Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Zu der in der Fragestunde der 188. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Oktober 1968 gestellten Frage des Abgeordneten Ertl, Drucksache V/3350 Nr. 15 *) ist inzwischen die schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Vogel vom 16. September 1968 eingegangen. Sie lautet:
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die von Ihnen zitierte Behauptung eines als Kaufbewerber aufgetretenen Wohnungsbauunternehmens über die Auswirkungen der Grundstückspreise auf die Mieten für die auf dem Oberwiesenfeld in München vorgesehenen Wohnungen unzutreffend ist.
Nach den noch nicht endgültigen Planungen der Olympia-Baugesellschaft werden für das Olympische Dorf der Männer auf dem Oberwiesenfeld in München etwa 30 ha benötigt. Hiervon sollen das Land Bayern etwa 22 ha und der Bund etwa 8 ha bereitstellen. Der restliche Teil des Bundesgeländes von etwa 7 ha wird wahrscheinlich für Sportanlagen benötigt; diese Grundstücke werden für die Durchführung der Olympischen Spiele vorübergehend unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Nach einer Entscheidung der Olympia-Baugesellschaft wird das Olympische Dorf der Männer frei finanziert mit den sich hieraus ergebenden Wirkungen.
Bei seinen Grundstücksverkäufen bemüht sich der Bund, allgemein auf angemessene Preise hinzuwirken. Der Grundstückspreis für das Olympische Dorf der Männer ist in einer gemeinsamen Besprechung mit dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen unter Beteiligung des Vorsitzenden des Gutachterausschusses bei der Stadt München festgelegt worden. Das Hohe Haus wird Gelegenheit haben, sich im Rahmen der haushaltsrechtlichen Behandlung des Verkaufsfalles von der Angemessenheit des Preises zu überzeugen.
Meine Damen und Herren, wir beginnen mit der
Fragestunde
- Drucksache V/3350 Ich rufe zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Börner anwesend. Die Frage 131 stellt der Abgeordnete Felder:
Würde es die Bundesregierung nicht für zweckmäßig erachten, den Reisedienst der Deutschen Bundesbahn ({0}) bei den TEE-Zügen Rembrandt und Rheingold jeweils bis zur Endstation der beiden Züge, also in den EWG-Raum hinein, auszudehnen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
s) Siehe 188. Sitzung, Seite 10150 B
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Präsident, wenn der Herr Kollege Felder einverstanden ist, möchte ich seine beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs gern zusammen beantworten.
Ich nehme an, der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also auch Frage 132 auf:
Kann die Bundesregierung feststellen, ob auch für den TEE Parsifal ({0}) die Nachfrage nach einem durchgehenden Reisedienst besteht?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, ganz gewiß wäre es zweckmäßig, Ihrem Vorschlag zu folgen. Bei der Einrichtung von Schreibabteilen in den Zügen handelt es sich aber um einen Kundendienst, über den die zuständigen Eisenbahnverwaltungen entscheiden. Wie mir die Deutsche Bundesbahn mitteilt, hat sie sich bei der Einrichtung dieses Zugdienstes in den von Ihnen genannten Zügen Rembrandt, Rheingold und Parsifal mit den beteiligten Nachbarverwaltungen in Verbindung gesetzt. Es bestand dort leider keine Neigung, diesen Kundendienst ebenfalls einzuführen, nicht zuletzt auch wegen der von diesen Eisenbahnverwaltungen erwarteten geringen Nachfrage.
Eine Zusatzfrage.
Ich bedanke mich für diese Auskunft. Aber ich darf Sie in diesem Zusammenhang fragen, Herr Staatssekretär: Würden Sie es dann wenigstens im Blick auf den seit einiger Zeit erfreulich moderner gewordenen Service der Bundesbahn und ihre zeitgemäßere Werbung nicht für angezeigt halten, daß die Zugsekretärinnen künftig nicht mehr der sachlich für sie doch ganz unzuständigen Verwaltung der Fahrkartenausgabe der Bundesbahn unterstehen, sondern der Werbeabteilung zugeteilt werden? Dann wäre wahrscheinlich auch im Interesse der Bundesbahn - siehe die Stewardessen der Luftfahrt - eine einheitlichere, fesche Kleidung für die Damen leichter einzuführen, und auch ihre nicht allzu sozialen Arbeitsbedingungen könnten verbessert werden.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, Sie sind sicher mit mir darüber einig, daß Ihre soeben ge10188
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
stellte Zusatzfrage weit über den Komplex hinausgeht, den Sie ursprünglich angesprochen haben. Aber ich möchte Ihnen sagen, daß ich den Eindruck habe, daß die Bundesbahn sich sehr bemüht, diesen Dienst so attraktiv wie möglich zu gestalten. Wenn er durch die Vorschläge, die Sie gemacht haben, noch attraktiver werden kann, sind wir gern bereit, dem nachzugehen bzw. das zu prüfen.
Darf ich Sie also bitten, Herr Staatssekretär, daß Sie in diesem Sinne bei der Bundesbahn vorstellig werden.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, der Bundesminister für Verkehr tut alles, um das Bemühen der Bundesbahn, kaufmännisch tätig zu sein, zu unterstützen. Ich bin sicher, daß Ihre Vorschläge, wenn durch sie eine höhere Attraktivität dieses Dienstes erreicht werden kann, auch von uns mit gebührendem Nachdruck vertreten werden.
Ich rufe die Fragen 133 bis 135 des Herrn Abgeordneten Schmitt ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Kontingente für die große Zone im deutsch-französischen Straßengüterverkehr gemäß der Verwaltungsvereinbarung vom 13. Juni 1961 dem Handelsaustausch von Gütern nicht gerecht werden?
Trifft es zu, daß die französischen zuständigen Stellen bereit sind, durch geeignete Maßnahmen einen befriedigenden Zustand herbeizuführen?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um bald für die verladende Wirtschaft einen Zustand herbeizuführen, der die gegenwärtigen Behinderungen beseitigt?
Die Fragen werden im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Bundesministers Leber vom 15. Oktober 1968 lautet:
Die Ausweitung des Handelsaustausches zwischen der Bundesrepublik und Frankreich als Folge der fortschreitenden Wirtschaftsintegration im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat eine starke Steigerung des Verkehrsumfanges und eine entsprechend gestiegene Nachfrage nach Laderaum im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr zwischen der Bundesrepublik und Frankreich hervorgerufen. Da sich in letzter Zeit der Anteil des deutschen Lkw an diesem Verkehr besonders günstig entwickelte, führte dies naturgemäß auf deutscher Seite zu Engpässen bei der Genehmigungsausgabe, vor allem bei Genehmigungen für die Fahrten in die Fernzone ({1}) nach Frankreich. Bei den letzten bilateralen Verhandlungen erklärte sich das französische Verkehrsministerium bereit, das Genehmigungskontingent für die Große Zone zu erhöhen. Dadurch konnten die Schwierigkeiten bei der Ausgabe von FrankreichGenehmigungen an deutsche Gürterkraftverkehrsunternehmer weitgehend beseitigt werden.
Um dem weiter ansteigenden Verkehrsbedürfnis, insbesondere dem nach Güterkraftverkehr, gerecht werden zu können, haben beide Verkehrsministerien bei den letzten Verhandlungen ihre Übereinstimmung darin bekräftigt, möglichst rasch alle Voraussetzungen für das Anlaufen des grenzüberschreitenden kombinierten Verkehrs Schiene/Straße - insbesondere des Huckepackverkehrs - zu schaffen. Darüber hinaus wurden sich beide Seiten darüber einig, bei den nächsten bilateralen Verhandlungen, die so bald wie möglich stattfinden sollen, die Erweiterung der Kleinen Zone im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr auf beiden Seiten erneut zu erörtern. Das Genehmigungskontingent für die Kleine Zone reicht zur Zeit aus.
Außerdem werden bis zum 1. Januar 1969 die Gemeinschaftsgenehmigungen aus dem EWG-Gemeinschaftskontingent für den grenzüberschreitenden gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften erteilt sein, so daß auch insofern der ansteigende Bedarf nach Güterkraftverkehr im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gesteigert befriedigt werden kann.
Dann kommen wir zur Frage 136 des Herrn Abgeordneten Dr. Hofmann ({2}) :
Wann wird mit dem 4-spurigen Ausbau der Bundesstraße 9 zwischen der Stadt Bingen und der Landeshauptstadt Mainz begonnen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, mit dem vierspurigen Ausbau wird im Frühjahr 1969 begonnen werden.
Noch eine Frage?
Ja, noch zwei weitere Fragen.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Darf ich die dann gleich beantworten, Herr Präsident?
Bitte. Ich rufe dann auch die Fragen 137 und 138 des Herrn Abgeordneten Dr. Hofmann ({0}) auf:
Vertritt die Bundesregierung die Meinung, daß die Strecke der Bundesstraße 9 zwischen der Landeshauptstadt Mainz und der Stadt Bingen als Autobahn anszubauen ist?
Wenn die Frage 137 von der Bundesregierung bejaht wird, ergeben sich dann für den Raum um und zwischen den Städten Mainz, Bingen und Alzey in Rheinhessen irgendwelche Konsequenzen für andere Straßenbauprojekte?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, die Antwort auf Ihre nächste Frage lautet: Ja.
Die Antwort auf Ihre dritte Frage, die Frage 138, lautet: Für die Bundesfernstraßenbaumaßnahmen im Raum Mainz-Bingen-Alzey entstehen durch diese Aufstufung keine Änderungen. Die bisherige Planungskonzeption, die einen zweibahnigen Ausbau der B 9 zwischen Bingen und Mainz, der B 40 zwischen Alzey und Mainz und der B 9 zwischen Mainz und Worms vorsieht, wird beibehalten.
Herr Dr. Hofmann!
Herr Staatssekretär, indem ich mich für die ausgezeichneten Antworten bedanke, darf ich doch fragen: Wie lange wird der vierspurige Ausbau dauern?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, das hängt nicht nur davon ab, wieviel Geld das Hohe Haus bewilligt oder wie schnell die Bauleute dort tätig werden können, sondern auch davon, daß der Grunderwerb in diesem Gebiet besonders schwierig ist. Wie sie wissen, handelt es sich um ein Gebiet, in dem zum Teil landwirtschaftliche Sonderkulturen vorhanden sind, und die Bereitschaft, Straßenland abzutreten, ist nicht immer gleich groß. Wir hoffen sehr, daß wir vom Grunderwerb und von der Planung her sehr schnell zum Bauen kommen. Ich habe Ihnen zugesagt, daß. ein Abschnitt - nach dem von Ihnen gefragt wurde - im nächsten Frühjahr begonnen wird. Dort sind die Voraussetzungen gegeben. Bei den anderen muß ich mit den Angaben über das Bautempo zurückhaltend sein, weil das wiederum vom Grunderwerb abhängig ist, den die Auftragsverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz durchführt.
Herr Staatssekretär, können Sie auch nicht annähernd sagen - das meine ich jetzt sehr ernst: annähernd -, wie lange es wohl dauern könnte? Denn Sie wissen, daß der Verkehr dort am Zusammenbrechen ist.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Da ich die Strecke selbst oft fahre und durchaus auch aus der Sicht des Kraftfahrers urteilen kann, möchte ich sagen: so schnell wie möglich wird der Bau begonnen und durchgeführt werden. Aber das hängt von den. genannten Gründen ab, auf die ich keinen Einfluß habe.
Herr Dr. Hofmann!
Herr Staatssekretär, kann denn, wenn sich diese Ausbauzeit etwas länger hinziehen sollte trotz der vom Gesetz gegebenen Möglichkeiten, bei Straßenbauten schnell zu handeln - Sie kennen die Möglichkeiten -, nicht eine Kriechspur in dem Wald zwischen Gonsenheim und Mainz vorübergehend ausgebaut werden?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Das will ich gern prüfen. Nur, Herr Kollege, ich bin nicht mit Ihnen einer Meinung, daß das Gesetz alle Möglichkeiten heute so eröffnet, wie sie die Straßenbauer gern haben möchten. Meine persönliche Meinung ist, daß wir ein Enteignungsrecht haben, das den Bedürfnissen des modernen Straßenbaus nicht entspricht.
({0})
Gestatten Sie die weitere Frage, Herr Staatssekretär: wir haben doch auch die einstweilige Einweisung und die vorläufige Besitzeinweisung, ehe man zur Durchführung des Enteignungsverfahrens im Gerichtsverfahren schreitet?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Ja, natürlich. Aber, Herr Kollege, wenn z. B. in einer Fluchtlinie, die von uns in Anspruch genommen werden muß, noch eine Tankstelle mit einem Öltank sitzt, der da verbuddelt ist, und wir den von Ihnen bezeichneten Weg gehen würden, können Sie sich selbst ausrechnen, welche Schadenersatzforderungen nachher auf uns zukommen. Also die Dinge sind durchaus kompliziert.
Gestatten Sie, Herr Staatssekretär, daß ich frage, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß die Höhe der Schadenersatzforderungen sich nicht nach dem Verfahren- richtet, ob man das im normalen Enteignungsverfahren oder durch vorläufige Besitzeinweisung durchführt?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Ja, das ist richtig. Nur
das Problem ist ja, welche Maßnahmen von uns welche wirtschaftlichen Konsequenzen für den Betroffenen auslösen. Gerade in dem Beispiel, von dem ich sprach, ist eine Kettenreaktion von wirtschaftlichen Schädigungen zu erwarten, für die dann von den Gerichten Schadenersatz festgesetzt wird, der unter Umständen sehr hoch sein kann.
Ich glaube, mir steht noch eine Frage zu. - Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es ganz gleichgültig ist, wie hoch später einmal die Forderung sein kann, und daß dies nichts an der Tatsache ändert, sofort mit Besitzeinweisung handeln zu können?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, wir sind, wie Sie wissen, durch die Gesetze und durch den politischen Willen des Hohen Hauses verpflichtet, Straßenbaumittel so wirtschaftlich- wie möglich auszugeben. Das spielt in diese Überlegung mit hinein.
Herr Dröscher!
Herr Staatssekretär, sind bei den beabsichtigten Ausbaumaßnahmen an der Straße Bingen-Mainz auch die vierspurigen Anschlußarbeiten in Richtung Bad Kreuznach schon vorgesehen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, das ist nach den bisherigen Überlegungen der Auftragsverwaltung zwar möglich, nur gibt es da noch Probleme, auf die ich gesondert zurückkommen möchte, die ich Ihnen heute in diesem Zusammenhang nicht alle darlegen kann; das würde den Rahmen der Fragestunde überschreiten.
Frage 139 stellt der Abgeordnete Ramms:
Ist der Bundesregierung bekannt, was die Deutsche Bundesbahn daran hindert, an Fernschnellzüge auch Wagen zweiter Klasse anzuhängen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, das F-Zug-Netz der Deutschen Bundesbahn zeichnet sich durch hohe Reisegeschwindigkeiten aus. Voraussetzung für solche Fahrzeiten ist die Beschränkung der Zuglasten und der Zahl der Halte. Das Anhängen von Wagen zweiter Klasse würde zwangsläufig zu einer Erhöhung der Zuglasten führen. Gleichzeitig würde die Forderung nach zusätzlichen Halten ausgelöst. Damit könnten die leichten F-Züge ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr gerecht werden, sehr schnelle Verbindungen zwischen den Großstädten der Bundesrepublik herzustellen.
Herr Ramms!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß auch diejenigen Menschen, die vom Portemonnaie her die erste Klasse und TEE nicht bezahlen können, gern ohne Halte auf Fernstrecken gehen würden?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, das ist ja auch keine sozialpolitische oder gesellschaftspolitische Frage, die ich hier anspreche. Ich habe Ihnen soeben dargelegt, daß sich aus der Technik dieses Verkehrs die Notwendigkeit ergibt, die Züge verhältnismäßig kurz zu halten - von der Wagenzahl her -, um eine bestimmte Gewichtsnorm nicht zu überschreiten; das hängt mit den Bremsvorgängen usw. zusammen.
Dann habe ich Ihnen dargelegt, daß das zweite Kriterium möglichst wenig Halte sind. Normalerweise ist bei D-Zügen, wie Sie ja wissen, ein viel öfterer Halt vorgesehen, der sich natürlich auf die Reisezeit auch entsprechend auswirkt.
Das von Ihnen genannte Problem, daß unabhängig von dem Lösen der ersten oder zweiten Klasse bestimmte Kundenkreise der Bundesbahn ein Anrecht darauf haben - so möchte ich es einmal formulieren -, möglichst schnell befördert zu werden, wird ja von der Bundesbahn seit Jahren in ihren Bemühungen um die Verkürzung der Fahrzeiten überhaupt, auch um die Einrichtung von sogenanntem Inter-City-Verkehr usw., berücksichtigt.
Herr Ramms!
Sind in den Fernzügen die ErsterKlasse-Wagen so stark frequentiert und ausgelastet, daß man nicht unter Umständen einen Tausch zwischen erster und zweiter Klasse vornehmen könnte?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Ja, das muß bejaht werden. Die Fernzüge dieser Art - nur erste Klasse - sind in der Regel gut besetzt. Sie wissen ja aus der Rechnung der Deutschen Bundesbahn, daß das auch ein lukrativer Verkehr ist. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß es auch Fernzüge im internationalen Verkehr gibt, die durch die Bundesrepublik durchfahren, wo die Möglichkeit gegeben ist und ausgenutzt wird, ZweiterKlasse-Wagen anzuhängen. Nur hier spielt die Reisezeit, wie Sie ja aus eigener Erfahrung wissen, Herr Kollege, nicht immer die Rolle wie bei den Verbindungen, von denen ich vorher sprach.
Herr Mertes!
Herr Staatssekretär, ist es nicht auch so, daß bei normalen Schnellzügen vielfach die Plätze in der ersten Klasse nicht ausreichen, während in der zweiten Klasse nur eine Besetzung zur Hälfte festzustellen ist?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, das ist sehr verschieden, sowohl nach der Jahreszeit als auch hinsichtlich der Zugrelation, also in bezug auf die Entfernung, die Strecke, die gefahren wird. Es ' gibt Tage, an denen z. B. auf der Rheinstrecke und im Nord-Süd-Verkehr die erste Klasse brechend voll ist, meistens dann, wenn bestimmte Flugverbindungen ausgefallen sind und die Reisenden ad hoc auf die Bundesbahn verwiesen werden. Auch ist z. B. immer festzustellen, daß die Bundesbahn freitags sehr oft von Personen in Anspruch genommen wird, die an anderen Tagen nicht reisen. Die Bundesbahn bemüht sich, das durch zusätzliche Gestellung von Wagen erster Klasse aufzufangen. Aber das Problem ist eben, daß man von der Kapazität des gesamten Unternehmens her nie gleichmäßig so viele Erste-Klasse-Wagen bereithalten kann, wie in Spitzenzeiten gebraucht werden. Dieses allgemeine Problem der Verkehrswirtschaft stellt sich auch bei dem soeben genannten Flugverkehr. Auch die Lufthansa kann nicht jeden Tag alle Buchungen befriedigen. An anderen Tagen werden wiederum manche Strecken sehr wenig benutzt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen dann zur Frage 140 des Herrn Abgeordneten Ramms:
Was hat die Bundesregierung bewogen, für 1971 eine Verlegung der Abteilung Seeverkehr des Bundesverkehrsministeriums nach Bonn ins Auge zu fassen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, eine Entscheidung über die Verlegung der Abteilung Seeverkehr des Bundesverkehrsministeriums von Hamburg nach Bonn ist noch nicht getroffen. Für den Fall, daß eine solche Entscheidung erwogen wird, werden selbstverständlich alle in Betracht kommenden Gesichtspunkte geprüft.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 141 des Herrn Abgeordneten Ramms auf:
Ist im Zusammenhang mit dieser Zeitungsberichten zufolge geplanten Verlegung der Abteilung Seeverkehr auch eine Trennung des bisher damit verbundenen Deutschen Hydrographischen Instituts und des Deutschen Seewetterdienstes beabsichtigt?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, nach meiner Antwort auf Ihre erste Frage stellt sich die Frage praktisch nicht mehr. Vorsorglich möchte ich jedoch darauf hinweisen, daß das Deutsche Hydrographische Institut und das Seewetteramt nur räumlich und nicht organisatorisch mit der Abteilung Seeverkehr meines Hauses verbunden sind.
Wir kommen zu der Frage 142 des Herrn Abgeordneten Dr, Enders:
Ist die Bundesregierung nach den bisherigen Unfällen bereit, die Abfahrten am Autobahnabzweiger Fulda-Nord so zu verbessern, daß abfahrende Fahrzeuge nicht mehrere Fahrbahnen überqueren müssen und dadurch sich und andere Verkehrsteilnehmer gefährden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, Ihnen wird sicherlich bekannt sein, daß zu dieser Angelegenheit Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Fulda erstattet worden ist. Dem Ergebnis dieser Untersuchung kann ich nicht vorgreifen. Abgesehen davon habe ich die Auftragsverwaltung des Landes Hessen gebeten, die Verhältnisse an der Anschlußstelle Fulda-Nord zu überprüfen.
Herr Dr. Enders!
Herr Staatssekretär, würden Sie es für wünschenswert halten, die Abfahrten am Autobahn-Abzweiger Fulda-Nord so zu verbessern, daß man in beide Richtungen fahren kann, ohne mehrere Fahrbahnen zu überqueren?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, ich bitte um Verständnis, wenn ich erkläre, daß eine Bewertung dieses Problems in dieser Zeit von dieser Stelle aus unter Umständen in dem soeben genannten Verfahren eine Rolle spielen könnte. Ich muß mich deshalb heute darauf beschränken, Ihnen zu sagen, daß der Ausgang des Verfahrens abgewartet werden muß.
Ich rufe die Frage 143 des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf:
Ist eine ausreichende technische Überwachung der von den alliierten Streitkräften privat benutzten Kraftfahrzeuge gewährleistet?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 17. Oktober 1968 lautet:
Nach Artikel 10 Abs. 5 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut haben die Behörden der Truppen für die von ihnen registrierten und zugelassenen Kraftfahrzeuge angemessene Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Die privaten Kraftfahrzeuge von Mitgliedern und Angehörigen einer Truppe oder eines zivilen Gefolges werden von den zuständigen Stellen der alliierten Streitkräfte regelmäßig auf Verkehrssicherheit überprüft. Solange der Bundesregierung Beanstandungen nicht mitgeteilt werden, muß sie davon ausgehen, daß die Entsendestaaten die von ihnen übernommenen vertraglichen Verpflichtungen erfüllen. Das Bundesverkehrsministerium ist aber jederzeit bereit, berechtigte Beanstandungen mit den zuständigen Behörden der alliierten Streitkräfte zu erörtern.
Auch die Frage 144 des Herrn Abgeordneten Schmidt-Vockenhausen
Hält die Bundesregierung den am 1. November 1968 in Kraft tretenden Winterflugplan der Lufthansa für den innerdeutschen Flugverkehr für ausreichend?
wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet.
Hier lautet die Antwort des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 17. Oktober 1968:
Die Bundesregierung hält den am 1. 11. 1968 in Kraft tretenden Winterflugplan der Deutschen Lufthansa für den innerdeutschen Luftverkehr für ausreichend. Das Angebot an eigenständigen innerdeutschen Verbindungen bleibt - von wenigen saisonbedingten Wochenendstreichungen abgesehen - hinsichtlich Frequenzzahl und Tageszeitenlagen unverändert. Aus der Umstellung von Propellergerät auf Düsengerät ergeben sich auch für den innerdeutschen Luftverkehr einige Verbesserungen hinsichtlich Sitzplatzkapazität und Reisezeit im Winterflugplan 1968/69.
Wir kommen dann zu der Frage 43 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann - bisher aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern -:
Ist die Bundesregierung bereit, in den Fällen, wo durch Eingemeindungen und die Bildung von Großgemeinden sich die bisherigen Ortsmittelpunkte für die Bestimmung der Nahverkehrszone ändern und damit wichtige Nahverkehrsrelationen zerrissen werden, durch die Zulassung bezirklicher Ortsmittelpunkte zu helfen?
Herr Dr. Müller-Hermann ist anwesend. Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, die Zulassung bezirklicher Ortsmittelpunkte in Großraumgemeinden mit weniger als 100 000 Einwohnern bedürfte einer gesetzlichen Neuregelung. Dies hätte eine Ausweitung der Nahzone zur Folge und stünde in Widerspruch zu der Zielsetzung des verkehrspolitischen Programms der Bundesregierung. Soweit durch Eingemeindung und die Bildung von Großgemeinden im Einzelfall unzumutbare Härten entstehen, gibt das Güterkraftverkehrsgesetz die Möglichkeit zu Hilfen auf andere Weise. So kann vorübergehend z. B. ein anderer Ort zum Standort erklärt werden, wenn dies aus wirtschaftlichen Gründen geboten und mit dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Güterkraftverkehrs vereinbar ist. Da zur Nahzone alle Gemeinden gehören, deren Ortsmittelpunkt innerhalb der Nahzone liegt, kann auch durch Neufestsetzung des Ortsmittelpunktes in den peripheren Gemeinden eines Nahzonenbereichs geholfen werden. Die Bundesregierung hielt es deshalb nicht für erforderlich, eine gesetzliche Neuregelung einzubringen oder vorzuschlagen.
Herr Dr. Müller-Hermann!
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, in den von mir geschilderten Fällen, wo Gemeinden zusammengelegt worden sind, auch die Frage der Festlegung fiktiver Standorte wohlwollend zu prüfen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, dieses Problem ist mit den entsprechenden Vertretern der Länder bisher in der Weise besprochen und geregelt worden, wie ich es soeben angedeutet habe. Wir werden Ihre Anregung aber noch gern in diese Gespräche einbeziehen.
Herr Müller-Hermann!
Hält der Herr Bundesverkehrsminister die aus den dreißiger Jahren stammende, völlig willkürliche und ökonomisch in keiner Weise sinnvolle Unterscheidung zwischen Nah- und Fernverkehr auf die Dauer für vertretbar?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, diese Frage geht über diesen besonderen Punkt weit hinaus. Sie ist eine Grundsatzfrage bei den Gesprächen, die. zur Zeit in den Fachausschüssen des Hohen
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Hauses darüber geführt werden. Ich möchte der Meinungsbildung der Fraktionen in dieser Frage nicht vorgreifen.
({0})
- Herr Kollege, die Meinung der Bundesregierung ist im Verkehrspolitischen Programm umfassend dargestellt.
Wir kommen jetzt zu den Fragen 105 und 106 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann:
Welche Bedenken het die Bundesregierung, Brillenträger für die Ausbildung zu nautischen Offizieren in der Seeschiffahrt zuzulassen?
Ist die Bundesregierung bereit, entsprechenden Regelungen anderer Länder zu folgen und die Anforderungen an die Sehkraft den modernen Hilfsmitteln der Nautik' anzupassen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, der Entwurf einer Verordnung über die Seediensttauglichkeit sieht bei der ersten Untersuchung von Bewerbern für die nautische Laufbahn eine Mindestsehschärfe ohne Brille von 1,0 auf dem einen und 0,5 auf dem anderen oder 0,7 auf beiden Augen vor. Da die Sehschärfe erfahrungsgemäß im Laufe des Lebens abnimmt, laufen Bewerber, die schon bei der ersten Untersuchung gewissen Mindestanforderungen nicht entsprechen, Gefahr, vorzeitig, unter Umständen schon kurz nach der abgeschlossenen Ausbildung, nicht mehr seediensttauglich zu sein. Eine schärfere Eingangsuntersuchung soll verhindern, daß eine langwierige Ausbildung praktisch zwecklos durchgemacht wird. Der Fachausbildung des Nautikers geht überdies eine praktische Ausbildung voraus, bei der eine Tätigkeit nicht nur auf der wettergeschützten Brücke, sondern auch, insbesondere beim Ausguck, im Freien erforderlich ist. Dabei kann das Tragen einer Brille, vor allem bei schlechtem Wetter, eine besondere Gefahrenquelle bedeuten.
({0})
- Herr Präsident, dann darf ich vielleicht die Antwort auf die zweite Frage gleich vorlesen.
Bitte!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Die Antwort auf Ihre zweite Frage, Herr Kollege, lautet: ja. Bei späteren Nachuntersuchungen sollen Besatzungsmitglieder, die mit ausreichender Sehschärfe in den Beruf eingetreten sind, ihrem Beruf so lange erhalten bleiben, als es schiffssicherheitsmäßig vertretbar ist. Brillenträger, die mit Glas noch über eine Mindestsehschärfe von 0,7 auf dem einen und 0,5 auf dem anderen Auge verfügen, sollen unter der Voraussetzung zugelassen bleiben, daß die addierte Sehschärfe beider Augen ohne Glas mindestens 0,25 beträgt.
Herr Dr. Müller-Hermann!
Herr Staatssekretär, mir ist etwas nicht ganz klar. Darf ich aus Ihrer zweiten Antwort schlußfolgern, daß die Regelung bei dem gleichen Thema in anderen Ländern auch von der Bundesregierung wohlwollend geprüft wird? Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Auswirkung der Sehkraft in den einzelnen Ländern verschieden gesehen wird.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Nein, Herr Kollege. Vielleicht darf ich Ihnen in diesem Zusammenhang sagen: wir stützen uns bei unserer Bewertung dieses Problems durchaus auf die Erfahrungen anderer Länder bzw. der Seeberufsgenossenschaften. Was hier gewollt ist, ist, daß man eben beim Beginn der Ausbildung einen sehr scharfen gesundheitlichen Maßstab ansetzt, weil in dieser Ausbildung praktisch nicht alle Tätigkeiten mit Brille ausgeübt werden können. Wenn ein Mann aber die Ausbildung durchlaufen hat oder später einmal praktisch nur Brückendienst macht, so ist heute in der modernen Schiffahrt ja nicht mehr die gleiche Lage gegeben wie auf dem Segelschiff, wo die Gischt bis zum Rudermann hochspritzte. Dann kann man auch nach unserer Meinung eine Brille im Dienst in gewissen Grenzen durchaus zulassen. Das ist aber nicht beim Ausguck, in der Ausbildung usw., und zwar auch aus Gründen der Sicherheit des Mannes, der hier betroffen ist, zuzulassen. Aus diesem Grund haben wir uns praktisch zu dieser flexiblen Regelung entschlossen, die, wie Sie sicher wissen, auch bei anderen seefahrenden Nationen gilt.
Herr Dr. Müller-Hermann!
Darf ich Sie, Herr Staatssekretär, bitten, doch noch etwas flexibler vorzugehen, als es die bisherige Praxis vorsieht, damit „Seeberuf" im besten Sinne des Wortes - sowohl mit „ee" als auch mit „eh" geschrieben - verstanden werden kann.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, das ist nicht eine Frage unserer Flexibilität oder unseres Wohlwollens, sondern ich habe ausdrücklich gesagt, daß wir uns hier auf die Erfahrungen der Seeberufsgenossenschaften stützen müssen, die aus guten Gründen strenge gesundheitliche Normen gesetzt haben. Wir sind durchaus bereit, durch die Entwicklung des modernen Schiffsbaus vielleicht überholte Bestimmungen zu korrigieren, müssen aber doch beachten, daß es sich hier nicht nur um die Sicherheit des Betreffenden, sondern um die Sicherheit von Leib und Leben der Besatzung und auch des gesamten Schiffes handelt. Der Mann hat ja eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit.
Auf jeden Fall muß alles schiffssicherheitsmäßig zugehen, Herr Staatssekretär.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Sehr richtig, Herr Präsident.
Herr Könen!
Herr Staatssekretär, treffen die Bedenken auch für Seeleute zu, die die Möglichkeit haben, Haftschalen zu tragen, oder ist das nicht erlaubt?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Das kann ich im Einzelfall hier nicht sagen. Ich nehme aber an, daß die gleichen Bedenken auch gegen Haftschalen bestehen würden. Es ist ja ein Unterschied, Herr Kollege, ob Sie hier mit einer Brille normal durch den Regen gehen - oder mit Haftschalen - oder ob Sie Salzwasser ausgesetzt sind.
Das letztere ist wohl richtig,- aber die Haftschalen haben mit dem Regen nichts mehr zu tun, Herr Staatssekretär.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Ich lasse mich gerne belehren, Herr Kollege.
Das war aber keine Frage, Herr Kollege.
Verzeihung, Herr Präsident.
Keine weiteren Fragen zu diesem Punkt.
Wir kommen jetzt zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung. Zunächst die Frage 145 des Abgeordneten Ott:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, das Wehrpflichtige nach Ableistung ihrer Dienstpflicht nicht unter das Losverfahren bei der Besetzung von Studienplätzen fallen?
Herr Präsident, ich würde gern die drei Fragen des Herrn Kollegen Ott zusammen beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden? - Ich rufe dann noch die Fragen 146 und 147 auf:
Hält die Bundesregierung es im Interesse der Gleichbehandlung aller Staatsbürger für vertretbar, daß nicht Dienende durch Einsparung von 18 Monaten Wehrdienst selbst beim Losverfahren noch wesentlich früher einen Studienplatz erhalten als Wehrpflichtige, die nach 18 Monaten Dienstzeit durch das Losverfahren benachteiligt werden?
Teilt die Bundesregierung meine Besorgnis, daß durch ein solches Verfahren harte Anforderungen an junge Staatsbürger gestellt werden, die vermieden werden sollten?
In Studienfächern mit beschränkter Kapazität muß eine Auswahl unter den Studienbewerbern getroffen werden. Dafür haben die einzelnen Fakultäten bestimmte Maßstäbe zur Beurteilung der Bewerber erarbeitet. Zu diesen Kriterien zählen stets sowohl die Leistungen, also Zeugnisnoten, als auch soziale Faktoren, wie die Ableistung des Wehrdienstes. Nur in denjenigen Fällen, in denen mehr Bewerber mit gleicher Punktzahl vorhanden sind, als noch Plätze übrig sind, wird unter diesen Bewerbern gelost. Ein anderes Verfahren zur Auswahl unter gleichwertigen Bewerbern ist mit Rücksicht auf den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes nicht zu verwirklichen. Aus diesem Grunde kann meines Erachtens auch nicht von einer zu vermeidenden Ungleichheit der Behandlung Wehrpflichtiger und gedienter Abiturienten gesprochen werden. Die Bundesregierung würde es allerdings begrüßen, wenn die Fakultäten ihre Kriterien für die Zulassung noch stärker miteinander abstimmten
Herr Ott!
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß das, was Sie vorgetragen haben, draußen bei den Studenten nicht verstanden wird, wenn nämlich zunächst nach 18monatigem Wehrdienst das Auslosungsverfahren kommt, durch das Auslosungsverfahren die Ungleichheit und Ungerechtigkeit verstärkt wird, so daß derjenige, der Wehrdienst getan hat, weitere 6, 9 oder 12 Monate warten muß, insgesamt also bis zu 3 Jahren warten muß, ehe er zum Studium kommt, im Gegensatz zu anderen, die sofort nach Abschluß des Abiturs den Studienplatz antreten können? Halten Sie das noch für eine Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit?
Ich glaube, Sie haben meine Antwort nicht richtig verstanden, Herr Kollege Ott. Ich habe gerade erklärt, daß das Losverfahren nicht die Regel ist, sondern daß nach einem bestimmten Punktsystem, das sich aus verschiedenen Faktoren ergibt, aus Leistung und sozialen Tatbeständen wie Wehrdienst, sich eine Reihenfolge der Zulassungen ergibt und daß lediglich in dem ganz seltenen Fall, in dem mehr Bewerber mit gleicher Punktzahl vorhanden sind, als noch Plätze übrig sind, gelost wird, also nicht im Regelfall, sondern in seltenen Ausnahmefällen. Insofern basiert Ihre Zusatzfrage auf einer falschen Annahme.
Herr Ott!
Würden Sie bitte bei der Konferenz der Kultusminister dieses Problem einmal aufgreifen? Denn mir ist bekannt, daß das, was Sie soeben gesagt haben, nicht generell durchgeführt wird.
Ich bin natürlich gerne bereit,
mit der Konferenz der Kultusminister und mit den Ländern und den Fakultäten darüber zu sprechen, ob man dieses Verfahren noch verbessern kann. Ich kann aber nur sagen, daß bei aller verständlichen Kritik ein besserer Vorschlag in den etwa zweijährigen Diskussionen nicht gemacht wurde.
Herr Lohmar!
Herr Bundesminister, welche Folgerungen wollen Sie aus dem letzten Satz Ihrer zunächst gegebenen Antwort ziehen, daß die Fakultäten eine noch genauere Abstimmung der Kriterien miteinander vornehmen sollten, anders gefragt: welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, auf die Westdeutsche Rektorenkonferenz oder auf die Fakultätentage in dieser Richtung einzuwirken?
Die Bundesregierung ist in der Lage, diesen Gesichtspunkt in Besprechungen zu vertreten. Sie hat das in der Vergangenheit getan und wird es weiterhin tun. Eine exekutive Entscheidungsmöglichkeit hat sie in diesem Sektor, wie Sie wissen, nicht.
Herr Hofmann!
Herr Bundesminister, wie hoch ist in dem von Ihnen zitierten Punktsystem die Ausübung der Wehrpflicht gegenüber den allgemeinen Beurteilungen quantifiziert?
Ich sagte schon in meiner Antwort, daß es hier gewisse Abweichungen zwischen den Fakultäten gibt. Ich bin gerne bereit, Ihnen eine schriftliche Unterlage zu geben. Eine kurze generelle Antwort ist bei diesem geschilderten Sachverhalt nicht möglich.
Herr Hofmann!
Wie hoch ist denn, wenn ich unterstellen darf, daß meinetwegen zehn Punkte dazu führen, zum Studium zugelassen zu werden, in der Relation, die von mir jetzt gegriffen ist, wertmäßig in etwa die Wehrpflicht quantifiziert? 30 %, 50 %, 1 %?
Das richtet sich zunächst einmal nach der Länge der geleisteten Wehrdienstzeit; denn diese variiert ja auch je nach dem Status der Studienbewerbers.
({0})
- Da möchte ich vermuten, daß sie etwa einen Faktor von 20, 30 % umfassen werden neben Leistungsgesichtspunkten und anderen sozialen Tatbeständen.
({1})
Herr Moersch!
Herr Minister, in welcher Weise hat -das Bundesverteidigungsministerium in dieser Frage, die hier schon öfters beprochen wurde, auf die Universitäten eingewirkt, die Ableistung der Wehrpflicht sehr hoch zu bewerten?
Ich kann im Moment nicht alle Gespräche des Verteidigungsministeriums übersehen. Ich kann nur sagen, daß die zuständigen Ressorts, also vor allem auch das Verteidigungsministerium, diesen Sachverhalt auf Grund der Anfrage noch einmal besprochen haben und auch bereit sind, ihre schon wiederholten Bemühungen fortzusetzen, für einheitliche Kriterien einzutreten.
Herr Moersch!
Herr Minister, wie lange kann es nach Ihrer Meinung noch dauern, bis die allgemeine Ungerechtigkeit der Abiturnoten erkannt ist und die Universitäten von sich aus Eingangsprüfungen veranlassen?
Das ist eine völlig neue Frage, zu der ich gern in anderem Zusammenhang einmal genaue Vorüberlegungen anstellen und Stellung nehmen möchte.
({0})
Herr Schulze-Vorberg!
Herr Bundesminister, teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß gerade aus" dem von Ihnen eben bemühten Grundsatz der Gleichheit Studienbewerber, die den Wehrdienst abgeleistet haben, unverzüglich zum Studium kommen müssen?
Ich würde das nicht in dieser Vorbehaltlosigkeit sagen, weil es auch andere Kriterien, etwa das Kriterium der Qualifikation, gibt. Aber ich stimme Ihnen darin zu, daß sicher bei einer Reihe von Fakultäten dem Gesichtspunkt der Wehrdienstleistung in dieser Kombination verschiedener. Faktoren stärker Rechnung getragen werden könnte.
({0})
Herr Schulze-Vorberg!
Herr Bundesminister, ist es nicht so, daß der Studienbewerber, der 18 Monate Wehrdienst geleistet hat, dadurch einen Studiennachteil von 18 Monaten, von drei Semestern hinter sich hat und daß man diese Wartezeit generell einbeziehen müßte, d. h. die
Studienbewerber, die gedient haben, sofort zum Studium zuzulassen wären?
Das ist bei den entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen der Kombination verschiedener Faktoren sicher ein wesentlicher Gesichtspunkt. Es ist aber nicht zu verkennen, daß es bereits einzelne Disziplinen gibt, in denen heute Wartezeiten von zwei, drei Jahren unabhängig von der Frage des Wehrdienstes vorkommen, etwa in der medizinischen Fakultät.
Herr Josten!
Herr Minister, sind Sie bereit, mit unserem Verteidigungsminister dahingehend Gespräche zu führen, daß grundsätzlich dienende Wehrpflichtige bei Besetzung von Studienplätzen nicht benachteiligt, sondern eher sogar bevorzugt werden?
Ich habe schon gesagt, daß das ein wesentlicher Faktor für die Zulassung sein muß. Insoweit kann ich Ihre Frage bejahen. Aber ich darf noch einmal darauf verweisen, daß wir hier im Grunde auch in der Rolle dessen sind, der anregt oder vorschlägt, nicht in der Rolle dessen, der entscheidet.
Herr Josten!
Herr Minister, würden Sie auch bereit sein, die Ergebnisse Ihres Gesprächs gegebenenfalls der Rektorenkonferenz mitzuteilen, damit generell in allen Ländern die Wehrpflichtigen bei Bewerbung um diese Studienplätze nach gleichen Gesichtspunkten berücksichtigt werden?
Wir sind bereit, das erneut zu tun, müssen aber hinzufügen, daß auch die Rektorenkonferenz hier nicht entscheidet, sondern die Fakultäten entscheiden. Das ist nun einmal das System der Selbstverwaltung, das wir in Deutschland haben.
Herr Dr. Lohmar!
Herr Bundesminister, könnten Sie sich der Ansicht anschließen, daß man die Diskussion über diese Frage nicht so führen sollte, als ob die Wehrdienstzeit eine verlorene Zeit wäre?
Aus meiner Antwort ist das sicherlich hervorgegangen.
Herr Ott!
Herr Bundesminister, Sie sprachen vorhin verschiedentlich von Qualifikationen am Anfang des Studiums. Welcher Art müssen diese Qualifikationen sein, damit Punkte für die Zulassung gesammelt werden können?
Ich habe in meiner ersten Antwort darauf hingewiesen, daß es andere Faktoren gibt, d. h. Abschlußzeugnisse, Noten usw.
Herr Peters!
Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Meinung, daß auf Grund dieses Gesprächs und Ihrer Antworten jetzt der Tatbestand gegeben ist, daß .der Bund größere Kompetenzen haben müßte, um hier entscheidend einwirken zu können?
Ich darf darauf verweisen, daß dies nicht primär ein Verhältnis Bund-Länder, sondern ein Verhältnis Staat und wissenschaftliche Selbstverwaltung ist. Es ist mir bisher nicht bekannt, daß hier im Augenblick entscheidende Korrekturen im Grundsatz in Richtung auf den Staat gefordert werden. Im Gegenteil, es gibt Tendenzen, die weithin unterstützt werden, die Rolle des Staates in den Hochschulen überhaupt noch weiter einzuschränken.
Wir kommen zur Frage 148 des Abgeordneten Moersch:
Hat die Bundesregierung die Absicht, das Anfang dieses Jahres vorgelegte Programm für die Entwicklung der Kernenergie mit der vorgesehenen weiteren Förderung eines DampfbrüterProjektes zu ändern?
Im 3. Deutschen Atomprogramm wird die Entwicklung von Kraftwerken mit Schnellbrutreaktoren als Schwerpunkt der kerntechnischen Entwicklung bezeichnet. Seit 1966 arbeiten Firmengruppen der Reaktorbauindustrie an der Projektierung und zugehörigen .Entwicklung je eines 300-MW-Kraftwerks mit natriumgekühltem bzw. dampfgekühltem Schnellbrutreaktor. Außerdem führt die Gesellschaft für Kernforschung im Kernforschungszentrum Karlsruhe grundlegende Untersuchungen zur Entwicklung von Schnellbrutreaktoren durch. Nach übereinstimmender Ansicht der Gesellschaft für Kernforschung und der beteiligten Industriefirmen kann - entgegen der ursprünglichen Absicht - ein Kraftwerk mit dampfgekühltem Schnellbrutreaktor großer Leistung erst dann verwirklicht werden, wenn eine hinreichend große Anzahl von Brennelementen in einem eigens dafür zu errichtenden großen Brennelement-Testreaktor erprobt worden ist.
Zur Zeit werden auf Grund dieser veränderten Situation das wirtschaftliche Potential des Kraftwerks mit dampfgekühltem Schnellbrutreaktor und seine Entwicklungskosten bis zur wirtschaftlichen
Reife sorgfältig analysiert. Sollte sich herausstellen, daß das wirtschaftliche Potential dieses Typs nicht ausreicht, um die Förderung der Entwicklung zu rechtfertigen, würde die Bundesregierung die notwendigen Konsequenzen ziehen. Ich rechne damit, daß wir in etwa einem Vierteljahr das Hohe Haus über das Ergebnis unterrichten können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Herr Minister, haben Sie bei Ihren Projekten und Vorhaben genügend berücksichtigt, daß wir in Deutschland vor allem die Projekte zu fördern haben, die in konkurrierenden Ländern nicht gefördert werden?
Dieser Gesichtspunkt wird berücksichtigt. Auf der .anderen Seite können wir natürlich auch nicht übersehen, daß sich zwei andere Länder, die USA und Schweden, in denen bisher allein neben Deutschland diese Linie verfolgt wurde, durch staatliche oder industrielle Entscheidungen entschlossen haben, diesen Typ nicht weiter zu verfolgen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Herr Minister, sind Ihnen die Gründe bekannt, die in den USA der Entscheidung zugrunde liegen, und ist Ihnen bekannt, daß z. B. von industrieller deutscher Seite die dort genannten Gründe bedauert und als nicht stichhaltig empfunden werden?
Ich kann Ihre letzte Feststellung nicht so generell bestätigen. Es gibt in der fachlichen Erörterung - die ja nicht abgeschlossen ist, wie ich betont habe - eine Argumentation des Für und Wider. Ich kann aber nicht sagen, daß die deutschen Sachverständigen in Industrie und Forschung die amerikanische Entscheidung als völlig unmotiviert ansehen, wie immer sie sie im einzelnen bewerten.
Es folgt die Frage 149 des Abgeordneten Moersch:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht der FAZ - Blick durch die Wirtschaft - ({0}), daß die Kritik an dem Projekt „schneller Brüter mit Dampfkühlung" in der amerikanischen Zeitschrift „Nucleonics Week" einseitige Interessenstandpunkte wiedergibt, nicht aber auf gesicherten Erkenntnissen neuer Art beruht?
Die erwähnte Zeitschrift „Nucleonics Week" berichtet in ihrer Ausgabe vom 11. Juli 1968 von den Problemen der Entwicklung des dampfgekühlten Schnellbrutreaktors und führt gewisse Tatbestände auf, die ich soeben erwähnt habe. In einer weiteren Ausgabe vom 1. August 1968 wird die Vermutung ausgesprochen, daß nach der Einstellung der Entwicklungsarbeiten der amerikanischen Firma General Electric das entsprechende deutsche Projekt ebenfalls beendet würde. Die Berichte enthalten somit Tatsachenfeststellungen und Vermutungen, die teilweise den Entscheidungen vorausgreifen. Die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, die Motive dieser Publikation zu bewerten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Herr Minister, sind Sie bereit, eventuell im Wissenschaftsausschuß uns die offensichtlich sehr gegensätzlichen Sachverständigen- und Interessentenmeinungen vorzutragen, die es zu diesen Fragen gibt, und dabei sehr genau zu beachten, daß zwischen Sachverstand und Interesse oft gar kein Unterschied gemacht werden kann?
Dies versuchen wir ohnehin zu beachten; aber ich bin gern bereit, den Bericht zu geben.
Die nächste Frage, die Frage 150 des Abgeordneten Moersch:
Wird die Bundesregierung vor möglicherweise folgenschweren Entscheidungen in der Reaktorförderung das Ergebnis der ENEA-Studie abwarten und zur öffentlichen Diskussion stellen?
Die zitierte Studie wird in Kürze von den zuständigen Gremien der ENEA diskutiert werden. Ob die Studie veröffentlicht wird, ist bisher von der Organisation noch nicht entschieden. Die wesentlichen Ergebnisse der Studie sind aber schon jetzt den Fachleuten bekannt, die als Berater der Bundesregierung mit der Analyse des wirtschaftlichen Potentials und den Entwicklungskosten des Kraftwerktyps mit dampfgekühltem Schnellbrutreaktor in Deutschland befaßt sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Herr Minister, ist die Bundesregierung grundsätzlich der Auffassung, daß es für unsere technisch-wirtschaftliche Entwicklung und auch unsere Konkurrenzfähigkeit sinnvoller ist, öffentliche Mittel in großem Umfange für durchaus risikoreiche Projekte einzusetzen, bei denen wir mit der Entwicklungslinie allein stehen, als ebenfalls Projekte in großem Umfange zu fördern, die von vier oder fünf Konkurrenzstaaten ohnedies, und zwar mit Vorsprung, gefördert worden sind?
Wenn wir der Überzeugung sind, daß wir eine wirklich aussichtsreiche Entwicklung verfolgen, bejahe ich Ihre Frage.
Wir kommen zur Frage 151 des Abgeordneten Rollmann:
Entspricht es den Tatsachen, daß in der Bundesrepublik Deutschland relativ weniger Studenten auf den wissenschaftlichen Hochschulen studieren und sich die Zahl der Studenten in den vergangenen fünf Jahren bedeutend geringer erhöht hat als bei unseren EWG-Nachbarn?
In der Bundesrepublik studieren gegenwärtig etwa 7,91% der 20- bis 24jährigen an wissenschaftlichen Hochschulen, in Frankreich demgegenüber 13,7 %. Die Zahl der Studierenden an wissenschaftlichen Hochschulen hat sich in den vergangenen fünf Jahren in der Bundesrepublik um 171%, in Belgien um 67 %, in Frankreich um 82 % erhöht. Die relativ geringe Zunahme bei uns ist wesentlich darauf zurückzuführen, daß in den vergangen fünf Jahren die geburtenschwachen Jahrgänge 1943 bis 1948 in die wissenschaftlichen Hochschulen eingetreten sind. Während in Frankreich die Zahl der 20- bis 24jährigen insgesamt in den vergangenen fünf Jahren um 24 % anstieg, sank sie bei uns um 26 %.
Diese Phase wird sich jedoch bald in ihr Gegenteil verkehren. Ab 1971/72 werden nicht nur erheblich stärkere Jahrgänge, sondern auch höhere Anteile an diesen Jahrgängen das Abitur machen. Das wird dazu führen, daß die Zahl der Abiturienten von 56 000 im Jahre 1967 auf etwa 130 000 im Jahre 1976 steigen wird. Im übrigen genügt eine isolierte Betrachtung der Studentenzahlen bei den wissenschaftlichen Hochschulen nicht. Es müssen die Fachhochschulen und andere qualifizierte Ausbildungsgänge einbezogen werden. Schließlich ist die Erfolgsquote der Studenten zu berücksichtigen, die z. B. in Frankreich besonders niedrig ist;
Herr Rollmann!
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Minister, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß sich die Bundesrepublik Deutschland in der Ausbildung von Studenten an den wissenschaftlichen Hochschulen nicht im Rückstand gegenüber unseren EWG-Partnern befindet?
Ich habe keine allgemeine Folgerung gezogen, sondern Tatbestände geschildert und eine künftige Entwicklungstendenz beschrieben, die das Bild wesentlich verändern wird. Die Frage, wieviel Studenten man an wissenschaftlichen Hochschulen und Fachhochschulen braucht, ist ein weiterführendes Thema, das zum Teil sehr unterschiedlich beurteilt wird. Wesentlich für die Diskussion ist die von mir ausgesprochene Erkenntnis, daß eine isolierte Betrachtung des -Problems der wissenschaftlichen Hochschulen nicht genügt.
Die nächste Frage, Frage 152, des Herrn Abgeordneten Rollmann:
Bei Bejahung der Frage 151: welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus diesen Tatsachen für ihre Bildungspolitik ziehen?
Angesichts der künftigen Abiturientenzahlen brauchen wir uns wahrscheinlich keine Sorgen zu machen, daß wir Mitte der 70er Jahre zu wenig Studenten haben werden. Vielmehr wird es nur unter äußerster Belastung der öffentlichen Haushalte und bei völliger Ausschöpfung der Nachwuchsreserven an Hochschullehrern möglich sein, 1976 für die Mehrzahl der Abiturienten Studienplätze bereitzustellen. Neben dem Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen werden eine erhebliche Erweiterung der Kapazität neuer Hochschultypen, der bestehenden Fachhochschulen sowie die Entwicklung neuer, kürzerer und berufsbezogener Studiengänge nötig sein.
Auch die Frage 153 stellt der Abgeordnete Rollmann:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß der Kulturföderalismus der elf Bundesländer in der Lage ist, das deutsche Schul- und Hochschulwesen auf einen Stand zu bringen, der uns auch morgen noch unseren Rang als führende Industrienation sichert?
Ihre Frage, Herr Kollege Rollmann, die das vielschichtige Problem der Weiterentwicklung des Kulturföderalismus in der Bundesrepublik Deutschland aufwirft, kann ich im Rahmen einer Fragestunde nicht ihrer Bedeutung angemessen beantworten. Ich darf darauf hinweisen, daß das Problem in einer Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Lenz und anderer zur Weiterentwicklung des föderativen Systems angesprochen wird. Die Bundesregierung wird sich in absehbarer Zeit zu dieser Anfrage und damit mit der gebotenen Ausführlichkeit und Sorgfalt zu diesem Problem äußern.
Herr Rollmann!
Besteht nicht die Gefahr, Herr Minister, daß dadurch, daß in den einzelnen Bundesländern die Schul- und Hochschulreform nach völlig verschiedenen Modellen vorgenommen wird - wenn man etwa an die unterschiedlichen Auffassungen zur Gestaltung einer Gesamtschule denkt -, das ganze Bildungs- und Hochschulwesen in der Bundesrepublik Deutschland noch weiter zersplittert wird als bisher?
Die Gefahr besteht zweifellos.
Was tut die Bundesregierung, um dieser Gefahr zu wehren?
Die Bundesregierung muß bei ihren Aktionen die Zuständigkeitsregelung des Grundgesetzes beachten. Sie hat auf dem Gebiet der Hochschulplanung mit ihren Vorschlägen für die Finanzverfassungsreform Voraussetzungen für eine wirkungsvollere Koordinierung geschaffen, von de10198
nen sie hofft, daß dieses Hohe Haus sie in Kürze verabschieden wird.
({0})
Sie haben keine Frage mehr, Herr Rollmann.
({0}) - Ich will sie Ihnen gnädig bewilligen.
Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß notfalls auch außerhalb des Rahmens des Grundgesetzes im engeren Sinn für die Bundesregierung eine gewisse Verpflichtung, sich um eine einheitliche Gestaltung der Reform des Schul- und Hochschulwesens in der Bundesrepublik zu bemühen, vorhanden ist?
Ich möchte nicht auf die Frage eingehen, Herr Kollege Rollmann, was hier „das Grundgesetz im engeren Sinne" bedeutet. Ich kann nur sagen, die Bundesregierung entscheidet und handelt auf der Grundlage des Grundgesetzes. Sie kann darüber hinaus auch da, wo sie nicht zuständig ist, aus ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung diskutieren und beraten. Das tut sie in solchen Organen wie etwa dem Bildungsrat auch im Zuständigkeitsbereich der Länder. Ich glaube, wir sind uns aber darin einig, daß wir stets zwischen den Sektoren, in denen wir verantwortlich staatlich handeln, und denen, in denen wir eine beratende oder diskutierende Stimme wie andere auch haben, zu unterscheiden haben.
Herr Dr. Lohmar!
Herr Bundesminister, wie ordnen Sie die sehr zurückhaltende Beschreibung Ihrer letzten Bemerkungen über die politische Initiative des Bundeskanzlers ein, mit Mitgliedern seines Kabinetts, Ministerpräsidenten der Länder und Kultusministern einen nationalen Bildungsplan zu orientieren? Kann man das mehr in der Richtung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers verstehen, oder versteht sich der Kanzler in diesem Zusammenhang, sagen wir einmal, als Gesprächsleiter eines Bildungskränzchens?
({0})
Ich halte die terminologische Beschreibung nicht ganz für angemessen, Herr Kollege Lohmar, aber in der Sache ist es so, daß dieses zweifellos ein Konsultativorgan ist, d. h. ein Beratungsgremium, in dem sich Verantwortliche aus verschiedenen Bereichen, Bund, Ländern, Wissenschaft und Bildungswesen, zusammengefunden haben, um in der Diskussion Entscheidungen in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich vorzubereiten und zu koordinieren. Es ist nicht ein Organ, das selbst Entscheidungen trifft. Diesen Unterschied müssen wir, glaube ich, auch gegenüber der Öffentlichkeit immer
wieder ganz deutlich herausstellen, um die große Verantwortung, aber auch die Grenzen, die den Bundesorganen hier gegeben sind, zu betonen.
Wir kommen zur Frage 154 des Abgeordneten Dr. Marx ({0}):
Welche Erfahrungen sind bei der Durchführung des Forschungsprogramms „Tieflagerung radioaktiver Rückstände" gemacht worden?
Im Rahmen der Forschungsarbeiten über die Tieflagerung radioaktiver Rückstände wurden inzwischen zwei Versuchseinlagerungen niedrig-radioaktiver Abfälle in dem Bergwerk Asse durchgeführt. Vom April 1967 bis April 1968 wurden insgesamt 4 318 Fässer zu je 200 1 mit niedrig-radioaktiven Abfällen aus 6 Kernforschungsanlagen und 5 Industriefirmen des Bundesgebietes zum Bergwerk Asse transportiert, unter Tage gebracht und in einem Abbau der 750 m-Sohle zur Endlagerung abgestellt. Beschaffenheit und Verpackung der Abfälle sowie der technische Ablauf des Einlagerungsbetriebes wurden studiert. Schwierigkeiten traten hierbei nicht auf. Außerdem tritt bei dieser Art der Endbeseitigung keine Strahlenbelastung in der Umgebung auf. Die gewonnenen Erfahrungen werden zu Anforderungen an Beschaffenheit und Verpackung der radioaktiven Abfälle für einen geordneten Lagerbetrieb ausgewertet.
Keine weitere Frage. - Frage 155 des Abgeordneten Dr. Martin:
Ist die Bundesregierung bereit, eine Fernsehuniversität in ihre Förderungsmaßnahmen nach dem Bund-Länder-Abkommen vom 8. Februar 1968 einzubeziehen und sich demzufolge mit 50 v. H. an den Investitionskosten zu beteiligen?
Das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern zur Förderung von Wissenschaft und Forschung vom 8. Februar 1968 betrifft, wie Sie wissen, nur die bestehenden wissenschaftlichen Hochschulen ohne die Neugründungen. Über die Frage der Neugründungen wird im Zusammenhang mit der Finanzverfassungsreform entschieden werden. Eine Fernsehuniversität könnte deshalb eventuell dann vom Bund-Länder-Abkommen vom 8. Februar 1968 erfaßt werden, wenn sie in engem organisatorischen Zusammenhang mit bestehenden Hochschulen stünde. Bisher ist der Bundesregierung zwar eine Reihe von Vorarbeiten, aber noch kein rechtlich-organisatorisch hinreichend konkretisiertes Vorhaben bekannt, eine selbständige oder an eine Hochschule angegliederte Fernsehuniversität zu errichten. Die Bundesregierung ist jedoch bereit, konstruktive Vorschläge gemeinsam mit den Ländern aufgeschlossen zu prüfen, weil sie sich der großen Bedeutung des Fernunterrichts und des Fernsehunterrichts bewußt ist.
Keine weitere Frage. Frage 156 des Abgeordneten Dr. Martin:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, bei einer Fernsehuniversität von dem allgemeinen Grundsatz, wonach sich der Bund an den laufenden Kosten nicht beteiligen soll, abzuweichen im Hinblick darauf, daß es sich hierbei um eine überregionale Einrichtung handelt?
Das war die Beantwortung beider Fragen, Herr Präsident.
Bei dieser Gelegenheit, Herr Minister: Welche Erfahrungen haben Sie bis jetzt mit dem Abkommen insgesamt gemacht? Sind die Länder in der Lage, 40 % zu leisten, oder sehen Sie Schwierigkeiten kommen?
Es gibt gewisse Schwierigkeiten, die gegenwärtig in der Bund-Länder-Kommission verhandelt werden.
Und von wem gehen die Schwierigkeiten aus? Ist jemand nicht bereit, die starre 50-50-Lösung zu ändern? Wer ist das?
Es steht nicht zur Diskussion, die 50-50-Lösung zu ändern, weil sie auch Teil unserer Vorschläge zur Finanzverfassungsreform ist; es gibt aber bei einigen Ländern Probleme, die zugesagten Leistungen voll aufzubringen. Darüber wird verhandelt.
Herr Dr. Lohmar!
Darf ich anknüpfen, Herr Minister, an Ihre Bemerkung, daß der Bundesregierung konkrete Planungsvorhaben in Richtung Fernsehuniversität, Bildungsfernsehen etc. nicht bekannt seien, und Sie fragen, ob die Bundesregierung von einem offiziellen Informationsaustausch zwischen der Ständigen Konferenz der Kultusminister und den Intendanten der westdeutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten vor kurzem in München weiß, wo genau über die von Herrn Dr. Martin angesprochene Frage präzise diskutiert worden ist, ohne daß die Bundesregierung dazu eingeladen wurde.
Meine Bemerkung bezog sich auf das Stichwort „Fernsehuniversität", nicht unbedingt auf den Fernunterricht. Ich kann aber bestätigen, daß nach unserer Kenntnis solche Fühlungnahmen erfolgen, ohne daß wir darüber von den Initiatoren durch ein Gesamtkonzept offiziell unterrichtet werden. Wir werden aber von uns aus aktiv an den weiteren Diskussionen teilnehmen und unsere Bereitschaft zum Ausdruck bringen, an der Lösung dieser Fragen in angemessener Weise mitzuwirken.
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen ist der Herr Staatssekretär Diehl anwesend. Ich rufe auf die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Dorn:
Was stört die Bundesregierung im einzelnen daran, daß auch die Nachrichtenagenturen AP und UPI das Recht des Grundgesetzes in Anspruch nehmen, ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten?
Herr Abgeordneter Dorn, die Antwort auf Ihre erste Frage lautet: Gar nichts, weder im einzelnen noch im allgemeinen. - Wenn Sie erlauben, Herr Präsident, würde ich des Zusammenhangs wegen die folgenden Fragen gleich anschließen.
Bitte tun Sie das, Herr Staatssekretär!
Nur zu der ersten!
Herr Dorn, Sie wollen jetzt eine Frage stellen? - Eine Zusatzfrage!
Zu der ersten Frage, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben geäußert, man könne schon an den von mir eingereichten Fragen erkennen, was für bizarre Gedanken sich hier entwickelt hätten. Können Sie mir das. näher erklären?
Herr Abgeordneter, die Frage in Verbindung mit dem Problem der Meinungsfreiheit ist in der Tat in einer Weise gestellt, die an den Problemen, die mit der Tätigkeit der amerikanischen Agenturen in der Bundesrepublik verbunden sind, vorbeigeht. Das Problem der Meinungsfreiheit ist von mir in keiner Weise angeschnitten worden, und das Infragestellen sozusagen der Verfassungstreue der Bundesregierung gegenüber dem Art. 5 des Grundgesetzes ist in der Tat eine Sache, die mich immer wieder überrascht.
Herr Dorn!
Können Sie mir dann erklären, Herr Staatssekretär, daß - wie Ihr Stellvertreter ja zugegeben hat - Telefongespräche mit einem dieser Korrespondenten bei Ihnen auf Tonträgern aufgenommen- worden sind?
Herr Abgeordneter, es handelt sich nicht darum, daß etwas aufgenommen oder gar schon abgehört wird, was ein Fragesteller sagt. Eine Auskunft, die der Chef vom Dienst an einen Vertreter einer Agentur gibt, ist eine für die Öffentlichkeit bestimmte Mitteilung, und der betreffende Beamte hat - übrigens von sich aus, selbstverständlich ohne meine Billigung oder Weisung und ohne die irgendeines anderen Verantwortlichen im Hause - das, was er gesagt hat, als Dokument für die Äußerung der Regierung festhalten wollen.
Herr Moersch!
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin im Zusammenhang mit dem Art. 5 den Begriff der Meinungsfreiheit gebraucht, die Sie nicht in Frage stellen wollten. Haben Sie nicht in Ihrem Gespräch mit Werner Höfer aber doch die Frage anklingen lassen, ob die Informationsfreiheit in diesem Fall auch der Agenturen, die sich in auslän10200
dischem Besitz befinden, voll eingeschränkt werden müsse?
Nein, Herr Abgeordneter Moersch. Einmal ist es so: Wenn Sie den Text des Interviews lesen, dann wird darin deutlich - Herr Höfer hat das sehr gut beschrieben -, daß es eine Bemerkung von mir war, die an sich nicht Bestandteil des Interviews war. Die Aussage, daß es sich um ein nicht beklagenswertes, aber bemerkenswertes Phänomen handle, ist exakt nicht mir zugeschrieben. Sie könnte auch von Herrn Höfer oder unsere gemeinsame sein. Ich mache sie mir aber zu eigen.
Die Tätigkeit der beiden amerikanischen Agenturen in der Bundesrepublik ist in der Tat keineswegs beklagenswert, aber doch, da sie von der Konstruktion her im Nachrichtenwesen der Welt nahezu einmalig ist, bemerkenswert.
Herr Moersch!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß auch auf dem Gebiet des Informationswesens Konkurrenz ein ebenso gutes Prinzip wie beispielsweise in der Wirtschaft sein kann?
Natürlich. Das war an sich der Grund, weswalb ich gebeten hatte, die Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen, und ich bitte Herrn Abgeordneten Dorn, das, was ich jetzt sage, schon in Zusammenhang mit seinen anderen Fragen zu sehen.
Es handelt sich in der Tat nicht darum, daß wir in Deutschland im Einklang auch mit unserer allgemeinen Wirtschaftspolitik etwa eine „Buy-German"Kampagne betreiben. Ich erinnere an eine Rede, die der Bundeswirtschaftsminister bei der Einweihung einer neuen Anlage von IBM gehalten hat. Er hat da gesagt: Wir haben hohe amerikanische Marktanteile, 90 % auf dem Computermarkt, 80 % in der Mineralölindustrie, und ich werde Ihnen einige interessante Angaben über die Marktanteile der amerikanischen Agenturen machen.
Er hat gesagt: Wir begrüßen das, aber wenn man im freien Wettbewerb in einem anderen Land als amerikanisches Unternehmen einen hohen Marktanteil erwirbt, dann entsteht daraus eine gewisse Verpflichtung, die Verpflichtung, die sich aus der Größe ergibt.
Ich habe in meinen Äußerungen, zu denen ich dann durch entsprechende Fragen auf der Pressekonferenz gebracht worden bin, gesagt, daß ich in der Tat der Auffassung bin, daß sich aus der Tatsache, daß ein amerikanisches Unternehmen einen großen Marktanteil auf dem deutschen Nachrichtenmarkt hat, die Verpflichtung zu besonderer Objektivität bei der Behandlung innerpolitischer Fragen ergibt. Das möchte ich hier auch noch einmal wiederholen.
({0})
Frau Dr. DiemerNicolaus!
Herr Staatssekretär, darf ich auf Ihre Antwort auf die erste Zusatzfrage meines Kollegen Dorn zurückkommen. Sie hatten versucht, die Aufnahme auf Tonband damit zu rechtfertigen, daß es sich dabei um ein Gespräch gehandelt habe, das für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei.
Sind Sie sich dessen bewußt, daß Sie mit dieser Antwort im Gegensatz zu den maßgeblichen Kommentatoren über das, was „öffentlich" ist, stehen, insbesondere zu Schönke-Schröder, der die Meinung vertritt, daß es für die Öffentlichkeit darauf ankommt, daß eine unbestimmte Zahl von Personen die Wahrnehmung machen und mithören können, daß es, auch dann, wenn ein Gespräch zu zweit oder in einem kleineren Kreis geführt wird, für die Öffentlichkeit nicht ausreicht, daß es für eine größere Zahl bestimmt ist?
Gnädige Frau, ich habe nicht versucht, zu rechtfertigen, was geschehen ist. Ich sagte schon, es ist eben ohne meine Kenntnis und auch ohne meine Billigung geschehen. Trotz des Respekts, den ich vor dem Kommentator habe, und obwohl ich nur Nationalökonom bin, möchte ich doch seine Meinung in Frage stellen. Die Äußerung eines Beamten, der als Chef vom Dienst tätig ist, dem Vertreter einer Nachrichtenagentur gegenüber, der eben diese Äußerung im Zitat verbreiten will, ist nach meiner Auffassung eine Äußerung der Öffentlichkeit gegenüber.
({0})
Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus!
Herr Staatssekretär, darf ich Sie vielleicht darauf aufmerksam machen - nachdem Sie gesagt haben, Sie seien Nationalökonom, ist das bestimmt kein Vorwurf -, daß aber nicht nur der maßgebliche Kommentar von Schönke-Schröder, sondern auch die gesamte Rechtsprechung den Begriff der Öffentlichkeit in gleicher Weise auslegt, im Gegensatz zu Ihrer Auffassung?
Gnädige Frau, ich bin der Meinung, daß auch Rechtsprechung und Rechtslehre gut beraten wären, wenn in einem dynamischen Prozeß die Entwicklung des Nachrichtenwesens und der damit verbundenen Techniken allgemach in Rechnung stellten.
({0})
Herr Dr. SchulzeVorberg!
Herr Staatssekretär, Sie hatten auf die erste Frage des KolleDr. Schulze-Vorberg
gen Dorn: „Was stört die Bundesregierung im einzelnen ...?" geantwortet: Gar nichts! Könnten Sie dann dem Hause einmal knapp zusammenfassend erklären, wie es überhaupt zu dem Fall gekommen ist? Ich glaube, darüber besteht doch weitgehend Unklarheit. Wenn gar nichts stört, was ist dann überhaupt passiert?
Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg, Anlaß ist diese Äußerung in dem Interview mit Werner Höfer gewesen. Diese Bemerkung hat eine außerordentlich überzogene Reaktion auf seiten der Agenturen ausgelöst, die eben auch bemerkenswert ist. Daran haben sich 'in der Pressekonferenz eine Reihe von Fragen angeschlossen. Min Eindruck ist, daß aus übrigens legitimem geschäftlichem Interesse heraus, aus der Sorge, vielleicht Marktanteile zu verlieren, in einer solchen Debatte in einer Weise reagiert worden ist, die allerdings wieder auf meiner Seite zu politischen und psychologischen Reaktionen geführt hat.
Mir scheint, daß das jetzt hier ausreichend besprochen worden ist. Ich lasse keine weitere Frage zu.
Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Dorn:
Welche Vorteile für sich sähe die Bundesregierung in dem Monopol einer einzigen deutschen Presseagentur, wie sie ihren berufenen Sprechern nach deren wiederholten Äußerungen offenbar vorschwebt?
Glaubt die Bundesregierung nicht, daß auch den deutschen Zeitungen durch die Möglichkeit einer freien Auswahl unter mehreren Nachrichtenagenturen besser gedient ist als durch eine von oben erwünschte Beschränkung auf eine?
Herr Abgeordneter, aus dem Gesagten geht hervor, daß sich die Bundesregierung keinerlei Vorteile von einem Monopol verspricht. Den berufenen Sprechern, wie Sie gesagt haben, schwebt infolgedessen auch nichts dergleichen vor.
Die Frage 23 geht infolgedessen von einer unzutreffenden Annahme aus; denn wir wünschen keine Beschränkung auf idem Nachrichtenmarkt. Wenn Sie erlauben, Herr Abgeordneter, würde ich zu dem Problem der Marktanteile Stellung nehmen, weil es wirklich - ich verdanke Ihrer Anfrage die Beschäftigung mit diesem Problem - eine interessante und bemerkenswerte Erscheinung ist.
Nahezu in aller Welt werden die Weltnachrichtendienste der großen Agenturen durch die nationalen Agenturen verbreitet. Aus Gründen entweder der rechtlichen Situation in dem betreffenden Lande oder des politischen Takts und dies politischen Instinkts kommt es sehr selten vor, daß die ausländische Nachrichtenagentur im Inland des Gastlandes einen Dienst mit Inlandsnachrichten für den Vertrieb im Inland aufbaut. Die Situation in !der Bundesrepublik ist in gewisser Weise einmalig. Nur Reuters hat in ,den Vereinigten Staaten etwas Ähnliches aufgebaut. Wenn Sie sich die Herkunft der Meldungen ansehen - wir haben im November vorigen Jahres, also nicht im Zusammenhang mit dem aktuellen Gegenstand, sondern mit dem der Pressekonzentration und Pressefreiheit einmal solche Tests gemacht -, stellen Sie fest, daß dpa allein 10,2 % der Nachrichten an einem bestimmten Tage liefert, die gedruckt werden, dpa und UPI zusammen in dieser Kombination 30,6 %, ,dpa und AP 22,4 %, dpa/UPI/AP 22,4 %; sie sind also Doppel- und Dreifachbezieher. Wenn Sie die Abonnementszeitungen, die Agenturdienste beziehen, einmal mit 100 % bewerten, hablen 87,8 % davon ein Abonnement mit dpa, .57,2 % ieines mit UPI unid 49 % eines mit AP. Das heißt, in Zahlen ausgedrückt - die Sache fluktuiert natürlich etwas -, daß dpa zwischen 145 und 155 Lieferungsverträge in der Bundesrepublik hat und die beiden amerikanischen Agenturen zusammen zwischen 165 und 175.
Herr Dorn!
Herr Staatssekretär, sehen Sie denn in dieser Aufteilung, die Sie hier gerade vorgetragen haben, irgendeine Gefährdung der Möglichkeit einer freien Information durch die Zeitungen, die ihre Verträge mit den einzelnen Agenturen haben?
Herr Abgeordneter, im Zusammenhang mit dem GüntherBericht und der Frage der Konzentration und der Pressefreiheit ist es jedenfalls nicht völlig abwegig, auch die Frage der Belieferung mit Nachrichten einmal zu prüfen. Es ist schon so, daß aus dem Recht der Meinungsfreiheit, wie es auch der Innenausschuß dieses Hauses formuliert hat, ein Recht auf politische Betätigung von Ausländern nicht ohne weiteres abgeleitet werden kann. Hier gibt eis fließende Begriffe, und daß die Publizistik natürlich auch politische Bedeutung hat, liegt auf der Hand. Deshalb haben wir diese Untersuchung der Günther-Kommission eingeleitet. Daraus irgendwelche rechtlichen Konsequenzen zu ziehen würde ich für völlig abwegig halten.
Aber nochmals: ich bin der Meinung, daß amerikanische Unternehmen, die mit einer so sensiblen Materie wie Nachrichten umgehen, sich besonderer Objektivität und Exaktheit befleißigen sollten.
Herr Dorn!
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Gesamtschau von vorhin den Schluß ziehen, daß Sie befürchten, daß bei diesen Agenturen politischer Takt und Instinkt nicht in dem Sinne vorhanden seien, wie Sie es gesagt haben, weil Sie hier eine eifrige Einmischung in die deutsche Innenpolitik feststellen müssen?
Herr Abgeordneter, obwohl es mir in dieser Woche natürlich schwerfällt, den „Spiegel" nicht als eine Quelle ersten Ranges zu bezeichnen, muß ich doch sagen, daß ich eine derartige Äußerung nie getan habe.
Herr Moersch!
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dem Hohen Hause einmal in einem präzisen Bericht die wirkliche Situation darzustellen, die es auf dem Gebiete des Agenturwesens in Deutschland gibt und die z. B. darin besteht, daß auf Grund der Genossenschaftsstruktur von dpa eine zweite, eigenständige Agentur bisher in Deutschland nicht wirtschaftlich arbeiten konnte und daß es doch höchst bemerkenswert ist, daß, obwohl fast alle Zeitungen als Genossen diese deutsche Presseagentur beziehen, der Abdruckanteil der Zweit- und Drittagenturen, die nur zusätzlich bezogen werden, diesen Umfang annimmt, der uns alle erstaunt, wie Sie soeben hier vorgetragen haben?
Herr Abgeordneter, ich sagte schon, daß für mich selber die unter dem Druck der Anfrage erzwungene Beschäftigung mit diesem Problem außerordentlich instruktiv war. Ich bin gern bereit, etwa im Ausschuß für Kulturpolitik einmal im Zusammenhang darüber zu berichten.
Vielleicht, Herr Staatssekretär - wenn ich mir die Anregung erlauben darf -, halten Sie es auch für möglich, daß Sie einmal ein Institut für Publizistik - sofern Sie das für geeignet halten - beauftragen, dieses Problem in einer wissenschaftlich fundierten Weise anzugehen, da wir alle in diesem Punkt, wie Sie wissen, Interessenten sind, einschließlich des Bundespresseamts.
In der Tat.
Um dieses Kapitel abzuschließen, lasse ich jetzt noch die letzte Frage des Abgeordneten Dorn beantworten.
({0})
- Ist erledigt? Gut. Dann ist die Fragestunde geschlossen.
Wir kommen nun zur Aussprache über die Punkte 4 und 5:
4. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
5. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1969 ({1})
- Drucksache V/3300 -
b) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplanung des Bundes 1968 bis 1972
- Drucksache V/3299 -
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes über das Beteiligungsverhältnis an der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer
- Drucksache V/3332 - d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Länderfinanzausgleichsgesetzes 1965
- Drucksache V/3333 Die Aussprache zu beiden Punkten ist verbunden. - Das Wort hat der Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In einer Haushaltsdebatte sollte vor allem über Geld gesprochen werden, über das Geld unserer Bürger, über das Geld unserer Steuerzahler. Ich will mich an dieses Thema halten und vom Bundeshaushalt 1969 und von der mittelfristigen Finanzplanung sprechen. Ich will mich dabei darum bemühen, dies so kurz und so präzis wie möglich zu tun.
Der Bundeshaushalt 1969 wird voraussichtlich zum
letztenmal in der bisherigen Form vorgelegt werden. In Zukunft wird der Bundeshaushalt - sobald die Haushaltsreform verabschiedet ist - gleichzeitig im Bundestag und Bundesrat eingebracht werden.
Was vor kurzem noch kaum denkbar erschien, ist jetzt nahezu Gewißheit geworden: Über den tatsächlichen Ablauf des Bundeshaushalts für das nächste Jahr besteht Ungewißheit. Durch die Ereignisse in der CSSR ist dieser Haushalt mit erheblichen Unsicherheitsfaktoren belastet, und zwar in bezug auf die Verteidigungsaufgaben und hinsichtlich des Devisenausgleichs.
Bürgermeister Professor Weichmann sagte dazu im Bundesrat, daß sich die politische Situation seit dem 21. August dieses Jahres grundlegend geändert habe; man könne nicht so tun, als ob die Welt seitdem unverändert weiterginge. Es könne der Fall eintreten, daß vom deutschen Staatsbürger in Zukunft Opfer zur Sicherung der Freiheit verlangt werden müßten.
Hinzu tritt als dritter Faktor die Konjunkturlage. Der Haushaltsentwurf basiert auf der Annahme eines gleichgewichtigen Wachstums. Er unterstellt also, daß wir weder in eine Rezession noch in einen Boom eintreten werden. Für eine Rezession gibt es keinerlei Anhaltspunkt. Schwieriger ist dagegen die Entwicklung des Konjunkturaufschwungs zu beurteilen, schwierig deswegen, weil für die allerjüngste Entwicklung nur wenige Daten vorliegen, aber diese Daten lassen aufhorchen. Arbeitslose im September 1968: 176 000, offene Stellen: 609 000, Gastarbeiter im gleichen Monat: 1 090 000, Gold- und Devisenbestand am 30. September 1968: gegenüber dem Vorjahr plus 3,16 Milliarden, gegenüber dem 30. August 1968, in einem Monat also, plus 1,17 Milliarden, Außenhandelssaldo im Juli 1968: gegenüber dem Vorjahr plus 1,4 Milliarden, im August 1968: gegenüber dem Vormonat plus 1,2 Milliarden.
Diese Zahlen werden durch Meldungen aus der Wirtschaft ergänzt, die von einem erheblichen Anschwellen der Aufträge aus dem In- und Ausland, von einer Verlängerung der Lieferzeiten und von einem Abbröckeln der Preisstabilität berichten. Sollten sich diese Meldungen bestätigen und sollten
auch die übrigen Konjunkturdaten eine überproportionale Zunahme der Konjunkturtätigkeit anzeigen, so werden schwerwiegende Schlußfolgerungen für die Bundesfinanzen unausweichlich sein.
Auf jeden Fall bleibt festzuhalten, daß die drei Faktoren Verteidigung, Devisenhilfe und Konjunktur, die Konzeption des Bundeshaushalts 1969 und der mittelfristigen Finanzplanung entscheidend verändern können. Bei den Ausgaben für die Verteidigung und die Devisenhilfe ist das ohne weiteres verständlich. Bei einem möglichen Konjunkturboom ist dieser unmittelbare Zusammenhang nicht ohne weiteres offensichtlich. Trotzdem hätte in einem derartigen Fall die Finanz- und die Haushaltspolitik das Hauptgewicht der Konjunkturpolitik zu tragen, um die Stabilität zu sichern.
Die Geld- und die Kreditpolitik scheiden wegen ihres zu langen Bremsweges unter Anlockung von Auslandsgeld weitgehend aus. Die Finanzpolitik dagegen hätte folgende Möglichkeiten zur Auswahl: Ausgabenkürzungen, Streichung von Investitionen, Bildung einer Konjunkturausgleichsrücklage, Verminderung von Krediten, vorzeitige Kredittilgung und die steuerlichen Maßnahmen nach § 26 des Stabilitätsgesetzes.
Voraussetzung für die Kürzung von Investitionen wäre die Aufstellung von Investitionsprogrammen im Bund, in den Ländern und möglichst auch den Gemeinden, um einen Überblick zu ermöglichen, wo Kürzungen und im entgegengesetzten Fall Verstärkungen der Investitionen möglich wären. Im Fall der Kürzung von Investitionen ergibt sich natürlich eine Schwierigkeit: Eine derartige Maßnahme würde in Konflikt mit der Zielsetzung des Haushalts und der Finanzplanung, zu einer schrittweisen Strukturänderung der Ausgabenseite des Bundeshaushalts geraten. Dadurch würden automatisch die investiven Ausgaben wieder eingeschränkt werden; aber gerade dieser Ausgabenbereich soll ja nach dem übereinstimmenden Willen von Bundesregierung und Bundestag zur Sicherung unserer Zukunft und des Wachstums stärker wachsen als die übrigen Ausgaben. Ein Überschäumen der Konjunktur könnte eine Situation heraufbeschwören, in der diese Zielsetzung in einen unauflöslichen Widerspruch zur Konjunkturpolitik gerät. Die Schlußfolgerung daraus kann nur lauten, bereits jetzt das Erforderliche zu tun oder vorzubereiten, damit die mühsam errungene Stabilität gewahrt bleibt. Stabilität ist der oberste Grundsatz unserer Politik, denn sie ist Voraussetzung für ein optimales Wachstum. Je später stabilitätssichernde Maßnahmen bei einem beginnenden Boom einsetzen, desto schärfer müßten sie sein und desto mehr werden sie in Gegensatz zu den übrigen wirtschafts- und finanzpolitischen Zielen geraten.
Ein besonderes Problem bildet die Verschuldung. Der Bundeshaushalt 1969 bricht mit dem bisherigen Brauch des Ausweises der Bruttoverschuldung. Er enthält lediglich die Nettoschuldenaufnahme, d. h. die Differenz zwischen Kreditaufnahme und Kredittilgung. Die Neuverschuldung im Jahre 1969 beträgt 3,6 Milliarden DM gegenüber 7,2 Milliarden DM im Jahre 1968. Die Bruttokreditaufnahme beträgt 1969 für den Bund insgesamt 12,7 Milliarden DM.
Der Bund der Steuerzahler ha-t massive Kritik an einer solchen Verschuldungspolitik geübt. Kritische Stimmen sind auch im Bundesrat laut geworden. Dies sollte für uns sicher Anlaß sein, die gegen die Verschuldungspolitik vorgebrachten Argumente sorgfältig zu prüfen.
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Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsminister hält den gegenwärtigen Schuldenstand für unbedenklich. Die Bundesbank steht auf dem gleichen Standpunkt. Das genannte Gutachten hält eine öffentliche Kreditaufnahme dann für vertretbar, wenn damit finanzierte Staatsaufgaben einen höheren volkswirtschaftlichen Produktivitätseffekt haben als vergleichbare private Investitionen. Maßgebliches Kriterium für die Neuverschuldung des Staates ist danach die Größe und der Auslastungsgrad der gesamtwirtschaftlichen Reserven an Arbeitskräften und Kapazitäten.
Niemand wird behaupten wollen, daß die heutige Lage noch solche Reserven für eine weitere unbedenkliche Staatsverschuldung bietet. Andererseits ist es notwendig, die harte Kritik des Bundes der Steuerzahler an dem jetzt vorgesehenen Umfang der Neuverschuldung zurückzuweisen. Auch der Bund der Steuerzahler hält eine Staatsverschuldung für rentable Investitionen und für einmalige Ausgaben für vertretbar. Nun enthält aber der Bundeshaushalt 1969 allein für Baumaßnahmen fast 4 Milliarden DM, d. h. also mehr, als die Nettoverschuldung ausmacht. Dazu kommen über 8 Milliarden DM für sonstige Investitionen und für Investitionsförderungsmaßnahmen, so daß nur etwa ein Drittel der investiven Ausgaben des Haushalts durch Darlehen finanziert werden. Die sonstigen wachstumsfördernden Ausgaben sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Damit wäre selbst bei Anlegung des strengen Maßstabes des Bundes der Steuerzahler gegen das jetzige Ausmaß der Neuverschuldung kaum etwas einzuwenden. Im übrigen ist die Warnung an die Politiker vor dem zunächst leichten und bequemen Weg des Ausgleichs von Deckungslücken durch Darlehen sicher nicht unberechtigt.
Gewiß ist auch die Gesamthöhe unserer Staatsschulden im internationalen Vergleich nicht zu beanstanden. Aber das Tempo der Neuverschuldung um 15 Milliarden DM in den vergangenen zwei Jahren konnte unmöglich fortgesetzt werden. Dazu kommt, daß sich die Bundesrepublik ihrer Kriegs- und Vorkriegsschulden durch den Währungsschnitt weitgehend entledigen konnte, während andere Länder auf diesen Lasten sitzengeblieben sind. Auch die disziplinierte Schuldenpolitik der Regierungen bis 1966 hat den Spielraum für unbedenkliche Staatsverschuldung heute ermöglicht.
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Es darf aber auch nicht zweifelhaft sein, daß der vertretbare Kreditrahmen durch den Haushaltsplan voll ausgeschöpft wurde. Jedes Mehr müßte in der heutigen Situation nachteilige Folgen für die Preis-und Währungsstabilität bedeuten.
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Die sehr bescheidene Preissteigerungsrate in diesem Jahr ist ohnehin ausschließlich auf zurückgehende Lebensmittelpreise zurückzuführen. Ohne diese hätten wir heute schon Preissteigerungen von 31/2 bis 4 % zu verzeichnen.
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Es ist aber nicht anzunehmen und im Interesse der Landwirtschaft auch nicht zu vertreten, daß die Agrarpreise weiter sinken werden.
Zudem bleibt folgendes zu bedenken. Für die Bewirtschaftung der Bundesschuld besteht zwischen neuen Krediten und Fälligkeiten aus alten Verpflichtungen kein Qualitätsunterschied. Am Geld- und Kreditmarkt müssen nämlich die Bruttobeträge untergebracht werden: 1969 12,7 Milliarden DM, 1970 11,2 Milliarden DM, 1971 15,7 Milliarden DM, 1972 14,6 Milliarden DM. Die .Kreditmöglichkeiten müssen deswegen auch nach dem Bruttobetrag beurteilt werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt scheint mir die oberste Grenze heute erreicht. Daran würde sich selbst dann nichts ändern, wenn Länder und Gemeinden ihren Kreditrahmen nicht voll ausschöpften. Hier geht es nämlich gar nicht um das volkswirtschaftlich Vertretbare, sondern allein darum, was der Markt tatsächlich hergibt.
Bei der Beratung des Bundeshaushalts 1969 wird die Stellungnahme des Bundesrates diesmal für uns leider nicht sehr hilfreich sein. Zwar wurde auch in den Beratungen des Bundesrates auf die unübersehbaren Risiken durch die Ereignisse am 21. August hingewiesen. Auch wurden Bedenken gegen das Ausmaß der Neuverschuldung angemeldet, obschon diese doch mindestens in Höhe von 1 Milliarde DM durch die Änderung des Beteiligungsverhältnisses zugunsten der Länder ausgelöst wurde.
Leider zieht der Bundesrat aus diesen seinen Bedenken gegen den Haushaltsplan und die Finanzplanung die falschen Konsequenzen. Statt uns Vorschläge für den Abbau der Verschuldung und die Abdeckung der Risiken zu unterbreiten, fordert er hemmungslos weitere Leistungen zu Lasten des Bundes, ohne auch nur den Versuch eines Deckungsvorschlages zu unterbreiten.
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Da wird gefordert, vorgeschlagen, gewünscht oder angeregt: höhere Kostenanteile an der Finanzierung der Olymischen Spiele in München, Beteiligung des Bundes am Ausbau des Flughafens Hannover-Langenhagen, Anpassung der Leistungen für die Kriegsopfer bereits 1969, Verdoppelung des Ansatzes für Rehabilitationszentren, zusätzliche Ergänzungszuweisungen von 24 Millionen an leistungsschwache Länder, Aufstockung der regionalen Hilfsmaßnahmen um 20 Millionen DM, Aufstockung der Finanzmasse für die Gemeindefinanzreform, Weiterzahlung der Ergänzungszuweisungen und ungekürzte Strukturhilfe auch nach Verwirklichung der Finanzreform, Alleinfinanzierung des Entschädigungsgesetzes für SBZ-Flüchtlinge durch den Bund, 100 Millionen DM jährlich für die Flüchtlingssiedlung ab 1970, Aufstockung der Mittel im Agrarhaushalt, Verbesserung des Familienlastenausgleichs schon vor 1972, volle
Übernahme der Arbeitslosenhilfe durch den Bund ab 1972, Änderung des Aufbringungsschlüssels für die Förderung der beruflichen Bildung ab 1972, Verstärkung der Mittel für Gesundheitsvorsorge und Krankenheilung.
Wir haben bisher im Haushaltsausschuß die Vorschläge des Bundesrates wegen ihrer Qualität stets mit großem Respekt behandelt und in sehr vielen Fällen übernommen. Dies wird diesmal nicht möglich sein.
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Ich glaube nicht, daß der Bundesrat mit dieser Praxis seiner Verantwortung für das Ganze als Bundesorgan ausreichend gerecht geworden ist.
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Ich glaube nicht, daß diese Vorschläge das für die Politik unerläßliche Augenmaß erkennen lassen.
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Diese meine Feststellungen werden Ihnen vor dem Hintergrund der letzten Ergebnisse der Steuerentwicklung noch verständlicher erscheinen. Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern hier dargetan, daß der Bund seine Steuermehreinnahmen, die er in diesem Haushalt veranschlagt hat, allenfalls knapp erreichen wird. Die Länder hatten in ihren Haushalten 1968 ein Mehr von 1,3 Milliarden DM für Steuereinnahmen eingesetzt. In den abgeschlossenen neun Monaten haben sie demgegenüber bereits jetzt 2,1 Milliarden DM Mehreinnahmen erzielt und damit 800 Millionen DM mehr eingenommen, als für das ganze Jahr veranschlagt war. Bis zum Jahresende kann bei den Ländern insgesamt mit 1,25 Milliarden DM mehr an Steuereinnahmen gerechnet werden.
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Auch für die mittelfristige Finanzplanung gilt im Prinzip das für den Haushalt 1969 Gesagte. Bei ihr wird ebenfalls für den gesamten Zeitraum ein gleichgewichtiges Wachstum unterstellt. Sollte diese Voraussetzung nicht zutreffen, so wäre davon auch die gesamte mittelfristige Finanzplanung betroffen.
Aus dem bereits Gesagten ziehe ich folgende Schlußfolgerungen: Finanzieller Spielraum für neue Ausgaben und neue Pläne ist in der mittelfristigen Finanzplanung nicht enthalten. Gegenüber dem Konjunkturverlauf ist größte Wachsamkeit geboten. Würden wir einen neuen Boom zulassen, so wäre damit die nächste Rezession unausweichlich. Die Verschuldungspolitik muß sorgfältig kontrolliert werden. Die Verstärkung investiver Ausgaben ist ein unentbehrlicher Beitrag des Bundes zum Wachstum und zur Zukunftssicherung. Reales Wachstum aber ist nur möglich bei Erhaltung der Stabilität.
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Der Gesamtrahmen der Finanzplanung für die einzelnen Jahre ist bis 1972 restlos ausgefüllt. Soweit erkennbar, hat die Bundesregierung keinerlei Reserven für Unvorhergesehenes. Immerhin waren in der vorjährigen Planung für 1970 und 1971 bescheidene Verfügungsbeträge für noch nicht konkretisierWindelen
bare neue Maßnahmen enthalten. Sie fehlen diesmal. Das kann sich verhängnisvoll auswirken.
Bereits im Zeitraum von nur 15 Monaten seit Aufstellung der ersten Finanzplanung ergaben sich unabweisbare Mehrausgaben von fast 1 Milliarde DM für 1969 und über 2 Milliarden DM im Jahre 1971, außerdem Mindereinnahmen zwischen 1 Milliarde DM für 1969 und 11/2 Milliarden DM für 1972 durch Einnahmeverzichte zugunsten der Länder und Gemeinden.
Jetzt ist kein zusätzlicher Handlungsspielraum mehr da, obwohl bisher noch in jedem Jahr unabweisbare neue Maßnahmen und Haushaltsbelastungen auf den Bund zukamen. Damit liegt die eigentliche Bewährungsprobe in der Finanz- und Wirtschaftspolitik noch vor uns. Es gilt zu erkennen, daß mögliche Mehreinnahmen bei einem weiteren Wirtschaftsaufschwung keinesfalls für zusätzliche Konsumausgaben verfügbar sind. Dieser Wirtschaftsaufschwung wurde unter Vorgriff auf die Zukunft finanziert. Dieser Vorgriff muß wieder abgedeckt werden.
Es ist erstaunlich, wie rasch Menschen vergessen können. Noch Anfang dieses Jahres bangten wir, ob die harten Abstriche in vielen Bereichen der Sozialpolitik eine dauerhafte Wende herbeiführen könnten. Inzwischen ist die relative Bußfertigkeit der vergangenen zwei Jahre längst wieder verflogen. Damals schworen wir alle, nie wieder noch so wünschenswerte und gerechtfertigte Aufwendungen zu beschließen, wenn sie nicht mit Gewißheit später auch durchzuhalten sind. Wer von uns würde nicht lieber heute als morgen den Kriegsopfern, den SBZ-Flüchtlingen, den Familien, den Heimkehrern und all den vielen, die auf unsere Taten harren, das geben, was sie von uns erwarten? Aber was nützen Gesetze, wenn nachher Zahlungen nicht geleistet, was Versprechungen, wenn sie nachher nicht erfüllt werden können!
({10}) Nur Lumpe versprechen mehr, als sie haben.
Eine nochmalige Zurücknahme von gesetzlich gewährten Leistungen oder feierlichen Versprechungen nach der Wahl müßte das Vertrauen in Parlament, Regierung und Parteien ruinieren.
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Radikalismus und Poujadeismus wären die Folge. Die außer- und antiparlamentarische Opposition würde neuen Auftrieb und neue Argumente bekommen. Wir werden nicht daran gemessen werden, ob unsere Absichten lauter und edel sind, sondern an den Ergebnissen und an den Folgen unserer Politik.
Dieses Haus ist nicht gewählt worden, um zu fragen, was wünschenswert ist, sondern um zu prüfen, was möglich ist.
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Das vor einer Wahl zu sagen, mag unpopulär sein, es bleibt dennoch wahr.
Dieser Bundeshaushalt 1969 ist, wie es das Grundgesetz befiehlt, in Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen. Er weist kein Defizit aus. Aber das Defizit dieses Haushalts liegt in den dringenden Aufgaben, die wir noch vor uns haben, der Lösung unserer Sicherheitsprobleme, der Reform des Familienlastenausgleichs, der Verbesserung der Kriegsopferversorgung, der Lösung der Agrarprobleme, der Strukturprobleme, der Städtebauförderung, der Gesundheitspolitik. Das alles muß gelöst werden und das alles kann gelöst werden, aber nicht gleichzeitig und nicht um den Preis der Stabilität. Jede Disziplinlosigkeit in der Ausgabenwirtschaft heute würde die Sozialleistungen von morgen gefährden. Wir sollten uns vor der Gefahr hüten, das nächste Parlament und die nächste Regierung zu zwingen, ihre Arbeit wieder mit Haushaltssicherungsgesetzen zu beginnen. Jede weitere Expansion des Haushalts müßte aber die Preisstabilität gefährden und damit gerade die sozial Schwächsten am härtesten treffen.
Wir wollen nun an die Arbeit gehen, um zu prüfen, wo sich der Regierungsentwurf noch verbessern läßt. Die Bundesregierung wünscht die Verabschiedung des Haushaltsgesetzes noch in diesem Jahre. Am guten Willen des Haushaltsausschusses wird es sicher nicht fehlen. Dennoch wird die Zeit für die Beratung in der notwendigen Gründlichkeit sicher knapp werden. Voraussetzung für eine zügige Beratung wird aber auch sein, daß der Präsident dieses Hauses dem Haushaltsausschuß ausreichend Sitzungstermine freigibt.
Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern einen beschwörenden Appell an dieses Haus gerichtet, die Grenzen und die Risiken des Haushaltsplans 1969 zu sehen und zu respektieren. Die Fraktion der CDU/CSU hat dem Rahmen und den Eckdaten dieser Planung ausdrücklich zugestimmt.
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Sie begrüßt die Verstärkung der investiven und wachstumsfördernden Ausgaben als Grundlage für eine gesicherte und stabile Zukunftsentwicklung. Durch die Entscheidungskraft der Bundesregierung und des Bundestages steht dieser Haushalt wieder auf festerem Boden. Dies ist ein Beweis für die Richtigkeit des bisher eingeschlagenen Weges. Dieser Weg war nicht leicht und für viele Betroffene schmerzlich. Aber gerade deswegen bleibt die Wahrung der Stabilität der Wirtschaft und der Stabilität der öffentlichen Finanzen unsere vordringlichste Aufgabe.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich den Beitrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu dieser Debatte damit beginnen, daß ich auf die Ausgangsposition dieser Regierung mit einigen Feststellungen zurückgreife und dann versuche, an Hand der Vor10206
lagen, die wir heute vorliegen haben, eine Bilanz der Arbeit dieser Regierung zu ziehen.
Jedermann weiß, wie belastet die Ausgangs- bzw. Eröffnungsbilanz der Regierung der Großen Koalition sein mußte, und jeder Abgeordnete in diesem Hause erinnert sich noch an den Satz, mit dem der Chef dieser Regierung am 13. Dezember 1966 seine Regierungserklärung eingeleitet hat und den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten hier zitieren darf. Der Chef dieser Regierung sagte damals:
Der Bildung dieser Bundesregierung, in deren Namen ich die Ehre habe zu Ihnen zu sprechen, ist eine lange, schwelende Krise vorausgegangen, deren Ursachen sich auf Jahre zurückverfolgen lassen.
Diese Bundesregierung startete also wahrlich nicht auf einer wohlgepflegten Aschenbahn, sondern auf wirtschaftlich und finanzwirtschaftlich sumpfigem Boden.
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Die Ausgangslage dieser Koalitionsregierung und ihrer parlamentarischen Mehrheit hat ein inzwischen prominent gewordene Professor am 4. März 1966, wie ich meine, treffend dargestellt. Ich zitiere:
Die öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik haben jahrelang aus dem Vollen gewirtschaftet .. .
Und ich zitiere weiter:
Auch die Politik beginnt erst zu erwachen, wenn das Geld knapp wird. Nun auf einmal müssen die Regierenden Prioritäten bestimmen, die Opposition kann Gegenvorschläge unterbreiten, und Parlamente besinnen sich wieder auf ihr ältestes Recht, den Budgetvorschlag der Regierung kritisch zu durchleuchten.
Daß das nicht ein Professor war, der einer der beiden Parteien angehört, die diese Regierung tragen, sondern Professor Ralf Dahrendorf, macht die Sache noch interessanter.
Ich kann diesem Zitat in einem Punkt nicht folgen, nämlich in der dort aufgeworfenen Kritik, daß das Parlament sein Budgetrecht niemals ernst genommen habe. Ich muß das für meine Fraktion und sicher für die Mehrheit dieses Hauses auf das entschiedenste zurückweisen.
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Wir haben - ich möchte hier noch meinen Freund Alex Möller anführen - in diesem Hause seit Jahren, als wir noch in der Opposition waren, dieses Butgetrecht ernst genommen und immer wieder darauf hingewiesen, daß wir die mittelfristige Finanzplanung brauchen, daß wir nicht aus dem vollen schöpfen dürfen. Wir haben sogar mitten im Strom Anträge zurückgezogen, um die Solidität des Haushalts nicht zu gefährden. Hier empfehle ich also Herrn Professor Dahrendorf, sich einmal ein bißchen mehr um die wirkliche Arbeit in diesem Hause zu kümmern.
Ich habe gesagt, ich wollte eine Bilanz der Arbeit dieser Regierung ziehen. Ich bitte Sie zu beachten, daß diese Regierung bisher nur zwei Jahre Zeit hatte, die Probleme, die sich 1966 boten, zu bewältigen. In der Tat, wir haben Grund, die Leistung dieser Regierung zu würdigen. Ich zitiere gern den Bundeswirtschaftsminister mit seiner Feststellung, daß die deutsche Wirtschaft die Talsohle des Jahres 1966 und 1967 längst verlassen hat und sich auf der Höhenwanderung im Gleichgewicht befindet. Mit ebenso großer Zustimmung verweise ich auf die Feststellung des Bundesfinanzministers, der gesagt hat:
Die Fortschreibung der Finanzplanung und der Haushaltsplan 1969 können auf den mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Jahre 1967 und 1968 erreichten Erfolgen aufbauen. Einmal sind erneute Eingriffe auf der Ausgaben- und Einnahmenseite zum Haushaltsausgleich 1969 nicht erforderlich, zum anderen bedarf es bei der sich selbst tragenden Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung keiner weiteren konjunkturpolitischen Maßnahmen seitens der öffentlichen Hand.
Für diese Solidität hat dieses Hohe Haus, hat diese Bundesregierung und haben insbesondere die beiden Koalitionsparteien gekämpft. Pessimisten und Kritiker, die sehr wohl Grund zum Pessimismus und auch zur Kritik hatten, haben sich erfreulicherweise geirrt.
Meine Damen und Herren, Sie waren ein wenig unruhig, als ich von der Ausgangslage und der Eröffnungsbilanz sprach. Lassen Sie mich noch einmal in aller Deutlichkeit die Ausgangslage für diese Regierung schildern. Wir waren für die Zeit bis 1972 bei einem Defizit von 64 Milliarden DM. Wir hatten eine wirtschaftliche Rezession und die Gefahr einer drohenden Arbeitslosigkeit zu bewältigen. Wir waren in einem schrecklichen Konflikt, nämlich den Haushalt zu bereinigen und Kürzungen vorzunehmen, aber gleichzeitig auch Maßnahmen gegen die Rezession zu ergreifen. Im Hinblick auf die damalige Lage müssen Sie zugeben, daß niemand in diesem Hause gemeint hat, daß wir in zwei Jahren diesen Konflikt lösen könnten. Es waren hier völlig neue Wege zu gehen.
Ich möchte auch daran erinnern, wie wir, als wir noch aus der Opposition heraus kurz vor dem Wechsel dieser Regierung hier die Frage des, wie wir es damals nannten, Stabilitätshaushalts vorgetragen haben, in diesem Hause darum gerungen haben, ob wir dieses Problem so lösen könnten. Daß diese Politik erfolgreich war, obwohl sie zu völlig neuartigen Methoden in diesem Hause führte, die allerdings von Wissenschaftlern und weitsehenden Politikern schon vorher angedeutet waren, beweist erfreulicherweise die Lage, die wir jetzt haben. Ich muß sagen, niemand in diesem Hause, der diese Regierung mit trägt, kann sich sozusagen an dieser Erfolgsgeschichte vorbeidrücken. Er müßte darauf stolz sein.
Wenn wir dies mit Genugtuung feststellen, meine Damen und Herren, dann nicht, um in Selbstzufriedenheit 'auszuarten. Jedermann in diesem Hohen Hause muß von uns wissen, daß wir nicht bereit sind
und nicht bereit sein dürfen, uns mit dem Erreichten zufriedenzugeben, sondern daß es unsere Aufgabe ist, Sicherheit und Fortschritt, Stabilität und Wachstum, Freiheit und Ordnung für alle Bürger heute und morgen zu gewährleisten.
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Nach dem 21. August dieses Jahres, jenem Tag des schrecklichen Rückfalls ;in eine Politik mit militärischer Gewalt, äußern sich auch und gerade in unserem Lande viele Politiker und viele Bürger zu den Fragen der militärischen Sicherheit. Es ist selbstverständlich, daß sich an dieser Diskussion die Sozialdemokraten verantwortlich beteiligen. Wir sehen hier eine doppelte Verantwortung. Einmal sind wir verantwortlich für die äußere Sicherheit unseres Staates, und zum anderen tragen wir alle in diesem Hohen Hause dafür Verantwortung, daß die Diskussion darüber, was zu unserer äußeren Sicherheit zu tun ist, nicht bloß in eine rüstungspolitische Betriebsamkeit ausartet, sondern daß hier ernsthafte Erwägungen angestellt werden.
Für uns ist der Verteidigungshaushalt, wie aus den entsprechenden Beschlüssen der Bundesregierung und dieses Hohen Hauses zum Haushalt 1967 und 1968 hervorgeht, weder eine Reservekasse, in die man bedenkenlos greifen kann, um irgendwelche Löcher zu stopfen, noch darf der Verteidigungshaushalt als ein psychologisches Abschreckungsinstrument mißbraucht werden. Höhere Zahlen im Verteidigungshaushalt sind nicht unbedingt identisch mit höherer Verteidigungsbereitschaft, aber höhere Zahlen im Verteidigungshaushalt ohne höhere Verteidigungsbereitschaft machen es jedem Gegner leicht und verführen ihn dazu, sich selbst in seiner Sicherheit bedroht zu fühlen oder sich als bedroht auszugeben. Alle überbetont 'dramatischen Sicherheitsdebatten führen deshalb nur dazu, die Umwelt unsicher zu machen und damit die eigene Sicherheit in Frage zu stellen.
Uns Sozialdemokraten ist die äußere Sicherheit der Bundesrepublik zu wertvoll, um sie zu effektvollen Diskussionen zu benutzen. Wenn die Prüfung der veränderten Lage in Europa dazu führt, daß beispielsweise in \der gemeinsamen Verteidigungsplanung des Bündnisses Konsequenzen zu ziehen sind, dann müssen wir dazu bereit sein. Wenn die Lageanalyse der NATO zu dem Ergebnis kommt, daß größere militärische Anstrengungen erforderlich sind, werden alle Partner bereit sein müssen, einen angemessenen Teil der Lasten zu übernehmen. Die Bundesrepublik wird sich im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten diesen Verpflichtungen nicht entziehen. Eine 'solche Entscheidung kann dieses Hohe Haus aber erst dann treffen, wenn Idas von dier Bundesregierung angekündigte verteidigungspolitische Weißbuch vorliegt.
Es wäre völlig verfehlt, und wir würden unserer Verantwortung für unsere Bürger und für diesen unseren Staat nicht gerecht, wenn wir uns über die notwendigen Gedanken zur äußeren Sicherheit und zur äußeren Stabilität von dem dringenden Problem der inneren Stabilität und der inneren Sicherheit würden ablenken lassen. Kein Staat der Welt kann stabil nach außen sein, dessen innere Stabilität nicht gewährleistet ist. Die innere Stabilität ist Voraussetzung für die äußere Stabilität. Kein Staat kann Friedenspolitik nach außen betreiben, dessen Bürger im Unfrieden miteinander leben, und keine demokratische Gesellschaft kann stabil sein, die sich in der trügerischen Sicherheit wähnt, bei dem Erreichten stehenbleiben zu können. So wie der Fortschritt immer neu durchdacht werden muß, so muß Sicherheit durch Fortschritt alle Tage neu erworben werden.
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Jedermann weiß, daß die Arbeitsplätze wieder sicher geworden sind. Jedermann spürt, daß Steigerungen für Löhne und Gehälter möglich sind. Jedermann sieht beim Einkaufen, daß die Deutsche Mark stabil ist, und niemand in der Bundesrepublik muß sich Sorgen um seine verbrieften Versicherungseinkünfte im Alter machen. Aber jedermann weiß auch, daß die Sicherheit des Arbeitsplatzes, daß die Stabilität des Geldes und daß der wachsende Wohlstand nur bewahrt und gefördert werden können, wenn wir bereit sind, heute das für morgen Notwendige zu tun. Und jedermann weiß, daß Freiheit und Demokratie nicht erhalten und nicht fortentwickelt werden können ohne die materielle Sicherung der Menschen in diesem Lande.
