt. Schließlich ist ein Experte wie etwa der General Graf Kielmannsegg und ist auch der britische Verteidigungsminister Healey der Ansicht, daß unsere Sicherheit heute nicht wesentlich bedrohter sei als vor der Invasion.
Wir Freien Demokraten vertreten nun ein Wehrkonzept - wir haben es übrigens schon seit mehreren Jahren getan -, das wir auf Grund der Ereignisse dieses Jahres nicht zu ändern brauchten. Wir haben schon immer eine Ausstattung der Bundeswehr gefordert, die es gerade bei Überfällen konventioneller Art, wie die CSSR ihn erlebt hat, gestattet, uns mit Aussicht auf Erfolg zu verteidigen. Die Bundesregierung muß sich jetzt erst mühsam zu der Erkenntnis durchringen, daß die atomare Ausstattung der Bundeswehr in einem solchen Fall keinen wirksamen Schutz gewährt. An meiner Beurteilung der Lage ändert auch das nichts, was vorhin der Kollege Zimmermann gesagt hat. Das war eigentlich schon lange vorher klar und wurde, wie ich meine, durch die Ereignisse des 21. August nur unterstrichen. Aber die Bundesregierung hat ja bisher die Augen vor solchen Erkenntnissen beharrlich verschlossen, und mir scheint, auch jetzt blinzelt sie nur etwas in die Richtung.
Nun haben der Herr Verteidigungsminister und der Herr Außenminister eine Erklärung abgegeben. Es stellt sich die Frage, ob die beiden Erklärungen miteinander in Einklang zu bringen sind. Wenn der Herr Außenminister ausführt, daß die Bundesregierung ebensowenig wie ihre Verbündeten die Absicht hat, einen neuen Rüstungswettlauf einzuleiten, und der Herr Verteidigungsminister wie üblich „mit großem Ernst" an dieses Hohe Haus appelliert, den von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen auf dem Verteidigungsgebiet, die innerhalb der nächsten vier Jahre einen Mehraufwand von 2,5 Milliarden DM zusätzlich zu den an sich schon steigenden Verteidigungsausgaben im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung erfordern, zuzustimmen, paßt das, wie ich meine, irgendwie nicht ganz zueinander. Die Forderung des Ministers Schröder bedeutet ein Mehr von etwa 2 1/2 gegenüber der Vorausschätzung der mittelfristigen Finanzplanung. Mir scheint, das ist eine ganze Menge, wenn man die anderen Aufgaben des Staates betrachtet, die erfüllt werden müssen und die ursächlich auch mit unserer Sicherheit zusammenhängen.
Wenn Herr Kollege Zimmermann sagt: Die Bevölkerung wünscht Sicherheit, und sie wird dafür bezahlen, stimme ich dem vielleicht zu, aber ich meine, mit Geld allein kann man das eben nicht alles leisten.
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Schultz ({7})
Dann müßte man eine Berufsarmee von 460 000 Mann aufstellen, und diese Armee ist natürlich mit den 2,5 Milliarden DM nicht aufzustellen. Da spielen also noch andere Dinge eine Rolle.
Ich möchte jetzt auf etwas, was in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, eingehen. Diese Mehrforderung erhält nämlich in einem ungünstigen Sinne, so möchte ich sagen, noch mehr Gewicht dadurch, daß mit keinem Wort von Mehrausgaben für zivile Verteidigung und zivilen Bevölkerungsschutz die Rede ist.
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Dabei weiß jeder in diesem Hause und auch jeder außerhalb, daß wir leider auf dieser Seite der Sicherheitsmedaille ein klares und sauberes Bild nicht erblicken können. Wenn also mehr Geld zur Verfügung gestellt werden soll: wo bleibt die Koordination der militärischen und zivilen Verteidigung der Finanzplanung? Wo ist in Iden Erklärungen der Bundesregierung zu erkennen, wie man den potentiellen Gegner in Zukunft abschrecken und unser Land im Falle eines Angriffs wirksam verteidigen will? Ist es nicht vielmehr erschreckend, meine Damen und Herren, daß man, nachdem die Bundeswehr 13 Jahre besteht und rund 180 Milliarden DM dafür ausgegeben worden sind, nach neuen Milliarden rufen muß, um nunmehr ganz sicher und endgültig die Mängel in unserer Verteidigung abzustellen?
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- Ich sage das! Wäre es nicht sehr viel vernünftiger und auch im Sinne des Außenministers undramatischer, wenn man zunächst nach den Gründen für dieses Versagen suchte?
Ich möchte einige wichtige Gründe aufzählen. Seit spätestens Anfang der 60er Jahre war erkennbar, daß die NATO-Doktrin ,der massiven Vergeltung mit atomaren Waffen natürlich durch eine beweglichere Doktrin abgelöst werden würde. Mit anderen Worten, es war erkennbar, daß den herkömmlichen Waffen wieder ein größeres Gewicht zugemessen werden mußte; denn mit dem technischen Durchbruch der Sowjetunion zur Wasserstoffbombe und mit dem ersten Sputnik war ein neues Zeitalter angebrochen. Diese Entwicklung fand im Mai 1967 in der Änderung der NATO-Doktrin ihren Niederschlag. Es kam zu einer Konzeption der flexiblen Reaktion. Auf einen Angriff soll mit den jeweils nötigen und ausreichenden Mitteln geantwortet werden. Die Verteidigungsminister der damaligen Regierungen haben jedoch keine Konsequenzen gezogen. Sie haben die Ausrüstung der Bundeswehr mit konventionellen Waffen nicht verstärkt vorangetrieben - das soll jetzt alles nachgeholt werden -, sondern sie haben am atomaren Ehrgeiz festgehalten. Nicht einmal unsere maßvollen Vorstellungen, die wir im Jahre 1964 hier im Bundestag ausbreiteten, fanden Gnade vor den Augen der Bundesregierung, der wir selber angehörten.
Zweitens. Aber selbst nachdem diese NATO-Doktrin geändert worden war - wie wir meinen, vernünftig und richtig -, konnte sich die Regierung
der Großen Koalition nicht zu einer neuen Konzeption durchringen. Die beharrenden konservativen Kräfte blieben stärker. Noch in der Verteidigungsdebatte vom 6. und 7. Dezember 1967 vertrat der Verteidigungsminister, wie vorhin von Herrn Berkhan angeschnitten wurde, die Konzeption von dem ausgewogenen Verteidigungsbeitrag der atomaren und der konventionellen Komponente, wobei in der konventionellen Komponente noch allerhand zu prüfen war.
Unsere Forderung nach einer Arbeitsteilung im Bündnis bezüglich der atomaren und der konventionellen Komponente wurde als unrealistisch und sicherheitsgefährdend mit den abgenutzten Argumenten der früheren Jahre verworfen. Diese Argumente sind soeben vom Kollegen Zimmermann wiederholt worden; seine Auffassung ist durch sein Eintreten für die Beschaffung der zweiten Generation der Pershing klargeworden.
Nun muß ich trotzdem fragen: Soll ich es heute als einen Fortschritt werten, wenn Minister Schröder an einer Stelle seiner Rede sagte - ich zitiere -: „Die Bündnispartner halten auch künftig eine ausgewogene konventionelle und nukleare Verteidigungsmöglichkeit der NATO für notwendig"? Ist das ein Schritt in unsere Richtung, in die Richtung der Freien Demokraten, in die richtige Richtung? Liegt die Betonung auf NATO? Dann würden wir das auch unterschreiben, was da gesagt worden ist.
Ich frage nämlich: Ist die Bundesregierung endlich bereit - und sind es auch die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion -, die Umkehr der Schild-und-Schwert-Theorie der 50er .Jahre als eine heute feststehende Tatsache zu akzeptieren? Zu Ihrer Erinnerung: In den 50er Jahren galten als das Schwert in der Verteidigung die ABC-Waffen, als das Schild zum Schutz des Schwerts die konventionellen Streitkräfte. Nebenbei: Bevor diese konventionellen Streitkräfie zum Schild avanciert sind, waren es Stolperdrähte in den Augen der Strategen. Heute haben die ABC-Waffen überwiegend eine politische Bedeutung als letztes Mittel des Staatsmannes, den Gegner vom letzten militärischen Engagement abzuhalten, während das Schwert der konventionellen Streitkräfte gern zur Nachhilfe bei politischen Aktionen benutzt wird, selbst wenn es in der Scheide gelassen wird.
Mit anderen Worten, sieht die Bundesregierung ein, daß das Festhalten an atomaren Trägerwaffen für die Bundeswehr eine Vergeudung von Geld ist, das uns zur Verbesserung der konventionellen Ausstattung fehlt?
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Drittens. Die Änderung der NATO-Doktrin hat unausweichlich auch Änderungen der Strategie zur Folge. Die massive Vergeltung erforderte ein Mindestmaß aller aus dem Stand heraus zum Kampf bereiten präsenten Streitkräfte. Auf Reserven in nennenswertem Umfang konnte verzichtet werden. Die Doktrin der beweglichen Antwort erfordert und macht den Rückgriff auf Reserven möglich. Das heißt,
Schultz ({11})
daß Mobilisierung von Reserven auch in die Streitkräftestruktur eingebaut werden kann und muß.
Hierher gehört die Frage, ob es die Bundesregierung mit der Einberufung einiger Reservisten genug sein lassen will oder ob sie die menschliche und wirtschaftliche Kraft dieses Landes durch eine verbesserte, entscheidungsfreudigere Wehrersatzorganisation besser ausnutzen will. Dazu gehört auch die geplante Zusammenlegung der Territorialverteidigung mit dem Heer zu den Landstreitkräften. Darum ist es recht still geworden. Prüft die Bundesregierung immer noch etwas, was von ihr an sich schon einmal als notwendig und richtig erkannt worden ist?
Für die bodenständige Heimatverteidigung würde auch eine kürzere Ausbildungszeit genügen. Warum wird eigentlich nicht von dem Institut des verkürzten Grundwehrdienstes Gebrauch gemacht, das im Wehrpflichtgesetz vorgesehen ist? Das würde ohne Zweifel der Wehrgerechtigkeit dienen und, was nach meiner Auffassung viel wichtiger ist, den Blick unserer Mitbürger für die Möglichkeiten einer aussichtsreichen Verteidigung unseres Landes schärfen.
Die Bundesregierung richtet ihren Blick immer nur auf die präsenten Streitkräfte und übersieht, daß in unserer Lage die Frage schneller Mobilisierung als Element der Abschreckung und Ausdruck unseres Selbstbehauptungswillens von entscheidender Bedeutung ist. Sie denkt seltsamerweise in Kategorien der USA-Führungsmacht in der NATO, die ein Expeditionskorps unterhalten muß und für die deshalb nur zählen kann, was an Streitkräften präsent ist.
Viertens. Ich unterstreiche ein Wort, das Minister Schröder gesagt hat: „Der Wille zur Verteidigung des Landes kann sich für die Offentlichkeit, für die politischen Parteien und für die parlamentarischen Gremien nicht in der Bereitstellung materieller Mittel erschöpfen. Der Verteidigungswille muß in unserer Öffentlichkeit lebendig sein." Ich möchte sagen, das ist das zentrale Problem, das der Minister hier angesprochen hat. Ich bin ihm dankbar dafür, daß er dieses Wort einmal hier gesagt hat.
Aber wenn wir fragen, was von diesem Verteidigungswillen lebendig ist, dann müssen wir sagen: wenig! Warum? Weil von der Offentlichkeit, wie ich meine, nach wie vor die Wirksamkeit der Streitkräfte in Zweifel gezogen wird für den Fall, daß die Abschreckung versagt und es zur Austragung des Konfliktes kommen sollte. Daran ändern seltsamerweise auch die Atomträgerwaffen der Bundeswehr nichts. Die Bevölkerung hat nach wie vor das Gefühl, daß wir zwar eine Bundeswehr besitzen, daß sie aber nicht mehr als ein Beitrag dazu ist - und auch nicht als mehr gesehen wird -, daß das Bündnis NATO für uns seine Schutzfunktion weiter ausübt und die alliierten Truppen in der Bundesrepublik verbleiben.
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Sie sieht in ihr nur die politische Funktion, nicht die verteidigungspolitische. - Ich gebe das weder, lieber Kollege van Delden, was ich soundso oft draußen in den Versammlungen hören muß und wo ich
dann Mühe habe, mich dagegen zu behaupten und das, was notwendig ist, zu sagen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn von Wrangel?
Ich nehme keine Zwischenfragen an, Herr Präsident. Das ist mir zu schwierig, zu errechnen, wie lange ich dann noch reden darf.
Aber, Herr Abgeordneter, Sie können die Rechnung ruhig mir überlassen. Sie werden dabei nicht zu kurz kommen.
Ich darf aber trotzdem bei meiner Entscheidung bleiben.
Bitte sehr!
Ich darf mich wiederholen: Sie sieht in ihr nur die politische Funktion, nicht die verteidigungspolitische. Das ist auch kein Wunder. Denn es gibt in der Bundesrepublik keine Koordination und Zusammenfassung aller Kräfte für die Verteidigung.
Das ist der Grund dafür, warum die FDP auch in dieser Legislaturperiode die Forderung nach einem Gesetz für die Organisation der Landesverteidigung erhebt. Der Entwurf dazu liegt Ihnen endlich zur ersten Lesung als Drucksache V/2994 vor. Die Begründung ist angefügt. Ich möchte nur einige zusätzliche Bemerkungen dazu machen. Wir verfolgen hier das Ziel, eine klar gegliederte Befehls- und Kommandogewalt zu erreichen, die vom Bundeskanzler über die Minister, den Generalinspekteur und die Inspekteure bis in die Truppe führt; „die" Minister, sage ich, weil gleiches auch für die Einheiten und die Befehlsführung gilt, die dem Innenminister zuständigkeitshalber zugeordnet sind. Die bisherige Regelung des Art. 65 GG, die die Befehls-und Kommandogewalt erst im Verteidigungsfall dem Bundeskanzler überträgt, müßte natürlich geändert werden. Das ist die zweite Vorlage, die heute hätte noch dazukommen müssen.
Der Gedanke dabei ist, daß ein Wechsel im Oberbefehl, wenn es kritisch wird, zu Reibungsverlusten führt und die Schlagkraft in der Verteidigung beeinträchtigt. Wir sollten auch an die Stelle des Verteidigungsrates das Verteidigungskabinett setzen, das Beschlüsse fassen kann und für die Koordinierung der Verteidigungsanstrengungen im Bereich der militärischen und zivilen Landesverteidigung zuständig sein soll.
Wir sind auch der Meinung, daß der Generalinspekteur und der beamtete Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung gleichgestellt werden sollten. Beide unterstehen dann den politisch verantwortlichen Persönlichkeiten, nämlich dem Minister mit seinem Parlamentarischen Staatssekretär, und damit ist das Primat der Politik durchaus gewahrt.
Schultz ({0})
Wie schon erwähnt, würde der Generalinspekteur dann mit einer abgeleiteten Befehlsgewalt über die ihm unterstellten Streitkräfte, also auch mit entsprechender Disziplinarbefugnis, ausgestattet werden. Es gibt eine Reihe von Einwendungen dagegen, auf die ich nicht näher eingehen möchte.
Wir meinen schließlich auch, daß es notwendig ist, für alle Dienstpflichtigen, die sowohl für den militärischen wie für den zivilen Bereich zur Landesverteidigung notwendig sind, eine gemeinsame Wehrersatzorganisation zu schaffen. Wir meinen, daß die bereits bestehende dazu ausgebaut werden kann.
Schließlich haben wir nicht ins Detail gehende Vorschläge gemacht, sondern selbstverständlich berücksichtigt, daß für die Organisationsgewalt des Verteidigungsministers und des Innenministers noch genügend Raum bleiben muß.
Wir hoffen in dieser Frage insbesondere auf die Unterstützung der Kollegen von der SPD; denn zumindest 1964/65 waren sie noch engagierte Verfechter eines Gesetzes über die Organisation der Bundeswehr. Möglicherweise haben sich aber inzwischen die schlechten Einsichten des Koalitionspartners der SPD in dieser Frage durchgesetzt, die sich ja, wie die Debatte über die Aufsetzung dieses Punktes auf die Tagesordnung gezeigt hat, bisher nicht geändert haben.
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Der Widerstandswille in der Bevölkerung und die Bereitschaft, das für die Landesverteidigung Notwendige zu tun, hängt natürlich nicht zuletzt vom Beispiel der politisch Führenden ab. Es stimmt mich persönlich bedenklich, wenn der Abgeordnete Dr. Zimmermann als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses sich in seinem Wahlkreis dafür einsetzt, daß vorhandene Übungseinrichtungen für die Streitkräfte von dort verlegt werden,
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dies um so mehr, wenn der Vorsitzende der CDU/ CSU-Fraktion laut dpa erklärt, für die CDU habe die Sicherheit erste Priorität.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Der Spruch vom heiligen St. Florian sollte für Sie am allerwenigsten bestimmend sein.
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Es ist ebenso unbefriedigend, wenn hinter dem Verlangen der Bundesregierung, im Wehrdienst eine besondere Pflicht der Dienstleistung für die Allgemeinheit zu sehen, keinerlei Maßnahmen stehen, die den Wehrdienst auch als solchen honorieren.
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Ich erinnere nur an die endlosen Erörterungen in der Fragestunde in diesem Haus, ob abgeleisteter Wehrdienst nicht zu einer bevorzugten Stellung z. B. bei der Zulassung zur Immatrikulation der Studierenden führen sollte. Nichts ist da bisher geschehen.
Welche Gespräche sind mit der Wirtschaft über die Eingliederung der längerdienenden Soldaten geführt worden, damit das bei der Bundeswehr Erlernte nun wirklich einen besseren Start ermöglicht? Nur auf die Hilfe der Wirtschaft zu hoffen, genügt wohl nicht. Warum verhindern die Regierungsparteien, daß der gedruckt vorliegende Vorschlag zur Wehrgerechtigkeit im Verteidigungsausschuß diskutiert wird? Ich habe vorhin gehört, daß die Bundesregierung dazu noch eine Stellungnahme abgeben wollte und man das deswegen nicht diskutieren konnte. Reden wir doch nicht um die Sachen herum: in diesem Vorschlag steht drin, daß auch ein Wehrdienst von 15 Monaten möglich sei. Das will die Bundesregierung natürlich nicht diskutiert haben,
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weil das außenpolitische Rückwirkungen haben könnte, die ihr nicht passen, gleichgültig, ob das ein ganz vernünftiger Vorschlag
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in diesem Gesamtkommissionsvorschlag gewesen ist.
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Gleiches gilt für das angesprochene Problem des organisierten Mißbrauchs durch extreme Gruppen für das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung. Warum ist die Bundesregierung nicht in der Lage, unverzüglich die Überstellung der Wehrpflichtigen zum Ersatzdienst sicherzustellen?
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Die Berufung eines neuen Beirats für Fragen der inneren Führung wird das Problem sicher nicht lösen. Würde die unverzügliche Durchführung des Ersatzdienstes hinter dem Antrag auf Wehrdienstverweigerung stehen, würde sich sehr schnell die Spreu vom Weizen trennen. Was tut in diesem Fall eigentlich der Bundesminister für Arbeit? Der scheint mir doch zuständig zu sein?
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. 2,5 Milliarden DM mehr für Projekte, die alte Bekannte sind und seit mindestens einem Jahr gedanklich hin- und herbewegt werden, die im bisherigen Rüstungsplan schon enthalten sind, vermögen bisher noch nicht zu überzeugen. Ich schließe mich hier dem an, was Kollege Berkhan gesagt hat: Wir wollen erst mehr wissen.
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Mehrausgaben allein für den militärischen Bereich der Landesverteidigung in dieser Höhe sind sicher nicht gerechtfertigt. Wir verlangen eine Gesamtschau, in die der zivile Bereich eingeschlosen werden muß.
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Lassen Sie mich zum Schluß sagen: natürlich danken auch wir allen denen, die sich im öffentlichen Dienst bemühen, der Bundeswehr ebenso wie allen
Schultz ({8})
anderen. Lassen Sie mich aber im Bereich der Bundeswehr sagen, Ehrenerklärungen und Dankesworte gegenüber den Soldaten reichen nicht mehr aus.
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Da müssen Sie nur eine Leserzuschrift in der heutigen „Welt" lesen. Der Mann hat recht, der das geschrieben hat. Die Soldaten haben ein Anrecht darauf, ihren Dienst als einen besonderen Dienst für unser aller Sicherheit durch praktische Maßnahmen der Gesetzgebung und der Verordnung gewürdigt zu sehen.
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Ich gebe das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung dem Abgeordneten Dr. Zimmermann.
Zu Ihren Unterstellungen, Herr Kollege Schultz, möchte ich folgendes sagen. Der Übungsplatz Siegenburg existiert seit einigen Jahrzehnten dort, wo er jetzt liegt. Ich bin seit elf Jahren in diesem Wahlkreis Abgeordneter. Zehn Jahre lang habe ich die Belästigungen, die dieser Platz mit sich gebracht hat und mit sich bringt
- den Lärm, auch die Gefährdung -, hingenommen und seine Existenz verteidigt.
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- Langsam, meine Herren! - Der Grund, warum ich seit einem Jahr die Existenz dieses Platzes nicht mehr hinnehmen kann, ist, daß im Jahre 1967 und vor allem zunehmend im Jahre 1968 beinahe wöchentlich - in manchen Wochen zweimal - Fehlwürfe außerhalb des Platzes vorgekommen sind, die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben - Einschlagen von Bomben neben einer arbeitenden Frau auf dem Feld, neben der Bundesstraße, in Häusern - mit sich gebracht haben, weil dieser Platz mit seinen rund 300 ha einfach zu klein ist.
Ich nehme für mich als zuständiger Abgeordneter in Anspruch, meine Meinung zu diesem Problem zu äußern und auch an das zuständige Ressort heranzutreten,
({1})
wie jeder andere das in der gleichen Lage auch tun
würde, nichts anderes, nicht weniger und nicht mehr.
Im Verteidigungsausschuß ist die Sache zur Sprache gekommen, und zwar vorher im Verteidigungsausschuß des Bundesrates, erst nachher im Verteidigungsausschuß des Bundestages. Die bayerische Staatsregierung prüft im Raumordnungsverfahren durch das bayerische Wirtschaftsministerium zur Zeit Ersatzplätze, die vorher von der Wehrbereichsverwaltung VI erkundet worden sind; ein ganz normaler Vorgang.
Ich möchte dringend bitten, sich hier jeder Unterstellung gegen meine Person zu enthalten, weil ich sie mir nicht gefallen lassen werde.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Marx.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Herren Kollegen Zimmermann und Berkhan haben in ihren Darlegungen einiges über den Zuwachs an sowjetischen militärischen Kräften in Mitteleuropa und über die daraus folgende günstigere Ausgangslage der sowjetischen Truppen gesagt. Ich beschränke mich darauf, darzustellen, daß uns seit einigen Monaten nicht nur militärisch zähl- und wägbare neue Tatsachen vor Augen treten, sondern daß es auch einige neue Theorien und Doktrinen gibt.
ln diesem Jahr sind drei wesentliche neue Elemente in die Diskussion eingeführt worden: erstens die Behauptung, daß die sogenannten FeindstaatenKlauseln der UN-Charta nach wie vor gegenüber der Bundesrepublik anwendbar seien, zweitens die Feststellung, daß sozialistische Staaten nur über eine beschränkte Souveränität in bestimmten Phasen ihrer Entwicklung verfügen könnten, und drittens die Behauptung, daß eine militärische Auseinandersetzung zwischen den beiden Teilen Deutschlands nicht als Bruderkrieg, sondern als angewandter Klassenkampf und als „nationaler Befreiungskrieg" definiert werden könne. Diese Doktrin ist in Ostberlin unter dem Firmenschild „Militärdoktrin der DDR" vor kurzem entwickelt worden. Erlauben Sie mir einige Bemerkungen hierzu.
Zum ersten Teil. Über die Feindstaatenklausel ist hier in diesem Hause sehr oft gesprochen worden, und wir haben mit Befriedigung die Versicherung unserer Alliierten entgegengenommen, daß sie diese Artikel für ebenso obsolet, d. h. nicht mehr anwendbar, halten wie wir selbst. Mir scheint aber, daß die Hinweise der Sowjets auf das Weitergelten dieser Artikel im Zusammenhang mit neu entwickelten theoretischen Grundlagen der sowjetischen Außen- und Militärpolitik für uns doch wieder eine bestimmte Bedeutung erlangen. Man kann davon ausgehen, daß Moskau wohl glaubt, es habe hier eine Handhabe, um unser eigenes Land ähnlich wie seine osteuropäischen Satelliten in einen Zustand beschränkter Souveränität zu drängen.
Zum zweiten. Die Feststellungen der Parteizeitung der KPdSU, „Prawda", daß die Normen des Völkerrechts zweitrangig seien gegenüber dem dominierenden Problem des Klassenkampfes, ist an sich nicht neu. Die sowjetische Völkerrechtslehre - man kann dies in allen Einzelheiten etwa in den Werken von Boris Meißner nachlesen - hat immer die Beziehungen zwischen den Völkern auch als Ausfluß weltweit angewandter Klassenkampftheorien verstanden. Aber die besondere Betonung dieser totalitären Denkmethodik in der gegenwärtigen Phase und ihre Einführung in die konkrete Politik müssen uns aufmerksam und hellhörig machen.
Es kommt hinzu, daß die Sowjetunion ,sozialistischen Staaten nur eine beschränkte Souveränität, also ein eingeschränktes Selbstbestimmungsrecht, zugesteht. Der Satz, daß die Souveränität sozialistischer Staaten ihre Grenze dort finde, wo die Interessen des sozialistischen Weltlagers berührt seien,
Dr. Marx ({0})
ist höchst dubios. Man muß natürlich fragen: wer definiert eigentlich die Interessen des sozialistischen Weltlagers? Nach den bisherigen Erfahrungen derjenige, der die entscheidende Macht hat: die Sowjetunion. Wer definiert, wann diese Interessen berührt werden? Die gleiche Antwort: wiederum die Sowjetunion. Das heißt mit anderen Worten, daß die Sowjetunion ihre Interessen mit denjenigen des gesamten Lagers identifiziert. Oder noch deutlicher gesagt, ihre Interessen dominieren die Interessen aller anderen. Hiermit ist eine moderne Theorie für eine ausgreifende imperiale Weltmacht geschaffen, die, wie die am Ende der letzten Woche zu Ende gegangene Konferenz der Militärminister in Bukarest offenbar beweist, die politischen und militärischen Instrumente ihrer Partner ganz auf ihr eigenes Bedürfnis zuordnet.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur dritten Theorie machen. Sie ist im „Neuen Deutschland" am Samstag vor acht Tagen erschienen. Da die sowjetisch besetzte Zone als „DDR" in der außenpolitischen Konzeption der sowjetischen Europapolitik eine Schlüsselfunktion einnimmt, muß die Theorie von einem eventuellen nationalen Befreiungskrieg in Deutschland ernst genommen und auch in den zuständigen Gremien der westlichen Verteidigungsorganisation ins Kalkül mit einbezogen werden. Zwar gehen alle diese Fiktionen, alle diese Überlegungen von der Behauptung aus, daß die Bundeswehr einen „Blitzkrieg gegen die DDR" vorbereite, daß eine imperialistisch konzipierte Revanchearmee .die Zone überrennen wolle. Jedermann von uns weiß, daß solche Annahmen zum ständig wiederkehrenden Ritual kommunistischer Begründungen gehören. Man wird in diesem Zusammenhang aber auch nicht vergessen dürfen, daß z. B. der Überfall auf die CSSR von der falschen Behauptung ausging, dort sei eine Konterrevolution im Gange.
Die neue Theorie Ulbrichts und altbekannte Denkmodelle vom gerechten Krieg werden hier auf die spezifische innerdeutsche Situation angewendet. Man kann diese Überlegungen nicht, wie es hin und wieder auch in der beschreibenden Presse geschieht, als theoretische Glasperlenspiele weltfremder Theoretiker abtun. Denn die Hinweise auf den Text einiger Freundschafts- und Beistandsverträge, die Ost-Berlin mit der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten abgeschlossen hat, zeigen, daß man sich durch die dort fixierten 'Maximen legitimiert glaubt, Zwangsmaßnahmen gegen das freie Deutschland - jetzt zitiere ich - „nicht erst im Falle eines bewaffneten Angriffs, sondern schon im Falle der Wiederaufnahme 'der Angriffspolitik zu ergreifen". Dieses Zitat entnehme ich einem für den ganzen Sachzusammenhang höchst interessanten Artikel in der November-Ausgabe der Ostberliner Zeitschrift „Neue Justiz".
Was die Theorie der beschränkten Souveränität sozialistischer Staaten anlangt, so können wir, meine. verehrten Damen und Herren, wenn wir uns die jüngsten Ereignisse noch einmal vor Augen führen, einige ganz konkrete Beispiele finden. Das erste Beispiel: Die Theorie der beschränkten Souveränität wurde gegenüber der CSSR bei dem Angriff, dem sie ausgesetzt war, selbst angewendet.
Sie wurde aber auch gegenüber anderen Staaten des Warschauer Paktes angewendet und wurde beim Einmarsch selbst praktiziert. Es ist uns, meine Damen und Herren, bis zum heutigen Tage kein Dokument bekanntgeworden, aus dem man entnehmen könnte, daß etwa der Beschluß, die Nationale Volksarmee, oder der Beschluß, Teile der polnischen, der ungarischen und der bulgarischen Armee in die Tschechoslowakei zu schicken, von irgendeinem verantwortlichen Gremium der genannten Länder gefaßt worden wäre. Es wird schon stimmen, daß der Beschluß in einer Sitzung des sogenannten erweiterten Politbüros der KPdSU gefallen ist und daß er den verantwortlichen Stellen in den anderen Ländern auf dem Wege einer Weisung, der man kurzfristig zu folgen habe, zugeleitet worden ist.
Am 16. Oktober dieses Jahres wurde eine Reihe bilateraler Verhandlungen zwischen den führenden Persönlichkeiten der CSSR und der Sowjetunion abgeschlossen und im Prager Hradschin ein Abkommen über den Abzug und über die Stationierung sowjetischer Truppen in der CSSR unterzeichnet. Ich muß Ihre Aufmerksamkeit auf dieses Abkommen, das man richtiger als ein Diktat bezeichnen würde, lenken, weil nämlich im Art. 1 davon die Rede ist, daß der sowjetische Ministerpräsident auch für die anderen Okkupationsländer handele. Auch in diesem Falle ist uns weder von irgendeinem Zentralkomitee noch von irgendeiner Volkskammersitzung noch von irgendeinem Kabinettsbeschluß eines der angeführten Länder etwas bekannt, daß dort Beschlüsse gefaßt worden sind, die der Sowjetunion den Auftrag, auch im Namen dieser Länder zu handeln, hätten zumessen können.
Nun, meine Damen und Herren, diese ganzen Vorgänge haben erneut - und ich glaube, drastisch - deutlich gemacht, welcher Charakter dem Warschauer Pakt innewohnt. Der Warschauer Pakt ist nicht ein Bündnis, das man etwa mit der NATO vergleichen kann. Ich sage das deshalb, weil in den letzten Jahren eine ganze Reihe von unzulässigen Vergleichen dieser Art gezogen worden sind
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und weil es eine sehr leichtfertige Formulierung gibt, die den Warschauer Pakt als eine „Ost-NATO" bezeichnen möchte. Im Warschauer Pakt gibt es keine NATO-ähnliche Integration, es gibt keine Rücksicht auf die spezifischen Interessen der einzelnen Partner. Man kann es zusammenfassend sagen, der Warschauer Pakt ist - und dies, scheint mir, hat auch die jüngste Konferenz in Bukarest deutlich gemacht - der verlängerte Arm des sowjetischen Generalstabs in dem der Sowjetunion vorgelagerten Feld nach Mitteleuropa hin.
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Die Armeen der nichtsowjetischen anderen sozialistischen Länder verstehen ihre Funktion auf Grund dieser Definition nur in engstem Zusammenhang mit der Funktion der sowjetischen Armee selbst.
Dr. Marx ({3})
Sie sind durch die einheitliche Bewaffnung und Ausrüstung, durch die gleichen Normen der logistischen Einrichtungen, durch das politische Kontrollsystem und durch die Ausbildung ihrer führenden Offiziere vollständig von dem, was in der Sowjetunion beschlossen wird, und von dem, was mit der sowjetischen Armee durchgeführt wird, abhängig.
Natürlich muß man sich dies alles heute wieder vor Augen führen, um zu verstehen, wie sehr in der Vergangenheit diejenigen an Inhalt und Bedeutung dieses Paktes vorbeiargumentiert haben, die glaubten, es sei möglich, zwischen der NATO auf der einen Seite und dem Warschauer Pakt auf der anderen ein Bündnis einzugehen.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch hinzufügen, daß wir etwa seit dem Einmarsch in die Tschechoslowakei festgestellt haben, daß eine ganze Reihe von Versuchen - bemerkbar zuerst im Jahre 1955 -, ein gewisses polyzentrisches System herzustellen oder gewisse eigenständige Interpretationen sozialistischer Gesellschaftswirklichkeiten herbeizuführen, durch den Einmarsch in Frage gestellt worden ist. Die Okkupation der Tschechoslowakei signalisierte die Absicht der Sowjets, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und an die Stelle der lebensnäheren Differenzierung die alte erzwungene Einheitlichkeit zu setzen. Die Art und Weise, wie die Sowjets die Prager Reformer zwingen, den mit ihrem Namen verbundenen Nach-Novotny-Kurs Stück um Stück zu korrigieren und durch gewisse Elemente eines neostalinistischen Systems zu ersetzen, zeigt die Verhärtungen einer schon seit Jahren beobachteten sowjetischen Position.
Wir sind heute Zeugen des Versuchs, das sozialistische Lager wieder in einen Ostblock zurückzuformen. Das Entsetzen über diese reaktionäre Grundstimmung in der sowjetischen Politik hat nicht nur den Westen und nicht nur etwa die Völker anderer Staaten wie etwa die Jugoslawen und die Völker der dritten Welt, sondern viele Menschen in den Staaten Osteuropas selbst ergriffen. Wir erleben im Augenblick den Versuch einer immer stärkeren Amalgamierung der staatlichen, gesellschaftlichen, juristischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Bereichen Ostmitteleuropas nach dem Beispiel der Sowjetunion selbst. Wir erleben zur gleichen Zeit den Versuch, wieder eine immer stärker werdende Isolierung des von der Sowjetunion geführten Lagers herbeizuführen, z. B. dadurch, daß etwa seit Anfang September nahezu alle fremdsprachlichen Sendungen deutscher Rundfunkanstalten, vor allem im Russischen, Bulgarischen, Slowakischen, Tschechischen und im Polnischen, wieder durch eine Fülle von Störsendern in diesen Ländern unhörbar gemacht werden sollen.
