Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/13/1966

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen zunächst vorzuschlagen, die heutige Tagesordnung um folgende Vorlagen zu ergänzen: 1. Wahl der Schriftführer - Drucksache V/87 2. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({0}) über die von der Bundesregierung erlassene Dreiunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({1}), über die von der Bundesregierung erlassene Fünfunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({2}), über die von der Bundesregierung erlassene Sechsunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({3}), über die von der Bundesregierung erlassene Achtunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({4}), über die von der Bundesregierung erlassene Neununddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({5}) - Drucksachen V/15, V/44, V/45, V/22, V/23, V/177 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres 3. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({6}) über die von der Bundesregierung erlassene Vierunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({7}), über die von der Bundesregierung erlassene Siebenunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({8}) - Drucksachen V/43, V/46, V/178 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres Wird dem widersprochen? - Das ist nicht der Fall. Das Haus ist damit einverstanden. Dann komme ich gleich zum ersten Zusatzpunkt: Wahl der Schriftführer - Drucksache V/87 Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Gegenstimme, keine Enthaltungen; der Vorschlag ist angenommen. Ich rufe auf Zusatzpunkt 2: Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({9}), über die von der Bundesregierung erlassene Dreiunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({10}), über die von der Bundesregierung erlassene Fünfunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({11}), über die von der Bundesregierung erlassene Sechsunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({12}), über die von der Bundesregierung erlassene Achtunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({13}), über die von der Bundesregierung erlassene Neununddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({14}) - Drucksachen V/15, V/44, V/45, V/22, V/23, V/177 530

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({0}) über die von der Bundesregierung erlassene Vierunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({1}), über die von der Bundesregierung erlassene Siebenunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({2}) - Drucksachen V/43, V/46, V/178 - Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Serres. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich empfehle dem Hause, von beiden Berichten Kenntnis zu nehmen. - Das Haus stimmt diesem Vorschlag zu; dann ist so beschlossen. Zu der in der Fragestunde der 13. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. Januar 1966 gestellten Frage des Abgeordneten Schwabe Nr. III/2 ist inzwischen die schriftliche Antwort des Bundesministers Lücke vom 12. Januar 1966 eingegangen. Sie lautet: Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister der Justiz gehe ich davon aus, daß sich Ihre Frage bezieht a) auf die waffenrechtlichen Vorschriften über Besitz und Führen von Schuß- und Stichwaffen, b) auf die Strafdrohungen, die für Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschriften bestehen und c) auf Strafdrohungen gegen Straftaten, die mittels einer Schußoder Stichwaffe begangen werden. Zu a) : Die waffenrechtlichen Vorschriften über Besitz und Führen von Schuß- und Stichwaffen fallen in die Zuständigkeit der Bundesländer. Außer im Saarland gilt insoweit das Waffengesetz vom 18. März 1938 als fortgeltendes Landesrecht. Hiernach ist der Besitz von Waffen grundsätzlich erlaubnisfrei, jedoch sind bestimmte Schußwaffen ({3}) hiervon ausgenommen. Außerdem kann einer Person, die sich staatsfeindlich betätigt hat oder die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit befürchten läßt, jeglicher Waffenbesitz verboten werden. Wer ein Schußwaffe außerhalb seiner Wohn- oder Geschäftsräume oder seines befriedeten Besitztums führt, d. h. bei sich trägt, um von ihr ggf. Gebrauch zu machen, bedarf grundsätzlich einer behördlichen Erlaubnis ({4}). Für Stichwaffen gilt dies nicht. Allerdings kann im Einzelfall - wie der Besitz - auch das Führen von Stichwaffen untersagt werden. Unter den Ländern wird zur Zeit der Musterentwurf eines Landeswaffengesetzes abgestimmt, in dem auch Besitz und Führen von Waffen neu geregelt werden sollen. Aus den bisherigen Vorarbeiten ist die Tendenz zu erkennen, Besitz und Führen von Schuß- und Stichwaffen zu erschweren. Zu b) : Nach dem geltenden Waffengesetz werden Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über Waffenbesitz und Waffenfähren mit Gefängnisstrafe bis zu 3 Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bedroht. Die Höchststrafe von 3 Jahren Gefängnis kann in einem neuen Landeswaffengesetz nicht mehr angedroht werden, da nach § 5 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch für Materien, die nicht Gegenstand des Strafgesetzbuches sind, landesrechtlich nur Gefängnis bis zu 2 Jahren, Haft, Geldstrafe usw. angedroht werden darf. Zu c) : Schon nach geltendem Recht sind bei einer Reihe typischer Tatbestände erhöhte Strafdrohungen vorgesehen, wenn die Straftaten mittels einer Schuß- oder Stichwaffe begangen oder wenn solche Waffen bei der Tat mitgeführt worden sind. Es ist auf 'die Vorschriften über Forstwiderstand, Hausfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, schweren Diebstahl, schweren Raub und Jagdwilderei ({5}) zu verweisen. Diese Strafdrohungen haben sich im allgemeinen 'als ausreichend erwiesen. Bei anderen Tatbeständen wird das Mitführen von Waffen in der Regel für die Strafzumessung von Bedeutung sein. Das gilt vor allem bei Kapitalverbrechen, soweit nicht ohnehin schon - wie beim Mord - ein absolutes Strafmaß angedroht ist, wird aber auch bei versuchtem Mord, Totschlag usw. in Frage kommen können Auch der Entwurf eines neuen Strafgesetzbuches ({6}) sieht - soweit die Tatbestände vergleichbar sind - in den entsprechenden Fällen erhöhte Strafdrohungen vor, die zum Teil noch höher als die des geltenden Rechtes sind. Die Höhe der Strafdrohung wird noch Gegenstand eingehender Beratungen im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform sein. Abschließend weise ich noch darauf hin, daß Ausländer, die wegen eines Verbrechens oder Vergehens verurteilt worden sind, nach dem Ausländergesetz, das die Länder als eigene Angelegenheit ausführen, aus der Bundesrepublik ausgewiesen wenden können. Wenn demnach ein Ausländer z. B. ohne Waffenschein eine Schußwaffe führt oder mittels einer Waffe ein Vergehen verübt, droht ihm neben der strafgerichtlichen Verurteilung auch die Ausweisung. Ich komme nun zum nächsten Punkt der Tagesordnung: Fragestunde - Drucksachen V/169, V/161, V/167 Wir beginnen mit Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Die Frage III/4 kam von Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen: Ist der Beamte des Statistischen Bundesamtes, der dem hessischen Finanzminister Zahlen über die Haushaltslage der Länder zur Verfügung stellte, zu einer dienstlichen Stellungnahme über diesen Vorgang aufgefordert worden? Ist der Herr Abgeordnete anwesend? ({7}) - Ja, ich sehe es! Danke schön! Die nächste Frage III/5 stellt Herr Abgeordneter Dr. Wörner: Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach dem gegenwärtigen Stand der Überlegungen in den einzelnen Bundesländern über die Verlegung des Schuljahresbeginns die Gefahr besteht, daß es zu einer unterschiedlichen Regelung im norddeutschen und süddeutschen Raum kommt?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich glaube, daß der Hauptteil Ihrer Sorge durch die in der Zwischenzeit stattgefundene Sitzung der Kultusminister vom 7. Januar 1966 behoben ist, in der ja eine grundsätzliche Einigung über die Umstellung des Schuljahres erzielt wurde. Es ist danach allerdings möglich, daß es immer noch für eine gewisse Übergangszeit zu verschiedenen Schulentlassungsterminen kommt. Wir möchten aber zunächst einmal die Ausführungsbestimmungen der Kultusminister dazu abwarten. Die Kultusminister haben ja erklärt, daß sie besondere Rücksicht auf die Schwierigkeiten nehmen werden, die bei etwaigem Schulwechsel für Kinder in der Bundesrepublik entstehen könnten.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter!

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Äußerungen entnehmen, daß für den Fall, daß es nicht zu einer endgültigen Einigung kommt, die Bundesregierung bereit ist, im Sinne dieser meiner Anfrage vorstellig zu werden?

Not found (Staatssekretär:in)

Ja; ich bitte, meine Antwort so zu verstehen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die nächste Frage III/6 des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner auf: Ist die Bundesregierung bereit, mit Rücksicht auf die von einem uneinheitlichen Schuljahresbeginn besonders betroffenen Kinder von Bundesbeamten bei der Kultusministerkonferenz der Länder darauf hinzuwirken, daß die Bundesländer sich auf einen einheitlichen Schuljahresbeginn mit einheitlicher Übergangsregelung einigen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, diese Frage ist mit meiner voraufgegangenen Antwort praktisch erledigt.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Ich rufe die Fragen III/7 und III/8 des Abgeordneten Josten auf: Wie groß ist die Zahl der taubstummen schulpflichtigen Kinder in der Bundesrepublik? Wieweit sind die in Frage III/7 bezeichneten Kinder in den Hörklassen der Taubstummenschulen bzw. -institute erfaßt? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Lücke lautet: Zuverlässige neuere Unterlagen über die Zahl der schulpflichtigen taubstummen Kinder stehen dem Bundesministerium des Innern leider nicht zur Verfügung. Die folgenden Zahlen stützen sich auf die Statistischen Nachrichten über das Taubstummen-, Schwerhörigen- und Sprachheilwesen Deutschlands des Bundes Deutscher Taubstummenlehrer nach dem Stand vom 1. Oktober 1962. Ihre Überarbeitung nach dem Stand vom Oktober 1965 ist noch nicht abgeschlossen. Im Oktober 1962 betrug die Zahl der schulpflichtigen taubstummen Kinder 4136. Wie mir vom Bund Deutscher Taubstummenlehrer bestätigt wurde, sind die schulpflichtigen taubstummen Kinder damals wie heute nicht nur erfaßt, sondern sie werden auch in den vorhandenen 41 Taubstummen- bzw. Gehörlosenschulen unterrichtet. Danach scheint eine vollständige Erfassung und Schulausbildung taubstummer Kinder gewährleistet zu sein. Wenn es dennoch hier und da taubstumme Kinder im volksschulpflichtigen Alter gibt, die nicht zur Schule gehen, so dürfte es sich hierbei um Kinder handeln, die zusätzlich, meistens wohl geistig, behindert sind und deswegen nach den einschlägigen Vorschriften der Länder von der Schulpflicht befreit wurden. Die Zahl dieser Kinder wird indessen verhältnismäßig gering sein. Nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes über die allgemeinbildenden Schulen wurden 1964 insgesamt 983 916 Kinder schulpflichtig. Davon waren lediglich 1180 Kinder, also 0,12 % der schulpflichtig gewordenen, von der Schulpflicht befreit worden. Ich rufe Frage III/9 des Abgeordneten Dorn auf: Billigt die Bundesregierung das in der Panorama-Sendung vom 13. Dezember 1965 gefällte Pauschalurteil: „Seine Pflicht erfüllte, wer eine englische, norwegische oder französische Uniform trug, eher als derjenige, der in einer deutschen marschierte."? Ist Herr Abgeordneter Dorn im Saal? - Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers der Justiz. Die ersten drei Fragen IV/1, IV/2, IV/3 des Herrn Abgeordneten Bühling: Ist der Bundesregierung bekannt, daß eine erhebliche, vermutlich noch steigende Anzahl von Richtern nur noch Verwaltungsaufgaben in Präsidien und Vorständen der Gerichte sowie bei Ministerien ausübt und damit der Rechtsprechung, ihrer eigentlichen Aufgabe, entfremdet wird? Sieht die Bundesregierung, daß die innerliche Unabhängigkeit der Richter durch den in Frage IV/1 geschilderten Zustand gefährdet wird und daß schwierige Konkurrenzprobleme zwischen wirklichen Richtern und solchen, die als Beamte tätig sind, entstehen? Wird die Bundesregierung, eventuell nach Einholung entsprechender zahlenmäßiger Auskünfte über den gegenwärtigen Umfang des in Frage IV/1 aufgezeigten Problems, zu dessen möglichst vollständiger Lösung die Möglichkeit einer Gesetzesänderung überlegen? sollen mit Zustimmung des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt. Ich rufe die Frage IV/4 des Herrn Abgeordneten Felder auf: Gibt der Fall des Nürnberger Staatsanwaltes Manfred Kreuzer dem Bundesjustizminister Veranlassung, mit den Justizministern der Länder das Problem einer gerechteren und ausgewogeneren Bewertung von Trunkenheitsdelikten und Fahrerflucht bei Kraftfahrzeugunfällen - auch unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Promillegrenze - neu zu erörtern? - Wer übernimmt die Beantwortung der Fragen? - Der Herr Bundesminister der Justiz? - Ich stelle fest, daß kein Vertreter des Justizministeriums anwesend ist. ({0}) Das ist höchst bedauerlich. ({1}) Dann müssen wir die Fragen zurückstellen. Vielleicht haben wir das Glück, daß einer der Herren noch auftaucht. Aber ich nehme an, das Ministerium war davon verständigt, daß seine Fragen heute vormittag aufgerufen werden. ({2}) Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die Frage V/1 des Abgeordneten Haehser auf: Ist die Bundesregierung bereit, auf eine baldige Verlegung des Munitionslagers der französischen Stationierungsstreitkräfte hinzuwirken, das, da es auf der Trasse der Bundesfernstraße 408 gelegen ist, den Weiterbau dieser Straße bei Wittlich behindert?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Herr Präsident! Die Bundesregierung ist seit Jahren um eine Verlegung des Munitionslagers der französischen Stationierungsstreitkräfte bei Hasborn bemüht. Die Vorarbeiten sind im Augenblick so weit gediehen, daß, falls keine weiteren Schwierigkeiten bei der Beschaffung des ausgewählten Ersatzgeländes auftreten, voraussichtlich im Herbst 1966 mit den Baumaßnahmen für die Ersatzanlage begonnen werden kann.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Zusatzfrage? - Bitte!

Karl Haehser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000776, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, wie erklären Sie sich, daß mir bereits im April vorigen Jahres die Landesregierung von Rheinland-Pfalz mitgeteilt hat, daß die Ersatzbeschaffung des Geländes abgeschlossen ist?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Ich kann mir das nicht erklären. Auch kenne ich diese Mitteilung der Landesregierung nicht. Solche Dinge, Herr Kollege, sind sehr schwierig. Die französischen Streitkräfte haben sich auf den Standpunkt gestellt: Wenn wir das Lager räumen müssen, möchten wir das Lager woandershin verlegen; wenn wir es nicht räumen, bleibt es da. - Aber wir auf der deutschen Seite haben ja Interesse an der Räu532 mung. Deshalb mußten wir nicht nur mit RheinlandPfalz, sondern auch mit anderen Ländern verhandeln.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Haehser.

Karl Haehser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000776, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie sagen, daß voraussichtlich im Herbst dieses Jahres mit dem Ersatzbau begonnen werden kann. Wann wird Ihrer Ansicht nach das Lager auf der Straßentrasse geräumt?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Ich würde sagen, um sehr vorsichtig zu sein: in einem Jahr.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Holkenbrink.

Heinrich Holkenbrink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000944, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, trifft es zu, daß das Land, in das dieses Lager jetzt verlegt werden soll, verlangt hat, daß bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, bevor das Lager dorthin übernommen wird?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Ich glaube, daß ich diese Frage mit Ja beantworten kann. Tatsächlich sind augenblicklich im Kreise der Beteiligten Verhandlungen über Auflagen im Gange, die gemacht worden sind. Das halte ich im übrigen nicht für ungewöhnlich; bei einer derartigen Anlage müssen gewisse Auflagen erfüllt werden. Hoffentlich werden sie recht bald erfüllt. Im Prinzip jedenfalls ist die Regelung getroffen.

Heinrich Holkenbrink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000944, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Trifft es zu, daß über diese Voraussetzungen bereits seit über einem Jahr sowohl zwischen zwei Bundesländern wie zwischen der Bundesregierung und dem Bundesland, in das dieses Lager verlegt werden soll, verhandelt wird?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Es wird verhandelt. Erfahrungsgemäß dauern solche Verhandlungen außerordentlich lange, sie sind recht zähflüssig und schwierig. Das ist unsere Erfahrung. Sie wissen, daß wir uns immer sehr bemühen, solche Verhandlungen in Fluß zu bringen und schneller zum Abschluß zu bringen. Aber es ist oft sehr, sehr mühsam.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Letzte Zusatzfrage.

Heinrich Holkenbrink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000944, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, trifft es zu, daß dies dann die einzige jetzt noch der Verlegung dieses Lagers entgegenstehende Schwierigkeit ist, und können Sie bestätigen, was uns seit Jahren hier zu dieser Frage gesagt wird, nämlich daß zwischen den Ressorts - .etwa zwischen Finanz, Verkehr und Verteidigung - keine Schwierigkeiten bestehen, das Lager zu verlegen?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Ich glaube, daß da keine Schwierigkeiten bestehen. Hauptsächlich die Auflagenwünsche, auch der französischen Streitkräfte, müssen ja erfüllt werden. Ich glaube aber, daß das jetzt in einem Endstadium ist.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Die Frage ist beantwortet. Ich rufe die Frage V/2 des Abgeordneten Genscher auf: Wird die Bundesregierung alsbald eine Novelle zur Reichsabgabenordnung einbringen mit dem Ziel, die verbindliche Auskunft über noch nicht verwirklichte Sachverhalte bei Besitz- und Verkehrsteuern einzuführen? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr. Dahlgrün vom 12. Januar 1966 lautet: Mein Haus hat den in der 4. Wahlperiode nicht mehr verabschiedeten Teil des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze, der die Einführung verbindlicher Auskünfte im Steuerrecht betraf, inzwischen auf den neuesten Stand gebracht. Hierbei ist z. B. die Rechtsentwicklung nach der Finanzgerichtsordnung berücksichtigt worden. Nach Abstimmung mit den Ressorts und mit den Länderfinanzministern werde ich den Entwurf dem Kabinett zur Beschlußfassung vorlegen, der die Erteilung verbindlicher Auskünfte für nichtverwirklichte Sachverhalte auf dem Gebiet der Besitz- und Verkehrssteuern regelt. Frage V/3 des Abgeordneten Weigl: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Stadt Eschenbach ({0}) seit dem Jahre 1961 durch die Straßenbaubehörden bedrängt wurde, erhebliche Beeinträchtigungen des Verkehrs durch Geröll auf der Staatsstraße 2168 Grafenwöhr-Eschenbach bei km 4,070 links bei Runkenreuth beheben zu lassen, daß - gegen die Auffassung der Stadt Eschenbach, die vorher eine Klärung der Finanzierung für erforderlich hielt - die obengenannten Schäden behoben wurden und daß bis heute die Bezahlung der entstandenen Kosten durch die Stadt Eschenbach erwartet wird, obwohl einwandfrei feststeht, daß der Schaden auf Wassermassen zurückzuführen ist, welche infolge von Übungen der US-Armee auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr unter dem Kommando des amerikanischen Obersten Beetz die Staatsstraße 2168 überschwemmten?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Herr Präsident, erlauben Sie, daß ich die Fragen 3 und 4 des Herrn Kollegen Weigl zusammen beantworte?

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Ist der Fragesteller einverstanden? ({0}) - Dann rufe ich auch Frage V/4 des Abgeordneten Weigl auf: Ist die Bundesregierung bereit, durch nochmalige Vorstellungen bei den zuständigen Stellen der US-Armee vielleicht doch eine gütliche Bereinigung der in Frage V/3 geschilderten Angelegenheit anzustreben?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Die Angelegenheit ist mir durch den Schriftwechsel, den ich darüber mit Ihnen, Herr Kollege, geführt habe, bekannt. Ich verweise auf mein Schreiben vom 3. August 1965, in .dem ich Ihnen den Sachverhalt und meine Auffassung dazu mitgeteilt habe. Wegen der Ansprüche der Gemeinde Eschenbach gegen die amerikanischen Streitkräfte werden zur Zeit Verhandlungen auf Landesebene geführt. Sollten diese Verhandlungen keinen Erfolg haben, bin ich gern bereit, von hier aus mich einzuschalten und den Versuch zu machen, die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende zu führen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weiteren Zusatzfragen. Vizepräsident Schoettle Frage V/5 des Abgeordneten Dröscher: In welchem Umfang kann die Bundesregierung finanziell in Katastrophenfällen - wie z. B. den kürzlichen Überflutungen an Nahe und Glan - den hochwassergeschädigten Bürgern und Gemeinden helfen?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Im Bundeshaushaltsplan sind Mittel für Katastrophenfälle im Inland nicht vorgesehen. Nach der grundsätzlichen Kompetenzverteilung kann sich der Bund an Hilfsmaßnahmen der Länder nur subsidiär beteiligen, wenn und soweit dem einzelnen Land eine ausreichende Hilfeleistung nicht zugemutet werden kann. Außerdem muß die Existenz der Betroffenen im Einzelfall gefährdet sein. Diese Handhabung entspricht einem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 16. Dezember 1960, Drucksache 2322 der 3. Wahlperiode. Soweit der Bund bisher bei Katastrophenfällen Hilfe geleistet hat, sind die Mittel außerplanmäßig bereitgestellt worden.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.

Wilhelm Dröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, gibt es beim Bund oder in Ihrem Hause oder durch Übung entstanden eine bestimmte Größenordnung, von der an unter Umständen Hilfe geleistet wird?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Nein, eine bestimmte Größenordnung gibt es nicht. Es kommt immer auf die Lage des einzelnen Falles an.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine weitere Zusatzfrage.

Wilhelm Dröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Haben Sie schon Zahlenunterlagen über das Ausmaß der Kosten, die den Einzelnen und auch der Gesamtheit, z. B. den Gemeinden und Kreisen, durch die Hochwasserkatastrophe an der Nahe im Dezember 1965 entstanden sind?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Nein, die Unterlagen habe ich nicht. Ich habe aber selber an der ersten Sitzung der Beteiligten teilgenommen. Die beteiligten Bundesressorts, das Land und die Landkreise waren sämtlich vertreten. Genaue Zahlen liegen bei uns noch nicht vor; ich glaube, die Abrechnungen sind noch nicht durchgeführt.

Wilhelm Dröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Werden Sie in dem Falle etwas tun können, Herr Bundesminister?

Dr. Rolf Dahlgrün (Minister:in)

Politiker ID: 11000348

Wir haben bereits etwas getan.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Frage V/6 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen ist zurückgezogen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen erledigt. Inzwischen ist der Herr Bundesminister der Justiz eingetroffen. Ich rufe die Frage IV/4 des Abgeordneten Felder auf: Gibt der Fall des Nürnberger Staatsanwaltes Manfred Kreuzer dem Bundesjustizminister Veranlassung, mit den Justizministern der Länder das Problem einer gerechteren und ausgewogeneren Bewertung von Trunkenheitsdelikten und Fahrerflucht bei Kraftfahrzeugunfällen - auch unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Promillegrenze - neu zu erörtern?

Dr. Richard Jaeger (Minister:in)

Politiker ID: 11001006

Herr Präsident, ich bitte Sie zuerst um Entschuldigung dafür, daß ich Sie habe warten lassen. Ich war der Meinung, daß hier noch die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern behandelt würden. Nach meiner Information stand noch eine ganze Reihe solcher Fragen auf der Tagesordnung. Die Frage des Abgeordneten Felder darf ich wie folgt beantworten. Der Fall des Nürnberger Staatsanwalts Kreuzer gibt keinen besonderen Anlaß zu den in der Frage erwähnten Erörterungen, und dies aus folgenden Gründen. 1. Die Behandlung der Trunkenheitsdelikte im Verkehr in der gerichtlichen Praxis ist schon seit langem Gegenstand eingehender Erörterungen aller fachlich zuständigen Stellen und auch der interessierten Juristenverbände. Die Justizminister und -senatoren der Länder haben diesen Fragenkomplex unter Mitwirkung meines Hauses auf der vorletzten Justizministerkonferenz vor einem Jahr in Trier mit dem Ergebnis geprüft, daß im Interesse der Gerechtigkeit gerade auch bei Trunkenheit im Verkehr eine einheitlichere Strafzumessung und Strafaussetzung zur Bewährung angestrebt werden sollte. Die Erörterungen hierüber sollen fortgesetzt werden, sobald die durch das erst vor Jahresfrist in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs eingeleitete neue Entwicklung überschaubar ist. 2. Die Strafzumessung bei Verurteilungen wegen Verkehrsunfallflucht erscheint bislang unproblematisch. Der Fall Kreuzer bietet zudem insofern schon keine Diskussionsgrundlage, weil der Angeklagte von dem Vorwurf der Verkehrsunfallflucht freigesprochen worden ist. 3. Schließlich wird auch die Problematik um die Promillegrenze bei Verkehrsdelikten durch das der gestellten Frage zugrunde liegende Urteil nicht berührt. Der bei dem Verurteilten festgestellte Promillegehalt lag über der vom Bundesgerichtshof für die absolute Fahruntüchtigkeit festgelegten Grenze von 1,5 Promille. Im übrigen bleibt die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet, insbesondere die Auswirkung der bisher vom Bundesgesundheitsamt vorgelegten Gutachten zur Frage des Alkohols im Straßenverkehr auf die Rechtsprechung, abzuwarten.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Felder.

Josef Felder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000528, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nach dieser Auskunft teilen Sie, Herr Minister, also nicht meine auch in der Presse nachdrücklich unterstützte Meinung, daß eine bessere Koordinierung des Strafmaßes bei Trunken534 heitsdelikten und Fahrerflucht, vor allem im Hinblick auf die Gewährung oder Nichtgewährung von Bewährungsfrist, nach dem Nürnberger Fall schon deshalb besonders dringlich erscheint, weil die dem Herrn Staatsanwalt Kreuzer gerichtsärztlich zugebilligte Schockwirkung die Gefahr in sich birgt, künftig von allen Unfallflüchtigen in Anspruch genommen zu werden? Könnten sich die Justizminister der Länder, unbeschadet der Unabhängigkeit richterlicher Entscheidung im jeweils sicherlich besonders gelagerten Einzelfall, nicht doch auf bestimmte Richtlinien einigen?

Dr. Richard Jaeger (Minister:in)

Politiker ID: 11001006

Herr Kollege Felder, wie ich im ersten Teil meiner Antwort ausgeführt habe, teile ich durchaus Ihre Meinung und die Meinung weiter Kreise der Öffentlichkeit, daß ein einheitlicheres Maß bei der Strafzumessung erforderlich oder jedenfalls wünschenswert wäre. Aber der vorliegende Fall gibt dazu keinen Anlaß; denn bei diesem Fall geht es ja nicht darum, ob Fahrerflucht strenger oder weniger streng bestraft wird. Das Gericht hat festgestellt, daß nach seiner Rechtserkenntnis oder Tatsachenerkenntnis eben keine Fahrerflucht vorliegt, und deshalb handelt es sich hier um eine Frage der Schuld und nicht um eine Frage des Strafmaßes.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Felder.

Josef Felder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000528, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich, Herr Minister, gerade weil dieser Nürnberger Fall so große Empörung ausgelöst hat, meiner zweiten Zusatzfrage eine Bemerkung voranstellen. Wir können doch davon ausgehen, daß jeder an einem schweren Verkehrsunfall Beteiligte vorübergehend mehr oder minder unter einer gewissen Schockwirkung steht. Wenn trotzdem in der Regel von den Verkehrsteilnehmern erwartet werden kann, daß sie sich nach einem Unfall richtig verhalten, so trifft dies zweifellos im besonderen Maße auf einen in der Rechtspflege Tätigen zu, bei dem eine automatisch richtige Reaktion vorausgesetzt werden kann. Billigen Sie deshalb meine Auffassung, Herr Minister, daß es unter diesem Gesichtspunkt zweckmäßig gewesen wäre, im Falle Kreuzer einen zweiten Sachverständigen zuzulassen?

Dr. Richard Jaeger (Minister:in)

Politiker ID: 11001006

Herr Kollege Felder, die Frage, ob es richtig war, auf die Berufung zu verzichten, und welche Maßnahmen eventuell gegen den dortigen Staatsanwalt ergriffen werden können, ist eine Angelegenheit, die den Bayerischen Staatsminister der Justiz, nicht den Bundesminister der Justiz betrifft. Dieser Bayerische Staatsminister der Justiz ist dem Bayerischen Landtag verantwortlich. Ich weiß, daß im Bayerischen Landtag bereits eine Anfrage in dieser Angelegenheit vorliegt und daß der Herr Bayerische Staatsminister der Justiz diese Anfrage in den nächsten Tagen dort, wo er verantwortlich ist, beantworten wird. Da ich für diese Frage, wie Sie mir zugeben werden, keine Verantwortung habe, weil keine Zuständigkeit besteht, möchte ich der Erklärung des Herrn Bayerischen Staatsministers der Justiz im Landtag nicht vorgreifen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.

Ludwig Fellermaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000533, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß bayerische Zeitungen bisher ohne Widerspruch vom Bundesjustizministerium, auch nicht vom Staatsminister der Justiz in Bayern, erklären konnten, daß bei der Verurteilung wegen Trunkenheitsdelikten von den Gerichten in Ulm in Warttemberg Gefängnisstrafen verhängt werden und von den Gerichten auf der anderen Seite der Donau in Neu-Ulm grundsätzlich nur Geldstrafen, obwohl nur die Donau die Gerichte trennt?

Dr. Richard Jaeger (Minister:in)

Politiker ID: 11001006

Ich kann diese Sache nicht nachprüfen. Das müßten die Herren Staatsminister der Justiz in Stuttgart und in München tun. Ich bin dazu nicht in der Lage. Im übrigen sehe ich mich auch nicht in der Lage, auf jede Zeitungsmeldung hin, die über irgendein Gerichtsurteil oder in Würdigung eines Gerichtsurteils erscheint, einen Kommentar zu geben, insonderheit wenn es sich, wie nahezu immer, um Landesgerichte handelt.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Noch eine Frage.

Ludwig Fellermaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000533, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie haben in der Beantwortung der Fragen meines Kollegen Felder erklärt, Sie wollten darauf hinarbeiten, daß die Landesjustizminister einheitlich darauf einwirken, daß die Dinge gleichermaßen behandelt werden. ({0}) - Herr Kollege, Sie können sich ja mit einer Zusatzfrage beteiligen. - Sind Sie dann nicht der Meinung, daß es sehr schwerwiegend ist, wenn nicht irgendeine Zeitung, sondern die „Augsburger Allgemeine" in ihrem Leitartikel das unwidersprochen behauptet hat?

Dr. Richard Jaeger (Minister:in)

Politiker ID: 11001006

Sosehr ich die „Augsburger Allgemeine" schätze, die einen großen Teil meines eigenen Wahlkreises mit Nachrichten und Kommentaren beliefert, also auch zu meiner Lektüre, wenn auch in Bonn zu einer verspäteten Lektüre, gehört, so glaube ich trotzdem, daß das Bundesministerium der Justiz für die kritische Würdigung von Landesgerichten nicht die zuständige Stelle ist, sondern daß die Landesjustizministerien zuständig sind.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Opitz.

Rudolf Opitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001653, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Justizminister, besteht die Möglichkeit, generell die Reform der Bestimmungen über die Wiederaufnahme von rechtskräftig abgeOpitz schlossenen Verfahren alsbald in Angriff zu nehmen bzw. zu beschleunigen?

Dr. Richard Jaeger (Minister:in)

Politiker ID: 11001006

Nun, das ist eine Frage, die im Rahmen der Strafprozeßreform angesprochen werden wird. Ich vermute, daß das in diesem Hause nicht vor der nächsten Wahlperiode sein wird, da wir uns in dieser Wahlperiode, wie Sie heute noch ausführlich hören werden, vor allem mit der Reform des materiellen Strafrechts zu beschäftigen haben.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.

Wilhelm Dröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wie stehen Sie zu der in der Presse erhobenen Forderung, daß die Richter gleichsam eine „Verkehrssitte für das Strafmaß" im Verkehrsrecht schaffen, und zu der Auffassung, daß es als ein elementares Gebot der Rechtsstaatlichkeit erscheint, vor allem über die Staatsanwaltschaften einheitliche Maßstäbe für die Zumessung der Strafen anzustreben?

Dr. Richard Jaeger (Minister:in)

Politiker ID: 11001006

Die Einwirkung über die Staatsanwaltschaften, also durch die Möglichkeit, Berufung einzulegen oder auf Berufung zu verzichten, ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, die einem Landesjustizminister wirklich zur Verfügung steht. Denn Richtlinien an die Richter können im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit nicht ausgegeben werden.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weitere Zusatzfrage? - Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich erledigt. Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Frage VI/1 des Herrn Abgeordneten Sanger: Treffen Pressemeldungen zu, nach denen die am 29. April 1964 durch Beschluß des Bundestages gewünschte und von der Bundesregierung gebildete Sachverständigenkommission zur Feststellung der Wettbewerbsverhältnisse bei Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film ihre notwendigen und dringenden Aufgaben nicht oder nicht zügig erfüllen kann, weil Etatmittel nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stünden?

Not found (Staatssekretär:in)

Der im Dezember 1964 einberufenen Kommission zur Untersuchung der Wettbewerbsgleichheit von Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film sind für die Durchführung der Untersuchung Haushaltsmittel in Höhe von 700 000 DM zur Verfügung gestellt worden. Dabei wurde davon ausgegangen, daß die Kommission ihren Bericht bis zum 31. Dezember 1965. würde vorlegen können. Die der Kommission gestellte Aufgabe erwies sich als umfangreicher, als zunächst angenommen, so daß die Abgabe des Berichts entsprechend dem von der Kommission aufgestellten Arbeitsprogramm erst zu Ende des Jahres 1966 von ihr in Aussicht gestellt wurde. Die von der Kommission deshalb erbetene Erhöhung der Haushaltsmittel konnte unter Berücksichtigung der allgemeinen Haushaltslage nicht in voller Höhe in Ansatz gebracht werden. Über die endgültige Höhe der Mittel wird dieses Hohe Haus entscheiden. Der Bundesminister für Wirtschaft ist aber der Auffassung, daß es trotz der gebotenen sparsamen Zuweisung der Mittel möglich sein wird, den Bericht unter Beschränkung auf die unerläßlichen Untersuchungen zu erstellen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sänger.

Fritz Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001914, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hält der Herr Bundesminister - in Zusammenarbeit mit der Kommission - es für notwendig, daß die Feststellungen über die in Deutschland vorhandenen Tatsachen auch im Ausland vorgenommen werden?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Kommission legt so großen Wert darauf, bei der Bemessung ihres Arbeitsprogramms unabhängig zu sein, daß ich - wie der Bundesminister für Wirtschaft in einer vorangegangenen Fragestunde erklärt hat - zu dem Arbeitsprogramm, welches die Kommission sich mit den ihr von diesem Hause zugewiesenen Mitteln dann selber geben wird, nicht Stellung nehmen möchte.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Noch eine Frage, bitte!

Fritz Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001914, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Besteht eine Möglichkeit, die Erstattung des Berichts zu beschleunigen? „Bis Ende 1966" wäre eine Verlängerung um ein ganzes Jahr.

Not found (Staatssekretär:in)

Der Bundesminister für Wirtschaft wird jede ihm zur Verfügung stehende Möglichkeit wahrnehmen, um die Erstellung dieses Berichts zu beschleunigen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weitere Frage. Frage. Frage VI/2 - des Herrn Abgeordneten Haase ({0}) -: Welcher Schaden erwächst der deutschen tabakverarbeitenden Industrie, wenn sie durch das Einfuhrverbot für rhodesische Tabake gezwungen wird, Tabaksorten gleicher Güte auf anderen Märkten einzukaufen? Bitte, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung!

Not found (Staatssekretär:in)

Die deutsche tabakverarbeitende Industrie ist zur Sicherstellung einer gleichbleibenden Qualität ihrer Erzeugnisse üblicherweise für einen längeren Zeitraum mit den von ihr benötigten Rohtabaken bevorratet. Das gilt auch für südrhodesische Virginia-Tabake. Ob und inwieweit zu einem späteren Zeitpunkt wirtschaftliche Nachteile dadurch entstehen können, daß die Tabakwirtschaft gezwungen sein wird, Virginia-Tabake anderer Märkte zu beziehen, läßt sich heute noch nicht übersehen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weitere Frage. Die nächste Frage stellt ebenfalls der Herr Abgeordnete Haase ({0}) - Frage VI/3 -: Welche Exportverluste hat die deutsche Wirtschaft im Jahre 19C6 zu gewärtigen, wenn Rhodesien die Teilnahme der Bundesrepublik an wirtschaftlichen Sanktionen mit einem Boykott deutscher Waren beantwortet?

Not found (Staatssekretär:in)

Im Jahre 1965 sind für etwa 40 Millionen DM deutsche Waren nach Südrhodesien geliefert worden. Durch die von der südrhodesischen Seite kurz nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung verfügten Devisen- und Einfuhrbeschränkungen werden wenigstens 50 %, vermutlich sogar bis 75% der künftigen deutschen Ausfuhren nach Südrhodesien - das sind 20 bis 30 Millionen DM - betroffen werden. Für den Fall, daß Südrhodesien die Teilnahme der Bundesrepublik an wirtschaftlichen Sanktionen mit einem Boykott deutscher Waren schlechthin beantworten sollte, hätte die deutsche Wirtschaft weitere Exportverluste von jährlich 10 bis 20 Millionen DM zu erwarten.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haase.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, erhebt sich nicht die Frage, ob angesichts der geplanten Maßnahmen gegen Rhodesien auch gegenüber anderen Staaten, in denen die bürgerlichen Freiheiten in weit stärkerem Maße eingeschränkt und Bevölkerungsgruppen diskriminiert sind, die Ergreifung von Sanktionen erwogen werden müßte?

Not found (Staatssekretär:in)

Gestatten Sie mir, zunächst zu bemerken, daß diese Frage mehr den Bereich der Außenpolitik berührt. Für den Bereich des Bundesministers für Wirtschaft möchte ich sagen: der Bundesminister für Wirtschaft wird sich immer derjenigen deutschen Außenpolitik anschließen, die unter dem Gesichtspunkt der Solidarität oder anderer Prinzipien von diesem Hohen Hause für richtig gehalten wird.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Die Frage VI/4 ist vom Fragesteller zurückgestellt. Frage VI/5 - des Abgeordneten Langebeck -: Sind nach Auffassung der Bundesregierung verschiedene Grade elektrotechnischer Sicherheit zwischen Stadt und Land heute noch in vollem Umfang gerechtfertigt?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Frage, ob es in bezug auf elektrotechnische Sicherheit heute noch Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt, ist in Fachkreisen seit längerer Zeit gestellt. Um eine verläßliche Grundlage für eine Antwort zu finden, hat der Bundesminister für Wirtschaft im Frühjahr 1965 die Wirtschaftsressorts der Landesregierungen sowie die einschlägigen Fachorganisationen gebeten, ihm ihre Erfahrungen dazu mitzuteilen. Eine gleiche Umfrage hat der Bundesernährungsminister an die Landwirtschaftsressorts der Bundesländer und an den Deutschen Bauernverband gerichtet. Inzwischen sind von den meisten befragten Stellen die Antworten eingegangen. Aus Bayern steht die Antwort noch aus, weil dort der Bayerische Landtag in diese Angelegenheit eingeschaltet worden ist. Aus der weitaus überwiegenden Zahl der bisher eingegangenen Antworten ergibt sich, daß die elektrischen Anlagen in den landwirtschaftlichen Betrieben auch heute noch besonders gefährlich sind. Als landwirtschaftliche Betriebe gelten hierbei - mit gewissen genau definierten Ausnahmen - alle Betriebe, die einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft angeschlossen sind. Hinsichtlich der sogenannten ländlichen Anwesen sind gravierende Bedenken gegen die technische Sicherheit der elektrischen Anlagen nicht vorgebracht worden, d. h. sie scheinen heute nicht mehr gefährlich zu sein als städtische Anlagen. Ländliche Anwesen in diesem Sinne sind alle übrigen bebauten Grundstücke auf dem Lande. Ich beantworte Ihre Frage, Herr Abgeordneten, danach, soweit die landwirtschaftlichen Betriebe in Rede stehen, mit „Ja", hinsichtlich der ländlichen Anwesen mit „Nein".

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Noch eine Frage?

Walter Langebeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001285, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Unterscheidungsmerkmale für elektrotechnische Sicherheit - bisher als Gegensatz zwischen Stadt und Land - altherkömmlicher Art nicht mehr gerechtfertigt sind und daß möglicherweise sogar der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt würde, wenn wir daran denken, daß an der Peripherie einer Stadt das gleiche Haus gleich installiert wurde wie jenes im ländlichen Gebiet und daß sich das eine einer Prüfung, die Kosten verursacht, unterziehen muß, das andere aber nicht? Das ist die Kardinalfrage. Wie würde Ihr Ministerium dazu stehen?

Not found (Staatssekretär:in)

Das einzige Element, das überhaupt einen obrigkeitlichen Eingriff in diesem Sinne rechtfertigt, ist der Schutz der Bürger. Solange feststeht, daß der Bürger in einem bestimmten Fall mehr gefährdet ist als in einem anderen, ist, glaube ich, der Gesichtspunkt der Gleichberechtigung nicht berührt. In dieser Sache ist allein der Gesichtspunkt des Schutzes der Bürger entscheidend.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Langebeck.

Walter Langebeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001285, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn es in den verschiedenen Bereichen jetzt ausgesprochene Arbeiterwohngemeinden gibt, ehemalige sogenannte ländliche Gebiete, und eine Stadt genauso ein Siedlungsgebiet unterhält, wobei in dem einen Fall Prüfungen erfolgen, im anderen Fall aber nicht, würden Sie unter solchen Gesichtspunkten - sie sind also alle beide gar nicht gefährlich, aber der eine wird veranlagt, der andere nicht - nicht eine andere Haltung einnehmen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich glaubte gesagt zu haben, daß ich bezüglich der ländlichen Anwesen der Meinung bin, daß auf dem Lande im Vergleich zur Stadt keine besondere Gefährdung besteht. In der zweiten Frage, die zu beantworten ich noch die Ehre haben werde, werde ich dann daraus die Konsequenzen ziehen dürfen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Ich rufe die Frage VI/6 des Abgeordneten Langebeck auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, die Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Förderung der Energiewirtschaft vom 31. August 1937 ({0}) der heutigen Situation auf dem Lande anzupassen?

Not found (Staatssekretär:in)

Mit der Zweiten Durchführungsverordnung zum Energiewirtschaftsgesetz wurde angeordnet, daß alle Elektroinstallationen auf dem Lande regelmäßig geprüft werden müssen. Diese Prüfungspflicht erstreckt sich sowohl auf landwirtschaftliche Betriebe als auch auf ländliche Anwesen. Heute geht die überwiegende Ansicht dahin, daß die elektrischen Anlagen in den landwirtschaftlichen Betrieben - aber nur in diesen - immer noch besonders gefährdet sind. In bezug auf diese besonders gefährdeten Betriebe beabsichtigt die Bundesregierung deshalb nicht, die Prüfpflicht wegfallen zu lassen. Alle Fachkreise raten uns zu dieser Einstellung. Anders verhält es sich bei den sogenannten ländlichen Anwesen. Für diesen Bereich erwägt der Bundesminister für Wirtschaft, die Prüfpflicht aufzuheben. Die Entscheidung hierüber wird allerdings erst dann getroffen werden müssen - mindestens aus Gründen der Höflichkeit -, wenn alle Antworten auf die vorhin erwähnte Umfrage bei uns eingegangen sind.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Langebeck.

Walter Langebeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001285, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist in Ihrem Hause die Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr vom 2. Dezember 1965 bekanntgeworden?

Not found (Staatssekretär:in)

Nein, Herr Abgeordneter, ich erinnere mich in diesem Augenblick nicht an diese Stellungnahme. Ich weiß nur, daß wir noch auf die abschließende Antwort der Bayerischen Staatsregierung zu dieser Frage warten.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weitere Frage. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die Frage VIII/1 des Abgeordneten Opitz auf. Teilt die Bundesregierung die in Pressemeldungen geäußerte Auffassung, wonach das Gesetz über Maßnahmen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft und weitere Änderungen und Ergänzungen des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ({0}) vom 7. Dezember 1959 ({1}) seinen eigentlichen Zweck, nämlich die Förderung des Winterbaus, nicht erfüllt hat? Bitte, Herr Bundesminister, wollen Sie die Frage beantworten?

Hans Katzer (Minister:in)

Politiker ID: 11001073

Herr Präsident, zwischen den Fragen 1 und 2 besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Ich bitte, die Fragen deshalb zusammen beantworten zu dürfen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Der Fragesteller ist einverstanden? - Dann rufe ich noch die Frage VIII/2 des Abgeordneten Opitz auf: Trifft es zu, daß das in Frage VIII/1 genannte Gesetz zwar seinen sozialen Zweck ({0}), nicht aber seinen wirtschaftlichen Zweck ({1}) erfüllt?

Hans Katzer (Minister:in)

Politiker ID: 11001073

Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß das in Ihrer Anfrage, Herr Kollege Opitz, genannte Gesetz seinen eigentlichen Zweck nicht erfüllt habe. Die Ende 1959 in das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung eingefügten Vorschriften über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft verfolgen in erster Linie sozial- und arbeitsmarktpolitische Zwecke; im Zusammenhang damit werden allerdings auch wichtige wirtschaftspolitische Ziele angestrebt. Ich freue mich, Herr Kollege, mit Ihnen offenbar darin übereinzustimmen, daß das genannte Gesetz seinen sozialen Zwecke voll erfüllt hat. Seit der Einführung der Schlechtwettergeldregelung ist die früher übliche saisonale Arbeitslosigkeit der Bauarbeiter fast ganz beseitigt worden. Im Februar 1956 waren weit über 800 000 Bauarbeiter, im Januar 1959 trotz nicht ungünstiger Witterungsverhältnisse noch weit über 600 000 Bauarbeiter aus Witterungsgründen arbeitslos. Zur Zeit beträgt die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter nur rund 30 000. Durch die Stabilisierung der Beschäftigungsverhältnisse, die auf die Schlechtwettergeldregelung und die damit im Zusammenhang stehenden tariflichen Bestimmungen zurückzuführen ist, hat sich die gesellschaftspolitische Stellung der Bauarbeiter wesentlich verbessert. Wirtschaftspolitisch ist die Schlechtwettergeldregelung eine Voraussetzung für den Winterbau. Daß dieses erwünschte wirtschaftspolitische Ziel durch die Vorschriften eines sozialpolitischen Gesetzes allein erreicht wird, kann kaum erwartet werden. Andererseits glaube ich sagen zu dürfen, daß ein beachtlicher wirtschaftspolitischer Erfolg des Gesetzes darin besteht, daß jetzt an allen Tagen in der Zeit vom 1. November bis 31. März, an denen die Witterung Bauarbeiten gestattet, auch tatsächlich gearbeitet wird, während es früher weitgehend üblich war, die Bauarbeiter nach Eintritt der ersten Frostperiode, spätestens vor Weihnachten, zu entlassen und sie erst nach Eintritt milden Frühjahrswetters wieder einzustellen. Im Durchschnitt waren früher die arbeitslosen Bauarbeiter - ihre hohe Zahl habe ich soeben genannt - zehn Wochen des Jahres nicht beschäftigt. Seit Einführung der Schlechtwettergeldregelung beträgt der Arbeitsausfall im Winter durchschnittlich etwa 23 Tage je Bauarbeiter. Die Bundesregierung hat im übrigen dem Bundestag bereits im September 1962 auch über die wirtschaftlichen Auswirkungen ausführlich berichtet. Das im Auftrage des Bundesministeriums für Arbeit vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung 1964 erstattete Gutachten „Soziale und wirtschaftliche Auswirkungen der Winterbauförderung" bestätigt, daß die wirtschaftlichen Auswirkungen auch jetzt schon durchaus beachtlich sind.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Herr Abgeordneter Opitz zu einer Zusatzfrage.

