Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich die Glückwünsche des Hauses zu Geburtstagen aus: dem Herrn Abgeordneten Könen ({0}) zum 60. Geburtstag am 8. April,
({1})
dem Herrn Abgeordneten Stooß zum 72. Geburtstag am 14. April,
({2})
dem Herrn Abgeordneten Blöcker zum 70. Geburtstag am 17. April,
({3})
dem Herrn Abgeordneten Diekmann zum 71. Geburtstag am 19. April,
({4})
dem Herrn Abgeordneten Stein ({5}) zum 65. Geburtstag am 19. April,
({6})
dem Herrn Abgeordneten Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller zum 65. Geburtstag am 26. April,
({7})
dem Herrn Abgeordneten Paul zum 71. Geburtstag am 27. April,
({8})
dem Herrn Abgeordneten Lemmer zum 70. Geburtstag am 28. April.
({9})
Meine Damen und Herren, es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Vorlage des Bundeskanzlers
Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften ({10})
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 22. Februar und 28. April 1967
- Drucksache V/2774 - zuständig: Auswärtiger Ausschuß
Vorlage des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
Betr.: Halbjahresbericht der Bundesregierung über die Tätigkeit der Westeuropäischen Union
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 22. Februar und 28. April 1967
- Drucksache V/2798 zuständig: Auswärtiger Ausschuß
Vorlage des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
Betr.: Halbjahresbericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 22. Februar und 28. April 1967
- Drucksache V/2799 zuständig: Auswärtiger Ausschuß Vorlage des Bundeskanzlers
Betr.: Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit im Jahre 1967 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet
Bezug: § 50 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
- Drucksache V/2841 zuständig: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandstragen Vorlage des Bundesministers für Verkehr
Betr.: Verkehrswegeplan für die Bundesausbaugebiete
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 30. Juni 1965
- Drucksache V/2751 zuständig: Verkehrsausschuß ({11}), Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen, Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen
Ich unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist. - Es ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. bzw. 26. April 1968 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz zu dem Protokoll vom 17. November 1965 zur Änderung des Artikels 4 des Abkommens vom 22. November 1928 über Internationale Ausstellungen in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 10. Mai 1948
Gesetz zu dem Protokoll Nr. 4 vom 16. September 1963 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte- und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind
Gesetz zu dem Abkommen vom 21. März 1967 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 25. April 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Soziale Sicherheit und zur Ergänzung der Zusatzvereinbarung vom 28. März 1962 zu dem Abkommen über Soziale Sicherheit
Gesetz zu dem Abkommen vom 6. November 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik über Soziale Sicherheit
Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes Gesetz über eine Holzstatistik
Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes ({12})
und des Gesetzes über das Luftfahrt-Bundesamt ({13})
Gesetz zur Änderung des Titels IV der Gewerbeordnung
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Zweites Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Schiffsbankgesetzes
Gesetz über eine Statistik des Personals, der Dienstbezüge, Vergütungen und Löhne im öffentlichen Dienst
Zehntes Gesetz zur Änderung des Zollgesetzes Zweites Gesetz zur Änderung des Biersteuergesetzes
Gesetz über die Gewährung einer einmaligen Umsatzsteuervergütung für Presseunternehmen
Bundes-Apothekerordnung
Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen vom 2. Dezember 1961 zum Schutz von Pflanzenzüchtungen
Gesetz über die Erhebung von Kosten beim Bundessortenamt sowie über die Gebühren des Patentgerichts in Sortenschutzsachen
Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten ({14})
Gesetz über den Verkehr mit Saatgut ({15})
Bundeswaffengesetz
Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete
Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1968 ({16})
Zum
Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete
Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1968 ({17})
hat der Bundesrat ferner Entschließungen gefaßt, die als Anlagen 2 und 3 diesem Protokoll beigefügt sind.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. bzw. 26. April 1968 beschlossen, hinsichtlich des
Gesetzes über eine Statistik der Einkommen- und Körperschaftsteuererklärungen
Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten ({18})
Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ({19})
zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes einberufen wird. Seine Schreiben sind als Drucksachen V/2829, V/2856 und V/2857 verteilt.
Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 4. April 1968 mitgeteilt, daß die Bundesregierung beschlossen hat, zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß zum Gesetz über technische Arbeitsmittel gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2821 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern hat am 4. April 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Moersch, Kubitza, Mertes und der Fraktion der FDP betr. Fernlehrinstitute - Drucksache V/2651 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2831 verteilt.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 10. April 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Befreiungsmöglichkeiten für deutsche Akademiker im Ausland von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach der Rückkehr In die Bundesrepublik Deutschland - Drucksache V/2664 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2836 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers des Auswärtigen hat am 8. April 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Atomwaffensperrvertrag - Drucksache V/2750 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2839 verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat am 5. April 1968 die Nr. 3 a der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt ({20}), Bading, Mertes und Genossen betr. Beseitigung von Altölen - Drucksache V/869 -- beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2830 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft hat am 17. April 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kühn ({21}), Burgemeister, Schlager, Dr. Götz und Genossen betr. Auftragserteilung im Zonenrandgebiet - Drucksache V/2785 - beantwortet. Sein Schreiben ist als DruCksache V/2846 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers des Auswärtigen hat am 16. April 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dichgans, Dr. Mommer und Genossen betr. Europäische Abkommen - Drucksache V/2775 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2847 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern hat am 22. April 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Erhard ({22}), Picard, Stahlberg und Genossen betr. Ortsklassenverzeichnis - Drucksache V/2824 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2853 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 131/67/EWG hinsichtlich der bei der Bestimmung der abgeleiteten Interventionspreise für Getreide zu berücksichtigenden Transportkosten
- Drucksache V/2794 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April erfolgen wird
Verordnung des Rates zur Festlegung der wesentlichsten Handelsplätze für Getreide und der für diese Handelsplätze geltenden abgeleiteten Interventionspreise sowie des Interventionspreises für Mais für das Wirtschaftsjahr 1968/1969 - Drucksache V/2795 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April erfolgen wird
Verordnung des Rates über die Regelung für Getreidemischfuttermittel
- Drucksache V/2808 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April/Mai erfolgen wird
Verordnung des Rates mit ergänzenden Bestimmungen für die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik
- Drucksache V/2809 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai erfolgen wird
Verordnung des Rates zur Festsetzung der Kriterien für die Ermittlung des Weltmarktpreises für Erdnüsse, Kopra, Palmnüsse und Palmkerne sowie Palmöl
- Drucksache V/2810 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April/Mai erfolgen wird
Verordnung des Rates über die Grundregeln für die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Rindfleisch und über die Kriterien für die Festsetzung des Erstattungsbetrags
- Drucksache V/2811
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April/Mai erfolgen wird
Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden
Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbedienten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden
- Drucksache V/2812 überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich ire Mai/Juni erfolgen wird
Entwurf eines zweiten Programms für die mittelfristige Wirtschaftspolitik
- Drucksache V/2842 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend - sowie .an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Arbeit und den Haushaltsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die frühestens im Juni erfolgen wird
Richtlinie des Rates über die Harmonisierung der Rechts-und Verwaltungsvorschriften über Freizonen
- Drucksache V/2843 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai/Juni erfolgen wird
Richtlinie des Rates über die Harmonisierung der Rechts-und Verwaltungsvorschriften für den aktiven Veredelungsverkehr
- Drucksache V/2844 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend - und den Haushaltsausschuß - mitbePräsident D. Dr. Gerstenmaier
ratend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor
der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai/Juni erfolgen wird
Verordnung des Rates über das gemeinschaftliche Versandverfahren
- Drucksache V/2852 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend - sowie an den Verkehrsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai/Juni erfolgen wird
Verordnung des Rates über Lagerverträge für Olivenol - Drucksache V/2851 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - sowie an den Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai erfolgen wird
Verordnung des Rates zur Berichtigung der deutschen und niederländischen Fassung der Verordnung Nr. 128/67/EWG und Nr. 130/67/EWG hinsichtlich der Bezeichnung bestimmter Getreidearten
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden
Verordnung des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln für Interventionen durch den Kauf von Zucker
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden
Verordnung des Rates über die Bestimmung der Standardqualität für Rohzucker und des Grenzübergangsortes für die Berechnung der cif-Preise für Zucker
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden
Verordnung ({23}) Nr. 355/68 des Rates vom 27. März 1968 über Übergangsmaßnahmen für den Zeitraum vom 1. April 1968 bis zum Beginn der Anwendung des Systems der gemeinsamen Preise für Milch und Milcherzeugnisse
Verordnung ({24}) Nr. 356/68 des Rates vom 27. März 1968 über abweichende Maßnahmen für Rindfleisch für den Zeitraum vom 1. April 1968 bis 31. Mai 1968
überwiesen an den Ausschuß für .Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnungen erhoben werden
Verordnung ({25}) Nr. 437/68 des Rates vom 9. April 1968 zur Änderung der Verordnung Nr. 111/64/EWG in bezug auf die bei der Einfuhr bestimmter Milcherzeugnisse zu erhebenden Abschöpfungsbeträge
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Zu den in der Fragestunde der 167. Sitzung des Deutschen Bundestages am 4. April 1968 gestellten Fragen des Abgeordneten Dr. Lenz ({26}), Drucksache V/2793 Nrn. 93, 94 und 95 *), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 4. April 1968 eingegangen. Sie lautet:
Die Bundesregierung dankt für diesen, ihr neuen Hinweis. Sie wird dieser speziellen Information nachgehen.
Die Gesamtlage auf dem Markt für Holzkleiderbügel ist der Bundesregierung selbstverständlich bekannt. Die Bezüge aus Mitteldeutschland beliefen sich im Jahre 1966 auf 1,9 % und im Jahre 1967 auf 1,3 % der westdeutschen Produktion. Diese Bezugsquoten deuten nicht auf eine ernste Gefahr für die heimischen Hersteller hin.
Sollten jedoch einzelne Kontrakte zu extrem niedrigen Preisen
abgeschlossen werden, so haben die Produzenten im Bundesgebiet die Möglichkeit, die Einleitung eines Preisprüfungsverfahrensbeim Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft, Frankfurt/Main, zu beantragen.
Wir kommen dann zur Tagesordnung. Einziger Punkt der Tagesordnung:
Bericht der Bundesregierung zur innenpolitischen Situation.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern. *) Siehe 167. Sitzung, Seite 8795 A
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag erwartet heute von der Bundesregierung einen Bericht zur innenpolitischen Situation. Hierbei kann es sich nicht allein um einen Polizeibericht handeln. Wenn Gewaltakte zu Mitteln des politischen Kampfes werden, dann wird ja nicht nur die öffentliche Ordnung im polizeilichen Sinne betroffen.
Wir haben nun schon seit einem Jahr eine Eskalation des Irrsinns erlebt. Der Tod von Benno Ohnesorg, der verbrecherische Mordanschlag auf Dutschke, das sinnlose Sterben von Frings und Schreck sind die traurigen Markierungen dieses Irrweges.
Der Staat muß sich natürlich Gedanken darüber machen, wie er eine Wiederholung derartiger Vorgänge verhindern kann. Aber nicht nur die öffentliche Ordnung ist in erster Linie in Gefahr. Ruhe und Ordnung können mit polizeilichen Mitteln wiederhergestellt werden. Würde dieser Irrweg fortgesetzt, so müßte aber die verfassungsmäßige Ordnung dieses Staates Schaden nehmen. Wir verstehen die Bundesrepublik Deutschland nach der Entscheidung unseres Grundgesetzes als freiheitlichen Rechtsstaat und als parlamentarische Demokratie. Diese Entscheidung bestimmt mit verbindlicher Kraft für jedermann das Zusammenleben in einer menschlichen Gemeinschaft. Die Gesellschaft, auch unsere Gesellschaft, ist weder heute frei von Konflikten, noch wird sie es jemals sein. Aber wir haben den Auftrag, die Chance und auch die Zuversicht, daß wir solche unvermeidlichen Konflikte mit den Mitteln des Rechts und der freien Auseinandersetzung bewältigen können; wir brauchen sie nicht zu scheuen.
({0})
Sie sind notwendige, sogar begrüßenswerte Teile einer Entwicklung, die nicht in ängstlicher Konservierung des Bestehenden verharrt, sondern sich den Möglichkeiten wie den Gefahren der Zukunft stellt.
Das Grundgesetz versteht die verfassungsmäßige Ordnung als eine freiheitlich-demokratische und rechtsstaatlich-soziale Ordnung. Dabei geht es nicht von einer romantisierenden Vorstellung aus, welche die einmal bestehenden Verhältnisse für schlechthin ideal hält. Vielmehr nimmt die freiheitlich-demokratische Ordnung „die bestehenden, historisch gewordenen staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und die Denk- und Verhaltensweisen der Menschen zunächst als gegeben hin. Sie sanktioniert sie weder schlechthin, noch lehnt sie sie grundsätzlich und im ganzen ab; sie geht vielmehr davon aus, daß sie verbesserungsfähig und -bedürftig sind". So äußert sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Verbotsurteil gegen die Kommunistische Partei.
Jeder Staatsbürger, jede politische und soziale Gruppe ist daher berechtigt, ja sogar verpflichtet, wirkliche oder vermeintliche Mißstände anzusprechen. Sie alle sollen und dürfen auf die Änderung der von ihnen für falsch gehaltenen Verhältnisse drängen. Weder die Diskussion noch die kämpferische Auseinandersetzung hierüber verstößt gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Demokra8990
tie, erst recht parlamentarische Demokratie, setzt vielmehr solche Diskussion und solche Auseinandersetzung voraus. Dies gilt ebenso für das Parlament selbst. Sein Lebenselement, sein eigentliches Wesen ist die freimütige und kämpferische Erörterung aller Fragen von öffentlichem Interesse.
Bildet sich eine leidenschaftliche außerparlamentarische Diskussion, so kann dies darauf hindeuten, daß das Parlament drängende Fragen nicht oder nicht genügend oder nicht freimütig genug behandelt hat. Daß die bestehenden Verhältnisse oder die Denk- oder Verhaltensweisen der Menschen von einzelnen oder von Gruppen kritisiert werden, kann daher für sich niemals ein Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung sein.
Die Kritik mag oft leidenschaftlich, auch polemisch und ungerecht sein. Sie ist dies vor allem bei den jüngeren Menschen, die ja den heute erreichten Zustand nicht mit dem Chaos zu vergleichen vermögen, das am Beginn des staatlichen Neuanfangs stand. Aber diese Kritik gehört zu den Elementen, die den freiheitlichen Staat ausmachen.
Es ist dann aber entscheidend, wie sich der Kampf der Meinungen und Interessen vollzieht. Das Bundesverfassungsgericht fährt an der erwähnten Stelle fort:
Was jeweils praktisch zu geschehen hat, wird also in ständiger Auseinandersetzung aller an der Gestaltung des sozialen Lebens beteiligten Menschen und Gruppen ermittelt. Dieses Ringen spitzt sich zu einem Kampf um die politische Macht im Staat zu. Aber es erschöpft sich nicht darin. Im Ringen um die Macht spielt sich gleichzeitig ein Prozeß der Klärung und Wandlung dieser Vorstellung ab. Die schließlich erreichten Entscheidungen werden gewiß stets mehr den Wünschen und Interessen der einen oder anderen Gruppe oder sozialen Schicht entsprechen; die Tendenz der Ordnung und die in ihr angelegte Möglichkeit der freien Auseinandersetzung zwischen allen realen und geistigen Kräften wirkt aber ... in Richtung auf Ausgleich und Schonung der Interessen aller.
So weit das Zitat des Bundesverfassungsgerichts.
Die verfassungsmäßige Ordnung setzt also zugleich die freie Auseinandersetzung und die Ordnung voraus, in der allein eine wirkliche freie Auseinandersetzung möglich ist.
({1})
Das Ziel darf weder Klassenkampf noch Revolution sein,
({2})
sondern „Ausgleich. und Schonung der Interessen aller", mithin der Versuch, zu konkreten Reformen zu kommen, wo sie notwendig sind, aber im Rahmen der Ordnung und mit den Mitteln des Rechts. Dies schließt Gewalt in jeder Form und gegen jedermann aus.
({3})
Die Vorgänge in unserem Lande seit dem 11. April 1968 lassen erkennen, daß diese Maßstäbe einigen kleinen, radikalen Gruppen verlorengegangen sind.
Diese Gruppen mißachten bewußt Gesetz und Recht, und sie setzen an deren Stelle die Mittel der Gewalt.
Der äußere Ablauf der Geschehnisse seit dem 11. April ist Ihnen allen bekannt; ich muß ihn hier nicht wiederholen. Meine zusammenfassende Darstellung soll versuchen, eine vorläufige Bilanz zu ziehen und die Erörterung der Konsequenzen vorzubereiten, die sich hieraus ergeben.
Seit dem Attentat auf Dutschke fanden zahlreiche friedliche Demonstrationen statt, zugleich aber auch Aktionen mit Gewaltanwendung, deren Ziel im wesentlichen Einrichtungen des Verlagshauses Springer waren. Nach den mir von den Herren Innenministern der Länder gemachten Angaben fanden in diesen fünf Tagen jeweils in bis. zu 27 Städten Demonstrationen statt. In insgesamt 26 Fällen, also etwa einem Fünftel, waren sie mit Ausschreitungen, Gewaltakten oder schwerwiegenden Rechtsverletzungen verbunden. An den einzelnen Tagen waren an Demonstrationen im Bundesgebiet jeweils zwischen 5000 und 18 000 Personen beteiligt - die Teilnehmer der Ostermärsche sind hier nicht eingerechnet -; an Demonstrationen mit Ausschreitungen beteiligten sich jeweils zwischen 4000 und 11 000 Personen.
Es ist also deutlich zu unterscheiden zwischen den Aktionen radikaler Gruppen und den friedlichen Demonstrationen.
({4})
Umfang und Grenzen des Demonstrationsrechts ergeben sich unmittelbar aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Die Demonstration als eine Form der kollektiven Meinungskundgabe gibt dem Staatsbürger die Möglichkeit, seine politische Auffassung nach außen hin zur Geltung zu bringen. Dieses unbestrittene Recht entbindet die Versammlungsteilnehmer aber nicht davon, die allgemeinverbindlichen Gesetze zu achten.
({5})
Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge dürfen nicht unmittelbar die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden.
Wer von °seinem Demonstrationsrecht, also einem Grundrecht, Gebrauch macht, der muß in -gleicher Weise die Grundrechte anderer und die Rechte der Allgemeinheit achten.
({6})
Die Behauptung, daß die Versammlungs- oder Demonstrationsfreiheit gegenüber anderen Grundfreiheiten den Vorrang habe, findet im Grundgesetz keine Stütze. Diejenigen Aktionen während der Ostertage, die mit Zuwiderhandlungen gegen allgemeine und für jedermann verbindliche Strafvorschriften verbunden waren, sind durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Der
I Umfang der begangenen Ausschreitungen ergibt sich aus der Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren.
Nach den von den Herren Innenministern der Länder mitgeteilten Zahlen ist inzwischen gegen insgesamt 827 Beschuldigte ein polizeiliches ErmittBundesminister Benda
lungsverfahren eingeleitet worden. Diese Verfahren werden der Staatsanwaltschaft zugeleitet; es kann natürlich heute nicht gesagt werden, in wie vielen Fällen Anklage erhoben werden wird oder Verurteilungen erfolgen werden.
Die eingeleiteten polizeilichen Ermittlungsverfahren - insgesamt also gegen 827 Beschuldigte - betreffen in 331 Fällen Verstöße gegen § 116 des Strafgesetzbuchs ({7}), in 33 Fällen Verfahren wegen Aufruhrs ({8}), in 215 Fällen wegen Landfriedensbruchs ({9}), in 105 Fällen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt ({10}), in 276 Fällen sonstige Straftaten wie Sachbeschädigung, Brandstiftung, Körperverletzung und ähnliche Delikte.
Dies sind insgesamt 960 Ermittlungsverfahren; die Differenz zu der bereits genannten Zahl von Verfahren gegen 827 Personen erklärt sich daraus, daß gegen einen Teil der Beschuldigten Verfahren wegen mehrerer Straftaten eingeleitet worden sind.
Von den Beschuldigten sind 87 bis zu 18 Jahren alt, 210 zwischen 19 und 21 Jahren, 246 zwischen 22 und 25 Jahren; 286 Personen sind älter als 25 Jahre. Nach Berufen aufgegliedert, ergibt sich folgendes Bild: 92 sind Schüler, 286 Studenten, 185 Angestellte, 150 Arbeiter, 31 sonstige Berufe, 97 ohne Beruf, unbekannt ist der Beruf bei 26 Personen.
Meine Damen und Herren, diese Aufgliederung scheint mir zu zeigen, wie falsch es wäre, die Gewaltaktionen als Studentenunruhen zu bezeichnen.
({11})
Neben militanten Studentenorganisationen, insbesondere dem SDS, waren andere Personen auch höheren Lebensalters beteiligt, deren Verhalten keinesfalls den Studenten zugerechnet werden kann. Es wäre falsch und ungerecht, die große Mehrheit der Studenten für das Verhalten einer kleinen Gruppe veranwortlich zu machen.
({12})
In München haben die Aktionen einer radikalen Minderheit zwei Todesopfer gefordert. Als bisher einzige der an den Aktionen beteiligten Gruppen hat der Liberale Studentenbund seine Mitverantwortung für diesen sinnlosen Tod öffentlich anerkannt. Der 2. Vorsitzende des SDS, Frank Wolff, hat zwar sein Bedauern über den Tod des Journalisten Frings ausgesprochen, aber zugleich erklärt, daß man jetzt „auch nicht rührselig werden" dürfe.
({13})
Herr Mahler, der als Beruf Rechtsanwalt angibt, hat nach Bekanntwerden des Todes von Frings erklärt, daß man „von vornherein mit solchen Unglücksfällen gerechnet" habe.
({14})
Auf Vorhaltungen bestürzter Studenten sagte er: „Wir haben niemanden für so dumm gehalten, daß man das öffentlich erklären muß. Wenn ich mich an das Steuer eines Wagens setze, muß ich auch damit rechnen, daß vielleicht ein Reifen platzt." Der Zynismus, der den durch einen Pflasterstein verursachten Tod für einen Betriebsunfall hält, entspricht für mein
Empfinden sehr viel mehr dem Verhalten eines Menschen, der sich in betrunkenem Zustande an das Steuer eines Autos setzt.
({15})
Er wird natürlich nicht die Absicht haben, andere zu töten, aber er weiß oder müßte wissen, daß sein eigenes Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine solche Folge hat. Nach der Überzeugung unserer Rechtsordnung handelt ein solcher Täter kriminell. Wer darüber hinaus von vornherein mit Todesfällen als Folge seiner Aktionen rechnet und dennoch tätig wird, handelt im Rechtssinn mit Eventualvorsatz, Dolus eventualis, der ebenso wie der direkte Tötungsvorsatz strafbar ist.
Nach den Ostertagen teilte ein Berliner SDS-Funktionär in Kiel öffentlich mit, daß der Berliner SDS eine Blockade der Autobahn nach Berlin geplant habe. Der Plan sei zwar nicht verwirklicht worden, aber keineswegs erledigt; er werde wiederaufgenommen werden, wenn die Ziele der SDS mit anderen Mitteln nicht erreicht werden könnten.
({16})
Der das gesagt hat, hat auch nicht nur geprahlt. Herr Rechtsanwalt Mahler war der Erfinder dieses brillanten Plans, und bestimmte SDS-Funktionäre in Berlin haben über seine Verwirklichung bereits Gespräche mit bestimmten Stellen in der SBZ geführt.
({17})
Das Beispiel zeigt wohl, welcher Verirrung eine solche wahnsinnige Zerstörungslust fähig ist, und es zeigt auch, daß dieser Wahnsinn seine eigene Methode hat.
Bei den Demonstrationen in Frankfurt am 15. April wurden u. a. folgende Kampfparolen ausgegeben - ich zitiere -: „Bildet Greifer-Trupps von 12 Mann Stärke, die besonders tatkräftige Polizisten schnappen und zusammenschlagen. Das Anzünden umgestürzter Autos und das Werfen von Molotow-Cocktails ist ab sofort als Notwehr zu betrachten. Warum sollen wir davor zurückschrecken, den Polizeibeamten die Daumen in die Augen zu drücken?"
Am 11. April sagte der SDS-Funktionär Udo Riechmann in Frankfurt: „Ich bedauere, daß in Frankfurt zwei Kaufhäuser gebrannt haben; ich würde es lieber sehen, der Societäts-Verlag und das amerikanische Generalkonsulat gingen in Flammen auf."
Der Sprecher der Münchner SDS-Gruppe, Reiner Jendis, sagte am 19. April: „Wir werden auch weiterhin Gewalt gegen Sachen anwenden, und wir werden auch weiterhin gegen die Gesetze verstoßen." Das war nach den Oster-Unruhen und nach den Todesopfern.
Solche Äußerungen, denen auch Taten gefolgt sind, können um zahlreiche andere Beispiele vermehrt werden. Sie verraten die Bereitschaft der militanten Gruppen, sich für ihre politischen Zwecke aller verfügbaren Mittel zu bedienen. Die Anwendung der Mittel soll nicht durch Achtung vor dem
Gesetz, sondern nur durch Fragen der Zweckmäßigkeit begrenzt werden.
Dabei könnte man die von einem Teil des SDS vertretene utopische Zielvorstellung an sich, wenn man noch lächeln könnte, als romantische Schwärmerei belächeln. Zwar wird der heutigen Gesellschaft vorgeworfen, daß sie die real vorhandenen Konflikte leugne oder unterdrücke; zugleich verfolgen aber eben diese Kritiker das utopische Ziel einer Gesellschaftsordnung, in der die Herrschaft des Menschen über den Menschen endgültig und radikal beseitigt sein soll. Der Unterschied liegt dann nur darin, daß der vermeintliche Idealzustand erst am Ende jenes langen Marsches erreicht werden soll, der revolutionäre Mittel notwendig macht und damit den heute Lebenden um solchen fernen Zieles willen Opfer zumutet. Diese Auffassung ist unserer verfassungsmäßigen Ordnung genau entgegengesetzt.
({18})
Ich selbst habe in einer vor zwei Jahren erschienenen Arbeit einmal versucht, die Ordnung des Grundgesetzes eben solchen Utopien gegenüberzustellen, und damals geschrieben:
Entscheidend ist, ob die Gesellschaft auf das Gemeinwohl hin angelegt ist, nämlich, ob sie nach ihrer Gesamtordnung die Chance bietet, dem Ideal näher zu kommen, ohne daß auf dem Wege dorthin das individuelle Interesse und das private Glück des einzelnen zertreten werden müssen. Die Behauptung, daß am Ende eines mühsamen und leidvollen Weges, bei dem auch nur einem Teil der Bürger unzumutbare Opfer auferlegt werden, doch die allgemeine und vollkommene Glückseligkeit stehen werde, stellt nur für den Vertreter totalitärer Auffassungen ein Argument dar.
Es ist, wie unser Kollege Adolf Arndt einmal geschrieben hat, „der wohl bezeichnendste Zug in jedem Totalitarismus, daß seine Machthaber so handeln, als wären sie zum jüngsten Gericht berufen.
({19})
Wo Menschen so verfahren", schließt Adolf Arndt, „endet jede Barmherzigkeit."
Die Bundesregierung hat in engem Zusammenwirken mit den Innenministern der Länder im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit alsbald die erforderlichen Schritte unternommen, um eine Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu ermögilchen. Im Bundesinnenministerium wurde sofort nach dem Attentat am Gründonnerstag ein ständiger Bereitschaftsdienst eingerichtet. Die Verbindung mit den Ländern stellte die schnelle und ständige Unterrichtung der Bundesregierung sicher.
Nach Art. 30 des Grundgesetzes ist die Erfüllung der staatlichen Aufgaben auf dem Gebiet von Sicherheit und Ordnung Sache der Länder. Dem Bund steht im wesentlichen nur der Bundesgrenzschutz zur Verfügung, dessen Aufgaben nach geltendem Recht überwiegend auf die Sicherung der Grenzen der Bundesrepublik beschränkt sind. Im übrigen kann der Bund nur im Falle eines überregionalen
inneren Notstandes nach Art. 91 Abs. 2 des Grundgesetzes in der heute geltenden Fassung eingreifen, und zwar dann, wenn die Länder nicht mehr in der Lage oder nicht bereit sind, aus eigener Kraft der Gefahr wirksam entgegenzutreten.
Der Ernst der Vorgänge an den Ostertagen soll sicher nicht verkannt werden; aber zu keinem Zeitpunkt hat ein innerer Notstand, weder im Sinne des Art. 91 Abs. 1 noch im Sinne des Art. 91 Abs. 2 des Grundgesetzes, vorgelegen. Der Bund hatte daher verfassungsrechtlich keine Möglichkeit, unmittelbar einzugreifen; sachlich bestand hierzu auch keine Notwendigkeit.
Diese Rechtslage entbindet die Bundesregierung jedoch nicht von ihrer politischen Verpflichtung, derartigen ernsten Vorgängen größte Aufmerksamkeit zu widmen
({20})
und im Rahmen ihrer Möglichkeiten in ständiger Zusammenarbeit mit den Ländern beratend und unterstützend tätig zu werden. Bund und Länder haben ständig und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Die Innenminister der Länder haben den Bundeskanzler und den Bundesinnenminister laufend über alle wesentlichen Ereignisse unterrichtet, und die zuständigen Stellen des Bundes haben die Länder mit ihren Möglichkeiten unterstützt.
Am ersten Tage der Unruhen, Gründonnerstag, kam es an einigen Orten zu schwerwiegenden Störungen der öffentlichen Ordnung und zu zahlreichen Straftaten. Nachdem die Polizeien der Länder bzw. der Gemeinden den Ernst der Lage erkannten, gelang es ihnen aber alsbald, durch energisches Eingreifen Herr der Situation zu werden. Die Erfahrungen der Ostertage berechtigen zu der Zuversicht, daß die Länder nach der personellen Stärke, Ausbildung und Ausrüstung der Polizei durchaus in der Lage sind, mit derartigen Unruhen fertig zu werden. Dies gilt um so mehr, wenn einzelne noch bestehende Schwächen möglichst bald beseitigt werden.
Der Bund ist auf Grund eines Verwaltungsabkommens mit den Ländern an der Ausrüstung und Ausbildung der Bereitschaftspolizei beteiligt. Die mittelfristige Finanzplanung hat zu einer Verlangsamung des weiteren Aufbaues, insbesondere der Ausrüstung neuer Einheiten der Bereitschaftspolizei, geführt. Ich beabsichtige, den Herrn Bundesminister der Finanzen zu bitten, mit mir gemeinsam zu prüfen, ob hier nicht eine Beschleunigung möglich ist.
Der Polizei ist vorgeworfen worden, daß sie in einer Reihe von Einzelfällen in übermäßiger Weise von den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Gebrauch gemacht habe. Soweit dabei gegen einzelne Beamte derartige Vorwürfe erhoben werden, werden und müssen sie von den zuständigen Behörden und Gerichten nachgeprüft werden. Einer pauschalen Verurteilung der Polizei muß ebenso entschieden entgegengetreten werden wie einer verallgemeinernden Kritik an allen, auch den mit friedlichen Mitteln arbeitenden Demonstranten.
({21})
Meine Damen und Herren, die Polizei hatte eine sehr schwere Aufgabe zu erfüllen. Insgesamt 280 Polizeibeamte - wesentlich mehr, als in der Presse gemeldet wurde - haben bei ihrem Einsatz über Ostern Verletzungen erlitten.
({22})
Demgegenüber hat sich die genaue Zahl verletzter Demonstranten oder Unbeteiligter nicht ermitteln lassen, weil leichter Verletzte sich oft ohne fremde Hilfe vom Ort der Demonstration entfernt haben und schwerer Verletzte nicht in allen Fällen der Polizei gemeldet wurden. Der Polizei liegen zuverlässige Meldungen nur über 25 verletzte Demonstranten und 8 verletzte Unbeteiligte vor. Wenn man die in der Presse gemeldeten, wahrscheinlich auf Schätzungen beruhenden Verletztenzahlen - ohne die Polizeibeamten - zusammenzählt, ergeben sich insgesamt 290 Personen, also etwa genausoviel wie verletzte Polizeibeamte, von denen aber mit Sicherheit ein Teil nicht auf Grund polizeilichen Eingreifens zu Schaden gekommen ist, so die beiden in München zu Tode Gekommenen.
Die Polizei mußte Leben, Gesundheit und Eigentum der Bürger auch gegen Gruppen verteidigen, die vor keiner Gewalttat zurückschrecken und darüber hinaus ihr Handeln darauf anlegen, die Polizei zu provozieren. Die rechtlich und moralisch unsinnige Unterscheidung von Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen entbindet die Polizei nicht von ihrer Pflicht, in beiden Fällen einzugreifen. Je frühzeitiger, entschlossener und zugleich besonnener, unter Beachtung des polizeilichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel, gegen Ausschreitungen eingegriffen wird, desto eher gelingt es, Schlimmeres zu verhüten und diejenigen zur Besinnung zu bringen, die überhaupt noch zur vernünftigen Überlegung fähig sind. Ein verspäteter oder verzögerter Einsatz der Polizei führt in aller Regel zu größeren Opfern für alle Beteiligten.
({23})
Die Innenminister der Länder haben am 17. April allen Polizeibeamten den Dank für ihre Pflichterfüllung ausgesprochen. Die Bundesregierung schließt sich diesem Dank an.
({24})
Aus den Vorgängen an den Ostertagen ergeben sich eine Reihe von konkreten Fragen, die einer baldigen Beantwortung bedürfen. Einzelmaßnahmen sind jetzt schon eingeleitet. Das Bundesinnenministerium hat sofort nach den Ostertagen einen ständigen Bereitschaftsdienst von sachkundigen Beamten eingerichtet. Er wird in Zukunft dauernd, d. h. auch außerhalb der Zeiten von Unruhen, tätig werden. Es wird daher nunmehr jederzeit möglich sein, eingehende Informationen sofort zu sammeln und damit die Unterlagen für notwendige politische Entscheidungen ständig zur Verfügung zu stellen. Für die praktische Durchführung dieser Aufgabe ist das Bundesinnenministerium auf die Mitarbeit der Länder angewiesen. Der dezentralisierte Aufbau der Polizei entspricht dem bundesstaatlichen Prinzip. Er kann den Schutz der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung durchaus gewährleisten. Die wesentlichen praktischen Entscheidungen müssen ohnehin an Ort und Stelle unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles getroffen werden. Der Bund strebt weder für den Bereich der Schutzpolizei noch den der Kriminalpolizei zentralistische Lösungen an. Wenn aber das Polizeiwesen auf föderalistischer Ebene funktionieren soll, so setzt dies ein hohes Maß an Bereitschaft zur sachlichen Zusammenarbeit voraus.
({25})
Der Sicherheitsbereich ist nur eines der Gebiete, auf denen der zur Kooperation bereite Föderalismus sich bewähren muß, aber auch bei Fehlen dieser Bereitschaft scheitern könnte. Über die unmittelbar berührten Sachfragen hinaus wird damit ein verfassungsrechtliches und verfassungspolitisches Grundproblem aufgeworfen, das Bund und Länder, Regierungen und Parlamente auf zahlreichen Gebieten immer mehr beschäftigen wird.
Die Konferenz der Innenminister der Länder mit ihren verschiedenen Arbeitskreisen hat sich für ihren Aufgabenbereich stets um eine enge Zusammenarbeit der Länder untereinander und eine gute Zusammenarbeit mit dem Bund bemüht. Die Bereitschaft zu einer noch engeren Kooperation kann sicher überall vorausgesetzt werden.
Dabei werden zu einigen Fragen Überlegungen anzustellen sein. Möglicherweise führen sie auch zu dem Ergebnis, daß Rechtsnormen überprüft und unter Umständen auch geändert werden müßten. Ich hielte es aber für falsch, derartige Überlegungen übereilt, ohne reifliche Prüfung der Vor- und Nachteile und ohne den Versuch einer Verständigung zwischen den Beteiligten hier vorzutragen.
({26})
Damit ließen sich möglicherweise populäre Effekte erzielen, aber der Sache würde kaum ein Dienst erwiesen werden. Ich möchte daher heute keine derartigen Vorschläge machen, sondern nur auf wenige Punkte hinweisen, bei denen künftige Überlegungen ansetzen sollten.
Es scheint immerhin ernster Erwägung wert, ob nicht der Bund auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - möglicherweise auch auf anderen Gebieten - ein Recht auf hinreichende und schnelle Information durch die Länder erhalten sollte, statt nur auf deren sicher vorauszusetzenden guten Willen angewiesen zu sein.
({27})
Im Falle überregionaler Störungen der Sicherheit und Ordnung, die keinen inneren Notstand im Sinne des Art. 91 des Grundgesetzes darstellen, sollten, wie ich meine, dem Bund gewisse Koordinierungsbefugnisse zugestanden werden, die die Entscheidungsfreiheit und Verantwortlichkeit der Länder nicht aufheben, aber doch eine gewisse Gleichmäßigkeit der Gegenmaßnahmen sicherstellen.
Die Herren Innenminister der Länder, mit denen ich diese und andere Fragen möglichst bald bespre8994
chen möchte, wissen ja darüber hinaus, daß sie für ihren eigenen Bereich eigene Überlegungen anstellen werden. Hierzu gehört sicher auch die Frage, ob das Fortbestehen der Kommunalpolizeien, die in einigen Ländern vorhanden sind, heute wirklich noch zeitgemäß ist.
({28})
Ohnehin erschwert die Uneinheitlichkeit der Polizeiorganisation jede Übersicht und jede Möglichkeit der Koordinierung. Würde wirklich einmal ein überregionaler innerer Notstand entstehen, der den Bund zum Eingreifen verpflichten würde, dann würde sich die Buntscheckigkeit der Polizeiorganisation sehr bald als ein schwerer Mangel herausstellen, der zu sehr negativen Folgen führen könnte.
Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, rechtzeitig Aufschluß über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu bekommen. Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung; er hat Anspruch auf jede Unterstützung durch alle staatlichen Stellen, und er verdient das volle Vertrauen der Staatsbürger, ohne das er keine sinnvolle Arbeit leisten könnte.
({29})
Wenn bei einer Organisation verfassungsfeindliche Bestrebungen zutage treten, muß der Verfassungsschutz ihr erhöhte Aufmerksamkeit widmen.
({30})
Es hat in der Vergangenheit vereinzelt Zurückhaltung bei der Überwachung des SDS durch den Verfassungsschutz gegeben. Nach den Vorgängen der Ostertage halte ich diese Zurückhaltung nicht mehr für angebracht.
({31})
Ich beabsichtige, dort, wo es noch Schwierigkeiten geben sollte, bei den zuständigen Stellen auf eine Überprüfung der früher geäußerten Auffassungen zu drängen. Falls sich keine Einigung erzielen lassen sollte, müßte ich notfalls von der mir in § 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes gegebenen Möglichkeit Gebrauch machen, den Landesämtern entsprechende Weisungen zu erteilen.
({32})
Ich nehme aber an, daß nach den Ereignissen der Ostertage überall eine richtige Einschätzung der Bestrebungen des SDS eingetreten sein wird.
Über diese Einzelfrage hinaus stellt sich heute die Frage nach dem Verbot des SDS. Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes sagt, daß Vereinigungen verboten sind, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Die Beurteilung des Charakters des SDS muß sich an diesem Maßstab orientieren.
Das erklärte Ziel aller ideologischen Gruppen des SDS ist die „revolutionäre Transformierung" der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik, d. h. der Umsturz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, an deren Stelle ein sozialistisches System eigener Prägung treten soll. Der Parlamentarismus wird scharf abgelehnt; das Parlament wird nach einem im Dezember 1967 vom SDS Bonn verteilten Flugblatt als „eine vom Monopolkapital lizenzierte Schwatzbude" gesehen.
({33})
Über die sozialistischen Zielvorstellungen, die am Ende der erhofften Veränderung der Grundordnung stehen soll, sind sich die verschiedenen Gruppen des SDS dagegen nicht einig. Während sich die marxistisch-leninistische Gruppe - die Kommunisten und „Traditionalisten" - darunter die „Diktatur des Proletariats" vorstellen, also Ziele verfolgen, die vom Bundesverfassungsgericht im KPD-Verbotsurteil bereits als verfassungswidrig festgestellt worden sind, will der zur Zeit führende anarchistischmaoistische Flügel des SDS eine „Räterepublik" unter Ablehnung jeglicher Autorität. Einig sind sich beide Gruppen innerhalb des SDS über die Ablehnung und Abschaffung der parlamentarischen Demokratie.
Die verfassungsmäßige Ordnung in dem Sinne, wie ich sie zu Eingang meiner Ausführungen hier skizziert habe, wird abgelehnt und bekämpft. Dieses Ziel und die Wahl der Mittel, die hierfür eingesetzt werden sollen, ergibt sich aus zahllosen Äußerungen führender SDS-Funktionäre, und die Ostertage haben gezeigt, daß den Worten auch die Bereitschaft zu Taten entspricht.
Ich bemühe Ihre Geduld nur mit zwei Zitaten. In dem eben erschienenen Buch „Rebellion der Studenten oder die neue Opposition" schreibt Dutschke:
An jedem Ort der Bundesrepublik ist die Auseinandersetzung in radikaler Form möglich. Es hängt von unseren schöpferischen Fähigkeiten ab, kühn und entschlossen die sichtbaren und unmittelbaren Widersprüche zu vertiefen und zu politisieren, Aktionen zu wagen, kühn und allseitig die Initiative der Massen zu entfalten. Die wirkliche revolutionäre Solidarität mit der vietnamesischen Revolution besteht in der aktuellen Schwächung und der prozessualen Umwälzung der Zentren des Imperialismus. Unsere bisherige Ineffektivität und Resignation lag mit in der Theorie. Die Revolutionierung der Revolutionäre ist so die entscheidende Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen.
Manches hiervon ist vielleicht schwer verständlich. Darum zitiere ich, was deutlicher ein SDS-Funktionär auf einer Tagung des SDS im internationalen Freundschaftsheim Bückeburg geäußert hat:
Friedlichere Formen sind nur eine Renaissance des bestehenden Systems. Eine rasche Transformation ist die Forderung der Stunde, d. h. der etablierte Apparat muß zerschlagen und ein gewisses Ausmaß an Gewalt angewendet werden.
Ich meine, das ist deutlicher.
Im Lichte dieser und zahlreicher ähnlicher Selbstdarstellungen der politischen Ziele des SDS bin ich überzeugt, daß er gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtete Bestrebungen verfolgt und daher eine verfassungsfeindliche Organisation im Sinne des Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes ist.
Die Voraussetzungen für ein Verbot des SDS nach dem Vereinsgesetz sind daher gegeben. Zuständig hierfür ist nach § 3 der Bundesminister des Innern.
Ich habe dem Bundeskabinett in seiner letzten Sitzung, am letzten Mittwoch, gleichwohl vorgeschlagen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt von einem Verbot abzusehen. Das Bundeskabinett hat diesem Vorschlag zugestimmt.
Bei der Prüfung und Entscheidung der Verbotsfrage war zunächst zu klären, ob denn der Bundesinnenminister nicht verpflichtet ist, unter den in Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes und § 3 des Vereinsgesetzes bezeichneten Voraussetzungen gegen derartige Organisationen vorzugehen. Eine solche Verpflichtung, die keinen Ermessensspielraum läßt, ist im Gesetz nicht ausgesprochen; sie ist auch nicht durch die Rechtsprechung anerkannt oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abzuleiten.
Aber selbstverständlich kann es der Bundesminister des Innern nicht etwa aus bloßer Bequemlichkeit oder aus reinen Erwägungen der politischen Opportunität ablehnen, seiner Überzeugung gemäß zu handeln, wenn er von der Verfassungswidrigkeit einer Organisation nach gewissenhafter Prüfung überzeugt ist. Oberste Richtlinie muß vielmehr die Beantwortung der Frage sein, welche zur Verfügung stehenden Maßnahmen erforderlich und ausreichend sind, um den verfassungswidrigen Bestrebungen nachhaltig, zugleich unter Berücksichtigung des Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit des Mittels entgegenzutreten.
Wenn dieses Ziel beachtet wird, kann und muß politisch entschieden werden, ob eine solche Vereinigung in jedem Falle oder nur dann verboten werden soll, wenn dies das wirksamste Mittel zur Bekämpfung der verfassungswidrigen Bestrebungen ist.
Diese von mir vertretene Auffassung, die auch in dem KPD-Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts eine gewisse Stütze findet, halte ich auch für rechtsstaatsgemäß. Auch die Einräumung einer Entscheidungsfreiheit an die Verwaltung, ob sie von den ihr vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten und klar umrissenen Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch machen will, ist rechtsstaatsgemäß, wie z. B. der Kommentar zum Grundgesetz vom Leibholz-Rinck unter Verweisung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sagt; ich zitiere daraus:
Das Prinzip des Rechtsstaates fordert nur, daß der einzelne wissen muß, inwieweit die Verwaltung in seinen Rechtskreis eingreifen darf, fordert aber weder, daß der Gesetzgeber die Verwaltung bindet, den möglichen Eingriff immer zu vollziehen, noch daß der Gesetzgeber tatbestandsmäßig genau umreißt, wann die Verwaltung von einem zulässigen, nach Tatbestand und Form eindeutig geregelten Eingriff Abstand nehmen darf.
Ich halte es daher für die Pflicht und das Recht der Verbotsbehörde, sorgfältig zu prüfen, welches der heute richtige Weg ist, um die verfassungswidrigen Bestrebungen des SDS am wirksamsten zu bekämpfen.
Die Entscheidung, die ich hier vorgetragen habe, gilt hier und heute; veränderte Umstände können zu einer Überprüfung der hier vorgetragenen Auffassung führen. Zweifellos gibt es gewichtige Gründe, die für ein Verbot des SDS sprechen.
