Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen folgendes mitteilen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung
1. um die erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Artikels 118 des Grundgesetzes - Drucksache V/2541 -,
2. um die Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}), Bading, Mertes, Dr. Reischl und Genossen betr. Aufhebung der Immunität von Abgeordneten - Drucksache V/2424 -
ergänzt werden. Ist das Haus mit dieser Ergänzung einverstanden? - Das ist der Fall; es ist so beschlossen.
Die Beratung der Vorlage Drucksache V/2541 wird als Punkt 6 d) der Tagesordnung vorgesehen.
Ich darf dem Herrn Abgeordneten Illerhaus zu seinem Geburtstag am 31. Januar 1968,
({1})
dem Herrn Abgeordneten Auge zu seinem Geburtstag am 3. Februar 1968 .
({2})
und dem Herrn Abgeordneten Dr. Erhard zu seinem Geburtstag am 4. Februar 1968
({3})
gratulieren.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 26. Januar 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Finanzänderungsgesetz, II. Teil, Doppelbelastung der Angestellten bei einem Befreiungsantrag von der allgemeinen Versicherungspflicht - Drucksache V/2463 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache Ví2513 verteilt.
Der Bundesminister für Gesundheitswesen hat am 26. Januar 1968 eine Ergänzung seiner Antwort - Drucksache V/922 - auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt ({4}), Bading, Mertens und Genossen betr. Ölverschmutzung des Rheins - Drucksache V/869 - übersandt. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2518 verteilt.
Der Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau hat am 31. Januar 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Starke ({5}), Porsch, Dr. Imle, Graaff, Walter, Dr. Staratzke und der Fraktion der FDP betr. Wohnungsbaumaßnahmen für Facharbeiter und Schlüsselkräfte im Zonenrandgebiet - Drucksache V/2472 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2529 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr hat am 30. Januar 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Balkenhol, Dr. Rinsche, Schulte und Genossen betr. Planung und Ausbau des Lippe-Seitenkanals - Drucksache V/2488 -- beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2531 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft haben am 5. Februar 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. bisher unbeantwortete Fragen in den Kleinen Anfragen der Fraktion der FDP vom 11. August 1967 - Drucksache V/2061
- und 15. September 1967 - Drucksache V/2114 - zur Finanzplanung des Bundes - Drucksache V/2430 - beantwortet. Ihr Schreiben wird als Drucksache V/2535 verteilt.
Der Bundesminister für Familie und Jugend hat am 2. Februar 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Reform des Familienlastenausgleichs - Drucksache V/2496 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2536 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates betreffend die Finanzierung von Beihilfen für die Erzeugung von Traubenkernöl durch den EAGFL
- Drucksache V/2499 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten -federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im März erfolgen wird
Verordnung des Rates betreffend die Finanzierung der Ausgaben für Interventionen auf dem Binnenmarkt im Wirtschaftsjahr 1967/68 auf dem Zuckersektor
- Drucksache V/2517 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Februar erfolgen wird
Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse
Verordnung des Rates über ergänzende Vorschriften zur Gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse hinsichtlich der unter die Tarifnummer 04.01 fallenden Erzeugnisse
- Drucksache V/2519 -an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen sowie an den Haushaltsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich Ende März erfolgen wird
Verordnung des Rates zur Änderung der in Frankreich während des Milchwirtschaftsjahres 1967/68 geltenden Schwellenpreise für bestimmte Milcherzeugnisse sowie der Verordnung Nr. 1039/67/ EWG
- Drucksache V/2520 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich Ende März erfolgen wird
Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch
- Drucksache V/2521 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich Ende März erfolgen wird
Verordnung sowie der Entwurf einer Entschließung des Rates
- zur Festsetzung der ab 1. Februar 1968 geltenden Höchstbeträge der Erstattung bei der Erzeugung von Zucker, der in der chemischen Industrie verwendet wird
Vizepräsident Scheel
- zur Gewährung einer Erstattung bei der Erzeugung von Zucker, der zur Herstellung bestimmter chemischer Erzeugnisse, die ebenfalls aus Stärkeerzeugnissen hergestellt werden können, verwendet wird
- Drucksache V12522 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Februar erfolgen wird
Verordnung des Rates zur Verschiebung des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 408/67/ EWG
- Drucksache V/2523 an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Februar erfolgen wird
Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung, der
Fragestunde
- Drucksachen V/2533, V/2527 Zunächst die Dringlichen Mündlichen Anfragen auf Drucksache V/2533. Ich rufe die Fragen 1, 2 und 3 des Herrn Abgeordneten Weigl aus dem Geschäftsbereich des Bundesminisetrs für Arbeit und Sozialordnung auf:
Trifft es zu, daß die ostbayerischen Arbeitsämter Anweisung erhalten haben, innerhalb kürzester Zeit Hunderte von arbeitslosen Bauarbeitern aus Ostbayern in die Ballungsräume, vornehmlich nach Baden-Württemberg, zu vermitteln?
Ist die in Frage 1 erwähnte „Rekrutierung" von Arbeitslosen für den Einsatz in den Ballungsgebieten der Bundesrepublik Deutschland und die damit zwangsläufig verbundene weitere wirtschaftliche Schwächung der Zonenrand- und wirtschaftlichen Problemgebiete noch vereinbar mit den laufenden Beteuerungen führender Politiker, den wirtschaftsschwachen Räumen helfen zu wollen?
Teilt die Bundesregierung die am 27. Januar 1967 durch den Bayerischen Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr bei einer Veranstaltung in Weiden vertretene Auffassung, daß der Staat in die Ballungsgebiete keine Zuschüsse mehr geben sollte, solange nicht die Strukturprobleme der wirtschaftsschwachen Räume in der Bundesrepublik Deutschland gelöst sind?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Katzer vom 7. Februar 1968 lautet:
Nach den Feststellungen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sind zahlreiche offene Stellen für Bauarbeiter in Baden-Württemberg zu besetzen. Um für diese Stellen möglichst schnell geeignete Kräfte vermitteln zu können, hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung veranlaßt, daß die beiden benachbarten Landesarbeitsämter Nord- und Südbayern die Möglichkeit der Vermittlung von Bauarbeitern nach Baden-Württemberg verstärkt nutzen. Es handelt sich hierbei also keineswegs um eine Sonderaktion in Ostbayern. Die Arbeitsverwaltung erfüllt damit den ihr durch Gesetz übertragenen Auftrag, alle Möglichkeiten der Vermittlung von Arbeitslosen auch im überbezirklichen Ausgleich auszuschöpfen, bevor sie - insbesondere über Monate hinweg - Arbeitslosengeld gewährt. Derartige Maßnahmen erscheinen auch im Hinblick auf das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten geboten.
Im übrigen wäre es auch nicht vertretbar, zur Besetzung offener Stellen in Baden-Württemberg ausländische Bauarbeiter hereinzunehmen, wenn gleichzeitig etwa 10 000 deutsche Bauarbeiter, die für einen überbezirklichen Arbeitskräfteausgleich in Frage kommen, im benachbarten Bayern arbeitslos gemeldet sind und Arbeitslosengeld beziehen. Dabei bestünde noch die Gefahr, daß bei Eintreten schlechterer Witterung die ausländischen Arbeiter Schlechtwettergeld beanspruchen oder die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter erhöhen.
Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat seine Dienststellen ausdrücklich angewiesen, die Grundsätze für die Ausgleichsvermittlung sorgfältig zu beachten und anzuwenden. Die Arbeitsämter nehmen bei ihren Vermittlungsbemühungen auf die persönlichen Verhaltnisse der Arbeitsuchenden Rücksicht, um Härten zu vermeiden. Für eine Vermittlung auf auswärtige Stellen kommen grundsätzlich ledige und lediggehende Bauarbeiter in Frage.
Auf Grund der besonderen klimatischen Verhältnisse in Ostbayern nimmt der Abbau der Winterarbeitslosigkeit dort alljährlich einen längeren Zeitraum in Anspruch. Es ist deshalb nicht vertretbar, auf das Angebot von Arbeitsmöglichkeiten am Wohnort oder in erreichbarer Nähe zu warten, wenn in anderen Bezirken offene Stellen zu besetzen sind. Erfahrungsgemäß bleiben auch nur wenige der 'n den Wintermonaten nach BadenWürttemberg vermittelten bayerischen Bauarbeiter die gesamte Bausaison dort in Arbeit. Sie kehren vielmehr meist schon im Laufe des Frühjahrs in ihre Heimatbezirke zurück, sobald die dortige Bauwirtschaft wieder Beschäftigung bietet. Diese Tatsache ist auch den aufnehmenden Baufirmen in Baden-Württemberg bekannt. Ich bin überzeugt, daß auch diesmal die nach Baden-Württemberg vermittelten Kräfte sobald wie möglich in die Heimat zurückkehren werden.
Die Vermittlung von arbeitslosen Bauarbeitern nach Baden-Württemberg wird also zu keiner Abwanderung aus Ostbayern und damit auch zu keiner Schwächung der Wirtschaftskraft in diesem Gebiet führen. Selbstverständlich gibt die Bundesregierung der Ansiedlung von Betrieben und der Schaffung von Dauerarbeitsplätzen in den wirtschaftlich weniger entwickelten Gebieten der Bundesrepublik den Vorzug vor der Vermittlung der Arbeitnehmer in andere Bezirke. Soweit das nicht möglich ist, dürfen anderweitige Beschäftgiungsmöglichkeiten natürlich nicht außer acht gelassen werden.
Für die regionale Wirtschaftsförderung sind in erster Linie die Länder zuständig. Es muß alles darangesetzt werden, vor allem die Wirtschaftskraft in den weniger entwickelten Gebieten der Bundesrepublik zu stärken. Meines Erachtens könnte dabei auch erwogen werden, bereits geplante strukturverbessernde Maßnahmen zeitlich vorzuziehen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß in Ballungsgebieten grundsätzlich keine Zuschüsse als Wirtschaftsförderung gewährt werden sollten. Sie ist seit Jahren bemüht, eine Übereinkunft mit den zuständigen Ländern zu erzielen, nach der in wirtschaftsstarken Gebieten die Ansiedlung neuer Betriebe nur dann gefördert werden sollte, wenn schwerwiegende Strukturprobleme nicht ohne eine solche staatliche Hilfe gelöst werden können. Eine Ausnahme dieser Art bildet nach Auffassung der Bundesregierung z. Z. das von Strukturwandlungen betroffene Ruhrgebiet. Will man soziale Härten weitgehend vermeiden, läßt sich in der gegenwärtigen Konjunkturphase der nicht mehr aufzuschiebende Strukturwandel nur über eine angemessene und befristete Hilfe des Staates erreichen, bei deren Festsetzung jedoch die Situation in den anderen strukturschwachen Gebieten ständig im Auge behalten werden muß.
Wir kommen zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, der Frage 4 des Herrn Abgeordneten Schmidt ({6}) :
Ist der Herr Bundesaußenminister bereit, den Wortlaut seiner Ausführungen, die er am 3. Februar 1968 bei dem Landesparteitag der SPD Baden-Württemberg in Ravensburg zum deutsch. französischen Verhältnis gemacht hat und deren verfälschte öffentliche Verbreitung in Frankreich Beunruhigung ausgelöst hat, dem Hohen Hause mitzuteilen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Außenminister.
Meine Damen und Herren! Ich bin selbstverständlich gern bereit, Auskunft über das zu geben, wonach der Abgeordnete Schmidt mich fragt.
In einer Rede, die ich am Sonnabendmittag in Ravensburg auf einem Landesparteitag der SPD gehalten habe, einer nicht vorformulierten Rede, habe ich mich - so weist es die Niederschrift einer Tonbandaufnahme aus - an zwei Stellen zu Frankreich geäußert. An der einen Stelle hatte ich von der Notwendigkeit gesprochen, daß, wenn es einmal zu einem europäischen Sicherheitssystem käme, die Mitwirkung der Vereinigten Staaten darin. und daran unerläßlich sei. Dann fuhr ich wörtlich fort:
Die Bundesrepublik Deutschland ist keine Weltmacht und treibt keine Weltpolitik. Wir haben weltumspannende Handelsinteressen. Wir sind mit den Verbündeten in der atlantischen Allianz solidarisch; aber wir betreiben keine Machtpolitik im Stil der europäischen Großmächte des vorigen Jahrhunderts. Wenn unser Nachbar Frankreich seine gewissermaßen traditionelle Weltmission mit der großräumigen Strategie einer Rundum-Verteidigung verknüpft, so ist das seine Sache. Man wird hier nur bedauern können, daß sich unser Nachbarland, weit über sich hinauswachsend, mit diesen Ansprüchen und Zielen weiter von Europa entfernt.
An einer zweiten Stelle hatte ich über meine Eindrücke von den Besprechungen mit der italienischen Regierung gesprochen, zu denen der Bundeskanzler und ich in der vergangenen Woche, also unmittelbar vor dieser Rede, in Rom waren. Ich hatte gesagt, daß wir - „wir" hieß in diesem Fall die Italiener und wir - die Arbeit der europäischen Gemeinschaften weiter fördern und gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten suchen wollten, um die gegenwärtige Kluft zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits, Großbritannien und anderen zur Zusammenarbeit und zum Zusammenschluß bereiten europäischen Staaten andererseits sich nicht vertiefen zu lassen, daß wir uns bemühen wollten, die Grundlagen und Voraussetzungen für einen beschleunigten Eintritt Englands und anderer Staaten in die Gemeinschaft zu schaffen, und die Schwierigkeiten, die den Verhandlungen entgegenstehen, so bald wie möglich ausräumen helfen wollen. Und dann ging es wörtlich weiter:
In etwas weniger als zwei Wochen werden wir in Paris sein. Die deutsch- französische Aussöhnung und Freundschaft ist tief in den Herzen unserer Menschen auf beiden Seiten verwurzelt, und das ist gut so. Das gilt auch gerade für die junge Generation. Ich hoffe, die Verankerung ist schon so stark, daß auch unvernünftige Regierungen nicht mehr in der Lage sein werden, daran etwas zu ändern. Jedenfalls denke ich - ich bin mir mit dem Bundeskanzler darin einig -, wenn wir in knapp zwei Wochen in Paris sind, dann darf nirgends der Eindruck aufkommen, als gelte für die deutsche Politik die Losung: Feigheit vor dem Freund. Freundschaft und gute Zusammenarbeit - und für diese deutsch-französische Zusammenarbeit gilt das Primat der Nachbarschaft -, freundschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit bedeuten eben gerade nicht, daß der eine dem anderen nach dem Munde redet, sondern daß man das, was man für richtig hält und was die eigenen Interessen gebieten, sachlich und klar und mannhaft vertritt.
({0})
Herr Abgeordneter Schmidt, wenn ich ein paar Sätze hinzufügen darf: Ich bedauere, daß eine falsche Version dieser Ausführungen verbreitet wurde. Leider bin ich selbst erst Sonntag mittag hierauf aufmerksam gemacht worden und habe erst zu dem Zeitpunkt dementieren können. Ich halte es für einen Skandal, daß eine Presseagentur sich auch danach noch an eine falsche Meldung geklammert und erst am Montag revoziert hat.
({1})
Die Beunruhigung in Frankreich, von der Sie in Ihrer Frage sprechen, Herr Kollege Schmidt, tut mir leid. Ich hatte gehofft, daß man sogar ohne Richtigstellung gewußt hätte,
({2}) wie ich zu Frankreich stehe, daß ich das deutschfranzösische Verhältnis für ein Kernstück unserer Außenpolitik halte
({3})
und daß mir als Außenminister weder davor noch danach in den Sinn kommen könnte, den französischen Staatspräsidenten persönlich zu verunglimpfen.
Manches, was im Zusammenhang mit dieser Affäre geschehen ist und gesagt worden ist, bleibt mir schwer verständlich. Daß es auch nach Veröffentlichung der authentischen Texte Anlaß zu einer Beunruhigung geben könnte, vermag ich mir wirklich nicht vorzustellen. Ich kann von mir aus hier vor dem Hohen Hause nur noch einmal als meine Überzeugung unterstreichen: freundschaftliche, vertrauensvolle Zusammenarbeit bedeutet, daß man das, was man für richtig hält und was die eigenen Interessen gebieten, sachlich und klar und mannhaft vertritt.
({4})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, darf ich Ihren letzten Ausführungen entnehmen, daß Sie die Vermutung haben, daß die wahren Motive für die überaus ungewöhnliche Reaktion der französischen Regierung auf einer ganz anderen Ebene liegen?
Ich möchte mich dazu in diesem Augenblick nicht äußern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, welche Konsequenzen diese Nachrichtenagentur gezogen hat? Denn wenn es Ihnen nicht möglich gewesen wäre, das Tonband zur Verfügung zu stellen, wäre wahrscheinlich ein unermeßlicher nationaler Schaden daraus entstanden.
Brandt, Bundesminister des Auswärtigen: Ich will nicht vom nationalen Schaden sprechen. Aber es ist noch etwas komplizierter, Herr Abgeordneter. Denn die in Frage stehende Agentur hat sich nicht einmal durch das ihr von meiner Partei zur Verfügung gestellte Tonband überzeugen lassen, sondern hat erst revoziert, als sie außerdem noch ein Tonband einer Rundfunkstation aufgetrieben hatte,
({0})
das mit dem erstgenannten übereinstimmte.
({1})
Sonst kann ich nur sagen: Die Leitung dieser
Agentur hat sich bei mir in aller Form entschuldigt,
und ich höre, daß sie dabei ist, den Vorgang zu untersuchen.
({2})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Außenminister, darf ich im Zusammenhang mit Ihrer Ravensburger Rede, die Sie soeben in ihrem authentischen Text, soweit sie Frankreich betrifft, vorgelesen haben, fragen, ob Sie auch nach Ihren Außenministererfahrungen noch die Auffassung haben, die Sie in früheren Reden, unmittelbar bevor Sie Außenminister wurden, geäußert haben, - Reden, in denen Sie gerade die französisch-nationale Komponente des Präsidenten de Gaulle bewundernd gelobt haben - Reden in New York und vor der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik in Bad Godesberg, an die ich mich erinnere - und in die Sie die Frage einflochten, „warum eigentlich nur er" eine so nationale Politik in Europa treibe.
Hen Abgeordneter, die Reden, auf die Sie Bezug nehmen, waren differenzierter, als es Ihre Frage vermuten lassen könnte. Aber wenn Sie die Freundlichkeit hätten, mir in einer kommenden Fragestunde - ähnlich wie der Kollege Schmidt zu dieser Rede - zu den damaligen Reden Fragen zu stellen, bin ich bereit, sie entsprechend zu beantworten, Ihnen inzwischen aber auch die vollen Texte zum nochmaligen Studium zur Verfügung zu stellen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Außenminister, wird die Bundesregierung und wird auch Ihre Partei aus diesem Vorfall lernen, daß bei Reden von so herausragenden Parlamentariern - ({0})
Ich bitte fortzufahren, Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg.
Nachdem ich hier von Herrn Dorn belehrt worden bin, darf ich die Frage ausdrücklich auf die Bundesregierung beschränken: Wird die Bundesregierung daraus lernen, daß bei Reden so herausragender politischer Persönlichkeiten wie des Bundesaußenministers eine Richtigstellung einer falschen Meldung in denkbar kürzester Frist zwingend erfolgen müßte?
Herr Abgeordneter, man hängt keinen, wenn man ihn nicht hat. Man kann nichts dementieren, bevor man es nicht weiß.
({0})
Aber ich gebe zu, es hat sich eine Summe technischer Unzulänglichkeiten ergeben, die auf mich selbst bedrückend wirken. Ich möchte nicht gern, daß man ein anderes Mal 24 Stunden unschuldig durch die Welt läuft - noch unschuldiger als sonst ({1})
und erst dann merkt, was eigentlich für ein Wirbel entstanden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schultz.
Herr Minister, hat die Tatsache, daß sich die Bundesregierung für eine Bemerkung entschuldigt hat, die gar nicht gemacht wurde, beim französischen Partner eine positive Wirkung für die zukünftigen Gespräche gezeigt?
Ich kann nicht die Prämisse akzeptieren, von der Sie, Herr Abgeordneter, ausgehen. Die Bundesregierung hat den Vorfall bedauert.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Gemmingen.
Herr Minister, wären Sie bereit, die Namen derjenigen, die hinter dieser Affäre stehen, die man als übel bezeichnen kann, ganz offen dem Hohen Hause mitzuteilen?
Meine kriminalistische Begabung ist unterentwickelt, Herr Abgeordneter.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dorn.
Herr Bundesminister halten Sie es nicht für sehr außergewöhnlich, daß nach der Ausladung von zwei Bundesministern der deutsche Botschafter trotzdem an diesem Empfang teilgenommen hat?
Es ist nicht meines Amtes, protokollarische Entscheidungen, auch solche auf sehr hoher Ebene, in Paris zu beurteilen. Ich muß allerdings offen zugeben, daß mir manches - das habe ich ja schon einleitend gesagt - schwer verständlich ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schultz.
Herr Minister, wie beurteilen Sie die Forderung von Ministerpräsident Kühn von Nordrhein-Westfalen, die heute in der „NRZ" zu lesen ist, die französische Regierung müsse sich nunmehr bei der deutschen Bundesregierung entschuldigen?
Ich weiß nicht, ob der Bundesaußenminister recht daran tut, einen Länderchef, auch wenn es nicht der des größten Landes wäre, zu kommentieren oder seine Äußerung zu beurteilen. Für die steht er ganz allein ein.
({0})
Ich habe an anderer Stelle gesagt - das ist heute nachzulesen -: Wenn ich nach Paris gehe - das gilt für den Bundeskanzler erst recht -, dann denke ich nicht daran, im Büßerhemd zu gehen. Das wird wohl auch keiner erwarten.
({1})
Es ist vielmehr höchst erwünscht, wenn das, was viele in unserem Lande für Unfug halten, bald zu einem Ende kommt.
({2})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Blumenfeld.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung einer Tatsache dieselbe politische Bedeutung beimißt wie das Deutsche Fernsehen am Montag dieser Woche, der Tatsache nämlich, daß der französische Staatschef, nachdem er die Zahl der Teilnehmer an dem Essen, das er dem Bundespräsidenten gab, verkleinert hatte, dem Herrn Bundespräsidenten einige Schritte weiter als sonst üblich entgegengekommen ist, und dies, obwohl es schlechtes Wetter war.
({0})
Ich muß bekennen, Herr Abgeordneter Blumenfeld, daß mir dieses wichtige Detail bisher entgangen war.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Bundesminister, darf ich Ihre letzte Antwort so verstehen, daß Sie den Grad der Freundschaft nicht an einigen Schritten messen?
({0})
Das kann man in direkter Bedeutung des Wortes und in übertragenem Sinne verstehen, und weil hier die Gefahr von Mißdeutuigen aufkommen könnte, möchte ich es lieber bei Ihrer Frage belassen, ohne daß ich sie ausdeute.
({0})
Damit sind die Dringlichkeitsfragen beantwortet.
Wir kommen jetzt zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Es ist die Frage des Herrn Abgeordneten Bauer ({0}) :
Welche rechtlichen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung in Anbetracht des Problems der ärztlichen Schweigepflicht, um dem immer wieder zutage tretenden Mißstand zu steuern, daß gesundheitlich angeschlagene Personen, die bereits früher unter dem Verdacht schwerer Erkrankungen ({1}) in medizinischer Behandlung standen, schwere Verkehrsunfalle verursachen und in der Folge nach § 51 StGB freigesprochen werden mussen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Kollege, § 300 des Strafgesetzbuches verbietet nur die unbefugte Offenbarung ärztlicher Geheimnisse; nach den Grundsätzen der Güter- und Interessenabwägung ist eine Offenbarung zum Schutze höherwertiger Rechtsgüter zulässig. So hat die Rechtsprechung es z. B. für gerechtfertigt erklärt, wenn ein Arzt der zuständigen Gesundheitsbehörde von epileptischen Anfällen seines Patienten beim Autofahren Mitteilung macht. Unter diesen Umständen sollte die Frage der ärztlichen Schweigepflicht weiterhin der Rechtsprechung und der persönlichen Verantwortung des Arztes überlassen bleiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bauer.
Sehen Sie, Herr Bundesminister, in Anbetracht der Schwierigkeit des Problems des ärztlichen Schweigepflicht und der Rechtsprechung eine Möglichkeit, durch eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Behörden dazu zu kommen, daß derartige Mißstände, wie sie in der Frage angedeutet sind, in der Zukunft tunlichst vermindert werden?
Eine gute Zusammenarbeit unter mehreren Beteiligten kann immer nur gut und hilfreich sein. Sie muß aber dann von den örtlichen Stellen gesucht und betrieben werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Bauer.
Sehen Sie eine Möglichkeit, Herr Bundesminister, eine solche Zusammenarbeit von der Bundesebene her zu beeinflussen, indem die Zusammenarbeit auf Konferenzen, z. B. durch den Bundesjustizminister oder auch von seiten der inneren Verwaltung in die Wege geleitet wird?
Auf solchen Konferenzen können Anregungen gegeben werden, diesen Vorgängen eine Bedeutung beizulegen und sie zu beobachten. Aber irgendwelche exekutivischen Möglichkeiten bestehen natürlich nicht.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers der Justiz erledigt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend, zur Frage 2 des Herrn Abgeordneten Kubitza:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung, um für die internationale Jugendbegegnung in Deutschland die Chance zu nutzen, die in der ständigen Anwesenheit einer großen Anzahl junger Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland liegt?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister für Familie und Jugend.
Herr Kollege Kubitza, wir haben in der Tat mehrere hunderttausend Jugendliche aus dem Ausland im Gebiet der Bundesrepublik, und zwar darunter Soldaten, zivile Angehörige der Streitkräfte und auch Gastarbeiter. Für die Soldaten -hat das Bundesverteidigungsministerium seit geraumer Zeit Programme entwickelt, die zu einem ständigen Kontakt zwischen jungen Soldaten der Bundeswehr und der NATO-Streitkräfte führen. Es finden gemeinsame Veranstaltungen statt, insbesondere auf sportlichem, musischem und gesellschaftlichem Gebiet. Außerdem ist ein ständiger Austausch von Soldaten der Bundeswehr für bestimmte Zeiten mit anderen Einheiten der NATO-Streitkräfte organisiert. Dieser Austausch innerhalb der Streitkräfte ist am intensivsten zwischen uns und den französischen Truppen.
Wir haben natürlich daneben auch noch die Initiativen der Jugendverbände, der Jugendbehörden auf Kreis- und Stadtebene, die sich um den Kontakt, und zwar mit ähnlichen Programmen, zwischen deutschen Jugendlichen und den dort stationierten Streitkräften bemühen.
Anders und sehr viel schwieriger ist es, diese Jugendbegegnung mit den jugendlichen Gastarbeitern zu organisieren. Aber auch für sie werden von den Jugendverbänden und von den Behörden der Städte und der Kreise ähnliche Programme durchgeführt; nur ist das Echo wesentlich geringer.
Wir haben diese Aufgabe immer wieder zur Sprache gebracht bei den Unterausschüssen für den bilateralen Jugendaustausch in den gemischten Kulturkommissionen, bei den Jugendverbänden und auch bei den obersten Landesjugendbehörden. Die Programme, die die Jugendverbände und die Jugendbehörden durchführen, werden bei uns nach den Richtlinien für die internationale Jugendarbeit gefördert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kubitza.
Herr Minister, haben Sie z. B. mit den Kanadiern Kontakt aufgenommen?
Die kanadischen Streitkräfte sind in die Programme der Bundeswehr mit einbezogen. Wir haben direkt mit den Kanadiern, mit dem kanadischen Auswärtigen Amt, d. h. den entsprechenden Unterausschüssen in dieser Sache nicht verhandelt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit, zukünftig im Jugendbericht die internationale Jugendbegegnung, welche auf Initiative der Regierung und der Organisationen stattfand, noch ausführlicher darzustellen?
Herr Abgeordneter, es ist auf Wunsch dieses Hohen Hauses beschlossen worden, daß die Jugendberichte künftighin nur bestimmte Themen aufgreifen sollen. Selbstverständlich wird in einem der nächsten Jugendberichte die internationale Jugendarbeit mit aufgegriffen werden müssen.
Wir kommen zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Rutschke auf:
Welche Stellung nimmt die Bundesregierung zu dem Vorschlag der Empfehlung 160 der Versammlung der WEU vom 5. Dezember 1967 ein, eine Organisation für die Entwicklung der Länder des Nahen Ostens zu schaffen, in der Geber- und Empfängerländer gemeinsam Pläne für die wirksamste wirtschaftliche und technische Unterstützung dieses Gebietes erarbeiten und durchführen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Abgeordneter, in der von Ihnen genannten Empfehlung 160 der Versammlung der WEU wird in Ziffer 8 die Errichtung einer „Mittelmeerentwicklungsorganisation" vorgeschlagen, über die die westlichen Industrieländer wirtschaftliche und technische Hilfe gewähren sollen. Allerdings sollen Empfänger dieser Hilfe - wenn ich die Empfehlung richtig verstanden habe - nicht nur die Länder des Nahen Ostens, sondern des gesamten Mittelmeerraumes sein. Der abschließenden Behandlung der Empfehlung im Ständigen Rat der Westeuropäischen Union kann hier selbstverständlich nicht vorgegriffen werden. Die Bundesregierung wird sich jedoch in diesem Zusammenhang von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen.
Erstens. Die Bundesregierung ist an einer dauerhaften Befriedung des Mittelmeerraumes außerordentlich interessiert. Sie bemüht sich in allen Bereichen, hierzu einen Beitrag im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu leisten. Die Bundesregierung ist sich bewußt, welche Rolle der Entwicklungshilfe zuStaatssekretär Dr. Hein
kommt, um die Grundvoraussetzungen für stabile wirtschaftliche und politische Verhältnisse zu schaffen. Ich habe jedoch Zweifel, Herr Abgeordneter, ob die Errichtung einer Entwicklungsorganisation für den Mittelmeerraum diesem Ziel unbedingt förderlich wäre. Allgemein kann gesagt werden, daß mit neuen Organisationen nicht auch gleichzeitig neue Hilfsquellen erschlossen werden, da sich auch unsere Maßnahmen selbstverständlich nach den verfügbaren Mitteln richten müssen.
Zweitens. Der Mittelmeerraum umfaßt Länder mit sehr unterschiedlichem Entwicklungsstand und stellt keine einheitliche wirtschaftliche Region dar. Eine Organisation der Anrainerländer des Mittelmeerraums würde darüber hinaus nur einen Teil der arabischen Länder umfassen, was sicherlich nicht als sinnvoll angesehen werden könnte. Deshalb erscheint mir der Mittelmeerraum nicht als eine Region, die für den Aufbau einer wirksamen Entwicklungsorganisation besonders geeignet wäre.
Drittens. Es ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, daß in dieser Region bereits eine Reihe von internationalen Organisationen unter Mitwirkung der Bundesregierung tätig ist. Ich denke insbesondere an die EWG mit den Assoziationsverträgen Türkei und Griechenland, die OECD-Konsortien für die Türkei und Griechenland, die Weltbankberatergruppen für Tunesien und Marokko. Demnach sind bereits jetzt, so möchte ich meinen, hinreichende Möglichkeiten für die Einschaltung bestehender internationaler Einrichtungen vorhanden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Rutschke.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob Sie die Frage damit beantwortet haben wollen? Denn diese Ausführungen, die Sie gemacht haben, sind doch keine klare Antwort. Was wollen Sie nun eigentlich?
Wir sind der Auffassung, Herr Abgeordneter, daß eine Entwicklungsorganisation für den Mittelmeerraum im Augenblick nicht zweckmäßig ist. Es ist eine andere Frage, ob eine Konsortialentscheidung für Hilfen an die Länder im Nahen Osten möglich ist. Darüber wird die Bundesregierung - das wirft allerdings erhebliche politische Probleme auf - noch Prüfungen anstellen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rutschke.
Sie sind mit anderen Worten nicht bereit, dieser WEU-Empfehlung zu folgen.
Im Augenblick nicht, Herr Abgeordneter, weil wir der Auffassung sind, daß sich der Mittelmeerraum zur Zeit nicht für eine Konsortialentscheidung eignet.
Wir kommen zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers. Frage 155 des Abgeordneten Bäuerle:
Trifft es zu, daß die im Rahmen des ERP-Investitionshilfegesetzes vom 22. Oktober 1967 bereitgestellten Finanzmittel in Höhe von 500 Millionen DM allzu einseitig den finanzstarken, meist kreisfreien Städten zugute kamen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister.
Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Kollege, in meinem Bericht an den Ausschuß für das Bundesvermögen ist ausgeführt, in welchem Umfang Kredite an kreisfreie Städte gegeben worden sind. Ich habe allerdings keine Untersuchungen angestellt, inwieweit es zutrifft, daß kreisfreie Städte meistens finanzstarke Städte sind. Ich habe nicht die Unterlagen, um eine solche Untersuchung durchzuführen. Ich beschränke mich in meiner Antwort auf die Frage nach den kreisfreien Städten.
Von den 1706 Kreditverträgen sind nur 341 - das sind rund 20 % aller Verträge - mit kreisfreien Gemeinden abgeschlossen. Von den ausschließlich den Kommunen selbst gewährten Darlehen gingen von 1077 Darlehen 117 - das sind rund 11 % - in Großstädte mit mehr als 100 000 Einwohnern. 482 Darlehen wurden mit Kommunen mit einer Einwohnerzahl bis zu 5000 abgeschlossen, 261 mit Kommunen mit einer Einwohnerzahl zwischen 5000 und 20 000 und 217 mit Kommunen mit einer Einwohnerzahl von 20 000 bis 100 000.
Ich glaube, aus diesen Angaben ist ersichtlich, daß die kreisfreien Städte bei der Zusage von ERP- Mitteln nach dem Investitionshilfegesetz nicht bevorzugt berücksichtigt worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Bäuerle.
Herr Bundesminister, würden Sie Berechnungen, wie von mir gewünscht, anstellen lassen?
Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Kollege, ich weiß nicht, in welchem Ausmaß und in welcher Zeit ich fähig bin, die Identität zwischen kreisfreien und finanzstarken Städten - wenn Sie das meinen - festzustellen. Aber ich würde Ihnen doch vorschlagen, daß Sie sich mit dem Ausschuß in Verbindung setzen, dem ich einen umfangreichen Bericht gegeben habe. Sollten zusätzliche Angaben gewünscht werden, ist es sicherlich zweckmäßig, daß wir sie dann gemeinsam erarbeiten. Ich bin gern dazu bereit.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Baier.
Herr Bundesminister, können Sie diese Behauptung, daß eine Bevorzugung kreisfreier Städte bei der Verteilung dieser Mittel nicht erfolgte, auch für die Verteilung im Land BadenWürttemberg aufrechterhalten?
Schmücker, Bundesschatzminister: Ich habe im Moment die Unterlagen nicht da. Aber ich bin gern bereit, Ihnen diese zur Verfügung zu stellen. Im übrigen ist es natürlich so, daß der Bundesschatzminister nicht aus Eigenem entschieden hat, sondern die Quoten aufgeteilt und die Länder gebeten hat, vorzuschlagen, mit wem die Verträge gemacht werden sollen. Ich glaube, ein anderes Verfahren ist auch nicht denkbar. Wir müssen die Zuständigkeiten auf den Ebenen auch aus Zweckmäßigkeitsgründen berücksichtigen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Baier.
Herr Bundesminister, ich kenne die Aufteilung. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie Ihre vorhin aufgestellte Behauptung in bezug auf die Verteilung in Baden-Württemberg aufrechterhalten können, wenn Sie einen Blick in die dort bei Ihnen liegende Aufstellung nähmen. Ich darf Sie weiter fragen, ob es nicht so war, daß auch die Verteilung der Mittel in den Ländern nach Richtlinien erfolgen mußte, die vom Bund aufgestellt wurden.
Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Kollege, ich habe die Unterlagen, nach Ländern aufgeschlüsselt, nicht zur Hand. Ich bin aber gern bereit, sie Ihnen zu geben. Ich glaube, da braucht man keine Behauptungen aufzustellen, sondern die Tatsachen werden dann für sich sprechen.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 156 des Herrn Abgeordneten Bäuerle:
Werden 1968 weitere derartige in Frage 155 erwähnte Mittel bereitgestellt?
Bitte, Herr Minister!
Schmücker, Bundesschatzminister: Das Bundeskabinett hat in seiner Sitzung am 31. Januar beschlossen, den Gemeinden weitere ERP-Mittel zur Verfügung zu stellen. Die notwendigen gesetzlichen Vorbereitungen hierzu sind eingeleitet. Es ist vorgesehen, 250 Millionen DM Kredite an die Gemeinden zu geben. Die Kredite sollen wie bei dem 500Millionen- DM-ERP- Programm vergeben werden, jedoch mit der Einschränkung, daß die Mittel ausschließlich in Strukturgebieten Verwendung finden.
Als Strukturgebiete rechnen wir Steinkohlenbergbaugebiete im Sinne des Steinkohle- Anpassungsgesetzes, Berlin, Zonenrandgebiet und Bundesausbaugebiete und -ausbauorte.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 157 des Herrn Abgeordneten Bäuerle:
Gedenkt man Maßnahmen zu ergreifen, um eine gerechtere Verteilung der in Frage 155 erwähnten Mittel zwischen finanzstarken und finanzschwachen Gemeinden zu erreichen?
Bitte sehr, Herr Minister!
Schmücker, Bundesschatzminister: Es ist beabsichtigt, daß auch bei der Durchführung des neuen Programms über 250 Millionen DM die Länder die in den einzelnen Gemeinden zu fördernden Vorhaben vorschlagen. Eine Gewähr dafür, daß finanziell schwache Gemeinden bevorzugt berücksichtigt werden, ist dadurch gegeben, daß die Mittel ausschließlich in Fördergebiete fließen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Bäuerle.
Herr Bundesminister, würden Sie sich dafür verwenden, daß den finanzschwachen Gemeinden Kredite zu günstigeren Zinsbedingungen gewährt werden oder ihr Eigenanteil an den Vorhaben herabgesetzt wird?
Schmücker, Bundesschatzminister: Wir hatten die Zinsbedingungen festgesetzt und, ich glaube, sehr günstig festgesetzt. Es ist ja diesmal vorgesehen, daß die Gemeinden und die Länder nicht in dem alten Ausmaß beteiligt werden, so daß auch vom Volumen her die Bedingungen schon günstiger sein werden. Ebenfalls haben wir keine starre Grenze, sondern nur eine Grenze als Richtlinie vorgesehen. Ich glaube, daß wir damit Ihren Wünschen weitgehend entsprechen.
Damit kommen wir zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Die Fragen 4 und 5 sind vom Fragesteller zurückgezogen.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr. Stammberger:
War der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeskanzleramt während der Fragestunde vom 18. Januar 1968 bereits darüber unterrichtet, daß der deutsche Botschafter in Südkorea Kenntnis hatte von der Reise mehrerer Agenten des südkoreanischen CIA in die Bundesrepublik Deutschland?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Auswärtigen Amt.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nein, er war hierüber nicht unterrichtet. Seine Antworten bezogen sich auf Fragen des möglichen Tätigwerdens deutscher Behörden auf deutschem Boden, also in einem Bereich, der mit Ihrer Frage nicht in unmittelbarem Zusammenhang stand. Im übrigen betone ich, Herr Kollege Stammberger, daß der deutsche Botschafter in Seoul nichts davon gewußt hat, daß der koreanische CIA in der Bundesrepublik lebende Koreaner zur Rückkehr nach Seoul veranlassen wollte. Die Botschaft wußte seit dem 19. Juni, daß in Seoul eine Reihe von Akademikern verhaftet worden war, die früher in Deutschland studiert hatten. Am 20. Juni 1967 erhielt sie auf unterer Ebene beiläufig davon Kenntnis, daß etwa acht koreanische CIA- Beamte in die Bundesrepublik abgereist seien, um die gegen die in Seoul bereits verhafteten Akademiker erhobenen Beschuldigungen zu überprüfen. Das ist alles, was der Botschaft zu jenem Zeitpunkt bekannt war,
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Stammberger.
Herr Staatssekretär, ist aus dieser Erfahrung, die wir jetzt gewonnen haben, nicht die Lehre zu ziehen, daß in Zukunft die deutschen Auslandsvertretungen zumindest vorsorglich eine entsprechende Meldung an die Bundesregierung machen sollten?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Stammberger, natürlich ist ein solcher Vorfall Anlaß, auch auf solche Erscheinungen in Zukunft noch genauer zu achten und noch genauer über sie zu berichten. Nur möchte ich an dieser Stelle einmal sagen, daß hier weitgehend das Sprichwort gilt: Wenn man vom Rathaus kommt, ist man klüger. In der damaligen Situation, unter den gegebenen Verhältnissen, auf Grund der empfangenen Informationen bestand, alles in allem genommen, kein Anlaß, diese Information zum Gegenstand einer besonderen Meldung zu machen.
Da gehe ich mit Ihnen einig.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 7 des Herrn Abgeordneten Flämig:
Welche Haltung hat der Vertreter der Bundesregierung im Ministerkomitee des Europarates bei der Entscheidung über die Frage eingenommen, auf Vorschlag der Beratenden Versammlung des Europarates die jährlichen Zuschüsse für interkommunale Partnerschaften und Schüleraustausche von 50 000 auf 150 000 Frs. zu erhöhen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Der in Ihrer Frage erwähnte Vorschlag ist dem Ministerkomitee bzw. dem Ausschuß der Ministerbeauftragten bisher noch nicht zur Entscheidung vorgelegt. Die Bundesregierung hat deshalb zu diesem Vorschlag bisher nicht Stellung genommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Flämig.
Herr Staatssekretär, welche Haltung wird die Bundesregierung einnehmen, nachdem im Europarat die deutsche und die französische Delegation in .der vergangenen Woche ,gemeinsam den Vorschlag gemacht haben, pro Jahr wenigstens ein Tausendstel der Summe, die jährlich für das Deutsch- Französische Jugendwerk ausgegeben wird, für die Schaffung eines Europäischen Jugendwerks auszugeben?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Flämig, ich habe bereits in der 124. Sitzung des Bundestages am 11. Oktober des vergangenen Jahres die Haltung der Bundesregierung zu diesem gesamten Fragenkomplex dargelegt und dabei u. a. erklärt, daß die Bundesregierung bereit sei, sich im
Ministerkomitee des Europarates für eine Erhöhung des Zuschusses im Lichte der in der Zwischenzeit gestiegenen Bedürfnisse einzusetzen; die deutsche Haltung in dieser Frage werde sich jedoch an den Grundsätzen der mittelfristigen Finanzplanung zu orientieren haben, so daß eine etwaige Erhöhung nur in bescheidenem Umfang vorgenommen werden könnte. An dieser Auffassung hat sich bis heute nichts geändert.
Eine weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wie ist es denn zu erklären, daß im Europahaus, also in der Bürokratie des Europarates bereits gesagt wird, die Entscheidung im Ministerkomitee sei längst gefallen und eine Erhöhung 'dieses Betrages für das Jahr 1968 komme nicht in Frage, nachdem Sie soeben gesagt haben, es sei überhaupt keine Entscheidung gefallen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Flämig, ich möchte eigentlich mit einer Gegenfrage antworten: Erwarten Sie, ,daß die Bundesregierung auf Lobby- oder Wandelganggerüchte eingeht? Ich kann doch hier nur antworten, wie die tatsächliche Lage ist, und mich nicht mit Gerüchten auseinandersetzen, die der Bundesregierung in dieser Form nicht einmal bekannt sind.
Frage 8 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulz ({0}) :
Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag der Empfeh lung 160 der Versammlung der WEU vom 5. Dezember 1967, die Industrielle Beratergruppe des Ausschusses für Mineralöl der OECD mit der beschleunigten Aufstellung von Plänen zu beauftragen, die eine normale Ölversorgung auch in Krisenzeiten sicherstellen?
Ist der Fragesteller im Saal? - Bitte, Herr Staatssekretär!
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Seit der Gründung der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Paris hat sich der Ölausschuß dieser Organisation wiederholt mit der Frage befaßt, welche Maßnahmen im Falle einer Verknappung der Mineralölversorgung in den Mitgliedstaaten ergriffen werden sollten. Auch in seinem letzten Bericht kurz vor Ausbruch der Nahost-Krise ist der Ausschuß auf dieses Problem zurückgekommen. Er wird in seiner Sitzung, die heute und morgen stattfindet, erneut darüber verhandeln. Für den Fall von Versorgungskrisen war von der OECD seit 1960 die Einsetzung einer internationalen Industrieberatergruppe vorgesehen. Sie ist kurz nach Ausbruch des Nahost-Konflikts als beratendes Organ des Ölausschusses tätig geworden.
Eine detaillierte Krisenplanung für den Eventualfall muß allerdings problematisch erscheinen. Zeitpunkt, Ausmaß und Auswirkungen möglicher Versorgungsschwierigkeiten können nicht vorausgesehen werden. Es. kann sich nach Ansicht der deutschen Regierung für die zuständigen Gremien der
Parlamentarischer Staatssekretär Jahn
OECD nur darum handeln, bestimmte Rahmenpläne zu entwerfen, die in Ausnahmesituationen eine beschleunigte und, wie wir hoffen, auch weitgehend koordinierte Reaktion der betroffenen Staaten auf die sich dann ergebende Lage ermöglichen.
Ich darf, Herr Präsident, gleich die zweite Frage des Herrn Kollegen Schulz beantworten.
Bitte. Ich rufe also auch die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulz ({0}) auf:
Hält die Bundesregierung im Sinne der Empfehlung 160 ein Übereinkommen mit anderen Regierungen für erreichbar, das unkoordinierte zweiseitige Verträge verhindert, den gemeinsamen Bau von Öltankern und Ölleitungen sowie die gemeinsame Suche von Öl- und Gasvorkommen vorsieht?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Zu den in dieser Frage angeschnittenen Problemen ist zu sagen, daß die Interessen und Ziele der uns befreundeten Regierungen sehr unterschiedlich gelagert sind. Jeder Staat sorgt zunächst selbst für die Sicherung seiner Ölversorgung und nutzt die sich ihm bietenden Gelegenheiten, so gut es geht. Die von Ihnen, Herr Kollege, angesprochenen Übereinkommen, mit denen unkoordinierte Einzelgänge verhindert werden sollen, dürften sich daher auf absehbare Zeit kaum realisieren lassen.
Bezüglich des gemeinsamen Baues von Öltankern und Ölleitungen sollten wir die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß die Industrie mit bemerkenswerter Schnelligkeit die Konsequenzen aus der seit der Sperrung des Suezkanals entstandenen Lage gezogen hat. Der seit einiger Zeit mit großem Nachdruck betriebene Bau von Supertankern trägt wesentlich dazu bei, die Versorgungsschwierigkeiten, die sich aus der Nahost-Krise ergeben haben, zu überwinden.
Bessere Aussichten auf ein koordiniertes Vorgehen bestehen in der Frage der gemeinsamen Suche nach Öl- und Gasvorkommen. Hierzu möchte ich auf die Behandlung dieser Frage im Rahmen des Problemkreises Gemeinsame Energiepolitik bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hinweisen. Wir verfolgen dort das Ziel, die politischen Risiken, wie sie in der Nahost-Krise wieder sichtbar geworden sind, durch Streuung der Versorgungsquellen zu reduzieren. Vielleicht ergibt sich hier ein Ansatzpunkt, auch mit den Mineralölgesellschaften zusammenzuarbeiten. Die Vermeidung künftiger Versorgungskrisen liegt ja auch in deren Interesse.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die von Ihnen für wünschenswert erklärten Rahmenpläne noch nicht in Arbeit sind?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nein, das ist etwas, was die Regierung anstrebt, was sie aber noch nicht erreicht hat.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 10 des Herrn Abgeordneten Draeger:
Hält die Bundesregierung den Vorschlag der Empfehlung 160 der Versammlung der WEU vom 5. Dezember 1967 für erwägenswert und durchführbar, ein internationales Register aufzustellen, in das alle Lieferungen von Waffen- und Rüstungsmaterial in die Länder des Nahen Ostens einzutragen wären?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das Wettrüsten im Nahen Osten im Interesse aller Beteiligten beendet werden sollte. In diesem Sinne verdient die Empfehlung 160 der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 5. Dezember 1967 eine eingehende Prüfung.
Die Bundesregierung wird bei der weiteren Behandlung dieser Empfehlung davon ausgehen müssen, daß sie entsprechend ihrem Grundsatz, in Spannungsgebiete wie den Nahen Osten kein Rüstungsmaterial zu liefern, von einer Registrierungsvereinbarung nicht unmittelbar betroffen sein würde.
Im übrigen wurde der Sinn einer solchen Maßnahme nur erreicht werden können, wenn die Zustimmung und Mitarbeit aller für Rüstungslieferungen in Frage kommenden Staaten sowie aller Empfängerländer gesichert wären.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Draeger.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung ein derartiges Register überhaupt für geeignet, die Waffenlieferungen in den Nahen Osten einzuschränken oder zu verhindern?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das hängt natürlich von der Ausgestaltung des Registers, der Art der Beteiligung der Beteiligten selber und einer Fülle von Einzelfragen ab. Ich glaube, der Gedanke an sich ist nützlich. Ob er aber in einer Form zu realisieren ist, die dem Anliegen gerecht wird, das diesem Gedanken zugrunde liegt, dazu wird man füglich einige Skepsis anmelden dürfen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Kollegen Draeger.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die Aufstellung eines solchen Registers in der östlichen und auch in der westlichen Welt überhaupt als realistisch anzusehen ist?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Man sollte die Möglichkeiten, auch in solchen schwierigen Fragen zu einer Abstimmung und vielleicht sogar zu einem Übereinkommen zwischen östlichen und westlichen Staaten zu gelangen, nicht von vornherein als ohne jede Aussicht ansehen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß ein solcher Gedanke im Zusammenhang
Parlamentarischer Staatssekretär Jahn
mit der Diskussion von Rüstungsbegrenzungen oder damit zusammenhängender Fragen ernsthaft geprüft werden könnte und möglicherweise auch zu bestimmten Ergebnissen führen könnte. Ich kann hier jetzt nur sagen: ich kann mir denken, daß es ein geeignetes Instrument sein könnte.
