Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich gratuliere zunächst unserem Kollegen, Herrn Porten, zu seinem 60. Geburtstag.
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Zu der in der Fragestunde der 155. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Februar 1968 gestellten Frage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg, Drucksache V/2564 Nr. 39 *), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Bundesministers Leber vom 14. Februar 1968 eingegangen. Sie lautet:
Die Anschlußstelle „Schweinfurter Kreuz" wird künftig die Verbindung zwischen der B 26 neu ({1}) und dem Autobahnzubringer Schweinfurt-Rüdenhausen ({2}) herstellen.
Die B 26 neu wird von Westen kommend im Sommer 1968 zunächst an die B 26 alt bei Oberndorf angeschlossen. Erst wenn die vor kurzem vergebene Mainbrücke bei Oberndorf fertiggestellt sein wird ({3}), kann die neue B 26 von Westen her an das Schweinfurter Kreuz angeschlossen werden.
Die B 286 neu ist zwischen dem Kreuz und Schweinfurt bereits 2spurig unter Verkehr und hat vorläufig nach Süden hin Anschluß an die Staatsstraße 2271. Ein zweiter Bauabschnitt zwischen Unterspiesheim und Alitzheim ist im Bau und erhält voraussichtlich im Frühjahr 1969 nach Fertigstellung einen sofortigen Verkehrswert. In einem dritten Bauabschnitt soll dann das Zwischenstück Schweinfurter Kreuz-Unterspiesheim erstellt werden, wobei auch die Gemeinde Schwebheim umgangen wird. Bis dahin muß der Verkehr vorübergehend zwischen Unterspiesheim und dem künftigen Kreuz auf der Staatsstraße 2271 abgewickelt werden.
Die volle Verkehrsbedeutung des Schweinfurter Kreuzes wird erst nach Fertigstellung der beiden neuen Bundesstraßen 26 und 286 erreicht sein.
Zur Tagesordnung liegt eine Wortmeldung vor. - Herr Abgeordneter Windelen, zur Tagesordnung, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, den inzwischen verteilten Antrag auf Drucksache V/2575 auf die Tagesordnung zu setzen und - falls diesem Antrag entsprochen wird - den Antrag ohne Aussprache an den Bundestagsvorstand und nach § 96 GO dem Haushaltsausschuß zu überweisen.
*) Siehe 155. Sitzung, Seite 7941 B
Zur Begründung verweise ich auf die Ausführungen von Präsident Gerstenmaier in der Sitzung vom Mittwoch, dem 7. Februar 1968.
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Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich lasse über den Antrag abstimmen. Wer ist für den Antrag des Abgeordneten Windelen? - Wer ist gegen diesen Antrag? - Das erste war eindeutig die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen; die Drucksache V/2575 wird auf die Tagesordnung gesetzt.
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- Wenn eindeutig feststeht, daß keine Aussprache gewünscht wird, bin ich bereit, diesen Punkt vor Eintritt in die Tagesordnung zu erledigen. - Das scheint eindeutig festzustehen.
Es wird beantragt, den Antrag an den Vorstand des Bundestages und nach § 96 der Geschäftsordnung - wie üblich - dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Gegen wenige Stimmen und bei einer Stimmenthaltung wird der Antrag dem Vorstand des Bundestages und nach § 96 der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß überwiesen.
Dann kommen wir zur
Fragestunde
- Drucksachen V/2564, V/2573 Wir kommen zunächst zu einer Dringlichen Mündlichen Anfrage aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, einer Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Emde:
Hat die Bundesregierung Hinweise dafür, daß kritische Äußerungen deutscher Parteien zur Vietnam-Frage eine Verhärtung des amerikanischen Standpunktes bei den Devisenausgleichsverhandlungen mit der Bundesregierung verursacht haben?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nein.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Emde.
Herr Staatssekretär, hat der Abgeordnete Kiep nach seiner kürzlichen USA-Reise die Bundesregierung über die Eindrücke unterrichtet, die er dort gewonnen hat, insbesondere nachdem er seine Eindrücke in der Presse dargelegt hat?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Mir ist davon nichts bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden 'Sie es nicht. - mit mir - für richtig halten, daß, wenn Abgeordnete so bedeutsame Erkenntnisse im Ausland gewinnen, wie sie Herr Kiep in seinen Zeitungsartikeln dargestellt hat, solche Erkenntnisse auch der Bundesregierung offiziell nach Reisen mitgeteilt werden sollten?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung würde ein entsprechendes Vorgehen sicher als hilfreich und unterstützend empfinden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Wie viel Sonderbeauftragte aus der CDU/CSU-Fraktion sind in jüngster Zeit in Amerika gewesen, um dort - auch im Auftrage der Bundesregierung, wie ich ausdrücklich hinzufügen möchte - Erkenntnisse für die deutsche Politik zu gewinnen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Im Auftrage der Bundesregierung keine, Herr Kollege Moersch.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Darf ich die Frage präzisieren: vielleicht im Auftrage des Bundeskanzlers?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nicht auf Grund von Verabredungen, die innerhalb der Bundesregierung getroffen worden sind. Ob der Herr Bundeskanzler persönliche Aufträge erteilt hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
Dann kommen wir zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Frage 9 des Herrn Abgeordneten Geldner:
Ist die Bundesregierung bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß entgegen ihren Angaben in der 151. Sitzung des Deutschen Bundestages der Anteil der amerikanischen Touristen an den Ausländerübernachtungen nicht 1,3 %, sondern 16 % im Bundesdurchschnitt ausmacht und daß von den 3,188 Milliarden DM Deviseneinnahmen aus dem Reiseverkehr 1966 nicht weniger als 947 Millionen DM, also nahezu 30 %, von Touristen aus den USA stammen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers für Wirtschaft.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Geldner, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir Gelegenheit geben, einen Fehler zu korrigieren. Tatsächlich entspricht der Prozentsatz der Übernachtungen von Amerikanern an den Ausländerübernachtungen der von Ihnen genannten Größenordnung von 16 %; die 1,3 % beziehen sich auf den Anteil an allen Übernachtungen.
Im übrigen darf ich mich auch dafür bedanken, daß in dem zweiten Teil Ihrer Frage die 950 Millionen DM Einnahmen aus dem amerikanischen Touristenverkehr auf Grund der Zahlungsbilanzstatistik erörtert werden können. Dabei hat sich herausgestellt, daß die in der Zahlungsbilanzstatistik genannten Zahlen nicht der angegebenen Abgrenzung entsprechen. In den 950 Millionen DM sind zumindest 200 Millionen DM enthalten, die von Angehörigen amerikanischer Streitkräfte in Deutschland in Dollar ausgegeben worden sind, also eigentlich in anderen Rubriken der deutschen Zahlungsbilanz zu führen wären, und es ist ferner ein nicht unerheblicher Teil - man kann ihn auf 350 bis 400 Millionen DM schätzen - von Dollarausgaben nichtamerikanischer Staatsbürger in Deutschland enthalten. Insofern ist nach amerikanischen Statistiken der tatsächliche Wert der von amerikanischen Touristen in der Bundesrepublik Deutschland 1966 ausgegebenen Devisen auf den Gegenwert von 350 bis 400 Millionen DM zu schätzen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Geldner.
Herr Staatssekretär, was hat die Bundesregierung bisher konkret gegenüber der US-Regierung unternommen, um einerseits auf die für die Bundesrepublik befürchteten Schwierigkeiten und andererseits auf die Möglichkeit einer Liberalisierung der Einreisebestimmungen in die USA hinzuweisen, die den Amerikanern beim Ausgleich ihrer Reisedevisenbilanz mit der Bundesrepublik sicher mehr nützen würde als eine Beschränkung von Auslandsreisen ihrer Bürger?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Alle diese Fragen sind Gegenstand der gegenwärtigen amerikanisch-deutschen Verhandlungen über das Problem des Devisenausgleichs, das ja nicht nur den Fremdenverkehr, Waffenkäufe oder die Übernahme amerikanischer Papiere durch die Bundesbank berührt, sondern im Zusammenhang mit einer allgemeinen Expansion des Welthandels gesehen werden muß.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Geldner.
Herr Staatssekretär, das würde also bedeuten, daß diese Vorstellungen mit in Ihre Verhandlungsbasis einbezogen werden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Alle diese Vorschläge werden erörtert werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Moersch.
Herr Staatssekretär, ist Ihr Haus an diesen Verhandlungen mit Amerika aktiv beteiligt?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Unser Haus ist voll beteiligt.
Sind von Ihrer Seite präzise Vorstellungen über eine langfristige Balancierung der Zahlungsbilanz zwischen Europa und Amerika, nicht nur zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA, entwickelt worden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Diese Vorstellungen sind deswegen so schwer zu entwickeln, und zwar nicht nur für die deutsche Bundesregierung, sondern vielleicht auch für die amerikanische Regierung selbst, weil ein wesentlicher Faktor des amerikanischen Zahlungsbilanzproblems für die Zukunft sehr ungewiß ist.
Eine weitere Frage, Herr Dr. Hofmann ({0}), bitte!
Herr Staatssekretär, besteht Ihres Wissens die Wahrscheinlichkeit, daß in Amerika hinsichtlich des Tourismus nach Europa und speziell nach Deutschland gesetzliche Vorschriften eingeführt werden sollen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Eine Eindämmung amerikanischer Auslandsreisen ist geplant. Inwieweit sie sich in gesetzlicher oder administrativer Form tatsächlich verwirklichen läßt oder wie sie verwirklicht werden soll, ist erstens offen und zweitens Gegenstand der vielseitigen Verhandlungen, die die amerikanische Regierung ja nicht nur mit der deutschen Bundesregierung, sondern mit allen Ländern führt, von denen zum Teil einige durch den amerikanischen Fremdenverkehr weit mehr profitierten als die Bundesrepublik Deutschland.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 10 des Herrn Abgeordneten Geldner:
Wie haben sich die bisherigen Konjunkturprogramme der Bundesregierung auf die besonders starke Arbeitslosenanfälligkeit in Bayern und Niedersachsen ausgewirkt?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Geldner, die bisherigen Konjunkturprogramme haben sich auf die Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet ausgewirkt. Ohne sie wäre die Arbeitslosigkeit sicherlich höher gewesen, als sie zur Zeit ist. Sie ist ohne Zweifel, gemessen an den Vorstellungen der mittelfristigen Wirtschaftspolitik und einem vertretbaren Mindestmaß an Arbeitslosigkeit, viel zu hoch. Zwar ist die allgemeine Einschätzung der Konjunktursituation in den letzten Monaten viel besser geworden; in den Arbeitslosenzahlen für das gesamte Bundesgebiet hat sich diese Verbesserung aber noch nicht sichtbar niedergeschlagen. Das gilt auch für die von Ihnen genannten Gebiete in Bayern und . Niedersachsen, die jetzt zusätzlich zur konjunkturellen Komponente auch ein erhebliches Maß an saisonaler Belastung auf Grund des starken Anteils der Außenarbeiten haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Geldner.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, mir hier zu sagen, welche konkreten Maßnahmen Bund und Land beispielsweise in Nordbayern ergriffen haben, nachdem bei ähnlichen Fragen vor einem Jahr hier in der Fragestunde die Konjunkturprogramme als Mittel gegen die ständig saisonal bedingte sehr hohe Arbeitslosigkeit dort angekündigt worden waren?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das zweite Konjunkturprogramm der Bundesregierung hat einen starken strukturpolitischen Akzent. In allen Strukturgebieten - und dazu gehören auch Teile Nordbayerns - ist der doppelte Bevölkerungsschlüssel angewandt worden. Diese Programme sind weitgehend in Auftrag gegeben. Sie werden also, soweit es Baumaßnahmen sind, bei geeigneter Witterung auch sofort zu einer Entlastung des Arbeitsmarktes in diesen Gebieten führen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Geldner.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung auf Grund ihrer Zuständigkeit durch die Nürnberger Bundesanstalt beispielsweise gegen so hohe Arbeitslosenziffern wie 44,7 % im Landkreis Kötzting, 42,5 % in Wolfstein und an die 40% in Oberviechtach und Viechtach zu unternehmen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Geldner, das ist in erster Linie Gegenstand der von diesem Hohen Hause geforderten strukturpolitischen Programme der Bundesregierung. In diesen
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
Gebieten ist der Anteil der Außenarbeiten außerordentlich hoch. Die Zahlen beliefen sich zwei Monate früher nur auf die Hälfte der von Ihnen genannten hohen Quote. In den Sommermonaten ist die Arbeitslosigkeit nicht wesentlich höher als in den anderen Teilen des Bundesgebietes. Hier muß ein Industrialisierungsprogramm helfen, das den in diesen Gebieten wohnenden Menschen eine kontinuierliche Beschäftigung während des ganzen Jahres ermöglicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, liegen dem Ministerium wegen dieser hohen Arbeitslosenziffer im ostbayerischen Raum Vorschläge der bayerischen Landesregierung für ein Wirtschaftsförderungsprogramm in diesem Bereich vor?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Wir hoffen, daß wir in nächster Zeit diese Vorschläge bekommen werden, Herr Dr. Müller. Jedenfalls sind wir mit der bayerischen Landesregierung jetzt in engster Fühlung, um ein Strukturprogramm für Ostbayern schnellstens vorzubereiten und der deutschen Öffentlichkeit und den Parlamenten vorlegen zu können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß dieses Strukturprogramm für Ostbayern von der bayerischen Landesregierung schon vor 10 oder 15 Jahren hätte vorgelegt werden müssen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das kann durchaus sein, Herr Dr. Müller. Allerdings würde ich sagen, daß vor 10 oder 15 Jahren wohl auch die Bundesregierung kaum der Auffassung war, daß eine derartige Rezession möglich gewesen wäre. Wir wissen nun, daß so etwas durchaus möglich ist, wenn man nicht kontinuierlich Wirtschaftspolitik treibt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schlager.
Herr Staatssekretär, ist die sektorale Strukturkrise im Raum nördlich von Passau, die wir gegenwärtig zu beobachten haben, nicht darauf zurückzuführen, daß sich die Absatzsituation der dort ansässigen Industrie Steine und Erden im Zuge einer gewissen Liberalisierung der Einfuhren eben verschlechtert hat?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich würde dieser Deutung nicht voll zustimmen können, Herr Kollege Schlager. Wir haben gerade in den Jahren 1966/67 in den von Ihnen genannten Räumen auch deshalb ein besonders hohes Maß an Arbeitslosigkeit gehabt, weil der Beschäftigungsrückgang fast ausschließlich auf die einheimischen Arbeitskräfte durchschlug, da die Beschäftigung von Ausländern in den ostbayerischen Räumen relativ gering war. Hinzu kommt eine gewisse Monostruktur, von der wir hoffen, daß sie bald beseitigt sein wird. Wir rechnen also damit, daß die Konjunkturanfälligkeit in diesen Gebieten in einigen Jahren geringer sein wird, als das gegenwärtig der Fall ist.
Noch eine Frage, Herr Schlager.
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf die Frage des verehrten Kollegen Müller darf ich noch fragen: Besteht nicht für die Konkretisierung von Strukturplänen für dieses Zonenrandgebiet auch dadurch größere Aussicht, daß eben Sie und wir von der CSU-Landesgruppe gemeinsam ausführlichere Gespräche über diese Fragen geführt haben?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich bin für diese Gespräche sehr dankbar gewesen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hofmann ({0}).
Herr Staatssekretär sind Sie nicht auch der Meinung, daß bei Senkung der Investitionssteuer ein Anreiz zum Investieren im Zonenrandgebiet gegeben wäre und damit die hohe Arbeitslosenzahl zurückgehen würde?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Eine Senkung der Investitionssteuer hätte bewirkt, daß diejenigen, die mit Rücksicht auf die höhere Steuer des Jahres 1968 erst 1969 oder gar 1970 zu investieren beabsichtigen, das schon in diesem Jahr getan hätten. Diese allgemeine Konjunkturwirkung wäre sicherlich auch dem Zonenrandgebiet zugute gekommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Varelmann.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die kritischen Arbeitsmarktverhältnisse in Westniedersachsen genauso hart sind wie in Bayern? Erwägt die Bundesregierung, auch für dieses Gebiet die gleichen Maßnahmen zu treffen, wie sie soeben für Bayern in etwa angekündigt wurden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das bayerische Problem, Herr Kollege Varelmann, ist im Augenblick deshalb besonders aktuell, weil es, wie aus der
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
Beantwortung einer später noch zu behandelnden Frage hervorgehen wird, im engen Zusammenhang mit Einfuhrlieferungen von Graniterzeugnissen steht.
Für Nordwestniedersachsen haben wir das Emsland-Programm, an dem seit längerem gearbeitet wird. Im übrigen ist der hohe Anteil der Außenarbeiten ähnlich wie in Bayern, und zwar infolge der Deicharbeiten.
Nächste Frage, Herr Kollege Schmidhuber.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie im Anschluß an die Frage des Kollegen Dr. Müller ({0}) fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die bayerische Staatsregierung schon vor fünf Jahren ein Strukturgutachten über Ostbayern hat erstellen lassen.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Selbstverständlich, Herr Kollege Schmidhuber. Aber Herr Kollege Müller hatte, wenn ich ihn recht verstanden habe, nicht nach dem Gutachten gefragt, sondern nach dem Strukturprogramm, das gerade in diesen betreffenden Räumen eine durchgreifende Verbesserung verspricht. Ich möchte hier nicht mehr sagen, als daß wir hoffen, in Kürze zusammen mit der bayerischen Landesregierung ein derartiges Programm zu haben.
Nächste Frage, Herr Kollege Porsch.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Wirksamkeit der Hilfe des Bundes für das Zonenrandgebiet wie für das bayerische Grenzland dadurch sehr begrenzt ist, daß als Abrechnungstermin für die Mittel des Bundes für diese Baumaßnahmen der 30. November gesetzt ist, und daß auch über diese Winterzeit hinweg Bauarbeiten ausgeführt werden könnten, wenn diese Abrechnungstermine nicht gesetzt wären?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist mir nicht bekannt, Herr Kollege Porsch; aber ich werde der Sache nachgehen.
Nächste Frage, Herr Kollege Hösl.
Herr Staatssekretär, trägt man sich bei Ihnen im Hause mit dem Gedanken, das neu in Aussicht genommene Programm in den Konditionen bei der Kreditmittelhergabe im Zonenrandgebiet auf die gleiche Höhe zu bewegen, oder denkt man daran, hier angesichts der kommunalpolitisch unverantwortlichen Auswirkungen den Kommunen bessere Konditionen und längere Tilgungszeiten einzuräumen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Wir werden das erwägen, Herr Kollege. Aber in erster Linie geht es darum, ein Strukturprogramm - bessere Zufahrtwege zur Donau - zu erarbeiten und gemeinsam zu finanzieren. In zweiter Linie geht es darum, wie in den anderen strukturschwachen Räumen - Ruhr, Saar, Berlin, um nur einige zu nennen - einige potente große Unternehmen des Bundesgebiets zu Investitionen zu gewinnen, dort eine Fabrik zu eröffnen. Dann haben wir Kristallisationspunkte, auf Grund deren sich Privatinitiative so entfalten kann, daß es weiterer spezieller Fürsorge des Bundes und auch der Landesregierung nicht bedarf.
Herr Kollege Unertl, wenn es Ihnen jetzt passen würde?
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die berechtigten Klagen gerade der lohnintensiven gewerblichen Betriebe im Grenzland darüber bekannt, daß man bei Ausschreibungen auch im Rahmen dieser zwei Konjunkturprogramme sehr selten zum Zuge kommt, weil die durchrationalisierten Betriebe meistens günstiger anbieten und dann sogar das vom Gesetzgeber vorgesehene Eintrittsrecht und alle anderen Erlasse auch nichts mehr helfen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Vergabe, Herr Kollege Unertl, ist für das zweite Konjunkturprogramm und für alle weiteren öffentlichen Ausschreibungen sehr erleichtert worden. Aber an dem Grundsatz, daß ein preisgünstigerer und preiswerterer Anbieten bei normalen Umständen eher zum Zuge kommt als ein anderer, kann man selbstverständlich nichts ändern.
Herr Kollege Kiep!
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, mir darin zuzustimmen, daß die Aussicht auf zusätzlichen Gewinn eine größere Antriebskraft für Investitionen hat als die Aussicht auf einen Abbau der Investitionssteuer, zumal wenn Kapazitäten nicht ausgenützt sind?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Kiep, die Investitionssteuer wirkt sich entweder auf den Gewinn oder auf die Preisstellung aus.
Meine Kollegen, im Interesse der weiteren Fragesteller kommen wir zur Frage 11 des Abgeordneten Barche:
Ist es nach der Bergpolizeiverordnung statthaft, daß in den Bergwerken große Mengen angeblich unbrauchbar gewordenen Sprengstoffs unter Tage vernichtet werden dürfen, wie es in der Grube Lengede geschehen ist?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Barche, die Vernichtung unbrauchbar gewordenen
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
Sprengstoffs richtet sich ausschließlich nach Landesrecht. So sieht z. B. die für die Grube Lengede geltende Allgemeine Bergverordnung des Oberberg-amts in Clausthal-Zellerfeld vor, daß verdorbene oder unbrauchbar gewordene Sprengmittel „nach näherer Weisung des Betriebsführers" zu vernichten sind. Einzelheiten der Vernichtung des unbrauchbaren Sprengstoffs sind dort nicht geregelt. Die Bergbaupolizeiverordnungen der übrigen Länder enthalten eine vergleichbare Regelung.
Die Frage, ob im Falle Lengede den bergbehördlichen Vorschriften genügt ist, wird gegenwärtig von der zuständigen Landesbehörde und von der Staatsanwaltschaft geprüft.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Barche.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Bestimmungen der ABVO im § 141 vollkommen ungenügend sind, um in der Zukunft weitere Unglücke dieser Art zu verhindern?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, vom zuständigen niedersächsischen Minister für Wirtschaft und Verkehr ist mitgeteilt worden, daß die Ergebnisse der vorhin erwähnten Prüfungen und Untersuchungen selbstverständlich zu einer Überprüfung der Bergsicherheitsvorschriften führen werden.
Jetzt kommen wir zur Beantwortung der Frage' 12 des Abgeordneten Barche:
Wird die Bundesregierung, um in Zukunft ähnliche Grubenkatastrophen wie in Lengede zu verhindern, in die Bergpolizeiverordnung unmißverständliche Bestimmungen aufnehmen, die die Vernichtung unbrauchbar gewordenen Sprengstoffs unter Tage verbieten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Bundesregierung wird ihre Arbeiten für ein bundeseinheitliches Berggesetz beschleunigen. In diesem Berggesetz sollen Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen enthalten sein. Zu diesen Rechtsverordnungen sollen auch solche über Sicherheitsvorschriften gehören.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 13 dès Abgeordneten Schlee:
Trifft es zu, daß das Land Nordrhein-Westfalen für die Ansiedlung industrieller Betriebe Vergünstigungen bietet, die in anderen Ländern der Bundesrepublik nicht geboten werden und mangels gleicher finanzieller Leistungsfähigkeit auch nicht geboten werden können?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Derartige Vergünstigungen sind der Bundesregierung nicht bekannt. Auch in Nordrhein-Westfalen sind die Ansiedlungshilfen an die Industrie an eine Obergrenze von 15 % der Investitionskosten gebunden, die für die Bundesrepublik von der EWG-Kommission nach den Vorschriften des Vertrages genehmigt wurde. Die Strukturhilfen im Ruhrgebiet werden mit der Bundesregierung abgestimmt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schlager.
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf die Antwort, die Sie dem Kollegen Hösl gegeben haben, darf ich Sie fragen, woher Sie eigentlich Ihren Optimismus nehmen, in den strukturschwachen Gebieten außer der Verbesserung der Infrastruktur auch noch die Möglichkeit schaffen zu können, einige, wie Sie sagten, potente große Unternehmen anzusiedeln, - im Hinblick auf das Förderungsgefälle, das unbestreitbar einerseits zwischen den Gebieten an Rhein, Saar und Ruhr und andererseits dem Zonenrandgebiet und den übrigen sogenannten wirtschaftsschwachen Gebieten besteht.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Schlager, zwischen dem Ruhrgebiet und dem Zonenrandgebiet besteht kein Förderungsgefälle - beim Saargebiet ja, aber nicht bei Ruhr und Rhein.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Aigner.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen wirklich nicht bekannt, daß z. B. im Wettbewerb von Gemeinden im Ruhrgebiet und in den revierfernen Gebieten unserer Bundesrepublik um die Ansiedlung von Industrien die reichen Gemeinden in der Lage sind, Grundstücke plus Fertigungshallen auf einer Preisbasis anzubieten, mit der andere Gemeinden nicht mehr mitkommen, und ist das nicht ein wettbewerbsverzerrendes Element in der Gewinnung von Arbeitsplätzen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist bekannt, Herr Kollege. Deswegen kann Gegenstand eines derartigen speziellen Strukturprogramms auch die Bereitstellung von Industrieland sein. Das gilt auch für die Saar, wo ebenfalls nur arme Gemeinden liegen, die sich das selbst nicht leisten können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hofmann ({0}).
Herr Staatssekretär, gestatten Sie folgende Frage: Wenn Sie alle die Strukturprogramme der Bundesregierung - Zonenrandgebiet, Ruhrgebiet usw. - berücksichtigen, bleibt dann überhaupt noch irgend etwas für die anderen Länder über, die sich auch um Struktur bemühen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Selbstverständlich. Es wohnt aber nur eine Minderheit der deutschen Bevölkerung in den von Ihnen erwähnten Strukturgebieten. Die bevölkerungsstarken Räume - das Ruhrgebiet und das Saargebiet, also die beiden Steinkohlengebiete - sollen ja nach unseren Intentionen und nach den Intentionen des Hohen Hauses sowieso nur Strukturgebiete auf sehr begrenzte Zeit sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Aigner.
Ich darf zu meiner vorigen Frage noch ergänzen, Herr Staatssekretär: Sind Sie nicht der Meinung, daß mit Kreditmitteln allein dieses wettbewerbsverzerrende Geschehen hier nicht aufzufangen ist, sondern daß im Gegenteil an zusätzliche - ich denke vor allem an steuerliche - Präferenzen gedacht werden muß?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Wenn Sie sagen „Kreditmittel allein", dann trifft das nicht den Kern der regionalen Wirtschaftsförderung des Bundes. Es können jetzt direkte Investitionszuschüsse bis zu 15% der Investitionskosten gewährt werden. Dann darf ich noch einmal auf die Infrastruktur hinweisen. Es ist wichtig, daß die Menschen von den Orten aus, in denen sie wohnen, Zufahrtsmöglichkeiten zu den zentralen Orten haben, in denen wir die Industrialisierung ermöglichen wollen. Beides zusammen ist, glaube ich, ein sehr starker Anreiz und eine sehr starke Vorbedingung für eine Industrialisierung dieser Räume. Dennoch müssen wir uns klar sein: von heute auf morgen geht das auch nicht, was bisher 20 oder noch mehr Jahre nicht geschafft wurde.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Schlager.
Herr Staatssekretär, noch einmal zu meiner vorherigen Frage. Selbst wenn wir einmal davon ausgehen, daß formell-rechtlich die Vergünstigungen für die Ruhr und das Zonenrandgebiet die gleichen sind - was ich momentan nicht überprüfen kann -, muß man dann nicht doch berücksichtigen, daß eine Unterlegenheit durch den Standort der revierfernen Gebiete vorhanden ist und daß, selbst wenn die Bedingungen gleich sind, eben die revierfernen Gebiete doch über Gebühr benachteiligt sind und deshalb die Unternehmungen, von denen Sie sprachen, sicherlich nicht in dieses Gebiet gehen werden, weil sie von hier aus längere Transportwege haben?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Dem würde ich voll zustimmen, was die Ruhr anlangt. Aber, wie gesagt, die Ruhr soll ja nur auf wenige Jahre ein Strukturgebiet sein. Wir wollen ja möglichst schnell
wieder von dieser Bezeichnung für das Ruhrgebiet wegkommen.
Dann meine ich, daß man sich einfach an Hand des konkreten Programms, das die Bayerische Landesregierung für die Granitindustrie ausarbeitet, unterhalten und sehen muß, ob wir da tatsächlich so schematisch vorgehen, wie Sie befürchten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Porsch.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man sich gerade in diesen revierfernen Grenzgebieten und Zonenrandgebieten vor allem erhebliche Sorgen wegen der Auswirkungen des Leber-Planes macht? Ich denke hier besonders an die Streckenstillegungen.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Streckenstillegungen sind verkehrspolitische Notwendigkeiten, die nicht erst Bestandteil des von Ihnen so genannten Leber-Planes sind. Daß Streckenstillegungen in begrenztem Umfange einfach notwendig sind, war Gegenstand jedes Verkehrsprogramms, das wir in den letzten Jahren vorgetragen bekommen haben. Dieser Punkt ist auch nicht ausschlaggebend. Wichtig ist aber, daß Straßen da sind, die ausreichende Transporte ermöglichen, und daß gewisse Maßnahmen des Verkehrspolitischen Programms der Bundesregierung in diesen Gegenden nicht oder nicht so scharf angewendet werden wie in anderen Gebieten.
Meine verehrten Kollegen, die Fragen sprengen ohne Zweifel den Rahmen der Fragestunde. Wir können im Interesse der hier noch vorliegenden 140 von anderen Kollegen gestellten Fragen uns nicht mit den ersten Fragen in einer Intensität befassen, die bei einer anderen Lage einer Diskussion würdig wäre, aber in einer Fragestunde nicht möglich ist.
({0})
Wir kommen zur Frage 14 des Herrn Abgeordneten Schlee:
Falls die Frage 13 zu bejahen ist, hält es dann die Bundesregierung für möglich und angebracht, in den Bedingungen für die Vergabe von Bundesmitteln zur Förderung der Ansiedlung neuer Betriebe im Zonenrand und in anderen strukturschwachen Gebieten einen Ausgleich zu schaffen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Unabhängig davon, daß ich Ihre erste Frage verneinen konnte, darf ich folgendes sagen: Die Bundesregierung ist in enger Zusammenarbeit mit den Ländern ständig bemüht, ihre Förderung im Zonenrandgebiet und in den Bundesausbaugebieten zu verbessern. So bietet das regionale Förderungsprogramm neuerdings - ich nannte das schon - einen Investitionszuschuß von 15 % der Investitionskosten an Stelle der bisherigen zinsgünstigen Kredite. Ich war einfach im Verlaufe der Beantwortung der Zusatzfragen gezwungen, die eine oder andere Information, die Ihnen, Herr Kollege Schlee, als dem eigentlichen
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
Fragensteller zugedacht war, schon vorher zu geben. Ich bitte, das zu entschuldigen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schlee.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß allein die Randlage dieses Gebietes einen Ausgleich gegenüber anderen Gebieten erforderlich machen würde, um die Attraktivität dieses am Rande gelegenen Gebiets für Ansiedlungen zu erhöhen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ein Ausgleich für die Randlage ist ja zunächst die spezielle Förderung, die diese Zonenrandgebiete erhalten. Die Diskussion ist jetzt nur wiederum belebt worden durch die Einbeziehung der Steinkohlenreviere in die regionale Wirtschaftsförderung des Bundes. Aber ich darf noch einmal darauf hinweisen: Es liegt gerade im Interesse der Zonenrandgebiete, daß die Probleme in den Steinkohlenrevieren in jeder Hinsicht möglichst schnell gelöst werden, und zwar im Hinblick auf die Energiekosten und im Hinblick darauf, daß zwischen den Strukturgebieten in Zukunft keine Konkurrenz mehr in .einer derart vielfältigen Weise besteht, wie es augenblicklich leider notwendig ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Hösl.
Herr Staatssekretär, halten Sie es aus wirtschafts- und gesamtpolitischen Gründen für richtig, das Ruhrgebiet in seinem Strukturproblem mit den wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Zonenrandgebiet, wie sie hier besprochen werden, zu vergleichen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Jedes Gebiet hat seine Spezifika, Herr Kollege. Aber im Interesse niedriger Energiekosten und damit gerade im Interesse der revierfernen Gebiete ist das Gesundungsprogramm für den Steinkohlenbergbau und die Steinkohlereviere unbedingt notwendig, und zwar, wie es in der Begründung zu dem Gesetzentwurf heißt, möglichst schnell.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Ertl.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, hier zu Berichten Stellung zu nehmen, wonach
bereits neu angesiedelte Betriebe im Zonenrandgebiet wieder an die Ruhr zurücksiedeln, nur weil es dort günstigere Bedingungen geben soll?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich bin nicht in der Lage, zu diesen Berichten Stellung zu nehmen.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir das Material zur Verfügung stellen könnten.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Schlee auf:
Besteht nach Meinung der Bundesregierung die Möglichkeit und die Notwendigkeit, die Bemühungen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze im Ruhrgebiet und in den strukturschwachen Gebieten der Bundesrepublik und die Förderung der industriellen Ansiedlungen durch öffentliche Mittel zwischen dem Bund und den Ländern nach gleichmäßig auf das Ruhrgebiet und die strukturschwachen Gebiete ausgerichteten Gesichtspunkten zu koordinieren?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die regionalen Förderungsmaßnahmen für die Steinkohlebergbaugebiete werden von der Bundesregierung als Teil einer strukturpolitischen Konzeption angesehen, die den regionalen Verhältnissen des ganzen Bundesgebiets und darüber hinaus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Rechnung trägt. Diese Konzeption wurde dem Hohen Hause in der Antwort auf die Große Anfrage zur Strukturpolitik vor wenigen Wochen, am 19. Januar, erläutert.
Zu einer Zusatzfrage Herr Schlee.
Herr Staatssekretär, bedeutet das bereits eine Koordination, von der in meiner Frage die Rede ist?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Koordination ist z. B. dadurch gegeben, daß kein Betrieb, der in die Steinkohlereviere aus anderen Bundesausbau-und Fördergebieten, aus dem Zonenrandgebiet oder aus Berlin verlagert wird, Investitionsprämie bekommt. Das ist gesichert, selbstverständlich unter der Voraussetzung, daß das Hohe Haus entsprechend beschließt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Aigner.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bewußt, daß die Entstehung des Gemeinsamen Markts eine zusätzliche Konzentrationserscheinung in Ballungsräumen bedingt und daß bereits andere Staaten - ich erinnere vor allem an Frankreich - ein ganz neues Instrumentarium für unterentwickelte Regionen ausgearbeitet und schon gesetzlich fixiert haben? Und ist die Bundesregierung bereit, ihr eigens regionalpolitisches Instrumentarium zu überprüfen und in Absprache und Koordinierung mit den Ländern neue Maßnahmen und neue Möglichkeiten zu erschließen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Selbstverständlich, Herr Kollege. Dem gilt ja unsere Arbeit seit einem Jahr, und am 19. Januar ist erschöpfend Auskunft darüber gegeben worden. Es sind auch viele Anregungen aus diesem Hohen Hause gekommen. Ich bitte, nur diese Debatte vom 19. Januar 1968
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
mit irgendeiner Debatte zu vergleichen, die drei oder vier Jahre zurückliegen könnte. Die Regierung setzt doch ganz andere Akzente, Akzente, die Spezialsteuerung in weitem Maße einschließen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Kollege Schlager.
Herr Staatssekretär, sind Sie wenigstens bereit, das von Ihnen, von uns und der bayerischen Staatsregierung gemeinsam angestrebte Ausbau- und Strukturverbesserungsprogramm für das Gebiet nördlich von Passau mit Förderungsbedingungen auszustatten, die es ermöglichen, die von Ihnen erwünschten potenten großen Unternnehmen in dieses Gebiet zu bringen und damit gegenüber der Konkurrenz der Ruhr zu bestehen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Schlager, wir sollten uns darüber verständigen, daß man nicht mehr bieten sollte, als notwendig ist, weil wir nämlich sonst das Problem schaffen, daß ein Teil des Zonenrandgebietes dann anderen Teilen des Zonenrandgebietes wiederum Konkurrenz machen kann. Das muß sehr sorgfältig und Fall für Fall erwogen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ertl.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es sinnvoll wäre, wenn Sie im Kabinett einmal zu einer einheitlichen Behandlung dieses Themas kämen? Oder ist sie im Kabinett gegeben, und ist ihre Durchführung nicht ganz einheitlich?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Wieso? Die Beantwortung der Großen Anfrage zur Strukturpolitik war eine Beantwortung der Bundesregierung. Ich würde meinen, daß sich darin ein hinreichendes Maß an- Einheitlichkeit dokumentiert, Herr Kollege.
Keine Zusatzfrage mehr. Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Frage Nr. 16 des Herrn Abgeordneten Dorn:
Ist die Bundesregierung bereit, die Namen derjenigen Veisorgungs- und Verkehrsunternehmen zu nennen, die ihrer Ansicht nach unter dem Vorwand der Mehrwertsteuer ihre Preise zu stark erhöht haben?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Dorn, wie ein erster Überblick über die Preisentwicklung seit Einführung der Mehrwertsteuer zeigt, sind die Preise bei Gas und Wasser und im öffentlichen Personennahverkehr in einer Reihe von Fällen stärker gestiegen, als es der Mehrbelastung durch die Mehrwertsteuer entspricht. Diese Feststellung stützt sich in erster Linie auf Zahlenmaterial des Statistischen Bundesamtes, das in die Preisindexziffer für die Lebenshaltung eingeht. Wie diese
Preiserhöhungen und der dazu gewählte Zeitpunkt im Einzelfall begründet worden sind, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Selbst wenn der Bundesregierung ausreichendes Material vorläge, würde sie es nicht als ihre Aufgabe ansehen, einzelne dieser Unternehmen anzuprangern.
Aus einer Vielzahl von Meldungen und Zuschriften ist jedoch zu ersehen, daß diese Preiserhöhungen in der Öffentlichkeit vielfach ausschließlich oder überwiegend als eine Folge der Mehrwertsteuer verstanden worden sind.
Der Bundeswirtschaftsminister hat auch hier in diesem Hohen Hause bei Fragestunden wiederholt klargestellt, welche steuerlichen Mehrbelastungen bei diesen Leistungen höchstens auftreten dürfen.