Die weitgehend vom SDS gesteuerten gewalttätigen Aktionen haben erhebliche Unruhe in die Bevölkerung getragen; mit überwältigender Mehrheit lehnt sie die Ausschreitungen ab und befürwortet energische staatliche Maßnahmen.
({34})
Noch gewichtiger ist das Bekenntnis des Grundgesetzes zu einer streitbaren Demokratie. Die Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 des Grundgesetzes könnten an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie überhaupt nicht oder vielleicht nur einseitig gegen eine politische Richtung angewendet würden.
Zugleich ist aber zu bedenken, daß ein Verbot des SDS heute nur diese Organisation, nicht dagegen die Träger radikaler Ideen an sich treffen würde. Die Anhänger des SDS würden sofort in befreundete Organisationen ausweichen; schon heute bestehen Doppel- oder Mehrfachmitgliedschaften in vergleichbaren, oft nicht weniger militanten Gruppen, die dann sofort weiter radikalisiert werden würden. Das Verbot des SDS würde daher zwangsläufig eine Kette weiterer Verbotsverfahren auslösen. Die notwendige und rechtlich zulässige Überwachung dieser Organisation würde durch ein Verbot eher erschwert werden. Ein Verbot würde Solidaritätserklärungen selbst unpolitischer oder nicht radikaler Studenten oder Professoren wahrscheinlich zur Folge haben. Das Verbot würde als Beweis dafür gelten, daß den staatlichen Behörden außerdem - wie es dann hieße - wieder einmal nichts eingefallen sei.
Das Verbot würde - dies ist vielleicht der wichtigste Grund - den schon begonnenen Prozeß der Selbstbesinnung der Studentenschaft, selbst bis in den SDS hinein, und die Isolierung der radikalen Elemente in der Studentenschaft verhindern oder doch abbremsen.
({35})
Die natürliche Neigung, sich mit Minderheiten zu solidarisieren, würde gefördert und damit die Anfälligkeit für radikale Ideen verstärkt werden.
Die weitgehend vom SDS ausgelösten und gesteuerten Unruhen waren ernst genug; aber sie haben den Staat nicht in Gefahr gebracht. Staat und Gesellschaft sind intakt; sie verfügen über genügend eigene Abwehrkräfte, um die extremen Gedanken und Bestrebungen nicht nur mit Zwangsmitteln unter
die Herrschaft von Gesetz und Recht zu bringen, sondern sie auch politisch zu überwinden.
({36})
Auch das Ausland möge die innenpolitische Situation nicht falsch beurteilen; weder befindet sich die Bundesrepublik, wie die Kommunisten hoffen mögen, in einer vorrevolutionären Epoche, noch bereitet sich, wie andere glauben mögen, ein Wiederaufleben des nazistischen Ungeistes vor. Wahr ist leider nur, wie wir seit Sonntag erneut wissen, daß der Links- und der Rechtsradikalismus sich gegenseitig hochsteigern.
({37})
Wer den SDS will, muß auch die NPD in Kauf nehmen, und umgekehrt.
Die parlamentarische Demokratie, der freiheitliche Rechtsstaat sind in der Bundesrepublik Deutschland festgegründet; wir alle werden es nicht zulassen, daß dieser unser Staat von kleinen militanten Gruppen zugrunde gerichtet wird.
({38})
Freilich dürfen wir nicht sorglos zuschauen, wie solche Gruppen den Aufstand proben.
Meine Auffassung zur Frage des Verbotes des SDS verkennt nicht, daß Autorität und Ansehen des Staates des Schutzes bedürfen; sie geht im Gegenteil davon aus, daß ein Verbot zwar auf kurze Sicht vielen gefallen würde, aber auf längere Dauer wahrscheinlich einen um so stärkeren Autoritätsverlust des Staates bewirken müßte. Im übrigen schlage ich nicht vor, solchen Bestrebungen untätig zuzusehen. Alle Anstrengungen sind darauf zu richten, daß die Polizei und die anderen zuständigen Behörden jeden Versuch einer Wiederholung der Unruhen wirksam verhindern können. Strafbare Handlungen müssen schnell und nachhaltig geahndet werden.
({39})
Das Rechtsbewußtsein des Volkes müßte erschüttert werden, wenn begangene Straftaten entweder überhaupt nicht oder nicht nachhaltig oder nicht binnen angemessener Frist geahndet würden.
({40})
Nach meiner Meinung besteht kein begründeter Anlaß in der deutschen Richterschaft, sich gegen einen solchen Appell zur Wehr zu setzen.
({41})
Dieser Appell erwartet nicht mehr, allerdings. auch nicht weniger, als daß Gesetz und Recht gewahrt werden. Dies ist die Aufgabe aller Organe des Staates, einschließlich der Justiz.
({42})
Das zu sagen, bedeutet keine Mißachtung der verfassungsmäßig garantierten und von der Bundesregierung selbstverständlich respektierten Unabhängigkeit der Richter.
({43})
Der Sinn der heutigen Debatte des Deutschen Bundestages über die innenpolitische Situation kann nicht darin bestehen, lediglich die sich im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergebenden Probleme zu erörtern. Ich meine, daß die besondere Verantwortung des Bundesministers des Innern für diesen Teilbereich den ich behandelt habe, es gerechtfertigt hat, hierzu eine Diskussionsgrundlage zu liefern.
Aber im Kern handelt es sich - ich habe das schon gesagt - um eine Frage nicht so sehr der Ordnung im polizeilichen Sinne als vielmehr um die Frage, wie wir unsere verfassungsmäßige Ordnung sehen. Die Notwendigkeit, mit den Mitteln des Rechts jeder Gewalt ganz klar entgegenzutreten, bedeutet für sich allein auch keine hinreichende Antwort auf die Unruhe, die in einem großen Teil der jungen Generation besteht. Daß sich dieser Vorgang in gleicher oder ähnlicher Form weltweit vollzieht, deutet ja auf andere Ursachen hin als auf spezifische Mängel und Fehler in unserem Bereich; aber dadurch sind wir nicht davon befreit, bei uns nach Ursachen zu forschen und, wo wir es können, Abhilfe zu schaffen. Es gibt in Deutschland, wie eine sehr kluge Darstellung eines Schweizer Beobachters der letzten Tage mit vollem Recht festgestellt hat, einen in seinem Kern ganz legitimen Grund für die Unruhe. Sie entspringt der Abwendung von der einstigen politischen Enthaltsamkeit der deutschen Intellektuellen von der Politik. Diese Entscheidung für das politische Engagement sollten wir auch begrüßen.
({44})
Ein guter Teil der bestehenden Unruhe ist auch von dem echten Willen junger Menschen zur Reform getragen. Gerade diese jungen Menschen sollten ja doch bald erkennen, daß die kleinen militanten Gruppen ihren Idealismus in zynischer Weise für ihre eigenen Zwecke ausnutzen, deren Ziele doch nur von wenigen geteilt werden, auch in, dieser jungen Generation. Wenn nicht alles täuscht, hat der Prozeß der Besinnung und Differenzierung bereits begonnen. Es wird um so erfolgreicher sein, je eher auch unsere Bevölkerung insgesamt von den unsinnigen Pauschalurteilen über d i e Studenten, d i e jungen Leute abgeht.
({45})
Und in jedem der jungen Menschen, der rebelliert und protestiert, ist ja zugleich auch der Vater angesprochen; und damit ist eigentlich jeder einzelne Staatsbürger gemeint.
({46})
Wir in diesem Hause wissen, wie viele schwerwiegende und drängende Fragen es gibt, auf die noch keine überzeugenden Antworten gefunden sind. Die verfassungsmäßige Ordnung des freiheitlichen Staates schließt ein, daß die staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse stets verbesserungsfähig und stets verbesserungsbedürftig sind. Meine Damen und Herren, ich verstehe alles, was wir hier in zwanzig Jahren gemacht haben, als eine Chance zur Demokratie hin. Demokratie wird niemals ein
utopischer Zustand sein, in dem es nichts zu verbessern gibt.
({47})
Sie ist immer ein Ideal, das von neuem angestrebt werden muß. Aber Chance zur Demokratie bedeutet zugleich, daß wir bei aller berechtigten, oft auch notwendigen Skepsis doch die Zuversicht haben, das noch Fehlende oder noch Verbesserungsbedürftige erreichen oder doch in größere Nähe bekommen zu können, wenn wir es nur wollen.
Eben diese eigentümliche Mischung von Skepsis und Zuversicht entspricht natürlich nicht dem natürlichen Überschwang der Jugend; aber auch die Jugend kann und wird begreifen, daß diese Haltung, diese Mischung von Skepsis und Zuversicht zugleich, vielleicht zum eigentlichen Wesen des demokratischen und freiheitlichen Staates gehört.
({48})
Ich halte es nicht für meine Aufgabe, mich im einzelnen zu den offenen Sachfragen zu äußern; wenige Stichworte mögen genügen. Hierzu gehören neben den Fragen der Hochschulreform, die übrigens für die radikalen Gruppen längst keine Rolle mehr spielt, z. B. auch Probleme des Pressewesens. Diese Frage beschäftigt uns länger und intensiver als offenbar viele Kritiker wissen. Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Untersuchung des Standes der Pressekonzentration und der hieraus zu ziehenden Folgerungen wird demnächst ihren Bericht abschließen. Das Ergebnis wird dann mit der Stellungnahme der Bundesregierung dem Bundestag zur Beratung vorgelegt werden. Der Bericht wird eine breite und gründliche öffentliche Diskussion aller Fragen ermöglichen. Ich möchte dieser Debatte nicht vorgreifen, aber doch sagen, daß Ausgangspunkt aller Überlegungen das Ziel sein muß, die im Grundgesetz verankerte Pressefreiheit nicht etwa einzuschränken, sondern im Gegenteil zu stärken. Enteignung, Begrenzung der wirtschaftlichen Expansion, auch Auflagenbeschränkung sind für mein Empfinden schon verfassungsrechtlich unzulässig, jedenfalls höchst problematisch.
({49})
Zu den konstruktiven Möglichkeiten, die sich vielmehr anbieten, zähle ich die Maßnahmen, welche die wirtschaftliche Kraft gerade der kleinen und mittleren Presse stärken.
({50})
Noch wichtiger könnten Maßnahmen auf freiwilliger, vielleicht auch auf gesetzlicher Grundlage sein, welche die Unabhängigkeit der Journalisten und Redaktionen gegenüber den Eigentümern der Publikationen verbessern.
({51})
Es gibt hierfür in der in- und ausländischen Presse eine Reihe von sehr interessanten Modellen - ich erwähne „Le Monde", um ein Stichwort zu sagen -, die einer sehr gründlichen Untersuchung wert sind.
({52})
Wenn man über die Situation der Presse ■spricht, muß man zugleich auch das Maß der Einflußmöglichkeiten auf die öffentliche Meinung sehen, welches die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten haben.
({53})
Der folgende Satz ist jetzt beinahe überflüssig, ich wollte sagen: Einzelbeispiele auch der jüngsten Vergangenheit zeigen,
({54})
daß hier auch ein erörterungsbedürftiges Problem besteht.
({55})
Das Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie als eines Kernbestandteils der verfassungsmäßigen Ordnung hat natürlich auch zur Konsequenz, daß unser Parlament in seiner Arbeitsfähigkeit der heutigen Zeit anzupassen ist. Hier sind nach meiner persönlichen Meinung weitgehende Reformen notwendig.
({56})
Das gleiche gilt für Arbeits- und Führungsstil der Bundesregierung.
({57})
Die Zuständigkeit für die Modernisierung und Rationalisierung der Verwaltung gehört zu meinen wichtigsten Obliegenheiten in meinem Amt.
Über alle Fragen der broßen Technik hinaus, über die wir nachdenken müssen, geht es auf diesen Gebieten ja auch um ein Stück Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie. Der oft nicht nur in der jungen Generation vorhandene antiparlamentarische Affekt gewinnt oder verliert in dem gleichen Maße an Anziehungskraft, in dem Parlament, Regierung und Verwaltung sich als unfähig oder als fähig erweisen, die Probleme einer sich wandelnden Zeit rasch, energisch und erfolgreich anzupacken und zu lösen.
({58})
Dabei bleibt die Entscheidung für unsere parlamentarische Demokratie unantastbar. Jede antiparlamentarische Aktion ist grundgesetzwidrig; ihr muß und wird mit Entschiedenheit begegnet werden. Dagegen kann eine außerparlamentarische Diskussion dem Parlamentarismus auch da nützlich sein, wo sie Parlament und Regierung in demokratischem Sinne herausfordert. Jede nicht antiparlamentarische Gruppe, welche die Meinung mündiger Bürger auf dem Boden der verfassungsmäßigen Ordnung äußert, sollte dem Parlament stets willkommen sein. Wo es um eine solche geistige, von mir aus ruhig auch kämpferische Auseinandersetzung geht, werden wir uns ihr nicht entziehen.
In vielen Erscheinungen unserer Zeit ist zu spüren, daß sich ein Wandel zu Neuem ankündigt. Inhalt und Richtung dessen, was sich vor unseren Augen anbahnt, lassen sich noch nicht eindeutig erkennen und bestimmen; aber die Winde des Wan8998
deis regen sich. Was wir heute vielleicht erst undeutlich ahnen, wird in wenigen Jahren offenbar sein. Es gehört vielleicht zu dem gesunden Instinkt junger Menschen, daß sie den Wechsel eher spüren als mancher von uns. Was wir beizutragen haben, ist dies: die Bereitschaft, uns allen Fragen unserer Zeit, jeder Herausforderung dieser Zeit unerschrokken zu stellen und zugleich die Grundwerte dieses unseres Staates, den wir erhalten und immer neu verbessern wollen, energisch zu verteidigen. Dies wird unsere Arbeit sein. In der Erfüllung beider Aufgaben sehe ich die Bewährung unserer freiheitlichen parlamentarischen Demokratie.
({59})
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weitergebe, erlauben Sie mir, eine Bemerkung zu machen. In dem Bericht des Herrn Bundesministers des Innern steht der Satz: Insgesamt 280 Polizeibeamte haben bei ihrem Einsatz über Ostern Verletzungen erlitten. Meine Damen und Herren, was ein Rechtsstaat wert ist, zeigt der Krisenfall. Ich glaube im Namen des Hauses zu sprechen, wenn ich in diesen 280 Polizeibeamten den Dank und die Anerkennung dieses Hauses ausspreche.
({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Die Opposition in diesem Hause hat diese Debatte gefordert, weil sie der Meinung ist, daß die Reaktion der politischen Instanzen auf die Demonstrationen in der Osterwoche der Sache, um die es geht, bisher nicht gerecht geworden ist, ferner weil sie glaubt, daß Erklärungen von Parteien und von führenden Politikern sogar erschreckend deutlich gemacht haben, wie weitgehend das Verständnis für das fehlt, was in der jungen Generation bei uns vorgeht, und weil wir der Meinung sind, daß auch ein Teil der Presse und der Massenkommunikationsmittel zuwenig getan hat, um eine gründliche und nüchterne Analyse der Hintergründe dessen zu bieten, was vorgegangen ist. Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, wie nötig diese Diskussion ist, dann war es die Rede des Herrn Innenministers, der doch über weite Strecken - ja, ich glaube, in vier Fünfteln seiner Rede - für einen uniformierten Zuhörer den Eindruck erweckt hat, es habe in der Osterwoche und auch vorher auf den deutschen Straßen nur SDS-Drahtzieher, nur Verfassungsbrecher, nur Steinewerfer und nur Schläger gegeben.
({0})
Ich habe kein Wort davon gehört, daß es in dieser Zeit auf den deutschen Straßen nicht nur Tausende, sondern Zehntausende junger Menschen gegeben hat, die nicht dieser Kategorie angehören.
({1})
Ich glaube, es ist unsere Pflicht, uns hier darüber zu unterhalten. Ich hatte in den letzten Wochen das Gefühl, daß die Diskussion über diese Frage etwas in Wahlkampfstimmung hineingeraten war, und zwar wegen des Landtagswahlkampfes in Baden-Württemberg. Es gab keinen deutlicheren Beweis dafür als ein Flugblatt, eine Anzeige, die die Christlich-Demokratische Union in einer Kampagne über das ganze Land verbreitete und die die Ereignisse der Vorosterwoche zum Gegenstand hatte. Hier war ausschließlich von der Ordnung, ausschließlich von Sicherheit die Rede, es war davon die Rede, daß die Strenge der Gesetze angewendet werden müsse. Und die Partei bot sich an, für alles das zu sorgen.
({2})
In dieser Anzeige war nicht davon die Rede, welche Motive denn in der Bundesrepublik zu Unruhe geführt haben. Es war mit keinem Wort davon die Rede, daß wir in diesem Parlament über Reformen sprechen sollten. Es war fast wie die Darstellung in der „Bild-Zeitung": Die Demonstrationen werden als reine Gewaltakte dargestellt, ohne daß erkennbar wird, welche politischen Ziele hinter den Demonstrationen stehen. Daher gibt es in der breiten Öffentlichkeit heute ein Bild, das die Unruhe in Deutschland nicht objektiv werten läßt, sondern das einen oberflächlichen Charakter hat, das teilweise sogar verzerrt ist.
Ich brauche wohl vor Ihnen, meine Damen und Herren, nicht noch einmal zu erläutern, daß es im Deutschen Bundestag gar keine unterschiedlichen Meinungen darüber gibt, daß Gewalt als Mittel der Politik von uns allen gleichermaßen und in gleicher Stärke abgelehnt wird. Gewalt ist ein untaugliches Mittel der Politik. Das brauchen Sie aber einem liberalen Politiker weiß Gott nicht zu sagen.
({3})
Ich las gestern in einer Zeitung, die in ihrer Werbung sagt, daß ein kluger Kopf dahinterstecke - die damit doch wohl auch den Eindruck zu erwecken beabsichtigt, daß kluge Köpfe in dieser Zeitung schreiben, was man gar nicht beschreiben kann -, einen Kommentar, der so anfängt:
Am Dienstag findet die Beschwörung statt. Dann muß der Bundestag wahrmachen, was sich vorzunehmen ihn Pflichtgefühl und Überschwang, das Kalkül der Opposition nicht zu vergessen, veranlaßt, verleitet hat.
Da ist es also, meine Damen und Herren, in diesem Kommentar: „das Kalkül der Opposition". Hier schreibt jemand, der sich offenbar gar nicht vorstellen kann, daß Opposition eine ganz bestimmte Funktion in der Demokratie ist und daß es die Pflicht und Schuldigkeit der Opposition ist, diese Funktion wahrzunehmen.
({4})
Wir wollen dieser Pflicht im Bundestag nachkommen.
Das Denken, das in dem zitierten Satz zum Ausdruck kommt, ist exemplarisch für die Betrachtungsweise, daß Opposition an sich etwas Lästiges ist und
daß man, was immer sie auch sagt, unterstellen muß, daß es der - Effekthascherei dient, daß, was immer sie tut, unbequem ist, ja daß es am besten wäre, es gäbe sie gar nicht. Sie wird von vielen als unnötig betrachtet.
({5})
Aber hier liegt nicht zuletzt einer der Gründe - das sollten wir uns gemeinsam überlegen -, warum es in der Bundesrepublik eine Unruhe gibt, die man nicht leichtnehmen sollte, sondern die uns jetzt ernst beschäftigen sollte und noch lange beschäftigen wird. Der Bundestag ist nicht das erste Parlament, das zu dieser Frage Stellung nimmt. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat schon dazu gesprochen. Aber gerade diese Diskussion macht es, glaube ich, nötig, daß wir hier im Deutschen Bundestag nicht schweigen, daß wir den Bundestag auch als ein Forum der öffentlichen Diskussion begreifen und daß wir hier Position beziehen.
Worum geht es bei der Diskussion, die uns heute beschäftigen soll? Es geht um die Glaubwürdigkeit und damit um den Bestand unserer Demokratie und eines Parteiensystems, das in den fünfziger Jahren entstanden ist; es geht um die Glaubwürdigkeit des demokratischen Regimes. Wir haben Anlaß, ernst darüber zu diskutieren. Denn in den Demonstrationen in der Vorosterwoche ist ja von dem, was in großen Teilen unseres Volkes wirklich vorgeht, nur der Gipfel eines Eisbergs sichtbar geworden. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg ist, für manchen sogar sehr schmerzlich, etwas mehr von diesem Eisberg sichtbar geworden. Hier hat sich gezeigt, daß eine Unlust latent in weiteren Schichten unseres Volkes herrscht, als wir es bisher angenommen haben, und daß sich ein erschreckender Autoritätsverlust der politischen Institutionen breitgemacht hat.
Hüten wir uns nun, diese Feststellung mit allzu schnell gedrechselten Formeln zu beantworten; hüten wir uns, diese Feststellung damit zu beantworten, daß wir den Versuch machen, unser gouvernementales Werkzeug zu vervollständigen, wie es eben der Herr Innenminister mit dem Schwerpunkt seiner Rede uns vorgeschlagen hat. Es ist doch für den Beobachter bedrückend, wenn er sieht, daß plötzlich die Zusammenarbeit der Polizei über die Ländergrenzen hinaus ein aktuelles Problem ist und daß sie so intensiv betrieben wird, während bis zur Stunde, wenn es darum ging, den Bürger vor Verbrechen jedweder Art zu schützen, es auf föderalistischen Gründen offenbar unmöglich war, darüber zu diskutieren. Jetzt, wo Demonstrationen gegen die Regierung der Anlaß der Reflexionen sind, jetzt plötzlich scheinen wir Fortschritte zu machen.
({6})
Es reicht nicht aus, das Instrumentarium der Exekutive zu erweitern, um dem Autoritätsverlust zu begegnen. Nur Leistungen dieses Parlaments und Leistungen dieser Regierung - Leistungen, wie sie die Regierung in ihrer eigenen Regierungserklärung sich selbst abverlangt hat - können hier einen Wandel schaffen. Keine Propaganda, keine noch so
schöne Formulierung unserer Pressesprecher und unserer Pressestellen vermögen die Mittelmäßigkeit zu überdecken, die bisher von dieser Regierung sichtbar geworden ist, vermögen den Mangel an Leistung, den Mangel an Entschlußkraft zu kaschieren.
({7})
Warum sage ich das? Weil alle Autorität in der Demokratie - und das gilt für die Autorität aller, die in der Demokratie ein Amt haben, vom Bundespräsidenten bis herunter zum Polizeipräsidenten - auf der Anerkennung durch die Bevölkerung, also auf einer Meinung beruht. Macht in einer Demokratie entsteht nicht aus sich selbst; Macht verdankt man nicht sich selbst, sondern denen, die die Macht in der Demokratie unterstüzen. Ob es nun demokratische Regierungen ober ob es autoritäre Regierungen sind, sie sind gleichermaßen in ihrer Macht ohnmächtig, wenn sie die Unterstützung durch die Bevölkerung verlieren. Deswegen müssen parlamentarische Regierungen nicht nur daran denken, sich auf ihre Mehrheiten zu verlassen, die sie ins Amt gebracht haben, sondern sie müssen auch ständig daran arbeiten, die Unterstützung weiter Bevölkerungskreise für ihre Maßnahmen zu gewinnen.
Hier liegt eine Gefahr für diese Regierung und eine Gefahr für die Koalition, die hinter der Regierung steht. 90'0/o Mehrheit in einem Parlament schaffen den Grad an Gelassenheit, der diese Regierung auszeichnet, schaffen den Grad an Gelassenheit, der leicht dazu verleitet, auch über die eigenen Schwächen hinwegzusehen.
({8}) Da liegt die Gefahr für diese Regierung.
Eine Demokratie schwebt immer in dem Dilemma, sich zwischen zwei Extremen hin und her zu bewegen: einmal der Lethargie der Bevölkerung gegenüber dem politischen Geschehen- in einer solchen Situation verkümmern einfach die bürgerlichen Freiheiten, weil sie nicht gesehen, weil sie nicht wahrgenommen werden, nicht wahrgenommen werden wollen - und zum anderen dem Extrem, daß wir den politischen Widerstand unterschätzen, der latent vorhanden ist. Der Geist des politischen Widerstandes gehört nun einmal zu einer funktionierenden Demokratie. „Er ist oft", so sagt Thomas Jefferson, „die in Reserve gehaltene Macht der Revolution." Zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich eine Demokratie hin und her. In den 50er Jahren neigten wir sehr zum ersten Extrem. Der Politik gegenüber war unsere Bevölkerung eher lethargisch als zu intensiv mit ihr beschäftigt. Wenn die Unruhe heute nicht im demokratischen Sinne genutzt wird, sind wir in Gefahr, an das zweite Extrem heranzurücken. Das Problem, vor dem wir jetzt stehen, ist das Problem der politischen Minderheit in einer Demokratie, das Problem der politischen Minderheiten, die man aus der Gesellschaft herausdrängt, wenn man über sie Pauschalurteile vergiftender, verleumderischer Art fällt, wie das heute allzu häufig geschieht, - nicht einmal aus bösem Willen, sondern aus Unkenntnis der Folgen, die sich daraus ergeben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir des Problems, vor dem wir stehen, nicht Herr werden, wenn wir die Demonstrationen nur - oder auch nur im Schwerpunkt - mit administrativen Mitteln abwehren wollen, mit den Mitteln des gut organisierten Polizeieinsatzes, vielleicht des verstärkten Polizeieinsatzes. Ja, sicher, wir sind alle der Überzeugung, daß unsere Polizei in der Lage ist, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Ich möchte über das, was der Herr Bundestagspräsident gesagt hat, hinausgehen und sagen, daß wir unserer Polizei für diesen Einsatz auch dankbar sind - nicht nur den Verletzten, sondern allen -, für diesen Einsatz, der im Interesse der Sicherheit unserer Bürger nötig ist.
Wir wissen, daß die Polizei die Ordnung aufrechterhalten kann; aber für den Politiker reicht dieses Wissen nicht aus. Die Verantwortung des Politikers muß darüber hinausgehen. Wir müssen uns mehr noch, als wir es bisher getan haben, und mehr als die Exekutive mit den Hintergründen der Unruhen befassen, die die Polizei zum Einsatz zwingen. Der Politiker muß den Einsatz der Polizei selbst verantworten. Es wäre ganz falsch, wenn wir etwa die Ordnung in diesem Lande der Polizei in eigener Verantwortung überließen. Hier liegt die politische Verantwortung ganz allein bei dem, der in seinem Amt politische Verantwortung trägt.
({9})
Er ist auch für die Angemessenheit der Mittel im Einsatz der Polizei zuständig. Und da ist es interessant, zu beobachten, wie unterschiedlich sich der Einsatz der Polizei in unserem Lande vollzogen hat, worüber nachher noch zu sprechen wäre.
Meine Damen und Herren, wenn ich Sie alle hier im Bundestag bitte, mehr als über die Aufrechterhaltung der Ordnung über die Notwendigkeit der Diskussion über Reformen zu sprechen, dann sagen manche, das sei ein Anbiedern an die Meinungen und an die Vorstellungen der Demonstrierenden oder der jungen Generation. Das kann nur jemand behaupten, der noch niemals mit jungen Menschen gesprochen hat. Ich glaube, der Herr Bundeskanzler weiß aus Erfahrung, daß man sich bei diesen jungen Menschen nicht anbiedern kann; dazu gibt es überhaupt keine Basis. Mit ihnen kann man sich nur ernsthaft auseinandersetzen. Ja, soweit es die jungen Menschen angeht, ist die Auseinandersetzung manchmal sogar zu ernst, zu verbissen, als daß sie zu einem schnellen Ergebnis führen könnte.
Die These des Anbiederns, die ich so häufig in der Öffentlichkeit höre, zeigt, daß derjenige, der sie vertritt, die Meinungsbefragungen sehr wohl gelesen hat, daß er selber wohl weiß, was die Mehrheit unserer Bevölkerung möchte und was sie fühlt. Die Meinungsumfragen zeigen, daß 95 %, ja, mehr, unserer Bevölkerung vordergründig und gefühlsmäßig für Ordnung und für Sicherheit, auch für den Polizeieinsatz, sind. Da liegt der Opportunismus; damit kann ich die große Menge ansprechen. Es ist heute eher ein Wagnis, über Reformen und über die Hintergründe der Unruhen als über den Polizeieinsatz in der Öffentlichkeit zu diskutieren.
({10}) Aber der Politiker sollte dieses Wagnis auf sich nehmen, er sollte in dieser Frage nicht dem Opportunismus erliegen.
Der Ausgangspunkt wir müssen uns noch einmal daran erinnern - waren ja zunächst Hochschulfragen. Nun, die Bedingungen an den deutschen Hochschulen sind bekannt. Sie wissen alle wie ich, daß Forschung und Lehre durch mannigfache Schwierigkeiten heute noch allüberall behindert sind. Geldmangel, ja, auch der Mangel an Reformen an den Hochschulen behindert Forschung und Lehre. Die Entwicklung unserer Gesellschaft nach dem Kriege ist an der Hochschule, nahezu ohne sie zu berühren, vorbeigegangen. Die These von der Gemeinschaft der Lehrenden und der Lernenden an den deutschen Hochschulen hat bis in die jüngste Zeit hinein keinerlei Berechtigung gehabt. Erst jetzt zeigen sich, und zwar sehr zögernd, Reformbestrebungen durch die Demonstrationen, die den Grad an Heftigkeit angenommen haben, den wir alle bedauern. Der Widerstand hat zu lange gedauert. Das Entgegenkommen den Studenten gegenüber kommt an den Hochschulen heute manchmal zu eilfertig, als daß dahinter eine wirkliche Überzeugung vermutet werden könnte.
Ein Wort zur Bildungsreform. Es liegt Ihnen, meine Damen und Herren, der Antrag der Freien Demokratischen Partei vor, die Zuständigkeit für die Rahmengesetzgebung in der Bildungspolitik dem Bund zu geben. Auch zu diesem Punkt hat der von mir eben genannte Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einiges in seinem Artikel gesagt. Er schreibt dazu:
Und der Bundestag kann zwar wünschen, dringlich fordern, daß die Hochschulreform nun ein rascheres Tempo anschlage, aber er kann weder den Schrittmacher spielen, noch die Richtung bestimmen. Das wird auf peinliche Weise verdeutlicht werden, wenn die Freien Demokraten ihre Absicht verwirklichen, mit Attacken gegen
den Hochschulföderalismus billig Sympathien zu erwerben; eine rigorose Zentralisierung auf diesem Gebiet ist politisch nicht zu erreichen, und mit ihr wäre den Hochschulen nicht gedient.
Ich möchte einmal fragen, meine Damen und Herren, wer das dem Schreiber eigentlich gesagt hat, wer ihm gesagt hat, daß eine Änderung politisch nicht zu erreichen ist. In einer Zeit, in der in wenigen Monaten schon jeder von uns in Stunden von einem Kontinent zum anderen fliegen kann, dabei die Zeit überholend, d. h. früher landend, als man startet, ist es doch ein Anachronismus, die Zuständigkeit für das Bildungswesen einzelnen Ländern zu überlassen. Wer nicht bereit ist, diesen Zustand zu überwinden, der kann einfach die Kraft für Reformen nicht aufbringen, der kann auch das Übel nicht wenden, an dem wir in der Bundesrepublik leiden.
({11})
Wie sollen wir von demjenigen, der diese Möglichkeiten, diese Notwendigkeit einfach verneint, der den Mut nicht aufbringt zu beginnen, denn überhaupt noch politische Leistungen erwarten?
({12})
Die Gelegenheit ist doch jetzt so günstig wie nie zuvor! Alle Ministerpräsidenten aller Länder und alle Kultusminister aller Länder gehören den gleichen Parteien an, die auch die Bundesregierung bilden. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn es den führenden Politikern der beteiligten Parteien nun nicht endlich möglich wäre, dieses Problem zu lösen. Erst wenn die Zuständigkeit für die Bildungspolitik beim Bund ist, sind die wesentlichen Hindernisse überwunden, die den so häufig diskutierten Detailfragen allüberall im Wege stehen. Nun fangen Sie doch endlich an! Ein Gesetzentwurf liegt Ihnen vor. Es ist an Ihnen, konkret etwas zu tun, nicht zu sagen, das habe keine Aussicht auf politische Verwirklichung. Es hat doch nur deswegen keine Aussicht auf politische Verwirklichung, weil Sie, die es verwirklichen können, nicht wollen! Sonst hätte es doch Aussicht!
({13})
Das sind doch Zustände, die zu einer Politisierung der Studenten geführt haben, zunächst im Bereich der Hochschulpolitik. Dann ist diese Politisierung in eine allgemeine Oppositionshaltung unter den Studenten umgeschlagen, die durch alle politischen Lager der Studenten geht. Das darf man doch nicht übersehen. Wer in dieser Entwicklung etwas Unnormales sieht, muß seltsame Vorstellungen von politischer Denkarbeit haben. Und wer in Demonstrationen in dieser Lage etwas Unnormales sieht, muß seltsame Vorstellungen von der Demokratie haben.
Zur Klärung der politischen Einstellungen innerhalb der Studentenschaft sind in diesem Frühjahr verschiedene Meinungsumfragen durchgeführt worden, aus denen ich einige Ergebnisse vortragen möchte, weil sie in dem Bericht des Bundesinnenministers nicht enthalten waren. Es bestehen ja zum Teil abenteuerliche Auffassungen über die Studenten in der breiten Öffentlichkeit. Und es wäre nützlich, wenn sich die Bundesregierung ihrerseits Mühe gäbe, diese abenteuerlichen Auffassungen zu korrigieren. Ich nenne Ihnen einige Ergebnisse der Befragung.
Erstens. Die Studenten sind von allen Bevölkerungsgruppen am besten über die politischen Probleme unseres Landes, aber auch über die politischen Probleme des Auslandes informiert. Sie haben zu diesen Problemen unter den Gruppen unseres Volkes auch die präzisesten Meinungen.
Zweitens. Die Studenten sind von allen Bevölkerungsgruppen die entschiedensten Anhänger der Demokratie. Sie lehnen nichtdemokratische Regime am entschiedensten ab. Das müssen wir doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen!
({14})
Es nützt nichts, daß wir als Beispiele hier immer wieder die extremen Studenten nennen. Wir müssen im Interesse der Objektivität die ganze Wahrheit sagen und dürfen die anderen Studenten nicht unterschlagen.
({15})
Drittens. Allerdings das muß ich hier auch
sagen - lehnen 49 % der Studenten die Große Koalition ab. Das sind mehr als in den anderen Bevölkerungsgruppen. Nur 12 % geben eine eindeutige Zustimmung zur Großen Koalition zu erkennen. Im Vergleich dazu lehnen nur 41% der Jugendlichen im allgemeinen und nur 34% der Gesamtbevölkerung die Große Koalition ab.
({16})
- Na gut. Ich bin mir über die sprachlichen Hintergründe nicht ganz klar, aber vielleicht ließe sich darüber nachher noch einmal etwas sagen.
Wenn Sie diese Zahlen in eine Relation zu der Feststellung, daß die Studenten die am besten Informierten und die mit der präzisesten Meinung sind, setzen, sprechen diese Ergebnisse ja nicht gegen die Studenten; möglicherweise - ich bin ganz zurückhaltend - sprechen sie gegen die Funktionsfähigkeit der Großen Koalition.
({17})
Viertens. 46 % der Studenten sind mit den Studienbedingungen nicht zufrieden. Das gilt insbesondere für Studenten in den Massenfächern. Die Studenten üben Kritik an der Form der Darbietung des Lehrstoffs. 80% der Studenten setzen sich daher dafür ein, daß Vorlesungen - z. B. zum Zweck der Diskussion - unterbrochen werden können. Dem liegt doch nichts anderes zugrunde als das, was wir hier auch im Bundestag erleben, nämlich das Bestreben, die Zusammenarbeit zu beleben. Wir ringen hier im Deutschen Bundestag doch selber um eine modernere Form der Diskussion und eine Belebung der Diskussion.
Fünftens. 65 % der Studenten treten dafür ein, daß in den Studentenparlamenten auch politische Tagesfragen behandelt werden. 89 °/o sind der Auffassung, daß die Demonstrationen die Unzufriedenheit mit der Hochschulsituation zum Ausdruck bringen sollen, wohingegen 80%, also etwas weniger, meinen, daß mit den Demonstrationen Unzufriedenheit und Unbehagen über die bestehende Gesellschaftsordnung als Ganzes zum Ausdruck gebracht werden sollen.
({18})
- Ich stelle fest, daß Sie auf vielen Gebieten bewandert sind, Herr Kollege Könen, auf dem der Statistik auf jeden Fall nicht.
({19})
- Herr Kollege Könen, 89% der Befragten sind der einen, 80 % der anderen Meinung, wobei beim Befragten beide Meinungen kumulieren können.
({20})
- Das kann gar nicht anders sein, Herr Kollege Könen.
Sechstens. 35 % der Studenten und 25 % aller Jugendlichen sind der Auffassung, daß der Unterricht an der Schule beim Verständnis politischer Probleme nicht wesentlich geholfen hat. Das ist eine Frage, die wir in unsere bildungspolitischen Überlegungen einbeziehen müssen. 63 % der Studenten und 78% der Jugendlichen sind der Meinung, daß die im Grundgesetz verankerte Gleichheit vor dem Gesetz nicht garantiert ist - ein erschreckend hoher Prozentsatz! -, sondern daß er zugunsten Angehöriger höherer Gesellschaftsschichten durchbrochen wird. 42 % der Studenten und 31 % der Jugendlichen haben die Überzeugung, daß das Bürgerrecht auf Bildung nicht verwirklicht ist, d. h. daß keine gerechten Berufs- und Aufstiegsmöglichkeiten bestehen. Ob sie objektiv, formal bestehen, spielt hier keine Rolle. Dieser Zustand ist für uns wichtig, diesen Zustand zu begreifen, ist wichtig.
Siebtens. Das folgende muß allerdings gesagt werden, das ist jetzt nicht eine Meinungsbefragung, sondern eine nüchterne Feststellung: Die Studenten nehmen keine Privilegien in unserem Staate in Anspruch, wie der Herr Bundeskanzler z. B. in einer Diskussion an der Universität hier in Bonn noch meinte.
({21})
- Ich komme noch auf den genauen Prozentsatz, Herr Kollege.
({22})
- Ich will das gleich beweisen. Sie nehmen keine Privilegien in Anspruch. Sie leben auch nicht auf Kosten der Bevölkerung. Nur rund 13 % erhalten Mittel nach dem Honnefer Modell, 8 % nach dem Bundesversorgungsgesetz. 15% dagegen verdienen sich ihr Studium selbst, und mehr als 60 % leben von dem Geld ihrer Eltern.
(
Die Universität wird doch zum großen Teil vom Staat bezahlt!)
- Sie ist aber doch, Herr Bundeskanzler, eine Bildungseinrichtung des Staates, von der wir nicht sagen wollen, daß sie geschaffen worden ist, um Privilegierten zu dienen. Sie ist vielmehr eine notwendige Bildungseinrichtung des Staates.
({0})
Warum erwähne ich das? Ich nenne diese Zahlen, damit jeder weiß, was er z. B. von den Berichten der „Bild-Zeitung" und von deren „Bild-Leser-Parlament" zu halten hat. Denn darin werden ja erschreckende Meinungen verbreitet, die wirklich die Öffentlichkeit verwirren können und die mit dazu beitragen, daß diese Frage nicht mehr rational, sondern in weiten Kreisen emotional betrachtet wird. Das kann der Situation in unserem Volke nicht dienlich sein.
({1})
Ich erwähne es auch, weil ein Mann z. B. wie Helmut Lemke, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, kürzlich erklärte: Axel Springers Presse vertritt die Dinge, für die wir alle eintreten, und
weil auch Professor Weichmann, der Hamburger Bürgermeister - ich bin immer etwas gerecht in meinen Darlegungen -, erklärte: Die „Bild-Zeitung" ist eine gute demokratische Zeitung. Es gehört aber zu einer demokratischen Zeitung, meine Damen und Herren, daß sie informiert, und zwar in umfassendem Sinne, und daß sie den Leser auch zu einer kritischen Meinung führt, ihm nicht eine vorgefaßte Meinung unterbreitet.
({2})
- Ich spreche von Informationseinrichtungen im umfassenden Sinne, wie ich es am Anfang schon getan habe, also auch über alle anderen Massenkommunikationsmittel. Sie brauchen nie zu vermuten, daß ich nur in eine Richtung denke, sondern Sie können immer unterstellen, daß ich die Massenkommunikationsmittel insgesamt im Auge habe und sehr wohl die Gewichte zu verteilen weiß.
Wenn ich den Eindruck zusammenfasse, den ich von meinen vielen Gesprächen her von der deutschen Studentenschaft und der Jugend habe, so komme ich im Gegensatz zu manchen Beobachtern zu einem ermutigenden, zu einem optimistischen Fazit. Diese Jugend ist kritisch, sie ist politisch, und sie ist demokratisch, wie es kaum eine andere Generation vor ihr gewesen ist. Auch der Herr Innenminister hat in seiner Rede heute gesagt, daß es so ist.
({3})
Als liberaler Politiker kann ich darüber nur froh sein. Die Jugend ist sicher auch unbequem, für viele vielleicht zu unbequem. Aber wäre sie das nicht, wäre sie angesichts der Situation vor allem an unseren Hochschulen unkritisch und unpolitisch, würden wir uns, glaube ich, mehr zu beklagen haben.
Wir, die Politiker, haben doch jahrelang danach gerufen, daß sich die junge Generation, die Jugend endlich mit Politik befassen soll, daß sie den Materialismus nicht verherrlichen soll, daß sie sich engagieren soll. Nun engagiert sich die junge Generation. Aber ich habe das Gefühl, daß es manchem Politiker jetzt gerade nicht mehr recht ist, daß sie sich engagiert.
({4})
Ich meine, in unserer innenpolitischen Situation - lassen Sie mich das ganz ernst sagen - gibt mir nicht in erster Linie die Jugend zur Beunruhigung Anlaß. Unruhe muß vielmehr die Leistungsfähigkeit der Regierung und der Parlamente verursachen, Unruhe muß die Reaktion manch führenden Politikers auf die Ereignisse verursachen, von denen wir in den letzten Wochen gehört haben.
Auch die Formel von der Angemessenheit der Maßnahmen hat nicht nur der Beruhigung gedient, sondern wir haben gesehen, daß sich hinter dieser Formel auch massiver Mißbrauch verborgen hat, worüber nachher der Kollege Dorn im einzelnen noch sprechen wird. Hier sind die Innenminister der Länder in der Verantwortung. Ich nehme an, daß wir von ihnen dazu die Auskünfte bekommen können, die in dieser Diskussion verlangt werden müssen.
Die Polizei kann keine demokratische Ordnung garantieren. Wenn Polizeigewalt das einzige Mittel
wäre, die demokratische Ordnung in einem Staat zu garantieren, dann würden wir nicht allzuweit vom Polizeistaat entfernt sein. Entscheidend ist die demokratische Gesinnung, die in einem Staat herrscht, und die demokratische Gesinnung, die unter den Regierenden herrscht.
({5})
Wie ist es nun - meine Damen und Herren, das ist wohl ein Kernproblem, vor dem wir stehen - damit in unserem Land bestellt? Als 1948/49 die Bundesrepublik gegründet wurde, standen wir vor der Aufgabe, aus dem Nichts heraus - aus dem politischen, aus einem wirtschaftlichen und auch aus einem moralischen Trümmerhaufen heraus - eine Demokratie zu schaffen, und das nicht etwa im Einklang mit der Geschichte, sondern gegen allerschwerste Widerstände, geradezu gegen die Geschichte. Die Demokratie hatte keine Wurzeln bei uns; sie hatte keine Wurzeln mehr.
Meine Damen und Herren, in den ersten 18 Jahren des Bestehens unserer Bundesrepublik haben wir uns daran gewöhnt, daß die Ordnung auf der Herrschaft des Erfolges in dieser Demokratie basierte, vor allem auf der Herrschaft des wirtschaftlichen Erfolges. Der wirtschaftliche Erfolg ist für viele mit dem Erfolg der Demokratie identisch gewesen. Manche haben geglaubt, daß die Demokratie schon tragfähig genug sei, wenn sie nur wirtschaftliche Erfolge produzieren könne.
Zwar - das wissen wir am allerbesten - war der Kontakt der Abgeordneten zur Bevölkerung nie besonders eng. Zu den Formen altbewährter Demokratien haben wir es eben nicht gebracht. Auch die Gefahr der Isolierung dessen, was wir „Bonn" nennen, der Zentrale der politischen Institutionen nämlich, ist immer sehr groß gewesen. Nicht umsonst hat sich doch der Begriff „Bonn" als ein negativer Begriff in der demokratischen Diskussion eingebürgert und nicht als ,ein positiver Begriff.
Aber der wirtschaftliche Erfolg hat über Jahre und Jahrzehnte diese Schwächen überdeckt. Jetzt plötzlich treten sie zutage, jetzt in einer, wenn auch nur schwachen wirtschaftlichen Rezession und in einer Zeit, in der der Autoritätsverlust der Regierungen - damit Sie mich nicht mißverstehen: nicht dieser Regierung allein, sondern der Vorgängerregierung vielleicht noch stärker - das innerpolitische Klima ganz erheblich verändert hat.
Wir sollten darüber nachdenken, daß diese Entwicklung durch diese Ereignisse des Herbstes 1966 verschärft worden ist. Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß für die Politiker der Großen Koalition, welchen Parteien sie auch angehören, sich der Regierungswechsel 1966 und die Möglichkeiten und die Notwendigkeiten damals, 1966 nämlich, ganz anders angesehen haben, als es ihnen jetzt - rückschauend - vielleicht bewußt wird.