Wir kommen zur Frage 11 des Abgeordneten Baier:
Ist es richtig, daß die Aussiedlung von Deutschen aus Rumänien nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen nicht zugenom men hat, sondern stark gebremst wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Einreisen von Volksdeutschen aus Rumänien sind seit 1965 erheblich zurückgegangen. Die Bundesregierung bedauert diese Entwicklung. Sie steht in ständiger Verbindung mit der rumänischen Regierung, um im Rahmen der Familienzusammenführung unter humanitären Gesichtspunkten Erleichterungen zu erreichen. Die Bundesregierung ist entschlossen, ihre bisherigen Bemühungen fortzusetzen und auch weiterhin die bestehenden Kontakte und künftigen Verhandlungen zu benutzen, um auf eine humanitäre Lösung des Problems hinzuwirken. Nach Auffassung der Bundesregierung steht der Rückgang der Einreisen nicht in Zusammenhang mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, daß die Zahl der aus Rumänien übersiedelnden Deutschen stets von Jahr zu Jahr erheblich geschwankt hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Baier.
Herr Staatssekretär, sieht sich aber die Bundesregierung nicht in der Hoffnung getäuscht, die bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Rumänien zum Ausdruck kam, nämlich auch im menschlichen Bereich einen Erfolg zu erreichen, nachdem am 1. Februar des letzten Jahres in der Fragestunde des Bundestages der Herr Bundesminister des Auswärtigen auf eine Frage von mir gesagt hat: „Die Bundesregierung hofft, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien zu einer beschleunigten Behandlung der Fälle der Familienzusammenführung, vor allem der Härtefälle, führen wird", und welche Konsequenzen will die Bundesregierung daraus ziehen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich glaube, es wäre ein falsche Bewertung, wenn man jetzt sagen würde, die Bundesregierung sehe sich in ihren Hoffnungen und Erwartungen enttäuscht. Die Bundesregierung wird weiterhin - und sie hat durchaus den Eindruck, dabei auch auf ein gewisses Maß an Verständnis auf der anderen Seite zu stoßen -- die bestehenden Beziehungen und Möglichkeiten dazu benutzen, auf die Dringlichkeit der Lösung dieses Problems in angemessener Form hinzuweisen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hudak.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß es auch nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Rumänien nicht möglich ist, die Familienzusammenführung im engsten Bereich, d. h. die Zusammenführung der Ehegatten, zu erreichen, obwohl sich die Sozialistische Volksrepublik Rumänien auf der Konferenz des Internationalen Roten Kreuzes in Wien zu dieser Familienzusammenführung im engsten Bereich bekannt hat?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege, ich kann Ihre Frage in dieser allgemeinen Form nicht bejahen. Es gibt allerdings - auch das muß dabei festgestellt werden - eine Reihe von Fällen, bei denen es angesichts der besonderen menschlichen Problematik nicht ganz einfach ist, einzusehen, weshalb sie nicht anders bewertet werden.
Eine weitere Frage, Kollege Dr. Hudak.
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir die Meinung, daß es besser gewesen wäre, wenn man sich bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Rumänien in der Frage der Familienzusammenführung auf eine bestimmte Zahl geeinigt und nicht nur um Schönwetter gebeten hätte?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich kann mir nicht vorstellen, daß dies ein nützlicher Versuch, zu einer Lösung zu kommen, gewesen wäre. Denn eine solche Beschränkung - das hätte die Festlegung eines bestimmten Rahmens ja auch bedeutet -, eine solche Regelung hätte nicht nur zu neuen Schwierigkeiten, sondern gewiß auch zu erheblichen Ungerechtigkeiten geführt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, besteht denn nicht wenigstens die Möglichkeit, im Rahmen der Familienzusammenführung zumindest für die älteren Volksdeutschen eine bevorzugte Aussiedlung zu erreichen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Eine solche generelle Regelung ist sehr schwer überhaupt nur zu diskutieren. Die Entscheidungen fallen nach Prüfung des jeweiligen Einzelfalles. Hier kommt es jeweils auf die besonderen Umstände des Einzelfalles an. Dabei spielt die Frage des Alters unter Umständen - und das ist auch heute der Fall - eine ausschlaggebende Rolle. Aber verallgemeinern läßt sich das in dieser Form nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, daß von der Liste äußerster Dringlichkeitsfälle - eine Liste, die der Zahl nach sehr bescheiden ist - bisher kaum 10 % derjenigen Fälle erledigt wurden, die die Bundesregierung als besonders vordringlich angesehen hat und wo humanitäre Gesichtspunkte maßgebend sind?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich kann dazu nur sagen, Herr Kollege Dr. Czaja: Die Bundesregierung würde es sehr begrüßen, wenn es in dieser Frage zu einer großzügigeren Handhabung kommen könnte.
Eine weitere Frage, Herr Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in verstärktem Maße, insbesondere im UNO-Jahr der Menschenrechte, den Gesichtspunkt zur Geltung bringen, daß die Freizügigkeit eine durch internationales Gewohnheitsrecht und Völkerrecht verankerte Norm der Menschenrechte ist?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung wird bei den Bemühungen, die sie unternimmt, jedes ihr unterstützend und hilfreich erscheinende Argument benutzen, d. h. auch dieses.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiep.
Herr Staatssekretär, hat sich nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Rumänien die Möglichkeit für Besuchsreisen in die Bundesrepublik für Rumäniendeutsche verbessert?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ja.
Können Sie irgendwelche Zahlen darüber nennen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Zahlen darüber habe ich nicht hier. Aber ich bin gern bereit, solche Zahlen zur Verfügung zu stellen, wenn es möglich ist, das im einzelnen festzustellen. Das kann ich im Moment nicht sagen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Illerhaus.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin auf eine Frage des Kollegen Baier geantwortet, die Bundesregierung sei über die Entwicklung des Austauschs von Deutschen nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen nicht enttäuscht. Glauben Sie nicht doch, daß die Bundesregierung enttäuscht sein müßte, wenn festzustellen ist, daß nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen die Situation auf diesem Gebiet schlechter geworden ist, als sie vorher war?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Illerhaus, ich kann Ihre Bewertung nicht teilen, daß die Entwicklung gerade jetzt schlechter geworden sei. Es hat in dieser Frage in all den Jahren immer sehr unterschiedliche Entwicklungen gegeben, d. h. Zeiten, in denen in der Frage der Familienzusammenführung verhältnismäßig weitgehende Regelungen zustande gekommen sind, und Jahre, in denen es nicht besser war als in dem jetzt abgelaufenen Jahr. Ich habe ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht und darf es wiederholen: Es gibt jedenfalls nach den Feststellungen und Erfahrungen, die wir in dieser Frage haben machen können, für uns keinen Anlaß, irgendeinen Zusammenhang mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu sehen.
Ich erinnere mich, daß Sie noch eine weitere Zusatzfrage stellen können, Herr Kollege Baier. Bitte schön!
Herr Staatssekretär, können Sie es nicht als eine Enttäuschung bezeichnen, wenn sich die Hoffnung auf eine verstärkte Aussiedlung nicht erfüllt und die Zahlen über die Rückkehr Deutscher aus Rumänien nicht befriedigen? Ich darf die mir vorliegenden Zahlen hier nennen: Im Jahre 1965 kamen noch 2715 Deutsche aus Rumänien in die Bundesrepublik, 1966 lediglich 609 und in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres 314.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich hielte es nicht nur für verfrüht, sondern auch für eine Bewertung, die uns die Auseinandersetzung um diese Frage gar nicht erleichtern würde,
({0})
wenn man jetzt zu solchen Feststellungen käme, wie Sie sie hier glauben treffen zu sollen, Herr Kollege Baier. Die Bundesregierung ist unverändert bemüht, in dieser Frage Fortschritte zu erzielen. Ich glaube, das ist die Frage, um die es sich dabei allein drehen kann.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Rehs.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, daß der jetzt außer Zweifel höchst unbefriedigende Stand der Aussiedlungsverfahren infolge Ihrer Anstrengungen in absehbarer Zeit Aussicht auf Besserung hat?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Gabe der Prophetie ist mir nicht gegeben, Herr Kollege Rehs. Ich kann nur sagen, daß die Bundesregierung ihre Bemühungen darauf richten wird.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, uns mitzuteilen, wie viele Aussiedlungswillige es ungefähr noch gibt und welche Vorstellungen die Bundesregierung darüber hat, in welchem Zeitraum sich diese Aussiedlung abwickeln kann?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Ertl, muß ich auf folgendes hinweisen. Die Zahl der Aussiedlungswilligen steht sicherlich nicht im Einklang mit den Vorstellungen der anderen Seite darüber, in welchem Umfang den Aussiedlungsverlangen oder -erwartungen Rechnung getragen werden kann. Sie wissen, daß die rumänische Regierung hier in ihrem Verhalten gegenüber den unbestrittenermaßen eigenen Staatsangehörigen eben auch Maßstäbe anlegt, die von den Betroffenen nicht ohne weiteres eingesehen werden mögen und die vielleicht auch andere nicht ohne weiteres einsehen können, die aber doch Gründe darstellen, welche wir zu respektieren haben.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Kollege Ertl.
Herr Staatssekretär, ich darf aber doch davon ausgehen, daß die Bundesregierung nur solche Grundsätze respektiert, die im Einklang mit internationalen Vereinbarungen stehen? Ich denke hier beispielsweise an die Menschenrechtscharta und ähnliches mehr.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Davon dürfen Sie ausgehen, Herr Kollege Ertl.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Illerhaus.
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht den Eindruck, daß hier im Hause eine große Enttäuschung über die Entwicklung besteht, und sollte das nicht für die Bundesregierung ein Ansporn sein, in dieser Frage erneut und intensiver tätig zu werden?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär belm Bundesminister des Auswärtigen: Die Enttäuschung ist mir bekannt, Herr Kollege Illerhaus. Ich bin so vermessen, zu sagen: Dazu bedurfte es nicht erst des Eindrucks dieser Fragestunde.
Die Bundesregierung braucht im übrigen - entschuldigen Sie bitte, wenn ich das so bestimmt sage, aber das kann ich auf Grund der Kenntnis der vielfältigen Bemühungen der letzten Monate sagen - keines besonderen Ansporns, um das, was in dieser Frage zu tun möglich ist, auch wirklich zu tun.
Wir kommen zur Frage 12 des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann:
Trifft es zu, daß aus Mangel an Mitteln durch die Vermittlungsstelle für deutsche Wissenschaftler im Ausland im Haushalt 1968 nur neun Wissenschaftler vermittelt werden, obwohl die Bundesregierung in der Drucksache V/2344 Abschnitt II behauptet, der Austausch von wissenschaftlichen Lehrkräften sei ein Schwerpunkt der auswärtigen Kulturpolitik?
Bitte, Herr Staatsekretär.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Vermittlungsstelle für deutsche Wissenschaftler im Ausland gewährt zur Zeit Zuwendungen an 163 deutsche wissenschaftliche Lehrkräfte und die dazugehörigen technischen Fachkräfte, deren Tätigkeit an ausländischen Universitäten und sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen mit Hochschulcharakter im kulturpolitischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt. In der Drucksache des Deutschen Bundestages V/2344, Abs. II, war bereits ausgeführt worden, daß die Aufnahmekapazität für deutsche Wissenschaftler an ausländischen Hochschulen, vor allem in Entwicklungsländern, praktisch fast unbegrenzt ist und daß eine Steigerung der Entsendungen über das gegenwärtige Maß hinaus eine entsprechende Steigerung der Mittel voraussetzt. Die Vermittlungsstelle kann Neuentsendungen deutscher Wissenschaftler ins Ausland nur in dem Maße vornehmen, wie ihr zusätzliche Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden bzw. wie verplante Mittel dadurch frei werden, daß bisher geförderte deutsche Wissenschaftler aus dem Ausland zurückkehren. Es gilt ferner zu bedenken, daß mit jeder Neuentsendung eines Wissenschaftlers gegen Ende eines Jahres zwar nur noch wenig Mittel des laufenden Haushaltsjahres in Anspruch genommen werden, daß damit aber rechtliche Verpflichtungen in Höhe einer vollen Ausgleichszulage für das nächste Haushaltsjahr eingegangen werden.
Bei den genannten 9 Wissenschaftlern handelt es sich um 9 von 10 Neuentsendungen, zu denen die Vermittlungsstelle bereits im letzten Quartal 1967 ermächtigt wurde. Mit der Zahlung der vollen Ausgleichszulage für diese 10 Wissenschaftler würden sich die Gesamtausgaben der Vermittlungsstelle im Jahre 1968 auf der Höhe der für das Vorjahr bewilligten Mittel halten. Wenn die Vermittlungsstelle den vom Auswärtigen Amt ursprünglich für das Haushaltsjahr 1968 veranschlagten Betrag von 4 Millionen DM erhielte, wäre. sie in der Lage, nach Verabschiedung des Haushaltsgesetzes im Jahre 1968 zusätzlich zu den erwähnten 9 Wissenschaftlern noch weitere 25 deutsche Wissenschaftler ins Ausland zu entsenden, abgesehen von weiteren Neuentsendungen, die von Fall zu Fall durch das Auslaufen bestehender Verträge ermöglicht werden. Leider hat die entsprechende Position im Bewirtschaftungsplan für den Kulturfonds in den bisherigen Haushaltsberatungen mit dem Bundesminister der
Parlamentarischer Staatssekretär Jahn
Finanzen und dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages trotz aller Einwände des Auswärtigen Amts und trotz des besonderen Hinweises darauf, daß die Bundesregierung den Austausch von wissenschaftlichen Lehrkräften zu einem Schwerpunkt der auswärtigen Kulturpolitik machen möchte, eine Kürzung um 375 000 DM erfahren. Mit dem verbleibenden Betrag könnte die Vermittlungsstelle im Laufe des Jahres 1968 nur noch etwa 13 weitere Neuentsendungen von wissenschaftlichen Lehrkräften vornehmen, womit die Gesamtzahl aller von der Vermittlungsstelle geförderten deutschen Wissenschaftler im Ausland einschließlich der bereits genannten 9 im Jahre 1968 um 22 ansteigen würde.
Eine Zusatzfrage, Kollege Kahn-Ackermann!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der zuständige Wirtschaftsplan im Auswärtigen Amt in all seinen Titeln austauschbar ist und infolgedessen Ihr Haus letztlich darüber verfügen kann, wo Schwerpunkte gebildet werden, und sind Sie auf Grund der Tatsache, daß dies also sozusagen der Schwerpunkt Nr. 2 unserer auswärtigen Kulturbeziehungen sein sollte, bereit, Weisung zu geben, daß zumindest im Jahr 196,9 aus den verfügbaren Mitteln ein solcher Schwerpunkt gebildet wird?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Kahn-Ackermann, die Bundesregierung hat bereits dann, wenn es sich als notwendig, zweckmäßig und möglich erwies, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Eine generelle Regelung in dieser Richtung müßte ,aber ,auf Bedenken stoßen, einfach deshalb, weil damit grundsätzliche Verlagerungen im Haushalt eingeleitet würden, die auf die Dauer zu einer Umstrukturierung 'an einer Stelle führen müßten, die dann wieder an anderer Stelle Schwierigkeiten hervorrufen würde. Ich glaube, eine wirksame Durchsetzung dieses Schwerpunktes läßt sich in der Tat auf ,die Dauer nur dadurch erreichen, daß es zu einer entsprechenden Bewilligung höherer Mittel kommt; denn die Bildung von Schwerpunkten kann nicht bedeuten, idaß demgegenüber andere Aufgaben, von deren Notwendigkeit zumindest die Beteiligten ,auszugehen haben, völlig oder doch in einem 'erheblichen Umfang zurücktreten müssen.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Kahn-Ackermann.
Bedeutet das, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, der mit Mehrheit in den Fachausschüssen dieses Hauses vertretenen Meinung Folge zu leisten, daß gerade dieser Punkt unter Verzicht auf anderes, Marginales, auch 'finanziell zu einem Schwerpunkt gemacht werden solle?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Im Gegenteil,
Herr Kollege Kahn-Ackermann, die Bundesregierung hofft auf den wohltätigen Einfluß der sachkundigen Mitglieder dieses Hauses auf die Mitglieder des Haushaltsausschusses und auf diese Weise auf die Unterstützung, um die sie sich selber bemüht.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Meine Damen und Herren, wir kommen zum Punkt 2 'der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Strafverfahrensrecht
- Drucksache V/2408 Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist der Fall; das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer- Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Sie werden wahrscheinlich schon wissen, daß die Reform des materiellen Staatsschutzrechtes nicht mehr allzu lange dauern wird. Wir haben im Sonderausschuß die zweite Lesung begonnen, und wir hoffen, in Kürze die zweite und dritte Lesung auch hier im Plenum durchführen zu können.
Wir als Freie Demokraten haben von Anfang an die Forderung aufgestellt, daß gleichzeitig mit dieser materiellen Reform doch auch wenigstens einige ganz dringliche Reformen des Strafverfahrens durchgeführt werden. Die Kollegen aus den früheren Legislaturperioden darf ich an die Beratungen über die kleine Strafprozeßnovelle erinnern. Sie wissen, daß damals bei der Verabschiedung betont wurde, wie reformbedürftig das gesamte Strafverfahrensrecht sei. Der Bundestag hat damals - soviel ich mich erinnere, einstimmig - beschlossen, eine große Strafverfahrenskommission zu bilden. Nur, meine Damen und Herren, das Bedauerliche ist: sie ist noch nicht da. Wir waren uns auch damals schon im klaren: auch wenn sie gebildet wird, wird es Jahre dauern, bis tatsächlich nachher eine grundsätzliche Strafverfahrensreform kommt.
Jetzt fragt es sich, ob es in den Staatsschutzverfahren zu einem fairen Verfahren reicht, wenn nur eine Reform des materiellen Strafrechts erfolgt, oder ob es nicht gerade zu einem fairen Verfahren notwendig ist, wenigstens einige ganz wenige Mißstände, die im Strafverfahrensrecht vorhanden sind, abzustellen. Bereits am 6. Juni 1966, also vor fast zwei Jahren, haben wir gefordert, daß in diesem Zusammenhang mit geregelt werden müsse:
1. Alle erstinstanzlichen Urteile sollten in einer Rechtsmittelinstanz überprüft werden können.
2. Geheime bzw. indirekte Zeugenaussagen dürfen nicht zulässig sein.
3. Die Sachverständigen müssen völlig unabhängig sein; sie dürfen also nicht dem Verteidigungsministerium angehören.
4. hatten wir noch die Forderung erhoben: Es sind unabhängige Pressekommissionen zu bilden, die vor Veröffentlichung beratend tätig sein können.
Mit unserer Großen Anfrage haben wir uns auf die ersten drei Punkte beschränkt, die ich soeben angezogen habe, und zwar weil wir meinen, daß diese Probleme jetzt vorab vor einer weiteren Strafverfahrensreform unbedingt geregelt werden müssen. Wir halten es einfach nicht für tragbar, daß in einem Rechtsstaat gegebenenfalls nur eine einzige Instanz über so schwerwiegende Vorwürfe entscheidet, wie sie nun einmal mit Hoch- und Landesverrat und mit Staatsgefährdungsdelikten von besonderer Bedeutung verbunden sind, wie das zur Zeit der Fall ist. Ich darf daran erinnern, daß schon im Jahre 1951, als überhaupt wieder das Staatsschutzrecht bei uns im Strafgesetzbuch eingeführt wurde, die Frage aufgeworfen wurde: Soll das, was einmal in der Weimarer Zeit - ich glaube, auch im Kaiserreich - gültig war, daß nämlich das Reichsgericht in erster und alleiniger Tatsacheninstanz und auch in letzter Instanz entschied, ob eine Verurteilung wegen eines Staatsschutzdeliktes erfolgte, aufrechterhalten bleiben oder nicht?
Der Bundestag neigte damals vielmehr dazu, eine zweite Instanz zu schaffen. Es kam zu einer Denkschrift im Jahre 1951; damals sprachen sich die betreffenden Gutachter allerdings nur mit einer knappen Mehrheit gegen eine zweite Instanz aus. Aber in ,der Zwischenzeit sind ja nicht weniger als 17 Jahre ins Land gegangen, und es hat sich gezeigt, daß entsprechend unserem Strafensystem, entsprechend unserer rechtsstaatlichen Auffassung in jedem Falle eine zweite Tatsachen- oder eine Revisionsinstanz gegeben sein muß. Deswegen fragen wir die Bundesregierung in der ersten Frage, ob die Bundesregierung die Auffassung der Freien Demokraten teilt, daß in allen Strafverfahren ein Rechtsmittel gegen ein Urteil möglich sein muß. Ferner fragen wir - das ist ein sehr dringendes Anliegen -: Ist sie bereit, noch vor Verabschiedung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes einen Gesetzentwurf vorzulegen, der ein Rechtsmittel auch für die Staatsschutzsachen vorsieht, für die zur Zeit der Bundesgerichtshof allein zuständig ist?
Herr Bundesjustizminister, bei meinen Unterlagen befindet sich natürlich auch Ihre Äußerung zu diesem Problem, und zwar vom März 1967 anläßlich des Besuches in Karlsruhe. Ich habe mich gefreut, daß der Herr Bundesjustizminister die Auffassung der Freien Demokraten teilt, daß eine zweite Instanz notwendig ist. Ich kann auch sagen, daß das Justizministerium in der Zwischenzeit Schritte unternommen hat, um Lösungsmöglichkeiten für eine derartige zweite Instanz zu finden.
Die Regierung wird jetzt vielleicht fragen, warum dann die Freie Demokratische Partei fragt: Hat die Bundesregierung deshalb mit den Länderregierungen verhandelt und mit welchem Ergebnis? Es ist durchaus richtig, daß das Bundejustizministerium den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform über diese Verhandlungen unterrichtet hat. Es ist uns deshalb auch bekannt - und zwar nicht nur mir als
Mitglied des Sonderausschusses, sondern natürlich auch meiner Fraktion -, wie die Verhandlungen gelaufen sind. Es ist aber doch festzustellen, daß diese Verhandlungen bisher zu keinerlei konkretem Ergebnis geführt haben. Es ist weiter festzustellen, daß der letzte Bericht, den ich über diese Verhandlungen bekommen habe, vom 7. Juni 1967 datiert, daß in der Zwischenzeit wieder acht Monate verstrichen sind und daß diese Fragen jetzt ganz dringlich einer Lösung bedürfen. Daß sie geöst werden können, davon bin ich überzeugt.
Daß die Lösung nicht ganz einfach ist, das mag sein. Aber man muß sich doch einmal folgendes vor Augen halten. Wenn es 1951 möglich war, bestimmte Vorschriften zu schaffen, die für Staatsschutzdelikte auch im Verfahren - ich will mich einmal so ausdrücken - von den allgemeinen Verfahrensvorschriften abweichen, dann sollte es doch heute erst recht möglich sein, Bestimmungen zu schaffen, die sich wieder mehr in das allgemeine Strafverfahrensgefüge einpassen. Ich glaube, der Bundesbürger hat kein Verständnis dafür, daß eine so wichtige rechtspolitische Frage gegebenenfalls an Kompetenzauffassungen - was der Landesjustiz zusteht, was unter die Bundeshoheit fällt - scheitern sollte. Diese Kompetenzfragen dürfen nicht entscheidend sein. Diese Fragen sind zu lösen, wenn von beiden Seiten an die Sache mit dem Willen, zu einer Lösung zu kommen, herangegangen wird. Ich will gar nicht auf die verschiedenen Lösungsvorschläge eingehen, ob sich die Länder gegebenenfalls auf ein Oberlandesgericht einigen sollen oder auf vier Oberlandesgerichte, oder ob jedes Land eine entsprechende Kammer bekommt; ich will auch gar nicht auf das Problem eingehen, wie der Notwendigkeit, daß die Ermittlungen nach wie vor zentral bei der Bundesanwaltschaft geführt werden, Rechnung getragen werden kann. Das sind alles Probleme, die sich lösen lassen, erst recht die Frage des Gnadenrechts. An derartigen Fragen darf eine rechtsstaatliche Regelung nicht scheitern.
Wir fragen deshalb die Bundesregierung: Beabsichtig die Bundesregierung, die Verhandlungen, die im letzten Jahr waren, fortzusetzen? Wenn ja, mit welcher Intensität? Und falls die Bundesregierung die Auffassung vertritt, es würde eine Verzögerung der Verabschiedung der materiellen Staatsschutzreform zur Folge haben, wenn jetzt gleichzeitig auch die Verfahrensfrage geregelt werden sollte, fragen wir die Bundesregierung: Wann will sie denn dieses dringende rechtsstaatliche Verfahrensproblem im Sinne eines fairen Verfahrens lösen? Soll damit gegebenenfalls bis zu der großen Strafverfahrensreform gewartet werden? Das ist schon einmal angeklungen. Dann können wir noch sehr lange warten, ein Warten, das für uns Freie Demokraten unerträglich ist. Die Rechtsstaatlichkeit erfordert unverzüglich ein sofortiges Handeln und mindestens eine sehr intensive Fortsetzung der Beratungen mit den Ländern.
Ich hoffe, Herr Bundesjustizminister, daß die Aussprache heute hier im Plenum vor der Öffentlichkeit, vor der Presse gegebenenfalls Ihren Vorstellungen zur Lösung der Frage einen entsprechenden Rück7788
halt auch gegenüber den Ländern gibt. Sollte sich denn die Große Koalition nicht so auswirken, daß jetzt, wo beide Parteien, die in den Ländern regieren, in der Koalition vertreten sind, die Bundesparteien mit ihren Länderparteien, die Bundesminister mit ihren Länderministern dahin wirken, daß es tatsächlich zu einer Einigung kommt? Das sind doch Aufgaben, die über die Große Koalition leichter zu lösen sein müssen, auch hinweg über bestimmte zu stark föderalistische Auffassungen der Länder. Ich möchte dazu sagen: ich bin Föderalistin.
Ein zweites Problem ist die Frage der indirekten Zeugen. Hier handelt es sich auch um ein ganz wesentliches rechtsstaatliches Problem, um eine Praxis, die schon erhebliche Kritik erfahren hat. Worum geht es denn bei diesen Hören-und- SagenZeugen? Es geht zunächst einmal um die Frage, ob es überhaupt zulässig ist und ob es nicht unserer Strafprozeßordnung und gegebenenfalls unserer Verfassung widerspricht, daß nicht der unmittelbare Zeuge seine Aussage macht, sondern der indirekte Zeuge über Vernehmungen berichtet, die er durchgeführt hat, also nur nach dem Hören und Sagen Auskunft gibt. Es handelt sich um ein Problem, das im Staatsschutz sehr aktuell ist. Ich verweise auf Ausführungen, die Richard Schmid schon am 5. November 1965 in der „Zeit" gemacht hat. Dort hat er auf die dubiose Praxis in Staatsschutzverfahren mit diesen Hören-und-Sagen-Zeugen hingewiesen. Er sagt, daß es sich dabei um geheim arbeitende und geheimgehaltene V-Leute handelt. Er kritisiert, daß von den Behörden vielfach das Dienstgeheimnis schon für ein Staatsgeheimnis gehalten wird. Er weist darauf hin, wie heute immer noch die obrigkeitlichen Vorstellungen zugunsten der Staatssicherheit Vorrang vor den Rechten des jeweiligen Angeklagten haben.
Dieses Problem ist schon früher auch von seiten der SPD, und zwar von Herrn Kollegen Arndt, kritisch erörtert worden. Herr Kollege Arndt hat im Anschluß an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1962, in der der Bundesgerichtshof die Zulässigkeit der Aussage eines derartigen Hören-und-Sagen-Zeugen für Rechtens erachtet, darauf hingewiesen, daß diese Entscheidung ein alamierendes Beispiel dafür sei, wie Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, der unseren Bürgern das rechtliche Gehör gewährleistet, von jedem Sinn entleert werden könne; es bedeute einen erheblichen Einbruch in die Grundsätze unseres Rechtsstaates.
Meinecke sagte damals, auch in der Kritik an dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofes: Die Annahme, daß nicht die Gewährsleute, sondern die Verhörspersonen die Zeugen seien, sei eine formalistische Scheinlogik; denn - jetzt wieder Arndt - ohne die Mitteilung der Gewährsleute hätten die Verhörspersonen nichts zu berichten gewußt.
Warum diese Kritik? Die Kritik setzt doch deshalb ein, weil bei uns das Strafverfahren, und zwar aus rechtsstaatlichen Gründen, auf der unmittelbaren Beweisaufnahme aufbaut und weil gerade dieses Prinzip bei den Staatsschutzverfahren außerordentlich häufig durchbrochen wird. Wer sind denn diese V-Leute, diese Vertrauensleute des Staatsschutzes? Ich habe in einer Veröffentlichung eine Typisierung gelesen, die mir richtig erscheint. Danach handelt es sich um zwei Typen von Menschen: Entweder sind es reine Idealisten, die sich zum Wohle des eigenen Staates für diese Aufgaben zur Verfügung stellen; aber das dürften die wenigsten sein. Seien wir doch ganz ehrlich und sehen wir die Tatsachen, wie sie sind! Meistens aber sind es wesentlich egoistischere Gründe, die Personen veranlassen, als V-Leute tätig zu sein.
Was ist denn ihre Aufgabe? Ihre Aufgabe ist es, zur Erkundung staatsfeindlicher bzw. verfassungsfeindlicher Tätigkeiten in die betreffenden Organisationen zu gehen, zu versuchen, auch dort Vertrauen zu erlangen und die Kenntnisse, die sie dort erlangt haben, nachher wieder an die Verfassungsschutzämter weiterzugeben. Vielfach sind es Agents provocateurs, vielfach sind es auch sogenannte Doppelagenten. Wir sind uns durchaus der Tatsache bewußt, daß ein Staat ohne derartigen Staats- bzw. Verfassungsschutz und ohne V-Leute leider nicht auskommen kann.
Aber etwas ganz anderes ist es, wieweit diese Personen nachher in Strafverfahren eingeführt werden können. Zunächst einmal folgende Bemerkung: Vielfach ist die Herrschaft darüber, ob es zu einem Strafverfahren kommt, überhaupt nicht mehr bei der Staatsanwaltschaft, sondern bei den betreffenden Verfassungsschutzämtern. Sie sammeln nämlich die Nachrichten und leiten sie gegebenenfalls an die Staatsanwaltschaften weiter. Es soll - ich kann das nur als ein Ondit wiedergeben - vorgekommen sein, daß Material trotz der Bestimmung des § 138 StGB ziemlich lange von unseren Verfassungsschützern zurückgehalten, also erst spät weitergegeben worden ist.
Kommt es dann zum Strafverfahren, wird meistens keine Aussagegenehmigung gegeben. Denn viele V-Leute erklären sich zu diesem Dienst überhaupt nur bereit, wenn sie die Zusicherung erhalten, daß ihre Namen nicht preisgegeben werden. Für den Angeklagten und seinen Verteidiger ergibt sich in einem Strafverfahren die doch einfach untragbare Situation, daß eine Verhörsperson von der Kriminalpolizei oder ein Ermittlungsrichter sagt: Der Gewährsmann war zuverlässig. Er nennt seinen Namen nicht; er sagt nichts über dessen Person aus. Er kann auch von dem Angeklagten und seinem Verteidiger nicht gefragt werden: Wer ist es, welche Funktion hat er, war er vorbestraft, welchen Leumund hat er? Hat er Vorteile und gegebenenfalls welche wegen seinen Angaben erhalten? Das sind alles Fragen, die sonst eine erhebliche Rolle spielen, insbesondere auch inwieweit er überhaupt glaubwürdig ist. Daß die Aussage der Hörensagen-Zeugen, der Gewährsmann sei aber zuverlässig, nicht immer zutrifft, haben schon verschiedene Verfahren zur Genüge bewiesen.
Die Probleme sind so dringend, daß sich auch der Juristentag eingehend damit befaßt hat. Der Juristentag hat im vergangenen Jahr, und zwar mit
einer überwiegenden Mehrheit, gefordert, daß die Ergebnisse der Ermittlungen eines V-Mannes nur durch dessen eigene mündliche Zeugenaussage vor dem erkennenden Gericht in das Hauptverfahren eingeführt werden dürfen. Damit ist der Juristentag in seiner überwältigenden Mehrheit einer Praxis gefolgt, wie sie in den Vereinigten Staaten Rechtens ist. Wenn dort die Frage ansteht, ob der Name eines V-Mannes preisgegeben werden soll, damit ein Strafverfahren durchgeführt werden kann, dann sieht man, wenn dem Staat der V-Mann wichtiger ist als das Strafverfahren, davon ab, dessen Namen preiszugeben, und man läßt lieber die Anklage fallen. Dagegen überwiegt bei uns das obrigkeitliche Denken.
Wie dubios dies ist, mögen Sie bitte aus folgenden Beispielen erkennen. Selbst so urdemokratische Männer wie Reinhold Maier und Pfleiderer sind in den Dossiers dieser Nachrichtendienste aufgetaucht, desgleichen auch Kollegen, die heute noch im Bundestag sind; bei ihnen allen wurden Sachverhalte behauptet, die in gar keiner Weise der Wahrheit entsprochen haben. Es war diesen Politikern nicht möglich, festzustellen, wer denn diese falschen, unwahren, politisch schädlichen Angaben über sie gemacht hat. Was man jedem einzelnen Staatsbürger zubilligt, wenn er verleumdet wird - daß er den Namen dessen erfährt, der ihn verleumdet hat -, wird hier versagt. Das kann nicht Rechtens sein.
Wir fragen deshalb die Bundesregierung:
Ist die Bundesregierung bereit, die Probleme der indirekten Zeugenaussagen in Strafverfahren alsbald zu regeln, und ist sie der Auffassung, daß auch in Staatsschutzsachen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme unbedingt eingehalten werden muß?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Freien Demokraten, daß die bisherige Praxis, auch wenn sie vom Bundesgerichtshof als zulässig anerkannt wurde, nicht fortgesetzt werden soll? Ist die Bundesregierung bereit, entsprechende gesetzliche Regelung vorzubereiten und alsbald dem Bundestag vorzulegen?
Nun zu einem dritten Problem; es ist wohl ,am schwierigsten zu lösen. Ich meine das Problem, wie man in Staatsschutzverfahren unabhängige Gutachter bekommt. Die Frage der Gutachter stellt sich nicht nur für Staatsschutzverfahren, sondern sie hat einen allgemeinen Charakter. Wir haben schon einige Wiederaufnahmeverfahren in Fällen erlebt, wo unrichtige Gutachten zu lebenslänglichen Verurteilungen geführt hatten. Dieses grundsätzliche Problem möchte ich aber jetzt außer Betracht lassen und nur auf die Besonderheiten hinweisen, die sich in den Staatsschutzverfahren bei den Gutachtern ergeben.
Während es bei den übrigen Strafverfahren immer möglich ist, Gutachter zu finden, die unabhängig und unvoreingenommen sind, ist das in den Staatsschutzverfahren außerordentlich schwer. Es handelt sich ja hauptsächlich um Spionage- und Landesverratsfälle. Es kommt dann darauf an, zunächst zu klären, ob ein Staatsgeheimnis vorliegt und ob dieses geheimhaltungsbedürftig ist. Woher nimmt nun das Gericht immer den Gutachter? Aus dem Ministerium, das eigentlich selber Partei ist, nämlich aus dem Verteidigungsministerium. Damit stellt sich die Frage, ob hier wirklich die Unabhängigkeit des Gutachters gegeben ist, die sonst ,gefordert wird.
In jedem anderen Verfahren kann ein Gutachter vom Angeklagten, vom Verteidiger wegen Befangenheit abgelehnt werden; es kann gesagt werden: es bestehen Abhängigkeiten, persönliche oder sonstige Beziehungen, die seine Objektivität, seine Unvoreingenommenheit beeinflussen können. Auch in den Staatsschutzverfahren kann der Angeklagte einen derartigen Antrag stellen; aber wen kann er dann als Sachverständigen 'benennen? Wer kann über ,diese Frage, ob ein geheimhaltungsbedürftiges Staatsgeheimnis vorliegt, Auskunft geben? Gerade das Spiegel-Verfahren hat gezeigt, wie bedenklich die jetzige Handhabung ist. Es kann dazu kommen - siehe Spiegel-Verfahren-, daß ein Beschuldigter lange der Freiheit entbehren muß, daß ein Verfahren sehr lange dauert, ,aber dann auf Grund der verschiedenen Gutachten, die erstattet werden, so ausgeht, daß nichts übrigbleibt. Aber die Sorge und Last für die Betreffenden bleiben zunächst bestehen. Weshalb? Ich führe das Folgende jetzt nur als Beispiel an. Auf Grund eines Gutachtens aus dem Verteidigungsministerium wurden Vorwürfe erhoben, daß in einem Artikel des „Spiegels" in 37 Punkten ganz .schwerwiegende Verstöße gegen die Geheimhaltung von Staatsgeheimnissen vorgelegen hätten. Das führte dann zu diesen spektakulären Maßnahmen. Es war ja insofern interessant - ich bekam damals die entsprechenden Verteidigungsschriften -, als nachher in einem Schriftsatz an den Bundesgerichtshof nachgewiesen wurde, wo schon überall Veröffentlichungen gleichen Inhalts erfolgt waren.
Meine Damen und Herren, ich meine, die Frage,. ob eine Sache überhaupt- geheim ist, ob nicht schon entsprechende Vorveröffentlichungen vorliegen, könnte ohne weiteres durch Gutachter geklärt werden, die nicht im Verteidigungsministerium beheimatet sind. Wäre das damals geschehen, dann wäre es überhaupt nicht zu diesem Verfahren gekommen.
Wie ging es dann weiter? Nach und nach wurde alles widerlegt. Gutachten des Verteidigungsministeriums wurden durch Gutachten des Bundesnachrichtendienstes widerlegt; dann stand Gutachten gegen Gutachten.
Es kam noch folgendes hinzu. Das Verteidigungsministerium verbot, daß ein weiteres Gutachten von Herren des Verteidigungsministeriums angefertigt würde. Ich führe das als Beispiel an, um zu zeigen, wie groß die Abhängigkeit eines Gutachters in einem Ministerium ist, auch wenn er als Gutachter nicht der Weisungbefugnis seines Ministers unterworfen ist, und zwar zunächst bei der Frage, ob er überhaupt ein Gutachten erstatten darf, und zum zweiten bei der Frage, wie es erstattet wird. Machen wir uns doch nichts vor! Ein Gutachter aus dem Verteidigungsministerium, das als solches in diesem Fall doch Partei ist, ist einfach psychologisch überfordert. Soll ein Gutachter es tatsächlich riskieren,
ein Gutachten abzufassen, das gegebenenfalls der Auffassung seines Ministers widerspricht? Kann man ihm das zumuten? Man kann es ihm wohl zumuten, aber man sollte doch auch mit den menschlichen Unzulänglichkeiten rechnen.
Noch etwas anderes. Wir haben es ja bei den Beratungen im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform immer wieder erlebt, wie außerordentlich häufig nicht auseinandergehalten wird: Was ist ein Geschäftsgeheimnis? Was ist ein Amtsgeheimnis? Was ist ein Regierungsgeheimnis? Was ist - letzten Endes - ein Staatsgeheimnis? Wir haben es immer wieder erlebt, daß ein Sachverständiger, der in dem Amt tätig ist, in einer gewissen Befangenheit, wie sie jedem Amt innewohnt, ein Amtsgeheimnis gegebenenfalls schon als ein Staatsgeheimnis wertet, ganz abgesehen davon, daß heute leider noch viel zu oft Regierungsgeheimnis mit Staatsgeheimnis gleichgesetzt wird.
Insofern erhoffe ich mir natürlich durch die Reform des materiellen Strafrechts eine wesentliche Verbesserung gegenüber der bisherigen Praxis. Ob sie gelingt? Wir wollen hoffen, daß es tatsächlich zu einer Einschränkung des Begriffes des Staatsgeheimnisses kommt.
Die Frage, was man tun kann, um auch im politischen Strafverfahren unabhängige Sachverständige zu erhalten, ist auch in der Literatur behandelt worden; Vorschläge sind gemacht. Ich muß Ihnen allerdings ganz ehrlich sagen: Ich glaube, eine restlos zufriedenstellende Lösung wird sich schwerlich finden lassen. Es ist vorgeschlagen worden, daß gegebenenfalls qualifizierte pensionierte Offiziere ein Gremium bilden, aus dem dann der Gutachter genommen wird. Dagegen wird gleich wieder eingewendet: Ja, aber sobald diese Offiziere aus der Praxis sind, verlieren sie die Beziehungen zur Praxis; wenn nachher derartige Fragen an sie herangetragen werden, müssen sie sich ja doch wieder mit dem Verteidigungsministerium in Verbindug setzen, sind auf dessen Angaben angewiesen.
Ein anderer Vorschlag hat mich allerdings außerordentlich überrascht, daß nämlich aus dem Verteidigungsausschuß ein Unterausschuß gebildet werden solle, der dann gegebenenfalls als Sachverständiger fungieren, solle. Ich glaube, meine Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß haben durchaus Verständnis, wenn ich diesen Weg für nicht praktikabel erachte. Erstens wäre dieses Gremium restlos überfordert, zweitens muß eine Gutachtertätigkeit eine persönliche Tätigkeit sein und bleiben und darf nicht einem Gremium anvertraut werden, und drittens wäre es bei divergierenden Auffassungen in diesem Gremium außerordentlich schwierig, überhaupt zu einem Gutachten zu kommen.
Trotzdem sollte man sich überlegen, ob nicht ein Gremium von Gutachtern außerhalb des Verteidigungsministeriums geschaffen werden könnte. Wir haben deshalb gefragt, ob die Bundesregierung Möglichkeiten sieht, sicherzustellen, daß bei Verfahren wegen Verrats von Staatsgeheimnissen unabhängige Sachverständige mitwirken. Wir haben von der Bundesregierung bisher noch nicht erfahren, ob sie sich mit diesen Porblemen befaßt hat und welche Stellung sie zu den verschiedenen Vorschlägen nimmt. Es interessiert uns, ob sie nicht vielleicht auch eigene Vorschläge für eine Lösung dieses so schwierigen Problems, das aber im Interesse eines gerechten Urteils unbedingt gelöst werden muß, hat.
Wir Freien Demokraten sind uns bewußt, daß bei all diesen Problemen ein Spannungsverhältnis zwischen den rechtsstaatlichen Garantien, die das Grundgesetz einem Angeklagten gibt, auf der einen Seite und den Sicherheitsbedürfnissen des Staates auf der anderen Seite besteht. Eines aber hat sich gezeigt: Die jetzige Praxis ist noch zu sehr im obrigkeitlich denkenden Konservativismus befangen und stellt die Sicherheit des Staates gegebenenfalls über die Rechtsgarantien für den Angeklagten. Wir Freien Demokraten aber sind der Auffassung, daß dem liberal Denkenden die Wahrung der rechtlichen Belange des einzelnen im Zweifel vorgehen muß.
Ich darf auf den Anfang meiner Ausführungen zurückkommen, wo ich von dem fairen Verfahren gesprochen habe. Wir sind der Überzeugung, daß unsere Forderungen diese Rechtsgarantien geben und zu einem fairen Verfahren als der notwendigen Ergänzung des materiellen Strafrechts führen, ohne die Rechtssicherheit des Staates zu gefährden, sondern daß diese Vorschläge im Gegenteil dazu dienen, die Sicherheit des Staates, vor allen Dingen eines Rechtsstaates, zu wahren und zu bessern.
({0})
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die. Fragen 1 und 2 hängen sachlich zusammen; ich möchte sie deshalb auch zusammenhängend beantworten.
Die Bundesregierung verschließt sich nicht der Forderung nach Einrichtung einer zweiten Instanz in Staatsschutzsachen. Es geht hierbei nicht allein um die Frage eines Rechtsmittelzuges für Verfahren, die zur Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs gehören. Bei dem Bundesgerichtshof verbleibt nur eine geringe Zahl besonders bedeutsamer Staats-schutzverfahren, weil der Generalbundesanwalt Sachen minderer Bedeutung an die Landesstaatsanwaltschaften abgibt. Deshalb sind vor dem Bundesgerichtshof - um ein paar Zahlen zu nennen - im Jahre 1965 nur zehn Verfahren, im Jahre 1966 sechzehn Verfahren, im Jahre 1967 vier Verfahren anhängig gewesen, während vor den Oberlandesgerichten 1965 219, 1966 184 und 1967 169 Verfahren wegen Hoch- und Landesverrats abgeschlossen worden sind, und zwar erst- und letztinstanzlich. Es wäre grundsätzlich in der Tat zu begrüßen, wenn die Möglichkeit gefunden würde in allen diesen Staatsschutzsachen einen zweiten Rechtszug einzurichten.
Frau Kollegin Diemer- Nicolaus hat mit Recht daran erinnert, daß dieses Thema den Bundestag schon 1951 anläßlich des Ersten StrafrechtsändeBundesminister Dr. Dr. Heinemann
rungsgesetzes beschäftigt hat. Damals wurde die Bundesregierung durch eine Entschließung des Parlaments gebeten, eine Vorlage einzubringen, die gegen alle Entscheidungen in Staatsschutzsachen das Rechtsmittel der Revision ermöglichen ,sollte.
Aber, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, nun wäre wohl etwas Näheres darüber hinzuzufügen, wie das damals verlaufen ist. Es war nämlich der damalige Bundesminister der Justiz, Dr. Dehler, der darauf in einer Denkschrift an den Bundestag antwortete, in der er ausführte, daß der Bund für sich ,das Recht in Anspruch nehmen müsse, Angriffe .auf lebenswichtige Interessen ides Bundes in eigener Gerichtsbarkeit zur Entscheidung zu bringen. Man könne daran denken - so hieß .es damals in der Denkschrift -, in gewissen Fällen die Anklageerhebung durch den Bund vor den Gerichten der Länder vorzusehen. Es bestünden aber - und da sehen Sie, daß von Anfang an das Problem da war, 'das uns auch jetzt noch Beschwer macht - im 'Hinblick auf die Justizhoheit der Länder verfassungsrechtliche Bedenken, weil nämlich 'im Grundgesetz ein Zusammenwirken von Bundes- und Landesbehörden hier nicht vorgesehen sei. Eine selbständige Rechtsmittelbefugnis - so hat Herr Dr. Dehler damals ausgeführt - der Strafverfolgungsbehörde des Bundes könne zwar verfassungsrechtlich als zulässig angesehen werden, würde aber zum Schutz der Bundesinteressen nicht ausreichen. Entsprechend dieser Auffassung hat der damalige Bundesminister der Justiz, Dr. Dehler, es abgelehnt, einen Gesetzentwurf zur Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutzsachen einzubringen.
Seit diesem Vorgang von 1951 hat bisher keine Fraktion des Bundestages, auch nicht die anfragende Fraktion, eine Gesetzesinitiative ergriffen. Auch haben die der anfragenden Fraktion angehörenden späteren Bundesjustizminister keinen Gesetzgebungsvorschlag vorgelegt. Schließlich haben auch die Minister der anfragenden Fraktion bei den Beratungen über den Entwurf des jetzt vor dem Abschluß stehenden Achten Strafrechtsänderungsgesetzes im Kabinett 'im Jahre 1966 nicht darauf gedrungen, dieses materielle Recht mit prozessualen Bestimmungen abzurunden oder zu ergänzen.
Aber, verehrte Damen und Herren, das Bundesministerium der Justiz prüft seit der Amtsübernahme 'durch mich seit geraumer Zeit die mit der Einrichtung eines zweiten Rechtszuges verbundenen Fragen. Erstrebt wird eine Regelung, die sowohl den Belangen 'des Beschuldigten Rechnung trägt als aber auch 'die Interessen des Bundes an einer wirksamen und vor allem einheitlichen Verfolgung der Staatsschutzdelikte nicht vernachlässigt. Das Bundesministerium der Justiz wollte in Übereinstimmung mit den anderen beteiligten Bundesressorts die Einrichtung eines zweiten Rechtszuges im Rahmen des Strafrechtsänderungsgesetzes ermöglichen. Aber dieses Vorhaben ist am Widerstand der Länder gescheitert.
Hier darf ich gleich ein für allemal einfügen: Es gibt auch Landesjustizminister und -senatoren, die Ihrer Partei, verehrte Frau Diemer-Nicolaus, angehören. Da war der Herr Dr. Leverenz in SchleswigHolstein, und da sind die Senatoren von Bremen und Hamburg. Auch bei diesen Ihren Parteifreunden haben wir in der Diskussion um die verfassungsrechtlichen Probleme usw. nicht die Aufgeschlossenheit gefunden, die hier geboten war, wenn wir weiterkommen wollten.
Die vom Bundesministerium .der Justiz den Landesjustizverwaltungen vorgeschlagene Lösung sah vor, das eininstanzliche Verfahren in Staatsschutzsachen sowohl vor dem Bundesgerichtshof 'als auch vor den Oberlandesgerichten dadurch zu beseitigen, daß eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte geschaffen würde. Gegen die Entscheidungen der Oberlandesgerichte sollte dann die Revision an den Bundesgerichtshof zustehen. Zugleich wurde auch eine Zentralisierung der Zuständigkeiten auf eine möglichst geringe Zahl von Oberlandesgerichten, etwa ,auf fünf Oberlandesgerichte, angestrebt. Vor allem aber sollte der Generalbundesanwalt als Strafverfolgungsbehörde des Bundes ,auch vor den Oberlandesgerichten auftreten und die Entscheidungen der Oberlandesgerichte anfechten können.
Dieser Vorschlag zu einer Lösung ist im April 1967 mit den Landesjustizministern und -senatoren erörtert worden. Die Länder haben sich jedoch bisher nicht bereit gefunden, diesem Vorschlag zu folgen. Sie haben grundsätzliche Bedenken insbesondere gegen das Auftreten des Generalbundesanwalts vor Gerichten der Länder. Die Länder waren lediglich bereit, den Generalbundesanwalt als eine zentrale Ermittlungsbehörde zu akzeptieren, ihm vielleicht auch ein eigenes Rechtsmittel zu geben; aber er sollte nicht selbst die Sachen vertreten können. Ich betone noch einmal: der Widerspruch hiergegen kam einhellig von allen Landesjustizverwaltungen, unabhängig von der politischen Stellung ihrer Repräsentanz.
Frau Diemer-Nicolaus hat darauf hingewiesen, daß der Verlauf dieser Verhandlungen allen Beteiligten, insbesondere dem Sonderausschuß des Bundestages für die Strafrechtsreform, mitgeteilt worden ist. Auf ihre Frage, was denn nun seit dieser Mitteilung im Sommer des vergangenen Jahres geschehen ist, kann ich nur anworten: Wir kommen aus diesem Zirkel nicht heraus. Es hat zur Zeit keine Verheißung, daß wir mit den Ländern wirklich weiterkommen können. So steht es jedenfalls bis jetzt. Weil dem so ist, und um zu verdeutlichen, warum wir uns alle miteinander in diesem Zirkel so schwer tun, möchte ich hier einiges von den Überlegungen oder den Erwägungen sagen, die hinter dem Vorschlag des Bundesjustizministeriums stehen.