Der Frieden im Innern wird, wie jedem in den turbulenten Wochen dieses Frühjahrs durch die Ereignisse in Frankreich eigentlich hätte deutlich werden müssen, nicht zu bewahren sein, wenn die Angestellten und Arbeiter als Wirtschaftsbürger zweiter Klasse behandelt werden, wenn die Angestellten und Arbeiter im Wirtschaftsprozeß nicht als vollmündige Bürger behandelt werden. Wie soll der Bürger in diesem Lande Verständnis haben für die Notwendigkeit seiner verantwortlichen Mitwirkung in der Politik, wenn er von einer Mitentscheidung in der Wirtschaft weitgehend ausgeschlossen wird? Wer den mündigen Bürger haben will - und er allein garantiert eine lebendige demokratische Ordnung -, der kann seine Mündigkeit nicht auf die Bestellung von Verfassungsorganen beschränken und ihn ansonsten in hierarchischer Ordnung belassen. Deshalb fordern wir für die Bürger in der Bundesrepublik die Mitbestimmung im Unternehmen und die Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Es soll niemand etwas genommen werden, sondern der Bürger soll in Politik und Wirtschaft gleich verantwortlich sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einer weiteren Grundvoraussetzung der Demokratie, ohne die sie nicht leben kann, meine Gedanken entwickeln. Man wird die Demokratie nicht sichern können und man wird sie nicht weiterentwickeln können, wenn man die Vorstellung haben muß, unsere Kinder würden dank unserer altertümlichen Bildungs- und Ausbildungsmethoden und weil seit Jahren für Bildung und Ausbildung nicht ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, zu Dorftrotteln Europas. Der schlimmste Vorwurf, den ein Bürger diesem Staat machen könnte, wäre die Klage, er habe nicht so viel lernen können, wie
er habe lernen wollen, weil ihm das Geld gefehlt hat.
Deshalb drängen wir darauf, die Ausbildung und die Weiterbildung der Menschen in diesem Lande mit allen Kräften zu fördern. Man kann nicht unse' ren jungen Mitbürgern und unseren Kindern, man kann nicht den Angestellten und Arbeitern sagen, daß die wirtschaftliche Entwicklung für sie große Früchte trage, wenn sie bereit seien, ein Leben lang zu lernen, man kann sie nicht auffordern, sich darüber im klaren zu sein, daß sie nicht immer im gleichen Beruf tätig sein können, ohne ihnen die Ausbildung zu gewährleisten, die sie zu der notwendigen Beweglichkeit erst befähigt. Diese Ausbildung muß ihnen erst gegeben werden.
Ein weiterer Punkt für die Stabilität der Demokratie ist die Vermögensverteilung. Die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik ist ungerecht, und keiner hat uns in der Vergangenheit darin übertroffen, dieses Unrecht anzuprangern und Vorschläge zu seiner Verhinderung zu machen. Heute hört man aus aller Munde das Wort von der ungerechten Vermögensverteilung und Vermögensbildung. Wir freuen uns darüber, daß eine frühe sozialdemokratische Erkenntnis heute zu einer allgemeinen Einsicht geworden ist.
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Aber wir wehren uns dagegen, im jetzigen Stadium begeisterter Diskussionen über die ungerechte Vermögensverteilung bei vielfältiger Modellschreinerei stehen zu bleiben. An jedem Tag, den wir ohne Maßnahmen zur gerechten Vermögensverteilung verstreichen lassen, wird das Unrecht größer.
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Das vermögenspolitische Sofortprogramm der Bundesregierung ist in unseren Augen ein guter Anfang. Die vorgesehenen Zusatzprämien für die Bezieher kleiner Einkommen entsprechen unseren Vorstellungen und zeigen, in welcher Richtung sich künftig die staatliche Sparförderung bewegen muß. Wir halten es aber darüber hinaus für notwendig, noch in dieser Legislaturperiode weitere Möglichkeiten sorgfältig zu prüfen, um gegebenenfalls durch Umschichtungen den Spielraum für eine stärkere Sparförderung bei den Beziehern kleinerer Einkommen zu erweitern.
Aus dem gleichen Grundsatz heraus, die Bezieher kleinerer Einkommen bei ihrer Spartätigkeit bevorzugt zu fördern, begrüßen wir auch die von der Bundesregierung vorgesehene Novellierung des zweiten Vermögensbildungsgesetzes. Hierbei wird es auch auf die Beseitigung der Versicherungsrechtlichen Nachteile der geltenden Fassung des Gesetzes ankommen.
Gestern hat uns die CDU/CSU-Fraktion durch Veröffentlichung zweier Gesetzentwürfe zur Änderung des zweiten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung und zur Änderung des Sparprämiengesetzes sowie des Gesetzes über die Gewährung von Prämien für Wohnungsbausparer mit ihren Vorstellungen konfrontiert. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion prüft gegenwärtig diese beiden Gesetzentwürfe des Koalitionspartners unter zwei Gesichtspunkten. Erstens wollen wir feststellen, ob in der mittelfristigen Finanzplanung von 1968 bis 1972 und im Bundeshaushalt 1969 die notwendigen Mittel für die Entwürfe vorhanden oder aufzubringen sind. Hierbei muß gesagt werden, daß sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion keinesfalls vom Pfad der finanzwirtschaftlichen Solidität wird abbringen lassen. 1965 reicht uns. Zweitens werden wir sehr eingehend prüfen, ob die beiden Entwürfe der CDU/CSU mit dem gemeinsamen Grundsatz der Bundesregierung, die Bezieher kleiner Einkommen bei der Vermögensbildung bevorzugt zu fördern, übereinstimmen oder in Übereinstimmung gebracht werden können.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beteiligt sich sicher mit großem Interesse an der allgemeinen vermögenspolitischen Diskussion. Wir gehen bei allen diesen Prüfungen davon aus, daß es jetzt gilt, ein verbindliches vermögenspolitisches Konzept zu entwickeln, das die Ungerechtigkeit in der Vermögensbildung in Deutschland auf Dauer beseitigt. Wir gehen davon aus, daß ein solches Programm nur in einer wachsenden Wirtschaft verwirklicht werden kann und als einer der auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wirkenden Faktoren betrachtet wird. Ich will die Pläne hier nicht im einzelnen erörtern; aber ebenso, wie die überbetriebliche Ertragsbeteiligung und eine Fondsbildung erwägenswert sind, ist ein Beteiligungslohn ein durchaus diskutabler Vorschlag.
Für uns kommt es darauf an, daß bei allen Lösungen - so auch beim Beteiligungslohn - die vermögensbildenden Bestandteile bei den Arbeitnehmereinkommen zusätzlich zu den bestehenden Arbeitseinkommen gewährt werden; denn nur so ist eine gerechte Verteilung des Zuwachses an Vermögen möglich. Die Sozialdemokratische Partei hat bereits mehrfach an Unternehmer und Gewerkschaften appelliert, in ihre Einkommenspolitik mehr und mehr Tarifverträge über vermögenswirksame Leistungen einzubeziehen. Dies ist den Tarifpartnern bisher zum Teil gelungen. Ein Gesetz über einen Beteiligungslohn kann aus unserer Sicht diese Bemühungen der Tarifpartner verstärken, wenn es Mindestbedingungen über zusätzlich zu- gewährende vermögenswirksame Lohn- und Gehaltsbestandteile festlegt und nicht in die Autonomie der Tarifpartner eingreift.
Klar ist aber, daß es sich bei dem großen vermögenspolitischen Konzept um eine Kombination verschiedener vermögenspolitischer . Instrumente handeln muß, weil eine eingleisige Lösung nicht in allen Bereichen der Wirtschaft und nicht für alle Arbeitnehmer zu dem Ziel einer gerechteren Vermögensverteilung führen kann.
Meine Damen und Herren, ein Punkt, den ich für eine große Voraussetzung auch für die Stabilität der Demokratie halte, ist eigentlich in den letzten beiden Jahren dieser Regierung in diesem Parlament bisher zu wenig gewürdigt worden; er ist ein Bestandteil, der nicht außer acht bleiben sollte. Ich meine die Rechts- und Justizpolitik. Neben einer vorausschauenden Wirtschafts-, Sozial- und FinanzHermsdorf
politik ist für die innere Stabilität auch eine fortschrittliche Rechts- und Justizpolitik erforderlich. In der Vergangenheit waren Rechts- und Justizpolitik Gebiete, denen man wenig Beachtung schenkte. Die Rosenburg lag im Dornröschenschlaf. Es erscheint uns symptomatisch, daß es trotz eines eindeutigen Auftrags des Grundgesetzes 18 Jahre lang dauerte und erst jetzt der Bundesjustizminister einen Entwurf zur Reform des Unehelichenrechts vorlegte. Der im vergangenen Jahr vom Bundesjustizminister Heinemann vorgelegte Entwurf zur Verbesserung der Rechtsstellung unehelicher Kinder ist ein gutes Beispiel dafür, welch wichtige Rolle der Rechtspolitik zukommt, wenn es darum geht, die soziale Ordnung zu verbessern und die im Grundgesetz verankerten Bürger- und Menschenrechte zur Geltung zu bringen.
Einen weiteren rechtspolitischen Schwerpunkt von beträchtlicher gesellschaftlicher Bedeutung bildet die Reform des aus dem Jahre 1871 stammenden Strafrechts. Zum politischen Strafrecht konnte die seit langem von der SPD geforderte Reform endlich erfolgreich abgeschlossen werden. Jetzt geht es darum, auch die übrigen Teile des Strafgesetzbuches modernen kriminalpolitischen Erkenntnissen und den geänderten sozialen und. gesellschaftlichen Verhältnissen sowie den moralischen Anschauungen anzupassen.
In den Zusammenhang der Strafrechtsreform gehört auch die Neugestaltung des Rechts der Ordnungswidrigkeiten, die dazu beitragen wird, daß die Richter sich nicht länger mit ausgesprochenen Bagatelldelikten beschäftigen müssen und daß der Bürger nicht wegen jeder Bagatelle vor dem Richter erscheinen muß.
Eine Strafrechtsreform ist sinnlos ohne gleichzeitige Reform des Strafvollzugs. Dies war bisher ein ausgesprochenes Stiefkind der Rechtspolitik. Es bedurfte erst einiger Gefängnisskandale, um vor aller Öffentlichkeit deutlich zu machen, wieviel in der Vergangenheit versäumt wurde. Auch hier hat Bundesjustizminister Heinemann die notwendigen Schritte zur Erneuerung eingeleitet. Im September vergangenen Jahres wurde eine Strafvollzugskommission gebildet, die erste Vorschläge für die Änderung des Strafvollzugs vorlegte.
Es muß jedoch in aller Deutlichkeit und Eindringlichkeit darauf hingewiesen werden, daß die dringend notwendigen Reformen auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafvollzugs nicht bedeuten und nicht bedeuten dürfen, daß die Staatsbürger in Zukunft vor Straftätern und Straftaten weniger geschützt sein werden. Das Gegenteil ist der Fall. Durch ein reformiertes Strafrecht und einen sinnvollen Strafvollzug sollen die Rückfallquoten gesenkt werden, um die Eingliederung straffällig Gewordener in die Gesellschaft zu erleichtern. Gelingt dies, dann wäre ein wichtiger Schritt in Richtung auf einen wirksamen Schütz der Bürger vor Straftätern getan.
Dazu müssen noch andere Maßnahmen hinzukommen. Der vom Bundesjustizministerium fertiggestellte Entwurf eines Gesetzes über die freiwillige
Kastration, der noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden müßte, würde vor allem für unsere Frauen und Kinder einen wirksamen Schutz vor Sittlichkeitsverbrechern ermöglichen.
Wenn von den weiteren Reformen des seit Dezember 1966 aus dem Dornröschenschlaf erwachten Justizministeriums noch einige genannt werden sollen, dann wäre es die Überprüfung des Familienrechts, insbesondere des Ehescheidungsrechts. Eine von Bundesjustizminister Heinemann eingeleitete Vorarbeit ist im Gange, um auch hier endlich zu einer zeitgemäßen Regelung zu kommen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit diesen Vorbemerkungen den Versuch gemacht, einiges bereits Geschehene und einiges für die Zukunft Notwendige zu sagen. Dies stand unter dem Motto: Stabilität durch Fortschritt. Den Niederschlag des Geschehenen und des von der Regierung Vorgesehenen finden Sie in der mittelfristigen Finanzplanung.
Die mehrjährige Finanzplanung der öffentlichen Haushalte haben wir 1967 mit dem Stabilitäts- und Wachstums-Gesetz endlich durchgesetzt. Dieses neue und bis dahin heiß umstrittene Instrument legt nun seine ersten Bewährungsproben ab. Die mittelfristige Finanzplanung wurde bisher im öffentlichen Bewußtsein leider oft gleichgesetzt mit der undankbaren politischen Aufgabe, die Lasten einer gescheiterten Politik früherer Jahre abzutragen. Erst jetzt wird der eigentliche Wert der mehrjährigen Finanzplanung auch der breiten Öffentlichkeit deutlich.
({6})
- Ich freue mich jetzt schon, Herr Mischnick; wir werden hinterher darüber noch zusammen diskutieren.
Die erstmalige Anpassung und Fortführung der fünfjährigen Finanzplanung für den Zeitraum 1968 bis 1972 durch die Beschlüsse der Bundesregierung vom 4. September ging weit weniger dramatisch vor sich als die dreitägigen Beratungen der Bundesregierung im vorigen Jahr unter der Platane im Garten des Palais Schaumburg. Die bisherige konsequente Politik der Großen Koalition, die unbequeme Maßnahmen zur Beseitigung des strukturellen Ausgabenüberhangs nicht nur nicht scheute, sondern sie gleichzeitig mit einem kombinierten Programm der Wiederbelebung der Wirtschaft verband, trägt nun ihre Früchte. Dank der Einführung vorausschauender Analysen und mehrjähriger Planungsüberlegungen haben wir stabile, normale Verhältnisse wiedergewinnen können. Wir alle können wieder aufatmen.
Allerdings, meine Damen und Herren, es besteht kein Grund zum Übermütig-Werden. In dieser veränderten Landschaft, die ich soeben dargelegt habe, haben wir die von der Bundesregierung vorgelegte mittelfristige Finanzplanung bis 1972 zu betrachten und den Bundeshaushaltsplan für 1969 zu beraten. Sie ist gekennzeichnet durch 1. eine stabile wirtschaftliche Ausgangslage, 2. eine befriedigende Ordnung der Bundesfinanzen und 3. einen, wenn auch noch bescheidenen Spielraum für neue politische Aktivitäten zugunsten zukunftweisender Maßnah10210
men. Dieser Finanzplanung liegt die gesamtwirtschaftliche Zielprojektion bis 1972 zugrunde, nach der ein Wachstum des Bruttosozialprodukts von nominal 6 % und real 4,4 % im Jahresdurchschnitt angestrebt wird. Das bedeutet, daß das gesamtwirtschaftliche Leistungsvermögen vom Jahre 1967 um rund ein Drittel - auf 647 Milliarden DM im Jahre 1972 - anwachsen wird. Unsere politische Aufgabe muß es sein, diesen wirtschaftlichen Zuwachs gesellschaftspolitisch sinnvoll und gezielt zu steuern.
Der projektierte stetige Wirtschaftsaufschwung erlaubt neben der Fortführung bereits im Vorjahr gesetzter Schwerpunkte die Inangriffnahme neuer Maßnahmen, denen meine Fraktion ganz große Bedeutung zumißt. Ich nenne vor allem das Programm zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, den Ausgabenschwerpunkt Verkehr, die Stärkung der Finanz- und Investitionskraft der Gemeinden, die Förderung der Vermögensbildung vor allem in Arbeitnehmerhand, die Ausbildungsförderung, die Förderung von Wissenschaft und Forschung, die volle Zahlung der Zuschüsse an die Träger der Rentenversicherung ab 1972.
Lassen Sie mich zu diesem Katalog einige Ausführungen machen, zunächst zur Ausbildungsförderung! Erstmals werden jetzt Leistungen für Ausbildungsförderung in die mittelfristige Finanzplanung einbezogen. Damit wird einer alten Forderung meiner Fraktion Rechnung getragen, vor allem jungen Menschen aus einkommensschwachen Familien durch ein gezieltes Förderungssystem Aufstiegschancen zu gewähren. Bereits im Jahre 1962 hatte meine Fraktion einen diesbezüglichen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser Entwurf ist damals vor allem an der umstrittenen Verfassungszuständigkeit des Bundes gescheitert.
Jetzt ist es der Regierung der Großen Koalition gelungen, eine Einigung zwischen Bund und Ländern herbeizuführen. Der Bund erhält die Gesetzgebungskompetenz für die finanzielle Ausbildungsförderung. Die Mittel, die das Bundeskabinett für die Ausbildungsförderung eingeplant hat, betragen - natürlich zusätzlich zu den Aufwendungen für die heute bereits bestehenden unterschiedlichen Maßnahmen der Ausbildungsförderung von Bund und Ländern - im Jahre 1970 220 Millionen DM und steigen bis zum Jahre 1972 auf 500 Millionen DM.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Kollege?
Bitte sehr!
Bitte, Herr Kollege Dr. Barzel.
Herr Kollege Hermsdorf, würden Sie die Liebenswürdigkeit haben, im Zusammenhang mit diesen Zahlen und diesem Thema vielleicht die bekannten Zahlen über die Kosten der dem Hause vorliegenden Gesetzentwürfe Ihrer Fraktion und der Fraktion der Freien Demokratischen Partei mitzuteilen?
Das will ich gern tun. Aber Sie gestatten mir, daß ich dabei auch die Kosten mitteile, die Ihr Gesetzentwurf verursachen wird, der noch vorgelegt werden wird.
Der nicht eingebracht worden ist!
Moment, Herr Barzel!
Sie verstehen, daß ich das deshalb sage, weil ich Sie selbst davor bewahren möchte, sich erneut in sumpfiges Gelände zu begeben, wie Sie am Eingang sagten, Herr Kollege Hermsdorf.
({0})
Herr Dr. Barzel, dieser Hinweis wäre nicht notwendig gewesen; denn erstens hätte ich mich jetzt genau zu diesem Punkt der Kosten geäußert. Aber ich bin gern bereit, auf Ihre Frage, was diese beiden Gesetzentwürfe kosten, etwas zu sagen. Die Kosten dieser Gesetzentwürfe liegen mindestens - mindestens, das sage ich sowohl von dem der FDP als auch von unserem; Sie haben den Ihren aus Schreck darüber gar nicht eingebracht, aber wir wissen ja, warum - ungefähr in Höhe von 4 Milliarden DM. Nun wollen Sie bitte aber sehen, Herr Barzel, was meine Fraktion angeht -
Herr Kollege, gestatten Sie - Hermsdorf ({0}) : Einen Augenblick, darf ich erst Herrn Barzel mit diesem Satz antworten: daß meine Fraktion erstens wegen der Kosten kein Datum des Inkrafttretens in den Gesetzentwurf gesetzt hat und daß sie - zweitens- hinzugefügt hat, daß dieser Entwurf sich in den Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung hineinbringen lassen muß. Das heißt, daß wir uns völlig darüber im klaren sind, daß Berge nicht von heute auf morgen versetzt werden können.
Gestatten Sie jetzt eine Frage des Herrn Kollegen Schmidt?
Herr Kollege Hermsdorf, da soeben vom Sumpf die Rede war, - ({0})
Herr Kollege Schmidt, ich hoffe, Sie wollen mir nicht meine anfängliche Behauptung bestreiten, daß bei der Eröffnung dieser Regierung sich die Bilanz auf einem sumpfigen wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Boden befand.
Nein. Aber ich muß Sie fragen, obwohl ich meinen Kollegen Barzel
Schmidt ({0})
meine; und deshalb muß ich jetzt ein Kunststück vollbringen. Da soeben Herr Barzel von „Sumpf" geredet hat, wollte ich Sie fragen, ob Sie einen Unterschied zu erkennen vermögen zwischen einer Planke - man kann sie vielleicht zur Überwindung eines Sumpfes gebrauchen -, die als Bundestagsdrucksache vorliegt, und einer Planke, die nur als Pressedrucksache einer Fraktion vorliegt.
Ich kann den Unterschied absolut erkennen. und ich nehme an, auch Herr Barzel.
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Kollegen Barzel? - Bitte!
Herr Kollege Hermsdorf, finden Sie die Nuance in diesen beiden Methoden, z. B. die, daß das eine ein Antrag ist, der ausgabewirksam ist, und das andere eine Überlegung, die man in die Diskussion bringt?
({0})
Ich will das nicht vertiefen, Herr Barzel. Aber gehen wir doch von dem Fakt aus, daß Ihr Entwurf, so wie Sie ihn vorliegen haben, genauso teuer geworden wäre wie unser Entwurf.
({0})
- Einen Augenblick! Als Sie endlich die Zahlen vom Bundesamt für Statistik hatten und wir schon unseren Entwurf vorgelegt hatten, haben Sie gesagt: Jetzt machen wir das nicht mehr; da die SPD sowieso kein Datum eingesetzt hat und da sich das mit dem deckt, was wir vorhaben, ziehen wir ihn zurück bzw. bringen wir ihn gar nicht ein. So lege ich das aus.
Würden Sie jetzt zur Auslegung des Ausdrucks „sumpfiges Gelände" eine weitere Frage vom Herrn Kollegen Schmidt zulassen?
Ich habe aber absolut noch sicheren Boden unter den Füßen, Herr Präsident.
({0})
Herr Hermsdorf, würden Sie mir darin zustimmen, daß die von Herrn Barzel soeben zum zweiten genannte Vorlage jedenfalls propagandawirksam, die _zuerst genannte Vorlage aber noch nicht ausgabewirksam sein kann, weil ihre Wirksamkeit im Text der Vorlage ausdrücklich von den Möglichkeiten der mittelfristigen Finanzplanung abhängig gemacht wird?
Da stimme ich Ihnen völlig zu.
Wenn ich richtig sehe, hat sich jetzt zunächst der Herr Kollege Dorn zu einer Zwischenfrage gemeldet.
Herr Dorn, ehe Sie fragen: Ich hoffe, daß ich jetzt nicht bei allen Dreien vermitteln muß.
Herr Kollege Hermsdorf, haben Sie wie ich den Eindruck, daß im Hintergrund des Fragespiels zwischen den Kollegen Barzel und Schmidt vielleicht auch die Ausführungen des Kollegen Barzel auf dem Tag der Jungen Union stehen könnten, wo er sagte, daß er und einige andere seiner Fraktion die Politik des „Vielleicht"-Sagens jetzt leid seien?
Nein, den Eindruck habe ich nicht. Ich kenne diese beiden Herren zu genau. Dies würden sie hier nicht aussagen.
({0})
Würden Sie jetzt auch eine Frage von Herrn Dr. Haas zulassen, Herr Kollege? - Bitte!
Herr Hermsdorf, jeder Streit in der Koalition tut der Opposition so unendlich wehe, daß ich Sie - und vielleicht auch den Herrn Kollegen Barzel - frage, ob es möglich wäre, in diesem Hause eine Sprachregelung dahin zu finden, daß man zwischen realistischen und imaginären Sumpfpflanzen unterscheidet.
Herr Haas, ich kann diesen Ausführungen, die ja im Grunde genommen kaum eine Frage waren, nicht folgen. Erstens muß ich Sie enttäuschen - und Sie brauchen nicht zu fürchten, daß Ihnen Schmerz zugefügt werden würde -: Streit in der Koalition gibt es nicht.
({0})
- Moment, bitte! Es gibt höchstens Meinungsverschiedenheiten, und da muß ich Ihnen offen sagen: bei Parteien mit so großer Stärke und so unterschiedlichen Programmen und Ausgangspositionen wäre es schlecht, wenn das nicht so wäre.
({1})
Im übrigen wird es natürlich immer - und ich muß Ihnen offen sagen: das ist der Unterschied der Regierungspraxis von meiner Partei zu der Ihren -bei einer Koalitionsregierung unterschiedliche Auffassungen und einen Kompromiß geben. Nur: was nicht geht, Herr Haas, ist, daß man Regierung und Opposition zugleich sein will, und das war die schlechte Praxis von Ihnen.
({2})
Ich würde Sie aber jetzt bitten, daß ich in meinen Ausführungen zur Frage des Ausbildungsförderungsgesetzes fortfahren darf. - Herr Barzel, Ihre Frage hätte gar nicht gestellt zu werden brauchen, wenn Sie gewußt hätten, was ich noch 'ausführen wollte.
({3})
Ich habe zunächst gesagt, daß die Regierung hier bereits einiges vorgelegt hat, daß das zum Ausbildungsförderungsgesetz erweitert wird, daß damit natürlich ein Anfang gesetzt worden ist, daß Wir diesen Anfang begrüßen und daß dieser erste Schritt weiter ausgebaut werden muß, soweit es unsere Finanz- und Wirtschaftskraft erlaubt. Vielleicht können wir damit das Thema der Ausbildungsförderung abbrechen. Wir geben zu, daß sie langsam anläuft, wir stellen fest, daß sie weiter verstärkt wird, und wir werden jede Möglichkeit, die sich nur bietet, nutzen, sie, wenn 'es möglich ist, zu erweitern.
Lassen Sie mich jetzt etwas zu den Bundeszuschüssen zur Rentenversicherung sagen. Bei der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung hat die Bundesregierung nunmehr beschlossen, die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung von 1972 an wieder in der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe zu zahlen. Ich halte das für einen ganz wesentlichen Punkt. Diese Entscheidung entspricht dem politisch wichtigen Tatbestand, daß die Rezessionseinbußen nicht zu einem Dauerzustand werden, und betont den Ausnahmecharakter der unerfreulichen Beschlüsse über die Bundeszuschüsse vom letzten Jahr. Die Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung, die 1968 rund 9,9 Milliarden DM betragen, werden bis 1972 auf 12,9 Milliarden DM steigen. Mir liegt daran, die positiven Auswirkungen auf die finanzielle Zukunft der Rentenversicherung darzustellen. Denn schon jetzt steht fest, daß der Rentenberg mit voller Bruttolohndynamik - ohne unzumutbare Belastung der Versicherten - bewältigt werden kann.
Insgesamt werden jetzt in der mittelfristigen Finanzplanung für den Zeitraum 1968 bis 1972 auf dem Gebiet der Gesellschaftspolitik rund 6,6 Milliarden DM mehr eingesetzt 'als im ersten Finanzplan. Das zeigt nicht nur die große Flexibilität des Instruments der mittelfristigen Finanzplanung; es zeigt auch die positive Entwicklung, die in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht durch die Maßnahmen dieser Bundesregierung eingetreten ist.
Ein besonderer Vorrang ist künftig den Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur einzuräumen. Wir begrüßen es außerordentlich, daß die Bundesregierung mit ihren Beschlüssen zu dem großen Strukturprogramm den Anregungen der sozialdemokratischen Fraktion gefolgt ist, die sie in ihrem Entschließungsantrag vom 19. Januar gegeben hat. Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung ebenso unserer Anregung folgen wird, ein Investitionszulagegesetz gesondert vorzulegen.
Auch die Stärkung der Finanz- und Investitionskraft der Gemeinden ist - neben den Maßnahmen zugunsten der Länder - im Zusammenhang zu sehen mit der stärkeren Förderung investiver und wachstumsstarker Aufgabenbereiche. Die Gemeinde ist der staatliche Verband, der dem Bürger in seinem Alltagsleben am nächsten steht, mit dem er täglich in Berührung kommt. An dem Zustand, in dem sich die lebenswichtigen Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen, Kinderspielplätze, Straßenbahn, Parkplätze, Schwimmbäder, Altersheime usw. befinden, mißt er, der Bürger, das Funktionieren des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates unserer Zeit. Die Regierung der Großen Koalition hat versucht, tatkräftig zugunsten der Gemeinden und der Bürger in den Gemeinden einiges zu tun. Diese Anstrengungen müssen fortgesetzt werden. Sie werden auch fortgesetzt. So wird zu Lasten des Bundeshaushalts 1969 der Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer um weitere 2 v. H. auf 35 v. H. gesenkt, wie es der heute gleichfalls in erster Lesung anstehende Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein drittes Gesetz über das Beteiligungsverhältnis an der 'Einkommen- und Körperschaftsteuer vorsieht. Der Bund verzichtet damit auf 1 Milliarde Steuereinnahmen, die zur Hälfte, also in Höhe von 500 Millionen DM, über die Länder an die Gemeinden zur Verstärkung der Investitionskraft weiterzuleiten sind.
Neben der auch künftigen Überlassung der 3 Pf Mineralölsteuern an die Gemeinden, die immerhin mit 800 Millionen DM ausgewiesen sind, sollen nach der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes ab 1970 die Gemeinden nochmals um 500 Millionen DM, je zur Hälfte zu Lasten des Bundes und der Länder, verbessert werden. Unter Berücksichtigung der bisher getroffenen Maßnahmen wird damit im Rahmen der Finanzreform die Finanz- und Investitionskraft der Gemeinden um rund 1,9 Milliarden DM bis 1970 verstärkt. Ich meine, daß das eine ausgesprochen gemeindefreundliche Politik des Bundes ist.
Zur Frage der Krankenhausfinanzierung: Diese - das muß ich hier ganz offen sagen - ist für uns noch nicht befriedigend genug geregelt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Emde?
Bitte sehr!
Herr Kollege Hermsdorf, sind Sie der Meinung, daß, nachdem das Troeger-Gutachten bereits vor einigen Jahren einen Finanzrückstand der Gemeinden von 3 Milliarden DM ausgewiesen hat, die Vorschläge der mittelfristigen Finanzplanung ausreichen, um die Finanznot der Gemeinden zu überwinden?
Nein, das finde ich nicht. Aber, Herr Emde, wenn ich mich recht erinnere, ging erstens das Troeger-Gutachten von einer defizitären Lage von insgesamt 4 Milliarden DM aus. Zweitens muß ich Ihnen sagen, dies ist die Schwäche des Troeger-Gutachtens, daß es zu dieser Defizitlücke überhaupt nichts gesagt hat. Drittens muß ich Ihnen sagen, wir haben bereits bei Bildung dieser Regierung die Einkommen- und Körperschaftsteuer hinsichtlich der Beteiligung von Bund und Ländern um 2 % zugunsten der Länder gesenkt; wir haben sie jetzt wieder gesenkt; wir haben den Mineralölpfennig eingeführt. Da frage ich Sie in einer Gegenfrage: Glauben Sie denn, daß wir noch mehr hätten tun können, und wenn ja, woher wollten Sie dann das Mehr nehmen?
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege, gehe ich aber recht in der Annahme, daß auch Sie überzeugt sind, daß das, was bis jetzt für die Gemeinden in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist, insgesamt nicht ausreicht?
Nein. Aber, Herr Kollege, Sie lassen völlig außer acht, daß wir mitten in der Diskussion der Gemeindefinanzreform sind und daß hier wieder einiges geschehen wird. Das reicht zwar für die Gemeinden nicht aus, ich halte aber die Zuschüsse, die bisher durch die neue Regierung gewährt worden sind, wirklich für eine große Leistung und für eine Entlastung. Daß das noch nicht ausreicht, weiß ich. Nur sehe ich im Augenblick nicht, wo und wie wir mehr tun können. Das ist die Lage.
Entschuldigen Sie, Herr Emde, daß ich jetzt wieder auf die Krankenhausfinanzierung zurückkomme. Ich habe hier gesagt, daß wir diese Regelung noch nicht für befriedigend halten. Wir nehmen jedoch deutlich zur Kenntnis, daß die Bundesregierung ihre Mitglieder im Finanzplanungsrat beauftragt hat, mit den Ländern und Gemeinden die Frage der Krankenhausfinanzierung im Zusammenhang mit der Behandlung der Schwerpunkte für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu erörtern, um zu einer befriedigenden Lösung zu kommen. Das Problem steht also an und wird von dieser Regierung noch erörtert. Aber die Zeit drängt hier.
Lassen Sie mich nunmehr - und hier komme ich gleich wieder auf Herrn Emde zurück - zur Finanzreform generell etwas sagen. Das muß ja auch gesehen werden im Zusammenhang mit der Finanznot der Gemeinden. In der Finanzreform sind wir durch die Beratungen des Rechts- und des Finanzausschusses ein gutes Stück weitergekommen. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß diese Beratungen zu einer Konzeption geführt haben, die in wesentlichen Teilen dieses großen innerpolitischen Reformwerkes über die Regierungsvorlage hinausführt. Ich denke z. B. an die für uns zentrale Frage des großen Steuerverbunds sowie an die Frage der Ausgestaltung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems im allgemeinen. Es ist ein wesentliches Ziel dieser Reform, nicht nur die finanzwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Bund und Ländern zu stabilisieren, sondern auch die Steuerkraftunterschiede und damit die Leistungsunterschiede zwischen finanzschwachen und finanzstarken Ländern herabzumindern, damit überall in der Bundesrepublik gleichmäßigere Voraussetzungen für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben geschaffen werden. Die von den Ausschüssen in Aussicht genommenen neuen Wege bei der Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern werden uns diesem Ziel ein wesentliches Stück näherbringen.
Positiv beurteilen wir auch die Beratungsergebnisse bei den Gemeinschaftsaufgaben und bei der damit im Zusammenhang zu sehenden. Finanzierungskompetenz des Bundes nach Art. 104 a Abs. 3 des Grundgesetzes. Es wird nunmehr darauf ankommen, diese Verfassungsbestimmung durch entsprechende Ausführungsgesetze zu konkretisieren. Wir fordern die Bundesregierung auch heute wieder auf, diese Ausführungsgesetze sehr bald vorzulegen, damit sie noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden können.
Meine Damen und Herren, ein sozialdemokratischer Beitrag zur innenpolitischen Diskussion kann in dem breiten Fächer politischer Aktionen nicht auf die Fragen der Finanzierung des gesellschaftlichen Fortschritts verzichten. Der neue politische Handlungsspielraum wurde bei der Fortschreibung der Finanzplanung bis 1972 auch durch eine volkswirtschaftlich vertretbare Erhöhung der Kreditfinanzierung geschaffen. Nach der neuen Finanzplanung ist die Nettokreditaufnahme höher als in der alten Finanzplanung vorgesehen. Sie ist so bemessen, daß das mit der gesamtwirtschaftlichen Zielprojektion angestrebte Wirtschaftswachstum von real knapp 4,5 v. H. im Jahresdurchschnitt erreicht wird. Die Zunahme des Schuldendienstes der gesamten öffentlichen Haushalte, also Bund, Länder und Gemeinden, in einer Größenordnung von zirka 10 bis 11 Milliarden DM im Jahre 1969 und ansteigend auf rund 12 Milliarden DM bis zum Jahre 1972 ist unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten vertretbar, da mit steigendem Sozialprodukt die Geldvermögensbildung und damit die Grundlage der öffentlichen Kreditfinanzierung in kommenden Jahren erheblich höher sein wird als zur Zeit.
Diese Auffassung wird auch von der Deutschen Bundesbank bestätigt, die auf Grund einer mit der gesamtwirtschaftlichen Projektion abgestimmten eigenen Vorausschätzung der Geldvermögensbildung und des Kreditmittelbedarfs der übrigen Wirtschaftssektoren zu dem Ergebnis gelangt, daß die geplante Nettokreditaufnahme der öffentlichen Haushalte gesamtwirtschaftlich vertretbar ist und aus heutiger Sicht nicht zu einer Gefährdung des Preisniveaus führt. Auch finanzpolitisch hält sich der Schuldendienst des Bundes in einem verantwortbaren Ausmaß.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich heute hier etwas länger spreche als sonst. Aber wir wollten ja die gesamte Innenpolitik heute mitdiskutieren, und da muß außerhalb des Haushalts zu diesen und jenen Fragen etwas gesagt werden. Man kann nicht daran vorbei, auch etwas zum Wohnungs- und Städtebau zu sagen.
Wir stehen jetzt vor der Überleitung der Wohnungswirtschaft in den freien Markt. Darum kommt es darauf an, über ein ausreichendes Wohnungsangebot die Mieten in ein tragbares Verhältnis zu Lohn und Rente zu bringen. Aus diesem Grunde hat die Regierung der Großen Koalition den sozialen Wohnungsbau verstärkt. Ihr Ziel, jährlich den Bau von 200 000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau zu fördern, hat sie 1967 nicht nur erreicht, sondern sie hat diese Zahl sogar noch erhöht. 1968 wird das ebenfalls gelingen.
Daß der soziale Wohnungsbau auch in Zukunft seinen gesicherten Platz in der Wohnungswirtschaft haben wird, dafür sorgen das Gesetz zur Fortführung des sozialen Wohnungsbaus und die mittelfristige Finanzplanung.
Die rechtliche Absicherung der Mietwohnung, die bisher für den Mieter völlig unzureichend war, ist mit der Reform des sozialen Mietrechts gelungen. Die neue Sozialklausel hat die Welle willkürlicher Kündigungen gestoppt und einen gerechteren Interessenausgleich zwischen Mieter und Vermieter möglich gemacht. Das wird auch von den Mieterverbänden anerkannt.
Mieten, die für den einzelnen noch untragbar hoch sind, gleicht jetzt und in Zukunft das Wohngeld aus. Eine beabsichtigte Verschlechterung des Wohngeldgesetzes haben wir im vorigen Jahre mit Erfolg gestoppt. Verbesserungen, die in erster Linie bezwekken, ein viel zu kompliziertes Verfahren bei der Bewilligung aufzulockern und unkomplizierter zu machen, würden wir ohne weiteres zustimmen, und wir sehen sie sogar als notwendig an.
Erfolgreich war im Rahmen der beiden Konjunkturprogramme insbesondere die Modernisierung des Althausbestandes. Hier sind durch Zinszuschüsse mehr als eine Milliarde DM mobilisiert worden, mit denen nicht nur dem Althausbestand geholfen worden ist, sondern die auch weitgehend dem gewerblichen Mittelstand zugute gekommen sind.
Eine Aufgabe, die das Kabinett vor wenigen Tagen endlich angepackt hat, hat der Finanzminister unerwähnt gelassen. Ich bin nicht sicher, ob das Absicht war oder ob es dem Zeitdruck zum Opfer gefallen ist. Das ist das Städtebau- und Gemeindeentwicklungsgesetz. Wir können die Städte und Gemeinden mit den Schwierigkeiten, die sich aus dem schnellen Strukturwandel ergeben, nicht allein lassen. Wir müssen ihnen die notwendigen rechtlichen Instrumente zur Verfügung stellen, die ihre Planungsfreiheit sichern, Dispositionen über das Baugelände ermöglichen und ihnen helfen, ungerechtfertigte Bodenspekulationen abzuwehren. Allerdings muß sich der Bund auch an den Kosten dieser großen Aufgabe beteiligen, deren Lösung für die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland von entscheidender Bedeutung ist. Um das zu ermöglichen, gehört in den geplanten Art. 104 a des Grundgesetzes auch der Wohnungs- und Städtebau.
Zu den hervorragenden Verdiensten der Großen Koalition gehört nach meiner Auffassung und nach Auffassung meiner Fraktion die Vorlage der umfassenden und in sich geschlossenen verkehrspolitischen Konzeption, die zu einer zweckmäßigen Aufgabenteilung und Zusammenarbeit zwischen den Verkehrsträgern, zu einer Entlastung unseres Straßennetzes und damit zu einer höheren Verkehrssicherheit auf den Straßen und zur wirtschaftlichen Gesundung der Deutschen Bundesbahn führt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zeigte sich für Alternativvorschläge aufgeschlossen, sofern durch sie mit besseren oder gleichwertigen Maßnahmen die Zielsetzung des Verkehrspolitischen Programms hätte erreicht werden können. Auf dieser Grundlage war auch die Vereinbarung zwischen den Koalitionsfraktionen möglich. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion steht zu dieser Vereinbarung und den darin gesetzten Terminen.
Niemand sollte den engen Zusammenhang zwischen dem Verkehrspolitischen Programm und der mittelfristigen Finanzplanung übersehen. Sollte es uns nicht gelingen, durch das Verkehrspolitische Programm der Bundesregierung die von der Deutschen Bundesbahn benötigten öffentlichen Mittel zu begrenzen und abzubauen, könnte der Fall eintreten, daß der Bund statt 3 Milliarden DM künftig 5 Milliarden DM jährlich an die Deutsche Bundesbahn zu leisten hätte.
Die Deutsche Bundesbahn hat in den vergangenen Monaten auf der Grundlage des Verkehrspolitischen Programms bereits enorme Anstrengungen zur Rationalisierung und Modernisierung ihres Betriebes unternommen. Zugleich bildet der Straßenbau einen besonderen Schwerpunkt im Verkehrshaushalt, dem mit einer jährlichen Zuwachsrate von 7,8 % eine berechtigte Priorität in der neuen mittelfristigen Finanzplanung zuerkannt ist.
({0})
- Aber Herr Barzel, Sie sind doch sonst so geduldig; warum sind Sie heute so - -({1})
- Ich mache es wie der Bundeskanzler gestern, er war mein Vorbild.
({2})
Ein weiterer Erfolg der Großen Koalition ist die Hilfe des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden.
Einige Worte muß ich noch zu einem Unsicherheitsfaktor des vorliegenden Finanzplanes sagen, zur Agrarfinanzierung. Ich sehe mit Sorge die ständig wachsende und die Vorausschätzungen weit hinter sich lassende Etatbelastung durch die Entwicklung des EWG-Agrarfonds. Für die endgültige Regelung der EWG-Agrarfinanzierung müssen wir deshalb im nationalen Interesse, aber ohne Gefährdung der weiteren Entfaltung des Gemeinsamen Marktes neue Lösungen finden, für die es ja auch bereits Vorstellungen und Vorschläge gibt. Wir messen einer solchen Neuorientierung der EWG-Agrarfinanzierung auch deshalb besondere Bedeutung bei, weil sonst die Gefahr besteht, daß die im Finanzplan enthaltenen Globalmittel für das nationale Agrarprogramm durch die EWG-Agrarfinanzierung völlig aufgefressen werden.
Ich möchte jetzt - nicht als Vertreter meiner Fraktion - eine persönliche Bemerkung zur EWG-Agrarfinanzierung machen und Herrn Minister Strauß fragen, ob er mit dem Vorschlag seines Staatssekretärs, veröffentlicht entweder im Bulletin oder in den Finanznachrichten, einverstanden ist, ein EWG-Finanzministerium zu schaffen. Herr Grund deutet es an. Ich verstehe die Gedanken, die hinter
dem Wunsch für ein solches Ministerium stehen. Das kann gut sein. Damit mein Gedanke nicht untergeht und damit es dazu nicht zu spät ist, möchte ich hier folgende Frage aufwerfen. Wir sind bei der EWG-Agrarfinanzierung durch die deutsche Position - wahrscheinlich kommt das auch bei anderen - eines Tages vor die Frage gestellt, ob wir mit unseren nationalen finanziellen Verfügungsmöglichkeiten die EWG-Agrarfinanzierung noch erfüllen können. Bei der Agrarfinanzierung der EWG muß also die nationale Komponente sehr stark in Erwägung gezogen werden. Besteht nicht bei der Idee eines EWG-Finanzministers die Gefahr, daß dieser sein Auge mehr für die Finanzierung der EWG als für die nationale Finanzierung haben wird? Deshalb bitte ich also, daß man sich, ehe man den Vorschlag weiter verfolgt - ich weiß gar nicht, ob er Ihre Billigung hat, Herr Minister -, das sehr genau überlegt und nicht eventuell eine neue Kompetenz schafft, die es uns noch schwerer als heute macht, zu Resultaten zu kommen.
Zusammenfassend möchte ich das Programm der Großen Koalition, das ich in der mittelfristigen Finanzplanung zahlenmäßig dargestellt habe, positiv bewerten. Ich bitte jetzt auch Herrn Barzel, bei meinen letzten Bemerkungen zuzuhören, weil er dann von dem Pferd, auf dem er eben geritten ist, wahrscheinlich wieder herunter muß.
({3})
Es ist klar, auch wenn ich das gesamte Programm positiv bewerte, daß nicht alles Wünschbare enthalten ist
({4})
und daß es ein Kompromiß ist.
({5})
Es gibt bestimmte Ereignisse und kann bestimmte Ereignisse geben, bei denen in der mittelfristigen Finanzplanung noch einige Unsicherheitsfaktoren auftreten. Ich denke besonders an außenpolitische Faktoren, die uns belasten.
Ich meine, daß wir im Vergleich zu früheren Jahren, sozusagen in der Zeitrechnung „ante Mifrifi" doch jetzt eine qualifizierte Darstellung unserer Absichten haben, die keinesfalls zu unterschätzen ist und uns für die nähere Zukunft die Möglichkeit gibt, politisch die Dinge nicht ad hoc, sondern überlegt und gut zu durchdenken.
({6})
Diese Darstellung reicht jetzt jedoch noch nicht ganz aus, Herr Finanzminister. Ich möchte ausdrücklich fordern, daß dem Parlament für künftige Finanzplanungen im einzelnen Einsicht in die Steuerschätzungen gewährt wird und daß wir uns nicht auf die knappen Angaben verlassen müssen, die uns in der vorliegenden Drucksache gemacht worden sind. Uns genügen nicht globale Steuerlastquoten für die nächsten Jahre, sondern wir erwarten, daß die Regierung die Entwicklung der verschiedenen Steuern in der Planungsperiode im einzelnen darlegt. Wir hätten auch gewünscht, daß die Bundesregierung der Darstellung der gesamtwirtschaftlichen Projektion mehr Platz gewidmet hätte, als sie dies mit ihren wenigen Zeilen getan hat. Im Finanzbericht 1969 findet sich zwar eine etwas ausführlichere Darstellung als im Vorjahr, aber sie ist nicht befriedigend. Einmal bin ich der Auffassung, daß diese Projektion als Grundlage für die Finanzplanung in die Drucksache selbst gehört, und zweitens muß sie auch ausführlicher und mit mehr Erläuterungen versehen sein. Insbesondere wünschen wir auch Angaben über die Verteilungsseite des Sozialproduktes, wozu unter anderem die Antwort auf die Frage gehört, wie sich die Einkommen aus Unternehmertätigkeit auf der einen und aus unselbständiger Arbeit auf der anderen Seite entwickeln werden.
Meine Damen und Herren, die notwendige Koordinierung der Finanzplanung der Gebietskörperschaften spielt sich offenbar ein, soweit ich das beurteilen kann. Die bisherige Tätigkeit des Finanzplanungsrates, die ja noch auf freiwilliger Grundlage erfolgt, beweist seine Bedeutung und Notwendigkeit im Rahmen eines kooperativen Föderalismus, der im Interesse aller Staatsbürger der Sicherung oder der Herbeiführung gleicher Lebensverhältnisse verpflichtet zu sein hat.
Nun lassen Sie mich einige Bemerkungen zum letzten Tagesordnungspunkt, zum Haushalt 1969, machen.
({7})
- Verzeihung, ich habe über die Sache gesprochen, Herr Dorn, die Sie verlangt haben; denn diese Debatte über die Innenpolitik, falls sie sich nicht auf die Haushaltspolitik beziehen sollte, ist von Ihnen gefordert worden.
({8})
Sie können mir jetzt nicht unterstellen, ich käme jetzt erst zur Sache. Ich habe die ganze Zeit zur Sache geredet. Damit hier keine Mißverständnisse aufkommen!
({9})
- Was heißt, der Bundeskanzler hat das nicht gehört? Sie haben doch, als wir über Außenpolitik redeten, gefordert, daß es bei der Haushaltsberatung eine innenpolitische Debatte geben soll. Stimmt's, oder stimmt's nicht? Wenn sie heute stattfindet, können Sie uns doch keinen Vorwurf machen. Reden Sie doch nicht solchen Quatsch!
({10})
- Ich werde trotzdem zum Haushalt reden, auch wenn Ihnen das nicht gefällt.
({11})
Der Entwurf des Haushalts 1969 realisiert den mittelfristigen Finanzplan für das kommende Budgetjahr. Er stellt die vom Parlament zu beschließende gesetzgeberische Konsequenz der mehrjährigen Planungsvorstellungen der Regierung dar.
Wir sind mit der Bundesregierung der Auffassung, daß der Haushalt 1969 konjunkturgerecht ist. Bei der gegenwärtigen und für die nächste Zukunft übersehbaren Entwicklung halten wir weder konjunkturell expansive finanzpolitische Maßnahmen noch eine Drosselung für erforderlich. Nicht zuletzt darin zeigt sich, wie erfolgreich die Wirtschafts- und Finanzpolitik gewesen ist.
Freilich kann sich die konjunkturelle Lage im Verlaufe des Jahres 1969 ändern. Nach Lage der Dinge kann es sich dabei nur darum handeln, daß die Konjunktur in eine Phase gerät, die im Interesse der Stabilität kontraktive Maßnahmen notwendig macht. Wir begrüßen ausdrücklich die Ausführungen der Bundesregierung im mittelfristigen Finanzplan zur Vorsorge für den Fall einer konjunkturellen Überhitzung. Meine Fraktion sagt der Bundesregierung für diesen Fall zu, daß sie alle Maßnahmen, die zur Sicherung der Stabilität erforderlich sind, voll unterstützen wird.
Der Bundeshaushaltsplan 1969 zeigt sich zunächst in einem ungewohnten Bild der äußeren Repräsentation. Im teilweisen Vorgriff auf die Haushaltsrechtsreform, die vom Bundestag noch beraten wird, wird bereits die mit Bund, Ländern und Gemeinden abgestimmte neue Haushaltssystematik angewendet. Sie soll computergerecht sein, und wir verbinden mit ihr die Hoffnung, daß mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung der Bundeshaushalt und seine vielfältigen Verflechtungen im Wirtschaftskreislauf nach bestimmten Kriterien schnell aufbereitet und für politische Entscheidungen aufgeschlüsselt werden kann. Auch auf dem Gebiete der Veranschlagungsmethodik, die von manchen fälschlicherweise nur als eine Frage formaler Natur angesehen wird, hat also die Zukunft schon oder, besser gesagt, endlich begonnen. Dieser neue Gruppierungsplan berücksichtigt bei der Beziehung der Einnahmen und Ausgaben und ihrer Zuordnung stärker als bisher ökonomische Gesichtspunkte, entsprechend der zunehmenden Bedeutung der wirtschaftlichen Funktion des Budgets. Wir hoffen, daß die neuen zusammenfassenden Übersichten wie die Gruppierungsübersicht, der Funktionsplan und der Haushaltsquerschnitt die Lesbarkeit und die Transparenz des Haushaltsplanes verbessern und für das Parlament nützliche Entscheidungs- und Informationshilfen bieten.
Neu ist auch das System der Veranschlagung für die Kreditaufnahme und die Behandlung des Defizits aus Vorjahren, für das vernünftigerweise das Netto-Prinzip vorgesehen wird.
Ich muß aus Zeitgründen darauf verzichten - um die FDP nicht weiter aufzuregen -,
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hier auf Einzelheiten einzugehen, obwohl auch einige durchaus kritische Anmerkungen zu machen wären. Sie müssen der Ausschußberatung und der zweiten Lesung überlassen werden. Jedenfalls hat meine Fraktion im Prinzip keine rechtlichen Bedenken gegen das Vorziehen einiger Bestimmungen aus der Haushaltsrechtsreform, da sie - soweit sie vom geltenden Haushaltsrecht abweichen - im Haushaltsgesetz 1969 ausdrücklich enthalten sind und somit der parlamentarischen Beschlußfassung unterliegen. Diese Vorgriffe stellen auch keineswegs endgültige Entscheidungen des Gesetzgebers über die definitive Ausgestaltung des Haushaltsrechts dar. Ich betrachte es vielmehr als ein nützliches Planspiel, einige wichtige Grundzüge der Haushaltsreform schon jetzt bei den Etatberatungen 1969 auf ihre Praktikabilität und ihre Plausibilität hin zu überprüfen.
Auf den materiellen Inhalt des Haushaltsrechts bin ich bei meinen vorherigen Darlegungen eingegangen. Ich möchte jetzt nicht noch einmal diese Frage aufwerfen, zumal da ich die gesellschaftspolitischen Prioritäten bereits in meinen vorhergehenden Ausführungen erwähnt habe.
Aber eines ist mir noch wichtig genug, um es mit ganz besonderem Nachdruck und als Erkennungszeichen der veränderten Landschaft, von der ich eingangs sprach, zu behandeln. Dieser Etat, der letzte vor den Bundestagswahlen 1969, enthält keine Wahlgeschenke. Das ist neu und einmalig, und nach unseren bisherigen Erfahrungen ist das eine gute Sache. Dieser Haushalt sieht nicht wie in früheren Jahren Steuersenkungen vor. Er berücksichtigt auch keine Einzelinteressen, deren Befriedigung, isoliert gesehen, sicher wohl begründet, aber in der Verantwortung gegenüber allen Bürgern nicht zu vertreten ist. Er enthält auch keine Leistungsversprechen, die nach den Wahlen nicht gehalten werden können.
Diese Große Koalition, die zur Beseitigung der vorgefundenen Tatsachen eine harte Schule praktizieren mußte, hat Gefälligkeitspolitik nicht nötig. Wir haben es uns seit 1966 nicht einfach gemacht und wir haben keine Politik des geringsten Widerstandes betrieben. Wir bauen mit dieser Haltung auf die Vernunft und das Verständnis des Bürgers, der vor allem nach dem Debakel von 1965 wohl zu unterscheiden weiß zwischen tönenden Worten und realisierbaren politischen Forderungen. Ich möchte hier wiederholen, was mein Freund Dr. Alex Möller kürzlich vor meiner Fraktion mit Nachdruck erklärte: Niemals wird die sozialdemokratische Fraktion den Pfad der finanzpolitischen Solidität verlassen, zu keiner Zeit, auch nicht während der Wahl, denn Versprechungen, denen auf dem Fuß Enttäuschungen folgen müßten, wären nicht gut für die Lauterkeit und die Praktikabilität und die Standhaftigkeit unserer demokratischen Verfassung.
Lassen Sie mich meine Ausführungen, die für meine Fraktion vorzutragen ich die Ehre hatte, mit den Worten schließen, die der Vorsitzende meiner Fraktion, Helmut Schmidt, in der außenpolitischen Debatte vom 26. September vor diesem Hohen Hause sagte und die eigentlich das Motto für meine heutige Rede bildeten:
Alle unsere Bemühungen um Sicherheit und Frieden haben auf die Dauer nur dann Erfolg, wenn es uns gelingt, die innere Ordnung zu wahren und Freiheit und Gerechtigkeit für den einzelnen zu mehren. Stabilität ... nach außen hängt ab von der Stabilität im Innern, und Stabilität der Demokratie hängt ab von dem Fortschritt der Gesellschaft.