Aber jetzt wenigstens sollten wir wissen, daß dieser Regierungwechsel die Schwierigkeiten in der Innenpolitik verschärft hat, daß die Hoffnungen, die in weiten Kreisen gerade der jüngeren Menschen bestanden haben, es könne vielleicht zu einem Wechsel der Macht kommen, daß die Überzeugung,
nur der Machtwechsel beweise die Funktionsfähigkeit der Demokratie, daß alles das 1966 enttäuscht worden ist. Auch aus dieser Enttäuschung ist die Resignation unter den jungen Menschen 'entstanden, die zu den Unruhen, ja, zum Widerstand führt, mit dem wir es jetzt zu tun haben. Wenn wir schon nicht die Ereignisse des Jahres 1966 zurückdrehen können, so sollten wir wenigstens gemeinsam in der Zukunft daran denken, diesen Fehler, den wir gemacht haben, nicht zu wiederholen. Denn es ist doch unsere Demokratie, die wir verteidigen wollen.
({6})
- Das ist eine typische Haltung, um die es jetzt gerade geht. Weil Sie sich den politischen Mut nicht zugetraut haben, etwas anderes zu tun, und weil unsere anderen Kollegen diesen politischen Mut auch nicht gehabt haben, deswegen versuchen Sie den Umweg über eine politische Manipulation
- notabene auch noch des Grundgesetzes - wie auf so vielen anderen Gebieten. Diese Regierung und ihre Koalitionsparteien, meine Damen und Herren, leiden doch darunter, daß sie den Versuch machen, den politischen Entscheidungen auszuweichen, daß sie immer wieder nach Wegen suchen, Grundgesetzänderungen zu diskutieren, Manipulationen anderer Art ins Auge zu fassen, auf die ich nachher noch kommen will, Kommissionen einzurichten, die Entscheidungen hinausschieben, weil man dann weiß: Ich brauche mich vorerst nicht zu stellen. Nehmen Sie doch das Beispiel der Mitbestimmung, weil es ein so populäres Beispiel auch in der öffentlichen Diskussion ist. Warum entscheiden Sie denn nicht über das, was die Parteitage der hier vertretenen Parteien dazu beschlossen haben? Ich bin völlig einig mit dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herrn Rosenberg. Über Mitbestimmung - ({7})
- Lassen Sie mich doch zu Ende sprechen. - Ich bin völlig einig mit ihm, wenn er sagt, daß in bezug auf die Mitbestimmung keine wissenschaftlichen Erkenntnisse mehr zu erwarten sind über das hinaus, was wir schon wissen, daß keine weisen Ratschläge von. Kommissionen, die darüber hinaus auch noch geschickterweise, wie heißt es so schön, „paritätisch besetzt" werden sollen, zu erwarten sind. Über Mitbestimmung kann man heute nur politisch entscheiden.
({8})
Meine Freunde in der Freien Demokratischen Partei sind täglich bereit, das zu tun.
({9})
Und damit ich es auch jetzt sofort tue, will ich gleich sagen, - ({10})
- Sie werden von mir bedient, haben Sie keine Sorge. Sie können bei mir immer erwarten, daß Sie eine Antwort bekommen, wenn Sie mich etwas
fragen, immer. - Ich will das also gleich tun: wir sind aus sehr guten politischen Gründen gegen eine Ausdehnung der qualifizierten Mitbestimmung über die Bereiche hinaus, in denen sie heute eingeführt ist, ganz eindeutig.
({11})
Ich will es mir ersparen, die Gründe hier zu nennen, weil ich dann in die Gefahr gerate, Sie zu lange aufzuhalten. Das will ich jetzt nicht tun. Aber wenn Sie es wollen, dann bringen Sie doch eine Chance, daß wir im Parlament darüber diskutieren! Mit Wonne wird die Freie Demokratische Partei eine Diskussion über die Mitbestimmung in diesem Bundestag führen.
({12})
Ich habe nur den Eindruck, daß Sie nicht darüber diskutieren wollen.
({13})
Ich habe den Eindruck, daß die Christlich-Demokratische Union eigentlich gern „nein" zu einer Ausdehnung der Mitbestimmung sagen möchte, aber das aus Rücksicht auf den Koalitionspartner und auch auf weite Teile der eigenen Fraktion nicht tun kann. Und ich habe den Eindruck, daß die Sozialdemokratische Partei doch eigentlich - vor allem nach dem Beschluß ihres Parteitages - „ja" sagen möchte. Aber ich werde hier sehr genau beobachten, wann Sie, meine verehrten Damen und Herren der Sozialdemokratischen Partei, in diesem Bundestag das tun, das wagen; ich fürchte, Sie werden es in dieser Legislaturperiode nicht wagen.
({14}) Darum geht es doch.
({15})
- Herr Kollege Stücklen, ich könnte die Antwort darauf ganz kurz fassen: Wie wäre es denn, wenn Sie dieses Wahlgesetz machten?
({16})
Und zwar frage ich Sie, ob Sie für ein solches Wahlgesetz eine Mehrheit finden.
({17})
- Leider reicht die CSU für ein solches Wahlgesetz nicht aus, ebensowenig wie die FDP ein eigenes hier mit Mehrheit verabschieden könnte. Ich glaube, daß der Zwischenruf ganz deplaziert ist, weil er in eine weitere Schwäche der Koalition hineinstößt,
({18})
nämlich in die Schwäche, auch auf diesem Gebiete zu keiner gemeinsamen Auffassung zu kommen. Das kann aber auch nicht möglich sein bei der vorhandenen Konstruktion der Mehrheit. Ich habe bei einer anderen Gelegenheit - ich will das nicht
wiederholen - darauf hingewiesen, worin der Konstruktionsfehler liegt. Er liegt einmal in der im Kern falschen Betrachtungsweise, die am Beginn dieser Koalition gestanden hat, man könne politisch wichtige Entscheidungen und man könne Reformen nur in - wie nennt man das so schön? - Kabinetten der nationalen Konzentration und mit gewaltigen Mehrheiten zuwege bringen. Dem liegt die irrige Auffassung zugrunde, in der Politik könne man Qualität durch Quantität ersetzen. Den Beweis, daß das unmöglich ist, haben die anderthalb Jahre, die hinter uns liegen, eindeutig erbracht.
({19})
Ich wiederhole noch einmal: in den Ereignissen des Jahres 1966 liegt eine der Ursachen der Unruhe. Und ich wiederhole noch einmal, damit wir uns richtig verstehen: ich meine, die Politiker sollten im nachhinein das wenigstens erkennen. Sie sollten es im nachhinein bei ihren zukünftigen Entscheidungen berücksichtigen.
Es gibt aber ein weiteres Problem im Klima der deutschen innenpolitischen Situation. Mit dem Auftreten der NPD ist in die deutsche Öffentlichkeit ein bis dahin schlummerndes autoritäres Potential öffentlich eingetreten, und wir haben jetzt - so meine ich - eine demokratische Bewährungsprobe abzulegen; denn wir haben es mit zwei Vorgängen zu tun. Insoweit ist die Beobachtung der Zusammenhänge links und rechts richtig. Wir haben es mit zwei Vorgängen zu tun, auf der einen Seite haben wir ein jetzt offen zutage tretendes autoritäres - stark autoritäres - Potential in der Innenpolitik und auf der anderen Seite ein stark ausgeprägtes demokratisches Potential der Jugend, das - ich möchte sagen - durch radikale Auswüchse am Rande dieser Erscheinung verfälscht wird. Zwischen diesen beiden Bewegungen - der autoritären auf der Rechten und der demokratischen der Jugend - bewegen wir uns, und das sind nämlich die Potentiale des Vergangenen und das Potential der Zukunft, über das wir jetzt diskutieren, wenn wir über die unruhige junge Generation diskutieren. Zukunft und Vergangenheit stehen sich hier gegenüber, und zwischen diesen beiden Schichten suchen die Parteien ihren Standort. Die Parteien beweisen den Grad an Demokratie dadurch, welchen Standort zwischen diesen Schichten sie für sich selbst wählen, und auch die Politiker und Parlamentarier beweisen den Grad an Demokratie dadurch, welchen Standort s i e zwischen diesen beiden Schichten für sich wählen.
Da zeigt es sich nun, daß mancher - auch mancher Politiker der demokratischen Parteien - in seiner Diktion bei der Diskussion politischer Fragen eine Tonart anschlägt, die der NPD manchmal Rechtfertigung für ihre Phraseologie gibt.
({20})
Bei manchen ist die Tonart nicht so weit von dort entfernt, - wohl nicht einmal aus innerer politischer Überzeugung, sondern weil man glaubt, man könne den rechten Radikalen so das Wasser abgraben, indem man ihre Diktion übernimmt, indem man ihre Propagandathesen übernimmt. Meine
Damen und Herren, das ist eine irrige Auffassung, und darüber gilt es hier auch zu diskutieren; denn wir werden es doch mit diesen Problemen recht bald nicht nur in einem und zwei und drei und jetzt sieben Ländern, sondern möglicherweise auch in diesem Parlament zu tun haben.
Daß demokratische Politiker nicht nur im Bereich der sogenannten nationalen Politik dicht an das Vokabular der NPD herangehen, ist nicht allein eine große Gefahr; noch größer ist die Gefahr, wenn sie an das autoritäre Vokabular herangehen, wenn sie über Ordnung und über Sicherheit sprechen. Das sollten wir uns vor Augen halten. Die Ernsthaftigkeit muß in unsere Diskussion einziehen. Wir dürfen auch hier nicht der NPD den Rang ablaufen wollen, auch wenn wir vielleicht fürchten, daß ihr Wahlerfolg der letzten Wochen nicht zuletzt von solchen bewirkt worden ist, die mehr Ordnung haben möchten; eine These im übrigen, der ich nicht ohne Prüfung zustimmen möchte, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß vernünftige Menschen Ordnung von einer Partei des Zuschnitts der NPD erwarten können, wo wir doch noch im eigenen Erinnerungsvermögen den Grad der Unordnung kennen, den uns ein Regime ähnlicher Herkunft in der Vergangenheit beschert hat.
({21})
Meine Damen und Herren, die Gefahr ist deswegen so groß, weil wir es nach meiner Auffassung bis heute noch nicht gelernt haben, uns mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen.
({22})
Wir haben noch kein demokratisches Gefühl entwickelt, mit Minderheiten zu leben. Wir müssen aber in unserer Demokratie mit Minderheiten leben, und wir müssen mit ihnen leben können.
({23})
- Aber das ist doch der Sinn unserer Diskussion hier!
({24})
Ich habe die Hoffnung, daß sich aus der Erfahrung der jüngsten Zeit nicht nur der Ruf nach der vordergründigen Ordnung entwickelt, sondern daß sich eine demokratische Strategie entwickelt, die eine Antwort auf die Frage gibt, wie wir mit Minderheiten zusammenleben können.
({25})
Nun komme ich auf ein Problem, das auch der Herr Bundesinnenminister als wesentlich bezeichnet hat. Das Ziel der Osterdemonstrationen war ja das Haus des Verlages Springer. Springer ist ohne Zweifel in unserer innenpolitischen Auseinandersetzung ein Phänomen, an dem man nicht vorübergehen kann. Ich bin davon überzeugt, es würde an der Politik des Springer-Verlages und es würde an Herrn Springer überhaupt keine Kritik geben - auch wenn er noch mehr Zeitungen und Zeitschriften
herausgäbe, als er es tut -, wenn er Zeitungen herausgäbe,
({26})
die jede für sich eine eigene Meinung hätten. - Herr Kollege, Sie haben völlig recht: wenn er etwa, um Beispiele zu nennen - das macht die Sache immer verständlich -, Zeitungen und Zeitschriften herausgäbe wie die „Welt", die „BildZeitung", die „Zeit",
({27})
- oder den „Spiegel", den „Stern" und „Jasmin", Herr Kollege - warum denn nicht?! -,
({28})
vielleicht auch „Konkret" und möglicherweise auch etwas für Sie, den „Bayern-Kurier".
({29})
Wenn Herr Springer diese Zeitungen und Zeitschriften herausgäbe, und zwar alle in der politischen Richtung, in der sie heute erscheinen, würde sich in der Öffentlichkeit keine Kritik gegen ihn regen.
({30})
- Keineswegs, Herr Kollege! Es gibt doch Beispiele, daß das geht.
({31})
- Herr Kollege Bauer, wenn Sie hier auf die Qualität des Verlegers und das allerdings wichtige Moment der Quantität seiner Erzeugnisse zu sprechen kommen wollen, sollten Sie das nicht mit einer solchen Bemerkung über Drucker und Verleger abtun. Ich habe überhaupt nichts gegen den engagierten Verleger, aber ich hätte etwas gegen den engagierten Monopolverleger, - um das einmal extrem zu kennzeichnen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, recht gern!
Herr Kollege Scheel, sind Sie der Meinung, daß z. B. das Fernsehen, das doch verpflichtet wäre, eine breite Meinungstoleranz zu beweisen, einen so breiten Fächer der Meinungen wie etwa vom „Bayern-Kurier" bis zu „Konkret" zuläßt, oder sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß dort genauso ein Meinungsmonopol herrscht, weil nämlich nur eine bestimmte Richtung zum Zuge kommt?
Herr Kollege Dr. Becher, ich glaube, Sie täuschen sich. Ich habe z. B. zufällig den Herausgeber des „Bayern-Kuier" im Fernsehen reden hören. Wenn ich mich nicht irre, ist der Herausgeber des „Bayern-Kurier" immer noch der Herr
Bundesfinanzminister. Er ist völlig frei, im Fernsehen seine politische Meinung zu sagen, sogar unter Inanspruchnahme einer bevorzugten Regierungszeit. Ich glaube, wir sollten nicht von einem Meinungsmonopol im Fernsehen sprechen. Es gibt Kritik am Fernsehen. Ich war eben etwas überrascht, daß die Kritik in diesem Hause ein so lebhaftes akustisches Echo gefunden hat.
({0})
Daß es dort Kritik gibt, ist mir doch gar nicht unlieb. Wenn die unterschiedlichsten Gruppen das Fernsehen attackieren, ist das für mich im allgemeinen ein Beweis dafür, daß sich dieses Monopol große Mühe gibt, es allen unrecht zu machen - und das ist ebensoviel wie: allen recht. Daß sich dabei Schwierigkeiten ergeben, ist auch ganz selbstverständlich. Aber, Herr Kollege Becher, der Sie die Frage gestellt haben, das unterscheidet ja gerade diesen Monopolbetrieb unter öffentlicher Kontrolle - auf sie komme ich nachher - von einem Verleger, der nur eine politische Meinung vertritt. Denn das Merkwürdige an dem Verlagshaus Springer ist doch, daß er nicht ein so breites Spektrum an Zeitungen, ein Spektrum unterschiedlicher politischer Meinungen hat, sondern daß alle seine Erzeugnisse mehr oder weniger - und mit den unterschiedlichsten journalistischen Methoden - eine einheitliche politische Richtung vertreten. Das ist doch das Bedrückende an diesem Phänomen, gegen das ich auf wirtschaftlichem Gebiet überhaupt nichts habe. Es ist rein von der Wirtschaft her zweifellos bewundernswert, wie ein Verleger ein so leistungsfähiges Unternehmen hat zuwege bringen können.
Daß es aber auch möglich ist, unterschiedliche politische Meinungen in einem Presseverlag herauszugeben, beweist ja sein großer britischer Kollege, der, glaube ich, noch viel mehr Auflage und auch viel mehr Zeitungen herausgibt als Herr Springer, die aber unterschiedliche, selbständige, ja manchmal gegeneinander gerichtete politische Auffassungen vertreten. Das ist doch das Kriterium. Von diesem Presselord in Großbritannien geht das Wort - das gute Wort -, daß er, um nicht in die Gefahr zu kommen, seine Presseerzeugnisse politisch einseitig zu beeinflussen, sich sehr hüte, sie selbst zu lesen. Er hat ja gesagt, daß er in seinem Unternehmen gar nichts lese mit Ausnahme der Bilanzen. Das ist also eine der Möglichkeiten, einen großen Verlag zu unterhalten.
Ich wiederhole, das Bedrückende ist, daß in einem so gigantischen Verlag die politische Meinung so einheitlich ausgerichtet ist, ob nun durch Zufall oder durch Einflußnahme.
Herr Abgeordneter, ehe ich Sie frage, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen, möchte ich Sie doch darauf aufmerksam machen, daß der einzelne Redner nicht länger als eine Stunde sprechen soll.
({0})
Ich würde natürlich eine so wichtige Rede nicht
unterbrechen, wenn ich nicht das Gefühl hätte, daß
wir heute mit Rücksicht auf eine Reihe rednerischer
Verpflichtungen einer Anzahl von Mitgliedern dieses Hauses unter einem besonderen Zeitdruck stehen. Herr Kollege Scheel, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie darauf Rücksicht nähmen.
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Ott!
Herr Kollege Scheel, wie halten Sie es angesichts der von Ihnen vorgetragenen Kritik für vereinbar mit dem Recht jedes Zeitungslesers, die Zeitung kaufen zu können, die er selber wünscht?
({0})
Herr Kollege, ich glaube, daß die meisten der hier anwesenden Parlamentarier, die ja die Pflicht haben, sich mit diesen Fragen zu befassen, mit mir der Meinung sind, daß man mit der berühmten Abstimmung am Kiosk diese Frage nicht zu lösen imstande ist. Das Problem liegt tiefer als in dieser einfachen Schichtung des Nachdenkens, in die Sie bisher vorgedrungen sind.
({0})
Eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Kollege Scheel, kann man daraus schließen, daß Sie nichts dagegen hätten, wenn eine Zensur in der Weise ausgeübt würde, - ({0})
- Meine Herren, wir sind hier im Parlament, nicht draußen in Viehställen.
({1})
Herr Kollege Scheel, sind Sie der Meinung, daß eine Zensur in der Weise ausgeübt werden soll, daß denen am Kiosk verboten -werden soll, das zu kaufen, was sie in Freiheit kaufen wollen?
({2})
Herr Kollege, da ich mir in der deutschen Öffentlichkeit in den letzten zwanzig Jahren einen gewissen politischen Ruf erworben habe, verzichte ich darauf, Ihre Frage zu beantworten.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Punkte zum Abschluß kommen. Ich wiederhole noch einmal: Das Bedrückende ist eben die Einförmigkeit der politischen Auffassung und ist, daß eine aus dem Verlagshaus kolportierte Formel, daß der Verlag Nachrichten bringe, damit die Leser sich danach richten, so gefährlich ist. Deswegen muß sich der Bundestag mit der Frage befassen. Ich meine, wir sollten das auf dreifache Art und Weise tun. Ich kann Ihnen jetzt keine perfekten Lösungen anbieten, aber zum mindesten gedankliche Erwägungen.
Erstens. Die Bundesregierung sollte uns innerhalb möglichst kurzer Zeit ein Gesetz zur Sicherung der
Presse- und Informationsfreiheit vorlegen, das im wesentlichen auch die Stärkung der Unabhängigkeit der Redaktionen und der Redakteure regelt. Wenn die Bundesregierung dazu nicht in der Lage ist, würde sich die Oppositionspartei trotz ihrer beschränkten Arbeitsmöglichkeiten Mühe machen, ihr hier zu helfen.
({1})
Unabhängigkeit der Redaktionen und Redakteure - das heißt, daß bei den Redakteuren zum Teil auch die rein materielle Unabhängigkeit diskutiert werden muß und bei den Redaktionen die Möglichkeit vertraglicher Regelungen zwischen Redaktionen und Verlagen, um ein gesichertes Maß an politischer Unabhängigkeit zu gewährleisten.
Zweitens. Wir sollten darauf drängen, daß das Kartellamt in seiner Zuständigkeit schärfer als bisher die Gefahren des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht im Vertriebswesen unter Krontrolle hält.
Drittens. Da, wo eine übergroße Konzentration publizistischer Macht festgestellt wird, die gefährlich werden könnte, müssen auch andere Erwägungen angestellt werden, z. B. die Erwägung, die soeben der Herr Bundesinnenminister hier vorgetragen hat, durch eine Erleichterung und Förderung der Gründung von Stiftungen das Problem zum Teil zu lösen. Aber wir müssen uns auch mit dem Gedanken befassen, ob nicht in einem solchen Falle von bestimmten Größenordnungen an eine Art öffentlicher Mitwirkung diskutiert werden muß.
Für nicht geeignet - um das ganz eindeutig auszuschließen! - halte ich jedwede Form der Enteignung, wie naive Geister sie manchmal vorschlagen.
({2})
Warum, meine Damen und Herren? Erstens: Mit Recht hat die Industriegewerkschaft Druck und Papier festgestellt, daß eine freie Presse und das private Eigentum an der Presse in aller Welt identisch sind. Das ist sogar ein Indiz für die Freiheit der Presse, daß das Privateigentum an der Presse gewahrt ist.
({3})
Ich schließe mich dem vollinhaltlich an. Darüber hinaus, meine Damen und Herren: was sollte sich denn überhaupt ändern, wenn ich den Konzern enteignete? Der Enteignung folgt doch logischerweise eine Zueignung. Wem sollte ich denn den Konzern zueignen? Der Bundesregierung etwa?
({4})
Die Demonstranten würden nicht zufrieden sein, wenn man ihn der Bundesregierung zueignete. Aber ich nehme an, wir alle, ich auch, wir würden nicht zufrieden sein, wenn man möglicherweise den Konzern dem SDS zueignet?
({5})
Also mit solchen Enteignungsvorstellungen ist keinem geholfen, und wir sollten sie aus der öffentlichen Diskussion wirklich herauslassen, weil sie zu gar nichts führen.
({6})
- Das wäre eine Lösung, die ich akzeptieren könnte, weil ich dessen politische und Charakterstruktur aus jahrelanger Freundschaft zu kennen glaube.
Ein gutes Zeichen für die öffentliche Diskussion in diesem Bereich ist ein Brief, den ich vor kurzem mit einigen anderen Abgeordneten dieses Hauses von einer Gruppe von Bürgern bekommen habe, die sich aus freien Stücken und in sehr seriöser Weise mit dem Problem befaßt und eine Anzahl interessanter Anregungen gegeben haben, die über das hinausgehen, was ich hier vorgetragen habe. Ich meine, es sind gute Vorschläge dabei. Auch sie könnten mitdiskutiert werden.
Ich komme zum Schluß meiner Betrachtung. Die Bundesrepublik hat seit 20 Jahren eine demokratische Verfassung. Das Grundgesetz aber ist - wer wüßte das besser als wir - noch keine gesicherte Verfassungswirklichkeit. Wir leben eben im Zustand einer unvollendeten Demokratie - Demokraten werden immer im Zustand einer unvollendeten Demokratie leben -, und es ist kein geeignetes Mittel, das Gefühl für die Demokratie zu stärken, wenn allzu häufig mit dem Grundgesetz manipuliert wird, sei es auch nur in der Diskussion. Ich komme deswegen zurück auf das, was ich dem Kollegen Stücklen sagte: Es ist nicht gut, politische Probleme mit technischen, verfassungsrechtlichen, formalen Dingen lösen zu wollen. Das gilt auch - ich will es nur mit einem Wort erwähnen - für die Frage, für wieviel Legislaturperioden der Bundespräsident gewählt werden kann; das gilt für die Frage, wie wir die augenblickliche schwierige Situation in Würde lösen. Eins ist sicher: es bedarf wirklich nicht der Wandlung des Grundgesetzes; um hier eine Lösung herbeizuführen. Wir Politiker können mit unserer Arbeit erst dann zufrieden sein, wenn sich Staat und Gesellschaft in einem Zustand befinden, der auch von der Jugend akzeptiert wird. Nur dann wird die Demokratie nämlich von der jungen Generation getragen, wenn sie auch von ihr akzeptiert werden kann. Das ist doch das Ziel, für das wir alle arbeiten. Sonst war das Bemühen, die Deutschen mit der Demokratie zu versöhnen, wirklich umsonst.
Bismarck hat einmal gesagt - ich zitiere einen sehr konservativen Mann -: „Revolutionen können nur entstehen, wenn man Konzessionen frühzeitig nicht macht."
Abschließend will ich auf den schon erwähnten „klugen Kopf" zurückkommen, der seinen Artikel mit den Worten beendet - und ich bitte, doch einmal darüber nachzudenken -: „Die Volksvertretung muß klar sagen, was sie zu tun und was sie zu befürworten bereit ist und was nicht." So weit, so gut, obgleich beim Verfasser der Ton sehr stark auf dem „nicht" liegt. Aber dann fährt er fort: „Vielleicht, daß doch einigen klarzumachen ist, daß das Recht einer Minderheit, angehört zu werden, nicht verwechselt werden kann mit einem Anspruch, daß der Minderheit gehorcht werde." Meine Damen und Herren, ich meine, wir müssen eben doch noch lernen, mit Minderheiten zu leben.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung des heutigen Tages spricht von der „innenpolitischen Situation". Der Punkt ist so formuliert worden vor dem letzten Sonntag. Aber mir scheint, daß der letzte Sonntag mit einer Wahl im Lande Baden-Württemberg die innenpolitische Situation, vielleicht muß man nicht sagen: verändert, aber jedenfalls doch in einer sie verändernden Weise grell beleuchtet hat. Es ist nicht nur, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in dieser Wahl eine empfindliche Niederlage erlitten hat, was uns besorgt macht, sondern es macht wohl auch jeden Demokraten in diesem Lande besorgt, zu sehen, wie dort eine Tendenz zu einer neuartigen politischen Orientierung eines Teils unseres Volkes sichtbar geworden ist.
Wenn das, was wir in der Nacht zum Montag im Fernsehen als Stimmen vorgezählt bekamen, etwa ein Schema, ein Modell für zukünftige Entwicklungen sonst in der Bundesrepublik würde, müßte man sich die weiteren Stationen einer solchen Entwicklung rechtzeitig vorstellen
({0})
und müßte rechtzeitig daraus seine vorbeugenden Konsequenzen ziehen.
Ich darf es einmal vereinfachen und sagen, daß sich hier eine zukünftig w-förmige Verteilung der politischen Stimmen in unserem Wählervolk andeutet, d. h. mit einer starken Mitte - das ist das Dach in der Mitte des W -, aber ebenso mit der starken Aufbiegung der Flügel links außen und rechts außen.
Wir alle wissen, nicht nur aus dier Erfahrung der ersten deutschen Demokratie, sondern ebenso aus der Erfahrung, die andere demokratische Industriegesellschaften Westeuropas in unserer Generation gemacht haben, daß eine solche w-förmige Verteilung der politischen Neigungen und Meinungen der Stimmbürger dazu führen kann, daß die stabilen, in ihrer demokratischen Gesinnung 'stabilen Parteien der Mitte unter den Dauerzwang zur ewigen Koalition geraten
({1})
und auf diese Weise auch in die Gefahr geraten, entweder sich dauernd wegen kleiner Dinge zu zerstreiten, damit sie ihr sogenanntes Profil trotz der Dauerkoalition wahren können, oder aber eben darauf zu verzichten, ihr eigenes Gesicht deutlich voneinander abzuheben, was dann dazu führt, daß die beiden Fügelparteien von außen - vielleicht sind es nicht nur je eine, sonderen mehrere - möglicherweise sogar gemeinsam - auch das haben wir in Deutschland erlebt und erleben es heute wieder -von rechts außen und links außen mit dem gleichen Argument und mit dem gleichen Wort - wie z. B. „Schwatzbude" aus dem Munde des SDS - operieren.
({2})
Diese Gefahr aufzuzeigen, heißt nicht schwarzzumalen, sondern kann doch nur bedeuten, daß man sich dieser Möglichkeit entschlossen stellt, daß man das Selbstbewußtsein 'entwickelt und auch in anderen weckt, das Selbstbewußtsein, das Kraftbewußtsein der parlamentarisch-demokratisch gesonnenen Parteien. Wenn wir es in ausreichend vielen Menschen unseres Volkes wecken und lebendig halten, vital halten, wird es eine solche Entwicklung, von der ich als Möglichkeit sprach, verhindern.
Ich habe gar keinen Zweifel, daß die drei Parteien, die im Augenblick in diesem Bundestag für das deutsche Volk sprechen, in dieser Frage stabil und selbstbewußt bleiben wollen und bleiben werden.
Die NPD - das ist der eine Flügel dieser beiden W-Flügel - hat einen bedeutenden Erfolg errungen. Der andere Flügel, die einstweilen so genannte Demokratische Linke - da wird es noch mancherlei Namen und mancherlei Gruppierungen geben, bis sich das endgültig konsolidiert; aber es wird sich im Laufe des nächsten Jahrzehnts konsolidieren, und es wird dann auch irgendwann einen endgültigen Namen haben -, hat sich 'einstweilen noch nicht durchsetzen können; sie ist einstweilen noch nicht auf der Bühne, sondern hinter der Bühne. Die NPD hat es aber auch schon vor der Großen Koalition gegeben, lieber Herr Scheel. Es ist ja nicht so, daß das nur mit der Großen Koalition zusammenhängt.
({3})
Ich leugne nicht, daß es auch Zusammenhänge mit der Großen Koalition gibt. Aber die NPD hatte ihre ersten großen Erfolge in den Landtagswahlen zu der Zeit, als Ihr Parteifreund Vizekanzler war und Ihr Parteifreund Finanzminister und als Herr Erhard Bundeskanzler war. Darüber gibt es nichts zu streiten.
({4})
Damit gebe ich nicht der FDP die Schuld an irgend etwas. Das ist Unsinn.
({5})
- Dann habe ich Sie mißverstanden mit dem, was Sie in Heidelberg oder in Mannheim gesagt haben, Herr Scheel.
({6})
Ich habe mit großem Interesse verfolgt, was einige Redner der Opposition in Baden-Württemberg gesagt haben. Die Lokalpresse war so freundlich, das sehr sorgfältig zu berichten.
({7})
- Lieber Herr Scheel, ich freue mich, daß wir uns einig sind.
Die NPD ist sicherlich durch mancherlei Erscheinungen der letzten Monate, mancherlei Besorgnisse - dazu gehören auch die Besorgnisse, die die Große Koalition ausgelöst hat - verstärkt worden. Es ist
Schmidt ({8})
sicher so, daß ein Teil der sogenannten Protestwähler - wir wissen inzwischen alle, was dieses Jargon-Wort bedeutet - abgewandert ist, nachdem sie ihren Protest gegen etwas, was ihnen mißfällt, bei den Sozialdemokraten nicht mehr abladen können, weil auch diese nun für jene damit belastet sind, daß sie diesen Staat nun auch sichtbar tragen, Verantwortung für diesen Staat sichtbar an der Spitze tragen. Jetzt laden jene ihren Protest bei der NPD ab.
Aber auch das muß man hier bestätigen - ich glaube, Herr Benda hat es schon angedeutet -: ein ganz kleiner, aber symptomatischer und wichtiger Teil des Zuwachses der NPD in Stuttgart hängt eben auch damit zusammen, daß sich große Teile des deutschen Spießbürgertums verständlicherweise verunsichert fühlen durch das, was in den Zeitungen studentische oder Oster-Unruhen genannt worden ist, und durch die Art und Weise, wie darauf reagiert wurde. Hier treibt der eine Extreme dem anderen die Hasen in die Küche.
Was die Sozialdemokraten angeht, so bleibt es hier in Bonn bei dem, was wir verabredet haben, bei der verabredeten gemeinsamen Politik in der Großen Koalition. Das hat unser Parteitag vor wenigen Wochen in Nürnberg nach langer und strittiger Debatte ausdrücklich bestätigt.
Aber ich bitte, uns nicht mißzuverstehen. Wir Sozialdemokraten haben von 1949 bis 1966 von diesen Bänken aus und von diesem Pult aus in vielen Fragen unserer staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung oppositionelle Vorschläge gemacht, Kritik geübt, Probleme zum Bewußtsein der Öffentlichkeit gebracht, die andere nicht sehen konnten oder nicht sehen wollten. Wir bilden uns gar nicht ein, daß von all dem, was wir damals vorgetragen haben - manches, was wir 1950 vorgetragen hatten, haben wir dann 1960 anders vorgetragen, weil sich die Umstände geändert hatten und weil unsere Einsichten ,sich verändert hatten -, der größere Teil inzwischen erledigt oder gedeckt sei.
Wir haben sehr viel zu kritisieren an diesem Staat, an dieser Wirtschaft, an dieser Gesellschaft. Wir bemühen uns, so wie früher aus der Opposition heraus, jetzt in der Regierung schrittweise das, was wir für veränderungsnotwendig halten, auch wirklich zu wandeln. Ich will nachher in einigen Punkten darauf zu sprechen kommen, insbesondere, nachdem Herr Scheel einige hier berührt hat.
Aber ich möchte eines deutlich voranstellen. Dieser Staat hat seine Fehler, wenn Sie wollen, tausend Fehler. Diese Gesellschaft, diese Wirtschaft hat tausend Fehler. Übrigens hat jede Demokratie tausend Fehler, schon im Abstrakten, z. B. den eingebauten Fehler, daß in der Demokratie derjenige, der regieren will, des Stimmzettels der Wähler bedarf, und damit die Wähler auch wirklich für ihn stimmen, muß er sich beim Volke beliebt machen, jedenfalls aber nicht unbeliebt. Das ist einer der eingebauten Fehler in einer Demokratie.
({9})
Da kann ich eine ganze Menge eingebauter Fehler hier aufzählen, nur um diese idiotische Oberlehrerillusion einmal vom Tisch zu kriegen, als ob die Demokratie etwas schlechthin Ideales wäre. Das ist sie beileibe nicht. Sie muß sehr vieles in Kauf nehmen. Wenn man sie dann konkretisiert wie etwa in der Bundesrepublik Deutschland, dann muß sie noch mehr in Kauf nehmen als in der Theorie. Nur, damit dies richtig eingeordnet wird, möchten wir doch am Anfang einmal klarstellen: Wir haben ja Erfahrungen mit Staats- und Gesellschaftsformen, wir Deutschen. Wir erinnern uns an den Unrechtsstaat des Dritten Reiches. Wenn wir sagen, unser gegenwärtiger Staat, unsere gegenwärtige Gesellschaft, habe tausend Fehler, dürfen wir wohl, ohne hier von irgend jemandem Widerspruch zu finden, sagen: Das, was vorher war, hatte tausendmal tausend Fehler, und das, was gleichzeitig drüben in der DDR ist, hat hunderttausend Fehler.
({10})
Und das, was vorher auf deutschem Boden war, der erste Versuch einer deutschen Demokratie, der 1930 kaputtging und sich dann noch bis zum 30. Januar 1933 hinquälte, hatte viele, viele, viele tausend Fehler. Und das, was davor war, das Deutsche Reich Wilhelms II., hatte zigtausend Fehler. Das alles muß man auch mit sehen, wenn man sagt, daß unser heutiger Staat fehlerhaft ist und unsere heutige Gesellschaft mit vielerlei Problemen und Krankheiten behaftet ist, die es zu lösen und zu heilen gilt. Ich will hier noch einmal mit anderen Worten sagen, was vor einem halben Jahr schon einmal von dieser Stelle gesagt worden ist. Wenn man diese letzten drei, vier, fünf Generationen unseres Volkes und all diese Staaten und Gesellschaften, die wir miteinander gebildet hatten, noch einmal vor dem geistigen Auge vorüberziehen läßt, wird man sagen müssen, daß dieser Staat Bundesrepublik Deutschland in der jüngeren Geschichte unseres Volkes derjenige Staat ist, der für seine Bürger - bisher jedenfalls - das größte Maß an Freiheit verwirklicht hat.
({11})
Das werden wir und wollen wir uns nicht kaputtmachen lassen,
({12})
weder von rechts noch von links. Und diese Gesellschaft, die wir miteinander nach dem Kriege, unvollkommen wie sie ist, zustande gebracht haben, ist bisher jedenfalls in der jüngeren deutschen Geschichte diejenige Gesellschaft - und das gilt auch für die Wirtschaft -, die das größte Maß an sozialer Gerechtigkeit und an sozialer Sicherheit in unserem Volk realisiert hat.
({13})
Und das werden wir uns auch nicht kaputtmachen lassen und auch nicht kaputtreden lassen, weder von links noch von rechts.
({14})
- Ich habe nicht zu Ihnen geguckt, Herr Scheel. Ich habe mehr hinter Herrn Zoglmann geguckt.
({15})
Schmidt ({16})
Vielleicht dürfen war aber doch nun auch einen Gedanken, der mit dem vorigen zusammenhängt, nicht unterschlagen. Das, was wir heute an Staat und Wirtschaft und Gesellschaft haben, hat ja dieses Volk miteinander so aufgebaut, wie es ist, in einer gemeinsamen Anstrengung derjenigen, die gearbeitet haben, derjenigen, die zu Hause den Haushalt geführt haben, derjenigen, die die Verbände, die Unternehmungen, die Gewerkschaften, die Politik betrieben und geführt haben, einer unwahrscheinlichen Arbeitsanstrengung von zwei, drei Generationen in der Altersschichtung unseres Volkes, die das gemeinsam zustande gebracht haben, nachdem die Älteren unter ihnen 30 Jahre eine Kette von Katastrophen, von Unglück, von Irrtum, von Schuld und Sorge miterlebt und mitertragen hatten. Das fing an im August 1914 und ging über den Steckrübenwinter von 1917 und den Zusammenbruch 1918 und die Inflation und die inneren Unruhen und die Schießereien überall im Reich und die Ruhrbesetzung und die Abstimmung in den Grenzgebieten. Und dann gab es einmal fünf normale Jahre in der ersten Demokratie, von der Roggenmark-Stabilisierung Ende 1923 bis etwa 1928 oder 1929. Fünf halbwegs normale Jahre! Und dann ging mit der Arbeitslosigkeit die große Scheiße wieder. los.
({17})
- Das war doch entsetzlich! Dauerarbeitslosigkeit für sieben Millionen Arbeitnehmer! Heute kann sich mancher nicht mehr vorstellen, was das für eine schlimme Sache ist,
({18})
wenn jemand arbeiten will, eine Familie und Kinder zu Hause hat und sie ernähren will, es aber keine Möglichkeit für ihn gibt. Die Spießbürger draußen im Lande halten es für selbstverständlich, daß wir in diesem Frühjahr die Vollbeschäftigung wieder erreicht haben. So selbstverständlich ist das gar nicht.
({19})
Denn die Arbeitslosigkeit hat - neben anderen Gründen - wesentlich dazu beigetragen, daß dann die nächste Katastrophe kam mit diesem „Dritten Reich", mit seiner Ungerechtigkeit, mit seiner bloßen Gewalt, mit der Menschenleben ausgelöscht wurden, mit dem zweiten Weltkrieg, mit der physischen und psychischen Auszehrung durch das „Dritte Reich", mit dem Zusammenbruch und anschließend dem Hunger und der Trümmerwüste. Es ist dieselbe Generation, die das alles ertragen hat und die dann trotzdem hinterher aufgebaut hat.
Es ist vielleicht schwer für einen jungen Menschen, sich das alles vorzustellen. Für ihn ist das Geschichte, genauso wie für Herrn Scheel, der Bismarck zitiert hat, Bismarck Geschichte ist, weit weg. Aber vielleicht sollte der junge Mensch doch begreifen, daß bei einer Generation, die ein solches Leben hinter sich hat und die sich am Schluß, die letzten zehn, zwanzig Jahre des Lebens, noch einmal so ungeheuer angestrengt hat, das, was wir heute haben, auf die Beine zu bringen, bei dieser physischen Ausschöpfung irgendwann einmal auch
eine gewisse geistige Erschlaffung hier und da eintritt. Auch dafür sollte man ein bißchen Verständnis haben. Jedenfalls darf niemand deswegen moralisch angeklagt werden, daß er nach einem solchen Leben irgendwann auch einmal aufatmend sich zurücksetzen möchte gegen die Sofalehne, die Schuhe ausziehen und ins Fernsehen gucken möchte und sich freuen möchte, daß es ihm endlich wieder normal geht.
({20})
Wer einem solchen Leben und einer solchen Einstellung zum Leben am Ende mit Hochmut und Überheblichkeit begegnet, dem - jedenfalls, wenn es ein Älterer ist, der es besser wissen sollte - fehlt es an Humanität, der kann sich nicht einfühlen in eine menschliche Seele.
Aber ich kann gut verstehen, daß dies jungen Leuten ungeheuer schwerfallen muß. Die jungen Leute können auch unseren Stolz auf das nicht verstehen, was wir miteinander gemeinsam zustande gebracht haben. Sie haben ja all diese Trümmer und Katastrophen nicht selber erfahren. Für sie ist das weit weg. Sie messen an absoluten Maßstäben; das müssen sie ja auch. Das haben wir ja auch einmal gemacht, als wir jung waren. Und wenn uns in einer Untersuchung von Herrn Wildenmann aus Mannheim, die Herr Scheel mit Recht zitierte, berichtet wird von dem hohen demokratischen Potential in der Studentenschaft als einem Teil der Jugend, und wenn uns berichtet wird, daß zum erstenmal seit Generationen die Masse der deutschen Studentenschaft nicht deutschnational, sondern links und demokratisch eingestellt ist, dann ist das ja an und für sich noch für niemand Grund, sich aufzuregen, es sei denn für die, die weiter rechts sitzen. Das ist im Grunde etwas, was man begrüßen wird und begrüßen muß.
Trotzdem ist es so, daß viele von uns vieles nicht verstehen, was in den jungen Menschen vorgeht. Viele Eltern verstehen ihre Söhne nicht mehr. Nicht nur in prominenten Familien ist das so, Herr Benda
({21})
- aber es ist auch in vielen prominenten Familien so -, sondern es ist im ganzen Volk so, daß die jungen Menschen nicht verstehen, was sittlich, was politisch und was geistig ihre Väter bewegt.
({22})
- Ja, bei Ihnen ist es wahrscheinlich besser, Herr Schulhoff. Das wünsche ich Ihnen von Herzen, daß es bei Ihnen besser ist.
({23})
- Ich nehme an, Sie sind inzwischen in dem Alter, daß Sie Enkel haben. Das Problem zwischen Großvätern und Enkeln stellt sich meistens sehr viel glimpflicher als zwischen Vätern und Söhnen.
({24})
Ich denke, die Erwachsenen in diesem Land müssen verstehen, daß die jungen Leute nicht nur das Recht haben, nach ihren eigenen absoluten MaßSchmidt ({25})
stäben die tatsächlichen oder die scheinbaren Möglichkeiten und das, was wir daraus machen, zu messen, sondern daß sie darüber hinaus die Pflicht haben, Zukunftsvorstellungen selbst zu entwickeln, kritisch an das heranzugehen, was heute ist. Jeder, der Demokrat ist, hat die Pflicht, wenn er Kritik empfindet, sie auch vorzubringen, wenn er eigene Vorschläge hat, sie auch vorzubringen. Anders kann nämlich die Demokratie nicht leben. Demokratie ist ein Prozeß und nicht ein Zustand.
({26})
So haben also auch jugendliche Demokraten die Pflicht, das auszusprechen, was sie an Kritik und an alternativem Vorschlag in ihrem Kopf haben.
Auf der anderen Seite haben junge Leute natürlich auch nötig, daß ihnen die Grenzen gezeigt werden. Was mir am meisten innerlich Sorge macht, ist die bei einem Teil der Jugend, bei einem Teil der studentischen Jugend, bei einzelnen und bei Gruppen von ihnen zu beobachtende elitäre Arroganz, die genausogut von rechts außen kommen könnte,
({27})
dieses Elitebewußtsein, alles, aber auch alles besser zu wissen als die dummen Arbeiter, die dummen Angestellten, die dummen Politiker, die dummen Professoren. „Dumm" wäre ja noch das wenigste; ich habe mir im Wahlkampf viel schlimmere Beschimpfungen aus studentischem Mund anhören müssen. Das macht mir eigentlich noch viel mehr Angst als die Gewalttätigkeiten, bei denen ich sehe, daß die Studenten darüber inzwischen sehr viele zweite und dritte Gedanken haben und viele von ihnen inzwischen meinen, sie müßten sich das wohl anders überlegen.
Aber was die Saat dieser Überheblichkeit ist, daß man eine Elite sei - als ob sie schon etwas geleistet hätten!
({28})
es gibt Eliten auch in demokratischen Gesellschaften, aber die beruhen auf Leistung; nur durch Leistung kann man ins „Establishment" aufsteigen -,
({29})
das macht mir ein bißchen Angst. Ich fürchte, in dieser Überheblichkeit steckt eine Saat, die man genauso sorgfältig betrachten muß und mit der man genauso umgehen muß und die man jäten muß wie jene andere Saat, die in den unglaublichen, ja nun weiß Gott nicht nur von Jugendlichen erfundenen Formulierungen steckt: Gewalt gegen Personen sei zwar nicht in Ordnung, aber gegenüber Sachen sei dagegen kein Einwand zu erheben. Jede Gewalt trägt in sich den Keim des Bösen; das müssen sie sich gesagt sein lassen!
({30})
Nun ist es sehr, sehr schwierig, junge Menschen zur Toleranz zu mahnen. Ich erinnere mich, wie wenig tolerant ich war, als ich 20 war. Ich nehme an, hier sind eine ganze Menge im Saal, die mit 20 nicht
so tolerant waren, wie sie heute möchten, daß die 20jährigen sein sollten.
({31})
Toleranz ist im wesentlichen eine Stärke, die eher den Erwachsenen, den Reifen auszeichnet. Das hilft aber alles nichts. Mindestens müssen wir verlangen, im übrigen dann auch durchsetzen, wenn es nicht anders geht - ich stimme Herrn Benda völlig zu -, daß die Spielregeln in unserer Gesellschaft eingehalten werden. Die Spielregeln müssen eingehalten werden. Wer das nicht aus eigener Einsicht will, der muß dazu notfalls mit den Mitteln, die das Gesetz dafür vorsieht, gezwungen werden.
