Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren!
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Am 7. Oktober starb unser Kollege Hermann Alexander Reinholz im Alter von nur 43 Jahren im Saarburger Krankenhaus an den Folgen eines Herzanfalls. Der Verstorbene gehörte dem Hohen Hause erst seit dem 24. Juli 1967 als Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion an. Sein Tod hat uns tief betroffen, war er doch eines der jungen Mitglieder des Hauses am Anfang einer parlamentarischen Laufbahn, auf die seine Freunde große Hoffnungen setzen durften.
Reinholz wurde am 1. Mai 1924 geboren, besuchte das Trierer Kaiser-Wilhelm-Gymnasium und studierte nach Kriegsende und Gefangenschaft Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft in Mainz. Als junger Jurist wurde er 1958 zum Landrat des Kreises Saarburg gewählt. In diesem Amt hat er sich besondere Verdienste um die Industrieansiedlung und die Winzerhilfe erworben.
Schon auf der Universität war Reinholz stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Union, und seit 1950 führte er die Geschäfte der CDU-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz. In der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU war er dem Landesvorstand und dem Bundesausschuß mit seinen Erfahrungen ein sachkundiges Mitglied.
Ein tragisches Geschick hat ihm nun die Krönung seines politischen Wirkens, die parlamentarische Arbeit als Abgeordneter des Deutschen Bundestages, versagt. Ich spreche der Familie unseres Kollegen Reinholz und der Fraktion der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union die herzliche Teilnahme des Hauses aus.
Ich darf dann bekanntgeben, daß als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Dr.-Ing. Seebohm mit Wirkung vom 29. September 1967 der Abgeordnete Dr. Lindenberg in den Bundestag eingetreten ist. Ich begrüße den Kollegen in unserer Mitte.
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Er war schon einmal unter uns; er ist ein alter Bekannter. Ich wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit und beglückwünsche ihn gleichzeitig zu seinem 65. Geburtstag, den er am 2. Oktober gefeiert hat.
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Am 9. Oktober 1967 hat der Abgeordnete Regling seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich beglückwünsche ihn dazu.
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Ebenfalls gratuliere ich dem Abgeordneten Dr. Steinmetz zu seinem 65. Geburtstag.
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Meine Damen und Herren, es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen. Es sind dies:
Vorlage des Bundesministers des Auswärtigen Betr.: Bericht über die deutschen Auslandsschulen Bezug: Beschluß des Bundestages vom 28. Juni 1967 - Drucksache V/2121 -zuständig: Auswärtiger Ausschuß
Vorlage des Bundesministers des Innern
Betr.: Längere Dienstzeit für Polizeivollzugsbeamte als Ersatz für die Pflicht zum Grundwehrdienst
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 12. Mai 1967
- Drucksache V/2126 -zuständig: Verteidigungsausschuß ({5}), Innenausschuß
Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Familie und Jugend hat am 5. Oktober 1967 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gewährung von Ausbildungsbeihilfen in Höhe des Kindergeldes bzw. der Halb- und Vollwaisenrente während der Schul- und Berufsausbildung nach Vollendung des 18. Lebensjahres - Drucksache V/2116 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2156 verteilt.
Der Abgeordnete Lenz ({6}) hat mit Wirkung vom 5. Oktober 1967 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Wir kommen nun zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
- Drucksachen V/2155, zu V/2155 Zunächst die Frage 1 des Abgeordneten Moersch aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes:
Welche besonderen Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, bei ihrer Anzeigenwerbeaktion mit dem Titel „Die Richtung stimmt" die regionalen Tageszeitungen, speziell die mittleren und kleineren Blätter, nicht zu berücksichtigen?
Vizepräsident Schoettle
Herr Staatssekretär von Hase, wollen Sie bitte antworten!
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Die dem Presse- und Informationsamt in Tit. 314 für die Information der Bevölkerung über Maßnahmen und Vorhaben der Bundesregierung auf den Gebieten der Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik im Jahre 1967 zur Verfügung stehenden Mittel erlauben es nicht, bei einer Aktion sämtliche deutschen Zeitungen mit Anzeigen zu belegen. Es muß vielmehr bei jeder derartigen Aktion eine sorgfältige Auswahl getroffen werden. Sie muß sich an den sachlichen Notwendigkeiten orientieren, nämlich die anzusprechenden Zielgruppen der Bevölkerung mit geringen Kosten weitgehend zu erreichen; anders ausgedrückt: mit einem Minimum an finanziellem Aufwand soll ein Maximum von Kontakten hergestellt und damit ein Optimum von Wirkung erzielt werden.
Bei der jetzigen Aktion war (auf Grund genauer Berechnung dieses Optimum durch die Belegung folgender Zeitungsgruppen erreicht worden: meinungsbildende Wochenzeitungen, überregionale Tageszeitungen mit Wirtschaftsteil, Wirtschaftszeitungen, Sonntagszeitungen und Straßenverkaufszeitungen.
Das Bundespresseamt ist bemüht, soweit die .sachlichen Gegebenheiten dies lermöglichen, unter den belegten Zeitungsgruppen auszuwechseln. So ist in diesem Frühjahr eine Anzeigenaktion in den Steinkohlenrevieren vorwiegend in den Regionalzeitungen und den Standortblättern durchgeführt worden. Bei künftigen derartigen Aktionen werden wiederum auch die Regional- und Standortblätter berücksichtigt werden.
Herr Abgeordneter Moersch!
Herr Staatssekretär, sind Sie sich darüber im klaren, daß Ihre Streuung und die Begründung, die Sie für die Streuung gegeben haben, im Widerspruch zu dem Vorbericht stehen, den (die Bundesregierung über die Fragen der Pressekonzentration 'ausgegeben hat?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Ich bin, wenn man die Gesamtaktion des Presse- und Informationsamts im Jahre 1967 und nicht nur diesen Teilausschnitt unserer Aktivität sieht, nicht dieser Ansicht, Herr Abgeordneter. Denn der Bericht sagt - ich habe ihn hier vorliegen -:
Die Kommission schlägt der Bundesregierung vor, auf (die öffentliche Hand einzuwirken, einen höheren Anteil des von der öffentlichen Hand zu vergebenden Werbeetats in den Tageszeitungen und davon einen angemessenen Teil in den Regionalzeitungen und Standortblättern unterzubringen.
Ein angemessener Teil wird in der Tat, wenn man das Gesamte überblickt, Herr Abgeordneter, in den Regional- und Standortblättern, auch Ihrer Empfehlung folgend, untergebracht.
Herr Moersch!
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß der Bedeutung der Aktion entsprechend die Bevorzugung etwa eines großen Straßenverkaufsblatts dem Ansehen der Bundesregierung und der Glaubwürdigkeit ihrer Argumentation mehr dienlich war, als wenn die Bundesregierung diese Anzeigen in fest verankerten regionalen Blättern untergebracht hätte, zum gleichen Preis selbstverständlich?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Die Empfehlung, welche Blätter die größte Zielwirkung für die betreffende Anzeige haben, stützt sich in erster Linie auf die fachlichen Kenntnisse der verschiedenen Werbeberatungsfirmen, mit denen die Bundesregierung in Verbindung steht. Wir bemühen uns, bei den Überlegungen in erster Linie diese fachlichen Argumente in den Vordergrund zu stellen.
Herr Schulze-Vorberg!
Herr Staatssekretär, in einem Schreiben Ihres Amtes an mich aus den letzten Tagen zu der gleichen Frage sind eine Reihe von Empfehlungen an die kleinen und mittleren Zeitungen enthalten, die es der Bundesregierung in Zukunft erleichtern sollen, auch diese kleinen und mittleren Zeitungen an solchen Anzeigenaktionen zu beteiligen. Entsprechen diese Empfehlungen Ihren Ansichten?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Diese Empfehlungen entsprechen den Ansichten des Bundespresse- und Informationsamtes. Voraussichtlich werden diese Empfehlungen auch in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Günther-Bericht einen Niederschlag finden. Wir wollen auf diese Weise erreichen, daß die Werbewirksamkeit von Anzeigen in kleinen und mittleren Zeitungen auch da, wo nach den bisherigen Erkenntnissen die Werbewirksamkeit nicht so groß ist, verbessert wird.
Herr Schulze-Vorberg!
Herr Staatssekretär, da wir uns heute nicht zum erstenmal mit der Frage der Beteiligung der kleinen und mittleren Zeitungen an Anzeigenaktionen der Bundesregierung befassen, darf ich Sie fragen: Würden Sie die Tatsache des wiederholten Befassens mit dieser Frage und die einhellige Meinung, die Ihnen aus den verschiedenen Fraktionen dieses Hauses entgegengebracht wird, dahin werten, daß Sie in Zukunft diese kleinen und mittleren Zeitungen bevorzugt berücksichtigen?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef : Ich habe insbesondere aus der Debatte des Hauses vom 6. Oktober entnommen, daß in der Tat das Haus
Staatssekretär von Hase
einhellig der Meinung ist, daß, wenn neben der Werbewirksamkeit noch andere Gesichtspunkte maßgebend sein sollen, in erster Linie die kleinen und mittleren Blätter gestützt werden sollten.
Herr .Genscher!
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bei einer solchen Qualifikation des Werbewerts der kleineren Zeitungen eigentlich darüber im klaren, daß sie damit auch das sonstige Werbeaufkommen dieser Zeitungen nachteilig beeinflußt?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Dieses Ergebnis der Aktivität der Bundesregierung, Herr Abgeordneter, kalkulieren wir nicht ein. Da ist die Bundesregierung nicht Ihrer Auffassung.
Herr Genscher!
Herr Staatssekretär, es ist sehr schwer, mein Bedauern darüber in eine Frage zu kleiden. Darf ich sie immerhin fragen, ob Sie 'in Zukunft solche fast schon konjunkturpolitischen Auswirkungen Ihrer Maßnahmen mit dem Wirtschaftsministerium, das da über größere Erfahrungen verfügt, abstimmen werden.
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Ich darf mich hier vielleicht darauf beziehen, daß der Wirtschaftsminister in der letzten Debatte mit einem gewissen Wohlwollen festgestellt hat, das Presse-und Informationsamt sei die einzige Behörde gewesen, die eine antizyklische Werbeaktion betrieben habe.({0})
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Es liegen zwei Fragen des Abgeordneten Haar ({0}) vor:
Ist die Bundesregierung bereit, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Bürger, die bei Hilfeleistung für nachweisbar in Notsituationen geratene Mitmenschen materielle oder gesundheitliche Schäden erleiden, einen Rechtsanspruch auf Entschädigung erhalten?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Regelungen im Sinne eines Aufopferungsanspruches dringend notwendig sind für Fälle, bei denen ein hilfeleistender Bürger sein Leben verliert?
Zu Ihrer ersten Frage, Herr Abgeordneter, verweise ich auf die Erklärung, die die Bundesregierung zum gleichen Thema durch den Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung in der 17. Sitzung des 5. Deutschen Bundestages am 27. Januar 1966 auf die Frage XI/5 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller ({0}) und in der 19. Sitzung am 10. Februar 1966 auf die damalige Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen gegeben hat. Danach kann von einem
Fehlen gesetzlicher Voraussetzungen für einen Rechtsanspruch der Nothelfer auf öffentlich-rechtliche Entschädigung im wesentlichen nur insofern die Rede sein, als die gesetzliche Unfallversicherung bislang nur für Schäden am Leben aufkommt, aber nicht für reine Sach- und Vermögensschäden. Ich gehe daher davon aus, daß Ihre Frage primär die Lücke betrifft, daß Schäden an Sachen und Vermögen nicht ersetzt werden. Die anderen Schäden sind ja durch § 539. Abs. 1 Ziffer 9 Buchstabe a) der Reichsversicherungsordnung abgedeckt.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich Ihre Frage wie folgt. Die in der 19. Sitzung zugesagte Prüfung ist - auch mit beeinflußt durch den Regierungswechsel - noch nicht abgeschlossen. Die Prüfung hat sich bisher hauptsächlich auf die Frage ,der Gesetzgebungskompetenz erstreckt. Von der Beantwortung dieser Vorfragen wird es im übrigen auch abhängen, welches Bundesministerium für die weitere Vorbereitung einer gesetzlichen Regelung zuständig ist.
Herr Haar!
Herr Staatssekretär, läßt sich absehen, bis zu welchem Zeitpunkt eine solche Regelung möglich sein wird?
Das läßt sich noch nicht ganz absehen, Herr Abgeordneter. Die Schwierigkeiten sind folgende. Wenn eine bundesrechtliche Lösung angestrebt wird - und die wäre ja praktikabler als elf Länderregelungen -, müßten wir uns im Rahmen des Art. 74 Nr. 12 und Nr. 7 des Grundgesetzes halten. Wir müßten es also in die Bundeskompetenz über die Sozialversicherung oder über die öffentliche Fürsorge bringen. Es wird nicht ganz leicht sein, eine Regelung zu finden, die einerseits durch eine klare Bundeskompetenz getragen wird und andererseits das ganze Gebiet abdeckt.
Die nächste Frage ist noch zu beantworten.
Die zweite Frage beantworte ich wie folgt. Gegen diedringende Notwendigkeit, eine solche Regelung einzuführen, spricht, daß die Nothelfer oder - schlimmstenfalls - die Hinterbliebenen eines Nothelfers, der sein Leben eingesetzt und geopfert hat, bereits nach geltendem Recht Anspruch auf die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung haben.
Wegen der Einzelheiten darf ich auf die frühere Antwort vom 27. Januar 1966 verweisen. Die Leistungen der sogenannten eigenen Unfallversicherung der Länder erfüllen - was in der Presse und auch in dem Pressebericht der Stuttgarter Zeitung, Herr Abgeordneter, nicht immer beachtet wird - zugleich die Funktion einer öffentlich-rechtlichen Aufopferungsentschädigung.
Keine Zusatzfrage mehr.
Die Frage des Abgeordneten Wurbs aus dem Geschäftsbereich ,des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend. Die Fragen 5, 6 und 7 stellt Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling:
Erkennt die Bundesregierung an, daß Artikel 6 des Grundgesetzes, der die Familie in aller Form unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, eine verfassungsrechtlich gebotene Richtlinie der Politik im Sinne des Artikels 65 des Grundgesetzes enthält und unmittelbar geltendes Recht ist?
Sieht die Bundesregierung keinen Verstoß gegen die in Frage 5 erwähnte Richtlinie der Politik darin, daß sie seit zwei Jahren in konsequenter Folge als Sondermaßnahmen gegen die Familie
eine Kürzung der Ausbildungszulagen des Kindergeldgesetzes, eine Einschränkung des Personenkreises der Empfangsberechtigten,
die völlige Streichung der Ausbildungszulage,
eine überproportionale Erhöhung der Schülertarife der Deutschen Bundesbahn,
die mehrfache Hinausschiebung des gesetzlich festgelegten erhöhten Mutterschaftsgeldes,
die Streichung des erhöhten Mutterschaftsgeldes,
Kürzungen der Mittel für den Familienwohnungsbau,
die Einstellung der „Aktion Große Familie" im Wohnungsbau, die Einstellung der „Aktion Junge Paare",
eine wesentliche Einschränkung der „Aktion Junge Familie" beschloß,
seit Jahren jede Anpassung der seit 1964 eingefrorenen Kindergeldsätze an die Preis- und Lohnentwicklung verweigerte,
ihren Beschluß auf Anpassung des Kindergeldes ab 1969 wieder aufhob
und eine in allen EWG-Ländern grundsätzlich abgelehnte Einkommensgrenze beim Kindergeld
fordert?
Glaubt die Bundesregierung, daß ihre neuesten Beschlüsse, nun auch noch das Wohngeld vorallem zu Lasten der Familien mit Kindern zu kürzen und die Familienzusatzdarlehen im Wohnungsbau - z. B. bei 6 Kindern von 20 000 DM auf 10 000 DM - herabzusetzen, vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit allem Voraufgegangenen noch als verfassungsgemäßes Verhalten anerkannt werden kann, nachdem die Familien mit Kindern schon durch die Umsatzsteuererhöhung und durch alle allgemeinen Sparmaßnahmen in der Regel härter betroffen werden als andere und deshalb Anspruch auf ausgleichende Schutzmaßnahmen haben?
Herr Abgeordneter, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Die Bundesregierung erkennt an, daß durch die in Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes getroffene Wertentscheidung der Staat verpflichtet ist, die Familie zu fördern. Aus dieser Norm können jedoch keine Einzelmaßnahmen hergeleitet werden, die zur Förderung der Familie für erforderlich gehalten werden. Vielmehr ist insoweit das Hohe Haus frei in der Entscheidung darüber, mit welchen Maßnahmen gefördert werden soll.
Herr Dr. Wuermeling!
Herr Staatssekretär, da ich nicht jeden einzelnen Beschluß als solchen, sondern die konsequente Folge der Sondermaßnahmen gegen die Familie als Ganzes als nicht verfassungsgemäß beurteilt habe, frage ich nochmals, ob die Bundesregierung es tatsächlich als verfassungsmäßig gebotenen Schutz der Familie betrachtet, wenn sie - jedem erkennbar - den Rotstift gegen die Familien ganz wesentlich härter - nämlich doppelt und dreifach und noch mehr - ansetzt als bei allen anderen.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die 'im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung dem Hohen Hause zur Beschlußfassung vorgelegten Maßnahmen sich im Rahmen des Art. 6 des Grundgesetzes halten und daß sowohl die einzelnen Maßnahmen wie auch die Maßnahmen insgesamt einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten würden.
Herr Staatssekretär, wenn Sie einmal auf die Mitbeschlußfassung des Bundestages Bezug nahmen - abgesehen davon, daß der Bundestag keineswegs alle in meinen Fragen aufgezählten Beschlüsse der Bundesregierung bestätigt hat, nicht zuletzt, weil er an Art. 6 dachte; ich erinnere an die Wohngeldkürzung: die Wohngeldkürzung wurde schon einmal abgelehnt; bei der Ausbildungszulage haben wir im Anfang nachdrücklich gebremst; die letzten Beschlüsse zur mittelfristigen Finanzplanung sind noch keinesweg bestätigt -
Das ist aber keine Frage mehr, Herr Abgeordneter Wuermeling. Das Fragezeichen steht ziemlich weit hinten, muß ich sagen.
- möchte ich einmal fragen dürfen: würde das Handeln der Bundesregierung, wenn es nicht verfassungsgemäß ist, dadurch verfassungsgemäßer, daß der Bundestag es, ohne das Grundgesetz zu ändern, sanktioniert?
Ganz sicher würde das nicht der Fall sein, Herr Abgeordneter. Die Bundesregierung ist aber der Auffassung, daß die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen sich im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes halten.
Die Antwort auf die nächste Frage!
Herr Abgeordneter, darf ich die beiden nächsten Fragen, weil sie in einem inneren Zusammenhang stehen, zusammengefaßt beantworten?
Der Fragesteller ist einverstanden.
Die von Ihnen genannten Maßnahmen, Herr Abgeordneter, betreffen durchweg Maßnahmen im Bereich der leistungsgewährenStaatssekretär Dr. Barth
den Verwaltung. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß sich diese Maßnahmen alle - und jede einzelne für sich - 'im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Grundgesetzes halten, insbesondere im Rahmen des Art. 6 des Grundgesetzes.
Wenn das einen Hinweis auf die Notwendigkeit allgemeinen Sparens bedeutet, darf ich fragen: Warum werden die Haushalte mit Kindern, wie Sie in Beantwortung einer von mir früher gestellten Frage selbst ausdrücklich zugestanden haben, nicht nur zu allen anderen Opfern der Stabilisierung wie jeder andere herangezogen, sondern obendrein der Kürzung der Familienleistungen unterworfen, nur weil es Familien mit Kindern sind?
Der Familienlastenausgleich und seine künftige Gestaltung wirft eine Reihe von Problemen auf, mit deren Lösung die Bundesregierung zur Zeit befaßt ist. Man kann nicht einzelne Maßnahmen jetzt unter eine besonders kritische Kontrolle nehmen, sondern man muß die Maßnahmen, soweit sie im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung beschlossen werden, insgesamt sehen. Ich glaube, die Bilanz, die am Ende stehen wird, wird ein wesentlich anderes Gesicht zeigen als heute.
Herr Wuermeling!
Herr Staatssekretär, glauben Sie wirklich, daß sich unsere Väter und Mütter draußen jetzt immer noch mit Zukunftsvertröstungen zufriedengeben werden, nachdem jahrelang immer wieder verkündet worden ist, das nächste Mal komme die Familie dran, die Familie stehe im Mittelpunkt der Politik, während praktisch immer wieder nur neue Kürzungen vorgenommen werden?
Herr Abgeordneter, es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Bundesregierung die Maßnahmen zu Lasten kinderreicher Familien schweren Herzens beschlossen hat. Es kann aber ebenso keinem Zweifel unterliegen, daß diese Maßnahmen, soweit sie die Preisstabilität und die Erhaltung des Geldwerts betreffen, gleichfalls im Interesse auch und nicht zuletzt der kinderreichen Familien liegen.
Noch eine Frage, Herr Wuermeling. .
Herr Staatssekretär, wenn sicherlich auch niemand bestreitet, daß alle Sparmaßnahmen in der Grundtendenz im Sinne der kinderreichen Familien und gerade dieser liegen, so darf ich doch zu zwei Punkten, die ich angeführt habe, jetzt konkret fragen: Warum muß ausgerechnet bei den schutzbedürftigsten Familien, die Wohngeldanspruch haben - ebenso ist es bei den entsprechenden Rentnerkreisen -, der Rotstift angesetzt werden, wenn andererseits verkündet wird, daß die Lasten der Stabilisierung auf alle Schichten der Bevölkerung gerecht verteilt werden?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird zu all den Fragen, die Sie stellen, ihre Auffassung im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Finanzänderungsgesetz darlegen. Ich bitte, Verständnis dafür zu haben, daß wir hier nicht schon Gründe vorwegnehmen können, die die Bundesregierung bei Gelegenheit der genannten Stellungnahme dem Flohen Hause vortragen wird. Dazu gehören auch die Gründe, die den Anlaß zu dieser Maßnahme gegeben haben.
Eine weitere Zusatzfrage!
Eine letzte Frage - ich glaube, Herr Präsident, es ist die letzte zulässige Frage -: Wenn ausgerechnet die Familienzusatzdarlehen beim Wohnungsbau für Familien mit sechs Kindern jetzt auf die Hälfte, nämlich von 20- auf 10 000 DM, reduziert werden sollen, wie kann dann nach Ansicht der Bundesregierung eine achtköpfige Familie bei den gestiegenen - nicht gesunkenen - Baupreisen überhaupt zu einer angemessenen Wohnsituation kommen? Wenn ausgerechnet an dieser Stelle eine entscheidende Kürzung vorgenommen wird, macht man dadurch nicht den Bau eines Eigenheims unmöglich?
Herr Abgeordneter, auch zu dieser Frage darf ich sagen: Ich bitte um Verständnis dafür, daß diese Gründe im Rahmen der Stellungnahme zum Finanzänderungsgesetz dargelegt werden. Ich kann Teile der Regierungserklärung zu diesem Sachverhalt hier im Rahmen der Fragestunde nicht vorwegnehmen. Ich bitte, dafür Verständnis zu haben.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Brück ({0}) ,auf:
Trifft es zu, daß eine Sekretärin des deutsch-französischen Jugendwerkes entlassen wurde, weil sie Kritik an Bundeskanzler Kiesinger übte?
Ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten, Herr Abgeordneter:
Es trifft zu, daß eine Sekretärin des deutsch-französischen Jugendwerks auf Grund eines Vorgangs entlassen wurde, von dem die Bundesregierung jedoch erst Kenntnis erhalten hat, als ,der Generalsekretär des deutsch-französischen Jugendwerks das Entlassungsschreiben abgesandt hatte.
Herr Brück!
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß ,die Bundesregierung diese Entlassung nicht billigt?
Herr Abgeordneter, der Sachverhalt ist etwas komplizierter. Nach dem zugrunde liegenden Vertrag über die Errichtung des deutsch-französischen Jugendwerks vom 5. Juli 1963 ist das deutsch-französische Jugendwerk eine zwischenstaatliche und unabhängige Organisation. Die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, ,auf diese Vorgänge einzuwirken. Da die betroffene Frau Klarsfeld, soweit mir bekannt, wegen dieses Entlassungsschreibens die Schiedsstelle des deutschfranzösischen Jugendwerks angerufen hat, handelt es sich .außerdem um ein Verfahren, in das durch eine wertende Stellungnahme einzugreifen sich die Bundesregierung nicht erlauben ,darf.
Herr Brück!
Könnten Sie mir trotzdem sagen, welche Stellung die Bundesregierung bezieht? Ich glaube, daß die Entlassung gegen das Grundgesetz verstößt.
Herr Abgeordneter, ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß es sich um ein schwebendes Verfahren handelt, in das jetzt nicht durch eine wertende Stellungnahme eingegriffen werden sollte.
Herr Fellermaier zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie dann fragen, ob Sie bereit sind, nach Abschluß des Verfahrens dem Hohen Hause eine Stellungnahme der Bundesregierung bekanntzugeben, zumal dieser Fall in der Offentlichkeit sehr starkes Aufsehen erregt hat.
Herr Abgeordneter, ich bin gern bereit, das Hohe Haus davon zu unterrichten, wie das zuständige Gremium des deutsch-französischen Jugendwerks, nämlich das Kuratorium, diesen Sachverhalt beurteilt, und wie der Fall letzten Endes geregelt worden ist.
Herr Präsident, ich muß feststellen, daß das keine Beantwortung meiner Frage war. - Herr Staatssekretär, ich wiederhole deshalb: ist die Bundesregierung bereit, nach Abschluß des Verfahrens ihren eigenen politischen Standpunkt dem Hohen Hause bekanntzugeben?
Soweit bei dieser besonderen Sachlage, mit der wir es zu tun haben, ein politischer Standpunkt bezogen werden kann, ist die
Bundesregierung bereit, nach Abschluß des Verfahrens und nach Klarstellung aller Streitfragen auch darüber Auskunft zu geben.
Herr Ott!
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es zunächst auf die rechtlichen Umstände ankommt und daß die politischen Umstände bei der Kündigung nicht in den Vordergrund zu schieben sind?
Herr Abgeordneter, ich muß auf die zugrunde liegenden Vorschriften zurückgehen. Ich darf wiederholen, es handelt sich um eine Maßnahme des Generalsekretärs des deutsch-französischen Jugendwerkes, der sich seinerseits auf das Personalstatut beruft, das dem deutsch-französichen Jugendwerk zugrunde liegt.
Keine weiteren Fragen mehr.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Kubitza auf:
Mir wann ist nach der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung eine Verwirklichung der Pläne des Familienministers zur Reform des Kindergeldrechts vorgesehen?
Herr Abgeordneter, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.
Die Bundesregierung bereitet eine vom Herrn Bundeskanzler angekündigte und von diesem Hohen Hause in der Entschließung vom 14. Juni 1967 geforderte Reform des Familienlastenausgleichs vor. Einen Zeitpunkt für die Vorlage eines diesbezüglichen Entwurfs kann ich heute noch nicht nennen. Ebenso ist es nicht möglich, Ihnen einen Zeitpunkt zu nennen, zu dem ein solches Gesetz über die Reform des Familienlastenausgleichs in Kraft treten könnte.
({0})
Herr Abgeordneter Kubitza zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für verantwortungsvoll, von Reformen zu sprechen und damit Hoffnungen bei den Familien zu wecken, wenn in den kommenden vier Jahren vermutlich effektiv nichts Positives geschehen wird?
Herr Abgeordneter, eine solche Feststellung bitte ich meiner Antwort nicht zu entnehmen. Ich möchte die Auffassung der Bundesregierung dahin präzisieren, daß wahrscheinlich noch im Jahre 1969 die Reform des Familienlastenausgleichs verwirklicht werden wird.
Bedeutet Ihre letzte Antwort, daß Ihr Haus und vielleicht noch andere Häuser Vorhaben im Hinblick auf die Bundestagswahl 1969 planen?
Ich glaube nicht, daß die Bundestagswahl des Jahres 1969 eine Rolle spielt.
Frau Freyh zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie fragen - das war bisher in Ihren Antworten nicht enthalten -, warum die Bundesregierung nicht bereit ist, einen Entwurf zur Reform des Familienlastenausgleichs in absehbarer Zeit vorzulegen.
Frau Abgeordnete, gerade die mit einer Reform des Familienlastenausgleichs verbundenen Probleme sind außerordentlich schwierig. Es handelt sich dabei nicht nur um die mittelfristige Finanzplanung und die von der Bundesregierung beschlossenen und von diesem Hohen Haus gebilligten Plafonds, die beachtet werden müssen, sondern auch um recht schwierige Fragen, die mit den Ländern, aber auch innerhalb des Systems des Familienlastenausgleichs selbst abgeklärt werden müssen. Eine solche Reform innerhalb von einigen Monaten vorzulegen ist unmöglich.
Frau Freyh zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist damit zu rechnen, daß Sie Anfang nächsten Jahres in der Lage sein werden, einen solchen Plan vorzulegen?
Frau Abgeordnete, ich bitte, mich nicht auf den Zeitpunkt festzulegen. Aber ich glaube, daß die Bundesregierung in der Lage sein wird, im Verlaufe des Jahres 1968 dem Hohen Hause ein entsprechendes Gesetz zur Beschlußfassung vorzulegen.
Herr Baier!
Herr Staatssekretär, wenn man schon Verständnis dafür hat, daß Sie angesichts der vielen Schwierigkeiten und Probleme keine Details über eine Reform des Familienlastenausgleichs hier mitteilen können, dann wäre es doch auf alle Fälle notwendig - und danach frage ich Sie -, entsprechende Globalansätze an finanziellen Mitteln in der mittelfristigen Finanzplanung auszuweisen.
Herr Abgeordneter, das ist geschehen. Solche Ansätze sind für den Einzelplan unseres Hauses in der mittelfristigen Finanzplanung ganz klar ziffernmäßig ausgewiesen.
Herr Baier!
Herr Staatssekretär, könnten Sie dann sagen, welche Beträge im Rahmen dieser Globalsumme, die für Ihr Haus zur Verfügung steht,. für eine Verbesserung des Familienlastenausgleichs in etwa vorgesehen sind?
Herr Abgeordneter, eine Reform des Familienlastenausgleichs muß nicht unbedingt darin bestehen, daß zusätzliche Mittel in die Einzelpläne bereitgestellt werden, sondern eine Reform des Familienlastenausgleichs könnte auch darin bestehen, daß die heutige Systematik dieses Ausgleichs geändert wird.
Herr Dr. Wuermeling!
Herr Staatssekretär, wäre eine Voraussage meinerseits begründet und berechtigt, daß bei der Reform des Familienlastenausgleichs wiederum eine Kürzung des Gesamtvolumens und damit insgesamt eine Verschlechterung eintreten wird?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß ich diese Frage mit Nein beantworten kann.
Keine weiteren Fragen mehr.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Ertl auf:
Wie ist nach dem Dementi von Pressemeldungen, daß die Bundesregierung bereits vor Monaten den USA die feste Zusage gegeben haben soll, den Atomsperrvertrag zu unterschreiben, der tatsächliche Stand der Verhandlungen?
Herr Staatssekretär Jahn, bitte!
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Verhandlungen über den Atomwaffensperrvertrag dauern noch an. Die der Genfer Konferenz am 24. August 1967 vorgelegten gleichlaufenden Entwürfe der beiden Ko-Präsidenten sind noch unvollständig. Der bedeutsame Artikel über die Kontrollbestimmungen wurde ausgespart, weil hierüber noch besondere Beratungen stattfinden. Auch die vorliegenden Teile des Entwurfs stellen noch keinen endgültigen Text dar, auf den andere Nationen festgelegt wären. Die USA haben betont, daß der Entwurf der beiden KoPräsidenten noch Gegenstand von Verhandlungen sein soll. Einige Änderungsanträge von nichtnuklearen Teilnehmern der Genfer Konferenz liegen dazu vor.
Aus diesem Sachverhalt ergibt sich schon, daß die Behauptung nicht zutreffen kann, die Bundesregierung habe sich zur Frage ihrer Unterschrift bereits vor Monaten verbindlich geäußert. Die Bundes6234
Parlamentarischer Staatssekretär Jahn
regierung kann sich mit der Frage der Unterzeichnung erst befassen, wenn ein endgültiger Vertragstext vorliegt. In der Zwischenzeit beteiligt sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterhin konstruktiv an den Beratungen mit dem Ziel, einen weltweit annehmbaren Vertrag zu erreichen. Über Einzelheiten des Verhandlungsstandes, der zum Teil vertraulicher Natur ist, wurde der Auswärtige Ausschuß am 5. Oktober 1967 unterrichtet.
Herr Ertl!
Herr Staatssekretär, hat Botschafter Schnippenkötter im Auftrag der Bundesregierung im vergangenen Mai mit der amerikanischen Regierung verhandelt und hat er dort zu verstehen gegeben, daß die Bundesregierung generell bereit ist, einem Vertrag zuzustimmen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich kann, Herr Kollege Ertl - ich bitte um Verständnis dafür -, keine Angaben über Einzelheiten von Verhandlungen hier mitteilen. Aber selbstverständlich hat Herr Botschafter Schnippenkötter in vielen Fällen und in einer großen Zahl von Verhandlungen die Auffassung der Bundesregierung vertreten. Diese Auffassung der Bundesregierung geht nicht dahin, daß sie auf jeden Fall unterschreiben wird.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesrepublik bei der Entwicklung von schnellen Brütern einen beachtlichen Vorsprung hat und daß die Möglichkeiten, die die bisherigen Entwürfe vorsehen, auch dazu genutzt werden können, diese Entwicklung zu stoppen? Teilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Auffassung, daß eine Kontrolle durch die Wiener Behörde die deutsche Atomforschung zum Erliegen bringen würde?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Ertl, ich muß noch einmal um Verständnis dafür bitten, daß diese Dinge im Augenblick hier nicht öffentlich erörtert werden können. Sie sind Gegenstand von Beratungen in den zuständigen Ausschüssen des Bundestags gewesen und werden das auch weiterhin sein. Dort ist es selbstverständlich möglich, auf Einzelfragen einzugehen.
Grundsätzlich kann ich nur sagen: die Bundesregierung ist unverändert bemüht, wie sie das wiederholt erklärt hat, zu klären und durchzusetzen, daß der Bundesrepublik als einer der interessierten und in Frage kommenden großen Industrienationen eine ausreichende Möglichkeit gewährleistet bleibt, die friedliche Nutzung der Kernenergie in Anspruch zu nehmen.
Herr Abgeordneter Flämig!
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesregierung Bestrebungen unterstützen will, die zu erreichen versuchen, daß eine Kontrolle der Wiener Agentur und der Euratom in Form einer Simultankontrolle durchgesetzt wird?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Flämig, ich muß auch Sie um Verständnis dafür bitten, daß ich über den gegenwärtigen Stand einzelner Erwägungen, einzelner Verfahrensregelungen usw. der Natur der Sache nach hier keine Auskunft geben kann.
Dann kommen wir zu den Fragen 23, 24 und 25 des Abgeordneten Flämig:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Städtepartnerschaften mit regelmäßigen Begegnungen von Jugendgruppen, Sport- und Kulturvereinen und die daraus erwachsenden persönlichen Beziehungen ganz hervorragend geeignet sind, alte Vorurteile abzubauen und ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Bürgern der verschiedenen europäischen Staaten zu stärken?
Ist die Bundesregierung bereit, sich im Ministerkomitee des Europarates dafür einzusetzen, daß die derzeit zur Verfügung stehende Summe von jährlich 50 000 ffr zur Förderung interkommunaler Partnerschaften und Austausche in Europa angemessen erhöht wird angesichts der Tatsache, daß neben den 511 deutschen Städten und Gemeinden, die eine Städteverschwisterung offiziell abgeschlossen haben, weitere 357 Kommunen vorhanden sind, die Partnerschaften mit europäischen Gemeinden anstreben?
Ist die Bundesregierung bereit, sich im Ministerkomitee des Europrates dafür zu verwenden, daß aus dem in Frage 24 erwähnten Fonds über das gut eingespielte und hoch dotieite deutsch-französische Jugendwerk hinaus vor allem auch Partnerschaften und Jugendbegegnungen mit anderen europäischen Ländern verstärkt gefördert werden?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich habe vor, die Fragen getrennt zu beantworten, Herr Präsident.
Zunächst zur ersten Frage des Herrn Abgeordneten Flämig. Die Bundesregierung betrachtet Jugendbegegnungen im Rahmen von Städtepartnerschaften als eine wertvolle Ergänzung des Jugendaustauschs überhaupt. Ihre besondere Bedeutung liegt darin, durch regelmäßige Kontakte zwischen Jugendgruppen der Partnerstädte die allgemein mit dem Austauschprogramm angestrebte Verständigung zwischen Angehörigen verschiedener Staaten zu fördern und das europäische Zusammengehörigkeitsgefühl zu verstärken. Außerdem können auf diesem Wege auch Teile der nichtorganisierten Jugend in den Austausch einbezogen werden. Daher werden die Initiativen der Gemeinden auf diesem Gebiet schon seit langem aus Mitteln des Bundesjugendplans unterstützt.
Gestatten Sie mir eine Bemerkung - Herr Staatssekretär, das geht nicht gegen Sie -: Ich bin der Meinung, daß nicht jede Frage durch eine Art Regierungserklärung beantwortet werden soll. Hier in diesem Fall hätte es genügt, kurz zu antworten: Ja, die Bundesregierung teilt diese Auffassung. Das würde doch manchmal ausreichen. Ich sage das, um die Fragestunde etwas spritziger zu machen, als sie bislang war.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß Zehntausende von Begegnungen im Rahmen der Städtepartnerschaften in den letzten Jahren dazu beigetragen haben, daß heute immerFlämig
hin 67 % der Bürger der Bundesrepublik sich für die Schaffung eines europäischen Bundesstaates aussprechen, wie es sich aus einer kürzlich durchgeführten Umfrage im Auftrag der Europa-Union ergibt?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Infolge der Empfehlung des Herrn Präsidenten beantworte ich Ihre Frage mit ja.
({0})
Herr Flämig!
Herr Staatssekretär, nachdem die Bundesregierung die Bedeutung der Städtepartnerschaften als wertvolle Ergänzung und Unterstützung der Europapolitik der Bundesregierung anerkennt, möchte ich fragen, ob daraus nicht die Verpflichtung der Bundesregierung erwachsen müßte, die besonders finanzschwachen Städte und Gemeinden bei der Verwirklichung von Austauschen, Begegnungen und Partnerschaftsveranstaltungen in einem gewissen Umfang finanziell zu unterstützen.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Flämig, wenn Sie damit ganz allgemein eine politisch wünschenswerte Haltung der Bundesregierung meinen, sage ich dazu ja. Eine förmliche Verpflichtung daraus herzuleiten, ginge mir im Hinblick auf die Ihnen bekannten Schwierigkeiten und Umstände etwas zu weit. Aber ich bin gern bereit, das als Anregung aufzugreifen und zu überlegen, was in dieser Richtung mehr als bisher getan werden kann.
Was über die Antworten gesagt wurde, gilt cum grano salis auch für die Fragen. Trotzdem: Herr Abgeordneter Flämig, bitte!
Herr Präsident, es würde mich interessieren, die Antwort auf meine nächste Frage zu hören.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung hat sich immer dafür eingesetzt, daß der interkommunale Austausch auch vom Europarat im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten unterstützt wird. Die bisher jährlich bereitgestellte Zuwendung von 50 000 FF entsprach sowohl dem Willen, diese nützliche Tätigkeit im kommunalen Bereich sichtbar anzuerkennen, als auch der Notwendigkeit, auf die durch den Haushalt des Europarats eng gezogenen Grenzen Rücksicht zu nehmen. Diese Haltung wird grundsätzlich auch bei den Beratungen für den Haushalt 1968 des Europarats einzunehmen sein. Die Bundesregierung ist jedoch in Übereinstimmung mit der auf die Frage der Abgeordneten Frau Klee, Flämig, Vogt und Genossen am 12. April 1966 erteilten Antwort bereit, sich im Ministerkomitee des
Europarats für eine Überprüfung der Höhe des genannten Zuschusses für 1968 tim Lichte der in der Zwischenzeit gestiegenen Bedürfnisse einzusetzen. Die deutsche Haltung in dieser Frage wird sich jedoch an den Grundsätzen der mittelfristigen Finanzplanung zu orientieren haben,- so daß eine etwaige Erhöhung nur in bescheidenem Umfang vorgenommen werden könnte.
Im übrigen gilt die Auffassung der Bundesregierung fort, die sie in den ersten Antworten auf Ihre Fragen, Herr Abgeordneter Flämig, am 5. Juli 1966 und am 22. November 1966 dargelegt hat. Danach ist jede Erhöhung der vorgenannten Mittel für den kommunalen Austausch von dem Ergebnis einer Untersuchung abhängig, die der in der zitierten Antwort erwähnte Ad-hoc-Sachverständigen-Kommission darüber anstellt, in welcher Form der Europarat künftig auf dem Gebiet des Jugendaustauschs in Europa tätig werden soll. Bis jetzt sind die Arbeiten dieses Ausschusses noch nicht zu Ende geführt worden.
Herr Flämig!
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Arbeit des Rats der Gemeinden Europas und der Internationalen Bürgermeisterunion?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Es ist für die Bundesregierung schwierig, hier Werturteile abzugeben. Ich kann dazu nur sagen, sie begrüßt die Bemühungen beider Organisationen um eine engere Zusammenarbeit in Europa auf den in Frage kommenden Gebieten.
Noch eine Frage? - Dann folgt die Antwort auf die dritte Frage des Abgeordneten Flämig.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Zuwendung des Europarats für Fragen des interkommunalen Austauschs ist global an die Europäische Gemeindekonferenz gerichtet, die die Verteilung der Mittel nach Maßgabe der Zweckbestimmung übernimmt. Der Fonds in Höhe von 50 000 FF steht grundsätzlich allen in der Europäischen Gemeindekonferenz organisierten Gemeinden zur Unterstützung des jeweiligen Partnerschaftsvorhabens offen. Die Frage, ob bei der Mittelvergabe künftig Prioritäten geschaffen werden sollten oder könnten, ist daher nicht vom Ministerkomitee des Europarats, sondern von der Europäischen Gemeindekonferenz zu entscheiden. Tatsächlich werden aus ,dem Fonds Partnerschaften und Jugendbegegnungen zwischen Gemeinden in allen Mitgliedstaaten des Europarats gefördert.
Herr Flämig!
Herr Staatssekretär, wird von der Bundesregierung die besondere Bedeutung des Schüler- und Jugendaustauschs im Rahmen dieser Städteverschwisterung auch für das deutsch-französische Jugendwerk anerkannt?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ja.
Herr Staatssekretär, trifft es, obwohl das so ist, zu, daß in den Kuratorien und Beratungsgremien des deutsch-französischen Jugendwerks kein einziger Vertreter der kommunalen Spitzenverbände mitwirken kann?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ja, .das trifft zu. Es ist aber beabsichtigt, Herr Kollege Flämig, mit den beteiligten Ressorts noch einmal Gespräche darüber zu führen, ob hier nicht eine Möglichkeit besteht, diesem auch dem Bundesaußenminister vorgetragenen Wunsch derkommunalen Spitzenverbände in angemessener Form Rechnung zu tragen.
Wir kommen zur Frage 26 des Abgeordneten Paul. - Ist der Abgeordnete Paul im Saal? - Er ist nicht anwesend; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Frage 27 des Abgeordneten Dr. Müller ({0}) :
Wie lange haben die Amerikaner noch Rechte aus dem Mutual Defense Assistance Program?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, zunächst zur Frage 28 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen:
Ist die Bundesregierung bereit, bei den Laufbahnvorschriften auf die Voraussetzungen einer bestimmten Mindestdienstzeit und eines bestimmten Mindestlebensalters zu verzichten, wenn das Festhalten an dieser Regelung dem Leistungsprinzip hinderlich ist?
Herr Staatssekretär Benda, bitte!
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die in den Laufbahnvorschriften enthaltenen Bestimmungen über Mindestdienstzeiten und Mindestlebensalter für Beförderungen in bestimmte Ämter oder Dienstgrade sind dem Leistungsprinzip im Regelfall nicht hinderlich. Diese Bestimmungen betreffen herausgebobene Ämter und Dienstgrade. Die Wahrnehmung der Aufgaben dieser Ämter und Dienstgrade setzt im allgemeinen längere Berufs- und Lebenserfahrung voraus. Dies ist der Sinn der Mindestdienstzeiten und Mindestlebensaltersgrenzen, während das Leistungsprinzip bedeutet, daß bei der Übertragung eines höheren Amtes oder Dienstgrades Eignung,. Befähigung und fachliche Leistung den Ausschlag geben müssen.
Bei besonders qualifizierten Bediensteten könnte sich allerdings die starre Beibehaltung von Mindestdienstzeiten und Mindestlebensaltersgrenzen eher als hinderlich erweisen. Daher können auch heute schon vom Bundespersonalausschuß in solchen Fällen Ausnahmen zugelassen werden. Ob darüber hinaus eine gewisse Auflockerung des gegenwärtigen Systems sinnvoll erscheint, bedarf eingehender Prülung. Die Bundesregierung ist bereit, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, diese Prüfung vorzunehmen.
Herr Schmitt-Vockenhausen!
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß gerade das erste Besoldungsneuordnungsgesetz und die weiteren Neuordnungen eine solche umgehende Prüfung dringlich erscheinen lassen?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: In der Tat könnte dies ein zusätzlicher Anlaß sein, die Frage zu untersuchen. und sich eine Meinung zu bilden. Diesen Prozeß der Meinungsbildung werden wir beginnen.
Herr Schmitt-Vockenhausen!
Herr Staatssekretär, werden Sie bei dieser Gelegenheit auch die gesamten Fragen, die mit einer vernünftigen Personalwirtschaft auf längere Sicht zusammenhängen, mit in Ihre Überlegungen einbeziehen?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich bin gern bereit, das anzuregen.
Die Frage 29 stellt der Abgeordnete Dr. Imle:
Nachdem der Bundeswirtschaftsminister zum 50. Jahrestag der Errichtung des ersten deutschen Wirtschaftsministeriums zu einer Jubiläumsfeier mit anschließendem Empfang für den 20. Oktober 1967 in die Beethovenhalle eingeladen hat, trage ich die Bundesregierung, mit welchen Jubiläumsfeiern für Ministerien ({0}) in den nächsten fünf Jahren zu rechnen ist?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Umfragen bei allen Ressorts der Bundesregierung, Herr Kollege Dr. Imle, haben ergeben, daß außer dem Bundeswirtschaftsminister folgende Ressorts in den nächsten fünf Jahren eine Jubiläumsfeier planen: Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Jahre 1968 zur Erinnerung an die Gründung des Reichsarbeitsamtes am 4. Oktober 1918; im Jahre 1969 oder 1970 der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aus Anlaß der 50. Wiederkehr der Gründung des Reichsernährungsministeriums bzw. des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft; im Jahre 1970/71 das Auswärtige Amt zur Erinnerung an die vor hundert Jahren erfolgte Gründung des Auswärtigen Amts des Deutschen Reiches. Die übrigen Ministerien planen keine derartigen Feiern.
Herr Dr. Imle!
Herr Staatssekretär, können Sie mir Auskunft darüber geben, welche Beträge für die Kosten jeweils angesetzt sind?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich kann das zur Zeit nur hinsichtlich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung sagen, weil bei den übrigen Ressorts, die ich erwähnt habe, die Vorstellungen, in welcher Art diese Jubiläen gefeiert werden sollen, noch nicht sehr konkretisiert sind. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung beabsichtigt im wesentlichen die Herausgabe einer Festschrift, allenfalls die Durchführung einer kleineren Veranstaltung. Die Kosten der Festschrift werden mit ungefähr 25 000 DM veranschlagt.
Herr Dr. Imle!
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß diese Feiern bei der Bevölkerung auf Zustimmung und Verständnis stoßen werden, wenn man daran denkt, daß gerade jetzt im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung - ich denke hier insbesondere einmal an das Wohngeld oder das Gebiet der Knappschaftsversicherung und was alles damit zusammenhängt - Einsparungen vorgenommen werden?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Imle, ich bin kein Prophet. Wie weit das in der Bevölkerung auf Zustimmung stößt, vermag ich nicht zu übersehen. Es wird wahrscheinlich von dem dem Anlaß angemessenen Stil abhängen, ob eine solche Veranstaltung sinnvoll ist. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sie durchaus sinnvoll sein und auch zur Bildung eines Geschichtsbewußtseins in der Bevölkerung beitragen. Von daher kann sie auch, wie ich hoffe, von der Bevölkerung richtig aufgenommen werden.
({0})
Ich darf zwischendurch, meine Damen und Herren, folgendes sagen: Ich habe vorhin die Frage des Abgeordneten Paul wegen dessen Nichtanwesenheit zur schriftlichen Beantwortung verurteilt. Die Nichtanwesenheit des Kollegen Paul erklärt sich dadurch, daß er gestern abend einem ziemlich beträchtlichen Verkehrsunfall zum Opfer gefallen ist und jetzt im Krankenhaus liegt.
Die Frage 30 des Abgeordneten Cramer:
Hält die Bundesregierung es für erforderlich, daß auf den Bescheinigungen der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht über das versicherungspflichtige Entgelt von zivilen Bediensteten früherer Reichsbetriebe folgender Vermerk enthalten ist:
„Die Auskunft enthält keine Angaben über etwaige militärgerichtliche Bestrafungen. Erforderlichenfalls wird anheimgestellt, die entsprechende Auskunft beim zuständigen Strafregister einzuholen."
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Darf ich mit Ihrem Einverständnis, Herr Präsident, und dem des Herrn Kollegen Cramer die Fragen 30 und 31 zusammen beantworten?
Einverstanden!
Frage 31 des Abgeordneten Cramer:
Will die Bundesregierung nicht veranlassen, daß derartige in Frage 30 erwähnte zusätzliche Vermerke unterbleiben?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Cramer, bis zum Jahre 1957 hat die Deutsche Dienststelle sowohl in Dienstzeitbescheinigungen wie auch in Einzelauskünften etwaige militärgerichtliche Bestrafungen angegeben. Diese Praxis begegnete jedoch im Hinblick auf den mit ,dem. Straftilgungsgesetz verfolgten Zweck, einem Verurteilten die Eingliederung in ,das bürgerliche Leben zu erleichtern, Bedenken. Seit 1957 werden daher keine Angaben mehr über militärgerichtliche Strafen gemacht, es sei denn, der Betroffene bittet ausdrücklich darum.
Damit jedoch aus der Nichtaufführung von Strafen nicht etwa generell auf ,das Nichtvorhandensein einer Bestrafung geschlossen wird, hat der Herr Senator für Inneres in Berlin im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister ,der Justiz und meinem Hause im Oktober 1957 angeordnet, daß Auskünfte und Bescheinigungen der Deutschen Dienststelle mit dem besagten Vermerk zu versehen sind, der somit nur ein Hinweis dafür ist, daß' im Bedarfsfalle eine entsprechende Auskunft von ,der Strafregisterbehörde angefordert werden kann. Dieser Vermerk ist auch auf den Bescheinigungen über das versicherungspflichtige Entgelt von zivilen Bediensteten früherer Reichsbetriebe angebracht, da solche Bescheinigungen regelmäßig auch Angaben über das Beschäftigungsverhältnis enthalten und somit auch bei anderen Stellen als den Versicherungsträgern Verwendung finden können.
Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege Cramer: Die Praxis hat bisher nicht zu Beanstandungen geführt. Ich bin jedoch gern bereit, Ihre Frage als Anregung aufzunehmen und eine Prüfung zu veranlassen, ob die Gründe, die für die Aufnahme des Vermerks im Jahre 1957 bestimmend waren, heute noch in gleichem Umfange gegeben sind. Über das Ergebnis der Prüfung werde ich Sie gern unterrichten, Herr Kollege Cramer.
Herr Cramer!
Herr Staatssekretär, sind nicht auch Sie der Meinung, daß Vermerke über eventuelle Bestrafungen auf Lohnbescheinigungen einfach gar nichts zu suchen haben?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das will ich nicht ganz generell sagen. Wenn man diesen Vermerk wirklich als einen neutralen Hinweis darüber auffaßt, daß eine Bescheinigung über bestimmte Vorgänge keine Auskunft gibt, dann glaube ich persönlich nicht, daß dagegen durchgreifende Bedenken angebracht
Parlamentarischer Staatssekretär Benda
sind. Aber, wie gesagt, Idas werden wir uns gern noch einmal überlegen und Sie über das Ergebnis der Überlegungen verständigen.
Herr Cramer!
Glauben Sie nicht auch, Herr Staatssekretär, daß solche Vermerke bei Behörden oder Unternehmen den Eindruck erwecken könnten, bei .dem Mann liege tatsächlich eine Bestrafung vor?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Nein, das glaube ich nicht, Herr Kollege Cramer. Ich habe vorhin schon versucht, die Gründe, warum ich das nicht glaube, darzulegen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Frage 32 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen:
Zu welchem Ergebnis haben bisher die Untersuchungen des Arbeitsausschusses der Bundesregierung zur Frage des „Personenkennzeichens" geführt?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Angelegenheit „Einheitliches Personenkennzeichen" ist zuletzt durch Herrn Kollegen Westphal in der Fragestunde am 23. Februar 1967 erörtert worden. Inzwischen haben sich die Dinge etwas weiter entwickelt. Die Schwierigkeiten liegen nach wie vor weniger bei den Da-. ten, die ein solches einheitliches Personenkennzeichen enthalten sollte, als in dem immer noch begrenzten Interesse der Länder für die Lösung dieser Frage.
Bisher ist ein besonderer Arbeitsausschuß für diese Frage von der Bundesregierung noch nicht eingesetzt worden. Die gemeinsamen Untersuchungen der beteiligten Ressorts des Bundes haben ergeben, daß eine bundeseinheitliche Lösung zwar wünschenswert wäre, daß jedoch die grundgesetzlich beschränkten Zuständigkeiten des Bundes sowie finanzielle und organisatorische Schwierigkeiten einer Gesamtlösung noch entgegenstehen. Auch die Kosten der Einführung wären nicht unerheblich.
Ein starkes Interesse an der Einführung eines einheitlichen Personenkennzeichens liegt vor allem auf seiten der großen und größeren Gemeinden, die heute schon von elektronischer Datenverarbeitung Gebrauch machen. Dieses kommunale Interesse trifft sich mit dem in letzter Zeit erfreulich gewachsenen Interesse von Länderfinanzverwaltungen am einheitlichen Personenkennzeichen, weil auch dort die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung zunehmend genutzt werden.
Die sehr rührige Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung bemüht sich unter Beteiligung des Bundesinnenministeriums und des Bundesministeriums der Finanzen, durch Vereinbarungen zwischen den Finanzverwaltungen der Länder und Gemeinden zu einer praktikablen Teillösung für diese beiden großen Verwaltungsbereiche zu kommen, ohne eine spätere bundeseinheitliche Lösung zu verbauen.
Man ist sich also über die Notwendigkeiten durchaus einig. Die Arbeiten laufen - wie es hier in meinem Manuskript heißt - zäh, aber stetig weiter - „zäh" bitte ich nicht im Sinne von „zähflüssig", sondern im Sinne einer geballten Energie zu verstehen, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen -, und ich bin zuversichtlich, daß sie zu einem Ergebnis führen werden. Allerdings vermag ich eine zeitliche Prognose nicht zu stellen.
Herr Schmitt-Vockenhausen!
Herr Staatssekretär, nachdem Sie dankenswerterweise den Kerngedanken meiner Anfrage beantwortet haben, habe ich doch die Frage: Gibt es denn keine Möglichkeit, die Länder zu einem ernsthaften Gespräch über diese Probleme, bei denen ja die Interessen von Bund, Ländern und Kommunen berührt sind, zu bringen?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das Interesse ist nicht überall gleichartig. Ich bin aber mit Ihnen durchaus der Meinung, daß objektiv gesehen ein solches Interesse bei allen Beteiligten vorhanden ist. Nur wird es nicht immer im gleichen Maße erkannt. In der Zielsetzung stimmen wir ja, wie ich annehmen darf, durchaus überein. Nur ist es ein ungewöhnlich schwieriges Verfahren, in einer solchen Frage Bund, Länder und Gemeinden zu einem einheitlichen Vorgehen zu veranlassen. Die Gründe habe ich dargelegt.
Die Fragen 33, 34 und 35 des Abgeordneten Hofmann ({0}) :
Was kostete die Beteiligung deis Bundesgrenzschutzes ({1}) bei den Geburtstagsveranstaltungen, die dem Oberbürgermeister der Stadt Coburg dargebracht wurden?
Ist es üblich, daß der Bundesgrenzschutz bei Geburtstagsgratulationen in den Garnisonsstädten mit dem in Frage 33 erwähnten Aufwand in Erscheinung tritt?
Trifft es zu, daß die II. Grenzschutzabteilung IV/2 Coburg nach Norddeutschland verlegt werden soll?
werden im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor, Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 36 des Abgeordneten Dr. Jahn ({2}) :
Ist die Bundesregierung bereit, bei den Bundesforschungsanstalten, in denen im wissenschaftlichen Dienst die Promotion Grundlage der Einstellung und der Mitarbeit ist, sich dafür einzusetzen, daß die für die Promotion erforderliche Ausbildungszeit der für den höheren Staatsdienst geforderten zweiten Staatsprüfung gleichgestellt wird?
Herr Staatssekretär, bitte!
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich verstehe Ihre Frage so, daß sie sich sowohl auf die im Beamten- als auch auf die im Angestelltenverhältnis beschäftigten Wissenschaftler bezieht.
Hnsichtlich der Übernahme von Wissenschaftlern in das Beamtenverhältnis ist Ihrem Anliegen bereits durch die „Bestimmungen über Beamte besonderer Fachrichtungen des höheren Dienstes bei Forschungs-, Versuchs- und Lehranstalten des Bundes vom 3. Juni 1966" entsprochen. Für diesen Personenkreis tritt an die Stelle des üblichen Vorbereitungsdienstes und der zweiten Staatsprüfung eine einschlägige hauptberufliche Tätigkeit innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes von mindestens 41/2 Jahren. Im Falle der Promotion wird die Dauer dieser hauptberuflichen Tätigkeit auf 21/2 Jahre verkürzt, so daß insoweit der Promotion die Wirkung einer zweiten Staatsprüfung beizumessen ist. Soweit die Promotion im Rahmen dieser Bestimmungen von der obersten Dienstbehörde für bestimmte Fachgebiete verlangt wird, ist die Promotionszeit auch auf das Besoldungsdienstalter anzurechnen.
Für die im Angestelltenverhältnis beschäftigten Wissenschaftler kann Ihre Frage nur für den ab 1. Januar 1966 eingeführten Bewährungsaufstieg für Angestellte mit abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulbildung aus der Eingangsverhütungsgruppe II a BAT in die nächsthöhere Vergütungsgruppe I b BAT gelten. Die Dauer dieser Bewährungszeit beträgt für Angestellte mit zweiter Staatsprüfung 11 Jahre, sonst 15 Jahre. Es hat sich nicht als notwendig erwiesen, für die Dauer der Bewährungsfrist die Promotion tarifvertraglich der zweiten Staatsprüfung gleichzustellen, da für Angestellte mit Forschungsaufgaben in den höheren Vergütungsgruppen unabhängig vom Bewährungsaufstieg eigene Tätigkeitsmerkmale bestehen, die nach den bisherigen Erfahrungen den Wissenschaftlern in der Regel den Aufstieg lange vor dem Ablauf der Bewährungsfrist ermöglichen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}).
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß, wenn beispielsweise die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft als wissenschaftliche Bewerber nur solche Bewerber in Betracht ziehen kann, die ihre Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher, insbesondere forschender Tätigkeit durch die Promotion nachgewiesen haben, diese auch tariflich jenen Bewerbern gleichgestellt werden müssen, die die zweite Staatsprüfung zur Grundlage ihrer Anstellung nachweisen müssen?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Mir ist bekannt,- Herr Kollege Dr. Jahn, daß gerade der Präsident der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Braunschweig diese Frage einmal aufgeworfen hat. Wir haben bisher geglaubt, aus den
Gründen, die ich hier skizziert habe, seinen Anregungen nicht entsprechen zu sollen, weil wir meinen, daß seinem Anliegen praktisch bereits nach der heutigen Rechtslage Rechnung getragen ist. Wir sind aber natürlich gern bereit, Einzelkonsequenzen, die sich nach Ihrer Bemerkung ergeben könnten, nochmals zu überprüfen.
Ich bedanke mich. Ich darf darum bitten.
Die Fragen 37 und 38 des Abgeordneten Kubitza
Kann mir die Bundesregierung - eventuell nach Rückfrage bei der Kultusministerkonferenz - mitteilen, wieviel Turn- und Sportstunden in den deutschen Schulen pro Woche tatsächlich gegeben werden?
ist der Bundesregierung von ihrem Kontakt mit den zuständigen Landesbehörden her bekannt, wie viele Schulkinder in der Bundesrepublik Deutschland normalerweise gar keine Turn- und Sportstunden haben?
werden im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe die Frage 39 der Abgeordneten Frau Freyh auf:
Hält die Bundesregierung es für unvermeidbar, daß sich Transitfluggäste ausländischer Fluglinien bei Zwischenlandungen auf deutschen Flughäfen mehr als einmal einer Paßkontrolle unterziehen müssen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Fluggäste im Durchgangsverkehr, deren Flugzeug nur einmal im Bundesgebiet zwischenlandet, unterliegen keiner Paßkontrolle. Fluggäste im Durchgangsverkehr, deren Flugzeug mehrfach im Bundesgebiet zwischenlandet, unterliegen dagegen der Paßkontrolle. Die Einreiseabfertigung wird auf dem ersten angeflogenen Flughafen, die Ausreiseabfertigung auf dem Flughafen vorgenommen, von dem aus das Flugzeug das Bundesgebiet verläßt. Auf den dazwischen liegenden Flughäfen wird das Flugzeug als im innerdeutschen Verkehr befindlich behandelt, d. h. Zu- und Aussteiger unterliegen keiner Kontrolle. Auf die Ausreiseabfertigung nach mehrfacher Zwischenlandung kann nicht verzichtet werden, solange die Fluggesellschaften Fluggäste auf den Zwischenlandeflughäfen zusteigen lassen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Freyh.