Zusatzfrage Herr Kollege Dorn.
Herr Staatssekretär, wie würde es möglich sein, die von Ihnen soeben gegebene Antwort mit der Erklärung der Bundesregierung vor drei Wochen in Übereinstimmung zu bringen, daß eine Reihe von Verkehrsunternehmen die Einführung der Mehrwertsteuer dazu mißbraucht hätten, ihre Fahrpreise zu erhöhen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: „Mißbraucht" kann sich nur auf die Begründung beziehen. Es kann sein, daß Kostensteigerungen bei diesen Verkehrsunternehmen sowieso zu diesem Zeitpunkt eine Preiserhöhung erzwungen hätten und dann noch der kostenverteuernde Faktor Mehrwertsteuer hinzugekommen ist. Wogegen sich die Kritik der Bundesregierung in diesen Fällen nur richten kann, ist, daß alles - Preiserhöhungen auf Grund von allgemeinen Kosten plus Mehrwertsteuer - mit der Einführung der Mehrwertsteuer begründet worden ist.
Im übrigen haben wir in der Elektrizitätserzeugung noch Preisbindung für die Tarife. Es war Mitte des vergangenen Jahres geplant, auch die Stromerzeugung und den Stromvertrieb aus dieser Preisbindung zu entlassen. Mit Rücksicht auf die Einführung der Mehrwertsteuer sind diese Pläne fallengelassen worden.
Ich würde jetzt sagen, ich bedauere es, daß bei Wasser und bei Gas seit 1959 diese Preisbindungsvorschriften aufgehoben worden sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da sich meine Frage auf Grund der Erklärung der Bundesregierung, daß Mißbrauch betrieben worden ist, mit der Einführung der Mehrwertsteuer überhaupt erst ergeben hat, frage ich Sie, ob die Bundesregierung bereit ist, diejenigen Unternehmen zu nennen, die sie veranlaßt haben, vor wenigen Wochen diese Erklärung abzugeben.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich bin nicht in der Lage, Ihnen zu berichten, daß wir vor wenigen Wochen Unterlagen über bestimmte Unternehmen hatten. Es ist vor wenigen Wochen gesagt worden, daß derartige Unterlagen selbstverständlich gesammelt werden, und es würde dann geprüft werden, ob ein Mißbrauch vorliegt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Geiger.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bekanntzugeben, wie hoch die Verteuerungen bei Gas, Energie und Wasser unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer sein dürfen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Geiger, das ist wiederholt geschehen. Ich gebe es aber gern noch einmal bekannt: bei Wasser 3 bis 4 % ({0}), bei Gas bis zu 8 %, bei Strom 6 bis 8 %.
Eine Zusatzfrage, Kollege Dr. Emde.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß, wenn Verkehrsbetriebe ihre Tarife erhöhen, sie eine Genehmigung des zuständigen Wirtschafts- und Verkehrsministeriums des Landes haben müssen und daß diese Ministerien alle Gründe überprüfen, ehe sie die Genehmigung zu Tariferhöhungen erteilen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist bekannt. Ich sprach aber von Wasser und Gas.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung dennoch der Meinung, daß es auch dann zu Mißbrauch kommen kann, wenn Landesregierungen Tariferhöhungen überprüft und begründet haben?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Emde, in dem einen Land, wo eine Preiserhöhung zurückgenommen worden ist, scheint dies der Fall zu sein. Im übrigen habe ich mich vorhin auf Gas und Wasser bezogen, die nicht mehr in der Preisbindung sind.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 17 des Abgeordneten Dr. Lohmar:
Welche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung, um eine optimale Präsenz der Bundesrepublik Deutschland auf der Weltausstellung Osaka 1970 zu sichern?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege
Lohmar, im Auftrag der Bundesregierung wurde für die deutsche Beteiligung in Osaka 1970 ein Ideenwettbewerb durchgeführt. Darüber hinaus hat der Bundesminister für Wirtschaft einen beratenden Ausschuß einberufen, in dem Persönlichkeiten von Kultur, Wirtschaft und Politik sachverständige Anregungen für die deutsche Präsentation auf der Weltausstellung 1970 gegeben haben. Die Bundesregierung verschafft sich zur Zeit durch eingehende Analysen einen Überblick über die japanische Mentalität und das japanische Deutschlandbild. Wir werden versuchen, mit den 30 Millionen DM, die in den Haushaltsjahren 1968 bis 1970 für Osaka zur Verfügung stehen, so auszukommen, daß wir den hohen Ansprüchen genügen, die wir an diese Weltausstellung stellen müssen und die andere an sie stellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Lohmar.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß die Bundesregierung ihre Überlegungen in einer Weise anstellt, daß nicht nur den wirtschaftlichen, sondern zugleich den außenpolitischen und kulturpolitischen Forderungen, die dabei eine Rolle spielen, gebührend Rechnung getragen wird?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Selbstverständlich, Herr Kollege Lohmar. Darf ich -dabei gleich auf Ihre nächste Frage eingehen, in der nach der thematischen Qualität gefragt worden ist?
Sie können alle Fragen gemeinsam beantworten, Herr Staatssekretär; ich rufe auch die Fragen 18 und 19 auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um durch thematische und personelle Qualität eine erfolgreiche deutsche Beteiligung an der Weltausstellung Osaka 1970 zu gewährleisten?
Wie beurteilt die Bundesregierung das Ergebnis des Ideenwettbewerbs für die- deutsche Beteiligung an der Weltausstellung Osaka 1970?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Den politischen Zielsetzungen der Bundesregierung entsprechend soll diese Ausstellung in Osaka unter dem Gesamtthema „Zusammenarbeit, Fortschritt und Frieden" stehen. Zu diesem Thema sollen drei integrierte Bereiche präsentiert werden. Diese Bereiche sind -erstens Kultur, zweitens Industrie und drittens DeutschlandInformatianen.
Zum personellen Teil darf ich mitteilen, daß der Bundesminister für Wirtschaft dem Kabinett als Generalkommissar ,eine Persönlichkeit vorgeschlagen hat, die Japan-Kenntnisse mit langjährigen Ausstellungserfahrungen verbindet. Weitergehende Fragen zu diesem Punkt oder zu anderen Personalien würde die Bundesregierung im zuständigen Ausschuß beantworten können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Lohmar,
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die zuständigen Ausschüsse für Auswärtiges, Wirtschaft, Kulturpolitik und Publizistik vor endgültigen Entscheidungen der Bundesregierung genauer 'ins Bild zu setzen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Selbstverständlich.
Eine Zusatzfrage, Kollege Schmidhuber.
Herr Staatssekretär, wie läßt es sich mit den hohen Ansprüchen der Bundesregierung an den deutschen Beitrag für Osaka vereinbaren, daß die Mittel, die zur Verfügung stehen, gegenüber dem Beitrag für die Weltausstellung in Montreal um 5 Millionen DM .auf 30 Millionen DM gekürzt worden sind, angesichts .der Tatsache, daß die Transportkosten nach Osaka etwa das Dreifache der Transportkosten nach Montreal betragen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Schmidhuber, das ist eine Folge der allgemeinen Einsparungssmaßnahmen der Bundesregierung, die im Zuge der mittelfristigen Finanzplanung notwendig waren. Ich hatte auch gesagt: Wir, d. h. die Bundesregierung, werden versuchen, mit diesen Mitteln auszukommen und dennoch die Qualität der Ausstellung nicht darunter leiden zu lassen.
Zusatzfrage, Kollege Josten.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, in ihrem Haus zu veranlassen, .daß die Mitglieder der deutsch-japanischen Parlamentariergruppe des Bundestages über das Ergebnis des Ideenwettbewerbs direkt informiert werden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich werde das prüfen, Herr Kollege.
({0})
Ich weiß nicht, um welche Vorschriften es sich handelt. In dein Ideenwettbewerb sind 173 Vorschläge gemacht worden. Die Unterrichtung über die Ergebnisse erfolgt selbstverständlich. Das wird ja sowieso gleich bei der Beantwortung .der nächsten Frage des Kollegen Lohmar geschehen.
Wir kommen jetzt zur Beantwortung der Frage 19. Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Unter den zum Ideenwettbewerb ,eingereichten 173 Vorschlägen befand sich keiner, der alle .an eine deutsche Präsentation tin Japan zu stellenden Anforderungen erfüllt
hat. Die Jury hat .deshalb keinen ersten Preis verteilt. Andererseits enthielten viele Einsendungen sehr wertvolle Einzelvorschläge, die bei der Realisierung verwendet werden. In .drei Arbeitsgruppen, und zwar zugeordnet der Thematik Kultur, Industrie, Deutschlandinformation, werden diese und andere Vorschläge für ¡die Gestaltung .der Ausstellung verwendet werden. Die Arbeiten dieser Arbeitsgruppen, werden dm Sommer 1968 abgeschlossen .sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Lohmar, bitte!
Herr Staatssekretär, wäre es nicht nützlich, stich Gedanken darüber zu machen, wie eine weitere Öffentltichkeiit an der Diskussion über die Vorschläge, die bei diesem Ideenwettbewerb eingegangen sind, beteiligt werden könnte, um ein größeres Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit für 'diese ja sehr wichtige Thematik zu erreichen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Lohmar, das müßte sicher von Fall zu Fall .entschieden werden. Die Arbeitsgruppen haben sowieso eine sehr breite Basis. Die parlamentarische Berichterstattung im Ausschuß ist selbstverständlich jederzeit gewährleistet. In welchem Stadium man diesen oder jenen Punkt zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion macht - es kann ja sein, daß er von sich aus dazu wird -, ist, so glaube ich, nicht generell zu entscheiden.
Damit kommen wir zur Frage 20 des Abgeordneten Fritsch ({0}) :
Welche Maßnahmen der regionalen Wirtschaftsförderung für die niederbayerischen-oberpfälzischen Grenzgebiete gedenkt die Bundesregierung angesichts folgender Arbeitslosenzahlen zum 31. Januar 1968 in nachstehend aufgeführten Landkreisen zu ergreifen?
Landkreis Kötzting 44,7 %
Landkreis Wolfstein 42,5 %
Landkreis Oberviechtach 39,8 %
Landkreis Viechtach 39,4 %
Landkreis Bogen 32,9 %
Landkreis Waldmünchen 31,1 %
Landkreis Cham 29,7 %
Landkreis Grafenau 26,4 %
Landkreis Wegscheid 23,4 %
Landkreis Regen 23,1 %
Landkreis Vohenstrauss 22,5 %
Landkreis Roding 19,1 %
Landkreis Deggendorf 16,7 %
Landkreis Tirschenreuth 15,4 %
Landkreis Nabburg 14,2 °/o
Landkreis Passau 13,5 %
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Fritsch, die in der Frage erwähnten Arbeitslosenquoten sind tatsächlich erschreckend hoch. Aber wie ich vorhin schon ausführen konnte, ist die Winterarbeitslosigkeit in diesen Gebieten stets höher als im übrigen Bundesdurchschnitt. Zwei Monate früher, zum 30. November 1967, waren die von Ihnen genannten Quoten entweder halb so hoch oder hatten, in einigen Fällen auch nur ein Drittel dieser Höhe. Zum 31. Januar kamen fast alle Außenarbeiten zum Erliegen.
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
Ich darf dann noch auf die besondere Konjunkturempfindlichkeit dieses Grenzraums verweisen: wenig ausländische Arbeitskräfte, der Beschäftigungsrückgang daher sofort auf heimische Arbeitskräfte durchschlagend, d. h. wiederum Abhängigkeit auch des Schicksals dieser Menschen von der allgemeinen Konjunkturpolitik in der Bundesrepublik.
Die zweite Maßnahme zeigt den strukturpolitischen Akzent: Im Zweiten Konjunkturprogramm ist dafür gesorgt worden, daß dort doppelt soviel Mittel zur Verfügung stehen, wie es 'der Bevölkerungszahl entspricht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, ist diese hohe Zahl von Arbeitslosen, die sich im Sommer zwar verringert, aber auch dann immer noch eine erhebliche Belastung für dieses Gebiet darstellt, nicht ein Hinweis dafür, daß die bisherigen strukturpolitischen Maßnahmen nicht ausreichten, um zu günstigen Lösungen in Sachen des Arbeitslosenproblems zu kommen, um Effekte zu erzielen, die verursachen, daß sich diese hohen Arbeitslosenzahlen und deren Spitzen nicht wiederholen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: In diesem Punkt teilt die Bundesregierung voll die Auffassung dieses Hohen Hauses, das wiederholt auf die Notwendigkeit eines allgemeinen Strukturprogramms und spezieller Strukturprogramme aufmerksam gemacht hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung Veranlassung, unter Umständen, wie im Jahreswirtschaftsbericht 1968 festgehalten, auch für diese Gebiete mit dieser erheblichen Zahl von Arbeitslosen, Sondermaßnahmen, wie etwa für das Ruhrgebiet und für das Saargebiet, vorzusehen? Unter Ziffer 63 Ihres Berichts ist gesagt, daß zusätzliche Mittel über das normale Förderungsmaß hinaus bereitgestellt werden.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die in Ihrer Frage genannten 16 Landkreise gehören sämtlich zum Zonenrandgebiet und sind außer dreien zugleich Bundesausbaugebiet. Innerhalb dieser Landkreise liegen auch fünf Bundesausbauorte: Kötzting, Waldmünchen, Schiefweg, Cham und Roding. Deshalb wird dieser Raum von finanziellen und strukturpolitischen Ansatz gleichwertig, mitunter sogar stärkerwertig mit Mitteln bedacht. Aber wir werden die Früchte dieser Arbeiten erst dann sehen, wenn auch die allgemeine konjunkturbedingte Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet verschwunden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Unertl.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, heute konkrete Angaben darüber zu machen, was geschieht, und zwar sofort geschieht, um unter Anführung dessen, was der Kollege Fritsch gefragt hat, bis das Programm mit der Bayerischen Staatsregierung, wie von Ihnen heute erwähnt, fertiggestellt wird, dem Gebiet zu helfen, weil doch bekannt ist, daß nicht nur das Wetter allein diese Arbeitslosenzahlen bedingt, sondern daß in vielen Betrieben, wie in einer Frage von mir heute bereits erwähnt, die Auftragslage ebenfalls mit schuld an dem großen Vorkommen von Arbeitslosenziffern ist?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, was zur Zeit geschieht, sind die allgemeinen konjunktur- und strukturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung, zuzüglich für Investoren die Maßnahmen der regionalen Wirtschaftsförderung. Ich bin gern bereit, Ihnen das Material zur Verfügung zu stellen; es würde die Fragestunde überziehen, das vorzutragen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hörauf.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß mit etwas großzügigerer Vergabe von öffentlichen Aufträgen im niederbayerischen Raum die Arbeitslosen- und Pendlerzahlen zurückgehen würden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Selbstverständlich, Herr Kollege. Aber wie großzügig darf diese Großzügigkeit sein, um nicht zu Mißbrauch zu führen? Die Bundesregierung hat versucht - und das Hohe Haus hat das voll akzeptiert -, den doppelten Bevölkerungsschlüssel in diesen Gebieten anzuwenden, sie also gegenüber Nicht-Strukturgebieten schon erheblich zu bevorzugen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niederalt.
Um das Thema ist nunmehr seit geraumer Zeit genügend herumgeredet worden. Ich frage ganz konkret, Herr Staatssekretär: Ist die Bundesregierung bereit, die Anregung aufzugreifen, die ich vor etwa drei Wochen bei der Diskussion über die regionale und sektorale Wirtschaftsstruktur gegeben habe, nämlich erstens verstärkte Abschreibungen nach Art der Hilfe für die Berliner Wirtschaft und zweitens hinsichtlich der Investitionsprämie mindestens den Status des Ruhrgebiets zu erreichen? Ist die Bundesregierung bereit, diese beiden ganz konkreten Maßnahmen, die nach meiner Überzeugung die einzigen Mittel sind, um dort eine Industrialisierung durchzuführen, ins Auge zu fassen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Niederalt, die Bundesregierung ist - nicht der Meinung, daß dies die beiden einzigen Mittel sind. Sie ist aber selbstverständlich bereit, die zweite Bedingung - keine niedrigere Förderung von Investitionen als im Ruhrgebiet - zu erfüllen und auch zu sichern.
Im übrigen darf ich darauf verweisen, daß seit einigen Monaten von der Bundesregierung nicht, wie Sie es vorhin - vielleicht zu Recht - betont haben, nur geredet wird, sondern daß jetzt strukturpolitische Maßnahmen ergriffen worden sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Aigner.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß bei solchen Notständen wie hier in Niederbayern und in der Oberpfalz kurzfristige Programme und Maßnahmen überhaupt keinen Erfolg haben, sondern daß nur langfristige Planungen, insbesondere eine stärkere Attraktivität dieses Gebietes, zum Erfolg führen können? Und ist die Bundesregierung bereit, endlich konkrete Programme vorzulegen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Aber selbstverständlich, Herr Kollege. Bloß das eine geht nicht ohne das andere. Sie können die Arbeitslosen nicht auf langfristige Programme vertrösten, die die verschiedenen Klippen eines föderalen Systems, das wir nun einmal haben und auch behalten wollen, zu durchlaufen haben. Wir müssen auch sofort etwas tun, und das ist geschehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hösl.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bei den von Ihnen angekündigten und in Aussicht genommenen Förderungsmaßnahmen stärker als bisher die sehr unterschiedliche finanzielle Leistungskraft der kommunalen Körperschaften berücksichtigen, die ihrerseits die Fürsorgepflicht für die neu anzusiedelnden und die vorhandenen Industriebetriebe erfüllen müssen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich habe vorhin bereits im Hinblick auf die Industrieansiedlung etwas Entsprechendes zugesagt.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte doch Platz zu nehmen und den Ablauf der Fragestunde möglich zu machen. Es ist unmöglich, daß Sie sich weiter im Saal unterhalten.
({0})
Ich rufe Frage 6 der Frau Abgeordneten Dr. Maxsein auf - die letzte Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, die ursprünglich an den Bundesminister für wissenschaftliche Forschung gerichtet war -:
1st die Bundesregierung bereit, an einem Symposium über Fragen der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie teilzunehmen, wie es in der Direktive Nr. 33 der Versammlung der WVFU gefordert wird?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ja, die Bundesregierung ist hierzu bereit. Das vorgeschlagene Symposium soll Vertreter der Regierungen, der Parlamente, der Luft- und Raumfahrtindustrie und der zuständigen Gewerkschaften der Mitgliedsländer der Westeuropäischen Union an einen Tisch bringen, um Wege zur Schaffung einer europäischen Luft-und Raumfahrtindustrie zu erörtern. Nach den bisher von der Bundesregierung in dieser Frage mit anderen Regierungen und der Industrie geführten Gesprächen sollte die Initiative zur Einberufung von der britischen Regierung ausgehen.
Das Symposium bedarf freilich einer gründlichen Vorbereitung. Es sollte sich nicht in der Diskussion allgemeiner Grundsätze erschöpfen, über die sich alle leicht einig sein können, sondern von der Erörterung gegenwärtiger und zukünftiger gemeinsamer Vorhaben ausgehen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Maxsein.
Herr Staatssekretär, darf ich daraus entnehmen, daß die Bundesregierung bereit ist, in Zukunft - je nachdem, welches Ergebnis das Symposium zeitigt - regelmäßige Gespräche mit den Partnern, die in der Direktive genannt sind, zu führen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es spricht nichts dagegen, Frau Kollegin, so zu verfahren.
Meine Damen und Herren, damit ist die Fragestunde beendet.
Ich darf fragen, ob der Abgeordnete Kiep im Raum ist. - Ich gebe dem Abgeordneten Kiep das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Gelegenheit zu einer persönlichen Erklärung, um einen Eindruck richtigzustellen, der bedauerlicherweise in meiner Abwesenheit in der Fragestunde von heute nachmittag entstanden ist.
Ich bedanke mich bei der Fraktion der Freien Demokratischen Partei für das wiederholte Interesse an meinen privaten Auslandsreisen.
({0})
Ich möchte richtigstellen, daß diese Reise eine private Reise war, und ich möchte hinsichtlich der Be8032
antwortung der Zusatzfrage durch den Herrn Staatssekretär des Auswärtigen richtigstellen, daß ich mich unmittelbar nach meiner Rückkehr, und zwar am 5. Februar, mit der Bitte um einen Termin an ihn gewandt habe, um über die Ergebnisse der Reise zu berichten. Am selben Tage habe ich mich bei dem Herrn Verteidigungsminister und bei dem Herrn Bundeskanzler um einen Termin zum Bericht bemüht, und ich habe dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Verteidigungsminister wenige Tage nach dem 5. Februar, und zwar am 6. bzw. am 9. Februar, ausführlich Bericht über die Reise erstattet. Der Termin mit dem Herrn Staatssekretär des Auswärtigen ist bisher nicht zustande gekommen.
({1})
Ich darf hinzufügen, daß an allen Gesprächen, die ich während meines privaten Aufenthaltes in Amerika hatte - insbesondere in Washington -, Vertreter der Botschaft der Bundesrepublik teilgenommen und über die Gespräche Gesprächsnotizen verfaßt haben, von denen ich annehme, daß sie dem Auswärtigen Amt zugeleitet worden sind.
({2})
Meine Damen und Herren! Es befinden sich in diesem Augenblick einige Angehörige des britischen Unterhauses hier auf der Tribüne. Es handelt sich zwar nicht um eine offizielle Delegation, aber ich nehme an, daß wir uns trotzdem alle freuen, eine Anzahl unserer Kollegen aus Großbritannien hier zu haben.
({0})
Ich wünsche ihnen einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik.
({1})
- Zu einer persönlichen Erklärung kann das Wort nicht erteilt werden. Ich kann Ihnen nur das Wort erteilen, falls Sie selbst eine persönliche Erklärung abzugeben wünschen.
({2})
- Zu einer tatsächlichen Erklärung nach § 36 bekommen Sie das Wort. Bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen meiner Freunde darf ich in einer tatsächlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung feststellen, daß nicht die Reisen des Herrn Kollegen Kiep Gegenstand unserer Fragen an die Bundesregierung waren, sondern lediglich die Information der Bundesregierung danach. Die Bundesregierung hat eine völlig anderslautende Erklärung als Sie abgegeben. Wir stellen Ihnen also anheim, sich mit der Bundesregierung in Verbindung zu setzen.
({0})
Herr Abgeordneter Jahn möchte eine Erklärung nach § 36 abgeben. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, daß ich mich veranlaßt sehe, nach den beiden letzten Erklärungen zu dieser außerordentlich bedeutsamen Debatte noch einen eigenen Beitrag zu leisten. Es ist richtig, daß Herr Kollege Kiep mehrfach versucht hat, eine Verabredung mit mir zu treffen. Zwei ihm von mir vorgeschlagene Termine hat er, weil er verhindert war, ablehnen müssen.
({0})
Im übrigen war mir nicht bekannt, was der Gegenstand des Gespräches sein sollte, das er vorgeschlagen hatte. Ich nehme seine Ausführungen hier gern zur Kenntnis und stehe ihm weiterhin zur Verfügung. Ich werde meinen Beitrag dazu leisten, daß es zu einer Verabredung kommt.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, wir sind alle der Meinung, daß Terminverabredungen möglichst nicht hier im Plenum vorgenommen werden sollten. Das hält uns zu lange auf.
({0})
Wir kommen zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Einspruchs des Bundesrates gegen das vom Bundestag beschlossene Gesetz über eine Zählung im Handel sowie im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe ({1})
- Drucksache V/2567 Wird das Wort zur Begründung des Einspruchs gewünscht? - Das kann gar nicht sein, da kein Vertreter des Bundesrats hier ist.
({2})
Erklärungen sind hier auch nicht angemeldet worden.
Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Bundesrat, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, hat beschlossen, Einspruch gegen das aufgerufene Gesetz einzulegen, falls sich ergeben sollte, daß das Gesetz entgegen der Ansicht des Bundesrates nicht seiner Zustimmung bedarf. Da der Bundesrat den Einspruch einstimmig beschlossen hat, bedarf die Zurückweisung durch den Bundestag nach Art. 77 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens jedoch der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Die Mehrheit der stimmberechtigten Abgeordneten beträgt 249 Mitglieder.
Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über die Zurückweisung des Einspruchs im Wege der Auszählung ab. Wer den Einspruch des Bundesrats gegen das Handelszählungsgesetz zurückweisen will, der gehe durch die Ja-Tür. Wer das nicht will, der gehe durch die Nein-Tür. Ich muß zu meinem Bedauern darauf hinweisen, daß bei dieser Abstimmung und auch bei den beiden nächsten Abstimmungen die Berliner Abgeordneten an der Auszählung nicht beteiligt sein können.
({3})
Vizepräsident Scheel
Meine Damen und Herren, ich bitte den Plenarsaal zu verlassen. Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Es sind abgegeben worden 357 Stimmen, davon 349 Ja-Stimmen, 7 Nein-Stimmen, 1 Enthaltung. Damit ist der Einspruch zurückgewiesen.
Wir kommen zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Einspruchs des Bundesrates gegen das vom Bundestag beschlossene Bundeswasserstraßengesetz ({4})
- Drucksache V/2568 Zur Begründung wird das Wort nicht gewünscht; Erklärungen werden nicht abgegeben.
Der Bundesrat hat den Einspruch mit zwei Dritteln seiner Stimmen beschlossen; die Zurückweisung des Einspruchs durch den Bundestag bedarf also einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.
Wir stimmen jetzt über die Zurückweisung des Einspruchs im Wege der Auszählung ab.
({5})
- Das Wort zur Abstimmung hat Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Präsident, darf ich - nach dem Ergebnis der Auszählung zu Punkt 3 der Tagesordnung - vorschlagen, daß unser Sitzungsvorstand den Versuch macht, die Abstimmung jetzt durch Handaufheben durchzuführen.
({0})
Wenn der geringste Zweifel daran besteht, daß die Zweidrittelmehrheit erreicht wurde, müssen wir auszählen. Aber sonst gewinnen wir auf diese Weise Zeit.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Er bedeutet ein Abweichen von der Geschäftsordnung. Ich muß Sie also zunächst fragen, ob Sie diesem Antrag, von der Geschäftsordnung insoweit abzuweichen, zustimmen. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist gegen den Antrag?
- Drei Gegenstimmen. Wer enthält sich? - Gegen drei Stimmen bei einer Enthaltung ist der Antrag angenommen.
Ich darf jetzt also zu Punkt 4 der Tagesordnung fragen: Wer will den Einspruch des Bundesrates zurückweisen? - Wer will den Einspruch nicht zurückweisen? - Soweit ich sehe, ist das niemand. Wer enthält sich der Stimme? - Auch niemand! In diesem Falle ist der Einspruch einstimmig zurückgewiesen.
({0})
Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung des Einspruchs des Bundesrates
gegen das vom Bundestag beschlossene Gesetz über die Handwerkszählung 1968 ({1})
- Drucksache V/2569 -
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht.
Der Bundesrat hat wie im Falle des Handelszählungsgesetzes den Einspruch einstimmig beschlossen. Zur Zurückweisung des Einspruchs bedarf es also einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Abgeordneten, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.
Wir kommen wieder, in Abweichung von der Geschäftsordnung, zur Abstimmung in der Weise, wie Herr Dr. Mommer das beantragt hat. Wer den Antrag zurückweisen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer will den Einspruch nicht zurückweisen? - Vier Abgeordnete! Wer enthält sich der Stimme? - Eine Stimmenthaltung! Der Einspruch ist gegen vier Stimmen bei einer Stimmenthaltung zurückgewiesen.
Damit ist auch der Punkt 5 der Tagesordnung erledigt.
Wir kommen jetzt zu Punkt 9 der Tagesordnung:
a) Beratung des Jahresgutachtens 1967 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache V/2310 -b) Beratung des von der Bundesregierung beschlossenen Jahreswirtschaftsberichts 1968 der Bundesregierung
- Drucksache V/2511 -
c) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP
betr. Konjunkturbelebung durch steuerliche Anreize für verstärkte private Investitionen
- Drucksache V/2471 Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1968 hat Ihnen die Bundesregierung die für dieses Jahr angestrebte Wirtschaftsentwicklung und die geplante Wirtschafts- und Finanzpolitik dargelegt. Wie ein guter Kaufmann hat sie damit gleichsam eine Eröffnungsbilanz aufgestellt, und zwar eine Eröffnungsbilanz für den neuen Aufschwung. Für die Beratungen und Entscheidungen des Deutschen Bundestages ist dies eine neue und, wie mir scheint, wichtige Unterlage. Ich danke für die Möglichkeit, diesen Bericht schon heute, wenige Tage nach seiner Vorlage, in diesem Hohen Hause zu begründen.
Mit diesem Jahreswirtschaftsbericht wird eine langjährige Forderung der Wissenschaft und auch politischer Programme erfüllt. Schon 1956 hatte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschafts8034
ministerium vorgeschlagen, die Regierung gesetzlich zu verpflichten, mindestens einmal jährlich dem Parlament ein sogenanntes Wirtschaftsprogramm vorzulegen; der Sache nach war das eigentlich ein „Nationalbudget". Man dachte dabei an ein Programm in Form eines „Berichtes über die Wirtschaftslage und die von der Regierung für die kommende Zeitperiode vorgesehene Wirtschaftspolitik unter Beifügung der prospektiven volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung". Dieser Vorschlag, meine Damen und Herren, ist also nun, zwölf Jahre nach seiner ersten Formulierung, Wirklichkeit geworden, und zwar unter dem Namen „Jahreswirtschaftsbericht", was für manchen vielleicht weniger nach Dirigismus klingt - und in der Tat, dieser Bericht ist nicht dirigistisch -, was sich aber auf jeden Fall im Namen weniger anspruchsvoll ausnimmt.
Ein Jahreswirtschaftsbericht mit Orientierungsdaten gehört in eine aufgeklärte Marktwirtschaft. Marktwirtschaftliche Politik, die nicht in Einzeldirigismen und Ad-hoc-Interventionen abgleiten will, kann sich nicht mit Intuition, nicht mit Gefühl und Wellenschlag begnügen. Sie braucht die gesamtwirtschaftliche Diagnose und Vorausschau. Sie braucht Klarheit über die angestrebte Entwicklung und die Grundlinien der geplanten Politik.
Dieser Bericht der Bundesregierung für das Jahr 1968 will informieren, er will orientieren, und er will damit zugleich auch koordinieren. Die wirtschafts- und finanzpolitischen Instanzen auf den verschiedenen Ebenen des Staates und die autonomen Gruppen brauchen diese Kommunikation für ihre eigenen Entscheidungen in unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, zu dessen letztem Gutachten der Bericht nach dem Gesetz Stellung nehmen muß, hat auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahren eine wichtige Aufklärungsarbeit geleistet. Gewiß, die Gutachten jenes Rates waren bisweilen unbequem, manchmal sogar sehr unbequem. Sie paßten nicht in vorherrschende Schemata. Das macht zwar manche allergische Reaktion verständlich; aber die Gegenargumentation wird dadurch keineswegs überzeugender. In einer etablierten Gesellschaft, die den Kontroversen gern aus dem Wege geht, ist jedoch die gedankliche Radikalität unabhängiger Männer bitter notwendig. Der Sachverständigenrat ist damit ein Element der Dynamik, wenn er uns vor neue Herausforderungen stellt und unsere Blicke auf neue, bisher unbekannte Horizonte lenkt. Er hat frei von jedem Vorurteil zu analysieren und darzulegen, wie Fehlentwicklungen der Wirtschaft vermieden oder beseitigt werden können.. Das ist nicht sein selbstgewählter Auftrag. Das ist der Auftrag des Gesetzes vom Jahre 1963.
Mit Präzision und Sachkunde hat der Sachverständigenrat dm letzten Jahresgutachten die Genesis der hinter uns liegenden Rezession offengelegt. Sein Urteil über die Entwicklung bis 1966/67 faßt er folgendermaßen zusammen. Ich darf aus Ziffer 232 zitieren:
Der Grund
- für die Rezession liegt im Fehlen einer planvollen Koordination von Kredit- und Fiskalpolitik und im Fehlen einer wirksamen Verhaltensabstimmung zwischen den staatlichen Instanzen auf der einen und den nichtstaatlichen auf der anderen Seite.
Meine Damen und Herren, genau an dieser Stelle hat die neue Bundesregierung vom ersten Tage an eingesetzt: Planvolle Koordination der Wirtschafts-und Kreditpolitik, Konzertierte Aktion mit den Spitzenorganisationen ,der Wirtschaft und den Gewerkschaften sowie Zusammenarbeit mit den Ländern und Gemeinden im Konjunkturrat auf der Basis gemeinsam erarbeiteter Programmziele, .das waren und sind Grundelemente .der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung.
Natürlich hat es im vergangenen Jahr - wer wollte das leugnen - bei dem Kampf um die NullLinie des Wachstums unseres Sozialprodukts auch Verzögerungen und Hindernisse gegeben. Die verantwortlichen Ressorts in der BundesregIerung mußten da aus ihrer Pflicht heraus immer wieder mahnen und antreiben. Das hat gar nichts mit Hektik zu tun, sondern einfach mit Arbeit und mit dem schlichten Tatbestand, daß wir die uns auferlegte politische Verantwortung sehr ernst nehmen. Gemessen an den Vorjahren war 1967 in der Tat ein. Jahr des Ringens um eine rationale Wirtschaftspolitik. Der Erfolg dieser Politik schlug sich nicht nur in den neuerdings sehr erfreulichen Konjunkturindikatoren nieder, sondern es sind im Jahre 1967 darüber hinaus neue Formen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit entstanden. Die Beurteilung moderner wirtschaftspolitischer Instrumente ist nach einem Jahr Praxis weit weniger mit ideologischen Vorurteilen belastet. Die Zahl ist in der Politik nunmehr kein Tabu. Der Aktionsradius der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist heute .unvergleichlich ,größer, als das bei bequemer Selbstbeschränkung der Fall wäre. Das: gesellschaftliche Bewußtsein war vor einem Jahr, im Januar/Februar 1967, noch der vergangenen Phase der Überhitzung ,der Konjunktur verhaftet. Es entsprach damit nicht mehr den. tatsächlichen Produktionsverhältnissen. Dieses Bewußtsein der Gesellschaft hat sich in dem abgelaufenen Jahr deutlich verändert. Die weitgehend übereinstimmenden Stellungnahmen der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände vom Januar dieses Jahres zum Sachverständigengutachten und den von Regierungsseite aufgezeigten Alternativen sind ein klarer Beweis für diesen Wandel.
Es gehört in der Tat zu den wichtigen Vorgängen des letzten Jahres, daß in unserer Gesellschaft neben den sich zeigenden Kräften der Desintegration auch Kräfte der Integration mobilisiert werden konnten. Bei der Konzertierten Aktion geht es auch um die Öffnung des sogenannten „Establishment" - so wurde auch in der Konzertierten Aktion gesagt - für neue gesellschaftliche Zusammenarbeit. Manche Vorgänge der letzten Monate haben für uns alle die Frage aufgeworfen: Hat unsere Demokratie ihr großes, augusteisches Zeitalter bereits hinter sich? Die AntBundesminister Dr. Schiller
wort auf diese Frage ist uns nicht einfach vorgegeben. Sie wird entscheidend von uns selbst bestimmt. Es geht letztlich darum: Können wir die Anziehungskraft dieser demokratischen Gesellschaft stärken? Ich meine: ja; und zwar auch durch rationale Diskussion und Information, auch durch Öffnung der früher vielfach eingeigelten organisierten Gruppen der Wirtschaft.
Rüdiger Altmann hat in seiner kürzlich erschienenen „Späten Nachricht vom Staat" die Wirtschaftspolitik des Jahres 1967 folgendermaßen beschrieben.
Er sagt wörtlich:
({0}) ... besaß die Regierung für die Politik ein Modell mit quantifizierten Zielvorstellungen, ziemlich exakten Methoden - ein Modell von hoher Technizität.
Ich widerspreche diesem, was Rüdiger Altmann sagt, nicht. Aber ich möchte den von mir kochgeschätzten Kritiker und den ständigen Teilnehmer an der Konzertierten Aktion folgendermaßen interpretieren: Jahreswirtschaftsbericht, Konzertierte Aktion, Globalsteuerung zur Sicherung und Vermehrung der Arbeitsplätze, das alles ist mehr als nur ein technischer Vorgang. Hier handelt es sich um Politik. Es handelt sich um Innenpolitik und auch um Außenpolitik; denken Sie nur an unsere hohen Außenüberschüsse. Es geht um Gesellschaftspolitik, und es geht um eine neue Dynamik in unserer Gesellschaft, die in den letzten Jahren allzu sehr dazu neigte, den verfestigten Gewohnheiten zu folgen.
Gewiß, der Jahreswirtschaftsbericht, in dem diese Politik sich niederschlägt, ist noch unvollkommen. Der Bericht ist vor allem ein Wagnis. Die Bundesregierung geht dieses Wagnis bewußt ein, das Risiko nämlich, die Glaubwürdigkeit ihrer Politik immer erneut im Laufe des Jahres beweisen zu müssen -eben durch Vergleich mit diesem Bericht. Aber Glaubwürdigkeit und Reformwillen sind doch wohl wesentlich für die Weiterentwicklung unserer Demokratie. Eine Gesellschaft ohne geistige Provokation und ohne Fortentwicklung muß zur Verkrustung und zur Versteinerung führen. Wir sind zwar noch am Anfang auf dem Weg zur mündigen Gesellschaft; aber ein Anfang ist doch gemacht. Und nochmals: das alles ist nicht nur Wirtschaft im engen technischfachlichen Sinn, sondern Politik.
