Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe eine amtliche Mitteilung zu machen. Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 25. Oktober 1967 mitgeteilt, daß der Abgeordnete Dr. Hellige der Fraktion der CDU/CSU mit Wirkung vom 24. Oktober 1967 beigetreten ist.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Verkehr hat am 23. Oktober 1967 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}), Bading, Mertes und Genossen betr. Probleme des Überschallverkehrs - Drucksache V/2147 ({1}) - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2210 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr hat am 25. Oktober 1967 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wächter, Frieler, Roß, Dr. Siemer und Genossen betr. Ausbau der Bundesstraßen im Verwaltungsbezirk Oldenburg - Land Niedersachsen - Drucksache V/2145 ({2}) - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2212 verteilt.
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zur Erledigung unserer Tagesordnung. Wir treten ein in die
Fragestunde
- Drucksachen V/2188, zu V/2188 -.
Zunächst steht der Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen an. Frage 54 der Frau Abgeordneten Funcke:
Welche festen Termine kann die Bundesregierung für die Verabschiedung der noch ausstehenden, überfälligen Durchführungsbestimmungen zur Mehrwertsteuer angeben?
Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Parlamentarische Staatssekretär Leicht.
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Funcke, lassen Sie mich zunächst feststellen, daß zwei dringliche Verordnungen zur Durchführung des neuen Umsatzsteuergesetzes bereits ergangen sind. Ihnen brauche ich das an sich nicht zu sagen.
Zweitens darf ich feststellen, daß dem Hohen Hause zwei Gesetzentwürfe vorliegen, die gerade wegen der neuen Mehrwertsteuer nun Regelungen bringen sollen.
Darüber hinaus sind eine ganze Reihe von Erlassen bereits ergangen. Weitere sind in Vorbereitung und stehen kurz vor dem Erlaß.
Es sind dann weiter noch fünf Bereiche vorhanden, die durch Verordnungen geregelt werden müssen. Es sind dies:
1. eine Verordnung über die Verkürzung der zeitlichen Bindungen bei den Optionen der kleinen Unternehmer sowie der Land- und Forstwirte für die allgemeine Besteuerung,
2. eine Verordnung über Vereinfachungen im grenzüberschreitenden Personen-Beförderungsverkehr,
3. eine Verordnung zur Festsetzung von Durchschnittssätzen für nicht buchführungspflichtige Unternehmer,
4. eine Verordnung über Erleichterungen bei der Besteuerung der Straßenhändler,
5. Verordnungen zur Anpassung der umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut und des Offshore-Steuerabkommens an die Mehrwertsteuer.
Die Vorarbeiten sind so weit gediehen, daß diese Durchführungsverordnungen verkündet werden können, wenn die im Augenblick noch schwebenden Besprechungen, insbesondere die Besprechungen mit den Verbänden der Wirtschaft abgeschlossen sind. Wir hoffen, daß das sehr schnell möglich ist, und wir bemühen uns natürlich, das so schnell wie möglich zu erreichen.
Eine Zusatzfrage, Frau Funcke.
Herr Staatssekretär, so dankenswert es ist, daß Sie sich jetzt sehr bemühen - sind nicht auch Sie der Meinung, daß es allmählich unzumutbar ist, daß acht Wochen vor Inkrafttreten der neuen Mehrwertsteuer fünf entscheidende Verordnungen noch nicht erlassen worden sind?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das ist nicht besonders erfreulich. Ich muß aber darauf hinweisen, Frau Kollegin, wie sehr gerade die Leute, die mit diesen Dingen beschäftigt sind, auch im Ministerium, in den letzten Monaten angespannt waren.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Funcke.
Herr Staatssekretär, wird bei diesen Pauschalierungen auch vorgesehen werden, daß Betriebe bis zu einer bestimmten Größenordnung, etwa von 250 000 DM, eine Mindestpauschalierung zugestanden bekommen - etwa von 21/2 oder 3 % -, die bewirkt, daß in diesen Größenordnungen nicht der Unternehmer mit der Einzelerfassung der Vorsteuer mehr Arbeit hat, als sie bringt?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Soweit ich informiert bin, ist das nach dem letzten Stand nicht vorgesehen.
Ich rufe dann die Fragen 55 und 56 der Abgeordneten Frau Funcke auf:
Wie hoch belaufen sich die Lohnsteuerausfälle durch kurzfristig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigte ausländische Arbeitskräfte, die auf Grund der kurzfristigen Beschäftigung Anträge auf Lohnsteuerjahresausgleich stellen?
Ist die Bundesregierung bereit, eine Änderung des Einkommensteuergesetzes dahingehend vorzulegen, daß kurzfristig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigte ausländische Arbeitskräfte keinen Antrag auf Lohnsteuerausgleich wegen eines nur während einiger Monate bezogenen Jahreseinkommens stellen können?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich darf die Frage 55 der Frau Kollegin Funcke wie folgt beantworten. Statistische Angaben über die Lohnsteuerausfälle durch kurzfristig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigte ausländische Arbeitskräfte, die auf Grund der kurzfristigen Beschäftigung Anträge auf Lohnsteuerjahresausgleich stellen, liegen nicht vor; die Ausfälle lassen sich auch nicht mit hinreichender Genauigkeit schätzen.
Zur zweiten Frage, Frau Kollegin: Das Bundesfinanzministerium prüft zur Zeit auf Grund von Anregungen, die auch von anderer Seite an mein Haus herangetragen worden sind, ob in den Fällen, in denen die unbeschränkte Steuerpflicht nicht während des ganzen Kalenderjahres bestanden hat, eine Rechtsänderung im Sinne Ihrer Anfrage möglich ist. Dabei ist jedoch zu bedenken, daß sich die Rechtsänderung nicht allein auf die Besteuerung ausländischer Gastarbeiter beschränken könnte; sie müßte aus Gründen der Gleichbehandlung für alle Steuerpflichtigen gelten, die nur in einem Teil des Kalenderjahres als unbeschränkt Steuerpflichtige Einkünfte bezogen haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Imle.
Wenn ich davon ausgehen darf, daß es sich hier um einen Gesamtkomplex handelt, darf ich vielleicht, Herr Staatssekretär, noch hinsichtlich der Mehrwertsteuer und ihren Durchführungsbestimmungen die Frage stellen, -
Herr Abgeordneter, es tut mir leid, Sie können diese Frage nicht stellen. Die Zusatzfrage, die Sie stellen wollen, bezieht sich auf die erledigte Frage 54. Sie haben sich nicht zeitig genug gemeldet.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Borm auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Zuschüsse zum Berlin-Flugverkehr auch dann zu kürzen, wenn sich dadurch die Flugpreise erhöhen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich darf Ihre Frage, Herr Kollege Borm, wie folgt beantworten. Im Entwurf des Bundeshaushalts 1968 ist in Auswirkung der mehrjährigen Finanzplanung eine Herabsetzung der Beihilfen für den Berlin-Flugverkehr um die Hälfte vorgesehen. Ob diese Kürzung zu einer gewissen Erhöhung des vom Fluggast zu zahlenden Anteils am Flugpreis führen muß, kann im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden. Mit dem Berliner Senat ist vereinbart, über die damit zusammenhängenden Fragen im Laufe des Monats November noch weitere Verhandlungen zu führen. Die Bundesregierung wird dabei eine für den Bund, für Berlin und für die Berlin-Reisenden vertretbare Regelung anstreben. Bei den Beratungen über den Einzelplan 60 des Bundeshaushalts 1968 wird die Bundesregierung entsprechende Vorschläge unterbreiten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Borm.
Herr Staatssekretär, haben Sie dabei berücksichtigt, daß es eine ganze Reihe Bürger in der Bundesrepublik und in Berlin gibt, die aus irgendwelchen Gründen gezwungen sind, den Flugweg in Anspruch zu nehmen?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Selbstverständlich wird das berücksichtigt.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Borm.
Darf ich Sie fragen, Herr Staatssekretär, wem Sie den Vorzug geben würden: der Ersparnis im Bundeshaushalt oder der Notwendigkeit, gefährdete Bürger nur über den Flugweg befördern zu können?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ganz so einfach kann man die Frage nicht stellen, Herr Kollege Borm; aber natürlich haben wir bei unseren Überlegungen diese Frage sehr sorgfältig geprüft und werden das auch bei den noch kommenden Verhandlungen tun.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Cramer auf:
Ist der Bundesfinanzminister in der Lage, aus der Rechtsbehelfsbelehrung zum Fragebogen für die EinheitswertbescheidHauptfeststellung auf den 1. Januar 1964 - Vordruck EW 118 - den 2. Absatz folgenden Wortlauts allgemeinverständlicher auszudrücken:
Vizepräsident Dr. Mommer
„Einwendungen gegen Entscheidungen in diesem Feststellungsbescheid koenen nur durch Einspruch gegen diesen Bescheid geltend gemacht werden. Ein Bescheid, dem die in diesem Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen zugrunde gelegt werden, kann nicht mit der Begründung angefochten werden, daß die Entscheidungen in diesem Feststellungsbescheid unzutreffend seien."
Bitte, Herr Staatssekretär!
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ihre Frage, Herr Kollege Cramer, darf ich wie folgt beantworten. Der von Ihnen bezeichnete Vordruck EW 118 ist mir nicht bekannt. Die Einheitswertbescheide sind von den einzelnen obersten Finanzbehörden der Länder, die für die Durchführung der Einheitsbewertung zuständig sind, ausgearbeitet worden. Für die Rechtsbehelfsbelehrung ist offenbar ein allgemeines, zwischen dem Bundesfinanzministerium und den obersten Finanzbehörden der Länder abgestimmtes Muster übernommen worden.
Der von Ihnen zitierte Teil der Rechtsbehelfsbelehrung geht über den nach § 237 der Reichsabgabenordnung vorgeschriebenen Inhalt einer Rechtsbehelfsbelehrung hinaus. Er soll die Steuerpflichtigen in deren Interesse darauf hinweisen, daß dem Einheitswertbescheid besondere Bedeutung zukommt, weil er unter Umständen die Grundlage für andere Bescheide bilden kann, und sie deshalb zu besonders sorgfältiger Prüfung des Einheitswertbescheids veranlassen.
Ich werde in meinem Hause dafür sorgen, daß bei nächster Gelegenheit mit den obersten Finanzbehörden der Länder überlegt wird, ob dieser Teil der Rechtsbehelfsbelehrung allgemeinverständlicher gefaßt werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Cramer.
Herr Staatssekretär, .sind Sie der Ansicht, daß es verfassungsgemäß ist, Sachentscheidungen der untersten Ebene der Exekutive - hier also eines Finanzamtes - für unanfechtbar zu erklären, d. h. also Verwaltungsakte jeglicher rechtlichen und sachlichen Nachprüfung zu entziehen?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Auch diese Frage kann man nicht global beantworten, Herr Kollege Cramer. Ich nehme an, daß wir nichts Verfassungswidriges tun.
Noch eine Frage, Herr Cramer.
Herr Staatssekretär, wenn dieses Formular so bleibt, wie es jetzt ist mit den geheimnisvollen Zeichen, beabsichtigt dann das Finanzministerium etwa Schulungskurse für Steuerbürger für die Deutung von Symbolen der maschinellen Datenverarbeitung einzuführen und, von Grundbesitzern den Nachweis des Bestehens solcher Kurse zu verlangen?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Wenn mir der Herr Präsident gestattet, Herr Kollege Cramer, würde ich gern erst Ihre Hauptfrage beantworten, bevor Sie Zusatzfragen zu dieser Hauptfrage stellen. Dann wird es vielleicht einfacher.
Bitte, Herr Staatssekretär, tun Sie das. Frage 59 des Abgeordneten Cramer:
Billigt der Bundesfinanzminister es, daß den Empfängern derartiger Feststellungsbescheide ({0}) die Nachprüfung der Berechnungs- und Entscheidungsgrundlagen des Einheitswertbescheids dadurch erschwert wird, daß auf den Berechnungsunterlagen ({1}) nur in Codezeichen für datenverarbeitende Maschinen ({2}) angegeben wird, welche Grundrechnungsart bzw. Prozent- oder Promilleberechnung zu jeweils welcher Zahl anzuwenden ist?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Ausgestaltung der Einheitswertbescheide hängt bei einer Verwendung von Buchungsautomaten, wie es offenbar hier der Fall ist, von deren technischer Ausstattung ab. Hat die Maschine eine beschränkte Druckwerkkapazität, so läßt es sich nicht vermeiden, im Einheitswertbescheid Symbole oder Codezeichen zu verwenden. Werden elektronische Datenverarbeitungsmaschinen eingesetzt, sind Symbole oder Codezeichen nicht notwendig. Darauf, welche Maschinen von den Länderfinanzverwaltungen eingesetzt werden, hat das Bundesfinanzministerium keinen Einfluß.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Staatssekretär, halten Sie diese Aktion der Hauptfeststellung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1964 in Anbetracht des erheblichen Aufwandes an Papier und Arbeit durch Behörden und Steuerbürger für eine gute Leistung - im Sinne des Leistungsprinzips - der verantwortlichen Behörden?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich würde sagen: es sind Notwendigkeiten, Herr Kollege Cramer, um die wir einfach nicht herumkommen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie so verstehen, daß Sie mit den Länderbehörden verhandeln wollen, um die Fragebogen einfacher zu gestalten, damit der Steuerbürger damit auch etwas anfangen kann?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Vereinfachung der Fragebogen hat schon einmal eine große Rolle gespielt. Damals ist bereits Abhilfe geschaffen worden.
Parlamentarischer Staatssekretär Leicht
Ich weiß nicht, ob es Möglichkeiten gibt, in dieser Frage denjenigen noch mehr entgegenzukommen, die diese Fragebogen ausfüllen müssen.
Eine Zusatzfrage, Herr Enders.
Herr Staatssekretär, kann man aus Ihrer Bereitschaft, diese Fassung in eine klarere Form zu bringen, schließen, daß Sie bereit sind, auch in anderen Sektoren Ihres Arbeitsbereichs das sogenannte Amtsdeutsch oder die Juristensprache in eine Form zu bringen, die für die breite Masse der Bürger verständlich ist?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das ist eine Selbstverständlichkeit.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stecker.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß die Kompliziertheit und die Schwierigkeiten in der Verwaltung großenteils durch die von diesem Hause verabschiedeten sehr perfekten Gesetze verursacht werden?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Natürlich haben Sie recht. Das ist hier schon oft ausgeführt worden.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Die Fragen 60 und 61 stellt der Abgeordnete Kiep.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das Verfahren, das bei der gegenwärtigen Ausschreibung des Entwicklungsfonds der Europäischen Gemeinschaften für die Erstellung einer Seewasserdestillation auf den Niederländischen Antillen angewandt wird, geeignet ist, den Wettbewerb zwischen den Anbietern zugunsten niederländischer Firmen einzuschränken?
Bei Bejahung der Frage 60: Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um zukünftig derartige Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 25. Oktober 1967 lautet:
1. Bei den zur Zeit laufenden EEF-Ausschreibungen der Niederländischen Antillen zum Projekt Seewasserdestillation auf St. Martin sind die Ausschreibungsunterlagen in niederländischer Sprache gefaßt und auch die Angebote in dieser Sprache abzugeben. Für interessierte Unternehmen aus dem nichtholländischen Sprachgebiet wird somit die Übersetzung der verschiedenen Unterlagen erforderlich.
2. Die Bundesregierung ist in die Abwicklung der EEF-Ausschreibungen nicht eingeschaltet, da dies Sache der Kommission ist. Die Bundesregierung hat aber Ihre Anfrage zum Anlaß genommen, Erkundigungen einzuziehen. Verschiedene deutsche Unternehmen haben die Ansicht geäußert, niederländische Anbieter hätten infolge der für sie nicht anfallenden Übersetzungsarbeiten Angebotsvorteile gegenüber Unternehmen aus den übrigen Ländern der Gemeinschaft.
Es entspricht internationaler Übung, daß sowohl Ausschreibungsunterlagen als auch eingereichte Angebote in der Sprache des ausschreibenden Landes abgefaßt sind. Diese Regelung, von der aus praktischen Gründen nicht abgegangen werden kann, gilt auch für EEF-Ausschreibungen.
3. Danach kann das bei dem o. a. Projekt angewandte Ausschreibungsverfahren nicht als Wettbewerbsbeschränkung angesehen werden. Die Bundesregierung hat aber Ihre Anfrage zum Anlaß genommen, bei der EG-Kommission um Verlängerung der Angebotsfristen für die in Frage kommenden Ausschreibungen von jeweils einem Monat nachzusuchen. Die
Kommission kann nur in Abstimmung mit den ausschreibenden Behörden der Niederländischen Antillen diesem Antrag stattgeben. Die Kommission ist darüber hinaus gebeten worden, bei EEF-Ausschreibungen aus dem niederländischen Sprachgebiet in Zukunft von vornherein auf Angebotstristen hinzuwirken, die ausreichende Möglichkeiten für die Angebotsausarbeitung auch durch nichtholländische Anbieter sicherstellen.
Im übrigen würde es die Initiative der Bundesregierung unterstützen, wenn seitens der interessierten Unternehmen und Verbände - unter nachrichtlicher Mitteilung an das für Fragen des EEF zuständige Bundesministerium für Wirtschaft - unmittelbar bei der Kommission auf eine Verlängerung der Angebotsfristen für EEF-Ausschreibungen hingewirkt würde.
Frage 62 des Abgeordneten Dr. Stecker:
Hat die Bundesregierung bereits Vorstellungen darüber entwickelt, wie nach dem Auslaufen der Altölbeihilfen die Beseitigung der Ölrückstände erfolgen soll?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Stecker, die Bundesregierung und die für die Wasserwirtschaft zuständigen Ressorts der Länder beabsichtigen, eine Beseitigung der Altöle und anderer Ölrückstände zu sichern, die unseren Gewässern nicht schadet. Ein Gesetz über die Überwachung des Verbleibs mineralölhaltiger und ähnlicher Abfallstoffe durch die Länder wird vorbereitet.
Prinzipiell ist die Bundesregierung der Auffassung, daß nach dem Auslaufen der Altölbeihilfe die Kosten für die Beseitigung der Altöle und der Ölrückstände von den Stellen und Ölverbrauchern zu tragen sind, bei denen diese Abfälle auftreten. In welcher Form diese Beseitigung geschieht, wird möglicherweise von den regionalen Verhältnissen beeinflußt und soll im übrigen dem Wettbewerb unter den Beseitigungsarten überlassen bleiben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Stecker.
Herr Staatssekretär, können wir damit rechnen, daß zu dem Zeitpunkt des Auslaufens der Altölbeihilfe tatsächlich ein lückenloses System vorliegen wird, das uns nicht wieder zwingt, eine sehr teure Maßnahme ins Auge zu fassen, einfach deswegen, weil sonst die Reinhaltung der Gewässer nicht gewährleistet ist?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Bundesregierung stimmt mit Ihnen überein, daß dies auf jeden Fall versucht werden sollte.
Zu einer Zusatzfrage Herr Imle.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren Ausführungen schließen, daß die Altölbeseitigung nach Ihrer Meinung vornehmlich in einer Aufbereitung bestehen soll, weil es sich hier um einen wertvollen Rohstoff handelt?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es sind verschiedene Formen denkbar: regenerieren - wie Sie
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
es eben erwähnten -, verbrennen, deponieren. Es kommt ganz auf den einzelnen Fall an. Für den Gewässerschutz ist in erster Lnie entscheidend, daß die Stoffe nicht in die Gewässer geleitet werden.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Dr. Stecker auf:
Ist gegebenenfalls im Rahmen solcher in Frage 62 erwähnter Überlegungen auch die Förderung des Baues von Verbrennungsanlagen mit Bundes- oder ERP-Darlehen an private Unternehmungen vorgesehen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Stecker, ich begrüße es, daß mir Ihre Frage Gelegenheit gibt, mitzuteilen, daß die Bundesregierung zur Zeit prüft, ob und in welchem Maße die bestehenden Förderungsmaßnahmen für den Gewässerschutz - das sind also ERP-Kredite, Bundesbürgschaften und Sonderabschreibungen - auch auf die Verbrennung von Ölrückständen angewendet werden können.
Zu einer Zusatzfrage Herr Imle.
Sollte es, wenn man davon ausgeht, Herr Staatssekretär - ich komme damit auf meine Frage zurück, die Sie eben zusammen mit der anderen Frage beantwortet haben -, daß ,der Marktanteil ,der Altöle 22 % beträgt und bei der jetzigen Ölkrise von ,den anderen Gesellschaften daran gedacht war, den Ölpreis um 1,50 DM zu erhöhen, nicht in unserem volkswirtschaftlichen Interesse liegen, die Aufarbeitung von Altölen besonders zu fördern und den Unternehmen die Möglichkeit zur Weiterarbeit zu geben, damit nicht irgendwelche Verwischungen entstehen, die unseren Preismarkt auf diesem Gebiet durcheinanderbringen können?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Imle, auch das werden wir im Rahmen dieser Überlegungen neu prüfen. An sich ist entschieden, .daß die Altölbeihilfe ausläuft.
Ich rufe die Frage 64 Ides Abgeordneten Westphal auf:
Worin bestehen die Unterschiede in der Entwicklung des Kohlenbergbaus zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, die sich aus den weitgehenden Einflußmöglichkeiten der französischen Regierung auf dem Gebiet der Produktion und der Einfuhr ergeben ({0})?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Westphal, die Textziffer 38 im Bericht der Bundesregierung über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl betrifft das in diesem gesamten Abschnitt beklagte Fehlen einer gemeinsamen europäischen Kohlepolitik. Die Schutzpolitik für die einzelnen nationalen Reviere trifft naturgemäß am stärksten die Bundesrepublik Deutschland, ,die ,den leistungsfähigsten Bergbau innerhalb der Gemeinschaft hat.
Zu .den Gründen für diese nationale Schutzpolitik anderer Länder gehört in diesem Fall auch - wenn auch nicht an erster Stelle - die erwähnte Verstaatlichung des Kohlenbergbaus in Frankreich und die Tätigkeit der ATIC. Allerdings haben diese Institutionen nicht verhindern können, daß zwischen 1957, dem letzten Normaljahr, und dem Jahr 1966 der Steinkohleverbrauch wie der Steinkohleabsatz in Frankreich wie in Deutschland etwa gleich stark zurückging.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben mir in Beantwortung der Frage gesagt, daß der verstaatlichte Bergbau in Frankreich einen Vorteil aus dieser Entwicklung hatte, aber nicht, warum. Ich darf ,deshalb fragen: Läßt sich aus der Textziffer 38 herauslesen, daß der französische Bergbau wegen seiner eigentumsrechtlich anderen Struktur wirtschaftliche Vorteile besonderer Art in der Entwicklung gehabt hat, die auch in 'der Zeit der Strukturkrise des Bergbaus für ihn noch nützlich gewesen. sind?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Nein, Herr Kollege Westphal, die Bundesregierung beabsichtigte in diesem Abschnitt allein, darzustellen, welche Gründe dazu geführt haben, daß es noch keinen gemeinsamen europäischen Kohlemarkt gibt. Einer der Gründe ist das Institut des staatlichen Bergbaus in Frankreich. Auch auf anderen Gebieten - bei den einzelnen nationalen Eisenbahnen - scheint es ja leider erschwerend für die internationale Zusammenarbeit zu wirken, daß es sich um staatliche Institutionen handelt.
Frage 65 von Herrn Abgeordneten Westphal:
Worin bestehen die in der gleichen Textziffer ({0}) erwähnten unterschiedlichen Auswirkungen des Montanunionvertrages auf den verstaatlichten Bergbau einerseits und auf den privatwirtschaftlich organisierten Bergbau andererseits?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Diese unterschiedlichen Auswirkungen, Herr Kollege Westphal, bestehen hauptsächlich in der Zentralisierung des Kohleverkaufs - es gibt in Deutschland mehrere Absatzorganisationen, in Frankreich nur eine Institution - und im Subventionsverbot des EGKS-Vertrages, das bei einem Staatsbetrieb mit laufender Verlustdeckung ohne Bedeutung ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Westphal.
Herr Staatssekretär, dann möchte ich Sie natürlich gern fragen, welche Lehren die Bundesregierung für ihre neue Kohlepolitik aus der Tatsache ziehen will, daß der Montanunionsvertrag dem Kohlenbergbau solche Vorteile ge6498
währt, wenn er sowohl in seiner eigentumsrechtlichen Struktur als auch hinsichtlich der Unternehmensgrößen andere Verhältnisse hat?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Westphal, Sie wissen, daß das Subventionsverbot des Montanvertrages seit einiger Zeit schon gelockert ist. Auch für den deutschen Bergbau werden inzwischen Genehmigungen erteilt.
Zweitens ist die Bundesregierung sich darüber im klaren, daß die Vorteile des staatlichen französischen Bergbaus in der großen Unternehmenskonzentration bestehen, die es ermöglicht, die Förderung auf die rentabelsten, produktivsten Zechen und Betriebspunkte zu konzentrieren. Das ist im Kohlegesetz ebenfalls beabsichtigt, von dem die Bundesregierung hofft, daß es bald angenommen wird. Ebenfalls werden wir uns über die Vorteile eines einheitlichen Kohleverkaufs ernsthaft Gedanken machen müssen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Westphal.
Darf ich daraus entnehmen, daß die Bundesregierung gewillt ist, alles zu tun, um darauf hinzuwirken, daß die Unternehmensstruktur im deutschen Kohlenbergbau die Maße erhält, die für die Bewältigung der heute vor uns stehenden Probleme eher geeignet ist als der jetzige Zustand?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Selbstverständlich, nur mit der zusätzlichen Erwägung, daß es nicht notwendigerweise die staatliche Eigenschaft des französischen Kohlenbergbaus ist, die diese Vorteile verschafft, sondern daß es auf funktionelle Charakteristica ankommt, die man auf diesem oder jenem Wege, notfalls auch staatlich, anstreben muß.
Die Frage 66 des Abgeordneten Zebisch wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet.
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, auf Grund der über dem Bundesdurchschnitt liegenden Zahl an Arbeitslosen in den Landkreisen Tirschenreuth, Neustadt-Waldnaah, Eschenbach, Kemnath und im Stadtkreis Weiden besondere Fördermaßnahmen zur Ansiedlung weiterer Industriebetriebe zu gewähren?
Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe Frage 67 des Abgeordneten Schmidt ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß sich die Einkommenssituation des Tankstellengewerbes in den vergangenen Jahren und insbesondere in letzter Zeit durch verschiedene Maßnahmen der Mineralölgesellschaften, wie z. B. Gewährung von Rabatten auf die Tankstellenabgabepreise zu Lasten der Tankstellenprovisionen, durch Umsatzmieten für Münztanks und verstärkte Werbemaßnahmen auf Kosten des Gewerbes, trotz Erleichterung in Einzelfällen, die vom Bundeskartellamt aufgegriffen wurden, erheblich verschlechtert hat und weitere Maßnahmen bevorstehen, wodurch diese Situation noch ungünstiger werden wird?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die von Ihnen, Herr Kollege Schmidt, erwähnten Klagen sind der Bundesregierung bekannt. Die Bundesregierung hat z. B. zu der Einkommenssituation des Tankstellengewerbes aus Anlaß der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Kurlbaum, Lange, Schmidt und Fraktion der SPD am 10. August 1967 zum letztenmal Stellung genommen. Sie hat dabei zum Ausdruck gebracht, daß sie auf Grund der vorliegenden Daten nur in der Lage sei, einen allgemeinen Überblick über die Einkommensentwicklung des Tankstellengewerbes zu gewinnen. Eine umfassende Darstellung der Einkommensentwicklung bestimmter Tankstellentypen, die als repräsentativ angesehen werden könne, sei erst dann möglich, wenn die Spitzenverbände des Tankstellengewerbes repräsentative Erhebungen vorlegen würden. Derartige Erhebungen sind angekündigt und sollen Ende Oktober mit dem Bundesministerium für Wirtschaft erörtert werden.
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, ob und welche weiteren Maßnahmen bevorstehen, durch welche die Einkommenssituation des Tankstellengewerbes ungünstiger werden könnte.
Eine Zusatzfrage; Herr Schmidt.
Herr Staatssekretär, wenn Sie in Ihrer Antwort darauf verweisen, daß die Tankstellenorganisationen Ihrem Hause eine Übersicht über die Einkommensentwicklung vorlegen werden, dann möchte ich fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß sich das Wirtschaftsministerium und das Tankstellengewerbe seit Jahren vergeblich bemühen, über gemeinsame Verhandlungen endlich zu einer Verbesserung der Einkommenssituation dieses Gewerbes zu kommen, die Mineralölkonzerne einem solchen Gespräch bislang jedoch immer wieder ausgewichen sind?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Schmidt, Sie legen der Bundesregierung nahe, mit Rat und Tat die Einkommenslage des Tankstellengewerbes zu verbessern.
({0})
Dazu müssen wir uns aber erst vernünftige Unterlagen über die Einkommenslage des Tankstellengewerbes verschaffen können. Ich kann Ihnen versichern, daß die Aktionen der Bundesregierung nicht davon abhängig sind, ob einzelne Wirtschaftskreise lautstark oder weniger lautstark klagen, sondern nur davon, ob diese Klagen fundiert sind und Abhilfe verlangen.
Noch eine Frage, Herr Schmidt.
Herr Staatssekretär, wenn Sie soeben bemerkt haben, daß Sie nicht nach der Lautstärke einer Organisation entscheiden können, dann darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt
Schmidt ({0})
ist, daß gerade das Tankstellengewerbe zu den Gewerben gehört, die infolge eines unzulänglichen Gesetzes, und zwar auf Grund des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, einseitig benachteiligt sind. Das geht auch aus dem Bericht des Kartellamts dieses Jahres ganz klar hervor.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Schmidt, ich habe gar nicht behauptet, daß gerade das Tankstellengewerbe am lautesten seine Klagen vorbringt. Ich wollte im Gegenteil das Tankstellengewerbe beruhigen, daß auch weniger lautstarke Klagen berücksichtigt werden, wenn der Klagegrund klar erkennbar ist.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die wirtschaftliche und die besondere rechtliche Lage des Tankstellengewerbes zu untersuchen?
Herr Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, die wirtschaftliche Lage des Tankstellengewerbes zu untersuchen. Der Bundesminister für Wirtschaft hat Ihnen, Herr Kollege, mit Schreiben vom 13. April 1967 seine Bereitschaft zu einem Gespräch über die Situation dieses Wirtschaftszweiges mitgeteilt. Dieses Gespräch soll durch die vorhin bereits erwähnten repräsentativen Erhebungen der Spitzenverbände des Tankstellengewerbes fundiert werden. Eine etwaige Untersuchung der rechtlichen Lage - das ist der zweite Teil Ihrer Frage - des Tankstellengewerbes soll erst erwogen werden, wenn eine aussagekräftige Analyse über die wirtschaftliche Lage in einem Expertengremium erarbeitet worden ist.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 69, auch noch von Herrn Abgeordneten Schmidt, auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die geltende Fassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausreichend ist, um das Tankstellengewerbe vor dem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht durch die Mineralölgesellschaften zu schützen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen genießen die Unternehmen des Tankstellengewerbes in der Praxis des Bundeskartellamts den gleichen Schutz vor dem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht wie andere Wirtschaftsbereiche. Ehe nicht erwiesen ist, daß dieser Schutz nicht ausreicht, erscheinen Überlegungen über eine etwaige Änderung des Gesetzes verfrüht.
Eine Zusatzfrage, Herr Schmidt.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, wird die Bundesregierung nach den Bemerkungen des Bundeskartellamts in seinem Bericht, Drucksache V/1950, Seite 2, wo ganz klar zum Ausdruck gebracht wird, daß hier einiges in diesem Gesetz unzulänglich ist, bereit sein, über eine Novelle zu diesem Gesetz dem Bundeskartellamt die Möglichkeit zu geben, wirtschaftlich Schwachen einen gewissen Schutz zu gewähren, und darüber hinaus eine Untersuchungsmöglichkeit herbeizuführen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Schmidt, die Bundesregierung hat selbstverständlich auch Möglichkeiten der Kontaktnahme und der Einflußnahme jenseits des Kartellgesetzes. Aber um das wirksam werden zu lassen, brauchen wir die erwähnten Untersuchungen, brauchen wir ein Bild über die differenzierte Lage des Tankstellengewerbes. Ihnen als Fachmann brauche ich nicht zu sagen, daß es Tankstellen gibt, denen es deshalb schlecht geht, weil sie an schlechten Standorten oder an Standorten liegen, die inzwischen ungünstig geworden sind. Wir müssen uns tatsächlich ein Bild verschaffen, das repräsentativ ist. Dann kann man auch mit den Mineralölgesellschaften über diese Probleme reden, freilich nicht isoliert reden. Sie wissen, ein hoher Benzinpreis oder ein niedriger Benzinpreis muß auch für sich überlegt werden, also nicht nur wegen der Situation des Tankstellengewerbes, sondern auch wegen der Lage derjenigen, die dieses Produkt an den Tankstellen kaufen.
Keine Zusatzfrage.
Dann kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident, für morgen sind noch zwei Fragen an das Wirtschaftsressort gestellt worden. Ich sehe, Herr Kollege Dröscher ist gerade anwesend. Vielleicht könnte man sie heute behandeln.
Ja, Herr Staatssekretär, da es nur zwei Fragen sind, können wir es machen. Sonst bedeutet das Vorziehen der für Freitag vorgesehenen Fragen eine Benachteiligung der Kollegen, die ihre Fragen früher eingereicht haben.
Ich rufe also die Frage 125 des Herrn Abgeordneten Dröscher auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das soeben bekannt gewordene Angebot einer amerikanischen Firma an das deutsche Elektro-Unternehmen Braun AG auf Übernahme der Aktienmajorität unter Berücksichtigung der kürzlich von dem französischen Journalisten Servant-Schreiber in seinem Buch „le défi américain" der europäischen Offentlichkeit vorgelegten Informationen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Dröscher, M. Servant-Schreiber stellt die Käufe deutscher und europäischer Firmen durch US-Gesellschaf6500
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
ten gewissermaßen als Eroberungsfeldzug dieser Gesellschaften in Europa dar. Es fällt die Vokabel „Kolonisierung".
Ich muß gestehen, daß diese Perspektive zwar interessant ist, aber nicht unbedingt überzeugt. Amerikanische Firmen kaufen in Europa Firmen von dortigen Eigentümern oder gründen neue Firmen in erster Linie selbstverständlich aus Rentabilitätsgründen und nicht im Auftrage der US-Regierung oder anderer offizieller Instanzen. Diese Käufe haben sich in den letzten Jahren deshalb verstärkt - dies hat, glaube ich, einer der Herren des Sachverständigenrates in einem anderen Zusammenhang einmal dargestellt -, weil ,die europäischen Währungen - insbesondere aber die D-Mark - gegenüber dem Dollar relativ unterbewertet sind, so daß ein ökonomischer Anreiz zum finanziellen Engagement in Direktinvestitionen in Europa besteht.
Wenn man die ganze Frage des US-Engagements in Direktinvestitionen in Europa einmal prüfen wollte, müßte man eigentlich in Betracht ziehen, ob eine gegebene US-Gesellschaft im Vergleich zu einer deutschen, französischen oder sonstigen Gesellschaft ein schlechteres soziales Klima hat, ob sie in ihren Investitionen weniger Zukunftsbezogenheit aufweist - ein Problem, das diesem Hause ja auch sehr naheliegt - und ob drittens die Kooperation dieser Firma mit der Wirtschafts- und ,der Finanzpolitik vielleicht weniger gut ist als die (der einheimischen Firmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn, wie im Mineralölbereich, US-Firmen einen sehr hohen Marktanteil haben.
Eine derartige Untersuchung wäre sicherlich sehr nützlich zur Aufhellung dieser auch von M. ServantSchreiber doch weitgehend emotional geführten Diskussion.
Eine Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Herr Staatssekretär, unterstellt, daß es richtig ist, was Servant-Schreiber behauptet, daß 15 % .der Erzeugung von Radio- und Fernsehgeräten, 50 % der Erzeugung der Halbleiter und 80 % der Erzeugung von Elektronengehirnen in Europa schon von den Amerikanern kontrolliert werden: Kann sich durch den möglicherweise beabsichtigten Kauf der Braun AG oderanderer wichtiger Unternehmen die Lage auf dem Markt in der Bundesrepublik so entwickeln, daß ,der Einfluß der amerikanischen Kapitalgesellschaften hier unter Umständen zu einem bestimmten Zeitpunkt kritisch wird?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich darf mit dem letzten beginnen. Herr Kollege Dröscher, die amerikanischen Unternehmen auf dem Gebiete der elektronischen Rechenmaschinen haben deshalb einen sehr hohen technischen Vorsprung, weil sie aus militärischen Gründen gefördert worden sind. Wir bemühen uns - vielleicht mehr schlecht als recht, aber immerhin bemühen wir uns - gemeinsam mit diesem Hohen Hause, diesen Vorsprung aufzuholen, indem wir .den deutschen Firmen für ihre eigenen Forschungen in der elektronischen Datenverarbeitung öffentliche Mittel zur Verfügung stellen. Über die anderen Bereiche bin ich nicht so informiert und weiß nicht, ob die Marktanteile, die dort skizziert sind, in der Bundesrepublik Deutschland wirklich so hoch sind. Mir ist nur bekannt, ,daß es in der Mineralölindustrie einen hohen ausländischen Marktanteil - wenn man also auch die englischen Gesellschaften hinzurechnet - gibt.
Zweite Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung unter Berücksichtigung dieser Informationen, die doch außerordentlich interessant sind und die darin gipfeln, daß sich der Vorsprung der Amerikaner nicht verringert, sondern steigert, und zwar aufgebaut auf ihrer Investitionsbildung, bereit sein, den dafür zuständigen Behörden, etwa der Kultusministerkonferenz, zu sagen, daß hier eine entscheidende gesamtpolitische Aufgabe liegt?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich glaube nicht, Herr Kollege Dröscher, daß es ratsam wäre, den einzelnen Auftraggebern, auch den einzelnen öffentlichen Auftraggebern, seitens der Bundesregierung zu raten, dieses oder jenes Gerät von dieser oder jener Firma zu kaufen. Die Bundesregierung sollte - und da hat sie die Unterstützung dieses Parlaments - versuchen, den technischen Vorsprung für die deutschen Firmen aufholbar zu machen, damit sie den Wettbewerbsnachteil aufholen können, der darauf zurückzuführen ist, daß in anderen Ländern für diese Zwecke öffentliche Förderungsmittel gegeben werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich darüber im klaren, daß sich die Behauptung, andere hätten einen technischen Vorsprung, nach Aussagen der Beteiligten wissenschaftlich nicht halten läßt und daß gerade diese Behauptung, in unserem Lande immer wieder aufgestellt, zu einer außerordentlichen Benachteiligung der deutschen Industrie führen kann, weil sie der Konkurrenz ein ausgezeichnetes Argument liefert, in Exportländern gegen deutsche Fabrikate vorzugehen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Moersch, die deutsche Industrie hat in vielen Fällen gegenüber anderen Ländern, auch gegenüber den Amerikanern, einen technischen Vorsprung. In den in diesem Buch auch angezogenen Fällen speziell der elektronischen Datenverarbeitung trifft dies allerdings wohl nicht zu, und das hat ja wohl auch die Subventionsinitiative des Hohen Hauses und der Bundesregierung in diesen Fällen begründet. Das ist ja wohl auch die einzige Begründung, die bestehen könnte,
Herr Moersch, noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da das Thema sehr differenziert ist und bei einer schiefen Erörterung auch sehr gefährlich werden kann, möchte ich Sie fragen: Wären Sie bereit, einmal die Protokolle der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft über die letzte Anhörung von Sachverständigen in Berlin zur Kenntnis zu nehmen, wo diese Lesart, die Sie hier mit verbreiten, von den Experten richtiggestellt worden ist?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Dazu bin ich selbstverständlich gern bereit, Herr Moersch. Ich danke für Ihren Hinweis.
Eine Zusatzfrage, Herr Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, wenn ich Ihre letzte Antwort richtig verstanden habe, so ist allenfalls partiell ein technischer Vorsprung der Amerikaner gegenüber den Europäern vorhanden, während es partiell eindeutig auch einen deutschen Vorsprung gibt. Hingegen hatten Sie vorhin festgestellt, daß es einen finanziellen Vorsprung der amerikanischen Firmen insoweit gibt, als der amerikanische Dollar über- und entsprechend die D-Mark unterbewertet ist. Ist das Ihrer Meinung nach eigentlich ein unabänderliches Faktum?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist kein unabänderliches Faktum. Verschiedene wissenschaftliche Institutionen haben diese Frage in den letzten Jahren ja auch schon nachhaltig zur Diskussion gestellt. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zum letzten Sachverständigengutachten vom Frühjahr erklärt, daß sie bereit ist, diese Frage in den zuständigen internationalen Währungsgremien einmal zur Erörterung zu stellen. Weiter wird die Bundesregierung nicht 'gehen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, da wir diesen Nachteil in der Bewertung unserer Währung mit anderen westeuropäischen Ländern teilen, frage ich Sie: Welche gemeinsamen europäischen Bemühungen gibt es auf diesem Gebiet?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Eines der Gremien, in denen man diese Diskussion gerade im Hinblick auf Ihren Hinweis besonders sinnvoll führen könnte, wäre die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.
Die Frage 126 des Herrn Abgeordneten Walter wird von Herrn Genscher übernommen:
Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus der Feststellung der „Arbeitsgemeinschaft Südost-Niedersachsen" zu ziehen, daß die Leistungsfähigkeit der Gemeinden am Zonenrand entweder nur knapp oder gar nicht mehr ausreiche, um den Anschluß an die Wirtschaftsentwicklung im Bundesgebiet zu sichern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Genscher, die „Arbeitsgemeinschaft Südost-Niedersachsen" zieht aus ihrer Untersuchung für den Raum Braunschweig selbst die Schlußfolgerung, daß zur finanziellen Entlastung der Gemeinden eine Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Kommunen mit Kerngemeinden als regionalem Mittelpunkt eingeführt werden sollte. Entsprechende Reformen werden in fast allen Bundesländern, darunter auch den vier Zonenrandländern, vorbereitet. Die Länder sind dafür auch allein zuständig.
Im übrigen ist die Zonenrandförderung durch die Bundesregierung erst kürzlich im Zweiten Programm für besondere konjunktur- und strukturpolitische Maßnahmen erheblich verstärkt worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Genscher.
Muß man daraus entnehmen, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung selbst keine Konsequenzen in diesem konkreten Fall ziehen will, sondern das allein dem Land Niedersachsen überlassen will?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: In diesem ganz konkreten Fall sind selbst nach Ansicht der Verfasser die Braunschweiger Ergebnisse nicht repräsentativ für das gesamte Zonenrandgebiet. Im übrigen halten wir uns unbeschadet dieses Spezifikums daran, daß die Länder dafür allein zuständig sind. Wir könnten also allerhöchstens Gespräche rein informativer und exploratorischer Art führen.
Noch eine Frage, Herr Genscher.
Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung ein neues Verständnis ihrer Verantwortung für das Zonenrandgebiet entwickelt und glaubt, das jetzt allein den Ländern überlassen zu können?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Nein, Herr Kollege Genscher, das sicherlich nicht. Ich sagte ja, daß die Zonenrandförderung z. B. im Zusammenhang mit dem Zweiten konjunktur- und strukturpolitischen Programm besonders verstärkt worden ist. Nur, die Frage der gemeindlichen Kompetenzen ist eine Angelegenheit der Länder. Sie wissen, daß die Bundesregierung mit den Bundesländern sowieso in sehr
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
schwierigen Verhandlungen über die Finanzreform steht. Es wäre nicht gut, diese Verhandlungen noch zusätzlich zu belasten. Ich würde daher empfehlen, diese Anfragen oder Initiativen speziell in den Landtagen der Bundesländer zu stellen oder zu ergreifen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Weigl auf:
Ist die Absicht, jüngeren Angestellten in den kommenden Jahren selbst dann keine Befreiungsmöglichkeit mehr in der gesetzlichen Rentenversicherung einzuräumen, wenn das monatliche Einkommen die heute geltende Versicherungspflichtgrenze von 1800 DM monatlich erheblich übersteigt, noch in Einklang zu bringen mit den bisherigen gesellschaftspolitischen Grundsätzen der Bundesregierung, z. B. mit dem Subsidiaritätsprinzip?
Die Frage wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Die Fragen 75 bis 77 der Frau Abgeordneten Kurlbaum-Beyer wurden bereits bei der Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern behandelt.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Adorno hier.
Ich rufe zunächst die Frage 78 von Herrn Abgeordneten Kubitza auf:
Welche Gründe waren bestimmend, daß im Bereich der Luitpold-Kaserne in Dillingen ({0}) eine 370-Meter-Rundbahn gebaut wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, ich würde gern mit Genehmigung des Herrn Präsidenten Ihre beiden ersten Fragen wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten.
Ich rufe dann auch die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Kubitza auf:
Nach welchem nationalen oder internationalen Wettkampfmaß wurde die Länge der in Frage 78 erwähnten Rundbahn bestimmt?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, bei Errichtung des Sportplatzes in der Luitpold-Kaserne in Dillingen an der Donau reichte das zur Verfügung stehende Gelände nicht aus, eine Laufbahn nach internationalem Wettkampfmaß zu bauen. Da auch kein anderes Gelände beschafft werden konnte, mußte die Verkürzung der Laufbahn von 400 m auf 370 m hingenommen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kubitza!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Vertreter der örtlichen Sportorganisationen vor der Planung Vorschläge gemacht haben, wie man zu dieser 400-m-Strecke hätte kommen können?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das ist mir nicht bekannt. Mir ist nur bekannt, daß der Sportplatz 1962/63 errichtet worden ist und daß hierfür maßgebend waren die Richtlinien für die Planung und Ausführung von Truppenunterkünften des Heeres vom 1. Juli 1961. Diese Richtlinien basieren auf den von den internationalen Sportfachverbänden vorgeschriebenen Spielfeldmaßen. Die Gesamtgröße des Sportplatzes sollte auch 170 mal 90 m und die Länge der Laufbahn 400 m betragen. Aus den dargelegten Gründen war das aber nicht möglich. Die Umlaufbahn mußte deshalb auf 370 m verkürzt werden.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen klar, daß man auch bei Würdigung all dieser Gründe, die Sie angegeben haben, auf dieser kastrierten Rundstrecke nicht einmal reguläre 100-m-Läufe und nicht einmal reguläre Staffelläufe durchführen kann? Ich frage mich dann, wozu eine solche Bahn überhaupt gebaut wird.
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich habe feststellen können, daß eine reguläre 100-Meter-Bahn mit 6 Laufbahnen vorhanden ist. Ich habe ferner feststellen können, daß eine Weitsprunganlage, eine Hochsprunganlage und ein Kugelstoßfeld vorhanden sind. Ich darf hinzufügen, daß wir selbstverständlich immer anstreben, uns nach den internationalen Maßstäben zu richten. Das war jedoch im vorliegenden Fall leider nicht möglich. Das ist für den Militärsport auch kein wesentliches Hindernis.
Dann rufe ich die Frage 80 von Herrn Kubitza auf:
Weshalb wird der Allwetter-Hartplatz in demselben in Frage 78 erwähnten Kasernengelände von den Kompanien nicht benutzt?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, sofern mit dem Allwetter-Hartplatz das Spielfeld des Sportplatzes gemeint ist, wird dieses nach meinen Feststellungen von den in der Luitpold-Kaserne untergebrachten Kompanien in so starkem Maße benutzt, daß der Kommandant der Kaserne den Platz schon seit längerer Zeit ab Freitag Mittag sperren mußte, um der Standortverwaltung Gelegenheit zu geben, den Platz zu pflegen und in Ordnung zu halten.
Sollten Sie, Herr Kollege, jedoch als AllwetterHartplatz den sogenannten Grundausbildungsplatz der Luitpold-Kaserne gemeint haben, so ist festzustellen, daß dieser für die militärische Ausbildung bestimmt ist und dafür regelmäßig benutzt wird.
Herr Staatssekretär, wollen Sie vielleicht doch noch einmal überprüfen, ob diese Nachricht aus Dillingen stimmt, denn bis Mitte September sind die Kompanien zum Sport ins Dillinger Donau-Stadion und auf die Sportplätze der Nachbargemeinden Schretzheim, Donaualtheim, Steinheim usw. geführt worden.
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich bin gern bereit, prüfen zu lassen, ob das bis Mitte September so der Fall gewesen ist.
Frage 81 von Herrn Lemper:
Trifft es zu, daß die Bundessprachenschule durch eine private Finanzgruppe nunmehr endgültig in Euskirchen gebaut werden soll?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister .der Verteidigung: Herr Kollege, es trifft zwar zu, daß eine private Finanzierungsgesellschaft dem Bundesministerium der Verteidigung ein Angebot unterbreitet hat, zur Unterbringung des geplanten Bundessprachenamtes in Euskirchen einen Neubau zu errichten. Es ist jedoch noch nicht entschieden, ob dieses Angebot angenommen wird.
Herr Lemper zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Verhandlungen im Kreise Euskirchen auf Grund eines Schreibens von Herrn Ministerialdirektor Wichmann vom 7. August geführt worden sind, und trifft es weiter zu, daß, da die Frage der Bundessprachenschule bereits im vergangenen Frühsommer in der Fragestunde behandelt worden ist und damals seitens der Bundesregierung die Antwort gegeben wurde, es sei das Ziel, diese Bundessprachenschule in Hürth-Hermülheim zu bauen, die Frage des Standorts der Sprachenschule jetzt erneut geklärt werden muß?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, es werden seit langem Untersuchungen angestellt, welches der günstigste Standort für die Unterbringung des Sprachenamtes ist. Hierbei spielt auch der Standort Hürth eine wesentliche Rolle. Inzwischen sind diese Untersuchungen aber noch nicht abgeschlossen worden, so daß heute noch nicht endgültig gesagt werden kann, wo die Schule untergebracht wird.
Ich möchte vorschlagen, Herr Präsident, daß ich alle drei Fragen des Herrn Abgeordneten Lemper im Zusammenhang beantworte, dann erübrigen sich vielleicht auch Zusatzfragen.
Bitte, Herr Staatssekretär. Verfahren wir so. Dann rufe ich noch ,die Fragen 82 und 83 des Abgeordneten Lemper auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Stadt und Kreis Euskirchen für das in Frage 81 erwähnte Neubauprojekt je zur Hälfte eine Ausfallbürgschaft von 5 Millionen DM sowie Zinssubventionen in Höhe bis zu 200 000 DM jährlich übernehmen sollen und unter dem Druck der Lage auch hierzu bereit sind?
Trifft es weiter zu, daß der Bund nach fünf Jahren die in Frage 81 erwähnte privat gebaute und mit Steuergeldern finanzierte Sprachenschule käuflich erwirbt und damit erneut zusätzlich Steuergelder ausgibt?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Der Bundesregierung ist aus der Presse bekannt, daß Stadt und Landkreis Euskirchen die Finanzierungsgesellschaft, die in Euskirchen bauen will, durch Bürgschaften und Zinssubventionen unterstützen wollen.
Die Bundesregierung hat bisher keine Verträge über die Anmietung oder den Erwerb eines Gebäudekomplexes zur Unterbringung des geplanten Bundessprachenamtes abgeschlossen. Es haben auch noch keine Verhandlungen über die einzelnen Bedingungen eines möglicherweise abzuschließenden Vertrages stattgefunden.
Eine Zusatzfrage von Herrn Weiland.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Sprachenschule der Bundeswehr bereits seit zehn Jahren ihren Standort in der Stadt Euskirchen hat und daß das Stammpersonal, Offiziere, Beamte und Lehrer, mit ihren Familien seit dieser Zeit in der Stadt Euskirchen und deren Umgebung wohnen?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, es ist richtig, daß sich die Sprachenschule seit beinahe zehn Jahren, nämlich seit dem Jahre 1958, in Euskirchen befindet, und es ist ebenfalls richtig, daß das Stammpersonal in Euskirchen und Umgebung in großer Zahl Wohnung genommen hat.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Weiland.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung etwas dagegen einzuwenden, daß die gewählten Vertreter eines Kreises oder einer Stadt Projekte des Bundes als wirtschaftsfördernd ansehen und deren Verwirklichung durch einen Beschluß, Wirtschaftsförderungsmittel zur Verfügung zu stellen, erleichtern, insbesondere wenn sichergestellt ist, daß diese Mittel voll dem Bund zugute kommen?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, die Bundesregierung begrüßt alle Maßnahmen von Institutionen, die geeignet sind, Projekte des Bundes zu fördern.
Frage 84 des Herrn Abgeordneten Cramer:
Treffen Zeitungsmeldungen zu, wonach das Marineamt mit den nachgeordneten Stäben der Bundesmarine von Wilhelmshaven verlegt werden soll?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Cramer, es besteht nicht die Absicht, in den nächsten Jahren das Marineamt mit seinen nachgeordneten Dienststellen von Wilhelmshaven zu verlegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Cramer.
Herr Staatssekretär, wäre es dann nicht zweckmäßig, die zahlreichen Zeitungsmeldungen zu dementieren?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Cramer, wir werden das gern überprüfen lassen. Das hat aber nichts mit der Frage zu tun, daß Überlegungen im Gange sind, die in die Zukunft weisen.
Herr Cramer, zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn das letzte Wahrheit werden sollte, wären darin nicht in Wilhelmshaven Fehlinvestitionen im Hinblick auf den Wohnungsbau und im Hinblick auf Dienstgebäude vorgenommen worden, die jetzt - nach meiner Meinung jedenfalls - in ausreichender Zahl vorhanden sind?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Cramer, die Frage der Wohnungen, die jetzt in genügender Zahl vorhanden sind, wird natürlich bei einer eventuellen Verlegung des Marineamts von meinem Hause geprüft, und es wird eine entsprechende Lösung angestrebt.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zu den Fragen aus .dem Geschäftsbereich ,des Bundesministers für Verkehr, zunächst zur Frage 85 des Abgeordneten Geldner:
Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, daß eine Erhöhung der Transportkosten und die vorgesehenen Streckenstillegungen hei der Deutschen Bundesbahn gerade in Bayern mit seinen unterentwickelten Zonenrandgebieten und den dort angesiedelten Betrieben bei ohnehin dezentralisierter Industrialisierung zu besonderen Schwierigkeiten führen würden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, .die Bundesregierung teilt Ihre Befürchtungen nicht. Bei der Beurteilung von Streckenstillegungen werden alle wirtschaftlichen, regionalen und sonstigen Gesichtspunkte, insbesondere im Hinblick .auf den notwendigen Ersatzverkehr, eingehend geprüft.
Eine Erhöhung der Transportkosten ist nicht zu erwarten. Es wäre sonst kaum zu erklären, daß in diesen Bereichen, von denen Sie in Ihrer Frage sprechen, der Güter- und Personenverkehr schon zum überwiegenden Teil auf die Straße abgewandert ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Geldner.
Herr Staatssekretär, inwieweit stimmen Sie mit der Denkschrift des Vereins ,der
bayerischen. Fuhrunternehmer an den Herrn Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr überein, in der es heißt, daß 'durch das Programm zur Gesundung des deutschen Verkehrswesens 40 % der 1860 bayerischen Güterfernverkehrsbetriebe einer Existenzzerstörung entgegensehen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, ich kann nicht sagen, 'daß Ihre eben gestellte Zusatzfrage in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Problem steht, das in der ersten Frage angeschnitten ist. Ich möchte Ihnen aber sagen, daß gerade durch das beabsichtigte Programm des Bundesministers für Verkehr der Güterverkehr in Kooperation mit der Schiene eine neue Chance erhält und daß 'deshalb die Befürchtungen, die sich in dieser Denkschrift, die mir im einzelnen nicht bekannt ist, befinden, gegenstandslos sind.
Frage 86 des Herrn Abgeordneten Haehser:
Welche Kosten entstehen der Deutschen Bundesbahn durch den Wechsel eines Fahrplans als Folge von Fahrplankonferenzen, Neudruck von Fahrplänen und Kursbüchern, Aushängen usw.?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen des Herrn Kollegen Haehser gemeinsam beantworten zu dürfen.
Einverstanden! Ich rufe dann noch die Frage 87 des Abgeordneten Haehser auf:
Werden Möglichkeiten gesehen, im Interesse der Kunden und des Personals der Deutschen Bundesbahn auf einen der während eines Jahres bisher üblichen Fahrplanwechsel zu verzichten?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege Haehser, nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn ist die Ermittlung der bei einem Fahrplanwechsel entstehenden Kosten sehr aufwendig. Sie bittet deshalb, auf diese umfassenden Erhebungen verzichten zu können. Die durch den Fahrplanwechsel möglichen Einsparungen, die sich durch eine rechtzeitige Anpassung an strukturelle Änderungen sowie Rationalisierungs- und Anpassungsmaßnahmen ergeben, decken jedoch mit Sicherheit bei weitem die Kosten für einen Fahrplanwechsel. Neben diesen wirtschaftlichen Überlegungen sprechen auch Gesichtspunkte des Kundendienstes für die Beibehaltung des jetzt üblichen Fahrplanwechsels. Durch sie wird gewährleistet, daß die sich aus dem technischen Fortschritt, z. B. aus Elektrifizierungsmaßnahmen, ergebenden Verbesserungen der Reisezeiten baldmöglichst ausgenutzt werden können.
Ich werde aber gern das Ihrer Frage zugrunde liegende Problem im Auge behalten. Es ist immerhin denkbar, daß nach Abschluß der Elektrifizierung einer längerfristigen Geltung des jeweiligen Fahrplans eher nähergetreten werden kann als im gegenwärtigen Zeitpunkt.
Eine Zusatz., frage? - Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Ramms auf:
Auf wieviel Prozent des gesamten Betriebskapitals hat sich das Eigenkapital der Deutschen Bundesbahn durch die Übernahme der Zinslasten durch den Bund in den letzten Jahren aufgebessert?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister .für Verkehr: Herr Kollege, das Eigenkapital der Deutschen Bundesbahn zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1966 beträgt 55,6 % des gesamten Betriebskapitals in Höhe von 31,9 Milliarden DM. In dem Eigenkapital sind Bundesbahnanleihen in Höhe von 1760 Millionen DM enthalten, für die der Bund den Kapitaldienst übernommen hat. Ohne diese Kapitalaufstockungsanleihen würde der Anteil des Eigenkapitals am gesamten Betriebskapital 50,1 % betragen. Die Maßnahmen des Bundes haben daher das Verhältnis Eigenkapital zum gesamten Betriebskapital um 5,5 % verbessert.
Keine Zusatzfrage.
Ich komme zu den Fragen 89 und 90 des Herrn Abgeordneten Peiter.
Wie ist das Ergebnis der mir mit Schreiben vom 4. Dezember 1964 auf meine Frage in der Fragestunde vom 4. Dezember 1964 zugesagten Überprüfung, ob die Stadt Marienberg ({0}) in das Verzeichnis der Fern- und Nahziele aufgenommen werden kann?
Besteht jetzt für den anerkannten Kneipp- und Luftkurort Marienberg ({1}), nachdem er nunmehr die offizielle Bezeichnung „Bad Marienberg" erhalten hat, die Möglichkeit, in das Verzeichnis der Fern- und Nahziele und damit auf die Vorwegweiser und Wegweiser der Bundesstraßen und die Wegweiser an den Anschlußstellen der Bundesautobahn aufgenommen zu werden?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Leber vom 25. Oktober 1967 lautet:,
Ihre Frage muß ich aus den Ihnen mit Schreiben vom 31. Juli 1965 ({2}) angegebenen Gründen auch jetzt verneinen. Auch die Umbenennung von Marienberg in „Bad Marienberg" ändert an der Möglichkeit, in das Verzeichnis der Fern- und Nahziele der Bundesautobahnen oder Bundesstraßen aufgenommen zu werden, nichts. Hierfür sind allein die Lage zu einer Bundesstraße und die Verkehrsbedeutung eines Ortes ausschlaggebend. Bad Marienberg liegt jedoch nicht an einer Bundesstraße.
Ich rufe die Fragen 91 und 92 des Herrn Abgeordneten Weigl auf:
Ist es zutreffend, daß eine größere Zahl der bei der Verkehrskontrolle II in' Weiden ({3}) beschäftigten Eisenbahner in nächster Zeit mit einer Versetzung rechnen muß?
Sieht die Deutsche Bundesbahn eine Möglichkeit, zur Abwendung sozialer Härten, die sich aus Versetzungen ergeben müssen, und aus grenzlandpolitischen Erwägungen der Verkehrskontrolle II Weiden ({4}) zusätzliche Aufgaben zu übertragen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Leber vom 25. Oktober 1967 lautet:
Im Rahmen der von der Deutschen Bundesbahn in allen Dienstzweigen vorgesehenen Rationalisierungsmaßnahmen ergibt sich auch bei der Verkehrskontrolle II in Weiden die Notwendigkeit, den Personalaufwand dem Arbeitsaufkommen anzupassen. Es läßt sich deshalb leider nicht umgehen, daß in Kürze von den dort beschäftigten 104 Bediensteten voraussichtlich 7 Beamte umgesetzt werden. Da andere Personalverminderungen z. Z. nicht vorgesehen sind, glaube ich, daß man nicht von einer größeren Zahl von Betroffenen sprechen kann.
