Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, die heutige Tagesordnung soll ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen. - Das Haus ist damit einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
Ich schlage vor, diese Zusatzpunkte gleich zu erledigen. - Das Haus ist einverstanden.
Ich rufe auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({0}) über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung zur Senkung von Binnen-Zollsätzen ({1})
über die von der Bundesregierung beschlossene Achtzehnte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({2})
- Drucksachen V/216, V/226, V/272 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Preiß
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({3}) über die von der Bundesregierung beschlossene Fünfte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs
1966 ({4})
- Drucksachen V/213, V/273 Berichterstatter: Abgeordneter Junker
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({5}) über die von der Bundesregierung beschlossene Elfte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({6})
- Drucksachen V/218, V/274 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Staratzke
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({7}) über die von der Bundesregierung beschlossene Achte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({8})
über die von der Bundesregierung beschlossene Fünfzehnte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({9})
- Drucksachen V/224, V/225, V/275 Berichterstatter: Abgeordneter Junker
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber über die Zollvorlagen gemeinsam abstimmen? - Ich höre keinen Widerspruch. Wir kommen also zur Abstimmung über die Ausschußanträge in den Drucksachen V/272, V/273, V/274 und V/275. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zu Punkt 1 der Tagesordnung, zur
Fragestunde
- Drucksachen V/251, V/263 -.
Die Fragen VIII/1 bis VIII/9 - aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - sind schon beantwortet.
Die Frage VIII/10 des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage VIII/11 des Herrn Abgeordneten Schlager auf:
Stimmt es, daß zahlreiche Versorgungsempfänger des Bundes, der Deutschen Bundespost und der Deutschen Bundesbahn die seit 1. Januar 1966 eingetretene 4%ige Erhöhung der Versorgungsbezüge weder für ihre Januar- noch für ihre FebruarBezüge erhalten haben?
Ich bitte, die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Schlager wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten zu dürfen.
Ist der Abgeordnete überhaupt im Saal? - Sie sind einverstanden? 726
Vizepräsident Schoettle
Dann rufe ich ferner die Fragen VIII/12 und VIII/13 auf:
Was sind - bei Bejahung von Frage VIII/11 - die Gründe?
Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß die bei Bejahung der Frage VIII/11 notwendigen Nachzahlungen nunmehr schnellstmöglich und künftighin möglichst gleichzeitig mit den entsprechenden Bezügen der aktiven Beamten geleistet werden?
Die Zahlung der Versorgungsbezüge für die etwa 817 000 Versorgungsempfänger des Bundes erfolgt durch eine Vielzahl von Dienststellen des Bundes und - auftragsweise - auch der Länder. Es sind etwa 50 bis 60 größere und zahlreiche kleinere Dienststellen. Genaue Feststellungen, in welchem Umfang die 4%ige Erhöhung der Versorgungsbezüge weder mit den Januar- noch mit den Februar-Bezügen gezahlt worden sind, lassen sich nur durch eine zeitraubende Umfrage treffen, die aber - falls gewünscht - in die Wege geleitet werden kann.
Für den Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums kann ich bereits jetzt folgendes sagen. Das 5. Besoldungserhöhungsgesetz ist bekanntlich erst am 31. Dezember 1965 verkündet worden. Die Besoldungsstelle der Bundesfinanzverwaltung mit etwa 40 000 Versorgungsempfängern hatte jedoch die neuen Versorgungsbezüge so rechtzeitig berechnet, daß über 90 % der Versorgungsempfänger - ebenso wie die Beamten - die erhöhten Bezüge bereits zum 1. Januar 1966 erhalten konnten. Bei dem Rest der Fälle sind geringe Verzögerungen eingetreten, weil, wie z. B. bei Rentenanrechnungen, die Unterlagen der Besoldungsstelle nicht zur Verfügung standen; die anordnenden Stellen mußten hier erst Kassenanweisungen erteilen, so daß die sofortige maschinelle Umrechnung leider nicht möglich war.
Wie bei der Besoldungsstelle der Bundesfinanzverwaltung werden wohl auch die maschinell arbeitenden Besoldungsstellen anderer Ressorts die erhöhten Versorgungsbezüge im allgemeinen ohne nennenswerte Verzögerung gezahlt haben, soweit die maschinelle Bearbeitung möglich war.
Die Frage 3 beantworte ich mit Ja. Der Beschleunigung sind jedoch durch den Personalstand gewisse Grenzen gesetzt.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es nicht wenige Versorgungsempfänger - zu Recht oder zu Unrecht - als eine Zurücksetzung empfinden, wenn ihre Nachzahlungen immer hinter denen der aktiven Bediensteten hinterherhinken. Die Anfrage ist übrigens durch Beschwerden aus dem Bereich der Betriebsverwaltungen ausgelöst worden.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihre Frage 3 mit einem eindeutigen Ja beantwortet. Wir sind bemüht, Versorgungsempfänger und aktive Beamte gleichmäßig und gleichzeitig zu behandeln.
Keine weiteren Fragen.
Bevor wir zu den nächsten Fragen kommen, darf ich vielleicht eine Bemerkung vorweg machen. Meine Damen und Herren, es ist für den amtierenden Präsidenten außerordentlich lästig, wenn während der Fragestunde Abgeordnete im Plenarsaal stehen, ohne daß sie an der Fragestunde beteiligt sind. Vielleicht könnten wir dafür sorgen, daß alle diejenigen, die nicht fragen wollen, wenigstens sitzen. Es wäre für mich sehr viel angenehmer, weil ich dann nämlich feststellen kann, wo der Fragesteller steht.
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung, und zwar zunächst zur Frage XVI/1 des Abgeordneten Dr. Häfele:
Wann ist mit einer Entscheidung in der Frage der Uran-Untersuchungsarbeiten in Menzenschwand, Landkreis Hochschwarzwald, zu rechnen?
Herr Minister, wollen Sie bitte antworten.
Herr Präsident, die Entscheidung über die Weiterführung der Uran-Untersuchungsarbeiten im Raume Menzenschwand muß von der Regierung des Landes Baden-Württemberg getroffen werden. Sie ist nach meiner Kenntnis frühestens im März dieses Jahres zu erwarten.
Noch eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Minister, trifft es zu, daß in Menzenschwand ein bedeutendes Uranvorkommen vermutet wird?
Es trifft zu, Herr Abgeordneter.
Ich rufe die Frage XVI/2 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Was stand der in Frage XVI/1 bezeichneten Entscheidung bisher entgegen?
Das Uranvorkommen Menzenschwand liegt unmittelbar an der Grenze des Naturschutzgebiets Feldberg. Das Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg als oberste Naturschutzbehörde weigert sich, die für Arbeiten im Naturschutzgebiet erforderliche Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Es vertritt den Standpunkt, daß in einem Gebiet vom Range des Naturschutzgebiets Feldberg die Zulassung eines Bergwerkbetriebes, auch wenn an ihm ein öffentliches Interesse besteht, mit dem Naturschutzzweck nicht zu vereinbaren sei. Außerdem sind der Bürgermeister der Gemeinde, der Landrat des Kreises und Vertreter des Fremdenverkehrs gegen Uran-Untersuchungsarbeiten, weil sie durch derartige Arbeiten einen Rückgang des Fremdenverkehrs befürchten. Die ablehnende Haltung wurde trotz der Bemühungen meines HauBundesminister Dr. Stoltenberg
ses und des Wirtschaftsministeriums in Stuttgart nicht aufgegeben, obwohl ein geohydrologisches Gutachten und ein pflanzen-soziologisches Gutachten eindeutig ergeben, daß die bergmännischen Arbeiten das Naturschutzgebiet in keiner Weise beeinträchtigen würden, und obwohl die prospektierende Firma in einem geforderten, die gesamte Untersuchung des dortigen Uranvorkommens umfassenden mehrjährigen Arbeitsprogramm auf die Belange des Naturschutzes und des Fremdenverkehrs in jedem gewünschten Umfang Rücksicht genommen hat.
Noch eine Frage, bitte!
Herr Minister, sind Sie auch der Meinung, daß angesichts der Bedeutung dieser Uranvorkommen für Deutschland und für Europa nach etwa zweieinhalbjähriger Prüfung der zuständigen Behörden es endlich an der Zeit wäre, hier eine klare Entscheidung zu treffen?
Ich würde mich freuen, wenn sich die zuständigen Behörden Ihre Auffassung zu eigen machten und wir jetzt im Frühjahr die klare Entscheidung bekämen.
Ich rufe die Frage XVI/3 des Abgeordneten Folger auf.
Wie ist der Anstieg der Ablagerung radioaktiver Stoffe in München in der zweiten Oktoberhälfte 1965 um das Zwanzigfache zu erklären?
Die erhöhten Werte der Ablagerung langlebiger Alpha-Strahler mit Niederschlägen, die vom Gesundheitsamt München an Proben aus der Zeit vom 15. bis 29. Oktober und vom 29. Oktober bis 15. November 1965 beobachtet worden waren, können nach den bisherigen Ermittlungen der bayerischen Strahlenschutzbehörden nicht von einem genehmigten Betrieb einer kerntechnischen Anlage oder einem genehmigten Umgang mit radioaktiven Stoffen herrühren. Nach einem Gutachten des Deutschen Wetterdienstes kann der Anstieg gegenüber dem Normalpegel auch auf keinen Fall durch die meteorologische Situation allein erklärt werden. Die Ursache des Anstiegs ist somit gegenwärtig noch nicht bekannt. Weitere Ermittlungen sind im Gange.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Folger, bitte!
Herr Bundesminister, ist der Bundesregierung von den Forschungsstellen damals die Tatsache der erheblichen Erhöhung der Radioaktivität mitgeteilt worden, und wenn ja, warum hat die Bundesregierung das der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt?
Die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchungen des Deutschen Wetterdienstes
und der bayerischen Behörden wurden abgewartet. Das heißt, die Bundesregierung hat sich unverzüglich dieser Frage angenommen. Aber sie hat es für richtig gehalten, erst dann ihrerseits Veröffentlichungen vorzunehmen, als gesicherte, möglichst erkennbare und auf die Ursachen zu prüfende Ergebnisse vorlagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bechert.
Herr Minister, ist es nicht so, daß die Überwachungsstellen, die Meßstellen die Anweisung haben, immer dann, wenn eine erhöhte Radioaktivität vorhanden ist, die erheblich über das hinausgeht, was sonst jetzt im Durchschnitt anfällt, sofort das Forschungsministerium zu verständigen?
Das trifft zu, Herr Abgeordneter.
Dann frage ich weiter: Warum hat das Ministerium diese Tatsache der Öffentlichkeit verschwiegen? Warum fordert es solche Berichte überhaupt an? Wenn eine erhebliche Erhöhung der Radioaktivität gemeldet worden ist, warum wird das der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt?
Ich glaube, daß diese Frage im Grunde mit der weiteren Frage des Herrn Abgeordneten Folger zusammenhängt.
Dann rufe ich auch die Frage XVI/4 auf:
Welche Abwehrmaßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung gegen eine Gefährdung der Bevölkerung, wie sie in Frage XVI/3 aufgezeigt wird?
Ich darf diese Zusatzfrage jetzt vielleicht im Zusammenhang mit der weiteren Frage damit beantworten, daß durch den vorübergehenden Anstieg der Ablagerung langlebiger Alpha-Strahler mit Niederschlägen in München die Bevölkerung nicht gefährdet wurde, daß nach Auffassung der zuständigen fachlichen Stellen Abwehrmaßnahmen nicht erforderlich waren und daß es deshalb richtiger war, erst die Ursachen und den Umstand dieses besorgniserregenden Tatbestandes genau festzustellen, als durch vorzeitige Veröffentlichungen eine nicht gerechtfertigte Beunruhigung hervorzurufen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Folger.
Herr Bundesminister, wann wird der dritte und vierte Vierteljahresbericht 1965 des Forschungsministeriums „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung" erscheinen, in denen diese Erhöhung der Luftradioaktivität mit den Meßwerten
und den Schlußfolgerungen daraus angegeben werden muß?
Die Berichte erscheinen ein Vierteljahr nach Abschluß des Quartals, d. h. es ergibt sich daraus für das dritte Quartal ein Termin Anfang dieses Jahres und für das zu Ende gehende letzte Quartal ein Termin um den 1. April.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bechert.
Herr Minister, was würde die Bundesregierung unternehmen, wenn die Erhöhung der Radioaktivität, wie sie im Herbst vorigen Jahres gegeben war, im Voralpengebiet für längere Zeit anhielte?
Ich glaube, Herr Kollege Bechert, daß die Frage, was die Bundesregierung unternehmen würde, wenn derartige Niederschläge eine sehr lange Zeit anhalten und die Toleranzgrenzen erreichen oder sich ihnen nähern, in einer umfangreichen und eingehenden Erörterung aller vorgesehenen und möglichen Maßnahmen behandelt werden müßte. Ich sehe davon ab, sie jetzt in der Form einer Zusatzfrage, die vorher nicht bekannt war, zu behandeln.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Minister, darf ich fragen, ob die Bundesregierung nicht auch der Meinung ist, daß sie dann internationale Verhandlungen führen müßte, wenn sich herausstellt, daß diese Erhöhung nicht auf Ereignisse oder Maßnahmen innerhalb des Bundesgebiets zurückzuführen ist?
Das wäre einer der sehr vielen Schritte, die in einer solchen bedrohlichen oder ernsten Situation erforderlich wären.
Ich rufe die Frage XVI/5 des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert auf:
Was war nach Ansicht der Bundesregierung die Ursache dafür, daß im Herbst vorigen Jahres im Voralpengebiet eine beträchtliche Erhöhung der Luftradioaktivität auftrat, daß insbesondere der Gehalt an gefährlichen „knochensuchenden" Alpha-Strahlern erheblich anstieg?
Die Aktivitätskonzentration langlebiger Alpha-Strahler in der Luft von München lag nach Messungen des Gesundheitsamtes der Stadt München im Herbst vorigen Jahres bei 0,1 Picocurie pro Kubikmeter und wies keine Besonderheiten auf. Ich nehme an, daß Ihre Frage durch Meldungen über die vom Gesundheitsamt München beobachtete Erhöhung der Ablagerung langlebiger Alpha-Strahler mit Niederschlägen in
der zweiten Oktoberhälfte 1965 ausgelöst wurde. Wie ich bereits auf die Frage von Herrn Abgeordneten Folger im einzelnen ausgeführt habe, wurde hierfür trotz intensiver Bemühungen noch keine Erklärung gefunden. Weitere Untersuchungen sind im Gange.
Eine weitere Frage!
Herr Minister, handelt es sich bei dieser erhöhten Radioaktivität tatsächlich, wie die Zeitungsmeldungen behauptet haben, um Alpha-Strahler, insbesondere um Plutonium 239, das bekanntlich nicht nur „knochensuchend", sondern auch sehr giftig ist?
Es sind zweifellos Alpha-Strahler. Aber es sind von einer an den Untersuchungen beteiligten Firma auch Spuren von Plutonium 239 festgestellt worden.
Herr Minister, liegt es dann nicht nahe, zu vermuten, was die Zeitungen ja auch ausgedrückt haben, daß es sich entweder um das Verglühen eines Satelliten oder um einen Unfall in einem benachbarten Land - man hat Frankreich genannt - gehandelt haben kann?
Wir haben hier zu der Frage von Herrn Folger noch eine Bemerkung zum Thema des Satelliten vorbereitet. Ich kann zu dieser Frage nur sagen, daß die bisherigen Ermittlungen der Wissenschaft - und wir müssen uns hier natürlich auf das Urteil der Wissenschaft verlassen - keinerlei sichere Anhaltspunkte für eine solche in der Öffentlichkeit vermutete Unfallursache ergeben haben.
Wir kommen zur nächsten Frage, Frage XVI/6 des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert:
Treffen Meldungen zu, daß durch den Absturz einer Atombomben tragenden amerikanischen Maschine an der spanischen Küste Menschen, z. B. durch den Umstand, daß sie um die Zeit des Absturzes dort im Freien waren, sowie Gemüse und andere Nutzpflanzen in dieser Gegend radioaktiv kontaminiert wurden?
Der Bundesregierung liegen noch keine Berichte vor, die es ermöglichen, diese Meldungen über die Folgen des Absturzes einer Atombomben tragenden amerikanischen Maschine in Spanien zu bewerten.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Minister, finden solche Flüge auch über dem Bundesgebiet statt, und, wenn ja, was wird die Bundesregierung zum Schutz der Bevölkerung tun?
Ich gestehe Ihnen offen, daß ich im Augenblick nicht übersehe, ob solche Flüge über dem Bundesgebiet stattfinden. Vielleicht ist. mein Nachbar zur Rechten kompetenter, diese Frage zu beantworten.
Noch eine Frage?
Herr Minister, wird die Bundesregierung dafür sorgen, daß spanische Importware, also Gemüse und andere Nutzpflanzen, aber auch Meerestiere, in der nächsten Zeit auf ihren Gehalt an Radioaktivität, besonders an dem nicht nur strahlengefährlichen, sondern, wie gesagt, auch sehr giftigen Plutonium, untersucht wird?
Eine solche Überwachung auf Radioaktivität findet ständig stichprobenartig statt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Darf ich den Herrn Bundesverteidigungsminister fragen, ob er bereit ist, die Frage zu beantworten? Denn die Frage richtet sich an die Bundesregierung und nicht an einen einzelnen Minister.
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Ich bitte, diese Frage für die nächste Fragestunde einzureichen. Ich bin bereit, sie zu beantworten.
({0})
Als nächste Frage rufe ich die Frage XVI/7 des Abgeordneten Dr. Bechert auf:
Was hat sich bei der Untersuchung von Kindern aus dem Staate Utah ergeben, bei denen Schilddrüsenwucherungen festgestellt worden waren, die nach Vermutung zuständiger Stellen Folge von erhöhter Radioaktivität aus Kernwaffenversuchen im benachbarten Staate Nevada sind, möglicherweise auch von unterirdischen Kernwaffenversuchen, bei denen nach amerikanischer amtlicher Feststellung Entweichen von radioaktivem Staub und Gasen aus Erdspalten und Rissen vorgekommen ist?
Die Untersuchungen, die Teile eines langfristigen Programms des amerikanischen Department for Health Education and Welfare zur Feststellung von Zusammenhängen zwischen Krankheiten und Strahlenbelastung sind, wurden an etwa 3400 Jugendlichen in den Staaten Utah und Arizona durchgeführt. Das bisherige Ergebnis zeigt, daß lediglich bei 27 Jugendlichen aus Utah und 16 Jugendlichen aus Arizona weitere Untersuchungen von wissenschaftlicher Bedeutung sein könnten.
Das endgültige Ergebnis wird sowohl vom amerikanischen Gesundheitsdienst als auch in amerikanischen medizinischen Zeitschriften bekanntgegeben werden. Der Leiter des amerikanischen Gesundheitsdienstes hat betont, es werde schwierig sein, genaue
Schlußfolgerungen zu ziehen; Schilddrüsenerkrankungen kämen natürlicherweise vor, Unterlagen über deren normale Häufigkeit lägen allerdings nicht vor.
Herr Abgeordneter Bechert zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, um wieviel stärker schätzt die Bundesregierung die Strahlenbelastung der Kinder im Staate Utah mit Jod 131 als die Strahlenbelastung unserer Kinder, wie sie durch die auch bei uns kurzzeitig vorhandene erhöhte Jod-131-Radioaktivität aus den Atomwaffenversuchen gegeben war?
Ich bitte den Herrn Abgeordneten Bechert um Verständnis, daß die Kompetenz des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung in administrativer und fachwissenschaftlicher Hinsicht die Beantwortung einer solchen Zusatzfrage schwierig macht. Ich rege an, daß wir diese speziellen Fragen, deren Bedeutung ich nicht verkenne, einmal im Ausschuß behandeln. Im übrigen darf ich bezüglich weiterer Einzelheiten über diese medizinisch-wissenschaftlichen Versuche in Utah auf die offizielle Verlautbarung der amerikanischen Regierung vom 28. Oktober 1965 verweisen, in der das wissenschaftliche Material im einzelnen ausgebreitet ist. Wir stehen aber, Herr Abgeordneter, sehr gern im Rahmen des Ausschusses oder in einem direkten Gespräch zur Erörterung dieser sehr wichtigen Fachfragen zur Verfügung.
Herr Abgeordneter Bechert zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Minister, ist der Bundesregierung bekannt - Sie deuteten allerdings an, daß Ihnen nicht sehr viel darüber bekannt ist -, ob die ¡amerikanische Regierung aus den Schilddrüsenerkrankungen von etwa 2000 Kindern, um die es sich im Staate Utah handeln soll, Folgerungen ziehen wird und was in dieser Hinsicht erwogen wird?
Es sind, Herr Abgeordneter Bechert, wie ich meinen Unterlagen entnehme, nicht 3400 Schilddrüsenerkrankungen, sondern die Zahl 3400 bezieht sich auf die Untersuchungen an Jugendlichen. Wie ich in der Beantwortung Ihrer Frage klar zum Ausdruck gebracht habe, sind auch diejenigen Schilddrüsenerkrankungen dabei, die in einem Zusammenhang mit Strahlungsschäden stehen können: 27 in dem einen und 16 in dem anderen Staat.
Ich glaube, auch Ihre Zusatzfrage, die in der Beurteilung etwas von den tatsächlichen Verhältnissen abwich, die ich hier vorgetragen habe, spricht dafür, daß wir diese Erörterung einmal im Fachausschuß führen sollten.
Ich hatte eben den Eindruck, daß wir uns dicht an der Grenze zu einem wissenschaftlichen Kolleg befinden.
Da bin ich gegenüber Herrn Bechert etwas benachteiligt.
Ich fürchte, daß wir noch etwas an dieser Grenze entlanggehen müssen. Ich frage den Herrn Minister folgendes: Hängt die Häufigkeit der Krankheitsfälle und ihre Verteilung von der Entfernung vom Kernwaffenversuchsgelände und von den in dieser Gegend vorherrschenden Windrichtungen ab, was ja dann ein deutlicher Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen den Kernwaffenversuchen und den Erkrankungen wäre?
({0})
Ich gestehe Ihnen, Herr Merten, daß aus den uns bisher zugänglichen Unterlagen der amerikanischen Regierung ein solcher Zusammenhang nicht erkennbar geworden ist. Wir müssen weitere Unterlagen der zuständigen amerikanischen Behörden anfordern, um das festzustellen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Merten.
Ist denn der Bundesregierung bekannt, Herr Minister, daß im Jahre 1962 ein amtlicher amerikanischer Bericht über die hohe Jod-131Radioaktivität der Milch im Staat Utah erschienen ist, und ist ihr weiterhin bekannt, daß Jod beim Menschen vorzugsweise in die Schilddrüse einwandert, daß Kinder in dieser Hinsicht ganz besonders strahlungsfgefährdet sind und daß durch diese radioaktive Strahlung bösartige Geschwülste wie Krebsgeschwülste entstehen können?
Dieser Tatbestand ist grundsätzlich bekannt. Aber ich gestehe Ihnen offen, daß ich ohne eine besondere Vorbereitung nicht in der Lage bin, daraus jetzt Folgerungen zu ziehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, halten Sie den Boden, auf dem hier diskutiert wird, für wissenschaftlich gesichert, oder gibt es in der Wissenschaft darüber noch verschiedene Fachmeinungen, die erst ausdiskutiert werden wollen?
Ich glaube, daß einige grundlegende Tatbestände, wie sie auch in der letzten Frage angesprochen wurden, als gesichert angesehen werden können, daß aber die einzelnen Zusammenhänge und Wechselwirkungen in der Tat in der Fachwissenschaft selbst noch nicht hinreichend geklärt sind, was eine Erörterung hier zweifellos sehr schwierig macht.
Eine weitere Frage, Frau Abgeordnete Geisendörfer.
Herr Bundesminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß wir auch in der Bundesrepublik Forschungseinrichtungen haben, die sich mit dem Gebiet, das der Herr Kollege Bechert und die anderen Kollegen angesprochen haben, sehr intensiv befassen, die wissenschaftliche Unterlagen zur Beantwortung dieser Fragen erarbeiten, sich dauernd mit all diesen Fragen und Beobachtungen beschäftigen und versuchen, gesicherte Antworten darauf zu finden?
Die Bundesregierung hat in Übereinstimmung mit den Beschlüssen dieses Hohen Hauses und gerade des federführenden Ausschusses, dessen langjähriger Vorsitzender Herr Kollege Bechert war, große Anstrengungen unternommen, um alle Maßnahmen des Strahlenschutzes und des medizinischen Schutzes der Bevölkerung sowie der Reaktorsicherheit auf der Grundlage der modernsten Erkenntnisse zu verwirklichen. Ich werde bei der Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU, Ziffer 5, Gelegenheit haben, nachher einige Ausführungen dazu zu machen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Die Fragen IX/1, IX/2 und IX/3 des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner:
Sind der Bundesregierung die Ursachen bekannt, die zur Krise der Gasversorgung in Südwestdeutschland in den Wintermonaten und zum zeitweiligen völligen Zusammenbruch der Gasversorgung in Göppingen, Geislingen und zahlreichen anderen Städten des Landes Baden-Württemberg und damit zu erheblichen Gefahren für die Bevölkerung und zu Schwierigkeiten für die Wirtschaft geführt haben?
Bieten die bundesrechtlichen Sicherheitsvorschriften ausreichende Möglichkeiten, um die in Frage IX/1 genannten Vorfälle in Zukunft verhüten zu können?
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um für die Zukunft sicherzustellen, daß eine hinreichende Gasversorgung der Bevölkerung auch für Zeiten des Spitzenbedarfs und in Notfällen gewährleistet ist?
werden im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten liegen noch nicht vor, sie werden nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe die Frage IX/4 des Herrn Abgeordneten Fritsch ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die Einfuhr von Granit, insbesondere aus Portugal, die Granitgewinnungsbetriebe des Bayerischen und Oberpfälzer Waldes besonders betroffen sind?
Herr Staatssekretär, wollen Sie bitte die Frage beantworten.
Herr Abgeordneter, die Schwierigkeiten bei den bayerischen GranitgewinnungsbeStaatssekretär Dr. Langer
trieben sind der Bundesregierung genau bekannt. Sie waren sehr häufig Gegenstand von Erörterungen zwischen einzelnen Mitgliedern des Hohen Hauses und wurden auch im Außenhandelsausschuß besprochen.
Ich darf einige wenige materielle Anmerkungen machen: Die Einfuhren von Granitmaterial für den Straßenbau, d. h. von Bord- und Pflastersteinen, in die Bundesrepublik Deutschland betragen, gemessen an der deutschen Produktion, etwa 25 %. Von diesen Einfuhren entfallen rund 80% auf Lieferungen aus Portugal. Im gesamten bayerischen Raum liegt etwa die Hälfte der deutschen Kapazitäten. Bezüglich der portugiesischen Lieferungen nach Süddeutschland ist hervorzuheben, daß bayerische Granitbetriebe an diesen Einfuhren selbst maßgeblich beteiligt sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zebisch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß wir im bayerischen Grenzlandraum Niederbayern/Oberpfalz immer mehr Arbeitskräfte freistellen müssen, weil sie keine Beschäftigung mehr in der Steinindustrie haben, daß es schwer ist, die älteren Arbeitnehmer zu vermitteln, weil sie lange Pendlerwege zurücklegen müßten, und die jüngeren Arbeitskräfte nach dem Westen abwandern, so daß das Grenzlandgebiet immer mehr entvölkert wird?
Herr Abgeordneter, ich sagte eben, daß uns die Schwierigkeiten, die aufgetaucht sind, bekannt sind. Nur muß man die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Ursachen sehen. Ich darf bei der Beantwortung der nächsten Frage feststellen, daß die Importe, die meistens als Ursache der Schwierigkeiten genannt werden, eben nicht ursächlich sind, sondern daß es sich im wesentlichen um ein Problem des Produktionsrückgangs infolge der Umstellung des Bedarfs handelt.
Herr Abgeordneter, ich muß aber auch darauf aufmerksam machen, daß bei den Granitgewinnungsbetrieben teilweise Schwierigkeiten bestehen, Arbeitskräfte zu bekommen, die bereit sind, diese sehr schwere Arbeit zu leisten.
Eine Zusatzfrage des Herr Abgeordneten Fritsch.
Herr Staatssekretär, würden Sie die besondere Situation des Grenzlandes dabei sehen, und sind Sie nicht der Ansicht, daß im Hinblick auf die ungünstige Beschäftigungslage in der bayerischen Granitindustrie zu fordern wäre, die Einfuhr von Natursteinen, insbesondere aus Portugal, zu vermindern und dadurch den Druck, der auf die bayerische Granitindustrie ausgeübt wird, zu mildern, mit dem Ziel der Erhaltung der Arbeitsplätze, die trotz der Schwierigkeit der dort zu leistenden Arbeiten für diese Menschen die Existenz bedeuten?
Herr Abgeordneter, darf ich betonen, daß der Bundesregierung die Situation in den Grenzländern ganz besonders am Herzen liegt. Ich verweise auf die Hilfe, die die Bundesregierung für die Zonenrandgebiete - und darum handelt es sich ja hier - gibt. Ich darf aber nochmals auf die Situation der Bord- und Pflastersteinindustrie zurückkommen. Die Einfuhren aus Portugal belaufen sich auf 50 800 t Bordsteine und 52 900 t Pflastersteine. Insgesamt ist aber die Produktion in den letzten Jahren - von 1955 bis 1964 - um 519 000 t zurückgegangen. Sie sehen, Herr Abgeordneter, aus dem Vergleich der Importzahlen und denjenigen über den Rückgang der Produktion, daß die Einfuhren hier nur eine geringe Rolle spielen, so daß in einer Verminderung der Importe keine wesentliche Chance für eine Änderung der leider schwierigen Situation dieser Betriebe liegt.
Ferner darf ich darauf hinweisen, daß wir auch mit der portugiesischen Regierung über Selbstbeschränkungsabkommen und über alle möglichen Fragen der Bremsung der Importe - die sich übrigens in der letzten Vergangenheit keineswegs spektakulär noch oben entwickelt haben - verhandelt haben. Aber die Importe sind liberalisiert, und eine rechtliche Möglichkeit für die Beschränkung der Importe besteht nicht.
Herr Abgeordneter Zebisch zu einer weiteren Frage.
Herr Staatssekretär, Sie sprechen nur von der Einfuhr aus Portugal. Ich möchte die Frage an Sie richten, wieviel Granit wir aus der Tschechoslowakei einführen. Das ist angeblich nicht unerheblich.
Herr Abgeordneter, Bord- und Pflastersteine werden aus der Tschechoslowakei zur Zeit überhaupt nicht eingeführt. Es bestanden Einfuhrmöglichkeiten für 840 000 DM für rohen Marmor und rohes Granitmaterial. Ich verweise darauf, daß die deutsche Produktion allein an Bord- und Pflastersteinen einen Wert von etwa 50 Millionen DM hat. Ich nannte soeben 840 000 DM, betone aber, daß die beiden Größen nicht vergleichbar sind, da es sich hier um Einfuhren von rohem Marmor und Granitmaterial handelt, dieses Rohmaterial aber auch für verschiedene andere Zwecke - ich erinnere nur an Grabsteine - verwendet wird.
Das Importkontingent aus Polen beträgt 700 000 DM. Diese Importe werden ausschließlich in Berlin verwandt, kommen also gar nicht in das übrige Gebiet der Bundesrepublik. Importe aus der SBZ gibt es in Höhe von 1 Million Verrechnungseinheiten.
Sie sehen also, daß diese Importmengen, verglichen mit der - leider zurückgegangenen - deutschen Produktion, relativ irrelevant sind.
Eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, würden Sie zugeben, daß der Rückgang bei der Verwendung von Naturpflastersteinen, insbesondere beim Straßenbau, die Situation dann besonders verschärft, wenn die Importe nun noch diesen bereits erwähnten Druck ausüben, insbesondere auf die Betriebe, die marktfern liegen und hohe Transportkosten haben und die auch unter der Grenzland-und Zonenrandsituation ganz besonders zu leiden haben, und daß eben wegen dieser gesamtwirtschaftlichen Situation etwas getan werden müßte, um diesen Betrieben ihre Existenz zu sichern und ihnen das Gefühl zu geben, daß man sich um sie kümmert?
Herr Abgeordneter, ich kann leider nur wiederholen, was ich soeben gesagt habe. Der Rückgang der Produktion hängt nur zu einem kleinen Teil mit den Importen zusammen. Ich muß aber doch darauf aufmerksam machen, daß das Problem, das hier entstanden ist, ganz gewiß nicht durch eine Abschnürung der Importe - zu der wir, wie gesagt, rechtlich gar nicht in der Lage sind - gelöst werden kann. Der Frage ist eingebettet in die vielfältigen Hilfen der Bundesregierung für die Zonenrandgebiete, für Umstrukturierungen, für Arbeitskräfte usw. Ich glaube, von dieser Seite her muß das Problem gelöst werden. Ich darf darauf hinweisen, daß in der Natursteinindustrie insgesamt 36 000 Menschen tätig sind und daß die Industrie der Bord- und Pflastersteine nur einen Teil davon ausmacht, so daß die Schwierigkeiten eingrenzbar sind und in anderem Zusammenhang gelöst werden müssen.
({0})
Herr Abgeordneter, an sich hätten Sie keine Fragen mehr, wenn nicht Ihre zweite Frage mit einbezogen wird.
({0})
- Ja, und ich nehme an, sie werden jetzt miteinander behandelt.
({1})
- Gut, dann rufe ich die Frage IX/5 des Abgeordneten Fritsch ({2}) auf, auf die ja der Herr Staatssekretär bereits Bezug genommen hat:
Gedenkt die Bundesregierung, Maßnahmen zu ergreifen, um einer weiteren Existenzgefährdung der Granitindustrie im Zonenrandgebiet als Folge der Liberalisierung der Einfuhr von Granit zu begegnen?
Dazu Herr Abgeordneter Fritsch ({3}) zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nach dem, was Sie gesagt haben, nicht der Meinung, daß Sie - vielleicht im Benehmen mit dem Bundesschatzministerium - prüfen sollten, inwieweit die Mittel aus dem ERP-Sondervermögen gerade an diesen Wirtschaftszweig zu Darlehensbedingungen hingegeben werden können, die interessant genug sind, also zu einem günstigeren als dem bisherigen Zinssatz?
Herr Abgeordneter, ich darf dazu sagen, daß die Bundesregierung trotz der schwierigen Etatsituation auch im Jahre 1966 die Mittel für die Zonenrandgebiete - und bei den Betrieben, an die Sie denken, handelt es sich ja ausschließlich um Betriebe, die in den Zonenrandgebieten liegen - nicht gekürzt hat, sondern daß auch in diesem Jahr für die Regionalförderung unmittelbar 110 Millionen DM zur Verfügung stehen - davon geht ein sehr erheblicher Teil in die Zonenrandgebiete -, daß ferner Zinssubventionen zur Verfügung gestellt werden, um weitere 30 Millionen DM, die im letzten Jahr aus ERP-Mitteln gegeben wurden, wieder verfügbar zu machen, und daß außerdem mit dem Bundesschatzministerium vereinbart wurde, daß aus dem ERP-Vermögen wieder 100 Millionen DM diesem Raum zufließen, um der dortigen Wirtschaft verschiedenste Hilfen zu gewähren.
Ich glaube, jetzt sind die beiden Fragen beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe zunächst die Frage X/1 des Abgeordneten Dröscher auf:
Warum ist die Bundesregierung nicht bereit, die wenigen noch lebenden, unter den Begriff der sogenannten „Brautversorgung" fallenden Kriegsopfer des ersten Weltkrieges im Wege des Härteausgleiches nach § 89 BVG zu versorgen, nachdem für den entsprechenden Personenkreis aus dem zweiten Weltkrieg eine befriedigende Regelung gefunden werden konnte?
Herr Staatssekretär, wollen Sie bitte die Beantwortung übernehmen!
Nach dem bis zum Zusammenbruch 1945 geltenden Recht konnten unter bestimmten Voraussetzungen Bräute von Opfern des Zweiten Weltkrieges Versorgung wie Witwen erhalten oder die nachträgliche Eheschließung mit der Folge begehren, daß sie versorgungsrechtlich als Witwen zu behandeln waren. Um diesen Bräuten die ihnen damit eingeräumte versorgungs-und familienrechtliche Sonderstellung zu erhalten, hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mangels einer speziellen gesetzlichen Regelung im Bundesversorgungsgesetz einem Härteausgleich zugestimmt.
Den Bräuten von Opfern des Ersten Weltkrieges ist dagegen während des Ersten Weltkrieges keine versorgungs- oder familienrechtliche Sonderstellung eingeräumt worden. Aus diesem Grunde sind sie nicht nach § 89 des Bundesversorgungsgesetzes durch Gewährung eines Härteausgleichs den Witwen versorgungsrechtlich gleichgestellt worden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Staatssekretär, können Sie mir den Unterschied im persönlichen Schicksal, im persönlichen Betroffensein zwischen einer solchen
Braut des Ersten Weltkrieges, die in vielen Fällen sogar das Recht der Namensführung bekommen hat, und einer Braut aus dem Zweiten Weltkrieg deutlich machen?
Herr Abgeordneter, wenn Sie mir einen Fall sagen können, in dem eine Frau die Berechtigung zur Namensführung bekommen hat, sind wir gern bereit, der Frage nachzugehen. Es dreht sich darum, daß ein Anknüpfungspunkt vorhanden ist. Das ist bei den Opfern des Ersten Weltkrieges leider nicht der Fall. Bei den Opfern des Zweiten Weltkrieges ist, wie ich soeben ausgeführt habe, der Anknüpfungspunkt vorhanden. Wenn Sie uns aber einen Anknüpfungspunkt sagen, werden wir den Fall selbstverständlich nachprüfe-n.
Auf Grund Ihrer Aussage würden Sie also [bereit sein, in dem Fall der Witwe Mathilde Karch aus Schmidthachenbach, Kreis Birkenfeld, in eine neue Überprüfung einzutreten?
Herr Abgeordneter, wir sind gern bereit, eine neue Überprülung einzuleiten. Aber wir müssen den Fall konkret prüfen wegen der Berufungsfälle, die sich möglicherweise nicht nur auf den Ersten Weltkrieg beziehen.
Ich rufe die Frage
X/2 des Abgeordneten Dr. Martin auf:
Welche Institutionen für Fernunterricht sind für das individuelle Förderungsprogramm gemäß den Richtlinien des Bundesarbeitsministers vom 6. September 1965 ({0}) bisher anerkannt worden?
Nach den Richtlinien für die Gewährung von Beihilfen zur beruflichen Fortbildung im Individuellen Förderungsprogramm vom 6. September 1965 ist bislang kein Fernlehrgang als förderungsfähig anerkannt worden. Da das Individuelle Förderungsprogramm bereits seit 1962 durchgeführt wird, darf ich Ihre Frage, Herr Abgeordneter, dahin verstehen, welche Fernunterrichtsinstitute seit Anlaufen des Programms im Jahre 1962 in die Förderung einbezogen worden sind. Als förderungsfähig anerkannt sind zur Zeit zwei Fernunterrichtseinrichtungen: 1. das Fernstudieninstitut der Deutschen AngestelltenAkademie e. V., Hamburg, einbezogen mit Bescheid vom 17. Oktober 1962, 2. Technikerlehrgang der Fachrichtung Maschinenbau und Elektrotechnik des Fernlehrinstituts im Berufsfortbildungswerk des DGB GmbH, Frankfurt - früher: Die Briefschule GmbH, Frankfurt --, einbezogen mit Bescheid vom 20. Dezember 1962.
Ich rufe die Frage
X/3 des Abgeordneten Dr. Martin auf:
Nach welchen Gesichtspunkten ist die Anerkennung der in Frage X/2 bezeichneten Institutionen erfolgt?
Die Einbeziehung der beiden Fernunterrichtseinrichtungen in das Individuelle Förderungsprogramm erfolgte nach den seinerzeit geltenden Richtlinien vom 16. Juli 1962. Nach diesen Richtlinien konnte ein Fernlehrgang nur dann gefördert werden, wenn er
1. die allgemeinen Förderungsvoraussetzung erfüllt, die bei jedem förderungsfähigen Fortbildungslehrgang vorliegen müssen:
Der Lehrgang muß
a) auf den Aufstieg in eine bestimmte mittlere oder gehobene Berufstätigkeit ausgerichtet sein,
b) als Zugangsvoraussetzungen für den Regelfall eine abgeschlossene Berufsausbildung und eine mindestens zweijährige Berufspraxis vorsehen - neuerdings genügt unter bestimmten Voraussetzungen eine einjährige Berufspraxis -,
c) nach Dauer, fachlicher Gestaltung des Lehrplans, Unterrichtsmethode, Ausbildung und Berufserfahrung des Leiters sowie der Lehrkräfte eine erfolgreiche berufliche Fortbildung gewährleisten;
2. mit ganztägigem Unterricht von angemessener Dauer verbunden ist.
Diese Förderungsvoraussetzungen wurden von beiden Fernunterrichtseinrichtungen erfüllt.
Ich rufe die Frage
X/4 des Abgeordneten Dr. Martin auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, private Fernlehrinstitute als förderungswürdig anzuerkennen?
Die Richtlinien schließen die Einbeziehung von privaten Fernlehrinstituten in das Individuelle Förderungsprogramm nicht aus. Die Bestätigung als förderungsfähig kommt allerdings - wie auch bei nicht privaten Lehrgangsträgern - nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen der Richtlinien erfüllt sind. Der Lehrgang muß zunächst den erwähnten allgemeinen Förderungsvoraussetzungen entsprechen; ferner muß der Fernunterricht nach den jetzt geltenden Richtlinien vom 6. September 1965 mit ganztägigem Unterricht von angemessener Dauer verbunden sein und mit einer Prüfung vor einer anerkannten Stelle abschließen. Zur Zeit sind die Anträge von zwei privaten Fernunterrichtsinstituten anhängig; sie werden in meinem Hause auf die Erfüllung dieser Voraussetzungen hin geprüft.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie viele Fernlehrteilnehmer gibt es denn in der Bundesrepublik, und wie sind die Erfolge dieses Unterrichts nach Ihrer Ansicht zu bemessen?
Die Zahl
kann ich Ihnen, Herr Abgeordneter, nicht exakt sagen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß im Rahmen des Individuellen Förderungsprogramms in rund 51 000 Beihilfefällen bislang rund 100 Millionen DM bewilligt worden sind. Wenn diese Zahlen für das gesamte Förderungsprogramm gelten, wird für die Fernlehrinstitute bisher relativ wenig bewilligt worden sein.
Noch eine Frage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, mir einen schriftlichen Bericht über den Umfang des Fernunterrichts in der Bundesrepublik zu geben?
Sehr gern, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß ein Anwesenheitskurs nicht für jedes Fachgebiet von der Sache her zwingend erforderlich ist, so daß die Durchführung eines solchen Kurses nicht schematisch als unabdingbare Voraussetzung für die Bewilligung von Förderungsmitteln angesehen werden müßte, sondern nur in einzelnen Spezialgebieten?
Frau Abgeordnete, wir sind im konkreten Fall gern bereit, die Frage zu überprüfen. Ich gebe Ihnen zu, daß man möglicherweise Ausnahmen von den Richtlinien machen muß.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Dr. Martin.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß Anträge von privaten Instituten vorliegen. Darf man wissen, wie lange sie schon vorliegen und was die Hinderungsgründe für die Beantwortung sind?
Ich kann Ihnen nicht exakt sagen, wie lange die beiden Anträge vorliegen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Hauptschwierigkeit bei der Einbeziehung von Fernlehrgängen in der Prüfung der Qualität der Lehrbriefe besteht. Bislang gibt es in der Bundesrepublik Deutschland keine Einrichtung, der derartige Aufgaben übertragen werden könnten. Ferner ist ja die Prüfung der Frage, wie ein ergänzender Nahunterricht gegeben werden soll, immer mit Schwierigkeiten verbunden.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf man dann wissen, wie lange Zeit für solche
Prüfungen in der Regel notwendig ist - ich frage aus einem ganz bestimmten Grunde.
Herr Abgeordneter, ich möchte sagen, daß das Ergebnis des Unterrichts ein Erfolg sein soll; aus diesem Grunde dauert die Prüfung so lange. Ich muß Ihnen offen sagen, wir haben noch relativ wenig Erfahrung auf diesem Gebiet.
Die Frage X/5 stellt Frau Abgeordnete Funcke.
Trifft es zu, daß Versorgungsämter das Geburtsdatum des Versorgungsempfängers sichtbar auf die Anschrift setzen?
Ein Versorgungsamt hat 30- bis 100 000 Versorgungsempfänger zu betreuen. Bei einem Versorgungsamt sind daher zahlreiche Versorgungsempfänger mit demselben Vor- und Zunamen vorhanden. In diesem Falle ist das einzige sichere Merkmal für die Identität das Geburtsdatum. Wohl hat jeder Versorgungsberechtigte eine andere Grundlistennummer, diese kann sich aber bei einem Wechsel des Wohnorts ändern und ist auch dem Versorgungsberechtigten nicht geläufig. Aus dem Geburtsdatum kann er dagegen sofort ersehen, ob er der richtige Empfänger ist.
Das auf den Bescheid gesetzte Geburtsdatum kann dritten Personen jedoch nur bekannt werden, wenn es neben oder unter die Anschrift gesetzt und durch einen Fensterbriefbogen lesbar ist. Bei solchen dritten Personen kann es sich in erster Linie nur um den Postzusteller handeln, der seinerseits das Postgeheimnis zu wahren hat, und um Familienangehörige, welche die Sendung in Empfang nehmen und denen das Datum ohnehin bekannt sein dürfte.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Staatssekretär, halten Sie nicht neben dem vollen Namen die Anschrift und im Einzelfall, wenn es sich etwa um einen Herrn Josef Schmitz aus Köln handelt, auch die Etagennummer auf der Anschrift für ausreichend, um die Identität festzustellen, zumal der Postbote sowieso das Geburtsdatum des Empfängers wahrscheinlich nicht kennt?
Frau Abgeordnete, ich habe gesagt, für den Bescheid selbst reicht der Name nicht, sondern es muß die Nummer angegeben werden, und es muß auch das Geburtsdatum angegeben werden. Für die Anschrift dagegen - das muß ich Ihnen offen sagen - reicht der Name. Ich habe vorhin ausgeführt, daß dieses Geburtsdatum nur bekannt wird, wenn es zufällig zu nahe unter den Namen geschrieben ist.
Eine weitere Frage, Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es technisch und organisatorisch möglich sein müßte, die Adrema so zu schreiben, daß das Geburtsdatum nicht zu sehen ist, um darauf Rücksicht zu nehmen, daß es sich hier um Angaben aus der Intimsphäre des Menschen handelt?
Frau Abgeordnete, ich bin Ihrer Ansicht, daß es möglich ist. Wir sind gern bereit, den für die Versorgungs ämter zuständigen Ländern eine entsprechende Empfehlung zu geben.
Ich rufe die Frage X/6 der Abgeordneten Frau Funcke auf:
Hält die Bundesregierung es für erforderlich, daß Berufsunfähige, sofern sie eine Arbeits- oder Versorgungsrente beziehen, mit der Bezeichnung „Rentner" angeschrieben werden?
Die Frage berührt das Verwaltungsverfahren; zuständig hierfür sind die Länder und die Versicherungsträger. Die Bundesregierung hält es nicht für wünschenswert, daß Rentenbezieher in der Anschrift von Briefen, die an sie gerichtet sind, als „Rentner" bezeichnet werden. Soweit mir bekannt, werden derartige Anschriften auch von den Versicherungsträgern und Versorgungsbehörden vermieden. Falls amtliche Stellen entgegen meiner Annahme Rentenbezieher in der Anschrift von Briefen als „Rentner" bezeichnen sollten, bin ich gern bereit, die Frage zu prüfen, wenn Sie, Frau Abgeordnete, mir die Unterlagen zugänglich machen.
Noch eine Frage, Frau Abgeordnete Funcke.
Würden Sie denn auch bereit sein, mit den korrespondierenden Ministerien der Länder entsprechend Fühlung zu nehmen?
Selbstverständlich, Frau Abgeordnete.
Keine weitere Frage. Ich rufe die Frage X/7 des Abgeordneten Strohmayr auf:
Nach welchen Bestimmungen der Gewerbeordnung darf eine volljährige Rundfunkansagerin nicht regelmäßig in einer Sonntag-Nachtsendung beschäftigt werden, sondern nur alle vierzehn Tage?
Die Gewerbeordnung enthält keine Bestimmung, nach der eine volljährige Rundfunkansagerin nur alle vierzehn Tage in einer Sonntagnachtsendung beschäftigt
werden darf. Regelungen über die Sonntagsarbeit sind jedoch in Tarifverträgen enthalten, die für Bedienstete der Rundfunkanstalten abgeschlossen worden sind. Z. B. heißt es in dem Tarifvertrag für den Bayerischen Rundfunk vom 14. Mai 1957 unter Nr. 324.3:
Der Arbeitnehmer soll innerhalb eines Monats möglichst nur an zwei, er darf aber an nicht mehr als drei Sonn- oder Feiertagen zur Arbeit eingeteilt werden.
Ich rufe die Frage
X/8 der Abgeordneten Frau Korspeter auf:
Wann ist die Bundesregierung in der Lage, dem Parlament erste Teilergebnisse vorzulegen über den einstimmig im Bundestag angenommenen Antrag der Fraktion der SPD, eine Enquete über die Situation der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft durchzuführen?
Die Bundesregierung ist bemüht, gemäß dem Ersuchen des Deutschen Bundestages zunächst auf der Grundlage des bereits vorhandenen Materials einen ersten Bericht über die Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft so schnell wie möglich vorzulegen. Sie ist dabei auch bestrebt, dem ausdrücklichen Wunsch des Hohen Hauses nach umfassender Berichterstattung zu entsprechen, die sich auf fast alle Lebensbereiche der Frauen erstreckt. Dies ist nur durch eine Gemeinschaftsarbeit großen Ausmaßes möglich, an der nahezu alle Ressorts mit ihren Fachabteilungen beteiligt sind. Infolge dieses Umfanges der Aufgabe und wegen der Fülle des Materials, das auf manchen Gebieten vorhanden ist, war es entgegen der anfänglichen Erwartung nicht möglich, die Arbeiten noch vor Ablauf der letzten Legislaturperiode abzuschließen. Nach dem derzeitigen Sachstand hofft die Bundesregierung, den erbetenen ersten Bericht vor der Sommerpause dem Hohen Hause vorlegen zu können.
Ich rufe die Frage
X/9 der Abgeordneten Frau Korspeter auf:
Auf welche Bereiche werden sich die ersten in Frage XIS bezeichneten Teilergebnisse erstrecken?
Es ist die Absicht der Bundesregierung, den Bericht entsprechend dem Wunsch des Hohen Hauses so umfassend zu gestalten, wie das auf Grund des vorhandenen Materials und ohne unverhältnismäßigen Zeitaufwand möglich ist. Die Bundesregierung hat bereits während der Beratung der Anträge im Deutschen Bundestag mehrere interministerielle Arbeitskreise gebildet, von denen jeder einen Teilbereich zu behandeln hat. Diese Arbeitskreise bearbeiten folgende Themen: die Situation der Frauen in Familie und Haushalt; Situation der Frauen im Wohnungswesen; Frauenerwerbsarbeit im allgemeinen; Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin im Hinblick auf die Frauen; soziale Sicherung der Frauen; die Situation der Frauen im öffentlichen Dienst; Bildungsstand und Bildungsmöglichkeiten der Frauen; Teilnahme der Frauen am öffentlichen Le736
ben; Beteiligung der Frauen an der Eigentumsbildung; allgemeine Gesundheitssituation der Frauen; Lage der in der Landwirtschaft tätigen Frauen.
Diese Themen, Frau Abgeordnete, werden auch Gegenstand des Berichtes der Bundesregierung sein.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Staatssekretär, kennt die Bundesregierung die Stellungnahme der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zu der Enquete, und ist sie bereit, auch die Themen zu berücksichtigen, die auf der Generalsynode als besonders wichtig und dringlich herausgestellt wurden?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung kennt den Bericht. Sie ist bereit, auch diese Fragen einzubeziehen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe jetzt die Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf, die irrtümlich in den Geschäftsbereich VII geraten war:
Ist die Bundesregierung bereit, dem Bundestag Vorschläge zu unterbreiten, die sicherstellen, daß derjenige, der Nothilfe leistet, ihm dadurch entstehenden Schaden ersetzt bekommt, auch insoweit, als er nach bisher geltendem Recht oder auf Grund der tatsächlichen Umstände Ersatz vom Schädiger oder Hilfenehmer nicht erlangen kann?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, in eine Prüfung darüber einzutreten, ob und auf welche Weise denjenigen Ersatz geleistet werden kann, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten und dabei einen Schaden erleiden, den sie anderweitig nicht ersetzt bekommen. Danach dürften in der Hauptsache nur diejenigen Fälle zu untersuchen sein, in denen der Hilfeleistende Sachschäden davonträgt. Hinsichtlich eines Körperschadens besteht - wie ich bereits in der Fragestunde des Hohen Hauses am 27. Januar 1966 ausgeführt habe - Unfallversicherungsschutz kraft Gesetzes.
Bei der Suche nach einer etwa in Betracht kommenden Lösung des Problems dürfte der Weg über die gesetzliche Unfallversicherung ausscheiden, weil sich diese stets nur auf die Abdeckung von Körperschäden erstreckt, der gesetzlichen Unfallversicherung mit anderen Worten ein Ersatz von Sachschäden wesensfremd ist.
Bei Sachschäden könnte man vielleicht untersuchen, ob in Anlehnung an den Gedanken des Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen ein besonderer Entschädigungsfonds geschaffen werden könnte, aus dem einem Nothelfer der Sachschaden zu ersetzen wäre.
Ich betone aber, Herr Abgeordneter: es handelt sich hierbei um eine allererste Überlegung.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen.
Herr Staatssekretär, werden Sie das Haus laufend über diese Frage unterrichten? Ich frage das, weil ich aus Ihrer Antwort entnehmen kann, daß Sie die Prüfungsbedürftigkeit auch anerkennen.
Wir sind bereit, das Hohe Haus über das Ergebnis unserer Prüfung zu unterrichten.
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung. Zunächst die Frage XI/1 des Abgeordneten Fellermaier:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um einem Landwirt in Günzburg ({0}), auf dessen Grundstück seit über einem Jahr ein Teil der Truppenunterkunft Günzburg der Bundeswehr steht und der damit Eigentümer dieser militärischen Anlagen geworden ist, baldigst zu dem benötigten Ersatzland zu verhelfen?
Herr Präsident, da die Fragen 1 und 2 sachlich zusammengehören, darf ich sie vielleicht auch zusammen beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden? - Ich rufe also noch die Frage XI/2 auf:
Entrichtet die Bundeswehr dem in Frage XI/1 erwähnten Land
wirt für die Nutzung des fraglichen Grundstückes Pachtzins?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Die Regierung von Schwaben hat als Enteignungsbehörde am 10. Juli 1962 die Bundesrepublik Deutschland in den Besitz des Grundstückes des Landwirts Nusser eingewiesen. Es handelt sich um eine Fläche von 4,5 ha, die für die Errichtung einer Truppenunterkunft dringend benötigt wurde. Dieser Einweisungsbescheid gibt der Bundesrepublik Deutschland ein Recht im Sinne von § 95 BGB, so daß die errichteten Gebäude nicht Eigentum des Landwirts Nusser, sondern Eigentum des Bundes geworden sind.
Die Bundesregierung ist laufend bemüht, dem Landwirt Nusser Ersatzland zur Verfügung zu stellen. Vier verschiedene Grundstücke hat er abgelehnt, ein von ihm begehrtes Grundstück aus dem Eigentum des Bezirksverbandes Schwaben war verhandlungsmäßig nicht zu beschaffen. In Kürze wird ihm ein weiteres Grundstück angeboten werden, um das Verfahren endlich abzuschließen.
Die Enteignungsbehörde hat die einmaligen und laufenden Leistungen an den Betroffenen festzusetzen. Mit Beschluß vom 10. Juli 1962, also am gleichen Tage, als die Einweisungsverfügung erlassen wurde, hat sie als einmalige Besitzeinweisungsentschädigung den Betrag von 3946 DM festgesetzt, und zwar als eine Entschädigung für die Herrichtung der Fläche ({0}).
Bundesminister von Hassel
Der Betrag ist unverzüglich an den Landwirt ausgezahlt worden. Von der Festsetzung einer laufenden Besitzeinweisungsentschädigung hat die Enteignungsbehörde abgesehen.
Die Bundesrepublik Deutschland geht davon aus, daß die Behörde beim Abschluß des Verfahrens neben der Zuweisung der Ersatzfläche eine Geldentschädigung für den Nutzungsausfall festsetzen wird.
Sie werden mich wahrscheinlich fragen, Herr Kollege, wann das Verfahren abgeschlossen sein wird. Ich bin davon unterrichtet worden, daß das Verfahren in wenigen Wochen abgeschlossen sein wird. Ich darf aber darauf hinweisen, daß der Bund in dem Verfahren Partei ist und keinen unmittelbaren Einfluß auf den Fortgang des Verfahrens hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.
Herr Minister, ist es richtig, daß die Bundesregierung ein Enteignungsverfahren gegen den Bezirksverband Schwaben beantragt hat, um daraus den Landwirt Nusser grundstücksmäßig befriedigen zu können?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Das trifft zu. Ich bin gern bereit, Herr Abgeordneter, Ihnen einmal den ganzen Vorgang schriftlich zuzuleiten - es ist ein sehr umfangreicher Vorgang -, damit Sie erkennen, welche Bemühungen der Bund oder der Freistaat Bayern in dieser Richtung unter nommen haben.
Keine weiteren Fragen. Ich rufe die Frage XI/3 des Herrn Abgeordneten Nellen auf:
Trifft es zu, daß von der Bundeswehr im Kottenforst bei Heimerzheim Übungsplätze für 3000 Soldaten angelegt werden sollen?
Ist der Herr Abgeordnete im Saal? - Wird die Frage übernommen? - Herr Abgeordneter Büttner übernimmt die Frage. Bitte, Herr Minister.
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Die Bundeswehr benötigt dringend für die in Bonn und in der näheren Umgebung von Bonn untergebrachten Truppenteile in Stärke von etwa 2500 Soldaten ein Übungsgelände in der Größe von 150 ha.
Das Übungsgelände muß, wenn es seinen Zweck erfüllen soll, von den Truppenunterkünften aus schnell zu erreichen sein; andernfalls geht durch die Hin- und Rückfahrt zuviel Zeit für die eigentliche Ausbildung verloren.
Die Erkundung hat ergeben, daß sich ein Gelände am äußersten Rand des Staatsforstes Kottenforst nach Lage und Beschaffenheit als Übungsplatz eignen würde.
Ich darf darauf hinweisen, daß auf einem solchen Platz nicht scharf geschossen wird und auch keine Panzer fahren.
Das nach dem Landbeschaffungsgesetz erforderliche Raumordnungsverfahren wurde am 2. Februar vorigen Jahres bei der Landesregierung Nordrhein-Westfalen beantragt. Die Stellungnahme der Landesregierung liegt mir noch nicht vor.
In dem Raumordnungsverfahren prüft die Landesregierung insbesondere auch die Interessen benachbarter Gemeinden.
Die Bundeswehr besteht nicht etwa darauf, gerade dieses bezeichnete Gelände als Übungsplatz zu erhalten; sie ist selbstverständlich auch bereit, jeden anderen Vorschlag für die Anlegung eines Truppenübungsplatzes zu prüfen, wenn dieser- nach Lage und Beschaffenheit den militärischen Erfordernissen entspricht.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Büttner.
Herr Bundesminister, wann rechnen Sie mit dem Eingang der Stellungnahme der Landesregierung? Haben Vorgespräche stattgefunden, denen zu entnehmen ist, daß wahrscheinlich Einvernehmen hergestellt werden kann?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Ich kann dazu nur sagen, daß wir uns sehr bemühen, dieses Problem zu lösen, weil es dringlich ist. Wir führen darüber Gespräche mit der Landesregierung; aber bis heute kennen wir die Entscheidung der Landesregierung nicht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich meine erste Frage noch einmal wiederholen: Wann rechnen Sie mit dem Eingang der Stellungnahme der Landesregierung?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, wir haben auf das Raumordnungsverfahren selber, das, wie ich schon sagte, durch die Landesregierung eingeleitet und durchgeführt werden muß, keinen Einfluß.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Effertz.