An dieser geistigen und dieser sozialen Entwicklung hat der Sachverständigenrat, wie gesagt, großen Anteil. Es wäre sicherlich falsch, in der Tatsache, daß sich die Bundesregierung in ihrem Bericht nicht voll auf den Boden des vorgeschlagenen „Rahmenpaktes für Expansion und Stabilität" begeben hat, eine grundsätzliche Absage oder gar eine Resignation zu sehen. Es ist die Aufgabe der Sachverständigen, die Grenzen unseres Handelns kräftig nach vorn zu verlegen, wenn die traditionellen Dimensionen nicht mehr ausreichen. Nur durch den Mut, neue Denkansätze zu wagen, kann auf die Dauer unser politisches und gesellschaftliches Sein die notwendige Erneuerung erfahren. Daß die öffentliche Meinung zunächst zögert, diese weiteren Horizonte, die der Rat öffnet, zu erkennen, ist allein noch kein ausreichendes Gegenargument gegen die Richtigkeit solcher Aussagen.
Die praktische Politik selbst muß aber bei allen ihren aktuellen Entscheidungen von den ökonomischen und sozialen Gegebenheiten ausgehen. Gewiß, Realitäten müssen von der Politik geändert werden, wenn sie den Anforderungen der Zeit nicht mehr entsprechen. Eine Politik, die dabei jedoch die heutigen Gegebenheiten des politischen und gesellschaftlichen Spielraums nicht beachtet, müßte scheitern. Die schon angedeuteten Stellungnahmen der organisierten Gruppen zum Zielmodell des Sachverständigenrats haben klar gezeigt, daß der dort gewiesene Weg eines umfassenden und detaillierten Rahmenpaktes unter den gegebenen Verhältnissen zu hohe Anforderungen an die gesellschaftlichen Kräfte stellt. Dies haben wir in Ziffer 9 des Ihnen vorliegenden Jahreswirtschaftsberichts zum Ausdruck gebracht.
Meine Damen und Herren, damit sind jedoch die letzten Ziele des Sachverständigenrates und des Gutachtens selbst nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil: die Richtung des Sachverständigengutachtens stimmt. Es kommt nur auf das Ausmaß an. Wir sind dabei allerdings der Überzeugung, der Dialog in der Konzertierten Aktion und in dem Konjunkturrat für die öffentliche Hand dürfte gegenwärtig der richtige, der pragmatische Weg sein, der angemessener ist, als heute und hier Vereinbarungen in Form eines festen Rahmenpaktes für zwei Jahre einzugehen, wie der Rat es vorschlägt.
Die einkommenspolitische Flanke unserer ganzen Politik kann jedoch nur dann gesichert werden, wenn die an der Wirtschaftspolitik Beteiligten zu diesem ständigen Gespräch über alle relevanten I Bereiche bereit sind. Entscheidungsfreiheit und Führungsanspruch von Parlament und Regierung - das möchte ich besonders betonen - werden damit nicht eingeengt. Es ist nützlich, wenn die organisierten Gruppen der Gesellschaft und der Wirtschaft ihre Argumente vor der endgültigen Beschlußfassung durch das Parlament sagen. Wenn, wie schon angedeutet, die Gewerkschaften und die Unternehmerverbände in der Zielrichtung ihrer Stellungnahmen weitgehend übereinstimmen, so hat das nichts damit zu tun, daß da bloße Interessentengruppen im einfachen Nehmen eben einig seien. Nein, mancher Kritiker der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände vergißt, daß diese Gruppen es sich bei ihren Stellungnahmen, bei ihrem Urteil sehr schwergemacht haben. Mancher Kritiker vergißt auch, daß gerade infolge der Konzertierten Aktion die soziale Landschaft heute an vielen Stellen nicht mehr die gleichen Fronten aufweist wie früher.
Meine Damen und Herren, das alles bedeutet kein Überkleistern der Konflikte und kein illusionäres Harmoniedenken. Die Vorstellung, es könnte jemals eine vollkommene Übereinstimmung der Einzelinteressen geben, ist sicher eine Utopie, und dazu noch nicht einmal eine besonders schöne. Es gehört aber zu den erfreulichen Erfahrungen des letzten Jahres, daß die Felder für soziale Konflikte durch rationale Information praktisch durchaus gegenseitig erkennbar und damit eingrenzbar wurden. Die organisierten Gruppen - Unternehmerverbände, Gewerkschaften - gehören in unsere
freiheitliche Gesellschaft. Wir bejahen ihre Existenz. Wer ohne diese Gruppen Politik treiben will, meine Damen und Herren, der scheitert in seiner Politik. Mit der Konzertierten Aktion haben wir eine flexible Methode gefunden, diesen autonomen Gruppen eine Mitwirkung an der Vorbereitung der Wirtschaftspolitik zu ermöglichen. Die politische Entscheidung selbst liegt dann bei Parlament und Regierung.
Seitdem die Bundesregierung Anfang vorigen Jahres erstmals eine gesamtwirtschaftliche Jahresprojektion vorlegte, hat die öffentliche Diskussion auch hier zu abgeklärteren Urteilen geführt. Als unbefangenen Zeugen möchte ich die „Neue Zürcher Zeitung" zitieren: Sie spricht in ihrer Ausgabe vom 8. Februar 1968 von einer zunehmend positiven Grundeinstellung der Wirtschaft zu den Projektionen, während sie gleichzeitig hinter der Ablehnung auf verschiedenen Seiten oft auch noch - wie es wörtlich heißt - „verbohrten Doktrinarismus" vermutet. Wie gesagt, dies ist eine konservative Stimme und positive Stimme zu diesen Entwicklungen in Deutschland aus der Schweiz.
Meine Damen und Herren, hinter der Zielprojektion steht der politische Wille der Regierung, ohne daß dabei diese Projektionen bindende Leitlinien wären, die nun auf Biegen oder Brechen, etwa auf Kosten der Stabilität, erreicht, verwirklicht werden müssen. Projektionen enthalten für die Wirtschaft Informations- und Orientierungsdaten. Sie sind sozusagen Verkehrsschilder mit Richtungsanzeigern und Kilometerangaben; Kurs und Tempo für seine eigene Fahrt muß sich dabei jeder Verkehrsteilnehmer selbst aussuchen.
Die Jahresprojektion 1968 der Bundesregierung nennt als Ziel des Wachstums des realen Bruttosozialprodukts die Zahl von 4 %. Dabei ist unterstellt, daß der Höhepunkt des Aufschwungs erst im Jahre 1969 voll erreicht wird. Sicherlich wird das Wachstum im Jahre 1969 höher werden als im Jahre 1968. Wir brauchen dieses höhere Wachstum auch, wenn wir die in der EWG und in der OECD gemeinsam angestrebten Ziele für die mittelfristige Entwicklung erfüllen wollen. Wir müssen bald den optimalen Wachstumspfad unserer Volkswirtschaft erreichen. Mit dem Rückgang des Sozialproduktes im Jahre 1967 bedeuten die vier Prozent für 1968 nur eine Wachstumsrate von 3,5 % für den Zeitraum von zwei Jahren, 1968/67. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß dies, meine Damen und Herren, gemessen an unserem Wachtumspotential, gemessen auch an den vorgeschriebenen Zielen des Stabilitätsund Wachstumsgesetzes, und nicht zuletzt gemessen an der internationalen Entwicklung, äußerst maßvoll ist. Es geht hierbei nicht einfach um globale Wachstumsprozente.
Aber wir sollten doch nicht einfach zusehen, wenn unsere internationale wirtschaftliche Position durch ein Zurückbleiben hinter dem Wachstumstempo anderer Länder geschwächt wird. Zurückbleiben im Wachstum heißt: Zurückbleiben im technischen und wirtschaftlichen Fortschritt. Wer dauernd von der sogenannten technologischen Lücke zwischen
Deutschland und Amerika etwa redet, der muß auch die politischen Konsequenzen wagen.
In der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 hat diese Bundesregierung mit Nachdruck betont, daß es das Ziel der Wirtschaftspolitik sein müsse, die von unserem Volk hart erarbeitete Stellung als große Industrie- und Handelsnation zu bewahren. In den letzten Jahren haben sich jedoch in der internationalen „Rangliste" Veränderungen ergeben, die wir beachten sollten. Gemessen an dem Bruttosozialprodukt je Einwohner sind wir von der fünften auf die sechste Position zurückgefallen und haben Frankreich damit den Platz geräumt. Und im Außenhandelsvolumen je Einwohner haben wir ebenfalls mit Frankreich den dritten gegen den vierten Platz eingetauscht.
Fassen wir also zusammen: Erstens. Man beklagt bei uns sehr oft die „technologische Lücke" und auch die wachsende „Überfremdung". Die Antwort darauf kann nur lauten: Wir müssen eine ökonomisch-technologische Vorwärtsstrategie entwickeln und praktizieren, und dazu gehört auch ein auf Expansion und Stabilität gerichteter Kurs der Konjunkturpolitik.
Zweitens. In der EWG und in der OECD, insbesondere in den USA und in Großbritannien, wartet man auf eine eindeutige, nachdrückliche Wachstumspolitik der Bundesrepublik; denn wir sind doch das Land, das bei seinen außenwirtschaftlichen Überschüssen geradezu verpflichtet ist, seine Binnennachfrage auszudehnen. Immer deutlicher stellt sich uns die Frage: Wie lange ist das Ausland noch bereit, unsere Überschüsse in der jetzigen Höhe ohne Gegenmaßnahmen hinzunehmen?
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Wir sollten das auch und gerade im Hinblick auf die Diskussion in den USA und die Maßnahmen in Großbritannien bedenken. Es geht demnach bei der Konjunkturpolitik, meine Damen und Herren, auch um die wirtschaftliche Position dieses Landes, der Bundesrepublik in der Welt. Es geht auch um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Für „Wachstumsverdrossene" sei hier an einige für 1968 prognostizierte oder projektierte reale Zuwachsraten anderer Länder erinnert: Japan plus 9%, USA plus 4,5 %, Italien plus 5,0%, Frankreich plus 4,5'0/o. Wenn unsere Partner in Brüssel etwa bei den Arbeiten zur mittelfristigen Wirtschaftspolitik darauf hinweisen, daß eine Zuwachsrate von 4 % im Jahre 1968 noch keine ausreichende Beschleunigung unseres Wachstums darstelle, um die Rückstände aus der Rezession abzubauen, so sollten wir auch das berücksichtigen.
Die Bundesregierung hat sich nach sorgfältiger Abwägung aller Faktoren für den Ansatz von 4 % für 1968 entschieden. Diese Entscheidung ist kein Zeichen jener manchmal draußen noch vorhandenen Wachstumsverdrossenheit. Aber der Ansatz von 411/4 nimmt erklärtermaßen Rücksicht auf den der, zeitigen Zustand unseres gesellschaftlichen Seins.
Wir dürfen außerdem - und das ist der dritte Faktor dabei - nicht die ökonomischen Risiken übersehen.
Die Dezemberzahlen bei den Auftragseingängen, den Einzelhandelsumsätzen und der Industrieproduktion zeigen ein sehr erfreuliches Bild. In den Ergebnissen des letzten Vierteljahres von 1967 zeigte sich zugleich die Wirkung der steuerlichen Sonderabschreibungen bis zum 31. Oktober und vor allem die Wirkung des zweiten Konjunktur- und Strukturprogramms der Bundesregierung. Von diesem zweiten Programm mit einem Gesamtvolumen von rund 8 Milliarden DM - bei Berücksichtigung der Multiplikatorwirkung der Zinssubventionen - waren am Jahresende 4,7 Milliarden an Aufträgen vergeben. Heute sind das bereits über 6 Milliarden. Wir vertrauen jetzt und für die Zukunft auf die auslaufenden Wirkungen dieses zweiten Konjunkturprogramms und auf die selbständigen Aufschwungkräfte in der Wirtschaft.
Für die unternehmerischen Anlageninvestitionen nehmen wir für dieses Jahr eine Zuwachsrate von rund 7 bis 31/2 %, gegenüber einem Rückgang von gut 14% im Jahre 1967, an. Meine Damen und Herren, ich möchte besonders betonen, dieser Jahreswirtschaftsbericht ist also von einem hohen Vertrauen in die spontane Investitionsbereitschaft der privaten Unternehmerwirtschaft erfüllt.
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Wir alle wissen, daß die Prognosen der wissenschaftlichen Institute für das Jahr 1968 weit auseinandergehen. Natürlich gibt es für das Jahr 1968 auch eine Reihe von Unsicherheiten:
1. Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit treten in diesen Monaten wieder deutlicher hervor. Es sind zwar vor allem saisonale Erscheinungen, aber wir sind doch mit einem hohen konjunkturellen Sockel an Arbeitslosigkeit in diesen Winter hineingegangen.
2. Wie stark werden bei uns die kontraktiven Effekte der US-Zahlungsbilanzpolitik sowie der englischen und der übrigen Abwertungen im Ergebnis sein?
3. Werden Länder und Gemeinden die Investitionen in dem notwendigen Ausmaß steigern? Gerade hier haben wir - bei der unterstellten Steigerungsrate der öffentlichen Anlageinvestitionen - einen kritischen Punkt, der politisch beurteilt und abgesichert werden muß. Wer also unsere Bemühungen heute, in der Vergangenheit und in der Zukunft als Konjunkturgeschwätz abtut, der sollte gleich doch sagen, daß er ein Laissez-faire-System will, also in den Tag hinein zu leben beabsichtigt.
So haben wir in der Bundesregierung - im bewußten Gegensatz zu dieser Meinung - einige sichernde Pflöcke für die Konjunkturentwicklung 1968 schon jetzt eingeschlagen:
1. Der Strukturplan Ruhr/Saar - durch die Investitionsprämie und zinsgünstige Kredite kann dabei eine Verbilligung der Investitionen von 15 % erreicht werden - wird in einem Jahr rund 1,5 Milliarden DM zusätzliche Investitionen - und zwar
allein für industrielle Investitionen - für neue Arbeitsplätze an Ruhr und Saar mobilisieren. Das ist in Ziffer 63 des Berichts dargelegt.
2. Im Bereich der Infrastruktur an Ruhr und Saar werden zunächst eine halbe Milliarde DM Ausgaben durch Zinssubventionen und Kapitalzuschüsse ermöglicht. Das steht ebenfalls in Ziffer 63 des Berichts.
3. Die vorgesehenen 250 Millionen DM neuer zinsgünstiger ERP-Darlehen für die Gemeinden in Strukturgebieten sind ebenfalls wichtige Konjunkturstützen. Das ist in Ziffer 49 des Berichts dargelegt.
Entscheidend wird hier allerdings sein, ob sich auch in den Ländern und Gemeinden der notwendige politische Wille durchsetzt. Sollte er dort erlahmen, so sind wir verpflichtet, dafür zu sorgen, daß der Verfassungsauftrag des neuen Art. 109 des Grundgesetzes und die Vorschriften des § 16 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes von Bund, Ländern und Gemeinden in gemeinsamen Anstrengungen erfüllt werden.
Das alles sind natürlich noch politische Gestaltungsmöglichkeiten. Diese Gestaltungsmöglichkeiten können nicht einfach durch eine Zielprojektion vorweggenommen werden. Bei einem vierprozentigen Wachstum sind wir von den vorgeschriebenen Zielen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes sicherlich noch erheblich entfernt. Aber wir sind auf dem Wege dahin. Das Prinzip der „Allmählichkeit", das vom Sachverständigenrat für die Stabilisierung aus der Überhitzung vorgeschlagen worden war, hat auch im Aufschwung seinen guten Sinn. Sollten uns die Aufschwungkräfte in diesem Jahr ein größeres Wachstum bringen, so wird die Bundesregierung gewiß nicht intervenieren, es sei denn, daß Gefahren für die Stabilität drohen. Das ist in Ziffer 52 des Berichtes klar ausgedrückt.
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Der Übergang zur Zollunion im gewerblichen Bereich innerhalb der EWG ist übrigens auch ein Beitrag zur Stabilität, und zwar gerade an dem aus anderem Grunde so kritischen 1. Juli 1968.
Außerdem werden wir durch eine Wettbewerbspolitik, die den funktionsfähigen Wettbewerb fördert, die erreichte Stabilität absichern. Darüber ist in Ziffer 55 des Berichtes einiges ausgeführt.
Aber nun zum umgekehrten Fall. Ein Zurückbleiben des Wachstums hinter 4 % wäre allerdings das Signal für neue konjunkturpolitische Aktivitäten, die dann später jedoch für die Wirtschaftspolitik, für die Finanzpolitik und für die Geldpolitik in jedem denkbaren Sinn teurer werden würden. Wir haben ja im letzten Jahr alle zusammen erfahren, daß das Zögern immer bedeutet, daß man später dann mehr machen muß und daß es teurer wird. Wir von der Bundesregierung sehnen diese Situation, im Jahre 1968 konjunkturpolitisch erneut aktiv werden zu müssen, weiß Gott nicht herbei. Im Bericht wird aber dargelegt, daß ein Unterschreiten der Wachstumsrate sehr nachteilige Folgen hätte. Sollte eine erneute Abschwächung der Investitionen es erforder8038
lieh machen, so werden wir nicht zögern, die Wirtschaft durch weitere gezielte Maßnahmen stabilitätskonform zu beleben. So ist es ja in Ziffer 50 ausgeführt.
Wir werden deswegen im engen Kontakt mit unseren europäischen und amerikanischen Partnern, die an der deutschen Entwicklung aus naheliegenden Gründen ganz außerordentlich interessiert sind, die Entwicklung in den nächsten Monaten sehr sorgfältig beobachten. Die währungs- und zahlungsbilanzpolitischen Maßnahmen Großbritanniens und er USA sind, wie gesagt, neue und in ihren Ausmaßen noch nicht genau kalkulierbare Daten. Ich hoffe sehr, daß die- verbesserte Produktivität und die deutlich verbesserten Geschäftserwartungen und -dispositionen der deutschen Wirtschaft diese Unsicherheiten rasch überwinden helfen. Aber dafür sind sicher harte Anstrengungen aller notwendig. Die westdeutsche Wirtschaft sollte dabei ihre Chancen nicht nur im Export, sondern auch im innerdeutschen Handel sehen. Wir haben gerade in diesem Bereich 1967 eine Reihe von alten Hindernissen weggeräumt. Auch da ist unsere Wirtschaft nun selbst am Zuge.
Meine Damen und Herren! Die Wirtschaftsentwicklung im Jahre 1968 wird nicht zuletzt von der Entwicklung der Masseneinkommen bestimmt. Löhne sind nun einmal kosten- und nachfragewirksam. Außerdem stellen sie ein entscheidendes Element in der Verteilung unserer nationalen Dividende dar. Für die Tariflöhne nennt der Bericht eine mögliche Zuwachsrate - auf Stundenbasis - von 4 bis 5 % im Jahre 1968. Dies ist ein gesamtwirtschaftliches Orientierungsdatum, keine Lohnleitlinie für Einzelentscheidungen. Die Tarifautonomie bleibt völlig ungeschmälert. Darüber kann es in einer freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung überhaupt keine Diskussion geben. In der Konzertierten Aktion werden alle diese Orientierungsdaten noch in diesem Monat, nachdem das Parlament votiert hat, auf den Tisch gelegt. Die Beteiligten haben gemäß § 3 Abs. 2 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes den Bundesminister für Wirtschaft gebeten, diese Orientierungsdaten zu erläutern. Dabei wird auch die asymetrische Optik in der Entwicklung von Unternehmereinkommen und Löhnen für das Jahr 1968 zur Sprache kommen.
Der Anstieg der Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen im Jahre 1968, meine Damen und Herren, ist die natürliche Begleiterscheinung und die Voraussetzung der ersten Aufschwungphase. In der hinter uns liegenden Rezession sind die Einkommen aus Unternehmertätigkeit stark ins Minus gegangen. Während das Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit in den Jahren 1965 bis 1967 noch um etwa 71/2 % gestiegen ist, ging das Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen im gleichen Zeitraum um 21/2 % zurück. Die Unternehmereinkommen müssen jetzt zunächst wieder ansteigen, um die Investitionsneigung zu stärken, damit die Vollbeschäftigung bald wieder gewonnen werden kann. Unternehmereinkommen und Gewinnentwicklung sind äußerst konjunkturreagible Größen.
Demgegebenüber haben die Löhne ein größeres Maß an Stabilität. Durch die Konzertierte Aktion wird diese Stetigkeit noch zunehmen. So hat die Rezession im vergangenen Jahr bei den Löhnen zwar zu einer Minderung der Zuwachsraten - effektive Lohnsteigerung je Beschäftigten 1967 immer noch etwa plus 3 % -, nicht aber zu einem absoluten Rückgang geführt. Die Konzertierte Aktion, meine Damen und Herren, hat mit dem einstimmigen Beschluß vom Frühjahr dieses Jahres, der da lautete: „Keine negative Lohnpolitik!", hier ihre positive Wirkung zweifellos getan.
Dabei muß auch bemerkt werden: Erstens. Die Gewerkschaften haben in einem hohen Maße Verständnis für die gesamtwirtschaftliche Lage aufgebracht. Sie haben sich nicht gegen die Notwendigkeit einer im Aufschwung wachsenden Selbstfinanzierung der Unternehmungen gewehrt. Zweitens. Die Unternehmer haben erkannt, daß in der Rezession eine Lohnsenkung die Talfahrt nur noch verschärfen würde.
Wir können uns aber für 1968 die manchmal draußen immer noch geforderte Lohnpause auf keinen Fall erlauben. Ohne eine ausreichende Nachfrageentwicklung - und dazu ist ein Anstieg der Tariflöhne von 4 bis 5% Voraussetzung - würden die Auftriebskräfte des Aufschwungs bald erstickt werden. Im übrigen sind wir uns wohl alle einig: in diesem Aufschwung, in dessen erster Phase wir stehen, muß eine Wiederholung der unseligen Preis-Lohn-PreisSpirale unter allen Umständen vermieden werden.
Bei der Einkommens- und Vermögenspolitik geht es immer auch und zugleich um Verteilungsfragen. Wir wollen nicht den Prozeß allzu einseitiger Vermögensbildung der 50er Jahre wiederholen. An der wachsenden Sachvermögensbildung des Staates und der privaten Wirtschaft müssen in Zukunft auch die Bezieher abhängiger, also kontaktbestimmter Einkommen stärker beteiligt werden. Die Bundesregierung hat in dem Bericht die Ausgabe eines nicht mit einem Kursrisiko behafteten Sparbriefes der öffentlichen Hand angekündigt. Dieser Sparbrief muß Teil eines vermögenspolitischen Gesamtkonzeptes sein. Deswegen werden jetzt auch andere Möglichkeiten geprüft und mit den Tarifvertragsparteien in der Konzertierten Aktion in einer Sonderarbeitsgruppe beraten.
Meine Damen und Herren, das Thema breit gestreute Vermögensbildung wird in ,dieser Bundesregierung und in der Konzertierten Aktion nicht ad acta gelegt. Aufschwung nach Maß: das bedeutet auch einen Schritt hin zur sozialen Symmetrie in der Vermögensbildung.
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Vermögensbildung, meine Damen und Herren, das ist nicht allein ein Thema zwischen Unternehmern und Gewerkschaften. Die Vermögensbildung des Staates gehört in diese Gesamtbetrachtung. Unsere auf Wachstum angewiesene Wirtschaft kann sich die überaus hohe Selbstfinanzierung der öffentlichen Vermögensbildung vornehmlich aus Steuereinnahmen auf die Dauer nicht leisten.
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Der Sachverständigenrat hat gerade zu diesem Thema der stärkeren Finanzierung der öffentlichen Investitionen, also der Gemeinschaftsaufgaben oder der Sozialinvestitionen, aus langfristigem öffentlichem Kredit einiges gesagt, das zu beherzigen ist.
Bei den strukturpolitischen Aufgaben des Jahres 1968 stehen die Energiepolitik und die Sanierung der Bergbaugebiete im Vordergrund. Die im Jahreswirtschaftsbericht veröffentlichten, in der Anlage beigegebenen Alternativrechnungen über die Absatzaussichten auf dem deutschen Energiemarkt, insbesondere für die deutsche Steinkohle, sind keine Förderrichtzahlen, keine politischen Absatzgarantien. Sie sind Orientierungsdaten für strukturpolitische Entscheidungen. Wir wollen nicht auf diesem Wege in eine Planification en detail abrutschen.
Bei einer Steinkohlenförderung von 112 Millionen t im Jahre 1967 haben wir beim Steinkohlenabsatz desselben Jahres mit 114,7 Millionen t ein erfreuliches Ergebnis erreicht. Die Halden sind etwas zurückgegangen. Die absatzstabilisierenden Maßnahmen zugunsten der deutschen Steinkohle - zusätzliche Verstromung, Kokskohlenhilfe, Selbstbeschränkung für Mineralöl - haben hier deutlich ihre Wirkung gezeigt. Damit ist es gelungen, seit Herbst vorigen Jahres den „Sturzflug" in der Kohlenwirtschaft in einen „Gleitflug zur Stabilisierung" überzuleiten. Dieser Erfolg des Jahres 1967 sollte nicht verkleinert werden. Aber dieser Erfolg sollte auch niemanden dazu verleiten, die Strukturkrise bei der Kohle nun als überwunden anzusehen. Wir dürfen und können die Dinge hier nicht treiben lassen. In der Vergangenheit ist das bei temporären Erleichterungen in der Kohlenwirtschaft oft genug geschehen. In Bälde würden wir dann doch allesamt erneut zur Kasse gebeten werden. Es kommt also vielmehr darauf an, gerade in der ersten Phase eines allgemeinen Aufschwungs das Programm für die Anpassung und die Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus konsequent fortzusetzen.
Wir stehen in diesen Wochen gerade in diesem Bereich vor wichtigen Entscheidungen. Der Gesamtsozialplan und das Strukturprogramm Ruhr/Saar liegen den zutständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages bereits vor. Die Verhandlungen über eine freiwillige neue Ordnung des Ruhrbergbaus sind jetzt, wie Sie alle wissen, in eine kritische Phase gekommen. Die Bundesregierung hat in der Energiedebatte am 8. November vorigen Jahres erklärt, daß sie einer freiwilligen Gesamtgesellschaft im Ruhrbergbau den Vorzug gibt, weil eine solche Lösung schneller funktionsfähig werden kann und weil sie unserer Wirtschaftsordnung besser entspricht. Die Beratungen über eine derartige freiwillige Lösung sind intensiv geführt worden. Die Eigentümerseite hat die Gründung einer Gesamtgesellschaft vorgeschlagen, die sofort das gesamte Bergbauvermögen an der Ruhr mit Aktiven und Passiven durch Kauf übertragen erhalten sollte.
Der Stand der Dinge ist folgendermaßen:
Erstens. Die von der öffentlichen Hand erwartete Bürgschaft muß - das sagte ich schon am 8. November - plafondiert sein. Sie soll sich vornehmlich auf den Kaufpreis von 2,1 Milliarden DM plus übernommene Fremdverbindlichkeiten von rund 1,2 Milliarden DM erstrecken. Das ergäbe eine Gesamtbürgschaft von 3,3 Milliarden DM. Hiervon würden dann 2,2 Milliarden DM auf eine Bundesbürgschaft und 1,1 Milliarden DM auf eine Bürgschaft des Landes Nordrhein-Westfalen entfallen. An Stelle der ursprünglich geforderten Zinsgarantie wird über andere Erleichterungen noch verhandelt.
Zweitens. Der Vertrag mit der Zechenkraftwirtschaft muß die Kohle so stellen, als ob die Kraftwirtschaft im Eigentum des Bergbaus verbleiben würde. Der Vertrag mit der Stahlindustrie muß einen echten Ersatz für die bisherigen Verbundlieferungen schaffen.
Drittens. Die sozial äußerst wichtige Frage der Wohnungswirtschaft für die Bergarbeiter muß zufriedenstellend gelöst werden..
Viertens. Ein großer Vorzug einer solchen freiwilligen Gesamtlösung läge in der Möglichkeit, ein zusätzliches Investitionsvolumen von rund 2 Milliarden DM durch das private Bankensystem vorzufinanzieren. Diese Summe von 2 Milliarden DM stünde dann sehr schnell allein für die Ansiedlung neuer Industrien an Ruhr und Saar zur Verfügung.
Wie Sie wissen, sind die Verhandlungen über diesen Komplex nicht abgeschlossen. Sie wissen, daß die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie sich auf der Grundlage der bisherigen Verhandlungsergebnisse - insbesondere im Hinblick auf die Wohnungswirtschaft, die Grundstücke, die Kraftwirtschaft und die Mitbestimmung - nicht zu einer positiven Stellungnahme entscheiden konnte.
Erfreulich ist, daß die Bergarbeitergewerkschaft den am 8. November vorigen Jahres von der Bundesregierung in diesem Hohen Hause eingebrachten Entwurf eines „Gesetzes zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete" erklärtermaßen voll unterstützt.
Die 'Einzelheiten ,dieser Angelegenheit habe ich vor wenigen Tagen dem Wirtschaftsausschuß dieses Hohen Hauses berichtet. Ich habe dabei auch vorgeschlagen, daß der Bundestag sich durch die zähen Verhandlungen über eine private Neuordnung nicht gehindert fühlen sollte, die Beratungen des Kohlegesundungsgesetzes zügig fortzusetzen und abzuschließen. Ich bin erfreut, daß der Wirtschaftsausschuß bereit ist, dem Plenum bald vorzuschlagen, das Gesetz zu verabschieden und damit ein Machtwort zu sprechen. Es liegt im Ausschuß ein Vorschlag vor, der die Schaffung einer freiwlilligen Gesamtgesellschaft, aber auch die Fusion zu mehreren optimalen Unternehmenseinheiten erlaubt und damit eine baldige Lösung möglich macht. Denn, meine Damen und Herren, wir wissen es alle: die Bevölkerung an Ruhr und Saar hat ein Anrecht auf schnelle Entscheidungen. Sie braucht die reine Klarheit und die reine Wahrheit. Das alles ist auch notwendig, um die Strukturpläne voranzubringen. Ansiedlungswillige Industrien im Ruhrgebiet und an der Saar müssen wissen, mit welchen Vergünstigungen sie
rechnen können. Jeder verlorene Tag verzögert die Sanierung.
Meine Damen und Herren, Sie sehen - damit will ich zum Abschluß kommen -: die Wirtschaftspolitik hat mit ,der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichtes zwar ihre Ausgangspositionen fixieren können, aber die Arbeit dieses Jahres ist damit natürlich nicht getan. Die politischen Entscheidungen stellen sich täglich neu. Der Bericht hat den gesamtwirtschaftlichen Rahmen und die Grundlinien der von der Bundesregierung konzipierten Politik dargelegt. Der Plan hat keine Vollzugsverbindlichkeit etwa für die Wirtschaft. Er ist kein Volkswirtschaftsplan. Wir leben in einer freiheitlichen Gesellschaft. Ihre Mitglieder und Gruppen entscheiden selbst durch ihr Handeln und Tun über das endgültige Ergebnis dieses Jahres 1968. Die Bundesregierung wird im nächsten Jahresbericht die Abschlußbilanz dieses Jahres geben und auch die volkswirtschaftliche Gewinn- und Verlustrechnung vorlegen.
Der erste Jahreswirtschaftsbericht ist ein Anfang und ein Übergang zugleich, genauso wie die mittelfristige Finanzplanung vom Sommer 1967, die wir nach den Vorschriften des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes demnächst fortzuführen und anzupassen haben. Wir werden auch das Instrument des Jahreswirtschaftsberichts weiter entwickeln und vervollkommnen müssen.
Bei allen diesen schwierigen Schritten in neues politisches Terrain können wir uns aber mit Keynes trösten, von dem das Wort stammt:
Die Hälfte der Schulbuchweisheit unserer Staatsmänner beruht auf Annahmen, die zu einer Zeit einmal wahr oder halbwahr gewesen sind, nun aber von Tag zu Tag immer weniger wahr werden. Wir müssen für ein neues Zeitalter neue Weisheiten erfinden. Und in der Zwischenzeit müssen wir, wenn wir irgend etwas Gutes tun wollen, unorthodox erscheinen, störend, gefährlich und ungehorsam gegenüber denen, die uns zeugten.
Meine Damen und Herren, wer von diesen Worten schockiert ist, möge bedenken: John Maynard Keynes war ein Liberaler, allerdings einer, der den Liberalismus sehr konsequent zu Ende gedacht hat. Sein Resultat war wörtlich das „Ende des Laissez-faire", wie eine Schrift von ihm hieß. Dieses Ende des Laissez-faire hat längst stattgefunden. Uns ist aufgegeben, nicht dabei stehenzubleiben, sondern in unserer gemeinsamen Aktivität die Kombination von Globalsteuerung, Marktwirtschaft und Gesellschaftspolitik voranzutreiben.
Die bisherigen wirtschaftlichen Ergebnisse der zweiten Jahreshälfte von 1967 ermutigen uns dazu. Mit jener Kombination haben wir den Aufschwung dieses Jahres 1968 vorbereitet. Dieser Aufschwung wird nun auch von sehr konservativen Stellen prophezeit. Er wird sogar von ihnen bejaht, weil keine Gefahr für die Stabilität unseres Preisniveaus und unserer Währung zu sehen ist. Die Konjunkturwende ist anerkanntermaßen im letzten Jahr eingetreten. Wir sollten in diesem Hohen Hause alle gemeinsam daran mitwirken, daß in diesem Jahr das
Leitmotiv „Expansion und Stabilität" sich stetig und ungebrochen erfüllt.
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Das Haus hat die Erklärung der Bundesregierung entgegengenommen.
Das Wort zur Begründung des Antrages der Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Dr. Staratzke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, der Ihnen auf Drucksache V/2471 vorliegt, ist richtigerweise in die Beratungen über das Jahresgutachten 1967 und den Jahreswirtschaftsbericht 1968 der Bundesregierung einbezogen worden. Er gehört genau dorthin. Es ist meine Aufgabe, diesen Antrag zu begründen. Das bedeutet natürlich, daß ich im Zusammenhang damit einige grundsätzliche Ausführungen mache. Das erspart dann aber eine gesonderte Rede zu dem Jahresgutachten.
Die Beurteilung der Konjunkturlage, vor allen Dingen aber die Beurteilung der in die Zukunft wirkenden Faktoren zeigt auch heute noch nicht allgemein ein günstiges Bild. Das zeigen bis zur Stunde die unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Berichte der Institute, des Ministeriums, der Bundesbank, der Organisationen der Wirtschaft allenthalben und die Berichte über den Arbeitsmarkt. Das möchte ich hier sagen, ohne in den Verdacht zu kommen, der Schwarzmalergilde anzugehören. Das liegt mir fern. Ich muß aber - und ich meine, das ist unsere Aufgabe - die Dinge realistisch sehen. Ich würde sagen, daß man, ganz vorsichtig ausgedrückt, vielleicht so formulieren könnte: Die Auswirkungen der bisher getroffenen Maßnahmen lassen noch kein verantwortbares Urteil sowohl über die Breitenwirkung wie auch über die Dauerhaftigkeit der unmittelbar vor uns liegenden Entwicklung zu. Sie kennen alle die Prognosen, die gestellt worden sind, z. B. die Prognosen der Sachverständigen, nach denen bekanntlich das Sozialprodukt real um 6,4% wachsen soll. Von der Bundesregierung wird hier sehr vorsichtig operiert. Die Bundesregierung setzt dieser Schätzung ihre eigene mit real 4 % entgegen.
Was ist nun richtig? Meine Damen und Herren, ich meine, zu einer realistischen Beurteilung dieser Prognosen, sowohl des Sachverständigenrates wie aber auch der Aussage der Bundesregierung, gehört zunächst einmal die Berücksichtigung der Ausgangslage. Die rauhe Wirklichkeit in bezug auf diese Ausgangslage sieht nämlich wie folgt aus: Das Bruttosozialprodukt hat sich 1967 gegenüber dem Vorjahr - in konstanten Preisen - erstmals in der Nachkriegszeit vermindert, und zwar um 0,5 %. Das Nettosozialprodukt nahm sogar um 1,2 % ab. Was für meine Begriffe als besonders bedenklich anzusehen ist, weil es nämlich die Zukunft belastet, ist, daß die Ausrüstungsinvestitionen in diesem Jahr 1967 gegenüber dem Vorjahr um 13 % zurückgegangen sind. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat soeben sogar eine Ziffer von 14 % genannt. Das ist die rauhe Wirklichkeit. Von diesem Tiefstand muß
man ausgehen, wenn man Überlegungen anstellen will, was nun noch zu tun ist, um ein wirkliches Anspringen dieser Konjunktur mit Dauerwirkung zu erreichen.
Ich muß noch einmal um ein Jahr in die Vergangenheit zurückgehen und mit aller Deutlichkeit erklären, daß zu diesem schlechten Ergebnis 1967 auch die widersprüchliche Politik der Bundesregierung beigetragen hat.
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Sie hat auf der einen Seite mit einer Reihe von konjunkturpolitischen Maßnahmen Gas gegeben und auf der anderen Seite scharf auf die Bremse getreten, um nicht zu sagen, die Bremse durchgetreten.
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Die Gegenläufigkeit der Maßnahmen, die ergriffen wurden, hat dieser Volkswirtschaft viel Geld gekostet. Hätte man der Konjunkturbelebung die Priorität gegeben, so wären wir wahrscheinlich heute auf breiter Basis im Aufschwung, und wir wären vor allen Dingen in einem sicheren Aufschwung, was man zur Zeit weiß Gott nicht sagen kann.
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- Das brauche ich nicht nachzulesen, Herr Kollege Matthöfer, das kenne ich auswendig. Ich darf Ihnen sagen, daß sie in dieser Beziehung nichts Gegensätzliches gesagt haben. Aber ich werde Ihnen im Verlaufe meiner Ausführungen noch einiges dazu sagen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in diesem Hause von Zielkonflikten gesprochen, und zwar insofern, als einmal die Frage der Konjunkturbelebung und andererseits die der Haushaltsdeckung zu beachten ist. Ich behaupte noch einmal: Hätte man den Mut gehabt, diesen konjunkturpolitischen Maßnahmen die Priorität zu geben, ohne gleichzeitig auf die Bremse zu treten, so wäre heute der Anreiz auch in der Privatwirtschaft vorhanden. Aber, meine Damen und Herren, die Einkommen- und Körperschaftsteuer erhöhen, Mehrwertsteuertarife für die nahe Zukunft erhöhen, die Investitionsteuer im Rahmen der Mehrwertsteuer zahlen lassen und über ein halbes Jahr zögern, die berühmten Altvorräte zu entlasten - um nur einiges zu nennen -, das sind eben konjunkturpolitische Vierradbremsen, die auch mit öffentlichen Aufträgen auf Kreditbasis nicht unbedingt kompensiert werden können. Außerdem ist - das ist meine persönliche Meinung - das erste Investitionsprogramm zu spät gekommen und es ist zu schwach und äußerst zögernd abgewickelt worden.
