Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich spreche die Glückwünsche des Hauses aus dem Herrn Abgeordneten Struve zum 65. Geburtstag
({0})
und dem Herrn Abgeordneten Dr. Seume ebenfalls zum 65. Geburtstag:
({1})
Nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung soll die Vorlage des Präsidenten des Bundesrechnungshofes betreffend Prüfung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein in Offenbach --- Drucksache V/2884 dem Finanzausschuß überwiesen werden. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Silzung am 10. Mai 1968 den
nachstehenden Gesetzen zugestimmt:
Gesetz über technische Arbeitsmittel
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten ({2})
Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten ({3})
Der Bundesminister des Innern hat am 9. Mai 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Franz, Wagner, Wieninger, Schlager und Genossen betr. Verbesserung der Altersversorgung von Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst - Drucksache V/2828 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2905 verteilt.
Der Bundesminister dus Innern hat am 10. Mai 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Besold, Frau Pitz-Savelsberg, Vogt und Genossen betr. lernbehinderte Kinder - Drucksache V/2827 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2912 verteilt.
Die Fraktion der FDP hat ihren Antrag betr. Vietnam-Konflikt - Drucksache V/2638 im Hinblick auf die Überweisung ihres Entschließungsantrags ({4}) in der 168. Sitzung als erledigt erklärt.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir jetzt nicht in die Tagesordnung eintreten. Sie sehen, daß die Fraktion der SPD noch nicht hier sein kann. Sie hat mich soeben gebeten, die Plenarsitzung noch etwas aufzuschieben. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der mir etwas prophylaktisch genannte Termin 10.30 Uhr eingehalten werden kann. Infolgedessen habe ich es auf jeden Fall für richtiger gehalten, jetzt erst einmal die Sitzung zu eröffnen und sie dann zu vertagen. Ich frage, ob es sinnvoll ist, die Sitzung auf 10.30 Uhr einzuberufen
({5})
oder ob wir gleich 11 Uhr ins Auge fassen sollen.
({6})
- Herr Abgeordneter Scheel, ich habe einen Zwischenruf aufgefangen. Ich gebe Ihnen gern das Wort zur Geschäftsordnung, wenn Sie das wünschen.
({7})
- Der Zwischenruf genügt?
({8}) Den betrachte ich nicht als Antrag.
Also, meine Damen und Herren, 10.30 Uhr! Ich mache aber darauf aufmerksam, daß wir dann die Fragestunde am besten heute abend abhalten und unverzüglich in die Beratung der Hauptvorlage des Tages eintreten. Ich glaube, es noch nicht präzise sagen zu können, aber ich bitte in Aussicht zu nehmen: Fragestunde heute abend um 20 Uhr. Als Erstes wird aber gleich um 10.30 Uhr der Einspruch des Bundesrates verhandelt. Dazu brauchten wir eine Zweidrittelmehrheit des Hauses.
Ich unterbreche die Sitzung bis 10.30 Uhr.
({9})
Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktionen der CDU/CSU und SPD bitte ich, die heutige Tagesordnung zu erweitern um die Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes - Drucksache V/1879 -, um die Beratung des von der FDP-Fraktion eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall - Drucksache V/2130 - und um den Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses dazu, Drucksache V/2873.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Wir sind der Meinung, daß nach jahrelangen Vorarbeiten dieser Punkt nunmehr entscheidungsreif ist.
({0})
Das Wort zur Tagesordnung hat der Herr Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei wird gegen diesen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD stimmen. Wir schlagen vor, die zweite Lesung dieser Vorlage am 29. Mai 1968 abzuhalten. Wir sind aber auch bereit, in der nächsten Woche in einer Sondersitzung des Parlaments zur Behandlung dieser wichtigen Materie zusammenzukommen.
({0})
- Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihre Heiterkeit wäre vielleicht noch am letzten Freitag verständlich gewesen. Die Tatsache, daß wir heute den Beginn der Plenarsitzung zweimal verschieben mußten, weil eine große Fraktion des Hauses diese wichtige Materie noch zu erörtern hatte, beweist die Richtigkeit unserer Bedenken, die wir bereits in der letzten Woche vorgebracht haben.
({1})
Am letzten Freitag ist die hier genannte Vorlage dem Hause zugegangen. Die Änderungsanträge der Fraktionen gehen erst jetzt den Mitgliedern des Hauses zu. Angesichts der weittragenden Bedeutung dieser zweiten Lesung ist es erforderlich, daß jedes einzelne Mitglied des Hauses nicht nur die Bedeutung der einzelnen Bestimmungen der Vorlagen der Ausschüsse kennt, sondern daß es auch die Tragweite der Anträge und der möglichen Veränderungen der Ausschußbeschlüsse beurteilen kann. Aus diesem Grunde wollen wir eine Pause zur Beratung und Prüfung der Anträge vorschlagen.
Meine Damen und Herren, ich darf hinzufügen, daß dieser zweiten Lesung in Wahrheit die Bedeutung einer dritten Lesung zukommt; denn die Bundesregierung wird nach dem erklärten Willen aller Fraktionen dieses Hauses auf der Grundlage der Beschlüsse der zweiten Lesung mit den Alliierten über die Ablösung der Vorbehaltsrechte verhandeln. Sollten die Alliierten auf dieser Grundlage der Ablösung zustimmen, wäre das Hohe Haus sicher gehindert, in der dritten Lesung noch wesentliche Veränderungen vorzunehmen. Das heißt also, daß die Beschlüsse, die heute und morgen hier ergehen, praktisch abschließende Bedeutung haben.
Aus allen diesen Gründen bitten wir Sie, nicht heute über diese Vorlagen zu beraten, sondern entweder am 29. Mai oder in der nächsten Woche.
({2})
Keine weiteren Anträge zur Tagesordnung. Ich lasse zunächst über den Antrag des Herrn Abgeordneten Rasner abstimmen, die mitgeteilten Vorlagen V/1879, V/2130 und V/2873 auf die Tagesordnung zu setzen. Wer
damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag des Abgeordneten Rasner ist angenommen. Die aufgerufenen Vorlagen werden als Punkt 3 auf die Tagesordnung von heute gesetzt.
Meine Damen und Herren! Ehe ich den Punkt 2 der Tagesordnung aufrufe, erlauben Sie mir ein Wort zur Geschäftslage. Ich glaube, das Haus ist damit einverstanden, daß wir an der Mittagspause wie üblich festhalten, d. h. von 13 bis 15 Uhr Mittagspause machen. Ich setze die Fragestunde, das Einverständnis des Hauses unterstellend, für heute auf 20 Uhr fest. Wir brauchen einen festen Termin, damit sich die Regierungssprecher darauf einrichten können.
Ich unterstelle damit, daß nachher, wenn wir den Punkt 2 behandelt haben, gleich die zweite Lesung der Notstandsgesetze beginnen kann. - Einverständnis? - Es ist so beschlossen.
Nun rufe ich den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Einspruchs des Bundesrates gegen das vom Bundestag beschlossene Gesetz über eine Statistik der Einkommen- und Körperschaftsteuererklärungen
- Drucksache 2899 Ich frage, ob das Wort zur Begründung des Einspruchs gewünscht wird. - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Sollen Erklärungen abgegeben werden? - Ich sehe keine Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Bundesrat hat vorsorglich beschlossen, Einspruch gegen das aufgerufene Gesetz einzulegen, falls sich ergeben sollte, daß das Gesetz - entgegen der Ansicht des Bundesrates - nicht seiner Zustimmung bedarf. Da der Bundesrat den Einspruch einstimmig beschlossen hat, bedarf die Zurückweisung durch den Bundestag nach Art. 77 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes einer Mehrheit von zwei Dritteln der Abstimmenden, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Die Mehrheit der stimmberechtigten Abgeordneten beträgt 249 Mitglieder.
Meine Damen und Herren, wir stimmen auf Grund dieser Bestimmungen jetzt über die Zurückweisung des Einspruchs ab, und zwar im Wege der Auszählung. Wir müssen das tun, wir brauchen genaue Zahlen. Wer den Einspruch des Bundesrates zurückweisen will, der gehe durch die Ja-Tür, wer das nicht will, wer also dem Bundesrat zustimmen will, der muß durch die Nein-Tür gehen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Es sind 448 Stimmen abgegeben worden, davon 245 Ja-Stimmen, 201 NeinStimmen und 2 Enthaltungen. Es wurden 2 Berliner Nein-Stimmen und 6 Berliner Ja-Stimmen abgegeben. Die sich auf Grund der abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen für die Zurückweisung des Einspruchs ergebende erforderliche Zahl von Stimmen, also eine Zweidrittelmehrheit, beträgt 297. Dafür sind aber nur 245 Stimmen abgegeben worden. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit und zugleich die Mehrheit der
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Mitglieder des Bundestages von 249 sind daher nicht. erreicht.. Damit ist der Einspruch des Bundesrats nicht zurückgewiesen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes
- Drucksachen V/1879, V/2130 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache V/2873 -({2})
Ich frage den Berichterstatter, den Herrn Abgeordneten Dr. Lenz ({3}), ob er das Wort wünscht. - Bitte sehr, das Wort hat als Berichterstatter der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des Rechtsausschusses dieses Hauses darf ich Ihnen den Bericht fiber den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes und über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall vorlegen.
Der Vorlage ist eine nahezu zehn Jahre lange öffentliche Diskussion über dieses Thema und eine über ein Jahr dauernde Diskussion über den Vorschlag der Bundesregierung vorausgegangen. Die zuständigen Ausschüsse haben im November und Dezember letzten Jahres in fünf öffentlichen Informationssitzungen von einer Gesamtdauer von 45 Stunden zusammen 42 Befürworter und Gegner einer Vorsorgeregelung für den Notstand angehört. In diesen öffentlichen Anhörungen sind alle Aspekte dieses Problems zur Sprache gekommen. Der Ihnen vorgelegte Entwurf hält sich im Rahmen dieser Erörterungen.
Der Rechtsausschuß hat in den folgenden Wochen der Beratung der beiden Entwürfe den Vorrang vor allen anderen Arbeiten eingeräumt und in 15, zum Teil ganztägigen Sitzungen den Ihnen heute vorliegenden Entwurf erarbeitet. Der Rechtsausschuß hat seine sachlichen Beratungen Anfang April abgeschlossen, mit Ausnahme des Punktes Widerstandsrecht.
Der Bericht ist fristgericht vorgelegt worden. Von unangemessener Hast oder gar von „Durchpeitschen" kann unter diesen Umständen keine Rede sein.
({0})
Ich möchte die Behauptung wagen, daß es nur sehr wenige Vorlagen in diesem Hause gegeben hat, auf deren Beratung und Beschlußfassung das Haus so gründlich vorbereitet war wie im Falle dieser Vorlage.
({1})
Auf den Inhalt der Vorlage möchte ich im einzelnen jetzt nicht eingehen. Dazu wird im Laufe des
Tages, dessen bin ich sicher, ausreichend Gelegenheit sein. Ich möchte jetzt nur einige Klarstellungen vornehmen, die mir in diesem Augenblick wichtig zu sein scheinen.
Es ist nicht wahr, daß dieser Entwurf den Weg zur Diktatur bereitet. Der vorliegende Entwurf hält unter parlamentarischen und rechtsstaatlichen Gesichtspunkten jeden Vergleich mit jeder Vorsorgeregelung für den Notfall aus, die es auf der Welt gibt.
({2})
Es ist nicht wahr, daß durch diesen Entwurf den gewerkschaftlichen Rechten der Boden entzogen wird. Im Gegenteil, der Entwurf verankert das bestehende Arbeitskampfrecht ausdrücklich in der Verfassung.
Es ist nicht wahr, daß durch diesen Entwurf die staatsbürgerlichen Freiheiten beseitigt werden. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsfreiheit werden durch den Entwurf nicht berührt. Auch soweit die Freizügigkeit, das Recht der Berufswahl und das Recht auf Eigentum einschränkbar gemacht werden, bleiben diese Grundrechte dem einseitigen Zugriff der Bundesregierung entzogen.
Es ist nicht wahr, daß durch diese Vorlage der Bürgerkrieg vorbereitet wird. Sowohl bei der Formulierung des staatsbürgerlichen Widerstandsrechts als auch bei der Möglichkeit der Bundesregierung, im äußersten Notfall Truppen gegen militärisch bewaffnete Aufständische einzusetzen, hat der Rechtsausschuß sich bemüht, klarzustellen, daß dies nur die Ultima ratio, das letzte Mittel sein dürfe, wenn alle anderen Mittel versagt haben.
Es ist auch nicht wahr - und ich habe aktuellen Anlaß, das zu sagen -, daß diese Vorlage eine Waffe im Kalten Krieg ist oder dazu dient, die internationalen Spannungen zu verschärfen. Ihre Verabschiedung demonstriert den Willen des deutschen Volkes zur Selbstverteidigung, aber auch nicht mehr. Indem sie dies klarstellt, mindert sie Gefahren, die aus einer Fehleinschätzung unserer Haltung entstehen könnten.
Dieser Entwurf, meine Damen und Herren, ist kein Freibrief für Abenteuer oder für einseitige Aktionen.
({3})
Er ist aber auch kein Pappschwert. Er verweigert nicht Parlament und Regierung Vollmachten, deren sie bedürfen, die freiheitlichen demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen unserer Republik zu erhalten.
Dieses Gesetz ist notwendig, um die alliierten Vorbehaltsrechte zum Erlöschen zu bringen, auf Grund deren die Drei Mächte noch heute die oberste Staatsgewalt in der Bundesrepublik übernehmen können.
Dieses Gesetz ist notwendig, um die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte und den Schutz der Bevölkerung im Verteidigungsfall sicherzustellen, soweit dies unter den Bedingungen moderner militärischer Konflikte überhaupt möglich ist.
Dr. Lenz ({4})
Dieses Gesetz ist notwendig, um der Zusammenfassung der Hilfsmittel von Bund und Ländern bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen die Rechtsgrundlage zu geben.
Dieses Gesetz ist notwendig, um von innen drohende Gefahren für die demokratische Verfassungsordnung unserer Bundesrepublik abzuwehren, von welcher Seite und mit welchen Mitteln sie auch kommen mögen.
Meine Damen und Herren, zum zweiten Male findet im Bundestag eine zweite Lesung einer Notstandsverfassung statt. Beim ersten Male gaben die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ihre Zustimmung zu dem damaligen Entwurf. Die SPD-Fraktion erklärte sich weitgehend einverstanden, gab aber ihre Zustimmung nicht, weil einige wenige Fragen nach ihrer Ansicht nicht zufriedenstellend beantwortet waren. Diese Fragen werden durch den jetzt vorgelegten Entwurf beantwortet, und dieser Entwurf hat auch die Zustimmung von Kollegen der SPD-Fraktion gefunden. Der Rechtsausschuß hofft deshalb auf die Annahme seiner Vorlage.
Meine Damen und Herren, wenn diese Vorlage abgelehnt würde, dann heißt das nicht, daß es keine Vorsorge für den Notfall geben wird. Es wird dann nur keine gesetzliche Grundlage dafür geben,
({5})
und deshalb wird niemand wissen, wie diese Vorsorge aussehen wird.
({6})
Werden sich die Alliierten in der Stunde der Not dann auf ihre Vorbehaltsrechte nach Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages stützen? Werden wir wiederum Vorbereitungen für diesen Fall treffen müssen? Meine Damen und Herren, wir wissen es nicht.
Werden sich Kanzler und Regierung auf ihren Amtseid berufen müssen, worin sie schwören, Schaden von unserem Volk zu wenden? Werden sie daraus das Recht und die Pflicht herleiten, das zu tun, was zur Abwehr von Schaden für unser Volk notwendig ist? Werden die Regelungen, die dann geheim und unter Ausschluß des Parlaments vorbereitet werden müssen, wirksamer und rechtsstaatlicher sein als die von uns vorbereiteten? Wir wissen es nicht.
Bringen wir uns nicht in die Lage, daß wir mangels rechtzeitiger Vorsorge in der Stunde der Not nichts anderes mehr beschließen können als das alte „Videant consules, ne quid res publica detrimenti capiat", „mag die Regierung zusehen, daß das Vaterland keinen Schaden leide". In diese Lage sollten wir uns nicht bringen.
({7})
Dieser Entwurf ist - damit verrate ich, glaube ich, keiner Seite dieses Hauses etwas Neues - ein Kompromiß, das heißt, ein Gebäude von Konzessionen und Gegenkonzessionen, bei denen man Änderungen nur einvernehmlich vornehmen kann, wenn man nicht das Ganze gefährden will. Das heißt auch, meine Damen und Herren, daß sich der Entwurf nicht deckt mit den Idealvorstellungen für eine Ausnahmeregelung, die manch einer von uns haben mag. Aber gemessen an den Maßstäben der Wirksamkeit und der Rechtsstaatlichkeit glaubt der Rechtsausschuß, daß dieser Entwurf bestehen kann. Deshalb möchte ich Sie bitten, unseren Vorschlägen Ihre Zustimmung zu geben.
({8})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
({0})
- Er ist Berichterstatter.
({1})
- Meine Damen und Herren, ich habe keine Kritik am Berichterstatter zu üben, ich habe ihm den Dank des Hauses ausgesprochen.
({2})
Ich rufe in zweiter Lesung § 1 auf. Hier muß nummernweise abgestimmt werden.
Zu Nr. 1 liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 449 S) vor. Zunächst aber die Nr. 01 ! Hierzu liegt ein Änderungsantrag nicht vor. Ich frage, ob zu § 1 Nr. 01 das Wort gewünscht wird. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Matthöfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige wenige Bemerkungen zur Einfügung des Wortes „Arbeitskämpfe" in unser Grundgesetz.
Im Laufe der Verhandlungen ist mir so recht klargeworden, wie beklagenswert doch eigentlich die Tatsache ist, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in diesem Hause nur eine Minderheit ist und keine eindrucksvolle Mehrheit hat.
({0})
Ich glaube nicht, wenn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion allein hätte entscheiden können, - ({1})
- Entschuldigen Sie, gerade in dieser Frage hat doch wohl die FDP keine Veranlassung, irgendwie in Triumphgeschrei auszubrechen.
({2})
Denn gerade in dieser Frage - das will ich Ihnen sagen - wäre doch mit den Kollegen der CDU unter Umständen noch sehr viel eher zu einem Ergebnis zu kommen als mit Ihnen. Ihre verbale Radikalität verflüchtigt sich doch immer sofort, wenn es an konkrete Arbeitnehmerinteressen geht.
({3})
Es ist unbestritten, daß das Wort „Arbeitskampf" beides umfaßt: Streik und Aussperrung. Regierung und Befürworter dieser Fassung haben aber nicht dargelegt, wie sich überhaupt Maßnahmen nach den aufgeführten Artikeln gegen Aussperrungen richten
*) Siehe Anlage 2
könnten. Keine der Maßnahmen, die denkbar wären und die sich aus den im Antrag angeführten Artikeln ergäben, kann überhaupt gegen eine Aussperrung gerichtet sein. Die Regierungsvertreter im Ausschuß brachten die - ich bitte um Entschuldigung - absurde Konstruktion vor, man könnte ja vielleicht bei einer Aussperrung die Arbeitnehmer dienstverpflichten wollen, das heißt also, die erst ausgesperrten, dann dienstverpflichteten Arbeitnehmer unter die Autorität, die Befehlsgewalt, die Anweisungsbefugnis des aussperrenden Unternehmers zu stellen. Daß diese Konstruktion nicht zu halten war, ergab sich bald. Der Regierung fiel dazu auch nicht viel mehr ein, und hier war es, meine Herren von der FDP, der FDP-Vertreter im Ausschuß, der der 'Regierung zu helfen versuchte, vom Haken herunterzukommen.
Wie unsinnig das Ergebnis dieser Einfügung ist, möchte ich an folgendem Beispiel demonstrieren. Geschützt ist nur die Aussperrung einer Koalition; die Aussperrung eines einzelnen Arbeitgebers jedoch ist nicht geschützt. Wenn also das Volkswagenwerk, das keinem Arbeitgeberverband angehört, aussperrte, könnte - falls so etwas überhaupt möglich wäre - gegen diese Aussperrung eines einzelnen Arbeitgebers vorgegangen werden. Hier ergibt sich, daß man eben nicht ungestraft ungleiche Tatbestände gleich behandeln kann; denn der einzelne Arbeitgeber ist tariffähig, der einzelne Arbeitnehmer nicht. Aus diesem Grunde bedaure ich außerordentlich, daß man hier in eine noch immer ungeklärte Diskussion eingegriffen hat und eine umstrittene Regelung trifft, die übrigens auch noch dazu beiträgt, daß wir uns im Arbeitsrecht der EWG weiter auseinanderleben.
Das Arbeitsrecht und das Verfassungsrecht in Italien und in dem anderen großen EWG-Land, in Frankreich, kennt eine legale Aussperrung nicht. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus einem zusammenfassenden Bericht der Hohen Behörde über das Arbeitsrecht in den einzelnen Ländern kurz einige wenige Zeilen vorlese. Es heißt in dieser Veröffentlichung der Hohen Behörde:
In dem französischen Bericht wird darauf hingewiesen, daß moralische Unterschiede zwischen dem Streikbeschluß und dem Aussperrungsbeschluß eine unterschiedliche Behandlung der beiden Formen des Arbeitskampfes rechtfertigen:
Der Streik besitzt einen ethischen Wert, da
er manchmal von den Arbeitnehmern, die eine
Verbesserung ihrer Lage erzielen wollen, sehr
schwere Opfer fordert. Die Aussperrung hingegen erscheint als Mißbrauch der wirtschaftlichen Überlegenheit des Arbeitgebers, der den Arbeitnehmern ihre Existenzgrundlage nimmt. Beim Streik erleiden nur diejenigen Arbeitnehmer einen Lohnausfall, die am Streik teilnehmen und daher mit diesem Verlust einverstanden sind. Die Aussperrung dagegen berührt sämtliche von ihr betroffenen Belegschaftsmitglieder, auch die, die mit dem Arbeitgeber nicht im Streit sind.
Das ist die französische Situation.
Die italienische Situation ist folgende - ich zitiere auch hier wiederum den Wortlaut der Hohen
Behörde -:
Der italienische Bericht enthält analoge Erwägungen, wobei jedoch Rahmen und Zielsetzung genauer festgelegt sind: Hinweis auf die zivilrechtlichen Folgen der Tatsache, daß die Verfassung das Streikrecht, nicht aber das Aussperrungsrecht proklamiert, ferner der Nachweis, daß die Aussperrung stets einen Vertragsbruch des Arbeitgebers darstellt.
Deshalb die zivilrechtlichen Ansprüche; der ausgesperrte Arbeitnehmer in Italien hat einen Rechtsanspruch auf Weiterzahlung des Lohns gegen seinen Unternehmer.
Ich wehre mich dagegen, daß diese in der EWG eindeutig anders geregelte Sache hier nun so nebenbei und, ohne daß gründlich darüber diskutiert und überlegt wurde, im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebung geregelt werden soll, obwohl überhaupt nicht einzusehen ist, wie die Aussperrung durch die Vorschriften, die wir hier einfügen wollen, geschützt wird. Ich halte also diese Einfügung für schädlich und ich halte sie für überflüssig. Ich kann deshalb nicht dafür stimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion erkläre ich, daß wir mit diesem Punkt einverstanden sind und ihm unsere Zustimmung geben werden. Nur wundert es uns sehr, Herr Kollege Matt- höfer, wenn so viele Gegenargumente gegen diese Regelung von Ihnen hier in der Sache begründet vorgetragen werden, daß Sie dann nicht wenigstens einen Änderungsantrag stellen. Das hätten wir eigentlich erwartet.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was der Kollege Matthöfer hier gesagt hat, entspricht voll und ganz meiner Meinung. Nur möchte ich behaupten, er hat völlig am Thema vorbeigeredet.
Man kann darüber streiten, ob unsere Verfassungsregelung über Arbeitskämpfe in Friedenszeiten richtig ist, ob sie ausreicht, ob sie ergänzt werden muß usw. Darüber kann man streiten, und ich bin seiner Meinung, man sollte das verbessern. Aber hier geht es doch nicht um die Regelung dieser Fragen im Frieden, sondern hier geht es darum: Wie soll der Friedenszustand in Ausnahmesituationen bis zum Krieg hinein bewahrt werden? Ich kann daher den Standpunkt, den der Kollege Matthöfer hier vorgetragen hat und auf den gestützt er ablehnen will, was jetzt in der Vorlage steht, heim
besten Willen nicht verstehen. Ich möchte betonen, daß das, was ich hier sage, auch für meine Fraktion gilt. Wir sind der Meinung, daß diese Regelung auf jeden Fall die heutigen Rechte der Arbeitnehmer sogar für die Kriegszeit sicherstellt, sogar für den härtesten der Fälle, der denkbar wäre. Und da möchte ich behaupten, das gibt es in keinem Land der Welt.
Deshalb empfehlen wir hier Zustimmung.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz. - Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Als Berichterstatter?
({0}) - Sie sprechen nicht als Berichterstatter.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nur sagen, weshalb wir es so gemacht haben. Wir haben die Frage schon im Ausschuß geprüft und schon da die Anregung abgelehnt, an Stelle von „Arbeitskampf" das Wort „Streik" in die Verfassung zu schreiben. Zweck der neu eingefügten Bestimmung des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 ist die Gewährleistung des bisherigen Rechtszustandes auch im Rahmen der Notstandsverfassung. Dieses Ziel kann aber nach unserer Auffassung nur durch eine gleichmäßige Behandlung beider Tarifparteien im Rahmen dieser Gewährleistungsvorschrift erreicht werden. Wir können da nicht differenzieren; sonst wird der Rechtszustand verändert. Das Streikrecht, Herr Kollege Matthöfer, wird durch diese Formulierung genauso weit garantiert, wie es garantiert gewesen wäre, wenn es allein in Art. 9 Abs. 3 Satz 3 erwähnt worden wäre.
Aus diesen Gründen möchte ich das Haus bitten, den Antrag des Herrn Kollegen Matthöfer abzulehnen.
({0})
Es ist kein Antrag gestellt, meine Damen und Herren!
Keine weiteren Wortmeldungen zu der Nr. 01 betreffend § 1? - Ich lasse abstimmen. Wer der Nr. 01 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei 11 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen ist die Nr. 01 angenommen.
Ich rufe die Nr. 1 auf. - Hier ist der Änderungsantrag der Abgeordneten Dorn, Busse und der Fraktion der FDP - Umdruck 449 *) - einschlägig. Ich frage, ob zur Begründung des Änderungsantrages das Wort gewünscht wird. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich bitte zunächst um Ihr Einverständnis, daß ich die Anträge auf Umdruck 449 und /153 gemeinsam
*) Siehe Anlage 2
behandle, da sie in einem unlösbaren Zusammenhang miteinander stehen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Der Änderungsantrag auf Umdruck 453 bezieht sich auf die Nr. 2 b auf Seite 24 der Ausschußvorlage.
({0}) - Ich bin damit einverstanden.
Ich darf kurz erwähnen, weshalb die Anträge zusammenhängen. Wird unser Antrag auf Umdruck 449 angenommen, so ist die zwangsläufige Folge, daß die entsprechende Bestimmung bei Art. 19 Abs. 4 entfällt. Umgekehrt: Wird unser Antrag abgelehnt, so wird damit unser Antrag auf Umdruck 453 gegenstandslos.
Ich darf weiter eine private Bemerkung vorausschicken, damit wir nicht wieder in ein heftiges Streitgespräch über die Linie eintreten, die wir eingehalten oder nicht eingehalten haben. Ich bitte alle diejenigen, die meinen, daß wir in diesem Punkt von unserer früheren Linie abweichen, heute nachzulesen, was ich anläßlich der zweiten Lesung der damals vorliegenden Ausschußvorlage in der vorigen Legislaturperiode hier gesagt habe. Wir werden uns dadurch manche unnötige, sachlich unfruchtbare Diskussion ersparen und, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Schmidt, auch manche Aufregung, die uns - in unseren Jahren jedenfalls - nicht mehr absolut zuträglich sein wird.
({0})
Doch nun zur Sache. Die unter der Nr. 1 der Ausschußvorlage vorgeschlagene Ergänzung des Art. 10 weicht in nicht unerheblichem Umfange von dem ab, was hier im übrigen zur Erörterung steht. Alle anderen Bestimmungen, mit denen wir uns im Laufe dieser Sitzung noch befassen werden, haben das Ziel, für gewisse Ausnahmezustände Regelungen und Möglichkeiten zu schaffen. Ich glaube, daß ich mit dem ganzen Hause einig bin, wenn ich sage, daß es bei diesen Dingen der vordringliche Wunsch aller ist, daß das, was hier vorsorglich geregelt werden soll, nie Wirklichkeit werden möge.
Bei der Regelung des Art. 10, die vorgesehen ist, liegen die Dinge anders. Die Konsequenzen, die sich aus dieser Änderung ergeben, werden, sobald das Ausführungsgesetz zum Art. 10 vorliegt, sofort Wirklichkeit. Die Regelung tritt sofort in Kraft, ohne daß irgend etwas anderes hinzukommen muß. Bereits in normalen Zeiten werden die Einschränkungen des Grundrechtes aus Art. 10 aktuell, werden Realität, und das verpflichtet uns, gerade diese Bestimmungen mit besonders kritischem Auge anzusehen und sie auf ihre absolute Notwendigkeit hin zu überprüfen. Denn auch darin wird uns das ganze Haus zustimmen, daß wir eine Einschränkung von Grundrechten nur dann und in dem Maße vornehmen sollten, wie diese Einschränkung tatsächlich unabweisbar notwendig ist. Wer sich zum Geist des Grundgesetzes, insbesondere zu dem Geist bekennt,
der in den Grundrechten seinen Ausdruck findet, die die wesentliche Hilfe und Stütze, die wesentliche Grundlage der Stellung des Staatsbürgers im Staat gegenüber den Machtmitteln des Staates sind, der wird sich nur von gleichen Erwägungen leiten lassen können.
Es ergibt sich also hier einmal die Frage: ist die Einschränkung, die hier vorgesehen ist, tatsächlich unabweisbar notwendig? Dabei muß ein Weiteres klargestellt werden. An sich gehört das, was hier gesagt worden ist, gar nicht in den Art. 10 hinein, auch nicht in Ergänzung des Art. 10. Denn was ist angesprochen, was soll ergänzt, was soll geändert werden? Ergänzt und geändert werden soll zweierlei.
Einmal soll eine richterliche Entscheidung über gewisse Einschränkungsmöglichkeiten, die vorgesehen sind, ausgeschlossen werden. Zweitens soll die Mitteilungspflicht an den Betroffenen, dessen Rechte eingeschränkt werden sollen, einschränkbar gemacht werden. Beide Regelungen, die hier in Erwägung gezogen sind, finden aber ihre Rechtsgrundlage nicht in Art. 10 des Grundgesetzes, sondern in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes.
Gerade die Tatsache, daß diese für unsere Rechtsstaatlichkeit so entscheidend wichtige Bestimmung hier eingeschränkt werden soll, gibt der Überprüfung, die ich soeben angedeutet habe, besonders große Bedeutung und ein besonders großes Gewicht. Daß die Möglichkeit des Staatsbürgers, gegen die Eingriffe der öffentlichen Gewalt in seine Rechte die Gerichte anzurufen, eine der fundamentalsten Grundlagen unserer Verfassung ist, wird niemand ernsthaft bestreiten können. Mit der Einhaltung und dem Ausbau dieser Bestimmung steht und fällt unsere gesamte Rechtsstaatlichkeit überhaupt. Ich will nicht behaupten, daß man die Bedeutung dieser Bestimmung dadurch etwas herabzuspielen versucht hat, daß man nun das alles an Art. 10 anhängt. Aber behaupten kann und will ich, daß durch die Placierung dieser Bestimmung bei Art. 10 ihre entscheidende und weittragende Bedeutung tatsächlich verdeckt wird. Wäre sie, wie das richtig wäre, bei Art. 19 Abs. 4, so würde jedem evident werden, was hier zur Erörterung steht und um welch bedeutsame Regelung es sich dabei handelt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hierzu eine weitere allgemeine Bemerkung. Natürlich erleben wir es immer wieder, daß bei allen möglichen Regelungen gesagt wird: Nun, in diesem Fall ist das nicht so wichtig, in diesem Fall kann man es jedenfalls machen. Aber wir wollen nicht verkennen, daß hier der erste Schritt getan wird, um die fundamentale Bestimmung des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes einzuschränken. Man weiß nicht, welche Staatsnotwendigkeiten wiederum in den kommenden Jahren auftauchen werden und ob man dann nicht sagen wird: Damals habt ihr es ja auch schon getan. Wer will uns dann sagen, wo die Grenzen sind, wenn wir nicht bei dem ersten Schritt bereits alle Überlegungen anstellen, ob tatsächlich die Durchlöcherung dieses Prinzips in diesem Fall erforderlich ist?
Aus all diesen Erwägungen meine erste Frage: Ist es notwendig, diese Einschränkung hier vorzunehmen? Man wird diese Frage nicht abstrakt und absolut beantworten können, sondern man wird - und wir sind in der glücklichen Lage, das tun zu können von den Vorstellungen ausgehen müssen, die man an die Ausfüllung der Bestimmung, die hier zur Erörterung steht, knüpft. Die Regierung hat uns ihre Vorstellungen im Ausführungsgesetz zu Art. 10 des Grundgesetzes vorgelegt, und wir haben dieses Gesetz im Rechtsausschuß bereits in weitem Umfang beraten. Bei diesen Beratungen hat sich gezeigt, daß in der Tat eine Auflockerung, sei es des Art. 10, sei es des Art. 19 Abs. 4, nicht erforderlich ist. Auch die Regierungsvorlage zeigt eindeutig, daß es Möglichkeiten gibt, das angestrebte Ziel durchaus im Rahmen der geltenden Verfassung zu verwirklichen.
Im zweiten Artikel des Gesetzes zur Ausführung des Art. 10 ist eine strafprozessuale Regelung vorgesehen, die alle wichtigen Tatbestände umfaßt, die dazu führen können, daß unsere rechtsstaatliche, demokratische, freiheitliche Ordnung gefährdet wird. Alle Regelungen des Stratrechts, die der Strafrechtssonderausschuß jetzt in langen Sitzungen beraten und die er zur Sicherung der soeben erwähnten Ordnung beschlossen hat, sind in diesem Absatz 2 des Ausführungsgesetzes enthalten. Dieses Ausführungsgesetz sieht vor, daß, wenn Tatachen den Verdacht begründen, daß Handlungen vorgenommen, unternommen werden usw., die gegen die vom Strafrechtssonderausschuß erarbeiteten Grundsätze verstoßen, der Richter die Überwachung des Brief-, Telefon-, Fernschreibverkehrs usw. anordnen kann und daß dann Richter, Staatsanwälte und Polizei befugt sind, diese Funktion wahrzunehmen. Ich unterstreiche und betone nochmals: alle Möglichkeiten, die erkennbar eine echte Gefahr für unsere rechtsstaatliche, demokratische, freiheitliche Ordnung bedeuten, die geeignet sind, eine Gefährdung dieser Ordnung herbeizuführen, sind dort erfaßt und unter richterliche Kontrolle gestellt,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch das Zweite ist in diesem Artikel erfaßt, daß nämlich der Betroffene von den Maßnahmen benachrichtigt wird. Wir verkennen nicht, ja wir erkennen an, daß eine sofortige Benachrichtigung von den getroffenen Maßnahmen nicht erfolgen kann, wenn nicht der ganze Zweck der Strafbestimmungen und der Ermittlung gefährdet werden soll. Es ist also sinnvoll, zu sagen, daß diese Benachrichtigung des Betroffenen erst erfolgt, wenn der Untersuchungszweck dadurch nicht mehr gefährdet wird, wie das auch in dem Gesetz vorgesehen ist. Ich habe keine Bedenken, zu sagen, daß diese vorgesehene Benachrichtigung noch im Rahmen der jetzt bestehenden grundgesetzlichen Bestimmungen liegt und daher völlig verfassungskonform ist.
Es stellt sich dann die Frage, ob über diese Maßnahmen hinaus weitere Maßnahmen erforderlich sind. Auch diese Frage wird von uns bejaht. Wir wollen keineswegs das Abhören und Überwachen des Briefverkehrs usw. auf die soeben erwähnten Stellen - Richter, Staatsanwalt und Polizei - beschränken. Wir sehen durchaus ein, daß auch andere, insbesondere die Sicherungsorgane, in die Lage versetzt werden müssen, diese Überwachungen
vorzunehmen. Aber selbst das erfordert keine Grundgesetzänderung, sondern kann im Rahmen des bestehenden Art. 10 und des bestehenden Art. 19 Abs. 4 durchgeführt werden,
({1})
wenn nur die richterliche Kontrolle und die Mitteilungspflicht an den Betroffenen auch in diesem Falle gewahrt werden.
Bleiben wir zunächst bei der Mitteilungspflicht! Ich vermag beim besten Willen nicht einzusehen, warum nur dann, wenn Richter, Staatsanwälte und Polizei die Überwachung durchgeführt haben und eine derartige Anordnung vorlag, hinterher die Möglichkeit bestehen soll, den Betroffenen auch zu verständigen, wenn der Untersuchungszweck dadurch nicht mehr gefährdet wird, diese Möglichkeit aber ausgeschlossen wird, wenn kein Richter eingeschaltet war und andere Staatsorgane mit dieser Überwachung beauftragt waren.
({2})
Das kann mir und anderen in unserem Volke niemand verständlich machen.
Ebenso liegen die Dinge bei der Frage, ob in gewissen Fällen die richterliche Anordnung der Überprüfung ausgeschlossen werden kann. Hier macht der vorliegende Gesetzentwurf - es scheint, daß der Rechtsausschuß in seinen Beratungen sich dem anschließen wollte, jedenfalls sind bisher derartige Beschlüsse gefaßt worden - einen feinen Unterschied zwischen den Fällen und den Möglichkeiten, die hier gegeben sind. Er sagt, die richterliche Anordnung könne, ja sie müsse erfolgen, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß gewisse strafbare Handlungen gegen unsere Staatssicherheit vorgenommen werden. Da soll und kann der Richter also entscheiden. Aber da, wo man die Anordnung des Richters ausschließen will, sagt man, die richterliche Anordnung scheitere daran, daß hier geringere Voraussetzungen für eine Anordnung gegeben seien, weil sie nämlich schon dann erfolgen könne, wenn bloß tatsächliche Anhaltspunkte für einen Verdacht bestünden; ob aber Tatsachen den Verdacht begründeten oder ob bloß tatsächliche Anhaltspunkte für einen Verdacht bestünden, das sei doch ein so gewaltiger Unterschied, daß man wohl in dem einen Fall die richterliche Anordnung herbeiführen könne, weil das eine justitiable Entscheidung sei, daß aber in dem anderen Falle, wenn lediglich Voraussetzung sei, daß tatsächliche Anhaltspunkte für einen Verdacht bestünden, eine solche richterliche Anordnung nicht möglich sei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte hier den umgekehrten Schluß für richtig: Dann, wenn konkrete Dinge vorliegen, ist die richterliche Anordnung, die richterliche Kontrolle notwendig; wenn nicht soviel vorliegt und es sich nur um Nuancen in der Unterscheidung und um nicht mehr dreht, dann sollte man erst recht sagen, hier ist die richterliche Kontrolle, die Anordnung durch den Richter nötig. Man sollte nicht sagen, hier muß sie ausgeschlossen sein. Denn warum soll ein Richter
wohl entscheiden können, ob Tatsachen einen Verdacht begründen, aber nicht entscheiden können, ob tatsächliche Anhaltspunkte für einen Verdacht bestehen? Ich weiß nicht, warum man hier einen Unterschied macht, es sei denn, daß man auf diese Weise erreichen will, was wir nun freilich ausschließen möchten, daß eben außerhalb richterlicher Kontrolle leichter Eingriffe in die Verhältnisse des Staatsbürgers ermöglicht werden sollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die beiden Fälle, die ich jetzt erörtert habe ist damit meines Erachtens evident, daß weder die Aufhebung der Pflicht zur Mitteilung an den Betroffenen noch das Ausschalten der richterlichen Kontrolle, die unser Grundgesetz prinzipiell vorschreibt, eine zwingende Notwendigkeit ist. Wenn Sie mir darin folgen, daß man nur bei zwingenden Notwendigkeiten der Einschränkung der Grundrechte, insbesondere des fundamentalen Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4, zustimmen sollte, werden Sie mir in diesem Punkte kaum widersprechen können.
Nun bleibt ein dritter Komplex übrig, den man früher die Gebietskontrolle oder ähnlich genannt hat und der inzwischen durch die Beschlüsse des Innenausschusses und des Rechtsausschusses eine wesentliche andere Fassung erhalten hat; das gebe ich ohne weiteres zu. Das Entscheidende in diesem Falle ist aber folgendes, und hier bitte ich doch alle diejenigen zuzuhören, die immer so laut betonen, daß in diesem gesamten Verfahren von Geheimbeschlüssen keine Rede sein könne. Ich habe mich im Rechtsausschuß bemüht, eine Begründung dafür zu erhalten, warum diese Bestimmung überhaupt erforderlich ist. Ich bin auf eine Unterrichtung, die im Bundeskanzleramt erfolgt ist und zu der auch wir Freien Demo' kraten eingeladen waren, verwiesen worden. Herr Dorn und ich waren hingegangen und hatten zu Beginn dieser Unterrichtung die Frage gestellt, ob wir ermächtigt seien, von dem, was wir dort erfahren würden, zwar nicht hier und nicht in der Öffentlichkeit draußen, aber bei den Fraktionsberatungen Gebrauch zu machen, damit jeder unserer Fraktionskollegen wisse, welche Gründe zu dieser Bestimmung geführt hätten, damit er aus dieser Kenntnis die Entscheidung treffen könne, ob er einer solchen Bestimmung zustimmen wolle oder nicht. Da ist uns gesagt worden, das könnten wir nicht. Selbst dann, als ich im Rechtsausschuß aus meiner laienhaften Vorstellung heraus versuchte, mir Tatbestände vorzustellen, mit denen man das, was hier in § 3 des Ausführungsgesetzes gewollt ist, vielleicht begründen könne, sagte man mir: Leider können wir Ihnen dazu nichts sagen!
({3})
Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, nun frage ich das ganze Haus: Ist das ein Geheimverfahren, oder ist das kein Geheimverfahren?!
({4})
Ist das die Meinung der Mehrheit dieses Hauses, daß sie Beschlüsse fassen will über Tatbestände und Sachverhalte, die wohl einem kleinen Kreis, aber nicht der Menge der einzelnen Mitglieder dieses
Hauses bekannt sind und ihnen nicht bekanntgemacht werden dürfen?
({5})
Ich glaube, nicht ich allein würde heute, wenn diesem Gesichtspunkt nicht Rechnung getragen würde, mit einer herben Enttäuschung über die Selbstentrechtung, die die Abgeordneten hier vornähmen, nach Hause gehen.
({6})
Herr Kollege Busse, ist Ihnen bekannt, daß sich in dieser Besprechung ergeben hat, daß nichts vorgetragen wurde, was den Fraktionen nicht mitgeteilt werden konnte, und daß die Fraktion der SPD jedenfalls unterrichtet worden ist? Auch Ihre Fraktion hat erklärt, auf die technischen Dinge lege sie ohnehin keinen Wert.
Herr Schmitt-Vockenhausen, das ist mir nicht bekannt, sondern mir ist zu Beginn der Besprechungen genau das Gegenteil gesagt worden.
({0}) Das wird niemand abstreiten können.
Mir ist darüber hinaus im Rechtsausschuß auf mein Insistieren hin, hier die Grundlagen kennenzulernen, gesagt worden: Die können wir Ihnen nicht geben! Das ist der Sachverhalt, um den es sich handelt.
({1})
Wenn Sie heute hier zum erstenmal sagen, daß da nur Dinge hätten erörtert werden können, die auch in der Fraktion hätten erörtert werden können: Warum hat man uns das nicht gesagt und uns dann diese Dinge auch mitgeteilt? Natürlich legen wir auf die technische Durchführung keinen Wert; sie ist für die Entscheidung in dieser Frage auch wirklich nicht von Bedeutung. Aber welche Gründe dazu führen, diese Bestimmung so zu treffen, das ist für uns von Wert, und diese Gründe haben wir bis heute nicht erfahren. Das ist ganz einfach die Situation, die wir haben. Wenn Sie anders, als es uns gesagt worden ist, die Möglichkeit hatten, Ihre Fraktionskollegen zu informieren, dann muß ich Ihnen sagen, wir hatten diese Möglichkeit nicht, und wir haben den gleichen Anspruch darauf wie jeder andere Abgeordnete dieses Hauses.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dorn?
Herr Kollege Busse, aus diesen Ausführungen darf ich doch schließen, daß auch die Mitglieder des Rechtsausschusses in der Sitzung des Rechtsausschusses nicht über den Sachverhalt aufgeklärt worden sind?
Ich glaube, ich habe das hier mit eindeutiger Klarheit vorgetragen.
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Even.
Herr Kollege Busse, ist Ihnen nicht erinnerlich, daß in der Sitzung des Rechtsausschusses von mir wie auch von Vertretern der SPD-Fraktion in aller Eindringlichkeit darauf hingewiesen worden ist, daß alles, was zur Meinungs- und Willensbildung des Bundestages bei der Vorlage dieses Gesetzes erforderlich ist, frei und offen ausgesprochen werden kann und daß es einer Geheimhaltung nur insoweit bedarf, als technische Einzelheiten und bestimmte Zahlen in Rede stehen?
Herr Kollege Dr. Even, ich kann es in dieser Form nicht bestätigen. Von der SPD sind solche Erklärungen im Rechtsausschuß nicht abgegeben worden. Das einzige, was mir erklärt worden ist - ich bitte um Ihr Einverständnis, das hier wiederzugeben; ohne Ihre Zwischenfrage hätte ich es nicht erwähnt -, ist mir in einem ganz internen Gespräch erklärt worden, das Sie mil mir geführt haben, zwar in der Sitzung, aber im Flüsterton unter uns, also mit persönlichem Charakter. Was Sie mir da gesegt haben, war folgendes: „Geheim müssen die Technika sein, nicht geheim ist das, was uns gesagt worden ist." Und ich habe Ihnen zugeflüstert: „Warum sagt man dann hier nicht, was nicht geheim ist?" Das ist das Gespräch gewesen, das wir geführt haben.
({0})
- Nein, es ist nicht gesagt worden. Im Gegenteil,
als ich dann versuchte, einige Tatbestände zu konstruieren, habe ich ein - ja, war es ein verlegenes Lächeln, Herr Wilhelmi?, ich möchte das jetzt nicht vertiefen - Lächeln auf den Gesichtern gesehen, und Sie haben mir gesagt: „Dazu dürfen wir nichts sagen." Das sind die Dinge gewesen. Prüfen Sie es am Tonband nach! Die Situation ist mir, gerade weil ich persönlich so sehr mit davon betroffen war, genauestens im Gedächtnis geblieben.
Meine Damen und Herren, darum halten wir es für unmöglich, daß das Haus über eine Folge aus Fakten beschließt, deren Grundlage und deren Konsequenz eine große Zahl der Mitglieder dieses Hauses nicht übersehen kann. Entfällt aber aus diesen Gründen auch dieses, so entfällt damit, weil die Änderung des Grundgesetzes aus anderen Gründen nicht erforderlich ist, die Notwendigkeit, das Grundgesetz an dieser Stelle zu ändern; daher unser Antrag auf Streichring der Nr. 1 der Ausschußdrucksache. Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
({1})
Ehe ich das Wort weitergebe, präzisiere ich, Herr Abgeordneter Busse: Sie wollen nicht die ganze Nr. 1, sondern Sie wollen auf Seite 21 unten die Sätze von „Dient . . ." ab gestrichen haben.
({0})
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
- Es bleibt also bei dem Text auf Umdruck 449.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den sachlichen Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Busse eingehe, möchte ich auf den letzten Teil zu sprechen kommen und damit beginnen, was in der sogenannten Geheimbesprechung gesagt worden ist. Wir waren zu einer Besprechung in das Kanzlerpalais gebeten worden. Dort ist zu Anfang darüber gesprochen worden, was uns vorgetragen werden könne und inwieweit das geheim sei oder nicht. Daraufhin ist von mir gesagt worden: Wir wollen das erst entscheiden, wenn wir gehört haben, was gesagt worden ist. Das schien ein ganz vernünftiger Vorschlag. Diesem Vorschlag haben haben aber die Kollegen Dorn und Busse nicht zugestimmt, sondern sie sind aufgestanden und hinausgegangen, weil nicht von vornherein die Erklärung abgegeben werden konnte, das alles, was gesagt wurde, nun weitergesagt werden könnte.
({0})
So ist der Ablauf der Dinge gewesen. Ich kann Ihnen weiter sagen: wir haben in dieser sogenannten Geheimsitzung gar nichts Geheimes erfahren, was wir nicht weitergeben konnten, mit Ausnahme einiger technischer Daten, die nun wirklich für die Entscheidung, ob man dieses Gesetz so oder so gestaltet, nicht von Bedeutung sind. Das ist für die Fachleute der Geheimdienste von Bedeutung; aber für uns Politiker ist das weiß Gott nicht von Bedeutung gewesen.
In der Sitzung des Rechtsausschusses ist auch mit aller Deutlichkeit auf diesen Tatbestand hingewiesen worden. Ich verstehe gar nicht, wie das falsch verstanden worden sein kann. Leider liegt das Protokoll noch nicht im Wortlaut vor; aber vielleicht können wir es bis heute mittag produzieren.
({1})
- Ja, die Sitzung ist auf Tonband aufgenommen worden, Herr Kollege; Sie sind doch Mitglied des Rechtsausschusses. Es muß abgeschrieben und uns vorgelegt werden. Das ist alles ein bißchen schwieriger geworden, weil wir nicht genug Stenographen haben. Aber ich werde mich selbstverständlich bemühen, es hier darzulegen.
Ich muß deshalb in aller Deutlichkeit die Behauptung des Herrn Kollegen Busse zurückweisen, daß hier vom Hause verlangt werde, über etwas zu entscheiden, ohne daß das Haus über alles, was es zur Entscheidung wissen müsse, orientiert sei. Das stimmt einfach nicht.
({2})
Nun zur Sache. Herr Kollege Busse ist, glaube ich, ein wenig in den Fehler verfallen, daß er die Ausschußberatungen hier im Plenum fortgesetzt hat. Das ist für das Plenum eine etwas schwierige und auch, ich möchte sagen, eine etwas langweilige Angelegenheit.
({3})
Ich will mich deshalb bemühen, die Antwort kurz zu fassen. Es ist das Bemühen des Herrn Kollegen Busse und seiner Freunde, das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, über das wir im Augenblick im Ausschuß beraten und das das Ausführungsgesetz zu Art. 10 ist, über den wir hier gerade sprechen, so auszulegen, als handle es sich nur um das Abhören des Telefons und das Überwachen der Post von Leuten, die strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt seien. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt zwei Gruppen. Die eine Gruppe sind die strafrechtlichen Fälle, die andere Gruppe sind eben die Fälle vorher; bei denen liegt noch keine strafbare Handlung, aber der Verdacht einer strafbaren Handlung oder jedenfalls einer Gefährdung der Bundesrepublik, vor. Dieses Vorstadium, diese Schwelle davor, ist natürlich das politisch Interessante und das politisch Wesentliche, und dazu brauchen wir die Ermächtigung in Art. 10. Das ist der politische Kern dieses Gesetzes, und das ist auch der politische Kern dieser Ausnahmebestimmung. Deshalb ist es nicht denkbar, diejenigen, die nun dieser Kontrolle unterworfen werden, nachträglich zu verständigen und ihnen ein ordentliches Gerichtsverfahren zu gestatten. Das letztere hat auch deshalb schon keinen Sinn, weil die Gerichte völlig überfordert wären. Es sind doch politische Fragen, um die es sich dabei handelt.
({4})
- Jawohl, das sind politische Fragen, und diese politischen Fragen müssen von Politikern entschieden werden. Deshalb haben wir ein politisches Gremium vorgesehen. Das ist doch eine vernünftige Regelung. Es ist keineswegs so, daß dadurch irgendwelche Rechte verletzt würden.
({5})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Wilhelmi, wollen Sie denn mit dieser Begründung, daß die Gerichte überlastet seien - Dr. Wilhelmi ({0}) : Nicht überlastet; das habe ich nicht gesagt. Sie können es nicht entscheiden. Sie sind mit einer solchen Entscheidung überfordert.
({1})
- Überfordert, weil es eine politische Entscheidung ist, Herr Kollege.
({2})
Soll, wenn Sie der Meinung sind, daß die Gerichte bei einer solchen Frage überfordert seien, darunter dann der Rechtsanspruch des zu Unrecht Betroffenen leiden müssen?
Nein, der leidet ja gar nicht darunter; denn es ist denkbar, daß er dieses politische Gremium anruft. Außerdem ist eine ständige Überwachung dieser Abhöreinrichtung durch ein politisches Gremium vorgesehen. Es ist sehr einfach, hier einen Ausschnitt aus einem Gesetz vorzutragen, ohne daß Ihnen das ganze Gesetz vorliegt. Das ganze Gesetz wird Ihnen nämlich erst in der übernächsten Woche präsentiert werden. Dann werden Sie sehen, daß dieses Gesetz durch und durch rechtsstaatlich und - wir Deutschen sind es ja gewohnt, ,so zu verfahren - mit entsetzlich vielen Sicherheitsmaßnahmen für den Schutz des einzelnen ausgestattet ist. Das ist, glaube ich, wirklich sehr ordentlich gemacht. Sie können versichert sein, daß sich der Rechtsausschuß da weiter Mühe gibt. Der Innenausschuß hat das schon getan und hat die Dinge abgeschlossen. In Übereinstimmung mit den Regierungsparteien ist das im Innenausschuß schon gelaufen. Im Rechtsausschuß werden wir das wohl diese Woche abschließen und Ihnen nächste Woche vorlegen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Busse?
Bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Wilhelmi, ist Ihnen entgangen, daß dem Hohen Hause das Ausführungsgesetz zu Art. 10 bereits in erster Lesung vorgelegen hat?
Das ist mir nicht entgangen. Aber ich könnte mir denken, daß das nicht alle Kollegen im Augenblick noch im Kopf haben, was sie vor einigen Wochen in erster Lesung über sich haben ergehen lassen müssen.