Herr Staatssekretär, würden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß es möglich ist, daß Einreise- und Ausreiseflughafen zwei aufeinandertreffende Flughäfen sind und daß deshalb viele Fluggäste zu Interpretationen über die doppelte Paßkontrolle kommen, die des öfteren für die Bundesrepublik nicht sehr schmeichelhaft sind, und würden Sie mit mir daraus folgern, daß es vielleicht sinnvoll wäre, darauf hinzuwirken, daß die Flug6240
gesellschaften oder aber die Paßkontrollstellen die Fluggäste über die vom Technischen her nicht zu umgehende Maßnahme unterrichten und sie nicht lediglich damit abspeisen, daß das eine, wie es jetzt immer heißt, „government regulation" ist, die notwendig sei.
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich habe den Eindruck, daß die Stellen, die in der Praxis mit der Materie befaßt sind, alles versuchen, um bei den betroffenen Gästen, insbesondere den ausländischen Gästen, auch Verständnis für die Handhabung zu wecken. Vielleicht ist es möglich - ich greife Ihre Anregung gern auf und will ihr gern nachgehen -, diesen Gästen von uns aus das Verfahren noch etwas verständlicher zu machen.
Eine zweite Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Freyh.
Darf ich noch zusätzlich fragen, abgesehen von diesem Punkt, der vielleicht jetzt schon in Angriff genommen wenden könnte, wann damit zu rechnen ist, daß auch in der Bundesrepublik wie in zahlreichen anderen Ländern eine Trennung von nationalem und internationalem Verkehr durchgeführt wird, die eine einmalige Paßkontrolle möglich machen würde.
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Dies ist eine Frage, Frau Kollegin, bei der wir natürlich nicht allein entscheiden können. Solange die Fluggesellschaften aus verständlichen Gründen Wert darauf legen, auf diesen Linien sowohl inländischen als auch grenzüberschreitenden Verkehr durchzuführen, wird diese Trennung praktisch nicht möglich sein.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 22 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen
- Drucksache V/2154 -
Der Antrag des Ausschusses liegt Ihnen vor. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ausschußantrag ist angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD betr. Entwicklungshilfepolitik der Bundesregierung
- Drucksache V/1978 -
b) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Entwicklungspolitik
- Drucksache V/2144 Die Debatte über diese beiden Großen Anfragen soll verbunden werden. Zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD hat zunächst der Abgeordnete Brück ({1}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Zeit, in der wir .alle zusammen Wege aus einer finanziellen Krise unseres Staates suchen, in einer Zeit, da Bundestag und Bundesregierung von unserem ganzen Volke, von jedem Bürger Opfer verlangen, taucht natürlich bei allen Bürgern die Frage auf: Müssen wir unser Geld, das wir selbst so bitter notwendig haben, in fremde Länder geben? Es taucht also die Frage sauf: Müssen wir Entwicklungshilfe geben? Sie alle werden es in Versammlungen draußen erleben, daß diese Frage immer wieder auftaucht.
Zum Glück gab es um die Entwicklungshilfe in diesem Hohen Hause selten harte Auseinandersetzungen, zumindest nicht über die Notwendigkeit der Entwicklungshilfe. Ich habe in alten Protokollen geblättert und festgestellt, daß die Entwicklungshilfe in der Bundesrepublik vom Deutschen Bundestag im Jahre 1956 mit ,einem Antrag, 50 Millionen DM für die Hilfe für unterentwickelte Länder ,einzusetzen, eingeleitet worden ist. Das war im Jahre 1956. Inzwischen sind elf Jahre vergangen, elf Jahre, in denen wir Erfahrungen in der Entwicklungshilfe sammeln konnten, gute und schlechte. Ich meine, es wäre an der Zeit, nach diesen elf Jahren von seiten der Bundesregierung vor diesem Hohen Hause und damit vor dem deutschen Volke darzulegen, wie ihre heutigen Vorstellungen von der Entwicklungshilfe aussehen. Das ist der Sinn der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, die zu begründen ich ,die Ehre habe.
In unserer ersten Frage verlangen wir von der Bundesregierung Auskunft darüber, von welchen Vorstellungen sie sich bei ihrer Entwicklungshilfepolitik leiten läßt und welche Verfahren sie anwendet. Der Motive für die Entwicklungshilfe gibt es viele. Jeder sieht sie von seinem Gesichtspunkt aus. Ich will einmal von den Gegnern der Entwicklungshilfe absehen. Es gibt eine Menge Kritiker der Entwicklungshilfe, die zwar die Entwicklungshilfe selber für notwendig halten, aber nicht immer mit ihren Methoden einverstanden sind. Mit ihnen muß man sich sicherlich auseinandersetzen.
Für die einen ist Entwicklungshilfe Wohltätigkeit, Wohltätigkeit an den armen Menschen in den unterentwickelten Ländern. Für die anderen ist es Wirtschaftspolitik, eine Politik für die Zukunft der Wirtschaft in diesen Ländern und damit auch für die Zukunft unserer Wirtschaft. Für die dritten schließlich ist Entwicklungshilfe Außenpolitik.
Natürlich ist Entwicklungshilfe Wohltätigkeit, natürlich ist sie Wirtschaftspolitik, und natürlich ist sie Außenpolitik. Aber sie ist nicht eines von diesen dreien. Sie ist Entwicklungshilfepolitik. Ich glaube, darüber müssen wir uns klar sein.
Über die außenpolitische Wirkung der Entwicklungshilfe hat es in Deutschland viele Diskussionen gegeben. Ich zähle zu denen, die an die langfristige
Brück ({0})
Wirkung der Entwicklungshilfe in der Außenpolitik glauben. Ich meine, daß die Entwicklungshilfe mit dazu beitragen kann, das Deutschlandbild in der Welt zu formen. Dieses Deutschlandbild wird entscheidend durch die Art und Weise geformt werden, wie wir Entwicklungshilfe gewähren, und auch dadurch, wieviel wir gewähren. Wir wissen außerdem, daß die Konflikte der Zukunft nicht in dem Konflikt zwischen Ost und West liegen werden, sondern in dem Konflikt zwischen Nord und Süd, d. h. zwischen den reichen Ländern dieser Erde und den armen, mit anderen Worten, zwischen den weißen und den farbigen Nationen, wenn man die Japaner als entwickelte Industrienation einmal ausschließt. Ich glaube, daß es Aufgabe der Entwicklungshilfepolitik sein muß, diese Konflikte von morgen schon heute zu beseitigen, d. h. die Ursache dafür zu beseitigen.
Entwicklungshilfe kann keine außenpolitische Feuerwehr sein. Sie kann keine kurzfristigen Ziele verfolgen. Mit einigem Bedauern habe ich jetzt gelesen, daß noch in diesem Jahr ein hoher Beamter der Bundesregierung erklärt hat, die deutsche Entwicklungshilfepolitik sei zur Gießkannenpolitik verurteilt, weil sie den Alleinvertretungsanspruch draußen rechtfertigen müsse. Ich kann diesen Standpunkt nicht teilen. Ich glaube, wir müssen endlich sowohl draußen in den Entwicklungsländern als auch bei uns zu Hause mit der Meinung aufräumen, daß man nur mit der Fahne mit Hammer, Zirkel und Ahrenkranz in den Entwicklungsländern winken müsse, und schon würden wir mit dem Scheckbuch zurückwinken.
Ich glaube, wir haben keinen Grund, uns von den Entwicklungsländern erpressen zu lassen. Den Hinweis, daß man, wenn man gewisse Hilfe von der Bundesrepublik nicht erhalte, sie sich sonstwo holen würde, sollten wir gelassen entgegennehmen. Ich habe mir einmal die Zahlen der Entwicklungshilfe aus dem Westen und der Entwicklungshilfe aus dem Osten angesehen. Die Bundesrepublik allein hat mehr als doppelt soviel Entwicklungshilfe gewährt wie alle Länder des Ostblocks zusammen. Ich wiederhole das: mehr als doppelt soviel Hilfe wie die Länder des Ostblocks zusammen. Wir wissen auch, daß die Wirtschaftskraft der kommunistischen Länder begrenzt ist. Deshalb sollten wir - ich sage das noch einmal - gewissen Erpressungsversuchen etwas gelassener gegenüberstehen.
Außerdem habe ich den Eindruck, wir überfordern die Entwicklungsländer, wenn wir ständig von ihnen verlangen, daß sie ein Bekenntnis zur deutschen Wiedervereinigung ablegen. Sie haben ihre eigenen Sorgen und Nöte, und sie sehen natürlich das deutsche Problem nicht mit deutschen Augen, sondern mit ihren eigenen. Sicherlich ist für die deutsche Wiedervereinigung, für die Lösung unseres deutschen Problems die Meinung der Weltöffentlichkeit wichtig, und zu dieser Meinung trägt auch die Meinung des kleinsten Landes bei. Aber bei allem Respekt glaube ich nicht, daß die deutsche Wiedervereinigung im Tschad oder in Burundi entschieden wird. Wir sollten doch die Dimensionen sehen.
Ich halte es außerdem für ein schlechtes Argument, zu sagen: Wenn wir ein gewisses Projekt nicht übernehmen, dann bauen das die Kommunisten. Für mich ist das fast das schlechteste Argument, das es gibt. Das führt nur dazu, daß wir Fehlleistungen machen, daß wir schlechte Projekte draußen machen. Dem Ansehen unseres Volkes ist auf die Dauer besser gedient, wenn wir einmal hart nein sagen - das wird man in einem Jahr vergessen haben -, als wenn wir schlechte Projekte errichten, die dann jahrzehntelang als Denkmäler deutschen Versagens in den Entwicklungsländern stehen.
Außerdem meine ich, daß die Entwicklungshilfe keine Waffe mehr in den Auseinandersetzungen zwischen Ost und West sein kann. Wir haben auf einer Parlamentarier-Konferenz auf dem Petersberg im April dieses Jahres eine Entschließung gefaßt, in der es heißt, daß die Entwicklungshilfe kein Feld des Wettbewerbs zwischen Ost und West sein sollte, sondern ein Feld der Zusammenarbeit. Nun bin ich kein Illusionist, der glaubt, daß wir morgen mit den kommunistischen Ländern in den Entwicklungsländern ohne weiteres zusammenarbeiten können. Das wird sicherlich nicht einfach sein. Aber eines sollten wir aus der Erfahrung inzwischen wissen: Entwicklungshilfe ist keine Subvention für den Export von Ideologien. Das mußten wir und vor allem unsere Freunde in Amerika feststellen, das mußten aber auch die Sowjets feststellen. Wenn wir sehen, wie sich der Kommunismus in Afrika entwickelt hat, dann erkennen wir, daß sich die Entwicklungshilfe für die Sowjets auf diesem Gebiet nicht ausgezahlt hat. Im übrigen will ich hier ganz offen sagen: Es kann nicht nur Aufgabe der westlichen Welt sein, den Entwicklungsländern zu helfen; man sollte das auch von den kommunistischen Industrieländern verlangen. Sie sollten davon nicht befreit werden, sie sollten hier ebenfalls ihren Anteil leisten. Die Bundesregierung sollte dazu deutlich ihre Vorstellungen bekanntgeben.
Die Bundesregierung sollte auch etwas zu den schon angekündigten Plänen einer Durchforstung der deutschen Entwicklungshilfe-Projekte sagen. Wir wissen aus Erfahrung, daß es draußen in den Entwicklungsländern eine Reihe von Projekten gibt, die schlecht sind, die eine Menge Geld kosten, aber weder den Entwicklungsländern noch uns dienen. Ich meine, wir sollten sie beenden, auch dann, wenn das manchmal politisch schwierig ist. Da sollte man sagen: besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrekken ohne Ende. Ich könnte einen Katalog von schlechten Projekten aufzählen, will mir das hier aber ersparen.
Die Bundesregierung sollte ferner etwas darüber sagen, ob sie das Schwergewicht auf die Kapitalhilfe oder auf die technische Hilfe legen will. Es gab in den früheren Jahren Anhänger der Entwicklungshilfe, die der Meinung waren, wir brauchten nur Kapital in die Entwicklungsländer zu bringen - so wie es die Amerikaner nach dem Kriege mit dem Marshall-Plan in Europa getan haben -, dann würden die Entwicklungsländer schon bald auf den Stand der Industrienationen kommen. Die Erfahrung lehrt, daß dem nicht so ist. Denn es nützt nichts, nur ein Industriewerk zu haben; man muß auch die notwendigen Fachkräfte dafür haben. Andererseits ist
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es auch nicht mit der Übermittlung unseres technischen Wissens allein getan. In den Entwicklungsländern gibt es viele Hemmschuhe, Hemmschuhe, die in der Religion, in der Tradition dieser Länder und in ihrer Gesellschaftsstruktur begründet sind. Wir sollten allen gutwilligen Kräften in den Entwicklungsländern helfen, diese Hindernisse zu überwinden. Damit will ich nicht sagen, daß wir mit europäischer Vermessenheit und Überlegenheit beispielsweise von den Indern verlangen sollten, ihre heiligen Kühe zu schlachten, wenn wir auch wissen, welches Hindernis es für die Entwicklung Indiens ist, daß es diese heiligen Kühe gibt. Aber ich meine, das sollten wir nicht tun. Im übrigen gibt es heilige Kühe nicht nur in Indien, es gibt sie auch bei uns in Deutschland, und auch wir würden uns wehren, wenn man von uns verlangte, einfach unsere Tradition über Bord zu werfen. Trotzdem kommen wir wohl nicht umhin, neben der Kapitalhilfe, neben der Ausbildungshilfe auch Hilfestellung bei der Veränderung der Gesellschaftsstruktur in den Entwicklungsländern zu geben.
Ein Problem, das sich uns jetzt, nach elf Jahren Entwicklungshilfe, stellt, ist das Problem der Überschuldung der Entwicklungsländer. Wir wissen, daß ein Teil der Kredite, die wir heute geben, in manchen Ländern schon wieder dafür verwendet werden muß, andere Kredite, die früher gewährt worden sind, zurückzuzahlen. Die Bundesregierung sollte klar ihre Vorstellungen entwickeln, wie man dem begegnen kann.
Außerdem sollte sie etwas zu dem Problem der bilateralen und der multilateralen Hilfeleistung sagen. Wir wissen ja, daß wir Gelder teils direkt an die betreffenden Länder, teils über die Weltbank und über den EWG-Fonds geben, und wir haben beispielsweise beim letzteren eine Menge Kritik gehört. Wir haben gehört, daß die Bundesrepublik 34 % des Geldes für diesen Fonds liefert, daß aber nur 7 % der Aufträge an die deutsche Wirtschaft zurückfließen. Auch hierzu sollte die Bundesregierung etwas sagen.
Damit komme ich zu unserer zweiten Frage:
In welchem Verhältnis stehen die Leistungen der Entwicklungshilfe der Bundesrepublik Deutschland zu denen anderer Industrienationen?
Ich habe schon etwas darüber gesagt, in welchem Verhältnis unsere Leistungen beispielsweise zu denen des gesamten Ostblocks stehen und auch in welchem Verhältnis sie. zu den Leistungen Mitteldeutschlands stehen. Ich glaube, da schneiden wir sicherlich nicht schlecht ab. Im Hinblick auf unsere Freunde im Westen ist das Bild etwas anders. Sie wissen, daß auf der Welthandelskonferenz in Genf einmal verlangt worden ist, daß die Industrienationen 1 % ihres Volkseinkommens als Entwicklungshilfe geben. Wir haben dieses 1 % nicht erreicht; wir hatten es, aber die Zahlen gehen nun zurück, wir haben jetzt weniger.
Frage 3 unserer Großen Anfrage:
Welche Bedeutung hat die deutsche Entwicklungshilfe für die deutsche Wirtschaft und den Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland?
Die Entwicklungshilfe hat sowohl kurzfristig als auch langfristig Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Dabei muß ich für meinen Teil sagen, daß mir die langfristige Auswirkung viel wertvoller erscheint. Sie kann, kurzfristig gesehen, zum Ausgleich der Konjunktur dienen. Sie kann in solchen Zeiten wie denen, in denen wir uns jetzt befinden, etwas helfen. Allerdings wissen wir, daß unser Ausfuhrüberschuß im letzten Jahr viel zu groß gewesen ist, als daß man noch von der Entwicklungshilfe einen Beitrag dazu verlangen sollte. Die langfristige Wirkung der Entwicklungshilfe für die Wirtschaftspolitik ist viel wichtiger.
Es ist ja nicht ganz unbedeutend, an welchen Maschinen die jungen Leute in den Entwicklungsländern ausgebildet werden. Entscheidend ist, ob sie an deutschen, an englischen oder an amerikanischen Maschinen ausgebildet werden. Es ist auch wichtig, nach welchen Normen sie arbeiten. Wir wissen - ich habe das vorhin bei der Erwähnung des EWG-Fonds angesprochen -, daß einer der Gründe dafür, daß die deutsche Wirtschaft so schlecht abschneidet, die Tatsache ist, daß die Franzosen schon lange in diesen Ländern sitzen und daß sie Erfahrung haben. Die deutsche Entwicklungshilfe kann hier Vorreiter für die deutsche Wirtschaft sein.
Ein Blick in die Handelsbilanzen lehrt außerdem folgendes. Nur Industrienationen können gute Kunden anderer Industrienationen sein. Das muß man all denen sagen, die da meinen, wir bauten jetzt den Entwicklungsländern Industrien auf, und sie würden dann das, was sie heute bei uns kaufen, schließlich selber produzieren können und brauchten nicht mehr bei uns zu kaufen. Aber, wie gesagt, die Handelsbilanz beweist: nur Industrienationen können gute Kunden anderer Industrienationen sein.
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Wir haben im vergangenen Jahr in die industrialisierten Länder der EWG für 28 Milliarden DM verkauft. Wir haben in die doch so hoch industrialisierten USA für 7 Milliarden DM verkauft. Wir haben nach ganz Asien - ausgenommen Japan - für 5 Milliarden DM verkauft. Unser Export nach Indien, diesem volkreichen Land, beträgt noch nicht einmal 1 Milliarde DM. Es gilt also, die Länder und die Menschen in den Entwicklungsländern zu befähigen, eines Tages auch unsere Waren kaufen zu können. Wie können Sie denn heute von einem Inder verlangen, daß er sich eine deutsche Waschmaschine oder ein deutsches Fernsehgerät kauft? Das ist bei der Einkommenslage dort doch einfach nicht möglich. Wenn ich davon spreche, daß wir die Menschen dort in diese Lage versetzen müssen, dann muß ich sagen: wir müssen auch die Länder in diese Lage versetzen.
Eines der großen Probleme sind die Handelsbilanzdefizite der Entwicklungsländer. Ich meine, hier muß etwas Entscheidendes getan werden. Wir müssen
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den Entwicklungsländern die Chance geben, bei uns zu verkaufen, wenn wir die Hoffnung haben wollen, daß sie eines Tages auch bei uns kaufen. Das kann geschehen, indem wir ihnen Zollpräferenzen geben.
Wir müssen der deutschen Wirtschaft sagen, daß sie mit der Konkurrenz dieser Entwicklungsländer rechnen muß. Den Entwicklungsländern muß man natürlich auch sagen, daß wir nicht allein deswegen, weil wir sie für nette Menschen halten, ihre Waren kaufen, sondern weil sie Qualität zu günstigen Preisen liefern. Das scheint mir die Voraussetzung zu sein.
Ich komme nun zu unserer vierten Frage:
Auf welche Weise beteiligt sich die Bundesregierung an den weltweiten Bemühungen, die Nahrungsmittellücke in einigen Entwicklungsländern zu schließen?
Wir alle wissen, daß der Hunger in den Entwicklungsländern das Problem Nummer eins ist. Wir alle wissen, daß jedes Jahr 40 Millionen Menschen verhungern. Das ist, im europäischen Maßstab gesehen, ein ganzes Volk. 40 Millionen Menschen verhungern - wer kann angesichts dieser Tatsache eigentlich ruhigen Gewissens schlafen?
Die Schwierigkeit, die sich stellt, ist, daß der Wettlauf zwischen der Steigerung des Bruttosozialprodukts dieser Länder und der der Bevölkerungsvermehrung zur Zeit von der Bevölkerungsexplosion gewonnen zu sein scheint. Man kann beide Dinge also nicht voneinander trennen.
Wir müssen zwar auch aktuelle Notstände lindern, indem wir diesen Ländern Nahrungsmittel spenden. Aber ,das Spenden von Nahrungsmitteln kann auf die Dauer keine Lösung sein, zumal Fachleute schon heute sagen, 'daß der Zeitpunkt nicht mehr allzuweit entfernt ist, in dem selbst die Überschüsse des Westens nicht mehr ausreichen, den Nahrungsmittelbedarf in der Welt zu decken.
Wir müssen also alles tun, die Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern anzukurbeln, d. h. wir müssen das Schwergewicht unserer Arbeit auf die Landwirtschaft legen. Ich meine, wir sollten den Ländern dort auf die Dauer nicht Reis schenken, sondern wir sollten sie lehren, wie man Reis besser anbaut. Nur mit karitativen Vorstellungen kann man leider keine Entwicklungshilfe leisten. Das muß hier mit aller Deutlichkeit gesagt werden.
Hilfe bei dieser Arbeit in den Entwicklungsländern leisten unsere deutschen Entwicklungshelfer. Wir fragen unter Punkt 5 der Großen Anfrage:
Welche Erfahrungen sind bisher mit dem deutschen Entwicklungsdienst gemacht worden, und welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über den weiteren Ausbau?
Man kann dazu sagen, daß die ersten Erfahrungen, die wir mit unseren jungen Deutschen haben, die freiwillig hinausgehen, gut sind. Sie sind gute Botschafter unserer Nation. Ich habe auf einer Reise durch den Iran eine Zeitung gesehen, in der man sich ,auf einer ganzen Seite mit einer jungen Deutschen beschäftigt hat, die in einem Dorf allein gearbeitet hat. Sie war der Engel in diesem Dorf. Ich glaube, das hilft uns allen und verhilft zu einem guten Deutschlandbild.
Man muß natürlich sagen, daß .es beim deutschen Entwicklungsdienst auch einige negative Dinge gibt. Mir scheint, daß die Projektauswahl nicht immer richtig getroffen worden ist, daß man sie sorgfältiger vornehmen sollte. Außerdem glaube ich, daß wir die Entwicklungshelfer materiell besser ausstatten müssen. Das kostet keine Menge Geld. Eine Bohrmaschine kann schon einen nützlichen Dienst leisten. Ehe wir den Entwicklungsdienst ausweiten, sollten wir dafür sorgen, daß er besser ausgestattet ist.
Außerdem sollten wir dafür sorgen - das Hohe Haus hat ja bereits einen entsprechenden Antrag an die Bundesregierung gerichtet -, daß die Entwicklungshelfer sozial abgesichert wenden. Es darf nicht so sein, wie ich es jetzt in einem Fall erlebt habe, daß ein junger Mann nach Hause kommt und arbeitslos ist und, weil er seit zwei Jahren keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt hat, auch keine Arbeitslosenunterstützung erhält. Hier muß man auch der deutschen Industrie sagen, daß die jungen Leute, die in die Entwicklungsländer gegangen sind, dort nicht nur etwas gelehrt haben, sondern daß sie auch etwas gelernt haben und wertvolle Kräfte für unsere eigene Wirtschaft sind. Es gilt also, diese jungen Leute sozial abzusichern. Das gilt auch für unsere Experten, die jetzt mit zweijährigen Verträgen hinausgehen und sich selbst oft als „freischaffende Künstler" bezeichnen. Für sie stellt sich doch die Frage: Was ist, wenn die zwei Jahre vorbei sind?
Viel problematischer ist es noch, wenn einmal ein Deutscher 6 Jahre draußen an einer Schule gelehrt hat, wie man Maschinen repariert, aber dabei den Anschluß an die Entwicklung in der Heimat verloren hat, die ja nicht stehenbleibt. Was ist mit diesem Mann, wenn er nach 6 Jahren zurückkommt? Darüber muß man sich Gedanken machen, und darüber sollte auch die Bundesregierung etwas sagen.
Ich komme zum letzten Punkt unserer Anfrage:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit im In- und Ausland über die deutsche Entwicklungshilfe zu verbessern?
Ich habe Ihnen das Verhältnis zwischen den Zahlen aus dem Osten und den Zahlen aus dem Westen genannt. Wenn man das Propagandagetöse des Ostens zur Kenntnis nimmt, ist man einigermaßen erstaunt darüber, daß wir mehr als doppelt soviel gegeben haben als der gesamte Ostblock zusammen. Ich meine, wir sollten draußen in den Entwicklungsländern noch mehr als bisher deutlich machen, von wem diese Hilfe kommt. Das dient dem Ansehen unserer Nation. Wir müssen auch im Innern die Notwendigkeit der Entwicklungshilfe klarmachen. Wir alle erleben es doch, wie bei jeder Diskussion die Geschichte von dem goldenen Bett erzählt wird. Das bleibt doch einfach kleben. Nur wenige wissen, daß wir unsere Kapitalhilfe in der Form von Kre6244
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diten geben; die meisten glauben, wir verschenken das. Hier tut Aufklärung not.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: wenn wir gute Entwicklungshilfepolitik betreiben und wenn wir unserem Volke das richtig sagen, wird man auch dafür Verständnis haben.
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Das war eine Jungfernrede. Ich beglückwünsche den Herrn Kollegen Brück dazu.
Zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP hat das Wort der Abgeordnete Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, die Große Anfrage der Freien Demokraten zur Entwicklungshilfepolitik zu begründen. Der Kollege Brück hat soeben darauf hingewiesen, daß sich die Bundesrepublik -Deutschland seit 10 Jahren an der Entwicklungshilfepolitik beteiligt. In diesen 10 Jahren haben die Freien Demokraten 5 Jahre lang dafür den Minister gestellt. Ich möchte hier als Sprecher der Opposition unterstreichen, daß wir auch als Opposition die bewährte Tradition fortsetzen wollen und - ähnlich wie in der Außenpolitik - alles tun werden, um gemeinsam einen Weg zur Lösung der Probleme zu finden. Denn Entwicklungshilfepolitik sollte Sache aller Parteien und aller politisch Verantwortlichen sein mit dem Ziel, der darbenden Welt zum Fortschritt und zum sozialen Aufstieg zu verhelfen.
Wir müssen uns nach wie vor mit der Kritik auseinandersetzen, die vielleicht mit Recht geübt worden ist. Wenn wir zurückschauen, können wir feststellen, daß in diesen 10 Jahren insgesamt rund 12 Milliarden DM an Bundesmitteln für die Entwicklungshilfe verwandt worden sind. Eine gewaltige Summe, ein beachtlicher Beitrag für die Entwicklung der dritten Welt! Das ist insbesondere angesichts der vielen Probleme zu würdigen, die wir noch im Innern auf dem sozialen Sektor, auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung usw. zu lösen haben. Allerdings muß auch festgestellt werden, daß rund 10 Milliarden DM - es war sogar etwas mehr - für die Kapitalhilfe und 2 Milliarden DM für die technische Hilfe eingesetzt worden sind. Ein Großteil der Aufgaben, deren Finanzierung wir übernommen haben, dient also letzten Endes auch dazu, die Wirtschaft in -den Entwicklungsländern zu verbessern und sie in Gang zu bringen. Diese Mittel werden im wesentlichen wohl wieder zurückkommen.
Wir sehen in der Entwicklungshilfe eine Politik, die zur Sicherung des Friedens in der Welt beitragen soll, eine Politik, die Sozialpolitik im Weltmaßstab darstellen soll. Daher muß sie langfristig angelegt sein, sie muß sicherlich auch sparsam getrieben werden und muß eine genaue Zielsetzung haben.
Es ist nützlich, einmal Bilanz zu ziehen - wir von der Opposition haben ein Recht, Bilanz zu ziehen - und zu fragen: Was ist in der Vergangenheit geschehen? Wir wollen dann die neue Regierung fragen, wie sie weitermachen will. Will sie das Bewährte fortführen oder will sie neue Wege einschlagen?
Mit Recht können wir darauf hinweisen, daß in den Jahren, als Walter Scheel, ein Fraktionskollege von uns, dieses Ministerium aufbaute, folgende Ziele gesteckt waren und auch erreicht wurden:
1. Die Tätigkeit der öffentlichen Hand wurde auf ihre eigentliche Aufgabe, nämlich auf die Hilfe bei der Anpassung der Sozialstruktur an moderne Produktionsverhältnisse und beim Ausbau der wirtschaftlichen Infrastruktur, konzentriert. Damit gewann die sogenannte technische Hilfe vor allem im Bereich der Ausbildung und der Vermittlung von Wissen und Können in Schulen, Ausbildungsstätten, Mustereinrichtungen, Lehr- und Demonstrationsprojekten verstärkte Bedeutung.
2. Beim eigentlichen Aufbau der Wirtschaft der
Entwicklungsländer konnte die deutsche Privatwirtschaft verstärkt eingeschaltet werden, und damit konnte der Bundeshaushalt entlastet werden. Die deutsche Wirtschaft erhielt neue und verbesserte Anreize zu Investitionen in den Entwicklungsländern. Hervorzuheben sind vor allem das Entwicklungshilfe-Steuergesetz, das privaten deutschen Investoren steuerliche Vergünstigungen für entwicklungsfördernde Investitionen in Entwicklungsländern gewährt, und die Gründung der Enwicklungsgesellschaft in Köln, die die Erweiterung und Gründung von kleineren und mittleren Unternehmen in Entwicklungsländern durch Übernahme von Beteiligungen und Gewährung von beteiligungsähnlichen Darlehen unterstützt.
3. Eine intensive Zusammenarbeit mit leistungsfähigen privaten Organisationen vor allem im Bereich der Technischen Hilfe wurde entwickelt. Sie zielt auf die Förderung von Vorhaben dieser Organisationen in Entwicklungsländern und entsprechende Maßnahmen in der Bundesrepublik.
4. Die bewährten Hilfsformen wurden verfeinert, und neue Formen wurden entwickelt. So traten neben die bisherigen Hilfsmaßnahmen solche der Bildungs- und Sozialstrukturhilfe, der Gesellschaftspolitik, der Handelshilfe und der Lieferung landwirtschaftlicher Produktionsmittel.
5. Mit der Gründung des Deutschen Entwicklungsdienstes erhielten junge Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung die Möglichkeit, durch praktische Arbeit und persönliches Beispiel die Verbundenheit mit den Menschen in den Entwicklungsländern zu stärken. Sie liefern damit zugleich einen nützlichen Beitrag zur Entwicklung dieser Länder und sammeln für sich wertvolle Erfahrungen.
6. Für eine verstärkte personelle Hilfe für den Einsatz in Entwicklungsländern wurden die Voraussetzungen geschaffen, vor allem durch besondere Ausbildungsstätten mit mutterhausähnlichem Charakter bei der Deutschen Stiftung für Entwicklungsländer für die Bereiche der Landwirtschaft, des Gewerbes und der Verwaltung. Im gleichen Sinne wirkt ,die Gründung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Berlin, das Akademiker auf
führende Aufgaben in der Entwicklungshilfepolitik im nationalen und internationalen Bereich vorbereitet.
Es ist wahrlich eine verdienstvolle Arbeit im Sinne .der Systematisierung und Konkretisierung der deutschen Entwicklungshilfe gewesen, die in diesen fünf Jahren geleistet worden ist. Ich meine, wir sind all denen, die dem Minister im Ministerium geholfen haben, sehr zu Dank verpflichtet. Wir müssen allerdings auch erwähnen, daß unser Freund Walter Scheel dieses unpopuläre Amt mit besonderem Fleiß und auch mit besonderer Hingabe und besonderer Energie geführt hat. Er hat sich somit um den Aufbau und die Gestaltung der deutschen Entwicklungshilfe verdient gemacht. Ich möchte allerdings auch allen Mitarbeitern im Ministerium danken. Ich möchte auch all jenen danken, die in den Organisationen mitgeholfen haben, dieses Werk in Gang zu bringen.
So ist es selbstverständlich, .daß wir heute fragen müssen - damit komme ich zu der Frage 1 -: Was wird die neue Bundesregierung machen? Welchen Weg wird sie weiter einschlagen? Wie schaut es aus mit der Personalplanung? Wie schaut es aus mit dem Haushaltsrecht? Wie wird es mit .den Mitteln für die Entwicklungshilfe ausschauen? Wir müssen uns natürlich auch fragen: Was haben wir erreicht? Vieles macht uns heute Sorgen; Herr Kollege Brück hat schon darauf hingewiesen. Die große Verschuldung der Entwicklungshilfeländer ist ein sehr schweres Problem für uns alle. Wir müssen weiter feststellen: Die Schulden sind gewachsen, und der Hunger ist gewachsen. Hier handelt es sich um eine Frage, die uns zu großer Sorge Anlaß geben muß. Um so wichtiger ist es, daß die Bundesregierung einen klaren Auftrag übernimmt und ein genaues Ziel anstrebt, daß sie klare Vorstellungen hat, wie sie diese politische Aufgabe weiter durchführen will.
Die Personalplanung - ich möchte das Wort Kompetenzen gar nicht in die Diskussion werfen - hat unserem Kollegen Scheel schon schwer zu schaffen gemacht. Ich hoffe, daß sein Nachfolger mehr Glück mit Rivalen im Kabinett, hätte ich beinahe gesagt, oder mit auf Kompetenzen beharrenden Kollegen im Kabinett hat.
Herr Minister, ich habe mit großem Interesse im „Vorwärts" gelesen, wie Sie Ihre Sorgen bezüglich des Haushaltsrechts dargelegt haben.
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- Ja, wissen Sie auch ein Rechter kann sich mal nach links verirren, vor allem wenn es um einen guten Minister von links geht. Das sei Ihnen hier bestätigt. - Sie haben mit Recht Klage darüber geführt, daß der Einsatz der Mittel infolge des derzeitigen Haushaltsrechts - ich glaube, es ist § 45 b, und wie die Paragraphen alle heißen - sehr schwierig ist und daß langfristige Planungen fast unmöglich gemacht werden, ja daß das Ganze obendrein nicht immer sparsam ist, sondern eher noch kostspieliger wird. Ich meine, es sollten wirklich einmal Überlegungen angestellt werden, wie
man zu besseren Formen des Mitteleinsatzes kommt, weil das für eine erfolgreiche Entwicklungshilfepolitik doch sehr wesentlich ist. Ich denke an § 50 der Reichshaushaltsordnung und ähnliches mehr.
Ich möchte dann zu Frage 2 einiges sagen. Wir fragen: Welchen politischen und wirtschaftlichen Nutzen bringt die Entwicklungshilfe im Verhältnis zu den aufgewandten Kosten? Wir wissen, daß es sehr schwierig ist, hier einen Nutzen zu fixieren. Wir haben dafür volles Verständnis. Aber man muß sich natürlich doch fragen: Lohnt sich der Aufwand? Viel wichtiger ist aber noch die Frage: Werden die Mittel, die wir geben, rationell und optimal eingesetzt, so daß wir von einer gesunden Relation zwischen Kosten und Ertrag sprechen können? Ich meine, als Ziel müßte uns hier doch vorschweben, von der Hilfe zum gegenseitigen Handel zu kommen, von der Aid - es 'ist ja nun einmal üblich, hier Fremdwörter zu gebrauchen - zum Trade zu kommen. Ich glaube, es sind einige Ansätze da. Es würde uns aber interessieren, wie Sie diese Aufgabe in Zukunft bewältigen wollen, weil wir der Auffassung sind, daß die Entwicklungshilfe auch ein wertvoller Schrittmacher für eine vernünftige und auch in unserem Interesse liegende Außenhandels- und Handelspolitik sein kann. Wir wollen ja eines Tages zu partnerschaftlichen Verhältnissen kommen und nicht nur Geber bleiben.
In der Frage 3 fragen wir, welche weiteren Maßnahmen die Bundesregierung beabsichtigt. Wir wissen, daß das Entwicklungshilfe-Steuergesetz novelliert werden soll. Wir begrüßen diese Maßnahme. Ich habe bereits in dem Rechenschaftsbericht über die Vergangenheit darauf hingewiesen, wie wichtig die Gründung der Deutschen Entwicklungsgesellschaft gewesen ist. Ich glaube jedoch, es muß überlegt werden, ob wir nicht noch mehr tun können, um private Investitionen anzuregen. Aber dann müssen wir auch noch mehr für die Sicherheit der Investoren tun; denn man kann nicht ihnen allein das Risiko aufbürden. Ich glaube auch, daß die Wirtschaft noch besser aufgeklärt werden muß und mehr Informationen über die vorhandenen Möglichkeiten gegeben werden müssen.
Ich möchte hier ferner ganz besonders darauf hinweisen, daß Entwicklungshilfe im Rahmen der Privatinvestitionen ein wichtiges Element für eine konstruktive Einschaltung mittelständischer Unternehmen sein kann. Es sollte nicht so sein, daß daran nur Großunternehmen partizipieren. Hier muß noch mehr getan werden, um die mittelständischen Unternehmen - vielleicht im Verbund - an gemeinsamen Projekten zu beteiligen. Auch das wäre ein Stück gesunder Wirtschaftsstrukturpolitik, die wir hiermit von uns aus gleichzeitig verbinden könnten.
Damit komme ich zur Frage 4: Konjunkturentwicklung. Wir stehen in einer Phase veränderter Konjunktur, ich würde nicht sagen, in einer Krise. Diese hat es wohl nie gegeben, sondern sie wurde - ich möchte hier kompetentere Mitglieder dieses Hohen Hauses zitieren - eher „herbeigeredet". Aber wir stehen sicherlich in einer konjunkturell
veränderten Phase. Um so wichtiger ist es natürlich, daß auch unsere eigenen wirtschaftlichen Belange mitberücksichtigt werden, und zwar durch entsprechende Lieferantenbedingungen im Rahmen der Kapitalhilfe oder durch Lieferantenkredite. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir könnten uns vorstellen, daß es da für die deutsche Lastwagenindustrie natürlich Ansatzmöglichkeiten gibt, um hier konjunkturell anregend zu wirken. Wir sind daher der Auffassung, daß wir mit Recht die Frage stellen: Wie glaubt die Bundesregierung Entwicklungshilfe auch konjunkturell mit nutzen zu können? Ich bin davon überzeugt, daß Sie, Herr Minister, auf diese Frage eingehen werden.
Ich komme dann zum Punkt 5, in dem wir nach den politischen Konsequenzen fragen: In welchem Verhältnis stehen Entwicklungspolitik und Außenpolitik zueinander? Ich betone noch einmal: Entwicklungspolitik muß langfristig betrieben werden. Sie kann daher nicht dem Auf und Ab der Außenpolitik unterworfen werden, denn die Außenpolitik und die Beziehungen der Völker untereinander sind ja einem sehr raschen Wechsel unterworfen. Wir müssen daher von uns aus dafür Sorge tragen, daß wir nicht durch eine langfristig angesetzte Entwicklungspolitik ständig in Spannungen oder in veränderte Situationen mit hineingezogen werden.
Wir glauben auch - und ich unterstreiche das, was der Kollege Brück hier gesagt hat -; daß es unserem Ansehen und unserer Stellung in der Welt nützlich sein kann und nützlich sein wird, wenn wir eine konstruktive Entwicklungspolitik betreiben. Die Dritte Welt ist sicherlich nicht in allen Dingen entscheidend. Aber wer die Diskussionen in der UNO verfolgt, weiß, daß sie dort eingewichtiges Wort zu sagen hat. Dort kann natürlich auch die deutsche Sache in entsprechender Form gewürdigt werden. Hier können und sollten wir uns mindestens Freunde schaffen.
Wir glauben, daß unsere Entwicklungspolitik so angelegt sein sollte, daß wir möglichst nicht in Zwangssituationen und in Situationen hineinmanövriert werden können, in denen man uns gegen andere ausspielen oder in denen man uns gar unter Druck setzen kann.
Ich komme nun zu Ziffer 6: Möglichkeiten der Kooperation mit osteuropäischen Staaten. Diesen Weg zu gehen, ist ja zunächst zumindest beabsichtigt. Wir haben 'diplomatische Beziehungen mit Rumänien; Handelsabkommen sind geschlossen, und ich weiß aus eigener Erfahrung, daß da und dort der Wunsch besteht, ebenfalls mit uns zu kooperieren. Zumindest sollte man zu einem geordneten Nebeneinander kommen und sich auch vielleicht in den Projekten abstimmen. Vielleicht ließe sich das sogar auch einmal in einem technischen Gespräch mit der DDR machen. Wir sollten gemeinsam daran interessiert sein, daß man uns nicht dauernd ausspielt oder daß wir uns nicht zum Ausspielen .anbieten.
Wir wären dankbar dafür, wenn Sie einmal prüften, wieweit auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe ein Beitrag zur Entspannung und zur Kooperation geleistet werden kann. Das könnte auch einer besseren Zusammenarbeit im allgemeinen dienlich sein.
Zumindest sollte der Versuch gemacht werden, zu einer Projektabstimmung zu kommen.
Damit komme ich zu Punkt 7: Personelle und materielle Beteiligung Deutschlands an multilateralen Entwicklungsinstitutionen. Ich brauche nicht zu verhehlen, daß hier unser ganz besonderes Sorgenkind der EWG-Fonds ist. Mit zusätzlichen Bemerkungen und einer Schilderung von Einzelheiten würde ich hier nur Eulen nach Athen tragen. Wir haben Ihnen dazu einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir möchten sichergestellt haben, daß die deutsche Wirtschaft entsprechend dem deutschen Finanzanteil beteiligt wird. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Wir werden aus der Antwort hören, wie es bei anderen multilateralen Vorhaben ist. Soweit ich im Bilde bin, ist es bei anderen Institutionen besser.
Noch ein Wort zu den personellen Fragen in den internationalen Institutionen. Ich denke hier an die FAO, aber auch an andere internationale Organisationen. Es wäre wirklich an. der Zeit, sich zu überlegen, ob die Bundesregierung nicht Vorsorge für eine konzentrierte personelle Planungtreffen sollte. Ich denke hier an eine personelle Planung in einer Hand, damit man überhaupt weiß, wohin man Leute schicken kann und welche Leute man dazu braucht, und damit man diese Personen auch vorbereiten kann.
Ein Problem, das sich für die gesamte Entwicklungshilfe stellt, ist das der Rückkehrmöglichkeit. Dieses Problem stellt sich sowohl für öffentlich Bedienstete wie auch für Privatbedienstete. Die richtige Eingliederung stellt hier einen wesentlichen Faktor dar. Mir scheint, daß wir bis heute hier noch nicht die zweckmäßigste Form gefunden haben.
Ich komme zum Schluß und möchte zusammenfassen. Erstens. Wir bejahen die Entwicklungshilfe als eine Verpflichtung zur Hilfe für den Fortschritt, zur Beseitigung des sozialen Rückstandes in der Dritten Welt und zur Mithilfe im Kampf gegen Hunger, als einen Beitrag zur Befriedung unserer Welt und zur Sicherung einer friedlichen Zukunft. Zweitens. Entwicklungshilfe liegt auch im Interesse unserer Wirtschaft und eines weltweiten Handels. Hier werden die Märkte von morgen erschlossen; das ist in unser aller Interesse. Drittens. Entwicklungshilfe kann nur im Rahmen der allgemeinen Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft und auch des Bundeshaushalts geleistet werden. Sie muß sich also in denallgemein möglichen Rahmen einfügen. Viertens. Entwicklungspolitik ist zukunftentscheidend für die Entwicklungsländer. Sie prägt - ich glaube, das kann man ohne Übertreibung sagen - das Zusammenleben der Völker von heute und morgen. Wir hoffen, daß sie ein Beitrag ist, den Frieden und den Fortschritt langfristig zu sichern.
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Damit sind die beiden Großen Anfragen begründet.
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entwicklungspolitik ist in den vergangenen zehn Jahren zu einem tragenden Bestandteil unserer Beziehungen zur Entwicklungswelt geworden. Alle in diesem Hohen Haus vertretenen Parteien waren sich von Anfang an über Notwendigkeiten und Bedeutung des deutschen Beitrages einig und haben diese Politik gemeinsam getragen. In diesem Sinne bin ich für die Ausführungen, die der Kollege Ertl gemacht hat, besonders dankbar, weil sie beweisen, daß sich an diesem Geiste der Zusammenarbeit für diese spezielle Aufgabe trotz aller kritischen Betrachtungsweise - die immer notwendig ist - nichts ändern wird.
Heute stehen wir vor neuen, außerordentlich ernsten Aufgaben. Wegen ihrer Tragweite auch für unsere eigene Zukunft betrachtet die Bundesregierung die Entwicklungspolitik als einen der staatlichen Aufgabenbereiche, die trotz schwieriger Haushaltslage mit Vorrang behandelt werden müssen.
Ich begrüße dankbar die Gelegenheit, heute dem Hohen Hause die entwicklungspolitische Konzeption der Bundesregierung darzustellen und auf wichtige Teilprobleme eingehen zu können. Ich bedanke mich für das Einverständnis der Fraktionen, die beiden Großen Anfragen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 28. Juni einerseits und der FDP vom 5. Oktober, d. h. vom letzten Freitag, andererseits gemeinsam beantworten zu dürfen. Einige Fragen beziehen sich auf gleiche Sachverhalte; in diesen Fällen darf ich sie zusammenhängend beantworten. Ich will mich so kurz wie möglich fassen, bitte aber zu berücksichtigen, daß insgesamt 14 Fragen zu beantworten sind.
Frage 1 der Fraktionen der CDU/CSU und SPD bezieht sich auf die Vorstellungen, von denen sich die Bundesregierung bei ihrer Entwicklungspolitik leiten läßt, und auf die Verfahren, die sie dabei anwendet.
Entwicklungspolitik zielt ab auf ein sich schließlich selbst tragendes wirtschaftliches Wachstum und die hiermit zusammenhängenden gesellschaftlichen Veränderungen in der Entwicklungswelt. Alle Industrieländer erkennen diese Grundziele an und stellen hierfür erhebliche Beiträge zur Verfügung. Sie bedienen sich dabei unterschiedlicher Methoden, die auch ihre eigenen Interessenlagen berücksichtigen. Das gilt selbstverständlich auch für die Bundesrepublik. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die deutsche Entwicklungspolitik der besonderen politischen und wirtschaftlichen Situation unseres Landes Rechnung tragen muß. Wir sind verhältnismäßig spät in den Kreis der westlichen Geberländer eingetreten und wurden mit bestimmten Formen der Hilfe konfrontiert, die sich bereits international eingespielt hatten. Die Bundesregierung hat sich von Anfang an bemüht, eigene, uns gemäße Wege und Methoden zu finden. Dieser Prozeß ist noch nicht abgeschlossen und kann auch noch nicht abgeschlossen sein. Natürlich liegen nach zehn Jahren eine
Reihe von Erfahrungen vor, und es ist eine Selbstverständlichkeit, daß wir uns bemühen, diese Erfahrungen auszunutzen.
Im außenpolitischen Bereich müssen wir uns heute vor allem darauf einstellen, daß unsere Entwicklungspolitik zu einem Teil des Deutschlandbildes geworden ist, nach dem wir draußen, und zwar nicht nur in den Entwicklungsländern, beurteilt werden. Die Meinungsbildung über die Bundesrepublik wird nach dem erfolgreichen Wiederaufbau jetzt weitgehend von unserem Verhalten als Geber und Partner in der internationalen Politik mitbestimmt. Hier liegen Gefahren, wenn wir hinter den Erwartungen zurückbleiben; hier liegt aber auch eine der besten Chancen für uns, eine positive Politik der Selbstdarstellung zu treiben. Wir sollten sie erkennen und nutzen. Unsere politische und wirtschaftliche Situation bieten dazu hervorragende Ansatzpunkte.
Als eine der führenden Handels- und Industrienationen besitzen wir die materiellen Voraussetzungen weltweiter wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Sie liegt wegen der Vorteile der fortschreitenden internationalen Arbeitsteilung und der großen Spannweite unserer Produktionsstruktur gleichzeitig in unserem natürlichen Interesse.
Als Nation ohne machtpolitischen Führungsanspruch können wir bei unseren Bemühungen zum Ausgleich der Wohlstandskluft zwischen Nord und Süd in besonderem Maße auf Entgegenkommen und Anerkennung von seiten der Entwicklungsländer rechnen und damit glaubhaft einen Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens leisten, der unseren Möglichkeiten entspricht. Ich denke in diesem Zusammenhang insbesondere an die Aussagen, die von beiden Kirchen gemacht worden sind, die Aussage in der Enzyklika „Populorum progressio" und die Aussage, die in Genf vom Weltkirchenrat gemacht worden ist. Beide Aussagen macht sich die Bundesregierung in hervorragender Weise zu eigen.
Wir brauchen auf keine nachkolonialen Bindungen Rücksicht zu nehmen und können mit der gesamten Dritten Welt zusammenarbeiten. Unsere Partner sehen uns ohne Vorurteile aus früheren Abhängigkeiten. Diese Gegebenheiten legen uns nahe, mit unserem Entwicklungshilfebeitrag eine aktive und positive Politik zu treiben.
Welche Grundzüge und Verfahren kennzeichnen eine solche Politik?
Die direkte Hilfe, die Hilfen von Land zu Land stehen für uns eindeutig im Vordergrund. Ich sage das, weil auch hier die Fragen der bilateralen Leistungen zu den multilateralen Leistungen angesprochen worden sind. Ich komme nachher noch einmal auf diese Frage zurück. Die Bundesregierung verkennt dabei nicht die Bedeutung der multilateralen Maßnahmen. Sie achtet darauf, daß das finanzielle Verhältnis zwischen beiden Hilfsformen ausgewogen bleibt. Zur Zeit. laufen ungefähr 80 % unserer Leistungen bilateral und etwa 20 % multilateral.
Bei der Auswahl unserer Partner brauchen wir keinerlei traditionelle Einflußgebiete zu berücksichtigen. Wir können uns vielmehr allein davon leiten lassen, wo unsere Hilfen sowohl für die Entwicklung
des Nehmerlandes als auch für unsere künftigen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen die größten Erfolge versprechen. Wir müssen uns aber auch darüber im klaren sein, daß die Grenzen unserer finanziellen und personellen Möglichkeiten keine so breite Streuung erlauben, wie sie eigentlich nach unserer Interessenlage wünschenswert wäre. Wir streben deshalb eine Politik weltweiter Zusammenarbeit mit eindeutigen Schwerpunkten in einigen geeigneten Ländern an.
Bei der Vergabe unserer Hilfen berücksichtigen wir im besonderen Maße die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer, die durch unsere Maßnahmen nicht ersetzt, sondern angespornt werden sollen. Eigene Bemühungen um die wirtschaftliche, gesellschaftliche, verwaltungsmäßige Entwicklung scheinen uns ein wichtiges Indiz dafür zu sein, daß auch unsere Hilfsmaßnahmen ihre höchste Wirksamkeit erreichen können.
Da wir den Entwicklungsländern bestimmte wirtschaftspolitische Grundsätze weder aufzwingen wollen noch können, müssen wir um so mehr darauf achten, was mit unseren Beiträgen geschieht. Das bedeutet sorgfältige Auswahl und Vorprüfung der Vorhaben und strenge Projektbindung unserer Hilfen mit nachfolgenden Verwendungskontrollen. Von der Vorprüfung der Projekte, der Projektbindung und den Verwendungskontrollen darf in keinem Falle abgegangen werden. Ganz im Gegenteil, wir werden für die Zukunft gezwungen sein, insbesondere die Verwendungskontrollen noch ein' wenig mehr auszubauen, als das bisher der Fall ist. Nur in ganz besonders gelagerten Fällen geben wir Kredite für dringende nicht projektgebundene Einfuhren aus der Bundesrepublik - das, was wir als „commodity aid" bezeichnen -, wenn es insbesondere um die Lieferung von Ersatzteilen geht, um bestimmte Wirtschaftszweige in den Entwicklungsländern überhaupt am Leben halten zu können. Wir wissen, daß uns eine solche eingehende Projektprüfung und eine oft zeitraubende Projektvorbereitung häufig Vorwürfe einbringt. Wir können aber nicht darauf verzichten, weil nach allen bisherigen Erfahrungen nur entwicklungspolitisch gute Projekte das Partnerschaftsverhältnis nachhaltig fördern. Das Eingehen auf leichtsinnige Wünsche kann viel öfter hinterher politischen Arger einbringen. Gerade auch unter diesem Gesichtspunkt ist eine Überprüfung aller laufenden Projekte eingeleitet worden. Wir werden innerhalb kürzester Zeit in der Lage sein, dem Hohen Hause einen ausführlichen Bericht über das Ergebnis der Uberprüfung von 3000 Projekten der deutschen Entwicklungshilfe vorlegen zu können.
Unsere Projektpolitik zielt ausdrücklich darauf ab, keine dauernden, zwangsläufigen Abhängigkeiten zu schaffen. Wir bemühen uns vielmehr, auch die Projekte der Technischen Hilfe nach einer angemessenen Zeit der Einarbeitung und der Ausbildung einheimischer Kräfte voll in die Hände des Nehmerlandes zu übergeben. Diese Politik hat weltweite Anerkennung gefunden und wesentlich zu einer Atmosphäre verständnisvoller, freundschaftlicher Zusammenarbeit beigetragen. Wir bestehen bei jedem Projekt auf einer angemessenen Beteiligung des Partnerlandes. Wir werden uns allerdings von Fall zu Fall darüber unterhalten müssen, was angemessen ist. Ich habe den Eindruck, daß in der Vergangenheit oft Vereinbarungen getroffen worden sind, von denen man eigentlich vorher hätte ahnen oder wissen können, daß sie von der anderen Seite kaum eingehalten werden konnten unid deshalb wenig realistisch waren.
Im Rahmen unserer Kapitalhilfe gewähren wir im allgemeinen einen Kredit nur in Höhe des Devisenanteils an der Projektfinanzierung und erwarten die Übernahme der zumutbaren Landeswährungskosten durch das Entwicklungsland selbst.. Ich glaube, daß man auch an diesem Prinzip festhalten muß.
Bei der Technischen Hilfe tragen wir die mit der Entsendung deutscher Ausbilder, Gutachter unid Berater im Zusammenhang stehenden Kosten, während das Partnerland neben Sachleistungen vor allem auch seine personelle Mitarbeit an gemeinsamen Vorhaben zur Verfügung stellen muß. Die Bereitschaft zur Partnerschaftsleistung ist für uns im übrigen ein sicheres Kriterium für die Bedeutung, die das Nehmerland, das Entwicklungsland also, dem Projekt selbst beimißt. Wenn hier keine entsprechende Bereitschaft vorhanden ist, muß man annehmen, daß eigentlich gar kein besonders großes Interesse besteht.
Zu der Grundfrage der Mitarbeit privater Kräfte auf unserer Seite ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die privaten Initiativen ein wesentliches Element unserer entwicklungspolitischen Aktivität sind. Das gilt sowohl im Hinblick auf das finanzielle Engagement als auch im Hinblick auf die Qualität der Beteiligung. Zahlreiche Entwicklungsaufgaben können heute von der Wirtschaft oder bestimmten privaten Organisationen und Institutionen unseres Landes schneller und wirksamer erfüllt werden als vom Staat. Wir sind bereit, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Besondere Bedeutung mißt die Bundesregierung dabei den privaten Investitionen in Entwicklungsländern zu, auf die ich im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage 3 der Großen Anfrage der FDP weiter eingehen werde. Im Bereich der Technischen Hilfe stützt sich die Bundesregierung bewußt auf die Mitarbeit privater Organisationen, der Kirchen, der Gewerkschaften, der Wohlfahrtsverbände, die durch langjährige Kontakte mit ihren Partnern in Entwicklungsländern Möglichkeiten zu besonders intensiver entwicklungspolitischer Arbeit besitzen.
In der Frage 2 der CDU/CSU und der SPD wird das Verhältnis der deutschen Leistungen zu den Leistungen anderer Industrienationen angesprochen. Die Bundesrepublik steht mit ihren Entwicklungshilfeleistungen hinter den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und Großbritannien an vierter Stelle. Bei der Würdigung dieser Position ist zu berücksichtigen, daß Deutschland erst verhältnismäßig spät in den Kreis der Geberländer eingetreten ist und daß es keine besonderen Bindungen zu ehemaligen Kolonien hatte. Die Bundesrepublik verfügt heute über ein entwicklungspolitisches Instrumentarium, das im internationalen Vergleich
die Bedeutung der deutschen Entwicklungshilfe wirkungsvoll unterstreicht. Die Vielfalt unserer Maßnahmen im bilateralen Bereich, insbesondere unser breites Programm der Technischen Hilfe, sowie unsere Mitarbeit bei fast allen wichtigen internationalen Entwicklungshilfeaktionen - ich denke hier hauptsächlich an die großen Konsortien - werden international allgemein anerkannt. Die Bedingungen unserer Hilfe, die in früheren Jahren mitunter Gegenstand der Kritik unserer Geberländer und internationaler Organisationen waren, haben inzwischen ein Niveau erreicht, das den internationalen, insbesondere den in der OECD entwickelten Zielsetzungen für die Konditionenpolitik weitgehend entspricht. Hier ist also im Laufe der Zeit eine wesentliche Verbesserung eingetreten. Unsere Konditionen sind kaum noch Ziel einer kritischen Diskussion.
Die Bundesregierung verkennt allerdings nicht - und auch das muß hier in aller Deutlichkeit gesagt werden -, daß sich in der internationalen Diskussion die sogenannte 1-%-Formel mehr und mehr zu dem Ziel entwickelt hat, das die einzelnen Geberländer mit ihren Leistungen zu erreichen suchen. Nach einer Empfehlung auf der Welthandelskonferenz 1964, der auch die Bundesrepublik zugestimmt hat, sollen die öffentlichen und die privaten Nettoentwicklungshilfeleistungen, also die Bruttoauszahlungen abzüglich der zurückfließenden Tilgungsbeträge, jährlich mindestens 1 % des Volkseinkommens erreichen. Diese Entwicklung ist nicht ganz unproblematisch. Denn sie berücksichtigt weder die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen - und wer die Situation analysiert, wird feststellen müssen, daß die Ausgangsbedingungen bei den Geberländern sehr unterschiedlich sind - noch die unterschiedliche Qualität, auf die wir uns einstellen müssen.
Bei Anwendung dieses Maßstabs liegt die Bundesrepublik innerhalb der westlichen Geberländer lediglich an siebenter Stelle. Diese Position hat im Hinblick auf unsere hervorragende Bedeutung als Industrie- und Handelsnation in zunehmendem Maße internationale Kritik hervorgerufen. Die westlichen Industrieländer insgesamt haben in den vergangenen Jahren die 1-%-Forderung annähernd, zum Teil sogar voll erfüllt. Einige wenige liegen sogar erheblich darüber. Allerdings spielt in diesen Fällen die historische Entwicklung natürlich eine ganz besondere Rolle. Die deutschen Leistungen, die zu Beginn der sechziger Jahre dem 1-%-Ziel recht nahegekommen waren, sind in den letzten Jahren abgesunken, zuletzt von 0,85 % auf 0,81 % im Jahre 1966.
Wie sich die privaten und die öffentlichen deutschen Nettoleistungen in den nächsten Jahren entwickeln werden, läßt sich schwer voraussagen. Hier stellen insbesondere die in den kommenden Jahren fälligen Rückzahlungen aus den Entwicklungsländern, die Rückflüsse, eine erhebliche Unbekannte dar. Wir wissen, daß das Problem der Umschuldung in den nächsten Monaten und in den nächsten Jahren im Rahmen der Entwicklungspolitik eine bedeutungsvolle Position einnehmen wird. Einige Probleme werden sogar schon in absehbarer Zeit gelöst werden müssen.
Immerhin glaubt die Bundesregierung, mit den im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung festgelegten erheblichen Steigerungsraten des Ausgabenplafonds im Einzelplan 23 - hier ist ganz eindeutig eine Schwerpunktpolitik betrieben worden - die Grundlagen für wachsende öffentliche Entwicklungshilfeleistungen gelegt zu haben. Ungewiß ist allerdings - und das muß hier noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden -, wie sich die privaten Leistungen in Zukunft entwickeln werden. Die Bundesregierung - darauf komme ich noch zu sprechen - wird alles tun, um auch diese Seite entscheidend zu fördern.
In der Frage 3 der Großen Anfrage der CDU/CSU und SPD wird nach der Bedeutung der deutschen Entwicklungshilfe für die deutsche Wirtschaft und für unseren Außenhandel gefragt. Unser Wohlstand hängt wesentlich von der Entwicklung unseres Außenhandels ab. Es geht heute vor allen Dingen darum, die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung noch stärker als bisher zu nutzen, die, wie wir wissen, um so intensiver und wirkungsvoller ist, je weiter unsere Handelspartner entwickelt sind. Entwicklungshilfe, die dazu beiträgt, daß die jungen Staaten von ihren überlebten Wirtschaftsformen wegkommen und moderne landwirtschaftliche und industrielle Güter anbieten, gibt darum letztlich auch unserer eigenen Wirtschaft wichtige Impulse. Zweifellos liegen in den Ländern an der Schwelle zum industriellen Zeitalter für uns die entscheidenden Marktreserven der Zukunft, und zwar sowohl auf der Beschaffungs- wie auf der Absatzseite. Unsere Wirtschaft ist auf kaufkräftige Handelspartner angewiesen. Wenn die Entwicklungsländer bessere Kunden für uns werden sollen, dann müssen sie auch die Chance haben, die nötigen Devisen am Weltmarkt zu verdienen.
Aus diesem Grund unterstützt die Bundesregierung auch alle weltweiten Bemühungen zur Liberalisierung des Handels. Sire ist sich bewußt, daß die Entwicklungsländer dabei zusätzlichen Entgegenkommens der Industriieländer bedürfen. Die neuen Märkte nach beiden Richtungen zu öffnen, ist eine der großen Aufgaben der deutschen Entwicklungspolitik. Insofern kann man die Ausführungen, die hier in bezug ,auf die Unterstützung der Entwicklung des Handels gemacht worden sind, nur voll und ganz unterstreichen. Die Weichen für ,die Handelsströme zwischen den alten und neuen Märkten werden heute gestellt. Die Entwicklungspolitik hat gerade hier eine auch für uns außerordentlich wichtige Aufgabe. Für die deutsche Wirtschaft hat sie sich oft schon als Wegbereiter erwiesen. Sorgfältig ausgewählte Kapitalhilfeprojekte haben in vielen Fällen den Grundstein für wachsende Geschäftsbeziehungen gelegt und der deutschen Industrie dadurch Pionierdienste geleistet. Einige dieser Anlagen sind international .bekanntgeworden und haben auf diese Weise die Qualität der deutschen Ingenieurleistungen unter fremden Bedingungen demonstriert und für die Güte unserer Erzeugnisse geworben. Aber auch die vielfältigen persön6250
lichen Kontakte im Rahmen der Technischen Hilfe dürfen in dieser Hinsicht nicht unterschätzt werden. Es genügt hier, auf die Ausbildung von Lehrlingen und Praktikanten an deutschen Maschinen in unseseren Betrieben und Gewerbeschulen hinzuweisen. Ich habe gerade vor wenigen Tagen ein hervorragendes Beispiel dafür erleben können.