({32})
Aber wir wollen bitte bei Pauschalurteilen vorsichtig sein. Auch z. B. in meiner Generation, als ich 20 war oder 15 oder 16 oderl8, auch in meiner Generation haben viele junge Leute, viele Jungs damals natürlich nicht unterscheiden können zwischen dem, was politische Vernunft gebot, und dem, was ihnen gegenüber nur demagogische Verführung gewesen ist. Und so ist es eben auch heute bei vielen jungen Leuten, die sich zu Dingen mitreißen lassen und mitlaufen, die auf der Grundlage einer idealistischen Grundgesinnung oder Grundvorstellung im übrigen solchen ausgeliefert sind, die sie zu Mitläufern machen, z. B. bei Gewalttaten.
Mitläufer gibt es in unserem Volk immer wieder. Das zeichnet nicht nur unsere gegenwärtige Gesellschaft aus. Auf allen Seiten der Gesellschaft gibt es die.
({33})
- Den Zwischenruf hätte ich gern laut gehört. - Er schämt sich, er wiederholt ihn nicht.
Es gibt eine pädagogische Aufgabe gegenüber der Mitläuferei in der jungen Generation. Wir können wahrscheinlich den Rechtsanwalt Mahler nicht überzeugen; der ist ja auch kein Jugendlicher, der tut nur so. Das ist ein erwachsener Mann, promovierter Rechtsanwalt; der weiß, was er tut, und der wird dafür die Konsequenzen selber tragen müssen.
({34})
Aber den Jugendlichen gegenüber, die von solchen Männern auf der Basis ihres jugendlichen Idealismus für Dinge und gegen Dinge mitgerissen werden, besteht die große Aufgabe, immer wieder zu versuchen - und das ist verdammt schwer -, eine gemeinsame Sprache zu suchen, damit wir uns wenigstens gegenseitig verstehen, was noch nicht heißen muß, daß man sich gegenseitig über etwas verständigt. Aber man muß wenigstens verstehen, was der andere meint und was ihn bewegt. Deswegen kann man hinterher im Ergebnis doch verschiedener Meinung bleiben. Oder wie mein Freund Willy Brandt es gestern in einer Diskussion gesagt hat: Wir müssen auch unsererseits unsere Antennen hoch ausfahren und sie gegenüber den jungen Leuten nicht etwa einfahren.
Es ist vielleicht notwendig, gegenüber dem immer wiederholten Stichwort von den kleinen Minderheiten zu sagen: das mit den kleinen Minder9012
Schmidt ({35})
heften stimmt in bezug auf die, die Gewalttaten wollen, die Umsturz wollen, die Revolution wollen und von Revolution schwätzen, die sich als Lenin oder Bakunin oder Guevara fühlen. Das ist wirklich eine minimale Minderheit. Aber macht euch nichts vor, meine Damen und Herren: die Masse der Jugend - das gilt auch für die nichtakademische - ist unruhig. Die Unruhe ist nicht nur eine Sache der kleinen Minderheit. Die geht sogar bis in den RCDS, und das will was heißen.
({36})
Herr Barzel hält das für einen billigen Trick; aber es war doch ein Lob gegenüber Ihren jungen Leuten, Herr Barzel.
({37})
- Ja, bei uns ist mehr Unruhe als bei euch.
({38})
- Ich? .
({39})
Nun finde ich daß der Bundestag heute, wenn er schon über diese Probleme spricht - und nicht nur zu sich selber, sondern doch auch nach draußen für die Zuhörer spricht -, sich noch mit einigen der Argumente, die von der Jugend vorgetragen werden, auseinandersetzen muß. Die Große Koalition ist einer der Hauptangeklagten: sie sei ein Verstoß gegen die Demokratie, sie täusche eine konfliktlose Gesellschaft vor.
In Wirklichkeit ist es so: Wir z. B., die Sozialdemokraten, sind in diese Regierung reingegangen, um uns einem Konflikt zu stellen, nämlich dem Konflikt zwischen den Bedürfnissen einer modernen Industriegesellschaft und bisher jedenfalls nicht angepaßten oder nicht ausreichend angepaßten Regierungsmethoden und gesetzgeberischen Instrumenten. Aber das kann man ja noch mehr verdeutlichen. Hier war schon von der Rezession, von der Gefahr neuer Arbeitslosigkeit die Rede, wir kennen ebenso Strukturkrisen in Bergbau und Landwirtschaft, Finanzchaos oder die Verketzerung zukunftsorientierter Planung im Parlament und in der Regierung. Wir haben damals gemeint, hier überall gebe es Konflikte, die gelöst werden müßten. Neue aber werden dahinter auftauchen.
Daß nun bemängelt wird, daß die Opposition nicht ausreichend sei, - das allerdings ist nicht die Verantwortung der Sozialdemokraten, das ist die Verantwortung von Herrn Scheel und von Herrn Mischnick. Opposition ist ja nun nicht bloß eine Frage der Zahl.
({40})
- Herr Scheel sagt, auch Regierungspartei zu sein, sei nicht eine Frage der Zahl. Da gebe ich Ihnen genauso recht: zahlenmäßig sind wir zu stark. Aber ich sage nicht: „ihr seid nur zahlenmäßig zu schwach", Herr Scheel!
({41})
Aber nun wollen wir doch den Vorwurf von Herrn Scheel aufnehmen.
({42})
Der Vorwurf kam von außen, - aber lieber Herr Scheel, Sie haben sich z. B. in der letzten Woche öffentlich diesen Vorwurf zu eigen gemacht.
({43})
Ich habe gelesen - ich zitiere -, daß Sie draußen im Lande gesagt haben: Der Herr Wehner und die Sozialdemokraten haben im Dezember 1966 die Chance des großen Machtwechsels versäumt.
({44})
- Gut, das haben Sie auch gesagt. Sie bekennen sich zu dem Satz, das ist schon mal ganz gut.
({45})
- Ich zweifle nie an Ihrer Redlichkeit, Herr Scheel, Sie auch nicht an meiner; wir haben uns immer gut verstanden. Aber ich zweifle an der Vernunft des Satzes, den ich zitiert habe.
({46})
Sehen Sie, wir wollten ja ganz gern einen Wachwechsel in diesem Hause. Wir haben Ihnen und Ihrer Partei - übrigens nicht nur Ihnen - Neuwahlen zum Deutschen Bundestag vorgeschlagen.
({47})
Jemand, der das Grundgesetz kennt, weiß, daß die Prozedur, um zu Neuwahlen zu gelangen, mitten in der Legislaturperiode kompliziert ist.
({48})
Aber sie wäre möglich gewesen. Die FDP, Herr
Scheel, hat - genau wie andere in diesem Hause
- von vornherein, a limine abgelehnt, die Idee einer Neuwahl des Bundestages in Betracht zu ziehen. - Wenn ich etwas Falsches sagen sollte, bitte, dann strafen Sie mich Lügen.
({49})
- Nein, Sie haben es abgelehnt, weil Sie Angst gehabt haben vor Neuwahlen, und das mit Recht; so war die Sache.
({50})
- Sie verleiten mich zu immer mehr Exkursen. Die gehen nicht gut aus für Sie.
({51})
Schmidt ({52})
- Haben Sie's mit qu gesagt oder mit Doppel-p?
({53}) - Das war nicht mehr ganz redlich.
Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Friderichs?
Bitte!
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Stimmen der zahlenmäßig großen Koalitionsparteien ausreichen, um Neuwahlen zu beschließen?
Heute?
Und auch 1966 ausgereicht haben?
Lieber Herr Friderichs, das ist nun also wirklich eine Frage, die am Kern meines Vorwurfs vorbeigeht. Darauf brauche ich wohl nicht noch einmal einzugehen. Es ist im übrigen nicht unsere Sache, dafür zu sorgen, daß die Opposition stark ist.
Es gibt manche Leute im Lande, die meinen, es sei ein ungeschriebenes Gesetz der deutschen Staatstradition, daß die SPD die Opposition zu machen habe. Das ist ein Irrtum. Die SPD ist gegründet worden, um - wie Karl Marx sagte - die Welt zu verändern, nicht um sie kritisch zu interpretieren. Das war nicht unser Lebenszweck.,
({0})
Im übrigen haben wir sie ja sogar schon um einiges verändert und haben gezeigt, daß wir bei schlechtem Wetter regieren können. Der Karl Schiller hat ja nicht bei gutem Wetter angefangen z. B. mit der Wirtschaftspolitik; das war ja wohl ein schlechtes Wetter.
({1})
Es wird ja wohl auch keiner sagen, daß der Herr Wehner oder daß der Herr Brandt bei besonders gutem Wetter ihre Aufgaben angefangen hätten.
({2})
Und dann kommt ein anderer Vorwurf, auch von Herrn Scheel angedeutet, aber vor allem von der Jugend. Ich finde es richtig, daß sich die Opposition zum Sprecher der jugendlichen Opposition macht; das ist Ihre Rolle hier. Sie müssen dabei dann auch abwägen, wo sie sich nicht zum Sprecher machen können; das haben Sie auch getan, das ist Ihre Aufgabe. Es wird also gesagt, das Parlament spiele seine Rolle nicht gut genug, oder es wird gesagt, das Parlament sei zu den notwendigen Reformen nicht fähig, oder es wird gesagt, das Parlament verschweige vieles. Vielleicht ist es richtig, daß in diesem Parlament zu sehr in den Ausschüssen gearbeitet wird. Es ist ein Hobby von mir, immer wieder, bei jeder Gelegenheit, zu sagen, daß sich
das Parlament selber transparenter machen muß, als es das bisher ist.
({3})
Das gilt auch für die Ausschußarbeit hinter verschlossenen Türen, es gilt für die Notwendigkeit, stärker als bisher öffentliche Hearings zu machen. Das alles eingeräumt und eingeräumt, daß unsere jungen Abgeordneten aus allen drei Fraktionen recht haben, daß die Arbeitsmöglichkeiten für einen Parlamentarier, der Kontrolle ausüben will, der Initiative zeigen will, weiß Gott unzureichend, beinahe unzumutbar unzureichend sind - ({4})
- Weil man nicht alles auf einmal machen kann. Aber ich sage das nicht zum erstenmal, verehrter Kollege, ich sage das über Jahre.
({5})
- Das können Sie.
({6})
Sie können sich darauf verlassen; allerdings nicht alles auf einmal. Sie können sich darauf verlassen, daß ich mich beim Wort nehmen lasse.
Aber trotz aller dieser Einschränkungen: die Kontrolle in diesem Parlament funktioniert. Hier sitzen auf dier Ministerbank Minister der CDU/CSU, die Erfahrungen mit verschiedenen Kabinetten und mit verschiedenen Koalitionen haben. Ich weiß es nicht, aber ich könnte mir denken, daß etwa Herr Schröder oder etwa Herr von Hassel der Meinung wären, daß ihnen das Leben im Parlament noch nie so schwierig gemacht worden ist wie gegenwärtig, übrigens nicht nur von der Opposition, nicht nur von Koalitionspartnern, sondern auch von der eigenen Fraktion, insofern nämlich, als ja diese Große Koalition weiß, daß sie so stark ist, daß sie selber das Kontrollmoment zu befördern hat. Die Sozialdemokraten haben nicht ganz so viel Regierungserfahrung, aber sie stöhnen auch über das Maß an Kontrolle, das ihre eigene Fraktion über sie ausübt. Und wir Abgeordneten müssen uns ja auch damit zurechtfinden; so ganz leicht ist das ja auch für beide Seiten nicht, auch menschlich nicht so ganz einfach, wenn man eis nicht gewohnt war.
Die Frage der Fähigkeit dieses Parlaments zu Reformen! Da gibt es doch Beispiele dessen, was bisher geleistet worden ist. Ich muß nicht alles wiederholen: z. B. Stabilitätsgesetz, z. B. Kohleanpassungsgesetz.
Nun sagen Studenten: Das ist alles viel zu fachlich, wir wollen ja die großen Reformen, die großen gesellschaftlichen Reformen. Ich habe neulich einen Studenten in einer Riesenversammlung erlebt, der hat gesagt: „Was reden Sie denn da über lauter Einzelheiten? Sie sollen über die großen gesellschaftlichen Reformen reden." Da habe ich gesagt: „Bitte,
Schmidt ({7})
jetzt kommen ja noch fünf Redner vom SDS. Tut doch dem Kommilitonen, der vor euch geredet hat, mal den Gefallen, eurerseits zu sagen, was ihr mit den großen Reformen meint." Aber danach kamen sie wieder mit kleinen Einzelheiten. So ist nämlich das Leben. Man kann ein Haus nur bauen, wenn man .einen Stein auf den anderen setzt. Wer immer nur vom Großen und Ganzen redet, redet möglicherweise nur Phrasen.
Man kann z. B., lieber Herr Scheel, nicht eine Entschließung vorlegen, daß die Bundesregierung Konsequenzen aus den Erscheinungen der Pressekonzentration ziehen soll und daß die Konsequenzen für Fairneß, Objektivität, Qualität und sonstwas alles sorgen sollen, wenn man nicht wenigstens andeutet, wie das denn alles gemacht werden soll.
({8}) Hier wird auch vom großen Ganzen geredet. ({9})
- Ich habe Sie dazu gehört; die mündlichen Ausführungen schienen mir wesentlich mehr Substanz zu haben als ihr grünes Papier.
({10})
Noch besser wäre es ja, Herr Scheel, wir bekämen von Ihnen mal einen Gesetzentwurf. Dann müßten Sie ja genau sagen, wie Sie es mit Herrn Springer halten. Dies war ja ein bißchen eine Sowohl-als-auchRede.
({11})
- Ja, die Regierung wird von Ihnen aufgefordert; wir werden sehen, ob wir uns der Aufforderung anschließen können. Sie verstehen aber Ihre Oppositionsrolle immer noch nicht recht. Jemand, der meint, die Regierung sei unzureichend und sie tue nichts, der muß ihr doch zeigen, was sie tun soll, und darf nicht sagen, wie Sie es jetzt in dem Zwischenruf verlangen, sie solle einen Entwurf machen, über den Sie dann befinden wollen. Wieviel Gesetzentwürfe haben meine Freunde und ich seit 1949 initiativ in diesem Haus vorgelegt! Das ist Oppositionsarbeit!
({12})
- Gut, ich will nicht darauf herumreiten.
Ich will unterstreichen, was Herr Benda hier, für die Bundesregierung sprechend, von der Modernisierung und Rationalisierung der Verwaltung gesagt hat, ein Thema, das in Bonn im Laufe der letzten zehn Jahre zu kurz gekommen ist
({13})
und das in der öffentlichen Diskussion häufig nur von Dilettanten behandelt und jedenfalls von Politikern wenig beackert wird. Herr Bundeskanzler, ich darf Sie daran erinnern, daß die Große Koalition auch mit der Post im Sinne einer Rationalisierung der Verwaltung etwas vorhatte. Das war ein konkretes Thema, das wir damals ins Auge gefaßt hatten. Andere Themen sind noch nicht konkretisiert worden. Wir sind begierig, von der Bundesregierung zu hören, welche Vorstellungen sie auf diesem Gebiet hat, und zwar nicht nur bei der Post, sondern auch so allgemein, wie Herr Benda das angesprochen hat.
Im übrigen denke ich, daß hier die beiden großen Parteien und ebenso die Oppositionspartei im Laufe der letzten Jahre ein durchaus weitreichendes Problembewußtsein gezeigt haben. Ich denke an die jüngsten Papiere meiner eigenen Partei, die „Perspektiven", an den Entwurf eines Aktionsprogramms der CDU und an das, was im Schoße der FDP erarbeitet worden ist. Nur ist es so, daß viele unserer jugendlichen Kritiker sich damit überhaupt nicht beschäftigen,
({14})
daß man die Parteien kritisiert, ohne sie überhaupt zu kennen oder den Versuch gemacht zu haben, sie kennenzulernen,
({15})
und daß manche Leute meinen, wenn sie in eine
Partei einträten, müsse ihnen gleich der rote
Teppich ausgerollt werden bis zum Landtagsmandat.
({16})
Sie begreifen nicht, daß diejenigen, die im Landtag oder im Bundestag sitzen, in aller Regel - es gibt auch Senkrechtstarter, das gebe ich zu ({17})
sich im Laufe von Jahren durch Leistungen haben ausweisen müssen, ehe sie in geheimer Wahl von ihren Parteifreunden als Kandidaten aufgestellt wurden. - Bitte, Herr Schmidt!
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).
Herr Kollege Schmidt, sind Presseverlautbarungen richtig, wonach Ihre Fraktion einen Antrag zum Verhältnis des Parlaments zu Interessenverbänden vorgelegt hat, und ist Ihnen bekannt, das seit drei Jahren ein von Abgeordneten des ganzen Hauses unterschriebener Antrag in den Ausschüssen liegt, ohne überhaupt beraten zu werden? Das gilt für eine Reihe von Anträgen zur Parlamentsreform. Wir brauchen gar nicht nach der Regierungsbank zu schauen, wir brauchen nur auf unsere eigene Seite zu schauen.
({0})
Was geschieht, um endlich diese zahlreichen Anträge zur Parlamentsreform in diesem Hause zu einer Gesamtkonzeption zu entwickeln?
({1})
Herr Namensvetter, darauf möchte ich Ihnen eine Antwort in drei Punkten geben, die ich mir genau überlege:
Erstens, was die Interessenverbände angeht, die hier in Bonn tätig. sind. Der Antrag, von dem Sie sagen, daß er drei Jahre alt sei, ist in der Sache elf
Schmidt ({0})
1 Jahre alt. Ich habe ihn das erstemal 1956 oder 1957 im Deutschen Bundestag eingebracht. Die Sache ist also noch viel schlimmer, als Sie sie dargestellt haben. Ich will jetzt nicht schildern, woran es die ganze Zeit gehangen hat, daß er nicht verwirklicht wurde. Ich glaube aber heute, daß die Bedeutung einer solchen Regelung überschätzt wird. Ich halte das für eine notwendige Regelung, aber ich würde ihr keine allzu hohe Bedeutung zumessen.
Zweitens, zur Parlamentsreform. Ich glaube, daß manche Kollegen - ich darf insbesondere Herrn Kollegen Dichgans nennen - sehr interessante Ideen haben. Aber ich glaube, daß manches davon nicht ausreichend praktikabel werden kann und nicht aus einer umfassenden Erfahrung mit diesem Parlament geboren ist. Vieles von dem liegt wahrscheinlich zu Recht noch in den Ausschüssen, weil es so einfach doch nicht geht.
Aber nun der dritte Punkt der Antwort, Herr Dr. Schmidt, und vielleicht werde ich jetzt gleich von dem amtierenden Präsidenten unterbroch en. Ich weiß gar nicht, wer jetzt da sitzt.
({1})
- Herr Mommer! Ich will Ihnen in aller Offenheit sagen, daß diejenige Einrichtung dieses Parlaments, die mit der Parlamentstechnik, mit dein inneren System dieses Parlaments zu tun hat, nach meiner Meinung unzureichend funktioniert.
({2})
Das sage ich nicht zum erstenmal, und ich bitte, es nicht mißzuverstehen: ich sage es nicht auf eine bestimmte Person bezogen.
({3})
- Die da jetzt lachen, die tun das ihrerseits. ({4})
Ich meine mit der Einrichtung das, was sich Bundestagsvorstand und Ältestenrat nennt - beides zusammen.
Ich möchte gern noch an ein paar Bemerkungen - anknüpfen dürfen, die Herr Scheel zum Thema Pressekonzentration gemacht hat.
Daß der Springer-Verlag und seine Zeitungen zu einem solchen Problem in der öffentlichen Meinung werden konnten, hat drei Gründe: Erstens haben sich gewisse Leute entschlossen, ihn zum Buhmann zu machen. Zweitens bietet er allerdings Angriffsflächen, nämlich zwei Angriffsflächen, die in der Kombination ihn verletzbar und verwundbar machen: Erstens wird bei einigen seiner Zeitungen in einer suggestiven, nicht sonderlich peniblen, nicht sorgfältig zwischen Meinung, Kommentar und Nachricht, Information unterscheidenden Weise Meinung verbreitet. Übrigens nicht nur bei ihm;
({5})
da mögen auch die Herren Jahr und Gruner, und wie sie alle heißen, einmal in den Spiegel gucken.
({6})
Zweitens addiert sich dieses kritisch zu beurteilende Kriterium an dem einen oder anderen Ort mit einer nahezu marktbeherrschenden Position im Zeitungsmarkt. Wenn beides zusammentrifft, ist das natürlich ein Ansatzpunkt für Besorgnis und muß es auch sein.
Übrigens, auch das zweite Kriterium wird keineswegs etwa nur von den Zeitungen des Herrn Axel Springer in Berlin oder in Hamburg erfüllt. Gehen Sie einmal durch die deutschen Städte und stellen Sie einmal fest, wer alles Monopole hat
({7})
und wer alles solche Monopole zur Meinungsmache einseitiger Art in Deutschland benutzt.
({8})
Ich wehre mich dagegen, daß wir uns in die Hysterie mitreißen lassen, als ob etwa nur der Herr Springer allein zu kritisieren wäre, was die veröffentlichte Meinung in Deutschland angeht.
({9})
Nun hat Herr Benda sehr viel Beifall bei kritischen Bemerkungen über das Fernsehen gefunden, und ich denke, der Beifall war an der Stelle und in dem Zusammenhang auch gerechtfertigt. Er kam auch aus der linken Ecke des Hauses. Auf der anderen Seite muß man aber zurechtrückend wohl auch sagen: Solange es noch das Erste und das Zweite Deutsche Fernsehen und das Regionalfernsehen gibt und sie alle etwas Verschiedenes senden, kann jedenfalls die „Bild-Zeitung" allein den deutschen Bürger nicht „manipulieren" ; das ist einfach dummes Zeug.
({10})
Auf der anderen Seite: Herr Scheel sprach hier über Vorbilder, Herr Benda hat hier etwa „Le Monde" genannt, und Herr Scheel sprach über Kuratorien. Sie wissen beide, meine Herren, daß ich vor einiger Zeit ähnliche Vorschläge öffentlich zur Diskussion gestellt habe, und ich sehe mit einem gewissen Vergnügen, wie die Regierung - und ich nehme an, in diesem Punkte auch die CDU/CSU - und wie die FDP und wie die Sozialdemokraten, für die ich es jetzt wiederhole, hier in eine ähnliche Richtung denken. Es ist ja auch nicht so - ich glaube, das hat Herr Benda gesagt -, daß wir uns zum erstenmal und erst seit gestern mit diesem Thema beschäftigen. Da gibt es ja viele Vorarbeiten, und ich nehme an, die Günther-Kommission wird im nächsten Monat ihren Bericht vorlegen. Es wird dann eine Spezialdebatte in diesem Hause geben, und ich denke, es muß dann einmal nicht nur eine Beratung in einem Ausschuß, sondern unter Beteiligung der öffentlichen Massenkommunikationsmittel ein Hearing stattfinden, bei dem jeder zuhören kann. Das wird nach der Debatte, die wir bisher über die Pressekonzentration hatten, dann sehr viel Aufmerksamkeit in der öffentlichen Meinung finden; und dann müssen wir einmal sehen, was denn die Kritiker Positives und Beherzigenswertes vorbringen und was diejenigen, die angegriffen sind, zu ihrer Verteidigung vorzubringen haben. Ich denke also an ein öffentliches Hearing, nachdem der
Schmidt ({11})
Günther-Bericht vorliegt, zu Fragen der Pressekonzentration und zur Frage der Struktur der veröffentlichten Meinungen, nicht nur in der Presse, sondern auch im Zusammenspiel mit den anderen Kommunikationsmitteln. Diejenigen, die dann in solchem öffentlichen Hearing als Kritiker auftreten, mögen sich darauf gefaßt machen, daß wir nicht darauf aus sind, irgendwelches Geschwätz von „repressiver Toleranz" zu hören, sondern daß wir dann konkret hören wollen, was anders gemacht werden soll.
Ich stimme Herrn Scheel und Herrn Benda völlig zu: die Enteignungsparole ist so ziemlich das Einfallsloseste, was wir auf dem ganzen Gebiet bisher gehört haben. Ich bin besonders froh darüber, daß Herr Scheel es über sich gebracht hat, dies zu belegen mit dem Autoritätsbeweis eines Zitats aus gewerkschaftlichem Munde.
({12})
- Nein, so weit offen seid ihr nicht; denn anschließend haben Sie über Mitbestimmung geredet, das habe ich mit Interesse gehört,
({13})
lieber Herr Scheel, und Sie haben Ihr Visier auch tatsächlich rechtzeitig einen Tag vor dem 1. Mai hochgeklappt.
({14})
Da soll ja morgen auf tausend Demonstrationen in Deutschland über Mitbestimmung geredet werden.
({15})
- Ja, gut; aber nachdem Sie so viele Monate, genauer gesagt: nachdem Herr Dorn so viele Monate den Eindruck erweckte, als ob die neue FDP die gewerkschaftsfreundlichste Partei in Deutschland sei, bin ich besonders dankbar, daß dieser Punkt nun wenigstens ganz klipp und klar ist.
Sie haben gesagt, Herr Scheel, Sie befürchten, daß die von uns angekündigten Gesetzentwürfe nicht mehr in dieser Legislaturperiode kämen. Ich verspreche es Ihnen: sie kommen, und sie sehen etwas anders aus, als Sie vielleicht aus der öffentlichen Debatte, die in anderen Quartieren geführt wird, im Augenblick noch annehmen. Ich bin überzeugt, Sie lehnen trotzdem ab; Sie haben ja pauschal schon gesagt, Sie sind nicht dafür.
Mir fällt bei der Gelegenheit ein, Herr Scheel, daß nicht zuletzt deshalb - das darf ich noch sagen - die Koalitionsverhandlungen zwischen Ihrer Partei und der unsrigen im November 1966 gescheitert sind, weil wir uns auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet überhaupt nicht zusammenraufen konnten
({16})
und weil z. B. Ihr Verhandler, Herr Starke -ich habe ihn lange nicht mehr hier sprechen hören - damals gesagt hat: Das Wort Mitbestimmung darf überhaupt in der Regierungserklärung nicht vorkommen.
({17})
Diesen Zuruf: „Das stimmt ja gar nicht!" höre ich nicht so gern. Denn, lieber Herr Scheel, Sie haben sich an diesen Koalitionsverhandlungen nicht beteiligt. Damals hatte nämlich bei Ihnen noch der nationalliberale Flügel das Heft in der Hand. Jetzt sind es die Freisinnigen.
({18})
Ich weiß, das wechselt. Hoffentlich bleiben es die Freisinnigen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Friderichs? Schmidt ({0}) ({1}) : Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Schmidt, ist Ihnen bekannt, daß Ihre Verhandlungskommission im Herbst 1966 in der Frage der Mitbestimmung uns exakt das angeboten hat, was zwischen CDU und Ihnen vereinbart worden ist, nämlich: Beauftragung einer Sachverständigenkommission, Vorlage des Ergebnisses im Sommer 1969, Behandlung des Themas im nächsten Deutschen Bundestag?
Unter anderem, auch dies, es ist richtig. Und ist Ihnen bekannt, Herr Friderichs, daß Sie das Wort Mitbestimmung abgelehnt haben?
({0}) - Aber ja!
({1}) - Ich schwöre einen Eid darauf!
Herr Kollege Schmidt, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Verhandlungskommission der FDP diesem Ihrem Vorschlag zugestimmt hat?
Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie es nachträglich so zu interpretieren wünschen. Mehr kann ich wirklich nicht sagen.
({0})
Aber wir werden uns vielleicht in den nächsten Tagen noch einmal darüber unterhalten müssen; es ist zur Steuer der geschichtlichen Wahrheit, wie mir jetzt scheint, dringend erforderlich, daß das aufgeklärt wird.
({1})
- Sehr glaubwürdig wirkt aber nicht, was Sie hier sagen, nachdem Herr Scheel pro futuro sagt: „Wir machen es auf keinen Fall!"
Lassen Sie mich noch einmal auf Herrn Springer und seine Zeitungen und auf das Fernsehen zurückkommen. Nach einer sorgfältigen Unterhaltung, die meine Fraktion darüber geführt hat, und nach dem Anhören der Innenminister im Innenausschuß des Bundestages und vieler anderer möchte ich sagen, daß wir das Gefühl haben, daß nach dem Gründonnerstag sowohl einige Zeitungen - jede auf ihre Weise -, insbesondere solche aus dein Verlag Axel Springer, aber auch andere, als auch einige
Schmidt ({2})
Fernseh-Redaktionen - jede auf ihre Weise - zur psychologischen Eskalation erheblich beigetragen haben.
({3})
Im Eifer der aktuellen Berichterstattung haben sie erheblich beigetragen zu dieser pauschalen und auf die Dauer unerträglichen Polarisierung: hie Bürgergesellschaft, hie Studenten.
Auf der anderen Seite ist es klar, daß es unter den Studenten einige gibt, die die Osterereignisse zum Teil so beeinflußt, zum Teil so geplant und angelegt hatten, daß andere die Gesetze mißachten sollten. Dabei sind nun einige hineingefallen. Einige haben die Gesetze mißachtet und werden vors Gericht kommen und müssen ja auch vors Gericht kommen. Bei anderen, wie z. B. bei manchen unserer Polizisten, ist der Faden gerissen und sie haben auch etwas gemacht, was vom Gesetz nicht gedeckt ist; sie müssen ebenfalls vors Gericht kommen. Den jungen Leuten aber muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß dieses Haus und jede Regierung, die dieses Haus sich wählen wird, daß wir hier miteinander nicht zulassen werden, daß sich in Deutschland die Meinung verbreitet, man könne sich das, was man für sein Recht hält, selber mit Gewalt verschaffen. Das wird es nicht geben.
({4})
Wir werden alle für die Autorität des Gesetzes und des Rechts eintreten, egal gegenüber wem, ob er nun Student oder Polizist oder was immer ist.
Aber ich wäre doch dankbar, wenn wir alle auch Verständnis für die Lage der Polizeien hätten. Sie ist schwierig.
({5})
Da gibt es junge Polizisten, die genauso alt sind wie Studenten, und es gibt Zigtausende von Polizisten, die in einem solchen Alter sind, daß sie nicht wissen, ob ihre Söhne nicht auch gerade unter den Demonstranten sind. Zudem ist die Polizei nicht unbedingt für die Situation ausgebildet, die im letzten Jahr in Deutschland entstanden ist.
({6})
Polizist zu sein, ist sowieso nicht gerade ein Beruf, in dem man psychologische Einfühlsamkeit als Wichtigstes antrainiert bekommt. Das muß man vielleicht auch noch ändern. Aber was verlangen Sie eigentlich alles von einem Polizisten?
({7})
Was verlangen Sie eigentlich alles von einem Polizisten? Der ist nun einmal weder Psychiater noch Psychologe noch Beichtvater, noch ist er jemand, der wie eine Anschlagsäule, ohne zu antworten und ohne in der Seele irgendwelche Regungen zu empfinden, sich Abend für Abend anspucken und beschimpfen lassen kann.
({8})
Daß da mal bei dem einen oder anderen der Faden
reißt, das kann ich wohl verstehen. Bei mir ist im
Leben auch schon einmal der Faden gerissen und wohl bei so ziemlich allen, die hier sitzen. Das muß nicht heißen, daß man dies Verständnis so weit treibt, daß man die Polizisten vor dem Gericht bewahren wollte, keineswegs. Aber ich finde: das Dümmste, was wir kriegen könnten, wäre eine Polarisierung „hie Polizei, hie Student", in Pauschalkonfrontation. Ich glaube, die Studenten sind inzwischen dabei, auch darüber nachzudenken.
Aber so wie man Verständnis haben muß für die Polizei in besonderen Situationen, wie man verstehen muß, wenn sie sich einmal aus der Situation heraus vergreift, so müssen auch die Erwachsenen in Deutschland, glaube ich, Verständnis haben gegenüber manchen jungen Leuten, die nach dem Tode von Benno Ohnesorg und nach dem Attentat auf Rudi Dutschke tatsächlich doch zu vielen in einem Gefühl der ohnmächtigen Verzweiflung waren. Das muß man auch sehen und begreifen; das kann man auch nicht bloß einfach zudecken mit dem Wort von der „kleinen Minderheit der Rädelsführer". Man muß auch sehen, daß die kleine Minderheit von Rädelsführern, die es weiß Gott gibt, zusammentraf mit einer psychologisch erschütterten, verzweifelten Situation bei vielen jungen Menschen - übrigens nicht nur bei jungen Menschen. Das dürfen vielleicht die Jungen uns, den Älteren, glauben: wir waren am Karfreitag zutiefst deprimiert, daß das alles in Deutschland nun wieder losgehen sollte, was wir hofften mit dem „Dritten Reich" endgültig hinter uns gelassen zu haben.
({9})
Was die Sozialdemokraten angeht: wir wissen sehr genau, wohin Gewalt und wohin Terror und wohin politischer Mord führen, und wir werden es, soweit es in unseren Kräften steht, nicht zulassen, daß solche Methoden, von wem auch immer, in Deutschland wieder eingeführt werden können. Denjenigen, die ihre Weisheiten von dem Herrn Marcuse beziehen, hat mein Freund Adolf Arndt - ich hoffe, daß er es auf seine Weise heute noch deutlich macht - gestern in einer Diskussion, die wir in unserer Fraktion hatten, den Hinweisgegeben, daß einer der .geistigen Väter Marcuses in diesem Punkt Robespierre hieß. Jeder weiß, wohin dieser dann schließlich führte.
Auf der anderen Seite sind Wir Sozialdemokraten - das möchten wir heute auch unmißverständlich wiederholen - genauso sehr dafür, daß die Grundrechte auch derjenigen unangetastet bleiben, die opponieren wollen oder die, wile Herr Scheel gesagt hat, eine kleine Minderheit darstellen und opponieren wollen. Wir sind für das Recht auf Demonstration. In unserem Volk haben, seit die Bundesrepublik existiert, seit dieser Staat wieder da ist, Millionen von Menschen demonstriert, nämlich Gewerkschaftler und Arbeitnehmer am 1. Mai jeden Jahres, übrigens ohne dabei Steine zu schmeißen oder Autos umzuwerfen,
({10})
übrigens das nächste Jahr wieder und das übernächste Jahr wieder, ohne deswegen vor Ungeduld
Schmidt ({11})
die Welt umstürzen zu wollen oder die Demokratie oder das Parlament zum Teufel schicken zu wollen, nur weil ihre Forderung vom Vorjahr oder vom vorigen Jahrzehnt limmer noch unerledigt blieb.
({12})
Es haben Hunderttausende von Bauern, von Kriegsopfern, von Heimkehrern, von Vertriebenen, von Taxifahrern demonstriert, jeweils für je verschiedene Ziele, manche von Ihnen auch für Ziele, mit denen ich nichts zu tun haben möchte; aber es war ihr Recht, für ihre politischen Auffassungen zu demonstrieren und uns, den Bundestag, und die öffentliche Meinung mit der Nase darauf zu stoßen, daß hier einige, eine Minderheit nämlich, eine Meinung haben, die nach deren Auffassung in Bonn nicht genug gehört wird und auf die die Regierenden hören sollen. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Die Politiker hören ja auch zu.
Übrigens gibt es auch Politiker, die 'ihrerseits an Demonstrationen teilnehmen wollen. Herr Präsident, ich darf das hier sagen: mindestens für die sozialdemokratische Fraktion - ich nehme aber doch an, auch für sehr viele Kollegen in anderen Fraktionen - gilt, daß viele Kollegen heute abend und morgen früh in ihren Wahlkreisen an den Feiern und Demonstrationen zum 1. Mai teilnehmen möchten. Ich darf deshalb, Herr Präsident und meine Damen und Herren, um Verständnis dafür bitten, wenn heute ab 16 Uhr etwa - das ist der allerspäteste Zeitpunkt für sehr viele, wenn sie ihre Wahlkreise noch erreichen wollen - für unsere Fraktion Schluß sein muß. Vielleicht wind man das draußen besser verstehen, wenn ich hinzufüge, daß die Feiern und Demonstrationen am 1. Mai jedenfalls von einer Minderheit in unserem Volk getragen werden, die bescheiden genug ist, sich nur als Minderheit zu geben. In Wirklichkeit handelt es sich um die organisierte Arbeitnehmerschaft und alle, die ihr anhängen. Wenn ich es richtig sehe, ist es die große Mehrheit. Jedenfalls ist es wohl eine sehr viel größere Zahl von Menschen als die Zahl der Studenten, die meinen, ,sie müßten Springer-Verlagshäuser blockieren. Wir nehmen z. B. eine Mai-Demonstration, auch eine Mai-Feier, wie sie am morgigen Tag an manchen Orten stattfinden wird, mindestens so wichtig wie das Thema von heute hier im Bundestag. Das, hoffe ich, wird jedenfalls ein linker Student begreifen.
Ich darf zum Schluß kommen. Wir sagen den jungen Leuten draußen: So wie wir bisher in all den Jahren, wie wir im letzten Jahr, wie wir in jedem Wahlkampf, wie wir in diesem Wahlkampf in Baden-Württemberg bereit gewesen sind, mit jungen Leuten zu debattieren, soweit sie nicht Gewalt anwenden, so werden wir auch in Zukunft bereit sein, zu debattieren, mit ihnen zu sprechen, nach einer gemeinsamen Sprache zu suchen. Was wir dabei für wirklich entbehrlich halten, sind Schaudiskussionen, Diskussions-Happenings und der Versuch zur Geräuschüberwältigung desjenigen, der anders denkt und anders redet.
({13})
Wohl aber sind wir bereit, Fragen zu hören, Kritik
zu hören, zuzuhören und zu antworten. Wir sind
nicht bereit, kollektive Anklagen oder pauschale
Verurteilungen und Diffamierungen entgegenzunehmen. Wir bitten um Differenzierung. Wir bitten um Genauigkeit und Sorgfalt.
Wir wollen unsererseits nicht dazu beitragen, daß Illusionen verbreitet werden, daß Tatsachen ausgewichen wird. Wir bemühen uns, wahrhaftig und ehrlich zu sein. Wir wollen auch nicht Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte zudecken oder vertuschen, sondern, soweit es eben geht, eine öffentlich durchschaubare, offene Auseinandersetzung mit denjenigen, die im Namen der Jugend mit uns sprechen wollen.
Aber eines müssen die Gesprächspartner sich auch sagen lassen: So wenig, wie wir Mängel oder Fehler, Ungerechtigkeiten oder andere Mißstände unseres Staates und unserer Gesellschaft in den letzten 23 Jahren verschwiegen haben, so wenig wir sie in Zukunft verschweigen wollen, so sehr wissen wir doch auch, daß mit großen Worten auf einmal nichts geändert wird, sondern daß man den energischen Willen braucht zur Reform überall und immer wieder und beständig und nachhaltig und Schritt für Schritt und Stein auf Stein.
Die Sozialdemokraten haben jeglicher Zerstörung und jeglichem Umsturz abgeschworen. Sie bekennen sich zur Zähigkeit im Verfolgen ihrer Ziele. Sie bekennen sich ebenso wie zu dieser Zähigkeit und Energie zu Anstand und Fairneß in der politischen Auseinandersetzung, nicht nur hier im Bundestag, sondern bitte gefälligst auch draußen, in parlamentarischen Formen.
Vielleicht gibt es doch eine ganze Menge junger Leute, die der heutigen Debatte zuhören und meinen, daß das eine oder andere Wort von dem, was wir hier sprechen, nicht umsonst gesprochen sei. Ich würde am allermeisten wünschen, daß sie wenigstens die Bitte hörten, gemeinsam mit uns nach einer gemeinsamen Sprache zu suchen.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wäre dies eine normale parlamentarische Beratung und hätte uns nicht ein besonderes Ereignis auf Antrag der Opposition zusammengeführt, - es wäre jetzt sicher für den ersten Sprecher der CDU/CSU mancher Anlaß, auf das Geplänkel zurückzukommen, das hier hinsichtlich der Ereignisse von 1966 war; auch vielleicht die Frage zu stellen, ob die Hinweise auf Neuwahlen historisch oder konkret oder theoretisch waren; und vielleicht auch manche andere Frage hier aufzunehmen, z. B. den Beitrag zur Parlamentsreform, den der Kollege Schmidt durch ein sehr deutliches Wort hier geleistet hat. Meine Damen und Herren, ich will auf dies alles verzichten. Denn ein ernster Anlaß führt uns zusammen.
Die Freien Demokraten haben mit unserer Unterstützung diese Sitzung herbeigeführt, mit unserer Unterstützung, weil wir ihnen einmal gesagt haben - und wir pflegen das zu halten -: An der geringen Zahl der Opposition soll die Chance für die Qualität der Opposition nicht leiden. Ich hatte
gehofft, Herr Scheel, heute mit einem Kompliment an die Opposition beginnen zu können. Ich kann es leider nicht machen. Parlamentarische Spannung zu erzeugen ist nicht gelungen. Wie schade, meine Damen und Herren! Ein Parlament - das ist das erste; dieses Parlament wird auch kritisiert - kann nicht lebendiger, kann nicht besser, kann nicht kontroverser sein, als die Opposition dies hereinträgt.
({0})
Schade!
Und nun gleich zur Sache, auch mit dem Blick auf die Uhr. Zunächst einige Vorbemerkungen. In der heutigen Presse ist zu lesen, daß viele im Ausland wegen des Wahlausgangs in Baden-Württemberg besorgt seien. Herr Kollege Schmidt hat dazu ein paar Worte gesagt, die sich mit dem Inneren beschäftigen. Ich möchte zu diesen kritischen Stimmen ein Wort nach draußen sagen. Ich meine, hier braucht keiner von draußen mit kritischen Fingern auf uns zu zeigen. Dies ist unsere Sorge, die wir als eine Sorge empfinden, und mit ihr werden wir als deutsche Demokraten um so leichter fertig werden, als man uns von draußen einräumt, daß das, was jetzt hier gewachsen ist, sich auch als Demokratie sehen lassen kann, und als man sieht, daß wir selbst dies als ein Problem begreifen, mit dem wir fertigwerden müssen.
({1})
Meine Damen und Herren, wer auf Grund dieses Wahlergebnisses draußen in der Welt etwa glauben sollte, „die Deutschen" nun erneut mit heimlichen Stempeln wegen einer endgültig gewesenen Vergangenheit belegen zu sollen, fällt uns in den Arm,
({2})
leistet denen Vorschub, die da rechtsaußen stürmen. Ich meine, wer sich etwa aus Moskauer Richtung zu dieser Sache äußert, sollte sich einmal überlegen, welchen Beitrag er dadurch geleistet hat, daß er diesem Volk zumutet, als Nation verstümmelt zu leben.
({3})
Die zweite Vorbemerkung. Wir empfinden - und ich glaube, hier empfinden wir gleich; das begrüße ich -, daß dieser Deutsche Bundestag herausgefordert ist. Er ist herausgefordert von prinzipiellen Gegnern, von Kritikern, auch von Zweiflern. Es wird behauptet, wir erfüllten unsere Pflicht nicht, wir arbeiteten zu langwierig, wir verschleierten die Konflikte und die Spannungen, wir seien beherrscht von Interessen, wir wichen dem Gespräch aus. Meine Damen und Herren, es wäre zu billig, einfach zu dementieren und zu sagen: dies ist nicht so. Wir müssen vielmehr durch unsere Arbeit und nicht nur einfach verbal dartun, daß dieses Parlament seinen Rang nicht nur theoretisch begreift, sondern ihm auch praktisch gerecht wird.
Ich meine, bevor wir uns an andere wenden und hier anderes zur Sprache bringen - gar auch kritisch, wie dies meine Vorredner schon getan haben -, müssen wir auch Fragen an uns selbst richten. Wir müssen uns z. B. fragen, ob sich das
Bild, das wir uns hier von unserer Arbeit und von unserer Politik machen, mit dem Eindruck, den andere von unserer Arbeit und unserer Politik gewinnen, deckt. Wenn immer wieder zu hören ist, daß das nicht der Fall ist, müssen wir uns fragen, ob wir etwa in der Mühsal des demokratischen Prozesses oder in der Kleinarbeit des Tages den großen Blick verloren haben oder ob wir nur versäumt haben, uns besser zu erklären und uns besser ins Bild zu setzen.
Ich sage dies, meine Damen und Herren, weil ich glaube, daß es heute nicht genügt, auf die Demonstrationen draußen im Lande etwa mit einer Demonstration des Parlaments zu antworten. Dies wäre zuwenig. Es würde auch nicht genügen - und ich bin froh, daß die Bundesregierung sich nicht darauf beschränkt hat, das zu tun -, etwa die administrativen Maßnahmen der Ostertage zu erörtern und zu billigen. Es geht hier nicht nur um das, was auf den Straßen war, nicht nur um Polizei. Es geht um eine Herausforderung der Politik, die wir annehmen sollten.
({4})
Es geht um Fragen, die wir zu beantworten haben. Das geht nur bei völliger Offenheit und bei Unterscheidung; das letztere habe ich vor allem bei Herrn Scheel vermißt.
Meine Damen und Herren, wir haben oft gesagt, wir müßten nicht nur Fragen aufnehmen, die hier im Hause gestellt sind, sondern auch solche, die draußen im Lande gestellt sind. Ich meine, wir müßten hier hinzufügen: es kommt bei solchen Fragen auf die Qualität der Fragen an, nicht auf die Macht oder die Zahl, die hinter den Fragestellern steht.
({5})
Wir von der Union glauben, daß dieser Bundestag nicht nur handelt, wenn er Gesetze beschließt und einen Kanzler wählt, sondern auch, wenn er versucht, das rechte Wort in rechter Weise zu sagen und zur Unterscheidung draußen im Lande beizutragen. Das ist es, was von diesem Tage ausgehen sollte.
Nun eine dritte Bemerkung, meine Damen und Herren. Wir freuen uns, daß die Bundesratsbank heute, ich kann nicht sagen: nicht leer ist, sondern daß sie so glanzvoll voll besetzt ist. Das ist sehr selten. Wir freuen uns darüber.