Darf ich eine zweite Frage stellen. Herr Kollege Wilhelmi, halten Sie es nicht für in richterlichen Möglichkeiten und Kompetenzen liegend, darüber zu entscheiden, ob der Verdacht hochverräterischer Handlungen, staatsgefährdender Handlungen, landesverräterischer Handlungen, von Straftaten gegen die Landesverteidigung, von Straftaten gegen die Sicherheit der Truppen etc. - alles belegt mit Paragraphen des Strafgesetzbuchs - besteht? Glauben Sie nicht, daß es einem Richter möglich ist, darüber zu entscheiden, oh ein Verdacht der Begehung dieser strafbaren Handlungen vorliegt oder nicht?
Ein Verdacht schon. Aber in der Schwelle des § 2 ist ja der Verdacht nicht notwendig, das ist gerade der Unterschied zwischen uns in der Beurteilung des Gesetzes.
Es besteht nicht die Möglichkeit, dieses Gesetz Ihnen jetzt im einzelnen vorzutragen, und es ist auch nicht notwendig, es zu tun. Was hier notwendig ist, ist lediglich, Ihnen darzulegen, daß die Änderung des Art. 10 in der vom Rechtsausschuß vorgeschlagenen Form erforderlich ist. Deshalb bitte ich, den. Änderungsantrag abzulehnen.
Gestatten Sie mir aber noch ein Wort ganz allgemein zu den Änderungsanträgen, die Ihnen die FDP in reicher Zahl vorgelegt hat. Dieses Wort spreche ich jetzt eigentlich mehr als Vorsitzender des Rechtsausschusses denn als Vertreter meiner Parteifreunde oder der Koalition. Wenn man sich diese Anträge ansieht, scheint es so zu sein, als hätte sich der Rechtsausschuß mit dem Entwurf der FDP zur Notstandsgesetzgebung überhaupt nicht befaßt. Wie Sie wissen, liegt ein besonderer Gesetzentwurf vor. Sie wissen auch, daß dieser Gesetzentwurf mit dem Regierungsentwurf dem Rechtsausschuß überwiesen worden ist.
Ich kann Ihnen versichern, daß sich der Rechtsausschuß sehr sorgfältig in allen Punkten mit diesem Entwurf befaßt hat, und Herr Kollege Busse und andere Vertreter der FDP, die an den Sitzungen teilgenommen haben, haben jeweils audi die entsprechenden Anträge gestellt. Wir haben auch - das werden Sie nicht bestreiten - die eine oder andere Anregung durchaus in unseren Entwurf übernommen. Bei der FDP hat man aber jetzt offensichtlich eine Schere genommen und den ursprünglichen Entwurf auseinandergeschnitten und daraus lauter Anträge zu allen Punkten gemacht. Man wiederholt vor Ihnen jetzt also die Beratung des Rechtsausschusses. Das soll selbstverständlich nicht verhindert werden; das ist das gute Recht der FDP, das will ich ihr nicht absprechen.
({0})
- Sicher. Es ist, glaube ich, aber auch meine Verpflichtung, als Ausschußvorsitzender dem Hohen Hause darzutun, daß sich der Rechtsausschuß in vielen Sitzungen - das ist eben vom Herrn Berichterstatter gesagt worden - mit all diesen Fragen, die Ihnen jetzt noch einmal vorgetragen werden, schon befaßt hat und daß das alles schon durchgehechelt ist.
({1})
Ich glaube, es ist eine neue Frage darunter, die Sie anschneiden, und zu der werden wir selbstverständlich Stellung nehmen.
Im übrigen bitte ich Sie, jedenfalls diesen Antrag abzulehnen.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reischl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf unmittelbar nach dem Ausschußvorsitzenden ich als stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses eine kurze Bemerkung zu den Anträgen machen.
Ich bestreite der FDP selbstverständlich nicht das Recht, die Anträge, die im Ausschuß abgelehnt worden sind, hier im Plenum zu wiederholen. Was mich an der Sache erschüttert, ist, daß, nachdem wir umfangreiche Ausschußberatungen hatten, nachdem wir umfangreiche Hearings vor der Öffentlichkeit hatten - in einem Ausmaß, wie bisher noch nie hei einem solchen Gesetz überhaupt nicht der Versuch unternommen worden ist, wenigstens etwas modifizierte Anträge vorzulegen, aus denen man schließen könnte, daß die FDP-Fraktion über das Ergebnis überhaupt nachgedacht hat.
({0})
Das zeigt sich doch hier ganz deutlich. Die gesamten Anträge werden genau so wiederholt, wie sie zu Beginn der Beratungen eingebracht. worden sind, als wenn in der Zwischenzeit überhaupt nichts passiert wäre.
({1})
Das ist das, wogegen wir uns wenden.
Nun lassen Sie mich noch namens meiner Fraktion einige kurze Bemerkungen zu Art. 10 machen. Auch ich das möchte ich gleich im voraus sagen schließe mich dem an, was der Herr Kollege Wilhelmi gesagt hat. Auch ich beantrage namens meiner Fraktion, den Antrag der FDP abzulehnen. Ich bin ein bißchen erschüttert darüber, daß der Herr Kollege Busse meint, man könne alle diese Maßnahmen vornehmen, ohne am Art. 10 des Grundgesetzes etwas zu ändern. Sollte es am Rande der Legalität geschehen, - wogegen wir uns eigentlich immer verwahrt haben? Die Änderung dient doch gerade dem Zweck, dem Gesetzgeber im Blick auf die Verfassung ein gutes Gewissen zu verschaffen, indem ganz klar gesagt ist, wie weit der einfache Gesetzgeber gehen darf. Darin liegt doch zugleich ein Schutz für die Burger.
Ich will noch auf den Ausschluß des Rechtsweges eingehen. Der Rechtsweg wird ausgeschlossen, der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten. Aber es wird normiert, daß es einen Ersatzrechtsweg geben muß, einen Weg zu einem politischen Organ, weil es sich um politische Fragen handelt. Hier ist doch also ebenso - durch diese Änderung des Grundgesetzes - eine Garantie für den Staatsbürger gegeben, daß seine Rechte nicht in unangemessener Form angetastet werden.
Ich will zu dem Artikel und zu dem Gesetzentwurf nur folgendes sagen. Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause alle einig: an sich ist es eine scheußliche Sache, daß roan das ins Grundgesetz schreiben muß und daß man so etwas durch Gesetz machen muß. In aller Herren Länder steht's nirgends, und man macht es doch.
({2})
"lei uns geht es nicht. Das ist eine Art Kriegsfolge. Wir müssen es tun, um die alliierten Vorbehaltsrechte abzulösen. Das ist doch der ganz reale Grund; sonst werden die nicht abgelöst. Sonst bekommen
wir diese Dinge nicht in deutsche Zuständigkeit, und sonst bekommt der deutsche Staatsbürger, der diesen Maßnahmen unterliegt, keine Möglichkeit, sich an eine deutsche Steile zu wenden und eine Art Rechtsmittel zu ergreifen. Darum geht es doch.
({3}) Deswegen ist diese scheußliche Sache nötig.
({4})
Lassen Sie mich - gerade weil ich von Beruf Richter bin - zu der Frage des Ausschlusses des Rechtsweges noch etwas sagen. Es ist doch so, daß bei der Frage, ob Anhaltspunkte für einen Verdacht vorliegen, diese Anhaltspunkte zunächst einmal überwiegend im Tatsächlichen liegen. Da geht es noch nicht einmal darum, ob der Betreffende schuldig ist. Da geht es auch nicht darum, ob ein dringender Tatverdacht vorliegt, sondern es geht gerade darum, herauszukriegen, ob ein solcher Verdacht begründet ist. Sonst hat eine solche Sache überhaupt keinen Zweck. Eine solche Maßnahme kann durch die Gerichte nicht nachgeprüft werden.
Wir haben in diesem Hause mehr als einmal davon gesprochen, daß man die Gerichte nicht dadurch überfordern soll, daß man ihnen politische Entscheidungen zuschiebt. Die Gerichte sind dazu da, Recht zu sprechen. Sie haben sich mit Rechtsverhältnissen auseinanderzusetzen. Sie haben dabei natürlich Tatsachen zu würdigen. Aber es kann nicht Aufgabe der Gerichte sein, nachzuprüfen, ob eine politisch für notwendig erachtete Maßnahme ergriffen werden soll, die von einem politischen Organ getroffen und vor diesem Flohen Hause verantwortet werden muß -- denn das politische Organ ist ja ein Bundesminister, der diesem Hause verantwortlich ist; das muß man doch auch einmal sehen -; das können die Gerichte einfach nicht nachprüfen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Rutschke?
Bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Reischl, würden Sie einmal näher erläutern, was Sie in diesem Fall unter „politisch" verstehen?
Ja, es ist doch hier so, daß zunächst geklärt werden soll, ob man eine solche Überwachung anordnen soll, oh ein Verdacht besteht, daß hier in irgendeiner Weise die grundgesetzliche Ordnung bedroht wird. Darum geht es doch im Kern. Der Staat soll doch hier geschützt werden.
({0})
Das ist eine politische Frage.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
({0})
Herr Kollege Dr. Reischl,
ist das dann nicht gleichzeitig auch ein Straftatbestand? Die Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik ist doch auch ein Straftatbestand. Das ist doch keine politische Frage.
Es kann ein Straftatbestand sein und werden; aber es braucht in vielen Fällen bei Leuten, die die Sache unterstützen, gar kein Straftatbestand zu werden, z. B. weil die subjektiven Voraussetzungen fehlen. Hier muß aber trotzdem überwacht werden, weil man sonst niemals hinter den gesamten Komplex kommt. Darum geht es doch bei der ganzen Sache.
({0})
Ich sage Ihnen noch einmal als Richter: das kann der Richter nicht nachprüfen, weil das Komplexe sind, bei denen ihm gar nicht alles offengelegt werden kann. Wir wenden uns in den Staatsschutzsachen oft dagegen, daß man Zeugen vom Hörensagen hören muß. Wollen wir denn diese Krücken auch in diesem Verfahren anwenden? Das würde geschehen, wenn wir die ordentlichen Gerichte einschalteten. Es geht nicht darum, daß die Gerichte überlastet sind, wie vorhin gesagt wurde; die Gerichte wären überfordert, weil man ihnen eine Entscheidung zuschieben würde, die wir als Politiker zu tragen haben, und zwar dieses Hohe Haus und der Minister, der es zunächst anordnet. Der muß die Verantwortung tragen, und der muß sie auch diesem Hause gegenüber tragen.
({1})
Ich möchte eigentlich nicht in die Debatte über das Gesetz eintreten; die werden wir ja in 14 Tagen hier haben, und da werden Sie sehen, daß dieses Gesetz ein Maß an Rechtsstaatlichkeit bringt, wie es höher wohl kaum denkbar ist. Dieses Gesetz, das wirklich alle rechtsstaatlichen Voraussetzungen erfüllt, eröffnet auch dem einzelnen den Weg zu dem politischen Gremium. Das wird immer übersehen. Das Gremium wird nicht nur von Amts wegen tätig, sondern wenn der Abgehörte erfährt, daß er abgehört worden ist, hat er das Recht, auch als einzelner, sich an das politische Gremium zu wenden,
({2})
und dann hat er ein Organ, das wirklich in der Lage ist, die Dinge nachzuprüfen, das Mißstände aufdecken kann. Das ist doch für den Staatsbürger in diesem Falle das Entscheidende. Das ist, meine ich, mehr wert als ein Rechtsweg, der dann dem einzelnen oft als Spiegelfechterei erscheint. Ich war auch im Justizministerium tätig und habe solche Beschwerden gesehen. Da beschweren sich dann die Leute und richten eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Gericht, weil es damit nicht fertig werden konnte. So ist es doch in der Wirklichkeit!
Ich halte also den vorgesehenen Weg für richtig und darf zur Beruhigung derer, die meinen, der Rechtsweg sei völlig ausgeschaltet, noch eines sagen: Es gibt letztlich, wie bei jedem Akt, unter
bestimmten Voraussetzungen auch noch die Verfassungsbeschwerde. Die wird nicht ausgeschlossen.
({3})
Daß eine Mitteilungspflicht hier nicht bestehen kann, braucht man eigentlich, glaube ich, gar nicht lange auszuführen. Wenn man es denen mitteilt, dann braucht man die ganze Geschichte nicht, dann wird nichts erreicht.
({4})
- Habe ich doch gerade gesagt! Wenn er es nachher erfährt, kann er zu dem Gremium gehen. Das muß doch ausreichen.
Lassen Sie mich jetzt noch ein Wort zu der Frage der Information sagen; zwar hat es auch der Kollege Wilhelmi schon getan. Ich kann den beiden Herren der FDP, die damals aus der Besprechung weggelaufen sind, weil sie die bedingungslose Zusage haben wollten, daß sie alles, was drin gesagt werde, ihrer Fraktion mitteilen dürften, den Vorwurf nicht ersparen, daß sie sich eine wichtige Informationsmöglichkeit selber abgeschnitten haben.
({5})
Wir konnten vor unsere Fraktionen hintreten und sie informieren. Wir werden das jetzt auch bei dem Gesetz eingehend tun. In unserer Fraktion wäre das Gesetz mit Sicherheit gar nicht durchzubringen, wenn wir sie nicht genau informierten. Hier wird die Fraktion alles erfahren, was sie normalerweise erfahren kann; und das ist eben der Inhalt dieser Besprechung gewesen.
({6})
- Es gibt bei solchen Dingen Sachen, die man einfach nicht sagen kann, wenn man nicht die ganze Sache unwirksam machen will. Das müßten wir, meine ich, eigentlich alle miteinander wissen. Wir sind doch keine kleinen Kinder auf dem Gebiet.
Meine Damen und Herren, ich meine also, hier wird eine rechtsstaatliche Forderung erfüllt, indem in der Verfassung klar abgegrenzt wird, wann der Rechtsweg ausgeschlossen werden kann und wie er zu gestalten ist. Darum geht es bei der Grundgesetzänderung. Deswegen ist diese Ergänzung aus rechtsstaatlichen Gründen zwingend notwendig, um die Grenze abzustecken.
Aus diesen Gründen bitte ich, den Antrag der FDP abzulehnen, der praktisch auf eine Wiederherstellung der jetzigen Fassung des Art. 10 des Grundgesetzes hinausläuft und den Gesetzgeber, ich sage es ganz nüchtern, fast zwingen will, etwas am Rande der Verfassungslegalität zu tun.
({7})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte die Diskussion über diesen wichtigen Punkt nicht unnötig verlängern; aber nach dem bisherigen Gang der Diskussion scheint es mir doch zweckmäßig zu sein, zu
versuchen, in aller Nüchternheit vielleicht ein wenig klarer zu machen, als es bisher möglich war, worum es eigentlich geht. Ich fürchte, daß derjenige, der nicht unmittelbar mit der Materie in den Ausschüssen beschäftigt war und jetzt diese Diskussion anhört, doch in Gefahr gerät, nicht genau zu sehen, worum es eigentlich geht.
({0})
- Herr Kollege Dorn, das gilt gelegentlich sogar für Kollegen, die eigentlich informiert sein sollten, wie z. B. für Sie und eine Reihe anderer Kollegen Ihrer Fraktion, wie ich aus den Zwischenrufen entnehmen kann.
Die Antwort auf die Frage, warum man im Falle des Verdachts der bestimmten vorhin aufgezählten strafbaren Handlungen, wenn man die Überwachung des Post- oder Fernmeldeverkehrs für notwendig hält, nicht eine richterliche Anordnung vorsieht, ist sehr viel einfacher zu geben, als es auch die Herren Fragesteller von Ihrer Seite vermutet haben. Man kann sie aus der Drucksache V/1880 entnehmen, die am 13. Juni 1967 diesem Hohen Hause und allen Abgeordneten zugeleitet worden ist. Da steht es nämlich im einzelnen drin; ich verweise auf Seite 4, §§ 100 a und 100 b der Strafprozeßordnung. Die Antwort ist, um es zusammengefaßt zu sagen, folgende: Wenn jemand einer bestimmten strafbaren Handlung - Hochverrat, Straftaten gegen die Landesverteidigung, Straftaten gegen die Sicherheit der Truppen, Mord, Totschlag, Münzverbrechen usw. beschuldigt wird und eine solche Maßnahme in Frage kommt, dann greift § 100 b Abs. 1 Satz 1 Platz, der sagt:
Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs ({1}) darf nur durch den Richter angeordnet werden.
In diesem Punkte gibt es also überhaupt keine Diskussion, oder genauer gesagt: was insoweit diskutiert worden ist, halte ich für überflüssig; denn in der Sache kann es gar keinen Streit geben. Das Petitum, das Sie hier vorbringen, ist insofern erfüllt.
Was aber die Kollegen, die Zwischenfragen gestellt haben, für mein Empfinden - oder ich müßte sie sehr mißverstanden haben, - ({2})
- Das ist wohl möglich, Herr Kollege. Es kann, wenn man sich mißversteht, immer an dem einen oder an dem anderen liegen. Treffen wir uns in der Mitte! Ich bin bereit, das zu konzedieren. Ich will Sie ja jetzt nicht mit solchen Plaudereien aufhalten, sondern möchte versuchen, einen Beitrag zur Sache zu liefern. - Herr Kollege Busse, wenn Sie mich freundlicherweise jetzt einmal meinen Gedankengang vortragen ließen! Ich gebe Ihnen dann sehr gern Gelegenheit. Es scheint mir nämlich wirklich notwendig zu sein, auch wegen der Klarheit nach außen, einmal zu sagen, worum es sich handelt und worum nicht.
Ich fasse zusammen. Erster Punkt: Wenn jemand einer der soeben bezeichneten strafbaren Handlungen beschuldigt wird und die Notwendigkeit besteht - und niemand kann, glaube ich, leugnen, daß es eine solche Situation geben kann -, beispielsweise Briefe zu öffnen, dann ist es Sache des zuständigen Richters, die Anordnung zu treffen.
Zweiter Punkt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die übrigen auf diesem Gebiet zuständigen Behörden, denen - wie ich bei dieser Gelegenheit wiederhole - der Schutz unserer verfassungsmäßigen Ordnung anvertraut ist, die diese Aufgaben zu erledigen haben, beobachten Dinge, die aus ihrer Sicht für den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung von Bedeutung sind. Für sie ergibt sich die gleiche Frage, ob es nicht notwendig oder zweckmäßig ist, hier bestimmte Überwachungsmaßnahmen vorzunehmen. Nur darum kann es sich handeln. Ich muß das bei dieser Gelegenheit sagen. Es geht nicht darum, Briefe zu öffnen, Telefone abzuhören oder irgendwelche von diesen Dingen zu tun als Mittel etwa des innenpolitischen Kampfes. Es geht darum, Angriffe auf die verfassungsmäßige Ordnung, auf die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik oder ihrer Verbündeten rechtzeitig zu erkennen, um sie wirksam abwehren zu können, und in diesem Ziele sollten wir uns jedenfalls alle treffen. In diesem Punkte geht es um die Tätigkeit speziell des Verfassungsschutzes und ähnlicher Behörden.
Dieses Haus weiß seit vielen Jahren, daß es gute Gründe dafür gibt, die Tätigkeit etwa des Verfassungsschutzes und ähnlicher Einrichtungen durch ein besonderes parlamentarisches Gremium nachprüfen und überwachen zu lassen. Manche von uns sind in diesem Gremium tätig, sie kennen diese Sache. Ich glaube, daß sich diese Einrichtung nach dem Urteil aller Kollegen, die damit praktisch beschäftigt waren, bestens bewährt hat und daß gar kein Anlaß zu Mißtrauen etwa gegen die in diesem Gremium tätigen Kollegen besteht, daß sie ihrer Aufgabe nicht ordnungsgemäß nachkämen. Dieser Weg hat sich also als sehr brauchbar erwiesen.
Herr Kollege Busse, wir haben mindestens seit 1965 über dieses Thema gesprochen. Vielleicht entsinnen Sie sich der Gespräche, die damals geführt worden sind. Damals gab es eine Überlegung, z. B. einen Senat des Bundesgerichtshofs für diese Dinge einzuschalten. Vielleicht entsinnen Sie sich auch noch dessen, was die Herren Richter des Bundesgerichtshofs auf diesen Wunsch, der von unserer Seite kam, geantwortet haben. Sie haben nämlich genau dasselbe geantwortet, was Herr Kollege Dr. Wilhelmi und Herr Dr. Reischl eben noch einmal gesagt haben, daß sie mit dieser Aufgabe, der Überwachung einer Verfassungsschutz- oder einer ähnlichen Behörde, ich will nicht sagen: überfordert seien, aber daß es zweckmäßig sei, eine solche Aufgabe dem Gremium zu übertragen, das die politische Verantwortung dafür zu übernehmen hat, nämlich einem parlamentarischen Gremium.
({3})
Dies gilt erst recht für den dritten Fall, den berühmten Komplex des § 3, der Gegenstand der vorhin erwähnten Besprechung im Bundeskanzleramt
war. Hier geht es - ich zitiere den Gesetzestext in der gegenwärtig dein Ausschuß vorliegenden Passung; vielleicht nicht der endgültigen; aber so lautet jedenfalls die Formulierungshilfe - um die Sammlung von Nachrichten über die Sachverhalte, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr rechtzeitig zu begegnen.
({4})
Meine Damen und Herren, der Kollege, der gesagt hat, es sei an sich eine eigenartige Situation, daß man das gesetzlich regelt, hat schon recht. Einer der Kollegen der FDP - ich glaube, Herr Mertes - machte den Zwischenruf „Spanien". Herr Kollege, es geht um ganz andere Länder. Es gibt Länder, in denen wirklich ein Lächeln entsteht, wenn man hört, daß wir die Regelung einer solchen Frage gesetzlich vornehmen in der Art, wie wir es hier machen. Es handelt sich nicht um das von Ihnen erwähnte Land, sondern um andere Länder, bei denen Sie, glaube ich, einen solchen Zwischenruf nicht gemacht hätten, wenn Sie wüßten, um welche es sich handelt.
Das ist ein Thema, meine Damen und Herren, bei dein man ganz zwangsläufig in eine Zone kommt, wo man überlegen muß, ob man durch die Erörterung von Einzelheiten nicht Schaden anrichten kann. Um diese Frage zu klären, auch gerade mit den Kollegen der parlamentarischen Opposition, hat dieses Gespräch im Bundeskanzleramt auf Einladung des zuständigen Herrn Staatssekretärs im Kanzleramt stattgefunden.
Es war in der Tat so, wie es Herr Kollege Dr. Wilhelmi gesagt hat. Wir haben den Beteiligten angeboten, sich erst einmal zu informieren, und zwar voll zu informieren, und dann mit uns gemeinsam die Frage zu erörtern, was man sagen kann und was man nicht sagen kann. Leider haben die Kollegen der FDP daraus die Konsequenz gezogen, den Saal zu verlassen.
({5})
- Richtig? Ich würde es vorziehen, mich erst zu informieren und daraus dann Konsequenzen zu ziehen,
({6})
nicht vor der Information das Ergebnis von Überlegungen, die man anstellen sollte, schon vorwegzunehmen. Ich glaube also, daß das nicht zweckmäßig war.
Aber der Vorwurf, es sei keine Möglichkeit zur hinreichenden Information gewesen, ist für mein Empfinden voll unbegründet.
({7})
Die Behauptung, es hätten Geheimverhandlungen über irgendwelche Fragen stattgefunden, das Parlament sei nicht in der Lage, in dieser Frage eine sachgemäße Entscheidung zu fällen, ist für mein Empfinden falsch und unbegründet und, wie ich glaube, auch nicht ganz gerecht gegenüber den Kollegen, die sich diese Arbeit gemacht haben.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn Sie noch so unruhig werden, Sie werden sich heute und morgen wohl daran gewöhnen müssen, mich einige Male hier zu ertragen.
({0})
Ich möchte gleich an dieser Stelle - ({1})
- Ich habe Sie leider nicht verstanden, Herr Kollege.
({2})
- Sie werden lachen, Sie waren gar nicht angesprochen. Es ging eindeutig an die Adresse derjenigen, die hier glaubten, murren zu müssen.
Ich bin eigentlich etwas unangenehm berührt, Herr Bundesinnenminister, daß Sie meinen Fraktionskollegen Hermann Busse, als er sich während Ihrer Ausführungen zu einer Zwischenfrage meldete, erst vertrösteten, Sie wollten Ihren Gedankengang zu Ende führen, und dann weiter redeten und ihm auch zum Schluß die Zwischenfrage nicht mehr gestatteten.
({3})
Aber das ist eine Frage, die Sie selber klären können.
Herr Kollege Dorn, darf ich sagen: Es steht im Belieben eines jeden Redners, wie er mit Zwischenfragen verfährt. Und ich bin sicher, daß dem Herrn Innenminister -- ich habe es hier beobachtet - am Schluß seiner Rede einfach entgangen war, daß noch eine Frage ausstand.
({0})
Ich glaube, Herr Präsident, wenn es so ist, ist der Fall erledigt.
({0})
Herr Kollege Busse wird dann ja auch jederzeit - ({1})
- Nein, ich möchte in dieser Form jetzt nicht antworten. Herr Kollege Rasner, ich möchte es mir ersparen.
Auch nach unserer Meinung hat man - und ich sage das, damit da der Herr Kollege Busse noch einmal bestätigt wird - versucht, darum herumzureden und so zu tun, als ob er nicht der Meinung wäre, daß beim Verdacht strafrechtlicher Tatbestände nach richterlicher Anordnung eine Möglichkeit des Abhörens bestehen sollte. Auch für uns gibt es hier keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß das soll erfolgen können; nur muß es rechtsstaatlich erfolgen. Nach unserer Auffassung von
Rechtsstaatlichkeit gehört dazu eben die Anwendung eines anderen Verfahrens.
Wenn hier gesagt wird, der Richter sei in der Sache überfordert, kann ich daraus nur eine Konsequenz ziehen: Dann kann der Richter auch bei den Fragen, um die es hier geht, in keinem Fall zur Urteilsverkündung kommen, wenn er in der Sache aus politischen Gründen überfordert ist, wie der Herr Kollege Wilhelmi das vorgetragen hat. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei einer Überwachung gibt es nur zwei Möglichkeiten, ein Verfahren zu Ende zu führen. Entweder reicht das angefallene Material zur Anklageerhebung und zur Verurteilung des Betroffenen aus oder es gibt, wenn das Material nicht ausreicht, wenn sich herausgestellt hat, daß jemand abgehört, seine Post geöffnet worden ist und im Endergebnis keinerlei Berechtigung dafür vorhanden war, rechtlich gesehen, nur eine Möglichkeit, diese Verfahren zum Abschluß zu bringen, nämlich die, dem Betroffenen mitzuteilen, daß ein Verfahren gegen ihn nicht eröffnet werden konnte, weil die Beweise dafür gefehlt haben, und daß man hier abgehört hat, ohne daß sich der Verdacht bestätigte.
Nun wird hier vorgetragen, Herr Kollege Reischl: Wenn es der Betreffende erfährt, obwohl keine Mitteilungspflicht besteht - das ist schon sehr problematisch, was Sie sagen -, wenn er es trotzdem erfährt, hat er ja die Möglichkeit, sich an das Parlamentariergremium zu wenden. Schauen Sie, da haben wir eben eine völlig andere Auffassung von den Dingen. Es gibt ja den konkreten Fall in meiner Fraktion, in meiner Partei, daß das einer zufällig erfahren hat, mein leider verstorbener Freund Wolfgang Döring, weil bei einem Bekannten das Gerät zufällig nicht auf Aufnahme, sondern auf Wiedergabe geschaltet war, so daß demjenigen, der ihn anrief, plötzlich ein Telefongespräch vom Vortag wieder im Ohr klang. Glauben Sie denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Sie, wenn Sie die Benachrichtigung ausschließen wollen, die Rechtssituation des Betroffenen verfassungsrechtlich vernünftig regeln? Das kann doch niemand hier ernsthaft behaupten.
Nun zur Frage, warum wir die Besprechung im Kanzleramt verlassen haben.
Bitte, Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Frage des Herrn Kollegen Hirsch!
Herr Kollege Dorn, ist Ihnen immer noch nicht klar geworden, daß das, was Herrn Döring passiert ist, nach unserem neuen Gesetz nicht mehr passieren könnte?
({0})
Herr Kollege Hirsch, da bin ich nicht so sicher. Wenn ich mir das vorstelle, was dazu bisher gesagt worden ist, und wenn ich mir den Text, der inzwischen quasi als Endformulierung schon vorliegt, ansehe, bin ich leider nicht sehr sicher. Aber wir werden das Gesetz in der Sache ja
in einigen Wochen beraten, und dann werden wir uns darüber unterhalten.
Nun zu der Kritik, die der Kollege Wilhelmi an dem Kollegen Busse und mir geäußert hat, daß wir das Kanzleramt verlassen hätten, bevor die Informationen gegeben worden seien. Herr Dr. Wilhelmi, es gibt doch Vorgänge aus der Vergangenheit, in denen ähnliche Fälle zu Belastungen einzelner Kollegen geführt haben, an denen sie selber nicht schuldig waren. Wenn das nicht vorgekommen wäre, könnte man vielleicht darüber reden, ob das Verfahren zweckmäßig war. Aber wir erinnern uns doch alle sehr genau: es ist noch gar nicht lange her, daß ein Kollegium von Mitgliedern des Haushaltsausschusses in der Frage der Waffenlieferungen in Spannungsgebiete im Nahen Osten Informationen bekam, diese Informationen geheimhalten mußte, die eigenen Fraktionskollegen nicht unterrichten durfte, und daß dann plötzlich der ganze Eklat von außerhalb des Bundesgebietes auf uns zukam und dann hier im Parlament Auseinandersetzungen stattgefunden haben. Es ist die Frage, ob das der richtige Weg war. Wir haben diesen Weg für falsch gehalten.
Lassen Sie mich, Herr Dr. Wilhelmi, das so sagen, wie es der Kollege Hermann Busse und ich empfunden haben: Es ist einfach nicht fair, uns zu sagen: Sie hätten doch erst mal alles zur Kenntnis nehmen können, und dann hätten Sie ja entscheiden können, oder wir hätten entscheiden müssen, was davon den Ausschußmitgliedern und den Fraktionskollegen mitgeteilt werden kann. Sie wissen genau, daß wir mehrfach die Frage gestellt haben: Ist sichergestellt, daß wir alles, was wir hier erfahren, unseren Fraktionskollegen mitteilen können? Diese Frage ist mehrfach verneint worden. Aber es wurde gleichzeitig erklärt - insofern haben Sie recht -: Über das, was den Fraktionen mitgeteilt wird, werden wir uns nach Kenntnisnahme unterhalten können.
({0})
Einer solchen Möglichkeit konnten wir uns aber fairerweise nicht aussetzen. Man hätte nämlich dadurch von Dingen Kenntnis bekommen und nachher in der Zwangssituation gestanden, sich gegenüber der Fraktion über das, was dann zum Schluß als geheime Information bezeichnet worden wäre, nicht äußern zu können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten SchmittVockenhausen?
Herr Kollege Dorn, hätte Ihnen nicht die alte Erfahrung, daß Beamte in solchen Fällen vorsichtiger sind, als es sich nachher als notwendig erweist, das Gefühl geben sollen, daß Sie besser dageblieben wären?
Sehr geehrter Herr Kollege SchmittVockenhausen, wenn es sich nur um Antworten von Beamten gehandelt hätte, hätten wir uns vielleicht nach einer Sitzungsunterbrechung überlegen müssen, wie wir uns verhalten. Aber da uns diese AusDorn
kunft, wie Sie wissen, nicht. von Beamten, sondern von dein Parlamentarischen Staatssekretär des Bundeskanzleramtes, dem Kollegen von Guttenberg, gegeben worden ist, ist das natürlich anders zu werten, als Sie es jetzt darstellen.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen. Herr Kollege Reischl, Sie haben die Frage aufgeworfen, ob unsere Fraktion überhaupt nachgedacht habe, als sie diese Anträge alle wieder eingebracht habe. Ich darf Ihnen sagen: natürlich haben wir uns etwas dabei gedacht. Wir haben diese Anträge, wie Sie wissen, im vergangenen Jahr zum großen Teil als Alternativgesetzentwurf einbringen müssen, ohne daß es eine erste Lesung gegeben hat, weil die Koalitionsfraktionen der Meinung waren, das lasse sich terminlich so nicht einrichten. Wir haben auf diese erste Lesung verzichtet und unsere Argumente in den Ausschüssen vorgetragen. In den Ausschüssen sind wir überstimmt worden. Wir wollen selbstverständlich -- das lassen Sie mich hier genauso offen sagen - mit dazu beitragen, daß die Information der Öffentlichkeit in unserem Volk so weit wie nur eben möglich vorangetrieben wird; ich meine die Information über die Möglichkeit von Änderungen, die auch jetzt noch zur Diskussion stehen müssen, und über die Vorstellungen der drei Fraktionen dieses Hauses dazu. Das geht nur über den Weg, Anträge zu stellen. Wir, Herr Kollege Hirsch, haben ein anderes Verfahren als Sie gewählt. Ihre Fraktion hat - ich gestehe gern zu: Sie haben wahrscheinlich einen viel größeren Apparat eine hervorragende Public-relations-Arbeit mit den Anträgen der Kollegen Matthöfer, Kaffka, Lenders und anderer getrieben; die sind an alle möglichen Institutionen und Personen in der Bundesrepublik verschickt worden.
({1})
- Nein, wir sind gar nicht neidisch, nur vermissen wir sie leider hier.
({2})
Das ist das Problem. Wir haben unsere Vorstellungen in Anträge gekleidet. Wir wollen versuchen, während der Beratungen für diese Anträge Zustimmung zu finden. Deshalb haben wir die Anträge gestellt. Wenn Sie einen ähnlichen Weg gegangen wären, wären Ihre Anträge in der Sache wahrscheinlich in weitgehender Übereinstimmung mit unseren Anträgen gewesen. Das werden Sie auch feststellen, wenn Sie unsere Anträge durchsehen. Wir haben das festgestellt, als wir die uns von Ihren Kollegen übergebenen Anträge, die sie ursprünglich einreichen wollten, durchsahen.
Herr Abgeordneter Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Bitte schön!
Herr Kollege Dorn, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich nicht
um eine Public-Relations-Arbeit der SPD-Fraktion, sondern um die unabhängige Initiative einiger Abgeordneter gehandelt hat? Sind Sie des weiteren bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich hier um fraktionsinterne Vorschläge gehandelt hat und daß wir, so hoffe ich jedenfalls, nach außen auch keinen anderen Eindruck erweckt haben?
Gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?
Bitte sehr!
Herr Dorn, darf ich Sie fragen, ob Sie noch nicht gemerkt haben, daß von dem, was in diesen Papieren, die Sie als „Anträge Gscheidle" usw. bezeichnet haben, sehr viel in der Drucksache steht, weil das inzwischen vom Rechtsausschuß angenommen worden ist?
Herr Kollege Hirsch, da sind wir in der materiellen Beurteilung leider völlig verschiedener Meinung. Wir geben zu, daß eine Reihe von Punkten, die Sie und wir gemeinsam schon in der ersten Lesung vorgetragen haben, auch speziell Sie und ich, in dieser Drucksache geregelt sind. Aber leider sind es nur die überwiegend verfassungspolitisch sekundären Fragen, auf die man sich geeinigt hat. Die verfassungspolitisch primären Fragen stehen noch aus.
({0})
- Nun, das werden wir im Laufe dieser zwei Tage diskutieren können. Ich bin bereit, Herr Kollege Matthöfer, zuzugestehen, daß Sie und viele Kollegen Ihrer Fraktion sich nicht nur in Ihrer Fraktion, sondern auch außerhalb dieses Hauses bei vielen Podiumsdiskussionen, für die Auffassung, die Sie haben, eingesetzt haben. Ich selbst habe mit Ihnen, Herrn Kaffka und Herrn Iven und vielen anderen Kollegen Ihrer Fraktion in der Vergangenheit genügend Diskussionen gehabt, um das bestätigen zu können.
Herr Abgeordneter Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Bitte sehr!
Herr Kollege Dorn, halten Sie die Tatsache, daß z. B. der Gemeinsame Ausschuß jetzt nur im Verteidigungsfall wirksam werden kann und in Normalzeiten keine Funktion bekommen wird, für eine verfassungspolitisch sekundäre Sache? Außerdem sind wir bei der Zusammensetzung des Gemeinsamen Ausschusses Ihrem Petitum gefolgt und haben ihn nach der Stärke der Fraktionen in diesem Hause zusammengesetzt und nicht so, wie es im Regierungsentwurf vorgesehen war. Ist das alles wirklich nur zweitrangig?
Nein, Herr Kollege Matthöfer! Wenn Sie mir genau zugehört haben, werden Sie festgestellt haben, daß ich gesagt habe: „überwiegend sekundäre Entscheidungen".
({0})
Natürlich! Ich bin durchaus bereit, zuzugestehen, daß manches von dem, was Sie und wir gemeinsam gewollt haben, realisiert worden ist, manches! Dazu gehört das, was Sie gerade genannt haben. Aber das kann doch nicht ausschließen - das werden Sie auch nicht bestreiten, Herr Kollege Matthöfer, dazu haben Sie sich ja selbst viel zu oft in der Öffentlichkeit und, wie ich annehme, auch gestern in Ihrer Fraktion geäußert -, daß eine Reihe entscheidender Fragen nicht so geregelt ist, wie Sie und wie wir es wünschen. Darüber werden wir uns in den nächsten zwei Tagen unterhalten müssen. Die Tatsache, daß wir Änderungsanträge in größerer Zahl gestellt haben, soll mit dazu dienen, die verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Probleme in aller Offenheit in diesem Hause zu diskutieren, zu sonst gar nichts!
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Wenn ich noch einmal das Wort ergreife, so nur deshalb, weil ich nicht die Möglichkeit hatte, meine Zwischenfragen zu stellen. Ich weiß mit Sicherheit, daß der Innenminister nichts dagegen hat, wenn ich dazu kurz noch etwas sage.
Ich will nur Weniges klarstellen. Mir ist schlecht verständlich, wie man mich so mißverstehen konnte. Ich habe eindeutig erklärt, daß der vorliegende Gesetzentwurf der Regierung eine Regelung enthält, nämlich die strafprozessuale, die wir anerkennen, die mit den bestehenden Verfassungsgrundsätzen völlig in Einklang steht und für die keine Verfassungsänderung notwendig ist. Darüber sind wir völlig einer Meinung, darüber besteht kein Streit. Ich habe weiter vorgetragen, daß es mit der bestehenden Verfassung durchaus im Einklang ist, wenn nicht nur Richter, Staatsanwälte und Polizei abhören können, sondern wenn auch den verschiedenen Sicherungsämtern, die wir haben, die Möglichkeit zum Abhören gegeben wird. Dagegen ist nichts einzuwenden. Ich habe mich nur dagegen gewandt, daß man nun unterscheidet zwischen dem - wir dürfen unter uns jetzt technisch sprechen - § 2 des Ausführungsgesetzes und dem vorgesehenen § 100 a der Strafprozeßordnung. Das ist die eine Seite. Ich habe mich ferner gegen die Art gewandt, wie man den § 3 und seinen Umkreis hier in die Entscheidung eingeführt hat. Das sind die Dinge, die ich hier angesprochen habe. Das wollte ich zur Klarstellung noch einmal sagen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schultz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Wilhelmi. Ich halte das Gesetzgebungswerk, das wir heute hier behandeln, für so bedeutsam, daß leider Gottes manches, was schon im Rechtsausschuß diskutiert worden ist, den Abgeordneten, die nicht dem Rechtsausschuß und auch nicht dem Innenausschuß angehören, hier verständlich gemacht werden muß. Deshalb muß zu dieser Frage auch von hier noch einmal etwas gesagt werden.
({0})
Sie werden sich also daran gewöhnen müssen, daß diese Beratung zumindest von mir, der ich nicht in diesen beiden Ausschüssen tätig bin, so ernst genommen wird, daß ich mir erlaube, hier auch dumme Fragen zu stellen, um meine Entscheidung nach den Antworten richten zu können.
({1})
Deshalb möchte ich jetzt eine Frage an den Herrn Berichterstatter stellen. In dem Bericht ist leider nicht ausgeführt - was ich für notwendig hielte -, was unter „Organen" und „Hilfsorganen" zu verstehen ist, die hier an Stelle der Gerichte in dem eben jetzt erläuterten Sinne angerufen werden können. Durch eine Bemerkung des Kollegen Gscheidle, glaube ich, könnte ich jetzt zu der Auffassung kommen, daß unter „Organen" der zuständige Minister zu verstehen ist. Ist das so gemeint? Ich hätte da gewisse Bedenken. Ich könnte ferner zu der Auffassung kommen, daß unter „Hilfsorganen" praktisch das Parlament, sagen wir, der Petitionsausschuß oder ein Untersuchungsausschuß zu verstehen ist, wie er z. B. damals bei der Abhöraffäre, als sich ein bestimmter Mensch gegen das wehrte, was da geschehen war, eingesetzt worden ist. Ist also damit zu rechnen, daß wir in Zukunft die Fragen, die hier strittig sind, in Untersuchungsausschüssen zu erörtern haben werden oder daß der Petitionsausschuß dann darüber befinden kann? Ist das eigentlich so ganz Rechtens? Zwar hat der Petitionsausschuß verschiedene Möglichkeiten, seinem Votum Gestalt zu geben - er kann z. B. sagen, dieser Fall werde der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen -, aber angesichts der Praxis dieses Hauses und der Ministerien muß ich feststellen, daß die Ministerien dann, selbst wenn der Bundestag das stärkste Votum abgibt, praktisch zur Tagesordnung übergehen. Deswegen bin ich fast der Meinung, daß die Bestimmung, die hier am Ende dieses Absatzes eingefügt ist, nämlich: „so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt", gar nicht den Schutz enthält, den sich der unbefangene Leser und auch der unbefangene Abgeordnete, der ich hier bin, davon erhofft. Hier wird also vielleicht etwas postuliert, von dem wir hinterher von den Leuten draußen gesagt bekommen: Das habt ihr nur hineingeschrieben, um uns Sand in die Augen zu streuen und die Augen auszuwischen.
Schultz ({2})
Deswegen möchte ich gern näher erläutert haben, was hier unter diesen Organen und Hilfsorganen zu verstehen ist.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich die Frage des Abgeordneten Schultz beantworten.
Ich lese aus dem Bericht vor:
Die Neuformulierung durch den Ausschuß bringt klarer zum Ausdruck, daß der Rechtsweg nur dann und nur soweit ausgeschlossen werden darf, als gleichzeitig die Nachprüfung durch Organe und Hilfsorgane der Volksvertretung sichergestellt ist.
Es heißt dann weiter, Herr Kollege:
Die Regelung der Einzelheiten hat der Ausschuß dem einfachen Gesetzgeber überlassen. Über das entsprechende Ausführungsgesetz ({0}) wird dem Bundestag gesondert Bericht erstattet.
Dieses Ausführungsgesetz haben wir hier vor uns liegen, und hier ist folgendes Gremium vorgesehen - ich zitiere aus § 9 der Vorlage von 13. Juni 1967 den Abs. 1 -:
Der nach § 5 Abs. 1 für die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen zuständige Bundesminister unterrichtet in Abständen von höchstens sechs Monaten ein Gremium, das aus fünf vom Bundestag bestimmten Abgeordneten besteht, über die Durchführung dieses Gesetzes.
Das ist das parlamentarische Organ.
Das Hilfsorgan ist dann in Abs. 3 geregelt. Das ist ein Gremium, das von dem genannten Organ eingesetzt wird. Ich lese auch das vor:
Die Kommission besteht aus dem Vorsitzenden, der die Befähigung zum Richteramt besitzen muß, und zwei Beisitzern. Die Mitglieder der Kommission werden von dem in Absatz 1 genannten Gremium nach Anhörung der Bundesregierung bestellt und abberufen. Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung, die der Zustimmung des in Absatz 1 genannten Gremiums bedarf. Vor der Zustimmung ist die Bundesregierung zu hören.
Ich glaube damit die Frage des Herrn Kollegen Schultz erschöpfend beantwortet zu haben, was sich der Rechtsausschuß bei jenem Passus des Art. 10 Abs. 2 vorgestellt hat. - Herr Kollege Genscher, bitte schön!
Eine Zwischenfrage von Herrn Genscher.
Würden Sie mir bitte sagen, mit welchem Ziel diese Nachprüfung angestellt werden soll. Was soll geschehen, wenn sich ergibt, daß z. B. jemand zu Unrecht überwacht worden ist?
Herr Kollege Genscher, lassen Sie mich darauf zunächst einmal eine Bemerkung machen. Wir sind heute in der Lesung einer Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes. Die Frage, die Sie mir hier stellen, bezieht sich auf einen Gesetzgebungsgegenstand, der sich in der Beratung der zuständigen Ausschüsse befindet und der voraussichtlich noch in diesem Monat in diesem Hause beraten wird. Ich möchte also die Frage stellen, ob hier der Ort ist, diese Frage zu beantworten.
({0})
- Wenn Sie die Frage dennoch beantwortet haben wollen, Herr Kollege Genscher, dann bitte ich um Wiederholung.
Würde nicht alles das, was Sie soeben gesagt haben, dafür sprechen, daß wir das Ausführungsgesetz zusammen mit der Grundgesetzänderung behandeln, weil man dann erst die Tragweite übersehen kann?
({0})
Herr Kollege Genscher, ich bin durchaus anderer Auffassung als Sie. Ich bin der Meinung, daß sich die Ausführungsgesetze nach dem Grundgesetz zu richten haben und nicht umgekehrt.
({0})
Lassen Sie mich deshalb von der Grundgesetzänderung sprechen, die heute auf der Tagesordnung steht.
Meine Damen und Herren, wovon reden wir eigentlich und warum reden wir über dieses Thema? Wir reden über dieses Thema, weil - darüber dürfte doch in diesem Hause gar kein Zweifel bestehen, weder bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Fraktion der FDP, noch sonstwo in diesem Hause - die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte nur dann möglich ist, wenn dieser Punkt geregelt ist. Für diejenigen, die ihr Gedächnis hier auffrischen wollen, darf ich noch einmal aus einer Note vorlesen, die uns die Alliierten am 12. Juni 1965 zugeleitet haben und auf die sie im Dezember dieses Jahres erneut hingewiesen haben.
({1})
- Herr Kollege Busse, ich darf das gerade zu Ende bringen.
In dieser Note heißt es:
Wenn das betreffende Gesetz
- das Ausführungsgesetz zu Art. 10 in Kraft getreten ist und zufriedenstellende Regelungen zwischen alliierten und deutschen Stellen bestehen, durch welche die deutschen Stellen den alliierten Sicherheitsanforderungen in diesem Bereich entsprechen, und ferner eine wirksame deutsche Organisation besteht, die
Dr. Lenz ({2})
zur Durchführung der notwendigen Operationen in diesem Bereich voll und ganz in der Lage ist, die Voraussetzungen für das Erlöschen der Vorbehaltsrechte der drei Mächte nach Art. 5 Abs. 2 des Deutschland-Vertrages erfüllt sein werden, soweit es die Prüfung von Mitteilungen betrifft.
Ich glaube, meine Damen und Herren - das habe ich schon vorhin hier ausgeführt -, es war und ist Einigkeit auf allen Seiten dieses Hauses, daß wir eine Gesetzgebung der Art, wie wir sie heute diskutieren, nur dann machen, wenn gewährleistet ist, daß die Vorbehaltsrechte der Drei Mächte abgelöst werden, und es ist offensichtlich, daß wir hierfür Voraussetzungen schaffen müssen.
Nun, Herr Kollege Busse, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
({3})
Herr Kollege Lenz, der Präsident erteilt das Wort. - Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Busse.
Leider sind Sie in Ihren Ausführungen inzwischen so weit vorgeschritten, daß ich ein bißchen zurückgreifen muß. Darf ich Sie dahin verstehen - Sie sagten nämlich, daß wir dieses Ganze nur machen wollen, weil wir ablösen wollen; das einmal ganz gedrängt zusammengefaßt -, daß auch Sie bereit wären, ein anderes Gesetz zu machen, wenn es sich nicht um die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte handelte?
Herr Kollege Busse, diese Frage, die Sie hier stellen, ist sehr stark vereinfachend. Wir wissen aus der Erfahrung mit allen anderen Ländern, daß eine Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in gewissem Umfange notwendig ist, um die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen. Die Voraussetzungen, um das tun zu können, müssen wir meiner Ansicht nach schaffen. Es ist hier heute vormittag schon gesagt worden, daß die meisten anderen Länder dieser Erde das sozusagen unter dem Tisch machen. Wir machen das nicht so, wir wollen das auch nicht machen, weil wir der Auffassung sind - das habe ich hier vorhin schon ausgeführt -, daß es besser ist, diese Dinge über dem Tisch zu diskutieren als unter dem Tisch zu verbergen.
({0})
Deswegen diskutieren wir hier über dieses Gesetz. Einschlägig ist hier vor allen Dingen der § 3 des Gesetzes; der ist nach meiner Auffassung absolut notwendig. Ich halte es auch für völlig ausgeschlossen, Herr Kollege Busse, daß Sie in einem Fall, wo Sie eine derartige Überwachung durchführen müssen, um eine Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig zu erkennen, hinterher den Überwachten mitteilen: Wir haben Sie überwacht, wir haben nichts gefunden,
nunmehr stellen wir die Überwachung ein, jetzt können Sie vielleicht Ihr Spionagegeschäft weiter betreiben.
({1})
Das ist doch einfach nicht drin!
({2})
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir hier einige Dinge ganz klar auseinanderhalten müssen. Das eine ist: wir behandeln heute den Art. 10 des Grundgesetzes ,und danach hat sich das Ausführungsgesetz zu richten; zweitens: wir müssen die Voraussetzungen für die Ablösung der alliierten Sicherheitsvorbehalte auf diesem Sektor schaffen, und das können wir nur, wenn wir den Art. 10 insoweit einschränken. Drittens werden wir uns noch einmal noch in diesem Monat in diesem Hause über die Einzelheiten des dazugehörigen Gesetzes unterhalten.
({3})
Herr Genscher hat das Wort zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir können es uns bei dieser ernsten Frage nicht so leicht machen, wie es der Kollege hier eben getan hat.
({0})
Bei der Frage, ob an einen Staatsbürger, der zu Unrecht Maßnahmen dieser Art unterworfen worden ist, im Nachhinein eine Mitteilung ergeht, handelt es sich am Ende darum, inwieweit wir dem Grundsatz des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes Rechnung tragen wollen. Ich darf ihn hier zitieren:
Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen . . .
Es handelt sich hierbei um eine zentrale Bestimmung unseres Grundgesetzes,
({1})
und wir sollten die überragende Bedeutung dieser Bestimmung nicht verkennen, auch wenn wir Regelungen einführen, die ebenso mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen werden müssen, wie es bei der Verabschiedung dieser Bestimmung früher der Fall gewesen ist. Ich glaube, wir müssen die Wertigkeit der Einzelbestimmungen des Grundgesetzes hier mitberücksichtigen.
Herr Kollege, ich weiß nicht, wie Sie als Jurist eine Formulierung wie eben am Ende Ihrer Ausführungen gebrauchen können. Sie haben sinngemäß gesagt: Da wird jemand überwacht, dann stellt sich heraus, es ist nichts, dann teilt man ihm das mit, und dann begeht er weiter Landesverrat.
({2})
Woher wissen Sie denn, wenn sich nichts herausgestellt hat, eigentlich, daß er Landesverrat begeht?
Noch immer leben wir doch, wenn ich es recht
sehe, in einem Staat mit dem Grundsatz: im Zweifel für den Beschuldigten.
({3})
Wir sollten hier nicht von solchen Tatbeständen reden, zumal Sie gerade vorher ausgeführt hatten, Sie gingen davon aus, daß sich die Überwachungsmaßnahme als zu Unrecht angeordnet herausgestellt habe.
Die Fragen meines Fraktionskollegen Schultz waren völlig berechtigt. Er möchte nämlich wissen: Was sind das für Organe, welche Möglichkeiten haben diese Organe, um gegen mißbräuchliche Ausnutzung gegebener rechtlicher Möglichkeiten vorzugehen, wenn Sie schon die Kontrolle im Nachhinein durch die Anrufung von Gerichten durch denjenigen, der kontrolliert worden ist, vermeiden wollen? Bei Ihrer Regelung, meine Damen und Herren, geraten wir doch in die groteske Situation, daß nur derjenige etwas von der Kontrollmaßnahme erfährt, bei dem diese Kontrollmaßnahme zu Recht angeordnet wurde, weil das Ergebnis im Strafverfahren als Beweismittel verwendet wird, während derjenige, der zu Unrecht kontrolliert worden ist, davon nichts erfährt. Ich glaube, dieses Problem müssen wir sehr deutlich sehen.
Ich meine auch, daß es, um die Bedeutung der von Ihnen vorgeschlagenen Formulierung transparent zu machen, wichtig wäre zu wissen, welche weiteren Vorstellungen Sie hinsichtlich der Ausführung dieser Grundgesetzänderung, nämlich der Behandlung des einfachen Gesetzes, des Ausführungsgesetzes, haben. Man muß diese Grundgesetzänderung im Zusammenhang mit dem Ausführungsgesetz sehen. Da können Sie nicht sagen: Das liegt im Ausschuß, das behandeln wir später. Das einfache Gesetz hat sich nach der Grundgesetzänderung zu richten. - Wir haben es in der Vergangenheit wiederholt erlebt, daß ein Junktim zwischen einer Grundgesetzänderung und der Verabschiedung einfacher Gesetze hergestellt wurde.
Sie könnten mir nun entgegnen: Vielleicht ist es möglich, die dritte Lesung des einfachen Gesetzes und der Grundgesetzänderung zusammen abzuhalten. Dazu möchte ich Ihnen noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen, was ich in der Geschäftsordnungdebatte heute morgen gesagt habe: Diese zweite Lesung hat eben in Wahrheit die Bedeutung einer dritten Lesung. Sie könnten später erworbene Erkenntnisse schwerlich noch verwenden, weil Sie dann Gefahr laufen würden, daß die Alliierten eine eventuell abgegebene Erklärung, daß die Vorbehaltsrechte abgelöst würden, zurückziehen.