Meine Damen und Herren, darf ich noch eine Bemerkung machen. Die Jugoslawen, die ein besonders feines Ohr für die Veränderungen in der sowjetisch beherrschten Welt Ostmittel- und Südosteuropas haben, haben auf ihre Weise auf Theorie und Praxis der neuen sowjetischen Politik reagiert. Die Führer des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens sind in den Gedankenbahnen des Marxismus-Leninismus zu Hause, und sie haben ein unvergleichlich
höheres Maß an Informationen aus der dritten Welt und aus der westlichen Welt, als dies an anderen Stellen des Ostens der Fall ist. Man fürchtet dort nicht nur die Eskaladierung der makedonischen und albanischen Frage auf Grund gewisser Unruhen, die sich im Lande selbst in den letzten Tagen gezeigt haben; eine steigende Unruhe herrscht auch wegen des Einsickerns der sowjetischen 3. Eskadra in das Mittelmeer.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß, wenn wir hier in diesem Hause und in diesen Wochen vor schwierigen Entscheidungen stehen, die mit der Entwicklung unserer Außenpolitik und unserer Verteidigungspolitik zusammenhängen, wir unseren Blick ebenfalls schärfen sollten. Wir sollten sehen, daß sich der europäische Kontinent heute einer neuen Konfrontation und Herausforderung gegenübersieht, daß sich nicht nur auf dem Balkan und im Mittelmeer, nicht nur in Mitteleuropa, sondern - der Kollege Zimmermann hat darauf hingewiesen - auch in der Ostsee und am Nordkap eine neue Entwicklung, nämlich der Versuch, eine hegemoniale Herrschaft über das restliche Europa zu errichten, herausbildet.
Ich schließe mit einem Satz, den ich einem führenden jugoslawischen Politiker zu verdanken habe. Auf die Frage: Wie würden Sie sich in der inneren Gestaltung Ihrer staatlichen Organisation und in Ihrer Verteidigungsfähigkeit gegenüber dem, was sich in Osteuropa entwickelt, einstellen?, hat er geantwortet: „Wir werden uns so verhalten, als ob der Friede für 100 Jahre gesichert wäre; wir werden uns so verhalten, als ob morgen die Auseinandersetzung begänne." Ich denke, daß wir, die wir Entscheidungen schwieriger Art zu fällen haben, auch vor der Frage stehen, ob wir beide Teile dieses Satzes für uns und unsere Politik lebendig machen sollen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Herold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Verteidigungsminister hat in der vergangenen Woche mit Recht die These vertreten, daß Einsatzbereitschaft und Schlagkraft der Streitkräfte eng mit einer Lösung des Personalproblems zusammenhängen. Der Schlüssel für alle Maßnahmen, auch im Bereich von Beschaffung und Ausrüstung, ist eine ausgewogene Personalstruktur. Neue große Beschaffungsprogramme können überhaupt erst dann über das Geplante hinaus beraten werden, wenn uns die genügende Zahl von qualifizierten Soldaten zur Verfügung steht. Schon deshalb sind finanzielle Mehraufwendungen für die Verteidigung in den nächsten Jahren nach meiner Auffassung eng begrenzt.
Die vom Verteidigungsminister vorgeschlagenen Beschaffungsprogramme gehen von der festgelegten Mannschaftsstärke der Bundeswehr aus. Sie leiten keinen hektischen Aufrüstungsprozeß ein und stehen nicht im Gegensatz zur vom Bündnis gestellten militärischen Aufgabe.
Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßen wir ausdrücklich die beabsichtigte Verbesserung der Tieffliegerabwehr, insbesondere zum Schutz unserer Flugplätze. Ebenso scheint uns eine Verstärkung der konventionellen Feuerkraft in den Artilleriebataillonen angebracht zu sein. Wir lenken die Aufmerksamkeit, Herr Minister, aber noch einmal auf die Verbesserung der Panzerabwehr und die Notwendigkeit, moderne Flächenfeuerwaffen in die Rüstungsplanung einzubeziehen. Alle diese Forderungen sind nicht neu. Wir haben sie schon in der Verteidigungsdebatte vom Dezember 1967 erhoben. Diese Waffen haben den Vorteil, daß sie eindeutig defensiv sind und auch von Böswilligen nicht als offensive Bewaffnung gedeutet werden können.
Wir erwarten vom Herrn Verteidigungsminister, daß der Verteidigungsausschuß bald umfassend darüber informiert wird, wann die einzelnen Lieferungen anlaufen können. Wir möchten auch erfahren, welche personelle Besetzung bei diesen Ausrüstungen beabsichtigt ist. In der Vergangenheit ist gerade - nur als Beispiel gesagt - die Einführung leichter Fla-Rohrwaffen bei der Personalbesetzung auf Schwierigkeiten gestoßen.
Im Zusammenhang mit der Einführung zusätzlicher Panzerhaubitzen möchten wir gern erfahren, Herr Minister, wie der Stand der Planung für die leichten Artillerie-Raketenwerfer ist.
Wir sind aber nach wie vor sehr skeptisch in bezug auf die Einführung des Kampfpanzers 70. Der Generalinspekteur hat bereits darauf hingewiesen, daß dieser neue Panzer die Technik und die Personalwirtschaft der Bundeswehr vor neue große Probleme stellen wird; er könne nur von langdienenden Zeitsoldaten und nicht von Wehrpflichtigen beherrscht werden. Wir sind der Meinung, daß wir uns keine Verschärfung der Personalprobleme leisten können.
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Unsere Misere liegt ja gerade im Mangel an längerdienenden Soldaten.
Der Kampfpanzer Leopard scheint uns bei Ausnutzung noch vorhandener Verbesserungsmöglichkeiten auch als Nachfolgemuster für den M 48 geeignet. Ich unterstreiche an dieser Stelle auch noch einmal die Ausführungen meines Kollegen Berkhan in der vorjährigen Verteidigungsdebatte. Damals schlug er vor, das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Kampfpanzern und Jagdpanzern zu überprüfen. Der Jagdpanzer ist billiger als der Kampfpanzer, und er hat auch den Vorteil, daß er eine eindeutige Defensivwaffe ist.
Ich warne davor, im Zusammenhang mit dem sogenannten halben Generationswechsel bei der Panzerwaffe den Fragen des Devisenausgleichs die bestimmende Rolle zuzuweisen.
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Wenn wir auch beim Devisenausgleich die Notwendigkeit langfristiger Lösungen bejahen, so sind wir dennoch der Meinung, daß Gesichtspunkte des Devisenausgleichs bei der Ausrüstung der Bundeswehr nicht im Vordergrund stehen dürfen. Mit dem
Kampfpanzer Leopard hat die deutsche Industrie ein Waffensystem entwickelt, das internationale Anerkennung gefunden hat. Wir sollten ihr die Möglichkeit geben, weitere Entwicklungschancen auf diesem Sektor zu nutzen.
Gerade angesichts der veränderten militärischen Situation muß das Beschaffungsprogramm für die Marine noch einmal einer sorgfältigen Überprüfung unterzogen werden. Ihr ursprünglicher Auftrag: Verteidigung der Ostseeausgänge und Überwachung des Vorfelds, hat eher an Bedeutung gewonnen. Die Ausführungen des Herrn Verteidigungsministers in seiner Rede werfen hier eine Frage auf. Die Beschaffung von vier modernen Einheiten des Typs Fregatte 70 wird mit dem Ersatz der außer Dienst zu stellenden fünf US-Leihzerstörer begründet. Herr Minister, das frühere Korvettenprogramm und dann die Fregatte 70 waren uns bisher mit der Notwendigkeit einer Raketenflugabwehr und von Führungsschiffen für Kleinverbände begründet worden. Ändert sich mit der neuen Begründung - Ersatz für die Leihzerstörer - nunmehr auch die Aufgabe dieser Fregatten?
Der Verteidigungsminister hat in seiner Rede außerdem auf die Notwendigkeit einer regelmäßigen Verbeserung der elektronischen Aufklärung hingewiesen. Wir würden es begrüßen, wenn wir im Verteidigungsausschuß bald einmal über das Gesamtproblem elektronischer Aufklärung sprechen könnten. Neben einer gewissen Modernisierung des Geräts gibt es auf diesem Gebiet auch im Personellen und vor allen Dingen im Organisatorischen Fragen, die der Prüfung und Verbesserung bedürfen.
Wir alle in diesem Hause sind daran interessiert, die Truppe so auszurüsten, daß sie den gegebenen Verteidigungsauftrag erfüllen kann. Wir sind uns aber auch darin einig, daß wir das nordatlantische Bündnis gerade angesichts der durch die Invasion in die Tschechoslowakei veränderten Situation mit neuem Inhalt zu erfüllen haben. Wenn das auf dem Wege technologischer Zusammenarbeit und Kooperation in der Rüstungswirtschaft möglich ist, so sollten wir diesen Weg beschreiten. Der Schwerpunkt sollte dabei auf europäischer Zusammenarbeit liegen. Das ist nicht nur aus verteidigungspolitischen Gründen, sondern auch aus Gründen der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung notwendig.
Wir begrüßen daher die Bestrebungen, durch europäische Zusammenarbeit einen Nachfolgetyp für unsere Flugzeuge F 104 G und Fiat G 91 zu entwickeln. Dabei darf es sicher nicht zu einem Flugzeugtyp kommen, der nach Leistung und Kosten die Notwendigkeiten der Luftwaffe wesentlich übersteigt. So sehr sich auf nationalem Gebiet der Grundsatz durchsetzen muß, daß nicht alles, was technisch möglich ist, auch vernünftig ist, so sehr gilt das auch für die internationalen Entwicklungen.
Für die Verteidigungsaufgaben in Mitteleuropa brauchen wir zuverlässige und robuste Waffensysteme. Sie überfordern die Truppe weder bei der Unterhaltung noch bei der Wartung. Darin sind wir auf vielen Gebieten mit unseren Bündnispartnern einig.
Die Anforderungen für militärische Ausrüstungen vor allem der europäischen Bündnispartner sind auf vielen Gebieten identisch, wie man z. B. am Kampfpanzer Leopard gut aufzeigen kann. Hier ist für uns der Ansatzpunkt langfristiger Forschungs- und Entwicklungsprogramme. Der Verteidigungsminister hat dem Verteidigungsausschuß die Vorlage eines längerfristigen Forschungs- und Entwicklungsplans zugesagt. Wir bitten Sie, Herr Minister, für eine Beschleunigung dieses Vorhabens zu sorgen. Das Parlament hat einen Anspruch darauf, den Zusammenhang der Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit den im Rüstungsplan eingesetzten Beschaffungsvorhaben zu durchleuchten. Dieser Forschungs- und Entwicklungsplan muß Alternativen aufzeigen, damit wir bei veränderten Situationen nicht immer wieder bei Null anfangen müssen.
Im vergangenen Jahr, während der Diskussion über den Rüstungsplan, ist von dieser Stelle aus erklärt worden, daß noch keine Entscheidung über die Einführung des Kampfpanzers 70 getroffen worden sei; es solle lediglich die Eñtwicklung zum Abschluß gebracht werden, erst dann folge die Entscheidung. Nun sind aber im Haushalt 1969 bereits 25 Millionen DM zur Erarbeitung von Fertigungsgrundlagen im Zusammenhang mit der Panzerentwicklung ausgewiesen. Soll das heißen, Herr Minister, daß im Ministerium bereits eine Vorentscheidung über die Einführung dieses Projektes getroffen worden ist? Ich würde mich in diesem Falle ganz den Ausführungen des Kollegen Zimmermann anschließen.
An diesem Beispiel wird die Notwendigkeit der Ergänzung des Rüstungsplans durch einen längerfristigen Forschungs- und Entwicklungsplan überdeutlich. Aber wenn der Herr Verteidigungsminister sich bereit erklärt, für baldmögliche Vorlage zu sorgen, so kann es bei einer Klarlegung im Ausschuß nicht sein Bewenden haben. Nicht nur die verantwortlichen Politiker, auch die Streitkräfte - die vor allen Dingen - und unsere Staatsbürger haben einen Anspruch darauf, daß der Auftrag der Bundeswehr zumindest in den Grundzügen sowie die Mittel und Maßnahmen, die zu seiner Erfüllung notwendig sind, offen dargelegt und diskutiert werden können.
Wir haben mit Befriedigung zur, Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung beabsichtigt, das Weißbuch zur Verteidigungspolitik im Januar kommenden Jahres zu veröffentlichen. Wir hatten dieses Weißbuch ursprünglich ja für einen früheren Zeitpunkt gewünscht und erwartet. Sicher machen es die Ereignisse dieses Sommers notwendig, seitdem eingeleitete Maßnahmen und veränderte Vorhaben einzubauen; das Weißbuch wird aber für uns Anlaß sein, die Sicherheitspolitik in diesem Hause noch einmal zu diskutieren, und zwar in engstem Zusammenhang mit unserer Außenpolitik. Wir hoffen, daß das Weißbuch nicht nur allgemeine Ausführungen enthält, sondern auch das für die Beurteilung erforderliche Zahlenmaterial. Es kann sich nicht beschränken auf die Situation der Jahreswende 1968/69. Es wird auf dem Rüstungssektor, bei der langfristigen Personalplanung, auf dem Gebiet der
Forschung und Entwicklung und für die Infrastruktur Angaben enthalten müssen, die zumindest den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung umfassen.
Wir haben bei früheren Debatten schon auf die Beispiele des englischen Weißbuches und des jährlichen Berichts des amerikanischen Verteidigungsministers hingewiesen, der nicht nur das laufende Finanzjahr erfaßt, sondern das Verteidigungsprogramm für die nächsten fünf Jahre festlegt. Für die Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, sind solche Programme und Weißbücher keine Grundsatzprogramme, sie können bei veränderter politischer Situation selbstverständlich den neuen Verhältnissen jederzeit angepaßt werden.
Ich will schließen mit einem Zitat aus der Rede des Verteidigungsministers vom vergangenen Freitag. Er hat ausgeführt:
Langfristige politische Absichten spiegeln sich deutlich im militärischen Bereich ... in der Art der Bewaffnung und in der Ausbildung der Streitkräfte wider. Es unterliegt nun keinem Zweifel, daß die Struktur der sowjetischen Streitkräfte vornehmlich auf die Durchführung offensiver Operationen ausgerichtet ist.
Auch unsere langfristigen politischen Absichten im Bereich der militärischen Planung müssen ganz deutlich werden. Diese Absichten sollen sich allerdings auf die Erhaltung der Abschreckung und die Erhaltung der Verteidigungsfähigkeit konzentrieren. Es darf keinem Zweifel unterliegen, daß Struktur und Bewaffnung unserer Streitkräfte vornehmlich auf die Durchführung defensiver Operationen ausgerichtet sind.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bis 1972 sollen 2,5 Milliarden DM mehr für Verteidigungsaufgaben ausgegeben werden, als im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist. Das ist die Auffassung der Bundesregierung, die wir der Rede des Bundesverteidigungsministers am Freitag vergangener Woche entnehmen. Dieser Mehrbedarf ist in mehreren vorausgegangenen Erklärungen des Verteidigungsministers und auch des Bundeskanzlers als Auswirkung der Invasion in die Tschechoslowakei angekündigt worden.
Der Verteidigungsminister hat am Freitag vergangener Woche ausgeführt, um welche Maßnahmen es sich im einzelnen handelt, um Maßnahmen größeren Stils, die aber schon eingeleitet sind oder eingeleitet werden, finanziell abgedeckt im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung, und Maßnahmen geringerer Anzahl - sicherlich von bedeutender Wirkung -, die nunmehr im Rahmen erhöhten Finanzbedarfs - 2,5 Milliarden DM bis 1972 - abgedeckt werden sollen.
Alle diese Maßnahmen mit einzelnen Ausnahmen - Beschaffung der Phantom, Nachbau der Starfighter - entsprechen auch der Auffassung der FDP. Wir haben sie im einzelnen in der Vergangenheit und auch heute immer wieder vorgeschlagen. Sie sollen dem Ziel dienen, die konventionelle Kampfkraft der Bundeswehr zu stärken. In diesem Ziel deckt sich nunmehr die Auffassung der Bundesregierung und der Freien Demokraten. Nur bedurfte es nicht erst der Ereignisse des 21. August 1968, um bei uns, den Freien Demokraten, die Erkenntnis wach werden zu lassen, daß es einer verstärkten konventionellen Ausrüstung bedarf, wenn wir die Sicherheit unseres Volkes vor einem Angriff garantieren wollen.
({0})
Wir meinen auch, daß die Erhöhung der Sicherheit durch verstärkte konventionelle Bewaffnung nicht des spektakulären Mehraufwands von 2,5 Milliarden DM bedarf, sondern glauben, daß die Verstärkung der Kampfkraft durchaus im Rahmen der Mittel, die Jahr für Jahr von der Bevölkerung der Regierung zur Verfügung gestellt werden, hätte abgedeckt werden können,
({1})
wenn es eine langfristige Verteidigungskonzeption dieser Bundesregierung in der Vergangenheit und auch heute gegeben hätte.
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Denn was soll man von einer Verteidigungsplanung halten,
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die 1967 das Prinzip der abgestuften Präsenz propagiert hat
({4})
- Herr Kiep, dazu hatten wir unsere Anmerkung zu machen - und die heute mit dem Prinzip der heraufgestuften Präsenz operiert? Wir meinen, daß die Verteidigungsplanung nicht von tagespolitischen Ereignissen bestimmt werden sollte. Wir sind der gleichen Auffassung wie eine bekannte Tageszeitung, die schreibt - ich zitiere mit der Genehmigung des Präsidenten -:
Verteidigungspolitik verträgt keine Moden, die man von Saison zu Saison ändern darf. Ein so großer Körper wie die Bundeswehr läßt sich nicht in schnellem Reflex auf außenpolitische Tagesmeinungen wie eine Ziehharmonika verkleinern oder vergrößern, heute so und morgen anders ausrüsten und eben auf diese und alsbald auf eine andere militärische Doktrin din-stellen.
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Meine Damen und Herren, eben dieses haben wir in der Vergangenheit gefordert, und eben dieses fordern wir auch heute: dine langfristige Planung der Bundeswehr, um die erheblichen Anstrengungen
seit 1956 auf verteidigungspolitischem Gebiet in effektivere Kampfkraft ummünzen zu können.
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Herr Bundesminister Schröder, wir gehen mit Ihnen einig, wenn Sie sagen, jede materielle Verbesserung der Rüstung bleibe wirkungslos, wenn es nicht gelinge, genug und längerdienende Soldaten zu gewinnen. Wir unterstützen Sie in diesem Vorhaben. Wir sind aber auch der Auffassung, daß Ihre beabsichtigten Maßnahmen zur Erhöhung der Kampfkraft in das Gegenteil verkehrt werden würden, wenn es nicht gelingt, die völlig unbefriedigende Personallage der Bundeswehr möglichst bald entscheidend zu verbessern. Hier müssen wir Ihnen und der Bundesregierung den Vorwurf machen,
({7})
daß Sie bisher nicht in der Lage waren, ein Konzept vorzulegen, das diesem Ziele dient und das für einen längeren Zeitraum Gültigkeit haben kann.
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Wir wissen alle schon seit Jahren, daß das angestrebte Verhältnis zwischen Langdienern und Wehrpflichtigen 63 % zu 37 % betragen sollte. Der Haushalt 1969 weist Planstellen für 240 000 Langdiener auf. Das Ist wird wahrscheinlich 200 000 Langdiener betragen. Wir haben den Zustand zu beklagen, daß die Relation zwischen Langdienern und Wehrpflichtigen heute 48 % zu 52 % ist.
Die Fraktionen dieses Hauses und Sie schlagen nunmehr Maßnahmen zur Verbesserung der Personalstruktur vor, und zwar auch die Wiedereinführung des Z-2-Soldaten. Meine Damen und Herren, nun fragen meine Kollegen und ich von der FDP-Fraktion: warum sind denn 1967 bei Vorliegen der gleichen Situation im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung die Z-2-Soldaten praktisch abgeschafft worden? Sie werden sagen: Wir hatten damals kein Geld. - Die Finanzplanung liegt aber vor; wir hätten auch heute nicht mehr Geld. Sie begründen die Wiedereinführung des Z-2-Soldaten nunmehr mit der veränderten politischen Situation, Diese Veränderung stellen wir schlechthin in Frage.
({9})
Meine Damen und Herren, zumindest kann sie sich nicht auf die Personalstruktur der Bundeswehr auswirken. Diese war vorher unbefriedigend und ist heute unbefriedigend.
({10})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, ich gestatte keine Zwischenfragen. Ich habe volles Vertrauen, daß der Herr Präsident die Zeit berücksichtigt. Aber ich kenne sie nicht in meiner Planung. Ich kann nicht noch Zeiten feststellen.
Sie haben jetzt also eine Minute mehr.
Meine Damen und Herren - ({0})
Meine Damen und Herren, eine gewisse Logik ist dem nicht abzusprechen. Ich muß hier den Redner in Schutz nehmen.
({0})
Das sind natürlich die Konsequenzen einer so knappen Zeitkalkulation. Bitte, fahren Sie fort!
Sie werden das nicht verstehen. Sie haben auch nicht verstanden, warum wir etwas länger reden müssen.
Meine Damen und Herren, wir fragen das Bundesverteidigungsministerium: was will es überhaupt an Soldaten für eine günstige Personalstruktur? Den Z-2er, den, Z-3er, Z 4, Z 8? Mir scheint die Kapitalinvestition beim Z-2-Soldaten eine sehr aufwendige zu sein. Sie haben ihn nach Ableistung der Wehrpflicht nur für sechs Monate als Führungskraft verfügbar. Anzustreben wäre vielmehr der Z-3-Soldat, der drei Jahre dient, oder der vier Jahre dienende Soldat. Das wäre die vernünftige Personalplanung in unserem Sinne: alle Kraft darauf auszurichten, diesen kostenmäßig günstigeren Soldaten zu erhalten, als zu dem Z-2-Soldaten zurückzukehren. Wir müssen jetzt allerdings als Notbehelf der Wiedereinführung des Z-2-Soldaten zustimmen. Daran kommen wir nicht vorbei. -Aber, meine Damen und Herren, wir fordern endlich eine Personalplanung auf längere Sicht und die Bereitstellung der Mittel hierfür.
({0})
Nunmehr soll ein Eingliederungsgesetz vorgelegt werden mit dem Ziel, 12- oder 15jährig Gediente in die öffentliche Verwaltung oder Wirtschaft zu überführen. Als ich selbst vor drei Jahren hier diese Eingliederungsnotwendigkeit vortrug, war niemand von den Mitgliedern der Koalitionsfraktionen bereit, mir auf diesem Wege zu folgen.
({1})
- Vor drei Jahren war die Personalsituation vorhersehbar und nicht so schrecklich viel besser als heute.
({2})
- Ja, wir haben uns erlaubt, im Gegensatz zu Ihnen, in ,der Koalition von der CDU abweichende Meinungen vorzutragen.
({3})
Noch im Jahre 1967 hat diese Bundesregierung,
getragen von dieser Koalition, die Notwendigkeit
des Zivilversorgungsscheins bestritten. Das ist doch
die Wahrheit, und die muß Ihnen gegenüber einmal ausgesprochen werden.
({4})
Der Bundesverteidigungsminister sagt in einem Satz, die Besoldungsverbesserung für Unteroffiziere durch das Zweite Besoldungsneuregelungsgesetz erscheine ihm vordringlich. Meine Damen und Herren, Ihnen liegt seit Tagen ein Antrag zum Zweiten Besoldungsänderungsgesetz von den Freien Demokraten vor. Sie könnten diese Frage sehr schnell in einem für die Unteroffiziere zufriedenstellenden Sinne regeln, wenn Sie unserem Antrag zustimmen.
({5})
- Herr Kollege Berkhan, glauben Sie, daß es wichtiger ist, Phantoms zu kaufen, als die Personalstruktur zu verbessern, die allein in der Lage ist, das in die Rüstung hineingesteckte Geld kostenwirksam zu verarbeiten?
({6})
Meine Damen und Herren, wir stimmen der Einführung einer Laufbahn des militärfachlichen Dienstes zu. Sie wird das Problem der fehlenden Unteroffiziere nicht lösen können, sondern nur Luft geben bei den älteren Unteroffizieren. Aber wir werden zu überlegen haben, ob wir den Unteroffizier auf Lebenszeit noch brauchen oder ob wir zu einer Änderung im Status der Unteroffiziere überhaupt kommen müssen,
({7})
mit dem Ziel, meine Damen und Herren, auch für den Unteroffizier die Zwangsläufigkeit in seinem Aufstieg wie bei den Offizieren nach der Auswahl zu garantieren, damit er beim Eintritt weiß: Diesen Dienstgrad werde ich am Ende erreichen und nicht nur dann, wenn mein Vorgesetzter mich für ausreichend qualifiziert hält.
({8})
Ich meine also, daß es in der Vergangenheit ausreichend Möglichkeiten gegeben hätte, die unbefriedigende Personallage bei der Bundeswehr im Sinne der Erhöhung der Effektivität unserer Verteidigungskraft zu verändern. Wären Sie unseren Anregungen gefolgt, brauchten wir uns heute hier nicht in dieser Härte zu unterhalten.
({9})
Die Verkürzung, die festgelegte Redezeit, meine Damen und Herren, zwingt mich, Ihnen nachher Probleme ähnlicher Art noch einmal vorzutragen. Ich bitte auch da um Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenze ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Verteidigungspolitische Debatten stellen einen der Höhepunkte der parlamentarischen Diskussion dar. Deswegen sollten sie sich nicht in einer billigen Polemik erschöpfen, sondern sollten auf die harten Sachfragen, die sich uns heute stellen, eingehen.
({0})
Wenn Leute aus Opportunismus - ({1})
- Nun warten Sie doch, lassen Sie mich sprechen! - Wenn Leute aus Opportunismus ({2})
- Das ist ja Schikane, was Sie machen.
Wenn Leute aus Opportunismus ihre Ansicht ändern, dann fallen sie um. Wenn Leute aus ernster Erkenntnis zu einer anderen Einstellung gelangen, dann haben sie das getan, was man mit Recht so bezeichnet: jeder hat das Recht und die Pflicht, klüger zu werden.
({3})
Nun möchte ich selber, da ich der Auffassung bin, daß wir es mit einer Diskussion zu tun haben, im Sinne des Dialogs einige Bemerkungen machen. Zunächst möchte ich midi an meinen Freund Willi Berkhan wenden. Willi Berkhan hat ohne Zweifel mit Recht gesagt, es dürfe heute keine Rückkehr zum Kalten Krieg geben. Dazu möchte ich ein paar Worte sagen. Der Kalte Krieg ist nicht auf dieser Seite des Eisernen Vorhanges gewesen, der Kalte Krieg ist auf der anderen Seite gewesen.
({4})
Nur in einer seltenen Schizophrenie, die wir sehr häufig in der Bundesrepublik und im Westen feststellen, war es so weit gekommen, daß man die Diktion des Ostens für sich selber übernahm. Wir hatten es hier mit einer penetranten Infiltration zu tun, die in Wirklichkeit den Problemen in keiner Weise gerecht wurde.
({5})
Deswegen möchte ich für meine Person sagen: keine Rückkehr zum Kalten Krieg, aber das gilt nicht für uns, das gilt für die andere Seite.
({6})
Ein Zweites möchte ich sehr deutlich und sehr klar sagen. Mein Freund Berkhan, zu dem ich die besten menschlichen Beziehungen habe, sagte, daß man das Wort von der Politik der Stärke nicht wieder gebrauchen solle. Ich weise in diesem Zusammenhang aber darauf hin, daß der amerikanische Verteidigungsminister in dieser Situation erklärt hat - und ich halte das Wort für absolut richtig -, man könne nicht aus einer Situation der Schwäche verhandeln.
({7})
Jeder ist sich darüber klar, daß die westliche Welt in dieser Situation aus der Erkenntnis bestimmter Tatbestände bestimmte Konsequenzen zu ziehen hat. Nach der Invasion in der Tschechoslowakei - ({8})
Gestatten Sie eine Frage?
Ich glaube, dann werde ich nicht dazu kommen, meine Ausführungen zu machen. Ich bitte um Entschuldigung.
Nach der Invasion in der Tschechoslowakei wurde darüber diskutiert, in welchem Ausmaß die Bedrohung gewachsen sei, in welchem Ausmaß sie überhaupt wirklich gegeben sei. Dazu hat Herr Kollege Schultz ein paar Bemerkungen gemacht. Er hat dargelegt, daß es bestimmte Faktoren gebe, die die Bedrohung im Grunde genommen herabminderten. Er wies auf das Ausfallen der 16 tschechischen Divisionen und auf gewisse politische Umstände in der Tschechoslowakei hin. Herr Kollege Schultz, ich kann mich zwar dem nicht verschließen, daß das, was Sie sagen, in Erwägung gezogen werden muß, ich glaube aber nicht, daß es die Frage der Bedrohung in einer entscheidenden Weise beeinflußt. Mir scheint folgendes eindeutig zu sein: Wer die Invasion in der Tschechoslowakei nur für sich gesondert betrachtet, kommt zu einem Fehlurteil.
({0})
Wir müssen in dieser Situation sämtliche Aktionen und Stoßrichtungen der sowjetischen Politik ins Auge fassen. Mit Recht hat mein Freund Zimmermann die Landungsmanöver an der sowjetisch-norwegischen Küste erwähnt. Wir sind alle darüber orientiert, wie der Aufbau der Flotte in der Ostsee immer weiter fortschreitet.
Es ist auch demjenigen, der die Dinge nicht so ernst nimmt, nicht verborgen geblieben, daß die Sechste amerikanische Flotte im Mittelmeer ein Pendant bekommen hat, daß die Zeit vorbei ist, wo man von einem Mare nostro der Europäer sprechen konnte. Das Mittelmeer ist nicht mehr ein Mare nostro der NATO oder der freien Welt, das Mittelmeer ist heute zu einer eminenten Gefahr für die freie Welt geworden.
Sie müssen dabei bedenken, daß der Atlantische Ozean heute mit einer ungeheuren Marine der Sowjetunion erfüllt ist. Das ist den meisten nicht so bekannt, wie es sein müßte. Ich hatte das Glück, vor Ostern in den Vereinigten Staaten zu sein und ein Lagebild über die Anwesenheit der sowjetischen Marine im Atlantischen Ozean zu sehen. Wer dieses Bild gesehen hat, der weiß genau, daß Rotation und Big Lift im Grunde genommen keine reale Möglichkeit kommender Kriegführung sind und daß die Präsenz amerikanischer und alliierter Truppen in keiner Weise und durch nichts ersetzt werden kann.
Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß die Doktrin, die wir als Moskauer Doktrin bezeichnen, das Interventionsrecht in den sozialistischen Staaten, erLenze ({1})
gänzt wird durch eine - jetzt sage ich nicht Doktrin - Propaganda von außerordentlicher Wirksamkeit. Mit dieser Moskauer Doktrin korrespondiert der Ruf: Das Mittelmeer gehört den Europäern! Heraus mit den Amerikanern aus dem Mittelmeer! Wer glauben sollte, daß dieser Ruf nach der Entfernung der' Amerikaner aus dem Mittelmeer eine vorübergehende Angelegenheit sein wird, wird sich in Zukunft. belehren lassen müssen. Wir haben in der Vergangenheit den Versuch erlebt, die Bundesrepublik zu isolieren durch Diffamierung und Vorwürfe, wir seien Revanchisten und Militaristen. Heute besteht nicht nur das Bestreben, die Deutschen zu isolieren, das Bestreben geht vielmehr dahin, Europa von den Amerikanern zu isolieren. Wir werden in Zukunft auf diesem Wege ganz bedeutende Tatbestände zu verzeichnen haben. Ich will kein Prophet sein: die Zukunft wird es unter Beweis stellen. Derjenige, der - ich will einmal sagen - zu schnell von einem europäischen Sicherheitssystem in der heutigen Lage spricht, muß sich darüber klar sein: Europa den Europäern, europäisches Sicherheitssystem, das bedeutet in der heutigen und in der kommenden Situation eine absolute Hegemonie der Sowjets in Europa.
({2})
Es kann kein Zweifel daran sein, daß der Schutz der Bundesrepublik und Westeuropas im Grunde genommen nur durch die NATO gegeben ist, und zwar durch eine einheitliche, geschlossene und starke NATO. Wir können nicht aus einer Position der Schwäche heraus verhandeln. Wir wollen verhandeln, wir wollen so lange verhandeln, bis die politischen Probleme gelöst sind. Wer aber am Verhandlungstisch sitzt, kann mit Erfolg nur verhandeln, wenn er dort ernst genommen wird. Leider war es in der Vergangenheit so, daß der Verhandlungspartner freie Welt nicht so ernst genommen worden ist, wie es nötig gewesen wäre. Das war nicht die Schuld der Sowjets, das war unsere eigene Schuld. Man sollte daraus die Konsequenzen ziehen.
Wer diese Stoßrichtung, Aktionen, Doktrinen und diese Propaganda insgesamt als ein geschlossenes Ganzes betrachtet, weiß, wie hoch und wie schwer und wie gefahrenvoll die Bedrohung heute ist. Herr Kollege Schultz hat verschiedene Dinge erwähnt, mit denen ich persönlich in keiner Weise einverstanden sein kann, mit einem Punkt bin ich einverstanden: Für mich persönlich war die Besetzung auch keine Überraschung, sondern sie lag absolut in der Logik der sowjetischen Strategie und Doktrin; es war kein Zweifel, daß Rußland nicht dabei zusehen würde, daß seine sogenannte sowjetische Ordnung gestört wird. Ich will das nicht im einzelnen schildern, weil es zu weit führen würde. Für mich stellte es keine Überraschung dar, für mich war es nicht unberechenbar. Ich hatte seit Jahren im Plenum der Westeuropäischen Union auf diese Dinge hingewiesen, besonders darauf, daß die Entspannungspolitik uns insbesondere vor folgendes Problem stellt. Es ist kein Zweifel daran, daß der Wille zur Verteidigung, der Wille zur Abwehr in der Bundesrepublik und in den anderen westeuropäischen Staaten erheblich geschwächt worden war. Ohne Zweifel hing es auch damit zusammen, daß in dem Gefühl der allgemeinen Entspannung viele Menschen zu der Überzeugung gekommen waren, es sei doch in Wirklichkeit nicht mehr so nötig, eine NATO zu haben, eine starke Bundeswehr zu haben;
({3})
die Dinge seien im Grunde genommen alle politisch lösbar. Diese Illusionen und Utopien sind alle zerstoben.
({4})
Das heißt nicht, daß wir die Friedenspolitik nicht fortsetzen. Deutsche Außenpolitik kann nur den Frieden wollen. Aber wer von Entspannung spricht, muß wissen: sobald er an die Wurzel der Spannung geht - und Entspannung ist doch nur notwendig, wenn Spannung da ist - und diese Wurzeln und Ursachen der Spannung beseitigen will, stößt er in demselben Augenblick an eine Stelle, wo der Osten in entsprechender Weise in Erscheinung tritt. Das haben wir erlebt. Darüber muß man sich klar sein.
Sie haben dann Ausführungen zur Vorwarnzeit gemacht. Die politische Vorwarnzeit, Herr Kollege Schultz, ist eine Frage für sich. Die Nationalsozialisten haben den Völkern in Westeuropa damals fünf, sechs Jahre Zeit gelassen, und die Völker haben diese politische Vorwarnzeit nicht begriffen und nicht die nötigen Konsequenzen gezogen.