Herr Minister, wenn die Landesregierung sich noch nicht geäußert hat und wenn die Sache so ist, wie Sie sie geschildert haben, möchte ich Sie fragen: Halten Sie es denn für richtig, daß .sich ein Angehöriger der Bundeswehr, der Oberstleutnant Handke, in einem Presseinterview in dieser Form zu der Frage geäußert hat?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, ich darf vorschlagen, daß diese Zusatzfrage zusammen mit den drei Fragen des Herrn Albgeordneten Kliesing beantwortet wird. Sie gehört zu diesem Fragenkomplex.
Ich nehme an, Herr Abgeordneter Kliesing, Sie sind damit einverstanden, daß diese Frage jetzt einbezogen wird.
Herr Präsident, ich möchte darum bitten, jetzt eine Zusatzfrage zu der Frage des Herrn Abgeordneten Nellen stellen zu dürfen, weil sie sich speziell darauf bezieht.
Herr Minister, wollen Sie zunächst die Frage des Herrn Abgeordneten Effertz beantworten?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Ich komme darauf bei der Antwort auf die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing zurück.
Sie wollen offenbar eine weitere Frage stellen, Herr Abgeordneter Effertz?
Ich habe noch eine Frage. Bei diesem Problem handelt es sich um die Beschaffung eines Truppenübungsplatzes im Zusammenhang mit der Verlegung einer Einheit von Siegburg nach Bonn. Ist das Bundesverteidigungsministerium nicht auch der Meinung, daß in dem Waldbesitz des Bundes im Raum Wahn mit 3000 ha genügend Ausweichmöglichkeit besteht? Ich erinnere daran, daß alle Einheiten der Bundeswehr heute motorisiert sind.
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Ich möchte anregen, daß ich in dem Zusammenhang eine Ubersicht über andere Übungsplätze gebe, die in diesem großen Raum - Wahn, Köln und Bonn - vorhanden sind, damit Sie sich ein Bild davon machen können, ob die Vorschläge, die Sie soeben vorgetragen haben, realisierbar sind.
Wir haben es insgesamt mit vier Standorten zu tun. Da ist zunächst der Standortübungsplatz Wahn. Die Gesamtanlage ist dort von den belgischen Stationierungsstreitkräften in Anspruch genommen. - Das deckt gleich Ihre Zusatzfrage. - Nach Abzug der der Köln-Bonner-Flughafen Wahn GmbH. überlassenen Teile und weiterer Flächen, die für die militärische Nutzung ausscheiden, verbleiben als Standort-Übungsgebiet etwa 2300 ha. Auf diese 2300 ha sind alle militärischen Einheiten im Raume Bergisch-Gladbach - Siegburg - Köln angewiesen. Es handelt sich hierbei um 14 Kasernenanlagen der belgischen Stationierungsstreitkräfte und der Bundeswehr mit zusammen etwa 14 000 Soldaten. Die Bundeswehr ist lediglich auf Mittbenutzung angewiesen. Eine zusätzliche Belastung ist bei der großen Zahl der Soldaten, die auf diesen Platz angewiesen sind, nicht möglich.
Zweitens gibt es dann die Schavener Heide. Das ist ein Übungsgelände, das ausschließlich den belgischen Stationierungsstreitkräften vorbehalten ist. Nach Größe und Bedarf der belgischen Stationierungsstreitkräfte kommt eine zusätzliche Nutzung durch die Bundeswehr nicht in Betracht.
Es gibt dann im Raume Köln einen dritten Platz, das ist der Nüssenberger Busch. Dieses Gelände ist
nur etwa 90 ha groß, also zu klein für einen Standortübungsplatz, der etwa 150 ha umfassen muß. Außerdem liegt dort eine ähnliche Situation wie beispielsweise bei der Hardthöhe vor. Die Stadt Köln selbst benötigt nämlich dieses Gebiet dringend, und zwar aus Gründen der städtebaulichen Entwicklung.
Schließlich gibt es noch die Hardthöhe Bonn-Duisdorf. Im Hinblick auf die im Raume Bonn sehr angespannte Wohnungslage hat der Landkreis Bonn für die Hardthöhe - unter Einbeziehung des gesamten bundeseigenen Übungsgeländes - eine städtebauliche Planung für etwa 5- bis 6000 Wohnungen dort entwickelt. Diese Plätze werden also von uns zur Verfügung gestellt.
Sie haben zu dieser Frage eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kliesing? - Ich darf Sie aber darauf aufmerksam machen, daß ich Ihre eigenen Fragen nicht mehr aufrufen werde, weil die Zeit für die Fragestunde bereits überschritten ist. - Bitte!
Herr Minister, Sie sprachen vorher von einem Gelände, das man an der äußersten Nordecke des Kottenforstes ausgesucht habe. Ist Ihnen bekannt, daß dadurch die Siedlungsvorhaben der Gemeinde Heimerzheim außerordentlich beeinträchtigt werden, ja, daß das vorgesehene Übungsgelände bis unmittelbar an die Peripherie dieser Gemeinde heranreichen wird?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung:
Herr Kollege Dr. Kliesing, ich darf noch einmal meine Antwort, die ich anfangs auf die Frage des Herrn Abgeordneten Nellen erteilt habe, wiederholen. Wenn uns ein anderer, besserer Vorschlag gemacht wird, sind wir jederzeit bereit, auf diesen anderen Vorschlag auszuweichen. Es geht aber nicht, daß bei allen Vorschlägen immer nur ein Nein gesagt wird. Die Landesregierung müßte uns dann im Zusammenhang mit dem Raumordnungsverfahren ein anderes Gelände anbieten. Dann würden wir hierauf verzichten.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Minister, da Sie auch von der Notwendigkeit sprachen, daß dieses Übungsgelände nicht zu weit von den Standorten entfernt sein darf, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß dieses bei Heimerzheim vorgesehene Gelände verkehrsmäßig kaum in wesentlich kürzerer Frist erreichbar wäre als das Gelände, das im Raume Euskirchen-KommernMechernich liegt und das einen Gesamtumfang von weit über 500 ha hat. Dieses Gelände wird nur zum Teil von belgischen Truppen genutzt. Es befindet sich außerdem in bundeseigenem Besitz, während das Gelände bei Heimerzheim in Landesbesitz ist. Wäre es deshalb nicht zweckmäßig, zu prüfen, ob man die Standortfrage nicht im Raume EuskirchenKommern-Mechernich regeln könnte?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, mir sind begreiflicherweise nicht sämtliche Geländeprobleme der näheren oder der weiteren Umgebung Bonns bekannt. Wenn sich Ihre Auffassung nachher auch mit unserer Meinung deckt, sind wir gern bereit, das noch einmal zu untersuchen. Ich glaube aber, Herr Abgeordneter, daß es im Grunde genommen ziemlich gleichgültig ist, ob es sich um Bundes-Staatsbesitz oder LandesStaatsbesitz handelt. In jedem Fall sollte man zunächst einmal Staatsbesitz zur Verfügung stellen, bevor man etwa in den Privatbesitz eingreift. Ich werde Ihre Anregung prüfen und werde Sie dann nachher über das Ergebnis unterrichten.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Merten.
Herr Minister, teilen Sie die Auffassung des Standortkommandanten von Bonn, der vor der Presse erklärt hat, daß jedem BundeswehrBataillon auf Grund gesetzlicher Regelung ein Übungsgelände von 180 ha zustehe und daß man, da auf diesem Übungsgelände drei Bataillone üben sollten, froh sein müsse, daß nicht dreimal 180 ha, sondern nur einmal 180 ha in Anspruch genommen würden? Würden Sie bitte dem Hohen Hause mitteilen, welche gesetzliche Bestimmung der Behauptung des Standortkommandanten zugrunde liegt.
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Ich darf darauf aufmerksam machen, daß dieser Punkt Gegenstand der Anfrage des Abgeordneten Dr. Kliesing ist, die ich in dem Zusammenhang behandeln werde. Ich glaube aber, daß es eine relativ vernünftige Antwort des Standortkommandanten ist, wenn er sagt, besser einmal 180 als dreimal 180. Ich finde, das ist eigentlich eine ganz vernünftige Antwort, Herr Abgeordneter.
Noch eine Zusatzfrage.
Sie haben nur einen Teil meiner Frage beantwortet, Herr Minister. Welche gesetzliche Regelung legt fest, daß bestimmte Flächengrößen pro Bataillon als Übungsplatz zur Verfügung gestellt werden müssen?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Ich bin im Augenblick überfragt, Ihnen zu sagen, welche gesetzliche Regelung besteht. Daß für eine militärische Formation, also z. B. ein Bataillon, eine Übungsmöglichkeit vorhanden sein muß, wird in diesem Hohen Hause sicher nicht bestritten.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Wissenschafts- und Bildungspolitik - Drucksache V/171 -
b) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Wissenschaftsförderung - Drucksache V/198 -
c) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Förderung der Wissenschafts- und Bildungspolitik - Drucksache V/239 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind die drei Großen Anfragen in der Reihenfolge ihres Eingangs zu begründen, und nach der Antwort des Herrn Bundesministers ist eine gemeinsame Aussprache vorgesehen.
Wir kommen zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD. Das Wort hat Herr Abgeordneter Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat der Bundesregierung drei Fragen vorgelegt, die einige Schwerpunkte der Wissenschaftspolitik betreffen. Wir möchten wissen:
1. Ist die Bundesregierung bereit, die Verantwortung für alle Aufgaben des Bundes in der Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der Ausbildungsförderung und der Bedarfsplanung dem Bundesminister für wissenschaftliche Forschung zu übertragen?
2. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die mittel- und langfristige Finanzierung der Aufgaben in Wissenschaft und Bildung durch Bund, Länder und Gemeinden zu sichern?
3. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um die bestehenden Einrichtungen zur wissenschaftlichen Beratung der Regierung auszubauen und deren Arbeitsergebnisse systematisch und zusammenfassend für langfristig wirksame politische Entscheidungen besser auszuwerten?
Unsere Fragen müssen die Regierung offenbar beunruhigt haben; jedenfalls so weit, daß sie die CDU/CSU und mit einigem zeitlichem Abstand dann auch die FDP dazu ermuntert haben, sich ihrerseits an der Vorbereitung dieser Debatte durch eigene Anfragen zu beteiligen. Dem Kenner der Sachlage bleibt dabei nicht verborgen, daß die Fragen der Koalition zum Teil von den Problemen ablenken sollen, in denen die Politik der Regierung einer gründlichen Korrektur bedarf.
Ich möchte gleich zu Beginn der Debatte sagen, daß dieser Versuch mißlingen wird. Wir werden die Regierung aus dieser Debatte nicht entlassen, ohne daß sie hier klar und unmißverständlich gesagt hat, was sie will und was sie nicht will. Wir werden dabei, um ein geflügeltes Wort des Kollegen Barzel zu gebrauchen, uns nicht mit guten Absichtserklärungen begnügen. Der amtierende Bundeskanzler hat sein rhetorisches Verständnis für die Wissenschaft ja schon bekundet, als er in diesem Hause seine erste Regierungserklärung abgab. Wir haben ihm damals gesagt, daß wir es begrüßten, wenn er aus seiner wohlformulierten Einsicht praktische Folgerungen zöge. Das ist leider in
einem nur unzureichenden Maße geschehen, und die Fabel vom Gemeinschaftwerk wird uns nicht davon abhalten, die Regierung zu drängen, sich nun endlich zu überzeugenden Taten durchzuringen.
Wie ist die Situation, in der unser parlamentarisches Gespräch heute stattfindet? Die Öffentlichkeit ist über den Alarmruf, den die westdeutsche Rektorenkonferenz, der Wissenschaftsrat, die MaxPlanck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft gegeben haben, beunruhigt. Mehr als hundert wichtige Bauvorhaben an unseren Universitäten und Hochschulen müssen stillgelegt oder um Jahre verzögert werden, wenn die Bundesregierung und die Mehrheit des Bundestages nicht zu einem sachlich angemessenen Beitrag zur Finanzierung der Hochschulen bereit sind.
Was ist es für eine Art, auf den leidenschaftlichen Appell unserer Wissenschaftler, jetzt endlich durchgreifend zu helfen, damit zu antworten, die Dinge seien ja halb so schlimm, und Positives stehe neben Negativem? Das, meine Damen und Herren, bestreitet niemand. Aber es geht an unseren Hochschulen nicht rasch genug vorwärts. Das ist die Frage, mit der wir uns heute in dieser Debatte beschäftigen müssen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist deswegen auch nicht bereit, eine Fiktion zu stützen, als ob wir in diesem Parlament darin einig seien, was für die deutsche Wissenschaft jetzt geschehen muß. Sie müssen uns schon, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, davon überzeugen, daß Sie Ihren guten, unseren gemeinsamen guten Vorsätzen angemessene Taten folgen lassen wollen.
Wie konnte es z. B. dazu kommen, daß deutsche Wissenschaftler und Studenten demonstrieren müssen, um bessere Arbeits- und Studienbedingungen zu erreichen?
({0})
- Ich weiß nicht, meine Damen und Herren von der CDU, warum Sie das für eine Sache halten, die Sie zur Heiterkeit provoziert.
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Und was ist es für eine Antwort, den Wissenschaftlern und Studenten dann zu sagen, man werde ihre Argumente prüfen und bedenken. Hat die Bundesregierung nicht Zeit genug gehabt, sich ein Bild von der Lage an unseren Forschungsinstituten zu machen? Hier geht es doch nicht um einen landläufigen Tarifkonflikt, sondern hier handelt es sich um die Frage, ob eine für unsere Industriegesellschaft lebenswichtige Gruppe von Menschen in einer guten Atmosphäre und unter angemessenen Bedingungen ihrer Arbeit nachgehen kann.
Ich weiß - und Sie wissen das alle -, daß diese Lage keine „neue Wirklichkeit", sondern seit langem so ernst wie jetzt ist, - um den jetzigen und den vielleicht künftigen Vorsitzenden der CDU zu variieren.
Der frühere Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, unser Kollege Lenz, hat u. a. daraus die
Folgerung gezogen, sich nicht wieder um sein Ministeramt zu bewerben. Ich möchte ihm an dieser Stelle für seinen guten Willen und für seinen Einsatz für die Sache der Wissenschaft in unserem Lande danken. Ich möchte wünschen, daß es ihm seine Gesundheit erlaubt, uns seinen guten Rat bei der Arbeit des Parlaments auch in Zukunft geben zu können.
({2})
Sein Nachfolger hat der Sache nach ein schweres Erbe angetreten. Wir wissen das zu würdigen, insbesondere dann, wenn sich aus dem uns vertrauten parlamentarischen „Sparkommissar" gegenüber der Wissenschaft allmählich ,ein Minister entwickeln sollte, der die Dinge mit anderen Maßstäben mißt als gestern und vorgestern. Ich sage das ohne Spott. Denn wer freut sich nicht, wenn aus einem Saulus ein Paulus werden will? Leider ist jedoch an den bisherigen Resultaten der Arbeit des neuen Wissenschaftsministers noch nicht abzulesen, wie das aussehen soll. Die Zahl der Interviews und der Artikel, mit denen Herr Bundesminister Stoltenberg die Öffentlichkeit über seine Einsichten und Absichten informiert hat, steht in einem etwas dürftigen Verhältnis zu dem, was er praktisch erreichen konnte. Ich sage: erreichen konnte, nicht: erreichen wollte. Aber wenn Herr Minister Stoltenberg es für einen großen Erfolg hält, die Ausgaben des Bundes für die Wissenschaft im Jahre 1966 gegenüber dem Vorjahr insgesamt um nicht ganz 30 °/o steigern zu können, dann hat er eben nur recht, wenn man dieses bescheidene Resultat an der Ignoranz des Bundeskanzlers mißt. Gemessen an dem, was erforderlich ist, bleibt die Regierung in wesentlichen Teilen hinter dem zurück, was die letzte Bundesregierung in ihrem Bundesbericht Forschung I selber als notwendig bezeichnet hat.
Die Situation in der Wissenschaftspolitik hat sich seit der Neubildung der Bundesregierung keineswegs spürbar verbessert. Was nützt es also - um Herrn Stoltenberg ein tröstendes Wort zu sagen -, neuen Wein in alte Schläuche zu gießen!
Lassen Sie mich an einer der Fragen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion deutlich machen, was ich meine. Eine der Ursachen für die unzureichende Wissenschaftspolitik der Regierung ist ihre schwerfällige Arbeitsstruktur. Die Präsidenten unserer vier Wissenschaftsorganisationen haben nach den Bundestagswahlen den Regierungschef dringend gebeten, die Verantwortlichkeit für die Aufgaben in Wissenschaft und Bildung, soweit sie Sache des Bundes sind, beim Wissenschaftsminister zu konzentrieren. Die Herren Präsidenten befanden sich dabei in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Fachausschüsse des letzten Deutschen Bundestages. Sogar der Kollege Klepsch hat sich im „Echo der Zeit" - leider nur vor den Bundestagswahlen -für eine solche vernünftige Lösung ausgesprochen. Damals war Herr Klepsch als Vorsitzender der Jungen Union dem Bundeskanzler als Wahlkampfberater attachiert. Wenn ich von dieser etwas seltsamen Konstruktion einmal absehe, dann bleibt die Feststellung, daß damals offenbar andere Maßstäbe für die sachlichen Aussagen des RegierungsDr. Lohmar
chefs galten als nach der Wahl; aber das haben wir ja nicht nur in diesem Fall bemerken müssen.
Die Fachausschüsse des letzten Parlaments haben die Regierung zum Beispiel weiter aufgefordert, die Arbeitsstruktur der Regierungen in anderen Industriestaaten zu studieren, um so Anregungen zu gewinnen. Wir warten bis heute auf ein Resultat auch dieser Untersuchung. Statt dessen hat uns der Herr Bundeskanzler nun einen Ersatz für eine klare Arbeitsstruktur seines Kabinetts angeboten, und zwar in Form eines Wissenschaftskabinetts. Ihm gehören zehn Bundesminister, den Kanzler eingeschlossen, an, also rund die Hälfte der Mitglieder des Kabinetts. Man fragt sich nur, wo sie heute alle sind, wo es doch in dieser Debatte in diesem Parlament um ihre Sache geht.
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Es mag nützlich sein, zehn Bundesminister, den Kanzler eingeschlossen, in einer unmittelbareren Weise an der Meinungsbildung im Bereich von Wissenschaft und Bildung zu beteiligen. Aber dann müssen sich die Minister auch bei der ersten parlamentarischen Gelegenheit, die es gibt, nämlich heute, darum kümmern - und zwar nicht durch Abwesenheit.
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Der Bundeskanzler hat die hauptsächlichen Leidtragenden an der Zersplitterung der Zuständigkeiten innerhalb seines Kabinetts, die Minister Stoltenberg, Lücke und Heck, vor einigen Tagen um sich versammelt. Soweit die Presse darüber Auskunft geben konnte, hat man sich darüber geeinigt, sich nicht zu einigen. Eine Entscheidung für eine eindeutige Verantwortlichkeit innerhalb der Regierung ist nicht herausgekommen. Es war offenbar ein Beispiel für des Kanzlers Vorstellung von der formierten Gesellschaft. Er versteht sie wohl so, daß nur dann politisch etwas entschieden werden dürfe, wenn sich die Beteiligten von sich aus auf einen Vorschlag einigten. Ich halte das für ein Mißverständnis von politischer Führung, meine Damen und Herren.
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Es geht nicht darum, ob Herr Lücke, Herr Heck oder Herr Stoltenberg im Rahmen der dieser Regierung gesetzten Grenzen in Einsicht und Initiative der bessere Wissenschaftsminister wäre. Es handelt sich um die ganz andere Frage, ob wir einen oder drei oder zehn Minister haben, die die Verantwortung für diese Aufgabe tragen und sich darum, wie die Erfahrungen der letzten Jahre gelehrt haben, leider häufig mehr streiten als kümmern.
Ganz untergegangen ist bei diesem Handel innerhalb des Kabinetts die interessante Anregung unseres Kollegen Balke - die übrigens auch die Wissenschaftsorganisationen in vernünftigen Grenzen zur Diskussion gestellt hatten -, eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung, der industriellen Gemeinschaftsforschung und der freien Forschung zu sichern.
Natürlich, meine Damen und Herren, kann man sagen, daß eine bessere Arbeitsstruktur der Bundesregierung noch keine Gewähr für gute Ideen in der Wissenschafts- und Bildungspolitik bietet. Aber eine übersichtliche und klare Verantwortlichkeit erleichtert es immerhin, Absichten in die Tat umzusetzen. Der Herr Bundeskanzler sollte sich in dieser Sache ein Beispiel am Bundestag nehmen, wo wir zu einer Zusammenfassung der Arbeit auf den Gebieten der Wissenschaft, der Kulturpolitik und der Publizistik in nur einem Parlamentsausschuß gekommen sind.
Erlauben Sie mir ein paar Bemerkungen zur zweiten Frage meiner Fraktion.
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Die SPD hält es für eine politische Aufgabe ersten Ranges, eine Verständigung zwischen Bund und Ländern und mit den Gemeinden darüber herbeizuführen, wie die Finanzierung der Aufgaben in Wissenschaft und Bildung heute und morgen gesichert werden soll. Die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat gestern in Mannheim bemerkenswerte Anregungen dazu gegeben. Diese Verständigung darf durch Kompetenzschwierigkeiten nicht verzögert oder gar verhindert werden.
Wir haben auch hier, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, nicht die Absicht, uns in dieser Sache mit Versprechungen für die Zukunft vertrösten zu lassen. Deshalb haben wir dem Parlament einen Antrag vorgelegt, der es uns allen erlaubt, die wichtigste aktuelle Frage in der Wissenschaftspolitik heute politisch zu beantworten. Ich meine das Notprogramm, das der Wissenschaftsrat endgültig in Gang setzen müßte, wenn Regierung und Mehrheit des Bundestages bei ihrer unverständlichen Ignoranz bleiben sollten.
Der Wissenschaftsrat hat für das Jahr 1966 für den Ausbau unserer Hochschulen den Betrag von 530 Millionen DM vorgeschlagen. Es sind 180 Millionen DM mehr, als die Bundesregierung in ihren Haushaltsvoranschlag einzusetzen bereit war. Dies, meine Damen und Herren, ist der Gegenwert von 26 Starfightern, also genau der Zahl von Flugzeugen, die unsere Bundeswehr im letzten Jahr durch die tragischen Unfälle verloren hat. Ich bitte, diesen Vergleich nicht als eine polemische Anmerkung zu verstehen,
({7})
sondern als Ausdruck meines Wunsches, die Dinge in den richtigen Relationen zu sehen.
({8})
Sie können meinetwegen auch einen Vergleich mit den Subventionen unterschiedlicher Art und Güte, die wir im Bundeshaushalt finden, anstellen. Der Herr Kollege Klepsch - um ihn noch einmal anzusprechen - hat sich ja vorgenommen, den Bundeshaushalt zusammen mit der Verwaltung einmal daraufhin zu durchforsten, wo überflüssige Subventionen stecken. Es wäre interessant, zu erfahren, ob dabei für die Wissenschaft etwas herauskommen kann.
Die Bundesregierung sagt heute, sie sehe sich bei einem 70-Milliarden-Haushalt - man bedenke das
einmal! - außerstande, den Betrag von 180 Millionen DM für die deutsche Wissenschaft zusätzlich bereitzustellen. Dieselbe Regierung hat aber im Wissenschaftsrat durch ihre Vertreter zugestimmt, daß diese 530 Millionen DM und nicht die jetzt noch zur Verfügung stehenden 350 Millionen DM für dieses Jahr notwendig seien, um einen kontinuierlichen Ausbau unserer Hochschulen zu sichern. Erst als in Bonn die Wahlgeschenke zurückgenommen wurden, mußte der Wissenschaftsrat sich wohl oder übel bereitfinden, Abstriche an einem sachlich wohlfundierten Programm wider bessere Einsicht vorzulegen. Das Resultat ist die sogenannte „Negativliste", dieses bedrückende Dokument, das wir alle kennen. Sie bedeutet, daß viele für unsere Forschung und Lehre lebenswichtigen Einrichtungen nicht rasch genug gebaut werden können, ohne daß die Bundesländer die hier entstehende Lücke in nennenswertem Ausmaß ausfüllen könnten.
Dabei muß man wissen, daß der Bund in seinen Verhandlungen mit den Ländern seinerzeit davon ausgegangen ist, jedem Partner die Hälfte der entstehenden finanziellen Belastungen zuzumuten. Das schien damals mit 250 Millionen DM pro Jahr und Partner abgetan. Aber das ist seit langem nicht mehr so. Die Länder haben sich der neuen Lage angepaßt und sehr viel höhere Mittel bereitgestellt. Wäre das nicht geschehen, dann wären unsere Universitäten und Hochschulen in einer noch viel ärgeren Bedrängnis als jetzt.
Im Zusammenhang damit ist auch die andere Frage zu überdenken, ob und in welchem Maße sich
der Bund an der Finanzierung neuer Hochschulen und Medizinischer Akademien beteiligen will. Über symbolische Beiträge ist er bisher nicht hinausgegangen. Nimmt man die zunehmende Progression beim Ausbau der bestehenden Hochschulen nach den Planungen des Wissenschaftsrates zur Kenntnis, so kann der Bund bei den neuen Hochschulen wahrscheinlich fürs erste nur in subsidiärem Maße helfen. Ist es dann aber nicht gut, die Bundesregierung erwägt, ob sie - übrigens gemäß der Verfassung - überregional bedeutsame Forschungseinrichtungen an verschiedenen neuen Universitäten finanzieren könnte? Auf diese Weise ließe sich ein begrenztes finanzielles Engagement mit sachlich vernünftigen Gründen stützen. Konstanz, Bremen, Ostwestfalen z. B. bieten sich hier mit überregional interessanten Projekten an.
Wir werden beim Ausbau der bestehenden und der neuen Hochschulen auch nicht übersehen dürfen, was Professor Raiser, der langjährige Präsident des Wissenschaftsrates, zu diesem Thema bemerkt hat. Er hat zu Recht auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß der Wissenschaftsrat bisher ja gar nicht in der Lage gewesen sei, seinen Auftrag zu erfüllen und jährliche Dringlichkeitsprogramme aufzustellen. Dazu braucht er verläßliche und langfristige Haushaltsplanungen nicht nur der Länder, sondern auch des Bundes. Raiser hat weiter - und darauf kommt es, scheint mir, sehr an - für eine Schwerpunktbildung und eine Arbeitsteilung an unseren Hochschulen plädiert. Das ist eine Sache, deren sich die Bundesregierung im Wissenschaftsrat unverzüglich annehmen sollte. Es hat keinen Zweck, den wissenschaftlichen Partikularismus in der Besetzung und Bestückung der Institute innerhalb und außerhalb von Universitäten auf die Spitze zu treiben. Die Wissenschaft hat den Tatbestand der Arbeitsteiligkeit registriert, sie sollte ihn nun bei sich selber rationeller realisieren. Dies ist kein Einwand - Sie wissen es - gegen die Freiheit in Forschung und Lehre; aber wir sollten die Mahnung des früheren Präsidenten des Wissenschaftsrates ernst nehmen, auch die Wissenschaft selber möge um eine sachlich angemessene Arbeits- und Organisationsform bemüht sein.
Lassen Sie mich zu unserer dritten Frage kommen. Sie zielt auf das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik in unserem Staat. Die Bundesregierung hat vor geraumer Zeit mit Stolz darauf hingewiesen, sie könne - so sagte das Bundespresseamt nach meiner Erinnerung damals - 471 Gelehrte zu ihren Beratern zählen. Ich kenne eine Reihe dieser Wissenschaftlicher und weiß, daß sie sich manchmal fragen, zu welchen politischen Resultaten denn eigentlich ihre beratende Mitwirkung führt. Als guter Staatsbürger entzieht sich der Wissenschaftler selbstverständlich nicht der Bitte der Regierung, mit seinem Rat zu helfen. Es ist deswegen keineswegs sicher, ob er die diese Regierung tragenden politischen Parteien wählt. Ihn bestimmt dabei der Wunsch, die Regierung auf der Höhe der Zeit zu sehen. Und genau das, meine Damen und Herren, ist seine Aufgabe als Bürger und als Wissenschaftler.
Die Regierung weiß offenbar selbst nicht einmal genau, in welchem Maße sie sich des Rates von Wissenschaftlern bedient. Die Zahl 471, so respektabel sie ist, bleibt weit hinter der Sachlage zurück. Mir liegt eine sorgfältige Aufstellung vor, nach der etwa 750 Wissenschaftler zu den Beratern der Regierung zählen. Aber warum soll sich die Regierung nicht zur Abwechslung einmal von der Opposition über das informieren lassen, was sie tut?
Uns geht es in der Sache um zweierlei.
Erstens darum, daß Wissenschaftspolitik nicht nur begriffen werden kann als eine Förderung der wissenschaftlichen Lehre und Forschung durch den Staat, sondern daß wir die Hilfe nutzen, die eine wissenschaftliche Beratung der politischen Führung in ihren Entscheidungsvorbereitungen geben kann.
Der Bundesregierung fehlt - und das liegt eben an ihrem häufig gestörten Verhältnis zur Wissenschaft und an ihrer mangelnden Systematik - bis heute eine Vorstellung davon, wie sich unsere Gesellschaft in den nächsten fünfzehn oder zwanzig Jahren technologisch, ökonomisch, soziologisch entwickeln wird. - Ich vermeide das Wort „Wandel", um konservative Gemüter nicht unnötig aufzuschrecken. ({9})
Eine Antwort auf diese und andere Fragen kann man nur aus den Resultaten wissenschaftlicher Forschungsarbeiten gewinnen. Eine Beratung in diesem Sinne ist keine demoskopische Belehrung von Regierung oder Parteien - um diesem Mißverständnis gleich vorzubeugen. Auch so etwas mag in Grenzen
nützlich sein, obwohl ich über den qualitativen Erfolg solcher Dinge meine eigenen Auffassungen habe. Es geht darum, daß die Staatsführung - wozu Regierung und Parlament gehören - eine präzise Vorstellung von den langfristigen Trends, den Entwicklungslinien unserer Gesellschaft braucht, um ihre Politik im ganzen damit in Übereinstimmung bringen zu können.
Herr Kollege Martin war so freundlich, in der Debatte über die Regierungserklärung die von Herrn Brandt angeregte Studie „Deutschland 1975" zu erwähnen. Ich will mich, Herr Martin, dafür revanchieren und mich auf eine andere Studie beziehen, die unter dem Titel „Was soll aus Deutschland werden?" herausgegeben wurde. Sie ist mit einem Vorwort des Herrn Bundeskanzlers erschienen. Aber sie steht gleichwohl in ihren Aussagen mit der anderen Studie „Deutschland 1975" in einem sehr viel engeren sachlichen Zusammenhang als mit der Politik der Bundesregierung, die der Bundeskanzler führen sollte.
Es läßt sich nicht vermeiden, in diesem Zusammenhang das Wort „Planung" wenigstens zu nennen, und zwar in dem Sinne, wie Hartmut von Hentig sie definiert hat. Planung, so sagt er, sei eine Art, seine Arbeit so einzurichten, daß sich nichts unvermutet rächen könne. Wenn Sie es etwas weniger bildhaft haben wollen, so können Sie im Wissenschaftsbericht der OECD eine andere Definition finden: „Planung", so heißt es dort, „heißt, Konsequenzen aufzeigen, Alternativen nebeneinderstellen und künftige Entscheidungen rationalisieren."
Das ist es, so scheint mir, worum es geht. Die emotionale und ideologische Reaktion des Herrn Bundeskanzlers auf ein sachlich angemessenes Verständnis von Planung ist (bekannt; aber sie sollte einem langfristig orientierten Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik nicht länger im Wege stehen dürfen. Es geht nicht - um die erwähnte Studie zu zitieren - um die Menge der Unterlagen, also z. B. um die Frage, wieviel hundert Wissenschaftler man um deren Rat bittet, sondern es geht „um die Qualität an informatorischer Genauigkeit dieser Unterlagen" für die politische Meinungsbildung. Mit freundlicher Genehmigung des Herr Präsidenten darf ich noch einen Satz zitieren:
Informationstheorie und Kybernetik
- so heißt es in der vom Herrn Bundeskanzler eines Vorworts gewürdigten Studie werden uns für die übergreifenden Probleme die Hilfsmittel liefern, allerdings gegen die Preisgabe tief verwurzelter Vorurteile und traditioneller Praktiken im öffentlichen Bereich.
So ist es. Staatsführung und Wissenschaft, meine Damen und Herren, müssen zu einem Gedankenaustausch und zu einer Informationsdichte kommen, die Mißverständnisse über die wahrscheinlichen Tendenzen der .gesellschaftlichen Entwicklung ausschließen. Dazu braucht eine moderne Regierung ein politisches Zentrum zur Klärung, Sichtung und Koordinierung der Probleme und Resultate, die sich aus der wechselseitigen Beziehung von Staatsführung und Wissenschaft ergeben. Die Ergebnisse der
Forschung müssen systematisch und politisch zusammenfassend gesammelt und ausgewertet, andere der Forschung zugängliche Fragen müssen in ähnlich systematischer Weise in das Gespräch mit der Wissenschaft gebracht und beantwortet werden. Eine solche Clearingstelle könnte entweder im Bundeskanzleramt oder im Wissenschaftsministerium ihren politischen Ort finden. Was gedenkt, Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung zu tun, um hier die Erfahrungen zu nutzen, die etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht nur unter Kennedy, sondern auch unter dem jetzigen Präsidenten Johnson seit langem gesammelt wurden und vorliegen?
Die Bundesregierung soll nicht das Empfinden haben, der SPD lediglich auf ihre Fragen antworten zu sollen. Die Sache der Opposition ist es, die Regierung zu kontrollieren, sie anzuregen, aber die Sache der Opposition ist es auch, ihre eigenen Vorstellungen von einer guten Politik zur Diskussion zu stellen. Sie sollen sich über einen Mangel an Alternativen in dieser Sache nicht zu beklagen brauchen.
Ich fasse die Vorschläge der SPD zusammen:
1. Nicht erst in den nächsten Jahren, sondern jetzt müssen die notwendigen Mittel für den Ausbau unserer Hochschulen und Forschungsinstitute bereitgestellt werden.
2. Die Arbeitsbedingungen für unsere Wissenschaftler müssen so sein, daß sie sich wirklich entfalten können. Die Abwanderung deutscher Forscher ins Ausland muß ein Ende haben.
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3. Die Finanzierung unserer wichtigsten Gemeinschaftsaufgabe Bildung und Wissenschaft muß durch eine Verständigung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gesichert werden.
4. Bund und Länder müssen einen langfristigen Plan für die Gestaltung der Wissenschafts- und Bildungspolitik vorbereiten. Er muß sachlich und finanziell fundiert sein.
5. Die Staatsführung muß sich für langfristige politische Dispositionen auf die systematische Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern stützen. Politik bedarf der wissenschaftlichen Beratung und Planung.
6. Staat, Wirtschaft und Hochschulen sollten ihre Zusammenarbeit in der Forschung verbessern.
7. Der Wissenschaftsminister muß die ungeteilte Verantwortung für die Wissenschaftsförderung, die Ausbildungsförderung und die Bedarfsplanung im Rahmen des Kabinetts bekommen.
8. Die Ausbildungsförderung ist ein Kernstück moderner Sozial- und Bildungspolitik. Sie bedarf einer großzügigen politischen Konzeption.
Ich bleibe, meine Damen und Herren, mit diesen Vorschlägen im Rahmen dessen, was die SPD in dieser Debatte mit der Bundesregierung zu diskutieren wünscht. Andere Probleme, wie die Weltraumforschung, die Atomkernenergieforschung, der Bil744
dungsrat - um nur einige zu nennen -, verdienen und haben unser Interesse in gleichem Maße. Aber es hat wenig Sinn, über alles zur gleichen Zeit zu reden.
Wir haben Ihnen, der Bundesregierung und den Regierungsparteien, klar gesagt, was wir wollen. Ich hoffe, daß die Antwort der Bundesregierunng ebenso klar sein wird.
({11})
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der CDU/CSU hat der Abgeordnete Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte zunächst zwei Vorbemerkungen machen. Herr Kollege Lohmar hat in einem Nebensatz den Herrn Bundeskanzler einen Ignoranten genannt. Ich möchte das mit Entschiedenheit zurückweisen, weil es nicht der Stil dieses Hauses ist
({0})
und schon gar nicht der Stil einer Kulturdebatte.
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Ich möchte eine zweite Vorbemerkung machen. Ich halte es nicht für gut, wenn man isoliert nur von Wissenschaft spricht. Wir stehen heute vor großen Fragen. Sie sind nur lösbar, wenn es uns gelingt, die Wissenschafts- und Kulturpolitik in das Gesamt von Wirtschafts- und Sozialpolitik überhaupt hineinzustellen. Sonst setzen wir uns dem Verdacht aus, daß wir als Romantiker neben der Politik herlaufen. Bei der Erwähnung der Subventionen wäre es sehr viel interessanter gewesen, zu hören, an die Streichung welcher Subventionen und die Kürzung welcher Positionen die SPD denkt.
({2})
- Ich will die Polemik vorab erledigen, dann kann ich nachher ruhiger sprechen.
({3})
Herr Lohmar, ich finde auch die Einseitigkeit der Diskussion, die Darstellung, als ob es sich ausschließlich um ein deutsches Problem handele, nicht richtig. Sie können in der Frankfurter Zeitung von heute auch lesen, daß die Universitäten eines befreundeten Landes den Numerus clausus einführen müssen, weil sie genauso wenig wie die Franzosen und Engländer mit der Flut der Studenten zurechtkommen. Wir haben es doch mit dem generellen Problem zu tun, wie in einer explosiv gewachsenen Industriegesellschaft die Ausbildungseinrichtungen ausreichend ausgebaut werden können.
({4})
Deshalb aber sollten wir in dieser Debatte versuchen, die Probleme in der ganzen Breite anzusprechen.
Ich glaube, man muß davon ausgehen, daß die Ziele eines modernen Staates sind: Wachstum der
Wirtschaft, Vollbeschäftigung, Stabilität der Währung - anders gesagt: Wohlstand.
({5})
- Ich bin noch lange nicht am Ende, Herr Professor Schmid.
({6})
- Es gibt eine Argumentenkette. Sie können sie nachher ordnen. Perlen kann man austauschen, wie Sie wissen. Ich hoffe, daß es Perlen sind, die ich bringe.
Meine Damen und Herren, bei diesen Bemühungen um den Wohlstand muß man sich die Frage stellen: Wo liegt denn der entscheidende Faktor? Wo ist der Hebel? Sie wissen, daß es unter Volkswirten und anderen eine ausgedehnte Diskussion darüber gibt. Die einen sagen, es sind die Bodenschätze, andere verweisen auf das Klima, die Verkehrslage, die Summe der Erbanlagen und was alles genannt wird. Im Grunde wird man aber sagen müssen, es ist das gesamte geistige Vermögen eines Volkes, das alle diese Faktoren erst zur Wirkung bringt. Deshalb ist es richtig, wenn die Leute von der OECD sagen, neben Kapital und Arbeit sei *die Wissenschafts- und Kulturpolitik der dritte Faktor für die Erreichung des Wohlstandes. Man darf nicht so tun - das ist die Gefahr einer solchen Diskussion -, als ob der eine Faktor das Ganze werden könnte. Man muß vielmehr seine Größe und seine Bedeutung jetzt, heute und hier bestimmen.
Diese Debatte findet in einem ganz bestimmten Augenblick statt. Wir haben vor kurzem das Gutachten der fünf Weisen bekommen, und der Herr Bundeskanzler ist eben weggegangen, um den Bericht der Troeger-Kommission entgegenzunehmen. Die Diskussion heute muß sich auf diese zwei Tatbestände beziehen. In dem einen Gutachten gibt es nämlich Aussagen über den Stand unserer Wirtschaft und Aussagen über die Prognose, unter der wir handeln müssen. In dem Troeger-Bericht werden Aussagen über die Finanzverteilung und über die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern gemacht werden. Damit haben wir die zwei Pole, über die wir sprechen müssen, weil wir nämlich den Versuch machen müssen, die Kulturpolitik in die Wirtschafts- und Sozialpolitik wirklich einzuordnen und sie auf sichere finanzielle und organisatorische Grundlagen zu stellen. Es wird wohl richtig sein, zunächst einmal von dem Gutachten auszugehen und das zu extrahieren: was haben wir dort zur Kenntnis zu nehmen?
Erstens: die Konjunktur hat ihren Höhepunkt überschritten. Zweitens: neue Investitionen und Steigerungen der Ausfuhr sind nicht mehr zu erwarten. Drittens: Sondereinflüsse wie die Steuersenkung 1965 werden ausbleiben. Viertens: wir müssen uns auf einen Zuwachs von etwa 4 % einrichten.
Das Entscheidende an dem Gutachten ist die Aussage, daß die Gefahr des Geldwertschwundes durch die Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums
nicht gebannt ist, sondern daß es zusätzlicher Maßnahmen der öffentlichen Hand bedarf, um die Stabilität sicherzustellen. Solche Maßnahmen waren die Streichungen durch das Kabinett und das Haushaltssicherungsgesetz. Die Steigerung bei den Wissenschaftsmitteln um 32 %, die wir tatsächlich haben, wäre auch in diesem Jahr schon nicht möglich gewesen, wenn die entsprechenden Maßnahmen im Haushaltssicherungsgesetz und im Kabinett nicht getroffen worden wären.
({7})
Daher lautet die erste These: Es ist auch im Interesse der Wissenschaft, auf Wachstum und Stabilität zu achten, und wir erwarten auch in der Wissenschaft einen Partner bei dem Bemühen, und bei dem Ringen um die Stabilität unserer Wirtschaft und unserer Währung. Die Wissenschaft muß deshalb besonders daran interessiert sein, weil ihr Zugriff auf das Sozialprodukt immer schärfer wird. Ich meine das nicht psychologisch, sondern sachlich. Das liegt daran, daß die Aufwendungen für die Wissenschaft sehr viel schneller wachsen als das Sozialprodukt selbst. Man rechnet damit, daß sich in fünf Jahren die Aufwendungen etwa verdoppeln. Deshalb ist gerade für die Wissenschaft ein gutes Sozialprodukt entscheidend. 65 % der Ausgaben an den Universitäten sind Ausgaben für Löhne und Gehälter. Jeder Preisanstieg verschluckt die Zuwendungen der öffentlichen Hand und läßt sie unproduktiv werden. Dasselbe ist bei den Großbauten der Fall. Deshalb ist die Stabilität der Währung auch für die Wissenschaft wichtig.
Man muß sich, wenn man auf eine politische Entscheidung zugeht, die Größenordnungen klarmachen. Das kann man immer nur am konkreten Objekt. Ich habe mir einmal die Entwicklung einer mittleren Universität mit etwa 9000 Studenten seit 1961 angesehen. Da steigen die Baumittel von 11 Millionen auf 18, 25, 28, 40 Millionen und enden mit 50 Millionen DM im Jahre 1965. Die Betriebskosten steigen von 38 Millionen auf 70 Millionen DM; der Personalbestand erhöht sich von 2300 auf 4200. Die Institute in der Großforschung haben heute Aufwendungen, wie sie für eine mittlere oder kleine Universität notwendig sind. Das alles muß man sehen, wenn man die Sache entscheiden will.
Nun kommt noch etwas Neues hinzu: wir haben in den letzten Debatten über Begabungsreserve, Anteil der Arbeiterkinder, Verhältnisse auf dem Lande, Zahl der Abiturienten usf. gesprochen. Man muß heute sagen, daß wir Jahre dynamischer Kulturpolitik der Länder hinter uns haben. Was in kurzer Zeit durch Bildungswerbung, Landschulreform, Verbesserung der Durchlässigkeit, Veränderung der Strukturen im Schulwesen auf dem flachen Lande gelungen ist, das ist erstaunlich. Aber es hat eine Wirkung, die wir sehen müssen. Sie besteht darin, daß im Jahre 1970 wiederum eine Studentenwelle auf uns zukommen und im Jahre 1975 ein explosives Anwachsen zu verzeichnen sein wird. Auf diese Lage müssen wir uns einstellen, und wir müssen jetzt über die konkreten Daten reden.
Der Wissenschaftsrat stand 1960 vor der entscheidenden Frage, wie er sich angesichts des beengten
Raumes und der unzureichenden Möglichkeiten an den Universitäten verhalten solle. Er konnte einen Numerus clausus einführen, wie die Engländer das bis zum Robbins-Report getan haben, also die Zahl der Studenten beschränken, oder den Ausbau empfehlen. Das zweite hat er getan, und diese Entscheidung war prinzipiell richtig. Aber wir müssen wissen, was das für uns bedeutet. Der Wissenschaftsrat sagt uns, daß für den Ausbau der Universitäten noch 10 Milliarden DM erforderlich sein werden und für den Neubau noch einmal 10 Milliarden DM.
Nun muß man diese Situation in der Wissenschaft der Situation in Wirtschaft und Gesellschaft gegenüberstellen. Wenn es wahr ist, daß wir uns, wenn wir die Stabilität erhalten wollen, im Rahmen des Zuwachses bewegen müssen, bedeutet das, daß die gegenwärtigen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden noch nicht auf die neuen Erfordernisse der Wissenschaft in Staat und Gesellschaft ein- und umgestellt sind. Es heißt weiter: Wir müssen hier in diesem Hause eine politische Entscheidung darüber fällen, was wir denn eigentlich unter Priorität für die Wissenschaft verstehen, und wir müssen das sagen.
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- Sie auch, Herr Schiller. Sie werden nicht ausgenommen. Herr Lohmar hat ja gesagt, Sie wollten gute Vorschläge präsentieren. Wir warten noch darauf, denn auch Sie müssen die Antwort auf die Frage geben, auf was man verzichten kann.
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Ich habe gesagt, Herr Professor Schiller, das ist eine politische Entscheidung. Sie müssen sich darauf einrichten, daß diese Diskussion, die ich soeben angesprochen habe, in den kommenden Debatten - etwa mit Herrn Schellenberg oder auch mit anderen Leuten intra et extra muros - weitergehen wird;
({10})
denn die Situation selbst wird den Bundestag und die Bundesregierung aus dieser Notwendigkeit nicht mehr entlassen. Es geht eben um die Rangfolge der Staatsaufgaben. Die Diskussion über diese Rangfolge findet auch vor den Haushaltsberatungen statt, und deshalb liegt uns daran, das Gewicht dieser Diskussion fühlbar zu machen.
Das zweite ist die Organisation der Kulturpolitik in diesem Lande. Wir leben in einem Bundesstaat, und wir wissen, daß die Wirksamkeit der Kulturpolitik in hohem Maße von der Organisation, von dem partnerschaftlichen Verhältnis der „Zeichnungsberechtigten" der Kulturpolitik abhängt. Der Föderalismus ist keine Kommandostruktur, sondern ein partnerschaftliches Verhältnis und deshalb schön und mühsam zugleich.
Herr Lohmar hat hier mit spitzem Finger auf die Bundesregierung gezeigt und gesagt: die Länder haben das alles vortrefflich gemacht. - Ich weiß die Leistungen der Länder zu schätzen, aber es wäre doch auch gut gewesen, wenn Herr Lohmar bei der Vorbereitung seiner Rede einmal die Rede des Herrn hessischen Ministerpräsidenten Zinn von 1962
nachgelesen und sich darüber orientiert hätte, daß es noch 1964 gewichtige Stimmen - 1962 gar einen einstimmigen Beschluß der Ministerpräsidenten - gab, die Wissenschaftsmittel aus dem Etat des Bundes zu streichen.
({11})
Man muß wissen, daß der Bund jahrelang darum gerungen hat, überhaupt angemessen zum Zuge zu kommen. Ein Teil der jetzigen Schwierigkeiten beruht ja darauf, daß ohne Wissen und Mitwirkung des Bundes eine Projektaufhäufung stattgefunden hat und uns zum Schluß nur noch die Rechnung dafür präsentiert worden ist, ohne daß wir noch etwas zu entscheiden hatten.
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Deshalb geht unsere Intention in dieser Debatte dahin, zu einer mittelfristigen Planung über den Wissenschaftsrat zu kommen, damit wir wissen, was erforderlich und welche Summe nötig ist. Wir müssen dann entscheiden, in welcher Höhe wir uns beteiligen können. Als Faustregel sollte gelten: feste Beträge für feste Zeiträume, damit die Verwaltung zur Ruhe kommt und der Aufbau kontinuierlich vor sich gehen kann. Das erfordert eine Reihe von Haushaltsumstellungen. Einer unserer Freunde aus dem Haushaltsausschuß wird darauf noch eingehen.
Wir halten es für ein dringendes Erfordernis, daß die Aufgabenverteilung im wesentlichen so bleibt, wie sie ist. Der Ausbau der bestehenden und die Finanzierung neuer Universitäten sowie der MaxPlanck-Gesellschaft , der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Ausbildungsförderung sind gemeinsame Aufgaben von Bund und Ländern; denn Bund und Länder tragen für die Wissenschaft im allgemeinen die Verantwortung. Wir brauchen neue Verwaltungsabkommen, in denen die gegenseitigen Verpflichtungen klipp und klar abgegrenzt werden.
Ich hoffe, daß ich genügend klargemacht habe, um welche Entscheidungen es am heutigen Tage geht. Wir verlangen ein Gesamtkonzept der Kulturpolitik bzw. der Wissenschaftspolitik, wobei wir davon ausgehen, daß die Zuwendungen des Staates von entsprechenden Vorgängen in den Universitäten begleitet sein müssen. Wir brauchen eine Studienreform zur Qualitätsverbesserung. Aber wir dürfen uns nicht der Täuschung hingeben, daß man damit Geld sparen kann. Das Gegenteil wird der Fall sein. Der Ausbau des Mittelbaues hat ganz deutlich gezeigt, daß jede Reform Geld kostet. Also keine falsche Alternative: hier Finanzen, dort Studienreform. Wir wünschen eine intensive Konzentration. Wir müssen dazu kommen, daß sich die Universitäten eines Landes als Einheit begreifen. Nicht jede Universität kann jeden Lehrstuhl, jedes Institut haben, die großen Apparaturen und die großen Forschungsunternehmen müssen so gestaltet werden, daß sie von vielen benutzt werden, dafür aber europäischen Rang haben.
Wir brauchen ferner eine Zusammenarbeit mit den europäischen Ländern. Die deutsche Wissenschaft wird immer mit der amerikanischen und der russischen verglichen. Ein solcher Vergleich täuscht
natürlich. Vergleichbar ist die russische und die amerikanische Wissenschaft, vergleichbar ist vielleicht die europäische und die amerikanische Wissenschaft. Ich bin der festen Überzeugung, daß in Europa genügend Geld und Geist, genügend Möglichkeiten und Potenzen vorhanden sind, um diesen alten Erdteil mit den Wissenschaftsgroßmächten gleichwertig zu machen. Das ist eine der großen Aufgaben, die vor uns stehen, und wir sind dem Bundeskanzler dafür dankbar, daß er dieses Thema bei seinen Besprechungen in Paris aufgeworfen hat und zu konkreten Lösungen führen will.
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Wir sind bereit, über alle Aspekte dieses Themas zu diskutieren. Worauf es ankommt, ist, die Wissenschafts- und Kulturpolitik mit Vorrang zu versehen. Es geht darum, diese Priorität fest in die wirtschaftliche und soziale Entwicklung einzubauen. Die Sorge um die Gegenwart zwingt uns zu einer ganz bestimmten Beschränkung der Ausgaben. Die Sorge um die Zukunft zwingt uns zu Investitionen, die, wenn sie heute nicht gemacht werden, nie wieder gemacht werden können. Das im politischen Kompromiß auf einen Nenner zu bringen, ist die Aufgabe der Bildungspolitik in diesem Jahre. *)
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mühlhan.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungen darf ich Sie daran erinnern, daß wir in Deutschland in den Dingen der Menschenbildung im Bereich der Schule und Erziehung sowie in der Wissenschaft und Forschung einmal internationale Bedeutung und internationales Ansehen besessen haben. Während es uns gelang, auf wirtschaftlichem Gebiete die frühere Bedeutung und Größe zurückzugewinnen, verblaßten in dem Maße der Name und die Bedeutung des Volkes der Dichter und Denker, wie die spektakuläre Rolle des Wirtschaftswunderlandes an Weltpublizität gewann. Wir haben erlebt, wie unter der Hand einer einheitlichen Regierungsgewalt und Ressortverantwortlichkeit mit Hilfe der zusammengefaßten Arbeitskraft unseres Volkes auf der Grundlage eines einheitlichen Wirtschaftskörpers unseres westlichen Deutschlands die Bundesrepublik sich zu dem Wirtschaftsriesen von heute entwickelte.
Erwarten Sie von mir nicht, daß ich jetzt als Gegenbild dazu die Zerstückelung unserer kulturpolitischen Zuständigkeiten durch die Kulturhoheit der Länder zur Erklärung unseres geistigen und kulturellen Absinkens beschreibe. Auf alle Fälle haben wir in der Bundesrepublik die durch den Ausgang des Krieges bewirkten Zerstörungen unserer Kulturverwaltung und unserer Bildungsmittel nicht in dem Maße ausgleichen können wie die Vermögensverluste beim Neuaufbau unseres Wirtschaftslebens. Für diese Entwicklung waren Bund und Länder in
*) Zusammenfassung der Ausführungen siehe Anlage Nr. 6.
gleicher Weise verantwortlich. Zwar hatte das Grundgesetz in Sachen der Bildung und Erziehung die Zuständigkeiten der Länder durch die in ihm begründete Kulturhoheit der Länder bewirkt. Die Wissenschaftsförderung von Bundes wegen in Universität und Forschung war aber durch die in Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes festgelegte konkurrierende Gesetzgebung gegeben.
Durch einen am 26. Januar 1952 gestellten Antrag betreffend die Errichtung eines Bundesbeirats für das Erziehungs- und Bildungswesen, der durch den Abgeordneten Professor Luchtenberg im Namen der FDP eingebracht wurde und der zur Bildung des Deutschen Ausschusses führte, wurde der Bund in seiner ersten Sitzungsperiode zum erstenmal in das Spiel der deutschen Bildungspolitik eingeschaltet. Bundespräsident Professor Heuß, der ihn konstituierte, stellte seiner Wirksamkeit die Prognose seiner Entwicklung: entweder die große Bundeslokomotive zu sein, der die Strecke freigegeben ist zur stürmischen Fahrt in die Länderbereiche, oder einen Güterzug darzustellen mit interessanten Problemen, der auf einem Abstellgleis plaziert wird, wo er niemanden stört.
Dem Deutschen Ausschuß wurde das Schicksal der zweiten Alternative beschert. Er löste sich nach zwölfjährigem Bestehen auf, nachdem die Länder ihre Bildungseinrichtungen und Bildungsmaßnahmen aus eigener Machtvollkommenheit auf der Grundlage ihrer grundgesetzlich garantierten Kulturhoheit nach eigenem Ermessen gebildet und getroffen hatten. Dort, wo der Bund von Anfang an tätig werden konnte, nämlich auf dem Gebiete der Forschungsförderung, rührte er sich zunächst nicht und überließ auch hier den Ländern Initiative und Handlungsfreiheit. Erst am 5. September 1957 kam es zur Begründung des Wissenschaftsrates, der die Aufgabe erhielt, einen Gesamtplan für die Förderung der Wissenschaften zu erarbeiten. Acht Jahre lang hatte der Bund zugesehen - obwohl ihm das Grundgesetz die Möglichkeit der Einflußnahme gegeben hatte -, wie sich die Länder in der Forschung und Wissenschaft unter ihrem Länderhorizont und auf dem Boden ihres wirtschaftlichen Vermögens oder Unvermögens bemühten, den großen Entwicklungen der modernen Wissenschaft und dem vermehrten Andrang zum Hochschulstudium an den Universitäten und Technischen Hochschulen allein gerecht zu werden.
Gerade hier hatte der Krieg die größten Zerstörungen bewirkt. Die Auflösung des preußischen Kulturapparats mit seinen 13 Universitäten, seinen Technischen, Tierärztlichen, Landwirtschaftlichen Hochschulen, Pädagogischen Akademien, der KaiserWilhelm-Gesellschaft, dem Robert-Koch-Institut, der Berliner Staatsbibliothek und anderen bekannten Forschungseinrichtungen, seinen Theatern und Musikanstalten, seinem musealen Besitz usw. wurde nicht nur nicht mit einem gleichwertigen Neuaufbau verbunden, sondern hinterließ auch einen unausfüllbaren Hohlraum. Der Verlust von acht Universitäten, sechs Technischen Hochschulen, acht Pädagogischen Akademien, zahllosen anderen Lehrer-, Kunst- und Wirtschaftshochschulen und vieler anderer Bildungs- und Forschungseinrichtungen, der durch die Abtrennung der Ostzone entstand, das kulturelle Defizit, das sich im Westen durch die Teilung Deutschlands bildete, die sehr viel mehr Bildungs-, Forschungs- und Kunstinstitute der Ostzone zuwarf, als die zurückbleibende Bevölkerung Mitteldeutschlands benötigte, dieser durch die Teilung Deutschlands bewirkte Fehlbestand an Bildungs-, Forschungs- und Kunstanstalten ist bis heute nicht ausgeglichen. Der Bevölkerung, die beispielsweise zum Einzugsgebiet der Universitäten Königsberg in Ostpreußen und Breslau in Schlesien gehörte und größtenteils nach Westdeutschland vertrieben oder geflüchtet war, konnten neue Universitäten oder wissenschaftliche Lehr- und Forschungseinrichtungen in ausreichendem Maße nicht geöffnet werden.
Dem Bildungsgefälle z. B. auf wissenschaftlichem Gebiet, das dadurch entstand, daß die Nachfolgeländer des preußischen Staates, die durch den gesamten Kulturapparat Preußens ausreichend versorgt waren, durch die Abtrennung des preußischen Ostteils aber in ein großes Hochschuldefizit gerieten, wurde nicht etwa entgegengewirkt, sondern es vergrößerte sich während der jüngsten Entwicklung zusehends. So werden in Zukunft drei Flächenländer, nämlich Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, drei Universitäten besitzen, während vier andere Flächenländer, die größtenteils über gewachsene Kultureinrichtungen und Verwaltungen verfügen, bildungspolitisch also weniger unter der Katastrophe von 1945 gelitten haben, in Zukunft 16 Universitäten unterhalten. Dabei ist noch das Kuriosum zu verzeichnen, daß der zweitgrößte Flächenstaat der Bundesrepublik, der mit 6,8 Millionen Einwohnern mit seiner einzigen Landesuniversität das größte Universitätsdefizit in der Bundesrepublik aufweist, die zweite Landesuniversität offenbar nicht will. Ja, im Verwaltungsabkommen vom 4. Juni 1964, das die Länder über die Finanzierung der Universitäten Bochum, Bremen, Dortmund, Konstanz und Regensburg abgeschlossen hatten, verpflichtete sich dieses Land, zum Bau der vierten Landesuniversität und einer neuen Technischen Hochschule in Nordrhein-Westfalen, der vierten Landesuniversität in Baden-Württemberg sowie der vierten Landesuniversität in Bayern beizutragen; auf den Bau der eigenen notwendigen zweiten Landesuniversität aber verzichtete es auch hier.