Aus allen diesen Gründen glaube ich, daß Sie, meine Damen und Herren, Ihre Regelung doch noch ausreichender begründen müßten, wenn Sie hierfür eine Mehrheit gewinnen wollen und - das ist noch viel entscheidender - wenn es Ihnen gelingen soll, diese Eingriffe in die Rechte des einzelnen Bürgers auch jedem Bürger verständlich zu machen und das Verständnis der Bürger draußen dafür zu gewinnen; das ist doch das Hauptproblem unserer heutigen Beratungen. Es reicht nicht aus, daß Sie eine parlamentarische Mehrheit für Ihre Vorlage haben. Im
Interesse unseres Staates ist es wichtig, daß der Bürger draußen erkennt, was gewollt ist, daß er die Tragweite beurteilen kann und daß er hinter dem von uns zu verabschiedenden Gesetz steht. Das ist eine wirkliche Stärkung der Demokratie auch für den Fall der Not.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte das Haus um Entschuldigung, wenn ich hier noch einmal heraufkomme. Aber ich bin von Herrn Kollegen Genscher angesprochen worden, und ich glaube, da ist das kein Mißbrauch.
Ich bleibe, Herr Kollege Genscher - sicherlich mit Ihrem Einverständnis - bei meiner Auffassung, daß wir heute Grundgesetzänderungen diskutieren und nicht ein einzelnes Gesetz. Aber ich will den Punkt aufklären, weil ich in zwei Punkten mit Ihnen übereinstimme.
Das eine ist die zentrale Bedeutung des Art. 19 des Grundgesetzes. Wir haben es deshalb das ist Ihnen sicherlich nicht entgangen - im Bericht und in unseren Vorschlägen nicht bei der Vorlage der Bundesregierung bewenden lassen, in der man versucht hat, das in Art. 10 zu regeln, sondern wir haben ausdrücklich den Art. 19 angesprochen. Insofern verstehe ich nicht ganz die Kritik, die Herr Kollege Busse heute morgen in diesem Punkt geäußert hat. Das ist das eine.
Das zweite. Ich bin auch der Auffassung, daß wir hier Klarheit darüber schaffen müssen, wovon wir reden. An dieser Klarheit kann vielleicht noch einiges getan werden.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses besteht ja in den hier diskutierten Punkten aus zwei Teilen. Der eine Teil behandelt die vorbeugenden Maßnahmen und der andere die strafrechtlichen Ahndungsmaßnahmen. In dem einen Fall wird vorausgesetzt, daß eine strafbare Handlung begangen worden ist.
({0})
- Entschuldigung, Herr Dorn, das stimmt natürlich. Lassen Sie mich das bitte ausführen, Herr Kollege Busse: Wir haben uns im Ausschuß schon darüber unterhalten. Ich kann es hier ruhig noch einmal sagen. Im ersten Artikel handelt es sich darum, zu verhindern, daß eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland entsteht. Deshalb muß in gewissen Fällen überwacht werden. Die Fälle, in denen überwacht werden muß, werden von einem dem Parlament verantwortlichen Bundesminister unter Kontrolle des eben zitierten Gremiums herausgearbeitet. Darin besteht die parlamentarische Kontrolle. Meine Damen und Herren, ich kann nicht umhin, zu sagen, daß das keine rechtliche, sondern eine politische Angelegenheit ist. Es ist eine politische Frage, zu
Dr. Lenz ({1})
prüfen, ob von dieser oder jener Seite Gefahr für
die Bundesrepublik droht. Das ist keine Rechtsfrage.
Nur in diesem Rahmen dürfen überhaupt Überwachungsmaßnahmen angeordnet werden, und zwar auch nur dann - das ist auch wiederum eine Einschränkung -, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, daß jemand hochverräterische Handlungen, landesverräterische Handlungen, Straftaten gegen die Landesverteidigung oder die Sicherheit der alliierten Truppen begeht. Ob das nachher zu einer Strafverfolgung führt, ist eine ganz andere Frage. Das hängt davon ab, daß sich Beweismaterial ergeben hat. Hier handelt es sich ja im wesentlichen darum, festzustellen, daß eine solche Gefahr möglicherweise gar nicht besteht, und, wenn sie besteht, darum, daß man Maßnahmen ergreift. Das ist doch eigentlich alles ganz und gar einleuchtend.
Sollte nun dieses Gremium festgestellt haben, daß hier in einem bestimmten Bereich Überwachungen vorzunehmen sind, dann wird es in kurzen Zeitabständen darüber unterrichtet, und es wird jedesmal von neuem prüfen müssen, ob diese Maßnahen wirklich noch erforderlich sind, um die mögliche Gefahr abzuwehren. Das ist der Sachverhalt.
Ich glaube, man kann hier nicht davon sprechen, daß hier ohne weiteres irgendwelche privaten Staatsbürger überwacht werden. Ich glaube, das steht im Gesetz.
({2})
- Herr Kollege Dorn, dieser Zwischenruf war
sicherlich nicht sehr zum Thema.
({3})
- Dieser Zwischenruf war nicht zum Thema, meine Damen und Herren.
({4})
Überwachungen dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, daß jemand Handlungen begangen hat. Das ist doch völlig klar.
({5})
- Eine Denunziation? Ich weiß nicht, was Sie im Augenblick damit meinen, Herr Kollege Rutschke. Eines ist doch völlig klar: es müssen tatsächliche Anhaltspunkte bei jemandem bestehen, damit solche Überwachungsmaßnahmen durchgeführt werden. Aber die brauchen nicht notwendigerweise zu einer Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung zu führen. Denn dafür müssen ganz andere Voraussetzungen des Beweises erfüllt sein.
({6})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Ich hatte wirklich geglaubt, daß nach den Ausführungen, die ich zur Begründung unseres Antrags gemacht habe, auch dem letzten klargeworden sein muß, worin nach der Gesetzesvorlage, die wir bezüglich des Abhörens von Telefon, Kontrolle des Briefgeheimnisses und ähnlichen Dingen haben, der Unterschied zwischen der Gruppe eins und in der Gruppe zwei besteht.
In der Gruppe zwei -- bei den strafprozessualen Fragen handelt es sich, Herr Kollege Dr. Lenz, darum, daß eine Anordnung zur Abhörung erfolgen kann, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß strafbare Handlungen begangen worden sind. Die strafprozessuale Anordnung der Überwachung des Telefons usw. dient also der Erhärtung eines Verdachts und der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens, klar und deutlich, nicht mehr.
({0})
In § 2 ist festgestellt, daß die Anordnung der Abhörung des Telefons usw. dann erfolgen kann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen. Und nun kommt wieder ein Katalog von strafbaren Handlungen. Auch in diesem Fall dient die Maßnahme des Abhörens der Ermittlung, ob strafbare Handlungen vorgenommen werden sollen oder nicht. Insofern besteht zwischen beiden Bestimmungen - das wollte ich hier noch einmal klargestellt haben - gar kein sachlicher Unterschied. Das ist das wesentliche dabei.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte nur dem Kollegen von der CDU und Berichterstatter, Herrn Dr. Lenz, meinen Zwischenruf erläutern. Nach der jetzigen Situation - so, wie der Vorschlag ist - ist es durchaus möglich, daß jemand auf Grund von Denunziationen abgehört wird.
({0})
Es stellt sich also heraus, daß dieses Abhörmanöver, das durchgeführt worden ist, völlig unberechtigt war. Was wir verlangen, ist, daß dann dem Mann bei Abschluß mitgeteilt wird, daß er zu Unrecht abgehört worden ist. Meinen Sie, daß das zuviel verlangt ist?
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Even.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, noch einmal auf den entscheidenden Kern zurückzuführen,
({0})
weil hier eine gewisse Verwirrung entstanden ist. Wenn man die Elle der Rechtsstaatlichkeit anlegt, ist es das beste, einmal einen kleinen internationalen Vergleich zu ziehen und sich an der Menschenrechtskonvention zu orientieren.
({1})
Ich zitiere Ihnen, was nach der Menschenrechtskonvention zulässig ist. Ich zitiere den Art. 8 Abs. 1:
Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
Von Telefongeheimnis ist übrigens nicht die Rede.
({2})
- Warten Sie doch ab! - Erst in einer wohlwollenden Auslegung, der ich persönlich mich anschließe,
({3})
kommt man dazu, daß darunter auch das Telefongeheimnis fällt.
Aber nun hören Sie bitten den Abs. 2:
Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit,
({4})
die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral
({5})
oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Meine Damen und Herren, vergleichen Sie mit diesem langen Katalog von Möglichkeiten der Durchlöcherung des Telefongeheimnisses das, was Ihnen auf dem Tisch vorliegt, und Sie werden erkennen, daß es eine einengendere Auslegung dessen, was die Menschenrechtskonvention zuläßt, überhaupt nicht gibt.
({6})
Die Aussprache über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 449 *) in Verbindung mit Umdruck 453 **) ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. - Zur Abstimmung Herr Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussprache über den Streichungsantrag der FDP auf Umdruck 449 hat eindeutig ergeben, daß sich aus dem Abstimmungsergebnis schwer-
*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3
wiegende Konsequenzen für unsere Rechtsstaatlichkeit ergeben können.
({0})
Ich beantrage daher im Namen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei namentliche Abstimmung und bitte um Ihre Unterstützung.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich frage, ob der Antrag von 50 anwesenden Abgeordneten unterstützt wird. Wer den Antrag unterstützt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Zahl von 50 unterstützenden Abgeordneten ist nicht erreicht.
Wir kommen zur einfachen Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 449. Wer ihm zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe ! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Damit ist auch der Antrag Umdruck 453 erledigt, wie die Antragsteller hier dargelegt haben.
Wir unterbrechen die Sitzung bis 15 Uhr.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren in der zweiten Beratung des Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes fort. In der Vormittagssitzung ist zuletzt über den Änderungsantrag Umdruck 449 zu Nr. i abgestimmt worden. Er wurde abgelehnt.
Es ist jetzt noch über die Nr. 1 selber abzustimmen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dieser Nr. 1 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. 1 ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und von drei SPD-Abgeordneten angenommen.
Ich rufe die Nr. 1 a auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 450 *) vor. Wird dazu das Wort gewünscht? - Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Kollegen und Kolleginnen! Es wurde in der Mittagspause Kritik geübt, wir hätten heute morgen zu lange über diese weitere Einschränkung des Grundrechts in Art. 10 gesprochen. Ich bin nicht der Meinung. Ich bin der Meinung, wenn es darum geht, Grundrechte in unserem sehr liberalen Grundgesetz einzuschränken, dann muß das mit aller Sorgfalt hier erörtert werden. Ich bitte auch die Kollegen und Kolleginnen, dafür Verständnis zu haben, die vielleicht im Augenblick gar nicht so in der Lage sind, die Tragweite dieser Einschränkung zu überblicken.
({0})
*) Siehe Anlage 4
- Ja, Herr Kollege Stammberger, Sie wissen, wenn man dauernd als Jurist mit Gesetzen umgehen muß, weiß man auch, was aus dem so nüchternen Text gegebenenfalls gemacht werden könnte, auch wenn es im Augenblick nicht gesagt wird.
({1})
Die parlamentarische Beratung, auch im Rechtsausschuß, ist nicht sehr ausführlich gewesen. Die Frage ist, was denn mit dieser weiteren Einschränkung der Freizügigkeit bezweckt wird, was gegebenenfalls die Folge sein könnte und was nun eigentlich der Hintergrund ist. Ich habe mir sehr sorgfältig die Protokolle durchgesehen, und ich mußte feststellen, daß keine befriedigende Auskunft da ist.
Worum handelt es sich denn bei diesem Art. 11? Um das Grundrecht der Freizügigkeit! Ich darf Sie hierbei vielleicht an etwas Politisches erinnern, meine Damen und Herren. Uns ist es eine Selbstverständlichkeit, daß wir die Freizügigkeit haben, daß wir in der Bundesrepublik wohnen können, wo wir wollen, daß wir ins Ausland gehen können, daß wir in der Bundesrepublik frei reisen können, wohin wir wollen, daß wir unseren Arbeitsplatz und unseren Wohnsitz frei wählen können. Gestern haben wir gehört, daß im September eine parlamentarische Woche in Berlin sein soll. Wenn wir nach Berlin fahren, sehen wir dort die Mauer, dann wird uns vor Augen geführt, was es bedeutet, wenn das Grundrecht der Freizügigkeit eingeschränkt wird. Gerade wenn wir an diese politischen Probleme denken, dann wissen wir, was diese Freizügigkeit für uns wert ist.
Ich darf jetzt auf einen sehr bekannten Kommentar zurückgreifen, und zwar auf den Kommentar von Maunz-Dürig. Gerade im Hinblick auf die politischen Zustände, wie sie nun einmal in der DDR vorhanden sind, welche die Freizügigkeit nicht in unserem liberalen Sinne kennt. Maunz-Dürig sagt, man schätze heute den Wert dieses Freizügigkeitsrechtes, dieses Grundrechtes, nicht so ein, wie es eigentlich dem Wertsystem in den Grundrechten entspricht. Er führt dazu folgendes aus, und zwar gerade im Hinblick auf die politische Situation:
Jedoch zwingt diese harte Lebenswirklichkeit dazu, wieder etwas tiefer über den Wert der Freizügigkeit im Grundrechtsystem nachzudenken. Wir haben das positivierte Freizügigkeitsrecht über ein Jahrhundert lang banalisiert; es etwa im Lichte des Fürsorge- und Unterstützungswohnsitzrechtes, im Lichte der Abschiebung Krimineller von einem Bundesland zum anderen, in bezug auf die Wirtschaftsordnung gesehen.
Maunz-Dürig kommt zu der Schlußfolgerung, daß das Grundrecht der Freizügigkeit, auch wenn es nicht in der Menschenrechtskonvention enthalten ist, in seinem Wesen einen Menschenrechtsgehalt aufweist.
Ich sage Ihnen das im voraus, um Ihnen klarzumachen, daß es sich nicht um eine Banalität handelt, wenn die Freizügigkeit in Abs. 2 des Art. 11 jetzt
weiter eingeschränkt werden soll, als das bisher der Fall ist.
({2})
Nun, worum handelt es sich? Maunz-Dürig sagt: Viele Einschränkungen, die jetzt im Abs. 2 des Art. 11 enthalten sind, sind eigentlich obsolet, wie der Jurist sagt; wir brauchten sie gar nicht mehr. Und jetzt kommt es umgekehrt: Die Beschränkungen sollen nicht abgebaut, sondern weiter ausgebaut werden. Sie sollen ausdrücklich auf den Katastrophenfall erstreckt werden. Nach Maunz-Dürig wäre das nicht erforderlich, nach unserer Ansicht auch nicht, sondern hier gelten und genügen die Polizeigesetze. Es gilt insofern auch das Landesrecht, und damit ist Vorsorge getragen auch bei schweren Unglücksfällen, auch bei Katastrophenfällen, daß wirklich die Maßnahmen getroffen werden können, die im Interesse der Betreffenden und der Allgemeinheit erforderlich sind.
Es kommt weiter hinzu, daß die Beschränkungen auf den inneren Notstand ausgedehnt werden sollen. Meine Damen und Herren, das ist äußerst bedenklich. Ich habe mit Interesse, Herr Kollege Reischl, dem Protokoll des Rechtsausschusses entnommen, daß Sie dort den Antrag gestellt hatten, die jetzt neu einzufügenden Worte „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes" zu streichen. Das ist der innere Notstand. Ich würde es begrüßen, wenn Sie auch heute im Plenum zu dem ständen, was Sie im Rechtsausschuß ausgeführt und beantragt haben.
({3})
Dann wäre schon eine ganz große Schwierigkeit beseitigt.
Auf die Frage, an welche Fälle gedacht sei, hat im Ausschuß der Regierungsvertreter erklärt: Wir müssen die Möglichkeit haben, ganze Gebiete abzusperren. Das soll bei einem inneren Notstand geschehen! Wollen Sie der deutschen Bevölkerung, wenn ein solcher Fall eintreten sollte - was ich aber nicht annehme und auch nicht hoffe -, verwehren, daß nächste Familienmitglieder zueinander kommen? Wenn ich wüßte, daß ein Kind von mir in einem Unruhegebiet wäre, dann wäre mein erstes, dorthin zu fahren und dafür zu sorgen, daß das Kind wieder mit der Familie zusammenkommt.
({4})
Das ist eine ganz elementare Haltung, die Sie nicht wirksam verbieten können.
Wir haben doch auch die Vorgänge aus früheren Legislaturperioden. Ich darf daran erinnern, daß schon einmal der Entwurf eines Aufenthaltsregelungsgesetzes vorgelegen hat, und man wußte, welche Beschränkungen erfolgen sollen. Es wurde klar, daß man niemals in einer solchen Weise die Bevölkerung maßregeln und dirigieren kann. Schon im äußeren Verteidigungsfalle wird das sehr schwerfallen. Dafür gilt ja Art. 17 a.
Wir brauchen weitere Beschränkungen nicht, wenn irgendwo ein innerer Unruheherd auftreten sollte. Heute morgen wurde von dem BerichterstatFrau Dr. Diemer-Nicolaus
ter Lenz dargelegt, daß man die Neufassung des Art. 10 Abs. 2 brauche; was darin stehe, müsse nachher in dem Ausführungsgesetz weiter geregelt werden. Da liegt uns aber die Gesetzesvorlage vor. Wir wissen, was tatsächlich geplant ist. Ob und inwieweit wir zustimmen werden, ist eine ganz andere Frage. Aber hier wissen wir noch nicht einmal, was eigentlich dahintersteckt.
Hier frage ich mich wieder, was damit gemacht werden könnte, Ist eventuell doch beabsichtigt, noch einmal eine Art Aufenthaltsregelungsgesetz zu schaffen? Oder soll vielleicht ein Gesetz für politisch mißliebige Personen gemacht werden, nach dem sie sich nur in bestimmten Gebieten oder an bestimmten Orten aufhalten dürfen? Oder soll vielleicht ein solches Gesetz für eine ganze Gruppe von Persönlichkeiten gemacht werden? Was ist eigentlich gewollt? Warum hat die Regierung uns keine klare Antwort gegeben? Warum hat sie nicht, wie es doch notwendig wäre, wenn ein Grundrecht eingeschränkt werden soll, ganz konkrete Fälle aufgezeigt und Situationen aufgeführt, um zu überzeugen, daß es wirklich notwendig ist, diese weitere Einschränkung eines Grundrechtes vorzunehmen?
({5})
Ich bin gespannt, ob die Regierung heute bereit ist, diese Auskünfte zu geben, die sie in den Ausschußberatungen nicht gegeben hat.
Ich darf an das erinnern, was der Herr Kollege Busse am Anfang gesagt hat: Grundrechte dürfen wir nur dann einschränken, wenn es unabwendbar notwendig ist. Ich darf weiter an das erinnern, was Herr Kollege Genscher gesagt hat: Diese Beratungen heute sind auch dazu da, daß der Bürger und daß wir Abgeordneten erkennen, was notwendig ist und ob etwas notwendig ist. Solange uns das nicht wirklich schlüssig dargelegt wird, können wir - die FDP-Fraktion weiteren Einschränkungen des Grundrechtes der Freizügigkeit nicht zustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schlager.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Umdruck 450 beantragt die FDP-Fraktion die Streichung des § 1 Nr. 1 a des Gesetzentwurfs. Diese Vorschrift sieht eine Erweiterung der bisherigen Ermächtigung zur Einschränkung des Grundrechts der Freizügigkeit vor. Sie sieht das über die bisherigen engen Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 hinaus vor für besondere Unglücksfälle, Naturkatastrophen und zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche Grundordnung des Bundes oder eines Bundeslandes.
Es gibt im wesentlichen drei Einwände, die von den Gegnern dieser Erweiterung des Ermächtigungskatalogs vorgebracht werden. Frau Kollegin Diemer-Nicolaus hat soeben nur einen dieser Gründe erwähnt. Ich werde darauf noch im einzelnen zu sprechen kommen. Die Gründe sind: Man befürchtet
erstens, daß diese Grundrechtsermächtigung für jeglichen Mißbrauch des Grundrechts Tür und Tor öffne. Man behauptet zweitens, es seien auch keine Ereignisse denkbar, die die gewünschte Vorsorgeermächtigung für die Zukunft nötig machten. In dieser Richtung hat wohl auch die Frau Kollegin Diemer-Nicolaus gesprochen. Man sagt drittens, im übrigen genügten schon die bestehenden Polizeigesetze der Länder, um gegebenenfalls z. B. die für eine gebietsweise Evakuierung erforderlichen Betretungsverbote auszusprechen.
Gerade aber die Frage, ob bereits die vorhandenen Polizeivorschriften der Länder genügen, um alle erforderlichen Vorsorgemaßnahmen, etwa für einen Katastrophenfall, zu treffen, wurde in den öffentlichen Sachverständigenanhörungen ganz ausführlich behandelt und von allen in dieser Frage kompetenten Sachverständigen, nämlich von den dort anwesenden Verfassungs- und Verwaltungsrechtslehrern, z. B. von den Professoren Bernhardt, Ule und Scheuner, eindeutig verneint. Gerade Ule hat dabei dankenswerterweise nochmals eindeutig die Selbstverständlichkeit herausgestellt, daß natürlich auch die Polizeigesetze nur im Rahmen der Grundrechtsbestimmungen gelten können, daß das Grundrecht der Freizügigkeit also durch das Polizeirecht der Länder nur insoweit eingeschränkt werden kann, als die Verfassung selbst erlaubt.
Die Verhandlungen des öffentlichen Anhörungsverfahrens haben nach unserer Auffassung eindeutig ergeben, daß die bisher bestehenden Einschränkungsmöglichkeiten der Freizügigkeit zu eng sind, um Vorsorge für alle denkbaren Fälle des inneren Notstands oder einer Katastrophe oder eines besonderen Unglücksfalls treffen zu können. Ich darf in diesem Zusammenhang einmal kurz Professor Ule stellvertretend für die anderen Verfassungs- und Verwaltungsrechtslehrer zitieren. Professor Ule hat folgendes ausgeführt; ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten kurz anführen. ({0})
- Danke, das ist nicht notwendig. - Entschuldigen Sie vielmals, ich habe das leider verblättert.
({1})
- Ich bitte uni Entschuldigung, aber das kann schon mai passieren.
({2})
Ich bitte, auch an Ihre eigenen menschlichen Schwächen zu denken, meine Damen und Herren.
({0})
Danke schön, Herr Präsident.
Professor Ule sagt also folgendes:
Der Begriff der Freizügigkeit wird im Art. 11 des Grundgesetzes nicht definiert, sondern vorausgesetzt. Das ist ein historischer Begriff. Darunter versteht man die Freiheit,
- Frau Kollegin seinen Wohnsitz, seinen Aufenthalt, seine gewerbliche Niederlassung zu wählen. Wenn also in einem Gebiet, in dem eine Katastrophe entstanden ist, in dem eine politische Unruhe ausgebrochen ist, die Bevölkerung gehindert wird, weiter dort zu leben, dann ist das eine Frage der Freizügigkeit. Dafür müssen die Voraussetzungen des Artikels 11 Absatz 2 vorliegen. Nach der Meinung, die heute morgen hier schon ausgesprochen wurde, reichen diese Voraussetzungen nicht aus, um alle Fragen, die wir hier diskutiert haben, zu decken. Aber ich finde
- so fährt Professor Ule fort -,
daß das Problem nun völlig verdunkelt wird
- auch Sie tun das eigentlich, Frau Kollegin ,
wenn wir es jetzt mit den einfachen Fragen in Verbindung bringen, die lediglich die Beschränkung von irgendwelchen Bewegungsfreiheiten auf der Straße oder auf Plätzen u. dgl. betreffen.
Nun, meine Damen und Herren, ich habe gesagt
- was ja auch Professor Ule ausführt -, daß nach der gegenwärtigen Rechtslage das Grundrecht der Freizügigkeit durch staatliche Vorsorgemaßnahmen oder Eingriffe weniger tangiert wird, als man hier gemeinhin annimmt. Aus diesem Irrtum heraus ist es wohl letztlich zu erklären - und ich glaube, auch Sie, Frau Kollegin, sind diesem Irrtum erlegen -, daß immer wieder die Behauptung aufgestellt wird, schon die bisherigen polizeilichen Ermächtigungen genügten, um etwa die bei einem Katastrophenfall oder im Falle eines größeren bewaffneten Aufstandes eventuell erforderlichen Evakuierungsmaßnahmen für die Zivilbevölkerung zu decken. Keineswegs wird schon bei einem vorläufigen polizeilichen Ingewahrsamnehmen, um etwa eine Straftat durch die betroffene Person zu verhindern, oder bei einer polizeilichen Sperrung von Straßen oder bei der Aufforderung, einen Platz zur Verhinderung von Straftaten zu räumen, das Grundrecht der Freizügigkeit berührt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage der Frau Abgeordneten Diemer-Nicolaus?
Bitte sehr, Frau Kollegin!
Herr Kollege, halten Sie es eigentlich für sachgemäß, daß Sie „inneren Notstand" und „Katastrophenfall" in einem Atem nennen? Sind das nicht - schon von den Ursachen her - vollkommen verschiedene Fragen?
Verehrte Frau Kollegin, die Probleme, die der Katastrophenfall, und die, die ein bewaffneter Aufstand mit sich bringt, sind im Grunde die gleichen.
({0})
Sie können doch wohl nicht bestreiten, daß im Falle einer Katastrophe wie in Hamburg oder, im Falle eines bewaffneten Aufstandes, durch Einwirkung von Waffen Obdachlosigkeit entstehen kann. Das können Sie schlechterdings nicht bestreiten. Sie können nicht bestreiten, daß die Versorgung der Bevölkerung durch Naturereignisse oder durch Einwirkung von Waffengewalt gefährdet werden kann.
Noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter? - Frau Diemer-Nicolaus, bitte!
Herr Kollege, stimmen Sie denn darin mit mir überein, daß die Ursachen grundverschieden sind, daß deswegen auch nachher die Reaktion der Bevölkerung in bezug auf Hilfsbereitschaft usw. eine ganz andere ist und daß deswegen auch die notwendigen Maßnahmen vollkommen verschieden sein können?
Frau Kollegin, diese Ihre letzte Bemerkung kann ich nicht verstehen, einfach deshalb nicht, weil ja die Gefährdungen, die dem Bürger entstehen - sei es nun durch einen Katastrophenfall oder durch einen bewaffneten Aufstand - im Grunde die gleichen sind. Er muß auf vieles verzichten. Und ich glaube, daß die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung sich bei gleichen Unglücksfällen in gleicher Weise bestätigen wird.
Ich darf fortfahren. Keineswegs wird also schon bei einem vorläufigen polizeilichen Ingewahrsamnehmen - wie ich sagte, um eine Straftat durch die betroffene Person zu verhindern das Grundrecht der Freizügigkeit berührt. Die Freizügigkeit steht doch erst zur Entscheidung - und dann in jedem Fall -, wenn ein größeres Gebiet für das Betreten, den Aufenthalt oder auch für die Rückkehr der Bewohner gesperrt werden muß. Dafür haben wir aber gegenwärtig keine Rechtsgrundlage. Ich muß hier immer wieder auf das hinweisen, was die Verfassungs- und Rechtslehrer in den fünf öffentlichen Anhörungsterminen hier zu dieser Frage gesagt haben, und darüber können Sie, Frau Kollegin, einfach nicht hinweggehen.
Denkbar ist ja der Fall - ich darf nun einige Beispiele anführen -, daß die Bewohner eines Gebietes vor Kämpfen mit militärisch bewaffneten Gruppen geflüchtet sind und man ihnen nunmehr für einen bestimmten Aufräumungszeitraum die Rückkehr untersagen muß. Weiterhin ist auch der Fall denkbar, daß Unbeteiligte während eines bewaffneten Aufstandes zu ihrem eigenen Schutz, zur Sicherstellung ihrer Versorgung, zum Schutz von Leib und Leben vorübergehend evakuiert werden müssen oder daß eben durch die Kämpfe mit bewaffneten Gruppen für einen bestimmten Zeitraum ausreichende Lebensgrundlagen nicht mehr bestehen.
In dem Zusammenhang, sehr verehrte Frau Kollegin, ein Wort zu Ihnen. Sie sagen - und das verstehe ich -, daß Sie als Mutter natürlich bestrebt sind, wenn Ihr Kind - unterstellen wir einmal das
Beispiel - in einem Absperrungsgebiet wäre, zu
diesem Kind zu eilen. Wenn aber dort Gefahr für Leib und Leben besteht, dann ist es doch wohl sinnvoller und auch in Ihrem Interesse, wenn Sie dieses Kind evakuieren, aus der Gefahr herausnehmen und sich nicht selbst in diese Gefahr begeben müssen. Gerade aber die Beurteilung der Versorgungslage oder einer Kampflage entzieht sich eben der Übersicht des einzelnen, würde sich auch Ihrer Ubersicht entziehen. Da ist es gleich, ob Sie im Notstandsgebiet selbst leben oder ob Sie von außen her dieses Gebiet aufsuchen wollen. Man kann nicht von vornherein ausschließen, daß die Verwaltungsbehörden eben doch einmal gezwungen sind, die Absperrung eines Gebietes oder seine Evakuierung zwangsweise durchsetzen zu müssen. Die Flutkatastrophe von Hamburg gibt ja einige Beispiele dafür. Aber auch, um ein Aufstandsgebiet zu isolieren, kann es nötig sein, Beteiligte oder Nichtbeteiligte am Aufstand vom Zutritt in das von bewaffneten Aufständischen beherrschte Gebiet abzuhalten.
Meine Damen und Herren, eine andere Frage ist es natürlich, ob man bei uns überhaupt noch einen bewaffneten Aufstand für möglich hält. Es kann nicht meine Aufgabe sein, insoweit hier alle möglichen Spannungs- und Kriegsbilder aufzuzeichnen. Sie wurden ja auch in den fünf Hearings immer wieder ausführlich erörtert. Meine Auffassung ist jedoch - das darf ich kurz skizzieren -, daß die Kollegen, die bewaffneten Aufstand im mitteleuropäischen Bereich nicht mehr für möglich halten, die Möglichkeiten des verdeckten Krieges oder verdeckten Kampfes doch entscheidend unterschätzen.
Was die Möglichkeit innerer Aufstände anbelangt, so wird hier von manchen Kollegen immer wieder gern der Kollege Arndt zitiert, dem ja folgende Worte zugeschrieben werden - ich hoffe, daß ich die Zitatstelle jetzt schneller finde -:
Von Lenin bis zu Hitler und allen noch tätigen Diktatoren ist kein Tyrann durch eine Revolution, sondern sie sind allesamt durch Staatsstreiche an die Macht gekommen, jene von oben manipulierte angebliche Revolution, die sich vollzieht, daß Kader sich zuerst der staatlichen Mittel bemächtigen und dann unter Mißbrauch der Staatsgewalt die Verfassung brechen.
Nun, wir werden uns im Zusammenhang mit Widerstandsrecht sicherlich auch mit dieser Thematik beschäftigen müssen. Ich meine nur, daß diese Auffassung, von der deutschen Geschichte her betrachtet, wohl nicht ganz ihre Bestätigung finden kann.
Immerhin erlebte ja die Weimarer Republik, sieht man einmal von der Tätigkeit der Freikorps ah, zwei Putschversuche, die man meiner Ansicht nach nicht einfach schlechthin unter den Begriff des Staatsstreiches von oben stellen kann. Ich denke hier einmal an den Kapp-Putsch, aber auch an den Marsch Hitlers am 9. November 1923 zur Feldherrnhalle in München. Beide Putschversuche sind gescheitert. Im Falle des Kapp-Putsches war es aber ein bewaffneter Aufstand. Der Kapp-Putsch ist nicht
zuletzt gescheitert, weil man sich rechtzeitig auf ein allgemeines Widerstandsrecht besonnen hat. Im Falle Hitlers scheiterte der Putsch, weil sich die Staatsgewalt im letzten Augenblick entschloß, diesen Putsch mit Gewaltanwendung niederzuschlagen, eben um die demokratische Staatsordnung gegen den Aufstand von unten her zu verteidigen.
Nach diesen historischen Erfahrungen jedenfalls kann eine Wiederholung solcher Putschversuche auch für die Zukunft nicht völlig ausgeschlossen werden. Nun gereichte es natürlich den Notstandsgegnern bisher zum Vorteil, daß sich die Diskussion um die Notstandsgesetze aus einem Gefühl der Sicherheit, des Fernliegens von möglichen inneren Gefährdungen heraus vollzog. Aber diese Erwartung kann trügerisch sein. Dafür sind ja nun leider die letzten Unruhen in Paris, aber auch die Unruhe bei uns ein nicht zu übersehendes Zeichen. Denken Sie vor allem an die Gewalttätigkeiten in Berlin, aber auch zum Teil in München.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kol- lege, Sie kommen auf Vorgänge in der Weimarer Zeit zurück. Ist Ihnen bekannt, daß auch die Weimarer Verfassung das Recht der Freizügigkeit hatte und daß diese Notstände, die Sie anführen, ohne Einschränkung der Freizügigkeit gemeistert wurden?
Sehr geehrte Frau Kollegin, im Falle des Putsches von Hitler war es sicherlich nicht eine Notwendigkeit. Sie können natürlich sagen, daß es im Falle des Kapp-Putsches dieser Einschränkung des Grundrechts der Freizügigkeit nicht bedurft habe. Aber, Frau Kollegin, das ist eine Tatsachenfrage. Sie hängt ja vom tatsächlichen Verlauf eines bewaffneten Aufstandes ab. Was seinerzeit entbehrlich gewesen ist, kann morgen erforderlich sein. Ich würde aus diesem historischen Beispiel kaum etwa den Schluß ziehen, daß es in Zukunft doch einmal notwendig sein kann, die Freizügigkeit vorübergehend einzuschränken, vor allem auch deshalb, weil man ja heute über viel mehr technische Möglichkeiten verfügt, um einen verdeckten Kampf zu führen. Aus diesem Gesichtspunkt heraus kann es in der Tat notwendig sein, dieses Grundrecht der Freizügigkeit einzuschränken, aber - darüber sind wir uns klar nur für ganz außergewöhnliche Notfälle.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Bitte, Herr Abgeordneter Matthöfer!
Herr Abgeordneter Schlager, ist es Ihnen bei Ihren Bemerkungen zu den Osterdemonstrationen entgangen, daß der Herr Bundeskanzler, der Herr Bundesinnenminister und alle anderen verantwortlichen Politiker in der Bundesrepublik bisher mehrfach ausdrücklich festgestellt haben, daß es sich bei den Osterdemonstrationen keineswegs um einen Fall des inneren Notstands gehandelt hat?
Ja, ich bin auch der Auffassung, daß es sich hier um keinen inneren Notstand gehandelt hat.
({0})
Ich meine, innerer Notstand ist etwas viel Kompakteres, was man mit diesen ja nur örtlichen Unruhen nicht vergleichen kann.
Zuzugeben ist natürlich, Frau Kollegin, daß bei jeder Ermächtigung zur Einschränkung eines Grundrechtes - und vor allem auch eines Grundrechtes wie das der Freizügigkeit die Möglichkeit einer mißbräuchlichen Anwendung nicht ausgeschlossen werden kann. Das gilt natürlich in gleicher Weise auch für die Ausübung der individuellen Freiheitsrechte. Auch die können mißbraucht werden; sie sind ja auch in der Vergangenheit nicht selten mißbraucht worden. Wenn man von der Gefahr einer mißbräuchlichen Anwendung von Ermächtigungen zu Grundrechtseinschränkungen spricht, darf man aber doch nicht aus dem Auge verlieren, daß es sich hier nur um eine faktische, nicht um eine rechtliche Möglichkeit des Mißbrauches handelt.
Gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Moersch?
Bitte sehr!
Herr Kollege Schlager, sind Ihre verfassungsrechtlichen Ausführungen mit dem Bundesinnenminister abgestimmt?
Nein, Herr Kollege Moersch, sie sind nicht abgestimmt.
({0})
Bitte sehr!
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege, ob Ihre Reden mit dem Koalitionspartner abgestimmt sind?
({0})
Verehrter Herr Kollege Schmidt, ich verstehe Ihre Frage nicht; Sie müßten es ja in erster Linie wissen, ob diese meine Ausführungen mit Ihnen abgestimmt sind. Im übrigen muß ich Ihnen sagen: wenn sie Ihnen nicht gefallen, darf ich Sie darauf hinweisen, daß jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen verantwortlich ist.
Gestatten Sie noch eine Frage, Herr Abgeordneter Schlager?
Bitte sehr!
Es fällt mir schwer, die Antwort in eine Frage zu kleiden, Herr Kollege, aber vielleicht unterbricht mich der Präsident nicht ganz so schnell.
Ich denke, Sie werden sich bemühen.
Ich fand es nicht sehr angemessen, was Sie bisher ausgeführt haben.
({0})
Nun, meine Damen und Herren, ich weiß nicht, in welche Richtung die Bedenken des Herrn Kollegen Schmidt gehen. Er wird ja sicherlich die Gelegenheit wahrnehmen können, zu antworten. Diesem Gespräch weiche ich nicht aus.
({0})
Ich darf fortfahren. Man kann der Gefahr einer mißbräuchlichen Anwendung solcher Einschränkungen von Grundrechten nicht aus dem Wege gehen, sie besteht natürlich. Aber ebenso wie kein individuelles Freiheitsrecht seinen Mißbrauch deckt, deckt auch eine Ermächtigung zur Einschränkung von Grundrechten nicht ihren Mißbrauch. Schließlich stehen alle diese Ermächtigungen zur Einschränkung unter dem strengen Verfassungsbefehl, daß kein Grundrecht in seinem Wesensgehalt eingeschränkt werden darf, wie dies Art. 19 des Grundgesetzes auch bestimmt.
Außerdem steht aber ein vorübergehender Gebrauch dieser Ermächtigung jeweils auch unter dem das deutsche Verwaltungsrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ich hoffe, Herr Kollege Schmidt, daß wir uns mit dieser Feststellung jetzt doch noch treffen.
Zu einem gerechten Urteil über die vom Notstandsgesetzgeber vorgesehenen Grundrechtseinschränkungen kommt man aber nur, wenn man weiß - und es auch unseren Bürgern draußen sagt -, daß wir uns im Gegensatz zu vielen vergleichbaren Notstandsverfassungen der Industrieländer dieser Welt nur mit wenigen zusätzlichen Einschränkungen von Grundrechten begnügen. Auch bei dem Problem einer Beschränkung der Freizügigkeit geht es letztlich um die Grundsatzfrage, welche vorübergehenden Beschränkungen und Entbehrungen jedem unserer Bürger zumutbar sind, damit unsere freiheitliche demokratische Grundordnung insgesamt aufrechterhalten oder wiedergewonnen werden kann.
Ich darf zum Schluß noch einmal sagen: Im Falle des Grundrechtes der Freizügigkeit bejahen wir diese Beschränkung natürlich nur für ganz, ganz außergewöhnliche Umstände, nicht zuletzt auch, um Leben, Gesundheit und Freiheit aller Bürger zu schützen.
Deshalb bitte ich Sie, den Streichungsantrag der FDP-Fraktion auf Umdruck 450 abzulehnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reischl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte mich bei der Begründung meines Bleichlautenden Antrags, den Antrag der FDP entgegen meinem Antrag im Rechtsausschuß, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, im ganzen abzulehnen, relativ kurz fassen und nur auf die wichtigsten politischen Gesichtspunkte hinweisen, die eine Ergänzung des Art. 11 Abs. 2, wie sie der Rechtsausschuß des Bundestages vorgenommen hat und dem Hause empfiehlt, notwendig machen.
Ich kann es mir ersparen, noch einmal eingehend darauf abzuheben, daß nach dem Ergebnis der öffentlichen Hearings die Polizeigesetze jedenfalls für Maßnahmen dieser Art nicht ausreichen. Das ist mir nach den Hearings und auf Grund weiteren Studiums der einschlägigen Literatur klargeworden. Ich will jetzt zunächst einmal den Katastrophenfall und Unglücksfälle bewußt von dem inneren Notstand trennen. Es gibt in diesem Zusammenhang eine Reihe von Problemen, die sich mit dem allgemeinen Polizeirecht einfach nicht lösen lassen. Hierfür haben wir Beispiele. Mein eigener Fraktionsvorsitzender war Innensenator zur Zeit der Flutkatastrophe in Hamburg; der jetzige Innensenator derselben Stadt sitzt auf der Bundesratsbank. Wenn eine solche Ergänzung für den Katastrophen- oder Unglücksfall nicht vorgenommen wird, kommt ein Innensenator einer solchen Stadt immer wieder in die Lage, am Rande der Legalität Maßnahmen treffen zu müssen, die selbstverständlich kein Mensch in der Öffentlichkeit angreifen würde. Es ist durchaus richtig, daß kein Mensch prüfen wird, ob er von einem zuständigen oder unzuständigen Polizeibeamten gerettet wird. Aber darum geht es doch nicht. Der Verfassungsgesetzgeber, der hier aufgerufen ist, hat doch die Pflicht, dafür zu sorgen, daß diejenigen, die in einer solchen Lage zu handeln haben, ein reines Gewissen auch vor der Verfassung bewahren. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt, der dafür spricht, die Katastrophen- und Unglücksfälle hineinzunehmen. Deswegen verstehe ich Ihren Antrag, ehrlich gesagt, nicht. Ich hätte ihn noch verstanden, wenn Sie das andere hätten streichen wollen. Aber daß Sie d a s streichen wollen, ist mir völlig unverständlich. Denn daß hierfür eine Ergänzung des Art. 11 notwendig ist, hat die Entwicklung ja bereits gezeigt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Herr Kollege, sind Sie mit mir der Meinung, daß es auch ohne Notstandsgesetze, wie
Sie sie jetzt vorlegen, gelungen ist, die Hamburger Katastrophe zu bewältigen?
Zweifelsohne ist es gelungen; denn wahrscheinlich säße unser Fraktionsvorsitzender gar nicht hier, wenn Hamburg untergegangen wäre.
({0})
Diese Frage verstehe ich nun überhaupt nicht. Es kommt doch in solchen Fällen nicht darauf an, ob es gelingt, etwas zu machen, sondern darauf, ob das rechtens möglich ist. Das zu ermöglichen ist doch unsere Aufgabe hier.
({1})
Gestatten Sie noch eine Frage?
Ja, bitte!
Herr Kollege Reischl, ich könnte mir denken, daß Sie überhört haben, was ich vorhin ausgeführt habe, daß nämlich Maunz-Dürig die Frage, ob für den Katastrophenfall hier noch eine besondere Einschränkung erfolgen soll, verneinen.
Das habe ich schon gehört.
Stimmen Sie mir zu, daß Maunz-Dürig zu den angesehensten Kommentatoren gehören?
Ich weiß.
Aus diesem Grunde habe ich mich durchaus berechtigt gefühlt, auch unseren Antrag in diesem Sinne zu gestalten.
Aber Frau Kollegin, es nützt mir nichts, wenn das einer der angesehensten Kommentatoren feststellt. Wir sind als Verfassungsgeber dabei, die Verfassung für solche Fälle zu ergänzen.
({0})
- Dann dürfen wir auch eine solche Frage nicht offenlassen.
Jetzt kommt der zweite Punkt: die Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes. Auch hier komme ich, nachdem ich die Frage nach den Verhandlungen im Rechtsausschuß noch einmal eingehend juristisch überprüft habe -daß ich das sorgfältig getan habe, dürfen Sie mir glauben, Frau Kollegin -, zu dem Ergebnis, daß es auch hier Maßnahmen geben kann, die im Interesse von Leib und Leben der Bevölkerung notwendig sind, die einfach mit den normalen Polizeigesetzen nicht zu machen sind und denjenigen Minister, der das dann machen müßte, sonst immer an
die Grenze des Illegalen treiben würden. Das darf ein Verfassungsgeher, der seine Sache ernst nimmt, nicht tun.
({1})
Wir brauchen gar nicht so in die Einzelheiten zu gehen. Es gibt allein den Fall, daß es in einem Gebiet, in dem ein - nehmen wir es einmal an - bewaffneter Aufstand stattfindet, notwendig werden kann, die ganze Gegend abzusperren, einmal um nicht noch andere Leute hier hereinzuschleusen, die dann womöglich das Feuerchen noch weiter schüren - Sie werden mir doch zugeben, daß das auch legitim ist -, und außerdem natürlich, um die Leute, die vielleicht aus Neugier oder aus sonst welchen Gründen in das Gebiet reisen, davor zu schützen, daß sie auf diese merkwürdige Weise Selbstmord begehen. Auch das muß man doch sehen. Das geht mit den normalen Polizeigesetzen nicht.
Zum Abschluß, meine Damen und Herren - ich will es ganz kurz machen -, will ich Ihnen als Grundgedanken nur noch eines sagen. Wenn wir uns die Gründe anschauen, die bisher im Grundgesetz stehen und aus denen heraus der Art. 11, das Grundrecht der Freizügigkeit, eingeschränkt werden kann, und lesen: „... zur Bekämpfung von Seuchengefahr, ... zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen" - das scheint mir noch der massivste Grund zu sein -, dann frage ich mich, wieso wir es verantworten können, die viel schwereren Naturkatastrophen und schweren Unglücksfälle oder gar den Schutz unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung hiervon auszunehmen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wenden uns gegen diese zusätzliche Regelung für den Fall des inneren Notstands. Wir vermissen den Nachweis, warum eine solche Regelung erforderlich sein soll, die immer die Gefahr mit sich bringt, daß durch die auf der Grundlage dieser Änderung ergriffenen Maßnahmen auch andere Grundrechte beeinträchtigt werden.
Die Polizei ist bereits heute auf Grund der Polizeigesetze unter besonderen Voraussetzungen berechtigt, allgemeine Betretungsverbote auszusprechen. Was wird also mit der vorgesehenen Änderung bezweckt? Die Zulässigkeit eines Betretungsverbotes für bestimmte Personen, etwa für den Vorsitzenden einer Gewerkschaft,
({0}) eine bestimmte Stadt aufzusuchen?
({1})
Oder die Möglichkeit einer Evakuierung bestimmter Personen? Will man durch eine solche Vorschrift das Recht erlangen, unliebsame Personen zu verbannen?" usw.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, so begründeten die Kollegen der SPD-Fraktion schriftlich ihren Streichungsantrag, der uns im Mai dieses Jahres übergeben wurde.
({2})
Wir fragen also, Herr Kollege Reischl: Wie sieht es denn nun wirklich aus? Sie haben mehrfach gesagt: Es gibt Fälle, und dann haben Sie keinen Fall genannt. Dann haben Sie gesagt: Wir brauchen hier nicht in die Einzelheiten zu gehen. Sie sind auch nicht in die Einzelheiten gegangen - bis auf einen Fall - und dieser Fall, Herr Kollege Reischl, ist eindeutig durch das gedeckt, was jetzt bereits im Grundgesetz steht. Das ist nun einmal die Meinung meiner Fraktion dazu.
Aber die Problematik liegt doch auf einem ganz anderen Gebiet. Wenn ich mir überlege, was Herr Kollege Schlager hier vorgetragen hat, was er bemüht hat - von Lenin über Kapp bis Hitler und bis zum Widerstandsrecht -, um uns die Begründung für diesen Antrag wegzunehmen, dann kann ich nur sagen, Herr Schlager: Wir wünschen uns, daß Sie noch mehrfach als Referent gegen unsere Anträge hier oben auftreten.
({3})
Schauen Sie, die Problematik der Einschränkung des Rechtes der Freizügigkeit, die von den Koalitionsfraktionen beabsichtigt ist und die wir nicht für vertretbar halten, hat sich doch in der eindrucksvollsten Form gezeigt, als wir in der vergangenen Legislaturperiode von der Bundesregierung unter anderem das Aufenthaltsregelungsgesetz im Rahmen des sogenannten Notstandspakets vorgelegt bekamen. Der Gesetzentwurf war praktisch das vorgesehene Ausführungsgesetz, von dem Sie hier reden; Sie schlagen vor, daß es gemacht werden soll. Der Entwurf der Bundesregierung für das Aufenthaltsregelungsgesetz war doch so schlecht, daß nicht ein Ausschuß dieses Hauses auch nur eine Minute der Beratung darauf verwenden konnte, weil es völlig unbrauchbar war. Das Parlament hatte dem Gesetzentwurf also eine klare Absage erteilt.
Nun ist es nicht uninteressant, zu erfahren, wie das weitere Schicksal dieses Gesetzentwurfs war. Der Gesetzentwurf wurde dann, nachdem keine Chance bestand, ihn in der parlamentarischen Beratung dieses Hauses durchzusetzen, als Bestandteil dem großen Buch, in dem die Schubladengesetze vereinigt waren, einverleibt, als Gesetzentwurf für den Notstand, der, wenn er heute einträte, von den Alliierten geregelt werden müßte. Das heißt, das, was die Bundesregierung sich vorstellt, wie dieses Ausführungsgesetz aussehen soll, ist allen Mitgliedern des Hauses eindeutig - mindestens seit fünf Jahren - bekannt und auch in dieser Legislaturperiode durch die Einverleibung als Schubladengesetzentwurf sichtbar erneut bestätigt worden. Ich frage mich also, wollen Sie all das, was von uns allen, ohne Ansehen der Fraktion, abgelehnt worden ist, nunmehr plötzlich zur Grundlage der Beratung
und der Verfassungsänderung machen und einführen?
Ich mann nur davor warnen.
Ich bitte Sie, unseren Streichungsantrag anzunehmen.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dorn, als Mitglied des Innenausschusses mull Ihnen doch bekannt sein, daß von der Bundesregierung ein Aufenthaltsregelungsgesetz nicht mehr vorgesehen ist. Der Problemkreis - wir haben uns damals anläßlich einer Besichtigungsreise nach Kopenhagen über die dänischen Verhältnisse orientiert ({0})
wird im Zusammenhang mit dem Katastrophenschutzgesetz geregelt. Was soll diese Panikmache heute hier, wo doch die Dinge so klar und offen sind?
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag auf Umdruck 450 *). Wer stimmt diesem Antrag zu? Ich bitte um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Nr. 1 a selbst. Wer stimmt ihr zu? - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einige Enthaltungen. Die Nummer ist angenommen.
Ich rufe Nr. 2 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 451 **) vor. Er wird von der Frau Abgeordneten Funcke begründet.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zu dem Grundgesetzartikel 12 bzw. 12 a haben die Koalitionsfraktionen zwei erhebliche Verschärfungen noch über die Regierungsvorlage hinaus vorgenommen. Einmal geht es um die Zwangsverpflichtung zum Bundesgrenzschutz und zum Zivilschutzverband bereits im Frieden, zum anderen um die Zwangsverpflichtung von Frauen im Sanitäts- und Heilwesen. Beide Verschärfungen haben keine Begründung etwa aus den Erfahrungen, die wir beim Hearing gewonnen haben; denn diese Frage ist im Hearing nicht gestellt worden. haben auch keine Begründung etwa aus den Beratungen in den Ausschüssen, in denen über diese Frage diskutiert wurde. Sie stammen eindeutig aus der Geheimsitzung des Koalitionsausschusses,
({0})
und es können nur Vermutungen darüber angestellt
werden, aus welcher Fraktion diese Verschärfungen
*) Siehe Anlage 4 **) Siehe Anlage 5
gekommen sind. Jedenfalls können Sie, meine Herren und Damen von der SPD, nicht mehr in der Öffentlichkeit behaupten, daß Sie nur zur Entschärfung und nicht zur Verschärfung dieses Gesetzes beigetragen hätten.
Wir legen Ihnen in Umdruck 451 den Antrag auf Beseitigung dieser beiden Zwangsverpflichtungen vor. Meine Herren und Damen, zu der Zwangsverpflichtung zum Dienst im Bundesgrenzschutz und im Zivilschutzverband bereits in Friedenszeiten liegt keine hinreichende Begründung vor, und es ist nach unserer Auffassung auch von einer gewissen Besorgnis für beide Organisationen, sie schon in Friedenszeiten unter die Verpflichtung zur Zwangsrekrutierung zu stellen. Der Herr Berichterstatter Dr. Lenz gibt im Ausschußbericht zu, daß „man sich über die Einrichtung des Zivilschutzkorps zwar noch Leine genauen Vorstellungen machen könne, dies aber den Gesetzgeber nicht hindern sollte ..." und so weiter. Meine Herren und Damen, wenn man sich überhaupt noch keine Vorstellungen machen kann, sollte man auch nicht durch Grundgesetzänderung bereits die Grundlage für etwas schaffen, von dem man nicht weiß, was daraus wird.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Frage?
({0})
Frau Kollegin Funcke, sind Sie bereit, davon Kenntnis zu nehmen, daß wir hier eine Grundgesetzänderung verabschieden und daß infolgedessen nicht jeder derzeit vorliegende Entwurf irgendeines Gesetzes zur Ausführung des Grundgesetzes zum alleinigen Maßstab des Inhalts dieses Grundgesetzes gemacht werden kann?
Herr Kollege, sicher beraten wir hier die Grundgesetzänderung. Aber wir möchten doch wohl annehmen, daß jeder hier im Hause weiß, was in der Praxis hinter dieser Grundgesetzänderung steht. Es wäre bedauerlich, wenn das nicht der Fall wäre.
({0})
Man hat so oft in Deutschland den Eindruck, daß es nach dem Motto geht: „Im Anfang war die Pflicht" ; was hinterher kommt, das überlegen wir dann noch. Uns scheint es besser, wir würden zunächst einmal die Möglichkeiten ausschöpfen, die die Freiwilligkeit bietet.
Frau Kollegin Funcke, würden Sie mir zustimmen, daß gerade dieser Gedanke, den Sie soeben äußerten, Kerngedanke des Art. 12 a Abs. 4 und 6 ist, daß die Freiwilligkeit das Primäre ist? Das ist ausdrücklich in der Verfassung festgelegt.
Herr Kollege, ich war noch bei den Männern, d. h. bei Abs. 1. Zu den Frauen komme ich gleich, und da werde ich Ihren Hinweis gern mit berücksichtigen.
Es geht zweitens um die in Art. 12 a Abs. 4 der Vorlage der Ausschüsse vorgesehene Möglichkeit, Frauen im Verteidigungsfall zwangsweise für das Heil- und Sanitätswesen zu verpflichten. Es liegt dazu eine Ausrechnung vom Verteidigungsministerium vor, wie groß der Bedarf an weiblichen Kräften im Heilwesen ist. Man kommt dabei auf eine Zahl, die gegenüber früher schon gewaltig angewachsen ist, nämlich auf 100 000 - vor drei Jahren waren es 60 000 -, die man nicht anders als durch Verpflichtung gewinnen könne.
Vergeblich warten wir aus dem Innenministerium auf eine entsprechende Berechnung des Arbeitskräftebedarfs auf dem zivilen Sektor, wie man überhaupt den Eindruck hat, daß bei den ganzen Überlegungen zum Notstand überwiegend an die militärischen Erfordernisse und viel zu wenig an die Erfordernisse der Zivilbevölkerung gedacht worden ist.