Lassen Sie mich ein Bekenntnis hinzufügen: Ich meine, daß in unserem Lande leider Leistungen oft nicht so gewertet werden, wie sie es verdient hätten. Wenn ich ringsherum schaue und die Ausgangslage sehe, daß wir vor einer finanziellen Krise in Höhe von 64 Milliarden DM und in einer wirtschaftlichen Rezession standen und nach zwei Jahren wieder festen Grund unter den Füßen, nämlich geordnete finanzielle Verhältnisse, Stabilität in der Wirtschaft und wirtschaftliches Wachstum haben, dann muß ich Ihnen sagen: Das wäre außerhalb unseres Landes von den Bürgern als eine große und gewaltige Leistung angesehen worden! Das sage ich nicht nur zur FDP, das sage ich auch teilweise zur Pressetribüne gerichtet. Diese beiden Punkte bewältigt zu haben, ist allein schon eine Leistung dieser Koalition, dieser Regierung.
Es sind aber noch eine ganze Reihe von Dingen erledigt und angepackt worden, wie ich sie dargestellt habe. Das heißt, wenn ich dieses Bekenntnis ablege, lege ich es für diese Regierung ab. Ich bekenne mich mit Stolz zu den Leistungen dieser Regierung,
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und wir zögern nicht einen Augenblick, für diese Leistung Dank zu sagen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freien Demokraten bestreiten gar nicht, daß sie diese Debatte gewünscht haben. Daran haben wir nie einen Zweifel gelassen. Sie haben nur vergessen, darauf hinzuweisen, daß wir bereits vor der letzten außenpolitischen Debatte den Herrn Bundeskanzler aufgefordert hatten, die Innenpolitik mit zu behandeln; nur war damals offensichtlich die Bereitschaft dazu noch nicht vorhanden. Ich verstehe heute auch, warum diese Bereitschaft nicht vorhanden war. Denn die Bilanz über das, was vorgelegt werden konnte und was geschehen muß, ist ja so, daß man sie besser nicht aufgemacht hätte.
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Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zur Einleitung nur einige wenige Minuten Anmerkungen zur außenpolitischen Fragen machen, weil ja morgen darüber im einzelnen diskutiert werden soll.
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- Ich hörte, daß morgen die Europafragen diskutiert werden sollen. Wenn das nicht der Fall ist, könnte ich länger sprechen, aber das paßte Ihnen wahrscheinlich ,auch wieder nicht.
Wir haben innerhalb sehr kurzer Zeit zwei außenpolitische Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers entgegengenommen, ohne daß die Klarheit entstanden ist, die wir Freien Demokraten von diesen Erklärungen erhofft hatten, nämlich Klarheit darüber, wie die Bundesregierung in nächster Zukunft ihre Außenpolitik unid ihre Europapolitik gestalten will und wie die Konzeption für die Zukunft aussieht. Davon haben wir leider nichts gehört.
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Es ist verständlich, daß immer wieder darauf hingewiesen wird, daß durch die Intervention der UdSSR in der Tschechoslowakei für die deutsche Außenpolitik neue Schwierigkeiten entstanden sind unid vorhandene Schwierigkeiten deutlicher geworden sind. Aber ich bedaure, daß der Herr Bundeskanzler in diesem Zusammenhang von folgendem gesprochen hat - ich zitiere wörtlich -:
Meine Damen und Herren! Diese neue, zwar schon in früheren Jahren gelegentlich anklingende, aber jetzt in voller Schärfe formulierte Doktrin zwingt uns wie alle Völker der übrigen, insbesondere der westlichen Welt zu einer Überprüfung unserer bisherigen Politik.
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Hier sind zwei Punkte, über die wir mehr Klarheit haben wollen.
Erstens: Ist es wirklich geschickt und für unsere Politik gut, die Äußerungen des sowjetischen Botschafters, die er uns im Auftrage seiner Regierung überbracht hat, als Doktrin zu bezeichnen und ihnen damit den Rang des Unabänderlichen zu geben? Wenn schon bei der Sowjetunion diese Meinung vorhanden sein sollte, wäre es doch falsch, wenn wir sie einfach übernähmen und als Doktrin betrachteten. Aufgabe der Politik muß es doch sein, die Dinge zu ändern und zu verhindern, daß sich hier eine Verhärtung einstellt.
Zweitens: Was allerdings mit der Überprüfung unserer Politik gemeint war, wurde nicht klar.
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Wir haben doch am 21. August, als wir morgens im Bundeskanzleramt über die Ergebnisse in der CSSR, soweit es bis dahin möglich war, unterrichtet wurden, darüber gesprochen, ob in bestimmten Fragen eine gemeinsame Basis gefunden werden kann. Wir haben bei dieser Beurteilung der Lage und auch über ein gewisses gemeinsames Vorgehen ein hohes Maß an Übereinstimmung erzielt. - Soll dieses Überprüfen nun heißen, daß das, was im August als Ausgangspunkt für uns gemeinsam gefunden worden ist, jetzt verlassen wird? Wenn das der Fall ist, erwarten wir, daß die Unterrichtung der Opposition wieder in der gleichen Form geschieht, wie es erfreulicherweise in den ersten zehn, zwölf Tagen nach den traurigen Ereignissen in der Tschechoslowakei geschehen ist. Soll dieses Überprüfen nun etwa heißen, daß das, was in der ersten Erklärung des Herrn Bundeskanzlers hier gesagt worden ist, heute in Frage gestellt wird? Bedeutet dieses Überprüfen nun, daß Türen, die man noch offen gehalten hat - ich denke an Gespräche, die einmal kommen sollten -, jetzt zugeschlagen werden? Oder sollen sie offen bleiben, um abzuwarten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist? Das alles muß hier klargestellt werden. Das Wort Überprüfung läßt näm10218
lieh den Verdacht aufkommen, daß das Ende der Überprüfung eine Abkehr von bisher gemeinsam gefundenen Standpunkten sein kann.
Meine Damen und Herren, es ist ja nicht so, daß die Entwicklung der letzten zwei, drei Monate wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen ist. Wir Freien Demokraten haben rechtzeitig verlangt, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Ostblockstaaten auf keinen Fall isoliert zu betrachten, sondern immer die Abschirmung dieser richtigen Aktion gegenüber der Sowjetunion zu sehen. In der 90. Sitzung des Deutschen Bundestages am 1. Dezember 1967 ist das von mir in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht worden. Wir müssen aber feststellen, daß offensichtlich diese Abschirmung eben nicht in der notwendigen Form geschehen ist.
Wir bedauern auch, daß der Hauptansatzpunkt für die heutige Debatte, nämlich unsere Forderung, mehr Klarheit über die Politik der Bundesregierung gegenüber Frankreich zu bekommen, ebenfalls nicht erreicht worden ist.
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Es ist kein Ansatzpunkt dafür zu finden, ob die Bundesregierung bereit ist, in der europäischen Politik eigene Initiativen zu ergreifen, auch dann, wenn die Bereitschaft Frankreichs - oder, besser gesagt, des französischen Staatspräsidenten -, darauf einzugehen, nicht vorhanden ist. Wir sind uns im klaren darüber, daß der französische Staatspräsident gegen solche Pläne erhebliche Bedenken äußern wird. Die Bundesregierung muß aber nach unserer Auffassung dem französischen Staatspräsidenten endlich darlegen, daß er auf der einen Seite nicht ständig ein größeres Eigengewicht Europas fordern, auf der anderen Seite jedoch aus überholten nationalstaatlichen Erwägungen zugleich alles unternehmen kann, um zu verhindern, daß die Staaten Europas wenigstens in ihrem westlichen Teil zu einer engeren Zusammenarbeit kommen.
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Das ist doch die Diskrepanz, die in dieser Frage besteht.
Der französische Staatspräsident kann auch nicht gleichzeitig gegen die amerikanische Führungsrolle und Vorherrschaft in Europa und gegen eine koordinierte Außenpolitik der westeuropäischen Staaten unter Einschluß von EWG, EFTA und darüber hinaus sein. Das sind doch die Punkte, über die endlich einmal Klarheit geschaffen werden muß. Hier muß sehr schnell gegenüber Frankreich verdeutlicht werden, daß die Europapolitik auf realen politischen Tatsachen aufgebaut werden muß und nicht etwa auf geschichtlichen Visionen, wie das so oft von Seiten des französischen Staatspräsidenten geschieht.
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Wir Freien Demokraten haben stets darauf hingewiesen - durch die Ereignisse in der Tschechoslowakei sind wir in unserer Meinung bestätigt worden -, daß einem konventionell vorgetragenen Angriff aus dem Osten, der möglicherweise hand-streichartigen Charakter haben könnte, von seiten des Westens nur mit konventionellen Mitteln begegnet werden kann. Unser Ziel war es - und das ist in vielen Debatten zum Ausdruck gebracht worden -, die Bundeswehr hierfür entsprechend auszurüsten. Wir haben leider in der Erklärung der Bundesregierung zu der Konzeption der Bundeswehr und den Schlußfolgerungen aus den letzten Ereignissen nichts hören können. Wir stellen fest, daß das Verständnis für unsere Haltung auch innerhalb der Bundeswehr in den letzten Wochen und Monaten gerade unter dem Eindruck der Ereignisse in der Tschechoslowakei und nach den Erfahrungen mit dem Manöver „Schwarzer Löwe" gewachsen ist. Wir wissen auch aus amerikanischen Äußerungen, daß dort die Bereitschaft wächst, die Notwendigkeit anzuerkennen, unsere Bundeswehr konventionell besser auszurüsten.
Meine Fraktion hat dazu mehrfach in den wehrpolitischen Debatten Vorschäge gemacht. Wir sind aber etwas überrascht darüber, daß man heute hört, die Sicherheit sei nicht gewährleistet, daß man in Anzeigen und in verschiedenen Verlautbarungen darauf hinweist, daß man die Bundeswehr verstärken will, aber nicht den Mut hat, zuzugeben, daß die entscheidenden Beschlüsse, nämlich die Verbesserung der Besoldung der Unteroffiziere und Schaffung einer neuen, vierten Laufbahn, hier im Gegensatz zu den Vorschlägen der Freien Demokraten nicht gefallen sind.
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Wer die Bundeswehr so verstärken will, daß sie ihrem Auftrag entsprechen kann, muß erst einmal die Lücke der 31 000 Unteroffiziere und 5000 Offiziere schließen, eben mit den Mitteln, die wir vorgeschlagen haben, aber nicht mit dem Nein, das die Koalition zu diesen Vorstellungen hier leider ausgesprochen hat.
Meine Damen und Herren, wir haben Verständnis für den amerikanischen Wunsch, einen Ausgleich für die Devisenabflüsse zu finden, die durch die Stationierung amerikanischer Truppen in der Bundesrepublik verursacht werden. Unserer Auffassung nach muß aber die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten deutlich machen, daß eine Lösung auf der Basis, daß wir Waffen kaufen, die wir entweder gar nicht oder nicht sinnvoll im Verteidigungsfall benutzen können, nicht akzeptiert werden kann.
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Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie selbst auch in diesem Sinne initiativ wird. Wir sollten von vornherein jedes mögliche Ansinnen zurückweisen, Waffen zu erwerben, die wir bei der besonderen Art der Möglichkeit und der Notwendigkeit des Einsatzes der Bundeswehr nicht benötigen. Ich bin überzeugt, daß diese Haltung auch bei unseren amerikanischen Freunden auf Verständnis stoßen wird. Darüber hinaus sollten wir uns etwas stärker als bisher darum bemühen, bei der Berechnung des Devisenausgleichs auch die zivilen Aufträge stärker mit heranzuziehen, als es in der Vergangenheit leider geschehen ist.
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Eine Bemerkung noch zu der allgemeinen Frage der europäischen Sicherheit. Wir haben mehrfach gefordert, daß die Bundesregierung ihrerseits sowohl den Vereinigten Staaten wie der Sowjetunion und den europäischen Staaten einen Plan für ein europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Friedenspolitik der Bundesregierung vorlegen sollte. Für die Garantie unserer Sicherheit ist es neben unseren Verteidigungsanstrengungen nach unserer Auffassung genauso wichtig, daß die Bundesregierung ihre Außenpolitik noch zielstrebiger als bisher - ich verkenne nicht die Ansätze, die hier sichtbar geworden sind - auf ein solches Sicherheitssystem abstellt.
Dazu gehört z. B. auch, daß die Bundesregierung jetzt einmal prüft, ob nicht der Zeitpunkt gekommen ist, die Sowjetunion an die Rede ihres Außenministers Gromyko 1966 in Rom und an die Beschlüsse des Warschauer Pakts zur europäischen Sicherheit vom Juli 1966 in Bukarest - der Herr Bundeskanzler sprach gestern schon die Karlsbader Beschlüsse an - zu erinnern.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren, was damals die Staaten des Warschauer Paktes festgelegt haben. In der Erklärung heißt es wörtlich:
Eine -große positive Bedeutung hätte die Einberufung einer europäischen Konferenz zur Erörterung von Fragen der Gewährleistung der Sicherheit in Europa und zur Anbahnung der europäischen Zusammenarbeit. Die auf einer solchen Konferenz erzielte Übereinkunft könnte ihren Ausdruck z. B. in Form einer europäischen Deklaration über Zusammenarbeit im Interesse der Aufrechterhaltung und der Festigung der europäischen Sicherheit finden.
Es wird dann darauf im einzelnen eingegangen, und zum Schluß heißt es:
Die Deklaration sollte allen interessierten Staaten zum Beitritt offenstehen.
Wäre es jetzt nicht sinnvoll, von deutscher Seite einmal die Sowjetunion danach zu fragen, wie sie zu ihren Erklärungen, wie sie zu den Beschlüssen der Warschauer-Pakt-Staaten nach den jüngsten Ereignissen steht, ob sie davon abgeht, ob sie neue Überlegungen entwickelt hat? Wir halten das für notwendig.
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Wir hätten es daher sehr begrüßt, hier bei den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers etwas darüber zu hören, ob das vielleicht ein Gesprächsgegenstand zwischen dem Bundesaußenminister und dem sowjetischen Außenminister gewesen ist.
Zu diesem Gespräch eine Bemerkung! Haben wir es wirklich nötig, wenn der Bundesaußenminister mit dem sowjetischen Außenminister spricht, über das Zustandekommen eines solchen Gesprächs Mitteilungen zu veröffentlichen,
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die dann, zu, sagen wir einmal, sehr großen Unklarheiten führen, - wenn ich es vorsichtig ausdrücke?
Ich habe allerdings den Eindruck - um das ganz nüchtern zu sagen -: es gab wieder einmal Kräfte in dieser Koalition, die einfach Sorge davor haben, wenn der deutsche Außenminister sagt: „Ich will mit dem sowjetischen Außenminister sprechen".
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Das ist doch ein legitimes Anliegen, über das man dann nicht streiten sollte, wer wann wem gesagt hat: „Wir willen miteinander reden". Das führt uns nicht weiter.
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Lassen Sie mich jetzt zum innenpolitischen Teil der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers übergehen,
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obwohl das, was der Kollege Hermsdorf in einem kleinen Geplänkel gesagt hat, natürlich dazu verleiten könnte, zu sagen: „Es ist nicht viel gewesen, also brauchen wir nicht viel dazu zu sagen."
Diese Große Koalition besteht ja nun zwei Jahre. Aber das, was als innenpolitische Bilanz aufgemacht worden ist, hat doch auf keinen Fall die hochgespannten Erwartungen auf weittragende Reformpläne erfüllt. Auch die Anzeigenaktionen können nicht darüber hinwegtäuschen - im Text selbst ist es ja nachzulesen -, daß zwar vieles vorgelegt worden ist, daß aber Entscheidungen darüber zum größten Teil nicht fallen konnten, weil die Einigkeit darüber in der Koalition noch nicht zu schaffen war.
Die Finanzreform ist zwar eingeleitet, aber es bestehen doch große Meinungsunterschiede, nicht nur innerhalb der Koalition, sondern auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Das haben ja die bisherigen Beratungen in den zuständigen Ausschüssen deutlich gemacht. Die Tatsache, daß die Herren Ministerpräsidenten aller Bundesländer der CDU bzw. CSU und der SPD angehören, hat sich auf den Fortgang der Arbeiten an der Finanzreform bis zur Stunde in keiner Weise positiv ausgewirkt. Hier ist offensichtlich eine Übereinstimmung nicht erzielt worden.
Ein Hinweis ist noch notwendig: Im Finanzausschuß wurde vor wenigen Tagen genau der Punkt, der in der Erklärung der Regierung als Begründung in den Vordergrund gestellt wurde - „Was wird mit der Gewerbesteuer?" -, ausgeklammert, und damit ist das praktiziert worden, was eigentlich die Regel ist.
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Auch einer neuen Kompetenzverteilung, die den Erfordernissen unserer Zeit auf dem Sektor der Fortentwicklung von Bildung und Wissenschaft entsprechen würde, geht die Große Koalition bisher vollständig aus dem Wege. Ich werde dazu noch etwas sagen. Wie in vielen Fällen handeln Sie, Herr Bundeskanzler, auch hier gegen Ihre eigene bessere Erkenntnis, die Sie am 11. März 1968 vor diesem Hohen Haus wie folgt umschrieben haben - ich darf zitieren -:
Der Föderalismus steht, darüber soll sich niemand täuschen, vor einer großen Bewährungsprobe. Wir alle müssen wissen, daß, wenn wir auf irgendeinem Gebiet versagen, die Geschichte niemandem die Entschuldigung abnehmen wird, ihm habe die Kompetenz gefehlt.
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Absolut einer Meinung! Wo bleibt aber die Schlußfolgerung aus diesen Aussagen?
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Wo bleiben die entsprechenden Vorschläge? Steht nicht der Gedanke, Gemeinschaftsaufgaben schaffen zu wollen, im eklatanten Widerspruch zu dieser Auffassung? Hier werden ja gerade die Dinge in die graue Zone gebracht; sie verschwimmen, statt daß sie klarer werden.
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Wäre es nicht an der Zeit, Herr Bundeskanzler, daß sich die Bundesregierung entschließt, die Koalitionsfraktionen um Unterstützung dafür anzugehen, daß unsere Anträge - Änderung der Art. 74 und 75 des Grundgesetzes - positiv entschieden werden, damit der Bund in den Fragen der Bildungspolitik Kompetenzen erhält, damit er handeln kann und nicht nur beklagen muß? Hier wäre doch eine Möglichkeit, gemeinsam - Sie, Herr Bundeskanzler, und wir als Opposition - Ihre Meinung bei Ihren Freunden durchzusetzen. Wir sind bereit, mitzustimmen.
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Ob Ihnen das gelingt? - Ich habe die Sorge, das wird nicht möglich sein, weil die eigenen Fraktionen der Regierungskoalition sich offensichtlich nicht an die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in dieser Frage so halten, wie es um der Sache willen notwendig wäre.
Wenn man die Debatte von heute morgen betrachtet und das, was in der Regierungserklärung
- nun, ich will es zurückhaltend ausdrücken - so an Abweichungen von der Meinung des Koalitionspartners gesagt worden ist, hat man das Gefühl, daß das Wahljahr mit unterschiedlichen Erklärungen auf verschiedenen Gebieten eingeläutet worden ist.
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- Herr Kollege Barzel, ich antworte auf das, was hier gesagt worden ist. Wenn Sie so wollen, muß ich natürlich dann mit in meine Rede übernehmen, daß Sie den Wahlkampf, die Auseinandersetzung der Koalitionsparteien, eben schon jetzt beginnen. Wir wollten es nicht; aber wenn Sie meinen, sind wir auch dazu bereit.
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Wenn ich an die Erklärungen zur Frage der Mitbestimmung denke, so muß ich sagen: innerhalb der Koalition sind doch die Aussagen unterschiedlicher als eh und je.
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- Herr Kollege Matthöfer, Sie sind ein Meister der Vereinfachung. Genauso wie Sie oft bei der Frage der automatischen Dynamik bei der Rentenanpassung vereinfachen, haben Sie jetzt wieder in der Frage der Mitbestimmung mit dem „dagegen" vereinfacht. Zwischen qualifizierter Mitbestimmung und Betriebsverfassungsrecht besteht - das wissen Sie doch viel besser als ich - ein Unterschied. Das sollte man nicht in einen Topf werfen.
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In einer Frage trat man aber bisher doch einheitlich auf, nämlich in der Frage der arbeitsrechtlichen Form der Lohnfortzahlung. Bisher hatten wir jedenfalls den Eindruck, daß in bezug auf diese Voraussetzung die Meinung einheitlich sei. Wenn ich aber an das denke, was der Herr Bundeskanzler hier gestern dazu gesagt hat, und wenn ich an die Zwischenbemerkung des Herrn Kollegen Schmidt denke, komme ich zu dem Ergebnis: im Grundsatz scheint diese Einigung, zumindest gestern, nicht vorhanden gewesen zu sein. Ob es schon gestern abend gelungen ist, sich darüber zu einigen, weiß ich nicht.
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- Schon nachmittags - hervorrangend!
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- Herr Kollege Schmidt, Ihr Zuruf mag im Augenblick für die beteiligten Koalitionsfraktionen sehr lustig klingen. Wenn das aber die Basis der Arbeit in dieser Koalition ist, daß der Bundeskanzler eine Regierungserklärung abgibt und zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, was seine Koalitionsfraktionen wollen, ist das bedauerlich.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Schmidt?
Herr Kollege Mischnick, ich muß hier nach den Spielregeln, wie wir alle wissen, in der Frageform intervenieren. Darf ich Sie fragen, ob Sie im Ernst in Zukunft keinen Spaß mehr verstehen wollen.
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Oh, Herr Kollege Schmidt, natürlich bin ich bereit, jeden Spaß zu verstehen. Aber wenn Sie jetzt sagen, das sei nur ein Spaß gewesen, haben Sie damit bestätigt, daß in der Koalition
- das ist das, was ich zuerst gesagt habe - über diese Frage keine Einigkeit besteht und daß der Herr Bundeskanzler, als er gestern davon sprach, mit seinem Hinweis recht hatte, offensichtlich aber nicht Sie, Herr Kollege Schmidt. Eines von beiden kann doch nur richtig sein: Entweder war die EiniMischnick
gung Spaß, oder die Kritik gestern war falsch; nicht beides kann richtig sein.
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Würden Sie noch eine Frage gestatten, Herr Kollege Mischnick?
Ja, natürlich; ich gönne die Frage.
Lieber Herr Mischnick, würden Sie mir zustimmen - ich wiederhole das, was mein Freund Matthöfer hier eben unter uns verbreitete -, daß Sie sich nunmehr als „Vereinfachungsgeselle" entpuppt haben?
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Wenn Sie meinen, daß es eine Vereinfachungsform sei, Ihre unterschiedlichen Standpunkte einmal als Spaß, einmal als offizielle Meinung zu bezeichnen, teile ich das. Denn man muß es einmal so vereinfacht darstellen, damit man klar sieht, wo die wunden Punkte dieser Koalition sind.
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- Aber das kommt ja schon! - Eines ist deutlich geworden, nämlich daß der Herr Bundeskanzler hier bestätigt hat, daß das Bundeskabinett entgegen der Aussage von zwei Kabinettsmitgliedern, nämlich des Bundesarbeitsministers und ides Bundeswirtschaftsministers, darüber noch keine Entscheidung getroffen hat.
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Das stellen wir fest; das ist doch wohl unbestritten. Wir sind der Meinung - nun kommt die Sache -, daß in der Frage der Lohnfortzahlung bis zur Stunde kein Argument gekommen ist, das unseren Standpunkt, daß in dieser Frage eine versicherungsrechtliche Lösung gefunden werden sollte, erschüttern könnte.
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Es ist kein neues Argument dagegen gekommen.
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Was aber bei dieser Art bleibt, ist folgendes: Es entsteht natürlich eine Beunruhigung in der Öffentlichkeit. Und wenn das Hin und Her darüber, was nun eigentlich die Linie der Regierung ist, in verstärktem Maße weitergeht, dann muß man selbstverständlich zu dem Ergebnis kommen, daß auch die Unterschrift unter den großen Anzeigen - „Die. Richtung stimmt" - eben doch nicht richtig ist. Es scheinen hier zwei Richtungen parallel nebeneinanderherzulaufen, und es ist nicht eine Richtung, wie man es mit den Anzeigen der Öffentlichkeit verkaufen will.
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- Wenn Sie damit sagen wollen, daß der Sinn Ihrer
Koalition darin bestehe, nebeneinanderherzumarschieren und zu keinen Entscheidungen zu kommen,
bestätigen Sie das, was wir leider immer wieder feststellen müssen.
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Meine Damen und Herren, es ist leider auch festzustellen, daß in der gesamten Kriegsfolgengesetzgebung und auch beim öffentlichen Dienst nicht die klaren Entscheidungen getroffen worden sind, die notwendig wären. So scheint es uns auch nicht sinnvoll zu sein, angesichts der gegenwärtigen Konjunkturlage die Schuldenlast des Bundes und damit auch die laufenden Zinskosten von Jahr zu Jahr zu vermehren, wie es in der langfristigen Projektion jetzt vorgesehen ist. Die Zinsbelastung steigt nach Aussagen des Bundesministers der Finanzen von 3,3 % der Steuereinnahmen 1966 auf 5 % 1968 und auf 6 % 1972. Ich will die Dinge hier nicht im einzelnen erörtern; mein Kollege Emde wird dazu Stellung nehmen. Ich meine aber, wir sollten - und das hat der Herr Bundesfinanzminister dankenswerterweise in aller Klarheit gesagt - das Stabilitätsgesetz nicht nur unter dem Rubrum „Eventualhaushalt mit Wirtschaftsförderung", sondern auch unter dem Rubrum sehen: Es muß zurückgezahlt werden, wenn sich Mehreinnahmen durch einen Konjunkturaufstieg ergeben.
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Herr Bundesfinanzminister, Ihre Worte gefallen uns wohl. Aber uns fehlt der Glaube, daß sich die Koalition daran halten wird. Wir werden alle diejenigen unterstützen, die sich darum bemühen, dem Stabilitätsgesetz auch in diesem Fall zu seinem Recht zu verhelfen und nicht nur dann, wenn es darum geht, höhere Ausgaben in Form von Darlehen zustande zu bringen.
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Wir wissen - damit hier gar kein Irrtum entsteht -, daß im Rahmen der aktiven Konjunkturpolitik während der Zeit der Rezession eine stärkere Verschuldung erforderlich war, und wir haben ja dem ersten sogenannten Eventualhaushalt zugestimmt. Aber angesichts der steigenden Konjunktur müßte nun eigentlich in die mittelfristige Finanzplanung so etwas ähnliches wie ein Sparhaushalt, ein Spareventualhaushalt, mit eingebaut sein, um die Gegenrichtung sichtbar zu machen, wenn es erforderlich sein sollte. Wir müssen der Bundesregierung den Vorwurf machen, daß sie zwar - und das ist heute auch durch den Sprecher der SPD geschehen - ihrer Vorgängerin immer wieder vorhält, sie habe damals ihre finanziellen Möglichkeiten überzogen, selbst aber nicht bereit ist, die Konsequenzen aus Fehlern der Vergangenheit zu ziehen. Niemand kann behaupten, daß alle Ansätze der Ausgabenseite wirklich an die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit angepaßt worden sind. Sie haben statt dessen teilweise Steuererhöhungen vorgezogen, und wenn ich das richtig verstanden habe, daß die Steuerlast auf keinen Fall sinken soll, so bedeutet das doch, daß, wenn sie prozentual aus irgendwelchen Gründen zurückgehen würde, durch Erhöhung der Prozentsatz wieder erreicht werden soll. Das
haben Sie doch bis 1972 in Ihre Projektion aufgenommen.
Eine Behauptung allerdings - und hier muß ich das unterstützen, was Kollege Windelen heute früh sagte -, daß nämlich die Preisstabilität allein ein Erfolg der jetzigen Politik sei, ist nicht richtig. Die Grundlagen dazu sind unbestreitbar bereits Mitte 1966 gelegt worden, und es besteht zur Zeit alle Veranlassung, von seiten der Bundesregierung darauf sehr sorgfältig zu achten, daß diese Preisstabilität erhalten bleibt.
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Ich teile die Auffassung des Kollegen Windelen, daß die derzeitige Preisstabilität eben in erster Linie auf den Rückgang der Nahrungsmittelpreise zurückzuführen ist. Das müssen wir bei weiteren Betrachtungen und daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen immer im Auge behalten, damit wir nicht auf die falsche Idee kommen, Preisstabilität sei etwas Gegebenes. Sie muß vielmehr nach unserer Überzeugung ständig wieder erworben werden durch das sinnvolle Einschalten der Mittel, die uns das Stabilitätsgesetz gegeben hat.
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Meine Damen und Herren, ein innenpolitischer Bereich ist in der Regierungserklärung sehr summarisch, sehr kurz gewesen, nämlich der Bereich, in dem es um die Fragen der Sozialpolitik geht. Versucht man, da eine Bilanz zu ziehen über das, was unter dieser Regierung geschehen ist oder noch geschehen kann - es soll ja an sich gesagt werden, was noch passieren soll -, so ist doch das Ergebnis sehr, sehr trübe. Das Problem ist eben nicht, wortreiche Abhandlungen im Bundestag vorzutragen, sondern das Problem ist doch, daß man diese Aussagen in der politischen Arbeit mit Substanz ausfüllt.
Was ist denn alles gesagt worden am 13. Dezember 1966? - Es waren insgesamt - ich will sie nicht alle vorlesen - sieben Punkte, die man innerhalb dieser Arbeit der Bundesregierung überprüfen wollte, z. B.: Die großen Blöcke der Konsumausgaben im Bundeshaushalt müssen ohne Scheu vor Tabus überprüft werden. Oder: Wir können es uns nicht leisten, öffentliche Mittel unterschiedslos nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen; unter diese Erwägung fällt die Sparförderung ebenso wie Leistungen, die nicht Fürsorgecharakter haben. Wenn ich jetzt an die Überlegungen denke, beim Sparprämiengesetz einiges zu verändern, bin ich mir noch nicht ganz klar darüber: ist das nun ein Widerspruch zur Regierungserklärung, oder sind hier neue Erkenntnisse gewachsen? Wir haben leider nichts darüber gehört.
Auch die Gesetzgebung über die Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen sollte abgeschlossen werden. Was wir bisher hören, sind Hinweise, daß vielleicht das eine oder andere in der nächsten Legislaturperiode geschehen könnte. Was wir heute in der Zusammenstellung erlebt haben, ist zum großen Teil eben doch wieder_ ein Überwälzen, ein Hinausschieben in die kommende Legislaturperiode.
Meine Damen und Herren, in der großen Ankündigung im Zusammenhang mit der Bestandsaufnahme 1966 wurde auch von Einschränkungen und Belastungen gesprochen, die möglichst gleichmäßig auf alle Gruppen und Schichten des Volkes verteilt werden sollten. Betrachtet man den Kriegsfolgensektor, Herr Bundeskanzler, dann kann man beim besten Willen nicht davon sprechen, daß hier eine gleichmäßige Verteilung der Lasten erfolgt ist.
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Sozial- und Finanzpolitik sind in diesem Bereich leider eben nicht voll aufeinander abgestimmt worden.
Wenn ich nun noch feststellen muß, daß zwar auf das neugebildete Sozialkabinett verwiesen wird - nach anderthalb-, ja, fast zweijähriger Regierungstätigkeit -, dann aber sichtbar wird, daß ein bestimmter Bereich, der mit der Kriegsfolgengesetzgebung zu tun hat, nämlich das Ressort des Bundesvertriebenenministers, der immerhin etwa 20 bis 25 Millionen Kriegs- und Kriegssachgeschädigte zu betreuen hat, in diesem Sozialkabinett nicht vertreten ist, dann muß daraus natürlich der Eindruck entstehen, daß man wiederum nicht die Gesamtschau der sozialpolitischen Fragen, sei es zukunftssichernd, sei es vergangenheitsbezogen, in diesem Sozialkabinett behandelt, sondern nur Dinge, die im Augenblick interessant erscheinen, daß man aber durch die Gesetzgebung nicht endgültig bei den alten Lasten sinnvoll aufräumen will.
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Wir haben z. B. die Bundesregierung mehrfach gefragt, was sie unter den Leitlinien, die veröffentlicht worden sind, versteht. In zahlreichen Kleinen Anfragen versuchten wir, hier Klarheit zu bekommen. Aber bis zur Stunde ist das leider nicht möglich gewesen. Wir sind immer wieder auf das Sozialkabinett vertröstet worden und hoffen nun, daß hier wenigstens etwas Konkretes noch so rechtzeitig kommt, daß wir hier darüber sinnvoll diskutieren können.
Das Ganze wäre nicht so problematisch, wenn wenigstens klare Zielvorstellungen - „Zielvorstellungen" ist doch der Lieblingsbegriff eines Teils der Bundesregierung - über die gesamte sozialpolitische Arbeit der Zukunft vorhanden wären. Aber wenn ich mir die Regierungserklärung ansehe, dann muß ich feststellen: Familienpolitik: Fehlanzeige; Vermögenspolitik: Fehlanzeige; Altersversorgung der Selbständigen: Fehlanzeige.
Finanzielle Absicherung der Altersversorgung der Unselbständigen: Fehlanzeige. Da ist nur davon gesprochen worden, man müsse überlegen, ob die beiden Versicherungsträger - Arbeiterrentenversicherung und Angestelltenversicherung - zusammengelegt werden sollten. Das waren sehr schöne, wohlgesetzte Worte, aber die Tatsachen werden damit nicht geklärt. Tatsache ist doch, daß die Rentenversicherung der Angestellten im Augenblick Überschüsse hat, aber in zehn, fünfzehn Jahren in der gleichen Situation wie die Arbeiterrentenversicherung stehen wird, wenn nämlich die überMischnick
gegangenen Arbeiter dort ihre Renten bezahlt bekommen müssen und kein Wanderversicherungsausgleich stattfindet. Mit der Zusammenlegung werden die Probleme nicht gelöst. Auch hier keine klaren Antworten.
Kriegsopferversorgung: Fehlanzeige. Rechtliche Gleichstellung von Sowjetzonenflüchtlingen und Heimatvertriebenen: Fehlanzeige. Soziale Gleichstellung vielleicht mit bestimmten Überlegungen. Ich bin gespannt, wie die sozialdemokratischen Kollegen, die hier immer für eine rechtliche Gleichstellung eingetreten sind, dazu stehen werden.
Ausbildungsförderung: Fehlanzeige. Lange Diskussion hier über die Frage: Wieviel wird es kosten? Gut, das muß ich einbauen. Aber dann darf ich nicht vorher versprechen - bei anderer Gelegenheit, als z. B. das Gießkannengesetz kam, mit dem das Pennälergehalt beseitigt wurde -: Wir werden ein Ausbildungsförderungsgesetz vorlegen, um die Dinge zu regeln. Das ist nicht geschehen. Dann sollte man den Mut haben, zu sagen: Das können wir nicht. Das ist besser, als die Dinge so im Nebel zu lassen.
Krankenversicherungsreform : Fehlanzeige, mit Recht!
({12})
- Kommt noch! Keine Sorge! Auch dazu sage ich etwas. - Krankenversicherungsreform: Fehlanzeige. Oder wollen Sie vielleicht, Herr Kollege, die Wahlrechtsreform unter den sozialpolitischen Teil nehmen? Manchmal habe ich den Eindruck, daß es für manche ein sozialpolitischer Teil ist.
({13})
Gestatten Sie eine Frage von Herrn Kollegen Dr. Barzel? Dr. Barzel ({0}) : Herr Kollege Mischnick, wenn ich, ohne jetzt von den finanziellen Möglichkeiten zu sprechen, allein die Punkte addiere, die Sie hier zusammengestellt haben, darf ich Sie fragen: Sind das noch die sieben Punkte aus der Regierungserklärung, von denen Sie sprachen, oder haben Sie schon eine Fülle von Punkten, die in diesem Text gar nicht mehr standen, mit hineingebracht? Würden Sie diese Unterscheidung bitte deutlich machen?
Herr Kollege Barzel, ich habe vorhin das Zitat gebracht und es beendet, und was jetzt geschehen ist, das ist die Feststellung, daß zu diesen Fragen die Bundesregierung keine Aussagen gemacht hat.
({0}) - Natürlich, das sind meine Fragen.
({1})
Das Bedauerliche ist nur, daß wir eben nicht wissen, was hier die Regierung will. Wenn die Regierung kommt und sagt, wir können in dem und dem Bereich aus den und den Gründen das und das nicht tun - Respekt davor! Aber das im Nebel zu lassen, sich darum zu drücken, dann aber im Lande zu verkünden, das und das werde alles geschehen und müsse geschehen, - dagegen wehren wir uns. Das ist der entscheidende Punkt.
({2})
- Lieber Herr Kollege Schmidt, was wir angekündigt haben, hier im Parlament zu tun, das können Sie in den Gesetzentwürfen nachlesen. Falls Ihnen das zu mühselig ist, darf ich Ihnen hier eine kleine Broschüre „Bilanz der Opposition" überreichen; da steht alles darin, da können Sie nachlesen, was wir getan haben.
({3})
- Bitte, jederzeit! Darin sind alle Gesetzentwürfe, die von uns eingebracht sind, und Sie können darunter vielleicht manchen finden, bei dem es gut wäre, einmal zu überprüfen, ob Sie Ihre frühere Einstellung nicht durch tatkräftiges Mitwirken hier endlich deutlich machen können.
Ich möchte aber nicht noch im einzelnen auf das eingehen, was z. B. zum Arbeitsförderungsgesetz zu sagen wäre. Das ist nämlich als Leistung anerkannt worden. Die Fachleute wissen natürlich, daß der Ursprung dieses Arbeitsförderungsgesetzes schon vor dieser Koalition war. Es ist allerdings jetzt verabschiedet worden.
({4})
- Ich habe ja gar nichts gegen Herrn Katzer gesagt, ich habe bestätigt, daß es schon vorher war.
Lassen Sie mich zu diesem Teil, Herr Bundeskanzler, in aller Offenheit sagen, daß Sie die Mahnbriefe, die Sie einmal zu Beginn Ihrer Amtszeit an Kabinettskollegen geschrieben haben, jetzt bei manchen in die Tat umsetzen müßten - wenn ich die Divergenzen zwischen den Erklärungen von Kabinettsmitgliedern zu diesen Fragen in der Öffentlichkeit und dem, was die Regierung beschlossen hat, sehe. Es wäre notwendig, das zu klären, damit nicht Artikel wie der im letzten „Sonntagsblatt" zur Regelmäßigkeit werden.
({5})
Nur wenige Sätze zur Agrarpolitik! Zu einer Zuspitzung der Diskussion in der Innenpolitik hat auch die Agrarpolitik der Bundesregierung geführt. Aber, meine Damen und Herren, mit finanzpolitischen Manövern wird man auf die Dauer diese Fragen nicht lösen können. Auch hierzu haben wir bedauerlicherweise in der Regierungserklärung nichts Konkretes gehört.
({6})
Nein, was hier gebracht wurde, ist eben nicht konkret gewesen. Denn die Bundesregierung hat durch ihre Haltung bei den Beschlüssen in Brüssel und dadurch, daß sie nicht die Konsequenzen dar10224
aus gezogen hat, zum Teil gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen, die wir hier einstimmig beschlossen haben, nämlich das Landwirtschaftsgesetz. Es ist kein Wunder, wenn dann daraus Unruhe entsteht und Forderungen entstehen.
Inzwischen hat ja der Bundesernährungsminister im Kabinett und der Öffentlichkeit den Entwurf einer mittelfristigen Agrarpolitik vorgelegt. Mir scheint aber inzwischen recht zweifelhaft geworden zu sein, ob das jemals verwirklicht werden kann. Nicht nur, daß die notwendigen Ausführungsgesetze dazu bisher fehlen, im Haushalt sind auch nach dem, was vorliegt, keine Mittel dafür vorgesehen.
Es kommt aber noch ein weiteres hinzu: daß diese Bundesregierung in Fragen der Agrarpolitik offensichtlich sehr, sehr unterschiedlicher Meinung ist.
({7})
Vor wenigen Tagen sind die agrarstrukturellen Pläne des Herrn Wirtschaftsministers bekannt geworden, die natürlich zu erneuter Unruhe unter der ländlichen Bevölkerung geführt haben. Während der Wirtschaftsminister ankündigte, 1,5 Millionen Bauern müßten bis 1980 ihren Beruf aufgeben,
({8})
zeigte sich der Landwirtschaftsminister - so in einer öffentlichen Äußerung - „befremdet", „wenig begeistert" . Er erklärte, daß „bei uns keiner aufgeben müsse". Der Herr Bundesfinanzminister meint zu den. Plänen des Bundeswirtschaftsministers, das sei „dummes Gerede", „ein dummes Zeug", „eine bewußte Menschenverhetzung".
({9})
Wenn das alles stimmt, was in der Presse zu lesen war, dann kann ich nur sagen, Herr Bundeskanzler: auch hier ist es notwendig, dafür zu sorgen, daß im Kabinett Klarheit darüber geschaffen wird, welche Agrarpolitik getrieben werden soll.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Einen Satz noch, gleich.
Natürlich, Herr Bundeskanzler, gestehen wir als Liberale jedem zu, daß er sich eine Meinung bildet. Aber wenn die Mitglieder des Kabinetts in der Öffentlichkeit auftreten, dann sollte man doch erwarten, daß zumindest über grundlegende Fragen vorher gesprochen und dann in der Öffentlichkeit geredet und nicht der umgekehrte Weg gegangen wird, wie es hier der Fall gewesen ist.
Gestatten Sie eine Frage von Herrn Kollegen Matthöfer?
Bitte sehr.
Herr Kollege Mischnick, halten Sie es nicht auch für zweckmäßig, wenn Sie schon den Satz aus dem Arbeitspapier des Wirtschaftsministeriums zitieren, ihn dann ganz mit der hypothetischen Anfangsfeststellung zu zitieren: „Wenn die Drei-Viertel-Parität für das Einkommen der bäuerlichen Bevölkerung gesichert werden soll, dann müßten ..."? Halten Sie es nicht auch für richtig, wenn das Wirtschaftsministerium, das für Strukturverbesserungen zuständig ist, eine möglichst große Zahl annimmt, damit entsprechende Mittel für die Landbevölkerung bereitgestellt werden können? Sind Sie bereit, zuzugeben, daß diese hypothetische Feststellung also aus Sorge um das Wohlergehen der Landbevölkerung so formuliert wurde?
Herr Kollege Matthöfer, ich habe hier zunächst nichts weiter getan als gegenübergestellt. Zu der Sache selbst werden meine Kollegen Walter Peters, Emde und Staratzke Stellung nehmen. Keine Sorge, über die Sache unterhalten wir uns noch. Mir geht es zunächst einmal darum, klarzustellen, daß es Unterschiede gibt. Der Kollege Hermsdorf hat zwar behauptet, daß es keinen Streit in der Koalition gibt; aber ganz so echt scheint das nicht zu sein, nach allem, was nach außen gesagt worden ist. Denn es müßte ja einen Streit darüber geben, wenn das wirklich festgefügte Meinungen sind. Oder es ist eben nur ein Wortgeplänkel. Das würde ich sehr bedauern.
({0})
- Entschuldigung, ich habe nicht aus der Denkschrift zitiert, sondern ich habe gesagt, was dazu vom Ernährungsminister gesagt wurde, sonst nichts. Ich wiederhole: Sie brauchen keine Sorge zu haben. Der Inhalt wird ausführlich diskutiert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar allgemeine innenpolitische Bemerkungen machen. Wir haben hier einen ganzen Katalog von Fragen, den ich hier vortragen könnte. Ich denke an die Pressekonzentration. Ich denke an die Bildungsgesetzgebung, um es unter diesen Begriff zu nehmen. Ich will das hier nicht 'einzeln aufzählen. Wir müssen aber doch feststellen, daß eine ganze Reihe von notwendigen Reformen bisher schlicht vernachlässigt worden ist. Auch in der Innenpolitik fehlt eine klare Richtlinie, um bestimmte Probleme, die nach unserer Meinung 'gelöst werden sollten, durch gesetzgeberische Initiative zu lösen. Ich denke daran, daß die Bundesregierung bisher über die Lösungen der Aufgaben einer zukunftsweisenden Wissenschafts- und Bildungspolitik, Technologie und Datenverarbeitung keine klaren Aussagen gemacht hat, daß noch nicht - ich erwähnte es vorhin schon - die Fragen im Zusammenhang mit den Artikeln 74 und 75 des Grundgesetzes, Kompetenzen für den Bund für die Bildungsplanung, erledigt sind. Wir stellen fest, daß immer wieder über die Sicherheit der Bevölkerung diskutiert wird, daß aber Fragen der zentralen Verbrechensbekämpfung, einer entsprechenden Ausstattung ides Bundeskriminalamtes, nicht behandelt werden.
Wir haben bis zur Stunde keine zukunftsweisende Überlegung über die Gestaltung des öffentlichen Dienstes zu sehen bekommen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vor einiger Zeit als Hinweis
für eine Lohnleitlinie 6 % genannt. Das stimmt doch wohl, Herr Bundeswirtschaftsminister? Wenn dann bei dem Arbeitgeberbund andere Zahlen auftauchen, macht das natürlich einen merkwürdigen Eindruck.
({1})
Ich will damit nicht sagen, daß es gut war, daß Sie 6 % genannt haben. Das halte ich für schlecht. Aber es doch dann zumindest die Logik notwendig, das, was man generell für richtig hält, auch beim öffentlichen Dienst in die Überlegungen einzubeziehen. Aber auch das ist nicht geschehen.
Wenn ich an die Frage der Länderneugliederung denke, meine .sehr verehrten Damen und Herren: Das ist auch so ein Punkt, den Sie auf die lange Bank schieben, weil er Ihnen offensichtlich unangenehm Ist. Dabei zeigt sich, daß die Bereitschaft, über diese Fragen in der Öffentlichkeit zu diskutieren, ständig gewachsen ist. 'Daß Sie aber diese Frage nicht im Bundestag diskutieren wollen, bedeutet natürlich, 'daß Sie Ihren eigenen Kollegen aus CDU und SPD draußen im Lande, die diesen Überlegungendurchaus zustimmen, offensichtlich in .den Rücken fallen, denn es mehren sich die Stimmen draußen, die an uns die 'Fragen richten: Warum machen denn eigentlich die anderen nicht mit, hier einmal konkret nicht nur über die Frage der Neugliederung 'zu sprechen, sondern auch zu positiven Ergebnissen kommen?
({2})
Meine Damen und Herren, bei der Sozialpolitik kam der Zwischenruf in bezug auf das Wahlrecht. Der Bundeskanzler hat wieder davon gesprochen, daß man ein mehrheitsbildendes Wahlrecht brauche, um klare Verantwortung zu haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Hoffnung darauf, daß z. B. eine absolute Mehrheit der CDU/CSU klare Mehrheitsverhältnisse nicht nur der Zahl nach, sondern auch den Entscheidungen nach bringen würde, ist doch - denken Sie an 1957 und 1961 - schon einmal trügerisch gewesen und wird auch in der Zukunft trügerisch sein.
({3})
Wenn ich an die letzten Diskussionen zwischen Sozialausschüssen auf der einen Seite und Wirtschaftsrat auf der anderen Seite denke, so wird deutlich, daß auch ein Mehrheitswahlrecht - das werden Sie wahrscheinlich nicht bekommen - an der Schwierigkeit, die Sie in Ihren eigenen Reihen haben, nichts ändern würde; es würde allerdings wahrscheinlich eine Schwierigkeit für die Gesamtheit der Bundesrepublik werden, und das wäre verhängnisvoll.
({4})
Meine Damen und Herren! Zum Abschluß darf ich feststellen, daß das, was gestern zur Innenpolitik gesagt worden ist, der Versuch war, einem Wunsch nachzukommen und etwas zu sagen. Es wurde aber deshalb nichts gesagt, weil diese Koalition im letzten Jahr der Legislaturperiode offensichtlich noch nicht weiß, ob sie noch etwas tun will, und wenn sie etwas tun will, was sie tun will.
({5})
Wir haben - leider, muß ich sagen - in vielen Punkten mit unseren Befürchtungen recht gehabt, daß 90% der Abgeordneten noch nicht 90% Effektivität bedeuten. Wir müssen umgekehrt feststellen, daß die Effektivität, weil der Nenner immer kleiner wird, auf den man sich einigen muß, bei 10 % liegt.
({6})
Das ist das Ergebnis der gestrigen Regierungserklärung. Wir bedauern das.
({7})
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir jetzt in die Mittagspause eintreten. Die Sitzung wird um 14.30 Uhr wieder aufgenommen. Als erster Redner hat dann Herr Kollege Schmidt ({0}) das Wort.
({1})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Meine Damen und Herren, wir fahren in der Debatte über die Punkte 4 und 5 der Tagesordnung fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}) .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im Rahmen der Generalaussprache der Haushaltsdebatte nur einige wenige Bemerkungen machen, vier Bemerkungen zum Bundeskanzler und eine zu Herrn Mischnick; das ist auch die angemessene Gewichtsverteilung.
({0})
Keine Bemerkung zu Herrn Strauß, denn ich möchte mich da auf die kluge und abgewogene Rede beziehen dürfen, die mein Freund Hermsdorf gehalten hat. Zur mittelfristigen Finanzplanung wird unser Kollege Dr. Möller im Laufe des Tages noch eine grundsätzliche Erklärung für unsere Fraktion abgeben, und wenn spezielle Themen in dieser Generalaussprache eine Rolle spielen sollten, so sind einige meiner Kollegen darauf vorbereitet.
Ich beschränke mich also auf ein paar Fußnoten, nämlich erstens zum Thema Mitbestimmung, zweitens zum Thema Lohnfortzahlung, drittens zum Thema NATO und Verteidigungspolitik des Bündnisses wie auch der Bundesrepublik, viertens zum Thema Wahlrecht und fünftens zu den Ausführungen - ich sagte es schon - von Herrn Mischnick, der mich orientiert hat,. daß er leider heute nachmittag nicht unter uns sein kann. Dafür habe ich volles Verständnis, aber seine Parteifreunde werden Verständnis dafür haben, daß ich auf ein paar seiner Passagen doch eingehen möchte.
In Sachen Mitbestimmung hat sich der Bundeskanzler sehr eng an die Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 gehalten. Wir haben dazu nichts zu sagen; wir finden das in jeder Weise korrekt und haben dazu nichts zu bemerken, vielleicht nur die Randbemerkung zu machen, daß die Regierungserklärung übrigens auch die Sicherung der Mitbestimmung - das ist ein kleiner Teilausschnitt aus
Schmidt ({1})
dem Gesamtproblem - behandelt. Ich brauche hier nicht ausdrücklich zu wiederholen, was Sie alle wissen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion - insofern im Gegensatz zur Koalitionsregierung - meint, daß gewisse Konsequenzen aus der seitherigen Erfahrung schon gezogen werden sollten, auch ehe die neue Legislaturperiode anfängt, wie ich ja auch in Erinnerung rufen darf, daß die CDU/CSU-Fraktion Anfang dieses Jahres auf einem sehr empfindlichen Teilgebiet der Mitbestimmung durch einen eigenen Gesetzgebungsvorschlag, der hier im Hause zur Debatte gestellt wurde und gegenwärtig im Ausschuß beraten wird, ihrerseits gemeint hat, im Vorwege schon eine wichtige Konsequenz ziehen zu sollen. Wir sind also da mit der Vorstellung unserer Kollegen in der anderen Regierungsfraktion konform, daß gewisse Teilkonsequenzen zu ziehen durchaus der angemessene Zeitpunkt gekommen ist. Das muß nicht heißen, daß wir in der Sache in diesen Punkten schon übereinstimmen oder daß sich die Übereinstimmung in der Sache schon abzeichne.
Nun zum Thema Lohnfortzahlung. Einige Zwischenfragen haben Bundeskanzler Kiesinger gestern zum Abschluß der Passage, die er diesem Problem widmete, zu einem - wie er meinte - versöhnlichen Satz geführt. Der Satz lautete:
Wir müssen ein Verfahren finden, das die Gefahr eines Versandens der Bemühungen um eine Reform der Krankenversicherung vermeidet.
Herr Kiesinger, wenn der Satz am Anfang gestanden hätte, hätten Sie sich vielleicht einiges erspart. Mit dieser Ihrer Schlußformel kann sich meine Fraktion „for the time being" - für den gegenwärtigen Zeitpunkt - durchaus einverstanden erklären. Was vorher zum Teil gesagt worden war, schien uns dagegen nicht die letzte Weisheit zu sein. Ich habe deswegen schon gestern sagen müssen, daß wir diesen Teil Ihrer Rede nicht ausnahmslos erfreulich gefunden haben.
Ich möchte heute in Anwesenheit des Bundeskanzlers - d. h. mit der Möglichkeit, daß er darauf dann gleich replizieren kann, so er mag - hinzufügen dürfen, daß eine Regierungserklärung einer Koalitionsregierung an keiner Stelle eine, sagen wir mal, unilaterale Prognose enthalten sollte, jedenfalls dann nicht, wenn sie von dieser Stelle, gegenüber diesem Haus abgegeben wird.
Ich bin also der Meinung, daß der Versuch, einen Eingang in das gewiß komplexe Thema Lohnfortzahlung zu finden, bei dem ich dem Bundeskanzler zustimme, daß es sich um ein wichtiges Thema handele, das angegangen werden muß - um zunächst nur vom Verfahren zu sprechen und keineswegs vom Inhalt der anzustrebenden Lösung -, zunächst im Kabinett angestellt werden muß. Ich glaube, ich gehe da mit den Kollegen in der CDU/ CSU-Fraktion einig. Ich bin der Meinung, daß man diesen Versuch nicht voreilig durch polemische Auseinandersetzungen im Parlament belasten sollte.
({2})
Um es noch einmal ganz klar zu sagen: von uns aus in dieser Frage zunächst einmal das Kabinett den Vortritt. Das muß nicht heißen, daß wir diese Vortrittsfrist ad calendas graecas ausdehnen wollen, aber das ist ein ganz klares Angebot, das ich hier aussprechen.
Da soeben von Prophezeiungen die Rede war, erlauben Sie nun auch mir meinerseits eine Prophezeiung, die ich unilateral abgelten darf; ich bin ja nicht Chef einer Koalitionsregierung.
({3})
- Auch nicht Chef, nur Sprecher der Meinung von 217 Sozialdemokraten und vielleicht sogar auch Sprecher von Abgeordneten aus den Reihen der CDU/CSU; vielleicht auch - ({4})
- Ja, ich habe doch angekündigt, ich würde prophezeien, Herr Illerhaus. Sie können in einem Parlament, wo wir unter Gleichen und mit gleichen Rechten reden, nicht den Grundsatz anwenden wollen „Quod licet Jovi, non licet bovi". Selbst wenn Sie mich für den Ochsen halten: das Recht habe ich, auch meinerseits zu prophezeien.
({5})
- Wie bitte? - Ich hätte es so gern im Protokoll gehabt, Herr Barzel.