An dieser Stelle darf ich auf die Fragen 4 und 2 der Großen Anfrage der FDP-Fraktion eingehen, die sich unmittelbar an den soeben behandelten Sachverhalt anschließen. Frage 4 lautet:
Sieht die 'Bundesregierung Möglichkeiten, ihre entwicklungspolitischen Maßnahmen mit der Konjunkturpolitik in der Bundesrepublik sinnvoll zu verbinden?
Die konjunkturelle Situation der vergangenen Monate hat deutlich gemacht, in welchem Maße die Aufträge aus der Entwicklungswelt schon heute direkt oder !indirekt zur Sicherung der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik entscheidend beitragen. Allein 'aus der bilateralen Kapitalhilfe sind der deutschen Wirtschaft im vergangenen Jahr Aufträge von mehr als 700 Millionen DM zugeflossen. Hinzu kommen zusätzliche Aufträge aus Mitteln internationaler Organisationen. Dank der Struktur des Angebots und der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft können wir 1M diesem Bereich mit Ausnahme des Europäischen Entwicklungsfonds - darauf komme ich besonders zu sprechen -, gemessen an unseren Beiträgen, einen vergleichsweise günstigen Anteil an den Bestellungen für uns verbuchen.
Die Entwicklungspolitik hat sich damit als stabilisierender Faktor in Zeiten zurückbleibenden wirtschaftlichen Wachstums erwiesen und zur Sicherung der Beschäftigung in wichtigen Zweigen unserer Wirtschaft, besonders der Investitionsgüterindustrie, beigetragen. Die Entwicklungspolitik bietet jedoch - das muß hier gesagt werden - nur beschränkt Möglichkeiten, die Konjunktur zu beeinflussen. Zwischen Kreditzusage und -auszahlung liegen oft mehrere Jahre der Projektplanung und der Projektvorbereitung. Darum ist eine kurzfristige zeitliche Steuerung der aus diesen Projekten resultierenden Aufträge nicht möglich, auf die es ja im Rahmen der Konjunkturpolitik entscheidend ankommt. Eine Ausnahme bilden Ersatzteile und ähnliche Lieferungen, die relativ schnell zu Bestellungen unserer Wirtschaft führen. Derartige Hilfen machen jedoch nur einen kleinen Teil unserer Entwicklungspolitik aus, und die Bundesregierung beabsichtigt nicht, ihre auf lange Sicht angelegte Projektpolitik aus konjunkturpolitischen Gründen grundsätzlich wesentlich umzustellen.
Unter Ziffer 2 fragt die FDP-Fraktion nach dem Verhältnis von politischem und wirtschaftlichem Nutzen der Entwicklungshilfe zu ihren Kosten. Diese Frage schließt unmittelbar an das zuvor Gesagte an. Hier muß ganz eindeutig festgestellt werden: Nutzen bringt die Entwicklungshilfe beiden Seiten - beiden Seiten! -, dem Empfänger wie dem Geber.
Was die Entwicklungshilfe für die Dritte Welt bedeutet, will ich hier nur mit den Worten des
Präsidenten der Weltbank, Woods, umreißen. Er wies auf der gerade zu Ende gegangenen Jahrestagung in Rio darauf hin, daß zwar vier Fünftel der Investitionen in den Entwicklungsländern aus eigenen Mitteln finanziert würden, daß aber der über alles wichtige Sauerteig für das Brot in Gestalt der Entwicklungshilfe von außen kommen müsse.
Aber auch den Wert der Entwicklungshilfe für uns selbst wollen wir sehen. Sie wurde zu einem der großen Pfeiler in unseren weltweiten Beziehungssystemen. Dies geschah zielbewußt, wenn auch für viele unauffällig. Unsere heutige politische und wirtschaftliche Position in vielen Ländern ist zum nicht geringen Teil insbesondere das Ergebnis dieser Bemühungen. Für den wirtschaftlichen Bereich hier nur ein einziges Beispiel. Unser Handel mit den Entwicklungsländern zeigt eine erfreuliche und für die Zukunft vielversprechende Tendenz. In den vergangenen 4 Jahren sind die deutschen Exporte in die Entwicklungsländer um mehr als 41 % und damit stärker als unsere Ausfuhren in die übrige Welt gestiegen. Die Importe aus den Entwicklungsländern erhöhten sich im gleichen Zeitraum um 34 %. Die Märkte von morgen, die die Entwicklungspolitik von Anbeginn an im Auge gehabt hat, werden damit allmählich für die Gegenwart interessant, - nicht nur interessant, sondern außerordentlich bedeutungsvoll.
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Nutzen und Kosten kann ich für diese sehr komplexen Zusammenhänge trotz des Fortschritts der Meßtechniken, den wir recht genau beobachten, vorerst nur politisch beantworten. Angesichts der Bedeutung und der Vielzahl der gesteckten und der schon erreichten Ziele unserer Entwicklungspolitik im außenpolitischen und wirtschaftspolitischen Raum scheint mir der Einsatz von etwas mehr als 21% unseres Bundeshaushalts durchaus gerechtfertigt.
Denjenigen aber, die die harte Kalkulation bevorzugen, kann ich sagen, daß sich dank der Prinzipien unserer Entwicklungspolitik der weitaus größte Teil unserer Hilfe in konkreten Projekten niederschlägt. Auf der Ebene des Einzelprojekts haben wir damit begonnen, den Wirkungsgrad unseres Instrumentariums mit Hilfe moderner Kosten-Nutzen-Analysen zu kontrollieren. Die Untersuchungsergebnisse werden wir sehr sorgfältig prüfen und zusammen mit anderen Erfahrungsquellen unmittelbar in unsere Planungen eingehen lassen. Es ist selbstverständlich, daß die Untersuchungsergebnisse den Mitgliedern des Hohen Hauses zur Verfügung stehen.
Nach diesem Einschub komme ich nun wieder auf die Fragen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zurück. In Frage 4 möchten die Fragesteller wissen, auf welche Weise „sich die Bundesregierung an den weltweiten Bemühungen, die Nahrungsmittellücke in einigen Entwicklungsländern zu schließen", beteiligt.
Dem rapiden Anstieg der Bevölkerung in vielen Entwicklungsländern steht keine entsprechende Zunahme der Nahrungsmittelproduktion in diesen Ländern gegenüber. Alle Experten und internatioBundesminister Wischnewski
nalen Organisationen, die sich mit dem Welternährungsproblem beschäftigen, sagen übereinstimmend für die kommenden Jahrzehnte außerordentlich ernste Nahrungsmittelprobleme und für einige Gebiete sogar Hungersnöte voraus. Hier stehen wir vor dem härtesten Problem der Entwicklungspolitik. Es geht hier um das nackte Überleben von Millionen von Menschen.
Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Prüfung der Situation zu der Überzeugung gelangt, daß dieses Problem in seinem Kern nicht mehr durch Nahrungsmittelgeschenke gelöst werden kann. Der Schlüssel zu einer nachhaltigen Lösung des Welternährungsproblems liegt nach unserer Auffassung in der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion und in der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität in den Entwicklungsländern selbst. Die Bundesregierung betrachtet die produktionsanregende Agrarhilfe als Schwerpunkt ihrer Entwicklungspolitik. Wir sind in einen Wettlauf zwischen der Bevölkerungsexplosion und der Entwicklung neuer Nahrungsmittelquellen in den Entwicklungsländern eingetreten. Auf längere Sicht bietet die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion neben der Bevölkerungskontrolle die einzige Chance, den Hunger zu bannen.
Mehr als ein Viertel der deutschen Technischen Hilfe - gerade in diesen Wochen erfolgen noch erhebliche Verschiebungen zugunsten dieses Sektors, - und mehr als 10 % unserer Kapitalhilfe kommen der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion zugute. Wir betonen hier besonders die Technische Hilfe, weil wir die Erfahrung gemacht haben, daß die Mobilisierung der in traditionellen Strukturen verharrenden Agrarbevölkerung nur über menschliche und fachlich qualifizierte Aufklärung und Beratung erreicht werden kann. Daher werden die deutschen Fachkräfte für ihre Aufgaben gründlich vorbereitet und mit den besonderen Bedingungen des jeweiligen Einsatzlandes vertraut gemacht.
Die deutsche Hilfe setzt auf diesem Gebiet auf breiter Front an. Sie umfaßt z. B. Maßnahmen zur Steigerung der pflanzlichen Produktion, zum Aufbau einer leistungsfähigen Viehwirtschaft, zur Einführung oder Verbesserung des Fischfangs und zur Vermarktung. Die Erfolge einiger großflächiger Beratungsprojekte sind in der Zwischenzeit weltweit bekanntgeworden. Neue Maßnahmen sind gerade in letzter Zeit in anderen Ländern eingeleitet worden. In einem ganz besonderen Fall ist es gelungen, die landwirtschaftliche Erzeugung in dem betreffenden Bereich zu verdreifachen, und zwar innerhalb einer Zeit von vier bis fünf Jahren. Das ist nach meiner Auffassung eine beachtliche Leistung unserer Experten, die sich dort besonders engagiert haben. Damit ist in einem ganzen Distrikt ein landwirtschaftliches Notstandsgebiet in ein Überschußgebiet verwandelt worden.
Die Bundesregierung unterschätzt daneben nicht die Bedeutung einiger internationaler Programme der Nahrungsmittelhilfe, an denen wir beteiligt sind. Ich denke hier an die FAO, aber auch an das, was im Rahmen der Kennedy-Runde beschlossen worden 'ist. Nach unserer Auffassung sollte ebenfalls über internationale Sonderorganisationen, die von der ,ganzen Völkerfamilie getragen werden, die Mitarbeit an der Bevölkerungskontrolle in den Entwicklungsländern erfolgen, ein Problem, bei dem wir uns noch im Stadium der Diskussion befinden, hei dem es aber in der internationalen Diskussion gerade in letzter Zeit erhebliche Fortschritte gibt. Ich weiß, mit welcher Zurückhaltung man dieses Problem behandeln muß.
Auf diese Weise ist sichergestellt, 'daß die Hills-maßnahmen verantwortungsvoll und mit größter Einfühlung in die Strukturen der überbevölkerten Gebiete durchgeführt werden.
Unter Nr. 5 fragen CDU/CSU und SPD, welche Erfahrungen mit d em Deutschen Entwicklungsdienst gemacht wordensind. Die bisherigen Erfahrungen mit den Freiwilligen des Deutschen Entwicklungsdienstes, die mit viel Begeisterung und Tatkraft in den Entwicklungsländern arbeiten, sind ermutigend. Ich kann das, was hier von dem Kollegen Brück in der Begründung 'gesagt worden ist, nur unterstreichen. Das gilt auch für die Helfer der den Kirchen nahestehenden und von der Bundesregierung geförderten „Dienste in Übersee" und ,für die „Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe". Dieses positive Echo ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß unsere freiwilligen Helfer eine abgeschlossene Berufsausbildung hab en, um Fachkenntnisse vermitteln zu können. Der Bundesregierung liegen zahlreiche Anfragen über 'die Mitarbeit von Freiwilligen vor, auch aus solchen Ländern, in denen der Deutsche Entwicklungsdienst bisher noch nicht tätig ist. Einige Freiwillige sind bereits zurückgekehrt. Ich hatte die Möglichkeit, mit ihnen zu diskutieren, um aus ihren Erfahrungen zu lernen. Einige Probleme müssen gelöst werden. Diese jungen Menschen, die sich untrer ungewöhnlichen Bedingungen bewährt und gelernt haben, sich mit persönlicher Verantwortung 'zu engagieren, sind wertvolle Nachwuchskräfte, und zwar - das möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen - nicht nur für die deutsche Entwicklungshilfe, sondern gerade auch 'für die deutsche Wirtschaft insgesamt. Sie verfügen über Länderkenntnisse, sie verfügen über hervorragende Erfahrungen, und die deutsche Wirtschaft sollte die Kenntnisse 'dieser jungen Menschen nutzen.
Bisher sind mehr nals 1250 Freiwillige nach sorgfältiger Auswahl und Vorbereitung entsandt worden. Gegenwärtigbefinden sich knapp 1100 dieser im Durchschnitt 25jährigen jungen Menschen in Übersee Sie arbeiten zur Zeit +in 25 Ländern.
Die Bundesregierung hält es für notwendig, den Deutschen Entwicklungsdienst weiter auszubauen und die Zahl der Freiwilligen im Laufe der nächsten Jahre 'möglichst auf 2000 zu erhöhen. Das Tempo des Ausbaus soll jedoch mehr 'den Erfahrungen der Praxis angepaßt werden. Das heißt: wir werden das Tempo des Ausbaus mit Sicherheit ein wenig vermindern müssen, Alle beteiligten Stellen sind sich darüber im klaren, daß der Deutsche Entwicklungsdienst nur dann die an ihn geknüpften Erwartungen
erfüllen kann, wenn zwei entscheidende Fragen vernünftig geklärt werden können, nämlich 1. die Auslese der Freiwilligen und 2. die Projektauswahl. Der Deutsche Entwicklungsdienst kann nur dann hervorragend ,arbeiten, wenn diese beiden Probleme auch für die Zukunft vernünftig gelöst werden können. Hier spielen die Beobachtungen der Vergangenheit und die Auswertung der ersten Erfahrungen selbstverständlich eine ganz entscheidende Rolle. Für mich kommt noch eins hinzu: Wenn wir den jungen Menschen des Deutschen Entwicklungsdienstes die Chance geben wollen - und wir müssen sie ihnen geben -, so effektiv wie irgend möglich zu arbeiten, müssen wir ihnen bei der technischen Ausrüstung mehr helfen als bisher. Nach meinen Erfahrungen gerade auch der letzten Wochen muß hier also für die Zukunft mehr geschehen als bisher.
Auf Wunsch des Hohen Hauses wird zur Zeit ein Gesetz zur Förderung des Dienstes von Freiwilligen in Entwicklungsländern vorbereitet, das den Freiwilligen diejenigen Sicherungen bringen soll, die sich angesichts des besonderen Charakters dieses Auslandseinsatzes als notwendig erwiesen haben.
In Frage 6 fragen CDU/CSU und SPD nach der sozialen Sicherung der Fachkräfte. Nach langwierigen Bemühungen haben wir auf dem Gebiet der Sozialversicherung einen gewissen Abschluß erreicht. Allen Fachkräften steht heute der Beitritt zur gesetzlichen Rentenversicherung offen. Zu den Beiträgen werden Arbeitgeberzuschüsse in Höhe von 50 0/o gewährt. Das gilt auch für private befreiende Lebensversicherungen. Darüber hinaus sind alle Fachkräfte in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen worden. Die Sicherung in Krankheitsfällen soll in Kürze wesentlich verbessert werden. Wir sind im Augenblick dabei, dieses Problem zu lösen. Hier sind noch nicht alle Fragen geklärt.
Sorgen bereiten uns nach wie vor die Fragen der Wiedereingliederung der Fachkräfte - das muß hier in aller Deutlichkeit gesagt werden -, ein Problem, das auch in anderen Geberländern noch nicht überall zur vollen Zufriedenheit gelöst worden ist, auch in solchen Ländern noch nicht, die über längere Erfahrungen verfügen als wir. Eine befriedigende Regelung besteht bisher nur für die Fachkräfte, die aus dem öffentlichen Dienst kommen, die für die Dauer ihrer Auslandstätigkeit ohne Dienstbezüge beurlaubt werden und später In ihre Stammbehörden zurückkehren. In allen übrigen Bereichen sind wir auf eine noch engere Zusammenarbeit mit der Wirtschaft angewiesen. Wir erwarten hier vor allem eine größere Aufgeschlossenheit im Einzelfall. In der Zukunft werden wir mit Sicherheit eine bestimmte Gruppe von Experten langfristig beschäftigen können, während das bei anderen Gruppen aus der Aufgabe heraus nicht möglich ist und auch für die Zukunft leider nicht möglich sein wird. Hier wird es also immer Unterschiede geben müssen.
Mit der Frage der längeren Beschäftigung von Fachkräften der Entwicklungshilfe befaßt sich die Bundesregierung seit längerer Zeit. Im vorigen Jahr ist bereits eine Möglichkeit geschaffen worden, bewährten Fachkräften längerfristige Verträge anzubieten. Etwaige Übergangszeiten zwischen zwei Projekten können finanziell überbrückt werden. Wir sind also einen Schritt weitergekommen, was allerdings noch nicht bedeutet, daß das Problem endgültig zufriedenstellend gelöst ist. Diese Verbesserungen der Vertragsgestaltung tragen zusammen mit unserem Bemühen um eine langfristige Planung und - das ist von entscheidender Bedeutung - eine gewisse Standardisierung der Projekte - beide Ziele müssen nämlich erreicht werden - dazu bei, den wertvollen Erfahrungsschatz unserer Fachkräfte länger zu nutzen. An der Standardisierung der Projekte wird gerade in den letzten Monaten entscheidend gearbeitet. Die Überprüfung aller 3000 Projekte, von der ich gesprochen habe, wird uns hier einen wesentlichen Schritt weiterbringen, damit wir eine Standardisierung sobald wie möglich erreichen.
In Frage 7 fragen CDU/CSU und SPD nach der Öffentlichkeitsarbeit. Hier handelt es sich um drei Bereiche: die Information der deutschen Offentlichkeit, die Öffentlichkeitsarbeit in den Entwicklungsländern und, was nicht unterschätzt werden darf und was oft vergessen wird, die Aufklärung über deutsche Maßnahmen in den anderen Geberländern. Ohne diese Aufklärung in den anderen Geberländern könnte dort fälschlicherweise der Eindruck entstehen, daß die Bundesrepublik nicht bereit sei, sich in dem notwendigen Maße zu engagieren.
Diese drei Arbeitsgebiete erfordern jeweils andere Methoden. Die Öffentlichkeitsarbeit in der Bundesrepublik muß von der Tatsache ausgehen, daß in der breiten Offentlichkeit noch immer falsche Vorstellungen über die Entwicklungspolitik herrschen. Anläßlich der Bekanntgabe einer Kapitalhilfe von 40 Millionen DM an Persien hat sich leider noch einmal in aller Deutlichkeit gezeigt, welche falschen Vorstellungen herrschen. Vielleicht hat auch unsere Informationspolitik ein wenig dazu beigetragen, denn es ist nicht deutlich zum Ausdruck gekommen, daß mit dieser Kapitalhilfe ein großer Auftrag für die deutsche Industrie verbunden war und daß es sich um die Elektrifizierung eines Teiles des Landes handelt. Diese Hilfe ist nicht leichtfertg gewährt worden, sondern Wochen und Monate ist sehr konkret und sehr nüchtern über diese Dinge gesprochen worden. Es gilt hier, die Bedeutung der Entwicklungspolitik an Hand von Fakten. nüchtern darzustellen. Ich glaube, wir haben in der Vergangenheit zu oft Zahlen genannt. Wir müssen viel mehr über Fakten reden. Wir müssen unsere Arbeitsweise und unsere Möglichkeiten illusionslos schildern und den Vorurteilen durch klare Information und mit überzeugender Argumentation entgegentreten.
Unsere offene und sachliche Unterrichtung hat zu einer im wesentlichen positiven Einstellung der Massenmedien zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung geführt. Presse, Rundfunk und Fernsehen
bringen den entwicklungspolitischen Problemen großes Verständnis entgegen, was selbstverständlich nicht ausschließt, daß sie Einzelmaßnahmen zum Teil sehr kritisch beurteilen. Ich möchte sagen, daß wir gerade diese kritische Beurteilung von Einzelmaßnahmen und bestimmten Projekten doch nur begrüßen können und daß das im Interesse der im Gang befindlichen Diskussion liegt.
Die Öffentlichkeitsarbeit in den Entwicklungsländern zielt darauf ab, unsere Entwicklungshilfe so darzustellen, daß sie politisch nachhaltig wirksam wird und zur Verbesserung der Beziehungen zu den Nehmerländern beiträgt. Herr Kollege Ertl hat die Frage der Propaganda der Ostblockländer angesprochen. Ich bin der Meinung, daß diese Propaganda sehr ausgewogen beurteilt wird. Ich glaube, in der Zwischenzeit können die Entwicklungsländer sehr deutlich zwischen rein propagandistischen Maßnahmen und wirklichen Leistungen unterscheiden. Es gibt jedenfalls eine Reihe positiver Beweise dafür, daß die Propaganda nur eine gewisse Zeit aufrechtzuerhalten ist und daß nach einer bestimmten Zeit nur die reale Leistung gewertet wird. Unsere Auslansdvertretungen tragen durch geeignete Maßnahmen dazu bei, daß die deutsche Entwicklungshilfe für die Bevölkerung des Nehmerlandes zu einem positiven Element im Deutschlandbild wird. Das Schwergewicht liegt hierbei auf der projektbezogenen Presse-, Rundfunk- und Fernseharbeit.
Als dritten Tätigkeitsbereich werden wir in Zukunft stärker die Information der anderen Geberländer über die deutschen Maßnahmen pflegen müssen. Die 1 %-Klausel und die DAC-Jahresexamen haben in den einzelnen Geberländern das Interesse für das Entwicklungshilfevolumen und auch die Methoden der anderen Industrieländer verstärkt. Hier ist eine neue Aufgabe entstanden, deren Bedeutung gerade für uns nicht verkannt werden darf. Die Bundesregierung begrüßt es daher dankbar, daß das Hohe Haus sich für eine wesentliche Erhöhung der Mittel der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt hat. Damit sind wir jetzt in der Lage, die Leistungen und Vorhaben der deutschen Entwicklungshilfe im In- und Ausland durch geeignete Maßnahmen wirksamer herauszustellen.
Ich möchte jetzt die Fragen der FDP beantworten, soweit sie nicht bereits wegen ihres Sachzusammenhangs mit anderen Fragen beantwortet worden sind. In Frage 1 möchte die FDP wissen, ob auch diese Bundesregierung der Meinung ist, daß .die Entwicklungspolitik eine Aufgabe auf lange Sicht ist und welche Folgerungen und Maßnahmen sie daher auf den Gebieten .der Personalplanung, des Haushaltsrechts und des Mittelansatzes zu ziehen gedenkt. Ich glaube sagen zu dürfen, daß auch diese Bundesregierung die wichtige Schlüsselfunktion der Entwicklungspolitik für die künftige Stellung unseres Landes in der Welt nicht verkennt. Das ist in der Regierungserklärung eindeutig festgestellt worden.
Im einzelnen wurden hieraus folgende Konsequenzen gezogen. Für den Bereich der Personalplanung darf ich auf meine schriftliche Antwort vom 23. Februar 1967 auf eine Anfrage des Kollegen Dr. Jahn ({0}) verweisen. An dieser Stelle darf ich mich darauf beschränken, die wichtigsten Grundzüge zu skizzieren, um nicht alle Einzelheiten aufzeigen zu müssen.
Die Bundesregierung bemüht sich, den Personal- bedarf vorausblickend zu erkennen und entsprechende Vorsorge zu treffen. Sie verfügt heute über geeignete Ausbildungs- und Vorbereitungsmöglichkeiten für alle wichtigen Expertengruppen. Eine weitere Verbesserung der langfristigen Personalplanung kann von der in Angriff genommenen Standardisierung - und das ist von entscheidender Bedeutung - unserer Projekte der Technischen Hilfe erwartet werden. Dazu gehört auch, daß man von Anfang an den Mut hat, zu sagen, was man nicht machen kann, und daß man nicht Erklärungen abgibt, wo man mit Sicherheit nicht in der Lage ist, das Notwendige zu leisten.
Auf dem Gebiet ,des Haushaltsrechts beabsichtigt die Bundesregierung, die besondere Problematik langfristiger Maßnahmen im Ausland im Zusammenhang mit der Haushaltsrechtsreform zu berücksichtigen. Es wird insbesondere darauf ankommen, erstens den Haushaltsvollzug zu straffen, um eine möglichst weitgehnde Verwaltungsvereinfachung zu erreichen, zweitens das Eingehen von Verpflichtungen und deren Abwicklung unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im Bereich der Entwicklungshilfe neu zu regeln, und drittens vor allen Dingen auch das Verhältnis des Bundes zu den privaten Organisationen, die Entwicklungshilfeaufgaben wahrnehmen, im Rahmen einer umfassenden Neuregelung der Gewährung von Zuwendungen neu zu gestalten. Wir sind dankbar, daß dazu auch aus dem Hause eine Reihe konkreter Vorschläge vorliegt.
Im Hinblick auf den Haushaltsansatz möchte ich auf die mittelfristige Finanzplanung hinweisen, die erstmals die Möglichkeit für eine mehrjährige, ausgewogene Planung unserer Politik eröffnet. Eigentlich kann man jetzt erstmalig Entwicklungspolitik auf längere Sicht planen; zumindest haben wir die Chance, für die nächsten vier Jahre Entscheidendes vorauszuplanen. Entsprechend ,der großen Bedeutung, die der Entwicklungshilfe unter den Staatsaufgaben von dieser Regierung beigemessen wird, können wir mit einem im Durchschnitt deutlichen Anstieg der Mittelbereitstellung zwischen 1967 und 1971 rechnen.
In Frage 3 wird die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft angesprochen:
Welche weiteren Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die deutsche Privatwirtschaft zu einer stärkeren Investitionstätigkeit in den Entwicklungsländern zu veranlassen?
Die Bundesregierung hat ihr starkes Interesse an einer Ausweitung der privaten Investitionen durch ein vielseitiges Förderungsinstrumentarium gezeigt. Hinzuweisen ist hier vor allen Dingen auf die Steuerhilfen, Garantien und Kredite für deutsche Investitionen in den Entwicklungsländern sowie auf den Abschluß von Investitionsförderungsverträgen
und Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. Die Investitionsförderung durch diese Vertragstypen soll auch für die Zukunft noch erweitert werden.
Die Bundesregierung hat vor einigen wenigen Tagen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes verabschiedet, der dem Hohen Hause in wenigen Tagen vorliegen wird. Der Entwurf sieht eine Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes und eine wesentliche Erweiterung des Katalogs der geförderten Kapitalanlagen in Entwicklungsländern vor. Insbesondere sollen auch Investitionen in der Form des beteiligungsähnlichen Darlehens und die Anlage in Grund und Boden begünstigt werden.
Durch besondere Bestimmungen sollen Investitionen im Banken- und Versicherungssektor sowie der Erwerb von Beteiligungen, die die Deutsche Entwicklungsgesellschaft abgibt, in die Förderung einbezogen werden. Das ist eine wesentliche Erweiterung des Katalogs, der bisher gegeben war, und ich glaube, daß uns das die Möglichkeit gibt, auf diesem Sektor weitere Fortschritte zu machen.
Die hier bereits angesprochene, vom Bund gegründete Deutsche Entwicklungsgesellschaft in Köln hat sich auf diesem Sektor als besonders erfolgreich erwiesen. Sie mobilisiert mit ihren Beteiligungsvorhaben durchschnittlich das sechsfache Investitionsvolumen. Deswegen werden dieser Gesellschaft in geeigneten Investitionsfällen auch zusätzliche Treuhandmittel aus der Kapitalhilfe zur Verfügung gestellt.
Eine weitere Belebung der Investitionsbereitschaft verspricht sich die Bundesregierung von Finanzierungshilfen für Investitionsstudien. Die Bundesregierung ist bereit, auf diesem Wege voranzugehen. Damit soll den Unternehmern ein Anreiz geboten werden, die Anlagemöglichkeiten auch in noch weitgehend unbekannten Märkten zu prüfen.
Frage 4 ist bereits beantwortet.
In Punkt 5 fragt die FDP nach dem Verhältnis von Entwicklungspolitik und Außenpolitik zueinander und ob die Bundesregierung glaube vermeiden zu können, daß sie durch politischen Druck zur Hingabe von Entwicklungshilfe veranlaßt werden könne. Diese Frage ist auch von dem Kollegen Brück bei der Begründung der Großen Anfrage der Regierungskoalition sehr deutlich angesprochen worden.
Die teilweise sehr krassen Unterschiede in den Lebensbedingungen zwischen den hochindustrialisierten Nationen einerseits und den wirtschaftlich noch wenig entwickelten Ländern andererseits erfordern neue Formen zwischenstaatlicher Beziehungen. In diesem Sinne ist die Entwicklungspolitik zu einem wichtigen Bestandteil der Außenpolitik geworden. Das gilt für die Bundesrepublik ebenso wie für die anderen großen Industriestaaten.
Entwicklungspolitik ist jedoch mehr als nur Element der Außenpolitik, ebenso wie sich andererseits die zwischenstaatlichen Beziehungen zu den Ländern der Dritten Welt nicht allein auf entwicklungspolitische Kontakte beschränken. Entwicklungspolitik ist vielmehr eine neue, eigenständige Aufgabe mit eigenen Zielsetzungen und selbstverständlich auch eigenen Methoden.
Bei der Vergabe unserer Mittel spielen alle diese entwicklungspolitischen Zielsetzungen eine Rolle. Die Erfahrung hat uns ganz eindeutig gezeigt, daß es für den langfristigen entwicklungspolitischen Erfolg einer Hilfe vor allem darauf ankommt, daß sinnvolle Projekte ausgewählt werden. Wirtschaftlich verfehlte Vorhaben können letztlich auch die politischen Beziehungen eher belasten als fördern.
Im außenpolitischen Bereich geht es der Bundesregierung vor allen Dingen darum, Regierungen und Völker der Dritten Welt in ihrer positiven Grundhaltung uns gegenüber zu festigen. Wo von vornherein die Bereitschaft zur freundschaftlichen Zusammenarbeit bestand, hat die Entwicklungspolitik in vielen Fällen Kontakte hergestellt, die zum offenen Dialog über die lebenswichtigen Probleme beider Partner geführt und auf diese Weise die Beziehungen verbessert haben. Sollten einzelne Länder - das sei in aller Deutlichkeit gesagt -jedoch versuchen, die deutsche Teilung gegen uns auszunutzen, wird die Bundesregierung gelassen reagieren und sich nicht zu Zugeständnissen drängen lassen. Das ist ein wichtiger Punkt bei dem Verhältnis von Außenpolitik und Entwicklungspolitik. Ich glaube, daß man nur eine derartige Haltung annehmen kann. Es kommt darauf an, daß man einerseits nicht die Absicht hat, jemand zu kaufen, und sich andererseits von niemand erpressen läßt.
Frage 6 der FDP-Fraktion bezieht sich auf die Möglichkeiten, die die Bundesregierung auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik in der Zusammenarbeit mit osteuropäischen Staaten sieht. Einige der von uns unterstützten Entwicklungsländer erhalten auch in nicht geringem Maße Hilfen aus den osteuropäischen Ländern. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß heute das Verhältnis zu diesen anderen Geberländern in der Entwicklungspolitik dadurch bestimmt sein sollte, daß das gemeinsame Ziel der Entwicklung der Nehmerländer im Vordergrund steht. Auf die Dauer nutzt es weder einem westlichen noch einem östlichen Geber, noch weniger den Entwicklungsländern, wenn jedes der Geberländer ohne Rücksicht auf entwicklungspolitische Maßnahmen des anderen bestimmte Vorhaben durchführt. Hier geht es um ein Bemühen, dort, wo die Möglichkeiten gegeben sind, zu einer positiven Zusammenarbeit zu kommen. So erscheint es mir z. B. wenig sinnvoll, wenn Ausbildungssysteme nebeneinander aufgebaut werden, die nicht zusammenpassen oder sich sogar stören. In solchen und ähnlichen Fällen sind durchaus Formen der Koordinierung denkbar, die für das Nehmerland einen größeren Erfolg versprechen, ohne die einzelnen Geber in ihrer Eigenart wesentlich einzuengen. Darauf muß selbstverständlich auch Wert gelegt werden.
Wenn auch für eine direkte Zusammenarbeit noch keine Beispiele angeführt werden können, so ist doch zumindest in einigen Fällen eine stillschweigende und nicht unwirksame Anpassung festzustellen. Dies ist zweifellos ein Fortschritt, von dem wir hoffen, daß er sich noch weiter verfolgen läßt.
Schon heute hat eine neue Haltung in dieser Frage zur Folge, daß manche Probleme des Entweder-Oder in der Entwicklungshilfe entfallen.
Darüber hinaus ist die Bundesregierung bereit, mit den osteuropäischen Ländern, mit denen sie sich auf verschiedenen Wegen um bessere Kontakte bemüht, auch im entwicklungspolitischen Bereich in konkreterer Form zusammenzuarbeiten, wenn sich hierfür erfolgversprechende Ansatzpunkte zeigen. Diese Haltung deckt sich mit der Empfehlung der vom Deutschen Bundestag angeregten internationalen Parlamentarierkonferenz vom April dieses Jahres.
In der 7. und letzten Frage möchte die FDP-Fraktion die Möglichkeiten wissen, die die Bundesregierung sieht, in Zukunft innerhalb der Arbeit des Europäischen Entwicklungsfonds und anderer multilateraler Institute stärker als bisher wirtschaftlich und personell in Erscheinung zu treten.
Die Bundesrepublik ist in einer Vielzahl multilateraler Entwicklungshilfeinstitutionen personell und materiell beteiligt, wobei der deutsche Anteil gemessen an den Beiträgen unterschiedlich ist. Der Lieferanteil der deutschen Wirtschaft bei den beiden großen Organisationen Weltbank und Internationale Entwicklungsorganisation ({1}) ist sehr günstig. Eine Kapitalbeteiligung von 5,7 % bei der Weltbank steht ein deutscher Lieferanteil im Geschäftsjahr 1965/1966 von 13,3 % gegenüber. Bei der Internationalen Entwicklungsorganisation ist dieses Verhältnis ähnlich günstig. Die von der Weltbank und der Internationalen Entwicklungsorganisation finanzierten Leistungen werden weltweit ausgeschrieben. Der Zuschlag erfolgt nach der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.
Ausgesprochen ungünstig ist, das muß in aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, immer noch die Beteiligung deutscher Firmen an den Aufträgen des Europäischen Entwicklungsfonds. Bis Ende 1966 flossen nur knapp 10 % der von uns zu etwa 34 O/o getragenen Gesamtausgaben des Fonds an deutsche Firmen. Diese Unterbeteiligung ist im wesentlichen auf den hohen Anteil von Bauleistungen am Auftragsvolumen des Fonds zurückzuführen, bei dem naturgemäß die ortsansässigen Firmen einen erheblichen Vorsprung haben. Bei den Lieferungen und intellektuellen Leistungen entspricht unser Auftragsanteil besser unserem finanziellen Beitrag. Die Bundesregierung wird in ihren Bemühungen nicht nachlassen, auch das Gesamtergebnis für uns befriedigend zu gestalten. Entsprechende Gespräche in Brüssel und in Paris sind in der Vergangenheit nachdrücklich geführt worden. Auf Antrag der Bundesregierung hat der Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kürzlich eine Entschließung verabschiedet, in der die Kommission aufgefordert wird, auf verbesserte Wettbewerbsbedingungen hinzuwirken. Immerhin kann ein gewisses Ansteigen des deutschen Auftragsanteils festgestellt werden. Die deutsche Wirtschaft sollte die Bemühungen der Bundesregierung durch eine rege Beteiligung an den Ausschreibungen unterstützen.
Der deutsche Anteil am Personal der jüngeren internationalen Organisationen ist durchaus angemessen. Ich sage bewußt: der jüngeren. In den älteren läßt unser Anteil jedoch noch zu wünschen übrig. Das gilt besonders für die gehobenen Positionen. Diese Organisationen sind bemüht - und die Bundesregierung hat entsprechende Vorkehrungen getroffen -, die Situation zu verbessern.
Ich darf nach Beantwortung aller Fragen eine kurze Schlußbemerkung machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit hat die Bundesregierung zu allen in beiden Großen Anfragen zur Entwicklungspolitik aufgeworfenen Fragen Stellung genommen. Es war mir selbstverständlich nicht möglich, auf alle Probleme einzugehen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß meine Antwort ein wenig lang geworden ist. Ich sage noch einmal, vierzehn Fragen waren zu beantworten. Ich hoffe jedoch, daß es mir gelungen ist, deutlich zu machen, daß die Bundesregierung der Großen Koalition der Entwicklungspolitik eine hervorragende Bedeutung beimißt und daß sie sich sehr ernsthaft um sachgerechte Lösungen bemüht.
Obwohl wir uns hier auf einem außerordentlich schwierigen Terrain bewegen, das neuartige Orientierungsmittel und mit keiner anderen Aufgabenstellung vergleichbare Methoden erfordert, glaube ich doch sagen zu dürfen, daß wir heute eine Gesamtkonzeption erarbeitet haben, die es uns erlaubt, einen klaren Kurs zu steuern. Sie berücksichtigt sowohl die außenpolitischen Zusammenhänge wie die hervorragende Bedeutung der Entwicklungspolitik für unsere eigene wirtschaftliche Zukunft. Sie beachtet aber auch die immer ausgeprägtere Differenzierung innerhalb der Entwicklungsländer. Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß es keinen Schlüssel der Weisen gibt, den man nur zu linden braucht und der ein für allemal seine Gültigkeit behält. Alle Probleme und alle Lösungsmöglichkeiten werden sich auch hier immer in einer gewissen Entwicklung befinden. Die wirtschaftliche und die politische Szene wandeln sich dauernd. In den Entwicklungsländern entstehen neue Probleme. Die Entwicklungspolitik muß dieser Dynamik folgen. Wir stehen erst am Anfang einer großen Zukunftsaufgabe.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Geduld.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiep.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist bedauerlich, daß die Debatte über ein solch wichtiges Thema wie das der Entwicklungshilfe vor einem so leeren Hause stattfinden muß. Das hat zwei Gründe. Einmal mangelt es der Entwicklungshilfe noch an dem Platz unter den politischen Prioritäten, der ihr zukommt, zum anderen ist die Ursache auch in dem Ablauf einer Debatte in diesem Hause zu sehen, wie er durch die Große Anfrage an die Bundesregierung hervorgerufen ist. Ich glaube, wir sollten uns im Interesse der Sache, im Interesse einer wirklich lebhaften Diskussion und einer lebhaften Teilnahme
des ganzen Hauses an dieser Diskussion doch erneut Gedanken darüber machen, ob diese Form der Beantwortung einer Großen Anfrage und die Form der Debatte, die sich daran anschließen sollte, wirklich sinnvoll und zweckmäßig sind.
An sich findet diese Debatte über die Entwicklungshilfe zu einem guten Zeitpunkt statt. Die Resonanz zum Thema Entwicklungshilfe ist draußen weitgehend negativ. Der Optimismus der ersten „Gründerjahre" ist vorbei. Entwicklungshilfe wird kritisch, nüchtern und realistisch betrachtet. Die Kluft zwischen den Industrienationen des Nordens und den Ländern des Südens hat sich trotz unserer Bemühungen weiter vergrößert. Es ist noch nicht abzusehen, wann es unseren Anstrengungen gelingen wird, wenigstens zu einem Stillstand in der Abwärtsentwicklung zu kommen. Daher 'ist es gut und nützlich, einmal in diesem Hause, dem Parlament der Bundesrepublik Deutschland, die in der Liste der Industrienationen als Nr. 4 zur Lösung dieser Probleme wesentliche Beiträge leistet, hierüber zu sprechen.
Hinsichtlich der politischen Aspekte der Entwicklungshilfe kann ich den Ausführungen unseres Kollegen Brück weitgehend zustimmen. Über die Technik der Entwicklungshilfe hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ausführlich gesprochen. Erlauben Sie mir einige wenige kurze Bemerkungen zu weiteren politischen Aspekten und zu einigen wirtschaftlichen Überlegungen, die vielleicht im Zusammenhang mit der Entwicklungshilfe von Interesse sein können.
Aus den Ausführungen des Kollegen Brück ist ganz deutlich hervorgegangen - ich möchte das noch einmal unterstreichen, um Enttäuschungen vorzubeugen und um der ganzen Diskussion eine wirklich realistische Basis zu geben -, daß Entwicklungshilfe unter gar keinen Umständen ein Instrument zur Lösung politischer Tagesfragen sein kann. Entwicklungshilfe muß, wenn sie erfolgreich sein soll, aus der Natur der Sache langfristig sein. Sie kann also nur als Instrument einer langfristigen Außenpolitik verstanden werden. Alle Versuche, anders vorzugehen, werden zu Enttäuschungen führen, zu 'Enttäuschungen nicht nur in diesem Hause, sondern zu großen Enttäuschungen vor allen Dingen auch in unserer Bevölkerung, die ja die Entwicklungshilfe mit Recht irgendwie im Zusammenhang auch mit unseren nationalen Problemen und Belangen sieht.
Ich glaube, daß die Entwicklungshilfe - auch das Ist schon angeklungen - ein wichtiges Instrument der Selbstdarstellung unseres Volkes und unseres politischen Wollens ist, ohne die wir heute gar nicht mehr auskommen könnten. Man könnte sogar fast sagen, daß die Entwicklungshilfe heute vielleicht das einzige wirkungsvolle Mittel zu dieser Selbstdarstellung ist, deren wir als Deutsche ganz besonders bedürfen.
Die Entwicklungshilfe hat ein primäres politisches Ziel und ist von diesem Ziel her gesehen im Interesse unseres eigenen Volkes notwendig. Es ist dies das Ziel, einen Beitrag zu leisten zur Sicherung des Weltfriedens. Diese Friedenssicherung, die in der Entwicklungshilfe steckt, kann nicht oft genug in den Vordergrund gestellt werden. Sie gehört als notwendiger Teil zu der Friedenspolitik der Bundesregierung, und wir sollten in den Gesprächen mit den Bürgern in unserem Lande, die dieser Aktivität kritisch gegenüberstehen, darauf hinweisen, daß die Sicherung des Weltfriedens auf die Dauer nicht möglich sein wird, wenn es nicht gelingt, den Gegensatz zwischen Nord und Süd zu überbrücken oder zumindest zu mildern. Zu dieser Überbrückung beizutragen ist auch eine Aufgabe des deutschen Volkes, die in seinem ureigensten Interesse wahrgenommen wird.
Selbstverständlich gehören auch die Ziele der deutschen Außenpolitik mit in den Komplex dieser Entwicklungspolitik. Die wichtigste Aufgabe im Verkehr mit den Ländern der „Dritten Welt" sollte nicht so sehr das Gespräch über Geld sein, nicht so sehr das Gespräch über dieses oder jenes Projekt. Die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik sollten sich vielmehr besonders darum bemühen, Solidarität zu schaffen, Solidarität zwischen uns und diesen Ländern, Solidarität auch in der entscheidenden Frage des Selbstbestimmungsrechts für unser Volk. Die Unterhaltung mit unseren Partnern, die jetzt schon einige Jahre läuft, sollte sich nicht darauf beschränken, daß ständig entweder über Geld oder unsere politischen Wünsche gesprochen wird. Es sollte vielmehr ein gewisses Verständnis auch für die Probleme der anderen aufgebracht werden.
In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auch darauf hinzuweisen - das ist noch nicht so recht zum Ausdruck gekommen -, daß wir erwarten müssen, daß auch in den Entwicklungsländern stärkere Anstrengungen zu einem Beitrag zur Lösung der Probleme dieser Länder gemacht werden.
Herr Kollege Kiep, würden Sie erlauben, daß ich ein paar Worte sage und Sie für eine Minute unterbreche.
Wir haben nämlich die große Freude, meine verehrten Damen und Herren Kollegen, eine Delegation des Parlaments der Republik Somalia unter uns zu haben, die soeben auf der Diplomatentribüne Platz genommen hat.
({0})
Ich möchte die Herren unter der Führung ihres Präsidenten Sheikh Mukhtar Mohamed Hussein auf das herzlichste begrüßen. Sie nehmen an einer Debatte teil - rein zufällig, muß ich sagen -, die Sie sicherlich .der Materie nach besonders interessieren wird. Ich hoffe, daß Ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik für Sie fruchtbar sein wird, daß Sie sich wohl fühlen und daß Sie gute Erinnerungen mit nach Hause nehmen werden.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Kiep..
Meine Damen und Herren, ich sprach davon, daß wir gewisse Leistungen der EntKiep
wicklungsländer als notwendig 'erachten, damit unsere gemeinsamen Bemühungen .zum Erfolg führen. Dazu gehören neben wirtschaftlichen und finanziellen Dingen insbesondere auch ein größeres Verständnis für Änderungen der gesellschaftlichen und sozialen Strukturen in diesen Ländern, eine Verbesserung der Steuersysteme, kurzum, die Schaffung eines besseren Klimas, das es uns auch erleichtert, unsere Leistungen zum Aufbau dieser Länder hier bei uns zu vertreten. Erfreuliche Ansätze sind hier erkennbar. Ich denke an gewisse Länder, die damit beginnen, gerade ihre Agrarstruktur - und hierauf möchte ich noch kurz zu sprechen kommen - neu zu gestalten, umzugestalten, um die Feudalverhältnisse der Vergangenheit durch ein System der Bodenbearbeitung abzulösen, das einige Aussicht darauf bietet, daß in dieser wichtigen Frage Fortschritte erzielt werden.
Die Agrarfrage ist mit Recht in den Vordergrund gestellt worden. Herr Minister Wischnewski hat darauf hingewiesen, daß ein wesentlicher Anteil unserer Kapitalhilfe und unserer Technischen Hilfe auf dieses Gebiet konzentriert ist und wahrscheinlich in Zukunft in steigendem Maße konzentriert werden wird. Mit Nahrungsmittellieferungen allein ist es nicht getan. Es ist notwendig, an Ort und Stelle die Struktur zu verbessern.
Aber auch die Nahrungsmittellieferungen werden in der absehbaren Zukunft weiterhin notwendig sein. Man sollte einmal überlegen, welche Bedeutung es hat, daß ein Land wie die Vereinigten Staaten seine Landwirtschaftspolitik nunmehr tatsächlich um 180 Grad gewendet hat und nicht mehr den Farmer durch besondere Belohnungen auszeichnet, der seinen Anbau verringert, sondern wieder auf volle Produktion umgeschaltet hat. Es wäre vielleicht auch ganz nützlich, wenn sich die Landwirtschaft in Europa einmal mit diesem Thema befaßte und einmal überlegte, ob es wirklich opportun ist, in diesem Zeitpunkt, wo wir einer Periode mit einer Ernährungslücke entgegengehen, deren Ausmaße noch gar nicht abzusehen sind, bei uns in Europa die Anbaufläche ständig zu verringern, als ob es solche Ernährungsprobleme in der Zukunft der Menschheit nicht mehr geben würde.
({0})
Erlauben Sie mir einige kurze ergänzende Bemerkungen zu den Ausführungen von Minister Wischnewski, des Kollegen Brück und des Kollegen Ertl zu den Fragen der Wirtschaft. Über die wirtschaftliche Bedeutung der Entwicklungshilfe für unser Land is,t ausführlich gesprochen worden, über die Bedeutung, die darin liegt, daß hier einerseits neue Märkte gefunden und später gesichert werden, daß andererseits die Entwicklungsländer für unser Land eine Rohstoffbasis darstellen und daß der Rückfluß von Aufträgen aus der Kapitalhilfe an die deutsche Wirtschaft wesentlich zu unserer wirtschaftlichen Vollbeschäftigung beiträgt. Es ist auch erwähnt worden, daß die Bundesregierung gerade die Privatwirtschaft weiter ermuntern möchte, in dieser Richtung tätig zu werden, und zwar aus der völlig richtigen Überlegung heraus, daß überall dort, wo die Privatwirtschaft ein solches Projekt, eine solche Aufgabe übernimmt, Mittel des Staates für andere Aufgaben frei werden. Leider ist die Zahl der Projekte in den Entwicklungsländern, die sich für private Betätigung überhaupt nicht eignen, sehr groß, so daß man diese Bemühungen unterstützen sollte.
Hierzu wird diesem Haus von der Bundesregierung der Entwurf für eine Novellierung des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes zugeleitet werden. In diesem Entwurf sind einige Verbesserungen gegenüber dem alten Gesetz vorgesehen. Allerdings erscheint uns das Gesetz auch noch in anderen Punkten verbesserungsbedürftig, und wir werden in den Ausschüssen dieses Hauses Gelegenheit haben, die' meiner Ansicht nach berechtigten Wünsche nach einer Verbesserung des Regierungsentwurfs - in Richtung auf eine weitere Ausdehnung der Anwendbarkeit dieses Gesetzes - vorzutragen.
Die Bundesregierung sollte auch einmal überlegen, ob es nicht für die deutsche Wirtschaft interessant wäre, ein Institut zu schaffen oder ein bestehendes Institut mit Bundesmitteln so auszustatten, daß es in der Lage ist, Großprojekte der deutschen Wirtschaft bzw. von deutschen Konsortien im Ausland vorzubereiten. Ich denke an eine Einrichtung, wie sie in den Vereinigten Staaten z. B. die Ex- und Importbank darstellt. Unsere Industrie ist in steigendem Maße auf solche Großprojekte angewiesen, und ohne die notwendige Finanzierungsbasis werden wir es erleben müssen, daß die Industrie, obwohl sie technologisch auf der Höhe und wettbewerbsfähig ist, an dem Unvermögen scheitert, mit den finanziellen Möglichkeiten der anderen zu konkurrieren. Ich glaube, daß ein Institut wie z. B. die Kreditanstalt für Wiederaufbau hierfür hervorragend geeignet wäre.
Ich bitte auch zu überlegen, ob man für Investitionen der deutschen Wirtschaft in Entwicklungsländern nicht zusätzliche Anreize dadurch schaffen könnte, daß man in besonders geprüften Fällen zinsverbilligte Bundeskredite für solche Investitionen zur Verfügung stellt. Das hätte, wenn dadurch deutsche Kapitalhilfe ersetzt werden könnte, den großen Vorteil, daß die Dinge in einer Hand bleiben, daß unserer Wirtschaft geholfen wird, während auf der anderen Seite Bundesmittel frei werden, die an anderer Stelle eingesetzt werden können. Diesen Vorschlag sollte man erwägen, und ich wäre dankbar, wenn uns die Bundesregierung zu einem angemessenen Zeitpunkt ihre Reaktion auf diesen Vorschlag mitteilte.
Ich komme zum Schluß. Ich darf noch einmal zusammenfassend sagen, daß Entwicklungshilfe eine entscheidende Aufgabe, ein entscheidender Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens ist, daß die politischen, humanitären und wirtschaftlichen Rechtfertigungen für diese Tätigkeit des Staates auf der Hand liegen. Ich bin der Meinung, daß diese Aufgabe der Überbrückung des Gegensatzes zwischen Nord und Süd - wobei zu dem Norden, auf lange Sicht gesehen, auch die Industrienationen des Ostens hinzugezählt werden müssen - die größte Herausforde6258
rung ist, die jemals an eine Generation junger Europäer gerichtet worden ist.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kahn-Ackermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Haus schuldet dem Minister Dank für die Klarheit, für die Solidität und die sachbezogene Realistik seiner Antwort auf die beiden Großen Anfragen. Die Antwort hat eindeutig klargestellt, daß wir als zweitgrößte Handelsnation dieser Erde ein originäres Interesse daran haben, daß nicht nur diese unsere Position in der Welt uns erhalten bleibt und ausgebaut wird, sondern daß wir auch unsere Verpflichtungen in der Welt zur Sicherung des Friedens, zur Bekämpfung des Hungers und zu jenem Beitrag erfüllen, daß jener andere Teil der Welt mehr und mehr seine wirtschaftliche Kraft so aufzubauen vermag, daß er ein selbständiger Handelspartner für uns wird. Von meinen Vorrednern und auch von Ihnen, Herr Minister, ist deutlich gesagt worden, daß darin die eigentliche Aufgabe unserer Entwicklungshilfe liegt.
Übrig bleibt die Frage, ob mit dem, was wir leisten, genug geleistet wird. Sicherlich wäre es wünschenswert, wenn wir da auf manchen Gebieten noch ein bißchen mehr tun könnten, auch im Hinblick auf das Interesse, auf einzelnen Kontinenten nicht von den Märkten weggedrängt zu werden. Da sind Gefahren vorhanden. Aber wir alle wissen, daß wir uns im Rahmen dessen, was wir an Haushaltsmitteln zur Verfügung stellen können, bewegen müssen, nachdem die Aussichten, daß wir diese Operationen wie in früheren Jahren in weitem Umfang aus privaten Mitteln und auf dem Wege von privaten Investitionen bestreiten können, in Zukunft weniger rosig sind.
Sie haben eindeutig zu dem Thema Stellung genommen, ob es möglich ist, dem privaten Sektor eine größere Chance einzuräumen. Über einiges, was die Regierung tun kann, ist gesprochen worden. Aber auf der anderen Seite muß man auch klar sehen, daß politische Stabilität und Gewinnchancen - die Möglichkeit, die Gewinne auch herausnehmen zu können - in weitem Umfange Anreize zu privaten Investitionen darstellen. In dieser Hinsicht kann die Bundesregierung, abgesehen von Kapitalsicherungsverträgen und von jener Novelle zu dem Entwicklungshilfe-Steuergesetz, die sie uns vorlegen will, verhältnismäßig wenig tun. Aber ich begrüße den Vorschlag, den Sie, sehr verehrter Herr Kollege Leisler Kiep, hier gemacht haben. Die Anregung ist sicher nützlich.
Es ist gut, wenn wir uns auf zwei Entwicklungen vorbereiten. Bei den vor uns liegenden Aufgaben sollte sich niemand darüber im unklaren sein, daß wir Operationen dieser Art - bisher wurden sie Entwicklungshilfe genannt; ich weiß nicht einmal, ob das ein so hervorragender Ausdruck dafür ist, manchmal wünschte ich, wir hätten ein besseres Wort dafür - sicherlich noch auf eine Generation hinaus werden durchführen müssen. Es zeichnet sich doch sehr deutlich ab, daß man sowohl im Kreis der Geberländer als auch im Kreis der Nehmer-länder bemüht ist, manches, was jetzt jeder auf seine Weise tut, in Zukunft doch nach gewissen gemeinsamen Grundsätzen durchzuführen. Daß das bisher nicht zu einem greifbaren Ergebnis geführt hat, liegt daran, daß natürlich die politische und auch die handelspolitische Interessenlage unterschiedlich ist.
Gerade in diesen Stunden versammeln sich in Algier die Nehmerländer, um ihre Stellungnahme für die Welthandelskonferenz vorzubereiten, die im kommenden Jahr in Neu-Delhi stattfindet. Auch dort steht die Frage auf der Tagesordnung, ob diese Länder zu gemeinsamen Auffassungen über die Stabilisierung von Rohstoffpreisen, über eine gemeinsame Devisenpolitik und über eine gemeinsame Handelspolitik kommen können. Was immer das Ergebnis sein wird - und selbst wenn diese Unterhandlungen in Algier noch kein greifbares Ergebnis sichtbar werden lassen -, man sieht doch deutlich die Bemühungen um einen Kurs, der im kommenden Jahrzehnt ganz bestimmt Gestalt annehmen wird. Man tut gut, sich darauf vorzubereiten.
In diesem Zusammenhang müssen wir unser Augenmerk auch darauf richten, daß wir es diesen Ländern mehr und mehr ermöglichen, zu stabilen Wechselkursen ihrer Währungen zu kommen. Ich glaube, Herr Minister, in diesem Punkt werden Sie wohl nicht umhinkönnen, auch mit einigen Ihrer Kabinettskollegen zu sprechen. Denn wenn gerade jene Länder, die an der Schwelle einer gewissen Umstrukturierung ihrer Wirtschaft stehen und die, wie ich sagen möchte, das erste Stadium der Industrialisierung soeben zu überschreiten im Begriffe sind, nicht die Möglichkeit haben, mit ihren industriellen Erzeugnissen und Halbfertigerzeugnissen die in den Industriestaaten noch fast überall vorhandenen Zollbarrieren zu überwinden und ihren Export zu erweitern, wird es sehr viel länger dauern, bis diese Wechselkursstabilität und damit natürlich auch ein besserer Ausgleich der Außenhandelsbilanzen erreicht sind. Ich frage mich manchmal, was billiger sein wird: wenn wir in diesem Punkt unsere Märkte weiter öffnen, als das bisher der Fall ist, oder wenn wir zwangsläufig immer wieder durch Umschuldungsaktionen und andere Operationen die Devisen- und die Handelsbilanz dieser Länder stützen.
Sicherlich muß man dabei berücksichtigen, daß alle diese Länder gewisse Schwierigkeiten haben. Man ist schnell mit der Kritik bei der Hand. Aber auch wir selber setzen uns ja gewisse Prioritäten, z. B. für Verteidigungsaufgaben, für Investitionen zur Verbesserung der Sozialstruktur. Man darf nicht übersehen, daß auch in vielen dieser Länder, deren Wirtschaftskurs von uns heute manchmal gescholten wird, ein originäres Interesse an diesen politischen Aufgaben besteht. In der Politik dieser Entwicklungsländer werden diesen Aufgaben Prioritäten eingeräumt werden, die sicher unseren handelspolitischen und auch wirtschaftspolitischen Wünschen,
die wir in diesem Zusammenhang haben, entgegenlaufen.
Man muß unseren Beitrag zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern unter zwei Aspekten sehen. Einmal muß gefragt werden, ob das, was wir tun, im weltweiten Maßstab seinen Platz ausfüllt. Dabei darf man nie übersehen, daß die deutsche Entwicklungshilfe, auch wenn zur Zeit nur 20 % im multilateralen Sektor gegeben werden, doch ihren Platz ausfüllt in den Bemühungen aller Industrienationen, gemeinsam das Problem, das wir mit den jungen Nationen und ihrem Wirtschaftswachstum haben, zu bewältigen. Der zweite Aspekt besteht in der Frage, ob unsere Operationen in diesem Rahmen die notwendige Effizienz haben. Einen gewissen Risikofaktor muß man bei all diesen Geschäften und Operationen einkalkulieren. Unter Ihrer Amtsführung, Herr Minister, sind die Bemühungen, dieses Risiko an der untersten Grenze zu halten, ganz deutlich sichtbar geworden. Dieses Haus begrüßt das außerordentlich. Aber Pannen und Rückschläge wird es bei einem derart abenteuerlichen Unterfangen - und es ist ein abenteuerliches Unterfangen, zu versuchen, nahezu 100 Nationen auf dieser Welt vom Punkt Null zur wirtschaftlichen und politischen Stabilität zu führen und in die Lage zu versetzen, ein guter Handelspartner zu werden - immer geben.
In diesem Zusammenhang fällt mir eine Berner-kung ein, die die große amerikanische Anthropologin Margaret Mead einmal gemacht hat. Sie hat gesagt: Es ist einfach eine Illusion, zu glauben, daß man auf jedem Flecken dieser Welt ein Paradies herbeizaubern kann. Auch mit den heutigen Mitteln der Technologie ist das nicht möglich. Wir werden immer mit der Tatsache konfrontiert sein, daß eben einige Wünsche und Aspirationen dieser Nationen nicht zu erfüllen sein werden und daß in diesen Ländern auch das Tempo hinter den Erwartungen zurückbleibt, die man anfangs in die wirtschaftliche Entwicklung gesetzt hat.
Ich bedaure es außerordentlich, daß nach wie vor auch in unserem Lande soviel global Negatives über das Ergebnis all dieser Bemühungen und auch unserer eigenen Bemühungen veröffentlicht wird. Eine Bilanz dieser Art führt zu herzlich wenig. Man kann nicht einfach Statistiken summieren. Das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern breitet sich ja nicht gleichmäßig über eine ganze Nation oder über einen halben Kontinent aus. Die Fortschritte sind regional bedingt. Viele meiner Kollegen in diesem Hause haben sich an Ort und Stelle von den Ergebnissen unserer Bemühungen und der Bemühungen anderer Partnerstaaten überzeugt. Wenn ich das Fazit der letzten 10 Jahre ziehe und messe, was aus den Krediten und Investitionen unter den politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, die bisher in diesen Ländern vorgeherrscht haben, herausgekommen ist, so muß ich sagen: das Erreichte ist in der Tat erstaunlich. In vielen Nehmerländern sieht man deutliche Ansätze zu einer wirklichen Strukturveränderung wie auch zu einer wünschenswerten neuartigen wirtschaftlichen Entwicklung. Ansätze zu einer neuen Steuerpolitik, zu einer neuen Sozialstruktur und vieles andere mehr werden sichtbar. Daß soviel erreicht worden ist, wirkt noch erstaunlicher, wenn man sich vor Augen hält, welche Hindernisse wir Im letzten Jahrhundert auf dem Wege zu unserem Wohlstand überwunden haben und überwinden mußten, wenn man das in Vergleich zu den Problemen setzt, die jene Länder zu bewältigen haben.
Noch ein Wort zu einigen Fragen, die Sie, Herr Minister, in Ihrer Antwort hier aufgeworfen haben. Es ist sicher richtig, daß die Bereitschaft zu Partnerschaftsleistungen ein bedeutsames Kriterium ist. Leider hat uns aber doch die Erfahrung gelehrt, daß sich diese Bereitschaft zu Partnerschaftsleistungen häufig nicht mit der Fähigkeit, Partnerschaftsleistungen zu erbringen, deckt. Wir sollten überall dort, wo wir ein gut ausgewähltes Projekt haben und Partnerschaftsleistungen, die versprochen worden sind, dann schließlich doch nicht geleistet werden können, nicht mit einer allzu kurzen Elle messen. Auch im wirtschaftlichen und politischen Leben dieser Länder gibt es Situationen, die sie plötzlich außerstande setzen, Zusagen einzulösen, die sie vor einem Jahr oder ein halbes Jahr zuvor gemacht haben. Das sollte man sehen.
