Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
1. Vorlage des Bundeskanzlers
Betr.: Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit im Jahre 1966 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet
- Drucksache V/1950 - zuständig: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen
2. Vorlage des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung Betr.: Bundesbericht Forschung II
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 30. Juni 1965 - Drucksache V/2054 zuständig: Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik ({0}), Haushaltsausschuß
Erhebt sich gegen die beabsichtigten Überweisungen Widerspruch? - Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist. Dann sind die Überweisungen beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Gemäß § 5 Abs. 3 des Richterwahlgesetzes rückt für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Dehler sein Stellvertreter, der Abgeordnete Dr. Haas, als Mitglied dm Richterwahlausschuß nach. Für den Abgeordneten Dr. Haas rückt aus der Reihe der nicht mehr Gewählten die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus als Stellvertreter nach.
Gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht rückt für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Dehler die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus aus der Reihe der nicht mehr Gewählten als Wahlmann nach.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
- Drucksachen V/2091, zu V/2091, V/2102 Wir beginnen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf Drucksache V/2102. Frage 1 des Abgeordneten Prochazka:
Schließt sich die Bundesregierung der Meinung der österreichischen Regierung und deren Opposition an, daß es sich um perfekten Mord handelt, wenn flüchtende Menschen einfach kaltblütig niedergeschossen, ja selbst von Froschmännern verfolgt, Versuche unternommen werden, sich des Flüchtenden lebend oder tot zu bemächtigen, wie dies im Falle der jungen Leipziger, aber auch anderer Staatsangehöriger in den letzten Wochen der Fall war?
Ist der Abgeordnete im Saal? - Herr Bundesjustizminister, wollen Sie antworten!
Dr. Dr. Heinemann,. Bundesminister der Justiz: Darf ich beide Fragen miteinander verbinden?
Ich nehme an, der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die zweite Frage des Abgeordneten Prochazka auf:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen vorstellig zu werden, um in Zukunft zu verhindern, daß auf wehrlose, die Freiheit liebende Menschen geschossen wird?
Zur Frage 1: Auch für die Bundesregierung ist das Niederschießen von Flüchtlingen an Grenzübergängen ein empörender Vorgang. Die Bundesregierung ist dabei insbesondere der Auffassung, daß Schüsse von Grenzwächtern, die die Tötung von Flüchtlingen an Mauer und Stacheldraht zum Ziele haben oder deren Tötung bewußt in Kauf nehmen, rechtswidrig sind. Die Bewachung von Grenzen ist ihrer Funktion nach Polizeisache. Tötungshandlungen von Grenzwächtern verstoßen gegen den überpositiven Rechtssatz, daß polizeiliche Gewaltanwendung stets in einem rechten Verhältnis zum Wesensgehalt der Menschen- und Grundrechte bleiben muß. Dabei ist auch zu bedenken, daß das Ostberliner Paßgesetz in seiner praktischen Handhabung durch die dortigen Behörden zu einem fast lückenlosen Ausreiseverbot führt. Es macht jeden Bürger, der sich der fast totalen Ausreisesperre entziehen will, zum kriminellen „Grenzverletzer". Wer die Zonengrenze unerlaubt überschreitet, ist jedoch in aller Regel ein unbescholtener Bürger,
({0})
der der Sperre in der Überzeugung von seinem Recht auf Freizügigkeit entgehen will.
Zur Frage 2: Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat Aufgaben der Rechtsentwicklung und dient daneben als Diskussionsgremium für alle mit den Menschenrechten zusammenhängenden Fragen. Eine Zuständigkeit, Beschwerden über Verletzungen der Menschenrechte Abhilfe zu schaffen, besitzt sie nicht. Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen hat am 5. August 1947 ausdrücklich die Feststellung gebilligt, daß die Kommission keine Befugnisse besitzt, auf Beschwerden über Verletzungen von Menschenrechten hin irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Das Mandat
der Menschenrechtskommission ist seither nicht erweitert worden. Bei dieser Rechtslage würde eine Unterbreitung der den Gegenstand dieser Dringlichkeitsfrage bildenden Vorgänge an die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen keine praktischen Ergebnisse bewirken können.
Keine weiteren Fragen.