Ich muß noch einmal unterstreichen: wir halten es für unerläßlich, daß der Generalbundesanwalt die Strafverfolgung bei Staatsschutzsachen wahrnimmt. Es ist erforderlich, daß die Verfolgung in der Hand einer zentralen Ermittlungsbehörde bleibt, weil es hierbei der ständigen Erfahrung hinsichtlich der gerade bei diesen Delikten besonderen. Methoden bedarf und zugleich ein ständiger Überblick auch über die Gesamtsituation erforderlich ist. Eine vollständige Verlagerung der Zuständigkeit des Bundes zur Verfolgung von Hoch- und Landesverratssachen
sowie von Staatsgefährdungsdelikten von besonderer Bedeutung auf die Landesjustiz kann nicht in Betracht gezogen werden, weil damit die gesamte Justizhoheit des Bundes in diesem Bereich auf die Länder übergehen würde. Auch kann sich der Bund seiner ihm durch die Verfassung gestellten Aufgabe, den Bestand und die Sicherheit der Bundesrepublik zu schützen, nicht entledigen. Deshalb wird angestrebt, daß der Generalbundesanwalt auch vor den Oberlandesgerichten auftreten und Entscheidungen dieser Gerichte nötigenfalls mit einem Rechtsmittel anfechten kann.
Schließlich spricht gegen eine Vertretung der Anklage nur durch Angehörige der Landesjustiz bei den bedeutsamen Strafsachen, die sich gegen wichtige Interessen der Bundesrepublik richten, daß eine solche Regelung auch die parlamentarische Verantwortung des Bundesministers der Justiz wesentlich einschränken würde. In diesem Zusammenhang muß ich darauf hinweisen, daß der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform einmütig der Auffassung ist, daß bei den Bestimmungen des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes, soweit sie auf eine Lokkerung des Verfolgungszwanges hinauslaufen, der Bundesminister der Justiz die parlamentarische Verantwortung tragen und behalten soll. Es wäre mit dieser grundsätzlichen Entscheidung des Sonderausschusses meines Erachtens nicht zu vereinbaren, wenn man bei der Verfolgung von Staatsschutzsachen auf eine Beteiligung des Generalbundesanwalts verzichten oder seine Zuständigkeit einschränken würde.
Es ist erwogen worden, eine „kleine Lösung" der Frage des Rechtszuges in Staatsschutzsachen zu wählen. Sie könnte darin bestehen, daß es bei der Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte wie bisher bleibt, aber mit der Maßgabe, daß in den Verfahren vor den Oberlandesgerichten nunmehr ein Rechtsmittel zum Bundesgericht zugelassen würde. Ich gebe zu, daß man das ernstlich erwägen könnte. Aber es bleibt dann gerade in den besonders schwerwiegenden Fällen die erst- und letztinstanzliche Entscheidung durch den Bundesgerichtshof bestehen. Mit anderen Worten, das Problem, über das wir uns hier unterhalten, wäre quantitativ vermindert, aber es wäre nicht grundsätzlich ausgestanden.
Um im Grundsätzlichen zu einer mit den Interessen des Bundes zu vereinbarenden Gesamtlösung zu kommen, müssen weitere Beratungen mit den Ländern stattfinden, die aber gegenwärtig - ich sagte es schon - keinen Erfolg versprechen. Deshalb ist meine abschließende Antwort auf diesen Teil Ihrer Fragen, daß es nicht möglich erscheint, noch vor der Verabschiedung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes einen Entwurf mit Aussicht auf Erfolg vorzulegen, der die eininstanzlichen Verfahren beseitigt.
Ich komme jetzt zu der Frage 3, die die indirekten Zeugenaussagen betrifft. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung zählt den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu den wichtigsten Grundsätzen unseres Strafverfahrensrechts und ist der Auffassung, daß dieser Grundsatz auch in den Staatsschutzsachen eingehalten werden muß. Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme wird durch die Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen nicht verletzt, weil auch der Zeuge, der über Bekundungen einer anderen Person aussagt, insoweit ein unmittelbarer Zeuge ist. Die Bewertung der Bekundungen eines Zeugen vom Hörensagen ist auch kein besonderes Problem in Staatsschutzsachen, sondern ein allgemeines Problem, das sich für den deutschen Strafrichter und für die Ahndung der allgemeinen Kriminalität öfter, beinahe täglich stellt.
Hinsichtlich der Aussage eines Zeugen vom Hörensagen bedarf es aber einer doppelten Prüfung, nämlich ob das, was er sagt, wahr ist und ob das, was er von dem anderen als Aussage berichtet, auch tatsächlich zutrifft. Dabei gilt es wiederum zu unterscheiden, ob ein Zeuge vom Hörensagen vernommen wird, weil die eigentliche Auskunftsperson etwa verstorben oder tatsächlich unerreichbar ist, oder aber weil der Zeuge vom Hörensagen die eigentliche Auskunftsperson nicht preisgeben darf. In dem ersteren Fall - verstorben, nicht erreichbar - ist die eigentliche Auskunftsperson den Prozeßbeteiligten in der Regel wenigstens bekannt; zumindest können Feststellungen zu ihrer Person getroffen werden. Aber in dem letzteren Fall ist die Auskunftsperson zwar tatsächlich ereichbar, wird aber unter Verschleierung ihrer Persönlichkeit im Hintergrund gehalten.
Nun gehen die Meinungen darüber, ob die Bekundungen eines Zeugen über Angaben eines in der Hauptverhandlung anonym bleibenden Gewährsmannes herangezogen werden dürfen, auseinander. Auf der einen Seite wird die Auffassung vertreten, daß bei der Verwendung von Bekundungen anonym bleibender Gewährspersonen der Anspruch des Angeklagten auf ein faires, gerechtes Verfahren beeinträchtigt werde, weil weder der Angeklagte noch auch die anderen Prozeßbeteiligten in der Lage seien, sich mit dem „Zeugen im Hintergrund" auseinanderzusetzen; insbesondere könne der Angeklagte diesem Hintergrund-Gewährsmann keine Vorhaltungen machen. Auch gehe die dem Gericht obliegende Aufgabe, die Glaubwürdigkeit des anonymen Zeugen zu beurteilen, in einem solchen Fall faktisch weitgehend auf den Zeugen vom Hörensagen über, weil dem Gericht nur dessen Eindruck von dem „Zeugen im Hintergrund" zur Verfügung stehe. Nicht ohne Grund habe der sechste Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika den Grundsatz aufgestellt, daß der Angeklagte das Recht auf Gegenüberstellung mit dem Belastungszeugen haben soll. Auch bestimmen Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Art. 14 der Internationalen Konvention über staatsbürgerliche und politische Rechte, daß jeder Angeklagte das Recht habe, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen. Schließlich, so wird gern in Erinnerung genommen, entspreche es auch alter, aber etwas in Vergessenheit geratener deutscher Rechtstradition, gegenüber Bekundungen eines Zeugen vom Hörensagen oder Bekundungen unbekannter Zeugen Skepsis walten zu lassen. Das gab es nämlich schon in der Peinlichen Halsgerichtsordnung
Kaiser Karls V. einen Art. 65, in dem festgelegt wird, daß Bekundungen eines Zeugen vom Hörensagen nicht als ausreichend zu erachten seien, und in Art. 63 wird hinsichtlich unbekannter Zeugen angeordnet, daß derjenige, der sich auf solche Zeugen beruft, nachweisen muß, daß sie redlich und unverleumdet seien. Das ist die eine Meinungsgruppe.
Für die Verwendung der Bekundungen eines Zeugen vom Hörensagen über Angaben einer anonym bleibenden Auskunftsperson wird geltend gemacht, daß das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken habe, natürlich nur soweit sie für die Entscheidung von Bedeutung seien. Deshalb seien auch die Angaben eines Zeugen vom Hörensagen über die Bekundungen einer anonym bleibenden Gewährsperson zur Beweiswürdigung heranzuziehen.
Der Bundesgerichtshof hat die Auffassung vertreten, daß Bekundungen eines Zeugen vom Hörensagen über Angaben einer in der Hauptverhandlung anonym bleibenden Person eine Feststellung nur dann stützen, wenn diese auch durch andere, gleich gewichtige Beweismittel bestätigt worden sind.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluß die Auffassung vertreten, aus Art. 103 des Grundgesetzes lasse sich ein Gebot, daß die Gerichte Bekundungen über Aussagen nicht genannter Gewährsleute unbeachtet lassen müßten, nicht herleiten.
Nun hat andererseits der Deutsche Juristentag 1966 mit einer Mehrheit von 50 gegen 10 Stimmen bei 15 Enthaltungen in einer einschlägigen Arbeitsgruppe beschlossen, daß die Ergebnisse der Ermittlungen eines V-Mannes nur durch dessen eigene mündliche Zeugenaussage vor dem erkennenden Gericht in das Verfahren eingeführt werden sollten.
Das ist, wenn ich so sagen darf, der Meinungsstreit.
Aber nun etwas Faktisches. Nachdem in den Ländern Bremen, Hessen und Hamburg für den Bereich der dortigen Staatsanwaltschaften Anordnungen über die Verwertung von Bekundungen eines Zeugen vom Hörensagen ergangen sind, soweit es sich um die Bekundungen anonym bleibender Gewährspersonen handelt, besteht ein dringliches Bedürfnis für eine bundeseinheitliche Regelung. Die Justizminister der Länder haben auf ihrer Konferenz im Oktober 1967 das Problem der Bekundungen eines Zeugen vom Hörensagen erörtert und sind dabei zu der Auffassung gelangt, daß angesichts der ge nannten Urteile, wonach Zeugen vom Hörensagen auch dann vernommen werden können, wenn die eigentliche Auskunftsperson erreichbar ist, eine befriedigende Lösung nur durch eine gesetzliche Regelung erreicht werden kann.
Ich werde deshalb mit den. Ressorts sowie auch mit Richtern, Anwälten, Vertretern der Wissenschaft und vor allem mit den Landesjustizverwaltungen darüber beraten, ob ein gesetzliches Verwertungsverbot hinsichtlich der Bekundungen eines
Zeugen vom Hörensagen über Angaben eines anonym bleibenden Gewährsmanns getroffen werden kann. Da es sich um eine grundsätzliche Frage des Strafprozeßrechts handelt, die nicht nur für das politische Strafrecht, sondern für das Strafrecht im ganzen Belang hat, ist nicht einzusehen, wieso das jetzt mit der materiellen Regelung des politischen Strafrechts verknüpft werden muß. Ich anerkenne die Dringlichkeit der gesetzlichen Regelung, bezweifle aber die Zweckmäßigkeit des Rats, es in die Regelung des materiellen politischen Strafrechts einzubinden.
Nun zur Frage der Sachverständigen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß wie in allen anderen Verfahren so auch in Staatsschutzsachen die Sachverständigen unabhängig sein sollen und daß jeder Anschein einer Weisungsgebundenheit vermieden werden muß. Wünschenswert wäre es, daß Sachverständige auch in einem formellen Sinne immer unabhängig wären. Nun ist es aber im Hinblick auf die in unserem Zeitalter schnell fortschreitende Entwicklung der Technik sowie unter Berücksichtigung der immer mehr zunehmenden Spezialisierung nicht immer möglich, z. B. für die Beurteilung der Fragen der Geheimhaltungsbedürftigkeit eines technischen Sachverhalts auf dem Rüstungssektor solche Sachverständigen heranzuziehen, die nicht dem Bereich der Verteidigung angehören. Der Bundesminister der Verteidigung hat in der Vergangenheit nicht darauf gedrängt - er wird es auch in Zukunft nicht tun -, daß in Landesverratssachen die auftauchenden militärischen Fragen von Soldaten oder von Beamten seines Geschäftsbereichs gutachtlich zu beantworten seien. Die Umstände des einzelnen Verfahrens können jedoch dazu führen, daß ein auch im formellen Sinne unabhängiger Gutachter nicht zu finden ist, so daß besonders sachkundige Beamte oder Soldaten als Gutachter allein übrigbleiben und dann natürlich auch herangezogen werden müssen. Die Bundesregierung ist dazu der Auffassung, daß Beamte und Soldaten in Staatsschutzsachen nicht schon deshalb als Sachverständige ausscheiden müssen, weil sie Beamte oder weil sie Soldaten sind. Auch in anderen Strafverfahren, z. B. bei Verstößen im Lebensmittelrecht, ist es doch eine ständige Übung, wegen der besonderen Fachkenntnis beamtete Gutachter heranzuziehen. Berücksichtigt man nun zudem, daß der Gutachter nicht zur Beurteilung von Rechtsfragen, sondern als Richtergehilfe zur Feststellung von Tatsachen herangezogen wird, und beachtet man insbesondere, daß auch für die Bewertung der Ausführungen eines Sachverständigen die freie Beweiswürdigung gilt, so bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, auch Beamte oder Soldaten als Sachverständige heranzuziehen.
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, die vorhin gebrachte Kette, daß ein Gutachter Stellung zu nehmen habe zu der Frage, ob etwas Amtsgeheimnis, Staatsgeheimnis, Regierungsgeheimnis, Geschäftsgeheimnis oder dergleichen sei, ist keine Gutachterfrage, sondern eine klare Rechtsfrage. Ein Gutachter kann allenfalls um Auskunft in Anspruch genommen werden, ob ein Sachverhalt geheim ist, geheimgehalten wird, geheimhaltungsbedürftig ist. Das ist Sachver7794
ständigenfrage, das ist Hilfe für das Gericht bei der Hantierung der Rechtsfragen.
Ich will fortfahren. Die Bundesregierung verkennt aber nicht, daß in solchen Fällen, wo man Beamte aus dem Verteidigungsministerium oder Soldaten als Sachverständige heranzieht, der Verdacht aufkommen kann, dieser Sachverständige sei nicht unabhängig.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Ja, bitte!
Herr Minister, ich darf noch auf Ihre vorigen Ausführungen und den Unterschied von Amtsgeheimnis, Regierungsgeheimnis und Staatsgeheimnis zurückkommen. Wird der Gutachter denn in diesen Fällen nicht gefragt, ob die Geheimhaltung notwendig ist, um die Sicherheit der Bundesrepublik zu garantieren, wobei er dann sehr leicht verwechselt, was ein Amtsgeheimnis des Verteidigungsministeriums bzw. ein Regierungsgeheimnis und was ein echtes Staatsgeheimnis ist? Insofern stellt sich diese Kernfrage eben doch für einen Richter anders, wenn es sich um militärische Sicherheitsfragen handelt. Er ist dann viel abhängiger von der Auskunft des Gutachters.
Frau Kollegin, wir sind beide von Profession Anwälte, unter Umständen also auch Verteidiger. Wenn ein Gutachter die Grenzen dessen, was ihm an Hilfe für das Gericht zusteht, überschreitet, gehört es auch zu der Aufgabe der Verteidigung, dem energisch entgegenzutreten. Natürlich kommen Grenzüberschreitungen vor; sie sind aber korrigierbar.
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Ich wollte davon sprechen, daß es natürlich schön wäre, wenn auch der Verdacht oder der Anschein einer Abhängigkeit eines Sachverständigen, sofern er Beamter, sofern er Soldat ist, ausgeräumt werden könnte. Dazu hat der Bundesminister der Verteidigung durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt, daß angeforderte Gutachten von einem Juristen erstattet werden, der aus dem hierarchischen Gefüge des Ministeriums ausgegliedert und unmittelbar einem Hauptabteilungsleiter zugeordnet ist. Diesem Gutachter stehen für die besonderen Fachgebiete weitere Sachverständige zur Seite, die unter Umständen auch im Strafverfahren in Erscheinung treten können. Das ist jedenfalls eine Bemühung, dem Anschein der Weisungsgebundenheit, dem Verdacht der Abhängigkeit zu begegnen.
Es muß aber daran festgehalten werden, daß die Gerichte bei der Auswahl des Gutachters keinen Beschränkungen unterworfen sind und daß sie den Gutachter heranzuziehen haben, der die beste Sachkunde mitbringt. Mit diesem Grundsatz ist der Gedanke einer besonderen gesetzlichen Regelung dahingehend, daß Gutachten von besonderen unabhängigen Gremien zu erstatten seien, nicht zu vereinbaren. Wenn ich recht verstanden habe, ist das auch nicht das, was Ihnen vorschwebt. Die Einrichtung besonderer Gutachterstellen oder die Benennung ein für allemal zuzuziehender Gremien würde es notwendig machen, daß diese Stelle oder daß dieses Gremium laufend von allen Staatsgeheimnissen unterrichtet würde, um gutachtlich aussagen zu können. Das hätte aber eine Konzentration von Staatsgeheimnissen höchsten Ranges zur Folge und würde mit den Grundsätzen über die Geheimhaltung nicht in Einklang stehen. Die Bestellung eines besonderen Gutachtergremiums würde auch in die Entscheidungsfreiheit der Gerichte eingreifen. Man darf die Gerichte nicht an die Inanspruchnahme ganz bestimmter Gutachter in Person oder éines bestimmten Gremiums binden. Diesen Vorgang erleben wir gerade in der DDR. Dort wird in der neuen Strafprozeßordnung gesagt, daß die Sachverständigen bei einer amtlichen Stelle angefordert werden müssen - diese hat das Benennungsrecht - und daß andere Gutachter nur dann herangezogen werden dürfen, wenn ganz besondere Umstände das erfordern. Solch eine Regelung - das ist gar kein Streit unter uns - ist für uns indiskutabel.
Ich darf abschließen. Die Bundesregierung ist also der Auffassung, daß für die Erstattung objektiver Gutachten die erforderliche Unabhängigkeit weniger von der Art .der beruflichen Tätigkeit des Gutachters abhängt als vielmehr von seiner inneren Einstellung zur Aufgabe. Was im Bereich des Verteidigungsministeriums im Organisatorischen getan werden kann, das ist geschehen. Die Bundesregierung ist deshalb ,der Meinung, daß es einer gesetzlichen Regelung über ,das Geschilderte hinaus nicht bedarf.
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Sie haben die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Fraktion ,der FDP entgegengenommen. Wird gewünscht, daß die Anfrage ¡diskutiert wird? - Ich bitte um das Zeichen. - Meine Damen und Herren, wenn Sie wünschen, daß .diskutiert wird, bitte ich, die Hand zu erheben. Es müssen 30 anwesende Mitglieder des Hauses sein. - Ja, das sind 30 anwesende Mitglieder des Hauses.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Köppler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister hat auf die Große Anfrage der Kollegen von der FDP-Fraktion und ihre einzelnen Teile sehr ausführlich geantwortet, und ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich auch inhaltlich das, was er an Antworten gegeben hat, für voll befriedigend halte. Es ist kein Zweifel: die Fragen, die in der Großen Anfrage der Opposition angeschnitten worden sind, sind Fragen, die die Justiz und die Politik nicht erst seit gestern beschäftigen.
Ich möchte einige Bemerkungen zu dem Problem machen, das in den Fragen 1 und 2 angeschnitten ist, nämlich der Eininstanzlichkeit in besonders wichtigen Strafverfahren. Das ist in 'der Tat eine Sache, deren Problematik seit langem erkannt ist und seit langem in der Diskussion steht. Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, Sie haben mit Recht auf die Denkschrift hingewiesen, die der Bundesjustizminister während der 1. Legislaturperiode .diesem Bundestag vorgelegt hat, nachdem der Bundestag - darauf hat der Herr Bundesjustizminister schon hingewiesen - damals von der Bundesregierung die Schaffung eines Instanzenzuges auch bei den eininstanzlichen Verfahren gefordert hatte. Ich finde, Sie haben es sich etwas leicht gemacht, indem Sie einfach nur diese Denkschrift zitiert und darauf hingewiesen haben, daß man sich damals in dieser Denkschrift mit knapper Mehrheit - so sagten Sie wohl - für die Beibehaltung des traditionellen Gerichtsverfassungswesens ausgesprochen habe und daß nun inzwischen einige Jahre der Diskussion vergangen seien, ,die es nahelegten, ,diese damals nur knapp gehaltene Position erneut zu überprüfen. Ich bin im Ergebnis durchaus Ihrer Auffassung. Aber ich glaube, Sie werden dieser Denkschrift des damaligen Bundesjustizministers Dr. Dehler nicht ganz gerecht, wenn Sie sie so hier zitieren. In dieser Denkschrift ist das Für und Wider aller Gesichtspunkte raußerordentlich gründlich behandelt worden. Es kann auch nicht von einer knappen Mehrheit gesprochen werden, sondern man muß von einer geradezu überwältigenden Mehrheit sprechen. Ich finde, es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, auch auf die ganz entschiedene Stellungnahme hinzuweisen, die der damalige Bundesjustizminister zu dieser Frage abgegeben hat. Er hat es nämlich abgelehnt - ausdrücklich abgelehnt; was das für einen Mann wie Dr. Dehler bedeutete, werden Sie ermessen können -, ,dem Votum des Bundestages zu entsprechen
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- lassen Sie mich den Satz 'beenden - und einen Gesetzentwurf im Sinne der Bundestagsentschließung namens der Bundesregierung vorzulegen. - Bitte schön!
Eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Kollege Köppler, darf ich Ihnen in Erinnerung rufen, daß 1951 gerade erst das politische Strafrecht wieder eingeführt wurde. Glauben ,Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß Herr Dr. Dehler später anderer Auffassung gewesen ist 'und mit mir vollkommen darin übereinstimmte, daß eine zweite Instanz notwendig sei?
Das ist jetzt ein Zeugnis vom Hörensagen. Darauf will ich später zurückkommen.
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- Es geht nicht in erster Linie um Ihr Zeugnis, sondern um das des Gewährsmannes. Ich will Ihnen zugestehen, daß Sie in dieser Frageglaubwürdig sind.
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- Das ist ein Zeugnis vom Hörensagen; das werden Sie nicht bestreiten können.
Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, natürlich war damals das politische Strafrecht neu formuliert worden. Ich glaube aber, die Probleme, die sich mit der Eininstanzlichkeit der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs in politischen Verfahren stellen, sind im Grunde nicht eigentlich Fragen der politischen Strafjustiz, sondern Fragen, die - wie die Denkschrift des damaligen Bundesjustizministers ausweist - grundsätzliche Probleme unseres Gerichtsverfassungsrechts aufwerfen. Sie haben, obwohl die Eininstanzlichkeit im wesentlichen auf politische Prozesse, auf Staatsschutzprozesse konzentriert ist, eine allgemeine Dimension und können nicht einfach nur auf dem Hintergrund des politischen Strafrechts behandelt werden. Ich glaube, darüber sind wir uns auch einig.
Die Denkschrift von damals, die nachzulesen auch heute noch durchaus sinnvoll ist, erwähnt vor allen Dingen auch die Probleme, die uns der Herr Bundesjustizminister heute wieder vor Augen geführt hat, nämlich die verfassungsrechtlichen Probleme, die hier eine Rolle spielen. Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, Sie meinten, alles das, was mit diesem Komplex verfassungsrechtlicher und bundesstaatlicher Fragen angesprochen werden kann, seien Probleme, die sich lösen ließen. Ein bißchen klang dabei durch, das seien doch Probleme geringerer Bedeutung, Quisquilien am Rande, über die man sich endlich einmal hinwegsetzen sollte, um zu einer praktikablen und vernünftigen Lösung zu kommen. Wenn das gemeint sein sollte, darf ich doch daran erinnern, Frau Kollegin: Hier handelt es sich um Verfassungsprobleme, um Grundfragen unserer bundesstaatlichen Ordnung. So sehr ich dem Vorschlag des Bundesjustizministeriums, der mit den Ländern bisher ohne Ergebnis verhandelt worden ist, Sympathien entgegenbringe, ich kann doch nicht bestreiten, daß bei den Einwänden, die seitens der Länder gemacht werden, nicht nur irgendwelche Kompetenzgesichtspunkte minderer Art ins Feld geführt werden, sondern in der Tat fundamentale Fragen der bundesstaatlichen Ordnung und damit unseres Verfassungsrechtes mit im Spiel sind.
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Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, Sie haben sich hier selbst als Föderalistin bezeichnet. Sie werden mir also in dem Punkt zustimmen, daß die Fragen, die hier anstehen, Gewicht haben, daß die Justizhoheit der Länder und das Problem des Auftretens der Bundesanwaltschaft, des Generalbundesanwalts innerhalb der Landesjustiz Probleme sind, über die man zumindest streiten kann und über die es sich nachzudenken lohnt.
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- Ich halte sie für lösbar. Aber ich glaube, wir müssen daran festhalten, daß es eine so wichtige Frage, die gerade die Bundesstaatlichkeit so stark berührt, in der Diskussion und nach Möglichkeit im Einvernehmen mit den Partnern dieser bundesstaatlichen Ordnung, nämlich mit den Ländern selbst, gelöst wird.
Ich glaube, angesichts der Schwierigkeiten, die uns der Bundesjustizminister mit Bezug auf den Stand dieser Debatte dargelegt hat, kann man ihm nur beipflichten, wenn er sagt, daß diese Linie weiter verfolgt werden soll, daß dieses Problem aber nicht
- das müssen wir zur Kenntnis nehmen - etwa noch in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Verabschiedung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes lösbar erscheint.
Die Frage ist - das hat der Bundesjustizminister hier in seiner Antwort angedeutet -, ob, wenn die große Lösung auf sich warten lassen muß, eine kleine Lösung einen Schritt weiter in Richtung des wünschenswerten Ziels der Abschaffung der Eininstanzlichkeit führen könnte. Ich meine, ja. Wenn man sich die Zahlen vergegenwärtigt, die uns der Herr Bundesjustizminister genannt hat, ist eigentlich von der Quantität der Verfahren her diese Lösung schon praktisch geworden. Wenn im vergangenen Jahr nur noch vier Verfahren vor dem Dritten Senat des Bundesgerichtshofs geschwebt haben, in den beiden Jahren davor aber 10 und 16 Verfahren, so ist das, glaube ich, schon das quantitativ erreichbare Ergebnis, das mit der sogenannten kleinen Lösung, die, wenn ich mich nicht irre, auf einen Vorschlag unseres Kollegen Dr. Güde zurückgeht, möglich ist.
Es bliebe die Frage der Einführung der Revision gegenüber den Urteilen der Oberlandesgerichte. Ich meine, diesen Schritt sollte man gehen, aber, wie der Herr Bundesjustizminister gesagt hat, im Zusammenhang mit den Fragen, die hier insgesamt aufzuwerfen sind, und nicht unter dem Zeitdruck, möglichst auch diese Frage noch mit der hoffentlich doch baldigen Verabschiedung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes koppeln zu müssen. Ich glaube, wir sind uns einig darin, daß die Verabschiedung dieses Gesetzes nun sozusagen Dringlichkeitsstufe Nummer eins hat und daß wir alles tun sollten, eine Verzögerung der Verabschiedung dieses Gesetzes hier gemeinsam zu vermeiden.
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- Herr Genscher, im Gesamtdeutschen Ausschuß wird nicht das Achte Strafrechtsänderungsgesetz, sondern da werden ganz andere Probleme beraten.
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- Ja eben, aber nicht den Zeitungsaustausch wollen wir möglichst schnell verabschieden, sondern das Achte Strafrechtsänderungsgesetz.
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- Allerdings.
Lassen Sie mich zu dem dritten Punkt Ihrer Anfrage kommen, nämlich zu dem Problem der indirekten Zeugenaussagen. Der Herr Bundesjustizminister hat schon auf die Problemkreise hingewiesen, die hier angesprochen sind. Es handelt sich um sozusagen fundamentale Grundsätze unseres Strafprozeßrechts, den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Verhandlung, der hier tangiert erscheint, allerdings auch um den ebenso fundamentalen Grundsatz der freien Beweiswürdigung durch die Gerichte, der bei möglichen Lösungen des Problems, insbesondere gesetzlichen Lösungen des Problems, berücksichtigt werden muß. Sicher geht es dabei auch um den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 unseres Grundgesetzes, der jedem Angeklagten rechtliches Gehör in vollem Umfang sichert.
Es ist dargetan worden, wie sich die Rechtsprechung bisher zu diesen Problemen gestellt hat. Der Bundesgerichtshof und - in einigen Fällen - auch das Bundesverfassungsgericht haben an der ständigen Rechtsprechung festgehalten, daß die Unmittelbarkeit der Verhandlungen nicht berührt sei, wenn indirekte Zeugen, Zeugen vom Hörensagen, vernommen würden, und daß auch der Schutzbereich des Art. 103 unseres Grundgesetzes nicht tangiert sei. Trotzdem handelt es sich hierbei - ich glaube, darüber sind wir uns alle einig - um ein außerordentlich heikles Problem. Man muß in diesem Komplex, wie es auch der Herr Bundesjustizminister in seiner Antwort getan hat, unterscheiden zwischen dem Problem der Zeugen vom Hörensagen, die an die Stelle eines nicht mehr beibringbaren Zeugen gehört werden, und dem Fall, bei dem der eigentliche, der direkte Zeuge zwar beibringbar ist, seine Beibringung aber aus irgendwelchen noch so hoch und so wichtig anzusetzenden Gesichtspunkten nicht wünschenswert erscheint.
Wir alle, die wir uns mit der Problematik beschäftigen, kennen den berühmten Fall, der jahre-, ich glaube, sogar jahrzehntelang die Justiz, das Reichsgericht in der Weimarer Zeit beschäftigt hat, nämlich der Fall Bullerjahn, aus dem die ganze Problematik der indirekten Zeugen deutlich wird. Man muß sich auch darüber im klaren sein, welche Gewissensnot es für Gerichte angesichts der herrschenden Rechtsprechung bedeuten kann, in Verfahren, in denen es wesentlich auf derartige indirekte Zeugnisse ankommt, zu judizieren.
Ich habe deshalb volles Verständnis für die Entschließung, die der 46, Juristentag in Essen verabschiedet hat, und ich habe auch die Hoffnung, daß eine unserem Rechtsbewußtsein entsprechende Lösung in der Justiz gefunden wird und zugleich eine Überprüfung der seit Jahrzehnten gefestigten Rechtsprechung erfolgt; ich bin sogar davon überzeugt. Ich glaube, daß sich unsere Justiz mehr und mehr die angelsächsische Praxis, auf deren verfassungsrechtliche Grundlage in den Vereinigten Staaten der Herr Bundesjustizminister in seiner Antwort hingewiesen hat, zu eigen machen sollte, nämlich in einem Staatsschutzprozeß abzuwägen, ob die Durchführung und Entscheidung des Prozesses so wichtig sind, daß man den V-Mann, auf dessen Zeugnis es bei diesem Prozeß unbedingt ankommt, preisgeben kann, und daß
Deutscher Bundestag --- 5. Wahlperiode Köppler
man, wenn die Abwägung ergibt, es könne nicht verantwortet werden, eher bereit sein sollte, auf die Durchführung und die Entscheidung eines solchen Prozesses zu verzichten. Das ist gängige, althergebrachte Praxis in den angelsächsischen Ländern, insbesondere in Amerika, und es kann nicht geleugnet werden, daß diese Praxis auch bereits Eingang in unsere deutsche Justiz gefunden hat.
Die Regelungen, die bei den Generalstaatsanwaltschaften einiger Bundesländer bereits getroffen worden sind, gehen in diese Richtung. Ich gebe allerdings zu, Herr Bundesjustizminister, daß gerade angesichts dieser Entwicklung, die sich in unserer Justiz zeigt, eine bundeseinheitliche Weiterentwicklung dringend geboten ist. Man kann Sie, Herr Minister, nur ermuntern, in der Prüfung der Möglichkeit einer gesetzlichen Regelung fortzufahren, die nicht nur punktuell das Thema der V-Leute in politischen Prozessen, sondern grundsätzlich das Problem der indirekten Zeugen aufgreift. Es wäre in der Tat unerträglich, wenn wir innerhalb unserer Länder auf die Dauer verschiedene Regelungen bekommen würden.
Lassen Sie mich ganz kurz eine Bemerkung zu der Frage der Unabhängigkeit der Sachverständigen, der Gutachter machen. Dieses Problem hat uns Frau Kollegin Diemer-Nicolaus bei der Begründung dieses Teils der Anfrage der FDP an Hand des Spiegelverfahrens in bewegten Worten geschildert. Dem Herrn Bundesjustizminister ist ganz sicher darin zuzustimmen, daß nach Möglichkeit die Unabhängigkeit der Sachverständigen nicht nur materiell, sondern auch formell erreicht werden sollte und daß sie auch dem Anschein nach gegeben sein muß. Aber, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, so bewegend Ihre Schilderung war und so sehr ich Ihnen zugebe, daß es in der länger zurückliegenden, aber auch in der jüngsten Geschichte auf diesem Gebiet Schwierigkeiten gegeben hat - die Frage ist, wo die Alternative bleibt. Sie haben dieselbe Dissertation gelesen, die auch ich gelesen habe. Wir sind uns doch einig: über die Vorschläge, die zur Zeit in der juristischen Literatur angeboten werden - bis hin zu dem Vorschlag eines Unterausschusses des Verteidigungsausschusses -, brauchen wir nicht länger zu diskutieren.
Ich glaube, wir sollten dem Herrn Bundesjustizminister in dem, was er in seiner Antwort gesagt hat, zustimmen. Es sollte alles Mögliche getan werden, um eine formelle wie materielle und vom Anschein her gegebene Unabhängigkeit zu verankern. Aber man kann unseren Gerichten nicht vorschreiben, wo sie sich ihre Sachverständigen zu holen haben; das liegt in der freien Entscheidungsbefugnis der Gerichte. Es wird sich angesichts bestimmter Tatbestände und Sachverhalte gar nicht vermeiden lassen, daß Sachverständige aus Ämtern - speziell dem Bundesverteidigungsministerium - die einzigen sind, die in einer wichtigen, für die Entscheidung eines politischen Prozesses relevanten Frage den Sachverstand mitbringen. Wir müssen das in Kauf nehmen. Wir sollten begrüßen, daß einiges in den beteiligten Ministerien geschehen ist, um die Forderung zu erfüllen, in der wir mit dem Justizminister einig sind: die Unabhängigkeit dieser Sachverständigen so weit wie möglich - auch dem Anschein nach - zu sichern.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Debatte hat wohl im wesentlichen eine Einigung in der Weise erbracht, daß die Redner in den Sachfragen und hinsichtlich der Lösung grundsätzlich übereingestimmt haben. Es bestehen offenbar keine Zweifel daran, daß die drei hier angeschnittenen Probleme beschleunigt gelöst werden müssen. Uneinig ist man sich offenbar nur darüber, in welcher Weise die drei Probleme gelöst werden sollen.
Die SPD-Fraktion hat schon seit langen Jahren oftmals und vielfach eine Lösung dieser Probleme angesprochen und auch gefordert, wenn ich auch einräumen muß, daß dies nicht in der Weise geschehen ist, daß die SPD-Bundestagsfraktion dem Hohen Hause entsprechende Gesetzesentwürfe vorgelegt hat. Dabei muß aber immerhin gesagt werden, daß es für eine Bundestagsfraktion, ganz gleich, ob sie sich in der Regierungsverantwortung oder in der Opposition befindet, fraglos denkbar schwierig ist, mit eigenen Kräften solch schwerwiegende und diffizile Gesetzesentwürfe zu erarbeiten.
Lassen Sie mich zunächst zu den einzelnen Punkten in der gebotenen Kürze Stellung nehmen. Ich darf jetzt schon sagen, daß meine Vorredner auf diese Punkte, die entscheidend sind, schon in mehrfacher Hinsicht hingewiesen haben, so daß meine Ausführungen in diesen Einzelfragen sehr kurz sein werden.
Das erste Problem ist das Problem der Abschaffung der einen Instanz in Staatsschutzsachen, also der Einführung von zwei Instanzen. Dieses Problem ist mit aller Sicherheit besonders dringlich. Ich darf vor allem auf eine Tatsache hinweisen, die - wenn ich richtig zugehört habe - bisher in der Diskussion nicht angeführt worden ist, nämlich darauf, daß die Vereinten Nationen am 16. Dezember 1966 eine Internationale Konvention über staatsbürgerliche und politische Rechte erlassen haben, die gerade bezüglich der Einführung von zwei Instanzen Entsprechendes beinhaltet. In dieser Konvention ist speziell festgelegt, daß jeder Staatsbürger das Recht haben muß, zu verlangen, daß eine gegen ihn ausgesprochene Verurteilung mindestens durch eine zweite Instanz nachgeprüft wird. Ich glaube, an der Richtigkeit dieses Grundsatzes können nicht die geringsten Zweifel bestehen. Darüber hinaus können nicht die geringsten Zweifel darüber bestehen, daß der jetzige Rechtszustand, der bei uns anzutreffen ist, beschleunigt abgeschafft werden muß.
Wir haben von dem Herrn Bundesjustizminister entsprechende Zahlen erfahren und gehört, daß in den Jahren 1965, 1966 und 1967 der Bundesgerichtshof und die zuständigen Oberlandesgerichte rund sechshundertmal mit solchen Fällen befaßt waren.
Das heißt also, daß es bei uns in der Bundesrepublik jährlich im Durchschnitt 200 solcher Fälle gibt, bei denen eine Nachprüfung des erst- und zugleich letztinstanzlichen Urteils nicht möglich ist. Diese Zahlen sind - ich sage es ganz offen - erschreckend und zeigen deutlich, daß insoweit beschleunigt eine Änderung durchgesetzt werden muß.
Der zweite Punkt, der zu behandeln ist, ist der . der sogenannten mittelbaren Zeugen. Auch hierzu wurde schon sehr viel Richtiges gesagt. Es ist sicher richtig, daß der mittelbare Zeuge in einem fairen Prozeß keinen Platz finden darf. Es ist sicher richtig, daß, wenn wir weiterhin diesen anonymen Zeugen praktisch zulassen, dem Angeklagten sein entscheidendes Recht, diesem Belastungszeugen Vorhaltungen zu machen, die oftmals von entscheidender Bedeutung sind, beschnitten wird. Es ist darüber hinaus richtig, daß durch die Zulassung der anonymen Zeugen bzw. in diesem speziellen Falle der Zeugen vom Hörensagen die Frage der Glaubwürdigkeit des eigentlichen Belastungszeugen, der aber vor Gericht nicht auftritt, letztlich dem Zeugen vom Hörensagen aufgebürdet wird und nicht dem Gericht, das eigentlich über diese Frage die letzte Entscheidung treffen müßte. Der sogenannte Zeuge vom Hörensagen und seine Zulassung führen dazu, daß das erkennende Gericht auch diesem Zeugen vom Hörensagen Glauben schenken muß, wenn er sich darüber ausläßt, ob der eigentliche Tat- und Belastungszeuge wirklich glaubwürdig oder nicht glaubwürdig ist. Das ist ein Zustand, der mit Recht kritisiert worden ist und dessen Änderung gefordert werden muß.
Bezüglich des dritten Punktes, der Frage der Anhörung der Sachverständigen, darf ich sagen, daß dieses Problem auch deshalb schwierig zu lösen ist, weil hier die Entscheidungsbefugnis der Gerichte in der Auswahl der anzuhörenden Sachverständigen in Frage gestellt wird. Die Lösung dieses Problems ist denkbar schwierig. Andererseits muß gesagt werden, daß man unbedingt überlegen muß, wie man es erreichen kann, den Sachverständigen aus dem Zwielicht, unter Umständen Regierungsvertreter zu sein, herauszuhalten und eine Gewähr dafür zu geben, daß der Sachverständige - speziell in Staatsschutzfragen - völlig unabhängig seine eigene, von ihm als richtig erkannte Auffassung vertritt, ohne irgendwelche Weisungen von irgendeinem Ministerium bekommen zu haben. Wie man dieses Problem lösen soll, weiß ich, ehrlich gesagt, jetzt auch noch nicht. Aber man muß sich darüber noch Gedanken machen. Vielleicht ist es trotzdem gar nicht so schlecht, wenn man zu einem Gutachtergremium käme, dessen Ausgestaltung immerhin so vorgenommen werden könnte, daß das erkennende Gericht bei der Auswahl des Sachverständigen einen großen Ermessensspielraum hätte.
Es besteht kein Zweifel daran, daß diese drei Probleme, die ich soeben angeführt habe, in absehbarer Zeit vordringlich und beschleunigt gelöst werden müssen. Es erhebt sich aber für uns die Frage, wie wir diese Probleme lösen können. Die FDP-Fraktion macht es sich wirklich sehr einfach, wenn sie fordert, diese Probleme müßten mit der Verabschiedung des
Achten Strafrechtsänderungsgesetzes gelöst werden. Politik - das darf ich doch wohl speziell der FDP- Fraktion sagen - ist immerhin die Kunst des Möglichen. Wir müssen uns darüber klar werden, daß wir nur so viel von diesem Hause fordern können, wie dieses Haus und seine Ausschüsse verkraften können.
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- Ich habe Sie nicht verstanden, Herr Kollege Genscher. Wenn Sie wollen, dann wiederholen Sie bitte Ihre Frage.
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- Na gut. Aber dann wäre es besser gewesen, Sie hätten sich erhoben und mir das, was Sie sagen wollten, ins Ohr geflüstert.
Die FDP-Fraktion muß sich immerhin überlegen, daß man gegen sie den Vorwurf - und ich glaube: mit Recht - erheben kann, daß sie die ganze Zeit über, obwohl sie doch oftmals in der Regierung vertreten war, hinsichtlich der Lösung dieser Fragen jegliche Initiative hat vermissen lassen. Man muß der FDP-Fraktion insbesondere sagen, daß sie, die mit ihren Ministern an der Vorbereitung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes beteiligt war, in diesem Hause jedenfalls insoweit keine sichtbaren Initiativen hinterlassen hat. Ich gebe zu, daß man sich offenbar anders verhält, wenn man sich in der Opposition befindet, als wenn man Regierungspartei ist. Diese Erfahrung haben viele andere auch schon gemacht.
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Zumindest muß sich die FDP-Fraktion sagen lassen, daß es sicher nicht gut ist, wenn sie in klarer Erkenntnis der Tatsache, daß die Lösung dieser Probleme wirklich sehr schwierig ist, die Forderung stellt, diese Probleme müßten jetzt, im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes, gelöst werden. Wenn wir das täten, würden wir unter Umständen das Achte Strafrechtsänderungsgesetz auf den Sankt- NimmerleinsTag verschieben, was man beim besten Willen nicht akzeptieren kann.
Man muß sich auch darüber klarwerden, daß dieses Hohe Haus und die zuständigen Ministerien mit ihren Ministern einen gewissen Zeit- und Themenplan zu erarbeiten haben, den sie auch durchhalten müssen, wenn sie in diesem Hause zu dem entsprechenden Erfolg kommen wollen. Bedenken Sie bitte, wie sehr der Strafrechtsausschuß und der Rechtsausschuß überlastet sind. Eine Fülle von großen Gesetzgebungsvorhaben harren der Erledigung: die Strafrechtsreform, die Reform des politischen Strafrechts, die Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts, die Reform des Unehelichenrechts, das Notstandsrecht, die Reform des Eherechts, die Justizreform und die Strafvollzugsreform; Anliegen, die deshalb - auch das darf ich einmal sagen - alle so besonders vordringlich geworden sind, weil in der Vergangenheit bezüglich der Lösung dieser Probleme nicht besonders viel geschehen ist.
Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus?
Bitte sehr!
Herr Kollege Dr. Müller-Emmert, darf ich auf Ihre Ausführungen darüber zurückkommen, wann die Probleme erledigt werden sollen, und auf das Protokoll der 66. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform am 2. Juni 1967 verweisen, in der Herr Güde auf die Frage, wann diese notwendigen Reformen erfolgen könnten, gesagt hat, da dieser natürliche Zusammenhang fehle, werde die Lösung dieser Frage wahrscheinlich bis zur großen Reform verschoben werden müssen? Mit einer derartigen Lösung können wir uns natürlich nicht einverstanden erklären.
Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, der Strafrechtsausschuß hat sich mit diesen Fragen schon mehrfach befaßt. Das wissen Sie. Wir haben auch am 20. Oktober 1966 und praktisch in jüngster Zeit, nämlich am. 27. September 1967, im Strafrechtsausschuß über diese Fragen gesprochen und waren uns auch darin einig, daß wir alle in der Sache eine Lösung wollen, daß aber diese Probleme den Abschluß unserer Reformarbeiten am politischen Strafrecht erheblich verzögern. Das können Sie, Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, nicht bestreiten.
Ich bin genau wie Sie der Meinung, daß diese Probleme beschleunigt gelöst werden müssen. Ich vermag aber nicht einzusehen, daß wir nunmehr die Reform des politischen Strafrechts mit diesen Problemen belasten und dadurch unter Umständen erreichen, daß die Reform des politischen Strafrechts vielleicht gar nicht in dieser Sitzungsperiode erfolgt. Das ist nicht einzusehen. Wir müssen hier erkennen, daß noch ungeheuer viel andere Probleme gelöst werden müssen und daß wir deswegen unseren Zeit- und Themenplan auch durchhalten müssen.
Aus diesen Erwägungen meine ich, daß diese Probleme vordringlich gelöst werden müssen, aber nicht im Rahmen der achten Strafrechtsnovelle.
({0}) Bitte sehr, Frau Kollegin!
Herr Kollege Müller-Emmert, könnte es aber dann nicht doch noch in dieser Legislaturperiode erledigt werden, nachdem wir diese Reformen schon so oft vorberaten haben?
Frau Kollegin, ich wollte gerade etwas Ähnliches zum Abschluß meiner Ausführungen sagen.
Wenn wir uns also, wenn ich Sie richtig verstehe, auch in diesem Punkt einig sind, daß Sie von der FDP-Fraktion nicht mehr die Forderung stellen, daß
diese Probleme mit in das Achte Strafrechtsänderungsgesetz einbezogen werden, dann sind wir schon einen wesentlichen Schritt voran. Dann könnte man doch interfraktionell vereinbaren, daß mit der Verabschiedung der achten Strafrechtsnovelle, die wohl - ich will da niemandem vorgreifen - nach meiner Meinung etwa im April dieses Jahres erfolgen könnte, eine Entschließung mit verabschiedet wird, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, entsprechende Gesetzesinitiativen in der nächsten Zeit zu entwickeln, damit diese Probleme tunlichst noch in dieser Sitzungsperiode auch gesetzgeberisch gelöst werden.
Ich bin damit am Ende meiner Ausführungen und darf zusammenfassend sagen: Es ist richtig, daß die angeführten Probleme der beschleunigten Lösung harren. Andererseits können sie mit der Strafrechtsreformarbeit im Augenblick nicht verknüpft werden. Daher wird von unserer Seite der Vorschlag gemacht, daß wir aus Anlaß der Verabschiedung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes im Rahmen eines interfraktionellen Antrags einen Entschließungsentwurf einbringen, der die Bundesregierung auffordert, auch in diesen Fragen beschleunigt zu handeln.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Wenn es eines Beweises bedurfte, daß die durch die Große Anfrage der FDP aufgeworfenen Fragen in diesem Hause einmal vor der Öffentlichkeit behandelt werden sollten und mußten, so hat, glaube ich, das Ergebnis der bisherigen Aussprache diesen Beweis eindeutig geliefert. Bei Herrn Köppler war es nicht ganz so klar, aber bei Herrn Müller-Emmert war es ganz eindeutig: Über die Notwendigkeit der Reform unseres Strafprozeß- bzw. Gerichtsverfassungsrechts in den Punkten, in denen heute noch die Eininstanz besteht, sind wir, glaube ich, alle einig. Wir sind, möchte ich jetzt annehmen, schon wer weiß wie lange Zeit darüber einig. Nur haben wir diese Einigkeit bisher nicht genügend deutlich ausgesprochen. Wenn diese Einigkeit aber besteht, frage ich mich vergeblich, warum dann nicht die Regierung auch die entsprechenden Gesetzesvorlagen einbringt. So fundamentale bundesstaatliche Fragen, Herr Kollege Köppler, stehen hier doch wirklich nicht zur Diskussion. Wir haben die Zahlen soeben vom Herrn Bundesjustizminister gehört: Im Jahre 1965 wurden von 229 Sachen 219 vor den Oberlandesgerichten und nur 10 beim Bundesgerichtshof behandelt, im Jahre 1966 von 210 Sachen 194 bei den Oberlandesgerichten und 16 beim Bundesgerichtshof, im Jahre 1967 von 173 Sachen 169 bei den Oberlandesgerichten und noch ganze vier beim Bundesgerichtshof. Da frage ich mich doch als Mann der Praxis vergeblich, warum es dann nicht möglich sein soll, auch noch die in drei Jahren zusammen 30 Sachen zu den Oberlandesgerichten zu bringen und eine zweite Instanz einzuführen. Da stehen
Busse ({0})
keine fundamentalen bundesstaatlichen Fragen im Hintergrunde.
Die Frage, wer vertreten darf, ist ja jetzt gelöst. Wer vertritt denn vor den Oberlandesgerichten, Herr Bundesjustizminister? Doch die Ländervertreter! Weiter: Die einheitliche Behandlung ist doch da. Warum muß da etwas geändert werden, um die zweite Instanz einzuführen?
Und drittens die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen: Nun, wir wollen sie ja eigentlich erst schaffen, und ich sehe - auch aus Ländersicht - keinen Grund, warum hier nicht der Bundesanwalt die Möglichkeit erhalten soll, Rechtsmittel einzulegen. Das alles sind doch Schwierigkeiten, die man aus der Welt räumen kann, wenn man sich im Ziel einig ist.
Gerade Ihren Ausführungen, Herr Köppler, möchte ich entgegenhalten: Uns geht es hier mehr um ,die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze als darum, daß der eine oder andere kleine Zacken aus der Krone irgendeines Landesjustizministers herausbrechen könnte. Da verteilen sich doch .die Gewichte wirklich so, daß wir das, was heute wohl allgemein .anerkannten oder anzustrebenden Rechts ist, auch bei uns in der Bundesrepublik einführen sollten.
Zur Frage der Zeit, Herr Kollege Müller- Emmert: Wenn Sie unsere Anfrage richtig gelesen haben, so werden Sie festgestellt haben, daß wir lediglich gefragt haben, ob noch vor Verabschiedung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes ein Gesetz dieses Inhalts eingebracht werden könnte. Von einer gleichzeitigen Verabschiedung beider Gesetze ist in unserer Anfrage nicht die Rede.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller-Emmert?
Gestatten Sie die Frage: Frau Kollegin Diemer-Nicolaus hat im Strafrechtsausschuß aber eine solche Forderung aufgestellt und hat ihr Stimmverhalten davon abhängig gemacht. Was sagen Sie dazu?