Herr Minister, auf eine unserer Fragen hinsichtlich des sozialen Status und der sozialen Versorgung unserer Experten, die draußen arbeiten, haben Sie angekündigt, daß Lücken geschlossen werden. Ich finde das sehr erfreulich. Aber lassen Sie mich Ihnen sagen, Herr Minister: hier gibt es noch ein großes Problem, von dem mir durchaus klar ist, daß es nicht von heute auf morgen gelöst werden kann. Trotzdem müssen wir an seiner Lösung arbeiten. Die Experten, die jetzt zum Teil schon ein Jahrzehnt oder sogar noch länger für die Bundesrepublik draußen in der Welt tätig sind, sind in ihrer Arbeitsleistung und ihrer Arbeitskraft außerordentlich davon abhängig, ob zu Hause so etwas wie eine mit- oder zwischenmenschliche Empfindung für ihre Leistungen mitschwingt. Wir haben manchmal ein wenig das Gefühl, daß die Organisationen, die zur Betreuung dieser Experten in der Bundesrepublik vorhanden sind, es an diesem notwendigen menschlichen Verständnis fehlen lassen und daß häufig bei ihnen sozusagen der Vorschriftenkatalog den Tenor in der Auseinandersetzung, im Briefwechsel und auch sonst in der Behandlung dieser Experten bestimmt. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, daran zu arbeiten, daß hier eine Änderung eintritt. Ich bin auch der Meinung - ich habe das vor einem Jahr schon einmal gesagt -, daß die Bundesregierung besondere Leistungen, die für die Bundesrepublik erbracht worden sind und die, wie Sie zutreffend gesagt haben, mit dafür verantwortlich sind, daß ein bestimmtes_ Bild von der Bundesrepublik entsteht, hier zu Hause oder in dem betreffenden Lande auch würdigen sollte.
Eine Schlußbemerkung: Sie haben erfreulicherweise gesagt, Herr Minister, auf manchen Gebieten der logistischen Vorbereitung und der logistischen Behandlung der Entwicklungshilfeoperationen sei eine Verwaltungsvereinfachung notwendig. Ich möchte das nachdrücklichst unterstüzen. In vielen Bereichen insbesondere bei den Zuwendungsemp6260
fängern herrschen Verkehrssitten zwischen Staat und Auftragsorganisation, die einfach nicht auf die Arbeit dieser Organisationen zugeschnitten sind. Man kann nicht mit den Vorstellungsmodellen des Bundesrechnungshofs und der heute gültigen Bestimmungen für die Ausführung des § 64 der Reichshaushaltsordnung das Gebaren solcher Organisationen dirigieren. Das muß zu Enttäuschungen draußen führen. Das führt auch dazu - das habe ich eben gesagt -, daß die menschliche Anteilnahme an denen, die draußen, häufig unter sehr, sehr schwierigen Bedingungen, für uns arbeiten, durch Vorschriftenkataloge ersetzt wird.
Ich habe vor einiger Zeit dem Herrn Bundesfinanzminister die Anregung unterbreitet, die ganzen Richtlinien zu § 64 der Reichshaushaltsordnung, die mittlerweile schon zwölf Jahre alt sind, neu zu überarbeiten und sie unter dem Gesichtspunkt der politischen, entwicklungspolitischen und außenpolitischen Notwendigkeiten neu zu formulieren. Ich glaube, daß im Ablauf unserer entwicklungspolitischen Operationen viele Erleichterungen geschaffen werden könnten und viel Reibungsverlust vermieden werden könnte, wenn eine Neugestaltung der Richtlinien im Schoße des Bundeskabinetts besprochen und verabschiedet würde.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Gewandt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe den Eindruck, daß diese Debatte heute, was den äußeren Anschein anbetrifft, eine gewisse Ähnlichkeit mit der Entwicklungspolitik hat. Wir sollten uns dennoch nicht entmutigen lassen. Wir haben wenig Zeit, dieses wichtige Thema zu vertiefen, und 'wir haben hier kein allzu großes Interesse gefunden, auch nicht - das möchte ich bemerken - bei der Bundesregierung. Denn wenn ich richtig unterrichtet bin, gibt es eine Reihe von Ministerien, die in der Frage der Entwicklungspolitik bekanntlich mehr Kompetenzen haben als 'der von uns allen geschätzte anwesende Herr Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
({0})
Meine verehrten Damen und Herren! Zur Außenpolitik sind hier sehr viele kluge Worte gesagt worden, die ich nicht wiederholen möchte. Ich möchte mir nur eine Bemerkung zu diesem Thema gestatten. Wenn es in diesem Lande jemanden geben sollte, der meint, man könne Deutschlandpolitik mit Geld betreiben, so täuscht er sich. Wir sollten 'doch darauf vertrauen, daß wir gute Argumente haben. Wir haben es nicht nötig, diese Probleme mit Geld zu lösen.
Ich möchte nun nicht zu 'den politischen Aspekten sprechen, sondern zu der Frage: Ist die Entwicklungspolitik wirkungsvoll? Kann man ihre Wilksamkeit erhöhen? In diesen Tagein hat ein deutsches Nachrichtenmagazin dem Unbehagen der Bundesbürger wohl sehr deutlich Ausdruck gegeben, als es darauf hinwies
({1})
- gut, wenn es wünschen, es ist der „Spiegel" -, daß die Zahlen, die bei der UNO und bei anderen Organisationen vorlägen, viele Hoffnungen und vielen Glanz begraben hätten. Man spricht davon, daß diese Zahlen den Mißerfolg zehnjähriger Bemühungen dokumentierten. Es wird ausgeführt, daß der Anteil der Entwicklungsländer am Welthandel In den letzten 10 Jahren in der Tat von 27 % auf 19 % gesunken ist, daß wir weiterhin einen Zuwachs der Bevölkerung um 11,5 % und eine Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion um nur 6,5 % erlebt haben. Es heißt also mit Recht: Trotz verstärkter Anstrengungen der Industrienationen Ist der Unterschied zwischen den Reichen und d'en Armen, den Satten und den Hungernden größer geworden.
Man kann auf Grund dieses Resultats zwar nicht von einem totalen Mißerfolg sprechen. Ich möchte das nachher auch belegen. Die Kritik sollte uns aber Veranlassung zu einer gewissen Unruhe sein, immer wieder zu überprüfen: Sind unsere Methoden richtig? Herr Minister, ich hoffe, 'daß diese Unruhe, die wir in der Bevölkerung spüren und die ein der Presse zum Ausdruck kommt, auch hier im Parlament und in Ihrem ,Hause lebendig ist, damit wir nicht glauben, daß wir mit einer globalen Schau und mit der Aufführung statistischer Zahlen allein dem Problem gerecht werden. Ein kluger Vertreter ieines Entwicklungslandes hat kürzlich gesagt: Entwicklungspolitik können Entwiicklungsländer nur selbst betreiben; was die anderen machen, ist Wirtschaftsförderung, ist Sicherheitspolitik, ist Außenpolitik. Der Mann
hat vollkommen recht. Auch wir sollten ganz klar sagen, daß unsere Politik auch .auf die Wahrnehmung unserer Belange ausgerichtet ist.
Wir haben in der Zukunft die Möglichkeit einer besseren Auswahl und Vorausschau. Im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung, die ja nur eine Orientierungs- und Leitlinie ist, haben wir die Möglichkeit der Vorausplanung; wir können unsere Maßnahmen mit denen der Empfängerländer und andererGeberländer besser koordinieren. Es ist zu begrüßen, daß im Rahmen dieser Maßnahmen eine Reihe von Verbesserungen unserer Leistungen vorgesehen ist. Ich begrüße es, daß die Bundesregierung gesagt hat, hier liege ein Schwerpunkt. Es ist richtig, daß die Mittel für die IDA erhöht werden, daß wir bereit sind, uns 'im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe besser zu engagieren. Wir 'sollten aber nicht verkennen, 'daß wir in der 'nächsten Zeit im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit mit 'einigen schlechten Noten werden rechnen müssen.
Nun muß ich aber auch zugestehen: wir haben 'eine merkwürdig unlogische Argumentation. In der Vergangenheit haben wir gesagt: Wir können unsere Beiträge nicht 'erhöhen, denn wir haben Hochkonjunktur, und unsere Konjunktur wird angeheizt. Heute, wo wir in einer Zeit der Abkühlung leben, sagen wir: Liebe Freunde, jetzt sind die Kassen leer, und wir können nicht mehr geben. Immerhin hat
sich ja der Anteil der öffentlichen Leistungen am Volkseinkommen rückläufigentwickelt.
Nun werden wir, obwohl wir alle darin übereinstimmen, daß multilaterale Leistungen nicht den Vorrang haben sollten, .doch damit rechnen müssen, daß in bestimmten Umfang multilaterale Leistungen zu ierbringen sind. Wir sollten stärker als in der Vergangenheit auf eine Koordinierung der Interessen der Entwicklungsländer mit unseren eigenen bedacht stein. Ich glaube deshalb, daß der Slogan „weltweite Sozlialpolitik" sehr richtig durch die Feststellung ergänzt worden ist: „Entwicklungspolitik ist Sicherung der Arbeitsplätze von morgen." Das bedeutet natürlich, daß wir den privatwirtschaftlichen Sektor stärker :bevorzugen müssen.
Das von der Bundesregierung vorzulegende Gesetz zur Förderung von Investitionen, das wir ja nur in einem gewissen Rahmen kennen - die Einzelheiten werden bei der Einbringung hier studiert werden müssen -, sieht nach meiner .Auffassung eine zu geringe Förderung des Handels vor. Wenn das Wort „aid by trade" richtig ist, muß man natürlich auch den deutschen Handel in den Stand versetzen, Handelsbeziehungen zu vertiefen.
Das bedeutet, daß wir in anderen wirtschaftlichen Bereichen stärker mit Entwicklungsländern zusammenarbeiten müssen. Ich denke dabei an die Luftfahrt und an 'die 'Schiffahrt. Es ist doch sehr interessant, daß beispielsweise in einem lateinamerikanischen Land der Anteil der Vereinigten Staaten am Wirtschaftsvolumen 36 %, der Bundesrepublik 12 % und Frankreichs 2 % beträgt. Wenn wir aber jetzt untersuchen, wie groß der Anteil des Entwicklungslandes und der Bundesrepublik am Volumen des Luftverkehrs ist, stellen wir fest, daß der Anteil der Vereinigten Staaten über 51 % beträgt, daß Frankreich weit über dem Anteil, den es am Handel hat, liegt, während Deutschland weit darunter biegt.
.Sosehr ich dafür bin und es unterstreiche, daß wir die wirtschaftlichen Aspekte betonen und versuchen, unsere wirtschaftlichen Interessen mit 'denen der Entwicklungsländer zu koordinieren, sosehr, meine ich, sollte man hervorheben, daß Entwicklungspolitik im Grunde genommen eben doch die Minderung sozialer und politischer Spannungen zum Hauptziel hat, also Friedenspolitik ist. Ich möchte in dieseln Zusammenhang die letzte Enzyklika des Papstes erwähnen, die auf tdie unübersehbaren ,Gefahren für den Weltfrieden hingewiesen hat, die 'entstehen könnten, wenn es uns nicht gelingt, den Hunger und die wirtschaftliche Not zu beseitigen.
Ich glaube, daß man im Prinzip die Entwicklungspolitik bejahen muß. Es bleibt allerdings die Frage nach der Methodik. Ich habe den Eindruck, daß wir einige Probleme sehr kritisch überprüfen müssen, insbesondere die Fähigkeit und die Bereitschaft der Entwicklungsländer, selbst ihren Beitrag zu leisten. Ich habe vorhin schon gesagt: Entwicklungspolitik können wir nicht betreiben; wir können sie fördern, anregen und unterstützen; die muß im Entwicklungsland selbst betrieben werden.
Wie sieht es damit nun aus? Als die Spanier vor mehr als hundert Jahren aus Lateinamerika vertrieben wurden, hinterließen sie wenigstens Ansätze für eine Mittelschicht und eine Oberschicht. In Afrika war das in der Mitte .dieses Jahrhunderts nicht der Fall. Wir wissen auch, daß in Afrika die Unabhängigkeit nicht plötzlich Nationen geschaffen hat, sondern daß Nationen erst tgebildet werden mußten und 'daß vieles in Bewegung 'ist. Wir Wissen, daß es 'afrikanische Länder gibt, denen nicht 'damit gedient wäre, Wenn wir ihnen eine Gewerbeschule gäben, ohne in der Lage au sein, diese auch auf Jahre hinaus zu unterhalten.
Wir müssen uns in unserer Methodik den einzelnen Ländern genau anpassen. Wir sollten aber auch dafür sorgen, daß sie selber ihr Haus ein Ordnung bringen. Wenn die Regierungen von Entwicklungsländern nicht bereit sind, ihr Haus in Ordnung zu bringen, wenn sie nicht die nötigen Reformen durchführen, wird eine Entwicklungspolitik keinen Erfolg haben. Die Allianz für den Fortschritt hat gezeigt, daß viele Länder in Südamerika bereit waren und sich schriftlich verpflichtet haben, gewisse Reformen durchzuführen; es ist aber häufig bei dieser Erklärung der Bereitschaft geblieben.
Es ist erwiesen, daß die Fragen der Integration der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung sind. Darum haben wir auf Grund der Erkenntnisse der Politik und (der Wissenschaft Methoden der sozialen Strukturverbesserung entwickelt. Wir wissen nämlich, daß nicht allein die wirtschaftliche Struktur der Entwicklungsländer verbessert werden kann, sondern daß durch entsprechende Leistungen die wirerbringen, analog dazu auch die sozialen Strukturen verbessert werden müssen.
Nun gibt es Entwicklungsländer - das möchte ich allen Kritikern sagen -, die bewiesen haben, daß Entwicklungspolitik positive Resultate zeitigen kann. In der Republik Elfenbeinküste haben wir die höchste Zuwachsrate im frankophonen Afrika. Dort hat man auf Prestigeprojekte verzichtet und ein günstiges wirtschaftliches Klima geschaffen. Ich denke auch an Mexiko, das nach Jahrzehnten einer permanenten Revolution die Bevölkerung weitgebend integriert hat und heute, obwohl es einen exorbitanten Zuwachs der Bevölkerung gibt - in den nächsten zwanzig Jahren wird sich die Bevölkerung von Mexiko 'verdoppeln -, doch eine höhere wirtschaftliche Zuwachsrate zu verzeichnen hat. Ich möchte auch erwähnen, daß im vergangenen Jahr das Wirtschaftswachstum in Chile größer war als die Zunahme der Bevölkerung. In diesem Land gibt es eine Regierung, die entschlossen die soziale Strukturverbesserung in Angriff nimmt.
Allerdings gibt es auch andere Beispiele. Es geziemt sich wohl nicht, in der Offentlichkeit Kritik an fremden Parlamenten und Regierungen zu üben. Darum bin ich etwas überrascht, daß in einer Broschüre des Herrn Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein Land als Beispiel genannt wird, dessen Probleme sich konstant vermehren. Dieses Land hat sich ,geweigert, vielen 'Ratschlägen der Weltbank und der Konsortien zu folgen. Heute müssen wir ihm wegen der nicht ausgelasteten industriellen Kapazitäten Rohstoffe liefern. Man kann
eine Reihe von Ländern anführen, die uns nicht zu der Hoffnung berechtigten, daß die Leistungien, die wir ierbringen, ianch wirklich den erwarteten Effekt erzielen.
Wegen der Kürze der Zeit möchte ich auf ieinen Punkt nur ganz kurz hinweisen. Herr Minister, Sie haben gesagt, die Projekte müßten überprüft werden. Das ist richtig. Jetzt 'ist aber die Frage zu stellen: wer prüft unter welchen Gesichtspunkten? Dazu möchte ich eine Feststellung treffen. Es gibt im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit eine Fülle geschätzter hochqualifizierter Beamter, die die Entwicklungsländer aus diem Studium von Analysen, von Berichten internationaler Organisationen kennen. Gelegentlich reisen sie auch mal in ein Entwicklungsland. Dann gibt es ein anderes Ministerium, das über hochqualifizierte Persönlichkeiten verfügt, die im Ausland arbeiten, 'die Sprachen lernen und, um standesgemäß auftreten zu können, Golf spielen und reiten können, die aber der Entwicklungspolitik etwas reserviert gegenüberstehen. Ich frage mich: warum kann man nicht zwischen den Ministerienaustauschen?
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Damit würde man (erreichen, daß die Herren im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Praxis an der Front kennen; wir würden aber auch Diplomaten haben, die in stärkerem Maße mit dieser wichtigen Zukunftsaufgabe vertraut sind.
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Geradezu unverständlich ist es, daß wir eine Fülle von deutschen Experten in internationalen Organisationen haben oder aber auch Freiwillige, die in den Entwicklungsländern arbeiten, wie die Ärzte in Vietnam. Sie waren zum Teil Jahrzehnte draußen und haben Erfahrungen gesammelt. Wenn sie eine bestimmte Altersgrenze erreicht haben, können sie in den Tropen nicht mehr leben. In Deutschland kann man sie nicht verwenden, obwohl ihre Erfahrung ein grolles Kapital für unsere Entwicklungspolitik darstellen würde. Ich glaube, dieses Problem muß gelöst werden.
Nun möchte ich wegen der Kürze der Zeit nur noch auf zwei Fragen ganz kurz eingehen.
Zum Problem der Zusammenarbeit mit Ostblockländern: 'Sichergibt es Möglichkeiten, in bestimmten Bereichen mit Rumänien, mit Polen oder anderen Ländern, die es wünschen, bestimmte Projekte durchzuführen. Aber ich glaube, es kann hier kein Ziel, sondern nur ein Appell an die Länder sein. Denn natürlich ist auch iEntwicklungshilfe Politik. Für mich war der turning point im Nahen Osten die Fehlentscheidung der Amerikaner - der wir leider gefolgt sind -, den Assuan-Staudamm nicht zu bauen. Dadurch sind die Russen an den Nil gekommen; und wir wissen nun einmal - wir wollen uns doch hier nichts vormachen -: wenn in einem Lande Tausende von russischen Experten arbeiten, ist das inicht ohne einen politischen Effekt. Die Russen - oder besser gesagt: die Kommunisten - haben sich ja nun nicht völlig geändert.
Meine Damen und Herren, wegen der Kürze der Zeit konnte ich nur einige Anregungen für unsere Arbeit der Zukunft geben. Wir sollten davon ausgehen, daß Entwicklungspolitik die Aufgabe unserer Zeit ist. Wir sollten die sachliche Kritik sehr ernst nehmen. Wir 'sollten die Unruhe, die allenthalben besteht, dazu benutzen, selbstkritisch alle Methoden zu untersuchen. Wir sollten aber ebenso entschieden die unberechtigte, die oberflächliche und die gefühlsbetonte Kritik ablehnen. Und wir sollten uns durch Fehlschläge nicht davon abbringen lassen, diese Aufgabe zu erfüllen, von deren Lösung nicht nur die wirtschaftliche Zukunft unserer Kinder, sondern der Friede für uns alle in 'der Welt abhängt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellige.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erhoffe Ihren Beifall, wenn ich allgemeine Betrachtungen zur Entwicklungshilfe weglasse und mich auf das beschränke, was mir auf meiner soeben beendeten Reise in den Entwicklungsländern ans Herz gelegt worden ist; ich möchte es Ihnen, Herr Minister, gern auf die Schultern legen.
Wir sind uns alle darüber im klaren, daß die optimistische Hoffnung des Präsidenten Kennedy, in zehn Jahren könne man die Entwicklungsländer auf einen Stand bringen, der dem unseren ähnele, sich nicht erfüllen wird. Es wird erheblich länger dauern. Mit der Länge unserer Entwicklungstätigkeit wird die Entwicklungshilfe eine Lebensaufgabe für viele unserer Mitbürger. Daraus ergeben sich eine Reihe von Problemen. Sie, Herr Minister, haben die Frage der Wiedereingliederung schon angeschnitten. Lassen Sie mich Ihnen für Ihr versprochenes Gesetz zur Sicherung der Freiwilligen einige Beiträge aus der Praxis mitgeben.
Ich habe in Afrika mit mehreren Ärzten gesprochan, die länger als fünfzehn Jahre in den Tropen tätig sind. Dort erwirbt man Kenntnisse, die unentbehrlich sind, die man aber hier praktisch nicht verwenden kann. Die Schwierigkeit ist also, Anschluß in idler Heimat zu finden. Wer lange ein Tropenhospital geleitet hat, will in der Regel im Alter hier nicht wieder als Assistent anfangen. Er wird andererseits kaum Aussicht haben, Chefarzt zu werden.
Dazu kommen die Schwierigkeiten aus der gesundheitlichen Schädigung. Natürlich sind alle unsere Entwicklungshelfer gegen Unfall versichert. Die Berufsgenossenschaften kommen für Betriebsunfälle 'auf. Aber in der Liste der Berufsschäden, die das Arbeitsministerium unterhält, gibt es die langwierigen Schäden nicht, die man sich in den Tropen zuziehen kann. Es wäre also an Sie, Herr Minister, die Bitte zu richten, Ihren Kollegen, den Herrn Bundesminister für Arbeit, zu bitten, sich unter diesen Gesichtspunktenseine Liste einmal durchzusehen.
Spricht man mit den Damen und Herren draußen über die Vorstellungen, die sie selber von der Alterssicherung haben, so wird einem immer wieder entgegengehalten, Entwicklungsdienst sei ja eigentDr. Hellige
lich ein Zweig des öffentlichen Dienstes. Es ist sicher schwierig - ich halte es sogar für unmöglich -, eine Beamtenlaufbahn im Entwicklungsdienst, oder etwas Ähnliches, zu schaffen. Es wird oft an die Beamten der EWG erinnert und die Frage gestellt, ob wir nicht Ähnliches auch für den Entwicklungsdienst schaffen könnten. Auf jeden Fall werden wir uns etwas einfallen lassen müssen; denn verantwortungsbewußte Leute sind sich auch der Verantwortung bewußt, die sie gegenüber ihrer Familie tragen, und denken mit Fug und Recht an die Sicherung ihrer Angehörigen.
Von dem Verantwortungsbewußtsein, von der Qualität und vom Impetus des Projektleiters hängt :aber nun einmal der Erfolg seiner Arbeit ab. Wir haben auch Projekte kennengelernt, wo man müde und mißlaunig war. Da habe ich mir in roter Farbe das Wort Holeta ein mein Manuskript geschrieben. Ich bin am vorigen Donnerstag in Holeta gewesen und habe dort mit vier der deutschen Herren gesprochen. Drei waren gemäßigte Optimisten. Sie meinten, bei Verlängerung die Aufgabe durchaus zu schaffen; der vierte scheint der Gewährsmann zu sein, der - wie Sie sagten, Herr Gewandt -ein Nachrichtenmagazin mit Mitteilungen über Holeta versehen hat, schwarz auf tiefgrauem Grunde gemalt.
Die soziale Fürsorge ist ein weites Feld. Wir sind alle gegen die Gießkanne als Bewässerungssystem auf dem internationalen Sektor; aber ich habe die Befürchtung: wir lieben sie innerhalb des Landes. Wenn unsere Entwicklungshilfe tim Osten eines Landes einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb aufmacht, dann kann man wetten, daß im weitesten Norden ein Krankenhaus steht und im Westen vielleicht eine Handwerkerschule. Sollten wir uns nicht bemühen, in irgendeiner Provinz bevorzugt tätig zu werden und unsere Arbeit örtlich zu konzentrieren? Das hätte erhebliche Vorzüge. Es gibt in diesen Ländern viele Orte, die man in der Regenzeit weder erreichen noch verlassen kann. Da sitzen also die wenigen Deutschen auf einem Haufen. Welch gutes Gefühl, wenn man ein Krankenhaus oder einen Arzt, mit dem man sich in der Muttersprache verständigen kann, in seiner Nähe hat! Ganz banale Dinge: Einkaufsmöglichkeiten oft viele hundert Kilometer vom Einsatzort entfernt. Da muß sich dann eine der Hausfrauen mit dem Flugzeug oder dem Landrover aufmachen. Wieviel besser läßt sich das machen, wenn unsere Mitarbeliter beieinander wohnen!
Schließlich die große Schwierigkeit 'der schulischen Versorgung der Kinder. Wenn junge Leute heute ein die ,Entwicklungshilfe gehen, dann stehen sie vor drei Möglichkeiten: entweder sie lassen die Kinder in der Bundesrepublik - manche Eltern trennensich nicht gern von ihnen -, oder sie schicken sie in eine Buschschule, und das gibt keine gute Prognose für die weitere schulische Karriere der Kinder, oder seine der Hausfrauen ohne jede pädagogische Vorbildung unterrichtet die Kinder. Das ist, meine ich, ein schrecklicher Gedanke vor allem für unsere Kulturpolitiker, die für die Volksschule den akademisch voll ausgebildeten Studienrat postulieren. Auch hier sollten wir uns Gedanken machen, ob es nicht möglich wäre, bei einer örtlichen Konzentration der Entwicklungshilfe eine Lehrerin mitzuschicken, die sich 'dieser Kinder annimmt.
Das Wort GAWI bekommt man ständig zu hören. GAWI steht nicht in gutem Ruf. Frontfremdheit, juristische Federfuchserei, mangelndes soziales Verständnis, das alles wird ihr vorgeworfen. Vor allem alber ist GAWI sehr langsam. Sehr häufig werden die Verträge erst unmittelbar vor ihrem Ablaufen verlängert. Ja, es gibt Fälle, in denen sich eine vertraglose Zeit noch über Wochen oder Monate lausdehnt. In den Verträgen ist vorgesehen, daß vier Monate vor Ablauf verlängert wird. Meine Damen und Herren, vier Monate sind für jemand, der im Busch sitzt, keine lange Zeit, um sich, falls der Vertrag nicht verlängert wird, in der Heimat eine neue Position zu schaffen. Auch hier sind Verbesserungen unbedingt notwendig. Das ist uns ja spätestens seit der Projektleitertagung im vorigen Herbst bekannt. Die Verbesserungsbemühungen des 'Ministeriums sind bisher offenbar noch nicht recht zu Erfolg gekommen. Entwicklungsarbeit wird von Menschen geleistet. Wir schicken diese Menschen hinaus, wir tragen die Verantwortung für sie, und wir müssen für sie tun, was immer in unseren Möglichkeiten liegt. Im übrigen wünsche ich Ihnen, Herr Minister, für diese Arbeit, die uns so sehr am Herzen liegt, auch für die Zukunft alles Gute.
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Meine Kollegen, ich habe zu diesem Thema noch eine Wortmeldung aus dem Hause vorliegen. Anschließend wird dann sicherlich die Bundesregierung noch das Wort nehmen. Wir sind also genötigt, die Sitzung zu unterbrechen.
Die Sitzung ist bis 15 Uhr unterbrochen.
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Die Sitzung wird fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, wir stehen noch bei der Beratung von Punkt 3 der Tagesordnung. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Wolf.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben im Laufe des Vormittags viel über die politische und wirtschaftliche Bedeutung der Maßnahmen für die Entwicklungshilfe gehört und haben hin und wieder in den Reden auch etwas über soziologische Gesichtspunkte erfahren. Gestatten Sir mir, darüber noch einige Worte zu sagen.
Ich tue es aus einer besonderen Sorge, weil ich meine, daß uns der Vorrang wirtschaftlicher Gesichtspunkte auch in anderen Fragen manchmal Schwierigkeiten gemacht hat. Das gilt vor allem .für unser Verhältnis zu den ausländischen Arbeitnehmern, einer Frage, die der Entwicklungshilfe nach meiner Erfahrung benachbart ist. Auch auf diesem Gebiet haben wir die Arbeitsmarktpolitik und
die wirtschaftlichen Bedürfnisse unserer Firmen allzu lange im Mittelpunkt gesehen und haben nicht erkannt, welche politische Chance uns die Beschäftigung von Menschen aus Südeuropa für die Einigung Europas geboten hat.
Ich habe gerade in der letzten Woche von einer Umfrage hinsichtlich des Deutschland-Bildes dieser Ausländer gehört und zum Teil sogar selber an ihr mitgearbeitet. Ich muß sagen, daß dieses Deutschland-Bild in mancher Hinsicht bestürzend ist. Darum, glaube ich, ist es notwendig, die soziologischen Aspekte - darunter verstehe ich das Eingehen auf die besondere Situation des anderen - sorgfältig zu prüfen. Wir sollten das in dreierlei Hinsicht tun, einmal in bezug auf die Wirkung der Hilfe in den Entwicklungsländern selbst, zum zweiten in bezug auf die Vorbereitung der Entwicklungshelfer und zum dritten in bezug auf die öffentliche Meinung bei uns.
Zur Wirkung in den Entwicklungsländern: Wir wissen, daß die Länder und die Menschen näher aneinandergerückt sind, daß die armen Länder genau wissen, wie es bei uns zugeht, oder sich mindestens vorstellen, genau zu wissen, daß das Leben bei uns sehr viel leichter ist. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß man die Wirtschaft in einem Entwicklungsland nicht entwickeln kann, ohne gleichzeitig die Entwicklung auf allen anderen Gebieten im Auge zu haben,
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und daß außerordentlich große Spannungen, soziale sowie politische Spannungen entstehen werden, wenn sich diese verschiedenen Gebiete allzu unterschiedlich entwickeln.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel erklären, an der Bedeutung der Familie in den Entwicklungsländern. Wir haben dort die Großfamilie mit der positiven Eigenschaft, dem einzelnen Schutz zu geben, aber gleichzeitig auch mit der Eigenschaft, sein Leben zu bestimmen und an den Vorteilen, die er in seinem Leben vielleicht erreicht, teilzunehmen. Individualismus wie bei uns ist dort unbekannt. Aus dieser Haltung der Familie ist zu verstehen, daß die Vorteile des einzelnen von allen anderen als auch ihnen zugehörig angesehen werden. Was wir weitläufig unter Nepotismus verstehen, ist vielleicht aus diesem Verständnis der Familie zu erklären. Aber nicht nur Nepotismus, sondern auch die Slum-Bildung um manche Großstädte in den Entwicklungsländern läßt sich aus diesem anderen Verständnis der Familie erklären. Wir müssen uns darüber klar sein, daß sich die Gesellschaften der Entwicklungsländer noch im Stadium der traditionsbestimmten Gesellschaft befinden, einer Gesellschaft, die . der Mobilität ermangelt.
Wir müssen auch sehen, daß die Menschen eine andere Mentalität haben, andere Formen des Denkens und der menschlichen Beziehungen, und daß sich aus ihrem Verständnis mancherlei Vorwürfe gegen uns ergeben, die uns ungerechtfertigt erscheinen. Wir werden wohl gerade in den nächsten Tagen bei der Konferenz in Algerien erfahren, daß man Ansprüche geltend macht, Ansprüche auf Wiedergutmachung - wie es heißt - für die Schäden, die in der Kolonialzeit entstanden sind. Wahrscheinlich zu Recht wird der Vorwurf erhoben werden, daß das Fallen der Rohstoffpreise in den letzten Jahren eine ganz ungewöhnliche Benachteiligung der Entwicklungsländer darstellt.
Nicht nur wir, sondern auch die Menschen in den Entwicklungsländern müssen erkennen, daß ihre Gesellschaft sich ändern muß, aber - wie ich angedeutet habe - mit aller Vorsicht. Wir sollten auf diese Änderung mit derselben Sorgfalt auch bei den jungen Menschen aus den Entwicklungsländern hinweisen, die bei uns ausgebildet werden. Wir haben es leider häufig erleben müssen, daß diese jungen Menschen in ihren Heimatländern nicht die Arbeit übernommen haben, für die sie unserer Meinung nach gebraucht würden. Sie sind entweder überhaupt nicht zurückgegangen, oder sie weigern sich, auf dem Land zu arbeiten, weil jede Form der Handarbeit ihnen nach ihrer Ausbildung im Ausland entehrend erscheint. Auch hier ist meines Erachtens Sorgfalt nötig, Sorgfalt in jeder Richtung, um die Selbstachtung in diesen Ländern zu erhalten und um vor allem zu vermeiden, daß der Erfolg dieser Menschen nicht ihren Ansprüchen und Erwartungen entspricht.
Zu meinem zweiten Punkt, zur Vorbereitung der Deutschen, die Entwicklungshilfe leisten, möchte ich auch einiges sagen. Wir haben heute gehört, daß sie der Unterstüzung in dem Lande, an dem Arbeitsplatz bedürfen, wo sie stehen, und daß sie des Verständnisses und der Unterstützung bei ihrer Rückkehr bedürfen, wenn es um die Wiedereingliederung in einen Arbeitsplatz bei uns geht. Ich meine, es ist notwendig, daß sie auf ihre Arbeit im Ausland sorgfältig vorbereitet werden. Ich denke hier nicht an technische Vorbereitung, sondern vor allem daran, daß sie verstehen müssen, daß politische und wirtschaftliche Ansichten zwar von den Erfahrungen bei uns geprägt sein können, daß aber soziologische Maßnahmen ausgehen müssen von dem geschichtlichen und kulturellen Hintergrund des jeweiligen Landes, in dem sie sich befinden. Es geht nicht an, unsere Erfahrungen einfach zu verpflanzen, sondern man muß versuchen, man muß lernen - und das ist nicht einfach -, die fremde Sicht, die fremden Beurteilungsmethoden zu erkennen und sich in sie hineinzuversetzen.
Dazu gehört natürlich das Erlernen der Sprache. Schon die Sprache gibt einem ja mancherlei Anhaltspunkte für die Denkweise, die in den meisten Entwicklungsländern eben nicht abstrakt ist, sondern - in einer ganz anderen Weise als bei uns - bildund gleichnishaft. Man muß von den Entwicklungshelfern verlangen und sie darauf vorbereiten, daß sie die Mentalität kennen, die in den Ländern herrscht, in denen sie zu arbeiten haben, und man muß ihnen Brücken bauen, über die sie Zugang zu den Menschen in den Entwicklungsländern finden. Denn sonst entstehen unweigerlich die vielen Mißverständnisse, die gerade diese Arbeit so außerordentlich erschwert haben.
Ich glaube, daß in den einzelnen Organisationen eine vorzügliche Vorbereitung geleistet wird. An erster Stelle möchte ich aus meiner persönlichen Kenntnis den Deutschen Entwicklungsdienst nennen. Ich meine aber, daß z. B. bei der GAWI, über die wir ja heute auch schon gesprochen haben, die Vorbereitung nicht ausreichend ist. Herr Minister Wischnewski hat mich eben darauf hingewiesen, daß die Deutsche Stiftung für Entwicklungsländer diese Aufgabe wahrnehmen könne und müsse. Ich meine, dazu müssen ihr andere Möglichkeiten gegeben werden. In drei Tagen oder in einer Woche läßt sich diese Vorbereitung nicht durchführen.
Auch der Einwand, den Sie mir sicher machen werden, daß diese Vorbereitung für die Wirtschaft - denn sie sendet ja viele Menschen aus - sehr teuer sein würde, scheint mir nicht gerechtfertigt. Denn ich bin überzeugt, daß die Vermeidung der Mißverständnisse letzten Endes billiger ist und unser Ansehen sehr viel mehr stärkt als die Kosten, die man für eine solche Vorbereitung aufbringen müßte.
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Ich bitte also, daß man gerade in bezug auf die Stiftung für Entwicklungsländer, die diese Mutterhausfunktion teilweise wahrnimmt oder jedenfalls wahrzunehmen bereit ist, noch einmal prüft, ob ihr wirklich diese Aufgabe in angemessener Form übertragen werden kann.
Ein Wort zu unserer Öffentlichkeitsarbeit. Ich will die Klagen darüber nicht wiederholen. Ich glaube, nach wie vor ist eine bessere Unterrichtung notwendig. Ich bin auch der Ansicht, daß der Appell betreffend den Hunger auf die Dauer nicht ausreicht - so dankbar ich für die Antwort bin. Ich möchte hier hervorheben, daß der Aufruf in der Woche der Welthungerhilfe großen Erfolg gehabt hat, einen größeren Erfolg, als wir zunächst meinten. Aber wir müßten uns viel besser über die Fragen unterrichten, die vorhin angesprochen worden sind. Es wurde gesagt, daß es sich nicht um ein Geben der einen und ein Nehmen der anderen handelt, sondern um ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Man soll auch die Partnerschaften, die sich anbieten - sicher nicht auf allen Gebieten -, besser nutzen. Heute hat eine Tagung über die Universitätspartnerschaften begonnen, die sicher dazu einige Hilfe geben wird.
Ein letztes Wort! Herr Kiep hat vorhin an die Bereitschaft appelliert, sich im Dienst für den Frieden einzusetzen. Er hat an die jungen Europäer appelliert. Ich möchte bitten, diesen Appell auf meine Generation auszudehnen. Denn ich bin überzeugt, daß wir Älteren noch sehr viel mehr der Hilfe und Information bedürfen, um diese große Aufgabe zu verstehen, hatten doch die meisten von uns in ihrer Jugend niche die Gelegenheit, sich mit den Menschen anderer Länder auseinanderzusetzen, so daß wir immer noch an unserer früheren Abgeschlossenheit tragen. In diesem Sinne, bezogen auf das Verständnis, sollte Entwicklungshilfe soziologisch verstanden werden.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich darum bemühen, sehr kurz auf die in der Debatte angesprochenen Fragen einzugehen.
Besonders dankbar bin ich für das, was in dem letzten Beitrag gesagt worden ist und was auch der Herr Ausschußvorsitzende gesagt hat: daß unsere Entwicklungspolitik ein entscheidender Bestandteil unserer weltweiten Friedenpolitik ist. Wenn es so krasse soziale Unterschiede in der Welt gibt, wie wir sie zur Zeit feststellen müssen, und wenn das soziale Gefälle in der Welt derart stark ist wie zur Stunde, ist der Frieden in der Welt nicht gesichert.
Ich möchte hier ein ganz deutliches Wort sagen; , man kann darüber denken, wie man will. Das, was wir im Nahen Osten erlebt haben, hat auch ein
wenig mit dieser Situation zu tun.
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Wenn man bereit ist, das genau zu durchdenken, wird man feststellen, daß es auch mit dieser Situation etwas zu tun hat. Wenn wir uns überlegen, wo es zur Zeit harte militärische Auseinandersetzungen gibt, stellen wir fest, daß das eigentlich nirgendwo direkt zwischen Ost und West der Fall ist, sondern überall nur in der Dritten Welt. Aus diesen Erwägungen heraus haben wir dieser Aufgabe eine ganz besondere Bedeutung beizumessen.
Wir betrachten jedenfalls den Beitrag der Bundesrepublik Deutschland als eine aktive Beteiligung an einer weltweiten Friedenspolitik. Wir sind bereit, uns hier zu engagieren.
Nun zu den fachlichen Fragen, die daüber hinaus aufgeworfen worden sind.
Herr Kollege Leisler Kiep hat die Frage der Lebensmittellieferungen angesprochen. Ich habe hier von Grundsätzen gesprochen. Ich glaube, diese Grundsätze muß man akzeptieren. Lebensmittellieferungen werden auf die Dauer Probleme nicht lösen können. Es gibt drei Ausnahmen, unter denen wir bereit sind, uns an Lebensmittellieferungen zu beteiligen: 1. Lieferung von Säuglingsnahrung, 2. Lieferung von Lebensmitteln als Lohnausgleich, 3. Lieferung von Lebensmiteln in Katastrophenfällen. In diesen Fällen haben wir es bisher getan. Aber ich bitte sehr um Verständnis für die Auffassung, daß die Lieferung von Lebensmitteln die Probleme im Grunde genommen nur weiterschiebt und nicht löst. Wir müssen jedoch daran interessiert sein, eine Lösung der Probleme zu finden.
Was das Engagement der privaten Wirtschaft betrifft, so darf ich darauf hinweisen, daß wir im Haushalt einen Titel von 20 Millionen DM ERP-Mitteln haben. Da gibt es also einen deutlichen Ansatz.
Wir sind gern bereit, Ihren Vorschlag in bezug auf ein Institut zu prüfen. Die Bundesregierung ist selbstverständlich gern bereit mitzuhelfen, wenn es um Großprojekte in den Ländern der Dritten Welt für
die deutsche Wirtschaft geht. Ich habe kürzlich in einer Ausschußsitzung ein Beispiel dafür vortragen können, wie wir uns hier bemühen. Ich will das jetzt bewußt nicht weiter vertiefen. Es gibt ähnliche Beispiele. Dabei ergeben sich besondere Finanzierungsprobleme, weil es solche Großprojekte in der Zukunft eigentlich fast nur noch in Entwicklungsländern geben wird. Hier in Europa haben wir es mit so großen Projekten in der nächsten Zukunft wahrscheinlich weniger zu tun.
Herr Kollege Kahn-Ackermann hat von der Konferenz von Algier gesprochen. Die Bundesregierung verfolgt mit großer Aufmerksamkeit, was sich dort bei der Konferenz der 77 tut. Wenn ich richtig unterrichtet bin, sind bis heute mittag schon 86 Teilnehmer da. Wir werden über die Ergebnisse genau informiert werden. Wir rechnen damit, daß man sich darum bemühen wird, eine gemeinsame Auffassung vorzutragen. Die westlichen Geberländer werden in der OECD gemeinsam über die Ergebnisse dieser Konferenz beraten.
Ich möchte im Hinblick auf diese Konferenz allerdings auch eines mit aller Deutlichkeit sagen. Wer versucht, die Entwicklungspolitik so darzustellen, als handele es sich für alle um eine Politik der Wiedergutmachung - so ist das gestern in einer Rede sehr hart darzustellen versucht worden -, wird damit nicht den notwendigen Erfolg erringen. Ich halte es für verkehrt - das muß auch einmal ganz klar gesagt werden -, dies aus einer solchen Sicht zu betrachten, zumal eine Reihe von Geberländern auf diesem Gebiet in der Vergangenheit überhaupt nicht engagiert waren.
Ich bitte um Verständnis dafür, daß wir am Prinzip der Partnerschaftsleistung in jedem Fall festhalten müssen. Wir haben aber von Fall zu Fall zu überprüfen, ob wir in der Vergangenheit vielleicht nicht 'zuviel vorausgesetzt haben und bereit waren, Verträge zu unterschreiben, bei denen man eigentlich vorher hätte wissen müssen, daß der Partner gar nicht in der Lage sein wird, die geforderte Leistung zu erbringen.
Zur Deutschlandpolitik kann ich nur das unterstreichen, was der Kollege Gewandt hier gesagt hat. Er hat von der Unruhegesprochen und gemeint, diese Unruhe müsse es auch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit geben. Ich stimme da völlig mit ihm überein: Diese Unruhe gibt es im Ministerium, und es gibt sie in ganz besonders starkem Maße bei dem Minister. Das wird auch zu konkreten Ergebnissen führen. Wir wenden in ganz kurzer Zeit in der Lage sein, 'auf 'Grund der Überprüfung von 3000 Projekten und von 10 Jahren deutscher Entwicklungspolitik den zuständigen Ausschüssen des Hohen Hauses zu sagen, was gut war, was verstärkt fortgesetzt werden wird und soll. Genauso offen werden wir .aber auch sagen, wo sich Fehlerquellen gezeigt haben, wo die Projekte einfach nicht unseren Vorstellungen ,entsprechen und wo etwas geändert werden muß. Ich sage das nicht im Ton des Vorwurfs. Wir alle haben Erfahrungen sammeln müssen, seitdem wir vor 10 Jahren eine neue Politik begonnen haben. Ich gehe jetzt nur 'von der Voraussetzung aus, daß nach 10 Jahren die Zeit des Experimentierens vorbei sein muß und 'daß wir jetzt wissen müssen, was sich bewährt hat, was in verstärktem Maße fortzusetzen ist und was für die Zukunft nicht mehr 'in Frage kommt.
Ich bin dankbar für die Anregungen des Kollegen Dr. Hellige. Bei den Tropenkrankheiten gibt es 'in der Tat noch ein ernstes Problem, das zu lösen wir uns bemühen werden.
Er ist mit den Leistungen 'der GAWI nicht zufrieden. Das kann ich verstehen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß wir uns um einen Wandel bemüht haben und im Laufe der letzten Monate auch schon eine wesentliche Besserung eingetreten ist. Eins muß allerdings hier mit aller Deutlichkeit gesagt werden: Ein Teil der Schwierigkeiten beruht einfach auf der Konstruktion. Bis zur Stunde ist es noch so, daß mein Haus z. B. 'auf die Personalpolitik der GAWI keinen entscheidenden Einfluß nehmen kann - meinem Amtsvorgänger, dem Kollegen Scheel, ist 'das genauso gegangen -, weil es sich um eine Institution der Treuarbeit mit einem eigenen Vorstand handelt. Wir haben gute, aber harte Gespräche geführt, und ich glaube, daß sich die Auswirkungen sehr schnell bemerkbar machen werden.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf das eingehen, was unsere verehrte Frau Kollegin 'Dr. Wolf gesagt hat. Ich bin mit ihr der Auffassung, daß die Vorbereitung derjenigen, die hinausgehen, von ganz entscheidender Bedeutung ist. In den weitaus meisten Fällen wird der Erfolg derjenigen, die hinausgehen, davon abhängen, wieweit sie auf die Aufgabe vorbereitet sind. Damit meine ich nicht ihre berufliche Vorbereitung. Sie ist eine 'Selbstverständlichkeit. Ich denke vielmehr an die Vorbereitung auf das Land, in das sie gehen werden, auf die Verhältnisse, 'die sie dort vorfinden werden, unid auf die Probleme, mit denen isle dort fertigzuwerden haben. Es liegt nicht immer an uns, wenn die Vorbereitungskurse sehr kurz sind. Eine Vorbereitung von drei oder auch sieben Tagen halte ich für eine schlechte Sache. Solche ,Sieben-Tag e-Kurse sind eigentlich nur bei denjenigen gerechtfertigt, die als Monteure zur Lösung einer industriellen Aufgabe für kurze Zeit hinausgehen. Bei allen anderen, die langfristig hinausgehen, müssen ganz andere Maßstäbe angelegt wenden.
In der Zwischenzeit haben wir ein Instrumentarium entwickelt, uni diese Vorbereitung in dem notwendigen Maße zu treffen. Wir werden überprüfen müssen, ob 'das in dem einen oder anderen Fall nicht noch intensiver geschehen muß. Ich sage hier mit aller Deutlichkeit: das gilt auch für 'die fremdsprachliche Vorbereitung. Ich habe gerade in den letzten Tagen einige Fälle erleben müssen, in denen die Leute zu früh hinausgeschickt wurden und mit ihren sprachlichen Vorbereitungen noch nicht in dem notwendigen Maße fertig sein kannten.
Den soziologischen Aspekten werden wir ganz besondere Bedeutung beimessen. Ich gebe zu: wir sprechen zu oft nur von den außenpolitischen oder von den ökonomischen Aspekten und vergessen dabei die soziologischen. Ich darf aber für mich in Anspruch nehmen, daß ich bei den Grundsätzen Nachdruck auf die gesellschaftlichen Veränderungen
gelegt habe. Wir werden überpirüfen müssen, ob das bei 'den Einzelprojekten - dort spielt es eine entscheidende Rolle - für die Zukunft in noch stärkerem Maße ,geschehen muß als bisher.
Die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit 'der Entwicklungsarbeit, der Entwicklungspolitik zu überzeugen, geschieht am besten dadurch, daß wir sie ganz nüchtern mit Fakten vertraut machen. Ich glaube, wir haben eine Zeitlang zu sehr mit Zahlen jongliert, Zahlen, 'die von vielen Leuten nicht in dem Maße verstanden werden konnten. Es kommt darauf an, Fakten, Projekte darzustellen, den Leuten zu zeigen, was wirklich draußen geschieht. Ich habe mir neulich die Mühe gemacht, In einer großen Betriebsversammlung von sehr skeptischen Metallarbeitern eine Stunde über deutsche Entwicklungspolitik zu sprechen. Ich war dankbar für die. Chance, die ich hatte, rund ich hatte den Eindruck, daß man das hinterher verstanden hat. Wenn man die Chance hat, es zu erläutern, wird es von der Bevölkerung in der Bundesrepublik verstanden. Darauf, glaube ich, muß unsere Öffentlichkeitsarbeit ausgerichtet sein.
Da alle Fraktionen des Deutschen Bundestages diese Arbeit gemeinsam tragen, habe ich keine Sorge, daß wir auf diesem Gebiet einen Schritt vorwärtskommen werden. Ich bedanke mich für das Verständnis, das ich hier habe finden können.
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Meine Damen und Herren, wir 'stehen am Ende der Aussprache über die beiden Großen Anfragen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und der Fraktion der FDP.
Ich komme damit zum 'Antrag. der Fraktion der FDP auf Umdruck 285 und erteile zur Begründung das Wort 'dem Abgeordneten Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten möchte ich zu dem Ihnen vorliegenden Antrag Umdruck 285*) nur einige Bemerkungen machen. Wir haben in dem Antrag einige Punkte grundsätzlicher Art aufgeführt, von denen wir glauben, daß sie bei der zukünftigen Gestaltung der 'Entwicklungspolitik zu berücksichtigen sind. Dies gilt sowohl für den Punkt 1, wo wir fordern, daß für die Entwicklungshilfe vorwiegend entwicklungspolitische unid wirtschaftliche Gesichtspunkte gelten, als auch für den Punkt 2, wo es um eine gleichberechtigte Teilnahme am Europäischen Entwicklungsfonds geht, und für den Punkt 3 über die kommende Personalplanung.
Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Antrag dem zuständigen Ausschuß für Entwicklungshilfe überweisen wollten. Dort ergibt sich dann die Möglichkeit zu einer ausführlichen Diskussion.
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Meine Damen und Herren, wird weiterhin zu diesem Antrag das Wort gewünscht? - Das eist nicht der Fall.
*) siehe Anlage 2
Darf ich davon ausgehen., daß der Antrag dem Ausschuß für Entwicklungshilfe überwiesen wird? - Widerspruch erfolgt nicht ; es ist so beschlossen.
Ich rufe damit Punkt 4 der Tagesornung auf :
schussen für Familien- und Jugendfragen ({0}) über 'den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Jugend und über die Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe
-Drucksachen V/302, V/1720 - Berichterstatter: Abgeordneter Liehr
g) Zweite unid dritte Beratung des von den Fraktionen der ,CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten 'Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes für Jugendwohlfahrt
- Drucksache V/1723 Schriftlicher Bericht 'des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen ({1})
- Drucksache V/2148 -Berichterstatter:Abgeordneter Horstmeier ({2})
Wie ich höre, bedürfen die Schriftlichen Berichte der Ergänzung. Ich erteile zu a) dass Wort dem Abgeordneten Liehr als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Auftrag dieses Hauses an die Bundesregierung, einen Bericht über die Lage der Jugend und über die Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe zu erstellen, geht auf das Jahr 1961 zurück und sollte bereits zum 1. Juli 1963 Erfüllung finden. Die Gründe dafür, daß der Bericht diesem Haus erst im Juni 1965 vorgelegt werden konnte, sind nachzulesen. Es gab jedenfalls viele Schwierigkeiten für diesen ersten Jugendbericht, für den es im Nachkriegsdeutschland kein Vorbild gab.
Dies erklärt auch manche Mängel des Berichts. Ich nenne nur drei der unzulänglichen Voraussetzungen für den Jugendbericht des Bundes: 1. unzureichende wissenschaftliche Fundierung der Jugend-und Sozialhilfe, 2. ungenügende Grundlagenstatistiken, 3. mangelnde Kooperation aller Beteiligten.
Dies alles, meine Damen und Herren, hat dem Bundesminister für Familie und Jugend zum Teil heftige Kritik eingebracht; ich füge hinzu: allerdings nicht immer eine sachorientierte Kritik. Alles in allem legt der Ausschuß für Familie und Jugend Wert auf die Feststellung, daß die kritische Würdigung des Jugendberichts als durchaus positiv empfunden worden ist. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung, so stellte der Ausschuß fest, daß nicht nur die nachfolgenden Berichte den in der Kritik genannten Erfordernissen Rechnung tragen, sondern daß auch die daraus gewonnenen Erkenntnisse gezielter in die Praxis umgesetzt werden können. So gilt der Dank des Ausschusses - und ich bin
gewiß: auch des ganzen Hauses - sowohl dem Herrn Bundesminister für Familie und Jugend und seinen Mitarbeitern als auch all denen, die sich durch ihre Kritik um die Weiterführung in der Sache bemüht haben.
({0})
Der Dank gilt aber vor allem auch den an der Jugendarbeit Beteiligten, besonders der großen Zahl der haupt- und ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter in den Jugend-, Studenten- und Wohlfahrtsverbänden sowie in den Bildungszentren der Jugend- und Sozialhilfe.
Der Jugendbericht bleibt bei allen Unzulänglichkeiten eine erste eindrucksvolle Bestandsaufnahme, die die Jugendpolitik im Wechselspiel von Bund, Ländern, Gemeinden sowie den freien Trägern für jeden greifbar macht.
Zu diesem Jugendbericht möchte ich nun über den Schriftlichen Bericht hinaus einige Anmerkungen machen.
Erstens. Zur Lage der Kinder. Dazu verweise ich zunächst auf die Einführung der Bundesregierung im Jugendbericht selbst, wo es u. a. heißt:
Der Jugendbericht soll jeweils ein annähernd geschlossenes Bild von der Situation der deutschen Jugend in der modernen Gesellschaft geben. Er will es ermöglichen, an Lage und Verhalten der Jugend zu erkennen, wie die junge Generation von- der Kindheit an in ihren verschiedenen Lebensbereichen aufwächst.
Dieser Absicht wird der Teil des Berichtes, der sich mit der Lage der Kinder befaßt, leider nicht gerecht. Es bleibt bedauerlich, daß zur Lage der Kinder und vor allem der behinderten Kinder so gut wie nichts gesagt worden ist.
Im Ausschuß für Familie und Jugend gab es keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß Zuständigkeitsschwierigkeiten zwischen Bund und Ländern nicht zur Vernachlässigung von Aufgaben führen dürfen, die die Lebenskraft und die Lebensfähigkeit der heranwachsenden Generation und damit der Gesellschaft von morgen beeinträchtigen können. Nach Meinung des Ausschusses muß hier zunächst einmal ohne Rücksichten auf Zuständigkeiten das Notwendige gesagt und das Erforderliche in die Wege geleitet werden.
In diesem Zusammenhang empfehlen wir der Bundesregierung besonders die Beachtung der von den Sachverständigen im Ausschuß getroffenen Feststellungen. Ich verweise besonders auf den Abschnitt 3. d) und die Ausführungen, die von der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge gemacht worden sind. Es würde der Bundesregierung gut anstehen, wenn möglichst bald - spätestens bei Fälligwerden des nächsten Schwerpunktberichtes im Jahre 1971 - ein ausgesprochener Kinderbericht vorgelegt werden würde, der die Lage der behinderten Kinder und Jugendlichen mit einschließt. Bis dahin aber sollte das Ministerium nach Auffassung des Ausschusses den vorgezeichneten Weg mit Ländern und Gemeinden gangbar machen helfen. Wie vielfältig dabei die Stationen des
Weges sein können, hat uns der Mitberichterstatter des Gesundheitsausschusses, Herr Dr. Meinecke, im Ausschuß für Familie und Jugend verdeutlicht. Für seine Mühe und Anteilnahme möchte ich mich herzlich bedanken.
Zweitens. Zum Verhältnis Jugend und Arbeitswelt. Meine Damen und Herren, vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß - im Gegensatz zum Bericht der Bundesregierung über die Lage der Jugend - im Schriftlichen Bericht des Ausschusses zu diesem Teil - Verhältnis der Jugend zur Arbeitswelt - keine Feststellungen getroffen worden sind. Darf ich deshalb darauf hinweisen, daß wir uns ausdrücklich darauf begrenzt haben, dieses Thema zusammen mit dem federführenden Ausschuß für Arbeit zu beraten und insoweit auch von gesonderten Sachverständigenanhörungen Abstand zu nehmen. Wir hatten schon eine solche Runde. Beide Ausschüsse haben gemeinsam die dem Hause vorliegenden Gesetzentwürfe wie Arbeitsmarktanpassungsgesetz und Berufsausbildungsgesetz in die Beratungen einbezogen, Sachverständige dazu gehört, und wir wissen auch, daß von der Bundesregierung in Kürze der Entwurf eines Arbeitsförderungsgesetzes vorgelegt werden wird.
Wir haben also allein aus Gründen der Zweckmäßigkeit davon Abstand genommen, eigene Beratungen und Sachverständigenanhörungen vorzunehmen. Ich glaube jedoch in Übereinstimmung mit dem ganzen Hause sagen zu dürfen: Wir haben es hier mit einer so herausragenden, aktuellen Aufgabe zu tun, die in die Bemühungen der Bundesregierung um wirtschaftliche Stabilität und sozialen Fortschritt eingreift, daß höchste Dringlichkeit geboten ist. Hier liegt die große Chance, gesetzliche Regelungen herbeizuführen, die das Berufsausbildungswesen modernisieren und zugleich den veränderten Arbeitsplatzbedingungen der Arbeitnehmer im Rahmen der Strukturveränderungen Rechnung tragen. Dabei wird man die Feststellungen der Bundesregierung im Jugendbericht nicht übersehen dürfen, wonach zwischen der Dauer der Schulbildung und dem Leistungsstand im Beruf ein enger Zusammenhang besteht.
Es verdient unser aller Beachtung, wenn nahmhafte Wissenschaftler feststellen, daß unser Schulwesen reformiert werden muß, da es unter seinen überkommenen Voraussetzungen nicht gelungen ist, das Leistungspotential der Jugend über das festgestellte Maß hinaus noch weiter auszuschöpfen. Dies sollte vor allem die Länder drängen, nach Wegen zu suchen, die unter Berücksichtigung ihrer Zuständigkeiten dennoch für jeden gleiche Bildungschancen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gewährleisten, unbeschadet des jeweiligen Wohnsitzes. Wir alle miteinander haben wohl die Verpflichtung, dem oft zitierten Bildungsgefälle innerhalb der Bundesrepublik zu begegnen. Jeder hat Anspruch auf möglichst qualifizierte Bildung und Ausbildung, die seinen Anlagen und Fähigkeiten gerecht wird und die ihn bis zum höchsten Maß seiner Leistungsfähigkeit fördert.
Hierzu gehört auch die materielle Förderung. Der vorliegende Jugendbericht begrenzt sich leider im
wesentlichen auf die Darstellung von Leistungen. Wichtiger aber ist, wie das Haus hier mehrmals übereinstimmend bekundet hat, die Neuordnung der Ausbildungsförderung. Die Erfahrungen der letzten Jahre sind, wie wir alle wissen, leider nicht sehr ermutigend gewesen. Das Haus hat ja mehrfach erlebt, wie seinen Willensbekundungen hier im Plenum Bedenken und Einsprüche der Länder gefolgt sind. In der Sache sind wir also leider nicht vorangekommen; rasche Lösungen sind bedauerlicherweise auch nicht in Aussicht.
Nachdem auch der vom Hause vorgeschlagene Kompromiß, zu einem Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern zu kommen, offenbar wenig Gegenliebe gefunden hat, müssen die dem Hause verbliebenen Möglichkeiten noch einmal ernsthaft erwogen werden. Dabei sollten - wenn ich an dieser Stelle ausnahmsweise einmal eine persönliche Bemerkung einflechten darf - auch Überlegungen mit einbezogen werden, wie sie vom Ministerium bisher leider nur der Presse, aber nicht dem Hause gegenüber geäußert worden sind: Eine organische Verknüpfung des Familienlastenausgleichs mit der Ausbildungsförderung. Jedenfalls haben wir es letzten Endes auch hier mit einem Vorgang zu tun, der die Kompliziertheit der Belastungen des Bund-Länder-Verhältnisses verdeutlicht, der für die Betroffenen sehr nachteilig ist. Er kann angesichts der gesellschaftlichen Notwendigkeiten und Dringlichkeiten alles in allem nur bedauert werden.
Drittens. Zur politischen Bildung der Jugend. „Politische Bildung der Jugend ist für den Bestand und die Zukunft des demokratischen Staatswesens unerläßlich. Ihr muß sich auch die Jugendhilfe widmen." Diesen Grundsatz des Jugendberichts kann man wohl nur unterstreichen. Geht man davon aus, welche finanziellen und sonstigen Hilfen Bund, Länder und Gemeinden über lange Zeit hinweg für diesen Zweck gegeben haben, dann muß man hellhörig werden, wenn man nach den Ergebnissen forscht. Da liest man im Jugendbericht:
Der politischen Bildungsarbeit fehlt es insgesamt an einer klaren Konzeption. Deswegen ist mancherorts Betriebsamkeit und Leerlauf mit im Spiel.
Viele werden hier sicherlich die Frage stellen, wie es mit einer politischen Bildungsarbeit bestellt ist, wenn mehr als zwanzig Jahre nach dem Krieg noch ein so hartes Urteil gefällt werden muß.
Hier möchte ich zunächst einschränkend darauf hinweisen, daß man erstens vieles nicht messen kann, selbst wenn die Veranstalter von Maßnahmen für -die politische Bildungsarbeit davon ausgehen, daß es - wie es so schön heißt - ein voller Erfolg gewesen sei, und daß man zweitens in der Tat nicht alles über einen Kamm scheren darf. Das heißt, man muß sich auch hier um Differenzierung der Probleme bemühen. Man muß z. B. sehen, welch großer Mangel an haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern besteht und wie stark die Fluktuation die Jugendgemeinschaften trifft. Dies alles darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, -daß auch in bezug auf die politische Bildung Quantität durch Qualität ersetzt werden muß.
Manchen Antragstellern muß gesagt werden, daß Zuschüsse aus dem Bundesjugendplan allein kein Ersatz für eine ideenreiche Jugend- und Bildungspolitik sein können. Was die Finanzierung der politischen Bildungsarbeit anlangt, so wurde bei den Ausschußberatungen dafür plädiert, strengere Maßstäbe für die Bezuschussung anzulegen, zugleich aber auch langfristige Bewilligungen von Mitteln für diese Zwecke herbeizuführen.
Im übrigen empfehle ich besonders die Darstellung der Herren Professoren Dr. Ellwein und Dr. Messerschmidt im vorliegenden Bericht Ihrer besonderen Aufmerksamkeit. Sie haben ein' Thema angerührt, das von ganz besonderer Aktualität ist: das Verhältnis der jungen Generation zur Politik überhaupt. Auch wenn es hier unbequem sein sollte und verallgemeinerte Aussagen nicht von allen akzeptiert werden können, möchte ich doch nicht darauf verzichten, auf einige Feststellungen der Sachverständigen zu verweisen. Meine Damen und Herren, damit Sie nicht unnötig beunruhigt sind, was die Breite der Themen anlangt, darf ich einmal zwischendurch darauf hinweisen, daß der Jugendbericht der Bundesregierung immerhin - nach mehrjähriger Vorarbeit - über 200 Druckseiten umfaßt. Ich finde, man sollte den Versuch würdigen, die wichtigsten Dinge auch von der Ausschußberatung her dem Plenum noch einmal zu verdeutlichen.