Dann kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf Drucksache V/2091. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Ertl auf:
Wird die Bundesregierung bei den beabsichtigten Verhandlungen mit anderen Ostblockstaaten ebenfalls auf die im Grundgesetz festgelegte Bezeichnung Bundesrepublik Deutschland verzichten, so wie dies kürzlich beim Abschluß des Handelsvertrages mit der CSSR im tschechischen Vertragstext geschehen ist?
Herr Staatssekretär, wollen Sie die Frage beantworten.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung hat weder in dem am 3. August in Prag abgeschlossenen Abkommen auf die korrekte Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland verzichtet noch beabsichtigt sie, diese Haltung zu ändern. Die Bundesregierung hat sich mit der Übersetzung „Nemecká spolková republika" im tschechischen Vertragstext einverstanden erklärt, nachdem von tschechoslowakischer Seite schriftlich versichert worden ist, daß diese Übersetzung die adäquate Übersetzung für „Bundesrepublik Deutschland" darstelle und daß diese Bezeichnung nur aus sprachlichen, nicht aus politischen Gründen gewählt werde.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß bei sorgfältiger Vorbereitung solcher Verhandlungen eine derartige peinliche Schwierigkeit nicht entstehen könnte, vor allem auch dann nicht, wenn man rechtzeitig fachkundige Persönlichkeiten konsultierte?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich bin nicht Ihrer Auffassung, Herr Kollege Ertl, wenn Sie darin zum Ausdruck bringen wollen, daß diese Verhandlungen nicht sorgfältig vorbereitet gewesen seien. Sie waren sorgfältig vorbereitet. Die Frage der sprachlich korrekten Übersetzung ist im Zusammenhang mit diesen Verhandlungen auf unserer Seite sehr eingehend geprüft worden. Zur Klärung dieser Frage hat das Auswärtige Amt eine Reihe von Instituten herangezogen, die die Auffassung, die ich hier wiedergegeben habe, ausdrücklich bestätigt haben. Um deutlich zu machen, wie gründlich die Vorbereitung gewesen ist, möchte ich nur darauf hinweisen, daß angehört bzw. um eine Stellungnahme gebeten worden sind das Institut für Ostrecht in München, das Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln mit
Herrn Professor Dr. Boris Meissner und dessen Assistenten Dr. Poll und schließlich das Ostrechtsinstitut der Universität Köln.
Zweite Zusatzfrage, Herr Ertl.
Herr Staatssekretär, war Ursache für dièse auch für die Bundesregierung, wie ich meine, Presseveröffentlichungen entnehmen zu können, nicht gerade glückliche Schlußphase nicht vielleicht das Bestreben der Bundesregierung, unbedingt, auch ohne großen Erfolg, zu einem Ergebnis zu kommen, und der Umstand, daß man die Verhandlungen überhaupt unter Zeitdruck begonnen hat? Ich denke hier an die Weiterreise des Verhandlungsführers nach Bukarest.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Weiterreise ist doch erst erfolgt, nachdem die Verhandlungen abgeschlossen waren, Herr Kollege Ertl.
Sie haben keine Frage mehr. - Herr Abgeordneter Stingl!
Herr Staatssekretär, haben Sie trotz der Auskünfte der Rechtsinstitute auch einmal geprüft, wie die Gesetzessammlung der teschechoslowakischen Republik selber mehrere fremde Staaten substantivisch bezeichnet? Ich zitiere, um die Parallelität zu Deutschland besonders deutlich zu machen, das Gesetzblatt der tschechoslowakischen Republik, Jahrgang 1964, Seite 473, wo es in einem Vertrag mit der jugoslawischen Volksrepublik heißt - zur besseren Verdeutlichung sage, ich die letzten Worte tschechisch -: „mezi Československou socialistickou republikou a Socialistickou federativni republikou Jugoslavie". Hier ist „Jugoslavien" eindeutig substantivisch gebraucht, so wie bei uns „Bundesrepublik Deutschland".