Keine Gewalt der Bundesrepublik fand sich rechtzeitig, die Decke der Wissenschaft und Forschung, die durch die Abtrennung Ostdeutschlands für die Bundesrepublik zu kurz geworden war, durch notwendige sachgerechte Ausweitungsmaßnahmen und die richtige Lageverteilung wieder passend und ausreichend zu gestalten. Hier stellt sich der Teil der Frage 3 unserer Großen Anfrage an die Bundesregierung, der den beschleunigten Aufbau' der Hochschulen betrifft und das Kernstück unserer Großen Anfrage bildet, die ergänzt wird durch die Frage nach der Möglichkeit einer zweckmäßigen regionalen Verteilung der neu zu bauenden Universitäten, damit die grundgesetzlich verbürgte Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik ge748
währleistet bleibt. Vor allem haben wir die Frage nach der Beschleunigung dieser notwendigen Maßnahmen zu stellen; denn die Empfehlungen des Wissenschaftsrates, dessen Arbeit an dieser Stelle vor diesem Hohen Hause nicht hoch genug gewürdigt werden kann, lagen schon im Jahre 1960 vor. 1965, fünf Jahre später, ist ein Teil der einzigen Universität von den fünf vorgeschlagenen Neugründungen, in Bochum, bezugsfertig geworden. Wie ist diese Verzögerung zu erklären? Kann das Schneckentempo der deutschen Wissenschafts- und Forschungsförderung nicht auf die Raketengeschwindigkeit der modernen technischen Entwicklung abgestimmt werden? Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um eine Beschleunigung zu erreichen? Sind die Länder für diese Entwicklung verantwortlich oder der Bund? War es zweckmäßig, Bremen, das 1963 einen Jahresetat von rund 830 Millionen DM verzeichnete, die Lasten einer Universitätsneugründung aufzuerlegen? Kann nicht bei der Verteilung der öffentlichen Ausgaben auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene, die sich auf 150 Milliarden DM belaufen, eine leichte Schwerpunktverschiebung vorgenommen werden, damit nicht an der Stelle am meisten gespart werden muß, wo die Kriegsverluste bis heute am wenigsten ausgeglichen geblieben sind?
Es war eine gute Fügung, daß am 15. Juli 1965 das Abkommen über die Errichtung eines Deutschen Bildungsrates perfekt wurde. Denn der Deutsche Ausschuß hatte sich aufgelöst. Angeregt wurde die Gründung des Bildungsrates von dem Tübinger Professor Erbe, der ihm auch den Namen gab, während Kultusminister Hahn offiziell die Vorschläge zu seiner Verwirklichung machte. Beiden Herren ist dafür besonders zu danken. Die Kompetenz des Deutschen Bildungsrates betrifft offenbar alle die Angelegenheiten der Bildungspolitik, die nicht vom Wissenschaftsrat zu erledigen sind. Zwar sollen Bildungs-und Wissenschaftsrat für Fragen, die die Aufgabenbereiche beider berühren, einen Koordinierungsausschuß errichten, der von beiden mit der gleichen Vertreterzahl besetzt wird. Aber diese Berührungsbereiche bilden die Grenzfälle der Zuständigkeit beider Einrichtungen. Was uns Sorge macht, ist die Zusammensetzung der beiden Kommissionen. In der Regierungskommission sitzen vier Minister der Bundesregierunng: die Minister für Inneres, Wirtschaft, Familie, Wissenschaft, ferner 14 von den Ländern ernannte Vertreter, von denen drei auf Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände bestimmt werden sollen. Zersplittert sich auf dieser Ebene nicht alles in dem Gegeneinander der unterschiedlichen Interessen- und Arbeitsbereiche der vier Bundesressorts und der elf Ländervertreter?
Die Bildungskommission wird zwar insgesamt vom Bundespräsidenten berufen, aber auf Vorschlag der elf Länderregierungen, der Bundesregierung und der kommunalen Spitzenverbände, die je vier bzw. je drei Vertreter benennen. 36 Köpfe des Bildungsrates sollen also Bedarfs- und Entwicklungspläne, Empfehlungen für langfristige Planungen für das deutsche Bildungswesen ausarbeiten. Für die Vorschläge des Bildungsrates sind die Länder zuständig. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates berührten in
der Hauptsache die Zuständigkeit des Bundes und der Länder. Darin lag die Erfolgsgarantie des Wissenschaftsrates. Der Deutsche Ausschuß konnte neben den Ländern, die ihre Kulturhoheit handhabten, keine durchgreifende Wirksamkeit entfalten. Wird der Bildungsrat, vor allem die Bildungskommission, sich neben den Ländern, neben der Kultusministerkonferenz behaupten können? Glaubt die Bundesregierung, die Schwierigkeiten überwinden zu können, die sich aus der gleichgerichteten Aufgabenstellung des Bildungsrates und der Kultusministerkonferenz ergeben, die von Amts wegen die Kulturhoheit der vertretenen Länder wahren muß, und zwar jeder Minister für sich und sein Land? Ist nicht der Einfluß des Bundes in zu bescheidenen Grenzen gehalten?
Besonders störend wirkt die Bestimmung, daß in den Bildungs- und Erziehungsangelegenheiten, die der Bildungsrat wahrnehmen soll, auf Bundesebene der Bundesminister des Innern verantwortlich und zuständig sein wird. Wer hat diese Bestimmung durchgesetzt? Die Länder oder der Bund?
Dabei stellt sich dem unvoreingenommenen Betrachter die Frage: Ist die Gespaltenheit der Ressortverantwortlichkeit in den Bildungsangelegenheiten auf Bundesebene wünschenswert? Haben die Länder ein Interesse an dieser Spaltung und die Ressortverantwortlichkeit des Innenministers begrüßt, damit das Gewicht des Bundeswissenschaftsministers nicht zu groß wird?
Damit rückt die Frage 2 unserer Großen Anfrage ins Blickfeld der Betrachtung, nämlich die Frage der Aufgabenverteilung der Bildungs- und Forschungsangelegenheiten im Rahmen der Bundesregierung. Vor einigen Tagen wurde die Einrichtung eines Kabinettsausschusses für wissenschaftliche Forschung, Bildungs- und Ausbildungsförderung bekanntgegeben. Zehn Minister sollen ihm angehören. Es sind die Minister für Inneres, Finanzen, Wirtschaft, Ernährung, Arbeit, Verteidigung, Bundesrat, Schatz, Familie, wissenschaftliche Forschung. Hierzu müssen wir erhebliche Sorgen und Bedenken äußern, ob es zweckmäßig ist, die Kompetenz des Bundes, die in Bildungs- und Forschungsangelegenheiten gegenüber der Kulturhoheit der Länder sowieso beschränkt ist, so weitgehend aufzuspalten und zu zerstückeln.
Sie alle wissen, daß die Sachbezogenheit der Ressorteinteilung und die Ressorteinteilung innerhalb der Ministerien seit dem 18. Jahrhundertgeübt wird. Seit dieser Zeit wurden die Angelegenheiten der Bildung, Kunst und Wissenschaft überall in der Welt in einem Ministerium, im Kultusministerium, bearbeitet.
Der Bundesinnenminister betreut gegenwärtig die Preußische Staatsbibliothek und den gesamten Preußischen Kulturbesitz. Einige von Ihnen wissen aus eigener Erfahrung, daß diese Bibliothek einmal ein großes Bildungsinstrument gewesen ist. Denjenigen, die eine Vorstellung davon haben, wie streng die kulturpolitische Sachbezogenheit der einzelnen Ressorts innerhalb der preußischen Staatsregierung gehandhabt wurde, wird es unbegreiflich erscheiDr. Mühlhan
nen, daß ein preußischer Innenminister die Verfügungsgewalt über die Preußische Staatsbibliothek hätte verlangen können. Jedenfalls wäre jedes preußische Staatsministerium über eine solche Forderung diskussionslos zur Tagesordnung übergegangen. Das gleiche gilt von dem übrigen Preußischen Kulturbesitz, den der Bundesinnenminister heute verwaltet.
Wir können verstehen, daß diese Ressortordnung bislang eingehalten wurde, weil der Innenminister die Verfügungsgewalt besaß, als das Bundeswissenschaftsministerium noch nicht eingerichtet war. Heute ist diese Aufteilung nicht mehr berechtigt.
Wir fragen die Bundesregierung, wann die Angelegenheiten des Preußischen Kulturbesitzes und die damit zusammenhängenden Sachgebiete in das Wissenschaftsministerium eingeordnet werden. Wir können nicht zustimmen, daß man in der Ressortsverteilung der Wissenschafts- und Bildungsangelegenheiten des Bundes an längst vergangene Verhältnisse anknüpft, indem sie nach Prinzipien geregelt wird, die im 18. Jahrhundert Geltung hatten.
Im übrigen gilt auch hier das Wort: Viele Köche verderben den Brei. Man kann es auch anders sagen: Geben Sie einem deutschen Minister eine Kompetenz, und er wird sie verteidigen.
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Die Fragen des Honnefer Modells berühren die gleiche Sache. Die Studienförderung und die Hochbegabtenförderung im engeren Sinne fallen ebenfalls in den Geschäftsbereich des Innenministers. Ich sehe keine Sachzusammenhänge zwischen Studienförderung und dem Verwaltungsressort des Innenministeriums. Da diese Sachzusammenhänge nicht bestehen, wird es höchste Zeit, daß diese Studienförderung in den Bereich des Bundeswissenschaftsministeriums übergeben wird.
Die Studienförderung des Honnefer Modells berührt die Frage der Bildungsförderung in der Bundesrepublik überhaupt.. Sie wissen, daß man in vielen Bereichen auf dem Gebiete der Bildungsförderung tätig ist und eine Einheit nicht besteht, daß beispielsweise die sogenannte kategoriale Bildungsförderung den größten Anteil des finanziellen Aufwands verschlingt und daß die Studienförderung im engeren Sinne, das Honnefer Modell und die Begabtenförderung, etwa ein Drittel der gesamten Bildungsförderung umfaßt.
Es geht hier - ich nenne die Zahl von 1964 - um 510 Millionen DM, die für die Bildungsförderung ausgegeben werden. Sie wissen, daß später das 40-DM-Gesetz hier im Hohen Hause angenommen wurde. Die Sollunkosten dieses 40-DM-Gesetzes betrugen 480 Millionen DM, so daß wir plötzlich eine Bildungsförderung verkraften mußten, die einen Finanzbedarf von fast einer Milliarde DM benötigte. Als der Kollege Lohmar einmal ein Studienförderungsgesetz beantragte, in dem er die Zusammenfassung der Studienförderung empfahl, wurde eine Summe von 850 Millionen DM als zu hoch angesehen. Wir sind nach dem 40-DM-Gesetz bereits auf 990 Millionen DM.
Daraus ist zu ersehen, daß in kürzester Frist eine Regelung getroffen werden muß, die eine Vereinheitlichung der Bildungsförderung bewirkt. Auch diese Vereinheitlichung müßte unter der Hand des Wissenschaftsministers geschehen. Denn nur er ist zuständig, nur er ist sachbezogen und hat diese Dinge dann auch so, wie er es sich vorstellt, durchzuziehen. Sie kennen die Schwierigkeiten mit der Bildungsförderung innerhalb der verschiedenen Ressorts. Dem Sozialministerium untersteht die Bildungsförderung der Sozialbetreuten, der Kriegsbeschädigten usw. Diese kategoriale Studienförderung würde natürlich bei den Ressorts verbleiben, bei denen sie sich heute befindet. Trotzdem bleibt die Frage nach der Koordinierung der gesamten Bildungsförderung, damit nicht mehrere Einrichtungen der Bildungsförderung von einer Seite beansprucht werden können, was bei der heutigen Sachlage durchaus möglich ist. Wir fragen also die Bundesregierung, welche Maßnahmen sie zu einer Vereinheitlichung der Bildungsförderung ergreifen will?
Meine Damen und Herren, wir haben unsere Anfragen weniger auf die Sachfragen der Bildungs- und Wissenschaftspolitik konzentriert als vielmehr auf die politische Verantwortung derjenigen, die sie gesetzlich bestimmen. Gestatten Sie, daß ich mir als Neuling unbefangen ein Urteil über die politische Verantwortung dieses Hohen Hauses erlaube. Fehlentwicklungen in der Kulturpolitik treffen die Verantwortung sowohl der Länder als auch des Bundes. - Niemand kann sich bei Fehlentwicklungen der Kulturpolitik in der Bundesrepublik hinter Zuständigkeitsfragen verstecken. Der Bund hat nun einmal die höchste Gesetzgebungsgewalt über alle Dinge. Er kann entscheiden, wenn es notwendig ist, ob eine Rahmengesetzgebung, eine konkurrierende Gesetzgebung oder eine direkte Gesetzgebung notwendig ist. Wenn sie notwendig wird, hat sich das Hohe Haus für die Form zu entscheiden, die am zweckmäßigsten ist.
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- Wenn Sie die Notstandsgesetzgebung und den Finanzausgleich durch eine Änderung des Bundesgrundgesetzes bewirken müssen, dann müssen Sie, wenn es notwendig ist, auch den Kulturausgleich durch eine Änderung der Grundgesetzgebung überlegen.
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In der Politik und in der Geschichte entscheiden nicht Zuständigkeiten, sondern allein richtige oder falsche Entscheidungen. Ich bitte, auch in der Frage des Kulturausgleichs diese Tatsache zu berücksichtigen.
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Die Anfragen der drei Fraktionen werden vom Herrn Bundesminister für Wissenschaft und Forschung beantwortet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Mög750
lichkeit einer Darlegung und eingehenden kritischen Erörterung ihrer Absichten in der Wissenschafts-und Bildungspolitik, unserer gesamten staatlichen Aufgaben auf diesen Gebieten, die von den drei Fraktionen des Hohen Hauses mit ihren Großen Anfragen gewünscht wurde. Die einzelnen Themenkreise überschneiden sich in den 14 Punkten der Anfragen so stark, daß ich Ihr Einverständnis voraussetzen darf, wenn ich in der Beantwortung systematisch und nicht in der Reihenfolge der Einzelfragen vorgehe.
Ich beginne mit einer kurzen Darlegung der allgemeinen Ziele unserer Wissenschaftspolitik und - damit eng verbunden - den Fragen der finanziellen Planung, die in der ersten Frage der CDU/ CSU-Fraktion und der zweiten Frage der SPD-Fraktion angesprochen sind.
Sie wissen, meine Damen und Herren, wie lange in der deutschen Politik nach 1945 die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Tätigkeit des Bundes auf diesem Gebiet ungeklärt waren und größtenteils sehr restriktiv ausgelegt wurden. Internationale Beschränkungen kamen in der Zeit des Besatzungsstatuts als weiteres Hindernis hinzu.
So hat der Bund die fünf Hauptgebiete seines Wirkens nur schrittweise, zum Teil mit noch weiterbestehenden Begrenzungen in Angriff nehmen können. 1955 begann die systematische Förderung der Erforschung und Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke mit der Gründung des Bundesministeriums für Atomfragen, unmittelbar nach der Wiedergewinnung der Souveränität, die uns diese Möglichkeit eröffnete. In den folgenden Jahren wuchs bei den Ländern, den Trägern der wissenschaftlichen Hochschulen und damit vorwiegend der Aufgaben der allgemeinen Wissenschaftsförderung, die Bereitschaft, den Bund durch Verwaltungsabkommen und informelle Absprachen an wichtigen Programmen in diesem Bereich zu beteiligen, weil deutlich wurde, wie notwendig überregionale Kooperation und die Mitwirkung des Bundes an diesen großen Ausbauvorhaben ist. 1957 kam es so zur Begründung des Wissenschaftsrates, ab 1958 konnte sich der Bund an der Finanzierung der einmaligen Ausgaben für die wissenschaftlichen Hochschulen beteiligen. 1957 verständigten sich Bund und Länder über ein gemeinsames System der Studienförderung nach den Grundsätzen des sogenannten Honnefer Modells. Ende der 50er Jahre gewann die Verteidigungsforschung als eine Ressortaufgabe innerhalb der Bundesregierung wachsende Bedeutung für bestimmte Sektoren der angewandten Forschung und technischen Entwicklung. Andere Bundesministerien hatten bereits in den Nachkriegsjahren die wissenschaftlichen Institute der sogenannten Ressortforschung übernommen und schrittweise ausgebaut. 1962 entschlossen sich die Bundesregierung und der Bundestag, durch internationale Vereinbarungen und ergänzende nationale Programme die Weltraumforschung in Deutschland zu entwickeln und zu fördern.
Man muß also bei einer nüchternen Analyse und Zielsetzung die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen und politischen Voraussetzungen und Wirkungsmöglichkeiten in den einzelnen Bereichen erkennen. In der Atom- und Weltraumforschung - Großforschung mit starken internationalen Verflechtungen - ist die Funktion des Bundes ausgeprägt. Hier sind seine Programme, die in engem Zusammenwirken mit der Wissenschaft erarbeitet wurden, seit Jahren weithin bestimmend. Der Großteil der Finanzierung erfolgt durch ihn. In der allgemeinen Wissenschaftsförderung liegt das Schwergewicht der Verantwortung und Zuständigkeit nach unserer Verfassung weiterhin bei den Ländern als den Trägern der wissenschaftlichen Hochschulen. Allerdings hat sich die Mitwirkung des Bundes im Rahmen der bestehenden Verwaltungsabkommen, die in bestimmten Sektoren durch neue ergänzt werden müssen, nach allgemeiner Auffassung als richtig und notwendig erwiesen.
Die Wissenschaftspolitik ist in unserem föderativen System, wenn sie Erfolg haben will, zunächst auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Bund und Ländern angewiesen. Hierzu ist bereits von meinen Amtsvorgängern - den Herren Lenz, Professor Balke und Strauß - eine erfreuliche Basis durch die Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern geschaffen worden. Wir haben den Wissenschaftsrat als gemeinsames Beratungsorgan, wir haben Abkommen über die zusätzliche Förderung der bestehenden Hochschulen durch den Bund sowie über die gemeinsame Finanzierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-PlanckGesellschaft. Weitere Vereinbarungen, z. B. über die finanzielle Beteiligung des Bundes an der Neugründung von Hochschulen und Medizinischen Akademien, stehen bevor.
Zu einer Wissenschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland ist aber nicht nur eine enge Partnerschaft zwischen dem Bund und den elf Ländern notwendig. Ebenso wichtig ist die Partnerschaft mit der Wissenschaft selbst. Und schließlich - vor allem bei der Förderung der technischen Entwicklung - muß sich die Partnerschaft auch auf die Wirtschaft erstrecken.
Welche Bedeutung die Kooperation zwischen Bund und Ländern mit der Wissenschaft und Wirtschaft hat, wird am besten durch die uns bevorstehenden Aufgaben deutlich. In der letzten Legislaturperiode hat das Hohe Haus die Bundesregierung ersucht, „die Voraussetzungen für die Aufstellung eines Wissenschaftsplanes als Teil eines nationalen Gesamtplanes für Bildung und Forschung in enger Zusammenarbeit mit den Ländern und der Wissenschaft zu schaffen". Dabei wird gelegentlich, auch in früheren Äußerungen hier im Bundestag, an Planungen von zehn bis fünfzehn Jahren gedacht.
Ich muß allerdings darauf hinweisen, daß die Selbstverwaltungsorganisationen der Wissenschaft zu langfristigen und zu perfektionistischen Planungsvorstellungen mit beträchtlicher Reserve gegenüberstehen. Besonders in den naturwissenschaftlichen Disziplinen sind - wie von ihnen mit Recht betont wird - in den letzten beiden Jahrzehnten fast alle grundlegenden neuen Forschungsergebnisse, die hohe Investitionen erfordern, vier oder
fünf Jahre vorher überhaupt noch nicht vorhersehbar gewesen. Das Votum der Wissenschaftler spricht deswegen deutlich für begrenzte mittelfristige Programme von drei, vier, fünf Jahren, die in sich genügend elastisch bleiben müssen und der ständigen Anpassung an den neuesten Stand bedürfen. Die guten Erfahrungen, die wir u. a. mit dem Atomprogramm, dem ersten Verwaltungsabkommen von Bund und Ländern über die Wissenschaftsförderung, dem Konsortialvertrag zwischen dem Bund und Baden-Württemberg über die Finanzierung des Kernforschungszentrums Karlsruhe gemacht haben, sprechen ebenfalls für diesen Weg. Aus diesen Entwürfen für die einzelnen großen Aufgabenbereiche bildet sich dann ein Gesamtplan, der aber jährlich überprüft und fortgeschrieben werden muß.
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Nach dem Verwaltungsabkommen über die Errichtung des Wissenschaftsrates vom 5. September 1959 hat dieser unter anderem die Aufgabe, „auf der Grundlage der von Bund und Ländern im Rahmen ihrer Zuständigkeiten aufgestellten Pläne einen Gesamtplan für die Förderung der Wissenschaft zu erarbeiten". Im Forschungsbericht I der Bundesregierung, im deutschen Atomprogramm, im Memorandum Weltraumforschung, in der Bedarfsfeststellung der Länder und in einigen Denkschriften der Deutschen Forschungsgemeinschaft sind jetzt Unterlagen - gleichsam Elemente - vorhanden, um die Erarbeitung _dieses Gesamtplans zu ermöglichen. Der Wissenschaftsrat hat mit den Vorarbeiten hierfür
begonnen. Er wird wiederum die Vorschläge der großen Selbstverwaltungsorganisationen der deutschen Wissenschaft und der speziellen Beratungsgremien, wie der Deutschen Atomkommission und der Deutschen Kommission für Weltraumforschung berücksichtigen.
In ähnlicher Weise wird mit den Ländern auch ein Bildungsplan erarbeitet werden müssen. Hier wird es nach vorherrschender Auffassung freilich zunächst mehr um Fragen des Bildungsinhalts und der Bildungsstruktur und nicht so sehr um die Finanzierung gehen.
Daneben sind Überlegungen und Arbeiten im Gange, um - nach den Worten des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung - „die haushaltspolitischen Entscheidungen von den Einjahreszufälligkeiten zu lösen und auf der Grundlage mehrjähriger, nach Maßgabe sachlicher und politischer Dringlichkeiten geordneter Rahmenpläne" zu treffen. Auch der Finanzbericht 1966 der Bundesregierung, der demnächst dem Bundestag eine Vorausschau auf die Einnahmen und Ausgaben des Bundeshaushalts 1966 bis 1970 geben wird, hebt die Vorrangstellung der Ausgaben für die wissenschaftliche Forschung bei den nicht gesetzlich gebundenen Ausgaben hervor.
Die Ergebnisse des Wissenschaftsplans und Bildungsplans müssen in die mittelfristige Finanzvorschau des Bundes, der Länder und der Gemeinden eingeordnet werden. Allein dadurch lassen sich die Vorstellungen der genannten Pläne mit den finanziellen Möglichkeiten und den struktur- und konjunkturpolitischen Erfordernissen in Einklang bringen.
Meine Damen und Herren, was sind nun für. Prioritäten festzusetzen und von wem sollen solche Entscheidungen getroffen werden? Wir müssen dabei verschiedene Stufen unterscheiden: Eine eindeutig politische Frage ist die Bestimmung des Ranges, den die Wissenschaftsförderung in der Reihenfolge der Staatsaufgaben erhalten soll. Regierung und Parlament entscheiden darüber, welchen Rang sie der Wissenschaft einräumen, welchen Anteil am Budget sie ihr neben den Anteilen der Verteidigung, der sozialen Aufwendungen, des Verkehrswesens usw. zubilligen. Ich freue mich, daß es hierüber auch in der bisherigen Debatte zwischen den Fraktionen keine prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten gibt. Wir sind einig, daß die Wissenschaft erstrangig einzuordnen ist. Wir müssen anstreben, wie es schon der Bundesforschungsbericht I begründete, in Zukunft 3 % unseres Bruttosozialprodukts der Wissenschaft zu widmen. Aber, meine Damen und Herren, dieses Ziel werden wir nach Überzeugung der Bundesregierung nicht in einem Wettlauf an Wohlwollens-Erklärungen und Anträgen, sondern nur in einer in sich schlüssigen, genau abgestimmten Finanzpolitik erreichen.
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Das gilt gerade für die nächsten Jahre, bei denen - wie wir alle wissen - die Haushaltslage äußerst angespannt ist und die Öffentlichkeit mit den Wissenschaftlern und Sachverständigengremien vom Bund eine strikte Begrenzung seiner Ausgaben erwartet. Ohne das Haushaltssicherungsgesetz, das von der Mehrheit dieses Hauses gegen manche Widerstände beschlossen wurde, hätten wir die Steigerung des Wissenschaftsetats im Jahre 1966 um rund 30 '% niemals erreicht, die jetzt vielen noch als unzureichend erscheint.
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Wir hätten - und ich sage das mit allem Nachdruck als jemand, der, wie Herr Kollege Lohmar zu Recht sagte, sich lange mit Finanzen in diesem Hause beschäftigt hat - nicht einmal den Stand des Vorjahres erreicht. An dieser einfachen Wahrheit wird vieles gemessen, was heute und an anderen Tagen an Polemiken und Versprechungen zu hören ist.
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Selbst wenn wir 3% unseres Bruttosozialprodukts jährlich zur Förderung der Wissenschaft verwenden, reichen diese Mittel nicht aus, alle Wünsche zur Förderung der Wissenschaft und technischen Entwicklung - research und development sehen wir genau wie Sie, Herr Kollege Lohmar, als eine Einheit an -, und zwar auch nicht alle berechtigten Wünsche, zu erfüllen. Die Forschungsausgaben wachsen in allen fortschrittlichen Ländern jährlich um 20 bis 25 %, also wesentlich schneller als das Sozialprodukt. Deswegen ist man auch in Staaten, die uns in der Förderung der Wissenschaft voraus sind, wie z. B. die Vereinigten Staaten und Großbritannien, genötigt, Prioritäten festzusetzen, Schwerpunkte zu bilden.
Solche Prioritäten können nur in Partnerschaft mit der Wissenschaft und vielfach auch in einer weiteren
) Partnerschaft mit der Wirtschaft festgelegt werden. Hierfür nur ein aktuelles Beispiel: Das Deutsche Elektronen-Synchrotron in Hamburg, eine der modernsten Anlagen der Welt, wird nur wenige Jahre an der Spitze der Weltklasse stehen. Es gilt also, seine Möglichkeiten jetzt mit allen Kräften zu nutzen. Seine jährlichen Betriebskosten - die Kosten eines Großgeräts! - nähern sich aber schon dem Betrag von 40 Millionen DM. Die gleiche Summe ist notwendig, um etwa eine deutsche mittelgroße Universität komplett - ohne ihre medizinischen Kliniken - zu unterhalten.
Es ist einleuchtend, meine Damen und Herren, daß wir Entscheidungen, solche teuren Einzeleinrichtungen weiter auszubauen oder neu zu errichten, wie z. B. jetzt in der Radioastronomie, nur nach einer Vorausschau in unserer Haushaltsentwicklung und nach Abstimmung mit der Wissenschaft treffen können. Wir freuen uns, daß die Wissenschaft uns hilft, einen Sach- und Interessenausgleich zu finden. Damit übernehmen diese Organisationen und Beratungsgremien auch einen Teil der Verantwortung, ohne uns allerdings von der Verantwortung, die wir dem Parlament gegenüber tragen, zu entlasten. Würden die Wissenschaft und die Wirtschaft darauf bestehen - was glücklicherweise auf unserem Gebiet nicht der Fall ist -, daß alle Wünsche erfüllt werden, dann würden sich Wissenschaft und Wirtschaft praktisch bei der Entscheidung ausschalten. Denn der Staat kann nun einmal nur im Rahmen seiner bestehenden Möglichkeiten, im Rahmen der vom Parlament für die Wissenschaft allgemein festgelegten Prioritäten und der dafür zur Verfügung stehenden Gesamtsumme seine Einzelentscheidungen treffen. Würde kein Partner bei der Vorbereitung dieser Entscheidungen helfen oder die Notwendigkeit von Beschränkungen akzeptieren, dann fielen praktisch die Entscheidungen allein vom grünen Tisch. Die Aufgabe unserer Wissenschaftspolitik muß es sein, dies zu vermeiden, die vertrauensvolle Kooperation von Staat und Wissenschaft weiter zu fördern.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Förderung der technischen Entwicklung durch den Staat sagen. In einer funktionierenden Wettbewerbswirtschaft ist es zunächst Aufgabe der Wirtschaft selbst, die Entwicklung neuer Techniken und die dafür benötigte angewandte Forschung zu betreiben und die Ergebnisse der Forschung und neue technische Verfahren auch zu nutzen. Die hierfür notwendigen Mittel hat die Industrie grundsätzlich selbst zu erwirtschaften. Von diesem Grundsatz sind aber Ausnahmen notwendig. Sie liegen im wesentlichen auf drei Gebieten: erstens in der Förderung der sogenannten neuen Technik, zweitens in der Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung der Mittel- und Kleinbetriebe, drittens in Einzelfällen aus struktur- und wachstumspolitischen Gründen.
In der sogenannten neuen Technik gibt es Komplexe, wo sich entweder ein massiver Forschungsrückstand ergeben hat oder aber Aufgaben in einer finanziellen Größenordnung vorliegen, daß sie weder der Staat noch die Wirtschaft allein durchführen können. Ich denke hier z. B. an die Förderung der Erforschung und Nutzung der Atomenergie für friedliche Zwecke und die Weltraumforschung. In allen Staaten der Welt, die sich dieser Aufgabe annehmen, ist hier der Staat aktiv als Förderer tätig, soweit er nicht die Dinge selbst in die Hand genommen hat.
Bei der industriellen Gemeinschaftsforschung geht es darum, im Interesse des Fortbestandes der Klein-und Mittelindustrien, die vielfach nicht in der Lage sind, die zur Erhaltung und Fortentwicklung ihres Betriebes notwendige Forschung allein zu betreiben, den Zusammenschluß zur gemeinsamen Forschung und diese selbst zu fördern. Die Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung liegt also in gezielten Maßnahmen der Gewerbeförderung. Sie gehört traditionell zum Aufgabenbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Für eine Abstimmung dieser Maßnahmen mit der allgemeinen Forschungsförderung ist gesorgt.
Schließlich kann es, wie ich schon sagte, in Einzelfällen aus struktur- und wachstumspolitischen Gründen notwendig sein, zur Erhaltung oder Entwicklung eines bestimmten Wirtschaftszweiges Forschung und technische Entwicklung vorübergehend mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, insgesamt stehen wir vor einem neuen Abschnitt der Forschungspolitik. Die Förderung der allgemeinen wissenschaftlichen Forschung, insbesondere der Grundlagenforschung und die Förderung der technischen Entwicklung, die auch in anderen Staaten von der Wirtschaft noch nicht allein vorgenommen werden kann, müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.
Ich komme jetzt zur dritten Frage der SPD-Fraktion. Im Bereich der Bundesregierung gibt es über 60 Beiräte und sonstige Beratungsgremien. Unterschiede in der Zahl der Wissenschaftler, die hier mitwirken, ergeben sich vielleicht daraus, daß es manche Doppelbesetzungen gibt oder manche Gremien nur einen ganz kurzen zeitlichen Wirkungsauftrag haben. Diese Gremien sind nur zu einem gewissen Teil Einrichtungen zur wissenschaftlichen Beratung der Regierung, zu einem erheblichen Teil sind es Organe, deren Mitglieder wegen ihrer Fachkunde, ihres Vertrautseins mit bestimmten Lebensbereichen als Ratgeber herangezogen werden.
Eine Einteilung der Beratungsgremien in Kategorien ist naturgemäß schwierig. Trotzdem möchte ich versuchen, auf einige besonders spezifische Gruppen hinzuweisen, die auf Grund ihrer Aufgabe oder ihrer Entstehung gemeinsame Merkmale zeigen. Da sind einmal die Beiräte, die auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Sie sind für solche Bereiche geschaffen, für die ein ständiger Ratschlag von Fachleuten nötig ist. Oft sind in diesen Fällen die Gutachten und Äußerungen der Beratungsorgane Grundlage für gesetzgeberische Vorhaben. Beispiele für solche Beiräte sind u. a. der „Sozialbeirat" und der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung". Die Verbindung von Vertretern der Wissenschaft und Praxis hat sich hier bewährt.
Weiterhin gibt es Ad-hoc-Gremien, die für einen ganz bestimmten Zweck zusammengerufen werden
und sich nach der Erfüllung dieser Aufgabe auflösen. Die Zweckbestimmungen können sehr unterschiedlicher Art sein: Gutachten für die Gesetzgebungsvorhaben, für organisatorische oder verwaltungstechnische Maßnahmen oder einfach eine Unterrichtung über bestimmte Fach- und Lebensgebiete. Beispiele für derartige Ad-hoc-Gremien sind die Kommission für die Große Strafrechtsreform, für die Finanzreform und die Energie-Enquete.
Ein besonderer, neuartiger Typ von Beratungsorganen wurde auf den Gebieten notwendig, auf denen sich der Staat der neuen Naturwissenschaften und Techniken annimmt. Die Deutsche Atomkommission und die Kommission für Weltraumforschung sind Gremien, in denen die maßgeblichen Wissenschaftler dieser Fachgebiete, aber auch Fachleute der entsprechenden Wirtschaftszweige vertreten sind und die das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung ständig beraten. Erst durch die Einschaltung dieser in Fachkommissionen und Arbeitskreise untergliederten Beratungsgremien kann der erforderliche Sachverstand aus Wissenschaft und Wirtschaft gewonnen und eine beträchtliche Ausweitung der staatlichen Verwaltung verhindert werden.
Nicht zu vergleichen mit den vorgenannten Beiräten sind der Wissenschaftsrat und in Kürze der Bildungsrat. Bei diesen handelt es sich um Planungs-und Gutachtenorgane des Bundes und der Länder für das gesamte deutsche Wissenschafts- und Bildungswesen. Wie sich aus ihren Aufgaben ergibt, haben beide im Gegensatz zu den erwähnten Gremien gewichtige gesamtstaatliche Funktionen zu erfüllen. Jedoch auch sie können politische Entscheidungen nur vorbereiten und abstimmen, aber diese den Regierungen und Parlamenten von Bund und Ländern nicht abnehmen.
Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß neben den Bundesforschungsanstalten auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft die satzungsmäßige Aufgabe hat, „Parlament und Behörden in wissenschaftlichen Fragen" zu beraten.
Es gibt dann noch Gremien, die sehr speziell die Aufgabe wissenschaftlicher Planung und Beratung für die Bundesregierung haben und bei denen die wissenschaftliche Arbeit als eigentliche Forschungstätigkeit im Vordergrund steht. Ich nenne hier als Neugründungen der letzten Zeit die Stiftung „Wissenschaft und Politik", die beim Auswärtigen Amt ressortiert, und die „Zentrale Operations Research" ({4}) in Trier, von deren Arbeitsergebnissen das Bundesverteidigungsministerium Gebrauch macht. Die unabhängige Stiftung „Wissenschaft und Politik" hat die Aufgabe, wissenschaftliche Untersuchungen auf verschiedenen Gebieten der Politik durchzuführen. Die ZOR soll die Methoden des „operations research" auf die mittel- und langfristige Planung der Bundeswehr anwenden, so daß ein optimaler Einsatz der Mittel gewährleistet wird.
Meine Damen und Herren, die weitgehende Spezialisierung und fachliche Orientierung der wissenschaftlichen Beratung ist aus den genannten Gründen- unvermeidlich. Sie erschwert allerdings
den Gesamtüberblick und eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen den einzelnen Gremien. Diese Frage beschäftigt auch andere westliche Regierungen mit der Ausdehnung der staatlichen Tätigkeit und der wissenschaftlichen Forschung in immer neue Bereiche. Wir haben kürzlich mit den USA vereinbart, diese methodischen Grundfragen einer möglichst effektiven und schnellen Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse im staatlichen Bereich gemeinsam zu prüfen. Der fachwissenschaftliche Rat ist für uns unentbehrlich, auch wenn wir die Grenzen fachwissenschaftlicher Beratungstätigkeit immer wieder spüren. Verschiedene Forderungen der Fachwissenschaften können sich sogar im Ergebnis widersprechen, z. B. in Fragen der Haushalts- und Konjunkturpolitik. So verbleibt auch in Zukunft den Politikern die Last der Entscheidung.
Meine Damen und Herren, als nächstes beantworte ich die Fragen 2 und 3 der Großen Anfrage der CDU/CSU zum Ausbau der bestehenden Hochschulen und zur Bundeshilfe für die Neugründung von Hochschulen.
In dem zwischen Bund und Ländern am 4. Juni 1964 abgeschlossenen Verwaltungsabkommen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung haben sich beide Seiten verpflichtet, für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen in der Zeit von 1964 bis 1966 jährlich je 250 Millionen DM, insgesamt jährlich 500 Millionen DM, bereitzustellen. Dieser Betrag beruht auf den ersten Ausbauplanungen des Wissenschaftsrates für die wissenschaftlichen Hochschulen aus dem Jahre 1960, der von einem Gesamtbauvolumen von 2,6 Milliarden DM für die Jahre 1960 bis 1964 ausging. Der Bund hat 1964 250 Millionen und 1965 281 Millionen DM bereitgestellt. 1966 wird er nach dem Regierungsentwurf des Bundeshaushaltsplanes auf 350 Millionen DM kommen.
Die Gesamtleistungen der Länder und des Bundes für die einmaligen Ausgaben der wissenschaftlichen Hochschulen haben sich wie folgt entwickelt: 1959 300 Millionen DM, 1961 470 Millionen DM, 1963 750 Millionen DM, 1964 1030 Millionen DM, 1965 1486 Millionen DM. Davon sind 1964 90 Millionen DM und 1965 210 Millionen DM für Neugründungen von wissenschaftlichen Hochschulen bestimmt. Diese Steigerung der Gesamtleistungen, vor allem der Länder, aber auch des Bundes, um etwa 500 % seit 1959 berechtigt sehr wohl zu der Feststellung, daß es neben der Negativliste auch eine Positivliste gibt.
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Inzwischen sind die Bauplanungen des Wissenschaftsrates aus dem Jahre 1960 weitgehend überholt. Das Gesamtbauvolumen für den Ausbau der bestehenden wissenschaftlichen Hochschulen beträgt zur Zeit über 6 Milliarden DM, wenn man nur die Bauvorhaben erfaßt, die in Durchführung begriffen sind und die in diesem Rechnungsjahr begonnen werden sollen. Bezieht man alle Planungen der Länder für bestehende Hochschulen ein, so ergibt sich sogar ein Volumen von 9 bis 10 Milliarden DM. Umfangreiche Neuplanungen und auch Kostensteigerungen haben also gegenüber den Empfehlungen
des Wissenschaftsrates aus dem Jahre 1960 eine veränderte Lage geschaffen.
Für die inzwischen von den einzelnen Hochschulen und Ländern neu konzipierten Vorhaben gibt es bisher keinen Gesamtplan des Wissenschaftsrates. Die Bundesregierung und der Wissenschaftsrat selbst werden deshalb zur Zeit an den neuen Einzelprojekten erst in einem fortgeschrittenen Stadium beteiligt, wenn Anträge auf eine 50%ige Finanzhilfe des Bundes für sie eingehen. Es gibt über die Finanzierung dieser neuen Vorhaben jedoch keinerlei Vereinbarungen, die über das erwähnte Verwaltungsabkommen von 1964 hinausgehen.
Die Bundesregierung hat ihre damals ausgesprochene Bereitschaft, den vorerwähnten Betrag von 250 Millionen DM wesentlich zu überschreiten, bei der Aufstellung des Etatentwurfs 1966 berücksichtigt. Es kann jedoch - im Gegensatz zu manchen Darstellungen der letzten Zeit - nicht die Rede davon sein, daß sie rechtlich oder politisch verpflichtet sei, Einzelplanungen, die ohne ihre Mitwirkung, ohne vorherige Aufnahme in ein Gesamtprogramm des Wissenschaftsrates erfolgt sind, automatisch mit 50 % zu finanzieren.
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Mehrere Landesregierungen haben in den letzten Tagen im Zusammenhang mit der Diskussion über die sogenannte Negativliste erklärt, daß sie auch solche Vorhaben, für die Bundesmittel 1966 nicht zur Verfügung stehen, aus eigener Kraft weiterfördern werden.
Die Bundesregierung sieht davon ab - obwohl manches auch in der heutigen Debatte an sich dazu Veranlassung gibt -, jetzt im einzelnen darzulegen, wie oft ihre Mitwirkung und ihre finanzielle Beteiligung in diesem Bereich auch nach 1960 prinzipiell in Frage gestellt wurde.
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Sie hält es für geboten, diese Debatte ohne polemische Töne konstruktiv zu führen.
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Es ist notwendig, durch ein neues Gesamtprogramm des Wissenschaftsrates für die nächsten 4 bis 5 Jahre alle Einzelplanungen genau zu überprüfen, zusammenzufassen, Prioritäten herauszuarbeiten und den erforderlichen Finanzbedarf langfristiger zu ermitteln. Bundesregierung und Bundestag können auf dieser Grundlage eine Entscheidung treffen, in welchem Umfang sich der Bund an dieser großen und dringenden Aufgabe beteiligt. Auf dieser Basis soll ,ein neues Verwaltungsabkommen mit den Ländern angestrebt werden.
Die Vorarbeiten des Wissenschaftsrates für eine solche neue Gesamtempfehlung, die von der Bundesregierung bereits im vergangenen Jahr angeregt wurde, sind erfreulicherweise weit gediehen, so daß wir für 1967 mit der Vorlage des Generalbauplans rechnen. Bei der Überfüllung der Hochschulen und der vor allem nach 1970, wie hier schon mit Recht betont wurde, zu erwartenden weiteren starken Zunahme der Studentenzahlen bleibt ihr beschleunigter Ausbau mit weiter stark steigenden Mitteln der Länder und des Bundes eine Hauptaufgabe der nächsten Jahre.
Die Länder haben am 4. Juni 1964 ein Abkommen über die Finanzierung der Universitäten Bochum, Bremen, Dortmund, Konstanz und Regensburg abgeschlossen und dem Bund bei dem Abschluß den Beitritt freigestellt. Der Herr Bundeskanzler hat den Ländern am 17. November 1964 die Voraussetzungen genannt, unter denen ein Beitritt des Bundes sinnvoll erscheint. Wesentlich ist, daß ein Bundeszuschuß zu einer Erhöhung des Investitionsfonds führt. Ferner ist die Einbeziehung der neuen Medizinischen Akademien vorgeschlagen, weil die Überfüllung des Medizinstudiums besonders gravierend ist und der Wissenschaftsrat schon im Jahr 1961 die Neugründung von mehreren Medizinischen Akademien empfohlen hat. Die Länder haben Ende 1965 das Angebot des Bundes grundsätzlich angenommen und die Übersendung eines Vertragsentwurfs in Aussicht gestellt.
Auf Antrag der betreffenden Landesregierung hat die Bundesregierung bereits Ende 1965 erste Zuschüsse für den Bau der neuen Medizinischen Akademien Hannover und Lübeck gewährt, die nicht in das Länderabkommen einbezogen waren. Nach Äußerungen der betreffenden Landesregierungen handelt es sich nicht um einen symbolischen Beitrag, sondern um eine unentbehrliche Voraussetzung dafür, daß in diesen finanzschwachen Ländern die Planungen überhaupt weitergeführt werden und nicht zum Erliegen kommen. 1966 sind hierfür im Regierungsentwurf 22 Millionen DM und eine Bindungsermächtigung von 30 Millionen DM vorgesehen. Die Landesregierung Baden-Württemberg hat für 1966 einen entsprechenden Antrag für die Medizinische Akademie Ulm angekündigt, dem wir entsprechen werden.
Ich komme zu Punkt 4 der Frage der CDU/CSU nach den Beziehungen der Bundesregierung zu den Selbstverwaltungsorganisationen. Die Bundesregierung fördert die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorganisationen der Wissenschaft in dem Bewußtsein, daß sie für die Entwicklung der Forschung in der Bundesrepublik unentbehrlich sind. Sie erblickt in ihnen eine zweckmäßige und unserer Auffassung von der Freiheit der Wissenschaft besonders angemessene Organisationsform der wissenschaftlichen Forschung und ihrer Förderung.
Die staatliche Finanzierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft ist durch das Bund-Länder-Abkommen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung vom 4. Juni 1964 auf eine neue Basis gestellt worden. Während bis dahin die DFG überwiegend aus Bundesmitteln, der laufende Zuschußbedarf der MPG dagegen überwiegend aus Mitteln der Länder gedeckt wurde, teilen sich Bund und Länder aufgrund des Verwaltungsabkommens den allgemeinen Zuschußbedarf je zur Hälfte. Berücksichtigt man die Mittel, die beiden Organisationen aus anderen
Quellen zur Verfügung stehen, so ist festzustellen, daß Bund und Länder gemeinsam etwa 80 bis 90 % des jährlichen Zuschußbedarfs decken. Darüber hinaus hat die Bundesregierung der MPG erhebliche Mittel für den Ausbau von Instituten bereitgestellt, die für die Kernforschung und die Weltraumforschung besonders wichtig sind.
Die Bundesregierung fördert die beiden genannten Organisationen sachlich vor allem durch die Mitarbeit in ihren Organen und durch einen intensiven Meinungsaustausch. Die Vertreter der beiden Organisationen beraten die Bundesregierung in vielen Fragen der Wissenschaftsförderung.
Bei der Westdeutschen Rektorenkonferenz trägt der Bund die Kosten für die internationale Arbeit der wissenschaftlichen Hochschulen und beteiligt sich finanziell an dein Aufbau des Hochschularchivs.
Meine Damen und Herren, wir stellen mit Befriedigung fest, daß die Etats der DFG und MPG von 101 Millionen DM im Jahre 1956 auf 344 Millionen DM im Jahre 1966 angestiegen sind.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Beziehungen zu den Wissenschaftsorganisationen eng und gut sind. Wir sind bemüht, sie weiter zu intensivieren. Zwischen den Präsidenten der großen Selbstverwaltungsorganisationen und dem Bundesminister für wissenschaftliche Forschung finden im Abstand von wenigen Monaten regelmäßige Besprechungen statt, die sowohl der Erörterung von Einzelproblemen der Organisationen wie der Beratung wissenschaftspolitischer Grundsatzfragen dienen.
Die Ziffer 5 der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion beantworte ich wie folgt: Mit Ablauf des Jahres 1965 blickt die Bundesrepublik auf das erste Jahrzehnt der Förderung von Kernforschung und Kerntechnik zurück. Es diente dazu, durch ein breit gefächertes Programm die Ausstattung von Hochschulinstituten mit modernen Geräten, die Aus- und die Heranbildung wissenschaftlichen Personals, die Gründung von Kernforschungszentren, die Beteiligung an internationalen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben und durch den Aufbau einer deutschen kerntechnischen Industrie die notwendigen Voraussetzungen für einen hohen Leistungsstand zu schaffen.
Bund und Länder haben für die Erforschung und Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke in den Jahren 1956 bis 1965 rund 3,4 Milliarden DM aufgebracht. Etwa 70 % dieser Summe entfallen auf den Bund. Die jährlichen Aufwendungen des Bundes erhöhten sich von 18 Millionen DM im Jahre 1956 auf fast 500 Millionen DM im Jahre 1965. Dies entspricht - wenn man von den großen Steigerungen in den beiden ersten Jahren nach 1955 absieht - für die letzten 7 Jahre einer mittleren jährlichen Zuwachsrate von nahezu 25 %.
Wenn auch diese Aufwendungen und die damit verbundenen Investitionen beachtlich sind, so bleibt doch auf den Gebieten der Kernforschung und Kerntechnik noch vieles zu tun, um den Spitzenstand der führenden Länder zu erreichen. Beispielsweise entfallen von der gesamten in der westlichen Welt in Kernkraftwerken installierten und ausgenutzten
elektrischen Leistung von rund 5000 MW - davon allein 3900 MW in den USA und in Großbritannien - nur 15 MW ({9}) auf die Bundesrepublik. Dieses Verhältnis wird sich allerdings durch die z. Z. geplanten oder im Bau befindlichen Kernkraftwerke mit der gesamten vorgesehenen Leistung von rund 26 000 MW verschieben. Der deutsche Anteil beträgt dann in wenigen Jahren 800 MW ({10}).
Im Jahre 1965 sind der Aufbau der deutschen Kernforschungseinrichtungen und die Durchführung ihrer Forschungs- und Entwicklungsprogramme vorangekommen. In der Grundlagenforschung konnten auf einigen Gebieten international beachtete Ergebnisse erzielt werden. In der Kerntechnik hat nach dem Baubeginn von Kraftwerksreaktoren der ersten Generation die Planung und der Bau fortschrittlicher Reaktoranlagen begonnen.
Schwerpunkte der deutschen Kernforschung und kerntechnischen Entwicklung sind neben der Mitarbeit an internationalen Institutionen wie CERN und den Instituten der Hochschulen und der MaxPlanck-Gesellschaft und neben der Industrie die vom Bund allein oder von Bund und Ländern gemeinsam getragenen und finanzierten Kernforschungseinrichtungen. Für sie sind bisher von Bund und Ländern über 1 Milliarde DM investiert und nahezu 660 Millionen DM für den laufenden Betrieb aufgebracht worden. Die Zahl der Beschäftigten in den Kernforschungseinrichtungen beträgt zur Zeit über 8000.
Im Mittelpunkt der Arbeiten der beiden großen Kernforschungseinrichtungen in Karlsruhe und Jülich steht die Entwicklung von Brutreaktoren. In Karlsruhe wird der schnelle Brüter, in der Kernforschungsanlage Jülich der thermische Brüter enwickelt. Die Arbeiten erfolgen zusammen mit Firmen der deutschen Reaktorbauindustrie; die zugehörigen Grundlagenuntersuchungen und Vorstudien sind Gegenstand von Assoziierungsverträgen mit Euratom.
Mit der Einwirkung ionisierender Strahlen auf Lebewesen und der Beseitigung radioaktiver Rückstände befaßt sich die Gesellschaft für Strahlenforschung mbH in München. Die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbH in Hamburg hat als Hauptaufgabe die Entwicklung von Schiffsreaktoren und kernenergieangetriebenen Schiffen. Große praktische Erfahrungen wurden mit dem Bau und dem Betrieb der „Otto Hahn", des ersten europäischen Atomschiffes, gewonnen. Auf den Gebieten der Grundlagenforschung arbeiten die Stiftung Deutsches Elektronen-Synchroton DESY in Hamburg und das Institut für Plasmaphysik GmbH in München.
Außerhalb der staatlichen Kernforschungseinrichtungen konnte in den letzten Jahren die Förderung der vier großen Fachgebiete Grundlagenforschung, Reaktorenentwicklung, Brennstoffkreislauf, Strahlenschutz und -sicherheit stetig verstärkt werden.
Zukünftig wird sich die Förderung durch die Bundesregierung noch mehr als bisher auf Großvorhaben der Grundlagenforschung, vor allem auf den Gebieten der Hochenergie-, Niederenergie- und Plasmaphysik, konzentrieren.
In der Reaktorentwicklung steht die Verwirklichung des mittelfristigen und des langfristigen deutschen Reaktorprogramms im Vordergrund. Mit den drei großen Leichtwasserreaktoren der ersten Generation in Gundremmingen ({11}), Obrigheim ({12}) und Lingen ({13}), die mit einer elektrischen Gesamtleistung von rund 750 MW voraussichtlich bis zum Jahre 1968 in Betrieb gehen sollen und die zum großen Teil Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft finanzieren, werden wichtige Bau- und Betriebserfahrungen gewonnen. Daneben ist es der deutschen Reaktorbauindustrie unter tatkräftiger Förderung durch den Bund gelungen, fortschrittliche Leistungsreaktoren eigener Konstruktion zu entwikkeln, den Bau von fünf Versuchs- und Prototypen zu beginnen oder vorzubereiten und die erste Anlage davon, den Mehrzweckforschungsreaktor ({14}) in Karlsruhe, jetzt in Betrieb zu nehmen.
Neben einer zukunftsreichen Reaktorentwicklung zielen im Bereich der Kerntechnik die Bemühungen der Bundesregierung darauf, die wissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen für einen geschlossenen Brennstoffkreislauf zu schaffen, der von der Beschaffung von Kernbrennstoffen über die Brennelementherstellung bis zur Herstellung von Anlageteilen für Kernreaktoren und zur Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe reicht. Erste Schritte für eine Beteiligung an ausländischen Uranvorkommen sind eingeleitet worden, da die deutschen Vorräte bekanntlich nur gering sind.
Die Bundesregierung bemüht sich ständig um eine
weitere Förderung der biologisch-medizinischen Forschung, der Strahlenschutzforschung und der Reaktorsicherheit.
Neben den beträchtlichen Ausgaben hierfür in den besonderen Atomforschungsstätten konnten in den 10 Jahren seit 1956 zirka 38 Millionen DM für biologische und medizinische Forschungsarbeiten an mehr als 300 wissenschaftliche Institutionen aufgewendet werden.
Die Förderung der Reaktorsicherheit erstreckt sich in erster Linie auf Forschungsarbeiten, deren Ergebnisse eine Verbesserung der Sicherheitseinrichtungen gegen Unfälle beim Betrieb von Kernenergieanlagen erwarten lassen oder die möglichen Auswirkungen von Unfällen mindern helfen.
Das Zweite Deutsche Atomprogramm, das Ende 1967 ausläuft, hat sich bewährt. Gemeinsam mit der Deutschen Atomkommission sollen 1966 die Vorarbeiten für das Anschlußprogramm beginnen.
Ziffer 6 der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion bezieht sich auf die Förderung der Weltraumforschung. Ich sagte schon, daß wir mit dieser Aufgabe 1962 begonnen haben. In den bisherigen 3 1/2 Jahren zeichneten sich folgende Ziele und Schwerpunkte alb: Die Förderung des Nachwuchses u. a. auch durch internationale Zusammenarbeit mit der NASA; die Förderung von Vorhaben der extraterrestrischen Forschung, d. h. der wissenschaftlichen Erforschung der näheren und weiteren Umgebung der Erde und ihrer Atmosphäre, des interplanetaren Raumes und der Sonne; die Förderung der Entwicklung der hierzu erforderlichen technischen Systeme; die Nutzung dieser Ergebnisse für kommerzielle Zwecke, insbesondere durch Fernmelde-, Navigations- und andere Anwendungs-Satellitensysteme.
Empfänger der Förderungsmittel sind zahlreiche Hochschulinstitute und Forschungsinstitute der hochschulfreien Forschung, vor allem der Max-PlanckGesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Flugwissenschaften. Soweit technische Studien und die Entwicklung neuartiger Geräte, vor allem auf dem Gebiete der Elektronik, betroffen sind, wird die Wirtschaft durch Verträge und Zuschüsse gefördert. Das sind unentbehrliche Voraussetzungen für erfolgversprechende Einzelprojekte, vor allem im Rahmen der europäischen Vertragssysteme.
Seit Mitte 1962 werden für wissenschaftliche und technische Grundlagenforschung, die Ausstattung der Forschungseinrichtungen sowie den Aufbau von Versuchs- und Prüfanlagen vom Bund rund 350 Millionen DM aufgewendet. Etwa 60 % dieser Mittel sind im Rahmen der bestehenden Verpflichtungen an die Europäische Organisation für Weltraumforschung ({15}) und an die Europäische Organisation zur Entwicklung und zum Bau von Raumfahrzeug-Trägerraketen ({16}) geflossen. Die verbleibenden 40 % sind im nationalen Rahmen für die Förderung der vorher genannten Aufgaben aufgewandt worden.
Die erfolgreiche Mitarbeit im internationalen Rahmen setzt voraus, daß die Förderungsaufwendungen im nationalen Rahmen auf die Dauer keinesfalls - wie das zur Zeit noch zutrifft - hinter den Aufwendungen für die europäischen Organisationen zurückbleiben. Das zur Zeit noch bestehende Verhältnis 0,6 : 1 soll in den nächsten Jahren zugunsten der nationalen Forschungsvorhaben in eine Relation von 1 : 1 verändert werden.
Ein wichtiges Einzelprojekt und ein Schwerpunkt der extraterrestrischen Forschung ist der Bau eines deutschen Forschungssatelliten, der im Jahre 1968 mit Hilfe der USA dort gestartet werden soll und der wissenschaftliche Messungen im inneren Strahlungsgürtel der Erde ausführen wird. Die NASA wird die Trägerrakete stellen, den Start durchführen und die Bahnverfolgung und den Abruf der Meßdaten übernehmen.
In der Raumflugtechnik stehen die deutschen Beiträge zur europäischen Zusammenarbeit im Vordergrund. Eine deutsche Firmengruppe entwickelt und baut bekanntlich die dritte Stufe der SatellitenTrägerrakete des ELDO-Anfangsprogramms. Hierbei geht es darum, Europa in den Stand zu setzen, mit eigenen Mitteln und auf Grund eigener Kenntnisse und Erfahrungen Satelliten oder Weltraumsonden für wissenschaftliche oder wirtschaftliche Zwecke zu starten. Für die Erprobung der Triebwerke und der gesamten dritten Stufe unter Boden- und Höhenbedingungen wurden die Triebwerksprüfstände in Trauen und die Raketenprüfstände in Lampoldshausen ausgebaut und erheblich erweitert. Sie stellen die modernsten Anlagen dieser Art in Europa dar. In der Satellitentechnik wurde in der BunBundesminister Dr. Stoltenberg
desrepublik nach einer gründlichen Studien- und Vorbereitungszeit die Entwicklung konkreter Projekte aufgenommen.
Neben der Entwicklung eines ersten deutschen Forschungssatelliten wird auch der dritte, von der ESRO in Auftrag gegebene Forschungssatellit in der Bundesrepubilk gebaut werden.
Besonders wichtig sind Studien und Entwicklungsarbeiten im Rahmen der Europäischen Konferenz für Fernmeldeverbindungen mittels Satelliten ({17}). Sie sollen, meine Damen und Herren, die europäische Industrie in den Stand versetzen, sich mit eigenen, technisch-wissenschaftlichen Leistungen am Aufbau eines gemeinsamen, von fast allen Staaten der freien Welt geplanten, weltweiten Fernmeldesatellitensystems zu beteiligen.
Die Vereinbarungen des Herrn Bundeskanzlers und des Präsidenten der USA über eine verstärkte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Weltraumforschung haben zu einer gründlichen Einzelprüfung verschiedener Projekte geführt, die noch nicht abgeschlossen ist. Ich werde über das Ergebnis der Bundesregierung und nach ihrer Beschlußfassung dem Bundestag berichten.
Die jüngsten Besprechungen des Herrn Bundeskanzlers mit dem französischen Präsidenten werden, wie Sie wissen, Wissenschaft und Forschung generell eine verstärkte Bedeutung in den deutsch-französischen Beziehungen geben.
Die gemeinsamen europäischen Bemühungen zur Entwicklung eigener Trägerraketen und künftiger Raumflugsysteme zur kommerziellen Nutzung, z. B. von Fernseh-Satelliten, werden daneben weitergehen.
Meine Damen und Herren, wir betreiben Weltraumforschung nicht aus falschem Prestigedenken. Die Tatsache, daß sich 10 westeuropäische Länder - darunter auch Schweden und die Schweiz - an der ESRO in der Weltraumforschung, 6 an der ELDO in der Raketenentwicklung beteiligen, sollte allen prinzipiellen Kritikern zu denken geben. Aber wir müssen uns auch in Zukunft auf sorgfältig ausgewählte Einzelprogramme beschränken, um mit begrenzten Mitteln ein Maximum an wissenschaftlichen und technologischen Erkenntnissen zu gewinnen. - Im übrigen gibt es, Herr Kollege Lohmar, auch in diesem Bereich Wandlungen von einem Saulus zum Paulus. - Deshalb kommt den Entscheidungen dieses Jahres über das Zukunftsprogramm der ELDO und die Zusammenarbeit mit den USA große Bedeutung zu.
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Herr Abgeordneter Lohmar, Zwischenfragen sind erst nach Eröffnung der Aussprache möglich. Sie können jetzt keine Zwischenfrage stellen.
Wir werden 1966 ebenfalls unser nationales Programm präzisieren und zu einer Vorausschau für die nächsten 4 Jahre erweitern.
Die Frage 4 der FDP-Fraktion beantworte ich wie folgt: Bei der Förderung der Wehrforschung wird die Verbindung zur allgemeinen Wissenschaftsförderung und zur Wirtschaft auf verschiedene Arten sichergestellt:
Im engeren Bereich der Wehrforschung vergibt der Bundesminister der Verteidigung bereits seit dem Beginn der Aufstellung der Bundeswehr Forschungsaufträge an die deutsche Wissenschaft und an die Industrie. Während im Jahre 1955 hierfür ein Betrag von 800 000 DM aufgewandt wurde, waren es im Jahre 1965 über 131 Millionen DM.