({0})
Lesen Sie die Berichte, lesen Sie die Protokolle durch: Sie werden über den Schutz der Zivilbevölkerung darin nur sehr wenig finden.
Hier ein Wort an die Kolleginnen in diesem Hause! Wenn wir schon die Mitwirkung im politischen Bereich nicht zuletzt damit begründen, daß die Fragen immer zwei Aspekte haben und daß Männer und Frauen sie jeweils aus ihrer Sicht sehen, so vermisse ich hier den tatkräftigen Einsatz der Frauen gegen die Vernachlässigung der Zivilbevölkerung bei dieser Grundgesetzänderung. Denn es kann doch Zweifel daran bestehen, daß in einem Falle, den wir uns alle schwerlich vorstellen mögen und können, über den wir aber heute gezwungen sind, uns Gedanken zu machen, der Bedarf an Kräften für die zivile Versorgung ungeheuer groß ist. Er ist nicht nur groß an Leuten, die bereits berufstätig sind und am Arbeitsplatz belassen werden können, sondern viel größer wird der Bedarf an Kräften sein, die zusätzlich an einen neuen Platz kommen müssen. Es geht zunächst einmal darum und das kann sich wohl jeder mit ein wenig Phantasie ausdenken -, daß die Arbeitsplätze dort neu besetzt werden müssen, wo die Männer eingezogen worden sind, der Arbeitsplatz aber aus lebenswichtigen Interessen für die Gesamtbevölkerung aufrechterhalten werden muß.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Kollegin Funcke, wenn ich Sie soeben richtig verstanden habe, beklagen Sie sich darüber, daß der Zivilverteidigung zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt worden sei. Habe ich Sie da richtig verstanden?
({0})
Glauben Sie, daß der Schutz der Zivilbevölkerung in der Stunde der Not dadurch verbessert werden kann, daß man die Möglichkeit von Einberufungen zum Zivilschutzkorps streicht, wie das die FDP vorgeschlagen hat?
Herr Kollege, wir sprechen ja nicht dagegen im Verteidigungsfall. Wir sind durchaus der Meinung, daß im Verteidigungsfall auch Einberufungen möglich sein sollen. Wir sprechen hier doch vom Friedensfall. Haben Sie das noch nicht gemerkt?
({0})
- Bitte!
In diesem Falle möchte ich doch fragen: Glauben Sie, daß ein wirksamer Zivilschutz dann möglich ist, wenn man sich nicht im Frieden darauf durch geeignete organisatorische und personelle Maßnahmen vorbereiten kann?
({0})
Herr Kollege, genau da ist 'der grundsätzliche Unterschied der Auffassungen zwischen konservativen und liberalen Kräften.
({0})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte, Frau Dr. Diemer Nicolaus!
Frau Kollegin Funcke, teilen Sie meine Ansicht, daß nach den Erfahrungen die Zivilbevölkerung im Verteidigungsfalle mindestens so gefährdet ist wie die Einberufenen, die Soldaten, und auch in der Zivilbevölkerung Verluste und Verwundungen auftreten und daß dann auch die zivilen Krankenhäuser ihre Aufgaben nicht erfüllen können, wenn nur der Bedarf der Lazarette berechnet wird, aber nicht, wieviel in diesem Falle für die Pflege von Zivilpersonen notwendig ist?
Vielen Dank! Ich komme gleich auf die Bedarfsrechnung.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Frau Kollegin, habe ich Ihre Auffassung von der liberalen Art eines zivilen Bevölkerungsschutzes richtig verstanden, wenn ich auf Grund Ihres Antrages annehme, daß nach Ihrer Auffassung dazu im Ernstfalle am besten Kräfte geeignet sind, denen man vorher keinerlei Möglichkeit zur Ausbildung gegeben hat?
Herr Kollege, Sie wollen doch nicht bestreiten, daß es bereits eine Ausbildung im Luftschutz und eine Ausbildung durch das Rote Kreuz gibt. Das ist doch gerade das, was ich meine, Herr Kollege. Sie können sich in Ihrem Weltbild als wirksam nur den Zwang vorstellen,
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und wir halten es als Liberale aus unserer Grundauffassung heraus für wirkungsvoller, für richtiger und für demokratischer, wenn man die Freiwilligkeit heraushebt und sie nicht dadurch totschlägt, daß man sie unter die mögliche Strafe einer Zwangsverpflichtung stellt. Das ist doch das, was Sie jetzt tun: eine einseitige Diskriminierung der freiwilligen Ausbildung zur Krankenpflege.
Wir haben - da haben Sie mich unterbrochen - keine Bedarfsrechnung für den zivilen Bereich vorliegen. Ich schätze - der Herr Innenminister mag mich berichtigen, wenn er inzwischen Zahlen hat der Bedarf an weiblichen Arbeitskräften in einem Ernstfall dürfe nicht unter 6 Millionen liegen. Damit sind die Arbeitskräfte für den lebensnotwendigen Bedarf und für die Versorgung der Truppe mit Material und Lebensmitteln gemeint. Damit ist aber auch - meine Herren und Damen, auch das müssen wir uns klarmachen - der zusätzliche Bedarf an Betreuungs-, Verpflegungs- und Versorgungskräften für die evakuierte Bevölkerung, die Bombengeschädigten, die durch Tod der Eltern alleingebliebenen Kinder und die durch Tod der Kinder alleingebliebenen unversorgten alten Leute gemeint. Da wird ein großer Bedarf an Betreuungskräften und auch an lebensnotwendiger Versorgung entstehen. Es wird ein weiterer erheblicher Bedarf an Kräften für die zusätzlichen Transportleistungen entstehen. Denn wenn irgendwo eine Schiene kaputtgeht, wird der Transport über die Straße, möglicherweise mit großen Umwegen, notwendig sein. Wir werden Hilfskräfte in die betroffenen Gebiete schaffen müssen und die Bevölkerung aus den betroffenen Gebieten herausholen müssen. Wir werden gegebenenfalls Lebensmittel auf sehr weite Strecken hintransportieren müssen, insbesondere wenn Landstriche verseucht sind.
Meine Herren und Damen, wir hätten gern einmal Zahlen gehabt, wie das nachher, in Arbeitsplätze umgesetzt, aussieht. Sie nehmen offensichtlich an, daß alle diese zusätzlichen Arbeitskräfte freiwillig gewonnen werden können; denn Sie sehen keine allgemeine Dienstverpflichtung vor, und das Belassen am Arbeitsplatz deckt keinen zusätzlichen Bedarf. Sie nehmen also an, daß Sie Arbeiterinnen, Fürsorgerinnen, hauswirtschaftliche Kräfte und Kraftfahrerinnen in Millionenstärke freiwillig bekommen. Aber Sie erwarten nicht, daß Sie für den Pflegebedarf die hunderttausend bekommen, die maximal notwendig sind.
Meine Damen und Herren, wir wehren uns gegen diese einseitige Diskriminierung und das einseitige Mißtrauen gegen alle pflegerischen Kräfte. Ausgerechnet den Ärztinnen, die einen hippokratischen Eid geschworen haben, ausgerechnet den Krankenschwestern und Schwesternhelferinnen, die sich freiwillig zu einer Hilfeleistung für Menschen nicht nur ausgebildet haben, sondern auch verpflichtet haben, nämlich beim Roten Kreuz, den Maltesern, den Johannitern und dem Arbeiter-Samariterbund, unterstellen Sie einseitig, daß sie nicht zur Verfügung
stehen, daß man sie mit Zwangsmaßnahmen verpflichten muß.
({1})
- Entschuldigen Sie, es ist doch so: von 6 Millionen weiblichen Arbeitskräften insgesamt nehmen Sie an, daß sie freiwillig vorhanden sein werden, obwohl viele als Mütter das Recht haben, den Arbeitsplatz zu verlassen, aber bei 100 000 Pflegekräften rufen Sie nach dem Zwang. Was sind das für merkwürdige Vorstellungen!
Außerdem wissen wir doch, woher das gekommen ist. - Herr Kollege Dr. Lenz, warum regen Sie sich so auf? Es ist doch keine Idee von Ihnen, Sie müssen sie gar nicht so verteidigen. Diese Idee ist doch eindeutig im Hinblick auf das angebliche soziale Mißverhältnis gekommen, das dadurch entsteht, daß Menschen, die bereits im Beruf stehen - und das sind überwiegend solche, die auf den Verdienst angewiesen sind -, durch das Festhalten am Arbeitsplatz gebunden werden, während diejenigen, die nicht im Berufsleben stehen, frei ausgehen. Ich habe sehr viel Verständnis für dieses Argument, meine Herren von der SPD, und wäre bereit, mit Ihnen diese Ungerechtigkeit auszuräumen, aber doch um alles in der Welt nicht auf dem verkehrtesten Wege, den es überhaupt gibt und den Sie ausgerechnet ausgesucht haben.
Wir haben doch alle, meine Damen und Herren, das Schreiben des Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes vorliegen. Gibt es wirklich eine kompetentere Organisation als gerade diejenige, die länger, als wir alle leben, Erfahrungen auf dem Gebiet der Hilfeleistung im Kriegsfall hat? Wenn ausgerechnet diese Organisation uns bittet, von einer Zwangsverpflichtung abzusehen, sollten wir das schon sehr ernst nehmen. Denn Herr
Erstens, es ist nicht nötig - und Sie alle haben es zugegeben, indem Sie sagen, nur wenn die Freiwilligkeit nicht ausreicht, und es mehr auf den optischen Effekt abstellen -, und zweitens besteht die dringende Gefahr, daß wir damit die Freiwilligkeit totschlagen. Hier gilt es ernstlich nachzudenken. Das Rote Kreuz hat Erfahrungen durch den ständigen Umgang mit denen, die in der Ausbildung stehen, in der ständigen Werbung von jungen Kräften, die für eine solche Ausbildung, auch als Schwesternhelferinnen, gewonnen werden, und das Rote Kreuz weiß, wie lebensnotwendig es auf die Bereitschaft und die Freiwilligkeit angewiesen ist. Schon jetzt gibt es nur auf Grund der Ankündigung dieser Grundgesetzänderung einen deutlichen Rückgang in der Freiwilligenmeldung, eben weil natürlich jede, die sich heute zu einer Schwesternhelferinnenausibldung meldet, befürchten muß, damit sofort in die Registratur der möglichen Dienstverpflichteten aufgenommen zu werden, und zwar zu einer sehr einseitig wirkenden Dienstverpflichtung. Ich glaube, wir sollten es schon ernst nehmen, wenn im Hearing der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes sagte:
Es wäre nach meiner Ansicht für die Erziehung
zur allgemeinen Hilfsbereitschaft verhängnis9344
voll und würde dein in Notzeiten immer wieder bewiesenen Opfergeist der weiblichen wie der männlichen Helfer nicht gerecht, wollten wir unseren Glauben an die Freiwilligkeit, noch ehe er überhaupt erprobt ist, durch die Einführung einer Dienstpflicht in Frage stellen.
Mein Herren und meine Damen, das müßte uns wirklich zu einer anderen Entscheidung drängen. Auf die Freiwilligkeit sind wir lebensnotwendig angewiesen, nicht nur im Ernstfall, sondern gerade im Nichternstfall. Das Problem unserer künftigen Zeit auf sozialem Gebiet ist das Problem der alten Leute, und zwar nicht allein im Hinblick auf die materielle und finanzielle Seite, sondern entscheidend im Bereich der menschlichen Hilfe. Die Frage ist, wie wir mit den Alleinstehenden - und es werden immer mehr Alleinstehende sein -, wie wir mit den alten, einsam gewordenen Menschen umgehen, die der unmittelbaren menschlichen Hilfe bedürfen. Je mehr Sie die Freiwilligkeit beeinträchtigen und diskriminieren, um so ungelöster wird dieses Problem sein, und Sie tun das, wenn Sie die Freiwilligkeit einseitig unter die Möglichkeit der Zwangsverpflichtung stellen. Besser wäre es, wir würden mehr Geld für das freiwillige soziale Jahr aufwenden, damit nicht junge Menschen aus Mangel an Mitteln zurückgewiesen werden müssen, wie es heute der Fall ist. Da ist Bereitschaft, da ist Ausbildung, da ist Möglichkeit, für die Zukunft vorzusorgen. Das sollten wir lieber tun.
Und ein Zweites! Meine Herren und Damen, glauben Sie wirklich, daß man ausgerechnet die Krankenpflege zum Abladeplatz arbeitsunwilliger Kräfte machen sollte? Sind uns nicht allen miteinander kranke und verwundete Menschen zu schade, daß man sie solchen ausliefert, die man zwangsweise hat holen müssen?
({0})
Wer ein wenig von Psychologie versteht, auf die Frauen bezogen, meine Herren, der weiß: Frauen können Ungewöhnliches leisten, wenn sie wollen. Aber Frauen sind auch ungewöhnlich erfindungsreich, sich von einer Sache zu befreien, die sie nicht wollen.
({1})
Meine Herren, da die meisten von Ihnen verheiratet sind, brauche ich das wohl nicht näher auszuführen.
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Wer wie ich im letzten Krieg an der Werkbank mit dienstverpflichteten Kräften zusammengearbeitet hat, der weiß, wie wenig effektiv und wie belastend für die Umwelt zwangsverpflichtete Frauen sind. Wir sollten unsere dienstwilligen Schwestern und Schwesternhelferinnen vor der Notwendigkeit bewahren, sich neben dem schweren Dienst auch noch mit dem Unmut der nicht Dienstwilligen abgeben zu müssen. Das erschwert ihre Arbeit wirklich.
Ein weiteres! Herr Kollege Even hat soeben gesagt, man müsse die Dinge im internationalen Vergleich sehen. Nennen Sie mir einmal die Länder, die
ausgerechnet. Krankenschwestern dienstverpflichten und nur sie allein. Do werden Sie nicht weit kommen. Müssen ausgerechnet wir in Deutschland immer Vorreiter von besonders scharfer Zwangsverpflichtung sein? Meinen Sie wirklich, daß wir Vorurteile abbauen, wenn wir am schärfsten und am radikalsten bezüglich der Arbeitsverpflichtung durchgreifen, während die übrigen Länder darauf vertrauen und vertrauen dürfen, daß, wenn das Vaterland in Not ist, gerade für Kranke und Verwundete sich genügend Menschen finden, die helfen?
Ein Letztes, und da spreche ich ganz besonders die Kolleginnen an. Im letzten Bundestag waren wir Frauen hier im Bundestag - mit ganz wenigen Ausnahmen, - uns darüber einig, daß wir eine Dienstverpflichtung von Frauen im Bereich der Streitkräfte nicht zulassen wollten. Wir haben uns gegen die mögliche Absicht, den Art. 12 Abs. 3 des Grundgesetzes zu ändern, nachdrücklich gewandt. Ich will hier nicht einzelne Zitate bringen; aber die Betroffenen wissen es. Sie werden sagen, hier gehe es nur um den Bereich der Standortlazarette. Meine Herren und Damen, es gibt bis heute keine Dokumentation über die Frauen in der Wehrmacht und in der Gefangenschaft des letzten Krieges. Ich will nicht unterstellen, daß diese Dokumentation mit Absicht nicht geschrieben wird. Aber man darf unterstellen, wenn eine solche Dokumentation geschrieben ware, würden die Herren und Damen dieses Hauses nicht so leicht bereit sein, erneut einer Dienstverpflichtung im Bereich der Streitkräfte zuzustimmen. Ich glaube, die Phantasie und die Kenntnis einzelner Schicksale reichen aus, um dies mit allem Ernst zu unterstreichen.
Sie sagen nun: Es geht ja nur um - wie heißt
das so schön? - standortfeste militärische Lazarettorganisationen, und der Herr Berichterstatter schreibt dazu geradezu rührend:
Durch die Beschränkung auf ortsfeste militärische Lazarette ist die Verwendung in Hauptverbandsplätzen und Feldlazaretten, die stets in Frontnähe liegen, ausgeschlossen.
Welches Kriegsbild schwebt eigentlich dem Herrn Berichterstatter vor, etwa das von 1870/71? Glaubt man im Ernst, unserer deutschen Bevölkerung weismachen zu können, es gebe irgendwo in Europa im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung noch frontferne Lazarette? Wo denn? Im letzten Krieg hat man gemeint, es gebe so etwas. So etwa fern in der Bretagne im Frühjahr 1944, wo man ein Leben führen konnte wie Gott in Frankreich, so schön friedlich, so weit weg von jeglicher kriegerischen Auseinandersetzung war man da. Aber die Krankenschwestern, die dort gepflegt haben, haben über Nacht nach Brest flüchten müssen und haben dort sechs Wochen lang Dauerbeschuß erlebt. Das war ein „frontfernes" Lazarett.
Glauben Sie wirklich, wir könnten unserem deutschen Volke mit solchen Verniedlichungen kommen? Nein, meine Herren und Damen, Lazarette, wo immer sie in Europa liegen, sind frontnahe. Darüber besteht nicht der geringste Zweifel. Hier eine Unterscheidung zu machen, ist geradezu grotesk.
Sie werden nun Sagen das sieht auch irgendwo
in der Begründung -, die Gefährdung durch
feindliche Überrollung ist bei Schwestern nicht so groß, weil sie nicht der 3. Genfer Konvention, sondern der 1. oder 2. Konvention unterliegen; diese bringen ja einen Sonderstatus für das Pflegepersonal. In der Theorie ja! Aber erstens sind diese Konventionen nicht von allen Ländern unterschrieben das wissen Sie genau , und zweitens wissen Sie, wenn Sie sich ein bißchen zu erinnern vermögen, daß die Konventionen selbst in den westlichen Ländern nicht zu allen Zeiten eingehalten worden sind. Und dann gilt allenfalls doch die 3. Konvention, d. h. die für Kriegsgefangene, so als letzte Auffangposition. Ich empfehle Ihnen, meine Herren und Damen, einmal die 3. Konvention durchzulesen. Sie ist für Männer geschaffen, nicht für Frauen; sie bietet für Frauen keinen hinreichenden Schutz und so kann ich Sie nur ernstlich bitten, unter diesen Voraussetzungen zu prüfen, ob wir Frauen zwangsweise in Gefährdungen bringen können, in denen sie nicht einmal einen hinreichenden Minimalschutz haben.
Ein Letztes! Sie sagen - und das nehme ich Ihnen
ab - :Wir wollen in diesem Augenblick nur in ganz
begrenzte Bereiche innerhalb der Streitkräfte Frauen dienstverpflichten, nämlich nur im Sanitätswesen. Jeder von uns, der einen oder zwei Kriege miterlebt hat, weiß jedoch, daß die Maßnahmen am Ende eines Krieges immer anders und sehr viel einschneidender ausgesehen haben als am Anfang. Wenn wir einmal die Tür aufmachen, wenn wir den Art. 12 Abs. 3 des geltenden Grundgesetzes erst einmal beseitigen, d. h. die Bestimmung, daß Frauen nicht zwangsweise in den Bereich der Streitkräfte hinein verpflichtet werden können, steht es nicht mehr in unserer Ubersicht, nicht mehr in unserem Willen, was eines Tages alles durch die geöffnete Tür kommt. Das sollten wir mit allem Ernst bedenken. Hinter einer Verpflichtung „nur" in ortsfesten Lazaretten kann sehr wohl ein sehr viel weitergehender Beschluß stehen, den Sie heute nicht übersehen und den Sie nicht wollen, der sich aber aus dem natürlichen Gefälle eines Krieges nahezu zwangsläufig ergibt.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schwarzhaupt?
Bitte sehr!
Frau Kollegin, wenn Sie meinen, das, was hier schwarz auf weiß über die ortsfesten Lazarette steht, würde ausgedehnt werden, was hat es dann überhaupt für einen Sinn, irgendwelche gesetzlichen Beschränkungen irgendwo vorzusehen, wenn Sie also von vornherein voraussetzen, es würde auch das Gegenteil von dem, was wir in das Gesetz schreiben, verwirklicht werden?
({0})
Frau Kollegin Schwarzhaupt, natürlich kann man alles machen.
({0})
Das Entscheidende, worum es hier geht, ist doch, daß wir erstmals die Tür aufmachen, daß überhaupt Frauen in den Verband der Streitkräfte hineinverpflichtet werden können. Sie wollen den Art. 12 Abs. 3 streichen, in dem das Verbot der zwangsweisen Verwendung von Frauen in den Streitkräften enthalten ist; den wollen wir aber beibehalten. Er gibt uns den Schutz, daß Frauen grundsätzlich nicht gegen ihren Willen in den Verband der Streitkräfte hinein verpflichtet werden dürfen. Sie aber wollen diesen Schutz beseitigen. Das ist der entscheidende Schritt, von dem ab die nächsten Schritte nur noch kleine Schritte sind. Ich glaube, es gibt genügend Beispiele, Frau Kollegin, wo wir in grundlegenden Dingen vor dem ersten entscheidenden Schritt warnen mußten, weil die anderen halt eben nicht mehr vom Grundsatz her verhindert werden können.
Mit der Entscheidung, die Sie mit Mehrheit im Rechtsausschuß und Innenausschuß vorgesehen haben, riskieren Sie die spontane Bereitschaft der Hilfeleistung für unsere leidenden Menschen. Sie beeinträchtigen entscheidend die Grundlage, auf der das Deutsche Rote Kreuz wie die übrigen Sanitätsverbände arbeiten. Und Sie öffnen die Tür für Entwicklungen, die Sie heute weder übersehen noch, so möchte ich unterstellen, wollen können. Das gebe ich zu bedenken.
In Anbetracht der Bedeutsamkeit dieser Grundgesetzänderungen werden wir um namentliche Abstimmung über unseren Antrag auf Umdruck 451 *) und in getrennter Abstimmung über den Abs. 6 unserer Fassung bitten. Meine Herren und Damen von der SPD, Sie haben wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß Sie sich zu einer Unterstützung der Opposition dort bereit finden würden, wo ihre zahlenmäßigen Kräfte für Verfahrensanträge nicht ausreichen. Wir möchten annehmen, daß dies nicht nur eine Schönwetterklärung war, sondern daß sie auch standhält, wenn es einmal nicht so gut paßt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir ja in der Seele weh, Frau Kollegin, einer so charmanten, klugen und tüchtigen Frau wie Ihnen widersprechen zu müssen, aber die Sache zwingt mich leider dazu. Zunächst einmal möchte ich hier meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, daß sich die Haltung Ihrer Fraktion zu dem Grundsatzproblem der Dienstverpflichtung seit 1965 - wie auch in anderen Fragen - so erfreulich geändert hat.
({0})
Ich meine nicht Sie, Frau Kollegin, aber der Herr freut sich eben mehr über einen reuigen Sünder als über tausend Gerechte. Ich habe soeben nachgelesen. Damals hat sich der von mir auch sehr ver-
*) Siehe Anlage 5
ehrte Kollege Busse mit der Frage der Dienstverpflichtung befaßt, und da war er in der Frage der Freiwilligkeit gar nicht Ihrer Meinung, Frau Funcke. Da lese ich vielmehr folgendes - ich erinnere mich auch noch deutlich daran -, und vielleicht darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einmal vorlesen, was damals für die FDP gesagt worden ist. Herr Busse hat damals gesagt: „Es handelt sich um die Frage, wann jemand und wie lange er dienstverpflichtet werden soll. Weder der Anfang noch die Beendigung des Dienstverpflichtungsverhältnisses kann der Disposition des einzelnen unterliegen, sondern das muß dann in die sich ergebenden Notwendigkeiten eingeordnet werden." Und dann kommt also ein schöner Satz:
Wir sind nicht Illusionisten genug, um anzunehmen, daß damit alles geschehen wäre, was notwendig ist. An gewissen Stellen gehört der Zwang
- ausdrücklich: Zwang zum Tun und Lassen dazu. Diesen Zwang zu ermöglichen sind wir gegenüber allen denen im Volk verpflichtet, die einem solchen Zwang unterworfen werden.
Das haben Sie nicht hinsichtlich der Frauen gesagt, richtig, Herr Busse, aber ganz allgemein zum Problem der Dienstverpflichtung. Dazu muß ich Ihnen nun sagen: Wenn man diese Bestimmungen des Art. 12 - und der neue Art. 12 a in der Ausschußvorlage gehört ja dazu - richtig verstehen will, dann werden Sie dort immer wieder finden, daß alles auf der Basis der Freiwilligkeit geschehen soll und nur dann mit der Verpflichtung, wenn es mit der Freiwilligkeit nicht klappt. Das Wort Zwang kommt in dem, was wir in den Ausschüssen gemeinsam mit Mehrheit beschlossen haben, überhaupt nicht vor. Aber bei Ihnen, Herr Kollege Busse, ist von Zwang geredet worden, und - ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten - das Gerede in der Öffentlichkeit, hier handle es sich um Zwangsarbeit, ist nicht zuletzt auch durch solche Äußerungen beeinflußt worden.
({1})
Sie werden jetzt mit einer ganzen Serie von Fragen bombardiert, Herr Kollege. Zunächst einmal Frau Funcke.
Herr Kollege, ist es so mühsam, wirklich ein bißchen differenziert zuzuhören? Ist Ihnen entgangen, daß ich an keiner Stelle etwas gegen eine grundsätzliche letzte Dienstverpflichtung für den Gesamtbereich gesprochen habe, sondern daß sich vielmehr unser Antrag gegen die diskriminierende, einseitige Verpflichtung im Pflegebereich und gegen die Dienstverpflichtung von Frauen im Bereich der Streitkräfte wendet?
Frau Kollegin, es tut mir leid, aber ich finde es nicht diskriminierend für eine Frau, wenn sie Kranke und Verwundete zu pflegen hat.
({0})
Im übrigen, Frau Kollegin - mit allem Respekt -, muß ich hier erst einmal zu den Problemen, die die Dienstverpflichtung an sich anbetrifft, sprechen. Danach werde ich mich zu dem Sonderproblem „Frauen" äußern.
Jetzt Herr Kollege Busse!
Herr Kollege Hirsch, sind Sie mit mir nicht einer Meinung, daß eine Verpflichtung zu Diensten einen Zwang beinhaltet und daß unsere Vorlage und auch Ihre Vorlage damals und heute die Möglichkeit der Verpflichtung und damit die zwangsweise Durchsetzung einer solchen Verpflichtung beinhaltet? Ich vermag beim besten Willen nicht zu erkennen, wo Sie den Unterschied zwischen meiner damaligen Äußerung und dem, was heute vorliegt, konstruieren wollen.
Herr Kollege, Sie haben in den letzten Monaten der Diskussion hier und in der allgemeinen Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken versucht, als ob das alles, was Sie selbst 1965 nur für mit Zwang durchführbar gehalten haben, jetzt plötzlich freiwillig gehe. Ich glaube, es war richtig, Ihnen das hier einmal vorzuhalten.
({0})
Dann müssen Sie mir sagen, wann und wo das gesagt worden ist. Sagen Sie, wann und wo! Von mir nicht!
Ich habe doch soeben zitiert, Herr Kollege. Das Wort „Zwang" steht wörtlich drin.
Darf ich meine Frage wiederholen. Glauben Sie, daß eine Verpflichtung zu Diensten nicht auch einen Zwang beinhaltet?
Herr Kollege, man kann sprachlich darüber streiten. Ich würde zwischen einer Verpflichtung zugunsten der Allgemeinheit und Zwangsarbeit einen Unterschiedsehen.
({0})
- Ich nehme gern zur Kenntnis, daß Sie damals nicht von Zwangsarbeit sprechen wollten. Aber es hat diesen Eindruck erweckt.
({1})
Wollen Sie noch Herrn Borm eine Frage gestatten? - Bitte, Herr Borm!
Herr Kollege, Sie legen so großen Wert darauf, daß eine geänderte Meinung ein Gegenargument sein könnte. Wie erklären Sie sich dann die geänderte Meinung Ihrer Partei, die sie gegenüber früher jetzt zu den Notstandsgesetzen schlechthin einnimmt?
Also wenn das ein FDP-Abgeordneter fragt, dann stockt man wirklich, um eine Antwort zu finden. Wer hat denn hier eine Meinung geändert?
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Wer war denn bereit, 1965 einem viel schlechteren Gesetz zuzustimmen? Wem verdanken Sie es denn überhaupt, daß hier noch darüber gesprochen wird, wenn nicht der SPD-Fraktion, die das damals abgelehnt hat?
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Wer hat uns denn damals 1966 fast als Vaterlandsverräter beschimpft, als wir einem schlechteren Text nicht zustimmen konnten?
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- Herr Borm, ich kann es Ihnen vorlesen, wenn Sie Wert darauf legen. Aber es hat doch gar keinen Sinn.
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- Ich werde das bei gegebener Gelegenheit tun. Ich habe es auf dem Pult liegen. Aber ich halte nichts davon, meine Damen und Herren von der FDP, in einer so ernsten Frage hier miteinander zu polemisieren. Wir wollen zu einer Lösung kommen, die dem deutschen Volke gerecht wird.
({4})
- Sie hätten dem deutschen Volk manches erleichtert, wenn Sie damals 1965 eine andere Haltung eingenommen hätten.
({5})
Aber nun zur Sache. Was Ihren Antrag zu Art. 12 betrifft, erwecken Sie den Eindruck, als ob er unendlich fortschrittlich und freiheitlich und viel besser als der Ausschußtext sei. Ich möchte in aller Nüchternheit darauf hinweisen, daß das einfach nicht stimmt.
({6})
Es stimmt in mancherlei Hinsicht nicht. Es stimmt auch hinsichtlich der Bestimmung für die Fauen nicht, Frau Funcke, auch das nicht einmal.
Ich will ein paar Beispiele herausgreifen. Wir wollen nur Wehrpflichtige dienstverpflichten können. Aus Ihrem Text geht hervor, daß jeder Mann dienstverpflichtet werden kann. Das ist ein kleiner, aber sehr feiner Unterschied.
Meine Herren von der FDP, Sie rühmen sich, daß Ihr Antrag so fortschrittlich sei. Aber in diesem Antrag steht kein Wort davon, wie die Rechtsnatur eines Dienstpflichtverhältnisses eigentlich sein soll. Ich bin der Meinung, das ist doch die entscheidende Frage und der entscheidende Fortschritt der Beratungen der Ausschüsse in dieser Legislaturperiode, daß nunmehr geklärt ist, daß ein freies Arbeitsverhältnis grundsätzlich mit allen Arbeitnehmerrechten bestehen soll. Wo steht denn dazu in Ihrem Antrag etwas?
({7})
Dann ist hier von Frau Funcke gesagt worden, daß
dieser geheimnisvolle Koalitionsausschuß, den wir
gar nicht haben - den hatten Sie vielleicht, und wie es geklappt hat, hat man ja gesehen -, in einer „Geheimsitzung" etwas Schreckliches erfunden habe. Wenn Sie sich das einmal anschauen, finden Sie, daß in dem, was hier nicht erfunden worden ist, sondern in Wirklichkeit in hartem Ringen im Rechtsausschuß nach einer ordentlichen Diskussion wie auch nach einer Diskussion in der Öffentlichkeit zustande gekommen ist, drinsteht, daß es sich hier um normale Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten handelt. Ich wiederhole es ausdrücklich. Da steht überall drin: nur auf freiwilliger Grundlage und nur im äußersten Falle im Wege einer Dienstverpflichtung. Ferner steht drin - und das finden Sie, Frau Funcke, so schrecklich -, daß da nun neuerdings auch Männer nicht nur für die Streitkräfte, sondern auch für den Bundesgrenzschutz und für einen Zivilschutzverband im Frieden verpflichtet werden können.
Ich verstehe alles Mögliche, aber ich kann nicht verstehen, warum es für einen Wehrpflichtigen schlechter sein soll, beim Bundesgrenzschutz an Stelle des Militärs oder gar beim Zivilschutz an Stelle des Militärs zu dienen. Ich kann mir viele junge Leute vorstellen, die es vorziehen, beim Bundesgrenzschutz oder beim Zivildienst tätig zu sein. Manches Kriegsdienstverweigererproblem regelt sich damit. Ganz abgesehen von anderen Bestimmungen, die heute beraten werden, wird auch die Möglichkeit eines Einsatzes des Militärs für gewisse Zwecke - Bekämpfung irgendwelcher Aufstände - mit Sicherheit erheblich eingeschränkt. Wenn der Bundesgrenzschutz über Reserven verfügt, ist er nämlich selbst in der Lage, mit polizeilichen Mitteln das zu bewältigen, und man braucht nicht das Militär. Auch das ist ein Vorteil und keine Verschlechterung.
Nun, Frau Kollegin, zu der Frage, die Sie natürlich am meisten interessiert, zu dem Problem der Frauen. Wenn ich Gesetzentwürfe richtig zu verlesen verstehe, ist es einfach nicht wahr, daß Ihr Text keine Dienstverpflichtung von Frauen vorsieht. Da steht nämlich in dem Abs. 6: „Frauen dürfen nicht gegen ihren Willen zur Dienstleistung im Verband der Streitkräfte verpflichtet werden." Per argumentum e contrario bedeutet das: sie dürfen zu allen anderen Zwecken bedingungslos verpflichtet werden.
({8})
- Entschuldigen Sie, anders kann ein Jurist einen Gesetzestext nicht lesen. Es mag sein, daß Sie es so nicht gemeint haben, aber es steht hier im Text, über den wir beschließen sollen. Unter diesen Umständen können Sie nicht gut rügen, daß jetzt in den Beschlüssen der Ausschüsse steht, daß in einem ganz beschränkten Umfange Frauen für gewisse Sanitätsdienste verpflichtet werden können. Sie sagen, das sei eine Verschlechterung der Regierungsvorlage. Auch darin bin ich anderer Meinung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Kollege, Sie zitieren unserem Antrag: „Frauen dürfen nicht gegen ihren Willen zu Dienstleistungen im Verband der Streitkräfte verpflichtet werden" und schließen daraus, daß außerhalb dieses Bereichs die Frauen verpflichtet werden können. Das wäre ja dann geltendes Recht; denn dieses hier ist ja praktisch nur eine Wiedergabe dessen, was auch heute im Grundgesetz steht. Haben Sie nicht den Eindruck, Sie könnten es vielleicht nicht richtig gelesen haben?
Frau Funcke, Sie irren; im heutigen Gesetz steht über Dienstverpflichtungen gar nichts. Da stehen die allgemeinen „Hand- und Spanndienste". Das steht im heutigen Grundgesetz drin, aber nichts von Dienstverpflichtungen in diesem Sinne.
({0})
Selbst wenn es drinstünde, Sie wollen es ja mit diesem Text ändern.
({1})
Wenn Sie sich den Abs. 6 ansehen, ist es bei diesem Text und in diesem Zusammenhang völlig eindeutig und es steht nichts anderes sonst darin, als daß keine Begrenzung der Dienstverpflichtung der Frauen stattfindet.
({2})
- Frau Funcke, daß Sie das nicht gewollt haben, glaube ich Ihnen gerne. Wenn man hier aber einen Gesetzestext vorlegt, sollte man ihn auch technisch gut und richtig machen.
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Würden Sie noch eine Frage zulassen?
Bitte!
Frau Funcke!
Herr Kollege, darf ich Ihnen den Art. 12 Abs. 3 des geltenden Gesetzes vorlesen? Da heißt es: „Frauen dürfen nicht zu einer Dienstleistung im Verband der Streitkräfte durch Gesetz verpflichtet werden." Ist Ihnen das nicht bewußt.?
Frau Funcke, jetzt lassen Sie sich einmal einen juristischen Rat geben: Man kann nicht einfach etwas, was im Zusammenhang mit einem anderen Text im Grundgesetz gestanden hat, übernehmen, wenn man die übrigen Texte verändert. Das Ganze wird nämlich alles völlig anders, wenn es im Zusammenhang mit Ihren ersten fünf Absätzen gesehen wird. Dann bedeutet das - da habe ich überhaupt keine Zweifel daß nach Ihrem Text etwas geschehen soll, was Sie gar nicht wollen. Also Sie wollen es nicht, das ist hiermit klargestellt. Ich
habe den Text immerfort angeschaut und nicht gewollt, was Sie eigentlich wollen. Ich habe daraus geschlossen, man kann es.
Aber zum anderen. Sie beanstanden also - ich komme darauf zurück - die angebliche Verschlechterung und meinen damit die Dienstverpflichtung im Abs. 4 des Art. 12 a für die ortsfesten militärischen Lazarettorganisationen und die zivilen Sanitäts- und Heilwesendienste. Frau Funcke, niemand von uns -ich glaube, wir sind uns da im ganzen Hause einig - will, wenn es vermeidlich ist, irgend jemand dienstverpflichten. Ich teile sogar Ihre Auffassung, daß es höchstwahrscheinlich so sein wird - wie ich unsere Frauen kenne -, daß es genügend Freiwillige für solche Zwecke geben wird. Ich bin genau derselben Meinung wie Sie, weil ich ein Optimist bin. Aber wer von uns, Frau Funcke, Sie und ich und alle hier, kann garantieren, daß das klappt? Man muß sich vorstellen, daß es mit der Freiwilligkeit nicht klappen könnte. Wollen Sie da die Lücke offenlassen, und wollen Sie es riskieren, daß Kranke und Verwundete in dieser ernsten Situation nicht angemessen betreut werden? Ebenso wie niemand beweisen kann, daß es notwendig ist, außerhalb der Freiwilligkeit jemand zu verpflichten, kann man es umgekehrt eben auch nicht beweisen. Und wenn man es nicht beweisen kann, schadet es fürwahr nicht, daß man den Grundsatz der Freiwilligkeit - und das ist in dem Text geschehen - voranstellt und sich für den äußersten Fall als letzte Möglichkeit die Chance wahrt, das erstrebte Ziel auf andere Weise zu erreichen. Nichts anderes steht hier. Frau Funcke, wie ich Sie kenne, werden Sie die letzte sein, die nicht will, daß im Fall eines Falles wirklich jeder Kranke, jeder Verwundete so betreut wird, wie es erforderlich ist. Und da genügen eben nicht Krankenschwestern und das eigentliche Sanitätspersonal. Ich habe den Eindruck, daß auch der Herr Präsident des Roten Kreuzes, der bei dem Hearing eine nicht so präzise Auskunft gegeben hat wie jetzt in seinem Brief, etwas übersehen hat, daß wir ja nicht nur an die Krankenschwestern und das eigentliche Sanitätspersonal, sondern auch an die unzähligen Hilfskräfte denken müssen, die ein Lazarett braucht.
({0})
Wie ich als leidgeprüfter Familienvater die heutigen Verhältnisse in dieser Hinsicht kenne, habe ich nicht den Eindruck, daß die Bereitwilligkeit, solche Hausdienste nicht immer nur erfreulicher Art freiwillig zu leisten, besonders groß wäre. Wo gibt es denn den Andrang, Küchenfee zu spielen und Kartoffeln zu schälen? Den gibt es doch in unserer heutigen Gesellschaft nicht. Es könnte sein, daß man das zur Aufrechterhaltung des Betriebs eines Krankenhauses eben braucht. Wenn man es aber braucht, muß man auch eine entsprechende Lösung finden.
Beifall bei den Regierungsparteien.)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage? - Frau Kollegin Diemer-Nicolaus!
Herr Kollege Hirsch, können Sie sich nicht vorstellen, daß in einer Zeit, in der es auch wieder Lebensmittelkarten und andere Beschränkungen gibt - wir haben ja unsere Erfahrungen aus dem Krieg -, gerade Stellen in der Küche für Frauen die gesuchtesten sind, vor allen Dingen dann, wenn sie Kinder zu Hause haben?
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Frau Kollegin, ich habe doch vorhin gesagt, daß ich ein Optimist bin. Ich halte es für höchst wahrscheinlich, daß es nicht nötig sein wird. Ich für meine Person würde aber nicht die Verantwortung für die Ansicht übernehmen, es sei ausgeschlossen, es werde nicht möglich sein. Das ist nämlich die Frage: Wenn Sie beweisen können, daß es ausgeschlossen ist, braucht man es nicht. Aber da Sie das nicht mit Sicherheit können, müssen Sie diese Vorsorge hier akzeptieren. Sonst kann nämlich eine Lücke in der ganzen Organisation, die wir brauchen, bleiben.
Ich komme nun zu dem Arbeitsplatzwechselverbot.
Bei Ihrer Lösung - Frau Funcke, Sie haben es selber
gesagt - ergibt sich das Problem, daß Frauen, die
ohnehin gezwungen sind zu arbeiten, gezwungen werden können, an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben, und diejenigen, die in der glücklichen Lage sind, nicht arbeiten zu müssen, überhaupt nicht herangezogen werden können. Ich halte es für ein Gebot der Gerechtigkeit, daß in einer Notlage des Volkes diejenigen, denen es besser geht, gerade deswegen besonders herangezogen werden können. Auch das geht wieder nur über eine Verpflichtung in diesem beschränkten Rahmen, eine Verpflichtung, die ich eben nicht für diskriminierend - ich möchte es noch einmal sagen -, sondern für eine Verpflichtung halte, die auch den Frauen in der Notzeit ihres Volkes obliegt. Ich bin in der letzten Zeit viel im Lande herumgekommen und habe mich mit den Notstandsfragen herumplagen müssen. Die Mehrzahl der Frauen, die sich dazu geäußert haben, hat gefragt: Wieso diskriminiert ihr uns eigentlich, die wir gleichberechtigt sein wollen, indem ihr uns von dein System ausschließt, das ihr für die Notlage erfunden habt?
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Nun kann man darüber verschiedener Meinung sein, Frau Kollegin. Auch in unserer Fraktion gibt es selbstverständlich einige Damen, die gehofft und gewünscht haben, daß eine Regelung gefunden werden könnte, nämlich eine gerechte und praktikable Regelung, die die Frauen ausschließt. Wir sind zu der Auffassung gelangt, und zwar aus den Grunden, die ich Ihnen soeben vorgetragen habe, daß man keine Garantie dafür geben kann, daß eine solche Regelung ohne eine gewisse Verpflichtung Erfolg hat. Darum haben wir ihr zugestimmt, nicht wegen irgendeines geheimnisvollen Koalitionsausschusses, den Sie selbst erfunden haben, weil Sie sich nicht vorstellen können, daß etwas Derartiges ohne einen solchen Ausschuß klappen könnte. Bei uns hat das bisher ohne einen solchen Ausschuß geklappt, und zwar, wie der Erfolg zeigt, glaube ich, besser als
das bei Ihnen der Fall war. Sie führen jetzt zur Begründung an: Damals in der Kleinen Koalition konnten wir nicht; denn da mußten wir Rücksicht auf den großen Partner nehmen, und da haben wir alle möglichen Konzessionen gemacht. Das ist wunderbar, und ich glaube es Ihnen sogar. Es war ja nicht einfach für Sie. Ich will hier keine Rede für die Große Koalition halten. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, bei anderen Fragen zeigt es sich ja auch: gewisse Dinge kann man eben als großer Koalitionspartner eines noch etwas größeren mit diesem zusammen leichter und besser lösen, als das der kleine Partner kann. Das Beispiel Notstandsgesetzgebung zeigt es fürwahr. Denn zu dem, was die Dienstverpflichtungprobleme anbetrifft, muß ich sagen: das, was in dem Text nicht der Regierungsvorlage, sondern in dem Text, den dieses Parlament erarbeitet hat, und zwar in hartem Kampf gegen die Regierung und mit der Bürokratie erarbeitet hat, steht und was uns als Art. 12 a zur Beschlußfassung vorliegt, ist besser als ihr Papier. Das kann ich wohl mit gutem Gewissen sagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Ja, Frau Kollegin.
Herr Kollege Hirsch, ist Ihr Gedächtnis jetzt so kurz geworden, daß Sie sich nicht mehr an die Beratungen des Rechtsausschusses der letzten Legislaturperiode erinnern, wo ich nie eine andere Auffassung als jetzt vertreten habe und wo ich mich bereits für die Freien Demokraten gegen die Dienstverpflichtung gewendet habe und diejenige war, die die Probleme überhaupt angeschnitten hatte? Das ergibt sich eindeutig aus den Protokollen.
Frau Kollegin, ich halte hier doch keine Rede gegen Sie, ich halte überhaupt keine Rede gegen irgend jemand, sondern ich habe eine Rede gehalten für die Regelung, die jetzt als Ausschußvorlage auf dem Tisch liegt. Ich verstehe Ihre Situation. Ich habe es ja soeben betont. Die offiziellen Sprecher Ihrer Partei haben 1965 jedenfalls einen anderen Standpunkt vertreten.
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Da nutzt es doch nichts, wenn aus Alibi-Gründen - lassen Sie mich einmal etwas Ernstes sagen -der eine oder andere von Ihnen abweichende Standpunkte vertreten hat. Wichtig ist doch, was für die Öffentlichkeit in den Protokollen des Bundestages steht und was Ihr offizieller Sprecher in der zweiten
oder dritten Lesung in diesem Hause gesagt hat.
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Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß noch darauf hinweisen, daß in dieser Konstruktion, die wir für richtig halten und für die wir eintreten, ein Schönheitsfehler war. Dieses System des Art. 12 a im Zusammenhang mit dem alten Art. 12 ist nur richtig zu verstehen, wenn man es im Zu9350
sammenhang mit den Bestimmungen des Art. 80 a sieht. Das ist auch für das, was ich hier noch sagen möchte, wichtig; denn das System des Art. 80 a beinhaltet, daß Dienstverpflichtungen grundsätzlich nur mit Zweidrittelmehrheit ausgerufen werden können, entweder über Ausrufung des Verteidigungsfalls oder über Ausrufung des Spannungsfalls oder über Einzelgesetz. Bei Dienstverpflichtungen ist auch das Einzelgesetz an die Zweidrittelmehrheit gebunden.
Da hat es in der letzten Zeit eine Diskussion dahingehend gegeben, das alles werde durch die sogenannte NATO-Klausel unterwandert, in der nämlich steht, die Bundesregierung könne gewisse Verpflichtungen aus internationalen Gremien auch ohne die Bindung an einen Bundestagsbeschluß vollziehen. Ich habe diese Diskussion in Kenntnis der wahren Dinge, was NATO usw. betrifft, immer für ein Scheingefecht gehalten. Aber die Diskussion war immerhin verständlich; denn wer kann noch verstehen, was sich da an komplizierten Dingen aus NATO-Papieren usw. ergibt. Aus diesem Grunde
das gehört in diesen Zusammenhang, ich möchte das hier besonders unterstreichen - bin ich sehr froh, daß es gelungen ist, in einem interfraktionellen Antrag - Umdruck 471 -, was die Frage der Dienstverpflichtung betrifft, auch dieses Problem hier noch zu lösen, nämlich in der Form, daß auch die NATO-Dienstverpflichtungen, wie ich sie hier einmal kurz nennen möchte, nunmehr nicht von der Bundesregierung ausgesprochen werden können, sondern nur auf dem normalen Wege.
Damit sind die Bedenken all derjenigen hinfällig, die in der Öffentlichkeit behauptet haben, diese Klausel werde eine Unterwanderung des ganzen Systems und den Versuch darstellen, nach außen hin sehr rechtsstaatlich zu tun und hintenherum in die Sache etwas hinzumogeln, mit der dann wirklich gearbeitet werde. Diese Behauptung, die ich, wie gesagt, für falsch gehalten habe, ist jedenfalls durch diesen neuen interfraktionellen Text eindeutig widerlegt. Es wird Dienstverpflichtungen nur geben, wenn dieses Hohe Haus mit qualifizierten Mehrheiten sich dafür entschieden hat, d. h. praktisch, daß auch die jeweilige Opposition damit wird einverstanden sein müssen. Also keine willkürliche Dienstverpflichtung durch die Regierung oder willkürliche Dienstverpflichtung seitens der Bürokratie, sondern, wenn überhaupt, nur über die Hürde einer qualifizierten Bundestagsmehrheit. Ich hoffe, daß es mit Freiwilligkeit gehen wird; wir sollten es alle hoffen. Niemand will gern jemand zwingen, eine Arbeit zu verrichten, die er sich nicht freiwillig ausgesucht hat. Aber wenn es eben dazu kommen sollte, daß die Kräfte nicht ausreichen, haben wir mit dem, was wir hier vorschlagen, ein System gefunden, das rechtsstaatlich ist und, meine Damen und Herren, wie ich behaupte, auch praktikabel ist. Das war unser Ziel.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Schwarzhaupt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich halte sehr viel von der Bedeutung der Freiwilligkeit bei pflegerischen und ärztlichen Diensten. Insoweit folge ich den Vorstellungen, die der von mir sehr geschätzte Präsident des Roten Kreuzes in seinen verschiedenen Verlautbarungen, auch in der Anhörung, geäußert hat. Aber, meine Damen und Herren da muß ich mich an Frau Funcke wenden -, diese Bestimmung bezieht sich nicht nur auf pflegerische Berufe, keineswegs nur auf die Krankenschwester. Sie hebt nicht einen bestimmten Kreis von Menschen hervor, sondern sie hebt einen Dienst hervor, und zwar einen in Kriegszeiten, im Verteidigungsfall, um den es sich hier handelt, wahrhaftig ganz besonders wichtigen Dienst, nämlich den, Verwundete und Kranke zu pflegen. Darum handelt es sich, nicht um eine bestimmte Berufsgruppe.
Es dreht sich also auch um alle Hilfskräfte, die im Lazarett nötig sind; das hat Herr Hirsch schon ausgeführt. Es dreht sich auch um die Ärzte, auf die es besonders ankommt. Wir schätzen sehr die Aufbauarbeit, die das Rote Kreuz und die anderen Verbände, Malteser-Orden, Johanniter-Orden, ArbeiterSamariterdienst, getan haben, die große Zahl von Kräften, die tsie ausgebildet haben. Ich teile die Hoffnung des Präsidenten des Roten Kreuzes, daß diese ausgebildeten Kräfte für die Dienste, für die sie ausgebildet sind, einmal reichen könnten. Aber wer garantiert uns das? Wenn man alle die Notstände, die Frau Funcke uns geschildert hat, mit einbezieht, kommt man zu dem Ergebnis, daß man einen sehr, sehr viel weiteren Kreis von Menschen dienstverpflichten muß, daß man im Grunde genommen alle Frauen dienstverpflichten muß. Demgegenüber hat dieser Gesetzentwurf mit Recht und mit gutem Grund die Verpflichtung der Frauen auf die ganz besonders wichtigen pflegerischen Aufgaben beschränkt, bei denen sie allerdings nicht zu entbehren sind, Aufgaben, die im Lazarett und im Krankenhaus, wie gesagt, noch anderes als die eigentliche Krankenpflege einschließen.
Es sind im wesentlichen drei Gründe, aus denen wir es für notwendig halten, diese Bestimmung aufrechtzuerhalten und die Vorschläge der Freien Demokraten abzulehnen. Der eine Grund ist der, den der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Fromm, in seinen Darlegungen in bezug auf die Ärzte in der Anhörung sehr deutlich dargelegt hat. Er hat dargelegt, daß es an sich Ärzte in genügender Zahl gibt, auch für den Verteidigungsfall, daß es aber notwendig ist, diejenigen Ärzte und Ärztinnen, die nicht mehr im vollen Dienst oder nicht mehr im Dienst sind, heranzuziehen. Er sagte, es sei notwendig, eine gesetzliche Unterlage für die Lenkung der vorhandenen Kräfte im ärztlichen und pflegerischen Dienst zu haben, weil man damit rechnen muß, daß einmal an diesem und einmal an einem anderen Ort ein besonders starker Bedarf entsteht, der schnell gedeckt werden muß; dann muß man die Menschen, die man zur Verfügung hat, dorthin lenken. Dies geht eben nicht ohne eine gesetzliche Unterlage. Das halte ich für sehr überzeugende Ausführungen, die von seiten eines doch sehr sachFrau Dr. Schwarzhaupt
verständigen Mannes, des Präsidenten der Bundesärztekammer, kommen.
Der zweite Grund, aus dem ich diese Bestimmung einfach für zwingend notwendig halte, ist der: in dem Falle einer örtlichen Überbelastung wird eine Erscheinung auftreten, die wir auch jetzt immer wieder bei überbelasteten Krankenhäusern sehen, nämlich die, daß die pflegerisch ausgebildeten Kräfte, die Krankenschwestern und ihre Hilfskräfte, mit vielen Aufgaben überlastet werden, für die sie eigentlich nicht da sind.
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Sie müssen die Hausarbeit, die in einem Krankenhaus auch zu tun ist, ja manchmal sogar die Küchenarbeit mit übernehmen, weil diese freiwilligen, für Pflege vorbereiteten und ausgebildeten Kräfte allein da sind. Wenn diese Bestimmung aktuell wird, wird sie zunächst einmal aktuell werden zur Entlastung der freiwillig zur Verfügung stehenden Krankenschwestern und ausgebildeten Pflegekräfte, um ihnen die Entlastung durch Hilfskräfte zu geben,
({1})
die sie in der Küche und in der Hausarbeit im Lazarett brauchen. Das ist der Sinn, nicht eine Diskriminierung der Pflegekräfte. Wir trauen auf deren Bereitschaft zum freiwilligen Dienst; aber wir brauchen alle gesetzlichen Grundlagen, um ihnen diejenige Entlastung zu geben, die sie im Augenblick einer Überbelastung an diesem oder jenem Ort brauchen.
Der dritte Grund ist der, daß nach Art. 12 a Abs. 6 die berufstätigen Frauen festgehalten werden können. Davon hat Herr Hirsch schon sehr überzeugend gesprochen, und ich schließe mich dem an. Ist es nicht gerecht, wenn wir dann in dem Augenblick, in dem irgendwo die freiwilligen Kräfte nicht ausreichen oder entlastet werden müssen, auch diejenigen Frauen heranziehen, die es bisher nicht nötig hatten, berufstätig zu sein, oder es aus irgendeinem Grunde nicht sind. Das sind ja im großen und ganzen die begüterten, die vom Finanziellen her privilegierten Frauen. Warum sollen die nun nicht gezwungen werden, wenn sie sich nicht freiwillig melden, in Lazaretten und im Sanitäts- und Heilwesen hilfreich mitzuarbeiten? Soweit sie freiwillig kommen, ist es gut; dann brauchen wir diese Bestimmung nicht anzuwenden. Wenn aber ein Engpaß entsteht und wir nicht genug freiwillige Hilfskräfte haben, sollte diese Möglichkeit bestehen.