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Eine solche vergleichende Prüfung hat stattgefunden, mit dem Ergebnis, daß in den Fällen, die mir hier beispielsweise genannt worden sind - ich werde sie Ihnen gleich sagen -, immer eine nicht substantivische, sondern adjektivische Übersetzung ins Tschechische vorgenommen worden ist: bei den Vereinigten Staaten von Amerika, beim Königreich Dänemark, bei der Republik Osterreich, bei der Volksrepublik Bulgarien. Ich nenne diese Beispiele, die hier genannt worden sind, ohne sie - da ich des Tschechischen nicht mächtig bin - jetzt hier zu übersetzen, d. h. Ihnen die tschechischen Ausdrücke vorzulesen. Daraus hat sich aber für die vom Amte selber vorgenommene Prüfung ergeben, daß das offensichtlich eine grundsätzliche Übersetzungsform ist und - zumal da das dann durch die Sachkundigen in der Bundesrepublik bestätigt wurde und schließlich ergänzend die Bestätigung unserer Auffassung durch eine ausdrückliche Erklärung hinzukam - diese Übersetzung akzeptabel ist.
Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den S. September 1967 6071
Herr Abgeordneter Stingl!
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß dies nicht befriedigen kann, weil es sich nur um Staaten handelt, wo die unterschiedliche Bezeichnung keine Rolle spielt?
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Sobald es politisch von Bedeutung ist, wie im Falle Jugoslawien - das habe ich Ihnen vorhin bewiesen -, hat die tschechische Sprache die zwar unübliche, aber durchaus mögliche substantivische Übersetzung gebraucht. Man könnte sarkastisch sagen: die tschechische Sprache würde sicherlich keine Schwierigkeiten machen, wenn wir uns „Sozialistische Bundesrepublik Deutschland" nennen würden.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich bin nicht dieser Auffassung, Herr Kollege Stingl.
Ihr letzter Satz, Herr Abgeordneter Stingl, war ein Kommentar, der in der Fragestunde nicht zulässig ist.
({0})
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Stingl, ich bin nicht dieser Auffassung aus folgendem Grunde. Hier gibt es tatsächlich gewisse Feinheiten in der tschechischen Sprache
({1})
- ja, ich will versuchen, es Ihnen gleich zu erläutern -, gewisse Feinheiten insofern, als Kunstformen, d. h. bestimmte Titel, die in der jüngsten Zeit geschaffen worden sind, auch in die tschechische Sprache übernommen worden sind. Das gilt für das Beispiel Jugoslawien, weicht aber von dem ab, was üblicherweise der Fall ist. Ich bin nicht Ihrer Auffassung, daß das bei dem Königreich Dänemark oder der Republik Osterreich anders zu bewerten ist als bei der Bundesrepublik Deutschland.
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Herr Abgeordneter Prochazka!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bei zukünftigen Verhandlungen mit den Ostblockstaaten auf sprachkundige Experten zurückzugreifen, und treffen Meldungen zu, wonach auf Grund von Sprachschwierigkeiten, die insbesondere auf deutscher Seite in Prag bestanden, die tschechischen Verhandlungspartner die Bezeichnung „Deutsche Bundesrepublik" im Handelsvertragstext durchzusetzen in der Lage waren?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Den Zusammenhang des zweiten Teils der Frage mit dem ersten habe ich nicht ganz verstanden. Zum ersten Teil der Frage, Herr Kollege Prochazka, kann ich sagen: so wie bisher wird die Bundesrepublik selbstverständlich auch in der Zukunft in Fragen der sprachlichen Ausgestaltung sich um eine hinreichende und sorgfältige Vorbereitung bemühen.
Herr Prochazka!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen darüber hinaus bekannt, daß es nur einer Verschiebung der jeweiligen in der tschechischen Sprache gebräuchlichen Anfangsbuchstaben NSR - das ist die Abkürzungsformel „Bundesrepublik Deutschland" bzw. „Deutsche Bundesprepublik" - bedurft hätte, um im Vertragstext von der „Bundesrepublik Deutschland" zu sprechen, daß damit also Prager Feststellungen widerlegt sind, daß dies im Tschechischen auf sprachliche Schwierigkeiten stoßen würde?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Prochazka, ich bin weder ein Etmologe noch ein Sprachforscher noch ein Dolmetscher der tschechischen Sprache. Ich räume ein, daß derjenige, der in dieser Frage mehr Kenntnisse hat, solche Überlegungen anstellen mag, wie sie von Ihnen hier vorgetragen worden sind. Jedoch scheint es mir wesentlich darauf anzukommen, was eigentlich der politische Inhalt der getroffenen Vereinbarungen ist, und dazu gibt es die ausdrückliche Bestätigung, daß aus dieser andersartigen sprachlichen Fassung nicht irgendwelche politischen Bewertungen hergeleitet werden können. Wenn das ausdrücklich und verbindlich von beiden Vertragspartnern übereinstimmend festgestellt wird und darüber hinaus im deutschen Text selbstverständlich der volle, ordentliche Titel „Bundesrepublik Deutschland" gebraucht worden ist, sehe ich zu den daraus teilweise hergeleiteten abwertenden Beurteilungen keinen Anlaß.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dorn.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Institute und die Sprachexperten, die Sie vorhin aufgeführt haben, erst dann von der Bundesregierung konsultiert wurden, als in der Verhandlungsdelegation in Prag der Streit über diese Formulierung bereits ausgebrochen war und der Leiter der Delegation in die Bundesrepublik zurückgereist war, um die Bundesregierung darüber zu informieren?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ja, das ist mir bekannt.