Diese Forschungsaufträge werden z. T. an einzelne Persönlichkeiten in Instituten und an Hochschulen erteilt, so daß die Ergebnisse den wissenschaftlich Interessierten zugänglich sind, z. T. an gemeinnützige Institute, von denen einige auf Veranlassung des Verteidigungsministeriums gegründet und mitfinanziert wurden. Die Verbindung zur deutschen Wirtschaft ist in diesem Bereich dadurch gewährleistet, daß etwa 70 der bedeutendsten deutschen Unternehmen der Industrie mit Aufgaben betraut werden, die im Vorfeld der Entwicklung liegen und eine Chance für spätere Entwicklungs-und auch Produktionsaufträge enthalten.
Die Effektivität dieser Forschungsaufträge wird durch den internationalen Kontakt des Bundesverteidigungsministeriums sowie die entsprechenden Verbindungen im nationalen Bereich erhöht. Im Rahmen der NATO gibt es einen regen Daten-, Erfahrungs- und Informationsaustausch. Im nationalen Bereich bemüht sich das Verteidigungsministerium um Erfahrungsaustausch und Beratung durch den „Gesprächskreis Verteidigung - Wissenschaft" sowie durch eine beim Ministerium gebildete Gruppe von 25 Experten. Außerdem beteiligt sich dieses Ministerium an Beratungsgremien wie dem Wissenschaftsrat.
In die Betrachtung der Verbindung der Wehrforschung mit der allgemeinen Wissenschaftsförderung ist jedoch auch die waffentechnische Entwicklung und die Produktion von Rüstungsgerät einzubeziehen. Entwicklungsvorhaben, für die der Bundesminister der Verteidigung jährlich etwa 500 Millionen DM aufwendet, werden überwiegend durch Entwicklungsverträge mit der deutschen Industrie verwirklicht. Wo dies etwa wegen fehlender Kapazität oder eines noch nicht erreichten Standes der Technik nicht möglich ist, wird durch vertragliche Vereinbarungen mit ausländischen Firmen dafür gesorgt, daß das bezahlte Entwicklungsergebnis dem Bundesministerium der Verteidigung zur Verfügung steht. Dann kann die Produktion des entwickelten Geräts in Deutschland durchgeführt werden, soweit dies zweckmäßig und förderlich erscheint. Im übrigen besteht Einverständnis unter den Verteidigungsministerien der Mitgliedstaaten der NATO darüber, daß die Entwicklung moderner Waffensysteme möglichst zu Gemeinschaftsprojekten mehrerer Bündnispartner führen sollte. Dies fördert nicht nur eine enge Zusammenarbeit der Regierungen, sondern auch der beteiligten Industrien der Partner und vermittelt einen Austausch an technischem Wissen und Können über die Grenzen hin758
weg. So hat Deutschland z. B. mit Frankreich das Transportflugzeug „Atlantik" entwickelt, ferner jetzt einige Flugkörper zur Panzer- und Flugzeugabwehr in Entwicklung, mit Frankreich und Großbritannien ein Hubtriebwerk, mit Großbritannien und den USA moderne Artillerie, mit Frankreich und Italien zusammen ein Nachfolgemuster des geländegängigen 0,25-t-Kraftwagens, mit Italien ein Nachfolgeflugzeug für die Fiat G 91 und mit den USA einen Kampfpanzer der Zukunft. In all diesen Fällen erhalten die jeweiligen Partner die gleichen Rechte an dem gesamten Entwicklungsergebnis.
Obwohl die Ausrüstung der Bundeswehr in ihrer ersten Phase dadurch gewährleistet wurde, daß die USA Waffen und Gerät im Werte von nahezu 4 Milliarden DM kostenlos lieferten, hat der Bundesminister der Verteidigung von Anfang an überall dort auf deutsche Lieferquellen zurückgegriffen, wo eine erfahrene und leistungsfähige Industrie mit den erforderlichen Kapazitäten zur Verfügung stand. Dabei gab und gibt es einige beschränkende Gegebenheiten wie WEU-Vertrag, Konjunktur und Preisstabilität, Devisenbilanz bei uns und den NATO-Partnern. Bereits im 2. Aufbauabschnitt der Bundeswehr hat sich der Bundesminister der Verteidigung bemüht, auch Lizenzen für den Nachbau ausländischen Wehrmaterials in Deutschland und die Gemeinschaftsproduktion zu erwerben und so die deutsche Industrie in den Stand zu setzen, den verlorengegangenen Anschluß an den internationalen Stand der Rüstungstechnik wiederzugewinnen. Dieses Ziel ist durch die erwähnten Maßnahmen in weiten Gebieten modernster Technologie und modernster Fertigungsmethoden heute wieder erreicht, und zwar, meine Damen und Herren, besser, billiger und schneller, als wenn wir im Sinne eines überholten Autarkie-Denkens versucht hätten, diese Entwicklungen allein zu vollziehen.
({0})
Noch in jüngster Zeit hat der Bundesminister der Verteidigung bei der Auftragserteilung über drei Raketenzerstörer an die amerikanische Industrie ein Lizenz- und know how-Übertragungsabkommen mit der Regierung der USA geschlossen. Abschließend möchte ich erwähnen, daß mit dem Verteidigungsministerium der USA verschiedene Abkommen bestehen, durch die einmal eine einjährige Ausbildung von bisher über 100 jungen technischen Wissenschaftlern bei Instituten und industriellen Forschungseinrichtungen der USA ermöglicht wurde, sodann ein Austausch von erfahrenen Wissenschaftlern verwirklicht wurde, schließlich eine Gruppe von Fachleuten auf dem Gebiet des Operations Research - ich habe darüber gesprochen - für drei Jahre nach Deutschland verpflichtet worden ist, die den deutschen Nachwuchs auf diesem Gebiet ausbilden helfen soll.
Die Frage der engen Verbindung der Wehrforschung zur allgemeinen Wissenschaftsförderung wird auch den neuen Kabinettsausschuß besonders beschäftigen. Zusätzlicher gesetzlicher Regelungen bedarf es nicht.
Meine Damen und Herren, mit den Fragen 1 und 2 der FDP-Fraktion kommen wir zu dem Sektor der Bildungspolitik. Sie ist heute kein isolierter Bereich mehr. Sie steht vielmehr in engem Zusammenhang mit allen anderen Sektoren des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens. Ich nenne hier besonders Wirtschaft, Wissenschaft, Sozialwesen, Verteidigung und Raumordnung. Wegen seiner Kompetenzen auf diesen Gebieten sowie seiner Verantwortung als Gesamtstaat ist daher der Bund in steigendem Maße aufgerufen, sich auch den Fragen der Bildungspolitik zu widmen. Es gilt, so rasch wie möglich in Zusammenarbeit mit den Ländern einheitliche Konzeptionen zu erarbeiten, die die weitere Entwicklung und den Ausbau unseres Bildungswesens den Forderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte anpassen.
In diesem Wechselgespräch zwischen Bund und Ländern, das insbesondere im Rahmen des Bildungsrats stattfinden soll, wird es der Bund einmal als seine Aufgabe ansehen, die Planungen der Länder durch Analysen der Bildungssituation der Zukunft zu ergänzen. Eine Vorausschätzung der Entwicklungstendenzen in Wirtschaft und Gesellschaft ist zwar, wie jeder Sachkenner weiß, außerordentlich problematisch. Wir dürfen aber vor dieser Schwierigkeit nicht zurückschrecken.
Die Mitwirkung im Bildungsrat stellt den Bund darüber hinaus vor eine weitere sehr wichtige Aufgabe, mit deren Übernnahme er Neuland betritt. Unter dem Aspekt der von ihm verantworteten Bereiche wird der Bund bemüht sein, Vorstellungen zu ausgewählten Fragen des Bildungswesens zu erarbeiten und daraus Vorschläge an die Länder für dessen Struktur und Ausbau abzuleiten. Die Bundesregierung hofft, im Rahmen der dem Bund gegebenen Möglichkeiten dazu beitragen zu können, den Leistungsstand unseres Bildungswesens beschleunigt zu verbessern.
Es gibt auch, wie Sie wissen, Aufgaben der Bildungspolitik, die dem Bund seit je gestellt sind. Ich darf mich hier darauf beschränken, die politische Bildung und die außerschulische Jugendbildung zu nennen, ferner die Förderung der beruflichen Aus-und Fortbildung sowie die Aus- und Fortbildung im öffentlichen Dienst.
Die Bundesregierung bereitet schließlich z. Z. den von diesem Hohen Haus angeforderten Bericht über den Stand von Maßnahmen der Bildungsplanung vor, der demnächst vorgelegt werden soll. Dieser erste Bericht, dessen Form und Inhalt genau mit den Ländern abgestimmt werden soll, kann noch keine Lösungsvorschläge für die vielfältigen Probleme des Bildungswesens enthalten. Er wird jedoch versuchen, neben einer Bestandsaufnahme des Bildungswesens wesentliche Fragen und Probleme aufzuzeigen und so für die künftige Bildungsplanung eine gewisse Grundlage zu liefern.
Es ist in diesem Hohen Haus wiederholt darauf hingewiesen worden, daß Unterschiede in den Bildungschancen weniger zwischen den einzelnen Ländern als vielmehr innerhalb der Länder selbst bestehen. Die Bildungssituation in einer Großstadt ist unvergleichlich anders als in dünnbesiedelten und verkehrsungünstigen ländlichen Gebieten. UnBundesminister Dr. Stoltenberg
terschiede in den Bildungsmöglichkeiten gibt es übrigens aus historischen Gründen auch in zentralistisch regierten Ländern.
Die Bundesregierung ist aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung in hohem Maße an einer möglichst raschen Lösung dieses Problems interessiert. Es wird einer der vornehmsten Aufgaben des Bildungsrates sein, an Hand der bisher gemachten erfolgreichen Versuche eine Konzeption zu entwikkeln, die zu einem möglichst gleichmäßigen, aber auch reich gegliederten Angebot an Möglichkeiten für Bildung und Ausbildung in der Bundesrepublik führt. Für die Lösung dieser Aufgabe ist von besonderer Bedeutung, daß der Bund durch den Bildungsrat erstmals die Möglichkeit erhält, im gesamten Bereich unseres Bildungswesens institutionell mitzuwirken und im Verein mit den Ländern überregionale Gesichtspunkte stärker zur Geltung zu bringen. Darin liegt ein wichtiges neues Moment. Nicht Vereinheitlichung um jeden Preis und als Selbstzweck ist das Ziel, wohl aber die Schaffung gleicher Bildungschancen in allen Teilen unseres Staates.
Als nächstes beantworte ich die 5. Frage der FDP zu dem Thema der Ausbildungsbeihilfen. Dieses Problem wurde im Bundestag bereits eingehend erörtert. Ich kann deshalb auf die ausführliche Stellungnahme der Bundesregierung vom 13. April 1965 verweisen. Zur Zeit wird an einem vom 4. Bundestag angeforderten umfassenden Bericht gearbeitet, in dessen Teil II auch die Ausbildungsbeihilfen eine eingehende Würdigung erfahren werden. Ich möchte I deshalb heute nur einen kurzen Überblick über dieses Problem geben, soweit die Ausbildungsbeihilfen auf Bundesrecht beruhen.
In der Nachkriegszeit sind für verschiedene Gruppen von Geschädigten Sondergesetze beschlossen worden, so das Bundesversorgungsgesetz, das Lastenausgleichsgesetz, das Bundesevakuiertengesetz, das Heimkehrer- und das Häftlingsgesetz sowie das Bundesentschädigungsgesetz. In diesen Gesetzen sind unter anderen Hilfen auch die Ausbildungshilfen geregelt. Es handelt sich hier um die sogenannte Kategorialförderung.
Die allgemeine Ausbildungsförderung kommt unter arbeitsmarkt-, berufsnachwuchs- und gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten im Rahmen des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und unter sozialen Gesichtspunkten im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes einem größeren Personenkreis zugute.
Eine besondere Bedeutung hat in den letzten Jahren die Förderung der beruflichen Fortbildung gewonnen. Hier sind insbesondere das sogenannte Individuelle Förderungsprogramm und das Leistungsförderungsgesetz zu erwähnen, die mit schnell wachsenden Beträgen Zuschüsse für die Teilnahme an beruflichen Fortbildungslehrgängen gewähren. Die Ergebnisse dieser Förderung aufstiegs- und leistungswilliger Menschen aus allen Berufskreisen durch den Bund sind besonders ermutigend und verdienen starke Beachtung.
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Hier verbinden sich Bildungs- und Sozialpolitik in einem zukunftweisenden Programm in besonders glücklicher Weise.
Außerdem bestehen durch Haushaltstitel andere Förderungsmöglichkeiten, unter denen die des Honnefer Modells zur Förderung von Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen die bekannteste ist. Hinzu kommen Leistungen der Länder, die sich vor allem auf das erwähnte Honnefer Modell und die Förderung von Studenten an sonstigen Hochschulen und Ingenieurschulen und auf Schüler allgemeinund berufsbildender Schulen erstrecken. Ferner wird im Rahmen des Bundeskindergeldgesetzes die allgemeine Ausbildungszulage gewährt.
Die Bemühungen der Bundesregierung, eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Ausbildungsförderung zu erreichen, sind im vergangenen Bundestag bekanntlich auf verfassungsrechtliche Bedenken der Länder gestoßen. Die Bundesregierung ist jedoch nach wie vor um eine Vereinheitlichung des Rechts der Ausbildungsbeihilfen, insbesondere der Anspruchsvoraussetzungen und der Leistungen, bemüht. Vordringlich erscheinen einheitliche Normen für das gesamte Bundesgebiet, die nur durch die Mitwirkung der Länder zu erreichen sind. Die Bundesregierung bemüht sich darum, dieses Ziel zu erreichen, insbesondere durch den Abschluß eines Verwaltungsabkommens mit den Ländern, wie es auch dem Ersuchen des Deutschen Bundestages vom 19. Mai 1965 an das Kabinett entspricht.
Ziffer 1 der Großen Anfrage der SPD und Ziffer 2 der Großen Anfrage der FDP fragen nach der Organisation der Bundesregierung für die Bereiche der wissenschaftlichen Forschung, Bildung, Ausbildungsförderung und Bedarfsplanung.
Die zweckmäßige Ordnung innerhalb der Bundesregierung in diesen Sektoren hat das Kabinett in der Vergangenheit mehrfach beschäftigt. 1962 ist dem neugeschaffenen Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung die Federführung für alle Fragen der Wissenschaftsförderung übertragen worden. 1965 hat die Bundesregierung die Bildung eines Kabinettsausschusses für wissenschaftliche Forschung, Bildung und Ausbildung beschlossen, der sich am 1. Februar 1966 unter dem Vorsitz des Herrn Bundeskanzlers konstituiert hat. Der Bundeskanzler hat dem Bundesminister für wissenschaftliche Forschung seine ständige Stellvertretung in der Leitung dieses Ausschusses übertragen. Dieser Kabinettsausschuß wird nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung der Bundesregierung ein wirkungsvolles Instrument zur besseren Zusammenfassung dieser Aufgaben in den politischen und administrativen Entscheidungen der Regierung sein.
Einige Einzelfragen der administrativen Kompetenz werden daneben zur Zeit innerhalb der Bundesregierung erörtert. Sie ist jedoch nicht der Auffassung, daß eine Ressortierung aller dieser Aufgaben im Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung geboten ist. Fast alle westlichen Länder haben z. B. die Verteidigungsforschung dem Verteidigungsministerium zugewiesen. Auch einige andere Aufgaben der verwaltungsbezogenen Ressortfor760
schung sind so eng mit den jeweiligen Fachministerien verbunden, daß eine Änderung nicht zweckmäßig zu sein scheint.
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In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Tätigkeit des Bundes in den verschiedenen Sektoren nicht einheitlich sind. Die Verantwortung für den Bundesforschungsbericht II liegt beim Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung. Die Konstituierung des neuen Kabinettsausschusses und die dabei getroffenen Regelungen werden bei der Erarbeitung von Bedarfsschätzungen auf den anderen Gebieten die erforderliche enge Verbindung zu den Untersuchungen und Arbeitsergebnissen auf dem Sektor der Wissenschaftsförderung sichern.
Die dritte Frage der FDP, von der einige Einzelpunkte schon beantwortet wurden, gibt mir die Gelegenheit zu einer kurzen zusammenfassenden Schlußbetrachtung.
Hier wird mit Recht auf den Zusammenhang der staatlichen Maßnahmen für die Hochschulen, für Wissenschaft und Bildung mit der inneren Reform, der Konzeption und Verantwortung der Selbstverwaltung hingewiesen. Die Zuständigkeiten für Prüfungs- und Studienordnungen sind breit gestreut. Die akademischen Prüfungen verantworten die Hochschulen, die Staatsprüfungen die Länder. Der Bund hat nur in wenigen Bereichen, z. B. bei den Bestallungsordnungen der Ärzte, Tierärzte und Apotheker, einen unmittelbaren Einfluß. Die Bundesregierung hält eine Verkürzung der akademischen Ausbildung für vorrangig.
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Sie arbeitet im Wissenschaftsrat an detaillierten Vorschlägen hierzu mit, die in diesem Jahr abschließend formuliert und veröffentlicht werden sollen.
Parallel zu dem schnellen Ausbau der Hochschulen muß auch eine erhebliche Vergrößerung der Zahl der Hochschullehrer durch ein verbessertes Habilitationsverfahren und vor allem eine modernere Praxis erreicht werden.
({4})
Es erfüllt uns mit Sorge, meine Damen und Herren, wenn wir hören, daß z. B. die juristische Fakultät einer der größten deutschen Universitäten seit 1950 keine einzige Habilitation durchgeführt hat.
({5})
Das kontrastiert natürlich mit den großen Zahlen, die wir beim Ausbau der Hochschulen vor uns sehen. Dies ist kein Anlaß zu negativen Pauschalurteilen, die wir auch bei der Erörterung der staatlichen Leistungen oder Versäumnisse nicht schätzen, aber doch einen Grund zu ernsthaften Reflexionen und tatkräftiger Reform. Zur Nachwuchssituation gehören auch die Besoldungsfrage und die deutliche Reduzierung einer einseitigen Abwanderung. Der Herr Bundeskanzler hat die Bundesminister der Finanzen, des Inneren und für wissenschaftliche
Forschung beauftragt, Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten und mit den Ländern abzustimmen.
Die Förderung der wissenschaftlichen Forschung, von Bildung und Ausbildung hat in den letzten 10 Jahren beträchtliche Fortschritte gemacht. Kein Gutwilliger in unserem Lande kann das übersehen. Aber, meine Damen und Herren, gerade im internationalen Vergleich bedarf es neuer großer Anstrengungen und noch erheblich verstärkter Leistungen. Bund und Länder, Wissenschaft und Wirtschaft, alle Kräfte unseres Volkes müssen sich hierzu in nachhaltigem Bemühen verbinden. Wir können diese Diskussion nicht, wie es immer wieder geschieht, ohne Bezug zu den verfassungsrechtlichen Normen führen, die wir respektieren. Aber sie sollten nicht Barrieren sein, die uns im fruchtlosen Streit und im Gegeneinander verharren lassen, sondern die Basis für tatkräftige Kooperation mit unterschiedlichen Verantwortungen in den einzelnen Sektoren bilden, einer Gesamtverantwortung jedoch aller.
({6})
Das Gutachten der Finanzkommission, das heute dem Herrn Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten überreicht wird, ist sicher der Ausgangspunkt für neue Erörterungen und Entscheidungen über die Funktion des Bundes. Es mag dies zu einer Vergrößerung seiner Verantwortung in bestimmten Bereichen, z. B. der Großforschung, führen. Aber auch hier ist, schon um der sachlichen Verbindung mit den Hochschulen willen, weiterhin Zusammenarbeit notwendig.
Nur in groben Umrissen kennen wir die Größenordnungen, die auf längere Sicht erforderlich sind. Wir haben als Richtzahl im Bundesforschungsbericht I für 1970 einen Anteil für Wissenschaft und Forschung von 3% am Sozialprodukt genannt. Im Bundesforschungsbericht II und in neuen mittelfristigen Programmen werden wir vor allem für den Sektor des Bundes diese Vorstellungen weiter präzisieren. Allerdings müssen wir hier berücksichtigen, wie dynamisch und wenig vorhersehbar die Entwicklung nicht nur in der Wissenschaft - darüber habe ich gesprochen -, sondern auch in der Wirtschaft und damit in den öffentlichen Haushalten ist. Eine Abweichung von nur 1 % bedeutet für den Bund z. B. bereits für das nächste Jahr über 600 Millionen DM Steuereinnahmen mehr oder weniger.
Ohne eine gesunde Wirtschaft und richtige Wirtschaftspolitik gibt es keinen Forschritt für die Wissenschaft. Ohne einen entscheidenden Fortschritt der Wissenschaften und ihrer Förderung gibt es morgen keine leistungsfähige Wirtschaft, keine gesunde Sozialordnung. Aber, meine Damen und Herren, die Wissenschaft ist doch noch mehr als der Produzent der Güter von morgen. In den Geisteswissenschaften, aber auch in Prinzipien- und Grenzfragen der Naturwissenschaften ist sie für die geistige und sittliche Existenz des Menschen, sein Vermögen, Herr der Technik zu bleiben oder zu werden und sich in ihr als Gottes Geschöpf zu behaupten, unentbehrlich. Lassen Sie uns den Rang dieser Aufgaben nicht nur in großen Debatten wie
heute, sondern auch im Alltag unserer Innen- und Finanzpolitik, im Gesamtzusammenhang der schweren Entscheidungen, die vor uns liegen, stets bedenken.
({7})
Das Haus wird die Antwort der Bundesregierung nach der Mittagspause beraten. Als erster wird Herr Dr. Vogel ({0}) das Wort erhalten.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
({1})
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Die Großen Anfragen sind beantwortet. Ich nehme an, daß sich eine genügende Mehrheit im Hause für eine Aussprache entschieden hat.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Kultusminister des Landes Hessen, Herr Professor Dr. Schütte.
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist dem Hohen Hause möglicherweise erwünscht, wenn in dieser bedeutsamen kulturpolitischen Debatte auch die Stimme der Länder und der Kultusministerkonferenz erklingt, wenn auch ich als hessischer Kultusminister zu den großen Fragen einige Argumente hier vortragen darf. Ich bin dankbar für diese gute Gelegenheit.
Möglicherweise ist es Ihnen von vornherein erwünscht - um mich gleich den wesentlichen Argumenten zuzuwenden -, daß z. B. die von dem Bundesminister Stoltenberg in cumulo genannte Leistung der Länder und des Bundes für die Entwicklung, für die Förderung unserer wissenschaftlichen Hochschulen ein wenig differenzierter bestimmt wird. Wenn ich von den Zahlen des Herrn Bundesministers ausgehe, dann - und das mag hier nicht ohne Interesse sein - ergibt sich, daß in den fünf Jahren von 1961 bis 1965 - das ist der Zeitraum, für den die Empfehlungen des Wissenschaftsrates bestimmt sind - für die Förderung unserer wissenschaftlichen Hochschulen der Bund eine Summe von 1,3 Milliarden DM aufgebracht hat und die Länder mit 3,014 Milliarden DM beteiligt sind.
Was aber doch gerade auch auf der Länderseite Bedenken erregt - das füge ich hier berichtend ohne Kritik und Polemik an -, ist die Tatsache, daß der prozentuale Anteil des Bundes an den Gesamtleistungen für den räumlichen Ausbau unserer Hochschulen - denn nur um den geht es ja - erheblich zurückgegangen ist. Wenn ich mich wieder an die vorhin genannten Jahre halte, so betrug 1961 der Bundesanteil noch 42 %; er ging in den Folgejahren auf 35, auf 28, auf 21 % zurück, ein
Faktum, das doch, glaube ich, sehr ernster Art ist und auf das ich auf jeden Fall verweisen möchte. Noch einmal: ich gehe dabei von den Zahlen des Bundes aus, wie sie der Herr Bundesminister heute morgen vorgetragen hat.
({0})
Bitte, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob es vielleicht nicht eher umgekehrt war, nämlich so, daß das Sinken des prozentualen Anteils des Bundes dadurch zustande kam, daß die Länder ihre Mittel einseitig erhöht haben?
({0})
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Nun, für diese einseitige Erhöhung, meine ich, sollten wir alle dankbar sein.
({1})
Ich komme auf diese Frage noch zurück.
Vielleicht ist dies auch der Ort, noch die Gesamtleistung - wiederum Bund und Länder - zu erwähnen. Meine Damen und Herren, verstehen Sie mich nicht falsch; ich bin der Meinung - um das von vornherein zu sagen -: die großen Probleme, die in dieser Debatte heute morgen schon anklangen, sind nur im Zusammenwirken der beiden politischen Faktoren Bund und Länder zu lösen. Ich möchte aber noch einmal die Leistungen der Länder nennen, weil sie mir - verzeihen Sie, Herr Bundesminister - in Ihrer Rede heute morgen zu undifferenziert dargestellt erschienen. In den 15 Jahren von 1950 bis 1964, in denen sich der Aufbau der Bundesrepublik ja eigentlich erst vollziehen konnte, wurden insgesamt - was wir mit einer gewissen Freude konstatieren sollten 24 Milliarden DM aufgebracht. Der Bund ist an dieser Leistung mit 6 Milliarden DM beteiligt, die Länder leisteten 17,1 Milliarden DM. Prozentual - das merkt man sich leichter - heißt das: 26 % : 71 %. Die Statistik zeigt, daß die Leistungen erst in den letzten Jahren die Größenordnung gewonnen haben, die den Problemen gemäß ist. Allerdings ist an den Leistungen des Bundes für Wissenschaft und Forschung in den letzten Jahren vor allem die Wehrforschung mit einigen Milliarden DM beteiligt.
Aber das ist nur die eine Seite der Sache. Wir sprechen hier nur vom räumlichen Ausbau. Schließlich könnte man den Eindruck gewinnen, als wäre das schon die eigentliche Förderung unserer wissenschaftlichen Hochschulen. Entscheidend ist doch, was in den Hochschulen sich ereignet. Dazu noch einige Zahlen, die für uns alle, meine ich, erfreulich sind.
An den deutschen wissenschaftlichen Hochschulen haben wir in den Ländern im Jahre 1960 14 424 Planstellen ausgebracht, im Jahre 1964 immerhin schon
25 657. Das ist eine Steigerung von 78 %. Die Zahl
Minister Dr. Schütte
der ordentlichen Lehrstühle hat sich von 3098 auf 4300, also um 39% erhöht. Wenn sich der gesamte Personalstand - so darf ich einmal etwas despektierlich sagen - aber auf rund 80% erhöhte, so steckt darin das bedeutsame Faktum des energischen Ausbaus der Mittelebene, des sogenannten Mittelbaus.
Nun, ich hoffe, daß die endlich in Gang gekommene Hochschulreform allmählich weitere Verbesserungen bringen wird. Der Herr Bundesminister Stoltenberg hat - dafür sei ihm von hier aus Dank gesagt - die kürzeren Studienzeiten zum Postulat erhoben. Ich habe mich sehr gefreut, daß der Beifall im ganzen Hause einmütig war, als er diese Forderung stellte. Seit einigen Jahren bemühe ich mich, auf dieses Kernproblem unserer Hochschulreform hinzuweisen. Die kürzeren Studienzeiten sind dringlich. Vor diesem Problem stellt sich das viel weitergehende der gesamten Studienreform. Nur unter dem Strich merke ich noch an, daß ein Sonderausschuß des Wissenschaftsrates sich dieses Problems schon höchst energisch und sehr ertragreich angenommen hat. Ich denke, daß der Wissenschaftsrat seinen Plan zur Studienreform noch im Laufe dieses Jahres - ich hoffe, nicht erst Ende des Jahres - vorlegen wird. Dann wird wohl ein tiefer Eingriff in das bisherige System erfolgen müssen. Der Wissenschaftsrat scheut sich nicht zu sagen, daß für das Grundstudium, für die ersten Semester, die der Student heute so oft nicht sonderlich erfolgreich absolvieren kann, eine gestrenge Form gefunden werden muß. Er hat sogar das Wort gewagt: eventuell unter Aufhebung bestimmter traditioneller Studienfreiheiten für die ersten vier Semester! Danach soll wieder die größere Freiheit in der Wahl der eigenen Studien möglich sein.
({2})
- Wieso umgekehrt?
({3})
- Ja, genau; das sage ich doch! - Verzeihung, dann habe ich mich nicht deutlich ausgedrückt. Das Grundstudium soll noch kein Spezialstudium, sondern, wie der Name sagt, eine Grundlegung des Studiums erreichen, also die Möglichkeit, sich danach für spezielle Studienwege und spezielle wissenschaftliche Interessen zu entscheiden. Das Aufbaustudium und das Kontaktstudium sind weitere Grundbestimmungen des neuen Plans. Weshalb sage ich das? Ich meine, wir sollten uns bei dieser Gelegenheit und immer für das Gelingen solcher Pläne einsetzen. Unser Gemeinwesen macht dies notwendig und dringlich.
Noch ein Wort zum Problem der 50%igen Beteiligung des Bundes am räumlichen Ausbau unserer Universitäten! Ich betone noch einmal - weil das nicht immer allen bewußt ist -, daß die laufenden Kosten unserer Hochschulen, also die eigentlichen Lasten, sowieso nur von den Ländern getragen werden und auch wohl aus staatsrechtlichen Gründen getragen werden müssen.
({4})
- Bremen ist kein Gegenbeispiel; jedenfalls ist dieses Problem auch im Hinblick auf Bremen im Kern nicht anders zu deuten.
Der Herr Bundesminister Stoltenberg hat dezidiert gesagt, eine rechtliche Verpflichtung zu einer 50%igen finanziellen Mitwirkung des Bundes bestehe nicht. Das ist gewiß richtig, wenn man den Akzent auf „automatisch" legt. Aber er sagte, die Verpflichtung bestehe auch politisch nicht, und da wage ich eben doch eine Frage zu stellen. Als mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates erstmalig für den räumlichen Ausbau unserer Hochschulen bestimmte Summen fixiert wurden, dachte man an 2,5 bis 2,6 Milliarden DM. Für fünf Jahre ergab das eine Jahresleistung von Bund und Ländern in Höhe von 500 Millionen DM. Das heißt also, daß 250 Millionen vom Bund und 250 Millionen von den Ländern aufzubringen wären.
Es hat sich dann aber bald gezeigt, sogar sehr drastisch gezeigt, daß diese Annahme des Wissenschaftsrates alsbald nicht mehr den realen Verhältnissen entsprach, daß weit mehr Mittel notwendig seien. Die Länder jedenfalls haben unter dem Gewicht der Sache, unter dem Druck des Auftrags, die Universitäten zu fördern, alsbald weit höhere Summen bereitgestellt. Kurz vor dem Abschluß des Abkommens zwischen Bund und Ländern hat Herr Professor Raiser, der Präsident des Wissenschaftsrates, dem Herrn Bundeskanzler dargelegt, daß der Ansatz von 250 Millionen irreal geworden sei.
({5})
- Ich frage Sie meinerseits: Sollte, wenn die reale Situation zu höheren Leistungen aufforderte, der formale erste Ansatz oder das Gewicht der Sache auch für die Bundesleistungen gelten? Mehr will ich im Augenblick dazu nicht sagen.
({6})
Weil ich nur berichten - ({7})
weil ich nur gewisse Korrekturen aus der Sicht der Länder anbringen will.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Gern!
Herr Minister, ist diese Situation nicht dadurch entstanden, daß sich der Abschluß des ersten Verwaltungsabkommens außerordentlich verzögert hat, und zwar deshalb, weil die Sache vor der Unterschrift jahrelang bei einzelnen Ländern, vor allem auch beim Land Hessen, gelegen hat?
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Die Ursachen bestimmen Sie zweifellos nicht richtig. Das ließe sich schnell widerlegen. Ich glaube aber,
Minister Dr. Schütte
daß es hier nicht zu meinem Auftrag gehört, polemisch zu werden.
({0})
- Nein! Sie haben nur insofern recht, als der Vertrag 1964 geschlossen worden ist. Ich habe aber eben ausdrücklich den Zeitraum, sozusagen die Laufzeit der Empfehlungen des Wissenschaftsrates genannt. Die Summe von 500 Millionen DM für Bund und Länder wurde 1960 empfohlen. Das ist der Unterschied.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Gern!
Herr Landesminister, ist die Verzögerung von sechs Jahren, nämlich von 1958 bis 1964, nicht auch dadurch entstanden, daß die Ministerpräsidenten noch 1962 die Streichung aller Mittel aus dem Bundeshaushalt beantragt und damit deutlich zu erkennen gegeben haben, daß sie den Bund aus der Wissenschaftspolitik heraus haben wollten?
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Herr Albgeordneter Martin, sind Sie damit einverstanden, daß ich zum Schluß darauf zurückkomme?
({0})
Ich habe mir, als Sie heute morgen Ihre Argumente vortrugen, dazu schon eine Notiz gemacht.
({1})
Herr Bundesminister Stoltenberg hat mit Recht gesagt: „Wir sind wissenschaftsbewußt geworden". Das ist eine vorzügliche Sentenz, und ich möchte mir, Herr Bundesminister, die Erlaubnis erbitten, diese Sentenz in weinen Zitatenschatz übernehmen zu dürfen.
({2})
So ist es: wir sind wissenschaftsbewußt geworden!
({3})
Aber nun: Die neue Fixierung der Haushaltsansätze für die wissenschaftlichen Hochschulen erst von dem nächsten Plan des Wissenschaftsrates erwarten zu müssen, halte ich nicht für richtig. Wir in den Ländern würden dann ja auch warten müssen. Tatsächlich wissen wir - übrigens jedermann weiß es -, was heute und sofort zu tun ist.
Es ist doch so, daß der Wissenschaftsrat jedes Jahr, auch im nächsten Jahr, für das das Gesamtkonzept noch nicht vorliegt, die Dringlichkeitsliste aufstellen wird. Die Dringlichkeitsliste sagt uns - und ich meine, sie sage es auch dem Bund -, was heute und morgen zu tun ist.
Diese Dringlichkeitsliste des Wissenschaftsrats ist die Grundlage der hohen Leistungen der Länder, von denen ich eingangs sprach. Den „Generalbebauungsplan" müssen wir nicht erst abwarten. Es ist schon jetzt für 1966 und bald auch für 1967 klar und vom Wissenschaftsrat nachgewiesen, was zu tun ist.
„Gerade im internationalen Vergleich", sagte Herr Minister Stoltenberg, „bedarf es neuer großer Anstrengungen und noch erheblich verstärkter Leistungen. Bund und Länder, Wissenschaft und Wirtschaft, alle Kräfte unseres Volkes müssen sich hierzu in nachhaltigem Bemühen verbinden". Das ist ein gutes Wort. Wenn aber die verstärkten Leistungen so nötig sind, ist es natürlich dringend erwünscht, das finanzielle Dilemma des Jahres 1966 zu überwinden. Mir liegt, ganz neuen Datums, ein Telegramm der hessischen Hochschulen vor, in dem noch einmal sehr eindringlich darauf verwiesen wird, daß, wenn es bei der Negativliste bleibt, ganz wesentliche Bauprojekte unserer wissenschaftlichen Hochschulen nicht durchgeführt werden können. Vielleicht - ich weiß nicht, ob das eine unbegründete Hoffnung ist - führt das Gutachten der Finanzkommission, das im Augenblick den Ministerpräsidenten überreicht oder auch schon 'beraten wird, weiter; ich meine das Gutachten, das heute, wie es in dem Konzept des Herrn Bundesministers Stoltenberg steht, dem „Herrn" Bundeskanzler und „den" Ministerpräsidenten überreicht wird.
({4})
Aber, von dieser Formalität abgesehen, spreche ich die Hoffnung aus, daß sich möglicherweise ein gemeinsamer Ausweg aus dem Dilemma des 350 Millionen-Ansatzes ergibt. Dieses Dilemma ist unübersehbar.
„Wir wissen, daß die Wissenschaft erstrangig einzuordnen ist", hat Herr Minister Stoltenberg heute morgen eindrucksvoll gesagt, und wir alle, besonders auch die Vertreter der Länder, bekennen uns dazu. „Forschungsaufgaben wachsen schneller als das Sozialprodukt" ; wiederum eine präzise Einsicht in die Lage! Eine schwerwiegende Tatsache unserer Existenz ist damit benannt, und sie muß gewürdigt werden.
Und weil ich gerade so gewichtige Sentenzen zitiere, möchte ich auch die von Herrn Gillessen aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von heute nicht unterdrücken: „Industrienationen müssen Wissenschaftsnationen sein." Wo immer man heute mit einer Analyse unserer Welt beginnt, steht man alsbald vor diesem für unsere ganze Existenz grundlegenden Faktum, das zu finanziellen Konsequenzen zwingt.
Unvermeidlich ist mit dieser Debatte auch die Problematik der Bildungspolitik verbunden. Wissenschaft und Bildung waren gewiß immer schon komplementäre Größen. Heute sind sie zu einer unaufhebbaren Einheit verbunden. Auch darüber hat Herr Bundesminister Stoltenberg Eindrucksvolles gesagt. Die Bildung ist kein isolierter Bereich mehr. Sie steht im engsten Zusammenhang mit allen Bereichen des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens. Deshalb also der Ruf nach dem Bildungsplan, nach einer aktiven Bildungspolitik. Deshalb auch die Sorgen vor dem Bildungsgefälle, nicht nur zwischen Stadt
Minister Dr. Schütte
und Land, auch zwischen verschiedenen Bundesländern: wenn wir z. B. als Kriterium für das Bildungsgefälle den Stand der Einführung des neunten Schuljahres und den Stand der Landschulreform ansetzen!
Der Bildungsrat soll nun das Gremium werden man kann noch gar nicht sagen: sein, aber sicher wird der Bildungsrat in diesen Wochen zustande kommen, der uns künftig darüber aufklären wird, wohin der Weg geht, der Wege einzeichnen wird in die Landkarte der Kulturpolitik, Wegweiser errichten wird. Ich glaube, daß er das in der Zusammensetzung, die er bald haben wird, auch leisten kann. Wiederum dazu nur eine Anmerkung. In der Öffentlichkeit ist im Blick auf die Namenliste eine, wie ich meine, voreilige Kritik geäußert worden. Man hat gemeint, es fehle der Vertreter der einen oder der anderen Schulart oder möglicherweise gar alle Schularten. Das ist ein Irrtum. Die speziellen Probleme der einzelnen Schultypen wird nicht der Bildungsrat im ganzen lösen. Dafür soll es, wie es auch im Vertrag steht, die Sonderkommissionen geben. Sie werden sich mit den sachnahen Problemen beschäftigen. Ich sage das nur, um auch an dieser Stelle ein immer breiter wirkendes Mißverständnis zu beheben.
Herr Abgeordneter Mühlhan hat die Frage gestellt, ob denn der Bildungsrat, wenn er seine Arbeit begonnen habe und nach seinem Auftrag wirken werde, nicht in einen „Antagonismus" - so habe ich Sie verstanden - zur Kultusministerkonferenz geraten werde. Ich antworte darauf mit einem klaren Nein. Gerade der Kultusministerkonferenz wird es sehr erwünscht sein, wenn die Wegebestimmung unseres Bildungswesens, die Bestimmung der Perspektiven, die in die Zukunft reichen, vom Bildungsrat sachnah, ganz schulnah, sage ich, erfolgt. Das ist das Interesse, das die Kultusministerkonferenz an dem Bildungsrat nimmt. Ist das Nebeneinander erträglich? - so wurde gefragt. Durchaus! Ich meine es mit wenigen Sätzen nachgewiesen zu haben.
Herr Abgeordneter Mühlhan hat die Frage gestellt: Wer hat sich eigentlich im Zuge der Kostituierung. des Bildungsrates durchgesetzt? Dazu wollte ich sagen: falls man dies so verstanden hat, wäre das wiederum eine der falschen Alternativen, die uns oft die Sache so schwierig machen.
Aber lassen Sie mich schnell auch dies noch sagen: Pläne für die Zukunft - ja! Aber wir sollten nicht so tun, als ob wir im Bereich der Bildung nun erst auf die Pläne warten müßten. Was unseren Schulen heute nottut, was dringend der sofortigen Entscheidung bedarf, wissen wir jetzt schon. Beispiel: Ein Phänomen von außerordentlicher Bedeutung ist der Anstieg des relativen Schulbesuchs an den weiterführenden Schulen. Immer mehr Kinder gehen in die Realschulen, in die Gymnasien und in die Berufsfachschulen. Zahlen hierüber sind mir für das Land Hessen gegenwärtig. Jedenfalls kann ich die hessischen Zahlen präzise angeben. Es besuchen schon mehr als 40% der Kinder dieses Landes ein zehntes Schuljahr. Auf die Städte bezogen, ergeben sich sogar 60%. Ich glaube, damit wird eine Entwicklung deutlich. Zugleich wird deutlich, wie kultur- und bildungspolitische Probleme miteinander verflochten sind. Z. B. das zehnte Schuljahr wird in dem Maße
weniger dringlich, wie sich der Strom zu den weiterführenden Schulen verstärkt. Das heißt, daß wir nicht auch im deutschen Bildungswesen im ganzen auf ein zehntes Schuljahr hinaus müßten.
Die Fragen, gerade die ganz nüchterner Art, sind in der Begründung der Großen Anfragen und in der Debatte fixiert worden. Sie stellen sich natürlich besonders den Ländern. Ich denke aber auch an eine, wenn ich es so sagen darf, geistige Hilfe des Bundestages - sie ist in all diesen Dingen erwünscht -, wie sie z. B. Herr Dr. Dichgans auf ganz spezifischen Feldern unserer Schulpolitik immer wieder in so dankenswerter Weise bietet.
({5})
Seine Publikationen geben uns oft den Hinweis, was zu tun ist. Es ist gut, zu wissen, daß diese Dinge auch hier im Bundestag so ernst genommen werden. Ich werde mich hüten, die Problematik der 13 oder
12 Schuljahre, der 9 oder 8 Gymnasialjahre hier aufzugreifen. Jedenfalls ist damit ein großes schulpolitisches Problem gestellt, und zwar mit starken finanziellen Auswirkungen. Wie sehr es gestellt ist, ist mir neulich auf dem großen Physikerkongreß in Frankfurt-Hoechst deutlich geworden, als der Vorsitzende, ein Universitätsprofessor, vor 2000 Physikern der Welt ausrief - und mich dabei ansah -: „Wie lange wollen wir uns noch den Luxus der
13 Jahre leisten!"
Aber ich will nur nebenbei auf diese Dinge verweisen; sie sind in den Ländern zu entscheiden. Ich sage Dank dafür, daß in dieser Debatte die Probleme der Kultur- und Bildungspolitik in so weit gespanntem Rahmen ihren Ort haben.
Viel wäre zu den Ausbildungsbeihilfen zu sagen. Die Frage ist, wie Sie wissen, zwischen Bund und Ländern nicht geregelt.
({6})
- Nicht so.
({7})
- Nein. Ich bin hier in der Not, nicht gegen Sie polemisieren zu können. Aber Sie irren!
Die Länderleistungen - und nur diese will ich zitieren - sind nicht gering. Es ist doch immerhin auf 380 Millionen DM für 1965 zu verweisen, der Betrag steigt. Die Leistungen der Länder für Ausbildungsbeihilfen sind schon jetzt bedeutend: allein 200 Millionen DM für Erziehungsbeihilfen der Schüler der allgemeinbildenden Schulen. Wiederum will ich damit sagen: Formale, vertragliche Regelungen sollten uns nicht hindern, jetzt schon das Notwendige und das Richtige zu tun.
Eine unvermeidliche Korrektur zum Schluß, die ich Herrn Martin zuwenden will. Ich habe ihn eben schon daran erinnert, und ich muß es nun in seiner Abwesenheit sagen. Er sprach heute morgen davon, daß es doch die Länder, die jetzt so stolz auf ihre Leistungen seien und so viel mehr an Leistungen vom Bund wünschten, gewesen seien, die noch vor einigen Jahren die Bundesleistungen für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen abgelehnt hätten. Er nannte in diesem Zusammenhang merkMinister Dr. Schütte
würdigerweise den Namen des hessischen Ministerpräsidenten Zinn.
Meine Damen und Herren, Herr Martin hat uns, als er diese polemische Anmerkung machte, nicht über den Sachverhalt informiert. So war es nicht. Vielmehr hat vor allem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Meyers damals die sogenannte „Durchforstung" des Bundeshaushalts gefordert und in diesem Zusammenhang kritisiert, daß der Bund einen Anteil von 39 % an der Einkommen- und der Körperschaftsteuer für sich in Anspruch nehme. Ministerpräsident Meyers hat gemeint, daß man über den Sinn dieser Zahlungszirkulation einmal nachdenken sollte - und ich glaube, wir alle sind nach wie vor genötigt, darüber nachzudenken -: Mehr Geld aus den Kassen der Länder nach Bonn, und dann wieder Rückfluß aus Bonn in die Kassen der Länder! Es ist nicht so, Herr Martin, daß der hessische Ministerpräsident - den allein zitierten Sie - noch vor wenigen Jahren die Bundesleistungen nur abgelehnt habe. Davon kann keine Rede sein.
Ich möchte mit einem Dank dafür schließen, daß sich der Bundestag den Bund und Ländern gemeinsamen Tatsachen und Problemen der Kulturpolitik so energisch zuwendet. Vielleicht kann in der Debatte von seiten der Länder oder der Kultusministerkonferenz noch das eine oder andere Argument vorgetragen werden.
({8})
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Stoltenberg.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte den vorgesehenen Verlauf der Debatte gewiß nicht aufhalten. Aber nachdem Herr Schütte in seinem sehr wertvollen und interessanten Beitrag von seiten der Länder im Anschluß an mein Referat einige kritische Bemerkungen an die Bundesregierung gerichtet hat, halte ich es doch für richtig, kurz dazu etwas zu sagen.
Herr Kollege Schütte hat davon gesprochen, daß der prozentuale Anteil des Bundes rückläufig sei. Es ist nicht zu bestreiten, daß die gewaltige Steigerung der Leistungen der Länder, die wir respektieren und anerkennen, dazu geführt hat, daß der Prozentsatz der Leistungen der Länder größer geworden ist und der Prozentsatz der Leistungen des Bundes demgegenüber trotz steigender Leistungen geringer. Allerdings muß man bei diesen Zahlen, wie ich glaube, berücksichtigen, daß es von vornherein klar war, daß bestimmte Aufgaben, etwa Grunderwerb und Aufschließung, an die Länder fallen. Schließlich muß man bei den Zahlen der letzten Jahre, die ich genannt habe, berücksichtigen, daß hier auch die Finanzierung der neuen Hochschulen eingeschlossen war.
Nun muß ich nach diesen Bemerkungen doch etwas ausführlicher, als ich vorhatte, klarstellen, wie die Dinge seit 1960 in diesem Bereich zwischen Bund
und Ländern gegangen sind, jedenfalls an zwei entscheidenden Punkten.
Man kann nicht übersehen, Herr Kollege Schütte - darin muß ich Herrn Martin zustimmen -, daß es nicht nur Reden einzelner Ministerpräsidenten zu dieser Frage gegeben hat, sondern im Jahre 1962 einen einstimmig gefaßten Beschluß des Bundesrates im Zusammenhang mit den Diskussionen über den Steueranteil, die Streichung der Bundesansätze auf diesem Sektor für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen vorzuschlagen. Jeder kritische Beitrag der Länder zu der Frage der Entwicklung der Bundesleistungen muß schon in diesem Zusammenhang gesehen werden.
Zum zweiten: Wenn Sie jetzt für die letzten Jahre bei dem von Ihnen aufgezeigten starken Rückgang der prozentualen Beteiligung des Bundes die neuen Universitäten mit einbezogen haben - denn sie erklären diese Entwicklung mit -, dann muß ich darauf verweisen, daß in den Grundsatzdebatten über den Abschluß der Ländervereinbarungen zur Finanzierung der fünf neuen Universitäten ausdrücklich davon ausgegangen worden ist, daß diese Aufgabe von den Ländern als ihre ureigenste angesehen wurde, die sie allein wahrnehmen wollten, und daß es erst einiger Bemühungen und Anstrengungen bedurft hat, um zu erreichen, daß dem Bund überhaupt die Möglichkeit eines nachträglichen Beitritts eröffnet wurde.
({0})
Herr Bundesmininister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lohmar?
Gern!
Herr Bundesminister, darf ich Sie an die gelegentlichen Reden des Herrn Abgeordneten Stoltenberg aus der letzten Legislaturperiode erinnern, in denen er sich in der soeben von Ihnen zitierten Tendenz bemüht hat, darauf hinzuweisen, es gebe keine Rechtsverpflichtungen des Bundes und es sollten keine Rechtsverpflichtungen des Bundes begründet werden, sich auf die Dauer am Ausbau der bestehenden wissenschaftlichen Hochschulen zu beteiligen; statt dessen solle man eine Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern anstreben, die die Sorge um die Hochschulen wieder allein den Ländern überantworten würde? Lesen Sie Ihre eigenen Protokolle nach!
Herr Kollege Lohmar, ich halte das für eine ganz falsche Darstellung dessen, was ich zu diesem Thema gesagt habe, und für eine ganz falsche Interpretation dessen, was wir im Haushaltsausschuß des Bundestages, dessen Berichterstatter für diese Aufgabe ich sechs Jahre lang war, beschlossen haben. Denn wir haben 1962, als der Beschluß des Bundesrates vorlag, ausdrücklich davon abgesehen, ihm zu folgen, und haben in den Vorlagen, die wir dem Plenum gemacht haben,
eine angemessene und steigende Bundesleistung vorgesehen. Insofern ist die Darstellung falsch.
({0})
Ich möchte gern noch etwas zu dem zweiten Punkt sagen, zu der Frage der Leistung von Bund und Ländern für die Wissenschaft überhaupt. Herr Kollege Professor Schütte hat hier einen langen Zeitraum zitiert, etwa von 1950, wenn ich es richtig gehört habe, bis 1964, und gesagt für diese Zeit hätten die Länder 76 % und der Bund 24 % aufgebracht. Ich unterstelle, daß diese Zahlen richtig sind. Aber Sie können dabei sicher nicht übersehen, was ich heute morgen ausgeführt habe: daß wir in den Bereichen, in denen der Bund die Hauptverantwortung trägt, nämlich der Großforschung, der Atomforschung und der Weltraumforschung, aus außenpolitischen und internationalen Gründen überhaupt erst seit Mitte der fünfziger Jahre beginnen konnten und daß wir aus den hier genannten Gründen und wegen der hier genannten Schwierigkeiten Mühe hatten, zunächst überhaupt eine Vereinbarung über die Beteiligung des Bundes an der allgemeinen Wissenschaftsförderung zu erreichen.
Nun darf ich einmal - vielleicht als einen konstruktiven Schlußgedanken, der uns verbindet - die letzten Zahlen nennen, die uns zur Verfügung stehen. Sie haben gesagt: der Bund seit 1950 24 %. Im Jahre 1964 haben wir folgende Relation der Bundes- und der Länderleistungen erreicht: der Bund hat nach dem Bundesforschungsbericht I 1964 fast 2,1 Milliarden DM für Wissenschaft und Forschung aufgewandt, die Länder 2,9 Milliarden DM. Sie liegen noch vor uns, und ich sage noch einmal: wir respektieren und würdigen die außerordentlich großen Leistungen, die die Länder vor allem für die Hochschulen aufgebracht haben. Aber immerhin - wir sind damit von 24 % auf über 42 % gekommen, Sie sind jetzt, 1964, noch bei 58 %, und wir werden in einem konstruktiven Wettlauf bestrebt sein, diese Relation noch weiter zu verbessern.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel ({0}).
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Ich hatte zunächst vor, die Tradition neuer Abgeordneter hier fortzusetzen und ohne Zettel und ohne Papier hier zu erscheinen; aber dann habe ich mich des akademischen Themas erinnert, das wir heute hier zu besprechen haben, und deswegen doch diese Mappe mitgebracht.
Es kann Sie niemand zwingen, sie zu öffnen.
({0})
Vielleicht ist es zusätzlich gut, meine Damen und Herren, wenn wir einige Sätze von Herrn Kollegen Lohmar und von Herrn Staatsminister Schütte wörtlich vorliegen haben.
Verzeihen Sie bitte, Herr Landesminister, wenn ich zunächst nicht auf die finanziellen Dinge eingehe, über die Sie soeben hier gesprochen haben. Wir sind zwar inzwischen gewohnt, daß stets ein Herr hessischer Landesminister zu diesen Fragen in großen Debatten Stellung nimmt;
({0})
aber ich wollte das meinem Kollegen Althammer überlassen. Ich möchte nur insbesondere zum letzten Teil Ihrer Ausführungen fragen, ob es eigentlich gut ist, wenn wir hier ein Aufrechnen zwischen den Leistungen der Länder und denen des Bundes beginnen, oder ob wir diese Debatte nicht führen wollen, um Prioritäten festzulegen und um über die Bildungspolitik als Ganzes zu sprechen.
Ich darf deswegen zunächst noch einmal sagen, daß wir diese große Debatte zur Wissenschafts- und Bildungspolitik begrüßen, weil sie uns die Möglichkeit gibt, in diese erfreulicherweise so lebendige, wenn auch gelegentlich nicht ganz unpolemische öffentliche Diskussion einzugreifen und unseren Standpunkt zu formulieren.
Wir begrüßen aber vor allem das klare und überzeugende Konzept, das uns Herr Minister Stoltenberg zu den Absichten der Bundesregierung in der Wissenschafts- und Bildungspolitik heute morgen vorgetragen hat.
({1})
Dieses Konzept hat bewiesen, daß die Regierung auch hier ihre Aufgaben erkannt hat und daß sie gemeinsam mit den Ländern ihren Teil zu den wichtigsten innenpolitischen Zukunftsaufgaben beitragen will. Herr Kollege Lohmar hat zu Anfang gesagt, er wolle die Bundesregierung fragen, was sie will und was sie nicht will. Ich glaube, Herr Minister Stoltenberg hat darauf eine klare Antwort gegeben.
({2})
Sie werden es mir als jungem Abgeordneten bitte nicht verargen, wenn ich darüber hinaus erfreut darüber bin, daß gerade das jüngste Kabinettsmitglied das Ressort für Wissenschaft und Forschung vertritt. Es ist wohl eine erfreuliche Tatsache, daß eine neue Generation die Führung für diese neue Aufgabe unserer Zeit übernimmt. Wir danken ihm, aber, meine Damen und Herren, wir danken auch dem Herrn Bundeskanzler Erhard dafür, daß er ihn in sein Kabinett berufen hat.
({3})
Herr Minister Stoltenberg hat dargelegt, unter welchen Schwierigkeiten die uns zunächst auferlegten außenpolitischen Schranken beseitigt werden mußten und wie lange es dauerte, bis die Bereitschaft der Länder Verwaltungsabkommen und informelle Absprachen mit dem Bund ermöglichte. Erst relativ spät hat sich die Erkenntnis zur vertrauensvollen Zusammenarbeit Bahn gebrochen und dazu geführt, ohne den Föderalismus auszuhöhlen, eine sinnvolle Kooperation und eine gleichberechtigte Mitwirkung des Bundes an diesen großen Aufgaben zu sichern. Das ergab natürlich eine unterschiedliche
Dr. Vogel ({4})
Akzentuierung in den verschiedenen Aufgabebereichen.
Aber lassen Sie mich jetzt bitte aus dem breiten Spektrum, das Herr Minister Stoltenberg heute morgen hier vorgelegt hat, einige Punkte herausgreifen und lassen Sie mich einige Bemerkungen machen zu den Fragen der Hochschulreform, zu den Fragen der Weiterbildung nach dem Studium und zu den Fragen des Zuganges zur Hochschule.
Meine Damen und Herren, natürlich sind wir über die allgemeine Anteilnahme an diesen Fragen der bildungspolitischen Problematik sehr erfreut. Nur stellt sie sich meines Erachtens nicht ausschließlich als ein finanzpolitisches Problem, sondern die Frage der Reformbereitschaft unserer Hochschulen verlangt den gleichen Rang. Herr Minister Stoltenberg hat bereits darauf hingewiesen, daß der Bund hier nur mittelbar Einfluß nehmen kann. Wir wollen auch keineswegs in die geheiligten Rechte der Hochschulen eingreifen. Aber wir wollen doch nicht verschweigen, wie sehr die Initiative jener von uns begrüßt wird, die auf eine Straffung, auf eine Gliederung und auf eine Verkürzung des Studiums hinarbeiten.
({5})
Wir bitten die Bundesregierung, soweit es in ihren Möglichkeiten steht, alle Bemühungen, die dieser Studienreform gewidmet sind, nach ihren Kräften zu unterstützen.
Wir wollen gleich, um kein Mißverständnis zu erzeugen, darauf hinweisen, daß wir zwei Extreme fürchten: auf der einen Seite die vollständige Verschulung unserer Universitäten, wenn einer Trennung von Forschung und Lehre das Wort geredet wird; auf der anderen Seite aber die Gefahr eines völlig unkontrollierten und unbegrenzten Studienganges, ein Extrem, das nicht zu Leistungen anspornt und das auch der Wissenschaft nicht dienen kann.
Von der erwarteten Reform hingegen, meine Damen und Herren, erwarten wir uns zunächst einen nahtloseren Übergang vom Abitur zum Studium und eine systematischere und gründlichere Einführung in das gewählte Fachgebiet. Die folgenden Jahre des Studiums sollten meines Erachtens stärker berücksichtigen, daß die Universität auch der Wissensvermittlung und der Berufsausbildung dient. Erst wenn dieses Studium im regulären Verlauf durch ein Examen, sei es der Universität, sei es des Staates, abgeschlossen ist, wird der junge Akademiker völlig frei zur wissenschaftlichen Forschung sein, die wir ihm dann aber auch nach allen Kräften erleichtern sollten.
({6})
Es freut uns natürlich, daß die Überlegungen unseres Kollegen Dichgans in die Beratungen des Wissenschaftsrates so ganz offensichtlich Eingang gefunden haben. Wir müssen zu einer merklichen Verkürzung des Studiums kommen, um die Kräfte der Jugend und der jungen Generation für Wissenschaft und Beruf nutzbar zu machen und nicht etwa beispielsweise einen Beamten erst nach der halben
Zeit, nämlich nach 30 oder 31 Jahren, für die noch verbleibenden 30 oder 35 Jahre in den Beruf zu entlassen.
Wir wissen aber auch - und das ist, glaube ich, eine wichtige Ergänzung zu dem, was zu diesem Punkt von Herrn Minister Schütte gesagt wurde -, daß diese Reformen zumindest keine erheblichen personellen und finanziellen Einsparungen erbringen werden, zumal dann, wenn sie einhergehen mit einer Reform der Fakultäten. Das heißt natürlich - und das ist ein altes Thema - Vermehrung der Lehrstühle, heißt aber auch eine Verbesserung der wissenschaftlichen Leistungsmöglichkeiten unserer Hochschulen.
Lassen Sie mich zu der Bemerkung des Ministers Stoltenberg noch etwas sagen: Wenn eine deutsche Fakultät in 16 Jahren keine wissenschaftliche Nachwuchskraft habilitiert, dann ist das sicher auch ein Anlaß zu intensiven Überlegungen über eine Hochschulreform.
({7})
Meine Damen und Herren, auf diesem Gebiet ist in der Vergangenheit manches geschehen. Aber es bleibt noch eine Menge zu tun. Es ist beispielsweise zu überlegen, ob die Bewältigung dieser Aufgaben durch separate Hochschulgesetze der einzelnen Länder sinnvoll gelöst werden kann oder ob es nicht auch hier zu einer Koordination kommen sollte.
Ich darf diesen Punkt zusammenfassen. Unser Wunsch ist es ganz einfach, daß geschieht, was Humboldt für seine Zeit geleistet hat: aus der Idee der Wissenschaft die adäquate Organisation der Hochschule zu entwickeln. Einem neuen, einem modernen Humboldt würde sich die Aufgabe heute neu stellen. Dabei muß der Kern der deutschen Hochschulverfassung erhalten bleiben: die grundsätzliche Einheit von Forschung und Lehre, aber ihre gegenseitige Zuordnung muß neu überdacht werden.