({6})
Denn, meine Damen und Herren, Kompetenzen hin, Kompetenzene her - hier sind die vom deutschen Volk in geheimer Wahl gewählten Abgeordneten, hier ist das deutsche Volk präsent, und hier ist Gelegenheit für jedermann, welche Kompetenz immer er haben sollte, darzutun, warum dies so und nicht anders ist; hier ist Gelegenheit auf die Fragen junger Menschen zu antworten, warum wir noch nicht weiter sind mit den Fragen, die sie vor allem an der Universität bedrücken.
({7})
Die Bürger draußen im Lande, die unruhigen wie die ruhigen, nennen das Ganze „Bonn". Wir wollen - nehmen Sie uns das bitte ab, meine Damen und Herren von der Bundesratsbank - uns nicht nur im
Fernsehen und in Wahlkämpfen und in Debatten mit dem SDS hinstellen, als Bundespolitiker über Unruhen diskutieren und dann sagen müssen: Zur Sache können wir euch leider nichts sagen; denn wenn wir uns nur dazu äußern, empfindet das mancher, der die Kompetenz hat, schon als einen verfassungspolitischen Verstoß.
({8})
Lassen Sie mich das bitte ganz ernsthaft sagen: das föderative System - wir sind es leid, hier nur zu deklamieren und eine Sache zu verteidigen, in der wir nicht einwirken können - wird sich in dem Maße bewähren, in dem die Kooperation zwischen Bund und Ländern zunimmt,
({9})
wird sich, meine Damen und Herren, durch Kooperation bewähren - ich rede nicht von Kompetenzen, ich rede von Zusammenarbeit und von Politik -, wird sich in dem Maße bewähren, wie die praktische Kompetenzverteilung das Notwendige nicht hemmt, sondern fördert.
Das Vierte, meine Damen und Herren, was ich in diesem ersten Kapitel zu sagen habe, kann ich sehr kurz machen nach dem ausgezeichneten Bericht des Herrn Bundesministers des Innern und nachdem auch die anderen Sprecher hier unterschieden haben. Wir legen Wert darauf, festzustellen, daß wir es zugleich zu tun haben mit Radikalen, die einen Umsturz wollen, und mit einer großen Zahl aus verschiedenen Gründen besorgter Mitbürger. Wir würden uns aber etwas vormachen, wenn wir nicht das Ausmaß und die Breite und die Tiefe der Probleme uns völlig klar vor Augen führten.
Ich möchte deshalb mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten zwei Sätze zitieren aus einem Brief, der uns erreicht hat, ich muß das vorher sagen: nicht vom SDS, sondern vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend. Es heißt darin:
Den jungen Menschen fehlen weitgehend die Möglichkeiten, sich im Rahmen ihrer Fähigkeiten an der Mitgestaltung von Gesellschaft, Staat und Kirche zu beteiligen. Viele sehen in dem gegenwärtigen Gesellschaftssystem überhaupt keinen Ansatz mehr, mit den herkömmlichen Mitteln etwas zu erreichen. Sie wollen deshalb die Revolution.
Soweit das Zitat. Meine Damen und Herren, ich teile
diese Meinung nicht, und ich denke, keiner in diesem Hause teilt sie. Unsere Gesellschaft ist offen für
Neues und Neue. Hier ist die Möglichkeit nicht nur zum Sprechen, sondern zum Andersmachen wirklich da. Aber diese Meinung ist geäußert, und auch wenn sie falsch ist, müssen wir sie ernst nehmen und versuchen - nicht durch Phrasen oder verbal, sondern durch Taten, und diese erste Sitzung soll eine solche sein -, eine Antwort darauf zu geben. Das ist Sache des Parlaments, und es ist nicht etwa nur die Exekutive angesprochen.
Auf der anderen Seite müssen die jungen Menschen sehen, daß wir Tage brauchen werden, nicht heute, aber in den nächsten Wochen viele Tage brauchen werden, um all die Fragen, die sie aufwerfen, zu beantworten. Wir haben natürlich auch noch etwas anderes zu tun, nämlich unsere Alltagsarbeit zu erledigen. Mit Recht hat Helmut Schmidt hier soeben von der großen Majorität unserer Arbeiterschaft gesprochen. Aber meine Fraktion wird - das möchte ich hier erklären - die parlamentarische Gelegenheit zur Diskussion solcher Fragen herbeiführen. Ich hoffe, meine Damen und Herren - ich darf das für uns sagen, Herr Schmidt, und auch für Herrn Mischnick -, daß wir auch einmal zu Debatten kommen, wo wir nicht als Fraktionsvorsitzende jeder eine Stunde versuchen müssen - ich darf es so sagen -, den ganzen Garten zu bestellen, sondern wo wir einmal andere Kollegen bitten, fünf oder zehn Minuten hier ihre Meinung zu sagen. Das wäre doch ein praktischer Beitrag, auch zur Parlamentsreform.
({10})
Meine Damen und Herren, mit großem Recht hat - um noch eine andere Stimme zu zitieren - die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend in Deutschland uns geschrieben. Ich lese es hier vor, falls jemand noch glauben sollte - hier oder draußen -, das Problem, das wir erörtern, gehe nicht sehr tief. Die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend hat geschrieben:
Gewalt und Gewaltandrohung in der politischen Auseinandersetzung müssen entschieden verurteilt und vermieden werden. Sie verhärten die Fronten und schaffen nicht die Basis für einen freimütigen und sachhaltigen Dialog über notwendige Reformen in Staat und Gesellschaft. Die junge Generation zeigt mit ihrem Protest ein waches Bewußtsein für ihren Anteil an der Verantwortung für die gemeinsame Zukunft. Sie ist von der revolutionierenden Kraft der Freiheit überzeugt. Es wäre gefährlich, wenn ihre Bereitschaft zum Engagement durch unduldsame Reglementierung, politischen Immobilismus und autoritäre Wahrung von Ordnung und bestehenden Machtverhältnissen zunichte gemacht würde. Die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend Deutschlands appelliert daher an den Bundestag, nicht bloß die Symptome der Proteste aus der jungen Generation anzuprangern, sondern eindringlich und mit dem Willen zur Veränderung nach den Ursachen zu fragen.
So wollen wir es hier halten, soweit diese erste parlamentarische Station, der weitere folgen werden, das schon ermöglicht.
Meine Damen und Herren, Herr Schmidt und auch Herr Scheel haben von Erfahrungen bei der Diskussion draußen im Lande gesprochen. Ich glaube, wir haben sie alle. Wer sich der freien Diskussion stellt, wird nicht nur feststellen, daß es junge Menschen gibt, die Unruhe haben und Veränderungen wollen, sondern er wird auch feststellen, daß junge Menschen die Frage aufstellen, ob nicht von der Politik auch mehr geistige Führung ausgehen könne. Beide Fragen werden gestellt. Wer die Ohren offen hat, spürt außerdem eine Sorge um unseren Staat. Jeder spürt die Sorge um den Staat.
Es gibt zwei Strömungen, meine Damen und Herren, die gegensätzlich sind. Das ist aus meiner Sicht nicht ungefährlich. Da gibt es einmal die Strömung der Unruhe: Unruhe von Intellektuellen
und von jungen Menschen, aber auch von Bergarbeitern und von Bauern und von älteren Angestellten und von Mittelständlern und vielen anderen. Es gibt auch Unruhe wegen der mangelnden Fortschritte in der deutschen Einheit, wegen der Lage in der Bildungspolitik, wegen der Lage Europas und aus vielen Gründen mehr.
Aber zum anderen gibt es unverkennbar das Bedürfnis nach Ruhe im Volk, nicht nur nach Ordnung, sondern auch nach Ausruhen. Es besteht das Gefühl: Nun haben wir wieder aufgebaut, es ist alles ganz schön, nun laßt uns einen Zaun drum machen und die Sonne hereinscheinen und endlich einmal Pause machen von all den Strapazen. Dieses Gefühl ist doch auch vorhanden, meine Damen und Herren.
Ich weiß nicht, was diesem oder jenem sympathischer ist. Ich weiß nur, daß unserem Volk aus objektiven Gründen diese Pause nicht erlaubt ist. Denn wir sind herausgefordert, mindestens wirtschaftlich, eine neue Anstrengung durch Leistung zu machen, um morgen ein modernes Land bleiben zu können.
({11})
Dies ist die Zeit des Umbruchs. Wir stellen uns entweder darauf ein, und es wird morgen gutgehen;
oder wir versagen uns. Das letztere ist nicht die
Politik der Union. Darum sollten wir, die nicht mehr
20jährigen, die Strapazierten der Wiederaufbauphase, alle, so meine ich, heute den Mut haben, zu
sagen, daß all das, was wir erreicht haben, so stolz
viele darauf sind, nur die Basis für den Fortschritt
in eine noch bessere Wirklichkeit ist. So sollten wir
es begreifen und nicht meinen, wir könnten uns
hier in der besten aller möglichen Welten ausruhen.
Das Zweite, was diese Gegensätzlichkeit von Ruhe und Unruhe aus meiner Sicht problematisch, ja, gefährlich macht, ist die Tatsache, daß radikale Verführer manchen Mißstand, den es auch bei uns gibt - ich will hier nicht wiederholen, was andere gesagt haben -, mißbrauchen. Die von rechts außen mißbrauchen das Bedürfnis vieler Bürger nach Ordnung. Sie mißbrauchen die Sorge manches durch Berufs- oder Strukturveränderung Betroffenen. Sie mißbrauchen das nationale Gefühl. Die von links außen mißbrauchen den Reformeifer, den Fortschrittsdrang, die überfällige Universitätsreform und manchen Mangel unserer Gesellschaft. Einig sind sich beide in diesem Mißbrauch von Mißständen. Sie sind sich aber auch einig darin, daß sie darauf verzichten, uns zu sagen, wie es denn besser werden sollte. Konkret werden diese Herrschaften leider nie.
({12})
Ich meine, daß das eben die Landschaft ist, in der Demagogen gedeihen. Nur Betrüger können ein Paradies auf Erden versprechen. Nur wer einen Blick für die Wirklichkeit hat, weiß, daß jede Idee zu ihrer Verwirklichung ihre Zeit braucht. „Stein auf Stein setzen", hat Helmut Schmidt gesagt. Ich meine, wir sollten das wiederholen, was wir in der Debatte über die Lage der Nation gesagt haben, und sollten es hier noch deutlicher machen: wenn wir Stein auf Stein in diesem grauen Alltag der Parlamentsarbeit setzen, der doch wegen der demokratischen Kontrolle notwendig ist, dann arbeiten wir nicht für uns, sondern an großen Reformen. Wir sollten diese Perspektiven, glaube ich, etwas deutlicher machen.
Zu den Vorkommnissen um Ostern möchte ich als Erstes dieses sagen, und das ist für eine Fraktion eine fundamentale Aussage, eine Aussage, die uns bei all der Einzelbeurteilung der Einzelheiten leitet: Es ist nicht unsere Absicht, mit administrativen Mitteln Ruhe zu erzwingen, gar noch für uns selber. Auf diese Weise kann und muß für unser Volk nur die Gesetzmäßigkeit garantiert werden. Dies zu unterscheiden, scheint uns wichtig; denn wir glauben, Demokratie braucht ebenso schöpferische Unruhe, Diskussion und Kritik wie Gesetzmäßigkeit. In der Gesetzmäßigkeit ist der Fortschritt auf eine demokratische Weise möglich.
({13})
Das Zweite! Unser freiheitlicher Rechtsstaat ist offen für Neues. Hier kann man vieles verbessern, und hier ist vieles zu verbessern. Wir wollen Evolution; aber Revolution werden wir zu verhindern wissen.
({14})
Das Dritte! Ich kann das ganz kurz machen, weil es eben schon gesagt worden ist. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es mehr Freiheit, mehr soziale Sicherheit und mehr Chancengleichheit, mehr Aufstiegsmöglichkeiten, als es sie jemals in unserem Lande gegeben hat. Das führt mich dazu, zu sagen: in diesem Land ist nicht nur vieles zu ändern, sondern hier ist auch vieles zu verteidigen, zu bewahren und zu erhalten.
({15})
Wir werden uns diesen freiheitlichen Rechtsstaat weder von innen, noch von außen zerstören lassen. Wir legen Wert darauf, festzustellen, daß wir dabei sind, die Weichen so zu stellen, daß wir ein modernes Land bleiben können.
Mein Damen und Herren! Wir wollen im Anschluß an den Bericht des Herrn Bundesministers des Innern, für den wir danken, weil er konkret war und die Zusammenschau hatte, doch noch an eines erinnern: Auf Grund eines Verbrechens, nämlich auf Grund des Mordversuches von Bachmann an Dutschke, gab es eine spontane Erregung in unserem Volk, eine Erregung, die hoffentlich auch jeden von uns erfaßt hat und noch erfaßt hält. Auf Grund dieser spontanen Erregung gab es dann Demonstrationen. Das ist verständlich, und das ist gut. Denn das war ein urtümliches Aufbegehren: Mord soll in Deutschland nicht sein, gar noch in der politischen Auseinandersetzung.
Aber dann kam etwas anderes. Es kamen dann Drahtzieher, die nach lange vorbereiteten Plänen - z. B. in Beschlüssen des SDS von Frankfurt vom September - beschlossen haben, etwas ganz anderes zu machen: es kam zum Mißbrauch der Spontaneität. Infolgedessen kam das, was die Innenminister der Länder in ihrer Stellungnahme „organisierte Gewalthandlungen" und „organisierten Rechtsbruch" genannt haben. Wir tun gut daran, diesen Unterschied
festzuhalten: das Spontane der Demonstration, das Mitgefühl und die Ablehnung eines Mordes einerseits und dann andererseits den Mißbrauch dessen durch eine Gruppe, die hier Umsturz will. Deshalb muß man die Unterscheidung hier noch weiter fortsetzen. Es gibt also nicht nur Kritik, und es gibt nicht nur eine außerparlamentarische Opposition, sondern es gibt in diesem Lande eine antidemokratische Aktion.
({16})
Nur wer dies alles sieht, wird ein klares Bild haben. Deshalb darf man hier nicht verallgemeinern. Das ist alles zurückgewiesen. Ich meine, man muß auch die Unterscheidungen innerhalb der Studenten, auch innerhalb derer, die nur wieder Kritik wollen, völlig klarmachen.
Ich kann das kurz machen, aber ich möchte ein Zitat verlesen, weil ich glaube, daß ein Mann, der sicherlich nicht zu unseren Freunden der Union gehört, etwas Kluges geschrieben hat. Golo Mann hat in diesen Tagen zu den Krawallen geschrieben:
Mein Resümee? Nach ihrer Osteroffensive sollten die Studenten ein „Halt, das Ganze sammeln" ausrufen. Sie sollten solche Anführer loswerden, die in Deutschland Vietnam oder Bolivien spielen wollen. Das geht hier nicht. Dazu fehlen die Grundbedingungen. Sie sollten sich zur Politik entschließen.
({17})
Dazu sind wir offen. In unseren Parteien ist Platz für Bessere und Begabtere als wir. Wir sind offen für bessere Ideen. Wir haben nur keinen Platz für Gewalt und keinen Platz für Intoleranz. Das sind die beiden Grenzen, die wir ziehen müssen.
({18})
Wir würden, glaube ich, unsere Pflicht versäumen. wenn unsere Debatte an dieser Stelle etwa enden würde. Denn wir müssen doch dazu beitragen - mit dem Blick auch auf die nächsten Tage -, daß aus Demonstrationen wieder Gespräche werden, daß Unruhe durch Argumente und durch bessere Vorschläge geäußert wird und nicht durch Krawall und Gewalt. Wir legen deshalb Wert darauf, einige Punkte hier anzusprechen, immer um zu unterscheiden, weil wir sonst nicht weiterkommen.
Das Erste ist dies: Die Leute, die da Krawalle machen, die Partisanen der Revolution, wenn ich so sagen darf, können sich auf Martin Luther King nicht berufen. King lehrte Gewaltlosigkeit. Die Anführer der Krawalle bei uns schließen Gewalt nicht 'aus. Sie, diese Krawallmacher - nicht wir --, haben die Polizei auf den Platz gerufen. Auch diese Ursache darf man nicht vergessen.
({19})
Ich möchte ein Zitat von Martin Luther King hier in die Debatte einführen. Er sagt und schreibt:
Als ich im Bürgerrechtskampf mit verzweifelten, verbitterten, ausgestoßenen jungen Menschen marschierte, sagte ich ihnen, daß Molotow-Cocktails und Gewehre ihre Probleme nicht lösen können. Ich sagte ihnen, daß gesellschaftliche Veränderungen am sinnvollsten durch gewaltloses Handeln vollbracht werden.
So weit Martin Luther King. Es verbietet der Takt, jetzt Zitate von der anderen Seite hier vorzulesen; Sie verstehen, warum.
Zweitens. Wir sind hier in Deutschland, nicht in Nordamerika, nicht in Südamerika und auch nicht in Vietnam. Leute, die für sich und für andere ein kritisches Bewußtsein fordern, sollten nicht unreflektiert, geradezu blind, eine Gesellschaftskritik übernehmen, die ja woanders vielleicht stimmen mag. Sie sollten analysieren, was hier ist, und gestützt darauf ihre Forderungen erheben. Hier ist ein sozialer Rechtsstaat. Er ist nicht fertig. Aber wir sind froh, daß uns so viel in so kurzer Zeit gelang.
({20})
Hier gibt es kein Rassenproblem. Hier gibt es keine Favellas. Wir führen keinen Krieg. Wir sind hier in Deutschland, und worunter wir vorwiegend leiden, das ist Marxismus in einem Teil unseres Vaterlandes, meine Damen und Herren.
({21})
Dies ist der Ausgangspunkt für die Betrachtung der Probleme.
({22})
- Meine Damen und Herren, Sie führen aus, das drüben sei ein entarteter Marxismus.
({23})
Ich will dem gar nicht widersprechen, weil ich hier jetzt keine Marxismus-Debatte haben will; ich komme auf den Neo-Marxismus nachher. Es lohnt sich nicht, Herr Lohmar? Ich glaube, in diesem Punkt stimmen wir beide überein; es ist ein bißchen zu alt, ein bißchen zu viel voriges Jahrhundert. Ich danke Ihnen herzlich, meine Damen und Herren.
Ich möchte hier in diesem Zusammenhang noch einen anderen Punkt anführen. Wir teilen - und wer mit jungen Menschen spricht, spürt dies sehr häufig als eine Ursache - die Besorgnis, daß vieles in der Welt nicht stimmt, weil jährlich 25 Millionen Menschen verhungern. Da stimmt vieles in der Welt nicht. Wir wissen, daß dies die Tatsache ist, die den einen oder anderen dazu treibt, weil die Schere zwischen den entwickelten Industriegesellschaften und den anderen immer größer wird, nun auf dem internationalen Feld erneut den Klassenkampf wieder zu erkennen, die Notwendigkeit der Gewalt zu bejahen. Das treibt dann manchen dazu, Ho-Ho Ho Tschi Minh zu rufen oder unter der VietkongFlagge herzulaufen. Wir werden diese Frage hier in diesem Bundestag sorgfältig zu analysieren und zu diskutieren haben. Es genügt ja nicht, daß wir sagen: Seht her, was wir für prima Kerle sind, wir haben in diesem Jahr der Sparmaßnahmen unseren Entwicklungshaushalt erhöht! Hier muß gesprochen werden über weltpolitische Bedingungen, darüber gesprochen werden, daß auch international Schießen keinen satt macht
({24})
und daß eben derjenige, der für den inneren Kampf Gewalt als möglich betrachtet, dies dann auch im äußeren für möglich hält. Wer im Atomzeitalter irgendwo der Gewalt das Wort redet, ist eben gemeingefährlich. Das muß man wohl so aussprechen.
Ein dritter Punkt, den ich gern abhandeln würde - ich kann ihn nur kurz andeuten -, ist die Frage, ob die Kommunikation, der Austausch zwischen Geist und Politik bei uns in Deutschland voll in Ordnung ist. Meine Damen und Herren, hier ist nicht alles in Ordnung. Und dies ist, wenn man die Geschichte der deutschen Philosophie und auch der Literatur nachsieht, ein nicht neues Problem unseres Landes, und wir sind damit nicht ganz fertig, sagen wir es ehrlich. Das liegt an zwei Seiten. Ich kann nur versuchen, es ganz verkürzt darzustellen.
Wir hier, die Politiker, müssen handeln, wir müssen eine mehrheitsfähige Formel finden, wir müssen entscheiden. Der Intellektuelle sagt eigentlich viel lieber „zwar" und „aber", ihm ist der Zweifel sehr viel näher als das Ja einer Handlung; wenn er unentschlossen ist, ist ihm die Minderheit sympathischer als 'die Mehrheit, und er nimmt sich Zeit. Wir haben nicht immer die Zeit, wir müssen handeln, und so entstehen Mißverständnisse.
Aber, meine Damen und Herren, ich habe eine Bitte an beide Seiten, zuerst einmal an uns. Vielleicht machen wir nicht immer deutlich genug, warum, gestützt auf welche Informationen, wozu, zu welchen Zwecken, mit welchen Argumenten wir für oder gegen eine Sache sind. Warum machen wir nicht deutlich, daß wir auch wissen, daß vielleicht der andere, der anders votiert, auch ein Argumentchen haben könnte? Meine Bitte andiejenigen, die den Anspruch erheben, den Geist in Deutschland zu repräsentieren - es gibt ja auch da kein Monopol, meine Damen und Herren, es gibt sicher auch in diesen Bänken manchen, der dazugehört -: sich nicht aus zu grobschlächtiger Information und aus zu kurzatmiger Lektüre ein zu apodiktisches Urteil zu bilden.
({25})
Das ist nämlich unter dem Niveau, mit dem sie sonst zu 'arbeiten pflegen. Wir wären so dankbar, wenn wir gelegentlich auch von dieser Seite vorher etwas hören würden; denn hinterher sind immer alle klüger gewesen, meine Damen und meine Herren.
Ich will einen vierten Punkt übergehen, der den Zeitgeist betrifft. Ich kann ,es nicht ausführen, weil ich gehalten bin, auf die Uhr zu sehen.
Ein Fünftes, meine Damen und Herren. Unser Land braucht Reformen und hier - wie schon vorher dargetan worden ist - nicht Reformen von nebulosen, sondern ganz konkreten Dingen. Deshalb nenne ich hier einige Reformen, auch an die Adresse der Opposition. Dabei sind ein paar Punkte, die wir mit Ihnen nicht haben schaffen können. Meine Damen und Herren, ich nenne eine Reform wie die Mehrwertsteuer, eine Sache von enormer reformerischer Wirkung. Ich nenne eine Sache wie unser wirtschafts- und finanzpolitisches Instrumentarium, das modernste der Welt. Da kann man
natürlich nicht mit Phrasen ankommen, sondern da muß man über Paragraph zwölf Absatz drei sprechen und vielleicht einen Änderungsvorschlag machen. Das ist dann parlamentarische Arbeit und politische Verantwortung. Ich nenne die mittelfristige Finanzplanung, ich nenne das Parteiengesetz, ich nenne unser Kohlegesetz. Ich erinnere daran - den Herrn Bundeskanzler wird das freuen und beruhigen -, daß wir die Absicht haben, in den nächsten Wochen in den schwierigen Fragen der Verkehrsgesetzgebung eine sachliche Einigung herbeizuführen. Wir werden in der nächsten Woche die erste Lesung der Finanzverfassungsreform haben, eine Sache von weittragender Bedeutung für unser Land.
Es kann uns also keiner kommen und sagen, wir seien da nicht tätig. Vielleicht wollen andere etwas anderes oder nach dem Motto - ich glaube, Herr Ertl hat es soeben gesagt -: Unmögliches machen wir sofort, Wunder dauern etwas länger. Meine Damen und Herren, das Parlament ist weder für Unmögliches noch für Wunder kompetent. Das muß jeder sehen. Wir drängen seit langem - und wir werden ja von den Herren aus den Ländern etwas hören - auf die Universitäts- und die Studienreform. Wir sind dabei, das Strafrecht zu reformieren, das Prozeßrecht neu zu ordnen. Wir sind in allen Fraktionen dabei - wahrscheinlich gesondert, weil hier eine Übereinstimmung nicht so schnell zu erzielen ist, und warum soll auch alles ein Eintopf sein? -, auf dem Gebiet „Eigentum für jeden" neue Vorschläge zu machen. Hier ist eine reformerische Arbeit. Man muß sich nur die Mühe machen, hinzusehen und zuzuhören, und wir müssen uns die Mühe machen, besser zu argumentieren.
Ich möchte einen anderen Punkt anschneiden. Ich glaube, daß wir in einer Beziehung sogar einen Dank an junge Menschen sagen können. Ich finde, "to face the facts" ist die erste Parole eines Parlaments, auch in der Politik: die Wirklichkeit sehen und aussprechen. Wir werden, wie ich schon sagte, eine breite Debatte über weltpolitische Zusammenhänge herbeiführen, in der Dinge wie Griechenland, Vietnam, Entwicklungshilfe und andere ihren Platz haben. Und vielleicht ist es auch notwendig, erneut das Ziel und die Grenzen unserer Ostpolitik deutlich zu machen. Aber ich möchte hier auf folgenden Punkt hinaus. Nicht nur, daß junge Menschen uns freier machen, weil sie nichts so sehr ärgert wie Mangel an Engagement und wir die Chance haben, mit engagiertem Ja oder Nein eine große Zustimmung zu finden; auch das ist eine veränderte Landschaft, für die wir dankbar sein sollten. Ich möchte noch etwas anderes sagen: Wenn junge Menschen mit Plakaten zu Vietnam, Griechenland und anderen Fragen herumlaufen - mit Parolen, denen ich nicht folgen kann, weil sie mir zu unreflektiert sind -, so machen sie uns doch alle in einem ein Stück freier; sie sind nämlich unbekümmerter als 'wir alle hier, die wir doch wegen der Vergangenheit manchmal Hemmungen haben, uns gar zu pointiert zu der einen oder anderen Frage zu äußern. Wir haben dadurch einen größeren Spielraum bekommen, und ich glaube, das sollte man hier einmal anerkennen.
Daß diese Generation ein anderes Bewußtsein hat, als wir es hatten, haben wir in der Debatte über die Lage der Nation gesagt. Ich will auch nicht dartun, daß in der Sowjetunion und in anderen Bereichen dasselbe Problem vorhanden ist. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte uns hier doch eines ins Stammbuch schreiben: Ich glaube, es hat niemals zuvor in Europa eine Situation gegeben wie diese, in der junge Franzosen Deutschland kennen; junge Deutsche da sind, die nicht mehr auf andere Europäer geschossen haben; junge Engländer, die die Insel nicht mehr als eine Hemmung gegenüber dem Kontinent empfinden; in der junge Russen gern Kontakt mit westlicher Literatur und Musik haben wollen. Es gab nie eine Situation, in der junge Menschen sich so gut in Europa und seinen Sprachen auskannten, in der junge Menschen weitgehend das gleiche Bedürfnis, den gleichen Geschmack in Literatur, Mode, Musik usw. hatten. Meine Damen und Herren, das ist eine Chance!
({26})
Entweder gründen wir darauf einen neuen europäischen Akzent in der Politik, oder wir haben es eben nicht geschafft, die Chance zu nutzen, die diese Zeit uns anbietet.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen anderen Punkt anschneiden. Denn ich habe nun, glaube ich, genügend auch von einigen Dingen gesprochen, die wir uns selbst anrechnen müssen. Aber es wäre ganz falsch, den Blick nicht auch darauf zu wenden, daß Unruhe und Fragen von jungen Menschen nicht etwa nur in Versäumnissen oder in den Verhältnissen begründet sind, sondern hier gibt es - und das muß deutlich und hart ausgesprochen werden - eine Gruppe von Menschen, die bewußt den Umsturz will, und dazu muß ein deutliches Wort gesagt werden. Denn einer der Gründe der Unruhe ist eben nicht die Lage, sondern ist diese Gruppe, die die Unruhe erzeugt, wo sie nicht da ist, die sie fördert, wo sie da ist, oder die sie erneut bewirkt, wenn sie vorbeigehen sollte. Diese Gruppe, über die der Herr Bundesinnenminister und auch Herr Kollege Schmidt sich ganz klar geäußert haben - und ich kann wirklich nicht verstehen, daß sich Herr Scheel hier bemüht hat, einen völlig falschen Eindruck von der Rede des Herrn Bundesinnenministers zu vermitteln; er hat da offensichtlich nicht zugehört -, stört bewußt das, was an Gespräch zwischen den Generationen sein muß. Nehmen Sie ein Zitat aus einer Verlautbarung des SDS aus Frankfurt vom 13. April! Da hat der SDS gesagt:
Die Herrschenden wollen die außerparlamentarische Opposition und besonders die Studenten zum nationalen Hauptfeind stempeln. Die Hetze gegen sie soll von den tatsächlichen politischen Problemen ablenken. Der systematische Aufbau eines inneren Feindes - früher der Juden, heute der Studenten - ist das Mittel der autoritären Politiker, ihre Ziele durchzusetzen.
Das ist das, meine Damen und Herren, was hier die Landschaft verbiestert, was Gespräche nicht in Gang kommen läßt. Hier wird gehetzt! Dann wird zu einem Gespräch eingeladen, einer kommt, dann gibt
es die von Herrn Schmidt trefflich beschriebene Geräuschkulisse, und hinterher behaupten dann die Leute, wir, die Verantwortlichen, seien nicht zum Gespräch bereit. Diese Gruppe, von der die anderen Sprecher hier Treffliches gesagt haben, muß allerdings als eine Gruppe bezeichnet werden, der es nicht um Kritik, nicht um Reform, sondern um Umsturz unserer Ordnung geht, und hier gilt noch einmal, was ich eingangs sagte: Evolution ja - Revolution nein!
Über die Fragen des Pressewesens brauche ich, glaube ich, nichts mehr zu sagen, nachdem der Herr Bundesinnenminister das gut getan hat. Es geht hier ja nicht nur um die Verleger, sondern es geht um die Unabhängigkeit der Journalisten und um unsere Möglichkeit, uns objektiv zu informieren. Ich darf nur erklären, daß wir den Bericht, der erneut angekündigt ist, abwarten, daß wir mit eigenen Vorstellungen bereits beschäftigt sind und daß wir damit herauskommen werden, sobald es soweit ist.
Ich möchte aber - deshalb habe ich das andere ein wenig schneller erledigt - noch ein Wort zur Bildungspolitik sagen. Ich möchte hier wirklich die Verantwortlichen in den Ländern bitten, die Gründe darzutun, aus denen sie für oder gegen diese oder jene Sache sind. Wir haben ja nicht die Kompetenz, wir haben auch nicht die 'Ämter, die uns das alles sagen können. Aber wir werden jeden Tag draußen gefragt: Wir wollen wissen, warum seid ihr hierfür, warum seid ihr dafür? Sie wollen auch wissen, wie weit die Länder zur Kooperation mit dem Bund bereit sind. Das ist wirklich ein berechtigtes Anliegen. Damit meinen wir z. B., daß man, bevor man über alle möglichen Dinge philosophiert, einfach das nehmen muß, was auf dem Tisch liegt. Auf dem Tisch liegen seit zwei Jahren die praktischen Vorschläge des Wissenschaftsrates über die Kürzung der Studienzeit, über mehr Seminarbetrieb an den Universitäten, über ein anderes Verhältnis der Assistenten, über größere Chancen für junge Forscher. Das alles liegt auf dem Tisch, das alles kann, glaube ich, erledigt werden, und zwar von denjenigen, die hier die Verantwortung haben. Ich weiß, daß diese wieder ihre Schwierigkeiten mit den akademischen Senaten haben; aber die Geschichte fragt uns doch nicht nach Senat und nach Kompetenzen, sondern danach, ob in diesem Lande geschieht, was notwendig ist.
({27})
Ich möchte unmißverständlich klarmachen, daß diese Fraktion nicht erneut in eine Lage zu kommen wünscht wie heute, wo sie auf diesem Gebiet nur deklamieren, fordern und bitten kann. Wir wünschen hier nun in eine Situation zu kommen, wo wir mit konkreten Argumenten oder mit konkreten Vorschlägen konfrontiert werden.
({28})
Wir sind bereit, unsere Verantwortung daran zu tragen, und auch bereit, das einzustecken, was uns selbst betrifft. Aber hier vor dem deutschen Volk, in aller Öffentlichkeit muß dieses Gespräch geführt werden, das junge Menschen in diese Schwierigkeiten bringt. Denn es ist doch für keinen von uns
behaglich, zu sehen, daß Polizei auf den Straßen
gegenüber jungen Menschen Ordnung schaffen muß.
Ich habe eine spezielle Frage, nämlich die nach den Ingenieurschulen. Da die Frage aufgetaucht, ob es stimmt, daß die jungen Menschen, die jetzt dort arbeiten, im Jahre 1970 innerhalb der EWG diskriminiert sein werden, weil ihre Examina schlechter gewertet werden sollen als die aus Frankreich oder Belgien. Ich kann die Frage nicht beantworten. Aber sie wird uns gestellt, und wir wollen die Argumente für oder gegen kennen, und wir behalten uns vor, diese Frage, die eine wichtige Frage ist, auf die Tagesordnung des Bundestages zu bringen.
Meine Damen und Herren, das ist für uns ein wichtiger Punkt. Denn wir haben seit langem gesagt, daß Bildungspolitik nicht eine Sache nur der Universitäten ist. Herr Kollege Katzer hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Arbeitsförderung hier eingebracht. Wir haben immer gesagt - ich erinnere an den Antrag unserer Freunde über die Akademiereife -, daß es notwendig sei, hier wirklich durch ein paar praktische Schritte weiterzuführen. Das würde uns zerstört, wenn der Blick jetzt nur auf die Hochschulen und die Akademien gerichtet würde und nicht auf die breite Bildung im Volk.
({29})
80 °/o unserer Mitbürger besuchen die Volksschule. Sie sollen eine Chance zum Aufstieg haben. Dazu gehört auch, daß eine solche Sache wie die Ingenieurschule von niemandem abgewertet wird.
({30})
Erlauben Sie mir, zu meinem letzten Kapitel zu kommen. Wir sind vor die Frage gestellt, wie eine demokratische Gesellschaft sich reformiert, und wir sind vor die Frage gestellt, ob wir die Kraft haben, uns zu reformieren. Die Antwort kann nur sein: eine demokratische Gesellschaft reformiert sich durch Diskussion, durch Gespräch, durch Entscheidung, durch Evolution. Sie reformiert sich nicht durch eine Revolution der Totalitären; denn dann bliebe keine Demokratie mehr übrig. Eine neue Stunde Null - das wäre Revolution. Fortschritt durch Werktagsarbeit - das heißt Demokratie.
Demokratie heißt noch ein anderes: Gleiches Recht für alle, keine Vorrechte für irgendwen. Wenn ein Gesetz verletzt ist, ist es keine Entschuldigung, daß dies aus politischem Motiv geschah oder daß es von einer privilegierten Schicht geschah.
({31})
Wir müssen auch fragen - und dafür haben wir ja die Verantwortung -: Wie wollen wir eigentlich vor unseren Wehrpflichtigen - auch junge Menschen -, die ohne Aufhebens treu und unter großen persönlichen Opfern ihren Dienst tun, bestehen, wenn es etwa eine Prämie auf Krawalle und auf Lautstärke gibt,
({32})
und wie vor unseren Arbeitern? Nein, in diesem Land brauchen wir gleiches Recht für alle und keine Stunde Null,
Es muß wieder - wir erklären in aller Form unsere Bereitschaft dazu - ein Gespräch entstehen. Die Demonstrationen der einen - die nicht unberechtigt sind - sind so viel oder so wenig wert wie die Deklamationen der anderen. Aus beiden kommt kein Gespräch und keine Besserung. Gespräch entsteht durch Zuhören, Einanderemstnehmen und Miteinanderreden. Wir ermuntern in aller Form die jungen Menschen, die Diskussion zu suchen. Wir ermuntern sie aber auch, sie zu ermöglichen; auch dadurch, daß ein fairer Ablauf solcher Diskussionen ermöglicht wird.
Wir wünschen auf Grund der Osterereignisse nichts zu dramatisieren. Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, daß die wenigen, die in unserem Lande rufen: „Schafft viele Vietnams!", damit schon das meinen, was man hier und dort in östlicher Propaganda lesen kann, nämlich daß westliche Großstädte sehr wohl geeignet seien, die Rolle in Europa zu spielen, die Dschungel in Asien spielen. Ich glaube daran nicht, aber ich meine: wir alle miteinander sollten uns in unseren Sicherheitsvorkehrungen nicht nur mit Gedanken an Atomschirm und Bündnis begnügen, sondern wir sollten auch andere Möglichkeiten des Konflikts in unsere Vorkehrungen einrechnen.
Was ist nun das wirklich Wichtige? Wir alle sprechen davon: die Gewalt muß weg. Das ist alles richtig. Aber es genügt nicht. Es muß etwas Positives her. Was ist das Positive, um das es hier geht? Es geht darum, daß wir alle miteinander erneut die Toleranz als die fundamentale Bedingung unseres Zusammenlebens, als die Basis unserer Gesellschaft und das bestimmende Prinzip unseres Staates erkennen und entsprechend Position beziehen. Wir müssen miteinander leben, voneinander lernen und miteinander die Herausforderung der Welt bestehen. Nicht nur Gewalt muß aufhören; der Respekt vor der anderen Meinung muß die Alltagswirklichkeit in unserem Lande bestimmen.
({33})
Es kommt manchem in unserem Lande zu leicht von den Lippen, wenn ein Andersdenkender da ist, zu sagen: Du bist ja ein Kommunist, oder: Du bist ja ein Faschist. Und kaum ist das von den Lippen, da gibt es natürlich eine Rechtfertigung, auch einmal. rnit Gewalt da draufzuschlagen. Nein, das, was die fundamentale Bedingung ist, ist der Respekt vor der anderen Meinung, ob sie nun gesagt, geschrieben, gedruckt oder gedacht wird. Demokratie heißt Mehrheitsentscheidung, heißt Führung durch die, welche in geheimer Wahl dazu bestimmt werden. Wer wie der SDS hier groß herumkritisiert und demonstriert und revolutionieren will, sich aber nicht zur Wahl stellt, der kneift, meine Damen und Herren.
({34})
Es ist nun einmal so, daß in einer Demokratie, wie überall im Leben, nicht jeder allein mit seiner Meinung durchkommen kann. Winston Churchill hat das in seiner Form einmal so formuliert: „Demokratie, das ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen". Wie oft müssen wir dies alle tun, wie oft wir gegenüber den
Fraktionen, wie oft der Kanzler gegenüber einer Mojorität des Kabinetts, gegenüber einer Majorität hier! Das ist das Zusammenleben, der Respekt vor der anderen Meinung und vor der Majorität. Herr Bundeskanzler, ich habe natürlich nicht gemeint, daß dies etwa ein Eingriff in den verfassungsrechtlich gesicherten Besitzstand der Richtlinien ist, die für die Bundesregierung zu bestimmen Sie nach dem Grundgesetz Recht und Pflicht haben.
Lassen Sie mich noch ein anderes sagen. Hier ist ausgeführt worden, daß der Krawall von links die Rechtsaußen fördere. Diese Rechtsaußen stören unsere außenpolitischen Möglichkeiten, zerstören möglicherweise ein Stück des in der Welt wiedergewonnenen deutschen Ansehens. Diejenigen, die die Ursachen dafür gelegt haben, wissen gar nicht, welchen Schaden sie dem deutschen Volke zugewendet haben.
({35})
Herbert Marcuse, einer der geistigen Väter der radikalen Linken, lehrt Haß und Umsturz. Er behauptet die objektive Notwendigkeit radikaler Umwälzungen, wie er das nennt, und dies behauptet er, obwohl sie von der überwiegenden Mehrheit gar nicht als notwendig empfunden werde. Das von ihm als „falsch" bezeichnete Bewußtsein der Mehrheit soll durch das von ihm als richtig Verordnete ersetzt werden. Nicht, was die Menschen wollen, sondern was er will, daß sie wollen sollen, soll gelten, lehrt Marcuse. Das ist die Maxime der Intoleranz. Nicht genug damit: Marcuse erklärte in Berlin, es sei unabweisbar, daß in irgendeiner Weise die Unterdrücker unterdrückt werden müßten. Das ist die Lehre der Gewalt.
Wofür nun diese Intoleranz, wofür diese Gewalt, was soll an die Stelle dessen treten, was er hier so verurteilt? Er beantwortet die Frage nach seiner Zielvorstellung wie folgt: „Ich kann mir unsere Bestimmung einer freien Gesellschaft nur als die bestimmte Negation der bestehenden vorstellen." So sind wir als Demokraten nicht nur von berechtigten Sorgen junger Menschen herausgefordert; wir sind auch angegriffen, angegriffen durch Intoleranz, durch Negation und durch Gewalt.
Meine Damen und Herren, solch eine arrogante Intoleranz des Totalitären gilt .es abzuwehren. Das hilft der Menschheit nicht weiter. Uns hilft nur die Fortentwicklung des Bestehenden. Nicht allein in der Verteidigung unserer Ordnung liegt unsere Aufgabe. Es muß vielmehr, wie wir hier früher öfter gesagt haben, von unserer Ordnung eine werbende Kraft ausgehen, und es muß diese Ordnung verteidigt werden, damit Fortschritt innerhalb dieser Ordnung möglich bleibt, Fortschritt zu lebendiger Demokratie, zu Humanität, zu mehr Rücksicht, aber auch zum ganzen Deutschland, zum einigen Europa, zum ganzen Europa.
Das ist es, was ich am Schluß uns und jungen Menschen sagen möchte: wir wollen - und darüber diskutieren wir seit Wochen - eine europäische Friedensordnung, und wir sagen aller Welt, der erste Schritt dazu hieße: Zusammenleben ohne Gewalt. Wie soll dieses Ziel erreicht werden, wenn es nicht bei uns selbst Realität ist? Nur wenn es bei uns selbst Realität ist, werden wir mit anderen so darüber reden können, daß wir dieses Ziel zu unseren Lebzeiten erreichen. Zusammenleben ohne Gewalt und in Respekt vor der Meinung des anderen - darum geht es hier in Europa und in der Welt.
({36})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Turbulenz der Ostertage hatte ich die Pflicht, zusammen mit dem Herrn Innenminister und den Innenministern der Länder mein Bestes zu tun, um dafür zu sorgen, daß Gewalttaten abgewehrt wurden, ohne daß dadurch unnötige, gefährliche Opfer gefordert wurden. Ich habe in diesem Zusammenhang über das Fernsehen eine Mahnung und eine Warnung an diejenigen unter den Studenten gerichtet, die es auf Gewalt ankommen lassen wollten, und habe sie darauf aufmerksam gemacht, daß eine solche Gewalt, eine sich derartig steigernde Gewalt die staatlichen Abwehrkräfte zwangsläufig verschärfen müßte.
Ich habe es außerordentlich bedauert, daß der Sprecher des Richterbundes daraus eine Kritik an unsere Justiz oder eine Mahnung an sie sehen wollte, den „Büttel der Nation" zu spielen. Ich habe viel zu große Achtung vor der Unabhängigkeit der Justiz, als daß man mir etwas Derartiges auch nur im Traume eingefallen wäre.
({0})
Meine Formulierung, meine Damen und Herren, bezog sich klipp und klar auf die staatlichen Abwehrkräfte, d. h. auf die Polizei, und jeder, der guten Willen hatte, konnte es nicht anders verstehen.
Wir alle, die wir durch die Schule der Jurisprudenz gegangen sind, betrachten es als eine der vornehmsten Tugenden des Juristen, bevor er urteilt, den Sachverhalt genau zu prüfen.
({1})
Wäre das geschehen, hätte es nicht zu dieser irreführenden Feststellung kommen können.
Ich hatte in jenen Tagen, wie gesagt, alle Hände voll zu tun und konnte nur dieses mahnende Wort sprechen. Es war auch gar nicht der Ort und die Zeit, eine Analyse dessen, was da geschah, vorzunehmen. Die heutige Debatte gibt mir die Gelegenheit, einiges mehr zu sagen.
Wir fragen uns heute in diesem Haus, was in der jungen Generation vor sich geht, und versuchen, eine Antwort darauf zu finden. Es wurde bereits in der Debatte gesagt, daß es sich hier zugleich um ein internationales Phänomen wie aber auch um ein Phänomen handelt, bei dem es ganz spezifische Probleme aus unserer Situation gibt. Lassen Sie mich dazu einiges sagen.
Auf meinem Schreibtisch hat sich ein Berg von Analysen angehäuft. Es ist erstaunlich, ja, manchBundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
mal erschütternd, die Ratlosigkeit dieser Analytiker zu sehen. Das beweist nur, daß eis sich um ein Phänomen handelt, das offenbar nicht leicht zu fassen ist.
Für mich hat eine der überzeugendsten Darstellungen George F. Kennan in seinem Aufsatz: „Rebellen ohne Programm - Die radikale Linke an den amerikanischen Universitäten" gegeben. Er hat in diesem Aufsatz geschrieben -ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren -:
Die Welt scheint heute voller kampfbereiter Studenten zu sein. Nur selten fehlen in den Zeitungen Meldungen über ihre Tätigkeit. Täglich kann man Fotos sehen, wie sie lärmen, mit Steinen werfen, Fenster einschlagen, Autos umwerfen, wie sie von der Polizei geschlagen oder weggeschleppt werden ... Daß diese Leute zum Kampf gerüstet sind, steht außer Frage.
Das ist eine Schilderung auch amerikanischer Verhältnisse.