Die strategische Vorwarnzeit, Herr Kollege Schultz, ist praktisch auch ad acta gelegt. Es handelt sich nur noch um die Frage der taktischen Vorwarnzeit. Entscheidend sind nicht die Divisionen in der Tschechoslowakei, über die man gesprochen hat, ob zehn, ob zwölf oder weiß Gott wieviel. Das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist die Position, die sie bezogen haben, von der aus sie mit einer ungeheuren Schnelligkeit eine attaque par surprise, einen Überraschungsangriff, starten können,
({5})
und zwar in einer so ungewöhnlich kurzen Zeit, daß jeder, der diese Dinge einigermaßen überschaut, davon erschreckt sein muß.
Nun lassen Sie mich etwas zu Ihrer konventionellen und atomaren Politik sagen. Ich muß Ihnen da eines offen sagen: ich sehe überhaupt keine Logik in dem, was Sie ausgeführt haben,
({6})
und ich will versuchen, das zu beweisen. Nach dieser Invasion in der Tschechoslowakei hat die NATO ihre flexible response nach wie vor bekräftigt. Sie ist dazu übergegangen, die Frage der konventionellen Verteidigung zu erwägen und eine Verstärkung der konventionellen Truppe in Betracht zu ziehen. Aber warum, Herr Kollege Schultz? Ich hatte Gelegenheit, mit dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses der französischen Nationalversammlung, dem Abgeordneten Sanguinetti, zu sprechen. Herr Sanguinetti sagte: Der Konflikt in der Tschechoslowakei ist ein interner Konflikt; Begründung: im
Lenze ({7})
Grunde genommen hat sich in bezug auf die einzig mögliche Verteidigung der freien westlichen Welt, nämlich die nukleare Verteidigung, nichts geändert. - Eine außerordentlich interessante Begründung. Herr Kollege Draeger war dabei, als diese Dinge ausgeführt und diskutiert wurden.
Was soll das heißen, Herr Kollege Schultz? Das heißt, wenn Sie eine konventionelle Verteidigung aufbauen, die auf jeden Fall in der Lage ist, dem konventionellen Angriff wirkungsvoll und lange Zeit Widerstand zu leisten, dann müssen wir eine konventionelle Truppe und Organisation aufbauen, die über den Willen und die Kraft der westlichen Welt hinausgeht, wahrscheinlich hauptsächlich über den Willen der westlichen Welt hinausgeht.
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Wenn Sie aber eine so starke konventionelle Verteidigung aufgebaut haben, daß Sie dem gewachsen sind, ist damit die Gefahr des Krieges ins Unermeßliche gesteigert worden, da dann natürlich die Frage der Abschreckung nicht mehr die Rolle spielt, die sie bisher spielt,
({9})
da die Abschreckung auf der Stabilität des Atomzeitalters beruht, nicht auf den konventionellen Truppen. Sie beruht auf der nuklearen Abwehr und auf nichts anderem. Wenn Sie dazu übergehen, die atomare Stabilität zu zertrümmern, dann machen Sie den Krieg wieder möglich. Unsere Politik war immer darauf gerichtet, den Krieg zu verhindern, heute, morgen und in alle Ewigkeit. Wir wollen lieber hundert Jahre verhandeln als einen Tag Krieg führen, Aber wenn wir verhandeln wollen, dann müssen wir so stark sein, daß wir überhaupt wirkungsvoll verhandeln können
({10})
und daß das unkalkulierbare Risiko bestehenbleibt.
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- Ja, ich habe Sie begriffen. Sie wollen sagen: Wir wollen die Arbeitsteilung im Bündnis;
({12})
wir lehnen die Dinge ja nicht ab. Nun, was die Arbeitsteilung im Bündnis angeht, halte ich das für ein absolut sekundäres Problem. Im Grunde verschleiern Sie damit Ihre eigene Einstellung. Im Grunde genommen steht für Sie das Konventionelle überhaupt in einem ganz besonderen Sinne im Vordergrund, und Sie gehen nicht primär von der Abschreckung aus, sondern von anderen Gesichtspunkten. Deswegen glaube ich, das Problem sollte noch ganz tief und lange durchdacht werden. Ich hoffe, daß wir darüber gelegentlich noch eine längere Diskussion haben können.
Sie haben ein Wort gebraucht, das ich entschieden zurückweisen muß. Sie haben vom „atomaren Ehrgeiz" gesprochen. Diese Bundesrepublik hat niemals atomaren Ehrgeiz gehabt.
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Das ist eine Sprache, die man hier nicht sprechen kann; die können andere sprechen. Aber auf uns trifft es in keiner Weise zu. Das gehört mit zu der Verleumdungskampagne, die eine andere Seite gegen uns entfesselt hat.
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- Lieber Herr Kollege Schultz, wir haben nur den Ehrgeiz, den Frieden zu gewinnen, nichts anderes. Wir wollen allerdings auch so stark sein, daß wir den Frieden gewinnen können.
Ein einziges Wort noch zu den Finanzfragen - ich habe das in Paris schon öfter ausgeführt -: Natürlich sind wir uns alle darüber klar, daß die Finanzen eine entscheidende Rolle spielen. Es gibt aber eine Möglichkeit, ohne einen erhöhten Finanzaufwand voranzukommen: gemeinsame Produktion, gemeinsame Entwicklung, gemeinsame Forschung innerhalb der NATO, innerhalb der freien Welt. Dann kämen wir zu einer Verbilligung. Dann hätten wir nicht nur billigere Waffen, sondern auch bessere Waffen. Der Warschauer Pakt hat die totale Integration und die totale Standardisierung. Wenn man das hört und überlegt, wie es bei uns ist, dann kommen einem nicht nur Bedenken, sondern dann hat man außergewöhnlich große Sorgen. Die deutsche Politik hat aber gerade in der Frage der Standardisierung, der gemeinsamen Forschung, Entwicklung und Produktion ganz Hervorragendes geleistet. Die Bundesregierung hat sich immer bemüht, auf diesem Sektor geradezu beispielhaft voranzugehen. Es ist ihr nicht immer gelungen. Wir dürfen sie vielleicht an dieser Stelle auffordern, diese Bemühungen weiter fortzusetzen und damit dazu beizutragen, daß wir in Westeuropa, in der WEU und in der NATO auf diesem Gebiet zu größeren Erfolgen kommen.
Zum Schluß möchte ich nur noch eines sagen: Man hat viel davon gesprochen, daß man in der NATO eine bipolare Organisation aufbauen sollte, d. h. die Westeuropäer sollten sich mehr zusammenschließen, sollten sich mehr organisieren und sollten mehr im Hinblick auf Europa in der NATO Politik treiben und ihre Bemühungen unternehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin einer derjenigen, die außerordentlich daran interessiert sind, daß die europäische Komponente in der NATO gestärkt wird. Aber ich mache auch kein Hehl daraus, die Stärkung dieser europäischen Komponente darf niemals dazu führen, daß die Vereinigten Staaten sich von der NATO und von Europa entfernen. Nur eine Zusammenarbeit der Westeuropäer und der Vereinigten Staaten kann hier zu einem vollen Erfolg führen.
Als die Invasion in der Tschechoslowakei vorübergegangen war, geschah auf der Konferenz am 16. November etwas Ungewöhnliches und Unerhörtes.
({15})
- Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. - Da geschah etwas Ungewöhnliches: Der französische Außenminister Debré erklärte, daß der Wille zur Verteidigung im Grunde genommen nur 'auf dem
Lenze ({16})
Hintergrund der Organisation der NATO möglich sei.
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Meine Damen, meine Herren, wenn ein französischer Außenminister von der Art des Herrn Debré zu )dieser Überzeugung kommt, dann habe ich dem nichts hinzuzufügen. Jawohl, wir sind alle der Auffassung, die Sicherheit der Bundesrepublik wird letzten. Endes nur durch eines gewährleistet: durch die Einheit und Geschlossenheit des Nordatlantikpaktes.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der NATO zurück zu den Unteroffizieren der Bundeswehr! Es geht ja heute in der Diskussion alles etwas durcheinander. Aber das Gesamtproblem ist so komplex, daß sich das nicht immer vermeiden läßt. Zurück zu dem Thema, das Herr Kollege Ollesch manchmal leider etwas zu polemisch behandelt hat, zu dem Thema der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr im Hinblick auf die Personalstruktur. Dem Deutschen Bundestag bzw. den zuständigen Ausschüssen liegen inzwischen Entwürfe der Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Regierung vor, die alle das Ziel haben, die unzulängliche Personalstruktur im Bereich der Landesverteidigung zu verbessern. Ich möchte mit der Vorlage zur Änderung des Soldatengesetzes beginnen, einer Vorlage, ,die zum Ziele hat, die besondere Dienstaltersgrenze von 52 Jahren einzuführen, und zwar erstens für die Offiziere des militärfachlichen Dienstes als neuer Laufbahn im Bereich der Offizierslaufbahn und zweitens für die heutigen Stabs- und Oberstabsfeldwebel. Diese Vorlage soll Ausgangspunkt sein für die Änderung der Soldatenlaufbahnverordnung, die uns von ,der Regierung bisher noch nicht vorgelegt worden ist, höchstwahrscheinlich auch noch nicht vorlagereif ist. Wir erwarten jedoch, daß diese geänderte Soldatenlaufbahnverordnung auf der Grundlage der Beratungen in den zuständigen Fachausschüssen so rechtzeitig vorliegt, daß sie rechtzeitig zur Änderung und Verbesserung der Laufbahnstruktur, unter deren Mängeln die Bundeswehr und die Soldaten der Bundeswehr im Augenblick erheblich zu leiden haben, wirksam werden kann.
Aus dieser Vorlage ergibt sich als erstes die Möglichkeit der von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion seit langer Zeit geforderten Laufbahn des militärfachlichen Dienstes als Aufstiegslaufbahn für erfahrene und geeignete Unteroffiziere. Zu der Eröffnung dieser Möglichkeit durch Ergänzung der Soldatenlaufbahnverordnung bekennen wir uns uneingeschränkt. Wir bekennen uns gleichermaßen uneingeschränkt zu der Einführung der besonderen Dienstaltersgrenze sowohl für die Laufbahnbewerber dieser neuen Laufbahn im Bereich der Offizierslaufbahn als auch für die derzeitigen Stabs- und Oberstabsfeldwebel der Bundeswehr, die bisher der
allgemeinen Dienstaltersgrenze von 60 Lebensjahren unterstellt sind.
Wir bekennen uns zu dieser besonderen Dienstaltersgrenze für die Stabs- und Oberstabsfeldwebel allerdings nur im Rahmen der von uns gewünschten Überleitungsvorschriften mit dem Ziel, daß Stabs-und Oberstabsfeldwebeldienstgrade nach Einführung und Ausfüllung der neuen Laufbahn der Offiziere im militärfachlichen Dienst nicht mehr vorhanden sein werden, sondern daß diese Dienstgrade auslaufende Dienstgrade für die derzeitigen Inhaber dieser Dienstgrade und der entsprechenden Dienstposten sind, die mit oder nach Einführung der neuen Laufbahnvorschriften - soweit sie vom Lebensalter her noch für die Übernahme in die neue Laufbahn geeignet sind - die Möglichkeit haben sollen, selbst zu entscheiden, ob sie das wollen oder nicht, ob sie sich mit dem Übergang in die neue Laufbahn einer vielleicht vom Lebensalter her nicht mehr möglichen zusätzlichen physischen und psychischen Belastung aussetzen wollen oder ob sie auf der Grundlage des mit dem Dienstherrn zu Beginn der Laufbahn geschlossenen Dienstvertrages auslaufen wollen. Sie sollen gleichermaßen auch frei entscheiden können, ob sie, wenn sie auf dem alten Geleise auslaufen wollen, die Möglichkeit der Herabsetzung der Dienstaltersgrenze von 60 auf 52 Jahre für sich in Anspruch nehmen oder ob sie zur besseren Sicherung des Lebensabends wie bisher bis zum 60. Lebensjahr durchlaufen möchten. Das ist eine Frage der Überleitungsvorschriften, mit denen wir uns zu beschäftigen haben. Diese Absichten, die mit der Vorlage des Änderungsgesetzes zum Soldatengesetz verbunden sind, sind aber eine zu schmale Basis für eine Neuregelung, Modernisierung und Anpassung der Personalstruktur. Aus den Vorstellungen der sozialdemokratischen Fraktion, die Dienstposten der Stabsfeldwebel und der Oberstabsfeldwebel in Dienstposten der neuen Laufbahn zu überführen, d. h. diese Dienstgrade in Zukunft wegfallen zu lassen, ergibt sich zwangsläufig die Neuordnung auch der Unteroffzierslaufbahn. Für die Unteroffizierslaufbahn sind dann zumindest die Voraussetzungen geschaffen, unter Einschränkung der Zahl der Dienstgrade in absehbarer Zeit zu einer besoldungsmäßig glatten Durchstufung von A 5 - Unteroffizier - bis zu A 9 - Hauptfeldwebel als letzten auslaufenden Dienstgrad dieser Laufbahn - zu kommen.
Wir möchten dabei aber auch zu erwägen geben, ob nicht zur Verbesserung der Personalstruktur und zur Anpassung an veränderte Verhältnisse die gesamte Ausbildung etwa in der Art reformiert werden muß, daß für diese neugeformte Laufbahn wie in den zivilen Bereichen des öffentlichen Dienstes eine in sich abgeschlossene Laufbahnausbildung für alle Laufbahnbewerber geschaffen wird. Nach Abschluß dieser Laufbahnausbildung und nach erwiesener Qualifikation für diese Laufbahn sollten dann die Einweisung in die Laufbahn - selbstverständlich vorher zahlenmäßig festgelegt - und die Übernahme in das Dienstverhältnis eines Beamten besonderer Art im Bereich der Landesverteidigung erfolgen. Durch eine solche rechtzeitige Übernahme
Haase ({0})
würden wir von dem unglückseligen Zustand wegkommen, daß viele der langdienenden Soldaten deshalb verbittert sind, weil sie sich lange Zeit mit Hoffnungen getragen haben, die nach Ablauf von zehn oder elf Dienstjahren wegen Mangels an Planstellen und Beförderungsmöglichkeiten nicht erfüllt werden konnten.
Damit zusammenhängend stellt sich dann gleichzeitig die Frage einer frühzeitigen langfristigen Personalplanung im Rahmen der gesamten Umfangszahlen, die uns auf lange Zeit bekannt sind. Es stellt sich auch die Frage nach dem angekündigten Eingliederungsgesetz. Von denen, die über den Weg der neugeordneten Unteroffizierslaufbahn in das Dienstverhältnis eines Beamten übernommen werden, wird nur ein Teil in die neu zu schaffende Laufbahn des Fachoffiziers einmünden können. Ein anderer Teil wird nach Ablauf einer bestimmten Dienstzeit unter Inanspruchnahme der erdienten Versorgungsansprüche - ob in Form einer Kapitalabfindung oder in Form einer permanenten Pension, die gezahlt wird, ist eine technische Frage, die geprüft werden muß - ausscheiden müssen, während ein anderer Teil, insbesondere die, die zwölf und fünfzehn Jahre lang ihren Dienst geleistet haben, nach vorheriger Feststellung der Qualifikation in den zivilen Bereich des öffentlichen Dienstes eingegliedert werden.
Lassen Sie mich zu diesem Gesamtproblem eines sagen, um von vornherein Mißverständnisse auszuschalten. Wir wissen, daß es in vielen Bereichen unserer Gesellschaft zum Teil reaktionäre Ressentiments gibt. Wir wissen, daß es reaktionäre Ressentiments sowohl wegen der verbesserten Aufstiegsmöglichkeiten qualifizierter Unteroffiziere in die Offizierslaufbahn als auch wegen des Überganges langgedienter Unteroffiziere nach Qualifikation in den mittleren oder den gehobenen Bereich der Beamtenschaft gibt. Wir wissen das. Ich stelle das hier nur fest, um unmißverständlich zum Ausdruck zu bringen, daß diese Ressentiments bei der weiteren Beratung des Problems von uns absolut unberücksichtigt bleiben; sie werden nicht zur Kenntnis genommen.
Wir sind aber der Meinung, daß diese Maßnahmen nicht ausreichen. Um das Fehl an Unteroffizieren in den unteren Führungsbereichen auszugleichen, müssen andere Maßnahmen gefunden werden, mit denen hier mehr getan werden kann. Das gilt also für den Bereich der Zeitsoldaten Z 4, Z 6, Z 8 - Herr Kollege Ollesch hat darauf hingewiesen - im Zusammenhang mit der Vorlage zur Wiedereinführung der Z-2-Soldaten. Die Wiedereinführung des Z-2-Soldaten sollte nicht nur unter dem Gesichtspunkt beurteilt werden: Der Mann kostet in ;seiner Ausbildung viel Geld und steht nur für kurze Zeit voll ausgebildet für eine untere Führungsaufgabe zur Verfügung, sondern wir sollten auch die Erfahrung aus der Vergangenheit mit verwenden, daß aus den Reihen der erstverpflichteten Z-2-Soldaten eine ganze Reihe von Soldaten für eine Weiterverpflichtung auf 4, 6 oder 8 Jahre hat gewonnen werden können, die dann auf der Grundlage einer qualifizierten Ausbildung und möglicherweise auf der
Grundlage einer völlig neugeordneten und den Erfordernissen angepaßten Laufbahnstruktur bereit wären, nach dieser Ausbildung sich weiterzuverpflichten und einen qualifizierten Dienst im Bereich der Unteroffiziere leisten könnten.
Gestatten Sie mir noch eine kurze Bemerkung zu dem in Angriff genommenen Problem des Wehrausgleichs. Im Augenblick haben wir nur eine Vorlage zur Beratung mit dem Ziel, das Entlassungsgeld für Wehrpflichtige zu verdoppeln. Für die 15 Monate dienenden Wehrpflichtigen - dabei geht es um einen Teil der Kurzschulabiturienten, die schon nach 15 Monaten entlassen werden, um das Studium rechtzeitig aufnehmen zu können - soll eine zusätzliche Zwischenstufe eingeschoben werden. Dieses Thema ist schon vielfach angeschnitten worden. Es ist auch schon die Bitte geäußert worden, zu prüfen, ob nicht im Bereich des Wehrsoldes eine Anpassung erfolgen muß, und zwar aus zweierlei Gründen. Erstens ist der Wehrsold der wehrpflichtigen Soldaten seit 1965 unverändert. Wir wissen, daß in den Jahren von 1965 bis jetzt auf Grund gesetzlicher Dynamiken - nämlich Rechtsvorschriften, die eine Dynamik beinhalten - eine Einkommenserhöhung von durchschnittlich 30 % wegen der veränderten Lebensverhältnisse erfolgt ist. Von daher gesehen läge es nahe, das Tagesgeld des jungen Soldaten, für das er sich seine Zigaretten kauft und in der Kantine ein Glas Bier vernascht, um den gleichen Prozentsatz zu erhöhen. Ich sehe aber eine andere Begründung. Vor nicht allzu langer Zeit haben wir durch Änderung des Wehrpflichtgesetzes das Einberufungsalter der Wehrpflichtigen von 20 auf 18 Jahre herabgesetzt. Das bringt es mit sich, daß immer weniger junge Menschen ihren Dienst in der Bundeswehr antreten, die im Anschluß an eine Berufslehre bereits ein Arbeitseinkommen hatten. Die Zahl derer, die ohne vorhergehendes eigenes Einkommen unmittelbar nach Lehrabschluß oder unmittelbar nach Schulabschluß zur Bundeswehr kommen, um ihren Wehrdienst abzuleisten, ist erheblich größer geworden, und für die ist es natürlich schwieriger, mit dem jetzigen Tagesgeld auszukommen.
Ich bin am Ende meiner Ausführungen und auch am Schluß der Zeit, die mir zur Verfügung stand. Herr Minister, Sie mögen diesen kurzen Bemerkungen entnehmen, daß wir, wenn wir im Anschluß an die Beratung der Gesamtproblematik herangehen, Sie und Ihr Ministerium erheblich fordern werden. Wir stellen Ihnen als parlamentarische Gruppe unsere Bereitwilligkeit zur Verfügung, und wir bitten Sie, dieser Bereitwilligkeit die Aktivität Ihres Ministeriums entgegenzusetzen.
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Das blieb unter den 15 Minuten.
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege Schultz hat bereits darauf hingewiesen, daß in der Lagebeurteilung die Meinungen nicht nur in diesem Hause,
sondern wohl auch in der NATO etwas auseinandergehen. Daß sie in diesem Hause auseinandergehen, hat die Bemerkung von Herrn Zimmermann bewiesen, der wiederum sagte, daß nach dem 21. August 20 Divisionen des Warschauer Paktes mehr in der Nähe der Grenze der Bundesrepublik stehen. Herr Kollege Zimmermann, es war uns auch in Lissabon peinlich, als ein offizieller deutscher Vertreter von eben dieser Zahl ausging und dann in der Pressekonferenz vom höchsten General der NATO berichtigt werden mußte, der von 12 Divisionen sprach. Auch der britische Verteidigungsminister Denis Healey hat in dieser Richtung Äußerungen gemacht, und neulich sind wir ja auch im Verteidigungsausschuß über eine Zahl unterrichtet worden, die noch darunter lag. Da war dann nämlich von acht Divisionen die Rede.
Wir verniedlichen nicht die Gefahren, die mit diesem unerhörten Völkerrechtsbruch entstanden sind; aber wir meinen, wer Angst sät, bläst Moskau in die Segel.
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Und lassen Sie mich dies sehr deutlich sagen: Wir Freien Demokraten machen das Geschäft mit der Angst nicht mit.
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Wir werden sehr nüchtern, sehr objektiv die Situation beurteilen, werden nicht unter-, aber auch nicht übertreiben, sondern „sine ira et studio" das Notwendige zügig und zielbewußt tun, wie es Herr Minister Schröder sagte, um unsere Streitkräfte auf der Höhe der Zeit und auf dem Stand der Kampffähigkeit zu halten, um glaubhaft abschrecken und wirksam verteidigen zu können.
Was ist aber glaubhaft, was ist wirksam? Auch hier gehen die Meinungen auseinander. Welche Konsequenzen auf dem Gebiet der Wehrtechnik, der Rüstung und der Ausrüstung zu ziehen sind, um dieses Ziel zu erreichen, haben wir hier schon wiederholt vorgetragen. Wir Freien Demokraten sind nun einmal der Meinung, daß die nukleare Komponente unserer Rüstung nicht sehr sinnvoll ist.
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Die verschiedenen Gründe möchte ich hier nicht wiederholen. Aber ich möchte Ihnen, meine Herren gerade aus der Mitte dieses Hauses,
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- einen Augenblick, Herr Kollege Klepsch, ich erteile Ihnen die Zwischenfrage - wünschen, daß Sie in der Übung „Fallex 66" die letzte Phase im Bunker miterlebt hätten, um festzustellen, ob die nukleare Komponente für uns sinnvoll oder nicht sinnvoll ist. Ich glaube, Sie wären dann auch unserer Meinung.
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Nun bitte, Herr Kollege!
Herr Abgeordneter Dr. Klepsch zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege, ich hätte Sie gern gefragt, seit wann die FDP die von Ihnen dargelegte Auffassung hat.
Sie haben vorhin gefehlt, Herr Kollege Klepsch, sonst hätten Sie gehört, daß Herr Kollege Schultz schon erklärt hat, daß wir bereits 1964 in der Regierungsmitverantwortung diese unsere Forderung klar und deutlich hier vorgetragen haben, aber auch schon in den Jahren zuvor.
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Ich bin der Meinung, daß noch nicht einmal die kleinen atomaren Gefechtsfeldwaffen einsetzbar sind, und ich glaube, diese Meinung teilen auch die Journalisten, die in Kreta das Schießen mitgemacht haben.
Wir meinen, daß statt dessen die konventionelle Feuerkraft zu stärken ist, daß Flächenfeuer- und Streuwaffen weiterzuentwickeln sind, um unsere Verteidigung glaubhaft zu machen. Dazu brauchen wir eben tiefgestaffelte Panzer- und Fliegerabwehr. Wir stellen fest, daß unsere Vorstellungen mehr und mehr Eingang in NATO-Konzepte finden, z. B. auch in der Frage der Nutzung des Reservistenpotentials. Auch in der NATO ist man neuerdings dieser Meinung. Vorher gab es ja nur die assignierten Verbände. Bezüglich der Stärkung der konventionellen Kraft der Luftwaffe - und im Gegensatz zu Herrn Kollegen Lenze; wir führen ja auch Gespräche mit Kollegen anderer Nationen - bin ich der Meinung, daß das auch hinreicht bis zur Arbeitsteilung.
Wir, die Bundesrepublik, haben innerhalb der NATO natürlich auf unsere besondere militärische und geographische Lage im Bündnis Rücksicht zu nehmen und das dieser besonderen Lage Angemessene und Notwendige zügig und zielbewußt zu tun. Dies muß natürlich von uns, von den Vertretern der Bundesrepublik, auch innerhalb der NATO entschieden vertreten werden.
Heute hat Herr Staatssekretär Adorno in den „Informationen für die Truppe" mitgeteilt, daß die Amerikaner befriedigt seien über unsere Rüstungsanstrengungen, sprich: Wohlverhalten in der Frage der Waffenkäufe als Funktion des Devisenausgleichs. Nach meiner Meinung kommt es weniger darauf an, daß andere sich befriedigt zeigen; es muß vielmehr darauf ankommen, daß unsere Soldaten, unsere Bevölkerung und wir, dieses Parlament, davon überzeugt sind, daß die Mittel, die wir für die Rüstung ausgeben, so wirksam wie möglich und optimal effektiv in vernünftigen, robusten und unserer militärisch-geographischen Lage entsprechenden Waffensystemen angelegt werden. Waffenkäufe als Funktion des Devisenausgleichs lehnen wir Freien Demokraten mit aller Entschiedenheit ab.
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An dieser Stelle darf ich noch einmal unseren Standpunkt zu der Beschaffung, die ja in diesen Tagen die Ausschüsse dieses Hauses passiert hat, darlegen, nachdem Minister Schröder in seiner Regierungserklärung als die erste Maßnahme die
Beschaffung der 88 „Phantom" begründet hat. Wir sind der Meinung, daß die Aufklärungslücke und hier handelt es sich ja um die Fernaufklärungslücke - mit dieser Beschaffung durchaus nicht geschlossen, sondern mindestens noch etwa bis zum Jahre 1972 bestehenbleiben wird. Denn der Zulauf dieses Waffensystems wird ja ohnehin erst in zwei Jahren erfolgen können - 23 Monate nach Auftragsbestätigung -, und die Einsatzbereitschaft der Verbände wird ja auch erst anderthalb Jahre nach Zulauf hergestellt sein.
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Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege Berkhan, ich habe gesagt, daß diese Verbände erst in anderthalb Jahren mit diesem System einsatzbereit sein werden. Sie haben die gleichen Unterlagen wie ich.
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- Schneller und genauso gut? - Herr Kollege Rommerskirchen, hier muß ich Ihnen natürlich sagen, daß nach unserer Meinung diese Aufklärungslücke nicht mit einer Zwischenlösung geschlossen werden sollte, sondern daß man den Schritt nach vorn in eine neue Flugzeuggeneration tun und in Gottes Namen noch anderthalb oder zwei Jahre mit dieser Lücke weiterleben sollte, um dann aber auch mit einem System diese Lücke zu schließen, das uns auf Grund unserer Lage auch in den 70er und 80er Jahren dient, also mit einem Waffensystem, das disloziert werden kann, das auf kleinen Plätzen starten und landen kann. Denn, Herr Kollege Rommerskirchen, das werden Sie mir doch zugeben: Am Schleudersitz baumelnde Piloten - nämlich deswegen, weil man die Waffensysteme entweder nicht in die Luft bringt oder aber, wenn sie in der Luft sind, nicht wieder herunterbringt - bringen uns auch keine ausreichenden Aufklärungsergebnisse zurück.
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- Herr Kollege Marx, wir leben doch in einem Bündnis, und ich muß doch Vertrauen in dieses Bündnis haben. Diese Lücke wurde doch bisher auch von Bündnispartnern geschlossen. Diese könnten doch auch noch weitere zwei Jahre diese Lücke schließen, bis wir mit dem Waffensystem da sind, das unserer Lage gerecht ist.
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- Herr Kollege Marx, die Zeit wird nicht ausreichen. Es wäre sehr interessant, auf einige Dinge auch aus dem Nahostkonflikt einzugehen, um Ihnen zu beweisen, wie richtig unsere Überlegungen sind.
Nur eines. Auch das Side-Looking-Airborn-Radar, das wir in dieses System hineinbauen wollen, wird
ja nicht früher als in drei bis vier Jahren zur Verfügung stehen.
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- Natürlich, Herr Kollege Damm, stimmt es. Lassen Sie sich das doch von den Leuten im Ministerium noch einmal bestätigen. Es wurde uns ja auch im Verteidigungsausschuß gesagt.
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Wir, meine Damen und Herren, binden mit diesem Waffensystem, das uns für die 70er Jahre ungeeignet erscheint, nahezu 4 Milliarden DM. Ich wiederhole das, weil Herr Kollege Damm gleich wieder sagt: es sind ja nur 2,05 Milliarden DM. Sie haben aber dabei die 1 3/4 Milliarden DM nicht mit einbezogen, die wir für die Wartung, für die Instandhaltung, für Ersatzteile usw. bei diesem Waffensystem brauchen.
Sie, Herr Kollege Damm, wissen auch, daß wir mit solchen Waffensystemen immer wieder die Mentalitat einkaufen. Wir sehen es doch beim Staufighter, der uns dafür pro Jahr und Stück auch fast 1 Million DM kostet, und bei der Phantom ist es noch entsprechend mehr.
Ich bin also wie Herr Kollege Zimmermann der Meinung, daß die Effektivität nicht mit den Kosten, die hierfür aufgewendet werden, in Einklang steht.
Bitte schön, Herr Kollege Damm!
Herr Jung, würden Sie wenigstens zugeben, ,daß in den rund 2 Milliarden DM Beschaffungskosten 40 Prozent Ersatzteilkosten enthalten sind?
Das gebe ich Ihnen gerne zu. Aber dann müssen Sie mir auch zugeben, daß in der Beschaffungsvorlage 1,72 Milliarden DM für den Zeitraum .des Betriebs, nämlich für die Instandhaltung, Wartung und Pflege, mit eingeplant sind. Würden Sie mir das auch zugeben?
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- Sehr schön, vielen Dank, Herr Damm! Damit ist meine Rechnung, nahezu 4 Milliarden DM, belegt.
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Wir meinen also, daß wir hier die Mittel umschichten müßten, um ,das für uns notwendige Waffensystem in ,der Mitte der 70er Jahre - nach .dem Industriezeitplan wäre es der Luftwaffe bereits 1974 zur Verfügung gestellt worden - zu bekommen.
Das, was nun Herr Minister Schröder konkret als notwendige Beschaffungsvorhaben bezeichnete, ist ,absolut nicht neu. Es zielt auch genau in die Richtung der Forderungen der FDP. Das gilt für die ingeleiteten Maßnahmen: für die 12 Küsten-U-Boote, für den Bau der 4 Fregatten, für die 135 mittleren Transporthubschrauber und für die 1560 Fliegerabwehrkanonen. Das gilt aber auch für ,die geplanten Maßnahmen: Stärkung der konventionellen Rolle 'der Luftwaffe, Stärkung 'der konventionellen
Feuerkraft des Heeres, Verbesserung der Flugabwehr, Bereitstellung von Betriebsstoffen und bestimmten Munitionsarten, insbesondere, nach unserer Meinung, zur Panzerabwehr und die Schließung ,der Lücken in der elektronischen Kampfführung.
Auch die Kosten dafür - das hat Herr Kollege Schultz bereits gesagt - sind nicht neu. Denn dieser Betrag von 2,5 Milliarden DM war ursprünglich schon im Rahmen des Rüstungsplans in den Berechnungen des Bundesministeriums der Verteidigung als Mehrbetrag enthalten und wurde nur im Zuge der Mittelfristigen Finanzplanung zurückgestellt. Das, was aufgezählt wurde, hat also mit den AugustEreignissen ursächlich gar nichts zu tun. Bestenfalls wurden diese Dinge dadurch wieder mehr in ,den Vordergrund gerückt und haben damit an aktueller Bedeutung gewonnen.
Ich darf kurz zusammenfassen - ich bin nämlich jetzt schon am Ende meiner Redezeit -: Wir meinen zunächst einmal, daß an Stelle atomarer Gefechtsfeldwaffen Flächenfeuer-, Streuwaffen und Mehrfachraketenwerfer in größerem Maße entwickelt und beschafft werden sollten. Ferner sollten an Stelle der leicht verwundbaren Waffensysteme der Luftwaffe Waffensysteme mit Kurzstarteigenschaften beschafft werden, die schnell auf kleine Plätze disloziert werden können, um diesen Systemen überhaupt eine Überlebenschance zu geben. Deshalb ist es nach unserer Meinung vordringlich, das neue Kampfflugzeug bis spätestens 1975 zu lentwickeln und einzuführen. Dazu benötigen wir natürlich auch für die logistische Betreuung Transportflugzeuge mit gleichen Kurzstarteigenschaften.
Dazu kommt noch etwas. Ohne den Primat kochqualifizierter Ingenieuroffiziere auch in Generalstabsposition ist die Beherrschung dieser modernen Waffensysteme - das trifft nicht nur für die fliegenden Waffensysteme zu - einfach nicht zu realisieren. Deswegen sollte man, wie Herr Zimmermann in bezug auf eine andere Ebene vorgeschlagen hat, auch einmal mit den Kultusministern der Länder verhandeln, um die Einrichtung von Lehrstühlen und Instituten für Wehrtechnik an den Technischen Universitäten und Ingenieur-Akademien zu erreichen. Deshalb fordern wir auch die verstärkte Ausbildung von Offizieren zu Ingenieuren und Diplomingenieuren und verbinden damit die Hoffnung, daß für diese Gruppe eine besondere Laufbahn oder eine verbesserte Laufbahnregelung geschaffen wird.
Zur besseren Beherrschung der Waffensysteme benötigen wir ebenfalls mehr Spezialisten. Hier genügt nicht allein die Laufbahn für Strahlflugzeugführer. Es müssen auch für Techniker oder für das Flugsicherungspersonal oder für die Flugzeugführer auf Propellermaschinen und Hubschraubern Möglichkeiten eröffnet werden - meinetwegen im Rahmen der sogenannten fünften Laufbahn, der Fachoffizierlaufbahn -, um diese Leute länger zu halten.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist nun leider zu Ende. Ich werde mir erlauben, auf Probleme der bi- und multilateralen Planung und Entwicklung gemeinsamer Projekte innerhalb der NATO nachher noch einzugehen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rommerskirchen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten eine Debatte möglichst auch mit Entgegnungen vereinbart. In diesem Sinne ein paar Bemerkungen in der gebotenen Kürze, vornehmlich zu Feststellungen meines Kollegen Schultz.
Zunächst möchte ich mich aber doch an Herrn
Jung wenden. Verehrter Herr Kollege Jung, nehmen Sie zur Kenntnis: Wir verbreiten heute nicht, wir verbreiten nie Angst, sondern wir treiben reale und damit verantwortliche Verteidigungspolitik.
({0})
Wir hüten uns ganz bewußt vor einer Politik nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf!, was Sie allzu oft verfolgen.