Dorn ({0}) Schließen Sie daraus nicht, Herr Staatssekretär, daß die Frage, die der Kollege Ertl gestellt hat, ob dieses Gespräch vielleicht doch nicht
genügend vorbereitet worden sei, ihre Berechtigung hat?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich glaube nicht, daß das berechtigt ist, Herr Kollege Dorn. Denn eine nochmalige Überprüfung, wenn sich die konkrete Frage stellt, unter Hinzuziehung von weiteren Sachverständigen halte ich für durchaus angemessen und normal.
Herr Abgeordneter Moersch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß manche Diskussionen über diese Frage unterblieben wären, wenn erstens das Auswärtige Amt rechtzeitig die Öffentlichkeit, wie jetzt, über die Zusammenhänge informiert hätte und wenn zweitens nicht die Kollegen von der CDU/CSU - nicht aus sprachlichen, sondern aus politischen Gründen - diese Verwirrung gestiftet hätten?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Moersch, ich habe weder die Möglichkeit noch den Wunsch, eine Kritik an den Äußerungen des einen oder anderen Kollegen zu üben. Aber das möchte ich doch sagen: manches in der Diskussion, wie sie in den vergangenen Wochen zu diesem Thema geführt worden ist, hat sich als wenig hilfreich erwiesen.
Was den ersten Teil Ihrer Frage anbelangt, ob
nicht das Auswärtige Amt mehr hätte informieren sollen: ich glaube, das Auswärtige Amt hat zu dem Zeitpunkt, als die Verhandlungen abgeschlossen waren und eine entsprechende Information möglich war, eine hinreichende Information gegeben. Ich bitte sehr um Verständnis, wenn ich bei dieser Gelegenheit sagen muß: man kann nur sehr schwer, um nicht auch bei der eigenen Position unnötige Schwierigkeiten hervorzurufen, während die Verhandlungen andauern, die Öffentlichkeit fortlaufend informieren. Das mag für denjenigen, der die Verhandlungen führt und nachher das Ergebnis zu präsentieren hat, unter Umständen einmal schwieriger sein, als wenn er fortlaufend informieren kann, ergibt sich aber aus der Natur der Sache. Ich möchte jedenfalls kein Versäumnis darin sehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit und in der Lage, gelegentlich die Kollegen aus dem Bundesland Bayern darüber aufzuklären, wie es bei Vereinbarungen zwischen dem bayerischen „Außenminister", dem Landrat von Cham, und der Regierung in Prag gehandhabt wird, ob es dort heißt „Bayerischer Freistaat" oder „Freistaat Bayern"?
({0})
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich bin für die Anregung sehr dankbar, Herr Kollege Moersch.
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, wird nun auf dem Schild der Handelsmission der Bundesrepublik Deutschland in Prag die zwar möglicherweise ungebräuchliche, aber richtige Übersetzung des Namens „Bundesrepublik Deutschland" ins Tschechische Verwendung finden?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich weiß nicht, ob bereits darüber entschieden worden ist, wie das Schild aussehen wird. Ich bin sicher, daß die Bundesrepublik von sich aus die von ihr für sachlich richtig gehaltene Formulierung für das Schild wählen wird.
Abgeordneter Müller!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen denn bekannt, welche deutschsprachige Bezeichnung bei Veröffentlichungen staatlicher Informationsorgane der Tschechoslowakei für die Bundesrepublik Deutschland Verwendung findet?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Meine eigenen Nachforschungen gehen nicht so weit, daß ich Ihnen diese Frage jetzt beantworten könnte.