Herr Professor Ellwein führte laut Ausschußprotokoll vom 23. November 1966 u. a. aus:
Auf Seite 28
- des Berichts der Bundesregierung ist in einer sehr guten Zusammenfassung von den Ursachen für das politische Desinteresse die Rede. Ich möchte nach meinen eigenen Erfahrungen noch sehr den Punkt -des Ohnmachtgefühls gegenüber dem politischen Betrieb, die Unüberschaubarkeit des politischen Betriebs unterstreichen. ... Es ist im Jugendbericht davon die Rede, daß eine verbreitete Sorglosigkeit gegenüber der Zukunft bestehe. Ich glaube, man muß hier noch schärfer formulieren. Das, was in der politischen Bildungsarbeit selbst ein Problem ist und was im Echo der Jugend ein noch viel größeres Problem ist, ist wohl dies: daß überhaupt kein Verhältnis zur Zukunft da ist, daß die Bilder, die Vorstellungen von dem, was dann werden soll, fehlen. Ich will nicht vergleichen, ich will vor allem nicht unzulässig vergleichen. Aber die Bewegung, die in der amerikanischen Jugend etwa durch die Raumforschung ausgelöst worden ist, hat bei uns überhaupt keine Entsprechung. Es gibt keine Vorstellung, auch keine Diskussion darüber, wie sich dieses Gemeinwesen entwikkeln wird, welche Aufgaben auf uns zukommen, wie die Lebensformen in den nächsten 20 Jahren aussehen werden. Das ist ein Punkt, über den man sich auch in ,der Öffentlichkeit stärker unterhalten müßte; denn man müßte die Wege erkennen, auf denen wir weitergehen können. Es ist nicht nur die deutsche Geschichtslosigkeit ein Problem, sondern im Grunde auch die deutsche Zukunftslosigkeit.
Professor Dr. Ellwein sagte dazu nach einigen anderen Betrachtungen abschließend, nicht zuletzt an die Adresse dieses Hauses gewandt:
Bedrückend ist, daß die politische Bildungsarbeit bei uns - nun kommt ein sehr schwieriges Thema, aber ich will es trotzdem in sehr wenigen Sätzen sagen - doch in einem erkennbaren Widerspruch zu dem Verhalten der Parteien und der Politiker steht. Daß wir diese Diskrepanz zwischen der praktischen Politik und wie sie stattfindet und dem, was theoretisch gelehrt wird, noch nicht ganz zu überwinden bereit sind und auch noch nicht dazu in der Lage sind, das hängt zum Teil mit den Leuten in der politischen Bildungsarbeit zusammen, und das hängt natürlich mit dem Verhalten der Parteien und der Politiker zusammen: Unsere Politiker haben es sich noch nicht angewöhnt, sich selber in Frage zu stellen... . Tendenziell ist es bei uns Stil, die eigene Meinung unter dem Stichwort des Richtigen, womöglich des Wahren zu verkaufen. Hier ist eine schwierige pädagogische Aufgabe der Politiker. Das wäre keine Aufgabe in einem Volk, das anders reagiert. Da wäre es nicht so wichtig, weil es da selbstverständlich ist, wenn jemand für seine Partei etwas sagt, daß es unter dieser Einschränkung zu sehen ist. Bei uns fehlt es an dieser Selbstverständlichkeit. ... Wir machen zu wenig deutlich, um es sehr schlicht zu sagen, daß eine politische Entscheidung ja normalerweise die Auswahl aus drei, vier Entscheidungsmöglichkeiten bedeutet, von .denen alle relativ viel Gutes an sich haben, und daß die Auswahl der zweiten Möglichkeit eben den Verzicht auf das Gute bedeutet, das mit der ersten, dritten und vierten Möglichkeit verbunden ist. Das ist, meine ich, ein Grunddefekt unseres politischen Denkens, daß das nicht deutlich genug ist. Diesen Grunddefekt zu überwinden, ist nicht nur Sache der Leute, die in der politischen Bildungsarbeit stehen, sondern auch Sache der amtierenden Politiker.
Meine Damen und Herren, wir sollten gründlich darüber nachdenken, was hier gesagt worden ist, denn das führt uns auch zentral mit in die Ansatzpunkte der Diskussion hinein, mit denen wir es in den letzten Wochen und Monaten in fast allen Teilen der Bundesrepublik zu tun hatten.
Herr Professor Dr. Messerschmidt, der weithin mit Professor Dr. Ellwein übereinstimmte, fügte dem späterhin in bezug auf die Jugend hinzu - ich zitiere -:
Einer der wichtigsten Punkte scheint mir ..., daß diese Jugend nach wie vor, vielleicht noch stärker als kurz nach 1945, kritisch eingestellt ist. Sie ist aber dem Grundgesetz gegenüber loyal. Diese kritische Haltung, die in der politischen Bildung lange Jahre nicht sehr honoriert worden ist, muß heute sogar bewußt ausgebildet werden. Und die Politiker sollten nicht böse werden, wenn sie eine junge Generation heranwachsen sehen, die in diesem Sinne durchaus kritische Fragen stellt und nicht - je nach dem Willen derjenigen, die die Politik in der Öffentlichkeit jedenfalls führen - ja oder nein sagt. Diese kritische Haltung zu fördern, das scheint mir ein ganz wichtiger Punkt der politischen Bildung heute zu sein. Wir haben viele Anzeichen dafür, daß in diesem Sinne die politische Bildung in den letzten Jahren sehr viel kräftiger geworden ist, sehr viel effizienter. Wir haben aber auch Zeichen, daß die Politiker selbst - also die Abgeordneten, aber auch die in der Exekutive Stehenden - mit Argusaugen auf bestimmte Ergebnisse der politischen Bildung sehen. Und das scheint mir ein böses Zeichen zu sein, um es ganz rückhaltlos zu sagen. Wenn eine Jugend zu Demokraten und damit zugleich zu einer kritischen Haltung erzogen wird, dann müssen die Politiker dazu ja sagen, auch wenn sich eine derartige kritische Haltung gegen politische Richtungen, gegen politische Entscheidungen oder gegen einzelne Politiker richtet, auch wenn diese Jugend provokatorisch fragt. Die Politiker müßten eigentlich froh sein, daß eine solche, eine größere Zahl von Jungen da ist.
Meine Damen und Herren, gerade weil wir es gewohnt sind, auch Debatten solcher Art nur unter uns und mit unseren Argumenten zu führen, hat es vielleicht seinen Eigenwert, solche Stellungnahmen aus dem außerparlamentarischen Bereich auch einmal in diesem Sachzusammenhang auf uns wirken zu lassen. Jedenfalls wäre es wünschenswert, so glaube ich, wenn sie mit dazu beitrügen, uns selbst und die Parteien, die wir vertreten, gerade auch im Bewußtsein der jungen Generation attraktiver zu machen. Die Jugend muß das Gefühl haben, daß sie ernst genommen wird, und wir sollten auch Zeit für sie haben. Die junge Generation muß überall dort frühzeitig und vertrauensvoll zur Mitwirkung und Mitverantwortung hinzugezogen werden, wo es nur möglich ist. Man kann nicht das politische Engagement der Jugend fordern und dann, wie es speziell in den letzten Wochen und Monaten besonders spürbar war, mit unangemessenen Mitteln reagieren. Mit anderen Worten - und damit möchte ich den Mündlichen Bericht schließen -: Wir müssen auch dann das Engagement der Jugend wollen, wenn es uns unbequem wird oder, wie es auch schon geschehen ist, parteipolitischen Interessen zuwiderläuft.
Darf ich nun noch einen Auftrag des Ausschusses erfüllen und ein paar begründende Feststellungen treffen, was den Antrag des Ausschusses, den Sie auf Seite 8 vorfinden, anbelangt. Ich glaube, daß das, was auf Seite 8 steht, so eindeutig ist, daß es wohl für sich selbst spricht. Nicht zuletzt eben auch darum, meine Damen und Herren, weil wir nicht mit dazu beitragen wollen, daß aus dem Berichtswesen ein Unwesen wird, d. h. daß sich Bundesregierung, Bundesrat und auch Bundestag laufend mit solchen Berichten und Stellungnahmen auseinandersetzen müssen. Eben deshalb wollen wir den gesetzlichen Auftrag, unter dem die Bundesregierung noch immer steht, und auch die Verpflichtungen, die
daraus für sie resultieren, durch eine Änderung des Jugendwohlfahrtsgesetzes verbessern. Wir wollen also, daß die umfassenden Berichte über die Lage der Jugend künftighin nur in einem zehnjährigen Turnus erscheinen, zumal da, wie wir im Ausschuß festgestellt haben, kurzfristigere Veränderungen auch kaum vorher ausreichend meßbar sind. Dagegen soll das, was unter der Überschrift „Bestrebungen auf dem Gebiete der Jugendhilfe" verstanden werden kann, durch Schwerpunktberichte, d. h. durch Teilberichte, alle vier Jahre zur Darstellung kommen und dem Hause und seinen Ausschüssen Gelegenheit geben, sich dann auch mit den aktuellen Tatbeständen auseinandersetzen zu können.
Unter Ziffer 2 des Ausschußantrages heißt es, daß der nächste Bericht zum Ende des Jahres 1967, also schon zum Ende dieses Jahres, fällig wird. Das entspricht noch dem gesetzlichen Auftrag, an den die Bundesregierung zur Zeit gebunden ist und auf den sie sich auch vom Thema her seit längerem eingestellt hat. Wir befinden uns also sowohl hinsichtlich der Terminsetzung, die in dem Antrag des Ausschusses ihren Ausdruck findet, als auch hinsichtlich der Gliederung solcher Berichte in völligem Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister und seinen Mitarbeitern. Erst nach Annahme des interfraktionellen Antrages, der die bestehende Rechtslage mit Wirkung vom 1. Januar 1968 verändern soll, können wir den Berichtszeitpunkt auf den Juli 1971 verlegen.
Dieser interfraktionelle Antrag wird also die für die weitere Arbeit notwendige Basis schaffen. Dabei sind sich alle völlig darüber klar, daß es jetzt nicht darauf ankommt, etwa in Anlehnung an höchstrichterliche Rechtsprechung der letzten Zeit auch andere Komplexe anzugehen, sondern daß man sich ausschließlich auf diesen § 25 Abs. 2 des Jugendwohlfahrtsgesetzes zu beschränken hat. Der entsprechende Antrag wurde im Ausschuß einstimmig akzeptiert. Er hängt ursächlich mit den Beratungen und mit dem auf Seite 8 der Drucksache V/1720 aufgeführten Antrag des Ausschusses zusammen.
Ich darf mir aus all diesen Gründen die Anregung erlauben, zunächst in zweiter und dritter Beratung über die Gesetzesänderung abzustimmen, weil erst danach das wirksam werden kann, was der Sache nach vom Ausschuß beantragt ist. Ich darf Sie um Ihre Zustimmung bitten und für Ihre Aufmerksamkeit danken.
({1})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren! Inzwischen hat in diesem Hause eine Delegation des Parlaments von Indonesien unter Führung des Vizepräsidenten Ben Mang Reng Say Platz genommen. Ich darf die Herren Kollegen geziemend begrüßen.
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Das Wort als Berichterstatter zu Punkt 4 b hat der Abgeordnete Horstmeier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Liehr hat als Berichterstatter zum Jugendbericht die Zusammenhänge zwischen dem Ausschußantrag und dieser Gesetzesvorlage sehr eingehend erörtert. Ich brauche dem nichts mehr hinzuzufügen und kann mich auf ein paar Bemerkungen zum sachlichen Inhalt der Drucksachen V/1723 und V/2148 beschränken.
Der erste vorliegende Bericht der Bundesregierung ist auf der Grundlage des § 25 Abs. 2 des Jugendwohlfahrtsgesetzes erstellt worden. Diese Bestimmung verpflichtete die Bundesregierung bisher, dem Bundestag und dem Bundesrat alle vier Jahre einen Bericht über die Lage der Jugend und über die Bestrebungen auf dem Gebiete der Jugendhilfe vorzulegen. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf soll dieser Auftrag nun präzisiert werden. Außerdem sollen aus Gründen, die Herr Liehr auch schon eingehend dargelegt hat, andere Erhebungszeiträume vorgeschrieben werden.
Neu in diesem Gesetzentwurf ist erstens die Teilung des Gesamtberichts. Der bisherige erste Teil über die Lage der Jugend soll in Zukunft nicht mehr alle vier Jahre, sondern nur noch alle zehn Jahre erstattet werden. Der zweite Teil, der Auskunft über die Schwerpunkte der Jugendhilfe geben soll, ist weiterhin alle vier Jahre vorzulegen
Zweitens ist neu, daß die Bundesregierung zur Erstellung der Berichte jeweils eine Kommission zu beauftragen hat und den Berichten eine eigene Stellungnahme beifügen muß. Ich möchte dazu bemerken, daß es sich bei dieser in Rede stehenden Kommission natürlich um eine unabhängige Kommission. aus fachkundigen Persönlichkeiten handeln soll, so wie es in dem Antrag des Ausschusses im Schriftlichen Bericht zum Ausdruck kommt.
Der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen glaubt, daß durch diese Änderung des § 25 Abs. 2 des Jugendwohlfahrtsgesetzes dem Anliegen, das mit den Jugendberichten verfolgt wird, besser Rechnung getragen werden kann. Ich bitte daher das Hohe Haus, dieser Gesetzesänderung zuzustimmen.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter, um so mehr, als er soeben seine Jungfernrede gehalten hat.
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Meine Damen und Herren, es ist vorgeschlagen, daß wir die Aussprache über die Punkte a) und b) verbinden. Dazu müssen wir beschließen, die allgemeine Aussprache über den Gesetzentwurf schon in der zweiten Beratung vorzunehmen, was wir nach § 80 Abs. 1 der Geschäftsordnung können. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Das Thema findet ein ganz besonderes Interesse. Ich stelle fest, daß sich vorerst 17 Redner gemeldet haben.
Als erster hat der Herr Abgeordnete Kubitza das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit einer zweijährigen Verspätung hatte die Bundesregierung am 14. Juni 1965 dem Hohen Hause den Jugendbericht vorgelegt, der uns- ein möglichst vollständiges und realistisches Bild von der Lage der Jugend und von den Bestrebungen auf dem Gebiete der Jugendhilfe geben sollte. Nach weiteren zwei Jahren sind wir in der Lage, den Jugendbericht sowie den Ausschußbericht zu beraten.
Die Tages- und Wochenpresse hat den Jugendbericht seinerzeit fast einhellig positiv beurteilt, wogegen das Urteil der Fachpresse von maßvoller ' bis zu vernichtender Kritik ging. Wir Freien Demokraten verkennen nicht die Schwierigkeiten, vor denen die Bundesregierung stand, meinen aber, . daß man in vier Jahren Besseres hätte leisten können. Zumindest hätte in der Einführung deutlicher darauf hingewiesen werden müssen, daß es in Deutschland für einen solchen Bericht kein Vorbild gibt
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und daß sich die Bundesregierung nicht in der Lage sah, ein geschlossenes Bild der deutschen Jugend zu zeichnen, weil der Bereich der Jugend wissenschaftlich noch nicht umfassend erforscht ist.
Ein Journalist hat einmal gesagt, um über eine Sache gut berichten zu können, müsse man 5 % von ihr wissen oder 95 %. In der Jugendforschung sind wir jetzt vielleicht bei 50 bis 60 %. Es fehlen uns somit das Detailwissen und, weil wir über die besagten 5 % hinaus sind, die unbehinderte Frische und Unbefangenheit. Wir sind aber auch noch weit entfernt von den 95 %, die es uns erlaubten, souveräner zu urteilen.
Je mehr wir die Jugendlichen beobachten, befragen, testen, desto deutlicher werden uns ihre individuellen, ihre altersmäßigen und typologischen Verschiedenheiten und desto unsicherer werden alle Pauschalurteile über die Jugend.
Ich sagte vorhin, daß wir in Deutschland kein Vorbild für einen solchen Jugendbericht haben. Aber man hätte sich wenigstens in Aufbau und Inhalt an dem Bericht der englischen Regierung vom Jahre 1958 besser orientieren können. Dieser Bericht „Youth Service in England and Wales" ist allerdings von einer unabhängien Royal Commission erarbeitet worden und dann mit einer Stellungnahme der Regierung der Offentlichkeit vorgelegt worden. Gegenüber dem deutschen Bericht ist er geradezu wohltuend in Sprache, Inhalt und Methode.
Unsere Regierung ist der Versuchung erlegen, mehr einen Leistungsbericht vorzulegen als einen Bericht über die wirkliche Lage der Jugend. In der Einführung sind zwar lobenswerte Ziele gesetzt, doch werden sie im Bericht selbst nicht so erfüllt. Die Regierung war meines Erachtens überfordert, als sie in eigener Sache womöglich kritische Aussagen machen sollte. Übriggeblieben ist eine Darstellung, die allzu schönfärberisch und verharmlosend wirkt, und es ist schwer, aus ihr Schwerpunkte für notwendige jugendpolitische Aktionen zu gewinnen.
Lassen Sie mich einiges zu dem methodischen Vorgehen sagen. Der Bundesregierung standen 18 Einzelstudien unterschiedlicher Qualität mit insgesamt 2200 Buchseiten zur Verfügung. Sie hat daraus ein Konzentrat von 35 Seiten Text in Großformat, das entspricht etwa 80 Buchseiten, gemacht. Vom Minister bis zum Regierungsrat war man - mit unterschiedlichem Erfolg - an diesem Super-Sammelreferat beteiligt, wobei die Qualität der einzelnen Kapitel nicht dem hierarchischen Aufbau des Ministeriums entspricht.
({1})
- Das will ich offenlassen.
Bei der ersten Arbeitstagung des Jugendpresseklubs in München erklärte Herr Professor Dr. Küchenhoff - der seinerzeitige Leiter des Deutschen Jugendinstituts - über den Jugendbericht, er müsse sich bei jeder Gelegenheit von diesem ersten Jugendbericht distanzieren, dessen Quellen zwar vom Jugendinstitut erschlossen, dessen Auswahl und politische Akzentuierung aber vom Ministerium für Familie und Jugend festgelegt worden seien; die Gutachter könnten ihre Arbeit im Bericht nicht wiedererkennen. Dieses Urteil ist wenig schmeichelhaft. Es wäre vielleicht, wenn man schon wußte, daß man für den Bericht Kurzfassungen brauchte, zweckmäßiger gewesen, erst einmal die Autoren dieser Quellen zu solchen Kurzfassungen aufzufordern. Die notwendige politische Akzentuierung hätte man dann noch vornehmen können.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühn? Er war wohl der erste, der sich gemeldet hat.
Bitte!
Herr Kollege Kubitza, sind Sie mit mir der Meinung, daß die notwendigerweise mit wissenschaftlicher Akribie erfolgende Untersuchung von Wissenschaftlern zu unterscheiden ist von der Arbeit der Politiker und daß für die politische Arbeit Entscheidungen gefordert werden, Entscheidungen, die in erster Instanz - als Durchgangsstelle - das Ministerium zu treffen hat?
Diese Meinung teile ich
({0})
insoweit, Herr Kollege Kühn. Aber hier geht es einfach darum, daß die Wissenschaftler, von denen man diese Studien angefordert hatte, ihre Arbeit in der Kurzfassung nicht mehr wiedererkennen konnten. Das ist etwas ganz anderes als die politische Akzentuierung, deren Notwendigkeit auch ich anerkenne.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Memmel?
Herr Kollege Kubitza, hätte die Bundesregierung nach Ihrer Meinung diese Gutachten nur lückenlos aneinanderreihen und uns vorlegen sollen?
Nein, das habe ich ,damit auch gar nicht ausgedrückt. Ich habe nur gesagt: wenn man schon die 2200 Buchseiten auf 80 Buchseiten zusammenpreßt, dann muß eben dieses Ergebnis herauskommen, wie es uns nun vorliegt. Darum geht es. Es geht um das Konzentrat, das dabei herausgekommen ist.
({0})
- Darauf komme ich noch, Herr Kollege Memmel.
Ich habe den Eindruck, daß man sich vor Abfassung des Berichts zu wenig Gedanken über die methodische Anlage eines solchen Berichts gemacht hat. Dieser Vorwurf muß nicht nur hinsichtlich der Mischung von Tatsachen und Werturteilen in den einzelnen Kapiteln erhoben werden - jetzt kommt alles das, was durch dieses Mixtum jetzt an Mängeln entstanden ist, Herr Kollege -, sondern auch gegenüber der gesamten Anlage des Berichts. Methodisch einwandfrei wäre ein Bericht gewesen, der zuerst die Tatsachen gebracht hätte, zweitens die Stellungnahme der Bundesregierung, drittens die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Viertens hätte dann das Parlament darüber zu befinden gehabt, ob es diese Konsequenzen der Bundesregierung für richtig hält.
Diese Reihenfolge hat ihren Niederschlag in der Empfehlung des Ausschusses gefunden. Sie ist auch Gegenstand der Novellierung des Jugendwohlfahrtsgesetzes gewesen - neben anderen Ergebnissen der Ausschußberatungen. Ich kann sagen, daß die Opposition durch die Auschußberatungen unabhängig von den Herren Berichterstattern zu denselben Konsequenzen gekommen ist, die die Berichterstatter im Ausschuß vorgetragen haben. Ich erwähne das deswegen, weil das ja nicht immer der Fall ist.
Methodisch fragwürdig bleibt auch, ob man Statistiken, Meinungsumfragen und Hypothesen auf eine Stufe stellen kann. Das entspricht etwa der Addition von Ananas, Kartoffeln und Auberginen. Gewiß sind repräsentative Umfragen ein Hilfsmittel der soziologischen Forschung. Ernsthafte Bedenken bestehen aber dagegen, ihre Ergebnisse als Tatsachen auszugeben mit der Feststellung, wie die Jugend wirklich denkt, fühlt und handelt.
Herr Abgeordneter Kubitza, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogt?
Herr Kollege Kubitza, ich freue mich, daß Sie unseren gemeinsam erarbeiteten Antrag zur Änderung des Jugendwohlfahrtgesetzes auch seitens der Opposition belobigt haben. Aber darf ich Sie fragen, ob Sie sich daran erinnern, daß wir ebenso festgestellt haben, daß die Bundesregierung keinen so konkreten Auftrag hatte bezüglich der alten Fassung des § 25 Abs. 2 JWG, wie Sie ihn hier auszudeuten versucht haben?
Herr Kollege, ich hatte ja am Anfang gesagt, man kann aus einem Auftrag dieses und jenes machen. Wenn ich hier die Sonde der Kritik ansetze, dann mit der Berechtigung, daß es den englischen Jugendbericht gab, daß es in Amerika den Robins-Report gab, d. h. es gab Vorbilder, an denen man sich in etwa hätte orientieren können.
Herr Abgeordneter Kubitza, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Vogt?
Darf ich Sie ein zweites Mal fragen, Herr Kollege Kubitza? Meinen Sie nicht mit mir - da wir darüber auch im Ausschuß gesprochen haben -, daß es ein Versäumnis des Gesetzgebers, also von uns allen hier in diesem Raum, gewesen ist, der Bundesregierung keinen konkreten Auftrag gegeben zu haben, und daß es nicht Schuld der Bundesregierung ist, daß der Bericht so geworden ist? Müßten nicht wir uns an die Brust klopfen und „mea culpa" sagen?
Herr Kollege, ich traue der Bundesregierung so viel Ideenreichtum zu, daß sie von vornherein, wenn sie sich die Dinge überlegt hätte, zu genau denselben Folgerungen gekommen wäre, die wir im Ausschuß gezogen haben.
({0})
Die erfragte Meinung stimmt mit dem tatsächlichen Verhalten nicht immer überein. Mithin wurden hinsichtlich einer heterogenen und nicht ausreichend differenzierten statistischen Masse „Jugend" Einzelaussagen von unterschiedlicher Sicherheit, unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlicher Bedeutung aneinandergereiht.
({1})
Ein Strukturbild der Jugend kann sich hieraus nicht ergeben Da diese Aufbabe dm ersten Teil dies Berichts - „Die Lage der Jugend" - nicht verfüllt ist, fehlt der innere Zusammenhang zum zweiten Teil - „Die Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe" -, der wesentlich besser ist und einen guten Überblick über die Tatsachen gibt.
Die Anlage des Berichts als „Supersammelreferat" hat noch weitere Mängel mit sich gebracht, so z. B. den, daß ,aus den Einzelstudien falsch übertragen wurde. Ich muß es mir verkneifen, das zu belegen.
Es fehlt auch nicht an Widersprüchen. Am Anfang des Kapitels „Jugend und Familie" heißt es, daß „die Familie ihre volle Funktionstüchtigkeit behalten" habe. Gegen Ende heißt es:
... vermag die Familie heute das Hineinwachsen der Jugendlichen in den weiteren gesellschaftlichen Raum ... immer nur in begrenztem Maße vorzubereiten und zu fördern ... Die
Familie kann erzieherisch das, was für die Lebensvorbereitung 'des jungen Menschen notwendig ist, nicht mehr allein leisten.
({2})
Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich nicht alle Widersprüche anführe,
({3})
Einen muß ich aber doch anführen, weil er zu gravierend ist.
({4})
In der Einführung wird unter „Grundsätze" gesagt, „daß sich die junge 'Generation" nicht ;, als eine eigenständige Gruppe in der Gesellschaft verstehe und ... einen eigenen Jugendraum anstrebe", wie es in 'der Zeit der Jugendbewegung gewesen sei.
Unter „Gesellungsformen der Jugend" heißt es:
Unter den verschiedenen sozialen Gebilden, denen der junge Mensch +angehört, Zeichnen sich jene Gruppierungen besonders aus, denen sich die Jugend in ihrer und für ihre Freizeit anschließt; sie sind viel weniger von der Welt der Erwachsenen bestimmt als die Gebilde der Familie, der Schule, .der Kirche, des Betriebes oder des Staates ... Sie sind vielmehr vorwiegend oder allein auf die Jugend bezogen und nur für die Jugend da.
Weiter unten heißt es:
Die Jugendgruppe ist eine wichtige Gemeinschaft der sozialen Bildung ... Phantasievoller, naiver und hingabebereiter als die Erwachsenen suchen und finden die jungen Menschen hier eigene Aufgaben und Lebensformen; und sie tun dies aus freiem Willen.
Um diesen Widerspruch, der sich durch den ganzen Bericht zieht, weiter 'zu belegen, zitiere ich aus dem Kapitel „Erziehung und Bildung in Jugendgruppen und Jugendverbänden":
In der Regel gibt zunächst weniger das Verbandsziel den Ausschlag als vielmehr ein spezielles Interesse oder allgemein das Bedürfnis, unter seinesgleichen im eigenen Stil zu tun, was Freude macht ...
Was stimmt nun? Ist die in der Einführung behauptete Zweiphasigkeit richtig, wonach es nur Kinder und Erwachsene gibt und die Jugend als eigenständige Entwicklungsphase ausfällt, oder ist die in den von mir angeführten Kapiteln gegebene Darstellung eines eigenständigen Lebensbereichs der Jugendlichen richtig? Die dritte Theorie, die es darüber gibt, hat man überhaupt unterschlagen, nämlich die Theorie von der Kontinuität. Nach ihr ist für die moderne Jugend weder die Zweiphasigkeit Kind-Erwachsener noch der Dreischritt Kindheit-JugendErwachsenenalter kennzeichnend, sondern die Kontinuität, nämlich ein beständiges Wachsen und Reifen unter schrittweise zurücktretender Führung durch die Autorität der Erwachsenen. Welches dieser drei Entwicklungsmodelle ist nun das richtige? Eine sehr entscheidende Frage. Keines ist das einzig richtige. Alle zusammen ergeben einen Überblick über die Formen und Möglichkeiten der gegenwärtigen Jugend. Es gibt weder eine einzige Formel noch ein einziges Modell, das die Vielfalt der Jugend auf einen Nenner bringen könnte.
Es ist von den Sachverständigen bei dem Hearing zu Recht kritisiert worden, daß eine Analyse im Bericht fehlt, vor welchem gesellschaftlichen Hintergrunde sich die Jugend bewegt. Man erfährt 'auch nichts über die zweifellos gestörten Beziehungen zwischen der Welt der Erwachsenen und der Welt der Jugend, daß es noch so etwas wie ein Generationenprobleam bei uns gäbe. Man 'erfährt auch nicht andeutungsweise, daß 'alte Gewohnheiten, Sitten, Freiheiten und Verantwortungen heute in Frage gestellt Sind und daß der Wechsel, das Unerwartete heute für die jungen Menschen das Normale ist. Viele Erwachsene, die in den Gleisen der Gewohnheit und der Routine festgefahren sind, kümmern sich wenig darum. Aber dieser ständige Wechsel bestimmt das Lebensbild unserer Jugend.
Lassen Sie mich auch zu dem gesellschaftlichen Hintergrunde einiges sagen. Früher war die Gesellschaft organisch gewachsen, voller Tradition, statisch, in sich ruhend, die jede neu heranwachsende Generation in sich aufnahm und den Lernprozeß auf Kinder und Jugendliche beschränkte. Der junge Mensch, der seine Schul- und Berufsausbildung abgeschlossen hatte, 'bedurfte keiner weiteren Anstrengungen und Hilfen mehr, um sich im Lebenskampf zu behaupten. Heute muß sich der junge Mensch wie der Erwachsene vieles von dem, was er früher durch Sitte und Brauch, durch Stand und Beruf, durch Kirche und 'Gesellschaft nahegelegt bekam, selbständig erwerben. Will die Gesellschaft die junge Generation aufnehmen, dann in die Wandelbarkeit statt in Sitte und Brauchtum, in die Fähigkeit zur Anpassung statt in die Tradition. Jeder Mensch, der heute nicht das Opfer unserer Gesellschaft, sondern ihr Bürger werden will, muß sich das Verständnis seiner selbst und der Welt, in der er lebt, in ständigen Bemühungen neu erschließen. Ob und in welchem Ausmaß das dem einzelnen gelingt, davon hängt sein persönlicher Wert ab. Ob es genügend vielen einzelnen Menschen gelingt, davon hängt unsere Existenz als Volk und Staat ab. Wir alle sind gezwungen, fortgesetzt zu lernen. Die Jugend ist zur Leitfigur der 'Gesellschaft und die Gesellschaft ist grundsätzlich zur Lerngesellschaft geworden, die Jugend und Erwachsene vor die gleichen Aufgaben stellt.
Dieser durchaus positive Aspekt eines lebenslangen Lernens und Weiterbildens hat allerdings eine besorgniserregende negative Seite. In einer Studie über die Eigenheit der zeitgenössischen Jugend kommt Tenbruck zu folgendem 'Ergebnis - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Umgang, Lektüre, Freizeit, Moral, Sprache, Sitte der Erwachsenen weisen zunehmend jugendliche Züge auf ... Die Psychologie des Alltags und Berufslebens richtet sich immer stärker 'am Modell der jugendlichen Unsicherheit und ihrer Adaptionsbedürfnisse aus. Gleichzeitig tritt in Freizeit und Sport, Wahlkampf und politischer Propaganda, aber auch in den Methoden des Lernens und .der geistigen Bewältigung der Umwelt ein pueriler Spielcharakter hervor. In der Kunst erheben Kinderbilder und Produkte halbwüchsiger Autoren Anspruch auf ernsthafte Beachtung...
Der Erwachsene orientiert sich nicht mehr vorwärts zum eigentlichen Alter. Ja, .es mangelt bereits das Gefühl, daß es spezifische Aufgaben für diese Lebensphase gibt. Die Jugend zu verstehen, mit ihr Schritt zu halten, 'sich ihr anzupassen, wird normales Bemühen.
Soweit Tenbruck.
Diese Feststellungen mögen für Deutschland noch nicht so zutreffen, wie es für Amerika der Fall ist. Gracie und Fred Hechinger belegten mit ihrem in Amerika und Kanada viel Staub aufwirbelnden Buch, betitelt „Teen-Age Tyranny", daß sich ,zumindest der amerikanische Mittelstand den Wünschen der Jugendlichen gebeugt 'und fast auf jeden Erziehungs- und Führungsanspruch verzichtet hat. Anzeichen für .diese Entwicklung sind auch bei uns vorhanden.
Hans Heinrich Muchow, einer der besten Kenner unserer Jugend, kommt bei einem Vergleich zwischen beiden Ländern 2u folgendem Ergebnis:
Wir brauchen nur „progressive education" durch „moderne Erziehung", „self-expression" durch „Wachsenlassen" und „child-centered school" durch das Schlagwort „vom Kinde aus" zu ersetzen, um jenes Klima zu charakterisieren, in dem auch bei uns .das Teenagertum gedeiht. Auch die Resignation ,der Eltern in Erziehungsfragen, ja die Kapitulation mancher Eltern vor „all .dem neuen Kram" ist uns nicht unbekannt.
Soweit .das Zitat von Herrn Muchow.
Herr Abgeordneter Kubitza, gestatten Sie reine Zwischenfrage des Abgeordneten Memmel?
Herr Kollege Kubitza, kennen Sire den Artikel des von Ihnen soeben als so lobenswert zitierten Hans Heinrich Muchow, der da lautet: „Das also war des Pudels Kern"?
Ja.
Und Sie halten trotzdem diese hohe Würdigung saufrecht?
Ja, durchaus, Herr Kollege. Ich meine, man kann darin zweierlei Meinung sein.
Meine Damen und Herren, aus dem bisher Gesagten ergeben sich Chance und Gefahr gleichermaßen: die Gefahr, daß die Anhänger autoritärer Erziezungsmethod en bei uns sich durch die Vorgänge in den USA bestätigt fühlen und jetzt noch autoritärer als vorher 'auftreten, und die Chance, daß falsche Autoritätsansprüche überwunden werden, daß eine Atmosphäre der Toleranz, des 'gegenseitigen Verständnisses rentsteht, in der der einzelne Jugendliche als Person respektiert wird, ,der Erwachsene jedoch von seiner Verantwortung für die Jugend nicht zurücktritt und abdankt. Wir Erwachsenen müssen lernen, Großzügigkeit mit Festigkeit zu vereinen.
Meine Damen und Herren, wenn im Jugendbericht behauptet wird, die Anpassung an (bestehende Verhältnisse sei .ein Leitbild ,dieser Jugend, so ist zu fragen, wer ihr denn dieses Leitbild gesetzt hat. An welchen Vorbildern orientiert sie sich denn bei dieser Anpassung? Ist diese Welt so hervorragend, daß sie nichts Besseres tun können, alssich ihr anzupassen? Oder ahmen sie vielleicht nur den Opportunismus ihrer Väter nach? In .dem Kapitel, in dem der Satz von der Anpassung steht, hätte ¡ich mir schon eine Wertung dieser These 'gewünscht. An vielen anderen Stellen wird sie ja vorgenommen. Denn die Welt von morgen braucht Menschen, die sich insoweit anzupassen vermögen, als sie die technischen und administrativen Apparaturen 'übernehmen und weiterentwickeln müssen, d. h. Anpassung an den unumkehrbaren und unwiderruflichen technisch-materiellen Fortschritt.
Wird 'den jungen Menschen aber auch gesagt, daß es neben der technisch-materiellen Welt, 'deren Entwicklung irreversibel ist, die Welt der sozialen, der rechtlichen und politischen Beziehungen zwischen den Menschen und Menschengruppen sowie die Welt der Tätigkeitsantriebe und 'des 'Ordnungswillens durch Ideen oder Leitgedanken gibt, daß in diesen zuletzt genannten Bereichen der Kampf, die Auseinandersetzung, der Widerstand, der Konflikt das Normale ist? Die Ausbrüche, wie sie in der Beatle-Hysterie oder in anderen ,exzessiven Formen jugendlichen Daseins ihren Ausdruck finden rund die wohlgeordnete Welt der Erwachsenen entsetzen, was sind sie denn anders als Ersatzbefriedigungen für alles, was die Welt der 'Erwachsenen der Jugend nicht mehr gibt? Wenn in dem Jugendbericht festgestellt wind, 'das seien nur Einzel- oder Übergangserscheinungen, so sollte uns das nicht beruhigen, sondern beunruhigen.
Herr Abgeordneter Kubitza, gestatten Sie .eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Stommel?
Ja.
Herr Kubitza, können Sire mir vielleicht sagen, ob ich Sitzungen des Ausschusses für Familie und Jugend verpaßt habe, weil mir Ihre Ausführungen heute so vollkommen fremd vorkommen im Vergleich zu Ihren Ausführungen und Ihrer sachlichen Mitarbeit im Ausschuß?
Sehr verehrte Frau Kollegin, Sie wissen genau, daß ich in allen Ausschußsitzungen
dabei war und daß heute eine Würdigung dieses Jugendberichts hier im Parlament erfolgt. Da werden Sie es mir doch nicht verübeln, daß ich die Dinge hier so vortrage, wie ich sie vorzutragen wünsche.
({0})
Meine Damen und Herren, die heutige Beratung des Jugendberichts ist, meine ich, die rechte Gelegenheit dafür, daß sich die Regierung auch mit einem Pauschalurteil auseinandersetzt, das der aus Frankfurtstammende und in Amerika lebende Psychoanalytiker Erich Fromm unlängst fällte. Es lautet:
Die deutsche Jugend ist völlig bindungslos, amoralisch und ohne Glauben. Ungeführt und bar jeglicher Motive ist sie Iden Verlockungen der Hysterie und Absurdität ausgesetzt. Sie empfindet keinerlei Loyalität, wieder gegenüber sich selbst noch gegenüber der Gesellschaft. Sie ist wahrhaft nihilistisch. Wir werden .einst von ihr hören - und es werden keine guten Nachrichten sein.
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten weisen dieses ,anmaßende und unzutreffende Pauschalurteil entschieden zurück.
({1})
Meine Damen und Herren,lassen Sie mich abschließend folgendes feststellen. Die Position der Jugendhilfe wäre besser, wenn insgesamt erkannt würde, daß :neben Elternhaus, Schule und Beruf mit ihr eine vierte Erziehungs- und Bildungsmacht entstanden ist. Die organisierte Jugendarbeit der Vierbände leidet nicht so sehr untereinem Mangel an Geld als vielmehr unter dem Mangel an genügender Anerkennung, Unterstützung und Ermutigung in breitester Form.
Dem ersten Jugendbericht der Bundesregierung ist es bei aller Anerkennung der investierten Arbeit noch nicht gelungen, ein jugendpsychologisch orientiertes und wissenschaftlich vertretbares Bild der Jugend zu entwerfen. Ich bin sicher, daß der nächste Jugendbericht anders aussehen wird.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine Damen unid Herren! Die unzweifelhaft schwierige Aufgabe .der Bundesregierung, zum gerstenmal ein annähernd geschlossienes Bild über die Situation der deutschen Jugend in der modernen Gesellschaft in der Form eines Berichts zu zeichnen, ergab einen wichtigen Beitrag, der in seinen Vorzügen und Mängeln jeden Verantwortlichen zum Nachdenken herausfordert. Zwangsläufig konnte nicht alles und manches nicht erschöpfend behandelt werden. Doch hat gerade dieser Mangel die bisherige Diskussion angeregt, und alle Beteiligten haben durch ihre Beiträge Lücken ergänzt und Vorschläge gemacht, die für die nächsten Berichte wesentlich sein werden.
Im ganzen ergibt der Bericht mit den Stellungnahmen der gehörten .Sachverständigen eine treffliche
Diagnose für die Unterrichtung des Parlaments und der Öffentlichkeit aber Licht und Schatten, das Fühlen, Denken und Handeln der jungen Generation, ihr Verhalten und ihre wunden Punkte. Die Tendenzen eines selbstzufriedenen Leistungsberichts wurden durch das Skalpell der kritischen Sachverständigen korrigiert.
In diesem Zusammenhang darf ich einige Beinerkungen zu den Ausführungen unseres Herrn Kollegen Kubitza machen. Mit einem gewissen brutalen Charme hat er zu diesem Bericht Stellung bezogen, die allerdings bei den Mitgliedern des Ausschusses, die aktiv mitgearbeitet haben, eine starke Verwunderung :ausgelöst hat; denn seine dortige sachliche Stellungnahme hob sich von dem „nuklearen" Charakterseiner jetzigen Kritik sehr positiv ab.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Herr Kollege Burger, darf ich Sie fragen, worauf Sie dieses Urteil hier stützen? Findet das, 'was Sie eben hier behauptet haben, in den Protokollen irgendeinen Niederschlag? Oder ist mir das völlig ,entgangen?
Ich verstehe Sie nicht ganz.
Haben Sie ganz andere Protokolle gesehen als ich?
Ich habe dort mitgearbeitet, ich habe mit dem Kollegen Kubitza im Ausschuß gesessen. Ich bin der Auffassung, daß das, was er dort vertreten hat, sachlich korrekt unid gut war. Ichgestehe ihm das Recht zu, diese Darlegungen heute vorzutragen. Aber sie heben sich eben von dem alb, :was er dort vertreten hat.
Herr Kollege Burger, `ist Ihnen nicht erinnerlich, daß sich Herr Kollege Kubitza im Ausschuß im wesentlichen (auf die Aufgabe beschränkt hat, 'die ein Abgeordneter in solchen Fällen hat, nämlich Fragen zu stellen und sich daraus ein Urteil zu bilden, das er dann hier vorgetragen hat?
({0})
Herr Kollege Burger, Sie haben wohl bestätigen wollen, 'daß Kollege Kubitza geistige Steigerungen par (excellence fertigbringt und somit hier eine echte parlamentarische „Eskalation" .geboten hat?
({0})
Das mit der „Eskalation" möchte ich tatsächlich unterstreichen, aber das mit
dem „geistigen Formait" ist natürlich individuell unterschiedlich betrachtet worden.
({0})
- Ich hoffe, daß wir allegefolgt sind.
Eine Kritik des 'Herrn Kollegen Kubitza, die er an die Bundesregierung bzw. an die Persönlichkeiten gerichtet hat, die den Bericht gestaltet haben, wird sich natürlich bei jedem anderen Bericht auch ergeben. Denn jedes Gremium, auch die Gremien, die diese Berichte in Zukunft erstatten werden, müssten werten, müssen, wenn sie nicht vollkommen blutiner urteilen wallen, ein Urteil fällen, müssen streichen, müssen formulieren. Dabeikann man zwar mit dieser Entscheidung uneins stein; aber man darf diese Entscheidung und diese Wertung nicht verhindern, wenn man nicht zu einer völlig blutleeren Objektivität kommen will.
In diesem Zusammenhang muß auch noch festgehalten werden, daß die Regietrung für die Erarbeitung des Jugendberichts weder ein Modell vorfand noch Erfahrungen hatte. Sie betrat völliges Neuland. Auch der Auftrag war nur allgemein (gehalten.
Herr Abgeordneter Burger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubitza?
Herr Kollege Burger, haben Sie nicht gehört, daß ich von der Trennung von Tatsachen und Wertungen gesprochen, d. h. Wertungen nicht ausgeschlossen habe? Wogegen ich mich aber gewandt habe, war eben dieses Mixtum compositum, das ich an mehreren Beispielen belegt habe.
Ja nun, Tatsachen und Wertungen sind sicherlich zu unterscheiden. Aber der Regierung muß das Recht zur Wertung zugestanden werden. Gerade diese Wertung haben Sie kritisiert, als Sie erklärt haben, daß durch Weglassungen oder Veränderungen der ursprünglichen Vorlage eben ein anderes Bild gesetzt worden sei.
({0})
Im übrigen stellen die Aussagen des Berichts insbesondere in den kritischen Bereichen nicht nur einen Spiegel für das Parlament und die Regierung dar. Angesprochen sind vielmehr alle Kräfte im Bereich der Jugendhilfe; sie sollen überprüfen, ob ihre Arbeit den Aufgaben und Verhältnissen überhaupt noch entspricht. Dies gilt vor allem für den Sektor der politischen Bildung. Schließlich ist unsere gesamte Gesellschaft zur Prüfung herausgefordert, denn viel Problematisches in unserer Jugend ist Reflex der ganzen Gesellschaft. Für alle stellt sich die Frage nach den Konsequenzen, die wir aus dem Bericht zu ziehen haben; denn eine Diagnose ohne Therapie wäre unzweifelhaft eine politische Fehlleistung.
Wie ein roter Faden zieht sich durch diesen Bericht die Erkenntnis von einem zunehmendem Mangel an verantwortlichen Mitarbeitern im Bereich unserer Jugendhilfe. Im Anhörungsverfahren wurden Regierung und Parlament aufgefordert, der Öffentlichkeit einmal klipp und klar zu sagen, was ein fehlgeleitetes und versagendes Schicksal kostet. Für Kinder in Fürsorgeerziehung oder Jugendgefängnissen werden Millionen und Milliarden aufgewandt; aber in der Bewilligung von Mitteln für Einrichtungen oder Stellen, die in der Jugendhilfe vorbeugend arbeiten, ist man oft viel zu zurückhaltend, viel zu knauserig und zu geizig. Vorbeugen ist immer besser als Heilen; diese Binsenweisheit ist wahrhaftig eine der entscheidenden Lehren aus dem Jugendbericht.
Da meine Freunde beschlossen haben, mehrere Kolleginnen und Kollegen kurz zu Einzelfragen sprechen zu lassen, möchte ich nur einige Anmerkungen zum Problem der politischen Bildung und zum leidenschaftlich diskutierten Problem „Vaterland" machen. Ein deutliches Unbehagen kennzeichnet im Bericht den Abschnitt über die politische Bildungsarbeit. Politische Bildungsarbeit kranke daran, so wird argumentiert, daß die grundlegenden Kenntnisse darüber, was die politische Bildung inhaltlich bedeute, noch nicht Allgemeingut geworden seien. Die Sachverständigen klagen über zu sterile Lehrbücher. Die Begriffe seien ausgelaugt, müde und ohne Salz; viele könnten nicht mehr unbefangen übernommen werden. Professor Ellwein sprach von Sünden der politischen Bildungsarbeit. An anderer Stelle wird formuliert, daß die Didaktik, das Was, die politischen Lehr- und Lerninhalte noch zwanzig Jahre nach Kriegsende umstritten seien und noch geklärt werden müßten.
Diese Unsicherheit schlägt sich in der Tat überall nieder. Bei der Diskussion einer Schulklasse, die den Bundestag besuchte, erklärte - um ein Beispiel anzuführen - ein Lehrer, er halte es einfach für eine Zumutung, daß sein Kollege, der schon im Dritten Reich staatsbürgerlichen Unterricht erteilt habe, auch heute in politischer Bildung unterrichten müsse. Man wisse einfach zu wenig, beklagte er sich, und lese halt den „Spiegel", um überhaupt einiges bieten zu können.
Dieses Beispiel steht aber nicht allein. So sagt, wie ich der Presse entnommen habe, ein Untersuchungsbericht der Max-Traeger-Stiftung sehr kritisch:
Die gegenwärtige Verfassung der politischen Bildung, ihre Konzeption und die Unterrichtspraxis trägt nicht dazu bei, dem politischen Desinteresse entgegenzuwirken, eher erreicht sie das Gegenteil. Politische Einsichten und politisches Denkvermögen werden sich schwerlich in einem Unterricht entwickeln, der an den entscheidenden Problemen der Politik vorbeigeht, der die spannungsreichen und konfliktbestimmten gesellschaftlichen Verhältnisse ausspart und die Sätze der demokratischen Verfassung nicht in Beziehung setzt zur Wirklichkeit.
Das Herumdrücken um die Konflikte, wie sie sich in Gesellschaft und Staat ergeben, der Umstand,
daß man den eigenen Standpunkt nicht frank und frei darlegt, lieber keine Stellung bezieht und einfach schweigt, schafft vielfach eine Situation der Flucht in die Unverbindlichkeit und Neutralität. Armin Mohler hat es zu Recht als ein eigentliches demokratisches Übel bezeichnet, daß zu viele nicht mehr aussprechen, was sie denken, und spricht von einem neuen Menschentyp, dem Schlaumeier.
Herr Abgeordneter Burger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Moersch?
Herr Kollege Burger, identifizieren Sie sich mit dieser Feststellung der Max-Traeger-Stiftung, die vorhin von Ihnen zitiert wurde?
Im großen und ganzen deckt sie sich mit meinen persönlichen Erfahrungen. Ich sehe allerdings die Situation nicht so pessimistisch.
Darf ich eine weitere Frage stellen?
Ja, bitte!
Darf ich dann fragen, wie Sie diese Meinung der Max-Traeger-Stiftung mit Ihrem Kronzeugen Armin Mohler in Beziehung bringen wollen?
Im Kern kommt die in dem Bericht enthaltene Schilderung der Situation zu dem Ergebnis, daß eben diese nicht konfliktbezogene Bildungsarbeit und das Herumdrücken um die Konflikte die Flucht in die Neutralität, in die Beziehungslosigkeit erleichtern. Insoweit kommt auch Armin Mohler zu dem Ergebnis, daß dieser neue Menschentyp, der nicht mehr Stellung bezieht, im Endergebnis den Typ des Schlaumeiers ergibt. Insoweit sehe ich also keinen wesentlichen Widerspruch.
Tatsächlich exkulpieren sich im politischen Alltag zu viele Persönlichkeiten von einer konkreten Willensbildung. Beamte, Lehrer, Richter, Geistliche, Wirtschaftler, Wissenschaftler, Techniker, Kaufleute und Handwerker meinen ja, keine politische Überzeugung vertreten zu dürfen. Sie seien döch für alle da, sie müßten über den Parteiungen, dem Streit der Meinungen stehen.
Bei etlichen Bürgermeisterwahlen in meinem Lande Baden-Württemberg treffe ich in letzter Zeit oft die Feststellung, daß sich manche Bewerber damit empfehlen zu müssen glauben, sie seien parteipolitisch unbedingt neutral. Ist eine solche Haltung nicht undemokratisch, ja, apolitisch? Was sind das für Beispiele! Ist dies alles nicht für uns Politiker über alle Parteien hinweg eine Aufforderung, deshalb mehr mit der Jugend zu sprechen, auf die Jugend zuzugehen, mit ihr zu diskutieren, auch dann, wenn es kritisch wird, sie nicht unterzubügeln, um eben in ihre geistige Welt hineinzudringen, die doch manchmal - und da spreche ich aus Erfahrung - eine etwas andere als die ist, in der wir gewachsen sind und in der wir uns bewegen?
Der Jugendbericht stellt nicht zuletzt auch die Frage nach dem Vaterland. Er warnt vor einer Tabuisierung, einer Ausklammerung dieser Frage und weist darauf hin, daß der Verlust der Idee des Vaterlandes, wie sie bei uns in Deutschland im 19. und anfänglich im 20. Jahrhundert geprägt worden war, nicht nur negativ zu beurteilen sei, sondern vielmehr den Weg frei mache für ein anderes, offeneres und weiteres Verständnis dessen, was Vaterland wirklich bedeute.
Hart attackierten einige der Sachverständigen gerade diesen Abschnitt und sprachen von bedenklichen Einseitigkeiten, vom Versuch einer Aufwertung eines allzu vorbelasteten Begriffs sowie von einem Versuch, unsere heutige politische Bildung mit überlebtem vaterländischen Gedankengut zu durchsetzen.
Nun ist sicher richtig, man kann nur eine Uhr zurückstellen, nicht aber die Zeit. Dies wurde aber keineswegs versucht. Der Bericht stellt ausdrücklich fest: Auch ohne die spezifisch deutsche Entwicklung wäre der Begriff epochalen Veränderungen ausgesetzt gewesen. Die Entwicklung der Weltwirtschaft im technischen Zeitalter, das Zusammenrücken der verschiedenen Kulturen, die Gruppierungen der Völker und Staaten, der Begriff der Solidarität der Völker, das Zusammenwachsen der Welt zu einer Einheit, dies alles kann das in schmale Streifen geteilte politische Flurbild Europas nicht unberührt lassen. Die ehedem von der souverän gedachten Nation gespeiste Vorstellung vom Vaterland erscheint unter diesem Aspekt wirklich antiquiert und provinziell.
Hat nicht auch Präsident Gerstenmaier in der gleichen Weise immer wieder in Reden und Aufsätzen auf diesen Wandel hingewiesen?
Für völlig erledigt
- so führte er aus, und ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren halte ich den patriotischen Stil der Generation vor uns. Die Phrasen jener Zeit sind einfach nicht mehr möglich. Der Grund hierfür scheint nicht nur im allgemeinen Stilwandel der Zeit zu liegen, sondern in einer tiefgreifenden, möglicherweise grundlegenden Änderung unserer Bewußtseinslage.
Er fuhr fort, man könne sie als Versachlichung bezeichnen; damit sei auch eine andere Bewertung und Begründung gemeint. So ungeklärt das Nationalbewußtsein sei, so unverkennbar trage es doch alle Kennzeichen 'der Entzauberung und Neuorientierung. Eine Wandlung unseres nationalen Bewußtseins sei aus der Bereitschaft des 'deutschen Volkes entstanden, einer dauernden Vereinigung der europäischen Völker beizutreten und seine Entscheidungshoheit zu beschränken. Damit höre die nationale Souveränität auf, der oberste Wert und die letzte Richtschnur politischen Handelns zu sein. - Soweit der Herr Präsident.
Aber auch Georg Picht stellt fest:
Es hat sich .ein Bewußtseinswandel vollzogen; die Frage nach der Basis und den Konturen eines deutschen Nationalbewußtseins, das zu tragen vermag, bezeichnet zugleich eine große Wende in ,der Gestaltung der deutschen Politik.
In Wahrheit, meine Damen und Herren, ist (die Vorstellung vom Vaterland nicht ewiger und nicht unveränderlicher als alle anderen Vorstellungen, die unser Verstandes- und Gemütsleben ausmachen. Im Laufe der Jahrhunderte menschlicher Geschichte hat sich auch dieser Begriff (der Entwicklung des Bewußtseins nachgeformt und umgebildet. So wurde beispielsweise 'an dem Tag, an dem die Mitbürger des Sokrates sich zum erstenmal nicht mehr als Athener, sondern als Griechen bezeichneten, eine gewaltige Bresche in die Schutzmauern der in sich geschlossenen Gesellschaft geschlagen. Der nationalistische Patriotismus, wie er sich in (der Neuzeit entwickelt hatte, mußte sich immer in Gegensatz zu anderen Nationalismen setzen, meinte man doch, die Liebe zum Vaterland nicht predigen 'zu können, ohne zugleich zum Haß gegen die anderen Länder und Völker aufzurufen.
Einem solchen Patriotismus 'ist heute Gott sei Dank durch die dynamische Entwicklung von Technik und Wirtschaft und (die damit zwangsläufig verbundene Wandlung im Bewußtsein der Völker untereinander der Boden entzogen. Unsere Jugend muß es sich daher zur Aufgabe machen, ein neues Staatsbew.ußtsein zu fördern, das frei ist von übersteigertem Nationalismus und das den guten völkerverbindenden Ideen der Menschheit von heute aufgeschlossen und denen von morgen angepaßt ist. Ein offener, universeller Patriotismus, der hinführt zu einem selbstverständlichen Zusammen- und Nebeneinanderleben von Nation und Gemeinschaft: dies wäre ein Ziel zu neuen Ufern.
Noch ein letztes Wort, meine Damen und Herren. Die Diskussion um die Lage der Jugend erbrachte viele Erkenntnisse, Einsichten, Beurteilungen und Einblicke in Schäden, Wunden, Fehlleistungen und Fehlentwicklungen. Bei allem Kritischen sollte jedoch nicht übersehen werden, 'daß diese Jugend in einer Zeit und Welt lebt, die so ganz anders ist als die unserer Vorfahren: nationaler Zusammenbruch, Inflation aller Werte, technische Revolution, Herausforderung des Atomzeitalters, geistige Veränderungen in den Kirchen, Neuordnung des Bildungswesens, Prosperität und Wohlstand, Freiheit, Materialismus, dolce vita 'und Happenings. Dies alles ist die Herausforderung zur Bewährung in unserer Zeit. In dieser Welt lebt diese Jugend. Ich glaube, diese Gegenwart verlangt von ihr mehr Entscheidung als je zuvor. Ich bin (der Überzeugung, (die junge Generation hat sich im ganzen tapfer und gut geschlagen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle sind uns sicher darüber einig, daß wir hier kein taufrisches Thema miteinander erörtern, sondern eines, das inzwischen schon ziemlich alt geworden ist. Und ich bin nicht ganz sicher, ob es uns gelingt, wirklich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für diesen so umfangreichen, so vielseitigen und viele wesentliche Dinge enthaltenden, aber auch kritisch zu betrachtenden Jugendbericht noch einmal zu beleben. Immerhin, Herr Burger, da ich im Ausschuß zu denen gehörte, die dort schon kritisierten, darf ich es auch jetzt tun. Und, Herr Minister, Sie erwarten in diesem Falle sicher von mir auch gar nichts anderes. Aber nehmen Sie bitte am Anfang wenigstens all die Blumen entgegen, die Sie für diese umfangreiche Leistung für sich und all Ihre Mitarbeiter berechtigt beanspruchen können. Ich möchte sie hier abgeben, bevor ich meine Kritik beginne.
({0})
Wir haben, jeder von uns, nur wenig Zeit für unsere Beiträge. Und was kann man in der Kürze der Zeit tun? Man kann sich zwei, drei Punkte herausnehmen, (die einen besonders beschäftigen, die einem wichtig zu sein scheinen 'und an denen man kritisch ansetzen möchte.
Eigentlich wäre es einmal an der Zeit, das Hohelied des ehrenamtlich, aber auch des hauptberuflich tätigen Jugendleiters vor diesem Hause zu singen. Ist es nicht diese Kraft, die uns sozusagen mithilft, den Unterbau für das zu schaffen, was wir hier im politischen Bereich zu tun haben? Ich denke an den Jugendleiter, der Woche für Woche die Arbeit seiner Gruppe junger Menschen vorbereitet. Ich denke daran, daß er für das Gespräch mit jungen Menschen laufend seine volle Freizeit hergibt, die ihm neben seiner Berufstätigkeit verbleibt. Er muß für jedes Gespräch mit jedem Gruppenmitglied zur Verfügung stehen. Daneben bildet er sich weiter, ist an den Wochenenden unterwegs, sei es mit seinen jungen Leuten, sei es aber auch, um selbst etwas dazuzulernen. Er vertritt seinen Jugendverband im Jugendring oder auch im örtlichen Jugendwohlfahrtsausschuß.
Eigentlich wird das, was diese Kräfte aus eigenem Entschluß ehrenamtlich leisten, von der Politik viel zu wenig gewürdigt. Man kann das auch nicht durch materielle Leistungen würdigen. Aber wir hier, so finde ich, können das ein wenig honorieren, indem wir als die im politischen Bereich verantwortlich Tätigen anerkennen, was von diesen Kräften in allen Feldern der Jugendhilfe und der Jugendverbandsarbeit geleistet wird in der Absicht, mit dafür Sorge zu tragen, die Demokratie in diesem Lande fest zu verankern und die junge . Generation immun zu machen gegen jede Art neuer Verführung, gegen jede Art eines neuen Totalitarismus.
Es lohnte sich, darüber etwas mehr zu sagen; wir können es aus Zeitgründen nicht tun. Verzichten muß ich auch darauf, hier die guten Seiten des Jugendberichts in Einzelheiten zu erörtern.
Ich freue mich, daß der 10. Ausschuß in seiner Vorlage die Konsequenz gezogen hat, den Jugend6280 Deutscher. Bundestag - 5. Wahlperiode Westphal
bericht in Zukunft durch unabhängige, aus Fachleuten bestehende Kommissionen ausarbeiten und vortragen zu lassen. Dies ist, so finde ich, der aussichtsreichste Weg, die jeweils anstehenden Probleme aus dem Bereich der Jugendarbeit und der Entwicklung der Jugend selbst, die offenen Fragen der Jugendhilfe, die Schwierigkeiten der Jugendarbeit und die Sorgen der in diesem Aufgabenbereich tätigen Menschen verantwortlich hier vorzutragen, sie kennenzulernen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Eine Regierung und ihre Ministerialbürokratie wird natürlich immer dazu neigen, eine Art Leistungsbericht zu geben und vor der Offentlichkeit und vor dem Parlament zu zeigen, was sie auf dem Felde, das hier zur Diskussion steht, getan hat, wie sehr die Dinge eigentlich in Ordnung sind, was alles Gutes geschehen ist. Ein solcher Bericht wird immer eine gewisse beruhigende Tendenz haben. Das ist nicht schlechter Wille, das liegt sozusagen in der Institution, in der Rolle, die eine Regierung und ein Ministerium zu erfüllen haben.
Ich will Ihnen Beispiele dafür geben. In der Kurzfassung des Jugendberichts, die das Bundesministerium für Familie und Jugend damals der Presse zugeleitet hat, heißt es u. a.:
Die persönlichen und sozialen Verhältnisse haben sich innerhalb der letzten zehn Jahre so stabilisiert, daß sich die Jugend heute +im allgemeinen nicht weniger gesund, leistungsfähig und leistungswillig erweist als in der gesicherten Ordnung früherer Zeiten.
({1})
Ich frage mich: Was heißt hier „gesicherte Ordnung früherer Zeiten"? Womit hat die Regierung verglichen? Die Hitlerzeit kann doch wohl nicht gemeint sein.
({2})
War es etwa die Weimarer Zeit, die ja eigentlich mit ihrer Nachkriegsperiode, ihrer kurzen Blütezeit und den großen Sorgen vor ihrem Ende mit der riesigen Arbeitslosigkeit und all den anderen Problemen keine gesicherte Ordnung darstellte? Oder war es - der Verdacht liegt nahe, Herr Kollege Moersch
- die Zeit Kaiser Wilhelms? Aber auch von dieser Zeit kann man ja wohl nicht sagen, daß sie eine gesicherte Ordnung hatte. Ich denke z. B. daran, daß damals Berichte vorgelegt wurden, die nachwiesen, daß die Rekruten nicht gesund genug waren. Das war der erste Anlaß dazu, daß der Staat überhaupt anfing, jugendpflegerisch tätig zu werden.
({3})
- Das war schon vor Kaiser Wilhelm, richtig! Aber zu seinen Zeiten gab es das auch. Der Jugendpflegeerlaß von 1911 war noch zu Zeiten des Kaisers Wilhelm. Das andere geschah schon Mitte des vorigen Jahrhunderts. Das gestehe ich Ihnen gern zu, Herr Dr. Martin.