Helmut Schmidt hat heute früh gesagt, er sei manchmal erschrocken über die elitäre Arroganz, mit der sich eine kleine Gruppe dieser Studenten - keineswegs alle - äußere. Das finde ich in dem bestätigt, was Kennan beobachtet. Er sagt:
Was einem zuallererst an der zornigen Militanz auffällt, ist der außerordentliche Grad von Gewißheit, der sie beseelt, die Gewißheit 'der eigenen Redlichkeit, der Richtigkeit der eigenen Antworten, der Genauigkeit und Tiefe der eigenen Analyse zeitgenössischer gesellschaftlicher Probleme, die Gewißheit vor allem, daß alle Andersdenkenden im Unrecht sind. Sicherlich haben die Heftigkeit der Emotionen und die Überzeugungen, das Recht auf der eigenen Seite zu haben, fast immer die Gefühle der politisch begeisterten Jugend bestimmt. Aber irgendwie scheinen diese Emotionen heutzutage besonders fehl am Platze zu sein. Zu keiner Zeit sind die Probleme der Politik so komplex gewesen wie 'die, mit denen sich unsere Gesellschaft heutzutage in dieser Ara technischer Neuerungen und der Bildungsexplosion konfrontiert sieht.
Ich würde dieser Feststellung George Kennans zustimmen.
Rebellen ohne Programm hat er die radikale Linke an den amerikanischen Universitäten genannt. Können wir dasselbe bei uns feststellen? Auch das ist heute schon in der Debatte zum Ausdruck gekommen.
Während des Wahlkampfes in Baden-Württemberg, in dem ich mich Studenten gestellt und mit ihnen an einer Reihe von Universitäten diskutiert habe - unter wenig erfreulichen Bedingungen, aber wir haben diskutiert -, ist es mir immer wieder geschehen, daß ich auf die Aufforderung: Nun sagt doch einmal, was euch nicht gefällt, z. B. an den Notstandsgesetzen, z. B. an der Entstehung und der Entwicklung des Krieges in Vietnam, z. B. da, z. B. dort? einfach keine Antwort bekam. Das Schlagwort, das reine Schlagwort regierte die Szene. Ich muß sagen, ich war darüber sehr enttäuscht; denn es gibt genug Dinge, über die sich - und zwar auch zu unseren Ungunsten - diskutieren läßt. Das gilt selbstverständlich nicht für alle, aber es gilt für eine große Anzahl von Studenten, die sich bei solchen Gelegenheiten durch große Lautstärke und auch durch große Arroganz auszeichnen.
Aber mit dieser Feststellung will ich es keineswegs bewenden lassen. Ich habe bei diesen Debatten - und ich gestehe, ich mußte dabei lernen, ich mußte mich von Debatte zu Debatte mehr in die geistige Verfassung der Studenten, mit denen ich da diskutierte, hineindenken und hineinfühlen -aber doch den Eindruck gewonnen, daß man es hier nicht einfach mit einer gleichgestimmten großen Zahl von jungen Leuten zu tun hat, sondern daß sie durchaus differenziert denken, daß sie allerdings in bezug auf manche Probleme gemeinsame Auffassungen haben, daß sie eine gemeinsam Grundhaltung zu haben scheinen. Das nötigt uns, glaube ich, darüber nachzudenken, woher das kommt.
Helmut Schmidt, der viel jünger ist als ich - ich glaube, Sie sind im Jahre 1918 geboren, ich im Jahre 1904 -, hat aus seinem eigenen Leben berichtet. Wenn ich an das meine denke: zehn Jahre alt, als der erste Weltkrieg begann, und dann eigentlich ein ganzes Jahrzehnt Krieg, Blut und Tränen, Tod, dann die Niederlage, dann eine Epoche des Bürgerkrieges, eine Kette politischer Morde, die Inflation - ganz und gar, bis zur Billion -, dann wenige erhellte, trügerische Jahre, dann die Weltwirtschaftskrise, die einsetzende Depression, die politische Verwirrung in der ausgehenden Weimarer Republik, der aufkommende Nationalsozialismus, das, was daraus wurde, der zweite Weltkrieg und die Jahre danach. Was für ein Leben für jemanden, der das intensiv miterlebt hat! Und dann seit 1945 23 Jahre des Friedens für uns und seit 1949 - ich will die Leistungen vorher gewiß nicht vergessen - ein ununterbrochener Aufbau. Ich bestätige, was die beiden Fraktionsvorsitzenden gesagt haben: der Aufbau eines Gemeinwesens, das politisch freier, sozial gerechter und wirtschaftlich prosperierender ist als alles, was wir vorher hatten.
({2})
Aber auch das ist für die junge Generation keine Erinnerung mehr. Sie hat ein anderes Selbstverständnis der heutigen deutschen politischen Wirklichkeit als wir. Diese Bundesrepublik ist gegründet worden auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, angesichts einer von uns allen empfundenen unmittelbaren kommunistischen Bedrohung aus dem Osten. Ich erinnere an das Jahr 1948, an die Berliner Blokkade, an Korea, an Griechenland, an die Gründung des Nordatlantischen Bündnisses. Diese Bundesrepublik ist gegründet worden, als wir unsere Wirtschaft von Grund auf aufzubauen hatten. Das alles ist für die heutige junge studentische Generation keine Gegebenheit mehr, die sie wahrnehmen, die ihre Schätzung oder Nichtschätzung dessen, was sie an politischer Wirklichkeit bei uns vorfinden, bestimmt. Sie blicken nicht zurück. Sie wissen nicht wie wir, wie das alles einmal war, und können deswegen auch nicht wie wir das, was heute ist, als etwas so
Kostbares schätzen - bei aller Unvollkommenheit -, wie wir es tun. Damit müssen wir uns abfinden.
Wir müssen also versuchen, mit einer Generation uns zu verständigen, die nach vorn blickt und die mit abstrakten, zum Teil utopischen Maßstäben mißt. Deswegen ist auch ihr Verständnis von Demokratie ein ganz anderes als das unsrige. Wir hatten das Erlebnis der Weimarer Republik, ihres Scheiterns, und dann die Epoche der Hitlerzeit.
Ich glaube, man tut der Arbeit des Parlamentarischen Rates nicht unrecht, wenn man sagt, daß er mehr zurück als in die Zukunft geblickt hat, daß seine Arbeit aus einer defensiven Gesinnung geleistet wurde. Das ist, wenn man an die Situation zurückdenkt, in der er sich befand, mehr als verständlich. Diese junge Generation weiß auch das nicht mehr. Sie kennt also die Überlegungen nicht, aus denen heraus etwa das Referendum, die Möglichkeit, von Zeit zu Zeit das Volk unmittelbar sprechen und entscheiden .zu lassen, im Parlamentarischen Rat verworfen worden ist. Sie kann nur nachlesen, warum das geschehen ist, wie man diese Entscheidung begründet hat, aber sie versteht sie nicht mehr aus der damaligen Situation heraus.
Ich will nicht über die sozialrevolutionäre Gruppe sprechen, über die George Kennan das seine sagt, über das heute die beiden Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition sprachen. Hier müssen wir natürlich auch versuchen, zu argumentieren und sie davon zu überzeugen, daß ihre utopischen Vorstellungen falsch sind. Gewiß! Aber ebenso überzeugt müssen sie davon sein, daß, wenn sie ihr sozialrevolutionäres Programm mit Gewalt durch Revolution durchsetzen wollen, sie auf die entschiedene Abwehr des Staates, den wir zu schützen haben, stoßen werden.
({3})
Aber den anderen, den vielen anderen, von denen die Rede war, müssen wir unser Verständnis unserer Gesellschaft und unseres Staates deutlich machen, und wir müssen versuchen, das ihre zu verstehen, um überhaupt zueinander zu kommen.
Es ist gar kein Zweifel: Jeder Ältere, jeder Vater, wird sich eingestehen, daß er ein wenig die Neigung zum Autoritären hat. Ob diese Neigung gerade in unserem Lande stärker ist als anderswo - manchmal wird das behauptet -, will ich nicht untersuchen. Aber ebenso sicher ist, daß die heutige junge Generation, in der Familie wie in der Gesellschaft wie im Staat Widerstand gegen jeden Versuch der Älteren leistet, sich autoritär zur Geltung zu bringen. Deswegen wäre es grundfalsch, wenn wir diesen Weg gegenüber denen, die keine Revolution, sondern eine Evolution wollen, beschreiten würden.
Es ist auch gar kein Zweifel, daß nicht nur bei den Revolutionären, die die parlamentarische Demokratie ablehnen und an ihre Stelle eine unmittelbare Demokratie mit Rätesystem setzen wollen, ein Unbehagen an dem vorliegt, was wir repräsentative oder parlamentarische Demokratie nennen. Das müssen wir erkennen. Wir müssen nach den Gründen
fragen und versuchen, dieses Unbehagen bei der jungen Generation zu überwinden. Es ist gar kein Zweifel, daß wir uns hier wahrscheinlich in der Vergangenheit zuwenig angestrengt haben, um das Leben dieser repräsentativen oder parlamentarischen Demokratie deutlich genug zu machen und unsere Arbeit darin - das Wort ist heute einmal gebraucht worden - transparent zu machen.
Meine Damen und Herren, es wäre sinnlos für uns Ältere, wenn wir Verwirrung in der jungen Generation, Unbehagen gegenüber Institutionen und politischen Wirklichkeiten, die uns wert und teuer sind. nur beklagen oder gar tadeln. Wenn es so ist, ist eben etwas nicht in Ordnung, und wir müssen es in Ordnung bringen. Nun meine ich keineswegs, daß wir uns vor den Jungen an die Brust schlagen und sagen sollten: Nostra culpa! Aber wir können ruhig zugestehen, wo wir etwas falsch gemacht oder wo wir uns nicht deutlich genug gemacht haben.
Das kann zu Überlegungen über institutionelle Änderungen führen, die die parlamentarische Demokratie für diese Jungen einleuchtender und akzeptabler machen. Das muß aber unter allen Umständen eine Aufforderung für uns alle sein, in ganz anderem Maße und mit viel größerer Intensität als bisher zu den Jungen zu gehen und uns mit ihnen über unsere parlamentarische Demokratie auseinanderzusetzen.
({4})
Das ist sicher nicht immer leicht. Ich habe den staatsbürgerlichen Unterricht an unseren Schulen nicht verfolgen können, aber das Ergebnis scheint mir zu zeigen, daß dieser staatsbürgerliche Unterricht doch wohl weithin in einer trockenen und sterilen Institutionenkunde steckengeblieben und daß er nicht wirklich zum Kern der Sache vorgestoßen ist.
({5})
Auch scheint unserer Jugend ein utopisches Bild der Demokratie gezeichnet worden zu sein, so daß sie zu dem Glauben verführt wurde, Demokratie sei etwas Vollkommenes, etwas, was mit Gloriole und Heiligenschimmer umgeben sei. Das ist das entgegengesetzte pädagogische Extrem und ebenso gefährlich wie das andere, nämlich das Steckenbleiben in der bloßen Institutionenkunde. Hier ist also für uns vieles zu tun, meine Damen und Herren.
Ich selbst möchte sagen: ich schöpfe aus der Unruhe dieser Studenten nicht nur Unbehagen, sondern auch Hoffnung,
({6})
weil es eine Jugend ist, die sich engagieren will.
In der Geschichte der studentischen Generationen - wenn dabei dieses Wort erlaubt ist - seit dem Ende des zweiten Weltkrieges gibt es recht interessante Abfolgen. Es gab zunächst die Generation, die aus dem Krieg heimkehrte. Ich hatte mit ihr lehrend zu tun. Das war eine hochgemute Generation, die froh war, aus dem Krieg und aus dem Zwang eines bösen Systems in eine neue Freiheit entlassen zu sein. Dann kam eine Generation - ich habe ihren Einbruch sozusagen von heute auf morgen erlebt -, der nichts anderes am Herzen zu
liegen schien, als möglichst rasch das Studium zu beenden, um in eine berufliche. Position zu kommen. Dann kam das, was Schelsky die skeptische Generation genannt hat, eine Generation, die sich von der Politik zurückhielt, wenig von ihr und von den Politikern hielt. Nun haben wir auf einmal eine ganz neue, eine leidenschaftlich engagierte Generation.
Das ist zunächst einmal etwas Positives. Die Molive, die diese Generation bewegen, sind gute Motive. Sie hassen den Krieg. Wir hassen den Krieg auch. Sie treten für die Freiheit in der ganzen Welt ein. Wir auch. Ihnen liegt das Schicksal der neu in die Geschichte eintretenden Völker Asiens, Afrikas, Lateinamerikas am Herzen. Uns auch. Es liegt uns auch die Freiheit der Presse, der Information am Herzen. Was uns von ihnen trennt, das sind die Methoden, das ist die Frage, wie man diese Ziele in einem freien Lande verfolgt.
Ich habe in einer Diskussion mit Studenten gesagt: Ihr hängt das ganze Problem des Nord-SüdKonfliktes, also der Auseinandersetzung zwischen den privilegierten Nationen und den nichtprivilegierten am Problem Vietnam auf. Warum hört ihr nicht, daß wir einer Entwicklungspolitik das Wort reden, die bereit ist, diesen in die Geschichte eintretenden Völkern beim Aufbau ihrer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Ordnung zu helfen, und zwar in dem Sinne, daß wir ihnen nicht unsere eigene Ordnung aufzureden wünschen? Sie sollen ihre eigene bauen, wenn es auch unser Wunsch ist, daß diese Ordnungen unter dem hohen Leitgestirn der Freiheit stehen.
Man kann unsere Sorge für den Frieden in der Welt, der diesen jungen Menschen so sehr am Herzen liegt, am Beispiel unserer außenpolitischen Bemühungen darlegen. Ich habe immer wieder erlebt, daß in den Diskussionen in dem Augenblick, wo darauf die Rede kam, plötzlich die Sprechchöre verstummten und die Studenten mit Aufmerksamkeit zuhörten, ja sogar Beifall spendeten. Offenbar ist das alles noch nicht in genügendem Kontakt. Viele haben uns nicht genug gehört, manche wollten uns nicht hören. Vielleicht haben wir uns mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, einfach nicht deutlich genug gemacht. Dies, meine Damen und Herren, soll und muß an einem solchen Tage gesagt sein.
Wenn uns auch heute von der Opposition wieder vorgeworfen wird,, uns gehe es nur um Ordnung und Ruhe, dann sage ich: jawohl, uns geht es wie unserem ganzen Volk um Ordnung und Ruhe. Aber diese Ordnung und Ruhe schließen in keiner Weise eine lebendige und kritische Anteilnahme aller unserer Bevölkerungsschichten - auch der Jugend - an unserer Demokratie aus.
({7})
Im Gegenteil, wir wären schlechte Sachwalter dieser Demokratie, wenn wir eine Ordnung und eine Ruhe wollten, die uns in unserer abgeschlossenen Sphäre wirken ließen, ohne daß wir durch Kritik - sei sie berechtigt oder unberechtigt - gestört würden.
Das Problem der Minderheit! Natürlich ist es so, daß sich in einer Demokratie die Minderheit dem Entscheid der Mehrheit beugen muß. In einer Demokratie, in der hundert verschiedene Interessen und hundert verschiedene politische Überzeugungen miteinander auskommen müssen, gibt es natürlich zuletzt keine andere Entscheidung, wenn man sich nicht einigen kann, als daß die Mehrheit - abgesehen von jenen, dem Mehrheitsspruch entzogenen Werten des Grundgesetzes - bestimmt, was wird. Dann gibt es, wenn Demokratie am Leben bleiben soll, keine andere Lösung, als daß sich die Minderheit dieser Mehrheitsentscheidung beugt. Das ist das Wesen der Demokratie.
({8})
Trotzdem ist damit das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es gibt Minderheitenrechte, wir kennen sie. Aber es ist auch unsere Pflicht, uns mit Minderheiten, die sich für eine Demokratie engagieren und die im Parlament keinen Platz gefunden haben, auseinanderzusetzen.
Frieden im Volk bedeutet ja nicht einen Kirchhofsfrieden, sondern bedeutet den Frieden, der dadurch zustande kommt, daß jeder das Gefühl bekommt, daß seine Meinung nicht nur toleriert, sondern - ich gehe mit Goethe diesen Schritt weiter - auch anerkannt, insofern anerkannt wird, als man sie als die Meinung eines für das Ganze besorgten Menschen achtet.
Das ist auch eine Aufgabe, der wir uns vielleicht zuwenig gewidmet haben. Wir werden uns überlegen müssen, wie wir das z. B. mit den Studenten in Zukunft anders halten können. Ich habe am vergangenen Montag - wie einige der Fraktionen - eine Unterredung mit Vertretern der Studentenschaft gehabt. Ich habe auch bei dieser Unterhaltung gesehen, daß die Meinungen durchaus differenziert sind und daß jedenfalls die Hoffnung besteht, daß diejenigen, die weiterhin an der Anwendung von Gewalt bei Demonstrationen festhalten wollen, in hoffnungsloser Minderheit sind. Das ist ein außerordentlich bedeutsamer Fortschritt.
Wir wollen zusehen, daß in den kommenden Wochen und Monaten das Gespräch mit den Studenten nicht abreißt, so daß ein Zurückfallen in die unseligen Ereignisse der Osterzeit nicht mehr möglich sein wird.
Aber, Herr Scheel, nun muß ich doch zu Ihnen kommen und Ihnen einiges antworten zu dem, was Sie der Regierung und der Großen Koalition vorgeworfen haben. Sie wiederholen immer wieder den Vorwurf, die Große Koalition habe versagt, sie habe nichts getan, sie habe viel zuviel unterlassen, und das sei der Grund für die Unruhe, für ein Unbehagen im Volk. Ja, verehrter Herr Kollege Scheel, wir haben sicherlich manches nicht getan, was Sie gewollt haben; aber was wir uns vorgestellt haben und was wir gewollt haben, haben wir wahrhaftig getan. Ich glaube, ich darf dieser Koalition das Zeugnis ausstellen, daß sie in den 17 Monaten, die zur Verfügung standen, mindestens so viel getan hat,
wenn nicht mehr, als jedes andere Kabinett und jede Koalition vorher seit 1949.
({9})
Sie brauchen nur die Liste alles dessen, was getan worden ist, und alles dessen, was sich noch in der Arbeit befindet, anzusehen, um das bestätigt zu finden.
Sie behaupten, wir seien keine neuen Wege gegangen. Wir sind sowohl in der Innenpolitik wie in der Außenpolitik ganz entschlossen neue Wege gegangen und haben uns nicht gescheut, Tabus zu brechen, die jahrelang gegolten haben, weil wir die Zeichen der Zeit erkannt haben. Der Kanzler dieser Regierung ist ein Mann der CDU und hat das Vertrauen der CDU,
({10})
und ich glaube bewiesen zu haben, daß ich den Mut hatte, Tabus zu brechen und neue Wege zu gehen. Ich glaube, so billig und so einfach darf es sich die Opposition, gerade wenn es sich um ein so ernstes Thema handelt wie das, das wir heute behandeln, nicht machen. Da muß man dann schon sehr viel genauer hören, was man hätte machen können und sollen, und diese Rechnung haben Sie ur s nicht präsentiert, Herr Scheel.
({11})
Es ist die Rede davon gewesen - und die Welt, die diese Debatte beobachtet, denkt natürlich viel weniger an die Studentenunruhen, über die wir heute sprechen, als an diese andere Tatsache -, daß bei den Wahlen in Baden-Württemberg die rechtsradikale Partei fast 10 % der Stimmen errungen hat. Die notwendigen Korrekturen gegenüber gewissen Behauptungen, die hier gefallen sind, sind schon gemacht worden, aber ich muß es noch einmal tun, weil es wichtig ist, daß unsere Nachbarn, daß die Völker der Welt sich daran erinnern: wir haben schon vor der Gründung der Großen Koalition erhebliche Erfolge der NPD gehabt, und zwar in Hessen und in Bayern. Es .sind damals in Hessen 7,9 % und in Bayern 7,4 % der Stimmen von der NPD gewonnen worden. Es ist dann ein wenig heruntergegangen; wir haben uns schon gefreut, daß die Kurve absank, und zwar auf 6,9% in Rheinland-Pfalz, auf 5,8 % in Schleswig-Holstein, wo viele ein starkes Anwachsen erwartet hatten. Dann kamen - das fiel zusammen mit dem tragischen Tod des Studenten Ohnesorg am 2. Juni 1967 - 7% in Niedersachsen, dann 8,8 % in Bremen und nun 9,8% in Baden-Württemberg. Was sollen wir daraus schließen?
Meine Damen und Herren, es ist kein Zwifel, daß ein gewisser Kernbestand von Wählern dieser rechtsradikalen Partei vorhanden zu sein scheint, der sich bei jeder Landtagswahl behauptet hat. Der Erfolg dieser Partei in Baden-Württemberg ist aber ganz ohne jeden Zweifel auch darauf zurückzuführen, daß es zwei Gruppen gab, von denen man annehmen kann, daß sie keineswegs aus Überzeugung, aus parteipolitischer Überzeugung diese Partei
wählten, sondern daß es sogenannte Trotzwähler sind. Wir kennen dieses Phänomen ja auch aus anderen Ländern. Wir wissen, daß in Italien und Frankreich unzufriedene Bauern häufig kommunistisch wählen, und es läßt sich ohne weiteres nachweisen, daß in vielen Wahlkreisen Bauern solche Trotzwahlen vollzogen haben. Es gab sogar Bauern, die uns das vorher sagten: Das nächstemal wählen wir euch wieder, aber bei diesen Wahlen wollen wir euch einen Denkzettel geben, weil ihr euch nicht genug - wie sie meinten - um das Wohl und Wehe des Bauern gekümmert habt! -Das ist die eine Trotz-Gruppe.
Die andere Trotz-Gruppe ist ebenfalls schon erwähnt worden. Das sind jene unserer Mitbürger, die durch die Osterunruhen empört und erschreckt waren und die durch eine raffinierte, darauf bezügliche Propaganda der NPD verleitet worden sind, diesmal ihre Stimme dieser Partei zu geben.
Ich weigere mich einfach, daran zu glauben, daß in der Bundesrepublik eine Bewegung eingesetzt habe, die bis zur Bundestagswahl des Jahres 1969 einen noch höheren Prozentsatz an NPD-Wählern erbringen werde. Natürlich werden wir uns die Gründe für den Erfolg der NPD im übrigen genau überlegen müssen. Natürlich ist es wahr, daß die extreme Linke Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten geleitet hat. Wenn es uns gelingt, mit der Studentenfrage auf die richtige Weise fertig zu werden, d. h. wirklichen geistigen Kontakt mit den Studenten zu bekommen - auch wenn sie in vielen Fragen anderer Meinung bleiben werden als wir -, wenn es uns gelingt, die Gewaltakte bei den Demonstrationen zusammen mit den Studenten aus der Welt zu schaffen, dann ist ein gefährliches Element beseitigt, das der NPD bei dieser Wahl Auftrieb gegeben hat.
Außerdem bin ich auch davon überzeugt, daß es uns in gemeinsamen Anstrengungen gelingen muß, die Bauern davon zu überzeugen, daß es nicht an der Nachlässigkeit, der Leichtfertigkeit der Politiker liegt, wenn es ihnen zur Zeit nicht gut geht, wenn sie ernste und berechtigte Sorgen haben.
Wir werden uns auch anstrengen müssen, ein Drittes zu tun. Innenpolitisch würde mir ein solcher Erfolg der NPD nicht allzuviel Sorgen machen. Der wirkliche Grund für die Sorgen anläßlich dieses Erfolgs der NPD liegt im Ausland. Wir alle wissen, wie diese Partei zusammengesetzt ist, daß es sich um ein sehr komplexes Phänomen handelt, zusammengesetzt aus Menschen, die aus den verschiedensten Motiven - einige nannte ich ,schon - so gewählt haben. Darunter sind auch altmodische, verstaubte Nationalisten, aber deswegen noch keineswegs Nationalsozialisten. Wenn im Ausland diese ganze Partei nun einfach als neonazistische Gruppe bezeichnet wird, dann gebietet uns das Interesse dieses Volkes und sein guter Ruf in der Welt, zu sagen, daß diese globale Feststellung nicht richtig ist.
({12})
Natürlich müssen wir zugeben, daß es in dieser
Partei eine Gruppe gibt, die gefährliche Schlagseite
nach jenen überwundenen, unheilvollen Zeiten zeigt,
und natürlich ist es richtig, daß in den Jahren 1932/33 viele unpolitische Menschen zur nationalsozialistischen Partei gegangen sind, weil sie ihre Existenz bedroht sahen, weil sie arbeitslos waren usw. Ich will also die Gefahr gar nicht verkleinern. Dennoch ist es wichtig festzustellen: Dieses neue politische Phänomen muß man objektiver sehen, und man darf hier nicht mit schrecklichen Vereinfachungen arbeiten. Aber ebenso sicher ist, daß wir die Pflicht haben, alles, was in unseren Kräften steht, zu tun, um bis zur nächsten Bundestagswahl möglichst viele derjenigen, die jetzt diese Partei gewählt haben, davon zu überzeugen, welchen Schaden sie unserem Volk und unserem Land dadurch zufügen, daß sie den Eindruck entstehen lassen, als gäbe es in Deutschland wirklich wieder ein ernsthaftes Erwachen des Nationalsozialismus.
({13})
Unsere ganze Außenpolitik ist darauf gegründet, daß wir das Vertrauen des Auslandes bewahren und vermehren. In unserer großen nationalen Frage, in der Frage der Wiedervereinigung unseres deutschen Volkes in Frieden und in Freiheit, haben wir gar keinen anderen Bundesgenossen als dieses Vertrauen der Völker der Welt. Wie oft habe ich es in diesem Hause und an anderer Stelle gesagt: Nur wenn wir dieses Vertrauen bewahren, dürfen wir auf die Dauer auch mit der moralischen Unterstützung der Völker der übrigen Welt für dieses unser großes nationales Anliegen rechnen. In demselben Augenblick aber, in dem sich draußen der Eindruck durchsetzen würde, daß sich hier ein alter, unheilvoller Geist nicht einmal des Nationalsozialismus, sondern eines aggressiven Nationalismus wieder rege, wäre unsere ganze Mühe und Arbeit, dieses Ringen um das Vertrauen draußen vergeblich gewesen, wir wären um eine riesige Strecke Weges zurückgeworfen. Deswegen appelliere ich bei dieser Gelegenheit an alle, die ihre Entscheidung aus partikularen Interessen, aus Emotionen, aus augenblicklicher Empörung, Angst oder Verärgerung getroffen haben, an alle diejenigen, von denen ich annehme, daß es auch ihnen um das Schicksal unseres Landes und Volkes zu tun ist: Überlegt euch, was ihr anrichtet, und wiederholt den begangenen Fehler nicht! Unterstützt diejenigen politischen Kräfte in der Bundesrepublik, die seit zwei Jahrzehnten - und ich schließe da dieses ganze Haus ein - mit redlicher Mühe versucht haben, ein Gemeinwesen aufzubauen, das nicht nur den Interessen unseres Volkes und seinem Wohle gerecht wird, sondern das sich auch den Respekt und das wachsende Vertrauen der Welt erworben hat, und das sollen wir uns nicht zerstören lassen!
({14})
Meine Damen und Herren, nach einer Absprache zwischen den Fraktionen des Hauses treten wir jetzt in eine einstündige Pause ein. Wir beginnen wieder um 15 Uhr. Zu Beginn der Sitzung wird der Herr bayerische Minister des Innern sprechen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Debatte über die Erklärung der Bundesregierung zur innenpolitischen Situation fort. Ich erteile das Wort dem Herrn Staatsminister des Innern des Landes Bayern, Herrn Merk.
Dr. Merk, Minister des Landes Bayern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zumindest heute vormittag sehr gute Besetzung nicht nur des Hohen Hauses, sondern auch der Bank des Bundesrates unterstreicht das berechtigte Interesse, das wir allesamt, Sie und mit Ihnen die Länder, den beonderen Problemen entgegenbringen, die sich in den Aktionen, in den Demostrationen gerade der Ostertage manifestiert haben. Und die Tatsache, daß die Länder bei dieser Aussprache des Bundestages so stark vertreten sind, ohne Rücksicht auf irgendwelche kleinlichen Kompetenzstandpunkte oder -betrachtungsweisen, beweist, daß wir von den Ländern her zum Gespräch mit dem Bund bereit und willens sind, weil es nur unseren gemeinsamen Bemühungen und Anstrengungen gelingen kann, die Spannungen zu lösen und zu bewältigen, die offenkundig geworden sind.
({0})
In der Bewährungsprobe, zu der uns die extremen Kräfte in unserem Volk, und zwar die extremen Kräfte beider Richtungen, links wie rechts, herausgefordert haben - wobei ich durchaus und in vollem Umfang die Meinung derer teile, die heute schon wiederholt zum Ausdruck gebracht haben, daß es Herrn Thadden und seinen Rednern gar nie gelingen wird, in einem jahrelangen Einsatz so viele Wähler für die eigene Partei zu finden und zu sammeln, wie es dem SDS in wenigen Aktionen in einer Woche gelingt -,
({1})
kommt es 'entscheidend darauf an, daß wir die Ereignisse zwischen Bund und Ländern einheitlich beurteilen. Nur so ist die Gewähr dafür gegeben, daß wir durch ein adäquates Verhalten - auch was die polizeilichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang anlangt - und durch politische Initiativen, die von allen verantwortlichen Kräften unseres Bundesstaates ausgehen müssen, diese Bewährungsprobe auch tatsächlich bestehen können und bestehen werden.
Die Länderinnenminister sind mit dem Herrn Bundesinnenminister in vollem Umfang einig in der Wertung der Hintergründe der gewalttätigen Aktionen der Kar- und Ostertage ebenso wie der aus diesen Aktionen erkennbar gewordenen Zielsetzungen. Wer jetzt noch nicht gemerkt hat oder wer es jetzt noch nicht wahrhaben will, daß Kräfte am Werke sind, die unsere parlamentarische Demokratie zerstören wollen, dem ist weiß Gott nicht mehr zu helfen.
({2})
Staatsminister Dr. Merk
Dem SDS und den mit ihm sympathisierenden und mitstreitenden Gruppen geht es nicht um die Hochschulreform
({3})
oder um andere vordergründig vertretene Zielsetzungen. Heute ist es Vietnam, morgen oder auch heute ist es der Springer-Konzern, dann ist es die Diktatur in Griechenland oder anderswo, dann ist es wieder der Schah-Besuch oder das KPD-Verbot; es wird die Notstandsgesetzgebung sein oder auch einmal wieder der Verfassungsschutz und dann wieder die Hochschulreform.
Das alles sind nur Angriffsobjekte, ({4})
deren man sich wechselweise bedient, die nur dazu genutzt werden, die Radikalisierung zu fördern, zur Bewußtseinsbildung beizutragen, aus der heraus die Bedingungen für eine revolutionäre Umwandlung unserer Gesellschaft geschaffen werden können oder geschaffen werden sollen.
Die wirklichen oder vermeintlichen und behaupteten Mißstände in unserem Staat dienen lediglich als Katalysatoren, um den notwendigen Solidarisierungsprozeß mit den Studenten, mit den Arbeitern oder mit irgendwelchen anderen Gruppen in unserem Volke zu fördern. Dabei merken viele Studenten nicht - und das ist das Besorgniserregende -, wie sie selber Gefahr laufen, von einer Gruppe, die ihrerseits gegen die, wie sie sagt, manipulierte Gesellschaft zu Felde zieht, manipuliert zu werden. Die antiparlamentarische Opposition - es ist eine Anmaßung, wenn sie sich außerparlamentarische Opposition nennt - des SDS mit einigen anderen Gruppen zusammen hat sich durch die provokativen Gewalthandlungen ihrer Anhänger bewußt außerhalb der staatlichen Ord- nung begeben. Sie will diese unsere Ordnung - das gibt sie deutlich und ungeschminkt und unverhohlen zu erkennen - letztlich durch ein System einer Räte-Demokratie ersetzen. Die unverhüllte Berufung auf den Grundsatz der revolutionären Gewalt als Rechtfertigungsgrund für Verstöße gegen die staatliche Ordnung zeigt deutlich, daß die allgemeinen Grundsätze für ein geordnetes Zusammenleben in unserer staatlichen Gemeinschaft von dieser Gruppe nicht anerkannt werden.
Dabei wissen auch wir, die Länder, daß es falsch wäre, wenn man hier nicht zwischen denen, die den revolutionären Umsturz anstreben, und den anderen, die nur eine evolutionäre Entwicklung unserer Gesellschaft wollen, differenzierte. Pauschalierende und die Emotionalisierung nur verstärkende abwertende Urteile über die Studenten oder d i e junge Generation etwa mit dem Ziel, die leider schon bestehende Abneigung in der breiten Öffentlichkeit gegen die Studenten zu vertiefen, wären genauso falsch und verhängnisvoll wie die diffamierende und das Gesetz von Ursache und Wirkung verkennende Behauptung, unser Staat sei faschistisch - eine Behauptung, die ja ebenfalls erhoben wird -, weil ein wirrer Einzelgänger mit abstrusen rechtsextremen Ideen zur Mordwaffe gegriffen hat oder - auch das wird behauptet - weil die Polizei
unter unmittelbarem Zwang rechtswidrige Gewalthandlungen gegen grundgesetzlich geschützte Güter unterbunden hat.
Trotz dieser notwendigen Differenzierung bei den aktiv in Erscheinung tretenden Gruppen, die die SDS-Leute ihrerseits auf jeden Fall verhindern wollen, wäre es verkehrt und gefährlich, die Tragweite der provokativen Taktik der extremen Kadergruppen nicht zu erkennen, zu deren Erfolg auch diese sympathisierenden Mitläufer beitragen, auch wenn sie ihrerseits die weitgesteckte eigentliche Zielsetzung des SDS nicht unterstützen und anerkennen.
Schon den Versuchen, politische Forderungen und Ziele mit rechtswidrigen und gewalttätigen Methoden durchzusetzen, muß ohne Zögern und entschieden entgegengetreten werden. Die Länder haben das im Rahmen ihrer Aufgaben mit Erfolg getan.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang vielleicht zu einem der verschiedenen Vorwürfe Stellung nehmen, die in letzter Zeit erhoben wurden und die teilweise auch im Innenausschuß des Bundestages bereits erhoben worden sind, dem Vorwurf beispielsweise, daß es in München möglich gewesen sei, ohne daß die Polizei wirksam eingeschritten sei, daß im Buchgewerbehaus die Verlagsräume hätten ausgeplündert und zerstört werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe, jetzt einmal parteipolitisch gesehen und als Innenminister des Landes Bayern, in dem es kommunale Polizeien gibt, keinen Grund, mich vor eine kommunale Polizei zu stellen, für die die politische Verantwortung bei der SPD liegt. Trotzdem muß ich - wir dürfen uns nicht nur nach taktischen Gesichtspunkten orientieren - hier der Objektivität die Ehre geben und sagen, daß es vorschnell wäre, daraus der Polizei etwa einen schwerwiegenden Vorwurf zu machen.
Ich will das gar nicht verteidigen, daß eine Stunde vergehen konnte, bevor wirkungsvoll gegen diese gewalttätigen Demonstranten eingeschritten werden konnte. Ich will das gar nicht beschönigen und gar nicht verteidigen. Aber wer hier einen schwerwiegenden Vorwurf erheben will, der sollte zunächst folgendes' bedenken. Erstens war am Gründonnerstag das Attentat auf Dutschke nicht vorhersehbar. Zweitens war nicht vorhersehbar, in welche Richtung konkret diese Störaktionen nun gehen würden. Drittens war nicht vorhersehbar, daß entgegen den bisherigen Praktiken bei ebenfalls rechtswidrigen Demonstrationen das Maß der Ausschreitungen so weit getrieben würde, wie das dann tatsächlich der Fall gewesen ist. Schließlich ist zu bedenken, daß es sich um die Osterzeit gehandelt hat, in der zumal im oberbayerischen und im Münchener Raum die - soweit nicht durch Urlaub bereits abwesenden - noch verfügbaren Polizeikräfte bis zum letzten Mann gebunden waren. Wer all das berücksichtigt, der wird sich sicherlich auch ein sachgerechtes und zutreffendes Urteil über dieses angeblich so unmögliche Versagen der Polizei bilden können.
Im übrigen haben gerade die nachfolgenden Einsätze am Karfreitag, an dem es der Münchener Polizei gelungen ist, wie in kaum einer anderen Stadt
Staatsminister Dr. Merk
die Auslieferung -der Presseerzeugnisse aus dem Buchgewerbehaus trotz einer geradezu brutalen Gegenwirkung der Demonstranten sicherzustellen, bewiesen, daß die Polizei willens, bereit und in der Lage ist und war, den rechtswidrigen Aktionen entgegenzutreten.
Wir haben gern zur Kenntnis genommen, Herr Bundesinnenminister, daß Sie in der Beurteilung und in der Wertung des Einsatzes der Länder mit uns einig gehen. Sicher haben sich Erfahrungen und Erkenntnisse ergeben, die wir hinsichtlich der Organisation der Ausbildung und des Einsatzes unserer Sicherheitsorgane auswerten müssen und auch auswerten werden. Daß Sie nicht wie manche der Versuchung erlegen sind, bei jedweder Schwierigkeit umfassendere Kompetenzen des Bundes, das Wundermittel für alle gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit, zu fordern, zeugt von der besonnenen Nüchternheit, mit der Sie mit den Ländern gemeinsam die Ereignisse, soweit es auf den sicherheitsmäßigen und polizeilichen Einsatz ankommt, beurteilen.
Meine Damen und Herren, verübeln Sie mir bitte nicht die Bemerkung, daß auch diese Ereignisse keinen Anlaß bieten, nun etwa wieder allzuviel Energie dadurch zu vergeuden, daß wir an dem Zaun entlanglaufen, der durch unsere Verfassung in den Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gezogen ist, und daß wir uns an diesem Zaun reißen und über den Zaun ärgern, anstatt alle unsere Energie gemeinsam darauf zu verwenden, in dem weiten Bereich unserer Zuständigkeiten, Ihrer Zuständigkeiten des Bundes und unserer Zuständigkeiten in den Ländern, das zu tun, was in diesem weiten Bereich jeweils unsere Aufgabe ist.
({5})
In diesem Bereich können wir beiderseitig Probleme in Hülle und Fülle feststellen, die unsere ganze Energie beanspruchen, wenn sie zeitig und sachgerecht gelöst werden sollen.
({6})
Selbstverständlich, Herr Bundesinnenminister - ich weiß, was ich jetzt in diesem Zusammenhang sage -, erkennen wir sogar das Informationsrecht der Bundesregierung hinsichtlich aller Ereignisse an, die die innere Sicherheit unseres Landes berühren, auch wenn dem Bund keine unmittelbaren Kompetenzen zum Eingreifen zustehen. Das Recht ergibt sich nach meiner Meinung eindeutig aus dem Grundsatz der Bundestreue, auf den die Länder ebenso wie der Bund festgelegt sind.
({7})
Dabei darf ich feststellen, daß die Länder in den Kartagen nicht erst aufgefordert werden mußten, durch ständige Präsenz der verantwortlichen Politiker und der leitenden Beamten im Hinblick auf die Ereignisse jederzeit einsatzfähig zu sein. Weil wir es waren, konnten wir dem von der Bundesregierung eingerichteten Bereitschaftsdienst sofort und umfassend und ohne Schwierigkeiten alle Informationen zuleiten.
Ich bin - wie wohl alle Kollegen der Länder -im besonderen für die Anerkennung dankbar, die die Bundesregierung und dieses Hohe Haus heute ausdrücklich der Polizei ausgesprochen haben. Die wenigsten, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben eine Vorstellung, wie schwierig und wie belastend der Einsatz unserer Polizisten in der zynisch-gewalttätigen Herausforderung ist, mit der sie sich konfrontiert gesehen haben und sehen. Die Polizei kommt erneut dadurch ins Kreuzfeuer der Kritik, daß einige Presseorgane ungeprüft - ich betone: ungeprüft - die Vorwürfe der antiparlamentarischen Opposition gegen Beamte veröffentlichen, die angeblich die ach so friedlichen Demonstranten brutal zusammengeschlagen haben.
({8})
Ich selbst war am Ostermontag in München an Ort und Stelle Zeuge der Ereignisse. Darstellungen, wie ich sie auf Grund der Behauptungen der antiparlamentarischen Opposition nun leider Gottes lesen muß, die Polizei habe überfallartig und ohne Warnungen auf die Demonstranten eingeschlagen, sind so abwegig, so infam, daß man sich darüber nur empören kann. Es ist mehrfach, wiederholt, nicht nur dreimal, wie es das Strafgesetzbuch zur Erfüllung des Tatbestands des Auflaufs vorschreibt, weit mehr als dreimal ausdrücklich mit Lautsprecherdurchsagen die Aufforderung an alle Anwesenden ergangen, die Straße freizumachen, sich zu entfernen. Hohngelächter war es, was auf diese Aufforderung hin seitens der Demonstranten der Polizei entgegengeschlagen ist und seitens der Demonstranten wurde durch Megaphone an die Polizei die zynische Aufforderung gerichtet, sie möge sich doch endlich entfernen, das sei jetzt die letzte Aufforderung, die man an die Polizei richte. Das war die Reaktion der Demonstranten. Die Darstellung, daß die Polizei überfallartig über die ahnungslosen und friedlich auf der Straße sitzenden Demonstranten hergefallen sei, ist einfach abwegig. Es ist ein Teil der provokativen Taktik, daß der SDS in einer geradezu dialektischen Rabulistik versucht, jetzt aus den Tätern die Opfer und aus der Polizei den Angreifer zu machen.
({9})
Ich finde es bedenklich, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß es auch in unseren demokratischen Parteien Kreise und Gruppen gibt, die die Forderung der antiparlamentarischen Opposition nach öffentlichen Untersuchungsausschüssen über die von ihr erhobenen Vorwürfe übernehmen. Wenn Vorwürfe erhoben werden können, dann mag ihre Prüfung in der üblichen Weise geschehen. Die Staatsanwaltschaft ist in der Lage, die Untersuchungen sachdienlich zu führen und auch andere Stellen zu beauftragen, wenn etwa die Polizeiorgane selber dabei inkriminiert werden. Öffentliche Untersuchungsausschüsse dienen aber nur der revolutionären Zielsetzung dieser oppositionellen Gruppen. Niemand sollte sich, bewußt oder unbewußt, zum Handlanger der Radikalen machen,
({10})
die durch bewußte Provokation zu jener Bewußtseinsbildung in der breiten Masse unserer Bevöl9034
Staatsminister Dr. Merk
kerung kommen wollen, die nach ihrer Meinung Voraussetzung für einen revolutionären Erfolg ist.
Um so dankbarer sind wir, feststellen zu können, daß die Beurteilung des polizeilichen Einsatzes in diesem Hohen Haus einheitlich und positiv ist. Das wird den Beamten draußen auch den inneren Rückhalt und weiterhin die Bereitschaft geben, ihre nicht einfache, erheblich erschwerte Aufgabe zu erfüllen.
Maßgebend für den Einsatz war, wie die Besprechung der Länderinnenminister ergeben hat, die Überzeugung, daß erstens das Vertrauen der Staatsbürger in das ordnungsgemäße Funktionieren unseres demokratischen Staates erhalten bleiben muß, daß es also kein Nachgeben gegenüber der Gewalt geben darf. Der Bürger muß sich darauf verlassen können, daß die Grundrechte der .Versammlungsfreiheit und der freien Meinungsäußerung nicht dazu mißbraucht werden dürfen, die Pressefreiheit oder andere Grundrechte oder Rechte einzelner und der Allgemeinheit zu beeinträchtigen.
Maßgebend war zweitens die Überzeugung, daß alle polizeilichen Mittel nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzusetzen sind und nicht aus irgendwelchen gefühlsmäßigen, von der Leidenschaft diktierten Emotionen. Das Wie des polizeilichen Einsatzes muß sich nach der Lage im Einzelfall richten. Hier an eine zentrale Weisung zu denken, wäre ohnehin abwegig.
Drittens war die Überzeugung maßgebend, daß besonderer Nachdruck nicht nur auf die Beseitigung der Störungen und die Verhinderung neuer Gewalttaten gelegt, sondern vor allem auch alles getan werden muß, um Straftäter festzustellen und gegen sie Strafverfahren einzuleiten.
Wenn ich das sage, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann möchte ich ergänzend dazu bemerken, daß sich auch die Innenminister nicht einbilden, sie könnten mit ihren Möglichkeiten des polizeilichen Einsatzes etwa die Demokratie in sich sichern. Wir können nur die äußere Ordnung aufrechterhalten. Das haben wir getan, und das werden wir auch künftig uneingeschränkt und mit noch besseren Erfahrungen als bisher tun.
Die inneren Spannungen - da gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht -, die hier zutage getreten sind, sind mit den polizeilichen Möglichkeiten und Mitteln nicht zu lösen. Hier bedarf es des aktiven Engagements aller in unserem Staat, der einzelnen Bürger ebenso wie aller gesellschaftlichen Kräfte und Gruppierungen einschließlich Presse, Rundfunk und Fernsehen. Es bedarf des Zusammenwirkens zwischen Bund und Ländern und nicht des Sich-GegenseitigBekriegens und des Sich-Aneinander-Reibens.
Damit ist es nicht getan - meine Damen und Herren, entschuldigen Sie mir den Freimut -, daß Sie hier die Länder kritisieren und wir in den Länderparlamenten den Bund kritisieren. Damit kommen wir nicht weiter. Hier bedarf es vielmehr des Gesprächs, der gegenseitigen Beratung und der uneingeschränkten Bereitschaft zum Zusammenwirken, das nicht dadurch getrübt werden darf, daß man dann und wann den Eindruck gewinnen muß, als ob das Zusammenwirken eben doch als Inanspruchnahme zusätzlicher und neuer Kompetenzen verstanden würde.
({11})
Es bedarf des mutigen Anpackens der heißen Eisen in den Ländern ebenso wie im Bund, um eben den radikalen Kräften den Boden zu entziehen, auf dem allein sie mit Aussicht auf Erfolg arbeiten können.