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- Ich habe erstens gesagt: das ist meine persönliche Meinung, Herr Kollege Ravens. Zweitens glaube ich daraus auch keinen Gegensatz entnehmen zu können. Ich meine, das ist - leider - äußerst zögernd abgewickelt worden. Dann wurde sofort ins Land trompetet, daß dieses Programm natürlich nicht ausreicht, um den rezessiven Trend aufzuhalten,
geschweige denn einen Aufschwung einzuleiten; das ist eine psychologische Frage, die man hier anmerken muß.
Dann kam mit weiterer Verzögerung die schwierige Geburt des zweiten Investitionsprogramms. Meine Damen und Herren, ich möchte es in aller Deutlichkeit sagen: es ist wirklich nicht verwunderlich, daß dieses öffentliche Galafeuerwerk auf dem entscheidenden privaten Sektor nicht überall eine positive Kettenreaktion auslöste.
Mir scheint es manchmal so zu sein, daß in der Diskussion über Wachstum, über Eventualhaushalt, über Defizitfinanzierung, über Staatsverschuldung und was es sonst noch an schönen Begriffen gibt, bei der amtlichen Wirtschaftspolitik der Blick dafür getrübt wird, daß es eben nicht gleichgültig ist, w e r hier investiert. Man kann eben nicht mit mehr öffentlichen Investitionen einen Ausfall privater Investitionen kompensieren. Hier gibt es einfach Unterschiede in der konjunkturpolitischen Wirkung.
Ich habe es in diesem Hause einmal so gesagt: Öffentliche Investitionen können, so notwendig sie sind, bestenfalls die Konjunktur abstützen helfen, jedoch niemals allein zu einem Wirtschaftsaufschwung führen. Hierzu gehören die Antriebskräfte der privaten oder privatwirtschaftlichen Investitionen. Oder drücken wir es anders aus: Private Investitionen tragen die Konjunktur und ermöglichen erst die Produktivitätsfortschritte, ohne die eben kein Wachstum denkbar ist.
Ich habe mir hierzu vom Ifo-Institut einige Zahlen geben lassen, die ich einmal nennen möchte. Wenn seit 1955 der Anteil der Industrieinvestitionen an den gesamten Bruttoanlageinvestitionen ständig zurückgegangen ist, nämlich von 28,5 % im Jahre 1955 auf 20% im Jahre 1966 - im Jahre 1967 dürfte dieser Anteil der Industrieinvestitionen an den gesamten Bruttoinvestitionen sogar unter 20% liegen -, so scheint mir das bedenklich zu sein.
Ich komme noch einmal auf die Zahl zurück, die von der Bundesregierung projektiert worden ist. Meines Erachtens ist eine Zunahme des Sozialprodukts um real 4 % unzureichend. Voraussetzung hierfür ist aber laut Bericht der Bundesregierung eine Steigerung der öffentlichen Investitionen um 13 % und der Investitionen der Unternehmen ohne Wohnungsbau um 7,5 %. Selbst diese Zuwachsrate, meine Damen und Herren, kommt eben nicht dadurch zustande, daß man nun die Unternehmen oder die Unternehmer mit dem Zuruf aufmuntert: Nun investiert mal schön.
Nein, unternehmerische Investitionsentscheidungen lassen sich nicht kommandieren. Sie hängen von Gewinnerwartungen, Finanzierungsmöglichkeiten und auch psychologischen Faktoren ab.
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- Na, selbstverständlich, Herr Kollege. Wovon sonst?
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Ich möchte zu den psychologischen Faktoren noch einiges sagen. Wer nun ständig von neuen Forde8042
rungen und Ankündigungen, z. B. Nachholbedarf an sozialer Symmetrie, Steuererhöhungen, Soziallastensteigerung, mehr Mitbestimmung usw., erschreckt wird, der ist wahrhaftig nicht um seine Aufgabe zu beneiden, langfristige Investitionsentscheidungen treffen zu müssen.
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- Das löst Unsicherheit aus, Herr Kollege; das löst Unruhe aus; das löst das bekannte Unbehagen aus. Aber ich möchte auf diese Dinge nicht weiter eingehen.
Ich möchte sagen, Herr Bundesfinanzminister, es ist Ihnen ganz sicher bekannt, daß 1 % mehr Sozialprodukt dem Bund rund 750 Millionen DM mehr an Steuern bringt - das wissen Sie -; diese Sozialproduktsteigerung läßt sich aber nun einmal nur durch Mehrinvestitionen schaffen. Das ist der Circulus vitiosus, der hier vorliegt. Dieser Circulus vitiosus hätte viel früher durch größere Anreize auf dem privatwirtschaftlichen Sektor aufgebrochen werden müssen.
Die Sachverständigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben hier eigene Vorstellungen zu einem volkswirtschaftlichen Rahmenplan entwickelt. Ich darf auf das Sachverständigengutachten verweisen; es ist in den Ziffern 312 bis 332 nachzulesen. Statt daß nun seitens der Bundesregierung hier kräftige Anstrengungen unternommen worden wären, diesen Rahmenplan zu verwirklichen, hat die Bundesregierung nach meiner Meinung zu früh resigniert mit dem Hinweis, dafür sei die Zeit noch nicht reif. Ich meine, diese vorzeitige Resignation kann uns einige Prozent Sozialprodukt oder die notwendige Stabilität dieses Aufschwungs kosten.
Ich komme nun zu dem Antrag. Meine Freunde und ich von der Fraktion der Freien Demokraten haben also in diesem Zusammenhang zu Beginn dieses Jahres - lesen Sie das Datum nach - einen Antrag eingereicht, der Ihnen vorliegt und der zum Inhalt hat, die Investitionssteuer doch noch zu senken oder alternativ von der Steuerprämie laut Stabilitätsgesetz Gebrauch zu machen
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oder die Ergänzungsabgabe auszusetzen.
Wir wissen, meine Damen und Herren, daß es in dieser Frage innerhalb der Großen Koalition schwere und harte Auseinandersetzungen gegeben hat - wir wissen das -, wobei dann der Plan des Herrn Bundeswirtschaftsministers schließlich reduziert und von allem entfernt worden ist, was man noch an Expansion oder an Auftrieb hätte vermuten können.
Wir wissen auch über den Canossagang des Herrn Bundeswirtschaftsministers zur Bundesbank nach Frankfurt. Aber ich weiß nicht, ob diesem Hause auch klar ist, daß sich die Investitionssteuer z. B. am Schluß des Produktionsganges beim Übergang in den Verbrauch mit einer Belastung von ungefähr 1 % auf den Warenwert auswirkt. Sie belastet eben über die Kalkulation die Preise. Daß diese Investitionsteuer eindeutig hemmend ist, wird niemand bestreiten können. Investitionshemmnisse aber haben nicht nur eine bremsende Wirkung, einen bremsenden Einfluß auf die Steigerung des Sozialprodukts, sondern auch auf den technischen Fortschritt und damit auf die Rationalisierung schlechthin. Technischer Fortschritt und Rationalisierung, meine Damen und Herren, sind in unserer dynamischen Wirtschaft aber das, was wir im Hinblick auf die Konkurrenz der großen Industrienationen der Welt dringend brauchen. Ich brauche daran nicht zu erinnern. Herr Minister Schiller hat heute hier darauf sehr eindringlich hingewiesen. Ich teile diese Auffassung.
Nun noch etwas. Eine Umfrage des Ifo-Instituts ergibt zu diesen Investitionen und ihren Auswirkungen folgendes. Der Rückgang allein der industriellen Investitionen betrug von 1966 auf 1967 11 %. Ein Rückgang um 11 %, bezogen auf die von der amtlichen Statistik für 1966 ermittelten Investitionen von rund 24,5 Milliarden DM, würde - und nun hören Sie genau zu - die gesamten Investitionen der Industrie 1967 wieder nahe auf den Stand von etwa 1962 bis 1964 herabdrücken. Da es sich hier aber um Bruttoinvestitionen handelt und die Abschreibungen entsprechend den in den Jahren 1965 und 1966 getätigten Investitionen gestiegen sind, dürften die Nettoinvestitionen 1967 sogar unter der Höhe von 1962 bis 1964 gelegen haben. Und das, meine Damen und Herren, trotz Sonderabschreibungen 1967!
Die Zunahme der Investitionen um 5 %, von der das Ifo-Institut spricht - der Herr Minister hat eben von 7,5% gesprochen -, von 1967 auf 1968 würde den Rückgang von 1966 auf 1967 nur knapp zur Hälfte ausgleichen.
Ich darf mir erlauben, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auf einen Artikel in der „Welt" von
gestern hinzuweisen, wo Herr Professor Giersch, der kein Unbekannter ist, der zu den Sachverständigen gehört, folgendes geschrieben hat, was ich Ihnen in diesem Zusammenhang nicht verheimlichen möchte:
Investitionen, die 1968 unterbleiben, stehen 1969 nicht als Kapazität zur Verfügung. Nachdem schon 1967 Investitionen vertagt worden sind, muß dies die Wachstumsrate des Produktionspotentials vermindern,
- jetzt kommt es und zwar gerade zu jener Zeit, in der nach dem Willen der Bundesregierung der konjunkturelle Aufschwung seinen Höhepunkt erreichen soll.
Und ein anderer Satz:
Wenig förderlich für die gemeinsame Sicherung von Stabilität und Wachstum war allerdings auch die uneingeschränkte Ablehnung jeglicher konjunkturanregender Maßnahmen durch den Bundesfinanzminister. Hätte er nicht eiligst „nein" gesagt, sondern „ja, aber", und zwar unter der Bedingung, daß sich die Tarifpartner zu einem stabilitätskonformen Lohnverhalten
verpflichten, so wären echte Verhandlungen vielleicht doch in Gang gekommen. So wie die Dinge heute liegen, kann jede Seite den Schwarzen Peter der anderen zuschieben.
Ich meine, schon aus diesem Grunde - dieses Loch von 1967, die Frage des technischen Fortschritts und was damit zusammenhängt - müßte etwas Entscheidendes geschehen, um diese Investitionen anzuregen, damit wir nicht in eine Stagnation oder gar in einen Rückschritt in der technischen Entwicklung und in der Rationalisierung unserer Wirtschaft kommen.
Ich sage noch einmal, die Wirtschaft hier aufzumuntern mit den Worten „Arbeitsplätze sichern", „Arbeitsplätze halten", „Nun investiert mal schön", wird bei diesen Belastungen nicht zu dem Erfolg führen, den wir alle so dringend erhoffen und den wir so dringend brauchen.
Noch ein Wort zu denjenigen - ich weiß ganz genau, daß das kommt -, die immer der Meinung sind, man müsse nun einmal Ruhe geben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nennen Sie das „Steuerruhe" oder nennen Sie das „Steuerfrieden", wenn sich seit anderthalb Jahren die Steuerwelle bewegt? Wir kennen es ja zur Genüge, sollten es aber immer noch mal optisch hier vorführen: Sektsteuererhöhung, Branntweinsteuererhöhung, Tabaksteuererhöhung, Ergänzungsabgabe, Mehrwertsteuererhöhung, Investitionsteuer, jetzt kommt die Beförderungsteuer, ja das Wort „Grundsteuererhöhung" ist schon im Munde. Das ist doch nicht „Steuerfriede" oder „Steuerruhe", wie es hier immer wieder gepredigt wird.
Es gibt auch eine ganze Reihe von Leuten, die sagen, man dürfe nicht den Attentismus fördern. Meinen Sie, eine heute schon bestehende degressive Investitionsteuerstaffel von 8 % im Jahre 1968 und 7 % im Jahre 1969 usw. usf. führe nicht zum Attentismus? Hier ist der Attentismus ja schon strukturell vorgegeben, und jeder, der jetzt nicht dringendst investieren muß, wird es sich ganz sicher überlegen, ob er dies bei den augenblicklichen Belastungen tun soll.
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Wenn wir anfingen - was man natürlich eigentlich tun müßte -, bei der Konjunkturbelebung auch noch sektoral zu differenzieren, müßte ich Ihnen, meine Damen und Herren, aus der Praxis sagen, daß in dieser Rezessionsphase in manchen kapitalintensiven Bereichen die Investitionen um 20 bis 30 % einfach zurückgestellt worden sind und daß der technische Fortschritt damit natürlich in ganz und gar unzulänglichem Maße realisiert worden ist. Ich würde es deshalb, selbst wenn rein konjunkturpolitisch keine Gründe mehr dafür sprächen, trotzdem für notwendig halten, hier eine befristete Investitionsförderung im Sinne der Aussetzung oder Ermäßigung der Investitionsteuer vorzusehen, schon allein damit der Anschluß an die frühere Entwicklung und an den Rationalisierungsstand der deutschen Wirtschaft wieder sichergestellt wird.
Ich möchte mich zunächst in der Begründung meines Antrags auf diesen Schwerpunkt beschränken und das Hohe Haus bitten, unserem Antrage zuzustimmen und ihn an den Wirtschaftsausschuß als federführenden Ausschuß zu überweisen. Ich will damit nicht zum Ausdruck bringen, daß wir auf der Federführung des Wirtschaftsausschusses bestehen. Ich glaube, die Frage ist noch nicht geklärt. Daran würden wir nicht unbedingt hängen.
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Die Aussprache zu Punkt 9 a, b und c der Tagesordnung wird verbunden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, den Bericht des Herrn Bundesministers für Wirtschaft zu ergänzen, auch nicht einen allgemeinen Beitrag zur Aussprache über den Jahreswirtschaftsbericht etwa vom Standpunkt der Finanzpolitik oder des Bundesministers der Finanzen aus hier zu leisten, sondern meine Absicht ist, zu dem letzten Antrag, den Kollege Staratzke vertreten hat - steuerliche Anreize für Investitionsbelebung -, ein kurzes Wort zu sagen.
Kollege Staratzke sagte, man müsse sich bemühen, die Dinge realistisch zu sehen. Ich stimme ihm darin völlig zu. Ich bitte ihn aber auch, der Bundesregierung im allgemeinen und mir persönlich abzunehmen, daß wir im letzten Jahr die Dinge sehr realistisch zu sehen uns bemüht haben.
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- Und dazu gezwungen waren; ich danke Ihnen sehr, Kollege Haas, für den Beitrag. Den Grund dafür möchte ich lieber nicht sagen.
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Es geht nicht darum, so im großväterlich-pädagogischen Stil zu sagen: Nun investiert mal schön! Sie haben diesen schönen Ausspruch aus dem Sprachschatz eines großen Parteifreundes von Ihnen entnommen, der bei einem Besuch bei der Bundeswehr sagte: „Nun siegt mal schön!" Im Abgesang der Zeiten ist daraus geworden: „Nun investiert mal schön!" So einfach kann man die Dinge nicht betrachten, Herr Kollege Staratzke. Ich gebe Ihnen auch recht, wenn Sie sagen, daß noch kein abschließendes Urteil möglich sei. Man muß sehr wohl mit wachsamem Auge die Entwicklung verfolgen. Man kann aber sehr wohl auch durch vorzeitiges Reden eine automatisch sich anbahnende Entwicklung zerreden.
({2})
Ich habe mich mehrmals, auch von diesem Platze aus, als Parlamentarier und Mitglied der Bundesregierung, gegen das törichte Gerede von der Inflation gewendet, in der uns befänden; denn wenn man schon gegen Inflation ist, soll man sie auch in der Phraseologie nicht anwenden. Allein die Anwendung des Wortes Inflation ist geeignet, Verhal8044
tensweisen zu erwecken, die ihrerseits ein unnatürliches Verhalten - sei es der Produzenten, sei es der Konsumenten - zwangsläufig heraufbeschwören. Ich erinnere gerade daran, Herr Kollege Staratzke, daß von maßgebender Seite Ihrer Fraktion und Partei mehrmals das verhängnisvolle Wort von der zweiten Währungsreform gebraucht worden ist, wofür überhaupt keinerlei Veranlassung bestand oder besteht, oder auch jüngst dasselbe noch einmal, daß die Steuererhöhungen - ich brauche nicht nochmals zu begründen, warum sie nötig waren - eine Art kleiner Währungsreform gewesen seien. Nichts dergleichen war oder ist der Fall. Ich gehe hier nur - ({3})
- Ich habe zufällig den Artikel gerade hier liegen, den mein sehr verehrter Vorvorgänger durch eine Rede - ich weiß nicht wo oder wann, es werden ja viele Reden gehalten -, wiedergegeben in der „Süddeutschen Zeitung", jedenfalls hervorgerufen hat.
({4})
- Muß das sein? - Von mir aus gern!
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Genscher. - Es muß nicht sein, Herr Minister, es liegt in Ihrer Hand, Zusatzfragen zuzulassen.
Das sowieso.
Da es vom Herrn Minister aus gern geschieht, wage ich zu fragen.
Herr Bundesminister, ist denkbar, daß Ihr auch von mir sehr verehrter Vorvorgänger zu dieser Bemerkung durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. Juli 1967 angeregt wurde, in dem es heißt: „So ergibt sich, daß die einzige durch die Geldentwertung geschädigte Bevölkerungsgruppe die der Geldsparer ist." Und an anderer Stelle: „Diejenigen Steuerpflichtigen jedoch, die selbst ihre Altersversorgung in die Hand nehmen und daher höhere Beträge anlegen müssen, so besonders Angehörige der freien Berufe, sind durch die Geldentwertung nachhaltig betroffen."
Zwischen den in allen modernen Industriestaaten festzustellenden, mit der normalen wirtschaftlichen Expansion mit industriellem Wachstum verbundenen Preisauftriebsraten und dem Wort „Inflation" oder gar „zweite Währungsreform" ist ein großer Unterschied.
Die Politik 'der Bundesregierung - Herr Kollege Genscher, darum bin ich Ihnen für diesen Beitrag dankbar und nehme das „Wenn es sein muß, ja" zurück, es mußte sein - ist ja gerade darauf abgestellt, eine optimale Relation zwischen Wachstum und Stabilität herbeizuführen. Wenn es uns nicht gelungen wäre, im großen und ganzen - ich sage es sehr bescheiden - den strukturellen Ausgabenüberhang des Bundeshaushalts, der bereits 9 Milliarden DM jährlich, automatisch sozusagen, erreicht hatte, mit einer jährlichen Steigerungstendenz von über 1 Milliarde, so weit abzubauen, daß der heute noch vorhandene Aus gabenüberhang innerhalb ver-kraftbarer Grenzen ist, dann wäre allerdings die Stabilität gefährdet und wären die Schichten um den Lohn ihrer Spartätigkeit betrogen, die Sie jetzt in dem Urteil des Bundesfinanzhofes mit Recht angeführt haben. Gerade deshalb habe ich keiner größeren Kreditaufnahme - auch aus anderen Gründen, aber gerade deshalb - zugestimmt, damit nicht dieser leichte Weg des „easy money" beschritten wird, der leichte Weg: Steuern senken in der Rezession - angenehme Angelegenheit -, Ausgaben erhöhen - ist ebenfalls eine angenehme Angelegenheit -, und der Rest wird zunächst' auf einem für den , Staatsbürger nicht spürbaren lautlosen Weg erledigt, nämlich dem der erhöhten Kreditfinanzierung. Und dann tritt genau das ein, was der Bundesfinanzhof in diesem mir im einzelnen nicht bekannten Urteil genannt hat, daß nämlich gewisse Schichten in unserem Volk, .die sich nicht an der allgemeinen Spiirale Lohn-Preis usw. beteiligen können, die selbst für ihr eigenes Alter vorsorgen., etwas auf die 'hohe Kante gelegt haben, um einen Teil ihres Ertrages geprellt werden. Genau das sollte verhindert werden, und genau das zu verhindern, haben wir uns mit gutem Gewissen und mit redlichen Kräften bemüht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher?
Ich wollte nur fragen: würden Sie mit mir .darin übereinstimmen, Herr Bundesminister, daß die von Ihnen eben erwähnte Preiserhöhung etwas anderes ist als der Begriff der Geldentwertung, von dem in .diesem Urteil die Rede ist?
Ich habe nicht von ,dem Unterschied zwischen Preiserhöhung und Geldentwertung gesprochen, sondern ich habe von diem Unterschied zwischen den in modernen Industriestaaten bei anhaltendem Wachstum auftretenden Preiserhöhungstendenzen einerseits und dem nicht verantwortbaren Gerede von Inflation und zweiter Währungsreform andererseits gesprochen.
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Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Nur das habe ich gemeint.
Herr Kollege Staratzke, obwohl Sie sagten, Sie hätten nur für Ihre Person gesprochen - aber Sie sind ja heute nicht nur für Ihre Person vorgeschickt worden -, darf ich Sie gerade an ein sehr dramatisches Wort Ihres von mir sehr geehrten Fraktionskollegen Ertl erinnern, der bei einer Debatte - ich glaube, es war im Herbst letzten Jahres - in sehr eindrucksvoller Weise mit großer Lautstärke und mit überzeugenden Argumenten gesagt hat - ich zitiere dem Sinne nach, weil ich das Zitat in der Kürze der verfügbaren Zeit nicht mehr herbeischaffen konnte -, daß er Bedenken habe gegen diese, ich glaube,
er sagte sogar „Schuldenpolitik", sagen wir es einmal neutral: gegen diese Politik .der Kreditfinanzierung, weil es ihm und seiner Fraktion und Partei viel mehr um die Stabilität als um Wachstum gehe. Sie sagen heute, .die Bundesregierung habe durch Verzicht auf konjunkturfördernde Maßnahmen - was .das heißt, darf ich noch ganz kurz erläutern - einen Verzicht ,an Wachstum auf sich genommen und damit auch einen Verzicht an Stabilität usw.
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- Ich möchte jetzt nicht in Dialoge eintreten; Sie können ja nachher noch reden. - Alle steuerlichen Maßnahmen bedeuten zunächst einmal einen Einnahmeausfall gegenüber einer mühsam erstellten, nicht ohne politische Kompromisse zustande gekommenen mittelfristigen Finanzplanung. Jeder Verzicht auf Einnahmen gemäß Planung bedeutet nicht, daß die Ausgaben im gleichen Maße gekürzt werden können, sondern bedeutet, daß die weiterhin bleibenden Ausgaben auf anderem Wege finanziert werden müssen. Es ist einfach falsch, vor der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, man könne jetzt Wachstumsspritzen. geben, um den Ertrag des erwarteten Wachstums sofort in Gestalt höherer Steuereinnahmen zu vereinnahmen. Zwischen wachstumfördernden Maßnahmen und steuerlichen Konsequenzen - ich versehe sie noch mit Fragezeichen - besteht ein Verzögerungseffekt von minimal ein bis zwei Jahren, und genau in diesen ein bis zwei Jahren muß eine andere Finanzierungsform - wenn man schon die Ausgaben aus gutem Grunde nicht kürzen kann - gefunden werden. Selbstverständlich. Diese Ersatzfinanzierung kann ja nur darin bestehen, daß ich - einmal häßlich gesprochen - Schulden mache, - und in nichts anderem.
Wenn ich mir für das Jahr 1968 den Stand der Kreditaufnahme überlege, stelle ich fest, daß wir - aus einer Reihe von Gründen, die bei der Haushaltsberatung im März und April dieses Jahres im einzelnen darzulegen sein werden - vor einer Situation stehen, in der die Nettokreditaufnahme des Bundes 7,7 Milliarden DM betragen wird und in der sich die Bruttokreditaufnahme des Bundes in diesem Jahr auf einen Betrag zwischen 11 und 12 Milliarden DM belaufen wird; er wird eher bei 12 als bei 11 Milliarden DM liegen. Dabei erkenne ich durchaus an, daß zwischen Nettokreditaufnahme und Bruttokreditaufnahme ein Unterschied ist. Aber es isst durchaus nicht gesagt, daß jeder, der aus dem Aufruf seines Wertpapiers die vereinbarte Summe, die er gezeichnet hat, zurückbekommt, auch automatisch wieder in der gleichen Anlageform, nämlich in langfristigen Papieren, investieren wird. Dafür gibt es heute viele andere Anlageformen, angefangen vom amerikanischen Investmentgeschäft mit seinen werbewirksamen Methoden in Deutschland über Euro-Dollar bishinüber zu anderen, vielleicht attraktiveren Möglichkeiten.
Die Rechnung Brutto-Netto geht also, rein arithmetisch gesehen, nicht auf. Auch die Nettokreditaufnahme ist schon in einer beachtlichen Höhe für das Jahr 1968 vorgesehen. Es ist eine Bruttokreditaufnahme in Höhe von 12 Milliarden DM eingeplant. Rechnen wir dazu, daß die Länder ebenfalls den Geld- und Kapitalmarkt mit 5 Milliarden DM beansprechen werden, ebenso die Gemeinden, und daß dazu noch Bahn und Post kommen, dann sind wir bei einer Bruttokreditaufnahme der öffentlichen Hand in Höhe von über 25 Milliarden DM für das Jahr 1968. Geld- und Kapitalmarkt dürfen aber nicht nur den Erfordernissen der öffentlichen Hand und ihrer antizyklischen Finanzpolitik dienstbar gemacht werden, sondern genau in dem Sinne, wie Sie es gemeint haben, Herr Kollege Staratzke - Anreiz für private Investiti onen -, muß ,der Geld- und Kapitalmarkt auch wieder und in größerem Maße für Investitionen der privaten Hand funktionsfähig gemacht werden. Das setzt voraus, daß die öffentliche Hand etwas tut, was der private Unternehmer nicht tun kann, nämlich mehr - auch für langfristige Zwecke - auf kurz- und mittelfristige Kreditfinanzierung überzugehen und nicht den langfristigen Markt zu beanspruchen. Der Private kann es nicht. Die öffentliche Hand kann es sich leisten. Der langfristige Markt muß in erster Linie wieder, wenn auch innerhalb bescheidener Grenzen, für die private Wirtschaft funktionsfähig gemacht werden.
Ich möchte hier noch auf ein paar andere Dinge zu sprechen kommen. Das eine sind die möglichen Konsequenzen der amerikanischen Sparmaßnahmen, d. h. die Sperre von Investitionen der amerikanische Muttergesellschaften für ihre Tochtergesellschaften. Die amerikanischen Tochtergesellschaften werden deshalb weder auf Kapazitätserweiterung noch auf Rationalisierung verzichten, sondern sie werden den deutschen und den europäischen Kapitalmarkt in stärkerer Weise in Anspruch nehmen, wofür bereits ganz handfeste und massive Anzeichen vorliegen.
Dazu kommen auch noch weitere Wünsche. Ich erwähne hier nur das Stichwort „Devisenausgleichsforderungen". Sie laufen nicht nur darauf hinaus, daß die Bundesbank gewisse Transaktionen vornehmen soll. Sie laufen auch darauf hinaus, daß der Bund, sei es auf dem Wege erhöhter Rüstungskäufe, was angesichts der dort vorhandenen Vorschüsse in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht möglich ist, sei es auf dem Wege des Ankaufs amerikanischer Staatspapiere, dieses Problem zu lösen hilft. Die Kumulation von a) der erhöhten Kreditnachfrage der öffentlichen Hand, die durch Verzicht auf Steuereinnahmen noch wesentlich verstärkt würde, b) den besonderen Bewegungen, die ich geschildert habe, c) den auf uns zukommenden Forderungen lassen es sehr wohl angebracht erscheinen, den finanziellen Spielraum des Bundes nicht so manipulierbar darzustellen, wie er in gewissen konjunkturpolitischen Darstellungen gelegentlich dargestellt wird.
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Ich muß mich aus einer Reihe von Gründen auf diese Bemerkungen beschränken, weil einige der eben angeschnittenen Probleme sich noch nicht einmal im Stadium der Verhandlungen, sondern noch im Vorstadium der Verhandlungen befinden. Ich bin nicht der Meinung, daß Bundesregierung und Bundestag Erfüllungsgehilfen der Bundesbank sind -Exekutivorgane oder wie man es nennen mag -.
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- Sie müssen immer ein bißchen Geduld haben. Sie werden gleich merken, warum ich das sage. Es hat immer alles seinen Sinn.
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Zum zweiten bin ich auch nicht der Meinung, daß man an der Stimme der Bundesbank einfach vorbeigehen kann, als ob sie für uns eine Quantité négligeable wäre.
Zum dritten bin ich auch nicht der Meinung, daß man etwa die Autonomie der Bundesbank einschränken oder aufheben sollte,
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um den Kreditfinanzierungsbedarf des Bundes über eine manipulierbare, der Weisungsgewalt unterliegende Bundesbank nach ominösen Vorbeispielen mühelos decken zu können. Genau, Herr Kollege Staratzke, hier sage ich: Ich bin weder Erfüllungsgehilfe der Bundesbank, die ganze Bundesregierung nicht, noch soll man sie als Quantité négligeable betrachten; man kann aber an dem einstimmigen Votum des Zentralbankrats nicht einfach vorbeigehen und so tun, als ob dieses Votum nicht existiere. Sowohl der Präsident als auch die Vizepräsidenten, sämtliche Direktoriumsmitglieder und sämtliche Zentralbankpräsidenten haben im gegenwärtigen Augenblick vor weiteren Steuererleichterungen, auch zum Zwecke der Konjunkturbelebung, nachhaltig gewarnt und haben in Aussicht gestellt, daß die Bundesbank den daraus entstehenden Mehrbedarf an Kreditfinanzierung nicht abzudecken sich verpflichten könne oder abzudecken sich nicht verpflichten könne - ganz gleich, wo Sie das Nein anbringen.
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- Um das geht es ja doch nicht. Aus welchem Grunde jemand umgebracht wird, ist völlig gleichgültig, er ist jedenfalls tot am Schluß.
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Aus welchem Grund die Bundesbank glaubt, etwas nicht mitmachen zu können, ist völlig gleichgültig. Im übrigen haben Sie sogar noch unrecht, Herr Kollege Genscher. Ich gebe Ihnen gerne Einblick in das Protokoll darüber, auch wenn das naturgemäß nicht zur Veröffentlichung zur Verfügung steht. In dieser Sitzung, an der ich persönlich nicht teilgenommen habe, aber der Kollege Schiller und Herren meines Hauses, ist gerade von einer Reihe von Zentralbankpräsidenten überzeugend dargetan worden, daß man nicht von einem allgemeinen konjunkturellen Problem sprechen könne, sondern daß man von einem strukturellen Problem mit regionalen Schwächeerscheinungen sprechen müsse.
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Um regionale Schwächeerscheinungen zu überwinden, kann man nicht globale Mittel anwenden. Es ist von mehreren Zentralbankpräsidenten darauf hingewiesen worden, daß gerade in ihren Bereichen heute eine Arbeitslosenquote von 0,8 und unter 1 % bestünde, weshalb durch die Anwendung allgemeiner
konjunkturanregender Mittel in ihren Bereichen bereits wieder die Gefahr der Überhitzung bestünde.
Man muß diese regionalen und strukturellen Unterschiede unserer Wirtschaft, die uns in Zukunft viel mehr als globale konjunkturelle Fragen beschäftigen müssen, in den Mittelpunkt unserer Überlegungen und in den Mittelpunkt gezielter Maßnahmen stellen.
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Dazu bin ich gerne bereit, dazu, muß ich sagen, ist die ganze Bundesregierung bereit. Ich glaube, daß der Herr Wirtschaftsminister und auch ich bereit sind, hier über manchen traditionellen Schatten zu springen, wenn es für die Überwindung struktureller Schwierigkeiten, sei es Kohle - Rhein, Ruhr, Saar -, seien es bestimmte Branchen, seien es bestimmte Regionen, Zonenrandgebiete, notwendig ist, das zu tun, was sinnvoll dort getan werden kann, ich sage ausdrücklich: sinnvoll dort getan werden kann.
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Glauben Sie, daß mir sehr wohl dabei ist, wenn ein Bürgschaftsangebot von insgesamt 4,8 Milliarden DM, 3,2 Milliarden DM Bund, 1,2 Milliarden DM Land, unter mühsamsten Verhandlungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers im sogenannten Rheinstahlkreis zur langfristigen Bereinigung des Kohleproblems gemacht worden ist? Das ist auch eine schwierige Entscheidung, eine schwierige Entscheidung, die nicht überall mit Begeisterung begrüßt wird; eine schwierige Entscheidung, die bei anderen strukturschwachen Branchen oder von der Schwäche betroffenen Regionen selbstverständlich Kompensationsforderungen auslöst. Das ist ja nicht zu bestreiten.
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Ich möchte jetzt gar nicht in langatmige oder noch längeratmige Ausführungen eintreten, aber wenn Sie schon Fragen stellen, müssen Sie sich leider auch darauf einrichten, daß ich natürlich darauf antworte.
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Es ist einfach nicht möglich, eine rein antizyklische Finanzpolitik zu betreiben, wenn der Ausgangspunkt dieser Finanzpolitik nicht die Normallinie ist, sondern eine Linie um 9 bis 10 Milliarden DM struktureller Ausgabenüberhang unterhalb der Normallinie. Herr Staratzke, ich habe nie einen Zweifel daran gelassen - ich glaube, es hier von dieser Stelle aus, von der ich im Laufe des einen Jahres nicht allzuoft gesprochen habe, doch mehrmals gesagt zu haben, auch in der Rede zur Einbringung des Haushalts 1968 -, daß die Finanzpolitik der Großen Koalition sich nicht eindeutig für Stabilität gegen Wachstum oder für Wachstum gegen Stabilität entscheiden konnte. Ich habe auch mehrmals von dieser Stelle aus gesagt: Es gibt keine Stabilitätspolitik, die auf die Dauer zum Erfolg führt, wenn sie auf Wachstum verzichtet. Darüber gibt es nicht den leisesten Zweifel. Es wäre doch ohne weiteres möglich, durch eine Wirtschafts- und Finanzpolitik mit deflatorischen Effekten eine künstliche
Stabilität herbeizuführen. Der Preis für diese Stabilität wäre die politische Radikalisierung allgemein und die politische Radikalisierung in bestimmten Schwerpunktbereichen. Andererseits ist es auch nicht möglich, eine Politik des Wachstums unter Verzicht auf Stabilität zu führen, genau aus den Gründen, Herr Kollege Genscher, die Sie bei der Zitierung des Urteils erwähnt haben. Eine rein auf Wachstum bedachte Politik kann nur unter Verzicht auf Stabilität erkauft und erkämpft werden.
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Darum wird es immer um die Frage gehen: Was sind die Maßnahmen, die man ergreifen muß, um eine optimale Relation zwischen notwendigem Wachstum - mit dem allein unsere sozialen Verhältnisse bewältigt werden können - und Stabilität zu erreichen. Genau das war die Fragestellung am 1. Dezember 1966, und nach dieser Fragestellung zu handeln, haben wir uns bemüht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ravens? - Bitte!
Herr Bundesminister, Sie haben sehr treffsicher die Probleme in der Strukturpolitik dargestellt. Darf ich daraus den Schluß herleiten, daß Sie unserem Antrag auf Bereitstellung besonderer Mittel zur Lösung strukturpolitischer Probleme mit großem Wohlwollen entgegensehen?
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Ich lege mich, Herr Kollege, nicht auf Größenordnungen fest, weil das angesichts der Klärung der zur Debatte stehenden Probleme zu früh wäre. Aber der Kollege Schiller - wenn ich ihn hier strapazieren darf - und ich waren uns im Bundeskabinett, gerade in der Sitzung, über die ein Teil der Presse in amüsierender Weise geschrieben hat, daß man beinahe mit Messern aufeinander losgegangen wäre
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- ja, wir sind beide lebend und heil herausgekommen und werden das auch in Zukunft tun -, beide völlig darüber einig, daß wir sofort mit den Schwerpunkten Rhein, Ruhr, Saar und Zonenrandgebiet auf dem Wege über eine Änderung des ERP-Investitionshilfegesetzes Mittel zur Verfügung stellen sollten. Andererseits müssen wir feststellen, Herr Kollege, daß es sehr leicht ist, das Wort „Strukturprogramm" auszusprechen, und daß es dann ein sehr mühsamer Weg ist, bis sich vergabereife, in ein Gesamtkonzept sich sinnvoll einfügende Einzelprojekte zur Finanzierung anbieten. Wir sind ja in Verhandlungen mit den Ländern Nordrhein-Westfalen, Saar und anderen, und wir bitten sie um eine sinnvolle Programmgestaltung struktureller Art. Hier, wo es sich ja nicht um konsumtive und damit im volkswirtschaftlichen Sinne bis zu einem gewissen Grade nicht unbedenkliche staatliche Finanzhilfen handelt, sondern um produktive Finanzhilfen, soll man die Grenze des staatlichen Kreditrahmens
bis zum Limit eines vernünftigen Ermessens ausschöpfen. Wir kommen heute ohne dieses Mittel nicht mehr aus. Wenn wir es nicht anwendeten - da gebe ich allen Kritikern recht -, wäre der Verzicht auf zukünftige Steuereinnahmen dramatisch höher als das Risiko einer gewissen Ausweitung der Kreditfinanzierung heute.
Aber ich erlaubte mir zu sagen, daß wir an dem Votum der Bundesbank auch nicht achtlos vorbeigehen sollten, und zwar aus Gründen, die vorher genannt worden sind. Ich gehöre auch nicht zu den Zweckoptimisten - ich möchte nicht zu ihnen gehören -, die nach der Methode Coué sagen: Es wird gut, es wird gut, es wird gut - und dann wird es schon irgendwie gut gehen. Aber man soll nicht allein darauf vertrauen, daß sich die Wirtschaft selbst hilft. Man soll sehr wohl abwarten, wie die wirtschaftliche Entwicklung verläuft, und dann, wenn weitere, unter Umständen exogene Faktoren, deren Konsequenzen wir heute gar nicht überblikken können, auftreten, zur rechten Zeit eingreifen.