Ich möchte allerdings von einer Voraussetzung ausgehen. Im Sicherstellungsgesetz für Arbeitskräfte gibt es Ausnahmen für Frauen. Frauen, die Kinder bis zu 15 Jahren haben, schwangere Frauen und Frauen, die in ihrem Haushalt hilfsbedürftige Angehörige haben, sollen nicht auf Grund dieses Gesetzes herangezogen werden. Ich gehe davon aus, daß das zuständige Ministerium oder die Bundesregierung auch hinsichtlich der Heranziehung von Frauen zum zivilen Dienst im Sanitäts- und Heilweisen entsprechende Ausnahmen zugunsten der Frauen macht, die dringende Familienpflichten haben,
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aus denen sie nicht herausgenommen werden sollen,
was insbesondere im Verteidigungsfall für sie besonders gravierend und schwer zu ertragen wäre.
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Ich hoffe, daß der Herr Innenminister über die Bereitschaft der Regierung, eine derartige Bestimmung zu erlassen, noch ein Wort sagen wird.
Zum Schluß möchte ich noch auf eines hinweisen. Wir CDU-Frauen waren immer gegen ein allgemeines Pflichtjahr für Frauen, gegen eine Einziehung aller Frauen für irgendwelche Dienste. Wir sind auch im Zusammenhang mit diesem Gesetz, auch für den Verteidigungsfall gegen eine allgemeine Einziehung. Aber wir meinen, daß wir unter den engen besonderen Voraussetzungen, die dieses Gesetz aufstellt, einer Heranziehung der Frauen im Kriege, in der schwersten Not unseres Landes und unserer Gesellschaft, nicht widersprechen dürfen. Voraussetzung ist der Verteidigungsfall, der von zwei Dritteln der Abgeordneten des Bundestages bejaht worden ist. Voraussetzung ist, daß freiwillige Kräfte im Sanitäts- und Heilwesen fehlen, das heißt: daß schwerkranke oder verwundete Menschen daliegen, für deren Pflege durch Freiwillige nicht gesorgt ist. Voraussetzung ist eine Beschränkung auf den Dienst im Lazarett- und Heilwesen. Voraussetzung ist, daß in dieser Zeit Männer als Wehrpflichtige oder für andere Dienste eingezogen werden. Voraussetzung ist eine ganz schwere Not unseres Landes. Ich glaube, da sollten wir Frauen, gerade wenn wir uns als gleichberechtigte Bürger unseres Landes empfinden, nicht nein sagen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Argumenten, die meine verehrte Vorrednerin und Herr Kollege Hirsch hier vorgetragen haben, hätte ich an sich wenig hinzuzufügen. Ich möchte aber doch noch zum tatsächlichen Bereich ein paar Worte sagen. Ich glaube auch, daß das Thema wichtig genug ist, daß wir es hier mit großer Sorgfalt und großem Ernst behandeln.
Bevor ich zu der Frage der Dienstverpflichtung von Frauen komme, darf ich noch wenige Worte zu dem sagen, was Sie, Frau Kollegin Funcke, zur Dienstverpflichtung im Bereich des Bundesgrenzschutzes ausgeführt haben. Ich verstehe offen gesagt nicht ganz, aus welchen Gründen Sie gesagt haben, das Thema der Dienstverpflichtung von Angehörigen des Bundesgrenzschutzes habe in dem Anhörungsverfahren keine Rolle gespielt, und Sie könnten aus dem Anhörungsverfahren nicht entnehmen, warum das so sein sollte. Herr Hirsch hat, glaube ich, schon darauf hingewiesen: Bei der Beratung der Frage, wer in einem inneren Notstand eingesetzt werden soll - Polizei, Bundesgrenzschutz oder unter Umständen Bundeswehr -, hat die Dis9352
kussion gerade über den Bundesgrenzschutz eine ganz große Rolle gespielt, und gerade diejenigen von den zu uns geladenen Persönlichkeiten, die sehr starke Vorbehalte, um nicht zu sagen: eine sehr starke Ablehnung gegen die Möglichkeit eines Einsatzes der Streitkräfte in solchen Fällen zeigten, nämlich insbesondere der Vorsitzende der ÖTV, Herr Kluncker, und der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Herr Kuhlmann, haben auf die Frage, wer es denn dann machen solle, mit großer Eindringlichkeit gesagt: der Bundesgrenzschutz, er ist dafür hervorragend geeignet, und er kann und soll es machen.
Nun will ich diese Problematik jetzt nicht diskutieren; dazu werden wir im Verlaufe der weiteren Beratungen sicher Gelegenheit haben. Aber sicher ist, daß der Bundesgrenzschutz eine solche Aufgabe, für die er auch nach meiner Meinung in hervorragendem Maße ausgebildet und ausgerüstet ist, nur dann übernehmen kann, wenn er hinsichtlich seiner personellen Stärke darauf vorbereitet ist. Die Vorstellung, den Bundesgrenzschutz im Verteidigungsfalle aufzufüllen oder aufzustocken, verkennt im übrigen, daß es sich beim Bundesgrenzschutz nicht um einen Teil der militärischen Streitkräfte handelt, sondern um eine Polizeitruppe, die gerade im Frieden friedensmäßige Aufgaben hat. Schon von da her gesehen ist die Vorstellung falsch, daß man bis zu einem Verteidigungsfall warten sollte.
Das gleiche gilt natürlich mit geringen Modifikationen auch für das Zivilschutzkorps oder genauer gesagt, wie es in der Fassung des Entwurfs zu Art. 12 a heißt, für einen Zivilschutzverband. Das sage ich, Frau Kollegin Funcke, am Rande. Es gibt ein bereits in Kraft befindliches Gesetz - ich glaube, vom 8. August 1965 - über das Zivilschutzkorps. Das Zivilschutzkorps ist noch nicht aufgestellt worden. Sie kennen die Gründe dafür; im wesentlichen sind es haushaltsmäßige Gründe. Es gibt auch Diskussionen darüber, wie man in dieser Frage in Zukunft vorankommen soll. Wir haben diese Frage ausdrücklich offengelassen und in der Notstandsverfassung sehr bewußt nicht vom „Zivilschutzkorps", sondern etwas allgemeiner von „Zivilschutzverband" gesprochen, um die weitere Sachdiskussion zu ermöglichen, was nebenbei gesagt für meine Person nicht etwa eine Distanzierung von der von mir nach wie vor für richtig gehaltenen Vorstellung, ein Zivilschutzkorps aufzustellen, bedeutet.
Nun zu der Hauptfrage, mit der sich die Damen und Herren Vorredner beschäftigt haben: der Frage der Dienstverpflichtung von Frauen im Bereich des Sanitäts- und Heilwesens. Auch hier muß ich zunächst mich und Sie, Frau Kollegin Funcke, fragen, warum Sie glauben, dem Innenminister vorwerfen zu sollen - oder vielleicht war es nicht als Vorwurf gemeint, aber jedenfalls war es eine Tatsachenbehauptung -, es gebe die Zahl aus dem militärischen Bereich, die uns einmal, ich weiß nicht bei welcher Gelegenheit, vorgetragen worden ist, und das Bundesinnenministerium habe sich zu diesem Thema nicht geäußert. Ich darf auf das öffentliche Anhörungsverfahren, das wir durchgeführt haben, aufmerksam machen. In dem Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Rechts- und des Innenausschusses vom 14. Dezember 1967 steht alles drin. In dieser Sitzung hatte ich selbst die Ehre und das Vergnügen, für die Bundesregierung die Vorstellungen zum Arbeitskräftebedarf - wie ich glaube, ausführlich genug - vorzutragen. Sie stehen auf den ersten Seiten des Protokolls des erwähnten Tages, und ich darf mir die Anregung erlauben, daß Sie es dort nachlesen, dann brauche ich nicht jetzt das alles vorzutragen.
In einem anderen Zusammenhang haben Sie offenbar selber, allerdings in einer unzutreffenden. Weise, dem Innenministerium unterstellt, daß es Bedarfszahlen ermittelt oder bekanntgegeben habe. Ich habe zu meinem Erstaunen wiederum die Zahl von 6 Millionen Arbeitskräften gehört. Meine Suche, woher eine solche Zahl kommen könnte, hat zu dem vorläufigen Ergebnis geführt, sie könne nur auf der bei verschiedenen Gelegenheiten, etwa in dem Anhörungsverfahren von einem der Sachverständigen, nämlich dem Akademischen Rat Dr. Seifert, vorgetragenen Zahl beruhen, die allerdings damals nicht 6 Millionen, sondern 8 Millionen hieß und die als Ergebnis einer Zusammenstellung meines Amtsvorgängers im Bundesinnenministerium vom Herbst 1966 unterstellt wurde. Weil diese Zahl immer wieder in der öffentlichen und gerade in der polemischen Diskussion zu diesem Thema eine Rolle spielt, darf ich mir erlauben, insoweit meine kurzen Ausführungen zu dieser zahlenmäßigen Behauptung vorzutragen; es sei denn, Frau Kollegin Funcke, Sie wollen dazu, wie ich zu sehen glaube, eine Frage stellen.
({0})
- Nun, nachdem mir Herr Kollege Busse den Vorwurf gemacht hat, ich hätte ihm keine Gelegenheit zur Frage gegeben, bin ich da sehr vorsichtig. Meldung genügt, und Sie können fragen.
Wollten Sie jetzt eine Frage stellen, Frau Kollegin Funcke?
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Wir werden dann nachher das Vergnügen haben.
Ich habe also Herrn Seifert, der damals schon diese Behauptung wiedergegeben hat, daß die Denkschrift von Bundesminister Lücke von einem Personalbedarf von 8 Millionen ausgehe, gesagt: diese Zahl ist schlicht falsch, und das angebliche Zitat aus der Denkschrift ist schlicht falsch. Die Zahl von 8 Millionen - das gilt natürlich genauso für 6 Millionen ist in der Denkschrift überhaupt nicht enthalten. Sie ergibt sich, wenn ich von einem Berechnungsfehler absehe, der nicht wesentlich ist, aus der Zusammenstellung der gegenwärtig in den lebenswichtigen Bereichen der gewerblichen Wirtschaft und den sonstigen lebenswichtigen Bereichen, etwa in der Verwaltung, insgesamt beschäftigten Personen.
Also, Frau Kollegin Funcke, die Zahl liegt eher bei 6 als bei 8 Millionen. Insoweit ist ihre Zahl richtiger als die von Herrn Seifert. Das ist. aber nicht Arbeitskräftebedarf, sondern das ist die Zahl der gegenwärtig Beschäftigten in den Bereichen, die man als lebenswichtig bezeichnen kann, die natürlich nicht identisch ist mit der Zahl der Dienstzuverpflichtenden
({0})
oder überhaupt Benötigten. Zu dieser Zahl darf ich mich erneut auf das beziehen, was ich in dem erwähnten öffentlichen Anhörungsverfahren mitgeteilt habe.
Ich gebe nur die Schlußzahl, nämlich den Arbeitskräftebedarf bei Männern - auf die Zahl der Frauen komme ich dann sofort zurück -: Es sind 300 000 bis 400 000 maximal, von denen aber der sicher sehr beträchtliche Bedarf abzuziehen ist, den wir auf dem Wege der freiwilligen Meldung decken können, so daß die Zahl im äußersten Fall bei 300 bis 400 000, wahrscheinlich aber sehr viel tiefer liegt. Ich glaube, es ist notwendig, nachdem Zahlen von vielen Millionen genannt worden sind, das zum Faktischen noch einmal zu sagen.
Die Zahlen aus dem Bereich der Frauen will ich in einzelnen Punkten noch einmal wiederholen, weil sie sicher von allgemeinem Interesse für das Hohe Haus sind. Wir werden im Sanitäts- und Gesundheitswesen, also in dem Bereich, der durch Art. 12 a an der entsprechenden Stelle besonders angesprochen ist, einen Zusatzbedarf von Schwesternhelferinnen im Verteidigungsfall von insgesamt rund 73 000 Frauen haben: Zur Aufrechterhaltung des Betriebs der Krankenhäuser, nämlich Ausgleich von Abgängen zu den Bundeswehreinheiten im Sanitätsbereich, 23 100; zur notwendigen Erweiterung der Kapazität der Krankenhäuser ebenfalls rund 23 000; zur Einrichtung von Hilfskrankenhäusern 16 800; für den Sanitätsbereich des Zivilschutzdienstes 3000 und für den Sanitätsbereich der Bundeswehr 7500; diese Zahl hatten Sie vorhin wohl selbst erwähnt, wenn ich mich recht erinnere.
Das also, Frau Kollegin Funcke und meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Faktischen.
Nun noch einmal zur Frage der Freiwilligkeit. Es ist das Schreiben des Herrn Präsidenten Bargatzky zitiert worden. Herr Kollege Hirsch hat sich dazu schon geäußert. Herr Präsident Bargatzky hat uns in dem Anhörungsverfahren mit vollem Recht, wie ich glaube, gesagt, daß es nicht richtig sei, die von einem hohen humanitärem Ethos erfüllte Tätigkeit einer Krankenschwester insbesondere im Bereich des Roten Kreuzes - aber das gleiche gilt natürlich für alle vergleichbaren Organisationen - dadurch in ihrem ethischen Gehalt zu gefährden, daß man an die Stelle der Freiwilligkeit den Zwang setzt. Er hat uns zugleich gesagt - und das gehört zum Bild dazu -, das Deutsche Rote Kreuz brauche für den Betrieb seiner Sanitätskraftwagen und ähnlicher Einrichtungen eine erhebliche Zahl von Kraftfahrern, die es auf freiwilligem Wege nicht bekommen könne, und er bitte den Bundestag, die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen zu schaffen,
damit dieser Arbeitskräftebedarf im Interesse der betroffenen Verwundeten und Kranken gedeckt werden könne.
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An diesen beiden Punkten, die ich als Beispiele nehme, sehen Sie, welches das wirkliche Problem ist. Ich darf mich insoweit auf das beziehen, was insbesondere Herr Kollege Hirsch, wie ich glaube, zutreffend, gesagt hat, ebenso Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt. Es wird in erster Linie um die Beachtung des Grundsatzes des Vorranges der Freiwilligkeit gehen. Jeder Freiwillige, der sich meldet, muß jedem von uns lieber sein, insbesondere bei den Frauen, als derjenige, der zwangsweise herangezogen werden muß. Hiervon abgesehen geht es darum, diejenigen, die den unmittelbaren humanitären Dienst am Menschen in der unmittelbaren Kranken- und Verwundetenpflege tun, so weit als irgend möglich von den vielfältigen anderen Beschäftigungen, die genauso notwendig und wichtig sind, zu entlasten, um es ihnen zu ermöglichen, diese spezielle Arbeit zu tun.
Ich bin - um dies noch zu sagen, Frau Kollegin Funcke - wirklich traurig darüber, daß hier gesagt wird, wenn man das tue, werde die Krankenpflege als ein Abladeplatz benutzt. Ich finde, das ist eine Bezeichnung, die auch diejenigen, die in eine solche Situation kommen sollten oder kommen würden, mit Recht als kränkend empfinden würden.
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Ich bin sicher, daß Sie es so auch nicht gemeint haben. Aber ich glaube, daß man es so nicht sagen sollte, weil dadurch ein Mißverständnis entsteht.
Selbstverständlich, Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt - das darf ich sagen, obwohl insoweit der Bundesarbeitsminister federführend ist; aber ich bin sicher, sein Einverständnis voraussetzen zu können -, wird man mindestens dergleichen Ausnahmeregelungen für die zum Dienst zu Verpflichtenden in diesem Bereich einführen müssen, soweit Dienstverpflichtung überhaupt notwendig ist, wie sie in dem Bereich des Arbeitsplatzwechselverbots bereits vorgesehen sind.
Zu einem letzten Punkt, in dem Sie mir Anlaß zur Stellungnahme geben! Sie haben sich mit dem Bericht insofern auseinandergesetzt, als Sie darauf hingewiesen haben, daß er den Begriff der ortsfesten Lazarette eingeführt habe. Sie haben gefragt, welches .Kriegsbild dem zugrunde liege, ob das nicht eine Vorstellung so von 1870/71 sei, daß man zwischen Front und Etappe unterscheiden könne. In dem, was Sie zum Tatsächlichen gesagt haben, stimme ich Ihnen zu. Ich bitte Sie aber, sich zu fragen, ob, aufbauend auf Ihrer eigenen Argumentation - die ich insoweit für zutreffend halte, ohne Herrn Dr. Lenz unterstellen zu wollen, daß er eine andere Vorstellung habe oder das er diejenige habe, die Sie ihm unterstellt haben -, speziell für die Frauen die Vorstellung zutrifft, daß sie vor der Alternative stehen, entweder im Lazarett oder im Krankenhaus dienstverpflichtet zu sein oder am traulichen Herd daheim fern vorn Kriegsgeschehen die Dinge an sich
vorübergehen lassen zu können. Ich habe den Verdacht, daß dieses in der Tat utopische Kriegsbild Ihrer Vorstellung zugrunde liegt. Die wirkliche Situation wird leider so sein, daß jeder von uns - auch jeder von den Frauen und jedes junge Mädchen - unmittelbar Betroffener sein wird. Und die richtige Folgerung daraus scheint mir zu sein, daß wir den Versuch unternehmen, jeden - Männer und Frauen- an seinen Platz zu bringen, wenn es geht, aus eigenem Antrieb, wenn es sein muß, eben auch mit den Mitteln, die die Rechtsordnung zur Verfügung stellt; jeden an den Platz zu stellen, an dem er im Interesse der Allgemeinheit und in seinem eigenen Interesse und in dem seiner Familie den richtigen Dienst leisten kann, der alle gemeinsam in die Lage versetzt, aus dieser Situation wieder herauszukommen und im Interesse des Überlebens des Volkes diese Situation zu überwinden.
Ich glaube, daß diesem Grundsatz der Entwurf der Bundesregierung und die Fassung des Rechtsausschusses, die ich in vielen Punkten für eine Verbesserung halte, Rechnung tragen, und ich würde sehr dringend bitten, diese Vorlage anzunehmen.
({3})
Danke schön. -Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Argumente der Sprecherin der FDP habe ich sehr viel Verständnis, wenn auch die Art der Begründung nicht die meine ist. Ich möchte jedoch sagen, man sollte doch von dem Gesamtwerk dieser Grundgesetzänderung ausgehen, auch wenn man zu einem Einzelplan Stellung nimmt. Diese Gesetzgebung, wie sie uns insgesamt im Augenblick vorliegt, hat doch wohl einen Geist, der uns sehr viel Vertrauen geben kann. Darüber hinaus sollten wir wohl alle hier die Überzeugung haben können, daß auch demnächst in diesem Hohen Hause Leute sitzen, die den gleichen Geist haben werden, so daß das, was hier vorgesehen wird, nicht ins Negative ausgeweitet werden kann. Das ist sehr wichtig.
({0})
Es liegt sehr viel an diesem Hohen Hause selbst, daß das auch in einem Jahr so ist.
Ich möchte nicht auf die Einzelheiten des Art. 12 eingehen, sondern nur auf den Inhalt des Art. 12 a Abs. 4 und Art. 12 a Abs. 6.
Frau Kollegin Renger, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Diemer-Nicolaus? - Bitte!
Frau Kollegin Renger, kann ich Ihren jetzigen Ausführungen entnehmen, daß Sie nicht mehr zu dem stehen, was Sie seinerzeit mit mir gemeinsam in Hamburg bei einer Frauenveranstaltung vertreten haben, als auch Sie die Dienstverpflichtung der Frauen ablehnten?
Frau Kollegin, ich bin noch keineswegs am Ende meiner Ausführungen. Ich werde zu meiner Schlußfolgerung kommen. Wenn Sie sich bitte einen Moment gedulden würden!
Etwas hat mich in diesem Zusammenhang ganz besonders bewegt. Ich darf sagen, daß ich es mir wirklich außerordentlich schwer mache, hier zu einer Entscheidung zu kommen, nachdem ich in der Ausschußberatung bisher eine Auffassung vertreten habe, die ich jetzt etwas abwandeln muß. Mich hat aber folgendes überzeugt: Wenn wir in die Verfassung hineinbekommen, daß das Prinzip der Freiwilligkeit allem anderen vorrangig ist, dann liegt es an uns und an der Regierung, an diesem Hohen Hause, dafür zu sorgen, daß diese Freiwilligkeit effektiv wird.
Ich gebe zu, daß ich in der Vergangenheit, als wir hier oft über zivile Verteidigung gesprochen haben, der Ansicht war, daß wir dafür nicht genug getan haben. Aber das kann sich ändern. Ich habe die feste Überzeugung, daß in einem solchen Falle, der uns vorschwebt - nämlich im Verteidigungsfalle oder dem, was unmittelbar vorausgeht; aber hier kommt speziell der Verteidigungsfall in Frage -, Männer und Frauen ganz sicher bereit sind, ihre Pflicht zu tun. Davon bin ich also überzeugt. Aber gleichzeitig muß ich das Argument gelten lassen: wenn ich nicht recht habe, dann können wir sowohl hinsichtlich der Krankenhauspflege wie auch hinsichtlich der Besetzung der wichtigen Arbeitsplätze nicht das tun, was notwendig ist. Ich kann beides nicht beweisen; ich kann es nur annehmen. Dann ist aber kein großer Schaden entstanden, wenn wir so etwas - mit Vorrang der Freiwilligkeit - in das Gesetz hineinschreiben.
Ich kann auch durchaus das Argument verstehen, das hier angeführt wurde, daß um Gottes willen im Krankenpflegedienst die Menschen nicht Dienst machen sollten, die das nicht von Herzen wollen. Das kann ich nur unterstreichen. Ich bin jedoch, verehrte Frau Funcke, der Meinung, daß hier der Zwang, die Dienstverpflichtung niemals in Kraft treten wird, weil sich in der Tat alle Krankenschwestern zu diesem Dienst freiwillig melden werden.
({0})
Das ist in der Tat das ganz Entscheidende an der Sache. Wir müssen vielleicht einmal versuchen, auch in diesem Hause davon auszugehen, daß Mißtrauen abgebaut wird und ein bißchen mehr Vertrauen zwischen den Regierten und der Regierung entsteht.
({1})
Als letztes möchte ich folgendes sagen. Hier wurde der Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt. Ich würde meiner Fraktion nicht empfehlen, das zu unterstützen. Verehrte Frau Funcke, ich bin hier ganz ehrlich, wenn ich sage: es geht einigen Leuten hier nicht etwa um sehr hehre Ziele bei solchen Abstimmungen, sondern es geht - wir stehen hier manchmal unter einem erheblichen Druck - vielen darum, mit sehr unehrlichen Argumenten die Abgeordneten gegenseitig aufzuhetzen. Ich meine nicht Sie, Verzeihung; ich meine einiges
von dem, was man draußen mit solchen Dingen tut. Ich würde eine namentliche Abstimmung nicht empfehlen.
({2})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Das letzte Wort der Frau Kollegin Renger bedaure ich sehr. Wofür gibt es denn das Instrument der namentlichen Abstimmung, wenn es nicht Gewissensentscheidungen des einzelnen deutlich machen soll, auch vor dem deutschen Volk!
({0})
Wenn es nicht auch einmal eine Handbreit unter dem Herzen hergeht, Frau Kollegin -, sonst brauchten wir das Institut ja gar nicht! Um irgendeine nebensächliche Frage zu entscheiden, wird keiner Interesse haben, eine namentliche Abstimmung zu beantragen. Aber hier geht es wirklich um mehr als um eine Alltagsentscheidung. Hier geht es um sehr entscheidende, sehr diffizile Dinge, und wir meinen wirklich, hier sollte jeder für sich selbst entscheiden können. Wir bedauern das sehr.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schwarzhaupt?
Bitte schön!
Frau Kollegin, können Sie sich nicht denken, daß trotz all dessen, was Sie mit Recht gesagt haben, die Debatte in der Öffentlichkeit in ein bestimmtes Stadium der Verwirrung geraten ist, in der gerade eine namentliche Abstimmung nicht das richtige Instrument ist,
({0})
um die ehrliche und freie Entscheidung der Abgeordneten und dieses Hauses zustande zu bringen?
({1})
Frau Kollegin, ich würde empfehlen, daß dann Ihre Fraktion den Antrag stellt, die namentliche Abstimmung grundsätzlich abzuschaffen.
({0})
Sie wird immer nur in sehr diffizilen und sehr wichtigen Angelegenheiten beantragt werden.
Frau Kollegin, noch eins: nachdem ich hier geendet habe, habe ich mindestens zehn Anrufe von Schwesternschaften bekommen, die gesagt haben: „Bleiben Sie bei Ihrem Antrag, er ist richtig, wir wehren uns gegen die Pflicht." Wenn das die Betroffenen draußen sagen, haben sie es nicht mißverstanden, sondern haben genau gewußt, worum es ging. Ich glaube, sie haben ein Recht darauf, nachher feststellen zu können, ob auch das Haus genauso weiß, worum es geht.
Nun ein Wort zum Herrn Innenminister. Es ist wirklich schwer, in diesem Hause verstanden zu werden, auch wenn man vernünftig Hochdeutsch spricht. - Ich habe gesagt, Herr Innenminister, ich schätze, daß im gesamten zivilen Bereich ein Bedarf an weiblichen Arbeitskräften von 6 Millionen im Ernstfall bestehen wird. Ich warte auf Ihre Gegenäußerung. Sie haben nämlich trotz Ihrer Ankündigung noch immer nichts von dem Bedarf an Frauen gesagt.
({1})
- 6 Millionen insgesamt, ich meine nicht den Zusatzbedarf.
({2})
- Nein, nein, das haben Sie nicht getan. Sie haben nur gesagt, Sie würden gleich darauf kommen, auf die weiblichen Kräfte. Sie haben von den 300 000 Männern gesprochen, und zwar meinten Sie damit den zusätzlichen Kräftebedarf. Von den Frauen haben Sie nicht gesprochen, außer von den Pflegekräften.
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Ja, - von den 100 000. Aber Herr Minister, muß ich denn wirklich unterstellen, daß Sie an den ganzen übrigen Bereich der Zivilbevölkerung überhaupt nicht denken? Ich habe bisher gedacht, es sei nur Zufall. Aber jetzt muß man beinahe glauben, daß Sie an die ganze Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, an den gesamten Transport, an die Versorgung der evakuierten Bevölkerung, an die Versorgung von Waisenkindern - Frau Minister, die müssen dann nämlich auch ohne Betreuung auskommen, denn dafür sorgen Sie nicht -, an alle diese großen Bereiche, wo Frauen heute schon tätig sind und wo Frauen zusätzlich nötig sind, überhaupt nicht denken. Es scheint, daß das in diesem Hause überhaupt nicht in den Blick kommt. Was hilft uns denn, entschuldigen Sie, das trostlose Bild von den nicht versorgten verwundeten Soldaten aufzutischen, und gleichzeitig keinen Gedanken daran zu verschwenden, wie die notwendigen Lebensmittel erzeugt, wie die evakuierte Bevölkerung versorgt wird, wie nicht vergiftete Lebensmittel für das ganze Volk herangeschafft werden?! Auch dafür muß doch gesorgt werden! Sie unterstellen doch offensichtlich, daß das alles von den Frauen freiwillig gemacht wird; nur im Bereich der Krankenpflege unterstellen Sie, daß es nicht genug Freiwillige gibt. Das ist es, was wir für ungereimt, für falsch halten.
Wenn Sie nicht an die Freiwilligkeit generell glauben, dann machen Sie eine Dienstverpflichtung und für alle Bereiche! Das wäre gerechter als das, was Sie hier beabsichtigen, und diskriminiert nicht einseitig die Krankenpflege. Aber das hat die Regierung nicht vorgeschlagen. Ich habe sie bei der ersten Lesung gefragt, ob sie meint, daß die Kräfte ausreichten; darauf ist keine klare Antwort gekommen. Herr Reischl hat, Herr Minister, noch in der letzten Sitzung im Rechtsausschuß gesagt, uns liegen keine Angaben für den zivilen Bereich vor, und ich darf wohl annehmen, daß Herr Reischl, der die Beratun9356
gen immer mitgemacht hat weiß, daß das so ist. Hier geht es doch, Frau Kollegin Schwarzhaupt, um eine ganz einseitige, diskriminierende Dienstverpflichtung in einem bestimmten wichtigen, aber kleinen Bereich. Bitte, mir ist es sehr ernst um die Pflege der Kranken, aber ich meine, auch die Evakuierten, die Ausgebombten haben ein Recht, verpflegt zu werden. Ich meine auch, die Produktion lebenswichtiger Güter muß aufrechterhalten bleiben.
Wir wenden uns gegen die einseitige, diskriminierende Verpflichtung im Heil- und Pflegebereich, weil die Gefahr besteht - und das hat uns Herr Präsident Bargatzki vom Roten Kreuz noch einmal deutlich gemacht , daß die einseitige mögliche „Bestrafung" derer, die sich einer Krankenpflegeausbildung unterziehen, bewirkt, daß sich dann weniger Freiwillige melden. Denn wenn man sonst nicht dienstverpflichtet wird, nur in der Krankenpflege, dann, meine Herren und Damen, spricht doch alle Lebenserfahrung dafür, daß man sich vorsorglich nicht in diese Gefahr begibt.
Eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schwarzhaupt.
Könnte das nicht ganz anders sein? Könnte es sich nicht so auswirken, daß alle Frauen, die in der Lage wären, eine Rote-Kreuz-Ausbildung etwa als Pflegehelferin oder als Rote-Kreuz-Helferin zu übernehmen, sich gerade melden und sie übernehmen, weil sie wissen, daß sie, wenn sie das nicht tun, im Pflegebereich als Küchenmädchen oder für ganz andere Dienste als die der Schwester oder Pflegerin eingesetzt werden?
Frau Minister, ich nehme nicht an, daß Sie selbst glauben, was Sie da gesagt haben.
({0})
Meine Herren und Damen, wir haben heute zwei sehr unterschiedliche Prognosen gehört. Die einen sagen: da ist das Krankenhaus und hat keine Kräfte, und Frau Renger sagt: wir haben ja genug, wir brauchen vermutlich keine Verpflichtung. Im Pflegebereich stimmt das letztere sicherlich, und was die Küchenkräfte angeht, die wir angeblich nicht freiwillig bekommen würden, stimme ich Frau Kollegin Diemer-Nicolaus zu, daß man im Ernstfall bei Lebensmittelknappheit Küchenkräfte zuerst bekommt. Aber zu meinen, man macht vorher lieber eine Pflegeausbildung, die der Dienstverpflichtung unterliegt, um nicht zum Küchendienst im Krankenhaus verpflichtet zu werden, während alle übrigen Berufe und Bereiche frei sind von Zwangserfassung, Frau Kollegin, ist doch wirklich höchst unglaubwürdig.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Blohm? Bitte, Frau Blohm!
Frau Funcke, darf ich Sie fragen, ob Sie des auch nicht glauben, was Sie da oben sprechen?
({0})
Frau Kollegin Blohm, da Sie sich inzwischen auf Ihren Platz zurückgezogen haben, darf ich annehmen, daß Sie keine Antwort erwarten.
({0})
Mit Sicherheit aber, meine Herren und Damen, spricht die Wirklichkeit gegen das, was Frau Kollegin Schwarzhaupt hier unterstellt. Die Tatsache ist doch die, das wir plötzlich geringere Meldungen zur Krankenpflege- und Pflegehelferinnenausbildung haben, nachdem diese Gesetzesfassung in Vorbereitung ist, und keineswegs einen großen Zugang. Ihre Vermutung, Frau Kollegin, kann also wohl nicht stimmen.
Meine Herren und Damen, uns ist es sehr ernst mit der Frage der Freiwilligkeit in unserem Volk. Uns ist es gerade sehr ernst im Krankenhauswesen. Und weil es uns so ernst ist auch jetzt schon in Friedenszeiten haben wir nicht zu viele Kräfte -, gerade deswegen wehren wir uns dagegen, die Krankenpflege einseitig unter die mögliche Bestrafung einer Dienstverpflichtung zu stellen. Deswegen sagen wir: entweder alle meine Herren und Damen, wenn Sie dazu bereit sind - oder keinen. Eine einseitige Belastung der Krankenschwestern mit Dienstverpflichtung halten wir für ungerecht, für ungeeignet und für gefährlich im Hinblick auf die Freiwilligkeit in unserem Volk.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Funcke, Sie haben nun zum zweitenmal gesagt, Sie hätten die Zahlen nicht bekommen.
Ich warte gern einen Augenblick, Frau Kollegin Funcke.
({0})
-- Ja, sicher, ich habe ja nur gesagt, Herr Kollege Mertes, daß ich gern einen Augenblick warte.
({1})
- Na ja, ich weiß, Herr Kollege, daß es uns allen, auch mir, Mühe macht, hier nun den ganzen Tag zu sitzen. Aber wir sollten uns weiterhin ruhig verhalten, so wie wir es bisher gemacht haben. Ich werde Ihnen keinen Anlaß geben, sich aufzuregen. Aber da Sie mich gefragt haben, nehme ich an, daß Sie meine Antwort ganz gern hören wollen. Ich habe Ihnen die Zahlen, speziell aus dem SanitätsBundesminister Benda
bereich, gegeben. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Ich uniterstelle, daß Sie die Zahlen gehört, haben.
Es ist natürlich sehr viel schwieriger, für den Bereich der allgemeinen Wirtschaft, entweder mit einer allgemeinen Zahl oder nach Branchen aufgegliedert, diejenigen Bereiche herauszubringen und hier statistisch zu erfassen oder vorzutragen, in denen die Frauen nach der Art der Arbeit eine besondere Rolle spielen. Dazu kann ich Ihnen nur eine Reihe von allgemeinen Anhaltspunkten geben, die ich hier gern vortragen will. Ich werde dann gleich noch sehr gern ein Wort zu dem allgemeinen Problem sagen, zu dem Sie sich noch einmal geäußert haben.
Darüber ist übrigens in allen Punkten sowohl im Anhörungsverfahren als auch im Rechtsausschuß gesprochen worden. Ich bin nach wie vor etwas verwundert, daß Sie davon ausgehen, dies sei hier alles eine ganz neue Sache, die wir behandeln. Darüber haben wir Tage und Wochen im Rechtsausschuß verhandelt. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, falls Sie nicht dabei waren. Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, daß das alles in den zuständigen Ausschüssen wirklich mit höchster Gründlichkeit bereits behandelt worden ist. Ich selber hatte das Vergnügen, mich dazu sehr ausführlich äußern zu dürfen.
Wir wissen, daß es unter den Gesichtspunkten des lebenswichtigen Bedarfs in einem Verteidigungsfall, sowohl zur Versorgung der Zivilbevölkerung als auch für den militärischen Bereich, natürlich Berufe gibt, die von besonderer Bedeutung sind und die typische Frauenberufe sind. Ich darf sie Ihnen einmal in Stichworten nennen. Das geht ganz schnell. Da sind zunächst die Schreibkräfte. 99 % der Schreibkräfte sind weibliche Personen. Dann gibt es die Berufe, die mit Lochkarten zu tun haben, das Bedienungspersonal für Büromaschinen usw. Hier ist der Anteil der weiblichen Arbeitnehmer 74 %. Im Fernmeldewesen gibt es 76 % weibliche Arbeitnehmer, insbesondere Telefonistinnen, in der Textilherstellung und Textilverarbeitung 73 %, in der Glühlampenherstellung 87 %, bei Lötarbeiten 83 % weibliche Arbeitnehmer.
Dinge wie der zuletzt genannte Bereich -Lötarbeiten - sind deswegen von besonderem Interesse für unsere Überlegungen, weil sie naturgemäß z. B. im Bereich des Fernmeldewesens auch Bedeutung für die Aufgaben der Verteidigung haben.
Ich habe hier eine große Statistik, die viel zu kompliziert ist, als daß ich jetzt das Haus damit aufhalten wollte, daß ich sie vortrage. Selbstverständlich ist das alles nicht nur erfaßt, sondern auch den Ausschüssen vorgetragen worden. Aber es ist ja nicht so, Frau Kollegin Funcke - und da liegt, glaube ich, das Mißverständnis zwischen uns, wenn es wirklich ein Mißverständnis ist , daß wir diesen Bereich nun gar nicht erfassen. Sowohl wir als auch Sie übrigens mit Ihrem Änderungsantrag sehen ja für diesen Bereich die Möglichkeit des Verbots des Arbeitsplatzwechsels vor. Das halte ich in der Tat auch für notwendig. Selbstverständlich muß, wenn es auf freiwilliger Grundlage nicht möglich ist, alles
darangesetzt werden, Arbeitnehmer in diesem Bereich und insbesondere also auch in den von wei blichen Arbeitnehmern vorwiegend besetzten Bereichen an dem Arbeitsplatz, an dem sie sind, gesetzlich festzuhalten. Das haben wir in den Ausschußberatungen nun wirklich immer und immer wieder gesagt, daß man nicht die Alternative stellen darf, die ich für ganz falsch halte: entweder Dienstverpflichtung oder Verbot des Arbeitsplatzwechsels. Man muß sich vielmehr beide Möglichkeiten schaffen, und genau das sehen die Entwürfe vor, die Ihnen zur Entscheidung vorliegen. Daher glaube ich, daß für diese Bereiche auch das Notwendige getan ist, es sei denn, daß Sie weitergehen wollen - wie ich Ihrer Wortmeldung beinahe glaubte entnehmen zu können - und sagen wollen, für alle Bereiche seien Dienstverpflichtungen vorzunehmen. Bitte schön, dann beantragen Sie das hier. Es wäre möglich, daß Sie für diesen Antrag in diesem Hause manche Sympathie finden würden. Ich würde es an Ihrer Stelle darauf ankommen lassen, wenn Sie einen Ratschlag von mir annehmen wollen. Ich sage das aber als meine persönliche Meinung.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal die Frage der Abstimmung klären. Wir beantragen eine namentliche Abstimmung über den Abs. 6 nach unserem Änderungsantrag auf Umdruck 451, nämlich über unseren Antrag:" Frauen dürfen nicht gegen ihren Willen zu Dienstleistungen im Verbande der Streitkräfte verpflichtet werden. Zu einem Dienst mit der Waffe dürfen sie in keinem Falle verwendet werden." Darüber möchten wir eine namentliche Abstimmung beantragen.
Meine Damen und Herren, wir wissen genauso wie Sie, daß für die namentliche Abstimmung in diesem Hause 50 Damen und Herren als Unterstützung notwendig sind und wir nur über 49 Abgeordnete verfügen - ({0})
- Ach, Herr Kollege Matthöfer, so einfach sollten
auch Sie es sich nicht machen. So einfach ist es nicht, denn Sie sind ja bisher nicht bereit gewesen, unseren Vorstellungen über eine Änderung der Geschäftsordnung in dieser Frage entgegenzukommen. Sie dürften es sich auch deswegen nicht so leicht machen, Herr Kollege Matthöfer, weil von dieser Stelle aus ihr Fraktionsvorsitzender mindestens zweimal in den letzten anderthalb Jahren - und der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Dr. Barzel, mehrmals - erklärt hat, daß in der Frage der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung unserer Anträge die erforderlichen Mehrheiten von Ihnen gestellt würden; daran werde es nicht scheitern. Das haben Sie mehrfach hier erklärt. Sie haben diese Unterstützung in der Vergangenheit bereits mehrfach gegeben, sowohl die CDU/CSU-Fraktion als auch die SPD-Fraktion. Wir fragen uns also, sehr
verehrte Frau Kollegin Renger, warum heute in dieser Frage, die ohne Zweifel von entscheidender Bedeutung bei der Verfassungsänderung ist, die uns hier jetzt vorliegt, diese Unterstützung plötzlich nicht gewährt werden soll, wie sie auch bei dem Antrag, den wir heute vormittag gestellt haben, nicht gewährt worden ist. Es nützt nichts, sehr verehrte Frau Kollegin Renger, allein im „Hamburger Abendblatt" - den Artikel und das Interview habe ich mit großem Interesse und mit großer Freude gelesen - so klar und eindeutig gegen das Stellung zu nehmen, was der Rechtsausschuß beschlossen hat, und das zu unterstützen, was wir hier beantragen. Man sollte dann auch den Mut haben, mit seinem Namen bei der namentlichen Abstimmung für das einzustehen, was man für politisch richtig und notwendig hält.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Herren von der FDP, Sie haben eine Zusage beider Koalitionsfraktionen bekommen, daß Sie an der Ausübung der Opposition nicht durch Fragen des Quorums gehindert werden sollen. Daran haben wir uns bei der Bildung des Unterausschusses präzise gehalten, daran haben wir uns in der Frage der Einberufung einer Sondersitzung des Bundestages präzise gehalten. Sie sind heute an der Ausübung der Opposition nicht im geringsten gehindert.
({0})
Im Gegenteil! Ich habe den Eindruck, daß Sie als Opposition sehr aktiv sind, wenn ich auch damit kein Urteil über Sachverstand und Sachlichkeit fällen will. Aber, Herr Kollege Mischnick, für agitatorische Zwecke haben wir Ihnen keinerlei Zusagen gemacht.
({1})
Ich bitte die Saaldiener, den Störer abzuführen und seine Personalien festzustellen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das, was der Kollege Rasner eben gesagt hat, sehr deutlich unterstreichen. Sie, meine Damen und Herren von der FDP, können sich fürwahr nicht beklagen, daß wir Ihre sachlich berechtigten Anträge, zu denen Sie irgendeine Stimmenzahl benötigten, nicht unterstützt hätten. Aber Sie können nicht von uns verlangen, daß wir demagogische Anträge unterstützen.
({0})
Dieser Antrag ausgerechnet. zu Abs. 6 ist ein Beweis dafür, daß es ein demagogischer Antrag ist.
({1})
Sie sind juristisch viel zu klug, meine Damen und Herren, um nicht zu wissen, daß Abs. 6 für sich gesehen einen völlig falschen Eindruck von dem erweckt, was in dem ganzen Artikel 12 steht.
({2})
Ich habe Ihnen vorhin klarzumachen versucht, daß der Abs. 6 in Wirklichkeit bedeutet, daß Frauen uneingeschränkt - außer zum Dienst in den Streitkräften - dienstverpflichtet werden können, nämlich im Zusammenhang mit den ersten fünf Absätzen des Gesetzes.
Herr Dorn möchte eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich lasse die Frage im Moment nicht zu; später. Ich werde erst einmal das sagen, Herr Dorn, was ich Ihnen zu sagen habe.
({0})
Frau Funke hat vorhin gesagt, eine namentliche Abstimmung sei im Interesse der Beratung des Gesetzes, weil nur dadurch die Gewissensfreiheit der Abgeordneten gewahrt werden könne. Frau Funcke, welch ein Irrtum! Namentliche Abstimmungen haben einen guten Sinn, aber bestimmt nicht den, die Gewissensfreiheit zu wahren; ganz bestimmt nicht.
({1})
Dann müßten Sie hier geheime Abstimmung verlangen. Aber die ist in unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Das nur zum Grundsätzlichen.
({2})
Lassen Sie mich, um es Ihnen ganz klarzumachen, folgendes sagen. Bei Ihnen, Frau Funcke, bin ich davon überzeugt, daß Sie gutgläubig, aber fahrlässig handeln. Ich will Ihnen genau erklären, warum wie hier gegen die namentliche Abstimmung sind. Ich habe hier ein ganzes Bündel von Telegrammen. Ich will Ihnen nur aus einem Brief einer Organisation, die ich gar nicht nennen will, etwas vorlesen. Darin heißt es in einem Absatz:
Notfalls würden wir gezwungen sein, dafür mitzusorgen, daß die Verfälscher des Grundgesetzes zukünftig keine Unterstützung mehr durch das Volk erhalten. Unserer Meinung nach ist die SPD nicht gut beraten, wenn sie sich selbst die Zukunft vollends verbaut und - ({3})
Herr Dorn, warum sagen Sie denn nicht laut, was sie bezwecken? Entweder haben Sie es noch nicht begriffen oder Sie scheuen sich, die Wahrheit zu sagen. Sie wollen unsere Kollegen zwingen, eine Abstimmung zu machen, die nicht ihrem Gewissen
entspricht, weil Sie Angst vor solchen Drohbriefen haben.
({4})
Und da reden Sie von Gewissensfreiheit. - Herr Dorn, ich wollte es Ihnen ersparen; denn ich habe vorhin gesagt, ich möchte hier nicht polemisieren, aber Sie zwingen mich jetzt dazu. Ich bitte also, mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einen Absatz aus dem Protokoll des Bundestages vom 16. Juni 1965 vorlesen zu dürfen. Da hat ein Mitglied dieses Hauses - den Namen werde ich anschließend nennen; Sie können alle dreimal raten - folgendes gesagt:
Lassen Sie mich nun etwas zu der Demagogie sagen, mit der die Gegner dieses Gesetzes in der Öffentlichkeit gearbeitet haben. Die Gegner der Notstandsgesetzgebung waren viel weniger pingelig in der Wahl ihrer Mittel, die Parlamentarier und die Fraktionen anzugreifen. ... Dabei muß festgestellt werden, daß in vielen Fällen mangelnde Sachkenntnis durch Lautstärke ersetzt worden ist.... Als Beispiel dafür darf ich einiges vortragen.
Vor mir liegt ein Flugblatt als Einladung zu einer Großkundgebung zu dem Thema „Notstand - Staatsstreich von oben", ... am 21. Mai 1965 ...
Als Einlader hat er die und die Organisationen genannt. Ich will sie nicht erwähnen; darauf kommt es nicht an.
({5}) Dann haben Sie sich bezogen, Herr Dorn,
({6})
auf das Flugblatt, mit dem zu dieser Veranstaltung geworben worden ist. Sie haben es wörtlich zitiert. Ich darf es wiederholen. In dem Flugblatt aus dem Jahre 1965 steht nämlich:
Notstand - das bedeutet: Sie dürfen nicht mehr sagen, was Sie meinen. Ihre Zeitung wird zensiert. Sie dürfen ausländische und bestimmte deutsche Sender nicht mehr abhören. Der Lehrstoff wird Schulen und Universitäten diktiert. Ihr Auto wird beschlagnahmt.
- Das kommt mir doch so bekannt vor.
Sie bekommen wieder Lebensmittelkarten. Streik wird bestraft. Sie werden der uneingeschränkten Kommandogewalt des Arbeitgebers unterstellt. Der Staat wird Ihnen vorschreiben, welchem Verein Sie angehören und an welchen Versammlungen Sie teilnehmen müssen. Wahlen werden abgeschafft.
({7})
Der junge Mann da oben, dem ich seine Gutgläubigkeit im Gegensatz zu Ihnen, Herr Dorn, zubilligen möchte, hat solche Parolen offenbar geglaubt.
({8})
Herr Dorn, damals haben Sie über derartige Dinge anders gedacht. Sie haben nämlich in Ihrer Rede, die ich hier zitiere, fortgefahren:
Meine Damen und Herren, wer so argumentiert, auch wenn er Parlamentarier ... ist, verliert jede Glaubwürdigkeit, daß es ihm um die Demokratie gehe.
({9})
Dann haben Sie nach einigen Zwischenrufen geschlossen:
Lassen Sie es mich noch deutlicher sagen, Herr Erler: Diese Demagogie ist die Sprache des Dr. Goebbels.
({10})
Herr Dorn, Sie waren es, der am letzten Samstag auf einer Konferenz, einer Kundgebung gesprochen hat, die mit den gleichen Parolen veranstaltet worden ist.
({11})
Und da wundern Sie sich, daß wir Ihnen zu dieser demagogischen Aktion, die Sie hier starten, nicht die namentliche Abstimmung bewilligen. Ich habe es Ihnen jetzt erklärt!
({12})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was 1965 Demagogie war, bleibt für die Freien Demokraten auch 1968 Demagogie.
({0})
Es wäre aber besser gewesen, zu zitieren, was sachlich tatsächlich am vergangenen Samstag vom Kollegen Dorn gesagt worden ist, und nicht, was andere auf Plakaten und Transparenten zum Ausdruck gebracht haben. Darum geht es und um nichts anderes.
({1})
Herr Kollege Rasner, wenn Sie den § 57 unserer Geschäftsordnung, die namentliche Abstimmung, die es nach der Geschäftsordnung gibt, als Demagogie bezeichnen,
({2})
dann wundert mich, daß diese Bestimmung noch in der Geschäftsordnung ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Rasner?
Herr Kollege Mischnick, würden Sie mir bitte sagen, wann, an welchem Ort und an welcher Stelle ich eine solche Behauptung aufgestellt habe?
Sie haben hier schlicht erklärt, daß die Beantragung einer namentlichen Abstimmung zu diesem Punkt Demagogie sei. Das ist hier gesagt worden.
({0})
- Vom Kollegen Hirsch allein?
({1})
- Wenn Sie es wiederholen könnten, bin ich gern bereit, das zu berichtigen.
({2})
- Vielen Dank.,
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Hirsch?
Herr Kollege Mischnick, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß i c h von Demagogie gesprochen habe?
({0})
Selbstverständlich, das habe ich eben festgestellt.
Und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nicht gesagt habe, namentliche Abstimmungen seien an sich demagogisch, sondern genau das Gegenteil; ich habe gesagt: sie haben manchmal einen guten Sinn, aber sie können - wie hier - einen demagogischen Zweck haben. Es geht nicht um die namentliche Abstimmung, sondern um den Zweck, den Sie damit verfolgen.
({0})
Das heißt also, die Zusage, uns die notwendige zahlenmäßige Unterstützung zu geben - und deshalb die Geschäftsordnung nicht zu ändern -, hängt von der Zensur ab, die Sie erteilen: ob Sie das, was wir für notwendig halten, für richtig halten oder nicht. Das ist kein faires Verhalten.
({0})
Das bedeutet, daß die Fraktion der FDP ihren ursprünglichen Antrag, die Geschäftsordnung so zu ändern, daß eine Fraktion in der Lage ist, entsprechende Anträge zu stellen, weiter verfolgen wird. Denn der Antrag ist nur deshalb nicht weiter verfolgt worden, weil erklärt worden ist: da, wo die Zahl der Opposition nicht ausreicht, kommt Unterstützung. Wenn das aber dazu führt, daß Sie entscheiden, was unterstützungswürdig ist, ist diese
Zusage nur noch die Hälfte wert, deshalb die Hälfte wert, weil Sie uns tatsächlich in einigen Punkten unterstützt haben.
Eine Zwischenfrage von Herrn Hirsch!
Herr Mischnick, wären Sie nicht meiner Meinung, daß es vielleicht gut wäre, uns hier mal einen vernünftigen Grund dafür anzuführen, warum Sie namentliche Abstimmung beantragen? Welchen sinnvollen Grund soll das hier haben? Würden Sie das bitte mal erklären? Dann läßt sich über alles reden.
Lieber Herr Kollege Hirsch, genau den gleichen Grund, den es zum Beispiel hatte, bei der Entscheidung über das Kindergeld, bei der Entscheidung über das Finanzänderungsgesetz usf. eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß diese Frage weniger gewichtig sei als z. B. eine Entscheidung über das Kindergeld. Da haben wir namentliche Abstimmungen durchgeführt. Deshalb verlangen wir sie auch heute, weil sie so gewichtig ist.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Friderichs?
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen bekannt, daß die Fraktion der Sozialdemokraten diese Nacht oder heute morgen durch Fraktionsbeschluß ihren Abgeordneten auferlegt hat, uns bei der namentlichen Abstimmung nicht zu unterstützen?
({0})
Ist es Ihnen daher klar, daß das mit demagogischen Begründungen nichts zu tun hat, sondern mit politischen Gründen?
Wenn der Beschluß so gefaßt worden ist - ich war nicht dabei -, kann ich es nur bedauern, daß man einzelne Kollegen der SPD daran hindert, uns zu unterstützen.
Eine Zwischenfrage von Herrn Hirsch!
Herr Mischnick, sind Sie bereit, zuzugeben, daß ein Unterschied ist zwischen der Beratung und der namentlichen Abstimmung über Gesetze, bei denen man politisch noch so sehr verschiedener Meinung sein kann, bei denen aber in der Öffentlichkeit keine Erregung besteht, und einer Grundgesetzänderung, bei der gewisse Demagogen es fertiggebracht haben, daß die Frauen und Kinder bestimmter Abgeordneter bewacht werden müssen
und daß Polizei vor den Wohnungen von Abgeordneten stehen muh? Würden Sie nicht zugehen, daß da ein Unterschied besteht?
({0})
Herr Kollege Hirsch, ich gestehe Ihnen zu, daß die Grundgesetzänderung gewichtiger ist als die Gesetzesänderung. Deshalb ist auch die namentliche Abstimmung hier um so notwendiger als bei einer Gesetzesänderung. Das ist doch ganz einleuchtend.
Ich komme zum Abschluß - Aber wenn Sie unbedingt wollen, Kollege Barzel, bitte!
Eine Zwischenfrage!
Ich will es verkürzen, Herr Kollege Mischnick. - Sie haben zu Anfang von der Rede des Kollegen Dorn am Samstag gesprochen. Darf ich Sie als den Vorsitzenden der Fraktion der Freien Demokratischen Partei im Deutschen Bundestag fragen, ob Sie diese Rede des Kollegen Dorn vom Samstag billigen?
Herr Kollege Barzel, Herr Kollege Dorn hat
({0})
in dieser Rede ein klares Bekenntnis - ({1})
- Sie werden mir doch nicht vorschreiben, was ich
sage. Ich sage, was ich sagen will, nicht, was Sie wollen.
Herr Kollege Barzel, Herr Kollege Dorn hat klipp und klar zum Ausdruck gebracht, daß die Freie Demokratische Partei eine Gesetzgebung zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall für notwendig hält, daß sie aber die Koalitionsbeschlüsse in der Form für falsch hält. Das hat er gesagt, und diese Meinung teile ich.
({2})
Dies war kein ja oder nein. Darf ich nachbohren, Herr Kollege Mischnik, und Sie fragen, ob Sie die Meinung des früheren Parteivorsitzenden Ihrer Partei, Erich Mende, teilen, der sich heute in einer öffentlichen Erklärung in aller Form und Schärfe von dem Auftreten des Kollegen Dorn am Samstag in dieser Versammlung distanziert hat?
({0})
Herr Kollege Barzel, ich bleibe bei der Meinung, die ich von dieser Stelle am vergangenen Freitag gesagt habe, nämlich daß es Aufgabe der parlamentarischen Opposition ist, auch da,
wo die außerparlamentarische Opposition auftritt, ihren Standpunkt zu vertreten, um sicherzustellen, daß nicht zusammengetrieben wird, was nicht zusammengehört. Dieser Meinung bin ich heute wie am Freitag.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wußte natürlich, bevor ich in die zweite Lesung in dieser Legislaturperiode ging, daß nicht nur die sozialdemokratische Pressestelle 13 Zitate von mir aus der vorigen Legislaturperiode hier veröffentlichen wollte, sondern daß auch andere Kreise - die CDU heute, wie ich gehört habe - daran gegangen sind, einiges von meiner Rede aus dem Jahre 1965 auszugraben.