Die Deutsche Bundesbahn ist stets bemüht, bei allen Rationalisierungsmaßnahmen, auch so weit sie künftig noch notwendig werden sollten, soziale Härten zu vermeiden. Die abgebenden und aufnehmenden Dienststellen der Deutschen Bundesbahn arbeiten dabei eng zusammen.
Die Übertragung von anderen Kontrollaufgaben auf die Stückgutverkehrskontrolle in Weiden ist leider nicht möglich.
Ich rufe die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf:
Wie viele Schüler und Schülerinnen der Volksschulen und der weiterführenden Schulen verunglückten durch Verkehrsunfälle auf dem Schulweg im vergangenen Jahr tödlich oder wurden verletzt?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, nach der amtlichen Unfallstatistik wurden im Jahre 1966 von der Altersklasse 6. bis 14. Lebensjahr 1130 Personen getötet und 40 427 Personen verletzt. Entsprechend dem Ergebnis des Mikrozensus 1965 dürfte davon etwa ein Drittel auf dem Schulweg verunglückt sein. Über Schüler der älteren Jahrgänge, d. h. im Grunde an weiterführenden Schulen, können Angaben nicht gemacht werden, weil weder die Statistik noch der Mikrozensus eine Unterscheidung nach Schülern und Berufstätigen vorsehen.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf:
Hält die Bundesregierung die bisherigen Vorsichtsmaßnahmen für ausreichend, um unseren Kindern einen wirksamen Schutz auf dem Schulweg zu gewährleisten?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, gewiß wird man stets auf Grund der immer neuen Erfahrungen Verbesserungen anstreben müssen. Ich kann nur versichern, daß sich alle in Betracht kommenden Stellen ihrer Verantwortung bewußt sind.
Neben den bereits bewährten Maßnahmen zur Sicherung des Schulwegs - z. B. Schülerlotsendienst, die Einführung von gelben Mützen und Kopftüchern für Schulanfänger, Elternbriefe, zusätzliche Ampelsicherung von Überwegen in der Nähe von Schulen - bemüht sich die Bundesregierung gemeinsam mit den zuständigen Behörden der Länder und Gemeinden laufend um weitere Vorkehrungen, die besonders jüngeren Schulkindern einen ausreichenden Schutz auf dem Schulweg bieten. Hierzu gehören z. B. die Aufstellung von Schulwegplänen und die einheitliche Kennzeichnung von Schulomnibussen. Darüber hinaus könnte nach meiner Auffassung auch die allgemeine Einführung des Verkehrsunterrichts als Pflichtfach an allen Schulen noch sehr wesentlich zu einer Minderung der Schülerunfälle beitragen.
Ich rufe die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf:
Ist die Bundesregierung bereit, um Verkehrsunfällen auf dem Schulweg vorzubeugen, sich für die Staffelung der Anfangszeiten des Schulunterrichts und für Über- und Unterführungen an gefährlichen Straßenübergängen einzusetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, die von Ihnen genannten Vorschläge gehören allein in die Zuständigkeit der Länder und Gemeinden. Der Bundesminister für Verkehr ist jedoch bereit, mit den Kultusministern der Länder Verbindung aufzunehmen, um sich für die Staffelung der Anfangszeiten des Schulunterrichts einzusetzen. Der Bau von Über- und Unterführungen an gefährlichen Straßenübergängen kann erforderlichenfalls aus den Mitteln vorgenommen werden, die der Bund den Ländern und Gemeinden im Rahmen der Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden gewährt.
Herr Dr. Enders zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, der reale Hintergrund dieser Fragen war ein Verkehrsunfall, der sich kürzlich auf der Bundesstraße zwischen Hanau und Frankfurt in der Nähe von Dörnigheim ereignete, als ein Kind, das erst wenige Tage in die Schule ging, diese Bundesstraße überqueren wollte und dabei tödlich verletzt wurde. Ist ihnen bekannt, ob inzwischen Maßnahmen ergriffen worden sind, ob ein Überweg hergestellt wird oder sonstige Sicherheitsmaßnahmen vorbereitet werden, um diese gefährliche Stelle zu beseitigen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, ich werde diesen traurigen Vorfall zum Anlaß nehmen, unmittelbar die Auftragsverwaltung des Landes Hessen um Bericht zu bitten.
Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf:
Wird der Bundesverkehrsminister bei der Flughafen AG Frankfurt ({0}) eine allgemeine Überprüfung der Sicherungsvorschriften für den Luftfracht- und Luftpostverkehr anregen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, eine derartige Anregung ist nach meiner Meinung nicht notwendig. Die Flughafen-Frankfurt/Main AG hat nämlich zur Absicherung des Flughafengeländes, insbesondere des Rollfeldes und des Vorfeldes, einen Flughafenschutzdienst eingerichtet und inzwischen personell verstärkt. Die Gesellschaft hält zudem Werttransportfahrzeuge mit besonders ausgesuchtem Personal zum ausschließlichen Transport von Wertgütern auf dem Vorfeld bereit und hat außerdem einen Wertraum zur Aufbewahrung von Wertgütern eingerichtet. Bei den beiden Diebstahlsfällen, in denen Anfang Oktober ein Postsack und vor einem Jahr ein Geldsack entwendet wurden, handelte es sich um Frachtgüter, die sich nicht im Gewahrsam der Flughafengesellschaft, sondern des betreffenden Luftverkehrsunternehmens befanden.
Eine Zusatzfrage.
Ergeben sich daraus nicht Konsequenzen für das Verhältnis zwischen den Luftverkehrsgesellschaften und der Flughafen AG für die Sicherung?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, wie Sie aus meiner Antwort entnehmen konnten, wird von der Flughafengesellschaft alles Erforderliche getan, um solche bedauerlichen Vorfälle auszuschließen. Es liegt in der eigenen Verantwortung der jeweiligen Gesellschaft, ob sie diesen angebotenen Dienst annimmt oder aber glaubt, mit ihren eigenen Sicherungen - die sich bedauerlicherweise ja nun als durchlässig erwiesen haben - auskommen zu können.
Frage 97 des Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling:
Nachdem jetzt auf der B 42 am Bahnübergang Wallen bei Linz-Rhein erneut ein schwerer Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang zu beklagen ist, frage ich die Bundesregierung, wie die Verkehrssituation an dieser besonderen Gefahrenstelle durch entsprechende Maßnahmen gebessert wird.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, der Bahnübergang Wallen liegt im Zuge der Kreisstraße Nr. 10 nach Dattenberg unmittelbar neben deren Einmündung in die B 42. Bereits im Jahre 1965 wurden auf der B 42 nördlich und südlich der Einmündung Verkehrsampeln aufgestellt, die durch Schaltung auf Rot-Signal bei ankommenden Zügen den durchgehenden Verkehr auf der Bundesstraße anhalten, damit die wartenden Fahrzeuge den Bahnübergang im Zuge der Kreisstraße 10 räumen können.
Im Zuge des Ausbaues der B 42 zwischen Bad Hönningen und Unkel ist eine kreuzungsfreie Anbindung der Kreisstraße 10 an die B 42 unter gleichzeitiger Ausschaltung des Bahnüberganges vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Wuermeling.
Können Sie etwas darüber sagen, Herr Staatssekretär, ob nicht bis dahin vielleicht eine Geschwindigkeitsbeschränkung oder ein Überholverbot an dieser Stelle angeordnet werden könnte, zumal ein Schülerbus täglich diese Stelle passiert und sich immer wieder ergeben hat, daß hier eine besonders große Gefahrenquelle liegt?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, ich darf darauf hinweisen, daß die Sicherung auch von Bundesstraßen in verkehrspolizeilicher Hinsicht ja nicht dem Bundesminister für Verkehr, sondern den Polizeibehörden der Länder obliegt. Ich will aber gern Ihre Anregung aufgreifen und sie an die zuständige Landesdienststelle weiterleiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Josten.
Herr Staatssekretär, nach.. dem Sie vorhin den Ausbau der B 42 nannten und ich diese Strecke gerade diese Nacht mit dem Wagen wieder kennenlernte, darf ich Sie fragen, ob Sie wegen der Dringlichkeit des weiteren Ausbaues der
B 42 und der B 9 auch das Problem einer weiteren
Rheinbrücke in der Strecke Weißenthurm-Bonn
in Ihrem Haus weiter vorrangig behandeln werden.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, wie Sie wissen, sind wir beim Ausbau von Bundesfernstraßen auf eine enge Zusammenarbeit mit den Ländern angewiesen. Wir sind darüber hinaus gehalten, alle Bedenken und Anregungen, die sich bei der Durchführung solcher Maßnahmen unter Umständen von den betroffenen Gemeinden ergeben, in unseren Planungen zu berücksichtigen. Es hat sich gerade bei den von Ihnen genannten Trassenführungen ergeben, daß dort eine Reihe von Bedenken auch bei der Bundesstraße 42 von kommunaler Seite bisher notwendige Maßnahmen zumindest im Tempo eingeschränkt haben. Ich will Ihre Anregung gern noch einmal überprüfen, muß aber sagen, daß der Bundesminister für Verkehr mit Ihnen darin übereinstimmt, daß der Ausbau beider Straßen so zügig wie möglich vorgenommen werden sollte.
Die Fragen 98 und 99 des Herrn Abgeordneten Zebisch werden auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in den Landkreisen Tirschenreuth, Neustadt-Waldnaab, Eschenbach, Kemnath sowie in der gesamten Oberpfalz keine völlig ausgebauten Schnellstraßen bestehen?
Ist die Bundesregierung bereit, die zur Verbesserung der Infrastruktur notwendige Autobahn Nürnberg-Amberg-Waidhaus ({0}) sowie die Bundesstraße Regensburg-Weiden-Hof noch vor den in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. Oktober 1967, Seite 8, veröffentlichten Terminen auszubauen?
Die Antwort des Bundesministers Leber vom 25. Oktober 1967 lautet:
Der Bundesregierung ist der Ausbauzustand der Bundesstraßen 15, 22, 299, 303 und 470 bekannt. Obwohl die Verkehrsbelastung in den von Ihnen genannten Landkreisen, verglichen mit dem Bundesdurchschnitt, gering ist, sind auch im 3. Vierjahresplan für den Ausbau der Bundesfernstraßen, dessen Laufzeit von 1967 bis 1970 geht, nicht unerhebliche Mittel für weitere Baumaßnahmen, insbesondere an der Bundesstraße 15, eingeplant. Damit wird der bisher schon getätigte Ausbau der Bundesstraßen in der Oberpfalz fortgesetzt.
Eine bedeutende Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur der gesamten Oberpfalz wird durch das geplante Fernstraßendreieck eintreten, das sich aus den in Bau befindlichen Neubaustrecken der Bundesautobahnen Nürnberg-Amberg, Nürnberg-Regensburg und der Bundesstraße 15 Regensburg-Weiden zusammensetzt.
Der 3. Vierjahresplan für den Ausbau der Bundesfernstraßen ({1}) sieht den Bau der Bundesautobahnstrecke Nürnberg-Amberg vor. Die Karte über die Bauziele ({2}) zeigt, daß bis zum Jahre 1970 die gesamte Bundesautobahnstrecke voll in Bau genommen werden soll. Es wird angestrebt, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln bis zum Jahre 1970 den Streckenabschnitt bis Amberg-West fertigzustellen.
Die Inangriffnahme der Arbeiten zwischen Amberg-Ost und Pfreimd kann frühestens im nachfolgenden 4. Vierjahresplan berücksichtigt werden.
Der Weiterbau dieser Bundesautobahnstrecke über Pfreimd hinaus bis zur deutsch-tschechoslowakischen Grenze setzt voraus, daß auch die Tschechoslowakei ihrerseits mit dem Bau einer Autobahn von Pilsen zur Grenze beginnt.
Die geplante neue Bundesstraße 15 zwischen Regensburg und Weiden ist auf dem Abschnitt Nabburg-Pfreimd im Bau. Auch hier kann für die Fertigstellung der Gesamtstrecke noch kein Termin genannt werden.
Die Fragen 100 und 101 des Herrn Abgeordneten Strohmayr sind zurückgezogen worden.
Wir sind am Ende (der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, ({3}) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gestzes über die Festsellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1968 ({4})
- Drucksache V/2150 -
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, II. Teil - Finanzänderungsgesetz 1967
- Drucksache V/2149 -
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verbilligung von Gasöl für Betriebe der Landwirtschaft ({5})
- Drucksache V/2194 -
d) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Bildung eines Rates für Finanzplanung ({6})
- Drucksache V/2134 -
e) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Einsetzung einer unabhängigen Sachverständigenkommission zur Vorbereitung einer Reform der direkten und indirekten Steuern
- Drucksache V/2164 Die Aussprache über das Haushaltsgesetz und die verschiedenen Finanzvorlagen ist gestern abend unterbrochen worden. Wir treten wieder in diese Aussprache ein. Als erster Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Nichts charakterisiert die Sozialpolitik dieser Bundesregierung eigentlich besser als die Überschrift des Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, zweiter Teil: „Finanzänderungsgesetz 1967". In wesentlichen Teilen dieses Entwurfs geht es um nichts anderes als um Einschränkungen des derzeitigen sozialen Leistungsrechts. Damit wird klar, daß in der Öfentlichkeit verkündete Wunschvorstellungen der Vertreter der Regierungsparteien und deren Sprecher in absehbarer Zeit nicht nur nicht realisierbar sind, sondern daß das derzeitige Leistungsrecht überdies noch eingeschränkt werden muß.
Darüber hinaus aber werden gesellschaftspolitische Entscheidungen von eminenter Tragweite als reines Finanzproblem angegangen und einer Entscheidung zugeführt, bei der kaum Zeit für Grund6508
satzdebatten und für sachgemäße Beratungen in den Ausschüssen verbleibt.
({0})
- Sie wissen doch ganz genau, Herr Kollege Schellenberg, daß die Rentenversicherungsträger eigentlich das Gesetz schon haben müßten, damit es wirklich ohne Schwierigkeiten in der Verwaltung durchgeführt werden kann.
({1})
- Aber Sie geben doch zu, daß, nachdem die nächste Woche sitzungsfrei ist, nicht viel Zeit übrigbleibt.
Ich glaube, es steht dem Parlament sehr gut an, diese Tatsachen in der derzeitigen wirtschafts- und finanzpolitischen Situation nüchtern und ohne Emotionen zu diskutieren und Wege zu suchen, die sich langfristig als realisierbar erweisen. Wer die bisherige Entwicklung und die künftigen Möglichkeiten kritisch betrachtet, weiß, daß die Vorschläge dieses Finanzänderungsgesetzes, auch wenn sich zahlreiche Politiker dieser Erkenntnis verschließen wollen, die Vorboten einer Götzendämmerung für die sozialpolitischen Schönredner darstellen.
({2})
Wir haben mit großem Interesse der Rede des Herrn Bundesfinanzministers gelauscht und haben sie auch studiert, und wir haben festgestellt, daß sie auf ganzen Strecken in einem wundersamen Widerspruch zu den von der Regierung vorgesehenen Vorschlägen steht, ganz zu schweigen von dem Wirrwarr an Vorstellungen, der in den Koalitionsfraktionen mindestens bis Dienstag herrschte, vielleicht auch heute am Donnerstag noch herrscht. Die vorgeschlagenen Zielvorstellungen des Herrn Finanzministers Strauß in seiner Rede stehen oft in diametralem Gegensatz zu den von seiner Regierung geforderten Beschlüssen, wenn ich z. B. daran denke und in Ihr Gedächtnis zurückrufen darf, daß Herr Finanzminister Strauß u. a. den Satz geprägt hat - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich das noch einmal plastisch vor das Auge der Kollegen stellen -:
Es muß uns gelingen, die Umverteilungsprozesse in unserem sozialen Sicherungssystem Zug um Zug mit den steigenden Masseneinkommen zurückzudrängen und das im Markt verdiente Leistungseinkommen zur Grundlage der Sicherung des einzelnen ... zu machen.
Wir Freien Demokraten hören mit großer Freude eine solche Botschaft; aber Sie werden entschuldigen, wenn wir sagen: uns fehlt der Glaube, daß diese Regierung in der Lage wäre, eine solche Politik einzuleiten, geschweige denn durchzusetzen.
({3})
Meine Damen und Herren, es kann doch dem Herrn Bundesfinanzminister nicht entgangen sein, daß in seinem Beisein beschlossen wurde, z. B. in der gesetzlichen Rentenversicherung für Arbeiter und Angestellte den Beitragssatz in den nächsten drei Jahren um 3 % zu erhöhen. Wenn wir nur die Annahmen der Bundesregierung zugrunde legen, dann wird allein in den nächsten vier Jahren durch diese eine zusätzliche Umverteilungsmaßnahme eine Umverteilung von rund 19 Milliarden DM bewirkt, ganz zu schweigen von den Umverteilungskosten, die sich weiterhin kostensteigernd für die Wirtschaft und einkommensmindernd in den Haushalten der Arbeiter und Angestellten auswirken werden, als da sind: Steuererhöhungen, Abschaffung der Pflichtversicherungsgrenze und Wiedereinführung des Arbeitgeberbeitrages für beschäftigte Rentner. Wir müssen feststellen, daß schon in der Vergangenheit - tun wir doch nicht so, als ob wir keine Unterlagen hätten - eine permanente Einschränkung des verfügbaren Einkommens der Arbeiter und Angestellten durch die Entwicklung des Sozial- und Steuerrechts erfolgte. Wir werden bei der Behandlung des Punktes 4 Gelegenheit haben, noch näher auf den Sozialbericht 1967 einzugehen. Aber eine Übersicht will ich doch vor Ihre Augen stellen, die Übersicht Nr. 5, aus der klar hervorgeht, daß einkommensmindernde Gesetze immerzu beschlossen worden sind und daß das verfügbare Nettoeinkommen des Arbeiters und Angestellten von Jahr zu Jahr gesunken ist; eine Ausnahme bildete das Jahr 1965, wo dieser Trend als klar erkennbare Konsequenz der Steuersenkung gestoppt wurde. Seit 1950 ist das Nettoeinkommen der Arbeitnehmer im Verhältnis zum Bruttoeinkommen von 87,2 auf 81,9 zurückgegangen.
Wir Freien Demokraten betrachten es genau wie der Bundesfinanzminister als ein erstrebenswertes Ziel, wenigstens die weiteren Belastungen des Arbeitseinkommens möglichst einzudämmen. Nur eines müssen wir Freien Demokraten mit aller Klarheit feststellen: daß die Vorschläge des Finanzänderungsgesetzes genau das Gegenteil bewirken. Eine weitere kräftige Belastung des Arbeitseinkommens wird erfolgen, oder es wird das eintreten, wogegen sich Herr Arbeitsminister a. D. Blank oft gewehrt hat; er hat nämlich oftmals gesagt, er wehre sich gegen eine weitere Versozialisierung des Arbeitseinkommens. Genau das wird nun durch die Vorschläge des Finanzänderungsgesetzes bewirkt.
Aber nicht nur hier bestehen Widersprüche zwischen den verkündeten Zielen und den vorgeschlagenen Maßnahmen. Wenn die These des Finanzministers richtig ist, die er hier vorgetragen hat wir Freien Demokraten glauben, daß sie richtig ist -, daß sich der Leistungswille des einzelnen dann am besten entfalten kann, wenn er nicht durch allzu schwere fiskalische Bleiklötze gehemmt wird, dann wäre z. B. die Schaffung einer Versicherungsberechtigung und die Beibehaltung einer Versicherungspflichtgrenze ein konsequenter Weg, diese These zu untermauern. Aber man geht den umgekehrten Weg. Man erfaßt zwangsweise alle Angestellten - einschließlich derer mit Arbeitgeberfunktion - in einer staatlichen Versicherungseinrichtung.
Hier erfolgt eine Weichenstellung in eine Einbahnstraße, aus der es keine Umkehr mehr gibt. Wir
wollen doch davor nicht die Augen verschließen. Diese Weichenstellung erfolgt einmal aus sozialpolitischen Gründen - das entspricht der Zielvorstellung der Sozialdemokratischen Partei -, zum anderen natürlich auch aus einer finanziell schwierigen Situation heraus. Es geht vordergründig in der mittelfristigen Finanzplanung nicht so sehr um die Tatsache, daß dieser Kreis besonders schutzbedürftig sei, als vielmehr darum, daß mit dieser Maßnahme zunächst einmal Mehreinnahmen von 3 Milliarden DM in den nächsten vier Jahren erzielt werden. Man zielt also mehr auf das Geld dieser neuen Mitglieder ab, als daß man auf ihre Schutzbedürftigkeit abstellt. Man übersieht dabei sogar die großen Verpflichtungen, die man damit als Hypothek für die Zukunft schafft.
Schon 1957 war klar, daß die Rentenformel in der Knappschaftsversicherung und in den Rentenversicherungen für Arbeiter und Angestellte nur dann durchzuhalten ist, wenn der Bund mit absolut wachsenden Beträgen zur Finanzierung der Leistungen der Rentenversicherungen beiträgt. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, nicht ohne Grund haben Sie damals versucht, im Gesetz einen 40%igen Beitrag des Bundes zu fixieren. Sie sind damals mit Ihrer Vorstellung nicht durchgekommen. Aber selbst wenn Sie durchgekommen wären - auch das wollen wir klar herausstellen -, wären Sie heute in einer schwierigen Lage. Sie könnten nämlich die 40 % auch nur dadurch garantieren, daß Sie die Steuern recht kräftig erhöhten; andernfalls hätte der Bund keine Finanzierungsmasse, um diese 40 % zu geben.
Wenn wir uns die Entwicklung der Ausgaben der Rentenversicherungsträger im letzten Jahrzehnt vor Augen halten, stellen wir gleichzeitig fest, daß der Anteil der wachsenden Bundeszuschüsse - mit Ausnahme der Knappschaft - prozentual absinkt. Absolut haben wir also steigende Bundeszuschüsse. Prozentual zu den Leistungen, die die Rentenversicherungsträger erbringen müssen, ist aber ein Absacken festzustellen.
Die Antwort auf unsere Kleine Anfrage Drucksache V/2123 spricht hier eine deutliche Sprache.
({4})
- Wir sind sehr dankbar, Herr Kollege Schellenberg, daß uns die Bundesregierung auf diese Frage im Teil I eine klare Antwort gegeben hat. Wir müssen aber feststellen, daß die Teile II und III bis heute noch nicht beantwortet sind; in diesen Teilen geht es um die möglichen Berechnungen für den Fall, daß das Bruttosozialprodukt nur um 3 %, oder sogar erfreulicherweise um 7 % anwächst.
({5})
Wir sind auch bezüglich dieser Anfrage vertröstet worden. Man hat uns gesagt, die Unterlagen würden uns später zugeleitet. Die Regierungsarbeit bei der Beantwortung Kleiner Anfragen der Opposition funktioniert also nicht ganz so, wie Sie es eben durch Ihren Zuruf darzustellen versuchten, Herr
Kollege Schellenberg. Das wissen Sie zur Genüge.
({6})
- Ich habe nicht den Eindruck, Herr Kollege Schellenberg, daß es besser geworden ist. Sie verkünden hier einen sehr subjektiven Eindruck, und zwar nur deshalb, um Ihre Koalitionstreue besonders unter Beweis zu stellen.
({7})
Diese Antwort auf unsere Kleine Anfrage sagt aus: Der Bundeszuschuß steigt für die Knappschaftsversicherung von 69 auf 75 %. Er sinkt für die Arbeiterrentenversicherung von 24 auf 20 und für die Angestelltenversicherung von 10 auf 5 %.
Meine Damen und Herren, das ist eben eine Folge der schwierigen Finanzsituation. Aber es waren gerade in der Vergangenheit immer Ihre Kollegen von der SPD, die auf diese schrumpfenden Anteile mit scharfer und beißender Kritik hingewiesen haben. Wir Freien Demokraten können nur feststellen, daß unter der Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten dieser früher beanstandete Schrumpfungsprozeß nicht nur schlechthin fortgesetzt, sondern sogar verstärkt fortgesetzt wird.
({8})
- Lieber Herr Kollege Schellenberg, ich bin Ihnen für diesen Zwischenruf außerordentlich dankbar. Sie stellen die Dinge nämlich so dar, als ob in diesem Hause nicht die Mehrheit zu entscheiden hätte und wir gar keine parlamentarische Demokratie mehr hätten, sondern als ob der Finanzminister entschiede, egal, von welcher Partei er gestellt wird. Ich erinnere mich, Herr Kollege Schellenberg - wenn ich Ihnen das zurückgeben darf -, daß wir schon fünf, sechs, sieben Jahre früher in einer Finanzmisere gewesen wären, wenn die Mehrheit dieses Hauses in den Jahren 1955, 1956, 1957 'und in den folgenden Jahren den Vorstellungen der Sozialdemokraten gefolgt wäre.
({9})
Lesen Sie einmal nach, was Ihre Kollegen - ({10})
- Herr Kollege Schellenberg, selbstverständlich habe ich bemerkt, daß sich die Kollegen der SPD bei der Stellung von Anträgen, die Kosten verursachen, um eine gewisse Zurückhaltung bemühen. Aber ich habe das erst seit etwa Mai 1965 bemerkt, Herr Kollege Schellenberg.
({11})
-Selbstverständlich als Opposition, Herr Kollege
Schellenberg. Aber ich erinnere mich - ich will
die Dinge nicht aufrühren -, daß ich im letzten Bundestag in einem Ausschuß saß, in dem wir es unter großen Schwierigkeiten zuwege brachten, daß Anträge der SPD von mehr als 8 Milliarden DM abgelehnt wurden, woraufhin im Bundestag in letzter Minute noch ein Kompromiß gefunden wurde - um außenpolitischen Schaden abzuwenden -, der immerhin 1 Milliarde DM Mehrkosten entstehen ließ. Ich würde mit dem Hinweis auf den Finanzminister etwas vorsichtig sein; denn der Finanzminister hatte diesem Kompromiß nicht zugestimmt.
Nun, Herr Kollege Schellenberg, zurück zu Ihrem Fraktionskollegen Dr. Möller. Er hat hier gestern in seiner grundsätzlichen Haushaltsrede auch einige bemerkenswerte Ausführungen zur Sozialpolitik gemacht. Er hat u. a. festgestellt - genauso wie Sie, Herr Kollege Schellenberg, im. Juni dieses Jahres -, daß die sozialdemokratische Fraktion an der bruttolohnbezogenen Rente festhält. So weit, so gut. Nun habe ich zufällig erfahren, daß Ihr hochverehrter Fraktionskollege und -vorsitzender Helmut Schmidt ({12}) vor einem illustren Kreis in der Redoute in Godesberg einen Vortrag über die Arbeitsweise der Großen Koalition gehalten und dort erklärt hat, es sei doch alles in Ordnung und es sei für den intellektuellen Zuhörer genüßlich, nunmehr den Debatten zu folgen. Er wollte damit wohl darauf hinweisen, daß man auf die feinen Nuancen, auf die noch eben hörbaren andersklingenden Töne achtgeben müssen. Ich habe mich nun entsprechend der Feststellung des Kollegen Schmidt bemüht, festzustellen, ob in der Rede des Kollegen Möller ein feiner Ton nebenher zu hören war. Ich habe ihn nicht gehört.
({13})
Aber ich hatte noch Zeit, heute nacht nicht nur zu schlafen, sondern auch nachzudenken, und dabei bin ich auf etwas ganz Eigenartiges gestoßen. Meine Damen und Herren von der SPD, das möchte ich Ihnen einmal vortragen. Es wird auch für die Kollegen von der CDU höchst interessant sein. Der Kollege Möller sprach von der bruttolohnbezogenen Altersrente. Ich habe festgestellt, daß die Sozialdemokraten im Jahre 1957 als Oppositionspartei der Meinung waren, daß ein Steigerungssatz in der Rentenformel von 1,8 % die akkurat richtige Zahl sei, um eine bruttolohnbezogene Rente zu fixieren. Sie sind mit diesem Steigerungssatz von 1,8 % nicht durchgekommen und haben sich mit 1,5 % beschieden. Sie haben im Jahre 1958 einen Steigerungssatz von 2,5 % als richtige Größe für die bruttolohnbezogene Knappschaftsaltersrente angesehen und auch bekommen. Sie haben sich offensichtlich - ich höre, daß die Fraktionen sich einig sind, das Gesetz mit den bekannten Kompromißänderungen anzunehmen - nur dazu bekannt und bequemt, festzustellen, daß dieser Steigerungssatz von 2,5 %, der die ursprüngliche bruttolohnbezogene Knappschaftsrente ergab, nun auf 2,0 % zurückgeführt werden kann und es dann trotzdem bei einer bruttolohnbezogenen Rente bleibt. Meine Damen und Herren von der SPD, das ist eine sehr interessante Feststellung, denn damit wird deutlich gemacht, daß mit dem
Schlagwort „bruttolohnbezogene Rente" noch gar nichts ausgesagt ist.
({14})
Das muß man einmal in den Raum stellen.
Nun hat Herr Kollege Möller natürlich noch etwas anderes gesagt. Er hat erklärt: Jede Diskussion über die Rentenformel von 1957 lehnen wir ab; das würde das Vertrauen in die Rentenversicherung erschüttern. Ich kann mich nur wundern. Die Rentenformel der Knappschaftsversicherung des Jahres 1957 wird mit Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion geändert, denn der Steigerungssatz wird von 2,5 auf 2,0 sinken.
({15})
Es sind also, wie der Herr Bundesfinanzminister es so treffend formuliert hat, die Barrikaden, die die Sozialdemokraten selbst errichtet haben und auf denen sie weiterkämpfen, von ihnen selbst längst eingerissen worden.
({16})
Aber, meine Damen und Herren, so ungeschickt ist die Mehrzahl der deutschen Bürger nicht, daß sie nicht wüßten, daß man die Milliarden, die man einsparen muß, nicht bei einigen wenigen holen kann.
Wir haben den Mut gehabt, im Jahre 1957 - und Sie haben uns deswegen zehn Jahre lang verteufelt - nein zu sagen zu den Renteneuregelungsgesetzen, nicht weil wir gegen die Dynamik waren - das möchte ich ausdrücklich betonen -, sondern weil wir gegen die Automatik waren, die darin enthalten ist; das war nämlich der wahre Grund. Wir meinten, daß es nicht gut ist, dem Rentner eine Rente zu versprechen, von der man nicht sicher weiß, daß sie gegeben werden kann, für Jahrzehnte gegeben werden kann, und dem Arbeitnehmer einen Beitragssatz zu versprechen, von dem man nicht weiß, ob er beizubehalten ist.
({17})
Wir können heute nur feststellen, daß wir damals ,den Mut zur Unpopularität hatten, keine Versprechungen ins Blaue hinein zu machen. Sie haben zugestimmt und darüber hinaus noch weitere Versprechungen gemacht. Wir müssen heute feststellen, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei und meine Damen und Herren von der CDU: leider sind Sie nicht in der Lage diese Versprechungen zu erfüllen. Wir bedauern das außerordentlich; es wäre uns lieber, Sie könnten Ihre Versprechungen von damals einhalten; niemand wäre glücklicher als wir. Leider müssen wir heute feststellen: Sie müssen durch die Änderung der Knappschaftsrentenformel ganz kräftig in das Leistungsrecht eingreifen, und Sie müssen über den Krankenversicherungsbeitrag auch ein bißchen an den Leistungen für die Rentner in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung manipulieren. Sie können Ihre Versprechungen nicht halten.
({18})
- Herr Kollege Schellenberg, wir haben den Rentenanpassungsgesetzen zugestimmt, weil wir jedesmal erklärten: Die Grundsatzentscheidung ist im Jahre 1957 von der Mehrheit des Hauses getroffen worden, und damit haben wir bei der jährlichen Rentenanpassung jeweils nur über die jährlich gegebene Situation zu entscheiden, und wenn diese jährlich gegebene Situation eine Zustimmung erlaubte, dann haben wir die Zustimmung gegeben. Es ist etwas anderes, ob Sie die Sache grundsätzlich und langfristig betrachten oder ob Sie die Sache en detail und für das eine Jahr, das zur Debatte steht, ansehen.
({19})
Das, glaube ich, muß man einmal klar herausstellen.
Herr Kollege Schellenberg, wir haben im Jahre 1957 erklärt: Wer vielen vieles geben will, muß vorher vielen vieles nehmen. Genau diesem Wahlspruch folgend, sind 'die Regierung und Sie als regierungstragende Partei jetzt in die Situation gekommen, daß Sie unter dein Motto: Wer vieles einsammeln will, muß von vielen einsammeln, angetreten sind und antreten mußten. Das wollen wir ganz klar herausstellen. Es ist einfach nicht möglich, so zu tun, als ob der kleine Mann nicht an dieser Last teilhaben würde.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein Letztes zu den Ausführungen des Kollegen Möller feststellen. Nicht der Mut, die Dinge nüchtern zu betrachten und kritisch, mit genügend Unterlagen ausgerüstet, an eine Reform heranzugehen, schafft Chaos, sondern .die Feigheit, sich den notwendigen Reformen, ja, sogar den Diskussionen über notwendige Reformen zu versagen.
({20})
Selbst wenn man davon ausgeht, wie der Herr Bundesfinanzminister es ausgeführt hat, daß es nur noch wenige in unserer Gesellschaft gibt, die in der Lage sind, allen vielfältigen Risiken des Lebens allein aus eigener Tasche zu begegnen, so ist damit noch keineswegs gesagt, daß es Aufgabe staatlicher Sozialpolitik sein muß, allen Arbeitnehmern vorzuschreiben, in welcher Form, in welcher Höhe, bei welchen Einrichtungen und in welchem Umfang sie Vorsorge zu treiben haben.
({21})
Das ist im Grunde nichts anderes als eine Unmündigkeitserklärung für den Arbeitnehmer, wenn man ihm auf die Dauer keinerlei Wahl der Vorsorge mehr überläßt, weil man so kräftig in sein Einkommen eingreift, daß für Möglichkeiten einer zusätzlichen individuellen Vorsorge kein Spielraum mehr bleibt.
Es ist einfach - bitte entschuldigen Sie, ich weiß nicht ob das Wort „schizophren" parlamentarisch noch zulässig ist - schizophren, zu sagen: Wir müssen das System weiter halten, wir müssen es weitertreiben, und daneben noch von verstärkter Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zu sprechen.
({22})
Die Beiträge werden kräftig steigen. Allein auf der Grundlage der Regierungsvorlage wird der Höchstbeitrag von 196 DM auf 306 DM in den nächsten vier Jahren ansteigen. Meine Damen und Herren, verschließen wir doch nicht die Augen vor der Situation in der Knappschaft! Dort sind wir an der oberen Grenze der Belastungsfähigkeit mit 23,5 % Beitragssatz angekommen. Dort kommen wir schon auf Pflichtbeiträge von 400 und demnächst von 500 DM im Monat.
Und was geschieht? Weil man die Beiträge nicht weitertreiben kann, weil man nicht noch weiter in das verfügbare Einkommen des Arbeiters und des Angestellten eingreifen kann, kürzt man die Rente. Das ist unsere Sorge, die Sorge der -Freien Demokraten, bei der Angestelltenversicherung und bei der Arbeiterrentenversicherung. Noch können Sie manipulieren. Noch können Sie die Beitragssätze höher schrauben. Aber wie lange wird das noch gut gehen?
Verschließen wir doch die Augen nicht vor der Situation, daß die Rentenversicherung mit der Formel des Jahres 1957 darauf aufgebaut ist, daß die Leistungen aus drei Quellen gespeist werden, d. h. daß die Versicherungsträger drei Quellen der Einnahmen haben und daraus die vielfältigen Ausgaben bestreiten müssen. Da ist einmal der Beitrag, da sind zum anderen die Zinserträge - keine große Säule, aber immerhin doch eine kleine sprudelnde Quelle -, und da ist als drittes der Bundeszuschuß. Und nun, meine Damen und Herren, gehen Sie hin und kürzen den ohnehin langsamer wachsenden Bundeszuschuß noch kräftig. Eine Quelle wird weniger sprudeln. Die andere Quelle, die Erträge aus Zinsen, wird ebenfalls, prozentual gesehen, weniger fließen. Ja, wir fürchten sogar, daß sie absolut gesehen weniger fließen wird, weil die 8 Milliarden DM Vermögensverzehr, die in der Gesetzesvorlage als Möglichkeit drin sind, vielleicht doch gebraucht werden. Das bedeutet dann eben einen zusätzlichen Einnahmeverlust von 100 oder 150 Millionen DM im Jahr. Wenn Sie also mit diesen zwei Quellen die Kassen geringer füllen, müssen Sie die anderen Quellen, die Beitragsquellen, verstärken, und das tun Sie ja auch. Aber auch hier werden wir eines Tages, früher oder später, an der oberen Leistungsgrenze sein.
Wir als Freie Demokraten wollen nicht, daß man den heutigen Rentnern und den heutigen Beitragszahlern, die noch in Arbeit stehen, etwas vorgaukelt, von dem man nicht wirklich im Innersten seines Herzens überzeugt ist, daß man es auch halten kann.
({23})
Das ist unsere Sorge, nicht, daß wir den Leuten nicht genügend geben wollten. Wir wollen vielmehr, daß sie aus ihrem Leistungslohn auch noch etwas verfügbar haben und der Sparprozeß nicht aus der aktiven Zeit in die inaktive Zeit verlegt wird. Deshalb sollten wir uns nicht gegenseitig mit sozialen Parolen schlagen, sondern wir sollten versuchen, einen Weg zu finden, auf dem wir durchkommen.
Wer die Rentenformel und ihre Konsequenzen begriffen hat, muß wissen, daß unter den gegebenen Umständen - Bevölkerungsstruktur, Wachstumsraten, wirtschaftliche und politische Situation - eine Zurückdrängung des Umverteilungsprozesses gar nicht möglich sein wird. Deshalb müssen wir sagen: was der Herr Bundesfinanzminister hierzu gesagt hat, ist leider nicht haltbar. Wir würden es sehr begrüßen, wenn er sagte, daß dies zwar eine ideale Ziel- und Wunschvorstellung von ihm ist, aber daß er weiß, daß die Realitäten anders sind, daß die Realitäten es allenfalls zulassen werden, das Nettoeinkommen vielleicht bei 80 % des Bruttoeinkommens zu halten, daß es aber auch da schon großer, großer Anstrengungen bedarf, wenn man nicht noch mehr in das verfügbare Einkommen des Arbeiters und Angestellten eingreifen will.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf eines eingehen. Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten wird durch den sogenannten Rentnerkrankenversicherungsbeitrag belastet. Hier ist eine großartige Idee geboren worden, die zum Inhalt hat, daß die Rente zunächst erhöht, dann aber doch wieder in etwas niedrigerer Höhe ausbezahlt wird. Damit wird die Fiktion aufrechterhalten, daß in das Leistungsrecht nicht eingegriffen werde. Zur Rechtfertigung dieser verwaltungsmäßig sehr umständlichen und kostspieligen Maßnahme wird die Theorie vom Lohnersatz strapaziert. Es wird so getan, als werde der Rentner in Höhe von 4 oder neuerdings anscheinend 2 % seines Einkommens zu den Leistungen seiner Krankenversicherung herangezogen. In Wirklichkeit liegen die Dinge leider viel komplizierter und sind weit wenider durchschaubar. Von diesen 2 % bekommt die Krankenversicherung schlechthin - nicht seine Krankenversicherung, sondern die Krankenversicherung schlechthin - einen Teilbetrag, und der andere Teil dieser 2 % wird verwendet, um die Löcher bei der Rentenversicherung zu stopfen.
({24})
Warum diese fragwürdige Argumentation, diese vermeidbaren verwaltungsmäßigen Belastungen? Im Zusammenhang mit dem Sozialbericht, in dem bestimmte Vorstellungen entwickelt worden sind, werden wir noch einmal darauf zu sprechen kommen.
Wieso eigentlich, meine Damen und Herren, ist die Rente desjenigen, der im Jahre 1967 Rentner wurde, keine Lohnersatzfunktionsrente? Denn sie wird ja nicht zum Krankenversicherungsbeitrag herangezogen. Auch hier eine etwas eigenartige Konstruktion! Hier wird doch um des optischen Eindrucks willen etwas aufgebaut, was kein Vernünftiger und Nachdenkender mehr akzeptieren kann. Für den Rentner ist entscheidend, was er erhält, und nicht, nach welchen Theorien oder auf Grund welcher Verwaltungspraxen in das bisher übliche Leistungsrecht eingegriffen wird.
Herr Kollege Windelen hat sehr dankenswerterweise etwas angesprochen, was ich noch vertiefen möchte. Bezüglich der Sozialleistungen insgesamt steht die Bundesrepublik in der EWG an der Spitze, ebenso bezüglich der Einzelleistungen bei der Alterssicherung, während die Franzosen bei den Leistungen für die kinderreiche Familie an der Spitze stehen. Nun treten ja in der Finanzgestaltung nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland Schwierigkeiten auf, sondern auch in Frankreich, und die Italiener stehen vor ähnlichen Problemen. An diese Probleme müssen wir doch - ich möchte sozusagen zur Entlastung unserer Kollegen sagen, daß das kein nationales Problem ist, sondern den Politikern offensichtlich international Schwierigkeiten macht - mit Mut herangehen. Bei den Leistungen für die kinderreiche Familie stehen wir innerhalb der EWG an letzter Stelle, und im Rahmen des Finanzplanungsgesetzes greifen wir genau in diese Leistung ein, bei der wir ohnehin am Ende marschieren. Die Franzosen stehen mit ihren Sozialleistungen in der Krankenversicherung innerhalb der EWG an letzter Stelle, und sie greifen aus Ersparnisgründen auch wieder gerade dort ein, wo sie am schwächsten sind. Ich frage mich: Wie soll da noch eine Harmonisierung erfolgen, wenn offensichtlich in allen Staaten der EWG bestimmte Schwergewichte gesetzt worden sind, die zu den Tabu-Zonen gehören, die keiner gern irgendwie zur Diskussion stellt, geschweige denn entscheidende Änderungen auf diesem Gebiet vornimmt?
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben ein Problem angesprochen, und ich glaube, der Herr Bundesarbeitsminister wird mir darauf eine Antwort geben. Ich glaube, das ist eine ganz entscheidende Frage. Es ist die Frage: Was ist eigentlich sozialer Besitzstand? Ich wäre gar nicht darauf gekommen, eine solche Frage zu stellen, wenn nicht der Herr Bundesfinanzminister am 6. September erklärt hätte, es werde nicht in den sozialen Besitzstand eingegriffen. Und gestern hat der Herr Bundesfinanzminister erklärt, es sei der Eindruck erweckt worden, als müßten die Rentner aus ihrem gegenwärtigen Besitzstand diesen Krankenversicherungsbeitrag bezahlen. Hier ergibt sich eine eminent wichtige Grundsatzfrage, deren Beantwortung viel zur Entschärfung und Entgiftung des bisherigen sozialpolitischen Klimas und der Diskussionen beitragen könnte.
Meine Damen und Herren, notwendige Diskussionen über sachgemäße sozialpolitische Entscheidungen sind in der Vergangenheit immer wieder mit dem Argument torpediert worden, es dürfe in den Besitzstand nicht eingegriffen werden. Wenn irgend jemand etwas sagte, wurde er sofort zurückgewiesen nach dem Motto: Sie greifen ja in den Besitzstand ein! Ich erinnere mich noch gut der Rede des Kollegen Barzel vor dem CDU-Parteitag im Jahre 1966, die ich zwar nicht gehört, aber gelesen habe, in der er zu bestimmten Vorstellungen, die im Finanzministerium erwogen wurden, sagte: Wir warnen und wir rufen diesen Herrschaften zu: Hände weg von der Rentenversicherung! Er hat das unter großem Beifall gesagt, meine Damen und Herren. In der Zwischenzeit aber haben Sie die Hände ganz kräftig in der Rentenversicherung.
({25})
Man sieht also, wie schnell sich die Dinge wandeln können.
({26})
Meine Damen und Herren, was meinte der Finanzminister also am 6. September und vorgestern mit diesen Formulierungen? Was versteht die Bundesregierung unter sozialem Besitzstand? Ist damit das jeweils geltende Recht, also der rechtliche Rahmen, gemeint, oder ist damit - das ist eigentlich die einzige Schlußfolgerung, die die Äußerung des Bundesfinanzministers zuläßt - das absolute Maß der sozialen Leistungen zu dem betreffenden Zeitpunkt gemeint, in Mark und Pfennig ausgedrückt, also der finanzielle Rahmen zu dem jeweiligen Zeitpunkt?
Unter dieser letzten Definition, meine Damen und Herren, wäre sogar die Kürzung des Steigerungssatzes in der Knappschaftsversicherung von 2,5 auf 2% zuzüglich Rentnerkrankenversicherungsbeitrag kein Eingriff in den Besitzstand. Eine solche Auslegung würde sogar bedeuten, daß Änderungen der Rentenformel, wie sie jetzt in der Knappschaftsversicherung und auch in der Angestellten- und Arbeiterversicherung vorgenommen werden oder bei den bisher üblichen Anpassungen erfolgen könnten, nicht als Beeinträchtigung des Besitzstandes angesehen werden könnten. Das ist eine so eminent wichtige Frage, daß wir hier nicht nur von der Regierung ein klärendes Wort erwarten, sondern auch von den Regierungsfraktionen. Nicht nur die Opposition, sondern die ganze deutsche Öffentlichkeit muß in der Zukunft wissen, was der einzelne oder was eine Gemeinschaft mit dem Schlagwort „sozialer Besitzstand" umreißt und meint.
({27})
Ich darf noch hinzufügen, daß der Rentner bisher natürlich von der Erwartung ausging, daß dies der rechtliche Rahmen sei. Aber vielleicht sind hier neue Erkenntnisse gereift. Wir sind auf die Beantwortung sehr gespannt.
Was den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag angeht, hielten wir es für einfacher und überschaubarer, zu sagen, daß die künftige Entwicklung mit gewissen Schwierigkeiten belastet ist, statt zu solchen Hilfskniffen zu greifen. Denn der Rentenbescheid wird dadurch nicht leichter lesbar, sondern er wird noch viel schwieriger. Ich frage die Herren von der SPD: Sind Sie nicht auch mit dem Vorsatz in die Regierung gegangen, dafür zu sorgen, daß die Rente übersichtlicher wird und daß der einzelne diesen Rentenbescheid lesen und besser verstehen kann? Wenn das vollzogen wird, über was Sie sich geeinigt haben, haben Sie sich von diesem Ihrem Ziel weit entfernt.
({28})
Wir können die von Ihnen gefundene Kompromißformel nur als weitere Vernebelungsversuche ansehen.
Noch ein Wort zu den finanziellen Berechnungen. Herr Bundesarbeitsminister, wie konnten bei gleichen Annahmen über die künftige Entwicklung der Bruttolöhne zwischen den Berechnungen der Bundesregierung und denen des Bundesverbandes der Rentenversicherungsträger Unterschiede in Höhe von mehreren Milliarden für die nächsten Jahre entstehen? Warum sind diese Differenzen nicht rechtzeitig so aufgeklärt worden, daß das Parlament weiß, worin die Unterschiede liegen? Diese Situation erinnert fatal an die Ausgangssituation im Januar 1957, als der Kollege Professor Schellenberg von der SPD am Beginn der zweiten Lesung der Rentenneuregelungsgesetze der Bundesregierung die bange Frage vorlegte, ob man mit einer so wenig gründlich vorbereitenden Gesetzesvorlage überhaupt weiterarbeiten könne. Dieselbe Frage müssen wir uns heute im Jahre 1967 stellen.
({29})
Trotz Beteiligung der SPD an der Regierung befinden wir uns nunmehr bei der Beratung der Änderung des Rentenversicherungsrechts in derselben Situation: fragwürdiges Zahlenmaterial, unausgewogene Vorschläge zur Änderung des bestehenden Rechts und dazu noch ein Zeitdruck, der stärker gar nicht mehr sein könnte. Allein dieser Zeitdruck verhindert schon eine sachgemäße und fundierte Beratung. Insofern hat sich also, meine Kollegen von der SPD, gegenüber der Situation des Jahres 1957, in dem die CDU über 'die absolute Mehrheit verfügte, nichts, gar nichts geändert.
Wenn der Finanzminister nun auf Seite 34 seiner Rede darauf hinweist, daß in der Rentenversicherung in diesem Jahre in möglichst großem Umfang dauerhafte Lösungen für die Zukunft erreicht werden sollten, befindet er sich in einem merkwürdigen Widerspruch zu seiner Aussage auf Seite 29. Dort hat er nämlich festgestellt, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen noch keine Dauerlösung darstellten. Das, glaube ich, stimmt.
({30})
Aber dann handelt es sich um Übergangslösungen, und da stellen wir die Frage: Übergang wohin, zur Volksversicherung, zur Einheitsversicherung für Arbeitnehmer oder zu einer Alterssicherung mit begrenzten, aber immerhin möglichen individuellen Entscheidungsmöglichkeiten? Übergangslösungen sind notwendig, ,das bekennen auch wir Freien Demokraten. Aber man sollte schon wissen, wohin die Reise geht. Wir können keiner Übergangslösung zustimmen, wenn das Ziel, das nach den Übergangslösungen angesteuert wird, nicht erkennbar ist.
Wer Entscheidungen für langfristig tragbare Lösungen treffen will, muß ausreichende Unterlagen über die derzeitige Situation sowie über mögliche und wahrscheinliche zukünftige Entwicklungen haben. Wir halten es einfach für fahrlässig, in den Mittelpunkt aller steuer-, finanz- und sozialpolitischen Überlegungen, Betrachtungen und Entscheidungen ein einziges Wunschbild zu stellen: das von einer 5- bis 51/2prozentigen jährlichen Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts. Wer einen Überblick über mögliche künftige Entwicklungen gewinnen will, darf sich nicht an eine einzige Entwicklungslinie klammern, er muß günstigere und ungünstigere Entwicklungen in .den Kreis der Betrachtungen und
Überlegungen mit einbeziehen, wenn er zu vernünftigen und gültigen Entscheidungen kommen will.
({31})
Offenbar aber hat die Bundesregierung dies leider versäumt, sonst hätte sie auf unsere Kleine Anfrage Drucksache V/2061 zur zukünftigen Entwicklung der Brutto- und Nettoarbeitsverdienste, der steuerlichen Belastung, der sozialen Abgaben und der Nettoeinkommen zumindest eine Antwort im Rahmen ihres einzigen Modells geben können. Aber nicht einmal dazu war sie in der Lage. Sie hat uns die Angaben darüber in Aussicht gestellt, und wir warten bis heute auf die zugesagte Beantwortung, ja wir müssen in diesem Zusammenhang sogar fragen: Werden uns die Zahlen noch vor der dritten Lesung des Finanzplanungsgesetzes zur Verfügung stehen?
Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß die Bundesregierung es unterlassen hat, Alternativrechnungen zu der angenommenen 5- bis 51/2prozentigen Steigerung des Bruttosozialproduktes vorzunehmen, geht auch schon aus der Beantwortung unserer Kleinen Anfrage zu Fragen der Finanzplanung des Bundes hervor. In der Drucksache V/2123 - das ist die Drucksache, Herr Kollege Schellenberg, von der Sie vorhin sagten, daß die Regierung hier doch eine sehr saubere Antwort gegeben habe - hat die Bundesregierung unter dem Datum vom 29. September erklärt, daß Rechnungsergebnisse zur Annahme einer Entwicklung mit Zuwachsraten von 3 % und 7 % nicht vorlägen und daß sie auch nicht in der üblichen Frist von 14 Tagen zu erstellen seien. Zwischenzeitlich sind vier Wochen vergangen, und wir warten noch immer auf die Beantwortung dieser Frage.
Diese Situation, meine Damen und Herren, bedeutet doch nichts anderes, zumindest für den Sozialbereich, als daß den Fraktionen Entscheidungen auf gut Glück oder ins Blaue hinein abverlangt werden.
({32})
Wenn man nicht genügend Unterlagen hat, bleibt eben nur noch das blinde Vertrauen etwa nach dem Motto, es werde schon gut gehen. Dasselbe Motto - das können Sie in den Protokollen des Jahres 1957 nachlesen - hat im Jahre 1957 viele Kollegen, insbesondere von der CDU/CSU-Fraktion, letztlich dazu bewogen, zu sagen: Stimmen wir zu! Leider müssen diese Kollegen heute feststellen, daß es zehn Jahre lang gut gegangen ist, daß wir aber jetzt in der Situation stehen, wo wir erkennen müssen, daß es nicht unter allen Umständen und immer gut gehen wird. Wir bitten deshalb um Verständnis, daß wir in dem, was die Regierung zu diesen Fragen der Finanzplanung vorgelegt hat, und in den Kompromissen, die von den Regierungsfraktionen angeboten werden, nichts anderes sehen als den Ausdruck sozialpolitischer Ratlosigkeit.
({33})
Ein Journalist hat es gestern in einer großen und angesehenen deutschen Tageszeitung sehr klar und hart umrissen, indem er festgestellt hat: Die Große Koalition erweist sich in den Fragen der Sozialpolitik nicht als Addition des Mutes, sondern als Addition der Angst.
Wir Freien Demokraten - das möchte ich abschließend sagen - sind zur Mitarbeit in allen entscheidenden Fragen bereit, aber wir verlangen die Bereitstellung von Unterlagen in den Ausschüssen und die Beantwortung der noch nicht beantworteten Teile unserer Kleinen Anfrage, Unterlagen, die auch bei unterschiedlicher Betrachtungsweise der Probleme sachgemäße Entscheidungen in der einen oder andern Richtung erlauben. Das ist bisher nicht der Fall. Das, was als mögliche Lösungen angeboten wird, ist höchstens ein Verlagern der Probleme in die nächste Zukunft; es ist die Flucht vor grundsätzlichen Entscheidungen.
Nach unserer Beurteilung ist die Zukunft der Rentenversicherung unsicherer denn je, ja sogar die Frage, welcher Rentenanspruch in Zukunft bestehen soll, ist durch die vorgeschlagenen Maßnahmen in der Knappschaftsversicherung offen. Unsicherheit breitet sich aus, da die ökonomischen Möglichkeiten im Ansatz in etwa noch im Einklang stehen mit dem veränderten Leistungsrahmen, den die Regierung vorsieht, aber in völligem Widerspruch zu den Aussagen der sozialpolitischen Schönredner der Koalition.
({34})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Finanzänderungsgesetz, dessen erste Lesung wir heute durchführen, stellt die sozialdemokratische Fraktion insbesondere im sozialpolitischen Bereich vor schwere Aufgaben. Deshalb möchte ich jetzt zusammenfassend unsere Auffassungen darstellen. Wir werden in der Diskussion im einzelnen noch die Möglichkeit haben, uns mit den Darlegungen der FDP auseinanderzusetzen, sofern es mir in diesen einführenden Ausführungen zeitlich nicht möglich ist.
({0}) - Ja, wir kommen darauf.
1. Bei den Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit und auch hier in diesem Hause um die Fragen der Sozial- und Gesellschaftspolitik im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung spricht man einerseits von „sozialer Demontage" und andererseits vom „Marsch in den Versorgungsstaat". Herr Kollege Spitzmüller hat das ein bißchen anders ausgedrückt. Er hat zwar nicht direkt von „sozialer Demontage" gesprochen,
({1})
- nicht im Wortlaut, aber im Sinn! - ({2})
- als er meinte, der soziale Bestand sei nicht mehr gewährleistet.
({3})
Er hat aber auf der anderen Seite von einer „Sozialisierung der Arbeitseinkommen" gesprochen.
Herr Kollege Spitzmüller, Sie haben ein Wort gebraucht, das hier nicht üblich ist: „schizophren". Ich will es nicht verwenden.
({4})
Ich will nur sagen, daß Sie, Herr Kollege Spitzmüller, hier einen Mischmasch der einen Auffassung - „Beeinträchtigung des sozialen Besitzstandes" - und der anderen Auffassung - „zuviel Versorgungsstaat" - vorgetragen haben, ohne aber - und das ist das Entscheidende - eine finanzielle Deckung darzulegen. Das ist die zentrale Aufgabe, vor der dieses Haus steht, vor der alle, die politische Verantwortung tragen, auch Sie, meine Damen und Herren von der FDP, stehen.
Wie ist denn die Lage im Bereich der Sozialpolitik?
({5})
- Das werden wir genau untersuchen. - In dieser ersten großen wirtschaftlichen Rezession der Nachkriegszeit,
({6})
die wir gerade durch Maßnahmen
({7})
der Wirtschaftspolitik und auch der Finanzpolitik zu überwinden beginnen, in dieser Phase der wirtschaftlichen Abschwächung
({8})
hat die Sozialpolitik im Grundsätzlichen - auf alle Details komme ich selbstverständlich zu sprechen - ihre Bewährungsprobe bestanden. Seit 1966 stagniert praktisch das Sozialprodukt. Aber die Leistungen für soziale Sicherheit haben kräftig zugenommen. Um es in Zahlen auszudrücken: alle Sozialleistungen, auch die durch Beiträge der Versicherten und ihrer Arbeitgeber, haben im Jahre 1966 68,9 Milliarden DM betragen, und sie werden nach dem Finanzbericht des Herrn Bundesfinanzministers in diesem Jahre auf 77,3 Milliarden DM anwachsen. Das ist die Folge einer größeren Zahl von Arbeitslosen, der größeren Zahl von Rentnern, auch -der gestiegenen Durchschnittshöhe der Renten und der Verbesserung der Kriegsopferversorgung, um nur einige Beispiele zu nennen.
Aber es kommt - und darin stimme ich Ihnen, Herr Kollege Spitzmüller, zu - bei der weittragenden Entscheidung, die mit dem Finanzänderungsgesetz zu treffen ist, selbstverständlich darauf an, auch die Sozialleistungen, finanziert durch Beiträge der Arbeitgeber, der Versicherten und des Bundes, in langfristiger Entwicklung zu sehen. 1957 haben die gesamten Sozialleistungen 31,2 Milliarden DM betragen. Sie machten damals 13,8 % des Bruttosozialprodukts aus. In diesem Jahre werden sie mit den genannten 77,3 Milliarden DM auf 16,1 % des Bruttosozialprodukts angewachsen sein. Die Steigerung ist nominell und natürlich auch im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt sehr beachtlich.
Die Steigerung des Anteils der Sozialleistungen am Bruttosozialprodukt ist aber vor allem eine Folge des gegenwärtigen Stillstandes des Bruttosozialprodukts. Weil wir das wissen, sind wir Sozialdemokraten - selbstverständlich einschließlich der Sozialpolitiker - bereit, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die volkswirtschaftliche Leistungskraft wieder zu Wachstum zu bringen; dies bildet die Voraussetzung für die Bereitstellung der Mittel der sozialen Leistungen im weitesten Sinne des Wortes.
({9})
Insofern arbeiten Sozialpolitiker, Wirtschafts- und Finanzpolitiker in meiner Fraktion vertrauensvoll zusammen. Das ist auch in der gestrigen Rede meines Kollegen und Freundes Dr. Möller zum Ausdruck gekommen.
({10})
Die gesamten Sozialleistungen waren absolut und verglichen mit dem Sozialprodukt in unserem Lande noch niemals höher als heute. Während die Löhne und Gehälter gegenwärtig stagnieren, haben - und das ist wirtschaftspolitisch von großer Bedeutung - vor allem die Sozialleistungen die Massenkaufkraft gesichert. Die Sozialleistungen haben sich damit als eine wichtige Konjunkturstütze erwiesen.
({11})
Wer die Höhe des Sozialaufwands kritisiert, der möge doch die Frage beantworten - ich richte sie an die Damen und Herren von der FDP -: Wie stände es um die soziale und politische Stabilität in unserem Lande ohne diese Sozialleistungen?
({12})
Der Anstieg der Sozialleistungen wurde im wesentlichen durch Beiträge der Arbeitenden und ihrer Arbeitgeber, durch eine gewisse Verflüssigung der Mittel der sozialen Sicherung und aus Bundesmitteln aufgebracht.
Die Bundesmittel für Sozialleistungen, die im Rahmen des Finanzänderungsgesetzes eine beachtliche Rolle spielen, haben sich, auch langfristig gesehen, in absoluten Beträgen erhöht. Sie sind von 10,8 Milliarden DM im Jahre 1957 auf 20,3 Milliarden DM im Jahre 1967 angestiegen und werden sich im Jahre 1968 auf 21,8 Milliarden DM belaufen, was auch mit der Tatsache zusammenhängt, daß jetzt keine Schuldbuchforderungen mehr gegeben werden.
Das ist in absoluten Beträgen eine gewaltige Steigerung. Aber - und das müssen wir für jede weitere Diskussion wissen - in Relation zum gesamten Bundeshaushalt sind die Sozialleistungen des Bundes von 33,3 % im Jahre 1957 auf 27,6 % im Haushaltsentwurf für 1968 zurückgegangen.
Nach diesen finanziellen Ausgangsdaten nun zur Stellungnahme der Sozialdemokraten.
Als Opposition haben wir wesentlich daran mitgewirkt - das wird jedermann zugestehen -, diesen Sozialleistungsstand zu erreichen. In der Regie6516
rungsverantwortung sind wir unbedingt entschlossen, diese Sozialleistungen grundsätzlich - auf die Abweichungen komme ich sofort - auch in Zeiten finanzieller Schwierigkeiten zu sichern. Hierfür einige Beispiele: Verbesserung der Leistungen in der Kriegsopferversorgung, Erhöhung des Arbeitslosengeldes, um den Betroffenen so lange zu helfen, bis sie durch die Wirtschaftspolitik unserer Bundesregierung
({13})
- wieder Arbeit bekommen.
2. Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Entwurf des Finanzänderungsgesetzes kommt der sozialen Sicherung für das Alter, der Rentenversicherung, eine besondere Bedeutung zu. Die Sicherung des Lebensabends hat nach Auffassung der Sozialdemokraten - und ich weiß mich darin völlig eins mit unserem Koalitionspartner ({14})
im Rahmen der Gesellschaftspolitik eine fundamentale Bedeutung.
({15})
Sozialdemokraten, wo sie stehen, ob in der Bundesregierung, ob im Parlament, haben darum gerungen, daß diese Alterssicherung durch die mittelfristige Finanzplanung möglichst nicht beeinträchtigt wird. Herr Kollege Stingl wird nachher für seine Fraktion sprechen und den Standpunkt der CDU/CSU in dieser Hinsicht erläutern und dabei sicherlich der FDP in entsprechender Weise antworten.
Wir haben uns - die beiden Regierungsparteien von heute - im Jahre 1957 zu diesem Rentensystem mit der bruttolohndynamischen Rente entschlossen. Damals hat jeder von uns den Altersaufbau unseres Volkes gekannt.
({16})
In Kenntnis dieses Altersaufbaus haben wir die Entscheidung über das neue Rentensystem getroffen. Jetzt haben sich infolge der wirtschaftlichen Abschwächung die finanziellen Probleme, die wir seit über 'zehn Jahren kennen, verschärft. Dies auch deshalb, weil sich dieses Haus im Jahre 1957 für eine um vier Jahre verzögernde Anpassung entschieden hat. Das führte seit der Rentenreform dazu, daß die Renten trotz der Anpassung verhältnismäßig hinter der Lohn- und Gehaltsentwicklung ,der Aktiven zurückgeblieben sind. Jetzt, in der Zeit der Abschwächung der Lohn- und Gehaltsentwicklung, wäre es eine schwere Erschütterung der sozialen Sicherung, wenn wir nunmehr zum Nachteil der Rentner dieses System der Bruttolohndynamik verschlechtern würden.
({17})
- Nein, ich werde im einzelnen genau darlegen, was wir tun und wozu wir uns nach eingehenden Besprechungen und Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner entschlossen haben.
Meine Damen und Herren: Die Frage der Beibehaltung der bruttolohndynamischen Rente ist nicht nur eine Angelegenheit der Rentner, sondern eine Frage ides Vertrauens aller Bürger nicht nur in die soziale Sicherheit, sondern in unserer Demokratie überhaupt.
Das Finanzänderungsgesetz gewährleistet grundsätzlich - Ausnahmen werde ich darlegen, damit Sie sich nicht beunruhigen, meine Damen und Herren von der FDP; aber es sind leider von Ihnen nur wenige da - ({18})
- Das will ich gern zugeben. - Das Finanzänderungsgesetz gewährleistet grundsätzlich weiterhin die bruttolohndynamische Rente. Trotz des RentnerKrankenversicherungsbeitrages von 2 %, auf den ich noch zu sprechen komme, werden sich die Renten des Bestandes bis 1971, also in jenem Zeitraum, für den wir jetzt mittelfristige Finanzplanung treiben, um 29,8 % erhöhen. Das ergibt sich aus den Grundsätzen ,der Lohndynamik. Wir wissen schon jetzt nicht nur, wie ,die Anpassung für 1968 weitergehen soll, sondern auch, wie sich die Rente bei Aufrechterhaltung der Dynamik 1969, 1970 und 1971 berechnen wird. Das weiß man gerade wegen der nachhinkenden Anpassung schon heute. Die Renten werden sich also bis 1971 um 29,8 % erhöhen, ungeachtet des Beitrages zur Rentnerkrankenversicherung.
Noch eine andere Bemerkung, Herr Kollege Spitzmüller! Die Gewährleistung der bruttolohndynamischen Rente ist für uns - und ich meine, auch damit zugleich für unseren Koalitionspartner zu sprechen - keineswegs nur eine Aufgabe bis 1971. Deshalb haben wir schon als Opposition mit besonderem Nachdruck darauf bestanden, daß versicherungstechnische Bilanzen nicht nur bis 1971 vorgelegt werden, sondern daß die Vorausrechnungen für Jahrzehnte erfolgen. In Kenntnis dieser versicherungstechnischen Bilanzen wissen wir ganz genau, daß die Rentenversicherung - - Bitte schön, Herr Kollege Spitzmüller, wollen Sie eine Fragestellen?
Herr Kollege Schellenberg, können Sie mir sagen, in welchem logischen Zusammenhang Ihre soeben gemachten Ausführungen zur versicherungstechnischen Bilanz zu dem Vorschlag stehen, den Sie auch mitvertreten, die versicherungstechnischen Bilanzen nicht mehr für 30, sondern nur noch für 20 Jahre und nicht mehr alle zwei, sondern nur noch alle vier Jahre zu erstellen? Man muß daraus schließen, daß Sie die versicherungstechnischen Bilanzen als nicht mehr so wichtig ansehen.
Herr Kollege Spitzmüller, als Mitglied des Ausschusses - als rühriges Mitglied des Ausschusses, wie ich gern bestätigen möchte wissen Sie genau, daß wir nach Befragung von Sachverständigen diese Fragen im Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetz regeln werden. Wir werden dieses Gesetz nach der Verabschiedung des Finanzänderungsgesetzes - so nehme ich an - im Ausschuß abschließend beraten. Wir werden die Dinge zuerst im Ausschuß unter Berücksichtigung
der letzten Fakten genau durchdenken und dem Haus präzise Vorschläge machen.
({0})
- Vielen Dank, Herr Kollege Möller. Haben Sie gehört, Herr Spitzmüller: Sie sollen über die Finanzprobleme der Rentenversicherung nicht mehr im Bett nachdenken. Ihre Mitarbeit im Ausschuß wird Ihnen das ermöglichen. Bitte lassen Sie sich dabei durch andere Kollegen unterstützen, damit die Ausschußerkenntnisse eine möglichst weite Verbreitung innerhalb der FDP-Fraktion finden.
Die Probleme des Altersaufbaus sind neben anderen Tatsachen auch eine Folge des Krieges. Wir wissen aber auch, daß sich mit Beginn der 80er Jahre der Altersaufbau unseres Volkes günstiger gestalten wird. Die neuesten Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes sind in dieser Hinsicht für die Rentenversicherung positiver als die bisherigen Annahmen der Bundesregierung in den versicherungstechnischen Bilanzen. Das ist ein wichtiger Tatbestand. Er nimmt uns nicht die Sorgen bis 1980. Aber diese langfristigen Perspektiven sind für unsere weitere Entscheidung von hoher Bedeutung. Wir werden auch sie in den Ausschußberatungen berücksichtigen.
Im Rahmen des Finanzänderungsgesetzes soll der Bundeszuschuß reduziert werden. Die Nominalbeträge der Bundeszuschüsse werden zwar von 1968 bis 1971 von 9,5 bis auf 10,7 Milliarden DM ansteigen. Sie werden aber gegenüber dem geltenden Recht gekürzt. Die Kürzung der Bundeszuschüsse bedeutet, daß über die durch den Altersaufbau unseres Volkes bedingten Konsequenzen hinaus die Aktiven noch stärker belastet werden. Wird der Bundeszuschuß reduziert, dann wirkt sich das - bei Aufrechterhaltung des Leistungsniveaus - in einer stärkeren Belastung der Versicherten durch erhöhte Beiträge aus.
Das stellt uns Sozialdemokraten politisch vor sehr schwere Entscheidungen. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, wir sind gewillt, den Bundeshaushalt in Ordnung zu bringen und gleichzeitig die Zusagen der sozialen Sicherung einzuhalten. Deshalb ist die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bereit, Beitragserhöhungen zuzustimmen.
Der Streit, den wir mit Ihnen, Herr Kollege Spitzmüller, mit der FDP und mit einigen anderen austragen, geht im Kern darum, ob die Rentner von heute und morgen durch Abschwächung des Systems der bruttolohnbezogenen Rente die Belastung aus dem Altersaufbau unseres Volkes tragen sollen. Wir Sozialdemokraten lehnen das ab. Wir werden deshalb alles tun, um an dem Prinzip der Lebensstandardrente, verkörpert in der dynamischen Rentenformel, uneingeschränkt festzuhalten. Für uns ist das eine politische Verpflichtung und ein moralisches Gebot zugleich.
3. Nun zur Einbeziehung aller Angestellten in die Rentenversicherung. Herr Kollege Spitzmüller, Sie haben völlig recht, dies ist eine Entscheidung von
grundsätzlicher Bedeutung. Wir hätten die Abschaffung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte lieber in einem anderen Zusammenhang gesetzlich geregelt. Jetzt wird sie im Finanzänderungsgesetz vorgenommen. Gesetzgeberisch ist das eigentlich von zweitrangiger Bedeutung. Für uns ist es viel wichtiger, daß es geschieht. Mit der Einbeziehung aller Angestellten wird ein grundlegendes gesellschaftspolitisches Anliegen verwirklicht. Dann wird endlich der Begriff der Schutzbedürftigkeit aus dem Rentenversicherungsrecht verschwinden.
({1})
Herr Kollege Spitzmüller, Sie halten an der Schutzbedürftigkeit als Merkmal der Sozialversicherung fest. Ich möchte Ihnen einmal sagen, woher dieser Begriff kommt. Er stammt aus der kaiserlichen Botschaft von 1881, aus der Zeit des Sozialistengesetzes. Sie proklamierte die Begrenzung der Sozialversicherung auf Schutzbedürftige. Das war und ist eine Diskriminierung der Versicherten gegenüber dem anderen Teil der Bevölkerung. Wir sind deshalb froh, daß die Rentenversicherungspflicht aller Arbeitnehmer nun gewährleistet wird. Alle Beamten haben eine Alterssicherung, alle Arbeiter durch die Rentenversicherung, und jetzt wird sie auch auf den Rest der Angestellten ausgedehnt.
Meine Damen und Herren der FDP, Sie wenden sich gegen 'die Rentenversicherungspflicht für alle Angestellten,
({2})
weil Sie wissen, daß mit dem, was Gesetz werden soll, früher oder später die Rentenversicherung zu einer Volksversicherung wird. Das ist die Konsequenz. Wir treffen zwar darüber heute keine gesetzgeberische Entscheidung. Aber jeder weiß, daß, wenn wir auch Angestellte mit höherem Einkommen einbeziehen, der Tag nicht mehr fern sein kann, an dem wir auch Selbständige in das System der sozialen Sicherung so oder so einbeziehen werden. In diesem Bewußtsein werden wir unsere politischen Entscheidungen treffen. Ich darf hier für meine Fraktion erklären: die Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze wird die Gesellschaftspolitik in unserem Lande verändern, auch dann, wenn die Belastungen des Finanzänderungsgesetzes längst auf andere Weise verkraftet sind.
4. Nun komme ich zum Rentnerkrankenversicherungsbeitrag, Herr Kollege Spitzmüller und meine Damen und Herren von der FDP.
({3})
- Hoffentlich, wir wollen gründlich darüber diskutieren. Selbstverständlich ist das Finanzänderungsgesetz, das wir heute in erster Lesung zu beraten haben, kein rein sozialdemokratisches Programm der mittelfristigen Finanzplanung. Auch in der Finanzpolitik - das wurde von Herrn Dr. Möller und auch schon bei der Septemberberatung von unseren Sprechern erklärt -- muß jede Koalition den Kompromiß suchen. Deshalb ist es völlig müßig, darüber zu spekulieren, wie die mittelfristige Finanzplanung ausgesehen hätte, wenn sie allein
von den politischen Vorstellungen der CDU/CSU oder allein von den politischen Vorstellungen der Sozialdemokraten bestimmt worden wäre. Es gibt keine Koalition ohne Kompromiß. In diesem Wissen haben wir eine Entscheidung über den Beitrag der Rentner zu ihrer Krankenversicherung zu fällen.
Die Sozialdemokraten haben immer erklärt, daß wir einen solchen Beitrag der Rentner zu ihrer Krankenversicherung nicht für sinnvoll halten. Unser Koalitionspartner hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß für ihn dieser Beitrag ein wichtiges Element seiner sozialpolitischen Vorstellungen ist. Herr Kollege Stingl wird das sicher noch verdeutlichen. Es gibt hier unterschiedliche Auffassungen zwischen den Regierungsparteien. Nach manchem freundlichhartem Gedankenaustausch haben wir uns in der Mitte geeinigt, bei 2 %. Selbstverständlich ist es ein Kompromiß. Anders geht es in der Zusammenarbeit zweier großer politischer Kräfte in diesem Hause nicht.
({4})
5. Um den Krankenversicherungsbeitrag für Rentner von 4 % zu verhindern, haben wir verschiedene Alternativen angeboten. Wir haben sie in den dafür vorgesehenen Gremien dargelegt und uns möglichst mit Darlegung unserer Alternativen in der Öffentlichkeit zurückgehalten, was einige Damen und Herren der Presse uns übelgenommen haben. Deshalb ist manches, was in der Presse darüber berichtet wurde, richtig; aber manches wurde nicht ganz richtig dargestellt.
({5})
Das werden wir an anderer Stelle schon berichtigen. Bisher haben wir uns hinsichtlich der Alternativen zum Rentnerkrankenversicherungsbeitrag Zurückhaltung auferlegt, weil wir auf dem Standpunkt stehen, daß erst von den Fraktionen und dann hier in diesem Hause die grundsätzlichen Erklärungen abzugeben sind. Das ist unser Stil auch in der Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner.
({6})
Wir haben es begrüßt, daß die Kollegen der CDU/ CSU die gleichen Grundsätze angewandt haben. Das war sinnvoller für die Zusammenarbeit und hat den notwendigen Kompromiß erleichtert.
Unter den verschiedenen Alternativen haben wir unter anderem vorgeschlagen, Regelungen zu beseitigen, die bisher zu einem Nebeneinander von Sozialleistungen führten. Die Koalitionsparteien haben sich beispielsweise darauf geeinigt, .daß bei Zusammentreffen von Rente und Arbeitslosengeld nur die höhere Leistung gewährt werden soll und daß, soweit sich daraus eine Ersparnis ergibt, die Mittel - sehr zum Leidwesen des Herrn Bundesarbeitsministers mit dem von ihm betreuten Arbeitsförderungsgesetz - der Rentenversicherung zufließen sollen. Dabei war unser Leitgedanke: Zentrale Aufgabe ist die Alterssicherung.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Haushaltsrede zu diesen Alternativvorschlägen Bemerkungen gemacht. - Herr Bundesfinanzminister, würden Sie die große Liebenswürdigkeit haben, mir zuzuhören; denn ich möchte Sie neu im Kreise der Sozialpolitiker begrüßen. Sie haben sich zu sozialpolitischen Fragen auf Grund Ihrer Informationen - Sie waren nicht unmittelbarer Teilnehmer des Informationsgesprächs - geäußert. Sie haben unter anderem erklärt, daß Sie von unseren Alternativen gegenüber dem Beitrag zur Krankenversicherung der Rentner in keiner Weise überzeugt seien. Nun, Herr Bundesfinanzminister, das hängt vielleicht mit der Komplizierung des Sozialrechts zusammen. Ich zweifle nicht daran, daß Sie sich auch diese Zusammenhänge 'bald noch besser aneignen werden. Das wird mit Ihnen dann über diese Bereiche - so hoffe ich jedenfalls - eine Verständigung leichter ermöglichen.
Sie haben behauptet, Herr Bundesfinanzminister, daß die Verschiebung des Rentenbeginns um einen Monat zu einer zusätzlichen Belastung der Sozialhilfe führt. Das ist Theorie. Praktisch erhält nämlich der Rentner bis zum Rentenbeginn entweder Arbeitseinkommen oder, wenn er vor dem Rentenbeginn entlassen werden sollte, Arbeitslosengeld oder, wenn er krank ist, Krankengeld. In jedem Fall hat der Rentner, der gearbeitet hat, bis zum Rentenbeginn im Grundsatz Rechtsanspruch auf diese oder jene soziale Leistung.
Sozialhilfe kann nur für die wenigen in Betracht kommen, die nicht die Leistungsvoraussetzungen für die soziale Sicherheit erfüllen. Im übrigen sorgen wir dafür - jedenfalls wir Sozialdemokraten bemühen uns darum -, daß der Kreis derjenigen, der in die soziale Sicherung - Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung - einbezogen ist, wächst. Damit wird der Personenkreis, der zwischen die einzelnen Leistungssysteme fallen könnte und der dann auf Sozialhilfe angewiesen wäre, kleiner.
Im übrigen hat das Bundesinnenministerium - das möchte ich hier mitteilen - dem Ausschuß für Sozialpolitik vor einiger Zeit Material geliefert, nach dem von den Rentnern der Sozialversicherung, also von rund 8 oder, wenn wir die Knappschaft hinzurechnen, 9 Millionen Rentnern nur 137 000 Haushalte zusätzliche Sozialunterstützung erhalten müssen. Ein beachtlicher Personenkreis! Er ist aber viel kleiner, als dies oft in der öffentlichen Diskussion angenommen wird. Auch das ist ein Erfolg der dynamischen Rente.
6. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben die Befürchtung geäußert, kranke Rentner würden durch die Rezeptgebühr besonders betroffen. Diese Bedenken sind inzwischen zerstreut. Aber wer von Belastung der Kranken spricht, der sollte sich - das will ich ganz freimütig sagen - doch vor Augen führen, was frühere Regierungen dem Parlament in dieser Hinsicht vorgeschlagen haben. Herr Bundesfinanzminister, Sie waren damals in anderer Funktion Mitglied der Bundesregierung. Wir waren seinerzeit der Meinung, daß die damals vorgesehenen finanziellen Beteiligungen der Versicherten, der Familienangehörigen und Rentner den Weg zum Arzt erschwert hätten. Diese Pläne sind nicht mehr auf dem Tisch. Sie sind vom Tisch, wesentlich durch unsere Aktivität.
Um es deutlich zu sagen: auch Gebühren für Rezepte schmecken uns Sozialdemokraten grundsätzlich nicht. Aber wir haben uns im Rahmen der verschiedenen Alternativen verpflichtet, das Finanzvolumen einzuhalten. Unter den verschiedenen Alternativen war dies und jenes bei unserem Koalitionspartner nicht erreichbar. Deshalb schluckt - um es ganz deutlich zu sagen - die SPD-Fraktion die bittere Pille der Erhöhung der Rezeptgebühr für aktive Versicherte auf 1 DM. Niemand, meine Damen und Herren, wird aber ernsthaft behaupten wollen, daß eine Erhöhung der seit 37 Jahren bestehenden Rezeptgebühr von 50 Pf - die Höhe war zeitweise etwas unterschiedlich - auf 1 DM den Weg zum Arzt erschwert. Darauf kommt es aber gesundheitspolitisch und sozialpolitisch allein an.
7. Jetzt zur Knappschaftsversicherung! Gerade Menschen, die in Berufen und Gebieten wirken, die von der tiefen Strukturkrise der Knappschaftsversicherung betroffen sind, wissen, daß die Knappschaftsleistungen für die Bergarbeiter, für ihre Familien, aber auch für die Menschen, die auch von den Renten der Bergarbeiter in ihrer Existenz mit abhängen, eine besondere Bedeutung haben. Das, was Sie, Herr Kollege Spitzmüller, zur Knappschaftsversicherung gesagt haben, ist im wesentlichen eine Folge der Strukturkrise des Bergbaus. Über diese Fragen werden wir uns Anfang November in diesem Hause sehr gründlich unterhalten. Tatsache ist - das ergibt sich aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage der FDP, auf die Herr Kollege Spitzmüller Bezug genommen hat -, daß heute in der Knappschaftsversicherung, trotz des hohen Beitragssatzes von 23,5 %, den Beitragseinnahmen von noch nicht 1 Milliarde DM jährlich Gesamtausgaben der Knappschaftsversicherung von 4 Milliarden DM gegenüberstehen. Dieses Mißverhältnis wird sich fortsetzen. Es wird sich, wenn die Zahl der im Bergbau Beschäftigten zurückgeht - da die alten Ansprüche noch lange erhalten bleiben - weiter verstärken. Deshalb hat sich die Bundesregierung - der Herr Bundesarbeitsminister wird das sicher noch verdeutlichen - zu den schwerwiegenden Eingriffen in das Leistungsrecht entschlossen, die die Herabsetzung des Steigerungsbetrags bedeuten. Es fällt jedem Politiker, auch demjenigen, der nicht in den Bergbaugebieten politisch wirkt, sehr schwer, eine solche Herabsetzung gerade in dieser Zeit politisch zu vertreten.
Aber wir müssen die Dinge im Zusammenhang sehen. Es ist eine Selbstverständlichkeit - man muß sie aber erwähnen -, daß die Knappschaftsrenten trotz der empfindlichen Senkung des Steigerungsbetrags auch in Zukunft höher bleiben werden als die Renten der Arbeiter und Angestellten und daß selbstverständlich die typischen, auf den Bergbau zugeschnittenen Sonderrenten erhalten bleiben. Dennoch - und das ergibt sich aus der Senkung des Steigerungsbetrages - werden die Knappschaftsrenten in Zukunft in weit geringerem Maße steigen und angepaßt werden als die Renten der anderen Arbeiter und Angestellten. Dennoch wird für die vier Jahre, für die wir jetzt die mittelfristige Finanzplanung zu machen haben, sich das Knappschaftsruhegeld desjenigen, der heute Knappschaftsrentner ist, bis zum Jahre 1971 um 15,2 % erhöhen, trotz der Senkung des Steigerungsbetrages, die im Zusammenhang mit der Rentenanpassung Zug um Zug vorgenommen wird. Dies erfolgt, obwohl - das ist unser politischer Wille - die Beiträge zur Knappschaftsversicherung im Gegensatz zu denen der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten bis 1971 nicht erhöht werden.
Die Regierungsvorlage bringt auch - das muß auch derjenige, der die Herabsetzung des Steigerungsbetrags kritisiert, anerkennen - ungeachtet der schwerwiegenden Eingriffe einige Leistungsverbesserungen im Knappschaftsrecht. Nach dem Regierungsentwurf werden z. B. alle Untertagearbeiter - das ist ein altes sozialpolitisches Ziel von uns Sozialdemokraten - gleich behandelt. Berufsunfähige und Erwerbsunfähige erhalten die vollen Zurechnungszeiten, bisher nur zu zwei Dritteln. Schließlich soll - auch das steht in der Regierungsvorlage die Zukunft der Knappschaftsversicherung durch Errichtung einer Bundesknappschaft besser fundiert werden.
Darüber hinaus haben die Regierungsparteien in den Verhandlungen noch folgendes vereinbart: Der Steigerungsbetrag für Berufsunfähige wird nicht auf 1,6, sondern auf 1,8 % festgesetzt. Der Steigerungsbetrag für Knappschaftsausgleichsleistungen, die gerade in dieser Strukturkrise ihre besondere Bedeutung haben, bleibt bei 2 %, und es bleibt auch bei der Altersgrenze von 55 Jahren; schließlich werden die Untertagearbeiter höhere Leistungszuschläge erhalten, um die Abschwächung des Steigerungsbetrages abzumildern. Insgesamt sind die Regierungsparteien übereingekommen, das Volumen der Regierungsvorlage zugunsten der Knappschaftsversicherung um jährlich 100 Millionen DM zu verbessern. Die Regierungsparteien bekunden damit ihren Willen - ich darf das gleichzeitig schon vorweg im Namen der CDU sagen -, die durch die Senkung des Steigerungsbetrages entstehenden Härten im Rahmen des finanziell Möglichen zu mildern.
Wie soll die Sache finanziert werden? Da sich die Regierungsparteien durch die Erklärungen ihrer Fraktionsvorsitzenden in der Septembersitzung verpflichtet haben, das vorgesehene Volumen der einzelnen Haushalte zu halten, sollen die 100 Millionen DM jährlich finanziert werden im Rahmen des Wanderversicherungsausgleichs zwischen Knappschaftsversicherung und Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten. Meine Damen und Herren, ich bin bereit, das vor allen Arbeitern und Angestellten auch unter dem Gesichtspunkt der Versicherungsgerechtigkeit zu vertreten. Im Zusammenhang mit dem Rückgang der Beschäftigten im Bergbau zahlen viele, die früher im Bergbau waren, heute als Arbeiter und Angestellte Beiträge. Schließlich ist das ganze für uns auch ein Akt der Solidarität aller Arbeiter und Angestellten mit den Bergarbeitern, die große, große Sorgen um ihr berufliches Schicksal haben.
({7})
8. Der Familienlastenausgleich hat in letzter Zeit aus finanzpolitischen Gründen bedenkliche Rückschläge hinnehmen müssen.
({8})
Das entspricht nicht der Bedeutung der Familie in unserer Gesellschaft.
({9})
Unsere Auffassung ist auch in unseren Gesprächen mit unserem Koalitionspartner deutlich geworden. Ich muß die Bundesregierung kritisieren,
({10})
daß es bisher im Familienlastenausgleich an einem Gesamtkonzept fehlt.
({11})
Deshalb werden die verschiedenen Maßnahmen, die bisher getroffen wurden, von den Familien - um es volkstümlich zu sagen - als Flickschusterei empfunden.
Ich möchte deshalb die Bundesregierung mit Nachdruck an den Entschließungsantrag der beiden Regierungsparteien vom 7. Juni - Umdruck 251 - erinnern, der vom ganzen Haus angenommen worden ist:
Die Bundesregierung wird beauftragt,
die bereits in der Regierungserklärung des Herrn -Bundeskanzlers vom 20. Januar 1967 angekündigte Reform des Familienlastenausgleichs im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung unverzüglich vorzubereiten und dem Deutschen Bundestag alsbald einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen.
Mit dem Finanzänderungsgesetz ist dieser Auftrag - Reform des Familienlastenausgleichs - für unsere Fraktion nicht erfüllt, wohl auch nicht für unseren Koalitionspartner.
({12})
Deshalb können wir die Herabsetzung des Kindergeldes für das dritte Kind um 3 DM nur unter großen Bedenken als eine Übergangslösung hinnehmen, nur als Übergangslösung! - Bitte schön, Herr Kollege Wuermeling!
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Schellenberg, ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die CDU/CSU-Fraktion in Berlin mit großer Mehrheit den Beschluß gefaßt hat, notfalls auch durch einen niedrigeren Ansatzpunkt der Ergänzungsabgabe - also unter 32 000 DM - die 65 Millionen DM einzusparen, und weiter möchte ich fragen, ob dieser Weg nur daran gescheitert ist, daß sonst allzu weite Schleusen geöffnet worden wären.
Herr Kollege Wuermeling, Sie stellen mich mit Ihrer Frage vor eine schwere Entscheidung, nämlich darüber, was ich aus
den Koalitionsbesprechungen mitteilen soll. In den Koalitionsvereinbarungen wurde klargestellt, auch von den Sprechern Ihrer Fraktion, daß eine Erhöhung der Ergänzungsabgabe in dieser oder jener Form nicht ratsam ist.
({0})
- Ja, natürlich. ({1})
Offenbar hat also Herr Dr. Wuermeling in seiner Zwischenfrage - Herr Kollege Stingl wird sicher noch darauf eingehen - Auffassungen angedeutet, die jetzt wohl doch nicht mehr von der anderen Regierungspartei voll getragen werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Genscher?
Herr Genscher, Sie möchten noch etwas mehr aus den Koalitionsgesprächen wissen?!
({0})
Dann werde ich Ihnen die Antwort verweigern. Aber bitte schön, fragen Sie!
Da ich es gar nicht nötig habe, diese Geheimnisse zu lüften - das besorgen ja die Koalitionsfraktionen selbst -, möchte ich meine Frage in eine andere Richtung lenken. Nachdem Sie, Herr Kollege Schellenberg, mit Recht beklagt haben, daß die Regierung der Großen Koalition über keine Konzeption zum Familienlastenausgleich verfügt, Sie aber gesagt haben, das, was jetzt geschehe, sei für die SPD nur eine Übergangsregelung, möchte ich Sie fragen, welche Konzeption Ihre Fraktion zum Familienlastenausgleich hat.
Sie sind mit Recht als einer der Sprecher der Opposition sehr neugierig, aber ich wollte es gerade ausführen. Sie hätten es auch nachlesen können. Es steht nämlich in den Parteitagsbeschlüssen der SPD von Karlsruhe.
({0})
- Ich möchte Ihnen das darlegen.
({1})
- Ich möchte Ihnen das sagen.
({2})
- Herr Kollege Genscher, nein, ich will jetzt erst die gestellte Frage beantworten.
({3})
- Herr Kollege Genscher, nein, ich möchte erst die Frage beantworten.
({4})
Der Redner lehnt offenbar eine Zwischenfrage ab.
Ja, ich lehne die weitere Zwischenfrage ab, weil ich erst die Frage beantworten will, die Herr Genscher zuerst gestellt hat, zumal die Sache mit der Zwischenfrage des Herrn Kollegen Wuermeling zusammenhängt.
Für uns Sozialdemokraten geht es politisch darum, die Kinderfreibeträge nach dem Steuerrecht und die Leistungen des Familienlastenausgleichs endlich zu harmonisieren und zu einem einheitlichen und gerechteren System der Leistungen für die Familie zusammenzufügen. Wenn die Mittel begrenzt sind, so braucht eine solche Harmonisierung keinen erhöhten Aufwand zu erfordern, aber sie schafft - und das ist unsere politische Absicht - größere Gerechtigkeit innerhalb des Familienlastenausgleichs. Wir haben an den Herrn Bundesfamilienminister die besondere Bitte, daß er seine Bemühungen zur Harmonisierung - und wir wissen aus Gesprächen mit ihm, daß er sich darum bemüht - intensiviert.
Im übrigen - da ich bei den Leistungen für die Familien bin - noch eine kurze Bemerkung zu diesem Bereich. Für uns ist es familienpolitisch eine Selbstverständlichkeit, daß entgegen der Fassung des Regierungsentwurfs für Kinderzuschläge zu Renten keinerlei Rentner-Krankenversicherungsbeitrag erhoben wird. Wir werden das im Ausschuß -ich bin dessen sicher; das hat sich schon aus persönlichen Gesprächen ergeben - zusammen mit unserem Koalitionspartner realisieren.
9. Die im Finanzänderungsgesetz vorgesehenen Vorschriften für Mutterschaftshilfe sind in verschiedener Hinsicht unbefriedigend. Wir werden uns in den Ausschußberatungen gemeinsam mit der CDU/ CSU und hoffentlich auch der FDP um sinnvollere Regelungen im Rahmen des gesetzten Finanzvolumens bemühen.
Dies gilt - das möchte ich hier schon erklären - auch für manche andere - um es allgemein und vorsichtig zu sagen - Ungereimtheiten, die im Regierungsentwurf stecken. Das ist Aufgabe und Pflicht der Ausschüsse, die an die Beratung gehen werden. Unser Bestreben wird es sein, das Finanzänderungsgesetz im Rahmen des gesetzten Finanzvolumens in eine Form und in einen Inhalt zu bringen, der sich besser vertreten läßt als manche Regelungen der Regierungsvorlage. Das wollen wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner versuchen.
10. Das Finanzänderungsgesetz - und hierin muß ich Herrn Spitzmüller zustimmen - läßt vielfach gesellschaftspolitische Zielvorstellungen vermissen; nicht in jeder Hinsicht - das habe ich schon anerkannt -, aber in mancher Beziehung fehlen gesellschaftspolitische Zielvorstellungen. Ich richte deshalb an den Herrn Bundesarbeitsminister die freundliche, aber auch dringende Bitte, für sein Ressort ein Gesamtkonzept auszuarbeiten, das die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen deutlicher erkennen läßt, als sie beim Finanzänderungsgesetz zutage treten. Ein solches Gesamtkonzept könnte dazu beitragen, in der Sozialpolitik die Periode zu beenden, in der unter dem Druck der Finanzen mal hier, mal dort mehr oder weniger unsystematische Eingriffe vorgenommen werden.
Gerade weil wir uns des engen Zusammenhangs zwischen Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Gesellschaftspolitik bewußt sind, bitten wir dringend, daß der Herr Bundesarbeitsminister zusammen mit seiner Kollegin und seinen Kollegen in der Bundesregierung alles tut, um diese Bereiche langfristig zu koordinieren und zu konzipieren.
Ich erkenne gern an, daß die Bundesregierung in der Arbeitsmarktpolitik durch den Entwurf des Arbeitsförderungsgesetzes, der uns demnächst überwiesen werden wird, einen Anfang gemacht hat, wobei wir über viele Einzelheiten noch reden müssen. Aber zu einem Gesamtkonzept gehört doch wohl mehr. Dazu gehört - um nur einen Bereich zu erwähnen - auch das Anliegen, das wir am 14. Juni 1967 in Form eines Entschließungsantrags eingebracht haben:
Die Bundesregierung wird ersucht, zu prüfen, inwieweit zur Sicherung und Verbesserung der Leistungen der Sozialversicherung a) die Leistungen für die Versicherten überschaubarer gemacht werden können.
Das kann nämlich, Herr Kollege Spitzmüller, ungeachtet eines Beitrags zur Rentnerkrankenversicherung geschehen. Wir haben dazu bestimmte Vorstellungen entwickelt. Wir nennen sie „Rentenberechnung nach Punkten". Auf den Begriff kommt es nicht an; aber es ist ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anliegen, die Leistungen für die Versicherten überschaubarer zu machen.
Es geht in der Entschließung b) darum, daß die Aufgaben der Versicherungsträger rationeller erfüllt werden können. Das liegt einmal im Interesse der Menschen, die mit diesen Einrichtungen zu tun haben, ist aber auch finanzwirtschaftlich von Bedeutung; denn schließlich betragen die Verwaltungskosten für die soziale Sicherung im Jahre 1966 3,2 Milliarden DM.
Unser Bemühen geht c) dahin, im Rahmen der gegliederten Sozialversicherung Nachteile für Versicherte und Arbeitgeber infolge unterschiedlicher Finanzkraft der einzelne Versicherungsträger besser als bisher zu vermeiden.
Erfreulicherweise hat der Herr Bundesarbeitsminister dazu, wenn ich es recht verfolgt habe, in einer Rede vor der Volkshochschule Köln einige Ausführungen gemacht. Das begrüße ich sehr. Aber, Herr Bundesarbeitsminister, das reicht nicht. Das muß auf den Tisch des Hauses gelegt werden. Ich habe die Hoffnung, daß Sie, da Sie in der Öffentlichkeit davon sprachen, die Dinge weitgehend vorbereitet haben. Darüber werden wir von Ihnen hoffentlich bald im Ausschuß etwas Konkretes hören. Wir sind darauf sehr gespannt.
11. Die mittelfristige Finanzplanung hat wegen der mit ihr verbundenen Belastungen breiter Schichten unseres Volkes keinen leichten Stand. Wir bekennen freimütig, daß uns die Zustimmung zu einer Reihe von Regelungen im Bereich der Sozialpolitik sehr schwerfällt. Aber wir werden dem Gesetzentwurf - das haben wir als Fraktion beschlossen, und ich möchte das auch hier im Plenum jetzt schon sagen - zustimmen unter Berücksichtigung der
Vereinbarungen, die die Koalitionspartner getroffen haben. Wir werden der Gesamtregelung zustimmen, weil wir wissen, daß geordnete Finanzen und wirtschaftlicher Aufschwung - das muß ich immer wieder unterstreichen - die Voraussetzung für jedes weitere aktive sozialpolitische Handeln sind.
Die Realisierung der ersten mittelfristigen Finanzplanung beginnt leider zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt, bei wirtschaftlicher Abschwächung und bei relativ leeren Kassen des Bundes. Aber wir wissen, daß bei günstigerer wirtschaftlicher Entwicklung - für die wir alles tun und in deren Interesse wir die Initiativen des Wirtschaftsministers und die gesamte Bundesregierung nachdrücklich unterstützen - keineswegs durch Maßnahmen der weiteren mittelfristigen Finanzplanung unbedingt in das Volumen der sozialen Sicherung eingegriffen werden muß. Vielmehr wird es dann möglich sein, den Zuwachs des wirtschaftlichen Fortschritts auf Bereiche zu lenken, die gesellschaftspolitisch besondere Bedeutung haben. Welche Aufgaben dies zu sein haben und wie sie dann gelöst werden sollen, darüber wird es sicher noch manche Meinungsverschiedenheit geben. Doch hierüber werden wir später sprechen. Unser Leitgedanke heute und morgen ist: Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sind kein Selbstzweck. Sie sind für uns Sozialdemokraten nur ein Mittel zur Erreichung des Zieles unseres Wirkens, 'den sozialen Rechtsstaat zu festigen und weiter auszubauen.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, in die sozialpolitische Debatte im einzelnen einzugreifen. Aber Kollege Schellenberg war so liebenswürdig, mir eine kostenlose Nachhilfestunde in einigen Fragen zu gewähren, für die ich mich hier ausdrücklich bedanken möchte.
({0})
- Kostet immer was!
({1})
Ich darf, Herr Kollege Schellenberg, meiner Meinung dahingehend Ausdruck geben, +daß man eine jahrzehntelange Erfahrung und Spezialkenntnis selbst nicht durch noch so intensives Autodidaktentum innerhalb weniger Wochen nachholen kann. Ich bin überhaupt der Meinung, daß Sie sich mit Nachdruck und Erfolg seit Jahren auf einem Arbeitsgebiet bewegen, dessen Terminologie und Spezialkenntnisse beinahe einen hermetischen Ring um den Kreis der Magier schließen, die allein in diesem Gebiet noch sachkundig mitreden können. Das ist in Ihrer Fraktion so, und das ist in unserer Fraktion so. Aber bitte, glauben Sie mir eines: daß die Urteile, die ich im Zusammenhang mit verschiedenen Alternativvorschlägen abgegeben habe, nicht sozusagen aus der hohlen Hand heraus frei in den Raum gesetzt worden sind, sondern daß es auch im Finanzministerium eine Reihe sehr sachkundiger Kenner der sozialpolitischen Materie gibt; die vielleicht in Einzelheiten eine andere Auffassung haben, als sie von Ihnen vertreten wird. Darum habe ich ja mit großer Aufmerksamkeit Ihren Ausführungen zugehört, und meine Äußerungen sollen in keiner.Weise etwa eine polemische Note enthalten.
Ich war zweitens verpflichtet, das zu vertreten, was einstimmiger Kabinettsbeschluß war. Ich habe hinzugefügt, Herr Kollege Schellenberg, daß der Regierung keine Perle aus der Krone fällt, wenn gleichwertige oder bessere Vorschläge vom Parlament erarbeitet werden. Dafür gibt es ja überhaupt ein Parlament: damit es Vorlagen der Regierung überprüft und im Rahmen seiner Möglichkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse dann besser gestaltet. Ich halte nur von einem nichts: von +der manchmal eintretenden Vermischung der Entscheidungen der Exekutive und der Legislative. Hier soll die Regierung sagen, was sie für richtig hält, und es gehört zu +den Selbstverständlichkeiten der parlamentarischen Demokratie, wenn die Grundlinie erhalten bleibt, daß dann das Parlament daran Korrekturen, Änderungen und Ergänzungen vornimmt. Ich habe aber immer, auch im Kabinett, wie meine Kollegen wissen, die Auffassung vertreten, daß die Regierung nicht sagen soll: „Was wird diese Fraktion und was wird jene Fraktion dazu sagen, wie denkt dieser oder jener Ausschuß darüber, und danach gestalten wir unsere Meinung". Das halte ich für einen falschen Stil. Selbst wenn die Regierung eine fehlerhafte Meinung vorträgt, ist es besser, sie vertritt sie und läßt sich dann überzeugen und nimmt die Korrektur ihrer Meinung hin, +als daß der eine sagt: „Was denkt die Regierung?" und der andere: „Was denkt das Parlament, wie denkt diese Fraktion und wie denkt jene Fraktion?"
({2})
Das verschiebt den Stil der Verantwortung in der Demokratie. Ich habe das etwa in ähnlichen Ausführungen auch in meiner Einführungsrede gesagt.
Ich bin dankbar für eines, das Sie bestätigt haben. Ich habe gesagt: Nur innerhalb dieser Grenzen besteht die Regierung auf Annahme ihrer Vorschläge und wird sie mit großer Entschiedenheit vertreten. Das war: keine Verminderung des Volumens der Ausgabekürzung, kein Ausweichen auf Steuererhöhungen, um Mehrausgaben zu decken, keine Verschiebung des Anteils der investiven und konsumtiven Prozentsätze und ihrer Entwicklung im Haushalt und schließlich keine Ausweitung der Kreditfinanzierung. Diese vier Voraussetzungen sind durch den Kompromiß der beiden Fraktionen der Großen Koalition eingehalten worden. Ich habe selber meiner Fraktion empfohlen, diesen Kompromiß anzunehmen, weil ich weiß, was eine solche Einigung für eine Bedeutung hat, wenn man zu glaubwürdigen und brauchbaren Entscheidungen kommen will.
Noch ein letztes Wort! Wir haben die Ergebnisse natürlich überprüft. Im Rahmen der menschlichen und technischen Fehlergrenzen, die sich dabei immer ergeben, kommen wir zu folgenden vorläufigen Resultaten: Die Kompromißformel auf sozialBundesminister Dr. h. c. Strauß
politischem Gebiet, auf dem hier von Kollegen Schellenberg behandelten Gebiet, ergibt für den Bundeshaushalt keine Änderungen in den nächsten vier Jahren. Es stehen bei dem Zuschuß des Bundes zur Knappschaftlichen Rentenversicherung einander gegenüber:
1968: - 134 Millionen DM + 134 Millionen DM 1969: - 149 Millionen DM ± 149 Millionen DM 1970: - 168 Millionen DM -1- 168 Millionen DM 1971: - 188 Millionen DM ± 188 Millionen DM
Das heißt auch, daß die Herabsetzung des Bundeszuschusses zur Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung unberührt bleibt, eines der wesentlichsten, bedauerlichen, aber leider unvermeidbaren Ziele der Politik einer Kürzung der Ausgaben.
Für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sieht es genauso aus, nämlich:
1968: - 259 Millionen DM + 259 Millionen DM 1969: - 275 Millionen DM + 275 Millionen DM 1970: - 290 Millionen DM ± 290 Millionen DM 1971: - 305 Millionen DM + 305 Millionen DM
Über eines geben Sie sich aber bitte keinem Zweifel hin, Herr Kollege Schellenberg: daß damit die Frage der Reform der Krankenversicherung und der Bewältigung ihrer zukünftigen Finanzierungsprobleme noch dringender geworden ist, als sie es ohnehin schon war.
({3})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Schellenberg? - Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Bundesfinanzminister, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß die ursprünglichen Berechnungen des Bundeskabinetts -
Herr Abgeordneter, es sind nur Fragen erlaubt. Wenn Sie Ihre Meinung in Frageform formulieren würden, dann ginge es schon.
Ist Ihnen bekannt, Herr Bundesfinanzminister, daß die ursprünglichen Berechnungen des Bundeskabinetts davon ausgehen, daß für 2,5 Millionen Rentner Rückerstattungen des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages notwendig sind, und ist Ihnen bekannt, daß die Sachverständigen der Auffassung sind, daß für eine solche Rück- . erstattung höchstens 1,4 Millionen Rentner - nach Auffassung des Bundesarbeitsministeriums sogar nur 1 Million Rentner - in Frage kommen?
Herr Kollege Katzer wird zu diesem Problem heute nachmittag eingehend Stellung nehmen. Ich darf dazu nur folgendes sagen. Wenn Sie eine Verbesserung der Leistungszulagen für die Untertagebeschäftigten ankündigten, und zwar die Zahlen 57, 62, 66 und 70 jeweils auf etwa 100 zu erhöhen, dann schlägt das natürlich in der gesamten Automatik durch und wirkt sich dann zum Schluß in dem Saldo der Krankenversicherung aus. Deshalb sind wir zu der Berechnung gekommen, daß das Minus für die Krankenversicherungen gegenüber der Regierungsvorlage mindestens, ohne das, was Sie angekündigt haben, im Jahre 1968 230 Millionen DM, im Jahre 1969 276 Millionen DM, im Jahre 1970 324 Millionen DM und im Jahre 1971 368 Millionen DM betragen wird.
Ich möchte, Herr Kollege Schellenberg, keine Einzeldebatte darüber führen, sondern nur das Ergebnis unserer Überprüfungen bekanntgeben. Ich wäre froh, wenn das Bild besser aussähe. Wir werden das erst nach Eintritt der Ereignisse feststellen können.
Auch bei der Sozialhilfe liegen die Dinge natürlich so - Sie sagten, das sei wohl etwas sehr theoretisch -: Wenn die Rentenauszahlung einen Monat später beginnt, dann muß der Betroffene entweder einen Monat länger arbeiten, oder er bekommt einen Monat länger Krankengeld oder einen Monat länger Arbeitslosengeld, oder - was vor allen Dingen gerade für die Kleinrentner zutrifft, die ja oft schon mit ihren Spitzenbeträgen bei der Sozialhilfe waren - die Sozialhilfe muß dann eben einen Monat länger einspringen. Das ist das, was ich gemeint habe, als ich von einer - ich gebe ausdrücklich zu, Herr Kollege Schellenberg - nicht quantifizierbaren Belastung der Sozialhilfeträger sprach, weil uns alle Unterlagen dafür fehlen, das auch nur in größeren Zahlen einigermaßen zuverlässig zu berechnen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Schellenberg? - Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesfinanzminister, ist Ihnen bewußt, daß auf jeden Fall die Krankenversicherung für die Rentnerkrankenversicherung durch die Koalitionsvereinbarung rund 200 Millionen DM mehr erhalten wird als nach dem gegenwärtigen Recht?
Ihr Wort in Gottes Ohr. Das heißt: Sie bestreiten die Richtigkeit der hier von den Experten der Ministerien genannten Zahlen.
Wissen Sie, Herr Bundesminister, daß ich mich auf die Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums stütze?
Ich freue mich sehr, wenn Ihnen der Bundesarbeitsminister dazu eine genaue Auskunft geben kann.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zu den Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers ein paar Bemerkungen machen. Herr Bundesfinanzminister, Sie kamen auf die Frage der Leistungszulage für die Untertagearbeiter zu sprechen und haben uns die Zahlen vorgetragen. Ich meine, das Hohe Haus ist wohl daran interessiert, daß die Ausschüsse das genau prüfen. Ich interpretiere das, was wir vereinbart haben, so, daß das Limit bei 100 Millionen DM insgesamt liegen soll. Die Einzelfragen werden wir noch behandeln. Seien Sie sicher, Herr Bundesfinanzminister: die Koalitionsfraktionen sind gewillt, das einzuhalten, was sie zugesagt haben, nämlich im Rahmen des Ausgabevolumens zu bleiben und da die adäquate und gerechteste Lösung zu finden.
({0})
Lassen Sie mich an diese Vorbemerkung gleich noch etwas anderes anknüpfen. Ich sprach soeben von Koalitionsvereinbarungen. Lassen Sie mich einmal sagen: Wir Christlichen Demokraten haben das mühselige Geschäft der Koalitionsvereinbarungen nicht erst seit heute zu erledigen. Herr Kollege Spitzmüller, ich muß sagen: schwieriger ist es ganz bestimmt nicht, mit der SPD auf einen Nenner zu kommen. Das ist, wie ich schon in meiner Rede vor ungefähr einem Jahr zur Regierungserklärung ausgeführt. habe, sicherlich nicht deshalb der Fall, weil nun, da die Sozialdemokraten sich mit uns in einer großen Koalition befinden, deshalb die Unterschiede zwischen uns verschwunden wären, wenn auch manches gemeinsam beschlossen wird. Eines jedenfalls können wir feststellen - ich stelle das hier öffentlich fest -: daß der Koalitionspartner SPD keineswegs etwa so ist, daß er uns zu irgendwelchen Dingen zwingen will, die wir nicht in Übereinstimmung mit ihm erledigen können. Kompromisse - meine Damen und Herren von der FDP, das wissen Sie doch - haben es immer in sich; man kann hier seinen eigenen Willen nicht voll und ganz durchsetzen. In dieser Beziehung war es manchmal für einen, der Sozialpolitik betreibt, doch recht schwierig, von der in manchen Dingen ganz grundsätzlich anderen Auffassung, die Sie hatten, Kenntnis zu nehmen und dann noch eine Form zu finden, zu der beide ja sagen konnten.
Sehr häufig wird in der Diskussion, die wir jetzt um das Finanzänderungsgesetz führen, den Sozialpolitikern die Frage gestellt: Was macht ihr denn, wenn das, was ihr jetzt als Annahmen zugrunde legt - nämlich Lohnsteigerungen und Steigerungsraten der Beiträge und ähnliches -, alles nicht eintrifft? Ich halte diese Frage für völlig unberechtigt. Wer nämlich in den anderen Bereichen der Wirtschafts- und Finanzpolitik mit bestimmten Annahmen und Größen rechnet, dem ist es einfach verwehrt, von den Sozialpolitikern zu verlangen, daß sie sich nach anderen, pessimistischeren Größen richten.
({1})
Man kann nicht so tun, als könne man in diesem
Bereich nur von den schlimmsten Annahmen und im
anderen Bereich von sehr optimistischen Annahmen
ausgehen. Das ist einfach falsch. Wenn wir Annahmen für die Wirtschaftspolitik aufstellen, haben wir die Verpflichtung - nicht nur das Recht -, die gleichen Annahmen auch bei den Fragen der Entwicklung in der Sozialpolitik zugrunde zu legen.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, einmal auf folgendes hinzuweisen: Was wir jetzt mit dem Finanzänderungsgesetz für den Bereich der Sozialpolitik tun müssen, ist nicht eine Folge übersteigerter Sozialleistungen, sondern eine Folge einer eingetretenen Rezession.
({2})
Darum beantworte ich die Frage, was geschieht, wenn das nicht eintrifft, so: wenn diese Voraussetzungen nicht eintreffen, muß selbstverständlich jeder, der Verantwortung trägt, die neuen Voraussetzungen prüfen und dann seine Entscheidung treffen.
Es ist etwas merkwürdig, daß es ungefähr die gleichen Kreise sind, die uns sagen, wir sollten in der Sozialpolitik anders - sie sagen: vorsichtiger - vorgehen. Es sind die gleichen Kreise, die uns das schon 1957 gesagt
({3}).
und das System, das wir einführten, schon damals madig gemacht haben.
({4})
Meine Damen und Herren, wenn das so ist - und Sie bestätigen es mir - ({5})
- Wir!
({6})
Denn die, die damals geunkt haben, haben durch die Entwicklung unrecht bekommen, und jetzt sagen Sie: Ja, wenn aber das eingetreten wäre, was wir damals als Voraussetzung genannt haben, dann hättet ihr unrecht behalten.
Nun, wir können nur sagen: weder Sie noch wir waren Propheten. Wir haben die Annahmen zugrunde gelegt, die uns zur Verfügung standen. Es hat sich gezeigt, daß wir diesen Zehnjahresabschnitt ohne Beitragserhöhung mit der Rentenformel, wie sie jetzt besteht, durchgestanden haben. Ich werde dazu in meinen weiteren Ausführungen noch etwas sagen. Wir können sicher sein, daß sich das System der sozialen Sicherung in der Vergangenheit bewährt hat und in der Zukunft bewähren wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kalinke?
Herr Kollege Stingl, fänden Sie es nicht redlich, vertrauenerweckend und beruhigend zugleich, wenn Sie sagen würden, daß sich viele Hoffnungen nicht erfüllten und viele Versprechen nicht erfüllen ließen? Wäre es Ihnen möglich, ruhig und sachlich anzuerkennen, daß diejenigen, die 1957 ihre Sorgen und Bedenken geäußert haben, zumindest erleben mußten, daß das Ziel der SPD und auch unser eigenes Ziel trotz
zehnjähriger Hochkonjunktur unter einer guten CDU-Politik nicht erreicht wurden?
({0})
Frau Kalinke, Sie spielen offensichtlich auf die Frage an, ob man60 % - ({0})
- Verzeihen Sie, Frau Kalinke. Was die SPD
wollte, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
({1})
Eine Rolle spielt allein, wozu sie 1957 in diesem Hause die Hand zur Abstimmung erhoben hat, und da war das Ziel ja das, was in der Regierungsvorlage steht; das waren 60 %. Ich stehe nicht an, zuzugeben, daß dieses Ziel nicht erreicht wurde, deshalb nicht erreicht wurde, weil gerade diejenigen, von denen die Unkenrufe gekommen sind, uns dazu gebracht haben, das sogenannte time-lag - es ist ein moderner Ausdruck - gegenüber der Regierungsvorlage zu verlängern und damit die Rentner konjunkturpolitisch schon einmal in Anspruch zu nehmen. Es ist ungerechtfertigt und schäbig, ihnen jetzt ein zweites Mal ein neues Opfer zuzumuten.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Mick?
Herr Kollege Stingl, sind Sie mit mir der Meinung, daß sozialpolitisch noch allerhand zu tun übrigbleibt, weil wir die 60 % noch nicht erreicht haben?
Ich bin mit Ihnen dieser Meinung.
Meine Damen und Herren, es trifft sich sehr gut, daß auf unserer heutigen Tagesordnung auch die Beratung des Zehnten Rentenanpassungsgesetzes steht, womit wir deutlich machen, daß uns auch die Mühen der Rezessionsüberwindung nicht davon entbinden, denen, die aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind, die Versprechungen zu erfüllen, die wir ihnen gegeben haben, sie nämlich, wenn auch verzögert, in diesem Fall sogar konjunkturpolitisch wirksam verzögert, an das Lohngeschehen anzupassen.
({0})
Dazu wird mein Kollege Becker im Laufe der Debatte noch einiges sagen.
Für meine Fraktion, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine Frage ganz besonders wichtig. Deshalb will ich sie als erste behandeln. Es ist die Frage der Familienpolitik.
Der Kollege Wuermeling hat vorhin durch eine Zwischenfrage Iden ungerechtfertigten Eindruck entstehen lassen, ,als ob meine Fraktion in Berlin beschlossen hatte, zur Erhaltung des Volumens des Familienlastenausgleichs die Ausweitung der Ergänzungsabgabe nach unten vorzuschlagen. So hat meine Fraktion nicht beschlossen.
({1})
- Ich habe nicht behauptet, daß Sie das gesagt haben. Ich habe nur erklärt, daß Ihre Frage diesen Eindruck entstehen ließ. Ich glaube, das war korrekt.
Meine Fraktion hatte beschlossen, in die Überlegungen zur Beseitigung einer Einkommensgrenze im Familienlastenausgleich auch die Frage einer Herabsetzung der Grenze für die Ergänzungsabgabe einzubeziehen. Sie ist einbezogen worden. Sie ist so beantwortet worden, daß wir in unserer Verantwortung in der Gesamtkoalition eben zu diesem Mittel nicht greifen können. Deshalb haben wir eine andere Lösung gesucht. Dieser Lösung stimmen wir ganz sicherlich nicht jubelnd zu, aber es ist eine der Lösungen, die wir im Kompromiß erreicht haben. Wir glauben, daß sie tragbarer ist als eine Einkommensgrenze. Lassen Sie mich zwei Bernerkungen dazu machen; ich will meinem Kollegen Kühn nicht vorwegnehmen, was er zu dieser Frage noch sagen wird.
Diese und überhaupt jede Einkommensgrenze im Familienlastenausgleich führt zu der Annahme, das Kindergeld sei eine Art Sozialhilfe.
({2})
Zum anderen würde eine solche Grenze, auch wenn sie sehr hoch liegt, für jemand, der ein Bruttoeinkommen von rund 34 000 DM - sicherlich kein kleiner Mann - und 5 Kinder hat, nach der Vorlage der Regierung eine Kürzung des Bruttoeinkommens um ca. 7 %, eine Kürzung des versteuerten Einkommens, nämlich von 24 001 DM, von ca. 10 °/o bedeuten. Uns schien das nicht durchführbar. Es scheint uns leichter vertretbar zu sein, daß die 2-Kinder-Familie von den Kürzungsmaßnahmen gar nicht berührt wird, die 3-Kinder-Familie statt bisher 75 dann 72 DM monatlich erhält, die 4-KinderFamilie statt 135 DM dann 132 DM. Sie können es alles selber nachrechnen; Sie wissen ja, daß jeweils 70 DM dazukommen.
Die Familienpolitik muß ich allerdings auch noch in diesem Zusammenhang ansprechen, weil ich Herrn Kollegen Schellenberg nachhaltig zustimmen will, nämlich darin, daß mit dieser Regelung selbstverständlich nicht unserem Verlangen Rechnung getragen ist, im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung eine Neuordnung des Familienlastenausgleichs anzustreben. Nun machen wir es uns nicht ganz so einfach wie Sie, Herr Kollege Schellenberg, daß wir einfach sagen, die Harmonisierung oder Gleichstellung im Steuerrecht und in der Gewährung des Kindergeldes solle das Ziel sein. Vielmehr meinen wir, daß es differenzierterer Überlegungen bedarf, wobei wir gegen uns selber den Vorwurf richten und den Vorwurf hinnehmen, daß wir das bisher ein wenig unorganisch nebeneinander bestehen ließen, auch unorganisch behandelt haben. Aber, wie gesagt, mein Kollege Kühn wird dazu noch etwas sagen, insbesondere natürlich auch zu dem Zusammenhang zwischen einer Neuordnung und einer Ausbildungs6526
förderung, wo wir ja einfach in die Schranken gewiesen sind, die uns das Grundgesetz auferlegt.
Ich komme zu einem zweiten Punkt. In der Debatte heute vormittag ist, wie ich glaube, mit Recht immer wieder die Frage der gesetzlichen Rentenversicherung behandelt worden. Sie ist in den Mittelpunkt der Erörterungen gestellt worden. Sie ist auch von fundamentaler Bedeutung für das Leben in unserem Volk. Es is eben einfach so, daß die moderne arbeitsteilige Wirtschaftswelt verlangt, eine Sicherung des einzelnen, der auf seinen Arbeitsplatz angewiesen ist, zu schaffen, damit er mehr Freiheit in der Wahl des Arbeitsplatzes erhält, und zwar dadurch, daß er weiß: im Alter bin ich gesichert, im Alter habe ich eine Rente zu erwarten, die mich nicht in der Nähe des Fürsorgeempfängers oder noch weiter unten ansiedelt, sondern die mich darauf hoffen läßt, die es mich erwarten läßt, daß ich meinen Lebensstandard, den ich mir errungen habe, auch im Alter beibehalten kann.
Wir sind uns sehr wohl bewußt, daß es hier sehr große Schwierigkeiten gibt. Wir wissen auch, daß die psychologische Einstellung zu dieser Frage von ungeheurer Bedeutung ist. Wir wissen dabei, daß wir, durch die Erfahrung klüger geworden, noch einmal ja dazu sagen müssen, daß das System unserer sozialen Sicherung gegliedert bleiben muß. Wir wissen, daß die Gliederung in Sachbereiche von uns neu eingeführt werden müßte, wenn sie nicht schon da wäre.
Lassen Sie es mich vereinfachend so darstellen: es ist eben etwas anderes, ob ich eine soziale Sicherungseinrichtung dafür schaffe, daß ich kurzfristige, unerwartete Risiken überwinde, oder ob ich eine Sicherungseinrichtung schaffe, die mir das Alter sichert. Anders ausgedrückt: In der Krankenversicherung, in der Unfallversicherung, in der Arbeitslosenversicherung sind ganz andere Voraussetzungen gegeben, und ich kann dort auch ganz andere Überlegungen hinsichtlich des Personenkreises anstellen als in der Alterssicherung. Ganz verkürzt dargestellt: Krankenversicherung, Unfallversicherung und Arbeitslosenversicherung sind Einrichtungen für einen Fall, von dem ich hoffe, daß er für mich nie eintritt. Die Rentenversicherung aber ist eine soziale Sicherungseinrichtung für den Fall, von dem ich hoffe, das er möglichst lange für mich gilt, weil ich möglichst alt werden will und möglichst lange Rente beziehen will. Das ist also schon von daher eine grundsätzlich andere Einstellung. Darauf muß auch eine grundsätzlich andere Antwort gegeben werden als in den anderen Bereichen der sozialen Sicherung.
Ich möchte zunächst einmal ein wenig darauf eingehen, daß immer wieder gesagt wird - und zu meinem Bedauern hat Idas vorhin auch der Herr Bundesfinanzminister wieder gesagt --, ,daß wir eine Art Reform der Rentengesetzgebung brauchten, weil wir das nicht tragen könnten. Meine Damen und Herren, hier stoßen wir an unsere wirklich grundsätzliche Einstellung zu ,den Menschen, ,die aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind.
({3})
Ich hoffe nicht, daß es jemanden im Hause gibt, der der Meinung wäre, die Verschlechterung ,der Relation zwischen Rentnern, also aus dem Arbeitsprozeß Ausgeschiedenen, und aktiv Tätigen in unserem Volk könne nur dadurch bewältigt werden, daß wir eben den Ausgeschiedenen weniger Anteil am Sozialprodukt geben. Das, meine Damen und Herren, wäre eine Lösung, .die, glaube ich, niemand im Hause verantworten könnte. Selbst wer meint, sie verantworten zu können, wird sich wohl davor hüten, sich irgendwo auch noch dazu zu bekennen.
Darum wird auch nicht gesagt, daß man das im Grunde genommen wolle. Die Eingaben, die an uns kommen, sprechen davon: Wir wollen die Rente nicht kürzen, aber wir wollen den jährlichen Zuwachs verkleinern. Was heißt das? Das heißt doch, daß ,der Rentner, der in zehn Jahren seine Rente ansieht, feststellt, daß er eben durch die Verkürzung des Zuwachses in zehn Jahren seine Rente gekürzt bekommen hat.