Hier bieten sich Maßnahmen nach dem Stabilitätsgesetz an. Aber Sie werden doch kaum behaupten, daß die im Stabilitätsgesetz als Voraussetzung für die Durchführung gewisser Maßnahmen geforderten Kriterien in der heutigen Wirtschaftslage unzweifelhaft als gegeben anerkannt werden können. Wir können doch heute nicht von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sprechen. Wir müssen sorgfältig beobachten, ob sich eine solche Störung abzuzeichnen beginnt, und dann nicht zu spät, sondern rechtzeitig handeln. Dafür hat dieses Hohe Haus eines der modernsten Gesetze, die es in der ganzen westlichen Industriewelt gibt, verabschiedet, ein Gesetz, mit dem das Parlament sogar auf einen gewissen Teil seiner guten und traditionellen Rechte verzichtet hat, mit dem das Parlament der Regierung die Möglichkeit gegeben hat, so schnell, allerdings mit parlamentarischer Zustimmung, zu handeln, wie es der schwerfällige Gang der normalen Gesetzgebung nicht erlaubt.
Ich habe damit zwar nicht alle, aber einige wesentliche Gründe genannt. Nur sollte man sich nicht nur in bezug auf den Gebrauch des Wortes „Inflation", sondern auch den Gebrauch des Wortes „Investitionsteuer" gewisse Beschränkungen auferlegen. Ich möchte jetzt nicht weise und gelehrt reden, daß es keine Investitionsteuer, sondern eine Besteuerung des investiven Selbstverbrauchs ist. Aber ich muß trotzdem zur Klärung der Begriffe sagen: es gibt gar keine Investitionsteuer. Dieser Ausdruck wird nur der Einfachheit halber verwendet. Die Simplifizierer haben ja manchmal recht; aber manchmal richten sie auch schlimme Dinge an.
Auch bisher schon hat ja jeder, der investiert hat, ohne die Möglichkeit eines Vorsteuerabzuges eine kumulative Umsatzsteuerbelastung im Preis von 6,9 bis 7,5 % - mit Bauwirtschaft 7,5 %, ohne Bauwirtschaft etwa 6,9 % - getragen. Wenn jetzt die Investitionsteuer - wie Sie sie nennen - auf 8 % festgelegt wird, mit degressiver Tendenz,
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- darf ich den Gedanken zu Ende führen, Frau Kollegin Funcke, dann unterbreche ich freiwillig -, wenn jetzt eine Besteuerung des investiven Selbstverbrauchs, d. h. eine Verminderung des Vorsteuerabzuges auf 8 %, 7, 6, 4, 2, 0 vorgesehen wird, dann sind die 8 % im Durchschnitt nicht unwesentlich mehr als das, was bisher an kumulativer Umsatzsteuerbelastung schon im Preis ohne Möglichkeit des Vorsteuerabzuges ebenfalls bezahlt worden ist. Darüber gibt es keinen Zweifel.
Ich bin überzeugt: wenn man ein anderes Thema angeschnitten hätte, nämlich die Entlastung der Altinvestitionen, wäre die ganze Schallplatte in der gleichen Richtung mit der gleichen Heftigkeit und der gleichen Phonstärke abgelaufen. So läuft sie nur für Neuinvestitionen ab.
Und wenn Sie sagen, hier sei - ich hätte beinahe gesagt: built in - strukturell der Attentismus eingebaut: Sie werden doch nicht ernsthaft glauben, daß ein Unternehmer sich angesichts von Markt-und Gewinnerwartungen wegen 1 % steuerlicher Vergünstigung, die ein Jahr später eintritt, für ein Jahr Zuwarten entscheidet, auf Innovation verzichtet, auf Modernisierung verzichtet, auf Rationalisierung verzichtet, auf nutzvolle Kapazitätsausweitungen verzichtet, darauf verzichtet, um ein Jahr später 1 % weniger Steuern für den Betrag der Investitionen zahlen zu können! Die, die so gerechnet haben, die haben schon im Weihnachtsgeschäft, als sie ihre Altvorräte nach steuerlichen Gesichtspunkten kalkuliert haben, falsch kalkuliert. - Bitte sehr, Frau Kollegin Funcke!
Eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Funcke.
Herr Minister, ich hatte an sich zu der philologischen Frage „Investitionsteuer" etwas fragen wollen. Doch wir sind nun schon ein Stück weiter. Darf ich Sie aber etwas anderes fragen. Ist nicht, da es sich nicht um eine Senkung der Investitionsteuer um nur 1 %, sondern um 2 bis 3 % handelt, hier ein echtes Bedürfnis auch von der Liquidität der Betriebe hier gegeben, weil auch bei allen Wünschen nach Rationalisierung immerhin die Frage besteht: Wie soll man das in schlechten Jahren finanzieren?
Ich brauche auf die Berichte der Wirtschaftsforschungsinstitute zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung jetzt nicht mehr im einzelnen einzugehen, weil ich .als selbstverständlich voraussetze, daß sie Ihnen bekannt sind. Herr Kollege Staratzke, gerade das Ifo-Institut hat uns doch durch sein Gutachten für die Beurteilung der gegebenen und zu erwartenden wirtschaftlichen Entwicklung wertvolle Hilfe gegeben. Gerade das Ifo-Institut ist ja der Kronzeuge gegen das, was Sie wollen, obwohl es von Ihnen immer wieder für Sie beansprucht worden ist. Das könnte ich Ihnen ad rem und ad personam sogar demonstrieren. Der Unternehmer wird sich auch bei Investitionen, Frau Kollegin
Funcke, wie Herr Kollege Staratzke mit Recht testgestellt hat, in erster Linie von Absatzchancen, von Marktanalysen, Marketing, Ertrags- und Gewinnerwartung leiten lassen und nicht von der letzten raffinierten Ausnutzung steuerlicher Möglichkeiten.
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Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Funcke?
Meine Frage ist noch nicht beantwortet. Können Sie sich nicht denken, daß bei allem Wunsch nach vernünftiger und fortdauernder Investition die liquiden Mittel in einer schlechten Zeit fehlen und daß von daher jede Steuersenkung einfach ein Stück Notwendigkeit ist?
Wo die liquiden Mittel fehlen oder wo sie nicht fehlen, das kann man doch angesichts des großen Umfanges unserer Wirtschaft und ihrer ungeheuren Differenzierung und Spezialisierung nicht in einem pauschalen, globalen Urteil feststellen. Es gibt heute Wachstumsindustrien, die einerseits einen hohen Ertrag, andererseits aber einen wesentlich größeren Kreditbedarf haben und trotzdem auf sehr gesunden Füßen stehen. Es gibt aber andere, bei denen Absatzerwartungen und Gewinnerwartungen ungewiß, von allerlei Faktoren abhängig sind. Ich weigere mich einfach, in globale Urteile auszubrechen: der deutschen Wirtschaft geht es ,schlecht, der deutschen Wirtschaft geht es gut, die deutsche Wirtschaft hat gute Chancen, die deutsche Wirtschaft hat schlechte Chancen. Diese Aussage ist schlechthin unsinnig, und zwar deshalb unsinnig, weil ,sie keine Aussagekraft hat.
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- Globale Steuerung ist gut, wenn wir wie letztes Jahr, federführend der Bundesminister für Wirtschaft mit Unterstützung des Bundesministers der Finanzen, aus Gründen, über die wir hier nicht schon wieder reden können, obwohl ich es gern täte, veranlaßt sind. Schwächen - ich darf mich auf diesen ein bißchen allgemeinen Ausdruck beschränken - auf privatwirtschaftlicher Seite durch eine vermehrte öffentliche Nachfrage vorübergehend zu ersetzen, bis durch diese staatliche Tätigkeit der Ankurbelungseffekt erzielt wird, so daß der Staat mit Konjunktur- und Investitionsprogrammen wieder kürzer treten kann. Dabei muß ich allerdings sagen, daß staatliche Investitionsprogramme nicht allein nach konjunkturellen Gesichtspunkten manipuliert werden können. Man kann nicht Schulbauten, Wasserbauten, Wohnungsbauten, Verkehrsbauten allein nach Gesichtspunkten der antizyklischen Finanzpolitik einmal mit Beschleunigung vorantreiben, um sie dann wieder stillzulegen, wenn die Gesichtspunkte einer antizyklischen Finanzpolitik es erfordern würden. Hier gibt es eine ganze Reihe von objektiven Gesichtspunkten, an denen man nicht vorbeigehen kann.
Ich bejahe die globale Steuerung. Wir haben ihren Wert ja im letzten Jahr besonders kennengelernt. Aber wir können an der Tatsache nicht vorbeigehen - Sie müssen entschuldigen, wenn ich das sage -, daß die Steuersenkung im Jahre 1964 eine Sünde wider den Geist einer antizyklischen Finanzpolitik gewesen ist.
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Ich verhehle nicht, daß wir alle in diesem Hause hier Fehler gemacht haben.
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- Mitgemacht! Es kommt immer darauf an, wer sie initiiert hat.
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- Wenn Sie „Aha" schreien, ist es ja klar. Aber man kann nicht in Zeiten einer hochschäumenden Konjunktur eine Steuersenkung gewähren und damit die Konjunktur noch mehr anheizen, um dann eine Lage zu hinterlassen, die es einfach erfordert hat, daß wir nicht allein nach Ihren Vorstellungen handelten. Ich sage nicht: nach Vorstellungen, die heute hier von Herrn Staratzke vertreten werden, ich bin vorsichtig: die gestern anderswo von anderen aus Ihren Reihen vertreten worden sind; das braucht durchaus nicht mit dem übereinzustimmen, was heute von Herrn Staratzke vertreten worden ist; das sind immer zwei paar Schuhe.
Aber ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß wir unter zwei kontradiktorischen Zielsetzungen angetreten sind. Die Konsolidierung der Bundesfinanzen war das erste Ziel, bei dem ein Faktor, den Sie heute betont haben, Herr Kollege Staratzke, eine ganz große Rolle spielt: der psychologische Faktor. An den wirtschaftlichen Rezessionserscheinungen des Jahres 1966 haben die politischen Wirbel des Jahres 1966 einen bedeutenden Anteil gehabt; daran ist doch nicht zu zweifeln. Der psychologische Faktor war, daß jeder, der zu lesen verstand, es überall lesen konnte: Die Bundesbank hat der Bundesregierung damals ins Stammbuch geschrieben: Ihr treibt eine ungesunde Finanzpolitik, eure konsumorientierten Ausgabenüberhänge schaffen allmählich ein völliges Ungleichgewicht in der deutschen Finanzpolitik; ihr müßt zuerst die strukturellen Ungleichgewichte - sagt man heute - beseitigen; vorher sind wir nicht in der Lage, unsere Restriktionsmaßnahmen aufzuheben. Das Teuflische an den monetären Maßnahmen ist ja, daß sie, zu spät ergriffen, zu einem Zeitpunkt wirksam werden, in dem bereits gegenteilige Maßnahmen - jedenfalls der Ansatz gegenteiliger Maßnahmen - notwendig wären. Deshalb kann man jede Konjunkturpolitik nur mit einer Mischung von monetären und fiskalischen Maßnahmen betreiben. Fiskalische Maßnahmen haben den Vorteil, daß sie schnell einsetzen können, auch schnell wieder beendet werden können, während monetäre Maßnahmen einen Verzögerungseffekt von ein bis eineinhalb Jahren haben und dann die Bremsen bis zum Rauchen anziehen, wenn es notwendig wäre, bereits wieder Gas zu geben.
In der Situation haben wir doch im Dezember 1966 angefangen. Darum konnten wir nicht sagen: nur ein Ziel gilt. Wir mußten die langfristige Konsolidierung der Bundesfinanzen zur Überwindung der politischen Schwierigkeiten, zur Überwindung der Vertrauenskrise, auch zur Überwindung des Faktors „psychologisches Mißtrauen gegen die Stabilität der Währung infolge dieser Finanzpolitik" an die erste Stelle setzen und gleich daneben - ich sage gar nicht: eins und zwei - eine kurzfristige Konjunkturbelebung. Darum war es notwendig, Steuern zu erhöhen und die negativen Folgen der Steuererhöhung durch erhöhte Kreditaufnahme - produktionswirksam eingesetzt; erster Konjunkturhaushalt, zweiter Konjunkturhaushalt - so weit wie möglich zu kompensieren. Aber hätten wir Ende 1966, Anfang 1967 auf Steuererhöhungen verzichtet, wäre die Verschuldung des Bundes heute 8 bis 10 Milliarden DM höher. Es wäre uns zweitens nicht gelungen, gewisse Übertreibungen in der Ausgabengestaltung unter Kontrolle zu bringen.
Ich bin lange Zeit Mitglied dieses Hauses - d. h. seit dem ersten Tage, an dem wir hier zusammengekommen sind -, und ich kenne die Stärken und Schwächen der parlamentarischen Demokratie einigermaßen. Wenn jemand behauptet, daß ein Parlament nur rational operiere und nur rational operieren dürfe und könne, gebe ich ihm zu Antwort: Dann könnte man ein Parlament auch durch einen Computer ersetzen; der würde im Zweifelsfalle die Entscheidungen schneller, rationeller und unfehlbarer treffen als ein vielgestaltiges Parlament mit Fraktionen, verschiedenen Interessengruppen, vielfältigen Meinungen, individuellen Auffassungen usw. Dieses Parlament gibt es heute noch nicht: Es wird erst einmal in - hoffentlich naher - Zukunft ein Parlament geben, das so viel an politischer Erfahrung, auch an wirtschaftlichen Kenntnissen und Disziplin besitzt, daß es wider alle parteipolitischen oder wider alle gruppenpolitischen Egoismen rein rational nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten entscheidet.
Herr Staratzke, wenn wir etwa auf Steuererhöhungen verzichtet hätten - die Ausgaben noch mehr zu kürzen, war angesichts der bestehenden Verhältnisse nicht möglich -, wenn wir den Rest durch Kreditfinanzierung aufgenommen und gesagt hätten: Gehen wir den Weg des „easy money" - sonst wollen Sie den umgekehrten Weg, den Weg des harten Geldes; heute plädieren Sie mehr für den Weg des „easy money", des leichten Geldes -, dann hätten wir unter Verzicht auf Währungsstabilität, unter Inkaufnahme von Erscheinungen, wie sie da und dort an ausländischen Beispielen festzustellen sind, eine Wirtschaftsbelebung erreicht, aber um den Preis der Stabilität der D-Mark. Wenn dann wieder mehr Geld in die Kasse gekommen wäre, dann möchte ich das Parlament sehen, das bei mehr Geld in den Kassen nach den Grundsätzen der antizyklischen Finanzpolitik an Steuererhöhungen oder an Ausgabenkürzungen gedacht hätte. Es bedurfte ja dieses Jahres, dieser Lehrperiode, damit gewisse Konsequenzen aus Fehlern und Mißentwicklungen der Vergangenheit gezogen wurden und damit man wieder auf die Normallinie kam, der wir sehr nahe sind, der wir uns hoffentlich auch in diesem Jahr schrittweise noch weiter nähern. Von der
Normallinie aus läßt sich so verfahren, wie Sie gesagt haben, aber nicht von einer Linie aus, die mit einem Jahresbudget von 10 Milliarden DM unter der Normallinie liegt. - Bitte, Herr Kollege Emde!
Herr Minister, gestehen Sie mir nicht zu, daß wir im Jahre 1966 eine Fülle von Kürzungsvorschlägen gemacht haben, die in der damaligen Situation einen Ausgleich herbeigeführt hätten und bei deren Verwirklichung wir dann nicht diesen Konjunkturabschwung bekommen hätten, den wir 1967 erlebt haben?
Ich kann Ihnen nicht abstreiten, obwohl ich mich damals in dieser Branche noch nicht so betätigt habe wie jetzt, daß Sie Vorschläge zur Einsparung da oder dort gemacht haben. Nur hatten diese Vorschläge alle den - darf ich sagen: fatalen? - Nachteil, daß sie keine Aussicht oder nur geringe Aussicht auf Verwirklichung oder höchstens Aussicht auf partielle Verwirklichung hatten.
({0}) - Es gibt auch noch andere Beispiele.
({1})
- Na gut!
Politik ist immer die Kunst des Möglichen. Sie ist die Kunst, das Notwendige möglich zu machen, und auch die Kunst, sich den Maßstab für das Notwendige nicht vom blinden Ehrgeiz vorschreiben zu lassen. Wenn Sie drei Dinge zusammennehmen, haben Sie ungefähr das richtige Dreieck dessen, was in der Politik möglich ist.
({2})
Aber auch Sie haben in der Öffentlichkeit diese Vorschläge nur sektoral vertreten. Ich habe von manchem Ihrer Kollegen, als ich schon das neue Amt übernommen hatte, gehört, ich sollte auf gewissen Gebieten doch wesentlich mehr tun, z. B. eine drastische Erhöhung der Beamtengehälter vornehmen; es sei unverantwortlich, daß der Bund hier so kurztrete. Da muß ich bei Ihnen immer fragen: Wer sagt mir wann wo was? Wenn Sie das so eingrenzen, Herr Kollege Emde, gebe ich Ihnen völlig recht, daß Sie es hier richtig ausgedrückt haben. Aber ich gebe Ihnen allgemein deshalb nicht recht, weil wir im Jahre 1966 bereits in einer wirtschaftlichen Entwicklung waren, in der eine noch weitergehende Kürzung auch konsumorientierter Ausgaben
({3})
die Talfahrt beschleunigt, die Talsohle noch niedriger gelegt und die Erholung noch erschwert hätte.
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Ich komme zu meiner Ausgangsthese zurück. Ihre Redner, Herr Kollge Staratzke - Ihren Beitrag, den ich sachlich zu belegen oder zu widerlegen versucht habe, würdige ich sehr wohl -, haben doch nur recht unter der Voraussetzung, daß man von einer Normallinie ,aus mit ein paar Prozent plus oder minus des Pegelstandes operieren kann. Wenn man aber mit 10 Milliarden DM strukturellem Ausgabenüberhang, der gewissermaßen Jahr für Jahr noch einen eingebauten Verstärkereffekt hat, anfangen muß, kann man nicht darauf verzichten, Maßnahmen zu ergreifen, die sich in der Wirkung zum Teil gegenseitig bekämpfen oder aufheben, nämlich durch Steuererhöhungen und kleinere Ausgabekürzungen die Konsolidierung zu betreiben, durch Abschreibungserleichterungen und Konjunkturhaushalte eine Belebung hervorzurufen, um den negativen Effekt der erstgenannten Maßnahmen abzuschwächen und den allgemein notwendigen positiven Effekt zu verstärken.
Aber auch ich habe mich tim Jahre 1967 - nicht aus Gründen der politischen Opportunität, sondern aus volkswirtschaftlicher Einsicht - nicht noch stärker für eine weitere Kürzung der Ausgaben eingesetzt, weil eine noch stärkere Kürzung der Ausgaben angesichts der Nullinie in der Lohnpolitik, angesichts der sonstigen Stagnatiowenscheinungen in der Wirtschaft zu einem Nachlassen der Kaufkraft, einer Verminderung des Umsatzes, einer Verminderung der Nachfrage und damit auch zu einer Verminderung der Produktion und ebenso zu einer Verminderung der Investitionen lin teuflischem Kreislauf beigetragen hätte.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Emde?
Herr Minister, gestehen Sie mir jetzt zu, daß Ihr Vorwurf, den Sie vorhin gegen uns erhoben haben, wir hätten im Jahre 1966 mit unseren Vorschlägen eine Politik des „easy money" betreiben wollen, nicht zu Recht besteht?
Ich habe nicht davon gesprochen, daß Sie 1966 eine Politik des „easy money" vorgeschlagen haben. Ich sagte, .daß Sie 1966 nicht realisierbare Vorschläge für Einsparungen gemacht haben. Es kommt aber auf die Mischung der Mittel an. Sie waren doch dabei, Herr Kollege Emde, als nachts im sogenannten Bungalow die Besprechung stattfand. Erstens Ausgaben kürzen, zweitens steuerliche Privilegien beseitigen und, soweit das nicht reicht, drittens Steuern erhöhen, und zwar maßvolle Erhöhung der Verbrauchsteuern. Das war damals der ,einzig mögliche Weg, um nach der Entgleisung, in die die Bundesfinanzen geraten waren, den Karren überhaupt wieder aufs Gleis zu setzen, um ihn langsam in Gang zu bringen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Stein.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf mich jetzt wiederum dem Jahresbericht des Herrn Bundesministers für Wirtschaft zuwenden und ihm für die große Sachlichkeit danken, mit der er hier die Stellungnahme der Bundesregierung erläutert hat.
Stein ({0})
Die Konjunkturprognosen für 1968, Herr Minister, sind fast einmütig positiv. Man fragt sich, ob sich der Wirtschaftsbericht der Bundesregierung einen besseren Hintergrund hätte wünschen können. Ich glaube, nein. Wenn man allerdings in die Einzelheiten geht, wird mancherlei zu sagen sein, auch zu dem allgemeinen Optimismus. Wie immer in solchen Fällen wird an der Wirtschaftsfront vorn bereits um einen neuen Boom gebangt und nach einer frühzeitigen Gegenpille gerufen, während wir hinten bei einigen Branchen und auf dem Arbeitsmarkt fast noch die volle Kälte der Wirtschaftsflaute spüren.
Ich danke Ihnen sehr, daß Sie auch auf die entgegengesetzten Entwicklungen in unserer so branchendifferenzierten Wirtschaft hingewiesen haben. In den letzten Tagen haben mich nämlich einige aus der Wirtschaft kommende Nachrichten stutzig werden lassen, ob der von einigen Instituten und der Bundesregierung vorgetragene konjunkturelle Optimismus nicht doch den Tatsachen vorauseilt. Die Automobilindustrie und die Reifenindustrie meldeten beispielsweise im Januar und im Februar einen großen Absatzrückgang. Herr Bundesminister der Finanzen, ich glaube, wir werden uns sehr bald im Rahmen der Mehrwertsteuerdiskussion auch des Gebrauchtwagengeschäfts annehmen müssen.
({1})
Die Frühjahrsmessen und der Winterschlußverkauf sind im ganzen schwächer abgelaufen, als man gehofft hatte. Ganz offensichtlich halten sich die privaten Verbraucher zum Teil noch zurück.
Ich will gleich sagen - damit wir uns nicht mißverstehen -, daß ich diese Tatbestände nicht überbetonen möchte. Aber ich darf warnen, und ich bin Ihnen auch für diesen Trend in Ihrer Berichterstattung dankbar, einen guten Zustand für ,die Konjunktur als selbstverständlich und bei uns in Deutschland als in der Natur der Sache liegend anzusehen. Wir sind - so glaube ich, sagen zu dürfen - auf gutem Wege, aber noch keineswegs außerhalb der Risiken. Wenn es jetzt so scheint, als habe sich die konjunkturpolitische Landschaft beruhigt und als seien die im Stabilitätsgesetz vorgesehenen weiteren Eingriffsmöglichkeiten vorläufig entbehrlich, so möchte ich zumindest meinen, daß wir dm weiteren Verlauf unter Umständen doch täglich wieder vor die Frage der Anwendung des Stabilitätsgesetzes gestellt sein können, und zwar wegen der Besonderheit der Lage, die bei uns mit der totalen Vermischung konjunktureller und struktureller Faktoren entstanden ist. Es wird, wie ich glaube, bei uns keine sogenannte Normalentwicklung mehr geben. Ich meine, das sei in den letzten Monaten - ich denke an die überwältigende Fülle unzutreffender Prognosen -schon ziemlich klargeworden. Wir müssen aufpassen, so glaube ich, daß nicht von außerhalb der eigentlichen Wirtschaftsfront und zu früh Erstarrungen in die so dringend notwendige Beweglichkeit der Konjunkturbemühungen gebracht werden, Erstarrungen, die ihrerseits zwar auch einer eigenen Gesetzmäßigkeit entsprechen - wir haben das eben gehört -, aber gegenüber einer Flaute kein Vorrecht beanspruchen können. Vielleicht sind da auch gewisse finanzwirtschaftliche und steuerliche Erwägungen anzustellen.
Meine Auffassung geht dahin, daß wir unter allen Umständen in diesem ganzen Bereich beweglich bleiben müssen, entschlossen, jeder sich abzeichnenden Entwicklung gerecht zu werden.
Ich glaube, wir sollten deshalb auch heute nicht irgendwelche Thesen oder Theorien anbeten oder ablehnen, die wir vielleicht morgen schon wieder abtun und neu aufbauen müssen. Was hat nicht alles gerade auf diesem Gebiet schon seine Vergänglichkeit bewiesen? Das meiste ist noch viel zu früh für eine abschließende Beurteilung. So kann die positive Einstellung zu den beiden Dokumenten, die wir heute beraten, nur verstanden werden.
Ich möchte aber doch gleich einiges Bedauern anmerken. Durch beide Dokumente, so scheint mir, zieht sich überdeutlich der Versuch einer fast schon historisch zu nennenden Rechtfertigung, wo man in der Vergangenheit - Regierung und Sachverständigenrat - dennoch recht gehabt habe und wo man, wenn es nicht so wäre, wenigstens teilweise mißverstanden worden sei. Mein Urteil über beide Papiere wäre besser, wenn dieser Rechtfertigungsballast nicht mehr in einem Umfang mitgeschleppt würde, bei dem man Angst haben muß, daß sich dadurch die Blickschärfe verliert.
Im übrigen können wir mit Form und Qualität der beiden Dokumente meines Erachtens durchaus zufrieden sein. Der Bundestag als Auftraggeber hat mit ihnen umfassende Darstellungen der gesamtwirtschaftlichen Situation erhalten. Wir sollten den Ehrgeiz beider Berichtgeber beflügeln, die Darstellung künftig nicht unter dieses Niveau absinken zu lassen. Fast ist das Gutachten des Sachverständigenrates schon etwas zu groß. Es wird jetzt, wie wir eben schon gehört haben und wie wir alle wissen, noch durch private Darstellungen einzelner Mitglieder in der Presse ausgeweitet; kein ganz begrüßenswertes Verfahren, wie ich glaube, wenn sich nun alle Mitglieder zu individuellen Teilerläuterungen entschließen sollten. Aber die eingehende Analyse, wie es trotz der vielen amtlichen und nichtamtlichen Beobachter und Statistiken doch zu dieser Rezession kommen konnte, mehr noch: wie wir darin so lange ohne sichere Peilung verweilen konnten, erfordert vielleicht diesmal einen solchen Aufwand.
Ich finde, was not tut, ist vor allem, daß wir keine Plädoyers erhalten. Auch das allzu politische Engagement ist vielleicht nicht das beste Kleid der Sachverständigen.
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Wir haben also zwar viel Verständnis für gewisse Bedürfnisse. Aber wir möchten gern, daß man durch solche Dokumente, die wir erhalten, sozusagen wie durch ein Glas hindurchschauen kann und daß die Zensuren erst erteilt werden - und zwar möglichst von Dritten -, wenn einmal der ganze Abschnitt abgeschlossen ist.
Aber jetzt eine Bemerkung zu einem ganz wesentlichen Stück des Inhalts des Sachverständigengutachtens, vielleicht sogar zu seinem Kernstück. Mit dem sogenannten Rahmenpakt für Expansion und
Stein ({3})
Stabilität hat sich in das diesjährige Gutachten des Sachverständigenrates, wenn ich es so ausdrücken darf, etwas eingeschlichen, was von vornherein nicht zu realisieren war, was von vornherein tot war. Wir wissen auch, von wie wenigen und mit wie geringer Überzeugungskraft dieser Vorschlag aufgenommen wurde. Er war unrealistisch und deshalb eigentlich schon tot, bevor er geboren war. Ich habe mir früher schon einmal in diesem Zusammenhang den Hinweis erlaubt, daß sich der Sachverständigenrat über die Möglichkeiten der Verwirklichung seiner Gedanken präziser bei denen, die das beurteilen können, informieren muß und daß das keine Beeinträchtigung seiner Unabhängigkeit ist. Was der Gesetzgeber mit dem Gesetz über den Sachverständigenrat wollte, ist, daß sich dessen Gutachten nicht in eine bloß theoretische Höhe erheben. Die Voraussetzungen, von denen er ausgeht, müssen erfüllbar sein.
Der Herr Wirtschaftsminister hat eben für diesen Rahmenpakt eine gewisse Lanze gebrochen. Ich finde das außerordentlich fair. Aber es kann mich in meinem Urteil nicht beeinflussen, daß ich glaube, daß es richtiger ist, als im Rahmen der Sachverständigen nun vorauseilend in die Politik vorzustürmen, sich besser auf das einzustellen, was realistisch ist, und sich vorher darüber zu informieren, was auch durchsetzbar sein wird.
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Und so ist nun auch in diesem Sachverständigenbericht dem früheren Vorschlag einer Flexibilität der Wechselkurse diesmal der Gedanke eines zwar logisch konstruierten, aber letztlich nicht konstruktiven Zielmodells mit schwerwiegenden Eingriffen in allen möglichen Sektoren, besonders aber im Lohnsektor, im Konsumbereich und im Bereich der öffentlichen Verschuldung, gefolgt. Ich sage dies bei allem Respekt vor der immensen wissenschaftlichen Ausbeute, die das Gutachten bietet.
In einem Punkt kann ich mich allerdings auch hier nicht mit dem Gutachten einigen; das ist die Frage, ob seinerzeit der Rückgang der Investitionsnachfrage den bekannten allmählichen Schrumpfungsprozeß eingeleitet hat oder ob nicht im Gegensatz zu dieser Ansicht des Sachverständigenrates der Grund für den Rückgang dieser Nachfrage in einem allgemeinen Vertrauensschwund lag, der seinerseits durch kritische, vielfach von außen kommende Entwicklungen ausgelöst worden war, an denen wir alle beteiligt gewesen sind.
Wir sollten es uns bei der Begründung des ganz unerklärlichen, aber auch außerordentlichen Phänomens, warum die privaten Haushalte auch außerhalb der Strukturzonen plötzlich von Furcht befallen wurden und ihr früheres Konsumverhalten änderten, nicht so einfach machen. Dieser Punkt kann uns auch künftig noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Wir sollten hier gerade die Geschichte des letzten und des vorletzten Jahres mit Aufmerksamkeit studieren.
Sehr weise erscheint das Gutachten, wenn .es alle Prognosen, die über das jetzige Halbjahr hinausreichen, für unsicher erklärt. Damit ist die Gretchenfrage unserer wirtschaftlichen Entwicklung angesprochen, nämlich ob die von uns ausgelösten und die natürlichen Auftriebskräfte für eine dauerhafte Belebung ausreichen. Es ist schade - ich darf das wiederholen -, daß der Sachverständigenrat wegen seiner mehr mechanistischen Denkweise in diesem Punkt nur den sogenannten Rahmenpakt anbietet, zu dem ich mich schon geäußert habe. Dieser Pakt wünscht bekanntlich Leitlinien, die auf Expansion gerichtet sind und - wenn ich es einmal so zusammenfassen darf - eine optimale Ausnutzung aller Möglichkeiten für ein kräftiges Wachstum zum Inhalt haben. Hier scheiden sich - wir haben es eben erlebt - die Geister. Aber sie scheiden sich nicht, weil keine Bereitschaft zum Entgegenkommen und Opfer vorhanden wäre, sondern weil der Vorschlag in diesem Augenblick Theorie bleiben mußte.
Schwierig wird die Handhabung der Gedanken des Sachverständigenrates aber auch, wenn die sonstige Wachstumspolitik als Strukturpolitik verstanden sein soll. Diese Theorie ist zwar auch wieder theoretisch richtig, sogar noch mehr, als es das Gutachten erscheinen läßt, aber vorläufig nicht durchführbar, weil es zunächst noch an allen Voraussetzungen dazu fehlt, insbesondere der planerischen und marktmäßigen Klarheit. Das Ganze wird dann, wie gesagt, mit einer Ansicht zur Verschuldungspolitik der öffentlichen Hand gekrönt, die in anderen Volkswirtschaften vielleicht schon exerziert wird, für die aber bei uns jedenfalls noch die psychologischen und technischen Voraussetzungen fehlen. Der Sachverständigenrat - wir wissen es - erklärt zu den psychologischen Schwierigkeiten, daß man sich einer unvernünftigen Öffentlichkeit nicht unterwerfen dürfe. Wir sagen, daß man sie gegen sie nicht durchführen kann, wenigstens nicht in dieser Konjunkturphase.
Wie es scheint, vertreten die Sachverständigen wenigstens in der Gesamtheit zur Zeit keine wechselkurspolitischen Maßnahmen. Das ist erfreulich. Wir registrieren auch, daß der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, den ich, wenn Sie mir erlauben, als ersten auf Grund des Stabilitätsgesetzes erstatteten Gesamtbericht im Bundestag, bei seinem Besteller, begrüßen darf, nichts Wechselkursmäßiges vorschlägt.
Ich will dem Jahreswirtschaftsbericht im übrigen namens meiner Fraktion gern bescheinigen, daß er zu der vorhin anerkannten Qualität der Darstellung auch eine Fülle richtiger und wichtiger Hinweise bietet und daß wir in der großen Linie durchaus mit ihm einig gehen. Die Aufrichtigkeit des Berichtes, daß fast alle Prognosen des Vorjahres fehlgegangen sind, ist entwaffnend, zeigt aber gewisse Schwächen im System, auf die ich hier kurz eingehen darf.
Zuvor aber noch einen Blick auf die Würdigung unserer Gemeinschaftsbemühungen, nämlich der beiden Konjunkturhaushalte im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung. Hier hätte ich persönlich gern klare Worte zu den unzweideutigen Feststellungen des Gutachtens gehört, daß die Wirkung der ersten Konjunkturspritze aus dem Haushalt verpufft ist und die zweite sich erst langsam zu regen beginnt. Konjunkturbelebung, so glaube ich, ist im wesentlichen auch eine Zeitfrage. Ich meine, eine
Stein ({5})
rasche Mark ist unter Umständen mehr wert als ein langsamer Taler. Außerdem nimmt die Dauerwirkung ab, je weniger wuchtig die Initiative ist.
Die Schwäche der sogenannten Jahresprojektion im Regierungsbericht, also der für 1968 angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele, sehe ich in der allzu theoretischen Struktur dieses Gesamtgebäudes. Zwar sagt die Bundesregierung klar, daß es sich hier nicht um Prognosen im landläufigen Sinne handelt, also um Vorausschätzungen der tatsächlichen Entwicklung, sondern um eine Darlegung der Bedingungen, die zu einer wünschbaren und gewünschten Leistung, insbesondere zu einer Erhöhung des Bruttosozialprodukts, führen. Das Ganze ist damit eine Darstellungsform, gegen die nichts einzuwenden ist und die instruktiv sein kann. Aber die vorgegebenen Annahmen können sich einmal völlig von der Wirklichkeit entfernen und müssen deshalb durch echte Prognosen, die nur von der Front des Geschehens zu gewinnen sind, dieser Wirklichkeit angenähert werden.
Mit der vom Jahreswirtschaftsbericht in dieser Weise angestrebten Steigerung des nationalen Jahresprodukts von brutto 6 %, die hinter den Zielvorstellungen des Sachverständigenrats naturgemäß zurückbleibt und nach dessen Ansicht zu bedenklichen Auswirkungen führt, will ich mich arbeitsteilig nicht näher befassen, sondern im Zusammenhang nur folgendes sagen: Eine solche Zielprojektion kann und darf nicht bedeuten, daß bei der Änderung oder dem Ausfall einer der Komponenten eine andere verstärkt oder automatisch zum Zuge kommen muß. Die Situation muß vielmehr dann in voller Unabhängigkeit von der früheren Produktion total neu geprüft werden. Das ist wohl auch der Sinn des Hinweises in der Presse gewesen, der mit der wenig liebenswürdigen Überschrift, die der Herr Bundeswirtschaftsminister eben zitiert hat, auf die Gefahren bloßer Theoriegebäude aufmerksam gemacht hat.
Die zweite Bemerkung zu dem Jahreswirtschaftsbericht, die ich im Rahmen dieser mehr allgemeinen Betrachtung vortragen darf, bezieht sich auf die Gesamtanlage der Realisationsmöglichkeiten, die die Bundesregierung für ihre Zielprojektion sieht. Manches, allzu vieles ist meines Erachtens daran alt und eigentlich ein Bestandteil eines jeden Jahreshaushalts; manches erscheint mir auch etwas „lyrisch", und ich glaube, es wird seine Lebensfähigkeit in unseren Ausschußsitzungen erst dartun müssen. Zündende Zukunftsplanungen außerhalb des sogenannten Saar-Ruhr-Planes sind nicht darunter, und ich glaube, daß das nicht gut ist. Um mich modern auszudrücken: Eine Herausforderung ist dieses Programm jedenfalls noch nicht.
Gestatten Sie mir, ohne daß ich damit auf den dritten Teil des Jahresberichts, der die Energiepolitik behandelt, übergreifen will, im Zusammenhang mit den Strukturplänen für Ruhr und Saar noch eine kurze Feststellung. Die gedeihliche Entwicklung dieser Gebiete wird entscheidend von der Situation im Kohlebergbau abhängig sein. Dafür ist, wie die Regierung in Ziffer 66 zutreffend feststellt, eine Neuordnung der Unternehmensstruktur unerläßlich. Die
Bundesregierung gibt der in freiwilliger unternehmerischer Verantwortung gebildeten Gesamtgesellschaft den Vorzug. Diese Auffassung besteht meines Erachtens auch heute noch zu Recht, und ich bin trotz vielfacher pessimistischer Einschätzungen dieser Bemühungen auf Grund der unterschiedlichen Interessenlagen nach wie vor von der Richtigkeit dieses Konzeptes im Interesse der notwendigen Leistungssteigerung überzeugt.