Rudolf Opitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001653, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, sehen Sie die Möglichkeit, initiativ zu werden, gegebenenfalls mit Ihren Kollegen aus dem anderen Ministerium, um einen noch besseren wirtschaftlichen Effekt des tatsächlichen Weiterbaus im Winter - wie beispielsweise in Schweden - auch bei uns zu gewährleisten?

Hans Katzer (Minister:in)

Politiker ID: 11001073

Herr Kollege Opitz, mein Haus ist selbstverständlich bereit, alles zu tun, was getan werden kann, um den wirtschaftlichen Effekt des Gesetzes noch zu verstärken und zu verbessern.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerlach.

Horst Gerlach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000664, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, sind nicht in Schweden ganz andere Voraussetzungen für den Weiterbau im Winter gegeben als in der Bundesrepublik? Ist es nicht so, daß in Schweden infolge des trockenen Frostwetters gearbeitet werden kann, während bei uns vielfach Regenwetter herrscht, was eine Erschwerung bedeutet?

Hans Katzer (Minister:in)

Politiker ID: 11001073

Natürlich ist hier nicht unmittelbar ein Vergleich möglich. Aber wenn ich die Frage des Kollegen Opitz richtig verstanden habe, ging sie dahin, ob wir vom Ministerium alles noch Mögliche tun wollten, um eine verstärkte Bauarbeit im Winter sicherzustellen, und diese Frage habe ich beantwortet. Ich bin der Meinung, daß das im Interesse aller Beteiligten liegt.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine weitere Zusatzsatzfrage.

Horst Gerlach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000664, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, haben Sie geprüft, ob die Richtlinien für die Förderung des Winterbaus dahin gehend novelliert werden können, daß eine verstärkte Förderung erfolgt, wenn die Voraussetzungen zum Weiterbau im Winter gegeben, d. h. tatsächlich auch ausreichende Vorkehrungen getroffen sind?

Hans Katzer (Minister:in)

Politiker ID: 11001073

Ja, das ist überhaupt der entscheidende Gesichtspunkt. Deshalb bin ich ja auch angesprochen und gebeten worden, im Benehmen mit den beteiligten Ressorts eine Weiterarbeit zu ermöglichen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine weitere Frage.

Horst Gerlach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000664, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, halten Sie es für zweckmäßig, daß das 1962 erstattete Gutachten noch einmal ergänzt wird?

Hans Katzer (Minister:in)

Politiker ID: 11001073

Ich glaube, daß das im Augenblick nicht notwendig ist; denn die Unterlagen, die wir haben, sind ausreichend. Aber wenn das notwendig sein sollte, werden wir selbstverständlich eine Ergänzung beantragen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weiteren Fragen. Dann rufe ich die Frage VIII/3 des Herrn Abgeordneten Weigl auf: Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das schwierige Problem der Versicherungspflichtgrenzen in den gesetzlichen Renten- und Krankenversicherungen durch tarifliche Vereinbarungen über die Weiterzahlung des Arbeitgeberanteils auch nach Überschreitung der Versicherungspflichtgrenzen wesentlich entschärft werden könnte?

Hans Katzer (Minister:in)

Politiker ID: 11001073

In der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung bestehen Versicherungspflichtgrenzen, wie Sie wissen, Herr Kollege, nur für Angestellte. Die Bundesregierung begrüßt grundsätzlich alle Vereinbarungen, nach denen die Arbeitgeber den Angestellten die Mehrausgaben ganz oder teilweise erstatten, die diesen dadurch entstehen, daß sie wegen Überschreitung der Jahresarbeitsverdienstgrenzen aus der Versicherung ausscheiden, aber die Versicherung innerhalb oder außerhalb der Sozialversicherung freiwillig fortsetzen. Sie hält auch tarifvertragliche Vereinbarungen dieses Inhalts für zulässig. Solche Vereinbarungen können das Problem der Versicherungspflichtgrenzen, soweit es ein lohnpolitisches Problem ist, durchaus zu entschärfen helfen. Das Problem der Versicherungspflichrtgrenzen ist jedoch auch ein allgemein sozialpolitisches Problem. Durch die Versicherungspflichtgrenzen wird der Umfang des Personenkreises bestimmt, der dem Versicherungszwang unterliegen soll. Schließlich handelt es sich für die Sozialversicherung auch um ein entscheidendes finanzpolitisches Problem. Die Versicherungspflichtgrenze hat in einer praktisch auf dem Umlageverfahren beruhenden Versicherung auch die äußerst wichtige Funktion, den Kreis der Beitragszahler so abzugrenzen, daß das finanzielle Gleichgewicht der Versicherung durch die laufenden Beitragszahlungen auf lange Sicht gewährleistet werden kann. Diese Probleme würden durch die angesprochenen Vereinbarungen indes kaum wesentlich entschärft werden.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage.

Franz Weigl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002448, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wären Sie eventuell bereit, diese Frage bei Ihren Gesprächen mit den Tarifpartnern anzuschneiden und mich über den Ausgang dieser Gespräche zu informieren?

Hans Katzer (Minister:in)

Politiker ID: 11001073

Ich bin gern dazu bereit.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung erledigt. Es folgt der Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Frage IX/1 des Abgeordneten Dr. Marx auf: Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus der Ankündigung des sowjetischen Finanzministers Garbusow zu ziehen, daß der Verteidigungsetat der Sowjetunion um 5 %, d. h. 600 Millionen Rubel, erhöht werden solle? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor, sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt. Die Frage IX/2 stellt der Abgeordnete Dr. Tamblé: Weshalb werden nach den „Richtlinien für die Gewährung von Heizungskostenzuschüssen an Bedienstete der Bundeswehr" ({0}) nur an die Mieter bundeseigener Wohnungen Zuschüsse gezahlt, nicht aber den Mietern von Bundesdarlehenswohnungen? Ist der Abgeordnete im Saal? - Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage IX/3 des Abgeordneten Dr. Hamm ({1}) auf: In welcher Weise fördert das Bundesverteidigungsministerium zivile Maßnahmen zur Gesunderhaltung und körperlichen Ertüchtigung der Jugend, um eine bessere Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit der späteren Wehrpflichtigen zu erreichen?

Not found (Staatssekretär:in)

Das Bundesverteidigungsministerium, Herr Abgeordneter, fördert zivile Maßnahmen, die der Gesunderhaltung und der körperlichen Ertüchtigung der Jugend dienen, durch Bereitstellung bundeswehreigener Sportstätten für Sportvereine und Sportgruppen durch Finanzhilfen zum Bau von Schulsportplätzen, Sporthallen und Lehrschwimmbecken als Folgemaßnahmen bei der Errichtung von Garnisonen und durch Hilfeleistungen für Jugendlager in Gestalt von Unterkünften und Verpflegung. Als indirekte Förderung ist die Ausbildung von Soldaten zu Sportleitern und ihre Mitwirkung als Übungsleiter in zivilen Sportvereinen sowie die gute Zusammenarbeit der Bundeswehr mit allen Turn- und Sportverbänden anzusehen. Schließlich versucht das Bundesverteidigungsministerium, Eltern und Erzieher von der Notwendigkeit zu überzeugen, die heranwachsende Jugend durch sportliche Betätigung vor Haltungsfehlern und anderen Zivilisationsschäden zu bewahren.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordnete Dr. Hamm.

Dr. Ludwig Hamm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000792, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, würden Sie unter diesem Gesichtspunkt die Frage, ob bundeswehreigene Hallenschwimmbäder auch für die zivile Benutzung, in beschränktem Umfange selbstverständlich, zur Verfügung gestellt werden, noch einmal prüfen, die schon früher Gegenstand der Fragestunde war?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Prüfung ist im Gange. Soweit es möglich ist, werden diese bundeswehreigenen Hallenschwimmbäder auch der Allgemeinheit zugänglich gemacht, insbesondere in den Abendstunden.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Noch eine Zusatzfrage.

Dr. Ludwig Hamm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000792, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ist in Erwägung gezogen, auch Sportanlagen der Bundeswehr, einschließlich Turnhallen, wenn sie verkehrsmäßig entsprechend liegen, für die zivile Benutzung Vereinen oder sonstigen Verbänden zur Verfügung zu stellen?

Not found (Staatssekretär:in)

Das ist bereits jetzt der Fall, wie ich in meiner Antwort auf Ihre Anfrage .ausgeführt habe.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weitere Zusatzfrage. Die Frage IX/4 stellt der Abgeordnete Felder. Bestätigt das Bundesverteidigungsministerium die Pressemeldungen, wonach Bundeswehr-Marschkolonnen bei Nebel, in der Dämmerung oder bei Nacht nicht mit Warnlampen versehen sind, obwohl in der letzten Zeit Personenkraftwagen in marschierende Kolonnen rasten und neben einer Anzahl von Verletzten auch Todesopfer verursachten?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter Felder, es kommt in Einzelfällen leider vor, daß marschierende Bundeswehrtrupps bei Nacht nicht mit Warnleuchten versehen sind. In diesen Fällen liegt ein Verstoß gegen einen klaren Befehl vor. Nach diesem Befehl - es handelt sich um einen ausführlichen Erlaß vom 31. Januar 1963 mit Ergänzungen von 1964 und 1965 - sind Fußmärsche bei Nacht verboten. Nur in Ausnahmefällen können sie mit besonderer Genehmigung in kleinen Trupps unter Mitführung von Blinkleuchten, Lampen, Fackeln und ähnlichem durchgeführt werden. Im Jahre 1965 sind fünf Unfälle gemeldet worden, bei denen Kraftfahrzeuge in zu Fuß marschierende Truppenteile der Bundeswehr hineinfuhren. Dabei ist mit Sicherheit in zwei Fällen in vollem Umfang gegen die gegebenen Befehle verstoßen worden; die Kolonnen waren nicht beleuchtet. In zwei weiteren Fällen führte die Truppe zwar sogenanntes Marschsicherungsgerät, d. h. Blinkleuchten, nicht aber Lampen, Fackeln und ähnliches Gerät mit. Sie war infolgedessen unvollständig beleuchtet. Der fünfte mir berichtete Unfall ereignete sich auf einer an sich beleuchteten Straße innerhalb einer geschlossenen Ortschaft. Für die Beurteilung dieses Falles wird es auf die näheren Umstände ankommen, ob die Straßenbeleuchtung als genügend angesehen werden konnte oder ob trotzdem zusätzliches Marschsicherungsgerät - Lampen und ähnliches - notwendig gewesen wäre. Alle Fälle werden disziplinar und, soweit notwendig, gerichtlich untersucht. Darüber hinaus wird in jedem Fall die Frage der Dienstaufsicht geprüft.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Felder.

Josef Felder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000528, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat es sich bei diesen Vorgängen auch um Todesfälle gehandelt?

Not found (Staatssekretär:in)

Bei diesen Unfällen gab es einen Toten und eine Reihe von Verletzten.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Noch eine Frage? - Bitte!

Josef Felder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000528, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie nach der Erklärung, die Sie abgegeben haben, für einen verschärften Erlaß sorgen, damit künftig unter allen Umständen mit Warnlampen marschiert wird, wenn nächtliche Märsche befohlen sind?

Not found (Staatssekretär:in)

Der Erlaß, auf den ich mich bezogen habe, ist an sich außerordentlich scharf gefaßt. Er wird der Truppe immer wieder mit den notwendigen Ergänzungen bekanntgegeben.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weitere Frage zu diesem Punkt. Ich rufe die Frage IX/5 des Herrn Abgeordneten Felder auf: Welche Folgerungen zieht das Bundesverteidigungsministerium aus dem Prozeß in der Strafsache des Luftwaffen-Oberleutnants Manfred Jurgan wegen fahrlässiger Tötung eines Soldaten im Dienst im Fliegerhorst Roth? Herr Staatssekretär, wollen Sie bitte antworten!

Not found (Staatssekretär:in)

Der zur Zeit des Vorfalls am 10. Juli 1962 als Vertreter des Kompaniechefs eingesetzte Oberleutnant Jurgan wurde sofort nach Bekanntwerden des Vorfalls als Ausbilder abgelöst und zu einem anderen Truppenteil versetzt. Seine Beförderung zum nächsthöheren Dienstgrad wird seitdem bis zum Abschluß des immer noch anhängigen gerichtlichen Strafverfahrens und des disziplinargerichtlichen Verfahrens zurückgestellt. Nach dem Vorfall wurde in einer Weisung des Kommandeurs der Schulen der Luftwaffe an alle Regiments- und Schulkommandeure eingehend auf die Überwachung der Ausbildung im Rahmen der Dienstaufsichtspflicht hingewiesen. Insbesondere wurde eine allmähliche und sinnvolle Steigerung der Anforderungen angeordnet, damit körperliche Überbeanspruchungen ausgeschaltet werden. Hierbei wurde auch befohlen, daß alle Einheitsführer und Ausbilder mindestens zweimal jährlich durch den Truppenarzt über die Erscheinungsformen körperlicher Überanstrengung, Maßnahmen zu ihrer Vermeidung und Sofortmaßnahmen erster Hilfe zu unterrichten sind. Außerdem wurde durch einen besonderen Ausbildungshinweis sichergestellt, daß alle Konmmandeure jährlich vor Beginn der warmen Jahreszeit auf die Beachtung aller einschlägigen Bestimmungen, insbesondere auch der Bestimmungen der Inspektion des Sanitäts- und Gesundheitswesens hingewiesen werden. Unabhängig von dem Fall Jurgan wurde während der allgemeinen Grundausbildung in der Luftwaffe die tägliche Marschleistung auf höchstens 20 km begrenzt.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Zusatzfrage?

Josef Felder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000528, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat es sich in diesem Fall nicht darum gehandelt, daß vor der besonderen Beanspruchung des betreffenden Soldaten eine gründliche Untersuchung nicht erfolgt ist? Es hat sich nämlich, wie aus der gerichtlichen Verhandlung hervorgeht, um einen Mann gehandelt, der gesundheitlich nicht intakt gewesen ist, der also den gestellten Anforderungen nicht gewachsen gewesen sein dürfte.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, der Fall hat sich im Jahre 1962 abgespielt. Ich bin über diese Details im Augenblick nicht ausführlich unterrichtet. Ich darf, wenn Sie Wert darauf legen, das schriftlich nachholen.

Josef Felder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000528, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Besten Dank.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Die Frage 1X/6 des Abgeordneten Josten: Wie sind die Ergebnisse über den Gesundheitsbefund der Musterungsuntersuchungen zur Bundeswehr der letzten Jahre? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor, sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt. Ich rufe die Frage IX/7 des Abgeordneten Lemmrich auf: Ist dem Bundesverteidigungsminister die große Gefahr für das fliegende Personal des Militärflughafens Neuburg und der in der Einflugschneise wohnenden Bevölkerung der Gemeinde Zell bekannt, die dadurch besteht, daß die Absiedlung seit vier Jahren nicht vorangeht?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, das Bundesverteidigungsministerium hat die Notwendigkeit der Absiedlung in Zell bereits 1961 anerkannt, nachdem die Startbahn im Zuge des Ausbaus des Platzes Neuburg als NATO-Platz auch in Richtung auf die Gemeinde Zell verlängert worden ist. Die Oberfinanzdirektion München ist am 2. September 1961 mit den notwendigen Verhandlungen beauftragt worden, damals noch von dem zuständigen Bundesschatzminister. Die betroffenen Eigentümer waren zur Umsiedlung lange Zeit jedoch nicht bereit. Erst gegen Ende 1963 erklärte sich der erste der elf betroffenen Eigentümer bereit, von Zell wegzuziehen. Hinzu kam, daß die Vorstellung der Betroffenen über die Entschädigung für ihre Anwesen zunächst erheblich über das hinausging, was selbst bei weitherzigster Auslegung der Entschädigungsrichtlinien zulässig ist. Schließlich - das war eine Hauptschwierigkeit - bestand bis in die jünste Zeit bei den Betroffenen und den zuständigen zivilen Stellen keine einheitliche Auffassung über die Wahl des Standortes für die neuen Anwesen. Die Entschädigung über die neuen Standorte wurde dadurch gewiß nicht erleichtert, daß die Gemeinde Zell im Mai 1965 zusätzlich den Wunsch geäußert hat, die Absiedlungszone von 200 auf 300 m zu verbreitern. Von diesen Schwierigkeiten haben Sie sich, Herr Abgeordneter Lemmrich, soweit ich unterrichtet bin, in der von Ihnen am 10. September 1965 in Neuburg geführten Besprechung selbst überzeugen können. Seit dieser Besprechung ist folgendes geschehen: 1. Am 20. bzw. 25. Oktober 1965 Abschluß eines Rahmenvertrages durch die Oberfinanzdirektion München mit der Bayerischen Landessiedlung als Voraussetzung für die Umsetzung der landwirtschaftlichen Anwesen, 2. Baugrunduntersuchungen auf dem Ersatzgelände auf Kosten des Bundesverteidigungsministeriums, 3. Besprechung aller beteiligten Bundes- und Landesbehörden in Neuburg am 29. Oktober 1965 - diese Besprechung diente neben der Koordinierung vor allem der Erörterung über die erweiterte Absiedlung und ihre Auswirkung auf die Standortwahl für die Ersatzanwesen -, 4. Prüfung des Antrags auf erweiterte Umsiedlung unter dem Gesichtspunkt der Luftsicherheit. Diese Prüfung ist mittlerweile abgeschlossen und hat zur Anerkennung der Absiedlungsnotwendigkeit in der auf 300 m erweiterten Zone geführt. Hierdurch werden nach den bisherigen Feststellungen weitere neun Anwesen betroffen. Nachdem nunmehr der Umfang der Umsiedlungsmaßnahmen endgültig geklärt ist, habe ich der Oberfinanzdirektion München die entsprechenden Anweisungen erteilen können. Sie beziehen sich auf 1. den Antrag auf Ausweisung der erforderlichen Flächen für die landwirtschaftlichen Ersatzanwesen im Rahmen des für Zell bereits laufenden Flurbereinigungsverfahrens, 2. die Fortsetzung und den Abschluß der Verhandlungen mit der Gemeinde Zell und der Bayerischen Landessiedlung wegen der Erstellung eines Bebauungsplans Und der Einleitung der Erschließungsmaßnahmen auf Kosten des Bundes. Ich habe Ihnen alle diese Schwierigkeiten so ausführlich schildern müssen, Herr Abgeordneter, um darzulegen, daß trotz unbestreitbarer Gefahrenmomente die Umsiedlung durch den Bund nicht stärker beschleunigt werden konnte.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lemmrich.

Karl Heinz Lemmrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001315, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Verfahren bereits im Jahre 1957 eröffnet wurde und damals auf allen Akten, die den unteren Behörden zugingen, die höchste Dringlichkeitsstufe verlangt wurde?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, mir ist bekannt, daß der Platz Neuburg, beginnend mit dem Jahre 1955, ausgebaut worden ist. Seit diesem Zeitpunkt wird die Startbahn verlängert. Sie betrug ursprünglich nur wenig mehr als 2000 m. Das Problem Zell ist insbesondere durch die Verlängerung der Startbahn nach Osten, d. h. in Richtung auf die Ortschaft Zell, aufgeworfen worden. Das war um die Jahreswende 1959/60.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lemmrich.

Karl Heinz Lemmrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001315, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, haben Sie nach dem Studium dieses Vorganges nicht auch den Eindruck, daß hier etwas zu langatmig gearbeitet worden ist und daß hier von den zuständigen Stellen wirklich nicht ganz der Eifer an den Tag gelegt worden ist, der bei der Dringlichkeit der Beseitigung der bestehenden Gefahren erforderlich wäre?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich habe darauf hingewiesen, daß eine ganze Reihe von Schwierigkeiten bestanden haben, nicht zuletzt auch durch die Wünsche und Forderungen der Betroffenen selbst. Die Oberfinanzdirektion hat sich nach den mir vorliegenden Unterlagen - sie ist ja für die Führung der Verhandlungen zuständig - um die Angelegenheit sehr bemüht. Ich sagte, daß sie am 2. September 1961 beauftragt worden ist. Sie hat am 15. Dezember 1961, am 3. Juli 1962, am 13. Februar 1963, am 16. Oktober 1964 und am 18. März 1965 jeweils zusammenfassend berichtet. Ich muß daraus den Eindruck gewinnen, daß die Oberfinanzdirektion sehr bemüht war, mit der Gemeinde, der Bayerischen Landessiedlung und vor allen Dingen den Betroffenen zu einer für alle Teile tragbaren Lösung zu kommen. Mir sind die Schwierigkeiten der Landbeschaffung in diesem Gebiet bekannt. Aber es handelt sich ja auch um landwirtschaftliche Anwesen, und es ist verständlich, daß die Eigentümer Wert darauf legen, nicht allzuweit von ihren Feldern entfernt angesiedelt zu werden.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Ihr Zusatzfragen zu dieser Frage sind erschöpft, Herr Kollege Lemmrich. Ich rufe die Frage IX/8 des Abgeordneten Lemmrich auf: Was gedenkt der Bundesverteidigungsminister zu unternehmen, damit die an der Absiedlung am Flughafen Neuburg beteiligten Verwaltungen ihre Tätigkeit koordinieren und die Absiedlung endlich erfolgt?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, wie ich bereits in meiner Antwort zur ersten Frage dargelegt habe, liegen die Ursachen für die Verzögerung der Umsiedlung nicht etwa in der mangelnden Koordinierung, sondern in den von mir bereits geschilderten sachlichen Schwierigkeiten. In der zum 20. Oktober 1965 vom Bundesverteidigungsministerium nach Neuburg einberufenen Sitzung waren alle in Betracht kommenden Bundes- und Landesdienststellen beteiligt, auf Bundesseite insbesondere die Oberfinanzdirektion, auf Landesseite neben der bayerischen Staatskanzlei und dem Landrat u. a. das Flurbereinigungsamt und das Landwirtschaftsamt.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lemmrich.

Karl Heinz Lemmrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001315, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen berichtet worden, daß erst auf Grund der Zusammenkunft, die ich im Herbst vergangenen Jahres organisiert hatte, überhaupt eine Koordination zustande kam und daß ich dort feststellen mußte, daß zahlreiche beteiligte Stellen nicht voneinander wußten, nicht wußten, was die eine und die andere in entsprechendem Maß schon getan hat?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, das ist mir nicht bekannt, das kann ich nicht bestätigen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weitere Frage. Als nächste rufe ich die Frage IX/9 auf, die ebenfalls vom Abgeordneten Lemmrich gestellt worden ist. Wann wird die Absiedlung in der Gemeinde Zell am Flughafen Neuburg abgeschlossen sein? Gumbel, Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung Herr Abgeordneter, ein bestimmter Zeitpunkt für die Beendigung der Umsiedlung läßt sich leider nicht voraussagen. Selbst wenn alle Maßnahmen zügig weitergeführt werden, werden Planung und Durchführung sowie die Neubauten erfahrungsgemäß mindestens zwei Jahre erfordern. Sobald jedoch nach Abschluß der Erschließungsund Umsiedlungsverträge die erforderlichen Mittel vom Verteidigungsministerium bereitgestellt sind, kann der Zeitablauf der Bauvorhaben kaum mehr vom Verteidigungsministerium beeinflußt werden, da die Bauvorhaben im Auftrage der Gemeinde bzw. der einzelnen Umsiedler auf Kosten des Bundes von der Bayerischen Landessiedlung durchgeführt werden sollen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage.

Karl Heinz Lemmrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001315, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würde das Bundesverteidigungsministerium dem Fall Zell seine besondere Aufmerksamkeit widmen, damit diese Absiedlung in der Tat so schnell wie möglich erfolgt?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich bin dazu gern bereit, Herr Abgeordneter.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Wir kommen zur Frage IX/10 des Abgeordneten Dröscher: Was würde geschehen, wenn - wie im Falle des kürzlich bei Narvik abgestürzten Jagdbombers der Luftwaffe - ein solcher Flug über die Grenzen des eigenen Landes und der mit uns verbündeten NATO-Partner hinaus in Gebiete gehen würde, die beim Einflug eines unbekannten Flugkörpers gewisse Abwehrmaßnahmen zu treffen pflegen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter Dröscher, wenn unsere Bodenstellen feststellen, daß ein eigenes Flugzeug einen Kurs einschlägt, durch den es über nicht zum NATO-Bereich gehörendes Gebiet geraten würde, so wird der Vorfall als Luftnotfall gemeldet und der Flugzeugführer gewarnt und zur Umkehr aufgefordert. Alle Bodenstellen sind fernmeldemäßig untereinander verbunden. Außerdem hat eine Stelle in Hannover eine direkte Verbindung zur alliierten Luftsicherheitszentrale in Berlin. Wie die Alliierte Luftsicherheitszentrale reagieren wird, kann jedoch nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden, da es hierüber keine bindenden internationalen Abmachungen gibt. Gerät ein Flugzeug, ohne daß ein Luftnotfall der Viermächte-Luftkontrollzentrale in Berlin gemeldet werden konnte, aber fremdes Gebiet, so wird voraussichtlich die für die Luftverteidigüng in diesem Gebiet zuständige Stelle versuchen, den Piloten zu identifizieren, auf seinen irregulären Kurs aufmerksam zu machen und ihn zur Landung auf den nächsten Flugplatz zu zwingen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.

Wilhelm Dröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem Ihnen sicher bekannt geworden ist, daß es sich bei dem von mir angesprochenen Fall ja gerade darum handelt, daß der Pilot nicht mehr in der Lage war, einen automatisch eingesteuerten Kurs aufzuhalten bzw. abzudrehen, möchte ich Sie fragen: Ist die Bundesregierung angesichts der besonders gefährdeten Lage der Bundesrepublik, angesichts der großen Geschwindigkeiten der Flugzeuge und auch angesichts der Komplikationen, die sich dann aus einem solchen Fall ergeben könnten, wenn die Richtung etwa genau nach Osten gehen würde, nicht der Meinung, daß hier unbedingt technische Voraussetzungen geschaffen werden müssen, die einen solchen Vorfall verhindern?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, es wäre technisch möglich, solche Vorkehrungen zu treffen. Sie erfordern jedoch einen - wie ich festgestellt habe - ganz ungewöhnlichen Aufwand. Bisher haben sich alle Maßnahmen als durchaus ausreichend und auch wirksam erwiesen, so daß die Frage der Verhältnismäßigkeit zwischen diesem Aufwand und dem Erfolg wirklich besteht und nicht zugunsten des Aufwands beantwortet werden kann. Der Fall, den Sie im Auge haben, ist ein absoluter Ausnahmefall, der bisher in den ganzen Jahren nur einmal aufgetreten ist.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.

Wilhelm Dröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem z. B. in der Öffentlichkeit der USA und in der Weltöffentlichkeit die Diskussion um solche ungewöhnliche, ausnahmsweise Fälle eigentlich die Grundlage für eine eigene - ich möchte fast sagen - Science-Fiction-Literatur geworden ist, möchte ich fragen: Ist nicht die Frage der Verhältnismäßigkeit unterbewertet, wenn Sie angesichts der Gefahr, die hier entstehen könnte, diese Meinung vertreten und nicht doch versuchen, Untersuchungen darüber anzustellen, ob der Autopilot technisch so gesteuert oder programmiert werden kann, daß er in einem solchen Fall automatisch die Rückführung des Flugzeugs über die Grenze herbeiführt, wenn eine gewisse Einwirkungszeit des Piloten vorbei ist?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich bin gern damit einverstanden, Herr Abgeordneter, daß die technischen Möglichkeiten weiterhin untersucht und überprüft werden. Das ist ohnehin der Fall, weil ja immer das Bestreben vorherrscht, die Flugsicherheit des Flugzeuges zu erhöhen. Im Rahmen dieser Bestrebungen werden wir dieser Frage auch besondere Aufmerksamkeit zuwenden.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weiteren Fragen. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe die Fragen X/1, X/2 und X/3 des Abgeordneten Dr. Huys auf: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, wenn im Mai 1966 im Zonenrandgebiet die Eisenbahnstrecke Wittingen-Rüben stillgelegt wird? Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, der privaten Osthannoverschen Eisenbahn AG zu helfen, die auf der parallel der Demarkationslinie verlaufenden Eisenbahnstrecke WittingenRühen ein jährliches Defizit von 500 000 DM hat, das sie aus eigenen Kräften nicht abdecken kann? Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die Strecke Wittingen-Rühen, die bisher in einer Wiese bei Rühen endete, von Rühen nach Wolfsburg ({0}) auszubauen? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Bundesministers Seebohm lautet: Die Eisenbahnstrecke Wittingen-Rühen ist eine Teilstrecke der OHE AG und unterliegt damit nicht meiner, sondern der alleinigen Aufsicht des Landes Niedersachsen. Infolgedessen liegt die Entscheidung über den Stillegungsantrag ausschließlich bei der Landesregierung. Sie werden wissen, daß seit Jahren Bestrebungen bestehen, die Wirtschaftsräume Braunschweig und Hamburg enger miteinander zu verbinden, und zwar auf dem Schienenweg und auf dem Wasserweg. Während der Elbe-Seiten-Kanal in seiner Planung festliegt, bestehen über die Schienenverbindung noch Zweifel. Diese liegen sowohl in der Linienführung als auch in wirtschaftlichen Erwägungen. Die Probleme werden durch den Stillegungsantrag unmittelbar angesprochen und zu eingehenden Untersuchungen darüber führen, wie die Verkehrsverbindung der beiden Wirtschaftsräume optimal zu gestalten ist. Dabei wird die Belebung des Zonenrandgebietes natürlich ein entscheidender Faktor sein. Insofern wächst dieses Problem über rein regionale Interessen hinaus. Ich habe mich deshalb bereits mit dem niedersächsischen Minister für Wirtschaft und Verkehr, Herrn Kollegen Möller, besprochen, mußte ihn allerdings darauf aufmerksam machen, daß die Gestaltung einer optimalen Verkehrsbedienung im Bereich der nichtbundeseigenen Bahn allein in die Zuständigkeit des Landes fällt und daß Subventionszahlungen an nichtbundeseigene Eisenbahnen für unrentable Strecken nicht in die Finanzverantwortung des Bundes fallen. Es wird also darauf ankommen, bei Behandlung des Stilllegungsantrages durch das Land die gegenwärtige Struktur der Verkehrsabwicklung in diesem Gebiet festzustellen und auch zu untersuchen, ob durch einen Ausbau der Strecke bis Wolfsburg die derzeitige geringe Benutzung so gesteigert werden kann, daß der Fehlbetrag nennenswert gemindert wird. Gleichzeitig wird die Frage zu untersuchen sein, ob eine Schnellverbindung auf dem Schienenweg wirtschaftlich realisierbar und in welcher Trasse dieses Verkehrsband anzulegen ist. Hieran arbeiten zur Zeit die Deutsche Bundesbahn und die Osthannoverschen Eisenbahnen, um dem Land baldigst ihre Untersuchungen über die Baukosten und den zu erwartenden Betriebsfehlbetrag vorlegen zu können. Erst dann wird das Land in der Lage sein, sich zu entscheiden. Durch den Stillegungsantrag der OHE sind die langjährigen Überlegungen wieder in Fluß gekommen und dürften nunmehr beschleunigt abgeschlossen werden. Ich rufe die Frage X/4 des Herrn Abgeordneten Ramms auf: Ist der Bundesregierung bekannt, ob die in dem Schreiben des Bundesverkehrsministers an den Bundestagspräsidenten vom 12. November 1965 - Drucksache V/36 - gemachten Angaben über die Innehaltung der in den Verkehrsnovellen von 1961 geschaffenen Bedingungen auch für die Überwachung der Innehaltung der Fest- und Margentarife für die Binnenschiffahrt im innerdeutschen Verkehr gelten? Herr Abgeordneter Mertes übernimmt die Frage. Bitte, Herr Bundesverkehrsminister!

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

In dem Schreiben vom 12. November 1965, das in der Drucksache V/36 veröffentlicht ist, habe ich mich grundsätzlich nur zu den Fragen geäußert, die bei der Genehmigung der Verkehrstarife bei den drei Verkehrsträgern entstehen. Ebenso wie bei der Genehmigung der Tarife hält sich die Bundesregierung auch bei der Überwachung der Tarife an die Bestimmungen der Verkehrsgesetze. Entsprechend dem Binnenschiffsverkehrsgesetz ist die Überwachung der Binnenschiffsfrachten den zuständigen Wasser- und Schiffahrtsdirektionen übertragen. Der Prüfungsapparat der Wasser- und Schifffahrtsdirektionen erfüllt diese Überwachungsaufgaben im Rahmen der ihm gegebenen personellen Möglichkeiten.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine weiteren Fragen. Ich rufe die Frage X/5 der Abgeordneten Frau Funcke auf: Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß die vom ADAC in Nordrhein-Westfalen getroffenen Hilfsmaßnahmen für erlittene Schäden bei freiwilliger Verkehrsunfallhilfe auf das ganze Bundesgebiet ausgedehnt werden? Die Frage wird von Herrn Abgeordneten Genscher übernommen. - Bitte, Herr Verkehrsminister!

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Die Aktion des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs, der angesprochen ist, geht mit auf eine Initiative des Bundesministers für Verkehr zurück. Dankenswerterweise hat sich der ADAC in den Besprechungen bereitgefunden, mit finanzieller Unterstützung, die seitens des Landes Nordrhein-Westfalen gewährt wurde, zunächst einen örtlich beschränkten Versuch mit der Aktion „Hilfe für den Helfer" zu machen. Zeitigt dieser Versuch gute Ergebnisse, werde ich mich um eine Ausdehnung der Aktion auf das ganze Bundesgebiet bemühen. Aber seit Beginn der Versuchsaktion am 1. Oktober 1965 sind überraschenderweise erst vier oder fünf Entschädigungsanträge gestellt worden.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Keine Zusatzfrage. Frage X/6 des Abgeordneten Eisenmann: Warum will die Bundesregierung den anerkannten privaten Kfz-Handwerksstätten die bewährten Zwischenuntersuchungen wieder entziehen und sie dem Technischen Überwachungsverein ({0}) übertragen?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident, ich bitte, die Fragen des Kollegen Eisemann unter X/6 und 7 und des Kollegen Dröscher unter X/11 zusammen beantworten zu dürfen, da sie den gleichen Sachverhalt betreffen, - falls die Herren Kollegen einverstanden sind.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Sind die Fragesteller einverstanden? - Das ist der Fall. Ich rufe also auch die Fragen X/7 und X/11 auf: Ist sich die Bundesregierung nicht darüber im klaren, daß, wenn man entsprechend Frage X/6 verfahren würde, eine große Anzahl zusätzlicher staatlicher technischer Werkstätten eingerichtet und entsprechendes Personal eingestellt werden müßte, um die bisher von anerkannten privaten Werkstätten -durchgeführten Überprüfungen einigermaßen fristgerecht vornehmen zu können? Werden nicht erhebliche Verzögerungen ohne Gewinnung weiterer Sicherheit bei der Abfertigung der zu überprüfenden Fahrzeuge hervorgerufen, wenn die Meldungen zutreffen, wonach auch bei Personenwagen die technische Überprüfung nur durch den Technischen Überwachungsverein vorgenommen werden soll?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Es gibt zur Zeit keine feste Absicht der Bundesregierung oder des Bundesministers für Verkehr, die sogenannten freiwilligen Zwischenuntersuchungen in amtlich anerkannten Werkstätten nach Ziffer 4 Abs. 2 der Anlage VIII zur StraßenverkehrsZulassungs-Ordnung wegfallen zu lassen. Zwar ist dies neben einigen anderen, die technische Fahrzeugüberwachung betreffenden Änderungen in einem vorläufigen Referentenentwurf enthalten; jedoch sind die Überlegungen zu diesem Problem keineswegs abgeschlossen. Es haben auch noch keine Gespräche darüber mit den beteiligten Bundesressorts stattgefunden.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Herr Abgeordneter Genscher zu einer Zusatzfrage.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, was hat die Bundesregierung überhaupt veranlaßt, zu dieser Frage Überlegungen anzustellen? Gibt es schlechte Erfahrungen mit der bisherigen Regelung?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Die Erfahrungen sind verschieden. Außerdem ist es der Wunsch der Technischen Überwachungsvereine, die sehr große Investitionen getätigt haben, ihre Apparaturen besser auszunutzen. Gelegentlich wird der Vorwurf erhoben, daß bei den Untersuchungen in den privaten Werkstätten Gefälligkeitsbescheinigungen ausgestellt werden. Aber wie gesagt, diese Frage muß erst noch einmal eingehend geprüft werden, und die Anregungen, die von den Technischen Überwachungsvereinen kommen, haben wir nicht ohne weiteres als zutreffend anerkennen können.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Genscher.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Finden- Sie nicht, Herr Bundesminister, daß auch die Investitionen der privaten Handwerksbetriebe, die für die Überwachung gemacht worden sind, und auch die Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmer berücksichtigt werden müssen?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Sicherlich sind diese Fragen, die Sie eben stellen, Gegenstand unserer Überlegungen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dröscher.

Wilhelm Dröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, wären Sie bereit, die Meinung eines großen Teils von Verkehrsteilnehmern, die ich hier ausdrücken darf, entgegenzunehmen, daß es bei der künftigen Regelung in allererster Linie darauf ankommen muß, die Überprüfung so frontnah wie möglich zu machen, d. h. so zu gestalten, daß dem Verkehrsteilnehmer so wenig Zeit wie möglich verlorengeht, und daß das eigentlich nur bei den privaten Betrieben gewährleistet ist?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Kollege, ich anerkenne und teile durchaus die Motive, die Ihrer Frage zugrunde liegen. Andererseits hat diese Überwachung nur dann einen Zweck, wenn sie wirklich sorgfältig und nach bestimmten Regeln durchgeführt wird. Die Technischen Überwachungsvereine sind naturgemäß ihrer ganzen Einstellung nach dafür mit größerer Zuverlässigkeit ausgestattet als irgendwelche privaten Betriebe. Aber die privaten Betriebe - da haben Sie recht - können natürlich dem Verkehrsteilnehmer rascher und unter Umständen auch ohne so weite Fahrten zur Verfügung stehen, wie sie bei der Durchführung der Untersuchungen nur bei den Technischen Überwachungsvereinen insbesondere in den ländlichen Bezirken, wo die Werkstätten zentral angelegt sind, erforderlich sind.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dröscher.