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Lassen Sie mich zu den Feststellungen sowohl von Herrn Schultz wie von Herrn Ollesch, daß die Verteidigungsplanung nicht langfristig genug betrieben würde, nur folgendes sagen. Ich bin der Meinung, daß es viel sinnvoller ist, im Rahmen der eindeutigen Verteidigungskonzeption sowohl des Bündnisses wie auch der Bundesrepublik Deutschland, d. h. der Bundesregierung, eine fortlaufende Anpassung der Verteidigungsplanung entsprechend der Veränderung der politischen Situation, also unter Berücksichtigung von Fakten, vorzunehmen. Das tut die Bundesregierung, unterstützt vom Verteidigungsausschuß, und das scheint mir der Ausweis einer realen Verteidigungspolitik zu sein.
Herr Kollege Schultz unterstrich erneut den Wert der Größe „politische Vorwarnzeit" und meinte, es wäre gut, wenn man sie zu entsprechenden Gegenmaßnahmen nütze. Herr Kollege Schultz, ich glaube, daß auch das nicht realistisch ist. Es wurde bereits von vielen gesagt - nicht hier, an anderer Stelle, wo es meines Erachtens völlig zu Recht festgestellt worden ist -, daß das, was nicht vorbereitet ist, in einer Situation, wie sie vor der Invasion in der Tschechoslowakei gegeben war, wahrscheinlich auch unterbleibt, um die Spannung nicht zu erhöhen, um dem Gegner keinen Vorwand zur Rechtfertigung seiner eigenen Maßnahmen zu liefern. Es muß doch die Gefahr der politischen Eskalation gesehen werden, wenn man allzu sehr auf die Größe „politische Vorwarnzeit" vertraut und das, was im Sinne der Möglichkeit konkreter militärischer Reaktion dringend notwendig ist, unterläßt. Sie führen Herrn General a. D. Graf Kielmansegg als Zeugen dafür an, daß sich das Kräfteverhältnis durch die Invasion nicht geändert habe. Ich vermute, daß Graf Kielmansegg dazu selber in
gebotener Weise Stellung nimmt. Ich bin überzeugt, daß er Sie korrigiert. Ich habe ihn anders gelesen.
Ich kann Ihnen, Herr Kollege Jung, nur sagen, sowohl General Lemnitzer als auch der Generalsekretär Brosio bestätigen unentwegt die Ausführungen, die der Herr Bundesverteidigungsminister in der Regierungserklärung gemacht hat.
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Herr Kollege Schultz, Sie haben auch heute wieder die Arbeitsteilung im Hinblick auf die atomare und nukleare Komponente beschworen. Mein Freund Lenze hat dazu schon trefflich Stellung genommen. Erlauben Sie mir nur, in Ergänzung dessen, was er ausführte, kurz noch einen Gedanken vorzutragen.
Ich bin der Meinung - und ich glaube, das Konzept, das dem zugrunde liegt, ist richtig -, daß alle bedeutenden Abschreckungs- und Verteidigungskräfte zusammen und jeweils für sich jeder aufgezwungenen Kampfart entsprechen müssen, fähig sein müssen, sie zu bestehen, weil nur dann der Sicherheitsbeitrag überzeugend ist. Für den Angreifer muß doch im Hinblick auf die Abschätzung der verschiedenen Verteidigungskontingente innerhalb eines solchen Bündnisses die Rechnung unkalkulierbar sein, weil der Verteidigungsauftrag sonst für dieses oder jenes Kontingent, das unterbewaffnet ist, unzumutbar ist.
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Ich denke, wir dürfen in einem Bündnis nicht von vornherein dem einen oder anderen Partner nachteilige oder besonders schwierige Kampfbedingungen zumuten, ihm auferlegen. Das wäre nach meiner Auffassung allerdings ein ungerechter Verteidigungsbeitrag eines Bündnisses.
Von daher gesehen ist von Ihrer immerzu beschworenen Arbeitsteilung doch einfach nichts zu halten. Aber wenn Sie unterstellen, daß wir sowieso nicht sicher sein könnten, ob ein atomarer Waffeneinsatz je freigegeben würde, wir also - so sagen Sie es ja immer, ich hörte es erst vor kurzem erneut - einen Revolver in den Händen hielten, der ungeladen sei und über dessen Patrone andere verfügten, sie uns aber wahrscheinlich nie herausgäben, dann, das sage ich hier in aller Ehrlichkeit, halte ich das für ein ungerechtfertigtes und im Grunde auch verwerfliches Mißtrauensvotum gegenüber unserem Bündnispartner USA. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich wie alle anderen verpflichtet, zu wirksamer Verteidigung beizutragen, und gerade nach dem Konzept der flexiblen Reaktion gehört dazu die Möglichkeit der Abwehr mit allen Kräften und Mitteln. Wer wollte eigentlich unterstellen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika das letztlich doch nicht ganz ernst meinen?
Sie behaupteten dann - und ich halte das buchstäblich für die schwerwiegendste Ihrer Aussagen am heutigen Tage -, die konventionelle Bewaffnung sei nicht vorangetrieben worden. Ich hatte das mitgeschrieben, so haben Sie es wörtlich gesagt. Herr Kollege Schultz, ich halte diese Feststellung mit dem Blick vornehmlich auch auf die Soldaten der Bundeswehr, auf deren notwendiges Vertrauen zu ihrer Bewaffnung für fatal, weil es eine Behauptung wider besseres Wissen ist.
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Ich darf es Ihnen kurz begründen. Es ist ein Jammer, daß jetzt durch eine Aufzählung meine Zeit so sehr verlorengeht.
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- Ja, in Ordnung! Es ist doch in Ordnung! Ich bin ja einverstanden. Aber ich sage - ({6})
- Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen. Ich verbrauche meine Zeit, indem ich Sie widerlege, indem ich Ihnen jetzt mal vorführe, was Sie eigentlich ganz genau wissen müssen im Hinblick auf die konventionelle Ausrüstung der Bundeswehr. Seit Jahren lief der Kampfpanzer Leopard ein. Mit ihm sind inzwischen rund 90 % der Bundeswehr ausgerüstet. Es lief der Bergepanzer Leopard ein. Es lief der Kanonenjagdpanzer ein. Raketenjagdpanzer: Sind im Zulauf. Die leichten Hubschrauber BU 1 D sind beschlossen; sie sind im Zulauf. Mittleres Transportflugzeug Transall: Es ist im Zulauf. Die Zerstörer DDG sind in Auftrag gegeben, teilweise im Zulauf. Die mittleren Transporthubschrauber CA 53 werden, um das Heer luftbeweglich zu machen, beschafft. Die Vorlage zur Beschaffung der Phantom ist abgeschlossen. Zusätzliche F 104, zusätzliche G 91, zusätzliche U-Boote sind in Auftrag gegeben.
Darüber hinaus - das wissen Sie genauso - sind in Entwicklung und Erprobung - und das ist ja nicht von heute auf morgen zu leisten, das ist also nicht gestern beschlossen, sondern das ist teilweise schon seit langem beschlossen -: der Schützenpanzer - neu - der leichte Feldraketenwerfer - konventionell -, der Spähpanzer auf Rad. Die Fla-Panzer, die Zwillings-Fla-Kanonen, der Kampfpanzer 70, die Aufklärungsdrohnen, die Flugkörperschnellboote und manches andere. Wie können Sie dann hier einfach feststellen, im Hinblick auf die Verbesserung der konventionellen Bewaffnung sei nichts geschehen! Ich denke, die Aneinanderreihung all dieser Waffen und Waffensysteme straft Sie geradezu Lügen.
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- Auf Beifall kommt es nicht an, sondern auf Beweise scheint es mir mehr anzukommen.
Im Hinblick auf Ihre Auslassungen zur Wehrdienstdauer! Zunächst darf ich doch noch einmal feststellen, daß diese Frage ganz ursächlich mit dem Potential der Längerdienenden und gleichzeitig mit dem Prinzip der Präsenzstrategie zusammenhängt, d. h. dem Bereitschaftsgrad und -stand der sofort erforderlichen Verteidigungskräfte. Es geht eben
nicht nur um den voll einsatzfähigen, ausgebildeten einzelnen Soldaten, sondern es geht gerade auch um den uneingeschränkt einsatzfähigen Kampfverband. Zuletzt kommt es nur darauf an, daß genügend voll ausgebildete und für den Einsatz verbundener Waffen geübte Soldaten möglichst lange Zeit zur Verfügung stehen.
Herr Jung, Sie beriefen Herrn General Lemnitzer, den wir ja zusammen in Lissabon erlebten. Herr General Lemnitzer sagte in Lissabon bereits das, was er am 12. November in Brüssel dann wiederholte und was er unentwegt sagt: daß das Minimum an Wehrpflichtdauer zur Beibehaltung der Präsenzstrategie, verbunden mit Vorneverteidigung, zur Leistung einer Einsatzbereitschaft, wie sie uns angesichts unserer militärischen Situation abverlangt wird, 18 Monate sei. Wenn also Herr Lemnitzer in dem einen Fall als eine entsprechende Autorität berufen wird - und ich meine, das sei er -, dann scheint mir das auch in diesem Falle nur konsequent zu sein. Oder lesen Sie, was gleichermaßen dazu etwa Generalsekretär Brosio gesagt hat!
Herr Schultz, Sie meinten dann heute hier, so ähnlich wie das in letzter Zeit von diesem und jenem Publizisten auch zum Ausdruck gebracht wurde, daß das mit der Bundeswehr nicht ganz hinhaue, weil sie nicht in der Lage sei, einen Gegner, der massiv angreife, entsprechend aufzuhalten, ihm Widerstand zu leisten. Ich darf sagen: mir scheint, daß es geradezu geboten ist, immer wieder festzustellen, daß die Bundeswehr ganz sicher diesen Auftrag alleine nicht erfüllen kann, aber die Bundeswehr diesen Auftrag eben auch alleine nicht hat, sondern die Bundeswehr diesen Auftrag im Rahmen des Bündnisses hat. Das Bündnis zusammen ist sehr wohl in der Lage, diese ihm zugemutete Aufgabe zu erfüllen.
Zum Thema Spitzengliederung wird sich vermutlich der Herr Verteidigungsminister selber im einzelnen ausführlich äußern. Ich darf Ihnen nur sagen: ich bin der Meinung, Ihr Gesetzentwurf enthält interessante, wenn auch nicht neue Gedanken, aber gerade auch in dem Zusammenhang muß das wohl noch einmal gesagt werden dürfen, was ich ganz am Anfang in einem anderen zum Ausdruck brachte: die Organisation der Landesverteidigung sollte nicht allzu starr festgelegt sein. Ich bin mehr für die Anpassungsmöglichkeiten an den fortlaufenden Prozeß. Ich bin dafür, daß man auch die Organisation dafür offenhält, daß man sich zu einer elastischen Errtsprechung der Organisation an die sich ändernden Erfordernisse bekennt. Ich habe gar nichts dagegen einzuwenden, daß im Verteidigungsausschuß diese Angelegenheit erneut überprüft wird. Dann werden wir ja die politische Führung des Ministeriums einerseits und sicher auch die militärische Führung der Streitkräfte dazu hören.
Sie haben auch das Thema Wehrdienstverweigerung angesprochen. Ich meine, Sie haben es sich dabei etwas allzu leicht gemacht, indem Sie allzu einseitige Vorwürfe gegen das Verteidigungsministerium richteten. Herr Kollege, wir haben vorige Woche und diese Woche halbtägig Klausursitzungen gehabt und uns ausschließlich mit dem Fragenkomplex befaßt. Ich kann Ihnen nur sagen, er ist erheblich schwieriger, weil vielschichtiger, als das in Ihren Ausführungen zum Ausdruck kam.
Wir sind der Auffassung, daß keine willkürlichen Verweigerungen geduldet werden dürfen, sondern daß die verfassungsmäßige Regelung, wie sie in den Artikeln 4 und 12 a des Grundgesetzes vorgesehen ist, beibehalten werden muß. Wir sind also der Meinung, daß keine willkürlichen Verweigerungen geduldet werden dürfen, weil das ein Unrecht gegenüber denen wäre, die aus gewissenhafter Verantwortung ihre Pflicht für das Gemeinwohl erfüllen.
In diesem Zusammenhang möchte ich hier feststellen, daß meines Erachtens angesichts der Sicherheitslage unseres Volkes und Staates die allgemeine Wehrpflicht bestehen bleiben muß. Solange das der Fall ist, ist die Pflichterfüllung das Normale und die Verweigerung die Ausnahme. Und ich sollte hinzufügen, weil das gelegentlich anders dargestellt wird, daß der Wehrbeitrag der Kriegsverhinderung gilt, der Friedenserhaltung dient, und daß damit der Wehrbeitrag nicht auch, sondern ein entscheidender und wesentlicher Friedensdienst ist.
Meine Zeit ist leider abgelaufen, ich hätte Ihnen sonst noch zu einigen anderen Punkten entgegnet. Das werden dann aber andere Freunde von mir ergänzen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sollten diese Debatte über die Berichte unserer beiden Minister zwischen Leichtfertigkeit und Nervosität so nüchtern wie möglich führen und nach draußen nicht den Eindruck erwecken, als ob wir hier durch einen Vorgang aufgescheucht seien, der uns eigentlich alle nicht so sehr hätte überraschen dürfen, wie er manchen überrascht hat. Ich glaube, wenn wir die Lage überprüfen, kommen wir zu folgender Feststellung. Die beiden Tagungen in Brüssel - Ministerratstagung sowie die NATO-Parlamentarierkonferenz - haben uns bewiesen, daß auch unsere Verbündeten, unsere Partner, die Lage überprüfen, und zwar mit einem positiven Vorzeichen. Man kann heute davon ausgehen, daß niemand im nächsten Jahr aus der NATO austreten wird, daß das Bündnis gefestigt wird und daß man gemeinsam überlegt, wie man die Basis verstärkt. So war der 21. August von meinem Standpunkt aus auch ein Warnschuß gegen Leichtfertigkeit, gegen zu wenig Wachsamkeit. So hat alles zwei Seiten.
Meine Damen und Herren, ich möchte hinzusetzen: ich meine auch, daß die CSSR ein Opfer sowjetischer Nervosität geworden ist, denn wer die sowjetische Presse und die sowjet-deutsche Presse in den Monaten verfolgt hat, wird dem nicht widersprechen, daß es keine souveräne Position war, die die Sowjetunion in den Tagen bezogen hat, als sie in die CSSR einmarschierte. Ich möchte daher unserem Minister folgen, wenn ich daraus schließe, daß
unsere Friedenspolitik nach wie vor auf zwei Säulen ruht: Sicherheit durch ein fähiges Bündnis und aktive Friedensbemühungen durch Zusammenschluß mit denen, die dazu bereit sind, Brücken schlagen zu denen, die sich nicht verschließen, und allen Menschen, die zuhören können, klarzumachen, daß die Bundesrepublik keine kriegerische, sondern eine Friedensposition hält.
Nun 'hat der Herr Bundesaußenminister am Freitag hier bei seinen Darlegungen festgestellt, daß die Sowjetunion mit der Okkupation der CSSR den Grundsatz der Nichteinmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates verletzt hat. Sie hat, so sagte er, ihre imperialen Interessen gegenüber einem Mitglied des Warschauer Paktes den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen übergeordnet. Das, glaube ich, kann niemand bestreiten. Die Frage, die wir meiner Ansicht nach daraufhin stellen müssen, ist die: Hat ,die Sowjetunion dies getan, weil sie die Warschauer Pakt-Staaten in ihren imperialen Machtbereich besitzeinnehmend mit einbezieht, oder muß man mit der Ausweitung dieses Machtsystems darüber hinaus rechnen? Dazu gehört die Untersuchung der Doktrin, von der hier heute schon gesprochen wurde und auf die sich die Sowjetunion beruft.
Die Formulierung der Doktrin bezieht sich nicht nur auf den Pakt - das möchte ich vorweg sagen -, sondern sie ist ausdehnbar auf andere Staaten, die die Sowjetunion als sozialistisch ansieht, und sie ist ausdehnbar .auf die kommunistischen Parteien.
Meine Damen -und Herren, machen wir uns das einmal an ein paar Punkten klar. Einbeziehbar sind ohne weiteres Ägypten, Kuba, Algerien, Syrien, Jugoslawien, und zwar unmittelbar. Mittelbar einbeziehbar sind die arabischen Gebiete allgemein, die Anliegergebiete. Und nun lassen Sie mich das sagen, was mir dabei besonders am Herzen liegt: Natürlich ist unter anderem Berlin einbeziehbar. Denn so wie die SED-Führung von ihrem Standpunkt aus darauf bestehen will, daß Berlin auf dem Territorium der DDR liegt, so ist natürlich auch diese Auslegung durchaus möglich. Darum muß man in die Betrachtung der Doktrin auch die Militärdoktrin der SED einbeziehen, die vor kurzem veröffentlicht worden ist.
Zunächst aber möchte ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten noch einmal auf die Doktrin der Sowjetunion zurückkommen und ein paar Punkte daraus zitieren. Es heißt hier gegen die Behauptung, die Handlungsweise der Fünf widerspreche dem marxistisch-leninistischen Prinzip der Souveränität und des Selbstbestimmungsrechts der Nationen, unter anderem:
Die Haltlosigkeit solcher Ansichten besteht vor allem darin, daß ihnen eine abstrakte, den Klassenstandpunkt ignorierende Betrachtung der Frage der Souveränität und des Selbstbestimmungsrechts der Nationen zugrunde liegt. Die Völker der sozialistischen Länder und die kommunistischen Parteien sind unbedingt berechtigt, die Entwicklungswege ihres Landes
selbst zu bestimmen. Jedoch darf keiner ihrer
Beschlüsse weder dem Sozialismus im eigenen Lande Schaden zufügen noch auch den grundlegenden Interessen der anderen sozialistischen Länder, noch der weltweiten Arbeiterbewegung als Ganzes, die den Kampf um den Sozialismus führt. Das bedeutet, daß jede kommunistische Partei nicht nur ihrem eigenen Volke gegenüber verantwortlich ist, sondern auch gegenüber allen sozialistischen Ländern.
Das ist eine Feststellung, die untermauert, wie weit diese Doktrin anwendbar ist. Es heißt dann:
Die Kommunisten der Bruderländer konnten es natürlich nicht zulassen, daß im Namen einer abstrakt verstandenen Souveränität die sozialistischen Länder untätig blieben gegenüber der dem Lande drohenden Gefahr eines Abgleitens auf antisozialistische Positionen. . . . Jene, die von „Ungesetzlichkeit" des Vorgehens der verbündeten sozialistischen Länder in der Tschechoslowakei sprechen, vergessen, daß es in der Klassengesellschaft kein außerhalb der Klassen geltendes Recht gibt noch geben kann.
Mir ist wichtig, meine Damen und Herren, das hier noch einmal in Erinnerung zu rufen. Nicht jeder wird es gelesen haben.
Ich möchte jetzt etwas aus der Doktrin der SED-Führung verlesen, in der es heißt:
Die Militärdoktrin der DDR ist zutiefst inter-nationalistisch. In ihren Grundauffassungen stimmt sie völlig mit der sowjetischen Doktrin überein.
Damit jeder es sich noch einmal vor Augen hält: diese Militärdoktrin der Sowjetunion stammt aus dem Jahre 1960, ist jetzt im September von der „Prawda" noch einmal ausdrücklich veröffentlicht worden, und der sowjetische Botschafter in der Bundesrepublik hat es für richtig gehalten, dies, ins Deutsche übersetzt, in seinem Bulletin in den letzten Tagen zu veröffentlichen. Ich glaube, klarer braucht nicht gemacht zu werden, daß es keine neue Doktrin ist. Aber man muß wissen, daß wir es damit heute genauso wie damals zu tun haben.
Meine Damen und Herren, ich habe gestern irgendwo die Frage gehört, ob wir uns denn unmittelbar bedroht fühlen. Ich muß hier, wenn die Frage so gestellt wird, darauf antworten: im Sinne dieser Doktrin ja, als Berliner auf alle Fälle. Denn so wie die SED sich zu Berlin einstellt, muß man auch davon ausgehen, daß sie Berlin in diese Doktrin - wenn es ihr möglich wäre - mit einbezieht. Das heißt, unsere militärische Sicherheit in Berlin und in der Bundesrepublik liegt heute nur in dem Bündnis und in seiner von der Sowjetunion erkennbaren Abwehrstärke. Das Gespräch hier geht darum, daß wir diese Position erhalten und entwickeln. General Lemnitzer hat dazu einmal gesagt: Was die Russen wollen, wissen wir nicht; ihre Kapazität ist in diesem Sinne der Maßstab.
Außenminister Brandt hat am Freitag das Kommuniqué der Allianz zitiert, in dem es u. a. heißt:
Ziel ist nach wie vor gesicherter Frieden, nutzbringende Beziehungen zwischen Ost und West.
Dabei muß aber berücksichtigt werden, daß die Suche nach Entspannung das Bündnis nicht spalten darf.
Das ist der Punkt, der mir bei dieser Debatte am Herzen liegt. Wir Deutschen haben es besonders schwer, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, damit auch Militärpolitik - um den Ausdruck zu verwerten -, und aktive Friedenspolitik, wie wir sie sehen, zu vereinbaren. Andere Völker sind da weniger vorbelastet. Wir müssen unserem Volke sagen - das scheint mir in diesen Tagen von dieser Stelle aus besonders wichtig zu sein -, daß auch in Deutschland beides zusammengehört. In der Auseinandersetzung in der Bevölkerung müssen wir uns zur Wehr setzen gegen die Vorstellung, daß nur das eine oder das andere sein kann. Wenn nur das eine geschieht, ist das eine Haltung gegen die Friedenspolitik.
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Die Sicherheitspolitik, die militärische Absicherung der Bundesrepublik Deutschland, ist die Voraussetzung für eine aktive Friedenspolitik, wie die Bundesregierung sie heute sieht. Darüber in der Öffentlichkeit zu reden scheint mir wichtig zu sein, weil in der öffentlichen Auseinandersetzung dagegen in einem solchen Ausmaß polemisiert wird, daß die deutsche Friedenspolitik in eine Position der Diffamierung kommt. Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrem Bemühen, allen deutlich zu machen, daß unsere Friedenspolitik nicht überboten werden kann, nicht überboten werden wird.
Dazu gehört - das möchte ich auch an dieser Stelle sagen, meine Damen und Herren - eine erfolgreiche Entwicklung unserer Demokratie, unseres sozialen Wohlstandes und unserer sozialen Gesundheit. Dazu gehört der Ausbau der Freundschaften, die wir angeknüpft haben. Dazu gehört - auch das möchte ich in diesem Zusammenhang sagen - eine verstärkte Hilfe für die Völker, die in ihrer Entscheidung noch offen sind und bei denen eine Hilfe im Prozeß der Demokratisierung und des gesellschaftlichen Aufbaues die Position verstärken kann, um die wir in dieser Welt ringen. Und ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, die bisherige Leistung der Bundesregierung hat doch Erfolge gebracht, die wir gerade in diesen Tagen nicht übersehen sollten. Die Position der Bundesrepublik ist doch heute eine andere als vor einigen Jahren, als wir in der Ecke standen, als das Problem Deutschland am liebsten beiseite geschoben worden wäre.
Und ein Zweites möchte ich als letztes hinzusetzen: Wir haben mit unserer Politik in die Auseinandersetzung, die es heute im Ostblock gibt, aktiv hineingewirkt. Das ist unbestreitbar, wenn man sich unter anderem ansieht, was Herr Hager auf dem 9. Plenum dazu gesagt hat. Das 9. Plenum der SED hat uns ganz deutlich gemacht, daß unsere Politik hier in der Bundesrepublik und der Demokratisierungsprozeß für die SED im anderen Teil Deutschlands eine entscheidende Belastung ist. Aus den Zitaten des 9. Plenums wird deutlich, daß die SED es sich mit dem Reformsozialismus und mit der Demokratisierung in den sogenannten kapitalistischen Ländern sehr schwermacht und heute im wesentlichen dagegen anrennt, daß dort drüben bei den Menschen die Vorstellung besteht, daß mit parlamentarischer Demokratie eine vernünftige Gesellschaftsordnung aufgebaut werden kann. Diese Auseinandersetzung ist nur möglich, weil in der Bundesrepublik ein Prozeß läuft, der in dieser Beziehung beispielhaft ,ist.
Ich glaube, wir sollten alles zusammen sehen - die Sicherheitspolitik, die Abwehr der Gefahren, die sich aus der Erkenntnis des 21. August ergeben - und das fortsetzen, was letztlich einen Beitrag der deutschen Politik in der Auseinandersetzung um die Freiheit in Europa darstellt, nämlich dafür sorgen, daß man auf der anderen Seite begreift: die deutsche Politik in der Bundesrepublik ist eine Politik des Beispiels für eine Demokratisierung unserer Welt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blumenfeld.
Herr Präsident! Die Spannweite dieser Debatte macht es erforderlich, daß auch ich versuche, mit ein paar Gedanken die Außenpolitik mit der Sicherheitspolitik zusammenzuführen. Die krisenhaften Ereignisse dieses Jahres haben in breiten Kreisen der Bevölkerung unseres Landes und auch Europas Zweifel an der Wirksamkeit unseres Verteidigungsbündnisses hervorgerufen. Unter dem Titel „Künftige Aufgaben der Allianz" hat der belgische Außenminister Harmel eine sehr verdienstvolle Studie veröffentlicht, die eine nachhaltige Korrektur eben gerade dieses Eindrucks in der öffentlichen Meinung Europas hervorrufen soll.
Ich bedauere, daß in diesem Augenblick unser Kollege von der FDP, Herr Jung, nicht 'im Saal ist, denn ich möchte ihm auf das antworten, was er eingangs seiner Ausführungen sagte, nämlich als er darauf zu sprechen kam, daß wir eine Gegenüberstellung von Divisionen auf der sowjetischen Seite nach Prag allzusehr in den Vordergrund rückten und daß wir mit Zahlen operierten, die mit den Tatbeständen nicht in Übereinstimmung wären. Nun, ich möchte Herrn Jung sagen, daß es gar nicht um diese Frage geht, sondern .es geht um die Frage, ob eine wirkliche, eine echte Bedrohung da ist und ob unser Bündnis und ob unsere Bundeswehr in der Lage ist, einer solchen Bedrohung wirksam zu begegnen. Und wenn er schon uns, die wir das immer wieder vorgetragen haben, nicht Glauben schenken will,- dann möchte ich den ebenso besonnenen wie prominenten wie erfahrenen amerikanischen Senator Jackson zitieren, der vor wenigen Wochen in Brüssel bei der NATO-Parlamentarierversammlung an die Parlamentarier der Brüsseler Konferenz gerichtet hinsichtlich der Sowjetunion folgendes gesagt hat:
Die Sowjetunion ist ein gefährlicher und unberechenbarer Gegner, und wir wissen leider nicht, ob sie, die Prag überfiel, nicht auch militärische Gewalt anwenden wird, um Zielsetzun10880
gen an anderen Fronten zu erreichen, wenn sie glaubt, dies ohne unübersehbare Risiken tun zu können.
Er führte weiter aus:
Es besteht ständig die Möglichkeit, daß Moskau versuchen wird, die Einheit im Warschauer Pakt wiederherzustellen, indem es eine höchst ernst zu nehmende Krise um Berlin und die Bundesrepublik Deutschland heraufbeschwört. Deshalb müssen wir die Bereitschaft unserer Eingriffsverbände und Reserven an der zentralen Front unseres Bündnisses verstärken. Aber wir sollten nicht nur intensiv an die. zentrale Front denken, sondern ebenso an die lebenswichtigen Flanken unseres Bündnisses.
Soweit der amerikanische Senator Jackson. Ich habe dem nichts hinzuzufügen, außer dem Kollegen Jung und seinen Freunden zu empfehlen, einmal über diese sehr wirklichkeitsnahe Betrachtungsweise eines unserer Verbündeten nachzudenken.
Meine Damen und Herren, am Schluß eines Berichtes, den ich die Ehre hatte der NATO-Parlamentarierkonferenz zu überreichen, habe ich festgestellt, daß die Aufgabe einer reformerischen Neubelebung unseres Bündnisses zur gleichen Zeit auf der Tagesordnung steht, in der bei uns und in unseren Mitgliedstaaten eine neue Generation stürmisch an die Verantwortung drängt. Diese neue Generation von 1969 sieht viele Probleme und sehr viele Ereignisse anders als wir, anders als wir es mit unserem politischen Wollen haben beeinflussen können. Sie sieht die Ereignisse der Jahre 1948, 1953 und 1956 anders als wir, und sie haben auch einige andere politische Gesprächsthemen, so insbesondere Vietnam, Athen, Prag und Jerusalem. Diese Jugend, diese junge Generation weiß also - ich möchte das hier ausdrücklich unterstreichen -, daß sie eines Tages in die Verantwortung treten wird und daß sie Antworten finden muß, auch wenn diese Antworten vielleicht anders sind als die unseren, die wir heute geben und geben können.
Meine Damen und Herren, vor wenigen Wochen wurde in den Vereinigten Staaten ein neuer Präsiden gewählt. Wenn er nun im Januar sein Amt als Führer der stärksten westlichen Macht antritt, wird er seine Politik auch und gerade an der Frage der gemeinsamen Verantwortung der Europäer im nordatlantischen Bündnis für die Zukunft des Bündnisses orientieren müssen. 20 Jahre nach der Grundsteinlegung für ein neues Europa, an der die Vereinigten Staaten von Amerika immerhin maßgeblich beteiligt waren, hat der amerikanische Präsident nach meiner Auffassung ein unbestreitbares Recht darauf, daß seine Partner in der Allianz endlich mit einer Stimme antworten.
Senator Jackson, den ich soeben zitiert habe, hat in Brüssel in seiner Rede auch zu diesem Thema etwas gesagt, was ich ganz kurz zitieren möchte. Er sagte:
Es gibt wenig Meinungsverschiedenheiten in
Amerika über den Wert der atlantischen Allianz, die Wichtigkeit und Festigkeit der Verpflichtung der Vereinigten Staaten zur gemeinsamen Verantwortung in der Nordatlantischen Gemeinschaft. Jedoch sehen ich
- Senator Jackson und andere meiner Kollegen uns im USA-Kongreß vor sehr schwierigen Situationen, wenn wir uns für die Aufrechterhaltung der effektiven Präsenz und Stärke der Vereinigten Staaten und ihrer Streitkräfte in Europa einsetzen. Das liegt
- wie er fortfuhr sehr stark an der öffentlichen Meinung in meinem Lande, die eben glaubt, daß die Europäer es mit der Sicherheit ihrer Heimat weniger ernst nehmen als wir Amerikaner.
Meine Damen und Herren, es ist deshalb höchste Zeit, daß Europa aus dem Dunstschleier kleinlicher und kleinmütiger gegenseitiger Leistungsaufrechnungen heraustritt ans Licht seiner eigentlichen politischen Zukunftsaufgaben.
Zu diesen Zukunftsaufgaben gehört ein gewisses Mindestmaß an nachbarlicher Solidarität. Ich erinnere da nicht nur an das, was der Außenminister hier am Freitag gesagt hat, nämlich an den Verlauf der jüngsten Sitzung des Zehnerklubs, sondern auch an die Solidarität, die in den kommenden Monaten von uns und allen Europäern bewiesen werden muß, wenn sich die krisenhaften Zustände fortsetzen sollten. Zum anderen gehört dazu auch die entschlossene Förderung der politischen Konföderierung Europas durch praktische Maßnahmen, etwa die Errichtung gemeinsamer Arbeitsgruppen mit begrenzten, aber genau umschriebenen Zielen. Um den Zusammenschluß dieser europäischen Kräfte zu bewerkstelligen, brauchen wir keine spektakulären Institutionen - darüber bin ich mit der Regierung völlig einig -, zumindest keine so spektakuläre Institution, wie sie bisher das Vetorecht der nationalen Bürokratien darstellte. Es braucht vielmehr eine möglichst große Zahl kurzfristig zu verwirklichender praktischer Ziele, damit die Vorstellung eines europäischen Zusammenschlusses nicht immer wieder mit bequemen Ausflüchten vertagt werden kann.
Herr Bundesaußenminister, ich glaube, Sie ebenso wie der Verteidigungsminister haben in etwa das gesagt, was ich jetzt ausführen möchte, nämlich daß der europäische Pfeiler der NATO genausoviel wert ist, wie er tut, und nicht soviel, wie er in grauer Zukunft einmal zu sein hofft. Denn wenn wir uns allein mit den vagen Hoffnungen begnügen, werden wir hier alle eines Morgens als atlantische Provinz der Sowjetunion aufwachen.
Lassen Sie mich einen abschließenden Gedanken vortragen. Ich habe in Brüssel vorgeschlagen - und ich hoffe, daß die Bundesregierung diese Frage sehr eingehend prüft -, im Rahmen des Verteidigungsbündnisses ein neues europäisches Rüstungs-, Beschaffungs- und Verteidigungsamt zu schaffen, das von Anfang an auf einer garantierten, sich ständig erweiternden, autonom zu verwaltenden finanziellen Basis stehen sollte und damit von
vornherein eine qualitative europäische Sicherheitspolitik garantieren kann. Ich greife hier den Gedanken auf, der in der Debatte schon beim Kollegen Lenze angeklungen ist. Ich glaube, daß wir nur so über den Vetomechanismus der nationalen Interessenlagen hinwegkommen können und daß wir auf diese Weise zu dem Akt der politischen Selbstbehauptung und Handlungsbereitschaft, die unser Europa und unser Bündnis braucht, gelangen können.
Die politischen Kulissen der sowjetischen Offensive reichen vom Nordatlantik bis zum Indischen Ozean, von der Adria bis zur Sahara. Gerade die jüngst von einigen Kollegen unternommene Reise in den Nahen Osten hat uns wiederum gezeigt, wie sehr im Nahen und Mittleren Osten eine explosive Situation im Entstehen begriffen ist - wenn sie nicht schon entstanden ist -, die die Gefahr einer direkten Konfrontation der Großmächte größer macht, als das in Südostasien der Fall ist. Dieser Tatsache sollten vor allem diejenigen Politiker und Staatsmänner eingedenk sein, die das Engagement des amerikanischen Bündnispartners in Vietnam bedauern und die Politik der Blockbildung durch die Sowjetunion beklagt haben, ihr eigenes Verhalten aber stets nur an der Haltung der Großmächte orientiert haben. Die europäische und die deutsche Politik muß statt dessen bereit sein, jederzeit und an jedem Ort für das Gleichgewicht und den Frieden tätig zu werden. Zu dieser Tätigkeit gehört auch die Verpflichtung zur politischen Mündigkeit. Wer die Rolle des Weltpolizisten für die Großmächte ablehnt, muß selbst gleichwertige und effektive Verantwortung zu übernehmen bereit sein, um glaubhaft zu sein.
Ein geistreicher, notabene ein französischer Militär- und Politwissenschaftler hat jüngst geschrieben, daß der uralte Dialog zwischen zwei Taubstummen, nämlich den militärischen und den politischen Betrachtungen dieser Problematik, Gefahr läuft, überlagert zu werden von einer neuen Stimme, nämlich von der wirtschaftlichen Stimme. Ich hoffe nur, daß die Bundesregierung, nachdem der Herr Bundesaußenminister uns, das Hohe Haus, am Schluß seiner Ausführungen aufgefordert hat, initiativ zu werden, die Bemühungen der Regierung zu unterstützen und neue Wege zu zeigen, in der Lage sein wird, uns eine Zusammenschau der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten für unser Volk bereitzustellen.