({4})
Ich habe dazu einmal die Bemerkung gemacht, es sei eine Chance für die jugendpolitische Entwicklung dieses Landes, daß sich der zweite Jugendbericht u. a. mit der Frage beschäftigen wird, wie es um die jungen Menschen und die Bundeswehr steht. Wenn wir dann dort vielleicht nicht in bezug auf die Gesundheit, aber in bezug auf die Bildung unangenehme Feststellungen vorgelegt bekommen, haben wir hoffentlich einen Auftrieb für alles das, was wir jugendpolitisch gemeinsam wollen.
Ich will nur sagen: Diese Zeit unter Kaiser Wilhelm war unter anderem die, die die Jugendbewegung gegen eine verstaubte, bürgerliche Zeit auslöste. Sie war keine ruhige Zeit. Sie brachte auch das Zusammenschließen von Lehrlingen gegen Unternehmerwillkür. Sie war - das muß man in der Rückbesinnung sicherlich sagen - eine Zeit nationaler Verblendung im ganzen Erziehungswesen. Ich würde das jedenfalls so beurteilen.
Noch deutlicher wird das, was ich gern sagen möchte, in Richtung auf diesen Unterschied zwischen beruhigenden Tendenzen des Jugendberichts und den neuen Absichten, in Zukunft die Fachleute die Arbeit machen und dann die Regierung dazu Stellung nehmen zu lassen, wenn man ein anderes Zitat aus derselben, vorhin schon benutzten Unterlage heranzieht. Da hieß es:
Anzeichen für ernste Schwierigkeiten oder der bestehenden Ordnung zuwiderlaufende Tendenzen werden bei der Jugend an keiner Stelle sichtbar.
({5})
„Everything is all right", kann man nur sagen. Der Bericht wurde ja auch veröffentlicht, bevor die Studenten renitent wurden. Ironisch könnte man hinzufügen: Jugend verhält sich wie der Durchschnitt, gemessen mit Umfragen. Mr. Gallup hat auch an dieser Front gesiegt. Es lebe der Durchschnitt! Er läßt uns die Schwierigkeiten übersehen.
Das ist immer das Problem, wenn man Kurzzusammenfassungen macht. Aber das ist natürlich in besonderer Weise ein Problem, wenn eine Regierung - ich sage das gar nicht unter politischer Wertung der Richtung - vor dem Problem steht, hier Unterlagen, Berichte liefern zu sollen. Jede Regierung will darstellen, daß die Dinge in Ordnung sind, und will ihre Leistung zeigen. Ohne auf andere Einzelheiten einzugehen - ich lasse hierbei einen Teil meiner Bemerkungen aus -, scheint mir dabei deutlich zu werden, daß wir einen neuen, anderen Weg gehen können. Denn die Fachleute, Praktiker und auch Wissenschaftler, hätten, wären sie die verantwortlichen Autoren dieses Berichts, den Finger auf die problematischen Stellen gelegt, und wir hätten daraus das entnehmen können, worauf es uns allen, auch der Regierung, zur Auswertung in Richtung auf neue; bessere Jugendpolitik ankommt. Es fehlt dem Bericht die „drängende Sprache", von der hier einmal die Rede war, als wir das Jahresgutachten zur wirtschaftlichen Lage der Bundesrepublik von den dort tätigen fünf Gutachtern vorgelegt bekamen. Die Regierung kann und soll dann zu dem Bericht der Fachleute ihre eigene Stellungnahme beifügen und
sagen, welche Meinung sie teilt und welche sie nicht teilt. Sie soll uns die jugendpolitischen Schlußfolgerungen in der Jugendförderung und in der Jugendgesetzgebung vortragen, um dann Entscheidungen darüber im Parlament mit herbeizuführen.
Wir müssen auch in diesem Bereich das Instrumentarium verbessern. Das kann durch den vorliegenden Entwurf zur Änderung des § 25 Abs. 2 des Jugendwohlfahrtsgesetzes in guter Weise geschehen. Wir sollten die Dinge aber auch dadurch ergänzen, daß wir dringend um eine Verbesserung des Gesamtbereichs der Jugendhilfestatistik bitten. Sieht man in den Jugendbericht, wird man verhältnismäßig wenig Zahlen finden. Wir brauchen, auch um den internationalen Vergleich zu ermöglichen und daraus Schlußfolgerungen für uns zu ziehen, mehr Zahlenmaterial über alles, was mit Jugend und Jugendarbeit zu tun hat, nicht also nur Zahlen über die Betten in Heimen.
Auch das Instrument des Bundesjugendkuratoriums verdient Verbesserung. In § 26 Abs. 1 des Jugendwohlfahrtsgesetzes heißt es dazu:
Zur Beratung der Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der Jugendhilfe wird ein Bundesjugendkuratorium errichtet. Das Nähere regelt die Bundesregierung durch Verwaltungsvorschriften.
Das bisherige Verständnis dieses Gesetzesauftrags sieht so aus - das ist mein Eindruck, Herr Minister -, daß das Bundesjugendkuratorium dem zuständigen Minister dann einen Rat geben darf, wenn dieser es dazu auffordert. Die Tagesordnung des Bundesjugendkuratoriums bedarf der Zustimmung sämtlicher Mitglieder des Interministeriellen Ausschusses für Jugendfragen.
Nach Anicht des Ministers war z. B. die Frage jenes berühmt gewordenen Internationalen Jugendaustausch- und Besucherdienstes eine Frage, die nicht grundsätzliche Bedeutung hatte, und das Bundesjugendkuratorium wurde in dieser Angelegenheit in der ersten Runde nicht um seinen Rat gefragt. Dabei beschäftigten sich sämtliche Gremien der Jugendarbeit und der Jugendverbände in der Bundesrepublik über ein Jahr lang mit diesem Thema. Und auch in diesem Hause hat es ja mehrfach Auseinandersetzungen und Streit darüber gegeben.
Um das Instrumentarium im Interesse der Sache und im Interesse aller Beteiligten, auch des Ministeriums, zu verbessern, schlage ich folgendes vor:
Erstens: Das Bundesjugendkuratorium sollte ein größeres Recht bekommen, seine Tagesordnung selbst zu bestimmen. Das Initiativrecht muß in der Geschäftsordnung erweitert werden.
Zweitens: Das Bundesjugendkuratorium erhält die Möglichkeit, seine Geschäftsführung in eigener Regie zu betreiben. Dies ist schon allein deshalb erforderlich, um den für die Geschäftsführung des Bundesjugendkuratoriums zuständigen und dafür tätigen Beamten, die ja loyale Mitarbeiter ihres Ministers sind, den Kompetenzkonflikt abzunehmen, in den sie gerückt werden, wenn sie einerseits Stellungnahmen des Bundesjugendkuratoriums, die vielleicht kritisch auf das Ministerium zugehen, ausarbeiten müssen, andererseits aber gebundene Beamte des Ministeriums sind.
Drittens: Ich finde auch, daß der Bundestagsausschuß für Familien- und Jugendfragen laufend über die Tätigkeit und die Beratungsergebnisse des Bundesjugendkuratoriums informiert werden sollte, also nicht nur dann, wenn dies jeweils im Einzelfall durch einen Beschluß dieses Hohen Hauses verlangt wird.
Ein Abschnitt des ersten Jugendberichts verdient nach meiner Ansicht besondere Beachtung, der Abschnitt, über den Herr Burger schon ausführlich gesprochen hat und zu dem auch ich einige kritische Bemerkungen vortragen möchte: der Abschnitt „Politische Bildung der Jugend". Für die, die es in besonderer Weise interessiert: er ist auf den Seiten 64 bis 72 zu finden. Aber das ist auch für diejenigen unter unseren Kollegen, die nicht an. Jugendfragen interesisert sind, eine reizvolle Lektüre. Es ist der einzige Abschnitt des Jugendberichts, der mit einem Engagement geschrieben worden ist, der eine eigene Position des Verfassers deutlich spürbar werden läßt. Hier nimmt jemand Stellung und setzt sich mit seinen Kritikern auseinander. In der Form finde ich das sehr begürßenswert. So läßt sich über politische Bildung mit Gewinn reden. Aber die logische Folge einer solchen Darstellung ist natürlich auch, daß die eingenommene Position dann zur Debatte steht, der Kritik ausgesetzt ist.
Um meine Position klarzumachen, sind einige wenige Zitate aus dem Jugendbericht notwendig. Der Bericht stellt als unterschiedliche Auffassungen über das, was mit politischer Bildung gemeint ist, gegenüber einerseits die Erziehung zum Mitmenschen, die Pflege aller menschlichen Tugenden und sieht auch die Begegnung junger Menschen unterschiedlicher Auffassung schon als einen Wert der politischen Bildung an. Andererseits verweist der Bericht auf die rein rational-kritische Aufklärung, das verstandesmäßige Erfassen politischer Vorgänge, die Reflexion darüber und die kritische Analyse.
Aus Erfahrung in der Jugendarbeit schlage ich mich nicht auf die Seite der nur verstandesmäßigen Ansprache junger Menschen. Der junge Mensch will und muß spüren, daß der vor ihm stehende, um Aufklärung Bemühte sich für die Sache, die er vertritt, ganz einsetzt. Wenn dieser Vermittler politischer Bildung aber den Bereich der Empfindungen, der Gefühlsschichten bei seinem Zuhörer ansprechen will, dann muß er genau aufpassen. Der Mißbrauch des ideellen Engagements ist in unserem Land zu groß gewesen, um auf diesen Gebieten unvorsichtig zu sein.
({6})
Hilfsbereitschaft, Solidarität zu Notleidenden, das sind Dinge, über die man in dieser Weise mit jungen Menschen sprechen kann und für die man sie gewinnen kann. Aber dann hört es schon auf mit der Ansprache des Gefühlsbereichs. Nehmen wir den Jugendbericht! Der Verfasser stellt sich die nichtaufklärerische - so darf ich einmal verkürzt sagen -, die mitmenschliche Seite so vor - ich zitiere -:
Für die heute lebenden Generationen in Deutschland bedeutet schon ihr gebrochenes Verhältnis zur deutschen Geschichte der jüngsten, aber auch der ferneren Vergangenheit eine Erschwerung der politischen Bewußtseinsbildung. Begriffe wie Vaterland und Nation, die in anderen Völkern auf im wesentlichen noch immer unbestrittene Wirklichkeiten deuten, vermögen in der Bundesrepublik für sehr viele keine vorrationale Bindung mehr zu bewirken, von der die politische Bildung ausgehen könnte.
Die Tatsache, daß die heute lebende Generation wegen des grausamen Mißbrauchs der nationalen Bezüge demgegenüber mißtrauisch ist, wird hier offenbar lebhaft bedauert. Es wäre doch so schön einfach, von einem allgemein ungebrochenen Nationalgefühl ausgehen zu können. Hier setzt meine Skepsis ein.
({7})
- Ich spreche beides noch an, in dieser Frage gerade das Nationalgefühl.
Das ist nicht mehr die Ergänzung rationaler Aufklärung durch mitmenschliche Erziehung. Das ist etwas ganz anderes. Der Bericht formuliert das so
- auch hier muß ich noch ein Zitat bringen -:
Jedermann wird als Bürger einer geschichtlich gewordenen und räumlich überschaubaren Gesellschaft geboren, die ihre politische Form und eine bestimmte, für dieses Volk konstitutive Kultur hat. Jeweils innerhalb dieser Gesellschaft entfaltet sich der junge Mensch und empfängt seine meist unverlierbare Prägung. Die Bindungen und verbindlichen Pflichten anzunehmen, die sich daraus ergeben, daß er in den ihm jedenfalls zunächst zubestimmten Teil der menschlichen Gesellschaft hineingeboren wird und auf ihn angewiesen ist, gehört zur personalen und politischen Moral.
„Unverlierbare Prägung", „hineingeboren werden", „zubestimmt sein", - das verrät ein durch und durch konservatives, ja irrationales Bild vom Menschen und der Gesellschaft.
({8})
Die Pressefassung des Jugendberichts nennt als Ziel der politischen Bildung, „die Jugend wieder zu einem unbefangenen, natürlichen Verhältnis zu Vaterland und Nation zu bringen". - Wieso „wieder"?, muß ich da fragen. Auf welches frühere, unbefangene Verhältnis bezieht sich das? Es muß dem Autor zugestanden werden, daß er besten Willens handelt. Das will ich gar nicht bestreiten. Er möchte die Tatsache für die politische Bildung nutzbar machen, daß junge Menschen gern stolz auf ihr Land sind. Aber gerade dabei sind wir doch zu äußerster Vorsicht aufgerufen wegen des gewaltigen Mißbrauchs, den es für die Generation, zu der auch ich und viele Mitglieder dieses Hauses gehören, damit gegeben hat. Die Einstellung der Jugend zu ihrem Land muß wachsen, sie darf nicht aufgepfropft werden! Das, was die heute Verantwortung Tragenden dazu tun können, besteht nicht in pathetischen Empfehlungen, nicht in Wiederbelebungsversuchen eines Vaterlandsgefühls aus historisch und politisch vielleicht unproblematischen vergangenen Zeiten, von denen ich nicht ganz genau weiß, ob wir sie in unserer Geschichte finden können. Es besteht vielmehr in nüchternen, nichts verschweigenden Informationen; also Aufklärung, durch die die junge Generation in den Stand versetzt wird, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Es besteht auch in einer gehörigen Portion selbstkritischer Einschätzung unserer eigenen Taten und Verhaltensweisen. Die jungen Leute müssen spüren, daß wir hier unseren eigenen Handlungen gegenüber kritisch sind. Das „hohe Roß" der Selbstsicherheit hat in der politischen Bildung abstoßende Wirkung!
Drittens und schließlich würde ich sagen: Sie besteht auch in Leistungen dm Felde der Politik, die vorbildlich sind und deshalb auf die Jugend wie Vorbilder wirken.
Wäre es nicht angenehmer für uns alle, zu wissen, daß die nachwachsende Generation deshalb stolz auf ihr Land, auf unser Land ist, weil es ein Vorbild an innerer Freiheit und sozialer Gerechtigkeit ist, weil es sich entschlossen hat, alle seine politischen Aufgaben einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands, also seiner wichtigsten Aufgabe, friedlich zu lösen und auf Gewalt zu verzichten, weil es z. B. als erstes der Länder in der Welt - leider bisher als einziges - auf die Herstellung und den Alleinbesitz von Atomwaffen verzichtet hat - das könnte ein Grund für Stolz sein - und weil es bereit ist, einen Teil seiner Souveränität abzugeben zugunsten größerer überstaatlicher Gemeinschaftsformen?
D a s sind Gründe für einen solchen Stolz, aber doch nicht diese mystischen, überholten, einer rationalen Überprüfung nicht standhaltenden Begriffe und Inhalte, die wir in dem entsprechenden Abschnitt des Jugendberichts finden und von denen ich vorhin einige Kostproben gab. Die erwähnten Vokabeln weisen nicht nach, daß dieses Verhältnis zu Vaterland und Nation unbefangen und natürlich wäre.
({9})
- Ich trage hier meine Position vor, Herr Dr. Martin, und ich tue das wirklich aus innerster Überzeugung.
({10})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Dr. Martin?
Bitte!
Herr Westphal, Sie sagen, das sei rational nicht überprüfbar. Sind Sie denn nicht mit mir der Meinung, daß es Grundlagen für unser Leben gibt, die über- oder vorrational sind, die unser Leben unter Umständen 'begründen? Und könnte dazu nicht auch unser Begründetsein in Geschichte und Vaterland 'gehören? Wenn Sie so sprechen, wie Sie es tun, gewinnen Sie niemanden. Was Sie vortragen, ist so iabstrakt, 'daß eis niemand als einen Bestand in seiner menschlichen Existenz
integrieren kann. Ich sage ;es deshalb, weil Sie mich angesprochen haben.
Herr Dr. Martin, genau an der Stelle denke ich seit Jahren nach. Ich komme zu den Schlüssen, 'die ich Ihnen hier vorgetragen habe. Ich gehöre zu ,der Generation, die ;an dieser Stelle am stärksten getroffen 'worden :ist. Das trifft unsere heute nachgewachsenen jungen Menschen nicht mehr in der gleichen Weise. Diese sind über 20 Jahre und nicht in der Zeit geboren, in ,der noch Krieg war. Das ist völlig richtig.
Wir stehen also vor einer anderen Problematik einer anderen jungen Generation. Aber genau deshalb betrachte ich das, so könnte man sagen, fast als eine Art Generationsaulftrag, darauf aufzupassen, daß wir in diesen Dingen die Ratio verwenden und uns nicht auf „vorrationale" Dinge einlassen.
Es ist doch etwas dran an der These, 'daß 'eine nationale Orientierung keine der heute vor uns ,stehenden bedeutsamen Fragen unseres politischen Lebens für unser Land lösen, positiv beeinflussen oder gar beantworten kann. Frieden läßt sich nur international gestalten und sichern. Das Deutschlandproblem, die wirtschaftliche Entwicklung, soziale Gerechtigkeit, Bildungs- und Erziehungsfragen, die Oberwindung ;des Hungers in der Welt, Forschung und technische Entwicklung, alles fordert internationale Orientierung. Dies alles ist nur inernational lösbar. Da hilft uns kein auf Iden deutschen Nabel gerichteter Blick. Es gibt kein Zurück in ein in sich selbst ruhendes Nationalgefühl. Es gibt kein unproblematisches Nationalbewußtsein. Auch der Weg nach vorn, someine ich, führt weder dorthin, noch wieder daran vorbei.
Zum Schluß komme ich auf die Stellungnahme von Bundespräses Bokler zu sprechen, der für das Bundesjugendkuratorium die Kommission zur politischen Bildung leitet und .der einen hervorragenden Namen als Kenner dieser Aufgaben hat. Er kommt aus 'der katholischen Jugendarbeit. In seiner Stellungnahme heißt es unter der Oberschrift „Bedauerliche Einseitigkeiten" :
Der Versuch der Aufwertung des Begriffs „Vaterland". Man kann einfach 'nicht einsehen, warum gerade dieser so 'stark vorbelasteten Vokabel soviel Raum und soviel spürbare Anteilnahme gewidmet wird. Im „Europa der Vaterländer" kann es viel richtiger sein, .als bloßer Europäer gelten zu wollen. Wer will beweisen, daß Alteres auch besser sei?
Die Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums spricht von .einem „mißtrauischen Verhältnis des Berichtsautors gegen eine kritisch-wissenschaftliche Haltung". Man fürchtet, daß dadurch der Unterschied zwischen Tatsachenerkenntnis lund Werturteilen verwischt wird. Das ist von den beiden Vorrednern schon erwähnt worden; sie haben sich 'mit dieser Frage auseinandergesetzt.
Ziel der politischen Bildung muß es gerade in dieser Zeit sein - nagt das Bundesjugendkuratorium in seiner Stellungnahme zu diesem Jugendbericht -, rationale Urteilsfähigkeit, die intellektuelle Unabhängigkeit, eine kritische Unzufriedenheit 'und 'daraus den Mut zu Verbesserungen zu stärken. Dem schließe ich mich gern an.
Der Bericht aber enthält eine ausgesprochen konservative, nicht nach vorn gerichtete Auffassung von den heutigen Aufgaben der poll'itischen Bildung. Sie mag die Ansicht des Herrn Minister's sein 'und auch die der früheren Regierung, unter der dieser Bericht erstellt wurde. Sie sollte nicht die Position 'der neuen Regierung werden!
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dis soeben von meinen 'beiden Vorrednern behandelte Thema der Grundtendenz im Kapitel „Politische 'Bildung" ist wohl das für dieses Parlament wichtigste Thema des Jugendberichts. Bei diesen Passagen muß einmal geklärt werden, wie eigentlich die Einstellung der Bundesregierung zur politischen Bildung ist, von welchem 'Standpunkt aus sie politische Bildung unterstützen will. Ich teile nicht ganz die Ansicht des Kollegen Westphal, ;daß die konservative Grundhaltung 'eindeutig 'die Basis für diesen Bericht abgebe. Ich bin mir kaum darilber klargeworden, was eigentlich die Basis sei. Bestimmte irrationale Momente sicherlich. Aber es ist hier kein eindeutiger Standpunkt zu erkennen, allerdings auch keiner, der uns Liberalen genehm wäre. Die Schwäche 'des Berichts besteht eben gerade darin, ,daß zu verschwommen ist, was hier angeboten wird, 'daß .es zu unklar formuliert ist und daß wir unsdeshalb damit nicht klar genug 'auseinandersetzen können.
Mein Kollege Kubitza hat mit vollem Recht - und das bestätigt sich in dieser Debatte - auf die notwendige Trennung von Tatsachenfeststellung und Wertung hingewiesen, gewissermaßen von Diagnose und Therapie. Eine solche Trennung hätte uns die Diskussion sicherlich erleichtert. Wie verwirrend die Zusammenfassung im Bericht auch für die Sprecher der CDU, ,der ja der verantwortliche Verfasser des Berichts, Herr Bundesminister Dr. Heck, angehört, offensichtlich ist, hat der Kollege Burger deutlich gemacht, indem es ihm gelungen ist, zwei Zitate nacheinander zu bringen, um etwas über das Wesen der Demokratie und 'der Konfiiktsgesellschaft - das Gegenteil der formierten Gesellschaft - zu 'sagen, wobei ;er einmal die Max-Traeger-Stiftung - sicherlich eine wisenschaftlich fundierte Einrichtung -, zum anderen Herrn Armin Mohler genannt 'hat, der einmal einen Satz gesagt hat, den man in diesem Zusammenhang auch zitieren könnte. Nur: der Geist, der aus Herrn Mohlers Schriften sonst spricht, ist sicherlich nicht der Geist der Rationalität und nicht der Geist einer liberalen Demokratie. Das scheint hier also nebeneinander möglich zu sein, und ¡das zeigt die besonderen 'Schwächen in diesem Bericht, auch die Schwächen im Standort unserer Freunde von der Mitte dieses Hauses. Ich kann mir einige Zitate ersparen, weil sie in markanter Weise schon von einigen 'der Vorredner mitgeteilt 'worden sind.
Herr Dr. Martin, Ihnen möchte ich nur sagen: Der Begriff der vorrationalen Bindung ist Inhalt des Jugendberichts, aber klarer und eindeutiger wird er dadurch auch nicht, ganz im Gegenteil. Ich wundere mich nur, wie schnell Sie ihn aufgenommen haben. Ich kenne diesen Begriff nicht, ich kann mit ihm nichts Rechtes anfangen. So geht es mißt vielen dieser Begriffe. Ich meine, es sei ein Stück Irrationalität, das hier durchschimmert. - Nun, Sie sind anderer Meinung.' Vielleicht äußern Sie sich nachher dazu. Sie sind ja Jugendpsychologe ,oder Jugendpsychiater. Es wäre sehr vergnüglich, wenn Sie uns aus Ihrer fundierten wissenschaftlichen Kenntnis heraus einmal Ihren Standpunkt klarmachen wollten. Dann wüßten wir auch, zu welchem Lager wir Sie zu rechnen haben. Es ist für die Entscheidung, wie man politische Bildung fördern soll, nicht ganz unwesentlich, daß sich die beiden Koalitionstraktionen einmal darüber einig werden, wohin die Reise gehen soll. Denn viele Mittel, die bisher ausgegeben worden sind, heben sich in ihrer Wirkung ¡gegenseitig auf, wenn man kein in sich logisches Konzept hat. Man kann das eine oder das andere haben. Aber ein Mixtum compositum, wie man hier gesagt hat, wäre das Schlechteste.
Ich muß jauch zu Herrn Kollegen Westphal noch ein Wort 'der Unterscheidung sagen. Herr Kollege Westphal, Sie haben vom Nationalgefühl gesprochen. Einverstanden! Aber das Nationalbewußtsein ist etwas anderes 'als das Nationalgefühl. Sachlich wäre Ida schon ein Unterschied zu machen. Den kritischen Anmerkungen, die Sie vorgebracht halben, kann man zum Teil durchaus beipflichten. Aber wir sollten die Begriffe nicht verwischen.
Das Schlimmste ist, ,daß die Verfasser des Jugendberichts nach meinem Eindruck, insbesondere wenn sie den Begriff „Vaterland" gebraucht haben, vor allem das 'Gefühlsmäßige dabeli im Auge hatten und nicht das bewußte Sicheinordnen in eine Gemeinschaft von Freien und Gleichen, die über die Nation hinausgeht und gerade die Nachbarnationen mit umfaßt.
Wenn man die Professoren, die sich hierzu geäußert haben, angehört hat und ihre Referate noch einmal nachliest, dann wird auch in einigen anderen Punkten klar, daß diese Bundesregierung, die diesen Bericht vorgelegt hat, und der Minister, der dafür verantwortlich ist, nicht ganz den Kern der wirklichen Schwierigkeiten in der politischen Bildung getroffen haben. Herr Professor Ellwein etwa hat die Frage gestellt - mit Recht! -, ob ,die Verfasser des Berichts nicht ein etwas merkwürdiges Bild von dien Parteien haben und ob sie die Parteien nicht auf einen bestimmten Standpunkt festlegen. Es sollte auch bedacht werden, ob hier der richtige Ausgangspunkt getroffen ist.
Besonders einleuchtend war die Warnung von Professor Ellwein vor einer falschen Idealisierung in der Demokratie, die nur Schaden anrichten könne. Meine Kollegen, welcher Fraktion Sie in diesem Hause auch angehören mögen, Sie haben sicher schon die Erfahrung gemacht, daß Besuchergruppen, gerade Schulklassen, die in dieses Haus gekommen sind und eine Debatte mit angehört haben z. B. in der
Besetzung von heute, nachher Fragen gestellt haben, die uns verraten, wie theoretisch das war, was man ihnen vorher gesagt hat, und wie tief die Enttäuschung über 'die Praxis eines Parlaments nachher sein mußte, die Enttäuschung darüber, wie dieses Parlament in 'der Praxisarbeitet.
Professor Ellwein hat mit Recht darauf verwiesen, ,daß wir mit Begriffen aus dem vergangenen Jahrhundert arbeiten, die dort einen ganz bestimmten Inhalt hatten, die aber heute 'der Realität nicht entsprechen und die wir deshalb übersetzen müssen. Die Schwierigkeit besteht darin, diese Begriffe ,gerade jungen Menschen in unserer Zeit nahezubringen. Dadurch entsteht oft eine Diskrepanz, ja, eine Abneigung und Enttäuschung derjenigen, 'die der Demokratie durchaus wohlgesinnt sind. Ich behaupte, daß wir in diesem Hause nicht nur einmal Besuchergruppen hatten, die nicht ,als Anwälte der parlamentarischen Demokratie nach Hause gegangen sind, sondern mindestens als Skeptiker, wenn nicht gar da und dort als Gegner, 'als tief Enttäuschte. Das hängt mißt dem zusammen, was Professor Eliwein an diesem Bericht kritisiert hat.
Ein anderes Zitat ist in diesem Zusammenhang nicht weniger vielsagend und verrät nicht weniger die Schwierigkeiten, in denen sich ,die Verfasser des Berichts offensichtlich befunden haben. Sie sagen zum Beispiel: „Von entscheidender Bedeutung ist es, klare Vorstellungen über den Begriff der politischen Bildung zu entwickeln". Einverstanden! Das hätten wir natürlich auch gern einmal von der Regierung gehört, denn das steht nicht drin; das hat nachher der Ausschuß in ,dem Bericht mitgeteilt. Die vier Punkte, die aus dem Professorengutachten herausgezogen wurden - ich möchte sie hier nicht noch einmal verlesen; ich verweise auf die Drucksache -, sagen ganz Wesentliches dazu. Die Regierung tut es nicht. Aber sie stellt dann fest - und das ist aufregend, finde ich -:
Mit diesen Fragen und Problemen kann nicht ein Universitätsinstitut oder eine andere „neutrale Stelle"
- die Anführungszeichen sind von der Regierung gesetzt befaßt werden, wenngleich solche Institutionen mit herangezogen werden sollten, denn die verschiedenen Standorte und Wertperspektiven müssen ernst genommen werden.
Wenn die Regierung selbst in dem Bericht eine solche fatale Meinung von sich gibt, daß gewissermaßen die Wissenschaft nicht in der Lage sei, die Urgründe, von denen sie offensichtlich bei der politischen Bildung ausgeht, zu erfassen, wenn sie also die objetiv-kritische Methode für eine solche Frage geradezu als zweitrangig erklärt, muß man doch einige Bedenken, ja sogar schärfste Bedenken gegen manche Standpunkte anmelden, die hier sichtbar werden.
Deshalb hat das Bundesjugendkuratorium, wie ich meine, zu Recht gesagt, daß sich auf Grund solcher Feststellungen die Vermutung aufdrängt, dieser bedenkliche Satz stehe nicht zufällig im Jugendbericht, sei nicht izufällig hineingeraten, sondern entspreche
durchaus der Tendenz der ihm zugrunde liegenden jugendpolitischen Vorstellungen; diese seien nämlich gekennzeichnet durch Mißtrauen gegenüber der Vernunft 'der Aufklärung und der Kritik. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, daß eine solche Stellungnahme sehr einleuchtend ist, wenn man sich diesen Teil des Jugendberichts einmal näher angesehen hat.
Es heißt en anderer Stelle in diesem Bericht zum Beispiel:
Eine isolierte, nur 'die rationalen Kräfte ansprechende Lehre von der Politik ist, wie mehrere Untersuchungen in der Bundesrepublik erwiesen haben, ziemlich wirkungslos. Sie geht nicht unter 'die Haut.
Die Konsequenz aus dieser Behauptung fehlt. Da aber die Gesamttendenz so eindeutig gefühlsbetont und geradezu abweisend gegenüber vernünftigen Argumentationen ist - wenigstens schimmert das so durch -, muß man annehmen, daß die Bundesregierung indirektempfehlen wollte, stärker auf das Gefühlsleben Jugendlicher einzuwirken. Das wäre das Gegenteil von dem, was man eigentlich tun sollte, denn am Gefühlsleben mangelt es bei Jugendlichen im allgemeinen nicht. Es mangelt ihnen doch viel eher .an der kritischen Unterscheidungsmöglichkeit im politischen Bereich. Minister Dr. Heck ist uns, glaube ich, eine Erklärung dafür schuldig, wie es zu ,diesen Formulierungen .gekommen ist und was er damit bezweckt. Es wäre zugleich in diesem Zusammenhang von außerordentlichem Nutzen, wenn wir genau wüßten, wer in der Bundesregierung für dieses Sachgeblet wirklich federführend und zuständig ist. Nach ,der Geschäftsordnung ist es eigentlich der Bundesinnenminister.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Moersch, ist Ihnen nicht bewußt, daß dieser Bericht noch von einer Regierung verabschiedet worden ist, in der Sie sich mit Ihren Parteifreunden befunden haben?
Herr Rollmann, das ist mir durchaus bewußt. Ich habe diese Zwischenfrage schon lange erwartet. - Der Ressortminister ist nun einmal der ,Bundesfamilienminister, und in der Verfassung steht, die Minister führen ihren Geschäftsbereich selbständig. Ich habe nicht gehört, daß in einem solchen Falle im Kabinett etwa eine Redaktionskommission gebildet wurde, denn es handelt sich nicht urn Empfehlungen - dann müßte das Kabinett darüber befunden haben -, sondern es handelt .sich hier um ein Gemenge von Tatsachen, Feststellungen und Wertungen, die meiner Ansicht nach nicht in jedem Einzelfalle 'der Überprüfung durch das Kabinett unterlegen haben.
({0})
- Herr Rollmann, nehmen Sie die Dinge dochetwas genauer. Ich möchte Sie wirklich darum bitten. Sie sind doch .sonst auch in der Lage, genau zu unterscheiden. Im Grundgesetz steht, .daß die Minister ihren Geschäftsbereich selbständig führen. Weil Erhard in diesen Dingen mindestens ein sehr liberaler Mann im Kabinett war, ist die Praxis in 'der Regierung Erhard so gewesen, daß man eben auch die einzelnen Minister ihren Geschäftsbereich selbständig führen ließ und dann einen solchen Bericht vom Kabinett zwar verabschiedet hat, derBericht jedoch in oder vollen Verantwortung des Ressortministers stand. Das ist vielleicht der Unterschied zu früheren Zeiten, auf die Sie anspielen. Mir ist jedenfalls in vielen Fällen aufgefallen, daß in der Regierung Erhard der einzelne Ressortminister mehr oder weniger frei Entscheidungen in seinem Sachgebiet treffen konnte. Das ist auch durchaus im Sinne des Grundgesetzes.
({1})
- Herr Rollmann, .ich sage Ihnen noch einmal - hören Sie ganz genau zu -: Es handelt sich bei der Kritik nicht darum, daß hier Vorschläge deis Kabinetts von mir kritisiert werden müßten, sondern es handelt sich darum, daß in die sprachliche Fassung einer Tatsachenfeststellung Begriffe und Wertungen hineingerutscht sind, die nicht ganz deutlich werden, die aber insgesamt eben zu Bedenken Anlaß geben, ,daß sie also 'deshalb - weil ja sprachliche Fassungen im allgemeinen nicht im Kabinett beraten wenden, sondern nur Ergebnisse - nicht vom Kabinett kritisch bewertet worden sind. Sie sind doch sicherlich nicht ein so großer Illusionist, daß Sie glauben, 'das frühere Bundeskabinett hätte neben seiner vielen sonstigen Arbeit mehrere hundert Sei- ten Jugendbericht Wort für Wort durchgehen können. Die Verabschiedung dieses Jugendberichts hat auch, glaube ich, wenige Wochen vor der Bundestagswahl während der Sommerzeit gedrängt. Der Bericht wurde sehr spät vorgelegt, so daß kaum die Möglichkeit bestand, den Bericht noch einmal 'zur kritischen Überarbeitung zurückzugeben.
Es wäre in der Tat nicht schlecht gewesen - das gebe ich Ihnen zu -, wenn man im Kabinett über diese Punkte schon einmal diskutiert hätte. Dann wäre nämlich möglicherweise klargeworden, daß z. B. Ihre Parteifreunde im Kabinett - hoffentlich nicht samt und sonders - den Standpunkt geteilt 'hätten, der hier drinsteht. Ich möchte das gar nicht von vornherein unterstellen; aber die Mehrheit Ihrer Kabinettsmitglieder und Ihrer Fraktion scheint mir nach dem, was ich heute gehört habe, ungefähr mit dieser Richtung übereinzustimmen. Das ist auch schon in anderen Fragen deutlich geworden.
Das Parlament hat aber die 'Pflicht - gerade wenn es sich um eine höhere Effektivität der politischen Bildung zu bemühen hat, und das haben wir auch in der Zukunft zu tun -, ganz besonders einmal diesen Teil zu durchleuchten, der sich mit der Jugend befaßt. Daß ein wesentlicher Teil der Jugend, nämlich 'etwa die Bundeswehrangehörigen, 'die Wehrpflichtigen, hier fehlen, ist sicherlich ein großes Versäumnis. Wir Liberalen stehen mit den Bedenken
nicht ,allein, . welches Verhältnis zur Demokratie Jugendliche eigentlich gewinnen sollten, die von Menschen gefördert und erzogen werden, die ,offensichtlich doch sehr stark das Irrationale betonen und der Ratio keine große Chance geben, die sich hier also durchaus in einem, ich möchte sagen, ungebrochenen Verhältnis zu gewissen Teilen der deutschen Geschichte befinden. Deshalb freut es uns ganz besonders, daß zwei Kommentatoren des Berichts, nämlich die Professoren Messerschmidt und Ellwein, hier die kritische Sonde angelegt haben, obwohl beide - das muß sich sagen - nicht Parteigänger der FDP sind, nicht der liberalen Partei angehören.
({2})
- Das sind kritische Demokraten, Herr Ott. Das ist vielleicht ein gewisser Unterschied. Ich möchte diesen Unterschied jedenfalls in diesem Fall betonen.
Hier geht es in Wahrheit gar nicht so sehr um das Liberale; das halben Sie vielleicht bei Herrn Kollegen Westphal nicht recht verstanden. Wir sind in vielen Dingen anderer Meinung. Aber in der Frage Demokratie sind wir einer Meinung. Dagegen lese ich hier in diesem Bericht eben .eine obrigkeitsstaatliche Haltung aus gewissen Passagen heraus. Das Irrationale und das Obrigkeitsstaatliche gehören traditionell durchaus zusammen, und das ist das Beunruhigende an der ganzen 'Sache. Deswegen haben die beiden Professoren gerade auf diesen Punkt ganz besonders hingewiesen.
Nun kommt ,das, was eigentlich die meiste Beachtung in diesem findet. In dem Bericht 'list ein bemerkenswerter ,Satz enthalten, der lautet - nachdem man sich über alle Möglichkeiten der politischen Bildung ausgelassen hat -: „Die gesamte Offentlichkeit ist der stärkste Erziehungs- und Bildungsfaktor." Das ist sicher ein wahres Wort. Aber gerade weil es so wahr ist, ist es so bedenklich, daß' es in wichtigen Ressorts dieser Bundesregierung Personen gibt, die vom obrigkeitsstaatlichen Denken geprägt sind. Sie prägen nämlich dann und erziehen ,damit auch die Jugend und die Offentlichkeit in einer Richtung, die unseren demokratischen Vorstellungen nicht entspricht.
({3})
Herr Ott, Sie können sich ja damit auseinandersetzen. Das ist unsere Ansicht, das ist unsere Meinung 2u den Dingen. Sie haben vorhin einige andere kritische Beiträge von anderer Seite gehört. Es wäre doch wirklich nützlich, sich damit zu beschäftigen. Oder wollen Sie etwa behaupten, daß der von Ihren Fraktionskollegen angeführte Kronzeuge Armin Mohler etwa kein Vertreter obrigkeitsstaatlicher Ideen und Gedanken sei? Das ändert sich auch dadurch nicht, daß ihm ein Adenauer-Preis verliehen worden 'ist, sondern bestätigt dm Gegenteil eher meine Befürchtungen, auch wenn Sie das nicht so gemeint 'haben sollten.
({4})
Nein, hier geht es ganz einfach um folgendes: Wenn man den Satz anerkennt, daß das, was die
Politiker tun, außerordentlich prägend wirkt, haben die Politiker allen Anlaß, ihr Verhalten einmal rational zu untersuchen. Ihre Zurufe ({5}) beweisen mir geradezu, wie notwendig es ist, daß Sie das rational untersuchen, daß sie sich klar über das werden, was Sie hier sprachlich ausdrücken, was da an Gefühlen, an Irrationalem dahintersteckt. Wenn Sie einmal über diese Zusammenhänge kritisch nachgedacht haben, sich dieser Dinge bewußt geworden sind und überprüfen, was Demokratie eigentlich erfordert, dann werden wir, wie ich glaube, in diesem Hause besseren Zeiten ,entgegengehen. Ich meine, das wäre für Sie sein guter Anlaß, hier einmal anzusetzen. 'Es wird doch ausdrücklich betont, daß gerade für die Jugend das Vorbild ganz wesentlich sei; das ist unbestritten.
Wir Liberalen in diesem Hause wünschen uns eine Jugenderziehung und eine politische Bildung, die zu urteilsfähigen kritischen Demokraten führt. Das wünschen wir uns, und das sollten Sie alle sich wünschen. Wenn Sie diesen Bericht lesen und in seinen einzelnen Passagen genau 'studieren, kommen Sie hoffentlich mit uns zu der Meinung, daß die demokratische Erziehungs- und Bildungsaufgabe gar nicht sosehr bei .der Jugend beginnt als vielmehr bei denen, die ihr Vorbild zu sein hätten.
({6})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Stommel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme nun zu einem ganz anderen Thema. Aber zuerst möchte ich einmal Blumen überreichen, keine Rosen mit Domen, wie Herr Westphal das tat. Es soll vielmehr ein Dank an das Ministerium, an den Herrn Minister und seine Mitarbeiter für die wertvolle Arbeit sein, die er uns zur Verfügung gestellt hat.
({0})
Diese Arbeit ist eine Grundlage für weitere schriftliche Ausarbeitungen. Wir sind sehr froh, daß wir auf dieser Arbeit weiter aufbauen können.
Lassen Sie mich in der Debatte über den Jugendbericht auch noch einiges über die Lage der Jugend in Mitteldeutschland sagen. Es handelt sich, wie wir gehört haben, um den ersten Jugendbericht der Bundesregierung, den sie dem Bundestag vorlegte. Die Bundesregierung hat versucht, den § 25 Abs. 2 des Jugendwohlfahrtsgesetzes, auf den sich der ganze Jugendbericht stützt, so auszulegen, daß auch die mitteldeutsche Jugend einbezogen werden konnte. Das ist nicht ganz selbstverständlich, weil man auf dem Standpunkt stehen kann, daß Gesetze nur im Geltungsbereich des Grundgesetzes Gültigkeit haben. So ist es auch zu verstehen, daß in dem Bericht die Ausführungen über die mitteldeutsche Jugend nicht den Umfang haben wie die Ausführungen über die Jugend in der Bundesrepublik.
Vergleiche zwischen den Jugendorganisationen hüben und drüben anzustellen, dürfte sehr schwer und auch nicht wirklichkeitsnah sein. In weiten BeFrau Stommel
reichen wäre zwar eine Gegenüberstellung möglich; die Schwierigkeit liegt aber darin, daß alle Berichte, wenn sie an uns gelangen, schon überholt sind. Das trifft besonders auf unsere Informationen aus Mitteldeutschland zu.
Ein Vergleich zwischen den Jugendorganisationen ist schon deshalb schwer, weil das, was man hier unter Jugendorganisation versteht, drüben gar nicht zugelassen ist. Die FDJ ist keine freie Jugendorganisation, sondern das Gegenbild. Wenn man untersucht, wie sich die Jugend in der Zone in Gesellungsformen zusammenfindet, stellt man fest, daß es hierfür keine Parallelen gibt. Hier muß man mit in Betracht ziehen, daß sich viele Jugendlichen organisieren müssen, um für ihre Ausbildung oder Berufsfindung eine gesellschaftliche Betätigung nachweisen zu können. Sie begehen hier Ausweichhandlungen, indem sie in den FDGB gehen. Im Schnitt ist drüben jeder zweite Jugendliche in der FDJ organisiert. Bei den Schülern liegt der Prozentsatz aber beträchtlich höher, etwa bei 80 %. Der FDJ ist es so gut wie nicht gelungen, in den Betrieben bei den Werktätigen Boden zu gewinnen; deswegen wird der FDGB für die Bewußtseinsbildung der Jugend mit eingespannt.
Hier wäre auch die gesellschaftliche Integration der jungen Generation in Mitteldeutschland zu beleuchten. Hier geht es auch zunächst um die Zugehörigkeit zu den Organisationen, besonders der FDJ, vor allem um die soziologische Gliederung in der Mitgliedschaft. Es ist hochinteressant, darüber in den Berichten zu lesen, die uns zugänglich geworden sind. Man stellt hier fest, daß die Organisationsdichte dort am stärksten ist, wo erstens starke Abhängigkeit existiert und zweitens besonders große Aufstiegschancen gegeben sind. An der Spitze stehen die Offiziere der Volksarmee, die Jungakademiker und die Studenten. Trotzdem scheinen die Studenten dem Regime dort am kritischsten gegenüberzustehen. Die jungen Arbeiter, die Facharbeiter und die Hilfsarbeiter sind am wenigsten organisiert.
Im übrigen sollten wir nicht glauben, daß die Jugend in Mitteldeutschland dem System positiv gegenübersteht, vielmehr muß man auch nach neueren Berichten feststellen, daß sich die jungen Leute gezwungenermaßen mit dem System arrangiert haben, um vorwärtszukommen. Das Engagement habe, wie man hört, dagegen eher abgenommen als zugenommen. In Briefen kann man immer wieder feststellen, mit welch erstaunlicher Offenheit von Jugendlichen aus Mitteldeutschland Kritik am System geübt und wie Stellung bezogen wird. Es gibt auch heute noch viele Informationen über die mitteldeutsche Jugend, die, wenn man sie regelmäßig verfolgt, ein gutes Bild vermitteln.
Hier läßt auch der Brief eines jugendlichen Hörers an den Sender RIAS aufhorchen. Dieser Jugendliche schreibt:
Wir selbst kaufen keine Zeitung und beteiligen uns an nichts. Natürlich fällt auch keine Prämie und so weiter für uns ab. Aber das nehmen wir gerne in Kauf, dafür brauchen wir
auch nicht zu heucheln. Uns ärgert es immer ganz besonders, wenn wir mit Bekannten ins Gespräch kommen, deren westliche Einstellung wir genau kennen und die sich immer damit herausreden, lindem sie sagen: wir müssen. Daß es nicht so ist, sehen Sie an uns.
Soweit aus einem Brief eines Jugendlichen aus Mitteldeutschland an den Sender RIAS.
Wenn wir hören, daß sechs Millionen junge Deutsche im Alter bis zu 25 Jahren in Mitteldeutschland unter kommunistischem Einfluß aufwachsen, also an der freien 'Entfaltung ihrer Persönlichkeit behindert sind, so müssen wir uns fragen: Spricht die Jugend hüben und drüben noch die gleiche Sprache?
Wir haben Kenntnis davon erlangt, daß die Kinderferienlager in der Sowjetzone sich verstärkt der Schießausbildung der Kinder widmen. Es heißt in einem Bericht, daß die Kinder einen Teil der Freizeit dafür opfern müssen. Laut „Schweriner Volkszeitung" haben beispielsweise Kinder aus Schwerin in einem zentralen Pionierlager bei Waren „298 Aufbaustunden am Schießstand geleistet". Den besten Schützen wird ein Schießleistungsabzeichen verliehen. Sogar goldene Schießabzeichen sind bereits an Kinder vergeben worden.
Doch nicht nur bei schulpflichtigen Kindern, sondern auch im Kindergarten wird die Intensivierung der, wie es heißt, „sozialistischen Erziehung" betrieben. Über die Möglichkeiten einer Intensivierung der sozialistischen Erziehung bereits im Kindergarten wird diskutiert bzw. ist schon - nämlich auf dem IV. Internationalen Seminar zu Fragen der Vorschulpädagogik im September in Ost-Berlin - beraten worden. Wie die Leiterin des Vorbereitungskomitees dazu erklärte, werden in diesem Jahr Fragen der „gesellschaftlichen Verantwortung des Kindergartens für die sozialistische Erziehung der Kinder" und die „Rolle der sozialistischen Erzieherpersönlichkeit" im Mittelpunkt der Erörterungen stehen. Sie merken schon, meine Damen und Herren, wie schlecht uns eigentlich die Vokabeln über die Lippen gehen. Es heißt hier:
Wir gehen davon aus, daß der Kindergarten als eine ganztägige Erziehungseinrichtung durch die Art und Weise der Gestaltung des Lebens im Gruppenkollektiv Möglichkeiten besitzt, seinen Anteil an der Persönlichkeitsbildung des sozialistischen Menschen wesentlich zu erhöhen.
Aber das Regime drüben hat auch seine großen Sorgen über die Haltung der Jugend. Die Abteilung für Volksbildung hat erklärt, daß die FDJ an den Berufsschulen bisher nicht die ihr zugedachte führende Rolle hat:
Es wurde offensichtlich, daß der natürliche Verbündete im Bildungs- und Erziehungsprozeß, der sozialistische Jugendverband, an den Berufsschulen ungenügend wirksam wurde.
Ferner wurde festgestellt, daß der sozialistische Jugendverband in vielen Schulen und Klassen nicht
die Rolle als Partner der Lehrer und Erzieher spielt, die ihm als Erziehungsträger zukommt.
Eine stärkere Politisierung des Unterrichts an den Volksschulen in der Sowjetzone wird in einer der letzten Ausgaben der in Ost-Berlin erscheinenden „Deutschen Lehrerzeitung" gefordert. Ideologische Fragen und Probleme müßten stärker in den Mittelpunkt des Unterrichts gestellt werden, heißt es in dem Organ des Ministeriums für Volksbildung. Gegenwärtig komme die politisch-ideologische Bildung und Erziehung der jungen Menschen zur Erhöhung ihres sozialistischen Bewußtseins an den Schulen generell zu kurz. Wenn ich hier an die Debatte denke, die wir bisher geführt haben und in der wir über die Freiheit unserer Jugenderziehung diskutieren konnten, so gibt dies ein wirkungsvolles Bild.
Und wenn uns Ende Juli dieses Jahres Nachrichten zukommen, daß Kinder in den Ferienlägern aufgefordert werden, „Mauerbau" zu spielen, muß auch das uns aufhorchen lassen. Hier sollen Kinder in der Zone aus Anlaß des Jahrestages des Mauerbaus in Berlin am 13. August an Nachtübungen der Ferienläger teilnehmen und „Mauerbau" spielen. Dazu hat das Organ der FDJ-Funktionäre aufgefordert. Das nächtliche Übungsspiel, so heißt es in dem Funktionärsorgan, soll „dem beispielhaften Einsatz unserer Genossen Kämpfer gewidmet" sein.
Das sind einige Auszüge von Nachrichten, die uns erreichten, und hier gilt wirklich die Frage: Sprechen die Jugendlichen hüben und drüben noch die gleiche Sprache, und wie weit reicht der Einfluß der Funktionäre? Von da her befindet sich die SED heute in der Situation, daß sie die Jugend in einer äußeren Weise im Griff hat und deshalb alles daransetzt, die junge Generation auch psychologisch zu gewinnen. Das ist die Situation, wo ein künftiger Jugendbericht neue Akzente setzen müßte. Wir finden in Mitteldeutschland heute im Gegensatz zu manchen Ostblockländern die Tatsache vor, daß die ideologische Beeinflussung, wie ich schon aufzeigte, nicht schwächer, sondern viel stärker geworden ist. Die Erziehung zum Haß z. B. ist wieder eingeflossen in die neuen Richtlinien über die staatsbürgerliche Erziehung der Schuljugend.
Wie stellt sich nun die Jugend dort drüben zu all diesen Einflüssen, und wie sind ihre Beziehungen zum Elternhaus? In der Praxis versucht der Staat allerhand Maßnahmen, die auf eine Zerstörung der Familie hindrängen. Hierzu gehört besonders die rücksichtslose Anwendung des Gleichberechtigungsgrundsatzes der Verfassung, durch die auch die Mütter selbst kleiner Kinder dazu gebracht werden, eine Berufsarbeit aufzunehmen. Auf diese Weise sind viele junge Menschen in Mitteldeutschland heute in der schwierigen Lage, daß das Familienleben erheblich behindert ist. Trotzdem haben sich gerade die familiären Bindungen als eine große Kraftreserve im inneren Widerstand gegen die „sozialistische Bewußtseinsbildung" erwiesen. Da es kaum freie unpolitische Gesellschaftsformen gibt, denen sich die Jugendlichen zugesellen können, wird die Familie praktisch zum wesentlichen Raum des Privaten. Die sozialen Kräfte der Jugendlichen drängen gerade hier zur Entfaltung.
Was hier für die Familie gesagt ist, trifft auch auf den Raum der Kirche zu, da auch den Kirchen das öffentliche Wirken weitgehend versagt ist. Aber auch hier zeigt sich z. B. am Wirken und an der Wirksamkeit der Jungen Gemeinde im Bereich der evangelischen Kirche, daß sich gerade auch die Jugend am inneren Widerstand gegen den Atheismus beteiligt.
Die massenhafte Flucht der Jugendlichen bis zum 13. August 1961 - fast die Hälfte der Flüchtlinge waren Jugendliche bis zu 24 Jahren - ist ein genaues Kennzeichen für die tatsächlichen Ergebnisse der kommunistischen Politik, wie sie nun bereits seit zwei Jahrzehnten in Mitteldeutschland herrscht. Heute, da die Grenzen hermetisch abgeschlossen sind und schwer bewacht werden, muß die junge Generation das dirigistische Erziehungssystem wohl oder übel über sich ergehen lassen. Aber sie läßt sich offensichtlich nicht so formen, wie die Partei es anstrebt.
Nun sollten wir uns fragen: Was bleibt hier zu tun? Anstreben sollte man in verstärktem Maße den Kontakt Jugendlicher zwischen hüben und drüben, und formalistische Schwierigkeiten dürfen uns hier nicht mutlos machen. Wir sollten auch hier nur das gemeinsam Verbindende sehen. Fördern sollte man auch wieder den Briefwechsel zwischen Schulklassen, hier besonders mit Oberschülern. Es hat immer schon Briefwechsel zwischen Schülerklassen der SBZ und der Bundesrepublik gegeben, doch ist von drüben versucht worden, den individuellen Charakter des Briefverkehrs aufzuheben. Heute ist diese Form des Schriftwechsels weitgehend eingeschlafen. Er sollte wieder intensiviert werden.
Abschließend noch ein Hinweis. Der Deutsche Bundestag hat vor kurzem die Bundesregierung aufgefordert, jedes Jahr einen Bericht über die Lage der Nation vorzulegen. Ich meine, es wäre sinnvoll, daß gerade auch in dem Bericht über die Lage der Nation über die Situation und die Probleme der jungen Generation im geteilten Deutschland berichtet wird.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schimschok.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht der Bundesregierung über die Lage der Jugend und über die Bestrebungen auf dem Gebiete der Jugendhilfe befaßt sich auch mit der Jugendkriminalität. Man kann von einem Bericht über die Lage der Jugend, in dem nicht nur Sachprobleme behandelt und Schwerpunkte aufgezeigt werden, nicht erwarten, daß er auf jeden Bereich ausgiebig eingeht. Trotz gemäßigter Erwartungen muß festgestellt werden, daß hier die Gelegenheit, den Gesetzgeber wie die Offentlichkeit über die Jugendkriminalität im Bereich des Möglichen zu informieren, nicht genutzt wurde. Der Bericht bringt eine Fülle von statistischem Material
mit kurzen, meiner Meinung nach überflüssigen Interpretationen. An Hand der Statistik kann jeder an diesen Fragen interessierte Leser selbst ersehen, wie der Anstieg der Kriminalität auf dem einen oder anderen Gebiet ist.
Obwohl es sehr schwierig sein mag, Allgemeingültiges über die Ursachen der Jugendkriminalität auszusagen, da bei jedem einzelnen straffällig gewordenen jungen Menschen auf mehrere Ursachenfaktoren hingewiesen werden kann, glaube ich, daß es sich die Ersteller des Berichts zu leicht gemacht haben, wenn sie erwähnen, die Jugendkriminalität sei ein Teil der allgemeinen Kriminalität und spiegele wie diese die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Zeit wider; darin sei nicht nur die komplexe Natur der Kriminalität, sondern auch die Schwierigkeit begründet, ihre Ursachen zuverlässig zu bestimmen.
Die wenigen in dem Bericht angeführten Stichworte wie Akzeleration, Fehlen eines Elternteils und mangelnde Geborgenheit auf Grund gelockerter Familienbande reichen nicht aus, zumal da in zahlreichen wissenschaftlichen Büchern über Jugendkriminalität viele andere Gesichtspunkte aufgezeigt werden.
Außerdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß auch nicht mit 'der richtigen pädagogischen Einstellung an die Auswertung ,der Statistik herangegangen worden ist. Auf Seite 42 ist zu lesen - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Bei den Jugendlichen und Heranwachsenden ist der sehr hohe Anteil der Vermögensdelikte an ihrer Gesamtkriminalität kennzeichnend. Leider läßt sich aus der Statistik nicht ersehen, inwieweit es sich hier um ,geringfügige Delikte mit kleinem oder aber um schwerere Delikte mit größerem Schaden handelt.
Meine Damen und Herren, ,ob der angerichtete Schaden groß oder klein ist, ist vor allem für den Geschädigten von Interesse. Aber entscheidend für die vom Jugendgericht zu treffenden Maßnahmen ist nicht die Größe des angerichteten Schadens, sondern die kriminelle Initiative, die der Jugendliche oder der Heranwachsende bei der Tat entwickelt hat, da sie uns neben 'den Motiven Aufschluß über den Grad der Schädigung bzw. über die Persönlichkeit des Täters geben kann. Wenn wir dem jungen kriminell gewordenen Menschen gerecht werden wollen, dann muß uns ,der Täter wichtiger sein als die Größe des durch die Straftat verursachten materiellen Schadens.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob unser 1953 geschaffenes Jugendgerichtsgesetz, abgesehen von einer künftigen grundlegenden Neuregelung, nicht einer baldigen Novellierung bedarf, nach der alle Heranwachsenden bis zu 21 Jahren dem Jugendstrafrecht unterstellt werden, wobei allerdings sichergestellt sein muß, .daß der Richter bei Kapitalverbrechen auch die Möglichkeit hat, über das jetzige Höchstmaß der Jugendstrafe hinauszugehen. Gerichte wie Sachverständige sind bei der Beurteilung des Heranwachsenden, ob erseiner
Reife entsprechend einem Jugendlichen oder einem Erwachsenen gleichzustellen ist, vielfach überfordert. Es kommt auch insofern für Heranwachsende zu Ungerechtigkeiten, als im ,allgemeinen bei großstädtischen Gerichten, die Gutachten psychologischer und psychiatrischer Sachverständiger einholen, häufiger als bei Gerichten in ländlichen Gegenden, wo man seltener Sachverständige anhört, das Jugendrecht Anwendung findet. Es sollte also nicht nur im Jugendwohlfahrtsgesetz, sondern auch im Jugendgerichtsgesetz ,die Erziehbarkeit junger Menschen bis zur Volljährigkeit grundsätzlich bejaht werden. Die Forderung der Fachkreise, z. B. der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe, würde damit erfüllt.
Es wäre gut gewesen, wenn in dem Bericht auch etwas über die soziale Auffälligkeit der Kinder ausgesagt worden wäre, damit sich ein abgerundeteres Bild ergeben hätte. Ich hoffe, daß diese Frage in einem anderen Bericht über die Lage 'der Jugend mit behandelt wird.
In ,dem Bericht steht, daß sich 1962 unter den Zugängen der Jugendarrestanstalten 5063 befanden, die schon ein- oder mehrmals Jugendarrest verbüßt hatten oder zu Gefängnis verurteilt waren. Das zeigt wohl die Fragwürdigkeit der Ausführung dieser Maßnahme. Es dürfte dann allerdings auch von Interesse sein, wie hoch der Anteil junger Rückfallstäter in den Strafanstalten ist. Wichtig erscheint mir hierbei, zu untersuchen, ob unser Strafvollzug in seiner Wirklichkeit noch den 'heutigen pädagogischen Vorstellungen entspricht.
Ich bitte wie meine Vorredner, die folgenden Berichte über die Lage der Jugend von Sachverständigen und Praktikern erstellen zu lassen. Der Forderung, den gesetzgeberischen Gremien Orientierungshilfe zu sein, 'wird dieser Bericht nicht gerecht.
Abschließend möchte ich sagen: wenn heute tatsächlich mehr Jugendliche als früher kriminell werden, 'dann 'sollten wir neben und wegen der Gefahr, die sie für die Gesellschaft bedeuten, vor allem ihre Erziehungsbedürftigkeit sehen und bemüht sein, sie fähig zu machen, die sozialen Folgen ihrer Handlung zu überdenken und sich in die menschliche Gemeinschaft einzuordnen.
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Meine Damen und Herren, dies war eine Jungfernrede.
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Wie ich nachträglich gehört habe, hat auch die Vorrednerin, Frau Abgeordnete Stomimel, ihre Jungfernrede gehalten.
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Ich möchte herzlich gratulieren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur selten war die Jugendpolitik in den Debatten ,dieses Hauses ein zentrales Thema. Der Jugendbericht der Bundes6290
regierung und das Echo, das er in der deutschen Öffentlichkeit, in den Fachkreisen und schließlich indiesem Hause und im Ausschuß für Familien-und Jugendfragen gefunden hat, vor allen Dingen aber das Echo in der jungen Generation und in ihren Verbänden selbst gibt uns erfreulicherweise Gelegenheit, einmal die ganze Breite der Jugendpolitik der Bundesrepublik hier in diesem Hause zu erörtern.
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Von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei haben sich die Kollegen Kubitza und Moersch mit mehr oder minder freundlichen oder unfreundlichen Bemerkungen mit diesem Jugendbericht beschäftigt. Ich glaube aber, dem, was die 'Pflicht der Opposition ist, nämlich eine eigene Konzeption zur Jugendpolitik vorzutragen, wie sie von seiten der Bundesregierung vertreten wird, ist die Opposition heute hier wie auch auf anderen Gebieten leider nicht nachgekommen.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kubitza?
Bitte!
Herr Kollege Rollmann, glauben Sie nicht, daß es .die Aufgabe der Regierung gewesen wäre, nachdem der Jugendbericht nunmehr zwei Jahre vorliegt, erst einmal ihre Konzeption, ihre Konsequenzen vorzulegen, und daß dann dazu die Opposition hätte Stellung nehmen können?
Lieber Herr Kubitza, wenn Sie eine solche Frage an mich stéllen, dann beweist das, daß Sie den zweiten Teil ,des Berichts der Regierung nicht gelesen haben.
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Dort ist sehr ausführlich dargestellt, welches die Konzeption der Bundesregierung ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nuneinige Worte zu den gesetzlichen Grundlagen sagen, auf denen sich in den vergangenen Jahren unsere Jugendpolitik vollzogen hat und auf denen sie sich in den kommenden Jahren wird vollziehen müssen, nämlich einmal dem Jugendwohlfahrtsgesetz und zum 'anderen dem Bundesjugendplan.
Die CDU/CSU hat .die Novellierung des alten Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 für notwendig gehalten und am Ende der 3. Legislaturperiode hier im Bundestag gegen mancherlei Widerstände verwirklicht. Schon hier in diesem Hause war eine Reihe von Bestimmungen dieser Novelle verfassungsrechtlich umstritten. Nach ihrem Inkrafttreten sind diese Bestimmungen durch Normenkontrollklagen und durch Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfasungsgericht angefochten worden. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat sehr lange gedauert, so lange, daß wir in den vergangenen Jahren im Bereich der 'gesamten
Jugenndpolitik eine beträchtliche Rechtsunsicherheit gehabt haben,
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die leider manche Initiative gelähmt hat. Heute, im Rückblick, können wir jedoch sagen: was lange währt, wird endlich gut. Denn am 18. Juli dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung verkündet und im wesentlichen und in den entscheidenden Bestimmungen das Jugendwohlfahrtsgesetz von 1961 für verfassungsmäßig erklärt. Ich möchte hier keine alten Wunden aufreißen, insbesondere nicht bei unseren verehrten Freunden von der Koalition. Aber ich glaube, sie werden verstehen, daß die Fraktion der CDU/CSU mit großer Genugtuung von diesem Urteil Kenntnis genommen hat, nicht nur weil uns damit durch das höchste deutsche Gericht bestätigt wurde, daß wir uns im Jahre 1961 verfassungsmäßig auf dem richtigen Wege befunden haben, sondern vor allen Dingen aus dem Grund, weil dieses Urteil die Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet der Jugendpolitik in den letzten Jahren beseitigt und den Weg frei gemacht hat für neue, nunmehr verfassungsrechtlich gesicherte Initiativen in der Jugendpolitik der Bundesrepublik Deutschland.