Wilhelm Dröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, nachdem ich aus Ihren jetzigen Bemerkungen entnehme, daß bei den Überlegungen auch die Frage der Zuverlässigkeit der die Prüfung Durchführenden eine Rolle spielt, möchte ich fragen, ob denn nicht durch eine Eigenkontrolle der Handwerksbetriebe - die daran ja interessiert sein müssen - erreicht werden kann, daß dort ein gleich hohes Maß an Zuverlässigkeit gegeben ist. Das würde im Interesse der Verkehrsteilnehmer liegen.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Wir hatten so etwas an sich erwartet, und deshalb sind die Vorschriften so gestaltet, wie das zur Zeit der Fall ist. Es haben sich aber gewisse Schwierigkeiten ergeben, weil bei Unfällen und bei anderen Gelegenheiten auf Grund polizeilicher Untersuchungen festgestellt worden ist, daß trotz Vorliegens einer solchen Bescheinigung Mängel vorhanden waren. Solche Beobachtungen sind in bezug auf die Überprüfungen durch die Technischen Überwachungsvereine nicht gemacht worden. Es ist ganz selbstverständlich, daß die privaten Betriebe, die natürlich auch ihren Kunden gegenüber ein Entgegenkommen zeigen müssen, in diesen Dingen nicht so scharf sind wie die Technischen Überwachungsvereine.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Damit ist die Fragestunde beendet. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Beratung der Sammelübersicht 1 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Übersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 17. Oktober 1961 bis 17. Oktober 1965 eingegangenen Petitionen - Drucksache V/132 Der Ausschuß beantragt, der Bundestag wolle beschließen, die in der Sammelübersicht enthaltenen Anträge anzunehmen. Das Haus folgt diesem Vorschlag? - Es wird nicht widersprochen; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung - Drucksache V/170 Soll der Entwurf begründet werden? - ({1}) - Er wird nicht begründet. - Wünschen Sie das Wort, Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus? ({2}) - Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer heute morgen die Nachrichten gehört hat, der hat auch den Hinweis darauf gehört, daß sich der Bundestag heute erneut mit der Strafrechtsreform befasse und daß das schon das dritte Mal ist, daß sich ein Bundestag damit befaßt. Der erste Entwurf stammt aus dem Jahre 1960, der zweite aus dem Jahre 1962. ({0})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Einen Moment, Frau Kollegin, sprechen Sie wirklich zu Punkt 3 der Tagesordnung? Ich habe den Punkt 3 aufgerufen. ({0}) Der Verdacht bestand, daß Sie zu einem anderen Punkt der Tagesordnung reden wollten. Ich konnte Sie jedoch nicht hindern. Aber vielleicht kommen Sie nachher wieder. ({1}) Die Vorlage unter Punkt 3 der Tagesordnung wird nicht begründet. Es ist vorgeschlagen, sie dem Rechtsausschuß - federführend - und dem Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik - mitberatend - zu überweisen. Das Haus stimmt diesem Antrag zu? - Es ist so beschlossen. Ich rufe den Punkt 4 a) und b) der Tagesordnung auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. h. c. Güde, Dr. Dehler, Dr. Wilhelmi und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Strafgesetzbuches ({2}) - Drucksache V/32 - b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Drucksache V/102 Zu den beiden Vorlagen soll getrennte Aussprache stattfinden. Das Wort hat nun die Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich bitte sehr um Entschuldigung für mein Versehen vorhin. So kann es einem gehen ({0}) - das ist halt Temperamentssache, Herr Kollege Jahn! -, wenn man die Tagesordnung nicht vor sich hat. Ich wurde dadurch irritiert, daß gefragt wurde, ob begründet werden solle. Wir waren uns interfraktionell einig geworden, daß wir zu diesem erneut - zwar als Initiativgesetzentwurf - vorgelegten, aber schon früher, und zwar im vierten Bundestag im April 1963, vom damaligen Justizminister Bucher eingehend begründeten Entwurf - im dritten Bundestag war er nur zur Diskussion gestellt worden - diesmal auf eine Begründung verzichten und seitens der Parteien gleich zu den Problemen der Strafrechtsreform als solchen Stellung nehmen wollten. Angesichts der Tatsache, daß der Entwurf nunmehr zum dritten Mal eingebracht wird, können Sie natürlich mit Recht fragen: „Was haben denn die zwei vorhergehenden Bundestage getan, daß diese Aufgabe noch nicht abgeschlossen ist?" Nun, meine Damen und Herren, über eines war man sich klar: daß eine Legislaturperiode für die Beratung eines derart umfangreichen Gesetzentwurfes außerordentlich kurz ist. Ich möchte Sie - vor allem die neuen Kollegen und Kolleginnen, das sind ja immerhin etwa 140, wenn ich die Zahl recht im Kopf habe - um eines bitten, wenn Sie sich mit der allgemeinen Begründung zu diesen sehr vielschichtigen Problemen vertraut machen wollen, sich das Protokoll der 70. Sitzung des 4. Bundestages zu besorgen, und ich verweise außerdem auf den Bericht des Sonderausschusses Strafrecht, der am Schluß der letzten Legislaturperiode mit Datum vom 30. Juni 1965 verteilt wurde. Dort finden Sie die Grundsätze, nach denen die Strafrechtsreform gestaltet werden soll, und Sie finden in dem Bericht vor allen Dingen auch die Arbeit des Sonderausschusses Strafrecht. Sie werden dann feststellen, daß der 4. Bundestag keineswegs diese Aufgabe vernachlässigt hat, sondern daß die Reform doch mit Ernst und mit großem Fleiß in Angriff genommen wurde, daß auch schon erhebliche Teile des Allgemeinen Teils beraten wurden. Meine Hoffnung war gewesen, daß in der letzten Legislaturperiode wenigstens dieser Allgemeine Teil des Strafrechts abgeschlossen werden könnte. Daß dies nicht möglich war, ist wohl mit darauf zurückzuführen, daß, nachdem der Sonderausschuß Strafrecht gebildet war, wir uns nicht immer nur mit dieser Strafrechtsreform befassen konnten. Es mußte das Sprengstoffgesetz, das dringend reformbedürftig war, geändert werden. Es mußte ein so hochpolitisches Gesetz wie das Vereinsgesetz - unter diesem so harmlos klingenden Namen verbirgt sich ja auch ein Teil unseres Staatsschutzrechts, über das wir heute mittag sprechen wollen - geändert werden. Wir mußten uns auch mit dem Wehrersatzdienstgesetz befassen. Wir mußten uns mit den Straftatbeständen der Aktienrechtsreform befassen. Es gab also eine Fülle von Aufgaben, die außerdem noch zu erledigen waren! Damit komme ich gleich zu einer Kritik und auch zu einer Skepsis, die ich jetzt schon wieder gehört habe, zu der Skepsis: Wird denn diese Legislaturperiode ausreichen, um dieses Gesetzeswerk zu vollenden? Das erinnert mich an die Skepsis gegenüber einem anderen großen Reformgesetz in der letzten Legislaturperiode: der Aktienrechtsreform. Auch die Aktienrechtsreform konnte nicht in einer Legislaturperiode erledigt werden; aber sie ist doch in der letzten Legislaturperiode erfolgt, woran damals auch niemand mehr geglaubt hatte - vor allem wenn ich an die Presse im Frühjahr vorigen Jahres denke. Das gleiche gilt für die Urheberrechtsreform. Eines der großen Reformwerke in dieser Legislaturperiode ist nun einmal die Strafrechtsreform. Damit aber keine Zeit verlorengeht, war es nach Auffassung von Abgeordneten der Regierungskoalition notwendig, daß der Entwurf sofort wieder im Bundestag eingebracht wurde. Wir haben nun den Entwurf 1962 zunächst einmal unverändert eingebracht, auch wenn er durch die Beratungen im Sonderausschuß Strafrecht in seinem Allgemeinen Teil doch schon mancherlei Abänderungen erfahren hat. Aber diese Beratungen über den Allgemeinen Teil waren ja praktisch erst die erste Lesung, und es ist sehr wohl erwogen, daß wir nicht nur hier im Plenum drei Lesungen der Gesetze haben, sondern daß wir auch in den Ausschüssen bei wichtigen Gesetzen zwei Lesungen vornehmen. Gerade bei diesem Allgemeinen Teil des Strafrechts wird es sehr notwendig sein, daß wir im Ausschuß zwei Lesungen durchführen. Die Beratungen im Sonderausschuß haben doch jetzt schon ergeben, daß zwischen dem Allgemeinen Teil und dem Besonderen Teil, in dem dann die einzelnen Straftatbestände aufgeführt sind, sehr starke Zusammenhänge bestehen. Ich könnte mir denken - das möchte ich hier mit aller Offenheit sagen -, daß wir nach der Beratung des Besonderen Teils bei der zweiten Lesung des Allgemienen Teils auch noch einmal die eine oder andere Änderung im Allgemeinen Teil vornehmen. Wenn wir den Entwurf 1962 unverändert eingebracht haben, so bedeutet das für uns als Freie Demokraten keineswegs, daß wir mit allem, was darin steht, einverstanden sind. Es ist Kritik an diesem Entwurf geübt worden. Er wurde als konservativ bezeichnet, und es wurden einzelne Bestimmungen vor allen Dingen des Besonderen Teils herausgegriffen, um zu zeigen, daß der Geist, in dem der Entwurf gestaltet ist, nicht der richtige sei. Ich habe den Eindruck, daß diese Kritik über das Ziel hinausschießt. Bei der berechtigten Kritik, die an Einzelbestimmungen geübt werden kann, wird übersehen, daß, vorbereitet durch die Große Strafrechtskommission in ihren ganz hervorragenden Beratungen von bedeutenden Strafrechtslehrern und maßgeblichen Richtern unter ganz wichtiger Mitarbeit der sehr qualifizierten Herren unseres Justizministeriums, auch unter Beteiligung der Länder - nachher noch einmal in der besonderen Länderkommission - ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, der nach grundsätzlichen Gesichtspunkten gestaltet ist. Ich brauche Sie nur an die Fragestunde vorhin zu erinnern, als der Herr Justizminister gefragt wurde, wie es mit dem Fall Kreuzer sei und wie man zu einheitlichen Bestrafungen kommen könne. Das ist eines der Probleme, die mit der Reform gelöst werden sollen. Das jetzige Strafrecht, das schon 1851 geschaffen und vom Deutschen Reich im Jahre 1871 übernommen wurde, wurde mit über 60 Novellen zu modernisieren versucht. Der Zusammenhang, die tragende Linie ist dabei verlorengegangen. Heute haben wir gerade bei den Strafrahmen sehr unterschiedliche Bewertungen vorliegen. Unserer modernen Zeit wurde dabei nicht entsprechend Rechnung getragen. Ein Anliegen dieser Reform war es, die Straftatbestände in den Strafrahmen ihrem Unrechtsgehalt entsprechend einheitlicher zu gestalten und insoweit vorhandene Spannungen zu beseitigen. Es wurde weiterhin gerade bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission immer wieder auf die verbindliche Kraft des Grundgesetzes abgehoben. Unsere rechtsstaatliche Demokratie besteht jetzt seit 20 Jahren. Wenn wir uns die politische Vergangenheit der letzten 50 Jahre vor Augen führen, müssen wir doch sagen, daß sich dieses Grundgesetz, das nur eine vorläufige Verfassung sein sollte und sein kann, bewährt hat, vor allen Dingen in seinen Grundrechten. Wir haben einen liberalen Rechtsstaat, in dem die freiheitlichen Grundrechte unmittelbar Anwendung finden und all unsere Gesetze nach diesen freiheitlichen Grundrechten ausgerichtet werden müssen, Diese Grundrechte waren auch bestimmend für die Reformarbeiten der Großen Strafrechtskommission. Es ist auch für uns möglich, an Hand dieser bestimmenden Kraft unseres Grundgesetzes nach einheitlichen Grundsätzen zu einer Strafrechtsreform zu kommen, die rechtsstaatlich und freiheitlich, aber auch modern und zeitnah ist. Es wird dazu allerdings notwendig sein, daß so wie in der Vergangenheit bei den Beratungen eine enge Zusammenarbeit mit der Wissenschaft stattfindet. Es ist nicht zu verkennen, daß seit dem Abschluß der Reformarbeiten im Jahre 1959 die Wissenschaft schon wieder fortgeschritten ist. Das trifft nicht nur für die Geisteswissenschaften zu, vor allen Dingen für die Strafrechtslehre. Das trifft genauso für die gesamten Gesellschaftswissenschaften zu, und das trifft erst recht für die Naturwissenschaften zu. Daß die Naturwissenschaften auch für die Strafrechtsreform von ganz großer Bedeutung sind, mögen Sie daran erkennen, daß für die Frage der Schuldfähigkeit, der Schuldunfähigkeit, der verminderten Zurechnungsfähigkeit natürlich die neuesten Erkenntnisse der Biologie, der Psychologie, der Psychiatrie von ausschlaggebender Bedeutung sind. Zu berücksichtigen ist nicht nur, was sich in dieser Hinsicht innerhalb unserer Bundesrepublik ereignet hat, sondern wir müssen über die Grenzen hinaussehen. Wir müssen erkennen, daß auch durch die Annahme der Menschenrechtskonvention, die seit 1953 auch bei uns übernationales Recht ist, verbindliche Maßstäbe gesetzt werden. Wir müssen der internationalen Entwicklung bei der Reform Rechnung tragen. Wir haben uns schon bisher bei den Beratungen nicht darauf beschränkt, nur in Deutschland zu bleiben. Der enge Zusammenhang zwischen Strafrecht und Strafvollzug und der möglichen Resozialisierung ist eines der Kernprobleme. Wenn es darum geht, das Verbrechen zu bestrafen, müssen wir alles tun, daß diejenigen, die gegen Strafgesetze verstoßen haben, nach Möglichkeit wieder in ein geordnetes Leben zurückgeführt werden, daß sie, wie es heißt, resozialisiert werden. Dazu gehört ein moderner, aufgeschlossener Strafvollzug. Deshalb hat die Kommission Reisen unternommen, wenige Reisen. Es war notwendig, daß wir wenigstens in den skandinavischen Ländern und auch in der Schweiz den Strafvollzug kennenlernten. Ich bin nicht sicher, ob die bisherigen Reisen ausreichen. Wir haben dabei festgestellt, daß die Zeiten, in denen wir einen autoritären Staat hatten - ich will nicht auf den Strafvollzug und auf die Rechtsprechung von damals eingehen -, uns gegenüber der internationalen Entwicklung im Vollzug zurückgeworfen haben und daß wir aufholen müssen, wo andere Staaten schon Erfahrungen gesammelt haben. Wir sollten uns aber diese Erfahrungen zunutze machen. Nur ist folgendes zu beachten. In den Jahren, während deren uns der Entwurf schon vorliegt, sind leider die Probleme nicht geringer geworden, sondern es geht wie überall: wenn man ein Problem gelöst zu haben glaubt, tauchen immer wieder neue auf. Nur mit einem können wir zufrieden sein: das Interesse der Allgemeinheit an dem, was im Strafrecht vorgeht, ist außerordentlich rege. Ich möchte darauf hinweisen, daß selbst das Fernsehen dazu beiträgt, das Strafrecht der Allgemeinheit nahezu-bringen, nämlich durch seine Fernsehgerichte. Heute kommt ein ganz anderer Teil der Bevölkerung als früher mit dem Strafrecht in Berührung. Durch die Technisierung, insbesondere aber auch durch den Verkehr sind heute Fahrlässigkeitsdelikte in einem Umfang vorhanden, wie ,das früher nicht der Fall war. Aus den Statistiken können wir ,entnehmen, daß über 45 % der gesamten Strafverfahren Verkehrsdelikte zum Gegenstand haben. Das zeigt doch, daß wir es heute mit einem Kreis von Tätern zu tun haben, die nicht zu den Asozialen gehören. Eine moderne Strafrechtsreform muß dem Rechnung tragen, und zwar schon im Strafensystem. In der 1. Lesung wurden eingehende Ausführungen dazu gemacht, ob das Schuldstrafrecht gelten solle, nach dem jeder seiner persönlichen Schuld entsprechend zu 'bestrafen ist, oder ob unser Strafrecht nach den Grundsätzen der „soziologischen Schule", der „Défense sociale" gestaltet werden soll. Vor der ersten Lesung und vor den Ausschußberatungen über die Strafrechtsreform war ich mir nicht sicher, wie die SPD zu diesen Grundprinzipien stehen würde. Insofern habe ich mich gefreut, daß die Beratungen im Sonderausschuß doch ergeben haben, daß alle drei Parteien einheitlich von dem Schuldstrafrecht ausgehen. Im Schuldstrafrecht wird betont, daß der einzelne die Entscheidungsmöglichkeit über Gut und Böse hat. Damit wird doch der Freiheit der Persönlichkeit Rechnung getragen. Jeder trägt grundsätzlich die Verantwortung für sein Tun und sein Handeln. Der einzelne isst nicht nur das Produkt seiner Umgebung, nicht nur das Produkt seiner Erziehung, sondern er selbst ist für seine Lebensführung verantwortlich. Diese Freiheit der Entscheidung zwischen Gut und Böse entspricht auch unserem christlichen Glauben, unabhängig von den Konfessionen. Das ist die gemeinschaftliche Grundlage für die Reform. Außerdem haben der Entwurf und erst recht die Beratungen im Sonderausschuß der „soziologischen Schule" Rechnung getragen und unser Strafensystem durch eine Fülle von Bestimmungen über Maßregeln der Sicherung und Besserung ergänzt, die insbesondere der Resozialisierung dienen, die dazu dienen, den Menschen, der einmal gestrauchelt ist, in ein geordnetes Leben zurückzuführen. Einigkeit bestand im Sonderausschuß auch darüber, daß die Übertretungen nicht mehr in das Strafgesetzbuch gehören. Das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt gegenüber dem jetzt bestehenden Strafrecht. Nur wird es - dessen bin ich sicher - bei der Beratung des Besonderen Teils noch zu erheblichen Auseinandersetzungen und Diskussionen darüber kommen, inwieweit es richtig war, das, was bisher Übertretungen waren, jetzt zu Vergehen aufzuwerten; es ist allerdings nur der kleinere Teil der Übertretungen. Ich spreche damit beispielsweise von einer Gruppe von Menschen, bei denen sich die Problematik zeigt. Wir wissen, daß es, weil wir eben Menschen sind, leider Gute und Böse und auch solche gibt, die im Strafrecht als die Gemeinlästigen - das ist die Gruppe der Bettler, der Landstreicher, der leichten Mädchen - bezeichnet werden. Was bisher bei ihnen als Übertretung bestraft wurde, soll jetzt kriminelles Unrecht sein. Bei der Beratung des Allgemeinen Teils ist die Frage ihrer Unterbringung im Arbeitshaus zurückgestellt worden, bis die Entscheidung darüber bei der Beratung des Besonderen Teils gefallen ist. Man sollte jedoch sehr vorsichtig sein, eine Gemeinlästigkeit, die ein wirklich freiheitlicher Rechtsstaat nur einmal ertragen muß, zum kriminellen Unrecht aufzuwerten, vorausgesetzt, daß es sich dabei nur um eine echte Gemeinlästigkeit handelt. Was nun Bettler und Landstreicher anlangt: Von den Landsteichrern hören wir immer durch die Nichtseßhaftenfürsorge. Die Bettler sind schon viel weniger aktuell. Dafür haben wir heute die „Gammler". In der nächsten Woche sind wir wieder in Berlin. Infolge der Kälte werden wir diesmal wahrscheinlich keine Gammler auf dem Kurfürstendann sehen. Sicher sind sie für uns keine erfreuliche Erscheinung. Gegebenenfalls müssen die im Bundessozialhilfegesetz vorgesehenen Maßnahmen getroffen werden. Aber bei der Schaffung neuer krimineller Tatbestände ist Vorsicht geboten. Wie gesagt, wir haben uns auf das Schulprinzip geeinigt. In der Betonung, daß jeder nur nach seiner persönlichen Schuld bestraft werden soll, war der Ausschuß sogar konsequenter als der Entwurf. Das bedeutet, daß die sogenannten durch den Erfolg qualifizierten Delikte nicht beibehalten werden können. Die Bestrafung darf nicht von dem jeweiligen Erfolg, sondern nur von der persönlichen Schuld abhängig sein. Über eins bin ich mir ganz klar: wenn das jetzt sehr konsequent durchgeführt und deshalb der Besondere Teil noch einmal sehr genau daraufhin überprüft werden soll, wo noch Erfolgsqualifikationen vorhanden sind, so wird es nicht so leicht sein, den Grundsatz in der Praxis zu verwirklichen. Die Bevölkerung denkt anders. Seien wir doch einmal ganz ehrlich: wenn eine leichte Fahrlässigkeit eine schwere Folge hat, wenn z. B. eine Schranke nicht geschlossen wurde und es dadurch zu einem schweren Unfall kam oder wenn eine leichte Fahrlässigkeit des Autofahrers zu einem schweren Verkehrsunfall führt - wir alle wissen doch, daß jedem bei aller Sorgfalt doch einmal eine leichte Fahrlässigkeit unterlaufen kann -, wenn also diese leichte Fahrlässigkeit zu einem schweren Schaden, ja zu Verlust von Menschenleben führt, dann neigt man doch sowohl bei den Gerichten als auch erst recht in der Bevölkerung dazu, die Strafe mehr an dem Erfolg als an der persönlichen Schuld zu messen. Aber schuldangemessen ist das nicht. Die Rechtsordnung als solche muß sich bewähren. Das ist die allgemeine Aufgabe des Strafrechts. Aber natürlich gilt es auch, künftige Straftaten zu verhüten. Das Prinzip lautet: Abschreckung des Gelegenheitstäters, Besserung des Neigungstäters und dann die Sicherung der Allgemeinheit vor dem Gewohnheitstäter. Aus Gründen der Generalprävention darf aber nie eine Strafe ausgesprochen werden, die das Maß der Schuld überschreitet. Bei dem Strafensystem waren wir uns im Sonderausschuß nicht einig. Die SPD hat die Einheitsstrafe verfochten. Herr Müller-Emmert wird dazu sicher noch Stellung nehmen. Ist es nun richtig, noch an einer Unterscheidung zwischen Zuchthausstrafe und Gefängnisstrafe bzw. Strafhaft festzuhalten? Gefängnis und Strafhaft waren nicht umstritten, wenn auch die kurzfristige Freiheitsstrafe problematisch ist. Aber entspricht diese Zweiteilung in Gefängnis- und Zuchthausstrafe einem modernen Strafrecht? Wie überall gibt es Gründe dafür und dagegen. Die Gründe, die gegen eine Aufrechterhaltung der Zuchthausstrafe sprechen, kommen einmal vom Strafvollzug her. Es sind gerade die Praktiker des Strafvollzuges, die sagen, daß ein Unterschied im Strafvollzug nicht besteht und auch schwer möglich ist. Sie treten auf Grund ihrer praktischen Erfahrungen im Strafvollzug für die Einheitsstrafe ein. Ein viel schwerer wiegendes Argument gegen die Beibehaltung der Zuchthausstrafe ist, daß eine Resozialisierung sehr erschwert werde, weil der Täter nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus als Zuchthäusler nur schwierig eine Arbeitsstelle finden könne. Ich darf an das anknüpfen, was ich schon bei der ersten Lesung im letzten Bundestag gesagt habe, nämlich insofern bestehe auch eine Verpflichtung für die Allgemeinheit. Wenn ein Täter verurteilt wurde, seine Strafe verbüßt hat und dann wieder in die Freiheit entlassen wird, dann ist es unsere Verpflichtung, ihm die Rückkehr ins geordnete Leben zu ermöglichen und ihm die Strafe nicht zeitlebens nachzutragen. Das erste, was nötig ist, ist natürlich, daß er eine Arbeitsstelle bekommt. Dann darf es nicht sein - es kommt leider immer wieder vor -, daß in dem Augenblick, in dem bekannt wird, daß der Betreffende eine schwere Freiheitsstrafe, insbesondere Zuchthaus, verbüßt hat, andere sich weigern, mit ihm zusammen zu arbeiten, und daß der Arbeitgeber zwar Verständnis für den Bestraften hat, aber um des Betriebsfriedens willen ihm dann kündigt. Die Resozialisierung betrachte ich als das schwierigste Problem bei der Frage der Aufrechterhaltung der Zuchthausstrafe. Trotzdem habe ich mich entschlossen, nicht für die Einheitsstrafe zu stimmen, und zwar aus folgendem Grund. Jede Strafe ist ein soziales Unwerturteil. Dabei kommt es nicht nur auf die Höhe des Strafmaßes, sondern auch darauf an, welche Strafart ausgesprochen wird. Deswegen soll ja auch bei kurzfristigen Freiheitsstrafen zwischen Strafhaft und Gefängnisstrafe unterschieden werden, damit der soziale Unwert der Straftat dabei zum Ausdruck kommt. Bei Zuchthaus wird der hochkriminelle Charakter der Tat gekennzeichnet, die sich der Betreffende hat zuschulden kommen lassen. Man darf diese Frage auch nicht unabhängig von der Ausgestaltung des Besonderen Teils sehen. Heute sind sehr viele Delikte noch mit Zuchthaus bedroht; aber die Gerichte verurteilen überwiegend dann statt zu Zuchthaus doch zu einer Gefängnisstrafe. Warum? Weil die Zuchthausstrafe im Hinblick auf den sozialen Unwert der Tat zu hart ist. Deswegen will die Reform die Zuchthausstrafen auf die echte Hochkriminalität beschränken. Ich bin allerdings der Auffassung, es sollte insofern noch über den Entwurf hinausgegangen werden. Ich habe den Eindruck - ob er richtig ist, wird erst die Einzelberatung ergeben -, daß auch jetzt noch zu viel Zuchthaus angedroht wird. Die zuchthauswürdigen Taten sollten sich auf ganz schwere hochkriminelle Fälle beschränken. Damit ergibt sich dann vielleicht auch die Möglichkeit, im Ausschuß uns darauf zu einigen, diese Trennung aufrechtzuerhalten, zumal es auch die Todesstrafe nicht mehr gibt. Es widerstrebt einem doch - denken Sie nur an den Fall, der sich kürzlich in Köln zugetragen hat, wo zwei 16jährige Mädchen auf scheußliche Art und Weise ermordet wurden -, bei einem derartigen Mord die gleiche Strafart anzudrohen wie bei einem leichteren Diebstahl, wobei lediglich in der Strafhöhe sich der Unwert zeigt. Eine weitere Frage des Strafensystems, die der Sonderausschuß schon einmütig und wohl zufriedenstellend gelöst hat, ist die der Regelung der Geldstrafen. Aus Statistiken ist zu ersehen, daß immer noch der größte Teil unserer Straftaten mit Geldstrafen gesühnt wird. Es handelt sich also um kleinere Delikte. Der Sonderausschuß hat einmütig das Tagesbußensystem übernommen, wie es in den skandinavischen Ländern eingeführt ist. Nach diesem System wird zuerst nur festgelegt, wieviel Tagesbußen jemand zu zahlen hat. Die Höhe der Tagesbuße wird dagegen abhängig gemacht von den persönlichen Verhältnissen des Täters, von seinem Einkommen, seinem Vermögen, den Unterhaltsverpflichtungen, die er zu erfüllen hat. Dadurch wird vermieden - was an dem geltenden System mit Recht kritisiert wird -, daß bei der Festlegung absoluter Beträge der sehr gut Verdienende, der Vermögende besser wegkommt als der Arme. Für einen Reichen sind 100 DM wesentlich leichter zu zahlen als für einen Hilfsarbeiter. Nun hat es aber schon wieder Schlagzeilen gegeben, und zwar wegen der Höhe der Tagesbußen. Im Entwurf betrug der Höchstsatz 500 DM. Der Ausschuß ist bis 1000 DM gegangen. Wegen einer Straftat können bis zu 360 Tagesbußen verhängt werden, bei einer Gesamtstrafe his 720 Tagesbußen. Wenn man den Höchstsatz von 1000 DM nimmt, kann man also tatsächlich unter Umständen auf 360 000 DM oder 720 000 DM kommen. Das waren dann auch die Schlagzeilen in der Presse. Das müßte schon ein ganz exorbitanter Fall sein, wo eine solche Geldstrafe ausgesprochen würde. Denn auch bei diesem System gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die kurzfristigen Freiheitsstrafen sind ein sehr schwieriges Problem. Insofern bestehen zwischen den Auffassungen der SPD und der Regierungskoalition Unterschiede. Von seiten deis Strafvollzugs wird eingewendet: eine Resozialisierung ist bei einer kurzfristigen Freiheitsstrafe nicht möglich; für den Strafvollzug selbst sind sie eine außerordentlich starke Belastung. Ich hatte mich noch bei der ersten Lesung und auch im Ausschuß für die kurzfristige Freiheitsstrafe ausgesprochen, weil ich der Auffassung war, daß eine auch nur kurze Freiheitsstrafe gerade auf Täter, die nicht wegen ihrer Persönlichkeit resozialisiert werden müssen - also Fahrlässigkeitstäter, die an und für sich Persönlichkeiten in durchaus geordneten Verhältnissen. sind -, eine erheblich abschreckende Wirkung hat. Ich habe in der Zwischenzeit vom Strafvollzug erfahren, daß das leider nicht in dem Umfang zutrifft, wie ich das angenommen habe, sondern daß es heute schon Verkehrssünder gibt, die eine kurzfristige Freiheitsstrafe als ein mit dem Autofahren verbundenes Risiko, das man eben nicht vermeiden kann, hinnehmen und in diesem Geiste die kurzfristige Freiheitsstrafe abbüßen. Das ist natürlich nicht der Sinn dieser Strafe. Deshalb bin ich bei aller Betonung des Wunsches nach Einheitlichkeit der Rechtsprechung - nach Möglichkeit auch im Strafmaß - der Auffassung, daß der Richter in Zukunft einfallsreicher sein sollte. Die Möglichkeit, die Strafe zur Bewährung auszusetzen und bestimmte Weisungen und Auflagen zu erteilen, läßt es zu, daß er der individuellen Täterpersönlichkeit Rechnung trägt, um zu erreichen, daß aus der Erkenntnis seiner Schuld, auch wenn es nur eine leichtere ist, der Täter sich bessert und aus dieser Einsicht sich in Zukunft sorgfältiger verhält. Im Ausschuß wurde auch über eine Ersatzfreiheitsstrafe, z. B. einen Dienst in Krankenhäusern usw., beraten. Wir sollten bei der zweiten Lesung dieses Thema doch noch einmal behandeln. Wir sollten uns von den Strafvollzugspraktikern über die bis dahin bestehenden Erfahrungen mit kurzfristigen Freiheitsstrafen Auskunft geben lassen. Ich glaube, gerade bei Verkehrssündern kann der Eindruck, den sie von Verletzten in einem Unfallkrankenhaus erhalten, wenn sie die schweren gesundheitlichen Schäden sehen, vielleicht manchmal nachhaltiger sein, als wenn sie eine kurzfristige Freiheitsstrafe in einem Gefängnis oder in Strafhaft abbüßen. Das ist eine Frage der Täterpersönlichkeit. Beim Jugendstrafrecht ist man schon vorbildlich vorgegangen. Ich weise auf meinen Studienkollegen Holzapfel hin, der zuerst mit seinen Urteilen und dann vor allem mit seinen Auflagen und Weisungen, die ganz auf die Tat und den jeweiligen Täter abgestellt waren, in der ganzen Bundesrepublik bekannt wurde. Wenn ich mich recht erinnere, hat auch Herr Kohlhaas bei Verkehrssündern statt einer kurzfristigen Freiheitsstrafe gegebenenfalls eine derartige freiwillige Arbeitsleistung in Unfallkrankenhäusern befürwortet. Im Gegensatz zu der SPD bin ich allerdings der Auffassung, daß wir auch dann auf die kurzfristige Freiheitsstrafe nicht werden verzichten können. Der Richter braucht sie, wenn er den Eindruck gewinnt, daß bei dem betreffenden Täter eine wirksame Abschreckung nur durch Verbüßung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe erreicht werden kann. Bei den Maßregeln der Sicherung und Besserung handelt es sich um den Schutz der Allgemeinheit und um die Resozialisierung des Täters. Über die Bedeutung der Resozialisierung habe ich schon gesprochen. Es muß ein Ziel auch dieser Reform sein, schon heute die Weichen so zu stellen, daß nach dem Urteil durch einen sinnvollen Strafvollzug die Möglichkeit der Resozialisierung verstärkt wird. Es liegt im Interesse der Allgemeinheit und im Interesse der Bekämpfung des Verbrechens, daß weniger Täter als heute rückfällig werden. Ich bin mir dabei durchaus bewußt, daß es Kriminelle gibt, die auch durch den besten Strafvollzug nicht gebessert werden. Sie werden wieder rückfällig. Es bleibt dann nichts anderes übrig, als bei schweren Verbrechen gegebenenfalls die Sicherungsverwahrung anzuordnen, um die Allgemeinheit zu schützen. Ich halte es für richtig, daß von dieser Sicherungsverwahrung bisher so sparsam Gebrauch gemacht wurde. Wenn jemand, nachdem eine Strafe verbüßt ist, trotzdem nicht die Freiheit zurück erhält, ist das ein sehr schweres und hartes Schicksal. Deshalb darf diese äußerste Maßregel nur getroffen werden, wenn es zur Sicherung der Allgemeinheit vor einem Hangtäter unbedingt erforderlich ist. Der Sonderausschuß hat sich sehr eingehend mit der Resozialisierung von Jugendlichen befaßt. Ich halte es für problematisch, einen Achtzehnjährigen eventuell schon voll zur Verantwortung zu ziehen wie einen Erwachsenen. Wir sollten das richtige Strafalter noch einmal mit Wissenschaftlern sehr eingehend erörtern. Wir wissen doch, unsere Jugend ist äußerlich erwachsen, aber geistig nicht. Sie ist sich der Tragweite und der Folgen ihres Tuns oft gar nicht genügend bewußt. Ein Vierzigjähriger ist ganz anders verantwortlich als ein Jugendlicher zwischen 18 und 21 Jahren, ja - ich gehe noch weiter - als jemand in den zwanziger Jahren. Unsere Reise in die Schweiz, wo wir gesehen haben, wie man sich bemüht, gerade auch jugendliche Täter, die über 18 oder 21 Jahre alt sind, zu bessern, um sie in ein geordnetes Leben zurückzuführen, war nach meiner Auffassung sehr erfolgreich. Wir konnten uns hier von dem Wert der Erziehungsverwahrung überzeugen. Wir ziehen diese der im Entwurf vorgesehenen vorbeugenden Verwahrung vor. Unsere Kinder vor Sittlichkeitsverbrechern zu bewahren ist eine der wichtigsten Aufgaben. Deshalb sind die psychiatrischen Fürsorgeanstalten notwendig, die wir bisher noch nicht haben. Diese Anstalten sind gedacht für Abartige, Neurotiker und Psychopathen, die weder in den Strafvollzug noch in psychiatrische Krankenanstalten gehören. Ich erinnere an den Fall, daß eine Frau, die vermindert zurechnungsfähig war, vor einigen Jahren in eine psychiatrische Krankenanstalt eingewiesen wurde und, um aus diesem Milieu herauszukommen, ganz bewußt einen Mord beging, um wenigstens in ein Zuchthaus zu kommen. Von den guten Ergebnissen in diesen Anstalten konnte der Landesausschuß sich auf der Reise nach Skandinavien überzeugen. Wir wissen dies auch von Holland. Wir sollten dieses Gute übernehmen. Ich kann und will nicht alle Probleme des allgemeinen Teils behandeln. Sie können jedoch schon diesen Bemerkungen entnehmen, daß es in vieler Hinsicht gelungen ist, im Ausschuß zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen. Nur zu dem problematischen Arbeitshaus möchte ich noch sprechen. Die Kolleginnen und Kollegen wissen, daß ich mich im Sonderausschuß Strafrecht dagegen ausgesprochen habe. Der Grund ist, daß das Arbeitshaus im Entwurf unter bestimmten Voraussetzungen für geringere Kriminalität vorgesehen ist. Das ist neu. Diese Ausdehnung halte ich nicht für richtig. Schon die Anwendung auf nur Gemeinlästige ist sehr fragwürdig. Denken Sie bitte an das, was ich zur Sicherungsverwahrung gesagt habe! Ich kann jemandem, der eine kurze Freiheitsstrafe verbüßt hat, weil diese schuldangemessen war, nachher nicht über eine Maßregel jahrelang die Freiheit vorenthalten, wenn nicht ganz wichtige Rechtsgüter der Allgemeinheit auf dem Spiele stehen. Das ist bei dieser kleineren Kriminalität aber doch nicht der Fall. Ich bin mit meiner Ansicht unterlegen. Natürlich muß ich mich zunächst einmal demokratisch fügen. Aber wir werden uns mit der Problematik des Arbeitshauses in der zweiten Lesung noch befassen. ({1}) Ich habe mir nochmals das Protokoll von der 70. Sitzung des letzten Bundestages durchgesehen und festgestellt, daß damals vor allem Teile des Besonderen Teils kritisiert wurden. Dabei wurde nicht berücksichtigt, daß große Teile dieses Besonderen Teils Straftatbestände sind, die wahrscheinlich auch im Sonderausschuß gar nicht strittig sein werden. Es hat sich einmal darum gehandelt, auf Grund der Rechtsprechung gemäß Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes Straftatbestände bestimmter zu fassen. Aber es geht nicht nur darum, Rechtsprechung einfach zu übernehmen, sondern sie vorher auf ihre rechtspolitische Richtigkeit zu überprüfen. Bei der Beratung des Besonderen Teils geht es weiterhin auch darum, auf kriminalpolitisch unnötige Straftatbestände zu verzichten. Daß zu viel bestraft werden soll, wurde mit Recht kritisiert. Insbesondere wurde geltend gemacht, daß die sittenprägende Kraft der Strafgesetze überbewertet wurde. Es setzte die Kritik ein, daß damit an unserem tatsächlichen gesellschaftlichen Geschehen vorbeigegangen ist, daß Verhalten strafbar gemacht werden soll, das im Bewußtsein der Bevölkerung nicht als kriminelles Unrecht angesehen wird. Sie haben den Entwurf vorliegen. Nehmen Sie einmal die Fragwürdigkeit des § 220 betreffend jugendgefährdende Schriften. Wir werden diese Bestimmung sehr genau an Hand des Art. 5 des Grundgesetzes überprüfen müssen. Ich sage das auch wegen gewisser politischer Initiativen, die regelmäßig vor Wahlen erfolgen, um gegebenenfalls eine Einschränkung des Art. 5 entgegen dem Geist unseres Grundgesetzes vorzunehmen. In Art. 5 Abs. i heißt es: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Und Abs. 3 Satz 1 lautet: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Das darf man auch im Zusammenhang mit § 220 nicht übersehen. Ich halte deshalb mindestens eine nochmalige Überarbeitung dieser Bestimmung für notwendig, dagegen § 220 a, den sogenannten „Striptease-Paragraph", für gänzlich überflüssig. Zu entscheiden, wo die Grenze zwischen kriminellem Unrecht und dem sittlich Verwerflichen zu ziehen ist, wird eine der schwierigsten Aufgaben sein. Die Diskussion hatte sich daran entzündet, daß die ethische Indikation, entgegen den Vorschlägen der Großen Strafrechtskommission, im Entwurf nicht enthalten ist. Ich will das Problem heute nicht vertiefen. Wir Freien Demokraten haben uns von Anfang an mit aller Eindeutigkeit dazu bekannt, daß wohl auf der einen Seite der Schutz des werdenden Lebens steht. Wenn aber auf der anderen Seite die Ursache ein schweres Verbrechen - vielleicht noch an einem Kind - gewesen ist, dann kann man eine Frau oder ein Mädchen nicht durch Strafgesetze zwingen, ein derartiges Kind auszutragen. Wir haben volles Verständnis und die größte Hochachtung, wenn auf Grund religiöser Bindungen eine Frau oder ein Mädchen ein solches Schicksal als von Gott gegeben hinnimmt. Wir sollten für diese Frauen und Mädchen alles tun, um ihr Schicksal zu erleichtern. Aber eine moralisch-sittlich derart hochstehende Haltung können Sie nicht mit Strafgesetzen erzwingen. Ich habe vorhin gesagt, daß eine Beschränkung auf das wirklich Strafbare erfolgen muß. Besonders fragwürdig ist auch die Strafbarkeit der künstlichen Insemination. Die Begründung des Entwurfs wird von mir, wie auch die Herren des Justizministeriums wissen, hoch geschätzt. Es war eine außerordentlich schwierige Arbeit, die umfangreichen, bändefüllenden Verhandlungen der Großen Strafrechtskommission und Länderkommission auf das Wesentliche zu konzentrieren und in der Begründung eine Darstellung zu geben, die dennoch alle wichtigen Gesichtspunkte berücksichtigt. Aber nehmen Sie es mir nicht übel: bei der Begründung zu diesem Tatbestand sind Sie in dem, was Sie als Folgen befürchten, doch sehr an der menschlichen Natur vorbeigegangen. Auch bezüglich der umstrittenen Strafbarkeit der einfachen Homosexualität sollten wir über unsere Grenzen schauen und sehen, welche Regelungen andere Länder getroffen haben. Wir müssen dem Gesichtspunkt Rechnung tragen, daß in die persönlichste Lebenssphäre nicht mehr als unbedingt notwendig eingegriffen werden darf. Der Schutz der Jugend muß natürlich gewährleistet bleiben. Umstritten ist auch die Strafbarkeit des Ehebruchs. Ein neues Problem ist die freiwillige Sterilisation: strafbar, nicht strafbar, in welcher Form zulässig? Mit dieser Frage werden wir uns eingehend befassen müssen. Ich habe Verständnis dafür, daß die Ärzte sagen: Wir wollen vom Gesetzgeber wissen, was wir tun dürfen und was wir nicht tun dürfen. - Wir müssen uns vor allem davor hüten, das als kriminelles Unrecht zu bewerten, was internationale Organisationen, denen wir angehören, Entwicklungsländern als Maßnahme empfehlen, um zu erreichen, daß die positiven Auswirkungen des Wachsens des Sozialprodukts für die Bevölkerung nicht durch das zu starke Bevölkerungswachstum verhindert werden. Dieses Problem zeigt, wie vorsichtig diese Dinge angefaßt werden müssen. Wir müssen ferner erreichen, daß der modernen technischen Entwicklung Rechnung getragen wird. Das gilt z. B. auch für den Schutz der Intimsphäre. Die Verwendung von Tonbandgeräten usw. ist im Entwurf geregelt; aber die technische Entwicklung ist inzwischen weitergegangen. Man kann heute abhören, ohne eine Leitung anzapfen zu müssen. Wir müssen dafür Sorge tragen, daß ein ausreichender Schutz der Intimsphäre vor derartigen Indiskretionen gewährleistet ist. Ich habe gesagt, daß wir ein fortschrittliches Strafrecht schaffen müssen und daß wir uns vor dem Zuviel-Strafen hüten müssen. Wir müssen auch den Mut haben, gerade auf dem Gebiet des Sittlichen dann, wenn kein unbedingtes kriminalpolitisches Bedürfnis besteht, von Strafbestimmungen abzusehen. Wir dürfen solche Bestimmungen nicht einfach nur deshalb übernehmen, weil sie bisher im deutschen Strafrecht enthalten waren. Aus der Streichung sol cher Strafbestimmungen können Mißdeutungen dann nicht entstehen, wenn die Gründe hierfür in der Öffentlichkeit ausreichend dargestellt werden, wenn wir der Bevölkerung eindringlich nahebringen, daß nur etwas wirklich Gemeinschaftsschädliches kriminelles Unrecht sein kann. Daß der soziale Unwert einer strafbaren Handlung voll erkannt wird, erreichen wir nur, wenn wir keine Kluft aufreißen zwischen dem, was von der Bevölkerung selbst als kriminelles Unrecht empfunden wird, und dem, was nach dem Gesetz strafbar ist. Das bedeutet, daß die strafbaren Tatbestände auf das kriminalpolitisch Notwendige beschränkt werden müssen. Zum Schluß noch eine Bitte an die Damen und Herren der Sozialdemokratischen Partei; ich hoffe, daß ich sie unnötigerweise ausspreche. Bitte, gehen Sie an diese Arbeit nicht mit der Einstellung heran, eine umfassende Reform könne man auch mit einzelnen Novellen erreichen. Ein Strafgesetz nach einheitlichen Grundsätzen ist nur bei einer Verabschiedung des ganzen Reformgesetzes möglich. Einzelne Novellen sollten nur ergehen, wenn sie wirklich unaufschiebbar sind. Bezüglich des politischen Strafrechts - über das wir heute mittag sprechen - habe ich mich schon für eine vordringliche Verabschiedung ausgesprochen. Bejaht kann dies auch werden für die psychiatrischen Fürsorgeanstalten, die von den Ländern eingerichtet werden müssen. Aber unser Ziel muß es sein, diesmal die gesamte Reform zu verabschieden. ({2})

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz Dr. Jaeger.

Dr. Richard Jaeger (Minister:in)