Entschuldigen Sie, ich wollte mich mit dem auseinandersetzen, was hier dem Parlament vorliegt, nicht mit dem, was irgendwer irgendwann einanal, z. B. Dr. Dehler 1951 als Justizminister, geäußert hat. Wir haben heute, wie wir alle gehört haben, gereiftere Auffassungen bekommen. Also wir wollen uns doch mit dem auseinandersetzen, was hier vorliegt, und nicht mit Dingen, 'die irgendwer irgendwann einmal geäußert hat. Ich möchte mich z. B. auch nicht damit auseinandersetzen, daß in der vorigen Legislaturperiode eingehende Besprechungen zwischen Kollegen Ihrer Fraktion unid uns stattgefunden haben, die das gleiche Ziel hatten, nämlich daß wir ,gewisse Reformen des Strafprozeßrechts verbinden sollten mit den Reformen des materiellen Strafrechts. Wozu sollen wir uns jetzt mit alledem befassen?! Halten wir uns doch an die Tatsache, daß wir uns in diesem Punkt weitgehend einig sind, und regeln wir die Dinge!
Das muß insbesondere auch für die Frage der mittelbaren Zeugen gelten. Ich begrüße .die Erklärung des Herrn Bundesjustizministers, daß schon allein deshalb, weil einzelne Länder besondere Regelungen getroffen haben, dieser Komplex auch in seinem Ministerium beschleunigt in Angriff genommen werden muß. In der Tat: 'sosehr das Problem allgemeine Bedeutung hat - idas ist von meinen Vorrednern mit Recht ausgeführt worden -, aktuellste Bedeutung hat es natürlich in Verbindung mit dem politischen Strafrecht unid da wiederum in Verbindung mit den sogenannten V-Leuten. Wenn die Regelung auch nicht allein unter diesem Gesichtspunkt erfolgen kann, so zeigt sich doch, daß in Verbindung mit dem politischen Strafrecht auch diese Fragedringend einer Regelung bedarf. Ich hoffe, daß wir einen entsprechenden Gesetzentwurf bald vorgelegt bekommen.
Nun noch zum letzten und, wie wohl alle Beteiligten klar erkannt haben, schwierigsten Problem, der Frage der Sachverständigen. Einigkeit besteht unter allen wohl darin - das will ich nur noch einmal unterstreichen -, daß der Sachverständige natürlich vom Gericht auszuwählen ist und daß dieses Recht des Gerichts in keiner Weise von irgend jemandem eingeengt oder beschnitten werden soll. Das schließt aber nicht die Frage aus, ob man den Gerichten nicht dadurch, daß man Sachverständige zur Verfügung hält, eine gute Hilfestellung leisten kann. Natürlich haben wir, wie Frau Diemer-Nicolaus schon gesagt hat, auch hier keinen perfekten Plan. Aber bei den Besprechungen, die wir bei uns im internen Kreis geführt haben, sind mir Überlegungen in Erinnerung gekommen, die wir anläßlich der Beratungen eines Pressegesetzes angestellt haben haben und die, wie mir schien, nicht nur bei uns, sondern auch an anderer Stelle einigen Eindruck hinterlassen haben: etwa nach dem englischen Beispiel eine Stelle einzurichten, die - jetzt im speziellen Fall der Presse - den Betreffenden sagt, was ein Staatsgeheimnis ist und was nicht ein Staatsgeheimnis ist, und daß derjenige, der entsprechend dem Rat dieser Stelle handelt, wenigstens subjektiv salviert sein soll. Ich weiß, das ist nichts Vollkommenes. Insbesondere ist es nicht ganz einfach, diese Grundvorstellung auf einen Sachverständigen in einem Gerichtsverfahren zu übertragen, in dem es letztlich darauf ankommt, nicht nur gewisse Exkulpationen zu schaffen, sondern die objektive Wahrheit zu ermitteln; denn das ist doch der ausgesprochene Zweck. Aber auch hier könnte Hilfestellung geleistet werden durch eine Stelle, die unabhängige Sachverständige zur Verfügung hält, welche auf den einschlägigen Gebieten auf Grund ihrer Informationen - die sie dann natürlich erhalten müssen - die entsprechende Sachkunde besitzen. Ich glaube, durch Einrichtung einer solchen Stelle würde man den Gerichten einen guten Dienst erweisen; denn wir sind uns wohl einig, daß die Gerichte an sich bestrebt sind, auch zu einer fairen Regelung zu kommen und selbst im Interesse des
Busse ({0})
betreffenden Gutachters auch den Anschein zu vermeiden, als ob hier parteiische Gutachten vorgetragetragen würden.
Dabei möchte ich freilich eines sagen: Gerade bei den hier zur Entscheidung stehenden Fragen im politischen Strafrecht ist doch zwischen dem, was der Sachverständige zu klären hat, und dem, was das Gericht zu entscheiden hat, außerordentlich schwer zu differenzieren. Dem Sachverständigen werden Fragen, ob etwas z. B. ein Staatsgeheimnis sei, gestellt. Das Gericht ist auf die Antwort, die der Sachverstandige gibt, weitestgehend angewiesen. Die Rechtsfrage, ob etwas ein Staatsgeheimnis ist, und die Tatfrage decken sich eben doch so stark, daß in der Antwort des Sachverständigen zugleich schon weitgehend die Entscheidung der Rechtsfrage liegt.
Das macht die Dinge eben besonders kompliziert, und gerade darum meine ich, wir sollten im Interesse derjenigen, die durch ihre Stellung beim Angeklagten die Besorgnis aufkommen lassen könnten, daß hier nicht die nötige Objektivität gegeben sei, bemüht sein, tatsächlich neutrale Stellen zu schaffen oder zu finden, die den Gerichten bei der Auswahl der Sachverständigen helfen könnten.
Wichtig ist für mich - um das zusammenzufassen - zweierlei: Die Debatte hat eindeutig gezeigt, daß das Haus überwiegend der Meinung ist, daß eine zweite Instanz in Staatsschutzsachen, eine Rechtsmittelinstanz, eingeführt werden sollte. Wenn das die Absicht ist, kann die Frage gelöst werden, ebenso wie die Aufgabe gelöst werden kann, die Verwendung mittelbarer Zeugen in einem Strafverfahren unbedingt auf das gehörige Maß zurückzuführen.
Gehen wir an diese beiden Dinge schnell und zügig heran! Ich glaube, dann werden wir der Sache, um die es geht, einen guten Dienst leisten.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde die Geduld dieses so „reich" besetzten Hauses nur noch für wenige Minuten in Anspruch nehmen, um ein paar Bemerkungen zu machen.
Herr Bundesjustizminister, mein badischer Landsmann - vor 150 Jahren - Johann Peter Hebel hat in bezug auf den Justizminister seiner Zeit, indem er das französische Wort „le grand juge" aus dem Empire als „Großrichter" übersetzte, vom Großrichter und nicht vom Justizminister gesprochen.
Ich sage gern: Die Art, wie diese Anfrage heute von Ihnen beantwortet wurde, erkenne ich gern an als im Sinne des Großrichters gesprochen, dessen, der über der Justiz steht und die der Justiz verpflichtete Person ist. Ich erkenne das gern an im Respekt vor Ihnen und der Tradition Ihres Hauses und sage: Wenn Sie uns als Großrichter, als „grandjuge", ansprechen, werden Sie immer unser Ohr haben.
Meine Damen und Herren, das Erfreuliche dieser Debatte - da hat Herr Kollege Busse recht - ist die völlige Einmütigkeit, mit dem Vorbehalt des letzten Punktes, zu dem ich meine persönliche Meinung noch sagen will, nämlich der Frage des unabhängigen Sachverständigen. Mit völliger Einmütigkeit meine ich, so daß die FDP in dieser Frage durch offene Türen gerannt ist. Denn was hier erörtert worden ist, ist auch im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform in dieser Einmütigkeit durchgesprochen worden.
Mir kommt es darauf an, zu allererst zu sagen: Es handelt sich nicht um schwere Mißstände in der Justiz, die die erörterten Korrekturen erforderlich machen, sondern - ich würde sagen - in der Frage der Eininstanzlichkeit um eine Ergänzung unseres Rechts im Sinne der Systemgerechtigkeit. Es ist systemgerecht, durchgehend Nachprüfung bei Urteilen zu ermöglichen. Um es kurz zu sagen: Nicht weil wir der Meinung sind, daß in der Eininstanzlichkeit des Bundesgerichtshofs schwere Mißstände oder Fehlurteile zutage getreten seien, sondern weil das System es so richtig erscheinen läßt, sind auch wir für die Nachprüfbarkeit.
Lassen Sie mich in einem Satz noch einen Gesichtspunkt hinzufügen, der aus der Praxis stammt: Die Identität von Revisionsrichter und Tatrichter ist eine zusätzliche Anomalität, die Schwierigkeiten macht, weil das Kunstgebilde der Revision mit anderen Augen, sozusagen mit anderen Gläsern auf die Sache schaut als der Tatrichter.
Herr Kollege Busse, Sie meinten, aus den Ausführungen meines Kollegen Köppler sei nicht ebenso klargeworden, daß wir im Grunde in den drei Hauptfragen einer Meinung seien. Ich muß das bestreiten. Es ist völlig klar. Das gilt, jedenfalls für meine Person, auch in der Frage des indirekten Zeugen. Ich will gar nicht leugnen, daß ich in dieser Frage, in der ich nicht ohne Erfahrung bin, nicht für den anonym bleibenden Zeugen eintreten kann, sondern mir 'im Gegenteil wünsche, daß diese störende Anomalität aus unserem Strafverfahren verschwindet. Nur sage ich auch an diesem Punkt: es wäre ein falsches Bild, wenn Sie, meine Damen und Herren, und die breite Öffentlichkeit sich vorstellten, daß das .ein Fall der täglichen Routine sei. Es ist ein Ausnahmefall, der im Begriff ist - Sie haben das aus den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers gehört -, in der Rechtsprechung selbst auf ein erträgliches Maß korrigiert zu werden. Dieser notwendigen Korrektur ist zuzustimmen.
In der Frage des unabhängigen Sachverständigen bin ich anderer Meinung als Sie, weil Sie in einer doppelten Beziehung von einem falschen Denkmodell ausgehen. Sie gehen von einem falschen Denkmodell aus, wenn Sie sagen, ein Oberst oder ein Generalmajor im Verteidigungsministerium sei doch ein abhängiger Sachverständiger. Ich frage jeden von Ihnen: wenn Sie Sachverständiger wären vor Gericht, wo Sie also nach bestem Wissen aussagen und diese Aussage auf Ihren Eid nehmen müßten, würden Sie sich dann von irgend jemandem, von Ihrer Fraktion abhängig fühlen? - Ja, Herr Kollege Busse, wenn der Herr Präsident das erlaubt, bin ich gern bereit.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Busse!
Herr Dr. Güde, ist es nicht auch hier angebracht, zu scheiden zwischen dem Sein und dem Scheinen? Ich glaube, keiner der Redner hat vorgetragen: Der ist verdächtig, sondern es ist gesagt worden: Es erweckt den Anschein, und das ist doch der wesentliche Gesichtspunkt.
Trotzdem sage ich: es ist ein falsches Denkmodell, von einem Staatsdiener - ich spreche jetzt also im alten Jargon - anzunehmen, daß er nur ein Staatsdiener sei und nicht auch ein Mensch, der, wenn ich ihn auf sein Gewissen anspreche, aus seinem Gewissen antwortet. Aus meiner Erfahrung muß ich sagen: Ich habe mich bei anständigen Menschen, ob sie nun Offizier, Beamter oder sonst was waren, durchweg darauf verlassen, sie aber im Notfall auch darauf hingewiesen, daß sie jetzt an diesem Platz Sachverständige sind und nicht Beamter, Soldat oder Staatsdiener. Auch ein anderes Denkmodell ist falsch. Sie gehen davon aus, daß der Richter nur ausführe, was der Sachverständige sage. Wann hat je ein verantwortungsbewußter, gescheiter und gerechter Richter ein Sachverständigengutachten akzeptiert, als ob das für ihn Gebot und Gesetz sei. Ich habe mit Augen und Ohren Fälle erlebt, in denen schon im staatsanwaltschaftlichen Bereich dem Herrn Sachverständigen gesagt wurde: Hören Sie, ich verstehe Ihren Standpunkt - das ist der Standpunkt Ihres Hauses -; ich will aber von Ihnen wissen, was Sie nach Ihrem Gewissen verantworten können. Und wenn es nicht der Staatsanwalt sagt, dann sagt es der Richter. Nein, meine Damen und Herren, hier steckt ein falsches Denkmodell, sowohl in der Richtung auf den Richter als auch in der Richtung auf den Sachverständigen.
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- Herr Präsident, darf ich die Frage von Frau Dr. Diemer-Nicolaus beantworten?
Ja, Sie dürfen aber Ihren Satz auch erst zu Ende bringen, bevor ich Sie unterbreche.
Herr Kollege Güde, ist Ihnen in Erinnerung, daß sich auch Herr Professor Jescheck in folgender Weise geäußert hat:
Gutachter aus dem Ministerium können nicht die unabhängigen und unvoreingenommenen Gehilfen der Justiz sein, die sich die Prozeßordnung vorgestellt hat, sondern sie sind Untergebene ihrer Vorgesetzten mit der typischen Neigung, der Militärbürokratie zur Geheimniskrämerei zu helfen.
Auch wenn Herr Jescheck das gesagt hätte, würde ich ihm aus einer nahezu 40jährigen Erfahrung als Staatsanwalt und Richter sagen: nein, sondern Richter und Sachverständiger zusammen haben das zu verantworten, und zwar so, daß der Richter endgültig entscheidet, ob er dem Sachverständigen folgt und glaubt. Es ist ja nicht so, daß der Richter sich das Sachverständigengutachten nur vortragen läßt. Er hat vielmehr zu fragen, er hat zu forschen, er hat sich die Grundlagen selbst zu verschaffen. Ich kann nur aus meiner Erfahrung sagen: So wie Sie sich die Konflikts-lage vorstellen, ist sie jedenfalls nicht alltäglich, sondern ganz selten, und steht dann immer noch vor den Augen und unter der Verantwortung eines verantwortungsbewußten Richters.
Meine Damen und Herren, zuletzt kann ich nur als Vorsitzender des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform sagen: Wir ,sind durchaus mit Ihren Anliegen einig, soweit sie sich überhaupt rechtlich fassen lassen. Ich muß Ihnen aber vom Sonderausschuß Strafrecht her sagen, was der Kollege Müller-Emmert schon gesagt hat: Wenn Sie wollen, ,daß noch in diesem Frühjahr die materielle politische Strafrechtsreform durchgeht, dann dürfen wir uns nicht neue Pakete aufladen. Ich bin in diesem Punkt durchaus mit ,dem Kollegen MüllerEmmert einig, daß wir mit 'der Verabschiedung des materiellen politischen Strafrechts sagen: Bitte, Justizministerium, prüfe die Dinge jetzt noch einmal; aber sie sind durchaus dringlich. Ich glaube, auch 'darin wird sich die Einmütigkeit zeigen, die sich heute in der Sache zeigt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte, 'ausgelöst durch die Große Anfrage der FDP, hat neben den hier eben behandelten Rechtsfragen auch am Rande das große Gebiet des Staatsschutzes berührt, vor allem' die Frage 'der V-Leute in ihrer Einwirkung auf die Strafverfahren in Staatsschutzsachen. Wir hätten es deshalb begrüßt, wenn auf der Regierungsbank außer dem Herrn Bundesminister der Justiz auch ein Vertreter 'des Innenministeriums anwesend wäre und hier dem Hohen Hause gerade in dieser ganz entscheidenden, auch rechts- unid verfassungspolitischen Frage eine Erklärung geben könnte.
({0})
Ich glaube, die Bundesregierung sollte Themen dieser Art nicht rein unter dem Ressortdenken ,der Zuweisung einer Großen Anfrage behandeln, sondern sie sollte Gelegenheit nehmen, Probleme dieser Art in aller Breite vor der Öffentlichkeit zu erörtern. Die Frage des Staatsschutzes sowohl im strafrechtlichen Bereich wie im exekutiven Bereich oder auch nur im Bereich der dafür gegebenen gesetzgeberischen Zuständigkeiten gehört zu den Problemen, die am Ende mit entscheiden werden, ob es uns gelingt, die Menschen 'in diesem Lande für die Demokratie zu gewinnen.
Mit großer Genugtuung haben wir festgestellt, daß in ,den grundlegenden Fragen eine Übereinstimmung zwischen den Fraktionen des Hohen
Hauses vorhanden ist. Wir können mit denselben. Genugtuung zu vielem ja sagen, was ,der Bundesminister der Justiz in der Sache vorgetragen hat. Wir sind über diese Übereinstimmung eigentlich gar nicht überrascht, Herr Minister. Es war auch gewiß nicht das Ziel dieser Großen Anfrage, hier noch einmal vor dem Hohen Hause diese Übereinstimmung ,durch die Beiträge der Regierung unid der Vertreter der Fraktionen zu dokumentieren.
Hier geht es um etwas anderes. Es geht um eine Frage, die an uns als Parlament unid an die Bundesregierung gerichtet wird. Wenn es so ist, daß alle Fraktionen dieses Hohen Hauses und die Bundesregierung der Meinung sind, daß in den drei von uns angeschnittenen Fragen eine Änderung erforderlich ist, dann fragt der Bürger mit Recht: Warum ändert ihr das nicht? Warum geschieht nichts? Warum liegt keine Vorlage im Deutschen Bundestag?
Da nützt es wenig, wenn Sie sagen: Wir haben Schwierigkeiten mit den Ländern, da haben die Landesjustizminister dieses oder jenes gesagt. Die Frage richtet sich an uns alle als politisch tragende Kräfte in diesem Staat, ob wir nun in Land oder Bund Verantwortung tragen. Ich glaube, dieser Verantwortung müssen wir uns bewußt sein. Es ist ja nur im ersten Komplex, in der Frage eines zweiten Rechtszuges für die Staatsschutzsachen, überhaupt eine so starke Beteiligung der Länder vorhanden. Die anderen Fragen kann der Bund von sich aus regeln, und er sollte sich hier schnellstens mit einer Vorlage befassen.
Nicht zustimmen kann ich der Auffassung des Herrn Bundesministers der Justiz, daß gegen einen zweiten Rechtszug sehr erhebliche Bedenken der Länder vorgebracht worden seien, ja, daß die Landesjustizminister geradezu der Hinderungsgrund dafür seien, daß bisher eine Vorlage nicht vorliegt. Natürlich ist es auch hier wiederum nicht unterblieben, darauf hinzuweisen, daß es auch Landesjustizminister gibt, die meiner Partei angehören. In der letzten Besprechung der Landesjustizminister bestand im Grunde Einmütigkeit darüber, daß in Sachen eines zweiten Rechtszuges etwas geschehen soll. Die meisten Länder haben sich für einen zweiten Rechtszug ausgesprochen. Es gab drei Länder, wenn ich es recht in Erinnerung habe, die das nicht für notwendig hielten, die aber gesagt haben, sie würden sich einer solchen Regelung nicht widersetzen. Wenn das so ist, meine Damen und Herren, dann können die Meinungsverschiedenheiten nicht mehr in der Frage des Ob liegen, sondern allenfalls in der Frage des Wie, und deshalb brauchen wir eine Vorlage, damit deutlich wird, daß wir handeln wollen.
Es ist nun einmal das Problem der bundesstaatlichen Ordnung, daß wir notfalls auch Streitfragen mit Mehrheiten in allen Verfassungsorganen des Bundes austragen müssen. Wir sollten hier aus der Anonymität der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern herauskommen. Für mich ist die Frage einer Mehrheitsentscheidung auch in diesen Angelegenheiten am Ende auch ein Problem der Bewährung des Föderalismus. Wenn wir da im Halbdunkel bleiben, in Referentenbesprechungen, dann nützen Bekenntnisse, daß es erforderlich sei, hier Regelungen zu treffen, überhaupt nichts.
Als weiteres frage ich: Ist es nicht eines der Hauptargumente für die hier zustande gekommene Koalition aus CDU/CSU und SPD gewesen, daß behauptet wurde, sie hätte so breite Mehrheiten im Deutschen Bundestag, diese Parteien seien so führend in den Ländern vertreten, daß sie nunmehr alle großen Reformen in Angriff nehmen könnten. Bitte tun Sie es auch in diesem wichtigen rechtsstaatlichen Bereich! Sonst nehmen Sie Ihrer Zusammenarbeit das wesentlichste und durchschlagendste Argument.
({1})
Herr Kollege Güde hat hier in der Frage der unabhängigen Sachverständigen eine von seinem Vorredner etwas abweichende Meinung vertreten. Ich würde es bedauern, wenn hier aus seinen Ausführungen der Eindruck entstehen könnte, die FDP wolle Zweifel in die innere Unabhängigkeit von Beamten oder Soldaten setzen. Die innere Unabhängigkeit unterstellen wir für jeden Menschen in unserem Land, gleichviel, in welcher Form er in unserer Gesellschaft tätig ist. Aber das Problem, Herr Kollege Güde, liegt doch etwas anders. Das Bundesministerium der Verteidigung hat selbst in einem ganz konkreten Fall gezeigt, daß auch die politische Führung des Hauses das Problem so sieht wie wir. Sie wissen, daß im Spiegel-Verfahren einmal zwei Angehörige des Verteidigungsministeriums in einer ganz speziellen Frage dieses Verfahrens unterschiedliche Gutachten erstattet hatten. Daraufhin sollte ein drittes Gutachten eines dritten Bediensteten des Bundesverteidigungsministeriums eingeholt werden. Der Minister hat darauf nach meiner Auffassung zu Recht gesagt, er könne nun ein drittes, nahezu schiedsrichterliches Gutachten zu zwei anderen Gutachten aus seinem Hause auf Grund der Fürsorgepflicht, die er gegenüber seinen Beamten und Soldaten habe, nicht mehr zulassen. Was er da mit Recht gesagt hat - Fürsorgepflicht -, zeigt doch, daß er tatsächlich der Meinung war, daß die Stellung der einzelnen Gutachter in seinem Hause zueinander und zur politischen Führung des Ministeriums am Ende doch zu einer Tangierung ihrer inneren Unabhängigkeit führen könnte oder mindestens, wie der Kollege Busse sagte, nach außen einen solchen Anschein erwecken kann. Davor wollen wir, wenn wir die Frage nach einer Neuregelung dieser Gutachtertätigkeit stellen, die Soldaten und Beamten gerade bewahren. Das hat mit Mißtrauen überhaupt nichts zu tun.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Güde?
Bitte schön!
Herr Kollege Genscher, sehen Sie den Unterschied zwischen der
Frage der Aussagegenehmigung, die natürlich jeder Beamte und Offizier braucht, und der anderen Frage, ob jemand als Sachverständiger unabhängig ist, wenn ihm die Aussagegenehmigung erteilt ist? Sehen Sie diese Unterscheidung? Stimmen Sie mir darin zu, daß der Betreffende, wenn ihm die Aussagegenehmigung erteilt ist, ein nur nach seinem Wissen und Gewissen aussagender Sachverständiger sein muß? Das sind zwei Probleme.
Genscher ({0}) : Herr Kollege, das muß er sein. Aber der Bundesminister der Verteidigung hatte, als er meiner Ansicht nach zu Recht - ich sage es noch einmal - unter Hinweis auf seine Fürsorgepflicht hier nein gesagt hat, doch im Auge, daß trotzdem Probleme für den Betreffenden entstehen könnten, vor denen er ihn bewahren wollte. Genau das ist unser Anliegen. Es sei denn, Sie rügen hier die Haltung des Bundesministers der Verteidigung. Wir, wie gesagt, wollen das nicht tun.
Deshalb haben wir die Frage an die Bundesregierung, welche Möglichkeiten sie sieht, um für den Bereich der Staatsschutzverfahren unabhängige Sachverständige und unabhängige Gutachter zu finden. Man sollte wirklich einmal die Möglichkeit einer dafür zu schaffenden Stelle in Erwägung ziehen, denn wir alle müssen doch ein Interesse daran haben, daß wir jeden Anschein von Mißtrauen gegen die Durchführung eines solchen Verfahrens, gegen die Objektivität von Sachverständigen, von Gutachtern beseitigen. Das war das Ziel unserer Anfrage.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am
Schluß noch einmal das politische Problem einer solchen Debatte aufgreifen, die mir typisch zu sein scheint für die Behandlung mancher politischer Probleme, die am Ende dazu führen, daß ein gewisses Mißtrauen, ein gewisses Unbehagen draußen gegenüber unserer Arbeitsweise vorhanden ist. Ich frage noch einmal: Wie wollen wir es in der Öffentlichkeit vertreten, wenn wir alle in den Grundsätzen übereinstimmend der Meinung sind, daß unsere rechtsstaatliche Ordnung in drei wichtigen Fragen reformbedürftig ist, gleichwohl aber sagen: das muß demnächst geschehen, da müssen erst diese Sachen geschehen, da müssen wir noch Beratungen anstellen? Der Bürger erwartet, daß gehandelt wird, und wir bitten die Bundesregierung, auf der Grundlage der sachlichen Übereinstimmung durch die Vorlage eines Gesetzentwurfs zu handeln, damit die Gesetzgebungsorgane unseres Staates darüber beschließen können. Wir sollten uns nicht mehr nur im Gleichklang zusammenfinden, ohne danach zu fragen, was auf Grund des Gleichklanges in der gesetzgeberischen Praxis geschieht.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat ganz offensichtlich Einigkeit in entscheidenden Punkten gebracht, einmal in den drei Sachfragen selbst und darin, daß sie beschleunigt gelöst werden müssen, .zum zweiten darin - so verstehe ich die bisherigen Erklärungen der FDP-Fraktion -, daß diese Probleme nicht mit der Verabschiedung der Achten Strafrechtsänderungsnovelle verbunden werden dürfen, weil dadurch unter Umständen eine Verzögerung in der Verabschiedung dieser Novelle eintreten könnte.
Weiter hat die Diskussion bisher eindeutig ergeben, daß es notwendig ist, auf die Länder einzuwirken und dafür zu sorgen, daß diese ihre abwartende und teilweise verzögerliche Haltung bald aufgeben. Alle drei Fraktionen, jede in ihrem Bereich, sind aufgerufen, mit den jeweiligen Landesjustizministern zu sprechen und dafür Sorge zu tragen, daß diese ihren Widerstand abbauen.
Herr Kollege Genscher hat indirekt den Vorwurf erhoben, daß das Parlament, obwohl es festgestellt habe, daß hier etwas geändert werden müsse, nicht handle und nicht handeln könne. Ich glaube, daß das nicht richtig ist. Man muß - ich sagte es schon - immer daran denken, daß Politik die Kunst des Möglichen ist. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut; das weiß gerade die FDP am allerbesten.
({0})
Ich meine also: wir haben das Problem erkannt, können es aber im Augenblick nicht wie die Feuerwehr lösen. Infolgedessen müssen wir mit Nachdruck dafür sorgen, daß die Entscheidung auf allen Ebenen fällt und die Zustimmung zur Lösung dieser Sachfragen gegeben wird.
Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus?
Bitte sehr, Frau Kollegin!
Herr Kollege Müller-Emmert, stimmen Sie mir darin zu, daß nach achtmonatiger Unterbrechung der Verhandlungen mit den Ländern wenigstens die Fortsetzung der Beratungen gegebenenfalls über andere Lösungsvorschläge dringend notwendig ist?
Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß wir auch weiterhin mit den Ländern reden müssen. Ich bin mit Ihnen ferner der Meinung, daß man parallel zu den bisherigen Beratungen im Strafrechtsausschuß von seiten des Justizministeriums Fühlung mit den Ländern aufnehmen und eine Entscheidung erreichen muß. Ich bin auch mit Ihnen der Meinung, daß man diese drei Probleme tunlichst noch im Laufe dieser Sitzungsperiode lösen sollte. Insofern haben Sie meine volle Unterstützung. Ich bin nur nicht der Meinung, daß man die Verabschiedung des politischen Strafrechts durch die Behandlung dieser drei Probleme in irgendeiner Weise behindern sollte. Ich meine auch - das darf ich abschließend noch einmal sagen -, daß es gut wäre, wenn sich die drei Fraktionen einigten, bei der Verabschiedung der Achten StrafrechtsändeDr. Müller-Emmert
rungsnovelle gemeinsam einen Entschließungsentwurf einzubringen, der von der Bundesregierung beschleunigtes Handeln fordert.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Herren Vorredner haben in ihren Ausführungen den Eindruck vermittelt und haben es auch zum Teil ausgesprochen, daß unter den Fraktionen dieses Hauses hinsichtlich der Einführung einer zweiten Instanz in allen Staatsschutzstrafsachen Einmütigkeit bestehe. Ich glaube auch, daß von keiner Seite ernsthafter Widerstand geleistet würde, wenn ein praktikabler Vorschlag käme. Ich möchte aber am Schluß doch noch einmal in Erinnerung rufen, daß die Sache nicht so einfach liegt, wie man am Ende der Debatte glauben könnte. Wer die Ausführungen des Herrn Bundesministers der Justiz aufmerksam verfolgt hat, hat das auch eindeutig gemerkt.
Es ist so, daß wir in einem rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren normalerweise zwei Instanzen für notwendig halten. In der Denkschrift des Herrn Bundesjustizministers Dehler wird ganz richtig darauf hingewiesen, daß wir unsere Gerichtsverfahren mit um so mehr Instanzen ausgestattet haben, je geringer die Kriminalität ist. Die kleine Kriminalität, die am Amtsgericht abgeurteilt wird, hat die Berufung und die Revision, die stärkere Kriminalität, die in erster Instanz vor die Strafkammern und vor die Schwurgerichte kommt, hat nur noch die Revision, und die schweren Staatsschutzdelikte, vor allem Hochverrat, Landesverrat, Verfassungsverrat, werden in einer Instanz ohne ein Rechtsmittel abgeurteilt.
Der Bundestag stand seinerzeit in einer Entschließung vom 11. Juli 1951 auf dem Standpunkt: Rechtsstaatliche Grundsätze erfordern, daß nicht ein und dasselbe Gericht im ersten und letzten Rechtszug entscheidet. Der damalige Bundesjustizminister Dr. Dehler dagegen erklärte in seiner Denkschrift - auch nicht zu Unrecht -, daß es einen zwingenden Grundsatz, in der rechtsstaatlichen Justiz immer mit zwei Instanzen zu arbeiten, nicht gebe. Er hat auch darauf hingewiesen, daß man an den Schutz der Bundesrepublik denken müsse, wenn man in zwei Instanzen die Bundesrepublik zwinge, vor den Gerichten der Länder in ihren eigenen Sachen, da, wo sie durch Hoch- und Landesverrat bedroht worden sei, Recht zu nehmen.
Von allen Vorschlägen, die zur Einführung einer zweiten Instanz in Staatsschutzstrafsachen gebracht worden sind, ist wohl nur der plausibel, die erste Instanz bei den Oberlandesgerichten einzuführen. Aber dann kommt es sehr entscheidend auf die Stellung an, die der Generalbundesanwalt in solchen Strafverfahren besitzt. Es genügt dann nicht, daß der Generalbundesanwalt allein das Recht hat, in einer _Revision vor dem Bundesgerichtshof die Sache zu vertreten, wenn es in der Entscheidung der Staatsanwälte der Länder liegt, ob sie Revision einlegen wollen. Der Generalbundesanwalt müßte das Recht haben, Revision gegen die Urteile der Oberlandesgerichte einzulegen. Aber das allein würde noch nicht genügen. Er müßte auch das Recht haben, dafür zu sorgen, daß es überhaupt in erster Instanz zu einer Anklage und zu einem Verfahren kommt. Darüber hinaus müßte ihm die Stellung eingeräumt werden, daß er bei der Ermittlung des Sachverhalts vor den Oberlandesgerichten entsprechend mitwirken kann.
Das allerdings ist eine Angelegenheit, die dieses Haus allein nicht erledigen kann. Das kann nur die Bundesregierung, insbesondere der Herr Bundesminister der Justiz, in Vereinbarungen mit den Ländern erreichen. Wir befinden uns hier auf einem Gebiet des Grundgesetzes, wo die Landesjustizhoheit berührt wird, wenn etwas Neues eingeführt werden soll. Hier hängt es davon ab, daß wir eine praktikable Lösung finden, die der Justizhoheit der Länder, aber auch dem Interesse des Bundes an einer entsprechenden Verfolgung der gegen die Sicherheit des Bundes und gegen das Grundgesetz gerichteten Verbrechen gerecht wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus?
Herr Kollege Schlee, darf ich auf Ihre Ausführungen über die Möglichkeiten des Generalbundesanwaltes zurückkommen, in Verfahren bei den Ländern einzugreifen. Ist es nicht heute schon so, daß er ein Evokationsrecht hat? Ist es nicht heute schon so, daß der Generalbundesanwalt darüber entscheidet, ob eine Sache bei einem Gericht eines Landes, beim Oberlandesgericht oder beim Bundesgerichtshof angeklagt werden soll und daß, wenn er die Sache an die Länder abgibt, das Gericht dieses Landes an diese Entscheidung des Generalbundesanwaltes gebunden ist und eine Eröffnung des Verfahrens nicht . mehr ablehnen kann? Vielleicht kann es nachher freisprechen. Aber zuerst muß es das Verfahren durchführen, wozu es sonst nirgends gezwungen ist.
Zweifellos ist es, Frau Kollegin, nach den gegenwärtigen Bestimmungen unserer Strafprozeßordnung und unseres Gerichtsverfassungsgesetzes so. Aber wenn wir ein neues Verfahren einführen, muß es so geordnet werden, daß diese Grundsätze sichergestellt werden.
Im übrigen darf ich noch auf folgendes hinweisen, Durch Vereinbarung der Länder müßte sichergestellt werden, daß nicht jedes Oberlandesgericht in erster Instanz zuständig sein kann. Das wäre der Sache nicht dienlich. Es müßte sich um wenige Oberlandesgerichte handeln, die mit entsprechend erfahrenen Senaten besetzt sind. Sie müßten dann für die erste Instanz zuständig sein. Das ist aber eine Sache, die nicht dieses Haus erzwingen kann. Eine solche Regelung müßten die Länder untereinander - und im Entgegenkommen gegenüber dem Bund - treffen.
({0})
'7806
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Dr. Dr. Heinemann, Bundesminister der Justiz, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Genscher, Ihr Hinweis darauf, daß ich allein auf der Regierungsbank sitze, erklärt sich sehr einfach daraus, daß mittwochs Kabinettsitzungen sind; alle anderen Mitglieder der Bundesregierung sind also in dem berühmten Kabinettsitzungssaal.
Ihre Frage, wie man es vor der Öffentlichkeit rechtfertigen wolle, daß trotz sachlicher Einmütigkeit in den hier behandelten Fragen nicht sofort ein Gesetz in Angriff genommen werde, beantwortet sich sehr einfach, aber auch völlig ausreichend dadurch, daß der zuständige Ausschuß des Bundestages das jetzt nicht schaffen kann. Wenn wir das einmütig der Öffentlichkeit sagen, wird sie Verständnis dafür haben.
({0})
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Damit ist die Aussprache über die Große Anfrage der FDP zum Strafverfahrensrecht beendet.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, bis zur Mittagspause keine )der großen Punkte der Tagesordnung mehr zu beginnen, insonderheit auch im Hinblick auf die Kabinettsitzung, sondern die vermutlich unstrittigen Punkte zu behandeln, nämlich von Punkt 9 an. - Einverstanden.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 160/66/ EWG ({0}) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ({1})
- Drucksache V/2004 Schriftlicher Bericht ides Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({2})
- Drucksache V/2504 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres ({3})
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen 'Bericht und rufe in zweiter Beratung die §§ 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Das Wort zur allgemeinen Aussprache wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, Iden bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine
Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmigangenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. November 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Uganda über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache V/2241 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft 'und Mittelstandsfragen ({4})
- Drucksachen V/2505, zu V/2505 -Berichterstatter: Abgeordneter Lenders ({5})
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht und rufe fin zweiter Beratung Art. 1,
2, 3, Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht begehrt. Wer Aden aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer 'dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. April 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Tschad über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache V/2283 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({6})
- Drucksache V/2506, zu V/2506 Berichterstatter: Abgeordneter Lenders ({7})
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht und rufe in zweiter Beratung Art. 1, 2,
3, Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Eine allgemeine Aussprache wird nicht begehrt. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. EntVizepräsident Dr. Jaeger
haltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf des pharmazeutischtechnischen Assistenten
- Drucksache V/2111 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen ({8})
- Drucksache V/2515 -Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Lösche ({9})
Ich danke der Berichterstatterin für ihren Schriftlichen Bericht und rufe in zweiter Beratung §§ 1 bis 13, Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache begehrt? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Innenausschusses ({10}) über den Antrag der Fraktion der SPD
betr. Bundeskriminalamt
- Drucksachen V/2350, V/2502 - Berichterstatter: Abgeordneter Hanz ({11})
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; ,einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses ({12}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rats zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden
- Drucksachen V/2359, V/2510 Berichterstatter: Abgeordneter Schmitt- Vokkenhausen
Ich nehme an, daß das Haus auf einen Mündlichen Bericht verzichtet, ebenso auf die Aussprache. - Das Haus nimmt damit die Verordnung zustimmend zur Kenntnis. - Widerspruch ist nicht erfolgt; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({13}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der EWG für
I. eine Richtlinie des Rats über die Einführung gemeinschaftlicher Probenahmeverfahren und Analysenmethoden für die amtliche Untersuchung von Futtermitteln ergänzt durch den neu vorzulegenden Entwurf eines Beschlusses des Rats über die Einsetzung eines Ständigen Futtermittelausschusses
II. a) einen Beschluß des Rats zur Einsetzung eines Ständigen Veterinärausschusses
b) eine Richtlinie des Rats zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim Handelsverkehr mit frischem Geflügelfleisch
c) eine Richtlinie des Rats zur Regelung gesundheitlicher und lebensmittelrechtlicher Fragen beim Handelsverkehr mit Fleischerzeugnissen
d) eine Richtlinie des Rats zur Regelung viehseuchenrechtlicher und gesundheitlicher Fragen bei der Einfuhr von Rindern und Schweinen und von frischem Fleisch aus Drittländern
III. a) einen Beschluß des Rats zur Einsetzung eines Ständigen Lebensmittelausschusses
b) eine Richtlinie des Rats zur Änderung der Richtlinie des Rats vom 5. November 1963 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für konservierende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen
die geänderten Vorschläge der Kommission
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für
c) eine Richtlinie des Rats zur Änderung der Richtlinie des Rats vom 23. Oktober 1962 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für färbende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen
d) eine Richtlinie des Rats zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Antioxydantien, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen
Vizepräsident Dr. Jaeger
e) eine Richtlinie des Rats zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Kakao und Schokolade
den Vorschlag der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für
f) eine Richtlinie des Rats über Konfitüren, Marmeladen, Gelees und Maronenkrem
- Drucksachen V/1893, V/2514 - Berichterstatter: Abgeordneter Marquardt
Ich danke dem Abgeordneten Marquardt für seinen Schriftlichen Bericht und frage, ob zu dem Antrag des Ausschusses das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, unterbreche ich die Sitzung bis 15 Uhr.
({14})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ehe wir in der Tagesordnung fortfahren, habe ich die Freude, eine Delegation des Kongresses von Guatemala hier zu begrüßen.
({0})
In Vertretung des erkrankten Präsidenten des Kongresses von Guatemala, der ursprünglich diese Delegation selber führen wollte, dann aber leicht verunglückt ist, begrüße ich als Leiter der Delegation den Vizepräsidenten und gegenwärtigen amtierenden Präsidenten, Herrn Dr. Ramirez,
({1})
sowie Herrn Lic. Herrera, Herrn Professor Cojulun und Herrn Lic. Aguirre. Sie sind uns herzlich willkommen, meine Herren, hier in diesem Hause und in Deutschland überhaupt.
({2})
Dann fahren wir in der Tagesordnung fort. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD
betr. Wissenschaftsförderung und Wissen-schaftsplanung
- Drucksache V/2132, Fragen 4 bis 7 -
b) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Schwerpunktaufgaben in Wissenschaft und Forschung
- Drucksache V/2476, Fragen 1 bis 3 und 5 Ich unterstelle, da diese Sache noch in der alten Ordnung gemacht werden muß, d. h., daß zunächst die beiden Anfragen hintereinander begründet werden, daß dann der zuständige Bundesminister die
beiden Anfragen beantwortet und danach in die verbundene Debatte bzw. Aussprache eingetreten werden kann. - Das Haus ist einverstanden.
Zunächst zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns leider daran gewöhnen müssen, daß wir für Wissenschaftsdebatten nur dann Echo und Resonanz in der Öffentlichkeit finden, wenn sie nicht nur mit sachbezogenen, nüchtern aneinandergereihten Argumenten geführt werden, sondern wenn sie auf dem Hintergrund der Unruhe, des Unbehagens, des Unmuts geführt werden, der in vielen Kreisen unserer Bevölkerung, bei Studenten, bei Wissenschaftlern, bei Eltern, gegenüber dem vorhanden 'ist, was als mangelhaftes Ergebnis der Kulturpolitik der letzten Jahre in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet wird.
Die Motive für diese Unruhe, dieses Unbehagen, diesen Unmut gehen natürlich nicht nur auf kulturpolitische Kriterien zurück. Sie sind vielfältiger Natur. Wir können sie heute zu Beginn unserer Untersuchung über präzise gestellte Fragen auch nicht weiter analysieren. Wir werden einen Teil davon vielleicht in den Griff bekommen, wenn wir am Freitag über die Fragen sprechen, die dazu in der Fragestunde vorliegen, und wenn wir die Große Anfrage besprechen werden, die uns in den nächsten Wochen noch ins Haus steht.
Aber es muß uns klar sein, daß ein Teil der Motivationen für diese Unruhen eben in dem Unbehagen an dem Verlauf und an den tatsächlichen Ergebnissen der Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Länder und Bund zusammengenommen, liegt. Wie groß er ist, wissen wir heute noch nicht. Vielleicht werden wir es eines Tages schmerzlich erfahren. Viele empfinden einfach, daß hier etwas nicht in Ordnung ist, nicht stimmt, nicht befriedigend funktioniert. Es sieht auch nicht so aus, als könnten wir Antworten geben, die darauf rechnen lassen, daß hier in absehbarer Zeit wieder Ruhe eintritt, daß wir überzeugende Lösungen gegenüber der mehr oder weniger radikal geäußerten Kritik anbieten könnten.
Was ist in der Kulturpolitik wirklich nicht in Ordnung, was kann getan werden, was muß dringend verbessert werden? Das sind die Fragen, vor denen wir im großen gesehen jetzt immer stehen. Was muß verbessert werden im Interesse der Menschen, was muß verbessert werden im Interesse unseres Staates und seiner Ordnung, seiner von der Verfassung vorgegebenen föderativen, also bundesstaatlichen Ordnung?
Ich habe jetzt ein paarmal, ohne daß das auf Erstaunen gestoßen ist, das Wort Kulturpolitik gebraucht. Das habe ich ganz bewußt getan. Die Frage ist: Darf das ein Mitglied des Bundestages überhaupt tun in einer solchen Debatte, die sich mit Wissenschaftsplanung und Schwerpunktbildung beschäftigt? Wir haben da einige unangenehme Erfahrungen gemacht. Es gibt Partner, die uns in dieRaffert
sem Felde begegnen, denen es gar nicht gefällt, daß wir über diese Dinge hier sprechen.
({0})
- Sie sagen, Frau Kollegin, die gibt es nicht mehr. Ich hoffe, Sie haben recht.
({1})
- Daß sie weniger werden, kann ich eigentlich auch nicht feststellen. Ich erinnere mich, in den letzten Tagen den Artikel eines früheren Mitgliedes dieses Hauses gelesen zu haben, das jetzt auf der anderen Seite sitzt. Der Kultusminister von Baden-Württemberg schreibt da, wir Bundestagsabgeordneten seien dazu weder von der Sache her berechtigt noch von der Qualität her kompetent.
({2})
- Wahrscheinlich, Herr Kollege Lohmar. Dann hätte er von Ihren Einsichten und denen der anderen Kollegen, die in diesem Felde hier arbeiten, mehr übernehmen oder lernen können. Das hätte ihm wahrscheinlich gar nicht schlecht getan.
Aber ich will nicht bei persönlichen Querelen und persönlichen Auseinandersetzungen bleiben, wenn ich über diese Fragen spreche. Ich kann mich einfach áuf den Bundesbericht Forschung II berufen, wenn ich den Begriff Kulturpolitik auch in eine solche Debatte des Bundestages einführe. Da heißt es in einem Satz: „Forschungspolitik ist hier und in anderen Industrieländern auf das engste mit der Bildungspolitik verbunden." Beides muß man zusammen sehen. Das sagt also der Bundesforschungsbericht, der eher zurückhaltend mit seinen Ansprüchen an die Kooperationsbereitschaft der Länder ist. Wir müssen diese Dinge einfach in diesem Zusammenhang sehen, auch wenn unsere Anfrage die Überschrift trägt: „Betrifft: Wissenschaftsförderung und Wissenschaftsplanung". Von uns Abgeordneten des Bundestages - das kann nicht oft genug, nicht deutlich genug und nicht genug in die richtige Richtung gesagt werden - wird einfach verlangt, daß wir zu diesen Dingen etwas sagen. Wenn wir das nicht täten, würden wir uns selber unglaubwürdig machen. Es wäre allerdings genauso verkehrt, wenn wir in das Spiel einträten, den Schwarzen Peter zwischen Bund und Ländern hin- und herzuschieben. Das kann niemand wollen. Das ist nicht die Absicht.
Es ist auch nicht so - das zeigen unsere Anfragen und das werden unsere Reden heute wahrscheinlich noch deutlicher machen -, daß wir glauben, der Bund habe alles getan, bei ihm sei alles in Ordnung. Das will und kann ich nicht behaupten. Aber wir müssen hier gegenüber den Ländern mit einem gewissen Anspruch auftreten; nicht etwa als Bittsteller, sondern der Bundestag muß fordern können, daß die Länder einen Föderalismus praktizieren, wie er notwendig ist, nämlich einen wirklich kooperativen Föderalismus. Wie schwer das ist, das haben wir wieder an einigen Einzelheiten bei den Verhandlungen über das Abkommen über die gemeinsame Finanzierung des Ausbaues der wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland gemerkt, das, wie ich zu meiner Freude höre, morgen endlich unterzeichnet werden kann. Man führe sich nur den Streit vor Augen, der bei solchen Verhandlungen etwa um die Frage entstanden ist, was eine Hochschule sei, das, was der Bund in einen Katalog setzt, oder das, was die Länder dazu erklären. Wenn man dann noch daran denkt, wie lange der Streit über solche Fragen geht, dann kann man sich ungefähr das Niveau vorstellen, auf dem diese Dinge behandelt werden. Das ist keine Form der Behandlung, mit der man Vertrauen erwecken kann.
Es könnte eine ganze Reihe solcher Beispiele angeführt werden, die zeigen, daß offensichtlich auf beiden Seiten, wie ich ausdrücklich sagen möchte, noch nicht klar begriffen ist, was man angesichts der auch jetzt schon gegebenen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten tun kann: Die 200 Millionen DM z. B., die der Bund im zweiten Konjunkturhaushalt für den Hochschulbau angeboten hatte, sind von den Ländern nicht angenommen worden aus Gründen, die vielfältiger Natur sein mögen, die aber ganz sicher denen, die diese Situation interessiert beobachten - und wir haben auf diesem Feld viele interessierte und intelligente Beobachter -, nicht einleuchten.
Ich will die Reihe der negativen Beispiele abschließen. Es wäre zu unerfreulich, sie fortzusetzen. Diese Beispiele gehören aber zu den zahlreichen Beweisen für die Tatsache, daß es einfach noch nicht gelungen ist, die Wissenschafts- und Bildungspolitik bei uns richtig zu organisieren.
Wir können auch noch nicht genau beschreiben - niemand hat das bisher getan, und das hat sich in der Praxis sehr negativ ausgewirkt -, wo eigentlich der Platz der Wissenschaftspolitik in dem Dreieck ist, das aus der Bundesrepublik, Deutschland als Ganzem und Europa zu bilden ist. Wir bemühen uns, eine beweglichere, offenere Deutschlandpolitik, eine zielgerichtetere und ebenfalls beweglichere und offenere Außenpolitik zu machen, aber wir haben große Schwierigkeiten, dabei einzuordnen, was wissenschaftspolitisch notwendig ist. Das ist noch nicht gelungen. Wenn man diese richtige Einordnung will, dann ist Voraussetzung dafür, daß im eigenen Haus Klarheit über diese Dinge besteht.
Dahin zielen unsere beiden ersten Fragen bzw. die Fragen 4 und 5 in Drucksache V/2132: die Frage, welches Planungssystem die Bundesregierung zur Erzielung eines effektiveren Verhältnisses zwischen Bund und Ländern im Sinne eines Miteinander-Handelns vorschlägt, und die Frage nach der wissenschaftlichen Politik-Beratung. Zu der ersten Frage nimmt der Bundesforschungsbericht II an verschiedenen Stellen und auf verschiedene Weise Stellung. Einmal heißt es da, ein solches Planungssystem müsse bestehen, damit „allmählich ein Gesamtplan entwickelt" werden könne. An einer anderen Stelle steht, dieses Planungssystem solle helfen, „gemeinsame Förderungsziele für Bund, Länder, Wirtschaft und Gemeinden zu formulieren". Das soll also die Aufgabe eines solchen Planungssystems sein - ein bißchen wenig! Ein anderes Zitat: Planung sei „nicht
als doktrinärer oder statischer Begriff, sondern als
dynamischer Prozeß zu verstehen." Das ist richtig,
aber diese Aussage reicht eben einfach nicht aus.
Wenn man in diesem Bereich zu zurückhaltend ist, dann fordert man Anträge wie den der FDP, der unter Punkt 4 der heutigen Tagesordnung zu behandeln ist, geradezu heraus,
({3})
dann fordert man heraus, daß solche Versuche gemacht werden, auch wenn sie keine Aussicht auf Realisierung haben;
({4})
denn der Bundestag allein ist für diese Entscheidung nicht zuständig.