Herr Abgeordneter Kühn !
({0}) ({1}) : Die letzte Frage, Herr Staatssekretär, veranlaßt mich zu der Zusatzfrage, ob sichergestellt ist, daß auch der deutsche Text des Vertrages als verbindlich angesehen werden kann.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Beide Texte sind verbindlich.
Ja, beide Texte sind verbindlich; aber sie sagen in bezug auf diese Frage, wenn ich Sie recht verstanden habe, Herr Staatssekretär, Unterschiedliches aus.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nein, sie sagen nichts Unterschiedliches aus. Das ist ja durch die zusätzlich abgegebenen Erklärungen ausdrücklich sichergestellt.
Darf ich dann fragen, Herr Staatssekretär, wie sich das mit Ihrer Antwort auf die letzte Frage des Kollegen Müller verträgt, daß Sie Ihr Interesse der gebräuchlichen deutschen Bezeichnung in der Tschechoslowakei noch nicht zugewendet haben. Denn daraus ließen sich ja einige Konsequenzen ziehen.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich sehe darin keinen Widerspruch, denn der Kollege Müller hatte gefragt, ob ich ganz bestimmte Veröffentlichungen gelesen hätte.
({0})
- Ja, amtliche, gut. Er hat also gefragt, ob ich bestimmte amtliche Veröffentlichungen gelesen hätte, und ich habe gesagt, daß ich das nicht getan habe, daß meine Nachforschungen nicht so weit gehen. Aber, Herr Kollege Kühn, ich bin sicher - ich möchte eine korrekte Antwort geben -, daß entsprechende Prüfungen im Amt vorgenommen worden sind.
Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg!
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es diplomatisch und völkerrechtlich Usus ist, daß zumindest vertragschließende Parteien das Recht auf ihren eigenen Namen haben?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ja, sicher; das ist doch ganz selbstverständlich, Herr Kollege Schulze-Vorberg. Hier handelt es sich doch nicht um eine Frage des Namensrechts.
({0})
- Nein, das möchte ich noch einmal ganz deutlich sagen. Es handelt sich nicht um eine Frage des Namensrechts, sondern es handelt sich um eine Frage der Übersetzung.
Herr Dr. Schulze-Vorberg!
Herr Staatssekretär, können Sie für die Bundesregierung und insbesondere für das Auswärtige Amt verbindlich die Gefahr ausschließen, daß die kommunistische Terminologie fortwährend übernommen wird - zumal da das kurz nach Prag in Bukarest durch den Herrn Außenminister in seiner Tischrede ja auch erfolgt ist?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Jetzt ist mir, ehrlich gesagt, nicht klar, was Sie dem Außenminister vorwerfen wollen, Herr Kollege Schulze-Vorberg. Zum ersten Teil Ihrer Frage möchte ich sagen: selbstverständlich können wir nur in dem Rahmen, auf den wir Einfluß haben - beispielsweise beim Abschluß, bei der Formulierung, beim Niederschreiben solcher Vereinbarungen und Verträge -, darauf hinwirken, daß die korrekte Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland" verwandt wird. Wie darüber hinaus, etwa in propagandistischen oder sonstigen Auseinandersetzungen, verfahren wird, darauf hat die Bundesrepublik keinen Einfluß. Dort kann sie nur sagen, das ist möglicherweise, wenn das systematisch geschieht, eine unfreundliche Haltung. Aber sie hat insoweit keine Möglichkeit, einen Einfluß auf die korrekte Bezeichnung zu nehmen.
Herr Dr. Klepsch!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Tschechoslowakische Republik in den Verhandlungen mit dem kommunistischen Regime in der sowjetischen Besatzungszone die Bezeichnung „Deutsche Bundesrepublik" durchaus immer als Übersetzung des von den Kommunisten so gebrauchten Ausdrucks für die Bundesrepublik verwendet hat?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich kann auf diese Frage aus eigener Kenntnis keine Antwort geben, Herr Kollege Klepsch. Ich bin aber gern bereit, dieser besonderen Frage noch einmal nachzugehen.
Herr Dr. Klepsch!