Ich sprach von der totalen Mischung konjunktureller und struktureller Ausfälle, mit denen wir es zu tun haben. Sie erfordern ein sehr sorgfältig aufgestelltes Programm regionalen, branchenmäßigen und technologischen Charakters. Hier darf nicht improvisiert werden. Aber eine Improvisation würde es beispielsweise sein, wenn man seitens der Wirtschaftspolitik die nur langfristig zu behebenden Strukturmängel kurzfristig mit einer hohen konjunkturellen Drehzahl überspielen wollte. Die Folge würde nur eine kostspielige Vertagung unserer vollen Wiedergesundung sein.
Die Bundesregierung hat bekanntlich kürzlich - und wir haben es heute wieder gehört - weitere konjunkturanregende Mittel abgelehnt und dabei auf Tatsachen hingewiesen, die erfreulich sind und konkrete Hoffnungen vermitteln, - Hoffnungen vermitteln! Die öffentlichen und privaten Investitionen sollen jetzt wirksam werden. Um ihre Finanzierung nicht zu gefährden, muß die Kostenseite der Wirtschaft und der öffentlichen Investitionsträger abgeschirmt werden. Das ist erkannt, aber es muß verwirklicht werden.
Mit der Konzertierten Aktion des Herrn Bundeswirtschaftsministers ist ja manches auf einen - das gestehen wir gern zu - bisher guten Weg gebracht worden. Aber wir stehen erst am Anfang. Wir müssen auch im Jahr 1968 einkalkulieren, daß wir noch keine Meister im antizyklischen Gebaren sind und daß nicht zuletzt aus unserer Staatsstruktur heraus immer wieder neue Geheimnisse auftreten können. In diesem Hause sollten wir uns indessen bewußt sein - und das auch hier zum Ausdruck bringen -, daß die Abwehr der größten Gefahren, die unserer Wirtschaft auf dem erhofften ansteigenden Kurs entgegentreten können, vom Stabilitätsgesetz ermöglicht wird. Es hat zwar mit dem Jahreswirtschaftsbericht - nach dem kürzlichen Konjunkturhaushalt - seine zweite Anwendung in diesem Hause feiern können, aber es ist doch, wie es mir scheint, noch nicht so recht in seiner Bedeutung und in seiner Modernität in das Bewußtsein der öffentlichen Meinung getreten.
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Ich kann daher meine kurzen Bemerkungen zu der heutigen Debatte über den Bericht und das Gutachten des Sachverständigenrates logisch nur abschließen, indem ich auf das Stabilitätsgesetz hinweise. Es ist heute niemandem gegeben, ganz zielsicher in die Zukunft zu sehen. Aber es läßt sich in den allseitigen Mühen um wirtschaftliche Stabilität und baldige volle Wiederbelebung manches leichter betrachten, wenn man überall um die Entschlossenheit weiß, von den Möglichkeiten des Stabilitätsgesetzes
Stein ({7})
rasch und nüchtern Gebrauch zu machen, sobald dies angebracht erscheint. Das Gesetz war und ist von uns nicht als Kinderschreck gedacht worden, sondern es sollte uns eine moderne, bewegliche Wirtschaftspolitik erlauben. Ich hoffe gern, daß wir uns dessen erinnern. Aber ich wünsche natürlich noch mehr, es würde nicht mehr nötig werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ravens.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Dieses Hohe Haus hat zwei wichtige Debatten, so meine ich, en zwei Tagen hintereinander zu ertragen. Betide Debatten sind festgelegt worden ,auf einen. Nachmittag mit der Folge, daß gestern abend bis in den späten Abend oder bis in die Nacht hinein hier beraten werden mußte. Beiden wichtigen Nachmittagsdebatten ging eine nicht minder wichtige Auschußsitzung voraus. Wir dürfen uns nicht beklagen, wenn unsere Kollegen heute nachmittag nach deranstrengenden Debatte gestern dann einfach aufgeben und uns hier allein lassen. Ich möchte doch sehr darum bitten, bei der Aufteilung unserer jeweiligen Tagesordnungen Rücksicht darauf zu nehmen, daß. Abgeordnete auch nur Menschen sind.
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Auch unsere Kraft ist erschöpfbar; auch unsere Kraft ist irgendwo zu Ende.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte, Herr Kollege!
Würden Sie und die Kollegen der Koalition, die Ihnen eben Beifall gespendet haben, zur Kenntnis nehmen, daß ein entsprechender Vorschlag der Opposition im Ältestenrat auf den entschiedenen Widerstand der Koalitionsparteien und der Bundesregierung gestoßen ist?
Ich nehme das gern zur Kenntnis, Herr Kollege Genscher. Ich habe das hier als eine Feststellung eines Abgeordneten gesagt, der sich heute nachmittag gefragt hat, wie denn wohl eine solche Geschichte, wie wir sie jetzt hier erleben, zustande kommt und wie das eigentlich vertretbar ist.
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Hier geht es gar nicht darum, irgend jemandem Vorwürfe in einer Richtung zu machen, sondern hier geht es darum, nachdenken zu helfen, damit wir solche Dinge hinterher nicht nur beklagen, sondern auch den notwendigen weiteren Schritt tun. Ich glaube, das sollte einmal gesagt werden. Damit genug zu der Situation, in der wir uns hier befinden; nur diese paar Worte, um Verständnis dafür zu erwecken, daß dieses Hohe Haus diese, so meine ich
jedenfalls, nicht unwichtige Debatte nur in einer so schwachen Präsenz verfolgen kann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Thema kommen.. Selten hat ein parlamentarischer Antrag der Neugestaltung der Wirtschaftspolitik in so präziser Weise vorgegriffen wie der „Gesetzentwurf zur Förderung des stetigen Wachstums der Gesamtwirtschaft", eingebracht von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion am 6. Juni 1956. Der in diesem Gesetzentwurf geforderte jährliche Wirtschaftsbericht der Bundesregierung ist durch das „Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" vom 14. August 1963 und durch das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" vom 8. Juni 1967 fester Bestandteil unserer Wirtschaftspolitik geworden. Die entscheidenden Grundlagen einer vorausschauenden Wirtschaftspolitik hätten wir also bereits vor über zehn Jahren schaffen können, wenn die Zeichen der Zeit, wenn. die immer unabweisbarer gewordene Notwendigkeit einer gesamtwirtschaftlichen Rahmenplanung und einer Steuerung des gesamtwirtschaftlichen Ablaufs erkannt worden wären. Erst die einschneidenden Erfahrungen der Rezession führten zu einem wirtschaftspolitischen Umdenken. Mit der Planung und Steuerung des gesamtwirtschaftlichen Ablaufs hat die Bundesregierung nach Jahren der wirtschaftspolitischen Abstinenz ihre Verantwortung für das soziale Gesamtschicksal der Nation übernommen.
Der Sachverständigenrat hat mit seinem Jahresgutachten 1967/68 wieder eine hochqualifizierte Analyse unserer volkswirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Die Leistung und das Bemühen des Sachverständigenrates finden unsere Anerkennung. Er ist in den Jahren seiner Tätigkeit zu einem bedeutsamen Faktor der wirtschaftspolitischen Meinungsbildung in der Bundesrepublik geworden. Wir stimmen voll mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister überein, der das Jahresgutachten 1967/68 der Sachverständigen als sorgfältig und umfassend bezeichnet hat. Ich meine jedoch, daß, ohne dieses Werturteil ungebührlich einschränken zu wollen, ein paar Worte der Kritik an diesem Gutachten erlaubt und doch wohl auch angebracht sind.
Zunächst lassen Sie mich ein paar Worte zum Umfang und zum Inhalt sagen. Der Gutachten scheint sich eine Sprache zu bemächtigen, die weniger der Funktion der Äußerungen der Sachverständigen, nämlich Politikern Entscheidungshilfe zu geben, entspricht und angemessen ist, als vielmehr der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion auf sicherlich hohem Niveau.
Jahr für Jahr sind die Gutachten an Umfang gewachsen, und Jahr für Jahr haben die bloßen theoretischen Erörterungen mehr an Raum eingenommen. Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß sich ein Parlamentarier etwas vergibt, wenn er mit der gebotenen Deutlichkeit die Sachverständigen darum bittet, daß sie sich bei der Abfassung und bei der Disposition ihres Gutachtens stets der Aufgabe ihrer Äußerung als politische EntscheiRavens
dungshilfe bewußt bleiben. Ausdrücklich beauftragt das Gesetz über die Bildung des Sachverständigenrats diesen Rat „zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit". Die in der Textziffer 11 dieses Vorwortes zum Sachverständigengutachten gemachten Ansätze zur Selbstverteidigung, die ja dort vorhanden sind, vermögen dabei nicht zu überzeugen. Wenn Lesbarkeit und Umfang des Gutachtens fürderhin nicht erheblich besser auf den Parlamentarier zugeschnitten werden, so dürfen sich unsere „fünf Weisen" nicht darüber wundern, wenn die Gutachten künftig nicht mehr gelesen werden. Die breite Anlage und der Versuch, jedem etwas zu bieten, hat dazu noch eine Gefahr: sie kann dazu führen, daß es zu einer unlauteren Auswahl von einzelnen Dingen kommt, ohne daß dabei die jeweilige Gesamtkonzeption ausreichend gewürdigt würde.
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Ich meine, die Sachverständigen sollten es auch vermeiden, ihre Entscheidungshilfen so detailliert und so perfekt auszufeilen, daß sie den wirtschaftspolitisch Verantwortlichen keinen Spielraum mehr für eigene Gestaltungsmöglichkeiten lassen. Die Chance, Kompromißlösungen zu finden, wie sie die unterschiedliche Interessenlage in einer Demokratie erfordert, muß erhalten bleiben. Die modelltheoretisch richtige Lösung kennzeichnet nach meiner Meinung nicht immer die in der politischen Wirklichkeit beste und mögliche Lösung.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bedauert es in diesem Zusammenhang auch - lassen Sie mich das sagen -, daß der Sachverständigenrat seinem gesetzlichen Auftrag, in seine Untersuchung auch die Bildung und die Verteilung von Einkommen und Vermögen einzubeziehen, nur sporadisch nachgekommen ist. Die Frage nach der gerechten Einkommens- und Vermögenspolitik wird nach der Überwindung dieser Rezession und der Wiedererlangung eines angemessenen Wachstums mehr und mehr zur Gretchenfrage unserer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik werden.
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Wir alle - und ich meine, das gilt auch für den Sachverständigenrat - dürfen einer Antwort auf diese Frage nicht länger ausweichen.
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Lassen Sie mich noch einen weiteren Satz der Kritik, wie ich hoffe und meine, hilfreicher Kritik, sagen, die das Verdienst der Gutachter gar nicht schmälern soll. In diesem Hause ist sich jedermann darüber im klaren - soweit er mit wirtschaftspolitischen Fragen befaßt ist; und auch ich bin mir dessen bewußt -, daß Wissenschaftler keine Propheten sind und daß sie nur mit hinlänglicher Sicherheit prognostizieren können, wenn die geeigneten statistischen Erhebungen vorliegen. Diese verfügbar zu machen, meine Damen und Herren, ist unsere Aufgabe, Aufgabe des Gesetzgebers. Diese hat er bisher wegen kleinlicher Streitereien zwischen Bund und Ländern nicht ausreichend erfüllt.
Trotzdem befriedigt mich die halbjährige Prognose des Gutachtens nicht. Keiner in diesem Hause wird sich mit ruhigem Gewissen auf das Sachverständigengutachten beziehen können, wenn er dort nur Prognosen für das erste Halbjahr findet. Ich hätte zu gerne gewußt, wie es denn im zweiten Halbjahr weitergehen kann.
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- Nach den Prognosen und nach den Wünschen, die sie dort äußern, und nach den Vorschlägen, die sie dort machen! Ich habe den Eindruck, die Gutachter sagen uns hier zwar, wieviel Dynamit wir in diesem ersten halben Jahr in die Sprenglöcher packen sollen, aber sie schweigen sich dann schamvoll darüber aus, welche Detonationswirkungen im zweiten Halbjahr unter Umständen zu erwarten seien. Diese Antwort hätte ich gerne gehabt.
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Noch einmal möchte ich sagen- um nicht mißverstanden zu werden -, daß die Gutachten der Sachverständigen eine wertvolle wirtschaftspolitische Erziehungsarbeit geleistet haben. Dies trifft auch für das jetzige Jahresgutachten in vollem Umfang zu. Der Prozeß der Rationalisierung der Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik ist zu beachtlichen Stücken der pädagogischen Wirkung der Gutachten zu verdanken. Der Sachverständigenrat sieht natürlich selber, daß der Prozeß des Lernens im Fach „Rationale Wirtschaftspolitik" jetzt allerdings weitgehend abgeschlossen ist. Dafür ist die vorzügliche Darstellung des Sachverständigenrats über die Geschichte der Rezession Zeuge und Beispiel. Eindeutig - lassen Sie mich das auch als Sozialdemokrat hier sagen - kann jeder der Darstellung der Geschichte dieser Krise entnehmen, wie diese Krise von einer emotionalen Wirtschaftspolitik der „Kapuzinerpredigten" verschuldet wurde und wie sie überwunden wurde durch eine rationale Wirtschaftspolitik der Fakten und der Zahlen, für die ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister die Verantwortung übernommen hat. In dieser Analyse der Krise, die sich eigentlich für viele fesselnd lesen sollte, die sich in diesem Hause um die Gestaltung einer rationalen Wirtschaftspolitik bemüht haben, wird sichtbar, in welch hohem Maße der Wirtschaftsprozeß auf den Einsichten, Verhaltensweisen und Entscheidungen der Verantwortlichen basiert. Für viele in diesem Lande wird der objektive Befund der Sachverständigen sehr lesenswert sein. Sie sollten aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, wie wir alle. Die Sachverständigen kennzeichnen die verpaßte Chance der öffentlichen Hände im Jahre 1966 sehr deutlich. Sie kennzeichnen sie als eine Chance, in der wir unsere Investitionstätigkeit hätten kräftig ausweiten können. Ich darf hier einmal daran erinnern, daß es der jetzige Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium war, der im zweiten Halbjahr 1966 anläßlich der Beratungen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes in erster Lesung hier im Plenum eine solche Ausweitung mit allem Nachdruck gefordert hatte. Die Sach8056
verständigen schreiben - und das sollte uns nachdenklich stimmen -:
Der fiskalistische Wettlauf mit dem rezessionsbedingten Zurückbleiben der Einnahmen führte dazu, daß die für 1967 geplanten Investitionsausgaben sogar unter den Ansätzen von 1966 lagen, und auch heute noch ist die Finanzpolitik weithin mit einem verhängnisvollen fiskalistischen Denken befangen.
Soweit der Sachverständigenrat. Ich bin mir nach der Rede unseres Bundesfinanzministers nicht mehr ganz sicher, ob das alles trifft. Aber wer von uns lernt denn eigentlich aus?
In der manifesten Krise des Jahres 1967 bedurfte es des ganzen Gewichts des Bundeswirtschaftsminiters, um eine aktive Politik zur Überwindung des Konjunktureinbruchs gegen mancherlei Widerstände durchzusetzen. Bei diesem Rückblick sollten wir auch nicht übersehen, daß die kräftige Erhöhung der Renten, der Pensionen und der Unterstützungen im Jahre 1967, also die Rentendynamik und die Arbeitslosenunterstützung sich ebenso wie die Verhinderung einer negativen Lohnpolitik als in unsere Wirtschaft eingebaute Stabilisatoren gegen ein noch tieferes konjunkturelles Abgleiten bewährt haben. In den Beratungen über die mittelfristige Finanzplanung ist hier im Hause und draußen in der Öffentlichkeit immer wieder versucht worden, einen Gegensatz zwischen Sozialpolitik und Konjunkturpolitik, zwischen Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik zu konstruieren. Durch die klaren und deutlichen Sätze des Sachverständigenrats und durch seine Berechnungen, die er dafür vorgelegt hat, ist wohl diese Vorstellung ein für allemal ausgeräumt. Wir haben den Eindruck, daß wir nicht umsonst in der Vergangenheit in Übereinstimmung mit dem Sachverständigenrat immer wieder auf eine Rationalität der Wirtschaftspolitik gedrängt haben.
In diesem Zusammenhang ein letzter Hinweis auf das Sachverständigengutachten. Wir hätten es also begrüßt, wenn der Sachverständigenrat den Mut, sich zu irren, aufgebracht und eine Prognose für das ganze Jahr 1968 - nicht nur für das erste Halbjahr
- gewagt und begründet hätte. Aber eine solche Prognose sollte alternativ den voraussichtlichen oberen und den voraussichtlichen unteren Entwicklungspfad angeben und kein Konkurrenzunternehmen zur Jahresprojektion sein. Auf diese Weise
- so meinen wir - würde sich im Kontrast zu dei Jahresprojektion der Bundesregierung das wirtschaftspolitisch Denkbare und das politisch Erreichbare und Verantwortbare klarer voneinander abheben. Wir würden uns freuen, wenn der Sachverständigenrat unsere Anregungen nicht als eine kleinliche Kritik ansähe, sondern sie so nähme, wie wir sie gemeint haben: als eine Anregung, damit das Sachverständigengutachten in den kommenden Jahren weiter seine Funktionen in diesem Hause erfüllen kann.
Die Bundesregierung hat in diesem Jahr zum ersten Male seit Bestehen der Bundesrepublik dem Deutschen Bundestag einen Jahreswirtschaftsbericht mit den Kernstücken der Jahresprojektion und der
Darstellung der geplanten Wirtschafts- und Finanzpolitik als sie selbst bindende Absichtserklärung vorgelegt. Dieser Jahreswirtschaftsbericht als Bericht über die wirtschaftliche Lage der Nation ist ein Markstein in der Geschichte der deutschen Wirtschaftspolitik. . Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt ihn als Ausdruck der neuen Wirtschaftspolitik. Die Bundsregierung ist durch dieses Hohe Haus verpflichtet und in die Lage versetzt worden, ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum, einen hohen Beschäftigungsstand, die Stabilität des Preisniveaus und außenwirtschaftliches Gleichgewicht aktiv herbeizuführen; das alles natürlich nur im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung. Hierin, meine Damen und Herren, liegt Sinn und Inhalt des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes.
Durch die Einführung des Prinzips der gesamtwirtschaftlichen Planung und Steuerung in die Wirtschaftspolitik des Staates wird unsere Wirtschaftsverfassung entscheidend verbessert. Ich sehe allerdings diese Verbesserung nicht als einmaligen Akt, sondern als eine Entwicklung, in der wir alle bereit sein müssen, aus den gemachten Erfahrungen zu lernen. Der Jahreswirtschaftsbericht 1968 ist ein hoffnungsvolles Beginnen. Die Realisierung der Ziele der Rahmenplanung muß zunehmend sicherer werden, unter anderem durch eine enge Koordination der mittelfristigen Finanzplanung von Bund, Ländern und Gemeinden. Wir stimmen mit der Bundesregierung und dem Sachverständigenrat darin überein, daß die, volkswirtschaftliche Rahmenplanung eine Absage an eine falsch verstandene autonome Politik einzelner Wirtschaftskräfte bedeutet; . sie bedeutet jedoch nicht Aufgabe der eigenständigen Positionen. Der gesamtwirtschaftliche Rahmenplan hat das Ergebnis einer Abstimmung der den Wirtschaftsprozeß tragenden Kräfte zu sein. So verlangt es unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung. Die effektive Mitwirkung der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände an der Rahmenplanung bietet die Gewähr dafür, daß die abgesteckten Ziele durch die freien Entscheidungen dieser Wirtschaftskräfte mit verwirklicht werden. Im Jahresgutachten heißt es dazu wörtlich:
Ein solcher multilateraler Pakt aber hat nur dann gute Chancen, wenn die Beteiligten ihre Interessen schon von Anfang an bei der Gestaltung des Leitbildes geltend machen und zum Ausgleich bringen können.
Diese grundsätzlichen Überlegungen des Sachverständigenrates bilden einen durchaus konstruktiven Ansatzpunkt, dem wir zustimmen. Im Grundsatz entspricht der Gedanke des multilateralen Interessenclearings der bei der Aufstellung einer volkswirtschaftlichen Rahmenplanung gegebenen Aufgabe des Ausgleichs der Ansprüche, die von den einzelnen Gruppen und den öffentlichen Händen an das zu erwartende Sozialprodukt herangetragen werden.
Der Sachverständigenrat hat jedoch in der Ausgestaltung seiner Grundsatzüberlegungen einen Perfektionismus walten lassen, der den Entscheidungsspielraum und die Entscheidungsfreiheit der den Wirtschaftsprozeß tragenden Kräfte aufhebt. Ich
denke hier beispielsweise an die vorgeschlagene Basisleitlinie für Tarifabschlüsse mit Stufenerhöhungen, an die vorgeschlagene Sanktionierung eines Systems von Lohnleitlinien durch die Konzertierte Aktion, die im Widerspruch zu der von uns allen bejahten Tarifautonomie steht. Ich denke weiter an den nach der Meinung des Sachverständigenrats in den Jahren 1968 und 1969 „erstrebenswerten Expansionspfad", der der Jahresprojektion der Bundesregierung vorgreift. Ist denn die Frage der Beschleunigung des Expansionstempos wirklich eine wissenschaftlich zu entscheidende Frage? Selbstverständlich gelangt man, wenn man das Verhalten von Staat und Gesellschaft festlegt, wenn man sich also Prämissen schafft, zu ganz bestimmten Ergebnissen. Aber sollte es nicht so sein, daß uns Entscheidungshilfen für unser eigenständiges Verhalten gegeben werden und daß wir nicht hier zunächst auf ein Verhalten festgenagelt werden?
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Auf der einen Seite sind in diesem uns vorgeschlagenen Rahmenpakt - und da wird es ein wenig eigenartig - mit einer erstaunlichen Präzision Daten gesetzt, während andererseits die Sachverständigen in ihrem Gutachten schreiben - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Als Leitbild selbst können sich die folgenden Gedanken und Rechnungen
- zum Rahmenpakt -bestenfalls dann eignen, wenn der Sachverständigenrat die wahren mittelfristigen Interessen der Beteiligten und der Gesamtheit zufällig richtig eingeschätzt hätte.
Hier muß man fragen, wie wir dann mit einer solchen Selbstverständlichkeit bei einer Halbjahresprognose gleichzeitig Lohnleitlinien für zwei Jahre dort finden können.
Die Distanzierung der Bundesregierung und des Deutschen Gewerkschaftsbundes von dem Vorschlag eines Rahmenpaktes erscheint mir allerdings zu wenig differenziert. Wir hätten es begrüßt, wenn die Bundesregierung und der Deutsche Gewerkschaftsbund ihre Vorstellungen über die Art und Weise eines mehrseitigen Interessenausgleichs noch stärker konkretisiert hätten. Daß ein solcher Ausgleich möglich ist, hat sich nach meiner Meinung im Jahre 1967 erwiesen. Im Jahre 1967 führten dieser Staat und diese Gesellschaft in gemeinsamer Anstrengung Wirtschaft und Finanzen aus einer akuten Krisensituation heraus. Dies macht uns zuversichtlich. Von nun an wird jedes Jahr von neuem bei der Aufstellung der Jahresprojektion ein mehrseitiger Interessenausgleich versucht und gewagt werden müssen.
Wir haben in unserem Wirtschaftsleben unterschiedliche Interessenstandpunkte, diese sind auch sachlich begründet, und ihre Vertretung ist legitim. Wir haben Gerwerkschaften und Unternehmerverbänden die Tarifautonomie übertragen, und das wollen wir auch so beibehalten. Wir wissen, daß ein
Ausgleich der Interessen immer nur im Spiel der Kräfte erreicht wird und daß er ständig von neuem erstrebt werden muß. In einer freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaft ist die Koordination der wirtschafts-, finanz-, geld- und einkommenspolitischen Entscheidungen eine permanente und niemals völlig und endgültig zu lösende Aufgabe.
Lassen Sie mich ein Wort zu den geplanten investiven Ausgaben im öffentlichen Bereich sagen. Im Jahreswirtschaftsbericht heißt es in Ziffer 35:
Für die öffentlichen Investitionsausgaben ist in der Jahresprojektion - einschließlich .der Mittel aus dem zweiten Konjunktur- und Strukturprogramm - eine Ausweitung um etwa 11 v. H. unterstellt worden.
Bei dem geringen Anteil des Bundes am öffentlichen Investitionsvolumen dürfte klar sein, ,daß .der Hauptanteil an diesen um 11 % zu vermehrenden Investitionen von den Ländern und .den Gemeinden vorgenommen werden muß. Bei .der Beurteilung des Zuwachses von 11 % muß man sich allerdings, um nicht zu sehr vor dieser Zahl zu erschrecken, darüber im klaren sein, daß der Ausgangspunkt des Jahres 1967 um 1,3 Milliarden DM niedriger lag als im Jahre 1966. Die Ausgangsbasis ist also ungewöhnlich niedrig.
Auch wir, meine Damen und Herren, wünschen ein konjunkturgerechtes Verhalten der Länder und der Gemeinden. Sie sind auch nach dem Stabilitätsgesetz dazu verpflichtet. Wir sind der Auffassung, daß insbesondere die Länder ihre 'investiven Ausgaben 1968 beträchtlich erhöhen können. Sie verfügen in ihrer Mehrzahl - nicht alle - über einen ungenutzten Verschuldungsspielraum.
Die angestrebte Steigerung der Investitionstätigkeit der Gemeinden wäre allerdings bei dem derzeitigen Stand der kommunalen Verschuldung nur zu erreichen, wenn sie durch finanzielle Maßnahmen des Bundes und der Länder unterbaut würde. Die Lage vieler Gemeinden ist dadurch gekennzeichnet, daß seit Jahren die laufenden Einnahmen hinter den laufenden Ausgaben zurückgeblieben sind und .einer Ausweitung der kommunalen Investitionstätigkeit im wesentlichen nur durch eine überproportional ansteigende Verschuldung erreicht werden konnte. Diese Lücke kann durch die beabsichtigte Aufstokkung der für die Gemeinden bestimmten zinsverbilligten ERP-Kreditmittel um 250 Millionen DM nicht geschlossen werden. Von der künftigen Gemeindefinanzreform, so sehr sie auch drängt, sind in diesem Konjunkturaufschwung keine Impulse zu erwarten. Deshalb sollte die Bundesregierung ernsthaft überlegen, ob es nicht notwendig ist, den Gemeinden für die gesamtwirtschaftlich erforderliche Investitionsausweitung weitere finanzielle Hilfe zu gewähren.
Im Jahreswirtschaftsbericht wird weiter davon ausgegangen, daß die normalerweise zu erwartende Abschwächung im Wohnungsbau durch städtebauliche Sanierungsmaßnahmen und höhere Infrastrukturinvestitionen in spürbarem Ausmaß aufgefangen wird. Die Stadtsanierung und Stadterneuerung sind bisher jedoch weder rechtlich noch finanziell abgesichert. Die Vorbereitungen für solche Maßnahmen,
das wissen wir alle, sind furchtbar langwierig; man schätzt etwa zwei bis drei Jahre. Deswegen sollte ein Städtebauförderungsgesetz, das auch das Bodenrecht verbessert und das Bodenspekulationen bei der Sanierungsvorbereitung ausschließt, so bald wie möglich eingebracht und vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Denn nur so läßt sich die notwendige langfristige Entwicklung der öffentlich induzierten Bauinvestitionen sichern.
Vor kurzem diskutierte dieses Hohe Haus über die Fragen der Strukturpolitik. Der Herr Bundesfinanzminister hat heute noch einmal auf die Notwendigkeit dieses Bereiches hingewiesen. Dabei wurde die Bundesregierung von allen Seiten dieses Hauses nachdrücklich dazu aufgefordert, die politisch schwerwiegenden Probleme des Zonenrandgebietes und die der Bundesausbaugebiete neben der notwendigen Sanierung der Steinkohlengebiete nicht zu vernachlässigen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung damals in einem Antrag zur Strukturpolitik aufgefordert, einen Betrag von 1 Milliarde DM zur Mitfinanzierung von Strukturprogrammen an Ruhr und Saar und im Zonenrandgebiet bereitzustellen. Wir forderten in diesem Antrag, die Mittel schwerpunktmäßig zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit in Verbindung stehender Infrastrukturmaßnahmen vor allem dort einzusetzen, wo sich größere Entlassungen von Arbeitskräften infolge struktureller Veränderungen abzeichnen. Dies ist ein klarer Auftrag.
Meine Damen und Herren, wenn wir einen Blick auf die jüngsten Zahlen der Arbeitsmarktstatistik in strukturschwachen Gebieten werfen, dann sehen wir, wie bitter notwendig hier Investitionen und zusätzliche Arbeitsplätze sind. Ich darf Ihnen nur ein paar Zahlen nennen: in Gelsenkirchen - mitten im Ruhrgebiet - 6,3 %, Schwandorf - Bayern -16,2 %, Bochum 5,1 %, Saarlouis 5,4 %, Passau 22 °/o. Das sind Zahlen vom Januar 1967. Sie ragen weit über die Durchschnittszahlen bei uns in der Bundesrepublik hinaus, und sie machen deutlich, daß es hier einen Sockel von strukturellen Arbeitslosen gibt. In diesen Bereich wollen wir mit unserem Antrag 1 Milliarde DM hineingeben.
Ich glaube, wir sind uns alle darin einig, daß eine Förderaktion in einem angemesseneren Umfang, als bisher vorgesehen, für diese Gebiete dringend geboten ist und daß damit die im Jahreswirtschaftsbericht genannte jahresdurchschnittliche Arbeitslosenzahl von 311 000, von der ich, Herr Minister, sagen darf, daß sie uns nicht befriedigt, wesentlich vermindert werden könnte. Für uns -ist diese Arbeitslosenzahl keine statistische Größe. Das mit 1,4 % mag alles ganz erträglich sein. Hinter jeder dieser Zahlen aber steht ein Mensch und eine Familie, und hinter jeder dieser Zahlen steht ein Menschenschicksal; daran müssen wir uns immer erinnern.
Auch die Bundesbank hat sich in ihrem jüngsten Monatsbericht dafür ausgesprochen, die strukturelle Arbeitslosigkeit durch strukturpolitische Maßnahmen zu vermindern. Sie dürfte sich sicher darüber im klaren sein, daß in der gegenwärtigen Situation
solche zusätzlichen Maßnahmen nur durch ihre Mitwirkung bei der Finanzierung und bei der Kreditbeschaffung möglich sind.
Der Herr Bundesfinanzminister hat hier ein paar Worte zur Bundesbank gesagt. Gestatten Sie mir, daß ich hier, obwohl das vom Thema abweicht, ein paar Worte dazu sage. Wir haben das Bekenntnis des Bundesfinanzministeras zur Autonomie der Bundesbank gehört. Er wird von uns ein ebensolches Bekenntnis mit vollem Bewußtsein und vollem Wollen zurückbekommen können. Aber ich darf hier auch einmal sagen: Ich würde mir wünschen, man läse das Bundesbankgesetz nicht immer nur bis zum § 1. Ich wünsche mir, daß es auch bei einigen Herren der Deutschen Bundesbank bis einschließlich § 12 gelesen wird; denn dort steht, daß die Bundesbank verpflichtet sei, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung zu unterstützen. Ich möchte das hier nur einmal in die Erinnerung zurückrufen, weil ich den Eindruck habe, daß dies in der Vergangenheit mehr und mehr aus dem Gedächtnis einiger Verantwortlicher dieses Landes verschwunden ist.
Nun zurück zum Strukturprogramm. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung im Rahmen des bestehenden Haushaltsvolumens für den Ausbau der Infrastruktur an Ruhr und Saar 50 Millionen DM an Zuschüssen und Zinszuschüssen bereitstellen will. Wir begrüßen auch die beabsichtigte, wenn auch, wie vorhin schon gesagt, zu geringe Aufstockung von 250 Millionen DM im Rahmen des ERP-Investitionshilfegesetzes, aus der Gemeinden - wie wir hören: regional begrenzt auf Steinkohlegebiete und Bundesfördergebiete und Berlin - zusätzlich zinsgünstige Darlehen gewährt werden sollen. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden:
1. Das Zonenrandgebiet wird als eines der drei wichtigsten Problemgebiete kaum in die zusätzlichen Fördermaßnahmen einbezogen.
2. Es werden ausschließlich öffentliche Maßnahmen gefördert. Wir meinen, hier sollte man auch überlegen, wieweit die direkte Förderung der industriellen Ansiedlung möglich ist.
3. Die zusätzlichen ERP-Mittel sollten nicht gestreut, sondern schwerpunktmäßig zur Schaffung neuer Arbeitsplätze eingesetzt werden.
Wir begrüßen ausdrücklich die Absicht der Bundesregierung, die gesetzlichen Voraussetzungen der Wettbewerbspolitik zu verbessern und einen wirksamen, funktionsfähigen Wettbewerb zu fördern. Ich habe das heute in der Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers mit größer Freude zur Kenntnis genommen.
Wir stimmen mit der Bundesregierung darin überein, daß man der leistungssteigernden Kooperation den erforderlichen Raum geben sollte. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sehen, daß sich daraus eine zunehmende Vermachtung der Märkte durch Konzentration ergeben kann. Die Bundesregierung hat in der Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes schon ihrer Sorge darüber Ausdruck gegeben, daß mit den augenblickRavens
lich vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten ein Mißbrauch von Marktbeherrschung nicht zu verhindern sei. Wir bitten deshalb die Bundesregierung, vor dem Vorschlag wettbewerbspolitischer Einzelmaßnahmen ihr wettbewerbspolitisches Konzept zur Diskussion zu stellen.
Die in der Jahresprojektion der Bundesregierung angeregte Erhöhung der Stundensätze der Tariflöhne und Gehälter von 4 bis 5 % erscheint uns realistisch und im jetzigen Konjunkturaufschwung erreichbar und geboten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es sich um jahresdurchschnittliche Sätze handelt. Um die notwendigen Einkommensteigerungen und damit die erforderlichen Nachfrageausweitungen zu erreichen, sollte ein möglichst früher Abschluß der Tarifverträge in diesem Jahr angestrebt werden. Dies wäre der Beitrag der Tarifpartner für einen Aufschwung nach Maß.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß im Aufschwung eine verstärkte Förderung der Vermögensbildung in den unteren Einkommensschichten gesellschaftspolitisch geboten ist. Eine verstärkte Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand würde den Spielraum preisneutraler Lohnerhöhungen erweitern, die für das künftige Wachstum erforderliche Ausweitung der Geldkapitalbildung und langsam auch eine ausgewogenere Vermögensverteilung herbeiführen.
Eine solche Vermögenspolitik erfordert keine neuen Haushaltsansätze, Herr Bundesfinanzminister; sie erfordert jedoch den Umbau eines wirtschaftspolitisch falschen und gesellschaftspolitisch anachronistischen Fördersystems, das die einkommenschwachen Schichten übergeht, die sparfähigen Schichten dagegen prämiiert und eine immer einseitigere Vermögensverteilung herbeiführt. Die Fördermittel sollten deshalb so eingesetzt werden, daß die Prämien in den unteren Einkommensschichten am höchsten sind und mit steigendem Einkommen unter Berücksichtigung des Familienstandes fallen. Daneben könnte auch die Sparfrist eine Rolle spielen.
Neben diesen Überlegungen sollten die Vorschläge des Sachverständigenrates hinsichtlich des Beteiligungssparens und der Beteiligungsfinanzierung eingehend geprüft werden. Uns erscheint es hier von Bedeutung, daß durch die vorgeschlagene Form der Beteiligungsfinanzierung längerfristig der durch unser Steuersystem hervorgerufene „Zwang" zur Unternehmensfinanzierung über die Gewinne vermindert und die Bilanzstrukturen verbessert würden.
Wir wissen aber auch, daß eine solche Umstrukturierung sorgfältiger und grundlegender Überlegungen -und Vorbereitungen bedarf; die Bundesregierung sollte jedoch noch in dieser Legislaturperiode dem Bundestag ihre Vorstellungen hierzu darlegen. Die Tarifpartner möchten wir an dieser Stelle auffordern, durch eine entsprechende Gestaltung ihrer Tarifverträge zu einer breiteren Vermögensbildung beizutragen.
Der von der Bundesregierung vorgeschlagene „Sparbrief der öffentlichen Hand" sucht nach unserer Meinung einen neuen Weg des Sparens zu eröffnen, der vielversprechend sein kann, wenn er mit einem Sozialbonus ausgestattet ist. Auch hier wären wir für eine baldige Präzisierung dankbar.
Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung trotz der protektionistischen Bestrebungen in anderen Ländern an einer liberalen Außenhandelspolitik festhält, daß durch die Ergebnisse der KennedyRunde sowie die Einführung eines gemeinsamen Außenzolltarifs der EWG ein weiterer Zollabbau zu erwarten ist.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mißt im gleichen Maße wie der Sachverständigenrat der außenwirtschaftlichen Absicherung zur Abwehr eines Inflationsimports hohe Bedeutung bei. Außenwirtschaftliches Gleichgewicht ist ja auch eines der Ziele des Stabilitätsgesetzes. Die Bundesregierung findet unsere volle Unterstützung, wenn sie diese Ziele im Rahmen einer Stabilitätsgemeinschaft der EWG-Länder und im Rahmen der OECD zu verwirklichen sucht.
Der auszuweitende Gemeinsame Markt muß auch zu einer Wirtschaftspolitik mit einem Nenner führen. Der EWG-Vertrag spricht diese Forderung deutlich aus. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, initiativ eine solche Entwicklung herbeizuführen.
Ich möchte hier auf die Fragen der Energiepolitik und auf einige andere Dinge nicht eingehen, weil ich meine, sie sollten noch einmal detailliert von Einzelsprechern behandelt werden.