Politiker ID: 11001006

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Beitrag zur ersten Lesung des Ihnen vorliegenden Entwurfs eines Strafgesetzbuchs unterscheidet sich von den Reden, die meine Amtsvorgänger Dr. Stammberger und Dr. Bucher in den Jahren 1962 und 1963 bei der Einbringung des gleichen Entwurfs vor Bundesrat und Bundestag gehalten haben. Ging es damals um die Begründung eines von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs, so handelt es sich heute um eine Initiative aus der Mitte dieses Hauses. Ich möchte deshalb an erster Stelle den Unterzeichnern des vorliegenden Antrags dafür danken, daß sie den Fortgang der Gesetzgebungsarbeit auf dem Gebiete des materiellen Strafrechts durch ihre Initiative gefördert haben. Der Weg, den ein neuer Entwurf der Bundesregierung nach der Verfassung hätte nehmen müssen, wurde verkürzt und damit Zeit gewonnen. Wird der Entwurf dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform überwiesen, so ist dieser in der Lage, den Stand der Dinge vom Ende der letzten Wahlperiode wiederherzustellen. Wie wichtig dies für den Fortgang der Strafrechtsreform ist, braucht nicht betont zu werden. Da die Vierjahresfrist einer Wahlperiode für große Gesetzgebungswerke knapp bemessen ist, ist jede Zeitersparnis von großer Bedeutung. Mit dem Dank an die Unterzeichner des Initiativantrages verbinden sich meine Hoffnung und meine Bitte, die Arbeit an dem Entwurf möchte in dem zuständigen Ausschuß dieses Hohen Hauses so nachdrücklich gefördert werden, daß das neue Strafgesetzbuch in dieser Wahlperiode wirklich verabschiedet werden kann. Denn der seit langem verfolgte Plan einer umfassenden Reform des materiellen Strafrechts muß endlich in vollem Umfang verwirklicht werden. Wie Ihnen bekannt ist, meine Damen und Herren, hat es in der Geschichte der großen Strafrechtsreform immer wieder Rückschläge gegeben. Umfassende Vorarbeiten harren darauf, nutzbar gemacht zu werden. Lassen Sie uns darum das große Werk in dieser Wahlperiode zu Ende bringen! Ich brauche die Vorgeschichte des Ihnen vorliegenden Entwurfs nur kurz zu streifen. In der Debatte des Jahres 1963 hat mein Amtsvorgänger Dr. Bucher die Geschichte der deutschen Strafrechtsreform bis zum Entwurf 1962 ausführlich dargestellt. Mehr als 60 Jahre sind vergangen, seitdem die ersten vorbereitenden Arbeiten unternommen worden sind. Die ersten Entwürfe, nämlich der Vorentwurf des Jahres 1909, der Gegenentwurf deutscher Universitätslehrer von 1911 und der amtliche Entwurf von 1913, stammen aus einer Zeit, die weit hinter uns liegt, die aber auf dem Felde der Kriminalpolitik schon von den modernen Strömungen, für die hier nur der Name des deutschen Professors v. Liszt stehen mag, und von den ersten Erfahrungen mit den Gegebenheiten 1 der industriellen Massengesellschaft gekennzeichnet war. Es folgten die Versuche während der Zeit der Weimarer Republik. Hier knüpfte der Entwurf 1919 noch unmittelbar an die älteren Reformarbeiten an. Von besonderer Bedeutung war der im Jahre 1922 entstandene Entwurf, der mit dem Namen des Reichsjustizministers Professor Radbruch eng verbunden bleibt. Dieser Entwurf hat die späteren Arbeiten nachhaltig beeinflußt. Das gilt auch für den Entwurf, der Ihnen heute vorliegt. In den Ausschußberatungen wird noch die Rede davon sein, daß manche in letzter Zeit besonders heftig angegriffenen Bestimmungen dieses Entwurfs gerade auf Formulierungen des Entwurfs Radbruch fußen. Auf diesen Entwurf folgten dann die amtlichen Entwürfe von 1925 und 1927. Der letzte Entwurf der Weimarer Zeit, der Entwurf 1930, ist ebenso wie der Ihnen vorliegende Entwurf aus der Mitte des Parlaments vorgelegt worden. Er gab die Fassung wieder, die der von der Reichsregierung vorgelegte Entwurf 1927 in den Beratungen des Strafrechtsausschusses des Reichstages erhalten hatte; er wurde zu Beginn einer neuen Wahlperiode eingebracht und trägt den Namen des um die deutsche Strafrechtsreform hochverdienten Vorsitzenden des damaligen Strafrechtsausschusses, des Abgeordneten Professor Dr. Kahl. Wie Sie wissen, ist keiner der in der Weimarer Zeit vorgelegten Entwürfe Gesetz geworden. Die Arbeiten am Entwurf Kahl sind durch die politischen Wirren der beginnenden 30er Jahre unterbrochen worden. Sogenannte Reformversuche der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft führten - wir dürfen heute sagen: glücklicherweise - nicht zum Erfolg. Nach der Gründung der Bundesrepublik ist schon in der 1. Wahlperiode des Deutschen Bundestages die Notwendigkeit erkannt worden, die Arbeiten wiederaufzunehmen. Die Vorarbeiten wurden mit jener Gründlichkeit betrieben, die auch die früheren Stadien der deutschen Strafrechtsreform gekennzeichnet hatte. Umfassende rechtsvergleichende Untersuchungen wurden im Freiburger Institut für ausländisches und internationales Strafrecht angefertigt. Diesen Umstand sollten die Kritiker berücksichtigen, die meinen, die deutschen Reformarbeiten nähmen keine Kenntnis von der internationalen Entwicklung. Im Jahre 1954 ist dann die Große Strafrechtskommission - eine Arbeitsgruppe aus Abgeordneten dieses Hohen Hauses, Professoren, Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten und Vertretern der Landesjustizverwaltungen - zu ihren fünf Jahre dauernden regelmäßigen Sitzungen zusammengetreten. Sowohl nach ihrer Zusammensetzung als auch im Hinblick auf die Dauer und Intensität ihrer Beratungen steht die Große Strafrechtskommission ohne Parallele in der Praxis der deutschen Gesetzgebungsarbeit da. Auch ausländische Beobachter haben die besonders gründliche und wissenschaftliche Arbeitsweise der Kommission hervorgehoben. Von den Mitgliedern, die sich der aufopfernden Tätigkeit in der Großen Strafrechtskommission gewidmet haben, darf ich hier nur den Namen meines verehrten Amtsvorgängers Neumayer nennen. Er hat den Vorsitz in der Großen Strafrechtskommission auch nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung bis zum Abschluß der Arbeiten beibehalten. Von den Beamten des Bundesjustizministeriums, die mit mannigfachen Beiträgen die Arbeit der Kommission unterstützt haben, lassen Sie mich heute nur den heutigen Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, den damaligen Staatssekretär Dr. Walter Strauß namentlich nennen. Auf die Beratungen der Großen Strafrechtskommission folgte nach mehreren Zwischenentwürfen schließlich im Jahre 1960 der erste Entwurf eines Strafgesetzbuches, den die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt hat. Es handelte sich um den Entwurf, den mein verehrter Amtsvorgänger Staatsrat Schäffer vor diesem Hohen Hause begründet hat. Der Entwurf hatte damals am Ende der 3. Wahlperiode keine Aussicht, noch vor dem Zusammentritt des neuen Bundestages verabschiedet zu werden. Er sollte vielmehr dazu dienen, die öffentliche Diskussion zu vertiefen. Überhaupt ist die Bundesregierung immer der Auffassung gewesen, daß ein so tief in die Gesamtheit der sozialen Beziehungen eingreifendes Gesetz wie das Strafgesetzbuch einer denkbar umfassenden Erörterung in allen Teilen der Öffentlichkeit bedarf. Deshalb sind alle wesentlichen Unterlagen für die große Strafrechtsreform, u. a. 13 Bände Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, veröffentlicht worden. Im Bundesjustizministerium begrüßen wir es dankbar, daß sich die deutschen Strafrechtswissenschaftler, und zwar auch die Universitätslehrer, die nicht zur Großen Strafrechtskommission gehört haben, in den letzten Jahren stärker an der Diskussion um das neue Strafgesetzbuch beteiligt haben. Wir wären dankbar, wenn die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Gesetzgebungspraxis in Zukunft noch enger und noch konstruktiver gestaltet werden könnte. An der kritischen Würdigung des Entwurfs 1960 hatten die Landesjustizverwaltungen der deutschen Bundesländer einen besonderen Anteil. Um ihnen die Möglichkeit zu geben, den Entwurf ohne Zeitdruck in aller Gründlichkeit zu beraten, ist im Jahre 1959 eine Länderkommission gebildet worden, deren verdienstvoller Vorsitzender der Staatssekretär im Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr Krille, gewesen ist. Die Arbeiten dieser Kommission haben sich zumal auf die Gestaltung des Besonderen Teils des Entwurfs von 1962 fruchtbar ausgewirkt. Dem Entwurf 1962, den die Bundesregierung während der 4. Wahlperiode den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet hat, entspricht der Ihnen vorliegende Entwurf. Ich darf daran erinnern, daß der Bundestag am 28. März 1963 in erster Lesung über diesen Entwurf beraten hat. Wenn ich hoffe, daß die Strafrechtsreform in dieser, der 5. Wahlperiode das Deutschen Bundestages verabschiedet werden wird, so ermutigt mich zu einer solchen Hoffnung nicht zuletzt die Arbeit, die der Sonderausschuß „Strafrecht" in der vergangenen Wahlperiode geleistet hat. Unter seinem Vorsitzenden, Herrn Kollegen Dr. Güde, und seinem stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Kollegen Dr. MüllerEmmert, hat dieser Ausschuß eine sehr intensive und erfolgreiche Arbeit geleistet, und zwar in einer Atmosphäre sachlicher Zusammenarbeit. Trotz vieler gegensätzlicher Auffassungen ist niemals das gemeinsame Anliegen verlorengegangen. Ein Blick in die Niederschriften über die 56 Sitzungen des Sonderausschusses „Strafrecht" genügt, um festzustellen, wie mit sachlichem Ernst und Nüchternheit um die bestmöglichen Lösungen gerungen worden ist. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, die Gelegenheit benutzen, um Mißverständnisse aufzuhellen, die anscheinend im Hinblick auf die Niederschriften des Sonderausschusses entstanden sind. Wie Herr Kollege Benda vor diesem Hohen Hause schon am 1. Dezember 1965 dankenswerterweise klargestellt hat, hat der Deutsche Bundestag die Niederschriften des Sonderausschusses „Strafrecht" drucken lassen und allen Interessenten aus den Bereichen der Politik, der Justiz und der Wissenschaft zugänglich gemacht, und zwar in einem Umfang, der bei keinem Ausschuß dieses Hohen Hauses erreicht worden ist. Überdies kann jedermann, der einen ,geringen Geldbetrag aufwenden will, die Niederschriften durch den Buchhandel käuflich erwerben. Auch hierauf hat Herr Kollege Benda schon hingewiesen. Mir bleibt nachzutragen, daß das Bundesministerium der Justiz nicht in die Herstellung der Niederschriften eingeschaltet gewesen ist. Die Beamten meines Hauses haben nur die Niederschriften über ihre eigenen Äußerungen korrigiert. Diese Möglichkeit hatten in gleichem Maße hinsichtlich ihrer Beiträge auch die Mitglieder des Sonderausschusses und die anderen Personen, die zu seinen Beratungen hinzugezogen worden sind. ({0}) Soweit Äußerungen in indirekter Rede wiedergegeben worden sind, ist die Redaktion der Niederschrift von den hierfür zuständigen Beamten des Bundestages - nicht des Justizministeriums - vorgenommen worden, nicht anders, als dies auch bei den sonstigen Niederschriften über Ausschußberatungen geschieht, z. B. im Verteidigungsausschuß, als dessen Vorsitzender ich 12 Jahre lang die gleiche Praxis der Stenographen verfolgen konnte. Wenn im übrigen in der Aussprache dieses Hohen Hauses vom 1. Dezember 1965 die Auffassung geäußert worden ist, daß die Öffentlichkeit in verstärktem Maße über die Ausschußarbeiten am neuen Strafgesetzbuch unterrichtet werden müsse, so deckt sich das ganz mit meiner Überzeugung, daß eine umfassende Unterrichtung der Öffentlichkeit im Interesse der Sache liegt. Ich darf Ihnen jede Unterstützung des Bundesjustizministeriums bei Bemühungen um eine gründliche Unterrichtung der Öffentlichkeit zusichern. Es geht hier um ein gemeinsames Interesse nicht nur des Parlaments und der Regierung, sondern der gesamten Öffentlichkeit. Auf Einzelfragen einer zweckmäßigen Informationspolitik möchte ich hier nicht eingehen. Bei dem jetzigen Stand der Gesetzgebungsarbeit liegt die Verantwortung hierfür weitgehend bei diesem Hause. Das gilt besonders für die am 1. Dezember 1965 aufgeworfene Frage, ob Pressevertreter zu Sitzungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zugelassen werden sollen. Hier handelt es sich um die Auslegung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages und überdies um eine Problematik, die nicht allein den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, sondern die gesamte Ausschußarbeit dieses Hauses angeht. Immerhin darf ich bemerken, daß mir die Anwesenheit von Pressevertretern bei einer Anhörung von Sachverständigen vor dem Ausschuß in gewissen Fällen durchaus wünschenswert erscheint, auch wenn ihre Anwesenheit in den Sitzungen nach unserer Geschäftsordnung die Ausnahme bilden dürfte. Es wird Sie übrigens interessieren, daß der Ausschuß des Deutschen Reichstages, der sich während der Weimarer Zeit mit dem Entwurf eines Strafgesetzbuches befaßte, im September 1927 die Frage einer Zulassung von Pressevertretern zu seinen Sitzungen eingehend erörtert hat. Nachdem damals Reichstagspräsident Löbe vor dem Ausschuß die Ansicht vertreten hatte, daß die Geschäftsordnung regelmäßig die Anwesenheit von Pressevertretern ausschließe, hat die Mehrheit des Ausschusses einen Antrag abgelehnt, wonach jeder Fraktion das Recht zur Zuziehung eines Pressevertreters eingeräumt werden sollte. Neben der Sachlichkeit und Gründlichkeit, die die Arbeit des Sonderausschusses „Strafrecht" ausgezeichnet hat, ist noch ein anderes Merkmal seiner Beratungen hervorzuheben: Der Ausschuß ist sich über die tragenden Entscheidungen, die dem Entwurf eines Strafgesetzbuches zugrunde liegen, im wesentlichen einig gewesen. Auch auf diesen Umstand gründet sich meine Hoffnung, daß diese Wahlperiode den Abschluß der parlamentarischen Beratungen über das neue Strafgesetzbuch bringen wird. Denn die vom Sonderausschuß „Strafrecht" gezeigte Einmütigkeit in Grundfragen erfüllte eine wesentliche Voraussetzung für jede fruchtbare Gesetzgebungsarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts. Es liegt zwar in der Natur eines solchen Werks, das den ganzen Bereich des menschlichen Zusammenlebens berührt, daß unterschiedliche Auffassungen in vielen einzelnen Fragen bestehen. Wenn die gesetzgebenden Körperschaften trotzdem in den Grundfragen zu einmütigen Entscheidungen gelangen, so wird das maßgeblich dazu beitragen, daß das neue Strafgesetzbuch von der gesamten Bevölkerung als ein angemessener Rahmen ihres Zusammenlebens in der freiheitlichen demokratischen Ordnung bejaht wird. Ein solches Ziel kann nur erreicht werden, wenn auf allen Seiten die Bereitschaft zu sachlichem Entgegenkommen besteht. Das ganze Haus, alle Abgeordneten und alle Fraktionen, müssen den Mut zu notwendigen und tragbaren Kompromissen aufbringen. Ich wende mich ausdrücklich nicht weniger an die Opposition als an die Regierungsparteien. Gewiß ist ein Strafgesetzbuch kein Verfassungsgesetz, und es bedarf zu seiner Annahme keiner qualifizierten Mehrheit. Aber es ist ein Gesetz, das für unsere tatsächliche gesellschaftliche Verfassung von höchster Wichtigkeit ist und große Bedeutung für das Leben eines jeden Staatsbürgers hat. Es ist zugleich ein Gesetz, das nicht nur eine lange Entwicklung in Wissenschaft und Praxis zum Abschluß bringt, sondern zugleich auf Jahrzehnte hinaus Geltung erhalten soll. Unsere Kinder und vielleicht noch unsere Enkel werden sich an seinen Normen zu orientieren haben. Ich würde es deshalb für einen höchst bedauerlichen Vorgang halten, wenn ein solches bedeutsames Gesetz nur mit der Mehrheit einiger weniger Stimmen in Bundestag und Bundesrat verabschiedet würde. Eine möglichst breite Mehrheit sollte einem neuen Strafgesetzbuch gerade wegen seiner rechtlichen und moralischen Wirkung in der Zukunft sicher sein. Ich betrachte deshalb die Arbeit an diesem Gesetzentwurf nicht als eine solche der Koalition allein, sondern als eine Angelegenheit des ganzen Hauses. Ich weiß, daß dies die Bereitschaft zum Brückenschlag notwendig macht, um vermittelnde Lösungen zu erzielen. Die Bundesregierung ist bereit, hierbei mitzuhelfen, und hofft auf eine positive Antwort auf allen Seiten dieses Hauses. Die Aussicht, vermittelnde und trotzdem lebensfähige Lösungen für schwierige Probleme zu finden, mag vom einen optimistisch, vom anderen skeptisch beurteilt werden. Meine persönliche parlamentarische Erfahrung berechtigt mich zu einer optimistischen Betrachtung dieser Frage. Im Verteidigungsausschuß dieses Hauses standen wir vor zehn Jahren vor einem nicht minder bedeutsamen, politisch sogar noch schwierigeren Problem bei der Beratung der sogenannten Wehrverfassung. Obwohl es das erste Mal in der deutschen Geschichte war, daß der Versuch unternommen wurde, die bewaffnete Macht in den freiheitlichen Rechtsstaat zu integrieren, obwohl dieser Versuch psychologisch auf den verschiedensten Seiten schweren Belastungen ausgesetzt war und gleichzeitig eine heftige öffentliche Auseinandersetzung um Notwendigkeit und Art des deutschen Verteidigungsbeitrages zur NATO stattfand, ist es mir in den Gesprächen mit den maßgebenden Männern der Fraktionen, in erster Linie den Herren Kollegen Erler, Dr. Kliesing und Dr. Mende, und mit dem gesamten Ausschuß gelungen, eine Lösung zu erarbeiten, die schließlich vom Deutschen Bundestag mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde. Ich hoffe deshalb zuversichtlich, daß wir in den kommenden vier Jahren in dem gemeinsamen Bekenntnis zum freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat auch für das Strafgesetzbuch Lösungen finden, die, von Einseitigkeiten frei, von allen Seiten verantwortet werden können. Meine Bereitschaft, mit meinem Hause nach besten Kräften dabei mitzuwirken, darf ich wiederholen. Ich glaube, daß der Ihnen vorliegende Entwurf eine gute Grundlage für solche Bemühungen bietet. Das Strafgesetzbuch legt die Grundlinien der Kriminalpolitik im sozialen Rechtsstaat fest. Der soziale Einschlag des im Grundgesetz verankerten Rechtsstaatsgedankens zwingt dazu, die Einrichtungen des neuen Strafrechts so auszubilden, daß die Wiedereingliederung des straffällig gewordenen Mitbürgers in die Gesellschaft erleichtert wird. Gleichzeitig darf der Schutz der Gesellschaft nicht vernachlässigt werden, sind es doch auch und gerade ihre schwächsten Glieder, die dieses Schutzes bedürfen. Der Ihnen vorliegende Entwurf trägt dem sozialen Aspekt unseres Rechtsstaates Rechnung. Hiervon zeugt unter anderem das weit gefächerte System der bessernden und sichernden Maßregeln. Ich möchte auch auf das neue Tagessatzsystem bei den Geldstrafen hinweisen, das schon meine verehrte Vorrednerin erwähnt hat. Das bisherige Institut der Geldstrafe, das leider nicht frei von unsozialen Zügen ist, soll gründlich reformiert werden. In Zukunft wir die Geldstrafe nicht nur besser an die finanzielle Leistungsfähigkeit des Verurteilten angepaßt werden; ihre Verhängung in Tagessätzen wird es auch möglich machen, aus der Höhe der Strafe Rückschlüsse auf die Schuld des Täters zu ziehen. Neben dem sozialen Aspekt dürfen die anderen Anforderungen nicht übersehen werden, die unsere rechtsstaatliche Verfassungsordnung an ein modernes Strafgesetzbuch stellt: der Mensch muß auch im Strafrecht im Mittelpunkt stehen. Der Entwurf 1962, der Ihnen in unveränderter Fassung vorliegt, sucht dieser Forderung vor allem durch das Schuldprinzip Rechnung zu tragen: die Schuld des Täters ist die Richtschnur für die strafrechtliche Reaktion auf sein Verhalten. Das Schuldprinzip stellt sicher, daß die Tat und die Reaktion in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Zu der Forderung, daß Tat und staatliche Reaktion in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen, führen zwar auch schon allgemeine rechtsstaatliche Überlegungen. Sie sind bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung vom Sonderausschuß „Strafrecht" in einer besonderen Vorschrift, dem neuen § 81 a, niedergelegt worden; danach darf eine Maßregel nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der begangenen oder zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Bei der Schuldstrafe gewinnt jedoch dieser rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine zusätzliche Bedeutung. Es handelt sich hier um den spezifisch menschlichen Zug der Strafe. Die Schuld, nach der sich die Strafe zu richten hat, setzt bei dem Täter persönliche Verantwortung voraus. Die philosophische und theologische Problematik, ob oder inwieweit der Mensch frei ist, können und wollen wir hier nicht lösen; auch dem Sonderausschuß des Bundestags wird das nicht gelingen. Aber es geht auch gar nicht um die Lösung dieser Frage, sondern um eine praktische Maxime unseres Zusammenlebens und um das Menschenbild unseres Grundgesetzes. Das Schuldstrafrecht setzt ein Menschenbild voraus, das unserer freiheitlichen Verfassungsordnung zugrunde liegt. Die persönlichen Freiheitsrechte, die das Grundgesetz dem einzelnen zuspricht, gewinnen dadurch ihr besonderes Gewicht, daß sie den Status eines verantwortlichen Gliedes der Gemeinschaft definieren und sichern. Als freien Bürger, der Rechte gegen den Staat und seine Mitbürger hat, können wir nur denjenigen respektieren, der sich auch seiner Pflichten bewußt ist und sich insbesondere dafür verantwortlich fühlt, daß er seine Freiheit und seine Rechte nicht zum Nachteil anderer mißbraucht. So steht die Grundkonzeption, die dem Entwurf eines Strafgesetzbuchs zugrunde liegt, in engem Zusammenhang mit unserer Verfassungsordnung. Sie soll den sozialen Rechtsstaat sichern und sich an dem vom Grundgesetz vorausgesetzten Bild des Menschen orientieren. In diesem Sinne sollen die Grundlagen des Entwurfs verstanden werden. Für die Bundesregierung ist das Schuldprinzip im besonderen eine Garantie dagegen, daß ein sich allmächtig gebärdender Staat den Menschen zum bloßen Objekt eines kriminalpolitischen Kalküls macht. Darin, daß man solchen Tendenzen wehren muß, sind wir uns in diesem Hohen Hause sicher einig. Demzufolge bestand in der letzten Wahlperiode im Sonderausschuß „Strafrecht" Einmütigkeit über das Prinzip des Schuldstrafrechts. Niemand hat dort die Unterscheidung zwischen der schuldangemessenen Strafe und den bessernden oder sichernden Maßregeln in Frage gestellt. Auch in zahlreichen Einzelfragen bestand Einmütigkeit über die kriminalpolitische Linie. Mit Ausnahme des umstritten gebliebenen Arbeitshauses und des innerhalb des Strafgesetzbuchs gestrichenen Verbots der Tierhaltung haben alle im Entwurf 1962 vorgesehenen Maßregeln der Besserung und Sicherung die grundsätzliche Zustimmung des Ausschusses erhalten. Ich hebe noch besonders die neuen Maßregeln der psychiatrischen Fürsorgeanstalt - im Entwurf als „Bewahrungsanstalt" bezeichnet -, ferner die Erziehungsverwahrung - früher als „vorbeugende Verwahrung" bezeichnet - hervor. Außerdem ist die Sicherungsaufsicht zu nennen. Sie unterscheidet sich von der bisherigen Polizeiaufsicht und entspricht der modernen Tendenz zur ambulanten Behandlung Straffälliger, wie sie auch vielfach im Ausland hervortritt. Die Sicherungsaufsicht wird eine besondere Bedeutung bei der Verhütung von Sittlichkeitsverbrechen gewinnen. Bemerkenswert ist auch, daß das in der Wissenschaft umstrittene zeitliche Verhältnis von Strafe und Maßregel durch den 'Sonderausschuß „Strafrecht" in einer Weise geregelt worden ist, die modernen Überlegungen entspricht. Freilich ist die Frage, ob die Sicherungsverwahrung ebenso wie die anderen freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung in diese Regelung einbezogen werden soll, im Sonderausschuß umstritten geblieben. Hier handelt es sich um eine Einzelfrage, deren Bedeutung nicht überschätzt werden sollte. Immerhin darf schon jetzt festgehalten werden, daß im übrigen auch im Hinblick auf die Sicherungsverwahrung eine gemeinsame Basis im Sonderausschuß vorhanden war. Man war sich insbesondere darüber einig, daß diese im Ausland zum Teil umstrittene Maßregel der Sicherung beibehalten werden soll. Auch in anderen Fragen konnte immer wieder Einmütigkeit in bezug auf die grundsätzlichen Fragen beobachtet werden. So gab es bei der Strafaussetzung zur Bewährung zwar manche Meinungsverschiedenheiten im einzelnen, etwa im Hinblick auf die Höhe der für die Aussetzung in Betracht kommenden Strafe; über die Grundsatzfrage, daß die Strafaussetzung im Sinne der kontinentaleuropäischen Überlieferung als Aussetzung des Vollzuges einer verhängten Strafe und nicht nach dem Vorbild der englischen „probation" ausgestaltet werden soll, gab es jedoch keinen Streit. Einmütigkeit herrschte auch darüber, daß diese Einrichtung im unteren Bereich der Kriminalität durch zusätzliche Regelungen, z. B. im Sinne einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, ergänzt werden soll. Schließlich hat auch der Plan, die Übertretungstatbestände aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen und in ihrer Mehrheit in das Recht der Ordnungswidrigkeiten zu überführen, die einstimmige Billigung der Mitglieder des Sonderausschusses gefunden. In vielen Grundentscheidungen entspricht der vorliegende Entwurf der internationalen Entwicklung auf dem Gebiet der Kriminalpolitik. Es ist versucht worden, einen tiefgehenden Gegensatz zwischen unserem Entwurf und den maßgebenden Richtungen der Kriminalpolitik in den anderen freiheitlichen Staaten des Westens zu konstruieren. Solchen Darstellungen haftet - wie vielen öffentlichen Erörterungen in Rechtsfragen - etwas Klischeehaftes an. Vielfach liegt ihnen entweder eine unrichtige Interpretation des deutschen Entwurfs oder eine falsche Sicht der ausländischen Verhältnisse zugrunde. Gewiß gibt es in einer Reihe von Einzelfragen verschiedene Auffassungen diesseits und jenseits der Grenzen. In der grundsätzlichen Beurteilung der Strafzwecke und des Schuldgedankens sind jedoch die freiheitlichen europäischen Staaten weniger weit voneinander entfernt, als es gelegentlich dargestellt wird. Das gilt auch für das jüngste europäische Strafgesetz, das zu Anfang des letzten Jahres in Kraft getretene schwedische Kriminalgesetzbuch; es hat einem radikaleren Vorentwurf in vielen wichtigen Punkten keine Folge geleistet. Die angelsächsische Praxis denkt nicht daran, den Begriff der Strafe zugunsten eines rein fürsorgerisch verstandenen Maßregelsystems aufzugeben. Die deutsche Strafrechtsreform steht gemeinsam mit den meisten neueren europäischen Strafgesetzen in jener großen Tradition moderner Kriminalpolitik, zu der die deutsche Wissenschaft gerade am Anfang wesentlich beigetragen hat. In der Bundesrepublik gilt es ebenso wie in den anderen Ländern des Westens, diese kriminalpolitischen Grundlagen an die Gegebenheiten der veränderten sozialen Situation anzupassen. Zugleich müssen wir das Erfahrungswissen nutzbar machen, das wir seit den Anfängen der modernen Kriminalpolitik in einer wechselvollen Geschichte erworben haben - einer Geschichte, die uns allerdings manche Zweifel an dem Fortschrittsoptimismus v. Liszts und seiner Zeitgenossen gelehrt hat. Aus dem Ausland hat es denn auch neben mancher Kritik an Stimmen der Anerkennung des Entwurfs eines neuen deutschen Strafgesetzbuchs nicht gefehlt. Es ist mir eine besondere Freude, hier zwei bedeutende englische Wissenschaftler zu nennen, die beide in der Weimarer Republik die deutsche Strafrechtswissenschaft bereichert haben, bevor sie der nationalsozialistische Rassenwahn vertrieben hat. Der leider kürzlich verstorbene Professor Grünhut aus Oxford hat sich sowohl in literarischen Arbeiten als auch in Vorträgen auf einer Arbeitstagung des Bundeskriminalamtes und bei einem internationalen Kolloquium über Kriminologie und Strafrechtsreform positiv über die deutschen Reformarbeiten ausgesprochen. Professor Mannheim in London - vor 1933 Richter und Universitätsprofessor in Berlin, heute einer der führenden Kräfte der britischen Forschung auf dem Gebiet der Kriminologie - hat im Jahre 1960 ein ganzes Buch mit eingehenden Betrachtungen zur deutschen Strafrechtsreform veröffentlicht. Ich darf in diesem Zusammenhang noch die schweizerischen Universitätsprofessoren Frey und Graven nennen. Letzterer hat die deutschen Vorstellungen über die Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem Vortrag als „im besten Sinne des Wortes sozial" bezeichnet, die Rechtsstaatlichkeit der beabsichtigten Lösungen hervorgehoben und über andere Bestimmungen gesagt, in ihnen offenbare „sich das Bemühen um Gerechtigkeit, menschliches Verständnis und eine liberale Haltung, die dieses ,Straf gesetz beherrschen, das jedoch ersichtlich ebenfalls einen ,bessernden' und ,resozialisierenden Charakter besitzt". Ich kann noch hinzufügen, daß der von der Bundesregierung im Jahre 1962 vorgelegte Entwurf, der Ihnen heute wieder vorgelegt worden ist, schon in die japanische Sprache übersetzt worden ist und daß die New York University in nächster Zeit eine unter Leitung des amerikanischen Strafrechtsprofessors Mueller angefertigte Übersetzung veröffentlichen wird. Ich meine nach all dem, daß sowohl der Inhalt des Entwurfs als auch der Verlauf der Beratungen in der letzten Wahlperiode gute Vorausetzungen für einen erfolgreichen Abschluß der parlamentarischen Arbeiten in den vor uns liegenden vier Jahren bieten. Ich darf Sie noch einmal bitten, sich vor Augen zu führen, daß die zur Verfügung stehende Zeit knapp bemessen ist. Es gilt, schnell ans Werk zu gehen. Die Bundesregierung würde es deshalb begrüßen, wenn die Ergebnisse, die der Sonderausschuß „Strafrecht" des Deutschen Bundestages in der letzten Wahlperiode erzielt hat, weitgehend auch für die Arbeiten in dieser Wahlperiode nutzbar gemacht werden könnten. Es gibt noch einen anderen Grund, der zur Eile mahnt: Mit der Verabschiedung des Strafgesetzbuchs wird das Programm der Strafrechtsreform nicht erledigt sein. Ich darf nur an die Notwendigkeit einer Strafprozeßreform und einer Strafvollzugsreform erinnern. Der 4. Deutsche Bundestag hat gerade die Strafprozeßreform für besonders dringlich erachtet und die Einberufung einer großen Strafverfahrenskommission nach dem Muster der Großen Strafrechtskommission gefordert. Ich beabsichtige, diesem Wunsch des Parlaments alsbald nachzukommen, erbitte aber, wie ich bei dieser Gelegenheit beBundesminister Dr. Jaeger merken darf, Ihre Unterstützung dadurch, daß Sie meinem Haus die hierfür notwendigen Planstellen im neuen Haushalt genehmigen. ({1}) Ich muß aber noch bemerken, daß außer den beiden zuletzt genannten Reformen es auch noch eines weiteren bedeutenden und umfangreichen Gesetzes bedarf, nämlich des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch. Hier handelt es sich um eine höchst komplizierte Aufgabe. In allen Rechtsgebieten finden sich Vorschriften, die an das neue Strafgesetzbuch angepaßt werden müssen. Viele Bestimmungen des Strafgesetzbuchs müssen durch Vorschriften im Verfahrensrecht und im Nebenstrafrecht ergänzt werden. Über 400 Nebengesetze bedürfen der Anpassung. Die Arbeiten an diesem schwierigen Werk sind im Bundesjustizministerium seit langem im Gange. Alle diese Aufgaben können nicht zu Ende gebracht werden, solange der Bundestag und das Bundesjustizministerium mit den Aufgaben belastet sind, die sich aus der parlamentarischen Beratung des Strafgesetzbuchs ergeben. Auch dieser Gesichtspunkt gibt mir Anlaß, meine Bitte noch einmal zu wiederholen: Wir dürfen keine Zeit verlieren! Die Zeit drängt! Der Anfang ist bereits gemacht. Lassen Sie mich deshalb mit einem Wort des Präsidenten Johnson aus seiner Botschaft über die Lage der Nation aus dem Jahre 1964 schließen: „Laßt uns fortfahren!" ({2})

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Ich danke dem Herrn Bundesminister der Justiz und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Güde.

Dr. h. c. Max Güde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000746, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach so klugen - ich meine natürlich Sie, Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus - und autorativen Worten werden ich mir Mühe geben, nicht zu wiederholen, was schon ausgesprochen ist. Denn es gibt zwar Leute, die optimistisch sind - und Sie sind ja eine Optimistin, Frau Dr. Diemer-Nicolaus - und aus dem Interesse am „Fernsehgericht" auf ein Interesse am Strafrecht und an der Strafrechtsrefom schließen. Diesen Optimismus teile ich nicht. Die Besetzung des Hauses stört mich schon etwas in diesem Optimismus. Wenn ich mir überlege, was von außen her über den Weg unserer Strafrechtsreform geschrieben worden ist, dann erinnere ich mich, daß z. B. der Zürcher Professor Bader geschrieben hat, eigentlich müsse die breite deutsche Öffentlichkeit ein brennendes Interesse dafür haben, wie ein Strafgesetz der Zukunft die persönliche Freiheit beschränken, wie es der Kriminalität Halt gebieten werde, ohne den freien Raum persönlicher Verantwortung unerträglich einzuengen. Das ist in der Tat das Thema eines Strafrechts. Und der Freiburger Professor Jescheck hat im selben Zusammenhang in einem Vortrag gesagt, dieser Bundestag sei mit der Strafrechtsreform vor eine Aufgabe gestellt, die an Gewicht der Schaffung des Grundgesetzes kaum nachstehe. Ist das übertrieben, meine Damen und Herren? Worin liegt die besondere Bedeutung des Strafrechts? Ich habe vor ein paar Tagen in der „Neuen Zürcher Zeitung" einen Vortrag von dem Baseler Professor Stratenwerth wiedergegeben gesehen, der sich mit dem Verkehrsstrafrecht befaßte. Das Verkehrsstrafrecht macht ja etwa die Hälfte unserer derzeitigen Kriminalität aus - ich werde Ihnen nachher noch die genaue Zahl sagen - und kann also in seiner Bedeutung gar nicht überschätzt werden. Herr Professor Stratenwerth hat in Zusammenhang mit dem Verkehrsstrafrecht gesagt, die stärkste Wirkung der Strafe liege im sozialethischen Werturteil, das sich mit der Strafe verbinde. Das Verkehrsstrafrecht z. B., sagte er, solle vor allem einer richtigen Verkehrsmoral zum Durchbruch verhelfen. Was Professor Stratenwerth am Beispiel des Verkehrsstrafrechts gesagt hat, das gilt selbstverständlich für das Strafrecht überhaupt. Sittennormen, Verhaltensnormen kommen nicht aus dem Nichts. Man kann sie auch nicht aus dem Nichts schaffen. Sie unterliegen einem langen Entwicklungsprozeß, und das Strafrecht nimmt maßgebenden Einfluß auf diese Entstehung von Verhaltensnormen. Man kann daher wohl sagen: das Strafrecht gestaltet die Lebensgesetze eines Volkes, und umgekehrt: die gelebten Gesetze eines Volkes gestalten sein Strafrecht. Aber wie es mit dem brennenden Interesse der breiten Öffentlichkeit wirklich steht? Ich antworte ohne Illusionen: die Strafrechtsreform ist nicht populär. Wenn sie die Bedeutung hat, die ihr in der einen oder anderen Äußerung, die ich soeben zitiert habe, zugeschrieben wird, dann bedarf es wahrhaftig einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit, um nicht nur um das Interesse der Öffentlichkeit, der öffentlichen Meinung zu werben, sondern auch um ihr Mitdenken und Mitentscheiden. Ein so breiter, in das Leben der Nation so tief eingreifender Gesetzentwurf kann nicht in einem kleinen Ausschuß allein geschaffen werden. Der Sonderausschuß „Strafrecht" wird jede Möglichkeit benutzen, die ihm die Geschäftsordnung des Hauses bietet und läßt, um die Öffentlichkeit so breit als möglich zu beteiligen und auch zu informieren. Herr Kollege Heinemann, ich nehme Ihre Anregung, die Sie kürzlich dazu vorgebracht haben, durchaus auf, aber ich sage: im Rahmen der Geschäftsordnung dieses Hauses. Es liegt dem Haus ein von dem Herrn Kollegen Dr. Schmidt ({0}) initiierter, aber interfraktioneller Antrag vor, der die Anhörung von Sachverständigen in den Ausschüssen des Bundestages ermöglichen soll. Ich würde das für den Sonderausschuß „Strafrecht" wahrhaftig begrüßen. Es gibt eine breite Fülle von Möglichkeiten der Anhörung von Sachverständigen, über die in der Tat die breite öffentliche Meinung durch die Presse informiert werden sollte. Ich darf nur am Rande sagen, Herr Kollege Heinemann: Sie hatten mit Ihren Beanstandungen nicht recht. Wir haben uns genau an das Vorbild des Rechtsausschusses des Reichstags, des Kahlschen Ausschusses, gehalten, sowohl in der Information als auch im Druck der Protokolle. Wenn Sie einen Blick darauf werfen, werden Sie das sehen. Ich bin aber bereit, jeder Anregung des Ausschusses darin zu folgen.

Dr. Dr. Gustav W. Heinemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000848, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Güde, haben Sie kein Verständnis dafür, daß ich nichts protokollarisch unter meinem Namen gern herausgegeben sehe, was ich nicht vorher gelesen habe? Mir ist kein Protokoll vorher zur Durchsicht mitgeteilt worden.