({5})
- Ich habe. gesagt: Sie haben sie gestellt, und Sie sind - das kann ich verstehen - dazu provoziert worden. Deswegen meine ich aber nicht, daß sie - aus verfassungsrechtlichen Gründen - realisierbar sind. Meine Sympathie und die Sympathie vieler meiner Freunde liegt in dieser Richtung. Es wird darauf abgezielt, die Bildungsplanung und die übrige Wissenschaftsförderung in die Rahmengesetzgebung des Bundes einzubeziehen.
Aber ich sagte schon, daß es sehr schwierig sein wird, dabei die Verfassung zu manipulieren, vor allen Dingen allein in diesem Bereich. Man muß das im Zusammenhang mit der Diskussion über die Gemeinschaftsaufgaben sehen, die ja bei der Vorbereitung der großen Finanzreform läuft. Bisher kann man nur erkennen, daß die gemeinsame Förderung des Hochschulbaus einbegriffen werden soll. Das allein, meine Damen und Herren, macht den Kohl nicht fett, wenn ich das einmal so vulgär sagen darf. Es schafft aber unterschiedliche Rechtsverhältnisse in den verschiedenen Feldern der kultur- und der wissenschaftspolitischen Beziehungen zwischen Bund und Ländern.
In diesen Katalog der Gemeinschaftsaufgaben gehören nach der Auffassung unserer Fraktion eben auch die Wissenschaftsförderung, die Ausbildungsförderung, die Studienförderung und die Bildungsplanung. Das gehört zusammen. Es dürfte der Bundesregierung nicht verwehrt sein, so etwas auch selber einmal deutlich auszusprechen. Sie sollte es
auf die Dauer nicht dem Bundestag überlassen. Dazu gehören natürlich auch gewisse Vorleistungen. Wenn man Ansprüche an Partner stellt, muß man einiges bei sich selbst in Ordnung bringen.
Nach wie vor besteht die Forderung der Sozialdemokraten, daß die Kompetenzen, die der Bund in diesem Bereich hat - Wissenschaftspolitik, Ausbildungsförderung, Studienförderung -, in einem Hause zusammengefaßt werden. Ich unterstreiche ganz deutlich, daß dies nach wie vor verlangt werden muß. Es zeigt sich also, daß unsere Frage nach dem Planungssystem nicht nur mit Fragen nach Methoden und technischen Systemen zu tun hat.
Die Behandlung der Frage nach dem System der Politikberatung durch die Wissenschaft kann auch nicht nur schlicht im Technischen stehenbleiben. Hier ist nicht danach gefragt worden, wieviel Beiräte bestehen und ob sie - jeweils für sich betrachtet -- etwas geleistet haben, sondern es ist danach gefragt . worden, wie man auswerten kann, was die Beiräte zusammentragen, und ob man die politische Entcheidung fällen will, die nötig ist, um unsere Administration, aber auch unser politisches Führungssystem, den Notwendigkeiten der modernen Gesellschaft anzupassen und sich von eingefahrenen hierarchischen Vorstellungen, die jahrzehntelang richtig gewesen sein mögen, abzukehren.
Ich erinnere mich noch, daß wir fast auf den Tag genau vor zwei Jahren - es kann auch zwei oder drei Tage vorher oder nachher gewesen sein - im 5. Deutschen Bundestag die erste Wissenschaftsdebatte hatten. Damals hatten wir ein so simple Forderung wie die nach einer „Clearing- Stelle" bei der Bundesregierung gestellt, wo all das zusammengetragen, durchgefächert, ausgewertet, wieder verteilt oder zumindest registriert werden müßte, was aus vielen Beiräten herauskommt. Eine solche Stelle haben wir heute noch nicht. Auch der neue Beirat beim Wissenschaftsministerium kann und soll dafür wohl auch kein Ersatz sein.
Die dritte Frage, die Frage Nr. 6 unserer Großen Anfrage, zielt auf den Ort ab, den unsere Wissenschafts- und Bildungspolitik in der Deutschlandpolitik haben muß. Wir haben uns schon immer gefragt, ob wir wirklich genug über das wissen, was in der DDR in diesen Feldern vor sich geht, in denen der Wettbewerb zwischen zwei unterchiedlichen Gesellschaftssystemen ausgetragen wird, die ein wesentlicher Teil des Instrumentariums sind, das beide Seiten in diesen Wettbewerb einzubringen haben, aber auch ein entscheidender Teil eines Prozesses, der darüber entscheidet, ob die Menschen in beiden Teilen Deutschlands sich aufeinander zu entwickeln oder ob die Entwicklung auseinanderstrebt. Die Aussagen, die über diesen wichtigen Bereich und über das, was in der DDR auf diesem Gebiet geschieht, z. B. im Bildungsplanungsbericht der Bundesregierung und der Länder gemacht werden, reichen einfach nicht aus. Wir sind interessiert zu hören, was die Bundesregierung jetzt an eigenen Aktivitäten in diesem Felde anzubieten hat.
Die Nr. 7 unserer jetzigen Anfrage schließlich zielt auf die kooperative Einordnung in den europäischen Rahmen. Auch hier geht es nicht einfach darum, daß bestimmte schon bestehende Zusammenschlüsse noch einmal zusammengeschlossen werden, daß vielleicht hier oder da eine Dachorganisation oder höhere Bürokratie gebildet wird, sondern es geht um wirksamere Zusammenarbeit. Wirksamere Zusammenarbeit erfordert einmal eigene Leistungsfähigkeit und zum anderen gemeinsame Konzepte. Vor allem aber macht sie effektive Vollzugsorgane erforderlich. Die schönste Dachorganisation nützt allerdings nichts, wenn man z. B. bei der gemeinsamen Planung und Leitung großer Wissenschaftsprojekte - ein Einzelprojekt geht manchmal in Hunderte von Millionen - mit dem Problem des Managements, nämlich der Projektleitung, nur in unzurechendem Maße fertig wird. Das Beispiel der
Europarakete ist viel zu schön - es ist symbolisch für diese Entwicklung - und viel zu überzeugend, als daß man seine Erwähnung unterdrücken könnte. Man kann es auch auf unsere letzten Wissenschaftsdebatten anwenden. Vor zwei Jahren haben wir versucht, die erste Stufe zu zünden. Im letzten Jahr ist es ein bißchen in Gang gekommen. Ob wir jetzt eine zweite oder dritte Stufe mit dieser Debatte zünden können, müssen wir einmal abwarten.
({6})
Das werden wir sehen aus der Antwort der Regierung, aus dem Verlauf der Debatte und aus den praktischen Konsequenzen, die daraus gezogen werden. Es ist ja nicht so - den Eindruck möchte ich nicht erweckt haben -, daß nichts geschehen wäre. Wir haben im vergangenen Jahr die mittelfristige Finanzplanung erstellt, in der deutlich wird, wie sehr viel stärker das Ansteigen des Wissenschaftsetats in unserem Gesamtbudget sein wird als das erwartete Ansteigen des Gesamtbudgets überhaupt. Das ist eine gute Sache. Es ist nur die Frage: Können die Länder da mitziehen? Im Augenblick würde sie wahrscheinlich negativ beantwortet werden. Wir haben dem vom Wissenschaftsrat geschaffenen Begriff der Sonderforschungsbereiche übernommen - schön ist er nicht, aber er zeigt gleichwohl, worum es geht -- und unter diesem Begriff auch nicht unbedeutende Haushaltstitel etatisiert. Auf dieses Gebiet zielen ja auch Fragen der CDU/CSU, die die Schwerpunktbildung betreffen, wo es wirklich darauf ankommen wird, ob der eine oder andere der beteiligten Partner bereit ist, wirklich zu kooperieren. Hier kommt es auf die Mitwirkung der Wissenschaftsorganisationen und der Hochschulen der Länder an. Vor gut einem Jahr, im Januar 1967, haben wir die Bundesregierung aufgefordert, das Bundeswirtschaftsministerium in stärkerem Maße in den Stand zu setzen, die staatliche Wissenschaftspolitik mit der technologischen Entwicklung abzustimmen und zu koordinieren. Es wäre interessant, zu wissen, ob das Instrumentarium, das dazu bisher zur Verfügung steht, ausreicht. Es bestehen berechtigte Gründe, daran zu zweifeln.
Im vorigen Jahr haben wir eine ganze Reihe fortgeschriebener oder neuer Programme im Bereich der Wissenschaftsförderung bekommen: das Weltraumprogramm, das dritte Atomprogramm, die programmatischen Äußerungen zur Datenverarbeitung und ihrer Förderung. Auch dazu gibt es eine ganze Reihe von Fragen zu stellen. Sind im Zusammenhang mit dem Weltraumprogramm die Fragen des Managements auf unserer Seite wirklich schon geklärt? Funktioniert die internationale Organisation beim Atomprogramm? Funktioniert die überregionale Zusammenarbeit in ausreichendem Maße bei der Datenverarbeitung? Denken wir nur an den Bereich der Großrechenzentren. Können hier die Länder wirklich mitziehen? Sind sie dazu finanziell in der Lage? Kann den Ländern auch dazu bei der großen Finanzreform ausreichend geholfen werden?
Es gibt also eine ganze Reihe von anerkennenswerten Leistungen der Regierung, die auch die anfragende und die Regierung mittragende Fraktion anerkennt. Aber unsere vier Punkte, so speziell sie im einzelnen erscheinen mögen, zielen auf das Gesamtsystem, sie zielen darauf, ob dieses System funktionabel ist, ja, sie zielen darauf, daß überprüft werden muß, ob dieses System so, wie wir es vor uns haben, noch sinnvoll ist. Ich habe mich in diesem Punkte bewußt etwas abstrakt ausgedrückt, nicht um Interpretationskünsten freien Raum zu lassen, sondern um einen Spielraum dafür zu lassen, was man aus diesem System und mit diesem System machen kann und wird. Wenn es nicht gelingt, das bald in Ordnung zu bringen, wenn wir das nicht schaffen, wenn wir keine Antworten auf die darin liegenden Fragen nach unserer politischen und gesellschaftlichen Ordnung geben können, versäumen wir etwas, was für ihren Bestand von entscheidender Bedeutung ist. Und wir tun, wenn wir diese Antworten geben können, etwas, ich glaube, wir tun sogar sehr viel dafür, daß viele Staatsbürger, besonders junge und vor allem auch zu positivem politischem Engagement bereite Staatsbürger, leichter in der Lage sind, ihr Verhältnis zu diesem Staat wieder in Ordnung zu bringen und auch mit unserem Gesellschaftssystem wieder ins reine zu kommen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Sie haben die Begründung der Großen Anfrage der SPD-Fraktion gehört. Ich frage: Wird die Große Anfrage der CDU/CSU begründet? - Herr Abgeordneter Dichgans, bitte sehr!
Herr Präsident! Herr Wissenschaftsminister! Herr Kultusminister! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Fragen liegen Ihnen vor; ich möchte sie hier nicht wiederholen; ich möchte auch die Antworten nicht vorwegnehmen, sondern ich möchte sie nur in einen größeren politischen Zusammenhang stellen und an das anknüpfen, mit dem Kollege Raffert gerade geschlossen hat: den politischen Gesamtzusammenhang.
Politik ist notwendigerweise eine Einheit. Bevor wir Zielvorstellungen für Bildungs- und Forschungspolitik entwickeln können, müssen wir zunächst einmal Zielvorstellungen allgemein-politischer Art entwickeln. Alles hängt von allem ab. Wie wir im Jahre 1980 forschen können, hängt z. B. davon ab, ob wir die Lehrer ausbilden, die die künftigen Forscher unterrichten. Wir brauchen also Zielvorstellungen für 1980. Wie soll unsere Gesellschaft 1980 aussehen? Wir brauchen sicher kein komplettes Programm, das wäre heute nicht nur unmöglich, sondern verantwortungslos, aber wir brauchen doch Zielvorstellungen, die wir anvisieren können. Wir müssen mit der Erkenntnis beginnen, daß wir nicht alles haben können. Wir haben notwendigerweise die höchsten Soziallasten der Welt: eine Folge des Krieges; das ist durchaus in Ordnung; wir haben einen imponierenden Straßenbau, wir haben einen
sehr .großzügigen Wohnungsbau, wir haben die meisten Theater der Welt und auch die luxuriösesten.
({0})
Wir haben ein großes Schulprogramm, ein Raumfahrtprogramm.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! - Diese Frage, Herr Abgeordneter Moersch, soll nicht etwa eine Infragestellung des ehrbaren bedeutenden Schauspielers, den ich jedenfalls sehr schätze, beinhalten. Damit hier aus dem Gelächter keine falschen Schlüsse gezogen werden, sage ich das.
Herr Präsidënt! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns darüber klar sein, daß sich die Steuern nicht beliebig erhöhen lassen. Erhöhungen über eine bestimmte Grenze, wie wir hier mehrfach diskutiert haben, führen-einen Lähmungseffekt herbei, und es ist die Frage, ob wir diese Grenze nicht bereits erreicht haben. Zu diesen Überlegungen pflegt man zu sagen: Wir müssen Prioritäten schaffen. Das nützt aber gar nichts, wir machen nämlich die Erfahrung, daß diese Listen der Prioritäten mit dem geheimen Vorbehalt angenommen werden, die übrigen Sachen trotzdem nebenbei zu betreiben. Wir sehen das z. B. bei den Flughäfen sehr deutlich. Wir haben gerade von der Bundesregierung erfahren, daß man vier Flughäfen Priorität geben will; aber alle anderen Flughäfen werden ebenso ausgebaut, auch mit Steuermitteln, allerdings mit anderen Steuermitteln. Meine Damen und Herren, was wir brauchen sind nicht Prioritäten, sondern Posterioritäten, nämlich eine mutige Entscheidung darüber, was wir zurückstellen müssen. Das ist nicht nur sachlich notwendig, sondern auch politisch notwendig. Ich bin überzeugt, daß die Öffentlichkeit uns das sehr gut abnimmt, wenn wir sagen, daß wir uns im Rahmen eines Gesamtprogramms gewisse Dinge nicht leisten können.
Die Fragen, um die es sich hier handelt, 'betreffen weder den Wissenschaftsminister noch die Konferenz der Kultusminister. Sie betreffen vielmehr die nächsthöhere Ebene, die Bundesrepublik als Ganzes. Und es müssen Entscheidungen im Rahmen des Föderalismus sein, d. h. Entscheidungen, an denen die Bundesregierung ebenso beteiligt ist wie die Länder, d. h. die Ministerpräsidenten der Länder. Ich möchte hier keine neuen Institutionen vorschlagen. Ich halte es aber für notwendig, daß Bundesregierung und Ministerpräsidenten zunächst an einem runden Tisch zusammenkommen, um einmal diese politischen Gesamtvorstellungen bis 1980 zu fixieren. Instrumente sind genug vorhanden. Aus meiner Wirtschaftserfahrung kann ich die Beobachtung beitragen, daß das Ergebnis solcher Besprechungen viel weniger von den Institutionen als von den Persönlichkeiten und dem Willen zur Zusammenarbeit abhängt. Erst dann, wenn wir auf der höchsten politischen Ebene uns darüber klar sind, was wir bis 1980 wollen, welche Forderungen wir an die Bildungs- und Forschungspolitik vom Standpunkt der Gesamtpolitik aus richten und welche Mittel wir für diesen Sektor zur Verfügung stellen, erst dann kommt die nächste Ebene ins Spiel.
Das -ist die Ebene des Wissenschaftsministers und der Konferenz der Kultusminister. Auch hier brauchen wir wieder einheitliche Vorstellungen, aufeinander abgestimmt, z. B.: Wie viele Schüler 'in welchen Schulen? Welche Forschung? Für die Fachfragen haben wir zahllose Experten, Experten für Volksschulen, für Gymnasien, für Kernforschung, für Raumfahrt. Jedes Ministerium, das etwas auf 'sich hält, hat sein eigenes Expertengremium. Sie haben alle eine sehr nützliche Arbeit geleistet. Aber vom Standpunkt der Politik aus geht es zunächst einmal um die Koordinierung der Experten. Man sollte sie zwingen, das, was sie fordern, in Gegenwart aller übrigen Experten zu sagen, weil ja der Kuchen, das Geld, nur einmal zur Verfügung steht.
Darüber hinaus brauchen wir ein politisches Dach oberhalb aller Experten, ein chapeau, wie unsere französischen Freunde sagen, ,ein Dach im föderalistischen System. Das ist ein zweiter runder Tisch, ein runder Tisch, an dem sowohl der Wissenschaftsminister und der Bundesinnenminister als auch die Kultusminister der Länder sitzen. Ich möchte wiederum nichts zur Organisationsfrage sagen. Ich möchte nur auf die Aufgaben hinweisen. Es sind schwere Aufgaben, z. B. auch die Aufgabe, wie wir uns bei einer Konkurrenz zwischen Ausbildung und Forschung entscheiden, eine Konkurrenz, die durchaus auftreten kann. Haben wir das Geld, alle unsere jungen Mitbürger so vorzubilden, daß sie für die Aufgaben von 1980 genügend ausgebildet sind? Wie bekämpfen wir die Gefahr, daß wir auch noch im Jahre 1980 einen beträchtlichen Teil unseres technischen Fortschritts auf kostspieligen Lizenzen aus den Vereinigten Staaten aufbauen müssen? Soviel zu dem allgemeinen politischen Zusammenhang.
Nun drei politische Bemerkungen zum Thema Forschung. Da ist zunächst das Problem der Flexibilität. Die Entwicklung der Forschung bringt es mit sich, daß die Wichtigkeit der Fragestellungen sich heute sehr rasch ändern kann. Wir haben Fälle, in denen eine Fragestellung, für die wir vor fünf Jahren noch ein kostspieliges Institut gebaut haben, heute bedeutungslos geworden ist. Für die Politik ergibt das: Wir müssen alle Fragestellungen unserer Forschung in kurzen Zeiträumen, etwa in drei Jahren, überprüfen. In der Theorie hört sich das sehr einfach an. Aber in der Praxis ist es ungemein schwierig; denn Fragestellungen bedeuten in unserer technisierten Welt, wie gesagt, sehr oft Institute, Investitionen, lebenslängliche Verträge.
Wir sehen das z. B. auch im Bereiche der MaxPlanck- Gesellschaft. Sie wissen, daß ursprünglich die Idee der Max-Planck-Gesellschaft dahin ging, daß man Institute für einen bestimmten Forscher, für dessen spezielle Fragestellung bauen wollte. Aber inzwischen sind wir längst dazu gekommen, daß jeweils, wenn der Leiter eines solchen Instituts ausfällt, ein Nachfolger bestellt wird.
Meine Damen und Herren, wir müssen aber, glaube ich, der Notwendigkeit ins Auge sehen - einfach deshalb, weil unsere Mittel beschränkt sind -, daß wir auch bei den Instituten immer wieder fragen müssen, ob ihre Fragestellungen heute noch die richtigen sind. Das ergibt sich auch bei den Universitäten. Sie wissen, daß es Fakultäten gibt, die heute kaum noch Studenten haben. Wir müssen uns die Frage vorlegen, ob wir das alles beliebig lange unverändert durchhalten sollten.
Da wir bei diesen heiklen Themen sind: Das bezieht sich natürlich auch auf die Institute des Bundes. Ich erwähne als Beispiel das Bundesgesundheitsamt, eine altehrwürdige Institution mit altehrwürdigen Fragestellungen. Ist das, was dort getrieben wird, auch heute noch die optimale Lösung?
Nun einige Worte zum Verhältnis zwischen Forschung und Lehre. Haben Sie keine Angst; ich werde hier nicht die Philosophie dieses Themas behandeln. Ich möchte nur zu überlegen geben, ob wir nicht den Zusammenhang zwischen Forschung und Lehre auf der einen Seite verstärken und auf der anderen Seite lockern müssen. Verstärken: Wir haben, wie Sie alle wissen, einigen Ärger mit unseren Universitäten. Aber im ganzen sind unsere Universitäten doch eine großartige Sache, auch unsere Universitätsprofessoren. Es herrscht an diesen Universitäten ein sehr lebendiges und sehr anregendes Klima. Deshalb erscheint es mir notwendig, daß wir auch die Forschung stärker an die Universitäten binden als bisher.
({0})
Wir sollten bei allen neuen Instituten sofort institutionell dafür sorgen, daß eine persönliche Beziehung zwischen diesen Instituten und einer Universität hergestellt wird. Die Berührung mit der Jugend, selbst mit der unruhigen Jugend, ist außerordentlich. produktiv.
({1})
- Ich komme auf die Jugend gleich noch einmal zurück, Herr Lohmar.
Auf der anderen Seite sollten wir die Beziehung zwischen Forschung und Lehre noch einmal mit der Fragestellung überdenken, ob wir sie im einen oder anderen Fall lockern sollten. Das Verhältnis des Bedarfs an Forschung und Lehre ist nämlich in den einzelnen Sparten sehr unterschiedlich. Es gibt naturwissenschaftliche Bereiche, in denen der Forschungsbedarf sehr groß ist; aber ,es gibt andere Bereiche, in denen der Forschungsbedarf verhältnismäßig klein ist.
Um meinen Freund Dr. Martin zu provozieren, möchte ich die Frage stellen: Nachdem die internationale Wissenschaft 500 Jahre lang die lateinische Sprache erforscht hat, - ist das, was wir heute noch nicht wissen, eigentlich wissenswert?
({2})
Nun zu einem letzten politischen Punkt, nämlich den Mitteln der Forschung. Früher ist das meist auf die Formel gebracht worden: Mehr Geld! Glücklicherweise sind wir etwas darüber hinaus. Aber ich möchte zunächst zu diesem Geldproblem einige Anmerkungen machen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß auch das Ausgeben von Geld Geld kostet.
({3})
Von der Wirtschaft aus betrachtet ist das Bundeswissenschaftsministerium sozusagen eine riesenhafte Einkaufsorganisation für Erkenntnisse. Dieser Einkauf muß organisiert werden und kostet Geld. In der Wirtschaft gibt es Erfahrungswerte darüber, wieviel Geld man braucht, um eine Million DM sinnvoll ausgeben zu können. Herr Minister, ich möchte anregen, daß auch Sie - Sie haben ja Erfahrungen aus der Wirtschaft - diese Fragestellungen in Ihrem Ministerium noch einmal bearbeiten lassen. Ich möchte dazu weiter anregen, daß die Erfahrungen aller Partner, auch die Erfahrungen der Länder, in der Technik des Geldausgebens für solche Überlegungen nutzbar gemacht werden.
Ausgaben erfordern Kontrollen. Wir können nicht erwarten, daß alle Forschungen ein positives Ergebnis haben. Es liegt im Wesen der Forschung, daß es neben den Treffern immer auch Fehler gibt. Trotzdem brauchen wir in jedem einzelnen Fall eine systematische Nachkalkulation. Das scheint mir aus vielen Gründen notwendig. Sie kennen unser deutsches System des Universitätsausbaus. Es richtet sich nicht nach den sachlichen Notwendigkeiten, sondern nach den Berufungsverhandlungen. Ein neues botanisches Institut zum Beispiel kann eine Universität nur dann erwarten, wenn sie einen neuen Ordinarius beruft, und dieses Institut wird dann völlig auf dessen Bedürfnisse zugeschnitten. Nach drei Jahren kommt möglicherweise ,ein anderer Ordinarius, der ganz andere Wünsche hat und dann eine andere Sonderausrüstung bekommt.
Meine Damen und Herren, Apparate sind sehr kostspielig. Wir sollten uns daher Gedanken darüber machen, ob sie auch ausreichend ausgenutzt sind. Was wird aus den Apparaten des Vorgängers, wenn der neue Professor ein anderes Gebiet bearbeitet? Sie stehen oft unzureichend genutzt da. Herr Minister, für Ihr Gespräch am Runden Tisch möchte ich die Anregung geben, einmal zu überlegen, ob man nicht die kostspieligen Apparate, meinetwegen Apparate mit einem Wert von mehr als 50 000 DM, wenn sie mit öffentlichen Mitteln beschafft worden sind, ständig unter einer gewissen Kontrolle halten sollte. Die Institutschefs ringen natürlich die Hände und fürchten neue Meldungen, neue Bürokratie. Aber in einem Zeitalter, in dem die Apparate der Wissenschaft so teuer geworden sind wie Produktionsmaschinen in der Industrie, müssen sie auch ebenso kontrolliert werden:
Meine Damen und Herren, es gibt Kontrollmöglichkeiten und es gibt auch Ausnutzungsmöglichkeiten. Ein junger Botaniker hat mir vor kurzem folgendes erzählt. Eine Fakultät wollte in Amerika einen neuen Computer haben. Der Universitätspräsident sagte dazu: „Den könnt ihr gerne bekommen, aber ihr müßt ihn finanzieren." Am Ende wurde das so gemacht: Morgens arbeitet der Computer für die
Studenten, nachmittags für die Wissenschaft und nachts für Industrieunternehmen, deren Lohnabrechnung er erledigt. Die Einnahmen aus dieser Nachtschicht decken die vollen Kosten.
Meine Damen und Herren, das ist nicht die Übertragung von sachfremden Überlegungen auf den Bereich Wissenschaft, dem sie nicht angemessen sind. Es würde auch der Wissenschaft sehr gut tun, wenn sie sich daran gewöhnte, ihre Forderungen, ihre Vorstellungen sehr präzise zu formulieren.
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Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! - Herr Abgeordneter Moersch, der Redner ist noch bei der Begründung. Aber wenn er die Zwischenfrage zuläßt, habe ich ausnahmsweise nichts dagegen. - Bitte sehr!
'Bitte schön, Herr Moersch!
Herr Kollege Dichgans, damit kein falscher Eindruck entsteht: Ist Ihnen bekannt, daß die Großrechenanlagen, die für die deutsche Wissenschaft arbeiten, im 24-Stunden-Betrieb arbeiten und auch feiertags fast voll in Tätigkeit sind, und zwar allein für die Wissenschaft?
Herr Moersch, ich wollte zu den Großrechenanlagen folgendes sagen. Ich weiß, daß da schon eine Koordinierungsarbeit läuft. Aber, Herr Moersch, auch hier muß die Frage gestellt werden, ob die Aufgaben., die man ihnen stellt, immer Aufgaben sind, die diesen Aufwand lohnen. Das ist eine Fragestellung, die auch der Wirtschaft vertraut ist. Aber ich möchte Ihnen ausdrücklich zugeben, daß gerade auf diesem Gebiet eine Koordinierung durch die Forschungsgemeinschaft bereits angelaufen ist.
Im ganzen habe ich aber das Gefühl, daß die deutsche Forschung zu so etwas wie einem „Apparatefetischismus" neigt. Es kann gar nicht groß und teuer genug sein. Dabei sollten wir uns darüber klar sein, daß der wichtigste Forschungsapparat, der leistungsfähigste, die grauen Gehirnzellen sind, mit denen der berühmte Detektiv Hercule Poirot zu arbeiten pflegte. Wir können viel kostspielige und zeitraubende Arbeit sparen, wenn wir uns vorher überlegen, wie die Fragen an die Apparaturen rationell formuliert werden müssen. Überwachung, Kontrolle, Vergleich der Praxis verschiedener Forscher, die ähnliches bearbeiten, ein Wettbewerb der Universitäts- und Forschungsinstitute untereinander, das käme auch der Wissenschaft zugute. Wir wollen unsere Wissenschaft optimal mit Apparaten ausstatten. Wir wollen aber auch dafür sorgen, daß diese Apparate optimal genutzt werden.
Meine Damen und Herren, so viel zum Geld. Aber die Forschung kommt nicht mit dem Geld aus. Der engste Querschnitt liegt stets bei der Intelligenz, nicht beim Geld. Wir müssen deshalb ein Klima schaffen, in dem Intelligenz wächst. Leistung ist in der Wissenschaft wie überall sonst in der Wirtschaft und in der Politik von einer guten menschlichen Umgebung abhängig. Dieses Klima müssen wir für alle Forscher schaffen, nicht nur für einige Ordinarien, sondern auch für die jungen Leute. Sie müssen sich in der Forschung wohlfühlen, ihre Arbeit muß ihnen Freude machen. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, daß das in vielen Instituten der Max- Planck -Gesellschaft vorbildlich erreicht ist. Aber einige unserer Universitäten haben offensichtlich noch Schwierigkeiten.
Menschliches Klima bedeutet menschliche Gleichberechtigung der Jüngeren mit den Älteren, was eine Führung durch die Alteren durchaus nicht ausschließt. Jeder gute Industriebetrieb weiß das. Freiheit der Forschung heißt auch Freiheit zu eigenen Fragestellungen für die Jüngeren, nicht nur gebunden an die Fragestellungen des Ordinarius, der vielleicht ein Leben lang den Fragestellungen seiner Jugend nachgeht. Ich halte auch das für kein institutionelles Problem. Ich glaube nicht, daß diese Aufgabe mit irgendwelchen Paritäten in Senaten oder sonstigen Gremien zu lösen ist. Das ist vielmehr eine Frage des Stils und der Gesinnung.
Nun zum Schluß - nachdem Frau Elsner mich mehrfach kritisch angeblickt hat - noch ein Wort zu den Studenten. Wir sollten sie in der Tat nicht unerwähnt lassen; auch sie gehören zur Forschung. Zur Zeit ist das Bild etwas aufregend. Wir lesen, daß man in den Chemielabors Molotow-Cocktails zusammenbraut. Wir erleben es, daß ein Professor, der die Geheimnisse der Desoxyribonucleinsäure entschleiern will, dem Ruf begegnet: Waffen für Vietcong! Das ist in der Tat ein Problem.
Ich möchte aber zwei Beobachtungen anfügen. Ungeachtet der zahlreichen Meldungen, die nach der Natur unserer Nachrichtenmittel gewisse Punkte sehr stark vergrößern, ist die Arbeit an den meisten Universitäten ganz normal. Mehr als 95 °/o der Studenten arbeiten fleißig wie bisher. Weiter möchte ich als Arbeitgeber berichten, daß nach meinen Erfahrungen die jungen Leute, die von den Universitäten kommen, von Jahrgang zu Jahrgang besser werden. Ich habe auch den Eindruck, daß wir gute Abiturienten haben. Die pauschale Klage einiger Professoren über nachlassende Qualität scheint mir eine reine optische Täuschung zu sein.
In meiner Praxis habe ich festgestellt, daß der Nachwuchs allmählich auch etwas jünger wind; auch das möchte ich hier erfreut registrieren. Der Herr Bundeskanzler hat dazu gestern folgendes erzählt: In Amerika gebe es 7 Millionen Studenten; davon seien 80 % unter 21 Jahre alt. Den Anteil dieser Gruppe von Studenten in der Bundesrepublik würde ich auf höchstens 8 % .schätzen. An der Technischen Universität Berlin liegt das Durchschnittsalter .der Studienanfänger bei 22 Jahren. Hier- liegt, glaube ich, eine ,der Ursachen der Unruhe unserer Studenten; sie hat gewiß viele Ursachen. Wir halten diese jungen Leute viel zu lange abhängig, von der Möglichkeit eigenen Wirkens fern; wir halten sie in einem System, ,das selbst Dreißigjährige in vielen Fällen noch wie Kinder behandelt. Hier liegen Aufgaben der Reform.
Meine Damen unid Herren, damit sind wir wieder beim Anfang. Es kann keine isolierte Forschungspolitik geben. Wir können eine ertragreiche Forschung nur dann erwarten, wenn wir auch eine gute allgemeine Politik treiben, die unsere Wirtschaft in .die Lage versetzt, die Mittel aufzubringen, die Forschung und Bildung erfordern, aber auch eine gute allgemeine Politik, die ein geistig politisches Klima schafft, das von unseren Mitbürgern, auch von unseren Studenten bejaht wird. Das ist unsere Aufgabe.
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Sie haben die Begründung der beiden Großen Anfragen gehört. Ich gebe das Wort zur Beantwortung dem Herrn Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Großen Anfragen der SPD-Fraktion zur Wissenschaftsförderung und Wissenschaftsplanung unid der CDU/CSU-Fraktion zu den Schwerpunktaufgaben in Wissenschaft und Forschung kennzeichnen die Aufgaben, vor denen wir heute in der Wissenschaftspolitik stehen.
Wir haben die Kriegsschäden beheben und den großen Nachholbedarf weitgehend ,befriedigen können. An den Hochschulen und anderen Forschungsstätten wurde die Basis geschaffen, auf der weiter unid in neuen Formen aufgebaut werden kann. Es gibt ein differenziertes System der Wissenschaftsförderung. Die Bundesregierung hat 'die Aufgaben der wissenschaftlichen Selbstverwaltungsorganisationen unid der Hochschulen zunehmend gefördert sowie mit großen Programmen in der Kernenergie- und Weltraumforschung, in der Verteidigungsforschung und -entwicklung und nun auch in der Datenverarbeitung und Ozeanographie eigene Initiativen ergriffen. Wichtige Erfolge sind dabei zu verzeichnen, wie z. B. auf dem Gebiet der Kernenergie. In anderen Bereichen wieder stehen wir noch am Anfang.
In dieser Situation stellen sich uns nun vier Aufgaben:
Erstens: Wir müssen uns über die wichtigsten Zukunftsaufgaben in Forschung und Entwicklung klar werden, ihre Rangfolge festlegen und uns darüber verständigen, wie wir ihre Lösung am besten fördern können.
Zweitens brauchen wir hierfür geeignete Formen der Beratung, der Prognose, Planung und Entscheidung.
Drittens müssen wir dafür sorgen, daß das wissenschaftliche und technische Personal zur Bewältigung dieser großen Aufgaben herangebildet wird.
Schließlich dürfen wir den Blick nicht auf unseren engen Bereich in der Bundesrepublik beschränken. Wir müssen vielmehr die Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands im Auge behalten und der internationalen Zusammenarbeit, speziell im europäischen
Rahmen, besondere Aufmerksamkeit widmen, weil wichtige Aufgaben zunehmend 'die nationalen Kräfte übersteigen.
Im Bundesbericht Forschung II sind eine Reihe von Beispielen für Zukunftsaufgaben der Forschung und Entwicklung genannt. Dabei hat die Bundesregierung mit der Auswahl dieser Beispiele noch keine Prioritätenliste aufgestellt und keine Sachentscheidung gefällt, in welchem Rahmen falle diese Gebiete gefördert werden sollen. Für die Entscheidung wird die Bundesregierung neben wissenschaftlichen Kriterien auch ihre politischen Zielvorstellungen auf Gebieten wie der .allgemeinen Wissenschaftsförderung, der Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik und der Gesundheitspolitik zugrunde legen.
Die Bundesregierung wird deshalb die im Bundesbericht Forschung II genannten Beispiele ergänzen und Maßstäbe für die Priorität der Aufgaben entwickeln, ferner Vorschläge ausarbeiten, wie diese Aufgaben nach ihrer Auffassung durch Maßnahmen des Bundes, der Länder, der Selbstverwaltung, der Wissenschaft und der Wirtschaft gefördert werden sollten. Sie hat auf Einzelgebieten bereits mit 'der Förderung begonnen, wo die Sache .dies dringend erforderte und ,die Abstimmung mit den Maßnahmen anderer Stellen erfolgen konnte. Die Festlegung der Prioritäten wird auf der Basis der mittelfristigen Finanzplanung erfolgen.
Dieses neue Programm wird Gebiete definieren, in .denen eine unmittelbare staatliche Förderung oder Beteiligung an Förderungsmaßnahmen notwendig ist. Es wird abgestimmt sein mit dem Programm der vom Wissenschaftsrat empfohlenen Sonderforschungsbereiche und damit mit .den Ländern, mit dem Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den langfristigen Planungen der Max-Planck-Gesellschaft und den Aktivitäten der Wirtschaft. Die Bundesregierung ist sich bewußt, .daß ,die finanziellen Anforderungen, ,die ein solches Programm stellt, nur 'gerechtfertigt sind, wenn eine rationelle Bewirtschaftung, eine intensive Erfolgskontrolle und eine wirksame Verwendungskontrolle gewährleistet sind.
Neue, unmittelbare Förderungsmaßnahmen hat die Bundesregierung vor allem im Bereich der Datenverarbeitung und der Ozeanographie in letzter Zeit ergriffen. Bei der Datenverarbeitung handelt es sich um koordinierte Maßnahmen der Forschungs- und Entwicklungsförderung; 'das Programm der Meeresforschung wird zunächst in Abstimmung mit den Vorhaben anderer Träger die Ausstattung wichtiger Forschungseinrichtungen verbessern und dann Forschungsprojekte, die mit hohem technischen und finanziellen Aufwand verbunden sind, definieren und verwirklichen.
Bei einigen im Bundesbericht Forschung II als Beispiel genannten Zukunftsaufgaben läßt sich die Situation kurz folgendermaßen schildern.
Im Bereich der Bildungsforschung laufen verschiedene größere Studien, u. a. im Zusammenhang mit den Arbeiten des Wissenschafts- und Bildungsrates
sowie in Verbindung mit den Schul- und Hochschulplanungen einzelner Länder. Ich gehe darauf in anderem Zusammenhang noch näher ,ein.
Fragen der Außenpolitik, der strategischen Studien und der Friedens- und Konfliktsforschung untersucht die „Stiftung Wissenschaft und Politik". Neue Initiativen versprechen hier verschiedene in der letzten Zeit gegründete wissenschaftliche Vereinigungen, an denen auch die Wirtschaft interessiert und beteiligt ist. Die Max-Planck-Gesellschaft prüft Plane zur Gründung eines neuen Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen in der technischen Gesellschaft. Im Rahmen des Programms der Sonderforschungsbereiche erstrebt die Bundesregierung eine wesentliche Verstärkung der Hochschulforschung über diese Themen der internationalen Politik. Sie sind bisher im Bereich der politischen Wissenschaften zweifellos weithin vernachlässigt worden.
Zu dem weitgefaßten Komplex der Welternährung kann ich zunächst auf das Schwerpunktprogramm „Ernährungsforschung" der Deutschen Forschungsgemeinschaft und auf deren Beteiligung am Internationalen Biologischen Programm verweisen. Forschungen über einzelne Probleme werden nicht nur an den medizinischen und landwirtschaftlichen Fakultäten mit zum Teil speziellen Instituten, sondern auch an einer Reihe von Bundesanstalten durchgeführt.
In der Materialforschung hat die Bundesregierung einen Schwerpunkt in der Bundesanstalt für Materialprüfung in Berlin. Neue Initiativen sind in der allgemeinen und nuklearen Festkörperphysik mit der Gründung des deutsch-französischen Instituts in Grenoble ergriffen worden. Der Wissenschaftsrat wird auf Wunsch der Bundesregierung und der Max-Planck-Gesellschaft in Kürze weitere Vorschläge für die verstärkte Förderung der Festkörperphysik machen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft wendet in ihrem Schwerpunktprogramm erhebliche Mittel für verschiedene Bereiche der Materialforschung auf.
Fragen der Umwelthygiene werden in mehreren Bundesanstalten, in besonderen Förderungsprogrammen der Ressorts und der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie in der Industrie eingehend bearbeitet. Neue Initiativen bahnen sich hier, ebenso wie in der Raumordnung und Raumforschung in internationaler Zusammenarbeit an. Schlechter stehen die Dinge im Bauwesen und Städtebau. Wie in allen Industrieländern ist hier trotz eines großen Anteils dieser Sektoren am Bruttosozialprodukt die Forschungstätigkeit unverhältnismäßig gering. Hier liegen jedoch bedeutende Zukunftsaufgaben vor. Die Bundesregierung wird Forschungen anregen und durch gezielte Aufträge verstärkt fördern.
Die sechs Forschungsgebiete, die der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften im Oktober letzten Jahres für eine europäische wissenschaftliche Zusammenarbeit vorgeschlagen hat - nämlich Informationsverarbeitung, Entwicklung neuer Verkehrsmittel, Ozeanographie, Metallurgie, Umwelthygiene und Meteorologie -, sind sämtlich bereits im Bundesbericht Forschung II als künftige Schwerpunktaufgaben auch unserer nationalen Konzeption behandelt worden. Wir wollen über die Priorität der Aufgaben sprechen und uns dann unter allen Beteiligten verständigen, wie wir ein Gebiet am besten fördern.
Wissenschaftspolitische Entscheidungen setzen ein Optimum an sachlicher Prüfung und Beratung voraus. Dies gilt verstärkt in einer Zeit, in der wir durch eine rapide Steigerung der Forschungs- und Entwicklungskosten zur Auswahl und damit auch zum Verzicht gezwungen sind. Politische Entscheidungen in fast allen Sektoren der modernen Gesetzgebung und Verwaltung sind auf eine sorgfältige Klärung ihrer Voraussetzungen und - soweit möglich - auch der Folgeprobleme angewiesen. Hierzu bedarf es neuer, wirkungsvoller Formen wissenschaftlicher Beratung für die Politik.
Die Bundesregierung hat sich seit 1949 eine große Zahl von Beiräten und sonstigen Beratungsgremien geschaffen. Ihre Entstehung ist ebenso unterschiedlich wie ihre Zusammensetzung, ihre Aufgaben und Arbeitsmethoden. Viele dieser Gremien, in denen teilweise Wissenschaftler und Praktiker zusammenarbeiten, beraten die Bundesregierung für bestimmte Arbeits- und Lebensbereiche. Ich nenne hier nur als Beispiele den Außenhandel, die Energiewirtschaft und die Landwirtschaft. Besondere Bedeutung kommt dabei den durch Gesetz geschaffenen Gremien zu, die wichtige Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche ständig zu beobachten und zu begutachten haben, wie dem „Konjunkturbeirat" und „Sozialbeirat". Auch auf die Ad-hoc- Ausschüsse und -Kommissionen, die für bestimmte gesetzgeberische oder verwaltungstechnische Aufgaben geschaffen worden sind, ist hinzuweisen; hierbei sind die Kommission für die große Strafrechtsreform und die Kommission für die Finanzreform zu nennen. Eine Reihe von Ministerien, wie Finanzen, Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Verteidigung, haben wissenschaftliche Beiräte, die gesetzgeberische Aufgaben durch wissenschaftliche Analysen fördern und auch von sich aus Probleme aufgreifen können.
Durch die Tätigkeit des Staates auf dem Gebiet der neuen Naturwissenschaften und Techniken ist eine neue Art von Beratungsorganen entstanden: die Deutsche Atomkommission, die Kommission für Weltraumforschung und der Fachbeirat für Datenverarbeitung. In Kürze soll ferner eine Kommission für Ozeanographie berufen werden. Die Zusammenarbeit von Fachwissenschaftlern und Verwaltungsleuten in diesen Gremien ist sicher die beste und auch billigste Art, die neuen Aufgaben zu bewältigen. Um diese einzelnen Beratungsorgane zu koordinieren und mich in den großen langfristigen Linien der Wissenschaftspolitik zu beraten, ist im November 1967 der „Beratende Ausschuß für Forschungspolitik" berufen worden, dem neben Vertretern der genannten Kommissionen die Präsidenten der großen wissenschaftlichen Selbstverwaltungsorganisationen und andere namhafte Wissenschaftler angehören.
Der Wissenschaftsrat und der Deutsche Bildungsrat haben neben ihrer Beratungstätigkeit vor allem Planungsaufgaben. Hierauf wird noch näher einzugehen sein.
Man wird es im Prinzip bei der Vielfalt dieser Beratungsorgane belassen müssen, da die unterschiedlichen Formen und Methoden von der Sache her gerechtfertigt sind und es nicht zweckmäßig wäre, den lebendigen Zusammenhang dieser Gremien mit den Fachressorts und ihren sehr spezialisierten Aufgaben zu unterbrechen. Allerdings gilt es künftig stärker als bisher in jedem Fall zu prüfen, ob die einzelnen Gremien sich bewährt haben, ob in vielen Fällen nicht Ad-hoc- Ausschüsse mit einer zeitlich und sachlich genau befristeten Aufgabenstellung sachgerechter sind und wie vor allem auch der Informationsfluß verbessert werden kann, um unnötige Doppelarbeit zu vermeiden.
Die ehrenamtliche Beratung hat sich im Prinzip bewährt; sie führt zu der ständigen Kommunikation von Vertretern des Staates, Wissenschaftlern und Praktikern. Ihre Grenzen für die Planungsaufgaben, die wissenschaftspolitische und die allgemeinpolitische Beratung sind allerdings auch evident. Für vertiefte Analysen und gründliche Einzelstudien als Entscheidungsgrundlagen ist es deshalb erforderlich, stärker als bisher Einrichtungen der Auftrags- und Vertragsforschung zu entwickeln und auch Institute der Grundlagenforschung innerhalb und außerhalb der Hochschulen in ihren Abreitsprogrammen in zunehmendem Maße hieran zu beteiligen. In den letzten Jahren sind einige Einrichtungen dieser Art geschaffen worden, so die schon erwähnte „Stiftung Wissenschaft und Politik, die „Zentrale Operations Research, die mit Methoden der Unternehmensforschung für das Bundesministerium der Verteidigung arbeitet, und die „Studiengruppe für Systemforschung".
Eine besondere Bedeutung kommt der im Aufbau befindlichen „Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung" zu. Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Neuordnung der Organisation der angewandten Forschung und der schon erwähnten Festlegung von Sonderforschungsbereichen an den Hochschulen ist diesem Gesichtspunkt ebenfalls Rechnung zu tragen.
Trotz dieser bisherigen Bemühungen und Teilerfolge ist die Basis immer noch zu schmal. Eine grundlegende Besserung erfordert ebenso die weitgehende Entlastung der Bundesressorts von rein administrativen Aufgaben und ihre stärkere Orientierung auf Planungs- und Leistungsfunktionen wie die endgültige Überwindung eines falschen Autonomieverständnisses der Wirtschaft. Wissenschaft, Wirtschaft und auch mehrere Bundesressorts haben für bestimmte Sektoren mit Hilfe der Entscheidungstheorie und Systemforschung Planungsmethoden neu entwickelt oder angewandt. Dabei müssen die Entscheidungsprozesse jeweils auf sorgfältigen Bestandsaufnahmen und technischen Prognosen fußen, bevor dann die eigentliche Planung und Programmierung beginnt. Solche modernen Methoden haben sich bei Einzelaufgaben der Forschungspolitik, beispielsweise in der Reaktorenentwicklung, hervorragend bewährt. Sie ermöglichen die Rationalisierung komplexer Entscheidungsvorgänge sowohl bei der Zielfindung und Zielanpassung im energiewirtschaftlichen Rahmen wie auch bei der Steuerung des Projektes selbst.
Für die Zielentscheidungen wurden hier mathematische Modelle zu Hilfe genommen. Sie erlaubten die quantitativen Aussagen über die volkswirtschaftlichen Konsequenzen verschiedener Entwicklungsmöglichkeiten - der sogenannten Reaktorstrategien - sowie über Rohstoffbedarf, Spaltstoffverbrauch oder -gewinnung und über Kapazitäts- und Auslastungsfragen. Auf diese Weise sind zu den einzelnen Alternativen der künftigen Auswahl von Reaktortypen klare Kosten-Nutzen-Analysen möglich.
Bei der Projektsteuerung haben sich insbesondere moderne Methoden mit Netzplantechniken bewährt, so daß z. B. bei dem Projekt Schneller Brüter die zusammenarbeitenden Gruppen der Industrie und der Großforschungseinrichtungen in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg ein ständig bis in die Details abgestimmtes Programm und eine entsprechende Termin- und Ausgabenkontrolle besitzen.
Dieses Einzelbeispiel zeigt, wie ein wissenschaftlich-technisches Großprojekt unter Einsatz moderner Methoden und Hilfsmittel kalkuliert, geplant und im Detail programmiert und ausgeführt wird.
Es wird nun gefragt, ob uns - Regierungen und Parlamente - eine derartige Methodik nicht auch bei der Vorbereitung allgemeiner politischer Entscheidungen weiterhelfen kann. Hier gibt es allerdings keine fertigen Rezepte. Die verschiedenen wissenschaftlich-technischen Planungsverfahren, wie etwa die sogenannte Netzwerkplanung zur Projektkontrolle, lassen sich nicht ohne weiteres in den Bereich von Politik und Verwaltung übertragen. Viele ausländische Erfahrungen und Diskussionen zeigen dies deutlich. Wir können und müssen aber Elemente solcher Planungsverfahren übernehmen: das kritische Durchspielen alternativer Möglichkeiten in Modellen, eine präzisere Terminierung von Planungs- und Entscheidungsvorgängen, eine möglichst exakte, wissenschaftlich fundierte Abschätzung der Folgewirkungen.
Zur Entwicklung gemeinsamer Zielvorstellungen und zur Erprobung eines geeigneten Instrumentariums haben wir im Verhältnis von Bund und Ländern den Wissenschaftsrat und den Bildungsrat. Der Wissenschaftsrat hat sei 1958 für eine Reihe von Wissenschaftsgebieten eine Bestandsaufnahme durchgeführt und in die Zukunft weisende Empfehlungen gegeben. Der Bildungsrat steht noch am Anfang seiner Tätigkeit. Da der gesamte Bildungsbereich als Einheit gesehen werden muß, sind Wissenschaftsrat und Bildungsrat übereingekommen, die an sich vorhandene Zusammenarbeit zu verstärken, um möglichst schnell einen Rahmenplan für die Bildungsreform vorlegen zu können. Sie werden dabei in verstärktem Umfange Analysen und langfristige Prognosen auf dem Weg der Auftragsforschung erstellen lassen, bei besonders zentralen Problemen auch durch unabhängige Paralleluntersuchungen, die in ihren methodischen Voraussetzun7818
gen offengelegt werden und so in einer kritischen Diskussion überprüfbar und vergleichbar sein müssen.
Der Grundsatz der gemeinsamen und abgestimmten Rahmenplanung von Bund und Ländern soll nach Ansicht der Bundesregierung für die Gemeinschaftsaufgaben gelten, die in dem Entwurf zur Finanzverfassungsreform vorgesehen sind.
Es ist nun die Frage gestellt, ob die Bundesregierung bei der Erarbeitung ihrer forschungspolitischen Zielvorstellungen auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgewirkungen des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts berücksichtigt. Die Antwort auf diese sehr komplexe Frage läßt sich kurz geben: Ja, die Bundesregierung ist bemüht, dies zu tun. So wurden z. B. die Folgewirkungen von Automationsvorgängen und der Kernenergie untersucht. Hier liegen bereits ziemlich gesicherte Ergebnisse vor. Für andere Bereiche, wie die. Weltraumforschung und Datenverarbeitung, sind von uns größere Untersuchungen in Auftrag gegeben worden oder geplant. Freilich ist unser methodisches Instrumentarium gegenüber manchen Fragen noch unzureichend. Die Methodik der technisch-ökonomischen Prognosen steht in den Anfängen. Die Amerikaner sind etwas weiter als wir. Die OECD hat verdienstvolle Vorarbeiten geleistet. Wir haben in Deutschland und Europa noch viel zu tun.