Das ist auch mein Wunsch und die Bitte der Polizei an die Politiker, meine Damen und Herren: daß sie ihren entscheidenden Beitrag zur Lösung der inneren Spannungen in unserer Gesellschaft leisten. Nur dann wird die Polizei auf die Dauer in der Lage sein, unseren demokratischen Staat gegen seine inneren Feinde zu schützen und zu verteidigen. Daß das die übereinstimmende Meinung der Länderinnenminister ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich Ihnen dadurch überzeugend zur Kenntnis bringen, ,daß ich Ihnen die letzte Ziffer der Resolution verlese, die die Innenminister auf ihrer Konferenz in der Osterwoche nach ,den bekannten Ereignissen gefaßt haben:
Dile Innenminister appellieren an alle, die staatlichen Ordnungsorgane bei ihrer schwierigen Aufgabe, Freiheit und Ordnung zu schützen und den Gesetzen Respekt zu verschaffen, vertrauensvoll zu unterstützen. Sie appellieren an alle Besonnenen im Lande, das Gespräch über die künftige Entwicklung unseres Gemeinwesens nicht abreißen zu lassen, sondern es überall zu suchen und zu führen.
Wir dürfen nicht zulassen, daß sich Gegensätze verfestigen. Notwendige Reformen unseres staatlichen Lebens können nur auf der Grundlage von Recht und Gesetz 'erfolgen.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Freund Walter Scheel hat heute morgen in seiner Rede die Grundfragen des Demokratieverständnisses in unserem Staate angesprochen. Ich werde im Auftrage meiner Fraktion eine Reihe konkreter Probleme der tagespolitischen Wirklichkeit hier behandeln.
Ich möchte gleich auf das eingehen, was der Herr Bundeskanzler als kritische Bemerkungen zu den Ausführungen meines Freundes Scheel gesagt hat. Er hat erklärt: „Was wir wollten, haben wir getan.'' „Was wir wollten", kann man doch nur so verstehen, daß man das, was er in der Regierungserklärung im Jahre 1966 dem Parlament vorgetragen hat, nun auch erledigen wollte. Wenn er das also getan hat, was in seiner Regierungserklärung gesagt wurde, müßte man die Regierungserklärung zum Maßstab der Kritik seiner Worte machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir die Bemerkung: dann bleibt allerdings von dieser Regierung nicht mehr viel zu hoffen. Denn wenn er das bereits als getan betrachtet, was bisher geschehen ist, kann ich nur sagen: Es bleibt von der
Regierungserklärung überhaupt nicht mehr viel übrig.
In einem weiteren Satz hat er dann gesagt, diese Regierung habe mehr getan als alle ihre Vorgängerinnen.
({0})
- Vor mir, Herr Kollege Schlager, sitzt der Vorgänger dieses Bundeskanzlers, Professor Erhard. Es würde uns sehr interessieren, Herr Bundeskanzler a. D., wie Sie diesen Satz Ihres Nachfolgers beurteilen. Aber es würde uns auch interessieren, meine Damen und Herren, was Konrad Adenauer, wenn er noch lebte, dazu heute zu sagen hätte. Ich glaube, so einfach kann man sich doch die Diktion der kritischen Bemerkungen gegenüber der Opposition in diesem Hause nicht machen.
Es ist doch eindeutig feststellbar, daß diese Regierung, so groß sie zahlenmäßig ist, sich in den politischen Entscheidungen in diesem Hause ständig gegenseitig selbst blockiert. Denken wir an das, was als großartige Regierungsentscheidung dem Parlament vorgetragen wurde und mit dem Namen des Verkehrsministers verbunden ist: der Leber-Plan, und denken wir an das, was Müller-Hermann für seine Fraktion dagegengesetzt hat. Wir fragen also: was ist denn nun Meinung dieser Koalition, was ist denn Meinung dieser Regierung? Nichts von einer wirklichen politischen Konzeption ist sichtbar. Sie blockieren sich in diesem Bereich gegenseitig.
Was ist denn mit der Frage der Deutschlandpolitik, einer so viel gepriesenen neuen Ostpolitik, mit den Vorstellungen der Herren Wehner und Brandt auf der einen Seite und dem, was im Kanzleramt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Herrn von Guttenberg auf der anderen Seite dann wieder auf die lange Bank geschoben oder blockiert wird oder wie man es immer nennen will? Wenn das alles schon geregelt und schon erledigt ist, was Sie sich vorgenommen haben, dann frage ich Sie ernsthaft, was das z. B. eigentlich für ein seltsames Verfahren ist, daß Sie die diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten aufnehmen wollen, z. B. zu Jugoslawien, und nachdem diese Absichtserklärung der Bundesregierung dem Parlament und der Öffentlichkeit dargeboten worden ist, Sie sich monatelang darum streiten, wer wohl als Botschafter dieses Staates nach Belgrad gehen könnte. Auch hier blockieren Sie sich seit Monaten gegenseitig.
Nennen Sie das eigentlich eine fortschrittliche, eine neue, eine moderne Politik? Nichts von dem ist sichtbar, was Sie ständig draußen verkünden, und nichts davon wird in diesem Hause realisiert.. Das ist die Praxis, die sich im Unterschied zu dem befindet, was Sie hier proklamieren. Wir könnten hier eine Fülle von Beispielen vortragen, was von der Bundesregierung nicht in Angriff genommen worden ist, obwohl sie es immer wieder angekündigt hat. Ich will mir diesen Katalog jetzt schenken.
Heute sind hier viele Auslandspressestimmen angeführt worden. Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur einen Satz aus der „Times" von heute vorlesen, wo die „Times" über die Wahl
in Baden-Württemberg berichtet und dann auf die NPD-Erfolge eingeht und sagt:
Der Eindruck wächst, daß es nicht Zweck der Großen Koalition ist, große Aufgaben anzugehen, sondern die kalten Stürme der Parteipolitik und der öffentlichen Diskussion zu vermeiden.
Es wird vieles von dem, was wir zu Beginn dieser Regierungsbildung als Sorge vorgetragen haben, durch die Praxis der Koalition in diesem Hause bestätigt. Aber ich darf auch sagen, daß wir es begrüßen, daß der Herr Bundesinnenminister heute weit differenzierter, als es im Innenausschuß von ihm geschehen ist - wahrscheinlich' auch damals, wenige Tage nach den Ereignissen, geschehen konnte -, viele Dinge hier vorgetragen hat, die kritisch gewertet werden müssen. In vielen Punkten wird er bei dieser Wertung unsere Zustimmung finden können, aber in vielen Aussagen können wir seinen politischen Vorstellungen nicht folgen. Nun, wir werden im einzelnen darauf zu sprechen kommen, wie das dann weitergehen soll.
Es ist - in weiten Kreisen der Bevölkerung unseres Landes - sorgenvoll die Frage aufgeworfen worden: Gelten bei uns Freiheit und Recht, wie Gesetz und Verfassung es garantieren? Gilt das Recht auf Demonstration? Gilt der Rechtsanspruch auf Schutz von Leben und Sachen? Manchmal hatte man den Eindruck, daß sich das eine mit dem anderen nicht vereinbaren ließe bei den Aktionen, die über die Ostertage in unserem Lande sichtbar wurden. Aber lassen Sie mich hier im Auftrage der Freien Demokraten sehr deutlich sagen: Gewaltanwendung gegen Personen und Sachen ist nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Mit Gewaltmaßnahmen werden weder Freiheit noch Recht gesichert. Im Gegenteil, die Freiheitsrechte des einzelnen werden bedroht und beschnitten.
Ich möchte auf die Ausführungen des bayerischen Innenministers hier im einzelnen nicht eingehen. Aber die Frage, Herr Minister Dr. Merk, ist doch: wie ist die Aufgabe der Polizei zu sehen? Sie ist sehr unterschiedlich gehandhabt worden, je nachdem ob die Länder oder die Kommunen zuständig waren für den Einsatz. Nicht immer hat sich gezeigt, daß die kommunale Polizei unbedingt der Weisheit letzter Schluß sein muß, wenn ich das, was sich in München und Frankfurt abspielte, einmal unter diesem Gesichtspunkt betrachte.
({1})
Aber der Maßstab der Verhältnismäßigkeit im Einsatz der Mittel ist eben hier als besonderes Merkmal vorzutragen.
Das erste Problem ist, daß Ruhe und Ordnung aufrechterhalten werden sollten, daß also Vorbeugungsmaßnahmen der Polizei durchgeführt werden sollten. Denn die zweite Methode, die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung - das haben doch auch diese Tage eindeutig gezeigt -, hatte zur Folge, daß immer wieder Unschuldige unter den Betroffenen waren.
Man sollte auch folgendes sagen - ich darf das unterstreichen, was mein Freund Walter Scheel heute morgen gesagt hat -: man darf den Polizeibeamten nicht die ganze Verantwortung zuschieben. Denn hier ist deutlich geworden, daß die politische Verantwortung derjenigen, die diese Verantwortung in ihren Händen haben, leider nicht immer so wirkungsvoll gewesen ist, daß der Polizeibeamte das daraus machen konnte, was er eigentlich hätte tun müssen.
({2})
Ich will nur ein konkretes Beispiel der polizeilichen Auseinandersetzung vortragen, ein Beispiel, das mir auch nach der Darstellung im Innenausschuß schon viele Sorge gemacht hat; meine Kollegin Frau Funcke und ich haben ja versucht, dieses Beispiel im Hintergrund etwas zu erhellen. Ich denke an die Vorgänge am Gründonnerstag nach dem Attentat auf Rudi Dutschke. Um 20 Uhr trafen sich im „Audimax" der Technischen Universität in Berlin etwa 2000 Studenten. Sie berieten über die Aktionen, die nun durchgeführt werden sollten. Dabei wurde sehr klar - schon am Anfang -, daß es sich in erster Linie um Aktionen gegen das Verlagshaus Axel Springers handeln sollte. Es wurde dann auch sehr bald beschlossen, gegen 23 Uhr zum Verlagsgebäude zu gehen und dort zu demonstrieren. Nach dreistündiger Vorbereitung und Diskussion setzte sich also der Zug der Demonstranten in Bewegung.
Meine Damen und Herren, meine Fragen an den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ob denn die Polizei nicht früh genug über das informiert worden sei, was sich dort und bei ähnlichen Vorgängen abspielte - Herr Senator Heinsen hat es ja für Hamburg bestätigt, dort hat man ja früh genug reagiert -, haben ergeben, daß beim Eintreffen der Tausende von Demonstranten am Springer-Haus ganze 57 Polizeibamte dort im Einsatz waren. Daß die natürlich nicht in der Lage waren, Ruhe und Ordnung zu erhalten, daß die nicht in der Lage waren, gegen mehrere tausend, die dann Steine gegen das Haus warfen und andere Aktionen durchführten, fertig zu werden, ist doch klar. Wenn man hier nicht von vornherein mit einem Großeinsatz der Polizei, der nach unserer Meinung nach einer drei Stunden vorher beginnenden Kenntnisnahme erreichbar gewesen wäre, die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen hat, wie das in anderen Städten geschehen ist, nicht nur in Hamburg, sondern auch vor allen Dingen in den Städten in Nordrhein-Westfalen, so zeigt uns das doch, daß auch diese Fragen einer nüchternen Diskussion und Überlegung wert sind.
Die Beratungen in der Uni, die Vorbereitung zu solchen Demonstrationen, auch zu Gewaltmaßnahmen, haben die Kollegen Wörner und Häfele veranlaßt, im Innenausschuß die Frage aufzuwerfen, ob die Universität überhaupt weiterhin Räume zur Verfügung stellen dürfe, wenn sich die Studenten mit solchen Problemen auseinandersetzten und solche Maßnahmen vorbereiteten. Senator Heinsen hat gesagt, er würde es bedauern, wenn man einen anderen Weg gehe, denn über diesen Weg sei die Information der Polizei am schnellsten gesichert
gewesen. Professor Dr. Rüegg hat die Öffnung von Universitätsräumen für die Studenten nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke damit begründet, daß das wesentlich zur Beruhigung der Studentenschaft in Berlin beigetragen habe, und der Vizepräsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz, Professor Maihofer, erklärte, es sei richtiger, die Studenten unter dem Dach der Universität zu halten, als sie auf die Straße zu verweisen.
Meine Damen und Herren, das ist ein schwieriges Problem, das wir ja am Dienstag, wenn es um Fragen der Universität, der Bildungsplanung und der Hochschulpolitik geht, mit Sicherheit noch vertiefen werden.
Lassen Sie mich zu einem anderen Problemkreis kommen, nämlich dem der Pressekonzentration. Es ist in den letzten Wochen und Tagen viel darüber gesprochen worden, ob hier der Springer-Konzern eine solche Machtposition im Rahmen der Auflagenhöhe und anderen wirtschaftlichen Möglichkeiten habe, daß von ihm aus allein solche Dinge gesteuert werden könnten. Dafür ist es wichtig, festzustellen, daß wir zur Zeit in der Bundesrepublik 1230 Tageszeitungen haben, daß aber davon 40 Zeitungen allein 80 % der Gesamtauflage stellen. Wir haben leider nur noch 150 komplette Redaktionen in der Bundesrepublik; wir haben 600 Kopfblätter. Man kann aber nicht verschweigen, daß wir in Berlin und Hamburg eine besondere Situation haben, nämlich in Berlin die marktbeherrschende Funktion der Springer-Presse: „Berliner Morgenpost", „BZ", „Welt", „Bild am Sonntag", „Welt am Sonntag", „Bild-Zeitung" und all die Dinge, die damit zusammenhängen. In Berlin besteht also ein eindeutiges Meinungsmonopol. Das gilt in dem Umfang wie hier nicht für die Bundesrepublik Deutschland - das gebe ich zu -, denn in der Bundesrepublik haben wir anderen Konzentrationen. Ich denke z. B. an .die 26 Zeitungen der Konzentrations-GmbH der SPD mit einer Auflage von 1,4 Millionen, ich denke an die Standortpresse mit einer Auflage von 2,5 Millionen. Aber man muß natürlich erkennen, daß über das Vertriebsmonopol oder die wirtschaftliche Ausnutzung einer Machtposition im Rahmen des Vertriebs Springer ganz besondere Vorteile hat, die er auch - wie die Erfahrung beweist -eindeutig rigoros und wirtschaftlich ausgenutzt hat, und zwar bei einer Reihe konkreter Anlässe.
Nun taucht die Frage auf: Ist die Methode der Studenten, gegen Springer mit der Forderung „enteignet Springer" zu Felde zu ziehen, eine Methode, die erfolgverheißend sein könnte? Kollege Scheel hat darauf hingewiesen, daß aus wirtschaftlichen Gründen und wegen bestehender Rechtspositionen diese Dinge in unserem Staat gar nicht Entscheidendes ändern würden. Aber lassen Sie mich hier sagen: für mich ist nicht die Auflagenhöhe einer Zeitung entscheidend, sondern die politische Beeinflussungsmöglichkeit und, wenn sie einseitig wahrgenommen wird, die damit ausgeübte einhellige Monopolstellung geistiger Beeinflussung in unserem Staat.
Meinung und Nachricht sollten getrennte Dinge sein, zwei Dinge, die im Rahmen einer sauberen Pressearbeit eigentlich nicht miteinander verkoppelt werden können. Bei den Springer-Zeitungen allerDorn
dings - und das ist für mich das Kriterium - ist das in den letzten Jahren immer häufiger nicht mehr so gewesen. Die bewußt einseitige Information gerade bei den Zeitungen dieses Konzerns ist immer deutlicher zutage getreten. Die Meinung wurde mit in die Nachricht eingebaut, so daß der Leser sich auch nicht wundern konnte, daß die so gefertigte Meinung mit dem Kommentar übereinstimmte. Die Manipulation der Pressefreiheit wurde zudem durch das Weglassen bestimmter Nachrichten und damit durch die Nichtinformation eines großen Leserkreises über bestimmte Dinge eindeutig sichtbar. Es geht also bei der Beurteilung der Pressekonzentration und den damit auftauchenden Gefahren nicht in erster Linie darum, wie hoch die Auflage ist, sondern um das Problem der objektiven Übermittlung von Nachrichten und der getrennten Wiedergabe von Meinungen in den Leitartikeln.
Welche politischen Äußerungen im Rahmen der Außeinandersetzung um den Springer-Konzern und die damit verbundene Meinungsbildung bei uns gemacht werden und wie man diese Vorgänge beureilt, zeigen zwei ganz konkrete Beispiele der letzten Tage. Ich zitiere:
Der soeben von der „Deutschland-Stiftung" mit dem Konrad-Adenauer-Preis 1968 für Publizistik dekorierte ... Journalist Emil Franzel ... schlägt im Regensburger „Tages-Anzeiger" vor, die „Anti-Springer-Studenten" von Kammerjägern vergasen zu lassen. Franzel, der den Preis für seine Kommentare von „staatserhaltender Kraft" am 11. Mai im Münchner Nationaltheater empfangen wird ({3}), schreibt: „Springer könnte sich die Wanzen bald vom Leibe schaffen, wenn er nicht so merkwürdige Hemmungen gegen die Anwendung der einzig dafür tauglichen Mittel hätte. Man kann Ungeziefer eben nur mit den geeigneten mechanischen und chemischen Mitteln vertilgen, nicht mit gutem Zureden."
({4}) - Im Regensburger „Tages-Anzeiger".
({5})
- Das kann ich Ihnen im Moment nicht sagen. Ich habe es der „Frankfurter Rundschau" von gestern entnommen, Herr Kollege Stücklen. - Ich meine, fürwahr ein „staatserhaltender" Kommentar.
Aber nicht nur die Studenten haben Kummer mit den Zeitungen des Herrn Springer. Auch der SPD-Pressedienst hat gestern ja gegen die Tageszeitung „Die Welt" den schweren Vorwurf gravierender Geschichtsfälschung erhoben, wenn ich an das denke, was im SPD-Pressedienst über die Entwicklung in Griechenland und über die Berichterstattung darüber in der „Welt" gestanden hat.
Nun taucht allerdings ein völlig anderes Problem "auf, nämlich: Was würde, wenn Springers Blätter die Meinung der Studenten verbreiten würden? Wie würden dann die Studenten selbst die Monopolstellung des Springer-Konzerns im wirtschaftlichen Bereich beurteilen? Würden sie auch
dann mit dem Ruf „enteignet Springer" auf die Straße gehen? Wie aber wäre es in die s e m Hause, wenn die Springerschen Zeitungen jahrelang Tag für Tag radikaldemokratische Thesen dem deutschen Leser bieten würden? Ich bin sicher, in diesem Hause wären von bestimmter Seite schon längst Maßnahmen eingeleitet worden, um diese „Meinungsmache" „in den Griff zu bekommen". Ich denke dabei an die Fragen einer Reihe von Kollegen in den Fragestunden der letzten Monate und an die Aufforderungen dieser Kollegen an die Bundesregierung, etwas gegen die Hetze und nach Auffassung dieser Kollegen einseitige Meinungsverbreitung in Rundfunk und Fernsehen zu unternehmen. Herr Kollege Becher hat sich ja heute morgen in Zwischenfragen zu dem geäußert, was mein Kollege Scheel dazu vorgetragen hat. Wie hätten sich die Herren Höfer, Gütt, Kogon, Paczensky und viele andere mehr dann noch im Rundfunk und Fernsehen halten und sich mit ihrer journalistischen Aufgabe befassen können? Wenn die Politiker aber solche Fragen und Forderungen stellen, warum wundern sich dann eigentlich dieselben Politiker darüber, daß die Studenten ihrerseits zwar mit anderer Zielrichtung, aber immerhin genauso reagieren, wie sie selbst hier im Plenum des Bundestages reagieren?
({6})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort zum SDS sagen. Die geistige Auseinandersetzung mit den Vorstellungen - ({7})
- Bitte sehr!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Ist Ihnen etwa nicht der Unterschied zwischen einer öffentlich-rechtlichen Anstalt und einem privaten Unternehmen bewußt?
Die Pressefreiheit, Herr Kollege Süsterhenn, ist für alle in gleichem Umfange verbindlich.
Sind Sie nicht der Überzeugung, daß die Vertreter der Öffentlichkeit gegenüber öffentlich-rechtlichen Anstalten eine ganz andere Kontrollpflicht und auch ein anderes Kontrollrecht haben als gegenüber privaten Wirtschaftsunternehmen?
Herr Kollege Süsterhenn, würden Sie mir dann auch zugestehen, daß fast zu 100 % die Aufsichtsgremien dieser öffentlichen Anstalten mit Mitgliedern der beiden Koalitionsfraktionen in diesem Hause besetzt sind?
({0})
Die geistige Auseinandersetzung mit dem SDS kann uns nicht erspart bleiben, und wir sollten die
Bereitschaft haben, sie mit diesem Verbande zu führen. Es nutzt nichts, Herr Bundesinnenminister, daß man den SDS durch Verbotsandrohungen oder durch die Bekanntgabe des Tatbestandes der Verfassungsfeindlichkeit in ein geistiges Ghetto treibt, sondern es kommt darauf an, in Auseinandersetzungen mit den Mitgliedern dieser studentischen Organisation über die Richtigkeit oder, wie wir meinen, die Nichtrichtigkeit der Thesen von Herrn Marcuse über Mao bis Ho Tschi Minh zu diskutieren. Denn gerade bei dem, was in den Ostblockländern, die neben uns liegen, an politischer Auseinandersetzung in den letzten Wochen in Bewegung geraten ist, ist doch eindeutig sichtbar geworden - das möchte ich auch zu dem sagen, was der Kollege Helmut Schmidt heute morgen hier vorgetragen hat, als er sich noch einmal darauf berief, daß er mit Karl Marx und von seinen Thesen ausgehend eine Veränderung der Herrschaftssysteme anstrebe -, daß mit der Befreiung des Menschen von der Herrschaft des Menschen niemandem geholfen ist. Meine Damen und Herren, die marxistische Ideologie, das ist doch in den letzten Wochen deutlich sichtbar geworden, ist eindeutig gescheitert. Die Freiheit des einzelnen Menschen gilt in der marxistischen Einflußsphäre gleich nichts. Hier muß die Diskussion mit dem SDS beginnen! Dabei kommt es sehr entscheidend darauf an, daß nicht nur die Politiker, sondern auch die Politik glaubwürdig sind.
Der Kollege Stücklen hat heute morgen zweimal bei der Rede des Kollegen Scheel den Zwischenruf gemacht: „Das Wahlgesetz muß geändert werden!" Man könnte fast annehmen, es sei also immer noch Punkt 1 der Regierungserklärung, Herr Kollege Stücklen.
({1})
- Natürlich; mit dem Wahlgesetz würden Sie nicht nur die Große Koalition beseitigen, sondern - wenn wir einmal das Abstimmungsergebnis vom vergangenen Sonntag zugrunde legen - würden Sie mit sechs bis sieben Achteln der Mandate in diesem Hause .sitzen. Daß das für Sie parteipolitisch erstrebenswert ist, das will ich vielleicht gar nicht einmal bestreiten. Aber die Problematik, die in Ihrer kritischen Bemerkung liegt, Herr Kollege Stücklen, ist doch etwas völlig anderes. Sie tun so, als ob Koalitionen etwas Schädliches, etwas Unanständiges, etwas Unangenehmes wären, well Sie Koalitionen dann nicht mehr für nötig halten. Ich meine, die Bundesrepublik Deutschland ist im Bund und in den Ländern durch Koalitionen verschiedener politischer Gruppierungen so weit politisch erst einmal geworden, wie sie heute sichtbar ist. Daß Sie nun vielleicht sagen: „Wir möchten keine Koalition mehr nach Erfahrungen mit zwei in diesem Hause bisher möglich gewesenen Koalitionspartnern", ist Ihr Problem. Aber nach dem, was ich heute morgen aus dem Munde Ihres Fraktionsvorsitzenden und aus dem Munde des Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten gehört habe, denken Sie ja wohl
doch vorläufig nicht daran, die Koalition zu beenden.
Meine Damen und Herren, ich habe von der Notwendigkeit gesprochen, daß die Politik und die Politiker glaubwürdig sind und bleiben. Deswegen bin 'ich der Meinung, daß wir uns auch in diesem Hause mit zwei Interviews, die von Politikern -einmal im vergangenen Jahr, einmal in diesem Jahr, zu diesem Thema gegeben worden sind, auseinandersetzen müssen, weil sie zeigen, wie problematisch Äußerungen, in Interviews gemacht, auf die junge Generation wirken müssen.
Ich komme zuerst auf das Interview zu sprechen, das der Berliner CDU-Abgeordnete des Abgeordnetenhauses Schmitz in der „Zeit" am 8. September 1967 gegeben hat. Ich möchte vier Fragen und vier Antworten daraus vorlesen:
Frage: Halten Sie Prügel für ein legitimes Mittel gegenüber Andersdenkenden?
Antwort: Ja, soweit der Bürger ein gesundes Empfinden dafür hat, wie weit er seinerseits gehen darf.
Frage: Also Faustrecht zur Abwehr einer Beleidigung?
Antwort: Das kann durchaus angemessen sein.
Frage: Ist Ihre Meinung repräsentativ für die Berliner CDU?
Antwort: Ich glaube, der größte Teil meiner Fraktion und auch der Berliner Bevölkerung teilt meine Ansicht.
Frage: Gegen Sie wurde auf Grund des Offenen Briefes Anzeige wegen Aufforderung zum Landfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung erstattet. Wie stellen Sie sich dazu?
Antwort: Ich sehe der Anzeige mit Gelassenheit entgegen. Als Abgeordneter kann mir niemand an den Wagen fahren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, hier wird einiges spürbar, wenn sich gerade in der Situation in Berlin wenige Zeit nach dem Tode Benno Ohnesorgs ein Abgeordneter in dieser Form äußert.
Lassen Sie mich auch ein Interview, das in der vorigen Woche im „Echo der Zeit" von dem Berliner Sonderbeauftragten des Bundeskanzlers, Ernst Lemmer, gegeben wurde, hier mit zwei Fragen und zwei Antworten skizzieren:
Frage: Was, meinen Sie, müßte getan werden, damit man die Dinge wieder in den Griff bekommt?
Lemmer: Man muß versuchen, die Autorität dieser Demokratie wiederherzustellen, dies mit allen Mitteln, schnellstens und rücksichtslos.
Frage: Herr Lemmer, wen trifft Ihrer Meinung nach die Schuld dafür, daß sich der Radikalismus in Berlin und in der Bundesrepublik so entwickeln konnte?
Lemmer: Im Senat - ({2})
- Ich möchte diese Antwort noch vortragen, Herr Präsident.
Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß der Herr Abgeordnete Benda eine Zwischenfrage zu stellen wünscht.
Ja, ich stehe dann für die Zwischenfrage zur Verfügung. Zunächst die Antwort:
Lemmer: Im Senat Brandts und besonders im Senat Albertz hat man die Dinge bagatellisiert und nichts getan. Die Besatzungsmächte taten ebenfalls nichts, so daß in keiner Stadt der Welt soviel Freiheit zum Aufruhr gegeben war wie in Berlin.
Ich meine, das, von dem Sonderbeauftragten des Bundeskanzlers für Berlin in dieser Form ausgesprochen, ist an Problematik kaum noch zu überbieten.
Gestatten Sie jetzt eine Frage des Herrn Abgeordneten Benda? - Bitte!
Herr Kollege Dorn, das von Ihnen zuerst genannte Interview ist bereits vor längerer Zeit von der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zur Sprache gebracht worden. Würden Sie, nachdem Ihre Kollegen und insbesondere Ihr Kollege Oxfort im Berliner Abgeordnetenhaus dazu etwas gesagt haben, nicht auch bereit sein, die Antwort des Betreffenden auf diese Vorwürfe, die ja in dem von Ihnen wiedergegebenen Zitat stecken, hier ebenfalls wiederzugeben, nämlich die Einlassung des Mitglieds des Berliner Abgeordnetenhauses Karl-Heinz Schmitz, daß dieses angebliche Interview von ihm, das nach meiner Erinnerung in der „Zeit" veröffentlicht worden ist, in Wirklichkeit die Wiedergabe eines mehr als einstündigen Gesprächs war, das ein Herr mit ihm geführt hat, der keineswegs angegeben hat, von der soeben genannten Zeitschrift „Die Zeit" zu sein, sondern von einer anderen Zeitschrift, und der dann selbst aus einem einstündigen Gespräch das, was Sie jetzt vorgelesen haben, herausdestilliert hat und von dem der Herr Abgeordnete Schmitz in Berlin weiterhin behauptet, daß es mit dem Inhalt seiner Antworten und mit seinen wirklichen Auffassungen von dem in dem Interview behandelten Problem auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit habe? Wären Sie nicht bereit - da Ihnen dieser Vorgang im Berliner Abgeordnetenhaus, dem Sie vermutlich Ihre Information verdanken, zweifellos bekannt ist -, aus Gründen der Fairneß die Einlassung des Betreffenden oder Betroffenen, der sich hier nicht wehren kann, dem Haus mitzuteilen oder mir diesen Vorgang so zu bestätigen?
({0})
({1})
Sehr geehrter Herr Minister, ich bedaure, Ihnen sagen zu müssen, daß ich dann aus dem Protokoll des Berliner Abgeordnetenhauses
einiges vorlesen muß. Ich habe gedacht, daß wir uns das im Interesse des Kollegen hätten 'ersparen können, und ich habe mich gestern noch einmal bei den zuständigen Redaktionen hier in Bonn erkundigt, ob das Zitat, das ich gebraucht habe, stimmt. Nach dem Protokoll des Berliner Abgeordnetenhauses ist von dem FDP-Fraktionsvorsitzenden Oxfort folgendes ausgeführt worden:
Der Chef des „Stern"- und „Zeit"-Büros in Berlin, Sepp Ebelseder, hat angerufen
({0})
- meine Damen und Herren, ich würde an Ihrer Stelle warten; denn auch Ihr Beifall war leider nicht zu Recht und mitgeteilt, daß er zu der Richtigkeit des Interviews steht, das der Herr Kollege Schmitz abgegeben hat. Die Fragen und Antworten sind wörtlich mitgeschrieben worden, und dafür ist als Zeuge ein weiterer Journalist, nämlich Herr Maurach, der an diesem Gespräch teilgenommen hat, ebenfalls benannt. Das Interview hat im Büro des Herrn Schmitz in der Wilmersdorfer Straße stattgefunden und eine Stunde gedauert. Herrn Schmitz wurde mitgeteilt, daß der „Stern" aus Platzmangel dieses Interview nicht bringen könne, und er wurde befragt, ob er damit einverstanden sei, daß die „Zeit" es bringe. Herr Schmitz hat daraufhin mit o. k. geantwortet.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist genau das Wortprotokoll des Berliner Abgeordnetenhauses.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Benda?
Ich will das nicht vertiefen, Herr Kollege Dorn. Ich hätte nur gern noch gewußt: Was, glauben Sie, ist nun eigentlich von dem, was ich hier in Form einer Frage dargestellt habe, durch die Bezugnahme auf die Ausführungen eines Herrn Ebelseder, wie er, glaube ich, hieß, widerlegt?
Entschuldigen Sie Herr Kollege Benda, Sie haben in Zweifel gezogen, daß es sich um ein Interview gehandelt habe. Die beiden- Journalisten, die dieses Interview mit Fragen und Antworten wörtlich mitgeschrieben haben, behaupten nach wie vor, daß es so gewesen sei.
({0})
- Meine Damen und Herren, wir wollen uns über das, was sich im Berliner Abgeordnetenhaus in dieser Frage dann noch abgespielt hat, gar nicht weiter unterhalten;
({1})
denn die Problematik, meine Damen und Herren von der CDU, würde für Sie noch viel schlimmer, wenn wir den weiteren Ablauf dieser Diskussion und die dabei zur Sprache gekommenen Dinge hier noch im einzelnen vortrügen. Das Protokoll liegt auf meinem Platz. Wir können das gerne machen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Moersch?
Bitte sehr!
Herr Kollege Dorn, wären Sie so freundlich, dem Herrn Abgeordneten Benda die presserechtliche Situation auseinanderzusetzen, nach der der Herr Abgeordnete Schmitz vom Berliner Abgeordnetenhaus jederzeit die Möglichkeit gehabt hätte, seine Darstellung in der „Zeit" so zur Geltung zu bringen, wenn sie wahr gewesen wäre.
({0})
Ich glaube, Herr Kollege Rasner, es geht nicht darum, ob das Herr Nannen oder Herr Augstein oder sonst jemand ist, sondern das ist eine Frage des Presserechts, wobei es völlig klar ist, daß jederzeit eine Erklärung hätte erzwungen werden können, wenn es nicht so gewesen wäre, wenn das Interview grob fahrlässig falsch dargestellt worden wäre.
({0})
Die Debatte im Hessischen Landtag über die Studentenunruhen, die vor wenigen Tagen stattgefunden hat, hat uns ebenfalls gezeigt, in welcher Form bestimmte politische Gruppen daran interessiert sind, hier Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten auch politisch sichtbar zu machen. Der CDU-Abgeordnete Wallmann hat der SPD-Landesregierung in Hessen ständige Verharmlosung des SDS und eine fatale Führungslosigkeit vorgeworfen, die dazu geführt habe, daß der radikale Flügel in der SPD die Oberhand gewonnen habe. Die Aufrührer seien allein verantwortlich für die begangenen Verbrechen und die Vergehen.
Dort also, meine sehr geehrten Damen und Herren, wo die christlich-demokratische Opposition in den Landesparlamenten zu diesem Thema agiert, gibt sie den zuständigen Landesregierungen, die parteipolitisch anders gebildet sind, die Schuld an dem, was sich hier abgespielt hat. Herr Innenminister Merk ist leider nicht mehr da. Deshalb möchte ich jetzt auch nicht auf die vier Fragen eingehen, die die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag zu diesem Thema eingebracht hat; denn sie zeigen so recht etwas von der verfassungspolitischen Einstellung zu diesen Dingen.
Lassen Sie mich nun zu einem anderen Problemkreis kommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Kiep?
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich jetzt keine Zwischenfragen mehr gestatte. Ich möchte jetzt zum Abschluß meiner Ausführungen kommen; denn die anderen Kollegen der CDU und SPD wollen ja hier auch noch sprechen.
({0})
- Sie können doch hier jederzeit reden, Herr Kollege Kiep.
({1})
Der Herr Bundesinnenminister hat laut dpa am 23. April bei einer Veranstaltung in Waiblingen eine schnelle und strenge Aburteilung der Unruhestifter gefordert. Das deckt sich weitgehend mit dem, was der bayerische Innenminister in der Sitzung des Innenausschusses vorgetragen hat. Er hat gesagt, wir müßten Schnellgerichte einsetzen, damit sehr schnell und drastisch und nach außen sichtbar in unmittelbarem Zusammenhang mit den Vorgängen eine Verurteilung der Demonstranten erfolgt. Er hat vorgetragen, daß sich der Bundestag Gedanken darüber machen sollte, wie eine Novellierung der Strafprozeßordnung nunmehr so schnell wie möglich in Angriff genommen werden könnte. Gott sei Dank, darf ich sagen, haben die Kollegen aller Fraktionen des Deutschen Bundestages diese Initiative nicht für notwendig gehalten.
Aber auch etwas anderes tauchte dort auf. Der Kollege Dr. Häfele und der Kollege Dr. Wörner haben sich in besonderem Maße dafür eingesetzt, disziplinarische Maßnahmen gegen Studenten durchzuführen. Sie dachten an die Entfernung von der Hochschule. Sie dachten daran, daß ihnen die Studiengelder, die sie erhielten, gestrichen werden müßten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage mich: Ist es gut, in einer solchen Zeit über 23jährige oder 21jährige Studenten, die sich vielleicht ohne politische Verpflichtung dem SDS gegenüber allein aus Gründen der Solidarisierung im studentischen Bereich an Demonstrationen beteiligt haben, endgültig den Stab zu brechen? Wer weiß, wie viele dieser Demonstranten bald nach Beendigung des Studiums, vielleicht auch bald nach ihrer Heirat oder nach ihrer Arbeitsaufnahme schon zum heute von ihnen noch bekämpften „Establishment" gehören werden? Ich meine, mit solchen Maßnahmen kann man die Problematik, die hier sichtbar geworden ist, nicht erledigen.
Ich möchte auch ein sehr ernstes Wort zu dem sagen, was der Herr Kollege Schmidt ({2}) heute morgen hier gesagt hat, als er von der Überheblichkeit und der Arroganz der Studenten und dem Elitebewußtsein sprach und ihnen vorwarf, sie hätten noch nichts geleistet, sie sollten erst einmal etwas leisten, und dann könnten sie hier mitreden. Meine Damen und Herren, so kann man mit jungen Menschen in der heutigen Zeit eben nicht diskutieren.
({3})
- Ich werde das Protokoll nachsehen, Herr Kollege.
({4})
So habe ich es auf jeden Fall notiert, gleich als er dazu sprach. Sie können doch nicht bestreiten, daß er von der Überheblichkeit und der Arroganz von Studenten und von dem dort vorhandenen Elitebewußtsein gesprochen hat.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können, wenn wir mit der jungen Generation ins Gespräch kommen - und wir müssen im Gespräch mit ihr bleiben -, nicht davon ausgehen, daß sie von vornherein Institutionen oder Personen in Institution als Autorität akzeptieret. Als Autorität wird von der jungen Generation - man mag es beklagen oder nicht - nur der anerkannt, der bereit ist, sich täglich neu als Autorität zu bewähren. Ich glaube, auch unter Parlamentariern ist hier manchmal einiges zu kritisieren.
Lassen Sie mich einen letzten Fragenkomplex ansprechen, bei dem es uns darum geht, ob die freiheitliche Verfassung, die wir Gott sei Dank in unserem Lande haben, so Maßstab der Entscheidungen und Maßstab der Erklärungen der Politiker ist, wie sie bei uns Gültigkeit hat. Leider haben auch Politiker sehr dazu beigetragen, daß manche Kritik am verfassungspolitischen Bewußtsein ihrer Äußerungen notwendig war. Ich denke an das Wort des früheren Innenministers Höcherl mit dem „außerhalb der Legalität". Ich denke an das Wort über unser Grundgesetz: Taufkleid - und daraus einen Maßanzug schneidern. Ich denke an die Erklärung eines früheren Innenministers und an einen heute noch im Kabinett befindlichen Innenminister, der sie dann wenige Tage später übernommen hat, der davon sprach, daß mehr als 80 Verfassungsänderungen notwendig seien. Meine Damen und Herren, ich denke weiter an einen Vorgang, der erst wenige Tage zurückliegt; da wurde nämlich die Frage aufgeworfen, ob es nicht notwendig sei, die Verfassung zu ändern, um eine siebenjährige Amtszeit des Bundespräsidenten zu erreichen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer unter diesen Umständen aus personellen Gründen Verfassungen ändern zu müssen glaubt,
({6})
muß überlegen, wie dann die Verfassung in weiten Kreisen unserer Bevölkerung beurteilt werden kann und wie junge kritische Staatsbürger diese politischen Äußerungen dann werten.
({7})
Die Frage, für wie lange man einen Bundespräsidenten wählt, ob man ihn wiederwählt oder nicht, ist keine Frage von drei Jahren mehr oder weniger Amtszeit, sondern die Frage ist allein, w e n man in dieses Amt hineinwählt.
({8})
Meine Damen und Herren, wir sollten auch davon ausgehen, daß manche Diskussion der letzten Tage bei uns in der Bevölkerung Gefühle hochgebracht
hat, die man nicht unterstützen darf. Studenten, die in Prag, Warschau und Krakau demonstrieren, um gewisse Freiheitsrechte im System der kommunistischen Ordnung zu erreichen, sind natürlich gut; wir haben ihre Aktion begrüßt. Aber wenn man bei uns Studentendemonstrationen gegen bestimmte Maßnahmen, die ohne Zweifel auch berechtigte Kritik verdienen, akzeptieren soll, droht man den Studenten mit der Entfernung von der Universität oder der Streichung der Studiengelder. Ich meine, wir müssen uns davor hüten, daß Student ein neues Schimpfwort in unserer Zeit wird.
({9})
Unsere Gesetze reichen voll aus, jeden, der sich strafbar macht, mit der erforderlichen Strafe zu belegen. Wer aber gewaltlos gegen Mißstände demonstriert, verdient unsere ganze Aufmerksamkeit; wir alle sind angesprochen, diese Mißstände dann auch zu beseitigen.
({10})
Es geht um Recht und Freiheit in unserem Staat, und Recht ist kein wandelbarer Begriff, sondern die ethische Lebensgrundlage eines Volkes. Dabei gilt das Recht des einzelnen genausoviel wie das Recht der Gemeinschaft. Wir Freien Demokraten werden uns in ganz besonderem Maße zu diesen Bewahrern des Rechts hingezogen fühlen, aber wir sind auch der Meinung, daß wir diese freiheitliche Verfassung, die wir haben, unter allen Umständen verteidigen müssen.
({11})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Haar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung der kritischen Kräfte aus allen Schichten unseres Volkes mit den neuen Weltbildern des zwanzigsten Jahrhunderts ist in vollem Gang. Sie unterscheidet sich von jener Windstille zweier Jahrzehnte, die überwiegend vom Wirtschafts- und Stabilitätsdenken, von der Ablehnung irgendwelcher Experimente bis hin zum Klima politischer Gleichgültigkeit geprägt waren. Wir führen diese Diskussion am Vortag des Feiertags der Arbeit. Man muß sich klar machen, daß die heutigen Schwierigkeiten in ihrem tiefsten Kern Ausdruck des Mißverhältnisses sind, das zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte in Technik und Wirtschaft einerseits und dem Stand unserer moralischen wie politischen Fähigkeiten andererseits besteht. Junge Menschen und insbesondere die Studenten sind durch die rapiden Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft von ähnlicher Ungewißheit erfaßt wie die Arbeitnehmer. Daß die Industriegesellschaft vor neuen Problemen steht, spürt jeder, wenn er sich auch nicht klar darüber sein mag, worin sie begründet sind.
Wer, meine Damen und Herren, ist nach den Ereignissen der letzten Wochen nicht aufgewühlt ob
Haar ({0})
mancher unwürdigen Erscheinung, und wer ist so kaltschnäuzig, den leidenschaftlichen Reformwillen vieler, die unruhig geworden sind, nur in selbstgefälliger Erstarrung zu registrieren? Heute wird nachdrücklich, heute wird fordernder, ja, heute wird radikaler nach neuen Perspektiven gefragt als in den Jahren zuvor. Die außerparlamentarische Opposition ist bei ihrem Beginn sicher zunächst getragen worden von mancher guten Absicht, von Enttäuschungen und auch von verstiegenen Ideen. Aber, meine Damen und Herren, Sie waren ja alle einmal jung. So kritisiert die Jugend: pauschal, manchmal ungerecht und auch über das Ziel hinausschießend. Niemand in diesem Hohen Hause wird Unruhe verdammen. Die Krise der Jahre 1966/67 ist der Grabstein einer Vorstellung, die aus der Summe des Wunderglaubens an wirtschaftliche Harmonie, gesellschaftlichen Automatismus und widerspruchsfreie Lösungen bestand. Demokratie versteht sich eben nicht als formierte Gesellschaft, in der Ruhe und Harmonie allein gelten, sondern als eine politische Gestaltungsform, in der Konflikte sachlich ausgetragen, in der Reformen nicht nur in Aussicht gestellt, sondern angepackt und durchgeführt werden müssen.
Entschieden ist unser Nein, das wir der Aufforderung zur Gewaltanwendung, zu Gesetzlosigkeit und Umsturz entgegensetzen. Wer diesen Weg gehen will, löst kein Problem. Dieser Minderheit muß man ins Bewußtsein rufen, daß jeder, der sich zu gemeinschaftlicher Sachbeschädigung, zu Brandstiftung und zum Landfriedensbruch hinreißen läßt, nicht nur unsere Rechtsordnung verletzt, sondern die faschistische Rechte stärkt und der Sache der Demokratie, der er angeblich nutzen will, schweren Schaden zufügt. Millionen von Gewerkschaftern, Bergleuten, Kriegsopfern und Heimkehrern haben in den letzten Jahren und vor kurzem haben auch die Bauern ihr Recht auf friedliche Demonstrationen wahrgenommen. Daran können sich manche Jugendorganisationen ein gutes Beispiel nehmen. Dieses Grundrecht darf nicht angetastet werden.
Aber warum stehen so viele Arbeitnehmer in Distanz zu den Vorgängen im Hochschulbereich? Die Angst um den Arbeitsplatz ist zurückgegangen. Die Hoffnung auf eine Steigerung der Kaufkraft als weitere Phase der Stabilisierung der Konjunktur steht zur Diskussion. Wer das Vokabular des SDS kennt, mag auch verstehen, daß die Arbeitnehmer in ihrer großen Mehrheit weder für falsch-verstandenes Elitedenken, noch für revolutionäre Schlagwörter Verständnis aufbringen. Der unruhige Teil unserer jetzt Zwanzigjährigen muß begreifen, daß vom Punkt Null des Jahres 1945 bis heute von allen Gruppen dieser Gesellschaft eine Entwicklung zurückgelegt worden ist, nach der zwar noch viele Mängel festzustellen sind, deren positive Akzente aber in Frage zu stellen gefährlich und auch unwahrhaftig ist.
Manchmal stellt sich in der Diskussion die bohrende Frage: Wie lange dauert dieser weitere Prozeß. Manches Unbehagen rührt wohl auch daher, daß der handelnde und denkende Teil unseres Volkes weiß, daß jedes Jahr des längeren Wartens verlorene Zeit ist, die kaum aufgeholt werden kann. Wir brauchen eine Parlamentsreform, die auch unsere organisatorisch überholte Form der Beratungen transparenter, überschaubarer und die Nutzbarmachung guter Ideen auch unter dem Aspekt der Kompromißstruktur der parlamentarischen Demokratie verständlicher macht.