Dr. h. c. Max Güde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000746, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann für mich sagen, mir sind sie immer vorgelegt worden, und ich glaube, eine ganze Reihe von Kollegen wird bestätigen, daß sie zur Durchsicht vorgelegt werden. Das wäre bei Ihnen also ein Fehler in der Regie gewesen. Aber ich kann mir das gar nicht vorstellen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige allgemeine Dinge sagen. Ich will gar nicht auf viele Einzelheiten eingehen, die schon angesprochen worden sind. Der Herr Justizminister hat die Initiatoren dieses Wiederbringungsantrags gelobt. Ich möchte vorweg sagen, ich will in diesem Augenblick den Mitgliedern des Sonderausschusses „Strafrecht" in der vergangenen Legislaturperiode danken - und zwar ohne jeden Unterschied - für die sachliche Atmophäre, in der die Beratungen des Sonderausschusses vor sich gegangen sind. Ich will danken den Herren des Justizministeriums, die mit ihrer bekannten Tüchtigkeit immer an diesen Beratungen teilgenommen und wertvolle Beiträge geleistet haben. Ich will - weil sie durch Sie, Herr Kollege Dr. Heinemann, eigentlich in ein schiefes Licht gekommen sind - danken den Stenographen des Hauses, die diese Verhandlungen mit einer besonderen Sorgfalt stenographiert und bearbeitet haben. Ich hoffe, daß die Atmosphäre in dem Sonderausschuß dieses Bundestages, dieser Legislaturperiode dieselbe sein wird. Aber lassen Sie mich zunächst eines sagen, die Wiedereinbringung ist ein Koalitionsantrag. Ich bedaure das ein wenig. Ich hätte es lieber gesehen, wenn die SPD dieses Werk, das nun doch ein gemeinsames Werk werden muß, wenn es werden soll, mit eingebracht hätte, auch wenn sie sich von Teilen dieses Entwurfs und dieses Vorhabens distanziert. Ich glaube, wenn wir das ein wenig sorgfältiger versucht hätten, wäre es nicht ausgeschlossen gewesen, daß Ihre Fraktion, Herr Kollege Jahn - Sie haben ja das Nein gesagt -, nun doch auch gesagt hätte: Wir müssen an diesem Entwurf gemeinsam arbeiten; wollen wir ihn auch gemeinsam einbringen! Denn er war zwar ein Entwurf der Regierung, aber im Grunde ist er ein Entwurf der Großen Strafrechtskommission, in der nicht nur Ihre Kollegen während der Dauer der Beratung mitgearbeitet haben, sondern unabhängig von Regierung und Koalition Gelehrte, Professoren, Praktiker des Strafrechts, einer unabhängigen Kommission, die ihren Rang durch ihre Leistung und nicht durch ihre Einsetzung von seiten der Regierung hat. ({0}) - Herr Kollege Jahn, ich stelle fest, ich habe Sie gefragt, ob Ihre Fraktion bereit sei, mit zu unterzeichnen. Sie haben nein gesagt. Ich habe das sehr bedauert. Aber das ,ging nun in der Eile des Dezember. Ich habe es bereut, nicht mehr insistiert zu haben. Ich möchte nur festhalten, wir wollen aus dieser Distanzierung nicht schließen - meine Fraktion und ich persönlich -, daß Sie sich von der Sache distanzieren. Wenn ich heute etwas zusätzlich zu dem, was meine Vorredner schon gesagt haben, für meine Fraktion sagen darf und sagen will, dann soll es durchweg in der Richtung sein: Ich glaube an die Möglichkeit, die Strafrechtsreform zu verwirklichen. Ich glaube daran, daß wir uns einigen können, wie es notwendig ist bei einem so großen Werk, über dieses ganze Haus hin, nicht über jede Einzelfrage, aber so einigen können, daß das Werk am Schluß doch von einer breiten Mehrheit durch das ganze Haus hindurch akzeptiert werden kann. Natürlich, meine Damen und Herren, kann man sich fragen - und so ist ja die Skepsis, die über uns allen liegt -, ob unsere Zeit und unsere Gesellschaft, wie man von alters her bei uns nach einer berühmten Schrift Savignys sagt, den Beruf zur Gesetzgebung hat, ob sie zu einem Gesetzgebungswerk von so überragender Bedeutung berufen ist. Die Antwort lautet vielfach skeptisch und vielfach: nein. Man muß in ein paar Sätzen sagen, warum dieses Nein. Da steht einmal vor uns die Gleichgültigkeit der deutschen öffentlichen Meinung gegenüber dem Recht überhaupt, man kann sagen: eine Rechtsfremdheit, eine Rechtsfremdheit, die sich durchaus oft verbindet mit einem gereizten Rechtsgefühl, mit einem empfindlichen Rechtsgefühl der öffentlichen Meinung, einem Rechtsgefühl, das dabei doch unsicher ist, oft schnell wechselt, von keiner Überlieferung geführt 'und nicht an klaren Maßstäben orientiert ist. Und ein Zweites mischt sich da ein - ich gebe es offen zu -: das Mißtrauen und die Abneigung der Juristen gegen jede Änderung und Neuerung des Rechts, die die Sicherheit eingefahrener Bahnen, wie man negativ sagen kann, aufgibt, wobei zu den eingefahrenen Bahnen auch das gehört, was man positiv beurteilen kann: die Beständigkeit einer, wie man sagt, „gesicherten Rechtsprechung". Schließlich gehört dazu, meine Damen und Herren, das Zurückschrecken vor der in allen Lagern - bei uns wie bei Ihnen - befürchteten Konfrontierung mit weltanschaulichen Problemen und Gegensätzen, von denen man sagt, darüber gebe es in einer pluralistischen Gesellschaft keine Einigung. Ich sage, man muß den Mut haben, sich über all diese Bedenken und Hemmungen hinweg zur Berufung zu diesem Reformwerk zu bekennen. Wenn Ihnen „Berufung" ein zu hoch gegriffenes Wort ist, dann sage ich eben: zur Verpflichtung zu diesem Reformwerk. - Wenn das Wort auch hart klingen mag: Eine eher dürftige Zeit wie die unsere, dürftig an Substanz und großen Ideen, wird kaum die Kraft zu großer rechtlicher Neuschöpfung haben. Eine im Fluß, in der Entwicklung befindliche Gesellschaft kann sich kaum vornehmen, JahrhunDr. h. c. Güde derte oder auch nur ein Jahrhundert im Recht zu fixieren. Ich sage da durchaus, was Prof. Bader gesagt hat: „Ein Jahrhundertgesetz, ein großes Wort mit reichlicher Prophetie! Man sollte sich damit begnügen, ein Gesetz zu schaffen, das vor der Gegenwart bestehen kann." - Gut, bescheiden wir uns also! Aber auch diese Einsicht entbindet nicht von der Verpflichtung, unser Strafgesetz, das aus einem anderen Jahrhundert und aus einer völlig anderen Gesellschaft kommt, den Verhältnissen und Anschauungen unserer Zeit anzupassen. Das ist ein bescheidenes, aber immer noch verpflichtendes Programm. Vielleicht haben wir uns also damit zu bescheiden, daß es sich nicht um die Verwirklichung epochaler neuer Rechtgedanken handelt, sondern eher um das mühselige Einbringen einer Ernte aus nun über sechs Jahrzehnten, die sowohl die politische wie die Geistesgeschichte unseres Volkes mit all ihren Brüchen widerspiegeln, auch im Recht. Aber auch wer die Dinge so sieht, muß sich zu der Aufgabe bekennen, das Strafrecht zurückzuführen zu der Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, die beeinträchtigt ist, einmal durch die jahrzehntelange Reformbewegung. Diese bedeutet selbstverständlich eine Anzweiflung des geltenden Rechts in vieler Beziehung, eines Rechts, das nie aus einem Plan und Gesichtspunkt an die gesellschaftlichen Veränderungen angepaßt worden ist und das durch all die Entscheidungen, die seit 1870 in völlig verschiedenen Situationen auf Grund desselben Strafgesetzbuches ergangen sind, nun im ganzen doch unsicher und unklar geworden ist. Wir müssen es zur Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zurückführen. Wir sind uns dieses Stück Selbstdarstellung des deutschen Volkes schuldig, sowohl nach innen wie nach außen. Das wurde schon angesprochen. Ich will es nur in ein paar Sätzen wiederholen. Die Reformbewegung im deutschen Strafrecht ist ein Stück einer Reformbewegung in der europäischen Rechtsfamilie, einer gesamteuropäischen Reformbewegung, die wesentliche Beiträge von Deutschland gehabt hat, einer Gesamtreform, die sowohl Schweden wie die Schweiz, wie Österreich und Deutschland umfaßt hat. In Schweden und der Schweiz ist die Reform beendet, allerdings auf eine Weise, die wohl den Reformwerken dieses Jahrhunderts eigen sein wird, daß nämlich nicht mit der Vorstellung der Ewigkeit reformiert worden ist. Wir sehen vielmehr ebensowohl in der Schweiz wie in Schweden, daß nach verhältnismäßig kurzer Zeit, nach wenigen Jahren die Reformbewegung ihren Fortgang nimmt. Das wird uns auch nicht anders gehen. Mit Österreich ziehen wir ungefähr im gleichen Zug einer Vollendung der Reform entgegen. Ich sage, Deutschland ist nicht nur sich selbst, sondern der großen europäischen Rechtsfamilie schuldig, daß es nun endlich seinen Beitrag zu einer europäischen Reform, zur Vollendung eines europäischen Gesamtreformwerks leistet, einen Beitrag, den es zu der geistigen Bewegung so vielfach geleistet hat. Deutschland schuldet die Reform aber auch sich selbst. Eine Gesellschaft, die straft, weil eine jede Gesellschaft strafen muß, kann sich nicht für unfähig und unwillig erklären, die Gedanken, Prinzipien und Regeln, nach denen sie straft, zu überprüfen und der Zeit anzupassen. Der Gesetzgeber muß seinen Teil Verantwortung auf sich nehmen, um Uneinheitlichkeit, Unklarheit und Lückenhaftigkeit im Strafrecht zu überwinden. So ist es - das Beispiel ist auch schon angesprochen, aber es ist mir noch von der Fragestunde heute morgen her in den Ohren - ein wesentliches Anliegen der Großen Strafrechtsreform, eine größere Gleichmäßigkeit in der Anwendung des Strafrechts, d. h. vor allem in der Strafzumessung, zu erreichen. Es wird wohl so sein - geben wir uns das zu -, daß die große, manchmal schwer erträgliche Schwankungsbreite in der Strafanwendung und in der Strafzumessung, die wir sowohl in den Jahrzehnten, die hinter uns liegen, selbst erlebt haben, als auch in der Breite der gegenwärtigen deutschen Rechtsprechung erleben, wohl auf einer Unsicherheit in den Prinzipien und Wertungen beruht. Immer wieder zeigt sich die öffentliche Meinung durch eine wirkliche oder vermeintliche Ungleichmäßigkeit im Strafmaß schockiert. Wenn - ich sage das ganz offen - dann mit diesem Anliegen die Justizverwaltungen angegangen werden und diese mit Weisungen an die Staatsanwaltschaften reagieren, so ist das nach meiner Auffassung ein unzulänglicher Weg, ein unzulänglicher und gar nicht zu begrüßender Ausweg. Die Zumessung der Strafe muß unverrückbar der Entscheidung des Richters und zwangsläufig seinem unabhängigen Ermessen überlassen und anvertraut bleiben. Sache des Gesetzgebers - nicht der Justizverwaltung - ist es, die Grenzen dieses Ermessens abzustecken und auf Grund einer verbindlichen Wertetafel der Rechtsgüter die Richtlinien in Form von Gesetzen an die Hand zu geben, an denen das richterliche Ermessen sich zu orientieren hat, und nicht anders. Das, meine Damen und Herren, ist nur ein - allerdings nicht unbedeutendes - Beispiel für das, was auf den Gesetzgeber an Aufgaben und Verantwortung zukommt. Der Gesetzgeber muß sein Teil Verantwortung auf sich nehmen. Im Zusammenhang mit einem Einzelfall, mit dem Fall Dohrn, hat ein deutscher Strafrechtslehrer, Herr Professor Engisch, kürzlich geschrieben, der Gesetzgeber habe zu sprechen, der in einem demokratischen Staat „die Berufung besitzt, mit parlamentarischer Mehrheit sittliche Forderungen zum Rechtsprinzip zu erheben, auch wenn sie nicht allgemein gebilligt werden sollten." „Nicht dem Richter", sagt Engisch, „wohl aber dem Gesetzgeber steht die Befugnis zur Majorisierung zu." Eine klare und nach meiner Ansicht richtige Verteilung der Verantwortung zwischen dem Gesetzgeber und der Justiz. Das gilt nicht nur in jenen Fällen, wo - wie im Falle Dohrn - der Begriff der Sittenwidrigkeit als Tatbestandsmerkmal zur Anwendung stand, sondern es gilt weit darüber hinaus: überall dort, wo grundlegende Wertungen die Anwendung des Strafrechts nach Art und Maß bestimmen. Dieser Aufgabe kann sich der Gesetzgeber nicht mit der Behauptung entziehen, daß eine Einigung über weltanschaulich bedingte Wertungen im parlamentarischen Raum nicht möglich sei. Das ist eine Leugnung der Aufgabe des Parlaments. Wenn das wahr wäre, wenn der Gesetzgeber selber zu einer Entscheidung in wesentlichen Wertungsfragen nicht imstande wäre, auf welcher Grundlage könnte dann der Richter überhaupt entscheiden? Der Richter wäre dann offensichtlich überfordert, weil von ihm eine Entscheidung erwartet würde, die er nur unter Berufung auf sich selbst, auf seine Einsicht, nicht mehr unter Berufung auf das Gesetz, erlassen könnte. Aber es ist doch unbestreitbar so: Das Gesetz muß den Richterspruch legitimieren, und nur von der Autorität eines gültigen und unangezweifelten Gesetzes kann der Richterspruch Autorität haben, so daß er dem Vorwurf entgeht, der Richter habe nur aus seiner privaten Meinung, seiner privaten Weltanschauung - oder wie Sie sagen wollen - geurteilt. Diesen Vorwurf hören wir doch heute immer wieder. Auch der Gesetzgeber einer pluralistischen Gesellschaft muß die unentbehrlichen Entscheidungen treffen, wenn er von seinen Richtern Entscheidungen erwartet, die die friedenstiftende Funktion des Richters erfüllen können. Ich habe gestern zufällig im Januar-Heft der „Gewerkschaftlichen Monatshefte" ein Zitat aus einer Veröffentlichung des französischen Klubs Jean Moulin gelesen, wo es heißt: „Die Justiz soll ein Organ werden, welches das friedliche Miteinander widerstrebender wirtschaftlicher, sozialer und politischer Kräfte sichert." Das ist für mich ein wenig skeptisch formuliert, aber im Prinzip sage ich: Einverstanden! Dabei ist es wahr, daß die Rechtsprechung bei uns - vielleicht auch anderswo -, wie Weinkauff gesagt hat, „nicht aus einem Schatz unbezweifelter und unbezweifelbarer letzter gemeinsamer Rechtsüberzeugungen des Volkes schöpfen kann". Nein, zugegeben. Aber trifft, werden Sie sagen, diese Aporie, diese Ratlosigkeit nicht auch den Gesetzgeber, nicht auch das Parlament? Wird nicht jedes Parlament angesichts der gestellten Fragen in Weltanschauungsgruppen auseinanderfallen? Das müssen wir ja bei dieser großen Vorlage in der Tat fürchten. Deswegen - vielleicht finden Sie es übertrieben - starre ich geradezu auf dieses Problem, über unsere Differenzen hinwegzukommen. Wird nicht auch der Gesetzgeber überfordert? An welchen Sternen sollen wir, das Parlament, uns orientieren? Nun, die Antwort ist schon ein paarmal angeklungen; sie kann für uns in unserer Gesamtheit nur lauten: am Grundgesetz. Die Idee der Humanität und der Gerechtigkeit, die im Grundgesetz Gestalt gewonnen hat, muß für die ganze Rechtserneuerung und erst recht für die Strafrechtserneuerung das Maß bilden. Die dem Grundgesetz zugrunde liegende Entscheidung für eine auf der Idee der Verantwortung und des Rechts beruhende Ordnung des Gemeinschaftslebens ist eine tragfähige Grundlage, um über alle Differenzen hinweg Einigung zu finden. Das Bekenntnis zur Würde der menschlichen Person als das verpflichtende Kernstück des Grundgesetzes ist auch Grundlage und Richtpunkt der Strafrechtsreform. Von diesem Richtpunkt aus erweist sich z. B. - die Äußerung stammt ({1}) aus Ihren Kreisen, aber ich hänge sie Ihnen wahrhaftig nicht an - eine Auffassung, für die das Strafrecht der Bekämpfung der Seuchen oder der Regelung des Gas- und Wasserwesens näher steht als dem, was gemeinhin als Ethik oder Moral bezeichnet wird - Sie wissen, von wem sie stammt -, als inhuman und auf jeden Fall in ihrer Einstellung als grundgesetzwidrig. Nun, das ist bloß eine etwas vulgäre Formulierung für eine Auffassung, die in der Tat durch das ganze Jahrhundert hindurchging und noch vertreten wird von Wissenschaftlern, Pädagogen, die den Verbrecher als Kranken, als im Grunde Unverantwortlichen bezeichnen und ansehen. Aber bei all diesen Dingen tritt ja klar zutage, daß hier der gesunde Verbrecher nicht unterschieden wird von dem kranken, daß nicht unterschieden wird derjenige, der als Gesunder für seine Tat einstehen muß, von dem, der als Kranker und Unverantwortlicher einer Behandlung, wie einer vergleichsweise ärztlichen, unterzogen werden darf. Es gibt gute Gründe dafür, zu sagen, daß das Menschenbild, das einer solchen Konzeption des Strafens zugrunde liegt, wissenschaftlich überholt ist. Auf jeden Fall ist es nicht mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar. Vom Grundgesetz her steht das Strafrecht - und die Strafrechtsreform -, anders als Gas- und Wasserversorgung und Seuchenbekämpfung, unter dem doppelten Gebot von Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit. In der Anerkennung dieser beiden Gebote, von denen weder das eine noch das andere allein gesehen, verabsolutiert werden darf, liegt für uns - ich meine uns alle - eine Chance für eine Einigung über alle Differenzen hinweg. Auf der Grundlage der grundgesetzlichen Wertung und in der Ausrichtung an den Geboten der Gerechtigkeit und der Zweckmäßigkeit lassen sich doch wesentliche Prinzipien aufzeigen, über die eine breite Einigung unter uns allen möglich sein müßte, und ich bin überzeugt: möglich wird. In diesem Lichte gewinnt doch auch die These vom Schuldstrafrecht die richtige Bedeutung. Nicht nur die schuldvergeltende Strafe, sondern ebenso die präventive, der Persönlichkeit des Täters angepaßte Maßregel der Besserung und Sicherung bestimmen die ganze strafrechtliche Konzeption, wie sie uns allen vorschwebt, das Ganze in einem ausgewogenen Maß von Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit. Fassen wir es doch richtig auf: Schuldvergeltung und Besserung und Sicherung durchdringen und begrenzen sich gegenseitig. Eberhard Schmidt hat völlig recht, wenn er den Schuldgedanken als das rechtsstaatlich notwendige Komplementärelement zu allen kriminalpolitisch orientierten Zweckmäßigkeitsgedanken bezeichnet. Das Schuldstrafrecht bedeutet, wenn es richtig verstanden und angewendet wird, eine Beschränkung des Strafrechts, eine Sicherung des Strafrechts gegen die gefährliche Verabsolutierung des Zweckgedankens nach Art von Gas- und Wasserversorgung und Seuchenbekämpfung. Schon lange sind wir weithin darüber einig, daß eine Beschränkung des Strafrechts und des Strafens geboten ist. Das kommt im Entwurf schon dadurch zum Ausdruck, daß die Übertretungstatbestände ausgeschieden worden sind. Ob dieser Gedanke, der auch dem Kommissionsentwurf und dem Regierungsentwurf zugrunde lag, schon hinreichend verwirklicht ist, das zu prüfen wird Aufgabe des Ausschusses sein. Auf jeden Fall werden Sie uns hinsichtlich des Grundsatzes zur Einigung bereit finden. Eine am Grundgesetz orientierte freiheitliche Konzeption wird die Strafbarkeit grundsätzlich auf das für das Gemeinwohl unbedingt Notwendige beschränken und nicht darüber hinausgehen. Gerade jetzt im Dezemberheft des „Hochland" hat Schöllgen, ein katholischer Moraltheologe von Rang und Namen - ich zitiere ihn, um zu zeigen, daß ich in diesem Punkt nicht nur eine persönliche Meinung oder eine politische Meinung vortrage, sondern wie weit die Einigung in diesem Grundsatz geht -, dargelegt, daß nach Thomas von Aquin und demnach nach katholischer Morallehre nur jene schweren Verbrechen grundsätzlich verboten werden sollten, bei denen Aussicht besteht, die Mehrheit von ihnen abzuhalten, und hier wieder vor allem solche Gesetzwidrigkeiten, die anderen Menschen Schaden zufügen. Ja, Thomas bestimmt ein abgrenzendes Kriterium für strafgesetzliche Verbote: sie sollen so fundamental sein, daß ohne das Verbot die menschliche Gesellschaft nicht bestehen könnte. Das ist ein Prinzip, ein Maßstab, an Hand dessen man wohl eine Einigung über Vorstellungen finden könnte, die das Strafrecht weiter einschränken wollen, als es der Entwurf vorsieht. Das bedeutet Beschränkung der Pönalisierung auf die Gebote der einfachen Sittlichkeit. Ich könnte hier Jescheck zitieren, der sagt: auf die Handlungen, „die nach den Anschauungen einer elementaren, allen Rechtsgenossen gemeinsamem oder wenigstens verstehbaren Sittlichkeit für die Gemeinschaft unerträglich sind". Ich könnte auch Arthur Kaufmann zitieren, um zu zeigen, daß wir auch eine breite wissenschaftliche Grundlage dafür haben, das Strafrecht auf das zu beschränken, „was gegen die Grundgebote des Gemeinschaftslebens verstößt, die Grundgebote, die nicht beliebig wechselnd in der Geschichte auftreten, sondern ein Allgemeinmenschliches zum Ausdruck bingen". Wenn wir uns zu solchen Prinzipien bekennen - die übrigens auch schon dem Entwurf zugrunde liegen -, geben wir uns nicht der Hoffnung hin, alle Differenzen, die zwischen uns möglich sind, ausgeräumt zu haben. Aber die Differenzen werden auf ein übersehbares Feld zurückgeführt, und die Auseinandersetzungen um die verbleibenden Probleme sind auf das Feld rationaler Argumente verwiesen. Selbstverständlich reicht der Grund sozialethischer Wertungen, sozialethischer Prinzipien, auf denen das Strafrecht beruht, für mich und für viele in den Bereich des Glaubens und der geglaubten Wahrheiten. Aber hindert das diejenigen, die unseren Glauben nicht teilen, sich mit uns in praktischen Positionen zu treffen? Ich für mein Teil - und ich sage das in diesem Augenblick ausdrücklich nur für mich - werde die Sterilisation außerhalb der medizinischen Indikation in der Tat aus geglaubten Überzeugungen ablehnen. Aber auch wer das nicht mit mir vollzieht, könnte sich doch mit mir darüber unterhalten und vielleicht einigen, daß mißbräuchliche Sterilisationen, die willkürlich, unverantwortlich und - setzen wir einmal die Möglichkeit - gemeinschädlich sind, zum Schutz der Volksgesundheit, zum Schutz der Frau in einem beschränkten Maße doch pönalisiert werden können. Ich werfe diese Frage nur als Beispiel auf, um zu zeigen, wie rational unsere Auseinandersetzung sein kann. Lassen wir uns doch auf allen Seiten nicht durch Vorurteile von sachlichen und rationalen Diskussionen abhalten. Aber ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, daß das Vorurteil mehr auf seiten der Kritiker als auf unserer Seite besteht. Die Vorurteile auf seiten der Kritiker - ich will jetzt gar nicht in bestimmte Richtungen schauen - bestehen darin, daß man uns unterschiebt, wir seien überhaupt nicht in der Lage, rational zu argumentieren, während wir in Wirklichkeit völlig offen und frei darin sind, über alle Streitfragen rational, nämlich am Bild des kriminalpolitisch Notwendigen, zu diskutieren und uns zu einigen, soweit uns das verantwortbar erscheint. Es ist das Stichwort „Resozialisierung" gefallen. Natürlich verpflichtet das Menschenbild des Grundgesetzes uns alle dazu, die Resozialisierung des Verbrechers als ein wesentliches Ziel der Strafrechtspflege zu sehen und ernst zu nehmen, ernster zu nehmen, als das früher geschehen ist, zugegeben; als ein wesentliches Ziel, sage ich, aber nicht als das einzige. Am Ziel der Resozialisierung wird sich gewiß die Strafvollzugsreform maßgeblich orientieren müssen. Ich werde an dieser Stelle nicht versäumen, zu sagen, daß auch nach unserer Auffassung möglichst gleichzeitig mit der großen Strafrechtsreform auch eine Strafvollzugsreform in Kraft treten sollte, über der durchaus die Devise, die ich in den skandinavischen Ländern gehört und gelernt habe, stehen könnte: So viel Humanität im Strafvollzug, als der Zweck der Verbrechensbekämpfung zuläßt. Einverstanden, akzeptiert. Ich will auch gar nicht das Wort des Leiters einer Jugendstrafanstalt vergessen - warum sollte ich verschweigen, wer es war; es war der Leiter der Jugendstrafanstalt in Wiesbaden -, das mich sehr beeindruckt hat. Er sagte: Niemand soll diese Anstalt schlechter verlassen, als er in sie hineingekommen ist. Das ist ein Minimalziel eines Strafvollzugs, zu dem jeder nur ja sagen kann, weil er ja sagen muß aus rechtlicher und aus Gewissensverpflichtung. Für das Strafrecht selbst und seine Anwendung kann der Gesetzgeber nicht einseitig und ausschließlich auf das Ziel der Resozialisierung schauen. Selbst in der skandinavischen Konzeption, die dort maßgeblich unter den Gedanken des Gesellschaftsschutzes gestellt ist, spricht man davon, daß man in dieser Zwecksetzung Rücksicht zu nehmen habe auf die Rechtstreue der Allgemeinheit. Selbst da also wird die Versuchung zur einseitigen Zweckmäßigkeit, zur alleinigen Ausrichtung an dem Gesichtspunkt der zweckmäßigen Resozialisierung durch das Gebot der Gerechtigkeit beschränkt und korrigiert, wenn auch formuliert als Berücksichtigung der Gerechtigkeitserwartung der Menschen, der Bürger. Der Züricher Professor Frey hat vor zwei Jahren gesagt, es komme in diesem Punkte ein Veto auf uns zu, und zwar von einer Seite, um die sich die Strafrechtstheoretiker und Strafrechtsreformer auf562 fällig wenig gekümmert haben, das Veto nämlich der im Volke herrschenden Überzeugung, daß die verbrecherische Tat Sühne, das Verbrechen als solches einen Ausgleich verlangt. Er warnt davor, diese Gerechtigkeitserwartung einfach unbeachtet zu lassen, wenn wir nicht riskieren wollen, sagt er, daß sich die Strafjustiz immer mehr von den Kräften, die sie letztlich tragen, entfremdet. Evidentermaßen ist es uns nicht erlaubt, eine schwere Verbrechertat unbestraft oder unangemessen mild bestraft zu lassen mit der Begründung, daß ein Einwirken auf den Täter mit dem Ziel der Besserung, der Resozialisierung im konkreten Fall unnötig oder unmöglich sei. Die Wahrheit dieses Satzes ist uns doch allen durch das unabweisbare Bedürfnis bewußt gemacht worden, schwere nationalsozialistische Mordtaten nach mehr als 20 Jahren zu sühnen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Täter der Resozialisierung bedürfen. Zwischen dem Ziel der Resozialisierung und dem Gebot der Gerechtigkeit werden wir an manchen, an verhältnismäßig vielen Stellen abzuwägen haben. Wir werden dem Ziel der Resozialisierung nicht von vornherein den absoluten Vorrang einräumen dürfen, wenn wir das objektive Ziel der Strafrechtspflege nicht verfehlen wollen, das objektive Ziel, das zweifellos heißt: Wahrung und Bewährung des Rechtsfriedens in der Allgemeinheit, die Stärkung des Vertrauens in die Rechtsordnung und die Erfüllung der berechtigten Gerechtigkeitserwartung der Bürger. In diesem Abwägen zwischen Resozialisierung und Gerechtigkeit, zwischen Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit werden wir schwierige Fragen zu beantworten haben, sogenannte Fragen weltanschaulicher Art, in Wirklichkeit nicht weltanschaulicher Art. Vielmehr reichen die Fragen für den einen in den weltanschaulichen Bereich, für den anderen nur in den kriminalpolitischen und kriminologischen Bereich, und dort werden wir uns treffen und miteinander diskutieren. Meine Damen und Herren, erwarten Sie von mir nicht, daß ich nun die Fragen, die zum großen Teil schon erwähnt worden sind, im einzelnen aufzähle und jetzt schon zu ihnen Stellung nehme. Denn ich lege weder mich noch meine Fraktion in irgendeiner Frage jetzt schon fest. Um mit allem Nachdruck zu sagen: Bitte, tun Sie dasselbe! Seien Sie bereit zu einer rationalen Diskussion über alle Fragen, so wie wir bereit sind, unbeschadet unseres grundsätzlichen Standpunktes über alle Fragen zu diskutieren. Versuchen wir also, auf dieser Grundlage eine Plattform von Gemeinsamkeiten für diese Beratungen zu schaffen. Sagen wir es ganz nüchtern: Bei der Strafrechtsreform geht es - entgegen vielen Vulgärvorstellungen - nicht um weltanschauliche Auseinandersetzungen, sondern um das Verbrechen und seine Bekämpfung, um die gerechten und wirksamen Methoden der Verbrechensbekämpfung. Diese Methoden hängen selbstverständlich von dem Kriminalitätsbefund ab. Wir reden viel zu viel über allgemeine Dinge und versäumen es, uns einmal klarzumachen, wie es eigentlich mit der Kriminalität steht. Dazu möchte ich einige kurze Feststellungen vortragen, die auf Grund der Kriminalstatistik getroffen worden sind. Das Ausmaß unserer heutigen Kriminalität, meine Damen und Herren, ist nicht so erschreckend, wie es uns die Vulgärdarstellungen gelegentlich - ich möchte fast sagen: sehr oft - nahelegen. Die grundlegende Verschiebung in der Gesamtkriminalität - ich habe das vorhin schon erwähnt und hole die Zahl jetzt nach - besteht darin, daß nahezu die Hälfte der Kriminalitätsdelikte - bei der letzten Zählung von 1962 waren es 46 %; wahrscheinlich sind es jetzt schon 50 oder mehr Prozent - in Verkehrskriminalität besteht, und dabei sind die Verkehrsübertretungen nicht mitgezählt. Das ist eine so elementare Verschiebung des Gesamtbildes der Kriminalität, daß der Gesetzgeber gar nicht daran vorbeigehen darf, wenn er sich das einmal klar macht. Wenn man die Verkehrskriminalität aus dem Bild der Gesamtkriminalität ausklammert, dann ergibt sich, daß die Gesamtkriminalität - soweit sie die allgemeine Kriminalität nach den Delikten des Strafgesetzbuchs betrifft - anders ist, als man sich vorstellt. Die Gesamtkriminalität abzüglich der Verkehrskriminalität hat gegenüber der Zeit vor dem 1. Weltkrieg abgenommen; sie hat auch gegenüber der Zeit zwischen den Weltkriegen abgenommen, und sie hat im ganzen abgenommen. Das trifft nicht gleichmäßig für alle Delikte zu. Ich will nur diejenigen Delikte herausheben, die zugenommen haben, weil diese die Öffentlichkeit so sehr beschäftigen. Zugenommen hat die Raubkriminalität, die schwere Raubkriminalität. Es hat auch zugenommen die Diebstahls- und Unterschlagungskriminalität. In den letzten Jahren hat die Kriminalität in allen Sparten etwas abgenommen, während man im ganzen sagen muß, daß die Gesamtkriminalität - abgesehen von der Verkehrskriminalität - gegenüber dem Stand vor dem 1. Weltkrieg um 40 % und gegenüber der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen um 25 % geringer geworden ist. Wenn man dieses Ergebnis allerdings nach Straftaten und nach Altersgruppen aufgliedert, dann sieht man etwas, was nicht als günstig bezeichnet werden kann. Die Kriminalität ist zurückgegangen bei den Vollerwachsenen. Demgegenüber liegt die Verurteilungsziffer bei den Jugendlichen, auch wenn man die Verkehrsdelikte ausscheidet, ganz erheblich über den entsprechenden Ziffern früherer Jahre. Für das Jahr 1963 beträgt sie 1064,1. Für das Jahr 1932 ist dieselbe Ziffer - wenn ich sie vergleiche - nur 623, also annähernd nur die Hälfte. Diese Entwicklung der Jugendkriminalität, zu der auch die der Heranwachsenden und der sogenannten Jungtäter zwischen 21 und 25 Jahren zu zählen ist, kann nicht ernst genug genommen werden, da nach den Ergebnissen der kriminologischen Forschung rund 70 % der Rückfalls- und Berufsverbrecher ihre kriminelle Laufbahn schon vor Vollendung des 21. Lebensjahres beginnen. Bedenklich ist durchaus, daß entgegen früheren kriminologischen Anschauungen die von Jahr zu Jahr steigende wirtschaftliche Hochkonjunktur nicht bei allen Deliktsgruppen zu einer wesentlichen Verringerung der Kriminalität geführt hat. Die Diebstahls- und Unterschlagungsfälle haben von 1954 bis 1961 bei den Jugendlichen und bis 1962 bei den Heranwachsenden ständig zugenomDr. h. c. Güde men. Gestiegen ist von 1954 bis ins Jahr 1963 vor allem auch die Raub- und Erpressungskriminalität. Bei den Jugendlichen war bis 1960 und bei den Heranwachsenden und den Jungerwachsenen bis ins Jahr 1962 eine Zunahme zu beobachten, bei den beiden letzteren Gruppen auch eine Zunahme der gemeingefährlichen Delikte. Bei den Heranwachsenden hat diese Tendenz zu gemeingefährlichen Delikten auch im Jahre 1963 noch angehalten. Angesichts dieser Zusammenballung der Kriminalität auf Gruppen von Schwer- und Schwerstkriminalität bei rückläufiger Gesamtentwicklung der Zahlen bedarf es ganz offensichtlich einer Verbesserung der kriminalpolitischen Bekämpfungsmöglichkeiten, sagen wir, einer gezielteren Anwendung der Verbrechenbekämpfungsmethoden auf die Hoch- und Schwerkriminalität. Daß der Entwurf, daß unser Reformdenken gerade da nach neuen Wegen sucht, werden Sie ohne weiteres zugeben. Ich erinnere an die angestrebte Verfeinerung der Maßnahmen der Besserung und Sicherung, an die Einführung der Sicherungsaufsicht, an die Möglichkeit, gerade abwegige Triebverbrecher sachgemäß in psychiatrischen Anstalten zu versorgen, an die Einführung der Jugendverwahrung, die nach den letzten Beschlüssen des Sonderausschusses Erziehungsverwahrung heißen soll. Darüber wird noch zu reden sein. Der Entwurf beschäftigt sich mit dem Problem der kurzen Freiheitsstrafe. Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit werden auch da ein unentbehrlicher Maßstab sein. Wir werden darüber reden müssen. Ich glaube, daß die kurze Freiheitsstrafe nicht zu entbehren sein wird. Sie ist nirgends völlig zu entbehren, auch in keinem anderen Staat. Wenn uns jemand einen Ausweg zeigt, wie wir sie ersetzen können, wollen wir gern diesen Ausweg gehen. Das Problem der Zuchthausstrafe, das mit dem Problem der Resozialisierung zusammenhängt, ist immer noch offen. Wir sind uns sicher darüber einig, daß die Zuchthausstrafe, wenn sie beibehalten wird, unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierungsfreundlichkeit auf ein Mindestmaß beschränkt werden sollte. Die umstrittenen neuen Tatbestände habe ich schon erwähnt: die Insemination, die ethische Indikation, die freiwillige Sterilisation, ferner den Grundtatbestand der Homosexualität, die Strafbarkeit des Ehebruchs und die Strafbarkeit der Gotteslästerung, wobei jedermann weiß, daß es dabei nicht um den Schutz Gottes, sondern um den Schutz des religiösen Friedens geht. Jedermann in einem weltlichen Staat weiß, daß Gott nicht des Schutzes dieses Staates bedarf. Vielleicht aber bedarf der religiöse Friede dieses Schutzes. Zu all diesen Fragen, zu denen ich noch den Versuch, einen Contempt of Court einzuführen, die verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, die öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten sowie die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes zählen könnte, möchte ich nur sagen, wir sind bereit, nach den Prinzipien, die ich Ihnen dargelegt habe, offen und rational zu diskutieren. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie den Antrag nicht mit unterschrieben haben, nichtsdestoweniger willig mitzuarbeiten; willig heißt: mit dem Willen zur Einigung. Ich habe gestern mit einer gewissen Bewegung nachgelesen, was der alte Professor und Geheimrat Kahl im Jahre 1927 in der Sitzung des Rechtsausschusses des Reichstages in einer ähnlichen Situation gesagt hat: Die Meinungsverschiedenheiten über den Entwurf sollten keine Trennungsstriche zwischen Ausschuß und Regierungen - Regierungen im alten Reich - darstellen, sondern sie seien nur die verschiedenen Versuche, die großen Grundprinzipien des Strafrechts, Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit, in gesetzgeberisch möglichst vollendeter Weise zu gestalten. Um das Verbrechen und seine Bekämpfung geht es, um ein höchst verantwortungsvolles Ziel, an dessen Erreichung mitzuarbeiten ich Sie lalle bitte. Es geht um eine Besserung unserer Rechtsordnung; wenn Sie es ganz bescheiden sagen wollen: um ein kleines Stück Gerechtigkeit mehr. Und auch ein kleines Stück Gerechtigkeit mehr in dieser Zeit ist der Mühe wert. ({2})

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Ich danke Herrn Dr. Güde. Ich darf vorschlagen, daß wir in die Mittagspause eintreten, ehe der nächste Redner, Herr Dr. MüllerEmmert, das Wort nimmt, der voraussichtlich 45 Minuten sprechen wird. - Ich unterbreche die Sitzung bis 15.00 Uhr. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller-Emmert.

Dr. Adolf Müller-Emmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001568, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus und den Herren Kollegen Dr. Güde, Dr. Dehler, Dr. Wilhelmi und Genossen eingebrachte Entwurf eines Strafgesetzbuchs entspricht unverändert dem Regierungsentwurf 1962, mit dem sich der vergangene Bundestag bereits beschäftigt hat. Dieser Entwurf ist, wie wohl allseits bekannt ist, in der Öffentlichkeit auf erhebliche Kritik gestoßen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat schon bei der Einbringung des Entwurfs im vorigen Bundestag im März 1963 klar ihre Meinung dargelegt. Nach unserer Meinung ist dieser Entwurf kein epochales Werk. Er hat nicht den Mut, zukunftweisendes strafrechtliches Neuland zu betreten, und verdient nicht - verzeihen Sie mir bitte dieses harte Wort - den Namen „Strafrechtsreform". Wir verkennen nicht, daß er einige Neuerungen enthält, die auch von uns unterstützt werden, so z. B. das neue, skandinavischem Vorbild entsprechende Geldstrafensystem der Tagesbuße und den Wegfall der Übertretungen aus dem Strafrecht und ihre Verweisung in das Recht der Ordnungswidrigkeiten. Insgesamt gesehen stellt aber der Entwurf lediglich eine redliche Bestandsaufnahme der derzeitigen Rechtsprechung und Rechtslehre dar, die - dieses Lob muß man den Verfassern allerdings zollen - sehr sorgfältig und gewissenhaft erarbeitet worden ist. Zwei Schwerpunkte unserer Kritik möchte ich ganz besonders erwähnen. Einmal geht der Entwurf kaum neue Wege im Strafensystem. Er 'beachtet nicht genügend die Erkenntnisse der modernen Strafrechtswissenschaft, die inzwischen ihren Niederschlag in neueren Strafgesetzbüchern verschiedener westeuropäischer Länder gefunden haben. Er behält die vom Vollzug her überholte Unterscheidung zwischen Zuchthaus und Gefängnis bei und lehnt die sogenannte Einheitsstrafe ab. Er beharrt außerdem auf der kriminalpolitisch völlig verfehlten kurzzeitigen Freiheitsstrafe. Der zweite Schwerpunkt ist, daß der Entwurf die Schuld des Täters nach sittlichen Maßstäben feststellt und sie nach den gleichen sittlichen Maßstäben einstuft. Auch nimmt er bei verschiedenen vorgesehenen Straftatbeständen die gleiche sittliche Wertung vor. Damit steht der Entwurf nicht auf dem Boden einer weltanschaulichen Neutralität, sondern begibt sich auf das unsichere Experimentierfeld der Auseinandersetzung darüber, was das Sittengesetz eigentlich beinhaltet. Da sittliche und moralische Normen nicht nur sehr umstritten sind, sondern auch ständigen Veränderungen unterliegen, führt eine Verweisung auf das Sittengesetz im Strafrecht mit Sicherheit zu ständigen rechtsstaatlichen Konflikten. Deshalb können wir auch aus klaren rechtsstaatlichen Erwägungen diese einseitige Grundtendenz des Entwurfs nicht billigen. Sie werden verstehen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, daß wir aus den genannten grundsätzlichen Feststellungen den von Ihnen neu eingebrachten Entwurf nicht unterschrieben haben und nicht unterschreiben konnten. Jeder Entwurf muß letztlich einen Gesetzesvater haben. Wenn Sie von uns verlangen, daß wir diesen Entwurf unbesehen vollständig unterschreiben, dann verlangen Sie von uns eine Festlegung im vorhinein, die nicht im Sinne der Sache liegt. Das soll nicht heißen, daß wir, von der rein formalen Seite her gesehen, es mit Ihnen nicht auch erfreulich fänden, daß wir nunmehr mit diesem neu eingebrachten Entwurf wieder eine Beratungsgrundlage für die Ausschußarbeiten haben. Was sind nun, meine Damen und Herren, unsere Leitgedanken für die Strafrechtsreform? Das Strafrecht hat dem Schutz der Rechtsgemeinschaft und aller von der Verfassung verbürgten Rechtsgüter zu dienen. Es muß ein Ausführungsgesetz zum Grundgesetz sein und muß die Würde des Menschen und alle Grundrechte achten und schützen, damit sich die Persönlichkeit in einem wahrhaft sozialen Rechtsstaat frei entfalten kann. Das Strafrecht muß daher gerecht sein und den Täter nach dem Grade seiner Verantwortung treffen. Die Verantwortlichkeit des Bürgers für sein Tun beruht auf der Anerkennung der Menschenwürde und der Freiheit des Menschen. Der Mensch hat für sein Tun einzustehen; er hat es zu verantworten. Je stärker er sich durch sein strafwürdiges Verhalten in Widerspruch zur Rechtsgemeinschaft gesetzt hat, um so nachhaltiger ist er von seinen Richtern zur Verantwortung zu ziehen. Dieser Schuldbegriff erfordert kein weltanschauliches Bekenntnis und ist nicht mit Sünde im metaphysischen oder religiösen Sinne gleichzusetzen. Schuld in diesem Sinne ist vielmehr ein sittlich völlig wertneutraler Begriff, der von der Verantwortung und der Entscheidungsfreiheit des einzelnen Menschen getragen wird. Schuld in diesem Sinne - die man wohl besser mit Verantwortung gleichsetzen könnte - beinhaltet hiernach einen bewußten und erkennbaren Verstoß gegen unsere Rechtsordnung, für den der Täter verantwortlich gemacht werden muß, da im Interesse unseres Zusammenlebens in der Gemeinschaft jeder für die von ihm begangene schuldhafte Verletzung eines als schutzwürdig anerkannten Rechtsgutes einzustehen hat. Mit einem so verstandenen Schuldstrafrecht - vielleicht sagt man besser ,;Verantwortungsstrafrecht" - ist die Freiheit des Geistes gewährleistet und kein Bürger im Bereich des Strafrechts auf eine bestimmte Weltanschauung verpflichtet. Meine Damen und Herren, die durch unsere Verfassung aufgegebene Anerkennung der Menschenwürde führt zwangsläufig zu einer weiteren Konsequenz. Das Strafrecht muß - darüber wurde heute auch schon viel geredet - sozial sein. Der einmal Gestrauchelte darf nicht zum Verbrecher aus verlorener Ehre werden. Unsere Gesellschaft muß dem Bürger, der sich strafbar gemacht hat, die Chance geben, sich wieder als vollwertiges Glied in die menschliche Gemeinschaft einzufügen. Zur Reform des Strafrechts gehört deshalb auch ganz klar eine weitere Verbesserung des Strafprozeßrechts, eine Reform des Strafregisterrechts, des Gnadenrechts und selbstverständlich auch des Strafvollzuges. Das Strafregisterrecht muß dahin gehend geändert werden, daß geringfügige Verurteilungen nicht ins Strafregister eingetragen oder möglichst frühzeitig getilgt werden. Darüber hinaus müssen alle Fristen, nach deren Ablauf nur noch beschränkt Auskunft erteilt werden darf oder Tilgung des Strafvermerks eintritt, in Richtung auf eine möglichste Kürzung überprüft werden. Der Strafvollzug darf nicht, wie es manchmal leider noch anzutreffen ist, die dunkle Schule des Verbrechens und Ansteckungsherd der Kriminalität sein. Vielmehr muß er zukünftig in viel größerem Maße als bisher der Erziehung der Verurteilten und ihrer Wiedereingliederung in die menschliche Gesellschaft gewidmet sein. Das wohlverstandene Interesse der Gesellschaft verlangt gebieterisch, alle erdenklichen Einwirkungsmöglichkeiten zu schaffen, um den straffällig Gewordenen zu bessern; denn darüber kann es wohl kaum Streit geben, daß wir den entscheidendsten Schritt zur Verbrechensbekämpfung dann getan haben, wenn es uns gelingt, einen Großteil der Verurteilten im Strafvollzug zu bessern und zu resozialisieren. Diesem Ziele dienen unsere Vorschläge, den sozialen Status, die Ausbildung und die Leistungsfähigkeit der im Strafvollzug und in der Bewährungshilfe tätigen Menschen zu heben, umfangreiche erzieheDr. Müller-Emmert rische Maßnahmen einzuführen und die Gefangenenarbeit zu vergüten, damit der von dem Verurteilten angerichtete Schaden, soweit es möglich ist, wiedergutgemacht werden kann und die Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gemeinschaft erleichtert wird. Die Landesjustizminister und -senatoren haben sich kürzlich, und zwar im Oktober des vorigen Jahres, in Bremen in ihrer Mehrheit nicht dazu bereit finden können, die Vergütung der Gefangenenarbeit verbindlich einzuführen: Diese ihre Auffassung haben sie in der Hauptsache mit einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung begründet. Der Strafrechtsausschuß wird sich im Laufe seiner Beratungen mit Sicherheit mit diesem, wie ich allerdings zugebe, sehr schwierigen Problem noch befassen müssen. Zu bedauern ist in diesem Zusammenhang auch eine weitere Entschließung der eben erwähnten Justizministerkonferenz, die sich mit dem Problem der Errichtung eines zentralen Instituts zur Ausbildung und Fortbildung der Strafvollzugsbediensteten befaßt. Bekanntlich wurde im vorigen Bundestag ein gemeinschaftlicher Antrag aller Fraktionen einstimmig angenommen, durch den die Bundesregierung ersucht wurde, mit den Ländern ein Abkommen über die Errichtung, die Aufgaben und die Finanzierung eines solchen zentralen Instituts abzuschließen. Die Landesjustizminister halten, wie sich aus ihrer Bremer Entschließung ergibt, die Zeit für die Errichtung eines solchen Instituts noch nicht für reif. Ich darf hier, meine Damen und Herren, der Hoffnung Ausdruck geben, daß wir alle im Interesse eines im Sinne der Besserung erfolgreichen Strafvollzugs versuchen werden, ihre Auffassung zu ändern. Eng verknüpft mit dem Gedanken der Resozialisierung ist in unserem Strafrecht der weitere Grundsatz, daß dieses Strafrecht auch. wirksam sein muß. Einmal muß es insoweit wirksam sein, als durch den Strafvollzug der Gestrauchelte gebessert wird. Zum anderen muß aber auch das System der Strafen und Maßregeln dadurch Wirkung verbreiten, daß der einzelne durch die Strafe und ihre Höhe von der Begehung strafbarer Handlungen abgeschreckt wird oder sogar, wenn er, wie die von ihm begangenen strafbaren Handlungen bewiesen haben, eine besondere Gefahr für unsere Gesellschaft darstellt, sein Leben hinter Gittern zubringen muß. Es muß klar gesagt werden, daß wir alle im Interesse der Sicherheit und Ordnung in unserer Gesellschaft den Berufs-, Gewohnheits- und Kapitalverbrechern einen harten Kampf ansagen müssen und dabei auch vor harten, aber natürlich gerechten Strafen und Maßnahmen nicht zurückschrecken dürfen. Wenn aber auch im Einzelfalle harte Strafen verhängt werden müssen, so sollen sie nie entehrend sein. Sie müssen jedem Rechtsbrecher die Gelegenheit geben, wieder Fuß in der Gesellschaft zu fassen, seine Fehler zu erkennen und sich zukünftig wohlzuverhalten. Deshalb muß ein Strafensystem geschaffen werden, das dem Ziele dient, den Gestrauchelten endgültig zu bessern. Dazu gehört aber, daß die Zuchthausstrafe abgeschafft und die sogenannte Einheitsstrafe eingeführt wird, die die bisherigen Strafarten Zuchthaus und Gefängnis vereinigen soll. Es ist fraglos wahr, daß die Zuchthausstrafe die Wiedereingliederung in die menschliche Gesellschaft erschwert. Sie versieht den Verurteilten mit dem Makel des Zuchthäuslers, was oft dazu führt, daß er nach seiner Entlassung den Keim künftiger Kriminalität in sich trägt. Eine Unterscheidung zwischen Zuchthaus und Gefängnis ist im Strafvollzug ohnehin nicht oder nur in ganz belanglosen Punkten möglich, da das Wesentliche beider Strafarten eben der Freiheitsentzug ist. Die Einheitsstrafe, die von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Strafrechtswissenschaftler und den Praktikern des Strafvollzuges gefordert wird und - worauf ich schon hingewiesen habe - neuerdings auch in mehreren westeuropäischen Ländern eingeführt worden ist, ermöglicht Differenzierungen nach der Höhe der Strafe und im Strafvollzug, wo eine Zusammenfassung verschiedener Tätergruppen erfolgt, so also z. B. der Gelegenheitstäter, der Hangtäter, der gefährlichen Täter, der Unbestraften und anderer Gruppen. Dadurch ist fraglos eine viel bessere Einwirkung auf jeden einzelnen Verurteilten möglich. Nur am Rande sei vermerkt - womit ich allerdings nicht sagen will, daß das unwichtig sei -, daß bei Einführung der sogenannten Einheitsstrafe nicht so viele Strafanstalten erforderlich sind wie bei der Beibehaltung des Unterschiedes zwischen Zuchthaus und Gefängnis. Lassen Sie mich noch einige Worte zu dem Problem der kurzzeitigen Freiheitsstrafe sagen. Eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität ist in ihrem unteren Bereich durch die kurzzeitige Freiheitsstrafe, deren Grenze man bis zu etwa sechs Monaten annehmen kann, nicht möglich. Jeder, der die Probleme des Strafvollzugs kennt, muß einräumen, daß Freiheitsstrafen unter sechs Monaten - über diese Grenze läßt sich allerdings streiten - die Anwendung wirksamer Erziehungsmittel nicht zulassen. Die kurzzeitige Freiheitsstrafe sollte deshalb abgeschafft werden. Ihre Anwendung hat zu einer Bestrafteninflation geführt, was die Tatsache erweist, daß von den rund 550 000 jährlich von den deutschen Gerichten ausgesprochenen Verurteilungen rund 150 000 Verurteilungen solche zu Freiheitsstrafen sind. Damit wird - ich glaube, darüber kann es keinen Streit geben - die Strafe entwertet. Außerdem werden durch die kurzzeitigen Freiheitsstrafen die Gerichte und der Strafvollzug über Gebühr belastet, so daß letztlich wirksame Einwirkungsmöglichkeiten auf Gefangene, die zu höheren Strafen verurteilt werden und die erziehungsfähig und erziehungsbedürftig sind, ausgeschlossen werden. Hinzu kommt, daß die kurzzeitige Freiheitsstrafe weit überwiegend nur solche Täter trifft, die wie man so sagt, an sich honorige Bürger sind und einer Resozialisierung wirklich nicht bedürfen. Denken wir in diesem Zusammenhang nur an die Vielzahl der Verurteilungen im Verkehrsstrafrecht. Anstelle der kurzzeitigen Freiheitsstrafe schlagen wir als Ersatz die Geldstrafe, die Geldbuße und einen selbständigen Katalog von Weisungen, Auflagen und Nebenstrafen vor. Da eingeräumt werden muß, daß eine Sanktion im Falle der schuldhaften Nichtzahlung der Geldstrafe und der schuldhaften Nichterfüllung der richterlichen Weisungen und Auflagen vorhanden sein muß, schlagen wir weiter vor, daß nach dem Vorbild des § 429 des, Entwurfs, der sich mit der Sicherungsaufsicht beschäftigt, für diese Fälle ein besonderer Straftatbestand geschaffen wird, der gröbliche und beharrliche Verstöße gegen richterliche Weisungen und Auflagen - worunter auch die Nichtzahlung der Geldstrafe fallen müßte - unter eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten stellt. In diesem Zusammenhang ist im Interesse einer Eindämmung der Bestraften-Inflation noch auf folgende Punkte hinzuweisen. Zukünftig muß nach unserer Meinung bei der Strafverfolgung dem Willen des Verletzten und dem Verhalten des Täters gegenüber dem Verletzten nach der Tat mehr Raum gegeben werden. Eine Erweiterung des Strafantragserfordernisses, der Ausbau strafbefreiender Wirkung der tätigen Reue und der Wiedergutmachung des Schadens oder auch der Verzeihung des Verletzten können ebenfalls die Vielstraferei eindämmen und damit wichtige kriminalpolitische Dienste leisten. Darüber hinaus wird eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität durch die Möglichkeiten der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung erreicht, von denen wir leider noch viel zu wenig Gebrauch machen. Wir müssen uns ständig - auch hier im Bundestag - neue Maßnahmen einfallen lassen, die eine Verbrechensausführung verhindern, indem wir die möglichen Opfer und Objekte schon im vorhinein schützen. Als Beispiele seien angeführt: ständige Aufklärung der Bevölkerung, Hinweis, daß viel mehr Schreck- und Alarmpistolen von Bürgern gekauft werden, Hinweis, daß besonders gefährdete Berufsgruppen - Geldbriefträger, Kassenboten und andere - ständig mit Waffen ausgerüstet sind, technische Sicherung von Geschäftsräumen und Banken, Sicherung von Kraftfahrzeugen, Taxis, Personenkraftwagen, polizeiliche Schutzmaßnahmen, beispielsweise Streifengänge in entlegene Gegenden oder in einsame Parkanlagen, Beobachtung der in Freiheit befindlichen Berufsverbrecher und auch der Prostitution. Dazu gehören auch Maßnahmen zur Veränderung mancher Umstände, die erfahrungsgemäß zur Begehung von Verbrechen anreizen. Zu denken ist beispielsweise an eine Untersuchung der Probleme der Obdachlosigkeit, die auch heute noch bei uns, in unserem sogenannten Wirtschaftswunderstaat, ab und zu anzutreffen ist. Dazu gehört eine vermehrte Bekämpfung des Alkoholismus und der Rauschgiftsucht. Dazu gehören vermehrte Kontrollen der Kassenführung in Behörden und in der Wirtschaft, um möglichen Unterschlagungen oder Untreuefällen tunlichst vorzubeugen. Als weitere Grundsatzforderung ist anzuführen, daß die Straftatbestände auf das unbedingt Notwendige beschränkt werden müssen. Im Rahmen der Beratungen muß aus kriminalpolitischen Gründen sorgfältig geprüft werden, ob Tatbestände, die bisher strafbar sind, nach den heutigen Gegebenheiten zukünftig noch strafbar sein sollen. Wir begrüßen deshalb durchaus - ich habe schon darauf hingewiesen -, daß bloße Übertretungen, die kein strafwürdiges Unrecht enthalten, aus dem Strafrecht herausgenommen und zukünftig als Ordnungswidrigkeiten im Verwaltungswege erledigt werden sollen. Es dürfen aber auch keine neuen Strafvorschriften geschaffen werden, für die kein kriminalpolitisches Bedürfnis besteht. Grundsätzlich muß sich das Strafrecht auf Tatbestände beschränken, deren Unrechtsgehalt zweifelsfrei ist. Es darf keine Handlungen unter Strafe stellen, die zwar unter Umständen moralisch bedenklich sind, die aber kein kriminelles Unrecht enthalten. In unserer in ihren Meinungen und Auffassungen so vielfältigen Gesellschaft muß der Gesetzgeber gerade auf dem Gebiet des Strafrechts die Grenzen des Staates wahren. Das Strafrecht muß vom ganzen Volke getragen sein. Deshalb muß erreicht werden, die verschiedenen Auffassungen, wie sie in unserem Volke vertreten sind, im Rahmen des Strafrechts unter einen Hut zu bringen, ohne daß der unsere Verfassung beherrschende Grundsatz der Toleranz gefährdet oder verletzt wird. Unter diesen angeführten Gesichtspunkten muß eine größere Anzahl von Tatbeständen während der Beratungen des Ausschusses eingehend geprüft werden. Dazu gehören beispielsweise die öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten, die Störung der Strafrechtspflege, die Gotteslästerung, die ethisch indizierte Schwangerschaftsunterbrechung, die freiwillige Sterilisation und Kastration, die künstliche Samenübertragung, der Ehebruch, die einfache Kuppelei, die einfache Unzucht zwischen Männern, Publikationen über Geburtenregelung und empfängnisverhütende Mittel und die sogenannte unzüchtige Schaustellung. Diese und weitere Probleme können nach unserer Meinung nur durch eine breite Diskussion unter Anteilnahme der Öffentlichkeit und nach Anhörung von Sachverständigen aller Wissenszweige gelöst werden. Wir freuen uns, daß offenbar der Herr Bundesjustizminister - so habe ich ihn jedenfalls verstanden - in dieser Frage mit uns übereinstimmt. In diesem Zusammenhang möchte ich eine kurze mehr haushalts- und finanzrechtliche Bemerkung einflechten. Die Notwendigkeit zu sparen, über die im Augenblick so viel geredet wird, sollte einmal zu einer Untersuchung darüber führen, was die kriminalpolitisch unerwünschte und gesellschaftspolitisch wirkungslose Ausdehnung des Strafrechts an unnötigen Kosten mit sich bringt, die nur wieder der einzelne Steuerzahler aufbringen muß. Auch im Strafrecht heißt es daher, meine Damen und Herren, maßzuhalten. Schließlich - um zu einem weiteren wichtigen Punkt zu kommen - muß unser Strafrecht zeitgemäß und modern sein. Es muß mit der Kriminalität des zwanzigsten Jahrhunderts fertig werden. Neue, durch die technische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung geschaffene Lebenssachverhalte müssen in die strafrechtliche Beurteilung mit einbeDr. Müller-Emmert zogen werden. Insbesondere müssen daher die Probleme, die sich aus unserem heutigen Wirtschaftsleben ergeben, wie z. B. der Werbeschwindel, die Kartelldelikte, die Verantwortlichkeit juristischer Personen, die Konkurs- und Vergleichsdelikte, berücksichtigt werden. Weiter möchte ich darauf hinweisen, daß es auch Aufgabe des Gesetzgebers sein muß, der Rechtslehre und der Rechtsprechung genügend Raum für die Fortentwicklung des Strafrechts zu lassen und außerdem die Grundlagen für eine europäische Harmonisierung des Strafrechts, wie sie auf dem Gebiete des Verkehrsstrafrechts bereits erkennbar ist, zu schaffen. Schließlich ist nach unserer Meinung der Hinweis von erheblicher Bedeutung, daß wir uns im Rahmen der Beratungen, soweit dies erforderlich ist, noch darum bemühen müssen, die für das Strafrecht maßgebenden Rechtsgedanken statt in einer komplizierten und manchmal kaum noch von Juristen zu begreifenden Terminologie in einer lebendigen, jedermann verständlichen Gesetzessprache zu fassen. Zu den drängendsten parlamentarischen Aufgaben unserer Zeit gehört fraglos auch eine Reform des politischen Strafrechts. Wir haben hierzu einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, den mein Freund Dr. Gustav Heinemann begründen wird, so daß ich mir insoweit eigene Ausführungen ersparen kann. Meine Damen und Herren, die Aufgaben, die den Sonderausschuß „Strafrecht" und seine Mitglieder erwarten, sind langwierig, aber wohl auch lohnend und groß. Mit einer Unzahl von Problemen muß der Strafrechtsausschuß in den nächsten Jahren fertig werden. Viel wurde in den Beratungen des Ausschusses im vorigen Bundestag schon erreicht. Eine große Anzahl von Verbesserungen, die großenteils auch auf von uns gestellte Anträge zurückgehen, sind festzustellen, wie beispielsweise die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Strafaussetzung zur Bewährung, die Erhöhung der Tagessätze bei der Geldstrafe, die Einbeziehung der juristischen Personen in den Bereich der strafrechtlich Verantwortlichen, verschiedene Verbesserungen im Maßregelrecht, wie Vikariieren, Verhältnismäßigkeit und Einzelheiten der Sicherungsverwahrung, und schließlich auch die Privilegierung des Überzeugungstäters. Mit Sorge erfüllt uns aber, daß in den grundlegenden Fragen des Strafensystems, also hinsichtlich der sogenannten Einheitsstrafe und der kurzzeitigen Freiheitsstrafe keine Übereinstimmung erzielt werden konnte. Die dabei getroffenen Mehrheitsentscheidungen werden nach unserer Auffassung den modernen Aufgaben einer Strafrechtsreform nicht gerecht. Diese Beschlüsse können deshalb von uns nicht akzeptiert werden. Sie werden, wenn sie bestehenbleiben, das Gelingen der Gesamtreform in Frage stellen. Ein Strafgesetzbuch, das wie kein anderes Gesetz den Lebenskreis jedes einzelnen Bürgers berührt, ist ein denkbar ungeeignetes Objekt für knappe Mehrheitsbeschlüsse in grundsätzlichen Fragen. Diese Grundsatzfragen des Strafensystems bilden das Fundament der vorgesehenen Gesamtreform. Von ihrer Entscheidung hängt die Gestaltung der Einzelvorschriften des Besonderen Teils ab, aber auch genauso das noch zu schaffende Bundesstrafvollzugsgesetz, schließlich auch die Änderungen der Strafvorschriften in den rund 420 strafrechtlichen Nebengesetzen, die Reform der Strafprozeßordnung und die Formulierung von vielen weiteren Bestimmungen im Einführungsgesetz, im Strafregisterrecht, im Gnadenrecht und im Recht der Ordnungswidrigkeiten. Wenn es nicht gelingt, diese grundlegenden Entscheidungen so zu treffen, daß sie von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses anerkannt werden können, wenn diese Entscheidungen vielmehr unter dem Vorbehalt einer Nichtänderung der derzeitigen politischen Mehrheitsverhältnisse stehen, dann ist das Fundament der Strafrechtsreform brüchig, dann ist diese Reform auf Sand gebaut. Dies haben mit der Problematik näher vertraute Kollegen aus den anderen Fraktionen schon längst erkannt. Auch der Herr Bundesjustizminister hat heute vormittag auf diese Grundsatzprobleme in diesem Sinne hingewiesen. Wenn nicht die Gesamtreform in Frage gestellt werden soll, gilt es deshalb, in nächster Zukunft die gegensätzlichen Auffassungen durch sachgerechte Kompromißlösungen auszugleichen, so wie es beispielsweise jüngst in Österreich in den Kommissionsberatungen zur Strafrechtsreform gelungen ist. Wenn sich der Herr Bundesjustizminister heute vormittag an die Opposition gewendet und sie darum gebeten hat, zu tragbaren Lösungen zu kommen, dann richten wir das gleiche Angebot an die Koalitionsfraktionen. Dazu gehört - wie ein bekannter deutscher Strafrechtler kürzlich zu Recht gesagt hat -, daß auf überspitzte, für den politisch Andersdenkenden unannehmbare Forderungen verzichtet und um des Gelingens des Ganzen willen auch diese und jene liebgewordene Vorstellung, die eben doch nicht für große Teile des Volkes annehmbar ist, fallengelassen wird. Der unvergessene Gustav Radbruch hat in seinen Bemerkungen zum Entwurf des Strafgesetzbuches von 1922 in einem Schulenstreit zwischen Vertretern der Vergeltungsstrafe und der Zweckstrafe Worte geprägt, die bei unseren derzeitigen verschiedenen Auffassungen in diesen angesprochenen Grundsatzfragen ins Gedächtnis .gerufen werden sollten. Radbruch sagte: Heute ist dieser Schulenstreit beendet, nicht durch Sieg oder Niederlage, sondern durch Verständigung. Man ist sich darüber klargeworden, daß die praktischen Folgerungen weit näher aneinander liegen als ihre gedanklichen Ausgangspunkte. Man ist es unter dem Druck der Zeit müde geworden, sich noch länger durch theoretische Meinungsverschiedenheiten den Weg zu gemeinsamer praktischer Tat versperren zu lassen. Gesellschaftsschutz und Vergeltung, Besserung und Sicherung durch den Strafvollzug und Abschreckung durch die Strafdrohung verlangen in wohlausgewogenem Gleichgewicht gleichermaßen Einfluß auf ein Strafgesetzbuch, das nicht ein blutleeres Gedankenbild sein will, sondern lebendiger Ausdruck des Volksgeistes. So weit Gustav Radbruch, dessen Worte, wie ich wohl meine, wir uns alle zu Herzen nehmen sollten. Es ist möglich - wenn auch heute noch nicht ganz übersehbar -, daß im Rahmen der Ausschußberatungen gewisse in sich fertige und abgeschlossene Teilabschnitte gewissermaßen als reife Früchte der Beratungsarbeit anfallen. Zu denken ist dabei an das Geldstrafenrecht, die Ausscheidung der Übertretungen, die Angleichung des Nebenstrafrechts, ein neues Freiheitsstrafensystem einschließlich der Strafe der Einschließung und an den Abschnitt über die Maßregeln der Besserung und Sicherung. Nach unserer Meinung sollten wir alle den Mut haben, solche reifen Teilabschnitte vorweg im Plenum zu verabschieden, ohne die Gesamtreform abzuwarten. ({0}) Die Frage des Inkrafttretens dieser Teilabschnitte ist dabei nicht so wichtig. Darüber kann man von Fall zu Fall reden. Bei den Arbeiten an einem solchen großen Gesetzgebungswerk müssen manche technischen und organisatorischen Probleme beachtet werden. Nach unserer Meinung muß die wissenschaftliche und technische Vorbereitung und Durchführung der Ausschußsitzungen weiterhin durch qualifizierte Kräfte des parlamentarischen Hilfsdienstes, des Stenographischen Dienstes und durch sachverständige Experten gewährleistet sein. Auch wäre zu erwägen - worauf meine Freunde Dr. Gustav Heinemann und Fritz Sänger schon früher hingewiesen haben -, die Ausschußsitzungen öffentlich stattfinden zu lassen, damit ein ständiger Gedankenaustausch zwischen dem Ausschuß und der interessierten Öffentlichkeit möglich wird. Meine Damen und Herren, wir werden wie bisher im Geiste konstruktiver Mitarbeit an der großen Reform mitwirken. Dabei werden wir uns von den vorgetragenen Grundsätzen leiten lassen, die auf unserem Rechtspolitischen Kongreß in Heidelberg im März 1965 kurz zu folgenden Thesen zusammen-. gefaßt wurden. Zum Strafrecht: 1. Im Sinne seiner aufs Ganze bezogenen Sozialfunktion hat das Strafrecht die Auffassung aller Gruppen entsprechend dem Grundgesetz zu achten. 2. Das Strafrecht hat sich auf kriminelles Unrecht zu beschränken. Lediglich gemeinlästiges Verhalten bedarf keiner strafrechtlichen Ahndung. 3. Die gesellschaftliche Wiedereingliederung straffällig gewordener Bürger erfordert einen differenzierten Strafvollzug unter Fortfall des Unterschiedes zwischen Zuchthaus und Gefängnis. 4. Die kurzfristige Freiheitsstrafe hat grundsätzlich zu entfallen. Sie ist durch Maßnahmen, Maßregeln, Auflagen und ein System von Geldbußen und Geldstrafen und Wiedergutmachung zu ersetzen. 5. Die Reform des Staatsschutzrechtes ist vordringlich. Zum Strafvollzug: 1. Es ist beschleunigt ein Bundesstrafvollzugsgesetz zu schaffen. 2. Es ist vordringliche Aufgabe der Länder, unverzüglich an die Reform des Strafvollzuges ohne Rücksicht auf den Stand der Strafrechtsreform heranzugehen. Entscheidende Reformmaßnahmen sind ohne vorheriges Gesetz möglich. 3. Die Ausbildung der Strafvollzugsbediensteten ist zu verbessern. Ihre Zahl ist zu erhöhen. 4. Die Errichtung einer ausreichenden Zahl von modernen Strafvollzugsanstalten ist ohne Zögern von den Ländern in Angriff zu nehmen. 5. Innerhalb der Strafrechtspflege muß der Strafvollzug neben Gerichten und Staatsanwaltschaft Selbständigkeit erlangen. Die angeführten mannigfaltigen Probleme haben gezeigt, daß die Bewältigung der Gesamtreform den Gesetzgeber im besonderen Maße dazu zwingt, sich zu bescheiden. Wir sind der festen Überzeugung, daß wir nur dann zum Ziel kommen, wenn wir das Toleranzgebot beachten und die Grenzen des Staates in unserer so vielfältigen Gesellschafft wahren. Sinn des Strafrechtes kann, es nämlich nicht sein, einen Sittenkodex zu schaffen und bestimmte - ganz gleich wie geartete - Weltanschauungen oder Dogmen unter strafrechtlichen Schutz zu stellen. Die Aufgabe des Strafrechtes besteht vielmehr ausschließlich darin, das äußere Zusammenleben in unserer Gemeinschaft zu gewährleisten: elementare Rechtsgüter der Gemeinschaft und des einzelnen wirksam zu schützen und strafwürdiges Unrecht zu ahnden. Unser Ziel muß sein, ein gerechtes, soziales, wirksames, tolerantes, zeitgemäßes und auf das unbedingt Notwendige beschränktes Strafrecht zu schaffen. Wenn wir alle diese Grundsätze beachten, dann werden die Arbeiten an der Strafrechtsreform sicher sehr schnell vorangehen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, ich habe jetzt noch einen Redner auf der Liste. Ich frage mich, ob damit die Diskussion abgeschlossen werden soll. Herr Kollege Heinemann, ich habe eben gehört, daß Sie noch sprechen wollen. Sie haben sich aber noch nicht gemeldet. ({0}) ist noch nicht aufgerufen!) - Ist noch nicht aufgerufen! Also, bei 4 a) habe ich jetzt noch einen Redner. Damit könnte 4 a) abgeschlossen werden? ({1}) abgeschlossen werden und mit 4 b) begonnen werden!) Präsident D. Dr. Gerstenmaier Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlee. - Danach fangen wir mit dem Tagesordnungspunkt 4 b) an.