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Haben wir nicht angesichts der Klagen der Länder und Städte sechs Jahre hindurch, in denen das Verfahren in Karlsruhe schwebte, befürchten müssen, daß das Bundesverfassungsgericht den Begriff der „öffentlichen Fürsorge" nach Art. 74 des Grundgesetzes so eng auslegen würde, daß der Bund seine Zuständigkeit für den Bereich der gesamten Jugendpflege - also für die Freizeithilfen, für die außerschulische Jugendbildung, für die internationalen Jugendbegegnungen und schließlich auch für die Förderung der Jugendverbände - verlieren würde, und drohte uns nicht insoweit auch der Bundesjugendplan, dieses große Werk der Förderung der jungen Generation, in unserem Land zerschlagen zu werden?!
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Wurde nicht jede wesentliche Weiterentwicklung des Bundesjugendplans durch die Rechtsunsicherheit der vergangenen Jahre blockiert und eröffnet uns nicht die Auslegung, die das Bundesverfassungsgericht dem Begriff der öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 gegeben hat, nunmehr die verfassungsrechtlich gesicherte Grundlage für ein Ausbildungsförderungsgesetz des Bundes?!
Wir sind doch in diesem Hause in den vergangenen Jahren mit dem Ausbildungsförderungsgesetz des Bundes nicht vorangekommen, weil einige Länder dem Bunde die Zuständigkeit für ein solches Gesetz immer wieder bestritten haben
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und weil sie sich jetzt sogar zu weigern scheinen, die Ausbildungsförderung in den Katalog der Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern aufzunehmen. Ich habe es immer als ein bitteres Versäumnis empfunden, daß wir neben den vielen GeRollmann
setzen, die wir in den vergangenen 20 Jahren in diesem Hohen Hause zustande gebracht haben, niemals ein einheitliches Ausbildungsförderungsrecht geschaffen haben,
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ein Ausbildungsförderungsrecht für alle jungen Menschen in unserem Lande, mögen sie nun in Flensburg oder in Konstanz, in Passau oder in Saarbrücken wohnen, um ihnen wenigstens eine gewisse materielle Gleichheit der Startbedingungen zu geben, der Möglichkeit, unbehindert durch wirtschaftliche Sorgen lernen zu können, ausgebildet zu werden und sich fortbilden zu können.
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Aus der Sicht der Bundesfinanzen ist ein solches Ausbildungsförderungsgesetz heute schwieriger zu verwirklichen als noch vor wenigen Jahren. Aber ich meine, daß wir an diese wichtige Aufgabe nun wirklich herangehen müßten. Ich würde es eher in Kauf nehmen, ein solches Ausbildungsförderungsgesetz zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft treten zu lassen, als auf die Verabschiedung eines solchen Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode überhaupt zu verzichten.
Alle Bestimmungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes, die das Verhältnis der freien Jugendhilfe zur öffentlichen Jugendhilfe regeln, die die Förderung und Finanzierung der freien Jugendhilfe den Kommunen und ihren Jugendämtern zur Pflicht machen, sind in Karlsruhe für verfassungsmäßig erklärt worden. Ich möchte hier die ganz bestimmte Erwartung der Fraktion der CDU/CSU zum Ausdruck bringen, daß auch jene Kommunen in der Bundesrepublik, die mit Rücksicht auf das Verfahren in Karlsruhe in den vergangenen Jahren diese Bestimmungen nicht in ihrem vollen Umfang angewandt haben, nunmehr in Zukunft uneingeschränkt nach diesen Bestimmungen verfahren. Ich möchte auch unsere Erwartung aussprechen, daß die Länder jene Ausführungsbestimmungen nach § 5 und § 8 des Jugendwohlfahrtsgesetzes, deren Erlaß bereits seit Jahren ansteht, nach der Entscheidung von Karlsruhe nunmehr ergehen lassen. Es gibt keinen Grund mehr - für kein Land der Bundesrepublik und für keine Kommune der Bundesrepublik -, irgendeine der für verfassungsmäßig erklärten Bestimmungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes nun nicht in des Sinnes und des Wortlauts voller Bedeutung in der Zukunft anzuwenden.
Der im Jugendwohlfahrtsgesetz verankerte Rang der freien Jugendhilfe, die Förderungs- und Finanzierungspflicht der öffentlichen Hand ist der gesetzliche Ausdruck eines Kernstücks unserer Jugendpolitik, wie wir sie in den vergangenen 20 Jahren im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden getrieben haben. Wir sind sehr befriedigt, daß dieses Kernstück unserer Jugendpolitik nun auch seine verfassungsgerichtliche Feuerprobe bestanden hat.
Dieser Grundsatz unserer Jugendpolitik ist nicht das Ergebnis irgendwelcher theoretischer Überlegungen, sondern das Ergebnis von Erfahrungen, die wir in unserem Lande in den vergangenen Jahrzehnten mit der Leistungsfähigkeit der Jugend- und der Jugendwohlfahrtsverbände gemacht haben. Das, was unsere Jugendverbände tagtäglich in der Jugendpflege an der organisierten und nichtorganisierten Jugend unseres Landes vollbringen, das, was die Jugendwohlfahrtsverbände in der Jugendfürsorge leisten, das kann ihnen kaum durch die Gemeinde oder durch den Staat abgenommen werden,
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sondern muß von dort angeregt und gefördert werden.
Die Zeit der Jugendbewegung ist vorbei, und sie kehrt nicht mehr wieder. Aber mit leistungsfähigen Jugend- und Jugendwohlfahrtsverbänden und mit ihren ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern steht und fällt ein wesentlicher Träger der Jugendhilfe in unserem Lande überhaupt. Das ist unsere Haltung zu den Verbänden der freien Jugendhilfe, und sie kommt in erfreulicher Eindeutigkeit auch im Jugendbericht der Bundesregierung zum Ausdruck. Wir wünschen uns lebendige, schöpferische und - das ist gerade ihr Vorteil - vor allen Dingen unbürokratische Jugend- und Jugendwohlfahrtsverbände und wir würden nichts mehr bedauern als Phantasielosigkeit, Routine und Versteinerung.
In den vergangenen Jahren ist nicht nur die Förderung der Jugend- und Jugendwohlfahrtsverbände durch Staat und Gemeinde, sondern auch die Anregung ihrer Arbeit immer bedeutungsvoller geworden. Art und Umfang der internationalen Jugendbegegnungen, die im Jugendbericht der Bundesregierung eine so breiten Raum einnehmen, was wären sie z. B. ohne die Ideen, ohne die Initiativen und ohne die Aktionen, die in den vergangenen Jahren von der Bundesregierung und dem Bundesminister für Familie und Jugend immer wieder ausgegangen sind?
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Mir will scheinen, daß die freie Jugendhilfe in Zukunft noch stärker als bisher auf die Anregungen und die Förderung durch Regierung und Parlament angewiesen sein wird.
Ich glaube, es gehört zu dieser Debatte über den Jugendbericht der Bundesregierung, noch einige Worte zu der zweiten großen gesetzlichen Grundlage unserer Jugendpolitik zu sagen, nämlich dem Bundesjugendplan. Seit dem ersten Bundesjugendplan vom Jahre 1950 sind nun insgesamt mehr als 830 Millionen DM allein von seiten des Bundes für die außerschulische Förderung der jungen Generation zur Verfügung gestellt worden. Welche Einzelprobleme mit dem Bundesjugendplan auch immer verbunden sein mögen, beim Bundesjugendplan handelt es sich um das größte Förderungswerk, das je die Regierung und das Parlament eines freien Landes für ihre junge Generation aufgestellt haben.
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Es ist ein Förderungswerk, das oftmals wie vieles andere, was wir tun, in unserem Lande nur allzusehr als selbstverständlich angesehen und nur wenig gewürdigt wird, aber im Ausland doch vielfach Beachtung und Bewunderung erfährt.
Es ist ein weiter Weg, den der Bundesjugendplan in den Jahren seit 1950 zurückgelegt hat. Dieser Weg zeugt von dem großen Wandel der Verhältnisse, in denen wir leben. Damals, vor 17 Jahren, sollte der Bundesjugendplan vor allen Dingen der Berufsnot der Jugend entgegenwirken. Heute dient der Bundesjugendplan in erster Linie der sinnvollen Ausfüllung der Freizeit unserer jungen Generation, der Bildung, der Erholung, dem Sport, der internationalen Jugendbegegnung.
Die Fraktion der CDU/CSU erwartet von der Bundesregierung und dem Bundesminister für Familie und Jugend, daß der Bundesjugendplan nicht nur wie bisher auch in Zukunft den sich schnell ändernden Lebensverhältnissen unserer jungen Generation angepaßt wird, sondern daß auch seine bisherige Systematik zugunsten der Förderung bestimmter Aktionen und Programme aufgelockert wird. Wir meinen, daß die Entscheidung von Karlsruhe der Bundesregierung auf dem Sektor des Bundesjugendplans nun eine größere Beweglichkeit verleihen wird.
Trotz aller Probleme, die in den vergangenen Jahren in der Jugendpolitik zwischen Bund und Ländern immer wieder aufgetreten sind, möchten wir auch die Bundesregierung zu dem Versuch ermutigen, die Jugendpläne des Bundes, der Länder und der Gemeinden stärker aufeinander abzustimmen, damit sich diese Jugendpläne besser ergänzen und sinnvoller ineinandergreifen.
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Meine Damen und Herren, der Jugendbericht, den die Bundesregierung vorgelegt hat, gibt ein Bild der Lage der Jugend. Einmal ist behauptet worden - auch in der heutigen Diskussion -, daß dieses Bild zu umfänglich sei, und ein andermal ist auf die Lücken dieses Bildes hingewiesen worden. Dann ist erklärt worden, daß die Projektion dieses Bildes falsch sei. Ich meine, daß die Kritik teilweise berechtigt ist, daß sie zu großen Teilen aber überzeichnet ist.
Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß es sich um den ersten Versuch handelt, der überhaupt in der Geschichte der deutschen Jugendhilfe mit der Erstellung eines solchen Berichts unternommen worden ist.
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Das müssen wir immer wieder erklären. Ich meine, wir sollten froh und dankbar sein für diesen Bericht in einer doch im großen und ganzen ausgezeichneten Qualität. Neben der vielfachen Kritik, die die Bundesregierung in dieser Frage in den vergangenen Monaten und Jahren erfahren hat, sollten wir doch unsere Anerkennung für das aussprechen, was sie in mühevoller Arbeit über Jahre hinweg zusammengetragen und zu einem sinnvollen Ganzen verarbeitet hat.
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Ich bin davon überzeugt, daß die Bundesregierung und speziell das Bundesministerium für Familie und Jugend aus der vielfältig vorgetragenen Kritik lernen und die notwendigen Schlußfolgerungen für den nächsten Jugendbericht ziehen werden. Ich bin ferner davon überzeugt, daß dieser nächste Jugendbericht nach dem hoffnungsvollen Anfang so gut werden wird, daß er den Beifall des ganzen Hauses und der ganzen deutschen Öffentlichkeit finden wird.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der heutigen Debatte hat meines Erachtens eindeutig klargemacht, daß es an der Zeit war, hier im Plenum des Deutschen Bundestages wieder einmal eine großangelegte jugendpolitische Debatte zu führen. Da bisher die Kritiker des Berichts wenig Sympathien geerntet haben, andererseits aber bei der politischen Bildung der kritische Jugendliche gefordert wurde, bitte ich, dem kritischen Abgeordneten ebenfalls Aufmerksamkeit zu schenken und ihn weiterhin als positives Element des Hohen Hauses zu betrachten.
Aber keine Angst: ich beginne mit einer positiven Feststellung. Der Deutsche Bundestag war gut beraten, als er den in der 4. Legislaturperiode von der Regierung vorgelegten Jugendbericht wieder in den parlamentarischen Geschäftsgang gebracht hat. Der federführende Ausschuß war ebenfalls gut beraten, als er sich bei der Behandlung des Berichts einer umfangreichen Sachverständigenanhörung bediente. Meines Erachtens bekommt der Jugendbericht erst durch die fundierten Sachverständigengutachten, die sowohl im Bundesjugendkuratorium als auch im zuständigen Ausschuß erstattet und diskutiert wurden, die Aussagekraft, an der sich eine in die Zukunft gerichtete Jugendpolitik orientieren kann.
Für mich waren die Festellungen der kommunalen Spitzenverbände von besonderem Interesse, und ich kann dem, was vorgetragen wurde, vollinhaltlich zustimmen. Das gilt insbesondere für die Aussagen zu dem Abschnitt „Maßnahmen der Jugendhilfe", soweit sie sich auf Kinderprobleme beziehen. Die kommunalen Spitzenverbände bemängeln, daß die Darstellung der Situation des Kindes fehlt und die Probleme auf diesem Gebiet nur unzureichend behandelt wurden. Besonders gilt dies für folgende Bereiche: die Probleme der behinderten Kinder, die Ursachen und Auswirkungen der Kinderkriminalität. Wir haben hier etwas von der Jugendkriminalität gehört, aber das Problem liegt viel tiefer. Wo ist der 12jährige Mörder in der Kriminalstatistik unterzubringen, und welche Probleme stehen hier an? Außerdem fehlt eine Untersuchung der zum Teil sehr kritischen Situation in unseren Heimen. Man sollte auch einmal daran denken, die Lage der Kinder im Zusammenhang mit dem Obdachlosenproblem zu untersuchen und zu würdigen.
Intereissant Ist 'in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß die Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge zu ähnlichen
Schlußfolgerungen kommt, wenn sie feststellt: Die Probleme der Kinder werden im Bericht vernachlässigt. Auf die katastrophale Situation der Heimerziehung wird kaum eingegangen. Auf die Notwendigkeit :der Errichtung von offenen Erziehungshilfen, besonders für Kinder, wird nicht hingewftesen. Keine Aussage über Hilfen für behinderte Kinder. Die Reform des Rechts für das uneheliche Kind wird nicht angesprochen. Auf die Probleme des Stadt-Land-Gefälles in der Jugendhilfe wird wicht verwiesen.
Es würde sich bestimmt lohnen, die Einzelpunkte beider Aussagen ausführlich zu beleuchten. Da dies zu weit führen würde, will ich mich auf eine allgemeine Betrachtung beschränken.
Am stärksten ist bei der Diskussion über allgemeine Jugendhilfeprobleme den Mitgliedern des Ausschusses unter die Haut gegangen, daß in diesem Bericht die Situation des Kindes nicht ausreichend behandelt wurde. Diese Tatsache hat zweifellos Mitglieder der' CDU/CSU-Fraktion veranlaßt, Ende 1966 eine Große Anfrage einzubringen, die bis heute leider noch nicht beantwortet werden konnte. Schon allein die Tatsache, daß mehr als zehn Monate seit der Einbringung ins Land gegangen sind, beweist, wie wenig Unterlagen die Regierung :auf diesem Geblet besitzt und wie hilflos man allgemein den Fragen, welche die Kindersituation betreffen, gegenübersteht. Ich kann allerdings nicht recht glauben, 'daß Presseäußerungen zutreffen, nach denen :der Minister und Beamte seines Hauses erklärt haben sollen, daß sie für Kinderprobleme nicht zuständig seien, ,da man im Bundesjugendplan nur für Jugendliche über 16 Jahre tätig werde.
Herr Abegordmeter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Moersch?
Bitte sehr!
Bitte, Herr Moersch!
Glauben Sie, daß es ein Zufall ist, daß diese Anfrage nicht beantwortet werden konnte, oder 'hängt es mit der Koalitionsbildung von damals zusammen, ist die Anfrage inzwischen vielleicht verlorengegangen?
Nein, das glaube ich nicht. Aber ich nehme an, daß wir über diese Große Anfrage hier noch einmal diskutieren. Dann können wir ja unsere Probleme speziell anbringen.
Man muß hier aber deutlich ausdrücken - und man muß es auch für einige Mitglieder des Hohen Hauses sagen -, daß die Jugendhilfe alle Maßnahmen für Kinder und Jugendliche umfaßt. Wer es nicht glaubt, der möge im Jugendwohlfahrtsgesetz nachlesen, dessen vielgerühmter § 1 lautet:
Jedes deutsche Kind hat :ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit.
Wie kommt (es nun aber, daß die Lage und die Probleme der Kinder in unserer Gesellschaft - der Jugendbericht beweist es - nicht gründlich untersucht und gewürdigt werden? Es liegt meines Erachtens in :erster Linie daran, daß in Staat, Gesellschaft und Öffentlichkeit die Ansicht vorherrscht, daß in diesem Alter allein die Eltern für die Betreuung und Erziehung 'zuständig sind. Daher konnten sich in 'den zurückliegenden Jahrzehnten Staat und Gesellschaft nur schwer entschließen, die Kinder dieser Altersgruppen in ihre volle Verantwortung mit einzuschließen. Meistens waren es schwere Übergriffe, Diskriminierungen, bittere Not und schweres 'Unrecht, die Idas Schutzbedürfnis des Kindes augenscheinlich werden ließen 'und dann gesetzliche Maßnahmen einleiteten. Aber es war immer nur die gebotene 'Grenze, die berücksichtigt wurde. Dies wird z. B. dadurch bewiesen, daß wir 1967 :die rechtliche Gleichstellung des unehelichen Kindes noch nichterreicht haben, daß :das Schutzalter für Pflegekindererst 1961 erhöht wurde und im strafrechtlichen Bereich noch heute darum gerungen wird, in der Auseinandersetzung zwischen Elternrecht und Kindeswohl eine dem Wohl des Kindes gerecht werdende Lösung zu finden. Dazu kommen gerade in heutiger Zeit die vielfältigen Uberlegungen und Bemühungen, wie wir unsere Kinder vor den verbrecherischen Übergriffen kranker und gestörter Außenseiter unserer Gesellschaft wirkungsvoll schützen können. Ich habe es sehr vorsichtig formuliert. Ich glaube, daraus müssen wir ebenfalls Konsequenzen ziehen.
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Weitere schwerwiegende Probleme könnte ich noch anführen.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang nur noch den Hinweis, daß die Vereinten Nationen 1959 eine Erklärung der Rechte des Kindes verkündet haben, in der festgestellt wird, daß das Kind in Ermangelung körperlicher und geistiger Reife der besonderen Sicherheit, Pflege und eines ausreichenden rechtlichen Schutzes bedarf. Bei der Gesamtbetrachtung kommt außerdem noch hinzu, daß wir einsgesamt gesehen in einer kinder- und familienunfreundlichen Umwelt leben. Manche sagen: in einer kinderfeindlichen Umwelt; ich sage: Wir leben in einer kinder- und familienunfreundlichen Umwelt, in der bei Auseinandersetzungen die Kinder immer den kürzeren ziehen. Sie kommen immer zu kurz, auch die kinderreichen Familien.
Meine Fraktionsfreunde und ich haben uns vorgenommen, in dieser Debatte die Kindersituation anzusprechen. Denn, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, Sie werden mir doch zugeben, daß mit den acht Fragen Ihrer Großen Anfrage die Situation der Kinder in der Bundesrepublik nicht umfassend angesprochen wird. Es geht ja dort auch nur um acht Teilprobleme. Zweifellos hat aber Ihre parlamentarische Initia9294
tive, die allerdings einen überlangen Zeitzünder hat, eine rege Diskussion in der Öffentlichkeit ausgelöst. Daß hier über die Kinder gesprochen wird, finden wir gut; denn im Jugendbericht ist gerade in dem Teil über Hilfen für Kinder in besonderen Lebenslagen eine starke Zurückhaltung festzustellen. Warum hat man eigentlich die Chance nicht genutzt, im Jugendbericht die Offentlichkeit auf die großen Probleme und Schwierigkeiten der Jugendhilfe aufmerksam zu machen? Man darf doch keine Möglichkeit ungenutzt verstreichen lassen, um deutlich herauszustellen, welche Verpflichtung unsere Gesellschaft hat, um den Erziehungsanspruch jedes deutschen Kindes sicherzustellen. Es muß doch einmal ganz klar gesagt werden, daß große Reformen notwendig sind, um Mißstände und Engpässe zu beseitigen, Lücken zu schließen und gute Ansätze fortzuentwickeln. Im Jugendbericht steht ja wenig. Es fehlt die Entwicklung eines jugendpolitischen Gesamtkonzepts, das dringend notwendig ist, um nicht in Kürze in einen unaufholbaren Rückstand zu geraten.
Der Jugendbericht beschränkt sich in seinen Bemerkungen zu Kinderproblemen und zu Hilfen für Kinder und Jugendliche vorwiegend auf die Wiedergabe gesetzlicher Regelungen und zum Teil unvollständiger statistischer Angaben, die in einigen Fällen sogar zu falschen Schlußfolgerungen führen. Dies gilt für die Erziehungsbeistandschaft, die Erziehungsberatung, das Vormundschaftswesen, die Adoption, das Pflegekinderwesen, die Kindertagesstätten und für die Probleme der Heimerziehung. Man kann sich oftmals nicht des Eindrucks erwehren, daß man versucht, zu beruhigen, zu beschönigen statt zu drängen, aufzurütteln und an die Verantwortung der gesamten Gesellschaft zu appellieren. Man kann doch die zum Teil katastrophale Situation in unserer Heimerziehung nicht totschweigen oder bagatellisieren. Das gilt für Säuglingsheime wie auch für Erziehungsheime. Besonders zur letzteren Gruppe muß man klar sagen, daß die Personalsituation trotz der aufopfernden Tätigkeit aller Beteiligten unzureichend, ja fast unmöglich ist, daß es an geeigneten Einrichtungen fehlt, daß die im Gesetz geforderte Differenzierung unzureichend ist und daß letzthin moderne Bildungs-und Erziehungshilfen nicht ausreichend genutzt werden. Wie viele drängende Fragen stehen hier an, und wie unzureichend sind die im Jugendbericht gegebenen Antworten!
Lassen Sie mich jetzt zu den Belangen unserer Kinder zurückkehren. Die Regierung sollte sich darüber klarwerden, daß Hilfen für die Kinder ein Teil- und Spezialgebiet der Jugendhilfe sind. Wir wollen keinen Kinderplan, sondern wir wollen diese Hilfen als Teil- und Spezialgebiet der Jugendhilfe sehen. Kinderhilfe umfaßt alle nichtschulischen Maßnahmen bis zur Entlassung des Kindes aus der Schulpflicht. Die Wirksamkeit aller Maßnahmen für das Kind ist aber nur gewährleistet, wenn sich die Maßnahmen auf ein umfassendes und zusammenhängendes System von Erziehungshilfen stützen, die in ein jugendpolitisches Gesamtkonzept eingebettet sein müssen. Daher ist zu fordern, daß sich Staat,
Gesellschaft und Öffentlichkeit umfassender als bisher über die Lage des Kindes unterrichten, wissenschaftlich abgesichertes Material über besondere Probleme der Allgemeinheit zur Verfügung stellen und durch Öffentlichkeitsarbeit, finanzielle Hilfen und gesetzgeberische Maßnahmen darauf hinwirken, daß den Belangen des Kindes in familienpolitischer, sozialpädagogischer, gesundheitspolitischer, bildungspolitischer und allgemein rechtlicher Hinsicht verstärkt Rechnung getragen wird.
Lassen Sie mich bitte abschließend den Problemkreis noch einmal stichwortartig aufzeigen, um Ihnen die Größe der Aufgabe vor Augen zu führen.
Erstens. Für das Wohl des Kindes ist eine geordnete, harmonische Familie das beste. Daher ist die Familie zu fördern und zu schützen. Darunter fällt
- jetzt stichwortartig -: Mutterschutz - Neuordnung des Familienlastenausgleichs - Verbesserung der Familienberatung - Erziehungsberatung - Familienbildung - Schaffung gesunder, ausreichender Wohnungen - Hilfen in besonderen Lebenslagen, z. B. das Hauspflegerinnenproblem, das auch in die Jugendhilfe mit hineinspielt - Anerkennung des Elternrechtes, allerdings mit der Festlegung, daß bei einem Widerstreit der Interessen das Kindeswohl vorrangig sein sollte.
Zweitens. Eine sich wandelnde Umwelt macht besondere Erziehungshilfen für das Kind notwendig, die zum Teil wertvolle familienergänzende Hilfen sind. Wieder nur einige Beispiele: Kinderkrippen - Kindertagesstätten - Kinderhorte - eine Verbesserung des Schulsystems. Man sollte einmal - nicht in diesem Haus - über die Ganztagsschulen diskutieren.
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- Nicht in diesem Hause, aber man sollte einmal darüber diskutieren in unserer Gesellschaft, um daraus Schlußfolgerungen zu ziehen. - Weitere Beispiele: Freizeiteinrichtungen und Hilfen - musische Betätigung - Geschlechtserziehung - Hilfen für erziehungsschwierige Kinder - heilpädagogische Einrichtungen.
Drittens. Den Kindern, die nicht in einer vollständigen Familie aufwachsen, ist besonderer Schutz und sind besondere Hilfen zu gewähren. Die Probleme sind hier: Neuordnung des Rechts für das uneheliche Kind. - Gestatten Sie mir hier bitte eine Zwischenbemerkung. Ich glaube, das ganze Hohe Haus ist sich mit mir darüber einig, daß wir dem Bundesjustizminister und der neuen Bundesregierung zu danken haben, daß im Kabinett der Entwurf eines Gesetzes über die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder verabschiedet wurde.
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- Darf ich das schnell zu Ende führen? - Dieser Gesetzentwurf wird uns in Kürze zur Beschlußfassung zugeleitet, und es wird an uns liegen, zügig zu beraten, damit endlich ein fast zwei Jahrzehnte zurückliegendes Versäumnis nachgeholt wird und den betroffenen Kindern und Müttern die ihnen zustehenden Rechte eingeräumt werden.
Bitte, Herr Memmel, zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Hauck, meinen Sie nicht, daß dann, wenn alle die Punkte, die Sie jetzt dankenswerterweise aufgeführt haben, in dem Jugendbericht aufgeführt worden wären, ein Kompendium von ungefährt 1000 Seiten -statt 282 Seiten - hätte entstehen müssen?
Herr Kollege Memmel, man kann das doch anfügen. Vielleicht werden daraus Schlußfolgerungen für den nächsten-Bericht gezogen. Wir haben ja .auch schon festgestellt, daß jetzt zweifellos Einzelbereiche konzentriert herausgearbeitet werden. Der Berichterstatter hat, glaube ich, gefordert, bei einem der Spezialberichte einmal die Lage des Kindes speziell zu untersuchen.
Darf ich noch eine Frage stellen, Herr Präsident?
Bitte, Herr Memmel, zu einer zweiten Frage.
Hätte der Jugendbericht - das besonders zu Ihrer Ziffer 1 - dann nicht eigentlich heißen müssen: „Bericht des Ministeriums für Familie und Jugend", aber nicht „Jugendbericht"?
Der Bericht heißt ja ganz anders.
Ja, ich frage doch: hätte er nicht so heißen müssen?
Das ist doch eine Kurzform! Der Begriff ,,Pennälergehalt" steht auch nicht in einer Vorlage 'drin; aber 'das prägt sich dann so ein.
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- Ich habe das eich erfunden, ich war nicht dabei. Ich will ja nur sagen, „Jugendbericht" ist doch die Kurzform, und es wäre doch ein bißchen weit hergeholt, mich jetzt darauf festzulegen.
Weitere Schwerpunkte sind: Pflegekinderschutz -Großpflegekinderstellen - Adoptionsvermittlung - Hilfen für Kinder aus geschiedenen Ehen und solchen, bei denen die Eheleute 'getrennt leben. Diese Personengrup 'e wird zum Stiefkind unserer Gesellschaft, wenn hier nicht irgend etwas getan wird. Weiter: Heime 'für Mutter und Kind - Wochenheime und Verbesserung der Heimerziehung.
Viertens. Den gesundheitspolitischen Problemen ist im Rahmen der Hilfen für Kinder ein besonderes Augenmerk zu schenken. Über dieses wichtige Gehret und seine Schwerpunkte wird im Laufe der Debatte mein Kollege Dr. Rolf Meinecke noch berichten.
Zum Schluß noch folgendes. Die Schutzbestimmungen für das Kind sind .zu verbessern und auszubau'en, wobei ich besonders an folgende Probleme denke: Kinderarbeitsschutz - allgemeiner Jugendschutz für Kinder - Verbesserung des Strafrechts, z. B. bei Kindesmißhandlungen und bei verbrecherischen Übergriffen - Verbesserung des Strafprozeßrechts, z. B. bei Zeugenaussagen von Kindern, und auch eine Überprüfung idies § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches, um zu sehen, welche Möglichkeiten sich ergeben, um den davon betroffenen Kin-dem besser gerecht zu werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen selbst, wie groß 'der 'Gesamtbereich ist - Sie, Herr Memmel, haben es gerade angeführt - und wie wichtig die Einzelprobleme sind. Wir alle, ich habe auch die Offentlichkeit genannt, sind aufgerufen, für das Wohl der Kinder unser Bestes 'zu tun. Da jedes deutsche Kind ein Recht auf Erziehung hat und die von den Vereinten Nationen einstimmig getroffenen Feststellungen über die Rechte ,des Kindes auch für unser Land zutreffen, bitte ich die Bundesregierung, sich im Zusammenwirken mit den Ländern, den Gemeinden und .den Trägern der Jugendhilfe den Problemen unserer Kinder verständnisvoll und mit Nachdruck zuzuwenden.
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Meine Damen und Herren, auch das war eine Jungfernrede und ein temperamentvoller Start in 'die Debatten des Plenums. Herzlichen Glückwunsch, Herr Hauck!
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke. - Keine Jungfernrede!
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Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte mich gerade dem Herrn Vorredner sehr nachdrückdich anschließen, denn wir bedauern 'es ebenfalls, daß dieser Bericht nur einen Teil der Problematik unserer Jugend aufzeigt, und ein großer Bereich ausgespart ist, ein Bereich, der natürlich sehr wesentlich dazugehört. Wie wollen Sie denn etwa im erzieherischen Bereich die Konsequenzen ziehen,wenn Sie nicht vorher auf 'die Lage 'der Kinder und die Anfänge ihrer Erziehung zurückgreifen? Schließlich ist der Erziehungsprozeß, wie Sie alle wissen, kontinuierlich und kann nicht einfach schematisch bei irgendeinem Jahrgang ,abgeschlossen werden.
Herr Kollege Memmel, der Bericht enthält natürlich 'eine ganze Menge, und 'er 'würde noch länger, wenn man noch mehr dazuschriebe. Das ist aber nicht unbedingt nötig, denn manches könnte kürzer gefaßt werden. Sie werden mir sicher zugeben, daß dieser Bericht einige Längen 'hat, auf die ohne Schaden hätte verzichtet werden können.
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- Ja, es wäre gut gewesen, wenn wir da einige mehr gehabt hätten. Ich möchte das ganz besonders an einem Punkt deutlich machen. Wir haben es sehr bedauert, daß die Situation der behinderten Jugendlichen nur sehr kurz und am Rande vorgekommen ist, und zwar nur in einigen Bemerkungen, die sich auf die Heimunterbringung und die fürsorgerischen
Maßnahmen bezogen. Wir ahnen nur die Zahl der behinderten Jugendlichen, wir wissen sie nicht genau. Es ist ja bekannt, daß die Statistik uns auf diesem Gebiet nicht sehr viel Aufschlüsse gibt, zumal der Grad der Behinderung und die Art der Behinderung sehr unterschiedlich sind und die Dunkelziffer nicht gering ist. Wir hätten uns gewünscht, daß nicht nur im Bereich der Fürsorge, sondern eben auch im speziellen Bereich der Jugendhilfe von den behinderten Jugendlichen die Rede gewesen wäre.
In den letzten Wochen haben uns die Sechsjährigen ein beherzigenswertes Beispiel gegeben. Ich meine jene Sechsjährigen, die ganz unvoreingenommen und unbetont hilfsbereit die gleichaltrigen gliedgeschädigten Kinder unter sich aufgenommen haben. Es war doch erfreulich, daß wir mit einem gewissen Erstaunen feststellen konnten, daß die Zahl der gliedgeschädigten Kinder, die tatsächlich in Heimen untergebracht werden mußten, verhältnismäßig gering war im Vergleich zu den Zahlen, mit denen wir vorher gerechnet hatten. Das lag daran, daß Eltern, Schulverwaltung und Ärzte viel Verständnis dafür gehabt haben und sehr dafür eingetreten sind, daß die Kinder möglichst in normalen Schulen eingeschult werden. Und das geschah mit viel Selbstverständlichkeit, mit unbetonter Hilfe und ohne falsches Mitleid seitens der kleinen Kameraden, ebenso wie die Lehrer diese Kinder mit unmerkbarer, aber wirkungsvoller Hilfe in den Schulprozeß hineingenommen haben. Das alles zeigt doch, daß es möglich ist, diese Menschen nicht am Rand der Gesellschaft und rein als Fürsorgeobjekte zu sehen, sondern sie mit den ihnen gegebenen Fähigkeiten besonders zu entwickeln und sie als vollgültige Bürger und Mitbürger in unsere Gemeinschaft hineinzunehmen.
Gerade deswegen, Herr Minister, bedauere ich es, daß nicht etwas mehr von der Möglichkeit einer entsprechenden Form der Jugendhilfe für die Behinderten berichtet werden konnte oder auch Ansätze dazu - es gibt Ansätze - deutlichgemacht wurden. Ich denke z. B. an die Frage, in welchem Umfange Jugenderholungsheime oder Jugenderholungsmaßnahmen ermöglicht werden könnten. Viele Kinder können in den Ferien allenfalls vom Heim zu ihren Eltern nach Hause fahren, aber ein Erholungsurlaub mit Reisen, wie sie sonst den Kindern offenstehen, sind vielen von ihnen einfach aus der Art ihrer Beschädigung heraus versagt. Es gibt Ansätze, das wissen Sie; aber ich glaube, man könnte hier noch einiges tun.
Zugleich stellt sich eine weitere Frage; trotz Ihres Einwurfs, Herr Kühn, werde ich sie hier bringen. Es stellt sich die Frage, wie ernst wir denn überhaupt das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit bei einer Reihe von jungen Menschen nehmen; ernst nehmen in dem Sinne, daß wir ihnen wirklich die Einrichtungen zur Verfügung stellen, die notwendig sind, um sie trotz ihrer Behinderung in der ihnen gemäßen Weise ihre Fähigkeiten entwickeln zu lassen.
Wir haben die Schulpflicht. Sie gilt für alle. Das bedeutet aber, daß z. B. ein sehschwaches Kind mit den gesunden Kindern Schritt halten muß, aber wegen seiner Sehbehinderung in den Leistungen absinkt, obwohl von der intellektuellen Fähigkeit her ein solches Absinken vermeidbar wäre. Es brauchte eben eine Sonderschule, die die Art der Behinderung berücksichtigt. Entsprechendes gilt für die Kinder, die mit dem normalen Gang des Schulpensums nicht 'zurechtkommen und deswegen in einer besonderen Form unterrichtet werden müssen, und es gilt nicht zuletzt für diejenigen Kinder, für die die Schulpflicht nicht gilt oder die nicht das Recht haben, in eine Schule aufgenommen zu werden, Kinder, die überhaupt nicht als schulreif angesehen werden. Die pädagogischen und heilpädagogischen Erfahrungen, die inzwischen auf vielen Gebieten im Inland und Ausland gewonnen worden sind, geben uns das Recht, festzustellen, daß für diese Kinder durchaus Möglichkeiten einer Erfassung und einer Lebenshilfe gegeben sind. Die Tatsache, daß sich ein solcher Verband der Eltern gegründet hat, ein Verband der Lebenshilfe, macht deutlich, daß mehr solcher Kinder vorhanden sind, als die Offentlichkeit bisher zur Kenntnis genommen hat. Was an persönlichem Leid hinter einer solchen Zahl steht, mögen wir alle miteinander bedenken. Hier ist, meine ich, an die Gesellschaft die Frage gestellt, wie sie sich zu diesem Sonderproblem stellt.
Mir scheint sehr bedenkenswert, was der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge gerade zum diesjährigen Jahresthema der Fürsorgetage an einer Stelle schreibt:
Es wird Zeit zu einer grundsätzlichen Besinnung, ob es der Verfassung und ihrem Auftrag entspricht, wenn staatliche Mittel in weitem Umfange zur Hebung des allgemeinen Lebensstandards aufgewendet werden, zur gleichen Zeit aber Einrichtungen, die dem am schwersten betroffenen Mitbürger Hilfe und Entlastung bringen könnten, nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.
Dieser unbequemen Frage läßt sich nicht ausweichen.
Darum sollten wir einige Minuten bei ihr verweilen.
Der Herr Minister wird vielleicht einwenden, daß diese Fragen ja nicht unmittelbar in seinem Ressort liegen. Hier fängt schon die Verlegenheit an. Denn das Gebiet der Behinderten liegt tatsächlich in jenem, nun, ich will nicht sagen, „Niemandsland", aber: in jenem Grenzbereich zwischen „Gesundheit, Familie und Jugend" und „sozial", und wahrscheinlich nimmt sich jeder nur das heraus, was für den eigenen Bereich entscheidend ist, und dann bleibt eben die Gesamthilfe, die den ganzen Menschen trifft, ein wenig außerhalb der Betrachtung. Hier wäre es mein Wunsch, daß irgendwo eine einheitliche Ressortierung ermöglicht würde oder daß, wenn das nicht tunlich ist - und das hat in der Tat seine .Bedenken -, hier doch wenigstens in einem stärkeren Maße kooperiert würde, um das Anrecht auch dieser Kinder und Jugendlichen gemäß dem Jugendwohlfahrtsgesetz, jedenfalls nach dem § 1, wie er soeben zitiert wurde, sicherzustellen. Ich meine, wir sollten einmal überlegen, ob wir den § 39 des Sozialhilfegesetzes nicht so gestalten sollten, daß auch die geistig Behinderten in stärkerem Maße in die Eingliederungshilfe, auch mit rechtlichem Anspruch,
hereingezogen werden. Eine gewisse Erweiterung schiene mir notwendig und auf Grund der pädagogischen Erfahrungen auch möglich zu sein.
Vielleicht sollten wir in diesem Zusammenhang beim Sozialhilfegesetz auch einmal die Hilfen überprüfen, die an die Eltern für behinderte Kinder und Jugendliche gegeben werden, also die Grenzen, oberhalb deren nichts mehr gegeben wird. Durch die Fortentwicklung der Rehabilitation und ihrer Möglichkeiten durch besser konstruierte Geräte und Hilfsmittel den Behinderten zu helfen, kommen auf die Eltern geschädigter Kinder höhere Aufwendungen zu als in früherer Zeit, und das Sozialhilfegesetz gibt ja nur in bescheidenem Umfang die Möglichkeit, hier einzuspringen. Es wäre daher angezeigt, die Wertgrenzen, die 1961 gesetzt worden sind, einmal zu überprüfen.
Nun werden Sie sicherlich sagen, vor allem wenn ich von den schulischen Maßnahmen gesprochen habe: dies ist ja Ländersache. Gewiß, das ist ja immer die Verlegenheit, in der wir uns in diesem Hause befinden: sobald die Schultür beginnt, hört bei uns die Berechtigung des Denkens auf
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- mindestens des aktiven und helfenden Denkens. Ich meine, es ist schon eine Verlegenheit in unserer gesamten Jugendpolitik, daß wir niemals die ganze Vielfalt vor uns haben und keine Ganzheit diskutieren können, sondern daß immer an den entscheidenden Stellen, wo sich etwas verzahnen könnte, die Grenze des Grundgesetzes gegeben ist. Diese Verlegenheit ist auch heute in der Diskussion immer wieder angeklungen. Dennoch meine ich, Herr Minister, daß die Verpflichtung des Grundgesetzes, für die Gleichheit der Lebensbedingungen zu sorgen, wenigstens ein Ansatzpunkt für eine Diskussion mit den Ländern insbesondere über die Fragen der Sonderschulen sein könnte. Denn die Tatsache, daß es in einem Lande so viel weniger Sonderschulkinder gibt als in anderen Ländern, hat leider nichts mit einem größeren Intelligenzgrad der Kin- - der dieses Landes zu tun - das wäre ja erfreulich, und das würden wir dann auch akzeptieren -, sondern das hat leider damit zu tun, daß dort eine Reihe von Kindern, die in der Sonderschule besser gefördert werden könnten, eine solche Schule nicht vorfinden, sondern in die allgemeinen Schulen gehen müssen. Dort werden sie natürlich geistig nicht richtig gefördert, und sie werden vor allen Dingen seelisch bedrückt, weil sie sich immer als die Letzten und Erfolglosen fühlen müssen.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein Wort zu einem Punkt sagen, den ich in dem Bericht ausgezeichnet analysiert fand. Ich meine die Analyse über die sozialen Bindungen, in die heutzutage ein Kind hineinwächst, gegenüber sozialen Bindungen etwa früherer Generationen. Dort wird sehr klar und, wie ich meine, mustergültig festgestellt, daß unserer heutige Lebensform mit der Kleinfamilie und der Anonymität, in der man in der Stadt lebt, dem Kind eine Fülle von menschlichen, sozialen Erfahrungen und Übungsfeldern vorenthält und daß von da her auch eine menschliche Verarmung, eine menschliche Isolierung gefördert wird, die sich nachher vielfach, bis hin zu den Studentenunruhen, auswirkt. Dadurch finden die Menschen sehr viel schwerer den Zugang zum sozialen unmittelbar spontanen Tun.
Es ist in diesem Hause bekannt und oft genug ausgesprochen worden, daß in unserer Jugend eine latente Bereitschaft zum sozialen Engagement vorhanden ist. Aber der erste Anstoß dazu, sich selbst einmal in Pflicht zu nehmen, sich selbst einmal eine solche Aufgabe zu stellen und sie auch zu erfüllen, scheitert meist an der Fremdheit der Materie, nicht zuletzt aber auch an der Sorge, diese Aufgabe nicht richtig erfüllen zu können. Es ist dies die Folge einer gewissen Zurückhaltung und gewisser Bedenken hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten.
Gerade in diesem Zusammenhang müssen wir noch einmal die Frage der Schule streifen, wie es bei Ihnen, Herr Hauck, auch mit einem Wort angeklungen ist. Die Tagesschule ist eine Möglichkeit, den jungen Menschen außerhalb des fünfstündigen „Frontal-Unterrichts", der ja weitgehend vom Lehrer bestimmt wird und auch bestimmt werden muß, stärker in die Gemeinschaft hineinzustellen und ihm die Möglichkeit zu geben, für die Gemeinschaft wirksam zu werden. Der junge Mensch könnte dadurch mehr, als es ihm heute in der Struktur der Familie möglich ist, die Bedingungen der Gemeinschaft kennenlernen, jenes Sicheinordnen und gleichzeitig Sichdurchsetzen in einer fairen, den anderen achtenden Weise. Wir nehmen einfach zuwenig zur Kenntnis, daß diese Fähigkeit heute nicht mehr so selbstverständlich mitgebracht wird, wie sie früheren Generationen eigentlich von ihrer häuslichen Situation her geläufig war.
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Ich meine, wir sollten wirklich einmal ein Gespräch mit den Kultusministern führen und die Frage ernstlich prüfen, ob nicht das Sozialpraktikum, das heute schon in vielen Bereichen mit gutem Erfolg durchgeführt wird, eines Tages für jede Abschlußklasse, und zwar in allen Schularten, obligatorisch gemacht werden sollte. Dies würde für manches Kind eine erste Berührung mit Verhältnissen anderer Art bedeuten, mit der Not und dein Leid anderer, und es stellte vor allen Dingen die erste Möglichkeit einer Erprobung der Fähigkeit dar, mit den eigenen bescheidenen Kräften selber etwas gegen diese Not und dieses Leid auszurichten. Einmal nicht „in Kladde" zu arbeiten, sondern etwas zu einer wirklichen Lebenssituation beizutragen, hat einen ungeheuren bildungsmäßigen Gehalt. Wir sollten doch schauen, Herr Minister, ob wir aus Ihrer guten Analyse zu diesem Punkt nicht nützliche Konsequenzen ziehen sollten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu einem Punkt Stellung nehmen, der das Thema in der letzten Stunde der Diskussion wesentlich be6298 '
herrscht hat. Ich meine die Frage des geschädigten Kindes in der Bundesrepublik. Auch unserer Fraktion, und ihr vielleicht am meisten - das ist darin sichtbar geworden, daß wir am 6. Dezember vorigen Jahres die Anfrage zur Situation des geschädigten Kindes gestellt haben -, ist deutlich gewesen, daß hier im Rahmen des Jugendplans zweifellos eine Lücke vorhanden ist.
Um einer Geschichtsklitterung zu steuern, muß ich unseren Freunden von der FDP sagen, daß es keineswegs etwas mit der Regierungsumbildung zu tun hat, wenn bis zum heutigen Tage keine Antwort vorliegt, Herr Kollege Moersch. Diese Tatsache hängt vielmehr einfach damit zusammen - und das ist in der letzten Stunde hier sehr weitgehend übersehen worden -, daß die Zuständigkeit für sehr viele der hier angesprochenen Fragen gar nicht beim Bundesminister für Familie und Jugend liegt, sondern vielfältig zersplittert und auf Bund, Länder und Gemeinden, Organisationen und dazu noch freie Träger aufgeteilt ist, was die Sache überaus schwierig macht. Ich unterstreiche alles das, was Frau Kollegin Funcke hinsichtlich der Notwendigkeit einer richtigen statistischen Aufbereitung gesagt hat, aber es ist überaus zeitraubend, hierzu das erforderliche Material zusammenzubekommen. Ohne hier Prophet sein zu wollen, glaube ich aus der Kenntnis der sehr intensiven Arbeit im Ministerium sagen zu können, daß wir noch in diesem Jahr auch die Beantwortung dieser Großen Anfrage behandeln können. Daraus schließe ich zugleich das Recht, dem Minister dafür zu danken, daß er mit seinem Hause so intensiv an dieser Materie gearbeitet hat. Denn es ist ein Stück Vorarbeit für das, was hier zuletzt von Frau Kollegin Funcke verlangt worden ist, nämlich in das Gespräch mit den übrigen Trägern zu kommen, um hier zu vernünftigen Regelungen zu kommen.
Ich darf aber auch nicht verschweigen, daß wir insofern eine neue Situation haben - und darauf hat Herr Kollege Rollmann in seiner Rede vorhin dankenswerterweise hingewiesen -, als durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundessozialhilfegesetz ganz neue Grundsätze entwickelt worden sind, die dem Ministerium erst die Mittel an die Hand geben, sich mit einiger Aussicht auf Erfolg im Gespräch mit den übrigen Zuständigkeitsträgern um eine vernünftige Lösung zu bemühen. Ich bin außerordentlich dankbar dafür, daß in diesem Urteil einige Grundsätze angesprochen sind. Herr Kollege Rollmann hat sie im einzelnen dargetan. Ich will nichts wiederholen. Aber ich will doch noch einmal in Erinnerung rufen, daß es auch Fürsorge im Sinne des Grundgesetzes darstellt, wenn auch die Jugenderziehung und die Berufsausbildung übernommenn werden, wenn zugleich eine finanzielle Hilfsbedürftigkeit des Jugendlichen und seiner Unterhaltsverpflichteten vorliegt. Das ist ein sehr wichtiger Grundsatz gerade bei der Behandlung des ganz besonders hilfsbedürftigen Personenkreises, der hier zur Rede steht, nämlich der geschädigten Kinder. Darunter verstehe ich nicht nur, Frau Kollegin Funcke, wie Sie, die Behinderten, sondern auch diejenigen, die durch das Mißverhalten der Erziehungsberechtigten und der Umwelt geschädigt worden sind. Sie sind wieder in jene Verhältnisse zu bringen, die allein ihnen eine Ausbildung zu einem Menschen und ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen können.
Nun, Sie haben schon selber darauf hingewiesen, Frau Kollegin Funcke, wie außerordentlich unterschiedlich die Dinge 'sind und daß man hier mit Patentrezepten, etwa aus einer Diskussion heraus schnell entwickelt, unter Umständen mehr totschlagen könne, Herr Kollege Hauck, als man fördern könnte. Man muß vielmehr etwas abgezielt auf ,die Situation des einzelnen Kindes tun und überlegen, in welchem Kreise das sinnvoll geschehen kann, wie die Größenordnungen sein müssen und was dafür geschehen muß. Das alles sind sehr vielfältige Überlegungen. Wir werden sie zu bedenken haben, wenn die Große Anfrage hier zur Beantwortung vorliegt.
Heute und an 'dieser Stelle möchte ich aber doch eines tun. Es ist in der Zwischenzeit von sehr vielen Meinungsbildnern, angefangen vom Fernsehen über den Rundfunk bis zu Illustrierten hin, eine Stellungnahme über die Situation dieser Kinder in die Öffentlichkeit hineingebracht worden, die es vielen erst ermöglicht, sich zu dem Problem zu stellen oder es überhaupt zu erkennen. Ich möchte nicht anstehen, gerade an dieser Stelle all denjenigen, die sich hier mit der Tat oder auch beratend eingesetzt haben, herzlichen Dank zu sagen. Hier ist das Parlament sehr wesentlich unterstützt 'worden. Ich möchte aber gleichzeitig daran auch die Bitte an manche unserer öffentlichen Meinungsbildner knüpfen 'dürfen, nicht durch allzu 'differenzierte Darstellung 'und durch allzu umfangreiche Berichterstattung über Scheußlichkeiten, die darzustellen eigentlich der Anstand verbietet,
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bei labilen Naturen Anreiz zu einer falschen Heroisierung und dadurch zu einem Mißverhalten zu bieten. Ich glaube, es besteht Anlaß, auch das hier zu sagen.
Aus den hiergeäußerten Auffassungen glaube ich entnehmen zu können, 'daß wir uns, wenn 'die Resultate der Großen Anfrage vorliegen, angesichts der veränderten rechtlichen Lage, die entstanden ist, bei der grundsätzlichen Übereinstimmung des ganzen Hauses in 'diesen Fragen, wie sie heute zutage getreten ist, zu sehr guten Ergebnissen zusammenfinden werden. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir 'damit dem Manne, der das seit langem als eine seiner vornehmsten Aufgaben ansieht, einen großen Dienst erweisen werden, nämlich dem Herrn Bundesfamilienminister.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Meinecke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Dank an die deutsche Presse, an die deutsche Publizistik und an die Zeitschriften für ihre mühsame Arbeit im Interesse des Wachrüttelns der Offentlichkeit für die
Situation der deutschen Kinder möchte ich mich voll anschließen. Es ist Beachtliches und viel geleistet worden, und ich glaube, das Bewußtsein in der deutschen Öffentlichkeit hat sich in diesem Jahr entscheidend gewandelt. Das ist auch mit ein Verdienst Ihrer Großen Anfrage. Das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich bescheinigen.
Der Bericht befaßt sich auch mit gesundheitspolitischen Fragen, mit der Gesundheit und Leistungsfähigkeit unserer Jugend. Ich muß Sie leider bitten, mir einige Worte und Zahlenangaben dazu zu gestatten. Denn dieser Bericht hat mich als Abgeordneten gepackt, und ich habe mich gefragt, was aus einem solchen Bericht für Konsequenzen zu ziehen sind, welche Aufgaben für die Zukunft wir danach haben und welche konkreten Wünsche für den nächsten Bericht - und sei es der Bericht im Jahre 1974 - zu äußern sind. Wir haben hier schon fast alle deutschen Politiken durchberaten.
Wir haben über die Kompetenzen von Bund und Ländern beraten. Herr Präsident, seien Sie mir nicht böse, wenn ich als neuer Abgeordneter in diesem Hause - aber nicht als Jungfernredner - ein gewisses Erstaunen nicht ganz unterdrücken kann, ein Erstaunen darüber, daß bei einer so breit angelegten Diskussion auf der Bank des Bundesrates nicht ein einziger Vertreter von Anfang an der Debatte gefolgt ist.
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Ich möchte der These dieses Berichts, daß die Leistungsfähigkeit und der Gesundheitszustand unserer Jugend von gesellschaftlichen Bedingungen mitbestimmt sind, eine andere These entgegensetzen, nämlich die, daß die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit unserer Jugend, ihr seelisches und ihr körperliches Wohlbefinden das Bild der Gesellschaft von morgen bestimmen. Darum sind diese Dinge so außerordentlich wichtig.
Wir bekommen gewissermaßen täglich durch Zeitungen, aber auch durch Fachzeitschriften Zahlen und Daten serviert, denen wir uns stellen müssen. Wir erfahren z. B., daß über 50 % aller Jugendlichen an Haltungsfehlern leiden. Die Haltungsfehler der Jugendlichen von heute aber bestimmen die Gangart der Erwachsenen von morgen. Wir erfahren weiter, daß 70 bis 80 % der Schulkinder an Karies leiden, und diese Angabe scheint mir ziemlich gesichert zu sein. Wir wissen ferner, daß sich im Jahre 1965 19 000 Verkehrsunfälle, an denen Kinder beteiligt waren, ereignet haben und daß 1600 Kinder an den Folgen von Verkehrsunfällen gestorben sind. Ich muß sagen, das sind bedrohliche Zahlen.
Wir Abgeordnete bekommen ja zum großen Teil auch Dokumente, Analysen und Berichte von großen ärztlichen Kongressen, die in jedem Jahr in nicht geringer Zahl stattfinden. Da wird gesprochen - ich zitiere Hellbrügge - von einer katastrophalen Situation in den Heimen für Kleinkinder und Säuglinge. Das, meine Damen und Herren, müssen wir registrieren, dem müssen wir uns stellen. Wenn wir wissen und darüber nachdenken wollen, was zu tun ist, dann wird der Ausgangspunkt unserer Überlegungen immer die Analyse sein, und diese Analyse kann nur auf Grund von Daten, von Statistiken und vergleichenden Untersuchungen gegeben werden. Dazu sagt der Bericht ganz schlicht: solche Zahlen, solche Daten liegen nicht vor. Er sagt schlicht: es gibt in der Bundesrepublik keine Schulgesundheitsstatistik.
Wir haben über -die behinderten Kinder gesprochen. Der Bericht geht, wenn ich mich nicht irre, von 130 000 sonderschulbedürftigen Kindern aus. Ich habe eine Aufstellung von Bracken über die Gesamtzahl der behinderten Kinder - wobei allerdings die Erziehungsschwierigen mit einbezogen sind - gelesen, und ich habe heute morgen durch Addition die Zahl von 660 000 behinderten Kindern ermittelt. Das haben wir zu projizieren auf die Zahl derjenigen, die wirklich sonderschulbedürftig sind, und wir haben diese Zahl wieder zu projizieren auf die Zukunft in 10 Jahren, wenn wir nämlich 15 bis 20 % schulpflichtige Kinder mehr haben werden. Diese Schulen werden heute geplant werden müssen, und sie werden in wenigen Jahren gebaut werden müssen, wenn sie dann vorhanden sein sollen, wenn sie benötigt werden.
In dem Zusammenhang hat -der Ausschuß für Gesundheitswesen sich natürlich auch mit den sagenannten thalidomidgeschädigten Kindern beschäftigt - einen anderen Ausdruck sollte man nun wirklich nicht mehr benutzen -,
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und er hat zur Kenntnis genommen, -daß die Zahl
dieser geschädigten Kinder heute bekannt ist. Aber
wir haben natürlich feststellen müssen, daß wir
retrospektiv betrachtet - das Ausmaß der Katastrophe nicht erkennen können und es uns ewig im Verborgenen liegen wird, weil eine große Zahl der Kinder die jetzige Jahresfrist von vier, fünf Jahren nicht erreicht hat. In dem Zusammenhang - nur in dem Zusammenhang - müssen wir erneut daran erinnern, daß bei einer Novellierung des Bundessozialhilfegesetzes - Sie haben ja selbst vorhin angedeutet, daß dafür jetzt ein gewisser Weg frei ist - natürlich politisch das Problem -der sogenannten „Meldepflicht" aufgeworfen werden muß,
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- eine sinnvoll verstandene Aufforderung zur Registrierung, möchte ich einmal sagen, unter größtmöglicher Beteiligung der Eltern und deren Zustimmung.
Ich meine, es müßte bei Gesprächen zwischen dem Bundesinnenministerium und den Vertretern der Ärzteschaft eine Formulierung zu finden sein, die auf der einen Seite nichts Unmögliches verlangt und auf der anderen Seite uns die epidemiologische Übersicht gibt, um vernünftige Gesundheitspolitik in dieser Bundesrepublik machen zu können.
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Dem Herrn Rollmann wurde seitens des Herrn Staatssekretärs Ernst - ich glaube, im Dezember
1965 war es - auf die Frage, wann damit zu rechnen
sei, versprochen: in wenigen Monaten. Nun gut, ich habe Verständnis dafür, daß man aus anderen Gründen nicht jedes Jahr neu novellieren kann. Man wird das „eine Novellierung aus einem Guß" nennen sollen. Aber dann müssen diese Probleme einmal gelöst werden.
Meine Damen und Herren, wenn Sie den Schluß des Jugendberichts aufschlagen, finden Sie einige Statistiken. Da finden Sie z. B. zwei Statistiken über Krankheitsanfälligkeit, Morbidität und Mortalität, nämlich eine Statistik aus dem Bereich der Ortskrankenkassen über die verschiedenen Krankheitsgruppen der 3-, 5- bis 15jährigen und der 15- bis 25jährigen und auf der anderen Seite eine Statistik von Musterungsuntersuchungen der Bundeswehr. Sie sehen dort, daß bestimmte einzelne Krankheiten in verschiedenen Gruppen untergebracht sind. Also nutzen die Statistiken nichts, weil sie nicht vergleichbar sind.
Ich möchte dazu einen Vorschlag unterbreiten, und ich bitte sehr herzlich, daß das Ministerium, auch das Bundesgesundheitsministerium, ihn ein wenig beachtet. Es gibt eine Schrift des Bundesgesundheitsministeriums über gewisse Richtlinien für die schulärztlich e Tätigkeit. Könnten sich die Länder, die Städte und die Gemeinden einmal auf gemeinsame Fehlertabellen und gemeinsame Untersuchungstabellen - auf gemeinsame Ziffern - in der gesamten schulärztlichen Untersuchungsmethodik einigen, und könnten sich die Herren Ärzte der Bundeswehr auf dieselbe Tabelle und auf den gleichen Katalog einigen, und könnte man nach ähnlichen Gesichtspunkten im frühen Kindesalter und anläßlich der Einstufungsuntersuchungen, sagen wir, bei den Hochschulen und bei den Berufsfachschulen verfahren, dann müßte es im Zeitalter der Computer ein leichtes sein, in wenigen Jahren eine Gesamtjugendgesundheitsstatistik darzustellen, die mit den besonderen Methoden des Zugriffverfahrens uns innerhalb weniger Jahre Erkenntnisse gibt, wo und in welcher Weise ein mißlicher Zustand, ein neues Leiden, eine besonders körperlich-fehlerhafte Entwicklung eintritt. Es ist dann sehr viel besser möglich als in der Vergangenheit, prophylaktisch etwas zu unternehmen. Vorsorge ist heute das Schlagwort in der Medizin der ganzen Welt. Jugendvorsorge oder Jugendheilkunde, möchte ich sagen, ist die Medizin, die das klassische Beispiel der prophylaktischen Medizin überhaupt sein wird.
Wenn wir diese Wünsche bezüglich des nächsten Jugendberichts an das Ministerium richten und wenn wir über die Situation der Kinder diskutieren, wenn wir die Ministerien animieren können, mit der Kultusministerkonferenz und mit der Konferenz der Gesundheitsminister und -senatoren sich zu solchen gemeinsamen Schritten durchzuringen, und wenn im Bundessozialhilfegesetz diese eine Frage geklärt wird und auf der anderen Seite die leidige Frage der Einkommensgrenzen ebenfalls vernünftig geregelt wird, dann werden wir im nächsten Jahr für die Gesundheit unserer Jugend sehr viel tun können.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Schroeder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich wegen der vorgeschrittenen Zeit und wegen der großen Zahl der 'Redner, die sich hier gemeldet huben, auf ein ganz bestimmtes Problem beschränken, auf eine Frage, diegerade unserer Fraktion besonders ,am Herzen liegt. Es sind ,die sozialen Dienste, die auch im Jugendbericht ,angesprochen werden. Wir sollten diesem Thema noch einige Augenblicke widmen, weil es doch eine sehr positive Angelegenheit ist und weil hier nach meiner Meinung von der Jugend ,ein Dienst geleistet wird, der oft nicht so stark im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit steht, der nicht erwarten kann, daß er Schlagzeilen 'macht, der ohne Sensation und ohne interessantes Happening geleistet wird, der aber gleichwohl eine oft sehr unbequeme und sehr mühselige Arbeit bedeutet, die immer wieder eine tägliche Selbstdisziplin, sehr viel Gewissenhaftigkeit, sehr viel Hinwendung zu dem anderen Menschen, auch zu manchem schwierigen Menschen, erfordert.
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Aber alle jungen Menschen, die diesen Dienst getan haben, haben ihn als positiv gewertet und haben als ihren größten Eindruck wiedergegeben, daß hier eine Arbeit getan wird, bei der sie spüren, daß sie 'als Menschen gebraucht werden. Alle haben den Wert bestätigt, den der Dienst für ihre eigene Persönlichkeit hat.
In dem Bericht wird ausgeführt, daß die Jugend in unserer heutigen Zeit den unmittelbaren Dienst am Menschen weniger als früher erlebt, weil dieser Dienst sehr häufig von Institutionen übernommen wird und weil in manchen Fällen unser weitverbreiteter Wohlstand Notstände überdeckt, Notstände, ,die nicht immer finanzieller Art sind, sondern gerade in dem Mangel an menschlichem Kontakt liegen. Deshalb sollten wir diesen Dingen Aufmerksamkeit widmen. Hier setzt der soziale Dienst ein, der - auch das möchte 'ich noch einmal sagen - zum großen Teil aus der Initiative der Jugend selbst kommt
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und von .den jungen Menschen ein ganz konkretes Mittun und ein praktisches Anpacken erfordert.