({6})
Ich wollte also sagen: Möglicherweise, Herr Illerhaus, spreche ich auch für einige Ihrer Kollegen und einige Kollegen der FDP, möglicherweise für eine gewisse Stimmung des ganzen Hauses, wenn ich die Prophezeiung wage, daß bei dem großen Interesse, das sich gegenwärtig in der deutschen Öffentlichkeit, insbesondere aber auch hier in diesem Haus, in der deutschen Politik, sowohl auf die politische als auch die militärische Strategie des Bündnisses konzentriert, wir auf die Dauer nicht damit auskommen können - weder gegenüber diesem Haus, noch gegenüber der öffentlichen Meinung -, daß wir uns gegenseitig versichern, alles sei wohlgeordnet und wir könnten uns auf unsere Bündnisgenossen und uns selbst verlassen. Das allerdings unterschreiben wir. Das war der Grundtenor dessen, was Herr Kiesinger gestern gesagt hat. Daran ist nicht zu zweifeln.
Ich will auch gar nicht in Frage ziehen, ja, ich möchte eher zustimmen, wenn ich die Zurückhaltung, die der Bundeskanzler auf diesem Gebiet gestern an den Tag gelegt hat, so interpretiere, daß der Kanzler der Meinung ist, hier handelt es sich um Probleme, die man nicht unbedingt vor aller Öffentlichkeit ausbreitet. Dem möchte ich zustimmen, wenn das Ihr Motiv war. Es gibt sicher eine ganze Menge Kollegen hier, die das ähnlich empfinden. Aber dann ist es notwendig, die dafür geschaffenen Institutionen, so wie sie im Grundgesetz stehen - Auswärtiger Ausschuß, Verteidigungsausschuß dieses Hauses -, in entsprechender
Schmidt ({7})
Form und unter Wahrung der dafür im Grundgesetz getroffenen Vorkehrungen besonders zu unterrichten. Ich muß sagen, daß ich es nicht glücklich finde, wenn ich durch aus Amerika stammende AP- oder UP-Meldungen über den Inhalt der hier jüngst innerhalb des Bündnisses in Bonn geführten Gespräche wesentlich mehr erfahre, als ich bisher weder in Bonn offiziell noch inoffiziell aus den deutschen Zeitungen habe erfahren können. Ich finde es auch nicht sehr schön, daß der Sprecher der Bundesregierung vor der Bundespressekonferenz Formulierungen gebraucht, aus denen ich, der ich mich doch als halber Fachmann auf dem Verteidigungsgebiet bezeichnen darf, nicht recht entnehmen kann, was denn nun wirklich gemeint ist.
Ich meine, wir sind uns alle dessen bewußt, daß es ein großes und berechtigtes Interesse in diesem Jahr in der deutschen öffentlichen Meinung daran gibt, wie es mit unserer Sicherheit bestellt ist. Es ist nicht so schlecht bestellt, wie es aus zwei Fernsehsendungen an den letzten beiden Sonntagen herauszuklingen schien.
({8})
Nachdem Sie mir so demonstrativ Beifall geben, will ich die Bemerkung einflechten, daß der Mann, der diese Sendung gemacht hat, ganz gewiß von seiner Sache etwas versteht und nirgendwo etwas Falsches gesagt hat. Nur die gesamte Zusammensetzung des Bildes aus vielen einzelnen Punkten hat einen einseitigen Eindruck bei Zuschauern hervorrufen müssen, die nicht so sehr in die fachlichen Details hineingestiegen sind. Ich habe mir das angesehen. Ich habe auch gesehen, welche Wirkung das auf andere ausübte.
Um so mehr scheint es mir notwendig zu sein, daß wir eine etwas größere Transparenz in unsere gemeinsamen und in die bundesrepublikanischen Verteidigungsbemühungen hineinbringen, wobei wir uns alle einig sind - ich wiederhole das -, daß es auf diesem Feld eine letzte Transparenz nicht geben kann und auch nicht geben sollte. Dafür hat das Grundgesetz ja die entsprechenden Institutionen geschaffen. Ich möchte also die Prognose wagen, Herr Illerhaus, um auf diese Ankündigung zurückzukommen: wenn das, was ich hier anrege, nicht geschähe, könnte es auch in diesem Hause auf dem Verteidigungsfeld etwas schwieriger werden, was wir in diesem Jahr eigentlich wirklich nicht wünschen möchten. In diesem Zusammenhang die nochmalige Bitte, das, was man öffentlich sagen kann, auch dann wirklich zusammengefaßt und klar öffentlich zu sagen, und zwar in dem von der Regierung schon mehrfach angekündigten Dokument, das die Grundlinien darlegen soll, was sich bisher unter dem Arbeitstitel Weißbuch zur Bundeswehr oder zur Verteidigung in der öffentlichen Debatte befindet.
Dann eine vierte und letzte Bemerkung zu der Regierungserklärung. Ganz gegen Schluß hat sich der Kanzler mit Wahlrechtsthemen in überaus abgewogener Weise beschäftigt. Ich habe an einer Stelle von mir aus demonstrativ Beifall gezollt, was das Protokoll leider nicht vermerkt.
({9}) - So sind eben selbst amtliche Bundestagsprotokolle nicht unbedingt sichere Quellen für späteres historisches Studium. Ich habe, wie gesagt, an einer Stelle ausdrücklich Beifall gezollt, wo nämlich der Bundeskanzler sagt, er halte diese Wahlrechtsfrage nach wie vor für eine der wichtigsten Entscheidungen, vor die wir gestellt seien, wichtig im Hinblick auf eine solide, tragfähige Struktur des politischen Lebens in unserem Land. Ich habe da nur als einzelner Abgeordneter meinen Beifall ausgedrückt. Dies Haus kennt ja meine Meinung; ich habe sie auch in der ersten Debatte über die grundsätzliche programmatische Regierungserklärung dieser Koalitionsregierung am 15. Dezember 1966 keineswegs verhehlt und habe hinzugefügt, daß das gleiche für einige meiner Freunde erklärterweise gelte. Aber - und daran darf ich nun erinnern - am 15. Dezember 1966 habe ich meine eigene, persönliche Meinung natürlich, wie es sich gehört, hintangestellt, denn das, worum es in Wirklichkeit ging, war, die Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion deutlich vorzutragen. Ich wiederhole zum drittenmal in diesem Jahr, was wir damals gesagt haben: daß die sozialdemokratische Fraktion auf diesen sich auf die Wahlrechtsreform beziehenden Teil der Regierungserklärung nicht festgelegt sei, daß es bei uns verschiedene Meinungen gebe, daß wir erheblicher Anstrengungen bedürften, um uns zu einer neuen Position durchzuringen - wenn uns das gelingen sollte -, daß wir dazu einen Parteitag brauchen würden; und daß wir im übrigen die Frage eines Übergangswahlrechts prüfen wollten. Das letztere ist geschehen, ist auch in der anderen Regierungsfraktion geschehen. So ganz glücklich sind wir mit den bisherigen Ergebnissen nicht gewesen.
Dann ist im Laufe des späten Frühjahrs 1968 eine ganz neue Idee aufgekommen, ein ganz neues System zur Debatte gestellt worden. Einige haben das vielleicht als etwas angesehen, was man als Übergangswahlrecht bezeichnen könnte, andere haben es als eine denkbare endgültige Lösung betrachtet. Heute stellt sich heraus, daß die Zeit für eine Entscheidung darüber sehr knapp bemessen ist. Wir müssen einräumen - nicht nur mit Rücksicht darauf, daß das Argument von der Opposition vorgebracht wird, sondern darüber hinaus, weil es eine objektive Berechtigung hat -, daß man von einem gewissen Zeitpunkt 'an, wo die Zeit bis zum eigentlichen Wahlakt sehr knapp ist, an Änderungen kaum noch denken kann.
Für mich ist also die Lage nicht einfacher, als sie im 'Dezember 1966 war, und für die sozialdemokratische Fraktion gilt nach wie vor wie für die Gesamtpartei, daß es (in ihr, wenn sie diese Fragen prüft, noch Meinungsverschiedenheiten gibt, wie es übrigens auch in anderen Fraktionen Meinungsverschiedenheiten darüber gibt, die durch einheitlich abgegebene Presseerklärungen nur mühsam verdeckt werden können; ich brauche nur den Landesvorsitzenden meiner Hamburger CDU-Partei vor Augen zu haben und das, was er sagt. Ich brauche das nicht näher auszuführen. Ich bin dagegen, daß wir ein Hickhack in dieser Frage fortsetzen.
Schmidt ({10})
Nur - das bitte ich auf seiten der FDP zu verstehen -, was z. B. eine Reihe von meinen Freunden angeht oder was mich angeht: für uns war diese Frage nie mit großer, kleiner oder ganz kleiner Koalition verkoppelt, sondern eine Frage grundsätzlicher staatspolitischer Einstellung zu den Notwendigkeiten in dieser Gesellschaft. Das bleibt auch nach 1969 so. Wir haben in diesen zwei Jahren wenig Grund gehabt, neue Erkenntnisse zu ziehen, die uns auf einen anderen Pfad gebracht hätten. Aber ebenso gilt, daß es in meiner Partei Kollegen gibt, die sich aus genauso gewichtigen Überlegungen heraus bisher jedenfalls -mit solchen Gedanken weniger befreunden konnten.
Ich sage das alles nur, damit nicht der Eindruck entsteht, als ob sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in dieser Frage in den letzten zwei Jahren auch nur ein Jota von dem entfernt hätte, was sie zugesagt hat, als die erste Regierungserklärung hier vorgelegt wurde und wir uns darüber ausgesprochen haben, nicht um ein Jota, nicht um ein Haar. Ich verhehle damit nicht, wie schwer wir uns mit dieser Frage innerlich tun.
Nun die letzte Bemerkung zu Herrn Mischnick, der eine große Zahl von Überschriften in einem Katalog hier vorgezählt und anschließend immer wieder Fehlanzeige erstattet hat; er hat sich heute als Fehlanzeiger betätigt. Er hat mir dann liebenswürdigerweise diese Broschüre überreicht, damit ich mir über den Wesensgehalt der Freien Demokratischen Partei und ihrer im Bundestag geübten Opposition klarwerde.
({11}) - Ja, ja, sehr kurz.
({12}) - Ja, nun, Kürze ist nicht immer überzeugend.
({13})
- Ja, wenn sie es gewürzt haben wollen, kann ich das machen.
({14})
Eigentlich ist es immer meine Taktik, die Auseinandersetzungen mit Ihnen der anderen Koalitionspartei zu überlassen.
({15})
- Na ja, wenn ich nicht wüßte, daß es Ihnen aufgefallen wäre, würde ich es jetzt auch nicht ausplaudern, Herr Barzel.
({16})
Ich sehe es ja ganz gerne, wenn Sie sich streiten.
Aber in allem Ernst: ich nehme nur eines heraus, diese ganzen ersten Seiten über Notstand usw. übergehe ich mal; das Problem ist ja nun verfassungswirksam geregelt. Aber dann kommt als nächstes Problem auf Seite 6 bei Ihnen „Strafrechtsreform":
Die Reform des Strafrechts ist auf Grund sehr unterschiedlicher Auffassungen der Koalitionsparteien nicht von der Stelle gekommen. Die Freien Demokraten legten daher dem Deutschen Bundestag am 17. November einen von 14 angesehenen Strafrechtswissenschaftlern erarbeiteten Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches vor.
Die letzte Feststellung der FDP ist richtig, die erste
- ich will höflich sein -, die erste ist geschwindelt, nicht!?
({17})
- Lieber Herr Genscher, darf ich Sie erinnern, daß es in Ihrer Fraktion einen Kollegen, den wir alle schätzen, namens Bucher gibt; daß es in Ihrer Fraktion einen Kollegen gab, den wir zum Teil nicht nur geschätzt, sondern geradezu geliebt haben obwohl wir vieles entsetzlich fanden, was er sagte, nämlich Thomas Dehler - der war auch Justizminister, genau wie Bucher -; daß auch schon mal ein Freier Demokrat, der jetzt bei uns sitzt, Wolfgang Stammberger, für die FDP Justizminister war? Nun erzählen Sie mir mal, was diese drei FDP-Justizminister in Sachen Strafrechtsreform bewirken konnten, und vergleichen Sie das mit dem ersten wirklich entscheidenden Schritt, der jetzt gemeinsam hier zustande gebracht worden ist!
({18})
Ich greife nur dies heraus, und ich warne Sie, auf diesem Felde zu replizieren; da sind Sie wirklich schwach und angreifbar, meine Herren - wirklich! Ich gebe zu, wir haben die Große Strafrechtsreform, die große umfassende, noch nicht vollendet. Sie hat bisher beinahe zwei Generationen gedauert. Wir haben jetzt wenigstens ein wichtiges Stück, nämlich die Reform des politischen Strafrechts, in Ordnung gebracht. Die ist wenigstens mal vom Tisch. Und da habt Ihr euch nicht so sehr mit Ruhm bekleckert, vorher, als ihr die Justizminister gestellt habt.
({19})
Nun will ich weiter auf die FDP-Broschüre im einzelnen nicht eingehen. Aber was hier alles an Vorschlägen auf dem finanz-, steuer- und wirtschaftspolitischen Gebiet darinsteht, veranlaßt mich doch, den Versuch zu machen, die sehr sachliche und, wie man beim Nachlesen feststellt, sehr eindrucksvolle Rede von Hermsdorf in ein paar Strichen gegenüber den Ausführungen des Kollegen Mischnick in Erinnerung zu rufen.
Herr Mischnick hat einen selbstgebastelten Katalog von angeblichen Notwendigkeiten der deutschen Gesellschaft und des deutschen Staates vorgelesen und hat anschließend immer Fehlanzeige verkündet. Einige Punkte davon waren durchaus so, daß man darüber miteinander reden könnte, ob das nicht vielleicht wirklich Notwendigkeiten sind.
({20})
- Na, gut. Ich will hier nicht den großen Leistungskatalog in Erinnerung rufen, den Herr Kiesinger mal unter der Überschrift „Ist das nichts?" euch vorgehalten hat.
({21})
Schmidt ({22})
- Aber, lieber Herr Dorn, es geht nicht an, so zu tun, als ob diese in der deutschen Wirtschafts- und Finanzgeschichte bisher ohne jedes Vorbild stattgefundene Doppeloperation keine enorme Leistung wäre: einmal auf mittlere Sicht von vier, fünf Jahren die Staatsfinanzen und alle Faktoren, die darauf einwirken, so zu ordnen, daß statt eines kumulativen Defizits von 60 oder wieviel Milliarden nunmehr auf absehbare Zeit unter der Voraussetzung, daß nicht äußere Umstände alles umstürzen, mit ausgeglichener Finanzwirtschaft zu rechnen ist - d. h. eine im Grunde kontraktive Maßnahme - und zur gleichen Zeit durch eine kurzfristige und für begrenzte Zeit wirksame zusätzliche große Staatsverschuldung Investitionskredite in die Wirtschaft zu geben; um durch Expansion die Arbeitslosigkeit, die Unterbeschäftigung, die Kurzarbeit, den Auftragsmangel in der Industrie zu beseitigen; und das alles überaus erfolgreich zu tun.
Ich verlange ja nicht, daß Sie das anerkennen - das ist vielleicht zuviel verlangt -, aber ich darf doch erwarten, Herr Dorn, daß dieser, wie ich meine, nicht nur wirtschafts- und konjunkturpolitisch, auch finanzpolitisch und übrigens auch koalitionspolitisch einmalige Vorgang in Deutschland wirklich gewürdigt wird.
({23})
Gestatten Sie eine Frage? - Bitte!
Herr Kollege Schmidt, sind Sie bereit, zuzugestehen, daß die von Ihnen vorgetragene Finanzausgleichsposition eigentlich in bezug auf die Gesamtoperation erst dann als abgeschlossen betrachtet werden kann, wenn die Zahlen der Verschuldung, die jetzt zusätzlich entsteht, im Endergebnis wieder auf der Einnahmeseite des Bundeshaushalts für uns alle sichtbar werden?
Ich bin gern bereit, Ihnen zuzugestehen, daß noch nicht aller Tage Abend ist. Aber ich bin nicht bereit, Ihnen oder Herrn Mischnick zuzugestehen, daß hier dauernd schwarz in schwarz gemalt werden kann, z. B. was die Preise angeht. Was soll denn die Krittelei! Die Preise waren seit sieben Jahren in der Bundesrepublik nie stabiler als im gegenwärtigen Jahr.
({0})
Natürlich ist das Ende all dieser Operationen erst abzuwarten. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es an der Preispolitik überhaupt nichts zu kritteln und gibt es überhaupt nichts zu kritteln an der Konjunkturpolitik und nichts an der Stabilität der Finanzpolitik.
({1})
Das tut mir nun leid, aber da werde ich mal ein bißchen auch unseren Stolz herauskehren: wir haben am Anfang nicht geglaubt, daß wir - diese beiden Fraktionen - uns auf ein solches Programm nicht nur verständigen könnten, sondern daß wir es auch
verwirklichen würden. Das wir es geschafft haben, darauf sind wir ganz schön stolz; das darf ich Ihnen mal sagen.
({2})
Aber ohne Ihre Zwischenfrage wäre ich gar nicht so heftig geworden, lieber Herr Dorn, und ich bitte, mir das nicht allzusehr anzukreiden. Es war gar nicht meine Absicht zu polemisieren. Ich verstehe natürlich, daß für die Opposition der Wahlkampf früher anfangen muß als für andere. Für die Opposition fängt der Wahlkampf eigentlich schon an dem Tage an, wo die anderen eine Regierung gebildet haben. Das ist ganz klar; das muß so sein. Das war für uns auch so, als wir Opposition waren, und wird, wenn wir wieder einmal Opposition sein sollten, für uns wieder so sein, und für die CDU wird es, wenn sie hoffentlich auch einmal Opposition ist,
({3}) auch so sein. Also das verstehe ich wohl.
Nun habe ich hier vor mir - das hat gar nichts mehr mit Herrn Mischnick zu tun und ist nicht an die Adresse der FDP gesagt - einen heute in der „Süddeutschen Zeitung" erschienenen Kommentar von einem von mir wegen seiner ausgezeichneten Informiertheit und seines abgewogenen Urteils sehr geschätzten Bonner Korrespondenten. In der Überschrift heißt es, der Wahlkampf sei eingeläutet. Das mag, was die Rechte des Hauses angeht, durchaus so sein. Aber ich will hier für meine Person sagen - und das sage ich an die Adresse derer, die es angehen mag -: wir sind dagegen, innerhalb der Koalition in diesem Augenblick den Wahlkampf einzuläuten, da es noch eine ganze Menge zu tun gibt, was auf jeden Fall über die Bühne gehen und gemeinsam in die Wirklichkeit umgesetzt werden muß.
({4})
Da darf man sich nun nicht täuschen lassen. Ich kann es ja verstehen, daß einige frohlocken, wenn es da mal zwischen dem Bundeskanzler und der SPD-Fraktion, zwischen der SPD- und der CDU-Fraktion oder zwischen der CDU-Fraktion und einem sozialdemokratischen Minister ein Geplänkel gibt. Na, Gott sei Dank; das muß es ja wohl. Ich kann auch verstehen, wenn bei diesem Geplänkel einige sagen: Da sieht man's wieder; sie sind sich nicht einig. Umgekehrt aber, wenn wir mal einen Tag kein Geplänkel hatten, sagt man: Da sieht man's; sie verstecken all ihre Konflikte. Also wie man es macht, man kann es der FDP nicht recht machen; das ist klar.
({5})
Nur warne ich die Wunschträumer - sosehr es natürlich verlocken mag, in ein solches Geplänkel von rechts hineinzupieksen, um die Lücke, die da vielleicht sichtbar wäre, ein bißchen zu öffnen -, zu glauben, daß wir uns darauf einließen, wegen drittrangiger Dinge die gemeinsame Erledigung erstrangiger Dinge kaputtgehen zu lassen.
({6})
Lassen Sie mich auf den Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung" zurückkommen. Gegen die Überschrift habe ich, wie gesagt, im Hinblick auf einen
Schmidt ({7})
Teil des Hauses nichts einzuwenden. Aber am Schluß dieses Kommentars steht eine Bemerkung über den Debattestil dieses Hauses, und diese Bemerkung beruht offensichtlich auf einer falschen Information. Mir liegt am Herzen, hier dazu etwas zu sagen. Man muß dem Kommentar entnehmen, daß der Beobachter, der Korrespondent, unter dem Eindruck gestanden hat, die letzte große Debatte dieses Hauses, die außenpolitische Debatte, sei von den Fraktionsvorsitzenden im Gefühl, sie hätten alles gesagt, durch eine Anweisung an die Gewerkschaft der parlamentarischen Geschäftsführer
({8})
abgebrochen worden, oder vielmehr, es sei eine „Anweisung gegeben worden, die Aussprache schon vor ihrem eigentlichen Beginn abzuwürgen" . Also ich will nun aus meinem Herzen keine Mördergrube machen und einmal ganz offen sagen, wie ich die tatsächliche Wahrheit jenes Debatteschlusses empfinde. Ich empfand sie damals als schmerzlich; übrigens auch heute noch. Ich hatte nämlich erwartet, daß die Bundesminister Wehner und Schröder noch etwas sagen würden. Dann kamen die Fraktionsgeschäftsführer und sagten: Es sind keine Wortmeldungen mehr da, und die Debatte ist zu Ende. Darauf habe ich gesagt: Ja, gut, wenn die nicht reden wollen, dann wird es wohl so sein. - Inzwischen habe ich gehört, daß es wohl nicht ganz so war. Da gab es wohl Mißverständnisse. Nur, daß etwa Herr Mischnick oder Herr Barzel oder ich der im übrigen mit gemischten Gefühlen zu betrachtenden „Gewerkschaft der parlamentarischen Geschäftsführer" eine Anweisung gegeben hätte, dem ist nun wirklich nicht so.
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- Darauf komme ich gleich noch zurück, Herr Rasner.
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Daß es in unserem Sinne gelegen hätte, die Aussprache abzubrechen, ist gewiß nicht wahr. Ich glaube, das gilt auch für Herrn Barzel. Ich könnte es mir jedenfalls denken. Er hatte nämlich - wie ich auch - im Interesse daran, daß der Verteidigungsminister sprach. Ich nehme an, er hatte auch, so wie ich, ein Interesse daran, daß der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen sprach.
Wie das also gewesen sein mag, weiß der Kuckuck. Nur, wir haben im Grunde ein Interesse daran, daß hier eine Debatte stattfindet und nicht am laufenden Band Regierungserklärungen abgegeben werden.
Das war eben auch ein Beitrag zur Debatte. Herzlichen Dank!
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem wir hier nun wirklich in eine Debatte gekommen sind, möchte ich einige extemporierte Beiträge leisten. Diese „Beiträge" sind ein Versuch, mich meinem Kollegen Schmidt in einem anderen Bereich anzuschließen. Er hat eben über die „Gewerkschaft der parlamentarischen Geschäftsführer", die eine schwere Arbeit untereinander gut vollziehen, gesprochen. Es gibt sie ganz sicher, sicher aber auch zum Wohl des Hauses, und wir sollten uns freuen, daß wir als Fraktionsvorsitzende unter deren Knute noch recht liberal zu leben imstande sind.
({0})
Das war der Versuch eines freundschaftlichen Hinweises auf Herrn Rasner.
Meine Damen und Herren, „unilaterale Prognosen" möchte ich nicht geben, aber es ist ein interessantes Wort. Im Grunde zeigt diese Debatte natürlich, daß wir hier - entgegen mancher Erwartung und manchem Versuch, der legitim ist - doch nicht das betreiben wollen, was man als ein „Konditionstraining" für die Olympiade bezeichnen könnte, die wir erst im nächsten Jahr zu führen haben werden. Ich meine, daß das auch so bleiben sollte. Ich stimme Herrn Kollegen Schmidt zu und werde das nachher noch in ein paar Punkten belegen, daß wir uns hier nicht zu früh in einen Wettkampf begeben sollten. Dies auch deshalb, meine Damen und Herren, weil in der Tat hier noch eine Menge zu erledigen ist. Ich werde gleich etwas dazu sagen.
Vorweg aber ein Wort an den Kollegen Schmidt wegen der gestrigen und heutigen Einwände, d. h. zur Position des Herrn Bundeskanzlers in Sachen Lohnfortzahlung. Ich finde, wir sollten aus Mexiko einen anderen Ruf hören. Ich komme darauf, nach dem Sie - ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht - so freundlich waren, hier Jupiter ins Spiel zu bringen. Ich mache es etwas bescheidener. Da gibt es den großen Benito Juarez und seinen berühmten Satz: „Die Rücksicht auf das Recht des anderen, das ist der Friede." - Ich meine, das gilt auch für eine Fraktion und auch für die Rechte des Kanzlers, seine politische Meinung in fundamentalen Fragen hier einfach zu sagen. Ich glaube, damit haben wir auch diesen Punkt hier vom Tisch.
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- In einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers hat der Bundeskanzler auch das Recht, seine Meinung zu sagen. Ich habe gerade versucht, das sehr friedlich darzutun.
Im übrigen ist, glaube ich, kein Anlaß, in der Sache jetzt noch viel mehr zu sagen. Aber ziehen wir das vorweg! Lohnfortzahlung - ich wollte hier natürlich auch auf die vier Punkte eingehen -: Wir stimmen dem zu, was der Bundeskanzler gestern gesagt hat, daß man nämlich dieses Problem nur anpacken könne, wenn man zugleich die Krankenversicherungsreform ins Auge fasse und in Angriff nehme. Wenn der Kollege Schmidt hier eben gesagt
hat, es solle der Versuch gemacht werden, den Eingang zur Lösung dieses Problems im Kabinett zu finden, so sage ich dazu ja.
Kollege Schmidt, was die Mitbestimmung betrifft, so unterstützen auch wir nach wie vor - ich hoffe, dies bleibt so im ganzen Hause für die Zeit unserer gemeinsamen Arbeit - die Position der gemeinsamen Regierung, daß wir abwarten, was das Gutachten, das gemeinsam in Auftrag gegeben worden ist, nun eigentlich ergibt. Ich bewundere manche Leute, draußen im Lande vor allen Dingen, die, bevor das da ist, so aus dem vollen Gemüt hier zu dieser oder jener Schlußfolgerung kommen.
Wir wehren uns auch gegen die - und ich hoffe, das tun wir gemeinsam -, die den Eindruck erwecken, als gehe es darum, erstmalig in Deutschland dem Gedanken der Mitbestimmung überhaupt Boden zu gewinnen. Das ist doch eine Roßtäuscherei. Wir haben in diesem Lande ein Ausmaß an Mitbestimmung wie in keinem vergleichbaren Lande der Welt, meine Damen und Herren.
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Wir haben die paritätische Mitbestimmung bei Kohle und Stahl, wir haben das Betriebsverfassungsgesetz mit dem Drittel, wir haben die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst nach dem Personalvertretungsgesetz, wir haben das Tarifvertragsgesetz mit der Parität für Löhne, Arbeitszeit usw., wir haben die Selbstverwaltung der Sozialversicherung. Alle diese Dinge sind doch da, und nun wollen wir in Ruhe diskutieren, wie unsere Erfahrungen damit sind und ob auf Grund dieser Erfahrungen Verbesserungen sinnvoll sein können.
Ein dritter Punkt: zur NATO. Ich möchte auch hier so zurückhaltend sprechen, wie er das getan hat. Auch wir sind der Meinung, daß hier Fragen da sind, auch - nicht allein - Fragen, die in den Ausschüssen des Hauses oder in anderen Gremien zu erörtern sind, aber sicher auch Fragen, die im Bündnis zu erörtern sind.
Und was uns betrifft, meine Damen und Herren, so möchte ich noch einen Schritt weiter gehen, als dies hier eben geschah. Wir meinen, es sollte eigentlich das, was an Konsequenzen auf diesem Gebiet zu ziehen ist, bald und nicht etwa in einer schlechten Frühjahrsatmosphäre unter dem Druck allein von Offset-Dingen gezogen werden; um die geht es nämlich zwar auch, aber nicht allein. Wir sind deshalb auch sehr damit einverstanden, wenn wir möglichst bald - so habe ich Sie verstanden -, wenn es zweckmäßig ist, auch eine verteidigungspolitische Debatte führen werden, die das Ergebnis all dieser vertraulichen Überlegungen hier vor der Öffentlichkeit - wenn nötig, auch kontrovers - ausbreitet. Freilich wollen wir nicht auf diese Debatte warten und zwischendurch vergessen, das zu tun, was auf unserem Tisch an Beschaffungsvorlagen und an notwendigen Gesetzes-, Haushalts- und anderen Entscheidungen liegt.
Der vierte Punkt, Herr Kollege Schmidt: Wahlrecht. Wir finden auch, daß der Kanzler sich sehr abgewogen dazu geäußert hat, aber wir finden auch noch - und Sie werden sicherlich verstehen, wenn ich darauf hinweise - etwas anderes sehr abgewogen. Wir finden sehr abgewogen eine Mitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 11. Januar 1968. Da heißt es, daß die Vertreter der Koalitionsparteien und der Koalitionsfraktionen unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers über Fragen der Wahlrechtsreform beraten hätten. Dann werden die Besprechungsteilnehmer in ihren Eigenschaften aufgezählt; ich will sie hier nicht alle verlesen: die Parteivorsitzenden, die Fraktionsvorsitzenden waren vertreten, Sie durch Herrn Wienand, ich durch Herrn Rasner und Herrn Wagner. Und dann waren da der stellvertretende Vorsitzende der SPD Wehner, der Generalsekretär der CDU und der Bundesminister des Innern. Das wird hier alles mitgeteilt. Und dann kommen eben zwei, drei sehr wichtige Sätze, die ich doch ins Protokoll einfügen möchte.
Die Beteiligten erwarten, - so heißt es da daß die Bundesregierung noch vor Ostern dieses Jahres Gesetze vorlegt, welche die Einführung eines Mehrheitswahlrechts für die übernächste Bundestagswahl vorsehen, und dieses Wahlrecht im Grundgesetz verankert. Damit zusammenhängende, etwa notwendig werdende sonstige Vorschläge für eine Änderung des Grundgesetzes würden von der Bundesregierung gleichzeitig vorgelegt. Die in der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 angekündigte und durch den Bundesminister des Innern vorgenommene Prüfung der Einführung eines Übergangswahlrechts für die Bundestagswahl 1969 hat nicht zu einem positiven Ergebnis geführt.
Das Papier ist auch abgewogen, und das ist ein klares Wort. Dieses Wort wartet auf die Verwirklichung. Es ist ja wohl nicht zu knapp, das für 1973 ins Auge zu fassen, meine Damen und Herren. Das kann hier wohl keiner ernsthaft sagen. Ich glaube, daß dies zwar zurückhaltend, aber doch deutlich genug war.
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- Nein, es war gar nicht möglich, Sie mißzuverstehen, Herr Kollege Schmidt.
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Der Bundeskanzler hat uns gemahnt - und das deckt sich mit dem, was Herr Schmidt hier eben gesagt hat -, unsere sachliche Arbeit zu tun und das vorgesehene Programm zu erfüllen. Dabei steht es ja, wie Herr Kollege Mischnick sicher auch weiß, in den Einzelheiten sehr viel besser, als er hier dargetan hat.
Ich möchte nur, nachdem Herr Kollege Schmidt das aufgenommen hat, was der Kanzler hier gesagt hat, auch um etwas bitten. Jetzt gucke ich niemanden an, sondern ich gucke - ich will niemanden ansehen - einmal oben in die Ecke. Wenn ich
Briefe bedeutender Persönlichkeiten an ihre Parteimitglieder lese und sehe, daß sich ein bedeutender Redner diese Hauses inzwischen als auch bedeutender Schreiber hervortut, und wenn ich dann sehe, daß manche versuchen, auseinanderzudividieren, was ein gemeinsames Werk ist, dann kann ich nur sagen: Die Leute, die glauben, auf diese Weise etwas zu erreichen, sind ganz schlecht beraten; denn das ist ein Blick nach hinten, meine Damen und Herren.
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Vielleicht erlauben Sie uns noch, hinzuzufügen, daß jede Erfolgsmeldung eines Partners einer gemeinsamen Koalition über Gegenstände, die Erfolge gemeinsamer Arbeit sind, im Grunde doch nichts Weiteres bewirken als ein Ornament mehr zum Schmücken des Vorsitzenden dieser gemeinsamen Unternehmung, nämlich unseres ohnehin strahlkräftigen Bundeskanzlers. Deshalb sollte man auch das bis zum Juni nächsten Jahres wirklich unterlassen. Das gilt für alle Seiten, und das gilt auch für Zeitungen, die Sie vielleicht gelegentlich beschweren mögen, Herr Schmidt.
Zu den erfreulichen Punkten der Debatte heute gehört, daß ich nochmals das Vergnügen habe, Herr Hermsdorf, mich sehr erfreut über Ihre Rede zu äußern. Sie haben das heute morgen schon an der Heiterkeit einer meiner Einlassungen gemerkt. Ich habe mich nämlich gefreut, daß Sie wirklich bedeutende Ausführungen zur Justiz- und Rechtspolitik gemacht haben, und ich bin ganz sicher, daß ich nicht der einzige Jurist in diesem Hause bin, der sich freut, wenn andere, Herr Kollege Hermsdorf, dazu Stellung nehmen. Ich bin ganz sicher, daß sich der Bundesminister der Justiz ganz besonders darüber gefreut hat. Er ist im Augenblick verhindert. Aber Herr Heinemann hat das sicher nur als einen Beitrag betrachtet, der in der reinen Luft der Jurisprudenz und völlig unabhängig etwa von anderen Fragen zu sehen ist, die gegenwärtig außerhalb des Hauses hier erörtert werden.
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- Ich freue mich, daß es auch auf dieser Seite sehr gut verstanden worden ist.
Im übrigen, meine Damen und Herren, war diese Heiterkeit heute morgen und zum Teil auch heute nachmittag zwar sicher ein bißchen reizvolle Lebendigkeit in der Monotonie, die dieses Parlament durch lange Reden oft zu erdrücken droht. Das war sehr schön. Aber wir dürfen nicht übersehen - damit nehme ich Bezug auf den ersten Teil der Regierungserklärung des Kanzlers -, daß die Lage, in der wir uns befinden, doch wirklich alles andere als heiter ist.
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- Ja, Herr Matthöfer, dies glaube ich in der Tat. Ich hoffe nicht - und ich werde dazu jetzt sprechen -, daß wir in diesem Jahr den Buckel noch mehr voll Sorgen kriegen, als wir ihn schon gehabt haben. Ich meine, für ,ein normales Parlament und eine normale Politik ist - wenn Sie an Ostern
denken, wenn Sie an den Mai denken, wenn Sie an den August denken - der Buckel eigentlich schon ganz schön voll Sorgen. Wir wollen ja noch nach Berlin gehen,, und wir warten, wer in Amerika gewählt wird. Ich hoffe nicht, daß wir vielleicht den Buckel noch mehr voll Sorgen kriegen.
Ich denke, wir verstehen uns; denn wir sehen, wie die Sowjetunion - - Der Kanzler hat ja - ich möchte das Herrn Kollegen Mischnick sagen, und vielleicht Ist Herr Genscher so freundlich, weil ich glaube, daß er auf diesem Gebiet besonders sachverständig ist - nicht aus einer mündlichen Mitteilung eines Botschafters eine Doktrin entwickelt, sondern aus vielen amtlichen, offiziösen, wichtigen Stellungnahmen der Sowjetunion wirklich eine Doktrin herausgelesen und dazu Stellung genommen, wie das ja auch z. B. der Außenminister der USA getan hat. Es kann kein Zweifel daran sein, daß die Sowjetunion, wie wir hier neulich gesagt haben, eben zur Zeit unberechenbar ist; und daß sie uns droht, kann man jeden Tag in den Zeitungen lesen. Und daß dieses Europa stagniert, das sehen wir. Ich glaube also, meine Damen und Herren, daß wir doch noch für den Augenblick auch an diesen ernsten Teil denken müssen, und möchte deshalb, Herr Bundeskanzler, hier nochmals sagen, weil wir die Debatte darüber nicht aufzunehmen wünschen - denn es ist ja in der Koalition nicht kontrovers, und das, was die Opposition dazu eingebracht hat, war nicht sehr fundamental -: Wir haben in der letzten außenpolitischen Debatte sehr präzise unsere Position bezogen. Dabei bleibt es, das steht, und wir unterstützen nochmals in aller Form die Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik, die Sie, Herr Bundeskanzler, in schwerer Zeit in einer wirklich abgewogenen Weise zugunsten unseres Volkes, dieses Landes und Europas durchführen. Das muß hier gesagt werden.
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Nun nur noch ein Wort zu den europäischen Dingen! Mein Kollege Illerhaus wird es im einzelnen darlegen. Ich glaube, was not tut, ist - und das sollte noch einmal gesagt sein - mehr politische Solidarität im freien Europa, mehr politische Zusammenarbeit im freien Europa. Das sind - ich glaube, das muß man erneut sagen - die Ziele und die Methoden unserer Politik. Es gibt in Brüssel Vorschläge, die wir für richtig halten. Wie wir hören, soll es auf der Konferenz der Minister für die WEU, die bald in Rom sein wird, neue Vorschläge geben. Wir kennen sie nicht. Wir würden sie mit großem Interesse prüfen. Kurzum, ein europäisches Gespräch ist entstanden, an dem wir weiter die Absicht haben uns konstruktiv zu beteiligen.
Unsere Auffassung zu den europäischen Problemen haben wir in der letzten Debatte und hat übrigens dieses ganze Haus einmütig vor wenigen Wochen kundgetan, als wir die Resolution angenommen haben, die das Komitee der Vereinigten Staaten von Europa unter Herrn Monnet verabschiedet hat. Ich sage dies auch deshalb, weil irgend jemand heute geschrieben hat, der Kanzler habe gesagt, wir müßten unsere gesamte Politik überprüfen. Nein, er hat gesagt, der ganze Westen muß,
wenn dies Geschilderte die neue sowjetische Doktrin sein sollte, überprüfen, wie es weitergehen soll. Das hat er gesagt, und er hat auch nicht etwa unser Engagement in dieser europäischen Frage, die ich soeben hier behandelt habe, irgendwie in Frage gestellt.
Nun muß ich - sie werden schon darauf warten, Herr Dorn - natürlich ein Wort an die Opposition sagen. Herr Kollege Schmidt hat es mir schon weggenommen. Denn inzwischen bin ich durch Ihre Liebenswürdigkeit auch in den Besitz Ihrer Broschüre gekommen, der ich in Ihrem Interesse wirklich keine große Verbreitung wünsche.
({9})
Ich werde das gleich noch begründen, und ich nehme an, Herr Kollege Emde, daß Sie Anlaß haben werden, sich zu den Punkten, die ich hier aufführen möchte, noch zu äußern.
({10})
- Es geht gleich los, Herr Genscher, warten Sie eine Sekunde! - Ich möchte Mich auch von uns noch einmal, wie ich es schon durch eine Zwischenfrage an Herrn Mischnick dartat, dagegen wehren, daß hier der Katalog der Bundesregierung vermischt wurde mit Erwartungen der Opposition. Das sind zwei Sachen. Es ist Ihr gutes Recht, Erwartungen zu haben; aber dann kann man nicht - Helmut Schmidt hat es hier völlig zu Recht zurückgewiesen - so tun, als sei dies dasselbe.
Notstand: ist durch Beschluß erledigt. Strafrecht: Herr Kollege Schmidt hat dazu gesprochen. Ich kann noch 'eine weitergehende Mitteilung machen. Aus diesem ganzen Kreis ist, wie Sie wissen, das politische Strafrecht reformiert. Wie Sie ebenfalls wissen und von den Kollegen von Ihnen, die daran arbeiten, leicht erfahren können, ist der Allgemeine Teil entscheidungsreif, und wie Sie schließlich wissen, sind wir entschlossen - wir haben dies oft genug gesagt -, 'aus dem Besonderen Teil noch so viele Dinge, vor allem im Sexualstrafrecht, jetzt zu verabschieden, daß dann der überwiegende Teil der Strafrechtsreform fertig ist und man die anderen Paragraphen Mit den neuen Formulierungen noch so durchformulieren kann, daß der nächste Bundestag damit endgültig fertig wind. Das ist in der Tat eine neue Methode, auf die wir recht stolz sind, um auch solche Gesetze nicht immer wieder durch die Diskontinuität untergehen zu lassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher?Genscher ({0}) : Herr Kollege Barzel, . würden Sie mir zugeben, daß alle die Punkte, die Sie aufgezählt haben und die, wie wir hoffen, noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden, im wesent lichen unter dem Einfluß des von uns eingebrachten Alternativentwurfs verabschiedet werden und nicht auf Grund von Regierungsvorlagen?
({1})
Lieber Herr Kollege Genscher, bei aller Liebenswürdigkeit, die hier an diesem Tage ausgebrochen ist, muß ich doch sagen: dies ist eine wesentliche Überschätzung der Opposition, die mit ihrem Entwurf ja sehr spät gekommen ist. Wir bewegen uns immer noch auf der Basis der Regierungsvorlagen, deren Autoren unter Ihnen sitzen. Davon hat ja Herr Schmidt mit Recht gesprochen. Wenn unter Ihren Vorschlägen eine gute Idee ist, wird sie sicherlich im Strafrechtssonderausschuß unter der Führung des Kollegen Güde Berücksichtigung finden. Das ist doch ganz klar.
Ein anderes Thema, das da ¡angeschnitten wird - ich bleibe in der Reihenfolge -, ist die Neugliederung. Da wird vorgeschlagen, Hessen, Rheinland-Pfalz und die Saar zusammenzufassen. Meine Damen und Herren, das sind keine Sachen, die man noch „beim Aufstehen" regeln kann. Wer über Neugliederung sprechen will, der muß über das Ganze sprechen; der muß z. B. die gleichen Maßstäbe für die Lösung solcher Probleme auch in Norddeutschland haben, wo sich ja schwierige Probleme stellen. Das kann man nicht „beim Aufstehen".
Dieser Bundestag hat - wir wollen heute keine endgültige Bilanz ziehen - in der Frage prinzipieller Reformen wirklich seine Arbeit geleistet.
Nun möchte ich gern
({0})
- Sie kommen, es kommt, meine Damen und Herren, mit der Ruhe! - auf den Haushalt und im Zusammenhang damit auf die Einlassung des Kollegen Mischnick und der Fraktion der Freien Demokratischen Partei zu sprechen kommen.
Zuvor möchte ich folgendes sagen. Für unsere Fraktion hat Herr Windelen heute morgen ganz klar und unüberhörbar verbindlich unsere Position dargetan. Es bedurfte keiner Mahnung, von welcher Steite auch immer, daß sich diese Fraktion nur im Rahmen des finanziell Möglichen bewegen wird.
Ich hoffe, daß die Parole „Keine Wahlgeschenke" auch gegenüber den neuen Formen gilt, die da so durch die Türe zu kommen versuchen,
({1})
nämlich entweder aus der Tasche Dritter oder: wir bringen nur einmal einen Gesetzentwurf ein, das zeigt dann, wie interessiert wir sind, verabschiedet werden kann er ja nicht mehr. Oder: wir bringen einen Entwurf ein und wollen ihn auch verabschieden, aber die finanzielle Bedienung steht in den Sternen. Wir werden auch solchen neuen Formen von Wahlgeschenken widerstehen. Wir wünschen, alles, was hier zu tun ist, seriös zu beraten und solide zu entscheiden. Nur solche Reformen sind vernünftig.
An alle, die nun noch draußen auf dem Land mit Wünschen an uns kommen, müssen wir dies sagen: Wir haben wieder eine gute Wirtschaftssituation. Auch das ist ein gemeinsames Werk, das kann man auch nicht auseinanderdividieren. Wenn es hier übrigens Streit gibt, dann ist doch höchstens zu fragen, ob das mehr das Werk der Politik der Regierung
als der Tüchtigkeit des eigenen Volkes ist. Das sei hier nur am Rande gesagt.
({2})
Wir wollen eines nicht vergessen. Wir haben durch Kreditaufnahmen einen Abschwung gebremst und einen Aufschwung beschleunigt. Das heißt, wir sind verpflichtet, wenn es wieder mehr in der Kasse klingelt, an die Tilgung zu denken; und das auch schon deshalb, damit uns dieses Instrumentarium in ähnlichen Situationen künftig nicht aus der Hand geschlagen wird und stumpf wird.
({3})
Nun den Blick auf unsere konkrete Verantwortung. Ich meine nicht, daß hier solche generellen Ausführungen genügen. Ich möchte deshalb - das ist flüchtig und nur über Mittag zusammengestellt, das ist nicht abschließend - doch versuchen, auf einige Anträge zu sehen, die dem Hause vorliegen, die aber von der mittelfristigen Finanzplanung nicht gedeckt sind und bei denen wir alle uns miteinander fragen, was damit eigentlich geschehen soll.
Da muß man mit sich selber anfangen. Wir haben dem Haus auf Drucksache 2678 den Entwurf eines Strukturfondsgesetzes vorgelegt. Die Verwirklichung dieses Antrages vom 13. März 1968 ist, wie nach der Erstellung festgestellt wurde, recht teuer und sollte 1 Milliarde DM kosten. Daraufhin ist der Entwurf geändert und § 10 Abs. 3 neu gefaßt worden, so daß Ausgaben nur noch in der Höhe einer Umlage entstehen können, welche die Landwirtschaft selbst aufbringen würde.
({4})
Ob die Verabschiedung dieses Entwurfes möglich ist, ob er in die mittelfristige Finanzplanung paßt, werden wir prüfen. Ich sage dies zuerst zu unserem eigenen Antrag, damit ich so eine bessere Position habe, wenn ich zu den Anträgen anderer spreche.
Ich möchte dann zunächst - ich hoffe, das wird verstanden - den Koalitionspartner ansprechen. Da gibt es den Antrag auf Drucksache 1544, das Marktstrukturgesetz. Er würde wahrscheinlich untergehen. Das wird im Zusammenhang mit dem anderen Problem zu sehen sein. Dann gibt es das bekannte Ausbildungsförderungsgesetz - Drucksache V/3090 -, über das wir heute morgen sprachen. Da ist hinten in der Tat vorgesehen, daß der Termin des Inkrafttretens anbhängig von der mittelfristigen Finanzplanung ist. Nachdem wir diese nun kennen, sollten wir eigentlich miteinander die Regierung bitten - und vielleicht beteiligen Sie sich auch daran -, dem Haus einen Antrag vorzulegen, der im Rahmen des finanziell Möglichen liegt.
({5})
Das sollten wir tun; meine Damen und Herren, dann ist hier wieder ein möglicher Streit vom Tisch. Sie sehen, das geht hier ziemlich schnell.
Nun kommt das Bündel von Anträgen der Opposition. Da gibt es auf Drucksache V/2110 den Antrag der Abgeordneten Schultz, Mauk, Friderichs, Jung, Reischmann, Spitzmüller - ich glaube, alles Kollegen der Freien Demokratischen Partei, nicht die Fraktion - betreffend Umsatzsteuergesetz ({6}). Nach den Schätzungen, die mir zugegangen sind, geht es hier um ein Einnahmeminus von jährlich 125 Millionen DM.
Dann gibt es weiter - Drucksache V/2416 - einen Antrag der Fraktion der FDP: Entwurf eines Gesetzes über die wirtschaftliche Förderung der Ausbildung. Nach den Schätzungen, die mir vorliegen: 1,5 Milliarden Mehrausgaben jährlich.
({7})
Drucksache V/2663: Antrag der Fraktion der FDP: Errichtung des Deutschen Agrarfonds für Absatzförderung. Mehrausgaben jährlich 25 Millionen DM.
Drucksache V/2665: Antrag der Fraktion der FDP: Landwirtschaftliches Investitionsgesetz. Jährlich 275 Millionen DM Mehrausgaben.
Drucksache V/2833: Antrag der Fraktion der FDP zur Mehrwertsteuer. Jährliches Einnahmeminus: 750 Millionen DM.
Meine Damen und Herren, ich knüpfe daran gar keine Bemerkung, nur die Erwartung, daß Sie hier eine Antwort geben, was daraus werden soll. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.
({8})
Der Bundeskanzler hat über die innenpolitische Basis der Außenpolitik gesprochen. Wir wollen dies nicht übersehen, aber zugleich müssen wir die Lage sehen, die wir hier eben nach dem Zuruf von Herrn Matthöfer erörtert haben. Meine Damen und Herren, wir können in dieser Lage, wo wir Haushalt und Politik debattieren, nicht die Augen davor verschließen, daß wegen der Sicherheit und wegen der politischen Stabilität mit großer Wahrscheinlichkeit Mehranforderungen an uns gestellt werden. Wir wünschen keinen Zweifel daran zu lassen: Dies hat, da es vital ist und da es für uns essentiell ist, für uns Priorität vor manchem anderen.
({9})
Dies auch deshalb, weil wir es eben mit Leuten zu tun haben, die den Frieden nicht in der Rücksicht auf das Recht des anderen sehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie alle einladen, die Rede von Walter Ulbricht nachzulesen, die in diesen Tagen im „Neuen Deutschland" abgedruckt ist. Er kündigt uns dort die Etappe des schärfsten ideologischen Klassenkampfes an. Er gibt eine neue Theorie der Erlaubtheit der Gewaltanwendung, wenn dies aus Gründen des Klassenkampfes, wie er ihn versteht, richtig sei, wenn dies im Interesse des Marxismus, wie er ihn interpretiert, richtig sei, und er wendet sich gegen alle die, die seine Theorien „falsch" auslegen. Ich will das jetzt hier nicht zitieren. Das gehört aber bei so einem Blick auf die Lage an den Schluß, denn daß solche Erklärungen nicht ideologische Theorie sind, sondern zu bitterer Praxis werden können, weiß man nun in Prag erneut, und das wissen die Deutschen im anderen Teil unseres Landes seit langer
Zeit. Und auch an die wollen wir denken, wenn wir über Geld und Haushalt debattieren.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern dem Hohen Haus einen konjukturgerechten Haushalt vorlegen können. Unsere Konjunktur trägt sich in der Tat wieder selbst. Sie bedarf keiner staatlichen Wiederbelebungsversuche. Aber dabei sollten wir auch nicht vergessen: dieser Aufschwung unserer Wirtschaft, die so stark in die Weltwirtschaft eingeflochten ist, vollzog sich, ohne daß dieser Aufschwung irgendwie von den schweren währungspolitischen Krisen und Eingriffen im Ausland beeinträchtigt wurde. Ich nenne hier nur, weil es vielleicht auch vergessen worden ist, die Pfundabwertung vom 18. November vorigen Jahres, die Aufhebung der internen Goldumlaufdeckung des Dollars und die Spaltung des Goldmarktes am 18. März dieses Jahres, dann die Stützungsaktionen für den französischen Franc im Anschluß an die Mai-Juni-Ereignisse in Frankreich und schließlich das Baseler Abkommen vom 23. September dieses Jahres, ein großes Abkommen zur Konsolidierung der steuerlichen Verbindlichkeiten des Vereinigten Königreiches.
Meine Damen und Herren, alle diese Geschehnisse, diese zum Teil sehr kritischen Geschehnisse waren von einer ganzen Serie internationaler Währungskonferenzen begleitet; die letzte war die dies-j ährige Jahresversammlung der Weltbank und des Weltwährungsfonds in der Woche ab 30. September" in Washington. Schon dieser Vorgang der großen Weltwährungskonferenz sowie die Tatsache, daß ohnehin unsere Haushaltsgebarung und unsere mittelfristige Finanzplanung in die Entwicklung unseres Weltwährungssystems eingebettet sind, - alles das ist wohl Anlaß und Grund genug, hier in einer Haushaltsdebatte dem Parlament über jene Währungskonferenz, über die damit zusammenhängenden Fragen und ihre Konsequenzen für unsere Europapolitik und unser Land zu berichten.
Mein von Mal zu Mal stärkerer Eindruck von den sehr freimütigen und sehr intensiven internationalen Beratungen ist folgender: Dieselben Währungsärzte, die im letzten Jahr mit Besorgnis die Schwächeanfälle, die schweren Schwächeanfälle der internationalen Geldordnung registrierten, konnten mit wachsendem Erstaunen die zunehmende Stärke, um nicht zu sagen: Robustheit einer Einzelwährung konstatieren, eben der unseren. Die D-Mark, so lautet die einmütige Diagnose der besten Experten auf diesem Gebiet, ist heute eine der stabilsten und international gefragtesten Währungen der Welt.
Aber, meine Damen und Herren, wir sollten uns doch zugleich vor jeglichem Übermut hüten und uns von irgendeinem währungspolitischen Chauvinismus fernhalten; wir sollten allerdings die starke Position der D-Mark in der Welt nun auch nicht als etwas völlig Selbstverständliches abtun, denn vor anderthalb Jahren saßen wir noch in der OECD und in anderen Gremien auf der internationalen Anklagebank, weil wir durch unsere eigene Rezession - hausgemacht -, durch verminderte Einfuhr nach Deutschland und auch dadurch, daß weit mehr als 300 000 Gastarbeiter unser Land verlassen mußten, Arbeitslosigkeit in unsere Partnerländer exportiert hatten. Nun haben wir in unserem Land die Ziele Wachstum und Stabilität erreicht. Wir befinden uns heute im gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht.
Aber dabei müssen wir auch eine scheinbare Paradoxie erfahren. Wenn die DM in den vergangenen Wochen und Monaten des öfteren Gegenstand des spekulativen Interesses war, so war das ein lästiges Kompliment, aber eben doch ein Kompliment von seiten der internationalen Spekulanten, jener Spekulanten, der Gnome in Zürich und der Herren in der City von London, die mit einem feinen Spürsinn für Währungsqualitäten ausgestattet sind. Jene Spekulanten, das müssen wir wissen, veranstalten ein permanentes weltweites Plebiszit. Sie stimmen tagtäglich mit 'dem Geldschein und dem Wechsel darüber ab, welche Währung nach ihrer Meinung als stabil und welche dahinterstehende Finanz- und Wirtschaftspolitik als solide anzusehen ist.
Wir haben also, indem wir unser eigenes Haus in Ordnung brachten, indem wir Konjunktur, Arbeitsplätze, Haushalt, Wachstum, Kapitalmarkt und Preise stabilisierten, eben auch unsere internationale ökonomische und politische Stellung festigen können, so sehr, daß wir das Überschwappen der unruhigen internationalen Währungsgewässer auf das Inland abwehren konnten.
Meine Damen und Herren, in den Vereinigten Staaten von Amerika, in England und in Frankreich müssen wir in diesem Jahr mit Preissteigerungsraten von 4 bis 5 % - auf Jahresbasis - rechnen. Wir dagegen stehen bisher - Januar bis September dieses Jahres - bei nicht viel mehr als 1 %. Nicht umsonst schrieb erst dieser Tage die britische Wochenzeitschrift „Economist" : „Die Inflation hört am Rhein auf." Ich hoffe, daß diese Feststellung keinen Einfluß etwa auf die Stationierung der Rheinarmee ausübt.