Albrecht Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001978, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neue Kodifizierung des Strafrechts ist in der Vergangenheit immer eine säkulare Aufgabe gewesen. Das geltende Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich trägt das Datum des 15. Mai 1871. Es war jedoch bereits am 1. Januar 1871 für den Norddeutschen Bund in Kraft getreten. Mit der Fassung vom 15. Mai 1871 wurde es nach der Gründung des Reichs als Reichsgesetz verkündet und vom 1. Januar 1872 an auch für die süddeutschen Staaten in Kraft gesetzt. Freilich hat es in diesen Jahrzehnten manche Änderungen, Ergänzungen und Modernisierungen erfahren. Aber in seinen Grundzügen gilt es nun doch seit 94 bzw. 95 Jahren, und das ist in der europäischen Strafgesetzgebung nichts ganz Außergewöhnliches. Dieses Strafgesetzbuch von 1871 war nicht das erste deutsche Reichsgesetz für das Strafrecht. Um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert war zunächst die partikuläre Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts sehr fruchtbar gewesen. Es gab ein Strafrecht oder eine Halsgerichtsordnung für Worms von 1498, für Tirol von 1499 und für Radolfzell von 1506. Als bestes Werk jener Zeit gilt noch heute die Halsgerichtsordnung für das Hochstift Bamberg von 1507, die der fränkische Ritter Johann von Schwarzenberg verfaßte. Dies war das Vorbild für das erste deutsche Reichsgesetz des Strafrechts, nämlich für die Peinliche Gerichtsordnung des Kaisers Karl des Fünften von 1532. Auch diesem Gesetz waren in den Jahren von 1521 bis 1530 vier Entwürfe vorhergegangen, ein Wormser Entwurf von 1521, ein Nürnberger Entwurf von 1524, ein Speyerer Entwurf von 1529 und ein Augsburger Entwurf von 1530. Wir sehen, daß man schon damals in ganz moderner Weise mit Entwürfen und wohl auch mit sachverständigen Gelehrten und mit Ministerialbürokratie arbeitete, erstaunlicherweise aber schneller als heutzutage. Wie es dann der Lockerung des Reichsgefüges und dem Übergang der Strafrechtspflege in die Gewalt der Reichsglieder entsprach, vollzog sich die Einführung der Aufklärung in das Strafrecht in der Gesetzgebung der Länder. Im Jahre 1813 schuf Anselm von Feuerbach das für die damalige Zeit moderne Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern. Preußen kodifizierte 1851 ein neues Strafrecht. Bayern glich im Jahre 1861 sein Strafrecht dem preußischen Recht an. Sachsen tat ähnliches noch im Jahre 1868. Die Rechtseinheit war also auf dem Gebiete des Strafrechts schon weitgehend hergestellt, als in jenen Jahren auch die politische Einheit zustande kam, und darum verwundert es uns nicht, daß der Entwurf für den Norddeutschen Bund, mit dem Bismarck im Juni 1868 den preußischen Justizminister Leonhardt beauftragte, bereits im Februar 1870 dem Norddeutschen Reichstag vorgelegt werden konnte. Die erste Lesung fand am 22. Februar 1870 statt; die zweite folgte bereits am 28. Februar; die dritte begann am 21. Mai und endete am 25. Mai 1870 mit der Verabschiedung des Gesetzes. Es ist eine heute keineswegs aktuelle, aber immerhin vielleicht interessante Reminiszenz, daß die zweite Lesung des Gesetzes damals zu einer heftigen Debatte über die Todesstrafe führte, weil Preußen diese Strafe noch hatte, Oldenburg und Sachsen dagegen sie damals bereits abgeschafft hatten. Schon etwa ein Jahrzehnt später begannen dann die Bestrebungen zur Reform des Strafgesetzbuches. Die Reichskriminalstatistik von 1882 machte ersichtlich, daß die Kriminalität besonders unter den Jugendlichen und unter den Vorbestraften angestiegen war. So wurde der Ruf nach einer zielbewußten Kriminalpolitik laut. Aber vor allem boten Naturwissenschaften, Soziologie und Kriminalbiologie neue Erkenntnisse und Anregungen an, die von der Strafrechtslehre aufgenommen wurden. Führender Kopf der Reform wurde der heute schon genannte Franz von Liszt, zuletzt Professor des Strafrechts in Berlin. Er hob den spezialpräventiven Zweck der Strafe hervor, d. h. die Bekämpfung des Verbrechens durch Einwirkung auf den Verbrecher. Das alte Strafrecht kannte nur Tat und Strafe. Jetzt kamen neue Vorschläge hervor: verminderte Strafe für verminderte Zurechnungsfähigkeit, bedingte Strafaussetzung, Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafe durch Geldstrafe, Einrichtung von Anstalten für unzurechnungsfähige und für gefährliche Täter. Diese Maßnahmen sind inzwischen zum festen Bestandteil unserer Strafrechtspflege geworden. Wir bezeichnen deshalb unser Strafrecht heute als zweispurig, weil es für die Tat nicht nur die Strafe, sondern auch die Maßregeln der Sicherung und Besserung oder - nach dem Entwurf - der Besserung und Sicherung vorsieht. Der Entwurf versucht, das, was im Laufe der Zeit in das alte Recht eingeflickt und eingeschoben wurde, systematisch einzuordnen, zu ergänzen und zu verbessern, und wir sind gern bereit, an einer weiteren Verbesserung dieser Maßnahmen der Besserung und Sicherung zusammen mit Ihnen, meine Herren von der Opposition, mitzuarbeiten. Aber Grundlage und Voraussetzung bleibt in jedem Falle auch weiterhin die rechtswidrige und tatbestandsmäßige Tat, wie das in rechtsstaatlicher Strafrechtspflege auch vorerst nicht anders sein kann. Meine Damen und Herren, ich möchte meinen, das Strafrecht ist das ernsteste Rechtsgebiet überhaupt; denn hier wird der Mensch mit seinem Körper, mit seiner Freiheit zum „Objekt" eines staatlichen Eingriffs, der dazu dient, Rechte und Interessen anderer, Interessen des Staates und der Gesellschaft zu wahren und aufrechtzuerhalten. Darum erhebt sich hier immer von neuem die Frage, wie dieser Eingriff beschaffen sein muß, wie er beschaffen sein darf, damit er dem Stande der Gesellschaft und der Verantwortlichkeit und der Würde des „Objekts", d. h. eben des Menschen, gerecht wird. Das Strafrecht ist deshalb diejenige juristische Disziplin, in der sich der Jurist am wenigsten abkaspeln darf gegen andere Wissenschaften, die zu dieser Frage auch etwas zu sagen haben. Das gleiche gilt für die Arbeit des Gesetzgebers, und bei der Entwicklung, die die Wissenschaften - die Naturwissenschaft, die Kri570 minalbiologie, die Soziologie, die Psychiatrie - in den letzten Jahrzehnten genommen haben, kann es uns deshalb nicht wundernehmen, daß die Reform der Strafgesetzgebung allenthalben in der Welt im Gange ist. Auch nach dem Strafrecht des Entwurfs soll es für die Strafbarkeit der Tat in Zukunft drei Voraussetzungen geben: die Tat muß rechtswidrig, tatbestandsmäßig und, wenn sie bestraft werden soll, auch zurechenbar, d. h. schuldhaft, sein. Die Bedeutung des gesetzlichen Tatbestands für die Qualifizierung des Strafrechts als Recht im objektiven Sinne ist nicht immer und überall erkannt und gewürdigt worden. Es ist eben nicht Sache des Richters, das zu strafen, was e r für strafwürdig hält oder wofür eine mehr oder weniger große Allgemeinheit Strafe verlangt. Schon das Reichsgesetz von 1871 enthielt am Anfang den Satz, daß eine Tat nur dann bestraft werden darf, wenn die Strafe schon vor der Tat gesetzlich bestimmt war. Strafrecht ist daher im Rechtsstaat so gut wie, ausschließlich Gesetzesrecht. Dem Gesetzgeber ist es vorbehalten zu bestimmen, was strafbar sein soll. Er scheidet den Raum freien Handelns von dem Verbotenen, das er mit Strafe bedroht, und er tut das, indem er mit allgemeinen Merkmalen typenweise die Handlungen beschreibt, die strafbar sein sollen. Der Richter hat in seinem Urteil zu erkennen, ob der Sachverhalt der einzelnen konkreten Tat die Merkmale eines gesetzlichen Tatbestands erfüllt. Findet er diese Übereinstimmung nicht, so muß er den Angeklagten freisprechen, mag das, was geschehen ist, ihm oder der Öffentlichkeit noch so strafwürdig scheinen. Meine Damen und Herren, ein solches Strafrecht muß zwangsläufig lückenhaft sein. In den sich wandelnden Verhältnissen von Staat und Gesellschaft werden nicht nur immer wieder manche Tatbestände veralten, es werden sich auch immer wieder neue Handlungen zeigen, die Strafe verdienen, die Strafe verlangen, die aber noch nicht mit Strafe bedroht sind, weil in der Vergangenheit dieses Bedürfnis nicht hervorgetreten war. Aber diese Bindung des Richters an das Strafgesetz, das aus Tatbestand und Strafdrohung besteht, ist die unabdingbare Grundlage rechtsstaatlicher Strafjustiz. Im „Dritten Reich" gab es die Analogie, wo der Richter ermächtigt sein sollte, in nur analoger Anwendung eines Tatbestandes zu Strafe zu verurteilen. Diese Analogie war in der deutschen Justiz ein Fremdkörper, und sie hat wohl auch keine Bedeutung erlangt. Aber die Gerichte fanden nicht immer Verständnis dafür, daß Rückkehr zur rechtsstaatlichen Strafjustiz vor allem wieder unbedingte Bindung der Rechtsprechung an den gesetzlichen Tatbestand bedeutete. Nach Abschnitten und Titeln geordnet, bildet darum der Katalog der strafbaren Tatbestände auch den Besonderen Teil unseres neuen Entwurfs. Wir sind im Gegensatz zu Ihnen der Meinung, daß der Entwurf als Ergebnis der Kommissionsarbeit eine gute Grundlage ist; denn er ist von einer Kommission erarbeitet worden, die aus führenden Köpfen unserer Rechtsprechung, unserer Strafrechtslehre und Referenten der Ministerien besteht. Der Strafrechtsausschuß wird sich nun der Aufgabe unterziehen müssen, diesen Katalog für die zweite Lesung dem Hohen Hause tunlichst so vollständig vorzulegen, daß er der Ordnung und den Strafbedürfnissen unserer Gesellschaft auf möglichst lange Zeit gerecht wird. Aber ein weiser Gesetzgeber wird sich gerade in der Strafgesetzgebung seiner Grenzen bewußt bleiben. Er wird nicht willkürlich Tatbestände schaffen, sondern nur solche Handlungen verbieten, die echte Rechtsgüter verletzen oder gefährden, und er wird in jedem Falle die Strafnotwendigkeit dreimal prüfen, ehe er sich dazu entschließt, sie anzuordnen. Dabei gibt es freilich Strafrecht, das wir als „statisch" bezeichnen können. Z. B. Angriffe auf das Leben, auf Leib und Ehre der Person, Diebstahl und Betrug, Notzucht sind seit eh und je für Unrecht gehalten worden und deshalb strafbar gewesen. Aber es gibt auch Gebiete der Strafgesetzgebung, wo die Berechtigung der Strafbarkeit oder doch die Grenze zwischen dem zu Erlaubenden und dem zu Verbietenden umstritten ist. Ich meine hier z. B. den Schutz der staatlichen Einrichtungen oder der Staatsgeheimnisse, manche Bereiche des Ehrenschutzes oder manche Bereiche der Sittlichkeit. Hier wird der positive Wille des Gesetzgebers als Grundlage des Gesetzes weit schärfer hervortreten. Hier vor allem werden ihm neben Lehre und Rechtsprechung auch andere Wissenschaften zur Hand zu gehen haben - Moraltheologie, Philosophie, Medizin, Psychiatrie, Soziologie, Kriminologie -, wenn er sich zwischen dem zu Verbietenden und dem zu Duldenden zu entscheiden hat. Nicht alles, meine Damen und Herren, was in dem Entwurf enthalten ist oder nicht enthalten ist, wird allgemeinen Beifall finden. Ich glaube, wie ich es schon angedeutet habe, der Gesetzgeber wird auch unter genauer Prüfung des Notwendigen den Mut zur Lückenhaftigkeit beweisen müssen. Was im einzelnen als problematisch hier auftauchen wird, ist ja bekannt und heute wiederholt genannt worden. Es wäre falsch, sich in einer ersten Lesung bereits nach der einen oder anderen Richtung festzulegen und die Entscheidungen, die erst auf Grund der Beratungen des Ausschusses getroffen werden sollen, vorwegzunehmen. Aber es wäre vielleicht gut - und solche Anregungen sind auch bei mir laut geworden -, wenn sich das Plenum dieses Hauses nach einiger Zeit nach einer gewissen Klärung einmal in einer Wiederholung dieser ersten Lesung, möchte ich sagen, über das klar würde, was es in den besonderen Gebieten des Sittenschutzes wie auch des Politischen aufnehmen will oder nicht. Ich meine, daß es nicht Aufgabe des Hohen Hauses sein wird, in der zweiten oder dritten Lesung den ganzen Komplex dieses Gesetzes einzeln durchzusprechen. Das ist eine Sache, die weitgehend den Sachverständigen der Kommission und dem Ausschuß zu überlassen war. Aber es gibt Gebiete und Entscheidungen, in denen dieses Hohe Haus sein Wort sprechen will und zu sprechen hat. Dazu sollten wir uns auch frühzeitig entschließen. Meine Damen und Herren, der Besondere Teil des Entwurfs unterscheidet sich allerdings zweifach in bemerkenswerter Weise von dem Besonderen Teil des geltenden Strafrechts. Erstens. Es ist heute bereits erwähnt worden, daß der Entwurf keine Übertretungen mehr enthält. Er kennt nur noch Verbrechen und Vergehen. Er entspricht damit einem alten Wunsche der Strafrechtslehre, indem er versucht, kriminelles und polizeiliches Unrecht zu scheiden. Das Strafgesetz soll sich nur noch mit dem kriminellen Unrecht befassen. Das polizeiliche Unrecht - meinetwegen auch das sogenannte Verwaltungsdelikt - soll einer besonderen Gesetzgebung überlassen werden. Aber ich glaube nicht, Herr Kollege MüllerEmmert, daß wir Ihnen zustimmen werden, wenn Sie meinen, wir sollten die Scheidung zwischen Verbrechen und Vergehen aus dem Gesetz entfernen. Es ist sicher nicht so, daß der Gesetzgeber immer nur nach dem horchen soll, was die Allgemeinheit will. Aber gerade auf dem Gebiete des Rechts und des Strafrechts soll er sich von den gesunden Anschauungen des Volkes nicht zu weit entfernen. Denn das, was er beschließt, muß sich ja auch im Volke verankern. Wenn wir hinaushorchen auf das, was das Volk denkt, stellen wir fest, daß die ganz überwiegende Mehrheit unseres Volkes heute noch verlangt, daß die schweren Verbrechen als solche hervorgehoben und auch strenger bestraft werden als andere. Zweitens. Neckischerweise ist der Meineid dahin gerutscht, wo früher die Übertretungen standen. Voran stehen jetzt die Angriffe gegen Leib und Leben der Person, gegen die Sittenordnung und gegen das Vermögen. Angriffe gegen die öffentliche Ordnung nehmen den Vierten Abschnitt ein, während der Staat und seine Einrichtungen sich mit dem Fünften und vorletzten Abschnitt begnügen müssen. Ob diese Einordnung bei der zunehmenden Verdichtung unserer Gesellschaft und bei der bleibenden Bedeutung des Staates für das allgemeine Wohl richtig ist, ob sie nicht vielmehr ein Relikt aus dem Schock des Jahres 1945 darstellt, sollte wohl noch einmal geprüft werden. Unser Strafrecht soll also auch in Zukunft darin bestehen, daß die Tat vor allem durch die nach Tat und Schuld des Täters bemessene Strafe geahndet wird. Im Vordergrund soll nach ,dem Entwurf weiterhin die Freiheitsstrafe stehen, je nach der Tat als Zuchthaus, Gefängnis oder Strafhaft. Ich bin auch der Meinung, daß man die kurzzeitige Freiheitsstrafe tunlichst durch eine Geldstrafe ersetzen soll. Ich glaube, man kann darüber reden, ob die Grenzen, die jetzt im Entwurf vorgesehen sind, nicht erweitert werden können. Aber einen völligen Verzicht auf die kurzzeitige Freiheitsstrafe könnte ich so von heute an nicht gutheißen, weil die Erfahrung doch immer wieder gezeigt hat, daß es Fälle gibt, in denen man auf diese kurzzeitige Strafe nicht verzichten kann und wo sie auch ihre heilsame, abschreckende Wirkung ausübt. Aber, meine Damen und Herren, über den Zweck der Strafe gibt es viele Meinungen. Jede kann ihre Gründe in Anspruch nehmen. Ich möchte jedoch meinen, daß noch immer die Abschreckung anderer den ersten, eigentlichen Zweck der Strafe an sich bildet. Wenn das Gesetz eine Tat mit Strafe bedroht und die Tat dennoch begangen wird, so ergibt sich natürlich die Möglichkeit, durch die Strafe und deren Vollstreckung hemmend, erziehend, bessernd auf den Täter einzuwirken. Ja, ich bin hier auch Ihrer Meinung, Herr Kollege Müller-Emmert, daß der Staat sogar die Pflicht hat, den Strafvollzug so zu gestalten, daß der Täter nicht, wie Herr Kollege Güde es heute morgen äußerte, schlechter aus dem Strafvollzug kommt, als er hineinkommt. Es ist die Verpflichtung, das beste für die Resozialisierung des Täters herauszuholen. Am wichtigsten scheint mir immer der Augenblick zu sein, in dem sich für den Verurteilten nach der Verbüßung der Strafe die Türen des Gefängnisses hinter ihm schließen und er mit dem Entlassungsschein in der Hand vor der Frage steht: Was fange ich nun an? Bisher haben sich meist freiwillige, karitative Einrichtungen dieser Frage angenommen. Auch das ist, meine ich, ein Problem, das in der Strafrechtspflege in Zukunft in besonderem Maße eine Rolle spielt. Aber die Tat selbst wird eben durch die Strafe nicht ungeschehen. Ich möchte es aber als das Ziel der Strafdrohung ansehen, die mit Strafe bedrohte Tat von vornherein zu unterbinden. Darum möchte ich es als den Zweck der Strafe formulieren, daß an dem Täter ein Exempel statuiert wird, das die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zieht und allen zeigt, daß es mit der Strafdrohung ernst gemeint ist. Damit aber entsteht immer die Frage, ob dieser Mensch, der als Täter vor Gericht steht, dazu geeignet ist, daß man das Exempel an ihm statuiert. Welche geistig-sittlichen Beziehungen muß er zu seiner Tat haben, damit man das tun darf? Nach unserem geltenden Recht genügt es nicht, daß er die Umstände seiner Tat gekannt und somit vorsätzlich gehandelt hat oder daß er zur gebotenen Sorgfalt verpflichtet und imstande war und somit, wenn er sie nicht beobachtet hat, fahrlässig gehandelt hat. Über diese gewissermaßen natürlichen Voraussetzungen hinaus muß er, vor allein der vorsätzliche Täter, auch die Fähigkeit besessen haben, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Über die Vorstufe des Jugendgerichtsgesetzes von 1923 kam diese Fassung erst spät in unser Strafrecht. Das Strafgesetz von 1871 verlangte nur die freie Willensbestimmung. Wer in seiner Willensbestimmung nicht gestört war, war für sein Handeln verantwortlich. Bekannt ist der volkstümliche Satz, daß Unkenntnis des Gesetzes nicht vor Strafe schütze. Aber so barbarisch war wohl auch jenes Strafrecht nicht mehr. Es war wohl so, daß der Gesetzgeber von 1871 davon ausging, daß die Tatbestände seines Strafgesetzes in den sozialen Anschauungen des Volkes verankert waren. Daß man nicht töten, nicht stehlen, keinen Meineid schwören und kein falsches Geld herstellen durfte, das wußte grundsätzlich jeder, der in Deutschland aufgewachsen war. Jedenfalls ist aber nach unserer heutigen Überzeugung nur derjenige Täter zum Exempel der Strafe geeignet, der nicht nur die logische, sondern auch die kritische Vernunft besitzt, der also nicht nur die Kausalität seines Handels überblickt, sondern auch Böses von Gutem unterscheiden kann. Nach dem Entwurf soll es nun nicht mehr auf die Einsicht in das Unerlaubte, sondern auf die Einsicht in das Unrecht der Tat ankommen. Das könnte nur eine Wortklauberei sein; es kann aber auch etwas bedeutend Anderes oder Besseres sein. Der Ausschuß wird genau prüfen müssen, was er für diese zentrale Stelle unseres Strafrechts dem Hohen Hause vorschlagen wird. Beides klingt zunächst etwas mystisch. Es verlangt aber jedenfalls für unsere Arbeit und für unser Werk nach meiner Meinung dreierlei: Erstens. Es sollte uns gelingen, ein Strafgesetzbuch zu schaffen, das umfassend und modern genug angelegt ist, um auf lange Zeit als geschlossenes Werk ohne Änderungen bestehen zu können, und das daher mit seinen Tatbeständen in das Bewußtsein der Allgemeinheit eindringen kann. Zweitens. Aus dem gleichen Grunde müssen wir uns an unsere Grenzen halten und ein Strafgesetzbuch schaffen, dessen Tatbestände im Einklang stehen mit den Rechtsanschauungen und mit den sozialen Anschauungen des Volkes oder die auch von den Rechtsanschauungen des Volkes aufgenommen werden. Drittens. Wir sollten endlich danach streben, unsere Tatbestände möglichst klar und einfach zu fassen, so daß sie jeder verstehen kann. Wir sollten, soweit das irgend angängig ist, vermeiden, sogenannte normative Elemente in den Tatbeständen zu verwenden. Normative Elemente sind solche, die erst einer Beurteilung bedürfen, wenn man sie verstehen soll. Um einige einfache zu nennen: Was ist z. B. eine Urkunde? Was ist ein Beamter? Wir wissen sehr wohl, daß man vom Täter nicht verlangt, daß er vorher eine juristische Beurteilung seiner Tat vornimmt. Der Täter wird dem Richter, dem Juristen nicht gleichgestellt. Aber die Tatbestände sollten doch so gefaßt sein, daß der normale Täter Unrecht von Recht unterscheiden kann. Denn wie kann man das von ihm verlangen, wenn die Gerichte erst in Instanzen feststellen, ob nun eigentlich Unrecht geschehen ist? Damit, meine Damen und Herren, sind wir da angelangt, wo die Berechtigung unserer Strafgesetzgebung am meisten in Zweifel gezogen wird. Ein Strafgesetz, das aus Tatbestand und Strafdrohung besteht und für die Bestrafung die Fähigkeit des Täters verlangt, nach seiner Einsicht in das Unerlaubte oder in das Unrecht zu handeln, ein solches Strafgesetz setzt eben doch voraus, daß der Mensch durch Strafdrohungen entscheidend motivierbar ist und daß er sein Handeln auch nach seiner Einsicht bestimmen kann. Wir fassen einen Entschluß, indem in uns lustbetonte und unlustbetonte, hemmende und antreibende Vorstellungen einander gegenübertreten, bis diese oder jene das Übergewicht erhalten. Und manchmal überwältigen uns auch die antreibenden Vorstellungen und die hemmenden und überlegenden kommen nicht zum Zuge. Wem es nun bisher gelungen ist, sein Leben zielbewußt und gesetzmäßig zu führen, der wird geneigt sein, anzunehmen, daß der Mensch dieses Spiel in überlegender Selbstbestimmung zu entscheiden vermag. Aber vielleicht machen wir dabei schon den Fehler, daß wir Entschlüsse und Handlungen, die sich in der sozialen und gesetzlichen Ordnung vollziehen, gleichstellen mit solchen, die aus dieser Ordnung heraustreten, die also, von der sozialen Ordnung aus beurteilt, anomal sind. Vielleicht ist es in der Tat eine psychische Anomalie, wenn in diesem Denken, in diesem Entschluß und in diesem Vorgang des Entschlusses nicht die Werte, die die Gesellschaft achtet, sondern die Unwerte die Oberhand gewinnen. Jedenfalls gibt es auch die Meinung, daß der straffällige Mensch nicht Herr, sondern Opfer seines Entschlusses ist und daß sich in seinem Denken eine Kausalität vollzogen hat, für deren Ergebnis er jedenfalls nicht mit Strafe verantwortlich gemacht werden kann. Hier wird die Tat zum Symptom für die soziale Anomalität des Täters, und die öffentliche Gewalt hätte hier nicht mit der Strafe zu reagieren, sondern mit der Behandlung des Täters, die sich wiederum nicht nach der Tat, sondern nach der Behandlungsbedürftigkeit des Täters und nach dem Schutz der Gesellschaft zu richten hätte, die sich aber ohne den Makel der Strafe zu vollziehen hätte. Auf der Universität haben wir gelernt, daß der Bestand unseres Strafrechts vom Streit um Determinismus und Indeterminismus des Menschen nicht berührt wird. Strafrechtliche Schuld sei nicht Gewissensschuld, sondern Zurechnung einer Tat zu der nach der Erfahrung gegebenen Persönlichkeit; sie werde daher nicht berührt von der Frage, ob der Mensch im allgemeinen frei zu handeln imstande oder ob auch sein Handeln dem ehernen Zwang des Naturgesetzes unterworfen sei. Auf dieser Anschauung ruht auch der Entwurf, und ich distanziere mich davon nicht. Wer aber die zunehmende Bedeutung der medizinischen und psychiatrischen Sachverständigen in den Kriminalprozessen aus Erfahrung kennt, wer die Verbindung der Tat mit den sozialen Verhältnissen des Täters immer wieder beobachtet, der wird diese Theorie von der défense sociale jedenfalls nicht so ohne weiteres vom Tisch wischen. Ich weiß auch nicht, ob in den Ergebnissen der Kriminalstatistik, die Herr Kollege Güde heute morgen bekanntgegeben hat, nicht ein gewisser Hinweis auf die Berechtigung dieser Theorie enthalten sein könnte. Aber jedenfalls ist sie heute nicht die Grundlage unserer Anschauung. Man wird - dazu ist der Jurist, der aufgeschlossen sein soll, verpflichtet - auch insoweit die Wissenschaft mit Aufmerksamkeit verfolgen. Aber wie gesagt, dies ist heute nicht die Grundlage unseres Strafgesetzbuches. Wir stehen heute, wie in dieser Debatte eindeutig zum Ausdruck kommt, immer noch in der Überzeugung, daß es den gesunden Menschen gibt, der für sein vorsätzliches und fahrlässiges Handeln mit der Strafe zur Verantwortung gezogen werden kann. Herr Kollege Müller-Emmert, Sie haben den Entwurf als nicht zukunftweisend bezeichnet. Das ist ein relativer Begriff. Vielleicht ist er als nicht zukunftweisend in Ihrem Sinne zu bezeichnen. Aber er ist doch immerhin das Ergebnis der Arbeit einer Kommission, die, wie ich schon gesagt habe, aus den besten Kräften unserer heutigen Strafrechtslehre, Strafrechtspraxis und der Rechtsprechung in Strafsachen zusammengesetzt war. Sie sagen, die Schuld, die dieser Strafrechtsentwurf zugrunde lege, sei geprägt von sittlichen Anschauungen, die nicht mehr zugrunde gelegt werden dürften; Schuld sei der Verstoß gegen die allgemeine Rechtsordnung, die bei uns gilt. Das ist richtig. Aber eben diese Rechtsordnung und damit auch der Begriff der Schuld, der für uns maßgebend sein sollte, wird doch wieder getragen von dem, was unser Volk in seiner überwiegenden Mehrheit für Recht und Unrecht, für richtig und falsch hält, auch in der Strafrechtspflege. Ich glaube daher, daß der Entwurf diesem Rechtsempfinden, wie es in unserem Volke ganz überwiegend lebendig ist und wie es hier herrscht, in der richtigen Weise Rechnung getragen hat. Darum meine ich, wir sollten jetzt aus dem Material dieses. Entwurfs einen neuen Guß unseres Strafrechts herstellen und sollten es der Zukunft überlassen, ob dieser neue Guß gegenüber künftigen Reformbestrebungen Bestand hat oder ob sich auf Grund der Fortentwicklung unserer Wissenschaften der Gesetzgeber vielleicht schon in zwei oder drei Jahrzehnten zu einer neuen Reform entschließen wird. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Weitere Wortmeldungen zu Punkt 4 a der Tagesordnung liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache hierzu abgeschlossen. Es ist vorgeschlagen, den Entwurf Drucksache V/32 an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es is so beschlossen. Wir kommen zu Punkt 4 b der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD auf Drucksache V/102 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches. Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Heinemann.