Lassen Sie mich zum Abschluß nur sagen: Wir sind der Meinung, es sollte niemanden in diesem Hause und auch niemanden in der Öffentlichkeit geben, der glaubt, daß mit der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung die Wirtschaftspolitik für dieses Jahr nun gemacht sei. Wir können mit Zuversicht auf die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung dieses Jahres blicken, wenn wir mit großer Wachsamkeit in den kommenden Wochen die weitere Entwicklung im Auge behalten. Das Verhalten der Unternehmer, das sich in den letzten statistischen Erhebungen niedergeschlagen hat, gibt uns Anlaß zu optimistischen Erwartungen. Die aktive Wirtschafts- und Konjunkturpolitik von Bundeswirtschaftsminister Prof. Karl Schiller hat nach übereinstimmendem Urteil dazu geführt, eine gefährliche Krise zu vermeiden, den Marsch durch die Talsohle zu verkürzen und jedermann im Lande berechtigte Aussicht auf wachsenden Wohlstand zu bescheren. Jedem, dem Einsicht in die wirtschaftlichen Zusammenhänge möglich ist, wird bei der gegenwärtigen Konjunkturlage aber auch klar, daß eine Ausweitung des privaten Verbrauchs notwendig ist, um einen sich selbst tragenden Aufschwung zu erreichen. Die in der Zielprojektion der Bundesregierung genannten 4- bis 5%igen Lohnerhöhungen und Einkommenssteigerungen der Arbeitnehmer sollten von Gewerkschaften und Arbeitgebern als ihr Beitrag zur weiteren Belebung der Wirtschaft verstanden werden.
Die Große Koalition hat auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik bewiesen, daß sie zielbewußt und
wirkungsvoll zu handeln versteht. Manche von uns hätten sicherlich gewünscht, daß der Aufschwung in diesem Frühjahr durch weitere gezielte und dosierte Maßnahmen des Bundes unterstützt worden wäre. Das Kabinett ist hier den Anregungen des Bundeswirtschaftsministers nicht gefolgt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion betont ihre Bereitschaft, die Bundesregierung bei etwa notwendigen weiteren konjunkturellen Maßnahmen zu unterstützen. Sie wird die Regierung dazu auffordern, wenn hinreichend Grund dazu vorhanden ist. Wenn wir diese unsere Aufgabe miteinander erfüllen, meine Damen und Herren, ist dieses Parlament in der Lage, unseren Bürgern einen Aufschwung nach Maß vorherzusagen, der auf sicheren Beinen steht.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haas.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein Wort zum Modus procedendi, nachdem mein Herr Vorredner das Thema schon angeschnitten hat. Die FDP kann hier ihre Hände in Unschuld waschen. Denn meine Fraktionskollegen im Ältestenrat haben beantragt, daß auch in der zweiten Sitzungwoche am Mittwoch die Plenarsitzung vormittags beginnt. Dann wäre das, was sich hier wieder einmal abzeichnet, nämlich eine schwache Besetzung des Hauses in einer wichtigen Debatte, wohl zumindest nicht in diesem Umfang eingetreten. Meine Damen und Herren, zu einer funktionierenden Demokratie gehört nun einmal auch eine gewisse Optik. Es ist von vornherein schlecht, eine solche Optik, ich möchte sagen, fahrlässig dadurch herbeizuführen, daß man solche Debatten auf den Nachmittag legt.
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Zur Sache: Eine Volkswirtschaft ist um so konjunktur- und krisenanfälliger, je mehr sie am Rande eines defizitären Haushalts marschiert. Dieser Satz gilt auch im System einer mittelfristigen Vorausschau, in der bewußt Defizite auf Zeit in Kauf genommen werden in der Erwartung, daß sich innerhalb einer bestimmten Frist ein Umkehrbild ergibt. Aber dieses Idealbild ist derzeit bei uns gar nicht gegeben, weil 14 Milliarden DM an Neuverschuldung kurzfristig in den beiden Jahren 1972 und 1973, also nach Ablauf der Periode, getilgt werden sollen. Dazu treten eine Steueraufkommenslücke 1968 von mindestens 1 Milliarde DM, Mehrausgaben 1968 von bisher 0,7 Milliarden DM und das Defizit des Jahres 1967 von ca. 1,4 Milliarden DM, also eine hübsche Gesamtsumme.
Zudem muß befürchtet werden, daß das, was durch die mittelfristige Planung auf dem Sektor der Verteidigungspolitik gewonnen schien, nämlich eine gewisse Beschneidung unserer Verteidigungsplanung, durch das jetzige Drängen vor allem der Vereinigten Staaten von Amerika auf Devisenausgleichszahlungen wieder verlorengeht. Die Amerikaner halten uns zum Ausgleich verpflichtet für ihr gesamtes sogenanntes Stationierungsdefizit, das sie mit 0,8 Milliarden Dollar - 3,2 Milliarden DM - beziffern. Die FDP weist nochmals darauf hin, daß für Devisenausgleich im Rahmen der mittelfristigen Planung keinerlei Ansätze im Haushalt vorgesehen sind und daß der Fortbezug von teurem US-Material für die deutsche Rüstung über viele Jahre hinweg den Verteidigungshaushalt niemals in Ordnung bringen kann.
Die Gefahr, daß jede geringfügige Fehlbeurteilung der Lage bei der alljährlichen Vorlage des Sachverständigengutachtens die Bundesregierung bei ihrer sehr eingeschränkten Bewegungsfreiheit zu fehlerhaften wirtschafts- und steuerpolitischen Maßnahmen verleitet, ist besonders groß. Zu ihrem Heile hat die Bundesregierung die von den Sachverständigen in diesem und im letztjährigen Jahresgutachten empfohlene Einkommensteuertarifsenkung nicht durchgeführt. Andererseits aber wird der Wert von Gutachten, welche aktuelle strukturpolitische Engpässe mit sofortigen steuerpolitischen Maßnahmen korrigieren wollen, die ihrer Wirkung nach doch niemals ganz kurzfristig sein können, sehr in Frage gestellt. Die Sachverständigen sehen die Finanzpolitik offenbar in einer vollständigen Abhängigkeit von der Wirtschaftspolitik und schießen damit meines Erachtens weit über ein vernünftiges Ziel hinaus.
Es erhebt sich hier auch die Frage, ob nicht haushaltspolitische Maßnahmen geeignet sind, die eingangs beschriebene Gratwanderung in unserer Wirtschaft im Stadium der Rezession weniger gefahrvoll zu gestalten. Da bietet sich einmal eine umfassende Haushaltsreform an, die im wesentlichen eine Haushaltsrechtsreform sein und auch grundgesetzliche Änderungen mit einschließen müßte. Die Bundesregierung hat in ihr Regierungsprogramm viele Reformpläne eingeschlossen - von denen sie bis jetzt noch keinen einzigen verwirklicht hat -, den Programmsatz der Haushaltsreform jedoch nicht. Dabei erweist sich gerade diese Reform als besonders vordringlich. Die grundgesetzlich garantierte völlige Selbständigkeit der Haushaltswirtschaft unserer Bundesländer erweist sich gerade jetzt bei den Beratungen über die Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund und Ländern bei der Finanzreform als erhebliche Barriere.
Es fragt sich auch, ob die Reichshaushaltsordnung des Jahres 1922 nicht immer wieder den Verwaltungen Veranlassung gibt, eine Vorratshaltung auf dem Gebiete sowohl der Personal- wie der Sachbewirtschaftung zu treiben und gegen Ende des Haushaltsjahres die Titel auszukehren, also sinnlos öffentliche Gelder zu vergeuden. Jeder, der die Dinge einmal von der anderen Seite miterlebt hat, weiß, wie absolut unökonomisch viele Verwaltungen unter der Geltung des jetzigen Haushaltsrechtes wirtschaften.
Auch die Frage, inwieweit eine Parlamentskontrolle überhaupt wirksam sein kann, ist gestellt. Da die Kontrolleure häufig keine spezifische VerwalDr. Haas
tungserfahrung haben, sind sie immer wieder auf die Versicherungen der Haushaltsreferenten angewiesen, daß die angeforderten Mittel unbedingt gebraucht würden. Gelingt es in diesem Jahr nicht, Mehranforderungen durchzusetzen, dann werden diese Wünsche meist im Jahr darauf mit besserer Begründung vorgetragen und meist auch durchgesetzt.
Wenn wir die Auswirkungen dieses Systems einmal auf dem Gebiete der Personalbewirtschaftung betrachten, dann ergibt sich z. B., daß die Summe der Personalkosten beim Bund einschließlich Bundesbahn und Bundespost in den vier Jahren von 1963 bis 1967 um 37 %, nämlich von 17,117 Milliarden auf 23,491 Milliarden DM, gestiegen ist, bei den Ländern sogar um 45 %, nämlich von 14,3 Milliarden auf 20,8 Milliarden, bei den Gemeinden und Gemeindeverbänden sogar. um 47'%, nämlich von 7,95 Milliarden DM auf 11,17 Milliarden DM. Daß sich diese sehr hohen Wachstumsgrade nur zum kleinen Teil aus Gehaltsverbesserungen errechnen, versteht sich wohl von selbst. Sie sind in der Hauptsache Mehrungen durch Vergrößerung der Personalkörper. In der Tat ist dieser bei den Beamten des Bundes in den 16 Jahren von 1952 bis 1968 um 76% gestiegen, bei den obersten Bundesbehörden allein sogar um 131 %, bei den Angestellten des Bundes sogar um 348 %, bei den Arbeitern des Bundes sogar um 840 %. Die Zahlen sind im übrigen dem Finanzbericht 1968 entnommen; die Prozentsätze sind von mir errechnet. Ich bitte um Überprüfung.
Es ist klar, daß Mehrungen in einem Ausmaß, das alle vernünftigen Grenzen sprengt, den Finanzminister unter steigenden Druck setzen und ihn zu einer Anzahl von Versuchen verleiten müssen, die Wirtschaft stärker zu belasten. Um hier einmal eine Gegenaktion zu unternehmen, welche drei Länderverwaltungen betrifft, hat die FDP den Neugliederungsgesetzentwurf für den Bereich der Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland eingebracht.
In der Sozialversicherung haben 1967 die Einnahmen aus den Sozialversicherungsbeiträgen mit insgesamt 49,9 Milliarden DM erstmals eine Höhe ,erreicht, die über den Einnahmen aus den direkten Steuern von 49,3 Milliarden liegt. Dabei sollen die Sozialbeiträge in der Rentenversicherung, wie Sie wissen, noch weiter ansteigen. Der Anstieg führt zwar zu keinen höheren Leistungen an die Sozialversicherten; vielmehr können die heutigen Leistungen trotz der Beitragserhöhungen voraussichtlich nur um den Preis weiter steigender Bundeszuschüsse aufrechterhalten werden. Diese sind aber ohnedies in den zehn Jahren von 1957 bis 1966 um 75 % angestiegen, nämlich von 3,906 Milliarden auf 6,835 Milliarden DM. Aber auch auf diesem Gebiet macht die Bundesregierung nicht einmal Vorschläge zu einer umfassenden Reform. Sie begnügt sich vielmehr mit dilatorischen Maßnahmen, wie z. B. der Einbeziehung der höherbesoldeten Angestellten in die Rentenversicherung.
Der Verzicht der Bundesregierung, auf diesen entscheidenden Gebieten eine zukunftsträchtige Tätigkeit zu entfalten, ist offensichtlich. Sie wagt hier nicht irgend etwas zu tun. Auf anderen Gebieten, z. B. in der Notstandsgesetzgebung, bewegt sie große Apparate und führt unendliche Diskussionen herbei, ohne hier in der Lage zu sein, bei ,den stark divergierenden Auffassungen der Koalitionspartner auch nur zu einem leidlichen Kompromiß zu kommen. In der Frage der Wahlgesetzgebung war ihr Reformprogramm schon im Ansatz verfehlt und ist daher schon im Ansatz gescheitert.
Um so mehr wendet sich die Bundesregierung im Augenblick mit ihrer Energie dem Gebiet der Finanzreform zu. Etwas will man ja schließlich vorweisen können, wenn man sich nach dreijähriger gemeinsamer Tätigkeit in einiger Zeit die Hände schütteln wird. Zwar hat man auch hier schon längst zurückgesteckt. Die große Finanzreform kann allenfalls noch anvisiert, aber nicht mehr durchgeführt werden.
Der Gedanke einer kleinen Finanzreform scheint im Bund-Länder-Verhältnis an Boden gewonnen zu haben, nachdem der Bund seinen Anspruch, neun Aufgabenbereiche zu Gemeinschaftsaufgaben zu erklären, angesichts des Widerstandes der Länder auf drei reduziert hat; auch hier soll sogar die Exekutive bei den Ländern verbleiben. Die Hoffnung der Länder, zusätzliche Gelder für diese drei Aufgabenbereiche zu erhalten, wird voraussichtlich ihre Furcht besiegen, Einbruchstellen in ihre Kompetenzen hinnehmen zu müssen. Der Pferdefuß aber auch der kleinen Finanzreform liegt bei den Gemeinden. Schließlich werden durch keine Finanzreform der Welt mehr Gelder hervorgezaubert, sondern allenfalls vorhandene besser verteilt - wenn es gut geht. Aber auch zum Verteilen gehört wenigstens eine kleine Manipuliermasse, die der Herr Bundesfinanzminister jedoch nicht hat. Also muß er sich diese wohl beschaffen. Die Absenkungen und der spätere Wegfall der Gewerbesteuer müssen schwere Eingriffe .in das Steuergefüge zur Folge haben.
Die in regelmäßigen Abständen immer wieder erhobene Schwurhand des Herrn Bundesfinanzministers - mit dem Versprechen, es zu keinen weiteren Steuererhöhungen mehr kommen zu lassen - ist deutlich sichtbar schon wieder gesunken. Wir wissen, daß der Herr Bundesfinanzminister ,diese Freiübung mit seiner Schwurhand ebenso lebt wie gelegentliche starke Worte. Angeblich soll die in der weiteren Durchführung der neuen Einheitsbewertung bevorstehende Erhöhung der Grundsteuer nur etwa 20 % - andere sagen 50 % - des bisherigen Grundsteueraufkommens betragen, was wir im übrigen nicht glauben, denn die Gemeinden setzen ja die Meßzahlen fest, und diese werden in jedem Fall herabgesetzt werden müssen, weil die Einheitswertsätze sehr stark heraufgesetzt werden, unterschiedlich natürlich in den ländlichen und in denstädtischen Gemeinden. Aber die Erhöhung der Mehrwertsteuer und auch - alternativ oder kumulativ -die Erhöhung der Einkommensteuer werden ierheblich Isein. Sonst ist auch die geplante kleine Finanzreform nicht durchführbar. Auch der Schwur des Herrn Bundesfinanzministers, die Umwandlung der früheren Umsatzsteuer in die Mehrwertsteuer werde nicht dazu dienen, 'ein nicht ausreichendes Finanzaufkommen
des Bundes anzuheben, ist also mit Sicherheit falsch. Vielmehr werden eine erhebliche Erhöhung der Mehrwertsteuer und -- vor allem nach den Vorstellungen der SPD - auch eine beträchtliche Erhöhung der Einkommensteuer nach der Absenkung der Gewerbesteuer den Bundesbürger beglücken.
Schon die kleine und erst recht die große Finanzreform werden also auf dem Buckel des Staatsbürgers ausgetragen werden. Man stelle sich die Dinge doch nicht so einfach vor. Die industriereichen Gemeinden, in erster Linie also fast alle unsere Großstädte, sind bei der Höhe ihres heutigen Aufkommens aus der Gewerbesteuer die beatipossidentes. Sie werden nichts fahren lassen ohne klare Maßnahme des Gesetzgebers, wonach sie nicht dasselbe, sondern mehr bekommen, als sie bisher hatten. Also auf zu neuen Ufern! Aber ach, es sind ja die alten der stets steigenden Steuern!
Geringere Nettoeinkommen, auch geringere Unternehmergewinne werden also den Bundesbürger in der Zukunft beglücken. Wenn die Bundesregierung jetzt schon in der Textziffer 23 ihres Jahresberichtes beklagt, daß die Unternehmereinkommen weit hinter den Ansätzen der Zielprojektion zurückgeblieben sind, wird sie diese Klage voraussichtlich noch viel stärker in den kommenden Jahren erheben müssen. Die Dauererscheinung der Unterkapitalisierung der deutschen Wirtschaft wird sich also weiter verstärken. Damit werden sich auch die Einbruchstellen in die deutsche Wirtschaft für ausländisches Kapital entsprechend vergrößern.
Großen Kummer bereitet uns, meine Damen und meine Herren, auch die Untätigkeit des Herrn Verteidigungsministers in bezug auf die längst geforderte Vorlage seiner neuen Verteidigungskonzeption. Sein Zögern kostet den deutschen Steuerzahler bei der Höhe dieses Haushalts leider sehr viel Geld. Auch wenn er unserem Antrag, die nuklearen Trägerwaffen abzuschaffen, nicht entsprechen wird, kommt es doch sehr darauf an, in welcher Weise und in welchem Umfang er die konventionelle Rüstung durchführen wird. Jede kleine Änderung in der Konzeption kann eine Absenkung des Haushalts dieses Ministeriums um mehrere hundert Millionen DM bedeuten. Auch der Grundsatz der abgestuften Präsenz, zu dem sich der Herr Verteidigungsminister bekannt hat, kann bei genauer Durchrechnung Einsparungen erheblichen Umfanges im Gefolge haben.
Wir bedauern nach wie vor, daß unserem Antrag auf Herabsetzung der Dauer des Grundwehrdienstes von 18 Monaten auf 12 Monate nicht entsprochen wird, obwohl wir damit selbst unter Verstärkung der Reservistenausbildung, die wir vorsehen, eine Einsparung von zirka 350 bis 400 Millionen DM jährlich nachgewiesen haben.
Auch das weite Feld des Abbaues der Steuerbegünstigungen und Subventionen, das nach seiner Ergiebigkeit schwerlich überschätzt werden kann, bleibt nach dem Willen der Bundesregierung weiterhin ausgeklammert, obwohl gerade im Zeitalter der mit Steuererhöhungen verbundenen Finanzreform
eine Tätigkeit auf diesem Gebiete besonders vordringlich erscheint.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Bitte, Herr Abgeordneter Dichgans.
Herr Kollege, welche Subventionen möchten Sie jetzt in erster Linie abschaffen?
Herr Kollege, es ist Sache der Bundesregierung, uns zunächst einmal Vorschläge zu machen.
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Sie sitzen in diesem Hause mit einer Bandbreite von 90 %.
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Wir erwarten Ihre Vorschläge schon lange.
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- Jawohl, auch nach dem Stabilitätsgesetz ist die Bundesregierung verpflichtet, uns solche Vorschläge zu machen. Würde das -geschehen, würden wir also Steuerbegünstigungen und Subventionen in hinreichendem Maße abbauen können, könnten wir ohne Steuererhöhung erheblich mehr Gelder in unsere Finanzkasse bekommen, und es würde dann wenigstens eine bessere Optik gewährleistet sein.
Meine Damen, meine Herren, abschließend ein Wort: Regierungsprogramme sind schön, aber jede Regierung, auch die Ihre, wird nicht an ihren Programmen, sondern an ihren Erfolgen gemessen!
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Kollegen Ravens bedauere ich die außerordentlich „starke" Besetzung dieses Hohen Hauses zu dieser Debatte. Ich führe es allerdings weniger auf die hochgradige Erschöpfung der Kollegen aus den vergangenen Debatten zurück. Ich überlege mir vielmehr, was der Grund sein könnte; und ich glaube, daß da verschiedene Gründe zusammenwirken. Ich will hier nicht den simplen Grund der Grenobler Winterspiele anführen, obwohl auch er jetzt in die Debatte gebracht werden müßte. Vielleicht liegt es daran - man sieht es auch an den total geleerten Tribünen und an dem Fehlen der Wirtschaftspresse -, daß plötzlich im Bewußtsein sowohl der Öffentlichkeit wie der Kollegen diese Dinge, über die wir hier beraten, vielleicht weniger wichtig sind, weil man sich sagt: Na, es geht schon wieder aufwärts, da braucht man sich nicht drum zu kümmern, und die in Bonn, die
haben es mal wieder geschafft; infolgedessen können wir uns zurückziehen. - Ich will das hier also bloß andeuten.
Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, meine Ausführungen zu Protokoll geben zu dürfen. Ich möchte nur ganz wenige Stichworte sagen, weil es wohl keinen Zweck hat, eine Debatte in extenso fortzusetzen.
Die Stellungnahme der Bundesregierung ist sehr viel realistischer als die der Sachverständigen, womit ich nicht etwa eine Respektlosigkeit vor den Sachverständigen begehe. Es mag auch an dem time lag liegen, es mag daran liegen, daß die Sachverständigen sich bereits zu einer Zeit geäußert haben, in der die Dinge noch nicht so klar und übersichtlich waren wie heute. Ich finde, Herr Kollege Ravens, man sollte auch die Bundesregierung als Einheit betrachten. Es gibt eine einheitliche Stellungnahme der Bundesregierung. Man sollte also nicht etwa in diesem Hohen Hause den Verdacht aufkommen lassen, die bessere Zeit habe gewissermaßen mit der Ara Schiller begonnen,
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und was also dazu zu sagen sei, das gehe auf dieses Konto. Ich glaube nicht, daß die Bundesregierung selber dieser Ansicht ist; denn die Bundesregierung ist als totale Einheit aufgetreten und hat uns einen einheitlichen Jahreswirtschaftsbericht präsentiert, unter dem die Namen sowohl des Bundeswirtschaftsministers als auch des Bundesfinanzministers stehen. Deshalb will ich an dieser Stelle auch nicht auf die interessante Frage eingehen, die der Herr Kollege Staratzke zur Begründung seines Antrages vorgetragen hat: die Frage der Investitionsteuer. Das wäre ein abendfüllendes Programm.
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Meine Damen und Herren, es gibt viele Ansichten, es gibt auch in unserer Fraktion verschiedene Ansichten. Ich sage aber, daß die überwiegende Majorität meiner Fraktion in diesem Punkte den Ausführungen des Finanzministers folgt, denen ich hier nichts hinzuzufügen habe.
Was die antizyklische Wirtschafts- und Finanzpolitik anlangt, die die Bundesregierung auch in ihrem Jahresgutachten vertritt, so meine ich, daß auch dieser antizyklischen Finanz- und Wirtschaftspolitik gewisse Grenzen gesetzt sind, und ich finde, daß die Bundesregierung hier - im Gegensatz zu den Sachverständigen - das richtige Maß gefunden hat.
Das grenzt an die Frage der Verschuldung. Von beiden Ministern sind Ausführungen darüber gemacht worden, daß diese Verschuldung irgendwo ihre obere Grenze finden müsse. Die Bundesregierung befindet sich hier in voller Übereinstimmung mit der Bundesbank. Über die Bundesbank und deren Status ist soeben schon gesprochen worden.
Ein Wort zum außenwirtschaftlichen Gleichgewicht. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Jahresbericht ebenfalls dazu geäußert. Ich meine, man sollte - und das ist wichtig für unsere Unterhaltung mit den Amerikanern und Engländern - nicht nur
auf den Überschuß der Außenhandelsbilanz, sondern auch auf die Situation der Zahlungsbilanz abstellen. Wenn man den letzten Bericht der Bundesbank liest, sieht man, daß hier effektiv nur ein Überschuß von anderthalb Milliarden DM und nicht ein solcher wie der Handelsbilanz vorhanden ist. Ich habe Anlaß zu der Annahme, daß wir auch im Laufe des Jahres 1968 nicht zu sehr viel anderen Ergebnissen kommen werden.
Es ist schon gesagt worden und ich unterstreiche, daß die Arbeitslosenquote von 0,8 % sowohl nach der einen als auch nach der anderen Seite recht problematisch ist. Solange nicht die damit im Zusammenhang stehenden Strukturprobleme angepackt werden in Gebieten, in denen die Arbeitslosenquote erheblich höher liegt, werden wir keine Aussagewerte bekommen. Andererseits bedeutet eine Quote von 0,8 % ja noch nicht, daß an dem Grundsatz der von uns gewünschten Vollbeschäftigung gerüttelt wird.
Ein letztes Wort zu dem Einkommen aus Unternehmertätigkeit. Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit und Bruttoeinkommen aus selbständiger Arbeit sind zwei kommunizierende Röhren. Ich halte es hier mit dem Jahresbericht und mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister. Die Bundesregierung ist wie der Sachverständigenrat der Ansicht, daß die Selbstfinanzierung der Unternehmen mit der Konjunkturbelebung beträchtlich zunehmen wird, ja zunehmen muß. Wenn das nicht geschieht, besteht eben keine Möglichkeit der Investition und auch keine Möglichkeit der Erhaltung und der Erweiterung der Arbeitsplätze.
Das möchte ich am Ende meiner kurzen Betrachtung dem Hohen Hause noch als meinen Standpunkt übermitteln. Gleichzeitig möchte ich um die Erlaubnis bitten, die ausführlichen Ausführungen zu Protokoll zu geben *).
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Krips.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte dem Beispiel meines Herrn Vorredners folgen und meine Ausführungen ebenfalls zu Protokoll geben **). Lassen Sie mich nur ein paar Bitten an den Herrn Bundeswirtschaftsminister richten.
Für das nächste Jahr möchte ich uns wünschen, daß man uns im Jahreswirtschaftsbericht auch die Angebotsseite dieser Schätzung zur Verfügung stellt. Wir sind uns natürlich darüber im klaren, daß es sich diesmal nur um einen Reflex der Nachfrageseite handelt und daß das nicht sehr sinnvoll ist. Für die Zukunft sollten wir ein etwas abgerundeteres Bild erhalten.
Ferner wären wir dem Bundeswirtschaftsministerium sehr dankbar, wenn es sich beim Statistischen Bundesamt um die Ergebnisse der Umsatz- und
*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 4
Produktionsmatrix bemühen würde und wir sehr bald damit rechnen könnten. Das ist doch für die Konsistenz dieser Rechnung sehr wichtig.
Sehr schön wäre es auch, wenn wir die Finanzierungsrechnung innerhalb dieser volkswirtschaftlichen Projektion mitgeliefert bekommen könnten.
Leider hat das Kabinett beschlossen, im Augenblick keine weiteren konjunkturanregenden Maßnahmen zu beschließen. Sonst hätte uns das Wirtschaftsministerium vielleicht eine andere Projektion auf der Grundlage von 5 % real und 7 % nominell vorlegen können. Wir meinen, daß man damit eine etwas bessere Verteilungs- und Verwendungsrechnung in den Griff bekommen hätte.
Dazu gehört natürlich auch, daß man sich über die Kreditfinanzierung sehr ausführlich unterhält. Und das wäre mein zweites Anliegen, das ich an die Bundesregierung habe. Bisher, und zwar von 1950 bis 1967, sind immerhin noch mehr als 90 % aller öffentlichen Ausgaben über die Einnahmen finanziert worden. Natürlich kann ich verstehen, daß der Bundesfinanzminister den guten Hausvater spielen will. Aber ich glaube, wir müssen doch vom Fiskaldenken immer mehr wegkommen, und im Augenblick besteht wirklich kein Anlaß, ein wechselseitiges Verhältnis zwischen dem Inflationsgrad und dem Verschuldungsgrad unserer Wirtschaft zu finden.
Im Jahreswirtschaftsbericht steht im Konto des Staates, daß der Ausgabenüberschuß im Jahre 1966 0,8 Milliarden DM betragen hat. Die Preisrate des Sozialprodukts und auch des privaten Verbrauchs lag bei 3,6 %. Wir haben 1967 ein Finanzierungsdefizit von knapp 10 Milliarden DM, also in den Abgrenzungen der Gesamtrechnung, aber wir haben nur eine Preisrate von 1 % beim Sozialprodukt. Hierüber sollte man sich doch noch einmal unterhalten. Immer dann, wenn von der öffentlichen Verschuldung gesprochen wird, herrscht, glaube ich, noch eine Ideologie sehr eigener Art vor. Ich möchte den Herrn Bundeswirtschaftsminister fragen, ob er sich nicht noch einmal dafür einsetzen kann, daß bei all den konservativen Kräften doch noch ein bißchen mehr von dem vorhin von Ihnen angesprochenen Keynesianismus betrieben werden könnte.
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Das Wort hat der Abgeordnete Menne.
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen! Auch ich werde der löblichen Methode folgen und höchstens fünf Minuten sprechen. Denn die Mitglieder des Hohen Hauses sind aus für mich verständlichen Gründen - ich kann die Ausführungen des Kollegen Ravens nur unterstützen - nicht mehr in genügender Zahl vorhanden. Ich wollte Ihnen einen Vorschlag machen: Sollten wir nicht eine Gewerkschaft der Mitglieder des Bundestages gründen, um uns gegen den Altestenrat und das hohe Präsidium - hochverehrter
Herr Präsident - mit unseren Forderungen durchzusetzen?
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Herr Abgeordneter, ich schlage Ihnen vor, dann mich gleich als Mitglied mit aufzunehmen.
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Durchaus bereit! Als Ehrenmitglied oder als Präsident.
Ich will nur ein paar Worte über die Energie-und die Strukturpolitik sagen; im übrigen werde ich die Ausführungen, die ich zu machen beabsichtigte, zu Protokoll geben `).
Zur Energiepolitik möchte ich etwas davor warnen - wie es auch die Frau Kollegin Krips getan hat -, den jetzigen Zustand, daß wir, ich glaube, 2,7 Millionen t mehr von den Halden haben verkaufen können, als erzeugt wurden, als den Normalfall anzusehen. Herr Kollege Arendt hat heute, wie ich durch den Rundfunk erfahren habe, erklärt, daß sich deshalb Grubenstillegungen erübrigten. Ich kann dieser Meinung nicht folgen. Denn der Grund liegt zwar in den Gesetzen der alten Koalition, in der Verstromung, in der Kokskohlensubvention, im Heizöl, aber er liegt auch im Nahost-Konflikt. Wir haben in der Bundesrepublik bis jetzt für Heizöl 1,1 Milliarden DM mehr gezahlt, als wir normalerweise gezahlt hätten. Wenn man das bedenkt, kann man doch Befürchtungen äußern, ob der Kohlenabsatz so weitergeht. Ich bin selber im Ruhrgebiet geboren und habe wirklich ein Herz für die Bergarbeiter; aber wir sollten nicht in den alten Fehler verfallen und glauben, wir hätten es schon geschafft.
Ich möchte noch hinzufügen, daß die Energie in der Bundesrepublik viel zu teuer ist, wenn wir auf die Dauer im Ausland erfolgreich konkurrieren wollen.
Ich möchte nun kurz zum Kohleanpassungsgesetz sprechen. Wenn Herr Minister Schiller recht hätte, daß wir dieses Gesetz nun schnell durchbekommen, wäre ich als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses überaus glücklich. Die plötzliche Ablehnung der IG Bergbau in den Verhandlungen des Herrn Wirtschaftsministers hat aber anscheinend eine Verzögerung gebracht. Ich kann verstehen, die Fusion zu einer Gesamtgesellschaft, die da geplant ist, wird natürlich außer den wünschenswerten Folgen leider auch die Abschaffung vieler Vorstände und Aufsichtsräte nach sich ziehen,
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und ich kann verstehen, daß der Verlust von vielen Arbeitsdirektoren und Mitbestimmungsaufsichtsräten für unsere Freunde von den Gewerkschaften sehr bedauerlich ist. Ich weiß, wie es geht, wenn Fusionen gemacht werden, das können Sie mir glauben. Man hat da jedesmal ein großes Theater mit den Vorständen und Aufsichtsräten, die sich zurückziehen müssen. Ich hoffe aber, daß dies nicht
*) Siehe Anlage 5
den Entschluß der IG Bergbau beeinflußt hat, sich mit den Plänen der Eigentümer nicht einverstanden zu erklären.
Ich möchte nun noch einen positiven Vorschlag machen. Es kommt ja darauf an, daß sich neue Industrien an der Ruhr ansiedeln, und die Weisheit unseres Bundeswirtschaftsministers und der Bundesregierung hat das ja auch im § 26 des Kohleanpassungsgesetzes vorgesehen. Da ist nämlich eine Investitionsprämie für solche Firmen, Betriebe, oder was auch immer es sein mag, vorgesehen, die sich an Ruhr und Saar ansiedeln. Im Gegensatz zum Herrn Minister - dessen bedeutende Einsicht in alle Probleme ich gern anerkenne - fürchte ich aber, daß es mit dem Kohleanpassungsgesetz doch noch etwas dauert. Ich möchte daher im Namen der FDP-Fraktion den Vorschlag machen, den § 26 aus dem Gesetz herauszunehmen, daraus ein Sondergesetz zu machen und dieses Sondergesetz über die Bühne zu jagen, damit die Investitionsprämie ({1})
- Gewiß, Herr Lange! Man muß zu dem § 26 noch einiges andere hinzunehmen. Sie sind ja immer mein Berater im Wirtschaftsausschuß, wofür ich Ihnen auch sehr dankbar bin. Ich möchte aber für die Fraktion der FDP der Bundesregierung vorschlagen, den § 26 in einer ihr geeignet erscheinenden Weise vorzuziehen, um diese Investitionsprämien schnellstens ins Rollen zu bringen. Denn ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß ich weiß, daß manche Firmen die .Absicht haben, ins Ruhrgebiet zu gehen, sich aber dieses Paragraphen bedienen möchten.
Dazu möchte ich noch die folgenden Vorschläge machen:
In einem solchen Sondergesetz sollte die Verlängerung des am 31. Dezember 1969 endenden Begünstigungszeitraums oder zum mindesten die Giewährung der Investitionsprämie auch für solche Investitionen, die bis zum 31. Dezember .1969 bestellt und angezahlt sind, sofern sie bis Ende 1970 geliefert werden, vorgesehen werden.
Weiter sollte in einem solchen Sondergesetz die Verlängerung des Zeitraums für die Abzugsfähigkeit der Investitionsprämie von zwei auf fünf Jahre vorgesehen werden.
Schließlich ein Vorschlag, der mir sehr wichtig zu sein scheint. Die meisten Firmen, die in der Lage sind, im Ruhrgebiet größere Betriebe aufzustellen, haben ja ,ein Organschaftsverhältnis,sind Tochtergesellschaften. Diese Investitionsprämie sollte daher auch bei Organschaftsverhältnissen gewährt werden.
Meine Damen und Herren, es ist zwar heute abend schon ziemlich spät; aber ich bin der Meinung, Herr Staatssekretär Arndt, daß die Bundesregierung diesen Vorschlag der FDP, auch wenn er von der Opposition kommt, einmal wirklich prüfen sollte. Denn ich glaube, Sie stimmen mir zu, wenn ich sage: das Kohleanpassungsgestz haben wir noch nicht über die Bühne.
Ich möchte damit meine Ausführungen schließen und gebe im übrigen das, was ich mir aufgeschrieben hatte, dem Herrn Präsidenten zu Protokoll.
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Das Wort hat der Herr Abgeordneter Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schließe mich dem guten Beispiel der Vorredner an und werde in wenigen Minuten etwas sagen und im übrigen eine Kurzfassung der beabsichtigten Ausführungen zu Protokoll geben *) Ich trage zehn Gedanken vor und sage dann noch einiges zur Kohlenfrage.
Der. erste Gedanke. Nach meiner Ansicht befindet sich die Wirtschaft der Bundesrepublik nicht in einer Krise, sondern in einem Konjunkturabschwung. Sonst wäre es kaum denkbar, daß das Bruttosozialprodukt 1967 fast genauso hoch wie 1966 ist, was bei verminderter Beschäftigtenzahl sogar auf einen Rationalisierungs- und Leistungseffekt schließen läßt.
Zweiter Gedanke. Wir haben 1967 8 Milliarden DM im Ausland festgelegt. Das Ziel unserer Wirtschaftspolitik sollte sein, daß diese 8 Milliarden DM zu Investitionszwecken zurückgeholt werden. Wenn sie nämlich zu Konsumzwecken zurückgeholt würden, würden sie preisgefährdend wirken. Würden sie nicht mehr zurückgeholt werden, würden sie nach meiner Auffassung im Auslandskredit versikkern und womöglich als USA-Investitionen zu uns zurückkehren.
Drittens. Wir haben uns bei allen Prognosen und Berichten bis jetzt wenig mit dem Problem der Durchschnittszahlen beschäftigt. Bei den Wirtschaftsbranchen war der Fächer von minus 10 bis plus 10 % im Jahre 1967 im Schnitt auch plus; bei den Ländern lagen die Zahlen zwischen minus 4 und plus 4 %. Hier ergibt sich die klare Verantwortung für die Regierung und für uns, für die Länder und für die Gemeinden, bei allen Maßnahmen die Verschiedenheit der sektoralen Situation und der geographischen Situation zu beachten.
Der vierte Gedanke. Die Unsicherheit bei Prognosen ist wesentlich durch das Problem der Durchschnittszahlen begründet. Ich persönlich bin der Ansicht, daß der reale Zuwachs 1968 zwischen 3 und 7 % liegen wird.
Der fünfte Gedanke. Die öffentlichen Investitionen werden 1968 34 Milliarden DM betragen, die Gesamtinvestitionen 120 Milliarden DM. In den Haushalten sind bis 1971 65 Milliarden DM vorgesehen. Angesichts dieser Zahlen ist die vorgesehene Verschuldung als durchaus bescheiden zu bezeichnen.
Sechster Gedanke. Dennoch muß man die Grenze der Staatsverschuldung sehen. Es gibt keine mathematische, keine zahlenmäßige Grenze. Die Grenze ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen Sparprozessen, Investitionen und der Steigerung des Brutto-
') Siehe Anlage 6
sozialprodukts. Aus der Steigerung des Sozialprodukts müssen nämlich die Zinsen und Amortisationen getragen werden können.
Siebter Gedanke. Die Eigentumspolitik, die verschiedentlich angesprochen worden ist, muß erneut aufgegriffen werden. In dem Sachverständigengutachten und in dem Wirtschaftsbericht der Bundesregierung ist das nicht so positiv ausgedrückt. Wir haben aber heute gehört, daß sie erneut aufgegriffen werden muß. Das soll mit neuen Ideen geschehen, die auszuführen die Zeit jetzt nicht erlaubt. Ich erwähne nur das Wort „Beteiligungssparen".
In einem achten Gedanken möchte ich auf die Verantwortung unseres föderalistischen Aufbaus hinweisen. Ich möchte sagen, daß der bestehende Föderalismus nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn er im Wirtschaftspolitischen und Konjunkturpolitischen zu einem Solidarismus im Interesse der Gemeinschaft wird.