Der erste, der in der Lage sein sollte, etwas über die wirtschaftlichen und sozialen Folgewirkungen wissenschaftlicher Arbeit auszusagen, ist der Forscher selbst. Er darf die Frage nach den Konsequenzen seiner Arbeit nicht allein sich selbst stellen. Er muß der Öffentlichkeit und gerade uns Politikern so deutlich, wie es möglich ist, sagen, welche Entwicklungen durch die Forschungsergebnisse seines Faches ausgelöst werden können. Hier ergeben sich besonders fruchtbare Aufgabenstellungen für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, vor allem von Naturwissenschaftlern, Technikern und Nationalökonomen, aber auch unter Einbeziehung von Geisteswissenschaftlern, also von Juristen, Soziologen, Theologen und natürlich auch Medizinern.
Die Beantwortung der nächsten Frage, wie künftig ein ausreichender Bestand an wissenschaftlichem und technischem Personal sichergestellt werden kann, setzt Prognosen und Zielvorstellungen voraus. Wir müssen daher die bisher vorliegenden Studien über den künftigen Bedarf an Akademikern kritisch überprüfen, ergänzen und gleichzeitig, weil die Zeit drängt, geeignete Verfahren finden und Maßnahmen vorbereiten, mit denen die gesetzten Ziele erreicht werden können.
Für Prognosen braucht man aber Analysen der Vergangenheit und der gegenwärtigen Situation. Leider reichen hierfür die uns heute zur Verfügung stehenden statistischen Unterlagen noch nicht aus. Einige Aufschlüsse gibt die Volks- und Berufszählung 1961. Die Zahlen von 1960/61 für die Hochschullehrer und das wissenschaftliche Personal an Hochschulen sind auf Grund der mittlerweile erfolgten stürmischen Expansion völlig veraltet. Das Ergebnis der neuen Erhebungen für 1966 liegt ausgewertet noch nicht vor. Der Wissenschaftsrat hat das Personal der Forschungseinrichtungen außerhalb der Hochschule für 1963 und 1964 erfaßt. Für die Wirtschaft hält der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft jährlich Umfragen. Einige zusätzliche Angaben für das Jahr 1964 finden sich im Bundesbericht Forschung II, auf den ich verweise. Einen Fortschritt bedeutet auch die neue Verkaufsstatistik im Hochschulbereich, die den Werdegang der Studenten vom Beginn bis zum Ende des Studiums verfolgt.
Alles dies reicht jedoch als Grundlage für zuverlässige Bedarfsschätzungen noch nicht aus. Es fehlt an regelmäßigen Bestandsaufnahmen, es fehlt eine laufende amtliche Statistik des wissenschaftlichen und technischen Personals. Das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung verhandelt in dieser Frage mit dem Statistischen Bundesamt und leistet methodische Vorarbeiten.
Trotz dieses Mangels an umfassenden Unterlagen sind in der Bundesrepublik Deutschland Versuche unternommen worden, den künftigen Bedarf in diesem Bereich vorauszuschätzen. Die vom Wissenschaftsrat veranlaßte Studie von Riese über die Entwicklung des Bedarfs an Hochschulabsolventen hat neue Erkenntnisse vermittelt, zugleich aber gezeigt, wieviel hier auch auf methodischem Gebiet noch zu tun ist.
Derartige Arbeiten müssen vor allem auch von den Bundesländern künftig in breiterem Rahmen angeregt und gefördert werden. Auch der Ausbau unserer Hochschulen wird sich - im Gegensatz zur bisherigen Praxis - stärker als bisher an solchen Bedarfsprognosen orientieren müssen. Jede Schätzung ist naturgemäß wieder selbst der ständigen Prüfung und Korrektur untetworfen. Hieran wird besonders deutlich, daß Planung ein eminent dynamischer Begriff ist und - entgegen einem weit verbreiteten Aberglauben - kein festes, statisches Zahlenwerk, das man beruhigt nach. Hause tragen kann.
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Folgende Maßnahmen verdienen Vorrang:
Wir müssen dafür sorgen, daß die späteren Wissenschaftler und Techniker richtig vorbereitet zu den Hochschulen und anderen Ausbildungsstätten kommen. Das ist eine Frage der Struktur unseres Schulwesens, speziell des Ausbildungsganges Und der Fächerwahl in der Oberstufe der höheren Schulen und vor allem des Abiturs. Eine Verstärkung des naturwissenschaftlichen Unterrichts an der Oberstufe der Gymnasien ist im Hinblick auf den erkennbaren Bedarf dringend geboten.
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An den Hochschulen sind noch bessere Bedingungen für die Heranbildung und auch spätere Fortbildung des technischen und wissenschaftlichen Personals zu schaffen. Praktisch ist damit die Frage nach der Neuordnung des Studiums gestellt mit allen Konsequenzen für die Organisation und die materielle Situation der Hochschulen selbst. Das ist ein Thema, das wir im vergangen Herbst hier ausführlich behandelt haben.
Die unmittelbaren Zuständigkeiten und Wirkungsmöglichkeiten der Bundesregierung sind in diesem Bereich begrenzt. Sie kann und wird jedoch Initiativen ergreifen durch die Zusammenarbeit im Wissenschaftsrat und im Bildungsrat, durch die Förderung des Ausbaues bestehender und neuer Hochschulen und durch die Studienförderung, durch ihre eigenen großen naturwissenschaftlich-technischen Programme und die Mitfinanzierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit ihrer weitgespannten Nachwuchsförderung und der Max-Planck-Gesellschaft mit ihrem großen Forschungspotential und nicht zuletzt, indem sie zusammen mit den Ländern die materiellen Arbeitsbedingungen des Personals in den Instituten verbessert und auf eine Verbesserung der strukturellen Arbeitsbedingungen hinwirkt, wie dies 1966 und 1967 durch Tarifänderungen und Beschlüsse des Wissenschaftskabinetts in ersten wichtigen Entscheidungen geschehen ist.
Auch in diesem Zusammenhang findet die Entwicklung im anderen Teil Deutschlands unser besonderes Interesse. Die Bundesregierung beabsichtigt, eine vergleichende Darstellung des Bildungswesens, der wissenschaftlichen Forschung und der technologischen Entwicklung für ganz Deutschland im Jahre 1969 vorzulegen. Dies ist bei der Schwierigkeit, aus dem anderen Teil Deutschlands wirklich exakte, objektive Unterlagen zu erhalten, keine leichte Aufgabe. Um einen möglichst umfassenden und fundierten Bericht geben zu können, wird es nötig sein, das vorhandene Material zu vervollständigen und die wesentlichen wissenschaftlichen Ergebnisse und Tendenzen möglichst lückenlos zusammenzustellen.
Besonderer Wert wird dabei auf den nationalökonomischen, naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Bereich gelegt werden müssen, da sich die westdeutschen Institutionen, die mit der wissenschaftlichen Lage im anderen Teil Deutschlands befaßt sind, hauptsächlich mit den Geisteswissenschaften beschäftigen.
Für den Bereich des Bildungswesens macht der geforderte Bericht besondere Schwierigkeiten. Strukturelemente, ebenso wie solche des Bildungsinhalts, lassen sich angesichts der unterschiedlichen Bildungsziele in kommunistischen und nichtkommunistischen Systemen nur schwer vergleichen. Die Bundesregierung ist dennoch bereit, in Ergänzung ihres Bildungsplanungsberichts, der schon wesentliche Unterscheidungsmerkmale hervorgehoben hatte, eine vergleichende Darstellung innerhalb der genannten Frist zu erarbeiten. Bei der Darstellung soll versucht werden, neben den Unterschieden die weiter bestehenden Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, wozu Institutionen und Strukturen gehören werden, auf die kein moderner Industriestaat verzichten kann.
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Der Fortschritt in der naturwissenschaftlichen Forschung und technischen Entwicklung, der in 211- nehmendem Maße unsere wirtschaftliche und soziale Wirklichkeit beeinflußt, erfordert in vielen Bereichen personelle und finanzielle Anstregungen, denen die einzelnen Staaten Europas nicht mehr gewachsen sind. In der Atom-, Weltraum- und Verteidigungsforschung hat sich diese Erkenntnis seit langem durchgesetzt. Hier findet die Zusammenarbeit in einer Reihe internationaler Gremien statt.
Auf dem Gebiet der Atomforschung sind die Europäische Atomgemeinschaft und die der OECD angegliederte Kernenergieagentur zu erwähnen. Eine wissenschaftlich fruchtbare und zukunftsweisende Zusammenarbeit ist auf dem Gebiet der Hochenergiephysik im Rahmen der Europäischen Organisation für Kernforschung ({3}) vorhanden. Als Beispiel bilateraler Zusammenarbeit sei das deutschfranzösische Gemeinschaftsprojekt eines Höchstflußreaktors in Grenoble erwähnt.
Auf dem Gebiet der Weltraumforschung sind die Europäische Weltraumforschungsorganisation ({4}) und die Europäische Organisation für die Entwicklung und den Bau von Raumfahrzeugträgern ({5}) sowie die Europäische Konferenz für Fernmeldesatelliten ({6}) tätig. Ein bilaterales Satellitenprojekt von besonderer Bedeutung ist die Entwicklung des ersten europäischen Fernsehversuchssatelliten „Symphonie" in deutsch-französischer Zusammenarbeit. Auf dem Gebiet der Verteidigungsforschung und Entwicklung besteht im Rahmen der NATO seit langem eine auf gegenseitige Ergänzung und Arbeitsteilung zielende wirkungsvolle Zusammenarbeit, teils in multilateralen, teils in einzelnen bilateralen Abmachungen. Dieses teilweise allerdings noch unkoordinierte Nebeneinander verschiedener Aktivitäten muß in ein sinnvolles Gesamtkonzept eingeordnet werden, ein Konzept, das den Anforderungen der modernen wissenschaftlichen und technischen Entwicklung gerecht wird und Überschneidungen vermeidet.
Die Untersuchungen über den technologischen Rückstand Europas gegenüber Amerika haben bestätigt, daß die Schwächen der wissenschaftlichen, technischen und industriellen Entwicklung dieses Kontinents weniger auf einem Rückstand in der Forschung - den es sicher auch gibt -, als vielmehr auf der Zersplitterung des europäischen Marktes und den damit zusammenhängenden Hindernissen für die Bildung von Industriestrukturen europäischen Ausmaßes beruhen.
({7})
Der notwendige Fortschritt hängt deshalb in hohem Maße davon ab, daß es gelingt, auf der Grundlage eines europäischen Binnenmarktes die notwendigen Rahmenbedingungen für eine hochmoderne Industrie mit starker Aktivität in Forschung und Entwicklung zu schaffen.
({8})
Voraussetzungen hierfür sind u. a. ein einheitliches europäisches Gesellschafts- und Patentrecht und die Harmonisierung der Steuersysteme. Die europäische Zusammenarbeit auf einigen begrenzten Gebieten, wie Atom- und Weltraumforschung, genügt deshalb nicht.
({9})
Die wachsende Bedeutung anderer Schlüsselbereiche und die immer stärker ausgeprägte Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Sektoren der wissenschaftlichen Forschung und technischen Entwicklung zwingen dazu, die Kooperation auf neue Bereiche auszudehnen und in den Rahmen einer allgemeinen europäischen Forschungs- und Industriepolitik einzuordnen. Die staatlichen Förderungsmaßnahmen auf den erwähnten Gebieten haben dabei keinen unbedingt allgemeingültigen Modellcharakter. In weiten industriellen Bereichen wird die Entscheidung über geeignete Formen der europäischen Zusammenarbeit stärker bei den Unternehmen selbst liegen, die in der Wettbewerbswirtschaft die Kosten für Forschung und Entwicklung überwiegend und das unternehmerische Risiko ganz tragen.
Auf der Grundlage verschiedener Vorarbeiten und Initiativen hat die Ratstagung der Forschungsminister vom 31. Oktober 1967 in Luxemburg einen bedeutsamen Fortschritt gebracht. Die Mitgliedstaaten beschlossen hier, eine umfassendere Zusammenarbeit bei der Förderung der wissenschaftlichen und technischen Forschung einzuleiten. Als erstes sollen die Möglichkeiten enger, praktischer Kooperation auf den Gebieten Informationsverarbeitung und -verbreitung, Fernmeldewesen, Entwicklung neuer Verkehrsmittel, Ozeanographie, Metallurgie, Umweltbelästigungen und Meteorologie untersucht und die Aufnahme weiterer Sektoren geprüft werden. Außerdem sind die Mitgliedstaaten übereingekommen, ihre nationalen Pläne, Programme und Haushalte gegenüberzustellen und die Zusammenarbeit bei der Verarbeitung und Verbreitung technischer Informationen sowie bei der Ausbildung und dem Austausch von Wissenschaftlern zu verbessern.
Ich messe diesem Ergebnis große Bedeutung für die weitere europäische Kooperation bei und sehe darin die Chance, die Gemeinschaft auch im Interesse engerer Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung als Kern der europäischen Einigung zu kräftigen und zu erweitern. Da in unserer freiheitlichen Gesellschaftsverfassung sowohl die Wissenschaft als auch die Wirtschaft weitgehende Eigenständigkeit und freie Entschlußmöglichkeiten besitzen, ist in Deutschland auf diesem Gebiet eine freiwillige Abstimmung besonders dringend. Ich möchte deshalb auch vor diesem Hohen Hause an Wissenschaft und Wirtschaft appellieren, der Bundesregierung bei einer fruchtbaren Zusammenarbeit auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung und der technischen Entwicklung im europäischen Rahmen und darüber hinaus im gesamten internationalen Bereich behilflich zu sein. Nach den Luxemburger Beschlüssen sollen ausdrücklich auch die Möglichkeiten einer Beteiligung anderer europäischer Staaten berücksichtigt werden.
In diesem Zusammenhang ist die Rede Premierminister Wilsons am 13. November 1967 in der Londoner Guildhall von Bedeutung. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß sie den Beitritt Großbritanniens zu den Europäischen Gemeinschaften auch im Hinblick auf sein wissenschaftliches und technisches Potential für erforderlich hält und unterstützt.
({10})
Bis zu einer positiven Entscheidung in dieser Frage wird sie alle Bemühungen um praktische Lösungen fördern, die schon jetzt zu einer verstärkten Zusammenarbeit der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Mitgliedstaaten mit Großbritannien und den anderen beitrittswilligen Ländern auf wissenschaftlich-technologischem Gebiet führen.
Die Völker Europas können ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit und ihre nationale Identität nicht in der Hinwendung zu den Formen und Ideen von gestern sichern oder wiedergewinnen. Nur in einer festen institutionellen Verbindung, in der Zusammenfassung ihrer wirtschaftlichen und politischen Kräfte vermögen sie dieses große Ziel zu erreichen. Dies wird in wenigen Bereichen durch die nüchterne, die unzweideutige und drängende Sprache der Tatsachen und Notwendigkeiten so unübersehbar wie in Wissenschaft und Forschung. Mögen sie die Schrittmacher für die Ordnung von morgen werden!
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Ich eröffne die Aussprache, verbunden für beide Großen Anfragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob in diesem Hause neue Sitten eingeführt worden sind,
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aber ich stelle fest, daß wir als Opposition zum ersten Male den Text ,der Antwort des Bundeswissenschaftsministers nicht im voraus bekommen haben. Nun kann das eine Panne sein, das kann aber auch .daran liegen, ,daß .der Bundeswissenschaftsminister vielleicht nicht die Absicht gehabt hat, uns die Gelegenheit zu einer etwas länger vorbereiteten Kritik zu geben, wie sie der Herr Kollege Dr. Lohmar z. B. auf diese Weise hatte, der seine Rede bereits vorher über die Presse verteilen ließ.
Eine Zwischenfrage, Herr Dr. Lohmar.
Herr Kollege Moersch, darf ich Sie über die Gleichheit der Chancen der Abgeordneten beruhigen: Ich habe auf telefonischen Anruf beim Wissenschaftsministerium gestern das Manuskript der Rede erst heute in den frühen Vormittagsstunden vorgefunden.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lohmar! Ich habe es mir bei Beginn der Verhandlungen hier eben geben lassen, deshalb kann ich nur kurz darauf eingehen. Ich möchte also um Ihr Verständnis bitten, wenn ich gezwungen bin, mich zunächst in dieser Runde auf ,einige wenige Punkte zu beschränken und Ihre Geduld vielleicht nachher, je nach dem Verlauf der Debatte, mit meinen Kollegen noch einmal 'in Anspruch nehmen muß. Denn, meine Kollegen von der CDU/CSU und der SPD, die Fragen, die Sie gestellt haben, sind recht vielMoersch
fältig, und auf Grund dieser Fragen war es sicherlich ,dem Herrn Minister nicht möglich, ich würde sagen, einen bestimmten und großen Duktus in seiner Antwort zu entwickeln. Das macht die Debatte ein bißchen schwierig.
Aber lassen wir uns zunächst einmal von den Anmerkungen des Kollegen Dr. Dichgans beeindrucken, die es mir wirklich wert scheinen, daß wir die Debatte vor allem darauf konzentrieren. Herr Kollege Dr. Dichgans, Sie haben hier beiläufig ausgesprochen, ,daß man Zielvorstellungen politischer Art für das Jahr 1980 brauche. Ich habe erwartet, daß wir davon in der Rede des, Bundeswissenschaftsministers etwas hören könnten; denn ich nahm an, daß Ihre Anmerkungen mit .der Antwort abgestimmt seien. Statt dessen stelle ich fest, daß der Bundeswissenschaftsminister zu der gleichen Erkenntnis kommt und solche Erkenntnis ebenfalls ohne Inhalt vorträgt. Das ist für die Opposition enttäuschend, wie Sie zugeben müssen. Denn .es ist schwer, eine Politik zu beurteilen, deren Zielvorstellungen man nicht kennt, und es ist sehr schwer, zu beurteilen - das ging ja Ihnen wohl ebenso, Herr Kollege Dr. Dichgans -, ob die Einzelheiten, die hier vorgetragen worden sind, im Blick auf das Jahr 1980 sinnvoll sein können. Das entzieht sich vorläufig unserem Urteil. Vielleicht werden wir in der Haushaltsdebatte Gelegenheit haben, auf diesen Punkt zurückzukommen. Denn die Entscheidungen, die jetzt, gerade in der Haushaltsberatung, von uns verlangt werden, legen den Weg fest, den wir gehen, und er wird unter Umständen in einigen weiten Bereichen unwiderruflich sein.
Wir müssen also erwarten, Herr Minister, daß diese Bundesregierung, deren Sprecher Sie in diesem Fachbereich sind, uns sagt, welche Gesellschaft sie sich vorstellt, für die wir in das Jahr 1980 hinein Zielvorstellungen haben sollen, welche Art von Demokratie sie haben möchte. Es ist nicht ganz ohne Grund, daß wir das heute sagen. Es gibt offensichtlich verschiedenartige Vorstellungen auch innerhalb der Fraktion der CDU/CSU, wenn ich etwa die Rede des Kollegen Dr. Dichgans heute zu den Fragen der studentischen Jugend mit dem vergleiche, was andere Kollegen Ihrer Fraktion, die sich das möglicherweise weniger überlegt haben, von sich gegeben haben.
Vor allem müssen wir von Ihnen, Herr Minister, wissen - das ist der letzte Punkt -, was für ein Europa Sie sich eigentlich denken, in dem wir wissenschaftlich kooperieren sollen. Dessen Inhalt ist ja noch keineswegs ausgemacht. Es ist ein sehr vager Europa-Begriff, den Sie hier vorgeführt haben. Sie haben von festen Institutionen gesprochen, die man für die Zusammenarbeit brauche. Ich bin gar nicht so sicher, ob das der Nerv ist, auf den es hier ankommt. Ich glaube, ,es kommt z. B. darauf an, daß Sie sich trauen, hier zu sagen, wie Sie das Verhältnis mit Großbritannien auf wissenschaftlich-technischem Gebiet künftig haben wollen. Sie sollten nicht so sehr viel Rücksicht nehmen auf den bevorstehenden Besuch in Paris und sollten nicht so dünne Antworten geben, wie es .auf Seite 18 Ihres Redemanuskripts geschehen ist, wenn Sie zu diesen Dingen gefragt werden; denn damit kann man in der Tat nichts anfangen. Daß Herr Wilson dieses Angebot gemacht hat, ist bekannt. Ich hätte gerne die Folgerungen gehört, die die Bundesregierung daraus ziehen will, und zwar nicht nur in allgemeinen Wendungen.
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer.
Herr Kollege Moersch, ist Ihnen wirklich entgangen, daß wir, wie in den letzten Wochen doch deutlich geworden ist, eine maximale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet auch mit England wünschen?
Herr Kollege Althammer, ich habe gar nicht gewußt, daß Sie sich als Sprecher der CSU sofort getroffen fühlen, wenn ich dieses Thema hier anschneide. Das scheint mir doch bezeichnend zu sein. Ich habe mir eigentlich gedacht, daß der Minister nachher darauf antworten wolle. Das scheint aber genau der Punkt zu sein, wo Sie empfindlich sind. Was heißt hier „maximal"? Ich bin der Meinung: optimal. Im Augenblick fehlt es doch daran, daß Sie sagen können, was Sie vorhaben. „Maximal" ist kein Begriff, mit dem Sie hier etwas anfangen können. Ich will Ihnen genau sagen, worauf es mir z. B. ankommt.
Der Herr Bundesminister hat uns gesagt, daß die großen Sonderforschungsbereiche jetzt von der Bundesregierung in Angriff genommen werden, z. B. die Ozeanographie und die Datenverarbeitung. Das ist vorhin ausdrücklich gesagt worden. Nun frage ich Sie, wie es mit dem Bekenntnis zur europäischen Kooperation in Wissenschaft und Technik zusammenpaßt, wenn ausgerechnet zu diesen beiden Gebieten kein einziges Wort verschwendet wird über die Möglichkeiten einer 'europäischen Zusammenarbeit über die EWG hinaus. Sie werden doch wohl glauben, daß auf diesem Gebiet nichts zu erreichen ist, wenn wir im nationalen Rahmen Sonderforschungsbereiche planen. Das nur als Anmerkung dazu.
Gerade auf dem Gebiet der Ozeanographie, wo wir uns in Neuland begeben und überhaupt nicht abschätzen können, welche Kosten und welchen Nutzen das eines Tages erbringen wird, wäre es ein Ansatzpunkt, die Anregung von Herrn Wilson einmal aufzunehmen und zu fragen, was wir gegenseitig tun können.
Das hat mit EWG überhaupt nichts zu tun. Das hat mit unserem Einfallsreichtum und unserem politischen Willen etwas zu tun. Das scheint mir die Hauptlücke zu sein, nicht die technologische Lücke, sondern die Lücke an Einfallsreichtum und an Mut zur politischen Entscheidung.
({0})
Nach dem Beispiel Ozeanographie gleich ein weiterer Punkt, auf den wir hinweisen müssen. Es mag angesichts der Verfassungslage, in der wir uns befinden, durchaus verlockend sein, solche Sonderforschungsbereiche mit eigenen Gesellschaftsformen
- GmbHs und anderen - zu gründen. Sie müssen aber wissen, daß Sie, wenn Sie diesen Weg gehen, unter Umständen unseren Hochschulen, die Wissenschaftler auszubilden haben, genau die Arbeitsbereiche nehmen, an denen sich die Zukunft zu orientiren hätte und die für die Zukunft wichtig sind. Das heißt, es kann uns passieren, daß wir hier eine Trennung von moderner Forschung und Lehre herbeiführen, die am Ende zu einer Verarmung unserer gesamten Wissenschaft und nicht zu einer Bereicherung führt, wenn wir hier glauben, aus Gründen, die in der Einfachheit liegen, ganze Bereiche, die in der Zukunft eine große Entwicklung nehmen werden, abtrennen zu können.
Die Ozeanographie ist eine ganz gefährliche Sache, wenn sie nicht in unser Hochschulwesen integriert wird. Es ist auch auf anderen Gebieten nicht ohne Gefahr, wenn Sonderbereiche gebildet werden. Denken Sie nur an die Kopflastigkeit, die sich durch Verteidigungsforschungsaufträge in manchen Bereichen ergibt, die außerhalb der eigentlichen Hochschule und damit außerhalb der Lehre liegen. Die Beteiligung an der Forschung ist eben ein Stück Lehre; das kann man gar nicht trennen. Darauf sollte man auch nicht mehr hinweisen müssen.
Man sollte eigentlich auch nicht sagen müssen, daß hier die Gefahr besteht, daß von Bundes wegen zwei Klassen von Wissenschaftlern geschaffen werden, nämlich solche, die am Ende vom Bund finanziert werden und die vor allem in der Forschung tätig sind, und solche, die das Gehalt vom Land beziehen und der Lehre dienen. Das ist doch die Gefahr, in die Sie hineingeraten, wenn Sie diese Sonderforschungsbereiche noch weiter ausdehnen und nicht auch international verzahnen, was über die Hochschulen geschehen müßte und wohl auch geschehen kann.
Eine weitere Frage, Herr Minister, die hier doch einmal behandelt werden muß. Ich erinnere mich undeutlich, daß wir bereits vor mehreren Jahren in diesem Hause den Antrag gestellt hatten, die Wissenschaftsstatistik auf den Stand - und zwar schnell - zu bringen, der notwendig ist, um künftig überhaupt Haushaltsentscheidungen und politische Entscheidungen treffen zu können. Heute teilen Sie uns in einem Nebensatz mit, daß es eben hieran mangelt, daß die statistischen Unterlagen noch nicht so sind, wie sie sein müßten. Ich hatte mir vorgestellt, daß in einem Land wie dem unsrigen ein solcher Mangel in zwei oder drei Jahren hätte behoben sein können, und daß wir auf diesem Gebiet sehr viel weiter sein müßten, als wir es heute erfahren.
In diesem. Zusammenhang eine andere Sache, die ich ebenfalls sehr vermisse - sie ist allerdings nicht so präzise gefragt werden-: Welche Art von Erfolgskontrolle haben Sie eigentlich in Ihrem Ministerium bezüglich der ausgegebenen Mittel? Kollege Dichgans hat das Thema in seiner zurückhaltenden Art angeschnitten. Ich möchte es ein bißchen verdeutlichen, damit es nicht vergessen wird. Es handelt sich nämlich darum, daß das Geldausgehen Geld kostet. Das kann doch nur bedeuten, daß Sie entweder einen Apparat haben müssen, von dem Sie zuverlässig wissen, daß er auch diese Erfolgskontrollen durchführen kann und damit aus der Kritik in der Vergangenheit für die Zukunft vernüftiger planen kann, oder, daß Sie den Mut haben müssen, die Selbstverwaltungsorganisationen der Wissenschaft so zu verstärken, daß diese Ihnen nun wiederum die Unterlagen liefern, die Sie einfach brauchen, wenn Sie in der Haushaltsdebatte vor dieses Parlament treten und Mittel verlangen müssen. Dann werden wir eines Tages 'endlich die Frage zu stellen haben, was eigentlich effektiv mit den Mitteln in der Vergangenheit geschehen ist. Diese Frage ist in manchen Bereichen erst noch zu beantworten.
Es geht nicht darum, .daß man in der Forschung nur nach dem sicheren Nutzen Geld ausgeben kann. Die Finanzierung der Forschung bedeutet, ,daß man auch die Irrwege 'finanzieren muß. Aber wir haben ein Recht, und die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, wo solche Irrwege gewesen sind, damit man daraus für die Zukunft allgemein Lehren zieht und ,damit die anderen Wissenschaftler ebenfalls Lehren daraus ziehen.
Ich glaube, Herr Dr. Dichgans, ich habe Sie nicht falsch interpretiert, wenn ich auf diesen Punkt hingewiesen habe. Aber Ihre, wie gesagt, naturgegebene Zurückhaltung hat es vielleicht etwas undeutlich gemacht. Die Aufgabe der Opposition ist es, hier stärker auszudeuten und zu unterstreichen.
Ich glaube, Herr Minister, daß eine Passage in Ihrer Rede sicherlich heute noch eine Rolle spielen wird. Ich meine die Stelle auf Seite 13 Ihres Redemanuskripts. Da sagen Sie uns, was wir eigentlich tun müßten. Wir müssen dafür sorgen, so sagen Sie, daß die späteren Wissenschaftler und Techniker richtig vorbereitet zu den Hochschulen und anderen Ausbildungsstätten kommen. Das ist ein Satz, dessen Inhalt ganz unbestreitbar ist. Das sei eine Frage der Struktur unseres Schulwesens, sagen Sie. Nun, zunächst die Frage: Wen haben Sie mit „wir" gemeint? Meinen Sie die Bundesregierung, meinen Sie uns alle? Ich hätte das gern einmal etwas präziser gehört. Und dann sagen Sie, ,das sei eine Frage der Struktur unseres Schulwesens. Auch das ist richtig. Aber Sie sagen dann, dazu könnten wir auf Bundesebene so ungefähr gar nichts tun. Dieser Fatalismus ist völlig unangebracht. Wir haben in diesem Hause über wesentliche Fragen von gesamtstaatlicher Bedeutung zu diskutieren. Auf diesem Gebiet muß zunächst einmal ein Wille der Bundesregierung sichtbar sein, und dann muß das Parlament Argumente austauschen. Wenn .die Bundesregierung das nicht tut, muß sich das Parlament die Freiheit nehmen, darüber zu diskutieren. Auch 'die Vertreter des Bundesrates sollten sich an diesen Diskussionen beteiligen.
Wenn wir aber erkennen, daß wir unserer gesamtstaatlichen Verantwortung für die Wissenschaft mit ,dem Schulwesen, das wir heute haben, nicht mehr gerecht werden können, ist es unsere Pflicht, auch darüber mindestens zu diskutieren. Entscheiden mögen dann andere Instanzen. Es aber mit wenigen Sätzen auf die verfassungsmäßigen Schwierigkeiten abzuwälzen, wenn es die Bedeutung hat, die Sie ihm beimessen - und das ist in der Tat der
Fall -, reicht meiner Ansicht nach künftig nicht mehr .aus. So billig werden Sie gerade in dieser Koalition in ,der Öffentlichkeit künftig nicht mehr davonkommen. Denn Sie haben ja schließlich diese Koalition gebildet, um große Reformen durchsetzen zu können, um große politische Entscheidungen treffen zu können, für die Sie die Ländermehrheit und die Bundestagsmehrheit bis zur verfassungsändernden Mehrheit haben. Wenn Sie eine so große Mehrheit haben, haben Sie eine besonders große Verantwortung, und dann sollten Sie künftig auf Große Anfragen nicht so kleine Antworten geben.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wahrscheinlich richtiger, zunächst eine Debatte des Parlaments anzuhören und dann für die Bundesregierung zu sprechen. Aber wenn der erste Debattenredner. mit so falschen, tatsächlich falschen und sachlich zumindest anfechtbaren Behauptungen aufwartet, wie es Herr Moersch getan hat, müssen wir doch gleich etwas dazu sagen.
Herr Moersch hat beanstandet, daß er den Redeentwurf der Bundesregierung wenige Minuten oder unmittelbar vor Beginn der Debatte bekommen habe, Dieser Redeentwurf ist ihm oder seiner Fraktion heute früh um 9 Uhr durch Boten zugesandt worden. Wenn die FDP für die weitere Zustellung sechs Stunden -braucht, so ist das ein Problem ihrer inneren Organisation und nicht meiner.
({0})
Wir haben bei der relativ späten Einbringung des Entwurfs der Fraktion der CDU/CSU, die erst vor 14 Tagen erfolgte, die erforderlichen Vorarbeiten innerhalb der Bundesregierung, an denen mehrere Ressorts beteiligt waren, so gründlich vorgenommen, daß ich erst gestern nachmittag die endgültige Fassung, die Korrektur, formuliert habe. Heute früh haben sie dann alle Fraktionen zur gleichen Zeit bekommen; zwei haben sie am Vormittag, eine am Nachmittag erhalten. Wir sollten diese Sache damit abschließen und der Opposition empfehlen, bessere Argumente zu finden.
Meine Damen und Herren, das, was Herr Moersch zur Sache gesagt hat, ist außer einigen Kraftworten meines Erachtens in gar keiner Weise ein konstruktiver Beitrag gewesen, der von irgendeiner Sachkenntnis zeugte. Was er hier zu den Sonderforschungsbereichen erklärt hat, beweist, daß er die Empfehlungen des Wissenschaftsrates und die Planungen der beteiligten Regierungen nicht gelesen hat. Denn die Sonderforschungsbereiche sollen nicht zu „zwei Klassen von Wissenschaftlern" führen, wie er meint, bei denen die einen vom Bund und die anderen von den Ländern bezahlt werden, sondern das System der Sonderforschungsbereiche will etwas ganz anderes. Es will eine gemeinsame Finanzierung der Länder und des Bundes für zusätzliche Maßnahmen, die wir im Rahmen einer geplanten Wissenschaftspolitik und der Bewältigung von Zukunftsaufgaben dringend brauchen. Diese gemeinsame Finanzierung wird in der Trägerschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt, so daß dieses Zweiklassensystem überhaupt nicht entstehen kann. Wenn Herr Moersch die Organisation unserer Hochschulen etwas sorgfältiger studiert hätte, als er es offenbar getan hat, würde er wissen, daß auch heute ein wesentlicher Teil der tatsächlich vorhandenen Forschungsschwerpunkte bereits über die Deutsche Forschungsgemeinschaft, d. h. den gleichen Träger, finanziert wird.
Die Frage der Erfolgskontrolle, die er auch hier angesprochen hat, ist sehr ernst zu nehmen. Aber ich habe nicht den Eindruck, daß er darauf schon eine schlüssige Antwort wußte.
({1})
- Manchmal sind wir ja auch dankbar für Anregungen der Opposition und nicht nur für Probleme. Aber heute haben wir keine konstruktiven Anregungen gehört. Insofern darf ich Sie vielleicht auch einmal fragen. - Die Frage der Erfolgskontrolle ist ein schwieriges Thema. Ich glaube, daß wir bei einigen unserer naturwissenschaftlich-technischen Programme - ich habe Beispiele gegeben - ein gewisses Maß an Erfolgskontolle haben, etwa bei den großen Mitteln, die wir für die Reaktorentwicklung ausgeben. Sicher haben wir - im Guten oder Bösen - auch eine Erfolgskontrolle bei den Projekten der Weltraumforschung. Das gilt sicher auch für die Luftfahrttechnik und für die Verteidigungsforschung. Dort gibt es Erfolgskontrolle. Wir haben dort positive und weniger positive Beispiele. Aber die Möglichkeit, in der Grundlagenforschung - das heißt im weiten Fächer der Fachwissenschaften - von einem Ministerium eine Erfolgskontrolle durchzuführen, ist zugegebenermaßen begrenzt. Die Erfolgskontrolle liegt im Sachverstand. Deshalb ist es richtig, daß wir gerade die wissenschaftlichen Selbstverwaltungsorganisationen - so wie wir es jetzt auch mit dem neuen Programm der Sonderforschungsbereiche tun wollen - zum Träger dieser Maßnahmen machen und damit auch durch die Wissenschaft selbst eine Erfolgskontrolle herbeiführen.
Ich räume gern ein, Herr Moersch - das haben auch andere Redner gesagt -, daß hier noch einiges zusätzlich zu tun ist. Aber die Größe unserer Organisation setzt uns gewisse Grenzen. Wir haben unter der Federführung der Bundesregierung nach 1965 die Mittel für Wissenschaft und Forschung in dieser kurzen Zeit verdoppelt; aber unsere Organisation . ist nur um 20 % gewachsen. Der Etat meines Ministeriums beträgt heute das Zehnfache dessen, was das Atomministerium 1961 mit einem halb so großen Personalbestand zu bewältigen hatte. Hier liegen gewisse Grenzen in der Organisation, auf die ich auch dieses Hohe Haus; das für die Bewilligung von Stellen und Verwaltungsstrukturen mit zuständig ist, gern hinweisen möchte. Ich stimme dem, was hier gesagt wurde, zu: es ist eine eminent dringliche und wichtige Aufgabe.
Meine Damen und Herren, ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß wir neben Kritik, die wir sicher, wenn sie sachorientiert und überzeugend ist, von diesem Hohen Haus erwarten, im Laufe der weiteren Debatte eine Reihe konstruktiver Vorschläge hören werden.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die Abteilung Polemik vorerst erledigt ist, kann ich mich wieder der Sache zuwenden, und ich finde das auch sehr gut.
({0})
- Sie sind ein Witzbold;
({1}) wir machen hier Politik.
Ich möchte mich gern dem Gedanken wieder zuwenden, der in der Antwort der Bundesregierung, in der Begründung der SPD und auch in dem Antrag enthalten ist, den ich gesehen habe und der die deutliche Handschrift von Herrn Lohmar trägt. Es sieht so auch, als ob die beiden Anträge eine gewisse Identität hätten. Beide fragen nach Planung und nach Beratungssystemen. Aber mir ist heute deutlich geworden, daß wir doch etwas sehr Verschiedenes meinen. Die Gedanken von Ulrich Lohmar sind zweifellos viel weitgreifender, als wir am Beginn angenommen haben; wir sehen es an dem Antrag.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit, meine Damen und Herren, einen Glückwunsch anbringen.
({2}) - Nein, noch nicht? Dann später.
Ich bin mit den Ausführungen der SPD nicht einverstanden; wenn Sie so wollen, wir sind hier nicht einer Meinung. In der Anfrage wird von einer Planung für den Bereich von Bildung und Wissenschaft in Bund und Ländern gesprochen. Damit wird etwas Unmögliches angesprochen. Es fehlt hier die Klärung der Begriffe. Ich bewundere den naiven Mut und den edlen Schwung, der in diesen Sätzen behaust ist. Ich glaube, daß eine Totalplanung für Wissenschaft und Bildung heute noch nicht möglich ist. Ich glaube noch nicht einmal daran, daß es in diesem Lande heute eine Gesamtplanung für Wissenschaft geben kann.
({3})
Das liegt daran, daß der Begriff Wissenschaft sich unter unseren Augen sehr rasch wandelt. Wenn wir von Wissenschaft sprechen, dann denken wir an Universitäten, Institute. Wenn wir weiter denken, dann fügen wir Jülich, Karlsruhe, Oakridge, Calder Hall etc. hinzu und nennen das dann Big Science oder Großforschung. Solche Begriffe sind schwimmend und können nicht als Grundlage einer Planungsdiskussion herangezogen werden, weil tatsächlich ganz verschiedene Dinge gemeint sind. Man muß, glaube ich, Herr Lohmar, wenn man in diese Debatte eintreten will, zunächst einmal unterscheiden zwischen Wissenschaft im traditionellen Sinne des Wortes und dem, was wir heute Projektwissenschaften nennen, wie sie mit dem zweiten Weltkrieg entstanden sind. Das erste davon war, wie Sie wissen, das Manhatten-Projekt.
Wenn von Wissenschaft im traditionellen Sinne gesprochen wird, wissen wir: solche Wissenschaft ist problemgebunden. Sie orientiert sich am Erkennen bzw. an der Wahrheit, und sie ist nicht an Termine gebunden.
Bei den Projektwissenschaften ist das ganz anders. Es wird vorher ein Ziel definiert, das politisch entschieden wird. Man will etwas ganz Bestimmtes. Man braucht eine zeitliche Terminierung; denn wenn man zu einer bestimmten Zeit wie bei dem militärischen Beispiel - nicht da ist, hat es keinen Sinn mehr. Solche Projektwissenschaften haben eine signifikante Beziehung zur Wirtschaft, zur Volkswirtschaft. Sie erfordern ein Vielfaches an finanziellen Mitteln, viel mehr als die gewöhnlichen Wissenschaftsaufgaben, und sie erfordern eine hohe Zahl von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Administratoren. Das ist das Neue eigentlich. Wir können uns das z. B. an dem Projekt schnelle Brüter klarmachen. Dieses Projekt hat 1,5 Milliarden DM gekostet. Man brauchte dazu etwa 2000 Wissenschaftler, Ingenieure und Hilfskräfte, und das Ganze hat 15 Jahre gedauert. Das ist ein klassisches Beispiel für eine Projektwissenschaft. Oder Sie können das IBM- Projekt nehmen. Die Computer-360-Serie hat 5 Milliarden DM gekostet, hat 10 000 Ingenieure und Wissenschaftler benötigt und hat etwa sieben Jahre gedauert.
Meine Damen und Herren, aus dem vorher Gesagten ergibt sich, daß man sich, ehe man von Planung redet, darüber klar sein muß, was hier vor sich geht. Bei diesem Teil der Wissenschaft - und von dem reden wir in unserem Antrag, wenn wir von Zukunftsaufgaben reden - braucht man einen geschlossenen Wirkungszusammenhang von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft, so etwas wie einen geschlossenen Blutkreislauf ; sonst funktioniert das nicht.
Ich habe die Elemente des Feldes, das zur Planung benötigt ist, schon charakterisiert: Festlegung des Zieles, Bestimmung der Zeit, Höhe der Finanzen, Manpower, dann - als Ergebnis - den Innovationseffekt für Wirtschaft und Technologie, den Ertrag in der Volkswirtschaft selbst, ferner die Rückkoppelung auf Wissenschaft, Wirtschaft und wieder auf Projektforschung. Das ist ein geschlossener Kreislauf. Man nennt so etwas heute ein System.
Ich habe das, meine Damen und Herren, sehr kurz nur erwähnt, um jetzt zu der Frage zu kommen, was Planung und Beratung bedeutet. Ich gehe davon aus, daß man keine Totalplanung machen kann, sondern daß man die Dinge erst einmal aufteilen muß, um dann zu einer Schlußfolgerung zu kommen. Was wir
tun müssen - das ist der Sinn unseres Antrages und unserer Anfrage -, ist, daß wir dieses System analysieren, um herauszufinden, was Priorität wirklich ist.
({4})
- Bitte!
Herr Kollege Martin, darf ich mir den Hinweis erlauben, daß wir uns ja über die Antwort der Bundesregierung unterhalten. Nicht ich habe sie heute in diesem Saal gegeben, sondern Herr Stoltenberg.
Ich unterhalte mich jetzt mit Ihnen, Herr Lohmar, und spreche von Ihrem Antrag. Auf die Antwort der Bundesregierung komme ich gleich zurück.
Meine Damen und Herren, es kommt darauf an, dieses System zu analysieren, um herauszufinden, was wir tun können oder was wir tun müssen. Das beinhaltet den Begriff der Zukunftsaufgaben, die die Bundesregierung Ihnen vorgelegt hat. Jetzt bin ich dabei. Wenn man den Forschungsbericht liest und das überlegt, was der Minister heute gesagt hat, so ergibt sich, daß die Punkte, die in der amerikanischen und in der russischen Forschung - überhaupt in der Forschung - heute angesprochen werden müssen, alle dort enthalten sind: Kernenergie, Weltraum, Datenverarbeitung, Ozeanographie, Molekularbiologie. Meine Damen und Herren, die Frage ergibt sich ja aus dem, was der Herr Minister schon gesagt hat. Bei begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen entsteht die Frage: Was müssen wir heute tun, um die Wirtschaft und Technologie von morgen zu haben? Ich will einmal provozierend sagen: Die Miniaturisierung des amerikanischen Programms ist noch kein deutsches Programm - weil das einfach nicht geht.
({0})
Man kann die „Wissenschaftskarte" Amerikas oder Rußlands nicht im Maßstab 1 : 100 ,als deutsche Aktion übernehmen wollen. Das ist jetzt unser eigentliches Anliegen. Unsere Mittel sind begrenzt -These 1 -, aber wir müssen dabei sein, wenn wir überleben wollen. Die Frage ist, wie wir dabei sein können.
Ich würde zunächst sagen, meine Damn und Herren: Es ist gut, daß die beiden Parteien die Frage der Planung gestellt haben. Denn wir müssen zugeben: Es ist bis jetzt noch nicht bekannt, welches von den großen Projekten wir verwirklichen können und was wir tun müssen. Deshalb ist es unsere Aufgabe, eine solche Systemanalyse herbeizuführen und die politische Entscheidung vorzubereiten. Mein Kollege Schober wird darüber nachher noch im ,einzelnen sprechen. Mein Anliegen war, die Bundesregierung zu bitten - wir belegen das mit einem Antrag -, nachdem .der Forschungsbericht mit seinen ausgezeichneten Analysen vorliegt und nachdem Bundestag und Bundesregierung die Priorität für Wissenschaft und Forschung festgelegt haben, nun das richtige Projekt innerhalb der Priorität für Wissenschaft herauszufinden und es uns vorzulegen.
Meine Damen und Herren, ich komme zu dem Punkt 2. Planung im Wissenschaftsbereich sieht bei uns anders aus. Ich darf bei dieser Gelegenheit sagen: Wir müssen uns bei der Förderung von Wissenschaft und Forschung von diem Gedanken freimachen, ,als ob uns bei der allgemeinen und ungezielten Wissenschaftsförderung die wissenschaftlichen Ergebnisse, sozusagen als Fall out, von selber ■zukämen. Ich will das noch einmal betonen. Allgemeine Wissenschaftsförderung selbstverständlich im größtmöglichen Maße, aber der Innovationseffekt, der wirtschaftliche Effekt, der kommt von ,der gezielten Projektwissenschaft.
({1})
- Meine Damen und Herren, ich unterstütze das, was Herr Lohmar vermutlich sagen wird
({2})
und worüber wir uns schon verständigt haben.
({3})
Ich hatte noch keine Gelegenheit, meinen Mitarbeiter in die Pressestelle zu schicken, um Ihre vortreffliche Rede - wie ich sicher bin - zur Kenntnis zu nehmen, aber ich bin ebenso sicher, daß sie sich in den Punkten 1 bis 3 Ihres Antrags niedergeschlagen hat; ich werde das nachher akustisch zu prüfen haben.
({4})
- Nein? Trotzdem, Herr Lohmar, wir haben ja darüber gesprochen.
Es ist richtig - und das ist ein gemeinsames Anliegen von uns -, daß Bildungsrat und Wissenschaftsrat miteinander verzahnt werden müssen, daß der Koordinationsausschuß in Bewegung kommen muß. Wir werden das hier in diesem Hause, im Ausschuß und wo immer es nötig ist, mit allem Nachdruck unterstützen.
Ich möchte noch drei Themen ansprechen, zum Teil auf Veranlassung von Herrn Moersch. Herr Moersch kritisiert das Unternehmen „Sonderforschungsbereich". Meine Damen und Herren, der Minister hat natürlich vollkommen recht, wenn er sagt, daß das gemacht werden muß. Herr Moersch hat, wie sich in jedem Sandhaufen auch ein Goldkorn Wahrheit findet, auch etwas Richtiges gesagt. Er hat darauf hingewiesen, daß so etwas für die Struktur unserer Universitäten gefährlich werden kann. Jetzt ist er wieder nicht da!
({5})
Es ist so schwierig, zu lernen und zu lehren, wie man weiß.
Es ist richtig, meine Damen und Herren: Der Gedanke „Sonderforschung" widerspricht eigentlich dem Gedanken der interdisziplinären Zusammenarbeit. Ich will ein Beispiel nehmen: Wenn die Universität Gießen, die ein medizinisches Zentrum ist, keine Biologie mehr hätte, so wäre die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Tat in Frage gestellt. Weil das so ist, muß man - ich darf in dem Beispiel fortfahren -, wenn dann - da ja möglichst vieles in Hessen bleiben soll - die Biologie in
Frankfurt wäre, den Universitäten die Freiheit geben, Verträge miteinander zu schließen, damit die Einheit und Vollständigkeit der Universität gewahrt bleibt.
({6})
Das ist ein dringendes Anliegen von uns. Man muß eben etwas nachdenken, wenn etwas Neues kommt, und braucht nicht gleich zu befürchten, daß alte Strukturen zusammenbrechen.
Das zweite, was ich sagen möchte, ist etwas zur Lage der Kultur- oder Wissenschaftspolitik im allgemeinen. Ich bin etwas traurig darüber, daß sich die Kultusministerkonferenz und die Rektorenkonferenz in den letzten vier Wochen nicht mehr so gut verstehen, wie wir das, wenn wir den Forderungen der SPD entsprechen wollen, erwarten müßten.
Die Rektoren haben bei ihrer Godesberger Konferenz einige Dinge gesagt. Sie haben von der Autonomie der Universitäten gesprochen und damit, um Mißverständnisse abzuwehren, davor gewarnt, sachfremde Einflüsse auf die Universitäten loszulassen. Sie haben zweitens ihren entschiedenen Reformwillen bekundet und drittens Parteien, Staat und wen immer um Hilfe gebeten.
Die Kultusminister haben in Berlin darauf geantwortet. Sie haben gesagt, sie hätten in einem bestimmten Zeitraum einmal 100 % mehr Geld und 100% mehr Personal gegeben, und dabei habe man nur einen Zuwachs von 29 % an Studenten gehabt; es sei doch eigentlich betrüblich, daß man nicht mehr Studienplätze geschaffen habe und die Lehre nicht verstärkt habe.
Meine Damen und Herren, an sich kann man nicht von Studienplätzen leben wie die Chinesen vom Sozialprodukt. Die Rechnung ist etwas merkwürdig. Aber darauf will ich nicht eingehen. Was an der Sache fragwürdig ist, ist der Versuch, den Universitäten einen Vorwurf zu machen, den man ihnen, glaube ich, so nicht machen darf. Das sieht etwa so aus, als ob man sagen wollte, im Grunde genommen sollten die Universitäten lehren, lehren und noch einmal lehren; denn darauf geht der Vorwurf hinaus. Wir sollten uns darüber einig sein, daß die Einheit von Forschung und Lehre auf den Universitäten auch in der Praxis durchgehalten wird und dieser Vorwurf also nicht berechtigt ist.
Meine Damen und Herren, meine Zeit ist abgelaufen. Ich komme zum Schluß und fasse zusammen. Ich bin der Überzeugung, daß wir in der Wissenschaftspolitik einen epochalen Einschnitt haben, ebenso wie in der Wirtschaftspolitik. Das Programm „Schnelle Brüter" geht zu Ende. Wir sehen das schon ab. Dieses Projekt wird marktgerecht werden. Es wird den Effekt haben, den ich geschildert habe. Das Wirtschaftswunder hat nicht mehr die Vitalität, die wir kannten. Das liegt daran - ich nehme hier einen Gedanken von Siegfried Balke auf, der das einmal vorzüglich ausgeführt hat -, daß die technologische Ausrüstung unseres Landes auf die Weltmarktbedürfnisse paßte wie ein Schlüssel zum Schloß. Diese Zeit geht vorüber. Wir brauchen einen neuen Ansatz in den Projekten, damit wir zu einer Innovation unserer Technologie und zu dem Markt von 1980 kommen werden.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lohmar.