Dr. Dr. Gustav W. Heinemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000848, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Gesetzentwurf Drucksache V/102 zielt auf eine Reform des politischen Strafrechts ab. Dieses politische Strafrecht ist sehr jungen Datums, nämlich von 1951. Selten hat aber eine Materie so schnell ein so intensives und allgemeines Unbehagen ausgelöst wie dieses politische Strafrecht von 1951. Dieses Unbehagen rührt nicht daher, daß es überhaupt einen strafrechtlichen Staats- und Freiheitsschutz gibt. Der ist in gutem Rahmen notwendig und wird jederzeit auch unsere positive Mitarbeit finden. Das Unbehagen an dem Strafrecht, so wie es 1951 formuliert worden ist, liegt begründet in den Übertreibungen, in den ungenauen Formulierungen und auch in der Handhabung. Man hat darüber gestritten, ob der Gesetzgeber oder die Justiz mehr schuldig sei an dem Unbehagen, das wir alle bei dieser Materie empfinden. Nun, ich bin der Meinung, daß überwiegend wohl der Gesetzgeber derjenige ist, der hier, wenn es um Verantwortung gehen soll, anzusprechen wäre. Unbestreitbar ist doch z. B. die Übertreibung des § 94, die als zu Lasten des Gesetzgebers gehend angesehen werden muß. Durch diesen § 94 werden die Strafrahmen einer Vielzahl von allgemeinen Delikten einfach erhöht, wenn diese Delikte aus verfassungsfeindlicher Absicht begangen worden sind. Infolgedessen rechnen zu den mit Zuchthaus bedrohten Verbrechen nun auch leichte Körperverletzungen oder eine Sachbeschädigung wie etwa unerlaubtes Plakatieren, wenn eine verfassungsfeindliche Absicht darin zum Ausdruck kommt. Das hat zur Folge, daß auch wegen Geringfügigkeit nicht eingestellt werden kann und daß die Voraussetzungen für den Haftbefehl erleichtert sind. Unbestreitbar kommt die Übertreibung des § 100 d Abs. 2 zu Lasten des Gesetzgebers. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung, verehrte Damen und Herren, kann jeder Angehörige der SED oder einer anderen politischen Organisation in der DDR schon wegen seiner Mitgliedschaft strafbar werden, wenn er hier in der Bundesrepublik auftaucht; er braucht sich hier überhaupt nicht zu betätigen. Mit anderen Worten, jeder Rentner, der hier auf Besuch kommt, aber drüben Mitglied der SED ist, wäre nach dem Wortlaut des § 100 d Abs. 2 strafbar, wenn hier nicht die Justiz, nämlich der Bundesgerichtshof, schon korrigierend eingegriffen hätte, indem er gegen den Wortlaut des Gesetzes gesagt hat, daß das doch eigentlich wohl nicht gewollt sein konnte. Zu Lasten des Gesetzgebers geht auch der § 93, in dem von den staatsgefährdenden Schriften die Rede ist. Er kollidiert weithin mit der Informationsfreiheit, also mit einem Grundrecht. Wir erinnern uns daran, daß der einmal diskutierte Zeitungsaustausch sich in den Maschen dieses § 93 verfing und daß Dokumentationen auf strafrechtliche Schwierigkeiten stoßen. Als der amtierende verehrte Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier den 4. Bundestag 1961 eröffnete, erinnerte er daran, daß zur gleichen Zeit ein Parteitag der russischen Kommunistischen Partei im Kreml tagte, und er meinte, wir sollten doch beobachten und zur Kenntnis nehmen, was auf jenem Parteitag in Moskau herauskommen würde; er empfahl das Studium dessen, was dort produziert würde. Nun, verehrte Damen und Herren, als ein Düsseldorfer Verlag alsbald darauf das neue sowjetisch-kommunistische Parteiprogramm und die offiziellen Reden Chruschtschows, die auf diesem Parteitag gehalten worden waren, in Drucksache zur Verfügung stellte, verfing sich dieser Verlag in den Maschen des § 93, er kriegte ein Strafverfahren an den Hals, Haussuchungen fanden statt. Hier muß also doch offenbar sauberer abgegrenzt werden. Zu Lasten des Gesetzgebers geht auch der § 92, in dem von dem verfassungsfeindlichen Nachrichtendienst die Rede ist. Die hier in Bonn von Korrespondenten offen ausgeübte journalistische Tätigkeit für Zeitungen im Osten, sei es Ost-Berlin, sei es Warschau, sei es Moskau, kann mit dem § 92 als verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst attackiert werden. Nun, es ist klar, welchen Gegenmaßnahmen wir uns damit aussetzen würden. Zu Lasten des Gesetzgebers gingen auch die Übertreibungen in § 90 a und in § 129, die das Bundesverfassungsgericht mittlerweile korrigieren mußte. Nach § 90 a Abs. 3 war es so, daß ein früheres Mitglied der Kommunistischen Partei für eine normale Betätigung in dieser Partei, die bis zum Verbot stattgefunden hatte, nach dem Verbot, also rückwirkend bestraft werden konnte. Das hat das Bundesverfassungsgericht im März 1961 für unzulässig erklärt. Oder: Der § 129, der in neuer Fassung 1951 ins Gesetz kam, will die kriminellen Untergrundorganisationen treffen, die altberühmten oder -berüchtigten Berliner Ringvereine „Immertreu" und wie sie alle so schön hießen. Aber nach dem Wortlaut des § 129 ist auch die gesamte Mitgliedschaft der ehemaligen KPD strafbar, auch ohne kriminelle Betätigung des einzelnen, nur weil man der Organisation, also der Partei, irgendwelche strafbaren Handlungen wie z. B. politische Beleidigungen anlasten konnte. Das Bundesverfassungsgericht hat im Oktober 1963 daraufhin entschieden, daß politische Parteien nicht unter den § 129 gerechnet werden dürfen. Das sind einige Beispiele dafür, daß der Gesetzgeber 1951 eine schlechte Grundlage schuf. Aber nun hat natürlich auch die Justiz noch manches Unvernünftige hinzugefügt, immerhin allerdings auf der Grundlage des Gesetzes. Was ist nicht alles als Ersatzorganisation der KPD angesprochen worden! In einer Anklageschrift einer Staatsanwaltschaft steht schmucklos und einfach zu lesen, daß der Deutschland-Sender in Ostberlin Ersatzorganisation der KPD sei. Oder was ist nicht alles als verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst betrachtet worden! Wenn ein Funktionär aus Ostberlin in den Westen herüberkommt, um jemand zu besuchen - einen Gewerkschaftler, ein Betriebsratsmitglied, einen Politiker -, und nach Hause zurückmelden soll, ob er empfangen worden ist, dann ist das verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst. Oder wenn ein Brief hier abgegeben und nach drüben zurückberichtet werden soll, ob der Brief angenommen worden ist, dann ist das verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst. Denken Sie an den Vorgang beim Kongreß des DGB, wo man diesen Briefträger im übrigen freundlich zur Tür hinauskomplimentierte, ehe er den Brief abgab; aber er wurde deswegen belangt. Oder verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst sollte auch die Bekanntgabe der Personalien von Kindern sein, die in einem Transport im Sonderzug der Bundesbahn in die DDR in ein Ferienlager hinüberfuhren. - Auch die Justiz hat also manches an Übertreibungen hinzugefügt. Verehrte Damen und Herren, ich denke, daß diese wenigen Hinweise genügen, um die Reformbedürftigkeit des politischen Strafrechts zu begründen. Die Praktiker aller Sparten, die mit diesem politischen Strafrecht zu tun haben, haben schon früh und vielfältig ihre kritische Stimme dagegen erhoben. Aus dem Bereich der Staatsanwaltschaft nenne ich Herrn Dr. Güde, der überhaupt einer der ersten war, die dieses politische Strafrecht attackierten, und der 1957 in einer Broschüre über die „Probleme des politischen Strafrechts" einiges aufhellte, was immer noch lesenswert ist. Er beklagte insbesondere die riesige Variationsbreite vieler der Bestimmungen und sagte in seiner Broschüre von 1957 u. a. wörtlich: „Eine Durchführung aller Verfahren, die nach dem derzeitigen Recht möglich wären, würde die Staatsanwaltschaften und die Gerichte ersticken." Naheliegend ist, daß besonders viele Einwände aus der Rechtsanwaltschaft kamen. Ich nenne hier nur die eine Stimme des sehr erfahrenen Strafverteidigers Dr. Posser , der 1961 in einer genau belegten Darstellung die „Politische Strafjustiz aus der Sicht der Verteidiger" kritisierte und sie vieler Unklarheiten, Unhaltbarkeiten und Unmöglichkeiten überführte. Aus der Richterschaft nenne ich den Bundesrichter Wilms, der selber lange Zeit dem politischen 3. Strafsenat angehörte und 1962 eine Broschüre „Staatsschutz im Geiste der Verfassung" herausgab, die ebenfalls vielfältige Kritik an dieser Materie übt. Aber, verehrte Damen und Herren, all diese und viele andere Kritik brachte nichts in Bewegung. Es mußten erst noch einige besonders aufrüttelnde Fälle passieren, um die Kritik vollends laut werden zu lassen. Und hinterher ist dann bis jetzt immer noch nichts passiert. Dazu gehört vor allen Dingen der „Spiegel"-Fall von 1962, hier speziell unter dem Gesichtspunkt, ob die journalistische Erörterung militärischer Fragen Landesverrat werden kann. § 99 in der derzeitigen Fassung wirft bekanntlich alles in einen Topf, die Spionage zwecks Begünstigung einer fremden Macht mit der publizistischen Preisgabe von Staatsgeheimnissen aus Fahrlässigkeit. 1963 passierte der aufregende Graßnick-Fall, der Fall des Chefredakteurs des Ostberliner Rundfunks Dr. Graßnick, der gelegentlich eines Aufenthalts hier in der Bundesrepublik verhaftet wurde. Ihm wurde vorgeworfen Fortsetzung der KPD, Geheimbündelei und staatsgefährdenden Nachrichtendienst betrieben zu haben und Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen Vereinigung zu sein, alles das mit seinem Ostberliner Sender. Nun, die Bundesregierung sah sich damals in beträchtliche Bedrängnisse versetzt ob der Komplikationen, die über diesem Fall Graßnick heraufzogen und sich insbesondere an der Sektorengrenze in Berlin schon zu reichlich dramatischen Entwicklungen steigerten. Auf nichts war man so gespannt, auch hier bei der Regierung in Bonn, wie darauf, ob die Justiz diesen Mann noch gerade rechtzeitig freigeben werde, um all diese Repressalien abzuwenden, die sich damals abzeichneten. Man hat damals hinsichtlich des Falles Graßnick der Justiz viele Vorwürfe erhoben; es sei unvernünftig gewesen, diesen Mann zu verhaften. Nun, ich habe damals schon gesagt: die Justiz ist nicht die richtige Adresse, an die Vorwürfe gerichtet werden könnten. Die richtige Adresse ist der Gesetzgeber; der muß endlich seine Gesetzgebung von 1951 bereinigen. 1964 machte der Braunschweiger Fall Aufsehen. Da kamen einige Beauftragte aus Ostberlin hier herüber, um Einladungen zu einem Pfingsttreffen der FDJ zu überbringen und nach Hause zu melden, wie die Adressaten hier auf diese Einladungen reagiert hätten. Sie wurden wegen versuchten staatsgefährdenden Nachrichtendienstes verhaftet und angeklagt, und dann stellte das Braunschweiger Landgericht das Verfahren wegen Geringfügigkeit ein. Damit blieb also völlig offen, ob jene Leute einreisen durften. Damit blieb völlig offen, ob die Grenzbeamten der Bundesrepublik ihre Pflicht verletzt hatten, als sie diese Leute einreisen ließen, die von vornherein beim Grenzübergang gesagt hatten, weshalb sie kamen, was sie in der Tasche hatten und wie sie hinwollten. Was soll also alles Gerede von innerdeutschen Beziehungen, wenn ein so simpler Vorgang wie der in Braunschweig im Ungewissen hängen bleibt, im Ungewissen, ob nun etwas Strafbares geschah oder nicht geschah? Verehrte Damen und Herren, die Ostberliner Machthaber können ja je nach Bedarf einen hohen Funktionär wie Graßnick oder kleine Marschierer von der FDJ jederzeit in die fragwürdigen Maschen unseres politischen Strafrechts hineinschicken. Solange sie sich dann hier darin verfangen und festgehalten werden, kann man drüben riesige Protestveranstaltungen machen. Kommt dann der Betreffende hier aus dem Gefängnis heraus, dann kann man das als einen Sieg der kommunistischen Solidarität, als eine Niederlage der Revanchisten in der Bundesrepublik deklarieren. So einfach machen wir das denen da drüben, ({0}) indem wir hier mit Bestimmungen umgehen, die wir selber für fragwürdig halten. Wir machen der Justiz Vorwürfe, wenn sie sie anwendet, statt daran zu denken, daß wir als Gesetzgeber gerufen sind, hier endlich Ordnung zu schaffen. ({1}) Auch die Bundesregierung kennt längst die Mängel dieses politischen Strafrechts. Nicht erst jetzt mit dem in diesem 5. Bundestag wieder produzierten Entwurf zum Strafrecht kommt das auf. Im 4. Bundestag kam es auf, und im 3. Bundestag kam es auf. In der Begründung der Regierung zu der ersten Fassung des Entwurfs eines neuen Strafgesetzbuches von 1960 lasen wir bereits, daß die Normen über die Staatsgefährdung auf Grund der Erfahrungen erheblich eingeschränkt werden müßten. Das war schon 1960 die Erkenntnis der Bundesregierung. Der Gesamtdeutsche Ausschuß dieses Parlaments hatte Anlaß, sich mit der Materie zu befassen, das Kuratorium Unteilbares Deutschland hat es getan, auf Akademien aller Art ist darüber geredet worden. Herr Kollege Jahn und ich haben namens der SPD- Fraktion im Sommer 1963 den damals amtierenden Bundesjustizminister, wenn ich so sagen darf, hoch offiziell aufgesucht auf der schönen Rosenburg. Herr Dr. Bucher regierte damals. Wir haben ihm namens der SPD vorgetragen, daß nun endlich etwas geschehen müßte. Der Ertrag war, daß aus dem Bundesjustizministerium im Mai eine sogenannte Formulierungshilfe mit Vorschlägen zur Lockerung des Verfolgungszwanges hervorkam, aber nichts an Vorschlägen für die Bereinigung des materiellen Rechts. Jetzt hat Dr. Jaeger als nunmehriger Bundesjustizminister in der Drucksache V/136 an die FDP geantwortet, die da gefragt hatte, wie es denn nun mit dem politischen Strafrecht werden solle: Die Bundesregierung beabsichtigt, so bald wie möglich einen Gesetzentwurf zur Erneuerung des Staatsschutzstrafrechts einzubringen. Dieser Entwurf wird auch Vorschläge zur Lockerung des Verfolgungszwanges bei gewissen Staatsschutzdelikten enthalten. Nun, was das letzte anlangt, so kennen wir die Handschrift. Man will wieder darauf hinaus, mit der Lockerung des Verfolgungszwanges die Dinge in Ordnung zu bringen. Aber die tröstliche Versicherung - jetzt im 5. Bundestag -, das Bundesjustizministerium oder die Bundesregierung „beabsichtigt, so bald wie möglich" einen Gesetzentwurf zur Änderung des politischen Strafrechts einzubringen, kann uns nicht beruhigen. Ich gebe zu, daß mit dem Vereinsgesetz von 1964 einige Verbesserungen am politischen Strafrecht geschaffen worden sind. Damals hat man vor allen Dingen den Umkreis der Organisationsdelikte besser geregelt. Das ist gut. Aber die Gesamtregelung ist bis auf den heutigen Tag ausgeblieben, und wir sollen immer noch auf eine Vorlage der Bundesregierung warten. Nein, verehrte Damen und Herren, jetzt ist eine Vorlage da, unsere Vorlage, - zurückgehend auf das, was ich als Mitglied der damaligen sogenannten Regierungsmannschaft der Sozialdemokratischen Partei schon im Juli vorigen Jahres vorgetragen habe und was in dem Text unserer Vorlage schon damals der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde, auch den Behörden der Bundesregierung, den Strafrechtslehrern an den deutschen Universitäten usw. Eine Vorlage ist jetzt da, und über die wollen wir jetzt, so meine ich, miteinander umgehen, um endlich weiterzukommen. Zum Inhalt unserer Vorlage brauche ich gar nicht viel zu sagen. Aus der Kritik an dem alten Strafrecht, die ich vorgetragen habe, ergibt sich, daß wir etliches der 51 er-Normen gestrichen sehen wollen, daß wir andere Normen präziser gefaßt sehen wollen. Schöne Lobreden sind hier von meinen Vorrednern darüber gehalten worden, daß die Tatbestände des Strafrechts klar und eindeutig sein müßten, so daß jeder wissen könne, wessen er sich zu versehen hat, wenn er dies oder das tut. Es ist dringend notwendig, endlich nach diesen schönen Grundsätzen zu praktizieren. Beim Landesverrat geht es, jetzt ganz grob gesagt, um die Sonderung eines publizistischen Geheimnisverrats ohne Zusammenspiel mit einer fremden Macht von der Spionage. Um mit dem letzten gleich anzufangen, weise ich darauf hin, daß wir auch schon äußerlich die Spionage und das, was wir den publizistischen Landesverrat zu nennen gewohnt sind, in zwei verschiedenen Paragraphen darstellen, in den §§ 99 und 100 unserer Vorlage. Wir haben uns Mühe gegeben, präziser zu definieren, was Staatsgeheimnis sein soll, und sagen: Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die für die Landesverteidigung oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht von Bedeutung sind und deren Kenntnis auf einen bestimmten Kreis von Kenntnisbefugten beschränkbar und durch Sicherungsmaßnahmen beschränkt ist und die vor dem Mitwissen einer fremden Macht zu schützen im öffentlichen Allgemeininteresse unerläßlich ist. Wer solche Staatsgeheimnisse verrät, und zwar zum Nachteil der Bundesrepublik und zur Begünstigung einer fremden Macht, der ist Landesverräter, der treibt Landesverrat mit der Konsequenz, daß er dann, wenn sich eine schwere Schädigung der Bundesrepublik ergibt, nach unseren Vorstellungen mit lebenslangem Zuchthaus bestraft werden kann. Verehrte Damen und Herren, wir wollen durch die detaillierte Bestimmung dessen, was Staatsgeheimnis ist, einmal erreichen, daß den Gerichten Maßstäbe für eine eigene Feststellung an die Hand gegeben werden können, ob etwas Staatsgeheimnis ist, damit sie unabhängiger werden von den sogenannten Sachverständigen. Wir lesen gerade heute in den Zeitungen, daß nun ein Sachverständiger für den Bundesgerichtshof in Karlsruhe attestiert haben soll - bitte sehr, ich sage: soll -, daß „Der Spiegel" 1962 mit einem bestimmten Artikel keinen Staatsgeheimnisverrat beging. Der Sachverständige hat also drei oder dreieinhalb Jahre lang daran gearbeitet. Der BGH selbst hat ja in dem, was bis heute im Strafgesetzbuch darüber steht, was ein Staatsgeheimnis sein soll, viel zuwenig Anknüpfungsmomente, viel zuwenig umgrenzende Maßstäbe. Wir also wollen sie mit diesem unserem Vorschlag verfügbar machen. Wir wollen zum zweiten durch diese Begriffsbestimmung auch zu einer klaren Scheidung zwischen Staatsgeheimnis einerseits und bloßem Regierungsgeheimnis andererseits beitragen. Was eine Regierung lediglich der Opposition oder der Bevölkerung gegenüber vertuschen will, das ist kein Staatsgeheimnis. ({2}) Staatsgeheimnis kann nur sein, was einer fremden Macht gegenüber aus - wie wir es ausgedrückt haben - öffentlichem Allgemeininteresse nicht Bekanntwerden darf. Als Geheimnispreisgabe, wenn Sie so wollen, also als fahrlässige publizistische Geheimnispreisgabe bleibt dann übrig, was wir in § 100 darzustellen uns bemüht haben, also die Aufdeckung eines Staatsgeheimnisses, ohne daß man eine fremde Macht begünstigen wollte oder will, wie das gerade beim journalistischen Handwerk passieren kann. Nun aber noch ein besonderes Wort zu Abs. 5 in dem von uns vorgeschlagenen Landesverratsparagraphen. Da sagen wir: Staatsgeheimnisse sind nicht Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die zur verfassungsmäßigen Ordnung des Bundes oder eines Landes in Widerspruch stehen. Was gegen die Verfassung verstößt, das kann, das darf nicht Staatsgeheimnis sein. Wir legen entscheidenden Wert darauf, daß das im Gesetz deutlich klargestellt wird. Verehrte Damen und Herren von den Regierungsparteien, Sie werben sonderlich um Vertrauen für Ihre Notstandsabsichten. Bitte, hier gilt es, einen praktischen Beitrag zu dem Vertrauen zu liefern, das in unserem Volk in bezug auf staatliche Ordnung und Verfassungsfragen bestehen soll. Nehmen Sie bitte nicht das Vertrauen des Volkes für verfassungswidrige Staatsgeheimnisse in Anspruch. Wir wollen keinen neuen Fall „Ossietzky" erleben. ({3}) Aus den alten Staatsgefährdungsbestimmungen von 1951 - wir wollen ja viele davon gestrichen sehen - präsentieren wir neue Formulierungen für die §§ 91 und 92, um eben damit die hier nun schon so oft angesprochene Garantiefunktion des objektiven Strafrechts wiederherzustellen. Insbesondere sollen wertneutrale Handlungen nur bei einer klaren Absicht der Untergrabung unserer Ordnung strafbar sein. Das ist ein dringendes Erfordernis aus der Situation der Spaltung unseres Volkes. Im ganzen wollen wir diesem Abschnitt eine andere Überschrift gegeben wissen. Bis jetzt lautet sie: Staatsgefährdung. Das ist gar nicht das Thema, sondern das Thema ist Gefährdung der freiheitlichen Ordnung. Der Staat geht nicht zugrunde über dem, was da unter der bisherigen alten Überschrift behandelt wird. Aber unsere freiheitliche Ordnung könnte zugrunde gehen, und deshalb ist die angemessene Bezeichnung für diesen Teilabschnitt des Strafgesetzbuchs „Gefährdung der freiheitlichen Ordnung". Damit wollen wir der Auslegung dieser Bestimmungen in der Justiz, in der Praxis und wo auch immer eine weisende Hilfe zuteil werden lassen. Das ist in großen Zügen der Inhalt unserer Vorlage, die viel Zustimmung bei denen gefunden hat, denen wir sie im vergangenen Halbjahr zugänglich gemacht haben, insbesondere auch bei Lehrern des Strafrechts an Hochschulen. Wir hoffen, daß wir diese Zustimmung auch bei Ihnen finden. Alles einzelne wird natürlich der Ausschuß gründlich unter die Lupe nehmen. Lassen Sie mich hier in aller Offenheit eins aussprechen: ich befürchte, daß ein grundsätzlicher Streit die Arbeit an dieser Materie erschweren könnte. Wie gesagt, schon 1964 zeigte das Bundesjustizministerium eine Neigung, dieser Sache durch Auflockerung oder Durchbrechung des Verfolgungszwangs beizukommen, und diese Handschrift kehrt in der Antwort wieder, die Herr Justizminister Dr. Jaeger der FDP in der Drucksache V/136 gibt. Verehrte Damen und Herren, wir wehren uns nachDr. Dr. Heinemann drücklich dagegen, daß mit einer Durchbrechung des Verfolgungszwangs der Staatsanwaltschaften hier sozusagen Luft geschaffen wird. ({4}) Die Bestrafung oder Nichtbestrafung kann nicht, soll nicht nach Maßstäben der politischen Zweckmäßigkeit erfolgen. Das paßt nicht in unsere Ordnung. Wenn die Vergehen gegen die Freiheitsordnung der Bundesrepublik kriminelles Unrecht sein sollen, dann müssen alle Vergehen verfolgt werden. So wie es keine Strafe ohne Gesetz geben darf, so darf es auch keine Straffreiheit bei Verstoß gegen das Gesetz geben. Das verlangt die Gleichheit aller vor dem Gesetz, das verlangt unsere Rechtsüberlieferung, das allein gibt der Exekutive klare Grundlagen. Die Exekutive muß doch handeln können, sie muß schnell handeln können. Sie muß wissen, was sie darf; sie muß wissen, was sie tun soll. Wenn das aber immer erst abhängig gemacht wird von Ermessensentscheidungen - ja nun, man kann sich vielerlei Personen denken, denen man das dann zuschanzen will -, so ist die Exekutive in ihrer Handlungsfähigkeit schwer beeinträchtigt. Wenn wir in einem Bereich von der überkommenen Auflage an die Anklagebehörden abweichen, jegliches Vergehen zu verfolgen, wissen wir nicht, wo das endet. Ich habe vorhin aus der Literatur zum politischen Strafrecht die Broschüre des Bundesrichters Willms unter dem Titel „Staatsschutz im Geiste der Verfassung" von 1962 zitiert und lese jetzt einen Satz daraus wörtlich vor: Nicht in der Aushöhlung der Legalität, - also des Verfolgungszwangs sondern in der Zurückführung der strafrechtlichen Tatbestände auf jenes Maß, welches die Wahrung des Prinzips der Legalität nicht gefährdet, liegt die Lösung beschlossen, welche den vollen Einklang des Staatsschutzes mit dem Geist der Demokratie und des Rechtsstaates herstellt, Die sozialdemokratische Fraktion steht geschlossen gegen die Auflockerung des Verfolgungszwangs. Wir haben die Hoffnung, daß sich in den Reihen der Regierungsparteien genug Gleichgesinnte finden, um das Bundesjustizministerium wirklich an die Aufgabe heranzuzwingen, das materielle Strafrecht mit uns gemeinsam schnellstens zu verbessern und gar nicht lange darüber zu philosophieren, wie man durch Durchbrechung des Verfolgungszwangs an Fällen wie Graßnick oder ähnlichen künftig vorbeikommen könnte. Diese Arbeit der materiellen Bereinigung muß eingeleitet werden. Die Vorlage ist da. Wir hoffen, daß Sie sich alle beteiligen und nicht ablenken lassen durch Bemühungen in Richtung auf Durchbrechung des Verfolgungszwangs. Wir erwarten, daß der Sonderausschuß „Strafrecht" diese Materie sofort in Angriff nimmt. Sie kann nicht mehr zurückgestellt werden bis zu einem Abschluß der Gesamtreform. Wir wollen auch nicht gewartet wissen, bis das Bundesjustizministerium mit irgendeiner Vorlage demnächst nachkleckern wird. Wir wollen, daß diese Sache auf Grund der Vorlage, die wir hierfür bieten, jetzt angefaßt wird, und wir erwarten, daß der Sonderausschuß „Strafrecht" Sachkenner der Praxis und Lehrer des Strafrechtes anhören wird, um sich zu bestmöglichen Lösungen allseitig helfen zu lassen. Wir haben es hier nicht - und das lassen Sie mich als letztes sagen - mit einem Thema zu tun, das nur die Juristen anginge. Hier geht es um eine Thematik von hohem politischem Rang. Wir sollen und wollen Rechtsstaat sein. Alle unsere Bemühungen um eine staatliche Gemeinschaft unseres ganzen Volkes, um eine gerechte Friedensordnung sind auch Rechtskampf. Das erfordert die Vorbildlichkeit der Rechtsordnung unter uns selbst sowie im Verhältnis zu denen, die unsere freiheitliche Ordnung angreifen. Lassen Sie uns schnell und gründlich ans Werk gehen. Es ist hohe Zeit mittlerweile. ({5})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.

Dr. Richard Jaeger (Minister:in)