({0})
In der Tat: Wir haben uns mit aller Kraft gegen den Import von Inflation gestemmt. Ja, wir versuchen seit geraumer Zeit das Umgekehrte, nämlich unsererseits ökonomische Stabilität zu exportieren. Diese Politik haben wir Ende März auf der Währungskonferenz der Zehner-Gruppe in Stockholm und kürzlich mit besonderem Nachdruck und auch mit einer gewissen Auseinandersetzung Anfang September auf der Tagung der EWG-Wirtschafts- und Finanzminister in Rotterdam vertreten. Dabei war die Auseinandersetzung nicht mit den Holländern.
Meine Damen und Herren, ein einzelnes Land - das muß dieses Haus immer wieder zur Kenntnis nehmen - wie die Bundesrepublik kann nur mit großer Mühe gegen den Strom der Weltinflation an10236
schwimmen. Aber das sollte einer so kräftigen Wirtschaftsgemeinschaft wie der EWG sehr viel leichter fallen. Deshalb fordern wir und arbeiten seit Monaten dafür: Die EWG muß sich bewußter als bisher als Stabilitätsgemeinschaft verstehen lernen.
({1})
Für eine solche Politik der internationalen Stabilität habe ich mich nun erneut und auftragsgemäß in Washington auf der Jahrestagung von Weltwährungsfonds und Weltbank eingesetzt. Wenn wir heute also auf der Bühne des Weltwährungsschauspiels nicht mehr die Rolle eines Büßers oder des Schurken im Stück zu spielen brauchen, dann danken wir dies eben der konsequenten und mutigen gemeinsam getragenen inneren Politik im eigenen Lande.
Aber die Resultate dieser unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik werfen nun neue Probleme auf. Wie auch immer man die konjunkturpolitischen Maßnahmen und Diskussionen des letzten Jahres und des letzten Winters beurteilen mag - das klang ja auch gestern an -, fest steht doch wohl eindeutig: eine raschere und breitere Expansion der Binnennachfrage hätte die deutsche Wirtschaft sicherlich nicht in eine derartig große Exportabhängigkeit hineingetrieben, wie wir sie heute konstatieren müssen. Wir sind mit dieser leichten Strukturverschiebung und Exporttoplastigkeit aus der Rezession dadurch in den Aufschwung hineingegangen. Auf jeden Fall schreibt uns nun unsere Überschußposition gebieterisch eine gute Gläubigerpolitik vor.
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Es wäre ein lebensgefährlicher Irrtum, wenn wir glauben wollten, uns auf eine einsame Insel der Prosperität zurückziehen zu können. Unser Volkseinkommen wird ganz unabhängig von dem Ausfuhrüberschuß entscheidend bestimmt von unserer eigenen Wertschöpfung im Lande über Einfuhr und Ausfuhr; denn Deutschland ist ein großes industrielles Veredelungsland von Rohstoffen und Halbfabrikaten, die fertig veredelt und dann zu einem Teil exportiert werden.
Nun, wir sind heute in der Lage, unsere hohen Handelsbilanzüberschüsse auszugleichen, und zwar erstens durch Passivposten der Dienstleistungsbilanz, zweitens durch Einkommensübertragungen aller Art, von der Wiedergutmachung bis hin zu den Einkommensheimsendungen unserer Gastarbeiter und drittens vor allem durch langfristige Kapitalexporte. Diese langfristigen Kapitalexporte aus der Bundesrepublik werden allein in diesem Jahr zum erstenmal den stattlichen Umfang von 8 bis 9 Milliarden DM erreichen. Die ganze Welt nimmt in diesem Jahr auf unserem Kapitalmarkt Anleihen auf. Ich will nur einige wenige, vielleicht besonders anschauliche Beispiele hier nennen. Neuseeland - um zu den Antipoden zu gehen -, kanadische Einzelstaaten oder Provinzen legen hier Anleihen in D-Mark auf. Die japanischen Städte Kobe und Jokohama haben Kommunalanleihen aufgelegt. Ich habe noch nie gewußt, daß ich so gut Japanisch lesen kann; denn diese Kommunalobligationen sind in deutscher Sprache formuliert und lauten auf D-Mark. Dann sind das Olympia-Land Mexiko und die frühere Olympia-Stadt Helsinki zu nennen, die amerikanische Sears International Finance Corporation in dem schönen Gebiet mit dem süßen Namen Curaçao und, last not least, die Stadt Wien. - Das alles ist nur eine karge, anschauliche Auslese. Allein die Weltbank - und das scheint mir viel wichtiger zu sein - hat in diesem Jahr für ihre multilaterale Entwicklungshilfe rund eine Milliarde DM bei uns aufnehmen können.
Auf diese Weise also versuchen wir, wie der britische „Guardian" das vor kurzem einmal wörtlich sagte, „das beneidenswerte Dilemma der deutschen Wirtschaftspolitik" aufzulösen und zur Beseitigung der Zahlungsbilanzungleichgewichte anderer Länder beizutragen.
Die Wahl des Bundeswirtschaftsministers in Washington zum neuen Vorsitzenden der sogenannten Zehner-Gruppe, d. h. der USA, Großbritanniens, der sechs EWG-Länder, Schwedens, Japans und der Schweiz als ständigen Gastes - und ich freue mich, daß wir bei unseren verschiedenen Konferenzen in verschiedenen Städten erreicht haben, daß Frankreich in diesem währungs- und kreditpolitischen Gremium als Mitglied in der Zehner-Gruppe verblieben ist -, fasse ich darum als ein erweitertes Mandat auf, darauf hinzuwirken, daß eine koordinierte Politik für Wachstum und Stabilität zum gemeinsamen Ziel auch in diesem größeren Kreis der maßgebenden Industrieländer wird.
Meine Damen und Herren - das darf und muß ich dem Parlament sagen -, auf diese Weise gehorchen wir dem § 4 des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes, um nämlich bei internationalen Ungleichgewichten, wie es dort heißt, „alle Möglichkeiten der internationalen Koordination zu nutzen.".
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Bevor ich nun auf diese Sachproblematik kurz eingehe, möchte ich mit allem Ernst von unseren Washingtoner Bemühungen berichten, Berlin als Tagungsort für das große Forum von 3000 Kongreßteilnehmern von Währungsfonds und Weltbank für das Jahr 1970 durchzubringen. Unsere Anregung und unsere Einladung hatte ich im Auftrage des Bundeskabinetts vorgetragen, nachdem die Bundesregierung die drei Schutzmächte für Westberlin konsultiert hatte und nachdem wir die wichtigeren Mitgliedsländer von Fonds und Bank über unsere Absicht unterrichtet und ihre Unterstützung erbeten hatten. Ich darf zu meiner Freude sagen: eine Reihe von Ländern haben sich sofort und ohne Zögern - hier in Europa und drüben in Washington - zur Unterstützung der Kandidatur Berlins bereiterklärt,
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allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika. Das State Department hat in dieser Frage eine ganz feste Haltung eingenommen. Aber ich muß auch sagen: dies alles gilt ganz besonders für das schöne Land Italien. Italien hat auf der letzten EWG-Wirtschaftsministerkonferenz seine schon vorbereiBundesminister Dr. Schiller
tete Einladung nach Rom spontan und ohne Zögern zurückgezogen, als wir Berlin anmeldeten.
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Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich meinem
Freunde, dem italienischen Schatzminister Emilio
Colombo hierfür noch einmal sehr herzlich danken.
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Gerade im harten Geschäft der Standortwahl und der Geldpolitik sind solche spontanen Erklärungen zugunsten eines anderen nicht gerade sehr häufig.
Andere Länder - und zwar mit ähnlichen Regierungen; das hat nichts mit den jeweiligen nationalen Regierungen oder Koalitionen zu tun - haben dagegen Bedenken geäußert, Bedenken gegen Berlin, weil sie unsere Motive offenbar mißverstanden haben. Wegen dieser Bedenken möchte ich unseren Standpunkt hier noch einmal präzisieren.
Erstens: Unsere Einladung für Berlin ist Ausdruck unserer engen Verbundenheit mit Berlin und Ausdruck unserer Verbundenheit mit den beiden großen Weltorganisationen, die noch nie eine Jahresversammlung auf deutschem Boden abgehalten haben.
Zweitens - das klingt vielleicht etwas härter -: Die Bundesrepublik Deutschland hat jetzt dank ihrer gesunden Wirtschaftslage neben den Vereinigten Staaten die Funktion, der größte Geldgeber beider Institutionen, des Fonds und der Weltbank, zu sein. Ich glaube, sehr bescheiden doch wohl sagen zu dürfen: wir Deutsche haben es wohl verdient, auch einmal Gastgeber für diese beiden Institutionen zu spielen.
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Drittens: Unter den deutschen Städten ist Berlin diejenige, die die günstigsten geistigen und technischen Voraussetzungen für die Abwicklung dieser bedeutenden und anspruchsvollen Tagung bietet. Ich hoffe, daß ich hier keiner anderen großen deutschen Stadt zu nahe trete, auch nicht der Stadt, der mein Kollege Finanzminister besonders nahesteht.
Aber viertens - und das ist das Wichtigste, und damit geraten wir in die schwierigeren Gefilde der Außen- und Deutschlandpolitik -: Niemand sollte aus unserer Motivation die Absicht einer Provokation herauslesen. Ich darf nur eines sagen: zum Währungsfonds und zur Weltbank gehören 111 Mitgliedländer, nicht nur alle Industriestaaten außer einer kleinen Gruppe, sondern auch die ganze dritte Welt in Asien, in Afrika und Lateinamerika. Aus diesem Grunde verstehe ich die Tagung eines solchen riesigen internationalen Gremiums mit seiner ökonomischen Potenz auf Berliner Boden auch als eine Aufforderung an die Länder in Osteuropa, diese Konferenz nun aus nächster Nähe zu beobachten und sich ihr vielleicht sogar zu nähern. Schließlich hat die Sowjetunion zu den Begründern des Systems von Bretton Woods im Jahre 1944 gehört und damit auch zu den Gründern der beiden Institutionen, des Weltwährungsfonds und der Weltbank. Das Comecon sollte wie die EWG erkennen, daß sie doch beide in einer Weltwirtschaft und schließlich in einem Weltwährungssystem im Sinne einer Recheneinheit leben müssen.
Da zum Zeitpunkt meiner Einladung die technischen Gegebenheiten der Stadt Berlin von Fonds und Bank noch nicht überprüft waren - das Examen von Berlin und in Berlin kann frühestens Ende Oktober abgehalten werden -, habe ich in der Plenarversammlung in Washington angeregt, die Entscheidung zum Ende dieses Jahres 1968 zu treffen. Die Gouverneursräte von Fonds und Bank sind dieser Anregung voll gefolgt.
Damit ist also Berlin zusammen mit Kopenhagen in den Endlauf oder in das Endspiel um den übernächsten Tagungsort von Weltbank und Weltwährungsfonds gekommen. Ich bin der Meinung, das vitale und an Selbstunterschätzung nicht gerade leidende Berlin sollte in dieses Finale von drei oder vier Monaten um die Olympiade des Geldes im sportlichen Geiste hineingehen, ohne irgendwelches Ressentiment gegenüber dem Wettbewerber, eben der schönen und sicherlich auch unterhaltsamen Stadt Kopenhagen. Bundesregierung und Berliner Senat werden auf jeden Fall alles tun, um unserer Kandidatur zum Erfolg zu verhelfen, insbesondere, was die Bereitstellung der notwendigen Konferenz- und Unterbringungsmöglichkeiten anlangt.
Im übrigen darf ich für alle, die hier mit Finanzen im engeren Sinne, mit Haushalt und Haushaltstiteln zu tun haben, hinzufügen: Weltbank und Weltwährungsfonds sind reiche Institutionen und bezahlen selbst praktisch die ganze Konferenz, die Reisen und alles, was damit zu tun hat. Das fällt nicht auf den Bundes- oder Landeshaushalt. Soweit das die Fazilitäten betrifft, nehme ich an, daß dieses Haus im Falle des Falles für diese Fazilitäten in Berlin zur Hilfe bereit ist.
Ich komme nun zum materiellen Inhalt der Konferenz. In Washington war natürlicherweise das Wetterleuchten der vorangegangenen stürmischen internationalen Währungsunruhen zu spüren, und ganz abgezogen und abgewendet sind die internationalen Gefahren in der Tat nicht. Wichtige Länder haben immer noch einen harten Kampf um die Beseitigung der Defizite in ihren Zahlungsbilanzen zu kämpfen, und das erfordert nicht ganz einfache und nur selten populäre Maßnahmen. Ich habe in Washington eines sehr deutlich erklärt und wiederhole das hier, weil es sich im zweiten Teil auch auf uns bezieht: Sowenig ein Defizitland gedrängt werden kann, zum Ausgleich seiner Zahlungsbilanz eigene Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen, sowenig sollte ein Überschußland gezwungen werden, seine mühselig wiedererrungene Stabilität zu opfern, bloß weil sich andere Länder in einem Inflationsprozeß befinden.
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Ich sage es noch deutlicher: Es ist auf jeden Fall unzumutbar, daß wir Deutsche allein sozusagen an uns selbst jene Fehler korrigieren, die andere Länder im eigenen Hause begangen haben.
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Jeder hat doch seine Pflichten, und diese Pflichten
sind im Gegensatz zum Grundsatz des Weltwährungssystems nicht konvertibel. Deshalb versuchen
wir ja auch mit allen Mitteln, unsere eigenen Pflichten, die uns aus unserer wirtschaftlichen Überschußlage erwachsen, zu erfüllen. Nicht weniger wichtig erscheint mir dabei, daß viele Länder nun den Nutzen erkannt haben, den ihnen unser langfristiger Kapitalexport bringt. Mit unseren Krediten können sie auch Importe finanzieren, und sie können ihr Produktionspotential, ihr Wachstumspotential erweitern.
Wenn wir z. B. auch den Bau von U-Bahnen in anderen, fremden Städten und von Autobahnen in anderen Ländern durch Kredite finanzieren, exportieren wir damit natürlich auch Wachstum. Wir geben Wachstum von uns ab und exportieren es aus Gründen der Politik eines guten Gläubigers und der Aufrechterhaltung unserer internen Stabilität. Ich glaube, mit diesem Export von Wachstum ist jenen Ländern mehr gedient, als wenn wir - nun komme ich wieder zu dem bekannten heißen Thema - unsere außenwirtschaftliche Aktivität durch eigene, einseitige Aktionen einengen würden.
Gerade angesichts dieser Darlegungen und angesichts dieser Sachlage, die im Plenum der Weltwährungskonferenz in einer ganzen Woche völlig klar wurde, stand das Thema der Aufwertung der D-Mark in Washington überhaupt nicht zur Debatte, auch nicht in den bilateralen Gesprächen im Zusammenhang mit der Konferenz. Die Aufwertungsfrage, meine Damen und Herren, war damit vom Tisch.
Ein Punkt besonderen Interesses - vielleicht mehr am Rande, aber bei vielen von besonderem Interesse - war die Regelung der Goldankaufs- und -verkaufsfrage. Das hat auch eine politische Implikation. Schon im Sommer hatte ,das Bundeswirtschaftsministerium der Deutschen Bundesbank vorgeschlagen, sich in ihren Gesprächen im Kreise der Notenbankgouverneure für eine vernünftige Kompromißlösung zwischen den völlig entgegengesetzten Standpunkten der USA und Südafrikas einzusetzen. Schließlich ist - .das muß ich nun einfach als Ökonom sagen - Südafrika für seine Lebensfähigkeit strukturell auf Goldexporte angewiesen wie andere !Länder auf Exporte von Chemieerzeugnissen, von Stahlprodukten und von Volkswagen.
Unser Vorschlag wurde aufgegriffen und führte in Washington zu einem gemeinsamen Angebot von zehn Industrieländern an Südafrika. Südafrika hat zwar bis zur Stunde noch nicht zu erkennen gegeben, ob es diesen Vorschlag, der in Washington auf der Basis der deutschen Kompromißunterlage beschlossen wurde, annehmen oder ablehnen will, aber unabhängig davon - denn das ist eine sehr zwischenzeitliche und eigentlich nicht zentrale Frage - möchte ich grundsätzlich zur Stellung des Goldes in dieser prekären Lage folgendes sagen.
Meine Damen und Herren! Die künftige Weltwährungsordnung wird zwar das Gold als Reservemedium der Notenbanken noch weiter verwenden, sie könnte aber in Zukunft !auf neue Goldzuflüsse für diese Zwecke verzichten; denn an ihre Stelle werden dann die neuen Sonderziehungsrechte nach deren Ratifikation und nach deren Aktivierung treten. Das Gold ist zwar !auf der Währungskonferenz dieses Jahres und auch in Washington nicht entthront worden, aber wir leben - und das muß hier auch erkannt werden - im Weltwährungssystem zur Zeit in einer Periode des Übergangs, des Übergangs zu einem wirklich fundamentalen Wandel.
So ist z. B. durch das erwähnte Baseler Abkommen vom September das Pfund eine - so darf ich wohl mit Verlaub unseren englischen Freunden sagen - nur noch „limitierte Leitwährung" geworden. Einer meiner Mitarbeiter - ich darf das nicht sagen, ich darf ihn aber zitieren - hat gesagt: das Pfund ist jetzt eine Leitwährung mit beschränkter Haftung.
Und nun das Gold. Beim Gold - das müssen wir jetzt schon feststellen - ist durch die Spaltung des Goldmarktes am 18. März aus einem absoluten Monarchen ein konstitutioneller Regent geworden, und in seiner künftigen Herrschaft bei der Reform des Weltwährungsfonds, die Ihnen zur Ratifizierung vorliegt, wird ,der konstitutionelle Regent Gold, Währungsgold, unter sehr festen, sehr harten, gegen die Spekulation abgesicherten Regeln stehen. In diesem Übergang befinden wir uns.
Wichtiger als die Annäherung der Standpunkte in der Frage des Goldankaufs und des Goldpreises in Richtung Südafrika scheint mir nun, daß sich das Vertrauen zum Dollar und zum Pfund auch und gerade unter ,den neuen Bedingungen, die ich eben geschildert habe, in dieser Periode des Übergangs gefestigt hat.
Meine Damen und Herren, die Regierung der USA hat in langen inneren Kämpfen wesentliche Maßnahmen zur Wiederherstellung des inneren und äußeren Gleichgewichts ergriffen, und zwar mit einer großen Steuererhöhung. Das in einem Wahljahr! Wir alle sollten nachempfinden, welche enorme politische Anstrengung es angesichts der innenpolitischen Lage und des außenpolitischen Engagements der USA bedeutet, das Defizit im amerikanischen Bundeshaushalt im laufenden Haushaltsjahr drastisch herunterzudrücken. Die Experten drüben haben ausgerechnet, daß die Steuererhöhung und die Ausgabenkürzung in diesem Jahr in Amerika einen Nachfrageausfall von - aufs Jahr gerechnet - zirka 20 Milliarden Dollar hervorrufen werden. Das ist ein gesamtwirtschaftlicher Nachfrageausfall, verursacht durch fiskalpolitische, mutige Maßnahmen seitens der Administration und seitens des Kongresses.
Ich erwähne dies auch aus einem anderen Grunde. Diesen Nachfrageausfall sollten auch diejenigen Philosophen der Ökonomie - so möchte ich mich ausdrücken - bei uns beachten, die unsere derzeitigen Exportüberschüsse allzu isoliert betrachten und möglicherweise allzu leicht und allzu schnell mit dem schweren Geschütz von Ad-hoc-Maßnahmen auf dem Gebiet der Wechselkurspolitik auffahren wollen. Ich möchte hinzufügen: Erfreulicherweise haben zwar die USA bisher den Versuchen auf Wiederbeleben des Protektionismus widerstanden - wir sollten das dankbar anerkennen -, aber wie das nach den Neuwahlen in den Vereinigten Staaten werden wird, weiß heute keiner. Auch das sollten
wir bei allen unseren eigenen Überlegungen bedenken. Hektik im außenwirtschaftlichen Bereich im weitesten Sinne ist von unserer Seite ganz und gar unangebracht.
Die großen Industrienationen haben auch gehandelt, um gemeinsam das Vertrauen in das Pfund zu festigen. Wie Sie wissen, war in der ersten Hälfte dieses Jahres das Pfund erneut unter Druck geraten, weil Sterling-Länder dazu übergegangen waren, Pfundguthaben aus Großbritannien abzuziehen und in andere Banken zu transferieren. Wir haben uns im Rahmen des erwähnten Baseler Beistandskredits, jetzt vor kurzem beschlossen zwischen den Notenbankgouverneuren in Höhe von 2 Milliarden Dollar insgesamt, mit einer eigenen deutschen Notenbankkreditlinie von 400 Millionen Dollar an dieser großen Konsolidierungsaktion beteiligt. Das sind 1,6 Millionen DM Kreditlinie als Beteiligung der Notenbank an dieser Riesenoperation zugunsten Großbritanniens. Auf uns entfallen bei dieser Kreditlinie allein 50 % des gesamten Beitrages der EWG-Länder, die sich an dem Beistandsabkommen beteiligt haben.
Ich bin überzeugt, daß. die britische Regierung die ihr gewährte Atempause nutzen wird. Bei meinen Gesprächen mit Schatzkanzler Jenkins Ende August in London habe ich bestätigt gefunden, daß man dort gewillt ist, diesen Weg zu gehen. Er ist steinig und beschwerlich und mit großen innen- und außenpolitischen Schwierigkeiten verbunden. Aber ich darf an dieser Stelle - und das dürfen Sie mir nicht übelnehmen, meine Damen und Herren - meine ganz persönliche Meinung aussprechen: Eine endgültige Konsolidierung der britischen Wirtschaft ist nach meinem Dafürhalten nur auf einem einzigen Wege zu erreichen, nämlich durch eine Fusion dieser großen und leistungsfähigen Firma mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
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Ich sehe eine andere Dauerlösung für die Gesundung dieser Firma Großbritannien nicht.
Auch die französische Wirtschaft hat in diesem Jahr die Vorteile genossen, eben seit 1957 oder 1952 dem Konzern der europäischen Gemeinschaften anzugehören. Ich glaube, auch hier werden Sie die Zahlen interessieren. Sicherlich, die französische Wirtschaft hat den Frühsommer besser überstanden, als anfänglich erwartet wurde. Es hat sich erneut gezeigt, daß das marktwirtschaftliche System eben einen unvergleichlich hohen Grad von Flexibilität besitzt, trotz aller planification à la française. Es war auch in Rechnung zu stellen, daß die spontanen Marktkräfte in Deutschland und in anderen Nachbarländern Frankreichs sofort auf jene schweren wirtschaftlichen Ereignisse positiv reagiert haben. Die Preissteigerungen in Frankreich haben sich in Grenzen gehalten. Die Handelsbilanz ist, wenn auch zum Teil unter dem Einfluß von Exportförderungsmaßnahmen und Einfuhrbeschränkungen, relativ ausgeglichen geblieben. Erst im letzten Monat ist in. Frankreich ein stärkerer Importüberschuß eingetreten.
Ich möchte noch einmal der französischen Wirtschafts- und Finanzpolitik dazu gratulieren, daß sie nach der Frühjahrskrise im großen und ganzen nicht den Weg der Restriktion gegangen ist, sondern den Weg der Expansion. Ebenso sehr muß ich aber betonen: Die internationale und besonders die europäische Solidarität haben sich gegenüber Frankreich besonders bewährt. Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft haben viel Verständnis für die Einführung von Einfuhrkontingenten mit Zusatzwachstumsraten gezeigt. Sie haben darüber hinaus Frankreich mit erheblichen Swap-Krediten unterstützt. An diesen ist die Bundesrepublik - und nun komme ich wieder auf eine Zahlenreihe - mit 300 Millionen Dollar beteiligt.
Bei der schon erwähnten Bonner Konsultation vor kurzem haben wir eine Aufstockung sowie eine Verlängerung der bisherigen Kreditlinien zugunsten Frankreichs unterstützt. Wir haben ferner die französische Ziehung beim Internationalen Währungsfonds vom Juni dieses Jahres mit einem deutschen Teilbetrag von 284 Millionen Dollar qua Bundesbank mitfinanziert. Wir haben unseren ursprünglichen Beitrag zum Baseler Sterling-Abkommen, das ich vorhin erwähnt habe, um 50 Millionen ebenso wie die USA erhöht, weil Frankreich dort im Abseits blieb und sich nun zwei finden mußten, welche die Anteile, die eigentlich Frankreich geben sollte, zu übernehmen hatten.
Schließlich haben wir den deutschen Kapitalmarkt französischen Emittenten öffentlicher Verwaltungen und öffentlicher Einrichtungen geöffnet. Frankreichs Bahnverwaltung, Postverwaltung und Energieverwaltung werden in Kürze nicht unwesentliche Anleihen - das ist alles schon abgesprochen - in der Bundesrepublik plazieren.
Es ist vielleicht etwas unhöflich, wenn ich jetzt die Summe ziehe; aber ich möchte es dennoch tun. Insgesamt dürfte unser diesjähriger und sicherlich in dieser Höhe einmalige Konsolidierungsbeitrag von Deutschland für Frankreich an die Summe von zirka 900 Millionen Dollar heranreichen. Nicht zuletzt dieser selbstverständlichen Solidarität, die wir und andere geübt haben, ist es zu danken, daß der Franc verteidigt werden konnte.
Nun meine politische Schlußfolgerung. Ich sage sie ganz deutlich auf die Gefahr hin, anderenorts außerhalb unserer Landesgrenzen vielleicht allerhöchstes Stirnrunzeln zu verursachen. Das Beispiel, das ich eben mit den Zahlen über die monetäre Zusammenarbeit genannt habe, beweist doch: Praktisch kann heute keines der sechs Mitgliedsländer der EWG auf die EWG verzichten. Ich glaube, Sie wissen, welche Aussage ich damit auf Grund dieser monetären Kooperation in Richtung auf einen unserer Freunde mache.
Diesem Hause ist heute - dazu will ich nicht im einzelnen sprechen - das Zustimmungsgesetz zum Abkommen über die Sonderziehungsrechte im Internationalen Währungsfonds vorgelegt worden. Das Thema stand im übrigen auch und erneut in Washington zur Debatte. Die Sonderziehungsrechte sind das Ergebnis intensiver Verhandlungen vor
allem in der Zehnergruppe. Sie sind ein neues Reservemedium, mit dem die konventionellen Notenbankreserven, also Gold, Dollar und Pfund, ergänzt werden sollen, wenn diese im Verhältnis zum wachsenden Welthandel und wachsenden internationalen Kapitalverkehr knapp zu werden drohen. Ich möchte hinzufügen: die Sonderziehungsrechte vermeiden drei Schönheitsfehler der alten, traditionellen Reserven. Weder sind sie wie das Gold spekulationsgefährdet. Kein Goldproduzent, kein Goldhändler, aber auch kein Goldhorter hat dann Einfluß auf den Preis dieses neuen Mediums. Zur Zeit sind sie, Dollar und Pfund, ja noch abhängig von gewissen nationalen besonderen Problemen. In Zukunft sind Dollar und Pfund, um auf die beiden konventionellen Reservemittel einzugehen, unabhängig von nationalen Betriebsunfällen, von nationalen Schwächezuständen, aber auch von Stärkeanfällen, weil alles das, dann durch die Sonderziehungsrechte ersetzt wird. Keine nationale Regierung und Wirtschaftspolitik kann dann isoliert als Produzent oder Käufer oder Besitzer auf den Umfang der Weltreserven, ihre Vermehrung, ihre Verminderung und ihre Zusammensetzung Einfluß nehmen.
Die sechs Länder der EWG haben auf diese Verhandlungen über dieses neue System einen entscheidenden Einfluß genommen, und zwar nur deshalb, weil sie von München im Frühjahr 1967 - Finanz- und Wirtschaftsministerkonferenz der EWG - bis Rio im September 1967 auf dem Gebiet der internationalen Währungspolitik erstmals geschlossen aufgetreten sind, und dies vor allem deshalb, weil Deutschland in diesem Fall seine Vermittlerrolle zwischen Frankreich und den anderen Vier erfolgreich ausüben konnte. Die Sechs haben unter anderem erreicht, daß ihnen für alle wichtigen Entscheidungen - und das liegt Ihnen jetzt vor - im Währungsfonds eine Sperrminorität eingeräumt wird. Mit einem Stimmanteil von 17 % können die EWG-Länder zusammen bei wesentlichen Beschlüssen nicht überstimmt werden, denn dazu sind in Zukunft 85 % aller Stimmen in beiden internationalen Gremien notwendig. Die währungspolitische balance of power ist damit neu eingestellt, entsprechend dem wachsenden Gewicht unserer sechs Länder in der Weltwirtschaft.
Meine Damen und Herren, die EWG-Länder können diese Position der Sperrminorität aber nur dann ausnützen, wenn alle Sechs bei der Handhabung des Systems geschlossen auftreten. Dies sage ich jedem: to whom it may concern, oder in diesem Fall vielleicht treffender: à tous les intéressés.
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Ich kann Sie hier nicht mit den Einzelheiten des ganzen Systems vertraut machen. Das ist in der Denkschrift, die Ihnen vorliegt, alles dargestellt. Ich möchte nur folgendes grundsätzlich erklären. Die Sonderziehungsrechte sind auf keinen Fall dazu bestimmt, Weltinflation zu verbreiten oder eine bestehende nationale Inflation über die ganze Welt zu versteuern. Sie sind einzig und allein dazu da, das natürliche Wachstum des Welthandels mit der nötigen Liquidität, also mit den nötigen Zahlungsmitteln internationaler Art zu versehen. Ich muß hinzufügen - auch wenn es vielleicht nicht überall populär ist -: Diese neuen Sonderziehungsrechte sind keine spezielle Form der Entwicklungshilfe. Der grundsätzliche Unterschied zwischen der Kapitalhilfe und der Ausstattung einer Notenbank mit Reservemedien muß peinlich gewahrt werden. Sonst käme das ganze System der Sonderziehungsrechte im Sinne einer speziell geschaffenen Geldschöpfungsmöglichkeit für bestimmte Länder von vornherein ins Rutschen; und das darf nicht der Fall sein. Das Verfahren für die Beschlußfassung zur Aktivierung jeweils bestimmter Summen von Sonderziehungsrechten muß deshalb weise gehandhabt werden. Im übrigen sieht der Art. 4 des Ihnen vorliegenden Zustimmungsgesetzes vor, daß die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag über die jeweilige Aktivierung der Sonderziehungsrechte Bericht erstattet.
Alles in allem - und damit komme ich zum Schluß -: Die neuen Konferenzen und Vereinbarungen sind ein Schritt in Richtung auf ein neues, rationales Weltwährungssystem. Die Schwelle zur neuen Ordnung ist sogar schon überschritten. In ihr wird die Versorgung der Welt mit Währungsreserven durch kollektive Entscheidungen der beteiligten Länder im Fonds gesteuert werden. Wir vollziehen damit international, was wir national auch in Deutschland schon vor einer Generation mit Erfolg getan haben: den Übergang nämlich von dem simplen Goldmechanismus, der eine zufallsbedingte Geldversorgung hervorruft, zu einer bewußten und regulierten Zahlungsmittelbeschaffung durch die Beschlüsse der Notenbanken selbst. So geschieht es z. B. im nationalen Rahmen bei uns durch die Bundesbank.
Die Sonderziehungsrechte sind also ein weiterer Baustein zu einem internationalen Währungsgebäude, das wir - national gesehen - sozusagen als Eigenheim schon seit langem besitzen. Wir müssen dann alle im selben Weltwährungshaus leben und würden uns selbst schaden, wenn wir es nicht möglichst fest und sicher fundierten und ausrüsteten. Und wiederum muß ich mich - wie Sie wissen, gibt es hier einen Dissens - an eine bestimmte Adresse wenden: In diesem neuen Gebäude des Weltwährungssystems, dessen Ratifikationsgesetz Ihnen, wie gesagt, vorliegt, kann es kein Stockwerkseigentum geben. Das neue System kann nur - so möchte ich einmal sagen - in Gemeineigentum aller Hausbewohner funktionieren.
Aber wir sollten, wenn wir hier für internationale Zusammenarbeit plädieren, auch unser eigenes nationales Interesse betonen. Das will ich zum Schluß nennen, gerade deswegen, weil unser befreundeter westlicher Nachbar auch für die Argumentation mit nationalen Interessen ein besonderes Verständnis hat; das habe ich gerade bei meinem Freund Michel Debré und seinem Amtsnachfolger Ortoli immer wieder festgestellt. Mein nationales Argument für die Sonderziehungsrechte lautet: Die Sonderziehungsrechte werden eines Tages die bisherigen Reserveeinheiten Gold, Dollar und Pfund gewissermaßen plafondieren. Dafür werden eben
die neuen Sonderziehungsrechte aufgestockt werden, wenn Bedarf ist für weitere Medien. Das heißt, die neuen Sonderziehungsrechte werden dazu beitragen, daß die Deutsche Mark dann nicht unversehens in die Rolle einer Leitwährung hineingleitet. Das wollen wir auf keinen Fall. Einmal wissen wir aus der leidvollen Erfahrung anderer Länder: Leitwährung, das bedeutet heute mehr, man leitet eigentlich nicht, sondern man leidet sehr viel mehr unter dieser Bürde.
Zwar ist unsere „Deutschmark" - wie man drüben sagt - jetzt durch unsere Kapitalexporte quasi eine internationale Anleihewährung geworden. Aber das Ziel, eine Leitwährung, d. h. eine Leidenswährung zu werden, besteht, wie gesagt, für uns überhaupt nicht.
Die eidgenössische Position - mit dem Schweizer Franken ist es ähnlich - der Anleihewährung, so möchte ich sagen, ist uns im übrigen aus vielen, auch politischen Gründen gemäßer. Alles andere wäre für uns eine gefährliche Hybris. Auch hier müssen wir Maß und Mitte halten.
Um es zusammenzufassen: Im internationalen Konzert der Währungsordnung spielen wir jetzt unseren und einen sehr wichtigen Part. Wir stimmen unsere häuslichen Instrumente, z. B. in der Konzertierten Aktion, auf den Kammerton A ab, aber wir bestimmen damit wahrlich nicht das ganze Währungskonzert der Welt. Jedoch ist unsere Stimme heute unerläßlich eben für die Symphonie der internationalen Währung. Dabei gebrauchen wir unsere Instrumente in einer bestimmten Weise, nämlich nach eigenem Vermögen, nach Maß und im richtigen Takt.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Emde.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ziemlich schwierig, in dieser Debatte jetzt noch eine klare Richtung zu finden; nach den außerordentlich interessanten Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers, der uns den Blick in die weite Währungswelt hat tun lassen, nun zurückzufinden in die rauhe und nicht allzu erfreuliche Wirklichkeit unserer Probleme, mit denen wir uns heute herumzuschlagen haben. Es ist auch sonst etwas schwierig, nun in dieser Debatte einen roten Faden wiederzugewinnen, weil doch auch vorher die Diskussion etwas ducheinandergelaufen ist. Da war große Politik, da war Innenpolitik, da war Haushaltspolitik, da hat die Koalition untereinander und gegen die Opposition und die Opposition gegen den einen oder anderen Koalitionspartner diskutiert.
({0})
- Nein, wir nicht; wir sind nur eine Oppositionspartei, Herr Windelen, wir können also wirklich nicht untereinander diskutieren.
Erlauben Sie mir daher, einfach aus dem Stegreif auf die Argumente einzugehen, die im Laufe der letzten Stunden hier vorgetragen worden sind. Der Kollege Barzel hat hier eine recht wirkungsvolle und dramatische Darstellung gewisser Probleme gegeben. Ich bedaure, daß er im Moment nicht im Raum ist. Ich war viele Jahre mit ihm in koalitionspartnerschaftlicher Freundschaft verbunden. Ich fühle mich heute noch mit ihm in menschlicher Hochachtung verbunden. Aber ich kenne Herrn Kollegen Barzel ja sehr genau; ich weiß, nachdem ich in mancher Beratung neben ihm gesessen habe, wie er reagiert und wann er angreift. Wenn Herr Kollege Barzel so angreift, wie er es heute tut, dann deshalb, weil er sich in einer Drucksituation befindet und von dem Gesichtspunkt ausgeht: Angriff ist die beste Verteidigung.
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Ich meine, deshalb sollte man mir die Chance gönnen, einige Minuten hier auf die Dinge einzugehen, die Herr Kollege Barzel so recht dramatisch vorgetragen hat, nämlich in bezug auf einige unserer Anträge, die wir im Laufe der letzten zwölf Monate gestellt haben.
Da ist z. B. ein Antrag im Bereich der Landwirtschaft zur Errichtung eines Agrarfonds und ein Gesetzentwurf zur Förderung landwirtschaftlicher Investitionen. Beide stammen vom 11. und 12. März dieses Jahres. Wir haben diese beiden Anträge, die nach Darstellung von Herrn Barzel runde 250 Millionen DM ausmachen - ich glaube, die Zahl stimmt so ungefähr -, gestellt parallel mit Deckungsangeboten während der Haushaltsberatung im Haushaltsausschuß.
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Sie erinnern sich vielleicht noch genau daran, daß wir im Haushaltsausschuß und im Plenum eine Serie von Streichungsanträgen gestellt haben, bei denen man damals sagte: Diese Ausgaben wollen wir nicht mitmachen. Alle unsere Anträge waren abgedeckt durch Streichungsvorschläge an anderer Stelle. Pikant wird die Geschichte aber dann, wenn man sich vor Augen führt, daß einen Tag später, nachdem wir unsere Anträge gebracht hatten, die CDU ihren Antrag gestellt hat, der nach Eigendarstellung von Herrn Barzel etwa 1 Milliarde DM kosten soll.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Hermsdorf?
Aber gern!
Herr Kollege Dr. Emde, es ist sicher richtig, daß Sie Anträge im Haushaltsausschuß gestellt haben. Aber sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Sie selbst bei diesen Anträgen im Zweifel waren, ob das der richtige Punkt war?
Herr Kollege Hermsdorf, über diese Frage haben wir uns schon x-mal unterhalten. Ich werde an einer anderen Stelle meiner Ausfüh10242
rungen darauf zurückkommen. Ich will sie aber jetzt mit einem Satz beantworten. Wir waren damals und sind heute der Meinung, daß eine Verstärkung der konventionellen Funktionen unserer Bundeswehr unter Verzicht auf die Atomkomponente billiger ist als die heutige Form unserer Verteidigungsorganisation, und in diese Richtung stießen unsere Streichungsanträge.
({0})
Ich glaube, wir können in einer weiteren Runde in der zweiten Lesung über diesen Teil der Frage noch einmal debattieren. Nur ist unbestritten: Das, was wir zu streichen vorgeschlagen hatten, war erheblich höher als das, was wir bei der Landwirtschaft beantragten. Nur, der Antrag, den die CDU einen Tag später stellte, war nicht durch Deckungsvorschläge begleitet.
Zweitens. Wir haben uns im Frühjahr dieses Jahres in einem Komplex von Anträgen im Bereich der Mehrwertsteuer bewegt, die nach Erklärung des Herrn Kollegen Barzel - die Zahlen müssen aus dem Finanzministerium stammen, sonst könnten sie nach seiner Ansicht nicht richtig sein; er ist fest davon überzeugt, daß sie stimmen - so etwa bei 700 Millionen DM liegen. Diese Zahlen liegen genau in der Quote, mit der die zehnprozentige Mehrwertsteuer Mehrerträge gegenüber der alten Umsatzsteuer bringt.
({1})
In dieser Phase der Mehrsteuereinnahmen entstand unser Antrag, der das einzige Ziel haben sollte, die Mehrwertsteuer so praktikabel zu gestalten, daß erkannte Fehler des Gesetzes vor der Erhöhung auf 11 % noch herausmanipuliert werden.
({2})
Um auf das Ausbildungsförderungsgesetz zu kommen: Wir wissen, daß alle Parteien hier Anträge gestellt haben. Wir bekennen uns auch zu unserem Antrag. Nur möge man bitte nicht sagen, der kostet eineinhalb Milliarden mehr, sondern man möge saldieren und sehen, daß eine Fülle von im übrigen Haushalt verkleckerten Maßnahmen der Ausbildungsförderung wegfällt und im Saldo nicht eineinhalb Milliarden anfallen, sondern ein viel geringerer Betrag. Im übrigen liegen wir mit unseren Vorstellungen zur Ausbildungsförderung nicht weit entfernt von anderen Parteien. Ich stelle die Frage, Herr Kollege Barzel, ob Sie sich mit der Attacke auf diesen Antrag grundsätzlich gegen die Maßnahmen der Ausbildungsförderung gestellt haben. Ich kann mir das nicht vorstellen; denn hier ist doch die beste Methode, denen zu einer besseren Ausbildung zu verhelfen, die durch den Geldbeutel ihres Vaters sonst dazu nicht in der Lage sind.
({3})
Ich glaube, wir können damit die Dinge auf sich beruhen lassen und nunmehr zu dem eigentlichen Schwerpunkt unserer Aussprache kommen.
Gestatten Sie eine Frage von Herrn Dr. Barzel, Herr Emde?
Bitte schön!
Da offensichtlich die Attacke beendet ist, darf ich am Schluß fragen, ob wir miteinander verabreden können, die unterschiedlichen Zahlen der Prüfung durch das Bundesministerium der Finanzen anheimzugehen, damit wir dann sehen, wer sich hier geirrt hat und wer nicht. Vielleicht ist das eine gute Beendigung dieser ersten Abteilung Ihrer Intervention, Herr Kollege.
Herr Kollege Barzel, ich bezweifle ja gar nicht die Richtigkeit Ihrer Zahlen.
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Ich bezweifle nur die Richtigkeit Ihrer Argumentation. Daß wir in einem Teil der finanzpolitischen Analyse nicht weit voneinander entfernt sind, Herr Barzel, das werden Sie aus meinen nächsten Sätzen schon erkennen. Sie haben nämlich davon gesprochen, daß wir auf unserem Buckel einen Berg von Sorgen tragen. Genau damit wollte ich an sich meine Ausführungen beginnen, mit dem Buckel von Sorgen, die wir in Deutschland haben, mit dem Buckel von Sorgen, den diese Große Koalition trägt, wie Sie sich nennen. Ich wollte die Frage stellen, ob die Tatsache, daß wir nun zwei Jahre diese Regierung haben, ein Stück dieser Sorgen von unserem Buckel genommen hat .oder ob die Sorgen gleichgeblieben sind oder sich unter Umständen sogar vermehrt haben.
Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, der Haushalt, den Sie heute hier vorlegen, der Haushalt, den wir heute hier erstmals debattieren, ist kein Beweis dafür, daß Sie mit den Sorgen der Vergangenheit - bis auf einen Sektor, über den wir uns nachher noch besonders unterhalten werden
- im Generellen fertiggeworden sind. Denn dieser Haushalt ist nicht ein Symbolhaushalt, aus dem sich die Zusammenarbeit der Großen Koalition und die künftigen Absichten dieser Regierung ergeben. Er ist ein treues, solides, gutes Stück deutscher Hausmannsarbeit, darüber hinaus aber nichts weiter.
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- Ja, Herr Kollege Schmitt, gute Hausmannsarbeit. Aber der Herr Bundeskanzler hatte im Dezember 1966 mehr versprochen. Der Herr Bundeskanzler hatte 1966 hier vor der Öffentlichkeit angekündigt, daß er auf dem Wege sei, mit dieser Regierung die großen Probleme unseres Volkes zu lösen. Ich glaube, daß die großen Probleme vielleicht angefaßt, aber der Lösung kaum ein Stück nähergebracht worden sind, als wenn sich eine andere Regierung mit den gleichen Problemen hätte herumschlagen müssen. Denn wenn man die Zahlen, die in diesem Haushalt stehen, und die Reden, die diesen Haushalt begleiten, einmal genau untersucht, ergibt sich, daß er nicht die Erklärung einer großen künftigen Regierungsarbeit ist, auch wenn Sie diesen Haushalt mit einem Propagandawirbel begleiten und vielleicht soDr. Emde
gar selbst in den Glauben verfallen, daß das, was Sie der Öffentlichkeit erzählen, nun Tatsache sei.
Herr Staatssekretär Diehl hat heute morgen in der Fragestunde ein sehr interessantes Wort gesprochen - ich habe es mir aufgeschrieben, um es nicht zu vergessen -: man müsse mit einer so sensiblen Materie wie mit Nachrichten vorsichtig umgehen. Ich stelle die Frage, ob diese Vorstellung des Staatssekretärs auch für die .Regierung gilt. Ich würde ihm empfehlen, diese Vorstellung, die er heute morgen entwickelt hat, auch auf die Propaganda über diesen Haushalt auszudehnen.
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Wir haben den Eindruck, daß die Regierung auch nicht den Wunsch hat, den Haushalt im Laufe der nächsten Monate in der Ausführlichkeit und Öffentlichkeit zu debattieren, wie es an sich sein müßte. Denn wir haben gehört, daß der Haushalt sehr schnell erledigt werden soll, möglichst noch in diesem Jahr. Nun, wir wehren uns nicht gegen eine rasche Verabschiedung dieses Haushalts. Aber die rasche Verabschiedung darf nicht dazu führen, daß die notwendige parlamentarische Diskussion und die Diskussion hier in der Öffentlichkeit nicht so deutlich geführt wird, daß jeder weiß, worum es geht und welche Entscheidung wir hier fällen.
Wenn ich einen Blick auf die innere Struktur des Haushalts werfe, stelle ich fest, daß er im Vergleich zu den Vorhaushalten wenig verändert ist. Die investiven Ausgaben sind ein wenig verstärkt, und der Bereich von Wissenschaft und Forschung ist voll bedient. Wir begrüßen ganz ausdrücklich diese Tatsache, daß der Bereich der Wissenschaft und Forschung die Beträge erhält, die er gewünscht hat, als der Haushalt aufgestellt wurde. Aber die schwache Verstärkung der investiven Ausgaben insgesamt und (die Erfüllung der Wünsche eines Ministeriums können nicht die Lösung ,der gesamten Probleme sein, mit denen wir uns heute zu befassen haben.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben vor einigen Wochen, wenn ich richtig gelesen und richtig gehört habe, das große und für die Steuerzahler so bedeutsame und erfreuliche Wort gebraucht: Ruhe an der Steuerfront. Auf diese Ruhe haben sich ja viele gefreut. Denn nach zwei Jahren einer alle Bereiche unseres Steuer- und Abgabewesens erfassenden heftigen Steuererhöhungstätigkeit wäre Ruhe an der Steuerfront erste Finanzministerpflicht. Leider scheint in ,der Methode der modernen Dialektik, die auch bei uns eingezogen ist, das Wort „Ruhe ,an der Steuerfront" nicht für jeden die gleiche Bedeutung zu haben. Ich hatte, ich muß das ehrlich gestehen, mit meinem schlichten Abgeordnetenverstand und meinem Bürgerverstand angenommen - und in dieser Annahme fühlte ich mich auch geborgen in den normalen Vorstellungen unserer Partei -, daß „Ruhe an der Steuerfront" bedeuten würde: keine Steuererhöhungen, keine neuen Steuern. Inzwischen weiß ich, daß ich einem Trugschluß erlegen bin und daß Sie, verehrter Herr Strauß, in Ihren Begriff der „Ruhe an der Steuerfront" z. B. die Einführung einer neuen Steuer, nämlich der Verkehrssteuer für die LKWs, einbeziehen. Nun weiß icht nicht genau, wie ich mich in der Zukunft verhalten soll, wenn mir jemand - und ein so bedeutsamer Jemand wie Sie, Herr Finanzminister - von Ruhe ,spricht.
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Ich unterstelle Ihnen dabei, daß diese zusätzliche Steuer Ihnen wie ein Findelkind vors Haus gelegt worden ist, nämlich von Ihrem Koalitionskollegen Leber. Aber Sie haben dieses Findelkind mit großer Freude genommen, weil es Ihren Einnahmesegen bereichert, und Sie haben sich insofern auch in das Paket der Nutznießer dieser Steuer einbezogen. Wir sollten in Zukunft sehr genau überlegen, was wir in der Darstellung unserer Wünsche und Absichten meinen.
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So von Zweifeln beladen, muß ich natürlich nun auch die Reden des Parlamentarischen Staatssekretärs, unseres verehrten Kollegen ,aus dem Haushaltsausschuß, Leicht, betrachten, der in orakelhafter Weise davon spricht, daß - ausgelöst durch außenpolitische Vorgänge, die wir ja alle kennen - neue Belastungen unter Umständen ,auf den Bürger zukämen. Es wäre nett, wenn dieses Orakel aufgehellt würde und wenn im Laufe der Haushaltsberatungen und der Diskussion der nächsten Wochen und Monate in präziser und für den deutschen und normalen Menschen verständlicher Sprache erklärt würde, was der Finanzminister und der Parlamentarische Staatssekretär meinen, ob sie glauben, daß tatsächlich Steuern erhöht werden müssen, oder ob man der Meinung ist, auch künftige Belastungen des Bundeshaushalts mit der gleichen Steuerhöhe abfangen zu können, die wir zur Zeit haben.
Denn wenn ich sage: „Wir müssen wissen, was wir tun, und unsere Reden sollten so sein, daß sie auch vom Volk verstanden und geglaubt werden", hat das eine tiefere Bedeutung. Wirsind uns doch alle einig 'darüber, daß große Teile unseres Volkes und insbesondere große Teile der Jugend mit viel Skepsis das betrachten, was die Politik tut. Wir kennen doch das Wort vom „Unbehagen am Staat". Wir wissen doch, wie kritisch man Äußerungen führender Politiker gegenübersteht. Gerade darum sollte es unser aller Bemühen sein, gleichgültig, in welcher Partei wir tätig sind und wo wir im Moment stehen, das Vertrauenskapital der parlamentarischen Demokratie auch durch klare Worte und durch klare Begriffe zu stärken und nicht weiter in schwimmendes Licht zu tauchen.
Der Bundeswirtschaftsminister hat vor Jahren den Begriff der sozialen Symmetrie geprägt. Er hat zur Verwirklichung der sozialen Symmetrie für das Jahr 196g Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgefordert, Lohnerhöhungen vorzunehmen, und er hat als vernünftige Untergrenze solcher Lohnerhöhungen eine Quote von 6 % genannt. Ich glaube, Herr Bundeswirtschaftsminister, das, was ich hier sage, stimmt. Denn ich erinnere mich selbst, Sie an einem Samstag oder Sonntag zu Hause im Fernsehen bei einer Ihrer Reden gehört und gesehen zu haben. Es mag natürlich sein, daß das eine der vielen Sonntagsreden war, deren Wert nicht so voll zu messen ist
wie eine Erklärung an anderer Stelle. Aber ich habe noch sehr deutlich in Erinnerung, daß Sie dort von 6 % sprachen. Ich will hier nicht untersuchen, ob diese Quote richtig ist. Aber ich gehe davon aus, daß, wenn Sie, Herr Wirtschaftsminister, von 6 % sprechen, diese 6 % natürlich die Ausgangsbasis für die Überlegungen aller Bereiche der Arbeitnehmerschaft sein müssen, wenn wir von sozialer Symmetrie sprechen.
Wir wissen aber, daß die Bundesregierung für den öffentlichen Dienst nur 5 % vorgesehen hat und daß diese 5 % erst auf die richtige Ausgangsquote gebracht worden sind, nachdem sich die Beamtenbünde recht hart und klar geäußert haben und nachdem es Gespräche mit dem Bundesfinanzminister gegeben hat. Wir freuen uns, daß die Regierung noch zum richtigen Zeitpunkt die Berechnungsquote auf den Anfang des Jahres 1968 umgestellt hat. Aber wir wissen doch, daß die Eisenbahnergewerkschaft 8 % fordert. Und, meine Damen und Herren von der Regierung, das Problem liegt doch nicht allein bei der Besoldung des öffentlichen Dienstes des Bundes. Wie soll das Ganze bei den Gemeinden finanziert werden? Sie wissen, wie die Finanzsituation der Gemeinden ist, daß in kaum einem Gemeindehaushalt die 5 %, mit denen wir test rechnen müssen, eingebaut sind und daß die Hoffnungen, die wir auf die große Finanzreform setzen, erst im Jahre 1970 den Gemeinden eine sonderlich höhere Einnahmequote bringen werden.
Herr Bundeswirtschaftsminister, das war die Frage, die ich in Richtung sozialer Symmetrie gestellt habe. Wir stimmen dem Grundgedanken dieser Überlegung zu, aber der Grundgedanke muß beinhalten, daß alle Teile in einem möglichst gleichen Maße berücksichtigt werden und daß man nicht ganze Gruppen mit einer geringeren Zuwachsquote bedenkt als andere Teile der Wirtschaft, die das im Rahmen einzelner Lohnverhandlungen erledigen können.
Eine zweite Bevölkerungsgruppe, über die nach unserer Überzeugung bei den Überlegungen hinsichtlich der sozialen Symmetrie auf jeden Fall mit diskutiert werden müßte, sind doch die Kriegsopfer, für die in der mittelfristigen Finanzplanung erst ab 1970 Mittel vorgesehen sind mit der Erklärung, man habe das ja im Jahre 1968 so angekündigt. Ich möchte hier doch vorschlagen, im Haushaltsausschuß durch sinnvolle Überlegungen zu versuchen, ob man nicht an der einen oder anderen Stelle überflüssige Ausgaben streichen und den einen oder anderen Betrag freimachen kann, um ihn für eine Verbesserung der Kriegsopferversorgung einzusetzen. Wir werden uns von unserer Fraktion aus im Haushaltsausschuß darum bemühen und entsprechende Vorschläge machen. Ich appelliere in aller Sachlichkeit an die Kollegen der beiden anderen Fraktionen, das doch einmal in ihren Reihen zu diskutieren und sich nicht schon heute in der einen oder anderen Richtung festzulegen.
Denn es ist doch unbestritten, daß in der Stunde, in der die Steuern und die Einnahmen leichter und besser fließen, an allen möglichen Stellen schon wieder begonnen wird, Geld auszugeben, ohne daß nun dafür die unbedingte Notwendigkeit besteht. Ich will nur einen mich persönlich etwas amüsierenden Sektor betrachten. Die Ministerien überschlagen sich in der Herausgabe von Informationsblättern. Was flattert einem da heute alles ins Haus aus dem Wirtschafts-, Finanz- und Entwicklungsministerium! Das kann man doch gar nicht alles lesen. Ich bitte die Herren, die für diese Dinge zuständig sind, sich einmal zu überlegen, ob das ein normaler Abgeordneter im Rahmen seiner Arbeitszeit überhaupt verdauen kann, was ihm da ins Haus geschickt wird. Die Reden, die der Wirtschaftsminister hält, sind sicherlich von erheblicher Bedeutung. Aber müssen sie nun alle in Paperback-Form unter das Volk gebracht werden? Braucht das Finanzministerium ein Informationsblatt, das sich gelegentlich auch noch eines kämpferischen Stils befleißigt, wenn man gelegentlich Schüsse auf die Opposition oder auf Herrn Fredersdorf abgibt? Ich meine: wenn schon Information, dann sollte man die kämpferischen Teile dem „Bayern-Kurier" überlassen und aus dem Ministerium die reine Information herausgeben.