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Meine Damen und Herren, ich mache Sie mit der Geschäftslage bekannt, wie sie sich im Augenblick darstellt. Es liegen hier noch neun Wortmeldungen vor, ohne die noch zu erwartenden Wortmeldungen .der Mitglieder der Bundesregierung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht für meine Fraktion, sondern für die Unterzeichner der Anträge
unter Punkt 5 c und d unserer Tagesordnung. Ich will keine allgemeinen Ausführungen zu der Lage Europas machen, sondern nur kurz erläutern, worum es in diesen Anträgen, besonders in dem Antrag Drucksache V/3084, geht.
Im Mai dieses Jahres fand in diesem Hause eine Parlamentarierkonferenz statt, an der sich Abgeordnete aus den EWG-Ländern und den Ländern, die einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EWG gestellt haben, beteiligten. Ferner waren Abgeordnete aus Schweden und Österreich dabei, die wegen ihrer Neutralität nicht Vollmitglied werden können, aber so eng wie möglich an die EWG heranrücken möchten.
Der Antrag ist so, wie er dasteht, inzwischen durch die Ereignisse überholt. Aber der Kernpunkt, um den es geht, hat eine neue Fassung in der Entschließung gefunden, die am 9. November die Parlamentarierkonferenz der Europäischen Bewegung in Den Haag gefaßt hat. Es geht darum, daß Europa in einer entscheidenden Entwicklung, nämlich in der Erweiterung von sechs auf zehn, schon seit 1961 durch ein Veto blockiert ist. Seit sieben Jahren wäre der große Fortschritt möglich, und er wird unmöglich gemacht. Wenn eine solche Krise, die ja ihre Auswirkungen auf die gesamte europäische Politik hat, andauert, dann geht das nicht nur die Mitglieder der EWG an, sondern alle Beteiligten. Das kommt in dem Punkt 2 dieses Antrages zum Ausdruck, in dem verlangt wird, daß eine Konferenz der Außenminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und der Länder, die ihnen beitreten wollen, unter Beteiligung der Europäischen Kommission einberufen wird. Das ist in dem Punkt 6 der Haager Entschließung wiederaufgenommen, und ich zitiere daraus zwei kurze Sätze:
Wir verlangen, daß eine Konferenz der Regierungschefs zu diesem Zweck einberufen wird. Jedes Übereinkommen sollte anderen Ländern zum späteren Beitritt offenstehen.
Mit „zu diesem Zweck" ist gemeint, der Schaffung neuer Tätigkeitsfelder für die europäische Politik auf dem Gebiet der Außenpolitik, auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik zu dienen.
Der eigentliche Sinn dieses Antrags ist der, daß, nachdem man einen letzten Versuch in der EWG gemacht hätte, mit der EWG und mit allen ihren Mitgliedern vorwärtszukommen, dann schließlich doch der Entschluß gefaßt werden müßte, neue Fortschritte durch das Beschreiten neuer Wege zu machen, auf denen es kein Vetorecht gibt.
Meine Damen und Herren, ich sage hier in diesem Raum niemandem etwas Neues, wenn ich sage, daß man draußen sehr auf uns schaut und manchmal auch mit dem Finger auf uns zeigt. Auch hier in unserem Hause - auf allen Bänken - gibt es doch nicht nur die Sorge um Europa, sondern auch die Sorge um unsere Europapolitik. Ich sehe es so: seit 1962 bewegen wir uns in unserer Europapolitik in einem selbstgezimmerten Widerspruch. Auf der einen Seite, in Reden und auch in aktiven Bemühungen im einzelnen, versuchen wir, den Ausbau, die Erweiterung, die Demokratisierung der Gemeinschaften voranzubringen und die europäische Politik
auszudehnen auf das Gebiet der Außenpolitik und der Verteidigung. Auf der anderen Seite pflegen wir - wie ich glaube, im Widerspruch zur Präambel eines Vertrages, den wir im Jahre 1963 ratifiziert haben - präferenzielle Beziehungen zu der Regierung, die das meiste, was wir da in Europa wollen, gar nicht will oder es jedenfalls dann nicht will, wenn dadurch die Souveränität des Nationalstaates berührt würde. Und diese Regierung wiederum bewegt sich auch in einem Widerspruch. Auf der einen Seite will sie die übernationale Integration nicht, empfindet aber Unbehagen bei den Konsequenzen. Das haben wir in den letzten Wochen in der Währungskrise erfahren können. Ich empfehle die Lektüre eines Leitartikels im „Figaro" von gestern. Da können Sie feststellen, wie, statt den Ausgleich für eine sich entwickelnde deutsche Wirtschafts- und Finanzkraft in einem größeren und übernational organisierten Europa zu suchen, nach dem Gleichgewicht der Kräfte durch Beziehungen zu großen Mächten gesucht wird, deren Hegemonialstreben man im übrigen immer kritisiert.
Bei unserem Verhalten ergibt sich, daß wir nicht nur das juristisch in den Römischen Verträgen verankerte Veto politisch möglich machen. Ein juristisch verankertes Veto ist noch kein praktisches politisches Veto. Ich glaube nicht, daß wir sehr lange aufgehalten worden wären, wenn sich etwa der kleinste Teilnehmerstaat in der EWG auf den Art. 237 berufen hätte. Über diese politische Ermöglichung des Vetos hinaus geben wir auch ein tatsächliches Vetorecht auf den Gebieten, die sich außerhalb des Bereichs der Verträge von Rom befinden. Es kann und darf nichts stattfinden auf dem Gebiete der Außen- und Verteidigungspolitik, wenn nicht im vorhinein derjenige, dem das vielleicht nicht gefällt, seine Zustimmung gegeben hat.
Ich finde, daß in einer Gemeinschaft präferenzielle Beziehurigen in jedem Fall problematisch sind. Gemeinschaft und Präferenz, das ist ein gewisser Widerspruch in sich. Nun würde ich natürlich dazu keine Bemerkungen machen, wenn durch unsere Präferenz die Gemeinschaft nicht gelähmt, sondern dynamisiert würde. Dann wäre niemand glücklicher als ich. Aber das Gegenteil ist der Fall. Unsere Politik macht das negative Verhalten erst möglich. Das ist nicht nur mein Urteil, sondern das ist das Urteil aller aufmerksamen Beobachter in Europa.
Nun wird die Bundesregierung natürlich meine Meinung nicht teilen können, und wir werden einander so leicht nicht überzeugen. Aber ich würde es begrüßen, wenn sie mich wenigstens in dem einen Punkt dementierte, der ein wichtiger praktischer Punkt in der Entschließung von Den Haag ist, in dem Punkt nämlich, in dem es um die baldige Einberufung einer Konferenz der Regierungschefs geht. Es würde mich freuen, wenn die Bundesregierung da nicht nur keinen Widerstand leistete, sondern ihrerseits mithelfen würde, daß eine solche Konferenz zustande kommt, auf der die sehr kritische Gesamtlage Europas beraten werden müßte.
Überhaupt, Herr Präsident, würde ich mich freuen, wenn ich in dieser sanften Kritik, die ich vorgetragen habe, unrecht behielte. Das würde mich um so
mehr freuen, als ich mich im übrigen in voller Übereinstimmung mit den Regierungserklärungen der vorigen Woche befinde.
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Das Wort hat der Abgeordnete Majonica.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den gleichen Anträgen sprechen, zu denen gerade Herr Kollege Dr. Mommer Stellung genommen hat.
Im Zusammenhang mit der Währungskrise der vergangenen Woche ist von ausländischen Presseorganen das Wort gebraucht worden, daß sich das Machtzentrum Europas nach Bonn verlagert habe, daß Bonn, die Bundesrepublik, heute die Vormacht in Europa geworden sei. Der Herr Bundeskanzler hat diese Behauptung schon als kurios zurückgewiesen, und ich möchte ihn darin unterstützen. Aber mir scheint, meine Damen und Herren, daß daraus auch politische Folgerungen zu ziehen sind. Mir scheint, daß die Bundesrepublik nur dann eine gesicherte Position haben kann, daß nur dann das deutsche Volk seine Fähigkeiten in Europa voll entfalten kann, wenn es eben in die größere Gemeinschaft Europas eingegliedert ist. Deutschland ist nun einmal das Zentralproblem Europas. Wir sind auf Grund unserer wirtschaftlichen Stärke, unserer Bevölkerungszahl, unserer geographischen Lage und unseres Beitrags zur westlichen Verteidigung eine Macht, die in einem locker organisierten Europa immer Befürchtungen auslösen wird, auch wenn das nicht immer gesagt wird, wenigstens nicht so deutlich gesagt wird, wie es jetzt im Zusammenhang mit der Tagung des Zehnerklubs, mit der Währungskrise gesagt worden ist.
Wir werden nur dann diesen Befürchtungen entgegentreten können, wir werden sie nur dann endgültig beseitigen können, wenn wir ganz klarmachen, daß wir die Stärke unseres Staates in den Dienst Europas stellen, daß wir alle unsere Anstrengungen darauf konzentrieren, ein integriertes, größeres Europa zu schaffen. Denn in einem integrierten, größeren Europa wird es keine Vormacht mehr geben und damit auch keine nachgeordneten Staaten. Das Prinzip der Integration bedeutet, daß alle Staaten, alle Mitglieder einer Gemeinschaft einen verfassungsmäßig niedergelegten Anteil an der gemeinsamen Entscheidung haben, und das schließt jeden hegemonialen Gedanken, jeden Vormachtgedanken von vornherein aus. Wir wissen, daß es viele versuchte Hegemonien in Europa gegeben hat und daß der eigentliche Leidensweg der europäischen Geschichte darin bestanden hat.
Integration bedeutet deshalb für die Bundesrepublik: Gleichberechtigung unter Gleichberechtigten in einem gemeinsamen Europa. Das wollen wir. Wir wollen weder Vormacht noch ein diskreditierter Staat in diesem Europa sein. Zur Eingliederung der Bundesrepublik gehört die Erweiterung der Gemeinschaften, vor allem dann, wenn wir auch an eine endgültige Lösung der deutschen Frage denMajonica
ken. Die EWG ist einfach nicht in der Lage, ein wiedervereinigtes Deutschland aufzunehmen, ohne aus dem inneren Gleichgewicht zu geraten. Integration und Erweiterung sind die unverzichtbaren Voraussetzungen für jede Lösung der deutschen Frage. Wir sollten uns dem Ziel der Stärkung und Erweiterung der Gemeinschaft noch stärker als bisher zuwenden. Diesem Ziel dienen die Anträge, die Herr Kollege Dr. Mommer hier gerade begründet hat.
Sie gliedern sich in zwei Teile. Einmal geht es um 'die Forderung nach Stärkung der Kommission. Die europäische Kommission hat in ihrem Bericht über die Zollunion selbst gesagt, daß sie eine Erweiterung ihrer Exekutivbefugnisse innerhalb der Gemeinschaft nötig hat. Wir erleben eine Rücknationalisierung in Brüssel durch die Einstimmigkei'tsentscheidungen. Das Monpol der Kommission, Vorschläge zu machen, hat nur dann seine Durchschlagskraft, wenn es zu Mehrheitsentscheidungen kommt. Bisher ist es dazu noch nicht gekommen. Leidtragender ist die Gemeinschaft; denn die Kommission ist der Motor, der die europäische Entwicklung vorantreiben soll.
Ich stimme auch damit überein, daß es notwendig ist, eine Konferenz der Außenminister der sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und der vier Staaten, die beitreten wollen, oder, wie es in der Resolution in Den Haag gefordert wurde, eine Konferenz der zehn Premierminister zusammentreten 'zu lassen. Eins muß ich dazu allerdings sagen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß 'diese Konferenz sorgfältig vorbereitet werden muß. Ich glaube, daß sie nur dann einen Sinn hat, wenn es eine klare Tagesordnung gibt; denn ein Fehlschlag einer solchen Konferenz wäre schlimmer, als wenn sie gar nicht stattgefunden hätte.
In diesem Zusammenhang empfehle ich der Bundesregierung die sorgfältige Prüfung, ja Unterstützung der Vorschläge, die der belgische Außenminister Harmel in der WEU gemacht hat. Sie scheinen mir auch eine gute Grundlage für eine derartige Außenministerkonferenz oder Ministerpräsidentenkonferenz zu sein. Hier ist das Programm einer solchen Konferenz schon vorgezeichnet.
Namens der CDU/CSU-Fraktion schlage ich vor, diese Anträge an den Ausschuß zu überweisen.
Ich möchte eine persönliche Anregung hinzufügen. Ich möchte anregen, daß - nicht nur auf Grund dieser Anträge, sondern auch auf Grund der anderen anstehenden europäischen Probleme - im Auswärtigen Ausschuß öffentliche Hearings zur europäischen Frage stattfinden, bei denen Vertreter der Kommission, Vertreter der Regierung, Vertreter der interessierten Verbände, von den Gewerkschaften bis zum Bundesverband 'der Deutschen Industrie, ihre Stellungnahme zur europäischen Situation, zu den europäischen Schwierigkeiten und den Lösungsmöglichkeiten abgeben sollten. Mir scheint das ein sehr gutes Mittel zu sein - gerade vom Auswärtigen Ausschuß her -, um die europäische Frage wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Bewußtseins und der öffentlichen Diskussion hineinzutragen. Wir haben diese öffentliche Unterstützung nötig, wenn wir unsere europäische Politik erfolgreich abschließen wollen. Uns alle bedrückt doch der Tatbestand, daß bei der Unrast der Jugend, in den Diskussionen und Protesten, die wir erleben, die europäische Frage kaum eine Rolle spielt. Eine große Aussprache vor dem Auswärtigen Ausschuß, an der nicht nur Parlamentarierteilnehmen, scheint mir ein Weg zu sein, in der deutschen Öffentlichkeit wieder eine Europadebatte zu ,entfesseln, die uns die Unterstützung für unsere europäische Politik gibt.
Wir sind uns darüber einig - ich glaube nicht, daß es hier im Hause eine Meinungsverschiedenheit darüber gibt -, die Lösung der europäischen Frage, die Bildung eines geeinten Europas ist die Voraussetzung für die Lösung aller außenpolitischen Probleme, die wir gerade als Deutsche haben, sei es das partnerschaftliche Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, sei es die endgültige Aussöhnung in Europa, sei es der Ausgleich mit dem Osten, sei es die Lösung der deutschen Frage, sei es - das hat mein Kollege Blumenfeld hier gerade hervorgehoben -der verstärkte europäische Einfluß im westlichen Bündnis. Alles das hängt davon ab, ob wir endlich zu einem geeinten Europa kommen.
Ich glaube, wir sollten diese Anträge deshalb unterstützen und sie so behandeln, wie ich es gerade hier vorgetragen habe.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor uns liegen zwei Anträge von Kollegen des Hohen Hauses, vorwiegend aus den beiden Koalitionsfraktionen. Der erste Antrag hat die Unterstützung auch von Kollegen meiner Fraktion gefunden.
Wir meinen, daß diese Anträge in der Sache sicherlich zu begrüßen sind. Aber nachdem ich mir gerade die letzten beiden Reden angehört habe
- das soll keine Kritik sein -, werde ich sehr an das Transparent erinnert, Herr Kollege Majonica, das die jungen Leute in Den Haag ausgebreitet haben: „Außer Reden nichts gewesen". Ich glaube, das muß man zu diesen Pflichtübungen. - so möchte ich fast sagen - resignierend feststellen. Es ist vielleicht doch symptomatisch für die Europapolitik
- auch natürlich dieser Regierung -, daß immer wieder aus dem Parlament gedrängt wird. Und wenn wir eigentlich das Fazit der Regierungskontakte betrachten, müssen wir sagen, daß wir uns eher in einer Phase der Desintegration als der Integration befinden. Vielleicht sollte sich die Bundesregierung auch überlegen, ob die Gesetze zur Währungspolitik einschließlich der Verhandlungen, die hier geführt worden sind, der Integration sehr dienlich waren oder vielleicht sogar einer Desintegration Vorschub geleistet haben. Auch diese Frage sollte man hier einmal sehr deutlich prüfen.
Nun kommt gleich der zweite Antrag: Stärkung der Rechte der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Nun, das ist ein sehr allgemein gehaltener Antrag. Dagegen habe ich ehrliche Beden10884
ken. Denn ich möchte die Kommission nicht dann stärken, wenn nicht die parlamentarische Kontrolle gestärkt ist. Der Weg zu einer parlamentarischen Kontrolle in Europa scheint mir länger oder weiter denn je zu sein. Ich glaube nicht, daß man in dieser Form hier Anträge stellen kann.
. Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte, Herr Majonica!
Herr Kollege Ertl, durch das Vordringen des Ministerrats in Brüssel in Gebiete, die ihm an sich gar nicht zustehen, ist eine Schwächung der Kommission eingetreten. Ich glaube, es soll ein ausgewogener Ausgleich wiederhergestellt werden, wie er in den Römischen Verträgen vorgesehen ist. Das verstehen wir unter Stärkung der Rechte der Kommission.
Das mag sein. Ich muß Ihnen sagen, daß mich der Zustand als solcher in keiner Weise befriedigt. Ich will weder einen ausschließlich starken Ministerrat noch eine ausschließlich starke Kommission. Was in Europa, wenn man schon eine echte Kontrolle haben will, überhaupt notwendig ist, ist eine parlamentarische Kontrolle. Und die scheitert eben an nationalen Schwierigkeiten. Tun wir doch nicht so, als wenn es nicht Partner gäbe, die das gar nicht wollen und gar nicht zulassen.
Daher, meine ich, muß man sich diese Frage sehr ernsthaft überlegen, weil dieser Antrag wiederum mit dem anderen Antrag korrespondiert. Geben wir doch offen zu, daß die Erweiterung der EWG in der letzten Zeit wiederum nicht gefördert, sondern eher erschwert wurde, vielleicht auch durch die Politik unserer eigenen Regierung, und zwar dadurch, daß man einmal in Paris und dann in London versucht, sich zu liieren, und obendrein ein Angebot macht, das in Washington letzten Endes Schwierigkeiten auslöst.
Das Fazit dieser Wochen - das muß man hier feststellen - ist doch, daß sich der Westen eher in sich entfremdet hat, als daß er sich in der Integration vorwärtsbewegt hat. Das ist auch ein Ergebnis der letzten zehn Tage. Dazu hat vielleicht auch die Regierung durch ihre Verhaltensweise beigetragen. Das muß hier einmal gesagt werden. Man sollte nicht immer so sehr zu Deklamationen schreiten; denn Europa nützt man auf die Dauer mit Deklamationen, die niemand ernst nimmt, nicht. Man braucht eine Regierung, die hier klar und konsequent handelt, und eine Bereitschaft im Gesamteuropa. Alle Staaten müssen dann, diesen Weg beschreiten. Wenn nur einer will und die anderen nicht wollen, sollte man sein eigenes Wollen einer Gesamtheit einordnen. Das sagen wir dazu.
Insoweit ist das Bemühen der Kollegen sicherlich zu loben. Aber was nutzt es, wenn nicht einmal die eigene Regierung von vornherein konsequent mitmacht?
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kopf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Außen- und die Verteidigungspolitik der Bundesrepublik vollziehen sich im Rahmen der NATO. Es fragt sich: Welche Wirkungen sind seit den Ereignissen des 21. August in bezug auf die NATO inzwischen eingetreten? Wir entnehmen der Regierungserklärung einen positiven Tatbestand: der Weiterbestand des Bündnisses kann als gesichert gelten. Das Verständnis für die Notwendigkeit des Weiterbestehens der NATO ist allerseits verstärkt worden. Die Bemühungen der Oststaaten, vor allem der Sowjetunion, dieses Bündnis zu spalten, haben keinen Erfolg gehabt. Es ist als notwendig eingesehen worden, daß durch gemeinsame Aktionen im Rahmen der NATO eine Verbesserung der Rüstung stattzufinden hat, an der auch die Bundesrepublik ihren angemessenen Anteil zu nehmen hat.
Im Rahmen der NATO sind auch die Fragen der Sicherheit behandelt worden, und sie sollen weiter behandelt werden. Es war erfreulich, daß auch der neugewählte amerikanische Präsident wenige Tage vor dem Zusammentritt des NATO-Rats in Brüssel und ungefähr zur Zeit der NATO-ParlamentarierKonferenz ein klares Wort zugunsten des Weiterbestands, der Notwendigkeit und der Fortführung der Tätigkeit der NATO gesagt hat.
Schließlich hat der Außenminister in der Regierungserklärung - und das ist eine neue Formulierung gewesen - darauf hingewiesen, daß innerhalb der NATO, wie er sagte, die europäische Identität stärker hervortritt, ohne daß damit das Bündnis gespalten wird. Er hat damit etwas sehr Richtiges gesagt. Es besteht der Wunsch - und wir entsprechen damit auch gewissen amerikanischen Wünschen -, daß die europäischen Staaten im Rahmen der NATO ein stärkeres Gewicht bekommen. Selbstverständlich soll damit die Zusammenarbeit mit der NATO in keiner Weise beeinträchtigt werden.
Diese NATO-Politik hat ein doppeltes Gesicht. Durch die Regierungserklärung beider Minister geht nicht nur ein roter Faden, sondern durch sie gehen zwei rote Fäden parallel hindurch. Dieses NATO-Bündnis ist ein Sicherheitsbündnis. Aber .es verfolgt eine Friedenspolitik. Diese beiden Dinge schließen sich keineswegs aus. Sie haben sich zu ergänzen. Neben den Fragen der Verteidigung, die der NATO obliegen, müssen die Bemühungen um die Verständigung fortgesetzt werden, muß die Verständigungsbereitschaft geweckt werden.
Ich habe heute in der „Welt" in einem Bericht des Washingtoner Korrespondenten eine sehr interessante Problematik gelesen. Der Korrespondent nahm Bezug auf angebliche Äußerungen von Herrn Kissinger, der künftig eine gewisse Schlüsselstellung einnehmen soll. Es wurde die Frage gestellt, ob ein militärisches Instrument wie die NATO für die Entspannungspolitik ebenso brauchbar sei wie für die Verteidigung. Unsere Antwort hierauf ist bereits in den beiden Regierungserklärungen enthalten. Die NATO ist nicht nur ein militärisches Instrument, sondern sie ist ein politischer Tatbestand. Sie ist ein Bündnis, das unter zwei Aspekten steht, unter dem Aspekt der Verteidigung, aber auch unter
dem Aspekt der Verständigungsbereitschaft. So ist es richtig, daß in dem Augenblick, in dem die NATO sich bemüht, ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, sie auch immer erneut ihren Willen zur Friedenserhaltung zum Ausdruck bringt.
In den Regierungserklärungen sind auch die Probleme des westlichen Europas angesprochen worden, und dies mit vollem Recht. Eine Frage, die heute noch nicht angeschnitten worden ist, bewegt uns stark. Bezüglich der Zukunft von Euratom bestehen Vorstellungen verschiedener Art. Wir haben gehört ich weiß nicht, ob es zutrifft -, daß ein Mitglieds: land, das an Euratom beteiligt ist, eine wesentliche Reduzierung des Personalbestandes der Euratom gefordert hat. Wir erblicken in Euratom das Ergebnis einer guten europäischen Zusammenarbeit. Wir sind der Meinung, bevor irgendeine Entscheidung über eine Herabsetzung des Personalbestandes von Euratom getroffen wird, muß das langfristige Arbeitsprogramm für Euratom behandelt und festgelegt werden. Es sollten keine Entlassungen von Arbeitskräften stattfinden, bevor dieses langfristige Programm endgültig feststeht. Es wird uns interessieren, welches die deutschen Vorstellungen für dieses langfristige Programm sind.
Wir haben heute die Begründung für zwei Anträge gehört. Ein Antrag erstrebt die Stärkung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft. Man kann die Tendenz dieses Antrages nur begrüßen. Es wäre schon gut, wenn die Kommission die volle Rolle spielen würde, die ihr in den Römischen Verträgen zugemessen ist, ohne daß es nun unbedingt einer Satzungsänderung bedürfte. Nach den Römischen Verträgen stellt die Kommission Anträge, über die dann der Rat einstimmig zu beschließen hat. Es besteht der Wunsch, zu erreichen, daß die Kommission beim Ausbau der Gemeinschaft - das ist bereits in den Römischen Verträgen vorgesehen - und natürlich auch bei ihrer Erweiterung mitwirkt.
Der zweite Antrag bezieht sich auf Ausbau und Erweiterung der EWG. In den letzten Wochen ist oft die Frage erörtert worden, ob und inwieweit es möglich wäre, in Bereichen, die nicht in die Römischen Verträge einbezogen sind, zwischen den Mitgliedern der EWG und den beitrittswilligen Ländern eine Zusammenarbeit zu erreichen. Dieses Problem ist in der Tat mit allem Ernst zu prüfen. Es ist nicht ganz einfach, Arbeitsgebiete zu finden, die außerhalb der Römischen Verträge liegen und die dafür geeignet sind. Dieser Gedanke soll aber weiterverfolgt werden. Natürlich muß es allen Mitgliedsländern offenstehen, sich an diesen Arbeiten zu beteiligen. Die Außenminister kommen häufig zusammen, dm Rahmen der WEU, im Rahmen der NATO, im Rahmen der EWG; sie kommen immer und immer wieder zusammen. Auch die Frage, ob eine Außenministerkonferenz zur Überwindung der Krise verlangt werden soll, wird im Auswärtigen Ausschuß eingehend geprüft werden.
Ein letztes Wort zu dem letzten Absatz dieses Antrages. Es ist darauf hingewiesen worden, daß die Erweiterung der Gemeinschaft als ein vorrangiges Ziel behandelt werden soll. Vorrangig durchaus,
aber man muß bedenken, daß Erweiterung der Gemeinschaft und Ausbau der Gemeinschaft zwei vorrangige Ziele sind, und weil beide vorrangig sind, würde ich sie als gleichwertig bezeichnen. Es wäre verfehlt, wenn man sich gegen den inneren Ausbau der Gemeinschaft sträubte, wenn man Unlustgefühle erzeugte, weil die Erweiterung im Augenblick nicht möglich ist. Man muß vielmehr von einer derartigen psychologischen Fehlhaltung, die wir übrigens nie eingenommen haben, wegkommen.
({0})
Man muß bereit sein, die Erweiterung der Gemeinschaft nach wie vor intensiv anzustreben, aber auch alles zu tun, um an ihrem inneren Ausbau teilzunehmen. Man wird beim inneren Ausbau auch die Vorschläge prüfen müssen, die in den letzten Monaten von französischer Seite gemacht worden sind.
Meine Damen und Herren, nach dem 21. August hätte es vielleicht nahegelegen, in der Form eines Aphorismus zu sagen: 'Die beste Ostpolitik ist eine gute Westpolitik. Heute würde ich diese Formulierung etwas 'differenzieren; ich würde heute sagen: Unsere Ostpolitik umfaßt zwei Bestrebungen, einmal unsere Bemühungen um die Friedenssicherung und um die Verständigung, die wir trotz mancher Enttäuschungen unvermindert fortsetzen, und zum anderen die Fortsetzung und Stärkung unserer guten Zusammenarbeit mit den Ländern des Westens auf politischem Gebiete, auf wirtschaftlichem Gebiete und auch im Bereich der Verteidigung.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der Wehrgerechtigkeit nimmt in der Rede des Bundesverteidigungsministers vom vergangenen Freitag nur einen kleinen Raum ein; in der gedruckten Rede ist es nur eine halbe Seite.
({0})
Trotzdem, mehr als bei vordergründiger Betrachtung erkennbar, spielen die Fragen der vorhandenen Wehrungerechtigkeiten bei der Betrachtung der Personallage der Bundeswehr eine bedeutende Rolle.
Die Bereitstellung neuen und zusätzlichen Gerätes und der Einsatz finanzieller Mittel reichen allein nicht aus, die Anstrengungen unseres Volkes in verteidigungspolitischer Hinsicht in Kampfkraft umzusetzen, wenn der Wille zur Verteidigung nur schwach entwickelt ist, und er wird, falls nicht recht bald auf diesem Sektor eine Änderung geschieht, schwach entwickelt bleiben.
Unsere Verteidigung basiert auf dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht. Allgemeine Wehrpflicht heißt doch, daß sich jeder wehrfähige junge Mann für einen gewissen Zeitraum zur Verteidigung
unseres Lebensraumes zur Verfügung zu stellen hat. Von einer allgemeinen Wehrpflicht kann nicht mehr gesprochen werden, wenn wie heute nur 47 % der Gemusterten überhaupt zum Wehrdienst herangezogen werden und wenn an den notwendigen Versuchen zur Schaffung einer gesunden Personalstruktur, also 63% an Längerdienenden und 37 % an Wehrpflichtigen
({1})
- ja, keine 105 %, Herr Kollege Damm, sondern nur 100% -, festgehalten werden soll. Denn die notwendige Verbesserung unserer Personalstruktur wird naturgemäß das Problem der Wehrungerechtigkeit bzw. der anzustrebenden Wehrgerechtigkeit verschärfen.
Herr Bundesverteidigungsminister, es kann sich bei der Lösung des Problems der Wehrgerechtigkeit eben nicht nur darum handeln, den Wehrdienst Leistenden vor allem finanziell zu fördern; denn wenn wir diesen Weg bis zur völligen Zufriedenstellung beschreiten, dann können wir gleich zum Berufsheer übergehen. Dann haben wir in praxi etwas Ähnliches wie ein Berufsheer, und das Ziel, den Wehrwillen der gesamten Bevölkerung durch die allgemeine Wehrpflicht zu stärken und die Bundeswehr voll in das Bewußtsein der Bevölkerung zu bringen, wird eben nicht erreicht.
Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Bundestages und des Bundesverteidigungsministeriums haben sich mit diesem Problem ein halbes Jahr beschäftigt und eine Vorlage erarbeitet. Sie mag in diesen oder jenen Punkten umstritten sein. Es war aber der Wille der Beteiligten, daß diese Vorlage nicht zerpflückt wird,
({2})
sondern insgesamt diskutiert wird. Dann kann man natürlich auch hier und da zu wahrscheinlich besseren Lösungen kommen und Veränderungen vornehmen.
Nun frage ich Sie, Herr Bundesverteidigungsminister: Was wird aus der Vorlage? Sechs Monate hat die Kommission daran gearbeitet, einen Entwurf zu fertigen. Sechs Monate prüfen Sie diesen Entwurf. Wie lange gedenken Sie diesen Entwurf noch zu prüfen? Das fragen wir; denn inzwischen beginnt die Demontage dieses Entwurfs, auch von Ihnen vorgenommen.
Es mag, meine Damen und Herren, dieser oder jener Vorschlag umstritten gewesen sein. Ich erinnere mich einer Erklärung des Herrn Kollegen Berkhan, den ich persönlich sehr schätze, allerdings vom Juni vergangenen Jahres, daß die vorgesehene Erhöhung der Antrittsstärke der Bundeswehr - und die Kommission schlug 10 % mehr Einziehungen vor, um die Fehlstellen auszugleichen, Fehlstellen infolge von Krankheit, Kommandierung, Lehrgängen und dergleichen - außenpolitisch überhaupt nicht vertretbar sei.
({3})
Man könne nicht 40 000 Soldaten mehr einzuziehen,
über den Bestand hinaus, der in der mittelfristigen
Finanzplanung - aus finanziellen Gründen - mit 460 000 festgelegt war. Nun sehen wir, daß der Bundesverteidigungsminister Herr Dr. Schröder - das werden Sie als Mitglied einer Koalitionsfraktion, die diese Regierung trägt, sicher billigen - von diesem Vorschlag bei seiner Erhöhung der Präsenz - erhöhte Präsenz im Gegensatz zu herabgestufter Präsenz - Gebrauch machen will. Er spricht zwar von 20 000 Mann. Wenn aber die Zahl 460 000 unverrückbar ist, wenn das gerade die Zahl ist, die außenpolitisch ohne Widerstände vertretbar ist, dann werden 20 000 Mann mehr genauso störend wirken wie 40 000 Mann mehr. Die Wehrungerechtigkeit wird allerdings bei einer Erhöhung um 40 000 Mann etwas eher erreicht als bei einer Erhöhung um 20 000 Mann.
({4})
Auch das Parlament beginnt zu demontieren. Alle Fraktionen - wir konnten uns dabei gar nicht ausschließen - haben beantragt, das Entlassungsgeld für ausscheidende Wehrpflichtige zu verdoppeln. Auch dieses Vorhaben ist in die Vorschläge der kleinen Kommission eingeschlossen. Wenn das so weitergeht, fürchte ich aber, daß aus dem Vorschlag nur teilweise etwas wird.
({5})
Dann werden die Punkte verwirklicht, über die die Meinungen innerhalb der Regierungskoalition nicht geteilt sind. Nach bewährtem Muster, vorexerziert durch den Herrn Bundeskanzler, beginnt nunmehr auch der Herr Bundesverteidigungsminister, unangenehme Probleme auszuklammern, wahrscheinlich in der Hoffnung, daß demnächst, unter Umständen nach einem anderen Wahlergebnis, die Notwendigkeit zur Ausklammerung nicht mehr besteht und bei einer anderen Konstellation Mut genug vorhanden ist, auch solche Dinge, die nicht ohne weiteres von allen sehr freudig aufgenommen werden, durchzusetzen.
({6})
Meine Damen und Herren, es kann also nicht oberstes Ziel sein, die Vergünstigungen noch zu erhöhen. Der Verteidigungswille wird gestärkt, wenn die Bundeswehr nicht mehr wie bisher neben dem Großteil der deutschen Jugend hermarschiert. Er wird nicht gestärkt, wenn die Bundeswehr gar nicht erst zur Kenntnis genommen zu werden braucht, weil die Mehrheit der deutschen Jugend von der Bundeswehr nicht zur Verteidigung unseres Volkes in Anspruch genommen wird.
Wir haben uns auf unserem Wehrpolitischen Kongreß in Koblenz bemüht, diese Fragen einer Lösung zuzuführen, und haben uns, obwohl ein Wehrdienstausgleich bei der nicht vom Wehrdienst betroffenen Jugend unpopulär ist, für einen Wehrdienstausgleich ausgesprochen. Über die Höhe wird man sich unterhalten müssen. Aber die Existenz des Verteidigungsinstruments wird erst dann zur Kenntnis genommen, wenn der Teil der Jugend, der nicht eingezogen wird, durch bestimmte Maßnahmen gezwungen ist, diese Bundeswehr und die Notwendigkeit des Dienstes zur Kenntnis zu nehmen.
({7})
Nun ein Wort zu unserem Kollegen Rommerskirchen. Sie haben die Vorteile der Flexibilität, der Anpassung der Bundeswehr an die verschiedenen Gegebenheiten der Politik, gepriesen. Herr Berkhan, es zeugt von einem gestörten Verhältnis zum Liberalismus bei Ihnen, wenn Sie meinen, daß Liberale nie planen. Wenn ich ein Haus baue, plane ich auch 'als Liberaler. Und wenn ich weiß, daß die Bauzeit eines Zerstörers - leider - neun Jahre beträgt, dann kann ich nicht aus der Tagespolitik heraus die Bundeswehr konzipieren. Dann muß ich halt in längeren Zeitabständen vorausdenken und entsprechende Maßnahmen einleiten, Herr Kollege Rommerskirchen.