({8})
Je mehr wir über die Hochschule und ihre Reform sprechen, um so deutlicher wird, daß diese Aufgabe der Hochschule nicht mit dem Abgang des Studenten von ihr erfüllt ist. Unsere Ärzte, unsere Rechtsanwälte, unsere Lehrer und Beamten können nicht dreißig, fünfunddreißig oder gar vierzig Jahre von den Erkenntnissen ihrer Studienzeit zehren.
({9})
Die rasche Entwicklung unserer Wissenschaften macht eine periodische Erneuerung in ihrer und unser aller Interesse dringend notwendig.
({10})
Die wissenschaftliche berufsbegleitende Weiterbildung ist deswegen eine Aufgabe unserer Universitäten, unserer Akademien und auch unserer Verwaltungshochschule. Form und Dauer werden natürlich je nach Fachgebiet unterschiedlich zu beurteilen sein, sie ist aber eine Pflicht der Gesellschaft, und der Staat muß zumindest den Anreiz schaffen. Ich darf hinzufügen, daß sicherlich dadurch zugleich zu unserer aller Vorteil das Gespräch zwischen dem wissenschaftlichen Theoretiker und dem erfahrenen Praktiker gefördert wird.
Dr. Vogel ({11})
Herr Minister Stoltenberg hat heute morgen davon gesprochen, daß die Ungleichheit in der Ausschöpfung unserer Bildungsreserven weniger zwischen den einzelnen Ländern als vielmehr in den einzelnen Ländern zu finden sei. Bedauerlich ist, in welchem Maße sie auch innerhalb der sozialen Schichtung unseres Volkes noch immer vorhanden ist. Es ist zwar erfreulich, daß sich die Zahl der Arbeitersöhne ,auf unseren Universitäten seit 1929 verdreifacht hat, aber ihr Anteil ist mit 6 % noch immer unbegreiflich niedrig. Der Ansatzpunkt hierfür kann freilich nicht allein bei der Universität liegen. Das ist ein Problem, das sich schon auf den höheren Schulen und letztlich in unseren Elternhäusern stellt; es muß in größerem Maße eine Ermunterung der Eltern für diesen Weg ihrer Kinder gefordert werden.
Wir sollten bei dieser großen Diskussion um unsere Bildungspolitik nicht nur von der Hochschule sprechen. Natürlich ist sie vorrangig und wichtig, aber wir brauchen nicht nur gute Hochschulen, wir brauchen auch gute Fachschulen für die technischen und die musischen Berufe; wir brauchen eine gute Grundausbildung. Bildung hängt prinzipiell nicht von ,der Art der Schule ab. Herr Minister Stoltenberg hat den Bundesjugendplan, die politische Bildung und die Leistungen des Bundes auf diesem Gebiet angesprochen. Der ganze Bereich der Erwachsenenbildung muß mit einbezogen werden. Hier ist unseren Volkshochschulen und den freien Trägern zu danken. Sie sind aber auch nachdrücklich zu ermuntern, ihre Aribeit noch konzentrierter als bisher bei wachsendem Freizeitanteil fortzusetzen.
Natürlich können alle diese Institutionen nur Hilfestellung leisten, aber sie tun damit das, was der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen in seinem Gutachten über die Erwachsenenbildung als die Aufgabe aller dieser Institutionen gefordert hat: Selbsttätigkeit beim einzelnen in Gang zu bringen. Meine Damen und Herren, schließlich ist hier das Verhältnis von Politik und Wissenschaft mehrfach angesprochen worden. Herr Minister Stoltenberg hat hierzu Wesentliches gesagt, Herr Kollege Lohmar die Bundesregierung scharf kritisiert. Allerdings fiel auf, daß er das Wort „Planung" beachtenswert vorsichtig in den Mund genommen hat. Ich glaube, wir alle sind uns über die Notwendigkeit gewisser Planungskonzeptionen einig. Aber wir beobachten auch, daß die Wissenschaft zu langfristigen und zu perfektionistischen Planungsvorstellungen mit großer Reserve begegnet. Für uns bedeutet das eine gewisse Bestätigung, haben wir doch nach dem Kriege gelernt und bewiesen, daß sich ein fest ins Auge gefaßtes Ziel mit einem gewissen Pragmatismus leichter und besser erreichen läßt.
Was wir brauchen, ist ein gutes Grundkonzept und sind dann mittelfristige Programme, und wir bitten die Bundesregierung, an diesen mittelfristigen Programmen insbesondere des Wissenschaftsrates nach Kräften mitzuarbeiten, - mittelfristige Programme, die elastisch bleiben, dann Jahr für Jahr überprüft und den neuen Notwendigkeiten angeglichen werden können.
Herr Kollege Lohmar hat aber schließlich die Bundesregierung vor allem deswegen so scharf kritisiert, weil er mit ihrer Ressortverteilung nicht einverstanden ist. Sicher, Herr Lohmar, es gibt viele Gliederungsmöglichkeiten. Schon der alte preußische Kultusminister Althoff wollte das preußische Kultusministerium teilen, und in Berlin haben wir beispielsweise tatsächlich zwei Kultusressorts. In Nordrhein-Westfalen sind ähnliche Überlegungen im Gange. Auch hier in Bonn -- auch im Bund - hat das Wissenschaftsministerium seine heutige Gestalt erst allmählich gefunden. Ich glaube, gültige Normen, die sich ein für allemal festlegen ließen, gibt es hier nicht. Wir meinen, es kommt vor allem auf den Minister an, der dieses Ressort im Kabinett vertritt.
({12})
Uns scheint es die richtige Form zu sein, ein Wissenschaftskabinett zu bilden, das die Koordination der, aus welchen Gründen auch immer - und es gibt teilweise sehr gute Gründe -, aufgeteilten Funktionen übernimmt. Auch meine ich, man sollte nicht zu tief in das Organisationsprinzip eines Kabinetts eingreifen, das ja letztlich dem Bundestag gesamtverantwortlich ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Herr Abgeordneter Lohmar!
Herr Kollege Vogel, bevor Sie mit Ihren interessanten Ausführungen zu diesem Thema zu Ende kommen, möchte ich mich gern bei Ihnen danach erkundigen, welche Arbeitskonstruktion Sie von der Fraktion der CDU/CSU aus denn für das Wissenschaftsministerium für richtig hielten, unabhängig davon, was jetzt im Kabinett vereinbart worden ist?
Sie werden sich außerordentlich wundern, Herr Kollege Lohmar: ich halte die Vereinbarung des Kabinetts für richtig.
({0})
Ich darf vielleicht über diese Ressortverteilung und über die Frage der Hinzuziehung von Wissenschaftlern hinaus noch ein Wort zur wissenschaftlichen Beratung sagen, die der Staat, d. h. Regierung und Parlament benötigen. Das ist sicherlich im heutigen Umfange neu und mag auch zunächst einmal schwierig sein, weil sich eben Politiker und Wissenschaftler von Natur aus gelegentlich etwas fremd gegenüberstehen. Der Politiker muß andere Kriterien voranstellen als der Wissenschaftler. Vor allem, glaube ich, müssen die Politiker erkennen, daß sich viele Wissenschaftler nicht zu eng an eine Partei binden lassen wollen. Ich glaube, mancher hier im Saale hat damit schon seine Erfahrungen gemacht.
Insgesamt aber wollen und brauchen wir eine freie, manchmal auch zweckfreie Wissenschaft, die
Dr. Vogel ({1})
sich selbst und damit uns allen am besten dient. Der Staat hat nach meiner Überzeugung die Freiheit dieser Wissenschaft zu institutionalisieren und ihre materiellen Voraussetzungen zu schaffen. Über sie ist in der letzten Zeit besonders viel gesprochen worden, und hierzu wird, wie angekündigt, nachher Herr Kollege Althammer noch einiges sagen.
Lassen Sie mich, weil das auch in den Bereich der Neugründung von Hochschulen hineinreicht, zu diesem Thema nur noch ein Wort sagen. Wenn unsere sogenannte Wohlstandsgesellschaft vor der Zukunft bestehen will, wird sie ihre Leistungsfähigkeit auch durch die Gründung neuer wissenschaftlicher Hochschulen beweisen müssen. Nur dürfen nach unserer Überzeugung solche Neugründungen nicht auf Kosten der alten, bestehenden Hochschulen erfolgen. Die Besorgnis mancher alter Universitäten, jetzt in den Etats hintangestellt zu werden, muß meines Erachtens zerstreut werden. Was wir wollen, ist ein gesunder Wettbewerb zwischen dem oft auch in ihrem Gliederungsprinzip neuen Typus der Hochschulen und den altbewährten, überkommenen Hochschulen.
Meine Damen und Herren, die Regierung braucht die wissenschaftliche Beratung. Sie kann aber auch durchaus die Kritik der Wisenschaft vertragen. Die Wissenschaft und die Künste, vor allem die Literatur, sollten in einem freien Staat kritisch urteilen dürfen, wozu die Kritik der parlamentarischen Opposition noch hinzukommen sollte. Außer Kritik aber braucht eine Regierung auch Zustimmung, und ich darf sagen, daß sie diese Zustimmung für das heute vorgetragene Konzept ihrer Wissenschafts- und Bildungspolitik bei uns in vollem Maße findet.
({2})
Wir danken Herrn Minister Stoltenberg dafür, daß er statt schöner Worte und wohlklingender Forderungen ein sehr nüchternes und realistisches Programm vorgelegt hat.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sprengt hoffentlich nicht den Stil einer Kulturdebatte, wie sie sich Herr Dr. Martin heute morgen vorgestellt hat, wenn ich eine kleine Bemerkung vorweg mache und sage: Für einen Sozialdemokraten ist es eine Situation von besonderem Reiz, die „parlamentarische Unschuld" zur gleichen Zeit verlieren zu können wie der, sagen wir einmal, feindliche Bruder unseres Freundes, des Oberbürgermeisters von München.
({0})
Sozusagen, oder in Anführungsstrichen. Dazu noch etwas.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?
Herr Kollege, halten Sie es für ein Zeichen von Feindlichkeit, wenn zwei Brüder in einem demokratischen Staat unterschiedliche Überzeugungen haben?
({0})
Herr Dr. Vogel, wenn Sie genau zugehört hätten, hätten Sie bemerkt, daß ein leichter Ton von Ironie in diesem Wort „feindlich" steckte. Ich glaube, das erklärt es.
({0})
Nun, das ist um so schöner, wenn sich uns dieser Kollege zunächst als ein recht bescheidener Mann zeigt. Er hat nämlich dem Minister Stoltenberg heute dafür gedankt, daß er ein Konzept der Kulturpolitik der Bundesregierung vorgelegt habe, nachdem die Bundesregierung seit 17 Jahren von der gleichen Mehrheitspartei, der CDU, der Dr. Stoltenberg angehört, geleitet worden ist. Nach siebzehn Jahren freut sich Herr Vogel darüber, daß ein solches Konzept vorliegt.
({1})
Noch etwas zum Stil der Kulturdebatte. Ich weiß nicht, ob Anträge, wie sie heute morgen Herr Dr. Martin begründet hat, den Stil dieser Debatte positiv beeinflussen. Wenn wir an einem Tage, an dem es darum geht, über aktuelle Sorgen der Wissenschaft zu sprechen und die Fragen möglichst so weitgehend zu klären, daß wir dazu den politischen Willen des Parlaments zum Ausdruck bringen können, Anfragen vorgelegt bekommen, die uns nötigen, hier über den ganzen breiten Komplex der Wissenschafts- und Bildungspolitik zu diskutieren, dann wird die Debatte dadurch sicher nicht auf den Punkt gelenkt, um den es eigentlich gehen müßte.
Der Herr Bundeswissenschaftsminister hat gesagt: Die Bundesregierung „hält es für geboten, diese Debatte ohne polemische Töne konstruktiv zu führen". Nun, danach möchte man sich sehr gern richten. Das ist aber für einen Kulturpolitiker nicht einfach in einer Zeit und bei einer Bundesregierung unter der Ägide eines Kanzlers, der zu dem Wort „Planung" ein mehr auf Allergie ausgerichtetes Verhältnis gehabt hat. Dieser Begriff „Planung" wird jetzt gerade im Zusammenhang mit der Bildung groß geschrieben. Von „Planung" ist hier - mehr als das Herr Dr. Vogel empfunden hat - sehr viel gesprochen worden,
({2})
und das mit Recht. Wir müssen für morgen planen. Nur dürfen wir darüber nicht vergessen, was heute getan werden muß. Das Wort „Planung" darf nicht zur Ausrede werden für das, was man heute nicht zu tun gesonnen ist.
({3})
Das hier zu sagen, scheint mir notwendig zu sein. Wir sprechen heute über den Hochschulausbau. Das ist eines der Probleme, die hier zur Lösung anstehen, und ich muß sagen: da darf die Planung für morgen erst recht nicht zur Ausrede werden, sondern wir müssen von den Sprechern der Regierungs770
parteien und vom Wissenschaftsminister hören, was die Bundesregierung wirklich zu tun gedenkt, um die Lücke auszufüllen, ,die entstanden ist zwischen den Forderungen des Wissenschaftsrats in Höhe von 530 Millionen DM und dem, was sie bis jetzt veranschlagt hat, nämlich 350 Millionen DM. Diese Frage muß hier nachdrücklich gestellt werden, und dazu hat bisher weder der Wisssenschaftsminister noch ein Sprecher der Regierungsparteien ein verbindliches Wort gesagt. Es wäre zu begrüßen, wenn das heute noch geschehen könnte.
Es reizt natürlich auch zur Polemik, wenn der Wissenschaftsminister ,sagt, hier dürfe kein Wettlauf an Wohlwollenserklärungen entstehen. Wenige Tage davor ist uns mitgeteilt worden, daß sich der Herr Bundeskanzler gegenüber den Wünschen der Präsidenten unserer führenden wissenschaftlichen Institutionen und Gesellschaften „wohlwollend" geäußert habe. Das Wort vom „Wettlauf an Wohlwollenserklärungen" ist auch nicht angebracht in einem Moment, in dem der Bundeswissenschaftsminister selbst seine Sympathiegegenüber den von Herrn Professor Sieverts, dem Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz, vorgetragenen Forderungen zum Ausdruck gebracht hat - wohl seine Sympathie, aber keinen sachgerechten Vorschlag, was man tun kann, um den berechtigten Anforderungen entgegenzukommen. Herr Professor Sieverts, ein Mann, der gewiß nicht zur Dramatisierung von Tatbeständen neigt, sagt, im Hochschulausbau zeichne sich eine nahende Katastrophe alb. Das hat er gestern morgen in Mannheim vor der Plenarsitzung der Westdeutschen Rektorenkonferenz erklärt. Da genügt es nicht, daß man ihm mit Sympathie gegenübersteht, sondern da muß man Stellung beziehen: Entweder man ist anderer Meinung als der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz und sieht diese Katastrophe nicht kommen. Oder aber man sagt: Jawohl, sie kommt; wir wollen sie verhindern, und wir geben Ihnen das Geld.
({4})
- Über die Frage, wie man das machen kann, werden wir noch reden. Dazu kommen wir noch. Dazu können Sie auch von uns eine Antwort erwarten; das ist ganz klar.
Auf der anderen Seite hören wir - und das wird positiv vermerkt -, daß wir ein Wissenschaftskabinett oder einen dafür zuständigen Kabinettsausschuß bekommen haben. Das ist seit langem beschlossen. Genau zehn Tage vor dieser durch unsere Anfrage ausgelösten Debatte tritt das Wissenschaftskabinett zum erstenmal zusammen. Ich halte das für ein merkwürdiges Zusammentreffen.
({5})
- Selbstverständlich ist das merkwürdig, Frau Geisendörfer, um so mehr, als sich in der ersten wichtigen Sitzung, in der sich dieses Wissenschaftskabinett auf die Debatte vorbereitet, herausstellt, daß sich der Terminplan des Wissenschaftskabinetts nicht mit dem Terminplan des Bundeskanzlers in
seiner Eigenschaft als Chef der Regierung - er Ist auch Vorsitzender des Wissenschaftskabinetts - auf einen Nenner bringen läßt. Der Herr Bundeskanzler war in Paris. Er hat an dieser wichtigen Sitzung nicht teilnehmen können. Ich hoffe, daß das nicht zur Übung wird, sondern daß es gelingen wird - ({6})
- Nein, Herr Dr. Martin, er sollte nicht zu Hause bleiben, aber er hätte diese Geschichte eher in Ordnung bringen sollen. Dann hätte man das anständig regeln können.
Zehn Minister gehören nun dem Wissenschaftskabinett an. Es wird schwierig sein, mit zehn Ministern eine klare Wissenschaftspolitik zu treiben. Zehn Minister sind schon ziemlich viel; aber die Mittel für die Wissenschaftsförderung verteilen sich in unserem Haushalt - ({7})
- Herr Huys, die elf Kultusminister haben sich in langen Jahren in vielen, vielen entscheidenden Fragen zusammengerauft.
({8})
Es ist nicht immer nur von Nachteil gewesen, daß das elf gewesen sind.
({9})
Das haben sie sehr häufig in langen, langen Jahren gemacht, Herr Franke, und es dauert mir zu lange, wenn dazu auch in der Bundesregierung lange Jahre l gebraucht werden.
Die Mittel für die Wissenschaftsförderung sind nicht etwa nur in den zehn Etats der beteiligten Minister, sondern in achtzehn verschiedenen Einzelhaushalten unseres Etats versteckt oder untergebracht. Wenn darauf verwiesen wird, wie sehr die Mittel für die Wissenschaft angestiegen sind, dann wird immer nur von dem Etat des Wissenschaftsministers gesprochen. Dieser Etat ist für 1966 um 30 % angestiegen. Wenn man aber die Zahlen sieht
- und sie werden sie bekommen, wenn der Haushaltsplan hier auf dem Tisch liegt -, die die Steigerung der Bundesmittel zur Förderung von Wissenschaft und Forschung einschließlich der Entwicklung und Erprobung insgesamt zum Ausdruck bringen, erkennt man, daß die Gesamtsumme durchaus nicht um 30 % gestiegen ist, sondern sich in einem Bereich bewegt, der noch unter 12 % liegt. Das ist eine interessante Zahl, die wir bis jetzt noch nicht gehabt haben und die man ins Auge fassen muß, wenn immer gesagt wird, die Mittel des Wissenschaftsministers seien um 30 % gestiegen; Das hört sich schön an. In den 30 % sind ja auch die 60% enthalten, um die die Mittel für die Weltraumforschung angehoben werden. Außerdem sind diese 30 % nicht etwa durchgängig auf alle Titel des Wissenschaftsministeriums umgelegt.
({10})
- Meine Damen und Herren, wir werden Gelegenheit haben, darüber ausführlich in der Haushaltsdebatte zu sprechen. Ich hielt es aber hier für notRaffert
wendig, die Augenwischerei, die darin liegt, daß man von 30 % spricht, wenigstens einmal kurz anzutippen und aufzuzeigen.
Was hat der Wissenschaftsminister nun zu unseren Anfragen gesagt. Auf die erste Frage, ob die Bundesregierung bereit sei, die Verantwortung für alle Aufgaben des Bundes in der Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der Ausbildungsförderung und der Bedarfsplanung dem Bundesminister für wissenschaftliche Forschung zu übertragen, hat er - nicht zu unserer Überraschung aber natürlich doch zu unserem Bedauern - mit einem schlichten Nein geantwortet. Das beabsichtigt die Bundesregierung nicht. Die Bundesregierung will - so hat es auch heute der Wissenschaftsminister bestätigt - die Kompetenzen, die in so vielen Ministerien verteilt sind, nicht in einer Hand zusammenfassen. Meine Damen und Herren, wir wünschen uns nicht einen Superkultusminister für den Bund; aber wir möchten die Zuständkeiten, die beim Bund liegen, in einer solchen Hand vereint wissen, damit man auf diesem Gebiet klare Politik machen kann.
Die zweite Frage, was die Bundesregierung zu tun gedenke, um die mittel- und langfristige Finanzierung der Aufgaben in Wissenschaft und Bildung durch Bund und Länder zu sichern, hat der Minister ausführlicher beantwortet. Aber auch hier ist mir und meinen Freunden nicht klargeworden, was die nächsten Schritte sind, um hier eine wirkliche Klärung zu schaffen, um das Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in der Wissenschaftsfinanzierung in absehbarer Zeit zu klären. Wir haben das Troeger-Gutachten noch nicht. Wir werden Ende dieses Jahres die Auseinandersetzung um die Bundes- und Länderanteile an der Einkommen-und Körperschaftsteuer haben. Das ist richtig. Aber wir hätten uns doch gewünscht, daß hier etwas deutlicher gesagt worden wäre, wie sich die Bundesregierung die Regelung dieses Verhältnisses in der nächsten Zeit vorstellt, und nicht erst in zwei, drei oder vier Jahren, wenn die schwerwiegenden Auseinandersetzungen, die durch das Gutachten und den Streit um den Anteil noch hervorgerufen werden, abgeschlossen sind.
Gesagt worden ist, es seien „Überlegungen und Arbeiten im Gange für eine mehrjährige Rahmenplanung, nach Maßgabe sachlicher und politischer Dringlichkeiten geordnet." Es heißt „geordnet", nicht „formiert". Das hört sich auch schön an. Die Frage ist aber: Wer bestimmt die Dringlichkeiten? Darauf hat der Herr Bundesminister zu antworten versucht. Aber welche Dringlichkeitsstufen sind es? Was wird die Bundesregierung nach oben nehmen? Was wird sie an die zweite Stelle stellen? Was soll vorn stehen? Was ist das Wichtigste? Was hält sie für das Zweitwichtigste? Was hält sie für nicht so wichtig? Davon, meine Damen und Herren, habe ich hier sehr wenig oder gar nichts gehört. Soll das vielleicht eine der Aufgaben sein, die sie dem Bildungsrat zuweisen will. Dort, so hat der Herr Bundesminister gesagt, werde es nicht um Fragen der Bildungsfinanzierung, sondern zunächst um Fragen der Bildungsinhalte und der Bildungsstruktur gehen. Wenn sich der Bildungsrat zunächst mit Fragen von Bildungsinhalten beschäftigen wird, dann wird er sehr viel zu tun haben. Wenn das das erste ist, was er machen soll, dann wird es lange dauern, bis er zu anderen Fragen kommt, deren Lösung wir von ihm erhoffen; ich kann leider nicht sagen: erwarten. Es wird auch interessant sein, zu hören, welcher Mittel, welcher Institutionen sich nach Auffassung der Bundesregierung der Bildungsrat bei der Erarbeitung seiner Vorschläge bedienen soll und wird.
Zur letzten Frage: „Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um die bestehenden Einrichtungen zur wissenschaftlichen Beratung der Regierung auszubauen und deren Arbeitsergebnisse systematisch und zusammenfassend für langfristig wirksame politische Entscheidungen besser auswerten zu können?", ist viel gesagt worden, aber auch wieder nichts, was man - ich sage es ganz einfach - anfassen könnte. Es ist nichts gesagt worden darüber, wie und an welcher Stelle diese vielfältigen wissenschaftlichen Geremien, diese vielfältigen wissenschaftlichen Aktivitäten, die da in Gang gesetzt worden sind, zusammengefaßt werden, um wirklich für alle in jeder Beziehung nutzbar gemacht werden zu können. Diese Stelle wünschen wir. Mein Freund Ulrich Lohmar hat heute morgen schon von einer Clearingstelle gesprochen; an dem Wort halten wir gar nicht fest. Aber wir möchten wissen, ob es irgendwo in absehbarer Zeit eine Einrichtung geben wird, die diesen in so großem Maße angebotenen und angeforderten Sachverstand unserer Wissenschaftler wirklich für die Arbeit unserer Regierung nutzbar machen läßt. Die Fülle dieser Gremien, so hat der Herr Wissenschaftsminister gesagt, „erschwert allerdings den Gesamtüberblick und eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen den einzelnen Gremien". Wenn er das weiß, warum wird das nicht geändert? Warum macht er keine Vorschläge dazu, diese Schwierigkeiten zu ändern?
Nun, meine Damen und Herren, eines dieser Gremien ist, wenn es auch auf einem besonderen Gleis steht, der Wissenschaftsrat. Die Bundesregierung hätte guten Grund, zu zeigen, wie sie den Vorschlägen eines solch wichtigen Gremiums zu folgen bereit ist, wenn sie die Anregungen und Vorschläge des Wissenschaftsrats, die in unserer Debatte insbesondere zur Diskussion stehen sollten, aufgreifen und befolgen würde. Da geht es nun um diese Lücke zwischen 350 und 530 Millionen DM. Als die Zahl 500 Millionen zum erstenmal auftauchte - das ist ja die Grundzahl, auf die die 30 Millionen dann draufgekommen sind -, waren die Mitglieder der Bundesregierung, die dem Wissenschaftsrat angehören, dabei; sie haben dem nicht widersprochen. Das ist wiederholt geschehen, wie ich mir habe sagen lassen. Jetzt sind sie bei 350 Millionen angekommen. Für mich ist es eine schwierige Vorstellung, zu glauben, daß bei einem Etat von rund 65 Milliarden DM keine Möglichkeit gefunden werden sollte,
({11}) diese 180 Millionen aufzubringen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Martin?
Ja!
Herr Raffert, ist es nicht richtig, daß im Bundesrat auch die Mitglieder der SPD keinen Widerspruch gegen die 350 Milionen DM erhoben beziehungsweise nicht einmal eine Resolution gefaßt haben wie im vergangenen Jahr? Wie stellen Sie sich das vor? Wie ist Ihre Deutung?
Herr Dr. Martin, ich bin sehr glücklich darüber, daß auf der Bundesratsbank der hessische Kultusminister, Professor Schütte, sitzt, der dazu, wenn ich es richtig gelesen habe, Anfang dieser Woche eine Erklärung abgegeben hat, die sich mit dem, was Sie sagen, nicht deckt.
Sie haben mich eben aufgefordert, Ihnen zu sagen, woher die Mittel kommen sollen. Ich antworte Ihnen darauf: wir lassen Ihnen in dieser Angelegenheit, da Sie in der Regierung sitzen, gern den Vortritt.
({0})
- Ich bin noch nicht fertig! In dieser Frage lassen wir Ihnen gern den Vortritt. Aber wir sind bereit, wenn Sie dazu nicht in der Lage sein sollten - was ich, wie gesagt, bei einem Etat von 65 Milliarden DM für ganz ungewöhnlich hielte -, Ihnen dann an der richtigen Stelle, nämlich im Haushaltsausschuß, unsere Vorschläge zu dieser Frage zu machen. Dazu sind wir bereit.
({1})
- Hier haben Sie das erste Wort! Kommen Sie heraus, dann kommen wir auch!
({2})
Meine Damen und Herren, Sie werden einem Abgeordneten aus Niedersachsen gestatten, abschließend darauf hinzuweisen, daß heute an der niedersächsischen Landesuniversität in Göttingen über 5000 Studenten wegen der Zustände demonstriert haben, die auf unseren wissenschaftlichen Hochschulen heute herrschen. Sie haben ausdrücklich erklärt, die Spitze ihrer Demonstration richte sich nicht gegen die um den Ausbau der Universität Göttingen besonders bemühte Landesregierung, sondern sei allgemeiner Natur. Auch Göttingen fällt unter die Negativliste, die der Wissenschaftsrat leider hat erstellen müssen. Es ist ein gutes Beispiel, zu zeigen, daß sich hinter der Negativliste mehr verbirgt, als man zunächst vermuten sollte, wenn man die einzelnen Institute da stehen sieht.
In Göttingen wird nämlich das Sport-Institut nicht neu gebaut werden können, wenn diese Negativliste verwirklicht wird. Das erscheint manchem nicht so wichtig. Für Göttingen - wenn man Historiker ist, weiß man das - könnte es ein bißchen mehr Bedeutung haben. Denn das erste Gebäude, daß die Universität Göttingen überhaupt jemals gehabt hat,
war eine Sportstätte, nämlich ein Reitstall, den der erste Rektor, Baron von Münchhausen, für die dort studierenden Söhne des Adels einrichtete. Deswegen mag vielleicht für Göttingen der Ausfall der Sportstätte mit ein bißchen mehr Gefühl verbunden sein. Aber ganz sachlich: hinter dieser Streichung des Ausbaues steht, daß weder das neue Hörsaalgebäude angefangen werden kann noch die Mensa, daß die Studenten dort weiter auf Fluren, auf Treppen sitzen werden, daß sie keine Möglichkeit haben, vernünftig miteinander zu essen usw. Nur an diesem einen Beispiel des Sportinstituts läßt sich das nachweisen. Lesen Sie sich die Negativliste des Wissenschaftsrates durch, und Sie werden mehrere solcher Beispiele finden.
Deshalb - das ist das Wort, mit dem ich schließen möchte - sollten wir versuchen, sosehr die Debatte in die Breite zu verlaufen gedroht hat, auf den Punkt zu diskutieren und zu der Willenserklärung zu kommen, die einer unserer Anträge wünscht, nämlich der Willenserklärung des Parlaments, sich bereit zu erklären, die 530 Millionen DM für den Ausbau unserer Hochschulen aus Bundesmitteln bereitzustellen.
({3})
Dieser Antrag ist nach der Geschäftsordnung möglich, und er folgt dem, was der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz gestern gesagt hat: „Hier und jetzt muß der Wissenschaft geholfen werden."
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das kleine Zwischenspiel mit dem Abgeordneten Raffert und meinen Freunden sowie den Kollegen von der CDU über die präzise Frage, wie das mit der Finanzierung aus anderen Mitteln stehe, wo man diese Lücke decke, hat gezeigt, Herr Raffert, daß Sie doch zu der Bescheidenheit der Sieben Schwaben gefunden haben, was immerhin sehr bemerkenswert ist. Denn aus der Anfangsrede des Kollegen Dr. Lohmar hatte ich diese Bescheidenheit noch nicht herausgehört.
Nur eines allerdings, Herr Kollege Dr. Lohmar! Sie haben wie immer rhetorisch hervorragend plädiert. Ich habe mir das nachher noch einmal sehr genau angesehen. Ich habe mir die acht Punkte notiert, und wenn ich darüber einen Bericht zu schreiben hätte, bliebe nur der eine Satz, daß Sie festgestellt haben: es fehlen 180 Millionen in diesem Wissenschaftsetat. Ich muß Ihnen sagen: Diese Erkenntnis hatten wir bereits vorher ebenfalls gewonnen. Insofern war es nicht neu.
({0})
- Herr Kollege Dr. Schäfer, wir werden darauf noch gern zu sprechen kommen, und Ihre Findigkeit wird uns dabei gewiß außerordentlich nützlich sein, wie ich hoffe.
Die Frage, die Herr Dr. Lohmar hier angeschnitten hat, wurde dann noch einmal in acht Punkten
zusammengefaßt. Herr Dr. Lohmar, ich bin Ihnen für die Zusammenfassung dieser acht Punkte deswegen sehr dankbar, weil sie so allgemein gehalten waren, daß sie gar nicht kontrovers sein konnten.
({1})
Was mich gereizt hätte, Herr Dr. Lohmar, wäre, daß einer Ihrer Freunde - ich nehme an, Herr Kollege Raffert hatte den Auftrag - präziser geworden wäre. Das hat er aber nicht getan. Das macht die Debatte in diesem Fall natürlich ein bißchen schwierig und wenig griffig.
Sie haben Begriffe gebraucht, die durchaus einer Verdeutlichung bedürfen. Das Wort „Alternative" ist z. B. bezeichnend dafür, daß bei diesen Themen so viel mit Fremdwörtern operiert wird, mit „Subvention", mit „Priorität"; das ist immer sehr dankbar. Denn es klingt gelehrt und sagt ziemlich wenig. In der Praxis sehen die Dinge ja doch ein bißchen anders aus.
Ich hätte von Ihnen, Herr Dr. Schäfer, gern gehört, an was für eine Subvention Sie speziell denken, bei der gekürzt werden kann. Das hat Herr Helfer, glaube ich, im Sozialdemokratischen Pressedienst geschrieben.
({2})
- Es kann sein, Herr Dr. Schäfer, daß ich es nicht begriffen habe. Ich bin da begriffsstutzig. Denn Herr Helfer hat in den 80 Zeilen nicht ausgeführt, was ernun eigentlich gemeint hat und das hätte ich doch gern erfahren. Insofern ist das nicht sehr ergiebig gewesen. Ich bedauere, das sagen zu müssen. So steht es in der Praxis mit der Priorität.
Ich meine, wir werden gemeinsam sehr viel weiterkommen, wenn wir hier noch genauer werden. Dafür haben wir hier demnächst eine Haushaltsdebatte. Ich möchte jedenfalls den Kollegen, die auf diesem Gebiet so hervorragend beschlagen sind wie Herr Dr. Schäfer, ganz gewiß nicht vorgreifen. Denn der Kulturpolitische Ausschuß ist - das ist die Meinung der Kollegen wohl aller Fraktionen dort - nicht immer gut beraten, wenn er den Kollegen vom Haushaltsausschuß sehr präzise Vorschläge macht. Wir sind damit noch nie besonders gut gefahren, Herr Dr. Schäfer. Auch das muß hier gesagt werden. Das ist der Grund, weshalb wir uns zurückhalten und Ihnen den Vortritt lassen.
({3})
- Herr Präsident Schoettle, ich sage es allen. Ich habe es ausdrücklich betont: Wir sind hier durchaus einer Meinung.
({4})
- O ja!
({5})
- Hier werden weder Offenbarungen geleistet - ({6})
- Ich darf Ihre Neugierde vielleicht später noch ein bißchen befriedigen.
Die Sache ist nur die: Wenn Sie ({7}) schon das „hohe C" oder ähnliches anstimmen, dann müssen Sie auch eine Melodie weitersingen, dann können Sie es nicht bei dem einen Ton belassen. Ich frage mich immer, wo eigentlich die Thematik in Ihrer Melodie sein soll. Ich habe sie bisher jedenfalls nicht entdeckt; denn Sie haben sich einfach nicht präzise ausgedrückt.
({8})
- Diese Schwerhörigkeit ist in der Politik außerordentlich nützlich.
({9})
Das habe ich vorhin bei dem Referat des Herrn Staatsministers Schütte festgestellt.
Ich hatte eigentlich immer geglaubt, daß wir hier ein Festtag hätten, nämlich die Auseinandersetzung über die Frage „dritte Ebene oder Bundesstaat?", die Herr Lohmar und Herr Staatsminister Schütte auf dem SPD-Parteitag in Karlsruhe so freundlich begonnen hatten. Das habe ich hier vermißt. Es hätte unsere Debatte nämlich sehr gewürzt. Ich werde Ihnen gleich sagen, daß es dieses Thema wert ist, diskutiert zu werden.
Ich hatte mir gedacht, daß die Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrats, von denen ich annehme, daß sie hier als Mitglieder eines Bundesorgans - wie es nach der Verfassung nämlich richtig heißt - und nicht als Ländervertreter mitwirken, diese Debatte in der Frage der Verantwortung sehr viel weiter gebracht hätte. Die Frage der Verantwortung haben wir in diesem Saal einmal in aller Breite zu erörtern. Das scheint mir die Voraussetzung für jede weitere Einzelabstimmung und Einzelmaßnahme zu sein.
({10})
Was heißt hier „Verantwortung"? Der Bund wird wegen gewisser Dinge angegriffen, für die er nach den Buchstaben der Verfassung eigentlich nicht verantwortlich gemacht werden kann. Das trifft uns alle, nicht nur die Koalition, sondern ebenso die sozialdemokratische Opposition.
Unsere Möglichkeiten gerade auf dem Gebiet, das wir besprechen, sind nun einmal von der Verfassung her begrenzt. Das ist zwar all denen bekannt, die sich mit diesen Dingen beschäftigen, das ist aber offensichtlich nicht einmal dem Studentenrat der Universität Göttingen bekannt; denn er glaubt, daß der Bund nur aus dem Bundestag bestehe und der Bundestag allein die Gesetze mache. Vom Bundesrat ist in dieser Resolution überhaupt kein Wort drin, obwohl der Bundesrat ein gleich gewichtiges Organ ist.
Sie sehen: Wenn das schon bei politisch Interessierten passiert, wie soll man dann von der Allgemeinheit erwarten, daß über die Frage der Verantwortlichkeit überhaupt einmal differenziert nachgedacht wird.
({11})
- Sicherlich, zum Teil. Aber das ist ja nicht eine Einzelerscheinung, sondern es ist durchaus allgemein, und das muß man hier einmal aussprechen. Ich will niemandem daraus einen Vorwurf machen. Ich möchte nur diejenigen warnen, so zu tun, als ob das anders sei, die gerade die „dritte Ebene" und die Ländergemeinschaft bisher in der Praxis immer so sehr befürwortet haben.
Nun die Frage der Kompetenz. Der Bund mußte sich in die Forschungsförderung zunächst über den Weg von Abkommen einschalten. Es gab keine andere Möglichkeit für ihn. Aber Tatsache ist und bleibt doch - und das hat Herr Minister Stoltenberg so dankenswert offen heute morgen gesagt -, daß es z. B. vier Jahre gedauert hat, bis sich die Bereitschaft des Bundes zur Mitfinanzierung überhaupt in einem Abkommen mit den Ländern in handfesten Bestimmungen niedergeschlagen hat. Das ist doch jedenfalls kein sehr gutes Zeichen für die Möglichkeit, hier gemeinsame Verantwortung zu tragen und gemeinsame Verantwortung herzustellen. Es ist auch kein optimistisch stimmendes Zeichen dafür, Herr Dr. Lohmar, daß man auf dem von Ihnen vorgeschlagenen etwas weichen Wege, die Dinge vielleicht mit der linken Hand zu glätten, wirklich weiterkommen wird. Ich bezweifle es jedenfalls nach diesen Erfahrungen.
Ein weiteres - auch dafür ist nun einmal Klarheit notwendig -: Es sind sehr wichtige Initiativen von den Ländern entfaltet worden. Es sind Planungen gemacht worden, die beachtenswert sind. Aber das ist zum großen Teil gemacht worden, ehe der Bund davon überhaupt unterrichtet wurde. Der Bund wurde hinterher gebeten, sich kräftig an Dingen zu beteiligen, bei denen er im Planungsstadium keine Mitsprache hatte. Der Bund wurde meistens erst gerufen, wenn die Länder selber nicht mehr weiter konnten, ohne daß sich nun die Länder unter sich abgestimmt hätten. Ich habe es nie verstanden, weshalb etwa in Bayern geplant war, in Augsburg eine Medizinische Akademie zu errichten, und gleichzeitig in Baden-Württemberg, eine in Ulm. Ich hätte mir vorgestellt, man macht das gemeinsam in Ulm und in Neu-Ulm. Das wäre sinnvoller gewesen. Nun, das bayerische Projekt scheint jetzt nicht mehr aktuell zu sein.
Wir haben einfach einen schwerfälligen Apparat
- trotz aller Elogen, die wir dem Wissenschaftsrat machen können -, der aus der Verfassungskonstruktion resultiert. Wir müssen davon ausgehen
- auch das muß hier gesehen werden -, daß es Reformhochschulen geben muß, weil offensichtlich die Hochschulreform in der bisherigen Weise nicht durchgesetzt werden kann. Dann ist doch die Frage, ob eine so grundlegende Sache wie die Gründung einer Reformhochschule, wo immer sie sein mag, Sache eines einzelnen Bundeslandes sein kann oder
ob sie nicht nur seine finanzielle Kraft, sondern auch seine geistige Kapazität wesentlich überschreitet und ob man hier nicht einfach das Modell setzen sollte durch eine Gemeinschaftsleistung, an der der Bund jedenfalls sehr energisch beteiligt ist, auch schon im Stadium der Vorbereitung und der Planung. Diese Frage wird man stellen müssen, weil sonst gutgemeinte Reformhochschulpläne steckenbleiben und damit das Thema der Hochschulreform auf lange Zeit vielleicht aus diesen Gründen verschüttet wird. Das würden wir alle bedauern.
Die Gefahr, daß sich einzelne Länder bei diesen Reformversuchen übernehmen, sehen wir doch nun aus der Haushaltslage ganz deutlich.
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- Z. B. Baden-Württemberg, Herr Dr. Möller, Sie haben vollkommen recht; aber nicht nur BadenWürttemberg. Auch andere Länder werden sich noch wundern, wie sehr die anfänglichen Dispositionen von den technisch-wissenschaftlichen Entwicklungen überrollt werden, die dann ihre Kräfte übersteigen.. Ich möchte noch ein anderes Beispiel nennen, das uns sehr nahe liegt, nämlich Jülich. Es ist ein offenes Geheimnis, daß das Land Nordrhein-Westfalen im Grunde, obwohl es das reichste Land ist, heute nicht mehr imstande ist, diese Anlage allein so weiter zu unterhalten. Oder nehmen Sie das Beispiel Hamburg! Herr Minister Stoltenberg hat es heute morgen nicht genannt; aber es ist doch sehr bezeichnend. Ich erinnere mich, daß mein Freund Dahlgrün der Vorsitzende des Haushaltsausschusses der Bürgerschaft in Hamburg war, als das Projekt DESY beraten wurde. Damals wurden, wenn ich mich recht entsinne, Kosten von etwa 8 Millionen DM für die Investition angenommen. Inzwischen ist der Unterhaltungsbeitrag im Jahr auf 40 Millionen DM gestiegen. - Soviel nur zu den Möglichkeiten der Länder, vorausschauend diese technisch-wissenschaftliche Entwicklung in den Griff zu bekommen. Ich glaube, das ist ein warnendes Beispiel dafür, daß man nicht allzu sehr auf die Größe der Länder und auf ihre Einsichtsmöglichkeiten pochen sollte.
Weil das so ist, war die Sozialdemokratische Partei schon im Jahr 1948/49 außerordentlich klug beraten; das heißt, sie hatte kluge Briefschreiber. Denn Friedrich-Wilhelm Wagner, jetzt Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, hat damals im Parlamentarischen Rat - das war, wenn ich mich nicht irre, am 7. Januar 1949 im Hauptausschuß unter dem Vorsitz von Professor Schmid - einen Antrag gestellt auf Grund eines Briefes von Professor Heisenberg, Professor Regner und noch zwei anderen Professoren, in dem Professor Heisenberg - in der Situation damals recht ungewöhnlich, sicherlich - ganz klipp und klar dem Parlamentarischen Rat und der SPD-Fraktion mitteilte - Herr Schoettle, Sie sind sicher dabei gewesen;
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- nicht? ausnahmsweise nicht -, er halte es für richtig, in diese Verfassung eine Bestimmung aufzunehmen, daß der Bund die Förderung und OrganiDeutscher Bundestag -- 5. Wahlperiode Moersch
sation der Forschung nicht in konkurrierender Gesetzgebung, sondern in alleiniger Zuständigkeit übernehme, weil die technisch-wissenschaftliche Entwicklung es unmöglich machen werde, diese Dinge auf Länderbasis voranzutreiben. So Heisenberg an die SPD-Fraktion im Jahre 1948/49.
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- Das ist keine Werkspionage, das können Sie in den Protokollen nachlesen. Das ist eben der Vorteil, wenn man damals Berichte schreiben mußte. Dieser Brief der Professoren hat zu dem Antrag geführt, aus dem dann der Artikel 74 Nr. 13 im Grundgesetz geworden ist. Aber der entscheidende Gesichtspunkt ist damals herausoperiert worden durch den Einspruch der bayerischen CSU, der Herren Dr. Kleindienst und Professor Laforet. Herr Dr. Lehr von der CDU hatte sich da sehr zurückgehalten; er war sich noch nicht ganz klar, wie die CDU selbst reagieren werde. Sicherlich hat auch die französische Besatzungsmacht ein Wort mitgeredet; das war ja so üblich. Jedenfalls ist ein Torso im Grundgesetz geblieben, nämlich der Artikel 74 Nr. 13, in dem die konkurrierende Kompetenz des Bundes zur Förderung der Forschung als einziges erhalten blieb, nicht aber die Kompetenz zur Organisation und auch nicht der Vorrang des Bundes auf diesem Gebiet.
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- Das will ich Ihnen gleich sagen, Herr Dr. Lohmar: weil es sehr wichtig ist für Ihr künftiges Verhalten. Deswegen sage ich das hier. Seien Sie nicht voreilig!
Sehen Sie, das was damals bei Ihnen so fortschrittlich klang und was von unserem Freund Höpker-Aschoff unterstützt wurde, hat ausgerechnet Ihre Fraktion sehr viele Jahre vergessen. Ich habe nämlich immer geglaubt, daß - und so haben Sie es auch formuliert - die Opposition den Auftrag habe, die Regierung auf den rechten Weg zu stoßen. Davon ist viele Jahre in diesem Bundestag, was die Wissenschaftsförderung und Forschung und ähnliches betrifft, sehr wenig übrig geblieben.
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- Wieso, Herr Dr. Schäfer? So war es ganz genau! Die ersten Initiativanträge kamen 1952 von der FDP.
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- Das war vier Jahre später. Das ist ein Unterschied von vier Jahren.
Tatsache ist doch, daß durch den Mangel an Initiative aus diesem Hause - das müssen sich alle hier sagen und sagen lassen - und auch den Mangel an Initiative der damaligen Bundesregierung - das will ich gern hinzufügen, das ist kein Staatsgeheimnis - der Bundespräsident Heuss sich veranlaßt fühlte, diese Lücke auszufüllen, die in der Verfassung gegeben war, die von Ihnen allen nicht wahrgenommen worden war, die Sie damals schon hier in diesem Hause waren. Deshalb wirkt es etwas absonderlich, wenn Sie jetzt so überraschend Ihr Herz für diese Dinge entdecken, zumal Sie ja bei
der praktischen Verwirklichung sehr oft - etwa in der Frage Bildungsrat - durchaus nicht an der Spitze des Fortschritts marschiert sind, sondern im Gegenteil dort, wo ein bißchen gebremst wurde und wo man eben doch die Eigenmächtigkeit und Eigengesetzlichkeit der Länder unter allen Umständen wahren wollte. Das müssen Sie ganz einfach einmal wissen. Weil Sie anfangs in dem sehr ehrenvollen Bemühen nachgelassen haben, müssen Sie heute zu so komplizierten Vorschlägen greifen, wie sie Kollege Lohmar - etwas wenig detailliert - hier vorgetragen hat.
Es ist eine Tatsache, daß ,die Länderperspektive - das war schon 1948 ein Thema, ist es nicht erst 1966 - nicht in allen Fällen ausreichen kann, um die großen Aufgaben der Wissenschaftsförderung zu erfüllen; und Ihnen von der SPD muß man auf Grund dieser Geschichte sagen, daß allemal, gerade in den letzten Jahren, ein bißchen Krähwinkelei dabei gewesen ist.
Was aber ist der Hintergrund dieses Verhaltens? Doch sehr einfach der, daß Sie in den Ländern die Position hatten, die Sie im Bund angestrebt haben. Es war ganz natürlich, daß Sie versuchten, zunächst einmal aus dem etwas zu machen, was Sie in der Hand hatten, und den Bund nicht zu stärken. Herr Dr. Lohmar, das ist Ihr gutes Recht. Aber die Kehrseite für uns alle - und das trifft auch Sie als Bundestagsabgeordnete - ist doch die, daß hinter diesem Gedanken, dieser Ländergemeinschaft und der speziellen Länderhoheit und -kompetenz etwas ganz anderes steht, nämlich die Überlegung - die im Effekt richtig ist -: wenn es gut geht mit der Sache, dann waren das die Länder; geht es aber schlecht, dann wird der Bundestag, und zwar der Bundestag insgesamt, verantwortlich gemacht.
({18}) Das steckt nämlich hinter dieser ganzen Sache.
Deswegen sind wir hier in einer gemeinsamen Interessenlage. Das muß ich Ihnen deutlich machen. Es ist ein Unterschied, ob ich in einem Lande, in einem überschaubaren Bereich versuche, mir ein Denkmal zu schaffen, oder ob ich an das Ganze zu denken habe, weil ich - trotz unserer unzureichenden Verfassungsbestimmungen - am Ende von der Öffentlichkeit doch die Verantwortung aufgebürdet bekomme, und mit Recht aufgebürdet bekomme. Denn so verstehen wir als Freie Demokraten den Bundesstaat: daß für die Dinge, die in wesentlichen Fragen versäumt worden sind - da sind Sie doch mit mir einig -, am Ende das oberste Organ, nämlich der Bund, zuständig ist und verantwortlich gemacht wird, wie immer die Verfassungsfrage ausgesehen haben mag.
Und vergessen Sie nicht: Es ist einfach unmöglich, daß man allein von der Länderperspektive her durch solch eine Zusammenarbeit in Gremien, in denen es unter Umständen ein Vetorecht gibt und auch geben wird, die wesentlichen Schwerpunkte bestimmen kann, weil Sie nicht davon ausgehen dürfen, daß gleichmäßig in allen diesen Ländern ein Kulturwille vorhanden ist. Mein Kollege Mühlhan hat ja heute morgen sehr deutlich demonstriert, wie unter776
schiedlich die in sich natürlich gewachsenen Länder und diejenigen, die aus der preußischen Teilung schließlich übriggeblieben sind, reagiert haben. Hier geht es doch darum, daß wir auch den Bundesrat als Organ des Bundes, der in die Länderverwaltungen hinein wirken kann, viel stärker in einer direkten Weise beteiligen und weniger an Sondergremien denken sollten, so schön sie auf dem Papier auch aussehen mögen. Wenn Sie jetzt die Frage mit dem Bildungsrat überdenken, werden Sie sicherlich gar nicht so sehr befriedigt sein -, ich hoffe es wenigstens. Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Denken Sie an die Mahnung von Heisenberg aus den Jahren 1948/49. Sie ist bis heute aktuell geblielben, ja, die Zeit hat sie mehr als bestätigt.
Denken Sie _auch daran - das nur zur Haushaltsfrage -, daß es nicht nur eine Frage des Geldes ist, was hier eine Rolle spielt. Wenn es mit dem Geld allein zu machen wäre, hätten wir sehr viel weniger Sorgen. Es ist doch auch eine Frage der richtigen Disposition der Schwerpunkte, für die man sich entscheiden muß. Und wenn ich sage „entscheiden", dann geht es eben nicht und ist es in der Demokratie im Grunde auch gar nicht möglich, daß diese Entscheidungen in Gremien getroffen werden, denen keine parlamentarische Instanz gegenübersteht, oder daß sie außerhalb der parlamentarischen Gremien getroffen wird. Das verwischt in Wahrheit nur die Verantwortlichkeit. Wenn Sie wirkliche Prioritäten, wirkliche Schwerpunkte schaffen wollen, dann müssen Sie dafür sorgen, daß die Verantwortlichkeit zweifelsfrei ist und daß sie demokratisch kontrolliert ist. Das ist entscheidend. Deswegen kommen Sie mit allen Konstruktionen, die Bund und Länder mit Abkommen und ähnlichem aneinander binden sollen, meiner Ansicht nach auf die Dauer nicht zum Ziel. Es würde mich jedenfalls sehr wundern, wenn wir nicht ähnliche Debatten wie heute noch sehr oft führen müßten, weil wir nicht zum Ziel gekommen sind. Ich schätze diese Abkommen als ein notwendiges Hilfsmittel, aber ich halte sie keineswegs für ein Optimum. Die Tatsache, daß das eine Abkommen über die Hochschulfinanzierung vier Jahre gedauert hat
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- sechs Jahre im ganzen -, spricht doch Bände. Hier müssen Sie gemeinsam mit uns allen dafür sorgen - und das ist vor allem eine Bitte an die CSU -, daß hier einmal Mehrheitsentscheidungen möglich sind, daß hier klare Verantwortlichkeiten geschaffen werden. Denn die Mehrheitsentscheidung, die offene Diskussion, die offene Verantwortung entspricht der Demokratie. Wir müssen die Unübersichtlichkeit in diesen Fragen beseitigen. Dann erst können wir mit Recht sagen, daß wir Schwerpunkte schaffen und Prioritäten setzen, und dann können wir ganz anders als heute die Frage beantworten, wo wir auf der anderen Seite Mittel streichen müssen, damit wir der Wissenschaft die nun einmal notwendigen Mittel geben können, über die es ja in der Sache unter uns gar keinen Zwist geben kann.
Noch einmal: Der Bund wird von der Öffentlichkeit verantwortlich gemacht - und mit Recht -,
wenn hier etwas versäumt wird. Der Bundestag und die Bundesregierung werden verantwortlich gemacht. Der Bundesrat bleibt dann schon außerhalb der Betrachtung der Öffentlichkeit, obwohl er ja nicht weniger verantwortlich ist - etwa für die Haushaltsgesetze - als der Bundestag. Sie sollten deshalb immer an das berühmte Beispiel aus der Schlacht von Tannenberg denken. Sie wissen, daß Hindenburg einmal gefragt wurde, wer eigentlich die Schlacht von Tannenberg gewonnen habe - Ludendorff oder er. Darauf hat Hindenburg, der ein sehr schlagfertiger Mann sein konnte, wie uns Helene Weber einmal berichtet hat - Sie wissen alle, was ich meine -, geantwortet: Wenn diese Schlacht verloren gegangen wäre, dann wäre ich es gewesen. Das trifft auch für das Verhältnis von Bund und Ländern zu, wenn Sie an die Wissen, schaftsförderung und an den Kulturwillen unseres gesamten Volkes denken. Wenn wir dabei Schiffbruch erleiden, dann sind es zunächst der Bundestag und die Bundesregierung gewesen, und niemand sonst, und dann werden w i r verantwortlich gemacht.
Wenn wir uns das als Maxime vor Augen halten, dann müßten wir, meine ich, durchaus meinem Kollegen Mühlhan folgen, der heute morgen dieses Thema angeschnitten hat, und müßten uns sagen, daß das, was bei der Notstandsverfassung möglich sein soll, was bei der Finanzreform möglich sein muß, auch in der Frage der Forschungsorganisation, in der Frage der Wissenschaftsförderung möglich sein muß, d. h. daß man hier wirklich bundesstaatliche Prinzipien anwendet, indem man das, was die Länder allein nicht machen können, unter Mitwirkung der Bundesorgane zustande bringt, statt, wie es jetzt manchmal geschieht, die Bundesorgane eine Zeitlang auf die Katzenbank zu setzen und dann, wenn die Länder nicht mehr weiterkommen, die Bundesorgane in vollem Umfange in der Öffentlichkeit verantwortlich zu machen, wobei sich daran noch alle möglichen Organisationen beteiligen, die es von der Sache her eigentlich besser wissen müßten. Ich möchte Sie also bitten: Sehen Sie nicht mehr so lange zu mit der jetzigen Organisationsform, sondern haben Sie mit uns gemeinsam alsbald den Mut zur Konsequenz!
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Das Wort hat der Abgeordnete Althammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat bisher eine eigenartige Situation ergeben. Von seiten der SPD war das Bemühen erkennbar, die Debatte immer wieder auf einen Einzelpunkt zu führen, nämlich ganz konkret auf den Ausbau der bestehenden Hochschulen, und zwar nur auf den räumlichen Ausbau dieser bestehenden Hochschulen, und hier wieder konkret auf eine Position in unserem Haushalt 1966, nämlich auf den Tit. 600 in Einzelplan 31 02, der diese berühmten 350 Millionen DM entDeutscher Bundestag - 5 Wahlperiode Dr. Althammer
hält und zu dem der Antrag der SPD vorliegt, diese Summe zu erhöhen.
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Deshalb war es gut und richtig, daß durch die zwei anderen Großen Anfragen, die der CDU/CSU und die der FDP, der Gesamtrahmen abgesteckt worden ist, in den diese Einzelfrage hineingehört. Denn wir können nur ein gerechtes Bild der Situation bekommen, wenn wir diesen Gesamtrahmen haben, wenn wir uns vergegenwärtigen, auf welchen Gebieten der Bund insgesamt im Bereich der Förderung von Wissenschaft und Forschung tätig werden muß. Ich glaube das Referat unseres neuen und jungen Ministers hat diesen Gesamtrahmen in einer meisterhaften Form abgesteckt und jedem, der es hören wollte, auch klargemacht, daß in diesen Gesamtrahmen nicht etwa nur die Hochschulförderung hineingehört und daß nicht nur diese Position hier umstritten war und auch in der Zukunft umstritten sein wird, sondern daß alle großen Förderungsprogramme in einem inneren Zusammenhang stehen und - wenn Sie so wollen -, was die Finanzierung anlangt, auch in einer gewissen Konkurrenz stehen. Ich glaube, wir können heute sagen, daß die Forderung, Wissenschaft und Forschung zu einem Schwerpunktprogramm zu gestalten, das in unserer Haushaltsgestaltung den ersten Rang hat, von keiner Seite mehr bestritten ist. Ich darf darauf hinweisen, daß ich schon bei den Haushaltsberatungen im Oktober 1964 bei der Darstellung der Prioritäten die Forderung erhoben habe, daß nach der ersten Priorität „Beseitigung der Kriegsfolgen", nach der Priorität „Wohnungsbau", nach der Priorität „Straßenbau" jetzt die Priorität „Wissenschaft und Forschung" für den Bund im Mittelpunkt stehen muß.
Wenn man die Leistungen, die der Bund auf diesem Gebiet aufzuweisen hat, gerecht beurteilen will, dann muß man auch berücksichtigen, welchen Hemmnissen gerade der Bund ausgesetzt war. Es ist nicht nur die Problematik des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern, sondern die Dinge gehen ja weiter. Denken Sie einen Augenblick bitte nur daran, daß uns die Gebiete, auf denen primär der Bund zuständig ist, nämlich Atomforschung und Weltraumforschung, bis mindestens zum Jahre 1955 als eine Folge des verlorenen Krieges verboten waren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gehe noch einen Schritt weiter zurück. Man spricht heute wenig davon, daß die deutsche Wissenschaft einen entscheidenden Rückschlag in der Zeit des „Dritten Reiches" erlebt hat, daß in diesen Jahren wertvollste und bedeutendste Wissenschaftler emigrieren mußten, daß sich die Zahl der Lehrstühle verringert hat, daß die Zahl der Studenten abgenommen hat. Schon damals also hat diese Entwicklung eingesetzt, die erst allmählich und langsam nach 1945 wiederaufgeholt werden konnte. Es waren in einer organisch richtigen Abfolge nach der Verfassungssituation die Gebiete der Atomforschung, in denen der Bund zuerst einsetzte. Ich darf vielleicht daran erinnern, daß es die Minister Strauß und Balke waren, die auf diesem Gebiet die Grundlagen für die Atomforschungsprogramme gelegt haben, von denen wir jetzt das zweite abwickeln und die diese viel erhobene Forderung nach einer vernünftigen Planung schon seit Jahren erfüllen.
({1})
Ich darf Ihnen ein paar Zahlen nennen. Der Bund begann 1956 mit einem Programm von insgesamt 170 Millionen DM einschließlich Wehrforschung; das waren damals 8,6 % der gesamten deutschen Aufwendungen für die Forschung. Die Länder trugen damals einen Anteil von 47 %, nämlich 940 Millionen DM, und - das ist heute noch gar nicht angesprochen worden - die Wirtschaft und Private einen Anteil von 42 %, nämlich 836 Millionen DM. Auch die Wirtschaft hat bei uns in der Bundesrepublik eine ganz bedeutende Funktion in der Forschungsförderung.
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Im Jahre 1964 war der Anteil des Bundes auf 24 % gestiegen, und - Herr Minister Schütte, jetzt darf vielleicht auch ich dieses Prozentspiel in umgekehrter Weise einmal machen - der Anteil der Länder war 1964 - das sind die letzten Zahlen, die mir zur Verfügung stehen - auf 35,6 % des Gesamtrahmens zurückgegangen; die private Förderung belief sich auf 39,1 %. Insgesamt wurden 1965 9,4 Milliarden DM - gleich 2,1 % des Sozialproduktes - aufgewandt.