Neunter Gedanke. Konjunktur- und Strukturpolitik müssen auch auf der europäischen Ebene gemacht werden. Die Konferenz der Gouverneure der Landesnotenbanken hat bisher bedeutende Erfolge gehabt. Auf die Dauer sollten wir aber als politisches Ziel eine europäische Währung anstreben, wenn wir nicht eines Tages unausweichlich vor dem Problem der Wechselkurse stehen wollen.
Zehnter und letzter Gedanke. Bei aller Wachstumspolitik müssen wir in Betracht ziehen, daß sich das Verhältnis zwischen aktiver und passiver Bevölkerung, also zwischen Beitragsverpflichteten und Versorgungsberechtigten, ständig verschlechtert. Bis 1971 verschlechtert es sich um jährlich 3 % und bis 1976 um jährlich 2 %. Das heißt, wenn wir Wachstum nicht wenigstens in dieser Höhe haben, müssen wir entweder Beiträge erhöhen oder Leistungen kürzen - auf jeden Fall - oder das sozialpolitische „standing" revidieren. Das ist also auch von der Seite eine - wenn ich so sagen darf - Begründung für eine gesunde Wachstumspolitik. Wenn wir in der Höhe der Leistungen an diese Bevölkerungsteile nicht zurückfallen wollen, müssen wir das Wachstum haben, um den Stand zu halten, noch nicht einmal, um ihn zu verbessern.
Ein Schlußwort zur Kohlefrage. Wir werden, so denke ich, das Kohleanpassungsgesetz mit tunlichster Beschleunigung verabschieden. Die Mehrheit dieses Hauses wird nach wie vor den freiwilligen Zusammenschluß zu einer Einheitsgesellschaft an der Ruhr begrüßen. Der Gesetzgeber wird aber nicht tatenlos zusehen, wenn der Zusammenschluß nicht in allernächster Zeit erfolgt, sondern wird Mittel und Wege finden, um die Weiterzahlung der Subsidien an die zumutbare Konzentration und Rationalisierung des Bergbaus zu binden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lenders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich werde dem guten Beispiel folgen und das, was ich eigentlich sagen wollte, zu Protokoll geben *). Es reizt mich aber doch, einige Bemerkungen zu einem Problem zu machen, das im Rahmen dieser Debatte zu kurz gekommen zu sein scheint. Ich meine die Zahlen, die in der Zielprojektion der Bundesregierung enthalten sind über die Entwicklung des privaten Verbrauchs.
Wir wollen im Jahre 1968 mit den wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die im Wirtschaftsbericht genannt sind, 4 % reales Wachstum erreichen. Diese 4 % stützen sich im wesentlichen auf die Zunahme der öffentlichen und privaten Investitionen ab. Dabei lasse ich die Notwendigkeit, kurz- und langfristig die öffentlichen Investitionen auszuweiten, unangetastet. Ich bin der Auffassung, daß hier ein wesentlicher Wachstumsträger ist. Allerdings muß ich wie auch mein Kollege Ravens das Fragezeichen hinter die 11 % setzen: Werden wir sie wirklich erreichen?
Es ist auch richtig, meine Damen und Herren, daß die private Investitionstätigkeit wieder aufholen muß, nachdem sie an der Spitze des Rückschlags in den beiden vergangenen Jahren gestanden hat. Auch darüber gibt es keinen Streit. Nur frage ich mich - und damit spiele ich auf den Antrag der FDP an, der ja weitere Anreize für die privaten Investitionen vorsieht -: Ist es mit finanziellen Anreizen für die privaten Investitionen allein getan? Ich möchte darauf hinweisen, daß durch alle Wirtschaftsberichte und Konjunkturanalysen wie ein roter Faden auch die Feststellung geht, daß wir in der Bundesrepublik auf Grund des Rückschlags unausgelastete Kapazitäten haben. Wir brauchen also nicht nur Investitionsanreize im finanziellen Bereich, sondern wir brauchen auch zusätzliche Nachfrage, die die brachliegenden Kapazitäten und neue Investitionen wieder lohnend macht.
Meine Damen und Herren, natürlich kann der überproportionale Zuwachs im Bereich der öffentlichen Wirtschaft diese Nachfragefunktion ausfüllen. Aber selbst die OECD - und nicht sie allein - hat festgestellt, daß neben solchen Stützen wie die überproportionale Zunahme etwa der öffentlichen Investitionen eine wichtige Aufschwungsstütze der private Verbrauch sein muß. Dieser kommt in der Zielprojektion im Grunde zu kurz.
Wenn wir uns die Entwicklung der Masseneinkommen, wie sie in der Zielprojektion dargestellt ist, im Zusammenhang mit Lohnentwicklung und Preissteigerung ansehen, dann müssen wir feststellen, daß es kaum einen realen Zuwachs . der Massenkaufkraft gibt. Ich meine, das sollte uns zu denken geben.
Ein Weiteres ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Die Preiserhöhungen, die in der Zielprojektion mit 2,5 % angesetzt sind, liegen ja im wesentlichen im Bereich administrativ geregelter Preise und im Bereich des Übergangs zur Mehrwertsteuer und zur Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das heißt aber doch, daß diese eintretenden Preiserhöhungen in erheblichem Maße zu Lasten der kauf-
*) Siehe Anlage 7
kräftigen Nachfrage nach Konsumgütern und langlebigen Konsumgütern gehen. Ich meine, auch eine solche Entwicklung, nämlich im Grund das Stagnieren der kaufkräftigen Nachfrage, kann den projektierten Aufschwung von 4% gefährden. Die Bundesregierung hat ja in ihrem Wirtschaftsbericht deutlich gemacht - auch der Bundeswirtschaftsminister hat es hier noch einmal zum Ausdruck gebracht -, daß sie die Entwicklung sehr sorgfältig beobachten wird, daß sie notfalls weitere Maßnahmen ins Auge faßt. Ich meine, daß die Bundesregierung auch diesem Punkt, nämlich der Entwicklung der kaufkräftigen Nachfrage, ihre Aufmerksamkeit schenken sollte.
Eine letzte Bemerkung zu einem ganz anderen Komplex, aber doch auch in diesem Zusammenhang, nämlich zum Bereich der privaten Investitionen. Ich greife nicht die 7,5% an, sondern ich frage nach dem verteilungspolitischen Effekt dieser Zuwachsrate. Wir können uns nicht damit zufriedengeben, daß der Vermögenszuwachs, der ja die Kehrseite der Investitionen ist, weit überwiegend eben dem Investor zufließt, obwohl - um es einfach und sehr deutlich zu sagen - aus meiner Sicht die Arbeitnehmer durch im Rahmen der Konzertierten Aktion erzwungene oder freiwillige Zurückhaltung bei ihren Einkommen diese Investitionen mitfinanzieren und mitfinanzieren werden.
Die Bundesregierung sieht zwar die Notwendigkeit, durch vermögenspolitische und andere Maßnahmen dem Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit in der Zukunft mehr als bisher Nachdruck zu verleihen. Aber die entsprechenden Maßnahmen zeichnen sich doch nur sehr zögernd ab. Ich glaube, daß dieser Punkt eine Frage für die Bundesregierung ist, die ihre Glaubwürdigkeit im Zusammenhang mit der Zielprojektion und dem Jahreswirtschaftsbericht sowie den Zielsetzungen, die im Stabilitätsgesetz niedergelegt sind, betrifft.
Mit diesen Bemerkungen möchte ich mich begnügen und im übrigen auch meine Ausführungen zu Protokoll geben.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der besonderen Situation heute abend und zusätzlicher Verpflichtungen bitte ich um Genehmigung, meine Ausführungen in gestraffter Form zu Protokoll geben zu dürfen *).
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Luda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Kohleanpassung möchte ich
*) Siehe Anlage 8
auf Grund der Erfahrungen der letzten Tage und Wochen die Bundesregierung dringend bitten, möglichst bald eine Entscheidung darüber herbeizuführen, inwieweit und mit welcher Frist die Kokskohlesubvention und die Verstromungsbeihilfen weitergeführt werden sollen.
Der Herr Bunde swirtschaftsminister hat in letzter Zeit mehrfach angekündigt, daß die Bundesregierung Förderungsmaßnahmen für den Export von Steinkohle in Drittländer plane. Ich möchte die Bundesregierung bitten, sich auch darüber möglichst bald schlüssig zu werden.
Alle beteiligten Kreise und die gesamte Öffentlichkeit benötigen diese drei Datensetzungen dringend für diejenigen Entscheidungen, die in den nächsten Tagen und Wochen im Wirtschaftsausschuß des Bundestages, aber auch in den beteiligten Gremien der Industrie, der Gewerkschaften usw. getroffen werden müssen.
Im übrigen, meine Damen und Herren, bitte ich Sie, entgegenkommenderweise einverstanden zu sein, daß auch ich die für die Presse vorbereitete Kurzfassung meiner beabsichtigten Rede zu Protokoll gebe *).
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diesozialdemokratische Bundestagsfraktion hat zu einem Teil des Jahreswirtschaftsberichts, der heute in der Aussprache verhältnismäßig wenig erörtert worden ist, eine Entschließung vorgelegt, nämlich zu dem Teil Energiepolitik. Diesen Entschließungsantrag brauche ich hier nicht weiter zu erläutern *). Ich würde hier nur der Form halber bitten, ihn dem Wirtschaftsausschuß zur weiteren Beratung zu überweisen, damit wir ihn dann auch im Zusammenhang mit der Beratung über das Kohleanpassungsgesetz erörtern können.
Aber noch eine Bemerkung, und zwar auf Herrn Menne bezogen. Wir sollten uns hüten, beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung auch nur einen Teil von Maßnahmen vorwegzuziehen und damit möglicherweise andere geplante und notwendige Maßnahmen für die Zukunft unmöglich zu machen. Wir stellen im Augenblick fest, daß bei der im gegenwärtigen Zeitpunkt gebesserten Absatzlage wieder weitgehend die Neigung vorhanden ist, wie seit 1956 nichts zu tun und die Dinge einfach laufen zu lassen. Das halten wir für unverantwortlich.
({0})
Genauso bestehen wir darauf, daß sich alle Beteiligten und Betroffenen - ich will jetzt nicht über die Energiewirtschaftspolitik weiter reden - so schnell wie möglich darüber verständigen, auch an der Ruhr das für die Kohlepolitik im Rahmen der Energiewirtschaftspolitik notwendige Instrument zuschaffen.
*) Siehe Anlage 9 *) Siehe Anlage 2
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Lange, haben Sie mich vielleicht mißverstanden? Ich habe nicht gesagt, daß man dais Gesetz liegenlassen sollte, oder etwas dergleichen.
Herr Menne, ich habe Sie nicht mißverstanden. Aber da Sie angeregt haben, .ein Stück herauszunehmen und vorweg zu entscheiden, besteht die Gefahr, daß die Entwicklung so läuft, und davor möchte ich warnen.
Wir hoffen,- daß dieser Bericht, der erst .ein Anfang ist, in den weiteren Jahreswirtschaftsberichten wiederum erscheint, und zwar dann in einer Art und Weise, die vielleicht für alle Beteiligten klarer darstellt, was die Bundesregierung selber an energiewirtschaftspolitischen Absichten hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte keine weiteren Ausführungen machen. Entgegen meiner Gewohnheit, frei zu sprechen, oder: entgegen der Gewohnheit, dafür kein vorbereitetes Manuskript zu benutzen, habe ich auf Grund der Geschäftslage, in der wir uns heute befinden, eine verkürzte und zusammenfassende Darstellung dessen vorbereitet, was ich ansonsten hier für die sozialdemokratische Fraktion noch hätte ausführen wollen. Das darf ich mit dem Einverständnis des Hauses und mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zu Protokoll übergeben. *)
Am Schluß möchte ich noch einmal die Erwartung aussprechen, daß sich alle Beteiligten darüber klar sind, daß wir in der Auseinandersetzung um das Kohleproblem die Verpflichtung haben, eine aktive Energiewirtschaftspolitik in der Bundesrepublik, aber unter Berücksichtigung der Europäischen Gemeinschaften zu betreiben, in die die Kohlepolitik künftighin eingebettet ist.
({0})
Ich kann nicht umhin, eine Bemerkung zu der Flut von Manuskripten zu machen, die mir in der letzten halben Stunde übergeben worden sind. Nach § 37 unserer Geschäftsordnung sollen die Abgeordneten frei sprechen, Wir nehmen aber hier offenbar schon wohlvorbereitete Reden in Empfang, um sie ins Protokoll zu bringen. Das ist nicht ganz in Ordnung. Darauf möchte ich das Haus aufmerksam machen.
Das Wort hat jetzt der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich in meinen Ausführungen sehr begrenzen, der Sache nach und auch, was die jetzige Stunde betrifft. Ich bin der Meinung - und ich
*) Siehe Anlage 10
glaube, ich stimme mit der Mehrheit der Anwesenden überein -, der Jahreswirtschaftsbericht und die Diskussion darüber sollten die Entwicklung und die zu gestaltenden Maßnahmen in diesem Jahr betreffen. Damit sollten Überlegungen wegfallen, die in die fernere Vergangenheit reichen. Mich wenigstens interessiert heute nicht mehr, weshalb man im Jahre 1964 oder 1966 zu dieser oder jener finanzpolitischen Maßnahme gekommen ist. Ich bitte, mir dieses freimütige Wort zu dieser Stunde zu verzeihen. Ebenso bin ich der Meinung, daß sehr in die Zukunft weisende Ausführungen etwa über die Finanzreform oder Grundsteuermaßnahmen im Jahre 1972 - Herr Kollege Haas, bitte, sehen Sie es mir nach - nicht zum Thema Jahreswirtschaftsbericht 1968 gehören. Deswegen möchte ich meinen Beitrag in beiden Richtungen beschneiden und mich auf die wenigen Punkte beschränken, die hier kontrovers waren und die sich auf das Jahr 1968 beziehen.
Herr Kollege Menne, ich bin leider anderer Meinung. So gerne ich bald Klarheit darüber haben möchte, welche Vergünstigungen für neuansiedlungswillige Industrien in Nordrhein-Westfalen und im Saarland gelten, so sehr muß ich Wert darauf legen, daß dieses Kohleanpassungs- und -gesundungsgesetz als eine Einheit angesehen wird. Ich stimme darin mit Herrn Burgbacher völlig überein. Wir sollten einen gewissen Druck ausüben, daß sich die Bergbauunternehmen zusammenschließen; in welcher Form und in welcher Weise, ist hier zur Genüge gesagt worden. Nur sollten wir nicht einer anderen Sache Vorschub leisten. Es gibt - da stimme ich mit mehreren Kollegen in diesem Saal überein - sozusagen einen geheimen Schubladenplan. Er besteht darin: Es passiert in der Kohle überhaupt nichts, es wird so weitergemuddelt, und wenn es mal schwierig wird, wird hier wieder die Kasse des Bundes und des Landes benötigt. Wenn wir nur § 26 in Kraft treten ließen, Herr Kollege Menne, würden wir jener Tendenz Vorschub leisten. Man würde weitere Hilfen einkassieren und jene Tendenz fördern - nicht im Ausschuß, nicht in diesem Hause, aber unter den Unternehmern, auch bei anderen Beteiligten -, in der Kohle gar nichts zu machen. Nach meiner Ansicht sind die Gesundung und Anpassung in der Kohlenwirtschaft und die Förderung von Investitionen für neue Industrien an der Ruhr und an der Saar ein Paket in dem Gesetzentwurf. Dieses Paket sollten wir nicht aufschnüren; im Gegenteil, wir sollten es gemeinsam so behandeln, wie es etwa Herr Kollege Burgbacher vorgeschlagen hat.
Zu den Spezialfragen, auf die Herr Kollege Luda noch hingewiesen hat, möchte ich folgendes sagen. In der Kokskohlesubvention sind wir an die Gemeinschaft gebunden. Die Gemeinschaftslösung läuft Ende 1968 aus. Wir haben schon im vorigen Jahr und jetzt wieder beantragt, daß eine Verlängerung dieser Gemeinschaftslösung erfolgt.
({0})
- Wir beantragen eine Verlängerung für so lange
wie möglich. Wir werden wahrscheinlich auch nur
eine begrenzte Zahl von Jahren herausholen, so wie
wir auch das letzte Mal nur zwei Jahre bekommen haben. Aber ich will unsere Verhandlungsposition - Sie verstehen das - nicht nach außen hin schwächen. Im übrigen ist die Gemeinschaft, die Kommission, noch im Verzuge, weil der Krisenartikel dort immer noch auf dem Tisch liegt, und sie muß ja in irgendeiner Form darauf reagieren.
Zum Verstromungsgesetz kann ich Ihnen jetzt sagen: es gilt bis 1971. Dieses Haus hat verlangt, daß wir bis zum Sommer dieses Jahres einen Bericht über die Erfahrungen geben. Dieser Bericht wird Ihnen zeitgerecht erteilt werden. Danach kann in diesem Hause entschieden werden - natürlich wird auch ein Vorschlag der Bundesregierung dazu gemacht werden -, wie es etwa um die Verlängerung des Verstromungsgesetzes steht. Noch ein Wort dazu, Herr Luda. Wir müssen beim Verstromungsgesetz, wenn wir es verlängern, sehr auf die Braunkohle achtgeben. Wir dürfen unsere Braunkohle, die immer noch der billigste Primärenergieträger für Verstromung ist, nicht unter den Schlitten kommen lassen.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Bitte, Herr Abgeordneter Luda.
Herr Bundesminister, die EWG-Kommission beabsichtigt, in den nächsten Monaten eine Empfehlung für die Kohle- und Energiepolitik in den Partnerstaaten herauszugeben. Ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung alsbald bekanntgibt, welche Marschroute sie in diesen bevorstehenden Verhandlungen verfolgen wird? Wird die Bundesregierung alsbald bekanntgeben, wie sie die Entwicklung der Energiepolitik insgesamt in der Zukunft gestalten und über Brüssel beeinflussen will?
Herr Kollege Luda, ich kann Ihnen nur eins sagen: Solange ich bisher dabei gewesen bin, haben wir angetrieben, eine gemeinsame europäische Energiepolitik zu ereichen; die gibt's bisher nicht. Unser Ziel geht dahin; denn dabei können wir auch nur gewinnen. Sie wissen - ich brauche das nicht im einzelnen darzulegen -, das ist notwendig, und das ist unsere Marschroute.
Zur Konjunkturpolitik und zum Jahreswirtschaftsbericht ist die zentrale Frage von dem Kollegen Stein gestellt worden. Er hat nämlich gefragt: Reichen die spontanen Antriebskräfte aus? Darum geht es. Denn nur in dem Maße wird etwas anderes notwendig werden. Für die Stärke der spontanen Antriebskräfte sprechen einmal die Zahlen, die wir bisher über die Investitionstätigkeit, nicht im Bereiche der Erweiterungsinvestitionen, sondern der
Rationalisierungsinvestitionen haben. Da ist eine gewisse positive Bewegung zu erkennen. Auch die Investitionsplankorrekturen der Unternehmer sind nach oben gegangen; es waren erst plus 3% für 1968 und sind jetzt plus 5 %. Das spricht für eine gewisse Stärkung.
Das zweite, womit wir im Bereich der privaten Wirtschaft mit einer gewissen Sicherheit rechnen können, ist die Aufwärtsbewegung in der Lagerbildung. Wir haben im letzten Jahr aus den bekannten Gründen einen negativen Lagerzyklus durchgemacht, eine Vorratsminderung, die ja mehr durchgeschlagen hat als andere Faktoren; denn vier Milliarden minus in der Lagerhaltung, das heißt 4 Milliarden minus in der Produktion, sind beinahe 1 % unseres Sozialprodukts. Da können wir sicherlich unter den neuen Umständen - Entlastung der Altvorräte und neues Regime der Mehrwertsteuer, das die Lagerhaltung als solche etwas besser behandelt als die alte kumulative Umsatzsteuer - mit einer positiven Bewegung rechnen. Aber es besteht kein Zweifel, daß die exogenen Faktoren nicht voll kalkulierbar sind; das sind einmal die zahlungsbilanzpolitischen Maßnahmen in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten von Amerika und zum andern die Lage bei unseren Bundesländern und den Gemeinden.
In zwei Schlußfolgerungen stimme ich dem Herrn Kollegen Stein voll zu, wenn er sagt, beweglich wird alles sein, und die rasche Mark ist besser als ein langsamer Taler. Ich bedanke mich für dieses Wort. Es ist genau eine Bestätigung der These: wenn wir nur abwarten und sorgsam beobachten, und wenn dann etwas notwendig sein sollte, ist es mit Sicherheit teurer, als wenn es früher geschehen wäre. Im übrigen, glaube ich, stimmen wir alle darin überein: im Frühjahr darf es keine Enttäuschung geben. Das ist der punctum puncti. Wir werden bis dahin aus saisonalen Gründen sicherlich noch eine Phase mit hohen Arbeitslosenzahlen - im Januar waren es 670 000 - durchmachen, die keineswegs erfreulich ist. Allerdings wird dabei die saisonale Komponente wesentlich beteiligt sein.
Aber entscheidend ist, daß im Frühjahr nach dem Auslaufen des zweiten Konjunktur- und Strukturprogramms der Bundesregierung keine Enttäuschung eintritt, sondern die privaten Investoren die Impulse weitertragen. Ich bin, glaube ich, mit allen hier in diesem Hause einig, wenn ich sage, daß nach zwei öffentlichen Investitionshaushalten und im organischen Vollzug eines Zyklus nun die privaten Investoren dran sind.
({0})
- Natürlich, natürlich, sie sind im Kommen. Ich habe ja die beiden positiven Faktoren genannt, Herr Luda. Und zu den beiden positiven Faktoren kann ich nur sagen: ich wünsche mit aller Kapazität des Wünschens, daß auch im Frühjahr dieses Kommen der privaten Investoren sich ungebrochen fortsetzt.
Herr Kollege Ravens hat vollkommen recht, wenn er sagt, bei der Prognose des Sachverständigenrats fehle das zweite Halbjahr 1968. Das ist ein Ausdruck der Unsicherheit in der Beurteilung der Lage im November/Dezember letzten Jahres, als das Gut8070
achten von den Herren Sachverständigen geschrieben wurde und man nicht genau einkalkulieren konnte, wie sich das zweite Halbjahr 1968 entwikkeln wird, wenn die im Jahre 1967 getroffenen konjunkturpolitischen Maßnahmen ausgelaufen sein werden. Inzwischen sind wir - das ist unser Vorteil gegenüber den Sachverständigen - zeitlich mit statistischen Daten natürlich besser ausgerüstet als jene Herren damals und können über den Ablauf bis zum Frühjahr und bis zur Jahresmitte etwas mehr sagen. - Herr Kollege Luda!
Bitte, Herr Luda, zu einer Zwischenfrage!
Herr Minister, ich habe mich in meiner Pressekurzfassung, die ich eben hier zu Protokoll gereicht habe, sehr kritisch mit den Sachverständigen auseinandergesetzt. Aber jetzt möchte ich einmal etwas sehr Positives sagen
({0})
- fragen.
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß wir den Sachverständigen dankbar sein sollten dafür, daß sie ihre Prognose für das Jahr 1968 auf sechs Monate beschränkt haben, wie sie es in dem ersten Jahresgutachten auch schon einmal gemacht hatten? Denn es ist in einer beachtlichen Publikation kürzlich gesagt worden: „Das Jahr 1967 war ein Jahr der Fehlprognosen". Das trifft in eklatantester Weise zu. Ständige Fehlprognosen, Herr Minister, können die nicht zum Gegenteil dessen führen, was Sie erreichen wollen, nämlich mehr Information; denn sie stiften doch in Wahrheit mehr Verwirrung?
Herr Kollege Luda, ich kann Ihnen antworten, indem ich das fortführe, was ich zu sagen geplant hatte, und zwar auch als Antwort auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Ravens.
Deswegen haben die Sachverständigen aus gutem Grund keine Prognose für das zweite Halbjahr 1968 geliefert, sondern den Rahmenpakt, der ja weiter nichts ist als eine von den Sachverständigen vorgeschlagene politische Zielprojektion mit insgesamt 6,4% Zuwachs. Das scheint mir vom Standpunkt der Sachverständigen aus vollkommen logisch zu sein.
Daß die Bundesregierung in dieser Angelegenheit zurückhaltender ist, das haben wir genügend nachgewiesen. Aus welchen Gründen wir zurückhaltender sind, das ist auch in dem Bericht dargestellt. Auch Sie müssen deutlich Prognose und politische Zielprojektion unterscheiden.
({0})
Bei den Sachverständigen ist das klar unterschieden. Denn der Rahmenpakt für zwei Jahre ist ja keine Prognose, sondern, wenn Sie wollen, ein politisches Programm.
({1})
- Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Kollege Luda, zu dieser Zielprojektion, die im Vergleich zu der Mehrheit der Prognosen der Institute wirklich maßvoll ist, ist in dem schriftlichen Jahreswirtschaftsbericht eindeutig zum Ausdruck gebracht - ich habe es heute wiederholt -: Wenn wir 4% reales Wachstum nicht erreichen, würde das das Signal für diese Bundesregierung sein, erneut zu handeln. Die Stimmung hier im Hause geht in dieselbe Richtung: beweglich sein, scharf beobachten und gegebenenfalls handeln, aber ohne jetzt etwa Attentismus zu erzeugen. Es wäre auch verkehrt, wenn wir sagten: Bitte, wartet neue Maßnahmen ab!
({2}) Das wäre falsch.
Herr Kollege Ravens, im übrigen darf ich sagen, daß die wettbewerbspolitische Aufgabe, die wir im Jahre 1968 zu erfüllen haben, in der Tat noch diesem Hause vorgelegt werden wird. Die Arbeitsgruppe in meinem Ministerium ist mit ihren Vorbereitungen ziemlich fertig. Der Bundesregierung werde also demnächst einige Vorschläge gemacht werden, und danach werden wir diesem Hause einen Entwurf vorlegen. Der Zeitpunkt für wettbewerbspolitische Maßnahmen, für eine Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, muß allerdings in diesem Jahre 1968 - dafür bitte ich Verständnis zu haben - von der gesamten konjunkturellen Entwicklung bestimmt sein. Wir dürfen auch da nicht etwa zu früh des Guten zuviel tun.
Noch ein Wort über die Länder und Gemeinden. Beide haben sich im Jahre 1967 in überraschender Weise positiv und konstruktiv am zweiten Konjunktur- und Strukturprogramm der Bundesregierung beteiligt. Darüber kann kein Zweifel herrschen. Was uns jetzt als Sorge, als ein Element, das wir nicht einkalkulieren können, beschäftigt, ist die Frage: Hat die Investitionstätigkeit, die erweiterte Investitionstätigkeit bei den Ländern und Gemeinden im Rahmen dieses zweiten Programms darin bestanden, daß man ohnehin vorgesehene Investitionen des Jahres 1968 einfach vorgezogen hat, oder besteht sie darin, daß man auch jetzt mehr investiert? Wir appellieren noch einmal - und ich glaube, alle in diesem Kreise haben das heute getan - an die Länder und Gemeinden, sich auch - im Jahre 1968 konjunkturförderlich zu verhalten.
Wenn dort eine konjunkturell kontraktive Ausgabengestaltung besonders auf dem Gebiet der Investitionen eintreten würde, dann müßten wir wiederum handeln, und zwar mit den Möglichkeiten, die uns das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz gibt. Es gibt uns ja bekanntlich zur Bekämpfung einer kontraktiven Haltung bei einer anderen Gebietskörperschaft keine Sanktionen. Wir haben Sanktionen für den umgekehrten Fall: die Kreditlimitierung, die Konjunkturausgleichsrücklage und ähnliches. Im Falle einer konjunkturpolitisch falschen Zurückhaltung müssen wir wieder mit dem etwas altmodischen, aber im letzten Jahr erfolgreich angewendeten Instrument der Dotation nach dem Prinzip arbeiten: Ich gebe qua Bund 1 Million nur unter der Bedingung, daß du auch 1 Million dazuBundesminister Dr. Schiller
gibst! Das wäre der Weg, den wir nicht herbeisehnen. Wir erwarten vielmehr, daß die Länder und Gemeinden von sich aus eine konjunkturförderliche Investitionspolitik betreiben.
Der Herr Kollege Lenders hat von den einkommens- und vermögenspolitischen Notwendigkeiten im Zuge eines sich weiter entfaltenden Aufschwungs gesprochen. Ich kann ihm in allem nur zustimmen. Es kommt darauf an, in einer bestimmten Phase unseres Aufschwungs - und daran sitzt die eine Arbeitsgruppe in der Konzertierten Aktion, von der ich sprach - ein Modell zu finden, das dem Arbeitnehmer einen Anteil an dem Vermögenszuwachs gibt, das aber zugleich die Investitionsfähigkeit der Unternehmung nicht beeinträchtigt. Wir müssen also ein Konzept entwickeln, das die Investitionstätigkeit der Unternehmungen weiterhin hochhält - denn wir brauchen diese Investitionstätigkeit auch in Zukunft - und das zugleich dem Aspekt der Vermögensbildung genügt. Ich glaube, ich habe die Problematik dargestellt. Wir werden aber auch mit diesem Vorschlag erst zu dem konjunkturpolitisch adäquaten Zeitpunkt vor dieses Hohe Haus treten.
Im übrigen habe ich den Eindruck, daß durch die heutigen Reden alle Ziele, die das Stabilitätsgesetz und das Wachstumsgesetz uns vorschreiben, von diesem Hause erneut unterstrichen worden sind. Herr Staratzke hat mit großer Beredsamkeit wieder einmal für eine expansive Wirtschaftspolitik plädiert, wofür ich mich bedanke. Sie würden die eine globale Zielvorstellung des § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes durch Ihre wirtschaftspolitischen Vorschläge auf das vollkommenste erfüllen.
Bei der Preisstabilität, Herr Staratzke, bin ich mit Ihrer Analyse nicht ganz einverstanden, bzw. mit Ihrem Kollegen, der einen Zwischenruf machte. Am Ende des Jahres 1966, im Dezember, waren wir in der Bundesrepublik noch bei einer Preissteigerungsrate von plus 2,6 %, und Sie wissen, daß im April jenes Jahres der Unstabilität 1966 die Preissteigerungsrate 4,5 % betrug. Im Dezember 1967 sind wir aber bei 0,4 % angekommen. Eines kann Ihre Fraktion dieser Regierung nicht vorwerfen, daß sie nämlich etwa im Jahre 1967 gegen die Preisstabilität oder inflatorisch gearbeitet hätte. Im Gegenteil, die Stabilität in unserer Volkswirtschaft war noch nie so groß wie im Jahre 1967.
({3})
Sie dürfen!
Herr Minister, haben Sie mich mißverstanden, ich habe von dieser Frage der Preise und der Instabilität nie gesprochen?
Nein, ich habe den Zwischenruf Ihres Kollegen - ich glaube, ich habe das eben gesagt, Herr Kollege
Staratzke, und er hat sich auch schon wieder durch einen Zwischenruf zu Wort gemeldet - beantwortet. Im übrigen, Herr Kollege Genscher, müssen wir in diesem Falle den Sachverständigen für das frühere Gutachten eins zubilligen: sie wollten Preisstabilität, aber sie wollten sie stufenweise herbeiführen, weil sie der Meinung waren, eine abrupt herbeigeführte Restriktion würde zu einer Stabilisierungskrise führen. An dieser Stabilisierungskrise sind wir allerdings in den Jahren 1966 und 1967 mit ziemlichen Schrammen so eben vorbeigekommen. Das ist die Kehrseite der Medaille.
In bezug auf das dritte Ziel eines hohen Beschäftigungsstandes stimme ich dem Kollegen Ravens erneut zu: 1,4 % Arbeitslosenquote in diesem Jahr ist nicht das, was wir uns unter Erfüllung des § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes vorstellen. Aber um weiterzukommen, müßten wir dann in der Tat die Zuwachsrate in der Zielprojektion höher setzen. Was dagegen gesprochen hat, brauche ich hier nicht im einzelnen darzulegen. Ich darf nur eins korrigieren, was hier heute von diesem Podium in bezug auf den Zentralbankrat gesagt wurde. Der Zentralbankrat hat zu dieser Frage keinen Beschluß gefaßt, sondern es ist im Zentralbankrat eine Unterhaltung gewesen. Dabei haben sich zwar negative Stimmen erhoben, aber es wurde kein Beschluß gefaßt.
Was das außenwirtschaftliche Gleichgewicht anlangt, so habe ich im Zentralbankrat gesagt: Sie haben die Wahl, durch bestimmte Maßnahmen die Binnennachfrage in der Bundesrepublik und die Importe anzuheben und damit unsere Überschüsse organisch zu verringern oder aber durch Aufrechterhalten sehr hoher Überschüsse den Widerstand oder die Begehrlichkeit anderer Länder zu wecken. Vor dieser echten Wahl stehen wir alle in unserer Politik, und auch die Bundesbank kann sich dieser Wahl nicht entziehen. Vielleicht hat sie sich jetzt mehr für das Weiterführen relativ hoher Überschüsse entschieden. Diese Überschüsse sind zwar durch Export von Liquidität im letzten Jahr überdeckt worden. Aber wir haben im Jahre 1967 - Sie sehen es in der Gesamtrechnung - einen Außenbeitrag von 16 Milliarden DM geleistet, und wir würden rebus sic stantibus im Jahre 1968 14 Milliarden DM zu leisten haben. Ob solch hohe Überschüsse das Ausland akzeptiert oder ob die Begehrlichkeit dadurch steigt, steht für alle zur Wahl.
Im übrigen habe ich den Eindruck: es hat zu diesem Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung keine prinzipielle Kontroverse gegeben, allenfalls Teilkontroversen. Das ist für mich ein Beweis dafür, daß die Bundesregierung gehandelt hat.
({0})
- Sie hat gehandelt - vielleicht nicht immer vollkommen, welches Gremium würde überhaupt auf dieser Erde vollkommen handeln? -, und sie wird, wenn nötig, weiter handeln. Das ist heute sowohl im gedruckten Bericht wie in der mündlichen Begründung klar zum Ausdruck gekommen.
Das Fehlen einer prinzipiellen Kontroverse ist wohl auch darauf zurückzuführen, daß sich die Bundesregierung im Kampf der Wagen und Gesänge über die möglichen Zuwachsprozente des Jahres 1968 dezent in der Mitte gehalten hat. Das scheint mir der zweite Grund dafür zu sein, daß es heute keine grundsätzlichen Schlachten gegeben hat. Insofern darf ich allen, die hier zu vielen Einzelpunkten kritische Beiträge geleistet haben, doch danken für die Unterstützung in der Grundlinie unserer Konjunktur- und Wachstumspolitik, die wir heute hier von diesem Hohen Hause empfangen haben.
({1})
Damit ist die Aussprache über den Punkt 9 a, b und c geschlossen.
Ich gebe noch bekannt, daß auch der Abgeordnete Dr. Frerichs ,eine beabsichtigte Rede zu Protokoll gegeben hat. Sie wird in das Protokoll an der passenden Stelle, nicht als Schlußwort zu dieser Debatte, eingefügt *).
Wir haben noch die Vorlagen zu überweisen. Die Vorschläge des Ältestenrats liegen Ihnen vor. Der von dem Kollegen Lange begründete Entschließungsantrag auf Umdruck 361 **) soll an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden.
Ich frage zunächst, ob das Haus den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrats zustimmt. - Es wird nicht widersprochen; es ist so beschlossen.
In einem Punkte ist, darauf werde ich soeben aufmerksam gemacht, die Federführung noch offen, und zwar bei dem Antrag der Fraktion der FDP. Hier soll überwiesen werden an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen und den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Frage also, welcher Ausschuß federführend sein soll.
({0})
- Finanzausschuß? Besteht darüber Übereinstimmung?
({1})
Ich meine, wir sollten in dieser späten Abendstunde nicht noch einen Streit über die Überweisung austragen. Mir scheint, der Finanzausschuß ist so gut wie der andere.
({2})
*) Siehe Anlage 11 **) Siehe Anlage 2
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Streit, Herr Kollege Schulte, darf man schon deshalb nicht vermeiden, weil die Koalition auch in dieser Frage, wenn auch einer Frage von nebensächlicher Bedeutung, unterschiedlicher Meinung ist.
({0})
Es handelt sich hier um eine steuerrechtliche Frage, die, wie jede Frage des Steuerrechts, auch wirtschafts- und konjunkturpolitische Auswirkungen hat. Aus diesem Grunde ist die Federführung des Finanzausschusses begründet.
Ich werde soeben davon unterrichtet, daß im Ältestenrat Übereinstimmung bestand, daß der Finanzausschuß federführend sein sollte.
Zur Geschäftsordnung Herr Ravens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Kollegen Genscher möchte ich sagen: Ich freue mich sehr, daß 'er sich schon über solche Kleinigkeiten freuen kann. Wie bescheiden er doch geworden ist!
Bei diesem Antrag, Herr Präsident, handelt es sich aber ganz offensichtlich und ganz klar um einen Antrag wirtschafts- und konjunkturpolitischer Art, zumal bei dem Antrag auch auf das mögliche Vorziehen der Investitionsprämie für das Jahr 1968 Bezug genommen wird. Das ist eindeutig eine Frage eines Gesetzes, das im Wirtschaftsausschuß federführend beraten worden ist. Die Überlegungen müssen also in dieser Richtung laufen. Ich bitte um Überweisung an den Wirtschaftsausschuß.
Der Streit kann nur durch Abstimmung entschieden werden. Es ist vorgeschlagen - und im Ältestenrat war darüber offenbar Übereinstimmung; ich weiß es selber nicht, ich war in dieser Sitzung nicht anwesend -, daß der Finanzausschuß federführend sein soll. Wir stimmen über diesen Vorschlag ab. Wer dafür ist, daß der Finanzausschuß federführend sein soll, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit. Damit ist der Wirtschaftsausschuß federführend.
Damit sind wir mit den Geschäften des heutigen Tages zu Ende. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 16. Februar 1968, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.