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- Meinetwegen auch die gesamte Rede.
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Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, ich würde an Ihrer Stelle jetzt gar nicht so unruhig werden.
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Sie haben vorhin die Ausführungen, die der Kollege Hirsch aus meiner Rede vom Jahre 1965 vorgelesen hat, mit Pfui-Rufen quittiert. Das Protokoll dieser Sitzung des Deutschen Bundestages vom Jahre 1965, hier vorliegend, schreibt: „Beifall bei der CDU und FDP",
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für die Passage, die der Kollege Hirsch hier vorgetragen hat.
Da kommen zwei Zwischenfragen. Zunächst Herr Hirsch, dann Herr Majonica. Gestatten Sie die Zwischenfragen?
Der Herr Kollege Hirsch hat vorhin keine Zwischenfragen zugelassen. Ich will es ganz kurz machen; ich bin in zwei Minuten fertig, Herr Majonica.
Das, was als Demagogie von mir herausgestellt wurde, gilt heute genauso. Und, Herr Kollege Barzel, damit Sie genau wissen, was ich am Sonnabend zu diesem Punkt in Bonn gesagt habe, will ich Ihnen diese Passage aus meiner Rede vorlesen.
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- Ich kann Ihnen auch die ganze Rede vorlesen; ich möchte Ihnen nur die Zeit ersparen. Sie würden sich wundern über das, was darin steht.
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- Ja, ich sage Ihnen das deswegen, Herr Barzel: es ist interessant, daß Sie das mit Beifall zur Kenntnis nehmen, weil nämlich Ihr Innenminister Benda etwas völlig anderes gesagt hat: all das, was ich vorgetragen hätte, sei schon bekanntgewesen. Ich lese also jetzt die Passage vor, die sich mit dieser Frage befaßte:
Die heutige Demonstration gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetzgebung, so wie sie durch Mehrheitsbeschlüsse im Rechts- und Innenausschuß des Deutschen Bundestages zustande gekommen ist, kann aber nur wirksam sein, wenn diese Demonstration ohne Ausschreitungen vonstatten geht und wenn das Gegenargument ein überzeugendes und sachlich begründetes ist.
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Das habe ich am Sonnabend, nicht unter großem Beifall, wie auch die CDU-Presse mit Freude vermerkt hat, den Demonstranten zugerufen.
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- Ach, hören Sie, Herr Kollege Rasner, das mit den roten Fahnen - ich habe nicht unter roten Fahnen gesprochen.
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- Meine Damen und Herren, Sie müssen doch einfach Tatbestände zur Kenntnis nehmen, und wenn Sie das jetzt so provozieren, will ich Ihnen etwas ganz anderes sagen, was auch mit roten Fahnen zusammenhängt. Auf dem Podium hier in Bonn haben keine roten Fahnen gehangen. Die Demonstranten haben zum Teil rote Fahnen mit sich geführt.
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- ja, auch zum großen Teil. Aber das ist dieselbe
rote Fahne, die auf dem Parteitagsgebäude Ihres Koalitionspartners auch heute noch hängt.
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Ich meine also, so einfach sollten Sie sich auch diese Frage nicht machen.
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- Herr Kollege Rösing, glauben Sie doch ja nicht, daß alle diejenigen, die mit roten Fahnen hier in Bonn demonstriert haben, Kommunisten sind. Verschiedene dieser Fahnenträger haben vor dem Bauch ein Plakat getragen, auf dem stand: „Ich bin SPD-Mitglied." Was soll das denn alles! So einfach kann man es sich doch nicht machen, eine junge Generation, die zum Protest eine falsche Fahne trägt, nun in einen Topf mit denen zu werfen, die die parlamentarische Demokratie bei uns nicht wahrhaben wollen.
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Meine Damen und Herren, ich selbst habe am Montag der vergangenen Woche in der Universität in Bochum mit meinen Freunden Hans-Dietrich Genscher und William Borm auf Einladung des AStA der Uni ein Podiumsgespräch über „Politik in Deutschland" durchgeführt. Als wir die Mensa betraten, hingen dort über dem Tisch, an dem wir
diskutierten, rote Fahnen, und vor dem Tisch hingen Vietcong-Fahnen. Ich habe diese Fahnen eigenhändig abmontiert und habe erklärt: Ich bin nicht bereit, hier unter roten Fahnen zu diskutieren; denn wer heute noch glaubt, mit roten Fahnen in Deutschland die Freiheit dokumentieren zu können, der müßte begriffen haben, daß die Arbeiter in Ost-Berlin am 17. Juni 1953 die roten Fahnen vom Brandenburger Tor heruntergeholt haben.
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So einfach kann man hier nicht argumentieren, wenn man glaubt, man müsse sich politisch in der Diffamierung des Andersdenkenden aufführen.
Herr Abgeordneter Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Renger?
Herr Präsident, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich jetzt auch zu dem letzten Komplex keine Zwischenfragen mehr zulasse.
Nun ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Hirsch. Herr Bundesminister Benda hat im vergangenen Jahr kurz vor der ersten Lesung der Notstandsgesetze in einem Dienst, der vom Hause des damaligen Innenministers Lücke herausgegeben wurde, in einem Zitat ausgeführt, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages in der Notstandsgesetzbegung ihre Diskussionen zu neuen Punkten geführt haben. Das gilt für Sie und das gilt für uns; ich gebe zu , es gilt am wenigsten für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Kollege Hirsch, ich habe hier das Protokoll der zweiten Lesung des Deutschen Bundestages von der vergangenen Legislaturperiode vor mir liegen mit der Rede Ihres damaligen Kollegen, des heutigen Staatssekretärs Dr. Schäfer. Bei dieser Rede ist er 72mal von Zwischenrufen, vornehmlich der Kollegen Barzel und Rasner - wie könnte es anders sein -,
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unterbrochen worden, zum Teil sehr, sehr harten Zwischenrufen. Wenn ich Ihnen aus dieser Rede des Kollegen Schäfer oder aus der Rede des Kollegen Erler heute Passagen vorlesen würde, ständen Sie genauso da, wie ich hier heute stehe.
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Nur in einem Punkte - und damit komme ich zum Schluß - sollten Sie auch der Fairneß hier Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die Freie Demokratische Partei hat nicht mit ihrem Eintritt in die Opposition eine kritischere Haltung gegenüber der Notstandsgesetzgebung eingenommen als im Jahre 1965
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- ich würde mit Zwischenrufen warten -, sondern mit ihrem Auszug aus der Fallex-Übung 1966. Ich habe aus dem Bunker u. a. auch noch einige hochinteressante Zettel, die mir Kollegen Ihrer Fraktion
zugeschickt haben - Herr Kollege Wienand nickt mir zu -, auf denen sie mich davor gewarnt haben, einige andere Kollegen ihrer Fraktion bei Expansionsvorstellungen zu unterstützen. Seit dieser Zeit, wo wir die Erfahrung mit dem gemacht haben, was damals als „Benda-Bericht" diese Plenum passierte, sind wir kritischer und kritischer geworden und zu der Haltung gekommen, die wir heute einnehmen. Niemand in diesem Hause sollte die Berechtigung dieser Einstellung dieser Fraktion hier bestreiten. Wir haben das an Erfahrungen in die politische Meinungsbildung umgemünzt, zu der wir stehen. Wir bekennen, daß wir auf Grund der gemachten Erfahrungen heute manches anders sehen als im Jahre 1965. Das gilt für mich genauso, wie es leider für Fritz Erler nicht mehr gelten kann, aber wir es sicher auch für Friedrich Schäfer heute gelten wird.
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Meine Damen und Herren, damit ist die Aussprache über diesen Änderungsantrag auf Umdruck 451 *) geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.
Zu den Absätzen 1 bis 5 dieses Antrags ist keine namentliche Abstimmung beantragt. Wer diesen Absätzen des Art. 12 gemäß dem Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 451 zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei einer Anzahl von Enthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt.
Zu Abs. 6 dieses Antrags ist namentliche Abstimmung beantragt. Darf ich fragen, ob dieser Antrag unterstützt wird? - Das sind weniger als 50 Abgeordnete. Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist nicht angenommen.
Dann kommen wir zur einfachen Abstimmung. Ich darf die Absätze 6 und 7 des Antrags zusammen zur Abstimmung stellen. Wer diesen beiden Absätzen zustimmen will, gebe das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei gleichen Abstimmungsverhältnissen wie vorhin abgelehnt.
Wir stimmen dann über die Nr. 2 betreffend Art. 12 in der Ausschußfassung ab. Wer dieser Nr. 2 in der Ausschußfassung zustimmen will, gebe das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe dann die Nr. 2 a auf: „Nach Artikel 12 wird folgender neuer Artikel 12 a eingefügt: ...". Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, zunächst der Streichungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 454 **) und ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD. Darf ich fragen, ob die Anträge begründet werden?
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- Keine Begründung zu diesen Anträgen. Dann stimmen wir zunächst über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 471 *) ab. Wer diesem Änderungsantrag
*) Siehe Anlage 5 **) Siehe Anlage 7
zustimmen will, gebe das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen.
Über den Streichungsantrag stimmen wir jetzt ab, indem ich über die Ausschußfassung, geändert durch den soeben angenommenen Änderungsantrag, abstimmen lasse. Ist das klar? - Wer der Nr. 2 a, wie durch die Abstimmung eben geändert, zustimmen will, gebe das Zeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen! - Mit großer Mehrheit bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe dann die Nr. 2 b auf. - Sie ist gegenstandslos geworden durch die Abstimmungen über den Antrag Umdruck 449 heute morgen.
Dann rufe ich die Nr. 2 bb auf. Es liegt kein Änderungsantrag vor, aber eine Wortmeldung. Herr Abgeordneter Stammberger hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Renger hat vorhin etwas gesagt, was sich eigentlich wie ein roter Faden durch die ganzen Beratungen des heutigen und des morgigen Tages ziehen sollte. Sie hat nämlich gesagt, daß es notwendig sei, im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebung und allem dem, was damit zusammenhängt, Mißtrauen abzubauen und Vertrauen aufzubauen. Ich glaube, die letzte Stunde hat nicht dazu beigetragen, diesen Rat von Frau Kollegin Renger durchzusetzen.
Nun, meine Damen und Herren, ich kann verstehen, daß gerade in unserem Volk in mancher Hinsicht ein gewisses Unbehagen gegenüber der Notstandsgesetzgebung besteht, haben wir doch selbst erfahren, was es bedeuten kann, wenn eine Regierung zuviel und vor allen Dingen -- und das ist das wesentliche - unkontrollierbare Macht bekommt. Und um gerade klar zu machen, was für uns die Notstandsgesetzgebung bedeutet, nämlich nicht die Einschränkung der Freiheit, der freiheitlichen Lebensrechte und unseres freiheitlichen Staates, sondern gerade seine Verteidigung auch in Stunden der Gefahr, kam es uns darauf an, ein Widerstandsrecht einzubauen. Wir haben dieses Widerstandsrecht -und hier waren sich eigentlich alle Parteien im wesentlichen einig - in den Art. 20 des Grundgesetzes eingebaut; denn - meine Damen und Herren, das ist wichtig - in diesem Artikel kann es nicht mehr geändert werden. Selbst mit einer Zweidrittelmehrheit kann dieses Widerstandsrecht nicht mehr aufgehoben werden, wenn es im Art. 20 verankert ist.
Ich glaube, dieses Widerstandsrecht ist eng mit der Demokratie überhaupt verbunden. Wenn die Zeit nicht so weit fortgeschritten wäre, könnte es einen geradezu reizen, jetzt einen geschichtlichen Überblick über diese Frage zu geben. Aber ich möchte nur auf die erste Dokumentation dieses Widerstandsrechts hinweisen. Sie stand in der virginischen Erklärung der Rechte im Jahre 1776, und bereits dort war gesagt - wie wir das heute im Art. 20 des Grundgesetzes tun -, daß es als unabänderliches, nicht aufhebbares Recht für die Bevöl-
*) Siehe Anlage 6
kerung gegeben ist. Meine Damen und Herren, um allerdings kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Dieses Widerstandsrecht ist keine Rechtfertigung für das, was wir eben oben von der Tribüne erlebt haben. Das möchte ich gleich sagen. Dieses Widerstandsrecht ist nur dann, aber dann auf jeden Fall, gegeben, wenn alle anderen Mittel des Staates zur Verteidigung unserer Freiheit nicht mehr ausreichen.
Nun hat es hier zwei Begriffe gegeben, die in der Diskussion aufgetaucht sind und die auch im Schriftlichen Bericht ihren Niederschlag gefunden haben, weshalb ich etwas dazu sagen möchte, um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, nämlich die Frage des Staatsstreichs von unten und die Frage des Staatsstreichs von oben. Historisch gesehen ist das Widerstandsrecht etwas gegen den Staatstreich von oben. So ist es auch in der Magna Charta in England gewesen, so steht es in der virginischen Erklärung der Rechte, so haben wir es in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 in Frankreich und in vielem anderem mehr. Aber, meine Damen und Herren, das kann natürlich - und insofern möchte ich dem Bericht nicht etwa widersprechen, sondern nur klar machen, was wir darunter zu verstehen haben - auch ein Widerstandsrecht gegen eine Revolution von unten sein. Hier wird nun sehr häufig gesagt - und wir haben uns eben mit dem Problem beschäftigt , dieses Widerstandsrecht könne dazu führen, die außerparlamentarische Opposition mundtot zu machen. Das liegt uns völlig fern. Ich möchte sogar sagen: durch den Herrn Bundesinnenminister ist sie vorhin anerkannt worden. Er hat vorhin im Hinblick auf den Herrn Kollegen Dorn gesagt, daß die FDP die parlamentarische Opposition sei. Er hat also praktisch unterstellt, daß es auch eine außerparlamentarische geben kann. Ich kann mir vorstellen, daß das Ganze eine Freudsche Kurzschlußhandlung gewesen ist, und zwar im Hinblick auf den Kollegen Dorn, der gewissermaßen eine Personalunion für parlamentarische und außerparlamentarische Opposition darstellt.
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Aber wir wollen auch, was die außerparlamentarische Opposition betrifft, uns über eines im klaren sein, was in diesem Art. 20 steht, dem jetzt ein Abs. 4 angefügt werden soll. Die Staatsgewalt wird in unserem Staate durch das Volk verkörpert; repräsentiert wird das Volk ausschließlich hier in diesem frei gewählten Bundestag. Darüber müssen wir uns klar sein. Das gilt sowohl für die Regierungskoalition wie auch für die jeweilige Opposition.
Das bedeutet nicht, daß die Dinge, die uns bewegen, nicht im ganzen Volke diskutiert werden sollten. Uns bewegen ja sehr viele Dinge. Das trifft gerade auf die Studenten zu, mit denen ich in dieser Hinsicht völlig sympathisiere. Meine älteste Tochter debattiert in der Bonner Universität begeistert mit. Wir sind für das „Große Gespräch", wie wir Sozialdemokraten es auf unserem Parteitag 1964 in Karlsruhe genannt haben. Wir wollen das „Große Gespräch" mit allen führen. Aber die Entscheidungen können ausschließlich hier in diesem Hause fallen.
Nur hier dürfen sie fallen.
Wir sollten alles vermeiden, was so aussieht, als würden wir uns in irgendeiner Form unter Druck setzen lassen.
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Das gilt für viele Dinge, auch für die Dinge - Herr Kollege Hirsch hat bereits darauf hingewiesen -, die sich heute teilweise bis in die Wohnbereiche einzelner Abgeordneten abgespielt haben. Wir sollten uns hier nicht unter Druck setzen lassen.
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Das ist keine Frage eines inneren Notstandes. Damit werden wir selber fertig; davon bin ich überzeugt. Das ist eine Frage, in der wir alle zusammenstehen müssen.
Wir haben das Widerstandsrecht im Abs. 4 des Art. 20 niedergelegt. Da kein Änderungsantrag vorliegt, dürfen wir wohl damit rechnen, daß er einstimmig verabschiedet wird. Ich darf noch einmal sagen: dieses Widerstandsrecht ist hoffentlich nie praktisch anzuwenden. Es ist in erster Linie symbolisch. Es zeigt, was der Sinn der Notstandsgesetzgebung sein soll: nicht die Einschränkung der freiheitlichen Rechte, sondern die Verteidigung der freiheitlichen Rechte auch bis zum letzten Extrem, daß ein jeder selbst dazu bereit sein muß, sie zu verteidigen, wenn alle anderen Mittel versagen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn an einer Stelle dieses Entwurfs das Bedauern, daß wir wenig Zeit zur Vorbereitung hatten, berechtigt ist, dann an dieser; denn auch wenn man im übrigen diesen Vorwurf nicht gelten lassen wollte, hier muß er gelten.
Einmal ist das Widerstandsrecht erst ganz zuletzt in den Ausschußberatungen in den Entwurf hineingekommen. Daneben gibt es noch einen anderen Grund. Wir meinen, eine so wichtige, so bedeutsame Frage, sollte nicht so nebenbei, beinahe versteckt - ich sage das nicht im Sinne einer bösen Absicht, sondern objektiv - in einem umfangreichen Gesetz und im Zusammenhang mit einem an sich höchst umstrittenen Thema - dem Notstand - eingebracht werden. Das müßte wirklich ganz für sich gemacht werden. Es ist schon der Verdacht geäußert worden - ich mache ihn mir nicht zu eigen -, daß jetzt das Widerstandsrecht hereingebracht werde, sei ein taktisches Austauschmanöver innerhalb der Koalition. Vor solchem Verdacht sollten wir uns bei einem so bedeutsamen Thema schützen.
Meine Damen und Herren, es herrscht Einigkeit hier im Hause, und auch wir Freien Demokraten sind der Ansicht, daß es ein Widerstandsrecht gibt. Ich kann ebenso wie der Kollege Stammberger darauf verzichten, viele Zitate aus der gesamten Weltliteratur dazu anzuführen. Von Plato und der Bibel angefangen, über den Sachsenspiegel und
Rousseau bis zu Johannes XXIII. in der Enzyclica „Pacem in Terris" finden Sie das Widerstandsrecht. Außerhalb dieser Reihe gestatten Sie mir aber interessehalber doch ein Zitat dazu. Ich möchte es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vortragen. Es lautet:
Wenn durch die Hilfsmittel der Regierungsgewalt ein Volk dem Untergang entgegengeführt wird, dann ist die Rebellion eines jeden Angehörigen eines solchen Volkes nicht nur Recht, sondern Pflicht.
Das Zitat stammt aus Adolf Hitlers „Mein Kampf", Seite 104. Es steckt ja viel Prophezeiung in diesen Worten.
Es ist aber zunächst einmal eine Frage, ob überhaupt das Widerstandsrecht in der Verfassung niedergelegt werden soll, eine Frage, zu der wir in unserer Fraktion - das sage ich Ihnen ganz offen -. noch keine einheitliche Meinung bilden konnten. Ich neige zu der Ansicht, daß das Widerstandsrecht überhaupt vorgegeben ist, wenn man sich für die Demokratie entscheidet, daß es sozusagen die Kehrseite der Entscheidung für die Demokratie ist. Denn Demokratie bedeutet: Jedem sind die Grundrechte garantiert, und jeder muß die Grundrechte des anderen respektieren. Die Kehrseite davon heißt: Jeder darf sich gegen eine Verletzung seiner Grundrechte wehren, jeder muß sich aber auch dagegen wehren, wenn die Grundrechte seiner Mitbürger und die demokratische Staatsordnung angegriffen werden. Moralisch bejahe ich durchaus auch die Widerstandspflicht. Wenn man sich also für die Demokratie entschieden hat, hat man sich auch für das Widerstandsrecht entschieden, gleichgültig ob es in der Verfassung steht oder nicht. Das Widerstandsrecht wendet sich ja gegen bestehendes Unrecht. Es unterscheidet sich dadurch von der Revolution, die sich gegen bestehendes Recht wendet. Kollege Stammberger hat die möglichen Fälle des Widerstandsrechts aufgeführt. Ich teile allerdings seine Meinung insofern nicht, als ich es ganz und gar nicht für notwendig halte, das Widerstandsrecht gegen Unrecht von unten extra in die Verfassung hineinzuschreiben. Denn dagegen haben wir bereits heute zulängliche Bestimmungen. Wenn mich einer angreift, steht mir die Notwehr zur Verfügung, und auch wenn Unrecht gegen andere begangen wird - auch gegen den Staat; schon vom Reichsgericht ist die Rechtsfigur der Staatsnotwehr anerkannt worden -, darf ich mich dagegen wehren. Das Problem ist hier in erster Linie das Unrecht von oben, gegen das das Widerstandsrecht festgelegt werden soll.
Nun haben wir eine kleine interessante Parallele, sozusagen ein kleines Widerstandsrecht, nämlich die Regelung - früher im Militärstrafgesetzbuch und heute im Wehrstrafgesetzbuch - zum rechtswidrigen Befehl. Es ist ja dort so geregelt - im Grundsatz, auf die Details will ich nicht eingehen -, daß der Soldat einen rechtswidrigen Befehl nicht befolgen darf. Das war übrigens die ganze Zeit so geregelt, vom Kaiserreich über die Weimarer Republik durch das ganze Dritte Reich bis heute. Befolgt der Soldat einen rechtswidrigen Befehl irrtümlich, weil er meint, er sei nicht rechtswidrig, oder umgekehrt: befolgt er den Befehl irrig nicht, weil er meint, er sei rechtswidrig, dann wird der Konflikt im Gesetz immer zugunsten des Soldaten gelöst. Hier ist also die Situation so, daß ein einzelner, ein Vorgesetzter, eine vom Staat verliehene Befugnis im Rahmen der demokratischen Ordnung mißbraucht. In letzter Instanz entscheidet der Richter darüber, ob der Vorgesetzte recht hatte oder der Soldat, der in diesem Augenblick Widerstand geleistet hat. Anders ist die Situation beim politischen Widerstand. Hier ist die demokratische Ordnung als solche nicht mehr intakt, es wird also im Fall eines erfolgreichen Putsches oder Staatsstreichs Unrecht von oben begangen. Antidemokratische Kräfte haben die Staatsgewalt oder Teile davon übernommen. Die Situation ist also die, daß die demokratische Ordnung nicht mehr intakt ist. Hier kann kein Richter mehr entscheiden, sondern hier entscheidet der Erfolg, wie es ausgeht: Wenn sich die Demokratie wieder durchsetzt, hat der, der Widerstand geleistet hat, Recht bekommen; andernfalls hat er auf meistens dann entsetzliche Art unrecht. Das ist ein Tatbestand, der nicht justiziabel ist.
Man stelle sich nun vor: in einer Verfassung ist das Widerstandsrecht verankert, ein Staatsstreich hat Erfolg, die Machtergreifung hat stattgefunden. Dann hat gerade in der Situation, in der sich das Widerstandsrecht - ich meine das Widerstandsrecht in Paragraphenform nun bewähren müßte, dieser Paragraph versagt. Stellen Sie sich etwa vor, wir hätten in der Weimarer Verfassung diesen Paragraphen gehabt, der ja dann nach dem vorher verlesenen Zitat dort sogar die Zustimmung Hitlers gefunden hätte, -- dieser Paragraph hätte bei der Machtergreifung kläglich versagt. Die Nazis hatten ja sogar die „Gelassenheit" - das kann man fast nicht anders sagen -, die Weimarer Verfassung formell weiterbestehen zu lassen.
Aber wir brauchen gar keine hypothetischen Fälle zu nehmen. Oder doch! Der folgende ist auch ein hypothetischer Fall. Die frühere Verfassung der DDR enthielt in Art. 4 das Widerstandsrecht, allerdings sehr vorsichtig und beinahe sogar zynisch formuliert. Es heißt nämlich dort:
Gegen Maßnahmen, die den Beschlüssen der Volksvertretung widersprechen, hat jedermann das Recht und die Pflicht zum Widerstand.
Natürlich, diese Volksvertretung wird schon keine Beschlüsse fassen, denen irgendwelche Maßnahmen widersprechen könnten. Deshalb kann man diese Bestimmung als zynisch bezeichnen.
Ich will mit diesen Ausführungen nur die Problematik aufzeigen,die besteht, wenn das Widerstandsrecht überhaupt in der Verfassung festgelegt wird. Wenn wir uns überlegen, ob wir das Widerstandsrecht in unsere Grundrechte tun sollen, müssen wir dabei besonders bedenken, daß unsere Grundrechte ja nicht nur wie in der Weimarer Verfassung Programmsätze, sondern geltendes Recht sind und daß der Art. 20 darüber hinaus überhaupt unabänderlich ist, worauf Herr Kollege Stammberger dankenswerterweise hingewiesen hat. Deshalb sollten wir dabei besonders vorsichtig sein.
Der vorliegende Entwurf umfaßt den Widerstand gegen Unrecht von oben und von unten und ist für uns deshalb ganz besonders problematisch. Er schafft eben in der Richtung gegen Unrecht von unten zweifellos Konflikte, wenn man es sich auch nicht so einfach machen kann, zu behaupten, er sei eine Aufforderung zur Anarchie. Wir haben aber vor allem zu überlegen, ob ein solcher Paragraph angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überhaupt notwendig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat ja im KPD-Verbots-Urteil Ausführungen zum Widerstandsrecht gemacht, die dieses Widerstandsrecht jedenfalls ganz klar und deutlich anerkennen. Diesen Ausführungen ist, soweit ich es übersehen kann, auch nirgends in der Literatur und nirgends von politischer Seite widersprochen worden.
Wir hatten im übrigen erwartet, daß aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei ein Alternativvorschlag kommen werde, der nach unseren Informationen so lauten sollte:
Wird durch Mißbrauch oder Anmaßung von Zuständigkeiten versucht, Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes an der Erfüllung ihrer Aufgaben zu hindern oder die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, so hat jeder Deutsche das Recht zum Widerstand gegen die Rechtsbrecher.
Ich muß sagen, diese Bestimmung hätte uns auf den ersten Blick wesentlich besser zugesagt. Jedenfalls sehen wir uns nicht in der Lage, heute der vorgelegten Formulierung zuzustimmen. Wir würden es begrüßen, wenn Sie sich alle die Sache bis zur dritten Lesung noch einmal durch den Kopf gehen ließen; das ist ein Punkt, über den man 'in der dritten Lesung durchaus auch noch sprechen kann, denn das hat ja nichts mit den Vorbehalten der Alliierten zu tun. Wir möchten nicht zum Ausdruck bringen, daß wir diese Bestimmung ablehnen, da wir das Widerstandsrecht anerkennen. Aus diesem Grunde möchten wir uns, was wir sonst nicht gerne tun, heute in der zweiten Lesung dazu der Stimme enthalten.
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Das Wort hat Herr Kollege Dr. Even.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion wird der Formulierung eines Widerstandsrechts, wie es in Art. 20 Abs. 4 in der Ausschußfassung vorgesehen ist, zustimmen.
Zunächst darf ich Herrn Kollegen Dr. Bucher daran erinnern, daß die Diskussion des Widerstandsrechts im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebung keineswegs neu ist. Ich darf Sie daran erinnern, daß ich bereits in der ersten Lesung der Notstandsverfassung im Juni des vergangenen Jahres sehr ausführlich über das Widerstandsrecht gesprochen und damals dargelegt habe, daß es nach meiner Auffassung und nach Auffassung der Fraktion der
CDU/CSU in diesem Hause ein natürliches, dem Staate vorgegebenes Menschenrecht sei, das auch dann existierte, wenn es nicht ausdrücklich in der Verfassung verankert wäre. Ich habe damals auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen und in dem Zusammenhang gesagt, daß wir uns in Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung befänden.
Natürlich kann man darüber streiten, Herr Kollege Bucher, ob es zweckmäßig ist, eine ausdrückliche Normierung vorzusehen. Man kann aber nach meiner Auffassung gegen eine solche Normierung nicht mehr Einwände vortragen als beispielsweise gegen die Normierung der Notwehr im privaten Leben, des Notstandsrechts, des Selbsthilferechts, das wir ja auf vielen Gebieten dem einzelnen auch im privaten Leben zugestehen. Die Schwierigkeit ist hier nicht größer als in diesen Bereichen.
Allerdings, meine Damen und Herren, muß die Formulierung so aussehen, daß keinerlei antidemokratischer Betätigung der Schein der Rechtmäßigkeit verliehen wird, so daß sich also derjenige, der das Recht brechen will, der die freiheitliche Ordnung stürzen will, auf dieses Widerstandsrecht berufen könnte, sondern daß es allein das letzte Mittel, das äußerste Selbsthilferecht der Deutschen ist, um einen Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuwehren und sich gegen deren Beseitigung zu stemmen.
Ich glaube auch nicht, daß man durch Zitate solcher Gestalten der Geschichte dagegen argumentieren kann, die sich zu Unrecht darauf berufen haben; sie haben das, einschließlich Adolf Hitlers in seinem Buch „Mein Kampf", getan. Natürlich hat sich jeder Revolutionär der Weltgeschichte auf ein Recht zum Widerstand berufen. In dem speziellen Fall Hitlers war es so, daß er seinen ,Putschversuch von 1923 natürlich nachträglich damit rechtfertigen wollte, daß er ein solches Recht der Rebellion für sich in Anspruch nahm.
Dies ist aber kein entscheidendes Argument gegen die verfassungsrechtliche Fixierung. Auch ich bin der Auffassung, daß deutlich gemacht werden muß, daß es nicht zulässig sein kann, bestimmte Fälle des Angriffs auf die freiheitliche demokratische Grundordnung herauszugreifen und das Widerstandsrecht etwa nur auf den sogenannten Staatsstreich von oben zu beschränken, sondern man muß es äußerstenfalls, eben wenn die normalen staatlichen Mittel nicht ausreichen, auch zum Schutze der Demokratie gegen Angriffe von unten, also gegen Putschversuche von unten, einräumen.
Ich nehme als Beispiel aus der deutschen Geschichte den genannten Putschversuch Hitlers von 1923. Damals gelang es zwar den normalen staatlichen Stellen, diesen Putschversuch niederzuschlagen; aber das hätte anders kommen können. Genauso war die Situation bei den Spartakistenaufständen. Auch dort gelang es den zuständigen Behörden, die Aufstände niederzuschlagen; aber auch das hätte gefährlicher werden können. Für solche Fälle sollte man das Widerstandsrecht nicht ausschließen. Das wäre eine unzulässige Einengung.
Meine Damen und Herren, worum geht es aber im Grunde genommen, im Kern dieses Anliegens? Ich glaube, man muß hier zweierlei sehen. Die ausdrückliche Normierung eines Widerstandsrechtes in unserem Grundgesetz bedeutet einmal den endgültigen Triumph der Lehre von der Unveräußerlichkeit und Unverletzbarkeit der Menschenrechte, den Vorrang dieser Grundrechte vor mißbrauchter staatlicher Gewalt und Willkür. Das war - wie Sie wissen, Herr Kollege Dr. Bucher - in der Weimarer Verfassung nicht der Fall, als unter rechtspositivistischen Vorstellungen davon ausgegangen wurde, daß der Staat zwar Grundrechte einräumen, sie aber auch beliebig wieder kassieren könne. Das ist jetzt nicht möglich.
Die Konsequenz aus der Unveräußerlichkeit und der Über- und Vorstaatlichkeit der Menschenrechte ist die Anerkennung eines Widerstandsrechtes als letztes Mittel, wenn eine tyrannische Staatsgewalt entgegen dem Buchstaben und dem Geist des Gesetzes dennoch diese Menschenrechte berührt. Das ist alte und beste germanisch-deutschrechtliche Tradition, das ist beste christliche Tradition in Europa, und das hat insbesondere auch im angelsächsischen Bereich den Niederschlag gefunden, wenn dort auch nicht immer in geschriebener Form, sondern oft auf gewohnheitsrechtlicher Basis. Das ist auch die Tradition der Menschenrechte in der Erklärung von 1789 in Frankreich, einer Erklärung, die auch heute noch geltendes französisches Staatsrecht ist.
Meine Damen und Herren, der zweite Gesichtspunkt ist nach meiner Auffassung ein Gesichtspunkt der staatsbürgerlichen Erziehung. Durch eine solche Formulierung wird auch dem letzten Deutschen klargemacht, daß er in letzter Instanz für die Erhaltung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit verantwortlich ist.
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Daran zu erinnern halte ich für eine überaus bedeutende Angelegenheit. Wir sind der Auffassung, daß es aus diesen Gesichtspunkten wertvoll ist, hier im Grundgesetz eine Klarstellung derjenigen Rechtsgrundlagen herbeizuführen, die bisher bei uns bereits ungeschrieben bestanden haben, weil es sich beim Widerstandsrecht um ein natürliches Menschenrecht handelt, das der Staat nicht gewähren, das er aber auch nicht nehmen kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein Wort zu dem Hitler-Zitat. Ich
möchte nicht, daß hier ein Irrtum aufkommt. Selbstverständlich wollte ich mit diesem Zitat nicht argumentieren; das wäre in diesem Hause wohl nicht angebracht. Ich wollte vielmehr nur darauf hinweisen, daß ich einen kleinen Fehler begangen habe, denn ich habe nicht ganz korrekt zitiert. Es heißt:
Wenn durch die Hilfsmittel der Regierungsgewalt ein Volkstum dem Untergang entgegengeführt wird ...
Es heißt nicht „ein Volk". Das ist eine typische Ausdrucksweise. Ich wollte damit nur darauf hinweisen, daß Hitler selber, durchaus wie Sie sagen, natürlich für seine Putschzwecke ein solches Widerstandsrecht in Anspruch nehmen, es aber dann am Schluß auch gegen sich selber gelten lassen wollte. Nur in diesen Rahmen wollte ich das stellen.
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Ich habe eben übersehen, daß zwar der Streichungsantrag zu Nr. 2 b erledigt ist, aber noch nicht die Abstimmung über Nr. 2 b in der Ausschußfassung erfolgt ist. Wer der Nr. 2 b in der Ausschußfassung zustimmen will, gebe ein Zeichen. - Danke! Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit bei einer Anzahl von Gegenstimmen und bei einer Anzahl von Enthaltungen angenommen.
Abstimmung über Nr. 2 bb. Wer der Nr. 2 bb in der Ausschußfassung zustimmen will, gebe das Zeichen. - Danke! Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nr. 2 bb ist bei zahlreichen Enthaltungen und einer Gegenstimme angenommen.
Ich rufe die Nr. 2 c auf. Dazu liegt kein Änderungsantrag vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Nr. 2 c.
Wer der Ausschußfassung dieser Nummer zustimmen will, gebe das Zeichen. - Danke! Gegenprobe!
Enthaltungen? - Ohne Gegenstimmen bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe die Nr. 3 auf. Hierzu liegt ein Streichungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 454 vor. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich bitte, gleichzeitig den Antrag auf Umdruck 459 *) begründen zu dürfen, weil es hier einen Sachzusammenhang gibt.
Bitte sehr!
Meine Damen und Herren, wir kommen bei der Behandlung dieses Themas zu einem zentralen Punkt der Notstandsgesetzgebung. Es geht hier um die Frage des Gemeinsamen Ausschusses oder, wie wir Freien Demokraten es lieber sähen, um die Begründung eines Notparlaments. Über diese Frage hat es in der vorigen und auch in dieser Legislaturperiode manche Meinungsverschiedenheit gegeben. Ich habe vorhin in meiner letzten Erwiderung auf die Rede des Kollegen Hirsch gesagt, daß wir vor allem aus bestimmten Erfahrungen, die wir bei der Praktizierung eines sogenannten Gemeinsamen Ausschusses anläßlich der FallexÜbung des Jahres 1966 gesammelt haben, die Konsequenz gezogen haben, diesen neuen Antrag vorzulegen.
*) Siehe Anlage 8
Die Willensbildung des Notsgesetzgebers erfolgt also nach gemeinsamer Beratung der Vertreter von Bundestag und Bundesrat in diesem Gemeinsamen Ausschuß. Wir sind - das gestehen wir zu - nicht böse darüber, daß die Ausschußberatungen in einer Frage von so entscheidender Bedeutung etwas völlig anderes ergeben haben, als die Bundesregierung dem Parlament in der Regierungsvorlage unterbreitet hatte. Sie erinnern sich sicher noch an die erste Lesung in diesem Hause und an unsere Kritik an der Vorstellung der Bundesregierung, nach der sich der Gemeinsame Ausschuß aus Mitgliedern zusammensetzen sollte, die von einer Zweidrittelmehrheit des Deutschen Bundestages gewählt werden müßten. Wir haben das von Anfang an nicht
nur verfassungsrechtlich, sondern auch politisch für
unmöglich gehalten, und wir freuen uns darüber,
daß diese Vorstellung der Bundesregierung während der Ausschußberatungen beseitigt worden ist, daß sich der Gemeinsame Ausschuß nunmehr entsprechend der Vorstellung der SPD und der CDU unter Berücksichtigung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen zusammensetzt. Wir sind allerdings der Meinung, daß es nicht nur auf das Stärkeverhältnis ankommen, sondern auch eindeutig geregelt werden sollte, daß die Mitglieder, die von den einzelnen Fraktionen in dieses Gremium geschickt werden, einzig und allein von den Fraktionen bestimmt werden.
Nun haben wir eine Reihe von Änderungen vorgesehen. Abgesehen von der Streichung an dieser Stelle sind wir Freien Demokraten darüber hinaus der Meinung, daß es notwendig wäre, die Frage der Arbeitsmöglichkeit des Gemeinsamen Ausschusses, die Frage seiner Zusammensetzung und auch die Frage des Tätigwerdens, des Zeitpunkts des Tätigwerdens dieses Gemeinsamen Ausschusses zu beraten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach der Regierungsvorlage hatte der Gemeinsame Ausschuß eine Reihe von Kompetenzen, die praktisch zwangsläufig zur Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland hätten führen müssen. Die Beschlußunfähigkeit des Parlaments war nicht Voraussetzung für die Aktion eines Gemeinsamen Ausschusses, wie wir uns das vorstellen. Wir sind einfach der Meinung, daß dieses Notparlament, wie wir es haben möchten, erst zu einem Zeitpunkt zusammentreten darf, zu dem der Deutsche Bundestag beschlußunfähig ist. Alle anderen Funktionen dieses Gemeinsamen Ausschusses oder Notparlaments werden dieses Gremium praktisch zu einem Nebenparlament, zu einem Gremium sui generis, machen, das mit unseren Vorstellungen von parlamentarischer Demokratie nicht übereinstimmt.
Meine Damen und Herren, die Stunde der Not -das ist schon in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs von mir vorgetragen worden - ist erst recht die Stunde des Parlaments. Man sollte alle Möglichkeiten prüfen und in die Wege leiten, man sollte alle organisatorischen Möglichkeiten schaffen, um den Deutschen Bundestag auch in Krisenzeiten, auch in Notzeiten beschlußfähig zusammentreten zu lassen.
Während der Hearings ist manches gerade zum Thema des Gemeinsamen Ausschusses von den Professoren, von den Verfassungsrechtlern und von den Staatsrechtlern vorgetragen worden. Wir sind auch während der Hearings in unserer verfassungspolitischen Vorstellung in einem ganz besonderen Maße bestärkt worden. Wenn Sie die Notstandsgesetzgebung, die Sie jetzt hier in dieser Form, wie wir sie für falsch halten, verabschieden wollen, wenn Sie damit auch die Voraussetzungen für bestimmte Regelungen der Einzelgesetze, die nachkommen, schaffen, werden Sie im Endergebnis doch nicht an der Frage vorbeikommen, inwieweit hier Manipulationsmöglichkeiten geschaffen werden können. All das können Sie nur verhindern, wenn Sie mit uns allen Ideenreichtum daran verwenden, das Parlament beschlußfähig zu erhalten.
Meine Damen und Herren, ich weiß im Moment nicht, welcher der Herren Professoren es während des Hearings ausgeführt hat. Aber einer hat gesagt, für ihn sei völlig unverständlich, daß wir hier beschließen wollten, alles zu organisieren. Die Bundeswehr wird organisiert, die Reservisten werden einberufen, die Dienstverpflichtungen werden durchgeführt, die Frauen werden am Arbeitsplatz festgehalten, die Versorgung der Zivilbevölkerung wird organisiert. Alles wird bis ins letzte Detail geregelt. Nur darauf, wie das Parlament auch in Krisenzeiten organisatorisch beschlußfähig erhalten bleiben kann, wird anscheinend nicht eine Idee, nicht ein Gedanke verschwendet.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist etwas, was uns sehr bedrückt, auch hei dieser Aussprache hier, wenn wir manche Argumente des heutigen Tages verfassungspolitisch zu werten haben. Deswegen unsere Gegenkonzeption, die ich Ihnen noch einmal vortragen will.
Nach unseren Vorstellungen eines Art. 115 bb sollen mit Eintritt des Verteidigungsfalls Bundestag, Bundesrat und Notparlament einberufen sein. Mit dieser gemeinsamen Einberufung aller für eine solche Krisenzeit zuständigen Organe glauben wir, daß das Selbstversammlungsrecht des Bundestages als ausgeübt gilt und daß auf diese Weise - über die technischen Möglichkeiten und organisatorischen Voraussetzungen müßte man sich in einer Geschäftsordnungsgebatte unterhalten - auf jeden Fall sichergestellt werden könnte, das Parlament beschlußfähig am Sitzungsort zusammenzubekommen.
Nun das zweite Problem unserer Vorstellung. Nach unserer Meinung soll die Bezeichnung „Notparlament", zwei Dinge gleichzeitig demonstrieren. Erstens soll durch diese Bezeichnung deutlich werden, daß ein Parlament wirksam wird, daß die parlamentarische Kontrollfunktion auch gegenüber der Regierung in einer solchen Situation erhalten bleiben kann, und zweitens soll das Vorwort „Not" gleichzeitig herausstellen, daß es nur ein kleines Parlament für eine Notsituation ist und daß aus dem kleinen Notparlament so schnell wie möglich wieder das voll funktionsfähige Gesamtparlament werden soll.
In diesem Gremium dürfen natürlich nicht nur 22 Abgeordnete sein; dann würde es kein Parlament sein. Unsere Vorstellung ist vielmehr, daß das Notparlament aus 44 Abgeordneten des Deutschen Bundestages und aus 11 Mitgliedern des Bundesrates bestehen sollte und daß die Fraktionen nicht nur die Mitglieder nominieren, sondern auch die Vertreter berufen sollten. Jedes Land ist also durch ein Mitglied des Bundesrates vertreten. Die Stimmabgabe ist nach unserer Meinung so zu regeln, daß der Vertreter des Landes die im Bundesrat übliche Stimmenzahl für sein Land gebündelt abgeben kann.
Das ist natürlich eine eindeutige Abkehr von der Regierungsvorlage und auch von dem, was Sie beschlossen haben. Aber wir meinen, daß auf diese Weise die verfassungsrechtliche Kompenente im Bund-Länder-Verhältnis auch in einer solchen Situation auf die sauberste Art garantiert bleibt.
Das ist auch deswegen wichtig, weil die Bundesländer damit in dem Notparlament sind und die Beteiligung des Bundesrates, insbesondere die Einhaltung auch des föderalistischen Systems beim Gesetzgebungsverfahren durch den Notgesetzgeber, gewährleistet ist. Die Einflußnahme auf die politischen Kräfteverhältnisse des Deutschen Bundestages,
die sich in der Zusammensetzung dieses Parlaments widerspiegeln, sollte nicht durch parteipolitische Auffassungen der Bundesratsvertreter in ihrer Funktion als Repräsentanten der Bundesländer so abgestuft werden, wie die Ausschußbeschlüsse es vorsehen. Denn wir haben gerade während der FallexÜbung 1966 erlebt, daß diese Forderung, die wir hier stellen, eigentlich die einzige Garantie überhaupt ist, daß die Bundesländer qua Bundesrat in ihrer verfassungsrechtlichen Position in dem Notparlament wirksam werden können. Denn wie problematisch das bei der Fallex-Übung in der Anwendung war, haben wir noch alle in Erinnerung. Wir haben es ja in diesem Hause schon diskutiert. Ich meine aber, daß es notwendig ist, hier noch einmal darauf hinzuweisen, weil ich den Eindruck habe, daß leider vieles von dem, was an Sachargumenten von uns vorgetragen worden ist, inzwischen in der hektischen Auseinandersetzung während der Beratung der letzten 14 Tage innerhalb der Koalitionsfraktionen untergegangen ist.
Während der Fallex-Übung 1966 war es doch so, daß die drei Fraktionen des Bundestages getrennte Fraktionssitzungen abhielten und daß die Vertreter des Bundesrates, die aus Ländern kamen, in denen die SPD den ersten Mann, den Ministerpräsidenten oder Regierenden Bürgermeister, stellt, an Fraktionssitzungen der SPD-Bundestagsfraktion teilnahmen.
Genauso war es bei den Mitgliedern des Bundesrates, die aus Ländern kamen, in denen die CDU den Ministerpräsidenten stellte. Als Bundesrat sind die Herren des Bundesrates nicht ein einziges Mal in dieser Funktion zusammengetreten. Wir meinen aber, daß es verfassungsrechtlich ein unmögliches Verfahren ist, daß über die Aufteilung der Bundesratsvertreter zusätzlich das Quorum der Abgeordneten des Parlaments im Notparlament oder Gemeinsamen Ausschuß erhöht wird. Das kann nicht der Sinn der Bestimmung sein, die hier von Ihnen verabschiedet werden soll.
Dann ist die Frage, wann das Notparlament zusammentreten kann, von entscheidender Bedeutung. Wir meinen, daß das Notparlament zusammentreten soll, wenn dem beschlußfähigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen und vor Beginn seines Zusammentritts die Beschlußfähigkeit des Bundestages nicht hergestellt werden konnte. Aber gleichzeitig mit der Hinnahme einer solchen Tagungsmöglichkeit des Notparlaments haben wir dann zusätzlich eine Bestimmung in unseren Vorstellungen, wonach jeder Abgeordnete des Bundestages das Recht hat, an jeder Sitzung des Notparlaments teilzunehmen und das Wort zu ergreifen, und daß die Sitzung des Notparlaments wie die Sitzungen des Deutschen Bundestages öffentlich sein müssen. Damit wollen wir die Reaktivierung des Gesamtparlaments so schnell wie möglich erreichen, weil wir der Auffassung sind, daß die Abgeordneten des Bundestages sich unter einer solchen Verfassungsbestimmung in einer Notsituation ganz besonders angesprochen fühlen müssen, an den Ort des Parlaments zurückzukehren. Damit würde aber auch die information der Abgeordneten keine geteilte Qualifizierung haben; die nicht dem Notparlament angehörenden Abgeordneten würden die gleichen Informationsmöglichkeiten zur Verfügung haben wie diejenigen, die Mitglied des Notparlaments sind.
Ich möchte jetzt nicht auf das eingehen, was die SPD-Kollegen uns an Vorstellungen gerade zu diesem speziellen Punkt übergeben haben. Denn auch Sie, Kollegen Matthöfer, Lenders, Kaffka, Gscheidle und andere, hatten diese Vorstellungen ja entwikkelt, und in der ausführlichen Begründung, die Sie uns dazu gegeben haben, steht dem Sinne nach genau das, was ich für die Begründung unseres Antrages hier angeführt habe. Ich hoffe also, daß in dieser entscheidenden Frage - sie wird ja auch in der Begründung des Antrages der Kollegen der SPD als sehr entscheidend dargestellt - die Möglichkeit besteht, in diesem Hause eine Mehrheit zu finden.
Des weiteren haben wir in unserem Antrag im Abs. 4 vorgesehen, daß die Mitglieder des Notparlaments, also die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und die Vertreter des Bundesrates, gemeinsam beraten; andererseits aber ist in Abs. 5 getrennnte Abstimmung vorgesehen. Die gemeinsame Beratung würde zu einer erheblichen Verkürzung des Zeitaufwandes in einer solchen Situation führen; die getrennte Abstimmung würde die verfassungsrechtliche Situation so beibehalten, wie wir sie in der augenblicklichen Verfassungslage nach unserem Grundgesetz kennen.
Und dann heißt es im Abs. 6 in der Fassung unseres Antrages:
Das Notparlament kann die Rechte von Bundestag und Bundesrat wahrnehmen, wenn und solange dem beschlußfähigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen und die Lage sofortige Beschlüsse erfordert. Diese Voraussetzungen
- so geht es in unserem Antrag weiter, und das ist von entscheidender Bedeutung
sind vor jeder Sitzung des Notparlaments durch Mehrheitsbeschluß sowohl der Abgeordneten des Bundestages als auch der Mitglieder des Bundesrates im Notparlament, mindestens mit der Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages festzustellen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, es ist für uns alle wichtig, daß verfassungsrechtlich eindeutig klargestellt wird, wie lange ein Gemeinsamer Ausschuß oder wie lange ein Notparlament die Funktionen des Parlaments übernehmen kann, und daß die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß mit Sicherheit in dem Augenblick, wo die Funktionsfähigkeit des Parlaments insgesamt wieder erreicht wird, die Tätigkeit des Notparlaments oder des Gemeinsamen Ausschusses sofort eingestellt wird.
Meine Damen und Herren, vielleicht fällt es Ihnen schwer, unserer verfassungspolitischen Vorstellung zu folgen. Bei den Diskussionen in den vergangenen Monaten, die wir auf Veranstaltungen verschiedenster Art, Podiumsgesprächen usw., geführt haben, hat es aber immer wieder Argumente gegeben, die nicht nur bei vielen Kollegen der SPD, sondern auch bei einigen Kollegen der CDU, die ich bei solchen Diskussionen erlebt habe, dazu führten, daß sie zugaben: Jawohl, was Sie vortragen, hat etwas Bestechendes in der Formulierung und auch in der Vorstellung. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, wirklich ernsthaft zu prüfen, ob nicht in dem, was hier von uns gerade bei der Beratung des Kernstücks dieser Verfassungsänderung vorgetragen wird, viel mehr an Liberalität, aber auch an Praktikabilität und auch an verfassungsrechtlicher Abgrenzung in beiderlei Richtung enthalten ist als in dem, was uns hier als Ausschlußvorlage vorliegt, von dem man behauptet, das sei die liberalste Notstandsverfassung, die es überhaupt gebe. Was wir Ihnen hier vorlegen, meine Damen und Herren, ist verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch in der Sache ,so überzeugend, daß nach unserer Meinung sachlich kaum etwas dagegen eingewandt werden kann. Auch die Beratungen in der Vergangenheit haben ja gezeigt, daß uns an Sachargumenten kaum etwas entgegengehalten worden ist. Ich bitte Sie im Namen der freien demokratischen Bundestagsfraktion, diesen Vorstellungen Ihre Zustimmung zu geben, weil damit die rechtsstaatliche Sicherung der parlamentarischen Zuständigkeiten auch in Notstandssituationen garantiert wird.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reischl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf in dieser Sache als Mitberichterstatter des Rechtsausschusses und zugleich im Namen beider Koalitionsfraktionen den Antrag stellen, die Anträge der FDP zu dieser Frage abzulehnen. Es handelt sich also einmal um eine Bestätigung des Art. 53 a in der Fassung der Ausschußvorlage und zum anderen um eine Ablehnung des auf Umdruck 459 *) enthaltenen Antrags
der FDP auf Einfügung eines Art. 115 bb in die Vorlage.
Ich glaube, mich angesichts der sehr langwierigen Beratungen gerade über diese Frage im Rechtsausschuß, auch der sehr langen Erörterung dieser Frage vorher in den öffentlichen Hearings, und unter Berücksichtigung der sehr vorgeschrittenen Zeit verhältnismäßig kurz fassen zu können.
Die Konzeption, von der der Bericht des Rechtsausschusses ausgeht, ist im Grundsatz die, daß der Gemeinsame Ausschuß nicht mehr, wie es von der FDP von Anfang an gewünscht worden war und wie es auch im Regierungsentwurf noch vorgesehen war, neben dem Plenum des Bundestages tätig werden darf.
Es gibt eine einzige Ausnahme. Das ist aber eigentlich keine tragische Ausnahme. Es ist eben ein Ausschuß beider Häuser, der Informationen entgegennimmt. Ich sehe darin keinerlei Beeinträchtigung der Rechte aller übrigen Abgeordneten. Erstens einmal ist in Art. 53 a Abs. 2, so wie er jetzt in der Ausschußvorlage enthalten ist, klargestellt, daß durch dieses Informationsrecht die Rechte des Bundestages und seiner Ausschüsse in keiner Weise beeinträchtigt werden. Außerdem brauchen wir uns doch nur zu überlegen, Herr Kollege Dorn, wie das praktisch geht. Wenn in diesem Gemeinsamen Ausschuß Vertreter aller Fraktionen unterrichtet werden - und wir haben durch die Neufassung auch Sorge dafür getragen, daß die Fraktionen genau entsprechend ihrem Stärkeverhältnis im Bundestag auch in diesem Gemeinsamen Ausschuß vertreten sind -, dann ist es doch wohl selbstverständlich, daß diese unterrichteten Fraktionsmitglieder ihre eigene Fraktion über alles unterrichten werden, zumal wenn der Bundestag noch beieinander ist und Entscheidungen fällen muß.
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Daß es davon aus Geheimhaltungsrücksichten usw. Ausnahmen geben kann, ist nichts Besonderes. Das kennen wir auch jetzt schon. Denken wir z. B. an den Verteidigungsausschuß oder an den Auswärtigen Ausschuß! Nicht alles, was dort erörtert wird, darf auch in den Fraktionen erörtert werden. Das ist also nichts Neues und kein Eingriff in unsere gegenwärtige Regelung.
Ich meine, daß die Regelung, die jetzt in der Ausschußvorlage niedergelegt ist, allen Wünschen Rechnung trägt, die hierzu geäußert worden sind, und vor allem eine saubere Trennung zwischen dem Parlament als Ganzem und dem Notparlament oder, wie es in der Vorlage heißt, Gemeinsamen Ausschuß herbeiführt.
Ich darf noch auf einige Punkte eingehen, die Herr Kollege Dorn zur Begründung seiner Anträge angeführt hat. Er meinte, es sei überhaupt keine Vorsorge getroffen worden, die Beschlußfähigkeit des Parlaments zu erhalten. Sie haben einen Antrag dazu gestellt, daß alle verpflichtet sein sollen, mit allen öffentlichen Mitteln die Bundestagsabgeordneten herzufahren. Herr Kollege, ich glaube, es hat Sondersitzungen von Ausschüssen und auch des
') Siehe Anlage 8
Bundestages gegeben. wo das bereits geschehen ist. Ich kann mich gut erinnern, daß eine Reihe von Kollegen von überall her geholt worden sind.