Meine Damen und Herren, wir wollen auch deutlich sagen, daß wir zu Vietnam zu lange geschwiegen haben. Wir wissen, daß die Zeit zu Reformen im Hochschulbereich davonläuft. Dabei reicht es nicht, nur auf die Zuständigkeit der Länder zu verweisen. Wir müssen offen über neue Leitlinien der Sozialpolitik für die Zukunft sprechen und dürfen uns nicht am Thema „Mitbestimmung" vorbeimogeln, wenn es uns ernst ist, den durch das Grundgesetz vorgezeichneten Demokratisierungsprozeß mit dem erforderlichen Schwung voranzutreiben.
Die heutige Situation birgt weniger Gefahren als Chancen. Es sind zwei Marschsäulen, die unseren demokratischen Staat in Frage zu stellen versuchen. Hier nützt aber nicht der erhobene Zeigefinger; das sollten wir aus den Erfahrungen der Weimarer Republik gelernt haben. Auch Hitler hat klein angefangen. Der zweite Weltkrieg und Auschwitz sind fürchterliche Leuchtfeuer der Erinnerung. Dieser Gefahr zu begegnen und Unheil abzuwenden - das möchte ich auch an die Adresse von Herrn Dorn gesagt haben -, ohne uns in Selbstzerfleischung zu üben, das erwarten Millionen Arbeitnehmer und Bürger in diesem Lande heute von uns.
Noch immer spielen obrigkeitsstaatliche Strukturen in unserem Lande eine große Rolle. Sie in der Verwaltung und in der Wirtschaft abzubauen, bedeutet den Beginn einer neuen Epoche der Demokratie in unserer Geschichte. Die Zeituhr einer Bevölkerungsexplosion und der zweiten industriellen Revolution tickt. Hier steckt das Motiv mancher berechtigten Unruhe.
Ich meine, es ist gut, wenn uns diese Unruhe auch in der künftigen parlamentarischen Arbeit nicht verläßt. Wir müssen beweisen, daß unsere Gesellschaft willens und fähig ist, nicht nur auf die Erfolge in der Vergangenheit zu verweisen, sondern die künftigen Probleme in einem Höchstmaß an Überwindung aller menschlichen Unzulänglichkeiten zu lösen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Even.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dorn. Ich glaube, es ist notwendig, um Mißverständnisse auszuräumen, noch einmal zu betonen, daß in der heutigen Debatte hier niemand den Ausdruck „Student" etwa als ein Schimpfwort benutzt hat.
({0})
und daß niemand irgendeine Voraussetzung geschaffen hat, um eine solche Legende aufkommen zu lassen.
({1})
Herr Abgeordneter Schmidt, ich rüge diesen Zwischenruf.
({0})
Herr Kollege Dorn, den ich im Augenblick leider nicht im Saale sehe, hat noch eine Reihe von grundsätzlichen kritischen Bemerkungen zur Großen Koalition gemacht. Das ist natürlich sein gutes Recht. Ich glaube aber, es würde ihm und seinen Parteifreunden gut anstehen, sich auch einmal die Frage vorzulegen, warum es eigentlich der parlamentarischen Opposition, nämlich der FDP, nicht gelungen ist, das von ihr doch so großgeschriebene Unbehagen in der Bevölkerung aufzufangen, und ob sie nicht selber bei der Aufgabe versagt hat, diese Kräfte der außerparlamentarischen Opposition aufzufangen.
({0})
Im Grunde ist es doch für sie ein beschämendes Ergebnis, daß gerade auch bei den Wahlen in Baden-Württemberg aus dem Stand heraus eine neue politische Kraft sich etablieren konnte und daß es der FDP nicht gelungen ist, mehr als 1,3 % Stimmengewinn gegenüber einem Wahlergebnis von vor vier Jahren zu erreichen, das für die FDP bereits sehr dürftig war. Wenn man also mit Recht das Parlament in allen seinen Kräften auffordert, selbstkritisch zu sein, dann sollte die Opposition sich selber dabei nicht ausnehmen.
({1})
Ein Weiteres! Herr Kollege Dorn hat die „Frankfurter Rundschau" zitiert, die wiederum ein Zitat aus dem „Regensburger Tagesanzeiger" bringt, in dem der Journalist Emil Franzl Ausführungen gemacht haben soll. Es ergibt sich aus der „Frankfurter Rundschau" - dieses Exemplar vom gestrigen Tage liegt mir vor - nicht, wann diese angebliche Äußerung gemacht worden ist. Herr Dorn hat nicht etwa behauptet, daß sich die CDU damit identifiziert habe. Aber da Emil Franzl in diesem Jahr mit dem Konrad-Adenauer-Preis ausgezeichnet worden ist, legen wir Wert auf die Feststellung: sollte das Zitat stimmen, das Herr Kollege Dorn hier gebracht hat, dann würden wir uns schärfstens davon distanzieren.
({2})
Was ist nun in dieser Debatte deutlich geworden? Ich glaube, es muß noch einmal in aller Klarheit unterstrichen werden, daß niemand in diesem Hause und kein ernst zu nehmender Mensch in unserem Lande das Recht auf Demonstration bestreitet.
({3})
Niemand bestreitet das Grundrecht der freien Meinungsäußerung in der besonderen Form der Demonstration. Es ist wiederholt mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, daß in den letzten Jahren in unserer Bevölkerung in zunehmendem Maße von diesem in einer Demokratie selbstverständlichen Grundrecht Gebrauch gemacht worden ist.
Niemand unterdrückt in diesem Lande Meinungen. Niemand unterdrückt in diesem Lande Minderheiten. Worum es allein geht, ist doch die Frage, ob wir es zulassen können, daß politische Anschauungen in diesem Lande mit dem Mittel der Gewalt und des Terrors durchgesetzt werden sollen.
({4})
Das allein ist der Kern der Auseinandersetzung. Da allerdings muß deutlich gesagt werden, daß dies nicht hingenommen werden kann und daß man gerade hier den Anfängen wehren muß, wobei es völlig gleichgültig ist, aus welcher Berufsschichtung und aus welcher politischen Richtung etwa der Versuch gemacht werden sollte, mit Terror und Gewalt in diesem Lande Politik zu machen.
Weiterhin muß sich unsere feste Entschlossenheit ergeben, daß wir nicht bereit sind, die gewaltige deutsche Aufbauleistung nach dem Kriege und dem Chaos, das sich ihm anschloß, von einer antidemokratischen Gruppe zerstören zu lassen.
({5})
Ich habe dabei den Eindruck, daß diese Debatte auch ergeben hat, daß die Sicherheit unserer öffentlichen Ordnung nicht etwa die Sicherheit des Staates als einer etablierten Institution ist. In Wahrheit geht es um die Sicherung der Summe der Freiheitsrechte jedes einzelnen. Diese Bürgerrechte brauchen nicht zusätzlich durch neue Gesetze verstärkt zu werden; es geht vielmehr nur darum, die bereits bestehenden Gesetze anzuwenden.
Allerdings ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen aus den Geschehnissen, die der Herr Bundesinnenminister Benda heute vormittag dargestellt hat. Auch er hat in den Vordergrund gerückt, daß nach seiner Auffassung Gesetzesänderungen nicht notwendig seien. Er hat aber eine Reihe von Anregungen gegeben, wie eine bessere Koordinierung und Kooperation, vor allen Dingen zwischen dem Bund und den Ländern und- zwischen den Ländern untereinander, zu geschehen habe. Wir begrüßen diese seine konkreten Vorschläge.
Eines scheint mir allerdings dabei besonders deutlich zu sein, nämlich: daß die föderative Ordnung in der Bundesrepublik, daß unser Föderalismus in eine entscheidende Bewährungsprobe eingetreten ist. Wir können zwar im Augenblick nicht davon ausgehen, er habe schlechthin versagt, aber es scheint doch so zu sein, als ob ihm noch eine Frist zur Bewährung gesetzt sei und als ob diese Frist nicht sehr lang bemessen sei; unsere Bevölkerung könnte bald die Grundsatzfrage stellen - sollte diese Frist nicht ge9044
nutzt werden -, ob unter den modernen Gegebenheiten die augenblickliche föderative Struktur in unserem Lande überhaupt noch vertretbar sei.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Dorn?
Bitte.
Herr Kollege Dr. Even, wären Sie in Erkenntnis dieser Tatsachen denn bereit, unseren Vorstellungen über Länderneugliederung, die wir diesem Hause vorgelegt haben, dann baldmöglichst wenigstens Ihre Zustimmung zu geben?
Ich würde das Problem der Länderneugliederung hier nicht an die erste Stelle rücken. Es ist mehr ein Problem des Funktionierens des neuen kooperativen Föderalismus,
({0}) unabhängig davon, wieviel Länder wir haben.
Ein weiteres! Ich glaube, es war gut, daß der Herr Bundesinnenminister seinen Bericht bewußt nicht in erster Linie als einen Sicherheitsbericht, nicht als einen Polizeibericht aufgefaßt hat, sondern daß er die politische, die geistige Auseinandersetzung in den Vordergrund gerückt hat. Das scheint mir in der Tat das Entscheidende zu sein. Wir alle haben - und das haben Vertreter aller Fraktionen
dieses Hauses erklärt - die feste Bereitschaft, die geistige und politische Auseinandersetzung auch mit den sogenannten außerparlamentarischen Gruppen fortzusetzen. Es ist dabei nicht so, als begännen wir erst mit der Diskussion der Studenten, sondern wir tun dies doch jahrelang. Nur wechselt die Zusammensetzung der Studentenschaft sehr häufig, und viele wissen nicht, was wir mit ihren Vorsemestern bereits vor Jahren besprochen haben.
({1})
Hierin liegt ein Sonderproblem, das man nicht übersehen sollte.
Allerdings gibt es eine Einschränkung: diese Bereitschaft zum Dialog kann nur insoweit bestehen, als dieser Dialog von der anderen Seite wirklich gewollt ist. Diejenigen, die gar nicht diskutieren wollen, sondern die die Anarchie, das Chaos, den Umsturz wünschen, die mit einer vorgefaßten Meinung kommen und im Grunde genommen die Diskussion nur als ein neues Mittel der Manipulation - in ihrer eigenen Terminologie - ansehen, die werden naturgemäß nicht zu überzeugen sein. Man sollte sich insoweit nicht Illusionen hingeben. Aber die grundsätzliche Bereitschaft zum Dialog besteht weiter und sollte verstärkt in die Tat umgesetzt werden.
Dabei sollte auch eine breitere Aufklärung über das eigentliche geistige Konzept jener Gruppe möglich sein, mit der wir uns auseinandersetzen. Ich glaube, es ist nicht genug, daß man sie einfach pauschal verdammt. Wir brauchen eine bis ins einzelne gehende geistige Auseinandersetzung und
geistige Zerpflückung des Konzepts, das hinter den antiparlamentarischen Gruppierungen steht, die heute praktisch einen Anarcho-Kommunismus eigener Art vertreten. Wir müssen uns gerade auch der großen Überzahl der Studenten gegenüber in der Argumentation punktuell mit diesem neueren geistigen Konzept, das freilich aus alten Schläuchen schöpft, auseinandersetzen.
Wir brauchen aber weiterhin nicht nur das Gespräch, sondern ich glaube, wir brauchen noch viel mehr die Tat, das praktische Handeln, denn mitunter hat man den Eindruck, daß auf manchen Gebieten zuviel geredet wird, zuviel diskutiert worden ist. Und wenn zwar nach einem englischen Grundsatz Demokratie auch einmal definiert worden ist als Government by discussion, also Regierung durch Diskussion, so darf ich den verstorbenen Fraktionsvorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion zitieren, der von dieser Stelle einmal gesagt hat: „Das ist richtig, aber einmal müssen wir mit dem Diskutieren aufhören und mit dem Regieren anfangen!"
({2})
Ich sehe hierin nicht nur die Notwendigkeit, über den Inhalt bestimmter überholter Regelungen, gerade auf dem Gebiet der Hochschulverfassung, zu sprechen. Ich bin durchaus der Auffassung, daß wir auch die Formen unserer parlamentarischen Institutionen einer selbstkritischen Prüfung unterziehen sollten. Wir sollten uns fragen - wir empfinden es ja alle miteinander im Grunde auch als unbefriedigend; und auch das Bild, das das Parlament jetzt hier zeigt, ist nicht in jeder Richtung überzeugend -, wie man das besser machen kann, wie man insbesondere unserer jungen Generation ein attraktiveres Bild der Parlamentsarbeit vermitteln kann.
Dabei sollten wir nicht übersehen, daß es ja nicht nur einen Linksradikalismus gibt, den man übrigens durch permanente Beschäftigung mit dieser Minderheit unter Umständen auch aufwerten kann und dabei das Gespräch mit denen versäumt, nämlich mit der großen Mehrheit der deutschen Studenten, mit denen man es eigentlich viel fruchtbarer führen kann. Wir müssen auch sehen, daß nunmehr auf der anderen Seite ein Rechtsradikalismus virulent wird, der eigentlich nur auf die Stunde gewartet hat, in der er links außen einen neuen Popanz errichten konnte, um erneut jene Teufelsschaukel in Bewegung zu setzen, die in der Weimarer Republik einmal zum Untergang der ersten deutschen Demokratie geführt hat, nämlich die Wechselbeziehung, die unter Umständen tödliche Wechselwirkung zwischen Linksextremismus und Rechtsextremismus, hin und her und wieder zurück.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Wir alle haben deutlich gemacht, daß wir als Anhänger der parlamentarischen Demokratie die Durchsetzung politischer Auffassungen mit Gewalt ablehnen, daß wir nicht die Revolution wollen, sie auch nicht für erforderlich halten, ja sie sogar für tödlich halten würden. Diejenigen, die praktisch den Bürgerkrieg in unserem Lande wollen, die aus der Bundesrepublik ein neues
Vietnam machen wollen, werden dafür niemals die notwendige Resonanz bekommen. Wir haben uns alle vielmehr zum Grundsatz der Evolution bekannt, und ich möchte sagen: diejenige parlamentarische Form sei die anzustrebende, die sich nicht als eine erstarrte Institution begreift, die sich nicht nur mit der Bewahrung des Richtigen und Guten befaßt und sich darauf beschränkt, sondern die sich als eine lebendige Staats- und Gesellschaftsform der permanenten Reform begreift. Für diese permanente Reform alles dessen, was überholungsbedürftig ist, hat jeder in unserem Lande, der guten Willens ist und zur Tat entschlossen ist, eine Chance.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure wirklich, Sie noch einmal zu behelligen; ich war schon auf dem Wege zu einem Gespräch mit einigen offiziellen Vertretern der deutschen Studentenschaft, als ich im Radio einen Teil dessen mithörte, was der liberale Abgeordnete Dorn hier vortrug. Das hat mich dann dazu bewogen umzukehren, um mich jedenfalls in einem Punkte hier zur Wehr zu setzen. Im übrigen ist seine Rede eben schon von Herrn Kollegen Even mit einer Antwort bedient worden, soweit sie es verdiente.
Wenn ich das Wort schon einmal habe, will ich insbesondere einen Gedanken unterstreichen, den ich eben bei Herrn Even hörte und den heute morgen in anderer Form andere auch schon angedeutet haben, die Feststellung nämlich, daß jene außerparlamentarischen Kräfte, die es ja geben muß und die die Opposition in diesem Hause nicht deutlich genug finden oder - wie sie heute zu sagen pflegen, nicht deutlich artikuliert finden - eines von diesen Mode- und Reizwörtern, die heute im Schwange sind -, wahrscheinlich recht haben. Jedenfalls hat mir der heutige Tag diesen Eindruck bestätigt.
Ich habe mich aber zu Wort gemeldet wegen einer Sache, die ich - auch im Stile des heutigen Studentenjargons - als eine Manipulation bezeichnen möchte, eine Nachrichtenmanipulation; ich weiß nicht, ob noch andere vorkamen. Aber diejenige, die mich angeht, weise ich zurück.
Ich habe vor mir das unkorrigierte Stenogramm der Rede des Herrn Dorn, das er mir liebenswürdigerweise hat zur Verfügung stellen lassen, und, Herr Präsident, ich darf daraus zitieren. Herr Dorn hat hier vor einer Dreiviertelstunde gesagt:
Ich möchte auch ein sehr ernstes Wort zu dem sagen, was der Herr Kollege Schmidt ({0}) heute morgen hier gesagt hat, als er von der Überheblichkeit und der Arroganz der Studenten und dem Elitebewußtsein sprach und ihnen vorwarf, sie hätten noch nichts geleistet, sie sollten erst einmal etwas leisten ...
Dann wurde ihm von Herrn Abgeordneten Behrendt
der Zuruf gemacht: „Sie verdrehen die Tatsachen",
nämlich das, was er zittiert hat. Darauf sagte der
Kollege Dorn: „Ich werde das Protokoll nachsehen, Herr Kollege." Darauf rief der Kollege Behrendt: „Ja, wir auch!" Herr Kollege Dorn fuhr fort:
So habe ich es auf jeden Fall notiert,
- nämlich so, wie ich es eben vorgetragen habe - gleich als er dazu sprach. Sie können doch nicht bestreiten, daß er
- nämlich Schmidt ({1}) von der Überheblichkeit und der Arroganz der Studenten und von dem dort vorhandenen Elitebewußtsein gesprochen hat.
Also entweder, verehrter Herr Kollege, ist es schlecht bestellt mit Ihrer Fähigkeit, Notizen zu machen, oder Sie gehen eben etwas zu liberal mit den Tatsachen um.
({2})
Ich darf Ihnen nunmehr aus dem unkorrigierten Stenogramm der Rede vorlesen, die ich heute morgen gehalten habe. Es heißt da wörtlich:
Auf der anderen Seite haben junge Leute natürlich auch nötig, daß ihnen die Grenzen gezeigt werden. Was mir am meisten innerlich Sorge macht, ist die bei einem Teil der Jugend, bei einem Teil der studentischen Jugend, bei einzelnen und bei Gruppen von ihnen zu beobachtende elitäre Arroganz, die genausogut von rechts außen kommen könnte ...
Hier ist also ganz deutlich auf einen ganz bestimmten kleinen Teil abgehoben, und Sie machen daraus ein Pauschalurteil!
({3})
Schauen Sie, das ist nicht sehr im Sinne einer parlamentarischen Demokratie, das ist nicht freisinnig, das ist auch nicht liberal, das ist einfach ganz mieser Stil.
({4})
Und nehmen Sie mir das ab: mich verwundet das,
mich empört das. Wenn das in diesem Hause so
vorexerziert wird, wie soll es dann draußen sein?!
({5})
Vielleicht reicht der Anlaß wirklich nicht hin, um sich so darüber zu ärgern.
({6})
Ich darf noch, nachdem ich schon einmal das Wort habe, auf einen anderen Fall kommen, der mir auch nicht gefallen hat. Aber da bin ich mir darüber klar, daß jemand, der mir einen Zwischenruf oder mehrere machte, sich nicht ganz entsann. Ich hatte in dem Augenblick auch das Gefühl, möglicherweise könnte der Kollege doch recht haben, und habe nicht allzu endgültig repliziert. Da ging es um die Behandlung der Frage der Mitbestimmung in den Koalitionsverhandlungen vom November 1966 zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten. Inzwischen haben wir die Papiere nachgesehen. Leider haben Sie die Klarstellung von Ihrer Seite
Schmidt ({7})
nicht hier im Hause vorgebracht, sondern der Kollege Starke - ich weiß nicht, ob er im Augenblick in Bonn ist - hat heute mittag eine Presseerklärung herausgehen lassen. Es wäre ja besser, es würde einer von Ihnen hier dazu sprechen, wenn eine solche Kontroverse auftaucht. Richtig ist also, daß über diesen Punkt Mitbestimmung damals zwischen Ihnen und uns geredet worden ist, richtig ist auch, daß es dazu eine Verständigung zwischen Ihnen und uns gegeben hat, wie man den Punkt wohl behandeln solle, und richtig bleibt, was ich hier heute morgen gesagt habe, daß am nächsten Tag Herr Starke in der nächsten Verhandlung sagte: In der Sache waren wir uns ja einig, aber das Wort „Mitbestimmung" wollen wir bitte ersetzen, lassen Sie uns statt dessen von „Unternehmensverfassung" sprechen, „Mitbestimmung" sollte besser nicht vorkommen. Das steht natürlich nicht in seiner heutigen Presseerklärung. Ich hätte es jetzt nicht moniert, ich hätte das auf sich beruhen lassen, wenn ich nicht der Meinung wäre, wenn das Parlament seinerseits anfängt, mit Tatsachen zu manipulieren, darf man sich über die Studenten im SDS nicht wundern.
({8})
Das Wort hat Herr Kollege Kiep.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, wenn ich zu dieser fortgeschrittenen Stunde noch einmal ganz kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitte. Aber die Äußerungen des Kollegen Dorn geben mir hierzu Veranlassung.
Herr Kollege Dorn, Sie haben in sehr globaler und sehr kurzer Form hier einen nicht anwesenden Kollegen aus dem Hessischen Landtag angegriffen und haben seine Äußerungen in einer Debatte, die in der vorigen Woche im Hessischen Landtag aus Anlaß der Osterunruhen in Frankfurt stattgefunden hat, zum Gegenstand einer sehr kurzen und, wie gesagt, sehr globalen Verurteilung gemacht. Sie haben sinngemäß gesagt, Herr Kollege Dr. Wallmann, Mitglied der CDU-Fraktion des Hessischen Landtags, habe im Landtag in Wiesbaden mehr oder weniger gesagt, die Schuld an allem, die Schuld vor allen Dingen an den Unruhen sei zu suchen bei der Linken und bei den linken Studenten. Da sich der Kollege Dr. Wallmann hier nicht rechtfertigen kann und da ich nicht verantworten kann, daß solche . Behauptungen im Raume stehen bleiben und verbreitet werden, ohne daß die Gelegenheit zu einer Gegenstellungnahme gegeben wird, wollte ich mir erlauben, diese Darstellung von Ihnen in aller Kürze, aber auch in aller Schärfe zurückzuweisen.
Der Kollege Dr. Wallmann hat, wenn ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten das zitieren darf, am Anfang seiner Ausführungen - und das kennzeichnet den Ton und den Charakter seiner Rede - folgendes gesagt:
Es ist in den vergangenen Wochen von Studentenunruhen und den Studenten die Rede gewesen. Ich stelle dazu fest, daß das eine unzulässige Verdrehung der Tatsachen ist. An den gesetzwidrigen Ausschreitungen war nur eiñ Bruchteil unserer Studenten beteiligt.
({0})
Von ihm auf die Gesamtheit zu schließen, stellt eine Beleidigung der überwältigenden Mehrheit der Studierenden dar.
({1})
Der Abgeordnete Dr. Wallmann hat dann auf einige Mißstände, die von den Studenten in den Demonstrationen besonders herausgestellt wurden, hingewiesen und hat dann weiter gesagt - ich zitiere noch einmal mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Ich habe schon gesagt, wir haben Verständnis für diejenigen, die über Mißstände und Versäumnisse beunruhigt sind, weil auch wir wissen, daß in diesem Lande nicht alles zum besten steht. Auch wir sehen manche Entwicklungen und Sachverhalte mit zunehmender Sorge.
Er zählt dann einige Beispiele auf und fährt fort:
Das alles sind nur einige Beispiele, die nachdenklich und unruhig machen. Es gibt genügend Anlaß zur Reform. Wer Änderungen im Rahmen unserer grundgesetzlichen Ordnung anstrebt, mit dem haben wir gesprochen und mit dem werden wir auch in Zukunft sprechen.
Dann kommt er zu dem Schluß - und das hat Herr Dorn, der leider nicht zuhört, während ich mir Mühe mache, die Dinge, die er in den Raum gestellt hat, zu widerlegen, - ({2})
Dann wendet er sich zum Schluß - und das war wahrscheinlich der Anlaß für Ihr Zitat, verehrter Herr Dorn - dagegen, daß es in Hessen einige Zeit gedauert hat, bis die Hessische Landesregierung trotz lebhafter Vorstellungen der christlich-demokratischen Landtagsfraktion erkannt hat, wes Geistes Kind die radikalen Kräfte in Hessen sind, und er weist darauf hin, daß es trotz verschiedener Anmahnungen und verschiedener diesbezüglicher Fragen und Interpellationen im Landtag erst der Osterunruhen bedurft hat, bis auch die Hessische Landesregierung die gefährlichen Tendenzen gesehen hat, die bei dieser radikalen Minderheit vorhanden sind.
Ich darf hinzufügen - und damit möchte ich schließen -, daß er und daß die CDU-Fraktion im Hessischen Landtag bei diesen Versuchen allerdings nicht - und ich darf die Formulierung des Herrn Kollegen Schmidt von heute morgen gebrauchen - von dem freisinnigen Teil der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag unterstützt wurde, aber zumindest von dem nationaliberalen Teil.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß wir das klarstellen können. Lassen Sie mich gleich bei dem beginnen, was Herr Kollege Kiep gesagt hat.
Herr Kollege Kiep, zu dem, was ich hier vorgetragen habe, haben Sie nur in Ihrem letzten Satz etwas gesagt. Alles, was Sie vorher zur Richtigstellung meiner Äußerung hier vorgetragen haben, ist von mir überhaupt nicht behauptet worden. Ich habe hier gesagt:
Der CDU-Abgeordnete Wallmann warf der SPD-Regierung ständige Verharmlosung des SDS und fatale Führungslosigkeit vor, die dazu geführt habe, daß der radikale Flügel in der SPD die Oberhand gewonnen habe. Die Aufrührer seien allein verantwortlich für die begangenen Verbrechen und Vergehen.
Mehr habe ich gar nicht gesagt. Genau das habe ich vorgetragen, und Sie können doch nicht bestreiten, da das aus dem Protokoll des Hessischen Landtags eindeutig hervorgeht, daß das von dem CDU-Kollegen Wallmann vorgetragen worden ist. So einfach kommen Sie hier nicht heraus.
({0})
Nun das Nächste. Herr Kollege Schmidt hat hier zuerst von Gruppen gesprochen. Er hat gesagt:
Auf der anderen Seite haben junge Leute natürlich auch nötig, daß ihnen die Grenzen gezeigt werden. Was mir am meisten innerlich Sorge macht, ist die bei einem Teil der Jugend, bei einem Teil der studentischen Jugend, bei einzelnen und bei Gruppen von ihnen, zu beobachtende elitäre Arroganz, die genauso gut von rechts kommen könnte.
Und so weiter und so weiter.
({1})
- Ja, aber nun kommt das „und so weiter und so weiter"! Lassen Sie mich also das Zitat weiter vorlesen. Dann heißt es hier:
Dieses Elitebewußtsein, alles, aber auch alles besser zu wissen als die dummen Arbeiter, die dummen Angestellten, die dummen Politiker, die dummen Professoren. „Dumm" wäre ja noch das wenigste; ich habe mir im Wahlkampf viel schlimmere Beschimpfungen aus studentischem Mund anhören müssen. Das macht mir eigentlich noch viel mehr Angst als die Gewalttätigkeiten, bei denen ich sehe, daß die Studenten darüber inzwischen sehr viele zweite und dritte Gedanken haben
({2})
- Natürlich! und viele von ihnen inzwischen meinen, sie
müßten sich das wohl anders überlegen. Aber
was die Saat dieser Überheblichkeit ist, daß man eine Elite sei - als ob sie schon etwas geleistet hätten!
({3})
- Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, - ({4})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie so nervös werden. Man kann doch eine Sache - ({5})
- Wenn Sie nicht mehr in der Lage sind, eine Sache sachlich hier klären lassen zu wollen, ({6})
- Herr Präsident, ich habe den Eindruck, die Kollegen dieser Koalitionsfraktionen können das nicht mehr ertragen; ich verzichte darauf, das hier weiter vorzutragen, weil die Sache anscheinend nicht geklärt werden soll.
({7})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dorn, Sie haben soeben meinem Freunde Kiep zugerufen: „So einfach kommen Sie nicht davon." Ich möchte Ihnen das zurückgeben und dies sagen: Herr Dorn, tun Sie sich und dem Hause den guten Dienst, sich zu entschuldigen bei unserem Kollegen Schmidt und sich zu entschuldigen bei den anderen.
({0})
Dann ist das vorbei. Jeder schießt mal über das Ziel; wem wäre das nicht passiert! Aber aufgeschrieben bösartig über das Ziel zu schießen, dann dabei, ich muß schon sagen, ertappt zu werden und sich nicht zu entschuldigen! - Schaffen Sie reinen Tisch, Herr Dorn, damit die Sache erledigt ist.
({1})
Das Wort hat der Kollege Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie an einer Klärung interessiert wären, hätten Sie sich in Ruhe die Dinge angehört. Ich bedaure, daß Sie das nicht getan haben.
({0})
Es wäre besser für uns alle, daß man das in Ruhe macht, wenn tatsächlich Mißverständnisse da sind. Aber das wollten Sie nicht. Herr Kollege Dorn war bereit, es zu tun.
Lassen Sie mich aber hier noch ein anderes Wort sagen. Herr Kollege Schmidt, Sie haben davon gesprochen, die außerparlamentarische Opposition sei ja eben gestärkt worden, weil die parlamentarische sich nicht richtig habe artikulieren können, und das sei heute wieder der Fall gewesen. Sie werden am Dienstag nächster Woche Gelegenheit haben, das zu tun, was wir von Ihnen erwarten, nämlich unserem Entschließungsantrag zuzustimmen. Aber wenn es um klare Entscheidungen geht, dann sind Sie ja diejenigen, die diesen Entscheidungen ausweichen. Sie sprechen immer davon, daß etwas geschehen soll, sind aber nicht bereit, dann die Konsequenzen zu ziehen.
Ein weiteres Wort an Kollegen in Ihrer Fraktion, Herr Kollege Barzel. Sie haben Präsidenten der verschiedensten Verbände, Handwerkspräsidenten, Bauernverbandspräsidenten und so fort. Wenn Sie die Klage erheben, daß gewisse außerparlamentarische Gruppen jetzt parlamentarisch geworden sind, z. B. die NPD, dann fragen Sie sich selbst einmal, ob Sie nicht in Ihren Organisationen, indem Sie das, was die Opposition hier getan hat, totgeschwiegen haben, mit dazu beigetragen haben, daß eine Opposition wie die NPD entsprechend größer geworden ist. Das sind doch Punkte, die man hier mit ansprechen muß.
({1})
Ein Letztes. Herr Kollege Schmidt, Sie haben noch einmal von der Mitbestimmung gesprochen. Ich habe in diesen Fragen leider ein recht gutes Gedächtnis. Auch das, was Sie hier gesagt haben, war natürlich nicht das Ganze. Das Ganze war, daß eine Einigung darüber erzielt wurde, die Kommission einzusetzen und den Kommissionsbericht im Jahre 1969 zu einem Zeitpunkt bringen zu lassen, in dem keine Entscheidung in diesem Bundestag mehr in Frage kam und damit praktisch den nächsten Bundestag eventuell damit zu befassen. Am Tage danach hat der Kollege Dr. Starke gesagt, es wäre gut, wenn man sich auf eine andere Formulierung einigen könne. Es war aber keine Bedingung, keine Absprache, eine andere Formulierung zu finden; denn die FDP-Fraktion hatte gebilligt, daß eine solche Kommission eingesetzt wird mit diesem Ziel. Es ist also falsch, zu sagen, die FDP habe die Streichung des Wortes „Mitbestimmung" verlangt. Es ist richtig, daß der Kollege Starke darum gebeten hat, die Formulierung eventuell zu ändern, ohne daß der Sachgehalt damit verändert wurde.
({2})
Ich würde es sehr begrüßen, wenn diese Frage nunmehr endlich ausdiskutiert wäre. Wir haben sie nicht in die Verhandlungen gebracht, sondern Sie haben uns den Vorwurf gemacht, daß wir in dieser Frage jetzt anderer Meinung seien. Wir waren in dieser Frage immer der gleichen Meinung, deshalb ja das Zugeständnis in den Koalitionsgesprächen, sie für diese Legislaturperiode auszuklammern.
({3})
Das Wort hat der Kollege Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Ich hätte nie gedacht, daß sich an diesem Nachmittag noch eine so lebhafte Debatte entwickeln würde. Aber es ist ja ganz gut, daß man, wenn es um die Wahrheit geht, ein bißchen bohrt. Ich bin meinem Kollegen Mischnick dankbar dafür, daß er wenigstens durch die Art seiner Argumentation dazu beiträgt, daß dieses Gespräch hier fortgeführt werden kann.
Lassen Sie mich mit dem letzten Punkt anfangen, Herr Mischnick. Schauen Sie, ich war an diesen Verhandlungen beteiligt, und ich glaube, Sie auch; die meiste Zeit waren Sie jedenfalls - ({0})
- Ja, ja. Ich war auch an dem Morgen dabei, und ich erinnere mich genau an das eigenartige Erlebnis, das ich hatte. Es war für mich - es wird Sie vielleicht jetzt überraschen und nachträglich erschrecken, daß ich dem damals so ein Riesengewicht beigemessen habe - eine erstaunliche Sache, daß, wenn man sich am Vortage über etwas einig zu sein scheint, am nächsten Tage plötzlich der Wunsch kommt, dem Kind einen völlig anderen Namen zu geben.
({1})
Ich erinnere, wie das auf mich gewirkt hat. Ich habe das damals in meiner Fraktion mit als Beispiel dafür angeführt, wie zuverlässig denn dieser mögliche Partner wohl würde sein können.
({2})
Es tut mir leid, aber ich muß jetzt auch aus diesem Nähkästchen auspacken. Ich kann mich jedenfalls an dieses Erlebnis noch sehr genau erinnern, weil es mich eben sehr beeindruckt hat, und ich habe es nicht als eine persönliche Angelegenheit von Herrn Dr. Starke angesehen; denn Sie saßen ja doch dabei und sind ihm nicht in die Zügel gefallen, haben auch nicht zu erkennen gegeben, daß das sein Privathobby wäre, sondern er war der Wortführer auf dem ökonomischen, auf dem wirtschaftspolitischen Gebiet für Ihre ganze Equipe. Aber lassen wir das auf 'sich beruhen. Offenbar hat da jeder subjektiv etwas anderes empfunden bei dem, was Herr Starke vortrug, und vielleicht hat er selber dabei noch dritte Empfindungen gehabt; wir können ihn ja später noch einmal danach fragen.
Nur, eine eindeutige Entscheidung enthält ja nun auch Ihr heutiger Entschließungsantrag nicht, Herr Mischnick, eine klare und eindeutige Entscheidung, wie wir sie nach Ihrer Meinung hier endlich treffen sollten. Sagen Sie einmal, was daran klar und was eindeutig ist! Ich lese einmal ein bißchen daraus vor: Die Bundesregierung soll bis zum 30. September „zur Beseitigung der Ursachen der innenpolitischen Unruhen" dazu beitragen, daß sie „aus den Kommissionsberichten zur Pressekonzentration gesetzgeberische oder andere Konsequenzen zieht" - also sowohl als auch, es ist beides möglich; Sie entscheiden sich nicht. Trotzdem nennen Sie das eine klare Entscheidung: „gesetzgeberische oder andere Konsequenzen".
({3})
Schmidt ({4})
- Ja, welche „anderen" sind denn das eigentlich? Können Sie mir durch Zwischenruf einmal klarmachen, welche „anderen" Möglichkeiten Sie meinen, die die Bundesregierung in Anspruch nehmen sollte?
({5})
- Aha, also Sie meinen jetzt nicht „gesetzgeberisch", sondern die Anwendung eines Gesetzes auf einen Bereich, auf den es bisher zwar hätte angewendet werden müssen, aber nicht angewandt worden ist?
({6})
- Wenn das Ihre Meinung ist, sollten Sie dann nicht Ihre Kontrollfunktion als Opposition wahrnehmen und die Regierung schwer rügen, daß sie das Gesetz nicht anwendet, das sie schon hat?
({7})
- Ich will Ihnen nur mit dem einen Beispiel - ich könnte Ihnen mehr Beispiele geben - anworten. Dies Papier ist doch, mit Verlaub zu sagen, die zwar wohlgemeinte Absicht, z. B. für das pressepolitische Thema ein paar Anregungen zu geben. Von einer Entscheidung oder gar von einer klaren Entscheidung, die auf der Grundlage dieses Entschließungsantrages möglich sei, kann jedoch überhaupt keine Rede sein. Deswegen muß man ihn nicht ablehnen. Wir haben im Laufe der Zeit schon allesamt unklare Entschließungen produziert. Dafür haben wir ja auch Ausschüsse, in denen so etwas in diesem Stadium sorgfältig beraten, zurechtgefeilt und von allen Seiten durchleuchtet wird.
Aber dem Publikum, dem Fernsehpublikum, lieber Herr Mischnick, heute nachmittag zu erklären, Sie hätten den Deutschen Bundestag mit einer klaren Entscheidung konfrontiert, der er auswiche, heißt nun wirklich das eigene Konto ein wenig überziehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aus welchen Gründen lassen Sie Punkt 1 weg, Herr Kollege Schmidt?
Darf ich noch einmal auf Punkt 1. zurückkommen, Herr Präsident?
Furchtbar gern, Herr Kollege Schmidt.
Ich hatte das Wort ja schon abgegeben. - Ich bin nur deswegen auf Punkt 1 nicht zurückgekommen, weil Sie dazu von uns im Laufe der letzten Wochen schon zweimal eine Antwort gehört haben, eine Antwort, die Sie jetzt im Augenblick zu vergessen belieben. Das heißt, Sie wissen genau, was wir geantwortet haben; aber Sie möchten gern so tun, als ob die Antwort noch nicht erteilt worden sei.
Sie wissen ganz genau, daß es erstens völlig unmöglich ist, bis zum 30. September so zu tun, als ob die verfassungsrechtliche Regelung, die Sie anstreben, bereits ergangen sei und die Bundesregierung auf einer Als-ob-Verfassungsbasis einen Gesetzentwurf vorlegen könnte, ganz abgesehen davon, daß ich also auch einmal die FDP-Landesminister sehen möchte, die sich im Bundesrat für diese Verfassungsergänzung erfolgreich aussprechen und ihre Stimme dafür abgeben.
Aber das will ich gar nicht zur Hauptsache meiner Erwiderung machen. Zur Hauptsache will ich machen, daß es eben entgegen dem, was hier steht, Herr Mischnick, nach unserer Auffassung nicht darauf ankommt, ein bundeseinheitliches Hochschulgesetz zu haben, sondern darauf, ein richtiges Hochschulgesetz zu haben. Was soll denn materiell da drinstehen? Wo steht denn das eigentlich in Ihrer Entschließung, was in dem Gesetz drinstehen soll? Einheitlichkeit zu verlangen, das gibt es auf vielen Gebieten. Das gilt für die Bundesbahn, gilt für die Bundespost, was weiß ich: für die Straßenverkehrsordnung. Was soll denn drinstehen in Ihrem bundeseinheitlichen Hochschulgesetz? Das steht hier nicht in der „klaren Entscheidung", die Sie dem Bundestag vorgelegt haben, ganz abgesehen davon - das ist der dritte Punkt meiner Erwiderung auf Ihren Zuruf -, daß man die Frage, ob der Bund sich hier zusätzliche gesetzgeberische Kompetenzen durch eine Grundgesetzänderung verschaffen soll, nicht allein an dem bisherigen Arger über die elf Landtage messen kann, die auf diesem Gebiet nicht schnell genug tätig geworden sind.
Ich sage Ihnen noch einmal, was ich hier schon vor Monaten habe ausführen dürfen, daß ich, nachdem ich die Bundespolitik aus der Opposition kennengelernt habe, sie zweitens aus der Verantwortung eines Mannes kennengelernt habe, der eine Regierung zu tragen hat, und nachdem ich drittens die Politik aus der Sicht einer Landesregierung kennengelernt habe, allerschwerste Bedenken in mir überwinden müßte und mich durch äußerste Not dazu gezwungen fühlen müßte, das Machtgleichgewicht zwischen Bund und Ländern noch mehr zugunsten des Bundes zu verschieben. Ich bin nie ein Föderalist gewesen. Ich war von meiner Erziehung her und von der geschichtlich-politischen Beeinflussung, der ich ausgesetzt war, immer ein Unitarier. Aber ich habe eines kapiert, daß - jedenfalls in Deutschland - das Prinzip der Verteilung von Macht auf mehrere Zentren ein ungeheuer wichtiges, die Demokratie und das Gleichgewicht konstituierendes Prinzip ist.
({0})
Im Falle äußerster Not, habe ich gesagt, bin ich bereit. Ich weiß gar nicht, ob meine Fraktion sich darauf einlassen würde; denn sie hat eben gerade erst einen Parteitag in Nürnberg hinter sich, und auf diesem Parteitag der SPD in Nürnberg wurde gesagt: Wir halten es in diesem Punkte mit den Beschlüssen der Bundesregierung, die ein sehr beschränktes Zugeständnis von den Ländern auf diesem Gebiet erstrebt, im Zusammenhang mit der Finanzverfassungsreform. Sie wissen ja auch, daß hier ein Zusammenhang ist; davon reden Sie aber nicht. Alles das berechtigt mich, zu sagen, lieber Herr Mischnick: ich erkenne den guten Willen in dem
Schmidt ({1})
grünen Papier, aber es macht mir noch nicht allzuviel Hoffnung, weil es im Grunde nicht allzu klar ist.
({2})
Das Wort hat der Kollege Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir damit die Kurzdebatten einführen, die heute vormittag gewünscht worden sind, wäre das vielleicht ein wesentlicher Schritt voran. Ich will heute nicht in Einzelheiten gehen. Aber nachdem Sie unseren Entschließungsantrag im einzelnen angesprochen haben, Herr Kollege Schmidt, bleibt mir nichts anderes übrig, als noch ein paar erläuternde Worte dazu zu sagen. Wenn Sie Abs. 1 a) unseres Entschließungsantrages genau lesen, Herr Kollege Schmidt, werden Sie feststellen, daß das vorzulegende Gesetz auf der Grundlage des FDP-Antrages erstellt werden soll. Dieser Antrag liegt bereits dem Ausschuß vor. Er kann sehr schnell verabschiedet werden. Wenn Sie mir entgegenhalten, der Auftrag an die Bundesregierung sei nicht möglich, bevor das Grundgesetz geändert sei, muß ich mich fragen, wieso es möglich war, einfache Notstandsgesetze zu beraten, ohne daß die Grundgesetzänderung bereits über die Bühne gegangen ist. Da sind wir doch genauso verfahren. Wir haben gesagt: Wir machen das vorab. Das Inkrafttreten kommt erst dann in Frage, wenn die Grundgesetzänderung erfolgt. Demzufolge ist diese Möglichkeit, die wir hier vorgeschlagen haben, durchaus gegeben.
Der Hinweis, daß Sie Sorge haben, hier eine bundeseinheitliche Regelung zu finden, stimmt mich doch sehr nachdenklich. Aus dem, was heute vormittag gesagt worden ist, ging doch weitgehend die Übereinstimmung hervor, daß man hier tatsächlich zu einheitlichen Regelungen kommen muß. Natürlich muß es ein richtiges Gesetz sein. Aber es ist doch nicht gesagt, daß ein Bundesgesetz unbedingt falsch sein muß. Trauen Sie Ihrer Regierung denn nicht zu, daß sie einen Gesetzentwurf einbringt, der wirklich gut ist und für das ganze Bundesgebiet gelten kann? Wir hoffen, daß sie ihn endlich zustande bringt. Wir werden als Opposition mitarbeiten, damit er so gut wird, daß wir ihn als richtiges, einheitliches Hochschulgesetz für das ganze Bundesgebiet verabschieden können.
Eine Sorge müssen wir noch mit einkalkulieren. Solange es in jedem Land ein anderes Hochschulgesetz gibt, gibt es auch eine Art Eskalation des Protestes von Land zu Land, weil jedes Land von dem anderen meint, da seien bessere, dort seien schlechtere Bestimmungen.
({0})
Deshalb bietet es sich doch an, daß wir gerade in diesem Bezug ein einheitliches Gesetz schaffen.
Nun zur Pressekonzentration, Herr Kollege Schmidt. Die Bundesregierung hat verschiedene Kommissionsberichte angefordert. Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, daß eine Frist gesetzt wird, innerhalb der aus diesen Kommissionsberichten nunmehr die Konsequenzen gezogen werden. Es hat doch keinen Zweck, daß wir jahrelang Berichte vorgelegt bekommen, aber nichts auf Grund dieser Berichte geschieht. Wir wollen also insofern eine Entscheidung, als uns bis zum 30. September gesagt werden soll: Das geschieht, jenes geschieht nicht. Wenn die Regierung feststellt, daß auf "diesem oder jenem Gebiet aus diesen oder jenen Gründen nichts geschehen kann, müssen wir uns darüberunterhalten. Aber es soll endlich einmal klar gesagt werden, was man nun auf Grund der Berichte machen will, die man angefordert hat, und man soll sie nicht einfach weiter liegenlassen.
({1})
Ich hoffe, daß wir heute die Auslegung der Koalitionsverhandlungen endgültig beenden können, Herr Kollege Schmidt. Das Augenzwinkern, das bei den Gesprächen über die Form, wie wir das mit der Mitbestimmungs-Kommission machen können oder nicht, vorhanden war, hat doch soviel Bände gesprochen, daß wir über die Frage, wie die Bezeichnung sein sollte, heute nicht mehr zu streiten brauchen.
({2})
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Damit ist die heutige Sitzung des Deutschen Bundestages beendet.
Ich darf Sie noch darüber unterrichten, daß in der Ältestenratssitzung von gestern vereinbart worden ist, für Dienstag, den 7. Mai 1968, 14.30 Uhr eine Plenarsitzung vorzusehen. In der Sitzung findet keine Fragestunde statt. Es sollen in dieser Sitzung in Weiterführung der heutigen Debatte die kulturpolitischen Fragen erörtert werden.
Damit ist die heutige Sitzung beendet. Ich berufe die nächste Sitzung ein für Dienstag, den 7. Mai, 14.30 Uhr.