({8})
Nun zurück zur Struktur. Es dient auch nicht der Wehrwilligkeit unseres Volkes und unserer Jugend, die hier angesprochen ist, wenn die Berufsverbände und Gewerkschaften der Bundeswehr - und die haben wir nun einmal in unserer Massengesellschaft - ständig darüber klagen müssen, daß es ihr Dienstherr mit der Fürsorge nun nicht so nimmt, wie es sein müßte. Und ich empfehle Ihnen allen, die Studie des Bundeswehrverbandes über das Mietund Wohnungswesen sehr eindringlich zur Kenntnis zu nehmen
({9}) und, meine Damen und Herren,
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Schlußfolgerungen daraus zu ziehen.
({11}) Darauf kommt es allein an.
Wir stimmen mit Ihnen überein, Herr Bundesverteidigungsminister - wir stehen nicht nur im Gegensatz zu Ihnen, - daß das Problem der Kriegsdienstverweigerung eine Sache ist, mit der wir uns beschäftigen müssen. Wir haben das auf unserem Wehrkongreß in Koblenz auch getan. Es muß die Möglichkeit geschaffen werden, daß derjenige junge Mann, der während des Wehrdienstes plötzlich sein Gewissen entdeckt - terminieren kann man die Entscheidung nicht -, unverzüglich - und Herr Kollege Zimmermann hat das auch ausgeführt - einem zivilen Ersatzdienst überstellt wird.
({12})
- Unverzüglich, Herr Kollege Dr. Marx! Denn wir können die ständige und zunehmende Beunruhigung mit den Möglichkeiten gewisser Organisationen -ich nenne einmal den SDS -, Unruhe in die Bundeswehr hineinzutragen,
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nicht hinnehmen.
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Aber Sie werden getragen von 90 Prozent der Parlamentarier hier mit allen Möglichkeiten und gesetzlichen Initiativen. Sie haben Ihre Kollegen im Kabinett, die für diese Fragen des Ersatzdienstes zuständig sind. Schaffen Sie dann bitte auch die Organisation und die Möglichkeit der sofortigen Aufnahme dieses Teils unserer jungen Leute in diese Organisation!
({15})
Ich habe mir erzählen lassen, daß nur ein Drittel der anerkannten Kriegsdienstverweigerer - diejenigen, die vor Einzug zur Bundeswehr ihre Gewissensentscheidung getroffen haben - zum zivilen Ersatzdienst herangezogen wird, weil Aufnahmemöglichkeiten nicht gegeben sind oder weil die zuständigen Institutionen nicht gern diesen Teil unserer jungen Leute aufnehmen.
Ich meine, wenn der neue Beirat Sinn haben soll, der dritte, wie Sie ja ausführten - wobei man gleich die Frage stellen kann, ob alle Schwierigkeiten mit Beiräten gelöst werden können und sollen;
({16})
wir haben sicherlich eher zuviel als zuwenig Beiräte -, dann sollte es Aufgabe dieses dritten Beirates sein, Ihnen und Ihren Ministerkollegen und diesem Haus sehr schnell Empfehlungen zuzuleiten, damit dieses Problem der Kriegsdienstverweigerer ohne Schaden für die Bundeswehr in Vollzug des Grundgesetzes, das das Recht zur Kriegsdienstverweigerung gibt, gelöst wird.
Ich meine also: Regeln wir die Frage der Wehrgerechtigkeit mit allen Fragen, die sich darum herumranken, dann werden wir in absehbarer Zeit - bei Realisierung der von den Freien Demokraten vorgelegten personellen Vorschläge - über das ungelöste Problem des Bundeswehrpersonals nicht mehr zu sprechen haben.
({17})
Sie haben die Redezeit um 2 Sekunden unterschritten, Herr Kollege Ollesch! - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Draeger.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wer die Diskussion heute nachmittag hier verfolgt, wird sicher auf den verschiedenen Plätzen der Außenpolitik und der Verteidigungspolitik geistig hin und her gehetzt. Es tut mir leid, daß ich Sie auch jetzt wieder auf einen neuen Platz entführen muß. Ich will mich nämlich nur mit einem einzigen speziellen Thema beschäftigen, der Stärkung unserer Verteidigungskraft durch bessere Waffen und Geräte.
Unsere Bundeswehr hat im NATO-Bündnis den angemessenen Beitrag für Frieden, Freiheit und Sicherheit zu leisten. Die strategische Doktrin dieser westlichen Allianz ist die flexible Reaktion. Diese flexible Reaktion ist, wie der Bundesverteidigungsminister am Freitag hier dargetan hat, auch durch die Ereignisse in der Tschechoslowakei nicht betroffen worden. Sie existiert weiter. Ohne Zweifel hat aber nach der überfallartigen Besetzung der Tsche10888
choslowakei im Rahmen des Bündnisses die NATO-Ministerkonferenz vom 14. bis zum 16. November es für notwendig befunden, innerhalb dieser „flexible response" Akzente zu setzen, deren Notwendigkeit auf Grund der bedrohlichen Situation in Mitteleuropa und insbesondere für die Bundesrepublik sehr deutlich geworden ist.
In diesem Zusammenhang hat der Herr Minister eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Verstärkung der materiellen Seite der Bundeswehr gemacht. Ich gehe bei meinen Ausführungen und Überlegungen davon aus, daß, ehe es zu einer Verstärkung materieller Art in der Bundeswehr kommt, die Probleme der personellen Seite befriedigend gelöst sind.
Sie wissen, daß es in den vergangenen Wochen und Monaten eine sehr lebhafte Diskussion über die Schließung der Aufklärungslücke gegeben hat. Ich sage, dasselbe Problem besteht auch bezüglich der Schließung der personellen Bestandslücke im Mittelbau der Bundeswehr. Ich will also so verstanden sein, daß der weitere Zulauf von Waffen und Geräten mit der Auffüllung der Präsenzstärken und mit dem Zurverfügungstellen von zusätzlichem Personal koordiniert sein muß, damit diese Waffen und Geräte auch sinnvoll bedient und eingesetzt werden können.
Ich will nur wenige Waffen und Geräte herausgreifen. Ich lasse außerhalb meiner Betrachtung, was in den Ausschüssen des Parlaments, im Verteidigungsausschuß und Haushaltsausschuß, ohnehin beschlossen ist. Ich gehe auch davon aus, daß dafür die entsprechenden Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Ich wende mich dem zu, von dem der Minister gesagt hat, daß es nach den Besprechungen in Brüssel im Hinblick auf die bedrohliche Situation zusätzlich geschehen wird. Ich darf für mich und meine politischen Freunde der CDU/CSU sagen: in diesem Katalog gibt es keinen Posten, der völlig neu ist. Was dort an zusätzlichen Waffen und Geräten gefordert wird, ist den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses zumindest seit einem Jahr, in einzelnen Positionen schon seit vier Jahren bekannt. Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren schon damals der Auffassung, daß das nicht nur nützlich und wünschenswert, sondern für unsere eigene Verteidigung sogar dringend notwendig wäre. Warum sind wir nicht dazu gekommen? Weil die finanziellen Mittel im Rahmen der Zuwachsrate im Verteidigungshaushalt das einfach nicht zugelassen haben. Wenn wir jetzt auf Grund der Tschechenkrise vor dieser neuen Frage stehen, so meine ich, daß man sehr wohl diese alten Vorschläge erneut aufgreifen sollte, weil sie eine besondere Dringlichkeit, eine besondere Priorität im Rahmen unserer Gesamtverteidigungspolitik haben.
Man sollte in den Bemühungen um zusätzliche Waffen und Geräte von einigen unverrückbaren Fakten auf östlicher Seite ausgehen. Wenn man beispielsweise weiß, daß die Stückzahl der Kampfpanzer im Osten 2,5mal so hoch ist wie hier im Westen, und wenn man ferner weiß, daß der Westen einfach nicht zahlenmäßig gleichziehen kann, stellt sich die Frage, was man auf ,dem Gebiet der Panzerbekämpfung tun muß. Ich würde deshalb einmal
einen ersten Akzent auf die Panzerbekämpfungswaffen legen.
Wenn man weiter weiß, daß beispielsweise der Bestand an Jagdfliegern im Osten das Vierfache von dem ausmacht, was wir im Westen gegenüberzusetzen haben, stellt sich die zweite Frage - und da stimme ich mit dem Herrn Minister völlig überein -: Was können und müssen wir angesichts dieser Überlegenheit auf dem Gebiet der Tieffliegerabwehr tun? Ich meine, daß wir ,da gar nicht mehr warten können und dürfen, bis ein allumfassendes technisches System für Allwetterfähigkeit gefunden wird, sondern daß wir auf das solide System, das alerdings nur unter Schönwetterbedingungen wirksam ist, abstellen müssen.
Ich würde noch einen Schritt weitergehen, Herr Minister. Im Verteidigungsausschuß ist die Anregung gegeben worden, auf den Flugplätzen im Rahmen des do-it-yourself ,die 20-mm-Zwillingskanone zu installieren. Ich habe mit Freude gehört, daß Sie daß auch auf unsere Marine-Flugplätze ausdehnen wollen. Mein Petitum geht noch darüber hinaus. Ich möchte politische, militärische, wirtschaftliche und Verkehrsnervenzentren mit in den Objektschutz einbezogen wissen.
Ich begrüße, daß die Frage der Verstärkung der konventionellen artilleristischen Kraft von Ihnen aufgegriffen worden ist, indem Sie gesagt haben: Die dritte feuernde Batterie muß her! Auch das ist ein Anliegen, das, wenn ich mich recht erinnere, schon vor drei Jahren im Verteidigungsausschuß eine Rolle gespielt hat.
Bei diesen drei von mir gesetzten Akzenten möchte ich es belassen. Ich bin mir im klaren darüber, daß die stärkere Hinwendung zur konventionellen Komponente nicht nur das Heer, sondern auch Teilbereiche der Luftwaffe betreffen wird.
Nun, das Ganze kostet Geld. Der Herr Minister hat gesagt: Das kostet für einen überschaubaren Zeitraum von drei Jahren zunächst einmal 2,5 Milliarden DM. Ich nehme an, daß etwa 60 % davon auf die Beschaffung von konventionellen Waffen und Geräten entfallen und .daß der Restbetrag zum größeren Teil für die Infrastruktur und zum kleineren Teil für personelle Bereiche ausgegeben werden muß.
Die NATO hat den sehr schönen lateinischen Wahlspruch, daß - ich will ihn ins Deutsche übersetzen - Wachsamkeit der Preis der Freiheit ist. Ich möchte das in unserer Situation heute abend so ergänzen: jede Freiheit hat ihren Preis. Ich hoffe, meine Damen und Herren, .daß wir uns, wenn hier die Mittel zur Verfügung gestellt werden, an diese Diskussion noch einmal erinnern werden. Die CDU/ CSU-Fraktion hat gestern nachmittag einstimmig beschlossen, die Bundesregierung möge sich sehr rasch daranmachen, uns entweder innerhalb oder außerhalb ,der mittelfristigen Finanzplanung Vorschläge zu unterbreiten, wie jene 2,5 Milliarden DM aufgebracht werden können. Dabei gehe ich davon aus, daß in dieser bedrohten Situation jenes Mindestmaß an finanziellen Opfern gebracht werden muß, damit
die Freiheit und die Sicherheit im bestmöglichen Grade gewährleistet bleiben.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete van Delden.
van Delden ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Herold hat ein Marineproblem angeschnitten und dabei dem Bundesminister der Verteidigung die Empfehlung gegeben, das Projekt der Fregatte der 70er Jahre noch einmal zu überdenken, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Ich möchte hier ganz deutlich erklären, daß ich ,dies aus folgendem Grunde für falsch halte. Über kein Projekt haben wir im Verteidigungsausschuß so ausgiebig gesprochen wie über die Fregatte 70, die zuerst unter dem Arbeitstitel „Korvette" lief, und .bei keiner Waffe hat der Verteidigungsausschuß letzten Endes seine Konzeption so zur Geltung gebracht wie gerade bei der Fregatte 70. Allein schon aus diesem Grunde würde ich es für falsch halten, wenn hier jetzt eine weitere Verzögerung über die Verzögerung hinaus einträte, die sowieso schon eingetreten ist. Doch davon später!
In der Tat hat der Bundesminister der Verteidigung gesagt, daß diese Fregatte das Nachfolgemuster der US-Leihzerstörer werden sollte. Das ist aber nur einer der Gründe. Denn in einer so umfassenden Rede, in der so viele Probleme behandelt werden, kann nicht einer einzigen Waffe soviel Raum gewidmet werden, daß hier alle Gründe überzeugend dargelegt werden können. Darüber hinaus eignet sich ja auch nicht alles, was zu einer Waffenbeschaffung gehört, dazu, hier in breiter Öffentlichkeit vorgetragen zu werden. Ich darf deswegen - ohne diesen von mir aufgestellten Grundsatz zu verletzen - noch einmal kurz auf dieses Projekt zurückkommen.
Die Fregatte 70 muß auch derjenige bejahen, der nur für Kleinfahrzeuge ist. Viele sind der Auffassung, die Bundesmarine sollte lediglich aus raketenbestückten Schnellbooten der neuen Version bestehen. Sie lassen sich dabei mit einem gewissen Recht von dem Eindruck leiten, den die Versenkung des israelischen Zerstörers hervorgerufen hat. Wer aber diese Raketenschnellboote bejaht, muß gleichzeitig wegen ihrer elektronischen Leitfunktion die Fregatten bejahen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Berkhan?
Herr van Delden - ich hätte fast gesagt: Herr Kollegenkapitän -, ist Ihnen entgangen, daß mein Kollege Herold ausschließlich Auskunft darüber haben wollte, inwiefern jetzt diese Schiffe, die Sie hier zur Debatte stellen, als Ersatz für die USA-Leihzerstörer anzusehen sind? Vorher hatten sie ja in der allgemeinen Diskussion und in der Diskussion im Verteidigungsausschuß in
der Begründung einen anderen Auftrag erhalten. Oder 'glauben Sie im Ernst, daß mein Kollege Herold gemeint hat, man solle das ganze Projekt abblasen?
van Delden ({0}) : Ich beziehe mich auf den letzten Teil und bin dankbar - da kann ich mir vieles ersparen -, daß es nicht darauf abzielte, das Projekt abzublasen. Trotzdem bin ich der Auffassung, daß dem Kollegen Herold manches entgangen ist, was wir im Verteidigungsausschuß zu diesem Projekt gesagt haben.
Herr Kollege Berkhan, wenn Sie sagen, daß uns das ursprünglich unter einem ganz anderen Motto serviert worden ist, so gebe ich Ihnen recht. Deswegen haben wir ja auch so lange gebraucht, bis wir dieser geänderten Form zugestimmt haben.
Und da wir gerade bei der Zustimmung sind, möchte ich für mich persönlich sagen, daß ich es als ein merkwürdiges Verfahren empfinde, wenn jetzt diese Vorlage blockiert wird, d. h. wenn sie im Haushaltsausschuß nicht beraten werden kann, weil der Herr Bundesfinanzminister diese Vorlage unter Berufung auf die Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß noch nicht vorgelegt hat. Ich wäre also dankbar, Herr Bundesverteidigungsminister, wenn Sie - was Sie in Ihrer Rede indirekt auch ange- kündigt haben - in diesem Sinne noch einmal bei dem Finanzminister vorstellig würden, zumal - und das möchte ich hier ausdrücklich erklären - bei einer späteren Zustimmung unter Umständen Kostensteigerungen und höhere finanzielle Opfer in Kauf genommen werden müssen.
Man kann sich darüber streiten, ob man eine Marine haben muß oder nicht. Wenn man glaubt, sie nicht haben zu müssen, sollte man das aber auch klar sagen und nicht Projekte endlos hinausschieben.
Wenn wir von der Möglichkeit der Abschaffung der Marine sprechen, so mache ich persönlich kein Hehl daraus, daß wir einmal ernsthaft darüber sprechen sollten, ob wir nicht wie die Kanadier eine Zusammenfassung der Teilstreitkräfte, zumindest einmal im Planspiel, durchexerzieren sollten. Unter Umständen können wir auch dabei viel Geld bei besserer Wirksamkeit sparen.
Noch einmal zurück zur Marine selbst! Herr Kollege Lenze hat dargestellt, wie die Russen sich auf allen Weltmeeren bewegen. Er selbst hätte sich, um das festzustellen, nicht in die USA zu bemühen brauchen, sondern hätte das bei dem Manöver „Silvertower" feststellen können, das in der deutschen Presse leider viel zu kurz gekommen ist. Dabei be-bei befaßte sich ein Teil dieses Manövers ausschließlich mit der Versorgung der deutschen, dänischen und südnorwegischen Küste. Bei diesem Manöver lag ständig ein russischer Hochseeminensucher so eben außer Reichweite der Hoheitsgewässer vor Helgoland.
Warum erwähne ich dies? - Ich glaube, meine Damen und Herren- ich sage dies auf die Gefahr hin, damit ein Marinetabu zu verletzen -, die Marine muß sich darüber im klaren sein - und wir
van Delden
alle müssen es -, daß die ursprüngliche Konzeption - nämlich ausschließlich die Sicherung der Ostseeausgänge - etwas erweitert werden muß; denn dieses Manöver hat klar gezeigt, daß eine Sicherstellung unseres Nachschubs auch unserer eigenen Streitkräfte bedarf. Dazu sind auch die Fregatten notwendig, die - damit komme ich auf den Ausgangspunkt meiner Bemerkungen zurück - das Nachfolgemuster nicht nur der US-Leihzerstörer, sondern auch aller anderen größeren Schiffe der Bundesmarine sein werden. Alle Marinen gehen ja von dem reinen Zerstörertyp ab und beschaffen einen Mehrzwecktyp - und um einen solchen handelt es sich hier - als Nachfolgemuster.
Zum Schluß noch eine Bemerkung zu dem, was Herr Kollege Dr. Zimmermann angesprochen hat. Er sagte, daß die Ausrüstung z. B. des Nachfolgepanzers des „Leopard" so kompliziert würde, daß die Wartung und alles, was damit zusammhängt, schwierig sei. Vor dem gleichen Problem stehen wir jetzt schon bei der Marine. Ich glaube, wir täten gut daran, auch hier Überlegungen anzustellen, wie wir den Soldaten länger an Bord halten können. Der ewige Wechsel bedingt zusätzliche Werftliegezeiten und zusätzlichen Verschleiß, insbesondere an elektronischem Gerät. Es ist - jetzt einmal rein theoretisch gesprochen - wahrscheinlich billiger, den Soldaten einen Anreiz zu bitten, länger an Bord zu bleiben, als diese dauernden Liegezeiten in in Kauf zu nehmen. Die Marine hat einen guten Beweis für diese Theorie geliefert, indem sie nämlich den Zerstörer „Bayern" ein Jahr lang von jedem Personalstellenwechsel verschont hat, mit dem Erfolg, daß hier die elektronischen, maschinellen und auch die Waffenanlagen dauernd in einem gebrauchsfertigen Zustand sind, während wir es bei anderen Kriegsschiffen immer wieder erleben, daß sie über kurz oder lang in die Werft zurück müssen.
Ich wäre Ihnen, Herr Minister, dankbar, wenn Sie Ihr besonderes Augenmerk auch auf die Fragen der Beschaffung richteten, die uns bei der Marine in der Vergangenheit sehr viele Sorgen gemacht haben. Der Unterstützung des Ausschusses dürfen Sie dabei gewiß sein.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Damm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer redete nicht gern, wo er ohnehin so selten drankommt, wenn er auf den hinteren Bänken sitzt? Aber natürlich möchte man lieber vor einem vollen Hause reden.
({0})
Ich bilde mir allerdings nicht ein, daß es mir gelingen wird - ebensowenig wie es Ihnen, Herr Haase, gelungen ist -, überhaupt noch Kollegen aus dem Hause hier in das Plenum hereinzuholen. Ich hätte nämlich von mir aus das Wort nicht ergriffen. Ich bin ein lebendiges Beispiel für das, was in der Bundeswehr an Auftragstaktik praktiziert wird. Ich möchte nämlich einiges von dem, was Kollegen vor
mir nicht haben sagen können, hier vortragen, damit es gewissermaßen auch zu Protokoll gegeben ist. Ich möchte noch ein anderes tun: Ich möchte auf einige Ausführungen von Kollegen der FDP erwidern. Ich habe nicht die Hoffnung, daß ich sie überzeugen werde. Aber auch dabei möchte ich zu Protokoll geben, wie es sich wirklich verhält.
Ich komme zunächst zu dem Thema Wehrdienstverweigerung. Mein Kollege Rommerskirchen hätte das gern selbst gesagt, wenn die Zeit noch gereicht hätte; ich tue das für ihn. - Es kann gar keine Frage sein, daß der Wehrdienstverweigerer in der gleichen Weise belastet werden muß wie derjenige, der zum Wehrdienst eingezogen wird. Die meisten Wehrdienstverweigerer wollen das übrigens auch - das möchte ich hier als meine persönliche Meinung sehr deutlich sagen - und leiden darunter, daß sie den Ersatzdienst oft aus Mangel an Möglichkeiten nicht leisten können. Wir erwarten also ebenso wie die anderen Fraktionen dieses Hauses, daß Maßnahmen ergriffen werden, damit derjenige, der von dem Grundrecht der Wehrdienstverweigerung Gebrauch macht, auch in jedem Fall Ersatzdienst leisten kann. Sofern es dazu Maßnahmen des Parlaments, gegebenenfalls gesetzgeberischer Maßnahmen, bedarf, muß die Regierung mit Vorschlägen an uns herantreten. Ich bin sicher, daß das Parlament den Vorschlägen dann folgen wird.
Zu der Lage der Unteroffiziere - ich bin gebeten worden, das auch hier zu sagen - werden wir uns bei der zweiten und dritten Lesung der von uns weitgehend initiierten Gesetze ausführlich äußern, und wir werden das natürlich auch in den Ausschußberatungen tun. Ich denke, es ist ohnehin besser, das Plenum nicht in eine Art Ausschußsitzung zu verwandeln und in zu viele Einzelheiten zu gehen.
({1})
- Da haben Sie gar nicht so unrecht, Herr Kollege Kiep. Wenn wir zusammenzählten, kämen wir wahrscheinlich gerade auf die Besetzung eines großen Ausschusses.
Ich möchte, bevor ich auf die Ausführungen von Herrn Jung eingehe, dem ich einiges kritisch zu sagen habe, zunächst Herrn Ollesch sagen, daß ich mit seinem zweiten Beitrag, also gewissermaßen „Ollesch II", völlig einverstanden bin, soweit es die Fragen der Wehrgerechtigkeit und der AdornoKommission angeht. Sie haben, was diesen Punkt betrifft, meine volle Unterstützung, und ich kann nur hoffen, daß das Ministerium nun seine Prüfungen abschließt, um dem Verteidigungsausschuß die notwendigen Stellungnahmen zu diesem Thema zu geben. Herr Ollesch, in diesem Punkte bin ich also mit Ihnen einer Meinung.
Lassen Sie mich einen anderen Punkt aufgreifen, in dem ich Ihnen nicht total, aber zu einem Teil widersprechen möchte.
({2})
- Na eben! Und außerdem wäre es auch zu langweilig.
Herr Ollesch, Sie haben hier der Koalition in vorwurfsvollem Ton gesagt, Dank an die Soldaten und an die Angehörigen der Bundeswehrverwaltung allein genüge nicht.
({3})
- Entschuldigen Sie, Herr Ollesch, ich habe Sie mit Herrn Schultz verwechselt. Ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel.
({4})
Herr Schultz, natürlich genügt der Dank allein nicht. Aber im Hinblick auf das, was nun neu für die Bundeswehr geschehen soll, und vor allen Dingen im Hinblick auf das, was die Soldaten und die Angehörigen der Bundeswehrverwaltung in den zurückliegenden anderthalb Jahren an zusätzlichen Opfern gebracht haben, um diese Durststrecke zu überstehen, steht es uns, meine ich, sehr wohl an, auch zu danken, und das möchte ich im Namen meiner Fraktion hier auch tun.
({5})
Nun zu dem Thema, das Herr Jung, wie wir wissen, heute abend nicht zum erstenmal vorgetragen hat. Er ist gewissermaßen sein ceterum censeo. Ich weiß nicht, Herr Jung, ob ich das mit dem, was man einen schlechten Verlierer nennt, in Zusammenhang bringen soll. Das Thema ist ja erledigt. Die Entscheidung ist gefallen. Daß Sie nun immer noch Ihre nicht richtigen Argumente wiederholen, ist mindestens jetzt nicht mehr nützlich. Ob das Ihre Situation verbessert, wage ich zu bezweifeln.
({6})
Herr Jung, richtig werden Ihre Argumente dadurch nicht.
Herr Jung hat - ich will das jetzt an Einzelbeispielen darlegen - schon am 2. Oktober 1968, wie man im Tagesdienst der Freien Demokratischen Korrespondenz nachlesen kann, die Behauptung aufgestellt, daß die Beschaffungskosten plus Betriebskosten für die 88 Phantom 4 Milliarden DM ausmachten. Das ist falsch! Er könnte das wissen. Er brauchte nur die uns vom Bundesminister der Verteidigung am 13. Mai 1968 vorgelegte Beschaffungsvorlage für die 88 Phantom und die 50 Flugzeuge vom Typ 104 zur Hand zu nehmen. Auf der letzten Seite in der Anlage 3 sind auch die Betriebskosten ausgewiesen. Da steht - das darf ich hier ja wohl vorlesen, auch wenn das ganze „VS-Vertraulich, nur für den Dienstgebrauch" ist -: Die Betriebskosten für 88 Phantom - dann folgen Jahr und Modell - betragen 172,4 Millionen DM.
({7})
- In zehn Jahren!
({8})
- Aber Herr Jung, Sie haben weder in der Freien
Demokratischen Korrespondenz noch in Ihrer Rede
heute bei Ihrem Vorwurf gesagt, daß das die Betriebskosten für zehn Jahre sind.
({9})
Das ist doch der Punkt, wo Sie unfair werden und wo die Sache wirklich einen Pfiff kriegt, der sich nicht gehört. Das ist doch das, was die Leute draußen dann undifferenziert aufnehmen und sagen: Der Laden kostet 4 Milliarden, für insgesamt zwei Jahre Beschaffung und zwei Jahre Betrieb. - So kann man doch nicht verfahren!
({10})
- Herr Dorn, ich wage allerdings noch, vor Ihnen festzustellen, was fair ist und was nicht fair ist.
({11})
Ini übrigen darf man doch, wenn man sich zu einer solchen Frage äußert, nicht so tun, als ob der Starfighter keine Betriebskosten verursacht.
Herr Jung möchte eine Zwischenfrage stellen!
Bitte!
Bitte, Herr Jung!
Herr Kollege Damm, ich möchte Sie auf die FDK verweisen; Sie haben sie ja zitiert. Und wenn Sie schon die Beschaffungsvorlage des Bundesverteidigungsministeriums zitieren, blättern Sie doch bitte zwei Seiten nach vorn. Darf ich Sie außerdem auf das Protokoll von heute verweisen. Ich habe dem Sinn nach gesagt - ich werde es aber gleich noch einmal in meiner Rede bringen -: Wir binden mit- diesem Waffensystem nahezu 4 Milliarden DM, die anderweitig sinnvoller verwendet werden können. So in diesem Sinne habe ich das gesagt: Wir binden mit diesem Waffensystem 4 Milliarden DM. Genau in derselben Richtung sind alle meine bisherigen Äußerungen. Ich habe detailliert aufgeschlüsselt: 2,05 Milliarden DM Beschaffung
({0})
und 1,75 Milliarden DM für die Instandhaltung, Wartung usw. für den Betrieb, der hier in dieser Beschaffungsvorlage ja mit ausgewiesen ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte fest, daß Herr Jung meinen Vorwurf, daß er nicht die Zehnjahresfrist genannt hat, nicht widerlegen konnte. Soweit das Ihr Protokoll angeht, werden Sie das selber finden. Was die Freie Demokratische Korrespondenz angeht, lassen Sie mich den Satz vorlesen - da steht nämlich nichts von der Zeit -:
Eine Beschaffung der Phantom würde einschließlich der Betriebskosten zirka 4 Milliarden DM verschlingen, die nahezu ausschließlich in die USA fließen würden.
Kein Wort von zehn Jahren!
({0})
- Auch das stimmt nicht, Herr Dorn. Es tut mir so fürchterlich leid. Ich würde Ihnen ja gern einmal zustimmen. Wenn wir schon von den Betriebskosten reden, - Herr Dorn, Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß die Betriebskosten nun auch in die USA fließen. Sie sehen, die ganze Sache stimmt also hinten und vorn nicht. So kann man seinen Standpunkt nicht begründen, wenn man ernst genommen werden will.
({1})
Ich will Ihnen allerdings nicht unterstellen, daß Sie von vornherein die Absicht haben, gar nicht ernst genommen zu werden. Man kann aber auf diesen Gedanken kommen.
Ich möchte ein letztes Wort zu einer Äußerung von Herrn Jung sagen, die aus allgemeinpolitischen Gründen nicht unwidersprochen bleiben darf. Herr Jung hat hier gesagt, wir machten - das weise auch die Rede des Verteidigungsministers aus - ein Geschäft mit der Angst.
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Ich finde, eine solche Äußerung ist unerhört.
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Unerhört erstens deshalb, weil ich mir eine maßvollere Rede eines Verteidigungsministers angesichts der Ereignisse am 21. August als die, die er vorige Woche gehalten hat, gar nicht vorstellen kann.
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Unerhört zweitens deshalb, weil es keine einzige Äußerung eines Mitglieds dieser beiden Fraktionen - jedenfalls kenne ich keine - gibt, aus der man entnehmen könnte, daß die Bevölkerung erst ängstlich gemacht werden soll.
Unerhört drittens deshalb, weil mit dieser Äußerung so getan wird, als habe unsere Bevölkerung nach dem 21. August keine Angst gehabt, sondern wir redeten sie ihr erst ein. Meine Erfahrung ist, daß diese Bevölkerung nach dem 21. August, und zwar noch lange Zeit Angst hatte - und diese reicht bis in den heutigen Tag hinein -, daß ihr Ähnliches geschehen könnte wie der tschechoslowakischen Bevölkerung.
({5})
Unsere Pflicht ist es, die politischen Maßnahmen zu treffen, um sie von dieser Angst zu befreien, soweit das überhaupt möglich ist.
({6})
Meine Damen und Herren, ich weise deshalb mit ganz großer Entschiedenheit zurück, wir betrieben das Geschäft mit der Angst. Wir handeln, wenn wir den Forderungen der Regierung folgen und wenn wir die Regierung auch treiben, daß sie mehr für die Verteidigung dieses Landes tut, nur als verantwortliche Politiker. Wir tun, was wir tun müssen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte die Gebiete Forschung und Entwicklung im Verteidigungsbereich ansprechen, die in den letzten Wochen in zunehmendem Maße in das öffentliche Bewußtsein getreten sind. Der Bundesminister der Verteidigung hat diesem Bereich jetzt besondere Aufmerksamkeit dadurch geschenkt, daß er einen eigenen Titel im Einzelplan 14, den Tit. 14 20, ausgewiesen hat. Trotzdem glaube ich, daß wir noch zuwenig Anstrengungen in diesem Bereich erbringen.
Der Bundeskanzler hat kürzlich in einer Regierungserklärung diese beiden Bereiche Forschung und Entwicklung gesondert angesprochen. Wenn wir uns die Zahlen im Verteidigungsbereich ansehen, ist festzustellen, daß sie nur unerheblich gewachsen sind. Wir haben Zuwachsraten, die nicht erheblich über den Zahlen liegen, die etwa durch die Verteuerung zu erwarten sind, die sich aus gestiegenen Personal- und Materialkosten ergeben.
Herr Minister, ich möchte Ihnen diesen Bereich Forschung und Entwicklung erneut ganz besonders ans Herz legen. Es fehlt in letzter Zeit bei uns so ein bißchen das Bewußtsein, daß die europäischen Züge mit uns fahren könnten. Sehen wir doch die Entwicklung in einigen Bereichen! Es gibt kein europäisches Kampfflugzeug mit deutscher Beteiligung; es sei denn, wir würden die Variante NKF durchbringen. Es gibt kein europäisches Hubschrauberprogramm mit deutscher Beteiligung. Es gibt kein europäisches Programm etwa für neue Transportflugzeuge. Ich verfolge die Diskussion innerhalb der Westeuropäischen Union sehr genau und muß immer wieder feststellen, daß die Bewußtseinslage bei unseren europäischen Partnern vom Vorhandensein einer deutschen Industrie und deutscher Möglichkeiten in ausreichendem Maße zur Stunde noch nicht gegeben ist. Ich erinnere an den Kershaw-Bericht, der in der Westeuropäischen Union vor etwa zwei Jahren diskutiert wurde. Dort wurde die deutsche Luftfahrtindustrie mit keinem Worte erwähnt.
Eine Bitte noch, Herr Minister. Der Verteidigungsausschuß wird morgen früh die Beratungen zum Forschungstitel aufnehmen. Wir waren im Vorjahr in langen Diskussionen so verblieben, daß wir in diesem Jahr auf Grund eines Forschungsplanes in die Beratungen eintreten wollten, der uns vom Ministerium vorgelegt würde. Die Diskussionen morgen werden wieder sehr theoretischer Art sein, und zwar deswegen, weil doch fast allen Kollegen genaue Unterlagen über die Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Verteidigungsbereich fehlen. Ich möchte annehmen, daß es ähnlich wie beim Weißbuch zur Verteidigungsplanung möglich sein sollte, uns diesen Forschungsplan im Januar zu dem gleichen Zeitpunkt vorzulegen, damit wir überprüfen können, daß keine Doppelforschungs- und -entwicklungsvorhaben vorliegen, damit wir weiter überprüfen können, wieweit Koordinierungen zum Rüstungsplan gesichert sind.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich kurz auf drei Bemerkungen eingehe. Erstens. Herr Kollege Damm hat eben gesagt, ich hätte unterstellt, daß Sie das Geschäft mit der Angst betrieben. Ich darf Ihnen aus dem Protokoll zitieren. Ich habe wörtlich gesagt:
„Wir verniedlichen nicht die Gefahren, die mit diesem unerhörten Völkerrechtsbruch entstanden sind. Aber wir meinen: wer Angst sät, bläst Moskau in die Segel. Und lassen Sie mich dies sehr deutlich sagen: wir Freien Demokraten
- ich habe also von uns gesprochen machen das Geschäft mit der Angst nicht mit.
({0})
Zweitens habe ich gesagt, Herr Kollege Damm: wir binden mit diesem Waffensystem, das uns für die siebziger Jahre ungeeignet erscheint, nahezu vier Milliarden DM. Nun kommen noch einige Erläuterungen, die genau das erklären, allerdings nicht das mit den zehn Jahren - ({1})
Aber das beinhaltet das doch! Ich habe das doch am Beispiel des Starfighter verdeutlicht - und das wissen Sie als Mitberichterstatter genau -, daß uns ein solches Waffensystem pro Jahr ungefähr 1 Million DM pro Stück kostet, und bei der „Phantom" ist das ja noch viel mehr.
Eine Zwischenfrage von Herrn Damm, gestatten Sie die, Herr Abgeordneter?
Bitte sehr.
Herr Jung, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, Sie hätten auch sagen können: wir binden 6 Milliarden, - wenn Sie nämlich stillschweigend unterstellt hätten, daß diese Rechnung dann für 20 Jahre Betriebskosten enthält?