({4})
- Ich komme darauf. - Warum eigentlich sagt man dann nicht offen: Wir halten den Teil des Sozialprodukts, den wir heute für .die Rentner zur Verfügung stellen, für zu groß, und wir sind dafür, daß ,die Renten gekürzt werden? Darum, weil man merkt, wie schäbig das wäre.
Die Frage, ob unser Rentensystem gesund ist und gesund bleibt, ist letzten Endes tatsächlich nur eine Frage ,der Relation zwischen den aktiv Tätigen und den Ausgeschiedenen. Natürlich spielen kurzfristig immer wieder die Wirtschaftsentwicklungen eine Rolle, insbesondere deshalb, weil wir die Verzögerungen in ,der Rentenanpassung eingeführt haben. Dadurch wirkt das Wirtschaftsgeschehen immer wieder erneut auf die Finanzierungsfrage. Damals, 1957, als wir gegenüber der Regierungsvorlage diesen Abstand der Renten von der Lohnentwicklung vergrößerten, ist uns gesagt worden, Idas sei konjunkturpolitisch wichtig; denn in einem Aufschwung dürfe man nicht sofort die Nachfrage noch einmal anheizen. Wir hatten das eingesehen. Nur müssen uns die gleichen, die uns das damals so empfohlen haben, doch wohl heute ,die Empfehlung geben, daß wir auf jeden Fall voll anpassen, damit nämlich in einem Abschwung durch ,die Nachfrage der Rentner wieder der Aufschwung kommt.
({5})
Man kann also die Medaille nicht jeweils so vorzeigen, wie man es im Augenblick gerade für richtig hält, wobei man den Verdacht nicht loswird - jedenfalls ich werde ihn nicht los -, daß man im Grunde genommen diese Argumente alle nur deshalb vorbringt, weil man etwas ganz anderes will, weil man ein ganz anderes Rentensystem haben will.
Meine Damen und Herren, es ist auch absurd, heute, wo in allen modernen Industrieländern die Erkenntnis wächst, daß man das eben nicht mehr kann, etwa jeden einzelnen darauf zu verweisen, ,daß er für sein Alter im eigenen Bereich vorsorgen möge, ausgerechnet bei uns ein Zurückgehen bei
diesen Maßnahmen zu verlangen. Wir haben einfach festzustellen, .daß es in ,der heutigen arbeitsteiligen Industriewelt nicht möglich ist, ,den einzelnen darauf zu verweisen, ,daß er selbst für sich Vorsorge zu treffen habe.
({6})
Wir müssen ,die Generationensolidarität eben durch Gesetz herstellen. Sie war früher in den Zeiten der rein bäuerlichen Wirtschaft oder auch im Bereich des Innungswesens des Handwerks ganz anders zu sehen, weil damals die Vorgeneration im Betrieb blieb und ,die Nachgeneration sie ernährte. Das ist heute anders. Der Sohn übernimmt nicht mehr, wie es früher war, das Geschäft des Vaters. Also müssen wir die Antwort anders geben, und das, was mit dem Rentenberg auf uns zukommt, muß ein 'bißchen mehr durchleuchtet werden, als man heute meint.
Wer sagt, wir könnten den Rentenberg mit den jetzigen Beiträgen nicht bewältigen, der sagt Richtiges aus. Mit den heutigen Beiträgen können wir den Rentenberg ganz sicher nicht bewältigen. Nun müssen wir natürlich nach einer Antwort auf die Frage suchen: Wie können wir in der Zeit des Rentenberges, also in der Zeit der schlechtesten Relation zwischen Ausgeschiedenen und aktiv Tätigen, dafür sorgen, daß auch die Ausgeschiedenen einen angemessenen Anteil am Sozialprodukt erhalten? Zu diesem Zweck müssen wir genau feststellen, wieviel vom Sozialprodukt für sie zur Verfügung stehen muß. Hier müssen wir, ausgehend von dem Grundsatz der Solidarität der Generationen, eine gerechte Beitragsgestaltung zu erreichen versuchen. Das ist sicher eine klarere Lösung, als wenn wir sagen: Dann müssen eben einige auf die Sozialhilfe zurückgreifen, andere müssen sich eben eine betriebliche Alterssicherung schaffen und wieder andere müssen sich eben im Wege einer Lebensversicherung die erforderliche zusätzliche Versorgung sichern. Es ist jedoch ein Irrtum, anzunehmen, daß das, was einer aus einer Lebensversicherung erhält, nicht von der dann schaffenden Generation erarbeitet werden muß. Der ökonomische Zusammenhang ist doch unleugbar: die Gesamtgeneration - Kinder, schaffende Generation und alte Generation - lebt von einem Gesamtsozialprodukt. Um es besser durchschaubar zu machen, welcher Teil des Sozialprodukts für die ausgeschiedene Generation zur Verfügung gestellt wird, ist es besser - und dies ist auch gerechter -, diese Frage über die Beiträge an die Sozialversicherung zu lösen, als die Beiträge in unkontrollierte Kanäle gelangen zu lassen.
({7})
- Wenn Sie es anders machten, würden z. B. Großbetriebe, die sich die entsprechenden Mittel über die Preise aus dem Markt herausholen können, zu Lasten der Preise aller Abnehmer des betreffenden Betriebes höhere Altersleistungen gewähren. Das wäre viel weniger kontrollierbar, als wenn man auch den Beschäftigten dieser Betriebe sagte: Ihr müßt mehr Beiträge zahlen, damit Ihr höhere Renten erhalten könnt. Tun wir doch nicht so, als ob die betriebliche Alterssicherung oder als ob die
Alterssicherung über eine Lebensversicherung nicht aus dem Sozialprodukt genommen wird!
({8})
Die betriebliche Alterssicherung, Herr Genscher, die Sie auf eine sonstige Leistung aufstocken, muß doch genauso wie jede andere Alterssicherung finanziert werden.
({9})
Ich kann Herrn Spitzmüller in einem natürlich nur zustimmen! Selbstverständlich kann der beste Sozialpolitiker - uns wird ja angedichtet, wir seien Leute mit gutem Herzen, die mit dem Geld fremder Leute die Not Dritter linderten - nicht eine einzige Mark ausgeben, wenn er sie nicht irgend jemandem, mindestens sich selber, weggenommen hat. Es ist eben ein Irrtum, wenn man annimmt, daß man das machen kann, indem man in den Betrieben Alterssicherungen schafft und sagt, das sei wesentlich gerechter, das sei wesentlich freiheitlicher. Dabei übersieht man, daß dies alles über den Preis finanziert wird, den sich natürlich der betreffende Betrieb auf dem Markt hereinholen muß. Es wird also voll überwälzt.
Ich wollte auf diesen Fall eigentlich nicht so besonders eingehen, aber nun bin ich darauf gekommen. Gestatten Sie mir, daß ich noch eine Bemerkung mache. Es scheint mir auch ungerecht, zu sagen, man müsse die gesetzliche Alterssicherung möglichst niedrig lassen, um der betrieblichen Alterssicherung mehr Spielraum zu geben.
({10})
- Sehen Sie nach! Es wird z. B. in einer Eingabe des Deutschen Industrie- und Handelstages darauf hingewiesen. Ich habe vorhin gesagt, daß das in Eingaben erörtert wird. - Meine Damen und Herren! Dies wird uns in dem gleichen Augenblick als ein erstrebenswertes Ziel angepriesen, in dem wir sicherlich alle miteinander einig sind, daß technischer Fortschritt und wirtschaftliche Entwicklung für unsere Volkswirtschaft nur dann wirklich nutzbar gemacht werden können, wenn wir die Arbeitnehmer mobil machen. Das ist ja das Schlagwort: die Mobilität der Arbeitskräfte. Wenn das aber zutrifft, ist es doch einfach ein Widerspruch in sich, wenn man sagt, man müsse die Alterssicherung über betriebliche Einrichtungen stärker erweitern, und zugleich sagt, es müsse sich aber jeder klar darüber sein, daß er den Betrieb im Leben mehrfach wechselt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Genscher?
Bitte sehr!
Damit wir uns nicht mißverstehen: Sie teilen doch sicher meine Meinung, daß die auch von uns gewünschte Mobilität der Arbeitnehmer durch eine eigenverantwortliche Altersversorgung in Form von Lebensversicherungen etc. nicht eingeschränkt wird?
Ja. Ich habe in diesem Fall ja auch nicht gegen Sie gesprochen; das wissen Sie, Herr Genscher. Ich führe hier zu der Frage allgemein, wie man die Solidarität der Generationen herstellt, einiges aus. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Ich bin nicht gegen die betriebliche Alterssicherung. Ich bin nur dagegen, daß man sagt, die gesetzliche Alterssicherung müsse möglichst niedrig gehalten werden, damit man in diesen Bereichen Spielraum habe. Das gilt auch für die Alterssicherung über eine eigene Lebensversicherung. Ich bin sogar der Meinung, unser Rentenversicherungssystem mit der Beibehaltung der bruttolohnbezogenen Rentenformel zwingt jeden verantwortlichen Arbeitnehmer dazu, zusätzliche Möglichkeiten der Sicherung zu suchen, weil nämlich das, was wir eigentlich erstreben, die volle Sicherung, gar nicht erreichbar ist.
({0})
- Wenn wir 20 %Anteil haben sollten - ich komme noch darauf, Herr Kollege Ertl -, meine ich, daß auch das noch kein Unglück ist. Sie werden mir folgen, wenn ich die Voraussetzungen dazu noch erläutere.
Ich sage: Diese gesetzliche Alterssicherung muß sich an einer Beitragsbemessungsgrenze stoßen, um Freiheitsraum zu lassen. Hier wäre einiges zur Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze zu sagen. Sie müssen davon ausgehen, daß die gesetzliche Alterssicherung eine Solidareinrichtung der schaffenden Generation gegenüber der ausgeschiedenen Generation ist. Es ist ein Unding, gerade die hoch verdienenden Angestellten zu dieser Solidaritätsleistung nicht heranzuziehen, während man die gering verdienenden mit einem hohen und dann natürlich auch noch höheren Prozentsatz heranziehen müßte.
Die Beseitigung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte ist ein gesellschaftspolitisches Problem erster Ordnung. Das wird hier niemand leugnen. Ich würde dazu sagen: Es ist bedauerlich, daß wir hier aus der Not eine Tugend machen müssen. Ich halte das für eine Tugend; das sage ich hier ganz offen. Ich habe ja auch in der Diskussion über die Frage der Heraufsetzung der Versicherungspflichtgrenze vor wenigen Jahren einiges dazu gesagt. Damals waren wir noch gezwungen, mit Ihnen von der FDP Kompromisse zu schließen. Der damalige Kompromiß hat mir offen gestanden weniger gefallen als der heutige; der heutige ist in meinen Augen gar kein Kompromiß.
Bei der Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte müssen wir auch denen, die davon betroffen sind, einmal sagen, daß wir diese Aufhebung nicht unüberlegt oder wegen des Geldes vornehmen, sondern deshalb, weil es gesellschaftspolitisch einfach erforderlich und notwendig ist, daß man die Solidarität der Generationen nicht an einer Einkommensgrenze scheitern läßt, weil es nicht mehr zutrifft - Frau Kollegin Kalinke hat das in einem Zwischenruf an Herrn Kollegen Schellenberg deutlich gemacht -, daß es hier um ein Schutzbedürfnis geht. Es geht nicht einmal mehr um ein Sicherungsbedürfnis. Es ist vielmehr zu fragen: Wer ist heute zur Solidarität gegenüber der ausgeschiedenen Generation verpflichtet?
({1})
Nun kommt oft die Forderung, daß auch eine gesunde Relation zwischen Beiträgen und frei verfügbarem Einkommen bestehenbleibt. Natürlich gibt es eine Grenze der Belastbarkeit. Mehrfach ist unser Kollege Blank zitiert worden, daß man nicht eine reine Sozialisierung des Lohnes vornehmen könne. Das ist richtig. Nur, diese Sozialisierung des Lohnes tritt gar nicht ein. Wenn Sie unterstellen, daß wir in den nächsten acht Jahren, wenn wir auf den Rentenberg kommen, einen Lohnzuwachs von jährlich 4 %und damit insgesamt eine Lohnsteigerung von 37 %haben, und wenn Sie die Renten einmal ausrechnen, ergibt sich zwar eine Beitragssteigerung, aber diese Beitragssteigerung wird weit übertroffen von der Steigerung des verfügbaren Realeinkommens der Arbeitnehmer. Solange die Rentner nicht einen höheren Lebensstandard haben als die Beitragszahler, ist diese Marge nicht überschritten. Dazu muß sicherlich gesagt werden: Natürlich hat der Rentner auch gewisse Bedürfnisse nicht mehr, die jeder aktiv Tätige hat. Deshalb ist aber auch die Rentenformel von vornherein so angelegt, daß der Rentner selbst bei allergünstigsten Voraussetzungen, bei absolut null in der Lohnbewegung, nach 50 Jahren nur 75 % seiner Bemessungsgrundlage als Rente bekommen würde. Wir wissen, daß sogar das reine Theorie ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spitzmüller?
Ja, bitte!
Herr Kollege Stingl, sind Sie mit mir der Überzeugung, daß der heute Beitragspflichtige durch die Steigerung des Beitragssatzes keine höhere Rente erwirbt, weil in der Rentenformel für die Höhe des Beitragssatzes kein Raum ist?
Dabei kommt es nicht einmal auf meine Meinung an. Das ist eine Tatsache.
({0})
- Ich habe keine Veranlassung, das zu verschweigen. Das System unserer Rentenversicherung liegt ja darin, daß dann, wenn die Zahl der Rentner größer wird, die Aktiven eher mehr von ihrem Lebensunterhalt abgeben können, als daß die Renten sinken müßten.
({1})
Das ist unsere Antwort darauf, Herr Kollege Spitzmüller, da sind wir eben grundsätzlich unterschiedlicher Auffassung.
({2})
- Natürlich! Ob die Löhne stabil bleiben oder nicht, spielt keine so große Rolle, wie es in der Diskussion draußen immer wieder dargestellt wird. Für unsere Alterssicherung ist entscheidend nur das
Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern. Die andere Frage spielt konjunkturpolitisch und sonst nur deshalb eine Rolle, weil uns diejenigen, die gegen das Rentensystem sind, 1957 ein so langes Zurückbleiben aufgehalst haben. Aber ich kann nicht sagen „aufgehalst", denn ich habe ja selber dafür gestimmt. Es ist uns nicht aufgehalst worden. Wir haben es damals gesehen, und wir haben es bewußt gemacht.
Ich halte es aber für nicht vertretbar, das, was man damals bewußt gemacht hat, jetzt sozusagen zu verdoppeln, indem man sagt, der jetzige Rentenstand müsse angehalten werden und jetzt müsse man zu einer sogenannten Nettolohnformel kommen. Die Frage einer Nettolohnformel hat im übrigen auch noch immer rein technische Tücken. Ich bin gerne bereit, dem Bundesfinanzminister, der sich vorhin bei Herrn Schellenberg für den kostenlosen Unterricht bedankt hat, auch für diese Techniken Unterricht zu erteilen.
({3})
- Nein, das kostet sicherlich nicht mehr. Es kostet nur das, was es ohnehin kostet.
({4})
- Ich habe vorhin ja auch gesagt, daß ich das nicht vertrete.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nur ganz wenige Bemerkungen machen. Wenn der Beitrag vom Bruttolohn genommen wird, hat man als Maßstab für die Stelle, von der aus der Beitrag gezahlt wird, für den sozialen Status, nichts anderes als den Bruttolohn. Das heißt, die Bruttolohngröße geht auf jeden Fall in die Berechnung ein. Wenn man dann bei der Rente auf Nettolohn umschaltet oder gar, wie es einige vorschlagen, die Bruttolohnbezogenheit bei der ersten Festsetzung zugrunde legt und dann netto anpaßt, hat das zur Folge, daß wir in 10 Jahren 10 verschiedene Rentenbasen haben, oder anders ausgedrückt: daß von zwei Rentnern mit gleichen Lebensschicksalen derjenige, der 1960 Rentner wurde, ungefähr 20 bis 25 °/o weniger Rente hat als der, der bei gleicher sozialer Stellung erst 1970 Rentner wurde. Das sind also einige Einwände, die gegen eine Umstellung auf eine Nettoformel sprechen.
Lassen Sie mich aber noch einmal auf Ihre Frage, wo denn die Grenze der Zumutbarkeit liegt, zurückkommen. Ich glaube, Herr Kollege Ertl ist besonders an dieser Frage interessiert. Ich wiederhole, Herr Kollege Ertl: Die Grenze der Zumutbarkeit der Beitragsbelastung liegt dort, wo durch die Beitragsbelastung der Aktive in seinem Lebensstandard so geschmälert wird, daß der Passive, also der Ausgeschiedene, ihn überflügelt. Jetzt haben Sie auch die Antwort, weshalb wir bei der knappschaftlichen Versicherung zu den Vorschlägen der Regierung ja sagen. Wir sind aber keineswegs der Meinung, daß diese Grenze in der allgemeinen Rentenversicherung erreicht wird. Wir sehen aber, daß dieser Fall wegen der strukturellen Umschichtung in unserer
Energiewirtschaft im Bergbau eingetreten ist. Der Steigerungssatz von 2,5 % hat eben einfach dazu geführt, daß der Ausgeschiedene mehr Einkommen hat als der, der noch im Pütt vor Kohle steht. Und exakt da ist die Grenze, wo auch der Gesetzgeber eingreifen müßte. Aber bei den Annahmen, von denen wir heute überall ausgehen, tritt dies für die allgemeine Rentenversicherung nicht ein. Ich wiederhole: Selbst wenn wir für jedes Jahr 4 % Lohnsteigerung unterstellen, kommen wir bis, 1975 auf 37 % Lohnsteigerung. 37 % Lohnsteigerung bedeuten sicherlich eine Erhöhung des Realeinkommens. Von diesem Realeinkommen kann dann meinetwegen sicherlich notfalls auch eine Beitragserhöhung von 5 % mit bewältigt werden, wobei ich mit 5 % Beitragserhöhung schon exorbitant hoch gegangen bin. Wenn natürlich die Wirtschaftsentwicklung anders geht, muß man kurzfristig anders urteilen, muß man .kurzfristig vielleicht auch andere Maßnahmen ergreifen, auf die Dauer und insgesamt gesehen aber nicht.
Unser Rentensystem - das stelle ich also fest - beruht auf einer Verteilung der Lebensarbeitsleistung auf das Gesamtleben. Das heißt, die Beitragsleistung, die ich jetzt erbringe, gibt mir den Anspruch darauf, im Alter den Anteil vom Sozialprodukt zu bekommen, den ich für mich beanspruchen kann und den ich auch als Aktiver abzutreten bereit war. Herr Kollege Spitzmüller, Sie haben vorhin nachdrücklich betont, das bedeute, daß der, der heute höhere Beiträge zahlt, dennoch keinen höheren Rentenanspruch hat. Ich habe Ihnen das bestätigt. Darum haben wir ja auch in der Frage des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags das unterstützt, was die Regierung vorgeschlagen hat. Wir unterstützen, daß jetzt gesagt wird: neben der Rente erhält der Rentenempfänger einen Krankenschutz. Dieser Krankenschutz wird erreicht durch die Versicherung in einer Krankenversicherung, entweder in der gesetzlichen Krankenversicherung als Rentnerpflichtmitglied, in der gesetzlichen Krankenversicherung als freiwilliges Mitglied oder in einer privaten Krankenversicherung als freiwilliges Mitglied. Diese Sicherung des Rentners für den Krankheitsfall wird zur Zeit wiederum allein von den aktiven Beitragszahlern der Rentenversicherung bezahlt, obwohl der gleiche Kreis in der Krankenversicherung noch einmal Beiträge zahlt und hier das Defizit der Krankenkassen deckt, das durch die notwendigerweise höheren Leistungen an die Rentner entsteht.
Wir sind der Meinung, wenn das so ist und wenn unsere Rentenformel eine lohnbezogene Rente vorsieht, die Lohnersatzfunktion hat, ist es zumutbar, daß auch die Rentner mit einem Beitragsteil an dieser Finanzierung der Krankenversicherung beteiligt werden. Meine Damen und Herren, dabei haben natürlich die Überlegungen eine Rolle gespielt, wie hoch dieser Beitragssatz sein müßte - auch dem System nach. Sie wissen, daß der Beitragssatz für die Angestellten, die keinen sofortigen Anspruch auf Krankengeld haben, bei ungefähr 8,6 %, jetzt vielleicht 9 % liegt, daß also der Angestellte etwa 4,5 % bezahlt. Der Rentner hat nie Anspruch auf
Barleistungen. Infolgedessen war es natürlich, daß der Beitragssatz niedriger angesetzt wurde.
Nun haben wir aber hier mit unserem Koalitionspartner, für den das - wie wir zugeben - eine ausgemacht schwierige Angelegenheit ist, so lange gerungen, bis wir eine Lösung gefunden haben, die sicherlich weder der SPD leuchtenden Auges gefällt noch uns. Aber wir werden sie miteinander durchstehen, Herr Kollege Schellenberg, weil wir der Meinung sind, daß es im Interesse der versicherten Beitragszahler in der Rentenversicherung, der versicherten Beitragszahler in der Krankenversicherung und der Rentner liegt, daß wir die Solidarität, die die Aktiven gegenüber den Passiven ausüben, durch eine Teilsolidarität der Ausgeschiedenen zu den Aktiven beantworten lassen.
({5})
Diese Antwort in der Solidarität ist immer noch so, daß sie nur einen Teil dessen ausmacht, was überhaupt für die Rentnerkrankenversicherung ausgegeben wird. Sie wissen, daß allein im Jahre 1967 die Rentenversicherungsträger rund 3 Milliarden DM an die Krankenversicherung geben. Dabei kommt noch hinzu, daß die Krankenversicherungsträger selber dennoch ein Defizit von - wie sie errechnen - rund 700 Millionen DM haben. Es tut uns leid, daß das durch die Vorschläge, die wir jetzt angenommen haben, bei den Krankenversicherungsträgern nicht voll ausgeglichen werden kann.
Man könnte es auch ein bißchen - na ja, Herr Kollege Schellenberg - merkwürdig finden, daß jetzt auf Ihren Vorschlag die Erhöhung der Rezeptgebühr kommt. Meine Damen und Herren, dabei sei es mir gestattet, einmal für den Kollegen Blank auszuführen, daß das, was er jemals als Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung vorgeschlagen hatte, im ungünstigsten Fall - wenn Sie es so darstellen wollen - 15 DM im Quartal ausgemacht hätte. Das müssen wir auch einmal sehen. Ich muß' dem Kollegen Blank hier noch einmal bestätigen, daß keiner seiner Vorschläge den Weg zum Arzt behindert hätte, insbesondere das nicht, was wir am Ende einer Reformdiskussion diskutiert hatten, nämlich die Einführung einer Art Beitragsrückgewähr.
({6})
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß das Probleme sind, die zwischen den beiden Fraktionen nicht klar sind und bei denen wir nicht miteinander abstimmen können. Das gibt es, und es ist natürlich. Sie sind ja nicht plötzlich CDU-Leute und wir nicht plötzlich SPD-Leute geworden.
({7})
Wir haben ja unsere Unterschiede beibehalten. Wir glauben deshalb, daß angesichts all dieser Dinge diese Rezeptgebühr mit erhoben werden sollte, zumal sie ja, weil die Rentner den Krankenversicherungsbeitrag neu auferlegt bekommen, auch nur für den Kreis gelten soll, der nicht rentnerkrankenversichert ist.
Herr Kollege Spitzmüller, Sie haben dann - ich glaube, Sie waren es; ich bin jetzt nicht ganz sicher - auch gesagt, dieser Rentnerkrankenversicherungsbeitrag zeige ja, daß wir das nicht als Lohnersatzfunktion ansähen; ich glaube, so hatten Sie gesagt; ich bin jetzt nicht ganz sicher.
({8})
- Ach ja, wegen der Nichtanpassung 1967! Gerade da sind Sie natürlich auf dem Holzwege, Herr Kollege Spitzmüller. Wissen Sie, warum? Weil wir den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag nur von denen nehmen, deren Bemessungsgrundlage auf der Bemessungsgrundlage 1968 steht. Ich brauche es Ihnen nicht näher zu erläutern; Sie stimmen mir eben schon zu.
({9})
- Aber es ist gerechtfertigt. Wenn ich einen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag vom Jahre 1968 an einführe, ist es doch logisch, daß wir mit diesem Rentnerkrankenversicherungsbeitrag nur den belegen, der die Bemessungsgrundlage von 1968 hat. Das ist vorgesehen.
Dann haben Sie gesagt, die Einführung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags sei auch eine Maßnahme des Redressierens unserer Rentenformel. Sie irren sich! Die Systematik dieses Rentnerkrankenversicherungsbeitrags besteht ja eben darin, daß er nur dem abgenommen wird, der eine Rentnerkrankenversicherung hat. Wer keine hat, bekommt den Beitrag wieder. Darauf haben Sie gesagt, das sei ja gerade der Casus belli; denn diese Rückerstattung koste viel Geld.
Nun, wir haben uns ein bißchen mit der Sache vertraut gemacht und haben auch noch einmal wirkliche Experten gebeten, uns das zu erläutern. Deren Zeugnis läßt darauf schließen, daß die Kosten im Jahr 1968 für die Krankenversicherungsträger und Rentenversicherungsträger wegen der Rückzahlung des zuviel einbehaltenen Rentnerkrankenversicherungsbeitrags etwa 23 Millionen DM ausmachen. Wenn die Gesamtsumme - bei 2 % Beitrag - bei 460 Millionen DM liegt, so scheint mir das keineswegs ein Betrag zu sein, der zu hoch wäre, zumal er in den Folgejahren natürlich nicht mehr in dieser Höhe entsteht, weil ja nur jetzt der ganze Bestand durchforstet werden muß.
Hier und draußen wird der Trend zur allgemeinen Staatsbürgerversorgung diskutiert. Ich glaube, nur mit einem System der Rentenversicherung, das die Solidarität aller Aktiven mit den Ausgeschiedenen beitragsbezogen und leistungsbezogen herstellt, können wir einer solchen Richtung widerstehen. Wer sich von Argumenten wie etwa „die Kleinstrentner müssen vom Rentenversicherungsbeitrag befreit werden" oder auch, Herr Kollege Schellenberg, „wir müssen die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen" leiten läßt, der setzt sich der Gefahr aus, daß er bei dieser Diskussion möglicherweise noch andere Dinge sieht. Ich habe aber mit sehr viel Freude festgestellt, daß Sie selber solche Gedanken für Ihre Fraktion zurückgewiesen haben. Ich weiß, daß Sie das schon länger tun; aber für mich war es doch ganz interessant, daß Sie das auch noch einmal im Plenum des Bundestages getan haben. Wir sind der Meinung, daß in der Beitragsbemessungsgrenze die
wirkliche Abgrenzung zwischen freiheitlicher Alterssicherung und der vom Gesetz vorgeschriebenen Alterssicherung liegt. Wir glauben wirklich, daß es eine gesetzliche Altersversicherung nicht nötig hat, höher als bis zu 200 0/o der allgemeinen Bemessungsgrundlage zu gehen. Das halten wir wirklich für richtig. Von da ab sollen andere Arten der Sicherung gesucht werden. Wir wissen aber, daß bei den unteren Einkommensschichten allein das Schaffen von Vermögen noch nicht Alterssicherung bedeutet; denn kaum einer in unserem Volk lebt heute noch aus Vermögen; fast jeder lebt aus Einkommen, aus Arbeit.
Nun, es schmerzt uns manches, auch bei dem, was wir jetzt in dem Krompromiß mit angehen müssen, obwohl es auch da wiederum jedesmal ein lachendes und ein weinendes Auge gibt. Denn es ist für uns schon ein Problem, zu sagen, daß derjenige, der Arbeitslosengeld bekommt, dann, wenn er 65 Jahre alt ist, die Rente nicht beziehen soll oder daß es untereinander abgeglichen werden soll. Wir sehen darin schon einen Hinweis darauf, daß man über die Altersgrenze diskutieren muß, weil nämlich die Frage der Altersgrenze unter Umständen etwas ist, worüber man sich beim Rentenberg Gedanken machen muß. Wir sehen darin also schon eine gewisse Diskussionsbereitschaft, und wir sehen sie im übrigen auch in der Frage des späteren Rentenbeginns, wobei ich einige wilde Gerüchte zerstören will, als ob - ({10})
- Ja, ja; eben. Ich will Gerüchte zerstören, Herr Kollege Schellenberg, als ob das eine Maßnahme sei, die den armen Rentner auf der Straße um ungeheure Summen schädige, zum anderen aber die Sozialhilfe sehr in Anspruch nehme. Beides ist ein bißchen richtig. Aber so ist es halt immer: wenn man das überspannt, wird es unrichtig. Der spätere Rentenbeginn war bis 1957 in Deutschland Rechtens. Wer am 15. März eines Jahres 65 Jahre alt wurde, bekam bis 1957 seine Rente ab 1. April. Seit 1957 hat er sie am 1. März bekommen. Das geben wir zu. In Zukunft wird er sie, wenn das Gesetz wird, auch erst wieder am 1. April bekommen.
Herr Bundesfinanzminister, ich bin mit Herrn Schellenberg der Meinung, sehr häufig wird das Sozialamt nicht eingreifen müssen; denn entweder . bleibt er eben, wie gesagt, im Arbeitsverhältnis, oder es zahlt die Krankenversicherung. Wenn es einer ist, bei dem die Sozialhilfe eingreifen müßte - sie hat es in der Regel meist jetzt schon tun müssen wegen der Berechnungszeit -, so wird diesem Rentner bei der Rückzahlung und Anrechnung kaum ein Schaden .entstehen. - Natürlich entsteht insgesamt ein Schaden; ich will gar nicht leugnen, daß das auch immerhin 180 Millionen DM im Jahr bedeutet. Aber das ist eine Sache, die sozial vertretbar ist.
Noch einige Bemerkungen zu der Frage des Mutterschutzes, wie er nun geregelt werden soll. Hier kann ich für meine Fraktion sagen - ich habe mir vorgenommen, um 1 Uhr zu schließen; ich hoffe, daß ich das noch schaffen werde, Herr Kollege Franzen -, daß es unser vordringliches Ziel ist und wir es begrüßen, daß nun das Recht wieder übersichtlich wird.
({11})
Was die Frage selber anlangt, so halten wir das, was vorgeschlagen ist, für vertretbar. Ich hoffe, daß Frau Kollegin Schroeder noch Gelegenheit haben wird, dazu ein paar Ausführungen zu machen oder sie vielleicht auch zu Protokoll zu geben.
Wir müssen auch feststellen, daß innerhalb dieser Finanzplanung und dieser Gesetze keine Mittel vorgesehen sind, die ein Leistungsgesetz für Flüchtlinge ermöglichen. Das heißt nicht, daß wir keine Möglichkeiten sehen, da noch etwas zu tun. Wir ermuntern den Herrn Bundesvertriebenenminister, seine Pläne weiter zu verfolgen und sie zu gegebener Zeit dem Hause vorzulegen.
Herr Kollege, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, jetzt nicht! Ich will Schluß machen, damit -
Im Interesse des ganzen Hauses lehnen Sie es ab?
({0})
- Das wissen die Kollegen sicherlich zu schätzen.
Ich möchte nur noch sagen: Herr Kollege Spitzmüller hat gesagt, die Unsicherheit breite sich in den Fragen der Rentenversicherung aus. Warum denn wohl, meine Damen und Herren? Weil die Leute, die es unsicher haben wollen, immerfort von der Unsicherheit reden! Wenn wir, Herr Kollege Spitzmüller, Schönredner sind, dann sind Sie, verzeihen Sie, ein Miesredner;
({0})
denn wer immer nur davon redet, daß es mies werden würde, der muß sich gefallen lassen, daß wir ihm sagen, daß er die Unsicherheit hineinträgt. Wir kennen die Interdependenz von Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik und Sozialpolitik; kein Mensch leugnet sie. Wir kennen die Zusammenhänge zur EWG. Sehen Sie aber einmal nach, ob nicht die Beitragsbelastungen in den anderen EWG-Ländern oder etwa in Österreich wesentlich höher sind als bei uns! Wir sind jedenfalls der Meinung, meine Damen und Herren, auch wenn wir jetzt diese Gesetze so beraten müssen, zeigen sie dennoch, daß unser System sich bewährt hat und daß die heutigen Beitragszahler sich darauf verlassen können, daß wir dafür sorgen werden, daß sie auch einen gesicherten Lebensabend haben.
({1})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Stingl hat es geschafft, daß wir pünktlich in die Mittagspause eintreten können.
Vizepräsident Scheel
Ich darf darauf hinweisen, daß die Debatte jetzt wieder einmal unterbrochen werden muß, weil, wie Ihnen sicherlich schon bekanntgegeben wurde, um 15 Uhr der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundesaußenminister eine Erklärung abgeben, an die sich eine Debatte anschließen wird.
Ich darf mitteilen, daß im Anschluß an diese Debatte der nächste Redner in unserer sozialpolitischen Teilauseinandersetzung mit dem Haushalt der Herr Bundesarbeitsminister sein wird.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Montag und am Dienstag dieser Woche hat der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg mit den Beratungen über den Bericht begonnen, den die neue vereinigte europäische Kommission zu den Beitrittsanträgen Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und Norwegens sowie zu dem besonders gearteten Antrag Schwedens unterbreitet hatte. Nachdem diese Frage in der vorletzten Woche im Bundestag eine so große Rolle gespielt hatte, begrüße ich die Möglichkeit, hierzu dem Hohen Hause heute einen Zwischenbericht zu geben.
Es hat über diese Beratungen des Ministerrats in Luxemburg Anfang der Woche widersprüchliche und irreführende Meldungen gegeben. Dabei sind auch Zweifel laut geworden, ob die Bundesregierung an dem Kurs ihrer Europapolitik festhalte. Solche Zweifel sind nicht berechtigt. Die Bundesregierung hält sich an das, was sie in ihrer Regierungserklärung vom 13. Dezember vergangenen Jahres, in der Europadebatte des Bundestages am 21. Februar dieses Jahres und in der Regierungserklärung vom 13. Oktober ausgeführt hat. Dies bedeutet: wir sind für die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft und wir bemühen uns nachdrücklich um diese Erweiterung, ohne das Bestehende unnötig zu gefährden.
Die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 29. September ist von den Außenministern gewürdigt und im allgemeinen gut bewertet worden. Dabei ist noch einmal klargestellt worden, daß das Verfahren über den Beitritt neuer Mitglieder nach Art. 237 des EWG-Vertrags nicht erst eingeleitet zu werden braucht, sondern daß dieses Verfahren im Gange ist, seitdem die Kommission im Juli dieses Jahres zu ihrer Stellungnahme aufgefordert wurde.
Grundsätzliche Einwendungen gegen die Erweiterung der Gemeinschaft bzw. - solange die Verträge noch nicht fusioniert sind - der Gemeinschaften wurden in Luxemburg von niemandem erhoben.
Fast völlige Übereinstimmung wurde auch darüber erzielt, ,daß neu hinzutretende Mitglieder die Verträge von Rom und die von den Organen der Gemeinschaften erlassenen Regelungen beim Beitritt zu übernehmen haben werden, wobei selbstverständlich, wie es der Vertrag vorsieht, an gewisse Übergangsfristen zu denken ist. Aber auch dies ist die gemeinsame Überzeugung der Sechs: Die Ziele der Gemeinschaften müssen unverändert bleiben.
Im Ministerrat ist zweitens die Frage gestellt worden, ob der Charakter der Gemeinschaft durch Hinzutritt neuer Mitglieder grundlegend verändert und die Entwicklung zur Wirtschaftsunion hinausgezögert werden würde. Die französische Seite hat diese Frage bejaht, d. h. sie befürchtet eine grundlegende Veränderung der Ziele, Merkmale und Methoden, die der Gemeinschaft eigen sind. Die fünf anderen Partner sind, wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung, der Meinung, daß sich gewiß quantitative und qualitative Veränderungen ergeben würden, nicht aber solche, die den Charakter der Gemeinschaft in Frage stellen.
Meine Damen und Herren, was uns selbst angeht, so schätzen wir die Schwierigkeiten, die sich aus einer Vermehrung der Mitgliederzahl der Gemeinschaft bei der Harmonisierung ihrer Politik und bei der Durchführung ihrer Geschäfte ergeben würden, als nicht entscheidend ein. Wir meinen, daß die Vorteile der Ausweitung der Gemeinschaft die etwa eintretenden Nachteile sowohl politisch wie wirtschaftlich weit überbieten. Wir meinen ferner, daß ein Scheitern der Bemühungen um den Beitritt Großbritanniens und anderer EFTA-Staaten nicht nur zu einer weitverbreiteten Enttäuschung führen würde, sondern auch die Weiterentwicklung des bestehenden Gemeinsamen Marktes ernstlich beeinträchtigen könnte.
({0})
Der Rat der Gemeinschaften wird am 20. November in Brüssel wieder zusammentreten, um die wichtigsten, in der Stellungnahme der Kommission aufgeworfenen materiellen Fragen zunächst unter den Sechs bezw. unter den Sechs und der Kommission zu prüfen. Dabei wird es, abgesehen von einer Aussprache über die wirtschaftliche Lage Großbritanniens, insbesondere Fragen der Währung, der Zah= lungsbilanz, der Agrarpolitik einschließlich Agrarfinanzierung und Commonwealth-Probleme, auch um das weitere Verfahren gehen.
Ich habe schon in Luxemburg darauf hingewiesen, daß befriedigende Antworten auf die eben genannten materiellen Fragen sicherlich nur im Gespräch mit Großbritannien zu finden sein werden, und das gilt entsprechend für die anderen Antragsteller. Deshalb wird man unserer Meinung nach zu diesen Fragen auch nicht abschließende Stellungnahmen der Sechs erarbeiten können, ohne mit den Engländern gesprochen und verhandelt zu haben. Das gilt dann auch entsprechend für die anderen Antragsteller.
In diesem Zusammenhang gehört auch die von französischer Seite geäußerte Meinung, daß Großbritannien seine Währung und Wirtschaft vor einem
Beitritt stabilisiert haben müsse. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die Sechs alle Sachfragen weiterhin gründlich erörtern sollen. Dabei wird man jedoch bald zu der Feststellung kommen, daß eine nützliche Diskussion ohne Beteiligung des Staates, um den es geht, nicht sinnvoll weitergeführt werden kann. Es erscheint uns auch nicht vertretbar, an Großbritannien härtere Anforderungen zu stellen, als sich die Mitgliedstaaten gegenseitig abverlangt haben, als sie den EWG-Vertrag abschlossen.
({1})
Außerdem ist es wahrscheinlich, daß allein der Beginn von Gesprächen zwischen Großbritannien und den Sechs dazu beitragen wird, die Lösung der wirtschaftlichen und monetären Probleme in Großbritannien günstig zu beeinflussen.
Die französischen Bedenken und Einwände kamen uns nicht unerwartet, zumal nach dem Besuch des französischen Staatspräsidenten in Bonn im Juli dieses Jahres. Bei meinem Konsultationsgespräch mit dem französischen Außenminister in Paris Anfang voriger Woche ist dieser nicht über die Feststellung hinausgegangen, daß es ein prinzipielles französisches Nein nicht gebe. Unser Bestreben geht selbstverständlich dahin, die französischen Bedenken zerstreuen zu helfen und dabei auch Verständnis für unsere eigenen Interessen und Vorschläge zu finden.
({2})
Eine Voraussage über den Beginn der eigentlichen Beitrittsverhandlungen im Zuge des Verfahrens, das in Gang gekommen ist, kann im Augenblick nicht gemacht werden. Wir hoffen sehr, eine EWG-Krise vermeiden helfen zu können und im Geiste der Solidarität zu einem positiven Ergebnis zu gelangen, wie es die öffentliche Meinung nicht nur in unserem Lande, sondern wie es nach unserem Eindruck auch die öffentliche Meinung in Europa erwartet.
({3})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Besuch in England fand zufällig in einem Augenblick statt, in dem die erste Runde der Beratungen der Sechs über den Beitritt Großbritanniens zu den Europäischen Gemeinschaften stattfand. Da diese Verhandlungen natürlich stark in meine Gespräche mit der englischen Regierung hineinwirkten, habe ich den Herrn Außenminister gebeten, vor mir über das Ergebnis der Beratungen in Luxemburg dem Hohen Hause vorzutragen.
Meine Gespräche mit Premierminister Wilson und den Mitgliedern der englischen Regierung waren freundschaftlich, offen, gründlich und, wie ich denke, nützlich. Wir haben eine Reihe von Themen berührt, wie das heute in einer Welt, in der alles mit allem zusammenhängt, nicht anders sein kann. Wir haben Übereinstimmung erzielt in einer Reihe von wichtigen Fragenkomplexen, etwa der Frage unseres Verhältnisses zur künftigen Entwicklung des nordatlantischen Bündnisses, in der Frage der Entspannungspolitik, der Frage unserer und der englischen Haltung gegenüber den osteuropäischen Staaten. Wir haben auch über das Nichtverbreitungsabkommen ,gesprochen und beschlossen, daß unsere Sachverständigen in dieser Frage in enger Arbeitsverbindung bleiben sollen.
Der Hauptgegenstand unserer Unterhaltung -das konnte nicht anders sein - war das Beitrittsbegehren Großbritanniens zu ,den Europäischen Gemeinschaften. Der Ministerpräsident und die anderen Mitglieder 'der Regierung, mit denen ich gesprochen habe, haben noch einmal ausführlich ihre Auffassung dargelegt. Sie sagten mir, daß ihr Land nun einen endgültigen Entschlußgefaßt habe, den man beinahe als revolutionär bezeichnen könne. England wolle nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen ,den Europäischen Gemeinschaften 'beitreten. Die politischen Gründe überwögen sogar. Sie seien bereit, die gesamte, volle Wirklichkeit, die sich aus den Römischen Verträgen entwickelt habe, zu akzeptieren und in der Zukunft in vollem Umfang mitzuarbeiten.
({0})
Sie haben in fast beschwörender Weise gesagt, Europa solle diese große Gelegenheit der endgültigen Hinwendung Englands zur europäischen Entwicklung nicht versäumen.
Ich habe meine britischen Gesprächspartner nicht darüber im Zweifel gelassen, daß wir -- und dies konnte ich nach 'der letzten Aussprache in diesem Hohen Hause mit besonderem Nachdruck tun - den Beitritt Großbritanniens zu den Europäischen Gemeinschaften auch im Blick auf eine kommende, so sehr zu wünschende politische Union erstrebten und wollten.
({1})
Ich habe ihnen dann darzulegen versucht, daß unsere bisherige Haltung in dieser Frage keineswegs auf mangelnde innere Beteiligung oder auf ein ängstliches Zögern, etwa im. Hinblick auf das deutschfranzösische Verhältnis, zurückzuführen sei. Ich habe ihnen deutlich zu machen versucht, daß nach unserer Meinung die Methode benützt werden müßte, die am aussichtsreichsten, am geeignetsten erscheine, um das zu gewinnen, was eben gewonnen werden muß, nämlich die Einstimmigkeit unter den Sechs, die Zustimmung auch Frankreichs.
Ich glaube, oder vielmehr: ich habe den festen Eindruck gewonnen, daß meine Gesprächspartner für diese unsere Haltung Verständnis haben und daß sie uns bei dieser Haltung volles Vertrauen schenken. Ich habe auch versucht, soweit wie möglich in der britischen Öffentlichkeit Verständnis für unsere Haltung zu finden ,durch Benutzung des Fernsehens und durch eine Reihe von Vorträgen und Pressebesprechungen in London. Ich habe Iden Eindruck erhalten, daß nach diesem Besuch auch in der britischen Öffentlichkeit - das Presseecho zeigt es - viel mehr Kenntnis von unseren Absichten und mehr Verständnis dafür gewonnen worden ist.
Ich hatte meinen Gesprächspartnern angekündigt, daß ich bei Verlassen Englands eine Erklärung abgeben würde, die noch einmal unsere Haltung klar kennzeichnete. Sie ist inzwischen von der englischen Regierung begrüßt worden. Die Erklärung hatte folgenden Wortlaut:
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Großbritannien Mitglied der Europäischen Gemeinschaften werden soll. Sie wird die Bedenken, die innerhalb der Gemeinschaft der Sechs gegen eine Beteiligung Großbritanniens erhoben worden sind, sorgfältig prüfen. Sie wird sich bei den eingeleiteten Beratungen unter den Sechs bemühen, die entstandenen Schwierigkeiten überwinden zu helfen, und sie hofft, daß diese Beratungen bald zur Eröffnung von Verhandlungen mit Großbritannien führen werden.
Bei unseren Gesprächen haben meine Gesprächspartner volles Verständnis für unsere Haltung gezeigt, in der Frage der Prozedur so vorzugehen, daß alle Partner sich damit zufrieden erklären können, also damit, daß zunächst eine Phase der Besprechungen unter den Sechs durchgeführt wird. Selbstverständlich wurden bei diesen Gesprächen Sorgen darüber laut, diese Beratungsphase dürfe nicht ins Unendliche hinausgezogen werden. Man müsse mit einem vernünftigen Zeitabschnitt rechnen können, nach dem dann ernsthaft die Frage der Aufnahme der Verhandlungen mit Großbritannien in Angriff genommen würde. Ich habe ihnen gesagt, daß ich für diesen Wunsch volles Verständnis habe.
Meine Damen und Herren, ich will nicht verbergen, daß mir die Situation Sorge macht. Aber ich will auch nicht gewisse Dramatisierungen mitmachen, die da und dort geschehen sind. Die Lage ist ohne Zweifel verwickelt und schwierig. Wir können im Augenblick nichts anderes tun, als in dem Gesprächsabschnitt unter den Sechs, der jetzt läuft, mit allem Nachdruck, mit aller Klugheit unseren Gesichtspunkt zur Geltung zu bringen. Dabei muß es uns gleichermaßen darauf ankommen, nicht in unbedachter Weise eine Krise der Gemeinschaften herbeizuführen, und ebenso müssen wir dabei darauf achten, unsere Beziehungen sowohl zu unseren französischen als auch zu unseren englischen Freunden und zu den anderen Ländern, die begehren, Mitglieder der Europäischen Gemeinschaften zu werden, nicht bedenklich zu stören.
({2})
Das Haus hat die beiden Berichte des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesaußenministers zur Kenntnis genommen. Wir treten in eine Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete von Kühlmann-Stumm.
von Kühimann-Stumm ({0}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Mitglieder der Fraktion der Freien Demokratischen Partei begrüßen es dankbar, daß die Bundesregierung unmittelbar nach ihren Verhandlungen in London und in Luxemburg das Hohe Haus über das Ergebnis dieser Verhandlungen orientiert. Wir wollen aber nicht verhehlen, daß wir mit den Ergebnissen dieser Verhandlungen keineswegs zufrieden sind und bedauern, daß die Bundesregierung
({1})
nicht durch eine klare Haltung nach beiden Seiten zumindest erreicht hat, daß sich in absehbarer Zeit ein besseres Ergebnis im Interesse der Einigung Europas zum mindesten anbahnt.
Der Herr Bundesaußenminister hat in seiner Erklärung auf die Erklärung der Bundesregierung vom 13. Dezember 1966 hingewiesen. Hier wird ausgeführt:
Die Gemeinschaft der Sechs soll allen europäischen Staaten offenstehen, die sich zu ihren Zielen bekennen. Besonders würden wir eine Teilnahme Großbritanniens und anderer EFTA-Staaten begrüßen.
Ich glaube, es braucht nicht darauf hingewiesen zu werden, daß die Sechser-Gemeinschaft eine Verletzung der Römischen Verträge begehen würde, wenn sie sich nicht bereit erklärte, dem Antrag anderer Länder, in diese Gemeinschaft aufgenommen zu werden, stattzugeben.
Nach seinem Besuch in Paris erklärte der Herr Bundeskanzler am 18. Januar dieses Jahres in diesem Hause:
Aber wir wurden uns einig,
- nämlich die französische Staatsregierung und die Bundesregierung daß auf keinem Gebiet derart fundamentale Gegensätze unserer Interessen und Auffassungen bestehen, daß sie die Zusammenarbeit unserer Länder nach dem Geist und dem Gehalt des deutsch-französischen Vertrags verhindern könnten. Dies gilt auch für die deutschen Beziehungen zu Großbritannien und zu den Vereinigten Staaten. Ich habe dem Präsidenten erläutert, daß eine Erweiterung des Gemeinsamen Marktes durch den Eintritt Großbritanniens und anderer Staaten den Wünschen und wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik entsprechen würde.
Schränkte schon der Herr Bundeskanzler seinen Satz aus der Regierungserklärung nach seinem Paris-Besuch erheblich ein, so ging der Herr Bundesaußenminister am 13. Oktober 1967 noch einen Schritt weiter, als er zunächst vor diesem Hohen Hause erklärte:
Die in dem Dokument der Kommission der europäischen Gemeinschaften analysierten Probleme, darunter so schwierige Probleme wie die Agrarfrage und die Währungsfrage, sollten unserer Meinung nach im Gespräch mit Großbritannien und den übrigen beitrittswilligen Ländern geklärt werden.
Er hob dann diese Aussage praktisch sofort wieder auf, indem er von derselben Stelle aus betonte:
Die Antragsteller werden verstehen, daß die
Sorge um die Erhaltung des Geschaffenen legitim ist und eine ernsthafte Prüfung verdient.
von Kühlmann-Stumm
Wir haben die Argumente der französischen Regierung nicht auf die leichte Schulter genommen, sondern halten unsere guten Dienste bereit, um zu einem Ausgleich der noch stark divergierenden Auffassungen beizutragen.
({2})
Wer aus den Erklärungen der Bundesregierung trotzdem immer noch herauslesen will, daß sie zu ihrer klaren Aussage in der Regierungserklärung steht, beurteilt diese Frage nach unserer Auffassung zu optimistisch.
Die Politik der Bundesregierung läßt sich doch nur wie folgt charakterisieren: Den Engländern eröffnet man, daß man ihren Beitritt sehnlich herbeiwünsche, auf der anderen Seite betont man das Verständnis dafür, daß Frankreich gegenteiliger Meinung ist.
Bei dem Besuch in England erklärte der Bundeskanzler am ersten Tage, daß er ermutigende Ergebnisse aus Luxemburg erwarte. Am nächsten Tag wurde ausgeführt, daß man enttäuscht sei über die harte Haltung des französischen Außenministers. Es ist wirklich an der Zeit, diese verschwommene Politik aufzugeben, wenn wir unsere außenpolitische Glaubwürdigkeit nicht verlieren wollen,
({3})
und Frankreich mit allem Nachdruck deutlich zu machen, daß wir kein Verständnis für seine Verzögerungspolitik aufzubringen in der Lage sind.
Die FDP hat niemals einen Zweifel daran gelassen, daß sie das ganze Europa meint, wenn sie von Europa spricht.
({4})
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist für die Freie Demokratische Partei nur das Kernstück eines größeren Europas.
({5})
Aus diesem Grunde haben wir seinerzeit bei der Verabschiedung der Römischen Verträge hier in diesem Hause sehr klare Ausführungen gemacht.
({6})
Sieht man das ganze, durch den weltweiten Konflikt geteilte Europa, sieht man darin den freien Teil, der geteilt ist in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Freihandelszone, so erkennt man, daß es das dringlichste Ziel der deutschen Europa-Politik sein muß, wenigstens dieses europäische Kernstück zusammenzuführen.
Ich darf nur am Rande darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik Deutschland auch wirtschaftspolitisch ein großes Interesse an dieser Zusammenführung haben muß, weil sie nämlich ein handelspolitisches Defizit gegenüber den Ländern der EWG und einen erheblichen handelspolitischen Überschuß gegenüber den Ländern der EFTA aufzuweisen hat.
({7})
Mit England, mit den skandinavischen Ländern und
der EWG kann erreicht werden, daß Europa in der
Welt politisch die Rolle spielen kann und spielen wird, die dem Europa in seiner jetzigen Konstruktion noch versagt ist. Denn ein Europa, das nicht seine volle wirtschaftliche Stärke in die Waagschale der Weltpolitik werfen kann, wird nie den politischen Einfluß erreichen, den es nach seiner Geschichte und Bedeutung innerhalb des westlichen Bündnisses und zur Einwirkung auf eine dauernde Entspannung zwischen Ost und West ausüben könnte und ausüben sollte. Wenn der Westen Europas vereinigt ist, besteht kein Zweifel, daß durch die Macht der Ereignisse die Beziehungen zwischen dem östlichen Teil und dem westlichen Teil Europas zunehmend besser werden und damit auch jene zwischen den beiden Teilen Deutschlands.
({8})
Daher ist es gerade für uns Deutsche wichtig, dieses Ziel anzustreben. Denn wie anders sollten wir uns die Möglichkeit der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands vorstellen? Doch nur in einer europäischen Lösung, in der sich der Ost-West-Gegensatz langsam abbaut. Europa hat nur dann eine Zukunft, wenn es ihm in dieser veränderten Struktur der Welt gelingt, seine Einigung zu vollziehen.
Nehmen wir einmal den Wunsch des Herrn Bundeskanzlers zur Kenntnis, der auch bei seinem England-Besuch wieder deutlich wurde, nämlich gegenwärtig nur sehr wenig zu unternehmen, was das Verhältnis zu General de Gaulle trüben könnte. Dann liegt doch die Marschroute für die Bundesregierung in der Frage des Beitritts Englands fest.
Im nachdrücklichen Gegensatz dazu steht die Fraktion der FDP auf dem Standpunkt, daß die Bundesregierung die Aufgabe hat, die Verzögerungstaktik der Franzosen im Rahmen des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages durch konstruktive Gegenargumente im Sinne der klaren Haltung aller Fraktionen dieses Hohen Hauses zu beeinflussen. Dazu wird - das hat mein Kollege Walter Scheel anläßlich der außenpolitischen Debatte vor diesem Hohen Hause ausgeführt - unter Umständen eine härtere Haltung gegen unseren Partner Frankreich notwendig sein. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß nur eine deutliche Sprache zum Erfolg führen wird, wobei wir auf die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers verweisen können, daß in fast allen Fragen die Meinungen zwischen Frankreich und Deutschland auseinandergehen. Um so mehr sollten wir darauf dringen, daß wir in dieser für uns entscheidenden Frage Frankreich von unserem meiner Ansicht nach richtigen Standpunkt überzeugen. Ich glaube, daß es auch gelingen wird; denn der französische Staatspräsident hat in seinem eigenen Land und bei der Gestaltung der Politik in seinem eigenen Land bewiesen, daß er sehr wohl in der Lage ist, auf harte Tatsachen flexibel zu reagieren. Ich erinnere an Algerien und andere Beispiele. Ich glaube, daß die Bundesregierung in dieser Frage eine gute Position hat und daß sie auch durchaus in der Lage ist, Frankreich durch Entgegenkommen auf der anderen Seite eine Brücke zu bauen.
({9})
von Kühlmann-Stumm
- Z. B. in der Frage der Rüstungspolitik. Ich glaube, daß wir in der Frage der Rüstungspolitik in Zukunft durchaus enger mit Frankreich zusammenarbeiten können, als wir es bisher getan haben. Ich glaube, daß es auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik Berührungspunkte gibt, bei denen wir Frankreich näherkommen können. Wir könnten Frankreich eine Brücke bauen. Der Herr Bundeskanzler hat in London ausgeführt, er glaubt, daß Frankreich, daß der französische Staatspräsident eher über eine Brücke gehen wird, als daß er durch reißendes Wasser schwimmt.
Man muß auch darauf hinweisen, daß wir guten Grund haben, die Beziehungen zu England so intensiv wie möglich zu gestalten; denn auch England, nicht nur Frankreich, verfügt über einen außerordentlich guten Draht zur Sowjetunion. Über das Verhältnis von England zu den Vereinigten Staaten brauche ich hier keine Ausführungen zu machen.
Es hat Persönlichkeiten gegeben, die darauf hingewiesen haben, daß man die Verwässerung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch Beitritt anderer Länder eliminieren könnte, indem man abwartet, bis die Vertragsfusionierung der drei Gemeinschaften vollzogen ist. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das nicht der richtige Weg ist und daß wie diese Vertragsfusionierung nicht abwarten sollten, sondern daß zumindest die Verhandlungen zwischen England und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft früher beginnen sollten, als diese Vertragsfusionierung vollzogen ist.
Die- Bundesregierung sollte den französischen Gesprächspartner veranlassen, England keine unzumutbaren Forderungen zu stellen
({10})
wie z. B. mit den Vorschlägen des französischen Finanzministers Debré, der ausführte, die Klugheit gebiete es, mit Großbritannien ein provisorisches Abkommen auszuhandeln, und zwar entweder in der Form eines Handelsvertrages oder eines Assoziierungsvertrages. Meine Damen und Herren, es ist doch ganz klar und durch die Erklärungen der britischen Regierung auch schon sehr früh deutlich gemacht worden, daß England diese Forderungen nicht akzeptieren wird und auch gar nicht akzeptieren kann; denn sinnvoll ist nur ein voller Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Man sollte auch von England keine Vorleistungen verlangen, ohne Gegenleistungen bezüglich der Eröffnung der Verhandlungen anzubieten. Die Verhandlungsaufnahme mit Großbritannien sollte nicht an Vorbedingungen hinsichtlich der britischen Währungs- und Wirtschaftspolitik geknüpft sein. England hat zumindest angedeutet, daß es bereit ist, in der Frage der europäischen Reservewährung den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entgegenzukommen, und ich glaube, daß man diesen Faden aufgreifen sollte, weil man in Weiterverfolgung dieser wichtigen Frage wohl auch eine Lösung der schwierigen Situation des Pfundes herbeiführen könnte.
Auch die guten Beziehungen Großbritanniens zu den Vereinigten Staaten können meiner Ansicht nach kein Hinderungsgrund sein, die Verhandlungen zwischen England und den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aufzunehmen. Auch die Frage des Commonwealth kann kein Hinderungsgrund sein. Ich darf Sie daran erinnern, daß Frankreich das gleiche Problem bei Eintritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sehr gut gelöst hat und seine Kolonien in Form der Assoziierung in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft einbrachte.
Ich erachte die Aussichten des Beitritts Großbritanniens heute für günstiger, als sie es im Jahre 1963 gewesen sind. Es besteht kein Zweifel an dem Willen der britischen Regierung, die existierende Realität des Gemeinsamen Marktes und nicht etwa nur den Text der Römischen Verträge zu akzeptieren.
({11})
- Die Einstimmigkeit können Sie mit Sicherheit eher erzielen, wenn Sie gegenüber Frankreich in unserem ureigensten Interesse eine konstruktive Haltung an den Tag legen.
({12})
Ich glaube, daß auch letzten Endes Frankreich im Hinblick auf ein geeintes westliches Europa ein größeres Interesse daran haben sollte, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu erweitern; denn nur dann können die europäischen Probleme auf die Dauer auch mit dem Osten gelöst werden.
({13})
Ich glaube, daß Frankreich sich mit dieser Politik auf die Dauer keinen guten Dienst erweist.
({14})
Auf der anderen Seite sollte die Bundesregierung den englischen Gesprächspartner in vollem Umfang über ihre Absichten orientieren, wobei wir wünschen, daß die Bundesregierung auch England gegenüber eine klare Haltung an den Tag legt.
Es ist bedauerlich, daß der englische Beauftragte in Europafragen, Lord Chalfont, von dem Labour-Parteitag seine Enttäuschung darüber kundtat, daß er bei seinem letzten Besuch in Bonn nicht in vollem Umfange über die Meinung der Bundesregierung in Fragen des Beitritts Großbritanniens zur EWG unterrichtet wurde. Ich glaube, wir sind es den Engländern schuldig, daß wir ihnen reinen Wein über unsere Absichten einschenken.
({15})
- Ich zitiere das, was der Minister vor dem Parteitag gesagt hat. Die FDP möchte nicht versäumen, darauf hinzuweisen, 'daß England, wenn es auf unüberwindliche Schwierigkeiten bei seiner Aufnahme in die EWG stößt, sich 'diesmal mit Sicherheit - damit können wir rechnen - endgültig den USA und der EFTA zuwenden wird. Was das für Europa bedeutet, kann mit einem Satz umschrieben
von Kühlmann-Stumm
werden: Ein Europa ohne Großbritannien wäre ein politischer Torso.
Der Herr Bundeskanzler hat festgestellt, daß sich eine große Ungeduld im englischen Volk breitmacht. - Sie sind zumindest so zitiert worden, Herr Bundeskanzler. - Er hat erklärt, daß die großen Schwierigkeiten in Großbritannien vielfach verkannt worden seien. Aber er hat auch in Großbritannien erklärt, ,daß die Vorberatungen der Sechs nicht auf unabsehbare Zeit von der Bundesregierung akzeptiert werden könnten. Das ist meiner Ansicht nach ein hoffnungsvolles Wort, und ich hoffe, daß sich aus diesen Vorberatungen sehr bald Beratungen mit Großbritannien ergeben werden.