Von seiten der FDP ist darauf hingewiesen worden, daß vielleicht eine Verfassungsänderung notwendig wird. Deswegen möchte ich hier betonen, daß sich die Ständige Kultusministerkonferenz der Länder große Verdienste auf dem Gebiet einer vorausschauenden Planung bei Wissenschaft und Forschung erworben hat. Sie hat bereits vor dem Jahre 1961 eine vorausschauende Bedarfsfeststellung bis zum Jahre 1970 aufgestellt. Ich habe die Zahlen hier - ich will Sie Ihnen ersparen -, was im einzelnen von den Ländern an ganz gewaltigen Ausgaben geleistet worden ist. Jeder von Ihnen kennt den Sprung nach vorn, der gerade auf dem Schulsektor in den Ländern getan worden ist. Nach der totalen Zerstörung 1945 sind bis heute mehr neue Schulen gebaut worden als in den 50 Jahren vor dem 2. Weltkrieg. Wenn die Länder solche Leistungen erbracht haben, dann haben sie dadurch nach unserer Auffassung auch eine Legitimation, wie bisher in einem vernünftigen Rahmen bei der Förderung von Wissenschaft und Forschung eingeschaltet zu sein. Ich persönlich halte gar nichts von dem Gedanken, durch eine reine Organisationsmaßnahme - bis hin zu einer Verfassungsänderung - würden die Dinge entscheidend geändert werden können.
Es haben sich gute und gesunde Formen der Zusammenarbeit herausgebildet. Das beste Zeichen dafür, wie sehr sich die Dinge bewährt haben, ist wohl, daß Spitzenpersönlichkeiten der Wissenschaft selbst ganz nachdrücklich betont haben, sie wollten an diesen Formen der Mischfinanzierung - z. B. bei der Max-Planck-Gesellschaft - festhalten.
Nun erhebt sich die Frage: wie soll in Zukunft die Finanzierung dieser gewaltigen Aufgaben aussehen? Ich betone noch einmal: der Bund wird auch in den
kommenden Jahren als Schwerpunktaufgaben die Förderung der Atomforschung und der Weltraumforschung ansehen. Hier sind ja bereits eine ganze Reihe von langjährigen Planungen - ich erinnere nur an ESRO und ELDO - durchgeführt worden, und sie werden fortgesetzt. Die Zukunft hat auch in diesen Dingen bereits begonnen. Wir befinden uns mitten in der Durchführung solcher Programme. Es gilt nun, diese Einzelmodellfälle zu einer Gesamtüberschau und zu einem organischen Gesamtvorausblick auch in finanzieller Beziehung zusammenzufassen und zu zeigen, wie der Bund diese einzelnen Sektoren regeln will.
Die Länder hingegen haben nach unserer Verfassung - das möchte ich nachdrücklich unterstreichen - einen völlig legitimen Schwerpunkt in Schulwesen und Kultus, auch unter Einschluß der Hochschulförderung, wobei bei der Hochschulförderung der Grenzpunkt ist, der Hauptberührungspunkt, an dem sich die beiden Kreise überschneiden.
Wenn Sie aber sehen, daß einerseits für die Hochschulförderung - jetzt konkret gesprochen: für den Ausbau bestehender und für die Gründung und für den Bau neuer Hochschulen - in den nächsten Jahren ein Gesamtbetrag von 10 Milliarden DM gefordert wird, und wenn vom Bund verlangt wird, daß er in allerkürzester Zeit auf den Betrag von 1 Milliarde DM pro Jahr allein für die Hochschulförderung kommen soll, während auf der anderen Seite heute der Gesamtetat dieses Ministeriums 1,2 Milliarden DM beträgt, dann, meine sehr ver- ehrten Damen und Herren, sehen Sie bereits, welche Konturen einer finanziellen Möglichkeit sich hier abzeichnen.
Der Bund wird in der Zukunft erewaltige Mehranforderungen bei der Atomforschung- und bei der Weltraumforschung haben. Herr Minister Stoltenberg hat von einer jährlichen Bedarfzuwachsrate von 25 bis 30 % gesprochen, und hier wird erwartet. daß der Bund diese Anforderungen wie bisher bedient. Dieser Bereich ist deshalb verhältnismäßig geräuschlos gelaufen, weil hier die Bedürfnisse im wesentlichen Gedeckt worden sind. Nur in dem einen einzigen Punkt, nämlich bei der Hochschulförderung, ist fetzt wegen dieser Differenz von 180 Millionen DM diese Situation entstanden, daß wir von gewissen Demonstrationen hören.
Ich will zu diesem Punkt ganz konkret Stellung nehmen, weil ich mich als Mitglied des Haushaltsausschusses und neuer Berichterstatter für den Finzelnlan 31 um diese Dinge zu kümmern habe. Herr Kollege Lohmar, mich persönlich trifft Ihr Vorwurf nicht, den Sie heute vormittag- erhoben haben, von unserer Seite sei auf den Anruf der Rektoren nicht reagiert worden. Ich habe sofort erklärt. daß wir uns bemühen werden. diesem Wunsch und diesen sicherlich vorhandenen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Es ist nicht bei dieser Erklärung geblieben, sondern ich habe die Verhandlungen mit meinem Kollegen im Haushaltsausschuß aufgenommen. Der Stand ist derzeit folgender: wir sind übereingekommen, daß beim Einzelelan 31 keine weiteren Abstriche gemacht werden. wie sie ia bei allen anderen Einzelplänen vorgesehen sind, um das Gesamtvolumen des
Haushalts nach unten zu drücken. Wenn sich bei einer genauen Durchforstung und Durchsicht des Einzelplans 31 da und dort Einsparungsmöglichkeiten ergeben, dann ist beabsichtigt, diese Mittel auf den Titel Hochschulausbau zu konzentrieren; aber es ist offenkundig, daß diese Einsparungen nicht ausreichen werden, um den Betrag von 180 Millionen DM zu erreichen. So optimistisch bin auch ich nicht.
Damit entsteht die zweite Frage: Können wir und werden wir von anderer Seite des Gesamthaushalts noch Mittel bekommen, um diese Gesamtsumme zu erreichen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu muß ich Ihnen sagen, wir müssen hier das Gesamtproblem sehen. Sie werden es erleben: wenn wir bei der ersten Lesung des Haushalts 1966 sind, wird uns von der Opposition .der Vorwurf gemacht werden, daß das Gesamtvolumen dieses Haushalts zu hoch sei, daß das kein konjunkturgerechtes Verhalten des Bundes sei. All die Kritik, die wir ja von verschiedenen Seiten schon kennen, wird geübt werden. Ganz konkret gesprochen heißt das, daß wir uns bemühen müssen, das Gesamtvolumen unseres Haushalts durch Streichungen, soweit dais irgend möglich ist, nach unten zu drücken. Da unsere Haushaltslage heute so angespannt ist, möchte ich hier keine bindende Erklärung abgeben. Ich glaube, jeder, dem es mit dieser Verantwortung für ,den Haushalt ernst ist, sollte sich hüten, jetzt schon hier, ohne die Einzelpositionen und das Ergebnis zu kennen, zu sagen: Wir werden diese 180 Millionen DM auf jeden Fall dazulegen.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist so viel von Prioritäten ,gesprochen worden. Es gibt eine ganz große Priorität; das ist die Priorität, für das Wachstum und das Gedeihen unserer Wirtschaft zu sorgen.
({4})
Denn über eines müssen wir uns klar sein: Wenn uns die Zuwachsraten der Wirtschaft nicht die Finanzerträge bringen, die wir brauchen, können wir auch nicht unsere Wissenschaft und Forschung mit Milliardenbeträgen, wie es notwendig ist, fördern.
({5})
({6}).
Darum ist der innere Zusammenhang dieser beiden Punkte einfach nicht hinwegzudiskutieren, und darum macht man es sich zu einfach, wenn man sagt: Bei einem Etat von fast 70 Milliarden DM werden diese lächerlichen 180 Millionen DM doch noch herauszuholen sein.
({7}) Man muß dieses Problem insgesamt sehen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Althammer, darf ich davon ausgehen, daß wir gemeinsam den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Wissenschaftsinvestitionen sehen. Darf ich aber ,an diese Feststellung meine Frage knüpfen: Sind Sie nicht der Meinung, daß auf kurze und erst recht auf längere Sicht ausreichende Wissenschaftsinvestitionen gerade die entscheidenden Bedingungen für eine Sicherung des Wirtschaftswachstums schaffen müssen?
Herr Kollege Lohmar, dieser Zusammenhang ist völlig offenkundig. Aber Sie haben ja an der Entwicklung, die die Bundesrepublik nach 1945 genommen hat, gesehen, wo hier das Ei und wo die Henne ist. Das heißt, genau gesagt, daß wir erst dadurch, daß wir unserer Wirtschaft diesen Aufschwung ermöglicht haben, heute in der Lage sind, darüber zu diskutieren, wo und wann wir den Anschluß an die internationale Forschung gewonnen haben werden.
({0})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Althammer, wenn Sie der Auffassung sind, daß die Wissenschaft den Vorrang hat, sind Sie dann nicht auch wie Ihr Kollege Klepsch der Auffassung, daß bei einem Haushalt von 70 Milliarden DM - ich zitiere Herrn Klepsch - mehrere hundert Millionen DM sofort zu finden wären?
Herr Kollege Hermsdorf, seien Sie versichert, wir haben unseren Kollegen Klepsch recht herzlich eingeladen, den Betrag, den er genannt hat - es waren genau 2 Milliarden DM -, mit zu finden. Ich bin überzeugt, er wird sich entsprechend betätigen.
({0})
Sicherlich, ähnliche Äußerungen können Sie hier und dort finden. Aber gerade Kollege Hermsdorf weiß so gut wie ich, daß die Probleme so einfach - leider, möchte ich sagen - nicht sind.
Ich darf Ihnen zum Schluß noch eines vor Augen halten. Wir haben bei uns in der demokratischen Bundesrepublik die Möglichkeit, zu protestieren, Demonstrationen zu veranstalten, mit Streiks zu drohen. Wir sollten aber nie aus dem Auge verlieren, daß wir im Interesse der Erhaltung der Stabilität unserer demokratischen Basis alle zusammen - auch die Oppostion - die Verpflichtung haben, gelegentlich auf das hinzuweisen, was dieser demokratische Staat - damit meine ich jetzt Bund und Länder zusammen - auch auf diesem Gebiet geleistet hat. Wenn man immer nur von Versäumnissen, von Versagen spricht, sehe ich nämlich die große Gefahr, daß es bei uns da und dort wieder „Rattenfänger" geben wird - sie tauchen hier und da schon auf -, die sagen: Dieses System ist offenbar nicht geeignet, die drängenden Probleme zu lösen.
({1})
So ist es aber nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir haben auch auf dem Gebiet von Wissenschaft und Forschung eine gute und stolze Erfolgsbilanz aufzuweisen.
Gerade auch das Sachverständigengutachten, das heute schon vom Kollegen Martin zitiert worden ist, gibt uns neuerdings Veranlassung, über die engen und sehr gewichtigen Zusammenhänge zwischen Finanzgebaren, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung nachzudenken und unsere beabsichtigten Zukunftsleistungen auf dem Gebiete der Wissenschaft und Forschung immer in engem Zusammenhang mit unserem Streben nach Stabilität auch auf diesen Gebieten zu sehen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen hier seit vielen Stunden eine, ich möchte fast sagen, sehr gelehrte Debatte über Probleme der Wissenschaftsförderung und -politik in unserem Lande. Dazu haben wir auch noch eine Reihe von haushaltsrechtlichen Vorlesungen und Vorhaltungen gehört. Das ist gewiß sehr eindrucksvoll und muß in dieser Debatte wohl auch alles gesagt werden. Heute morgen klang aus den Worten des Herrn Ministers heraus, daß von unserer Seite das Notwendige und Äußerste getan werden müsse, um unserer Wissenschaft zu helfen, ihre Aufgaben in unserer Gesellschaft zu erfüllen. Den Wert eines solchen Ausspruchs mißt man wohl am besten daran, daß man sich fragt: Was geschieht konkret? Ich mache mich nicht anheischig, in diese grundsätzliche Auseinandersetzung von der Warte her einzugreifen, die den ganzen Tag über gepflegt worden ist, sondern möchte Sie bitten, einmal an Hand einiger ganz handfester Beispiele gemeinsam mit meinen Freunden und mir zu überlegen, ob das, was an guten und wohltönenden Worten hier gesagt worden ist, glaubhaft bleiben kann, wenn es um die konkrete Beantwortung der Frage geht, ob das, was im Augenblick notwendig ist, auch wirklich geschieht, wenn es darum geht, ob das erfüllt wird, was von unserer Seite in den Mittelpunkt dieser Debatte gestellt wird, nämlich ob man die notwendigen 180 Millionen DM zur Verfügung stellen will oder nicht, oder ob man hier glaubt, mit allgemeinen Ausreden und allgemeinen Hinweisen um die Frage herumkommen zu können.
Was bedeutet die in Aussicht gestellte Minderung der ursprünglichen Anforderung von 530 auf 350 Millionen DM, also im ganzen um 180 Millionen DM, beispielsweise für eine Universität wie die meiner Heimatstadt Marburg? Welche Konsequenzen ergeben sich dort? Kommt es ganz von ungefähr, daß sich Rektor und Senat mit großem Ernst und mit großem Nachdruck in einem nahezu verzweifelten Appell an die Öffentlichkeit wenden und von einer Notstandssituation in dieser Marbur780
Jahn ({0})
ger Universität sprechen und darum bitten, daß ihnen geholfen wird, nicht aber eine verhängnisvolle Entwicklung mit der Negativliste eingeleitet wird?
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte, Herr Dr. Althammer!
Herr Kollege Jahn, darf ich Ihnen nur zur Klarstellung die Frage vorlegen: Ist Ihnen nicht bekannt, daß von einer Minderung des Betrages von 530 Millionen DM keine Rede sein kann, sondern im Haushalt der Ansatz von 250 Millionen auf 350 Millionen, also um 100 Millionen DM, erhöht worden ist?
Herr Kollege Althammer, ich hätte Ihnen eigentlich diese Frage, in der Sie sicher sehr viel mehr wissen als ich, zugetraut, daß Sie genau wissen, vovon ich rede, wenn ich sage, daß gegenüber der ursprünglichen Anforderung von 530 Millionen DM jetzt eine Minderung auf 350 Millionen DM vorgesehen werden mußte und daß dieser Umstand dazu geführt hat, daß jetzt diese sogenannte Negativliste herausgegeben werden mußte, über deren Auswirkungen im Rahmen einer Universität ich Ihnen hier jetzt einiges sagen möchte. Wenn Sie weiter so im Abstrakten diskutieren, wie das teilweise geschehen ist, wird nämlich gar nicht deutlich, was eigentlich dahinter steckt.
Bei der Universität in Marburg sind in der Negativliste überhaupt nur zwei Positionen enthalten. Eine davon - und das ist die entscheidende - betrifft die Zurückstellung des Aufbaus eines neuen Chemischen Instituts. Auch die absoluten Zahlen scheinen zunächst wenig herzugeben, wenn es jetzt so aussieht, daß von den ursprünglich vorgesehenen 11 Millionen 4,4 Millionen, also ganze 40 % gestrichen werden. Diesen kargen Feststellungen kann man überhaupt nichts entnehmen. Dahinter aber verbirgt sich in der Tat - und das sagt diese Universität ohne leichtfertige Dramatisierung mit Recht - ein drohender Notstand, dessen Folgen für diese Universität nicht abzusehen sind. Das, was ich hier am Beispiel einer Universität darlege, können Sie, meine Damen und Herren, mit den notwendigen Variationen genauso bei allen anderen Universitäten feststellen, ganz gleich, welche Sie nehmen, ob das Gießen, ob das Heidelberg, ob das Darmstadt, ob das Frankfurt, ob das Würzburg ist oder welche Sie auch immer nehmen wollen. In jeder dieser Universitäten ergeben sich vergleichbare Situationen.
Was ist die Folge, wenn jetzt der Baubeginn des Chemischen Instituts an der Marburger Universität verhindert wird? Das bedeutet die völlige Stillegung des dringend notwendigen weiteren Ausbaus der Universität, die sich seit Jahren in einer geradezu verzweifelten Situation hinsichtlich der Möglichkeiten befindet, räumliche Ausdehnungen vorzunehmen und Neubauten zu erstellen, ja, die heute so weit ist, daß ,sie in dem bisher gegebenen Rahmen
({0})
- ich lasse jetzt keine weiteren Fragen in diesem Zusammenhang zu ({1})
nicht einmal mehr die Möglichkeit hat, auch nur einen Erweiterungs- oder Anbau an einem der bestehenden Institute vorzunehmen.
({2})
- Herr Kollege, wenn Sie meinen, das sei ein Grund zum Lachen, dann lade ich Sie jetzt ein, zu uns nach Marburg zu kommen und sich an Ort und Stelle einmal anzusehen, unter welch katastrophalen Verhältnissen dort gearbeitet wird.
({3})
- Ich lasse auch dazu jetzt keine Fragen zu, sondern möchte diesen Gedanken zu Ende führen.
({4})
Meine Damen und Herren, da die Verhältnisse so katastrophal sind, haben sich seit Jahren alle Überlegungen darauf konzentriert, wie dieser sich immer mehr verschärfenden Notsituation begegnet werden kann. Es ist ein Ausweg gefunden worden. Man hat ein völlig neues Gebiet außerhalb der Stadt vorgesehen. Dort hat man mit den Planungsarbeiten begonnen. Man hat sich dort seit Jahren darauf konzentriert, alle Möglichkeiten und alle finanziellen Kräfte einzusetzen, um hier nun endlich den Start nicht nur für die notwendige - allgemeine - Modernisierung, sondern auch für die Behebung der unübersehbaren Notstände überhaupt zu finden.
Insgesamt vorgesehen und zur Planung vorbereitet ist ein Projekt in der Größenordnung von 1,3 Milliarden DM, das in einem Zeitraum von 13 bis höchstens 15 Jahren verwirklicht werden soll und dringend verwirklicht werden muß. Die Vorarbeiten sind so weit gediehen, daß jetzt, im Jahre 1966, endlich der befreiende Durchbruch hätte erzielt werden können und müssen, und zwar mit dem Beginn des ersten großen Neubaus des ersten großen Instituts, nämlich diesen Chemischen Instituts.
({5})
Wenn mit diesem Institutsneubau nicht begonnen werden kann, dann kann dieses Projekt nicht fortgeführt werden, weil die ganze Planung darauf eingestellt ist und weil hier in einem besonderen, einem neuen, „Marburger" genannten Bausystem im Rahmen der industriellen Fertigung auch gar keine Möglichkeit besteht, und zwar auf Grund der damit verbundenen bestimmten Kapazitäten, das, was in diesem Jahr nicht geschieht, in späteren Jahren durch verstärkte Bautätigkeit nachzuholen.
({6})
Wenn wir jetzt nicht anfangen, verschieben wir die
Verwirklichung aller weiteren Projekte auf eine
Jahn ({7})
unabsehbare Zeit. Das heißt, es wird nicht nur ein einzelnes Institut nicht gebaut, sondern es wird die ganze für die Existenz dieser Universität entscheidende Neuerrichtung der naturwissenschaftlichen und medizinischen Fakultäten überhaupt unmöglich gemacht.
({8})
- Meine Herren, wenn noch ein paar mehr von Ihnen auf einmal reden, bin ich sicher noch besser imstande, zu verstehen, was Sie sagen.
({9})
- Nein, ich lasse in diesem Zusammenhang keine Fragen zu, weil ich Ihnen im Zusammenhang darstellen muß, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, wenn es bei dieser Negativliste bleiben muß.
Hier geht es nämlich nicht nur darum, daß im Augenblick technische Dinge nicht verwirklicht werden können, sondern mit einem solchen Beschluß zerschlagen Sie die ganze für die Zukunft vorgesehene weitere Entwicklung dieses Projektes. Hier haben sich ein paar hochbefähigte Architekten und Bauleute etwas einfallen lassen. Es ist gelungen, ein Team von fähigen jungen Leuten zusammenzubekommen, die als Architekten in der freien Wirtschaft das Zwei- und Dreifache dessen verdienen könnten, was sie heute im Staatsdienst verdienen. Sie sind dort geblieben und arbeiten dort mit, weil dieses neue Projekt sie reizt. Sie wollen hier ihre Fähigkeiten einsetzen und diese neuen Wege mitgehen. Diesen Männern muß jetzt angeboten werden, Autobahnraststätten oder ähnliches zu bauen; denen vergeht einfach die Lust, die steigen aus dieser Geschichte aus. Wir werden damit derjenigen, auf deren Mitarbeit die Universität, die verantwortlichen Bauplaner angewiesen sind, beraubt und damit der Möglichkeit, dieses Projekt auch in späteren Jahren sinnvoll weiterführen und verwirklichen zu können.
Der Rektor dieser Universität hat mit Recht gesagt: Diese Entwicklung, meine Damen und Herren, wird dazu führen, daß die Menschen eher auf dem Mond landen werden, als daß die Universität Marburg mit ihren notwendigen Neubauten die Zahnberge erreichen wird.
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Das ist die Situation, in der sich die Universität Marburg befindet. Das ist die Folge eines Beschlusses,
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der sich nun gerade auf das Chemische Institut erstreckt, von dem jederman weiß, daß es im Rahmen der medizinischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten eine Schlüsselstellung einnimmt. Die Situation dieses Institutes ist heute schon so, meine Damen und Herren, daß auf Grund der katastrophalen Raumverhältnisse einfach niemand zu bekommen ist, der bereit ist, dort zu arbeiten. Von elf Lehrstühlen - sparen Sie sich die Mühe, Herr
Schulze-Vorberg, ich lasse jetzt keine Zwischenfragen zu - sind fünf Lehrstühle nicht besetzt. In der Situation dieses Institutes ist es begründet,
({12})
daß im Jahre 1964 sich 2502 Medizinstudenten beworben haben -
Darf ich fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Frau Präsidentin, ich habe bereits mehrfach erklärt, daß ich nicht bereit bin, bei dieser meiner Gesamtdarstellung Zwischenfragen zuzulassen.
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- Ach Gott, Herr Kollege, ich möchte, daß Sie sich endlich einmal konkret in die Auseinandersetzung begeben, die Sie doch den ganzen Tag vermeiden. Sie reden den ganzen Tag um die eigentlichen Probleme herum. Was soll die Unterstellung?
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Diese Situation des Chemischen Instituts an unserer Universität in Marburg hat dazu geführt, meine Damen und Herren, daß sich im Jahre 1964 zwar 2502 Studenten für das medizinische und zahnmedizinische Studium beworben haben, aber nur ganze 300 zugelassen werden konnten und 2202 abgewiesen worden sind.
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Die Folge davon wird sein, daß wir jetzt noch weitere Zulassungsbeschränkungen sowohl für die Studenten der Chemie wie für die Studenten der Medizin bekommen werden.
Aber das hat darüber hinaus noch eine weitere Folge; es bewirkt geradezu verhängnisvolle Kettenreaktionen. Denn es war in dem Bemühen, wenigstens eine gewisse Erleichterung für den wahrhaft katastrophalen Zustand in einer Reihe anderer Institute zu schaffen, vorgesehen,
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daß in das bisherige Chemische Institut einziehen sollten - unter anderen - das Gerichtsmedizinische und das Hygienische Institut der Universität, die sich einfach in einer ausweglosen Situation befinden. Wir haben in dieser Universität ein Gerichtsmedizinisches Institut, in dem es nicht einmal mehr möglich ist, auch nur Sektionen vorzunehmen; die Leichen müssen über die Straße transportiert werden, um in einem benachbarten Institut, wenn dort die Möglichkeit dazu besteht, die notwendigen Arbeiten vornehmen zu können.
({4})
Jahn ({5})
Ich möchte Ihnen hier einige Sätze vorlesen aus einem Brief des Direktors jenes Hygienischen Instituts, den er vor einigen Wochen an mich gerichtet hat, um darzustellen, in welcher Situation er sich bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten befindet. - Wenn ich Ihnen einmal vor Augen führe, zu welchen Konsequenzen derartige Beschlüsse führen, hebt darüber ein solches Geschrei an. Ich lade Sie nochmals sehr herzlich ein, sich doch an Ort und Stelle davon zu überzeugen, ob eine solche Frage wirklich in der Form, in der Sie hier darüber Ihre Witzchen zu machen belieben, behandelt werden kann.
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Wenn ich hier das Wort „katastrophal" benutzt habe, dann deshalb, weil ich heute noch unter dem Eindruck meines Besuches, den ich dort vor einigen Wochen gemacht habe, stehe. Dieses Hygienische Institut ist jetzt nahezu hundert Jahre alt, im Jahre 1867 als Chirurgische Universitätsklinik errichtet worden. Im Jahre 1896 - ({7})
- Es steht Ihnen ja frei, Herr Kollege, hier ähnliche Verhältnisse aus anderen Universitäten vorzutragen. Vielleicht dienen solche Diskussionsbeiträge von Ihrer Seite dazu, diejenigen, die meinen, das Problem auf die leichte Schulter nehmen zu können, ein bißchen ernster zu stimmen.
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- Seit 70 Jahren, Herr Kollege Martin, hat dieses Institut keine räumliche Erweiterung erfahren.
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- Meine Damen und Herren, Sie wissen doch ganz genau, daß dieses Geschrei „Hessen" völlig an der Sache vorbeigeht und daß - ({10})
- Ja und? Es muß jetzt etwas geschehen,
({11})
und zwar im Einvernehmen miteinander und auf Grund der Planungen und Bauvorhaben des Landes Hessen, zu deren Verwirklichung allerdings auch ein angemessener Anteil an Bundesmitteln gehört. Sie wissen genau, daß nach den Bestimmungen des hessischen Haushaltsgesetzes diese Dinge ohne diese Bundesmittel nicht zu verwirklichen sind.
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- Meine Damen und Herren, hat die hessische Landesregierung sich denn eigentlich geweigert, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen? Oder tun Sie das hier? Wer weigert sich denn, die notwendigen Beträge zu geben? Was soll denn das?
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- Nein, meine Damen und Herren. Lassen Sie uns einen Moment darüber reden, welche Dinge hier vor sich gehen.
Die Untersuchungszahlen in diesem Hygienischen Institut sind seit 1933 um das Siebenfache gestiegen.
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Sie haben sich allein in den letzten vier Jahren in Auswirkung des- neuen Bundesseuchengesetzes durch die Vornahme von Vorsorgeuntersuchungen um das Doppelte erhöht.
Erlauben Sie mir, Herr Abgeordeter Jahn, eine Zwischenbemerkung zu machen.
Für unsere Tagesordnung sind noch zwölf Redner vorgemerkt. Ich bitte, doch darauf Rücksicht zu nehmen und nun den Redner zum Ende kommen zu lassen.
({0})
Frau Präsidentin, ich nehme erstens gern Rücksicht auf die Länge der Rednerliste, und ich nehme zweitens außerordentlich gern Rücksicht darauf, daß der Herr Kollege Haase wie üblich das Bedürfnis hat, durch langandauernde und besonders laute Zurufe auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen.
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Ich darf aber für mich in Anspruch nehmen, in dieser Debatte einmal das zu sagen, wovon ich der Meinung bin, daß es gesagt werden muß, wenn wir hier nicht dauernd im Abstrakten und um die Probleme herumreden wollen. Denn um die Beseitigung derartiger Verhältnisse, wie sie nun einmal beim Namen genannt werden, geht es und um nichts anderes. Es geht nicht um abstrakte Zahlenspielereien, wie sie hier gelegentlich unternommen werden, oder um Zuständigkeitsstreitereien. Bringt uns das vielleicht ein Stückchen weiter, meine Damen und Herren? Nein.
Ich fahre fort und weise Sie noch einmal darauf hin: Bei diesem Institut, das sich in Räumen befindet, die seit 100 Jahren unverändert sind, sind die Untersuchungszahlen in den letzten Jahren um das Siebenfache gestiegen. Allein in den letzten vier Jahren hat sich in Auswirkung des neuen Bundesseuchengesetzes die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen auf das Doppelte erhöht.
Die Belegungszahlen der Studenten, der Mediziner, Zahnmediziner und Pharmazeuten für VorJahn ({1})
lesungen und Kurse haben sich in den letzten zehn Jahren fast verdreifacht. Die beschränkten Arbeitsplätze machen es erforderlich, manche Kurse jedes Semester zu wiederholen. Neue Arbeitsplätze können nicht mehr geschaffen werden. Nur wenige Dozenten haben kleine Schreibzimmer. Die Assistenten müssen ihre wissenschaftlichen Arbeiten und Habilitationsschriften in überbelegten Laboratorien schreiben. Arbeitsplätze für Gäste sind nicht vorhanden. So mußten allein in den letzten Wochen, so schreibt immer noch der Institutsdirektor, Anfragen aus Japan, Ungarn und anderen Ländern abgelehnt werden, weil kein Platz mehr da ist.
Meine Damen und Herren, hier eine Bemerkung am Rande. Die Arbeitsbedingungen für die Mitglieder des Bundestages sind in diesem Hause teilweise unerträglich. Aber wenn Sie in diesem Institut einmal sehen, wie in Löchern - anders kann man das nicht mehr bezeichnen - ohne Luft, ohne ein Fenster, wo gerade mit Mühe und Not ein Stuhl und ein Tisch hineingehen,
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mühselig sogenannte Denkzellen geschaffen worden sind, damit die jungen Wissenschaftler irgendwo einen Platz haben, an dem sie ungestört arbeiten können, dann werden Sir mir zugeben, daß es wohl an der Zeit ist, sich einmal die Konsequenzen zu überlegen.
In dem Medizinaluntersuchungsamt müssen die wichtigsten bakteriellen Seuchenerreger für Typhus, Paratyphus, Ruhr, Scharlach, Diphtherie und Tuberkulose in einem einzigen großen Laboratorium untersucht werden.
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Das gleiche gilt für die Virusdiagnostik. Für die besonders gefährliche Pockendiagnostik stehen keine Isolierräume zur Verfügung. Die bei Verdachtsfällen immer wieder geforderten Untersuchungen erfolgten bisher unzulässigerweise in allgemeinen Laboratorien. Wegen der unzulänglichen Sozialräume läßt es sich nicht verhindern, daß viele Bedienstete ihr Frühstück trotz Verbots in den Laboratorien einnehmen und Kleidungsstücke dort aufbewahren, wodurch die Infektionsgefahr in den überfüllten Räumen erhöht wird. So geht es weiter bis hin zu der Feststellung, daß es nicht einmal möglich ist, unter den einfachen Bedingungen, die für Versuchstiere notwendig sind, zu verhindern, daß große Schäden 'entstehen.
Meine Damen und Herren, das sind nur ein paar kleine Beispiele. Sie sind ein typisches Zeichen dafür, welche verhängnisvolle Entwicklung ihren Fortgang nehmen würde, wenn wir es bei dieser Negativliste beließen, die Sie hier mit !solchem Nachdruck und mit solchem Eifer verteidigen.
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Und nun, meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, noch einen Moment ein Rechenexempel durchzugehen, auf das mich der Kollege Mommer freundlicherweise aufmerksam gemacht hat und das vielleicht doch dem einen oder anderen helfen mag, die richtigen Dimensionen. zu sehen, um die es geht, wenn wir in unserem Entschließungsantrag fordern, daß die 180 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden, die nach unserer Meinung als Mindestleistung des Bundes einfach unverzichtbar sind. Wenn Sie nämlich einmal den Bundeshaushalt mit einer Größenordnung von rund 69 Milliarden DM und die 180 Millionen DM, von denen hier die Rede ist und .sein muß, zu einem normalen Einkommen in Beziehung setzen, dann müssen Sie zu dem Ergebnis kommen, daß diese 69 Milliarden DM dem Einkommen einer Familie in Höhe von etwa 1150 DM vergleichbar sind. Nun stellen Sie sich bitte vor, in dieser Familie müsse etwas, wozu sich alle Mitglieder dieser Familie mit Überzeugung und mit Nachdruck bekennen und was unerläßlich notwendig ist, zustande gebracht werden. Wir müssen uns überlegen: Wir können wir eine von allen als notwendig anerkannte Aufgabe verwirklichen? Schließlich fragt einer: Wieviel müssen wir denn von unserem Familieneinkommen von 1150 DM dafür zur Verfügung stellen? Dann kommt in der Relation der Betrag von ganzen drei Deutschen Mark heraus.
Meine Damen und Herren, wollen Sie immer noch an der These festhalten, daß es der Bundesregierung und diesem Haus nicht möglich sei, zur Überwindung unerträglich gewordener Notstände an allen unseren Universitäten diesen Betrag ausfindig zu machen? Denken Sie vielleicht einmal darüber nach, wie es dann um Ihre Glaubwürdigkeit bestellt ist, wenn Sie erklären: Wir bekennen uns zur notwendigen Unterstützung der Wissenschaft, oder wenn Sie, wie der Herr Wissenschaftsminister es tut, sogar sagen, wir seien wissenschaftsbewußt geworden. Ich kann nur sagen: Gerade an dieser Rechnung wird deutlich, wie wenig hier bei Ihnen wirklich ins Bewußtsein eingedrungen ist.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Jahn hat in einer Einzeldarstellung von zweifellos ernsten Sorgen berichtet, die die Senate und die verantwortlichen Instanzen vieler Universitäten in diesen Wochen bewegen. Die Art freilich, wie er es getan hat und wie er in einer ganz einseitigen und falschen Weise hier die Verantwortung zu verschieben versucht, verdient scharfen Widerspruch. Es ist im Grunde ein Mißbrauch dieses ernsten Themas zu einer Propaganda, die wir nur bedauern können.
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Lassen Sie mich zu den Fakten übergehen. Herr Kollege Jahn hat davon gesprochen, daß die Nichtberücksichtigung eines Teils der vom Land Hessen gestellten Anträge zu einer Zurückstellung des Aus784
baus des chemischen Instituts führen müsse. Nach den amtlichen Unterlagen des Wissenschaftsrates, die auf Angaben des Landes Hessen beruhen, hat das Land Hessen selbst aus Landesmitteln für dieses Neubauvorhaben dieses Jahr 4 Millionen DM eingesetzt, so daß, wenn diese Angaben richtig sind, dieser Neubau in jedem Fall mit 4 Millionen DM beginnen kann.
Herr Kollege Jahn hat dann eine Reihe von weiteren Darstellungen gegeben, die noch einer Ergänzung bedürfen. Es sind nach unseren Unterlagen vom Land Hessen für die Universität Marburg 22 Millionen DM beantragt worden. Das Land Hessen selbst hat nach den Unterlagen des Wissenschaftsrates für die gleichen Projekte 16 Millionen DM in diesem. Jahr vorgesehen. Das schließt nicht aus - so füge ich gleich hinzu -, daß das Land in früheren Jahren wesentlich höhere Leistungen erbracht hat. Nach den jetzt gültigen Empfehlungen des Wissenschaftsrates auf der Basis einer Summe von 350 Millionen DM sollen 11 Millionen DM Bundesmittel verwandt werden. Von 12 Projekten, die zur Diskussion stehen und beantragt werden, können 10 gefördert werden. Der Bund hat für die Universität Marburg von 1958 bis 1965 insgesamt 41 800 000 DM an einmaligen Mitteln bereitgestellt,
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davon allein im Jahre 1962, Herr Kollege Jahn, in dem Ihre Landesregierung mit allen anderen für die Streichung der Bundesmittel gestimmt hat, den Betrag von 6,4 Millionen DM. Wenn wir im Haushaltsausschuß die Auffassung des Bundesrates und der hessischen Landesregierung nicht zurückgewiesen hätten, dann wären von diesen 41,8 Millionen DM weder die 6,4 Millionen DM noch die 20 Millionen DM der nächsten Jahre geflossen.
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Es kann überhaupt kein Zweifel bestehen, daß die neuen großen Planungen, von denen Herr Kollege Jahn hier berichtet hat - in Marburg und an vielen anderen Universitäten; es ist von Ihnen, Herr Kollege Raffert, das Beispiel Göttingen genannt worden -, auf einem großen Entwurf beruhen, weit in die Zukunft gerichtet, der auch ein großes Maß an sachlicher Berechtigung in sich hat, auch wenn die Bundesregierung bis heute nicht in der Lage war, sich im einzelnen mit diesen Planungen zu befassen. Aber ich will Ihnen nur einmal das Problem verdeutlichen, das sich ergibt, wenn wir in eine sachliche Erörterung dieser Dinge eintreten. Die Planungen von Marburg, die Sie erwähnt haben, belaufen sich auf 1,3 Milliarden DM, die Planungen von Göttingen, die Ihr Vorredner erwähnt hat, auf 1,9 Milliarden DM. Das sind für zwei von 31 bestehenden wissenschaftlichen deutschen Hochschulen neue Planungen in der Größenordnung von 3,2 Milliarden DM. Das einzige Gesamtprogramm für den Ausbau der deutschen Hochschulen, das bisher der Bundesregierung und dem Bundestag vorgelegen hat, das einzige, das es überhaupt gibt, nämlich das von 1960, hat für alle wissenschaftlichen Hochschulen ein Ausbauvolumen von 2,6 Milliarden DM vorgesehen und ist damals von allen als ein großer Fortschritt gewertet worden.
Niemand bezweifelt - ich habe das hier in der Regierungserklärung mit allem Nachdruck klargestellt -, daß wir uns diesen wesentlich größeren Aufgaben und Notwendigkeiten zu stellen haben und daß wir sie zu prüfen haben. Ich sage aber noch einmal - und Sie zwingen mich dazu, das etwas deutlicher zu sagen, als ich es im Interesse der guten und vertrauensvollen Beziehungen zu meinen Kollegen in den Ländern sagen möchte -, daß keines dieser hier zur Diskussion stehenden Länder bis zum heutigen Tage mit der Bundesregierung konkrete Verhandlungen darüber geführt hat, wie solch ein Gesamtprogramm zu finanzieren ist, daß es keine Gesamtempfehlung des Wissenschaftsrats gibt, daß es hier an Initiative gefehlt hat, das hat nicht die Bundesregierung zu verantworten.
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Ich sage darum mit allem Nachdruck: Wir halten dieses jährliche System, wo aus Gesamtplanungen, die wir nicht kennen, von denen wir zum Teil zu einem Zeitpunkt in der Zeitung lesen, in dem die Bauten halb fertig sind, uns Hunderte von Millionen abverlangt werden, nicht als eine tragfähige und richtige Grundlage für die politische Mitwirkung des Bundes.
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Ich sage das deshalb etwas heftiger, weil Sie einen ganz bösen Satz ausgesprochen haben. Sie haben gesagt: mit einem solchen Beschluß, wie ihn die Bundesregierung gefaßt hat, wie ihn die Koalition offenbar vorhat, zerschlagen Sie die ganze Entwicklung. - Nein, meine Damen und Herren: diese Verantwortung lassen wir uns von Ihnen hier nicht aus parteipolitischen Gründen zuspielen.
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Wir sollen hier für Programme, die bis zum heutigen Tage nicht mit uns verhandelt sind, die bis zum heutigen Tage nicht in ein Gesamtprogramm des Wisschenschaftsrates hineingenommen sind, in der Art, wie Sie es hier gefordert haben, eine ganz einseitige Haftung übernehmen.
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Damit noch etwas zur allgemeinen Problematik. Nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates stehen für 250 Vorhaben Bundesmittel zur Verfügung. Für 114 Vorhaben, für die von den Ländern Mittel beantragt sind und die nach sachlichen allgemeinen Kriterien des Wissenschaftsrates an sich förderungswürdig sind, stehen keine Bundesmittel bereit. Aber hier wird doch auf der Grundlage dieses sehr ernsten Tatbestandes, den wir in keiner Weise zu verharmlosen gedenken, ein falscher Gesamteindruck erweckt. Insgesamt geht es jetzt konkret um etwa 400 Bauvorhaben bei den bestehenden Hochschulen mit einem Gesamtvolumen von 6 Milliarden DM. Das heißt: Im Durchschnitt pro Projekt 15 Millionen DM.
Man tut jetzt so, als ob 114 Vorhaben stillgelegt werden müßten oder für absehbare Zeit überhaupt
nicht zum Zuge kämen, weil 180 Millionen DM fehlen. Das würde bedeuten, daß Vorhaben im Umfange von rund 1,7 Milliarden DM praktisch nicht verwirklicht werden könnten, weil die Bundesregierung in diesem Jahr 180 Millionen DM nicht bereitstellt. Daß das mit den einfachsten Grundsätzen der Logik und der Mathematik irgendwie nicht vereinbar ist, brauche ich nicht näher zu begründen.
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Das ist ein schlechtes Argument, vor allem für die Sache, der Sie dienen wollen. Denn wenn Sie in dieser Art die Verantwortung des Bundes, die wir bejahen, der aber aus Gründen, die wir weithin nicht zu verantworten haben, Grenzen gesetzt sind, und wenn Sie in dieser Art den erhöhten Leistungswillen, von dem wir heute gesprochen haben, hier doch ganz einseitig und mit sehr bösen Sätzen und Anwürfen an uns - daß wir die ganze Entwicklung zerschlagen - in Zweifel ziehen, dann ist, glaube ich, der Wissenschaft ein schlechter Dienst erwiesen.
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Ich habe heute morgen dafür plädiert - vielleicht wäre es doch im Interesse dieser Debatte richtig gewesen, wenn wir so verfahren wären -, die Polemik zu vermeiden. Ich habe mich deswegen auch heute morgen trotz der vorhergehenden öffentlichen Diskussion dazu in der Regierungserklärung nicht verleiten lassen. Ich muß jedoch zu einigen Vorrednern und zu dem, was Herr Professor Schütte gesagt hat, sehr deutlich folgendes erklären: Eine prozentuale Beteiligung des Bundes, die man von uns jetzt erwartet, die auch von Herrn Professor Schütte für richtig gehalten wurde, setzt eine gewisse Planung und eine verantwortliche Mitwirkung der Organe des Bundes voraus.
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Das muß nicht nur die Bundesregierung, das muß auch der Deutsche Bundestag für sich in Anspruch nehmen, wenn er den Rang und die Würde seiner Aufgabe richtig begreift.
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Deshalb brauchen wir diesen neuen Gesamtplan, den wir aus Gründen, die der Bund nicht zu verantworten hat, zur Zeit leider nicht haben. Wir hätten ihn im Grunde vor zwei Jahren gebraucht. Das derzeitige System kann nicht funktionieren, bei dem der Bund praktisch zu einer Abrufstelle für eine Anteilsfinanzierung gemacht wird und auch der Wissenschaftsrat zu spät eingeschaltet wird.
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Man kann nicht, wie es auch geschieht - und ich möchte davon absehen, Reden von führenden Persönlichkeiten Ihres Landes zu zitieren -, abwechselnd den Bund warnen, daß er sich nicht in Aufgaben hineindränge, die ihm nicht zukommen, und ihn dann wieder kritisieren, daß er zu wenig leiste. Ein solches Verfahren heiß-kalter politischer Wechselbäder akzeptiert die Bundesregierung nicht.
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Deswegen müssen wir wirklich zu einer vernünftigen Synthese kommen. Wir müssen - auch das ist. von Ihnen nicht geschehen - die besondere Stellung und die besondere Verantwortung der Länder als der Träger der wissenschaftlichen Hochschulen nach unserer Verfassung und unserer Rechtsordnung anerkennen. Daß ausgerechnet Sie, der Kronjurist der SPD, der vor dem Bundesverfassungsgericht ständig der Bundesregierung Rechtsverletzung vorwirft, hier von einem formalen Zuständigkeitsdenken sprechen, ist doch schon sehr komisch.
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Das beinhaltet nun eben die primäre Verantwortung der Länder. Aber wir bejahen - und ich möchte wirklich, daß das nicht in dieser bedauerlichen Polemik verloren geht - die Notwendigkeit der wirkungsvollen ergänzenden Hilfe des Bundes mit wesentlich steigenden Beträgen. Das können wir jedoch nur dann, wenn wir auch im Maße des Notwendigen an der Gesamtplanung beteiligt werden. Wir werden davon in einer zurückhaltenden Weise Gebrauch machen, dessen können Sie sicher sein. Das haben wir im Wissenschaftsrat immer getan. Es ist aber notwendig, daß wir beteiligt werden, daß wir die Größenordnung mitbestimmen können, daß wir sie kennen und daß wir auch dem Bundestag über diese Dinge Rechenschaft ablegen können und nicht über viele Dinge erstmals aus der Zeitung erfahren.
Ich habe heute morgen gesagt, und ich wiederhole es: Auf der Basis eines solchen Gesamtplanes muß die Bundesregierung und muß der Bundestag eine politische Entscheidung für mehrere Jahre treffen, in wesentlich steigenden Größenordnungen, und diese politische Entscheidung ist dann die Grundlage. Wer dann wieder plant ohne den Bund und den Wissenschaftsrat, der mag es in seiner Freiheit tun. Aber er muß dann auch selbst die Rechnung bezahlen.
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Das Wort hat der Herr hessische Landesminister Schütte.
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer Sie, Herr Bundesminister Stoltenberg soeben gehört hat, müßte eigentlich den Schluß ziehen, die Sorgen, die Proteste unserer wissenschaftlichen Hochschulen seien reine Phantasmagorie.
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- Ich denke, man darf solche Sätze noch beweisen.
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Ich bitte aber doch, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Herr Bundesminister, vielleicht ist die verbale Verständigung noch gar nicht erreicht. Aber wenn Sie sagen, in den Zeitungen lese man - die Bundesregierung - gelegentlich von wissenschaftlichen Objekten und man - die Länder - fordere zugleich, daß der Bund, ohne sozusagen ins Bild
Landesminister Dr. Schütte
gesetzt worden zu sein, dafür Mittel aufbringe, so weiß ich nicht, woran Sie überhaupt denken. Vielleicht kann es das in dem einen oder anderen Land einmal geben, daß dort ein Sonderinstitut außerhalb der Planung des Wissenschaftsrates errichtet wird. Für Hessen - um das einmal zu sagen - würden Sie ein solches Beispiel nicht nennen können, ich glaube, auch für die meisten Länder nicht.
Vor allem eines aber hat mich baß erstaunt, Herr Bundesminister. Es gibt doch - darüber sind wir uns einig - den Wissenschaftsrat! Er hat den Auftrag der großen Planung, nach der Sie rufen. Er vollzieht diese Planung, und zwar Jahr für Jahr; darüber ist gleich noch etwas zu sagen.
Die Bundesregierung ist in diesem Wissenschaftsrat mit elf Stimmen vertreten. Sie selbst waren anwesend, als im Wissenschaftsrat das Problem der 530 Millionen DM zur Debatte stand, und haben dort keineswegs nur gesagt: Das sind Gelder, für die wir nicht zuständig sind!
Aber die Hauptsache, die mich immer noch etwas erstaunen macht, ist noch einmal diese: Sie sagen nicht, daß der Bund durch das Verwaltungsabkommen im Wissenschaftsrat mit elf Stimmen beteiligt ist, mit genausoviel Stimmenpotenz wie die Länder insgesamt. Dort werden doch die Pläne beraten, dort steht alles zur Debatte. Der Wissenschaftsrat hat den Auftrag, diese Pläne zu empfehlen. Ich verstehe schlechthin gar nicht, was Sie meinen, wenn Sie -sagen, es müsse erst noch zu Verhandlungen zwischen Bund und Ländern kommen. Dies eben ist doch die Aufgabe des Wissenschaftsrates. Das muß leider hier noch ganz deutlich gesagt werden.
Aber nun noch eine Bemerkung zu Marburg. Ich muß Ihnen gleich sagen, daß ich nicht recht verstanden habe, worum es im einzelnen ging. Aber aus den Namen „Hessen" und „Schütte", die durchdrangen, kann ich den Schluß ziehen, daß Ihre Meinung ist, für das Institut in Marburg und die Institute an anderen hessischen Universitäten, die ohne die 180 Millionen DM nicht gebaut werden können, solle doch gefälligst das dafür zuständige Land Hessen eintreten. So schien es mir; es war akustisch nicht möglich, die einzelnen Stimmen zu differenzieren.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, ist Ihnen aus den Darlegungen des Herrn Kollegen Jahn nicht klargeworden, daß hier von Mißständen die Rede ist, die seit sehr vielen Jahren - in einem Fall wurde gesagt: seit 70 Jahren - bestehen, einem Zeitpunkt, wo allenfalls das Land Hessen und seine Vorgänger, keinesfalls aber der Bund zuständig war, daß die Studenten dort in finsteren Löchern hausen und die Professoren keine Tische und Stühle haben?
({0})
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Auch das habe ich gelegentlich wegen des Stimmenaufwands nicht verstehen können. Vielleicht meinte Herr Abgeordneter Jahn spezielle Einrichtungen. Im ganzen - das weiß Herr Jahn ganz genau - gibt es in Marburg z. B. das schönste und größte Studentenhaus Europas und anderes mehr.
({1})
- Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein, bei dem Thema zu bleiben, das auch das Thema des Herrn Jahn war.
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- Einen Augenblick! Worum geht es denn? Den eigentlichen Sinn und Zweck der Negativliste scheinen Sie sich nicht ganz deutlich gemacht zu haben. Bitte sehr - und das sei auch noch einmal dem Herrn Bundesminister hinübergesagt -: der Wissenschaftsrat stellt jedes Jahr in einem eigens dafür bestimmten Ausschuß die sogenannte Dringlichkeitsliste auf. Eine solche Liste gibt es auch für 1966. Die Projekte stehen in dieser Liste, und nicht zufällig in der Zeitung.
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Herr Staatsminister!
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Ich möchte erst noch den Satz zu Ende führen. In der Dringlichkeitsliste sind die vielen Bauprojekte für unsere wissenschaftlichen Hochschulen aufgeführt. Die Summe der Kosten ergibt eine Empfehlung für den Anteil der Länder und ebenso eine Empfehlung an den Bund, eine bestimmte Quote zu übernehmen. Die Quote für 1966 lautet: 530 Millionen DM. Die Länder folgen der Empfehlung des Wissenschaftsrates für 1966, der Bund mit seinem geringeren Ansatz nicht. Wenn also diese 180 Millionen DM an der gesamten Summe fehlen, so ist doch klar, Herr Bundesminister, daß bestimmte - nämlich die berühmten 114 - Bauten 1966 nicht gefördert werden können. Und wenn Sie sagen -
Verzeihen Sie, der Satz ist nun wirklich schon lange zu Ende. Inzwischen haben sich noch mehrere Zwischenfrager gemeldet. Ich möchte zumindest die Frage stellen - Sie können ja ablehnen -, ob Sie die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch zulassen.
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Ja.
Herr Staatsminister, haben Sie wirklich nicht verstanden, daß es bei den Zwischenrufen darum ging, zu fragen, ob nicht die Ausführungen des Kollegen Jahn beweisen, daß innerhalb des hessischen Landesetats und Kultusetats offensichtlich seit vielen Jahren falsche Prioritäten gesetzt worden sind?
({0})
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Nein! Erstens war das wirklich nicht zu verstehen, zweitens lenken Sie mit dieser Zwischenbemerkung von dem Sachverhalt ab.
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Der Sachverhalt ist so, wie ich ihn soeben darstellte: Planung des Wissenschaftsrates, Dringlichkeitsliste 1966; dort stehen die Objekte.
Ich will fortfahren und noch sagen: Wenn die vom Wissenschaftsrat empfohlenen Mittel nicht voll zur Verfügung stehen, wird das Land versuchen müssen, das eine oder andere Objekt vielleicht durch Strekkung der Mittel noch in Gang zu bringen. Aber Sie wissen selber, wie es um die Länderfinanzen steht. Der Landeshaushalt von Hessen für 1966 ist verabschiedet. Darin sind die finanziellen Leistungen, die der Wissenschaftsrat sozusagen für Hessen bestimmt hat, aufgenommen. Wir wollen nicht an der Tatsache vorbeisehen, daß die Hauptschwierigkeit darin besteht: die Länder folgen den Empfehlungen des Wissenschaftsrates, der Bund aber nicht.
Herr Staatsminister verzeihen Sie: erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Martin.
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Gerne.
Herr Staatsminister, können die Bauten in Marburg angefangen werden, wenn das Land Hessen seine Mittel nicht streicht?
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Nach den bisherigen Finanzierungsplänen nicht. Es ist klar: für jedes Bauobjekt gibt es eine genau vorausberechnete Finanzierung; die ist zweifellos bei den Objekten gestört, die mit den 180 Millionen DM gebaut werden sollen. Glauben Sie wirklich, daß, wenn z. B. groß in der Zeitung steht: Hessens Hochschulrektoren warnen und befürchten, die Kürzungen gefährdeten die Forschung und Lehre, daß das so obenhin gesagt worden ist? Sie kennen das Dilemma ganz genau. Man sollte das Problem, meine Damen und Herren, nicht unsachlich verkürzen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Rutschke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Herr Staatsminister Schütte hier heraufging, glaubte ich, er würde sich rechtfertigen, warum in Hessen seit -zig Jahren solche Zustände herrschen.
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Aber leider habe ich nur etwas anderes gehört. Wenn Herr Kollege Jahn uns mit tränenerstickter Stimme berichtet hat, wie schlimm diese Verhältnisse in Hessen sind, daß viele Lehrstühle nicht besetzt seien, dann möchte ich sagen, daß ist doch Sache von Herrn Schütte, das ist doch nicht Sache
von Herrn Stoltenberg. Ich meine, man muß wissen, wo die Zuständigkeiten sind.
({1})
Wenn wir jetzt aus der Haushaltslage heraus Kürzungen vornehmen mußten, dann war es leider nicht zu ändern, daß auch dieser Etat mit in Anspruch genommen wurde. Wir werden uns bemühen, alles zu tun -
Herr Rutschke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Darf ich vielleicht erst einmal den Satz beenden. Ich möchte zwar nicht dem Beispiel von Herrn Jahn nacheifern, keine Fragen zuzulassen; aber lassen Sie mich den Satz zu Ende reden.
Wir sind der Meinung, daß wir versuchen sollten, die Mittel noch frei zu machen, die notwendig sind.
({0})
- Verzeihen Sie, darauf komme ich noch zu sprechen. Dann müssen Sie uns aber auch erklären, wo wir streichen sollen. Wir sind gerne bereit zu streichen. Aber darauf werde ich noch zu sprechen kommen. - Bitte sehr!
Herr Kollege, ist Ihnen klar, daß es sich bei der Situation an den deutschen Hochschulen nicht um spezielle Probleme einzelner Bundesländer handelt, sondern um die Gesamtsituation an den deutschen Hochschulen, in der deutschen Wissenschaft, und daß die Kürzungen, daß diese Negativliste Auswirkungen für die ganze Bundesrepublik hat?
Sehr richtig, nur hatte ich eben aus dem, was Herr Jahn gesagt hat, den Eindruck, daß es in Hessen besonders schlimm sei, und darauf habe ich geantwortet.
({0})
Nun, meine Damen und Herren, als Debattenredner habe ich nur die Absicht, auf einige Dinge einzugehen, die bereits vorgetragen sind. Ich bitte es zu entschuldigen, wenn das nur punktweise geschehen kann.
({1})
- Herr Strauß, ich glaube, daß auch Sie noch die Möglichkeit haben, sich damit zu befassen. Wie ich Sie kenne, werden Sie sich das nicht entgehen lassen.
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- Von den kulturpolitischen Zuständen in Bayern wollen wir nicht reden.
Meine Damen und Herren, es scheint mir sehr wesentlich zu sein, was bereits angeschnitten wor788
den ist, daß die Begabungsreserven, die wir in unserem Volke haben, mit allen Mitteln aktiviert werden müssen. Es ist zu begrüßen, daß in den meisten Ländern - und ich kann insbesondere vom Lande Baden-Württemberg reden - der Plan der Mittelpunktschulen durchgeführt werden soll. Man gibt sich alle Mühe, in den Mittelpunkt der Land-Bezirke Schulen zu legen, so daß auch die Kinder vom flachen Lande die Möglichkeit haben, weiterführende Schulen zu besuchen. Die Bildungspolitik darf in unserem Jahrhundert nicht ein Reservat nur für Kinder begüterter Eltern sein. Das könnten wir uns gar nicht leisten, weil die Produktionsmethoden heute so schwierig geworden sind, so weit entwickelt worden sind, daß das Zeitalter des Hilfsarbeiters - um es etwas überspitzt zu sagen - abgeschlossen sein muß. Wir müssen zu einer Ausbildung zum qualifizierten Facharbeiter, zum Ingenieur, zum Techniker kommen, der fertig wird mit dem, was nun einmal Wissenschaft und Forschung ihm als Arbeitsmittel in die Hand gegeben haben.
Aber, meine Damen und Herren, es ist auch deshalb notwendig, die Bildungspolitik zu aktivieren, weil sie eine Voraussetzung für eine sinnvolle Wissenschaftsförderung ist. Was nutzt es Ihnen, wenn Sie Universitäten oder Schulen bauen, und Sie haben keine Lehrer? Deshalb muß beides Hand in Hand gehen, und man kann beides nach meinem Empfinden nicht voneinander trennen.
Die Konferenz der Kultusminister wurde vorhin gelobt. Aber ich glaube, man darf auch nicht ganz vergessen - und das ist noch besonders stark im Bewußtsein der Bevölkerung -, daß der Kampf um den Beginn des Schuljahres sicherlich nicht eine Meisterleistung gewesen ist.
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Sicherlich, meine Damen und Herren, die Politik lebt vom Kompromiß. Das wollen wir erkennen. Aber es muß dann ein Kompromiß sein, der tragbar ist. Ist aber dieser Kompromiß tragbar? Ich war z. B. nicht in der Lage, die vielen Fragen, die an mich schon gerichtet worden sind, zu beantworten: Wann kommt mein Sohn nun wirklich in die Sexta; kommt er im Herbst hinein, muß er ein Dreivierteljahr zweimal machen oder zweimal Eineinvierteljahr? Ich weiß nicht, das mag im Lande Hessen wieder anders sein als in Baden-Württemberg.
Deshalb bin ich der Meinung, daß der Bund in dieser Richtung eine Rahmenkompetenz braucht; denn es kann nicht weiter so bleiben, daß - ich zitiere etwas, was ich schon oft gehört habe - bei der dienstlichen Versetzung des Vaters das schulische Nichtversetztwerden des Sohnes zwangsläufig wird, weil in den verschiedenen Ländern nun einmal unterschiedliche Bildungspläne und Schulformen sind. Das muß kein Abbau des Föderalismus sein, wenn man eine Rahmenkompetenz für den Bund schafft, hier eine einheitliche Form zu finden.
Meine Damen und Herren, Wissenschaftsförderung kostet nun einmal Geld, und wir wissen, daß wir in diesem Haushaltsjahr leider Gottes besonderen Gesetzen unterliegen. Ich darf etwas zu der
Bemerkung des Herrn Kollegen Raffert sagen ich hörte, daß auch Herr Klepsch eine derartige Äußerung getan hat -, daß man doch diese 180 Millionen DM in einem so riesigen Haushalt müsse finden können. Sicherlich, das mag sein, und das ist nun die Antwort, Herr Kollege Jahn, nach der Sie mich vorhin gefragt haben. Wir müssen aber dann auch sagen, woher wir das Geld nehmen wollen. Wir sind gern bereit, die Wissenschaft noch mehr zu fördern. Aber dann müssen Sie sagen, wie Sie das tun wollen. Wollen Sie die Steuern erhöhen? Wollen Sie die Bergbausubventionen abbauen? Wollen Sie das Kindergeld kürzen? Wollen Sie etwas von dem 312-DM-Gesetz - Sie hatten ja 624 DM beantragt - wegnehmen? Oder wollen Sie vielleicht den Bundestag nicht neu bauen? Damit wären Millionen von DM einzusparen. Aber das muß man sagen. Man kann hier nicht nur fordern: das muß mehr sein, noch mehr und noch mehr, ohne zu sagen, woher das Geld kommen soll oder kommen kann.
Herr Kollege Vogel, Sie haben das Wissenschaftskabinett verteidigt. Das mag richtig sein. Sie haben aber gleichzeitig gesagt, daß die jetzige Ressortverteilung hinsichtlich der Förderungsmittel richtig
sei und daß Sie sich dahintersteliten. Habe ich Sie da richtig verstanden? - Nun, ich bin nicht Ihrer Meinung. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß auf den Gebieten der Bildungs- oder Wissenschaftspolitik viel wirkungsvoller etwas getan werden kann, wenn nicht jedes Ressort ein bißchen gibt und man ein Wissenschaftskabinett braucht, um sich dort zusammenzuraufen. Man sollte besser die Arbeit des Wissenschaftsministers wirkungsvoller machen und sollte ihm auch die Zuständigkeiten geben und nicht elf Stellen mit verschiedenen Töpfchen irgendwie an dieser Förderung teilhaben lassen. Sicherlich, das liegt in der Organisationsgewalt des Kabinetts. Aber man sollte doch nach vernünftigen Gesichtspunkten handeln.