Entschuldigen Sie bitte, Herr Damm, aber Sie haben doch die Beschaffungsvorlage des Verteidigungsministeriums, und dort steht doch sehr genau drin, für wie viele Jahre diese Zwischenlösung angeschafft und in Betrieb gehalten werden soll. Deswegen habe ich Sie ja gebeten, zwei Seiten vorzublättern. Dort steht ja sehr deutlich, daß diese Zwischenlösung eben für zehn Jahre gilt, und diese 172 Millionen pro Jahr müssen Sie dann eben damit multiplizieren, dann kommen Sie auf die Summe, die ich Ihnen vorhin sehr klar vorgelegt habe.
({0})
Zum dritten. Der Kollege Rommerskirchen hat gesagt, daß der General Lemnitzer die gleiche Meinung vertreten habe wie der Verteidigungsminister. Herr Kollege Rommerskirchen, ich darf hier zur Klarstellung sagen: Ich habe darauf hingewiesen, daß Herr Zimmermann heute und hier in diesem Hause die Zahl von 20 Divisionen genannt hat. Ich habe nicht von dem Verteidigungsminister gesprochen; denn ich weiß sehr wohl, daß der Herr Verteidigungsminister bisher diese Zahl nicht genannt hat, weil er wahrscheinlich die echte Zahl besser kennt.
Und nun zu der Regierungserklärung. In der Regierungserklärung hat der Bundesminister der Verteidigung auch Probleme gemeinsamer Entwicklungsprogramme, gemeinsamer Logistik und Versorgung und Fragen der Standardisierung in der NATO angesprochen. Auch wir, Herr Minister, beklagen, daß wir in dieser Frage noch nicht so sehr weit gekommen sind. Auch wir bejahen die Kooperation, um insbesondere unsere Truppen bestmöglich für den Verteidigungsfall ausrüsten zu können. Aber, Herr Minister, aus aktuellem Anlaß dringen wir darauf, daß wir in diesem Konzert auch dort den Ton angeben dürfen, wo wir den Hauptpart übernehmen müssen. Das Beispiel, das Sie uns, Herr Minister, als gutes Ergebnis dieser Rüstungskooperation nannten, das uns ermutigen soll, auf diesem Wege fortzuschreiten, war zumindest, was seine finanzielle Entwicklung anbetrifft, sicher nicht sehr gut gewählt.
({1})
- Von der Regierungserklärung des Herrn Ministers, Herr Berkhan. Das habe ich nämlich auch vorhin getan, Herr Berkhan. - Ich nehme an, daß auch die Kollegen der CDU/CSU und insbesondere auch Sie, meine Kollegen von der SPD, und Sie, Herr Berkhan, mit mir darin übereinstimmen, daß uns die „Transall" nicht gerade ermuntern kann. Die hat nämlich auch der Herr Minister genannt. - Die Phantom hätte ich gar nicht genannt, Herr Kollege Damm, wenn der Herr Minister das nicht als erste Beschaffung in seiner Regierungserklärung genannt hätte. Ich habe ja vorhin eigens darauf hingewiesen.
({2})
- Ich habe ja begründet, warum. Als erste Beschaffung hat er das in seiner Regierungserklärung genannt.
Ich meine also, daß Sie mit mir darin übereinstimmen, daß uns die „Transall" nun nicht gerade ermuntern kann; denn die Kosten, ursprünglich mit etwa 14 Millionen DM angenommen, sind ja so unerhört angewachsen, und zwar um etwa 10 Millionen DM. Auch die Nutzung war von Anbeginn an sicher auch nicht so sinnvoll geplant; sonst müßten wir uns ja jetzt nicht mit der Frage beschäftigen, wie wir einen großen Teil dieser Flugzeuge wieder loswerden können. Das alles, meine Damen und Herren, bevor sie überhaupt in die Truppe eingeführt sind!
Herr Kollege Berkhan, Sie würden jetzt natürlich wieder sagen - so wie bei der Phantombeschaffung
- diplomatisch-elegant, dafür seien ja politische Gründe maßgebend gewesen.
({3})
Das macht die Sache auch nachträglich nicht sinnvoller. Ich habe das Beispiel wiederum nur genannt, weil der Minister in seiner Regierungserklärung darauf hingewiesen hat.
Ich verkenne nicht, daß damit natürlich technologische Erkenntnisse verbunden sind, die durchaus nützlich sind. Das wollen wir nicht verkennen. Aber eben diese Kostenentwicklung schreckt uns. Ich meine, daß wir deshalb sehr klare Forderungen stellen müssen und z. B. im Konsortium für die NKFEntwicklung unsere Belange entsprechend unserer Lage sehr entschieden vertreten müssen. Herr Kollege Zimmermann hat mit Recht darauf verwiesen, welche Impulse von der Wehrtechnik und der Rüstung für den technologischen Fortschritt mit erheblicher positiver Auswirkung auf die gesamte Volkswirtschaft davon ausgehen. Wir sollten das bei allen unseren Beschaffungsvorhaben sehr wohl bedenken.
Wenn diese Punkte, Herr Minister, und auch die Forderungen, die ich schon vorhin für die Freien Demokraten vorgetragen habe, beachtet werden, dann werden wir, die Opposition, die Mitarbeit ganz gewiß nicht versagen. Wir werden uns wie bisher für diese Bundeswehr, für diese Soldaten, denen wir uns sehr verbunden fühlen, mit allem Nachdruck einsetzen; denn wir Freien Demokraten sehen unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik insbesondere unter dem Gesichtspunkt der wirksamen und glaubwürdigen Verteidigung unserer freiheitlichen Demokratie.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Berkhan.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich rede jetzt für „wir freien Sozialdeinokraten".
({0})
- Herr Kollege Dorn, beruhigen Sie sich, ich setze mich bei der Gelegenheit mit „euch Freien Demokraten" etwas auseinander. Ich fühle mich an alte Zeiten in diesem Hause erinnert. Es wird direkt schon ein bißchen munterer und lustiger, und die Debatte ist belebt.
Ich würde ganz gern meinem Kollegen Damm und ein paar Herren meiner Koalitionspartei, CDU/CSU, sagen: Regen Sie sich nicht so auf! Ich hoffe - das hat mein Kollege Schmidt auch gesagt -, daß diese Bänke dort im Saale eines Tages Oppositionsbänke sind.
({1})
- Sie sind im Moment nicht dran, Herr Jung; sie kommen auch noch dran. ({2})
Dann werden Sie sehen, daß das Brot der Opposition schwer zu essen ist. Ich habe dieses harte
Brot über Jahre essen müssen und habe daher ein
etwas größeres Verständnis für die jetzige Opposition.
({3})
- Sofort, Herr Damm; ich darf das erst abschließen.
Nur eines weise ich zurück, Herr Kollege Jung, und ich glaube, ich habe dafür auch die Zustimmung der CDU/CSU. Ich weise das auch für die Sozialdemokraten zurück. Ich möchte nämlich nicht, daß die Stimmung der Jahre 1957 und 1958, unter denen wir alle gelitten haben, diejenigen, die damals in der Regierung saßen, und diejenigen, die in der Opposition saßen, in diesem Hause wieder aufkommt. Hier in der Bundesrepublik Deutschland mag nach Ihrer Überzeugung manche Entscheidung falsch laufen. Aber hier betreibt kein verantwortlicher Mensch in diesem Hause Politik mit der Angst.
({4})
Das kann man auch nicht so verpacken, Herr Jung, daß man sagt: Wir machen diese Sache nicht mit. Herr Jung, ich hoffe, Sie überlegen sich das noch einmal. Es gibt doch so viele sachliche Anhaltspunkte, um Ihre vernünftige Opposition hier zu betreiben und Ihre Ansichten vorzutragen.
Und nun, Herr Kollege Damm, entschuldigen Sie, daß ich Sie so lange habe warten lassen.
Herr Damm zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Berkhan, wenn ich mich einmal für einen Augenblick auf Ihren Standpunkt stelle, daß es für die CDU/CSU ganz gut wäre, auf der Oppositionsbank zu sitzen,
({0})
glauben Sie - jetzt kommt meine Frage -, daß wir hier in der Opposition etwas mehr lernen könnten, als ein Mitglied der Hamburger Bürgerschaft in der Opposition gegenüber dem sozialdemokratischen Senat schon hat lernen können?
({1})
Herr Kollege Damm, ich stimme Ihnen bei, daß Sie eine gewisse lokale oder regionale Erfahrung haben. Aber ich habe auch schon zu meinen Freunden in Hamburg gesagt: Zu gut gewonnene Wahlen können die besten Parteien verderben;
({0})
und Sie wissen ja, wer die Wahlen in Hamburg gewonnen hat.
({1})
Und nun, Herr Schultz, darf ich midi etwas mit der Frage auseinandersetzen, die Sie hier ins Spiel gebracht haben, ob das alles so gelaufen ist, wie Sie sich das wünschen, oder nicht. Es gab erst eine Geschäftsordnungsdebatte darüber. Ich rede
von dem Organisationsgesetz. Da haben Sie so zu mir hingeguckt und mich auch direkt angesprochen. Sie ließen keine Fragen zu; daher muß ich jetzt, erst sehr lange danach, darauf zurückkommen. Sie nehmen mir das sicher nicht übel.
Die Sozialdemokraten bleiben bei dem, was sie 1964 in Karlsruhe als ihren Beitrag zur Diskussion geliefert haben. Das ist kein Glaubenssatz, der unabdingbar von allen Leuten übernommen werden muß, aber das ist unser Beitrag zu dieser Debatte. Wir glauben wirklich, daß das Verteidigungsministerium besser organisiert wäre, wenn wir einen Bundeswehr-Führungsstab mit dem Generalinspekteur an der Spitze hätten. Da fangen Sie nun schon an, darüber zu reden, ob der nach B 11 oder B 11 plus Zulage muß und ob er gleichgestellt werden muß. Das ist eine Frage, die wir in sehr ruhiger Abwägung und sehr nüchtern prüfen müssen. Ich habe nichts gegen den amtierenden Generalinspekteur, ich habe auch nichts gegen seine Vorgänger. Aber ich meine, wir sollten es uns nicht so einfach machen, daß man hier im Plenum einen Vorschlag macht und sagt: Da muß eine Gleichstellung erfolgen.
({2})
- 1964! ({3})
- Sie reden von mir. Ich habe natürlich meine Meinung. Es ist ja auch mein gutes Recht, meine Meinung zu haben. Aber das muß doch nicht die Meinung der Sozialdemokratischen Partei sein. Man muß dann nämlich auch darüber reden, welche Stellung dieser Herr haben soll, ob er wirklich über allen Soldaten stehen soll oder ob er eine Art Joint Chief of Staff sein soll, ob seine drei Inspekteure und er zusammen ein Teekränzchen bilden, das sich einig werden muß, bevor sie zu ihrem Minister gehen und sagen, was sie wollen. Ich meine, es kommt hier im wesentlichen darauf an, daß wir erst einmal ein paar Richtpunkte setzen.
Sie wünschen, daß wir über das Organisationsgesetz reden. Dazu wird es Gelegenheit geben.
({4})
- Ja, gut.
Jetzt komme ich zu den Reservisten, die Sie so angepriesen haben. Herr Ollesch, dabei nehme ich gleich ein Argument von Ihnen auf. Sie haben vorgetragen, ich hätte - korrekterweise haben Sie erwähnt, daß das vor der Krise in der CSSR war - mich geäußert, daß eine zu starke Bundeswehr eine außenpolitische Belastung sein könne. Ich habe das nicht mit dem Pathos gesagt, wie Sie es hier gemacht haben.
({5})
- Natürlich, Sie sind ja Opposition und müssen auch reden.
Aber 'ich erinnere Sie daran, Herr Ollesch, was der Kollege Kopf hier in anderem Zusammenhang gesagt hat:
Wir sind zur Zeit in der Situation, daß wir hier
in Europa eine der härtesten Währungen haben.
Wir sind in der Situation, daß wir wirtschaftlich eine Macht darstellen, die Beachtung findet und die als eine starke Handelsnation dasteht. Wir müssen darauf achten, daß wir auch im Rahmen befreundeter Mächte nicht das Odium erhalten: Man muß nur einen Krieg verbrecherisch vom Zaun brechen, und man muß dann nur noch den Krieg verlieren, dann dauert es etwa 20 Jahre, dann steht man am besten in der Welt ida.
So einfach ist die Sache leider nicht, Herr Ollesch, daß die stärkste konventionelle Macht uns ohne weiteres auf die Butterbrotseite schlagen würde.
Das ist auch mein Bedenken bei den Reservisten. Ich höre bei Ihnen immer in den Untertönen: wir haben 1,2 oder 1,3 Millionen ausgebildet. Es gibt schon Leute - ich sage nicht: bei Ihnen, aber in den Zeitungen -, die ausrechnen, wann es zwei und wann es drei Millionen Reservisten sind! Da müssen doch einige Leute in der Welt vor uns Furcht bekommen. Die Geschichte hat nicht erst heute angefangen, sondern sie hat einen langen Verlauf, und in unserer Geschichte gibt es ein paar undeutliche, dunkle Punkte, die wir mit einer klugen und behutsamen Politik langsam in eine Position bringen müssen, daß die anderen in der Welt, mit denen zusammen wir Politik betreiben müssen und auf deren Zusicherungen und Einhaltung von Zusicherungen im Bündnis wir angewiesen sind, Vertrauen zu uns erhalten und ihre Zusicherungen gern erfüllen.
Hier ist sehr viel von der atomaren Komponente gesprochen worden. Dabei kommt mir immer in den Sinn, daß der unbeteiligte Zuhörer oder derjenige, der das Protokoll einmal nachliest - das tun ja sehr viele Leute -, den Eindruck gewinnen muß, daß die Bundeswehr zwei gleiche Teile hat; da ist der konventionelle Teil, und da ist die atomare Komponente. Sie, Herr Jung, und Sie, Herr Ollesch, und Sie, Herr Schultz, wissen ganz genau, wie stark z. B. beim Strike unser Anteil an der atomaren Komponente ist. Vielleicht hätte ich sagen müssen: wie schwach. Ich weiß nicht, ob ich den Prozentsatz hier nennen darf. Er liegt weit unter 10 %. Und wenn Sie 10 durch 2 teilen, dann haben Sie den Anteil immer noch nicht erreicht. Ich weiß aber nicht, ob das ein 'Staatsgeheimnis ist; in Deutschland ist ja so viel geheim. Wir sind 'also dabei.
Herr Jung, Sie sagen immer wieder, wir könnten das aufgeben. Wir können das nur dann aufgeben, wenn jemand anders im Bündnis bereit ist, diese uns zugeteilte Arbeit zu übernehmen. Und das möchte zur Zeit keiner. Es hat auch gar keinen Sinn, immer wieder so zu tun, als würden die Amerikaner oder als würden die Engländer oder als würde sonst jemand uns das abnehmen; die anderen haben nämlich auch ihre Argumente, die dafür sprechen, uns zu beteiligen. Herr Jung, mancher in Zivil, mancher in Uniform und mancher in der Politik hat erst durch die Beteiligung an dieser Komponente in dem schwachen Prozentsatz gelernt, was diese Waffen zu leisten vermögen und was sie nicht zu leisten vermögen. Und für manchen waren diese Lektionen nützlich, und manchen haben sie nachdenklich gemacht. Einer sitzt ja hier.
Sie haben das also irgendwann einmal gelernt, als eine Übung stattfand, von der Sie nun behaupten werden, wer den zweiten Teil dort nicht mitgemacht habe, der dürfte in diesem Hause eigentlich gar nicht reden.
({6})
- Jetzt rede ich genauso polemisch wie Sie, das weiß ich. - Sie haben so getan, als ob der richtige Blick eigentlich nur dem eröffnet wird, der den zweiten Teil mitgemacht hat. Ich habe den zweiten Teil auch nicht mitgemacht; aber wir haben uns an anderen Plätzen informiert und haben auch unsere Meinung dazu. Ich glaube also, daß man es zur Zeit aus Gründen des ausgeglichenen Gewichts im Bündnis keinem militärischen Führer in Mitteleuropa zumuten kann, daß er Divisionen führen muß, die ungleich bewaffnet sind.
({7})
Und zur Zeit wollen eben unsere Verbündeten nicht ein Sonderkommando. - Sie haben sich ja auf meinen Kollegen Wienand nicht hier bezogen, sondern in einem Zeitungsartikel habe ich das irgendwo gelesen; nein, ich glaube, Herr Schultz war es; entschuldigen Sie bitte. - Zur Zeit will eben kein Mensch im Bündnis - außer Karl Wienand also - so eine Sondergruppe schaffen. Und damit werden wir uns nicht so einfach durchsetzen. Zur Zeit muß es beim Heer schon so sein, wie es ist, und über die Luftwaffe habe ich eben im Zusammenhang des Strike gesprochen.
Herr Kollege Ollesch, das Schwierige ist ja immer, sich mit einer Opposition auseinanderzusetzen, die beim Richtigen ansetzt und dann in einem eleganten Sprung so tut, als hätte sie allein die Patentlösung, um nun auf die Ziele zuzukommen. Sehen Sie, diese kleine Kommission hatte nämlich nicht den Auftrag, das Parlament in Form zu bringen, sondern sie hatte den Auftrag, für das Parlament und für die Regierung Vorschläge auszuarbeiten, Vorschläge, sonst nichts. Und diese Vorschläge werden beraten. Nun kommen Sie und sagen, wie schön und wie richtig das alles ist, und dann kommen Sie noch mit ihrem wehrpolitischen Kongreß, der sehr nützlich und sehr vernünftig ist; und hoffentlich schicken Sie mir bald mal das gedruckte Protokoll, damit man sich mit den Einzelheiten auseinandersetzen kann und damit man genau weiß, was Sie denn da eigentlich alles gemacht haben. Sie picken sich nämlich nur die Rosinen heraus; da gibt es ja auch noch ein paar Sachen, über die man kritisch reden kann.
Ich bin nur im Gegensatz zu Ihnen - und da binde ich auch nicht die SPD - der Auffassung: Es tut dem Ansehen der Bundeswehr nicht gut, wenn wir einen Teil der jungen Männer, die beispielsweise bereit sind, ihrer Wehrpflicht nachzukommen, die wir aber nicht einberufen, auf zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre mit einer Abgabe belasten. Ich glaube nämlich im Gegenteil, daß die Stimmung zwischen den Betroffenen und der Bundeswehr schlechter würde. Und was wollen wir eigentlich einem jungen Inspektor sagen, der seine Dienstpflicht nicht ableistet, weil er nicht einberufen wird,
und der - nach Ihrer Auffassung - eine Wehrpflichtersatzabgab
e leisten muß? Und den vergleichen wir einmal mit dem jungen Leutnant, der Berufssoldat ist! Der leistet ja auch keinen Grundwehrdienst, sondern der wird vom ersten Tage an wie dieser Inspektor bezahlt. Wollen Sie den eigentlich hinterher noch zur Kasse bitten? - Da kommen ein paar Ungereimtheiten auf den Tisch, die ich erst geklärt haben möchte, bevor ich über so etwas hier im Parlament so deutlich und so absolut rede wie Sie.
Ich glaube, daß Sie recht haben, daß wir uns mit der schwierigen Wohnungssituation auseinandersetzen und beschäftigen müssen; aber die ist ja nicht neu. Es ist verdienstvoll vom Bundeswehrverband, wenn er eine solche Dokumentation gemacht hat; ich habe sie noch nicht lesen können. Nur: eine Patentlösung gibt es nicht. Meine Meinung kennen Sie seit langem. Ich glaube, daß man, auf die Dauer gesehen, für die unteren Dienstgrade nicht ohne Wohnungen auskommt, die im Bundesbesitz sind und die demnach auch durch die Bundeswehrverwaltung verwaltet werden. Aber da gibt es Auffassungsunterschiede. Da gibt es andere Leute, die sagen: das kann keineswegs Aufgabe des Bundes sein. Damit muß man sich einmal auseinandersetzen, was vernünftig und was zu machen ist.
Ich gehe nicht auf die Frage der Kriegsdienstverweigerer ein. Ich tue es darum nicht, Herr Kollege Ollesch, weil ich wirklich meine, daß wir das besser bei dem Bericht des Wehrbeauftragten beraten werden, der wahrscheinlich in der nächsten Woche zur Beratung steht. Da gehört es hin.
Sie haben sich hier so gewaltig für die Planung eingesetzt. Darf ich hier auch einmal ein bißchen Propaganda für meine Partei machen. Wem verdanken Sie es denn eigentlich, daß wir einen Rüstungsplan haben? Das verdanken Sie ausschließlich der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Wir haben die Vorlage des Rüstungsplanes immer wieder gefordert und haben schließlich und endlich auch diesen Minister soweit gebracht, daß er ihn auf den Tisch legte. Da war er aber schon soweit überholt, daß dieses Ministerium wenige Wochen später die erste Arbeit lieferte, die darüber hinausging. Es wurde dann ein überarbeiteter Bericht vorgelegt.
Wenn dann noch der Entwicklungsplan dazukommt und wenn eines Tages auch die Streitkräfteplanung und eine Personalplanung, die auf die anderen Dinge abgeglichen ist, vor uns liegen, dann werden wir wahrscheinlich hier sachlicher und vernünftiger miteinander diskutieren können.
Den Freien Demokraten würde ich empfehlen, in einer freien Minute einmal frei darüber nachzudenken,
({8})
ob es der Bundeswehr und unserem gemeinsamen Anliegen nützt, wenn man hier ununterbrochen so tut, als hätte man die Patentlösung in der Tasche.
(Beifall bei den Regierungsparteien. - Abg.
Ollesch: Sie haben von Herrn Schiller gelernt, das Zensieren!
Das Wort hat der Abgeordnete Schultz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verstehe eigentlich gar nicht, lieber Kollege Berkhan, wieso Sie uns das Recht absprechen wollen, hier unsere Vorstellungen zu entwickeln.
({0})
- Selbstverständlich haben Sie das getan. Sie haben sich zumindest in einer Form mit den Vorstellungen, die wir hier vorbringen, auseinandergesetzt, die, wie ich meine, etwas abwertend geklungen hat. Das haben Sie eigentlich gar nicht nötig; denn ich meine, Sie kennen uns, und wir kennen Sie, und wir wissen beide, was wir voneinander zu halten haben.
({1})
Nun darf ich gleich zu den einzelnen Punkten kommen, die Sie hier angesprochen haben. Herr Kollege Berkhan, es macht natürlich schon etwas aus, ob die Stelle des Generalinspekteurs mit B 11 - ich weiß nicht, ob das die richtige Zahl ist - oder mit B 11 plus Zulage bewertet wird, das heißt also ob praktisch gleichgestellt wird oder nicht. Sie wissen, daß das Problem, das damit letzten Endes verbunden ist, ein protokollarisches und - wie ich zugebe - ein Geltungsproblem ist. Aber es ist ein Problem, das nicht nur diese beiden Menschen betrifft, sondern das weit in die Bundeswehr hinein wirkt. Deswegen ist es nützlich, sich darüber zu unterhalten. Es ist ein sehr entscheidendes Problem, kein zweitrangiges Problem.
Aber nicht das hat uns dazu geführt, in unserem Entwurf eines Organisationsgesetzes zur Landesverteidigung diesen Vorschlag zu machen. Wir sind vielmehr der Meinung, daß es in der Bundeswehr tatsächlich nottut, daß der oberste Soldat auch durchgängig befehlen und nicht nur Weisungen erteilen kann. Aber wir können uns selbstverständlich über diese Frage noch weiter unterhalten.
Herr Kollege Berkhan, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie das zitiert haben, was Sie seinerzeit in Karlsruhe beschlossen haben. Nur bitte ich Sie, beim Durchlesen unseres Entwurfs zu berücksichtigen, daß wir inzwischen ein Stückchen weitergegangen sind, als Sie in Karlsruhe und als wir damals waren. Wir wollen die Landesverteidigung insgesamt in den Griff bekommen. Das ist das Moment, was ich versucht habe, heute nachmittag darzulegen. Das ist notwendig, wenn wir an den Willen der Bevölkerung zur Selbstbehauptung appellieren. Ich bin eigentlich ein bißchen traurig, daß von den Regierungsfraktionen auf dieses Problem, das nicht von mir in den Raum gestellt worden, sondern das in der Rede des Herrn Bundesverteidigungsministers enthalten ist, gar nicht eingegangen wurde. Ich finde, daß das eigentlich etwas schade ist.
Nun zu Herrn Kollegen Rommerskirchen. Die Frage der Organisation der Landesverteidigung -wollen wir es jetzt einmal so nennen - können Sie natürlich nicht mit der Formel bewältigen: Das muß
alles so wachsen, und je nach den Gegebenheiten werden wir das regeln. Da haben wir eben gesehen, daß die Dinge schlecht geregelt werden; denn sonst würden wir uns ja hier nicht heute noch über Mängel innerhalb der Bundeswehr und unserer Verteidigung unterhalten. Wir haben diese Mängel mindestens schon vor fünf, sechs Jahren gekannt.
({2})
- Ich kann das jetzt nicht mehr im einzelnen ausführen. Das würde dann wieder meine 15 Minuten überschreiten; und Sie hätten auch keine Freude daran.
Lassen Sie mich gleich noch zu einem anderen Punkt kommen, zu dem berühmten Punkt der Angstverbreitung. Auch wir lesen halt Zeitungen. Das geht jetzt sowohl an Herrn Berkhan als auch an Herrn Rommerskirchen. Auch wir haben natürlich gelesen, daß der Russeneinfall in die Tschechoslowakei ein völliges Debakel der Friedenspolitik der Bundesregierung darstellen würde. Diese Töne nehmen doch auch wir zur Kenntnis, und Sie können es uns nicht übelnehmen, wenn wir uns dann in der Tat an die Plakate „Denkt an Ungarn" erinnern, weil wir feststellen müssen, daß diese Töne immer aus ganz bestimmten Ecken kommen, Ecken, die bekannt sind und die ich hier nicht näher zu nennen brauche.
({3})
- Die vagen Andeutungen! Ich habe oben einen vorzüglichen Artikel über eine Rede, die der Herr Bundestagsvizepräsident Dr. Richard Jaeger gehalten hat.
({4})
Ich habe den Artikel leider jetzt nicht da, sonst würde ich Ihnen daraus zitieren.
({5})
Es ist natürlich so, daß Außenpolitik immer mit dem Blick auf die Innenpolitik betrieben wird.
({6})
- Leider. Es läßt sich wahrscheinlich gar nicht ausschließen. Das, was wir dazu nur tun können, Herr Kollege von Wrangel, ist, daß wir versuchen, von hier aus gesehen diese Politik nicht im Blick auf die Innenpolitik zu machen, und deswegen haben wir uns erlaubt, darauf hinzuweisen, daß man die Lage nüchtern beurteilen und daß man differenzieren muß, und deswegen habe ich mir erlaubt, einige Bemerkungen zu dem zu machen, was der Herr Bundesverteidigungsminister hier vorgetragen hat.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rommerskirchen?
Bitte schön!
Herr Kollege Schultz, wollen Sie mit dem soeben Gesagten die Auffassung bekunden, daß wir Ungarn und die Tschechoslowakei als ungeschehen betrachten sollen?
Nein, nein; das habe ich in keiner Weise damit aussprechen wollen. Ich habe nur schlicht darauf hinweisen wollen, daß wir uns damals - zumindest wir als Freie Demokraten, vielleicht auch die Sozialdemokraten - über die Plakataktion, die Sie nach dem Ungarn-Debakel gestartet haben, geärgert haben und daß wir so etwas nicht vergessen. Das sitzt sehr tief - genauso tief wie das Wort von Adenauer seinerzeit: „Wer Sozialdemokratie wählt, wählt den Kommunismus". Das sind so Schlagworte. Unser verstorbener Freund Dehler hat auch oft Schlagworte geprägt, nicht solche, aber andere, und die saßen auch immer tief. Das muß man dabei berechnen.
Hier ist lang und breit auch über die atomare Frage gesprochen worden. Herr Kollege Berkhan, Sie haben dazu gesagt - als Sie unsere Idee der Arbeitsteilung, ich möchte sagen, madig machen wollten -: Das würde uns keiner in der NATO geben. Also so ist es ja nun auch nicht. Darüber wird ja von der Bundesregierung überhaupt nicht verhandelt. Eine solche Idee ist eben nicht Gedankengut der Bundesregierung, weder der jetzigen noch der vorigen. Folglich wird darüber in der NATO gar nicht diskutiert. Also so kann man es nicht sagen.
Aber ich möchte Sie in dieser Frage nicht länger aufhalten, sondern ich werde mir erlauben, nun auch einen Artikel zu schreiben. Vielleicht finde ich ebenfalls eine Zeitung. Sonst ist es halt unsere Freie Demokratische Korrespondenz. Da möchte ich einmal das Für und Wider darlegen; denn so dumm ist das gar nicht, was wir sagen. Das habe ich zumindest schon auf dem genannten Wehrpolitischen Kongreß der FDP in Koblenz gemerkt. Das war nämlich ein offener Kongreß. Ich gebe freimütig zu, wir können gar keine 250 Verteidigungsexperten aufbringen. Das können Sie, das kann selbstverständlich die CDU.
({0})
Aber wir sind auf die freie Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen, und das haben wir mit diesem Kongreß versucht. Die Mehrzahl derer, die dort waren, waren nicht Freie Demokraten. Wir haben dort unsere Vorstellungen genauso vorgetragen, wie ich sie auch hier vortrage, und wir sind nicht in Grund und Boden verdonnert worden. Das gibt mir doch gewisse Hoffnungen.
({1})
- Danke vielmals für den Zuruf! Herr Miksche war in dem zweiten Teil seiner Rede - das hat aber leider der „Rheinische Merkur" in der Stellungnahme, die Sie vielleicht gelesen haben, nicht gebracht - mit den verteidigungspolitischen Vorstellungen der FDP völlig einverstanden. Er hat nur vorher eine andere
Lagebeurteilung gemacht, eine Lagebeurteilung, die die Dinge sehr viel schärfer sah als wir. Trotzdem aber war er hinterher mit unseren verteidigungspolitischen Vorstellungen einverstanden. Es genügt also nicht, nur den „Rheinischen Merkur" zu lesen, sondern man muß da auch andere Leute hören.
In der atomaren Frage erlaube ich mir nur die Feststellung - darauf hat ja Herr Berkhan selbst schon hingewiesen -, daß in der Tat hier auch unter Freunden verschiedene Auffassungen bestehen. Denn ich beziehe mich natürlich, wenn ich über diese Frage spreche, viel lieber auf den Kollegen Wienand als auf Sie.
({2})
- Danke, so ähnlich!
Nun darf ich vielleicht noch eine Bemerkung, auch von dem Kollegen Rommerskirchen, bezüglich der Eskalation aufgreifen. Sie meinten, daß unsere Reserveideen, unsere Mobilisierungsideen zumindest dort ihre Begrenzung und ihre Schwierigkeiten fänden, wo es gelte, in einer Spannungszeit solche Aktivitäten auszulösen - wenn ich Sie recht verstanden habe. Dieses Problem tritt natürlich nicht auf, wenn ein solcher Mobilisierungsgedanke in der Struktur der Streitkräfte selbst begründet ist und in die Wehrkonzeption hineingehört, weil Sie dann im Frieden diese übungshalber in den Dienst rufen und wieder nach Hause schicken, sie ja immer trainieren, so daß von dorther gesehen die befürchtete Eskalation nicht eintreten würde. Das, meine ich, müßte man in einer ruhigen Minute doch auch einmal überdenkeh.
Ich wage, zum Schluß die Frage zu stellen, was, wenn man die Verteidigungsbemühungen der Bundesrepublik hinsichtlich ihrer Wirkung nach außen überblickt, unserer Politik nützlicher ist: eine konventionell bewaffnete Streitkraft mit Arbeitsteilung im Bündnis in dem atomaren Gebiet, aber natürlich mit starken Möglichkeiten der Bildung von Reserveverbänden; oder aber eine Streitkraft mit atomaren Trägerwaffen. Ich bitte, doch einmal zu überlegen, was uns außenpolitisch, ja, was uns auch innenpolitisch nützlicher sein kann. Denn, wiederum auf die Emotionen der Bevölkerung, auch auf die Emotionen von jungen Leuten eingehend, möchte ich sagen, die jungen Leute betrachten ohne Zweifel atomare Waffen, ob zu Recht oder Unrecht, eben als Angriffswaffen. Ich bin der Meinung, daß eine klar ausgerichtete konventionelle Armee in der Bundesrepublik das Problem der Wehrdienstverweigerung weniger entstehen ließe, als das heute der Fall ist.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich auf die Uhr sehe, stelle ich fest, daß wir mehr als sechs Stunden debattiert haben, und wenn ich zu Ende gesprochen habe, werden sechseinhalb Stunden voll sein. Wir sind aber jetzt schon bei sechseinBundesminister Dr. Schröder
viertel Stunden. Ich werde also nur ziemlich kurz sprechen und bitte um Nachsicht deswegen. Ich begrüße es aber sehr, daß so viele Mitglieder des Hohen Hauses haben sprechen können, wenn dadurch auch eine Fülle von Gesichtspunkten aufgebracht worden ist, die sich vielleicht jetzt nicht alle beantworten lassen. Unsere Freunde von der freien demokratischen Fraktion haben einen, wie ich glaube, sehr praktischen Weg gefunden, selbst bei relativ kurzer Redezeit ihre Gedanken darzulegen, nämlich durch eine Mehrfachmeldung. Ich möchte das ebenso mit Dank vermerken wie das, was alle anderen Sprecher gesagt haben. Sie können sicher sein, daß die Anregungen, die hier gegeben worden sind, alle sorgfältig geprüft und diskutiert werden, zum Teil sicherlich im Verteidigungsausschuß.
Sie werden mir erlauben, daß ich mich zunächst dem Kollegen Schultz zuwende. Er hat unterstrichen - ich habe nicht feststellen können, wie das Zitat in meiner Rede heißt -, daß der Verteidigungswille lebendig sein müsse. Das ist etwas, was Sie in Ihrer ersten Intervention gesagt haben, und das halte ich für absolut richtig und zutreffend.
Er hat von dem Gefühl der Bevölkerung gesprochen, und ich glaube, er meinte das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. In der Tat ist das das Entscheidende. Aber ich glaube - und wir haben ja gerade zusammen eine große Krise erlebt -, daß das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung sehr tief im Bündnis verankert ist, und daran werden wir festhalten, wie das hier eigentlich von allen Seiten gesagt worden ist. Ich bin aufrichtig dankbar dafür, daß der Verteidigungswille von allen Seiten des Hauses und von allen Sprechern so stark unterstrichen worden ist.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt ein paar Fragen beantworten, die konkret an mich gestellt sind. Ich habe hier eine rote Mappe mitgebracht. Hoffentlich hat niemand besondere Sorge wegen ihrer roten Farbe. Herr Kollege Berkhan, ich denke natürlich an die Weimarer Zeit, und da waren die roten Mappen für das Parlament ja ein bißchen peinlich. Es handelt sich also nicht um eine solche Mappe; ich nehme an, sie wird aus Leder gewesen sein, diese hier ist aus Pappe. Es steht darauf: „Vorgesehene Maßnahmen zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, Datenübersicht, Stand: 3. 12. 1968". Sie werden nicht erwarten, daß ich das Ganze hier vorlese; denn das wird erst im Verteidigungsrat besprochen werden, es wird im Kabinett besprochen werden und wird dann erst im Verteidigungsausschuß vorgetragen werden können. Ich möchte Ihnen aber versichern, daß die 2 bis 2,5 Milliarden DM, die ich in meiner Rede genannt habe, hier aufgebrochen sind nach Jahren und Titeln. Dazu gehört übrigens nicht das Entlassungsgeld für Wehrpflichtige - für den Fall, daß es erhöht werden sollte. Ich möchte Ihnen aber wenigstens die Hauptüberschriften mitgeteilt haben. Hier gibt es sieben Übersichten: eine Gesamtübersicht „finanzieller Mehrbedarf", dann solche über Personalumfang, Verbesserung der Situation der Längerdienenden, Materialbeschaffung und -unterhaltung, Verbesserung der Munitionsbevorratungslage, Verbesserung der Führungsmittel und schließlich über Infrastrukturvorhaben. Sie werden mir die Zahlen nachsehen, da diese zuerst an anderer Stelle vorgetragen werden müssen.