Ich fasse zusammen: Die Bundestagsfraktion der FDP betrachtet mit Sorge die bevorstehenden Verhandlungen über den Eintritt Englands in den Gemeinsamen Markt, und zwar mit Sorge 'deshalb, weil wir lieber gestern als heute England im Kreise der Gemeinschaft begrüßen würden. Dieser Wunsch, die Gemeinschaft zu vergrößern, erstreckt sich natürlich nicht nur auf England, sondern auf alle Länder Europas, die bereit sind, Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu werden. Ein Hinausschieben ,des Eintritts anderer Länder wird deren künftigen Eintritt nicht erleichtern, sondern erschweren.
Wir würden es begrüßen, wenn sich die Bundesregierung unverändert zu dem Ziel bekennen würde, endlich die Spaltung des nichtkommunistischen Teils Europas zu überwinden. Sie, Herr Bundeskanzler, haben in früheren Reden mit Recht darauf hingewiesen, welche ernsthaften Probleme in ,der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entstehen können, wenn sich Frankreich dem englischen Beitritt widersetzen sollte. Wenn es neben der Osteuropapolitik einen Bereichgibt, in dem die deutsch französische Freundschaft nicht ,allein im deutsch-französischen Interesse, sondern im gesamteuropäischen Interesse genutzt werden muß, so ist es die Frage der Ausweitung der EWG. .
Wir bitten die 'Bundesregierung, mit allem Nachdruck und mit der notwendigen Härte in Paris um Verständnis zu werben für die Gründe, die uns veranlassen, einen Eintritt Englands und auch anderer europäischer Staaten in die EWG so früh als möglich herbeizuführen. Alle europäischen Fragen - nicht nur im Bereich der Wirtschaftspolitik - werden leichter zu läsen sein, wenn die wirtschaftliche Spaltung überwunden wird. Für uns gehört England zu Europa. Für uns ist Europa weder politisch noch wirtschaftspolitisch noch sicherheitspolitisch ohne England denkbar.
Die FDP-Fraktion würde es sehr begrüßen, wenn nach weiteren-Ratssitzungen für Dezember 1967 mit einem deutschen Kompromißvorschlag gerechnet werden könnte. Dieser Vorschlag sollte auf den Beginn von Sondierungsgesprächen zunächst zwischen der EWG-Kommission und Großbritannien hinauslaufen. Die Verhandlungen sollten im Dezember beginnen. Die Fraktion der FDP fordert die Bundesregierung auf, ,dieses Ziel mit Nachdruck zu verfolgen und alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um die Zusammenführung Europas baldmöglichst herbeizuführen.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Furler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir alle sind der Bundesregierung dankbar, daß sie nach ganz entscheidenden Besprechungen so rasch dem Bundestag Kenntnis von dem gibt, was in den vergangenen Tagen geschehen ist. Es ist aber auch gut, daß wir darüber sprechen, denn wir können sofort in eine Beurteilung dessen eintreten, was geschehen ist, was geschehen wird und was wir wünschen.
Ich habe soeben mit Entsetzen gehört, daß die FDP der Regierung vorwirft, sie treibe eine verschwommene Politik, und ihre Politik sei so weit, daß sie an Glaubwürdigkeit verliere. Meine Damen und Herren, was der Herr Außenminister und was der Herr Bundeskanzler hier zu unserer Politik in der europäischen Frage und zu der Frage der Erweiterung der Gemeinschaften, praktisch des Beitritts Großbritanniens, erklärt haben, ist voller Konsequenz. Der Herr Außenminister hat auf die Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 und auf alle Debatten hier verwiesen. Es ist ganz klar, daß die Regierung eine vom Bundestag immer einhellig unterstützte Politik weiterverfolgt, nämlich zu versuchen, den Beitritt Englands zu den Europäischen Gemeinschaften zu verwirklichen.
({0})
Das ist völlig deutlich geworden und geht auch aus der Haltung hervor, die der Herr Außenminister noch im einzelnen dargelegt hat: Die Regierung ist der Meinung, daß die Erweiterung den Charakter der Gemeinschaften nicht wesentlich verändere oder verändern müsse, und daß man auch Großbritannien keine schwierigeren Bedingungen auferlegen dürfe, als wir sie uns selbst - die Sechs - im Jahre 1957, als die Verträge unterschrieben wurden, auferlegt haben. Auch damals hatten wir Risiken und Unklarheiten. Wer hat die zehn Jahre vorausgesehen? Niemand hat das getan.
Nun geht es in erster Linie um Fragen der Taktik. Aber auch da hat der Herr Bundeskanzler eine einleuchtende Erklärung abgegeben. Das Verfahren nach Art. 237 des EWG-Vertrages ist im Gange. Es müssen noch Gespräche unter den Sechs geführt werden, damit man versuchen kann, gewisse Schwierigkeiten zu überwinden. Wir wollen aber bald zu Verhandlungen mit England kommen, und das ist natürlich etwas sehr Wichtiges. Selbstverständlich sehen wir ein, daß man nicht in Verhandlungen gehen kann, ohne gewisse Grundpositionen unter den Sechs abgeklärt zu haben. Aber diese Grundpositionen kann man auch während der Verhandlungen noch laufend gegenseitig abstimmen. Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre allerdings, wenn nicht so viel Einigkeit unter uns Sechs
erreicht werden könnte, daß man wenigstens zu Verhandlungen mit England kommt.
({1})
Auch die Kommission hat nach Prüfung aller Für und Wider erklärt: Wir wollen, daß Verhandlungen aufgenommen werden; denn nur diese Verhandlungen können ja die konkreten Details ergeben, die notwendig sind, um unsere und auch Frankreichs Forderungen für die EWG zu erfüllen.
({2})
Präsident Rey hat in Erläuterung des Kommissionsberichts in Straßburg noch einmal gesagt: Wir haben bewußt nicht geschrieben: Wir fordern „Gespräche", sondern wir haben bewußt geschrieben: Wir fordern „Verhandlungen", weil nur in diesen die Konzessionen erreicht werden können, die unbedingt notwendig sind.
Es geht bei der ganzen Auseinandersetzung um die Verhinderung einer wirtschaftspolitischen Spaltung, eines Auseinanderlebens dieses Europa, des freien Europa, des westlichen Europa. Wir haben die EWG nicht gegründet, um eine Spaltung herbeizuführen; im Gegenteil, wir haben sie gegründet, um den Anfang auf die Einheit hin zu machen. Es ist ja die große Leistung der EWG in diesen zehn Jahren, daß England, das ursprünglich nicht mitmachen wollte, schon zum zweiten Male von der Attraktivität dieser EWG erfaßt wird und heute. sehr deutlich sagt: Wir wollen auf der Grundlage der Römischen Verträge und all dessen, was entwickelt wurde, beitreten.
Für die Verhandlungen haben wir eine günstige Position. Das gilt selbstverständlich auch für Frankreich, das im Ministerrat mitverhandelt. Denn England will ja beitreten, und gewisse grundlegende Bedingungen muß England akzeptieren. Es geht natürlich nicht, daß es auf die Dauer eine andere Agrarpolitik treibt, als die EWG sie führt. Es geht auf die Dauer auch nicht, daß dort drüben verschiedenartige, grundsätzlich differierende wirtschaftspolitische Situationen da sind und daß eventuell das Pfund eine Entwicklung auf eine europäische Währung zu verhindert. Aber das läßt sich nicht von heute auf morgen regeln; dazu sind langwierige und schwierige Entwicklungen nötig. Ich darf sagen, daß wir bisher auch noch keine einheitliche europäische Währungspolitik in der EWG haben. Das alles kann man natürlich gemeinsam zustande bringen, wenn man einmal England dabei hat. Man kann aber nicht so verfahren, daß die Lösung so schwieriger Fragen als Voraussetzung vor dem Eintritt in die Verhandlungen verlangt wird. Ich glaube, da liegen Erklärungen vor, die in dieser Weise, wörtlich, nicht realisiert werden.
Die Erweiterung, meine Damen und Herren, liegt, das muß ich einmal deutlich betonen, sehr stark im deutschen Interesse. Diese Erweiterung macht den Gemeinsamen Markt größer an Menschen, an Produktion. Die Gemeinschaft wird die größte Handelsmacht der Welt. Es ist enorm, wie die Zahlen des inneren und äußeren Austausches steigen.
Ein weiteres. Was uns alle bedrückt, was Frankreich bedrückt, was uns bedrückt, ist diese ständige
Vergrößerung des Absatzes in der technologischen Entwicklung zwischen Europa einerseits und den Vereinigten Staaten von Amerika und Rußland andererseits. Diese Situation kann nur überwunden werden, wenn der Gemeinsame Markt stärker und wenn er größer wird.
Um jedes Mißverständnis auszuschalten - da sind wir mit Frankreich einig, auch mit der Regierung -: Wir wollen nicht eine Schwächung der EWG. Die EWG wird während der Verhandlungen weiterarbeiten, und sie wird auf der Basis der Römischen Verträge auch nach dem Beitritt aktiv und vorwärts drängend weiterarbeiten.
({3})
Meine Damen und Herren, es wäre sehr verfehlt, anzunehmen, daß Dänemark, Norwegen und Irland, die beitreten wollen, Schwierigkeiten in der EWG-Politik machen, die sie ja auch wollen. Ich glaube nicht einmal, daß England hier eine destruktive Haltung einnehmen wird. Denn England will ja die Kraft der EWG. Es ist außerordentlich interessant, daß der frühere dänische Minister Haekkerup im Europarat gesagt hat: Wir sind heute weiter als vor zehn Jahren; denn wir sind alle der Meinung - was früher nicht der Fall war -: eine Freihandelszone genügt nicht für die wirtschaftspolitische Einigung, es genügt nicht einmal eine Zollunion, nein, wir wollen die Struktur der Römischen Verträge, weil diese zukunftsweisend ist. Das ist das, was Kraft gegeben hat, das ist das, was vorwärts führt.
({4})
Infolgedessen werden wir natürlich dabei bleiben, daß die EWG nicht geschwächt wird, daß sie sich weiterentwickelt, hin auf ein übereinstimmendes Wirtschaftsgebiet, auf einen großen Gemeinsamen Markt und auf die Stärkung, die sich eben gerade aus der Funktion und der Geschichte der EWG ergibt.
Es genügt aber nicht, daß wir den Engländern klarmachen, daß wir sie unterstützen, und daß wir den Franzosen klarmachen, daß die Erweiterung auch für sie Vorteile bringt. Wir müssen vielmehr auch unsere Interessen sehr deutlich werden lassen. Wir haben als Deutsche zwei große Interessen. Einmal, daß wir mit der Erweiterung - und damit Kräftigung - der Europäischen Gemeinschaft um die anderen Staaten auch auf dem technologischen Gebiet weiterkommen. Vitale deutsche Interessen liegen aber auch darin, daß wir auf die Ausfuhr nach England und in die anderen EFTA-Staaten existentiell angewiesen sind. Im Jahre 1965 haben wir in die EFTA-Länder für 19 Milliarden DM exportiert, Frankreich nur für 6 Milliarden. Sie sehen daran, daß außerordentlich differenzierte Interessen bestehen. Aber daß Frankreich weniger exportierte als wir - nicht ganz ein Drittel -, besagt ja nicht, daß es gegen die Erweiterung sein müßte.
Nun liegt zweifellos der Schlüssel zu der ganzen Frage bei Frankreich, und ich glaube, wir können nur billigen, was die Regierung hier tut. Sie sagt: wir brauchen die Einstimmigkeit, also müssen wir Frankreich von der Richtigkeit unserer Politik überDr. Furler
zeugen. Und da möchte ich Sie, Herr von Kühlmann-Stumm, doch fragen: Was heißt „härter" mit Frankreich verhandeln? Wie wollen Sie - wie Sie wörtlich sagten - mit Härte zu einer Verständigung mit Frankreich kommen? Da muß ich völlig dem folgen, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat: So geht es nicht;
({5})
denn was für harte Möglichkeiten hätten wir überhaupt in der Hand? Ich glaube, wir müssen uns hier
schon mit Überzeugungskraft und Geduld wappnen.
Ich möchte aber die Regierung ermuntern, weiter aktiv tätig zu sein. Ich möchte sie vor allem darum bitten, gerade auch auf Grund unseres Freundschaftsvertrages in ständigem Kontakt mit Frankreich zu bleiben und Frankreich die deutschen Interessen klarzumachen, auch klarzumachen, daß bei uns alle politischen Kräfte diese Erweiterung wollen und daß es, Herr Bundeskanzler, wenn alles verunglückte, bei uns einen schweren Schock auch in unserer europäischen Haltung geben würde. Denn unser ganzes Volk ist darauf eingestellt, daß wir uns nicht abkapseln, sondern daß wir erweitern, daß wir auf ein größeres Europa hingehen.
({6})
Deshalb möchte ich der Meinung sein: Keine Härten, kein Druck, keine Ellbogenverhandlungen oder wie die schönen Worte alle heißen. Aber doch unseren Freunden in Paris, der französischen Regierung klarmachen, welche vitalen deutschen Interessen auf dem Spiele stehen und daß sie in der Tat größer sind als die französischen Interessen. Ich bin zwar der Überzeugung, daß auch Frankreich auf weite Sicht hinaus an der Vergrößerung vital gelegen sein muß; aber wir sind im gegenwärtigen Augenblick mindestens noch stärker als Frankreich daran interessiert. Ich würde es für richtig halten, wenn der Bundeskanzler mit seinem persönlichen Überzeugungsvermögen diese große Frage einmal im nächsten Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten zum Gegenstand einer eingehenden, durchaus offenen und freundschaftlichen Unterhaltung machen würde. Es ist auch so, daß sich unsere Interessen - das kann ich wohl sagen - fast nahtlos mit den europäischen Interessen decken. Wir stehen hier also in bester Gesellschaft, und ich glaube, daß wir, wenn wir Verhandlungen bekommen, wenn wir mit Geduld und Zähigkeit weiterarbeiten, auf längere Sicht gesehen trotz aller Schwierigkeiten doch noch Erfolg haben können.
Eines aber müssen wir wissen: Dazu, die Spaltung Europas zu verhindern, können in der Übergangszeit bis zum Beitritt schon Verhandlungen dienen. Schon Verhandlungen stehen der Gefahr, daß sich die Partner auseinanderleben, im Wege. Sie werden in Kontakt bleiben, sie werden versuchen, die Dinge nicht zum Bruch kommen zu lassen, nicht zu einem breiteren Aufreißen des Grabens, sondern zu einer Übereinstimmung zu kommen.
Ich persönlich bin davon überzeugt, daß sich diese größere wirtschaftspolitische Einheit in einem unmittelbaren, akuten Prozeß der Reife befindet. Man muß Geduld haben, es geht nicht von heute auf morgen, es kann längere Zeit dauern, bis die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende kommen. Aber ich bin überzeugt, daß sie, wie auch der Herr Außenminister gesagt hat, erfolgreich sein können, wenn es uns gelingt, hier innerhalb der Sechs eine Einigung zu erzielen. Ohne diese wirtschaftspolitische Einheit ist auch das politische Europa, ein Europa der gemeinsamen Außenpolitik, der gemeinsamen Verteidigungspolitik völlig illusionär. Wir müssen für die größere Gemeinschaft handeln, - auch im Blick auf die großen und letzten europäischen Ziele.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für die sozialdemokratische Fraktion an dieser Stelle der Debatte nicht mehr sehr viel zu sagen, zumal wir sehr weitgehend mit den Ausführungen einverstanden sind, die Herr Furler hier gemacht hat. Wir Sozialdemokraten befinden uns heute zum wiederholten Male in der eigenartigen Lage, daß wir aus Courtoisie, die wir gegenüber der Oppositionspartei aufbringen, indem wir sie bei kontroversen Gegenständen als erste reden lassen, immer als letzte reden. Das sind wir zwar aus 17 Jahren Oppositionszeit so gewohnt; das wollten wir aber eigentlich nicht verewigen. Wir müssen uns mal überlegen, ob das so bleiben soll.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist weder in Luxemburg noch in London etwas eingetreten oder passiert, was die Meinungsbildung dieses Parlaments, wie sie am 13. Oktober hier zum Ausdruck gebracht worden ist, irgendwie beeinflussen würde oder was die Voraussetzungen ändern würde, unter denen sich dieses Parlament erst vor kurzem hier zu denselben Themata geäußert hat. Der Bericht, den die beiden Herren hier für die Regierung gegeben haben, läßt erkennen, daß die Bundesregierung gerade in diesen Verhandlungen in Luxemburg wie auch in London in Übereinstimmung mit der Auffassung gehandelt hat, die die Mehrheit des Parlaments am 13. Oktober dargelegt hat. Er läßt auch erkennen, daß sie in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Ankündigung handeln, nämlich nicht spektakulär und aufgeregt, sondern vielmehr gleichmäßig und beharrlich dieser sehr schwierigen Problematik zu Leibe gehen zu wollen.
Der Bundeskanzler hat berichtet, daß ihm Herr Wilson noch einmal versichert habe, es gebe für England politische Motivationen und politische Gründe, der EWG beizutreten. Der Bundeskanzler und wir alle haben deutlich gemacht - bei anderer Gelegenheit und er jetzt sicherlich auch in London -, daß es auch für uns Deutsche politische Gründe gibt, diesen Beitritt zu wünschen, und nicht nur denjenigen Englands.
Vielleicht darf ich für meine Person hier einmal folgendes erzählen. Ich habe im Jahre 1957 - das ist jetzt zehn Jahre her - hier in diesem Hause an
Schmidt ({1})
der Ratifikation der Römischen Verträge nicht mitgewirkt, und zwar aus tiefer Enttäuschung über die von mir damals vorhergesehenen - vielleicht zu schwarz vorhergesehenen - Folgen der Nichtbeteiligung Englands von vornherein. Ich sage das nur, um darzustellen, wie viel manchen Sozialdemokraten aus politischer Motivation am Beitritt Englands und anderer zum Gemeinsamen Markt schon seit zehn Jahren gelegen war. Man hat jetzt vielleicht Gründe, anzunehmen, daß, wenn auch nicht sehr schnell, so doch bei beharrlicher Arbeit, es eben doch noch zu einer Lösung kommt, die viele von uns schon 1957 gewünscht hätten.
Nur kann es dabei, Herr von Kühlmann-Stumm, nicht darauf ankommen - Herr Professor Furler hat Sie schon zitiert; ich habe mir ebenfalls aufgeschrieben, was Sie gesagt haben -, das zu machen, was Sie genannt haben „hart in Paris um Verständnis werben".
({2})
Wosoll das hinführen? Ich will das nicht zu weit ausspinnen. Die Amerikaner nennen das, was Sie „harte Werbung" genannt haben, „hard sell". Vielleicht gibt es neuerdings in Ihrer Fraktion eine bestimmte Affinität zum „hard sell".
({3})
- Ich freue mich, daß Sie lachen, Herr Mende; es war auch nicht bös gemeint.
({4})
Aber jemand, der um Verständnis werben soll, wie Herr von Kühlmann-Stumm richtig sagt, kann das doch nicht mit Härte tun wollen und im gleichen Atemzug -
({5})
- Ja gut, das meint allerdings auch sowohl der Kanzler als der Außenminister. Bloß glaube ich nicht, daß die Regierungsbank - die beiden Mehrheitsfraktionen können das jedenfalls nicht - zustimmen kann, wenn der Vorsitzende der FDP-Fraktion hier im 'gleichen Atemzuge von „verschwommener Außenpolitik" spricht - wörtlich so -, 'die aufgegeben werden müsse, weil die „Glaubwürdigkeit Deutschlands gefährdet" sei. Schauen Sie, das erinnert mich an viele Debatten der letzten neun Monate, ,die wir gehört haben und in denen wir uns wirklich 'Mühe gegeben haben, institutionell und verfahrensmäßig 'den Herren von ,der äußersten Rechten - ({6})
- Ja, 'ich weiß, daß Herr Dorn gern links sitzen würde; aber er sitzt noch rechts.
({7})
- Ja, ich weiß, 'daß Sie sich rechts wohl fühlen, Herr Zoglmann; da habe ich auch keinen Zweifel.
({8})
Wir haben uns - verfahrensmäßig und parlamentstechnisch - viel Mühe gegeben, ,der Opposition allen Raum zu gewähren, den sie beanspruchen kann und nach unserer Meinung beanspruchen soll. Aber es geht doch nicht, daß Sie immer nur Vorwürfe erheben und sagen: „D a m i t muß Schluß sein und damit muß Schluß sein", ohne mit positiven Vorschlägen zu kommen.
({9})
Ich weiß, daß Opposition ein verdammtes Geschäft ist. Man ist abgeschnitten von dem Informationsfluß aus dem Ministerium. Man muß seine Gedanken selber denken; das ist schwierig.
({10})
Wir haben 17 Jahre darunter gelitten. Man sieht
uns noch heute an, wie wir darunter gelitten haben.
({11})
Aber schließlich haben wir es doch hingekriegt, zu allen Feldern der Politik, von der Sozialpolitik bis hin zur Sicherheitspolitik, unsere eigenen Gedanken zu entwickeln und hier vorzutragen.
({12})
- Ja, genau wie wir alle. Es ist nicht das Vorrecht der Opposition, klüger zu werden. Ich wünsche es allen Seiten dieses Hauses, daß wir noch viel klüger werden.
({13})
Aber man kann doch nicht dann, wenn man durch Zwischenrufe, Herr von Kühlmann-Stumm, gedrängt wird, zu sagen, was man eigentlich meint, mit der im Grunde im Konzept nicht vorgesehenen Bemerkung auszukommen trachten: „Ja, auf dem Felde der Verteidigung und der gemeinsamen Rüstung!" Das sind Dinge, über die ich zufällig Bescheid weiß. Das haben wir in der Opposition vor zwei, drei, vier Jahren, zu einer Zeit schon konkretisierter vorgetragen, als der Spielraum im deutschen Bundesverteidigungshaushalt dafür noch Möglichkeiten zu bieten schien; das sage ich mit vorsichtiger Freundlichkeit gegenüber der damals wie heute in der Regierung befindlichen Koalitionsfraktion. Aber wir haben immerhin einiges konkret gesagt.
Heute sind Sie in der Opposition, wickeln es wieder aus und meinen, das sei immer noch neu.
({14})
- Es könnte sein, daß es sogar noch brauchbar ist. Aber dann muß man ein bißchen mehr dazu sagen als einfach nur: Auf dem Felde der Verteidigung. So einfach ist das ja nicht; denn die strategischen Vorstellungen, die die Franzosen mit uns gemeinsam erörtern und abschließen wollen, sind nicht auf dem EWG-Gebiet, sondern auf einem anderen, nämlich auf dem NATO-Gebiet von außerordentlicher Schwierigkeit und haben möglicherweise sehr prekäre Komplikationen und Konsequenzen - übrigens auch psychologische -- im Gefolge.
Schmidt ({15})
Wenn wir hier als Parlament, die wir gegenüber einem Nachbarn wie Frankreich nicht so reden sollten,
({16})
trotzdem etwas freier reden können als ein Kanzler oder als ein Außenminister - das können wir gewiß -, dann hat das seinen Grund. Natürlich hat die Regierung das Recht, sich etwas distanzierter zu verhalten, als ein Parlamentsredner hier vielleicht anträgt. Wenn wir also etwas weitergehen könnten als die Regierung, dann erlauben sie mir nur für meine Person - ich weiß nicht, ob ich dabei meine Fraktion engagieren darf -, eines zu sagen. Mich besorgt eine Sache außerordentlich - das sage ich an die Adresse der Franzosen, die vielleicht auch auf der Tribüne sitzen. Daß Frankreich in mancher Beziehung, was die europäische Politik, die Ostpolitik, das Bündnis und die Militärstrategie angeht, im Laufe der letzten Jahre andere Vorstellungen entwickelt hat als viele andere innerhalb der EWG und der Allianz, das haben wir alle sich entwickeln sehen, zum Teil mit Betrübnis. Teilweise haben wir darin aber auch Ansatzpunkte vorteilhafter Art anerkannt. Wesentlich schien mir dabei in all den letzten Jahren, daß man das zugrunde liegende Konzept der französischen Politik zu erkennen meinte und voraussetzen zu können glaubte, wie sich auf den einzelnen Feldern auf Grund dieses Konzepts die französische Politik folgerichtig entwickeln würde. Ich möchte heute sagen: für mich ist im Augenblick die Vorhersehbarkeit, die Kalkulierbarkeit der französischen Politik auf manchen Gebieten gefährdet.
({17})
Das macht die Sache so schwierig. Daß wir alle in der EWG und in der NATO verschiedene Interessen haben, daß wir unseren verschiedenen Interessen nachgehen, ist wohl nur natürlich. Wenn der eine aber dem anderen klarmachen kann, was seine Interessen sind, kann der andere verstehen, wie sich der erste verhalten wird. Aber was mir Angst macht - das sage ich gern offen und an die französische Adresse - ist, daß man nicht mehr klar erkennen kann, wohin sich die französische Politik auf Grund ihres Konzepts in der NATO oder in der EWG bewegt.
Herr Präsident, erlauben Sie mir, zu sagen, daß ich eigentlich vorhatte, angesichts der opulenten Präsenz des Bundesrates vor 60 Minuten, eine Bemerkung an dessen Adresse zu machen. Hier waren Landesväter und Minister in großer Zahl. Ich wollte es begrüßen, daß sie an einer Debatte teilnehmen, in der sie kraft Grundgesetzes kompetenterweise nicht mitentscheiden können. Ich wollte die Aufforderung an die Vertreter des Bundesrates richten - der im Augenblick allerdings nur noch mit drei Räten verteten ist -, demnächst, wenn es Mitte November in diesem Hause eine Debatte über Wissenschaft und Hochschulen geben wird, wo kompetenterweise die Länder, die Landtage und die Landesregierungen zuständig sind, dann auch hier zu sein und mit uns gemeinsam zu debattieren.
({18})
Vielleicht darf ich damit schließen, Herr Präsident, daß ich die anwesenden drei Räte des Bundesrates bitte, sich als Briefträger hinsichtlich dieser Aufforderung zu betätigen.
Es sind nur zwei.
Es sind nur zwei; ich korrigiere mich. Ich bitte die beiden anwesenden Herren, sich als Briefträger auch hinsichtlich der übrigen neun Landesregierungen zu betätigen.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe gezögert, noch einmal das Wort zu ergreifen, insbesondere nach den beiden Beiträgen von Herrn Professor Furler und von dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion; denn ich hatte mir natürlich auch ähnliche Stichworte aus den Ausführungen von Herrn Kühlmann-Stumm notiert, wie die beiden Herren.
Wenn ich dennoch noch einmal das Wort nehme, dann aus folgenden Gründen. Herr Kühlmann-Stumm, ich nehme die Rolle der Opposition in diesem Hause ernst. Ich nehme sie auch und gerade dann ernst, wenn die Oppositionspartei für ein normales parlamentarisches Spiel zahlenmäßig zu klein ist. Aber gerade deswegen, weil ich auch durch die Einwände der Opposition - um ein Wort von Herrn Helmut Schmidt aufzunehmen - klüger zu werden trachte, möchte ich Sie doch bitten, sich in einer so wichtigen, für uns alle wichtigen Frage zu überlegen, was Sie hier in diesem Hause in einem solchen Falle sagen; denn das dringt weit, nicht nur in die deutsche Offentlichkeit, sondern auch in die Offentlichkeit der Welt hinaus.
Sie sprechen von einer „verschwommenen Politik". Ich kann das so interpretieren, daß Sie das einfach als einen oppositionellen Angriff unternehmen, weil halt die Opposition auch ein Wörtchen sagen muß, und man stimmt dann nicht gern der Regierung zu. Das würde ich bedauern in einer Frage von der Bedeutung, die jene hat, um die es sich heute handelt. - Ich kann zweitens annehmen, daß Sie ernsthaft glauben, diese Politik sei verschwommen. Dann kann ich mir das nur so erklären, daß es sich bei Ihnen ähnlich verhält wie bei einem Kurzsichtigen, der ohne Brille die Gegenstände, die er betrachtet, eben verschwommen sieht.
({0})
Sehen Sie, es gibt auch in Großbritannien Leute, nicht in der Regierung, sondern da und dort in einigen Zeitungen, die, was immer wir auch tun mögen, dieses Wort von der „verschwommenen Politik", von einer „lauwarmen Haltung" - „sitting on the fence", heißt das in Englisch, also: sich nicht recht entscheiden können - gebrauchen, obwohl sie nach
allen unseren Erklärungen wissen sollten, daß es eine sehr klare und sehr entschiedene Politik ist, die wir betreiben. Ich bin glücklich, sagen zu können, daß ich nach meinen Gesprächen in London den Eindruck hatte, daß ich meine englischen Gesprächspartner wirklich davon überzeugt hatte, daß wir eine klare Politik betreiben und daß es eine Politik ist, die Vertrauen verdient.
Nun lassen Sie mich aber doch noch ein paar Gedanken vortragen, weil es eine zu ernste Sache ist, um die es hier geht.
Sie sagten, ich hätte in meiner Regierungserklärung ausgeführt - 'diesmal wurde ich richtig zitiert im Gegensatz zum letztenmal von Herrn Scheel -, daß es zwischen Frankreich und uns keine so fundamentalen Gegensätze gebe, daß sie unsere Zusammenarbeit verhinderten. Schon jene Formulierung war bewußt so gewählt, weil ich darauf hinweisen wollte, daß es Gegensätze und sogar fundamentale Gegensätze in unseren Auffassungen gibt. Ich wollte dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit sagen: Obwohl es solche fundamentalen Gegensätze gibt, bin ich fest davon überzeugt, daß diese beiden Völker und Regierungen zusammenarbeiten müssen. Wollen wir denn so verfahren, daß uns über einer solchen Frage schließlich alles unter den Händen zerbröckelt?
({1})
Sie sagen, die Regierung verhalte sich so, weil sie das Verhältnis zu Frankreich nicht trüben lassen wolle. Ich stelle Ihnen die Gegenfrage: Wollen Sie das Verhältnis zu Frankreich trüben lassen?
({2})
Sie können natürlich einwenden: Gut, aber bei der Verfolgung eines politischen Ziels muß man genau abwägen. Wollen Sie nun um einer Verstimmung willen ein von Ihnen als notwendig erkanntes Ziel nicht mehr anvisieren? Dann würde ich Ihnen sagen: hier ist unsere Haltung vollkommen klar; übrigens auch in allen anderen fundamentalen Fragen. Wie oft habe ich Gelegenheit gehabt,darzulegen - wir haben es nach jedem Gespräch getan, beide Seiten haben es getan -, daß wir verschiedener, und zwar fundamental verschiedener Auffassung hinsichtlich unseres Verhältnisses zum nordatlantischen Bündnis sind - Frankreich hat es für richtig gehalten, sich aus dem integrierten Verteidigungsbündnis zu lösen, wir halten es für wichtig, nicht nur darin zu bleiben, isondern es zu stärken -, hinsichtlich unseres Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten von Amerika, hinsichtlich unseres Verhältnisses zum Beitritt Großbritanniens zu der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Und nun zu der Frage: Wie gewinnt man die Zustimmung Frankreichs? Nun, ich will das nicht philologisch zu Tode reiten. Ganz genau haben Sie gesagt: mit Härte um Verständnis werben. Das kommt mir so vor wie ein Liebhaber, der entschlossen ist, einen Heiratsantrag zu machen, und der sich zurechtrückt und sich vornimmt, „mit Härte um Verständnis zu bitten".
({3})
Meine Damen und Herren, wenn wir miteinander darüber sprechen, auf welchem Wege Wir am besten die französischen Zustimmung bekommen können, dann sind wir uns alle darüber klar, daß das eine sehr, sehr schwere Sache ist. Worum geht es denn? Hier geht es doch nicht nur um die Laune einer Regierung. Hier geht es doch nicht nur um rein egoistische Vorstellungen einer Regierung. Hier stehen sich zwei verschiedene Konzeptionen der europäischen Zukunft gegenüber. Das ist doch die wirkliche Lage.
Wenn das so ist, dann müssen wir bei unseren Bemühungen um Überzeugung entweder versuchen, den Partner davon zu überzeugen, daß unsere Konzeption, die Konzeption der anderen an der Gemeinschaft Beteiligten, doch die richtige ist. Ob uns das gelingen kann, ist eine große Frage. Wenn uns das nicht gelingt, dann müssen wir wenigstens versuchen, unseren Partner .davon zu überzeugen, daß auf die Dauer in einem solchen Konflikt bei einer so überwältigenden europäischen öffentlichen Meinung zugunsten des Beitritts Großbritanniens und anderer ein Widerstand gegen eine übermächtige geschichtliche Tendenz aussichtslos erscheint.
({4}) Das sind Möglichkeiten der Überzeugung.
Es ist richtig - Sie haben mich ganz richtig zitiert; ich habe das allerdings in einem kleinen Kreis gesagt und weiß nicht, wie es an die Offentlichkeit gedrungen ist -, als ich vom Brückenbau sprach, da sagte einer meiner britischen Gesprächspartner: Ja, alles recht und schön, Brücken bauen! Aber dann muß auch einer da sein, der bereit ist, über ,diese Brücken zu gehen. - Da hat er mir natürlich die Antwort leicht gemacht. Ich sagte ihm: Gut, aber wenn wir einen von einem Ufer zum anderen bringen wollen, dann ist es doch wahrscheinlicher, daß uns das gelingt, wenn wir eine Brücke bauen, als wenn wir ihm zumuten, durchs reißende kalte Wasser zu schwimmen. Das war die Situation, und 'das ist sie in der Tat.
Wir müssen diesen schwierigen Weg gehen, und ich werbe um Ihr Verständnis für diesen schwierigen Weg. Meine Herren, ich will in dieser Frage gar keinen billigen Streit. So, wie es uns vor kurzem gelungen ist, in den großen Fragen unserer Ost-und Deutschlandpolitik ein Einvernehmen herzustellen, so möchte ich es auch gerne heute haben. Ich möchte gerne dahin kommen, daß die Welt anerkennt, daß wir, d. h. diese Regierung und dieses Parlament, einen ganz klaren Weg gehen, daß wir in keiner der Hauptstädte mit verschiedenen Zungen sprechen. Deswegen kann ich bei dieser Aussprache nur noch einmal sagen: Lassen wir uns das Stichwort für unsere Politik in dieser Frage doch nicht von anderen jenseits unserer Grenzen geben,
({5})
sondern versuchen wir, nach außen so eindrucksvoll und so geschlossen wie möglich zu sein!
Herr Kollege Schmidt hat ein ganz ernstes Problem angesprochen. Ich möchte fast zur umgekehrten Formulierung gelangen, obwohl wir uns in der
Sache wahrscheinlich durchaus einig sind. Ich würde meinen, die französische Politik war und ist durchaus kalkulierbar. Das heißt, seit langem konnte man - und General de Gaulle hat dafür gesorgt, daß man nicht anders konnte - sagen, wohin diese französische Politik wollte. Wir haben in unseren Gesprächen darum gerungen, einen gemeinsamen Weg zu finden. Der Fehler, glaube ich, war der, daß viele von uns in den vergangenen Zeiten, in den vergangenen Jahren, möchte ich sagen - und das gilt nicht nur für uns, das gilt für viele in Europa -, diesen ganz entschiedenen französischen Willen, der aus einer ganz klaren und ebenso entschiedenen anderen europäischen Konzeption stammt, nicht ernst genug genommen haben.
Wenn ich das hier sage, tue ich es, weil ich voraussehe, daß wir einer Zeit sehr schwieriger Verhandlungen entgegengehen und daß es einfach nicht damit getan ist, daß man sagt: Man muß härter mit Paris verhandeln. Überlegen Sie einmal, was wir von der französischen Regierung, was wir von Präsident de Gaulle fordern! Durch diese Feststellung werfe ich die Flinte keineswegs ins Korn. Ich bin in der Tat der Meinung, daß gegen eine so überwiegende öffentliche Meinung in Europa auf die Dauer ein Widerstand sinnlos ist. Ich wiederhole, worauf es jetzt ankommt. Daß Großbritannien drängt und daß es das Recht hat, zu drängen, das ist außer Frage. Wir, die wir in der Gemeinschaft der Sechs stehen, die wir für den Weiterbestand der Gemeinschaft verantwortlich sind, wir müssen unsere Überzeugung, daß Großbritannien dabei sein soll, . vereinen mit der Überzeugung, daß die Gemeinschaft nicht zerbrechen darf. Das ist die Aufgabe.
({6})
Ich begrüße es, daß ich noch einmal die Gelegenheit habe, einer Legende entgegenzuwirken, die sich so leicht bildet und zu deren Bildung man nicht mithelfen sollte. Ich habe meinen englischen Freunden gesagt: Ich bin schon ganz früh, 1951, in England herumgereist, fast wie ein Wanderprediger, und habe dort den Beitritt Großbritanniens zu Europa, ja sogar die Führerschaft Großbritanniens in einem Europa gefordert, als die Engländer selbst noch ganz und gar nicht bereit waren, sich von einem solchen Gedanken überzeugen zu lassen. So seltsame Wege geht eben die Geschichte.
Unsere Politik ist also keineswegs verschwommen. Unsere Politik ist nicht unklar. Unsere Politik splittert sich nicht in verschiedene Haltungen zu verschiedenen Staaten und Regierungen auf. Sie ist klar. Sie ist verantwortlich. Sie ist behutsam, sie ist klug. Sie ist fest. Und so allein - davon bin ich tief überzeugt - werden wie schließlich auch zum Erfolge kommen.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Herr Bundeskanzler hier zum Schluß dieses Tagesordnungpunktes gesprochen hat, ist die Debatte nach der Geschäftsordnung neu eröffnet, und ich bitte um Verständnis, wenn ich von der geschäftsordnungsmäßigen Möglichkeit Gebrauch mache, auf die Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers noch etwas zu erwidern.
Herr Bundeskanzler, Sie haben sich über den Ausdruck „verschwommen" meines Freundes und Fraktionsvorsitzenden von Kühlmann-Stumm offensichtlich so erregt, - ({0})
- Ja, der Vorwurf der verschwommenen Politik ,hat Sie offensichtlich dazu veranlaßt, sich einmal hier zu äußern, und Sie haben mit zwei Sottisen versucht, unter dem Gelächter eines Teils des Hauses diese Formulierung des Kollegen von Kühlmann-Stumm ins Lächerliche zu ziehen. Sie sagten, man sehe entweder etwas verschwommen, weil man glaube, als Sprecher der Opposition eben eine Pflichtübung absolvieren zu müssen, etwas anderes sagen zu sollen als die Regierung, oder man sehe alles verschwommen, wenn man als Kurzsichtiger die Brille nicht aufsetze.
({1}) Sehr interessant und nett!
Herr Bundeskanzler, ich dachte in diesem Augenblick an das, was Reinhold Maier, Ihr Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, erklärte, als er vor einigen Wochen gefragt wurde, was er denn nun von dem Bundeskanzler und ehemaligen Ministerpräsidenten Kurt Georg Kiesinger halte. In der ihm eigenen schwäbischen Direktheit und Schläue sagte Reinhold Maier: Im Mündlichen gut!
({2})
Daran mußte ich soeben denken: Im Mündlichen gut.
Herr Bundeskanzler, ich mußte noch an etwas anderes denken. Im Jahre 1955 stand Max Becker hier und hielt eine Rede zur Saar-Frage, mit der er das Mißfallen des früheren Bundeskanzlers Adenauer erregte. Daraufhin hat Bundeskanzler Adenauer hier erklärt, die Rede des Kollegen Becker habe der deutschen Sache sehr geschadet; offensichtlich habe sich Max Becker auf diese Rede nicht genügend vorbereitet. Ebenfalls Gelächter im ganzen Hause! Der Bundeskanzler sagte dann, er müsse auf den Flugplatz, um Herrn Dulles zu empfangen; das sei eine ganz wichtige Sache; auf die Rede Beckers könne er nicht mehr eingehen. Sehen Sie, das war auch eine bestimmte Art, unseren damaligen Sprecher Max Becker dem Gelächter der Mehrheit des Hauses preiszugeben. Die Geschichte an der Saar hat Max Becker bestätigt, nicht Konrad Adenauer.
({3})
Nun, Herr Bundeskanzler, daß die Politik der neuen Bundesregierung in der Frage des Beitritts Großbritanniens verschwommen ist, ist in der englischen und amerikanischen Presse seit Monaten zu lesen. Die „verschwommene Haltung" der Bundesregierung in der Frage des Beitritts Großbritanniens ist also keine Erfindung der liberalen Oppo6544
sition dieses Hauses; dieses Urheberrecht wagen wir nicht für uns in Anspruch zu nehmen. Offensichtlich ist man in Kreisen Londons und auch Washingtons uranmal der Meinung, daß wir so den richtigen Weg bezüglich des Verhaltens gegenüber Paris noch nicht gefunden hätten. Es ist auch diesen Kreisen nicht entgangen, wie lange in einer großen Regierungsfraktion die Diskrepanz zwischen Atlantikern und Gaullisten die Außenpolitik bestimmt und hier zu einigen Schwierigkeiten in der früheren Regierung beigetragen hat. Entsprechende Interviews aus prominenten Kreisen der größeren Regierungsfraktion dieses Hauses können jederzeit nachgeliefert werden. So ganz neu sind gewisse Meinungsverschiedenheiten in der größeren Regierungsfraktion in der Frage des richtigen Verhaltens gegenüber Paris oder London oder Washington also nicht. Ich glaube nicht, daß alle diese Fragen in der Großen Koalition nun restlos gleichgeschaltet worden sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter Petersen!
Herr Dr. Mende, glauben Sie, daß es der Bundesregierung in diesen sehr schwierigen Zeiten, die vor uns liegen, unbedingt hilft, wenn Ihre Partei jetzt die Vorwürfe einer ganz bestimmten englischen Presse, die uns auch schon in der Vergangenheit Schwierigkeiten gemacht hat, wieder aufnimmt und unterstreicht und von diesem Platz aus in die Welt hinausredet?
({0})
Ich will Ihnen darauf eine konkrete Antwort geben. Sie können in der Weimarer Republik, insbesondere bei Walther Rathenau und dann bei Gustav Stresemann, nachlesen, wie geschickt diese Außenminister bei schwierigen Verhandlungen mit anderen die Opposition sich zunutze machten.
({0})
Mir scheint, dieser Regierung kann es nur nützen, wenn die Opposition sie zwingt, gegenüber der französischen Regierung die Ungeduld zum Ausdruck zu bringen, die bezüglich des Verhaltens Frankreichs in der deutschen Bevölkerung sichtbar wird.
({1})
Meine Damen und Herren, diese Opposition ist zahlenmäßig klein. Aber Helmut Schmidt, Sie haben es ja auch angedeutet: Die Unruhe und Ungeduld in 'unserer Bevölkerung ist weit größer als in der Opposition dieses Hauses, daß es Frankreich zum zweitenmal gelingen könnte, durch ein Nein die Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu verhindern. Darum geht es!
({2})
Es kann daher der Bundesregierung nur nützen, wenn der Bundeskanzler und der Außenminister gegenüber Paris von dieser Unruhe und Ungeduld Gebrauch machen, !die wir hier kräftiger zu artikulieren uns erlauben, als das die Regierungsfraktionen natürlich tun können.
({3})
Das, was mit Härte gemeint werden könnte, haben ja wohl idie Franzosen uns gegenüber in der Vergangenheit sehr geschickt bewiesen. Ich erinnere daran, daß Frankreich die „Politik des leeren Stuhls" erfunden hat. Der Herr Finanzminister und . der Herr Landwirtschaftsminister werden wissen, welche großen Zugeständnisse Frankreich insbesondere in der Agrarpolitik, in der Frage des Getreidepreises, durch seine Härte uns gegenüber erreicht hat.
({4})
Wer selbst die Politik der Härte mit Erfolg uns gegenüber angewandt hat, ja, wer sogar zur Politik des leeren Stuhls übergegangen ist, der darf nicht empfindlich reagieren, wenn wir seine erfolgreichen Methoden in 'diesem Fall unsererseits zur Anwendung bringen. Wir sollten uns hier von der holländischen Regierung und .dem Außenminister Luns nicht den Schneid abkaufen lassen.
({5})
Herr Kollege Schmidt, ich darf die Äußerung aufnehmen, die Sie bezüglich Ihrer Sorge über einen langfristigen Kurs der französischen Sicherheits- und Außenpolitik hier 'gemacht haben. Gerade wenn man gewisse Sorgen bezüglich der Kompaßzahl der französischen Außen- und Sicherheitspolitik haben muß - und die haben wir auch -, muß man erst recht die zuverlässige angelsächsische Außen- und Sicherheitspolitik mit in seine Überlegungen für eine langfristige eigene deutsche Außen- und Sicherheitspolitik einbeziehen. Das ist ein Argument mehr gegenüber Paris, bei aller Höflichkeit und Courtoisie, die ja sonst dem Herrn Bundeskanzler eigen ist, auch die Bestimmtheit unserer Vorstellungen zur Geltung zu bringen.
Die Freie Demokratische Partei ist hier in einer glücklicheren Lage als die frühere Opposition und jetzige Regierungspartei SPD und als die heutige und frühere Regierungsfraktion CDU/CSU. Wir haben nämlich als einzige Fraktion dieses Hauses 1956 dem Beitritt zur EWG nicht zugestimmt, und zwar aus Gründen, die die Sprecher damals hier geltend gemacht haben, nicht aus mangelnder europäischer Zuneigung, sondern weil wir damals schon den Ausschluß Großbritanniens und anderer Staaten als problematisch ansahen und die Sorge hatten, daß dadurch eine Teilung Europas in eine EWG und in eine Europäische Freihandelszone erfolgen würde.
Um so mehr müssen wir jetzt den Beitritt Großbritanniens und in seinem Gefolge auch den Beitritt oder die Assoziierung anderer Staaten zu einem Gegenstand besonderer Vorstöße der Opposition dieses Hauses machen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem sich doch so etwas wie eine Debatte entwickelt, aber nicht wirklich eine Debatte, möchte ich ein Wort zu dem sagen, was der Kollege Mende für die Opposition hier gesagt hat. Herr Kollege Mende, Sie waren heute merkwürdig erregt und deswegen haben Sie die sachliche, gelassene und souveräne Rede des Herrn Bundeskanzlers, glaube ich, falsch akzentuiert. Der Bundeskanzler war nicht erregt. Er hat zur Sache gut gesprochen, und ich glaube, er war noch sehr höflich hinsichtlich der Rede meines verehrten Kollegen Herrn von Kühlmann-Stumm.
({0})
Die besten Sätze dieser Rede, Herr von Kühlmann-Stumm, waren in der Tat die Zitate aus den Reden des Herrn Bundeskanzlers
({1})
und Ihr Bekenntnis zur EWG.
Sehen Sie, Herr Mende, wenn ich die besten Sätze Ihrer Rede suchen soll, so suche ich vergeblich. Das war überhaupt nichts, meine Damen und Herren.
({2})
Meine Damen und Herren, der Kollege Mende hat es für richtig gehalten, den früheren Kollegen Reinhold Maier zu zitieren. Herr Kollege Mende, Sie und Ihre Freunde wissen genau, daß es viele Zitate dieses verehrten deutschen Politikers gibt, und ich will jetzt nicht die zurückgeben, die Ihre eigenen Freunde betreffen.
({3})
Aber wenn hier gesagt worden ist, daß der Bundeskanzler Kiesinger nach dieser Erklärung „mündlich gut" habe, dann nehme ich an, daß Herr Maier „schriftlich sehr gut" meint.
({4})
Sonst müßte er nämlich das Gegenteil beweisen. Die Einlassung dieses Hauses morgen vor 14 Tagen, auf die sich die Bundesregierung stützen kann, war doch einstimmig. Was soll die ganze Aufregung, die Sie hier fabrizieren? Die Regierung ist auf dem Kurs, den wir hier vor 14 Tagen miteinander verabredet haben, der Ausdruck des gemeinsamen Antrags ist, der im Auswärtigen Ausschuß liegt. Was soll die künstliche Aufregung, die Sie hier hereinzuführen versuchen?
({5})
Ein wesentlicher Grund aber, Herr Mende, aus dem ich mich überhaupt gemeldet habe und aus dem diese Bundestagsfraktion der CDU/CSU, solange es sie in diesem Hause gibt, sich - durch wen immer - zu Wort melden wird, ist gegeben, wenn einer der Ihren versucht, die Ehre des verstorbenen Konrad Adenauer anzutasten.
({6})
Meine Damen und Herren, das lassen wir nicht zu.
Ich frage Sie, Herr Mende: Wo ist die Saar? Bei
Frankreich, nirgendwo oder bei Deutschland? Und ich frage Sie: Wer war der Kanzler in dieser Zeit? Unser Vorsitzender Konrad Adenauer, meine Damen und meine Herren!
({7})
Herr Kollege Mende, ich muß noch eine andere Sache eben aufgreifen. Ich möchte Sie und uns alle doch an die Situation erinnern, in der wir damals die Römischen Verträge annahmen. Die Argumentationen hin und her - Herr Kollege Schmidt hat dazu einen Beitrag geleistet - waren sehr nuanciert. Aber ich glaube, es hat doch keinen Zweck, sich jetzt erneut in dieser Vergangenheit zu bewegen, wo wir doch eine ganz andere Situation haben. Wer war denn damals nicht bereit, bei den Römischen Verträgen mitzumachen? Das ist Gott sei Dank anders, und deshalb sollte man die Dinge von damals mit denen von heute nicht verwechseln.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, zur Sache dieser Debatte auch aus unserer Sicht noch einmal ein Wort zu sagen. Herr Furler hat für uns vortrefflich Position bezogen. Wir erwarten in der Tat - und unterstützen die Politik der Bundesregierung, die darauf gerichtet ist -, daß so bald wie möglich konkrete Verhandlungen über die Beitrittsgesuche aufgenommen werden.
({8})
Jedermann soll zur Kenntnis nehmen, daß dies unser Wunsch ist, daß dies der Wunsch des ganzen Hauses ist, daß dies ein Wunsch ist, der ebenso in unserem vitalen Interesse liegt, wie er unserem Engagement für das vereinigte Europa entspricht. Wir erwarten, daß niemand vor der Türe „nein" sagt. Die Zustimmung Frankreichs - das ist gewiß - wird man weder durch Prügeln noch durch Zögern erreichen.
Meine Damen und Herren, was wir in dieser Sache wollen, ist klar. Wir wollen erstens die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als den Motor dieser Vereinigung weiterentwickeln. Wir wollen zweitens, daß die Beitrittsverhandlungen bald aufgenommen werden. Wir wollen drittens, daß dieses sich vereinigende Europa in eine partnerschaftliche Beziehung zu den USA tritt und daß es viertens offen ist nach Osten. Wir hoffen, daß niemand über alle möglichen großen philosophischen Perspektiven vergißt, was er heute hier tun könnte.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß einem Gesichtspunkt des Kollegen Schmidt zustimmen. Der Kollege Schmidt hat beklagt, daß die Opposition ihre Auffassungen nicht hinlänglich präzisiere und vorlege. Wir haben das auch in der Haushaltsdebatte, die wir ja unterbrochen haben, festgestellt. Es gibt dort keinen Antrag der freien demokratischen Fraktion.
({9})
Das Zweite: Der Herr Kollege Schmidt hat in einem Punkt, in dem ich nicht seiner Meinung bin - ich unterstütze die Meinung des Herrn Bundes6546
kanzlers - an Frankreichs Adresse gesprochen, und er hat dies für seine Person getan. Ich möchte gerne auch ein persönliches Wort hier an den Schluß stellen. Der französische Staatspräsident hat bedeutende Vorstellungen vom ganzen Europa entwickelt. Er hat große und bedeutende Reisen unternommen, nach Lateinamerika, in die Sowjetunion und in andere Bereiche. Meine Damen und Herren, ich glaube, es wäre gut, wenn ähnliches erfolgen könnte nach Bern und nach Wien, nach Stockholm und nach Helsinki, nach Oslo und nach Kopenhagen und nach London. Denn diese europäische Mission würde ein solcher Erfolg, daß dann eine erneute, dann europäische Intervention in Moskau und in Warschau sicher unter einer anderen, nämlich glücklicheren Perspektive stünde.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist von der Notwendigkeit einer deutlichen Sprache die Rede gewesen. Ich glaube, es kommt in erster Linie darauf an - wenn ich das sagen darf -, daß die deutschen Außenpolitik dieselbe Sprache spricht, in diesem Zusammenhang in London und in Paris, in Luxemburg und hier vor dem Deutschen Bundestag.
({0})
Weil dies so wichtig ist - nicht, um eine Polemik weiterzuführen -, greife ich noch einmal ein paar der Punkte auf, die hier in die Debatte hineingestellt worden sind.
Erstens. Herr von Kühlmann-Stumm hat darauf hingewiesen, ein Abweisen beitrittswilliger europäischer Staaten, die demokratische Staaten sind und deren ökonomisches Niveau in etwa dem der anderen entspricht - das sind die Kriterien des Vertrages -, stünde im Widerspruch zu den Römischen Verträgen. - Verehrter Herr von Kühlmann-Stumm, das ist nicht nur richtig, sondern das hat das hier sprechende Mitglied der Bundesregierung am Montagabend vor dem Ministerrat in Luxemburg gesagt, und zwar mit folgenden Worten:
Wir sind ja nicht etwa völlig frei, nach Belieben ja oder nein zu sagen. Wir müssen vielmehr davon ausgehen, daß der Vertrag die Erweiterung der Gemeinschaft wünscht.
Wir haben weiter gesagt, die Kommission weise in dem Bericht, auf den ich mich schon bezogen habe, auf die Risiken hin, die mit den beantragten Beitritten, namentlich dem Großbritanniens, verbunden seien, und jetzt heißt es in dem, was der Außenminister der Bundesrepublik dort gesagt hat:
Diese unbestreitbaren Risiken hat der RomVertrag in Kauf genommen, indem er den Beitritt weiterer europäischer Länder als wünschenswert bezeichnet. Niemals wird sich ein hohes politisches Ziel ohne Eingehen von Risiken erreichen lassen. Auch wir Sechs sind bei
Abschluß des Rom-Vertrages Risiken, ja beträchtliche Risiken eingegangen.
Und weiter:
Nicht nur die positive Antwort auf die vorliegenden Beitrittsanträge ist mit Risiken verbunden, auch eine negative Antwort schließt ein großes Risiko ein. Mißlänge die Überwindung des Grabens, der die zwei wirtschaftlichen Gruppen unseres Teil-Europas gegenwärtig voneinander trennt, mißlänge der Durchbruch zu einer größeren Gemeinschaft, so wäre Europa um eine große Hoffnung ärmer, und der Enttäuschung könnten Resignation und Stagnation folgen.
Soweit das, was in der Verhandlung mit den französischen und anderen Kollegen zu diesem Punkt gesagt worden ist.
({1})
Ein Zweites. Herr von Kühlmann-Stumm sagt: Man muß auch dem französischen Partner deutlich genug machen, wie wir das sehen, daß wir nicht nur bereit sind, auf seine Sorgen, Bedenken und Einwände einzugehen, sondern ihn dringend bitten, auch unsere Argumente ernst zu nehmen. Dazu haben wir am Dienstag früh vor dem Rat in Luxemburg gesagt:
Neue Mitglieder müssen ihre Wirtschaft an die Gegebenheiten der EWG anpassen und sich an die Arbeitsweise der Organe gewöhnen. Bis zum Beitritt der gegenwärtigen Antragsteller die EWG jedoch der Vollendung der Wirtschaftsunion erheblich näher gekommen sein.
Es heißt dann - dies war eine kollegiale, sachliche Auseinandersetzung mit den Kollegen des benachbarten und befreundeten Frankreich -:
Schließlich treten die anderen Staaten einer dynamischen Gemeinschaft nicht deshalb bei, um sie zu zerstören, sondern weil sie dort ihre Interessen am besten gewahrt sehen.
({2})
Sie werden also. auch den Willen haben, - so war unsere Vermutung die Gemeinschaft in ihrem eigenen Interesse fortzuentwickeln. Das Gleichgewicht der Rechte und Verpflichtungen der Mitglieder ist in Verhandlungen sicherzustellen.
Und weiter:
Ein durch EFTA-Staaten und Irland vergrößertes wirtschaftlich geeintes Europa würde auch gegenüber den USA mehr wirtschaftliches und politisches Gewicht besitzen als das Europa der Sechs; ein solches Europa könnte in der Welt ein neues Bezugssystem zu den USA und der sowjetischen Großmacht entwickeln und eine wichtige Rolle bei der Organisierung des Friedens spielen.
Dritter Punkt. Herr von Kühlmann-Stumm sagt: Wir müssen unseren Partnern, vor allem dem französischen Partner, klarmachen, daß das Verhältnis zwischen Großbritannien und den Vereinigten StaaBundesminister Brandt
ten oder die Stellung Großbritanniens im Commonwealth, das ja heute aus einer Gemeinschaft selbständiger souveräner Staaten besteht, keine Hinderungsgründe gegen die Mitgliedschaft Großbritanniens in einer erweiterten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind. Hierzu haben wir, Herr von Kühlmann-Stumm und verehrte Mitglieder der Fraktion der Freien Demokraten, gesagt:
Großbritannien und die drei anderen Antragsteller werden ihre Probleme mitbringen, wie auch wir Sechs - ein jeder von uns - unsere Probleme, darunter sehr spezielle, in diese Gemeinschaft eingebracht haben. Ich darf zum Beispiel daran erinnern, daß einige unserer Partner mit ihren afrikanischen Problemen in die Gemeinschaft eingetreten sind, Problemen, die für sie offensichtlich sehr wichtig waren, Problemen, die nicht einen kontinentalen, sondern einen vorzugsweise außereuropäischen Charakter tragen.
({3})
Und weiter:
Die britischen Bindungen zum Commonwealth, nämlich zu Staaten mit vollständiger Unabhängigkeit, sind ebensowenig ein Hindernis für eine Beteiligung Großbritanniens an einem geeinten Europa wie überseeische Bindungen anderer Mitgliedstaaten. Eine Selbstbeschränkung auf Kontinentaleuropa entspricht schon jetzt nicht mehr den Tatsachen. Die Zusammenarbeit mit anderen, außereuropäischen Mächten kann dem politischen Gewicht der EWG durchaus zuträglich sein.
Weiter:
Wir wissen um eine starke psychologische Affi, nität zwischen den USA und Großbritannien durch Sprache und Kultur. Im übrigen kann man meines Erachtens kaum von besonderen politischen Abmachungen zwischen beiden Ländern sprechen. Großbritannien hat als Verbündeter der USA und in seiner Eigenschaft als NATO-Mitglied enge Bindungen zu den USA auf dem Verteidigungssektor. Zwischen Großbritannien und den USA bestehende Abmachungen stellen nach unserer Ansicht keinen Hinderungsgrund dar für eine stärkere Bindung an Kontinentaleuropa. Großbritannien wird dadurch nicht gehindert, seine Verpflichtungen als EWG-Mitgliedstaat zu erfüllen. Bindungen Großbritanniens zum Commonwealth werden durch den Beitritt Großbritanniens zur EWG weiter gelockert. Aber es liegt kaum im europäischen -Interesse, daß sie verkümmern.
Ich bin ganz dankbar, daß ich hierdurch die Gelegenheit gehabt habe,
({4})
dies auch in das Protokoll des Deutschen Bundestages zu bekommen. Insofern sind Sie in offene Türen hineingegangen, Herr von Kühlmann-Stumm. Im übrigen ist der Bundesaußenminister und ist die
Regierung in ihrer Gesamtheit natürlich immer sehr hellhörig, wenn es sich um zusätzliche Argumente handeln würde, durch die wir unsere Interessen, sei es in Europa, sei es auch sonst in der Welt, gut wahrnehmen können.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Außenministers im Vergleich mit manchem Diskussionsbeitrag davor geben mir Veranlassung zu der Feststellung, daß sich in dieser Debatte beachtliche sachliche Klarstellungen die Waage halten mit dem Festbeißen an Formulierungen meines Fraktionsvorsitzenden, das bei dem Gewicht dieser Debatte besser unterblieben wäre. Herr Kollege Barzel hat sich heute, aus Erfahrung klug geworden, als Kanzlerverteidiger geübt,
({0})
früherer und des jetzigen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, .der Kollege Mende hatte in keiner Weise die Absicht, die Ehre des früheren Bundeskanzlers Adenauer anzutasten. Aber er hat die Gelegenheit wahrgenommen, bei einer historischen Betrachtung die damalige Situation aufzuzeigen. Wenn hier die Frage gestellt wird: „Wer war Kanzler, als die Saar zurückgeführt wurde?", so stelle ich die Frage: Wer hat damals als Bundeskanzler den Saarländern empfohlen, für das Europastatut zu stimmen, was auf die Dauer die Trennung der Saar von Deutschland bewirkt hätte?
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
({0}) Herr Illerhaus!
Herr Kollege Genscher, Sie sprechen jetzt davon, daß Herr Mende sich veranlaßt gefühlt hat, die Politik unseres Bundeskanzlers Adenauer 'anzugreifen. Herr von Kühlmann-Stumm hat von ,der „verschwommenen Politik" gesprochen, die hier von unserer Regierung gemacht worden sei. Darf ich die Frage an ,Sie richten, ob Sie es für eine klare Politik !der FDP halten, wenn auf der einen 'Seite die FDP sich geweigert hat, die Römischen Verträge zu unterschreiben, auf der anderen Seite dann, obwohl Herr Margulies zweimal in sechs Wochen eine große Rede gegen Europa gehalten hat, ihn sechs Wochen später in die EURATOM-Kommission entsendet.
Herr Kollege, ich könnte es mir leicht machen und sagen, daß der Kollege Margulies damals auf Grund einer Empfehlung der von uns
gemeinsam getragenen Bundesregierung in dieses Amt entsandt wurde.