Meine Damen und Herren, ein sehr schwieriges Problem - das haben wir neulich bei einer Besichtigung des Hahn-Meitner-Instituts in Berlin erfahren - ist die Bezahlung der Wissenschaftler, insbesondere jener Wissenschaftler, auf die wir ungern verzichten, weil wir sie langwierig ausbilden mußten; sie haben uns sehr viel Geld gekostet. Dann kommt nun einmal die Situation, wo diese Wissenschaftler in den Bundesangestelltentarif eingestuft werden müssen. Der BAT paßt aber nicht für einen Zweig, der sich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten -
({4})
- Schön, das mag noch zusätzliche Stufen schaffen.
Meine Damen und Herren, das Problem liegt ganz woanders. Es liegt nämlich darin, daß die Wissenschaft mehr in den wirtschaftlichen Bereich gegangen ist. Die Atomforschung, die Weltraumforschung sind von sich aus - nach dem alten Begriff des Staates - keine Staatsaufgaben, es sind vielmehr wirtschaftDr. Rutschke
liche Aufgaben. Und nun zwängen Sie bei der Besoldung die Wissenschaftler, die in erster Linie wirtschaftliche Aufgaben zu lösen haben, in die bürokratische Zwangsjacke des Bundesangestelltentarifs. Das ist einfach nicht möglich. Den Damen und Herren von der SPD möchte ich sagen: so sieht es aus, wenn man eben bürokratisch etwas lösen will, was nur wirtschaftlich gelöst werden kann. Dabei kann eben nichts Gutes herauskommen. Deshalb sollte man versuchen, sich von dieser bürokratischen Zwangsjacke zu befreien.
Mit großer Freude habe ich feststellen können, daß der Herr Bundesminister Stoltenberg in einem Fernsehinterview erklärt hat, er werde versuchen, dieses offensichtliche Manko durch Sonderzulagen auszugleichen. Meine Damen und Herren, wir können es uns nicht leisten, daß unsere hochqualifizierten Wissenschaftler ins Ausland gehen, weil sie dort besser bezahlt werden. Niemand kann es einem Wissenschaftler übelnehmen, wenn er auch an sein persönliches Schicksal und an seine Einkünfte denkt.
Eine Bemerkung zum Schluß. Sie berührt auch wieder das Verhältnis von Bund und Ländern. Man kann auf verschiedene Weise zusammenarbeiten, z. B. auf dem Gebiet der Kernforschung. Ich komme aus dem Wahlkreis Karlsruhe und habe deshalb einen gewissen Überblick. Ich glaube, daß die Lösung zwischen Bund und Land dort recht günstig war; denn das Karlsruher Kernforschungs-Institut hat sich wirklich hervorragend bewährt. Es befindet sich nicht in den Schwierigkeiten, mit denen z. B. das Projekt Jülich belastet ist, das jetzt dem Bund angeboten wird, obwohl man seinerzeit sehr darauf bedacht war, dort keine Kompetenz des Bundes zuzulassen. Sie sehen, daß in diesem Fall der Bund oder das Land Baden-Württemberg zumindest weitsichtiger waren. Ich meine, daß dieses Beispiel auch in anderer Hinsicht gelten könnte.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selbst auf die Gefahr hin, daß mein bescheidener Beitrag zu dieser Debatte als eine theoretisch-abstrakte Abhandlung betrachtet werden wird, möchte ich doch, zunächst wenigstens, nicht mit der konkreten Frage der konkreten Finanzierung eines konkreten Instituts beginnen, ohne die Bedeutung dieser Frage unterschätzen zu wollen.
In der Wissenschaftsdebatte des deutschen Parlaments muß versucht werden, eine Gesamtschau der Dinge herzustellen und die besonderen wesentlichen Anliegen, um die es sich hier handelt, in diese Synopse hineinzustellen. Dabei handelt es sich nicht nur etwa um eine Synopse aller staatlichen Aufgaben und ihrer finanziellen Konsequenzen auf den verschiedenen Ebenen. Es gibt horizontale und vertikale Dimensionen. Vielmehr geht es um den Zusammenhang in einem anderen Koordinatensystem. Es geht um die Frage: Was sind die großen Faktoren, die unsere Zeit bestimmen und die die Elemente der Wandlung sind?
Ich möchte mich bei dem Thema dieser Diskussion auf zwei Probleme beschränken. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die naturwissenschaftliche Revolution, die daraus entspringende technische Entwicklung und die mit ihr verbundene Möglichkeit der industriellen Anwendung eine Veränderung unserer Zeit gegenüber vergangenen Generationen hervorgerufen haben, eine Veränderung, deren Dimensionen, deren Ausmaße, deren Ziele wir heute noch nicht klar abzusehen vermögen.
Ich kann mich nicht mehr sicher erinnern, ob ich einmal bei einer der großen Aussprachen in diesem Hause den Vergleich gebracht habe, den ich vor kurzem wieder in einem Buch über die Bedeutung der Automation gelesen habe, nämlich daß der Erkenntniszuwachs der Menschheit von ihren primitiven Anfängen bis etwa zum 1. Weltkrieg nicht größer war als das, was vom 1. Weltkrieg bis 1965 wieder an Erkenntniszuwachs hinzugekommen ist. Ich sage, wenn das 100% bis 1914 und 200 % bis 1965 sind, dann wird - soweit man das überhaupt mit Zahlen auszudrücken vermag; sie sind ja immer nur ein unbeholfenes Mittel - der Stand von 300 % sicherlich nicht erst im Jahre 2015 erreicht werden, sondern wesentlich früher. Das heißt, daß die menschliche Geschichte einen Akzelerationsfaktor erfahren hat und daß die menschliche Geschichte schneller geworden ist. Aus dieser raschen quantitativen Veränderung sind, ohne daß ich es im Sinne von Karl Marx meine, wie Sie, Herr Professor Schmid, es das letzte Mal in einem ironischen Zwischenruf andeuteten, doch qualitative Mutationen hervorgegangen. Das heißt, wir leben nicht vor der Schwelle einer neuen Zeit, sondern wir stehen auf der Schwelle einer neuen Zeit, wir stehen im ersten Kapitel einer neuen Zeit, und die Schwierigkeiten, mit denen wir uns hier abzumühen haben, das sind nicht politische Fehler, die wir uns gegenseitig vorzuwerfen haben, Versäumnisse oder Unzulänglichkeiten, sondern das sind die unvermeidbaren, wenn auch sicherlich zu erkennenden und abzumildernden Begleiterscheinungen eines großen Quantensprungs der menschlichen Geschichte. So lege ich diese Dinge zunächst aus.
({0})
Aus dieser naturwissenschaftlichen Revolution und ihren technisch-industriellen Folgen erwachsen soziologische Konsequenzen, die eine völlige Umstellung des Jahrtausende hindurch so lieb gewordenen Gesellschaftsbildes und seiner Zusammensetzung ausmachen. Dabei tritt noch etwas in Erscheinung, daß unabhängig von der Staatsform, unabhängig von der Gesellschaftsform durch die naturwissenschaftliche Revolution, die technischindustrielle Entwicklung soziologische Konsequenzen hervorgerufen werden, die sowohl im demokratischen Teil der Welt wie im kommunistisch beherrschten Teil der Welt gewisse Affinitäten und Analogien aufweisen.
({1})
Wohin das führt, könnte nur jemand sagen, der sich anmaßen würde, ein Prophet zu sein. Aber darauf hinzuweisen, muß im Zusammenhang mit dieser Debatte gestattet sein.
Damit ergibt sich auch für uns bei dem Versuch einer Standortbestimmung die Frage, welche Verschiebungen im Gefüge der Welt, in der Rangfolge der Staaten, mit dieser Entwicklung eingeleitet werden. Daraus ergibt sich für unsere nationale Politik und für unsere internationale Politik im Laufe dieser Jahre sicherlich eine Reihe von Konsequenzen. Dabei handelt es sich nicht darum, ob man diese Konsequenzen wahrnehmen will, oder nicht wahrnehmen will, sondern es handelt sich für die europäischen Nationalstaaten heutiger Größenordnung nach meiner festen Überzeugung um die Frage, ob sie in zwei bis drei Generationen in dem Konzert der Völker und der Mächte am Anfang des dritten Jahrtausends zu einer Quantité négligeable abgesunken sein werden oder ob sie durch die Konsequenz ihrer nationalen Politik von heute und ihres internationalen Zusammenschlusses von - ich hoffe, sehr bald - morgen die Schlußfolgerungen ziehen, die unvermeidbar sind, wenn das verhindert werden soll.
({2})
Man lacht heute vielleicht manchmal über solche Dinge, weil sie einem utopisch, so illusionär erscheinen. Denken wir aber einmal daran, was es in Europa in den vergangenen Jahrhunderten an Großmächten gegeben hat - Venedig oder Genua oder Spanien oder Portugal - ({3}) - Bayern! Oh Gott!
({4})
Wenn Sie, Herr Kollege Müller aus München, das sagen, dann beweisen Sie damit, daß Sie doch die Eierschalen des bayerischen Nationalisten noch nicht ganz überwunden haben.
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Wenn Sie etwas länger in diesem Bundestag sind, werden Sie mehr föderale Gesinnung und mehr Einordnungsgefühl für bayerische Dimensionen im bundesdeutschen Zusammenhang haben.
({6})
Sie wissen, daß Bayern nur im System der Trias eine Rolle gespielt hat: da Preußen - dort Osterreich und dazwischen Bayern.
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- Ja, bei diesem Erbfolgekrieg haben uns die Preußen gegen die Osterreicher geholfen.
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Wenn man aber die Frage stellt, warum die Großmächte vor einer Zeit von 300 und 250 Jahren heute abgesunken sind und überhaupt nicht mehr die Voraussetzungen haben, diesen Anspruch zu erheben, dann muß man hierbei auch sagen, daß das Absinken der europäischen Mächte von heute nicht mehr 250 Jahre dauern würde, weil der Beschleunigungsfaktor der menschlichen Geschichte, von dem ich vorher gesprochen habe, nicht mehr diesen Zeitraum erbringen, sondern einen erheblich kürzeren Zeitraum hervorrufen würde.
Kollege Lohmar hat heute morgen von der wissenschaftlichen Beratung der Staatsführung gesprochen. Er hat sich in dem Zusammenhang auf einige mit Recht allgemeine Bemerkungen beschränkt.
({9})
Ich glaube, es geht auch nicht um die Frage: Wieviel Professoren beraten einerseits die Bundesregierung, wieviel Professoren beraten die Opposition?
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Wahrscheinlich gibt es sogar Professoren - und mit Recht solche -, die sowohl die Bundesregierung wie die Opposition beraten.
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Nur haben es manche Professoren nicht gern, wenn sie sich auf einmal vor einen Wagen gespannt sehen, den sie zwar gern beraten, aber für den sie nicht gern das politische Zugpferd abgeben wollen.
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Außerdem: Bei allem Respekt vor diesen Herren Professoren glaube ich, daß man aus der Zahl der beratenden Professoren allein, das heißt aus dem Quantum, noch nicht das Quale erschließen kann.
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Wenn Bundesminister Stoltenberg heute morgen sagte: „Ich freue mich, daß es hierüber - nämlich Über die Förderung von Wissenschaft und Forschung - zwischen den Fraktionen keine Meinungsverschiedenheit gilbt", wenn er weiter sagt: „Wir sind einig, ,daß die Wissenschaft erstrangig einzuordnen ist", dann Herr Kollege Lohmar, glaube ich, sollte dieses Wort des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung - daß die Einigkeit dieses Hauses sicherlich bei manchen Unterschieden im einzelnen und auch bei der echten unterschiedlichen Bewertung der Frage der 180 Millionen, um die es heute geht, vorhanden ist - nicht dadurch weggewischt werden, daß man sagt: Wir sind noch lange nicht einig; die vom Bundesminister genannte Einigung ist halt doch nur eine Fiktion, wie das Wort gebraucht worden ist. - Das ist keine Fiktion. Seien wir froh, daß in ,diesem Hause die Vertreter der politischen Kräfte über die unser Zeitalter und die Zukunft gestaltenden Elemente eine im Grundsatz gemeinsame Auffassung haben.
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Über die 180 Millionen werden wir noch reden, auch ich werde das noch tun, damit es aus dem Abstrakten ins Praktische geht.
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja!
Herr Kollege Strauß, ich glaube, Sie haben recht mit Ihren Feststellungen. Aber in einem Punkte sollten Sie
({0})
ein bißchen tiefer gehen. Glauben Sie nicht, daß der eigentliche Unterschied hier im Hause der ist, daß beide etwas wollen, aber nur ein Teil auch die Konsequenzen und Voraussetzungen des Gewollten mit will?
({1})
Herr Professor Schmid, ich meine es wirklich nicht ironisch, wenn ich sage: Ich halbe Sie nicht verstanden.
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Es genügt nicht, etwas zu wollen. Man muß auch die Konsequenzen und die Voraussetzungen des Gewollten mit wollen. Das ergibt den Unterschied.
Sehr richtig! Genau darüber rede ich, und darüber gilt es, sich hier in dem letzten Teil dieser Debatte zu unterhalten.
Es ist die Frage der Prioritäten angeschnitten worden. Ich Iglaulbe, wir sollten uns vor zwei Vorstellungen hüten, die immer wiederkehren, nämlich einmal, daß man auf der Grundlage der gegenwärtigen Verfassung und der gegenwärtigen Finanzverfassung zu einer chemisch reinen Flurbereinigung zwischen Bundesaufgaben und Landesaufgaben kommen kann. Der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat in seiner Haushaltsrede, die er uns allen zugeschickt hat, vor wenigen Tagen von der Notwendigkeit dieser vollen Flurbereinigung gesprochen. Das ist sicherlich ein wünschenswerter Zustand. Aber gerade die Tatsache, daß wir uns in einem Übergangsstadium mit sehr raschen Änderungselementen befinden, schließt doch aus, daß wir etwas statisch gestalten können, was nur dynamisch - den jeweiligen Notwendigkeiten angepaßt - bewältigt werden kann. Darum glaube ich nicht an diese Flurbereinigung, die von den Ministerpräsidenten im Jahre 1962 verlangt worden ist. Sicherlich könnte man sich auf den Standpunkt stellen, daß der Buchstabe der Verfassung einzuhalten ist und daß nun einmal Kulturpolitik, Hochschulpolitik - damit auch Hochschulbau - ausschließlich Sache der Länder sind.
Damit ergibt sich automatisch die Frage einer anderen Verteilung der Steuerquellen, zumindest der Einkommen- und Körperschaftsteuer, und zwischen den Ländern ergibt sich die Frage eines anderen horizontalen Finanzausgleichs. Ob auf dem Wege etwa die Dinge schneller zu bewältigen sind, möchte ich nach den gemachten Erfahrungen ganz ernsthaft bezweifeln.
({0})
Wir sollten uns zweitens aber auch vor der Vorstellung hüten, daß jetzt erst eine großartige und
umfassende Finanzreform - das Troeger-Dokument der 400 Seiten - verabschiedet sein muß, bevor man die Dinge wirksam und zeitkonform angreifen kann.
({1})
Es wird noch viel Wasser den Rhein und viele andere deutsche Flüsse herunterfließen, bis in dieser Frage, die ja auch Verfassungsänderungen einschließt, Entscheidungen getroffen sein werden. Darum gibt es doch nur den pragmatischen Weg: mit den bestehenden Institutionen und den bestehenden Rechtsgrundlagen zurechtzukommen, um aus ihnen das Bestmögliche im Sinne eines echten kooperativen Geistes zu gestalten. Etwas anderes halte ich, wenn wir im Strom der Ereignisse bleiben und nicht abgehängt werden wollen, nicht für möglich.
Aber das Wort „Prioritäten"! Nun, in diesem Hause kommt man ohne Fremdwörter nicht aus, und ich billige Ihnen, Herr Professor Schmid, zu, daß Sie mehr Lateinisch sprechen dürfen und können als ich. Aber auch ich darf ein paar lateinische Fremdwörter gebrauchen: Prioritäten, Subventionen und was da noch alles gebracht worden ist.
Aber was heißt denn „Prioritäten setzen"? Im Jahre 1949, als wir angefangen haben, war die Frage der Prioritäten für uns alle ganz einfach. Das war die Zeit, in der Adenauer - ohne einen wissenschaftlichen Berater - sehr wohl die Prioritäten, wie sie auf der Straße lagen, auflesen konnte. Denn es war die Schaffung von Arbeitsplätzen, von Wohnungen, es war die Beseitigung der sozialen Nottatbestände und damit die Schaffung der materiellen und auch moralischen Grundlagen, von denen aus wir überhaupt erst in die nächste Etappe hineingelangen konnten. Für uns war das Besondere daran, daß wir gleichzeitig den unübersehbaren Schutt einer katastrophalen Vergangenheit bereinigen und mit einem beschleunigten Tempo der Zukunftsentwicklung einigermaßen Schritt halten sollten.
({2})
Das ergibt doch für uns all diese Störungen oder Schwierigkeiten, über die wir uns mit Recht unterhalten und bei denen wir uns nicht nur gegenseitig mit Wohlwollenserklärungen ansprechen sollten.
Aber „Prioritäten" jetzt? Nun, ich möchte kein Spötter sein, aber ich möchte sagen: es ist immer sehr leicht, jeweils die „Priorität Nr. 1" anzugeben. Ich warne aber vor einer finanzpolitischen Oasenstrategie, so einer Insel-hüpf-Taktik,
({3})
bei der man das jeweils zur Diskussion stehende Thema als mit besonderer Priorität ausgestattet in die bundesdeutsche Landschaft hineinstellt.
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Ich glaube, ich habe es bei Churchill gelesen, daß bei seinem Eintritt ins Parlament ein alter Fuchs ihm den Rat gegeben habe, er müsse immer für Sparsamkeit eintreten, er dürfe nur nie sagen, wo; das Erste bringe immer Lob und Popularität, das Zweite schaffe nur Ärger. Darum hört man im all792
gemeinen auch nur das, was die erste Priorität haben muß, aber man hört nicht, was die zweite, dritte, vierte, fünfte Priorität haben muß. Dabei gibt es bei den Prioritäten ja nicht ein Hintereinander in dem Sinne, daß erst ein Problem voll gelöst sein muß, bevor man ein zweites aufgreifen kann, sondern es handelt sich auch bei den Prioritäten um die Verteilung der Gewichte, der Schwerpunkte, der Prozentsätze und nicht etwa um eine reine Reihenfolge im arithmetischen Sinne des Wortes.
Auch heute noch gilt die klassische Auffassung darüber, was die Aufgaben des Staates sind: nämlich erstens Sicherheit nach innen und außen, zweitens eine Ordnung in Freiheit und drittens die Voraussetzungen für den Wohlstand zu schaffen. Die Sicherheit nach innen und außen, vor allen Dingen die nach außen, und die Voraussetzungen für den Wohlstand schließen ein, daß der Staat mit den Problemen der modernen Wissenschaft, Technik und ihrer massenproduktiven Anwendung zurechtkommt. Sonst wird der Staat diese Aufgabe nicht lösen können. Man kann es gut in dieses alte Schema einreihen.
Über eines sollte in diesem Hause auch bei künftigen Diskussionen Klarheit bestehen, sei es beim Haushaltsplan - da werden wir es ja erleben -, sei es bei der Diskussion über die Sanierung der Bundesbahn über die Erhöhung der Gebühren und Tarife oder bei der Diskussion über die Sanierung der Bundespost durch Erhöhung der Gebühren und Tarife. Es sollte keinen Zweifel darüber geben, daß ein echtes Konkurrenzverhältnis zwischen Gegenwartskonsum und Zukunftsvorsorge besteht, zwischen Sozialkonsumausgaben der Gegenwart und Sozialinvestitionen der Zukunft. Wer immer von Prioritäten spricht, muß sich darüber im klaren sein, daß er die Aufgabe hat - ich sage hier nur ein kritisches Wort an unsere eigene Adresse im weitesten Sinne des Wortes -, den Schwerpunkt des Ausgabenzuwachses nicht mehr auf konsumfördernde Leistungen der Gegenwart zu legen, sondern wegzuverlagern auf Sozial- oder Zukunftinvestitionen, die erst einem Zukunftskonsum der übernächsten Generation dienen werden.
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So habe ich jedenfalls, meine Damen und Herren von der Opposition, damals Ihren heute leider durch Krankheit verhinderten Fraktionsvorsitzenden Fritz Erler verstanden, als er, wie ich meine, bei der Aussprache über die erste Regierungserklärung Erhards sagte, daß Sozialpolitik von heute nicht mehr Notstandspolitik, sondern Wohlstandspolitik sei. Und Wohlstandspolitik schließt alle Elemente zur Sicherung, Erhaltung und Ausbau des Wohlstandes ein, auch in zukünftige Generationen hinein. Herr Kollege Rutschke hat das in einigen konkreten Beispielen angedeutet. Vor der Frage stehen wir alle.
Aber - ich sage es nicht im demagogisch-polemischen Sinne, ich meine es jedenfalls nicht so -: Wie wird sich die Opposition verhalten, wenn es darum geht, die Höhe des beinahe 3 Milliarden DM betragenden Bundeszuschusses an die Bundesbahn dadurch abzubauen, daß man bei der Bundesbahn
nach Abzug ihrer politischen Lasten eine kostendeckende Betriebsführung verlangt? Bei der Post ist es das gleiche. Oder nehmen wir die Forderung: Mehr Geld für die Gemeinden! Mehr Geld für diesen oder jenen, sicherlich berechtigten, verständlichen und gar nicht zu leugnenden sozialen Zweck! Aber da beginnt dann die Frage: Kindergeld, Ausbildungshilfe, Grüner Plan, Zinssubventionen, Zuschüsse für den Wohnungsbau, Zuschüsse für Rentenversicherungsträger! Wo setzt man hier die Priorität? Hier beginnt eigentlich erst das, was man politische Verantwortung nennt. Das andere ist mehr oder minder politisches Bekenntnis, für uns wie für Sie.
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Also: Welche Prioritäten? Ich stelle jetzt gleich diese konkrete Frage, die auch der Kollege Jahn in seinem Exposé über die Verhältnisse in einem Marburger Institut gestellt hat. Dabei erinnere ich mich an die Diskussion, die wir am letzten Freitag als politische Partei mit dem gleichen Kreis gehabt haben, der heute immer angesprochen worden ist: Rektorenkonferenz, Wissenschaftsrat, Max-PlanckGesellschaft, Deutsche Forschungsgemeinschaft. Dort tauchte auch die Frage nach den 350 bzw. 530 Millionen DM auf.
Nun hat der Kollege Althammer gesagt - und das ist keine Frage, wo man jetzt sagen kann: hier steht die Union bzw. die Koalition, und da steht die Opposition -, 69,4 Milliarden DM seien der ursprüngliche Ansatz gewesen, wie er uns bei Beginn der Beratungen über das Haushaltssicherungsgesetz bekannt gewesen ist. Dann sind im Kabinett 300 Millionen DM abgezogen worden. Das ergibt 69,1 Milliarden DM. Dann hat Herr Kollege Althammer als sicher unterstellt, daß vom Einzelplan 31 nichts gestrichen werden würde, daß man aber die Absicht habe, bei den anderen Haushalten zu streichen, um den Betrag von 69,1 Milliarden DM noch zu unterschreiten. Hier beginnt unsere politische Überlegung und Verantwortung. Wollen wir diese Streichungen zu dem Zweck verwenden, den Gesamtumfang des Haushalts herabzusetzen, um die preissteigernden Wirkungen einer allzu großen Zuwachsquote zu dämpfen - die man auch nicht immer als allzu tragisch, als Gespenst an die Wand malen darf -, oder wollen wir, wofür ich mich - das will ich schon hier sagen - auch innerhalb meiner Fraktion aussprechen werde, einen Teil der für möglich gehaltenen, beabsichtigten und hoffentlich kommenden Kürzungen dazu benutzen, den Titel von 350 Millionen DM in Richtung 530 Millionen DM optimal aufzustocken? Dabei kann ich hier nicht sagen, wo die Grenze sein wird, bei der man dann anlangt; ich hoffe, weit über dem Satz von 350 Millionen DM, und ich nehme an, wenn wir zusammenarbeiten und uns das Leben nicht durch polemische Ausnutzung unpopulärer Entscheidungen gerade im Jahr der Kommunal- und Landtagswahlen schwer machen, zwischen 350 und 530 Millionen DM, hoffentlich näher bei 530 als bei 350 Millionen DM.
({7}) Das ist die einzige Frage, um die es hier geht.
Ich möchte nicht den hessischen Landeskulturtag verlängern, der heute hier stattgefunden hat, obwohl ich den Kultusminister von Hessen hier in erster Linie als den Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz und nicht als den hessischen Kultusminister sehe. Aber nur einen einzigen Satz dazu; es wäre ja manches dazu zu sagen. Meinen Sie nicht, daß im Großen Hessenplan die Prioritäten doch etwas falsch gesetzt worden sind, wenn diese Zustände, wie sie Kollege Jahn geschildert hat, in Marburg möglich sind?
({8})
Wir haben bei dem Gespräch mit den Wissenschaftlern festgestellt, daß man heute von Bundesregierung und Parlament politische Entscheidungen erwartet. „Politische Entscheidungen" heißt nicht, einen Antrag anzunehmen, von 350 auf 530 Millionen DM zu gehen. Dabei ging die Bedarfsschätzung der Kultusminister, glaube ich, sogar über die Grenze von 700 Millionen DM hinaus. „Politische Entscheidungen" heißt, mit der Annahme oder der Behandlung dieses Antrags gleichzeitig, pari passu, eine politische Entscheidung zu treffen, entweder prozentual gleichmäßig an vielen Stellen oder an einer Stelle, wo man den Mut hat, und die Möglichkeit sieht, es zu tun, abzustreichen, um dort anzuhängen.
({9})
Das ist die Entscheidung, die von den Vertretern von Wissenschaft, Forschung und Lehre mit Recht von uns verlangt wird.
Ich sage gar nicht, daß diese Professoren übertriebene Forderungen stellen, daß ihr Wort, daß ihre Warnungen nicht ernst genommen werden sollen. Ich weiß - entschuldigen Sie, daß ich es ausnahmsweise für Bayern sage; ich kenne nur diese Zahl -, daß in den letzten Jahren der Zustrom zu den Gymnasien um 16 % im Jahr zugenommen hat und zu den Realschulen und Mittelschulen um 25 %. Das läßt darauf schließen, daß ab 1970 oder 1972, unterstellt, daß die gleiche Quote an die Hochschulen geht, unterstellt, daß sie nicht in andere Berufe abwandert, unterstellt, daß sie das Berufsziel erreicht, unterstellt, daß die gleiche Quote hochschulfähig wird und hochschulwillig ist, an den Hochschulen derselbe Stau entsteht, den zu überwinden wir allmählich hoffnungsvolle Anzeichen und auch echte Fortschritte sehen. Aus diesem Grunde nehmen wir sehr ernst, was uns von dieser Seite gesagt worden ist.
Wir wissen auch, daß die Länder ihren Anteil nicht mehr beliebig erhöhen können. Sie können höchstens in einem dringenden Notfall, wie er in Marburg vorzuliegen scheint, einmal nach dem Subsidiaritätsprinzip einspringen; sonst müßte der Bund nach dem Subsidiaritätsprinzip im Sinn und Geist der Verfassung einspringen. Aber die Länder können hier nicht mehr, weil das heute über ihre Kräfte geht. Sie haben heute mit Recht von den Prozentsätzen gesprochen, Herr Kultusminister Schütte. Die Vermehrung des Personals und die mit Recht wesentlich höher gewordene Besoldung des
gesamten Personals liegt natürlich als schwere Last auf den Kassen der Länder. Dadurch ergibt sich eine Verschiebung der Prozentsätze, die keine moralischen Wertungen zuläßt, sondern einfach nur faktische Feststellungen.
Aus den Gesprächen mit den Wissenschaftlern haben wir ein zweites entnommen: daß nämlich die Wissenschaftler sehr, sehr zurückhaltend sind, was längerfristige Forschungspläne betrifft. Professor Butenandt hat sich bei dieser Diskussion - ich glaube nicht, daß ich eine Indiskretion begehe, wenn ich ihn zitiere; er wird das sicher auch öffentlich überall sagen - dafür ausgesprochen, nur Forschungspläne von zwei, längstens drei Jahren aufzustellen. Er hat darauf hingewiesen, daß das, was vor fünf Jahren der Schwerpunkt schlechthin zu sein schien, heute schon im Hintergrund steht, und daß Dinge, die vor wenigen Jahren noch unbekannt waren, heute als große wissenschaftliche Zukunftsaufgaben vor uns stehen. Er nannte in diesem Zusammenhang Biophysik, Plasmaphysik und ähnliche Dinge. Er sagte, daß man in jedem Jahr wieder den Forschungsplan revidieren müsse, um dann auf zwei Jahre genauer und auf drei Jahre gröber wieder vor-ausrechnen zu können. Er hat aber auch, und das war mir interessant, davor gewarnt - alle haben davor gewarnt -, einen festen Prozentsatz des Bruttosozialprodukts zu nennen. Denn bei der gegenwärtigen Zuwachsquote von 20 % im Jahr könnte eines Tages eine feste Quote des Bruttosozialprodukts eine würgende Grenze darstellen, die dann keine Ewigkeitsgrenze sein dürfte. In Amerika habe sich in den Jahren der Rezession die Bindung an einen festen Prozentsatz des Sozialprodukts dahin ausgewirkt, daß Wissenschaft und Forschung die trotz der Rezession und gerade zur Überwindung der Rezession notwendige Zuwachsrate nicht bekommen hätten.
Man sollte deshalb - das ist die Bitte an die Bundesregierung, Herr Minister Stoltenberg - der Wissenschaft für zwei Jahre genau und für drei bis fünf Jahre in ungefähren Grenzen, ohne daß man Bruttosozialprodukts-Prozente angibt, sagen, womit sie voraussichtlich disponieren kann. Denn der Staat ist bei seiner Haushaltsplanung und der Gestaltung des Haushaltsrechts ja nicht in der Lage, sprunghafte Anforderungen, die entstehen mögen, ohne weiteres zu bewältigen.
Hier kommen wir auch in die Frage hinein, daß wir gerade auf diesem Gebiet mit einjährigen Haushalten nicht mehr auskommen, daß wir zweijährige Haushalte brauchen
({10})
und daß das Haushaltsrecht jetzt wirklich einmal reformiert werden muß. Man muß auch hier mit einigen überlebten Vorstellungen aufräumen; man muß sich dazu bekennen, der Selbstverwaltung der Wissenschaft - wie es bei der Max-Planck-Gesellschaft ja weitestgehend geschehen ist - die Übertragbarkeit und die gegenseitige Deckungsfähigkeit der Mittel ohne schikanöse bürokratische Grenzen zu bewilligen.
({11})
Denn dann wird es unter Umständen sehr wohl möglich sein, daß ein Objekt, das auf einmal aus der Priorität 1 in die Priorität 3 zurückfällt, gestrichen oder zurückgestellt werden kann, die dafür bereitgestellten Mittel aber nicht etwa verfallen oder nur durch ein ganz schwieriges, einen riesigen Papierkrieg erforderndes Bewilligungsverfahren für ein anderes Projekt, dessen Priorität inzwischen in den Vordergrund gekommen ist, verfügbar gemacht werden können.
Ich glaube auch, daß die nach der Reichshaushaltsordnung auferlegten Bewilligungsbedingungen, erheblich vereinfacht werden müssen. Das ist eine berechtigte Klage der Wissenschaftler von heute, daß ein großer Teil ihrer für Forschung und Lehre bestimmten wertvollen, und ich hoffe, auch gut bezahlten Arbeitszeit für die Erledigung von Arbeiten verwendet werden muß, die normalerweise ein Beamter des mittleren oder gehobenen Dienstes versehen kann, nämlich Verwaltungsarbeiten im Nachweis der richtigen Verwendung der von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellten Mittel.
Hier auch eine Bitte, die ich aus derselben Unterhaltung entnehme: die Bitte, daß die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder, die die rechtmäßige und zweckmäßige Verwendung der Mittel zu prüfen haben, für diesen Zweck qualifiziertes und geschultes Personal abstellen. Man hört immer wieder die Klage - sie hat nichts mit Akademikerdünkel oder Bildungsprivileg zu tun -, daß die Prüfung der Verwendung von Mitteln der öffentlichen Hand auf diesem Gebiet eine besondere Vorbildung, aber auch eine besondere Einstellunng verlangt; eine Einstellung, die nicht etwa ins Generöse und Verschwenderische gehen soll, aber die Akzente richtig setzen und die Reihenfolge richtig erkennen kann. Sie werden verstehen, warum ich mich hier sehr vorsichtig ausdrücke.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch einige wenige Gedanken. Es ist heute, abgesehen von der Frage des Hochschulbaues von Forschung und Entwicklung gesprochen worden. Ich habe mit Freude festgestellt, daß eine in Amerika selbstverständlich gewordene Erfahrung auch bei uns heute communis opinio ist, nämlich die Überzeugung, daß Forschung und Entwicklung nicht voneinander getrennt werden können. Es gibt wohl eine zweckfreie Forschung, hinter der es keine Entwicklung gibt - es gibt dafür auch eine Reihe von sehr geistvollen Definitionen; ich möchte Sie hier nicht mit ihrer Verlesung langweilen -; aber im allgemeinen und im weiten Bereich werden Forschung und Entwicklung miteinander verbunden werden müssen; werden sie nicht nur an staatlichen Instituten, an Hochschulinstituten, sondern zum Teil auch bei der Wirtschaft getätigt werden müssen, wie es gerade auch in dem weiten Bereich der Verteidigungsforschung und ihrer zivilen Anwendungsmöglichkeiten in den Vereinigten Staaten von Amerika der Fall ist. Hier wird man auch eine Rationalisierung und Koordinierung anstreben müssen.
Ich glaube, wir alle sollten doch im Bundesinteresse - und wer heute im Bund nicht an der Verantwortung ist, der kann es morgen sein und steht dann vor dem gleichen Problem - das Leben von morgen nicht allzu sehr erschweren, das wir ja haben wollen, und deshalb einsehen, daß der Bund einen legitimen Anspruch darauf hat, nicht nur als Selbstbedienungsladen in Anspruch genommen zu werden, sondern auch daß die Mittel, die er subsidiär beizuschießen hat, nach gesundem Menschenverstand und nicht nach Sonderambitionen auch gewisser wissenschaftlicher Stars verwendet werden.
({12})
Ich könnte hier manches Beispiel nennen, wo das Institut für den Professor gebaut werden muß und wo auch ganz bestimmte Wünsche damit verbunden werden. Wenn ich Sie anschaue, Herr Kollege Jahn, dann meine ich damit nicht die Verhältnisse in Marburg, sondern dann meine ich bestimmte Dinge auf kernphysikalischem Gebiet. Aber warum Verstimmungen schaffen? Wen es betrifft, der freut sich, wenn sein Name nicht genannt worden ist.
Es wird heute auch nicht mehr möglich sein, selbst nicht in der Grundlagenforschung, die sich ja nicht mehr im stillen Denkerstübchen vollzieht wie bei Demokrit oder bei Einstein, sondern die heute schon große Apparaturen und Ausstattungen erfordert, an jeder Universität oder jeder Technischen Hochschule alles gleichzeitig zur Verfügung zu haben. Hier kommt man ohne eine gewisse überregionale Koordinierung nicht mehr aus. Ich möchte, gerade weil ja gerade die Vertreter der CSU mit Föderalismus, in Klammern: Partikularismus, in Verbindung gebracht werden - das ist ein beliebtes Schlagwort geworden; siehe Annahme und Nichtannahme des Grundgesetzes -, diesen Grundsatz als einen Sachzwang herausstellen, dem gegenüber gewisse liebgewordene Vorstellungen weichen müssen. Denn dort, wo der Sachzwang zwingend und unabweisbar ist, kann man nicht an Buchstaben und Prinzipien festhalten, -({13})
selbstverständlich im Rahmen des gegebenen Rechts.
Wenn aber von Forschung und Entwicklung die Rede ist, dann möchte ich doch etwas zum Ausdruck bringen dürfen, was vielleicht nicht ungeteilten Beifall findet, nämlich die Überzeugung, daß Forschung und Entwicklung auf gewissen Gebieten nicht zu verantworten sind, wenn man dahinter nicht die Möglichkeit einer Produktion setzen kann, die die Garantie gibt, daß die im Sektor Forschung und Entwicklung ausgebildeten Kräfte dann auch in der Produktion tätig werden können. Die Bundesrepublik - was ich jetzt sage, wird vielleicht manchen überraschen und vielleicht manchen zum Widerspruch provozieren - hat heute auf gewissen fortschrittlichen technischen Fachgebieten noch nicht in ausreichendem Maße Bedarf für junge Wissenschaftler. Das gilt z. B. für gewisse Bereiche der modernen Elektronik. Auch auf dem Gebiet der Raumfahrt liegen die Verhältnisse ähnlich. Die Bundesrepublik entwickelt bis jetzt keine Raumfahrtantriebssysteme, sie entwickelt auch fast keine Triebwerksysteme für Luftfahrzeuge. Was hat es für einen Sinn, junge Wissenschaftler als Flugzeugbauer, als Motorenbauer, als Raketenkonstrukteure
auszubilden, wenn wir nicht durch ein System einer national geschlossenen Wissenschafts-, Entwicklungs-und Produktionspolitik diesen jungen Leuten den ideellen Anreiz geben, auf ihrem Fachgebiet auch später in der Heimat arbeiten zu können? Das ist doch eine ungeheuer schwierige Frage, und wir laufen doch Gefahr, wenn wir auf die dritte Komponente verzichten, daß wir diese Leute nach einer gewissen Ausbildungs- und Assistentenzeit in das Ausland treiben, weil bei uns keine Beschäftigungsmöglichkeit dafür gegeben ist. Man sollte den Anreiz für Wissenschaftler - nicht nur für junge Wissenschaftler - nicht allein unter materiellen Vorzeichen sehen, von wem sie ein paar hundert Mark mehr im Monat bekommen, sondern auch unter gewissen ideellen Vorzeichen der Arbeitsmöglichkeit im eigenen Lande.
({14})
Sonst bilden wir junge Wissenschaftler in Deutschland aus - vielleicht nicht vollkommen, aber weitgehend -, deren Wissen und Können dann ausländischen Volkswirtschaften zugute kommen. Ich bin sehr für kosmopolitische Einstellung, aber im internationalen Konkurrenzkampf hat alles auch seine natürlichen und bis zu einem gewissen Grade sicherlich auch national-egoistischen Grenzen.
Ähnlich liegen die Dinge auf dem Gebiet der modernen Materialerzeugung und der Materialverarbeitung. Wenn Vertreter der deutschen Industrie in gewisse amerikanische Betriebe kommen, dann stellen sie fest, daß sie nicht in der Lage sind, gewisse Materialien zu erzeugen, z. B. nicht in der Lage sind, die moderne Titantechnik, die für das Drei-Mach-Flugzeug erforderlich ist, zu beherrschen. Hierfür fehlen bei uns noch die Voraussetzungen, und diese Voraussetzungen müssen geschaffen werden. Das hängt mit dem ganzen Komplex der Entwicklung und Produktion moderner NE-Metalle zusammen, mit dem ganzen Komplex der mechanischen Technologie. Das ist nicht eine Frage - Herr Kollege Lohmar, ich sage das nicht etwa, um Sie anzugreifen -, bei der es etwa nur um nationale Prestigefragen geht, bei der es etwa im klassischen Sinne des Wortes um die Rangordnung geht, zu den Großen in dieser Welt zu gehören. Die modernen Materialien, ihre Legierungen, ihre Bearbeitung und ihre Verarbeitung, die Antriebssysteme, die ganze Miniaturtechnik und Mikrominiaturtechnik, wie sie heute gerade in der Raumfahrt benötigt wird, dienen ja nicht etwa dazu, Waffenträger zu schaffen, die der Menschheit den Garaus machen können, sondern sie gewähren ja auch dem, der sie beherrscht, einen wirtschaftlichen Vorteil, der sich im internationalen Konkurrenzkampf, im Kampf um die Exportmärkte und in der sozialen Lebenshaltung des Volkes zu Hause zwangsläufig auswirken muß.
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Deshalb müssen wir uns auch gerade an der Grenzlinie, Herr Bundesminister Stoltenberg, wo Staat und Wissenschaft und Wirtschaft ineinander übergreifen - ich weiß, daß ich jetzt ein Tabu aufgreife, gegen das ich als Minister nur minimale Geländevorteile erkämpft habe; sicherlich hing die Sache mit allgemeinen Animositäten gegen die Materie an sich zusammen -, darüber im klaren sein, daß wir im Bundesbereich mit den Methoden der GGO - das gilt für Ihren Bereich und das gilt für den Bereich der Verteidigung - nicht mehr auskommen. Die GGO, die Gemeinsame Geschäftsordnung, gilt für ein nationales Verwaltungssystem der 20er Jahre dieses Jahrhunderts, aber sie gilt nicht mehr für die Erfordernisse von heute.
Ich möchte auch auf die Gefahr hin, als Gegner der juristischen Ausbildung zu gelten, sagen, daß bei uns gerade auf diesem Gebiet der technisch ausgebildete Beamte nicht mehr so ein Nebenlaufbahnbeamter de facto sein und bleiben darf, sondern daß er genauso wie der moderne Betriebswirt oder Soziologe vollwertig in die Laufbahnordnung eingegliedert sein und gleiche Beförderungsmöglichkeiten haben muß.
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Sicherlich stehen wir hier vor der Frage: Können wir heute noch alles machen? Meine Damen und Herren, wenn wir für die Bundesrepublik Raum, Zahl der Menschen, Wirtschafts- und Finanzkraft, Infrastruktur, Begabungsreserve ansehen und das einmal als Faktoren nebeneinander halten, dann müssen wir zugeben, daß wir nicht mehr auf allen Gebieten aktiv in Forschung und Entwicklung tätig werden können, um das Gebiet des heutigen Standes von Naturwissenschaft und Technik in seiner Gesamtheit zu überblicken und zu behandeln. Die Frage: Können wir das? kann nur mehr mit Nein beantwortet werden. Forschung und Entwicklung kann man aber nur dann produktiv betreiben, wenn es das Fachgebiet in diesem Lande schlechthin gibt. Sonst kommt man über Grundlagenforschung nicht hinaus, und die ist auch schon zu kostspielig geworden. Wir haben eine bestimmte Kapazität, aber um den Gesamtstand der heutigen Technik bearbeiten und erfassen zu können, muß man eine Kapazität haben, die über dem allgemeinen Niveau liegt. Das haben wir nicht. Man kann unter ein bestimmtes Niveau nicht heruntergehen. So liegen wir in diesem Moment. Es liegt auf der Hand, daß gerade die Bundesrepublik Deutschland auf Grund ihrer Struktur und ihrer Wirtschaft sich nur durch Produktionsergebnisse präsentieren kann, die geistig über dem Niveau liegen. Wir können nicht billiger produzieren, weil wir weder billigere Energie, noch billigere Arbeitskräfte haben. Wir müssen besser - was die Qualität und die Komponente des technischen Fortschritts betrifft - produzieren.
Es gibt keinen Zweifel, daß der Zeitraum zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis, technischer Entwicklung und massenindustrieller Anwendung sich immer mehr zusammenschiebt und nicht mehr die großen Spannen umfaßt, die noch in der Generation unserer Väter selbstverständlich waren. Deshalb sollten wir in der internationalen Zusammenarbeit einen sehr realistischen und nüchternen egoistischen Weg verfolgen. Wir sollten mit unseren Partnern, vor allen Dingen den USA, Großbritannien und Frankreich, regelmäßig den Gesamtstand der Technik in den Ländern überprüfen und nach dem Prinzip des „do ut des" arbeiten.
Ich rede jetzt gar nicht von den Nachteilen unserer heutigen Lizenzbilanz und davon, daß wir dreiviertel Milliarden für die Lizenzen zahlen und nur eine viertel Milliarde einnehmen; das würde uns noch nicht umbringen. Wir können aber auf die Dauer, wenn sich diese Relation noch mehr verschlechtert, nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren, weil wir, wie gesagt, weder billigere Energie noch billigere Arbeitskräfte haben.
Ich wage auch die kühne Behauptung auszusprechen, daß man die Mittel für kostspielige Entwicklungen, selbst wenn sie den Laien als hinausgeworfen erscheinen, nicht scheuen soll. Die Lizenznahme allein verbürgt noch nicht die Übernahme des „know how", wie es heute heißt. Das Patent gibt zwar die Formel, aber noch lange nicht das geistige und handwerkliche Können, um mit dieser Formel zu wachsen und sie weiterentwickeln zu können. Darum haben die anderen in ihren Militärhaushalten - nicht, weil sie größenwahnsinnig oder nationalistisch sind - einen wesentlich größeren Prozentsatz an Mitteln für Forschung und Entwicklung eingesetzt, als wir es bisher getan haben. Hier können wir nur nach dem Prinzip des „do ut des" arbeiten, weil wir sonst unsere berechtigten nationalen Interessen schädigen.
Ein letztes Wort, Herr Bundesminister Dr. Stoltenberg. Sie haben angekündigt, daß der Schlüssel - national und international - von 40 : 60 auf 1 : 1 geändert werden soll. Sie wagen nicht, mehr in Aussicht zu stellen. Aber die Bitte nehmen Sie sicher entgegen: Auf lange Sicht - und zwar in nicht allzu vielen Jahren - müssen Sie einen Schlüssel von 2 : 1 erreichen, nämlich zwei Drittel für eine national geschlossene Wissenschafts- und Entwicklungspolitik und ein Drittel als Beitrag für internationale Organisationen. Franzosen und Engländer haben etwa das gleiche Verhältnis. Ich denke hier an ESRO und ELDO. Hier kommt es nicht darauf an, möglichst viel nach dem Prinzip „do it yourself at home" zu arbeiten - „klein, aber mein" ; es kommt darauf an, daß wir uns die wissenschaftlichen Teams und die mit ihnen verbundenen Kapazitäten erhalten, die dann, wenn internationale Programme - wie es uns bei ELDO gegangen ist - umgestellt werden müssen, durch die Fortsetzung des nationalen Grundprogramms weiterhin beschäftigt werden können; sie dürfen nicht über Nacht sich einfach zerstreuen und dann wahrscheinlich unwiderruflich in Fertigungsindustrien verschwinden.
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Das ist doch eines der Dinge, wo wir uns nicht mehr von Komplexen der Vergangenheit unter Druck setzen lassen sollten. Wenn wir als gleichberechtigtes Volk leben wollen, dann müssen wir auch die Mittel der modernen Technik, die man zum Segen der Menschheit einsetzen will, in den Dienst unseres Volkes stellen dürfen.
Der amerikanische Botschafter hat vor kurzem in einer Rede - ich glaube in der Bonner Universität; ich habe den Artikel in der „Welt" gelesen - die bilaterale Zusammenarbeit zwischen den USA und den einzelnen europäischen Ländern - etwa auch
die Zusammenarbeit zwischen der USA und dem ESRO- und ELDO-Programm - begrüßt. Aber diese Zusammenarbeit muß zwei Ziele verfolgen. Sie muß, was Europa betrifft, das Ziel verfolgen, daß Europa nicht eine Addition bilateraler Partner für die USA bleibt, sondern e i n Partner für die USA wird, und zweitens, daß die USA uns nicht nur für die Weltraumforschung, sondern auch für die Weltraumfahrttechnik ihr volles „know how" zur Verfügung stellen. Wir danken für die Möglichkeit, von Kap Kennedy die Raketen für ELDO und ESRO abschießen zu dürfen, die Meßergebnisse zu erhalten, die Auswertungen zu bekommen, sie mit den Amerikanern zu teilen. Aber wir wollen von dem, was nicht zuletzt infolge der tragischen europäischen Emigration an Grundlagenforschung nach den USA gegangen ist, in der Periode der atlantischen Partnerschaft für uns wieder das bekommen, was wir brauchen, damit sich Europa neben den USA behaupten kann.
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Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die Vorstellungen, die ich mir erlauben wollte, bei dieser Debatte so kurz, wie es bei meinen Fähigkeiten möglich ist, darzulegen, damit auch diese Debatte wieder sowohl in den Gesamtzusammenhang der staatlichen Aufgabenstellung als auch in den Gesamtzusammenhang des großen Stroms der Geschichte, in der wir leben, hineingestellt werden kann.
({19}) (J
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Schiller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist gut, daß sich die Debatte in einem doppelten Sinne sachlich zugespitzt hat. Nachdem zunächst am Anfang durch die Fragen und ihre Beantwortung breite Fächer der Wissenschafts- und Bildungspolitik betrachtet wurden, kamen wir immer mehr auf eine sehr konkrete Frage, die heute und hier zu entscheiden ist. Es hat mich gefreut, daß auch der Abgeordnete Strauß, als er von den 180 Millionen DM sprach, um die es heute geht, selber zugegeben hat, daß heute und hier über diesen Punkt zu entscheiden ist. Wir wollen heute und hier darüber entscheiden und haben dazu einen Antrag vorgelegt. Nun hat es zwei verschiedene Wege gegeben, an dieser Entscheidung vorbeizugehen. Der eine Weg war der, daß man auf die künftigen Planungen hinwies - ich werde darüber noch zu sprechen haben -, und der andere Weg, Herr Kollege Strauß, waren die großen Visionen der künftigen Entwicklung, gegenüber denen diese „Bagatelle" von 180 Millionen DM gleichsam verschwand. Wir sind der Meinung - und das versuche ich jetzt nachzuweisen -, daß diese 180 Millionen DM ein Bestandteil auf dem Wege zu jenen Visionen sind, die heute abend hier aufgerissen wurden.
Wenn wir die gesamte Debatte betrachten, stellen wir fest: wir haben am Anfang den Bericht des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung als Antwort auf die Fragen gehört. Ich möchte sagen, es war ein Bericht des Mitglieds eines Vorstands, ein Vorstandsbericht sowohl im Volumen des Dargestellten als auch in der seriösen Trockenheit, in der Nüchternheit und auch in der Reserve, mit der der Vorstand eines größeren Konzerns die anderen, bei denen er, und zwar mit Minderheit, beteiligt ist, zu Investitionsbeschränkungen auffordert. Das war dieser Vorstandsbericht - mit Reserve gegenüber der Dynamik jener anderen, bei denen der Vorstand und dieser Konzern, zu dem der Vorstand gehört, beteiligt sind.
Meine Damen und Herren, das Dilemma, in dem sich dieses Vorstandsmitglied befand und befindet, wird dadurch deutlich, daß dieser Konzern und dieses Vorstandsmitglied an der Spitze einer Firma „Wissenschaft" stehen, die zu den Wachstumsindustrien katexochen gehört, die in der Zukunft ein Wachstum von 30, 40, 50 % pro Jahr aufweisen sollten. In dem Dilemma, in dem er sich befindet, hat er sich reserviert ausgedrückt und vermieden, zahlenmäßig von den zukünftigen Investitionsnotwendigkeiten dieser Wachstumsindustrie zu sprechen. Die Ergänzung, Herr Bundesminister Stoltenberg, die Ihrem Vorstandsbericht eigentlich fehlte, die Dynamik, die man bei dieser Wachstumsindustrie „Wissenschaft" doch verlangen mußte, haben Sie durch ein Korreferat bekommen, durch das Korreferat aus Ihrer Fraktion, gehalten durch den Abgeordneten Franz Josef Strauß.
({0})
Dieses Korreferat hat genau die Zukunftsbezogenheit gebracht, die in Ihrem Vorstandsbericht fehlte. Sie haben in dem Vorstandsbericht, wenn es um die Zukunft ging, immer gesagt: Das muß geplant werden. Sie haben recht; es besteht keine gemeinsame Planung des Bundes und der Länder. Ich werde darauf gleich zu sprechen kommen, und ich werde auch versuchen, im Verfolg dieser Debatte gewisse Fortschritte meines eigenen Denkens zu demonstrieren, was die Planung betrifft. Aber ich glaube, es wäre ein absolutes Verkennen der Bedeutung dieser notwendigen Planung zwischen Bund und Ländern, wenn Sie, Herr Bundesminister, die politische Entscheidung über Dinge, die durchgeplant sind, die geplant vorliegen, heute und hier vermeiden wollten. Das nenne ich Mißbrauch des ständigen Hinweises auf die notwendige Planung in der Zukunft.
Meine Damen und Herren, wir reden soviel über die Notwendigkeit der Entwicklung der Wissenschaft und über die Notwendigkeit eines mittelfristigen Planes. Das ist alles richtig. Wir haben aber Objekte vorliegen, die durchgeprüft sind. Wir haben einen Plan vorliegen, der probiert ist, der geprüft ist, der approbiert ist. Dieser Plan sieht 530 Millionen DM vor. Er ist vom Wissenschaftsrat bestätigt worden. Er ist dann gekürzt worden, und wir sind der Meinung, daß darüber heute und hier entschieden werden soll. Herr Bundesminister Stoltenberg und Herr Abgeordneter Strauß, die
Probe auf den Pudding besteht darin, daß man den Pudding ißt, - ein altes angelsächsisches Wort. Die Probe auf die ganze Zukunftsvision ist die, daß wir heute und hier diese Delle, diese Kürzung rückgängig machen.
Herr Stoltenberg hat in seinem „Vorstandsbericht" mit Stolz darauf hingewiesen, daß die Bewilligungen seines Ministeriums für Tit. 600 gestiegen sind. Die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat ihrerseits - ich glaube, mit vollem Recht - in einem Memorandum dargelegt, daß in all den Jahren die - allerdings erhöhten - Bundesmittel hinter den bestätigten Beträgen des Wissenschaftsrats zurückgeblieben sind. Die Liste geht los mit dem Jahre 1962 und einem Minus von 50 Millionen DM - also der bestätigte Bedarf und von ihm das abgezogen, was tatsächlich durch den Bund finanziert ist - im nächsten Jahr, 1963, 46 Millionen DM, im Jahre 1964 28 Millionen DM, im Jahre 1965 68 Millionen DM. Und nun reißt diese Lücke auf bis zu 180 Millionen DM für das Jahr 1966. Hier sehen wir jene Beschleunigung im Bedarf, und wir sehen, daß das, was der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung anteilig finanzieren soll, hinterherhinkt. Der Sprung von 281 Millionen DM auf 350 Millionen DM ist kein atemberaubender Quantensprung. Die Beschleunigung der Zielgröße des geprüften Bedarfs ist viel größer. Selbst wenn wir uns heute für diese weiteren 180 Millionen DM entscheiden - ich hoffe immer noch, daß wir es tun , können wir das Gesamtminus, das in den letzten vier Jahren zwischen bestätigtem Bedarf und tatsächlichem Bundes-Ist entstanden ist, nicht abdecken. Tatsächlich ist die Akzeleration des bestätigten Bedarfs weit größer gewesen. In diesem Fall fällt die Schildkröte hinter dem beflügelten Achill weit ab.
Der Minister ist indigniert. Er sei nämlich nicht verpflichtet, so sagt er, Einzelplanungen, die ohne Mitwirkung der Bundesregierung, ohne vorherige Aufnahme in ein Gesamtprogramm des Wissenschaftsrates, erfolgt seien, mit 50 % zu finanzieren. Wenn dem so wäre, müßte man dem Bundesminister für wissenschaftliche Forschung ohne Vorbehalt recht geben. Wenn er tatsächlich nur in den Zeitungen liest, daß da also neue Objekte entstehen, und er dann, ungeplant in diesem Fall, mit 50 % antreten muß, geht es natürlich nicht so mit halbe-halbe. Aber hier bei dieser Stelle - ich wage es immer noch einmal, darauf hinzuweisen - sind diese Objekte dem Wissenschaftsrat vorgelegt worden. Ja, es ist noch ein übriges getan worden. Es ist das schon einmal angedeutet, und ich fasse es nur noch einmal zusammen. Im Januar 1965 hat der Wissenschaftsrat dem Bund kundgetan, daß im kommenden Jahre 1966 der Bedarf für den Titel 600 auf mindestens 500 Millionen DM ansteigen werde. Das war im Januar 1965. Es besteht also nicht die Chance, daß der Bundesminister, der erst seit kurzem im Amt ist, durch Meldungen in den Zeitungen überrascht wurde; denn diese rechtzeitige Anzeige erfolgte früher. So ist also das, was hier vorliegt, durchaus im Sinne des Petitums des Ministers planerisch erfüllt. Natürlich ist es nicht Teil
798 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 19. Sitzung. Bonn, Donnerstag; den 10. Februar 1966
eines Gesamtplanes, aber Teil eines Planes, der durchdacht und auch schon reduziert ist.
Nun ist vom Minister gesagt worden, gemeinsame Planung zwischen Bund und Ländern sei notwendig. Der Wissenschaftsrat hat in diesem Fall gearbeitet. Damit kann man das nicht mehr als Begründung dafür anführen, daß diese 180 Millionen nachträglich abgelehnt werden. Aber der Minister spricht für die Zukunft, und da muß ich darauf hinweisen: institutionell hat auf diesem Gebiet der Gesamtplanung zwischen Bund und Ländern die Zukunft doch eigentlich schon begonnen! Seit dem hier so oft zitierten Abkommen. zwischen Bund und Ländern zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung vom Jahre 1964 besteht eine gemeinsame Kommission von Bund und Ländern, die sogenannte Kontaktkommission. Sie hat, wenn ich richtig orientiert bin, bisher den Herrn Bundeskanzler als Vorsitzenden. Diese Kommission ist im Dezember 1964 zu ihrer Konstituierung zusammengetreten. Meine Damen
und Herren, was soll dann das Rufen in die Länder hinein nach Gesamtplanung, wenn in einer entscheidenden Phase und in einem entscheidenden Bereich der Bund selber die Klinke in der Hand hat, nämlich diese Kommission von Bund und Ländern, und diese Klinke nicht benutzt? Sie könnten jeden Tag die Kontaktkommission zwischen Bund und Ländern zusammenrufen, wenn Sie den Herrn Bundeskanzler zu diesem ja nicht gerade weltbewegenden Entschluß ermutigen könnten. Also versuchen Sie es doch! Sie hätten es schon längst tun können.
Zum andern, meine Damen und Herren, ist die Kürzung einer vorgeprüften Summe ein Beispiel dafür, wie man dem Votum des hier so oft zitierten Sachverständigenrates für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht folgen sollte. Der Sachverständigenrat hat nämlich nicht für eine schematische Kürzung aller einzelnen Titel des Bundeshaushalts und der Haushalte der Länder plädiert. Er hat eine globale Kürzung der Zuwachsraten auf 6 % empfohlen. Er hat aber ausdrücklich in seinem Gutachten unter Ziffer 281 - und jeder kann das nachlesen; sie steht in Kapitel IV - eine Ausnahme gemacht, und zwar genau für das Gebiet, über das wir heute den ganzen Tag sprechen. Er hat dabei noch gewarnt, indem er nämlich sagt, daß sich diese Aufwendungen für Forschung und Entwicklung äußerlich, technisch für Kürzungen eignen. Er hat im ganzen Kapitel IV ausdrücklich davor gewarnt, Strukturinvestitionen, d. h. Investitionen, die den Wandel unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft in die Zukunft hinein tragen, schematisch zu reduzieren. Mit dem Kürzen auf eine globale Ziffer herunter hat die Bundesregierung des Kanzlers Erhard immer sehr viel Pech gehabt. Sie haben aus den verschiedenen Möglichkeiten - den Eindruck habe ich -, so auch bei diesen 180 Millionen, immer die Größe herausgesucht, die Ihnen nachträglich dann den maximalen Ärger macht. Das ging damals, 1963/64, in der ersten Runde mit den Kriegsopfern los und hat sich danach fortgesetzt. Sie, der Bundeskanzler oder sein Bundesfinanzminister, versuchen immer, mit dem geringsten Aufwand an der Stelle zu kürzen, die sozusagen den größten Multiplikator für die maximale Malaise, die anschließend entsteht, darstellt. Die maximale Malaise haben Sie jetzt. Die 180 Millionen verteilen sich auf 114 Objekte, auf 31 wissenschaftliche Hochschulen; sie berühren über 200 000 Studenten und machen Ihnen Ärger. Warum? - Meine Damen und Herren, ich sage das nicht, weil damit, mit dem, was jetzt an Ärger entsteht, alles überdeckt werden soll, was die Länder von sich aus zu machen haben und in dem einen oder anderen Fall vielleicht auch mehr zu tun hätten, sondern weil die Beträge, die hier gekürzt werden sollen, für die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Forschung in besonderem Maße wesentlich sind. Es sind Schlüsselsummen, es sind Grenzbeträge. Neue Objekte fallen aus, wenn diese Grenzbeträge ihrerseits gekürzt werden. Es sind in vielen Fällen, ich glaube sogar in der Mehrzahl der Fälle, Fortsetzungsbeträge. Das bedeutet, daß im Fluß der Investitionen Unterbrechungen entstehen. Diese Lücken wiederum bedeuten erhöhte Unkosten und reduzierte gesamtwirtschaftliche Produktivität.