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Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dieser Haushalt hätte ein Symbol der Tätigkeit sein können. Er ist in vieler Hinsicht ein Symbol verpaßter Gelegenheiten. Die verpaßten Gelegenheiten werden deutlich, wenn man die Frage der Finanzplanung betrachtet. Die mittelfristige Finanzplanung, die große Wunderwaffe der Jahre 1966 und 1967, ist der veränderten Entwicklung des laufenden Jahres angepaßt worden. Aber gerade diese Anpassung zeigt die Schwierigkeiten der mittelfristigen Finanzplanung und zeigt auch alle ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten. Die Veränderung erfolgt auf beiden Seiten, auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite. Auf der Ausgabenseite ist ein Teil der zwangsläufigen Mehrausgaben eingebaut worden. Damit ist begrüßenswerterweise die mittelfristige Finanzplanung erheblich realistischer geworden, als sie im vorigen Jahr war, und insofern stimmen wir ihr ausdrücklich zu. Es ist richtig, erkannte Notwendigkeiten einzubauen, und zwar in der realistischen Höhe einzubauen. Aber hier kommt auch sofort der Mangel. Wir glauben nämlich nicht, daß tatsächlich alle Mehrausgaben veranschlagt sind, mit denen diese Regierung und dieser Bundestag in Zukunft rechnen müssen.
Was sollen wir denn sagen, wenn der Verteidigungsminister und wesentliche Teile der Regierungskoalition ständig darauf hinweisen, daß die Verteidigungskosten in der Zukunft bedeutsam ansteigen würden? Wir haben in dieser mittelfristigen Finanzplanung nichts für das sogenannte OffsetAbkommen, also für die Stationierungskosten vorgesehen. Es ist nichts für die Rüstungskäufe vorgesehen, die wir im Verlauf der Verhandlungen von Frankreich abgefordert bekamen. Ich denke da an eine Rede, die unser verehrter Kollege Schmidt im Jahre 1966 hier gehalten hat; ich glaube, es war im Oktober oder Ende September 1966. Der Haushaltsausschuß befand sich damals gerade auf einer Bereisung in Norddeutschland, und wir hörten Ihre Rede, Herr Kollege Schmidt, im Omnibus an. Sie
sprachen damals, als Herr Erhard aus Amerika zurückgekommen war, und fragten ihn: Herr Bundeskanzler, wie wollen Sie das alles machen? Wie stellen Sie sich das vor? - Sie erinnern sich noch daran, daß Sie auch damals Offset-Abkommen, Rüstungskäufe und all diese Dinge als Fragen in den Raum stellten. Wir sind heute immer noch in der gleichen Situation. Wir sind auch heute nicht in der Lage, im Rahmen der Finanzvorschau für die nächsten Jahre solche schwerwiegenden Dinge einzubauen. Die Frage, die hier von mir gestellt werden muß, könnte genauso gestellt werden, wie Sie sie damals aus Ihrer Oppositionsrolle heraus mit vollem Recht und in vollem Ernst gestellt haben. Ich bitte, mir denselben Ernst und dasselbe Recht zuzugestehen, wenn ich sage: Herr Bundesfinanzminister, wie wollen Sie das einbauen? Wie glauben Sie hier in dieser Richtung operieren zu können?
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Schmidt?
Bitte schön!
Herr Kollege Emde, zufällig erinnere ich mich an jene Auseinandersetzung deswegen sehr genau, weil ich sie gestern abend noch einmal nachgelesen habe, weil ja das Thema „Offset" hochaktuell ist. - Aber würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß ein Unterschied zwischen der damaligen Situation und der heutigen insofern besteht, als die damalige Bundesregierung eben ohne sorgfältige Prüfung dessen, was ihr finanzpolitisch möglich war, eine Abmachung getroffen hatte, die rückgängig zu machen sie sich in der Form eines Regierungsbesuchs mit Familie in Washington bemühte, was ihr nicht gelang, daß sie dann hinterher allerdings von uns gefragt wurde, wie sie denn aus dem selbst geschaufelten Grab herauskommen wolle, während dagegen in der gegenwärtigen Situation Abmachungen noch nicht getroffen sind, sondern, wenn ich es richtig verstehe, im Augenblick untersucht wird, ob und wieweit wir angesichts unserer finanziellen Leistungsfähigkeit in der Lage sind, für den Zeitraum nach dem 30. Juni des nächsten Jahres neue Verabredungen zu treffen? Wir sprechen doch im Augenblick nicht ex post facto, sondern ex ante facto, im Vorwege. Wir sind noch auf nichts festgelegt, bis auf die grundsätzliche Erklärung, die hier von der Regierung und von den beiden Regierungsfraktionen abgegeben wurde, daß wir das Off-set-Problem für ein fundamentales Problem der Lebensfähigkeit der Allianz halten, an dem man nicht vorbeigehen kann.
Ich bitte um Entschuldigung für die lange Unterbrechung. Aber würden Sie mir nicht zustimmen, daß insofern zwischen der Situation, an die Sie erinnern, und der gegenwärtigen wirklich ein grundlegender Unterschied besteht?
Ich habe diese Abweichung des Herrn Kollegen Schmidt von der normalen Regel für Zwischenfragen zugelassen, weil diese Intervention zweifellos geeignet war, mehr Klarheit zu schaffen.
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- Ja, wenn es so ist wie jetzt, mag man diese oder jene Ausnahme machen.
Herr Kollege Schmidt, ich danke Ihnen sogar für diese Frage; denn ich stimme dem, was Sie mich gefragt haben, voll zu.
Es besteht ein fundamentaler Unterschied. Es waren damals vom Bundeskanzler bei einem Besuch in Washington ohne Vorausschau auf die Möglichkeiten des Haushalts Zusagen gemacht worden. Aber ich glaube, Sie stimmen auch mir zu, daß gerade ich hier aus der Koalition als erster diese Zusagen in aller Schärfe attackiert hatte - unter manchen Protestrufen aus diesem Hause. Ich glaube, insofern gehen wir bei der Betrachtung sogar von gleichen Ausgangsstellungen aus, und ich stimme Ihnen auch weiter zu, Herr Kollege Schmidt, daß heute noch keine Zusagen gemacht worden sind. Aber ich glaube, Sie werden mir zustimmen, wenn ich annehme, daß Sie meinen Hinweis begrüßen; denn das, was ich hier sage, soll deutlich machen, daß die Regierung in ihren Handlungen nicht frei ist, sondern sich nach den Möglichkeiten unserer Wirtschaftskraft richten muß, und daß verhindert werden muß, daß aus irgendwelchen sogenannten übergeordneten Überlegungen dann nachher Entscheidungen gefällt werden, die nicht honoriert werden können.
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Davor zu warnen, das hielt ich hier im Moment für meine Pflicht.
Ich bin davon überzeugt, daß jeder in der Regierung und jeder Sachverständige in der Koalition weiß, daß die Ausgabenseite der mittelfristigen Finanzplanung realistischer ist als in der Vergangenheit. Er weiß aber auch, daß wir noch nicht zum Ausgleich gekommen sind. Hier ergibt sich die Frage, und damit schließe ich an das an, was Kollege Schmidt gefragt hat: wie stellt sich die Regierung vor, im nächsten Jahr zu operieren, wenn tatsächlich aus gewissen. politischen Überlegungen heraus, die besonders im Schoße der CDU gepflogen werden, im Rahmen der Allianz zu erklären ist: wir müssen unsere Verteidigungskraft stärken, und man nicht zu einer Umstrukturierung der Bundeswehr kommt, sondern zusätzliche Ausgaben gefordert werden? Wie will dann der arme Finanzminister operieren? Will er dann an anderen Stellen Streichungen vornehmen, was ich sehr bezweifle, oder ist dann an das Orakel gedacht, das Kollege Leicht genannt hat, indem er davon sprach, daß unter Umständen zusätzliche Lasten auf unser Volk zukommen würden? Ich glaube, wir alle wären dem Finanzminister dankbar, wenn er in der zweiten Lesung bei seinem Haushalt oder beim Einzelplan 60 diese Fragen behandelte. Er kann von uns die Versicherung hinnehmen, daß wir ihn gegen Mehrausgaben in diesem Bereich mit aller Kraft unterstützen werden.
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Aber, meine Damen und Herren, es muß auch die Einnahmenseite betrachtet werden, die Einnahmenseite, bei der die Deckungslücken ausgefüllt worden sind, indem man die Schuldenquote des Bundes erheblich erhöht hat. Und hier haben wir eine Grundsatzdiskussion erlebt. Die einen sagen: dieses Land ist ja gar nicht sonderlich verschuldet, und wir können mit unseren Schulden noch erheblich höher gehen.
Meine Damen und Herren, so darf man nicht argumentieren. Wir haben zwei Inflationen gehabt. Und daß wir im Jahre 1949 bei der öffentlichen Hand mit relativ kleinen Schulden begonnen haben, ist die Folge einer zweimaligen Entschuldung des Staates zu Lasten seiner Bürger. Also Vergleiche mit anderen Ländern sollte man nicht anstellen, sondern man sollte einfach ausgehen von den politischen und ökonomischen Notwendigkeiten, aus denen heraus wir unsere Darlehenspolitik im Lande betreiben.
Dann ergibt sich aber folgendes: Die Nettoverschuldung des Bundes - ich beziehe mich hier auf Zahlen des Bundesfinanzministeriums - betrug im Jahre 1966 21,2 Milliarden DM und soll im Jahre 1970 43,7 Milliarden DM betragen. Das ist also mehr als eine Verdoppelung in vier Jahren. Werden wir uns, wenn wir uns diese Zahlen vor Augen führen, nicht klar darüber, daß die Große Koalition in Wirklichkeit doch nur deshalb den wirtschaftlichen Aufstieg erreichen, den Kampf gegen die Rezession nur deshalb führen konnte, weil sie im Jahre 1966 eine so geringe Schuldenlast vorgefunden hat? War nicht die Ausgangsstellung mit eine entscheidende Voraussetzung für das Abfangen der Rezession?
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Und Herr Kollege Schmidt, hier die Frage wirklich ohne alle Polemik, in allem Ernst, weil es ja darum geht, klare Tatbestände aufzuführen: Hatten wir nicht die Stabilität der Währung und der Preise im Jahre 1966 mit der Rezessions- oder mit der Dämpfungspolitik bereits erreicht? Ich habe damals Ihnen, den Herren von der SPD, zugestimmt, daß im November 1966, zu einem Zeitpunkt, als die Bundesbank noch nicht erkannte, daß man umschalten mußte, es damals notwendig war, umzuschalten.
Nun, Herr Kollege Möller, Herr Kollege Hermsdorf und Herr Schoettle, wieviel Gespräche hat es damals zwischen uns. gegeben! Ist damals nicht über den ersten Investitionshaushalt geistig und sachlich Übereinstimmung zwischen uns gewesen? Unbestritten. Aber daß wir die Währungs- und die Preisstabilität 1966 erreicht hatten, kann niemand bestreiten.
Wir sind heute in der glücklichsten Phase einer konjunkturellen Entwicklung, in der Phase nach Durchlaufen eines Tals, in der Phase, in der im Tiefpunkt des Tals die Wirtschaft mit relativ geringen Ausnützungsquoten ihrer Produktivität gearbeitet hat und jetzt auf volle Ausnützungsquoten von 90 oder 95'°o aufsteigt in einem Moment, in dem die Lohnentwicklung, die ja in einer solchen Aufstiegsphase hinterherhinkt, sich noch nicht ausgewirkt hat, sondern erst im nächsten Jahr kommen wird. Wir sind jetzt in der glücklichsten Situation einer Konjunkturentwicklung.
Herr Kollege Schmidt, wenn in einer solchen Situation aufsteigender Konjunktur kein anderer Weg besteht, als in solch großem Umfang Darlehen aufzunehmen, wie es in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist, dann komme ich allerdings zu .der Folgerung, die der Kollege Barzel heute mittag hier vorgetragen hat: Wir haben noch einen großen Buckel voll Sorgen.
Ich bin der letzte, der die Regierung Erhard hier prinzipiell in Schutz nimmt. Ich habe, als die Regierung Erhard noch existierte und ich hier für meine Partei die Haushaltspolitik der Regierung zu vertreten hatte, immer wieder auf Mängel und Fehler hingewiesen. Man konnte der Regierung Erhard allen Ernstes den Vorwurf machen, große Finanz- und Haushaltsprobleme noch nicht gelöst oder nicht angefaßt zu haben. Aber, meine Herren von der Koalition, sind die Probleme denn jetzt tatsächlich gelöst? Sind sie wirklich aus der Welt geschafft? Haben wir denn in Wirklichkeit nicht nur mit dieser Darlehnspolitik gerade den Weg aus dem Tal herausgefunden? Das hätten wir auch getan. Darüber waren wir uns auch in den Koalitionsgesprächen mit Ihnen einig, daß man mit Milliarden in den Darlehensmarkt hineingehen mußte, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. - Herr Kollege Schmidt, Sie schütteln den Kopf. Nein, es gab damals keinen anderen Weg für einen vernünftigen Nationalökonomen.
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Das war ein Zwischenruf, Herr Kollege Schmidt.
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Ach Gott, Herr Kollege, man darf da nicht jedes einzelne Wort auf die Waagschale legen.
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- Nein, nein, das ist nicht ausgewichen. Ich kann Ihnen nur mitgeben - wir haben uns darüber ja auch schon einmal unterhalten -, daß der Kollege Starke auch dem ersten Investitionshaushalt zugestimmt hat, daß wir den zweiten Investitionshaushalt nicht allgemein abgelehnt haben, sondern nur gesagt haben: Nein, weil wir nicht ganz in diese Höhe gehen wollten, weil wir nicht einverstanden waren mit den Steuererhöhungen, die zur gleichen Zeit vorgenommen wurden. Daß wir insgesamt in der Methode, in einer abgefahrenen Konjunktur mit der Darlehensspritze arbeiten zu müssen, voll mit
Ihren Überlegungen übereinstimmten, ist nie bestritten worden.
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- Nein. Sehen Sie, da haben sich die Geister geschieden. Denn mit diesen Steuererhöhungen haben Sie nicht mehr Geld in die Bundeskasse gebracht, Sie haben in Wirklichkeit nur den Genesungsprozeß um einige Monate verschoben. Wir hätten auch ohne die Steuererhöhungen die Dinge genauso hochfahren können; der Haushalt wäre genauso ausgeglichen wie heute.
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Herr Kollege Schmidt, es ist doch nichts von den großen Ausgabeblöcken weggebracht. Schauen Sie an: Wir werden selbst in der aufsteigenden Konjunktur, in der alles voll arbeitet, in der der Bundeshaushalt noch nicht mit den zusätzlichen Ausgaben für den öffentlichen Dienst belastet ist, jedes Jahr 4, 5, 6 Milliarden DM zulegen müssen, um zum Ausgleich zu kommen.
Nun darf ich Ihnen einmal aufzählen, welche Dinge noch nicht gelöst sind und wo für die Lösung überhaupt keine Chance gegeben ist. Was wollen Sie mit der Gemeindefinanzreform machen? Ich habe die Frage an den Kollegen Hermsdorf heute morgen auch nicht aus Bosheit gestellt, als ich sagte: Glauben Sie, daß mit dem, was in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist, die Finanznöte der Gemeinden überwunden werden können? Herr Kollege Hermsdorf mußte mir zugestehen: nein. Es ist nicht damit getan, daß den Gemeinden 1,5 oder 1,8 Milliarden DM mehr zufließen, von denen im nächsten oder übernächsten Jahr doch wieder 500 Millionen DM entfallen, weil diese Aktion des 1 %, das der Bund an die Länder gibt, ja nicht unbegrenzt fortgeführt wird. Wir wissen aber doch, daß die Finanznot der Gemeinden weit über 3 Milliarden DM liegt, daß dann immer noch ein gewaltiges Deckungsloch an einer Stelle liegt, wo man nicht auf die Ausgaben verzichten kann.
Ich stelle die Frager nicht in der Weise, daß ich darauf hier heute eine Antwort wüßte. Ich sage nur: Auch die heutige Koalition hat die Probleme, die sie vorgefunden hat, nicht lösen können. Sie hat den Karren ein Stück weiter gefahren, vielleicht aus einer matschigen Wiese in eine feuchte Wiese - um mich in der Marschen-Diskussion des norddeutschen Kollegen weiter zu bewegen -; aber heraus ist er noch nicht. Wir sind gern bereit und sind gewillt, hier in jeder Weise mitzuarbeiten, um den Weg nach oben zu finden. Aber daß der Buckel noch von Sorgen belastet ist, darüber gibt es keinen Zweifel.
Aus dem, was hier heute morgen und heute nachmittag zwischen den Koalitionspartnern besprochen worden ist, hat man doch immer wieder den Eindruck gewonnen, daß der Start zu den großen Lösungen versackt ist, daß, gleichgültig wer nun
Wahlkampf beginnt, die Beteiligten sich auf jeden Fall bemühen, ihre gegenseitigen Positionen so voreinander abzugrenzen, daß man draußen vor der Öffentlichkeit sagen kann, wir unterscheiden uns so, oder wir unterscheiden uns so. Wir nehmen das auch gar nicht übel. Wir haben das in der alten Koalition auch getan. Nur: Sie haben uns vorgeworfen, wir seien Opposition in der Koalition gewesen. Wir sind gar nicht so weit gegangen. Wir haben nur Wert darauf gelegt, einmal vor der Öffentlichkeit gegensätzliche Äußerungen der Regierungspartner darzulegen, um deutlich zu machen, daß sich diese Große Koalition nunmehr in einem Zustand befindet, in dem die Euphorie der ersten Monate vorbei ist und man jetzt nüchtern mit unterschiedlicher Meinung den Fragen gegenübersteht.
Wenn ich hier soeben über die Gemeindefinanzreform gesprochen habe, die nicht durchgeführt ist - denn die Verschiebung auf 1970 bedeutet ja nichts -, dann denke ich auch voller Sorge an die große Steuerreform. Da hat die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt. Was soll die Kommission? Ist sie ein Deckmantel dafür, daß man nichts mehr tun kann, ist sie das Hilfsargument, mit dem man dann vor der Öffentlichkeit darlegen will, wie sehr man sich bemüht habe, oder ist diese Kommission tatsächlich gewillt und glaubt die Regierung oder die Koalition, daß sie noch eine Arbeit für diese Legislaturperiode erbringen könnte?
Ähnlich ist es in der Sozialpolitik mit dem Sozialkabinett. Was ist das Sozialkabinett? Ist es auch eine Tarnung des nicht Erfolgten mit der Möglichkeit, dann in weiten Bereichen draußen Einzelforderungen aufzustellen, oder soll es noch in dieser Legislaturperiode Dinge zustande bringen? Mein Kollege Mischnick hat heute morgen über diese Fragen gesprochen, und mein Kollege Spitzmüller steht bereit, falls es noch einmal zu einer sozialpolitischen Runde kommen sollte, diese Dinge im einzelnen zu behandeln.
Eine andere Aufgabe, die diese große Koalition erledigen wollte, ist in keiner Weise angepackt worden: die Verwaltungsreform. In der Verwaltungsreform ist außer der Einsetzung von Kommissionen nichts geschehen. Wir bedauern das.
Ich habe voriges Jahr versucht, dem Kollegen Strauß etwas Schützenhilfe zu geben. Ich habe hier einen Antrag eingebracht, man möge den Paßkontrolldienst mit dem allgemeinen Zolldienst zusammenlegen. Dieser Antrag hat einen glorreichen Untergang in irgendeinem Ausschuß gefunden. Man hat ihn noch nicht einmal in der Sache diskutiert, obwohl alle Beteiligten wissen, daß es einfacher und besser wäre, beide Bereiche zusammenzuziehen, daß dann die Fortkommensmöglichkeiten für die Leute des Paßkontrolldienstes besser wären, daß man an verschiedenen Stellen Geld sparen würde. Es ist einfach nicht lösbar, obwohl beide Minister, die betroffen sind, zur gleichen Partei gehören.
Aber das, was der CDU recht ist, ist der SPD billig.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Haase?
Herr Kollege, wissen Sie nicht, daß erst vor etwa vier Wochen das Gutachten des Bundesrechnungshofes eingegangen ist, der diese Zusammenhänge untersucht hat? Wir können den Fragenkomplex Paßkontrolldienst doch jetzt erst abhandeln.
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Herr Kollege Haase, ja, das Gutachten ist vor vier Wochen eingegangen. Aber alle Beteiligten, auch in den Ministerien, auch Kollege Strauß, waren doch der Meinung, daß es besser sei. Wir warten doch nicht bei jeder Entscheidung auf Gutachten. Wenn wir überall auf Gutachten warten würden, o jümmich, wo würden wir da hinkommen!
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Aber es wäre schön - wir kommen ja jetzt wieder in die Debatte hinein -, wenn nunmehr auf der Basis dieses Gutachtens Entscheidungen gefällt würden.
Wir sind in der Entwicklungspolitik noch immer nicht dazu gekommen, daß Kapitalhilfe und technische Hilfe - beides Dinge, die in der Hand von SPD-Ministern sind - so zusammengefaßt werden, daß draußen ein hoher Effekt erzielt wird. Ich war in der vorigen Woche einige Tage in Tunesien und habe mir dort die Entwicklungshilfeprojekte angesehen und mit den Leuten gesprochen. Jeder klagt, technische Hilfe und Kapitalhilfe paßten nicht zusammen. Ja, war es denn nicht möglich, zwischen den Kollegen Schiller und Wischnewski und jetzt den Kollegen Schiller und Eppler zu einer Lösung zu kommen?
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Sind Bahn und Post endlich so weit, ihren Omnibusdienst in eine einheitliche Anstalt zusammenzuführen? Muß nun immer noch gewartet, diskutiert, hin- und hergezuckelt werden? - Kollege Conring winkt ab. Wir haben schon seit Jahren darüber gesprochen. Sie glauben auch nicht mehr an Wunder. Sie glauben auch nicht mehr an Realitäten. Herr Kollege, ist das denn nicht traurig, muß das denn nicht zutiefst beklagt werden? Wenn Sie draußen im Lande sehen, daß Bahn und Post noch in Parallelkonkurrenz zu den örtlichen öffentlichen Verkehrsträgern fahren, dann schreit das doch nach einer Reorganisation, dann schreit das doch nach einer Verbesserung der Verhältnisse.
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Heute ist gesagt worden - ich weiß nicht mehr, ob vom Kollegen Schmidt oder Barzel -, unser Antrag, drei Bundesländer zusammenzufassen, hätte gar nicht so behandelt werden können. Man könnte diese Dinge nicht so aus dem Handgelenk erledigen. Ja, wann will man es denn machen? Nicht zu Ende der Legislaturperiode, nicht zu Beginn, nicht mittendrin! Wann wird das Problem denn einmal angepackt? Überall im Lande drängen doch die Leute danach, daß wir größere Verwaltungseinheiten schaffen. Wann jemals kann eine Regierung oder eine Koalition so etwas lösen, wenn nicht diese, die 90 % der Abgeordneten hier hat, unterstützt von den 10 % der Opposition, die das gleiche will; wenn man im Bundesrat die absolute und verfassungsändernde Mehrheit hat? Wann jemals soll dieses Problem angepackt werden?
Das hatte uns der Kanzler im September 1966 vor Augen geführt. Viele haben geglaubt, viele haben gehofft. Wir bedauern zutiefst, daß es nicht dazu gekommen ist. Ich freue mich nicht, hier für meine Partei diese Kritik üben zu müssen. Ich hätte es viel lieber gehabt, wenn man mehr hätte positiv behandeln und begrüßen können, als es der Fall ist. Hier geht es doch um Fragen, die uns alle gemeinsam betreffen. Das ist doch kein parteitaktisches Vorgehen. Wenn man die Große Koalition geschaffen hat, um die Probleme unseres Volkes zu lösen, dann mußten auch diese Probleme mit einbezogen werden. Wer weiß, wann sich diese Chance wieder bietet.
Meine Damen und Herren, die Etatdebatte wird Ihnen nicht mehr viel Raum und Zeit geben, mit all diesen Fragen fertig zu werden. Ich bezweifle, daß es in den nächsten Monaten gelingt, mehr als Übergangslösungen, mehr als Hilfskonstruktionen für den einen oder anderen Fall zu finden. Dann wird sicherlich der Wahlkampf auch zwischen den Koalitionspartnern entbrennen. Wir beklagen das gar nicht. Es ist das normale Recht jeder Partei, sich in der Wahl und vor der Wahl deutlich auch gegenüber dem Koalitionspartner abzusetzen und zu äußern. Die Fristen, die Ihnen zur Verfügung stehen, um die Aufgaben zu lösen, die Sie sich gestellt haben, betragen nur noch wenige Wochen. In einigen Monaten werden Sie gewogen werden, nicht an dem, was man propagiert, sondern an dem, was man geleistet hat. Diese Leistung wird mit den Worten verglichen werden, die der Kanzler hier im Dezember 1966 gesprochen hat.
({3})
Meine Damen und Herren, ich gebe bekannt, daß Herr Kollege Dr. Wuermeling einen Diskussionsbeitrag zu Protokoll gegeben hat.*)
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben von den beiden Beiträgen, die die Opposition bis jetzt geleistet hat, erwartet, daß sie eine sehr harte und in der Sache fundierte Kritik bringen würden. Als zweiten Teil konnte man erwarten, daß sie dann konstruktive Gegenvorschläge, so wie ,es der Opposition zukommt, bringen würden.
({0})
*) Siehe Anlage 2
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe zu, die Opposition hat es insofern schwer gehabt, als nämlich die Regierungserklärung, die ja die Basis dieser Debatte sein muß,
({1})
sehr vorsichtig formuliert war. Herr Kollege, ich meine jetzt die Regierungserklärung nach Bildung der Großen Koalition.
({2})
Ich habe heute in dieser Regierungserklärung, die bei Gründung der Großen Koalition abgegeben worden ist, noch einmal nachgelesen, und man muß jetzt rückschauend feststellen, daß für die drei Jahre, die zur Verfügung standen, die Ziele, die da anvisiert worden sind, durchaus vorsichtig formuliert worden sind, und ich meine, mit Recht. Deshalb ist es natürlich nicht angängig, dem Regierungsprogramm etwas als eine in diesen drei Jahren noch zu lösende Aufgabe zu unterstellen, was dort überhaupt nicht erklärt worden ist.
({3})
Es gibt zwei zentrale Punkte, vor denen die neue Regierung gestanden war. Das war einmal die langfristige Ordnung der Finanzen, und das war zum anderen die Aufgabe, den Übergang aus der Rezession in einen Wirtschaftsaufschwung zu schaffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese beiden Dinge sind nicht erst nach drei Jahren, also nicht erst zum Ende dieser Legislaturperiode, sondern im wesentlichen schon nach zwei Jahren erreicht worden. Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, wäre er heute dadurch erbracht worden, daß die beiden Redner keine fundierte Kritik an der mittelfristigen Finanzplanung anbringen konnten. Es geht nicht nur darum, hier den Haushalt 1969 isoliert zu sehen, sondern es geht um die mittelfristige Finanzplanung in ihrer Gesamtheit.
Der Kollege Mischnick und jetzt wieder der Kollege Emde haben eigentlich als den einzigen wesentlichen Punkt aus der damaligen Regierungserklärung die Frage der Finanzreform herausgegriffen. Man wird dem mit Recht entgegenhalten können, daß diese große Finanzreform ein gewaltiges Stück vorangekommen ist. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, den Kollegen des Finanz- und Rechtsausschusses zu danken, die diese Dinge in den letzten Wochen in strapaziösen Sitzungen vorangebracht haben.
({4})
Wenn jetzt moniert wird, daß hier in der Frage der kommunalen Finanzreform Schwierigkeiten aufgetreten sind, so möchte ich nur daran erinnern, daß der frühere Finanzminister Dahlgrün, als er zu diesem Komplex Finanzreform Stellung nahm, schon damals im Jahre 1965 erklärt hat, daß der Teil der kommunalen Finanzreform erst im nächsten Bundestag behandelt werden könne. So also sah der damalige FDP-Finanzminister zu Beginn dieser Legislaturperiode die Dinge. Wenn jetzt der Versuch gemacht wird, Teile auch dieser kommunalen Finanzreform noch in diesem 5. Bundestag mit zu erledigen, ist das jedenfalls ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem Ausgangspunkt, den der damalige FDP-Finanzminister herausgestellt hat.
Ein Punkt ist ganz kurz angesprochen worden. Die Notstandsverfassung ist von dieser Großen Koalition in der Tat als ein großes Werk der Verfassungsänderung verabschiedet worden, und es ist bezeichnend, daß in dieser kleinen gelben Wahlkampfbroschüre, die heute überreicht worden ist, dieser Komplex zwar noch einmal angesprochen ist, daß aber, so wie wir das vorausgesagt haben, nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze draußen in der Öffentlichkeit die Kritik und die Diskussion völlig verstummt sind, und zwar aus dem einfachen Grunde, daß sich all die Schreckgespenste, die man da an die Wand gemalt hat, in Luft aufgelöst haben.
({5})
Es gibt einige Punkte, die von der Opposition wohlweislich nicht angesprochen worden sind, weil nämlich hier die Regierungskoalition getreu der Regierungserklärung von 1967 ihren Weg gegangen ist, wenn auch diese Vorhaben noch nicht endgültig verabschiedet sind. Es handelt sich hier um die Haushaltsrechtsreform, die zügig in Angriff genommen worden ist und von der wir erwarten können, daß sie noch im nächsten Jahr verabschiedet wird; es handelt sich um das Verkehrsprogramm, das ebenfalls in einer zügigen parlamentarischen Beratung ist, und es handelt sich schließlich um die Strafrechtsreform, von der wir ebenfalls schon Teilergebnisse verabschiedet haben und weitere Teilergebnisse noch erwarten können.
Wenn jetzt heute vormittag vom Kollegen Mischnick moniert worden ist, daß keine Klarheit über Einzelkomplexe, die nicht in der damaligen Regierungserklärung angesprochen worden sind, gefunden sei, muß ich dazu ganz einfach feststellen, daß der Kollege Mischnick dann eben die mittelfristige Finanzplanung nicht hinreichend studiert hat; sonst könnte er nicht zu der Behauptung kommen, daß zu den Fragen der Kriegsopferversorgung, zu der Frage der Ausbildungsförderung, zu der Frage der Kriegsfolgengesetze keine Klarheit innerhalb der Regierung bestehe. Jedermann, der die einzelnen Positionen nachliest, findet dort verzeichnet, mit welchem Betrag und zu welchem Zeitpunkt diese Gesetzesvorhaben in Angriff genommen werden sollen. Das steht in der mittelfristigen Finanzplanung ausdrücklich.
Wenn andere Vorhaben in der mittelfristigen Finanzplanung nicht festgehalten sind, dann ist auch das eine ganz klare Aussage, nämlich die, daß die Bundesregierung nach dem derzeitigen Finanzvolumen keine Möglichkeit sieht, über das, was in der mittelfristigen Finanzplanung enthalten ist, hinaus noch große Gesetzesvorhaben in Angriff zu nehmen. Von einer mangelnden Klarheit kann man also in all diesen Fragen auf gar keinen Fall sprechen. Hier zeigt sich eben der große Vorzug dieser mittelfristigen Finanzplanung, daß diese Dinge nun einmal sehr konkret angesprochen sind.
Das bedeutet natürlich nicht, daß die Bundesregierung nicht im Laufe der Zeit von sich aus diese Pla10250
nung ändern, fortschreiben, verbessern oder sonstwie gestalten könnte; und das bedeutet auch nicht, daß das Parlament nicht bei der Ausgestaltung der Einzelhaushalte innerhalb dieser Finanzplanung Änderungen vornehmen und damit seinen Gestaltungswillen durchführen könnte.
Eines ist mir aber eigentlich bei beiden Beiträgen der Oppositionsredner aufgefallen. Beide haben erklärt, sie würden sich zu den Grundsätzen des Stabilitätsgesetzes bekennen und würden die Regierung und die Regierungsparteien in dem Bemühen unterstützen, auch in den künftigen Monaten konjunkturgerecht zu verfahren. Nach allen Anzeichen, die wir haben, heißt das eigentlich, daß man sich bemühen will, etwa auftretende Steuermehreinnahmen oder sonstige Verbesserungen durch vorzeitige Schuldentilgung oder sonstwie konjunkturpolitisch zu neutralisieren, um nicht von einem Wirtschaftsaufschwung mit Vollbeschäftigung, mit Wachstum und bei Währungsstabilität in einen neuen Boom hineinzukommen. Aber im nächsten Absatz haben die Redner dann all diese Dinge wieder angesprochen: Was ist mit der Kriegsopferversorgung? Was ist mit der Ausbildungsförderung? Und dann kommt dieser ganze Katalog der einzelnen Gesetzesvorlagen, die hier sind.
Da muß man nun doch wirklich die Frage stellen: wie paßt das zusammen? Ist es möglich, hier noch Entscheidendes zu tun, oder nicht? Und wenn der Kollege Barzel heute nachmittag diesen Katalog für alle drei Parteien vorgetragen hat, geschah das doch in der Absicht, ganz konkret die Frage zu stellen, wie das einzuordnen ist und wie wir angesichts dieser Anträge unsere Grundsätze, denen wir zugeschworen haben, durchsetzen wollen. Und das gilt für alle Parteien dieses Hauses. Darum, Herr Kollege Emde, ist es auch nicht schlüssig, wenn man darauf hinweist, daß ja im vorigen Jahr Kürzungsvorschläge gemacht worden sind. Der Haushalt 1968 ist verabschiedet, die Anträge liegen aber nach wie vor zur Beratung vor. Es entsteht also jetzt die Frage: Kann das finanziert werden? Es ist jetzt die Deckungsfrage zu lösen.
In diesem Zusammenhang kann man einfach nicht daran vorbeigehen, daß der natürlich bequeme Weg, immer beim Verteidigungshaushalt die Kürzungen zu suchen, heute doch wohl angesichts der Vorgänge und Ereignisse, die wir jetzt festzustellen haben, im Ernst nicht mehr gegangen werden kann.
Ich möchte noch einmal auf einen Punkt zurückkommen, den der Kollege Mischnick angesprochen hat; das ist das Problem Bildungsreform und Föderalismus. Der Kollege Mischnick hat einen Ausdruck aus einer Rede des Herrn Bundeskanzlers zitiert, in der das Problem des Föderalismus angesprochen ist, und er hat wiederum das recht eingängige Rezept vorgetragen, man möge doch den gesamten Bereich der Kulturpolitik in Bundeskompetenz überführen, und dann wären die Dinge zu lösen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte hier in allem Ernst sagen: Sehen wir diese Probleme, die mit der Kulturhoheit der Länder zusammenhängen, bitte nicht so simpel! Zum einen ist in Art. 79 des Grundgesetzes die föderative Struktur unseres Staates jeder Verfassungsänderung entzogen. Man wird also auch diskutieren müssen, ob man diese Kompetenzen Stück für Stück aushöhlen kann. Ich glaube, man kann es nicht.
Es gibt aber auch sachliche Gründe, die dafür sprechen, daß wir nicht zu einem reinen Zentralismus auf diesem Gebiet kommen sollten. Sehen Sie sich die Ereignisse in diesem Jahr in Frankreich an! Dann haben Sie ein Beispiel dafür, wie es auch in
einem zentralistischen Staat unter Umständen zu schweren inneren Erschütterungen kommen kann. Ich glaube, es ist einfach ein Aberglaube, zu meinen, durch die Veränderung der Zuständigkeiten die Sachfragen, die auf diesem Gebiet sehr schwierig sind, lösen zu können.
Ich glaube, die Gerechtigkeit gebietet es, auch einen Augenblick darauf zu sehen, was die Bundesländer gerade im Bereich der Kulturpolitik in den letzten Jahren finanziell geleistet haben.
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Es ist für uns im Bund manchmal sehr einfach, zu sagen: Wir geben für Hochschulneubauten, für den Ausbau von Hochschulen wieder 100 Millionen DM mehr. Es wird aber bei uns nicht gefragt, wie dann die Folgelasten aussehen: die Bezahlung der Professoren und die Sachausgaben, die ja laufend entstehen. Ich meine, man darf diese Dinge nicht leichtnehmen.
Wenn der Kollege Mischnick dann auch noch davon gesprochen hat, daß so wichtige Gebiete wie die Datenverarbeitung oder die neue Technologie von uns nicht gesehen und nicht behandelt worden seien, dann muß ich sagen: Da ist er überhaupt nicht über das informiert, was sich getan hat.
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Er braucht nur einen Blick in den Haushalt 1969 oder in die mittelfristige Finanzplanung zu werfen, dann wird er finden, daß z. B. im Bereich der Datenverarbeitung sowohl im Forschungshaushalt Jahr für Jahr steigende Ansätze enthalten sind, als auch darüber hinaus im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums weitere sehr wesentliche Ansätze ausgebracht sind.
In dem anderen Bereich, der neuen Technologie, haben wir ebenfalls vom Bund her mit Ansätzen diese Dinge in Angriff genommen. Ich glaube, daß diese Kritik also ebenfalls ,an der Sache vorbeigeht.
Es gibt noch einen weiteren Bereich, der auch angesprochen worden isst; das ist der Bereich der Landwirtschaftspolitik. Ich muß ehrlich gestehen: Wir teilen die Sorgen, was die Zahlungen an die EWG-Fonds betrifft.
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Es werden hier neue Lösungen gesucht werden müssen. Wir sollten aber doch auch nicht verkennen, daß es gerade innerhalb dieser Großen Koalition gelungen ist, durch ein neues Agrarprogramm in unserem Bereich zukunftsweisende neue Wege zu eröffnen.
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- Ja, wir werden morgen voraussichtlich in der Aktuellen Stunde über diese Dinge noch zu debattieren haben.
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Aber, meine sehr verehrten Kollegen von der Opposition, nehmen 'Sie 'dann bitte auch zur Kenntnis - ja, Sie machen die richtige Handbewegung -, daß in der mittelfristigen Finanzplanung für dieses Agrarprogramm kurzfristig jetzt bereits Ansätze bis ins Jahr 1972 in steigendem Umfang - von 265 Millionen DM bis 770 Millionen DM - ausgebracht worden sind; eine Leistung, in dieser kurzen Zeit diese Mittel noch frei zu machen!
Herr Kollege Althammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Peters?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Althammer, ist Ihnen bei Durchsicht des Haushalts entgangen, daß in dem Jahr, in dem 265 Millionen eingebracht werden, gleichzeitig bei Strukturmaßnahmen 440 Millionen gekürzt werden, und in dem Zeitpunkt, wo 770 Millionen neu eingebracht werden, 1,030 Milliarden gekürzt wenden, so daß unter dem Strich immer 300 Millionen weniger vorhanden sind?
Herr Kollege Peters, Sie wissen genauso gut wie ich, daß eine Reihe von Aufgaben an die Institution in Brüssel übergegangen sind, und daß Dinge, die bisher aus nationalen finanziellen Mitteln gestützt wurden, nicht mehr weiter unterstützt werden dürfen. Insofern verlagern sich natürlich auch Einkünfte und Ausgaben vom Nationaletat nach Brüssel. Das ist eine ganz klare Sache.
Würden Sie noch eine Frage von Herrn Peters gestatten, Herr Kollege Althammer?
Bitte sehr!
Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß für die EWG-Anpassung, die mit 1,030 Milliarden wegfällt, Maßnahmen wegfallen, die von eminent wichtiger Bedeutung sind, und daß Sie die irgendwie wieder ausfüllen müssen?
Herr Kollege Peters, das ist genau der Punkt, den ich jetzt ganz kurz angesprochen habe: es ist einfach notwendig, die immensen Beträge, die in den vergangenen Jahren geleistet worden sind und die auch in künftigen Jahren geleistet werden müssen, so zweckentsprechend wie möglich einzusetzen, und in diesem Bereich sind Korrekturen dringend notwendig.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auch noch einige Anmerkungen zu dem machen, was heute vormittag mein Kollege Hermsdorf hier oben geäußert hat. Er hat - das ist heute nachmittag schon gesagt worden - ein sehr ausführliches Referat mit einer Fülle von Problemen vorgetragen. Wir haben heute nachmittag von Herrn Kollegen Schmidt gehört, daß der Wahlkampf für die Koalitionsparteien in nächster Zeit noch nicht zu beginnen habe. Aber dieses Programm des Kollegen Hermsdorf könnte - so war mein Gefühl - mühelos als eine sehr wertvolle Unterlage für den Wahlkampf benützt werden.
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Ich hätte mich auch gewundert, meine sehr verehrten Kollegen, wenn am Anfang dieser Ausführungen nicht eine Schilderung des Hintergrunds gestanden hätte, bei dem die Große Koalition beginnen mußte.
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Wir haben also diese Dinge jetzt nun schon wiederholt miteinander behandelt. Ich habe die Befürchtung, daß diese Registerarie der Sünden auch in den nächsten Monaten noch hie und da gesungen werden wird. Gestatten Sie mir deshalb, nur ganz kurz ein paar Anmerkungen dazu zu machen.
Ich habe Verständnis dafür, daß ein sehr begabter Photograph wie der Kollege Hermsdorf einen dunklen Hintergrund sucht, um das Profil der SPD besonders heraustreten zu lassen, um das es ihm zu tun ist. Aber Sie gestatten mir vielleicht, daß ich den Scheinwerfer ein klein bißchen weiter zurück ausstrahlen lasse. Ich komme darauf auch deshalb, weil der Finanzbericht zum Haushalt 1969 hierzu auch eine bemerkenswerte Feststellung enthält, nämlich die, daß diese Schwierigkeiten, von denen Sie gesprochen haben, dadurch entstanden sind, daß ein Boom zu bekämpfen war. Wir sollten nicht ganz vergessen, daß das Problem 1964/65 eben darin bestand, eine Überhitzungserscheinung in der Konjunktur in den Griff zu bekommen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind ja gar nicht unbußfertig in dieser Sache. Ich würde Ihnen gern zugeben, daß Fehler in der Bekämpfung dieses Booms gemacht worden sind. Der Streit beginnt meistens dort, wo behauptet wird, daß solche Fehler nur auf einer einzigen Seite gemacht worden seien und daß andere von diesen Fehlern völlig frei seien.
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Ich wäre sehr dankbar dafür, Herr Kollege Hermsdorf, wenn wir uns wenigstens in diesem Hause - draußen wage ich das gar nicht anzunehmen - darauf einigen könnten, was Ihr Fraktionsvorsitzender am 30. August 1965 zu dieser Frage gesagt hat. Ich darf vielleicht zitieren; es ist in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 30. August nachzulesen.
Schmidt räumte ein,
- heißt es da daß alle Fraktionen des Bundestages, auch die sozialdemokratische, und diese selbstverständlich auch aus wahltaktischen Erwägungen, an den Ausgabebeschlüssen mitgewirkt hätten.
Ich würde damit von mir aus dieses Kapitel abschließen. Aber eines sollten wir uns' als Lehre aus den Erfahrungen dieser Jahre merken, nämlich, daß wir sehr darauf achtgeben sollten, daß wir in der Zukunft nicht wieder in eine ähnliche Situation hineinschlittern. Dazu, glaube ich, war es sehr heilsam und nützlich, daß unser Fraktionsvorsitzender uns heute nachmittag einmal diese Liste vorgehalten hat und daß hier ganz nüchtern die Frage gestellt worden ist: Was ist noch zu leisten, und was ist nicht mehr zu leisten? Denn wir wollen, glaube ich, alle zusammen ähnliche Fehler, wie sie damals gemacht worden sind, nicht mehr wiederholen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Hermsdorf hat auch einige Punkte angeschnitten, bei denen ich der Meinung war, daß er das, was ihm da aufgeschrieben worden ist, z. B. vom Justizministerium, vielleicht besser nicht vorgelesen hätte. Denn wenn jetzt das Gemälde gemalt wird, als wenn das Dornröschen Justitia droben in der Rosenburg geschlafen hätte, bis der schöne Prinz Heinemann gekommen ist und es wachgeküßt hat, dann würde ich nur empfehlen: Fragen Sie doch einmal Ihre Kollegen vom Rechtsausschuß, ob sie sich denn eigentlich bis zum Amtsantritt dieses Ministers auch solcher Beschaulichkeit hingeben konnten.
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Ich meine also, diese Dinge kann man hier wirklich nicht guten Gewissens vortragen.
Es ist aber festzuhalten - das möchte ich jetzt besonders gegen die Angriffe, die von seiten der Opposition gekommen sind, noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen -: Es ist ein unbestreitbarer Erfolg der Regierung Kiesinger, daß der wirtschaftliche Rückschlag überwunden und die deutsche Volkswirtschaft in eine Gleichgewichtslage gebracht wurde, von der wir nur wünschen können, daß sie erhalten bleiben möge. So wurden Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und Geldwertstabilität gleichzeitig erreicht. Freilich macht uns die Außenhandelsbilanz Sorgen. Das hat eben der Herr Bundeswirtschaftsminister vorgetragen. Aber ich meine, diese Sorgen sind noch am ehesten zu ertragen. Unsere ganze Aufmerksamkeit muß sich jetzt darauf richten, diese Gleichgewichtslage nicht wieder zu zerstören. Das Parlament trägt dabei eine sehr große Verantwortung.
Die Feststellung des Bundesfinanzministers FranzJosef Strauß, daß es gelungen ist, die Bundesfinanzen auf lange Jahre hinaus wieder in Ordnung zu bringen, kann ebenfalls von der Opposition nicht bestritten werden. Unser Volk hat diesen entscheidenden Erfolg zur Kenntnis genommen, auch wenn die FDP das nicht wahrhaben möchte.
Es sind noch einige Komplexe angeschnitten worden wie z. B. das Problem der Mitbestimmung, wo wir ganz schlicht und einfach die Frage zu stellen halben, wie das konkretisiert werden soll.
Mit dem Wahlrechtsproblem ist ein weiterer Komplex ,angeschnitten worden, wo wir allerdings - das sage ich ganz offen - unsere Sorgen haben. Wir wissen, daß der Kollege Helmut Schmidt, der zu diesem Punkt ebenfalls gesprochen hat, hier eine Auffassung vertritt, die sich mit (der Auffassung der überwiegenden Mehrheit in der CDU/CSU voll deckt. Es ist auch eine Tatsache, daß der Kollege Helmut Schmidt in der Aussprache über die Regierungserklärung angemerkt hat, daß zu diesem Punkt noch ein besonderer Parteitag der SPD Stellung nehmen müsse. Ich habe mir die Protokolle des Nürnberger Parteitags zu diesem Sachkomplex gestern noch einmal angesehen. Ich war eigentlich betroffen darüber, wie ein Mitglied der Wahlrechtskommission der SPD, nämlich Dr. Ludwig, in dieser Diskussion Argumente gebracht hat, die ich in ganz derselben Form Ihnen heute hier auch vortragen wollte. Es ist einmal festzustellen, daß auch die Mitglieder der Wahlrechtskommission der SPD davon überrascht waren, daß ihre Empfehlung - nämlich : wenn eine Wahlrechtsänderung, dann schon 1969 - eigentlich gar nicht mehr zum Tragen gekommen ist.
Nun, wir werden uns damit abzufinden haben, daß für 1969 eine Änderung nicht mehr möglich ist. Aber es bleibt natürlich die Frage, ob noch in dieser Legislaturperiode eine Dauerregelung möglich ist, die dann ab 1973 Gültigkeit haben müßte.
Vielleicht darf ich, um Ihnen die Dringlichkeit dieser Frage nahezubringen, den Kollegen Alex Möller zitieren, der in einer Veröffentlichung des Bundesinnenministeriums - „Schwarz auf Weiß", 2/67, auf Seite 30 - folgendes gesagt hat - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Es sei noch darauf hingewiesen, daß das Mehrheitswahlrecht als Verfahren zur Beseitigung einer Aufsplitterung und Radikalisierung des Parlaments untauglich ist. Vielmehr ist es nur ein Verfahren zur Verhinderung einer Aufplitterung und Radikalisierung. Daher darf mit Einführung des Mehrheitswahlrechts nicht zu lange zugewartet werden.
Ihr Parteifreund, Herr Dr. Ludwig, hat nun in Nürnberg, ich glaube, sehr zu Recht, darauf hingewiesen: wenn das nicht mehr in dieser Legislaturperiode geschafft werden könne, sei es eigentlich nur dann möglich, wenn die Große Koalition darüber hinaus fortgesetzt werde. Ich meine, diese Dinge sollten uns zu denken geben und sollten vielleicht dazu führen, daß man sich doch noch einmal gründlich überlegt, ob hier nicht ein Weg vorhanden ist, der nach 1969 eine Lösung bringt.
Ich möchte als letzten Teil meiner Ausführungen ein Problem behandeln, auf das auch der Kollege Emde sehr deutlich eingegangen ist, nämlich die Frage, unter welchen Unsicherheitsfaktoren der Haushalt 1969 und die mittelfristige Finanzplanung dadurch leiden, daß jetzt von der VerteidigungsDr. Althammer
seite ganz neue Probleme auf uns zukommen. Nun, Herr Kollege Binde, eines, glaube ich, kann man unserer Regierung nicht vorwerfen, nämlich: daß sie weder im Haushalt 1969 noch in der mittelfristigen Finanzplanung diese Dinge eingeplant habe. Denn über eines sind wir uns klar: die neue Situation ist durch den 21. August entstanden, und zu diesem Zeitpunkt waren diese Entwürfe bereits in Druck. Aber wir sollten diese Fragen - das hat auch unser Fraktionsvorsitzender, Herr Barzel, schon gesagt - nicht nur und nicht in erster Linie auf das Problem „Offset" zuspitzen.
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Wir müssen uns hier in dieser Stunde sehr ernsthaft fragen, welche Konsequenzen im Bereich unserer eigenen Verteidigungsleistungen zu ziehen sind.
Ein Irrtum dürfte inzwischen zu den Akten gelegt sein, nämlich die Meinung, wenn man nur auf deutscher Seite Friedensbeteuerungen und Anstrengungen zur Entspannung mache und wenn von seiten der Kremlmachthaber ähnliche Töne kämen, dann könne das bereits zu einer Einschränkung der eigenen Verteidigungsleistungen führen. Ich habe in der zweiten Lesung des Haushalts 1968 Ihnen die Zahlen genannt, in welcher Weise die Ostblockstaaten in den vergangenen Jahren ihre Verteidigungsausgaben erhöht haben, - in einer Zeit, wo wir unsere Ausgaben um einen hohen Prozentsatz herabgesetzt haben.
Bei der Frage, was zur Verteidigung notwendig ist, müssen wir einfach davon ausgehen, was die andere Seite tun kann, wenn sie will. Wir dürfen nicht aus das vertrauen, was momentan dort erklärt wird.
({8})
Nach den Ereignissen in Prag stellt unser Volk mit Recht die Frage nach unserer Sicherheit. Wir sind dankbar dafür, daß im Rahmen des NATO-Bündnisses nun die notwendigen Konsequenzen aus der verstärkten militärischen Bedrohung gezogen werden. Die Kritiker unserer Bundeswehr darf ich aber darauf hinweisen, daß wir keine autonome nationale Verteidigung zu entwickeln hatten, sondern daß eine gemeinsame NATO-Abwehrstrategie erarbeitet werden mußte. Dieser zentrale Einwand ist auch gegen die Fernsehäußerungen zu machen, von denen der Kollege Helmut Schmidt heute mittag schon gesprochen hat.
In der weiteren Entwicklung dieses Bündnisses liegt die reale Abschreckungswirkung unserer Verteidigung und damit unserer Sicherheit. Daneben ist es auf dem Gebiete der Rüstung notwendig, zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern zu gelangen. Insbesondere müssen die Beziehungen zu unserem größten Nachbarn, nämlich Frankreich, ausgebaut werden. Wir dürfen dabei die berechtigten Forderungen unserer eigenen Industrie - ich denke vor allem an die Flugzeugindustrie - nicht vergessen. Eine angemessene Beteiligung der deutschen Firmen bei Entwicklung und Fertigung muß sichergestellt werden.
({9})
Die Sicherung unserer Freiheit ist nicht nur ein. finanzielles Problem. Hier zählen moralische Kategorien entscheidend mit. Um es überspitzt zu sagen: mit 90 % Kriegsdienstverweigerern im Lande nützen die modernsten Abwehrwaffen nichts. Es darf nicht dahin kommen, daß der junge Mann, der seinen Wehrdienst ableistet, als der Dumme gilt.
({10})
Deshalb muß dieses Hohe Haus bald die notwendigen gesetzgeberischen Folgerungen aus der Arbeit der Parlamentskommission „Wehrgerechtigkeit" ziehen.
({11})
Ähnlich ist die Situation bei den Berufssoldaten. Die Fehlbestände bei den Längerdienenden, den Unterführern und den Offizieren - die Zahlen sind heute schon genannt worden - müssen uns beunruhigen. Die Fraktion der CDU/CSU wird in allernächster Zeit Änderungsgesetze zum Unterhaltssicherungsgesetz, zum Wehrsoldgesetz und zum Bundesbesoldungsgesetz vorlegen.
({12})
Wir hoffen, daß alle Fraktionen des Hohen Hauses diese Initiative unterstützen werden.
Ein weiteres Problem ist zu lösen. Die Reserveübungen der Gedienten müssen so ausgebaut werden, daß unsere Territorialverteidigung effektiver wird.
Alle diese Maßnahmen und noch einige andere, die ich hier nicht gesondert behandelt habe, werden Opfer von unserem Volk fordern. Der Kollege Hermsdorf von der SPD hat gestern in einer Presseverlautbarung erklärt, daß nunmehr unsere Gesellschaftspolitik weiter ausgebaut werden könne, nachdem wir in finanzpolitischer Hinsicht wieder festen Boden unter den Füßen hätten. Die CDU/CSU wird sich in diesem Bemühen von niemandem übertreffen lassen. Aber die Erhaltung der Freiheit und Sicherheit unseres Volkes muß die Skala dieser Prioritäten anführen.
({13})
Das Wort hat der Kollege Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der unerfindliche Ratschluß der Gewerkschaft der Fraktionsgeschäftsführer bringt mich jetzt dazu, zur Europapolitik zu reden. Ich bitte Sie, das zu entschuldigen; ich bin daran mehr oder minder unschuldig.
({0})
- Das wird sicherlich so sein, Herr Genscher.
Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers in ihrem Europa-Teil veranlaßt meine Fraktion zu drei Arten von Bemerkungen.
Der Herr Bundeskanzler hat gestern sehr deutlich ausgesagt, daß die deutsch-französische Zusam10254
menarbeit nicht dazu führen dürfe, daß irgendein Land in Westeuropa bevormundet werden würde. Er hat zweitens gesagt, diese deutsch-französische Zusammenarbeit dürfe nicht die bestehenden europäischen Institutionen gefährden.
Wir Sozialdemokraten unterschreiben das nachdrücklich. Wir meinen aber, daß eine weitere Aussage hinzukommen muß, nämlich die, daß die deutsch-französische Zusammenarbeit auch nicht den Eindruck erwecken darf, als ob dadurch unsere Europapolitik bevormundet und beeinflußt werden könne.