Darf ich weiter fragen, ob nicht, wenn, wie Sie uns vorhin dargelegt haben, sehr eingehende Prüfungen dieser Frage durch das Auswärtige Amt vorgenommen wurden, der Verhandlungsdelegation dann insbesondere aus politischen Gründen ein besonderer Auftrag gegeben werden mußte, den korrekten Namen der Bundesrepublik Deutschland so unmißverständlich wie möglich in dem Vertragspapier zum Ausdruck zu bringen, zumal, da wie der Kollege Stingl vorhin vortrug, das seitens der tschechischen Republik auch bei anderen Staaten in einer dem tschechischen Vokabular gemäß durchaus unüblichen Weise vorgenommen wurde, wenn es aus politischen Gründen erforderlich war?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretärbeim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Klepsch, die Verhandlungskommission hatte einen politischen und keinen sprachwissenschaftlich en Auftrag.
({0})
Danach - ({1})
- Ich würde das gern tun, wenn Sie mir Gelegenheit dazu gäben. - Danach hat sich auch das bestimmt, was dieser Kommission mit auf den Weg gegeben worden ist.
Herr Dr. Kübler!
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß das Adjektiv „deutsch" vor dem Staatsnamen historisch seit 1919 im Verkehr zwi6074
schen Deutschland und der Tschechoslowakei gebraucht wurde?
({0})
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich teile diese Auffassung, Herr Kollege Kübler. Das war auch der Inhalt der Bemerkungen, die ich zu der tschechischen ständigen Sprachübung vorhin bereits gemacht habe.
Herr Dr. Kübler!
Könnte man aus dieser geläufigen Sprachübung seit 1919, das Adjektiv „deutsch" vor den Namen „Reich" oder „Bundesrepublik" zu setzen, ableiten, daß die Bundesrepublik Rechtsnachfolger des Reiches ist?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ob man so weitgehende Konsequenzen daraus ziehen kann, Herr Kollege Kübler, das kann ich im Moment nicht sagen. Das ist in der Tat eine Frage, die des Nachdenkens und der Prüfung wert ist.
({0})
Nur möchte ich eine Bemerkung zu Ihrer Frage machen. Ich bin mir nicht sicher, ob - hier geht es ja um gewisse Sprachübungen und Interpretationen - die Beschränkung auf die Zeit seit 1919 richtig ist, ob man nicht sogar einen noch längeren Zeitraum in Anspruch nehmen könnte.
({1})
Herr Abgeordneter Weiland!
Herr Staatssekretär, widerspricht nicht die Bezeichnung „Deutsche Bundesrepublik" dem Wortlaut unserer Verfassung, dem Wortlaut des Grundgesetzes?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das ist nicht die Frage, die bei dieser Gelegenheit zu klären war.
({0})
In dem Text, der von deutscher Seite vorgelegt und von den Beteiligten unterschrieben worden ist, ist selbstverständlich der verfassungsgemäße Titel „Bundesrepublik Deutschland" verwandt worden. Um die sich bei der Übersetzung ergebenden Schwierigkeiten auszuräumen, ist dann von beiden Seiten eine ausdrückliche Erklärung dahin gegeben worden, daß diese Form der Übersetzung allein auf sprachlichen und nicht auf politischen Überlegungen beruht. Damit ist nach meiner Überzeugung - übrigens nicht nur nach. meiner Überzeugung, sondern nach Überzeugung der Bundesregierung - klargestellt, daß dem selbstverständlichen Anspruch des Grundgesetzes hinreichend Rechnung getragen ist.
Herr Staatssekretär, ist es nicht üblich, daß man, wenn man einen Eigennamen nicht in eine fremde Sprache übersetzen kann, dann die deutsche Bezeichnung einfach stehenläßt?
({0})
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich halte das nicht für üblich.
({1})
Das ist eine unter Umständen denkbare Form. Sie ist keinesfalls zwingend und auch nicht üblich.
({2})
Herr Abgeordneter Berkhan!
Herr Staatssekretär, hat der Herr Bundeskanzler im Kabinett oder auf anderem Wege das Auswärtige Amt für die Verhandlungsführung und die Auswahl der Vokabeln getadelt?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Getadelt?
Ja.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nein.
Herr Staatssekretär, darf ich unterstellen, daß andere Mitglieder im Kabinett bezüglich dieser Frage auch keine tadelnden Äußerungen getan haben?