Politiker ID: 11001006

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Recht des strafrechtlichen Staatsschutzes ist nach Errichtung der Bundesrepublik Deutschland durch das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 neu geregelt worden. Die Neugestaltung dieses Rechtsgebietes, das für den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung nach innen und außen gleichermaßen bedeutsam ist, fiel in eine politisch gefahrvolle Zeit, die im Zeichen der Korea-Krise stand. Vor dem Gesetzgeber lag eine äußerst schwierige Aufgabe. Neben der Neuregelung der Staatsschutzvorschriften mit langer Tradition, nämlich der Bestimmungen über Hoch- und Landesverrat, war ein ganz neues System von Rechtsvorschriften zu schaffen, das die modernen Methoden der organisierten Unterwühlung und des gewaltlosen Umsturzes treffen sollte, deren sich die Feinde einer freiheitlichen demokratischen Ordnung heute allenthalben bedienen und deren Gefährlichkeit die vorangegangenen und die damals gegenwärtigen geschichtlichen Ereignisse augenscheinlich gemacht hatten. Den vielfältigen praktischen Erscheinungsformen dieses permanenten, auf Unterwühlung der Verfassungstreue hinzielenden politischen Kampfes mußte durch völlig neuartige Bestimmungen strafrechtlich begegnet werden. Gleichzeitig war aber darauf zu achten, daß die Prinzipien der freiheitlichen Ordnung, um deren Schutz es ging, nicht durch zu starke Eingriffe des Gesetzgebers selbst verletzt würden. Vorbilder aus der Gesetzgebung des Auslandes entsprachen vielfach nicht dem bei uns heute besonders ausgeprägten Bedürfnis nach rechtsstaatlicher Bestimmtheit der Tatbestände. Das durch gemeinsames Bemühen der verfassungstreuen Parteien schließlich zustande gekommene Werk wurde mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit, von der sich lediglich die Kommunisten und die Rechtsradikalen ausschlossen, verabschiedet. Dieses gesetzgeberische Werk nachträglich abwertend als Experiment zu bezeichnen, wäre verfehlt. Immerhin war damit strafrechtliches Neuland betreten worden, und eine Erprobung des Gesetzes in der Praxis mußte abgewartet werden. Wenn man diese Ausgangslage bedenkt, so kann man sagen, daß die Arbeit des Gesetzgebers von 1951 sich in weitem Umfang bewährt hat. Ich meine also, daß kein Anlaß besteht, auf dieses Werk im Zorn zurückzublicken. Daß es - mit allen seinen Einzelheiten! - für die Ewigkeit gemacht sei, hatte von vornherein kein Einsichtiger angenommen. Wie kaum ein anderes Gesetz, so mußte dieses der Bewährung im Rechtsleben ausgesetzt werden, um erkennen zu können, inwieweit es den praktischen Bedürfnissen entsprechen würde, wo Spannungen aufträten, wo es etwas zu ergänzen, wo etwas abzubauen gelte, um einerseits der Vielfalt der Erscheinungen, den wechselnden Methoden eines mit einem reichen Arsenal von Kampfmitteln arbeitenden Verfassungsfeindes gerecht zu werden, anderseits aber die vom Grundgesetz gewährleisteten Grundfreiheiten nicht weiter einzuschränken, als es um des Schutzes der Grundlagen dieser Freiheit unerläßlich ist. Nicht oder doch nicht voll vorauszusehen waren die von den Feinden unserer freiheitlichen Staatsordnung angewandten Methoden des politischen Kampfes und das Maß ihrer Beweglichkeit und Einfallsgabe. Nicht zu übersehen war, wie die Rechtsprechung die neuen Gesetzesbegriffe auslegen, zu welcher konkreten Gestalt sie das zunächst aus einem Gerüst abstrakter Begriffe bestehende neue Staatsschutzstrafrecht ausbilden würde. Dabei ist zu bedenken - ich meine, man muß dies besonders betonen -, daß die Teilung Deutschlands Probleme von einer Besonderheit und Schwierigkeit aufwarf, wie sie im Bereich des Rechts des strafrechtlichen Staatsschutzes dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung vorher noch nicht zu lösen aufgegeben waren. Noch etwas darf nicht unerwähnt bleiben. Die Normen des Staatsschutzstrafrechts haben ihren Sitz in einem besonders starken Spannungsfeld zwischen zwei Polen, nämlich auf der einen Seite dem Erfordernis, die Verfassung und ihre Grundlagen vor feindlichen Angriffen zu schützen, und auf der anderen Seite dem Ziel einer von staatlichem Eingriff möglichst ungestörten, freien Entfaltung der Grundrechte. Möglichkeiten und Grenzen eines wirkungsvollen Staatsschutzstrafrechts werden daher wesentlich mitbestimmt von den Normen der Verfassung. Das Grundgesetz war bei Erlaß des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes erst zwei Jahre alt, die Auslegung seiner Vorschriften noch weitgehend ungesichert. Das Bundesverfassungsgericht, von dessen Rechtsprechung fortschreitende Klärung zu erwarten war, sollte erst einen Monat nach Verkündung des Strafrechtsänderungsgesetzes eröffnet werden. Wer die Wechselwirkung zwischen dem Recht und den in steter Bewegung begriffenen Erscheinungen des politisch-gesellschaftlichen Lebens kennt und von der nicht minder lebendigen Wechselbeziehung von Gesetz und Rechtsprechung weiß, den nimmt es nicht wunder, daß im Laufe der Jahre Korrekturen durch den Gesetzgeber erforderlich wurden und auch heute wieder erforderlich sind. Das konnte, bei den Besonderheiten der Rechtsmaterie und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht ausbleiben. So hat insbesondere das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz 1953 den § 93 über Einfuhr verfassungsfeindlicher Schriften zu einer allgemeinen Vorschrift gegen verfassungsfeindliche Propaganda durch Schrift und Bild erweitert, hat das Vierte Strafrechtsänderungsgesetz 1957 gewisse Änderungen im Bereich der Staatsgefährdungsvorschriften gebracht und hat das Sechste Strafrechtsänderungsgesetz 1960 den § 130 über Volksverhetzung neu gefaßt, insbesondere mit dem Ziel, die antisemitische Hetze wirkungsvoller zu erfassen. Die bedeutsamste Änderung erfuhr das Staatsgefährdungsrecht 1964 durch das Vereinsgesetz, das - nach dem von der Großen Strafrechtskommission im Rahmen der Strafrechtsreform erarbeiteten Vorbild - das Recht der sogenannten Organisationsdelikte weitgehend neu geregelt hat. Darin liegt ein besonderes Verdienst des 4. Deutschen Bundestages. Trotz solcher weitreichender Anpassungen des Gesetzes an neu gewonnene Erfahrungen und Erkenntnisse ist die Kritik am geltenden Staatsschutzstrafrecht nicht verstummt. Es wird geltend gemacht, die Tatbestände seien nicht klar genug abgegrenzt und ließen daher die in der Voraussehbarkeit der strafrechtlichen Reaktion liegende Garantiefunktion des Strafgesetzes vermissen, die Rechtsprechung habe sich auf der Grundlage solcher Tatbestände zu einer gegenüber den Intentionen des Gesetzgebers zu stark ausdehnenden Auslegung entwickeln können. Es wird auf eine ungenügende Abgrenzung der Tatbestände zu den Grundrechten, insbesondere zu dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, hingewiesen; ja der Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts ist vereinzelt laut geworden. Schwierigkeiten bei der Durchführung eines Zeitungsaustausches - der vorübergehend einmal aktuell schien und gelegentlich wieder aktuell werden könnte - wurden und werden auf eine unangebrachte Ausweitung des materiellen Staatsschutzstrafrechts zurückgeführt; desgleichen manche Schwierigkeiten für Kontakte mit Publizisten, Sportlern und anderen Besuchern aus der Zone. Schließlich hat die Problematik des publizistischen Landesverrats dem Ruf nach Reform des geltenden Rechts zu besonderer Aktualität verholfen. Manches an dieser Kritik ist berechtigt, manches dagegen nicht. Sicherlich unberechtigt ist der Vorwurf, daß man in der Bundesrepublik ein Gesinnungsstrafrecht betreibe. Dies möchte ich mit allem Nachdruck betonen. Von einem Strafrecht, das eine bestimmte politische Meinung oder Gesinnung zum Ansatzpunkt und zur wesentlichen Grundlage dei Strafbarkeit macht, kann keine Rede sein. Ein solcher Vorwurf kann weder die Intentionen des Gesetzgebers noch die aus sich heraus verstandenen Straftatbestände noch schließlich die Rechtsprechung treffen. Der Vorwurf setzt bei der Staatsgefährdung an. Aber das Leitbild, nach dem gerade auch diese Vorschriften geschaffen sind, ist der aktive Angriff gegen die Verfassung, der sich bestimmter typisches Mittel bedient. Zwar möchte auch ich nicht behaupten, daß dieses Leitbild in idealer Weise verwirklicht sei. Daher hat auch die Große Strafrechtskommission und auf der Grundlage ihrer Arbeit die Bundesregierung bei der Ausarbeitung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches 1962 sich darum bemüht, den Tatbeständen noch schärfere Kontur zu geben. Von Gesinnungsstrafrecht sollte man aber auch gegenüber dem geltenden Recht nicht sprechen. Der Entwurf 1962 sieht einen Titel über Hochverrat und Staatsgefährdung und einen Titel über Landesverrat vor. Mit den darin enthaltenen Vorschriften wurde in erster Linie das soeben erwähnte Ziel verfolgt, die Straftatbestände, soweit dies bei der Natur der Sache möglich ist, klarer abzugrenzen und dadurch die Garantiefunktion dieser Tatbestände zu verbessern. Es wurden darüber hinaus manche Tatbestände, zum Teil erheblich, eingeschränkt, auf der anderen Seite einzelne Lücken des geltenden Rechts geschlossen. Ich habe dem Hohen Hause in Beantwortung einer Kleinen Anfrage von Abgeordneten der Freien Demokratischen Partei bereits den Entschluß der Bundesregierung bekanntgegeben, so bald wie möglich einen eigenen Entwurf zur Erneuerung des Rechts des strafrechtlichen Staatsschutzes einzubringen, weil auch nach meiner Auffassung, die von der Bundesregierung geteilt wird, die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse manche Änderungen erheischen, die über die Vorschläge in dem Entwurf 1962 hinausgehen, der auf Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission zurückgeht, die immerhin schon vor mehr als sieben Jahren gefaßt wurden. ({0}) Unter diesen Umständen kann ich es mir versagen, im einzelnen auf die einschlägigen Vorschriften des Entwurfs 1962 einzugehen. Ich möchte nur hervorheben, daß ein wesentlicher Punkt der darin vorgesehenen Reform, nämlich die konsequente Ausgestaltung der sogenannten Organisationstatbestände zu Ungehorsamsdelikten, die erst nach dem Verbot einer Partei oder einer Vereinigung begangen werden können, bereits durch das Vereinsgesetz vorweggenommen worden ist. Nicht unerwähnt möchte ich auch lassen, daß der Entwurf im Gegensatz zum geltenden Recht, das hier nur die Zuchthausstrafe kennt, für minder schwere Fälle von Landesverrat - zu denen der sogenannte publizistische Landesverrat in der Regel gehören dürfte - lediglich Gefängnisstrafe vorsah. Diese Problematik soll jetzt in dem in Angriff :genommenen Entwurf der Bundesregierung durch Ausformung differenzierender Tatbestände berücksichtigt werden. Meine Damen und Herren, zu dem vorliegenden Entwurf der SPD-Fraktion kann ich nach alledem zunächst sagen, daß ich die damit ergriffene Initiative durchaus begrüße. Es kann die Aussprache im Ausschuß nur befruchten, wenn dem Entwurf der Bundesregierung auch ein Entwurf der Opposition gegenübersteht. Dieser Entwurf enthält auch zweifellos manche wertvolle Anregung. Andererseits bestehen gegen einige seiner Vorschriften gravierende juristische Bedenken, über die im einzelnen im Ausschuß zu reden sein wird. In seinem Bemühen, das geltende Staatsschutzstrafrecht von allen Vorschriften zu befreien, die nicht unbedingt erforderlich sind, führt er zu Ergebnissen, die den Verfassern des Entwurfs vermutlich ferngelegen haben; so schießt er vielfach über das Ziel hinaus. Diesen Eindruck gewinnt man schon, wenn man sich die Zahl der Vorschriften des geltenden Rechts vor Augen hält, die - meist ersatzlos - gestrichen werden sollen. Dabei handelt es sich um § 90 über staatsgefährdende Sabotage, um § 92 über staatsgefährdenden Nachrichtendienst, § 93 über verfassungsfeindliche Propaganda, § 94 über Strafschärfung bei staatsgefährdender Absicht, § 100 d Abs. 3 über staatsgefährdende Lügenpropaganda, §.128 über Geheimbündelei, um den vorsätzlichen Landesverrat ohne Begünstigungs- und Benachteiligungsabsicht, den § 100 c Abs. 2 über fahrlässige Bekanntgabe von Staatsgeheimnissen und um § 100 f über landesverräterische Untreue. Nun liegt es mir allerdings fern, den Entwurf mit der Elle gestrichener Paragraphen messen zu wollen. Aber auch eine weniger auf die Zahl als auf die Substanz der Änderungswünsche eingehende Betrachtung zeigt, daß die meisten Vorschläge zu weit gehen, weil sie einige für einen effektiven Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung und der äußeren Sicherheit wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigen. Ich möchte das an einigen Beispielen verdeutlichen. Von einer Streichung des § 93 StGB über die verfassungsfeindliche Propaganda verspricht sich der Entwurf der SPD die Freigabe des linksradikalen, also des kommunistischen Schrifttums. Der Entwurf übersieht dabei, daß das kommunistische Schrifttum weitgehend die illegale KPD unterstützt oder für sie wirbt und damit gegen den in der vergangenen Wahlperiode neu gefaßten § 90 a StGB verstößt, dem damals auch die SPD zugestimmt hat und den sie daher auch in ihrem Entwurf unangetastet läßt. Der angestrebte Erfolg, über den man natürlich schon politisch streiten kann, wird also praktisch nicht erreicht. Erreicht wird aber etwas anderes: nach einer Streichung des § 93 könnte das rechtsradikale Schrifttum, könnten neonazistische Schriften, Schallplatten und ähnliche Propagandamittel, die altes nationalsozialistisches Gedankengut wieder lebendig machen wollen, mit denen die parlamentarische Demokratie verhöhnt, das Führerprinzip verherrlicht und die tragenden Grundsätze unserer Verfassung angegriffen werden, strafrechtlich nicht mehr erfaßt werden. Damit wäre auch keine Möglichkeit mehr gegeben, solche Propagandamittel einzuziehen und ihrer Einfuhr aus dem Ausland einen Riegel vorzuschieben. Wir kennen alle aus der bisherigen Praxis gefährliche Machwerke dieser Art. Nach allem, was hinter uns liegt, halte ich es für unerträglich, wenn wir dem Ausbreiten einer neonazistischen Literatur untätig zusehen müßten. Das aber wäre die unvermeidliche Folge einer Streichung des § 93. ({1}) - Ich komme noch genauer darauf. ({2}) - Die von mir für unvermeidlich gehaltene. Wahrscheinlich werde ich Sie im Ausschuß davon überzeugen, daß sie unvermeidlich ist. Nun ist es zwar richtig, daß rechtsradikale Schriften, die zugleich antisemitisch sind, in einem gewissen Umfang noch durch § 130 StGB über Volksverhetzung erfaßt werden könnten. Es wäre aber ein gefährlicher Irrtum, anzunehmen, daß damit jede antisemitische Hetze strafrechtlich erfaßt werden könnte. Gerade unter antisemitischen Schriften, gegen die wir nach dem Unheil, das der Nationalsozialismus über die Juden gebracht hat, besonders allergisch sind, gibt es raffinierte Machwerke, die mit dieser Strafbestimmung nicht erfaßt werden können, weil sie nur die Hetze gegen Teile der Bevölkerung, d. h. gegen die inländischen Juden, trifft und weil auch die übrigen Merkmale dieses Tatbestandes, der dem allgemeinen Schutz des öffentlichen Friedens dient, nicht so weit gefaßt sind und auch nicht so weit gefaßt werden können, wie es für den besonderen Schutz vor den Gefahren eines wieder auflebenden Antisemitismus erforderlich ist. Es kommt hinzu, daß zwar § 93, nicht aber § 130 des Strafgesetzbuches die Handhabe bietet, aus dem Ausland kommende antisemitische Schriften mit Hilfe des Überwachungsgesetzes von 1961 schon an der Grenze abzustoppen. Andere Vorschriften, auf welche die Begründung des Entwurfs der SPD hinweist, können den § 93 StGB nicht ersetzen. Die Strafvorschriften über die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und über fahrlässige Verbreitung hochverräterischer Propagandamittel werden fast nie, diejenigen über Mißachtung von Staat und Flagge, Verunglimpfung von Staatsorganen und Beleidigung werden nur selten eine Handhabe für eine Bestrafung des Täters und für die Einziehung solcher Propagandamittel bieten. Tätern gegenüber, die Lücken der Strafbarkeit zielsicher ausnützen, versagen diese Vorschriften völlig. Das Vereinsgesetz mit seinen Verbotsvorschriften bietet nur eine Handhabe gegenüber dem nachweisbar organisierten Verfassungsfeind. Gerade an dieser Voraussetzung fehlt es aber im Bereich rechtsradikaler und antisemitischer Schriften in aller Regel. Durch das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 18 des Grundgesetzes, das den Ausspruch der Verwirkung bestimmter Grundrechte bei Mißbrauch zum Ziel hat, kann die Lücke des erforderlichen strafrechtlichen Schutzes nicht geschlossen werden. Kein Kenner der Materie wird das bezweifeln. Der Vorschlag der SPD, auf § 93 zu verzichten, verfolgt schließlich noch ein weiteres Ziel, das sich aber ebenfalls auf diesem Wege nicht erreichen läßt. Die Annahme, ein innerdeutscher Zeitungsaustausch würde durch eine Streichung des § 93 ermöglicht, trifft nicht zu. Für die Verhinderung der Einfuhr verfassungsfeindlichen Schrifttums hat § 93 in der Praxis hauptsächlich Bedeutung als Anknüpfungspunkt für die Anwendung des Überwachungsgesetzes von 1961 und für die darin vorgesehenen Kontrollbefugnisse der Zollbeamten. Der Inhalt der für einen Austausch in Betracht kommenden sowjetzonalen Zeitschriften und Zeitungen, wie das „Neue Deutschland", verstößt nun keineswegs nur gegen § 93, sondern, wie ich schon betonte, regelmäßig gegen eine Reihe weiterer Strafvorschriften, insbesondere gegen das Verbot der Werbung für eine verbotene Partei, gegen § 91 StGB, gegen Beleidigungs- und Verunglimpfungstatbestände des Strafgesetzbuchs, wie die §§ 95, 96 und 97. ({3}) - Wenn wir das alles streichen, werden Sie selber sehen, daß unser Staat gefährdet wäre. Die Streichung des § 93 des Strafgesetzbuchs würde daher die Kontrolle von Massensendungen mit gezielter verfassungsfeindlicher Propaganda, die bei den Erwägungen über einen Austausch ohnehin ausscheiden, erheblich erschweren, den Zeitungsaustausch selbst aber noch nicht ermöglichen. Für einen solchen Austausch müßten daher, wenn er akut werden sollte, ganz andere gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden, die übrigens in meinem Hause im Zusammenwirken mit den anderen beteiligten Bundesressorts im Entwurf bereits vor der Fertigstellung stehen. So viel zum Vorschlag, § 93 des Strafgesetzbuchs zu streichen. Auf dem Gebiet des Landesverrats sieht der Enwurf in dem Bestreben, die Problematik des sogenannten publizistischen Landesverrats zu lösen, Einschränkungen der Strafbarkeit vor, deren Auswirkungen nicht alle hingenommen werden können. So wird der eigentliche Landesverrat auf den Fall beschränkt, daß er Täter mit der Offenbarung eines Staatsgeheimnisses die doppelte Absicht verfolgt, der Bundesrepublik Deutschland einen Nachteil zuzufügen und eine feindliche Macht zu begünstigen. Daneben soll lediglich noch die sogenannte fahrlässige Geheimnispreisgabe mit Strafe bedroht werden, d. h. vorsätzliches Offenbaren in Verbindung mit nur fahrlässiger Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik. Der Entwurf verkennt dabei einmal, daß der gemeine Spion, den der vorgeschlagene § 99 Abs. 1 treffen soll, durchaus nicht immer die hier verlangte Absicht verfolgt. Gerade dem bezahlten Agenten, dem es nur auf das Geld ankommt, kann die mit der Offenbarung des Staatsgeheimnisses verbundene Machtverschiebung zwischen den Staaten völlig gleichgültig sein. Er nimmt diese Folge, wie wir Juristen sagen, billigend in Kauf, handelt also nur mit Eventualvorsatz. Aber selbst wenn er mit direktem Vorsatz handelt, kommt es ihm nicht darauf an, daß die Bundesrepublik benachteiligt und ihr Wohl gefährdet wird. Es fehlt also an der im Entwurf geforderten Absicht; zum mindestens ist es fraglich, ob die Rechtsprechung hier in der Lage wäre zu helfen. Der Entwurf übersieht weiter, daß zwischen seinem absichtlichen Landesverrat und seiner fahrlässigen Geheimnispreisgabe eine Lücke der Straflosigkeit klafft, die nicht offenbleiben darf. Der Täter nämlich, der ohne die in § 99 des Entwurfs geforderte Absicht ein Staatsgeheimnis vorsätzlich verrät und das Wohl der Bundesrepublik nicht nur fahrlässig, sondern vorsätzlich gefährdet, wird von keinem der beiden Tatbestände erfaßt. Auf der anderen Seite, möchte ich betonen, daß der Entwurf bei dem Versuch, die Belange der Organe der Publizistik zu berücksichtigen, einen wichtigen Gesichtspunkt für eine sachgemäße Abgrenzung richtig erkannt hat, nämlich den der verschiedenen subjektiven Einstellung des Täters. Ähnliche Unterscheidungen, die aber der Ergänzung durch weitere Gesichtspunkte bedürfen, werden seit längerem in meinem Hause erwogen und dürften zu einer auch für die Presse befriedigenden Lösung führen. Bevor ich auf die vorgeschlagene Neugestaltung des Staatsgeheimnisbegriffs mit seinen Folgerungen zu sprechen komme, sei noch - des Zusammenhangs wegen - die vorgeschlagene Streichung des § 100 c Abs. 2 StGB über den fahrlässigen Landesverrat durch Geheimnisträger erwähnt. Dieser Vorschlag wird damit begründet, daß die Vorschrift keine praktische Bedeutung gewonnen habe und an ihrer Stelle in strafwürdigen Fällen die §§ 353 b und 353 c über die Verletzung der Amtsverschwiegenheit und die Mitteilung amtlicher Schriftstücke eingriffen. Auch ich bin der Auffassung, daß eine sorgfältige Prüfung geboten ist, ob ein Bedürfnis für eine Strafvorschrift besteht, zu deren Anwendung es nur selten gekommen ist. Diese Prüfung führt aber hier zur Anerkennung eines solchen Bedürfnisses. Der Fall des Beamten, der die Aktentasche mit einem wichtigen Geheimdokument leichtfertig liegen läßt, ist nicht erfunden. Er kann sich so oder ähnlich jeden Tag wiederholen. Solchen Fällen mit einer Strafsanktion begegnen zu können, ist ein berechtigtes Bedürfnis. Die §§ 353 b und c können hier nicht helfen, da sie nur vorsätzliches Handeln mit Strafe bedrohen. Bei Geheimnisträgern, die nicht im öffentlichen Dienst stehen - man denke an Personen in Rüstungsbetrieben -, bestände nicht einmal die Möglichkeit einer disziplinaren Ahndung, wenn man § 100 c Abs. 2 streichen wollte. Von praktisch ungleich größerer Bedeutung ist der Vorschlag des Entwurfs, den geltenden materiellen Staatsgeheimnisbegriff, wie es in der Begründung heißt, durch eine Kombination des materiellen Begriffs mit dem formellen zu ersetzen. Nach dem materiellen Staatsgeheimnisbegriff ist ein Gegenstand dann ein Staatsgeheimnis, wenn er seiner Natur nach geheimhaltungsbedürftig ist, weil seine Offenbarung gegenüber einer fremden Regierung die Machtposition der Bundesrepublik gegenüber anderen Staaten gefährden würde. Nach dem formellen Staatsgeheimnisbegriff ist ein Gegenstand dann ein Staatsgeheimnis, wenn er durch besondere Sicherheitsmaßnahmen zum Geheimnis erklärt worden, also gewissermaßen unter Verschluß genommen ist. Der Entwurf will beide Begriffe kombinieren. Sein erklärtes Ziel ist es, damit die Anwendbarkeit der sogenannten Mosaiktheorie auszuschalten und die Voraussehbarkeit, ob die Offenbarung eines bestimmten Sachverhalts strafbar ist, dadurch zu erhöhen, daß dem Staatsgeheimnis eine sichtbare Warnfunktion verliehen wird. Ob es kriminalpolitisch vertretbar ist, auf die vielfach mißverstandene Mosaiktheorie zu verzichten, nach der unter bestimmten Voraussetzungen eine aus zahlreichen offenen Einzeltatsachen gewonnene neue Erkenntnis ein Staatsgeheimnis sein kann, erscheint fraglich. Das Problem bedarf eingehender Prüfung im Ausschuß. Zu dem gibt es materielle Staatsgeheimnisse, die ihrer Art nach nicht mit einem Geheimstempel versehen oder sonst erkennbar etikettiert werden können. Eine bedeutende wehrtechnische Erfindung beispielsweise, deren Geheimhaltung im elementaren Interesse des Landes steht, wäre so lange frei verfügbar, bis die Staatsorgane von ihr Kenntnis erhalten und sie durch förmliche Maßnahmen in ihren Schutz genommen hätten. Um die so entstehende Lücke auszufüllen, müßten neue Bestimmungen über eine Meldepflicht für verteidigungswichtige Erfindungen geschaffen werden, deren Verletzung wiederum mit Strafe zu bedrohen wäre, ohne daß auf diese Weise ein hinreichender Strafschutz gewährleistet werden könnte. Vor allem aber ist folgendes zu bedenken. Die formellen Schutzmaßnahmen nicht nur einer vorsichtigen Staatsverwaltung, sondern auch in den Bereichen der Wirtschaft, die mit sicherheitsbedeutsamen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben befaßt sind, würden zweifellos erheblich zunehmen. Mit anderen Worten, vom Geheimstempel würde sehr viel mehr Gebrauch gemacht werden, noch viel mehr als bisher. Damit würde nicht nur die Schwerfälligkeit des technischen Arbeitsablaufs gefördert werden. Vor allem würde den Organen der Publizistik, insbesondere den Journalisten, ein Bärendienst erwiesen, weil sie mit Sicherheitsmaßnahmen auch da rechnen müßten, wo es sich in Wahrheit gar nicht um echte Staatsgeheimnisse handelt. Der Journalist, der in der Annahme, ein Staatsgeheimnis liege materiell nicht vor, eine Sicherheitsmaßnahme durchbrochen hat, wird, wenn er das Opfer falscher Beurteilung war, den Verdacht, vorsätzlich gehandelt zu haben, schwerer abwenden können als heute. Die Hauptproblematik läge nach wie vor bei der Schwierigkeit der Abwägung, ob etwas materiell ein Staatsgeheimnis ist oder nicht. Mit dieser Kritik an dem Bemühen des Entwurfs, den Begriff des Staatsgeheimnisses einzuschränken, soll nicht gesagt werden, daß die geltende Gesetzesdefinition erhalten bleiben müßte. Es wird vielmehr versucht werden müssen, auf der Grundlage des materiellen Staatsgeheimnisbegriffs die bisherige Definition zu präzisieren und ihr festere Konturen zu geben. Mein Haus ist darum bemüht, einen entsprechenden Vorschlag auszuarbeiten. Jeder Kenner der Materie weiß, wie schwierig diese Aufgabe ist. Meine Damen und Herren, zu dem Entwurf der SPD-Fraktion ließe sich noch manches sagen, Zustimmendes, Kritisches und Abwägendes. Ich meine, es kann nicht Aufgabe dieser ersten Lesung sein, auf zu viele Einzelheiten einzugehen. Ich möchte mich daher auf die von mir gemachten Ausführungen zu einigen wichtigen Punkten beschränken, zumal sich die Stellungnahme der Bundesregierung im einzelnen aus den positiven Vorschlägen des Regierungsentwurfs ergeben wird. Lasen Sie mich statt dessen über das bisher Gesagte hinaus noch etwas Allgemeines sagen, was gleichzeitig als ein Programm meines Hauses für den Regierungsentwurf gelten mag. Auch ich bin der Auffassung, daß die Straftatbestände so klar wie möglich abgegrenzt werden müssen, damit voraussehbar ist, wer und was unter die Strafdrohung fällt. Daß diese Forderung im Bereich des strafrechtlichen Staatsschutzes schwerer zu erfüllen ist als auf anderen Gebieten des Strafrechts, liegt in der Natur der Sache. Ein besonders wichtiger Gesichtspunkt ist bei der Ausgestaltung der Staatsgefährdungsvorschriften zu beachten. Es muß sichergestellt werden, daß Kontakte zwischen Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone und Deutschen im Bundesgebiet nur insoweit in den Bereich des Strafrechts gerückt werden, wie der Schutz der freiheitlichen Ordnung vor den gefährlichen Unterwühlungsmethoden der Zonenmachthaber es erfordert. Der offenen Diskussion der Standpunkte soll kein Riegel vorgeschoben werden. Der Entwurf der SPD macht auch hierzu Vorschläge, die sich zum Teil an die Konzeption des Entwurfs 1962 anlehnen, zum Teil einen darüber hinausgehenden Abbau von Strafvorschriften vorsehen. Von besonderer praktischer Bedeutung in dem hier angeschnittenen Zusammenhang ist der Vorschlag, den § 92 des geltenden Strafgesetzbuchs über den staatsgefährdenden Nachrichtendienst, von dem auch der Entwurf 1962 nur noch einen Ausschnitt enthält, durch eine Vorschrift mit anderem Inhalt zu ersetzen. Wie weit man bei dem Abbau von Strafvorschriften im einzelnen gehen kann, wird sich erst nach sehr eingehender Prüfung und Abwägung aller Gesichtspunkte endgültig sagen lassen. Jedenfalls verfolgt auch das Bundesjustizministerium das Ziel, bei der Formulierung des materiellen Rechts den Rahmen des Strafbaren auf das für den Schutz unserer Verfassung notwendige Maß zu beschränken. Wenn mit dem angekündigten Gesetzentwurf der Bundesregierung auch - unter anderem, wie ich betonen möchte - das Ziel einer Lockerung des Verfolgungszwangs angestrebt wird, dann nicht, um tatbestandliche Einschränkungen des materiellen Strafrechts zu vermeiden. Mit einer Lockerung des Verfolgungszwangs soll für Fälle besonderer Art in denen dem Interesse an der Strafverfolgung überwiegende andere öffentliche Interessen entgegenstehen, die Möglichkeit einer rechtlich einwandfreien Lösung geschaffen werden. Wir haben dabei Fälle im Auge, die sich durch eine Änderung des materiellen Rechts nicht lösen lassen und die auch dann ungelöst bleiben würden, wenn man dem Entwurf der SPD-Fraktion in vollem Umfang folgen wollte. Ich stimme, wie gesagt, mit dem Anliegen der Fraktion der SPD grundsätzlich darin überein, daß Strafvorschriften, deren es zum Schutz unserer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung und zum Schutz der äußeren Sicherheit nicht bedarf, nicht geschaffen oder gegebenenfalls abgeschafft bzw. dem wirklichen Bedürfnis entsprechend eingeschränkt werden sollten. Dieser Gesichtspunkt wird auch von der Bundesregierung beachtet werden. Ich möchte nur vor einem warnen, nämlich vor der Gefahr einer Gelegenheitsgesetzgebung, einer Gesetzgebung, die Taten von erheblicher Gefährlichkeit außer acht läßt, weil sie zur Zeit nicht oder nur selten vorkommen. Wenn sie in einer anderen Zeit und unter anderen Verhältnissen doch und vielleicht in größerer Zahl begangen werden, müßte man die Gesetzgebungsmaschine ad hoc in Bewegung setzen, weil Straflosigkeit - auch in der Öffentlichkeit - als unerträglich empfunden würde. Man wird die Straftatbestände, deren Streichung oder wesentliche Einschränkung zu erwägen ist, auch unter diesem Gesichtspunkt sorgfältig zu prüfen haben. Wie Sie aus meinen bisherigen Ausführungen erkennen können, halte auch ich das Recht des strafrechtlichen Staatsschutzes für reformbedürftig. Mein Ziel ist es, eine Ordnung dieses Rechtsgebiets zu erreichen, die die Schlagkraft dieses wichtigen Instruments zur Verteidigung von Freiheit und Sicherheit unseres Gemeinwesens erhält und sich dabei auf das zum Schutz dieser Freiheit Notwendige beschränkt. Man hat das Strafgesetzbuch im allgemeinen und das Recht des strafrechtlichen Staatsschutzes im besonderen gelegentlich als ein Ausführungsgesetz zum Grundgesetz bezeichnet. Ich folge dem Gedanken gern und lege großen Wert darauf, daß es unseren gemeinsamen Bemühungen gelingen wird, Lösungen zu finden, denen eine breite Mehrheit im Bundestag zustimmen kann. Ich vertraue darauf, daß uns bei dieser Arbeit die gleichen Ziele leiten. Schon in der 1. Wahlperiode hat die Fraktion der SPD mit ihrem Entwurf eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie gezeigt, daß ihr ein wirkungsvoller Schutz der freiheitlichen Ordnung und der Sicherheit unseres Staates am Herzen liegt. Was auf dem Weg zu dem gemeinsamen Ziel liegt, das sind nüchterne Sachfragen, um deren Lösung wir miteinander werden ringen müssen, unpolemisch, mit, ich möchte sagen, kühler Leidenschaft der Sache gewidmet und deshalb aufgeschlossen gegenüber jedem sachlichen Argument. Möge diese gemeinsame Haltung zu einer fruchtbaren Arbeit führen! Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, aber noch ein Wort zur Prozedur sagen. Ich hoffe, daß das Hohe Haus mit mir darin übereinstimmt, daß die Reform des Staatsschutzstrafrechts, deren Bedeutung niemand in diesem Hause verkennt, auf der Grundlage sowohl des heute eingebrachten Entwurfs als auch des angekündigten Regierungsentwurfs beraten werden muß, um zu abgewogenen Ergebnissen zu kommen. Das bedeutet für die Bundesregierung die Verpflichtung, ihren Entwurf so bald wie möglich vorzulegen. Ich werde dieser Verpflichtung nachkommen. Nachkommen heißt nicht nachkleckern. Ich kann es mir nicht ganz so leicht machen wie hier der Herr Kollege Dr. Heinemann. Die Arbeit in meinem Hause an der Erstellung eines neuen Regierungsentwurfs ist in vollem Gange. Einige Bundesressorts sind bereits in die Mitarbeit eingeschaltet. Sodann werden die Landesjustizverwaltungen beteiligt werden. Schließlich muß auch die Sachkenntnis anderer Stellen, insbesondere die des Bundesgerichtshofs und der Bundesanwaltschaft, dieser Arbeit zugute kommen. Sie wird wertvoll genug sein, um sie im Interesse der Sache auch für die Beratung des vorliegenden Entwurfs fruchtbar zu machen. Bis der Regierungsentwurf dem Hohen Hause vorliegt, wäre es wünschenswert, wenn der Sonderausschuß den Allgemeinen Teil des Entwurfs eines Strafgesetzbuches zu Ende beraten würde. Im Anschluß daran könnte die Beratung des Besonderen Teils mit den Titeln Hochverrat, Staatsgefährdung und Landesverrat beginnen und mit der Beratung des Initiativgesetzentwurfs der SPD-Fraktion und der des neuen Regierungsentwurfs verbunden werden. Als Ergebnis dieser Arbeit im Rahmen der Strafrechtsreform könnte dann ohne besondere Zeitversäumnis eine Novelle zum geltenden Strafgesetzbuch beschlossen und in Kraft gesetzt werden. Mit diesem Vorziehen eines so wichtigen Teils stimme ich mit einigen meiner sozialdemokratischen Vorredner überein. Damit wäre sowohl der Strafrechtsreform gedient als auch der Wunsch nach einer vorweggenommenen Reform des Staatsschutzstrafrechts erfüllt. Wollte man umgekehrt verfahren und schon jetzt im Sonderausschuß mit der Beratung des Entwurfs der SPD beginnen, so könnten daraus schwere Nachteile entstehen. Entweder müßte man die Beratungen ohne Rücksicht auf den Entwurf der Bundesregierung durchführen oder aber sie nach der Einbringung dieses Entwurfs neu überprüfen. Beide Wege wären wohl kaum als gute Arbeitsmethode zu bezeichnen und könnten keine optimalen Ergebnisse versprechen. Außerdem geriete die Arbeit am Gesamtentwurf des neuen Strafgesetzbuches wieder ins Hintertreffen, deren Vollendung in dieser Wahlperiode uns allen, wie die Debatte des heutigen Vormittags ergeben hat, am Herzen liegt. Die Ausschußarbeiten der letzten Periode haben gezeigt, daß die vier Jahre, die zur Verfügung stehen, von Anfang an und aufs äußerste ausgenutzt werden müssen, wenn ein Werk von den Ausmaßen dieses Gesetzgebungswerkes gelingen soll. So wichtig die Reform des Staatsschutzstrafrechts auch ist - ich selbst habe ihre Wichtigkeit betont -, zum Scheitern der Gesamtreform darf sie nicht führen. ({4})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die CDU/CSU-Fraktion ist der Überzeugung, daß unser Staatsschutzstrafrecht einer Reform bedarf, und zwar auch unser materielles Staatsschutzstrafrecht. Wir sind mit Ihnen ({0}) erstens einig in dem Bestreben, diese Bestimmungen präziser und konkreter zu fassen; das ist im Interesse der Rechtssicherheit geboten. Wir sind zum anderen mit Ihnen auch darin einig, diese Bestimmungen zu straffen und dort zu streichen, wo es möglich ist. Im übrigen, verehrter Herr Kollege Heinemann, möchte ich auch betonen, daß alle diese Bestimmungen so, wie sie heute gelten, das gemeinsame Werk der drei großen Parteien in diesem Hause waren, so daß, wenn Sie schon Vorwürfe gegen den Gesetzgeber erheben wollten, diese Vorwürfe logischerweise uns alle zusammen treffen müßten. Wir sind auch mit Ihnen darin einig, daß diese Reform dringend ist. Wir meinen sogar, daß sie so wichtig ist, daß es sich lohnt, Nägel mit Köpfen zu machen. Das wird allerdings nicht möglich sein, solange nicht der Entwurf der Bundesregierung vorliegt. ({1}) - Wir trauen uns einiges zu; aber ich glaube, Sie unterschätzen die Möglichkeiten, die ein Haus wie das Justizministerium mit seinen unbestrittenen Sachkennern hat. ({2}) Ich wollte sagen, wir werden darauf drängen, den Regierungsentwurf sobald als möglich in den Händen zu halten. Worauf kommt es uns bei dieser Reform des Strafrechts an? Zunächst meine ich, daß das Strafrecht, gerade das materielle Strafrecht, nur das enthalten darf, was zur wirksamen Abwehr aller Formen der nichtmilitärischen Aggression nötig ist, aber auch alles das enthalten muß. Wir wollen nichts, was nicht unbedingt nötig ist, und es ist für uns selbstverständlich, daß in unserer Demokratie Freiheit und Menschenrechte nur so weit eingeschränkt werden dürfen, als es eben zum Schutz dieser Feiheit unabdingbar ist. Dann möchte ich ein Zweites betonen: Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß viele der Probleme, vor denen wir heute stehen, bei uns im Unterschied zu anderen Staaten dieser Erde einfach daher rühren, daß wir ein gespaltenes Land sind. Ich glaube, vieles von dem, was problematisch geworden ist und was in der Öffentlichkeit so viel Staub aufgewirbelt hat, hängt doch gerade damit zusammen, daß da Landsleute von uns herüberkommen, und zwar zwei Sorten von Landsleuten: auf der einen Seite Landsleute, die mit uns Begegnung suchen, und auf der anderen Seite Landsleute, die leider Gottes Agenten sind. Sie können beide nicht von vornherein unterscheiden, sondern das müssen Sie ja irgendwie verifizieren. Das sollten wir uns, meine ich, vor Augen halten, und angesichts dieser Problematik ist es ja gerade das Problem, unser Staatsschutzstrafgesetz so zu fassen, daß es echten gesamtdeutschen Kontakten und echter gesamtdeutscher Begegnung nicht im Wege steht. Es entspricht der Zielrichtung unserer Politik, diese gesamtdeutschen Kontakte zu suchen und zu pflegen. Wir müssen verhindern, daß unser Staatsschutzrecht solche Gespräche, die wir wünschen, verhindert oder daß solche Gespräche an diesen Bestimmungen scheitern. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir wollen auch nicht den Funktionär der SED, wir wollen auch nicht den Funktionär der FDJ strafen, der hierher kommt, um die geistige Auseinandersetzung, das geistige Gespräch und nur das zu suchen. Er soll seine Gespräche auch hier risikolos führen können. Er soll dafür nicht bestraft werden, wie auch umgekehrt jeder Bürger der Bundesrepublik in Freiheit, ohne Risiko und ungestraft solche Gespräche in der SBZ führen können sollte. Was wir allerdings nicht dulden können, ist, daß sich Kommunisten von drüben wie von hier in Kumpanei zusammensetzen, um gemeinsam Pläne zu schmieden und dann auch ins Werk zu setzen, wie sie die verfassungsmäßige Ordnung in der Bundesrepublik umstülpen können. Das hat mit gesamtdeutscher Begegnung nichts zu tun, das ist kein gesamtdeutscher Kontakt, und das sollte durch unser Staatsschutzrecht auch in der Zukunft erfaßt werden. Darum geht es, hier eine ganz klare, sachliche Abgrenzung zu finden. Da beginnt nun, glaube ich, die Meinungsverschiedenheit, verehrter Herr Kollege Heinemann, zwischen Ihnen und uns. Sie meinen, das sei offenbar allein damit zu erreichen, daß man das materielle Staatsschutzrecht genauer faßt. Ich meine, das hält - und das glaube ich Ihnen an Ihren eigenen Fällen nachweisen zu können - einer genauen Prüfung nicht stand. Denn wo passiert denn das meiste dessen, was uns peinlich ist? Das passiert doch dort, wo es um die Abgrenzung geht: Kommt da einer, um die KPD hier fortzuführen und zu fördern, oder kommt er in anderer Absicht? Darum dreht sich in über 50 % der Fälle der Konflikt. Nun haben Sie ja auf Grund eines Gesetzes, dem auch Sie zugestimmt haben, in Gestalt des § 90 a ein Verbot. Die Fälle Grasnick und der Braunschweiger Fall könnten sich immer wieder zutragen, wenn Sie diesen § 90 a stehen lassen; und Sie müssen ihn stehen lassen. Sie haben ihn auch in Ihrem Entwurf nicht herausgestrichen. Dieser Fall kann sich genauso gut zutragen, wie er sich zugetragen hat. Denn, dem Herrn Grasnick wurde vorgeworfen, daß er - das haben Sie selbst zitiert - mit seinen Rundfunksendungen dazu beigetragen habe, die Arbeit der verbotenen KPD in der Bundesrepublik zu fördern. Es ging ihm nicht bloß um eine Meinungsäußerung. Das Gilt selbst nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Darum glaube ich, daß man wohl kaum darum herumkommen wird, auch das formelle, das prozessuale Strafrecht in diesem Punkt zu ändern, und zwar dadurch, daß wir das Legalitätsprinzip, und jetzt betone ich: in einigen fest abgegrenzten Teilbereichen lockern, so wie das ein Initiativgesetzentwurf der CDU/CSU und der FDP im letzten Bundestag vorgesehen hat, wobei wir uns auf die Bestimmungen dieses Entwurfs nicht festlegen wollen. ({3}) - Der ist eingebracht worden, der stammt vom 9. Februar 1965. Es kann gerade ein Gebot der politischen Weisheit sein, auf die Einleitung eines politischen Strafverfahrens zu verzichten. Denn der Schaden, den Sie durch die Durchführung eines Strafverfahrens anrichten können, kann noch viel größer sein als der, der durch das Delikt selber erzeugt worden ist. Sie haben ja selbst gesagt: Wir wollen nicht dazu beitragen, Märtyrer zu schaffen. Wenn wir den § 90 a beibehalten - und wir müssen den § 90 a beibehalten, und auch Sie wollen ihn nicht ändern -, dann hindert niemand die Machthaber drüben, Agenten herüberzuschicken, die genau in diese Maschen laufen. Dann gibt es nur noch einen Weg, sie nicht in diese Maschen laufen zu lassen oder sie geschickt aus diesen Maschen wieder entlaufen zu lassen, und das ist eben der Fall einer Lockerung des Legalitätsprinzips. Ich möchte Ihre Bedenken gar nicht geringachten. Es ehrt Sie, daß Sie um unser Grundgesetz in diesem Zusammenhang fürchten. Aber es sollte uns doch zu denken geben, Herr Dr. Heinemann, daß wir neben der Türkei und neben Österreich der einzige Staat in unserem Kulturkreis sind, der das strenge Legalitätsprinzip in dieser Form exerziert. Ich kann nicht glauben, daß das ein echter Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip sein sollte, denn dieses Prinzip gilt auch in anderen Staaten. Übrigens bitte ich jetzt um Nachsicht. Ich bringe mit allem Humor ein Zitat - mit Genehmigung des Präsidenten -, das mir aus der „Politica" von Kirchheimer untergekommen ist; es ist der Ausspruch eines englischen Richters. Also, bitte, seien Sie nicht bös, ich werde nachher noch erklären, warum ich das gesagt habe: Daraus, daß jemand zwischen politischen und anderen Delikten keinen Unterschied sieht, kann man mit Sicherheit erkennen, ob er ein Hitzkopf oder ein Dummkopf ist. Das stammt von Cockburn, einem englischen Richter. Warum führe ich das an? Nur um Ihnen zu zeigen, daß es so abwegig nicht sein kann, wenn man beim Verfolgungszwang zwischen politischen und anderen Delikten unterscheidet. Wir wollen gar nicht von einer materiellen Reform ablenken. Wir wollen diese materielle Reform genauso, wie Sie sie wollen. Aber wir meinen, daß es eben nicht ausreicht, um diese Märtyrerfälle, um diese Grenzfälle, um den Fall Grasnick lösen zu können. Sie würden es erleben: wenn wir den Entwurf annähmen, den Sie uns vorlegen - was wir nicht tun werden -, dann kämen diese Fälle in einem Jahr wieder vor, und dann finge das ganze Problem von neuem an. Auch das ist ein Grund, auf den Regierungsentwurf zu warten. Im übrigen gibt es ja Möglichkeiten, die Entscheidung darüber, wann und wieweit das Legalitätsprinzip durchbrochen wird, wann angeklagt wird und wann nicht, einer Stelle zu übertragen, die wir politisch verantwortlich machen können oder die wir einer Gerichtsentscheidung unterstellen können. Dann müßten auch von daher Ihre Bedenken zumindest teilweise ausgeräumt sein. Aber gehen wir von diesem Problem ab. Nur noch einige Bemerkungen. Bezüglich § 92 sind wir weitgehend mit Ihnen einig. Der Begriff des „Nachrichtensammelns" ist tatsächlich von der Rechtsprechung so weit ausgelegt worden, daß es sich empfehlen dürfte, den § 92 ganz zu streichen. Dagegen gibt es bei § 93, glaube ich, nach dem, was der Bundesjustizminister hier dargelegt hat, eine solche Möglichkeit nicht. Sie kommen mit dem § 130 dem neonazistischen Schrifttum beispielsweise gar nicht bei, wenn Sie das einmal juristisch genau nachprüfen. Dieser erfaßt im übrigen ja nur die Fälle von Antisemitismus. Es gibt aber so viel nationalsozialistisches Schrifttum, das eben von dieser Tendenz beispielsweise frei ist, und da kommen Sie mit dem § 130 nicht weiter. Also müssen wir darauf achten, daß der § 93 bleibt. Dabei gestehe ich Ihnen jedoch eines zu, daß wir nämlich die gesetzlichen Vorschriften präzisieren müssen, weil sie in der Form, in der sie bestehen, zu weit gefaßt sind. Der § 93 ermöglicht auch nicht - wie das in Ihrer Begründung angedeut wurde - etwa den Zeitungsaustausch. Darum möchte ich anregen, diese Beratungen zum Anlaß dafür zu nehmen, die rechtlichen Voraussetzungen für einen eventuellen Zeitungsaustausch in der Bundesrepublik zu sichern. Wir dürfen es nicht riskieren, daß dann, wenn wir die Chance haben, einen solchen wechselseitigen Zeitungsaustausch politisch durchzusetzen, diese Absicht bei uns an rechtlichen Barrieren scheitern könnte. Ich meine also, daß wir für den Fall, daß sich das politisch einmal erreichen läßt - denn wir brauchen ja keine Furcht zu haben vor dem Bezug von Zeitschriften wie etwa des „Neuen Deutschland" -, für den Fall, daß so etwas also einmal möglich sein sollte, juristisch gerüstet sein sollten. Deshalb müßten wir tatsächlich, und zwar rechtzeitig vorher, dafür eine Handhabe schaffen, damit das gar nicht erst ein Problem wird. Ich würde es begrüßen, wenn das Bundesjustizministerium in dieser Richtung initiativ werden könnte. Wir können auch mit Ihren Vorschlägen für den Geheimnisbegriff nicht vollständig einverstanden sein. Auch dazu hat der Herr Bundesjustizminister unsere Bedenken schon dargelegt. Natürlich muß man versuchen, auch den Geheimnisbegriff zu präzisieren; denn es ist auf die Dauer unerträglich, daß ein Täter nur schwer zu erkennen vermag, wann und wo ein Geheimnis vorliegt. Es ist aber höchst zweifelhaft, ob uns Ihre Lösung, also die Kombination des formellen und des materiellen Geheimnisbegriffs, auch nur einen einzigen Schritt voranbringt. Denn was haben Sie getan? Sie haben an die Stelle der seitherigen Generalklausel den Begriff „öffentliches Allgemeininteresse" gesetzt. Ob der Schutz im „öffentlichen Allgemeininteresse" unerläßlich sei, müssen Sie nach wie vor nachprüfen. Ich möchte sehr daran zweifeln, ob dieser Begriff präziser ist als der, den Sie im Augenblick in unserem Strafgesetzbuch finden und der im Entwurf des Jahres 1962 enthalten ist. Diese Prüfung muß ja auch der Täter anstellen, ganz abgesehen davon, daß es natürlich einen weiten Bereich von Staatsgeheimnissen gibt, die nach Ihrer Regelung völlig ausfallen. Denken Sie etwa an Entdeckungen im Bereich der Wirtschaft! Das führt doch dazu, daß jeder Beamte in der Zukunft hingeht und auf Verdacht den Stempel „geheim" draufdrückt. ({4}) - Nun, darüber bin ich nicht informiert. Ich kann mir vorstellen, daß es noch genügend verantwortungsbewußte Beamte gibt, die das eben nicht tun. Im übrigen haben Sie im Ton des Vorwurfs gesagt, daß die Regierung der Opposition oder dem Bürger mit einem Stempel gewisse Geheimnisse vorenthalten wolle. Ich darf Sie nur darauf aufmerksam machen, Herr Dr. Heinemann, daß im Augenblick noch der materielle Geheimnisbegriff gilt, daß auch nach den Vorstellungen des Entwurfs von 1962, der jetzt wieder eingebracht worden ist, dieser materielle Geheimnisbegriff in Geltung ist, so daß diese Frage überhaupt nicht auftauchen kann. Wenn ich diesen Vorwurf allerdings nur herausgehört haben sollte, der jedoch bei Ihrer Fraktion von Beifall begleitet war, müßte ich mich insoweit korrigieren. Noch ein Wort zum publizistischen Landesverrat. Es besteht wohl Einigkeit darüber, daß es nicht länger angeht, den Journalisten, der ein Staatsgeheimnis veröffentlicht, in einen Topf zu werfen mit dem normalen, gemeinen Landesverräter, mit dem Agenten. Man muß also eine Differenzierung bringen, und da erkenne ich durchaus das Verdienst an, daß Sie diese Differenzierung im subjektiven Bereich suchen. Das ist sicher der richtige Weg, wobei es allerdings so, wie Sie es machen, wiederum nicht geht. Sie sagen: Es muß die Absicht dazu treten, zum Nachteil der Bundesrepublik eine fremde Macht zu begünstigen. Damit fällt eben beispielsweise der Agent heraus, der das nicht in dieser Absicht, aber durchaus vorsätzlich tut, und den können Sie dann eben nur noch mit dem Tatbestand der fahrlässigen Gefährdung einfangen. Das ist also nicht ausreichend. Aber wie gesagt, der Weg ist der richtige. Ich will mich nun nicht in weitere Einzelheiten verlieren. Entscheidend ist - da bin ich mit Ihnen einer Meinung -, daß wir diese Fragen gründlich beraten, daß der Regierungsentwurf sobald wie möglich kommt und die Beratungen dann zügig voranschreiten. Uns geht es darum, im Konflikt zwischen Menschenrecht und Freiheit auf der einen Seite, Staatsschutz auf der anderen Seite nach den optimalen Bestimmungen zu suchen, die soweit wie nötig den Schutz der Gemeinschaft und soweit wie möglich die Freiheit des einzelnen gewährleisten. ({5})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir Freien Demokraten begrüßen es, daß wir so rechtzeitig zu Beginn einer Legislaturperiode Gelegenheit haben, über die Reform des Staatsschutzrechts zu sprechen. Allerdings sind wir der Auffassung, daß das Staatsschutzrecht nicht nur die strafrechtlichen Bestimmungen umfaßt, die mit dem Entwurf der Sozialdemokratischen Partei angesprochen sind, sondern wesentlich weitergeht. Schon aus unserer Kleinen Anfrage, die wir gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode an die Regierung gerichtet haben, war klar zu ersehen, daß wir diese Reform für vordringlich erachten, sie aber auch in einen größeren Rahmen hineinstellen. Der von der SPD vorgelegte Entwurf zeigt Grundsätze auf, die auch von uns bejaht werden. Auch auf Grund dessen, was vom Herrn Bundesjustizminister besonders zum Schluß und was vom Herrn Kollegen Dr. Wörner gesagt worden ist, habe ich den Eindruck, daß wir im Grundsätzlichen gar nicht so weit auseinander sind. Was allerdings die Einzelheiten angeht, die heute schon sehr eingehend besprochen worden sind und die auch der Herr Bundesjustizminister in seiner Rede behandelt hat, muß ich Ihnen ganz ehrlich sagen: auch wenn ich mich mit dieser Materie befaßt habe, fühle ich mich heute bei der ersten Lesung nicht in der Lage, jetzt aus dem Stegreif auf diese Einzelheiten einzugehen und dazu Stellung zu nehmen. Insofern kann ich Ihnen nur unsere grundsätzliche Haltung darlegen. Allgemein geht die Auffassung dahin, daß durch die veränderten politischen Umstände neue Tatsachen, neue politische Verhältnisse geschaffen worden sind. Die nun einmal umstrittenen strafrechtlichen Bestimmungen sind im Jahre 1951 eingeführt worden. Heute herrschen andere Vorstellungen über unsere Politik gegenüber den osteuropäischen Staaten und auch gegenüber der Sowjetzone als im Jahre 1951. Wie reformbedürftig das Staatsschutzstrafrecht ist, das hat ja schon Ihre Aufzählung der Novellen, Herr Bundesjustizminister, ergeben. Zu der Frage, wie vordringlich die Reform ist, hat Herr Kollege Heinemann darauf hingewiesen, daß die Sozialdemokratische Partei bereits im Jahre 1963 bei dem damaligen Justizminister Dr. Bucher gewesen sei, und er beklagt es, daß nachher im Mai nur die Lockerung des Verfolgungszwanges einmal zur Diskussion gestellt wurde. Wenn ich mich recht erinnere, ist das nicht zu einem Initiativgesetzentwurf für den Bundestag gediehen, sondern es war innerhalb der Parteien ein Entwurf über die Lockerung des Legalitätsprinzips im Gespräch. Ja, Herr Kollege Heinemann, warum war das denn damals so? Damals waren doch der Fall Graßnick und alles, was Sie aufgeführt haben, so akut, daß ein ganz dringendes Bedürfnis bestand, eine rechtliche Basis zu schaffen, deren Fehlen wir gespürt haben. ({0}) - Herr Kollege Heinemann, Sie wissen das und das wissen auch Ihre Kollegen von der SPD, daß ich mich schon im Sonderausschuß „Strafrecht" oder bei gemeinsamen Besprechungen für eine vordringliche Reform ausgesprochen habe. Hätte ich aber nicht so intensiv im Sonderausschuß „Strafrecht" an den politischen Straftatbeständen mitgearbeitet, die uns schon in der letzten Legislaturperiode vorlagen - das betrifft vor allem das Vereinsgesetz, aber auch das Sprengstoffgesetz -, hätte ich bei diesen Beratungen nicht die Schwierigkeit dieser Materie erkennen müssen, dann wäre es mir eine Freude gewesen, Ihnen damals schon zuzustimmen, die Reform noch in der letzten Legislaturperiode zu verabschieden. Aber über eines müssen wir uns ganz klar sein: diese Reform erfordert allerschwierigste Beratung, die wir nicht innerhalb von einem oder zwei Monaten - damals ging es auf den Schluß der Legislaturperiode zu - führen können. Um so wichtiger ist es, daß wir jetzt diese so weitgehende Arbeit sofort in Angriff nehmen. Wir Freien Demokraten sind der Meinung, bevor wir über die Frage des Legalitätsprinzips sprechen, sollten wir festlegen, daß nur noch das unbedingt Notwendige bestraft werden soll. Das gesamte Staatsschutzrecht sollte auf das kriminalpolitisch und polizeilich unbedingt Notwendige beschränkt werden unter Beachtung der Grundrechte, wie das auch schon bei meinen Vorrednern zum Ausdruck gekommen ist. Soweit es sich um die strafrechtlichen Bestimmungen handelt, geht unsere Forderung genau wie die meiner Vorredner dahin - es freut mich, daß insoweit Einigkeit besteht -, daß dem Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes insofern Rechnung getragen werden muß, als die Tatbestände präziser und bestimmter gefaßt werden müssen. Herr Kollege Heinemann, das hat eben die Praxis erst ergeben. Selbst bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission war dies noch nicht so offenkundig. Es hat mich gefreut, auch aus der Antwort des Herrn Bundesjustizministers auf unsere Kleine Anfrage feststellen zu können, daß auch er nicht glaubt, daß die Bestimmungen, wie sie im Entwurf enthalten sind, heute noch ausreichen. Auf der anderen Seite, Herr Kollege Heinemann, habe ich aus der Begründung Ihres Gesetzentwurfes entnommen, daß Sie doch auch weitgehend die Ergebnisse, die in dem Entwurf 1962 enthalten sind, mit berücksichtigen wollen. Es hat mich auch gefreut, daß Sie feststellen, daß wir uns - das bedauere ich außerordentlich - einfach nicht mehr auf die Bestimmungen beschränken können, die in unserem alten Strafgesetzbuch aus kaiserlicher Zeit über Hoch- und Landesverrat enthalten sind, sondern - das kommt schon bei Ihnen in der Überschrift zu Art. 1 zum Ausdruck - daß die Gefährdung der freiheitlichen Ordnung einen strafrechtlichen Schutz verdient und daß weiterhin auch die politischen Verhältnisse, in denen wir in unserem geteilten Deutschland leben, uns zu Überlegungen führen, zu denen unsere Vorväter Gott sei Dank keinen Anlaß hatten. Soweit es sich um das schwierige Problem des Landesverrats handelt, sind wir uns auch einig, daß eine Sonderbestimmung über den publizistischen Landesverrat geschaffen werden soll, da hier der Unrechtsgehalt ein anderer ist als bei der gemeinen Spionage und auch die Frage anders zu beantworten ist, wann eine strafbare Handlung vorliegt. Die SPD glaubt, diesem Problem dadurch gerecht werden zu können, daß sie den Begriff des Staatsgeheimnisses neu formuliert. Ob das gelungen ist, kann ich im Augenblick nicht überblicken. Ich habe diesen Lösungsversuch mit großem Interesse gelesen. Ich fürchte nur, daß diese Kombination des materiellen und formellen Begriffs des Staatsgeheimnisses doch in große Schwierigkeiten führen kann. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß der Stempel „geheim" - oder auch „vertraulich" - noch viel mehr benutzt werden wird, als das schon der Fall ist. Ich habe es bisher in unserem Recht für gut gehalten, daß wir nicht den formellen Geheimnisbegriff haben, sondern den Begriff des materiellen Staatsgeheimnisses. Für den jeweiligen Beschuldigten oder Angeklagten ist dies doch eine andere Situation. Allerdings steht er dann auch vor der Schwierigkeit, entscheiden zu müssen, ob es sich tatsächlich um ein materielles Staatsgeheimnis handelt. Darauf will ich nicht weiter eingehen; dies wird eingehender Beratungen bedürfen. Es wäre natürlich schön, wenn man eine Formulierung des Begriffs des Staatsgeheimnisses finden könnte, die ganz präzise das abgrenzt, was als Staatsgeheimnis geschützt werden muß. Sollte das aber nicht möglich sein und sollte Ihre Lösung den publizistischen Landesverrat nicht schon durch die Formulierung des Begriffs des Staatsgeheimnisses ausschließen, wird wohl eine besondere Vorschrift notwendig sein. Es wäre auch noch etwas anderes zu überlegen, nämlich - das französische Recht hat ja eine Dreiteilung des Tatbestandes des Landesverrats - ob nicht noch mehr differenziert werden sollte. Ich möchte das jetzt nur andeuten. Es sollte mitberaten werden, ob nicht auch unterschieden werden sollte zwischen dem gemeinen Spion, der Westdeutscher ist und eine Treuepflicht gegenüber der Bundesrepublik hat, und dem Auslandsagenten. Ich möchte dieses Thema jetzt nicht vertiefen. Bei der Beschränkung auf das unbedingt Notwendige ist natürlich § 93 besonders angesprochen. Ich teile auch die Auffassung des Herrn Bundesjustizministers, daß es, wenn Sie wirklich den Zeitungsaustausch wollen, nicht allein bei der Überprüfung des § 93 bleiben kann, sondern daß dazu die Überprüfung auch des Verbringungsgesetzes und seiner praktischen Handhabung gehört. Ich habe das Verbringungsgesetz, als ich das erstemal im Bundestag war, mitberaten. Ich kann Ihnen versichern: Wir haben uns damals viel mehr darüber unterhalten, wie eine unliebsame Zensur von ostzonalen Filmen oder von Filmen aus den kommunistischen Ländern vermieden und trotz des Staatsschutzes doch die Freiheit nach Art. 5 des Grundgesetzes aufrechterhalten werden kann. Aber mit einer solchen Handhabung wie bei dem Anhalten von Postsendungen habe ich nicht gerechnet, und das habe ich auch nicht übersehen. Es ist etwa ein Jahr her, daß diese Beschlagnahmen in der Presse und auch im Fernsehen eine große Rolle gespielt haben. Aus diesen Gründen können wir es bei der Prüfung, wieweit die Strafbarkeit im Interesse des Staatsschutzes, im Interesse unserer freiheitlichen Ordnung wirklich notwendig ist, nicht bei einer Überprüfung allein der strafrechtlichen Bestimmungen belassen, sondern wir müssen andere Staatsschutzbestimmungen, auch wenn sie in anderen Gesetzen enthalten sind, in unsere Beratungen mit einbeziehen, also gegebenenfalls noch über den Entwurf der SPD hinausgehen und auch eine Änderung von anderen gesetzlichen Bestimmungen vornehmen. Wir Freien Demokraten sind von Anfang an - das brauche ich Ihnen nicht besonders zu sagen -, besonders diejenigen, die dem Gesamtdeutschen Ausschuß angehören - die Auffassung unseres Gesamtdeutschen Ministers und der Freien Demokratischen Partei ist ja weit und breit bekannt -, für eine Politik der kleinen und mittleren Schritte gewesen. Wir haben immer die Auffassung vertreten: Wir brauchen die geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus nicht zu scheuen. Wir brauchen auch die Begegnung unserer Jugend mit der deutschen Jugend in der sowjetischen Zone nicht zu scheuen, weder auf dem politischen noch auf dem kulturellen noch auf dem sportlichen Gebiet. Im Gegenteil, es muß unser Bestreben sein zu verhindern, daß sich die Menschen diesseits und jenseits von Mauer und Stacheldraht auseinanderleben, und dafür zu sorgen, daß diejenigen, die die deutsche Sprache sprechen, auch immer wieder in deutscher Sprache zueinander reden können. Auch Diskussionen -- darüber besteht ja anscheinend auch mit Ihnen, Herr Kollege Dr. Wörner, Einigkeit -, auch politische Auseinandersetzungen mit Angehörigen der SED usw. müssen möglich sein. Über eines müssen wir uns nämlich klar sein: bei unseren Bemühungen um die Wiedervereinigung werden wir um die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus auch im Geistigen und Politischen nicht herumkommen. Gerade die Verhältnisse in Berlin, wo die SED ja zugelassen ist, haben doch gezeigt, daß wir den Kommunisten und seinen Geist nicht zu fürchten brauchen, und unsere Jugend - das weiß ich aus Diskussionen - ist absolut gewappnet, ihm entgegenzutreten. Eine Meldung in den letzten Tagen besagte, daß es dem Schriftsteller Heym verwehrt wird, zu einer Diskussion mit bestimmt nicht rechts stehenden anderen Schriftstellern in dem Westen zu kommen. Das war ja Ihr ({1}) Lobredner vor der Wahl, Herr Graß. Dafür, daß selbst das nicht gebilligt wird, daß eine derartige Diskussion untersagt werden kann, hat unsere Jugend kein Verständnis. Deswegen müssen wir unser gesamtes Staatsschutzrecht darauf hin überprüfen, ob in ihm Bestimmungen enthalten sind, die einer derartigen geistigen Begegnung entgegenstehen, sei es einer persönlichen Aussprache, sei es auch einem Austausch von Zeitungen. Dabei bin ich mir bewußt: wir können und werden wahrscheinlich in dieser Beziehung gegenüber kommunistischem Schrifttum aus der Zone wesentlich großzügiger und entgegenkommender sein - und sollten es auch gerade im Interesse der Kennzeichnung der unterschiedlichen politischen Verhältnisse - als die Kommunisten uns gegenüber. ({2}) Denn damit geben wir den Beweis, daß wir ein freiheitlich demokratischer Rechtsstaat sind. Noch etwas zu dem weiteren Verfahren. Herr Kollege Jahn, Sie erinnern sich noch an die Besprechung, die wir - es nahmen Vertreter aller drei Fraktionen an ihr teil - seinerzeit mit Herrn Justizminister Bucher im Zusammenhang mit der Vorlage hatten, die die Lockerung des Legalitätsprinzips betraf. Damals ging es um die Frage, was vordringlich verabschiedet werden sollte, und Sie stellten seinerzeit nicht nur das Legalitätsprinzip zur Diskussion, sondern auch die Frage, inwieweit unser Strafverfahren in einzelnen Punkten vordringlich einer Reform bedürfe. Ich denke dabei an das Problem, das auch bei der ersten Lesung der großen Strafrechtsreform angeschnitten wurde, nämlich das Problem des „geheimen Zeugen".

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne!

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß der von mir zitierte Antrag der Koalitionsfraktionen die Drucksachen-Nummer IV/3048 trägt, unter dem 9. Februar 1965 eingebracht, im Bundestag auch kurz diskutiert und einem Ausschuß überwiesen, dann allerdings nicht zu Ende beraten wurde?

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehen Sie, das war eben so kurz. Mir war die andere, eingehendere Besprechung, die wir ohne Drucksache hatten, viel besser in Erinnerung. Wenn wir nun zunächst diese materiellen strafrechtlichen Bestimmungen reformiert haben, sollten wir überlegen, ob nicht wenigstens einige Bestimmungen unseres Strafverfahrensrechts vordringlich geändert werden müssen. Ich denke hier besonders an den „geheimen Zeugen". Ich denke weiter an die Alleinzuständigkeit des Bundesgerichtshofs bei schweren politischen Straftaten. Wir haben diese Frage in unserer Anfrage angeschnitten. Mit Ihrer Antwort, Herr Bundesjustizminister - das dürfen Sie mir nicht übelnehmen -, kann ich mich nicht zufriedengeben. Eine Verschiebung dieser Reform bis zur Verabschiedung der großen Strafverfahrensreform - hoffentlich ist es bis dahin so weit, daß wir weitere Staatsschutzbestimumngen überhaupt nicht mehr brauchen - sieht mir doch zu sehr nach einer Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag aus. Sie hatten auf eine Denkschrift aus dem Jahre 1951 hingewiesen. Ich gehörte damals dem Hohen Hause nicht an. In dieser Denkschrift wurde schon um diese Probleme gerungen. Ich muß mir die Denkschrift erst besorgen. In den Weihnachtsferien konnte ich sie zu Hause natürlich nicht erhalten. Sie sagten selbst, in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage, daß darin verschiedene Lösungsvorschläge aufgezeigt waren. Wir sollten sie uns, um in allen Verfahren zu einer zweiten Instanz zu kommen, sehr genau überlegen und sollten sehr genau überprüfen, ob wir eine Verfahrensreform nicht im Anschluß an die materielle Reform vornehmen sollten. Ich habe gesagt, man müsse aus dem Strafbaren zuerst einmal alles aussondern, was strafrechtlich nicht unbedingt notwendig ist. Soweit danach Strafbestimmungen übrigbleiben oder -bleiben müssen, muß eine Präzisierung nach dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 GG vorgenommen werden. Ich teile aber die Auffassung, die seitens der Regierung und von Herrn Kollegen Dr. Wörner geäußert wurde, daß trotzdem infolge unserer politischen Situation Fälle bleiben, bei denen wir um eine Lockerung des Verfolgungszwangs wohl nicht herumkommen können. Es wird sich dadurch, daß zuerst die Einschränkung erfolgt, nur um einen ganz kleinen Kreis handeln. Wir werden uns im Ausschuß sehr eingehend darüber unterhalten müssen. Ich muß Ihnen ganz ehrlich gestehen: Ich habe mich sehr schwer zu dieser Erkenntnis durchgerungen. Ich habe mich aber leider dazu durchringen müssen. Es war für mich nämlich einer der Grundsätze, die ich noch aus dem Studium kannte, daß das Legalitätsprinzip eng verbunden sei mit dem Rechtsstaatsprinzip. Aber, meine Damen und Herren, Herr Kollege Wörner hat darauf hingewiesen, daß der absolute Verfolgungszwang auch in staatsschutzstrafrechtlichen Verfahren tatsächlich nur in Deutschland, in Osterreich und der Türkei besteht. Ich kann Ländern wie der Schweiz und England deshalb nicht die Rechtsstaatlichkeit absprechen, weil sie nicht diesen absoluten Verfolgungszwang haben. Worauf es ankommt, ist, daß eine richtige Lösung gefunden wird, indem man einen ganz eng begrenzten Kreis von Straftaten erfaßt, und die Entscheidung hierüber durch eine Stelle erfolgt, die politisch verantwortlich ist. Das sind die Grundsätze, nach denen wir Freien Demokraten bei den Beratungen im Sonderausschuß „Strafrecht" an die Reform herangehen wollen. Über die Einzelheiten, wie die Beratungen stattfinden, werden wir uns morgen früh im Ausschuß eingehend unterhalten. Uns liegt daran, mit dieser Reform in einer Novelle möglichst bald eine Anpassung auch dieser staatsschutzrechtlichen Bestimmungen an unsere Außenpolitik erreichen. Uns liegt daran, daß überall die Grundrechte beachtet werden, daß gerade Art. 5, der die Meinungs- und Pressefreiheit garantiert, in vollem Umfang zum Zuge kommt. Uns liegt daran, alle Barrieren auch auf rechtlichem Gebiet zu beseitigen, die menschlichen Begegnungen von Deutschen im Westen mit Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone auf kulturellem, sportlichem und politischem Gebiet entgegenstehen. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich habe keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist die Aussprache über Punkt 4 b geschlossen. Wir haben nunmehr darüber zu beschließen, wohin diese Vorlage überwiesen werden soll. Der Ältestenrat schlägt Ihnen Überweisung an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform vor. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 5 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Rollmann, Hauser ({0}), Dr, Hammans, Dr. Klepsch und Genossen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes - Drucksache V/70 Vizepräsident Dr. Schmid Keine Wortmeldungen. Der Altestenrat schlägt Überweisung an den Finanzausschuß vor. - Das Haus ist einverstanden. Ich rufe auf Punkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmidt ({1}), Bading, Dr. Hamm ({2}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung - Drucksache V/81 Der Ältestenrat schlägt vor: Rechtsausschuß federführend, Ausschuß für Gesundheitswesen und Wirtschaftsausschuß mitberatend. Ist das Haus einverstanden? ({3}) - Bitte, wenn Sie sich zu Wort melden wollen, bemühen Sie sich zur Tribüne!

Dr. Ludwig Hamm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000792, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um die Frage, welchen Ausschüssen dieser Antrag überwiesen werden soll. Ich stelle ausdrücklich den Antrag, federführend den Gesundheitsausschuß zu nehmen, mitberatend den Rechtsausschuß und den Wirtschaftsausschuß. Hier handelt es sich um eine Gesetzesänderung betreffend die Luftreinhaltung. Eine frühere Änderung im Jahre 1959 - Lufthygienegesetz - ist ebenfalls vom Gesundheitsausschuß federführend beraten worden. Ich glaube, es liegt im Interesse der Sache, daß der Gesundheitsausschuß die Federführung bei der Beratung erhält und der Rechtsausschuß und der Wirtschaftsausschuß mitberatend tätig werden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Der Ältestenrat hat das Problem sehr ausgiebig in Gegenwart des Herrn Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses besprochen. Man war im Ältestenrat der Meinung, daß die Hauptprobleme bei diesem Gesetz rechtlicher Art sind, und hat deswegen geglaubt, den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß empfehlen zu sollen. Aber das Haus ist souverän. - Bitte, Frau Dr. Hubert!

Dr. Elinor Hubert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000969, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesundheitsausschuß hat sich auch mit dieser Frage befaßt. Die Kollegen, die diesen Entwurf eingebracht haben, waren selbst der Meinung, daß sie hier von einer gesundheitlichen Notwendigkeit ausgegangen sind und daß nun der Rechtsausschuß praktisch zunächst einmal die Grundsatzfrage entscheiden müßte: Ist dieser Gesetzentwurf aus gesundheitlichen Gründen notwendig? Diese Grundsatzfrage wäre daher zuerst zu entscheiden. Dann spielen natürlich auch juristische Momente eine große Rolle, nämlich ob es auf diesem Wege geht; das ist ganz klar. Aber ich glaube, das Grundanliegen der Antragsteller ist die Frage: Müssen hier Schutzmaßnahmen aus gesundheitlichen Gründen erfolgen? Darum muß ich die Meinung der Mitglieder des Gesundheitsausschusses wiedergeben.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren! Wir werden abstimmen. Zunächst stimmen wir ab über den Antrag, die Vorlage an den Ausschuß für Gesundheitswesen als federführenden Ausschuß zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; abgelehnt. Wer die Vorlage an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß überweisen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; dann ist der Rechtsausschuß federführend. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden, daß die beiden anderen genannten Ausschüsse dann mitberaten werden. Punkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. März 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Philippinen über die Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache V/140 Hier schlägt der Ältestenrat vor: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen federführend, Auswärtiger Ausschuß und Ausschuß für Entwicklungshilfe mitberatend. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen. Punkt 8: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juli 1962 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Staates Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei der Gewerbesteuer - Drucksache V/142 Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an den Finanzausschuß zu überweisen. Kein Widerspruch? - Es ist 'so beschlossen. Punkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1962 über die Haftung der Gastwirte für die von ihren Gästen eingebrachten Sachen - Drucksache V/146 Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an den Rechtsausschuß zu überweisen. - Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen. Punkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Einbringung von Sachen bei Gastwirten - Drucksache V/147 590 Vizepräsident Dr. Schmid Nach dem Vorschlag des Ältestenrats soll die Vorlage an den Rechtsausschuß überwiesen werden. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen. Punkt 11: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Herwarth-von-Bittenfeld-Kaserne in Münster ({0}) an die Stadt Münster - Drucksache V/82 Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für das Bundesvermögen vor. Kein Widerspruch? - Es ist so beschlossen. Punkt 12: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des Grundstücks in Berlin-Kreuzberg, Mehringdamm 20-30, Ecke Obentrautstraße 1-21, an das Land Berlin - Drucksache V/134 Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an den Ausschuß für das Bundesvermögen zu überweisen. Kein Widerspruch? - Es ist so beschlossen. Punkt 13: Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Einundvierzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 ({1}) - Drucksache V/139 Vorschlag des Ältestenrats: Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatenden Ausschuß. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen. Damit ist die Tagesordnung erschöpft. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags ein auf morgen, Freitag, den 14. Januar, 9 Uhr. Ich schließe die Sitzung.