Damit komme ich wieder auf das Mißverständnis, das bei dieser Kürzung im Blick auf das Sachverständigengutachten geherrscht hat. Meine Damen und Herren, Stabilität, Ringen um Stabilität, das geht doch nicht allein durch Nachfragebeschränkung. Dann könnte man einfach schematisch überall bei den großen Aggregaten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung soundso viel Prozente herunterstreichen. Gleichzeitig muß doch eine solche Stabilisierungsaktion mit Maßnahmen der Angebotssteigerung verbunden werden. In der heutigen Debatte, schon in der Debatte über die Regierungserklärung, ist immer wieder gesagt worden: Wir brauchen die großen Investitionen in die Infrastruktur; wir brauchen den Ausbau der Einrichtungen für wissenschaftliche Forschung. Allas das sind entscheidende Schritte zur Hebung der volkswirtschaftlichen Produktivität.
Das letztemal wurde, glaube ich, von Herrn Strauß der Herr Fucks mit seinen „Formeln der Macht" erwähnt. Herr Strauß, ich kann nur ganz konkret sagen: Die Formeln der Macht - das wissen Sie - im wissenschaftlichen und im menschlichen Bezug sind sehr kompliziert und sehr umfassend. Aber was die Formeln der Macht im Sinne der Entfaltung der wissenschaftlichen Ausstattung und der wissenschaftlichen Produktivität eines Volkes betrifft, so gehört dazu in diesem Sinne, daß der Fluß der Entwicklung nicht unversehens unterbrochen wird. Das heißt, um es ganz spitz und ganz einfach auszudrükken: Auch in Ihren Formeln der Macht, die Sie zitiert haben, steht der Titel 600 mit den vollen Summen von 530 Millionen. Brechen Sie den heraus, dann fehlt ein Glied in dieser Entwicklung.
({1})
Herr Strauß, Sie waren - wenn ich das sagen darf - in der Schilderung der Notwendigkeit der Betonung dieser strukturellen Gesichtspunkte in der ersten Hälfte Ihres dynamischen Korreferats - gegenüber dem statischen und staatlichen Vorstandsbericht - sehr progressiv. Sie bogen ab und wurden leider nicht mehr so progressiv, als Sie von dem „Inselhüpfen" anfingen. Ich möchte Ihnen empDr. Schiller
fehlen, den ersten Teil Ihres Korreferats doch in Zukunft noch stärker zu beherzigen und in dieser progressiven Linie weiterzumachen.
Sie sprachen von Prioritäten. Damit, meine Damen und Herren, kommen wir auf die entscheidende Frage: Was geschieht heute, wenn wir über diesen Antrag, der hier vorliegt, von seiten meiner Fraktion positiv befinden? Natürlich, wir fällen damit eine Entscheidung über eine Rangordnung, und zwar eine Entscheidung in dem Sinne, wie es Herr Stoltenberg gesagt hat, daß diese Aufgaben erstrangig seien: 180 Millionen, und damit auch die volle Summe, die der Wissenschaftsrat für notwendig hält. Nun fragen Sie - und ich warte eigentlich auf diesen Zwischenruf - nach dem Deckungsvorschlag. Zu den 180 Millionen und ihrem Deckungsvorschlag darf ich ganz präzise sagen: Wir haben noch nicht den gesamten Bundeshaushalt formaliter überreicht bekommen.
({2})
- O, dann wären wir sehr viel glücklicher, Herr Moersch. Dann würden wir Ihnen heute, wenn wir den Bundeshaushalt hätten, einen konkreten Dekkungsvorschlag, zusammengesetzt aus einigen Titeln, unterbreiten; gar kein Zweifel.
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Professor Schiller, wollen Sie damit sagen, daß Sie doch sehr viel beschlagener sind als Ihre Kollegen im Bundesrat, die bereits den Haushalt vorliegen hatten und es offensichtlich nicht geschafft haben?
Der Bundesrat hat wohl im ersten Durchgang, wie so oft, in seiner großen föderalen Güte gesagt: laissez faire, laissez passer; wir sehen uns am Rücklauf wieder!
({0})
Nun, lassen wir den Bundestag doch erstmal vorangehen.
({1})
Eine weitere Frage, Herr Professor Schiller?
Sind Sie darüber unterrichtet, daß Ihre Darstellung doch nicht ganz den Tatsachen entspricht; daß nämlich der Bundesrat in anderen Punkten wesentliche Änderungsvorschläge gemacht hat?
In dem Punkte der Wissenschaftsförderung hofft er nach meiner Meinung bei seinem „Laissez faire, laissez passer" eben auf die höhere Einsicht der Ersten Kammer, nämlich des Deutschen Bundestages.
({0})
So sind wir uns, glaube ich, völlig einig. Deshalb
wäre es eigentlich gelacht, wenn Sie heute abend
von Ihrem Standpunkt aus diesem unitarischen
Vorschlag von 180 Millionen DM nicht Ihre Zustimmung erteilen würden.
Nun, ich habe gesagt: der Haushaltsentwurf der Bundesregierung liegt uns noch nicht vor. Wir können nur sagen: wir werden einen Deckungsvorschlag machen, wenn der Bundeshaushalt vorliegt. Dabei möchte ich dem Kollegen Althammer sagen: er ist nicht ganz orientiert über unsere Überlegungen, wenn er meint, daß wir nun à tout prix mit dem Vorschlag kommen würden, jetzt diese 69,1 Milliarden im Sinne eines Rausches nach Sparsamkeit insgesamt immer weiter zu reduzieren. Wir beobachten die Konjunktur sehr genau. Wir haben sehr genau registriert, daß die expansiven Kräfte der Gesamtkonjunktur schwächer geworden sind. Deswegen betrachten wir die Gesamtsumme des Bundeshaushalts sehr kühl, nicht mit engen parteipolitischen Voreingenommenheiten so nach der Methode „sparsamer und noch sparsamer und am sparsamsten". - Warten Sie also doch ab, Herr Kollege Althammer, was wir zu der globalen Summe 69,1 Milliarden noch sagen werden. Sie kriegen entweder einen Deckungsvorschlag im Sinne der Expansion von uns, oder Sie kriegen einen Deckungsvorschlag im Sinne des Herausschneidens aus anderen Positionen. Für uns - das ist, glaube ich, schon durch Zwischenrufe klar geworden - ist dabei die Subventionsfront in dem Bundeshaushalt der gegebene Ansatzpunkt, um dort Deckungsmöglichkeiten im Rahmen des Haushalts zu finden. Ich kann also dazu sagen: Bei Philippi sehen wir uns wieder. Wir werden Ihnen den Vorschlag machen.
Aber was heute ansteht, ist eine Willenskundgebung des Parlaments an den Haushaltsausschuß, aber auch noch an die Bundesregierung. Die Bundesregierung hat es noch in der Hand, wenn heute eine Willenskundgebung dieses Hauses erfolgt, ihrerseits entweder aufzustocken oder in ihrem endgültigen Entwurf den Deckungsvorschlag zu fabrizieren. Es ist eine Willenskundgebung, so möchte ich sagen ohne Anzüglichkeit, to whom it may concern; an jeden, den es angeht, an jeden, an den Haushaltsausschuß und an die Bundesregierung. Das halte ich für wichtig.
Die heutige Entscheidung nach unserem vorliegenden Antrag hat zwei praktische Wirkungen. Erstens: In den Universitäten, in den wissenschaftlichen Hochschulen, in den Bauämtern, dort im lokalen Getriebe wird die Unruhe mit einem Schlage beseitigt. Die Menschen können mit den Objekten, die sie im Jahre 1965 oder 1964 eingereicht haben, rechnen. Sie können mit dem Fortgang des Ausbaues ihrer Hochschulen kalkulieren. Das bedeutet, daß real die Arbeit in diesen Instituten, in den Universitäten nicht unterbrochen wird, nicht verlangsamt wird, nicht weniger produktiv wird, sondern im Gegenteil, daß die Arbeit schneller und besser vorankommt. Das ist die eine Wirkung, die symbolische Wirkung, die Zeichenwirkung. Sie haben doch selber von der CDU/CSU immer so viel Gefühl für Zeichen und Symbole und Beschlüsse, die das Verhalten der Menschen beeinflussen. Dieses würde die Menschen in der Wissenschaft tatsächlich in
einem positiven und konstruktiven Sinne beeinflussen.
Zum zweiten würde diese Willenskundgebung des Bundestages die Planungen der Länder positiv beeinflussen. Diese könnten ihre Vorbereitungen für die nächste Runde weiterführen, und sie brauchten sich jetzt keine Gedanken darüber zu machen, wie man die Löcher stopft, die durch die Kürzung entstanden sind.
Meine Damen und Herren, nun hat sich - soweit ich sehe - am meisten der Bundesforschungsminister selber gegen eine Wiederaufstockung um diese 180 Millionen DM gesträubt. Ich nehme an, das kommt einfach daher, daß sich Herr Minister Stoltenberg in der Zucht des Kabinetts befindet. Das ist für mich eigentlich auch die Erklärung für sein eigenartiges Verhalten am Anfang, daß er eben wie ein reserviertes Vorstandsmitglied einer an sich dynamischen Firma sprach. Er war gehemmt, er war reduziert durch die Zucht des Kabinetts, durch die Macht, durch die magnetische Kraft der Sparsamkeit, die einmal angefangen hat, aber eben am falschen Objekt.
Ich kann dem Herrn Bundesminister für wissenschaftliche Forschung nur selber empfehlen: Bleiben Sie weiter nach außen hin so kühl Sie müssen natürlich die Kabinettsdisziplin wahren -, aber geben Sie sich doch einen Ruck, und nehmen Sie heute abend einen positiven Beschluß dieses Parlaments zähneknirschend zur Kenntnis! Dann ist Ihnen geholfen.
({1})
Ich kann dem Herrn Bundesminister noch hinzufügen: Nehmen Sie nicht nur meinen, sondern auch den Rat des Vorsitzenden der CSU an, der sich doch sehr weitgehend in seinen in diesem Fall kleinen Schritten über die 350 Millionen DM hinaus in Richtung auf die 530 Millionen DM bewegte. Er hat ja schon damit begonnen, diesen harten Panzer der Kabinettszucht bei Ihnen zu lockern, die Schnüre etwas aufzufädeln. Folgen Sie also seinem Rat und dem, was ich für die äußere Kontenance sagte!
({2})
Nun habe ich für den Herrn Bundesminister für wissenschaftliche Forschung noch einen dritten Rat. Er betrifft ein anderes Gebiet. Das Gebiet ist aber heute schon an anderer Stelle angesprochen worden. Es geht nämlich um das Verhältnis des Kabinetts zu den Menschen, die Bundesminister Stoltenberg auf dem Forum 66 die „Intellektuellen" genannt hat. Der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung hat sich auf jenem Forum mit der Ziffer 66 ja mit den Intellektuellen angelegt. Er hat von Staatsverdrossenheit gesprochen. Er hat festgestellt, daß vielerorts, nicht nur bei den Intellektuellen, kein rechtes Staatsgefühl sei. Kurz und gut, er hat da einiges Kritisches gesagt.
Nun, meine Damen und Herren, ich will hier nicht lange zu dem Thema reden.
({3})
- Es wäre doch ganz gut; das ist doch ganz interessant. Nicht alle Intellektuellen sind verirrte Puritaner. Viele von ihnen sind natürlich Opponenten etablierter Werte. Viele von Ihnen fühlen sich als ein kritischer Orden. Warum auch nicht? Aber, meine Damen und Herren, in einem Kabinett, in einer Bundesregierung sollte doch gerade der Minister, der dort den Geist repräsentiert - andere auch, aber er wegen seiner Zuständigkeit besonders -, die Funktion dieser schwierigen Menschen verteidigen.
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- Natürlich, warum denn nicht? - Ich finde, wenn der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, wie er es getan hat, vom „gepflegten Unbehagen" spricht, das in Intellektuellenkreisen herrsche, sollte er von sich aus, da er doch eben den Geist zu vertreten hat, etwas dagegen tun, und etwas könnte er auch heute abend dagegen tun. Sehen Sie, diese sehr kritischen Menschen sind nicht damit zufriedengestellt, daß wir hier schöne Vorträge halten, daß wir große Reden halten, daß wir wieder eine große Debatte über wissenschaftliche Forschung veranstalten, sondern die wollen von uns im Tageshandwerk der Politik hören, daß wir Nägel mit Köpfen machen, daß wir Tacheles reden, daß wir heute abend mit einem ganz konkreten Beschluß abschließen. Das würde das gepflegte Unbehagen in vielen dieser Kreise tatsächlich schlagartig beheben, und der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung würde, wenn er sich so verhielte, wie ich ihm das empfohlen habe, in diesem Punkt vielleicht sogar zu einem besseren Verhältnis zu diesen Kreisen kommen, als das im Forum 66 zum Ausdruck kam.
Auf jeden Fall, Herr Bundesminister Stoltenberg
- es wurde schon von dem Abgeordneten Vogel über diese Problematik sehr nachdenkenswert gesprochen -, Sie sollten als Kabinettsmitglied nicht in die Front derer einbiegen, die gegen jene Intellektuellenkreise zu Felde ziehen. Sie sollten dieses Geschäft, sich mit den Intellektuellen anzulegen, ganz ruhig anderen Mitgliedern des Kabinetts überlassen,
({5})
von denen Sie wissen, Herr Stoltenberg, daß sie das Geschäft, sich mit jenen anzulegen, mit Erfolg weithin sichtbar und unvergeßlich betrieben haben.
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Herr Kollege Schiller, rechnen Sie auch den Herrn Neuß aus Berlin zu dieser Kategorie, und halten Sie die Maßnahme der SPD für geeignet?
({0})
Natürlich gehört Herr Neuß zu jenen Kreisen, die ich eben angesprochen habe, und Sie kriegen von mir heute keine Verdammung, im Gegenteil. Aber das ist doch eine Frage der ganz ordentlichen Parteidisziplin. Es kann nicht jemand
einer Partei angehören und vor der Wahl Werbung für eine andere Partei machen. Ich glaube, das ist eine Frage der preußischen oder königlich-bayerischen Kleiderordnung, die in diesem Fall bei Neuß eine Rolle spielt.
({0})
- Aber ja! Sie kennen doch alle den Briefwechsel. Sonst wird doch niemand von uns, der Vernunft hat, über Herrn Neuß hier persönlich urteilen. In dem besagten Falle aber hat er einen Fehler gemacht. Genauso - wenn ich mich recht entsinne, habe ich das damals als Nichtmitglied des Bundestages in den Zeitungen gelesen -, wie ein Portier dieses Hauses nicht zween Parteien angehören kann, kann auch ein Schriftsteller nicht einer Partei angehören und für eine andere Partei Losungen ausgeben; nicht wahr, so ist es doch gewesen? Das ist doch dieses Thema. - Ich glaube, Herr Althammer, damit hätte ich Ihre Frage erschöpfend und höflich beantwortet.
Nun, meine Damen und Herren, mein letzter Rat an den Herrn Bundesforschungsminister. Er sollte sich für die Funktion dieser Leute, die die etablierten Werte unaufhörlich in Frage stellen, im Kabinett positiv einsetzen, auch wenn er gegen den einen oder anderen jener Menschen aus seinem eigenen Wertsystem heraus Vorbehalte hat. Er sollte sich für die Funktion jener Menschen einsetzen, weil sie zu unserer Gesellschaft gehören und weil sie auch zur Lebendigkeit unserer dynamischen Gesellschaft gehören. Der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung sollte sich trotz persönlicher Vorbehalte für jene Intellektuellen einsetzen, genauso wie wir von der Opposition uns trotz persönlicher Vorbehalte, die auf rein politischem Gebiet liegen, für sein Ressort einsetzen, indem wir hier den Antrag gestellt haben, in dem neuen Haushalt den Voranschlag für sein Ressort um 180 Millionen DM zu verstärken. Das ist nach meiner Ansicht die richtige Haltung, Herr Stoltenberg, und der sollten Sie nachstreben. Ich selber finde, ich sage es noch einmal: es ist für diese Debatte, die weite Teile der Wissenschaftspolitik ganz allgemein berührt hat, im Sinne des Konkreten notwendig, daß wir heute abschließen, indem wir ein Ende mit Brief und Siegel dokumentieren. Brief und Siegel müssen in diesem Falle bekunden und beurkunden, daß der Deutsche Bundestag den Titel 600 im Sinne einer Anweisung, an wen sie immer gehen möge, von 350 Millionen DM auf 530 Millionen DM erhöht haben will. Das wäre der zwar im Vergleich zu den Visionen kleine Abschluß, aber der gemäße Abschluß, um das Unbehagen des deutschen Geistes, der deutschen Intellektuellen ({1})
- es ist vielfach natürlich auch, das haben wir doch selber gesagt, mit Emotionen belastet - in diesem Falle wirklich durch die Tat zu korrigieren. Man kann nicht immer vom hohen Podest sagen: „Ihr seid staatsverdrossen, ihr habt Unbehagen an diesem Staat." Dann sollte der Staat - der vieles tut und der auch unterschätzt wird - an einem bestimmten kritischen Punkt der öffentlichen Debatte von sich aus wirklich ein Zeichen geben. Das kann
er heute abend durch einen einfachen, sogar einstimmigen Beschluß tun. Dann ist dem Fortschritt in dieser Angelegenheit ein wesentlicher Dienst geleistet.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Professor Schiller hat gemeint, die Regierungserklärung von heute morgen sei mehr eine Art Vorstandsbericht gewesen, es habe ihr an Temperament und an Dynamik gefehlt. Nun, Herr Kollege Professor Schiller, Sie sind lange genug Mitglied einer Regierung gewesen, um zu wissen, daß es keine ganz einfache methodische Aufgabe ist, 14 Fragen dieser Art - ich empfehle, sie noch einmal in ihrer Spannweite und ihrer Spezialisierung nachzulesen -, zu beantworten in einem Referat, das einerseits schriftlich für eine Regierungserklärung vorliegen muß und andererseits versucht, einige leitende Gedanken durchzuhalten.
Aber nachdem Sie diese Bemerkung gemacht haben, kann ich mir die Replik nicht ganz verkneifen, daß Ihr Referat auch nicht gerade die Vitalität oder Dynamik eines Oppositionssprechers in der Vollversammlung hatte.
({0})
Es kam mir, obwohl Sie ja als Abgeordneter in einer Debatterede viel freier sind - ich weiß diesen Vorzug aus langer Erfahrung zu schätzen -, mehr wie ein Einführungskolleg vor, und ich muß sagen: für Anfangssemester.
({1})
- Entschuldigen Sie: ja, ein Einführungskolleg für Anfangssemester.
({2})
- Nun lassen Sie mich doch! Meine Damen und Herren, wer so spricht, muß auch eine Replik vertragen. Ich habe mich bei der Art, wie ich über Intellektuelle und Geist belehrt wurde, ein bißchen wie ein Anfangssemester gefühlt.
({3})
Lassen Sie mich aber nun zu den Sachfragen Stellung nehmen. Herr Professor Schiller, Sie wissen doch als langjähriges Mitglied einer Regierung genau, daß die Regierung und jedes Regierungsmitglied hier loyal den beschlossenen Haushalt vertritt und nichts anderes. Deshalb bin ich ein bißchen verwundert, daß Sie einen gewissen Appell an mich gerichtet oder eine leise Kritik geübt haben, daß ich nicht gewillt sei, auf weitergehende Vorstellungen einzugehen oder daß ich die Politik der Bundesregierung und diese Haushaltsansätze - die das Ergebnis sehr langwieriger und schwieriger Beratungen waren - auch gegenüber falschen Interpretationen über Ursachen und Wirkungen, wie wir sie teilweise
auch hier gehört haben, verteidige. Das zu tun, ist die selbstverständliche Verpflichtung eines jeden Regierungsmitgliedes, und ich tue das auch aus der Überzeugung, daß wir gerade in diesem schwierigen Jahr mit der ungewöhnlich starken prozentualen Steigerung der Ausgaben für Wissenschaft und Forschung in diesem Etat um etwa 30 % gegenüber den Vorjahren, in denen wir Steigerungssätze von 12 bis 14 % hatten, einen ganz erheblichen Fortschritt zu verzeichnen haben, der klarmacht, daß diese Regierung den Vorrang dieser Aufgaben ernst nimmt.
({4})
Nun haben Sie einige Ausführungen über die Aufgaben des Wissenschaftsrates gemacht. Der Wissenschaftsrat hat nach dem Verwaltungsabkommen die Aufgabe, einen Gesamtplan vorzulegen und Empfehlungen für die verfügbaren Mittel in den Haushalten von Bund und Ländern zu geben. Er hat die einzelnen Empfehlungen der letzten Jahre, die Sie hier zitiert haben, immer unter der ausdrücklichen Voraussetzung gegeben, daß eine Bundesbeteiligung von 50 % erfolge. Ich habe mich aber gerade darzulegen bemüht, und das ist unbestreitbar, daß es leider - ich sage ausdrücklich: leider - über diese Frage auf der Grundlage der neuen, bisher nicht vom Wissenschaftsrat in einem Gesamtprogramm zusammengefaßten Planungen keine Vereinbarung und insofern auch keine rechtliche Verpflichtung gibt. Die politischen Folgerungen, die daraus gezogen werden, sind eine andere Frage. Selbstverständlich liegt die Entscheidung jetzt beim Bundestag, und er wird die Aufgabe haben, sie in den bevorstehenden Haushaltsberatungen so zu treffen, wie er es in der Gesamtschau der Dinge für richtig hält.
Nun ist wieder die Frage aufgetaucht - ich will sie nicht lange behandeln -, die einzelnen Objekte seien ja dem Wissenschaftsrat vorgelegt worden. Natürlich sind sie vorgelegt worden; aber das Unbefriedigende der jetzigen Situation besteht doch darin, daß sie auch den Wissenschaftsrat zu einem großen Teil erst dann erreichen, wenn die Einzelplanung abgeschlossen ist, ja wenn das Baugeschehen bereits eingeleitet wird. Der Wissenschaftsrat bekommt auch jetzt viele neue Vorhaben - gegen deren sachliche Berechtigung gar nichts zu sagen ist, sonst würde er sie nicht empfehlen - erst zu einem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung durch Planung und Baubeginn schon vollzogen ist. Das kann für die Bundesregierung, die ja nur über den Wissenschaftsrat mitwirken kann, aber im Grunde auch für den Wissenschaftsrat selbst in allein seinen Teilen auf die Dauer nicht befriedigend sein. Das ist der Grund, warum wir so nachdrücklich die Notwendigkeit eines Gesamtprogramms, einer mehrjährigen Vorausschau betonen und auch die Notwendigkeit - ich halte das für eine ganz wichtige politische Aussage der Bundesregierung -, daß Bundesregierung und Bundestag dann auch für mehrere Jahre im voraus eine finanziell bindende Entscheidung treffen. Ich glaube, daß das eine ganz wesentliche neue Aussage gegenüber dem ist, was wir bisher in diesem Bereich
sagen konnten. Das sollte man, glaube ich, als einen Tatbestand auch bei der Opposition festhalten.
({5})
Herr Kollege Schiller hat noch auf den Kontaktausschuß Bund-Länder verwiesen. Ich glaube, daß es die Sache jedes Partners ist, der neue Vorstellungen und Wünsche hat, hier die Initiative zu ergreifen. Wir haben auf jeden Fall in dem Bereich, in dem ich die Verantwortung in der Bundesregierung habe, in den wenigen Wochen, die ich in diesem Amt bin, mit dem Präsidium der Kultusminister - Herrn Kollegen Schütte und anderen Herren vereinbart, daß wir den institutionellen Kontakt zwischen dem Bundeswissenschaftsministerium und den Kultusministern erheblich verstärken werden, weil wir in der Tat in einer ganzen Reihe von Sachfragen - das ist ein Bedürfnis beider Seiten - auch institutionell noch stärker kooperieren wollen.
Nun haben Sie einiges gesagt, was ich ein wenig bedauere.
({6})
- Ja, bitte!
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, Herr Minister, daß bei einem Gremium wie der Kontaktkommission zwischen Bund und Ländern der Vorsitzende, der Herr Bundeskanzler, in erster Linie die Aufgabe hat, die Initiative zu ergreifen und dieses Gremium, das die Gesamtplanung einleiten soll, zusammenzurufen?
Herr Kollege Schiller, nach meiner Kenntnis - ich bin aber gern bereit, es Ihnen mitzuteilen, wenn ich mich irre; im Verwaltungsabkommen steht nichts über den Vorsitz, ich habe den Text deswegen nachgelesen - ist vereinbart worden, daß der Vorsitz wechselt, so daß hier die Haftung oder die Verantwortung zum mindesten paritätisch bei beiden liegt. Es ist ein wechselnder Vorsitz vereinbart worden. Wir werden in dem Bereich - das kann ich für mich sagen -, in dem ich die Verantwortung trage, diesen Kontakt intensivieren.
Nun möchte ich aber doch noch sagen, daß ich das etwas bedaure, was Sie kritisch und ermahnend - und so bitte ich auch meine Eingangsbemerkung zu verstehen - hier an meine Adresse über das Verhältnis der Bundesregierung oder des Bundesministers zu den Intellektuellen gesagt haben. Ich bedaure wirklich, daß Sie mir diese Art von Äußerungen, die Sie hier zitiert haben, zutrauen; denn sie sind nicht meine Sprache und sie sind nicht meine Rede. Sie sind nicht einmal die genaue Wiedergabe der Agenturberichte, die auch nicht ganz genau waren.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist schon eine legitime Notwendigkeit eines jeden von uns und auch eines Bundesministers für wissenschaftliche Forschung, sich vor einem geeigneten Forum mit den Fragen des Staatsbewußtseins, der SituaBundesminister Dr. Stoltenberg
tion unseres Staates objektiv und im Bewußtsein seiner Bürger kritisch und abgewogen auseinanderzusetzen und dabei kritische Reflexionen über den Staat zu machen, aber vielleicht auch über die Haltung mancher seiner Bürger. Daß es hier einiges gibt, nicht in einer pauschalen Ansprache an die Intellektuellen, die mir völlig fern liegt - ich bin nicht so primitiv, zu meinen, daß sie eine homogene Gruppe seien -, aber in einzelnen Äußerungen einzelner bekannter - wenn Sie wollen - Intellektueller, was uns zum Nachdenken und zur Sorge veranlaßt, können Sie nicht bestreiten.
({0})
Zu einer solchen Betrachtung gehören die Dinge, über die ich gesprochen habe. Ich habe nicht von Gruppen gesprochen, sondern von Personen, von einigen Erscheinungen der Literatur, die sich etwa mit dem Namen Peter Weiss verbinden oder dem Namen Neuß, der hier schon genannt wurde; das ist ja weitgehend Ihr Thema. Herr Kollege Schiller, Sie haben diese Frage etwas leicht behandelt als bloße Äußerungen im Wahlkampf. Sie wissen ganz genau, daß das Problem gerade auch für Sie und Ihre Partei viel tiefer geht. Auch was mit dem Namen Neuß unter der Federführung des Sozialdemokratischen Hochschulbundes - ungewollt von den Veranstaltern - sich jetzt ereignet hat, zeigt, daß wir über diese Dinge nachdenken müssen.
({1})
Ich glaube, man sollte also eine .sehr gründliche Reflexion zu diesem Thema machen. Ich werde Ihnen sehr gerne einmal den Wortlaut der Ausführungen übersenden, die dann, in das Schema einer Agenturmeldung gebracht, verkürzt wiedergegeben, nicht ohne weiteres - und das muß ich Ihnen etwas vorhalten - zu einer so langen ermahnenden Rede hier verwendet werden dürfen, die eben von falschen Prämissen ausgeht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem letzten Schlußwort kommen. Wir haben hier eine lebhafte Debattegehabt. Wir haben hier einige Kontroversen in Einzelfragen gehabt, in manchem auch eine sehr temperamentvolle Diskussion. Aber ich glaube, daß sich ungeachtet alldessen, was wir miteinander ausgetragen haben, im Grunde doch der Satz, den ich heute morgen ausgesprochen habe, bestätigt hat: daß wir einig sind, daß die Aufwendungen für Wissenschaft und Forschung vorrangig einzuordnen sind. Die Bundesregierung hat aus diesem Satz bestimmte Konsequenzen gezogen, bestimmte Ergebnisse und Entscheidungen, die ich als positiv bezeichne und vertrete. Es ist Sache des Bundestages, das Seine zu tun. Lassen Sie uns in diesem Wettbewerb, in einem konstruktiven Wettbewerb, in der Verantwortung für das Ganze unserer Innen- und Finanzpolitik dafür sorgen, daß wir in dieser Hinsicht die Aufgaben der Zukunft meistern!
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die durch den Bundesminister für wissenschaftliche Forschung erfolgte Wiedereröffnung der Debatte von mir aus nicht so interpretieren, daß ich Sie ermuntere, weiter zu debattieren. Ich will mich auf wenige Sätze beschränken.
Mir tut es ein wenig leid, Herr Stoltenberg, daß Sie über Ihr gutes Recht, die Äußerungen unseres Kollegen Schiller sich mißfallen zu lassen, hinausgegangen sind und sie in einer, so möchte ich meinen, etwas uneleganten und auch etwas humorlosen Weise mißverstanden halben.
Sie haben sich darüber beklagt, daß Sie 14 Fragen im Rahmen der Großen Anfragen hätten beantworten müssen. Nun, was hat Sie dazu veranlaßt, die Regierungsfraktionen zu ermuntern, Sie mit einer so großen Zahl von Fragen zu 'belasten? Sie hatten es ja in der Hand, sich eine sachlich angemessenere Fragenplattform für diese Debatte zu beschaffen.
({0})
- Ich habe Sie bisher in Ihrem Verhalten immer so verstanden, daß Sie auf eine Kooperation mit der Bundesregierung Wert legen. Wenn es also sachliche Gründe gab, auf die der Bundesminister sich bezogen hat - daß es schwierig sei, so komplexe Gegenstände in einer Regierungserklärung vernünftig zu behandeln -, dann frage ich mich: warum haben Sie nicht vorher darüber nachgedacht? Sie beklagen ,sich erst jetzt am Schluß der Debatte über diese Problematik.
Herr Bundesminister, Sie haben auf die Schwierigkeit Bezug genommen, die Planungen im Wissenschaftsrat zu beeinflussen. Ich will dem der Sache nach nichts hinzufügen, sondern nur prinzipiell fragen: Wenn Ihre Einwände zuträfen, müßten sie dann nicht nur für die Summe von 530 Millionen DM, sondern auch für die von Ihnen zugestandene Summe von 350 Millionen DM gelten? Entweder ist Ihr Einwand richtig, oder er ist falsch. Wenn er richtig wäre, dann könnten Sie es eigentlich - wenn man Ihrer Argumentation Gewicht beimessen wollte - überhaupt nicht verantworten, eine Bundesbeteiligung unter diesen Voraussetzungen zu vertreten.
Sie sagten schließlich in Ihrer Schlußthese, wir seien im Parlament über den Vorrang dessen, was zu geschehen habe, einig. Ich muß das zu meinem Bedauern relativieren: Ich habe heute morgen gesagt, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion werde nicht bereit sein, eine Fiktion zu stützen, als ob es eine allgemeine Übereinstimmung gäbe, ohne daß wir in der wesentlichen, aktuellen, heute zu entscheidenden Frage die Probe auf das Exempel machen. Dabei bleiben wir. Sie alle haben die Gelegenheit, sich dazu zu äußern, ob Herrn Stoltenbergs Prognose zutreffen mag oder nicht, indem Sie sich zu unserem Antrag entsprechend äußern. Dazu hat mein Kollege Schiller in der Sache das Notwendige gesagt.
({1})
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Der Herr Abgeordnete Dr. Jahn ({0}) wird seine Ausführungen zu Protokoll geben. *)
Es liegen die Anträge der Fraktion der SPD auf den Umdrucken 17 und 19 **) vor. Die Anträge sind begründet. Wird eine Erklärung abgegeben? - Bitte, Herr Abgeordneter Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur zu Umdruck 19 sprechen. Wir haben gestern bereits die Meinung vertreten, daß dieser Antrag als selbständiger Antrag zu betrachten und demgemäß nach § 96 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung zu behandeln sei. Es ist nicht sehr sinnvoll, darüber heute eine Geschäftsordnungsdebatte zu führen, nachdem der Herr Präsident erklärt hat, daß der Antrag nicht als selbständiger Antrag gilt. Eine etwas unklare Formulierung in der Geschäftsordnung hilft hier der Opposition. Ich bin aber der Meinung, wir sollten bei dem Vorhaben, die Geschäfstordnung zu überprüfen und da und dort zu ändern, den heutigen Vorgang zum Anlaß nehmen, auch diesen Punkt zu präzisieren, weil der § 96, wie ich glaube, nicht in dieser Art gebraucht werden kann.
Nun zur Sache! Es gibt keinen Zweifel: Wenn der Antrag Umdruck 19 mit seiner Formulierung „Zur Sicherung des Ausbaus der deutschen wissenschaftlichen Hochschulen muß deshalb in Kapitel 31 02 Tit. 600 der Betrag von 530 Millionen DM veranschlagt werden" angenommen würden, dann würde ein solcher Beschluß dieses Haus binden. Wir sollten uns in dieser Frage nicht auf dem schwankenden Boden des Wunschdenkens bewegen, sondern sicheren Boden beschreiten und feststellen lassen, woher diese Mittel im Haushalt genommen werden sollen. Niemand von uns ist dagegen, den Hochschulen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie für ihren weiteren Ausbau brauchen, wenn der Haushalt dies zuläßt; wir wollen aber sicherstellen, daß hier nicht nur ein vages Versprechen abgegeben wird.
Wir beantragen deshalb, daß dieser Antrag dem Haushaltsausschuß zur Prüfung überwiesen wird.
Herr Abgeordneter Dr. Mommer hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht auf die Argumente zu § 96 der Geschäftsordnung eingehen. Es geht jetzt praktisch nur darum, ob über diesen Antrag in der Sache abgestimmt werden oder ob er dem Haushaltsausschuß überwiesen werden soll. Noch einmal: wenn wir diesem Antrag zustimmen, dann wird dadurch noch keine Ausgabe festgelegt. Es geht um eine Willenskundgebung. Wenn der Bundestag diesem Antrag zustimmt, nimmt er sich vor, in den Haushalt, wenn wir ihn auf dem Tisch haben werden, dann die volle Summe von 530 Mil-
*) Siehe Anlage 8
**) Siehe Anlage 2 und 3
lionen DM einzusetzen. Wie Sie soeben den Ausführungen unserer Redner entnommen haben, besteht auch auf unserer Seite der Wille, dann, wenn wir diese erhöhte Summe einsetzen, für die Deckung zu sorgen und Umschau zu halten, wie wir in den 69 000 Millionen Deckung finden können für 180 Millionen. In der Relation heißt das, wie man in einem Familienhaushalt von 1150 DM irgendwo 3 DM unterbringen kann.
({0})
- Schon gehört, aber wichtig, daß Sie es sich einprägen, damit Sie den Umfang der Aufgabe richtig erkennen.
({1})
Meine Damen und Herren, hier ist jetzt den ganzen Tag lang über die Wissenschaft geredet worden, und wir sind alle so zutiefst überzeugt davon, wie wichtig es für die Zukunft unseres Volkes ist, hier das äußerst Mögliche zu tun. Aber meinen Sie nicht, daß die Öffentlichkeit uns schließlich danach beurteilen und die Leistung dieses Tages danach bemessen wird, ob zum Schluß dann auch wenigstens ein kleiner Nagel mit Kopf herausgekommen ist?
({2})
- Das ist dieser Antrag. Hier sollten wir klarmachen, daß, wenn der Haushalt da ist, die volle Summe von 530 Millionen DM eingesetzt wird. Deshalb bitten wir, den Überweisungsantrag abzulehnen, in der Sache abzustimmen und unseren Antrag anzunehmen.
({3})
Wir stimmen dann zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 17 ab. Wer zustimmt, gebe bitte Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen dann über den Antrag ab, den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 19 dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Wer der Überweisung an den Haushaltsausschuß zustimmt, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit.
Der Antrag auf Umdruck 19 ist dem Haushaltsausschuß überwiesen.
({0})
Ich rufe dann den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Umdruck 20 ({1}) auf. Zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Moersch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Umdruck 20 ({0}) ist durch die Debatte hinreichend begründet. Die Fraktionen bitten um Zustimmung.
Wir stimmen dann über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Umdruck 20 ({0}) ab. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der SPD ist der Antrag angenommen.
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich teile noch mit, daß der Abgeordnete Dr. Müller ({1}) seine Ausführungen zu Protokoll gegeben hat.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung der Sammelübersicht 2 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen
- Druckache V/245 Es liegt der Antrag des Ausschusses für Petitionen vor. Erhebt sich gegen diesen Antrag Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist entsprechend dem Antrag des Ausschusses beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1962 über die Haftung der Gastwirte für die von ihren Gästen eingebrachten Sachen
- Drucksache V/146 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache V/207 -Berichterstatter: Abgeordneter Vogel ({4})
({5})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich rufe die Art. 1, - 2, - 3 - sowie Einleitung und Überschrift des Gesetzes auf. - Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auf der linken Seite des Hauses gibt es überhaupt keine Willensäußerungen.
({6})
Ich darf aber feststellen, daß der Gesetzentwurf in der zweiten Beratung auf jeden Fall angenommen ist.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wer dem Gesetz in der vorliegenden Fassung zustimmt, erhebe sich. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Einbringung von Sachen bei Gastwirten
- Drucksache V/147 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({7})
- Drucksache V/208 - ({8})
Berichterstatter: Abgeordneter Vogel ({9})
({10})
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Busse ({11}), Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dorn, Moersch, Freiherr von Kühlmann-Stumm und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Einbringung von Sachen bei Gastwirten
- Drucksache V/61 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({12})
- Drucksache V/208 - ({13})
Berichterstatter: Abgeordneter Vogel ({14})
({15})
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Bericht. - Das Wort zur Ergänzung des Berichts wird nicht gewünscht.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe Art. 1 auf und schlage vor, nun paragraphenweise vorzugehen. Zunächst rufe ich § 701 auf. Änderungsanträge hierzu liegen nicht vor. - Das Wort wird auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer § 701 zustimmen will, den bitte ich um Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 701 ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 702 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 18 *) vor. - Das Wort zur Begründung des Änderungsantrages hat Herr Kollege Schulte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entschuldigen Sie, daß ich zu so später Stunde noch wegen dieser relativ unbedeutenden Materie hier heraufkomme.
Wir schlagen Ihnen in unserem Änderungsantrag vor, § 702 a in der Fassung des Ausschusses ersatzlos zu streichen, und beantragen - damit korrespondierend -, an § 702 einen Abs. 4 anzufügen.
Das hat einen ganz simplen Grund: Wir möchten damit ein besseres Gesetz schaffen. Das bisherige Recht der Gastwirtshaftung hat darunter gelitten, daß die Haftungsbestimmungen abdingbar waren. Sowohl die Beherbergungswirte als auch die Gäste haben sehr oft nicht gewußt, in welcher rechtlichen Situation sie sich befanden. Nun besteht bedingt durch das europäische Übereinkommen grundsätzlich eine Änderungsnotwendigkeit insofern, als wir unter normalen Umständen ein nicht abdingbares Haftungsrecht haben. In Zukunft sollen in gewissem Umfang nur noch die beiden Tatbestände des § 702 Abs. 2 abbedungen werden können. Wir sind der Auffassung, daß es sich einfach nicht lohnt, deshalb überhaupt noch eine Abdingungsmöglichkeit zu schaffen. Wenn Sie einmal konkret untersuchen, wie etwa eine solche Formulierung aussehen müßte, die der Beherbergungswirt dann seinem Gast vorzulegen hätte, werden Sie sehr schnell zu dem Ergebnis kommen, daß sich der Gast zuvor sehr intensiv
*) Siehe Anlage 5
mit den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches befassen müßte, um diese Formulierung überhaupt zu verstehen. Es ist gar nicht möglich, das einfach und faßlich zu machen.
Aus diesem Grund glauben wir, daß viele Mißhelligkeiten vermieden werden, wenn wir diesen § 702 a ersatzlos streichen.
Zunächst sind wir doch beim Änderungsantrag Umdruck 18 Ziffer 1.
Herr Präsident, die beiden Ziffern des Antrages sind nur im Zusammenhang miteinander zu verstehen.
Bitte, fahren Sie fort.
Meine Damen und Herren, stellen Sie sich bitte die Situation vor, daß der Gastwirt gezwungen ist, seinem Gast eine Formulierung vorzulegen, die dieser sicherlich nicht verstehen kann, und sicherlich werden die Beherbergungswirte alsbald von ihren Verbänden aufgefordert werden, diese weitergehende, ausschließbare Haftung durch entsprechende Formulare abzudingen. Das schafft Mißtrauen, das schafft eine Situation, die nicht besonders günstig ist. Wir halben hier durch einen ganz kleinen Eingriff, der kaum wirtschaftliche Folgen haben wird, die Möglichkeit, ein einwandfreies und klares Recht zu schaffen, und dazu bitten wir
Sie um Ihre Zustimmung.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute sehr viel über Prioritäten gesprochen. Ich meine, daß die oratorischen Leistungen in diesem Hohen Hause dem Standort innerhalb der Prioritätenskala angepaßt sein sollten. Deshalb will ich mich auf einige wenige Ausführungen beschränken.
Zunächst darf ich sagen, daß ich hier sowohl im Namen der Fraktion der CDU/CSU als auch im Namen der Fraktion der FDP spreche.
Wir schlagen Ihnen vor, den Änderungsantrag abzulehnen. Nicht immer ist das Gesetz das beste, das die einfachsten Formulierungen hat. Häufig fehlt es dann an der Ausgewogenheit, und genau das ist der Punkt, der uns hier veranlaßt, diesem Antrag nicht zuzustimmen. Wir haben darüber im Rechtsausschuß ausführlich gesprochen und sollten das hier nicht wiederholen.
Lassen Sie mich nur drei Punkte anführen, die uns zu dieser Entscheidung veranlaßt haben.
Zunächst einmal hat uns eine Vereinbarung der Mitgliedstaaten des Europarats zu der Gesetzesänderung veranlaßt. Das Ziel ist, ein möglichst einheitliches europäisches Haftungsrecht für die Gastwirte zu schaffen. Nach unserer Auffassung haben
wir dafür Sorge zu tragen, daß die Gastwirte in C Deutschland in diesem europäischen Rahmen nicht in eine ungünstige Konkurrenzsituation geraten. Das ist einer der Gründe, weshalb wir dem weitergehenden Antrag der SPD nicht zustimmen.
Zum zweiten sind wir nicht der Auffassung, daß über das, was zur Zeit an Haftungsverpflichtung der Gastwirte besteht, wesentlich hinausgegangen werden sollte.
Drittens wird durch die Einbeziehung in die unabdingbare Gastwirthaftung etwa in den Fällen der leichten Fahrlässigkeit, etwa in den Fällen, in denen Sachen zur Aufbewahrung vom Gastwirt übernommen werden, das Haftungsrisiko des Gastwirts, und zwar das nach oben hin nicht begrenzbare Haftungsrisiko, zu groß. Es wird schwierig, hier die Versicherungsdeckung zu bekommen, weil die Versicherungen immer nur bereit sein werden, für einen fixen Höchstbetrag eine Versicherung zu übernehmen.
Ich darf vielleicht noch auf einen Punkt, der mir sehr wesentlich erscheint, ganz kurz eingehen. Es ist vorgesehen, daß der Gastwirt in bestimmten Fällen zur Aufbewahrung von eingebrachten Sachen verpflichtet sein soll. Diese Bestimmung ist etwas schwierig gefaßt, weil wir hier eine Beziehung zwischen dem Wert der Sachen und dem Rang der Gastwirtschaft herstellen wollten. Wenn wir nun auch in den Fällen, in denen Sachen zur Aufbewahrung übernommen sind, und zwar völlig unabhängig von der Frage, ob der Gastwirt verpflichtet ist oder nicht, eine unabdingbare Haftung einführen, so wird dies zur Folge haben, daß jeder Gastwirt zunächst einmal bestrebt sein wird, Sachen nicht zur Aufbewahrung zu übernehmen, sondern die Aufbewahrung nach Möglichkeit abzulehnen. Das kann nicht im Interesse des Gastes sein. Es kann nicht im Interesse des Gastes sein, daß zunächst ein großer Streit darüber entsteht, ob die Sachen zur Aufbewahrung übernommen oder nicht übernommen werden, und daß hinterher unter Umständen Mißhelligkeiten dabei herauskommen.
Ich möchte das Hohe Haus nicht länger mit diesen speziellen juristischen Ausführungen langweilen, sondern nur ganz kurz wiederholen, daß wir uns aus den von mir genannten Gründen nicht in der Lage sehen, dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zuzustimmen.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 18 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 702 in der Ausschußfassung. Wer zustimmen will, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Bei zahlreichen NeinStimmen angenommen.
Ich rufe § 702 a auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 18 Ziffer 2 vor. Er ist
Vizepräsident Dr. Dehler
bereits begründet worden. Oder ist er damit gegenstandslos?
({0})
- Er ist also erledigt. Wir können deshalb ohne weiteres über § 702 a in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Bei gleichem Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe § 703 auf. Wer zustimmt, gebe Zeichen. - Gegenprobe! - Mit gleicher Stimmenzahl angenommen.
Ich lasse nun über den Artikel 1 im ganzen abstimmen. Wer zustimmt, gebe Zeichen. - Gegenprobe! - Mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe die Artikel 2, 3, 4, die Einleitung und die Überschrift auf. Wer zustimmt, gebe Zeichen. - Gegenprobe! - Angenommen!
Ich schließe die zweite und eröffne die
dritte Beratung.
Wer dem Gesetz zustimmt, erhebe sich. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Gegenstimmen auf der linken Seite des Hauses ist das Gesetz angenommen.
Wir müssen dann noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages abstimmen. Es handelt sich um die von den Abgeordneten Busse ({1}), Frau Dr. Diemer-Nicolaus und Fraktion der FDP eingebrachte Vorlage. Diese Vorlage soll auf Grund des soeben verabschiedeten Gesetzes für erledigt erklärt werden. Erhebt sich kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. November 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung
- Drucksache V/28 Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksache V/228 Berichterstatter: Abgeordneter Meis ({3})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort wird nicht gewünscht. Wir können in die Einzelberatung eintreten.
Ich rufe die Artikel 1, 2, 3, die Einleitung und die Überschrift, auf. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Einstimmig angenommen! Ich schließe die zweite und eröffne die
dritte Beratung.
Wer dem Gesetz in dritter Beratung zustimmt, erhebe sich. - Gegenprobe! - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung dès von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Juni 1965 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die Abgrenzung des Festlandsockels der Nordsee in Küstennähe
- Drucksache V/63 Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({4})
- Drucksache V/214 Berichterstatter: Abgeordneter Baron von Wrangel
({5})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wünscht er das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir können in die Einzelberatung eintreten.
Ich rufe die Artikel 1, 2, 3, die Einleitung und die Überschrift auf. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Einstimmige Annahme.
Ich schließe die zweite und eröffne die
dritte Beratung.
Wer dem Gesetz zustimmt, erhebe sich. - Gegenprobe! - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 8 und Punkt 9 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gaststättengesetzes ({6})
- Drucksache V/205 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über Kreditermächtigungen aus Anlaß der Erhöhung der Beteiligungen der Bundesrepublik Deutschland an dem Internationalen Währungsfonds und an der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung
- Drucksache V/244 Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen folgende Überweisungen: Gesetzentwurf Drucksache V/205 an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend -, an den Rechtsausschuß zur Mitberatung, Gesetzentwurf Drucksache V/244 an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend - und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich rufe die Punkte 10 bis 14 auf:
10. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({7}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rats über die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für selbständige Tätigkeiten der Kreditinstitute und anderer finanzieller Einrichtungen
- Drucksachen V/8, V/210 Berichterstatter: Abgeordneter Russe ({8})
11. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({9})
über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rats über die Unterrichtung der Kommission betreffend die statistischen Angaben über Kapitalbewegung nach und aus dritten Ländern
über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegte Empfehlung der Kommission der EWG für eine Entscheidung des Rats über die Einführung von Konsultationen innerhalb der Gemeinschaft betreffend die Politik der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Kapitalbewegungen aus dritten Ländern
- Drucksachen V/35, V/211 -Berichterstatter: Abgeordneter Russe ({10})
12. Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses ({11}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats zur Änderung der Berichtigungskoeffizienten für die Dienst-und Versorgungsbezüge der Beamten
- Drucksachen V/130, V/236 -Berichterstatter: Abgeordneter Gertzen
13. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({12}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rats betreffend die Veresterung von Olivenspeiseöl
- Drucksachen V/9, V/246 -Berichterstatter: Abgeordneter Marquardt
14. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Gesundheitswesen ({13}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten
a) Entwurf der Kommission der EWG für eine Entscheidung des Rats zur Errichtung eines Lebensmittelausschusses,
b) Vorschlag der Kommission der EWG für ({14}) geänderten Vorschlag der Kommission der EWG zur Änderung der Richtlinie des Rats zur Angleichung der Rechtsvorschrif ten der Mitgliedstaaten für färbende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen,
d) geänderten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rats zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Antioxydantien, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen,
e) geänderten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rats zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Kakao und Schokolade
- Drucksachen V/12, V/238 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Blohm
Es handelt sich um Berichte der Ausschüsse zu Vorschlägen der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Ausschüsse empfehlen Kenntnisnahme der Vorschläge und darüber hinaus in einigen Fällen die Annahme von Entschließungen. Unter Punkt 14 empfiehlt der Ausschuß, die Bundesregierung um Ablehnung des Vorschlages der Kommission zu ersuchen.
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich danke den Berichterstattern.
Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? - Ich höre keinen Widerspruch. Ich komme also zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen V/210, V/211, V/236, V/246 undV/238. Wer zustimmen will, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Einstimmig angenommen. Es ist antragsgemäß beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 auf:
Beratung der Ubersicht 2 des Rechtsausschusses ({15}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache V/231 Es liegt Ihnen der Antrag des Ausschusses vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist nach dem Antrag des Ausschusses beschlossen.
Ich rufe die Punkte 16 bis 18 auf:
16. Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({16}) - Immunitätsangelegenheiten Vizepräsident Dr. Dehler
betr. Genehmigung zur Zeugenvernehmung des Abgeordneten Dr.-Ing. Seebohm gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 20. Dezember 1965
- Drucksache V/252 -Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({17}) - Immunitätsangelegenheiten betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Biermann gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 12. Januar 1966
- Drucksache V/253 -Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({18}) - Immunitätsangelegenheiten betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. h. c. Jaksch gemäß Schreiben der Rechtsanwälte Hamburger, Dr. Haarg und Malsy, Frankfurt ({19}), vom 6. November 1965
- Drucksache V/254 Zu den Punkten 17 und 18 spricht Herr Abgeordneter Dr. Dittrich als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Vielmals um Nachsicht, daß ich gehalten bin, die beiden Immunitätsfälle dem Hohen Hause von seiten des Immunitätsausschusses vorzutragen.
Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 12. Januar 1966 den Deutschen Bundestag ersucht, eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob ,die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Biermann erteilt werde. Im vorliegenden Fall handele es sich um eine Anzeige wegen Beleidigung und übler Nachrede. Anzeigeerstatter sei Rechtsanwalt und Notar Dr. Bösel in Herford namens der Kreis- und Ortspartei der Christlich-Demokratischen Union und des Direktorstellvertreters an der gewerblichen Berufsschule in Herford, Hermann Stell. Strafantrag sei gegen den Bundestagsabgeordneten Biermann, den Landtagsabgeordneten Prüßner und den Parteisekretär Hollensteiner gestellt worden, alle Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei.
Der Sachverhalt ist folgender. Als im Jahre 1962 die Stelle des Direktorstellvertreters an der gewerblichen Berufsschule in Herford zu besetzen gewesen sei, sei der damalige Gewerbelehrer Hermann Stell vom Schulausschuß des Stadtrats in Herford dem Regierungspräsidenten in Detmold zur Ernennung zum Direktorstellvertreter vorgeschlagen worden. Der Vertreter der Bezirksregierung in Detmold habe zuvor Herrn Stell für das Amt seiner fachlichen Qualifikation nach als voll geeignet bezeichnet, alber zu erwägen gegeben, ob nicht ein Gewerbelehrer des Metallgewerbes für den Posten besser geeignet sei, da das Metallgewerbe an dieser Schule die weitaus höchste Klassenzahl habe.
In einer im Rahmen des Kommunalwahlkampfes im September 1964 veranstalteten Pressekonferenz der SPD, an der die drei Beschuldigten teilgenommen hätten, sei die Personalpolitik der CDU/FDPMehrheit im Herforder Stadtrat kritisiert und dabei auch die Wahl des Direktorstellvertreters erörtert worden.
Am 29. April 1964 habe die Lokalpresse darüber berichtet und geschrieben:
Die Stelle des stellvertretenden Direktors an der gewerblichen Berufsschule sei von der CDU ebenfalls nach parteipolitischen Gesichtspunkten - man habe bei der CDU von einer Prestigefrage gesprochen - vergeben worden, und dies gegen die Auffassung Ides zu Rate gezogenen Regierungsvertreters. Gewählt worden sei nämlich der CDU-Stadtvertreter Stell, der sich übrigens, da er als stellvertretender Direktor weniger Stunden zu geben brauche, von dieser Einweisung mehr Zeit für seine parteipolitische Arbeit versprochen habe.
Außerdem halbe die SPD in der Nacht vom 25. und 26. September 1964 .an die Herforder Haushaltungen Flugblätter verteilen lassen, in denen es u. a. heiße:
An der gewerblichen Berufsschule in Herford war die Stelle des stellvertretenden Direktors ausgeschrieben. Nicht der am besten qualifizierte Bewerber wurde gewählt, sondern ein CDU-Ratsmitglied aus Herford! Gegen die Meinung des Regierungsvertreters.
Demgegenüber werde von den Anzeigeerstattern behauptet, daß lediglich sachliche Motive für die Wahl ausschlaggebend gewesen seien, vor allem deshalb, weil zweimal vergeblich versucht worden sei, einen Metallgewerbelehrer für die offene Stelle zu gewinnen.
Der beschuldigte Abgeordnete Biermann hat zu der Anschuldigung Stellung genommen und erklärt, er habe die Qualifikation des Anzeigenden Stell nicht angezweifelt, sondern nur die Wahl eines Metallfachlehrers für sachdienlicher gehalten.
Die Staatsanwaltschaft bejaht den Tatbestand des § 185 StGB und zugleich das öffentliche Interesse, da es sich wegen der Verteilung der Flugblätter an die Herforder Haushaltungen um eine öffentliche Beleidigung im Sinne des § 200 StGB handelt. Eine üble Nachrede gemäß § 186 StGB kommt nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht in Betracht. Sofern die beanstandeten Behauptungen wider besseres Wissen erhoben worden seien, könne eine Verleumdung nach § 187 StGB in Betracht kommen. Des weiteren vertritt die Staatsanwaltschaft die Auffassung, die Voraussetzung des § 193 StGB dürfte nicht zu bejahen sein.
Aus den Akten geht hervor, daß ein gleiches Ersuchen an den Präsidenten des Landtags von Nordrhein-Westfalen bezüglich des Landtagsabgeordneten Prüßner gerichtet worden sei. Mit Schreiben vom 25. Januar 1966 habe das Büro des Präsidenten des Landtags von Nordrhein-Westfalen dem Ausschuß mitgeteilt, der Landtag habe beschlossen, die Immunität des Abgeordneten Prüßner zur Durchführung eines Strafverfahrens nicht aufzuheben.
Nach Auffassung des Ausschusses handelt es sich im vorliegenden Fall um eine politische Auseinandersetzung in der Zeit des Kommunalwahlkampfes in Nordrhein-Westfalen. Aus diesem Grunde beantragt er, die Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Biermann nicht zu erteilen.
Geben Sie bitte auch gleich den Bericht zu Punkt 18.
Den Bericht zu Punkt 18 kann ich sehr kurz fassen.
Die Rechtsanwälte Hamburger, Dr. Haag und Malsy in Frankfurt haben mit Schreiben vom 6. November 1965 um Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. h. c. Jacksch nachgesucht. Das gleiche Ersuchen haben die Anwälte schon während der Legislaturperiode des 3. und des 4. Deutschen Bundestages gestellt. Dem Antrag ist nicht stattgegeben worden. Es handelt sich hierbei um eine am 12. September 1958 eingereichte Privatklage. Die Anwälte sind Vertreter eines Herrn F. Kögler in London.
Im Jahre 1958 hat Abgeordneter Dr. Jacksch ein Buch mit dem Titel „Europas Weg nach Potsdam, Schuld und Schicksal im Donauraum" herausgegeben. In einer Anmerkung habe Abgeordneter Dr. Jacksch geschrieben:
Diese „Fight for Freedom" ({0}) getaufte Aktion bediente sich auch der willfährigen Feder einiger Emigranten, um einen „harten" Frieden gegen alle Deutschen vorzubereiten.
Durch diese Auslassung fühle sich der Anzeigeerstatter beleidigt. Darüber hinaus sei der Anzeiger als Renegat und die von dem Anzeiger veröffentlichte Schrift als „Pamphlet" bezeichnet worden.
Sowohl der 3. als auch der 4. Deutsche Bundestag hat auf Antrag des Immunitätsausschusses beschlossen, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens nicht zu erteilen, da es sich um eine Beleidigung politischen Charakters auf schriftstellerischem Gebiet handele.
Der Ausschuß stellt daher den Antrag, dem erneut vorgelegten Ersuchen nicht stattzugeben und die Genehmigung nicht zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Berichte.
Der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer hat als Berichterstatter zu Punkt 16 auf einen mündlichen Bericht verzichtet. Ich kann wohl der Einfachheit halber die Anträge des Ausschusses zu den Punkten 16 bis 18 gemeinsam zur Abstimmung stellen. Wer zustimmen will, gebe ein Handzeichen. - Einstimmig angenommen.
Ich rufe dann die Punkte 19 und 20 der Tagesordnung auf. Es handelt sich um die Veräußerung von Grundstücken aus Bundesbesitz:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen ({0}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Veräußerung einer Teilfläche des Grundstücks in Berlin-Kreuzberg, Mehringdamm 20-30, Ecke Obentrautstraße 1-21, an das Land Berlin
- Drucksachen V/134, V/256 -Berichterstatter: Abgeordneter Graaff
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen ({1}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Herwarth-von-Bittenfeld-Kaserne in Münster ({2}) an die Stadt Münster
- Drucksachen V/82, V/257 Berichterstatter: Abgeordneter Graaff
Die Berichte werden zur Kenntnis genommen. Auch hier können wir wohl gemeinsam abstimmen. Ich rufe also die Anträge auf den Drucksachen V/256 und V/257 auf. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. - Einstimmige Annahme.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 11. Februar, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.