({0})
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Es ist nicht üblich und möglich, über den Inhalt von Kabinettssitzungen hier Einzelheiten zu sagen, Herr Kollege Berkhan. Aber soviel kann und muß hier gesagt werden: über die einzelnen Phasen der Entwicklung der Verhandlungen ist das Kabinett - zunächst der Bundeskanzler, darüber, hinaus aber auch das Kabinett - mehrfach unterrichtet worden. Die Unterzeichnung des Vertrages erfolgte im Rahmen des Auftrags und im Rahmen des Verhandlungsspielsraums, die der Verhandlungsdelegation durch das Bundeskabinett gegeben waren.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen!
Herr Staatssekretär, wäre es nicht besser, eine solche Frage zur Stützung der Rechtsposition der Bundesregierung, wie Sie dargelegt haben, im Auswärtigen Ausschuß zu behandeln, statt diese Position hier in Zweifel zu ziehen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung würde ein solches Vorgehen sicherlich als hilfreich empfinden.
Ich schließe jetzt diesen Teil .der Fragestunde.
Frage 6 der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus:
Ist es richtig, daß sich 25 griechische Arbeitskommissionen in der Bundesrepublik aufhalten und zwar auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung mit amtlichen deutschen Stellen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Der Entsendung einer griechischen Kommission in die Bundesrepublik wurde auf griechischen Antrag gemäß Art. 3 Abs. 3 der Vereinbarung zwischen der Bundesrepuplik Deutschland und dem Königreich Griechenland vom 30. März 1960 über die Anwerbung und Vermittlung von griechischen Arbeitnehmern nach der Bundesrepublik Deutschland mit Verbalnote des Auswärtigen Amts vom 17. März 1961 zugestimmt. Diese Kommission gliedert sich in vier Aufsichtsstellen oder Zweigstellen, die an den Schwerpunkten des Arbeitseinsatzes der Griechen gebildet worden sind - zur Zeit in Düsseldorf, Hamburg, München und Stuttgart -, und 21 Nebenstellen oder Außenstellen. Die Bundesregierung hat im Jahre 1961 der Errichtung der Zweigstellen zugestimmt.
Zusatzfrage, Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß diese Kommissionen Räume in den Arbeitsämtern haben und dort ihre Tätigkeit ausüben?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Es trifft zu, daß die Kommisionen Räume in den Arbeitsämtern in Anspruch nehmen.
Frau Dr. DiemerNicolaus.
Herr Staatssekretär, sind nach der Veränderung der politischen Verhältnisse in Griechenland seit dem 21. April dieses Jahres bei den Mitgliedern dieser Arbeitskommissionen Auswechslungen vorgenommen worden?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das ist mir nicht bekannt. Das ist aber eine Frage, die ich nachprüfen kann. Ich will das gern tun.
Frage 7 der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus:
Falls Mitglieder der in Frage 6 erwähnten Kommission bei deutschen Arbeitsämtern beschäftigt sind, welche Aufgaben haben sie?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Der Inhalt dieser Frage steckte wohl schon in Ihrer ersten Zusatzfrage, Frau Dr. Diemer-Nicolaus. Die Mitglieder der Kommission werden nicht bei deutschen Arbeitsämtern beschäftigt. Ihnen wurden von der Arbeitsverwaltung lediglich Räume und deren Einrichtung in den örtlichen Arbeitsämtern im Wege der Gegenseitigkeit kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Kommisionsangehörigen werden von der griechischen Regierung - deren Arbeitsministerium - eingestellt und besoldet. Ihre Tätigkeit soll der Eingliederung und Betreuung des griechischen Gastarbeiters dienen.
Frau Dr. DiemerNicolaus!
Herr Staatssekretär, haben diese Arbeitskommissionen irgendwelchen Einfluß auf die Erteilung, Verweigerung oder Entziehung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Einfluß darauf haben sie, soweit das auf der deutschen Seite sichtbar wird, nicht. Ich kann allerdings nicht ausschließen, daß es unter Umständen eine gewisse Zusammenarbeit auf griechischer Seite gibt.
Herr Abgeordneter Moersch!
Herr Staatssekretär, treffen Angaben zu, die wir von griechischer Seite - von den Gastarbeitern - bekommen haben, daß diese Gastarbeiter Pressionen gegenüber ihren Familienangehörigen zu Hause befürchten müssen, wenn sie sich hier in Deutschland irgendwie politisch äußern und das über diese Kommissionen dann nach Hause gemeldet wird?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das ist im Grunde schon - entschuldigen Sie - die nächste Frage von Frau Dr. Diemer-Nicolaus. Ich will darauf antworten und darf mit Zustimmung des Herrn Präsidenten damit zugleich die nächste Frage von Frau Dr. Diemer-Nicolaus beantworten.