({0})
Ich bin sicher, ,daß Sie dieses Problem schon mit Ihren Kabinettskollegen erörtert haben.
Nein, meine Damen und Herren, wenn wir über die Vergangenheit reden, muß das klar bleiben: Der Kollege Dr. Mende hatte eine sehr aktuelle Veranlassung, auf die damalige Haltung des früheren Bundeskanzlers Adenauer hinzuweisen. Denn bei der Aussprache über die erste Regierungserklärung der Regierung Kiesinger-Brandt ist hier ein jüngerer Kollege der CDU/CSU aufgetreten und hat der Freien Demokratischen Partei vorgeworfen, sie habe damals mitihrem Kampf gegen das Saarstatut das Modell einer europäischen Lösung verhindert. Unserer Aufforderung, die Fraktion der CDU/CSU möge sich davon distanzieren, sind Sie bis heute nicht nachgekommen. Dafür aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, können wir heute, bisher auch von der Fraktion unwidersprochen, Empfehlungen für ,die Regelung der deutschen Frage insgesamt hören, z. B. von Herrn Stücklen, der sich schon vorstellen kann, daß wir auf die Politik der Wiedervereinigung, die ja zu den erklärten Zielen dieser Regierung gehört, verzichten, wenn bestimmte europäische Modelle möglich sind. Hier ist Ihre Politik verschwommen, und Sie müßten dieses Problem auch einmal klarstellen.
Meine Damen und Herren, wenn Herr Kollege von Kühlmann-Stumm hier von einer Verschwommenheit gesprochen hat, so hat er dazu unter anderem sicher Anlaß gehabt auf Grund eines Berichts, einer Wertung .der Haltung ,der Bundesregierung in einer großen sozialdemokratischen Zeitung, die im Januar dieses Jahres veröffentlicht wurde, und zwar zu dem ,damaligen Besuch des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Außenministers in Paris. Dort heißt es - wenn ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren darf -:
Das Kabinett Kiesinger-Brandt hat gestern, wenn nicht alles täuscht, die Weihen des Elysee-Palastes empfangen. Ganz offenbar haben der neue Kanzler und sein Vize und Außenminister den richtigen französischen Akzent getroffen. Was ihnen diese Wallfahrt erleichterte, war wohl auch der Umstand, daß man den schwierigen Hausherrn des Elysee-Palastes mit dem bösen Schröder verschonte.
Das letzte ist ein innerparteiliches Problem bei Ihnen.
({1})
Von dieser Wertung bis zu den Klarstellungen, die wir heute aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Außenministers gehört haben, war es ein weiter Weg. Wenn die Opposition durch die Reden ihres Fraktionsvorsitzenden und ihres Parteivorsitzenden dazu mitgeholfen haben sollte, hier eine Präzisierung, eine Klarstellung des Standpunktes der Regierung zu erreichen, hat sie mindestens für diesen Tag ihre Aufgabe voll erfüllt.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete von Guttenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat hier heute zwei Diskussionsbeiträge aus dem Kreis der FDP gegeben, die mich veranlaßt haben, mich zum Wort zu melden. Ich hatte den Eindruck, daß es sich bei diesen beiden Diskussionsbeiträgen um den Versuch gehandelt hat, von einer, wenn ich es so sagen darf, ein wenig mittelmäßigen Leistung abzulenken, die der erste Redner der FDP hier an den Tag gelegt hat,
({0})
der im Grunde nicht sehr viel zu dem gesagt hat, was eigentlich heute auf der Tagesordnung steht, der Behauptungen brachte, aber keine Beweise dafür, der Angriffe brachte, aber keine Vorschläge und der sich in einer sehr wichtigen Sache der Terminologie anderer - von außerhalb unserer Grenzen - bediente und auf eine eigene Sprache verzichtete.
Was aber, meine Damen und Herren, bei diesen beiden letzten Diskussionsbeiträgen der FDP am wenigsten akzeptabel war, wie ich glaube, das war ein Ausflug in die Vergangenheit zu Lasten eines Toten, zu Lasten eines, wie dieses Haus einmal in seiner Gesamtheit festgestellt hat, großen Toten unseres Volkes, zu Lasten unseres ersten Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer. Hier haben diese beiden Redner Zuflucht zu einer Legende, Zuflucht zu einer Geschichtsklitterung genommen. Als die Saarfrage damals zur Diskussion stand, gab es doch eine bestimmte Ausgangsposition. Ich habe bei beiden Diskussionsbeiträgen den Eindruck gehabt, daß diese Ausgangsposition verschwiegen wurde. Die damalige Ausgangsposition war, daß die Saar wirtschaftlich voll und politisch beinahe ganz zu Frankreich gehörte.
Wenn wir heute feststellen, daß die Saar wieder ein Teil der Bundesrepublik ist, dann ist es ganz einfach richtig, zu sagen, daß der Weg von dieser Ausgangsposition zur jetzigen Situation nur dadurch möglich wurde, daß das Volk an der Saar abstimmen konnte.
({1})
Es ging damals darum, einen Weg zu finden, der unter den seinerzeitigen Voraussetzungen eine Abstimmung an der Saar möglich machte.
({2})
Dies war nicht anders als dadurch möglich, daß der damalige Bundeskanzler mit den Franzosen darüber einig wurde, ein Statut zur Abstimmung zu stellen, das die Dinge dann in Bewegung brachte.
({3})
Daß der damalige Bundeskanzler dann zu diesem Saarstatut stehen mußte, ist, meine ich, unter Staatsmännern, deren Wort für sich und andere etwas gelten soll, eine reine Selbstverständlichkeit.
Wer einigermaßen die Politik von damals heute noch im Auge hat, wird mir einfach recht geben
Freiherr von Guttenberg
müssen, daß es keinen anderen Weg gab als den, der beschritten wurde, um das Saarvolk selber entscheiden zu lassen.
Lassen Sie mich noch etwas zu einer anderen Erklärung sagen, die Herr Kollege Mende hier abgegeben hat. Wenn ich recht verstanden habe, hat Herr Kollege Mende sich und seine Partei heute als gerechtfertigt bezeichnet, weil seine Partei damals, als hier in diesem Hause die Verträge von Rom zur Diskussion standen, diesen Verträgen widersprochen hat. Sie haben gesagt, Sie hätten widersprochen, weil Sie schon damals Großbritannien und andere europäische Staaten als Mitglieder dieser Wirtschaftsgemeinschaft gewünscht hätten. Ich bezweifle das nicht; Sie haben das damals so gesagt. Aber wenn man heute die Frage stellt, wer durch die Entwicklung gerechtfertigt wurde, dann möchte ich hier die bescheidene Behauptung wagen, daß jene gerechtfertigt wurden, die damals gesagt haben, es gebe nur einen Weg, jene anderen europäischen Staaten, die seinerzeit noch nicht bereit waren beizutreten, zu diesem Beitritt zu veranlassen: nämlich voranzumachen unter den Sechs.
({4})
Eben dies ist geschehen, Herr Kollege Mende.
({5})
Meine Damen und Herren, zu diesem Punkt liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kehren nunmehr zu
Punkt 3 der Tagesordnung
zurück. Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Herrn Spitzmüller, die er heute morgen gehalten hat, hat mir gezeigt, daß - wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf - ihm die Oppositionsrolle außergewöhnlich gut bekommen ist. Es war eine sehr charmante und geschliffene Diskussionsrede. Aber, Herr Kollege Spitzmüller, die freundliche Eleganz Ihrer Ausführungen, die übrigens in einem krassen Gegensatz zu dem sehr gepflegten Zweckpessimismus stand, kann über eines nicht hinwegtäuschen, und hier gibt es in der Tat eine gewisse Anlehnung an das, was in der außenpolitischen Debatte sichtbar geworden ist: Sie haben zwar einige durchaus berechtigte Fragen gestellt, und Sie haben von dem Recht der Opposition Gebrauch gemacht, zu sagen, die Regierung habe keine Konzeption. Aber, Herr Kollege Spitzmüller, Sie selber haben weder vom Materiellen noch vom Sachlichen her ein Konzept entwikkelt.
Herr Kollege Spitzmüller, noch mehr: Sie beklagen streckenweise die Kürzungen, die vorgenommen worden sind, ohne zu erkennen zu geben, was Sie denn nun an Kürzungen in welchem Einzelhaushalt und zu welchem Einzelposten vorschlagen. Ich glaube, Sie müssen uns schon sagen, wo Sie mehr und wo Sie weniger kürzen wollen. Solange Sie das nicht tun, bleiben Ihre Ausführungen ein zwar sehr netter, aber theoretischer Diskussionsbeitrag ohne praktischen politischen Ansatzpunkt.
Sie haben bedauert, Herr Kollege Spitzmüller, daß die Diskussion um die Wiederherstellung der Staatsfinanzen - diese Diskussion ist ja in der Tat nahezu identisch mit einer ebenso lebhaften Auseinandersetzung über Leistungskraft und Tragfähigkeit unseres sozialen Sicherungssystems - unter dem Begriff der Staatsfinanzen und des Finanzänderungsgesetzes geführt wird. Ich gebe gern zu, Herr Kollege Spitzmüller: jeder der hier Anwesenden wäre natürlich glücklicher, wenn wir die sozialpolitischen Diskussionen allein im sozialpolitischen Feld führen könnten. Aber, ich glaube, es ist ein unberechtigter Vorwurf, wenn Sie sagen: „Hier ist ein Finanzänderungsgesetz. Macht doch gefälligst diese Finanzänderungen! Aber macht uns keine Änderungen im sozialpolitischen Feld!" Ganz im Gegenteil, ich bin - das darf ich für die Bundesregierung sagen - etwas glücklich darüber, daß es uns sehr wohl gelungen ist, auch sozialpolitisch-strukturell weitreichende Probleme trotz erheblicher finanzieller Einbußen hier anzupacken.
Das einzige, was Sie vorwerfen könnten, wäre, daß man sagt - das liest man ja in der einen oder anderen Zeitung -: Der Zeitdruck ist zu stark, unter dem diese wichtigen Entscheidungen getroffen werden müssen. Wir haben heute den ganzen Vormittag diskutiert. Wir haben jetzt den ganzen Tag Zeit. Ich bin sehr wohl der Meinung, daß wir die Sachfragen, die dahinterstehen, ausdiskutieren sollten.
Ich möchte deshalb diese Debatte zum Anlaß nehmen, die finanz- und sozialpolitischen Auswirkungen etwas im Zusammenhang darzustellen, und dabei versuchen, auf die Einzelprobleme, die Herr Kollege Spitzmüller angesprochen hat, einzugehen. Dabei werde ich hier selbstverständlich nicht jede Einzelheit darstellen können. Manches muß den Ausschußberatungen vorbehalten bleiben.
Mit Recht wurde hier bemängelt, daß die Sprache der Sozialpolitiker teilweise etwas schwierig ist. Aber das gilt nicht nur für die Sozialpolitiker. Im finanzpolitischen Bereich ist es durchaus ähnlich, und in anderen Bereichen kennen sich auch nur noch Experten aus. Man sollte also nicht immer nur uns den Vorwurf machen, daß wir eine besonders komplizierte Sprachregelung hätten.
({0})
Mir geht es darum, zu zeigen - Herr Kollege Spitzmüller, die sachlichen Ausführungen, die Sie gemacht haben, geben mir eine gewisse Hoffnung, daß das gelingt -, daß wir im Gegensatz zur Kritik der Opposition innerhalb und außerhalb dieses Hohen Hauses den Versuch gemacht haben, die unumgänglich notwendigen Kürzungen mit einer Reihe
weit in die Zukunft reichender Maßnahmen zu verbinden, die sich - das scheint mir der entscheidende Punkt zu sein - nahtlos in die wirtschafts- und die finanzpolitischen Überlegungen einfügen.
Lassen Sie mich deshalb am Anfang dies sagen: Ich las heute in den Zeitungen Überschriften wie „FDP für den kleinen Mann" und ähnliche Zeitungsnotizen. Ich könnte mich darüber, wenn Sie auf diesen Weg kämen, sehr freuen. Aber eines lassen Sie mich doch noch sagen: die Bundesregierung hat sich redlich bemüht, den Belastungen, die zur mittelfristigen Sicherung des Haushalts unumgänglich waren, so gerecht wie möglich zu verteilen. Ich sage: wir haben uns redlich bemüht. Ob es uns in jedem Einzelfalle gelungen ist, das mag die Diskussion erweisen. Aber dieses Bemühen der Bundesregierung sollten Sie anerkennen.
Dabei hatte die Bundesregierung dieselbe Aufgabe, vor der jetzt das Parlament steht, nämlich drei Aufgaben gleichzeitig zu lösen: 1. die Sanierung des Haushalts, 2. die Stabilisierung des sozialen Sicherungssystems und 3. die Stärkung des Wirtschaftswachstums. Die Sanierung der Bundesfinanzen war eine unabdingbare Voraussetzung dafür, Stabilität und Wirtschaftswachstum zu sichern.
Schon zum Ausgleich der Haushalte 1966 und 1967 - also zu einer Zeit, als die FDP noch mit in der Regierungsverantwortung stand - mußten für diese übergeordnete Zielsetzung, wie Sie sehr wohl wissen, erhebliche Opfer gebracht werden. Das Ganze fing ja mit dem Haushaltssicherungsgesetz 1965 an. Sie kennen die gemeinsamen schwierigen Überlegungen, die wir damals haben anstellen müssen.
Der Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung hatte und hat an diesen Kürzungen einen beachtlichen Anteil. Ich möchte das hier noch einmal nachdrücklich nennen. Denn angesichts dieses hohen Anteils scheint mir die etwas pauschale Kritik an sozialpolitischen Maßnahmen sehr merkwürdig zu sein. Die Diskussion ist ohnehin sehr kontrovers. Auf der einen Seite sagt man, wir hätten im sozialpolitischen Haushalt noch viel zu wenig gespart, und auf der anderen Seite nennt man das, was wir getan haben, einen zu tiefen Eingriff in das System unserer sozialen Sicherung.
Der Sozialhaushalt weist im Rahmen der Bundeshaushalte 1966 und 1967 einschließlich der Schuldbuchforderungen Einsparungen in Höhe von 3,7 Milliarden DM auf. In der neuen Phase der vierjährigen Finanzplanung von 1968 bis 1971 betragen die Ein- sparungen im Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung in diesen vier Jahren insgesamt 9,9 Milliarden DM. Das ist rund ein Drittel der Gesamtkürzungen in diesem Zeitraum. Dahinter stehen erhebliche Opfer, die wir nicht etwa den Versicherungseinrichtungen zumuten, sondern den vielen Millionen Menschen, die auf wirtschaftliche Stabilität und soziale Sicherung vertrauen.
Deshalb halte ich es einfach für unerhört, daß man zu behaupten wagt, diese Koalition habe nicht den Mut zu noch größeren und stärkeren Einsparungen gehabt. Diese Zahlen beweisen genau das Gegenteil. Sie wissen aus der Verantwortung, die wir ja eine Zeitlang gemeinsam getragen haben, sehr wohl, was das bedeutet. Daran müssen wir denken, wenn wir uns um sinnvolle, systematische und das Vertrauen für die Zukunft erhaltende Lösungen bemühen.
Ich habe diese Zahlen genannt, damit sichtbar wird - ich wiederhole das , wie haltlos der Vorwurf ist, die Bundesregierung habe sich mit punktuellen Maßnahmen begnügt, sie habe keinen Mut - so liest man - zu einschneidenden Änderungen. Nun, ich Weiß nicht, welcher Mut dazu gehört, ausschließlich oder ausdrücklich beim schwächsten Glied mit Einsparungen zu beginnen. Die Einsparung von nahezu 14 Milliarden DM in 6 Jahren ist angesichts der Aufgaben, denen wir im Bereich der sozialen Sicherung gegenüberstehen, ein erhebliches Opfer. Diese Opfer bringen wir, um die Voraussetzungen für weiteres Wirtschaftswachstum sichern zu helfen.
Denn beides, soziale Stabilität und wirtschaftliches Wachstum, sind keine Gegensätze. Beides bedingt einander. Das ist nicht nur eine Erfahrung der Gegenwart. Wenn sich heute auf Grund einer jahrzehntelangen Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen, der Vorsorge und Hilfe bei Krankheit, Unfall und langjährigen Leiden sowie infolge der Auswertung des medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritts die Lebenserwartungen des einzelnen verdoppelt hat, dann bedeutet das doch, daß die Jahrzehnte einer aktiven Sozialpolitik zugleich auch Jahrzehnte einer ständigen Steigerung der Arbeitskraft des einzelnen und damit unserer volkswirtschaftlichen Produktivität waren. Das zeigt, daß man das Begriffspaar Sozialkonsum und Sozialinvestition nicht als gegensätzliches Paar definieren kann, sondern miteinander sehen muß. Wir haben in diesem Feld mit unseren Maßnahmen der Rehabilitation, die von den Rentenversicherungsträgern durchgeführt werden, einwandfrei und eindeutig soziale Investitionen von immenser Bedeutung vorgenommen. Ich glaube, es ist an der Zeit, auf diese positive Seite der Sozialpolitik einmal hinzuweisen und die Sozialpolitik von dem Odium zu befreien, sie koste nur Geld.
({1})
In Wahrheit leistet sie mit ihren Maßnahmen auch
einen erheblichen Beitrag für soziale Investitionen.
Gerade die beiden letzten Jahre haben dazu beigetragen, die Auffassung zu unterstreichen, daß soziale Stabilität und Förderung des wirtschaftlichen Wachstums eine einheitliche Aufgabe sind. Die rasche Entwicklung von Naturwissenschaften und Technik erfordert selbstverständlich auch von der Sozialpolitik eine ständige Anpassungsbereitschaft, eine vorurteilslose Überprüfung, um Verbesserungen und Vereinfachungen zu erreichen mit dem Ziel einer besseren Überschaubarkeit und der höchsten Effizienz der eingesetzten Mittel. Herr Kollege Schellenberg hat dazu heute morgen bereits gesprochen. Ich kann das nur unterstreichen und von mir aus die Bereitschaft erklären, daß ich gern alle Maßnahmen mit überlegen möchte, die zu diesem Ergebnis führen können.
Nun, meine Damen und Herren, hat mich eines in der bisherigen Diskussion etwas gewundert. Wer über die Frage der Rentenversicherung in Deutschland diskutiert, der muß sich, glaube ich, zwei Dinge vor Augen halten. Er kann nur dann darüber diskutierten und das richtige Bild, die richtige Größenordnung bekommen, wenn er zwei Dinge sieht. Erstens müssen wir wissen, mit wem wir es zu tun haben, also die Anzahl der Menschen, die von unseren Maßnahmen betroffen wird. Zweitens müssen wir wissen: Wie sieht denn die tatsächliche Rentenleistung für diese Menschen aus?
Nun, meine Damen und Herren, wir haben insgesamt 10,8 Millionen Menschen, die zum Kreis der gesetzlichen Rentenversicherung gehören: 5,5 Millionen Versichertenrentner, 2,5 Millionen Witwenrentner, 0,5 Millionen Waisenrentner, 1,8 Millionen Ehefrauen von Versichertenrentnern und 0,5 Millionen Kinder, für die Kinderzuschüsse zu Versichertenrenten gewährt werden. Das bedeutet, meine Herren von der Opposition, 18 % aller Einwohner. Läßt man einmal die Kinder unter 21 Jahren außer Betracht, so heißt das: Die Rentnerbevölkerung macht 23 % aller Einwohner, also fast ein Viertel, aus.
Ich werde Ihnen, um die Diskussion nicht allzu weit ausufern zu lassen, auch schriftlich noch einmal die Schichtung unserer Renten darstellen. Lassen Sie mich hier in diesem Zusammenhang nur folgende Zahlen nennen. In der Rentenversicherung der Arbeiter haben wir bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten und den Altersruhegeldern bei Männern 47,3 % mit einem Zahlbetrag unter 350 DM, 30,1 % zwischen 350 und 500 DM, d. h. also 77,4 % unter 500 DM. In der Rentenversicherung der Angestellten sind die Zahlen: bis 350 DM 21,4 %, bis 500 DM 18,1 %, insgesamt also 39,5 % unter 500 DM. Bei den Frauen haben in der Arbeiterrentenversicherung 98 % der Renten einen Zahlbetrag unter 350 DM.
Ich weiß, Sie kennen diese Zahlen. Ich hätte es deshalb gern gesehen, wenn sie auch zum Ausgangpunkt der Überlegungen für die Lösung der Fragen gemacht worden wären, vor denen wir jetzt in der Rentenversicherung stehen.
({2})
Wir haben diese Zahlen. Ich werde sie noch einmal zusammenstellen und sie dem Hohen Hause zur Verfügung stellen. Denn ich glaube, wer über die Rentenversicherung spricht, kann es nicht tun, ohne zu wissen, was an sozialer Wirklichkeit dahintersteht.
Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen kam die Bundesregierung zu der Auffassung, daß das Leistungssystem in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung nicht angetastet werden dürfe. Die Bundesregierung war sich ferner darüber einig, daß diesem Hohen Hause auch für das kommende Jahr eine Anpassung der Bestandsrenten mit Wirkung vom 1. Januar 1968 vorgeschlagen werden soll, und zwar in Höhe von 8,1 % in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung und in Höhe von 7,2 % in der Unfallversicherung. Denn wir waren, sind und bleiben der Auffassung, Herr Kollege Spitzmüller: wer ein ganzes Arbeitsleben zur Stärkung unserer Leistungsgesellschaft beigetragen hat, hat ein . Anrecht darauf erworben, im Alter angemessen gesichert zu werden.
({3})
Ich kann nur hoffen und wünschen, daß das Haus in dieser Kernfrage der sozialen Sicherung einer Meinung ist.
Sie haben, Herr Kollege Spitzmüller, in diesem Zusammenhang etwas aufgegriffen, was auch gestern in der Aussprache hier schon angesprochen wurde: die Frage der Rangfolge in der Sozialpolitik im Vergleich z. B. zu unseren französischen Nachbarn. Auch in 'der gestrigen Aussprache wurde darauf hingewiesen, daß in Frankreich, wo man den stärksten Familienlastenausgleich habe, dieser noch verstärkt werde, während ,die Krankenversicherung, die dort am schwächsten sei, noch weiter belastet werde und daß wir, die wir in der Rentenversicherung am stärksten seien, dieses System durchhalten wollten. Das haben auch Sie einander gegenübergestellt.
Nun möchte ich sagen, man muß darüber noch einmal diskutieren. Man muß aber bei solchen Überlegungen natürlich berücksichtigen, ,daß die reine Industriestruktur unseres Landes nicht unbedingt mit der noch stark agrarisch durchsetzten Struktur Frankreichs zu vergleichen ist. Man muß sich auch sozialpolitisch natürlich einmal die Frage stellen, ob es nicht einen sehr tiefen, inneren sittlichen Sinn hat, 'daß wir die alten Menschen, deren Zahl immer mehr zunimmt, wie wir alle wissen, so stellen, daß sie ihr Leben ohne fremde Hilfe meistern und umgekehrt sogar den jungen Menschen noch ihrerseits bei der Schaffung einer Existenz helfen können.
Von meinem Vater habe ich ein altes Wort gehört, 'das sicher viele von Ihnen kennen werden: Eine Mutter kann sieben Kinder ernähren, aber sieben Kinder können nicht eine Mutter ernähren. Das setzt sehr viele Probleme auch für unsere alte Bevölkerung. Deshalb ist - ich persönlich komme zu dieser Überzeugung - die soziale Sicherung im Alter mehr als nur ein sozialpolitisches Postulat. Meiner Ansicht nach hat sie in der Rangfolge unserer Sozialpolitik die erste Stelle einzunehmen.
({4})
Dabei dürfen wir natürlich auch nicht vergessen - Herr Kollege Stingl hat das heute morgen dargestellt -, daß unsere Renten drei bis vier Jahre hinter der Lohnentwicklung herhinken. Das ist nur sehr kurz angesprochen worden. Bei der jetzt vorzunehmenden Zehnten Rentenanpassung werden also erst .die Lohnsteigerungen nachgeholt, die in den Jahren 1963, '1964 und 1965 eingetreten sind.
Unser System der sozialen Sicherung fußt auf der Solidarität der Generationen. Wir haben das in diesem Hause oft dargestellt. Wir müssen uns natürlich aber auch klar 'darüber sein, daß es nicht genügt, das dazustellen, sondern daß das für uns Konsequenzen hat. Die Menschen, die heute im Arbeitsleben stehen, finanzieren mit ihren Beiträgen die Renten derer, die bereits aus dem Arbeitsleben ausgeschie6552
den sind. Und in 'der Tat: Wenn die Beiträge steigen, steigen die Renten nicht. Ich betone das ausdrücklich; denn ich möchte über dieser sozialpolitischen Diskussion keinerlei Nebel haben. Ich möchte genau wissen, wer was für wen bezahlt und zu zahlen bereit ist. Ebenso wird natürlich 'die nächste Generation die Rente derer zu sichern haben, die heute erwerbstätig sind.
Ich meine aber - auch diese Denkkategorie ist nicht einheitlich; ich möchte sie aber hier vortragen -, man muß idoch ernsthaft prüfen - und die Bundesregierung hat das getan und daraus Schlüsse gezogen -, daß sich angesichts der Belastung der aktivenBevölkerung die Frage aufdrängt, ob es nicht auch eine Solidarität der Rentner mit den Aktiven gibt. So hielt es (die Bundesregierung für vertretbar, daß sich die Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung beteiligen. Ich stehe zu diesem Vorschlag.
Dabei ist es anders, als Sie meinten, Herr Kollege Spitzmüller: Der Gedanke ist gar nicht neu. Ich sehe, Sie stimmen zu. Schon im Jahre 1956 ist dieses Hohe Haus bei seinen Beratungen über die Neuordnung der Rentnerkrankenversicherung nämlich davon ausgegangen, daß die Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung beteiligt werden sollten. Diese Überlegungen gingen davon aus, daß die Rente eine Lohnersatzfunktion hat und es deshalb nur systemgerecht sei, sie von einem bestimmten Zeitpunkt an auch entsprechend zu behandeln. Dieser Zeitpunkt schien uns jetzt gekommen.
Ich weiß, was es für viele Rentner heißt, wenn ihnen vom 1. Januar 1968 an ein solcher Beitrag für die Krankenversicherung abverlangt wird. Aber, meine Damen und Herren, ich weiß auch, was es für den Rentner auf die Dauer heißt, daß wir das System der Rentenversicherung in den Grundlagen erhalten haben.
Die Erhaltung dieses Systems erfordert erhebliche Opfer. Diese Opfer sind jedoch nicht, wie hin und wieder behauptet wurde - Ihre Ausführungen von heute morgen haben sich wohltuend von diesen Behauptungen, die draußen erhoben werden, abgehoben, Herr Kollege Spitzmüller -, dadurch verursacht, daß Regierung oder Parlament ungeniert den Weg in den Versorgungsstaat eingeschlagen hätte. Sie sind - das weiß doch jeder Einsichtige - in erster Linie durch den ungünstigen Altersaufbau unserer Bevölkerung bedingt, vor allem durch den Verlust der beiden Weltkriege und, was uns alle freut, durch die wachsende Lebenserwartung. Zur Finanzierung der Rentenleistungen sind deshalb Beitragserhöhungen für die Versicherten und ihre Arbeitgeber unvermeidlich.
Herr Kollege Spitzmüller - Sie haben das gerade an diesem Punkt sehr dramatisch dargestellt -, ich weiß natürlich auch, was 1 % plus 1 % plus 1 % bedeutet. Aber wahr ist doch - und der Redlichkeit halber sollten wir das hier feststellen -, das kommt doch alles nicht neu auf uns zu; das hat doch dieser Bundestag schon im Jahre 1957 gewußt, als er die Rentenreformgesetze verabschiedete.
({5})
Man muß doch einmal die Frage stellen dürfen - es ist eine Frage der moralischen Gesinnung -,
({6})
ob wir heute, nach zehn Jahren, nicht mehr bereit sind, den Aktiven das zuzumuten, was wir ihnen vor zehn Jahren zumuten wollten. Damals sind wir nämlich davon ausgegangen, daß wir schon jetzt einen Beitragssatz von 16,25 % haben würden. Hier hat sich in der Tat, glaube ich, die entscheidende Frage herauskristallisiert: Was ist uns, den jetzt Tätigen, eine ausreichende Sicherung im Alter wert? Was sind wir bereit, dafür jetzt an Beiträgen zu zahlen?
Ich bemühe mich sehr, diese Darstellung ohne jede Polemik zu geben. Aber an einer komme ich nicht vorbei. Wenn ich die Diskussion in der Öffentlichkeit verfolge, habe ich den Eindruck, daß diejenigen am ungeniertesten von Kürzungen sprechen, deren eigene Versorgung bestens gesichert ist.
({7}) Das halte ich für pharisäerhaft.
Herr Kollege Spitzmüller, die Diskussion, die wir heute über unser Rentensystem führen, erinnert an die Zeit vor 1957. Ich bin sehr glücklich darüber, daß wir es so ausgiebig tun; denn ich möchte nicht, daß man uns sagt, das hätten wir im Handgalopp in ein finanzpolitisches Gesetz eingepackt. Nein, jeder soll bei den Abstimmungen wissen, worum es geht. Jeder soll wissen, daß wir hier in erster Lesung weitreichende sozialpolitische Entscheidungen beraten und dann alsbald zu verabschieden haben.
Die Diskussion, die wir heute hier führen, erinnert in vielen Grundsatzfragen an die Jahre vor der großen Reform des Jahres 1957. Damals wie heute wurde behauptet, daß die gesetzliche Alterssicherung wegen ihrer Lohnbezogenheit und Dynamik, die Sie ({8}) nicht abgelehnt haben - zur Lohnbezogenheit haben Sie sich nicht klar geäußert, von der Dynamik haben Sie ausdrücklich gesprochen, wenn ich es richtig im Gedächtnis habe -, den wirtschaftlichen Ablauf störe und das volkswirtschaftliche Leistungsvermögen überfordere. Damals sprach man vom Inflationsmotor. Lesen Sie bitte einmal die Zeitungsnachrichten von damals. Es hieß damals schlicht und einfach: Wenn ihr dieses Rentensystem einführt, dann bedeutet das den Ruin der deutschen Wirtschaft. Das hat man vor zehn Jahren behauptet. Damals meinte man: das ist das sicherste System zum totalen Versorgungsstaat, in dem sich kaum noch eigene Verantwortung und Leistungswille regen.
Demgegenüber stelle ich fest, Herr Kollege Spitzmüller: keine dieser Voraussagen ist eingetroffen. Im Gegenteil, es hat sich gezeigt, dieses System der leistungsbezogenen Rente, wie es bis heute organisch gewachsen ist, ist kein sozialromantisches Flickwerk, sondern ein System von hoher Rationalität und Anpassungsfähigkeit an die volkswirtschaftlichen Gegebenheiten, das zu nüchternen Entscheidungen zwingt, auf die sich jedermann rechtzeitig einstellen kann.
Besonders leicht machen es sich wohl jene Kritiker, die uns ausrechnen, wie hoch die gesamten
Einnahmen der Rentenversicherung in 10 oder 20 Jahren sein werden, wie viele Renten dann ausgezahlt werden müssen. Meine Damen und Herren, was sollen solche Zahlen, die gar nicht die erwartete Entwicklung des Sozialprodukts, der Einkommen und der Steuern berücksichtigen? Was soll das bei einem sozialen Sicherungssystem, das heute über 20 Millionen Versicherte und 9 Millionen Rentner umfaßt? In einer dynamischen Wirtschaft kann man natürlich alles nur mit dynamisch wachsenden Größen vergleichen. Man darf nicht nur den Teil der Rentenversicherung mit einer dynamischen Größe vergleichen und im übrigen so tun, als ob der Bundeshaushalt, die Steuereinnahmen, die Löhne und Gehälter etwa auf dem Stand bleiben würden, auf dem sie heute sind.
Wenn wir uns zu einer in die Gesamtwirtschaft integrierten Sozialpolitik bekennen, müssen wir natürlich auch die engen Verflechtungen sehen, die zwischen der sozialen Rentenversicherung und dem Bundeshaushalt, zwischen der Versicherung und dem Konjunkturablauf und schließlich zwischen der Versicherung und den langfristigen strukturellen Entwicklungen, insbesondere der Veränderung des Altersaufbaues unseres Volkes, bestehen. So war es bei dem Umfang der Bundeszuschüsse nicht möglich, die Rentenversicherung aus der schweren, akuten Notlage der öffentlichen Finanzen herauszuhalten. Sie werden mir zugestehen, daß niemand das mehr bedauert als wir. Denn einen Zuschuß zu kürzen, der zum erheblichen Teil eine Ersatzfunktion für Leistungen hat, die an sich der Staat zu zahlen hätte - wenn ich an den ganzen Bereich der Kriegsfolgelasten der Rentenversicherung denke -, ist nicht unproblematisch.
Erstens. Die Bemühungen der Bundesregierung konnten nur darauf gerichtet sein, die systematische Grundlage des Rentensystems, vor allem die Bruttolohnbezogenheit und die Dynamik, zu erhalten. Dabei ist das keine Formel, sondern dahinter steckt eine politische Entscheidung, die 1957 getroffen wurde und die wir heute wiederholen.
Zweitens. Die Finanzierungslücke, die durch die Abstriche bei den Bundeszuschüssen entstand, mußten wir durch Beitragserhöhungen ausgleichen. Wir haben in der knappschaftlichen Rentenversicherung auf eine Beitragserhöhung verzichtet. Ich sage das hier ausdrücklich, weil auch das 'in der öffentlichen Diskussion zuwenig beachtet wird. Angesichts der gerade in diesem Sektor rapide steigenden Bundeszuschüsse ließ sich hier eine gewisse Minderung des Zuwachses bei den Rentenleistungen nicht vermeiden, wobei ich allerdings auch, wie der Herr Kollege Schellenberg, betonen möchte, daß wir alles getan haben, um auch Verbesserungen insbesondere für Iden Untertagebergarbeiter vorzusehen.
Die dritte Aufgabe war, das System selbst in seiner Funktionsfähigkeit und Leistungsstruktur weiter zu verbessern und zu stärken. Sie wissen, daß der konjunkturelle Einbruch des letzten Jahres erschwerend 'zu diesen unseren Bemühungen hinzukam. Ich sage ganz freimütig - und auch das ist kein Geheimnis -, ich hätte es an sich angesichts dieser Situation nicht ungern gesehen, wenn wir den Überlegungen des Sozialbeirats hätten folgen können, schon im Jahre 1967 die Beitrage zu erhöhen oder mindestens am 1. Januar 1968 den Beitrag von 14 auf 16 '°/o zu erhöhen. So hat es der Sozialbeirat ja vorgeschlagen. Dem stand in der Abwägung das Bestreben im Rahmen der Konjunkturpolitik gegenüber, alles zu tun, um von seiten der Arbeitskosten günstige Voraussetzungen für den neuen Konjunkturaufschwung zu schaffen. Das Bundeskabinett hat sich dieser Notwendigkeit nicht verschließen können. Sie mögen auch an diesem Tatbestand sehen, daß die Sozialpolitik sich nicht nur an der Haushaltslage, sondern auch an konjunkturellen Erfordernissen orientiert hat, soweit das im Rahmen einer langfristig konzipierten Politik der sozialen Sicherung möglich war. Ich möchte diesen Aspekt ausdrücklich betonen.
Lassen Sie mich hier eine Bemerkung anfügen. In der diesjährigen Rezession hat sich gezeigt, was viele nicht wußten und auch heute noch nicht wahrhaben wollen, nämlich daß das soziale Rentensystem auch ausgesprochen stabilisieren kann. Die Rentenverbesserungen Anfang des Jahres wirkten sich in einer Konjunktursituation aus, die unter einem zunehmenden Nachfrageschwund selbst im Bereich der Konsumgüter litt, wie Sie wissen. Es war die große Sorge, daß dieser Abschwung sich selbst in einer deflatorischen Form verstärken würde. In dieser Lage war die Verstärkung der Massenkaufkraft über die Renten an Stelle der Arbeitseinkommen sehr erwünscht und sehr wirksam. Ich glaube, 'darüber gibt es heute, wenigstens unter den Wirtschaftspolitikern, keine Meinungsverschiedenheiten mehr. Vor 10 oder 12 Jahren hat man sich diese Seite der Rentenversicherung überhaupt noch nicht recht vorstellen können, schon deswegen, weil man damals glaubte, das konjunkturelle Auf und Ab endgültig überwunden zu haben. Ich meine, 'auch eine solche Betrachtung sollte zu einer sachlichen Beurteilung unseres Rentensystems beitragen.
Ich glaube, wir müssen stärker sehen, was die Rentenversicherung auch im volkswirtschaftlichen Kreislauf und in der längerfristigen, vom Strukturwandel geprägten Entwicklung bedeutet. Ich bin sehr froh darüber, daß der Kollege Stingl auf diese Zusammenhänge heute morgen schon hingewiesen
hat.
Wir müssen auch eines sehen: Die Renten sind genauso Bestandteil des volkswirtschaftlichen Einkommenskreislaufs wie die Einkommen der Erwerbstätigen, und sie werden in Zukunft mit wachsendem Anteil der alten Menschen eine noch größere Rolle in der Nachfrage als bis jetzt spielen.
({9})
Ich lege großen Wert darauf, daß wir diesen volkswirtschaftlichen Zusammenhang sehen; denn das ist eine wichtige Frage bei der Beurteilung der Gestaltung des Rentensystems.
Hier und da mag vielleicht noch der Gedanke eine Rolle spielen - aber ich hoffe, das ist im Abnehmen begriffen -, die Sozialeinkommen seien
Einkommen zweiter Klasse, seien nicht etwa durch Leistung begründet und seien damit auch beliebig manipulierbar. Diese Vorstellung ist haltlos und ist falsch. Wir haben die leistungsbezogene Rente und wir wollen sie erhalten und haben deshalb auch nicht jenen Ratschlägen folgen können, die - sozial gesehen sicherlich gut gemeint - besagten: Ein Rentnerkrankenversicherungsbeitrag an sich ist schon hart; da er aber hart ist, könnt ihr dann nicht die ganz kleinen Renten ausnehmen? - Meine Damen und Herren, das war - sozialpolitisch motiviert - sehr gut zu verstehen. Aber das wäre in der Tat ein gravierender Einbruch in das System gewesen; denn dann wären wir von der leistungsgerechten Rente abgegangen, und das wollte die Bundesregierung nicht.
({10})
Meine Damen und Herren, die Fragen der Beseitigung der Versicherungspflichtgrenze in der Angestelltenversicherung hat wohl neben der Frage des Rentnerbeitrages und neben der Frage der Erhöhung der Beiträge überhaupt in der Öffentlichkeit mit eine Hauptrolle gespielt. Herr Kollege Spitzmüller, Sie haben heute morgen - wenn ich recht gehört habe - gesagt, wir seien hier offenbar mehr von dem Wunsch, mehr Geld in die Kassen zu bekommen, als vom Schutzbedürfnis der Menschen ausgegangen. Ich glaube, das war Ihre Formulierung. Dieser Punkt ist wichtig. Wir sollten darauf näher eingehen und versuchen, uns Klarheit zu schaffen.
Herr Kollege Schellenberg hat heute morgen dargelegt, daß die Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte eine weit in die Zukunft reichende Maßnahme sei, die - und deshalb bin ich traurig, daß wir das alles in solche finanzpolitischen Gesetze einpacken müssen - sozialpolitisch für die nächsten Jahre und bis zum Ende dieses Jahrhunderts von außerordentlicher Bedeutung sei.
Sie werden sich erinnern: Dieses Problem ist so alt wie die Rentenversicherung. Sie wissen, daß schon der Kollege Blank immer wieder darauf hingewiesen hat, daß ein System, das auf dem Umlageverfahren basiert, eben nur existieren kann, wenn ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Zahl der Versicherten und der Zahl der Rentner vorhanden ist. Ein auf dem Umlageverfahren basierendes System kann auf die Dauer nur so funktionsfähig bleiben.
Nun wird gesagt, dahinter stehe der Gedanke, die freie Entscheidung des einzelnen einzuengen. So reden alle, die uns nicht ganz wohlgesonnen sind. Man spricht statt von Sozialversicherung von „Zwangsversicherung" und leugnet jedes Schutzbedürfnis. Dazu möchte ich sagen: Das Schutzbedürfnis hat sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren beträchtlich gewandelt. Ich brauche keine Namen zu nennen, aber Sie alle kennen auch Unternehmungen von Größenordnungen, bei denen wir nie an die Möglichkeit gedacht hätten, daß der Staat sie einmal stützen müßte.
({11})
- Herr Kollege Spitzmüller, ich möchte Sie wirklich bitten: Gehen Sie doch einmal zu den Sozialämtern unserer Großstädte undsehen Sie doch bitte einmal nach, wer dort um Sozialhilfe nachsucht! Versuchen Sie einmal, das festzustellen! Dann werden Sie sehen, daß mancher von denen, der unter dem Begriff des „verschämten Armen" rangiert, nie im Leben daran gedacht hat, einmal in eine 'solche Lage zu kommen, weil sie wirtschaftlich so gestellt waren, daß sie glaubten, ,das komme für sie nie in Frage.
({12})
Es kann eben nicht gesagt werden, 'daß der Sohn des Generaldirektors auch Generaldirektor wird, daß er genauso tüchtig und für sein ganzes Leben gesichert ist. Bei unserer modernen und sich rasch wandelnden Industriegesellschaft werden wir davon ausgehen müssen, daß sehr schnell Änderungen eintreten können.
Deshalb meine ich, daß wir diese Entscheidung nicht aus finanziellen Gründen getroffen haben .. .
({13})
- Natürlich, ich habe ja gesagt, ich hätte es lieber woanders geregelt. Aber wenn es auch im Gesetzentwurf steht, so darf ich doch begründen, warum ich diese Maßnahme vertrete. Ich tue 'das nicht nur, aus finanziellen Gründen, sondern aus .den Gründen, die ich vorhin darzustellen versucht habe. Ich vertrete sie bewußt und aus persönlicher Überzeugung, weil ich der Auffassung bin, daß dies 'die Entwicklung der Zukunft fordert.
Herr Kollege Spitzmüller, Sie haben heute morgen argumentiert, daß die Betroffenen selbst ja gar nicht an einer solchen Lösung interessiert seien. Nun, das stimmt nicht; zumindest muß ich sagen: nicht mehr. Die Entwicklung ist sehr rasant. Noch vor Jahresfrist zeigten sich die leitenden Angestellten in idieser Frage sehr zurückhaltend. Diese Situation hat sich gewandelt. Seit jüngster Zeit ist auch die Union der leitenden Angestellten - wir haben ja den Brief vorliegen, Herr Dichgans - für eine Einbeziehung in die soziale Rentenversicherung. Wir wissen, daß es sich bei diesem Personenkreis - um auch das hier 'deutlich anzusprechen - natürlich angesichts der Einkommen, die sie jetzt haben, im Grunde nur um eine Grundsicherung für das Alter handelt; denn sonst würden sie zu stark abfallen von der Differenz des Gehaltes, das sie jetzt haben, und der Grundsicherung, die wir ihnen geben können. Aber ich glaube, der Staat ist gut beraten, wenn er zumindest diese Grundsicherung auf der Basis von Beiträgen gibt, ehe er später aus allgemeinen Steuermitteln über (die Sozialhilfe denjenigen helfen muß, die unverschuldet in Not geraten.
({14})
Diese Union der leitenden Angestellten hat sich also für die Einbeziehung ausgesprochen. Sie hat einige arbeitsrechtliche Wünsche vorgetragen, die wir wohl nicht heute und hier, aber doch in diesem Zusammenhang werden prüfen müssen. Ich meine: es liegt nicht nur in der sozialpolitischen Konsequenz der Entwicklung, sondern es stimmt eben auch weitgehend mit den Wünschen der BetroffeBundesminister Katzer
nen überein, wenn die Bundesregierung jetzt den Wegfall der Versicherungspflichtgrenze in der Angestelltenversicherung vorschlägt. Ich hätte an sich gern zu diesem Punkt einige Ausführungen gemacht, gerade auch im Hinblick auf das, was der Kollege Spitzmüller gesagt hat, weil immer wieder das Argument kam: Ihr macht hier so eine Art Flickwerk, und das ist nur finanzpolitisch und nicht gesellschaftspolitisch begründet. Das stimmt nicht, Kollege Spitzmüller. Ich darf darauf hinweisen, daß sich das Verhältnis Angestellte : Arbeiter im Zuge der Entwicklung verschiebt. In den nächsten 20 Jahren werden es nicht mehr 60 % Arbeiter und 40 % Angestellte, sondern umgekehrt 60 % Angestellte und 40 % Arbeiter sein. Diese Entwicklung der Zukunft muß man sehen, und ich glaube, daß wir hier eine Entscheidung treffen, die sozialpolitisch von großer Bedeutung ist.
Aus Kreisen der Selbständigen wird in zunehmendem Maße die Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung gewünscht. In der letzten Fragestunde bin ich darauf angesprochen worden. Sie wissen aus der Sozialenquete, daß das soziale Sicherungsbedürfnis in der gesamten Bevölkerung wächst. Diese Aussage wird durch die tatsächliche Entwicklung erhärtet. Der wirtschaftliche Strukturwandel macht natürlich auch vor den Selbständigen nicht halt. Das erleben wir ständig. Man sollte die verstärkten Wünsche nach einer gesicherten Altersversorgung nicht leichtfertig als versorgungsstaatliches. Denken abtun; denn dieses Bedürfnis ist nun einmal durch die wachsende Anonymität und die Unüberschaubarkeit der wirtschaftlichen Zusammenhänge mit motiviert. Das bedeutet kein geringeres Maß an freier Lebensgestaltung. Diese These, daß wir dadurch etwa die Freiheit der Person einschränken würden, habe ich nie begriffen. Wo ist denn das Ganze entstanden? Das Ganze ist dadurch entstanden, daß man beim Beamten, insbesondere bei dem berühmten Richter, sagte: „Der muß unabhängig sein, der muß frei sein, der darf in seiner Entscheidung nicht aus wirtschaftlichen Gründen nach daoder dahin tendieren müssen." Das war doch das Modell. Also: gerade damit er frei ist, ein Stück sozialer Sicherung! Und genau das möchten wir auch für unsere alten Menschen haben.
({15})
Es kann also gar nicht darum gehen, daß wir einen kollektiven Zwang ausüben. Eine Bevölkerungsgruppe oder ein Berufsstand, der eine eigene funktionsfähige Altersvorsorge hat, soll von uns nicht etwa in die gesetzliche Sozialversicherung übergeführt werden. Aber, meine Damen und Herren, es ist, das muß ich mit allem Nachdruck sagen, auch nicht möglich, nur schlechte Risiken in die gesetzliche Rentenversicherung aufzunehmen. Wenn eine Gruppe von Selbständigen sich mit Mehrheit für die Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung entscheidet, so muß notwendigerweise die ganze Gruppe diesen Schritt vollziehen,
({16})
denn alle müssen die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten übernehmen.
Ich bin durchaus nicht der Meinung, Herr Kollege Spitzmüller, daß die Regelung, die wir nunmehr in der mehrjährigen Finanzplanung und im Entwurf des Haushalts 1968 treffen, uns von allen Problemen der Zukunft befreien wird. Wir haben eine solide Basis für die Entwicklung bis 1971. Wir werden sie Jahr um Jahr anhand der Tatbestände prüfen müssen. Wir haben die Berechnungen, Herr Kollege Spitzmüller, auf Grund der Daten aufgestellt, die der Bundeswirtschaftsminister in Übereinstimmung mit der Bundesregierung in der Zielprojektion festgelegt hat. Da möchte ich nun nachdrücklich das ,unterstützen, was heute morgen dazu gesagt worden ist. Ich vermag nicht einzusehen, warum sich der Arbeitsminister in seinen Berechnungen nicht auf dieselbe Zielprojektion stützen sollte, warum ausgerechnet er auf eine andere.
Damit ist, Herr Kollege Spitzmüller, nichts gegen Ihren Wunsch gesagt, die Rechnungen noch mit 3 und 7 '0/e zu bekommen. Vom Intellektuellen her ist das eine interessante Rechnung. Sie wird in meinem Hause aufgestellt; ich bitte zu entschuldigen, das wir das in der Kürze der Zeit noch nicht haben machen können. Das Haus ist bei dieser Gesetzgebungsarbeit - wir ändern jetzt dreißig Gesetze - einfach überfordert. Das ist Tag und Nacht - ({17})
- Vielen Dank! Sie haben ja Erfahrung darin, Herr Kollege. - Also diese Zahlen liefern wir Ihnen gern, sobald wir selber sie haben. Aber ich sage noch einmal: Das mag für intellektuelle Diskussionen interessant sein; für die politische Entscheidung, für die politische Willensbildung ist das maßgebend, was wir uns in der wirtschaftspolitischen Zielprojektion als Ziel gesetzt haben. Wenn diese Zielsetzung nicht stimmt, dann stimmt sie im wirtschaftspolitischen Verhältnis für den ganzen Haushalt und für uns nicht, dann müssen wir alles miteinander neu überlegen und neu überdenken. Nur darf man nicht so tun, als stimme sie nur bei uns nicht; sie stimmt dann eben in der gesamten Rechnung nicht.
Ein ernstes Problem - Sie haben es angeschnitten, Herr Kollege Spitzmüller - ist die Frage der künftigen Entwicklung, die Vorausschätzung. Hier sind es ja im wesentlichen zwei Punkte. Herr Kollege Dr. Haas hat das ja gestern in seiner Finanzrede auch schon angesprochen. Die Mehreinnahmen infolge des Wegfalls der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte werden von einigen Instituten geringer geschätzt als von den Fachleuten meines Hauses. Die Differenz liegt bei etwa 200 Millionen DM; wir haben 650 Millionen DM, und die anderen haben 400 und soundsoviel Millionen eingestellt. Diese Abweichungen beruhen darauf, daß man Annahmen darüber machen muß, wieviele Angestellte sich künftig werden befreien lassen und wieviel Beiträge die versicherungspflichtigen Angestellten künftig zahlen werden. Das alles sind Annahmen. Ich glaube, daß in diesem Punkt die Annahmen unseres Hauses realistisch sind. Wir sind ausgegangen von den Erfahrungen, die wir 1965 mit der Befreiung gemacht haben. Damals haben
sich 14 % befreien lassen. Wir haben jetzt eingerechnet, daß die Zahl größer sein wird, und sind von einer Basis von 20 % ausgegangen. Beweisen, Herr Kollege Spitzmüller, kann ich nicht, können Sie nicht, kann niemand, denn niemand vermag in die Zukunft zu sehen; das wird sich erst im Nachhinein herausstellen. Eines möchte ich aber mit aller Deutlichkeit und Klarheit sagen: Wir haben schon bei unseren Schätzungen eine wesentlich höhere Zahl von Befreiungen, nämlich 20 %, einkalkuliert, und deshalb glaube ich, daß es eine durchaus realistische Zahl ist, die wir in unsere Berechnung eingestellt haben.
Zweitens: Von einzelnen Instituten und auch vom Verband der Rentenversicherungsträger werden die Beitragseinnahmen für das Jahr 1968 mit rund 1,2 Milliarden DM geringer angesetzt, als wir es getan haben. Dazu ist zu sagen: Unsere Zahlen geben den langfristigen Trend an, wie er sich ohne Berücksichtigung des Wirtschaftsablaufs 1966/67 ergeben hätte. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß wir bei aller Bereitschaft, konjunkturelle Überlegungen bei unseren Rentenbetrachtungen mit ins Spiel zu bringen, auf eine langfristige Betrachtung nicht verzichten können. Ich glaube, darin stimmen wir überein. Diese Zahlen sind ebenfalls aus der mittelfristigen Zielprojektion abgeleitet.
Die anderen Zahlen, die genannt werden, also ein Minus von 1,2 Milliarden DM, gehen von dem zu erwartenden Ist-Ergebnis des Jahres 1967 aus. Ich räume ein, daß das für 1968 eine gewisse Berechtigung hat, wenn man es nur auf 1968 projiziert; aber auf längere Sicht werden sich - das zeigt die Erfahrung, und so hat sich auch der Sozialbeirat in seiner letzten Sitzung geäußert - die Produktivität und damit die Löhne und die Beiträge nach einem Abschwung nicht von der geminderten Basis aus weiter entwickeln, sondern den vorübergehenden Rückgang ausgleichen und wieder in den langfristigen Trend einmünden. Ich bin also der Meinung - und ich werde darin, wie gesagt, vom Sozialbeirat bestärkt -, daß unsere Vorausrechnungen über den gesamten Zeitraum hin betrachtet realistisch sind. Ich füge hinzu: das ist nicht etwa nur die optimistische Meinung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, sondern das ist die mit dem Wirtschaftsministerium und dem Finanzministerium abgestimmte Meinung der Bundesregierung. Dabei weiß jeder, Sie so gut wie ich, daß sich niemand dafür verbürgen kann, daß für jedes Jahr exakt und genau diese Zahlen zutreffen. Entscheidend ist, daß der Trend richtig gegriffen ist. Vorübergehende Abweichungen vom langfristigen Trend sind natürlich - und das ist hier heute morgen noch gar nicht angesprochen worden - durchaus ausgleichbar; denn genau dafür haben wir ja schließlich eine Rücklage, die es uns ermöglichen soll, schwierige Finanzsituationen ausgleichen zu helfen.
Als die Rücklage in den vergangenen Jahren bei guter Wirtschaftsentwicklung Jahr für Jahr anwuchs, hat man das als ganz natürlich angesehen. Genauso natürlich ist es aber auch, daß sich die Rücklage bei einer vorübergehenden Rezession vermindert.
Das ist nicht nur der Stabilisierung der Finanzlage und der Beitragssätze in der Rentenversicherung dienlich, sondern ist auch konjunkturpolitisch sinnvoll. Auf diese Weise wird nämlich in der Hochkonjunktur Kaufkraft stillgelegt und im Abschwung vermieden, daß man Beiträge erhöhen oder Leistungen senken muß, was beides aus wirtschaftspolitischen Gründen unerwünscht wäre.
Wir werden uns auch weiterhin mit der längerfristigen Finanzierung der Rentenversicherung befassen müssen. Wir werden uns intensiv mit den Fragen der Vermögensentwicklung, der Funktion des Vermögens der Rentenversicherung, der Frage der „Abschmelzung" von Vermögenswerten befassen müssen. Das alles sind volkswirtschaftlich und sozialpolitisch bedeutsame Fragen. Die Frage der Beitragsentwicklung wird in engem Zusammenhang mit der Lohnpolitik und der Einkommensverteilung auch im Rahmen der konzertierten Aktion diskutiert werden müssen. Die Fragen der rationellen Organisation und Gliederung der Versicherungsträger stehen an. Darauf habe ich bereits hingewiesen.
Ich möchte hier nur noch das eine nachdrücklich sagen, das in der Diskussion bisher sehr zu kurz gekommen ist, daß die hohen Zuschüsse des Bundes zur knappschaftlichen Rentenversicherung ja nicht nur sozialpolitisch motiviert sind, sondern daß sie zum großen Teil Folgeerscheinungen der Strukturwandlungen des Steinkohlenbergbaus sind. Ich habe vor einem Jahr hier in diesem Hohen Hause, als eine Reihe von Maßnahmen im Bereich der knappschaftlichen Rentenversicherung zu treffen war, sehr dezidiert auf folgendes hingewiesen: Wenn Sie das jetzt tun, werden im sozialpolitischen Feld bei den Bundeszuschüssen Steigerungsraten kommen, die nicht mehr bei 2,2 liegen werden; wir müssen dann mit Zahlen wie 2,7, 2,8, 3,1 ja sogar 4 rechnen. Mit jeder Zechenstillegung steigert sich nämlich zwangsläufig die Zahl derer, deren Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung mit staatlichen Zuschüssen zu sichern ist.
Lassen Sie mich an dieser Stelle bemerken: Ich bin sehr glücklich darüber, daß wir diese sozialpolitische Diskussion so sachlich geführt haben.
Ich möchte nun noch etwas zum Verhältnis der Sozialpolitik zu den Erfordernissen einer wachsenden Wirtschaft sagen. Ich habe vorhin versucht, darzulegen, daß der Sozialhaushalt darauf in hohem Maße Rücksicht genommen hat.
Moderne Sozialpolitik ist im Grunde soziale Strukturpolitik. Sie ist im Grunde - um einen modernen ökonomischen Begriff zu verwenden - auf die Infrastruktur eines langfristigen soliden Wachstums gerichtet. Ich halte es, Herr Kollege Spitzmüller, nicht für ausgemacht, daß man unserer Wirtschaft nur recht bescheidene Wachstumsraten voraussagen kann. Wenn ich bedenke, daß unser Produktivitätsstand kaum die Hälfte der Produktivität der amerikanischen Wirtschaft erreicht hat, und wenn ich sehe, welch große Produktivitätskraft in dieser großen Industriewirtschaft unvermindert wirksam ist, so sehe ich für unser wirtschaftliches Wachstum durchaus Chancen.
Eines aber muß uns klar sein: Hohes Wirtschaftswachstum ist nicht lediglich zwangsläufiges Ergebnis von Wissenschaft und Technik; es vollzieht sich in sehr viel größerer Breite. Es ist die Leistung einer ganzen Gesellschaft, die wir heute mit Recht Arbeitnehmergesellschaft nennen. Das Wirtschaftswachstum von heute und morgen hat eine sehr viel breitere soziale Dimension. Es braucht daher den Beitrag der modernen Gesellschaftspolitik. Erhaltung und Wiederherstellung der Leistungskraft, höhere Lebenserwartungen der arbeitenden Menschen sind schon bisher wichtige Grundlagen der wachsenden Wirtschaft, an denen die Sozialpolitik mitgewirkt hat.
Aber zu den Voraussetzungen für die volle produktive Entfaltung unserer Wirtschaft gehört noch sehr viel mehr. Dazu müssen wir rechnen die Zukunftssicherung der arbeitenden Menschen, die Sicherung der Arbeitsplätze, eine hohe geistige und berufliche Mobilität der Erwerbstätigen, fortdauernde Anstrengungen der beruflichen Bildung und die Mitbeteiligung aller Schichten unseres Volkes an einer breiten Finanzierung unserer Wachstumsinvestitionen und unserer Gemeinschaftsaufgaben. Wer ein hohes Wirtschaftswachstum will und auch die dabei unumgänglichen Strukturwandlungen bejaht, wird nicht umhinkommen, die zunehmenden Verflechtungen zwischen wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen unserer dynamischen Wirtschaft zu sehen und zu bejahen.
Aus dieser Sicht heraus ist die Fortentwicklung unserer sozialen Rentenversicherung genauso wachstumsbezogen wie die Weiterentwicklung der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Das System der sozialen Sicherung ist also nichts anderes als Bestandteil einer Gesellschaftspolitik, die auf produktive Entfaltung aller Glieder unserer Gesellschaft gerichtet ist. Diese Politik muß wirtschafts-und wachstumsgerecht sein. Sie ist an den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen zu orientieren. Sie ermöglicht erst das, was wir heute als Leistungsgesellschaft und Leistungswettbewerb bezeichnen.
Wenn wir diesen Weg weitergehen wollen, den ich hier nur andeuten konnte, so heißt das für die soziale Rentenversicherung: wir brauchen einen soliden und festen Boden für das System. Dazu haben wir saubere konkrete Vorschläge gemacht. Wir brauchen Klarheit über die Fortentwicklung. , Ich möchte schließen und sagen: der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf des Haushalts 1968 und die mehrjährige Finanzplanung weisen nach meiner festen Überzeugung hierzu den Beratungen in diesem Hohen Hause den richtigen Weg.
,({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Büttner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Sie um Nachsicht dafür bitten, daß ich die Debatte zu dem Thema der knappschaftlichen Rentenversicherung nicht ganz miterleben durfte, weil ich heute morgen mit einer Bergarbeiterdelegation bei dem amtierenden Präsidenten Schoettle war, die eine Resolution, unterschrieben von 12 000 Bergleuten am Niederrhein, übergab und erläuterte.
Aus der gestrigen Debatte habe ich zwei Dinge in Erinnerung. Das waren einmal die Ausführungen des Kollegen Haas von der FDP mit seinem Angriff auf die Rentendynamik, und das war zweitens ein Zuruf meines Kollegen Matthöfer: „Wie froh bin ich doch, daß wir mit Ihnen nicht in einer Koalition sind!"
Ich will zum Thema der knappschaftlichen Rentenversicherung nicht wiederholen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, was ich Ihnen in einem ausführlichen Schreiben vom 21. September 1967 mitgeteilt habe. Ich bedauere persönlich, daß wir uns als Parlamentarier selbst Fesseln angelegt haben insofern, als der Ausgleich in den einzelnen Ressorts gefunden werden muß. Das ist meine persönliche Meinung. Es ist bekannt, daß noch einzelne Ressorts zu durchforsten sind, z. B. Einzelplan 14, der Verteidigungshaushalt.