Dr. Lohmar ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Bundesminister für wissenschaftliche Forschung zunächst versichern, daß er in weiten Teilen seiner Rede mit den Auffassungen der SPD übereinstimmt. Um so mehr habe ich mich über seine gereizte Reaktion auf die ja nicht dummen Bemerkungen von Herrn Moersch von der gegenwärtigen Opposition gewundert. Wenn eine gute Rede kritisiert wird, Herr Minister, müßte man doch eigentlich nicht so gereizt reagieren.
Das zweite, was ich zum Stil dieser Debatte sagen möchte, bezieht sich auf die Regierungsbank und die Bundesratsbank. Die sozialdemokratische Fraktion hat in ihrer Großen Anfrage zwei Themen angeschnitten, einmal die Deutschlandpolitik im Zusammenhang mit Bildung und Wissenschaft und zweitens die Europapolitik. Bei allem Sinn für die Arbeitsteilung innerhalb des Kabinetts habe ich wenig Verständnis dafür, daß das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen und das Auswärtige Amt nicht in einer repräsentativen Weise an dieser Debatte hier beteiligt sind.
({1})
Das gleiche gilt für den Bundesrat. Es ist ein Unding, wenn die Länder kooperativen Föderalismus fordern und bei einer solchen Debatte, wo es eben darum geht, nur ein einziger Kultusminister in diesem Saal auf der Bundesratsbank anwesend ist.
({2})
So können die Länder das doch nicht machen. ({3})
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Ich mache kein Hehl aus dem, was ich selber meine. Darin kann ich Ihnen überhaupt nicht widersprechen. Dennoch, als Präsident des Hauses muß ich darauf hinweisen, daß es nicht üblich ist, daß dieses Haus auch nur im mindesten Vertreter eines anderen Hauses kritisiert. Das ist in diesem Saale nicht üblich, und es sollte aus wohlerwogenen Gründen auch dabei bleiben. - Mit einer sachlichen Stellungnahme hat das nichts zu tun. - Bitte fahren Sie fort!
Meine Damen und Herren, damit ist das Thema, über das ich soeben gesprochen habe, beendet.
({0})
Der Kollege Martin hat die sozialdemokratische Fraktion und mich im besonderen im Verdacht, mit dem Antrag, den wir hier stellen, einen Beitrag - um in der Sprache meines Freundes Professor Ehmke zu sprechen - zur Theorie und Praxis des begrenzDr. Lohmar
ten Konflikts innerhalb der Koalition zu leisten. Das ist nicht unsere Absicht, sondern uns geht es darum, der Bundesregierung und insbesondere dem Wissenschaftsminister durch präzise Hinweise bei der weiteren eigenen Meinungsbildung etwas behilflich zu sein - wenn ich es einmal freundlich so umschreiben darf.
Ihr Einwand, Herr Kollege Martin, daß man Bildungswesen und Wissenschaftssystem insbesondere wegen der Unterschiedlichkeit der Intentionen von Bildung und Forschung nicht in einem Planungssystem zusammenfassen könne, hat natürlich etwas für sich, wenn man die unterschiedlichen Aspekte ins Auge faßt. Aber beide, Bildungswesen und Forschung, Schulen und Universitäten sind Teile des Ausbildungssystems in unserer Gesellschaft, und soweit es sich um ein Ausbildungssystem handelt, brauchen wir in der Tat sachlich und zeitlich dringend die Integration unserer schulischen, unserer außerschulischen und unserer Hochschulausbildung. Ich sehe deswegen nicht recht ein, warum die sozialdemokratische Fraktion von ihrer Forderung abrücken sollte, dieses Thema auf der wirklich obersten Etage zwischen Bundesregierung und Bundesländern zu behandeln und weiterzutreiben. Ob Sie das nun Planungssystem nennen oder anders, ist uns ganz gleichgültig; uns interessiert nur, daß der Bundeskanzler endlich die Institutionen in Bewegung bringt, die in diesem Staat dafür eingerichtet worden sind und wo er in einer wesentlichen dieser Institutionen selber den Vorsitz hat. Das erwarten wir vom Regierungschef.
({1})
Ich möchte ganz wenige präzisierende Bemerkungen zu dem Teil machen, der sich mit der wissenschaftlichen Beratung der Politik beschäftigt. Zu den anderen Fragen werden meine Fraktionskollegen Liedtke und Dr. Müller etwas sagen.
Die Bundesregierung wird nach Auskunft des Bundeskanzleramtes zur Zeit gelegentlich oder ständig von mehr als tausend Wissenschaftlern beraten. Man müßte also, wenn man die Zahl nimmt, eigentlich vermuten, daß die Regierung in Weisheit umkommt. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt zwar eine große Zahl von Beiräten, Kommissionen usw. Es gibt Professoren, die gleichzeitig in acht oder zehn Beiräten sitzen. Man fragt sich, wie sie das überhaupt noch machen. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist, daß es keine Stelle in der Bundesregierung gibt, wo die Hinweise, die Resultate, die Vorschläge der einzelnen Wissenschaftler für die Gesamtpolitik der Bundesregierung gesichtet, ausgewertet und angewandt werden. Das kann nach Lage unserer Verfassung nur im Bundeskanzleramt geschehen; denn immerhin soll der Bundeskanzler ja die Richtlinien der Politik bestimmen und nicht, wie in der Großen Koalition, vollziehen. Dann muß man sich doch überlegen, ob der Kanzler nicht einen Planungsstab braucht. Das hat sich Herr Kiesinger auch selber überlegt, als er Regierungschef wurde. Aber das, was man über das Schicksal dieses Planungsstabes gehört hat, kann einen nur außerordentlich pessimistisch stimmen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber mit Vergnügen!
Herr Kollege Lohmar, darf ich annehmen, daß Sie soeben mit dieser Passage über das Richtlinien-Vollziehen die Meinung der sozialdemokratischen Fraktion wiedergegeben haben?
Der Satz war schön, das gebe ich zu. Aber er würde durch die Wiederholung weder falscher noch richtiger, Herr Moersch. Er sollte eigentlich nur die Problematik beleuchten und keine Fraktionsaussage darstellen.
Um zum Thema Kanzleramt zurückzukommen: Ich meine, der Bundeskanzler sollte sich dazu entschließen, eine solche die Beratung durch die Wissenschaft koordinierende Stabsabteilung beim Bundeskanzleramt nun endlich einzurichten.
({0})
- Die Idee ist es, Herr Martin, aber leider ist die Idee bisher nicht verwirklicht worden, und so wei, man hört, was man sich intra muros erzählt - soweit wir dazu Zugang haben, und der ist ja begrenzt, denn Sie stellen ja noch den Bundeskanzler, nicht wir -, ist es so, daß die Stabsabteilung in die amtsinterne Verwaltungshierarchie eingemauert werden soll. Täte man dies, so wäre das ein fundamentales Mißverständnis der Aufgaben, die wissenschaftliche Stäbe haben. Mich wundert es nicht, daß ein Teil der Verwaltungsführung auch auf der Bundesebene so reagiert. Denn hier wie anderswo zeigt sich, daß das hoheitliche und hierarchische Selbstverständnis der deutschen Verwaltung ein entscheidendes Hindernis für eine leistungsorientierte und partnerschaftliche Kooperation mit anderen Gruppen und Personen in unserer Gesellschaft ist. Wir werden diese Frage der Verwaltungsreform auch nicht mit einer Akademie für höhere Bundesbeamte lösen, wenn wir nicht diesen Zopf aus der wilhelminischen Zeit abschneiden und die deutsche Verwaltung so umbauen, daß sie in eine demokratische Leistungsgesellschaft paßt und sich ihren Maßstäben einfügt.
({1})
Daraus muß auch der Bundeskanzler in der Organisation der Wissenschaftsberatung und seines eigenen Stabssystems die Folgerungen ziehen.
Ich fand sehr gut, was Herr Stoltenberg über die Notwendigkeit, zu einem genaueren Verständnis der Autonomie der Wissenschaft zu kommen, gesagt hat. Das hat Professor Butenandt, der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, mit noch größerer Deutlichkeit festgestellt. Nur, Herr Bundesminister, man kann von der Wissenschaft nicht erwarten, daß sie ihre eigenen Zöpfe abschneidet, wenn der Staat nicht seinerseits ein kooperatives, partnerschaftliches Selbstverständnis entwickelt und beide aufeinander zukommen. Die Reform auf der einen Seite muß durch die auf der anderen Seite ergänzt werden.
Eine letzte Bemerkung. Der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung hat von neuen methodischen Möglichkeiten - Datenverarbeitung, Informationssystemen usw. - gesprochen. Es ist für uns im Bundestag ein ganz ernstes Problem, wie wir beim Übergang zu der sogenannten mittelfristigen Planung - nicht nur im Finanzbereich, sondern auch in den sachlichen Bereichen - zu angemessenen arbeitsmethodischen Konsequenzen kommen können. Mittelfristige oder langfristige Planung erfordert, wenn man sie in den Konsequenzen für das Parlament durchdenkt, geeignete Informationssysteme für die Gesetzgebung und noch mehr für die Kontrolle. Die Kontrolle im nachhinein ist eine unwirksame Waffe, ein hölzernes Schwert. Wenn die Kontrolle des Parlaments stärker werden soll, dann muß sie sich auf die Planung beziehen, und dazu braucht man bessere, modernere Informationssysteme der Art, wie Herr Stoltenberg sie skizziert hat. Daraus ergibt sich meine Bitte an die Regierung, dafür Sorge zu tragen, daß solche Informationssysteme in einer Art und Weise aufgebaut werden, daß sie Regierung und Parlament in gleicher Weise zur Verfügung stehen. Denn ihre Benutzung ist zunächst einmal eine neutrale Angelegenheit. Aber es wäre für den Bundestag schwer erträglich, einen weiteren Informationsvorsprung der Regierung hinnehmen zu müssen, ohne sich selber in die Lage versetzt zu sehen, gleichzuziehen.
({2})
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weitergebe, mache ich darauf aufmerksam, daß jetzt noch sieben Redner gemeldet sind. Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen entsprechend kurz fassen könnten, insbesondere mit Rücksicht darauf, daß auch noch ein Tagesordnungspunkt erledigt werden muß, zu dem ich selber reden muß, und zwar von hier aus, wäre ich dankbar.
Das Wort hat Herr Liedtke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, die Anregung des Präsidenten zu berücksichtigen, und möchte nur zwei kurze Stellungnahmen zu den Ausführungen von Herrn Moersch und Herrn Martin abgeben. Meine Stellungnahmen beziehen sich gleichzeitig auf die Punkte 1 und 2 des SPD-Antrags.
Hinter diesen beiden Punkten steckt im Grunde die Frage - Herr Moersch, jetzt komme ich zu Ihnen -: Reicht das föderalistische Prinzip in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik in der jetzigen Handhabung - das möchte ich unterstreichen - heute noch aus, um ungefährdet und ohne Schaden in die 70er Jahre eintreten zu können? Herr Moersch hat ein bißchen hinter sich gegriffen und indirekt seinen Antrag hervorgezogen, der in den Bildungsbereich gehört. Sie haben mit sehr viel Bravour, Herr Moersch, unterstellt, daß auf der föderalistischen Ebene der Länder von der Hochschule bis zur höheren Schule und bis zum Abitur und seinen Formen nichts, aber auch gar nichts mehr stimme und die Bundesregierung folglich aufgerufen sei, hier mit neuen Vorstellungen ordnend einzugreifen. Mit anderen Worten, Sie wollten den Wissenschaftsminister ,ein wenig dazu benutzen, Unterstützung für Ihren Antrag auf Änderung der Verfassung zu erhalten.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier auch einige Kritik anbringen, wenn ich auch kein Verfassungsstürmer wie Herr Moersch bin.
Erstens. Es ist ein guter Anfang, daß uns heute mitgeteilt werden konnte, daß morgen das Verwaltungsabkommen über die Finanzierung des Ausbaus der Universitäten geschlossen werden kann, nachdem es einige Monate nicht dazu kam. Aber mir scheint, daß - das möchte ich eigentlich nach links auf den Olymp geben, damit auch Sie einen Einstieg bekommen - im Bereich des Neubaus von Universitäten und der Mitfinanzierung durch den Bund irgendwo immer noch eine letzte Tretmine föderalistischen Denkens der Länder und der Angst in der Aufgabe von Kompetenzen nicht beseitigt ist. Denn es ist im Grunde unverständlich, daß nun schon eine geraume Zeit 200 Millionen DM aus dem zweiten Konjunkturprogramm still vor sich hin-schlafend beim Bundeswirtschaftsministerium liegen. Das kann man draußen kaum verkaufen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Liedtke?
Ja, bitte!
Herr Kollege Liedtke, darf ich Sie bitten, einmal den Wortlaut dessen, was ich gesagt habe, nachzulesen und dann das Wort „Verfassungsstürmer" zurückzunehmen, weil ich davon überhaupt nicht gesprochen habe? Ich habe vorhin nicht von Verfassungsfragen gesprochen. Sie müssen sich da gewaltig verhört haben.
Herr Kollege Moersch, ein Schimpfwort ist das in meinen Ohren einstweilen noch nicht,
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solange sich der Sturm nicht härter anläßt als so sympathisch, wie es beim Tagesordnungspunkt 4 der Fall sein wird.
Fahren Sie bitte fort!
Herr Moersch, wenn Ihnen der „Stürmer" genügt, haben Sie eine schlechte Verbindung zum Sport.
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Ich möchte auch die Sorge zum Ausdruck bringen - ich gebe sie ebenfalls nach links, wenn Sie schon einmal da sind -, daß in den Jahren 1972/73 die totale Überfüllung der Hochschulen als gesellschaftspolitisches Problem unvermeidbar sein wird, wenn nicht parallel mit dem Ausbau und Neubau der
Hochschulen eine Reform eintritt. Ich gebe das in dieser Akzentuierung hinüber, weil das zur Zeit nun wirklich ausschließlich zum Bereich der Länder gehört.
Nun möchte ich in aller Kürze noch zwei Fragen stellen, und die gehen mehr nach rechts.
1. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Minister, sind die Sonderschwerpunktprogramme, die wir nun verstärkt fortsetzen, noch nicht mit den Ländern abgestimmt. Ich spreche hier von der Finanzierung. Wenn man sich die Etats der Länder ansieht, so stellt man fest - das klang auch im Wissenschaftsauslschuß an -, daß wir die Differenzierung zwischen bescheidenen Ansätzen, Leertiteln und gar keiner Finanzierung haben. Ich kann mir aber vorstellen, daß diese Gemeinschaftsaufgabe schon zu Beginn der Planung unter Einbeziehung und Arrangierung der Länder angepackt wird. Darauf sollten wir Wert legen; denn auch die Weiterführung des Programms muß ja mittelfristig über mehrere Jahre erfolgen.
2. Gibt es schon konkrete Vorstellungen darüber, Herr Minister Stoltenberg, wie wir, wenn wir in die angewandte Forschung und danach in die technologische Entwicklung eintreten, mit den Ländern über mittelfristige Verwaltungsabkommen in einen Finanzierungsrhythmus hineinkommen? Denn ich fürchte auch hier, daß die Länder im nachhinein, wenn sie zusammen mit dem Wissenschaftsrat - aber doch auch mit der öffentlichen Hand - an der Bedarfsplanung, an der Einspeisung, an der Setzung der Prioritäten in gewissen Bereichen unbeteiligt sind, nur sehr unwillig bereit sein werden, dieses langfristige Programm mit zu finanzieren und als Gemeinschaftsaufgabe anzusehen.
Ich komme zum Schluß. Die SPD-Fraktion erlaubt sich den Vorschlag, im Einklang mit den Ausführungen des Herrn Wissenschaftsministers Bildungs-, Planungs- und Wirtschaftsförderung so ineinander zu integrieren, daß man sie von der Politik aus als eine Einheit betrachten muß, daraus, Herr Bundeskanzler, auch die praktischen Konsequenzen zu ziehen und die Bildungsplanung in das Wissenschaftsministerium einzugliedern, damit auch organisatorisch hier eine Hand lenkend und gestaltend tätig sein kann. Ich verweise auf die Punkte 1 und 2 unseres Antrags. Kollege Lohmar hat sie vorhin schon begründet. Wir wollen also versuchen, auf der höchsten Ebene, nämlich der des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten, eine Initialzündung auszulösen, um unsere föderalistische Struktur im Bereich der Bildungs- und Wissenschaftspolitik über die offensichtlichen Klippen und Ecken hinwegzuführen in der Erkenntnis, daß man in dieser Situation, wo es nur schwerlich überall gleichmäßig von selbst läuft, auf der höchsten Ebene anzusetzen hat.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schober.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bisher haben wir in der Debatte, sicherlich auch zu Recht, sehr viel darüber gehört, mit welcher Planung, mit welcher Beratung wir die großen Zukunftsaufgaben in Forschung und Wissenschaft anfassen sollen. Lassen Sie mich versuchen, etwas konkreter zu werden.
Was sind denn eigentlich die großen Zukunftsaufgaben in Forschung und Wissenschaft, die uns zur Lösung vorschweben, die wir unbedingt lösen müssen? Ich darf mich dabei auf die Frage 1 beziehen, die die CDU/CSU-Fraktion zu diesem Komplex gestellt hat. Herr Minister Stoltenberg hat darauf geantwortet. Wir sollten hier doch einen Aspekt ganz klar sehen: Wenn wir von Zukunftsaufgaben sprechen, sollten wir nicht nur daran denken, daß wir in der Zukunft überhaupt irgendwelche Aufgaben haben, sondern es kommt nach unserem Dafürhalten auch darauf an, diese Aufgaben zu systematisieren, diese Aufgaben in eine Reihenfolge nach ihrer Dringlichkeit zu bringen und dafür zu sorgen, daß der große Katalog unserer Zukunftsaufgaben zum Wohle der nach uns Kommenden gelöst werden kann. Meine Damen und Herren, wenn wir von Zukunft sprechen,. ist natürlich sofort die Kritik wach und die Frage: Was wissen wir überhaupt von der Zukunft? Kann man überhaupt von der Zukunft etwas wissen? Wie weit können wir in die Zukunft vorausgreifen? Ich meine, wir sollten da sehr vorsichtig sein. Wir sollten uns darüber klar sein, daß langfristige Prognosen um so unsicherer sind, je weiter sie in die Zukunft greifen, und daß wir gut beraten sind, einen möglichst überschaubaren Zeitraum zu wählen. Wie lang dieser überschaubare Zeitraum ist, das ist eine Frage, über die man sich unterhalten kann. Ich meine aber, daß man etwa bis zum Jahre 1980 übersehen kann, wo die großen Probleme unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft liegen.
Wenn ich eben die Frage aufgeworfen habe, was man überhaupt von der Zukunft wissen kann, so zeichnen sich doch einige Tendenzen ganz klar ab. Eine dieser Tendenzen ergibt sich z. B. aus dem, sehr stark wachsenden Bevölkerungspotential, geradezu einer Bevölkerungsexplosion, in den Entwicklungsländern. Wir haben auch ein maßvolles Wachstum bei uns. Dieses Bevölkerungswachstum ist nun nicht nur quantitativ gleichmäßig über eine Fläche ausgebreitet, sondern die Schwierigkeiten liegen darin, daß die Menschen sich in immer größer werdenden Ballungsräumen zusammenfinden und daß durch das engere Zusammenleben der Menschen erhebliche Probleme entstehen, die wir werden lösen müssen.
Meine Damen und Herren, innerhalb dieser Ballungszentren haben wir mit neuen großen Problematiken zu rechnen. Ich denke etwa daran, daß nach der Voraussage des Franzosen Jean Fourastier immer mehr Menschen aus dem primären Bereich, d. h. also aus der Urproduktion, in den Sekundärbereich, in die Fabrikation, abgewandert sind, und daß der dritte große Bereich, den es eigentlich erst neu zu entwickeln gilt, der tertiäre Bereich ist, der Bereich der Dienstleistungen, der den beiden anderen mehr und mehr Menschen entzieht. Wir werden in der Zukunft also eine große Umwälzung unserer
gesellschaftlichen Situation, Herr Kollege Moersch, haben. Ich glaube, darüber sind wir uns alle im klaren.
Es kommt noch dazu, wir hoffen es, daß die Menschen älter werden, daß die Lebenserwartung steigt. Aus der langsamen „Vergreisung", wenn man es so nennen darf, ergeben sich erhebliche Probleme, die wir lösen müssen.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Moersch hat die Frage nach der zukünftigen Gesellschaft gestellt. Das ist wirklich eine Frage: Wie wird diese Gesellschaft in weiteren Aspekten aussehen? Wird es uns gelingen, etwa weiterhin die Verkürzung der Arbeitszeit fortzuführen oder wird uns das nicht möglich sein? Wird es uns wirklich möglich sein, auf die Dauer für einen wachsenden Wohlstand zu sorgen? Wir sind alle mit Kräften bemüht, das zu tun, meine Damen und Herren. Jetzt komme ich aber auf eine sehr wichtige Frage: Verkürzung der Arbeitszeit, wachsender Wohlstand und lebenswürdige Bedingungen in den großen Ballungsräumen werden nur bei einem starken Wachstum der naturwissenschaftlichen Forschung, ich möchte sagen, von Wissenschaft und Forschung überhaupt, möglich sein. Dazu bedarf es aber einer großen Willensanstrengung. Der Fortschritt in Wissenschaft und Forschung ist der Tendenz nach vorhanden, aber er wird uns in seinem Ergebnis nicht in den Schoß gelegt, sondern wir müssen dafür arbeiten.
Nun kommt ein sehr wichtiges Problem, das ich hier wenigstens kurz andeuten möchte. Meine Damen und Herren, wir werden in Zukunft - und das ist bei allen meinen Herren Vorrednern schon angeklungen - ein sehr viel engeres Verhältnis der Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft auf der einen Seite und der Wirtschaft und der Politik auf der anderen Seite brauchen. Die Politiker müssen sich daran gewöhnen - wir alle müssen es -, in Zukunft mehr technologisch zu denken, als es uns in der Vergangenheit möglich war. Aber auch die Techniker müssen mehr als bisher lernen, die politischen Auswirkungen ihrer großen Forschungen im Auge zu behalten. Das ist bisher leider nur begrenzt der Fall gewesen, obgleich es gute Ansätze dafür gibt. Wir sind, meine ich, aus der Zeit heraus, in der Robert Musil in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften" noch klagen konnte, daß die Ingenieure zwar in ihrem Tätigkeitsbereich gut Bescheid wüßten, daß sie aber für die große Lösung der gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit nichts beitrügen.
Meine Damen und Herren, wir haben schon gute Ansätze, das zu ändern. Es gibt Gremien - wir haben soeben gehört, welche Problematik in ihnen liegt - für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik. Aber ich meine, das müßte noch sehr verstärkt werden. Es muß deswegen verstärkt werden, weil ein immer größerer Teil der wissenschaftlichen Forschung von den Bewilligungen der Parlamente abhängig wird. Das ist die große Aufgabe, die wir nur zusammen mit den Wissenschaftlern lösen können: daß wir nicht irgendwelche, sondern daß wir die richtigen Wege gehen.
Ich darf hier vielleicht Ihr Einverständnis voraussetzen, meine Damen und Herren, daß bei dem Zusammenarbeiten von Wissenschaft und Politik selbstverständlich die Freiheit der Lehre gewährleistet sein muß. Wir Politiker dürfen uns allerdings nicht die Entscheidung darüber aus der Hand nehmen lassen, was von den großen Zukunftsaufgaben denn nun verwirklicht wird. Wir müssen die Prioritäten - oder, wie Herr Kollege Dichgans sagte, die Posterioritäten - setzen. Das ist eine eminent politische Aufgabe. Wir sollten aus dem Werturteilsstreit, der in der Nationalökonomie zu Beginn dieses Jahrhunderts ausgebrochen war, festhalten, daß die Politik diese Entscheidung hat, daß Wissenschaft niemals selber zur Politik werden kann, daß zwar beide zusammenarbeiten müssen, daß aber nach Max Weber, den ich hier einmal zitieren darf, die Wissenschaft die Politik niemals wird ersetzen können.
Wir wissen alle, wieviel auf dem Gebiete der Zukunftsaufgaben zu tun ist. Wir haben gehört, welch eine große Lücke im technischen Fortschritt in Europa im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika und zu der UdSSR besteht. Ich meine, wir sollten uns hier ganz konsequent auf den Standpunkt stellen, daß wir Europa in dieser Frage in allererster Linie als eine Einheit sehen müssen. Die Kooperation in Europa wird die entscheidende Tatsache sein für das Schließen der technologisch- wissenschaftlichen Lücke gegenüber den beiden Supermächten in der Welt.
Es fehlt nicht an mahnenden Stimmen in Europa, endlich aktiv zu werden. Ich erinnere an das Buch von Servant Schreiber mit dem Titel „Die amerikanische Herausforderung", das in diesen Tagen in der Diskussion eine große Rolle spielt. Es ist vielleicht gar nicht als eine Angriffserklärung gegen die Amerikaner gemeint, es ist einfach als eine Aufforderung für die Europäer gemeint, den Anschluß an die Zukunft nicht zu verpassen.
Nun darf ich mit einigen wenigen Sätzen noch konkreter werden. Meine Damen und Herren, es ist von Beratung gesprochen worden, und wir haben auch schon Beratung gepflogen. Ich glaube, es gibt in diesem Hause niemand - ich hoffe, es gibt niemand -, (der sich überwissenschaftliche Fragen nicht schon mit Gelehrten ausgetauscht hat. Auch wir haben das getan. Ich darf das Wort wir etwas erläutern: Eine Gruppe von Kollegen aus der CDU/ CSU-Fraktion hat sich mit einigen namhaften Gelehrten aus dem naturwissenschaftlichen Bereich zusammengesetzt. Wir haben uns beraten und haben diese Herren gefragt: Was sind denn nun eigentlich die großen Zukunftsaufgaben nach eurer Meinung, und in welcher Reihenfolge würdet ihr sie lösen? Diese Herren haben lange nachgedacht, und sie sind dann zu einigen Empfehlungen gekommen, die nicht verbindlich sein müssen, die aber, glaube ich, doch ein Schlaglicht auf das werfen, was uns sowohl in der Quantität als auch in der Qualität bevorsteht.
Diese Gelehrten haben gesagt: Wir müssen grundsätzlich zunächst einmal annehmen, daß ein ganzer Katalog von großen Aufgaben von großer Dringlichkeit vor uns steht. Wenn wir diese Aufgaben zu ordDr. Schober
nen versuchen - es ist ja nach den Äußerungen des Herrn Ministers auch der Wille der Bundesregierung, eine solche Skala, eine solche Prioritätenliste zu schaffen -, muß man zunächst einmal von der Quantität ausgehen. Das heißt, dann muß man sagen: Dringend ist sehr vieles; aber welches sind denn nun die wirklich großen Milliardenobjekte, deren Realisierung schon aus diesem finanziellen Grunde besonders schwierig ist?
Die Gelehrten haben uns drei Objekte genannt; ich glaube, daß man sie mit guten Gründen auch vertreten kann. Erstens die weitere Entwicklung der Kernenergie. Herr Bundesminister Stoltenberg hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir gerade auf diesem Gebiet schon recht beachtliche Fortschritte gemacht haben, aber ich glaube, daß wir in dem Bemühen, die Kernenergie zu einem billigen Energieträger weiterzuentwickeln, nicht nachlassen dürfen und daß hier die Weiterentwicklung des Projektes der schnellen Brüter einen absoluten Vorrang hat. Darüber, glaube ich, besteht kein Zweifel, denn diese schnellen Brüter ermöglichen eben eine besonders rationelle Ausnutzung des Natururans, und allein diese schnellen Brüter sind in der Lage, den ungeheuer großen Energiebedarf Europas und der Welt in den nächsten Jahrzehnten mit niedrigen Kosten zu decken. Daß das Milliardenobjekte sind - ich glaube, darüber braucht man sich gar nicht zu streiten. Herr Kollege Dr. Martin hat schon darauf hingewiesen, daß das Objekt der schnellen Brüter in einer Dimension von etwa 1,5 Milliarden DM zu sehen ist.
Die Gelehrten haben uns einen zweiten großen Bereich genannt. Das ist der Bereich der Datenverarbeitung, von dem sie annehmen, daß er ebenfalls in die Bereiche der Milliardendimensionen hineingeht. Ich glaube, wir brauchen uns auch nicht darüber zu unterhalten, welche Bedeutung die Datenverarbeitung für unsere zukünftige Gesellschaft hat. Ich glaube, es ist schon sehr wichtig, wenn ein Unternehmer in der Lage ist, zu jeder Stunde die Bilanz seines Unternehmens zu ziehen, oder wenn das heute in Büchern gestapelte Gesamtwissen eines Landes - ({0})
- Das ist eine andere Frage, Herr Moersch. - Ich glaube, es ist eine sehr wichtige Frage, ob es uns eines Tages gelingt, das gesamte, in unseren Bibliotheken gestapelte Wissen jederzeit gesammelt, geordnet und abrufbereit bereit zu haben. Das bedeutet eine Vermehrung des menschlichen Wissens, der Information, von der wir uns, wie ich glaube, bis jetzt noch gar keine Vorstellungen machen können.
Was die Dimension dieses zweiten Bereiches angeht, so darf ich darauf hinweisen, daß die Computerserie 360 der IBM 5 Milliarden DM gekostet hat, daß zehntausend Techniker daran gearbeitet haben und daß es sieben Jahre gedauert hat, bis diese Serie fertig war. Das sind Dimensionen, mit denen auch wir auf die Dauer fertig werden müssen, wenn Sie sich vorstellen, daß die Computerindustrie heutzutage im nationalen Maßstab bei uns noch kaum eine Rolle spielt.
Ein drittes großes Objekt wäre folgendes. Ich habe vorhin davon gesprochen, daß sich die Menschen immer mehr in wenigen großen Ballungsgebieten zusammendrängen. Wie wollen wir die Probleme in diesen Ballungszentren lösen? Das betrifft nicht nur die Bauforschung, das betrifft nicht nur die Umwelthygiene - die Reinhaltung von Wasser und Luft -, sondern das bedeutet vor allen Dingen eben auch, glaube ich, in absehbarer Zeit einfach die Notwendigkeit, ein Verkehrsmittel zu schaffen, das die Menschen schnell und sicher von einem Ort an einen anderen bringt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Menschen des Jahres 1980 oder die Menschen des Jahres 2000 damit zufrieden sein werden, daß das Chaos auf unseren Straßen noch mehr wächst, als es heute schon der Fall ist. Ein modernes Schnellverkehrsmittel wird ernsthaft von der Wissenschaft gefordert. Ich glaube, daß das ein Problem ist, mit dem wir uns sehr intensiv auseinandersetzen sollten.
Nach diesen Milliarden-Objekten ist weiter folgendes zu sehen. Es gibt einen ganzen Katalog von großen Wissenschaftsaufgaben der Zukunft, der in die Hunderte von Millionen Mark geht. Ich darf hier nur einige nennen: Welt- und Luftfahrtforschung einschließlich Satellitentechnik, Plasmaphysik, Hochenergiephysik, Molekularbiologie mit ihren wichtigen Ausstrahlungen auf die Medizin, die Ozeanographie, zu deren Förderung wir schon gute Ansätze haben - ich glaube, man 'braucht da nicht so besorgt zu sein, wie Sie, Herr Kollege Moersch, es eben waren -, Umwelthygiene, Raumforschung und darunter kann drittens der ganze breite Bereich der wissenschaftlichen Einzelforschung, der verstärkt weiterlaufen muß.
Wie soll dies alles in ein System ,gebracht werden? Das ist die große Frage, die wir uns gestellt haben und die wir werden beantworten müssen.
({1})
Je nach der Lösung dieser großen Aufgaben werden wir nämlich in unserer Gesellschaft, in unserer Sozialstruktur ganz verschiedene Abläufe, ganz verschiedene Ordnungen haben. Ich meine, daß eine solche Prioritätenliste deswegen eine der wichtigsten Aufgaben ist, die wir 'in die Hand nehmen können.
Meine Damen und Herren, ich habe mich darüber gefreut, daß im Forschungsbericht II und auch in der Rede des Herrn Ministers nicht nur von den Naturwissenschaften die Rede war, sondern daß in der Rede des Herrn Ministers vor allen Dingen auch die Geisteswissenschaften, wenn man sie noch so nennen darf, angesprochen worden sind. Es ist z. B. darin gesagt - und ich habe es gern gehört -, daß .ein Max-Planck-Institut für die Erforschung ,der Lebensbedingungen des Menschen in der modernen technischen Gesellschaft gegründet werden soll. Ich glaube, daß wir auch da noch in .den Anfängen stecken. Soziologie und Psychologie und Politologie haben zwar Fortschritte gemacht. Aber das sind Forschungsbereiche, die, glaube ich, systematisiert und auf eine noch solidere Basis gestellt werden müssen, als sie sie im Augenblick schon haben. Man kann über alle diese Wissenschaften streiten, und
7832 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch., den 7. Februar 1968
wir tun es auch. Ich finde es etwas erschreckend, ich finde, es ist für den Reifegrad dieser Wissenschaften etwas bedenklich, daß z. B. kein politikwissenschaftliches Institut in der Lage gewesen ist, konkrete Ratschläge zu erteilen und Vorschläge zu machen hinsichtlich der politischen und ökonomischen Auswirkungen des Atomsperrvertrages.
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Wir haben von der Wissenschaft bedauerlicherweise auf diesem Gebiet noch gar nichts gehört. Ich meine, es wäre eine Aufgabe, uns gerade auch in diesen schwierigen Fragen zu beraten.
Meine Damen und Herren, ich komme. nun zum Schluß. Wir haben die Aufgabe, die großen Aufgaben, die vor uns liegen, zu systematisieren und zu einer richtigen Arbeitsteilung im europäischen Bereich, in Deutschland, innerhalb der Bundesrepublik, der Länder, der Selbstverwaltungsorganisationen der Wissenschaft, zu kommen.
Der letzte Punkt - Herr Moersch, darin bin ich mit Ihnen völlig einer Meinung -: Wir brauchen eine Erfolgskontrolle. Aber ich glaube, wir sind heute alle etwas überfragt, wenn wir sagen sollten, wie diese Erfolgskontrolle im einzelnen aussehen wird. Es wird daran gearbeitet, und daß sie notwendig ist, hat der Herr Minister ja auch unterstrichen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen nun im Namen meiner Freunde von der CDU/CSU-Fraktion einen Entschließungsantrag - Umdruck 360 - vorlegen und darum bitten, diesen Antrag dem zuständigen Ausschuß zuzuleiten:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, in der kürzestmöglichen Zeit eine Systemanalyse über die Prioritäten in den Programmen der Projektforschung zu erarbeiten. Es soll geklärt werden, welche Bereiche mit Vorrang gefördert werden sollen und worauf möglicherweise ganz oder teilweise verzichtet werden muß.
Die Kriterien der Auswahl sollen sein: die Dringlichkeit der Vorhaben, die finanziellen Möglichkeiten, das Potential wissenschaftlicher Arbeitskräfte und die zu erwartende Wirtschaftlichkeit.
Die Planung soll in einem angemessenen Verhältnis zu den allgemeinen nationalen Zielen stehen. Sie muß darüber hinaus einer sinnvollen Arbeitsteilung im internationalen Bereich eingeordnet sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns in diesem Sinne vorgehen. Lassen Sie uns unserer Öffentlichkeit, lassen Sie uns vor allen Dingen auch unserer kritischen Jugend zeigen, daß dieses Haus ein Haus der Mobilität, nicht der Immobilität ist.
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Lassen Sie uns der Jugend zeigen, daß wir den großen Aufgaben der Zukunft ins Auge sehen, daß wir bereit sind, sie zu lösen, und daß wir die Voraussetzungen schaffen wollen, die zu diesen Lösungen notwendig sind.
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Eine Frage, Herr Abgeordneter: An welchen Ausschuß soll der Entschließungsantrag überwiesen werden? An den Kulturpolitischen Ausschuß?
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- Gut!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rutschke.
Herr Präsident!. Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Herr Minister, daß es keine unziemliche Polemik ist - Sie haben vorhin meinen Kollegen Moersch dieser geziehen -, wenn ich Sie berichtigen muß. Sie haben vorhin behauptet - entgegen der Feststellung meines Kollegen Moersch -, daß Sie Ihre Rede bereits um 9 Uhr der Fraktion der FDP zugeschickt hätten. Nun, das mag richtig sein. Aber eines, Herr Minister, muß ich Ihnen leider sagen: dieser Bote ist bis jetzt noch nicht angekommen. Es ist möglich, daß er verschollen ist. Vielleicht können Sie einmal nachforschen lassen - das gehört ja zur Fürsorge des Dienstherrn für seine Untergebenen -, wo er geblieben ist.
Von allen bisherigen Rednern wurde wiederholt darauf hingewiesen, daß die wissenschaftliche Forschung d i e nationale Aufgabe für uns sei, eine Aufgabe, ohne deren Lösung wir die Zukunft nicht würden meistern können. Sicher, wir müssen Hunderte von Millionen Mark Steuergelder für diese wissenschaftliche Forschung einsetzen. Wir sind gezwungen, im Wettbewerb mit den anderen hier Schritt zu halten. Da wir als Industrienation darauf besonders angewiesen sind, können wir diese Aufgabe nicht vernachlässigen. Wir müssen alles tun, um hier vorwärtszukommen, um den Anschluß an die allgemeine Entwicklung - insbesondere in Amerika - zu bekommen.
Wichtig scheint es mir zu sein, daß wir diese Gelder nicht nur hingeben, um sie dann durch irgendwelche Gremien verteilen zu lassen, und uns dann nicht weiter darum kümmern. Wir müssen vielmehr die Anteilnahme des Parlaments an dieser für unsere Nation entscheidenden Frage dadurch deutlich machen, daß wir uns mit dieser Aufgabe identifizieren, indem wir auch die Kontrolle darüber behalten, wie diese Gelder ausgegeben werden, wie die Dispositionen aussehen, die man von den zuständigen Stellen aus dann vornimmt. Ich kann an das anschließen, was der Kollege Dr. Schober soeben gesagt hat; ich glaube, daß auch der von ihm begründete Entschließungsantrag so gemeint ist. Auch wir sind für die Kontrolle. Die Kontrolle muß beim Parlament bleiben. Das ist kein mangelndes Vertrauen zu den Selbstverwaltungskörperschaften, die diese Gelder verteilen. Dadurch soll vielmehr deutlich gemacht werden, daß wir uns mit dieser Aufgabe verbunden fühlen und daß das Parlament diese Aufgabe ernst nimmt. .
In diesen Selbstverwaltungsorganen kann es sicherlich auch Schwächen geben; das ist überall so. Der sogenannte preußische Schwadronsegoismus wird auch hier nicht immer abstellbar sein; er zeigt sich darin, daß der Futtermeister der zweiten
Schwadron, der zuerst da war, soviel Futter für seine Schwadron in Anspruch nimmt, daß für die erste und dritte Schwadron nichts mehr übrigbleibt. Hier ist für uns die Aufgabe gegeben, das sorgsam mit zu beobachten und mit zu kontrollieren.
In diesen Fällen können wir vielleicht sogar von fiskalischen Betrachtungen 'abgehen. Bei dieser Kontrolle und Beobachtung haben wir dann die Möglichkeit, manchmal mehr zu tun, als vorgesehen war, wenn sich eine Notwendigkeit hierfür herausstellt.
Der Antrag der SPD kann natürlich graue Zonen schaffen, die wir nicht gern sehen und die nicht entstehen, wenn wir die Kontrolle selber in der Hand behalten. Die Verantwortung muß beim Parlament liegen. Wir können somit versuchen, den Kompetenzwirrwarr zu beseitigen, der zum Teil ja leider besteht, das Nebeneinander von Forschungsaufgaben, die parallel laufen und uns somit viel Geld kosten. Wenn sie konzentriert würden, würden diese Mittel besser eingesetzt sein. Das bezieht sich auf die deutschen Länder genauso wie auf den nationalen Bereich insgesamt oder auch auf den internationalen Bereich. Ich glaube, wenn wir auch die Aufgabe der Koordinierung der Forschungsaufgaben als neutrale Stelle im Griff behalten, dann können wir die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, wesentlich besser einsetzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch sagen: Ich bin der Meinung, daß die Öffentlichkeit teilhaben soll, wenn wir im Parlament darüber verhandeln. Damit wäre die Möglichkeit gegeben, dann auch die Kritik, die vielleicht aus Kreisen der Wissenschaft angebracht wird, zu berücksichtigen, und wir würden uns bei den Beratungen mit dieser Kritik auseinandersetzen können.
Wir halten es auch für notwendig, ein Forschungsförderungsgesetz zu verabschieden. Es ist sicherlich keine leichte Aufgabe für Sie, Herr Minister, dieses Gesetz vorzubereiten. Aber ich glaube, es ist unumgänglich; denn wir wollen eine gesetzliche Grundlage haben, damit auch disponiert werden kann. Ermessungsentscheidungen werden von der Verwaltungsbehörde - damit will ich kein Mißtrauen gegen die eine oder andere Stelle äußern - oft nur unter fiskalischen Gesichtspunkten getroffen. Die gesetzliche Grundlage beinhaltet vielleicht eine freiere und zuverlässigere Bewegung all derer, die davon betroffen sind.
Das, meine Damen und Herren, veranlaßt mich, Sie um die Annahme des Antrags auf Umdruck 357 zu bitten, wonach die Bundesregierung aufgefordert werden soll, die parlamentarische Kontrolle über die Vergabe der Forschungsmittel durch jeweils besondere Nachricht an den Deutschen Bundestag zu verstärken und die Begründungen für wichtige finanzielle Dispositionen der Selbstverwaltungsorgane der Wissenschaft mitzuteilen, ferner, alsbald ein Forschungsförderungsgesetz vorzulegen. Ich wäre Ihnen dankbar, meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Antrag dem zuständigen Ausschuß überweisen wollten.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Geisendörfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ¡Es ist in dieser Debatte schon so viel Kluges zu unserem Thema gesagt worden, daß wir in den Ausschußberatungen, Herr Kollege Lohmar, sicher eine Fülle von Anregungen haben, die wir dann )daraufhin prüfen können, wie sie verwertet werden können.
Außerdem habe ich soeben gehört, daß der Herr Präsident Wert 'darauf legt, für den nächsten oder übernächsten Tagesordnungspunkt 'genügend Zeit zu haben. Er hat bereits um 19 Uhr eine andere Verabredung. Erlauben Sie mir, daß ich deswegen den ersten Teil meiner Ausführungen zu Punkt 3 unseres Antrages, der sich mit den Anforderungen an das wissenschaftliche Personal befaßt, eventuell zu Protokoll .gebe und nur noch eine ganz allgemeine politische Bemerkung mache.
Der Herr Minister hat in .seinen Ausführungen festgestellt, daß er einige mögliche Maßnahmen ins Auge gefaßt hat, und er hat dann resignierend gesagt, die unmittelbaren Zuständigkeiten unid Wirkungsmöglichkeiten der Bundesregierung seien begrenzt. Er 'hat allerdings versprochen, die Bundesregierung könne und werde Initiativen ergreifen. Ich möchte feststellen, Herr Bundesminister, sie wird nicht nur Initiativen ergreifen, sondern Sie haben ja 'schon Initiativen ergriffen. Sie haben sie schon aufgezählt. Ich will das hier jetzt nicht noch einmal tun. Aber eines muß ich doch hier und heute einmal feststellen. Es ist sehr schwierig, von seiten der Bundesregierung oder von seiten des Bundesparlaments hier Initiativen zu ergreifen; denn die Zuständigkeitsfragen, der Zeitraum, der Weg der Beratung über die Konsultierung, die Koordinierung, die Aktivierung, über Ministerpräsidenten- und Kultusministerkonferenzen strapazieren allmählich nicht nur die Geduld der Beteiligten, sie schaden auch der Sache und kosten Geld, das rationeller verwendet werden könnte. Ich gebe allerdings zu, daß im Laufe der langen Jahre Fortschritte erzielt worden sind in Form von Übereinkommen - das geht an die Bundesratsbank -, auch in Form von Verwaltungsabkommen. Ich will auch nicht alle die vielen kleinen positiven Schritte auf dem Wege zu einer gemeinsamen Erfüllung der Aufgaben in Wissenschaft unid Forschung leugnen. Aber ich glaube, wir müssen feststellen: Es waren zu oft nur Trippelschritte im Schneckentempo, während die Aufgaben auf diesem Gebiet im F-Zug-Tempo gewachsen sind. Ich möchte hier - ich habe mir lange eine zurückhaltende Formulierung überlegt - die Frage stellen: Sollte das nicht mit dem guten Willen aller Beteiligten geändert werden können?
Der Sachzwang wird, glaube ich, so stark sein, daß wir von bisherigen politischen Lieblingsideen Abschied nehmen müssen. Wir werden die Voraussetzungen für die Notwendigkeiten der zweiten technisch-wirtschaftlichen Nachkriegsgeneration nicht ohne einige schmerzliche Entscheidungen und ein Abschiednehmen von bisherigen Vorstellungen schaffen können; denn eine auch im internationalen
Vergleich erfolgreiche. Forschungspolitik des Bundes setzt außer den finanziellen Anstrengungen eine Verstärkung der bisher nur sehr unvollkommenen verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Bundes für die Wissenschaftsförderung voraus. Es ist eine wichtige Aufgabe der Finanzreform, Möglichkeiten zu eröffnen, die eine optimale Ausnützung des vorhandenen Kräftepotentials gewährleisten. Das kann nur durch eine intensive Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich der Wissenschaftsförderung geschehen, die in der Verfassung eine feste und dauerhafte Grundlage hat. Dazu ist die Erfüllung der Gemeinschaftsaufgabe des Neubaus und Ausbaus von wissenschaftlichen Hochschulen der richtige Weg, wie Sie, Herr Minister, das ja auch vorgeschlagen haben. Dieser Weg sichert durch eine Rahmenplanung in der Zukunft ein ausgewogenes System von wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik und schafft dadurch eine partnerschaftliche Beteiligung von Bund und Ländern an den die Finanzkraft eines Landes übersteigenden Lasten, schafft die finanzielle Grundlage. Daneben muß der Bund im universitären wie auch im außeruniversitären Bereich neben den bereits gegebenen Zuständigkeiten für die Großforschung auch bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung, z. B. bei der Max-Planck-Gesellschaft und bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, mit den Ländern zusammenwirken.
Sie werden sagen: Das ist ja bis jetzt schon geschehen. Es ist geschehen, aber es war immer wieder von neuem ein etwas mühsames Zusammenbringen der einzelnen Teilhaber. Ich bin der Meinung, daß angesichts der politischen Verantwortung des Bundes für den Gesamtstaat auch hier neue rechtliche Wirkungsmöglichkeiten des Bundes gefunden werden müssen. Wie diese Wege aussehen, wird die Beratung des nächsten Tagesordnungspunktes vielleicht noch genauer zeigen.
Ich darf noch einmal wiederholen: Im Hinblick auf die Ermahnung des Präsidenten habe ich jetzt nur das gesagt, was mir- ganz besonders wichtig erschien hinsichtlich der Möglichkeiten, unsere Aktivität auf diesem Gebiet zu verstärken.
Ich darf hier vielleicht noch etwas nachtragen. Wir haben zu Punkt 3 unserer Großen Anfrage einen Antrag auf Umdruck 359 gestellt, den ich wohl nicht noch einmal zu verlesen brauche, weil er Ihnen allen ja vorliegt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich so kurz wie möglich fassen.
Es ist in letzter Zeit populär geworden, von einer „technischen Lücke" zu sprechen, die zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Ländern bestehe. Diese Debatte um die technische Lücke be-beschäftigt sich nicht nur mit einer Analyse der
Forschungspolitik, sondern wird gelegentlich auch für andere politische Ziele verwendet. Ich denke nur daran, daß der britische Premierminister die verhältnismäßig gut ausgestatteten Forschungseinrichtungen Großbritanniens als besonders attraktive Morgengabe für einen EWG-Beitritt betrachtet und auf der anderen Seite der französische Präsident gerade mit dem Begriff der Lücke gern seinen besonderen französischen Weg nach oben gegenüber den Amerikanern herausstellen will.
Ohne Zweifel besteht diese technische Lücke. Ich will Sie mit den Zahlen, die Sie sicher alle kennen, nicht langweilen: höherer Forschungsaufwand pro Kopf der Bevölkerung, höherer Anteil der Forschung am Sozialprodukt, größerer Anteil des Staates an den Forschungs- und Entwicklungsausgaben der privaten Industrie in den USA im Vergleich zu Europa. Das ist alles bekannt.
Aber ich glaube, meine Damen und Herren, daß es nicht nur ein Vorsprung der Forschungs- und Entwicklungsaufgaben ist, sondern daß der amerikanische Vorsprung auch in dem größeren amerikanischen Markt und der Struktur der amerikanischen Wirtschaft begründet ist. Der dauernde qualitative Wandel der Herstellungsprozesse, der durch die sogenannte monopolistische Konkurrenz erzwungen wird, umfaßt keineswegs nur jenen Fortschritt, der auf wissenschaftlicher Forschung und Entwicklungsanstrengungen beruht. Vielmehr schließt er alle Stufen der Unternehmensführung von der Investitions- und Finanzplanung über so untechnische Angelegenheiten wie die human relations im Betrieb bis zur Verkaufsstrategie mit ihren public relations und
Werbeproblemen ein.
Das Wort von Verteidigungsminister McNamara vom management gap hat sicher seine Berechtigung. Die USA, aber auch Japan zeigen, daß ein agiles Management mit unbestechlichem Sinn für ökonomische Rationalität dafür zu sorgen hat, daß die Kette zwischen Grundlagenforschung und Absatz nirgends schwache Glieder hat, geschweige denn unterbrochen ist. Ich glaube, daß die private Wirtschaft auch in Europa besser zusammenarbeiten sollte. Dafür sind drei Voraussetzungen wichtig: erstens eine intensive Schulung des Managements in der privaten Wirtschaft, aber auch in der staatlichen Forschungsbürokratie, zweitens ein rasch arbeitendes einheitliches Patentsystem in Europa und drittens eine Beseitigung der rechtlichen Hindernisse für nationale und internationale Unternehmenszusammenschlüsse.