({1})
Das geht. Das brauchen wir aber doch nirgends zu regeln. Das ist eine Selbstverständlichkeit der Amtshilfe. Deshalb war der Rechtsausschuß auch der Meinung, daß es nicht notwendig ist, das ins Grundgesetz hineinzuschreiben. Man muß bei den Bestimmungen, die man ins Grundgesetz schreiben will, immer überlegen, ob sie wirklich den Rang haben, daß sie da hineingehören. Eine solche Frage gehört meines Erachtens nicht ins Grundgesetz. Daß es aber so gemacht werden soll, ist doch selbstverständlich.
Wir haben weiter Vorsorge getroffen, daß ein Gesetzgebungsverfahren entwickelt wird, das möglichst lange das Parlament, getrennt in seine beiden Häuser, funktionsfähig läßt, daß niemand sagen kann, daß es zu langsam gehe, sondern daß Bundestag und Bundesrat gemeinsam beraten können und gemeinsam Beschlüsse fassen können. Auch das ist eine Regelung, die die Beschlußfähigkeit und die Funktionsfähigkeit beider Häuser auf lange Sicht erhält.
Im übrigen darf ich doch wohl eines dazu sagen - und diesen Appell muß ich wohl an alle in diesem Hause richten -: ich glaube, es ist in allererster Linie Sache der Abgeordneten dieses Hauses, daß das Parlament so lange wie möglich beschlußfähig bleibt und daß jeder alles tut, um an den Ort zu kommen, an dem der Bundestag zusammengetreten ist. Ich glaube, das Vertrauen in die Mitglieder dieses Hauses und ihr Pflichtbewußtsein haben zu können, daß sie das auch tun werden. Und solange das Parlament beieinander ist, kann ja nach unserer jetzigen Konzeption der Gemeinsame Ausschuß gerade nicht in Funktion treten.
Nun noch zur Zusammensetzung! Meine Damen und Herren, wir haben die Frage, ob man in einem Gemeinsamen Ausschuß oder in einem Notparlament, wenn wir es einmal so nennen wollen, beide Bänke getrennt abstimmen lassen soll, ob man eine Bundesratsbank und eine Bundestagsbank schaffen soll, in den langen Verhandlungen des Rechtsausschusses der 4. Wahlperiode bis zum äußersten erörtert, und es ist damals zusammen mit Ihnen, meine Herren, zu einer Konzeption gekommen, in der man davon ausging, daß beide Bänke gemeinsam entscheiden sollen, weil man sehr richtig gesagt hat, wenn schon ein neues Organ an die Stelle der beiden gesetzgebenden Körperschaften tritt, muß es auch alle Rechte dieser beiden Häuser haben und sie geschlossen ausüben können. Ich glaube also, hier sollten wir den alten Streit nicht noch einmal aufwärmen. Es ist von der Mehrheit des Rechtsausschusses eben so entschieden worden, und ich meine, es ist auch eine sehr konsequente und logische Lösung.
Was die Zahl der Mitglieder anlangt, so warne ich davor, den Gemeinsamen Ausschuß zu groß zu
machen. Sie gehen von 44 Leuten aus. Sie müssen davon ausgehen, daß die stellvertretenden Mitglieder - und es wird in der Geschäftsordnung mit Sicherheit so geregelt werden - von Anfang an dem Gemeinsamen Ausschuß immer angehören werden. Sie werden und sollen an allen Sitzungen teilnehmen, damit auch die Stellvertreter - die ersten Stellvertreter! - von vornherein hier beteiligt werden. Man wird - darin sind die Fraktionen ja frei, und wir sind in der Gestaltung der Geschäftsordnung frei - zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Ausschusses auch eine lange Liste von Ersatzstellvertretern machen können, die einen erheblichen Teil der Fraktionen umfassen - das spielt doch in diesem Fall gar keine Rolle -, um zu erreichen, daß der Gemeinsame Ausschuß immer funktionsfähig ist, sobald er da ist, ganz gleich, wie viele Abgeordnete an dem Ort gerade versammelt sind. Das alles läßt sich machen. Ich möchte aber namens der Koalitionsfraktionen ausdrücklich davor warnen, einfach allen Mitgliedern die Teilnahme daran zu gestatten; denn, meine Damen und Herren, damit wird genau das verwässert, wozu der Gemeinsame Ausschuß geschaffen wird. Er soll ein kleines, rasch aktionsfähiges Gremium sein. Das wird nicht gehindert, wenn man die Stellvertreter einbezieht; aber er wird ein schwerfälliger Apparat werden, wenn man alle Zutritt nehmen läßt. Ganz abgesehen davon kann ich mir, ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, in welch unangenehme Lage der Vorsitzende dieses Gremiums gerät, wenn er in einem solchen Falle feststellen will, wer eigentlich mitstimmen darf, wenn solche Massen anwesend sind. Das kann also nicht Sinn der Sache sein. Es erhebt sich dann die Frage: Ist das Gremium beschlußfähig, wenn alle teilnehmen, der größere Teil, jedenfalls die Mehrheit, oder aber der Gemeinsame Ausschuß? Es kann über die Stellvertreter dafür gesorgt werden, daß die doppelte Zahl, nämlich 22 plus 22, also 44, immer anwesend sind. Aber ein Mehr wäre etwas Schlechteres und wäre vom Übel für die Aktionsfähigkeit des Gemeinsamen Ausschusses.
Was das betrifft, was Sie zu der Frage der Beendigung der Tätigkeit gesagt haben, so wird auch das eine Frage sein, die der Gemeinsame Ausschuß in seiner Geschäftsordnung wird festlegen müssen. Er wird auch regeln müssen, wie er sich laufend darüber unterrichtet, ob an dem Ort, wohin das Parlament einberufen ist, wieder genügend Abgeordnete vorhanden sind, um wieder beschlußfähig zu sein und nunmehr wieder als Parlament in Erscheinung zu treten.
Ich glaube, alle diese Fragen haben wir so eingehend erörtert, daß das Ergebnis wie kaum in einer Frage ein völlig geschlossenes ist. Kein Mensch kann uns jetzt mehr vorwerfen, daß die saubere Trennung zwischen dem Gemeinsamen Ausschuß als Notorgan und dem Parlament und Bundesrat andererseits nicht ganz klar durchgeführt sei.
Deswegen, meine Damen und Herren, möchte ich nochmals bitten, den Antrag auf Umdruck 454 abzulehnen und die Nr. 3 in der Ausschußfassung anzunehmen sowie den Antrag Umdruck 459, über den in
diesem Zusammenhang wird abgestimmt werden müssen, weil wir sonst später noch einmal darüber reden müssen, abzulehnen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dröscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte bei diesem Stand der Verhandlungen zu diesem speziellen Punkt eine Bemerkung machen, wobei ich leider nicht ganz mit der Auffassung übereinstimme, die mein Kollege Reischl gerade vertreten hat. Ich möchte keinen Antrag stellen, aber mein Anliegen bis zur dritten Lesung dieses Gesetzes zu bedenken geben.
Es geht hier um die Zugänglichkeit des Notparlaments für die Abgeordneten, die am Sitz dieses Parlaments sind. Ich meine, daß dieses Notparlament für alle an seinem Sitz tagenden Bundestagsabgeordneten deshalb ständig zugänglich sein muß, weil es eigentlich die Aufgabe hat - wenn man das Gesetz richtig versteht -, sich möglichst schnell wieder zu einem voll funktionsfähigen Parlament aufzustocken. Diese Funktion wird aber nicht erfüllt, wenn der einzelne Abgeordnete, der schon am Sitz dieses Parlaments ist, keinen Zugang hat. Er wird gewissermaßen ausgestoßen, und er gerät in Gefahr, dann die Sache nicht so wichtig zu nehmen und in der Zeit, wo er nicht gebraucht wird, unter Umständen etwas anderes zu tun. Wichtig ist aber, daß er von Anfang an in die Verhandlungen eingeschaltet wird, damit man allmählich mit ihm und anderen wieder die Zahl erreicht, bei der die volle Funktionsfähigkeit des Parlaments wiederhergestellt ist.
({0})
Darüber, wie das geschieht, gibt es sicher Meinungsverschiedenheiten. Mir scheint aber, daß die Fassung des Gesetzes, wie sie jetzt ist, es möglich macht, daß die Geschäftsordnung so etwas vorsieht. Es ist aber bisher nicht festgestellt worden, daß die Geschäftsordnung das vorsieht.
Ich sehe gerade in einer solchen Zeit die wichtigste Aufgabe des Abgeordneten darin, am Platz der Ereignisse zu sein und beim parlamentarischen Geschehen dabei zu sein. Ich möchte deshalb ausdrücklich darum bitten - ich stelle keinen Antrag und will auch nicht das ganze System in Unordnung bringen -, dafür zu sorgen, daß bis zur dritten Lesung klare Vorstellungen bestehen, wie die Zugänglichkeit zu diesem Notparlament geschaffen werden kann, und entsprechende Geschäftsordnungsbestimmungen vorzusehen, damit das Parlament oder die Abgeordneten, die mitbestimmen und mitreden wollen, sich nicht selbst in einem Augenblick in ihrer Wirksamkeit entmannen, in dem ihre Mitwirkung entscheidend notwendig ist.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren Kollegen! Die Ausführungen des Kollegen Dröscher haben ein Teil dessen, was ich sagen wollte, vorweggenommen. Aber sie bedürfen trotzdem noch einiger Ergänzengen.
Auf Grund des Antrages, den wir auf der Grundlage unseres Gesetzentwurfes gestellt haben, ist im Rechtsausschuß sehr eingehend die Frage erörtert worden, ob bestimmt werden sollte, daß der Gemeinsame Ausschuß grundsätzlich öffentlich tagen sollte, daß es aber genau wie beim Bundestag möglich sein sollte, bei gewissen Fragen die Öffentlichkeit auszuschließen. Damals hat der Herr Innenminister - und ihm ist die Mehrheit des Rechtsausschusses gefolgt - klar die Ansicht ausgesprochen, daß für eine öffentliche Tagung des Gemeinsamen Ausschusses kein Platz sei und daß daher die Zulassung einer irgendwie gestalteten Öffentlichkeit nicht möglich sei; auch die beschränkte Öffentlichkeit durch Zulassung der anwesenden Abgeordneten sei nicht vertretbar, wie es heute auch der Herr Kollege Reischl gesagt hat.
({0})
Das ist eine Situation, die in der Tat weder unseren Vorstellungen noch der Grundkonzeption unserer Verfassung entspricht.
({1})
Unsere Verfassung bestimmt für das Parlament - und ich sehe keinen Grund, warum nicht gleiches für ein Organ gelten soll, das an Stelle dieses Parlaments dessen Funktion ausübt -, daß es öffentlich tagt. Diese öffentliche Tagung hat ihren guten Grund. Denn das Parlament und auch das Notparlament soll und muß unter der Kontrolle der Öffentlichkeit stehen, mindestens unter der Kontrolle derjenigen Kollegen, die nicht dem Gemeinsamen Ausschuß angehören, aber am Ort anwesend sind. Ich glaube, der Umstand, daß diese Dinge vom Tisch gewischt sind, wird manchen Angriffspunkt geben; er wird manchem Anlaß geben, das Zutrauen, das er zu dieser Institution haben sollte, die dann ausschließlich hinter verschlossenen Türen ohne Kontrolle der Öffentlichkeit tagt, nicht zu bekommen.
({2})
Das müssen Sie bei Ihren Erörterungen wohl mit in Betracht ziehen.
In anderen Dingen gebe ich zu: einiges von dem, was wir Freien Demokraten dazu in der Diskussion gebracht hatten, ist verwirklicht worden. Das erkennen wir dankbar an. Die Schaffung eines beschleunigten Gesetzgebungsverfahrens z. B. ist eine gute Sache, Wir sind die letzten, die nicht auch sagen, es ist einiges von dem, was wir wollten, angenommen.
Ich möchte aber auch nochmals unterstreichen, weil das bei dem Kollegen Reischl nicht ganz klar zum Ausdruck kam, dafür aber im Bericht mit aller Deutlichkeit steht: auch unsere Grundvorstellung, daß
Busse ({3})
alle Stellen der Bundesrepublik verpflichtet sind, jedem Abgeordneten jede Hilfe zu leisten, an den Sitz des Parlaments zu kommen, wenn das mit den normalen Verkehrsmitteln nicht möglich ist, ist an sich im Rechtsausschuß bejaht worden. Es ist im Bericht ausdrücklich festgelegt, daß das in einem Ausführungsgesetz zu Art. 48 nochmals hier interfraktionell eingebracht werden soll. Der Herr Bundesinnenminister war so freundlich, mir hierzu in der Rechtsausschußsitzung seine Hilfe zuzusagen. Also auch hier werden wir ein Stück weiterkommen. Aber all das genügt nicht.
Nun nochmals einige Worte, weil mir das doch gleichfalls eine außerordentlich wichtige Frage zu sein scheint, zu der Frage der Zusammensetzung oder der Abstimmung, weil es da am deutlichsten wird. Es handelt sich, wie Herr Dorn schon gesagt hat, um eine Erkenntnis aus der Fallex-Übung. Während ich sonst ein Loblied über die Art, wie der heutige Innenminister diese Fallex-Übung durchgeführt hat, gesungen habe und es heute gern wiederholen möchte in diesem Punkt bin ich mit ihm geradezu zusammengeraten. Ich habe erklärt, das sei eine Situation, wie wir sie gerade nicht wollten. Das ist, weil ich das einfach nicht für möglich gehalten habe, nie so klar zum Ausdruck gekommen. In der Praxis, die dort geübt wurde, sahen wir es dann. Es ist bei uns nie eine andere Vorstellung gewesen, als daß die Bundesratsmitglieder des Gemeinsamen Ausschusses als Bundesratsmitglieder, in Ausübung der Funktionen des Bundesrates, dort sein sollten. Wenn Sie das in der Praxis durchgesetzt hätten, wäre die Frage der Abstimmung jedenfalls zweitrangig. Weil diese Vertreter des Bundesrats aber in dem Verfahren, das wir dort durchgeführt haben, in den Erörterungen und Debatten, in keinerlei Weise als Bundesratsmitglieder und als Vertreter dieses Organs in die Erscheinung traten, sondern ausschließlich zur Verstärkung der Fraktionen, von denen ihre Regierung gestellt wurde, ist es notwendig, sie einfach zu zwingen, daß sie ihre Funktion als Bundesratsmitglieder auch im Gemeinsamen Ausschuß wahrnehmen.
Vielleicht wird das auch wieder als Demagogie bezeichnet, wenn man hier für die Beibehaltung einer Struktur eintritt, wie sie bereits unser jetziges Grundgesetz besitzt. Es sind in diesem Hohen Haus in den letzten Tagen und Wochen über die Bedeutung unserer föderalistischen Struktur so bedeutsame Worte gefallen, besonders eindrucksvoll vom Herrn Kollegen Schmidt ({4}), daß es mir wirklich schwer verständlich ist, wie man über diese entscheidend wichtige Frage so hinweggehen kann, wie man es hier zu tun beabsichtigt.
({5})
Wir wollen mit dieser Regelung nicht mehr und nicht weniger erreichen - aber das wollen wir -, daß auch im Notstandsfall die Struktur unserer Bundesrepublik in ihren Grundkonzeptionen erhalten bleibt, und das ist die föderalistische Struktur, die sowieso in der Not der Stunde in einer Fülle von Punkten zugunsten einer einheitlichen Struktur unsereres Bundes geändert wird. In diesem
Rahmen der Möglichkeiten der Gesetzgebung, die wir schaffen, hier nun die Funktion des Bundesrates zu erhalten, das sollte gerade eine Aufgabe der Parteien sein, die sonst die föderalistische Struktur so sehr auf ihre Fahnen geschrieben haben.
({6})
Darum, meine Damen und Herren: machen wir es nicht so einfach, wie es soeben von Herrn Kollegen Dr. Reischl vorgetragen worden ist. Sicherlich, die Dinge sind im Ausschuß eingehend erörtert worden; darüber kann in diesem Punkt gar kein Zweifel bestehen. Die Anträge, die ich damals gestellt habe, sind nach eingehender Diskussion - das erkenne ich an - abgelehnt worden. Aber ich sage nochmals, was heute morgen gesagt worden ist, das ersetzt nicht eine Klarstellung und eine Entscheidung des Bundestages. Ich könnte mir vorstellen, daß eine Reihe von Abgeordneten hier ist, die den Vorstellungen der Mehrheit des Rechtsausschusses nicht zu folgen bereit ist, wie wir es in einem konkreten Punkt hier gehört haben.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
({7})
Wird weiter das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung.
Der Umdruck 454 ') des Abgeordneten Dorn und der Fraktion der FDP verlangt die Streichung von Nr. 3. Üblicherweise wird hierüber dadurch abgestimmt, daß Nr. 3 selbst zur Abstimmung gestellt wird. Es ist kein Antrag auf besondere Art der Abstimmung gestellt.
Wer Ziffer 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
({0})
- Mit großer Mehrheit, daraus geht hervor, daß es Gegenstimmen gab, sonst wäre es meines Erachtens keine Mehrheit.
({1})
- Aber wenn Sie es wollen, stelle ich auch noch die
Gegenstimmen der Fraktion der FDP und einiger Abgeordneter der SPD fest.
({2})
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Reischl hat den Vorschlag gemacht, wir sollten jetzt schon über den Antrag Umdruck 459 ") abstimmen. Aber es ist eigentlich ungewöhnlich, nicht der Reihe nach vorzugehen. Will das Haus, daß wir auch darüber jetzt noch abstimmen?
({3})
*) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlage 8
Vizepräsident Dr. Jaeger
- Begründet ist er, deshalb braucht man jetzt nicht abzustimmen, sondern kann es an der Stelle tun, wo es üblich ist. Wünscht das Haus darüber jetzt die Abstimmung? - Gut, dann kommen wir zum Umdruck 459. Aber meines Erachtens bedarf dieser einer gewissen Änderung auf Grund dessen, daß Nr. 3 soeben angenommen worden ist. Die Antragsteller müßten wahrscheinlich den Abs. 2 für erledigt erklären. Ich würde um eine Äußerung dazu bitten. Herr Abgeordneter Dorn, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir können uns die Abstimmung in diesem Falle dadurch erleichtern, daß die Nr. 3 vorhin von Ihnen beschlossen worden ist. Dadurch ist unser Antrag auf Umdruck 459 gegenstandslos geworden.
Ich danke Ihnen, daher brauchen wir hierüber nicht mehr abzustimmen.
Ich komme nunmehr zu den Nrn. 4 und 5. Das Wort wird nicht gewünscht.
({0})
- Das Wort wird doch gewünscht, ich bitte um Entschuldigung, Herr Abgeordneter Schultz. Da kein Antrag gestellt war, ging ich davon aus, das Wort werde nicht gewünscht.
Nr. 5 bedeutet, daß der jetzige Art. 65 a Abs. 2, der davon spricht, wer im Zustand äußerer Gefahr den Oberbefehl, die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte hat, gestrichen und dafür später unter Art. 115 b neu eingeführt werden soll. Ich habe mich deswegen vor der Abstimmung zu Wort gemeldet, weil ich sagen möchte, daß sich die Freien Demokraten, obwohl sich an dem jetzigen Rechtszustand nichts ändert, bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten werden. Wir beabsichtigen, zu diesem Problem der Landesverteidigung und der Spitzengliederung der Streitkräfte in der nächsten Zeit einen besonderen Gesetzentwurf einzubringen. Der Art. 65 a Abs. 2 soll hier gestrichen und als Art. 115 b neu eingeführt werden. Wir haben hier andere Vorstellungen. Damit hinterher nicht gesagt werden kann, wir hätten erst vor kurzem diesen Artikeln in der neuen Gestalt zugestimmt und wollten nun schon wieder etwas ändern, enthalten wir uns der Stimme.
Wird noch das Wort gewünscht - Das ist nicht der Fall. Ich lasse nunmehr über die Nrn. 4 und 5 getrennt abstimmen.
Ich rufe auf Nr. 4. Wer der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Gegenstimmen bei der FDP. Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe die Nr. 5 auf. Wer der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Eine
Gegenstimme. Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen.
Ich lasse jetzt über die Nr. 6 abstimmen. Wer der Nr. 6 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Einige Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Die Frage ist jetzt, ob ich im Hinblick darauf, daß um 20 Uhr die Fragestunde beginnen soll, Ziff. 6 a aufrufen soll.
({0})
Wünschen Sie das Wort zur Geschäftsordnung? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen Damen und Herren! Nach den Vereinbarungen des Hauses soll die Aussprache heute um 20 Uhr beendet werden. Es stehen also noch reichlich 30 Minuten zur Verfügung. Der Komplex des Art. 80 a ist umfänglich. Er ist ein Schwerpunkt dieser Gesetzgebung. Wir werden diese Aussprache zu diesem Punkt heute abend keinesfalls zu Ende führen können. Wir zerreißen sie. Ich schlage vor, daß wir über diesen Punkt morgen sprechen. Wir sind natürlich bereit, andere kleinere Punkte jetzt zu behandeln.
Zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, wir sollten genau in der Reihenfolge der Paragraphen vorgehen. Wenn wir um 20 Uhr die Debatte unterbrechen, haben wir noch eine halbe Stunde diskutiert. Ein Springen zu anderen Paragraphen würde hier Gewichtigkeiten schaffen, die niemand in diesem Hause bei dieser Gesetzgebung schaffen will.
Ist ein Antrag zur Geschäftsordnung gestellt? - Das ist nicht der Fall. Dann werde ich also nunmehr Ziffer 6 a mit den Umdrucken 472 *) und 455 **) aufrufen. Wer wünscht das Wort? - Herr Abgeordneter Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Art. 80 a, den wir mit unserem Umdruck 455 zu streichen bitten, hat einen sehr wesentlichen Inhalt. Der erste Teil beschäftigt sich damit, daß die Notstandsgesetze durch Einzelentscheidungen des Bundestages oder im Verteidigungsfall oder im Spannungsfall mit Zweidrittelmehrheit in Kraft gesetzt werden können. Abs. 2 besagt, daß sie durch den Bundestag wieder aufgehoben werden können. Abs. 3 besagt schließlich, daß auf Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses eines internationalen Organs im Rahmen eines Bündnisvertrages diese Gesetze in Kraft gesetzt werden, wobei es keine Möglichkeit gibt, daß
*) Siehe Anlage 9
**) Siehe Anlage 10
der Bundestag diese Gesetze wieder abschaffen oder dagegen stimmen kann.
Lassen Sie mich zunächst zu dem Begriff „Spannungsfall" kommen, der hier auftaucht. Es gibt keine Legaldefinition dieses Begriffes „Spannungsfall". Es steht lediglich im Ausschußbericht, daß „Spannungsfall" Zeit erhöhter internationaler Spannungen bedeuten soll. Eine Gesetzesdefinition finden wir also nicht.
Herr Abgeordneter Rutschke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen?
Ja, bitte schön!
Ich wollte Sie fragen, ob Sie bereit wären - aus einer Bemerkung schließe ich das -, doch vielleicht den Antrag auf Umdruck 472 in Ihre Überlegungen einzubeziehen, weil Sie eben noch meinten, es gebe keine Kassation solcher Maßnahmen.
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich habe jetzt im Augenblick nur das, was als Ausschußvorlage vorliegt, und habe noch nicht die Begründung gehört, die von seiten der Antragsteller des anderen Antrags gegeben worden ist. Deshalb beschränke ich mich zunächst noch auf die Ausschußvorlage. Ich bitte, dafür Verständnis zu haben.
Wir wissen also nicht aus dem Gesetz, was mit „Spannungsfall" gemeint ist. Bedeutet „Spannungsfall" z. B. die Situation in Kuba, wo, soweit mir bekanntgeworden ist, die höchste NATO-Alarmstufe gegeben worden ist, oder ist „Zeit erhöhter internationaler Spannung" die Nahost-Krise gewesen - ich glaube, das wird man annehmen können -, oder die Suez-Krise oder die Situation in Vietnam, oder reicht vielleicht auch schon die Pueblo-Affäre in Korea aus, um erhöhte internationale Spannung festzustellen und hier den Spannungsfall zu proklamieren, oder ein Fall wie der Ungarn-Aufstand?
Meine Damen und Herren, ich habe diese Beispiele angeführt, damit Sie sich klar darüber sind, welche Auswirkungen die Deklaration des Spannungsfalls unter Umständen mit sich bringe. Es bedeutet praktisch - wenn man sich etwa in den Begriffen des Anfangs des Jahrhunderts bewegen würde - die Teilmobilmachung oder in diesem Falle wohl die zivile Teilmobilmachung. Auf jeden Fall ist es so, daß eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages diesen Spannungsfall beschließen muß: also eine durchaus dramatische Situation, die dann im Bundestag ablaufen wird. Ich weiß nicht, ob die psychologischen Auswirkungen, die von einer derartigen Dramatik ausgehen, für die Situation der Bundesrepublik besonders geeignet sind. In der geographischen Lage, die die Bundesrepublik hat - die Bundesrepublik und das Land Berlin -, könnte eine derartige Feststellung auf der anderen Seite Reaktionen auslösen. Von anderer Seite würde die Begründung kommen: Wenn man in Bonn den
Spannungsfall feststellt, d. h. eine Teilmobilmachung erklärt - so wird man uns das gar nicht einmal zu Unrecht auslegen -, werden wir auch das Gebiet der DDR vor allen Einflüssen schützen. Die Benutzung der Verbindungswege nach Berlin würde dadurch sicherlich nicht gefördert werden, sondern würde gefährdet sein. Sind wir in der Bundesrepublik daran interessiert, eine Eskalation zu beginnen, die Reaktion für uns kann nur negativ sein!
Deshalb bin ich und ist meine Fraktion der Meinung, daß wir den Begriff des Spannungsfalles ausschalten sollten. Wir haben im Herzen Mitteleuropas, an der Grenze zum Ostblock, allen Grund, keine Eskalation, in welcher Form auch immer, anzufangen, eine Eskalation, die wir durch eine derartige Erklärung des Bundestages bezüglich des Spannungsfalles zwangsläufig auslösen würden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich im Hinblick auf die Kürze der Zeit nur noch einige kurze Worte über Art. 80 a Abs. 3 sagen, nach dem im Rahmen internationaler Bündnisverträge auch Maßnahmen auf der Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses eines internationalen Organs getroffen werden können, wobei Art. 80 a Abs. 2 keine Anwendung findet. Meine Damen und Herren, wir tun hier etwas, was in keinem anderen der NATO angehörenden Land ein Vorbild hat. In keinem anderen Land der NATO ist in die Verfassung eine Bestimmung eingefügt worden, die derartige weitreichende Konsequenzen hat.
Damit ist zwangsläufig eine völlige Umgehung des Parlaments möglich geworden; denn das Parlament wird überhaupt nicht gefragt. Gültig ist allein der Beschluß der NATO-Behörde oder wer immer es sein mag. Die Konsequenz ist die Inkraftsetzung von Notstandsgesetzen. Das Parlament ist auch nicht in der Lage, Änderungen vorzunehmen; wir sind also an diese Beschlüsse gebunden. Hat die Bundesrepublik Deutschland in ihrer exponierten und besonderen Lage eigentlich Anlaß, derartige weitreichende Konsequenzen in ihre Verfassung hineinzuschreiben? Meine Damen und Herren, das verstehe ich beim besten Willen nicht.
Von entscheidender Bedeutung kann natürlich auch sein, daß wir damit einer Regierung - ich meine nicht besonders die jetzige, sondern irgendeine Regierung in späterer Zeit; denn die Verfassungsänderung soll ja nicht nur für den Augenblick gelten, sondern Grundlage für mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte sein - die Möglichkeit geben, dann etwa Notstandsgesetze in Kraft zu setzen, wenn sie sich z. B. an die NATO gewandt und selbst den Vorschlag gemacht hat, derartige Gesetze in Kraft zu setzen. Das ist durchaus möglich. Sie kann den Vorschlag machen - ich weiß nicht, ob damit nicht sogar der innere Notstand vermengt werden kann -, unter Umgehung des Parlaments Notstandsgesetze in Kraft zu setzen, und das Parlament hat nicht den geringsten Einfluß darauf.
Herr Kollege Reischl, Sie haben soeben etwas ungläubig gelächelt. Ich erinnere Sie an die Vorgänge um das Röhrenembargo vor einigen Jahren. Wir
erfahren ja nicht einmal, was von der NATO beschlossen wird, weil es unter „Geheim" läuft. Seinerzeit hatte sich der Kollege Dr. Deist von der SPD in diesem Hause von dieser Stelle aus darüber beschwert, daß die Regierung den Inhalt der NATO-Empfehlungen weder dem Witschaftsausschuß noch dem Außenhandelsausschuß bekanntgegeben hat. Es kann durchaus sein, daß die Regierung sagt: Jawohl, der NATO-Rat hat bestimmte Vorstellungen, und nun werden wir die und die Notstandsgesetze in Kraft setzen. Das wäre nach den Vorgängen, wie wir sie einmal erlebt haben, durchaus möglich.
Ich glaube, wenn wir es bei dieser Bestimmung des Abs. 3 belassen, sind, auch wenn Sie Ihren Änderungsantrag einbringen - das ändert nichts an dieser Tatsache -, alle Sicherungen, die bisher beschlossen worden sind - Inkraftsetzung nur mit Zweidrittelmehrheit und was es da alles gibt -, völlig illusorisch. Denn Sie versetzen die Regierung in die Lage, Notstandsgesetze über Abs. 3, über die NATO, in Kraft zu setzen.
({0})
Das ist möglich. Es ist mir völlig unverständlich, daß Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, dieser Sache zugestimmt haben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie also so weit gehen wollen, werden wir erleben, daß das Parlament in einer wesentlichen Entscheidung ausgeschaltet ist. Sie können natürlich das Argument bringen: Eine Bundesregierung wird Derartiges nicht tun, daß sie nach Brüssel oder ins NATO-Hauptquartier geht und solche Vorschläge macht. Es mag sein, daß sie das nicht tut. Aber wir machen hier eine Verfassungsänderung, die auch für alle Regierungen in der Zukunft gelten soll. Ich glaube, der Sinn einer Verfassung ist doch auch der, daß sie das kodifizierte Mißtrauen gegen die Inhaber der Macht darstellt.
({1})
Auch deshalb hat man eine Verfassung.
({2})
- Jawohl, das ist genau das, was seit 1848 immer wieder versucht wurde: Man wollte entsprechende Sicherungen in die Verfassung hineinbringen, weil daran eben nichts mehr geändert werden kann, jedenfalls nicht ohne Zustimmung des Parlaments. Hier geben wir freiwillig unsere Möglichkeiten als Parlament auf, schreiben es sogar in die Verfassung hinein, und die Regierung könnte sich unkontrolliert dieser Möglichkeiten bedienen.
({3})
Ich bitte daher, meine Damen und Herren, daß Sie sich diese Gedanken gut überlegen und sich klar darüber sind, welche Auswirkungen es hat, wenn unser Antrag nicht angenommen werden sollte.
({4})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen von der FDP haben vorhin ganz zutreffend darauf hingewiesen, daß wir hier an einem zentralen Punkt der Notstandsdiskussion sind, und wir werden sicher den Rest der Zeit, der uns heute zur Aussprache zur Verfügung steht, die Dinge nicht durchdiskutieren können. Deswegen möchte ich mich im Augenblick auch darauf beschränken - im Hinblick auf die Äußerungen des Kollegen Dr. Rutschke -, einfach an ein paar Grundtatbestände zu erinnern. Vielleicht ist das hilfreich, um eine Grundlage für die Diskussion zu finden, soweit möglich heute abend, wenn es nicht geht, dann eben morgen im Laufe des Tages.
({0})
- Das kann ja noch sein, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen. Da wir wahrscheinlich in absehbarer Zeit zum Ende kommen werden, können wir doch mit Vergnügen erwarten, daß Herr Kollege Dr. Rutschke den Rest des Abends dazu benutzt, sich mit dem Umdruck zu beschäftigen, falls er nicht etwas Schöneres vorhat, was wir ihm alle wünschen wollen.
({1})
Zum ersten Punkt, Herr Kollege Dr. Rutschke. Sie haben zum Spannungsfall ein paar Fragen aufgeworfen und ein paar Punkte erwähnt. Da sind, glaube ich, noch einige Korrekturen erforderlich. Sie haben recht, wenn Sie sagen, daß der Entwurf in der Fassung des Ausschusses eine Definition dieses Spannungszustandes genau nicht gibt, sondern daß ein Verfahren festgelegt ist, wonach eine qualifizierte Mehrheit eben feststellt, daß eine erhöhte Spannung da ist.
Ich fürchte, man kann es anders auch nicht machen; denn eine Definition, wann eine Zeit einer internationalen Krise oder einer Spannung, die uns bedroht, da ist, ist natürlich durch Rechtsnormen nicht oder nur in einem sehr großen Raum möglich. Es ist vielmehr eine Frage der Entscheidung der dafür zuständigen Gremien, unter Beurteilung aller Umstände eben zu sagen: Wir sehen die Situation als bedrohlich an oder nicht. Hier stoßen wir einfach an die Grenze der Möglichkeiten von Rechtsnormen. Ich möchte eigentlich vor der Illusion warnen, daß man so etwas gesetzlich oder verfassungsmäßig festlegen kann, wann Krisen kommen und wann eine Situation eine Krise darstellt. Das kann man ,eben nicht.
Sie haben historische Beispiele erwähnt, Kuba und andere Dinge. Da irren Sie in tatsächlicher Hinsicht. Sie haben insbesondere Kuba erwähnt. Der Kuba-Fall - ich nehme an, Sie meinen Kuba 1962 war ganz zweifellos ein Fall einer internationalen Krise, die bei einem Fortschreiten der bedrohlichen Entwicklung möglicherweise auch Auswirkungen auf unser Gebiet gehabt hätte. Dennoch ist Ihre Annahme ganz unzutreffend, daß damals, wie Sie sich ausdrückten, die höchste NATO-Alarmstufe festgestellt worden sei. Es ist überhaupt keine NATOBundesminister Benda
Alarmstufe in dieser Sache festgestellt worden, von der wir alle ja doch wissen, daß sie durchaus ernst zu nehmen war, bei der wir vielleicht bei einer ungünstigen Entwicklung nicht sehr weit von einer sehr ernsten Konfrontation gewesen wären, die uns auch betroffen hätte. Auch in diesem Fall hat es keine Feststellung nach dem NATO-Alarmkalender gegeben.
({2})
Na ja, ich werfe Ihnen das auch nicht vor, Herr Kollege Rutschke. Ich versuche nur, Ihnen die Information zu vermitteln. So war es in der Tat.
Es hat in unserem Bereich - das ist für die Beurteilung der Frage ganz interessant - eine Feststellung nach dem Wehrpflichtgesetz gegeben, nach der Gesetzeslage damals zulässig auf Grund einer förmlichen Feststellung der Bundesregierung, aber ohne parlamentarische Mitwirkung. Inhalt der Feststellung war das Einbehalten der an sich zur Entlassung anstehenden Wehrpflichtigen bei den Einheiten auf Grund der allgemeinen Entwicklung. So war damals die Situation.
Für die anderen Fälle, die Sie noch erwähnt haben, gilt erst recht, daß es keine NATO-Alarmstufe gegeben hat. Da wir alliierte Vorbehaltsrechte auf dem Gebiet der Notstandsvorsorge haben, würde ja, wenn dies als ein Fall des äußeren Notstandes angesehen worden wäre, für die Drei Mächte Anlaß gewesen sein, nach Konsultationen mit der Bundesregierung nach Art. 5 Abs. 2 des Deutschland-Vertrages von ihnen Vorbehaltsrechten Gebrauch zu machen; das ist aber nicht der Fall gewesen. Daraus kann man also die Folgerung ziehen: ein Fall im Sinne des Art. 80 a Abs. 1 wäre es nicht.
Nun haben Sie durchaus recht, Herr Kollege Dr. Rutschke, wenn Sie sagen, daß unter bestimmten Umständen - Sie haben ganz zutreffende Beispiele dafür, glaube ich, gegeben - die globale Feststellung durch das Parlament: „Jetzt haben wir einen Spannungszustand" in der Tat eine dramatisierende und eskalierende Wirkung hat. Ich teile diese Meinung und glaube, daß es daher richtig ist aber das sollte man dann der Vollständigkeit halber hinzufügen -, daß Abs. 1 alternativ zwei Möglichkeiten gibt: entweder diese Feststellung zu treffen oder, wenn das etwa aus den Gründen, die Sie erwähnt haben, untunlich erscheint, die dann nach Lage der Dinge notwendigen Einzelfeststellungen zu treffen.
Nun komme ich noch kurz zu dem entscheidenden Punkt, zu dem Komplex des Abs. 3, der sogenannten Nato-Klausel, wie sie mittlerweile genannt wird. Gerade unter anderem aus der Erwägung, die Sie angestellt haben, ist der Rechtsausschuß zu dem Ergebnis gekommen, daß es schlechthin unmöglich wäre, daß wir, nachdem die NATO in ihren zuständigen Organen entsprechende Beschlüsse gefaßt hat, nicht verpflichtet wären, daraus auf Grund unserer Verpflichtungen im Bündnis, die wir übernommen haben, Konsequenzen zu ziehen. Sollen wir dann das, was innerhalb der Nato ja doch nicht gerade öffentlich behandelt wird, einer öffentlichen Diskussion und Entscheidung hier im Parlament unterstellen? - Herr Genscher, wollten Sie etwas fragen?
Herr Bundesminister, können Sie mir einen Mitgliedstaat der Nato nennen, in dem eine an sich notwendige Zustimmung des Parlaments durch einen Beschluß eines Bündnisorgans ersetzt werden kann?
Wenn Sie mir eine Minute geben, bin ich genau an dem Punkt. Ich habe eine Liste hier. Ich möchte es aber in den Zusammenhang bringen.
Zunächst möchte ich also hier, weil es einfach nicht stimmt - aber dennoch immer wieder gesagt wird, innerhalb und außerhalb des Parlaments, Herr Kollege Dr. Rutschke -, sagen, ich halte Vokabeln wie „Entmachtung des Parlaments" oder „Umgehung des Parlaments" für einfach der Rechtslage, so wie sie sich aus dem Entwurf ergibt, schlicht widersprechend.
({0})
Die Bundesregierung kann nichts, aber auch gar nichts machen, wenn das Parlament im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren ihr nicht zuvor die entsprechenden Rechtsgrundlagen geliefert hat. Es ist einfach falsch, und es wird gelegentlich - ich werfe Ihnen das nicht vor, aber draußen höre ich das gelegentlich so - auch geflissentlich dahin verfälscht, daß die Regierung in einer solchen Situation tun könnte - wie sie es gerade in diesen Tagen gehört habe - was ihr paßt. Sie kann gar nicht tun, was ihr paßt. Sie tut genau das, was das Parlament im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hier gesagt hat, was sie tun kann und unter bestimmten Voraussetzungen tun soll.
Nun haben Sie gesagt, es gebe keine entsprechende Regelung in den anderen Nato-Ländern. Ja, in der Tat, Herr Kollege Dr. Rutschke und Herr Kollege Genscher, keiner der anderen Nato-Staaten kommt auf den Gedanken, daß in dieser Situation das Parlament überhaupt noch etwas mitzureden hat, sondern die gehen davon aus, daß dies - hier haben wir mal gesagt - die „Stunde der Exekutive", sagen wir besser, die „Stunde der Regierung" ist. Ich habe die Liste hier: Wenn eine solche Situation besteht, wird in Belgien auf Grund von entsprechenden Anordnungen der Regierung gehandelt, dann wird das in Schweden im Bereitschaftszustand, wie es dort heißt, auf Grund von Entscheidungen der Krone, d. h. praktisch der Regierung, gemacht, dann wird es in Norwegen gemacht auf Grund von Notverordnungen, die das Parlament aufheben kann
({1})
- lassen Sie mich die Liste zu Ende führen, dann kommen Sie zu Ihrer Frage -, dann wird es in den Niederlanden gemacht auf Grund des Kriegszustandes oder Belagerungszustandes durch die Regierung, dann wird es in einem Lande, das hier erwähnt ist, aber kein NATO-Land ist, in Israel, auf Grund der seit 1948 bestehenden Regelung über den Staats9378
notstand gemacht, dann wurde es in England gemacht auf Grund der dort 1940 bestehenden Notverordnungsermächtigung an die Regierung - das Parlament konnte diese Maßnahmen innerhalb einer Frist von 28 Tagen aufheben -, dann wird es in der Schweiz gemacht auf Grund eines Bundesratsbeschlusses, also auch einer Regierungsmaßnahme. - Bitte, Herr Kollege Dorn!
Herr Minister, es wäre für uns natürlich auch sehr interessant gewesen, zu erfahren, was da gemacht wird. Die Frage der materiellrechtlichen Verfassungslage müßte dargestellt werden. Ich nehme an, Sie werden mir in diesem Zusammenhang doch zugeben, daß z. B. in Schweden das Parlament zu Beginn seiner Tätigkeit nach jeder Wahl ein fünfzigköpfiges Notparlament wählt, das für die Dauer der Legislaturperiode die Funktionen des Parlaments für einen eventuell eintretenden Notfall übernimmt.
In der Tat, Herr Kollege Dorn, darüber können wir alle miteinander - wir machen das nun ja schon eine Weile - mittlerweile Seminare abhalten. Aber es ist nützlich, wenn Sie daran erinnern. Wir haben ja den Herrn aus Schweden gefragt, wie das mit der Kriegsdelegation des schwedischen Reichstags ist. Er hat uns gesagt - die vorangegangene Diskussion über den Gemeinsamen Ausschuß wäre der richtige Ort gewesen, das einmal zu erwähnen -, genau wie Sie gesagt haben: Wenn der schwedische Reichstag zu Beginn der Legislaturperiode zusammentritt, wird diese Kriegsdelegation personell besetzt und gibt sich ihre Geschäftsordnung; wenn es zu einem Kriegszustand kommt -- was nach schwedischem Verfassungsrecht nicht den Beginn von Kampfhandlungen bedeutet, wie uns der schwedische Verfassungsrechtler gesagt hat -, wenn die Verhältnisse es untunlich erscheinen lassen, daß das Parlament weiter seine Funktion ausübt, dann macht es die Kriegsdelegation des schwedischen Reichstags, und was die macht, steht, wenn ich mich nicht irre, in Art. 50 der schwedischen Reichsverfassung. Die Kriegsdelegation bestimmt, wie der Krieg geführt werden soll, d. h. sie bestimmt materiell das, was nach ihrer Meinung zweckmäßigerweise getan werden sollte, und sie ist darin materiell nicht beschränkt.
Sie fragten nach den Regelungen in anderen Staaten, Herr Kollege Dorn. Selbstverständlich sind die Gesetzesgrundlagen in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Reden wir darüber noch einmal bei der Einschränkung der Grundrechte, wie sie für unseren Bereich vorgesehen sind! Sie werden kein Land innerhalb der NATO oder auch außerhalb der NATO, soweit es demokratische Länder sind - von den anderen rede ich nicht, die sind kein Vorbild - finden, das geringere Möglichkeiten für Eingriffe in Grundrechte, geringere Belastungen der Staatsbürger kennt als die Bundesrepublik Deutschland, wenn diese Nostandsverfassung Wirklichkeit wird.
({0})
Wenn Sie dazu den Kopf schütteln, Herr Kollege Dorn, sind Sie eingeladen, einmal hier nach vorne zu kommen und die Regelung vorzutragen, von der Sie meinen, daß das nicht stimmt.
({1})
Das würde mich wirklich einmal interessieren, und wir alle miteinander haben uns doch mit dem Thema schon beschäftigt.
({2})
- Herr Dorn, ich bin ja auch dabei gewesen; Sie sagen mir also gar nichts Neues. Darüber können wir sehr konkret diskutieren; davor habe ich keine Angst. Ich glaube, Sie werden zu dem gleichen Ergebnis kommen wie ich, wenn Sie das noch einmal durchprüfen.
Ich komme noch einmal auf den Abs. 3 und damit zum Schluß. Herr Kollege Rutschke, es ist sicher richtig, daß in der Verfassung auch ein Stück Mißtrauen kodifiziert werden soll. Wenn es sich um eine Situation handelt, in der die Existenz des Staates und der Bevölkerung auf dem Spiele steht, ist für mein Empfinden nicht der Zeitpunkt da, das Mißtrauen zu kodifizieren, sondern dann ist genau der Zeitpunkt gekommen, in dem es auch und vor allem darauf ankommt, den für das Überleben des Staates und des Volkes Verantwortlichen, Parlament und Regierung, die Möglichkeiten zu geben, damit sie das tun können, wofür sie da sind. Da kommen Sie mit Mißtrauen allein - das ein notwendiger Bestandteil der demokratischen Ordnung ist - nicht weiter; da brauchen Sie auch das Vertrauen in die eigene Staatsführung und in das eigene Parlament, daß sie in der Lage sind, diese Sache so zu meistern, wie es notwendig ist.
({3})
- Ich bin an sich fertig, Herr Kollege Rutschke; aber bitte, wenn Sie noch eine Frage stellen wollen, bleibe ich noch ein bißchen hier.
Herr Minister, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich nicht gesagt habe, daß in diesem Verteidigungsfall oder in einem entsprechenden Fall Mißtrauen gesät werden soli, sondern daß bei Abfassung der Verfassungen das Mißtrauen gegen die Inhaber der Macht von jeher, auch historisch gesehen, Grundlage der Verfassungen gewesen ist. So habe ich es gemeint, und ich bitte, das recht zu verstehen.
Ich nehme das gern zur Kenntnis, Herr Kollege Rutschke. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zur Kenntnis nähmen, daß ein solches Instrumentarium natürlich SicheBundesminister Benda
rungen enthalten muß, daß es aber auch funktionieren muß. Sie können natürlich die Gefahren, die sich aus der Bewegung eines Kraftfahrzeuges im Verkehr ergeben, dadurch wirksam beseitigen, daß Sie die Bremsen verdoppeln und den Motor dafür ausbauen.
({0})
Dann ist es relativ verkehrssicher, nur fahren tut es dann nicht mehr, dann verfehlt es seinen Zweck, - und das wollen wir natürlich nicht machen.
({1})
Meine Damen und Herren, nach den Beschlüssen dieses Hohen Hauses werden wir jetzt in die Fragestunde eintreten, diese Debatte also abbrechen. Sie wird morgen vormittag nach der Fragestunde, also gegen 10 Uhr, fortgesetzt werden.
({0})
- Ich bitte die Ordnungskräfte, diese Dame festzunehmen und ihre Personalien festzustellen.
Ich eröffne die
Fragestunde
- Drucksachen V/2904, zu V/2904, V/2914 Wir kommen zunächst zu einer Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, und zwar zu der Dringlichen Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Schmidt ({1}) Drucksache V/2914:
Kann die Bundesregierung eine Erklärung dafür abgeben, daß im Widerspruch zu der in der Fragestunde vom 8. Mai 1968 erfolgten Aussage des Herrn Staatssekretärs im Verteidigungsministerium dennoch seit einiger Zeit bei Einheiten der Bundeswehr auf Anweisung kriegsstarke bewaffnete Einsatzzüge Tag und Nacht in Bereitschaft stehen, um mögliche Übergriffe von Studenten usw. zu verhindern?
Die Antworten der Bundesregierung auf die Zusatzfragen in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 8. Mai stehen nicht im Widerspruch zu den in der Truppe gültigen Weisungen für die Einsatzbereitschaft.
Grundlage für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sind die einschlägigen NATO-Dokumente, wonach jederzeit präsente Streitkräfte verfügbar sein müssen. Insbesondere verlangt die NATO einen Stand der Bereitschaft, der die Durchführung von Alarmmaßnahmen zu jeder Zeit sicherstellt. Hieraus ergibt sich für die Truppe die Verpflichtung, ständig eine dem Auftrag angepaßte Anwesenheitsstärke für Alarmmaßnahmen, Katastrophenfälle und zur Verhütung von Straftaten gegen die Bundeswehr in den Unterkünften aufrechtzuerhalten.
Der Umfang der Einsatzbereitschaft ist von den jeweiligen Verhältnissen bei den einzelnen Truppenteilen abhängig und wird von den zuständigen
Kommandierenden Generalen oder Divisionskommandeuren im einzelnen festgelegt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß im Gegensatz zu mir vorliegenden Informationen und im Widerspruch zu dem, was Sie in der vorigen Woche sagten, keine generellen Anweisungen irgendwelcher Art von höchster Stelle der Bundeswehr an die einzelnen Einheiten ergangen sind?
von Hase, Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung: Es liegen keinerlei generelle Anweisungen der Art vor, wie Sie es in Ihrer Frage formuliert haben: daß kriegsstarke Bereitschaftszüge ständig bereitgehalten werden, um eventuelle Übergriffe von Studenten zu verhindern. Selbstverständlich liegen bei der Bundeswehr Anweisungen vor, um die von der NATO geforderte Anwesenheitsstärke zu erreichen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die von der NATO geforderte Anwesenheitsstärke dahingehend ausgelegt werden muß, daß - nicht im Interesse der Bundeswehr, sondern aus für mich unverständlichen Gründen - in Bereichen, wo Garnisonen weitab von Städten liegen, diese NATO-Präsenz mit solchen kriegsstarken Zügen herbeizuführen ist?
von Hase, Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung: Ich darf zunächst einmal sagen, daß der Begriff „kriegsstarke Züge" auf die Situation der Bundeswehr nicht zutrifft. Das ist ein Begriff aus der Terminologie vor und während des zweiten Weltkriegs. Die Friedens- und die Kriegsstärke eines Zuges z. B. von Grenadieren unterscheiden sich lediglich um einen Kopf. Die Friedensstärke beträgt 37, die Kriegsstärke 38 Mann und ein Kradmelder. Ihre Bezeichnung ist geeignet, eine falsche Vorstellung von dem Bereitschaftsgrad und dem Organisationszustand eines solchen Zuges zu erwecken.
Hinsichtlich der NATO-Forderungen und ihrer Zweckmäßigkeit möchte ich sagen, daß diese Forderungen selbstverständlich in einem gewissen Umfang durch die Bundeswehr erfüllt werden müssen. Ich darf darauf hinweisen, daß wir während der Wochenenden überall den Zustand der fast völlig leeren Kasernen haben. Eine gewisse Anwesenheitsstärke ist aber einfach nötig, um die drei wichtigsten Aufgaben, nämlich die Einsatzbereitschaft, die Hilfe in Katastrophenfällen und die Abwehr von Straftaten gegen die Bundeswehr, die im einzelnen genau in dem Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges festgelegt sind, erfüllen zu können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Fellermaier.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie nochmals fragen - damit Sie das hier im Hohen Hause verdeutlichen können - ob die Präsenz, die sich nach der NATO-Forderung ergibt, eine Präsenz ist, die seit Jahren bei der Bundeswehr üblich ist und die nicht in einer Fragestellung auf aktuelle Anlässe wie beispielsweise die Osterdemonstrationen bezogen werden sollte?
von Hase, Staatssekretär des Bundesministeriums für Verteidigung: Diese Präsenz ist in der NATO seit Jahren gefordert. Ich kann hier sagen, daß wir in der Einhaltung dieser Präsenz etwas gesündigt haben und bisher nicht immer an die von der NATO geforderte Grenze, nämlich Präsenz von einem Drittel der verfügbaren Truppen, gegangen sind. Es ist daher von Zeit zu Zeit notwendig, auf diese Präsenzforderungen hinzuweisen. Sie stehen - ich wiederhole das noch einmal - in keinem Zusammenhang mit aktuellen Vorgängen und stehen vor allen Dingen in gar keinem Zusammenhang mit der Frage irgendeines Eingreifens der Bundeswehr außerhalb ihres Bereichs.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gab es dann Gründe, diese Präsenz gerade zu diesem Zeitpunkt auf die NATO-Norm anzuheben, die, wie Sie selber sagten, zeitweilig etwas vernachlässigt worden ist?
von Hase, Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung: Es gab keinerlei besondere Anlässe für eine derartige Anhebung. Ich darf allerdings darauf hinweisen, daß in der letzten Zeit, was dem Hohen Hause auch bekannt ist, eine Reihe von Munitionsdiebstählen vorgekommen sind, daß Überfälle auf Posten und Wachen vorgekommen sind und daß in Kasernen auch Flugblattaktionen stattgefunden haben.
Keine Zusatzfrage mehr. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, zuerst zur Frage 71 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) :
Entsprechen Nachrichten der Wahrheit, daß bereits ein Referentenentwurf für ausländische Investmentgesellschaften vorliegt?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Arbeiten für den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Vertriebs ausländischer Investmentzertifikate werden um diese Monatswende abgeschlossen werden. Die für dieses Gesetz federführenden Ressorts, nämlich das Bundesministerium für Justiz und das Bundesministerium für Wirtschaft, sind bestrebt, den Entwurf noch vor der Sommerpause dem Kabinett zur Beschlußfassung vorzulegen.
Zweite Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn. Frage 72:
Plant die Bundesregierung eine gesetzliche Regelung der aasländischen Investmentgesellschaften, z. B. durch Änderung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich habe mir erlaubt, Herr Präsident, beide Fragen zusammen zu beantworten.
Sie machen das sehr kurz.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie schon etwas über den Inhalt dieser beabsichtigten Regelung sagen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Diese Regelung wird die Beauftragung eines inländischen verantwortlichen Repräsentanten enthalten, ferner Steuervorschriften sowie gewisse Grundsätze für die Werbung und den Vertrieb der Zertifikate. Des weiteren muß der deutsche Gerichtsstand, die Einschaltung einer Depot-Bank sowie eine inländische Zahlstelle gewährleistet sein. Letztlich wird der Entwurf auch Vorschriften über eine umfangreiche Publizität enthalten.