Aber was sicherlich Sie wie mich bedrückt und für mich Anlaß ist, hier das Wort zu nehmen, ist das Los des Bergmanns und seiner knappschaftlichen Rentenversicherung. Die mangelnde Vorausschau - das hat der Bundesminister Katzer mit anderen Worten hier auch dargelegt - und der Strukturwandel in der Energiewirtschaft haben zu beängstigenden Zuständen an der Ruhr, an der Saar und an der Wurm im Aachener Land geführt. Das Verhältnis von Aktiven zu Rentnern ist katastrophal geworden, genauso wie es eine Katastrophe ist, daß in der Bundesrepublik täglich fünf Bergleute an der Silikose, der schlimmsten aller Berufskrankheiten der Welt, sterben, um nicht einen härteren Ausdruck für dieses Abschiednehmen von dieser Welt zu gebrauchen.
Es heißt im amtlichen Bulletin und in der Begründung, daß die Steigerungssätze für Altersruhegelder und Erwerbsunfähigkeitsrenten in einem Zeitraum von fünf Jahren schrittweise von 2,5 auf 2 v. H. gesenkt werden sollen. Ich halte diesen Beschluß weder in der Sache noch moralisch für begründet.
({0})
Zur Sache selbst noch einige konkrete Zahlen. Ich habe die Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1924 bis 31. Dezember 1967, also für 44 Jahre - das ist kein willkürlicher Zeitraum - oder für 528 Monate zusammengestellt. In diesen 528 Monaten sind im Monatsdurchschnitt zur Rentenversicherung entrichtet worden: für den Arbeiter 8,14 %, für den Angestellten 7,79 %; für den Bergarbeiter 18,82 % und für den Bergbauangestellten 18,17 %. Das ist gut das Zweieinviertelfache. Ich bin der Meinung, daß diese Beitragsleistung verpflichtet.
Ich habe auch aufmerksam zugehört, als heute morgen Kollege Stingl von der Grenze des Zumutbaren bei der Beitragserhebung gesprochen hat. Ich bin der Meinung, daß bei dem Vorschlag der Bundesregierung - bei der Vorlage und Begründung im Kabinett - diese Beitragsleistungen nicht genügend Berücksichtigung gefunden haben. Ich muß
auch darauf hinweisen - für diejenigen, die jetzt sagen, der Bergmann zahle „nur" 8,5 % und der Unternehmer zahle 15 % -, daß dieses Verhältnis früher genau umgekehrt war, daß der Arbeitnehmer drei Fünftel und der Arbeitgeber zwei Fünftel der Beiträge entrichtet hat und daß zur Vermeidung einer Auseinandersetzung wegen der Löhne, also zur Vermeidung eines Lohnkampfes, das Beitragsverhältnis umgekehrt worden ist.
Der Bergmann hat zu allen Zeiten nicht nur seine Gesundheit für unser Volk geopfert, er hat auch materielle Opfer gebracht. Nur ein Beispiel aus dem vergangenen Jahrhundert - dabei will ich es bewenden lassen -: Mir liegt eine Fotokopie einer Lohnabrechnung für einen Bergmann aus dem Jahre 1899 vor. Er hat damals bei 29 Schichten im Monat 72,80 Goldmark verdient. Davon sind ihm einbehalten worden: an Beiträgen zur Reichsversicherung - wie damals die Arbeiterrentenversicherung hieß -75 Pfennig und an Beiträgen zu seiner Knappschaft 4 Goldmark; also mehr als das Fünffache des Versicherungsbeitrages hat er zu seiner knappschaftlichen Pension gezahlt. Dieser Tatbestand rechtfertigt, wie auch die Beitragsaufstellung, die ich für die letzten 44 Jahre gegeben habe, nach meinem Dafürhalten nicht eine globale Kürzung oder Abschmelzung - oder wie man es bezeichnen will - der Erwerbsunfähigkeitsrenten und der Altersruhegelder von 2,5 % auf 2 % in fünf Jahren; das sind praktisch 20 % Rente.
Ich erkläre aber auch ausdrücklich, daß ich die Bemühungen unserer Regierung anerkenne, im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung aus dem Einjahresdenken herauszukommen, daß im Vordergrund allen Handelns die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Stabilität unserer Mark stehen.
Ich bin völlig der gleichen Meinung, die gestern mein Freund und Fraktionskollege Dr. Alex Möller vertreten hat, daß wir zu einem Sozialplan kommen müssen, daß wir zu: einer Entwirrung auf dem Gebiete des Sozialversicherungsrechts kommen müssen, daß der Rentenbescheid für den Versicherten - für den Rentner - wieder übersichtlicher wird, daß er so einfach wird, wie er früher gewesen ist, damit der Rentner sich ohne Kompaß durchfinden kann und nicht einen Rechtsschutzsekretär zur Erläuterung des Rentenbescheides in Anspruch nehmen muß.
Ich finde auch, daß der Bergmann nicht mit dem Kinderchor aus dem „Evangelimann" getröstet ist: „Selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich." Damit ist der Bergmann im Augenblick nicht getröstet. Er muß mit mir der Meinung sein, daß er nicht nur in bezug auf die Beitragsleistung, sondern auch im Hinblick auf die materiellen Opfer, die er immer gebracht hat, nicht gerecht behandelt wird.
Wenn wir - und das ist mein Vorschlag - auf dem Gebiet der Besteuerung der Sparkassen und der Kreditgenossenschaften nach einer Sachverständigenanhörung zu einer gerechteren Lösung gekommen sind, mit der die meisten einverstanden sein konnten, dann sollten wir im Ausschuß für Sozialpolitik zu diesem schwierigen Thema auch noch einmal Sachverständige anhören mit dem Ziel, daß wir womöglich von der globalen Abschmelzung der Altersruhegelder und der Erwerbsunfähigkeitsrenten von 2,5 % herabkommen. Ich bin überzeugt davon, daß nicht das starre Festhalten an dieser Abschmelzung, sondern das Bemühen im Ausschuß für Sozialpolitik, neue Möglichkeiten, neue Perspektiven sich ergeben zu lassen, zu einer gerechteren Lösung führt. Ich bin der Meinung, daß es der Bergmann wert ist, daß wir das Thema noch einmal überdenken und im Ausschuß für Sozialpolitik beraten, ohne den Rahmen des Gesamtvolumens zu sprengen. Wir sollten es uns angelegen sein lassen, für den Bergmann zu diesem Thema noch einige Nachtschichten zu verfahren, für den Bergmann, der schon so viele für uns verfahren hat.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure, daß ich zu so fast später Stunde doch noch einige sehr grundsätzliche Ausführungen machen muß, da der Herr Bundesarbeitsminister dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht hat, daß dieses Finanzänderungsgesetz eben nicht nur ein Haushaltssicherungsgesetz darstellt, sondern Weichenstellungen für lange Zeit vornimmt und daß deshalb mit aller Gründlichkeit, aller Ausgewogenheit, aber auch mit aller Deutlichkeit über diese grundsätzlichen Fragen hier auch in der ersten Lesung gesprochen werden muß. Es darf nicht wieder dazu kommen, daß eines Tages nach vier, fünf, sechs Jahren Kollegen, die dabei waren, aufstehen und sagen: Ja, das haben wir nicht gewußt, daß das und jenes in dieser Entscheidung mit beinhaltet war. Deshalb muß ich um Geduld bitten, wenn wir Freien Demokraten als Opposition hier noch ein paar Fragen geklärt wissen wollen und auch, wie Sie es immer gewünscht haben, Ihnen für bestimmte Punkte Gegenüberlegungen zur Diskussion darlegen.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat erfreulicherweise sehr viele Einzelfragen meines Kollegen Spitzmüller hier behandelt und beantwortet. Wir sind sehr dankbar dafür. Nur die eine, wie wir meinen, Grundsatzfrage ist leider nicht beantwortet worden, nämlich die Frage: Was bedeutet Garantierung des sozialen Besitzstands? Ist das projiziert auf den Tag, ist das projiziert auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Versicherung, wenn ich so sagen darf, nämlich des Eintritts in die Rentenversicherung, ist das projiziert auf den Zeitpunkt des. Renteneintritts? Das ist eine sehr, sehr wesentliche Frage, die hier in dieser Debatte geklärt werden muß. Bis zur Stunde haben wir keine Klärung erhalten. Denn wenn ich die Vorschläge der Bundesregierung zu den verschiedenen Punkten, die hier zur Debatte stehen, betrachte, muß ich sagen, daß darin der soziale Besitzstand zwar vom Tage her gewahrt ist, nicht aber vom Grundsatz her. Und
darüber vor aller Öffentlichkeit Klarheit zu schaffen, sollte auch Aufgabe dieser Debatte sein.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat davon gesprochen, daß es, wenn man Kritik an den Maßnahmen der Regierung übe, notwendig sei, auch zu sagen, wo mehr und wo weniger gekürzt werden solle. Er hat gesagt, der Regierung sei es hier nicht nur gelungen, die strukturellen Probleme der gesamten Sozialversicherung praktisch anzupacken, sondern auch, dafür Lösungen anzubieten. Hier, Herr Bundesarbeitsminister, sind wir eben unterschiedlicher Meinung. Sie haben zwar punktuelle Vorschläge gemacht, wie man über die nächsten ein, zwei Jahre hinwegkommen kann. Aber daß Sie die strukturellen Fragen der Sozialpolitik hier behandelt hätten, das kann man beim besten Willen nicht sagen.
({0})
- Aber lieber Herr Kollege Stingl, wir haben den ganzen Tag sehr aufmerksam zugehört, und wir haben auch gelesen, was Sie vorgeschlagen haben. Sie haben selbst zugeben müssen - und Ihr Bundesfinanzminister hat es in seiner Haushaltsrede zum Ausdruck gebracht -, daß damit natürlich die grundsätzlichen Probleme nicht gelöst seien. Genau unsere Meinung! Wenn Sie nicht einer Meinung mit dem Bundesfinanzminister sind, müssen Sie das innerhalb Ihrer Koalition und mit der Regierung klären. Aber Sie können uns von der Opposition doch nicht verdenken, daß wir diesen Unterschied hier deutlich sichtbar machen. Sie, Herr Kollege Stingl, haben heute vormittag hier wörtlich gesagt: „Und da bin ich nicht mit Ihnen einer Meinung, Herr Bundesfinanzminister." Dann können Sie nicht bezweifeln, daß eben nicht alle struktrellen Probleme, alle grundsätzlichen Fragen geklärt sind. Vielmehr sind sie ungeklärt, ungeklärt sogar zwischen Ihnen und Ihrer Regierung. Nicht anderes!
({1})
Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben mit Recht gesagt - und nicht nur Sie, sondern auch verschiedene Kollegen, die vorher gesprochen haben -, es komme darauf an, die Alterssicherung so aufzubauen, daß nach einem vollendeten Arbeitsleben der Lebensabend gesichert sei, und zwar nicht nur im Sinne des Existenzminimums, sondern nach Möglichkeit so, daß der Lebensstandard, der bis zum Eintritt in den Lebensabend vorhanden gewesen ist, weiter gehalten werden könne. Das ist eine Forderung, die wir alle gemeinsam vertreten. Nur über die Wege, die dahin führen, müssen wir diskutieren.
Sie sagen, der Alterssicherung müsse der erste Rang eingeräumt werden. Hier gehen wir mit Ihnen einig. Nur, sehr verehrter Herr Bundesarbeitsminister und sehr verehrte Kollegen von der CDU/ CSU und SPD, wenn ich der Alterssicherung einen Vorrang einräumen will, muß ich überlegen, wo ich in dem Gesamtgebäude vielleicht das eine oder das andere nachrangig einordnen kann. Die Entscheidung, etwas nach vorn zu bringen, bedingt doch auf der anderen Seite immer die Entscheidung, dafür etwas anderes etwas weniger intensiv zu behandeln. Ich werde Ihnen hierüber nachher noch einige Überlegungen oder, wenn Sie wollen, alte Gedankengänge, neu vortragen.
Mit Recht hat der Herr Bundesarbeitsminister darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung und die Koalition bei Ihren Überlegungen nicht nur der Solidarität des Beitragszahlers mit dem Rentner, sondern auch der Solidarität des Rentners mit dem Beitragszahler besonderes Gewicht beigemessen haben. Absolut einverstanden! Nur wundern wir und, daß Sie dann z. B. bei der Gestaltung des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner - wie Sie es nennen; in Wahrheit ist es gar kein richtiger Krankenversicherungsbeitrag - in Ihren Vorschlägen nicht konsequent sind. Konsequent wäre es doch, zu sagen: Die Renten sind bruttoarbeitslohnund bruttogehaltsbezogen, sie sind Lohn- und Gehaltsersatz, also müssen sie beitragspflichtig gemacht werden. Das wäre logisch nach dem, was Sie, Herr Kollege Katzer, hier gesagt haben. Sie bleiben dann plötzlich auf halbem Wege stecken.
({2})
- Natürlich! Sie sind nicht nur auf dem halbem Wege, sondern auf einem Viertel des Weges steckengeblieben. Der halbe Weg waren die 4 % der Regierung, und der Viertelweg sind Ihre 2 %, die Sie jetzt als Kompromiß ausgehandelt haben. Denn Sie haben selbst gesagt, Herr Kollege Stingl: Eigentlich müßte man 8 °/o Beitrag zugrunde legen. Das wäre das Systemgerechte für die Krankenversicherung der Rentner, wenn ich mich - so Sie - anlehne an die Beiträge der Angestelltenkrankenkassen, die keine Barleistungen verlangen.
({3})
Das ist eine Überlegung, die man durchaus anstellen kann, aber sie wäre nur dann logisch, Herr Kollege Stingl, - ({4})
- Lieber Herr Kollege Schmitt, ich bin ja schon dabei. Das würde konsequehterweise bedeuten, Herr Kollege Stingl - Wenn Sie in diesem Gedanken weitergehen -, daß Sie dann natürlich vorher den Pauschalbetrag, den die Rentenversicherung jetzt an die Krankenkassen zahlt, nämlich 40 DM pro Rentner, den Renten zuschlagen. Dann wäre das eine ganz logische Überlegung, die Sie hier angestellt haben. Das würde dazu führen, daß bei den kleineren Renten sogar ein Mehrbetrag für den Rentner herauskäme, daß aber bei den größeren Renten ein Minusbetrag herauskäme. Rechnen Sie sich das durch! Das ist die logische Folge dessen, was Sie heute früh hier im Hause gesagt haben. Wir werden im Ausschuß Gelegenheit haben, darüber zu sprechen. Herr Kollege Schmitt, das war die Antwort auf Ihre Frage.
({5})
- Ich bin noch nicht fertig. Wenn Sie am Schluß diese Frage stellen, bin ich gern bereit, sie zu beantworten, wenn ich sie bis dahin nicht beantwortet habe.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat davon gesprochen, im Jahre 1957 sei die Grundsatzentscheidung gefallen, und diese werde jetzt bestätigt werden. Genau darum geht es. Ich bedaure, daß ich so viele Kollegen, insbesondere aus der CDU/CSU-Fraktion, nicht sehe, die bei den Diskussionen in der Öffentlichkeit oft die Bedenken, die wir haben, teilen, aber offensichtlich hier, wenn es darum geht, die Dinge im Bundestag zu beraten, nicht dabei sind.
({6})
- Das sind eine ganze Menge, Herr Kollege Kühn, mehr, als Ihnen manchmal lieb ist. Das sehen wir an den Reaktionen aus Ihren Reihen.
Daß mit dieser Finanzänderungsvorlage praktisch festgelegt werden soll, daß das System so, wie es im Jahre 1957 beschlossen wurde, ohne Änderungen fortgeführt wird, das ist der erste Anschein.
({7})
Aber wenn wir einmal genau hineinleuchten, stellen wir fest, daß zwar gesagt wird: an dieser Formel, an diesem Grundsatz der Bruttolohnbezogenheit darf nicht gerüttelt werden, daß aber gleichzeitig Vorschläge gemacht werden - nicht nur in der Knappschaft, sondern auch in den anderen Bereichen -, die doch daran drehen und rütteln.
Ich habe Verständnis dafür, daß man versuchen will, die Mängel, die zutage getreten sind, auszugleichen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, haben Sie dann bitte den Mut, hier offen auszusprechen, daß sich herausgestellt hat, daß die Rentenformel so, wie sie im Jahre 1957 beschlossen worden ist, eben nicht für alle Fälle unserer wirtschaftlichen Entwicklung durchgehalten werden kann! Diesen Mut sollten Sie haben. Sie haben aber leider diesen Mut nicht, uns das hier offen darzulegen.
({8})
- Das ist nicht falsch, wie Sie gleich noch bei der Darlegung weiterer Beispiele hören werden.
({9})
Herr Kollege Möller hat gestern gesagt, daß meine Meinungsäußerung zu dem Kompromiß doch eigentlich nicht richtig gewesen sei. Dabei habe ich mich nur dessen befleißigt, was der Kollege Spitzmüller über die Rede Ihres Herrn Fraktionsvorsitzenden in Godesberg gesagt hat: man müsse die feinen Töne hören. Den feinen Ton haben Sie leider überhört. Ich habe nämlich wörtlich gesagt: Der Koalitionskompromiß kann nach dem Sprachgebrauch vergangener Jahre nur als glatter Umfall bezeichnet werden. Wenn Sie, Herr Kollege Möller, von dein Sprachgebrauch vergangener Jahre abkommen wollen, haben wir gar nichts dagegen. Wenn Sie heute die Erkenntnis haben, daß Kompromisse zu einer Koalition gehören, so kann ich nur feststellen, daß das eine erfreuliche Weiterentwicklung ist, aus der Erfahrung heraus.
({10})
- Das war kein geistiger Umfall, sondern nur die Feststellung, daß Sie die Dinge von der Oppositionsbank her offensichtlich anders gesehen haben, als Sie sie jetzt von der Regierungsbank aus sehen.
({11})
- Herr Kollege Stingl, Sie werden beim besten Willen nicht behaupten können, daß das, was ich jetzt hier vortrage, von uns jemals anders gesagt worden sei. Sie haben selber gesagt, mit uns sei es so schwierig gewesen. Wahrscheinlich doch deshalb, weil wir einen Standpunkt hatten und diesen Standpunkt durchgehalten haben. Das war der Unterschied.
({12})
- Welcher Standpunkt richtig oder falsch war, das werden Sie, verehrter Kollege, ich fürchte, viel schneller an den Beschlüssen, die Sie noch gemeinsam mit Ihren Kollegen zu fassen haben, spüren, als Ihnen selbst lieb ist.
({13})
Mein Kollege Spitzmüller hat heute früh schon darauf hingewiesen, daß in der Entwicklung der letzten Jahre sichtbar wurde, daß der Teil von Lohn und Gehalt, der dem einzelnen frei zur Verfügung steht, immer geringer geworden ist, weil Beitragsbelastung auf der einen Seite und Steuerbelastungen auf der anderen Seite gestiegen sind. Macht sich eigentlich jeder von Ihnen immer klar, daß wir im Augenblick bei den jetzigen Beiträgen 25,3 °/o, also rund ein Viertel, vom Bruttolohn oder Bruttogehalt, im Schnitt berechnet, bereits an Beitragsleistungen
- wenn ich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag zusammenziehe - für Krankenversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung aufzubringen haben? Dabei bin ich von 14 % für die Rentenversicherung ausgegangen. Wenn wir nun die beabsichtigte Beitragssteigerung berücksichtigen, kommen wir ohne Steuerbelastung zu einer Vorbelastung von etwa 30 % allein für die soziale Sicherung.
Da stellt sich doch mit Recht die Frage: Wo ist hier die Grenze? Sie haben heute gesagt, Herr Kollege Stingl: da, wo die Belastung noch vertretbar ist. Das ist natürlich sehr schön weich ausgedrückt.
({14})
- Natürlich habe ich zugehört, Herr Kollege Stingl. Sie haben niemals versucht, eine konkrete Zahl auszusprechen.
({15})
- Wir sind bereit, konkrete Zahlen zu nennen. Wir sind der Meinung, daß die 25,3 %, die wir heute haben, an sich schon die obere Grenze darstellen. Wenn man nun für die Rentenversicherung
mehr Beiträge braucht, ob vielleicht in anderen Bereichen durch Umstrukturierung ein geringerer Beitragssatz möglich ist. Aber daran wollen Sie bis jetzt nicht herangehen. Hier ist die Frage gestellt, über die wir gemeinsam reden müssen.
({16})
- Nein! Aber lieber Herr Kollege Killat, wissen Sie nicht, daß wir z. B. auch schon einmal über die Krankenversicherungsreform gesprochen haben, daß da Überlegungen im Gange waren? Ist es denn richtig - hier sollten Sie sich doch einmal völlig frei machen von der Überlegung: hie SPD, da CDU oder FDP, und eine grundsätzliche Überlegung anstellen -, daß Sie bei Ihren gesamten sozialpolitischen Überlegungen immer davon ausgehen, daß eine weitere Steigerung der Beiträge erfolgen werde? Ist eine derartige weitere Steigerung der Beiträge denn richtig? Wir sind der Meinung, daß der fortwährend steigende Teil des Einkommens, der für diese Sicherung abgezweigt wird, die Belastungsgrenze erreicht hat. Wer das verneint, gibt damit zu erkennen, daß er lieber sieht, wenn statt 25 % bald 30 %, vielleicht sogar ein noch höherer Teil, von Lohn und Gehalt in gemeinsame Sicherungseinrichtungen fließen und damit praktisch den Spielraum für die hier oft beschworene Vermögensbildungsmöglichkeiten immer weiter einschränken; denn das ist doch die Folge davon. Sie können nicht beides zu gleicher Zeit haben. Hier müssen Sie sich entscheiden, was Sie wollen. Aber diese Entscheidung zu treffen, waren Sie bisher nicht in der Lage.
({17})
- Bis zur Stunde haben Sie diese 'Entscheidung nicht gefällt.
Mit Recht hat Herr Kollege Schellenberg davon gesprochen, daß z. B. im Bereich des Familienlastenausgleichs keine Konzeption vorliegt. Die Zwischenfrage von Herrn Kollegen Wuermeling hat offenbart, wie doch noch manches am Brodeln ist, und man fragt sich, wie lange der Kitt hält, der vor wenigen Tagen hergestellt worden ist.
({18})
- Der hält schon, Herr Kollege Wuermeling? Das heißt, Sie haben Ihre Auffassung in der Zwischenzeit aufgegeben?
'({19}) - Wenn das so ist, nehmen wir es zur Kenntnis.
Herr Kollege Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Killat?
Bitte!
Herr Kollege Mischnick, Sie sprachen hier von 30 % Sozialbelastung. Ist Ihnen nicht bekannt, daß wir im vergangenen Jahr für alle Sozialleistungen, nicht nur der Sozialversicherung, auch für Kriegsopfer, für Lastenausgleich, für Vertriebene, für Sozialhilfe, 69 Milliarden DM ausgegeben haben? Bei einem Bruttosozialprodukt von 478 Milliarden DM sind das nur 15 %.
Aber Herr Kollege Killat, ich müßte jetzt fast genauso anworten, wie vorhin Kollege Stingl mir zugerufen hat: Haben Sie nicht ganz aufgepaßt?
Ich habe davon gesprochen, wie hoch die Belastung von Lohn und Gehalt ist. Ich habe nicht davon gesprochen, welcher Anteil vom Sozialprodukt in die Sozialversicherung oder sonstige Einrichtungen fließt. Das ist natürlich auch eine Frage, aber nicht die allein entscheidende Frage.
({0})
Als der Bundesfinanzminister vorgestern davon sprach, daß hier gewisse Ansätze zur Reformierung gegeben sind, daß aber die große Entscheidung noch kommen müsse, war spürbar, daß das auf wenig Resonanz bei Ihnen stieß. Ich verstehe das, denn Reform der Rentenreform hat natürlich eine schlechten Beigeschmack. Das Gefühl wird erweckt, als sei doch vielleicht das eine oder das andere falsch gewesen, und man gibt nicht so gern zu, daß man da etwas falsch gemacht hat.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, all das, was Sie heute an Einzelmaßnahmen - und das bitte ich vor allen Dingen die Kollegen sehr aufmerksam in sich zu verarbeiten, die nicht unmittelbar mit der Sozialpolitik zu tun haben -, was Sie an Vorschlägen bringen, ist doch weiter nichts als ein Puzzlespiel, was über die nächsten Schwierigkeiten hinweghelfen soll. Es ist kein Versuch, auf Dauer zu Lösungen zu kommen - und das ist die entscheidende Frage -, die sowohl dem Rentner von heute wie dem Beitragszahler von heute gerecht werden. Was bisher geschieht, stand ja immer unter dem Motto - und das wurde sehr deutlich gesagt -: Es geht darum, den Rentner von heute zu sichern. Die Frage, was mit dem Beitragszahler von heute als Rentner von morgen wird, ist mit all den Überlegungen, die bisher hier vorgebracht worden sind, nicht beantwortet worden.
({1})
- Das ist nicht sagenhaft, sondern das ist eine Tatsache.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man könnte über diese Einzelfragen durchaus diskutieren. Man könnte sagen: Wir brauchen jetzt noch ein, zwei Jahre Zeit, um das, was an Schwierigkeiten finanzpolitischer Art vor uns steht, zu überwinden. Aber dann müssen wir eben die Generalentscheidung treffen, wohin es weitergehen soll. Sie sagen: heute Generalentscheidung, ohne klar zu wissen, ob wirklich die Überlegungen über die Finanzierung, die Sie für die Zukunft haben, durchhaltbar sind.
Ich teile die Meinung von Herrn Minister Katzer. Ich teile die Meinung von Ihnen, Herr Kollege Stingl. Wenn die Bundesregierung beschlossen hat, 5,5 % als Grundlage zu nehmen, dann haben Sie keinen Anlaß, dann hat das Arbeitsministerium keinen Anlaß, davon abzuweichen. Aber durch diese Tatsache allein wird ja der angenommene Prozentsatz für das Wachstum von 5,5 % nicht richtiger.
Er ist nach unserer Überzeugung - das haben wir bei der Debatte am 6. September schon gesagt - leider eben zu hoch angesetzt. Das bedeutet aber, daß all Ihre Berechnungen, auf denen Sie im Augenblick aufbauen, schon im nächsten Jahr hinfällig sind, wenn sich herausstellt, daß 1968, wie wir befürchten, eben nicht eine Wachstumssteigerung von 5,5 % zu verzeichnen ist. Sie sagen, wir sprechen jetzt von 1968. Das unterscheidet uns eben. Uns geht es eben nicht nur um das, was im nächsten Jahr passiert, sondern uns geht es um die grundsätzlichen Lösungen, die wirklich langfristig wirksam sind.
({2})
- Lieber Kollege Stingl, dann müssen Sie zumindest zugeben, daß in Ihren Überlegungen, die auf der Steigerung von 5,5 % aufbauen, die Gefahr liegt, daß Sie schon im nächsten Jahr feststellen müssen, daß die Ausgangsbasis falsch gewesen ist, das heißt, daß Sie im nächsten Jahr zu noch größeren Korrekturen kommen müssen, als Sie sie in diesem Jahr vornehmen zu können glauben.
({3})
- Aber Sie müssen doch zugeben, daß ,die Voraussetzungen eben variabel sind.
({4})
- Ausgezeichnet! Wenn Sie mit uns dieser Meinung sind, heißt das aber gleichzeitig, daß Sie mit Ihrem Rezept, von Jahr zu Jahr arbeiten zu wollen, nicht die Garantie geben können, von der Sie immer sprechen, daß nämlich der Rentner an seinem Lebensabend wissen muß, woran er ist. Das können Sie nicht garantieren, wenn Sie so wie bisher weiter arbeiten.
({5})
Der Herr Bundesfinanzminister hat vorgestern einen sehr interessanten Satz gesagt, als er ausführte - ich zitiere -:
Der entscheidende Fortschritt
- nämlich tdieser Haushaltsplanung, dieses Finanzänderungsgesetzes besteht darin, daß 'die auf ein Jahr begrenzte und durch tagespolitische Zufälligkeiten ... bestimmte Haushaltspolitik endgültig überwunden sein soll.
In seinem Manuskript stand noch: „überwunden ist". Ich hatte ,das Gefühl, daß die Erfahrungen mit dem Kompromiß zwischen (den beiden Fraktionen am Dienstag ihn zu 'der vorsichtigeren Formulierung: „überwunden sein soll" veranlaßt haben. Das heißt aber, daß Ihr Bundesfinanzminister - er nickt; Sie haben uns ja immer ,den Vorwurf gemacht, wir hätten unseren Finanzminister nicht genug gestützt - schon jetzt, kaum zehn Monate nach
Gründung dieser Koalition, die Sorge haben muß, daß Sie, obwohl er und die Regierung gewisse richtige langfristige Uberlegüngen angestellt haben, ihn und ,die Regierung dabei im Stich lassen, 'diese Überlegungen durchzuführen.
({6})
- Kein Gedanke daran? - Es ist erfreulich, daß Sie das sagen, Herr Kollege Möller. Das heißt dann aber auch, Herr Kollege Möller, ,daß Sie bereit sein müssen, unserer Überlegung zu folgen, die da lautet: Es läßt sich einfach nicht miteinander vereinbaren, auf der einen Seite zu sagen, die Rentenformel bleibe so, wie sie schon 1957 beschlossen worden ist, unverändert, sozialer Besitzstand sei garantiert, auf der anderen Seite aber gleichzeitig Eingriffe vorzuschlagen. Das ist dann nicht mehr redlich.
Herr Kollege Stingl sagte, daß es schäbig wäre, wenn man heute den Rentnern Belastungen zusätzlich aufbrummte, die man 1957 nicht gewollt habe. Herr Kollege Stingl, es ist natürlich genauso schäbig, wenn man heute die Beitragszahler und Rentner in
den Glauben versetzt, das werde alles sehr gut gehen, und dann ähnliche Maßnahmen, wie sie jetzt zur Diskussion stehen, alle Jahre wieder notwendig werden. Denn das wäre dann natürlich keine kontinuierliche, systematische und das Vertrauen in ,die Zukunft (der Einrichtung rechtfertigende Politik. Daß ,die Unzufriedenheit mit der Rentenreform wächst, ist doch unbestreitbar, unbestreitbar vor allen Dingen deshalb, weil ein wesentlicher Punkt nicht erreicht werden konnte. Wir stehen nämlich vor der Tatsache, daß es heute eine ganze Menge Rentner gibt, die zwar zugegebenermaßen niedrige Beitragszahlungen geleistet haben, die aber häufig sehen müssen, daß sie mit ihren Leistungen unter den Sätzen liegen, 'die die Sozialhilfe denjenigen bringt, die nie einen Pfennig Beitrag gezahlt haben. Da stellt sich doch die Frage - und das ist die nächste grundsätzliche Überlegung -, ob entweder
({7})
- lassen Sie mich erst ausreden! - die Überlegung falsch ist, in unserem Rentenversicherungssystem so zu verfahren, wie es heute geschieht, daß nämlich der Bundeszuschuß global hineinläuft, oder ob die andere Überlegung mit dem Sozialhilfegesetz falsch gewesen ist, die nämlich dazu führt, daß der Nichtbeitragszahler bessergestellt sein kann als der Beitragszahler. Eins von beiden muß, wenn man den Mut hat, die Dinge grundsätzlich zu betrachten, überprüft werden.
({8})
- Nein, Herr Kollege Kühn, man kann sich etwas anderes überlegen.
({9})
- Das ist z. B. eine Überlegung, über die man diskutieren kann, und ich will Ihnen gleich sagen, daß Sie heute früh in Ihren Ausführungen manchen Gedanken in dieser Richtung unterstützt haben. Bei der SPD ist das ja im Volksversicherungsplan auch weitgehend enthalten.
({10}) - Ich würde sagen, doch!
({11})
- Da haben Sie wieder recht. Aber ich habe heute früh sowieso den Eindruck gehabt, daß das gegenseitig schon so eingespielt ist, daß man sich wechselseitig abschirmt.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Rede des Herrn Bundesfinanzministers hieß es, daß wir 1968 einen Wachstumsverlust von 1967 ausgleichen müßten. Wieso eigentlich „müssen" ? „Müssen" natürlich, wenn man von der Gesetzgebung ausgeht, wie wir sie heute z. B. in der Rentenversicherung haben. Denn die Rentenversicherung ist ja eben darauf aufgebaut, daß wir ständig wachsende Löhne und Gehälter haben und sofort in Schwierigkeiten geraten, wenn das nicht mehr der Fall ist. Wenn ich Wachstum um jeden Preis will oder brauche, um gesetzliche Bestimmungen zu erfüllen, ergibt sich doch automatisch die Frage: Besteht nicht mit dem Wachstum um der Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen willen die Gefahr, daß damit inflationäre Erscheinungen bei uns Platz greifen? Der Bundesfinanzminister hat gesagt, das komme nicht in Frage, dagegen wolle man sich wenden. Aber jeder, der dieses System genau kennt, weiß, daß im Abflauen einer Konjunktur, wie wir es jetzt erleben, sofort Schwierigkeiten auftreten. Ja, manche Schwierigkeiten wären schon vor Jahren sichtbar gewesen, wenn wir nicht das Glück gehabt hätten, durch einen Zustrom Jugendlicher aus der Sowjetzone lange Jahre zusätzliche Arbeitskräfte zu haben, und wenn wir nicht darüber hinaus bis zu 1,3 Millionen Gastarbeiter mit Milliarden von Beiträgen gehabt hätten, die unsere Finanzsituation sehr günstig beeinflußt haben. Das ist ja unleugbar. Wenn das nicht gewesen wäre, wäre manches von diesen Schwierigkeiten schon viel schneller sichtbar geworden.
Wir sind der Meinung, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, zu einer generellen Überprüfung aller unserer Sicherheitssysteme zu gelangen, nicht mit dem Ziel - das sage ich ausdrücklich jetzt zum Kollegen Büttner stellvertretend, weil Kollege Matthöfer nicht anwesend ist -, die Alterssicherung oder die soziale Sicherung einzuschränken, sondern um die soziale Sicherung so zu stabilisieren, daß wir morgen mit gleich gutem Gewissen wie übermorgen behaupten können, es sei wirklich eine soziale Sicherung auf Dauer.
Daß der Wunsch nach Sicherung besteht, ist unbestreitbar. Aber meine sehr verehrten Damen und Herren: ist eigentlich nachgewiesen, daß dieser Wunsch nach Sicherheit unbedingt verbunden sein muß mit der zwangsweisen Einbeziehung aller, die überhaupt in Frage kommen? Ist nicht sichtbar, gerade aus verschiedenen Zusatzversicherungen, die wir in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung haben, daß hier das Bedürfnis besteht, auch eine gewisse Eigengestaltung vorzunehmen?
({13})
- Einverstanden! Gut, Kollege Stingl, aber ,sind Sie dann nicht auf dem falschen Wege, wenn Sie heute verkünden: Jetzt wird die entscheidende Weiche gestellt, damit wir alles in die große Rentenversicherung einbeziehen? Das haben Sie heute ganz klar gesagt. Wenn Sie damit den Gedanken verbinden: Es geht hierbei darum, eine Grundsicherung zu schaffen,
({14})
dann kann man sich darüber unterhalten; dann heißt das aber, daß dem einzelnen nach einem bestimmten Zeitraum wieder die Freiheit der Entscheidung gegeben sein muß, ob er in diesem System bleibt oder nicht.
({15})
- Sehen Sie, Herr Kollege Stingl, das ist eben der Unterschied in unseren Überlegungen.
({16})
- Genau. Das bestreiten wir doch nicht. Wir sind durchaus bereit, für jedermann die Notwendigkeit der Vorsorge anzuerkennen
({17})
und dabei durch gesetzliche Maßnahmen die Grundsicherung sicherzustellen. Diese Grundsicherung - ({18})
- Das ist doch nicht der Fürsorgesatz, Herr Kollege Schellenberg. Machen Sie doch Ihre eigenen Vorschläge der Volksversicherung nicht so schlecht!
({19})
Diese Grundsicherung besteht nach unserer Überzeugung eben aus der sinnvolleren Verwendung der Bundeszuschüsse, als es bisher der Fall ist, einschließlich all der Bereiche, die in der Kriegsfolgengesetzgebung heute ebenfalls aus Bundesmitteln abgedeckt werden müssen, die aber leider nach dem, was wir bisher feststellen mußten, eben nicht in der allgemeinen Weiterentwicklung enthalten sind. Auf die Dauer ist es ,doch einfach unmöglich, zu sagen: In dem einen Bereich - Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Knappschaftsversicherung, Unfallversicherung, zum Teil Wiedergutmachung - steigere ich um einen bestimmten Prozentsatz, seien es 8 %, seien es in Wahrheit jetzt 6 %, in ,dem anderen Bereich aber wird - wie gesagt worden ist - bis 1971 völlig stillgehalten. Ist dann nicht .die Überlegung berechtigt - ich bitte Sie, das hier wirklich einmal fern jeder parteipoliti6564
sehen Überlegung, sondern einfach vom Grundsatz her zu sehen -, ob ich nicht alles das, was an Staatsmitteln gezahlt wird - sei es als Bundeszuschuß, sei es für die Unterhaltshilfe über den Lastenausgleich, sei es für die Ausgleichsrente in der Kriegsopferversorgung -, für einen Grundbetrag für über 65jährige, für einen Sockelbetrag verwendet wird, den man dann entsprechend aufstockt mit dem Rentenanspruch, der als beitragsgerechte Leistung für einen bestimmten Zeitraum gewährt wird. Das ist die Überlegung der Grundsicherung, die wir haben. Das ist dann eine Verpflichtung nicht für die eine oder andere Gruppe, sondern es soll eine Verpflichtung für jedermann sein. Wir sind uns bewußt, 'daß von hundert dann vor der Entscheidung stehenden Arbeitern und Angestellten nicht etwa neunzig diesen Weg gehen werden; es werden vielleicht nur 10 oder 20 % sein. Wir sind aber der Meinung, daß man denen, die diesen Weg gehen wollen, eine unterschiedliche Sicherungsmöglichkeit für sich zu schaffen, diese Möglichkeit eröffnen muß, daß man ihnen diesen Weg nicht durch einen Beschluß: „bis zum 65. Lebensjahr muß jeder einen bestimmten gesetzlich fixierten Beitrag zahlen" verbauen darf. Da ist der Punkt, wo wir einhaken, da wollen wir die Luft schaffen, die Entscheidungsfreiheit zu ermöglichen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung sehr dehtlich gesagt, daß die Zuwachsraten .der Sozialleistungen, der Bundeszuschüsse zu prüfen sind, 'daß zu prüfen ist, ob sie mit den Möglichkeiten und Grundsätzen einer gesunden Finanzpolitik in Einklang zu bringen sind. Wenn man diese grundsätzliche Überprüfung vornehmen will, dann lohnt es sich doch, einmal wirklich zu prüfen: Ist das, was wir bisher, sei es mit Mehrheit, sei es gemeinsam, als alleinigen Weg angesehen haben, tatsächlich auf die Dauer der einzige Weg? Wer sich dazu bekennt - wie es Kollege Stingl gesagt hat -, der individuellen Vorsorge noch Raum zu geben, der muß auch den Mut haben, diesen Raum durch eine Änderung der jetzigen Bestimmungen tatsächlich zu schaffen. Dann wäre auch die Möglichkeit gegeben, die Entscheidung des einzelnen, wie hoch er seine Altersvorsorge haben will, stärker als bisher zu berücksichtigen.
Es wäre aber auch notwendig, lassen Sie mich das ganz offen aussprechen, dem Gedankengang des Kollegen Stingl noch etwas weiter zu folgen. Er sagte heute früh - und fast mit denselben Worten habe auch ich das schon ausgeführt -, daß die Unterschiedlichkeit der Sicherungssysteme - Krankenversicherung, Unfallversicherung und Altersvorsorge - gesehen werden muß. Absolut einer Meinung! Das wird aber, wenn Sie es logisch fortsetzen, auch dazu führen, daß Sie zwischen Altersvorsorge auf der einen Seite und Invaliditätssicherung auf der anderen Seite ebenfalls unterscheiden müssen.
({20}) - Wenn wir uns darin finden - ausgezeichnet!
({21})
- Ich weiß, daß viele Gedanken, die wir geäußert haben, in der Kommission positiv beurteilt worden sind. Ich habe sogar einige Auszüge hier; ich kann sie gern vorlesen.
({22})
- Ach, Herr Kollege Stingl, vielleicht ist es Ihnen nicht mehr ganz im Gedächtnis: der Vorsitzende des Sozialbeirates, Professor Meinhold, hat in der Sachverständigenanhörung u. a. gesagt:
... und ich persönlich gestehe, daß ich der zweiten Konzeption mit der Mindestversorgung durch Steuern viel Sympathien abgewinnen kann.
Das heißt, in das übersetzt, was wir sagen, daß eine Sockelrente, aus Staatszuschüssen finanziert, vom Vorsitzenden des Sozialbeirats, Professor Meinhold, durchaus begrüßt und für sinnvoll gehalten wird. Daß das in der Diskussion über die Sozialenquete nicht so deutlich zum Ausdruck kam, erklärt sich aus einem Satz, den er später gesagt hat. Er hat nämlich auf die Frage des Kollegen Spitzmüller, ob man diese Dinge bis ins letzte geprüft habe, gesagt:
Aber wir konnten auf Grund unseres Auftrages nicht alle vier Konzeptionen nebeneinander behandeln. Sie haben also vollkommen recht:
- zu Kurt Spitzmüller es ist eine Entscheidung, die wir getroffen haben, und wir können dafür nicht den Anspruch der Wissenschaftlichkeit der Entscheidung erheben.
Das heißt auf deutsch: Das, was entschieden worden ist;
({23})
ist auf dem Hintergrund der politischen Entschei dung von 1957 erfolgt.
({24})
Demzufolge ist ein Argumentieren aus der Stellungnahme der Kommission heraus gegen die Überlegungen der FDP, sie seien nicht realistisch, sie seien nicht durchführbar, nicht möglich. Denn diese Überlegungen sind ja, wie die Professoren selber gesagt haben, nicht bis zum letzten untersucht worden, weil der Auftrag anders lautete. Wenn ich es etwas härter sage: Der Auftrag lautete, im Ergebnis eine Bestätigung dessen zu bringen, was bisher ist. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie das haben wollen; aber Sie müssen auch umgekehrt Verständnis dafür haben, daß das für uns kein Anlaß sein kann, nun unsere anderen Überlegungen als überflüssig zu betrachten.
({25})
- Verehrter Herr Kollege Killat, Sie wissen ganz genau - erst heute früh ist das wieder gesagt worden -, daß wir eine eigene Meinung dazu hatten, und Herr Kollege Schellenberg hat mit Recht darauf
hingewiesen - und hier muß ich den Kollegen Schellenberg vor dieser Mahnung, die Sie, Herr Kollege Killat, an mich richten, in Schutz nehmen -, daß man natürlich in einer Koalition nicht nur sein eigenes Programm durchsetzen kann, sondern daß man zu Kompromissen kommen muß. Das ist geschehen, und in diesem Falle war der Kompromiß, daß die Weisung, wie das im einzelnen zu geschehen hat, durch den zuständigen Minister erfolgte und nicht im Kabinett beschlossen worden ist.
({26})
- Das ist ein Irrtum, Herr Kollege Geiger; das war nur der Versuch, zu vermeiden, daß Sie vielleicht bei diesen Fragen darüber streiten müssen, was nun wirklich in der Koalition notwendig ist und was nicht.
Aber zurück zur grundsätzlichen Überlegung! Wenn Sie diesen Weg der Trennung von Altersvorsorge und Invalidität, die wir für notwendig halten, gehen, muß natürlich das weitere Grundproblem angepackt werden: Ist der Arbeitgeberbeitrag heute noch als selbständige Säule richtig oder nicht, muß nicht der Arbeitgeberbeitrag endlich zum echten Bestandteil von Lohn und Gehalt gemacht werden, damit man von da her die Dinge betrachten kann? Diese Trennung von Arbeitgeberbeitrag und Arbeitnehmerbeitrag ist überholt, und sie zwingt uns dazu. bei der Frage der Versicherungspflichtgrenzen, bei der Festlegung, wo Entscheidungsfreiheiten gegeben werden, Rücksichten zu nehmen, die auf die Dauer nicht richtig sein können. Entschließen Sie sich, mit uns zusammen dafür zu sorgen, daß der Arbeitgeberbeitrag endlich echter Bestandteil von Lohn und Gehalt wird, damit dann über diesen Gesamtbetrag im einzelnen verfügt werden kann!
Ein weiteres: In den Darlegungen- des Herrn Bundesarbeitsministers ist kurz anqeklungen, daß wir auch überlegen sollten. ob die Gliederungen, die wir heute in den verschiedenen Bereichen der Rentenversicheruna und der Krankenversicherung haben. in dieser Form auf die Dauer aufrechterhalten werden können. Ich spreche nicht von der sachlichen Gliederung. sondern von der regionalen Gliederung. Daß eine sachliche Aufschliisseluna z. B. in der Krankenversicherung nach Ortskrankenkassen, Innungskrankenkassen. Landkrankenkassen. Ersatzkassen sinnvoll ist, das ist unbestritten; aber ob es auf die Dauer sinnvoll ist, 402 Ortskrankenkassen zu 'haben. das wage ich doch zu bezweifeln. Sollte man nicht die regionalen Zusammenschlüsse, die in den Fragen der Raumordnung heute eine solche Rolle spielen. auch in diesem Bereich fördern und weitertreiben? Ist es wirklich sinnvoll, 16 Landesversicherungsanstalten nebeneinander zu haben? Könnte man hier nicht zu einer ähnlichen Lösung kommen wie bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte- zu einer Zusammenfassung, um damit technische Möglichkeiten stärker nutzen zu können. als es bisher der Fall gewesen ist? Das alles. sind Fragen, über die man, wenn wir hier zu einer generellen Diskussion kommen, unserer Überzeugung nach sprechen muß.
({27})
- Aber wir sehen leider noch nicht die Vorschläge.
Sie haben ja auch beantragt, Herr Kollege Schellenberg, daß der Familienlastenausgleich in einer neuen Konzeption vorgelegt werden soll. Bis zur Stunde ist das nicht der Fall. Das ist der nächste Punkt, auf den ich zu sprechen kommen will. Hier erwarten wir ebenfalls von der Bundesregierung einen Vorschlag, wie das Nebeneinander von Kinderfreibeträgen und Kindergeldzahlungen in eine sinnvolle Ordnung gebracht werden soll, einschließlich der Kindergeldzuschläge, die wir in den verschiedenen Sicherungssystemen haben. Hier kann durch eine Lösung, die einheitlich für alle Bereiche gilt,-sehr viel Verwaltungsaufwand gespart werden. Aber bis zur Stunde haben wir von der Bundesregierung leider keine entsprechenden Vorschläge vorgelegt bekommen. Das gehört aber genauso zu den Grundsatzfragen, die wir angesprochen haben und auf die Sie uns bis zur Stunde keine Antwort geben konnten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch folgendes feststellen. Hier ist mehrfach davon gesprochen worden: die Opposition sagt immer, das sei nicht richtig, da sei sie dagegen; sie soll andere Vorschläge machen! Gut, wir haben hier einige grundsätzliche Anderungsüberlegungen entwickelt. Wir sind bereit, darüber zu diskutieren. Sie können aber doch nicht sagen: Ihre grundsätzlich anderen Überlegungen lehnen wir ab, aber anschließend verlangen wir von Ihnen als Opposition Deckung für das, was an Veränderungen durch unsere Beschlüsse geschehen ist.
({28})
Das können Sie doch auf die Dauer nicht von uns erwarten. Sie hatten es im vergangenen November abgelehnt, unsere Vorschläge anzunehmen, Sie haben Ihre Konzeption durchgesetzt. Nun können Sie doch nicht erwarten, daß wir weitere Überlegungen anstellen, daß wir das mit in unsere Deckungsvorschläge einbeziehen, was Sie beschlossen haben, wozu wir nein gesagt haben.
({29})
- Sie haben uns vorgehalten, daß wir keine konkreten Vorschläge gemacht haben. Diese konkreten Vorschläge liegen in vielen Bereichen vor. Wenn Sie dazu nein sagen, können Sie uns doch jetzt nicht vorwerfen, wir hätten nichts gemacht. Darüber sind wir uns doch einig.
Wenn wir dieses ganze Finanzänderungsgesetz betrachten, wenn wir das, was heute dazu gesagt worden ist, zusammenfassend werten, kommen wir zu dem Ergebnis, daß zwar versucht wird, finanzpolitisch einige Löcher zu stopfen, daß zwar versucht wird, über die nächsten Jahre hinwegzukommen, daß aber kein grundsätzlicher Reformgedanke sichtbar geworden ist. Als diese Koalition gebildet
wurde, war eine wesentliche Begründung: nur mit einer solchen großen Koalition könne man große Reformen durchführen.
({30})
- Kollege Geiger, wenn sie nur sichtbar wären, wären wir schon dankbar. Aber keine große Reform ist ja bis zur Stunde auch nur sichtbar. Die große Koalition hat bis zur Stunde zwar nominell eine große Quantität; aber in bezug auf die großen Reformen ist es bis zur Stunde eine große Illusion.
({31})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich mich zu Wort gemeldet habe, sagte ein wohlmeinender Kollege zu mir: Mach's kurz. Meine Antwort darauf: Natürlich mache ich es kurz, ich bin ja kein Sozialpolitiker, sondern möchte als Mitglied des Haushaltsausschusses etwas dazu sagen. Meine verehrten Kollegen aus dem sozialpolitischen Ausschuß, das war wirklich scherzhaft gemeint.
Dieser Tag heute, soweit wir uns im Verlauf der Debatte mit dem Haushalt 1968 und mit dem Finanzänderungsgesetz und seinen Auswirkungen auf den sozialpolitischen Bereich beschäftigt haben, war natürlich wieder einmal der große Tag unserer Sozialpolitiker. Aber ich habe dafür großes Verständnis. Angesichts der Tatsache, daß die aus der mittelfristigen Finanzplanung zu ziehenden Konsequenzen, die ihren Niederschlag im Finanzänderungsgesetz gefunden haben, einschneidende Auswirkungen auf den sozialen Bereich haben, kann man nicht einfach mit ein paar Sätzen darüber hinweggehen, zumal draußen in der Öffentlichkeit - von welcher Seite auch immer - so in etwa die Meinung gesteuert oder provoziert wird, daß jetzt mit einer Politik der sozialen Demontage begonnen werden solle. Dieser Auffassung kann man nicht entschieden und klar genug entgegentreten.
({0})
Das ist heute geschehen, und auch unter diesem Gesichtspunkt war diese lange und ausführliche Debatte recht gut.
Meine verehrten Kollegen vom sozialpolitischen Ausschuß mögen mir aber einen kleinen Seitenhieb nicht verübeln; der geschieht wirklich in kollegialer Absicht. Wenn wir wirklich einmal erreichen sollten, daß über sozialpolitische Fragen und Probleme in diesem Hause in gestraffter und in kürzerer, vielleicht .auch für alle etwas verständlicherer Form diskutiert werden sollte, dann, meine und fürchte ich, stehen wir in der Endzeitphase dieser vergänglichen Welt; wir werden das sicherlich nicht mehr erleben.
({1})
Ich möchte aber auch meinen, daß vor allem unsere Kollegen Herr Professor Schellenberg und Herr Stingl durch die temperamentvolle Offensive unseres Kollegen Spitzmüller gegen die Regierungsvorlage und die Alternativvorschläge geradezu gereizt wurden, und zwar durch die Argumente, die er dafür vorgebracht hat und die ich von einem so sachkundigen und versierten Sozialpolitiker, wie Sie es sind, Herr Kollege Spitzmüller, eigentlich nicht erwartet habe; das muß ich offen sagen. Ich glaube, daß meine beiden Kollegen durch diese Argumente geradezu herausgefordert wurden, in aller Breite darauf einzugehen, und sie haben es, wie ich meine, mit einer - verzeihen Sie! - größeren und überzeugenderen Sachkunde getan, und zwar beide mit dem nicht zu zügelnden Temperament. Aber wer von der Richtigkeit seiner Argumente und Auffassungen überzeugt ist, trägt diese eben auch leidenschaftlich vor.
Herr Kollege Mischnick, ich gestehe Ihnen zu, daß Sie ein sehr sachkundiger und versierter Sozialpolitiker in Ihrer Eigenschaft als Berichterstatter für den Haushalt im Haushaltsausschuß sind. Aber ich meine, Ihre Ausführungen haben beide Kollegen geradezu provoziert, noch einmal das Wort zu nehmen, um zu Ihren Ausführungen Stellung zu nehmen. Aber Sie müßten genau das, was Sie heute morgen hier gesagt haben, noch einmal sagen. Sie haben gesagt, Herr Kollege Mischnick - ich glaube, er ist nicht mehr da -, daß Sie den Gedanken des Kollegen Stingl gefolgt sind. Nur habe ich eben den Eindruck - ich habe heute morgen sowohl bei Herrn Stingl als auch bei Herrn Schellenberg sehr aufmerksam zugehört -, daß Sie nicht allen Gedankengängen gefolgt sind, oder es ist so, daß Sie, soweit Sie ihnen gefolgt sind, falsche Schlüsse daraus gezogen haben.
({2})
Es ist heute nicht mehr die Stunde, grundsätzliche Betrachtungen über Reform und Änderungen der Sozialpolitik oder der Leitlinien der Sozialpolitik anzustellen. Ich weiß auch nicht, ob dies der richtige Ort ist.
Herr Kollege Mischnick, Sie haben die Frage nach dem sozialen Besitzstand aufgeworfen. Ich meine, diese Frage ist eigentlich, wenn auch nicht erschöpfend, so doch in einigen gewichtigen Punkten nicht nur von den beiden Sprechern der Koalitionsparteien, sondern jetzt auch vom Bundesarbeitsminister beantwortet worden. Ich sehe die Antwort darin, daß hier klar herausgestellt wurde, daß mit dem Finanzänderungsgesetz kein Eingriff in die Struktur des Rentensystems vorgenommen wird. Ich sehe die Antwort darin - wie es Herr Stingl heute morgen gesagt hat -, daß der abgewogene Anteil der Renten am Bruttosozialprodukt aufrechterhalten werden soll, und in dem, was die finanziellen Probleme der Rentenversicherung betrifft.
Ich gebe Ihnen zu: was uns heute vorliegt, wird sicherlich keine endgültige Lösung sein. Aber ich bin immerhin der Meinung, daß das, was uns vorgelegt wurde, auch dieses Problem zumindest in dem
Planungszeitraum, den wir vor uns haben, befriedigend löst.
Ich habe gesagt, ich wollte als Mitglied des Haushaltsausschusses einiges sagen. Wenn sich die Haushaltspolitiker bei der Behandlung sozialer Probleme zu Wort melden, dann geht ihnen immer in etwa der Ruf voraus, sie würden alles nur durch die fiskalische Brille sehen, sie dächten nur an das Geld und nicht an die Menschen. Das kann man zwar behaupten, es läßt sich aber nicht begründen. Im übrigen scheint auch im Zusammenhang mit Fragen der Sozialpolitik das Denken an das Geld, das Denken an die Stabilität des Geldwerts und an die gesunden finanziellen Grundlagen auch nicht gerade eine Untugend zu sein.
Aber Herr Kollege Spitzmüller meinte heute morgen, nichts charakterisiere die Sozialpolitik der Regierung besser als das Finanzänderungsgesetz. Sie haben nicht näher konkretisiert, was Sie meinen. Ich nehme an, Sie haben auf die in dem Finanzänderungsgesetz vorgenommenen Kürzungen der sozialen Leistungen und die gesellschaftspolitischen Entscheidungen, die nach Ihrer Meinung Fehlentscheidungen sind, angespielt. Ich meine, Herr Kollege Spitzmüller, am besten und am deutlichsten charakterisiert den Werdegang der deutschen Sozialpolitik die Tatsache, daß die Bundesrepublik mit ihrem sozialen Sicherungssystem an der Spitze aller vergleichbaren Staaten steht.
Was die Sozialpolitik dieser Regierung betrifft, ist ein Eingriff in die Struktur des Rentensystems nicht vorgenommen worden, und was die Kürzung der Leistungen betrifft, ist sie zumutbar und vertretbar; im übrigen geht es im wesentlichen nur um die Zuwachsraten der Leistungen.
Hier ist von der Kürzung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung die Rede gewesen, und zwar im Zusammenhang mit der Frage der Finanzierung der Renten. Die mittelfristige Finanzplanung sieht für die nächsten vier Jahre eine fortschreitende Kürzung der Bundeszuschüsse vor. Aber dies ist doch nicht ein Problem, mit dem wir uns heute hier und aus Anlaß der mittelfristigen Finanzplanung und des Finanzänderungsgesetzes zum erstenmal beschäftigen. Dieses Problem der Bundeszuschüsse, die Frage ihrer Berechtigung, die Frage ihrer Höhe, die Frage ihres Ausmaßes - und sie haben ein beachtliches Ausmaß erreicht -, hat uns doch in der Vergangenheit schon jeweils bei der Lesung des Einzelplans 11 eingehend beschäftigt. Mit diesem Problem ist nicht nur ein Problem des Ausgleichs des Bundeshaushalts angesprochen. Hier ist auch das Problem der Konsolidierung der Rentenversicherung angesprochen. Hier handelt es sich um zwei gleichwertige Probleme.
Ich kann für die Mitglieder des Haushaltsausschusses in ihrer Gesamtheit sagen: wir haben das Problem der Konsolidierung der Rentenversicherung sehr ernst genommen. Aber auf der anderen Seite muß man auch dafür Verständnis haben, daß man das andere Problem, nämlich die Sicherung des Haushaltsausgleichs, aus den Gründen, die heute morgen mehrfach angedeutet wurden - der engen Verzahnung zwischen Finanz- und Sozialpolitik - im Haushaltsausschuß nicht völlig zur Seite schieben kann.
Allerdings meine ich, daß diese Frage nicht die Kardinalfrage des Finanzänderungsgesetzes ist. Im Zusammenhang mit diesem Doppelproblem - Konsolidierung des Haushalts und Konsolidierung der Rentenversicherungen - wurden auch eine Reihe von anderen Problemen grundsätzlicher Art, gesellschaftspolitischer Art angesprochen, die auch nicht erst durch die mittelfristige Finanzplanung und das Finanzänderungsgesetz ausgelöst wurden. Es ist doch allen bekannt, daß das Dritte Rentenversicherungs-Anderungsgesetz seit einem Jahr hier auf dem Tisch liegt. Man kann nicht bestreiten, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung sicherlich im Zusammenwirken mit dem Bundesfinanzminister bei der Vorlage des Finanzänderungsgesetzes den Versuch gemacht hat, finanzielle Notwendigkeiten mit sozialen und gesellschaftspolitischen Überlegungen zu synchronisieren.
({3})
Es steht nicht alles nur um den Gesichtspunkt des Geldes. Hier wurden auch gesellschaftspolitische Akzente gesetzt. Das schließt nicht aus, daß man sich mit manchem Problem der Sozial- und der Gesellschaftspolitik, z. B. der Ausbildungsförderung, im Laufe der nächsten Zeit oder dieser Legislaturperiode auseinandersetzen wird.
Es kam mir als Mitglied des Haushaltsausschusses darauf an - und ich glaube, es ist gut, daß das ein Mitglied des Haushaltsausschusses sagt -, zu betonen, daß das, was uns mit dem Finanzänderungsgesetz und seinen Auswirkungen auf den sozialen Bereich vorgelegt wurde, nicht nur unter dem Gesichtspunkt oder unter dem Druck der Finanznot des Bundes geschehen ist, sondern daß man auch versucht hat, aus dieser Notlage heraus Lösungen vorzuschlagen, die zumindest für den Planungszeitraum sozial und gesellschaftspolitisch zu rechtfertigen sind.
Ich komme zum Schluß. Der Herr Bundesfinanzminister hat heute mittag in esiner kurzen Stellungnahme zu dem von der Koalition gefundenen Kompromiß festgestellt, daß nach den Berechnungen seines Hauses und nach den Berechnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung rein rechnerisch kein finanzieller Ausfall entsteht, kein Ausfall, der die Ziele der mittelfristigen Finanzplanung gefährdet. Das ist sicherlich eine befriedigende Feststellung. Aber ich glaube in seinem Sinne zu sprechen, wenn ich noch einmal hinzufüge, daß nun auch unter dem Gesichtspunkt des Haushaltsausschusses, der für die Beratung dieses Gesetzes federführend sein soll, erwartet werden muß, daß man bei der Beratung des Gesetzentwurfs in den einzelnen Ausschüssen zwar noch über das und jenes spricht, aber dabei unter allen Umständen die Dekkungsfrage beachtet und den finanziellen Ausgleichsvorschlag, wie er uns jetzt für die Alternative der Koalition vorliegt, nicht verändert.
Es wurde heute morgen von seiten unserer Kollegen aus dein Bereich der Sozialpolitik mehrfach auf die enge Verzahnung zwischen Wirtschaft-,
Finanz- und Sozialpolitik hingewiesen. Es wurde betont, daß die Voraussetzungen für eine fortschrittliche Sozialpolitik eine gesunde Wirtschaft und gesunde Finanzen sind. Wenn diese richtige Feststellung auch für die weiteren Beratungen in allen Ausschüssen das Leitmotiv dieser Beratungen bleibt, dann, glaube ich, können wir in einigen Wochen in der zweiten und der dritten Lesung einen guten und einen konstruktiven Schritt in Richtung auf Gesundung der Bundesfinanzen, Erhaltung der Leistungskraft unserer Wirtschaft, Konsolidierung der Rentenversicherung und Sicherung unseres sozialen Leistungssystems tun.