Ich bedanke mich bei dem Sprecher, der die Rede, die ich gehalten habe, als sehr maßvoll angesehen hat. Sie werden davon ausgehen dürfen, daß das, was - ({0})
- Ja, maßvoll kann gut sein, Herr Kollege van Delden, trotzdem oder gerade deshalb. Sie sind es gewesen, Herr Kollege Damm, also vielen Dank!
Die Zahlen, die ich vorgelegt habe oder vorlegen werde, sind, wie ich glaube, durchaus realistisch, und ich bin überzeugt, wir werden hier miteinander einen Deckungsvorschlag finden. Das wird nicht nur in erster Linie Sache des Finanzministers sein, sondern ich sage: „wir werden miteinander einen richtigen Vorschlag finden und einen richtigen Vorschlag machen."
Es ist dann wieder das Weißbuch zur Sprache gekommen. Ich habe gesagt: „Das Weißbuch wird im Januar vorgelegt werden." Dieses Versprechen werden wir halten. Im Januar werden wir in das Weißbuch, wie ich hoffe - das sage ich schon etwas zögernder -, ziemlich genau die Zahlen hineinschreiben können, die uns jetzt vorschweben. Wir haben uns - das ist, glaube ich, kein allzu großes Geheimnis - im Verteidigungsrat verpflichtet, bis zum 31. Januar des kommenden Jahres das, was ich gerade in sieben Titel aufgegliedert habe, darzulegen. Dann werden wir über Einzelheiten Beschluß fassen. Im Weißbuch werden wir diese jedoch, so scheint es mir heute, wahrscheinlich nur ein bißchen globaler ausdrücken können, sofern diese Beschlüsse nicht schon früher gefaßt sein sollten.
Hier ist das NKF-Vorhaben angesprochen worden, und ich möchte dazu folgendes sagen: Ich glaube, der Kollege Zimmermann ist derjenige gewesen, der zuerst davon gesprochen hat. Dieses Vorhaben ist für uns außerordentlich wichtig, und ich weiß, daß es für die Mitglieder des Verteidigungsausschusses ebenso wichtig ist. Die Zusammenarbeit, wie sie uns vorschwebt, wird gut sein für die Zusammenarbeit in Europa und für die europäische Entwicklung. Sie wird nicht nur dafür gut sein, sondern sie wird es auch für die Entwicklung innerhalb der NATO sein; wobei ich davon ausgehe, daß das, was für Europa gut ist, auch für die NATO gut ist oder gut sein sollte. Wir werden das dann im einzelnen aufzeigen und miteinander besprechen können.
Ich glaube, wir begrüßen es alle, daß sowohl die Leistungen als auch der Leistungswille der deutschen Industrie sehr beträchtlich sind. Es muß dafür gesorgt werden - ich hoffe, daran nimmt niemand Anstoß -, daß dieser Leistungswille nicht über das hinausgeht, was man realistischerweise tun und erreichen kann. Deswegen - wenn auch nicht nur, sondern auch deswegen - habe ich von der europäischen Zusammenarbeit gesprochen.
Herr Kollege van Delden hat dankenswerterweise die Probleme dargelegt, die sich auf die Fregatten beziehen. Meine Damen und Herren, jeder hat seine eigenen Weihnachtswünsche;
({1})
ich will sie hier nicht aus dem Hohen Hause extrahieren. Aber mir schwebt vor - und ich hoffe, ich werde darin nicht enttäuscht -, daß es möglich sein wird, bis Weihnachten - wobei ich Weihnachten dieses Jahres meine - alle Beschaffungsvorhaben, die wir noch laufen haben, unter Dach und Fach zu bringen, d. h. daß auch die vier Fregatten noch den Haushaltsausschuß passieren. Dann werden wir deutschen Werften - Sie wissen, daß alle vier Fregatten in Deutschland gebaut werden sollen - möglichst rasch Aufträge geben können, auf die sie warten. Das wird, glaube ich, dann Weihnachtsfreude bei allen Beteiligten auslösen, wobei die Zahl der Beteiligten weit über dieses Hohe Haus hinausreicht.
({2})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein paar Worte zu dem Programm für Forschung und Entwicklung sagen. Über diese Frage haben der Kollege Herold und zuletzt der Kollege Richter gesprochen. Das Ministerium wird der Entschließung des Verteidigungsausschusses, die Zusammenhänge zwischen Forschung und Entwicklung einerseits und Rüstungsplan andererseits darzulegen, dadurch entsprechen, daß wir im Januar, wie bereits gesagt worden ist, einen Plan für Forschung und Entwicklung - bezogen auf die nächsten fünf Jahre und mit einer Perspektive auf weitere fünf Jahre - vorlegen werden.
Im übrigen, meine Damen und Herren, ist dieser Zusammenhang auch in oder Vergangenheit stets in den Sitzungen des Verteidigungsausschusses vorgetragen worden, und zwar auf der Grundlage der zum Haushalt jeweils aufzustellenden Programmübersichten. Diese Unterlagen enthalten schon seit dem Jahre 1960 eine Zusammenordnung von Einzel-und Teilentwicklungen zu Systemen. Sie weisen die Beteiligung des In- und Auslands an den einzelnen Projekten aus. Sie enthalten Zeit- und Kostenschätzungen.
Der Kollege Richter hat sich, wenn ich ihn recht verstanden habe, darüber beklagt, daß die Forschungs- und Entwicklungsmittel noch nicht ausreichten. Ich möchte dem Hohen Hause aber doch einmal folgende Zahlen in Erinnerung rufen, die nicht uninteressant sind. Für 1968 sind diese Mittel mit 980 Millionen DM veranschlagt worden, für 1969 mit 1045 Millionen DM, für 1970 mit etwa 1100 Millionen DM, 'für 1971 mit etwa 1180 Millionen DM. Nun muß man das vergleichen. Der Haushaltsansatz 1966 betrug etwa 500 Millionen DM und die IstAusgabe 1967 betrug 850 Millionen DM. Ich glaube, das sind doch sehr bedeutende Ziffern, die man bei einer Betrachtung dieses Problems, odas mir so wichtig ist wie denen, die darüber gesprochen haben, nicht außer acht lassen sollte.
Einer der Sprecher - es sind Herr Kollege Schultz oder Herr Kollege Ollesch gewesen - hat das Problem der Fusion von Territorialverteidigung und Heer angesprochen. Ich möchte an die Adresse der beiden Kollegen sagen, daß diese Fusion organisch vor sich geht und daß alle notwendigen Weisungen gegeben worden sind, um eine organische Fusion zu erreichen.
Über das Thema der Wehrgerechtigkeit will ich jetzt nicht lange sprechen, obwohl ich weiß, wie sehr es allen hier an der Debatte Beteiligten am Herzen liegt. Der Kommissionsbericht ist genannt worden. Ich kann nur sagen, der Ausschuß ist frei, darüber jeden Tag zu debattieren. Ich habe noch eine andere schöne Mappe hier. Diese Mappe ist nicht rot, sondern grau.
({3})
Ich weiß nicht, ob das wirklich besser paßt. Wenn Sie wollen, kann ich auch dafür eine rote Mappe verwenden. Es gibt jetzt inzwischen - das ist ein bißchen langwieriger, als manche vielleichtg Lauben - eine Stellungnahme des Verteidigungsministeriums, d. h. aller Abteilungen, zu dieser Frage. Ich will diese Stellungnahme jetzt nicht vorwegnehmen. Wir werden sie im Ausschuß sehr bald vortragen können.
Sehr wichtig ist in meiner Vorstellung die Frage: Welche Vergünstigungen können wir für diejenigen erreichen, die ihrer Wehrpflicht genügen?
({4})
Dabei gibt es drei Kapitel. Das eine ist das große Kapitel der Berufsausbildung, z. B. die Frage des Zugangs zu den Hochschulen in den Fällen, wo der Zugang in mannigfaltiger Weise erschwert worden ist. Die Frage des Zugangs zum öffentlichen Dienst spielt in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Rolle. Es gibt schließlich die Frage der Verbesserung gewisser Leistungen, die ich jetzt einmal als fürsorgliche Leistungen bezeichnen will. Darauf muß unter allen Umständen der Schwerpunkt liegen. Im übrigen ist das Hohe Haus aber völlig frei, in dieser Sache das zu sagen, was es selbst meint.
Ich stehe auf dem Standpunkt - ich sage das hier zum wiederholten Male -, daß eine Abgabe für die Nichtdienenden ein durchaus fragwürdiges Instrument ist. Der Ausschuß hat in der Einleitung - der Kollege Adorno ist gerade aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt, er wird das bestätigen; nach meiner Erinnerung ist es jedenfalls so - unter anderem gesagt, .daß Bismarck versucht hat - hoffentlich bringen Sie das jetzt nicht in eine falsche Bezugnahme -, eine Vorlage über eine Wehrsteuer einzubringen und damit gescheitert ist. Das hat mich immer außerordentlich skeptisch gestimmt und in dieser Sache zur größten Vorsicht veranlaßt. Ich stütze mich bei dieser Vorsicht natürlich nicht nur auf die Geschichte, sondern auf meine aktuelle Einschätzung der Situation.
In diesem Zusammenhang - hoffentlich wird das jetzt nicht als unpassend empfunden; Herr Kollege Stahlberg; Sie sind, glaube ich, draußen gewesen, als das gesagt wurde - ist ein Wort zu dieser Broschüre zur Lage der Wohnungsfürsorge in der Bundeswehr gesagt worden. Diese Broschüre - das sage ich hier ganz offen - hat nicht nur reine Freude
ausgelöst, obwohl auf Seite 2 die entgangene Lebensfreude behandelt wird. Ich will Ihnen zwei Stellen daraus vorlesen, zu denen, glaube ich, doch ein Kommentar erforderlich ist. Auf Seite 8 unten heißt es dort: „Dienstwohnungen, die bekanntlich unter dem allgemeinen Mietzinsniveau liegen, gibt es z. B." - nun kommen die Beispiele - „für Bahn"
- das mag angehen - „Post, Polizei" - und nun kommt eine Kategorie zusammen - „Minister und Zoll".
({5})
Meine Damen und Herren, mich hat das natürlich ein bißchen an das Neue Testament erinnert. Daß aber hier die Minister so dicht mit dem Zoll zusammengetan werden, überrascht mich doch.
({6})
- Das mag sein. Aber bitte, ich ermuntere Sie nur, diese Schrift nachzulesen; Sie haben sie ja alle bekommen.
({7})
- Aber, Herr Kollege Berkhan, das auszuführen, wollte ich Ihnen überlassen. Ich sehe mehr das Außergewöhnliche an dieser Formulierung.
Aber auf Seite 16 unten steht - ich bitte noch einmal den Kollegen Stahlberg um Verzeihung, wenn ich das zitiere; das ist nun ein bißchen schwierig, Herr Kollege Schiller ist nicht da -: „Eine gezielte Kohlepolitik scheint sich in der Beibehaltung veralteter Hochdruckkesselanlagen bei bundeseigenen Wohnungen mit Heizkosten von über DM 1200 pro Jahr niederzuschlagen."
({8})
Ich verzichte auf den weiteren Vortrag dieser Sache. Ich glaube, ich habe für die Broschüre auf diese Weise genug Reklame gemacht.
({9})
Aber, Herr Kollege Stahlberg, ich möchte doch noch folgendes sagen. Mir wäre es sympathischer gewesen, wenn sie mir ein bißchen weniger öffentlich überreicht worden wäre, als es geschehen ist. Nur weil sie öffentlich überreicht worden ist, mußte ich doch eine gewisse öffentliche Antwort darauf geben.
Ich komme zur Frage der Kriegsdienstverweigerung, die, glaube ich, hier im Hause übereinstimmend beurteilt worden ist und auch heute in der Debatte so beurteilt wurde. Ich habe am vergangenen Freitag darauf hingewiesen, daß uns die Antragstellung nach der Einberufung gewisse Probleme und Schwierigkeiten bereitet. Einer der Sprecher - ich weiß nicht, ob es Herr Kollege Rommerskirchen war, Herr Kollege Ollesch hat auch über diese Sache gesprochen - hat dargelegt, daß es in keinem Land eine so extreme Regelung wie bei uns gebe. Es sind unter anderem die Zahlen von Frankreich genannt worden. Ich bin der Überzeugung, daß dieses Problem gemeinsam lösbar ist.
Ich möchte die Gelegenheit benutzen, dem Hohen Hause zwei Zahlen bekanntzugeben. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer, die zur Zeit Ersatzdienst leisten, beträgt 2200. Der Haushaltsausschuß hat für 1969 2500 - hier heißt es „Plätze" - gebilligt. Sie sehen, das sind relativ niedrige Zahlen. Trotzdem bleibt dies ein Problem, über das wir ausführlicher sprechen müssen, als ich es jetzt hier tun kann. Ich bin aber davon überzeugt, daß wir eine Lösung finden werden. Ich habe neulich auf den Beirat hingewiesen. Der Beirat wird binnen kurzem berufen. Alle Namen sind noch nicht zusammengetragen. Der eine oder andere wird deswegen noch angegangen werden müssen. Aber hierzu brauchen wir sowohl von dem „Beirat für Innere Führung" wie hier aus dem Hause eine sehr detaillierte Meinungsbildung. Ich glaube, wir werden das Problem lösen können.
Ich habe am vergangenen Freitag dargelegt, daß eines der entscheidensten Probleme der Bundeswehr die Frage der Personalstruktur ist. Lassen Sie mich dazu noch ein paar Sätze mehr sagen.
Wir müssen uns, meine Damen und Herren, darüber klar sein, daß die Grundsätze für das Status-und Laufbahnrecht der Bundeswehr in der ersten Hälfte und in der Mitte des vergangenen Jahrzehnts entwickelt worden ist. Wir sind wahrscheinlich übereinstimmend der Meinung, daß diese Grundsätze nunmehr überprüft und reformiert werden müssen. Im Verteidigungsministerium ist seit Sommer dieses Jahres eine Kommission damit befaßt, Vorschläge für eine den Erfordernissen moderner Streitkräfte entsprechende und den Gegebenheiten unserer Industrie- und Leistungsgesellschaft gerecht werdende Personalstruktur auszuarbeiten. Ich denke, daß wir die Ergebnisse dieser Ausarbeitung binnen kurzem vorlegen können. Die Streitkräfte eines modernen und in unserem Fall hochindustrialisierten Staates müssen ein Spiegelbild der Industrie- und Leistungsgesellschaft sein. Wie für Industrie und Wirtschaft so sind auch für moderne Streitkräfte Vielfältigkeit und damit Spezialisierung sowie Rationalisierung und dabei Ausnutzung von Bildung und Vorbildung charakteristisch.
Ich bin der Meinung, .daß wir ,das Problem der Personalstruktur, das in der Tat so schwerwiegend ist, wie das hier von anderer Seite auch dargestellt wurde, werden lösen können. Wir werden es aber nur dann lösen können, wenn es wirklich zu einer gemeinsamen Arbeit nicht nur hier im Hohen Hause, sondern auch mit der Wirtschaft kommt. Ich habe in meinen Ausführungen neulich die Wirtschaft vielleicht ein bißchen zu kurz behandelt. Seien Sie sicher, daß ich die Wirtschaft nicht behandelt hätte, wenn ich nicht von der Überzeugung ausgehen könnte - Sie werden das vielleicht in wenigen Tage sehen -, daß wir hier eine Hilfe bekommen werden, die uns die Lösung dieses Problems erleichtern wird.
Das Ende meiner Redezeit, das ist eine etwas verfassungswidrige Geschichte, Herr Präsident.
Herr Minister, darf ich folgendes sagen. Sie hatten mir sagen las10902
Vizepräsident Dr. Mommer
sen, Sie würden 20 Minuten reden. Und jetzt haben wir hier eine neue Technik. Dann stellen wir auf 20 Minuten. Eine halbe Minute vorher kommt Gelb, und wenn die angekündigte Redezeit vorüber ist, kommt Rot. Sie haben recht: die Verfassung gibt Ihnen das Recht, zu reden, solange Sie es wollen.
Herr Präsident, es lag mir fern, Sie zu kritisieren. Ich bedauere nur, daß ich es nicht ganz zu der Vollkommenheit des Kollegen Ollesch gebracht habe, der zwei Sekunden unter der Zeit geblieben ist. Sie werden aber sehen, daß ich sehr schnell am Ende bin.
Ich möchte schließen mit einem Zitat, das ich entlehnen muß. Leider ist der Kollege nicht mehr da, dem ich dieses Zitat entlehnen wollte; es ist der Kollege Marx. Kollege Marx hat von folgendem gesprochen, und die Unterhaltungen hat er, glaube ich, bezogen auf irgendeinen wichtigen Mann, sagen wir mal, in dem osteuropäischen oder südosteuropäischen Bereich: daß man für beide Alternativen gerüstet sein müsse. Er hat ungefähr gesagt: Die eine Alternative ist .der Friede und von uns aus der ewige Friede, und die andere Alternative sei der Angriff, der mögliche Angriff von morgen.
Ich will nun nicht bei diesem Bild bleiben, weil das vielleicht manchem doch noch zu militant erscheinen könnte. Ich habe den Versuch gemacht, das Bild etwas ins Agrarische umzusetzen, weil ich glaube, daß wir in der Werbung um die Landwirtschaft uns nicht übertreffen lassen, d. h. alle Mitglieder des Hohen Hauses, wie ich annehmen möchte. Und ins Agrarische gewendet, heißt dies: Wir sind dann gut beraten und tun dann das Richtige, jedenfalls nach meiner Meinung das Richtige, wenn wir auf gutes Wetter hoffen; wir müssen aber auf schlechtes Wetter gefaßt sein. Ich glaube, das 'ist die Haltung, in der wir dieses Problem am besten lösen können.
({0})
Meine Damen und Herren, damit ist die Aussprache über die Regierungserklärung geschlossen.
Wir überweisen die Vorlagen unter den Punkten 5 b), c), d) der Tagesordnung an die Ausschüsse. Der Vorschlag des Ältestenrates liegt Ihnen vor: der Entwurf eines Gesetzes über die Spitzengliederung der Landesverteidigung soll an den Verteidigungsausschuß - federführend - und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und an den Innenausschuß überwiesen werden; der Antrag betreffend Ausbau und Erweiterung der EWG und der Antrag betreffend Stärkung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften sollen an den Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden. - Werden dazu Bemerkungen gemacht? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen.
Jetzt der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 545 *). Ich denke, daß wir darüber abstimmen können.
({0})
Es wird abgestimmt. Wer dem Entschließungsantrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe dann die Punkte 6 bis 9 und 11 bis 16 unserer Tagesordnung auf, unter Einschluß des heute zu Punkt 6 auf die Tagesordnung gesetzten Punktes 6 b) ; zunächst Punkt 6:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gasöl-Verwendungsgesetzes
- Landwirtschaft
- Drucksache V/3375 Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Finanzausschuß - federführend -, dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung sowie dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 6 b:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Stooß, Dr. Schmidt ({1}), Dr. Stecker, Struve, Bauknecht, Ehnes und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gasöl-Verwendungsgesetzes - Landwirtschaft ({2}).
Die Vorlage soll an die gleichen Ausschüsse wie der vorgenannte Gesetzentwurf überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 7:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Kühn ({3}), Dr. Jungmann, Frau Blohm, Dr. Schmidt ({4}), Reichmann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes
- Drucksache V/3419 -
Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Ausschuß für Gesundheitswesen - federführend - und zur Mitberatung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 8:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmid-Burgk, Dr. Müthling, Krammig, Dr. Stecker und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsteuergesetzes
- Drucksache V/3420 - *) Siehe Anlage 3
Vizepräsident Dr. Mommer
Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf an den Finanzausschuß überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 9:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll über die Gründung Europäischer Schulen
- Drucksache V/3516 Nach dem Beschluß des Ältestenrats soll der Gesetzentwurf an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 11:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Internationalen Getreide-Übereinkunft 1967
- Drucksache V/3533 Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 12:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. Oktober 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern über den planmäßigen gewerblichen Luftverkehr
- Drucksache V/3534 Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und zur Mitberatung an den Verkehrsausschuß überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 13:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem revidierten Abkommen vom 13. Februar 1961 über die Soziale Sicherheit der Rheinschiffer sowie zu der Verwaltungsvereinbarung zur Durchführung des am 13. Februar 1961 revidierten Abkommens vom 27. Juli 1950 über die Soziale Sicherheit der Rheinschiffer
- Drucksache V/3535 Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend - und an den Ausschuß für Arbeit zur Mitberatung überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 14:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ratsbeschluß der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({5}) vom 19. Juli 1966 über die Annahme von Strahlenschutznormen für Uhren mit radioaktiven Leuchtfarben
- Drucksache V/3539 Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Gesundheitswesen - federführend - und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 15:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. Juli 1967 über die Einführung von Sondervorschriften für Ölsaaten und Saatenöle, mit Ursprung in den assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar oder den überseeischen Ländern und Gebieten
- Drucksache V/3537 Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 16:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile, über die Besteuerung ihrer Erträge sowie zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften
- Drucksache V/3494 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend -, zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und den Finanzausschuß sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Dann rufe ich Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache V/3515 Das Wort hat der Bundesminister für Gesundheitswesen, Frau Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen zunächst dafür danken, daß Sie bereit sind, diesen Gesetzentwurf
heute noch zu überweisen, und uns Gelegenheit geben, kurz dazu zu sprechen. Im Grunde genommen finden Sie in der schriftlichen Begründung und in der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Beschlüssen des Bundesrates, die ja auch schriftlich vorliegt, alle Argumente dafür, warum die Bundesregierung diese Grundgesetzänderung im Bereich des Gesundheitswesens anstrebt. Ich brauche sie hier also nicht zu wiederholen, obwohl es natürlich für einen Gesetzentwurf, der Grundgesetzänderungen vorsieht und der bekannterweise auf Widerspruch gestoßen ist, notwendig wäre, ihn eingehend zu begründen.
Ich will mich auf einige grundsätzliche Bemerkungen beschränken. Einmal sollen diese Grundgesetzänderungen im verfassungsrechtlichen Bereich die tatsächliche Entwicklung nachholen. Ich verweise dabei darauf, daß die Vorsorge für die Gesundheit eine zunehmende Bedeutung hat, ich verweise darauf, daß die großen Krankheiten unserer Zeit eine zunehmende Bedeutung haben für unsere Bevölkerung, und ich verweise auf die Dringlichkeit der Abwehr der Umweltgefahren., Ich will es so pauschal sagen, da wir ja nicht viel Zeit haben.
Die Bundesregierung ist der Meinung, daß für die Vorsorgeuntersuchungen nicht allein die Sozialversicherung zuständig sein kann. Sie ist es auch heute nicht. Es gibt Beispiele dafür, daß wir in diesem Bereich bisher sowohl über die Sozialversicherung als auch über andere Leistungsgesetze verfahren sind. Ich erinnere auf Bundesebene an das Jugendarbeitsschutzgesetz und an die Schwangerenvorsorgeuntersuchungen, ich erinnere bei den Ländern an die Röntgenreihenuntersuchungen, die DiabetesFilter-Untersuchungen und die Krebsvorsorgeuntersuchungen, und ich erinnere im Bereich der Länder und Gemeinden an die Mütterberatung der Gesundheitsämter. Das sind alles Beispiele dafür, daß wir nicht der Meinung waren, weder im Bund noch in den Ländern noch in den Fraktionen des Bundestages, daß allein die Sozialversicherung für die Gesundheitsvorsorge zuständig sein soll. Für mich und für die Bundesregierung war es immer selbstverständlich, daß die Durchführung der Vorsorgeuntersuchungen in erster Linie durch den Arzt des persönlichen Vertrauens des Patienten erfolgen soll. Ich bin der Meinung, wir sind hier geradezu auf die engste Mitarbeit der frei praktizierenden Ärzte angewiesen. Wir müssen aber Möglichkeiten haben, undoktrinär vorzugehen, so wie das bisher auch geschehen ist.
({0})
Ich meine, wir haben auch den Verfassungsauftrag, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zu wahren, im gesundheitlichen Bereich zu verwirklichen. Das ist der zweite Grundsatz, weswegen wir diese Grundgesetzänderungen anstreben. Ich möchte noch hinzufügen, daß ich es für einen richtigen Stil halte, daß, wenn Gesetzentwürfe, die das Parlament einstimmig beschlossen hat - hier erinnere ich an das Jugendzahnpflegegesetz und an das Wasserhaushaltsgesetz - oder die aus der Mitte des Hauses vorgelegt werden - ich erinnere hier an das Gesetz für Vorsorgemaßnahmen für werdende Mütter, vorgelegt von der CDU/CSU und FDP als Regierungsparteien im Jahre 1965 -, aus Mangel an Zuständigkeit scheitern, die Bundesregierung und der zuständige Minister sich um die Kompetenz dafür bemühen, um dem Willen des Parlaments Geltung zu verschaffen.
({1})
Zum Kapitel Krankenhausfinanzierung will ich nur darauf aufmerksam machen, daß es unbestritten ist, daß die Neuordnung der Krankenhausfinanzierung notwendig ist. Der Bundestag hat die Bundesregierung beauftragt, ihm dafür Vorschläge vorzulegen. Das war im übrigen auch die Auffassung des Bundesrats. Im Jahre 1962 hat der Bundesrat bei der Behandlung der Krankenversicherungsreform bundesgesetzliche Vorschriften, durch die die Finanzverantwortung für die Krankenhausvorhaltekosten geregelt wird, von der Bundesregierung gefordert.
({2})
Der Bundestag beabsichtigt nicht - auch das will ich hier deutlich sagen.-, in die Planungsarbeit der Länder und in die innere Organisation der Krankenhäuser hineinzureden; das beabsichtigen sicher weder der Bundestag noch die Bundesregierung. Eine Neuordnung der Krankenhausfinanzierung insgesamt scheint mir und der Bundesregierung aber nur möglich zu sein, wenn der Bund nicht mehr allein die Zuständigkeit für die Bundespflegesatzverordnung über das Preisrecht hat, sondern wenn er über ein Gesetz die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Pflegesätze regeln kann.
({3})
Zum dritten Punkt: Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung und Gewässerschutz. Das ist noch unbestrittener, wenn ich auf Ihren Zuruf eingehen darf. Dazu habe ich nur noch zu sagen, daß Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung und Kampf gegen die Verunreinigung der Gewässer für eine wirksame Umwelthygiene heute sicher notwendig sind. Das ist auch unbestritten, möchte ich annehmen. In allen Industrieländern beeinträchtigen diese Folgen des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts und der Zusammenballung der Bevölkerung in kleinen Räumen die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen. Abwehrmaßnahmen gegen diese Gefahren bedürfen von der Sache her einer übergebietlichen Abstimmung hinsichtlich Zielsetzung und Methodik und als weitere Voraussetzung einheitlicher Richtlinien und Normen. Die Gefahrenquellen sind hier überwiegend technischer Art. Unterschiedliche technische Prinzipien führen nicht nur zu einer gewissen Rechtsunsicherheit, sondern vor allem auch zu wirtschaftspolitisch unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen. Wir müssen uns wohl bemühen, auch das zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, das sind, ganz kurz zusammengefaßt, die Gründe. Ich hatte eigentlich gehofft, daß wir mit diesen Grundgesetzänderungen einem Anliegen des Parlaments nachkommen. Vielleicht habe ich mich darin doch nicht getäuscht.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Jungmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zeit und nicht nur die Zeit, sondern auch die hiermit verbundene Ermüdung im Hause dürften so weit fortgeschritten sein, daß ich darauf verzichten muß, hier längere Ausführungen zu machen. Das ist auch gar nicht meine Absicht gewesen. Ich beschränke mich deshalb auf eine kurze Erklärung, die ich hier im Namen der CDU/CSU-Fraktion abgebe.
Wir können bei der Beratung dieser Materie nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß der Bundesrat die Verfassungsänderungen zu Art. 74 Nr. 19 ff. mit praktisch allen seinen Stimmen abgelehnt hat. Wir können auch nicht an den erheblichen und schwerwiegenden Bedenken gegen den Gesetzentwurf vorübergehen, die hier in diesem Hause aus Anlaß der Großen Anfrage der SPD Ende Juni dieses Jahres geäußert worden sind. Bei der Diskussion, die jetzt aus Anlaß der Einbringung des Gesetzentwurfs in der CDU/CSU-Fraktion geführt worden ist, sind alle diese Bedenken gegen diese Grundgesetzänderung erneut zur Sprache gekommen. Diese Bedenken sind sachlicher, grundsätzlicher und finanzieller Natur.
Über die sachlichen Bedenken brauche ich hier wohl keine Ausführungen zu machen, weil sie zweckmäßigerweise im Ausschuß besprochen werden. Aber ich habe den Auftrag, hier insbesondere auf die von seiten der CSU geäußerten grundsätzlichen Bedenken aufmerksam zu machen. Diese Bedenken entsprechen denen, die auch vom Bundesrat in eindrucksvoller Einmütigkeit vertreten worden sind. Die mit dem Gesetzentwurf aufgeworfenen finanziellen Probleme erwähne ich nur deshalb, weil wir eine Zusammenfassung dieses Gesetzentwurfs mit der Finanzreform für unzweckmäßig halten und deshalb ablehnen.
Ich darf Sie im Namen meiner Fraktion bitten, der Überweisung dieses Gesetzentwurfs an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Gesundheitsausschuß zur Mitberatung zuzustimmen.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Grundgesetzänderungen in Art. 74 Nr. 19 sind meiner Meinung nach eine logische Weiterentwicklung der Absichten des Grundgesetzgebers. Im Unterschied zur Ausbildung für alle anderen Berufe weist das Grundgesetz in Art. 74 Nr. 19 die Ausbildung für die ärztlichen und die anderen Heilberufe ausdrücklich der konkurrierenden Gesetzgebung zu. Damit hat der Grundgesetzgeber ohne Zweifel deutlich machen wollen, daß die für die Gesundheit zu erbringenden Leistungen einer einheitlichen Grundlage im ganzen Bundesgebiet bedürfen. Der Grundgesetzgeber konnte damals die
Entwicklung von Technik und medizinischer Wissenschaft noch nicht übersehen, die dazu geführt hat, daß Schutz und Vorsorge auch für andere als übertragbare Krankheiten möglich werden würden. Wir würden mit der modernen Entwicklung nicht Schritt halten und würden uns auch eines Versäumnisses schuldig machen, wenn wir nicht allen Bürgern unseres Landes jeden durch die Wissenschaft ermöglichten Schutz, auch wenn es sich um nicht übertragbare Krankheiten handelt, zukommen ließen.
Für die Errichtung und Unterhaltung von Krankenhäusern gibt es bis auf die Vorhaltepflicht für Seuchenwellen überhaupt keine gesetzliche Grundlage. Die Länder haben in der Errichtung von Krankenhäusern beachtliche Leistungen erbracht. Aber die Unterschiede sind je nach Finanzkraft des einzelnen Landes bedauerlich groß. Sie schwanken zwischen 80% und 30 % Landesmitteln für einen Neubau.
({0})
- Vielleicht auch Null.
Es geht hier aber nicht nur um die Neuerrichtung, sondern auch um die laufende Unterhaltung der Krankenhäuser. Sie übersteigt bei weitem die Kraft der jeweiligen Träger, seien es freie gemeinnützige, seien es kommunale. Die freien gemeinnützigen zehren von ihrer Substanz, und bei den Gemeinden erhöhen die laufenden Krankenhauszuschüsse die Schuldenlast. Die Pflegesätze waren noch nie voll kostendeckend, sondern immer eine Art Benutzergebühr. Krankenhäuser waren von je Zuschußbetriebe. Ein voll kostendeckender Pflegesatz würde so hoch liegen, daß er von den Benutzern nicht mehr gezahlt werden könnte. Außerdem kann man sich bei einer immer kostspieliger, aber auch immer wichtiger werdenden Institution, wie es das Krankenhaus ist, keinen Überschuß an Krankenhausbetten leisten, wozu voll kostendeckende Pflegesätze ohne Zweifel führen würden.
Es bedarf der Aufstellung von Krankenhausprogrammen, die natürlich in der Hand der Länder liegen müssen. Aber es sollten einheitliche Grundsätze für die laufende Grundfinanzierung der Krankenhäuser im Bundesgebiet gelten, wobei man den Krankenhäusern auch Auflagen bezüglich der Bindung an die Krankenhausprogramme der Länder machen muß. Das sind jedoch Einzelheiten, die Sache eines Gesetzes sind, das vom Bundestag und auch vom Bundesrat zu beraten sein wird.
Daß Luftverunreinigung, Wasserverschutzung und Lärm nicht an Landesgrenzen haltmachen, bedarf kaum der Erwähnung. Ihre Gefahren für die Gesundheit aber nehmen ständig zu. Um 'ihnen zu begegnen, bedienen wir uns heute der verschiedensten Krükken: durch Änderung der Gewerbeordnung, durch Änderung der Verkehrsgesetze und ähnliches. Wir können auf diese Weise den Erfordernissen nicht gerecht werden, die der Schutz der Gesundheit vor Umweltschäden in unserer heutigen technisierten Welt verlangt.
Aus zahlreichen Gesprächen in den vergangenen Jahren mit Kollegen aller Fraktionen, die sich mit
gesundheitlichen Problemen befassen, weiß ich, daß wir alle schon lange eine Grundgesetzerweiterung in Art. 74 Nr. 19 für notwendig gehalten haben. Meine Fraktion begrüßt die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Grundgesetzergänzungen, durch die eine Gesetzgebung überhaupt erst möglich wird, die unserer heutigen Zeit mit ihren der Gesundheit drohenden Gefahren entspricht.
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Meine Damen und Herren! Frau Dr. Heuser hat Ihre Ausführungen zu Protokoll *) gegeben.
*) Siehe Anlage 4
Wir sind am Ende der Aussprache über dieses Gesetz und überweisen es an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Gesundheitswesen zur Mitberatung. - Dem wird nicht widersprochen; es ist so beschlossen.
Ich teile noch mit, daß die Punkte 17 und 33 der Tagesordnung abgesetzt sind. Wir beginnen dann am Freitag nach der Fragestunde mit dem Punkt 18; das sind die Vorlagen zu wohnungsrechtlichen und mietpreisrechtlichen Vorschriften.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. Dezember, 14 Uhr - nur Fragestunde -, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.