Auf der Ebene der internationalen Zusammenarbeit sollten die laufenden Projekte einer Überprüfung unterzogen werden. Eine Zusammenfassung der drei bestehenden Organisationen ELDO, ESRO und CETS sollte allgemein befürwortet werden. Das Projekt der Europa-Rakete kann die europäischen Politiker der beteiligten Länder nicht gerade mit großem Stolz erfüllen. Das technische und finanzielle Debakel der Europa-I-Rakete ist aber die notwendige Folge einer organisatorischen Fehlleistung. Im Gegensatz zu derartigen Projekten in den Vereinigten Staaten gibt es auf der Seite der hier beteiligDr. Müller ({0})
ten Industrie keinen Hauptauftragsgeber und damit keinen verantwortlichen Projektleiter. Die gegenseitige Abstimmung der Firmen läuft über deren Regierungen, ein Verfahren, wie es unsinniger nicht zu erfinden ist. Die Tatsache des management gap wird an diesem Beispiel besonders deutlich, wenn man weiß, daß die Nutzlast einer erfolgreichen Europa-I-Rakete nicht ausreicht, um etwa einen kommerziell verwendbaren Satelliten auf eine Umlaufbahn zu bringen.
Vor wenigen. Monaten, am 31. Oktober 1967, ist zum erstenmal in der Geschichte der europäischen Gemeinschaften der EWG-Ministerrat in der Besetzung der Forschungsminister zusammengekommen. Man kann nur hoffen, daß die vom Ministerrat in Auftrag gegebenen Studien bis zum 1. März dieses Jahres fertiggestellt sind. Allerdings, glaube ich, zeigt gerade das Beispiel von Euratom, daß man nicht immer allzu optimistisch sein darf. Auch die Sitzung der Forschungsminister am 8. Dezember in Brüssel brachte keinen nennenswerten Fortschritt. Erst nach dem 30. Juni wird der Ministerrat über die künftige Tätigkeit von Euratom entscheiden. Der Übergangshaushalt von Euratom für 1968 wird 162 Millionen DM umfassen. Der Forschungs- und Investitionshaushalt 1966 wies immerhin rund 362 Millionen DM aus. Man sieht, es gibt auch rückschrittliche, nicht nur fortschrittliche Entwicklungen.
Das gleiche gilt für das Problem der Assoziierung, bei dem Euratom rund ein Drittel der Kosten trägt. Auch hier ist es dringend notwendig, möglichst bald zu einer Entscheidung zu kommen, um so wichtige Projekte wie die der Schnellen Brüter, der termonuklearen Fusion, der Plasmaphysik - um nur ein . paar zu nennen - endlich weitertreiben zu können.
Ich darf zum Schluß die Forderungen meiner Fraktion in der internationalen Zusammenarbeit noch einmal präzisieren:
Erstens. Wir sind der Meinung, die Ausbildung des Managements in unserem Lande muß verbessert werden. Das gilt nicht nur für die Privatwirtschaft, sondern auch für die Forschungsbürokratie. Entsprechende Lehrstühle und Institute an den Universitäten müssen geschaffen werden.
Zweitens. Ein einheitliches europäisches Patentrecht ist anzustreben.
Drittens. Es sollte geprüft werden, wo rechtliche Schranken den Zusammenschluß von nationalen und internationalen Unternehmenseinheiten verhindern.
Viertens. Die Forschungsminister der EWG-Länder sollten bemüht sein, ähnlich, wie dies für Fragen der Landwirtschaftspolitik möglich ist, eine gemeinsame Exekutive auf europäischer Ebene zu schaffen.
Fünftens. ELDO, ESRO und CETS sollten zusammengeschlossen werden.
Sechstens. Bis zum 1. Oktober sollte die Bundesregierung dem Bundestag ein Konzept für die weitere Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und technologischem Gebiet im europäischen und im weiteren internationalen Rahmen vorlegen.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Maxsein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe versprochen, mich sehr kurz zu fassen. Ich werde deswegen nur einige Schwerpunkte setzen. Im übrigen werde ich mir erlauben, die Ausführungen, die zu machen 'ich beabsichtigt habe, zu Protokoll zu geben.
Ich habe den Eindruck, daß die europäische Frage, die in der Großen Anfrage angeschnitten wurde, hier zu kurz gekommen ist. Ich halte es für außerordentlich wichtig, daß wir uns mit dieser Frage auseinandersetzen.
In der Auseinandersetzung um die Frage, ob im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft alle Möglichkeiten bezüglich der Kooperation in der Wissenschaftspolitik genutzt sind, müssen wir davon ausgehen, daß in den römischen Verträgen dieses Gebiet, mit Ausnahme des Teilgebietes der Kernenergie - Euratom -, nicht erwähnt ist. Erst die Entwicklung führte zwangsläufig dazu, daß die Gemeinschaft dieses Gebiet aufgreifen mußte. Ich könnte Ihnen nun chronologisch einen Aufriß über die Bemühungen der Gemeinschaft geben, sich dieses Gebietes und dieser Aufgaben teilhaftig zu machen. Ich gebe nur einige profilierte Züge zur Kenntnis.
Man hat eine Arbeitsgemeinschaft, eine Arbeitsgruppe im Rahmen des Ausschusses für mittelfristige Wirtschaftspolitik gegründet, die sich expressis verbis mit der Frage befaßt, wie man auch Drittländer für die Beratungen über die Auswirkung der Wissenschaftspolitik auf die Wirtschaftspolitik engagieren kann. Wie gesagt, es gibt noch andere Schwerpunkte, auf die hinzuweisen ich hier verzichte. Aber ich halte es für außerordentlich wichtig, darauf hinzuweisen, daß mit der Gründung dieser Arbeitsgruppe, die sich nach ihrem Vorsitzenden André Maréchal „Maréchal- Gruppe" nennt, ein Tor aufgestoßen und ein Gebiet in den Rahmen der EWG hineingenommen wurde, das durch die Verträge nicht gedeckt ist. Hier ist die Möglichkeit für einen Ansatz geboten, andere Länder im Raum der EWG sozusagen anzusiedeln, ohne vertragsbrüchig zu werden.
Auf die Frage, was nicht geschehen ist, kann ich jetzt leider nicht eingehen. Dazu wären auch einige Anregungen zu geben. Ich bin der Überzeugung, daß Herr Bundesminister Stoltenberg so freundlich ist, sich dann diese Anregungen schriftlich geben zu lassen und zu studieren, was die nationalen Regierungen tun können, um die Zähflüssigkeit der Verhandlungen der Bürokratie zu überwinden, damit die Weiterentwicklung und die Arbeit im europäischen Raum beschleunigt wird.
Auch möchte ich auf die Beamten hinweisen. Sind unsere Beamten mit dem europäischen Sensus ausgestattet, der sie veranlaßt, sich in europäischem' Rahmen für die Arbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft und Forschung verantwortlich zu fühlen?
Wenn wir nun die Frage stellen - das ist die entscheidende politische Frage -, ob eine Zusammenarbeit mit Großbritannien auf diesem Gebiet
schon vor dessen Beitritt zur EWG zweckmäßig ist, so werfen wir ein Problem von höchster politischer Brisanz auf. Ich habe vor der Beratenden Versammlung gesagt, es sei meine Auffassung, daß die Debatte darüber sozusagen in das Nervenzentrum der europäischen Politik führt. Es ist eine Realität, daß es eine europäische Zusammenarbeit in Institutionen und Organisationen gibt. Aber ich bin überzeugt, daß Großbritannien jede andere Lösung, außerhalb der Zusammenarbeit mit den Sechs, als eine unzulängliche und unbefriedigende politische Ersatzlösung ansieht.
Was können wir tun, um eine Zusammenarbeit mit der EWG herbeizuführen? Die OECD, die legitimerweise die Frage geprüft hat, wie zweckmäßig ein solcher Beitritt Großbritanniens ist, gibt ausgezeichnete Auskünfte darüber, und die Schlußfolgerung möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: Nur in einer erweiterten Gemeinschaft sind die Sechs in der Lage, durch eine gemeinsame Politik im Bereich der Wissenschaft und Technologie auf einigen Gebieten eine anerkannte internationale Größenordnung zu erreichen. Deswegen ist der britische Beitrag unerläßlich.
Was können wir praktisch tun, um Großbritannien an der Wissenschaftspolitik der Gemeinschaft zu beteiligen? Ich verweise noch einmal auf die Arbeiten der Maréchal-Gruppe. Das Tor ist aufgestoßen, das Außenstehenden die Möglichkeit gibt, im Rab-men der Gemeinschaft ein Gelände zu betreten, das vertraglich nicht erfaßt ist. Wenn Großbritannien bereit sein sollte, durch dieses Tor zu treten, dann hätten wir eine De-facto-Lösung gefunden, es wäre eine neue europäische Tatsache geschaffen worden.
Zum Schluß möchte ich darauf hinweisen, daß die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit Großbritannien im Rahmen der EWG im Interesse Europas notwendig ist. Für eine wirksame, fruchtbare, erfolgreiche europäische Wirtschaftspolitik ist eine Weiterentwicklung der Gemeinschaft die Voraussetzung. Grundsatz muß sein, daß die Gemeinschaft als ein unzerstörter stabiler Kern erhalten bleiben muß, weil nur eine stabile Gemeinschaft das Entstehen eines starken Europa im erweiterten Rahmen garantiert.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Jung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich am Schluß dieser Debatte noch kurz ein Gebiet anspreche, das sowohl im Forschungsbericht II wie in der Rede des Herrn Forschungsministers kurz erwähnt wurde, das Gebiet der Wehrforschung. Ich tue das deswegen, weil hier der Bund direkte Einwirkungsmöglichkeiten hat und dieses Gebiet positiv, nämlich finanziell, wesentlich fördern kann.
Ich brauche nicht besonders darauf hinzuweisen, welche Bedeutung moderne Waffen und Waffensysteme in modernen Armeen haben und welche
Zeitspanne notwendig ist, von der Entwicklung über die Erprobung bis zur Einsatzbereitschaft. Die Gefahr ist immer groß, daß diese Systeme bei der Einführung bereits durch neue Erfindungen überholt sind. Aber hier liegt auch die Chance, vorausgesetzt, daß man in Forschung und Entwicklung genügend investiert.
Nun haben wir gelesen, daß der Bund eine Reihe von Hochschulinstituten eingesetzt und hochschulfreie Forschungszentren mit Forschungsaufträgen versehen hat. Diese Institute können ihre Erfahrungen frei und ungehindert austauschen.
Ich glaube, wir sollten das fördern, was vorhin Herr Kollege Rutschke erwähnt hat, nämlich eine größere Öffentlichkeit auch in diesem Bereich. Die militärische Geheimhaltung spielt meines Erachtens eine viel geringere Rolle, als gemeinhin angenommen wird. Wenn wir hier einer größeren Öffentlichkeit das Wort reden, dann deswegen, um draußen auch den oft kritisierten Verteidigungshaushalt insofern populärer zu machen, als die Bevölkerung erkennen soll, daß die hier eingesetzten Mittel - wie es der Minister für Wirtschaft neulich gesagt hat - wertvolle Impulsgeber und Schrittmacher für Wissenschaft und Technik, für den Fortschritt und für die Wirtschaft allgemein sind. Denn erst dann wird der Bevölkerung klar, welche Bereiche der Wirtschaft hier besonders betroffen sind, nämlich die progressiven Wirtschaftszweige, in denen hochwertige Technologien gefördert werden. Ich denke hier natürlich besonders an den Bereich der Luftfahrt und Raumfahrt, aber auch an die Bereiche der Marine und des Heeres, an die Elektronikentwicklung, an die Pyrotechnik usw.
Bei allen Forschungsprogrammen fallen nützliche Erkenntnisse für den zivilen Bereich und Gebrauch ab. 'Die militärischen Forschungsinstitute haben auch für die medizinische Wissenschaft eine außerordentliche Bedeutung. Ich denke z. B. an das Flugmedizinische Institut mit seinen wertvollen Einrichtungen und Erkenntnissen. Deshalb können die Mittel für die Forschung die Bereich der Verteidigungspolitik in unserem Verteidigungshaushalt nicht hoch genug sein.
Zur Zeit herrscht darußen z. B. eine große Unruhe unter den Studenten und Ingenieuren ,der Luftfahrttechnik. Sie ist entstanden, weil im Jahre 1968 für Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Luftfahrt etwa 76 Millionen DM weniger eingesetzt sind. Zwar müssen wir erkennen, daß in dem entsprechenden Tit. 309 a für alle Gebiete der Wehrtechnik für Forschung und Entwicklung 904 Millionen DM eingesetzt sind; aber hiervon geht auch ein Teil ins Ausland, nicht etwa in die Gemeinschaftsprojekte.
Wir müssen uns im Rahmen der Haushaltsberatungen sicher noch darüber unterhalten, wie wir der Unruhe und der Ungewißheit begegnen können. Wir sollten nicht in Phantome investieren, wie ich es neulich schon angesprochen habe, sondern in Projekte unserer eigenen Forschung 'und Entwicklung, damit auch unsere Verteidigung an die Spitze des Fortschritts herangeführt wird.
JungDer oft erwähnte Rückstand in ,der Forschung, insbesondere der Verteidigungsforschung, in der Bundesrepublik ist zum Teil sehr groß. Er ist durch gewisse erklärliche Behinderungen in der Vergangenheit begründet. Der Gefahr aber, daß er noch größer wird, muß begegnet werden, indem diese Regierung endlich ein reales Verteidigungskonzept für die 70er Jahre vorlegt, das wir immer noch vermissen. Dafür sollte ein umfassendes Basisprogramm entwickelt und es sollten durch eine Clearing-Stelle im Forschungsministerium die erforderlichen Maßnahmen zwischen den verschiedenen Ministerien koordiniert werden, wodurch eine größere Mobilität zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung gefördert wird, um eine schnellere Umsetzung der Erkenntnisse zu ermöglichen und damit die vorhin angesprochene größere Öffentlichkeit gewährleistet ist, wodurch die wissenschaftlichen Erkenntnisse bis zu ihrer Verwirklichung geprüft werden können. Natürlich kommt eine Verstärkung ,der europäischen Zusammenarbeit hinzu, die ja auf dem Gebiet der deutsch-französischen Zusammenarbeit in St. Louis bereits gut ist.
Abschließend möchte ich aber noch einen Grund dafür nennen, daß die Verteidigungsforschung und -entwicklung doch sehr gehemmt wird. Ich meine das Devisenausgleichsabkommen zwischen der Bundesrepublik und einigen unserer westlichen Freunde.
Diese Regierung, die ja über eine so große Mehrheit verfügt, kann den Zielkonflikt lösen, der zwischen Wissenschaft, Forschung und Sicherheit besteht, und wir als Opposition sind durchaus bereit - wir haben das durch entsprechende Alternativen bereits aufgezeigt -, alles zu unterstützen, was geeignet ist, auch auf diesem Gebiet eine enge Zusammenarbeit aller geistes- und naturwissenschaftlichen Disziplinen zu erreichen, um die Aufgaben der Zukunft auf der Basis einer Grundlagenforschung, die auf einem hohen Niveau betrieben werden muß, zu meistern.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich folge den Wünschen des Hauses und der Fraktionen, wenn ich versuche, diese abschließende Stellungnahme zu der Debatte möglichst kurz zu halten. Es sind ja insgesamt 11 Fragen der beiden Regierungsfraktionen hier in einer thematisch breit angelegten Diskussion erörtert worden. Die vorliegenden Entschließungsanträge, die ich grundsätzlich in ihren wesentlichen Punkten begrüße, werden uns Gelegenheit geben, diese Fragen im Ausschuß noch eingehend zu behandeln. Deshalb möchte ich auch die Debatte mit der Opposition nicht vertiefen.
Herr Kollege Rutschke, ich kann Sie beruhigen: der von Ihnen vorhin zitierte Bote hat sich pünktlich nach Erledigung seines Auftrags zurückgemeldet; er ist also nicht verschollen, .Aber die Einzelfragen, die damit verbunden sind, können wir vielleicht noch einmal besonders behandeln.
Im sachlichen Teil der Debatte - ich möchte mich für die Sachlichkeit dieser Diskussion seit meiner letzten Intervention .bei allen Rednern ausdrücklich bedanken - stand das Bund-Länder-Verhältnis im Vordergrund. Wir werden morgen, wie schon erwähnt wurde, das Verwaltungsabkommen unterschreiben, das nun endlich die Sicherung, ich würde sagen: eine verbesserte Basis für die Fortsetzung der Zusammenarbeit in wichtigen Bereichen bietet. Darüber hinaus werden wir, wie Sie wissen, nach der morgigen Besprechung beim Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten Anfang März den gesetzgebenden Körperschaften, Bundesrat und Bundestag, die Vorschläge für die Finanzverfassungsreform zuleiten, die nach meiner Überzeugung eine wesentliche Verbesserung dieser mit Recht immer wieder in ihrer Bedeutung hervorgehobenen Zusammenarbeit bringen wird. Ich möchte, auch gegenüber einigen kritischen Anmerkungen hier, betonen, daß diese Vorschläge zur Finanzverfassungsreform sich keineswegs nur auf den Bereich des Ausbaus und Neubaus der Hochschulen beschränken, sondern daß wir mit dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Artikel 91 b des Grundgesetzes eine neue und wesentliche verfassungsrechtliche Basis für die Zusammenarbeit auch im außeruniversitären Bereich der Forschung schaffen wollen, eine Bestimmung, die genügend fest, aber gleichzeitig in der Anwendung genügend flexibel sein muß, um der Dynamik der Entwicklung der Forschung selbst Rechnung zu tragen.
Der Bereich der Großforschung, der Technologie, ist von verschiedenen Rednern, vor allem auch von dem Kollegen Liedtke, angesprochen worden. Er soll auch nach der Vorstellung der Länder im wesentlichen in der klaren Federführung des Bundes liegen und wird deshalb mit dem Bereich der Gemeinschaftsaufgaben nicht erfaßt. Das schließt nicht aus, daß wir auch in Zukunft in einzelnen Aufgaben, etwa der angewandten Forschung oder der Luft- und Raumfahrtforschung und der Kernenergie, die jeweilige Mitarbeit bestimmter Länder für wichtig und notwendig halten und begrüßen.
Notwendig ist - das ist hier mit Recht gesagt worden - eine gemeinsame Rahmenplanung von Bund und Ländern, die sich weitgehend im Wissenschaftsrat und Bildungsrat vollziehen wird. Ob wir im Rahmen der Finanzverfassungsreform zu ergänzenden staatlichen Gremien für diese Planung kommen werden und müssen, ist genau zu prüfen.
Zu den an die Adresse der Bundesregierung, des Bundeskanzlers gerichteten kritischen Bemerkungen des Kollegen Lohmar, endlich diese Bund-LänderKommission ides Verwaltungsabkommens einzuberufen, darf ich aber doch folgendes sagen. Das Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten wird geführt. Es wird auch morgen geführt werden, wo 'die Fragen der Zusammenarbeit (in Wissenschaft und Forschung das Hauptthema bilden werden. Ich möchte doch insoweit pragmatisch sein, daß ich .die Frage, ob dieses Gespräch unter ,der Überschrift „Bund-Länder-Kom7838
mission unid Finanzverfassungsreform" oder unter der Überschrift „Gemeinsame Kommission nach dem Verwaltungsabkommen" steht, nicht für entscheidend halte.
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Ich glaube aber, Herr Kollege Lohmar, und darin stimme ich Ihnen zu - ich darf das vor Ihrer Zwischenfrage sagen -, daß die Finanzverfassungsreform uns in der Tat eine festere institutionelle Basis bringen muß, 'als wir sie im Augenblick haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Bitte sehr!
Herr Bundesminister, wenn der Bundeskanzler so oft mit den Ministerpräsidenten zusammen ist, ,wäre es dann nicht nützlich, gelegentlich öffentlich etwas über die Resultate verlauten zu lassen?
Ich ,glaube, daß wir auf diesem von mir beschriebenen Gebiet, nämlich der Neuordnung unserer Rechts- und Verfassungsordnung für die Aufgaben der Förderung der Forschung sehr bald sichtbare Resultate haben werden, jedenfalls in den Vorlagen, ,die die Bundesregierung am 5. März dem Bundestag zuleitet.
Herr Kollege Liedtke hat über die Frage der neuen Hochschulen gesprochen. Auch dieses Thema gehört in die Finanzverfassungsreform hinein. Hier soll nach .der einvernehmlichen Auffassung beider Seiten endlich die notwendige Rechtsbasis geschaffen werden.
Ich bin der Auffassung, Herr Kollege Rutschke, daß wir nach der Verabschiedung der Finanzverfassungsreform, aber auch erst dann, auf der neuen Rechtsgrundlage die Fragen eines Forschungsförderungsgesetzes, die Sie angesprochen haben, prüfen müssen und unter Umständen zu dem Ergebnis kommen, ,daß ein solches Gesetz sinnvoll und notwendig ist, um bestimmte organisatorische Fragen im Bereich der Forschung selbst positiv zu lösen.
Ich möchte zu den hier zitierten 20.0 Millionen DM, weil doch nun der Bundesrat nicht an :dieser Debatte teilnahm, eines im Interesse der Länder klarstellen. Es ist nun nicht so, daß die Länder das Geld, das ihnen ja sozusagen bar und blanko angeboten wurde, nicht angenommen hätten; es ist vielmehr so, daß diese Mittel, die übrigens eine Bindungsermächtigung, nicht Kassenmittel waren, gebunden waren erstens an ,die Voraussetzung einer 50%igen Beteiligung der Länder, zweitens daran, daß sie als Darlehen einmal gelegentlich zurückgezahlt würden. Wir sind nun in der Universitätsfinanzierung in einer Situation, daß die Länder im Augenblick teilweise Mühe haben, die stark gestiegenen Normalmittel des Etats komplementär zu finanzieren. Hierin liegt der Grund, daß sie dieses zusätzliche Angebot einer Bindungsermächtigung nicht aufgenommen haben, nicht in einem mangelnden Interesse.
Meine Damen und Herren, wenige Bemerkungen möchte ich zu einem zweiten Hauptthema, dem Thema der Wissenschaftsberatung und der Politikberatung anschließen. Es ist, vor allem von dem Kollegen Lohmar, die Forderung nach einer Gesamtauswertung der Ergebnisse durch das Bundeskanzleramt erhoben worden. Ich möchte diese Forderung im Grundsatz bejahen, aber doch mit einer wesentlichen Einschränkung. Es ist notwendig, eine Gesamtauswertung der Ergebnisse, soweit sie für die Gesamtpolitik der Bundesregierung von Bedeutung sind, vorzunehmen. Man muß das deshalb hinzufügen, weil es natürlich außerordentlich viele Beiräte und Fachgremien für wichtige Einzelfragen der Ressorts gibt, die im Rahmen dieser Ressorts behandelt und entschieden werden können. Ich darf auch darauf hinweisen, daß der Herr Bundeskanzler im Bundeskanzleramt organisatorische Entscheidungen getroffen hat, die eine Verbesserung dieser zentralen Auswertung und Koordinierung ermöglichen.
In diesem Zusammenhang ist mit Recht länger über die besondere Bedeutung der Datenverarbeitung gesprochen worden. Ich unterstreiche das, was hier gesagt wurde. Ich glaube, daß das sehr wichtig und richtig ist. Natürlich müssen wir einem gewissen Wunderglauben, den es z. T. in der Öffentlichkeit gibt, etwas entgegentreten, der Vorstellung, man könne durch den berühmten Compurter im Bundeskanzleramt die politischen Entscheidungen sozusagen so objektivieren und rationalisieren, daß die Last von den Politikern genommen würde. Aber auch wenn man einen solchen Wunderglauben für falsch erklärt, so bleibt, daß dies eine unerhört wichtige Aufgabe ist. Ich glaube, wir haben mit der Entscheidung der Bundesregierung, zusammen mit dem Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung ein Zentralinstitut hier bei Bonn zu schaffen, eine ganz wichtige Voraussetzung für die Lösung geschaffen. Hier werden wir Aufgaben der Grundlagenforschung wahrnehmen, hier sollen Gutachten für unser Förderungsprogramm erarbeitet werden, hier soll Erfolgskontrolle durchgeführt werden in der Zusammenarbeit mit Forschung und Industrie, hier soll eine Ausbildungsmöglichkeit für Kräfte des staatlichen Bereichs geschaffen werden und schließlich eben die Anwendung von Systemen in der Verwaltung erforscht werden.
Die Forderung des Kollegen Lohmar, daß auch das Parlament sich diese Möglichkeiten voll nutzbar machen muß, ist richtig, da hier eine Chance für die parlamentarische Arbeit liegt. Aber das ist jetzt eine Sache des Parlaments selbst. Ich kann Ihnen versichern, daß die Bundesregierung mit ihren Einrichtungen bereit ist, jede Form der Kooperation durchzuführen.
Zum Schluß nur noch einige Sätze zum Thema Luft- und Raumfahrttechnik, Wehrforschung und europäische Zusammenarbeit. Es ist hier zum Schluß von der großen Unruhe im Bereich der Luft- und
Raumfahrtforschung und -technik gesprochen worden. Ich bejahe die Notwendigkeit, daß die Bundesregierung auch in dem besonders schwierigen Bereich der Verteidigung zu längerfristigen Planungen zu kommen versucht. Aber ich möchte deutlich wiederholen, daß nun endlich auch die Industrie in diesem Bereich in ihren eigenen Reihen die Voraussetzungen schaffen muß, die für eine moderne Technologie und eine erfolgversprechende Entwicklung in Deutschland notwendig sind. Sie muß zu den unternehmerischen Entscheidungen und Fusionen und zu der Kapitalkräftigung kommen, die sie allein in den Stand setzt, diese Forderung an den Staat auch zu vertreten.
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Ich kann Ihnen mit einiger Zufriedenheit sagen, daß wir im Bereich der Forschung eine Entscheidung erreicht haben, die in diesem Jahr zur Fusion der drei Forschungsanstalten in diesem Sektor führen wird, eine nicht ganz leichte Aufgabe, die aber jetzt, glaube ich, einvernehmlich gemeistert wurde.
Zum Schluß sind bemerkenswerte Ausführungen über die europäische technologische Zusammenarbeit gemacht worden, denen ich im Grunde zustimmen kann. Ich beurteile die Anwendungsmöglichkeiten der Europarakete mit dem Zusatzprogramm für Fernmeldesatelliten positiver als der Kollege Dr. Müller. Aber das brauchen wir im Augenblick vielleicht nicht zu vertiefen. Wir hoffen, daß diese schwierige technische Entwicklung zu einem Erfolg führt.
Ich begrüße es, daß diese Diskussion der Bundesregierung neben sachlicher Kritik konstruktive Gesichtspunkte für ihre weitere Arbeit gegeben hat, und ich hoffe, daß wir uns in der Bewältigung dieser großen Zukunftsaufgaben alle miteinander, Regierung und Opposition, finden werden.
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Meine Damen und Herren, keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt.
Es liegen vor die Entschließungsanträge Umdrucke 357 *) 358 **), 359 ***) und 360 ****). Bei sämtlichen Anträgen ist Überweisung an den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik vorgeschlagen. Das Haus stimmt dem zu? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache V/2280 -
Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Mischnick.
*) Siehe Anlage 2 *') Siehe Anlage 3 ***) Siehe Anlage 4 **'*) Siehe Anlage 5
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte hat wiederum klargemacht, daß wir uns endlich dazu aufraffen sollten, im Bereich der Hochschul-, Forschungs- und Bildungspolitik klarere Kompetenzen zu schaffen. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes wollen wir einmal die konkurrierende Gesetzgebung in Art. 74, zum anderen in Art. 75 mit Einfügung der Bildungsplanung eine Zusatzkompetenz für den Bund schaffen. Wir sind der Überzeugung, daß die Fragen der Hochschul-, Forschungs- und Bildungspolitik - wir haben sie hier schon oft diskutiert - diese Unklarheiten in der Gesetzgebung auf die Dauer einfach nicht mehr ertragen können. Wir wissen, daß der Vorschlag, den wir hier bringen, manchem nicht weit genug gehen wird. Aber wir glauben, daß er eine Basis ist, auf die sich das ganze Haus einigen kann.
Wenn man die gesamte Entstehungsgeschichte dieser Punkte in unserer Verfassung einmal betrachtet, muß man doch heute zugeben, daß sie anders geregelt ,worden wären, wenn damals nicht Widerstände insbesondere von den Alliierten gekommen wären und wenn nicht bis 1955 auch gewisse Beschränkungen in der Freiheit der Forschung bestanden hätten. Deshalb haben diese Fragen damals nicht die entscheidende Rolle gespielt, die sie hätten spielen müssen.
Ich hoffe, daß heute wenigstens in diesem Hohen Hause allgemeine Übereinstimmung besteht, daß wir in diesen Bereichen überschaubare Gesetzgebungskompetenzen haben sollten und daß deshalb die Forschungsorganisation in die konkurrierende Gesetzgebung eingebaut werden sollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, überlegen Sie sich bitte einmal, wie wir auf die Dauer verfahren wollen, wenn internationale Arbeitsteilung von Großforschungsprojekten erfolgt, wir aber noch nicht einmal innerhalb unseres Landes in dieser Frage zu einer einheitlichen Regelung kommen, manchmal nicht kommen können, weil einfach gesetzliche Bestimmungen dagegenstehen. Alle Versuche, mit Gemeinschaftskonstruktionen hier einen Ersatz zu schaffen, sind doch nur Behelfsmittel. Machen wir uns doch da nichts vor!
Außerdem müssen wir uns darüber im klaren sein, daß diese Hilfskonstruktionen, die wir gefunden haben, weder unserem bundesstaatlichen Konzept noch unseren demokratischen Prinzipien entsprechen, denn die Folge davon ist doch, daß die parlamentarische Verantwortung nicht klar geregelt ist, daß wir Institutionen schaffen, wo sich letztendlich keiner voll zuständig fühlt. Überall da, wo kein Hauptverantwortlicher vorhanden ist, mangelt es auch an entsprechenden Initiativen. Das ist eine Erfahrung, die wir in allen Bereichen machen müssen. Wir sollten deshalb hier die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen.
Wir haben auch sorgfältig geprüft, ob man nur die Forschungsorganisation in die konkurrierende Gesetzgebung einbringen sollte. Wir sind aber zu dem Ergebnis gekommen: Man muß das Hochschulwesen mit ansprechen und mit hineinnehmen, denn
sonst würde ja die Gefahr entstehen, daß Forschung und Hochschulwesen getrennt werden. Wir gehen davon aus, daß Forschungsorganisation und Hochschulwesen aufs engste miteinander verbunden bleiben müssen. Deshalb ist auch dieser Punkt in unserem Antrag enthalten.
Wie der Bundesgesetzgeber im einzelnen von seinen Möglichkeiten der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch macht, das brauchen wir jetzt hier nicht zu entscheiden. Wir erwarten dann eine entsprechende Initiative der Bundesregierung, wenn sich das Hohe Haus entschließt, gemeinsam dieser Lösung zuzustimmen.
Wir sind allerdings auch der Auffassung, daß zu diesem Punkt die Bildungsplanung mit in die Rahmenkompetenz aufgenommen werden muß. Das ist eine erforderliche Ergänzung zu den anderen Überlegungen. Wir glauben, daß schon um der Länder willen eine Zustimmung zu diesem Vorschlag notwendig ist. Machen wir uns doch nichts vor: Viel Kritik, die heute kommt, wird dann unter der Firma „Das hängt am Föderalismus!" verkauft. Ich glaube, gerade diejenigen, die dem Föderalismus besonders huldigen, die ihm besondere Kräfte zuschreiben, sollten hier mit dafür sorgen, daß nicht Schwierigkeiten durch eine mangelhafte Organisation eintreten.
Deshalb erwarten wir, daß es möglich sein wird, die Herren Ministerpräsidenten, die alle der gleichen Koalition angehören wie die Bundesregierung, davon zu überzeugen, daß hier ein gemeinsames Handeln im Sinne dieses Antrages, also die Zustimmung des Bundesrates, möglich und nötig ist.
Lassen Sie mich zum Schluß nur noch eine kurze Bemerkung zu dem Thema machen, das wir am Freitag behandeln wollen. Ich will nicht die Debatte vorziehen, sondern nur darauf hinweisen, daß manche Ursache der außerparlamentarischen Opposition mit darin zu suchen ist, daß über ein Jahrzehnt lang, ja fast zwei Jahrzehnte lang, über diese Fragen, über die Kompetenzen, gestritten worden ist. Man kann heute schwerlich einem jungen Menschen beibringen, daß wegen Kompetenzfragen gleiche, einheitliche, sinnvolle Lösungen für das ganze Bundesgebiet bis jetzt unterlassen worden sind. Hier liegt mit eine Ursache, ,die wir .aus eigener Möglichkeit ausräumen können.
Wer mit Recht kritisiert, daß uns diese außerparlamentarischen Erscheinungen insgesamt belasten, hat mit .diesem Antrag Gelegenheit, eine Ursache durch die Entscheidung in diesem Hause zu beseitigen.
Wir beantragen deshalb, .diese Frage im Rechtsausschuß - federführend - und im Wissenschaftsausschuß - mitberatend - zu behandeln, und erwarten Ihre Zustimmung zu dieser, wie wir meinen,
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minimalen, aber der Sache doch gerecht werdenden
Lösung. Wir hoffen, daß das, was heute in der
allgemeinen Debatte gesagt wurde, in dieser Beratung seinen fruchtbaren Niederschlag und für jedermann sichtbaren Ausdruck findet.
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Meine Damen und Herren, Sie haben die Einbringung dieses Entwurfs gehört.
Ich eröffne die Aussprache erster Lesung. Wird
das Wortgewünscht? - Keine Wortmeldung. - Die Aussprache ist geschlossen.
Der Entwurf soll überwiesen werden an den Rechtsausschuß - federführend: - und an den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik - mitberatend. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Diätengesetzes 1964
- Drucksache V/2526 Meine Damen und Herren, ehe ich hier die Aussprache der ersten Lesung eröffne bzw. das Wort zur Begründung erteile, erlauben Sie mir folgende Bemerkung: Präsidium und Vorstand des Bundestages haben die mit diesem Gesetzentwurf der Fraktionen des Hauses aufgeworfenen Fragen seit geraumer Zeit sorgfältig und pflichtgemäß geprüft. Der Ausgangspunkt und die Grundlage dafür war die Bestimmung des Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes, in der es kurzgefaßt heißt:
Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung.
Meine Damen und Herren, es ist nicht bekannt ---ich sehe das aus vielen Kritiken -, daß diese Bestimmung des Art. 48 auf dem Art. 40 der Weimarer Verfassung steht und daß diese Bestimmung der Weimarer Verfassung wiederum auf einer ganz grundlegenden Entscheidung des Deutschen Reichstages von 1906 beruht. Sowohl der Reichstag von 1906 wie der Weimarer Reichstag und die Weimarer Verfassung gingen davon aus, daß das parlamentarische Mandat, jedenfalls in der obersten Vertretung des deutschen Volkes, ein nebenberufliches Ehrenamt sein sollte, daß aber dennoch jedem, der dafür gewählt sei, wenigstens die finanzielle Möglichkeit eingeräumt werden müsse, sein Mandat ausüben zu können. Das ist eine fundamentale Entscheidung, die auch wir - und ich spreche hier keineswegs für mich, sondern für dieses Haus - für richtig halten.
Nun, meine Damen und Herren, die Schwierigkeit liegt darin, daß der Reichstag von 1906 und vielleicht auch noch der Reichstag der Weimarer Zeit davon ausgehen durften, mit Fug und Recht davon ausgehen durften, daß das Mandat in ihrem Haus als nebenberufliches Ehrenamt wahrgenommen werden könne. 1948/1949 traten die Väter -des Grundgesetzes hier in diesem Haus zusammen und trafen auch die Bestimmung des Art. 48 GG. Ich
Präsident Dr. Gerstenmaier
mache damit darauf aufmerksam, daß diese Bestimmung sich nicht der 1. Bundestag gegeben hat, sondern daß wir hier unter einem Verfassungsauftrag stehen, den der Parlamentarische Rat so, wie er hier steht, gefaßt hat. Der Bundestag hat daran überhaupt nichts geändert. Ich habe jedoch den Eindruck, daß man sich damals, im Jahre 1948/49, nicht sicher darüber war, wie man denn die Entwicklung des Mandats in diesem Hause zu beurteilen habe. Den Vätern des Grundgesetzes daraus einen Vorwurf zu machen, würde ich für ungerecht halten. Die Zeiten waren einfach nicht darnach und die Entwicklung konnte nicht so scharf übersehen werden, daß man schon damals mit Sicherheit sagen konnte, daß der zukünftige Deutsche Bundestag von der Vorstellung Abschied nehmen müsse, auf der die Entscheidung des Reichstages von 1906 und auch noch die Bestimmung des Art. 40 der Weimarer Verfassung stand, nämlich, daß es sich um ein nebenberufliches Ehrenamt handle. Die Situation war offen; die Entwicklung war keineswegs hinreichend zu überschauen.
Daraus erklärt sich, daß sich dieser Art. 48 Abs. 3 nicht präzise zu der Frage geäußert hat, mit der wir es keineswegs erst seit heute in diesem Hause zu tun haben, sondern mit der wir uns schon seit Jahren ziemlich hart herumplagen, wenn auch nicht vor, sondern mehr hinter den Kulissen. Die Situation ist einfach die, daß die Vorstellung, daß das Bundestagsmandat - und ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, daß ich nur vom Bundestagsmandat rede - als nebenberufliches Ehrenamt wahrgenommen werden könne, einfach an der Realität vorbeigeht, und zwar weit vorbeigeht. Das Bundestagsmandat nimmt längst die volle Zeit und Kraft eines gewissenhaften Abgeordneten in Anspruch. Das ist der nackte Tatbestand. Es nimmt auch dann die volle Zeit und Kraft eines gewissenhaften Abgeordneten in Anspruch, wenn der Mann - was allerdings noch etwas häufiger sein könnte - eine gewisse harte Resistenz gegen Ansprüche übt, die von außen - vielleicht auch aus seinem Wahlkreis - an ihn gestellt werden. Dabei vergegenwärtigen sich diejenigen, die die Ansprüche stellen und seine Kraft heischen, oft nicht, daß er, wenn er nicht hier im Saale sitzt, schwer zu arbeiten hat, um auch nur die Grundeinsichten in die Vorlagen zu gewinnen, über die er nachher entscheiden soll.
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Das muß erarbeitet sein. Das sind natürlich Dinge, die sich der Öffentlichkeit entziehen. Aber es ist unmöglich, ein Mandat wahrzunehmen und sich außerdem noch der öffentlichen Diskussion zu stellen, wenn man die Sache, zu der man Stellung nehmen und über die man entscheiden soll, zuvor im eigenen Kopfe hat. Auch der wissenschaftliche Hilfsarbeiter kann den Abgeordneten nicht davon entbinden, daß er sich schließlich die profunde Einsicht in das, worum es geht, selber aneignet. Das heißt Mühe, Arbeit, Nachtstunden und beansprucht die Zeit, in der man eben nicht öffentlich in Erscheinung tritt.
Wenn man sich das vergegenwärtigt, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß die Vorstellung vom nebenberuflichen Ehrenamt, so schön sie für mein Gefühl und so wünschenswert sie ist, an der Realität vorbeigeht und aufgegeben werden muß. In der Anerkenntnis dieser Situation und in der Einsicht in diese Lage find« ich, daß hier in diesem Hause eine weite Übereinstimmung darüber besteht, daß wir vom nebenberuflichen Ehrenamt des Honoratiorenparlaments Abschied nehmen müssen. Daraus müssen nun aber auch - und das ist der Punkt 1, von dem ich meine, daß Übereinstimmung im Hause besteht - Konsequenzen gezogen werden.
Ein Zweites! Eine dieser Konsequenzen - ich sage: nur eine dieser Konsequenzen - ist die Frage der Altersversorgung, die der Kern dieser Vorlage ist. Diese Frage muß gelöst werden.
Drittens. Es muß völlige Klarheit darüber bestehen - nicht nur in diesem Hause, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit -, daß - um mit dem Wortlaut des Grundgesetzes zu sprechen -, wenn diese Frage nicht angemessen gelöst wird, das passive Wahlrecht für dieses Parlament für viele, auf die dieses Haus nicht gern verzichten sollte, eine bloße Theorie ist und eine bloße Theorie bleiben wird.
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Der Tatbestand, mit dem wir es zu tun haben, ist außerdem folgender, und das gilt nicht nur im Blick auf die heutigen Lebensverhältnisse, sondern das war eigentlich schon immer so. Eine gesicherte Unabhängigkeit, wie sie der Art. 48 des Grundgesetzes für den Abgeordneten verlangt, gibt es nicht, wenn die Frage der Altersversorgung nicht mindestens für diejenigen vertretbar gelöst wird, die ohne Lösung dieser Frage einfach nicht die angemessene Unabhängigkeit besitzen, die das Grundgesetz jedem Abgeordneten aus zwingenden Gründen - die ich hier gar nicht zu erklären brauche - zubilligt und zuschreibt.
Der vorliegende Entwurf meint nicht - ich bedauere, daß ich das ausdrücklich sagen muß; aber, meine Damen und Herren, das muß klargestellt sein -, daß überhaupt jedes parlamentarische Mandat im freien Deutschland mit einer Altersversorgung ausgestattet werden müßte oder auch nur ausgestattet werden dürfe. Diese Vorlage meint vielmehr nur, daß diesem Mandat im Bundestag, das in der Tat die ganze Zeit und Kraft eines Mannes oder einer Frau fordert, auch die Unabhängigkeit dadurch gesichert werden muß, daß die Frage der Altersversorgung angemessen gelöst wird.
Auch dann, wenn man diesen Grundsatz bejaht, geht diese Vorlage - wie ich denke mit einer breiten Übereinstimmung im Hause - davon aus, daß diese Altersversorgung noch immer von einer zeitlichen Bedingung abhängig gemacht werden 'sollte. Das scheint mir wichtig. Wir meinen also, daß das Risiko des nichtgesicherten Alters dem Kollegen und der Kollegin zugemutet werden sollte, die etwa nur vier Jahre, also eine Legislaturperiode hindurch, diesem Haus angehören. Denen nimmt diese Vorlage das Risiko nicht ab. Wir müssen klar sehen, daß es für viele von Ihnen ein Risiko bleibt. Diese Vorlage
Präsident Dr. Gerstenmaier
fängt erst mit acht Jahren an. Aber, meine Damen und Herren, von da ab wird es, wenn ich den Artikel 48 des Grundgesetzes recht verstehe, einfach zur Pflicht, hier zu klaren, wie ich meine, zu positiven Entscheidungen zu kommen.
Ich verhehle nicht, daß insoweit zwar eine breite Übereinstimmung im Hause besteht, daß aber noch immer Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, w i e denn nun die Frage der Altersversorgung gelöst werden bzw. wie die Altersversorgung beschaffen sein soll. Diese. Meinungsverschiedenheiten sind auch mit dem vorliegenden Entwurf nicht ausgeräumt. Ich sage jetzt schon, daß mir Änderungsanträge, vielleicht einschneidende Änderungsanträge, bereits angekündigt sind. Ich halte nichts davon, diese Fragen, die sorgfältig erwogen werden müssen, jetzt gewissermaßen in einer offenen Feldschlacht in einer ersten Lesung zu behandeln. Es wäre völlig ungewöhnlich, das tun wir bei anderen Gesetzesvorlagen auch nicht -, wenn wir jetzt etwa diese Einzelfragen hier verhandeln wollten. Ich finde deshalb, daß es richtig wäre, wenn dieses Haus dem Vorschlag des Ältestenrates zustimmte und die Vorlage dem dafür nach der Geschäftsordnung zuständigen Bundestagsvorstand, gleichzeitig dem Haushaltsausschuß nach § 96 unserer Geschäftsordnung, überwiese.
Ich verspreche mir, daß es durch sachverständige Beratung im Bundestagsvorstand möglich ist, auch die Frage des Wie so zu lösen, daß wir schließlich mit einer vertretbaren Lösung hier vor das Hohe Haus und vor die deutsche Öffentlichkeit treten können.
Damit, meine Damen und Herren, eröffne ich die Aussprache in erster Lesung. Ich frage, ob jemand das Wort wünscht. - Herr Abgeordneter Brese wünscht das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 12. Februar 1960 haben, wir schon einmal eine Vorlage dieser Art hier im Hohen Hause behandelt. Ich habe mich damals gegen diese Vorlage gewandt. Ich habe noch einmal nachgelesen, was ich da gesagt habe. Damals war eine andere Zeit. Wir lebten in einer Hochkonjunktur, und nach meiner Meinung überschlug sich die Begehrlichkeit in dem Volke. Ich habe damals herausgestellt: Wir müssen hier Vorbild sein; wir müssen den Mut haben, uns selbst für unser Alter zu versorgen, und wir dürfen uns nicht an den Staat hängen. Das war damals überall sichtbar. Jeder hatte das Bestreben, vom Staat versorgt zu werden. Die ,damalige Vorlage ist in zweiter und dritter Lesung nicht behandelt worden. Aber nun sind seit der Zeit acht Jahre ins, Land gegangen. Die Verhältnisse sind heute anders als damals. Wir haben keine Hochkonjunktur mehr. Die Gründe, die ich damals hier vorgetragen habe, will ich gar nicht noch einmal vortragen. Ich habe heute vielmehr andere Sorgen, und zwar Sorgen, die wir ja bei d'en Beratungen der letzten Zeit hier alle kennengelernt haben, nicht nur Finanzsorgen, die wir durch das Haushaltssicherungsgesetz, das Finanzänderungsgesetz, das Haushaltsänderungsgesetz, durch die mittelfristige Finanzplanung zu lösen versucht haben, sondern ich habe Sorgen, daß wir in der Zukunft harte Entscheidungen treffen müssen, um unsere Wirtschaft wieder richtig in Ordnung zu bringen.
Es wurde vorhin 'gesagt, in den Ballungsräumen bestünden die größten Sorgen. Ich habe in meinem Wahlkreis keinen Ballungsraum, wohl einige Städte, aber 'ich weiß, wie es auf dem Lande aussieht. Auf dem Lande haben wir Exitenzsorgen. Der Mittelstand befindet sich 'in einer Umstrukturierung, und so manch ein Geschäft muß aufgegeben werden, und dort gibt es keine Altersversorgung. Ich spreche zu Ihnen als Bauer. Ich will Ihnen hier kein trübes Bild entwickeln; Sie werden sich sicher alle 'selber davon überzeugen können, wie es auf dem Lande aussieht. Auf dem Lande hat man auch Existenzsorgen. Man weiß nicht, was (die Zukunft bringt, und die Unruhe, .die jetzt durch das Land geht - gerade im Landvolk -, ist nichts Gemachtes, es ist vielmehr die große Sorge: Wie soll es dort weitergehen? - Ich sage also: Wir werden harte Maßnahmen zu treffen haben.
Weiterhin muß ich sagen: In ,der Zwischenzeit haben wir doch gewisse Regelungen getroffen. Der größte Teil der Abgeordneten dieses Hohen Hauses hat ja eine Altersversorgung als Beamter oder einen Anspruch in der Rentenversicherung als Angestellter oder Arbeiter. Er kann die Beträge jederzeit aufstocken. Es liegt in seinem Willen, sich eine Altersversorgung zu 'gestalten, wie er sie nötig hat. Das aber ist gerade das, was mir vorschwebt: die Selbstverantwortung, der Wille, selber Vorsorge für 'diese schweren Zeiten zu treffen.
Weiterhin haben wir ja einen Fonds 'für 'die Abgeordneten geschaffen, die vorzeitig versterben, und im übrigen haben wir durch die Einführung des Sterbegeldes 'doch auch Möglichkeiten für 'den Übergang geschaffen.
Ich isehe also keine Notwendigkeit, dieses Gesetz in ,dem Augenblick zu beschließen, wo wir draußen in der Wirtschaft vor großen Schwierigkeiten stehen und wo wir - ich sage es noch einmal - harte Entscheidungen treffen müssen.
Nun zu dem Gesetzentwurf selbst! Er erscheint mir auch sehr unvollkommen. Es ist in ihm nichts darüber gesagt, ob man denn vom 'Staat zweimal Pension bekommen kann. Ich möchte glauben, bei Annahme dieser Vorlage wäre durchaus die Möglichkeit gegeben - ich lasse mich .aber belehren -, daß ein Minister, der eine Pension erhält, auch noch als Abgeordneter eine Pension bekommt.
Aus diesem Grunde haben Freunde von mir in diesem Hohen Hause eine Gegenvorlage gemacht. Ich habe mich überzeugt: Es sind mehr als 40 Abgeordnete, die diese Vorlage schon jetzt unterschrieben haben. Diese Vorlage sieht vor, daß dann wenigstens 'die Bezüge, die wir jetzt 'bekommen, einkommensteuerpflichtig gemacht werden. Ich habe das ja schon einmal in diesem Hohen Hause vorgetragen. Wenn das geschähe, könnten Sie die
Grunddiäten erhöhen, und es könnte dann für den Mann, der sonst nichts hat, mehr getan werden. Wer aber Bezüge an anderer Stelle hat, müßte eben eine höhere Einkommensteuer bezahlen.
Ans .den genannten Gründen - ich will mich hier nicht unnötig verbreitern - stehe ich nach wie vor auf dem Standpunkt, 'daß wir diese Vorlage für erledigt erklären sollten. Ich bitte dazu um Ihre Zustimmung.
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Herr Abgeordneter Brese, soll das heißen, daß Sie gegen die Überweisung der Vorlage an den Bundestagsvorstand sind?
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- Gut, dann werde ich darüber abstimmen lassen.
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer für die Überweisung der Vorlage an den Bundestagsvorstand - federführend - und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Die Schriftführer sind mit mir der Meinung, daß vier Gegenstimmen auch gegen die Überweisung zu verzeichnen sind. Meine Damen und Herren, das ist ungewöhnlich. Aber die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe als Zusatzpunkt den Punkt auf, der heute morgen einvernehmlich auf die Tagesordnung gesetzt worden ist:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schmidt ({1}), Bading, Mertes, Dr. Reischl und Genossen
betr. Aufhebung der Immunität von Abgeordneten
-- Drucksache V/2424 Es ist vorgeschlagen, ohne Begründung und Aussprache diesen Antrag zunächst an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung - federführend - und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich breche damit die Sitzung für heute ab. Wir werden morgen nach der Fragestunde noch einige Tagesordnungspunkte behandeln müssen, die aus dem Vermittlungsausschuß morgen vormittag da sein werden.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf Donnerstag, den 8. Februar 1968, 14.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.