({4})
Das Wort hat Herr Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion über die Grundlagen unserer sozialen Sicherung nimmt heute bei der Diskussion über das Finanzänderungsgesetz 1967 einen sehr breiten Raum ein. Die Unkundigen oder weniger Kundigen der geltenden sozialpolitischen Grundsätze mögen die Breite bedauern. Aber es ist kein Wunder, daß gerade wir von der Opposition, wir von den Freien Demokraten uns so hartnäckig mit Ihnen darüber unterhalten, ob die 1957 erfolgte Rentenreform auf die Dauer zu tragen ist, wenn Sie mit diesem Finanzänderungsgesetz 1967 nicht nur finanzielle Korrekturen hineinbringen und versuchen, die Ausgaben und die Einnahmen in Übereinstimmung zu bringen, wenn nicht nur, Herr Kollege Dr. Götz, gesellschaftspolitische Akzente gesetzt werden, sondern Weichen gesellschaftspolitischer Art gestellt werden, die für lange Zeit in eine gewisse Richtung hinweisen.
Sie müssen es schon hinnehmen, daß wir es aus den Erfahrungen der letzten Jahre Ihnen von den beiden Koalitionsfraktionen nicht abnehmen, daß mit der Durchführung der im Finanzänderungsgesetz von 1967 empfohlenen Maßnahmen keine soziale Demontage stattfindet. Sie mögen uns den harten Ausdruck nachsehen, weil wir bei den Koalitionsverhandlungen zu Ausgang des Jahres 1966 mit unseren Vorschlägen zur Sanierung des Haushalts 1967, unseren sehr maßvollen Kürzungsvorschlägen von unserem früheren Koalitionspartner, der CDU, der sogenannten sozialen Demontage geziehen wurden.
({0})
Meine Damen und Herren, wir sind empfindlich geworden in den letzten Jahren.
({1})
- Ja, Herr Dr. Schellenberg, wir sind empfindlich geworden, weil wir wissen, daß Sie zwar mit Ihrem lauthals geäußerten Vorwurf der von uns beabsichtigten Demontage zeitweilig eine Ernte in Ihre Scheuern einzufahren vermögen, daß aber im nachhinein wir mit unseren Überlegungen recht behalten haben.
({2})
Herr Kollege Dr. Schellenberg, wir sind der großen Wandlung noch nicht so ohne weiteres fähig, wie Sie sie heute morgen hier dargeboten haben. Ich habe noch im Ohr, ,daß Sie zu Zeiten Ihres Oppositionsdaseins der Bundesregierung ständig vorgehalten haben, daß im Laufe .der Jahre ein Abbau der sozialen Leistungen erfolgt sei, zwar nicht in der absoluten Höhe 'der Zahlungen, aber im Verhältnis zu den jeweiligen Haushalten.
({3})
Und heute morgen, nachdem Sie elf Monate die sogenannte Große Koalition
({4})
mittragen, konnten Sie sich nicht genug des Lobes gegenüber der Regierung tun, die in den letzten Jahren ständig den Anteil ,der Sozialausgaben gesteigert habe.
({5})
Wir, Herr Kollege Professor Schellenberg - das hat der Kollege Mischnick vorhin noch einmal eindeutig erklärt - haben aus unserer Meinung zur sozialen Alterssicherung seit 1957, ob in der Opposition, ob in der Regierung, kein Hehl gemacht. Wir haben unentwegt das gleiche, nämlich das Vernünftige erklärt: daß diese Rentenreform des Jahres 1957 auf .die Dauer finanziell nicht zu halten sei, es sei denn, Herr Kollege Dr. Schellenberg, Sie muteten den jetzigen Beitragszahlern bei ihren späteren Renten .die Kürzungen zu, die Sie zur Zeit nicht vorzunehmen in der Lage sind.
Meine Damen und Herren, wie ist es denn seit dem Jahre 1957 gegangen? Warum wurde nicht offenbar, daß die Rentenreform falsch angelegt ist? Weil sich der Kreis der Beitragszahler ständig stärker erweiterte, als die höhere Lebenserwartung den Anteil ,der Rentner steigen ließ. Es hat doch immer wieder das System der finanziellen Aushilfen gegeben, Aushilfen, die über uns kamen. Mein Kollege Mischnick hat es Ihnen im einzelnen dargelegt: der Zugang der Flüchtlinge, vornehmlich junger Menschen, der Zugang ,der Gastarbeiter, der gesteigerte Anteil der Frauen im Arbeitsprozeß. All das hat die falsche Anlage ,der Rentengesetze von 1957 nicht sichtbar werden lassen. Und nun, wo der Zustrom aufhört und ,die Finanzierungsschwierigkeiten sichtbar werden, erklären Sie: Die Dynamik wird nicht geändert, an der Formel wird nicht gerüttelt; sonst würde das Vertrauen der Bürger in den Staat erschüttert werden. Meine Damen und Herren, Sie rütteln schon recht kräftig an dem Vertrauen, das der Bürger in die Zusagen des Staates setzt. Ich persönlich, Herr Kollege Schellenberg, werde eines der Opfer sein, wenn ich in das Alter hineinkomme, in ,dem man normalerweise Rentner wird. Denn ich selbst habe mit allen meiner Bergbaukollegen, 'die heute und seit Jahren zahlen, nach Ihren Vorschlägen demnächst eine gegenüber heute um 20 % geminderte Rentenerwartung.
({6})
- Herr Kollege Professor Schellenberg, die jeweiligen Anpassungen können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, ,daß wir, die wir zur Zeit arbeiten, eine um 20 % geringere Rente zu erwarten haben im Vergleich zu 'den Rentenansprüchen, die heute geltend gemacht werden können. An der Tatsache kommen Sie nicht vorbei, und die können Sie auch nicht - ({7})
- Ach, Herr Kollege Dr. Stingl - ({8})
- Ja, vielleicht bekommen Sie noch den Dr. h. c. Für Sie soll doch überhaupt noch etwas im Spiel sein.
({9})
Wir kennen das Argument. Weil 5 % der bezogenen Renten über dem Einkommen liegen sollen, das heute erarbeitet werden kann, wollen Sie die Renten für alle Knappschaftsrentner um 20 % kürzen, auch für die, die diese hohen Renten in Zukunft nicht mehr zu erwarten haben.
Die Begründung zu diesem Vorgehen in der Regierungsvorlage ist interessant. Dort heißt es nämlich - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Die Versicherten werden nunmehr, nachdem der Steigerungssatz von 2,5 auf 2 v. H. im Jahre 1972 gekürzt ist, nach 40 Versicherungsjahren an Stelle einer Jahresrente von 100 v. H. eine solche von 80 v. H.ihrer persönlichen Rentenbemessungsgrundlage erhalten.
Klar, daran ist nicht zu zweifeln. Ich beklage es.
Die Regelung gibt den Versicherten - anders als das geltende Recht -({10})
auch noch nach 40 Versicherungsjahren den Anreiz, durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung seine Rente zu steigern.
Welch schöner Trost, Herr Kollege Stingl! Sie wissen, daß der Bergbau zur Zeit infolge der Umstrukturierung seine Beschäftigten im Alter von 58 bis 60 Jahren in erhöhtem Maße freisetzt. Herr Kollege Stingl, die 40jährigen haben Mühe, einen Arbeitsplatz zu finden. Wie sollen die 60jährigen dann noch in der Lage sein, durch die Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes ihre Rente zu steigern? Sehen Sie, Herr Kollege Stingl, diese Begründung ist so unehrlich, - ({11})
- Wir halten es gar nicht für verfehlt, Herr Kollege Stingl. So können Sie doch nicht argumentieren. Ich habe Ihnen aufgezeigt, daß es für diesen Personenkreis nicht möglich sein wird, noch eine Beschäftigung zu finden, die sie in die Lage versetzt,
ihre Rente zu steigern. Ich bin nicht dagegen, Herr Kollege Stingl, daß wir die Möglichkeit schaffen, die Rente durch weitere Arbeit zu steigern.
({12})
- Es wird doch an der Rentenhöhe gerüttelt, und es findet doch in der Knappschaftsversicherung eine Rentenkürzung statt.
Meine Damen und Herren, wie versuchen Sie nun, aus der Finanzmisere herauszukommen?
({13})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege, haben Sie Verständnis dafür, daß wir sehr gespannt sind auf den Deckungsvorschlag, den Sie hinsichtlich der Durchsetzung Ihrer abweichenden Meinung offensichtlich gleich machen werden?
Ach, Herr Dr. Wuermeling, wir haben Ihnen seit 1957 unentwegt erklärt, daß wir uns eine andere Form der Alterssicherung denken.
({0})
Herr Kollege Mischnick hat vor einer halben Stunde sehr in die Tiefe gehende Ausführungen dazu gemacht. Ich hoffe, daß Sie zugehört haben. Sie müßten es dann doch behalten haben.
Herr Kollege Dr. Wuermeling, wir unterhalten uns mit Ihnen darüber, ob der von Ihnen vorgeschlagene Weg finanziell tragbar ist. Darüber unterhalten wir uns seit zehn Jahren. Sie haben uns immer wieder erklärt: Ihre Bedenken dagegen sind gegenstandslos. Heute wird bewiesen, daß unsere Bedenken berechtigt waren und noch berechtigt sind; denn Sie schlagen jetzt tiefgreifende Änderungen vor.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schmitt-Vockenhausen?
Herr Kollege, haben Sie in den letzten Jahren den Rentenanpassungsgesetzen zugestimmt oder nicht?
Ollesch ({0}) : Ach, Herr Kollege Schmitt-Vokkenhausen, diese Frage wurde heute morgen schon gestellt.
({1})
Ich will sie Ihnen genauso - ({2})
- Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, wir beantworten jede Frage; das werden Sie in den Ausein6570
andersetzungen in der Öffentlichkeit, an denen Sie auch beteiligt sind, festgestellt haben, des öfteren sogar noch besser als Sie.
Herr Kollege Dr. Schmitt-Vockenhausen, - ({3})
- Ich könnte sagen: Er sieht so intelligent aus. Deswegen werde ich immer dazu verführt, den „Doktor" hinzuzusetzen.
({4})
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, wir haben 1957 die Rentenreform abgelehnt. Die Entscheidung ist in diesem Haus gefallen. Die Rentenanpassungen der folgenden Jahre erfolgen auf Grund einer gesetzlichen Grundlage, für die die Entscheidung in diesem Haus gefallen war. Nun, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, wenn die gesetzlichen Grundlagen uns zwingen, die Anpassung vorzunehmen, dann werden wir auch als Oppositionspartei uns gesetzestreu verhalten.
({5})
- Herr Kollege Killat, wenn Sie einmal vergleichen, wie Sie sich seit Dezember in dieser Großen Koalition verhalten und wie wir in der Vergangenheit auch in der Koalition versucht haben, unsere Auffassung durchzusetzen, dann können Sie uns nicht vorwerfen, daß wir uns einmal so und einmal so verhalten haben, je nachdem ob wir in der Opposition oder in der Koalition waren.
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen einmal aufzeigen, mit welchen Mittelchen Sie versuchen, Ihre Rentenformel des Jahres 1957 über die Runden zu bringen:
1. Wegfall der Pflichtversicherungsgrenze in der Rentenversicherung der Angestellten. Er ist hier zwar wortreich motiviert worden mit der endlichen Erfüllung eines gesellschaftspolitischen Zieles, das man seit langem angestrebt habe, aber ebenso ist ohne Zweifel festzustellen, daß die Schwierigkeiten in der Finanzierung der Rentenversicherung Anlaß zu diesen Überlegungen gewesen sind, durch die Einbeziehung eines großen Teils der Angestellten für die Übergangszeit zu erheblichen Beträgen zu kommen. Sie sind ja auch im einzelnen ausgewiesen.
2. Wegfall der Heiratsabfindung der Frauen, eine Maßnahme, die, wie auch die erste Maßnahme, die ich aufgeführt habe, für eine kurze Zeit eine Entlastung bringt, die aber, auf die Dauer gesehen, zu einer weiteren Belastung der Rentenversicherung führen wird.
({6})
3. Beitragssteigerung.
4. Änderung des Steigerungssatzes in der knappschaftlichen Rentenversicherung, sprich: eine demnächstige Rentenkürzung.
5. Krankenkassenbeitrag für Rentner.
6. Wiedereinführung von Arbeitgeberbeiträgen für arbeitende Rentner.
Sie sehen: alles Maßnahmen, mit denen Sie vielleicht für die nächsten zwei oder drei Jahre über die Runden kommen werden, die aber keine endgültige Lösung des Finanzierungsproblems in der Rentenversicherung bringen werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit Ihr Augenmerk auf ein anderes Problem lenken. Im Artikel 9 werden das Bundesbesoldungsgesetz, das Soldatenversorgungsgesetz, das Unterhaltssicherungsgesetz und das Wehrpflichtgesetz erwähnt. Auch in dieser Vorlage wird sichtbar, daß neben beabsichtigten Einsparungen unter Umständen eine gewisse Veränderung der Struktur unserer Bundeswehr beabsichtigt ist; denn anders kann ich die vorgeschlagenen Kürzungen von Unterhaltszahlungen und Übergangsgeldern nicht verstehen. Es wird vorgeschlagen, für Soldaten, die sich für eine zweijährige Dienstzeit verpflichten, die Zahlung der Besoldung erst nach der Ableistung eines Grundwehrdienstes von neun Monaten einzuführen. Man kann sich natürlich fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, Zeitsoldaten für zwei Jahre zu haben. Wenn ich mir die Vorlage ansehe, scheint vieles darauf hinzudeuten, daß auch die Bundesregierung der Meinung ist, dieser Personenkreis müsse eingeschränkt werden. Anders kann ich mir die Kürzung der Bezüge nicht erklären. Und zum anderen: Es erfolgen erhebliche Änderungen in der Zahlung der Übergangsbeihilfe für ausscheidende Soldaten; für Soldaten, die drei Jahre dienen, statt bisher das Achtfache an Gebührnissen des letzten Monats das Dreifache, für Soldaten mit einer vierjährigen Dienstzeit statt bisher das Achtfache das Siebenfache. Es sieht so aus, als wolle man durch die Kürzungsvorschläge erreichen, daß eine bestimmte Art von Zeitsoldaten langsam, aber sicher aus der Welt geschafft wird und daß es zu einer Veränderung der Verpflichtungszeiten kommt.
({7})
- Nein, Herr Killat, das ist gar nicht fürchterlich. Ich bin nur der Meinung, daß man das nicht so en passant im Finanzänderungsgesetz 1967 machen sollte und nicht innerhalb der vielen Vorschläge über die Sanierung des Haushalts, sondern daß darüber im Verteidigungsausschuß gesprochen werden sollte, weil diese Veränderung unter Umständen eine veränderte personelle Struktur unserer Bundeswehr im Gefolge haben könnte. Ich schlage deshalb vor, daß dieser Teil des Finanzänderungsgesetzes 1967 wegen der eventuellen weitreichenden Folgen dem Verteidigungsausschuß zur Mitberatung überwiesen wird.
({8})
Das Wort hat Herr Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man heute die Kollegen der FDP aus der Opposition heraus reden hört, könnte man fast den Eindruckgewinnen, die Rentenversicherung sei total am Ende. Das GegenGeiger
teil ist richtig. Trotz der Rentenreform vom Jahre 1957 - oder gerade deswegen - sind die Renten gesichert, und wir haben in der Rentenversicherung neun Anpassungen vornehmen können. Ebenso ist, bis jetzt wenigstens, 'der Beitragssatz gleichgeblieben. Die Rentenversicherungen haben ein Vermögen von 29 Milliarden DM.
Was Sie hier darlegen, ist also nicht eingetreten. Man kann eigentlich nur bedauern, daß Sie immer wieder, wenn auch etwas verschlüsselt, die Meinung vortragen, 'der Sozialanteil und die 'sozialen Leistungen, ganz besonders die Leistungen der Rentenversicherungen, hätten eine Höhe erreicht, die unsere Volkswirtschaft nicht mehr verkraften kann.
Herr Kollege Mischnick, Sie waren sich selbst nicht ganz schlüssig, ob sie neue oder alte Gedanken vorgetragen haben. Ich würde sagen, sofern Sie den Anspruch auf neue Gedanken erheben, waren es mindestens alte Schläuche, in die Sie diese Gedanken hineingepackt haben.
Wenn Sie der Auffassung sind, Herr Kollege Mischnick, daß diese Koalition noch keine großen Reformen durchgeführt 'hat, möchte ich Ihnen sagen, daß Sie sich in diesen Dingen mehr als täuschen. Wenn es keine große Reform ist, etwa eine vierjährige Finanzplanung durchzuführen und das Fortgewurstel der Regierungen, an denen Sie sich maßgeblich beteiligt haben, zu Ende zu 'bringen, weiß ich nicht mehr, was überhaupt die Bezeichnung „Reform" verdient.
Ebenso, meine sehr verehrten Damen und Herren, verhält es sich doch auch mit dem Problem der Sicherung der Arbeitsplätze, der Wirtschaftsförderung, vom Eventualhaushalt bis herüber zu allen Maßnahmen des Bundeswirtschaftsministers und der Bundesregierung um den Konjunkturaufschwung zu sichern.
Herr Kollege Mischnick, Sie sollten bei Ihrer Betrachtung auch davon ausgehen, daß diese Regierung erst 11 Monate im Amt ist. Sie sollten dabei von dem ausgehen, was war. Was war denn, als diese Große Koalition gebildet worden ist?
({0})
Was war denn das Ergebnis Ihrer Koalition? Ich will das gar nicht weiter vertiefen, aber ich will feststellen, daß am Ende Ihrer Koalition 600 000 Arbeitslose zu beklagen waren, 600 000 Menschen mit 600 000 Einzelschicksalen, mit einem stark verminderten Arbeitseinkommen und mit der Belastung, nicht mehr gebraucht zu werden.
Sie werden es uns nicht verübeln, wenn wir deshalb in der Politik der Großen Koalition - mit Erfolg, wie ich meine - vorrangig die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Vollbeschäftigung gesehen haben. Wenn man diese Dinge dann konsequent weiterführt, ist auch die Frage berechtigt - diese Frage muß gestellt werden -, wie der Anteil am Erfolg dieser gemeinsamen Leistungen zu verteilen ist. Hier, ich meine, ist es gerechtfertigt und muß in der Zukunft auch durchgehalten werden, daß diejenigen, die jahrzehntelang zum Stand unserer heutigen Volkswirtschaft beigetragen haben, am Ende ihres
Arbeitslebens auch einen Anspruch, ich will jetzt nicht sagen, auf ein menschenwürdiges Leben, sondern darauf haben, den bisherigen Lebensstandard, den sie erreicht haben, erhalten zu können. Wir betrachten das als eine unserer Hauptaufgaben.
Herr Kollege Mischnick, ich habe bei allen Darlegungen seitens der FDP hier oder draußen im Lande den Eindruck, daß Sie die soziale Sicherheit und die sozialen Leistungen, wenn nicht für ein Übel, so doch wenigstens für ein notwendiges Übel halten. Wir sehen die Dinge anders. Das trifft auch für die Diffamierung der Inanspruchnahmen sozialer Leistungen zu. Diese sind - damit meine ich Sie jetzt nicht allein ({1})
- überhaupt nicht oder nicht in dem großen Umfange, damit wir uns richtig verstehen - in weiten Teilen unseres Volkes diffamiert worden, und zwar auch, wenn Sie es ganz genau wissen wollen, durch Aussagen eines Regierungschefs Ihrer Koalition. Wir bedauern diese diffamierende Diskussion nicht allein. Man muß auch erkennen, daß Löhne und Renten oder, kurz gesagt, das Einkommen von heute die Kaufkraft von morgen darstellen. Das sollten wir viel stärker betrachten, als das in der Vergangenheit geschehen ist. Das sind nicht nur Belastungen, sondern das ist auch ein Teil der künftigen Kaufkraft; das ist damit für uns alle eine Voraussetzung für das Gedeihen unserer Volkswirtschaft,' wie wir sie heute haben.
Es ist auch nicht ganz richtig, allzusehr dagegen zu polemisieren, daß wir die Solidargemeinschaft in der Rentenversicherung vergrößern und auch den Teil hineinnehmen wollen, der schon allein durch sein Einkommen viel geeigneter ist, an der Bewältigung zahlreicher sozialer Probleme mitzuarbeiten, als der größte Teil unseres Volkes. Auch das sollten wir sehen, zumal wenn man weiß, daß das Defizit des Bundeshaushalts nicht etwa durch die sozialen Leistungen entstanden ist und die Finanzkrise in der Rentenversicherung nicht etwa daher rührt, daß die sozialen Leistungen überfordert waren, sondern daß sie einen Teil der Kriegsfolgen darstellen. Es wäre ungerechtfertigt, nur die zufällig bis zu 1800 DM Verdienenden am Ausgleich der Kriegsfolgen oder des Rentenberges selbst zu beteiligen. Hier müssen die Ursachen stärker sichtbar gemacht werden, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
Wir dürfen auch nicht vergessen, daß wir das nur leisten können, wenn unsere Volkswirtschaft die Kraft dazu hat. Wir haben in den letzten Jahren nicht nur die sozialen Leistungen verbessert, sondern die ,Ergiebigkeit unserer Wirtschaft ist auch wesentlich größer geworden durch Leistungssteigerungen auch von einzelnen. Ich meine, die Volkswirtschaft hat die Kraft, auch diese Leistungen zu erbringen. Daß wir dabei eine gesamtgesellschaftliche Sicherung und einen Rechtsanspruch haben wollen und nicht etwa nur Geschenke, die da und dort auf der einen oder anderen Ebene gewährt werden, dürfen Sie uns nicht verdenken, zumal angesichts der ,gegenwärtigen Auseinandersetzun6572
gen zwischen der IG Metall und den Arbeitgebern in Baden-Württemberg - an die ich gar nicht allein denken will -, bei denen es um. die Sicherung betrieblicher Sozialleistungen geht. Ich denke an die alten und renommierten Betriebe, die schließen mußten und eben auch ihre sozialen Leistungen nicht mehr gewähren konnten. Gerade deshalb meinen wir, daß dieser Rechtsanspruch gewahrt bleiben muß. Dieser Rechtsanspruch auf eine Hilfe der Gemeinschaft schränkt nicht die Freiheit des Menschen ein, sondern vergrößert seine Freiheit, seine Entfaltungsmöglichkeit. Das sollten wir in diesem Zusammenhang in aller Deutlichkeit sagen. Wir sollten herausstellen, daß es auch für die Zukunft entsprechend unserer grundgesetzlichen Verpflichtung zum sozialen Rechtsstaat - und so wollen wir es halten - wichtig ist, die Grundlagen dafür zu legen, daß alle Teile unseres Volkes am gemeinsamen Erfolg unserer Wirtschaft teilhaben.
({2})
Das Wort hat Herr Kühn ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einige wenige Anmerkungen zur Familienpolitik machen, von der heute sowohl in der Rede des Herrn Kollegen Schellenberg als auch in den Ausführungen des Herrn Kollegen Mischnick schon kurz die Rede gewesen ist.
Sie werden verstehen, wenn die CDU/CSU-Fraktion die neuerlichen Einschnitte, die für den Familienlastenausgleich im zweiten Finanzsicherungsgesetz vorgesehen sind, mit besonderem Schmerz vermerkt; denn gerade die Fraktion der CDU/CSU hat in mehr als zehn Jahren die Konzeption des Familienlastenausgleichs entwickelt, weiterentwikkelt und hier wesentlich durchgesetzt. Dabei ist oft ein Mißverständnis darüber entstanden, aus welchen Gründen die CDU/CSU diese Familienpolitik so besonders in den Vordergrund gestellt hat - vermeintlich aus ideologischen Gründen. Ich glaube, wirsind uns heute alle darüber einig - und ich bin dem Herrn Kollegen Schellenberg sehr dankbar dafür, daß er das deutlich unterstrichen hat -, daß die endgültige und richtige Regelung eines gesunden Familienlastenausgleichs die beste Investition für die Zukunft und für die Sicherung der Erarbeitung des Sozialprodukts ist.
({0})
Ich hoffe, daß wir aus dieser Übereinstimmung, Herr Kollege Schellenberg, nun die Regierung gemeinsam bitten können, uns neue Konzeptionen vorzulegen, freilich Konzeptionen, die nicht unter den Schwierigkeiten stehen dürfen, die allerdings dieses Hausselber geschaffen hat. Ich spreche dabei von der Schwierigkeit, daß die Aufbringung der Mittel für den Familienlastenausgleich entgegen der ursprünglichen Konzeption unserer Gesetzgebung durch den Beschluß dieses Hauses allein und ausschließlich an den Haushalt gebunden worden ist. Was heute als Nachteil für die Entwicklung des
Familienlastenausgleichs zu beklagen ist, ist also nur die Konsequenz einer Entwicklung des Haushalts, die wir seinerzeit vorausgesagt haben.
({1})
Wenn wir hier gemeinsam neue Überlegungen anstellen, die im Grunde auf alte Erfahrungen zurückgreifen können, wenn wir zu der Überzeugung kommen, daß es unmöglich ist, den Familienlastenausgleich allein aus Haushaltsmitteln zu finanzieren, dann haben wir, glaube ich, schon einen Hinweis darauf gegeben, wie in der künftigen Konzeption eine Möglichkeit der Lösung gefunden werden kann.
Es ist gesagt worden, die Einsparungen durch das jetzt vorliegende Gesetz seien beim Familienhaushalt nur geringfügig. Man darf aber auch nicht übersehen, daß durch die Annahme dieses Gesetzes das Wiederaufleben jenes Ausbildungsbeihilfengesetzes endgültig und für alle Zeit ausgeschlossen wird, das von den Gegnern dieses Gesetzes - das läßt sich nicht verschweigen - draußen totgemacht worden ist. Man hat eine gute Sache mit einer schlechten und diffamierenden Bezeichnung madig und nicht mehr recht verständlich gemacht. Der Ausfall der Leistungen stellt für viele Familien eine Härte dar. Nichts ist für uns schwieriger, als Nachteile in der Ausbildung oder der Möglichkeit der Finanzierung der Ausbildung unserer Kinder wieder auszugleichen. Aus dieser Überzeugung sollten wir die Bundesregierung ermutigen, alsbald mit den Ländern darüber zu verhandeln, wie in einer irgendwie gearteten Gemeinschaftslösung ein echter Ersatz gefunden werden kann, um wieder die Mittel zur Verfügung zu stellen und die entstandene Lücke zu schließen.
Die Vorlage sieht vor, die Einsparungen dadurch herbeizuführen, daß in die Kindergeldgesetzgebung eine Einkommensgrenze eingeführt wird. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß das eine schlechte Regelung wäre. Nachdem wir bei allen anderen Sozialgebieten immer wieder erklärt haben, daß die Einführung von Einkommensgrenzen im Grunde genommen dem Wesen des sozialen Rechtsstaates widerspricht, sollten wir uns davor hüten, sie nun gerade beim Familienlastenausgleich einzuführen.
Wir haben deshalb zusammen mit unserem Koalitionspartner einen Vorschlag gemacht, in dem für die steigende Kinderzahl eine sinkende Belastung vorgesehen ist, so daß die notwendig werdenden Einsparungen wenigstens in einer Form und in einem Rahmen geschehen, die allzu großen Härten vermeiden.
Meine Damen und Herren, damit bin ich schon am Ende.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Wuermeling?
({0})
Herr Kollege Kühn, darf ich - sicher nicht, um zu kritisieren, sondern im Gegenteil, um Sie zu unterstützen - fragen,
ob es nicht ganz sinnvoll wäre, wenn wir gemeinsam noch klarer aussprächen, daß durch die verschiedensten Sparvorschläge der Bundesregierung die Gleise familienpolitisch so falsch gestellt gewesen sind, daß wir im Bundestag nachher einfach keine Möglichkeit mehr hatten, alle diese Dinge wieder rückgängig zu machen - falsch gestellt, Herr Kollege Kühn, insofern, als die Bundesregierung offenbar davon ausgeht, daß man einerseits Sparmaßnahmen für alle Haushaltungen fordern und treffen kann und daß man dann obendrein die Haushaltungen, in denen mehrere Kinder sind, noch zusätzlich heranzieht; und zum anderen - wenn die Frage noch gestattet ist, Herr Präsident -
Herr Kollege Dr. Wuermeling, das Fragezeichen ist in Ihren Ausführungen schwer zu erkennen.
Es war aber schon da; jetzt kommt das zweite - Herr Kollege Kühn, eines noch - ganz kurz -: Wäre es nicht gut, wenn wir zum Ausdruck brächten, daß diese kritische Haltung gegenüber den Vorschlägen der Bundesregierung nicht ,die Meinung eines Außenseiters der Fraktion, Wuermeling, sondern ein gemeinsames Anliegen unserer gesamten Fraktion ist?
Herr Kollege Wuermeling, ich glaube, ich hatte dargetan, daß das, was wir jetzt an Belastung durch die gesetzlichen Maßnahmen vor uns sehen, die Konsequenz .aus jener, wie ich meine, Fehlentscheidung ist, den ganzen Familienlastenausgleich an den Haushalt zu b inden.
({0})
Und da nun diese Schwierigkeiten entstanden sind, ergeben sich hieraus die Dinge, die wir jetzt vor uns haben.
Zum zweiten: ich stehe gar nicht an, Ihnen zu bestätigen, daß die Sorge, die ich hier vorgetragen habe, die ich mit Ihnen teile, die ja alle teilen, die Sorge unserer ganzen Fraktion und, wie sich heute herausugestellt hat, die Sorge des ganzen Hauses ist. Sovrohl Herr Kollege Schellenberg wie auch Herr Kollege Mischnick haben diese Sorge ebenfalls angesprochen. Bei dieser Sachlage wird es, glaube ich, wenn wir wirklich darangehen, gar nicht schwierig sein, eine echte Konzeption zu erarbeiten. Ich habe mir erlaubt, in Anmerkungen -.die Zeit ist vorgeschritten, so daß man das jetzt nicht mehr breit ausführen kann - darauf hinzuweisen, in welcher Linie wir meinen, daß eine solche Entwicklung gehen sollte. Ich wäre sehr denkbar, wenn wir in Kürze von der Bundesregierung die zugesagte neue Vorlage bekämen.
({1})
Das Wort hat Frau Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe nicht die Absicht, in den
Familienstreit der Großen Koalition über die Familienpolitik ihrer Regierung einzugreifen; ich wollte
zu einem anderen Punkt noch ein paar Wortesagen.
Zu der Flickschusterei, von der heute morgen Herr Kollege Spitzmüller in bezug auf die Rentengesetzänderung gesprochen hat, gehört auch jener Vorschlag der Regierung, die Beitragsrückzahlung an heiratende ehemalige Berufstätige zu streichen.
Nach dem heutigen Recht können junge Frauen die eingezahlten eigenen Beiträge zurückverlangen, wenn -sie aus dem Beruf ausscheiden - nicht den Arbeitgeberanteil, aber den Arbeitnehmeranteil -, und haben damit einen Betrag für ihre Aussteuer. Das ist sicherlich kein gutes Geschäft; denn sie verlieren ja auf der einen Seite den Arbeitgeberanteil, und sie verlieren gleichzeitig ihre Ansprüche, die möglicherweise später einmal anwachsen könnten. So ist im Grundsatz der Vorschlag der Regierung nicht verkehrt. Nur, meine Herren und Damen, man kann ihn nicht isoliert betrachten. Wenn Sie so etwas vorschlagen, so kann das doch nur dann sinnvoll sein, wenn wir damit gleichzeitig die längst überfällige Reform der Rentenversicherung in bezug auf die Hausfrau verbinden. Denn was wir dort haben, ist ja ein Produkt der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts und entstammt einer Gesellschaftsordnung jener Zeit, einer Gesellschaftsordnung, bei der die Frau eben durch den Mann unterhalten wurde und, wenn der Mann nicht mehr lebte, allenfalls eine abgeleitete Rente bekam, auf die sie selbst zu Lebzeiten des Ehemannes keinen Anspruch hatte und für die auch nicht bezahlt wurde. Diese gesellschaftspolitischen Vorstellungen stimmen aber seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Warum weigert man sich dann, die Konsequenzen daraus zu ziehen, die Konsequenz nämlich, der Frau einen eigenständigen Anspruch zu geben und während der Zeit ihrer Hausfrauentätigkeit zu erhalten und anwachsen zu lassen?
Wenn Sie nun die Auszahlung sperren - was richtig wäre -, dann kann das doch nur im Zusammenhang geschehen damit, daß der Frau aus ihrem bestehenbleibenden Anspruch eine laufend wachsende Anwartschaft erwächst und daß diese Anwartschaft auch zu einer wirklichen Rente führt - nicht, wie es heute der Fall ist, daß nachher aufgerechnet wird und sich dieser Anspruch praktisch nicht realisiert. Es muß eine neue Gesamtkonzeption entwikkelt werden. Solange das nicht der Fall ist, geht Ihr Vorschlag eindeutig zu Lasten der Frau. Das kann auch nicht anders sein, weil ja der Vorschlag der Regierung seinen Grund nicht in gesellschaftspolitischen Überlegungen oder in einer wirklichen Rentenreform hat, sondern weil er einfach die 2 Milliarden DM in den nächsten vier Jahren einsparen will, die sonst an die jungen Frauen ausgezahlt würden. Aber unter solchem Gesichtspunkt ist eine vernünftige Reform allerdings nicht zu machen.
Sie sagen, meine Herren und Damen, die Anwartschaft bleibe bestehen. Ja, welche Anwartschaft denn? Eine Frau wird Glück haben, wenn sie bis zur Eheschließung die fünf Jahre erfüllt hat. Das bedeutet, sie kann sich allenfalls freiwillig weiter6574
versichern; sie hat aber erst nach 15 Jahren einen Anspruch. Wenn sie nun nicht irgendwann während ihrer Ehe noch weitere zehn Jahre berufstätig ist, sind die Einzahlungen der ersten fünf Jahre ein glattes Verlustgeschäft; denn sie bekommt nie etwas zurück. Wenn sie aber irgendwie zehn Jahre dazuklebt, dann weiß sie auch noch nicht, ob die Ansprüche nicht später aufgerechnet werden und sie aus zwei Rentenansprüchen praktisch nur eine Rente bekommt. Das nennt der Kaufmann ein glattes Verlustgeschäft, den es enthält mehr Verlust als Gewinn. Was hier vorgeschlagen wird, bringt Geld in die Kasse der Versicherungsträger auf Kosten eines Teiles der Bevölkerung, bei dem Sie glauben, einen geringen Widerstand zu haben, nämlich auf Kosten der jungen Frauen, die für ihren Hausstand sorgen wollen.
Wir sind bereit, die Nichtauszahlung mitzumachen, aber nur dann, wenn Sie unserem Vorschlag folgen, der jungen Frau im Laufe der Ehe im Wege des Splitting - bei der Einkommensteuer zahlt sie ja auch im Wege des Splitting mit - ein eigenständiges Anrecht auf eine spätere eigene Rente zu geben. Das wäre logisch, das entspricht der Gleichberechtigung und es entspricht der Gerechtigkeit. Denn wir wissen alle, meine Herren und Damen, daß über 10 % der Ehen heute nicht halten.
({0})
- Die Ehe mit materiellen Vorteilen oder Drohungen flicken zu wollen, scheint mir eine schlechte Art und Weise, Ehen erhalten zu wollen. Das sollten wir doch allmählich gelernt haben, daß wir eine Ehe nicht mit Geld und mit der Abhängigkeit der Frau aufrechterhalten wollen. Das sollten wir wirklich nicht tun. Eine Ehe, die nur wegen der Versorgung hält, ist keine Ehe im Sinne des Art. 6 des Grundgesetzes und - ich glaube, auch dies sollten wir sagen - auch nicht im Sinne der Kirche. Ich meine, wir sollten dem Grundsatz der Gleichberechtigung und dem Grundsatz folgen, daß Hausarbeit auch eine Berufstätigkeit ist. Das ist noch viel zuwenig anerkannt. Nur im Splitting des Einkommensteuerrechts wird das bisher anerkannt. Ich meine, auch im Rentenversicherungsrecht sollten wir das gleiche tun und der Ehefrau einen gleichberechtigten Anspruch geben. Dann kann sie später bei wiederaufgenommener Berufstätigkeit die Anwartschaft ohne Bruch fortsetzen.
Wir sollten noch etwas anderes tun. Wenn Sie der Frau den Ausstattungsbeitrag streichen, dann verliert die Frau die Möglichkeit, den Grundstock für die Ausstattung zu legen. Ich bitte alle anwesenden Herren und Damen mit Töchtern im heiratsfähigen Alter, nachzudenken, was eine Ausstattung kostet. Es ist doch nicht zu erwarten, daß die Eltern alles bezahlen. Für junge Frauen besteht heute einfach die Notwendigkeit, bares Geld zu haben. Das ist der Grund, warum viele unvernünftigerweise die Auszahlung verlangen. Sie brauchen einfach in diesem Augenblick Geld.
Wir meinen, wir sollten die Rentenversicherung dazu verpflichten, der jungen Frau oder dem jungen Paar - die Männer sind durchaus gleichberechtigt - bei der Eheschließung ein Darlehen zu geben, das den bis dahin gezahlten Beiträgen entspricht, und zwar zu günstigen Bedingungen.
Frau Funcke, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Killat?
Frau Kollegin, ist Ihnen bewußt, daß Sie damit einen Vorschlag des SPD-Plans für die Volksversicherung vertreten, und hat Ihnen Ihr Kollege Spitzmüller in der Fraktion nicht mitgeteilt, daß alle drei Fraktionen bei der Beratung der Frage der Nichtauszahlung dieser Beträge im Ausschuß die Regierung beauftragt haben, zu prüfen, wie wir diesen Vorschlag für eine Darlehnsgewährung realisieren können?
Herr Kollege, ich hatte den Eindruck, wir beraten hier in erster Lesung den Regierungsentwurf und nicht irgendwelche interfraktionellen Absprachen. Ich nehme zu dem Vorschlag Ihrer Regierung Stellung. Sie mögen gern Ihrerseits das gleiche sagen wie ich; dann würden wir uns sehr freuen. Es wäre in der Tat gut, wenn es zu einer solch grundlegenden Reform in der Rentenversicherung käme, auf die die Frauen in der Bundesrepublik in der Tat seit einigen Jahrzehnten warten.
({0})
Meine Damen und Herren, unsere Kolleginnen Frau Pitz-Savelsberg und Frau Schroeder sowie unsere Kollegen Exner, Geldner und Schmidt ({0}) waren so freundlich, ihre Ausführungen zu Protokoll zu geben.
({1})
Wir sind am Ende der Aussprache und kommen nun zu den Überweisungen der Vorlagen zu Punkt 3 der Tagesordnung.
Die Vorlage unter Punkt 3 a) - das Haushaltsgesetz 1968 - soll nur an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. - Es ist so beschlossen.
Bei dem unter Punkt 3 b) aufgeführten Finanzänderungsgesetz 1967 müssen wir ein ungewöhnliches Verfahren wählen. Die Vorlage wird dem Haushaltsausschuß - federführend - und zur Mitberatung an eine ganze Reihe von Ausschüssen überwiesen, die sich jeweils mit den Artikeln befassen sollen, die in die Kompetenz des betreffenden Ausschusses fallen. Es sind folgende Ausschüsse: der Ausschuß für Sozialpolitik, der Verteidigungsausschuß, der Innenausschuß, der Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden, der Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen, der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen, der Ausschuß für Wirtschafts- und Mittelstandsfragen, der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Ausschuß für Arbeit, der Verkehrsausschuß, der Postausschuß, der Ausschuß für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge und der Ausschuß für das Bundesvermögen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Mommer
Wir kommen zur Abstimmung über den Punkt 3 c
- Gasölverbilligungsgesetz - Landwirtschaft -. Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Finanzausschuß - federführend - sowie an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung.
- Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Weiter stimmen wir ab über den Punkt 3 d - Finanzplanungsrat -, Antrag der Fraktion der SPD.
({2})
- Bitte sehr, Sie haben dazu das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte namens der Fraktion der CDU/CSU, hier eine Änderung bei der Ausschuß-Überweisung vornehmen zu wollen, und zwar bitte ich, den Antrag an den Haushaltsausschuß - 'federführend - und zur Mitberatung an die anderen in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Zur Begründung verweise ich auf die Rede des Herrn Bundesfinanzministers, in ,der er ausführte, daß dieser Antrag in den Sachzusammenhang der Haushaltsreform gehört. Dieser Punkt wird bei der Bundeshaushaltsordnung mitzubehandeln sein, so daß es wegen ,des Sachzusammenhangs zweckmäßig ist, ihn hier einzubeziehen. Ich bitte darum, so zu entscheiden.
Das Wort hat Herr Mertes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unabhängig von der Frage, ob es sinnvoll ist, dieses Problem gesetzlich zu regeln, wird aus der Vorlage deutlich - das geht vor allem aus ,der Nr. 1 hervor -, daß es sich hier vornehmlich um konjunkturpolitische Aufgaben handelt. Ich stelle daher im Namen meiner Fraktion .den Antrag, es bei dem Vorschlag des Ältestenrats zu belassen und den Antrag Drucksache V/2134 dem Wirtschaftsausschuß - federführend - zu überweisen.
Wir müssen über die Überweisung abstimmen, und zwar geht es nur um die Federführung.
Der Ältestenrat schlägt .den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen vor. Wer dem Vorschlag des Ältestenrats folgen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Danke sehr.
Wer die Vorlage dem Haushaltsausschuß zur Federführung überweisen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! -Das war die Mehrheit; dann wird die Vorlage an den Haushaltsausschuß - federführend - und an ,den Finanzausschuß, an 'den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen und an den Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen zur Mitberatung überwiesen.
Wir kommen zu Punkt 3 e, Antrag der Fraktion der SPD auf Einsetzung einer unabhängigen Sachverständigenkommission zur Vorbereitung einer Reform der direkten und indirekten Steuern. Vorgeschlagen wird Überweisung nur an den Finanzausschuß. - Kein Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 23 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Übersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 18. Oktober 1965 bis 30. September 1967 eingegangenen Petitionen
- Drucksache V/2181 -
Wer dem Antrag ides Petitionsausschusses zustimmen will, 'möge das Zeichen geben. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ({1})
- Drucksache V/2182 -
b) Beratung des Berichts der Bundesregierung über .die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und ,der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen ({2}) sowie 'das Gutachten des Sozialbeirats über die Rentenanpassung
- Drucksache V/21,17 Eine Begründung wird nicht gegeben. Ich eröffne die Aussprache. - In der Aussprache hat das Wort Herr Abgeordneter Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen der vorgerückten Zeit mache ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf und zu den Fragen der Rentenanpassung nur wenige Bemerkungen.
Wir begrüßen, daß die Bundesregierung das Rentenanpassungsgesetz auch dieses Jahr wieder, ich möchte sagen, fristgerecht vorgelegt hat. Es ist das zehnte Mal, daß das jährliche Anpassungsgesetz auf Grund der Beschlüsse der Rentenreformgesetze vom Jahre 1957 vorgelegt wird. Wenn Sie so wollen, ist es ein kleines Jubiläum.
({0})
- Wir sind heute abend in diesem Rahmen bescheiden, Herr Kollege Schellenberg.
Wir, die wir 1957 dabei waren, als das Gesetz über die Rentenreform verabschiedet wurde, betrach6576
teten gerade die Schaffung der dynamischen Rente als das Kernstück der Reform. Die Rentenreform 1957 wurde eben wegen der dynamischen Rentenregelung von vielen Personen und Institutionen im In- und Ausland als sozialpolitische Großtat gepriesen. Wir sind auch heute noch der Auffassung, daß es eine Großtat war und bis auf den heutigen Tag ist.
Freilich wußten wir schon damals, daß uns diese Reform viele Opfer abverlangen würde. Die Diskussion dieser Tage haben es oft genug gezeigt. Ich will nicht wiederholen, was eine Anzahl meiner Vorredner dieser Tage alles zu diesem Punkt gesagt haben. Ich will auch nicht wiederholen, was in den zehn Jahren jeweils bei der Einbringung der jährlichen Rentenanpassungsgesetze gesagt wurde. Nur das eine kann man in Anbetracht der unterschiedlichen Diskussion nicht oft genug sagen: wir wollten damals, 1957 - und wollen es auch heute noch -, daß auch der Rentner, der nicht mehr im Arbeitsprozeß Stehende, an der Wirtschaftsentwicklung aktiven Anteil nimmt. Wir wollen, daß seine Rente der Lohnentwicklung angepaßt wird.
({1})
Wir werden in der öffentlichen Diskussion oft als Sozialromantiker bezeichnet, bezeichnenderweise oft von Leuten, die ihre eigenen Verhältnisse in bezug auf den Lebensabend in bester Ordnung haben,
({2})
es uns aber verdenken, wenn wir auch für den Versicherten, insbesondere für den Arbeiter, Verhältnisse schaffen wollen, die es ermöglichen, daß er wenigstens 50 °/o seines letzten Verdienstes in der Rente behält. Wir wissen, daß wir das auf weite Strecken noch nicht einmal erreicht haben, hoffen aber, daß wir bald so weit sind.
Wir sind keine Romantiker, wir sind Realisten, die die Dankbarkeit und Verantwortung gegenüber denjenigen nicht vergessen, die ihr ganzes Arbeitsleben in den Dienst unserer Wirtschaft gestellt haben und somit einen erheblichen Anteil an unserer Wirtschaftsentwicklung haben.
({3})
Darüber hinaus haben die Rentner von heute in ihrem Arbeitsleben genau -wie die Aktiven von heute durch ihre jahrzehntelange Zahlung zum Teil hoher Beiträge einen Anspruch erworben, dessen Verwirklichung unsere Gesellschaft ihnen nicht vorenthalten kann. Das hat nichts damit zu tun, daß in Einzelfragen einmal Änderungen oder Anpassungen erfolgen können oder gar müssen.
In der Diskussion um die mittelfristige Finanzplanung nahm unsere Rentenversicherung wohl den breitesten Raum ein. Fragen der brutto- oder nettobezogenen Rente wurden heftig diskutiert. Von draußen konnte man u. a. sogar den Vorschlag hören, die Anpassung einmal befristet auszusetzen. Zur Steuerung der Wahrheit und Klarheit will auch ich hier noch einmal sagen: im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen nimmt der Sozialrentner von heute verspätet an der Wirtschaftsentwicklung teil, Die Rentenhöhe des kommenden Jahres - 1968 orientiert sich an den Durchschnittsverdiensten aller Arbeitnehmer der Jahre 1963, 1964 und 1965, hinkt also in Wirklichkeit der tatsächlichen Entwicklung drei bis vier Jahre nach.
Es gibt im gegenwärtigen Anpassungsrecht manche Regelungen, die noch verbesserungswürdig sind und auch im Zehnten Anpassungsgesetz nicht geändert werden sollen. Aber - diese Bemerkung sei mir erlaubt - es gibt nichts Hundertprozentiges auf dieser buckligen Welt. Wir wissen das auch. Deshalb sei abschließend folgendes gesagt: Unsere Rentenversicherung hat wie so vieles im Leben zwei Seiten, eine gebende und eine nehmende. Wir denken an unsere Sozialrentner. Die jährlichen Anpassungsgesetze beweisen es. Wir wollen und müssen aber auch an jene denken, die heute die Opfer bringen. Ich meine die Beitragszahler von heute und Rentner von morgen. Wir dürfen auch sie nicht überfordern.
Ich werde in meinen Versammlungen, in den Diskussionen oft gefragt: Wie ist es denn, wenn ich in zehn oder fünfzehn Jahren Rentner werde? Ist dann für mich auch noch so gesorgt wie für die Renter von heute? - Sie wissen, daß über diese Frage, so berechtigt sie ist, in der Öffentlichkeit, in Presse, Fernsehen usw., oft recht einseitige, gezielte Beiträge gestartet werden, die geeignet sind, Zweifel in die Zuverlässigkeit unserer Rentenversicherung zu setzen. Ich habe mir sagen lassen, daß erst am vergangenen Montag im deutschen Fernsehen wieder so eine Veranstaltung war, die ebenfalls geeignet war, Zweifel in unsere Versicherung zu setzen. Deshalb möchte ich, obwohl wir heute so viel über Sozialpolitik gesagt haben, hier noch einmal eine klare Antwort geben. Wir können die zuversichtliche Antwort geben, daß die Sicherung der Ansprüche aus der Rentenversicherung auch für die Zukunft gewährleistet ist. Allerdings - das sage ich dazu - müssen wir vernünftig sein, und das geht uns alle an.
({4}).
Das Wort hat Herr Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den notwendigen Erörterungen, die wir auch zu den Rentenproblemen gehört haben, könnte man versucht sein, zu sagen, daß sehr viel theoretisiert ist. Das, was uns jetzt mit dem Zehnten Rentenanpassungsgesetz vorliegt, ist eine praktische Maßnahme, die beweist, daß es uns mit der Sicherung der Zukunft unserer Rentner ernst ist. Ich glaube, es ist ein großes Stück Arbeit und sehr verdienstvoll, wenn wir in der jetzigen finanziellen Situation 2 320 000 000 DM ab 1. Januar 1968 den Rentnern für die Aufbesserung ihrer Ruhegelder zur Verfügung stellen.
Nun, meine Damen und Herren, ich glaube, trotz der fortgeschrittenen Stunde einige wenige Bernerkungen machen zu müssen, weil gerade die Frage der Rentenanpassung in jedem Jahr von bestimmten Kreisen dazu benutzt wird, eine Polemik gegen die dynamische Rentenversicherung und ihre AnpasKillat
sungsformeln zu entfesseln. Wer in den letzten Wochen und Monaten aufmerksam die Presse verfolgt hat, wird zugeben, daß wir teilweise unter einem publizistischen Trommelfeuer im Hinblick auf die Beibehaltung der Rentendynamik und der Anpassung standen. Wir haben es auch heute in diesem Raum gehört. Ich will aus einem Artikel, der gestern in der „Welt" über diese Frage geschrieben worden ist, nur zwei, drei Schlagzeilen oder Thesen vorlesen. „In der Rentenversicherung werden die Weichen falsch gestellt" ; das habe ich heute auch gehört.
({0})
„Eine Reform ist nicht zu umgehen" ; das habe ich von Herrn Mischnick ebenfalls gehört.
({1})
„Ob die gesetzliche Rentenversicherung wirklich immer weiter wuchern soll" ; das habe ich ebenfalls gehört. „Die Rentenversicherung arbeitet mit einer Schönwetterverfassung" und muß saniert werden.
Nun, meine Damen und Herren, wer sich die Mühe macht, sich den Sozialbereich anzusehen, und wer heute aufmerksam die Vorträge der Kollegen, die sich ernsthaft mit diesem Problem befaßt haben, zur Kenntnis genommen hat, der muß doch zugeben, daß die Beträge, die heute für die Alterssicherung in diesen Bereichen gezahlt werden, weit unter dem liegen, was jeder Leitende oder Führende in Wirtschaft und Verwaltung für sich in Anspruch nimmt oder was wir im öffentlichen Dienst aus der Fürsorgepflicht heraus zubilligen. Nach 40 Versicherungsjahren - daran führt kein Weg vorbei - kommt der Rentner im Augenblick nur auf 45 % des erarbeiteten Lebensstandards. 45 %! Und da spricht man dann noch davon, daß man die Anpassung ausfallen lassen sollte oder daß man gar zu einem Nettowert übergehen könnte. Das heißt, man würde diese Renten noch kürzen. Wenn man den Nettowert, der in Presse und Fachzeitschriften von einer ganz bestimmten Seite propagiert wird, zugrunde legt, dann würde über die Hälfte der heutigen Arbeiter- und Angestelltenrentenbezieher zu Sozialhilfeempfängern werden. Das wird meistens nicht bedacht.
Auch denen möchte ich entgegentreten, die immer wieder behaupten, daß die Renten 600 DM, 800 DM, 1000 DM betragen. Es- gibt in der ganzen deutschen Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten nur 580 000 Ruhegeldempfänger mit mehr als 550 DM. Das sind nur 7,2 % des gesamten Rentenbestandes.
Nun, meine Damen und Herren, halte ich es für notwendig, darauf aufmerksam zu machen, daß die Rentner nicht etwa nur einen moralischen Anspruch auf eine Anpassung haben oder daß wir, die noch aktiv Beschäftigten, ethisch verpflichtet sind, diese Anpassung vorzunehmen. Wir müssen doch endlich einmal begreifen, daß jede Beschäftigungsgeneration ihren Lebensstandard und ihr Lohneinkommen auf den Produktionsgrundlagen und Anlagewerten aufbaut, die die vorige Generation, also die gegenwärtige Rentnergeneration, erarbeitet und ihr zur weiteren Nutzung überlassen hat.
Ich möchte das an einem Beispiel erläutern. Die Nachkriegsgeneration hat von 1950 bis 1966 das Bruttosozialprodukt von 98 Milliarden auf 478 Milliarden DM gesteigért. Das ist eine Erhöhung um das Viereinhalbfache. Die Bruttolohnsumme je Kopf ist von 243 auf 829 DM gestiegen, d. h. auf das Dreieinhalbfache. Jede nachfolgende junge Generation, die heute in die Produktion geht, baut auf diesen gestiegenen Einkommen, auf dieser gestiegenen Produktionsgrundlage auf. Die Arbeitnehmer wie auch die Wirtschaftskräfte mit ihren doch außerordentlich gestiegenen Anlagewerten, Aktienkapitalien und sonstigen Vermögen haben deshalb die Verpflichtung, aus dem Ertrag, der ihnen aus der zur Nutzung hinterlassenen Wirtschaft entsteht, den aus der Produktion ausgeschiedenen Rentnern einen gleichen Lebensstandard zu sichern wie den, der ihnen aus dieser Hinterlassenschaft zuteil wird. Ich glaube, das ist eine ganz nüchterne Feststellung. Das ist eine wirtschaftliche Verpflichtung, und hier besteht ein echter Anspruch, wie er beispielsweise bei den Anlagewerten in Form der Renditeallgemein verstanden wird.
Abschließend noch ein Wort zu dieser Anpassung. Ich glaube, diese Anpassung ist ein Sinnbild der Solidarität zwischen aktiven und inaktiven Beschäftigten in unserer Gesellschaft. Ich glaube auch, wir müssen erkennen, daß alle diejenigen, deren Existenzgrundlage nur Arbeit, Kenntnisse und Erfahrungen sind - das sind nicht nur Arbeitnehmer; das können auch weite Bereiche der Selbständigen sein, die als Freischaffende und in anderer Form mit wenig Kapital oder Grundbesitz arbeiten -, eine Sicherung dieser Art, wie sie in der Rentenversicherung geschaffen worden ist, nötig haben. Ich glaube, wer ehrlich ist, muß zugeben, daß es uns bisher nur durch die dynamische Rente und durch die laufende Anpassung gelungen ist, uns in der Bundesrepublik ohne soziale Spannungen oder gar Unruhen wirtschaftlich so fortzuentwikkeln, wie es in den letzten Jahrzehnten geschehen ist. Wer an diesen fundamentalen Sicherungsgrundlagen rüttelt - ich verweise hier nur auf die Unsicherheitsfaktoren in den von Strukturkrisen betroffenen Gebieten -, legt den Keim für Spannungen und Auseinandersetzungen, die unsere gesellschaftliche Stabilität und den weiteren wirtschaftlichen Aufschwung in Frage stellen.
Wer Iden inneren Frieden und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft verstärken will, muß deshalb all denen eine Absage erteilen, die die jährliche Rentenanpassung immer wieder zum Anlaß eines spektakulären, ich möchte beinahe sagen, nihilistischen Angriffs 'auf die Grundsätze unserer Alterssicherung nehmen.
Ich darf 'für meine Fraktion erklären, daß wir diesem Gesetz im weiteren Verlauf der Beratung uneingeschränkt zustimmen werden. Ich darf Sie aber auch bitten, all denen mit Kraft und Entschlossenheit zu begegnen, die uns beim weiteren Aufbau einer sozialeren und gerechteren Gesellschaftsordnung als Störenfriede entgegentreten.
({2})
Herr Spitzmüller hat die Ausführungen, die er machen wollte, zu Protokoll gegeben. Ich schließe die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 4.
Es .wird vorgeschlagen, Punkt 4 a - Zehntes Rentenanpassungsgesetz - an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend -, an den Haushaltsausschuß - mitberatend - und gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Es ist so beschlossen.
Punkt 4 b - Sozialbericht 1967 - soll an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
({0})
- Nach dem hier auf der korrigierten Vorlage stehenden Vorschlag des Ältestenrats nicht gemäß § 96 'der Geschäftsordnung, sondern mitberatend.
({1})
- Zu so später Stunde lassen wir es mal auf sich beruhen.
Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den rechtlichen Status der Rhein-Main-Donau-Großschiffahrtsstraße zwischen dem Main und Nürnberg und über die damit zusammenhängenden Eigentumsverhältnisse
- Drucksache V/1820 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache V/2195 -Berichterstatter: Abgeordneter Haehser
b) Schriftlicher Bericht des Verkehrsausschusses ({3})
- Drucksache V/2176 -Berichterstatter: Abgeordneter Lemmrich ({4})
Der Ausschuß hat in seinem Bericht auf Drucksache V/2176 den ursprünglichen Text - Drucksache V/1820 - in einem Punkt verändert, und zwar hat er in § 1 Abs. 2 Nr. 2 ,das Wort „Buckenhofen" durch das Wort „Forchheim-Buckenhofen" ersetzt.
Ich rufe in zweiter Beratung die §§ 1, - 2, - 3,
- 4, - 5, - 6, - 7 - sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zuzustimmen wünscht, gebe das Zeichen. - Ich danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und komme zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, möge sich erheben.
Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Horten, Porten, Frau Schroeder ({5}), Frau Dr. Schwarzhaupt, Teriete und Genossen 'eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung freiwilliger sozialer Hilfsleistungen
- Drucksache V/1966 Herr Abgeordneter Horten gibt die Begründung zu Protokoll.
({6})
Das Wort wird nicht gewünscht. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend -, an den Ausschuß für Arbeit und den Finanzausschuß - mitberatend - sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Beschleunigung der Erteilung von Sichtvermerken
- Drucksache V/2163 Das Wort wird nicht gewünscht. Es wird vorgeschlagen, die Vorlage an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und an den Innenausschuß - mitberatend - zu überweisen. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu den Punkten 9 und 10 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({7}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der EWG für
eine Verordnung des Rats über die Einbeziehung von Bruchreis zur Stärkeerzeugung und von Quellmehl in die Verordnung Nr. 178/67/EWG zur Festsetzung der Erstattung bei der Erzeugung von Getreide- und Kartoffelstärke und Quellmehl
eine Verordnung des Rats zur Festlegung der Interventionsbedingungen für Ölsaaten in den letzten beiden Monaten des Wirtschaftsjahres und zur Festlegung der Grundsätze für den Absatz der von Interventionsstellen aufgekauften Saaten
- Drucksachen V/2047, V/2060, V/2173 - Berichterstatter Abgeordneter Logemann
Beratung des Schriftlichen Berichts des Verkehrsausschusses ({8}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats über das Vorgehen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der den Unternehmen des Eisenbahn-,
Vizepräsident Dr. Mommer
Straßen- und Binnenschiffsverkehrs auferlegten Verpflichtungen, die unter den Begriff des öffentlichen Dienstes fallen
- Drucksachen V/1858, V/2177 -Berichterstatter: Abgeordneter Müser
In beiden Fällen handelt es sich darum, daß das Haus den Bericht des Ausschusses zur Kenntnis nimmt. - Das ist geschehen.
Dann haben wir noch vier Punkte auf der Zusatztagesordnung. Zunächst:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Holzstatistik
- Drucksache V/2180 Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage zu überweisen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführenden Ausschuß, an den Innenausschuß zur Mitberatung und an den Haushaltsausschuß. gemäß § 96 der Geschäftsordnung. - Es ist so besschlossen.
Ich rufe den zweiten Zusatzpunkt auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. September 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Regelung der Grenzübergänge der Eisenbahnen
- Drucksache V/2189 Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage dem Verkehrsausschuß zu überweisen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe den dritten Zusatzpunkt auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes
- Drucksache V/1749 Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({9})
Berichterstatter: Abgeordneter Krammig
({10})
Ich eröffne die zweite Beratung. Der Ausschuß schlägt vor, den Entwurf der Bundesregierung Drucksache V/1749 in einigen Punkten zu ändern, und zwar zunächst in Art. 1 Nr. 8. Diese Vorschrift bekommt den Text, der in der Drucksache V/2186 vorliegt. Nach dem Antrag des Ausschusses werden in Art. 1 Nr. 9 einige Worte verändert, und Art. 4 erhält eine neue Fassung.
Wir stimmen dann über die so geänderte Vorlage der Bundesregierung auf Drucksache V/1749 ab. Wer den Artikeln 1, 2, 3, 4, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, gebe das Zeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wer,. dem Gesetzentwurf in
dritter Beratung
zustimmen will, möge sich erheben. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Der vierte Zusatzpunkt unserer Tagesordnung ist hiermit aufgerufen:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({11}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rats über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit für die selbständigen Tätigkeiten des Filmverleihs
- Drucksachen V/1744, V/2183 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Elbrächter
Es wird vorgeschlagen, die Kenntnisnahme zu beschließen. - Keine Gegenstimmen. Es ist hiermit geschehen.
Dann sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich berufe den Deutschen Bundestag zu seiner nächsten Sitzung auf morgen, Freitag, den 27. Oktober, 9 Uhr, ein. Wir haben dann nur noch die Fragestunde auf der Tagesordnung.
Die Sitzung ist geschlossen.