Was sollten wir uns 'für die kommende Gestaltung besonders vornehmen und beachten? Als erstes möchte ich sagen: Die Freiwilligkeit der Dienste müßte gewahrt werden. Ich sage das auch wegen der immer wieder aufflackernden Diskussion um das Pflichtjahr. Ich will mich mit all den Argumenten hier nicht mehr befassen. Aber ich meine, daß der soziale Dienst eines seiner Hauptwerte beraubt würde, wenn nicht die Freiwilligkeit, wenn nicht die persönliche freie Entscheidung am Anfang stünde.
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Zweitens sollte man den sozialen Dienst sehr
weit, sehr 'elastisch 'gestalten. Man sollte alle die
mannigfaltigen kurzfristigen Dienstleistungen einbeziehen, z. B. Sonntagsdienst, Patenschaften von Jugendgruppen für Altersheime usw. Diese Dinge sind mimt viel Phantasie aufgegriffen 'worden. Aber ganz gewiß sollten wir noch einmal idrurchdenk en, wie wir die langfristigen Dienste weiter 'fördern können.
Vor einigen Jahren haben wir das Gesetz über das freiwillige soziale Jahr verabschiedet. Jetzt liegen die ersten Erfahrungen vor, auf denen wir fußen können. Diese Erfahrungen sind, was die Qualität anlangt, sehr positiv. Ich habe soeben schon gesagt, welchen tiefen Eindruck diese Tätigkeit meistens auf den jungen Menschen selbst macht. Wir sollten größten Wert darauf legen, daß die einführende und begleitende Betreuung ausgebaut wird; denn diese Betreuung brauchen die jungen Menschen, die oft, gerade wegen des Mangels an Hilfspersonal, gleich in sehr starke Verantwortung gestellt werden. Sie kämpfen sich durch diese Verantwortung meistens tapfer hindurch; aber man sollte ihnen das soweit wie möglich er-leichtem. Nur etwa 2 % der Jugendlichen versagen. Ich glaube, damit kann man unserer Jugend ein gutes Zeugnis ausstellen.
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Auffallend ist, daß sich gerade Angehörige der Verwaltungs- und Büroberufe, die jetzt sehr technisiert sind und in denen der Kontakt zum Mitmenschen fehlt, zum sozialen Jahr melden. Sehr viel geringer ist die Zahl der Meldungen bei der Gruppe der jungen Fabrikarbeiterinnen, und das sollte zum Nachdenken anregen. Die Situation ist dort nicht sehr viel anders, was den Mangel an menschlichen Kontakten anlangt. Sollte es daran liegen, daß diesen jungen Arbeiterinnen die Beteiligung aus finanziellen Gründen schwerer fällt, dann müssen wir nach Wegen suchen, die auch iihnen ein soziales Jahr ermöglichen, wenn sie dies wünschen. .
Bei allen guten Erfahrungen, die wir gemacht haben, ist eigentlich doch mit großer Betrübnis festzustellen, daß sich immer noch zuwenig melden. In dem Bericht des Bundesministeriums für Familie und Jugend habe ich die Zahl von 1300 im Jahre 1966 gelesen. Das ist nicht sehr viel, wenn seit dem Gesetz über das soziale Jahr auch ein geringer Zuwachs zu verzeichnen ist.
Ferner fällt der große Unterschied in den einzelnen Ländern auf. Ich glaube nicht, daß die Einsatzbereitschaft unserer Jugend in den einzelnen Ländern verschieden ist, sondern meine, daß es hier sehr darauf ankommt, wie intensiv man die jungen Menschen anspricht. In bezug auf die Werbung und Bekanntmachung könnten wir noch einiges tun. Wir sollten auch unsere öffentlichen Publikationsorgane sehr nachdrücklich bitten, diese Gruppe junger Menschen, die einen solchen Dienst leisten, einmal in den Mittelpunkt zu stellen, auch wenn sie vielleicht nicht so interessant sind. Wir sollten die Länder bitten, in den Schulen dafür zu sorgen, daß irgend etwas getan wird, um für diesen Dienst zu werben und die jungen Menschen näher an diese Aufgabe heranzuführen. Wir sollten nach neuen Wegen suchen, damit das freiwillige soziale Jahr eine bessere Anerkennung findet als bisher.
In dem Bericht über das diakonische Jahr habe ich andererseits wieder gelesen, daß die jungen Menschen selbst gar nicht als etwas Besonderes, als besondere Idealisten hingestellt werden möchten. Sie wollen keine Elite sein; sie meinen, daß sie eigentlich etwas ganz Selbstverständliches tun. Dennoch sollten wir uns bei der nächsten Beratung des Bundesjugendplans einmal sehr genau überlegen, was auf diesem Gebiet getan werden kann. Es ist vorgeschlagen worden, Berlin- und Auslandsfahrten für diese Mädchen und Jungen durchzuführen. Ich würde es für sehr sinnvoll halten, daß man ihnen nach Ableistung eines sozialen Jahres die Möglichkeit gibt, einmal zu sehen, wie andere Staaten ihre sozialen Probleme lösen.
Hier wird folgendes deutlich - und darum meine ich, daß man sich dieser Fragen eingehend annehmen sollte -: Sicher braucht unsere junge Demokratie eine Jugend mit wacher Kritik. Aber das genügt nicht. Wir sollten ebenso sehen, daß die persönliche Initiative, die persönliche Entscheidung zum praktischen Einsatz und zum Anpacken konkreter Aufgaben dazu gehört, wenn unsere Gesellschaft leben will und wenn wir eine wirkliche, lebendige Demokratie aufbauen wollen. Hier wird auch ein Stück praktische Gesellschaftspolitik geleistet neben all dem anderen, was heute schon lobend erwähnt worden ist im Zusammenhang mit der wertvollen ehrenamtlichen Arbeit gerade in der Jugendhilfe. Wir sollten alles tun und alles fördern, um unserer Jugend die Chance für eine solche sinnvolle Betätigung zu geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Reichmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jugendbericht ist auch das Problem der Landjugend berücksichtigt. Mit Recht, denn sie ist ein Teil unserer Jugend. Die ursprüngliche ländliche Welt ist nicht mehr. Sie hat sich verändert, gewandelt zur modernen Gesellschaft. Dieser Wandlungsprozeß macht es der Landjugend schwer und kompliziert, die Probleme zu bewältigen. Sie muß heute mehr wissen und können als früher.
Der Bildungswille der Landjugend zeigt sich im steigenden Besuch der weiterbildenden Schulen, der Landwirtschaftsschulen für die künftigen Betriebsleiter und auch in der starken Teilnahme an den Landjugendseminaren der Landjugendverbände.
Die Einsatzbereitschaft der Landjugend für ihre Aufgaben offenbart sich in der starken Beteiligung an den Landjugendwettbewerben. 80 000 junge Menschen vom Land beteiligten sich am Landjugend-Berufswettkampf. Die Ergebnisse dieser Aktionen sollten besser ausgewertet und in der Landjugendarbeit ausgenützt werden.
Die Aufgeschlossenheit der Landjugend findet ihren Ausdruck in den Lehrfahrten in alle Länder, und der Landjugendaustausch erfolgt fast in die ganze Welt. Am guten Willen, der Strebsamkeit und dem fortschrittlichen Geist der Landjugend zur Bewältigung der Probleme von heute fehlt es also nicht.
Aber die Ausbildung und die Ausrüstung für die gestiegenen beruflichen, kulturellen, gesellschaftspolitischen und staatspolitischen Aufgaben müssen weiter verbessert, verstärkt und erweitert werden. Dazu ist eine größere Unterstützung und Förderung der Landjugendarbeit im Sachlichen und im Personellen erforderlich. Die umfassende und vorzügliche Konzeption der ländlichen Bildungspolitik des Deutschen Bauernverbandes ist hier wegweisend. Das Gute und das Fortschrittliche dabei sollten in der Tat in der Zukunft verwirklicht werden.
Das oft erwähnte Bildungsgefälle von der Stadt zum Land muß beseitigt werden, und der Landjugend müssen dieselben Bildungschancen zugebilligt und eingeräumt werden.
Die vielseitige Landjugendarbeit, die im Bericht angeführt wird, ist dankbar anzuerkennen. Besondere Anerkennung verdient die Arbeit der drei Landjugendorganisationen. Ob raber die Dreiteilung in denselben Gesamtaufgabe der bestmögliche Weg ist, muß bezweifelt werden, denn bei aller Differenziertheit ergibt sich nach unserer Meinung doch die Feststellung, daß es hier bei dieser Gemeinschaftsaufgabe zuviel Nebeneinander und zuwenig Miteinander gibt. Mehr koordinieren und weniger konfessionalisieren ist ,das Gebot der heutigen Zeit für die Arbeit der Landjugendorganisationen. Das Mißlingen des Landjugendtages 1967 verpflichtet zur besseren Zusammenarbeit in der Landjugend.
Durch die enge Verbundenheit der Landjugend, die 'in der Landwirtschaft tätig ist, wird ihre Situation durch die Lage der Landwirtschaft im Guten und im Schwierigen entscheidend mitbestimmt. Trotz des Einsatzes der Technik müssen die in der Landwirtschaft Verbliebenen oft mehr leisten, alsihnen zuträglich ist. Davon ist auch die Landjugend betroffen. Arbeitsüberlastung bei unzureichenden Entspannungs- und Erholungsmöglichkeiten verursacht den unbefriedigenden Gesundheitszustand der Landjugend. Bessere Gesundheitsvorsorge für die Landjugend ist deshalb dringend geboten. Mangelnde Freizeit behindert die von der Landjugend erstrebte Fort- und Weiterbildung im Sport und die Pflege des kulturellen und geselligen Lebens.
Infolge der sich jetzt abzeichnenden neuen Schwierigkeiten in der Landwirtschaft besteht zudem die Gefahr, daß der Landjugend die Freude an der Landwirtschaft noch mehr verleidet wird und daß dadurch die Fortführung vieler Familienbetriebe gefährdet wird. Eine weitere Verschlechterung der Lage der Landwirtschaft muß deshalb auch mit Rücksicht auf die Landjugend unbedingt verhindert werden. Es ist ein Mangel des Jugendberichts, daß diese Probleme der Landjugend nicht stärker unter allen Gesichtspunkten und Aspekten beleuchtet und herausgestellt worden sind. Das Leben auf dem Lande ist auch in Zukunft von der Landjugend abhängig. Deshalb sollten wir der Landjugend die Voraussetzungen und Chancen geben, die sie braucht und verdient, um die ihr gestellten Aufgaben jetzt und morgen zu bewältigen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rollmann hat in seinen Ausführungen zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Jugendwohlfahrtsgesetz Stellung genommen. Ich möchte auf seine Ausführungen jetzt nicht sehr eingehend antworten, sondern nur ganz 'global sagen, daß wir der Meinung sind, daß es in diesem Streit keine Sieger und keine Besiegte gegeben hat. Das Urteil ist ausgewogen und schafft die Möglichkeit zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Ich will auf die verschiedenen Thesen, die bei den Beratungen zum Jugendwohlfahrtsgesetz im Ausschuß und auch hier vorgetragen sind, nicht eingehen. Sie haben ja auch darauf verzichtet. Ich glaube, daß wir uns alle miteinander nur wünschen können, daß sich nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts alle Beteiligten zu reiner sinnvollen Zusammenarbeit in allen Jugendfragen zusammenfinden. Ich glaube, das wäre das Vernünftigste, was uns nach diesem Urteilsspruch von Karlsruhe passieren könnte.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sagt in ihrer Einleitung zu dem Bericht, über den wir heute diskutieren, daß er ein annähernd geschlossenes Bild von der Situation der deutschen Jugend in der modernen Gesellschaft geben will. Er soll eine sachliche Grundlage zur politischen Prüfung und Entscheidung der Frage bieten, wie Jugendpolitik zeitnah und wirksam gestaltet werden kann.
Auf den Seiten 10 bis 12 behandelt der Bericht das Thema Jugend und Familie. Das ist gegenüber den Ausführungen zu verschiedenen anderen Problemen, die in dem Bericht angesprochen sind, verhältnismäßig kurz. Es ist aber selbstverständlich, daß in einem Jugendbericht über die Familie Aussagen gemacht werden müssen, weil auch heute noch die Familie den entscheidenden Beitrag zur Erziehung der Kinder leistet. Denn trotz aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen hat die Familie auch in unserer Zeit ihre innere Stabiltät bewahrt. In der hinter uns liegenden Zeit der Gewaltherrschaft und des Krieges und unter den Lasten der Kriegsfolgen bewahrte die Familie ihre Aufgabe als ideelle, natürliche, sittliche und wirtschaftliche Lebensgemeinschaft. Nirgendwo fanden und finden die Menschen eine stärkere persönliche Bindung als in ihrer Familie.
Die Familie von heute sieht allerdings anders aus als die Großfamilie, die in ihrer Struktur heute nur noch teilweise auf dem Lande anzutreffen ist. Durch den Strukturwandel von der Groß- zur Kleinfamilie, die die Norm unserer Zeit ist, ist sie schweren BeFrau Schanzenbach
lastungen vielfältiger Art unterworfen, besonders durch die Schwächung der wirtschaftlichen Kraft und durch die Trennung von Heimstätte und Arbeitsplatz. Auch die erzieherische Leistungsfähigkeit hat sich durch diese Trennung vielfach vermindert, während andererseits die Anforderungen in der Schule und für den Beruf in der letzten Zeit gestiegen sind.
Dazu kommt, daß nicht nur die Väter, sondern auch die Matter in immer stärkerem Maße eine außerhäusliche Berufstätigkeit ausüben. Die Gründe hierfür liegen zumeist in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie, aber auch in dem volkswirtschaftlich und staatspolitisch stark vermehrten Bedarf an. Arbeitskräften. Die Gleichberechtigung der Frau verbesserte ihre Stellung in der Gesellschaft und gibt ihr die Möglichkeit zur persönlichen Entfaltung. Aber sie führte auch zu starken Belastungen, die sie nur - und das trifft insbesondere für ihre Aufgaben in der Familie zu - bewältigen kann, wenn ihr eine vielfältige Hilfe von außen, d. h. von der Gesellschaft, zuteil wird.
Die veränderte Lage der Familie erfordert einen neuen und vermehrten Beistand durch Staat und Gesellschaft. Der Staat darf sich aber nicht in die Familie direkt einmischen. Art. 6 des Grundgesetzes stellt eindeutig fest, daß Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern sind. Es darf nur eingegriffen werden, wenn die Eltern versagen und die Kinder nicht anders vor Gefahren geschützt werden können.
Da aber die Kleinfamilie von heute ihre Aufgaben in erzieherischer und wirtschaftlicher Hinsicht allein nicht mehr meistert, müssen Staat und Gesellschaft der Familie wirtschaftlich helfen und sie in einigen Bereichen ergänzen. Der Bericht stellt fest, daß die Familie für die leibliche und geistige Entwicklung des jungen Menschen sorgt und ihn in die Umwelt einführt. Aber diese Aufgabe kann sie nur bewältigen, wenn Schule, familienergänzende Einrichtungen, z. B. Kindertagesstätten, Spiel- und Sportplätze sowie gesundheitsfürsorgerische Maßnahmen und wirtschaftliche Hilfen der verschiedensten Art ihr dabei zur Verfügung stehen.
Im Innern der Familie hat sich in bezug auf die Vater-Mutter-Rolle eine große Wandlung vollzogen. In der Großfamilie war der Vater der Tonangebende; er bestimmte, er war das große Vorbild. In unserer Gesellschaft, insbesondere in der Familie, tritt das väterliche Element immer mehr zurück, während die Stellung der Mutter wesentlich stärker geworden ist. Das Streben geht nach einer partnerschaftlichen Verhältnis in der Ehe. Aber es läßt sich nicht verleugnen, daß die Väter an der Erziehung der Kinder nicht den Anteil haben, der einen partnerschaftlichen Verhältnis entspricht; sie überlassen die Erziehung der Kinder weitgehend der Mutter. Der Vater ist für die Kinder nicht mehr der Patriarch, er ist ihr Kamerad geworden. Untersuchungen haben ergeben, daß der Vater an Autorität verliert, aber an Vertrauen bei seinen Kindern gewinnt.
Im allgemeinen kann eine positive Haltung der heutigen Jugend zur Familie festgestellt werden. Der Bericht spricht davon, daß sich das Vertrauen zu den Eltern im Verlaufe der letzten zehn Jahre mehr und mehr gefestigt habe. Aus Befragungen geht hervor, daß von vier befragten Jugendlichen drei der Meinung sind, die Eltern kümmerten sich gerade richtig um ihre Angelegenheiten. 16 % finden, daß ihre Eltern zu viel in ihre eigenen Angelegenheiten hineinredeten. 4 % fühlen sich aber von den Eltern vernachlässigt. Die 18- bis 19jährigen beklagen sich allerdings in höherem Maße über eine Bevormundung durch ihre Eltern; sie fühlen sich zu stark überwacht und in der freien Wahl ihrer Freundschaften gehindert.
Allgemein kann festgestellt werden, daß von der früher sehr stark autoritär geformten Erziehung in der Familie heute kaum noch etwas spürbar ist. Soweit sich die Familienstruktur und die Stellung der Frau in der Familie geändert haben, änderte sich auch das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Die Lebens- und Umgangsformen in der Familie sind demokratischer geworden.
Die Erziehung der Jugend stellt heute ganz allgemein höhere Anforderungen an die Eltern, Aber leider sind sie auf diese Aufgabe nicht oder nicht genügend vorbereitet. Sie stehen den Pflege- und Erziehungsfragen oft hilflos gegenüber. Früher bedeutete eine große Kinderschar Ansehen der Mutter. Auch das hat sich insofern geändert, als heute das Ansehen der Mutter mit dem Erfolg der Erziehung der Kinder verknüpft ist. Die Zahl der Kinder spielt keine Rolle mehr. Die Mutter gilt heute nicht mehr ohne weiteres als die beste Erzieherin der Kinder; sie muß sich diese Anerkennung erarbeiten.
Wir, das heißt die Gesellschaft und der Staat, verlangen von den Eltern eine Erziehungsarbeit, auf die sie nicht vorbereitet sind. Der Erfahrungsschatz aus dem Elternhaus reicht nicht mehr aus, um die eigene Aufgabe in der jungen Familie zu bewältigen. Die Vorbereitungsjahre auf die junge Familie hin werden immer kürzer, denn die Eheschließung erfolgt immer mehr im jugendlichen Alter. Das durchschnittliche Heiratsalter der Männer hat sich von 28,3 im Jahre 1949 auf 25,8 Jahre im Jahre 1962 gesenkt. Bei den Frauen hat es sich in der gleichen Zeit von 25,4 auf 23,7 Jahre gesenkt. Die ausgesprochenen Frühehen sind selten. Die Kinderzahl in den Ehen nimmt wieder zu; die Ehen ohne Kinder haben in den letzten Jahren ständig abgenommen.
Viele der jungen Ehefrauen sind erwerbstätig. Sie scheiden in großer Zahl aus dem Erwerbsleben aus, wenn das erste oder zweite Kind geboren wird. Im ganzen gesehen ist die Berufstätigkeit von Müttern nicht so stark verbreitet, wie man in der Offentlichkeit meint. Jede siebte Mutter mit Kindern unter 18 Jahren ist außer Haus berufstätig. Leider ist festgestellt worden, daß in der letzten Zeit immer mehr Mütter mit drei und mehr Kindern eine Erwerbsarbeit aufnehmen. Es ist eine bedauerliche Tatsache, daß etwa ein Viertel aller Mehrkinderfamilien am Rande des Existenzminimums leben müssen. Nach einer Erhebung von 1959 tragen erwerbstätige Mütter in folgendem Umfang zum Familieneinkommen bei: 3 % der erwerbstätigen Mütter tragen etwa 25 % zum Familieneinkommen bei,
72 % der Mütter 25 bis 50 %, 23 % der erwerbstätigen Mütter tragen 50 bis 75 % und 2,2 °/o tragen über 75 %. zum Familieneinkommen bei. Diese Zahlen stammen zwar aus dem Jahre 1959; sie werden sich aber bis heute kaum verändert haben. Diese Zahlen sind eine klare Antwort auf die Frage, warum Mütter mitarbeiten müssen.
Ziel aller familienpolitischen Maßnahmen muß es aber sein, daß keine Mutter, die kleine Kinder hat, aus wirtschaftlicher Not gezwungen ist, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Vom Staat und der 'Gesellschaft sind die Voraussetzungen zu schaffen, daß so weit wie möglich alle Kleinkinder in ihrer Familie die Pflege, Erziehung und Geborgenheit finden, die sie brauchen, um gesund 'in Idas Leben hineinzuwachsen. Das bedeuttet nicht, daß den Eltern die Verantwortung für ihre Kinder abgenommen werden kann. Hilfen müssen ihnen aber gegeben werden.
So brauchen wir dringend ein besseres Kindergeldgestetz. Die diesbezügliche Regelung, die wir haben, ist unzureichend. An einer hessaren Lösung, wie sie beispielsweise in der Sozialenquete niedergelegt ist, muß gearbeitet werden. Der Familienlastenausgleich ist in eine Sackgasse geraten. Genauso wichtig wie ieine bessere Regelung des Kinde rge des ist das Ausbildungsförderungsgesetz, das seit 'einigen Jahren in .diesem Haase immer wieder von ,der SPD gefordert wurde. Nur wenn dieses Gesetz vorliegt, sind die Ausbildungschancen für alle jungen Menschen von der Wirtschaftlichen Seite hier gesichert. Das zu schaffen, sollte auch in dieser finanzpolitisch schwierigen Zeit doch möglich sein; denn auch hier handelt es sich um Investitionen.
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- Ich weiß! Der Bericht weist idarauf hin, daß die Familienstruktur auf dem Lande noch weitgehend konservativ und patriarchalisch geblieben ist. Hier zeigt sich, daß durch dieses Verhalten die Sorge für die nichterbenden Kinder unzureichend ist. 24 % dieser Kinder sagen aus, daß die Eltern noch niemals mit ihnen über ihre berufliche Zukunft gesprochen haben.
Bei Arbeiterfamilien ist dagegen nachgewiesen, daß intakte Familien für ein solides Lehr- und Arbeitsverhältnis für ihre Kinder sorgen.
Die Kinder aus gestörten oder unvollständigen Familien erhalten oft keine Ausbildung. Eine Ausnahme machen hier die Kriegerwalisen. Die Kriegerwitwen haben von den Möglichkeiten des Bundesversorgngsgesetzes Gebrauch gemacht und in überwiegendem Maße ihren Kinderneine gute Erziehung und eine qualifizierte Berufsausbildung zukommen Lassen.
Wie wichtig die Erziehung in der Familie ist, zeigt sich (besonders an Jugendlichen, die tin Heimen heranwachsen. Die vorhandenen Untersuchungen beweisen, daß Fehlhaltungen bei Heimkindern weit mehr auftreten als bei Kindern, die in Familien aufwachsen. Die Heimkinder sind auch in unserer Zeit immer noch die Stiefkinder der Gesellschaft. Sie sind in ihrer Entwicklung im Vergleich mit Familienkindern um Jahre zurück. Es sollte für uns ein ernstes Problem sein, diesen Kindern die Lebenschancen zu verbessern.
Nachdem nun ein Entwurf eines Gesetzes über die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder dem Bundestag vorgelegt wird, können wir hoffen, daß sich die Situation dieser Kinder verbessert. Das wird aber nur dann der Fall sein, wenn die Gesellschaft von der rechtlichen Stellung Kenntnis nimmt und alle Vorurteile abwirft. Es ist zu hoffen, daß die junge Generation diesen Fragen wirklichkeitsnäher gegenübersteht.
Wenn Jugendpolitik zeitnah und wirksam - so wie es in der Einleitung des Jugendberichts heißt - entwickelt werden soll, dann muß u. a. eine aktive Familienpolitik betrieben werden, die neben den ausreichenden wirtschaftlichen Hilfen familienergänzende Einrichtungen und soziale Dienste zur Verfügung stellt, außerdem durch Eheberatung, Mütterberatung und Erziehungsberatung sowie durch Hilfen zur Familienplanung und durch den sozialen Wohnungsbau den Familien, insbesondere den jungen Familien, hilft, ihre wichtige Aufgabe für die Kinder, für die eigene Familie, aber auch für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu begreifen und zu bewältigen.
Ich hoffe, daß diese Jugenddebatte dazu beiträgt, die Probleme deutlicher zu sehen und rascher an ihre Bewältigung auf allen zuständigen Ebenen heranzugehen.
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Wir fahren in der Rednerliste fort. Das Wort hat der Abgeordnete Horstmeier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in meinem Beitrag insbesondere dem Abschnitt „Bildung der Landjugend" im zweiten Teil des Jugendberichts zuwenden.
Wer die ländlichen Verhältnisse kennt, weiß, welch hohe Bedeutung Bildung und Ausbildung auf dem. Lande heute haben. Die großen Umstellungsprozesse, die in vollem Gange sind, erfordern ein hohes Maß an Umdenken, erfordern eine geistige Durchdringung und Bewältigung der Probleme. Unter Bildung in diesem Sinne ist das ständige, lebenslängliche Bemühen zu verstehen, sich selbst und die Welt zu begreifen und danach zu handeln. Hier treffen sich gesellschaftliche, politische und soziale Aspekte im engen Raum, die beherrscht werden wollen. Es geht also in den Bildungsbemühungen von heute nicht so sehr - jedenfalls nicht in diesem Zusammenhang - um Begründung völlig neuer Bildungskonzeptionen, vielmehr geht es um die beschleunigte Anpassung an die Erfordernisse unserer Zeit; dies um so mehr, da sich die technische und ökonomische Entwicklung auf dem Lande und in der Landwirtschaft noch schneller vollzieht als in anderen Bereichen.
Diese soeben geschilderten Notwendigkeiten sind mit schulischer Bildung allein nicht mehr zu bewälHorstmeier
tigen; hier kommt einer flexibel gestalteten außerschulischen Bildung eine entscheidende Bedeutung zu. Ein weiterer Umstand verdient Erwähnung, nämlich der, daß auf Grund der dezentralen Lage des Landes das. Bildungsangebot für den einzelnen nicht so umfassend und intensiv möglich ist. Die verschiedenen Träger der außerschulischen Bildungsarbeit, die Heimvolkshochschulen, Jugendorganisationen und anderen Einrichtungen der Erwachsenenbildung, haben sich bisher dieser Aufgabe in dankenswerter Weise angenommen. So sind z. B. von den Jugendorganisationen unzählige Kursreihen und Seminare durchgeführt worden, die den Vorteil haben, daß sie den örtlichen Gegebenheiten zeitlich und thematisch angepaßt werden können.
Diese Aufgaben können die Jugendorganisationen aber nur wahrnehmen, wenn genügend Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Daran mangelt es überall sehr. Ohne ihren Einsatz wäre die Arbeit in der Vergangenheit gar nicht möglich gewesen. Dieses. Problem der Mitarbeiter stellt sich ganz besonders auf dem Lande, und ich begrüße es sehr, daß der nächste Bericht den Schwerpunkt „Mitarbeiter in der Jugendarbeit" behandeln soll. Die bisherigen Richtlinien des Bundesjugendplans sahen bei 100 durchgeführten Seminaren die Zuschußmöglichkeit für einen Bildungsreferenten vor. Die Praxis hat jedoch gezeigt, daß die Richtzahl 100 zu hoch ist. Eine intensive Vorbereitung und eine wirkungsvolle Durchführung sind bei der hohen Bearbeitungszahl nicht gewährleistet. Sie müßte wesentlich herabgesetzt werden.
Ein anderes Problem bei der Durchführung der Seminare stellt sich in der Raumfrage. Gaststätten, in denen immerhin auf dem Lande noch 60 bis 70 % der Seminare durchgeführt werden, sind nicht immer geeignet. Hier muß Abhilfe geschaffen werden. Ein Lösungsvorschlag wäre, in neu zu erstellenden öffentlichen Gebäuden wie Schulen, Reithallen und anderen Gemeinschaftshäusern Jugendräume mit einzuplanen. Eine zweite Möglichkeit ergäbe sich heute vielerorts dadurch, daß man durch die Schulreform freigewordene Räume in Jugendräume umwandeln würde. Auf diese Weise würde man auch dem dezentralen Bedarf des Landes an Jugendräumen gerecht.
Ein paar Worte möchte ich noch den Hilfen aus dem Einzelplan 10 für die fachliche Weiterbildung der Landjugend widmen. Ich danke in diesem Zusammenhang dem Haushaltsausschuß dafür, daß er bei den letzten Haushaltsberatungen für die Hilfen zur fachlichen Weiterbildung der Landjugend eine Prioritätgesetzt hat.
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Mit (der weiteren Verwirklichung der EWG dürfen die Anstrengungen auf diesem Gebiet der fachlichen Weiterbildung nicht gemindert werden; denn der fachliche Bildungsstand wird ein entscheidender Faktor im .EWG-Wettbewerb sein. Die gezielte Förderung der fachlichen Weiterbildung muß auch in den nächsten Jahren sichergestellt bleiben. Gerade auf diesem Gebiet kann man mit geringen Mitteln einen hohen Wirkungsgrad erreichen.
Jugendarbeit ist heute Bildungsarbeit im weitesten Sinne. Jugendarbeit heißt Bildung der Persönlichkeit. Da Persönlichkeiten zu den staatstragenden Kräften gehören, muß der Persönlichkeitsbildung überall, wo sie sich vollzieht, ein besonderes Augenmerk ,gewidmet werden.
Auch die Auswirkungen des Karlsruher Urteils betreffend ,das Jugendwohlfahrtsgesetz dürfen -das möchte ich an dieser Stelle auch einmal sagen - nicht dazu führen, daß die direkten Hilfen für die Jugendarbeit auf unterster Ebene nicht mehr gewährleistet sind. Kernstück der freien Jugendarbeit ist und bleibt ,die Gruppenarbeit. Wenn da keine Hilfen mehr möglich sind, verlieren auch die überregionalen Bemühungen an Bedeutung. Bildungshilfen sind in die Zukunft gerichtete Investitionen. Sie müssen deshalb auch als solche eingeordnet und bewertet werden.
Ich möchte nun zu 'dem viel besprochenen Thema der politischen Bildung noch ein paar Worte sagen. Dieses Thema ist deshalb bedeutungsvoll, weil die Jugend von heute die Politik von morgen beistimmen wird. Diese Tatsache führt zu der Notwendigkeit, beim jungen Menschen schon heute 'die Gleise für die spätere Verantwortungsübernahme zu legen.
Ich möchte einmal feststellen, daß die Jugend heute ein waches Interesse für alle Zeiterscheinungen hat. Nur verharrt die Mehrzahl nach meiner Meinung in passiver Interessiertheit. Genau 'an dieser Stelle muß der Hebel angesetzt werden. Politische Bildung erfordert immer, daß der junge Mensch auch ,den Weg zu seinem persönlichen Engagement gewiesen bekommt. Er soll nicht nur theoretisch lernen, wie die Wahrnehmung demokratischer Verantwortung aussieht, sondern er soll seinen Platz finden, an dem er diese Verantwortung praktisch ausüben kann. Denn in jeder kleinen Aufgabe steckt ein Wert. Nur wer es gelernt hat, in kleinen Dingen Verantwortung zu tragen, wird nachher auch in der Lage und bereit sein, auf höherer Ebene Verantwortung zu übernehmen.
Der Jugend Aufgaben geben und ihr Verantwortung übertragen ist die eine Komponente der politischen Bildungsarbeit, Information und das persönliche Gespräch sind die andere. Wir müssen der Jugend 'durch Information und persönliche Gespräche die Verfassungswirklichkeit mit ihren Schwächen und mit ihren Stärken, ,die das Leben einer modernen Demokratie ausmacht, nahebringen. Sie muß wissen, daß auch in der Politik nicht alles „machbar" ist. Es genügt nicht, daß der junge Mensch heute auswendig lernt, welche Funktionen und Institutionen es 'in der Demokratie gibt; man muß ihm 'deutlich machen, nach welchen Realitäten sich heute politische Willensbildung vollzieht.
Politische Bildung, meine Damen und Herren, ist mit Geld allein nicht zu erreichen. Der Geldaufwand steht erst an zweiter Stelle. An erster Stelle müssen der persönliche Einsatz und das gute Beispiel der Verantwortung tragenden Politiker stehen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die verantwortungsvolle Mitarbeit der Meinungsbildner. Nur
so entsteht eine Vertrauenssphäre zwischen Jugend und Staat, die durch nichts zu ersetzen ist.
Wenn wir uns heute über mangelnde politische Bildung beklagen, so wird man sicherlich viele Gründe aus der Entwicklung aufzeigen können. Wir sollten uns aber auch fragen, ob wir in der Vergangenheit alle Möglichkeiten der Kontaktnahme mit jungen Menschen genutzt haben, um sie im guten Sinne zu beeinflussen.
Leitgedanke der politischen Bildungsarbeit wird sein, den Umgang mit der Freiheit zu lernen. Hier liegt ein jugendpolitisches Arbeitsfeld für uns alle vor uns, auf dem nach meiner Meinung der Fortbestand der freiheitlichen demokratischen Ordnung entschieden wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Memmel.
Ich spreche nicht zum Jugendbericht. Ich widerstehe dieser Versuchung. Ich spreche auch nicht zu dem Beitrag .der verehrten Frau Kollegin Schimschok, obwohl mir dieser Verzicht sehr schwer fällt, weil ich ja in den letzten dreieinhalb Jahren, bevor ich in dieses Haus kam, immerhin als Jugendrichter tätig war. Der Beitrag der Kollegin Schimschok war in einigen Punkten so bedeutungsvoll, daß er eigentlich eine Würdigung in diesem Hause verdient hätte. Das gilt besonders für den Gedanken der Begrenzung der Höchststrafe bei Jugendlichen und für den Gedanken, über Heranwachsende grundsätzlich nach Jugendrecht zu urteilen.
Nun, ich spreche lediglich zu ,dem Antrag Umdruck 286 *). Mit diesem Antrag möchte ich nur erreichen, daß die Wortschöpfung der „Unter14jährigen", die ich für ein sprachliches Ungeheuer halte, .aus dem Ausschußantrag Drucksache V/1320 herauskommt. Wir haben im Jugendgerichtsgesetz und im Jugendarbeitsschutzgesetz neue Begriffe geschaffen: den Jugendlichen - von 14 bis 18 -, den Heranwachsenden - von 18 bis 21 - und das Kind - unter 14 -. Wir brauchen also nicht den neuen Begriff ,des „Unter-14jährigen".
Was ich will, ist also lediglich eine redaktionelle Änderung. In der Sache wird nichts geändert. Ich hoffe, daß nicht nur die Germanisten und die Juristen, sondern auch die anderen diesem Antrag zustimmen werden, worum ich bitte.
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Das Wort hat der Bundesminister für Familie und Jugend.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! In diesem Jugendbericht steht nirgends, daß die Bundesregierung hiermit einen umfassenden Bericht über die Lage der Jugend und über die
*) Siehe Anlage 3
Bestrebungen der Jugendhilfe vorlege. Es steht lediglich darin, daß die Bundesregierung diesen Auftrag erhalten hat. Wir haben dann, als wir die Schwierigkeiten bei der Arbeit feststellten, in der Einführung vorsichtig darauf hingewiesen, daß dieser Auftrag, so wie er vom Parlament erteilt worden ist, nicht durchführbar sei. Es heißt im letzten Abschnitt unter „Aufgaben": Dieser umfassenden Zielsetzung stellen sich bei dem ersten Jugendbericht besondere Schwierigkeiten entgegen. Dann wurde darauf hingewiesen, daß es keine einheitlichen Begriffe gibt, dann auf die Grenzen, die sich aus unseren Erfahrungen und aus unseren ersten Bemühungen für die Durchführung des Auftrages ergeben haben; dann erst haben wir die Grundsätze für den Jugendbericht entwickelt. Wir haben also nicht so viel versprochen wie es hier immer wieder unterstellt worden ist, weil wir selbst gemerkt haben - was jetzt Allgemeingut geworden ist -, daß das in dem Umfang, in dem das ursprünglich gedacht war und sicherlich auch wünschenswert gewesen wäre, einfach nicht zu verwirklichen war.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst möchte ich dem Kollegen Liehr, dem Berichterstatter, für 'die sachliche Art danken, mit der er, ohne die Kritik zu unterlassen, diese Aussprache eingeleitet hat. Ich hätte es eigentlich als einen Vorzug angesehen, wenn man sich bei 'dieser Debatte auf die drei wichtigen Aufgaben beschränkt hätte, die Herr Liehr dankenswerterweise angeschnitten hat.
Das ist einmal die Lage des behinderten Kindes. - Es ist in der Debatte verschiedentlich gesagt worden, es sei zu diesem Thema nahezu nichts gesagt. Ich habe daraus den Schluß gezogen, daß der Jugendbericht offensichtlich in verschiedener Weise gelesen worden ist. Die einen scheinen nur die erste Hälfte gelesen zu haben und die anderen nur die zweite.
({0})
- Ja, ich habe überhaupt den Eindruck; daß der Jugendbericht einen Fehler hat, der nicht auflösbar ist: er ist zu kurz und zu lang zugleich.
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Wie wir das in zehn Jahren anders machen sollen, dafür werde ich mir noch den entsprechenden Rat im Ausschuß einholen.
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Der zweite Komplex, den Herr Liehr genannt hat, die Jugend und die Arbeitswelt, ist in der Tat ein außerordentlich wichtiger Bereich, der in diesem Bericht nicht annähernd ausreichend behandelt worden ist, der einfach nicht ausreichend behandelt werden konnte. Wir waren im übrigen bei diesem Bericht zu gut neun Zehnteln auf das angewiesen, was uns berichtet worden ist. Überlegen Sie einmal, wer an diesem Bericht insgesamt beteiligt war! Ich nenne die 19 Professoren mit ihren 19 Expertisen - und Sie wissen, daß 19 Professoren nicht unbedingt 19 gleichgerichtete Meinungen vertreBundesminister Dr. Heck
ten -, dann 11 oberste Landesjugendbehörden, die kommunalen Spitzenverbände und die Vielfalt der Verbände. Dabei ist sehr viel Stoff angefallen, der verarbeitet werden mußte; aber es war, wie ich aus dieser Debatte entnommen habe, immer noch viel zu wenig. Eines muß ich aber noch einmal mit Nachdruck sagen: die Bundesregierung konnte nicht mehr berichten, als ihr von den Stellen, die darüber Bescheid wissen müßten, zuging.
Ich möchte jetzt nur noch auf ein Thema eingehen, das mir sehr wichtig erscheint, das Thema, das der Kollege Westphal angesprochen hat. Herr Kollege Westphal, Sie haben einen Abschnitt zitiert und dazu mit gar nicht kühlem Verstande, sondern sehr engagiert gemeint, das sei doch stockkonservativ. Diese Frage scheint mir so wichtig zu sein, daß ich dabei etwas verweilen will.
Mit dem Begriff „konservativ" haben Sie nicht unbedingt die rationale Kontrolle dessen angesprochen, was Sie selber gesagt haben; sondern das ist ein Etikett, das man jemandem anhängt; es gibt ja ein ganz gewisses Image, was der Begriff „konservativ" bezeichnen soll.
Ich will Ihnen sagen, was er für mich bedeutet: „Konservativ" ist ein Wort, das aus dem Lateinischen kommt und „bewahrend" bedeutet; und konservativ sein heißt, etwas mit Wahrheit tun zu wollen. Ich gehöre zu den Menschen, die der Auffassung sind, daß das Wahre und Richtige nicht unbedingt nur in unseren Tagen gefunden wird; ich meine, daß dazu die Geschichte bereits einiges beigetragen hat. In dem Sinne bekenne ich mich gern als ein Mann, der sich darum bemüht, konservativ zu sein.
Herr Kollege Westphal, ich habe einfach Ihre Stellungnahme nicht begriffen. Sie haben aus dem Bericht zitiert:
Jedermann wird als Bürger einer geschichtlich gewordenen und räumlich überschaubaren Gesellschaft geboren, die ihre politische Form und eine bestimmte, für dieses Volk konstitutive Kultur hat; ...
Dieser Satz ist doch nicht zu bezweifeln. Ich kann
mir nicht vorstellen, daß in diesem Raum eine Kollegin oder ,ein Kollege ist, der das für seine Person in Abrede stellen könnte. Es heißt weiter:
jeweils innerhalb dieser Gesellschaft entfaltet sich der junge Mensch und 'empfängt seine - meist - unverlierbare Prägung.
Ich kann mir auch hiervon nicht denken, daß das jemand in Abrede stellen möchte. Herr Kollege Westphal, wenn Sieeinmal daran denken, daß Sie beispielsweise Ihre Sprache von Ihren Eltern, in der Schule und aus Ihrer Umgebung empfangen haben zu einer Zeit, wo Sie noch gar nicht in der Lage 'waren, sie rational 'zu kontrollieren, dann muß Ihnen doch deutlich werden, was die geschichtlich-soziale Bedingtheit eines jeden einzelnen Menschen iausmacht, nämlich (den weitaus größeren Teil dessen, was er ist.
Der nächste Satz:
Die Bindungen und verbindlichen Pflichten
anzunehmen, die sich daraus 'ergeben, daß er
in den ihm - jedenfalls zunächst - zubestimmten Teil der menschlichen Gesellschaft hineingeboren wird und auf ihn angewiesen ist, gehört zur personalen wie politischen Moral.
An diesem Punkt könnte ich Ihre Bedenken verstehen. Aber, Herr Kollege Westphal, wir gehen bei unserem Bericht voneiner demokratischen Gesellschaft aus. Ihre eigene Jugendzeit ist, wie ich annehme, noch ins Dritte Reich gefallen. Trotzdem sind Sie in einem Teil 'dieser Gesellschaft aufgewachsen, der nicht staatlich sanktioniert war; Sie sind von diesem Teil der Gesellschaft geprägt worden. Ich glaube wenigstens, daß es so ist. Ihre ganze Denkungsart, auch Ihr politischer Werdegang, Ihre politischen Überzeugungen, Ihre politischen Wertungen sind, wenn ich richtig (sehe, von Ihrem Elternhaus und von dem Teil der Gesellschaft, mit dem Ihr Elternhaus verbunden war,geprägtworden.
Ich gestehe 'Ihnen, jener zuletzt zitierte Satz kann anders interpretiert 'werden. Aber gerade deswegen hielt ich es für nützlich und notwendig, dies hier klarzustellen, damit wir nicht in Klischees miteinander diskutieren. Sonst könnten Sie unversehens der „vaterlandslose Geselle" und ich der „reaktionäre Konservative" werden.
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- Ich wollte gerade das sagen: wenn wir diese Frage isorgfältig miteinander 'durchdiskutieren, würden, dann würden wir sehr schnell feststellen, daß das nicht der Fall ist. Wir sind sicher in vielem nicht der gleichen Meinung. Denn der Teil der Gesellschaft, von 'dem ich geprägt und beeinflußt worden bin, sah vermutlich etwas 'anders aus als der Ihre. Aber Gott sei Dank ist unsere Gesellschaft nicht so 'konformistisch, 'daß es das nicht gibt; sonst könnten wir in dieser Weise nicht miteinander diskutieren.
Herr Kollege Westphal, dieses Thema der Nation und des Vaterlandes hat für micheinen erregenden und einen sehr verpflichtenden Charakter, weil ich über eines noch nicht hinweggekommen bin, nämlich: wie wir in unserem Bemühen um politische Bildung der Tatsache Rechnung tragen, daß wir in unserem Lebensalter die Erfahrung gemacht haben, daß hier 'in Deutschland der erste Versuch, einen demokratischen Staat einzurichten, nicht zuletzt daran gescheitert ist, daß die Nation gegen die Demokratie und die Demokratie gegen 'die Nation ausgespielt werden konnte.
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- Ich habe ja gesagt, daß dies nicht allein wirksam gewesen ist; aber es ist ein wesentliches Element gewesen. Die Weimarer Republik hatte eine klare Chance, Nation und Demokratie auf einen Nenner zu bringen, noch bis zum Jahre 1925, solange Ebert Reichspräsident gewesen ist. Aber nach dem Tode Eberts ist die Entscheidung mit der Wahl Hindenburgs - ich sage gar nicht: für die Nation, sondern: für das Nationale gefallen. Selbstverständlich sind diese Sachverhalte nicht so einfach, daß man sie hier mit einigen Sätzen abhandeln könnte. .
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Herr Kollege Westphal, eine zweite kritische Anmerkung! Wenn Sie zitieren, sollten Sie als jemand, der rational arbeitet, korrekt zitieren. Sie haben lediglich zitiert - als die Meinung der Bundesregierung -: „die Erziehung der Mitmenschen, die Pflege und Übung aller Tugenden des MiteinanderAuskommens". Aber es heißt:
So gibt es Träger, die unter politischer Bildung ganz allgemein die Erziehung zum Mitmenschen, die Pflege und Übung aller Tugenden des Miteinander-Auskommens verstehen. Sie zählen daher schon jede Begegnung mit dem Mitmenschen in der Gruppe oder zwischen Gruppen verschiedener Anschauungen zur politischen Bildung.
Das ist ein Tatbestand im Bereich unserer politischen Bildung, und wir hielten es für unsere Pflicht, diesen Tatbestand festzuhalten. Wenn Sie weitergelesen haben, haben Sie ja festgestellt, daß wir diese Meinung nicht für richtig halten.
Es heißt dann weiter - diese Meinung halten wir allerdings auch nicht für richtig -:
Andere wieder wenden sich energisch gerade gegen eine solche starke Verlängerung des Politischen ins Allgemeinmenschliche. Sie setzen dann gern als äußerste Postion eine reine Schulung des rational-kritischen Vermögens dagegen.
Ich meine, das ist auch falsch, die rein rationalkritische Schulung als das die politische Bildung Erschöpfende zu bezeichnen. Ich glaube, daß beides zusammenkommen muß. Sie haben in Ihren Ausführungen erst das eine gegen das andere gestellt und nachher - das gebe ich Ihnen zu - keine ganz einseitige Position mehr bezogen.
Aber wenn ich jetzt zu den Folgerungen zum Thema Vaterland und Nation komme, muß ich darauf hinweisen, daß wir uns bemüht haben, in diesem Jugendbericht einen Beitrag zur Klärung der Fragen zu leisten. Wenn wir heute sagen, diese Jugend müsse wieder zu einem normalen Verhältnis zu ihrem Vaterland kommen, meinen wir nicht, daß etwa der Vaterlandsbegriff des 19. Jahrhunderts restauriert werden solle. Das steht hier wirklich drin. Im Gegenteil! Es heißt in dem Bericht auf Seite 69:
Der deutsche Verlust der Idee des Vaterlandes in der Prägung des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist nicht nur eine negative Erscheinung, sondern kann auch den Weg frei machen für ein anderes, offenes, weiteres, aus der vollen Überlieferung gerade der deutschen Geschichte kommendes Verständnis dessen, was Vaterland ist. . . .
Ich könnte so eine halbe Seite weiter zitieren. Ich will das den Damen und Herren in dieser fortgeschrittenen Stunde ersparen. Aber ich habe eine herzliche Bitte an Sie. Lesen Sie dieses Kapitel doch noch einmal sorgfältig nach! Ich wäre sehr dankbar, wenn wir über dieses Thema im Ausschuß diskutieren könnten. Ich glaube, daß viele Mißverständnisse aus dem Weg geräumt werden könnten.
Es ist eine außerordentlich schwierige Kunst, einen Text abseits seiner eigenen gefühlsmäßigen Einstellungen, seiner Vorurteile, seiner Voreingenommenheit und seiner eigenen Wertungen möglichst objektiv aufzunehmen.
Zum Schluß möchte ich nur noch auf folgendes hinweisen: Es ist nicht so gewesen, daß wir aus diesem Jugendbericht für uns keine Konsequenzen gezogen hätten. Ich habe es bedauert, daß das Bundesjugendkuratorium seinem Auftrag nur zum Teil ausgeführt hat. Ich hatte ausdrücklich gebeten, das Jugendkuratorium möge der Bundesregierung einen Rat geben, d. h. Vorschläge für die Weitergestaltung, für die Umgestaltung der Jugendpolitik machen. Das Bundesjugendkuratorium hat sich bei seiner Arbeit eigentlich auf die Kritik am Jugendbericht beschränkt. Das habe ich bedauert. Ich hoffe, daß das beim nächsten Jugendbericht dadurch vermieden wird, daß wir diesen Bericht, der ja von einem unabhängigen Gremium erarbeitet werden soll, zunächst dem Bundesjugendkuratorium zuleiten. Dann hat die Bundesregierung Gelegenheit, sich zu dem Bericht und zu der Stellungnahme des Jugendkuratoriums zugleich zu äußern. Das scheint mir der richtige Weg zu sein.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?
Herr Bundesminister, würden Sie um der Vollständigkeit willen hinzufügen - ich glaube, wir sind da einig -, daß das Bundesjugendkuratorium ja bereit war, diese Arbeit zu machen, also seine Vorschläge für die Auswertung des Jugendberichts in Richtung auf jugendpolitische Maßnahmen zu unterbreiten, daß es dafür aber längere Zeit gewünscht hatte, die Sie nicht mehr zugestehen konnten?
Das ist sicher .eine berechtigte Frage, Herr Kollege Westphal. Aber wenn ein Jugendbericht vorgelegt wird, kann ich dem Bundesjugendkuratorium natürlich keine zwei, drei Jahre Zeit geben, um seinen Rat zu formulieren. Die Öffentlichkeit erwartet zu Recht - und auch das Parlament -, daß die Konsequenzen schneller gezogen werden.
Ich möchte Ihnen noch kurz sagen, welche Folgerungen wir aus dem Jugendbericht gezogen haben. Wir werden von uns aus unsere Forschungsaufträge über das Jugendinstitut auf die vorrangigen Themen konzentrieren. Wir werden weiter dahin wirken, daß die pädagogische Forschung an unseren Universitäten wesentlich breiter angelegt und ausgebaut wird. Hier ist in der Debatte gesagt worden, daß die pädagogische Forschung, die Jugendforschung bei uns eigentlich nur zu 50 % leistungsfähig sei. Ich glaube, ,das ist sogar etwas zu hoch geschätzt. Wir stehen hier wirklich in den Anfängen.
Wir haben weiter das Jugendinstitut bereits beauftragt, eine einheitliche Begriffsbestimmung für die Jugendhilfe 'und die Jugend- und die JugendBundesminister Dr. Heck
hilfestatistik zu erarbeiten. Das ist einfach eine unerläßliche Voraussetzung, um überhaupt Erhebungen anstellen zu können, die einheitlich ,ausgewertet werden sollen.
Wir werden auf der Grundlage dieser vereinheitlichten und 'umfassenden Nomenklatur darauf hinwirken, daß auch die statistischen Erhebungen, und zwar beim Statistischen Bundesamt und bei den Statistischen Landesämtern, entsprechend und umfassend ergänzt und ausgebaut werden.
Im übrigen möchte ich sagen, ,daß die Bundesregierung den Antrag des Ausschusses für Familien-und Jugendfragen nur begrüßt, insbesondere das Ersuchen, ,den Bericht über die Lage der Jugend künftig alle 10 Jahre zu .erstatten. Ich meine nur, wir sollten uns über dieses Thema noch einmal im Ausschuß unterhalten; denn die Unmöglichkeit, einen umfassenden Bericht zu erstatten, wie er hier erwartet worden ist, wird nicht dadurch beseitigt, daß .der nächste Bericht erst in 10 Jahren vorgelegt werden soll. Wir könnten durchaus so verfahren, daß wir die Lage der Jugend 'im allgemeinen behandeln, aber dann doch drei oder vier vordringliche Probleme schwerpunktmäßig erfassen. Der Bericht über die Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe, der alle vier Jahre vorgelegt werden soll, kann thematisch abgegrenzt und auf Schwerpunkte beschränkt werden.
Wir begrüßen auch, daß ein unabhängiges Gremium 'gebildet wird. Denn stellen Sie sich einmal die unmögliche Aufgabe der Regierung vor, 19 wissenschaftliche Expertisen, Berichte von 11 Landesregierungen, Berichte von Dutzenden von Verbänden einigermaßen so 'auf einen Nenner 'zu bringen, daß man nicht den Eindruck hat: hier ist ein Bericht über das perfekte Chaos vorgelegt worden.
Für den nächsten Jugendbericht halben wir im Einvernehmen mit dem Ausschuß für Familien- und Jugendfragen 'die Aufgaben auf drei Themen ,eingeschränkt - das ist 'den Mitgliedern des Ausschusses bekannt -: auf die Aus- und ,Fortbildung der haupt- und ehrenamtlich tätigen Mittarbeiter der Jugendhilfe, auf das Problem Jugend und Bundeswehr und auf die Aus- und Fortbildung der Führungskräfte innerhalb der Jugendarbeit im anderen Teil Deutschlands.
Ich möchte ferner darauf hinweisen - das gehört zum Thema politische Bildung -, daß im Rahmen einer umfassenden Untersuchung über die Wirksamkeit der Maßnahmen zur politischen Bildung, die von der Bundesregierung gefördert werden, zur Zeit eine ,entsprechende Untersuchung stattfindet, die mit der Fachkommission für politische Bildung des Bundesjugendplans abgestimmt ist.
Und noch ein Weiteres: nachdem durch den Jugendbericht für uns sichtbar wurde, in welchem Umfang heilpädagogische Einrichtungen fehlen und in welchem Umfang deren Ausrüstung mangelhaft ist, haben wir über die Stiftung „Deutsche Jugendmarke" eine Schwerpunktförderung eingeleitet. In den letzten zweieinhalb Jahren sind allein über diese Stiftung 32 Einrichtungen mit rund 8 Millionen DM zusätzlich gefördert worden.
Im übrigen ist mein Haus, seitdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1967 vorliegt, dabei, die Neuordnung des Bundesjugend-plans vorzubereiten, und zwar eine Neuordnung, die das Urteil strikt berücksichtigt und die Ergebnisse des Jugendberichts auswertet.
Zum Schluß möchte ich den Dank, den freundlicherweise der Kollege Liehr schon all denen ausgesprochen hat, die an diesem Jugendbericht mitgearbeitet haben, hier wiederholen. Wir haben die Kritik, die in vielfacher Hinsicht geäußert worden ist, nicht als eine Herabsetzung der Tätigkeit meines Hauses, auch nicht als eine Herabsetzung der vielen beteiligten Stellen und Persönlichkeiten aufgefaßt, die mitgearbeitet haben; wir halten sie für konstruktiv. So gilt der Dank den Mitarbeitern meines Hauses - ich darf einmal mit ihnen beginnen -, daneben den Professoren und dem Deutschen Jugendinstitut sowie nicht zuletzt den Verbänden, die eine große freiwillige Leistung mit erbracht haben, obwohl sie mit ihren Arbeitsstäben auf solche zusätzlichen Leistungen gar nicht eingestellt sind.
Meine Damen und Herren, nicht, weil es ein Gebot der Höflichkeit ist, sondern weil auch ich es für geboten halte, möchte ich den Damen und Herren des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen danken. In diesem Ausschuß wird eine wichtige Arbeit geleistet, die, wie Sie selber wissen, in der Öffentlichkeit und - wenn ich das Parlament als Ganzes nehme - auch hier nicht immer so respektiert wird, wie es von der Sache her geboten und wie es für die Arbeit selber förderlich wäre.
({0})
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nunmehr zur Verabschiedung. Zu Punkt a liegt der Änderungsantrag des Abgeordneten Memmel auf Umdruck 286 *) vor, der bereits begründet ist. Ich kann ihn nur zur Abstimmung stellen, wenn er von 15 Mitgliedern des Hauses unterstützt wird. Wer unterstützt den Antrag? - Das sind mehr als 15 Mitglieder des Hauses. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme damit zum Antrag des Ausschusses auf Drucksache V/1720 mit der soeben beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung der zweiten Lesung von Punkt b. Ich rufe auf Art. I, II, III, Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht begehrt.
Ich komme zur Abstimmung. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte
*) Siehe Anlage 3
Vizepräsident Jaeger
ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Eine allgemeine Aussprache wird sicherlich nicht gewünscht, weil sie bereits in der zweiten Lesung stattgefunden hat.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Luftfahrtstatistik
- Drucksache V/1702 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache V/2152 -Berichterstatter: Abgeordneter Haehser
b) Schriftlicher Bericht des Verkehrsausschusses ({1})
- Drucksache V/2151 Berichterstatter: Abgeordneter Schwabe ({2})
Ich danke den Berichterstattern für ihre schriftlichen Berichte. Eine Ergänzung ist nicht erfolgt.
Ich rufe in zweiter Beratung die §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht begehrt.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird zur allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich komme zu Punkt 8 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({3}) über den Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
betr. Rechnung und Vermögensrechnung des Bundesrechnungshofes für das Rechnungsjahr 1964 - Einzelplan 20 - Drucksachen V/1487, V/2137 -Berichterstatter: Abgeordneter Windelen
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Windelen als Berichterstatter. - Verzichtet das Haus auf den mündlichen Bericht? - Das ist der Fall. Dann können wir darauf verzichten.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Ausschußantrag auf Drucksache V/2137 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Es ist so beschlossen.
Ich komme zu Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({4}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für
a) eine Richtlinie des Rates über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die selbständigen Tätigkeiten des Architekten
b) eine Richtlinie des Rates über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise für die selbständigen Tätigkeiten des Architekten
c) eine Richtlinie des Rates über die Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die selbständigen Tätigkeiten des Architekten
d) eine Empfehlung des Rates über die Staatsangehörigen des Großherzogtums Luxemburg, die Inhaber eines in einem Drittland ausgestellten Architektendiploms sind
- Drucksachen V/1810, V/2153 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Apel
Es liegt ein schriftlicher Bericht des Abgeordneten Dr. Apel vor, für den ich danke.
Zur Aussprache wünscht das Wort der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Vorlage dieser Art bringt uns in einer Parlamentsberatung zu dieser Stunde vielleicht nicht allzuviel Beifall, wenn man sich dann noch zu Wort meldet, und es ist für mich in einer solchen Situation natürlich etwas schwierig, wenn ich nun leider niemanden mehr auf der Regierungsbank sitzen sehe; denn ich habe im Auftrage meiner Fraktion Anlaß, die Regierung zu loben. Auch als Vertreter der Opposition sage ich das in
aller Offenheit, weil nämlich die Bundesregierung bei der Beratung des Gegenstandes des vorliegenden Tagesordnungspunktes in Brüssel in allen Punkten die Auffassung derjenigen vertreten hat, die in der Beraterkommission der Bundesregierung als Vertreter der einzelnen Organisationen der Architektenverbände in ,der Bundesrepublik gemeinsam mit uns versucht haben, eine Lösung zu finden, um die Diskriminierung der Ingenieurschulabsolventen in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern.
Der Wirtschaftsausschuß hat in der vorigen Woche einen einstimmigen Beschluß gefaßt, und ich meine, es ist gerade für uns in einer solchen Situation wichtig zu erkennen, daß 'die Bundesregierung hier durch einmütiges Votum des Wirtschaftsausschusses ersucht wird, den Vorschlägen der Kommission zu b) und c) im Rat nur dann zuzustimmen, wenn sichergestellt wird, daß das Zeugnis über den erfolgreichen Abschluß des Architektenstudiums an einer öffentlichen oder einer rechtlich gleichgestellten privaten Ingenieurschule in Deutschland in dem Anwendungsbereich des Art. 2 der Richtlinie zu b) berücksichtigt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es mag vielleicht nicht auf allzu großes Interesse hier in diesem Hause stoßen, was mit ,dieser Entscheidung beabsichtigt ist. Für die Betroffenen, die sich im Bereich der Niederlassungsfreiheit bewegen wollen, d. h. für die Absolventen der deutschen Ingenieurschulen, die immerhin mehr als zwei Drittel der tätigen Architekten in der Bundesrepublik ausmachen, ist es von entscheidender Bedeutung, daß hier eindeutig klargestellt wird, daß im europäischen Bereich nicht nur die Ingenieurschulabsolventen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden und diejenigen einer entsprechenden Kommission in Italien ihre Niederlassungsfreiheit für die Bundesrepublik Deutschland erhalten, sondern daß genauso die deutschen Ingenieurschulabsolventen in den anderen EWG-Ländern auch ihr Niederlassungsrecht und ihre Niederlassungsfreiheit erhalten.
Was hier von der Kommission auf uns zukommt, ist eindeutig eine Diskriminierung der deutschen Ingenieurschulabsolventen, die der Wirtschaftsausschuß ebenso eindeutig zurückgewiesen hat. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie entsprechend ihrem bisherigen Verhalten bei 'den Gesprächen und Verhandlungen in Brüssel auch in der entscheidenden Phase der Abstimmung nur dann ihre Zustimmung gibt, wenn es gelingt, das, was bei diesem Verfahren an Diskriminierung übrigbleibt, eindeutig zu beseitigen.
Ich bitte Sie also, meine sehr verehrten Damen und Herren, dem Beschluß des Wirtschaftsausschusses zu folgen und mitzuhelfen, daß hier nicht Regelungen getroffen werden, die man in Brüssel über unser Votum hinweg gegen uns beschlossen hat.
({0})
Wird weiter zu diesem Punkt das Wortgewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag ides Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe die Punkte 10, 11, 12, 13 und 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts ,des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({0}) über die von der Bundesregierung erlassene
Erste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1967 ({1})
Neunte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1967 ({2})
- Drucksachen V/2003, V/2058, V/2142 -Berichterstatter: Abgeordneter Schmidhuber
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({3}) über die von der Bundesregierung erlassene Dritte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1967 ({4})
- Drucksachen V/2040, V/2141 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Staratzke
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft 'und Mittelstandsfragen ({5}) über die von der Bundesregierung erlassene
Einunddreißigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz Dreizehnte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -- Drucksachen V/2019, V/2018, V/2140 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Preiß
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({6}) über die von der Bundesregierung erlassene Zolltarif-Verordnung ({7})
- Drucksachen V/2002, V/2139 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({8}) über die von der Bundesregierung erlassene Zweiundneunzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({9})
- Drucksachen V/1965, V/2138 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Staratzke
Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Vizepräsident Jaeger
Wünscht jemand aus dem Haus das Wort? - Das ist auch nicht der Fall.
Dann stelle ich fest, daß das Haus von diesen Verordnungen Kenntnis genommen hat.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 12. Oktober 1967, 14.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.