({1})
Wir wissen, daß Ausgangspunkt wie auch Zielsetzung der deutschen und der französischen Europapolitik unterschiedlich sind. Wir akzeptieren das. Wir können das nicht ändern. Dennoch versuchen wir, zu gewissen politischen Fortschritten zu kommen. Vor allem möchten wir, auch in diesem Hause, davor warnen, sich einem verbalen Radikalismus zu ergeben, zu meinen, man könne in der Europapolitik Fortschritte erzielen, indem man die Fäuste hebt und in Richtung Paris droht. Diese Art von verbalem Radikalismus bringt uns überhaupt nicht weiter.
({2})
Wir sollten sie deswegen nachlassen.
Wenn wir realistische Europapolitik betreiben wollen, müssen wir von vier Tatbeständen ausgehen.
Erstens. Die EWG ist für uns wie für alle Mitglieder ein so wertvolles Instrument des Wirtschaftswachstums geworden, daß wir überhaupt nicht daran denken können, in der Diskussion um Europas Zukunft diese EWG zur Disposition und zur Diskussion zu stellen.
({3})
Zweitens. Auch wenn es die gaullistische Europapolitik nicht gäbe, hätte die EWG ihre existenzgefährdenden Krisen; denn die kleinen „Sekundärgaullisten" machen überall nationale Politik.
({4})
Wir sollten also nicht so tun, als gebe es hier nur einen, der sündigt. Wahrscheinlich geht es auch hier nach dem Prinzip: Hannemann, geh du voran!
Drittens. Ein wesentlicher Teil der Schwierigkeiten der europäischen Integration liegt darin, daß wir im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik versuchen zu integrieren, bisher aber nicht in der Vereinheitlichung der Außen- und der Verteidigungspolitik und auch der Innenpolitik vorangekommen sind. Man hat manchmal das Gefühl, als seien die Autoren des EWG-Vertrages Pseudomarxisten gewesen, die meinten, wenn man nur den ökonomischen Unterbau, die Produktionsverhältnisse, genügend ändere, werde der politische Oberbau schon folgen. Dieser Irrtum wird heute immer deutlicher.
Viertens. Zehn Jahre europäische Erfahrung haben uns etwas an der allumfassenden Weisheit supranationaler Brüsseler Beschlüsse zweifeln lassen. Das gilt insbesondere für die Agrarpolitik und ihre Finanzierung.
({5})
Wenn die Gemeinschaft überhaupt aus dieser Sackgasse der Agrarfinanzierung mit einem blauen Auge herauskommen will, geht das nur, wenn sie mehr als bisher bereit ist, berechtigte nationale Interessen zur Kenntnis zu nehmen.
Lassen Sie mich zu einem zweiten Bereich kommen, der sich für uns aus den Aussagen des Herrn Bundeskanzlers ergibt. Der Herr Bundeskanzler hat eine für uns bemerkenswerte Aussage gemacht, indem er gesagt hat, er meine, eine der Ursachen für die Krise in Europa sei, daß wir uns zu vieles auf einmal vornähmen. Er sprach von unserem Versuch erstens einer Fusion der Gemeinschaften, zweitens einer inneren Stärkung der Gemeinschaften und drittens einer Erweiterung der Gemeinschaften durch Beitrittswillige. Er hat dann gesagt, wir müßten wohl pragmatisch vorgehen, wir müßten das Mögliche möglich machen, sonst würden wir noch in einigen Jahren in einer echten Stagnation sein.
Diese Aussage ist für uns nicht ganz deutlich. Wir bitten darum, hier zusätzliche Klarheit zu bekommen. Denn was meint nun der Herr Bundeskanzler? Will er innerhalb dieser Liste: Fusion, innere Stärkung der Gemeinschaften, Beitritt Englands eine Prioritätenskala aufstellen, derart nämlich, daß er erst die innere Stärkung der Gemeinschaften will, um dann später einmal den Beitritt Englands zu versuchen? Das wäre eine Annäherung an die französische Position, die von unserer, der deutschen Interessenlage her nicht akzeptiert werden kann. Oder will er - ich nehme das nicht an - erst die geographische Erweiterung anpacken und dann über die innere Stärkung der Gemeinschaft reden? Er wäre dann sehr in der Nähe der niederländischen Europapolitik, die es ja darauf anlegt, die EWG so lange in das Tiefkühlfach der Europapolitik zu legen, bis das Problem des britischen Beitritts geregelt ist. Auch das halten wir für nicht sehr realistisch. Die Illustrierten sagen uns zwar, daß man in Amerika versuche, todkranke Patienten für eine gewisse Zeit in so ein Tiefkühlfach zu legen, bis Heilmethoden gefunden sind; aber das Auftauen wird das zentrale Problem sein. Wir warnen also auch vor dieser Lösung.
Wir müssen den Bundeskanzler bitten, uns deutlich zu machen, was er meint. Für uns Sozialdemokraten bleibt es auch in Zukunft dabei, daß die innere Stärkung der Gemeinschaften ebenso wie neue Mitgliedschaften gleichzeitig angestrebt werden müssen. Ich meine, dieser Bundestag wird dazu auch im nächsten Jahr ein praktisches Beispiel zu geben haben. Oder meinen Sie, meine Kollegen, daß wir die Agrarfinanzierung, wie sie auch immer aussehen wird, verlängern können, daß wir im nächsten Jahr erneut beschließen, Entwicklungshilfezahlungen über die EWG zu leisten, wenn nicht gleichzeitig deutlich wird, wie es mit dem Beitritt wird, ob England hineinkommt, ja oder nein? Wir können also hier keinen Schritt für die innere Stärkung tun, ohne deutlich zu sehen, wie es mit der Erweiterung der Gemeinschaften wird.
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- Ob das der holländische ist, Herr Lenz, lassen wir mal dahingestellt sein. In jedem Fall ist das praktische Politik, und auch Sie werden sicherlich in diesem Hause einer Verlängerung der Agrarfinanzierung nur zustimmen können, wenn Sie auch in dem anderen Bereich gewisse Entwicklungslinien sehen.
Der dritte Bereich - ({7})
- Ob ich das eine von dem anderen abhängig mache, wage ich heute nicht zu entscheiden, aber man muß hier gewisse Zusammenhänge sehen, und ich nehme an, die sehen Sie auch. Wenn Sie das anders sehen, dann würde mich interessieren, wie Sie dann vor dem deutschen Wähler mit dieser Aussage bestehen wollen. Aber das ist dann Ihre Angelegenheit.
Der dritte Bereich von Bemerkungen, zu denen uns der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung veranlaßt hat, ist das Verhältnis zu England. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, wir könnten doch in der EWG den französischen Stuhl nicht leerfegen, um ihn dann quasi England anzubieten. Sicherlich nicht. Die EWG ist kein Bundesligaklub; hier kann man nicht Spieler und Trainer beliebig, je nach Tabellenstand und Zuschauergunst, auswechseln. Die EWG ist ein hochempfindliches, kompliziertes Gebilde. Wir müssen erneut sagen: die EWG steht einfach nicht zur Diskussion und zur Disposition, wenn es um diese Fragen geht.
Aber wir vermissen weitere konkrete Aussagen des Herrn Bundeskanzlers. Er hat uns gesagt, Herr Wilson würde im nächsten Jahre zu Besuch kommen, und dann würde man ja sehen, wie man im britisch-deutschen Verhältnis und auch im Verhältnis der EWG zu England weiterkommen könne. Das kann uns nicht genügen.
Es liegt in diesen Tagen der Plan einer Mitgliedsregierung der EWG, der sogenannte HarmelPlan des belgischen Außenministers, auf dem Tisch, der darauf hinausläuft, nun neben die EWG mit den Fünf ohne Frankreich und den anderen EftaStaaten neue institutionelle Ansätze zu versuchen.
Im Bereich der Verteidigungspolitik hat der Herr Bundeskanzler darauf aufmerksam gemacht, daß es hier neue Überlegungen einer europäischen Gruppierung im Rahmen der NATO gibt. Er hat das vorsichtig positiv beurteilt. Ich füge dem nichts hinzu. Aber wir müssen uns doch wohl in diesem Hause dazu äußern: wollen wir neben die EWG mit den Fünfen ohne Frankreich und mit England und den anderen beitragswilligen Staaten eine technologische Gemeinschaft stellen? Wollen wir die Währungspolitik in dem gleichen Kreise, neben der EWG, anpacken? Wollen wir die Entwicklungspolitik im gleichen Maße neben der EWG behandeln?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Apel? - Herr Moersch, bitte schön!
Herr Kollege Dr. Apel, ist Ihnen auch aufgefallen, daß die Bundesregierung vor wenigen Tagen zugeben mußte, daß sie zuletzt vor über einem Jahr ein nur sehr loses Gespräch mit Großbritannien über die Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Datenverarbeitung geführt und seitdem nichts mehr unternommen hat?
Mir ist das nicht aufgefallen; ich bin auf diesem Gebiet kein Fachmann. Mir ist aufgefallen - und das sagte ich eben gerade -, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung sehr wenig konkret zu diesen Fragen der technologischen Gemeinschaft und der anderen Probleme gewesen ist. Aber, Herr Moersch, wir müssen uns darüber im klaren sein, daß, wenn wir neben die EWG solche Institutionen stellen, das dann die EWG indirekt selbst tangieren muß. Eine technologische Gemeinschaft ohne die Einbeziehung der friedlichen Verwendung der Kernenergie ist ja wohl nicht denkbar. Das wird aber im Rahmen der EWG durch den Euratom-Vertrag behandelt - mehr schlecht als recht, das gebe ich zu, aber immerhin. Wir würden also indirekt hier die EWG selbst gefährden können.
Wir müssen uns deswegen sehr genau überlegen, ob wir den Harmel-Plan akzeptieren und verfolgen können. Wir müssen unserem Partner sagen, daß wir vielleicht eines Tages gezwungen sein könnten, diesen Weg zu gehen. Heute und jetzt kommt es aber viel stärker darauf an, innerhalb der EWG mit unserem Partner über die Zukunft der Beitrittsanträge zu diskutieren.
Erlauben Sie eine Frage von Herrn Kollegen Althammer?
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, ich bin nun etwas spät mit meiner Frage! Ich wollte Sie nur fragen, ob Ihnen die doch recht negativen Erfahrungen bekannt sind, die wir bei solchen technologischen Gemeinschaften mit England gemacht haben. Ich erinnere an ESRO und ELDO, oder ich darf auch an die CERN-Beiträge zu diesem Schweizer Institut erinnern.
Mir ist das durchaus bekannt. Ein Herr der französischen Botschaft hat mich heute noch sehr deutlich darauf aufmerksam gemacht, damit es in meinem Gedächtnis bleibt. Aber sehen Sie: wir haben auch mit den Franzosen sehr unangenehme Erfahrungen gemacht. Ich würde also sagen: das ist kein Argument. Wir müssen einfach sehen, wie wir hier vorankommen. Ich selber habe ja auch meine Zweifel angemeldet, ob der HarmelPlan in dieser Art und Weise praktikabel ist. Es kommt also darauf an, innerhalb der EWG mit den Franzosen ständig politisch aktiv über diese Fragen zu reden.
Da gibt es nun auch eine Aussage des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung, die uns etwas beunruhigt. Der Herr Bundeskanzler hat Bezug genommen auf die gemeinsame Erklärung der französischen und der deutschen Regierung vom
16. Februar dieses Jahres und hat gesagt, die Franzosen seien doch damals zu einem handelspolitischen Arragement bereit gewesen. Er hat das begrüßt und gesagt, die Franzosen stünden heute auch-noch dazu. Wir müssen den Bundeskanzler daran erinnern, daß in dieser Erklärung vom 16. Februar nicht nur gesagt wird: „Wir wollen ein Handelsarrangement mit England suchen", sondern von der französischen und der deutschen Regierung auch gesagt worden ist: „Wir müssen auch die Frage des britischen Beitritts weiterverfolgen". Wir wissen zwar, daß die Franzosen dabei der Meinung waren, daß dieses Thema in eine spätere Zukunft vertagt werden sollte. Dennoch müssen wir die Franzosen auf diese Aussage festlegen und darauf bestehen, daß dieses Thema auf der Tagesordnung bleibt, da es für uns entscheidend und lebenswichtig ist.
Lassen Sie mich in vier Punkten zusammenfassen:
Erstens. Die EWG steht für uns nicht zur Diskussion und Disposition. Sie ist für unseren Wohlstand zu bedeutsam, als daß wir sie in der europäischen Diskussion in Frage stellen könnten.
Zweitens. Es wäre sicherlich falsch, den Gaullismus für alle aktuellen Schwierigkeiten allein verantwortlich zu machen, wenn er auch ein gerüttelt Maß an Verantwortung trägt.
Drittens. Wir sind in der Frage des britischen Beitritts nicht auf irgendwelche schematischen institutionellen Regelungen festgelegt, die in den europäischen Verträgen vorgegeben sind. Wir sind da ganz flexibel. Aber wir müssen darauf bestehen, daß die Schritte in diese Richtung getan werden. Denn erstens können wir es nicht akzeptieren, daß Wirtschaftswachstum in Westeuropa, das durch eine Erweiterung der Gemeinschaft möglich wäre, nicht eintritt, und zweitens brauchen wir dringender denn je die feste westeuropäische Solidarität.
Viertens. Die gaullistische Europapolitik will dazu führen, daß Europa im Dialog der Giganten in Ost und West mit einer Stimme spricht. Wir finden das gut. Wir unterschreiben diese Zielsetzung. Wir meinen allerdings, daß die französische Politik zu diesem Ziel nicht führen wird. Darauf immer wieder deutlich hinzuwirken ist die Aufgabe der Bundesregierung und dieses Hohen Hauses.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Staratzke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin nun auch in der Lage wie Herr Kollege Apel, daß ich nicht weiß, ob man jetzt erst zur Europapolitik sprechen soll oder ob noch die Finanzplanung dran ist. Ich darf mir erlauben, ein paar Anmerkungen zu beidem zu machen.
Zunächst zur Europapolitik. Heute vormittag ist viel über die ablehnende Haltung Frankreichs und seines Staatspräsidenten gesagt worden. Wir haben zu fragen, ob die Bundesregierung immer ihren Teil zu einer Integration beigetragen hat oder ob sie nicht da und dort auch in dem berühmten Glashaus sitzt oder gesessen hat.
In einem Punkt möchte ich hier zumindest die Frage stellen - ich will mich wirklich auf diesen einen Punkt konzentrieren -, ob hier im Sinne einer europäischen Zusammenarbeit von seiten der Bundesregierung richtig gehandelt wird. Wir haben in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Zollunion erreicht, und wir stehen bekanntlich kurz vor dem Ende der in den Römischen Verträgen festgelegten Übergangszeit. Die Kommission bemüht sich nun seit längerer Zeit um das Einverständnis der sechs Regierungen zu einem handelspolitischen Instrumentarium, das einfach notwendig ist, um überhaupt eine gemeinsame Handelspolitik gegenüber Drittländern zu betreiben. Anders ausgedrückt: Dieses Instrumentarium sollte der Gemeinschaft eigentlich die ersten Schritte auf dem Wege zu einer Harmonisierung der sehr unterschiedlichen Handelspolitik der sechs Staaten gestatten. Es ist ganz selbstverständlich, daß bei einer wirklichen Integration, auf eine Wirtschaftsunion hin gerichtet, diese Gemeinsamkeit erreicht werden muß; denn es ist auf die Dauer einfach unmöglich, daß die eine Regierung eine extrem liberale und eine andere Regierung eine extrem restriktive Handelspolitik betreibt.
Da s muß selbstverständlich zu Wettbewerbsverzerrungen aller Art und im Endeffekt zu Schäden in der Wirtschaft führen.
Nun hat einzig und allein die deutsche Regierung, wie bekannt geworden ist, im Ministerrat der EWG am 31. Juli dieses Jahres eine Aufschiebung der Beratungen über dieses Instrumentarium für die gemeinsame Handelspolitik verlangt, während die anderen darauf drängen, daß es wegen des Interesses an einer solchen gemeinsamen Politik endlich zu einer Verabschiedung kommt. Meine Damen und Herren, ich führe diesen Fall besonders deshalb an, weil es eben schlecht ist, nur mit Steinen zu werfen, wenn man möglicherweise auch selbst im Glashaus sitzt, zumal das gemeinsame Instrumentarium, das ich hier angesprochen habe, zum mindesten nach den vorliegenden Entwürfen noch nicht einmal zur völligen Aufgabe jeder handelspolitischen Souveränität zwingt. Aber es ermöglicht eben doch eine stärkere Annäherung unter den Sechs.
Es würde meine Freunde und mich sehr interessieren, zu hören, mit welcher Begründung sich die Bundesregierung dieser Gemeinsamkeit immer wieder entzieht. Ich möchte auch nicht verhehlen, daß - ich will mich vorsichtig ausdrücken, um den Frieden hier nicht zu stören - oftmals der Eindruck entsteht, daß es in den hierfür zuständigen Ministerien auf der einen Seite offenbar Europäer gibt, auf der anderen Seite aber - und sie scheinen mir nicht in der Minderzahl zu sein - Nichteuropäer vorhanden sind.
Soviel zu dieser einen Frage, die ich hier doch gern zur Europapolitik loswerden wollte, weil es eben doch notwendig ist, daß man die Wahrheit vor diesem Hause sagt.
Ein paar Aspekte zu dem Thema, das eigentlich heute im Mittelpunkt steht, zu der Frage der Finanzplanung, und zwar lediglich zu den konjunkturellen oder besser gesagt den konjunkturpolitischen Aspekten. Ich glaube, Herr Kollege Althammer war es, der vorhin mit Recht bemerkte, daß hier immer zuviel von der Gegenwart gesprochen worden ist und daß sie auch an allen Ecken gelobt worden ist. Ich meine, wir haben doch vor, hier über eine Planung, über eine Zukunftsbetrachtung zu sprechen, und da scheinen mir doch ein paar Anmerkungen zur Konjunkturpolitik notwendig zu sein. Daß wir uns über die Konjunktursituation freuen, brauche ich, glaube ich,- nicht besonders zu sagen, und zwar alle, selbstverständlich auch die Opposition. Aber wir haben es ja, wie gesagt, hier mit einer Vorausschau zu tun.
Das zweite, was ich doch noch einmal anmerken möchte, weil es so geklungen hat, als ob die gesamte mittelfristige Finanzplanung eine Erfindung der Großen Koalition sei, ist, daß bereits die Regierung Erhard eine solche Finanzvorschau gekannt und im Jahre 1966 an einer Verfeinerung gearbeitet hat. Das wollte ich doch noch einmal in Erinnerung rufen. Ich nehme auch nicht an, daß der Herr Bundesfinanzminister hierfür das Erstgeburtsrecht beansprucht.
Wir wissen, daß gerade der Haushalt und die Finanzplanung zusammengenommen für die moderne Konjunkturpolitik eine immense Bedeutung haben. Der Haushaltsentwurf für das Etatjahr 1969 und die mittelfristige Finanzplanung müssen eben auf der einen Seite struktur- und wachstumspolitisch vertretbar sein und auf der anderen Seite konjunkturpolitisch, und das wäre noch einmal zu prüfen. Ich erlaube mir, da drei kleine Anmerkungen zu machen, die in das Kritische einmünden sollen.
Ich meine, daß die Konjunkturgerechtigkeit des Haushalts zum mindesten umstritten ist. Ich würde sagen, sie ist nicht ausreichend vorhanden, und es ist nicht ausreichend Vorsorge getroffen worden. Da heißt es unter IV Ziffer 12 der Vorbemerkungen zu der Finanzplanung, daß die Bundesregierung eine konjunkturelle Überhitzung mit allen schädlichen Folgen auch für das Preisniveau nicht erwartet.
Ich kann mir vorstellen, daß die Bundesregierung von dieser Annahme ausgehen möchte, um nicht ihrerseits Impulse zu geben, die eine andere Entwicklung auslösen könnten. Betrachten wir die Dinge real. Wir sind doch aufgefordert, sie ganz realistisch zu betrachten. Eine vorsichtige Interpretation aller konjunkturellen Indikatoren läßt doch für das Jahr 1969 eine, ich möchte sagen, vorsichtige Überkonjunktur als sehr wahrscheinlich erscheinen, besonders natürlich immer dann, wenn noch vornehmlich von seiten des Herrn Bundeswirtschaftsministers die Lohndebatte mit allen unangenehmen Folgeerscheinungen kräftig angeheizt wird. Ich möchte hier wirklich nicht mißverstanden werden. Wir freuen uns über jede Lohnerhöhung. Aber wir fragen uns, ob es richtig ist, bereits vor dem Zusammentreten der Tarifpartner in den einzelnen Tarifbereichen schon Daten zu setzen, die natürlich ganz sicher allenthalben als die unterste Grenze angenommen werden.
In dem Zusammenhang eine Sache, die auch heute vormittag und am Nachmittag angeklungen ist, die Preisstabilität. Herr Kollege Schmidt ist leider nicht mehr da. Er hat erklärt, Herr Mischnick habe die Preisstabilität bezweifelt. Meine Damen und Herren, davon kann gar keine Rede sein. Ich möchte es auch hier realistisch sagen: Die jetzt Gott sei Dank vorhandene Preisstabilität ist natürlich eine Folge der bereits 1966 nicht zuletzt von der Notenbank eingeleiteten Maßnahmen, was ja alles statistisch nachzuweisen ist, und eine Folge der Rezession oder, besser gesagt, eine Folge der sich zwingend ergebenden Vernunft aller Partner in einer solchen Rezession. Die Kunst ist doch nur, die Preisstabilität in einer aufwärts gerichteten Konjunktur zu halten. Die Bewährungsprobe steht hier - so meinte der Kollege Mischnick am Vormittag - noch vor uns.
Meines Erachtens spricht vieles dafür - ich will es vorsichtig ausdrücken -, daß im kommenden Jahr die nominelle Entwicklung des Volkseinkommens der realen Zunahme mindestens in der ersten Jahreshälfte voraneilen wird. In diesem Falle aber käme es im Gegensatz zu den in der Finanzplanung getroffenen Annahmen zu einem überproportionalen Anstieg der Steuereinnahmen. Der Finanzminister hat gestern erklärt und in den Bemerkungen zur Finanzplanung ist auch zu lesen, in einem solchen Falle werde man Schulden zurückzahlen bzw. den Anstieg der Neuverschuldung dämpfen. Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie, mir fehlt der Glaube. Ich glaube, vielen in diesem Hause geht es genauso. Diese Skepsis verstärkt sich natürlich, wenn wir uns daran erinnern, daß trotz des bereits verfügbaren Instrumentariums, nämlich des Stabilitätsgesetzes, vor Jahresfrist im falschen Zeitpunkt eine ganze Anzahl von Steuererhöhungen vorgenommen worden ist, die der Herr Finanzminister dann mit einem Zielkonflikt entschuldigt oder begründet hat. Ich frage: Wer gibt uns die Gewähr, daß die Finanzpolitik im richtigen Zeitpunkt antizyklisch eingesetzt wird? Wird man dann nicht auch einen sehr naheliegenden Zielkonflikt als Entschuldigung anführen? Es sei mir die Prognose erlaubt, daß sich speziell diese fiskalische Globalsteuerung mit diesem Haushalt in einer Phase wiederum überhitzter Wirtschaftstätigkeit wahrscheinlich nicht voll bewähren wird.
Nun zu einem zweiten Punkt, der eng damit zusammenhängt. Meine Freunde und ich müssen bemängeln, daß die Finanzplanung trotz aller dankenswerten Anstrengungen, die ich hier in diesem Zusammenhang ausdrücklich noch einmal erwähnen will, nicht ausreichend flexibel ist. Eine rationelle Wirtschaftspolitik und eine antizyklische Finanzpolitik erfordern eben ein bestimmtes Maß an Flexibilität, und das ist meines Erachtens durch die Haushaltsentscheidungen hier weder in konjunktureller noch in struktureller Sicht erreicht, und auch der mittelfristigen Finanzplanung mangelt es daran.
Meine Damen und Herren, nun ist ja bekanntgeworden, daß den Bestrebungen des Herrn Bundes10258
finanzministers um eine gewisse konjunkturpolitische Flexibilität im Kabinett offenbar die Ansicht entgegengehalten wurde, daß die Einplanung eines derartigen Finanzierungsspielraums dem Grundgedanken der mehrjährigen Finanzplanung widerspräche. Meine Damen und Herren, diese Auffassung muß schon deshalb zurückgewiesen werden, weil das Stabilitätsgesetz, das wir ja alle verabschiedet haben, in § 9 sogar die Aufstellung von Alternativrechnungen vorsieht. Alternativrechnungen sollen eben vorsorglich für den Fall aufgestellt werden, daß die effektive Entwicklung von der Prognose abweicht.
Ein dritter Punkt. Meine Damen und Herren, eine vorausdenkende mehrjährige Finanzplanung sollte berücksichtigen, daß ja auch einmal das eintritt, was wir eigentlich alle wollen, nämlich eine Phase langanhaltender Stabilität. In dieser Phase wäre doch wohl zu prüfen, ob in einem vorhergehenden konjunkturellen Aufschwung zusätzlich anfallende Steuern nicht einmal Anlaß dazu wären, endlich die zum falschen Zeitpunkt eingeführten diversen Steuern, wenigstens aber die Ergänzungsabgabe, wieder abzuschaffen. Ich meine mich sehr gut zu erinnern, daß in den Ausschußberatungen auch viele Ihrer Koalitionsfreunde, meine Damen und Herren, für eine Befristung gewesen sind, was an sich wohl das Richtige gewesen wäre. Zumindest die Alternative, in der Finanzplanung hier auch einmal die Verringerung der Steuerbelastungsquote vorzusehen, ist nicht aufgezeigt worden, was sehr bedauerlich ist und woraus man also schließen muß, daß daran überhaupt nicht mehr gedacht wird. Ich meine, man sollte zumindest eine solche Alternative von einer flexiblen Finanzpolitik fordern können.
Ein letzter Punkt, der zu bemängeln ist. Auch in Abschnitt IV, Ziffer 15 der Vorbemerkungen zur Finanzplanung wird, ich möchte sagen, in kühnen Worten darauf hingewiesen, daß die Ressorts der Bundesregierung ihre mehrjährigen Investitionsprogramme überarbeiten und sie dann in Jahresabschnitten, nach einer Dringlichkeitsrangfolge gegliedert, neu aufstellen sollen. Meine Damen und Herren, das ist ganz sicher ein vernünftiger Gedanke, und es wäre wünschenswert, wenn auch die übrigen Gebietskörperschaften aufgefordert würden, in Koordination mit der Bundesregierung so zu verfahren. Aber wird es denn nicht bei einer solchen Absichtserklärung bleiben? Wird nicht jedes Ressort selbstverständlich bemüht sein, seinen Bereich von konjunkturpolitischen Kürzungen freizuhalten? Das heißt doch aber wieder - und ich komme immer wieder auf diese mittelfristige Finanzplanung, auf diese vor uns stehenden Jahre zurück -, daß im Ernstfall der fiskalische Bremsweg zu lang sein wird. Es würde meine Freunde und mich sehr interessieren, von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister zu erfahren, zu welchem Zeitpunkt er glaubt, daß diese wichtige Prioritätsliste als konjunkturpolitisches Instrumentarium vorliegen wird.
Und nun zum Schluß noch ein paar Worte zu der umstrittenen unid immer wieder umstrittenen Staatsverschuldung. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Einbringungsrede wiederum alle
Register gezogen und alle Persilscheine für vergangene und für kommende Staatsverschuldungen vorgelegt. Ich möchte, jedenfalls für meine Person - und ich weiß, daß das für meine Freunde genauso gilt -, bemerken, daß wir einer Primitivökonomie niemals das Wort geredet haben und daß wir die Lehre des deficit spending sehr genau zu beurteilen wissen. Aber gerade deshalb machte ich warnen, diesen Punkt der Staatsverschuldung zu leicht zu nehmen. Mein Kollege Dr. Emde hat das heute schon einmal angeführt und begründet mit der zweimaligen Entschuldung des Staates zu Lasten der Bürger usw. Ich möchte dabei an den Grundsatz erinnern, daß eine öffentliche Schuldenzunahme nur dann vertretbar ist, wenn die volkswirtschaftlichen Produktivitätseffekte zusätzlicher öffentlicher Ausgaben mindestens so groß sind wie die privatwirtschaftlichen Investitionen.
Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes können einem doch wohl Zweifel hinsichtlich der Bundesfinanzplanung kommen, zumal da man doch nicht wegdiskutieren kann, daß eine offene Flanke für weitere konsumtive Ausgaben besteht und die investiven Ausgaben eben, wie wir schon wiederholt gehört haben, nur relativ schwach steigen. Mit dieser Ansicht stehe ich natürlich nicht allein; ich darf nur den Bundesnotenbankpräsidenten zitieren, der kürzlich expressis verbis erklärt hat: Es ist das Gebot der Stunde, die Haushaltsplanungen so zu gestalten, daß sie nicht mehr expansiv, sondern konjunkturneutral wirken; die Periode des deficit spending geht zu Ende.
Ich möchte hinzufügen, meine Damen und Herren, daß dieses Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft nicht nur als ein Wachstumsgesetz zur Stimulierung der Wirtschaft dienen darf, es muß auch als Stabilitätsgesetz zur Vermeidung einer Überhitzung Geltung haben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Illerhaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, der Herr Bundeskanzler hat gestern. vormittag bei seiner Regierungserklärung mit Bedacht und mit Recht den außenpolitischen Teil, wozu ja auch der Teil über die ,Europapolitik gehört, an die Spitze seiner Ausführungen gestellt, während hier in der heutigen Diskussion dieser Teil seiner Ausführungen, sagen wir, ziemlich an das Ende der Diskussion gestellt worden ist. Aber Herr Dr. Apel hat schon mit Recht gesagt, wir müssen hier unseren Fraktionsfunktionären schon folgen, wenn überhaupt eine gewisse Ordnung hier im Hause eingehalten werden soll.
Ich glaube, unser Herr Bundeskanzler hat uns gestern einen sehr ausführlichen Bericht über den augenblicklichen Stand der Außenpolitik gegeben und insbesondere auch - soweit es ihm möglich war - eine Auskunft über das augenblickliche Verhältnis zwischen Deutschland und den anderen
Mitgliedsländern der Gemeinschaft und im besonderen über das Gespräch zwischen unserem Herrn Bundeskanzler und ,der französischen Delegation unter Führung des französischen Staatspräsidenten de Gaulle. Lassen Sie mich dafür unserem Herrn Bundeskanzler im Namen der CDU/CSU-Fraktion sehr herzlich danken. Wir wissen, daß unser Herr Bundeskanzler in bezug auf europäische Angelegenheiten immer sehr engagiert gewesen ist. Er war schon Mitglied der Gemeinsamen Versammlung Kohle und Stahl nach Abschluß der Montanverträge, ich glaube, im Jahre 1956 oder 1957. Er ist also immer schon auf europäischem Gebiet tätig gewesen.
Diese heutige Debatte bietet uns nun eine willkommene Gelegenheit, uns wieder einmal über den State of Europe einen Überblick zu verschaffen. Dieses Hohe Haus hat seit 1950 häufig und zum Teil oft leidenschaftlich über das Problem der Einigung dieses europäischen Kontinents diskutiert. Ich erinnere an die Debatten über die Ratifikation des Montanvertrages, ich erinnere an die Diskussion um die Ratifikation der Römischen Verträge. Es wäre sicherlich sehr nützlich, sich hin und wieder an diese Anfänge der europäischen Integration zu erinnern, und vor allem an den Elan, mit .dem die Bundesregierung unter Konrad Adenauer, unterstützt von der großen Mehrheit dieses Hauses, damals an dieses wahrhaft historische Werk herangegangen ist; denn leider müssen wir feststellen, meine Damen und Herren, daß von diesem Elan, von diesem starken politischen Willen, der uns früher alle erfüllte, vieles verlorengegangen zu sein scheint.
In der Präambel zu den Römischen Verträgen heißt es unter anderem: „In dem festen Willen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen, und entschlossen, durch diesen Zusammenschluß ihre Wirtschaftskräfte, Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen, und mit der Aufforderung an die anderen Völker Europas. die sich zu dem gleichen hohen Ziel bekennen, sich diesen Bestrebungen anzuschließen ...".
Nun, meine Damen und Herren, was für große Worte sind damals gesprochen worden! Heute kann festgestellt werden, daß die Erwartungen des Bundestages und auch der Bundesregierung im sogenannten politischen Bereich bisher nicht erfüllt worden sind. Die europäische Vollföderation, die das Ziel war, nämlich neben der Wirtschaftspolitik auch die Außen- und Verteidigungspolitik in die Integration einzubeziehen, ist leider bisher gescheitert.
Ich erinnere Sie an die letzte gemeinsame Initiative der sechs EWG-Staaten. Das war die Konferenz der Staats- und Regierungschefs, die im Juli 1961 in Bonn stattgefunden hat. Auf dieser Sitzung wurde damals beschlossen, eine Kommission von Regierungssachverständigen mit der Ausarbeitung eines neuen Vertrages über die politische Zusammenarbeit in Europa zu beauftragen. Die Arbeiten sind aufgenommen. Sie erinnern sich an den sogenannten Fouchet-Plan, an den Catani-Ausschuß. Sehr bald aber wurden anscheinend unüberwindbare Meinungsverschiedenheiten sichtbar, und die Verhandlungen wurden abgebrochen.
Bei den in der Zwischenzeit abgehaltenen Konferenzen auf höchster Ebene, der sogenannten EWG-Gipfelkonferenz, wurde zwar immer wieder die Notwendigkeit eines politisch geeinten Europas, beginnend mit einer engeren Zusammenarbeit der sechs EWG-Länder, mit eindringlichen Worten hervorgehoben, aber konkrete Schritte, geschweige denn irgendwelche Erfolge, sind ausgeblieben. Die wirtschaftliche Integration ist entgegen dem Geist und der Präambel der Verträge zum Selbstzweck geworden. Man spricht überhaupt nicht mehr oder kaum noch über eine politische Einheit, man spricht nur noch von der Wirtschaftsunion.
Die EWG wird eingemauert und kann nichts mehr von jenem politischen Dynamismus beweisen, der sie einst so anziehend gemacht hat. Es kommt doch wohl nicht von ungefähr, daß die Anziehungskraft der Gemeinschaft auch auf die Bevölkerung in dritten Ländern merklich verloren hat, wie erst kürzlich eine Meinungsumfrage in Großbritannien ergeben hat. Es hat allen Anschein, daß die EWG, wie eine große deutsche Tageszeitung in den vergangenen Tagen geschrieben hat, politisch ausgehungert wird, da ihr ein Mitgliedsland mehr und mehr die Integrationsnahrung entzogen hat.
So stehen wir vor der ernsten Gefahr, daß diese Europäische Gemeinschaft zu einem Europa der Abschöpfungen und der Erstattungsbeträge wird. Daß man mit einem solchen Europa keine Begeisterung mehr entfachen kann, die vor allem auch unsere Jugend mitreißt, bedarf wohl keiner Frage.
Wenn ich von einem Lande spreche, so möchte ich das unterstreichen, was der Kollege Apel soeben gesagt hat. Es ist nicht nur ein Land, sondern in der einen oder anderen Frage gibt es überall Schwierigkeiten. Für den festen Willen, Hoheitsbefugnisse auf eine supranationale Behörde zu übertragen, ist - Gott sei's geklagt! - nicht mehr die alte Bereitschaft vorhanden.
Was kann angesichts dieser Situation geschehen, und welche unmittelbaren Aufgaben könnte die Europäische Gemeinschaft demnächst in Angriff nehmen? Es geht zunächst einmal - ich darf hier an das anknüpfen, was auch Herr Kollege Apel gesagt hat - um die innere Konsolidierung der Gemeinschaft.
Wenn seit dem 1. Juli die Zollunion verwirklicht ist und auch die gemeinsame Agrarpolitik im wesentlichen festliegt, so ist damit zwar ein bedeutender Schritt auf dem Wege der Wirtschaftsintegration getan, jedoch liegt die Vollendung einer echten und vollständigen Wirtschaftsunion noch vor uns. Fahren Sie einmal heute in die Niederlande und kommen in Venlo an die Grenze oder umgekehrt von Holland nach hierhin, dann wird Sie der Zollbeamte genauso fragen wie bisher: „Haben Sie etwas zu verzollen oder anzugeben?" Wenn Sie dann sagen: „Wir haben doch eine Zollunion!", wird er Ihnen sagen: „Na ja, das sind keine Zölle mehr, aber es sind steuerliche Abgaben, die entrichtet werden müssen." Das ist für den Verbraucher und
für den Bürger völlig gleichgültig, ob es sich um Zölle oder um Steuern handelt. Also von einer echten Wirtschaftsunion können wir erst sprechen, wenn auch die Steuergrenzen beseitigt sind und es zu einem wirklich freien Warenverkehr kommen kann.
Ich denke hier auch an die gemeinsame Handelspolitik, vor allem gegenüber den Staatshandelsländern. Hier sind wir, glaube ich, in der Gefahr, angegriffen zu werden, weil wir in der Frage des Osthandels in der Gemeinschaft bremsend gewirkt haben. Die gemeinsame Handelspolitik ist nicht etwa, wie vielleicht die Sozialpolitik, in den Verträgen so angerissen worden, sondern nach den Verträgen muß am Ende der Übergangszeit, d. h. also Ende Dezember 1969, die gemeinsame Handelspolitik betrieben werden. Daran geht kein Weg vorbei, wenn wir nicht außerhalb der Verträge handeln wollen.
Meine Damen und Herren, hier bleibt noch eine ganze Menge zu tun. Hier haben wir wirklich die Möglichkeit, im Rahmen der Verträge alle, Mitgliedsländer der Gemeinschaft aufzufordern - und uns selbst, unsere eigene Regierung -, sich vertragsgemäß zu verhalten. Die französische Regierung betont bei jeder Gelegenheit, wie sehr sie am inneren Ausbau der Gemeinschaft interessiert ist. Nun, meine Damen und Herren, wir sollten sie hier beim Wort nehmen; denn das gehört mit zu den Beschlüssen von Luxemburg, damals bei der ersten großen Krise, daß sich die französische Regierung bereit erklärt hat, neben der Agrarunion auch die Wirtschaftsunion zu vollenden. Daran können wir sie erinnern, und hier erinnern wir sie nur an etwas, wozu sie im Rahmen der Römischen Verträge verpflichtet ist.
Aber ich sprach vorhin auch von gewissen anderen Partnerländern. Da ist es wieder so, daß man den inneren Ausbau der Gemeinschaft davon abhängig macht, daß Großbritannien vorher beitritt, von dem Beitritt anderer Länder also, und sogar ein Junktim daraus macht. Auch das würde ich für unzulässig halten, hier ein Junktim zu schaffen. Das widerspricht nämlich den Römischen Verträgen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf ein gewisses Integrationsgefälle hinweisen, das in den letzten Jahren immer mehr sichtbar geworden ist. Die fast als perfekt zu bezeichnende Integration auf dem Agrarsektor mit mehr oder weniger zentralistischen Marktordnungen ist bisher nicht durch entsprechende Integrationsbemühungen auf dem gewerblichen und industriellen Sektor ergänzt worden. Die Bundesrepublik, die hier positiv mitgearbeitet hat und zum Teil erhebliche Opfer hierfür gebracht hat - ich erinnere an die Senkung des Getreidepreises, ich erinnere an unsere steigenden Aufwendungen für den europäischen Agrarfonds -, kann, glaube ich, mit gutem Recht darauf bestehen, daß diejenigen Partnerstaaten, denen damit ein besonderes Entgegenkommen gezeigt wurde, nunmehr auch die Integration auf den übrigen Sektoren energisch vorantreiben. Ich möchte dabei an die Notwendigkeit der Harmonisierung der Steuerpolitik erinnern. Ich sagte eben, eine Wirtschaftsunion haben wir erst dann voll und ganz, wenn auch die Steuerprobleme geregelt sind.
Lassen Sie mich ein zweites wichtiges Problem ansprechen, daß unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen muß, und zwar die Fusion der drei europäischen Gemeinschaften zu einer einzigen Gemeinschaft. Dieser Aufgabe hat sich die zusammengelegte Kommission unterzogen. Hierfür ist eine Frist von drei Jahren vorgesehen. Wenn man daran denkt, daß dieser neue Vertrag dann auch noch durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden muß, dann wird einem klar, daß es die höchste Zeit wird, daß wir mit dieser Arbeit beginnen.
Ich glaube, hier aber auch eines sagen zu dürfen und sagen zu müssen. Im großen und ganzen hat sich der bisherige EWG-Vertrag bewährt. Er kann also durchaus die Grundlage eines neuen, gemeinsamen Vertrages werden. Es sind zwar einige Änderungen durchaus nötig; ich denke hier z. B. an die Energie- und Forschungspolitik. Aber ich möchte glauben, daß in diesem neuen Vertrag auch eine Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments angesprochen werden muß. Es ist einfach unmöglich, meine Damen und Herren, daß die nationalen Parlamente Kontrollrechte abgeben und diese nicht von einem Parlament in Europa wahrgenommen werden, sondern daß sie vom Ministerrat, von der Bürokratie und teilweise von den Kommissionen wahrgenommen werden;
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ein Zustand, meine Damen und Herren, der für uns als Parlamentarier einfach unmöglich ist.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eines zu diesem vor uns stehenden neuen Vertrag sagen. Es muß unter allen Umständen verhindert werden, daß der neue Vertragstext eine Verwässerung des bisher erreichten Integrationsgedankens enthält; und die Gefahr ist sehr groß, meine Damen und Herren. Sie kennen die Auffassung der französischen Regierung, und ich sage hier dazu, meine Damen und Herren: auch anderer Regierungen, nicht nur der französischen. Man möchte von dieser Integration zumindest nicht mehr soviel wissen wie 1958. Hier gilt es in der Tat, wachsam zu sein, wenn diese Dinge zur Debatte stehen. Es wird auch die Rede von der gemeinsamen Währungspolitik und vor allen Dingen von der neuen Politik auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Technologie sein.
Lassen Sie mich das dritte große Problem anschneiden, und zwar die Beitritts- und Assoziierungswünsche anderer Länder. Wir haben uns als Deutscher Bundestag immer für den Beitritt Großbritanniens und der anderen beitrittswilligen Länder ausgesprochen. Ich glaube, diese Erweiterung ist aus wirtschaftlichen und politischen Gründen erstrebenswert und notwendig. Wenn ich an die Ereignisse in der CSSR denke, muß ich mich doch fragen: wo war eigentlich damals die Stimme Europas? Die hat es doch einfach nicht gegeben.
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Wenn es jemals sichtbar wurde, wie notwendig es
ist, eine politische Gemeinschaft in Europa zu schafIllerhaus
fen, dann waren es jene Tage in der Tschechoslowakei, die uns allen die Augen geöffnet haben.
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Die Konsequenzen, die wir aus den Ereignissen in der Tschechoslowakei ziehen müßten, sollten doch wirklich für alle Mitgliedsländer eine letzte Warnung sein, in dieser Beziehung aktiv zu werden.
Sicherlich, der Herr Bundeskanzler hat mit Recht gesagt, wenn wir heute mit den Beitrittsverhandlungen begännen, könne niemand annehmen, daß wir etwa Ende dieses oder des nächsten Jahres die Verhandlungen abschließen können. Es werden in der Tat zwei, drei Jahre darüber ins Land gehen, ehe wir zu einer Einigung kommen. Aber wenn man anfängt, liegen immer noch die drei Jahre vor uns. Wenn man nach drei Jahren anfängt, sind es schon sechs Jahre. Das zeigt doch, wie notwendig es ist, jetzt mit den Verhandlungen zu beginnen und sie nicht von bestimmten Bedingungen abhängig zu machen. Wenn bei der Gründung der Montanunion oder bei den Verhandlungen über die Römischen Verträge solche Bedingungen an einzelne Mitgliedsländer gestellt worden wären, wie man sie jetzt an Großbritannien und andere Länder stellt, wären die Römischen Verträge nie unterschrieben worden, und wir wären nie zu einem Ergebnis gekommen.
Worauf es ankommt, ist die möglichst schnelle Aufnahme von Verhandlungen mit Großbritannien und den anderen Ländern. Denn ein Urteil kann man doch erst im Rahmen dieser Verhandlungen abgeben. Erst wenn solche Verhandlungen geführt werden, kann man feststellen, ob man zu einem Ergebnis kommen kann oder nicht. Man kann doch nicht einfach sagen: Wir könen nicht verhandeln, weil wir nicht wissen, wie die Dinge auslaufen werden.
Eine gute Grundlage hierfür scheint uns der Vorschlag der Bundesregierung zu sein, der auf ein sogenanntes Arrangement hinausläuft. Dieser Vorschlag - darüber sind wir doch sicher mit der Bundesregierung einig - ist ein absolutes Mindestprogramm, das wir vorgelegt haben. Wir sind sogar glücklich darüber, daß die britische Regierung von ihrem einmal eingenommenen Standpunkt „Alles oder nichts" weggegangen ist und heute bereit ist, überein Arrangement mit uns zu verhandeln, wenn diese Verhandlungen dann zu einem eventuellen Beitritt führen.
Wir sollten Frankreich an die Gespräche vom 16. Februar erinnern. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt und noch einmal betont, daß die französische Regierung bei den jetzigen Gesprächen erneut zu ihrer Zusage vom 16. Februar gestanden hat. Deshalb sollte die Bundesregierung den Franzosen sagen: Hic Rhodus, hic salta, nun wollen wir auf dem Boden dessen verhandeln was ihr im Februar selbst zugestanden habt.
Wenn die französische Regierung sich in der Tat strikt weigert, irgend etwas zu tun oder einer Sache zuzustimmen - einem Arrangement oder so ähnlichem -, dann muß man sich nicht wundern, wenn immer wieder von allen möglichen Seiten gefordert wird, die Zusammenarbeit mit Großbritannien und den anderen Ländern auf den Gebieten, die nicht durch die Verträge gedeckt sind, zunächst auch ohne Frankreich aufzunehmen. Ich sage: man muß sich nicht wundern, wenn solche Vorschläge dann auftauchen. Da denkt man natürlich an das Gebiet der Technologie oder an die Rüstungswirtschaft oder an eine engere politische Koordination. Sie wissen -Herr Apel hat soeben noch einmal darauf hingewiesen -, daß solche Vorschläge jetzt wieder von Belgien, von den Niederlanden und von Italien gemacht worden sind. Die französische Regierung sollte die darin liegende Gefahr einer abermaligen Spaltung im freien Teil Europas endlich klar erkennen und sie unter allen Umständen abwehren.
Ich denke daran, daß der französische Staatspräsident nach den Zeitungsberichten hier in Bonn auf die Frage, ob er sich eine EWG auch ohne Frankreich vorstellen könne, geantwortet hat: An sich schlecht, aber wenn es sein müßte, könnte Frankreich auch ohne die EWG leben. Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt - ich habe das vor 14 Tagen schon im Europäischen Parlament gesagt -: wenn der französische Staatspräsident sich von Sachverständigen beraten läßt, wird er feststellen, daß er nur unter allerschwerster eigener Schädigung aus der EWG heraus kann. Aber wir wissen aus der Vergangenheit, daß in Frankreich sehr oft sachliche Momente von politischen Ansichten überdeckt werden, und da muß man allerdings mit allem rechnen.
Der französische Ministerpräsident Debré hat davon gesprochen, daß eine Erweiterung zum jetzigen Zeitpunkt ein Sprung ins Ungewisse sei. Ja, meine Damen und Herren, war denn nicht 1957 die Gründung der ganzen Europäischen Gemeinschaft ein Sprung ins Ungewisse? Sind wir denn nicht 1958 von diesem Elan ausgegangen, Europa zu schaffen, und haben wir nicht gesagt: Wir wollen anfangen, dann werden wir auch mit den Schwierigkeiten fertigwerden?
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Ich glaube, man sollte die großen Chancen dabei sehen und voranmachen.
Der Herr Bundeskanzler hat gesagt - auch ich bin da nicht recht mitgekommen, und ich weiß nicht, ob der Eindruck erweckt worden ist, als ob wir uns in Europa zuviel vorgenommen hätten -, man solle nicht dogmatisch, sondern pragmatisch vorgehen. Ich bin der Meinung - lassen Sie mich das offen sagen -: wenn Frankreich z. B. zu den Beitrittsabsichten Großbritanniens nein gesagt hat, so handelt Frankreich damit im Rahmen der Verträge; denn nach den Römischen Verträgen hat Frankreich, hat jedes Mitgliedsland das Recht, nein zu sagen. Ob es politisch oder moralisch richtig handelt, ist eine andere Frage; aber wir sollten jedenfalls die französische Regierung - und alle anderen, auch uns selbst - bei den Dingen, die im Rahmen der Verträge gemacht werden müssen, jeden Tag daran erinnern, daß wir hier etwas zu tun haben.
Die europäischen Einigungsbestrebungen, die in den 50er Jahren von Adenauer, de Gasperi, Schuman und Henri Spaak unternommen worden sind,
sind - das müssen wir leider Gottes feststellen - ins Stocken geraten. Eine allgemeine Lethargie scheint sich auszubreiten, und die Europäische Gemeinschaft läuft Gefahr, sich in die Winterquartiere zurückzuziehen, wie ein Brüsseler Journalist vor einigen Tagen geschrieben hat.
In dieser Situation dürfen wir unter keinen Umständen resignieren. Unsere Jugend und die kommenden Generationen hätten kein Verständnis dafür, wenn wir das europäische Integrationswerk, das größte Werk in der Nachkriegsgeschichte, verkümmern ließen. Wir müssen alle unsere Bemühungen darauf richten, das Erreichte zu bewahren und Fortschritte in neuen Bereichen zu erzielen.
Die deutsch-französische Freundschaft und die Zusammenarbeit mit Frankreich bleibt das Kernstück und das Fundament der europäischen Einigung. Lassen Sie mich auch das sagen: Es werden viele Verträge zwischen Ländern auf Regierungsebene abgeschlossen, die bei der Bevölkerung nicht ankommen. Wenn je ein Vertrag bis in die Bevölkerung hinein weite Zustimmung gefunden hat, dann ist es der deutsch-französische Vertrag.
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Der Mann auf der Straße in Deutschland und in Frankreich freut sich darüber. Fragen Sie unseren Bundesminister für Familie und Jugend einmal, wie sich der deutsch-französische Jugendaustausch entwickelt hat - viel weiter und größer und besser, als wir je zu hoffen gewagt haben! Das ist eine Hoffnung, die wir nähren und pflegen sollten.
Aber in einem stimme ich und stimmen, glaube ich, wir alle dem Bundeskanzler zu: es kann nicht in Frage kommen, die These zu verteidigen, Großbritannien statt Frankreich in die EWG aufzunehmen. Das wäre, glaube ich, verhängnisvoll. Wir müssen das, was wir haben, behalten und versuchen, mehr zu erreichen. Wir müssen jede Anstrengung unternehmen, um die Sechsergemeinschaft innerlich zu entwickeln und auch zu erweitern.
Ich möchte daher den Herrn Bundeskanzler und auch die Herren Bundesminister des Auswärtigen, der Finanzen, für Wirtschaft und Landwirtschaft eindringlich bitten, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen und mit aller Energie und mit viel Phantasie und vor allem mit einem festen politischen Willen neue Impulse in die europäische Einigung zu bringen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege, teilen Sie meine Auffassung, daß die Bundesregierung ebenso wie dieses Hohe Haus die Möglichkeiten, die der Europarat, also die umfassendste und älteste europäische Institution, bietet, wesentlich intensiver und besser nutzen könnte?
Frau Kollegin, wir waren ja gerade vor einigen Wochen zusammen in Straßburg bei der gemeinsamen Tagung des Europarates und des Europäischen Parlaments. Diese gemeinsame Tagung findet im Rahmen der Römischen Verträge einmal im Jahr statt. In der Tat habe ich auch bei anderen Gelegenheiten festgestellt, daß andere europäische Regierungen immer wieder durch ihre Außenminister oder sonstige zuständige Minister im Europarat vertreten sind und auch dort das Wort ergreifen. Ich glaube, daß die Bundesregierung hier tatsächlich einiges versäumt hat und besser machen könnte als in der Vergangenheit. Da bin ich mit Ihnen vollkommen einig.
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Genauso - lassen Sie mich auch das noch in Ergänzung zu meiner Antwort sagen - ist es in den Fraktionen. Das ist sicherlich kein böser Wille. Ich glaube, ich sage nichts Ungenaues, wenn ich hier von allen drei Fraktionen spreche. Man sagt: Ach, das sind die „Europäer", als ob man uns nicht ernst nähme, anstatt sich selbst mit den Problemen zu befassen und sich um die Dinge zu kümmern.
Meine Damen und Herren, wenn wir einmal 10, 20, 30 Jahre weiter sind, wird man in Europa nicht mehr dort stehen, wo wir heute stehen. Man wird aber uns, die wir heute Europa bauen und Politik machen, nach dem beurteilen, was wir für Europa getan haben, und nicht nach dem, was wir in schönen Worten gesagt haben.
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Meine Damen und Herren, ich habe keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache geht morgen nach der Fragestunde weiter.
Ehe ich das Haus vertage, rufe ich wegen der heute noch notwendigen Überweisung die Punkte 7 a und b unserer Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen .aus der gesetzlichen Unfallversicherung ({0})
- Drucksache V/3335 -
b) Beratung ides Berichts der Bundesregierung über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen ({1}) sowie das Gutachten des Sozialbeirats über die Rentenanpassung ({2})
- Drucksache V/3256 Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates Punkt 7 a: Ausschuß für Sozialpolitik federführend,
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung; Punkt 7 b: Ausschuß für Sozialpolitikfederführend, Haushaltsausschuß mitberatend - liegen Ihnen vor.
Zu den Überweisungsfragen Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Vorsitzender des Ausschusses für Sozialpolitik erkläre ich im Auftrage der sozialpolitischen Sprecher der drei Fraktionen folgendes: Wir sind übereingekommen, in erster Lesung auf eine Aussprache zum Elften Rentenanpassungsgesetz und zum Sozialbericht zu verzichten, um die beschleunigte Überweisung der Vorlagen zu erreichen.
Der Ausschuß für Sozialpolitik wird morgen nach Schluß der Plenarsitzung seine Beratungen aufnehmen, um zu erreichen, daß die Auszahlung der Anpassungsbeträge möglichst schon zusammen mit den Renten für den Monat Februar 1969, also einen
Monat früher als in den letzten Jahren, erfolgen kann.
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Ich muß dennoch zur ersten Beratung aufrufen. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisung des Entwurfs soll erfolgen an den Ausschuß für Sozialpolitik und an den Haushaltsausschuß, aber nicht mitberatend - in unserer Vorlage heißt es, daß der Haushaltsausschuß mitberatend sein soll -, sondern nur gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Ebenso soll die Vorlage unter b an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend - und an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein für morgen vormittag, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.