Damit komme ich zu Frage 73 des Abgeordneten Fritsch ({0}) :
Besteht die Möglichkeit, die Verwendung von Bord- und Pflastersteinen, die im Werte von 800 000 DM in diesem Jahre aus Rumänien eingeführt werden, in Bayern im Interesse insbesondere der ostbayerischen Granitindustrie auszuschließen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es gibt keine Möglichkeit, Bayern als Absatzgebiet bei der Lieferung von Bord- und Pflastersteinen aus Rumänien vollkommen auszuschließen. Wir haben im Bundeswirtschaftsministerium aber die Genehmigung mit der Auflage erteilt, daß die eingeführten Steine nicht in den Regierungsbezirken Oberfranken, Oberpfalz und Niederbayern verwendet werden dürfen. In diesen Gebieten liegen die Zentren der ostbayerischen Granitindustrie. Wir haben also insoweit versucht, den Belangen dieser Industrie so weit als möglich Rechnung zu tragen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Lage der niederbayerischen und auch der übrigen bayerischen Granitindustrie ist Ihnen bekannt. Ich kann daher unterstellen, daß Sie wissen, daß es sich nicht darum dreht, das Verbot der Verwendung ausschließlich auf die Erzeugergebiete zu beschränken, sondern daß das Bedürfnis besteht,
Fritsch ({0})
auch andere Gebiete zu erreichen, in denen deutsche Steine abgesetzt werden, und daß es notwendig ist, das Verbot der Verwendung auf ganz Bayern auszudehnen. Würden Sie nicht der Meinung sein, daß es eine Hilfe für die bayerische und niederbayerische Granitindustrie wäre, wenn diese schon einmal gemachte Konzession der teilweisen Verwendungseinschränkung auf ganz Bayern ausgedehnt würde?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, wir hätten bei einer derartigen Ausnahme selbstverständlich auch die Lage der hessischen Granitindustrie in Rechnung ziehen müssen. Wir hätten ferner daran denken müssen, daß in Niedersachsen die Produktion an Steinen viel stärker zurückgegangen ist als in Bayern. Man muß deshalb bei derartigen Ausnahmen außerordentlich vorsichtig sein. Wir hoffen aber, daß durch die Ausnahme für die genannten drei Gebiete die für die bayerische Granitindustrie erforderliche Absatzerleichterung möglich wird.
Zu einer zweiten Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Fritsch!
Herr Staatssekretär, nachdem von den Vertretern der niederbayerischen Granitindustrie verneint worden ist, daß dadurch eine echte Hilfe zustande käme, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit wären, im Zuge der in Aussicht gestellten Verhandlungen über zukünftige Einfuhren aus Rumänien diese Frage noch einmal zum Gegenstand von Verhandlungen im Wirtschaftsministerium zu machen.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Selbstverständlich wird jeder Wunsch nach einer weiteren Einfuhrgenehmigung zu neuen Verhandlungen führen. Es ist aber das Ziel der Bundesregierung, Herr Kollege Fritsch, den Absatz durch Nachfragebelebung und weitere konjunkturelle Fortschritte so zu sichern, daß es zu keinen Schwierigkeiten aus diesem Grunde kommt.
({0})
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Dr. Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß Unternehmen der betreffenden Granitindustrie in den entsprechenden Gebieten selbst daran beteiligt sind, aus anderen Ländern billige Steine einzuführen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist bekannt, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt das Wirtschaftsministerium diese Tatsache?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Wirtschaft: Es steht jedem frei, zu produzieren und einzuführen, Herr Kollege Müller.
Ich sehe es in Verbindung mit dem Hilferuf.
Sie haben schon zwei Fragen gestellt. Mehr stehen Ihnen nicht zu.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß es richtig wäre, wenn die Bundesregierung die Straßenbauämter wenigstens anwiese, in den eigentlichen Heimatgebieten der Granitindustrie, wie z. B. in Oberfranken, nicht vermehrt Zementbordsteine zu verarbeiten, sondern den Naturstein, der dort vorkommt?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, es sind verschiedene derartige Erinnerungen - auch von den Landesbehörden erfolgt. Selbstverständlich ist das immer auch eine Kostenfrage. Wir können aber aus den Produktions- und Absatzentwicklungen gerade der ostbayerischen Granitindustrie im vierten Quartal des letzten Jahres und auch im ersten Quartal dieses Jahres entnehmen, daß die größten Sorgen dieses Wirtschaftszweiges behoben wurden.
Herr Abgeordneter Ramms!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß wir erhebliche Quoten von diesen Steinen aus Portugal einführen, und sehen Sie vielleicht eine Möglichkeit, diese Quote aus Portugal zugunsten der rumänischen Quote zu drosseln?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, das ist selbstverständlich der Bundesregierung bekannt. Aber es ist ihr auch bekannt, daß die Einfuhren aus Portugal zwischenzeitlich scharf zurückgegangen sind.
({0})
Sie haben die Antwort des Herrn Staatssekretärs in der Fragestunde nicht zu qualifizieren.
Herr Abgeordneter Ott zu einer Zwischenfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie sich wohl denken, welche Gründe für Unternehmer vorliegen, ihre eigenen Anlagen und Einrichtungen stillzulegen und nicht mehr selbst zu produzieren und dafür zu importieren?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es gibt hierfür
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
vielfältige Gründe. Eine Antwort kann immer nur von Fall zu Fall gefunden werden. Wichtig ist in diesem Falle für die Entscheidung der Bundesregierung, ob die generelle Produktions- und Absatzlage der Granitindustrie - jetzt darf ich mir erlauben, zu sagen: nicht nur Bayerns - derartige Einfuhren zuläßt. Im Falle Rumäniens konnten wir diese Frage durchaus mit ja beantworten, zumal gleichzeitig die portugiesischen Einfuhren, wie schon bemerkt worden ist, erheblich zurückgegangen sind.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Situation im Bayerischen Wald deshalb besonders empfindsam ist, weil dort andere Branchen nicht ansässig sind, die einen Beschäftigungsausgleich ermöglichen würden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es ist die Politik der Bundesregierung, genau das zu ändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Könen ({0}).
Herr Staatssekretär, da der Kollege Müller auf Grund der Geschäftsordnung nicht mehr in der Lage war, seine von Ihnen nicht recht verstandene Zusatzfrage zu erläutern, darf ich Sie fragen, ob Sie es nicht für etwas originell halten, daß dieselben Leute, die aus dem Ausland - z. B. aus Portugal - Steine einführen, sich darüber beschweren und Hilfeschreie ausrufen, daß ihre Steine nicht gekauft werden.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Könen, in der Regel sind es nicht dieselben Leute, sondern es sind Mitglieder der gleichen Branche.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Könen ({0}).
Herr Staatssekretär, wollen Sie bestreiten, daß diese Firmen - ihre Inhaber sind Teilhaber sowohl bei den Importfirmen wie auch bei den Firmen in diesem notleidenden Raum - dadurch, daß sie importieren, die Lage wenn nicht ihrer eigenen, so zumindest ihrer mitleidenden bayerischen Betriebe erschweren?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist durchaus möglich, Herr Kollege Könen. Aber wenn eine Einfuhrgenehmigung von der Bundesregierung aus Gründen der Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen mit der Republik Rumänien erteilt wird, dann ist es für die Folgen, die für die betreffenden konkurrenzierten deutschen Wirtschaftszweige entstehen, relativ unerheblich, ob sie nun von einem Importeur der gleichen Branche oder von Importeuren anderer Branchen verursacht werden. Wichtig ist, daß diese Folgen erst gar nicht entstehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hofmann ({0}).
Herr Staatssekretär, wenn alle Abgeordneten sich gegen die Konkurrenz aus dem Ausland und insbesondere aus den Ländern des Ostens wenden würden und wenn die Bundesregierung danach handeln würde, sähen Sie dann noch eine Möglichkeit, überhaupt die Zahlungs- und Handelsbilanzen auszugleichen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Hofmann, ich glaube, die Situation der bayerischen Granitindustrie ist nicht über diesen allgemeinen Kamm zu scheren. Wir müssen uns schon bei weiteren Importerleichterungen Gedanken machen, wie dies auch bei diesem Kontingent geschehen ist. Vor allem muß berücksichtigt werden, ob die Beschäftigungsstruktur dieser Region dies erlaubt. Solange die Umstrukturierung dieses Gebietes, an der uns gelegen ist, noch keine durchgreifenden Fortschritte macht, müssen wir sehr vorsichtig und behutsam vorgehen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hofmann ({0}).
Ich darf unterstellen, daß Sie meine Frage nicht richtig verstanden haben. Ich hatte gefragt, ob es dann noch möglich wäre, wenn alle Abgeordneten bei allen Wirtschaftszweigen so verfahren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Unertl.
Ist das Einfuhrkontingent für rumänischen Granit deswegen eröffnet worden, weil gewisse Kreise, die gerade zitiert worden sind - Importeure -, behaupten, daß die Produktion im Graniterzeugerbereich in Bayern nicht mehr der Marktlage gerecht werde?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das war nicht der Grund, Herr Kollege Unertl. Der Grund war einfach, Rumänien einige zusätzliche Einfuhrmöglichkeiten in die Bundesrepublik Deutschland zu erschließen. Nach unserer Beurteilung der Gesamtlage der Granitindustrie schien uns das ein geeigneter Weg zu sein.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Unertl.
Ist das Kontingent in dieser Größenordnung von rund 800 000 DM so gestaltet, daß der ganze Betrag unbedingt ausgeschöpft werden muß, oder könnte man nicht bei der Verteilung durch ein Hinausziehen über das Jahresende hinweg vielleicht doch die großen Sorgen, die sich in diesem Gebiet wieder auftun, verkleinern?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist nicht beabsichtigt, Herr Kollege Unertl.
Wir kommen nun zur Frage 74, zur ersten Frage des Abgeordneten Baltes:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Schaffung eines deutsch-französischen Wirtschaftszentrums im Raum Saarbrücken-Saargemünd ({0}) der Saar helfen würde, die strukturellen Schwierigkeiten dieser Region teilweise zu überwinden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß die Schaffung eines deutsch-französischen Wirtschaftszentrums mit stark ausgeprägter Großhandelsfunktion im Raum Saarbrücken-Saargemünd sehr wohl dazu beitragen könnte, die strukturellen Schwierigkeiten in diesem Gebiet zu verringern.
Eine Zusatzfrage des Herr Abgeordneten Baltes.
Könnten Sie diese Auffassung der Bundesregierung etwas näher erläutern?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Bundesregierung steht in Verhandlungen mit den Stellen der Landesregierung; sie steht ferner in Fühlungnahme mit der französischen Regierung, und sie ist bereit, im Fall des Vorliegens einer eingehenderen Unterlage zu erwägen, ob eine gemeinsame Studie über dieses Projekt finanziert werden soll.
Wir kommen nun zur nächsten Frage des Herrn Abgeordneten Baltes, zur Frage 75:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Bereitschaft der französischen Regierung, dieses Projekt zu unterstützen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Auf Grund einer Besprechung am 22. Februar in Saarbrücken und Saargemünd hat sich ergeben, daß die französische Regierung der Schaffung eines deutsch-französischen Wirtschaftszentrums durchaus positiv gegenübersteht. An der Besprechung haben Vertreter des Deutschen Bundestages, der französischen Nationalversammlung, des Bundes und des Saarlandes und der zuständige französische Planungskommissar teilgenommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baltes.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die französische Regierung im Rahmen einer Gesamtregionalplanung Lothringens dieses Projekt Cecofa mit einbeziehen möchte?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Der Bundesregierung ist bekannt, daß derartige Überlegungen auf französischer Seite bestehen. Selbstverständlich ist die Bereitschaft zur Unterstützung eines derartigen Projekts auf deutscher Seite an die Domizilierung dieses Projekts im Raum SaarbrückenSaargemünd gebunden.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baltes.
Würde analog der Aufnahme des Cecofa-Projekts in das Strukturprogramm Saar die Zustimmung und Förderung der Bundesregierung ebenfalls gewiß sein?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ja.
Wir kommen zur nächsten Frage des Herrn Abgeordneten Baltes, zur Frage 76:
Unter welchen Voraussetzungen ist die Bundesregierung bereit, sich an den Kosten einer Studie für dieses Projekt zu beteiligen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Praktische Erfahrungen hinsichtlich derartiger Wirtschaftszentren fehlen in Europa. Deshalb ist eine Studie zur Prüfung der sozialökonomischen Voraussetzungen und des tatsächlichen Beteiligungsinteresses der in Betracht kommenden Unternehmen erforderlich.
Wir kommen dann zur Frage 77 des Abgeordneten Peters ({0}) :
Ist die Bundesregierung bereit, für die Bundesausbaugebiete im Land Schleswig-Holstein Regelungen zu treffen, die diese Gebiete in bezug auf steuerliche Abschreibungen und Vergaberichtlinien für öffentliche Aufträge mit dem Zonenrandgebiet des Landes gleichstellen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das Zonenrandgebiet und Berlin ({1}) haben bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und in bezug auf steuerliche Abschreibungen eine besondere Vorzugsstellung. Sie wird diesen Gebieten nicht nur aus Gründen der regionalen Wirtschaftspolitik gewährt, sondern auch zum Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands entstandenen Nachteile. Die gewünschte Erweiterung würde flächenmäßig zu einer Verdoppelung der bevorzugten Gebiete führen; sie würden dann 40 % der Fläche des Bundesgebietes umfassen. Es
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
ist deshalb kaum zu vertreten, die Bevorzugungsregelungen auch auf andere Gebiete, d. h. also auch auf Bundesausbaugebiete oder Bundesausbauorte, auszudehnen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden bei anderen Gebieten, selbst wenn man diese Regelung vornähme, dadurch Benachteiligungen eintreten, und gegebenenfalls in welchen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Selbstverständlich würde sich der Anreizeffekt für die bereits jetzt bevorzugten Gebiete verringern.
Ich komme zur nächsten Frage des gleichen Abgeordneten:
Plant die Bundesregierung eine Rechtsverordnung für die Vergabe öffentlicher Aufträge, nach der anbietende Firmen aus dem Zonenrandgebiet unabhängig von ihrem Angebot in das billigste Angebot einer Firma außerhalb des Zonenrandgebietes eintreten können, um Auftragseigner zu werden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die bestehenden Richtlinien über die Bevorzugung des Zonenrandgebietes und von Berlin ({0}) werden zur Zeit im Wirtschaftsministerium überarbeitet und in Kürze dem Bundeskabinett zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Dabei wird auch zu entscheiden sein, ob den Bewerbern aus dem Zonenrandgebiet und den Bewerbern aus Berlin ({1}) bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die Möglichkeit eingeräumt werden kann, in das wirtschaftlichste Angebot anderer Bewerber außerhalb dieser Gebiete einzutreten.
Die Richtlinien werden übrigens auf Grund einer Anregung dieses Hohen Hauses überarbeitet, das in einem einstimmig vom Plenum verabschiedeten Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen solche Maßnahmen vorgeschlagen hat.
Keine Zusatzfrage. - Dann komme ich zur Frage 79 des Abgeordneten Dr. Giulini.
Soll es in Zukunft Praxis werden, daß in den Tagesnachrichten des Bundesministers für Wirtschaft parteipolitische Aussagen oder Kritiken wiedergegeben werden, so wie es in der Nummer 5705 vom 7. Mai d. J. auf Seite 2 Mitte, Absatz 1 und 2, geschehen ist?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Giulini, die in die Tagesnachrichten des Bundesministeriums für Wirtschaft vom 7. Mai 1968 aufgenommene Meldung über die Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers in Memmingen stammte aus der Deutschen Presseagentur; diese Meldung ist versehentlich in die Tagesnachrichten aufgenommen worden. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat deshalb, um die Berichterstattung über andere als rein wirtschaftliche Vorgänge in den Tagesnachrichten zu vermeiden, an eine entsprechende, schon früher von ihm erteilte Weisung erinnert.
I)ie Fragen 80 und 81 werden im Einverständnis mit. dem Fragesteller schriftlich beantwortet.
Wie hoch sind die Wertguthaben der ehemaligen „Ostbanken", also der Kreditinstitute, die vor 1945 in den deutschen Ostgebieten, im Sudetenland und in Mitteldeutschland ihren Sitz hatten?
Wie sollen diese unter Treuhandschaft stehenden Vermögens werte verwendet werden?
Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich komme zur Frage 82 des Herrn Abgeordneten Weigl:
Wird die Bundesregierung aus der Tatsache, daß die vielfach überschuldeten Gemeinden des Zonenrand- und Bundesausbaugebietes meistens nicht imstande sind, Industriegelände zu erschließen, Folgerungen ziehen?
Herr Staatssekretär, bitte!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Gemeinden in den Bundesausbaugebieten und insbesondere auch im Zonenrandgebiet können für kommunale Projekte Zuschüsse und sehr günstige Darlehen aus den Mitteln des Regionalen Förderungsprogramms der Bundesregierung erhalten. Die Zuschußhöhe ist nicht begrenzt; sie kann mehr als die Hälfte der Kosten betragen. Die Projekte haben unmittelbar der Steigerung der Wirtschaftskraft zu dienen. Wenn die Länder noch weitere Zuschüsse hinzufügen - und das ist häufig der Fall -, kann eine finanziell schwache Gemeinde fast die gesamten Kosten durch Zuschüsse gedeckt bekommen. Dies gilt auch für die Erschließung von Industriegelände; allerdings muß es sich in diesen Fällen um Industriegelände in Gemeinden handeln, die als industrielle Standorte geeignet sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fritsch.
Herr Staatssekretär, wie verhält es sich dann in denjenigen gemeindlichen Bereichen, die durch Fehlen der Raumordnungsvorstellungen und Raumordnungspläne noch keine bestimmten Zielsetzungen hinsichtlich ihrer zukünftigen industriellen Entwicklung erfahren haben?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Dann kann in diesen entsprechenden Orten die Neuerschließung von Industriegelände durch Bundesmittel nicht gefördert werden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Wäre es denn möglich, Herr Staatssekretär, daß - ich denke dabei an das Land Bayern - Überlegungen angestellt werden, wie man das zuständige Land veranlassen kann, alsbald im Rahmen raumordnerischer Vorstellungen dazu beizutragen, daß Gemeinden in den Stand gesetzt werden, auf Grund der ihnen zugedachten Zielsetzung solche Zuschüsse zu beantragen.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär leim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Fritsch, diese Frage kann ich so nicht beantworten. Ich möchte jedoch folgendes sagen: Eine Förderung durch das Regionale Wirtschaftsprogramm hat es auch in Fällen gegeben, in denen noch keine Raumordnungspläne erstellt wurden. Wichtig ist, daß Bundesregierung und Landesregierung die gemeinsame Überzeugung haben, daß es bei der Finanzierung von Industriegelände zu einer lokalen Ballung von neuer industrieller Tätigkeit kommen wird.
Herr Abgeordneter Unertl zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie verhält es sich denn dann in den Gemeinden, die auf Grund des Bundesbaugesetzes hohe Erschließungskosten auf sich genommen haben? Die Baukonjunktur läßt aber jetzt infolge fehlender Mittel im sozialen Wohnungsbau nach. Kann man den Gemeinden wenigstens in Form einer Nachfinanzierung helfen, so daß die Überschuldung tragbar gemacht wird?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Unertl, ich glaube, daß diese Frage nicht mehr im Zusammenhang mit der Erschließung von Industriegelände steht. Ich glaube auch, daß ein anderes Ressort zuständiger für die Beantwortung dieser Frage wäre.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Dr. Imle auf:
Welche Gründe lassen es nicht zu, daß der Autobahnabzweiger, der von der Autobahn Hamburg Flensburg nach Kiel führen soll, bis zu den Olympischen Segelregatten einsatzbereit ist?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, der bisher erreichte Planungsstand für den Bau der Bundesautobahn-Neubaustrecke Hamburg-Flensburg abzweigenden Bundesautobahn-Neubaustrecke Neumünster-Kiel läßt es leider nicht zu, den Streckenabschnitt Blumenthal-Kiel bis zu den olympischen Segelwettbewerben 1972 in Kiel dem Verkehr zu übergeben.
Jedoch wird der Abschnitt von Hamburg bis Neumünster der Bundesautobahn Hamburg-Flensburg lind der Abschnitt von Neumünster bis Blumenthal der Bundesautobahn-Neubaustrecke Neumünster-Kiel bis zu den olympischen Segelwettbewerben in Kiel 1972 durchgehend dem Verkehr zur Verfügung stehen.
Damit kann der zu den olympischen Segelwettbewerben an einigen Tagen zu erwartende zusätzliche Fernverkehr auf der etwa 82 km langen Straßenverbindung zwischen Hamburg und Kiel über Neumünster auf einer Länge von rund 70 km über Bundesautobahnen geführt werden. Lediglich die Zufahrt vom vorläufigen Endpunkt der BundesautobahnNeubaustrecke bei Blumenthal zur Stadt Kiel in einer Länge von 12 km muß über die gut ausgebaute zweispurige B 4 geleitet werden.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr!
Herr Staatssekretär, können Sie mir in diesem Zusammenhang auch noch sagen, wie es mit dem weiteren Ausbau von Neumünster bis Flensburg aussehen wird?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Das kann ich so nicht sagen, weil dazu gewisse Rückfragen bei der Auftragsverwaltung im Lande Schleswig-Holstein nötig sind. Ich kann Ihnen aber sagen, daß nach unserer Auffassung die 12 km, um die es hier konkret geht, durchaus geeignet wären, an diesen Tagen den zusätzlichen Verkehr aufzunehmen. Es ist nach den Auskünften der Auftragsverwaltung leider zur Zeit noch nicht so weit, daß das Planfeststellungsverfahren für die gesamte Strecke eingeleitet werden konnte.
Darüber hinaus muß ich Ihnen mitteilen, daß die Einführung einer Bundesautobahn in einer Großstadt wie Kiel natürlich besondere städteplanerische Arbeiten voraussetzt und daß die Koordinierung mit bestimmten innerstädtischen Verkehrsstraßen notwendig ist. Das alles läßt heute noch nicht eine solche Zusage zu, wie Sie sie auf Grund Ihrer ersten Frage haben möchten.
Keine Zusatzfrage. Dann komme ich zur Frage 53 des Abgeordneten Geldner:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um das Auftreten übermäßiger Lärmbelästigung durch ausländische Schiffe den gleichen Bedingungen zu unterwerfen, denen deutsche Schiffe unterliegen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, bei der Zulassung und Nachuntersuchung der Wasserfahrzeuge durch die Schiffsuntersuchungskommissionen sowie im laufenden Betrieb durch die Wasserschutzpolizei wird auf den Bundeswasserstraßen das Fahrgeräusch überwacht.
Für den Rhein wurden bereits im Jahre 1957 auf Grund gemeinsamer Absprachen der RheinuferStaaten und Belgiens Vorschriften über die Dämpfung der Fahrgeräusche der Rheinschiffe erlassen, denen sämtliche Fahrzeuge, die den Rhein befahren, unterworfen sind. Bei Verstößen wird ohne Rücksicht auf die Nationalität des Fahrzeugs eingeschritten. Die Regelung für den Rhein wirkt sich auf alle Nebenwasserstraßen aus, insbesondere auf Main, Neckar und Mosel, die von Rheinfahrzeugen befahren werden.
Auf den übrigen Bundeswasserstraßen, z. B. den Kanälen sowie der Weser und der Elbe, bestand bislang kein Bedürfnis für den Erlaß von Vorschriften gegen Lärmbelästigungen, so daß die im
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
europäischen Rahmen laufenden Arbeiten des Unterausschusses Binnenschiffahrt des Binnenverkehrsausschusses der Wirtschaftskommission für Europa in Genf abgewartet werden konnten. Nunmehr hat dieser Ausschuß in seiner Entschließung Nr. 11 vom 17. November 1967 alle europäischen Regierungen aufgefordert, seine Empfehlungen über die Dämpfung der Fahrgeräusche anzuwenden. Die Arbeiten an den entsprechenden Verordnungen auf nationaler Ebene sind eingeleitet.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würde das bedeuten, daß die Aussage des Leiters der Bonner Wasserschutzpolizei in der „Bonner Rundschau" vom 4. Mai dieses Jahres nicht zutrifft, daß die deutschen Behörden zwar gegen lautstarke deutsche Schiffe vorgehen können, nicht aber gegen ausländische?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Diese Äußerung ist mir nicht bekannt. Ich werde sie nachprüfen lassen. Sie steht nicht im Einklang mit den Richtlinien und gesetzlichen Grundlagen, die ich soeben genannt habe. Wir werden Sorge dafür tragen, daß, wenn im Einzelfall so verfahren wurde, das in Zukunft nicht mehr vorkommt.
Ich komme damit zur Frage 54 des Abgeordneten Dr. Kempfler:
Wird die Bundesregierung ihren wiederholten Zusagen entsprechend bei Stillegung von Strecken der Deutschen Bundesbahn, namentlich im Bundesausbaugebiet, ausgleichende Maßnahmen, z. B. Verstärkung oder Beschleunigung des Ausbaus von Bundesstraßen, Zuschüsse für andere Straßenbauträger etc., durchführen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, soweit bei Streckenstillegungen der Deutschen Bundesbahn der Ersatzverkehr auf Bundesstraßen abgewickelt werden muß, wird - wenn es notwendig ist - dafür Sorge getragen, daß die betroffenen Straßenabschnitte bevorzugt ausgebaut werden. Im allgemeinen sind die Bundesstraßen jedoch bereits in einem solchen baulichen Zustand, daß sie den aus Stillegungen aufkommenden zusätzlichen Verkehr aufnehmen können. Im übrigen muß immer wieder betont werden, daß die zusätzliche Straßenbelastung nach einer Streckenstillegung relativ gering ist. Die Streckenstillegung erfolgt nämlich nur dort, wo bereits erhebliche Verkehrsverluste der Schiene zugunsten der Straße eingetreten sind.
Soweit Straßen in der Baulast von Gemeinden und Landkreisen den Ersatzverkehr aufnehmen und ausgebaut werden müssen, können Zuschüsse im Rahmen der Bundeszuwendungen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden gewährt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kempfler.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht zweckmäßiger, wenn man gewisse
Zuschüsse in der zuletzt angedeuteten Richtung, nämlich für Gemeinde- und Kreisstraßen, die den Zusatzverkehr aufnehmen, von seiten des Bundes zweckbinden würde, wie sich das schon im ersten Eventualhaushalt andeutet?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, ich glaube, ich muß Ihnen die Vorgeschichte einer Strekkenstillegung etwas erläutern. Sie haben ja eine weitere Frage gestellt, die ebenfalls in diesen Bereich hineinführt. Im Zusammenhang mit einer Strekkenstillegung wird von der zuständigen obersten Landesverkehrsbehörde in allen Fällen darauf hingewiesen, welche Konsequenzen die Stillegung für die betreffende Region hat. Es kommt durchaus vor, daß bestimmte Anmerkungen über die Notwendigkeit des vorfristigen Ausbaus von Straßen gemacht werden, die dann auch im Rahmen der Planungen der Bundesbahn bzw. im Rahmen der Entscheidungen des Bundesministers für Verkehr berücksichtigt werden. Um es konkret zu sagen: wenn eine bestimmte Landesregierung darauf hinweist, daß die für den Ersatzverkehr vorgesehene Straße zur Zeit noch nicht ausgebaut ist, gibt es durchaus Möglichkeiten, sich darüber zu verständigen, bestimmte Stillegungen zurückzustellen, bis die Straße ausgebaut ist. Ich glaube, daß damit Ihren Bedenken Rechnung getragen wird.
Eine Zusatzfrage,
g g, Herr Abgeordneter Lemmrich.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in den Richtlinien für den Verkehrsausbau in den Gemeinden vorgesehen ist, daß für Gemeindestraßen Zuschüsse gegeben werden können, wenn sie den Verkehr für stillzulegende Strecken aufzunehmen haben?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Natürlich ist mir das bekannt, Herr Kollege. Ich habe ja darauf hingewiesen, daß hier die Koordinierung zwischen Bund und Ländern sowie den betroffenen Gemeinden außerordentlich eng ist. Daß in dieser Richtung in der Vergangenheit schon bestimmte Maßnahmen eingeleitet worden sind, haben Sie ja durch Ihre Zusatzfrage soeben bestätigt.
Ich komme zur Frage 55 des Abgeordneten Dr. Kempfler:
Erwägt die Bundesregierung, bei Genehmigung einer Streckenstillegung gleichzeitig mit dem Bescheid auch die im Einzelfall erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen bekanntzugeben?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, wenn im Zusammenhang mit einer Streckenstillegung bei der Deutschen Bundesbahn ausgleichende Straßenbaumaßnahmen erforderlich werden, so wird im Genehmigungserlaß in jedem Falle darauf eingegangen.
Eine Zusatzfrage.
Wird auch auf die Notwendigkeit einer Verbesserung des Straßenverkehrs auf den aufnehmenden Staats-, Kreis- und Gemeindestraßen eingegangen, und in welcher Form?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Ja, das habe ich ja soeben schon ausgeführt, und ich habe auch in der Antwort auf die Zusatzfrage des Herrn Kollegen Lemmrich darauf hingewiesen, daß in jedem Falle auf den Mangel bestimmter Straßen, unabhängig von ihrer Klassifizierung, ob es nun Bundesstraßen, Landesstraßen oder Gemeindestraßen sind, Rücksicht genommen wird. Nur im Falle einer Bundesstraße müssen wir selbst in unserem Haushalt die entsprechenden Konsequenzen ziehen, während im Falle einer Gemeindestraße in Abstimmung mit dem betroffenen Landeben der Titel herangezogen werden kann, auf den Herr Lemmrich Bezug genommen hat, oder aber durch freie Vereinbarung mit der betreffenden Landesregierung der betreffende Landesverkehrshaushalt hier mit in Anspruch genommen werden kann. Das sind aber Fragen, die sich vor der endgültigen Stillegung stellen. Mir ist kein Fall bekannt, bei dem ein Erlaß für die Stilllegung ,einer Strecke erfolgt wäre, ohne daß auf die besonderen Bedingungen der Straße in dem betreffenden Gebiet Rücksicht genommen worden wäre.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch ({0}).
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie trotz der gegebenen Möglichkeit des Ersatzverkehrs die erheblichen Widerstände, die von den betroffenen Orten gegen die Einstellung des Reisezugverkehrs oder überhaupt von Teilstrecken oder Strecken der Bundesbahn geleistet werden?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, die Streckenstillegungen werfen natürlich eine ganze Reihe von Fragen auf. Dabei ist neben verkehrswirtschaftlichen Überlegungen da und dort - ich will nicht sagen: überall - hin und wieder auch Prestigedenken der betreffenden Gemeinden zu spüren. Man benutzt zwar die Bahn nicht mehr in dem Maße wie vor zwanzig Jahren; aber der Verlust des Bahnhofs würde vielleicht eine Einschränkung des Renommees der Gemeinde bedeuten. Solche Fälle sind mir durchaus bekanntgeworden. Ich habe eine Reihe von Bereisungen durchgeführt, bei denen man solche Argumente ebenfalls hören konnte. Ich gebe aber zu, daß es auch schwerwiegende wirtschaftliche Sorgen gibt, die jedoch im Gespräch zwischen allen Beteiligten, insbesondere zwischen der Bundesregierung und der zuständigen Landesregierung, immer ausgeräumt werden können.
Wir kommen zur Frage 56 des Abgeordneten Dr. Kempfler:
Welche Maßnahmen dieser Art sind anläßlich der Stillegung der Strecke Dorfen-Velden vorgesehen ({0})?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, der Ersatzverkehr wird sich auf der Bundesstraße 388 zwischen Taufkirchen und Velden abwickeln. In diesem Abschnitt kann die Bundesstraße 388 den zusätzlichen Verkehr aufnehmen. Zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse soll in den kommenden Jahren die Verlegung der B 388 bei Velden in Angriff genommen werden. Auch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr hat in seiner Stellungnahme zur Einstellung des Reisezugbetriebes auf der Nebenbahnstrecke Dorfen-Velden mit Rücksicht auf die guten Straßenverhältnisse keinen Widerspruch erhoben, sofern der Ersatzverkehr den öffentlichen Verkehrsbedürfnissen voll entspricht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kempfler.
Herr Staatssekretär, kann damit gerechnet werden, daß zusätzlich zu der Umgehung Velden im nächsten Vierjahresplan die Strecke zwischen Taufkirchen und Velden noch einmal in einer anderen Trasse berücksichtigt wird?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, mir ist bekannt, daß Sie sich seit Jahren um den Straßenausbau insbesondere an dieser Bundesstraße bemühen. Ich bin gern bereit, solche Anregungen aufzunehmen, habe aber grundsätzlich festzustellen, daß jede Diskussion über Trassenveränderungen natürlich auch ein ganzes Bündel von Fragen nach sich zieht, so daß eventuell durch die Neueinleitung eines zweiten Planfeststellungsverfahrens eine Verzögerung des Baubeginns zu erwarten ist. Der Bundesverkehrsminister baut am liebsten dort, wo sich die Leute einig sind.
Eine zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, kann damit gerechnet werden, daß im Raum Velden -Taufkirchen wenigstens auf der alten Trasse Ausbauten im Rahmen des vierten Vierjahresplan erfolgen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Das wollen wir mit der bayerischen Auftragsverwaltung gern besprechen. Wenn wir eine Umgehung bauen, muß natürlich abgewogen werden, wie es sich mit den Kosten verhält. Wenn aber hier, wie Sie meinen, bestimmte Schwierigkeiten bestehen, die sich nur durch Zwischenausbau bzw. durch die Korrektur verkehrsgefährdender Stellen beheben lassen, bin ich gern bereit, Ihren Anregungen nachzugehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Unertl.
Herr Staatssekretär, sind Sie, da gerade von der Bundesstraße 388 die Rede ist, bereit, nach Ihrem Besuch in Passau einen Termin zu nennen, zu dem die seit drei Jahren durch einen Erdrutsch unterbrochene Eisenbahnstrecke PassauObernzell-Wegscheid endlich wieder in Betrieb genommen werden kann?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, ich bedauere sehr, daß Sie wegen Ihrer Krankheit nicht die Möglichkeit hatten, an dieser Bereisung teilzunehmen. Ich darf Ihnen sagen, daß nach dieser Bereisung schon Besprechungen mit der Deutschen Bundesbahn stattgefunden haben. Wir sind im Moment, d. h. in dieser Woche, leider noch nicht so weit, daß ich Ihnen einen konkreten Termin nennen könnte, da die Kostenermittlungen, die mir bei der Bereisung von Kreisen der dort kommunalpolitisch verantwortlichen Herren genannt wurden, und diejenigen der Deutschen Bundesbahn sehr voneinander abweichen und es mir darauf ankommt, hier wirklich exakte Zahlen vorweisen zu können.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Unertl.
Herr Staatssekretär, dann darf man auf Grund dieser eben gegebenen Antwort davon ausgehen, daß der jahrelange Streit um das Gutachten und die Zwistigkeiten zwischen den von Ihnen genannten Stellen - Bundesbahndirektion Regensburg und andere - jetzt beendet wird und daß mit einer Stillegung dieser Strecke nicht zu rechnen ist?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, diese Frage hier zu beantworten hieße, in bestimmte gesetzliche Verpflichtungen der Deutschen Bundesbahn einzugreifen. Ich kann Ihnen auf Grund der Gesetzeslage hier leider nicht mit Ja und Nein antworten. Ich kann Ihnen nur das eine sagen: daß ich bei der Bereisung es auch den entsprechenden Herren aus dem Kreis Wegscheid und aus dem Bereich Passau vorgetragen habe: Je mehr sich die Wirtschaft des entsprechenden Gebiets zur Schiene orientiert, um so weniger wird die Bundesbahn an Stillegung denken.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Peters ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, bei ihren verkehrspolitischen Maßnahmen ({1}) die Bundesausbaugebiete des Landes Schleswig-Holstein zu Frachthilfegebieten zu erklären, uni die Westküstenkreise des Landes den Ostküstenkreisen gleichzustellen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, die Bundesregierung sieht im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Veranlassung, die Bundesausbaugebiete des
Landes Schleswig-Holstein, soweit sie außerhalb des Zonenrandgebiets liegen, aus Anlaß der im verkehrspolitischen Programm vorgesehenen Maßnahmen zu Frachthilfegebieten zu erklären. Sollte sich nach Inkrafttreten dieser Maßnahmen dennoch erweisen, daß sie zu unzumutbaren Belastungen für diese Gebiete führen, ist die Bundesregierung zu erneuter Prüfung bereit.
Zu einer Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich darf wohl davon ausgehen, daß Ihnen bekannt ist, daß die Westküstenkreise, um die es sich hier handelt, dadurch, daß sie nicht in das bisherige Frachthilfegebiet einbezogen sind, erhebliche Benachteiligungen hätten, wenn nicht das Land Schleswig-Holstein hier selbst einen Ausgleich geschaffen hätte. Wäre es nicht aus Gleichheitsgründen zweckmäßig, dies gleich vom Bund aus zu regeln?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, ich darf darauf hinweisen, daß es um diese Komplexe ja eine Vordiskussion bei der Beratung des verkehrspolitischen Programms im Bundesrat gegeben hat und daß sich das von Ihnen hier zitierte Gesetz zur Zeit in den Ausschußberatungen des Hohen Hauses be- findet. Ich glaube, es ist nicht nützlich, wenn ich hier jetzt auf bestimmte Maßnahmen Bezug nehme und die Bundesregierung eventuell bitten würde, ehe im Hohen Hause darüber entschieden ist, welche Wirkungen bestimmte Steuergesetze haben sollen.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Was versteht die Bundesregierung konkret unter der Absprache, die der Bundesverkehrsminister am Rende einer Tagung der Verkehrsminister der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg mit dem niederländischen Staatssekretär im Verkehrsministerium getroffen hat, daß die niederländischen Konzessionen im grenzüberschreitenden Verkehr auf der Straße „optimal" genutzt werden sollen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, gelegentlich der letzten EWG-Ratstagung am 29. und 30. April 1968 in Luxemburg hat der Staatssekretär Keyzer den Herrn Bundesverkehrsminister auf die großen Schwierigkeiten angesprochen, die durch die Vereinbarung eines Genehmigungskontingents von 1950 Genehmigungen für die Niederländer entstanden seien. Das vereinbarte Genehmigungsverfahren lasse zur Zeit nach niederländischer Darstellung eine maximale Ausnutzung des Genehmigungskontingents von 1950 Genehmigungen nicht zu. Die Zahl der eingesetzten niederländischen Lastzüge erreiche vielmehr nur die Hälfte des vereinbarten Genehmigungskontingents.
Dazu hat der Herr Bundesverkehrsminister erklärt, daß es bei der vereinbarten Höhe des Genehmigungskontingents und dein vereinbarten neuen Genehmigungsverfahren bleiben müsse. Das schließe nicht aus, daß die niederländischen Behörden oder Stellen, die die deutschen Genehmigungen an nieParlamentarischer Staatssekretär Börner
derländische Unternehmer ausgeben, ihr Ausgabeverfahren so verbessern und rationell gestalten, daß das Genehmigungskontingent durch die niederländische Seite optimal ausgenutzt werden könne.
Zu einer Zusatzfrage bitte.
Ich habe Sie also richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß es von seiten des Bundesverkehrsministers kein zusätzliches Zugeständnis gegenüber den Niederländern gegeben hat?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Nein, es gibt kein zusätzliches Zugeständnis. Es gibt nur die Anregung, hier den Modus innerhalb der Niederlande in der Ausgabe der Genehmigungen so zu gestalten, daß bestimmte Verzögerungen beim Grenzübertritt des betreffenden Fahrzeugs vermieden werden.
Eine zweite Zusatzfrage!
Haben Sie eine Vorstellung, wie dieser niederländische Modus aussehen würde und welche Quanten es an zusätzlichen Einfahrten in die Bundesrepublik bedeuten würde?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Ich gehe davon aus, daß nach dem freien Willen der Partner, die diese Vereinbarung getroffen haben, nicht mehr als 1950 Genehmigungen ausgenutzten werden dürfen, d. h. daß die entsprechende Zahl der Fahrzeuge sich im Bundesgebiet befinden darf. Das ist damals vereinbart worden, übrigens in meiner Gegenwart. Ich hatte den Eindruck, daß das von Herrn Staatssekretär Keyzer seinerzeit im Dezember als eine außerordentlich gute Befriedigung der niederländischen Bedürfnisse empfunden wurde.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Imle.
Herr Staatssekretär, darf ich das so auslegen, daß die Fahrzeuge eines holländischen Unternehmers, wenn sie über die Grenze kommen, dann gleich mit einer erneuten Kontigentsbescheinigung für ein anderes Fahrzeug wieder in die Bundesrepublik einreisen und daß damit eventuell eine Bevorzugung eines holländischen Unternehmers gegenüber einem deutschen besteht?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Nein, Herr Kollege, ich darf darauf verweisen, daß sich die vereinbarte Regelung streng an die von der EWG vorgeschlagene Regelung hält. Die Praxis, die vor dem 1. April üblich war, ist ja im Grunde genommen noch ein Relikt aus der Besatzungszeit. Denn in den Niederlanden wurde darüber entschieden, welche und wie viele Fahrzeuge in Deutschland verkehren durften. Hier ist durch den Herrn Bundesverkehrsminister klargestellt worden, daß die Bundesregierung bestimmt, wieviel Fahrzeuge welchen Landes sich in der Bundesrepublik aufhalten dürfen. Ich glaube, das entspricht auch der Praxis, die das Hohe Haus in seinen verkehrspolitischen Beratungen der letzten Jahre immer vertreten hat.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Imle!
Darf ich es in der Weise präzisieren, Herr Staatssekretär, daß also die Kontingentsbescheinigung von einem Lkw auf den anderen übertragen werden kann, so daß, wenn der eine ausreist, der andere damit wieder einreist?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Ich habe schon in der Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Dr. Apel darauf hingewiesen, daß es darum geht, eventuell das heute durch die Niederlande geübte Verfahren grenznäher abzuwickeln. Das würde einer solchen Möglichkeit entsprechen.
Wir kommen nunmehr zu Frage 79 des Abgeordneten Riegel ({0}) :
Ist die Bundesregierung bereit, die Kosten für die besondere Beleuchtung - auf die erlassenen Richtlinien wird verwiesen -von Fußgängerüberwegen im Zuge von Bundesstraßen zu übernehmen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, Fußgängerüberwege an den in ihrer Baulast liegenden Bundesstraßen zu beleuchten, wenn die Beleuchtung dieser Fußgängerwege aus Gründen der Verkehrssicherheit notwendig ist.
Zur Beurteilung der konkreten Einzelfragen werden zur Zeit von einer Arbeitsgruppe, der Vertreter des Bundes und der Länder angehören, sogenannte Technische Grundsätze für die Anlage und Beleuchtung von Fußgängerüberwegen vorbereitet. Hierbei wird auch die Kostenfrage geregelt werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, erscheint es Ihnen nicht ratsam, auch Vertreter der Städte und Gemeinden ZU diesen Verhandlungen hinzuzuziehen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Das ist beabsichtigt. Wir denken daran, diese Regelung zu vereinheitlichen. Aber Sie wissen ja, daß die Möglichkeit der Einwirkung des Bundesministers für Verkehr hier begrenzt ist. Nur was nachher die einheitliche Kennzeichnung betrifft, die ja im Interesse der Verkehrssicherheit erreicht werden muß, sind wir schon in Verhandlungen mit den Stellen, die Sie eben genannt haben.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Regelung der Kosten ist von allgemeiner Bedeutung. Insbesondere die Gemeinden und Städte, die bisher die Kosten für die technische Einrichtung von Fußgängerüberwegen zu tragen hatten, sind sehr daran interessiert. Werden Sie bitte dann den Mitgliedern des Hauses das Ergebnis der Verhandlungen bekanntgeben!?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Ja, natürlich. Wir werden sicher schon im Zusammenhang mit der Beratung des nächsten Haushalts die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen haben, zumindest für die Bundesfernstraßen.
Wir kommen zu der Frage 60, auch des Abgeordneten Riegel ({0}) :
Ist die Bundesregierung bereit, mit den Bundesländern zu verhandeln, damit diese Kosten für die besondere Beleuchtung von Fußgängerüberwegen im Zuge von Landstraßen gleichfalls übernommen werden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, die in der Antwort zur ersten Frage genannten technischen Grundsätze werden nach ihrer Fertigstellung mit den für den Straßenbau, den Straßenverkehr und die Polizei zuständigen Länderreferenten beraten. Sie werden auch die Verhältnisse auf den Landstraßen - in der Regel also den Staatsstraßen - berücksichtigen. Die Bundesregierung wird ihre Anwendung auch für die nicht in ihrer Baulast stehenden Landesstraßen den Ländern empfehlen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß manche wichtige Beleuchtung von Fußgängerüberwegen unterbleibt, weil die Gemeinden nicht in der Lage sind, die Kosten aufzubringen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, Sie werden mir zugeben, daß die Frage „Was ist wichtig?" ein sehr vielschichtiges Problem aufwirft. Aber ich glaube sicher, daß sich auch in den Gemeinden immer mehr die Auffassung durchsetzen wird, daß diese Art von Beleuchtung der Verkehrssicherheit dient und deshalb auch in den Haushalten der Gemeinden einen gewissen Vorrang gegenüber anderen Aufgaben haben muß.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie Angaben darüber machen, bis wann mit Richtlinien
zu rechnen ist, die auch die Übernahme der Kosten regeln?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Die Richtlinien werden, soweit es um die technische Seite der Angelegenheit geht, sehr schnell fertiggestellt werden können. Die Erörterung der Kostenfrage, die ich vorhin genannt habe, bezieht sich z. B. auf den technischen Standard einer solchen Anlage. Aber ich kann Ihnen heute nicht zusagen, daß der Bund über seine Baulast hinaus hier gewisse indirekte Förderungen dieser Anlagen im gemeindlichen Bereich durch neue Haushaltstitel vornehmen kann. Das würde, wie Sie zugeben werden, die Finanzreform präjudizieren.
Wir kommen damit zur Frage 61 des Abgeordneten Ramms:
Welche Erfahrungen sind der Bundesregierung seit Einführung der Trennscheiken in Taxen und Mietwagen bekanntgeworden?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, die Zahl der Überfälle mit tödlichem Ausgang ist rückläufig. Nach einer Übersicht des Statistischen Bundesamtes waren 1965 sechs, 1966 fünf und 1967 drei tote Taxifahrer zu beklagen. Ob und gegebenenfalls welchen Einfluß die Trennwand dabei hat, läßt sich nicht angeben.
Nach den Beobachtungen im Verkehr dürften gegenwärtig etwa 50 % der in Frage kommenden Fahrzeuge eine Trennwand haben.
Wir kommen zu der ebenfalls von dem Abgeordneten Ramms gestellten Frage 62:
Ist die Bundesregierung von dem Widerstand des Kraftdroschkengewerbes unterrichtet, der seinen Grund in vielen schweren Unfällen hat?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, der Widerstand des Kraftdroschkengewerbes gegen die Trennwandverordnung ist der Bundesregierung bekannt. Über Art und Zahl der angeblich durch die Trennwand verursachten Unfälle liegen der Bundesregierung Unterlagen nicht vor. Wenn wirklich z. B. bei plötzlichem Bremsen oder bei Verkehrsunfällen für die Insassen Gefahren von der Trennwand ausgehen, so dürften sie ,etwa die gleichen sein wie in anderen Fahrzeugen für den Beifahrer hinter der Windschutzscheibe. Deshalb ist ja auch zu beobachten, daß in den Taxis Hinweise auf die Sicherheitsgurte gegeben werden.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß durch den Einbau der Trennscheibe eine erhebliche Platzminderung in den betreffenden Taxis stattgefunden hat?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Ich würde nicht sagen, daß eine erhebliche Platzminderung stattgefunden hat, aber es ist zuzugeben, Herr Kollege, daß bisher nicht alle vom Taxigewerbe benutzten Typen den
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Einbau der Trennwand so überstehen, daß der verbleibende Raum sich in den Grenzen hält, die man als Kunde dieser Unternehmen normalerweise gewohnt ist. Als richtige Konsequenz daraus würde ich es aber nicht ansehen, die Trennwand wieder abzuschaffen, sondern Fahrzeuge anzuschaffen, die den Kunden der Taxiunternehmen auch einen gewissen Fahrkomfort sichern, und nicht solche, in die sie mit dem Schuhanzieher einsteigen müssen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ramms.
Ich darf auf Ihre letzte Antwort zurückkommen, Herr Staatssekretär. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß mit der Trennscheibe und der Anschaffung von größeren Wagen erhebliche Mehrkosten auf das Taxigewerbe zukommen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, ich kann nur sagen, daß die Einnahmen bzw. die Gewinne dieses Gewerbes von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich sind.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Freyh.
Herr Staatssekretär, gibt es eine generelle Regelung für die Haftung bei Nicht-anlegen der Sicherheitsgurte?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Die gibt es generell nicht. Ich habe ja auch gesagt, daß es sich um einen Hinweis handelt, so daß es jedem freisteht, das zu tun. Ich würde es aber für nützlich halten, sich auch im Stadtverkehr anzuschnallen.
Ich komme zur Frage 63 des Abgeordneten Ramms:
Ist die Bundesregierung bet eit, den Auslauftermin für die Einführung der Trennscheiben vom 30. Juni 1968 auf den 30. Juni 1969 zu verschieben?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, die Bundesregierung ist in Übereinstimmung mit den zuständigen Länderbehörden nicht bereit, den Auslauftermin zu verlängern. Die Fristen sind durch die Verordnung vom 6. Januar 1966 ausreichend bemessen worden. Im übrigen wäre eine Terminverschiebung auch mit Rücksicht auf die Fahrzeughalter, die die Trennwand eingebaut haben, nicht zu vertreten.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Darf ich Ihre letzte Antwort so verstehen, Herr Staatssekretär, daß Nachrichten, die in Berlin in Umlauf sind, wonach zum 1. Januar 1969 mit einer Lockerung zu rechnen ist, nicht richtig sind?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Ich kann solche Nachrichten nicht bestätigen. Der Bundesverkehrsminister und die Bundesregierung sind auch nicht bereit, hier nachzugeben, weil damit die ganze Angelegenheit wieder ins Rutschen käme. Sie wissen ja, daß wir uns zu dieser Maßnahme nach langen Diskussionen und auf Grund von sehr schwerwiegenden Vorfällen in den letzten Jahren entschlossen haben.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, der Frage 1 des Abgeordneten Dr. Lohmar:
Welche Folgerungen gedenkt die Bundesregierung aus dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 7. Mai 1968 zu ziehen, die Zuständigkeiten der Bundesregierung in der Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der technologischen Entwicklung, der Ausbildungsförderung und der Bildungsplanung im Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung zu konzentrieren?
Ich darf bitten, Herr Staatssekretär.
Freiherr von und zu Guttenberg, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege Lohmar, welche Folgerungen der Bundeskanzler im Rahmen seiner Organisationsgewalt für die Bundesregierung aus dem Beschluß des Deutschen Bundestages ziehen wird, kann heute, zwei Tage nach dem Eingang des Beschlusses des Bundestages, noch nicht gesagt werden. Entsprechend der ständigen Übung bei derartigen Fragen werden die beteiligten Ressorts zunächst ausreichend Gelegenheit zu einer Prüfung und Stellungnahme erhalten müssen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lohmar.
Herr Staatssekretär, erlauben Sie mir die Anmerkung, daß ich diese Antwort beinahe erwartet habe, und die zusätzliche Frage, bis wann sich die Bundesregierung in der Lage sehen wird, dem Bundestag eine verbindliche Antwort auf sein Petitum zu unterbreiten.
Freiherr von und zu Guttenberg, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Ich bitte um Verständnis, wenn ich Ihnen darauf antworten muß, daß ich hierfür keine dead-line nennen kann. Ich kann Ihnen nur antworten, daß der Herr Bundeskanzler selbstverständlich mit dem gebührenden Nachdruck die Ressorts auffordern wird, die entsprechenden Stellungnahmen vorzulegen.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lohmar.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß der Bundesregierung bekannt war, daß der federführende Ausschuß dieses Parlaments im März dieses Jahres, also schon einige Zeit zurückliegend, einen gleichlautenden Beschluß gefaßt hat, den sich das Plenum jetzt zu eigen
gemacht hat, so daß die Bundesregierung eigentlich Zeit genug gehabt hätte, sich auf die Beantwortung dieser Frage vorzubereiten?
Freiherr von und zu Guttenberg, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Ich erlaube mir, darauf zu antworten, Herr Kollege Lohmar, daß die Bundesregierung ihrerseits seit einiger Zeit erwägt, die Organisationsform der gesamten Regierung zu überprüfen. Die Gebiete der Technologie, der Bildungsplanung, der Wissenschaft usw. sind hierin selbstverständlich eingeschlossen, müssen aber koordiniert werden mit den anderen von der Bundesregierung in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es erfreulich ist, daß der Deutsche Bundestag beschlossen hat, daß hier eine Konzentrierung einer großen Aufgabe in einem Hause vorgenommen werden soll?
Freiherr von und zu Guttenberg, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Die Konzentrierung dieser Aufgaben ist ganz gewiß e i n Element, um diese Aufgaben möglichst effektiv erfüllen zu können; aber ich glaube nicht, daß es das einzige Element ist.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans.
Halten Sie diesen Beschluß über die Konzentrierung nicht für einen Erfolg für die weitere Arbeit im Hause des Wissenschaftsministers?
Freiherr von und zu Guttenberg, Parlamentarischer Staatssekretär heim Bundeskanzler: Sicherlich ist dieser Beschluß des Bundestages geeignet, die entsprechenden Aktivitäten der Bundesregierung zu beschleunigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling.
Herr Staatssekretär, da der Beschluß des zuständigen Ausschusses
als Bundestagsdrucksache bereits seit über vierzehn Tagen bekannt ist und da dem Herrn Familienminister durch diesen Beschluß die wichtige Zuständigkeit für die Ausbildungsbeihilfen genommen werden soll, darf ich Sie fragen, ob seitens des Herrn Familienministers schon irgendwelche Einwendungen gegen diese Wegnahme einer seiner wichtigsten Zuständigkeiten erhoben worden sind.
Freiherr von und zu Guttenberg, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Es liegt noch keine offizielle Äußerung des Herrn Familienministers vor. Aber selbstverständlich wird der Herr Bundeskanzler die hierzu zu erwartenden Äußerungen des Herrn Bundesfamilienministers mit gebührender Sorgfalt zur Kenntnis nehmen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Freyh.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie in derselben Richtung fragen, allerdings allgemeiner. Da es sich ja um verschiedene Ressorts handelt, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bereits Empfehlungen oder Äußerungen anderer Ressorts, die von dieser Zusammenfassung betroffen werden, vorliegen.
Freiherr von und zu Guttenberg, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Ich sagte schon, Frau Kollegin, daß es notwendig sein wird, alle hier in Betracht kommenden Ressorts zu bitten, ihre Meinungen dem Bundeskanzleramt mitzuteilen. Ich habe vorhin auch gesagt, daß es nach meiner Auffassung nicht nur das Mittel der Konzentration gibt, um die hier in Frage stehenden Gebiete effektiver bearbeiten zu können. Man wird also wahrscheinlich auch hier abwägen müssen, inwieweit eine Konzentration möglich und zur Bewältigung der gestellten Aufgaben richtig ist.
Wir stehen am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 16. Mai 1968, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.