Das scheint zweckmäßig zu sein. Frage 8 der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus:
Werden durch die griechischen Arbeitskommissionen Griechen politisch überwacht?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Darstellung der griechischen Botschaft gibt zu einer solchen Feststellung keinen Anlaß. Auch liegen sonst keine Informationen in dieser Richtung vor. Die Bundesregierung wird jedoch dieser von Ihnen aufge6076
Parlamentarischer Staatssekretär Jahn
worfenen Frage weiterhin ihre Aufmerksamkeit zuwenden.
Würden Sie aus Höflichkeit Frau Kollegin Diemer-Nicolaus zu dieser Frage den Vortritt geben?
({0})
Ich habe noch drei Zusatzfragen, Herr Präsident.
Zu Frage 2 habe ich noch folgende Zusatzfrage, Herr Staatssekretär. Wäre die Bundesregierung bereit, genau festzustellen, wie die Form der Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsämtern und den griechischen Arbeitskommissionen ist und besonders, inwiefern diese griechischen Arbeitskommissionen befragt werden, wenn es sich um die Erteilung bzw. Entziehung von Arbeitserlaubnis und Aufenthaltserlaubnis handelt?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, diese Frage in ihre Prüfung einzubeziehen. Ich muß jedoch darauf hinweisen, daß die Form der Zusammenarbeit zwischen griechischen Behörden ein Vorgang ist, der sich der Kontrolle durch die Bundesregierung entzieht. Die Möglichkeiten der Aufklärung für uns sind dort relativ gering.
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus!
Herr Staatssekretär, was tut denn die Bundesregierung, um den Griechen wenigstens hier in Deutschland die freiheitlichen Grundrechte und die politische Freiheit zu garantieren, die im Einklang mit der Menschenrechtskonvention ja nicht nur für uns in Deutschland, sondern für alle freiheitlich-demokratischen Staaten selbstverständlich und verbindlich sind und die nach dem Militärputsch in Griechenland nicht mehr bestehen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung wird alles, was nach deutschem Recht möglich ist, um diese Freiheitsrechte zu gewährleisten, in Deutschland auch für die griechischen Gastarbeiter tun.
Frau Kollegin, ich darf jedoch auf eines hinweisen. Wir haben schon vor einigen Wochen in diesem Hause eine kurze Diskussion über diese Fragen gehabt. Ich hatte damals ausdrücklich darum gebeten, das Auswärtige Amt durch Mitteilung von Tatsachen in die Lage zu versetzen, das nachzuprüfen, was offenbar an Gerüchten oder an Meinungsäußerungen unter den Gastarbeitern zur Beunruhigung führt. Eine Reaktion auf diese Bitte haben wir bisher nicht erfahren. So bitte ich, meinen Satz aus der Antwort auf Ihre dritte Frage auch dahin zu verstehen, daß die Bundesregierung Informationen anderer Art in dieser Richtung bisher nicht erhalten hat.
Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus!
Herr Staatssekretär, ist denn der Bundesregierung, die nach Ihrer jetzigen Mitteilung dieser Angelegenheit verfolgt, nicht bekannt, daß in dem Presseorgan der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, „Einheit", und zwar in der Nummer vom 2. September, neue Tatsachen gegeben sind. Es heißt dort:
Deshalb hat Arbeitsminister Lekas
- der griechische Arbeitsminister -angeordnet, daß die griechischen Gastarbeiter überwacht werden. Der Sozialrat Flokos von der griechischen Botschaft in Bonn
- also von hier hat in einem Rundschreiben die in der Bundesrepublik zur sozialen Betreuung eingerichteten Kommissionen des griechischen Arbeitsministeriums aufgefordert, die politische Tätigkeit der Arbeiter zu überwachen und monatlich Bericht zu erstatten.
Des weiteren wird dort angeführt:
Auch sollte geprüft werden, ob es richtig ist, daß zehn griechische Armeeoffiziere, als Touristen getarnt, in die Bundesrepublik eingereist sind, um hier den Aufbau eines Kontrollnetzes für griechische Arbeiter durchzuführen. Die Fäden dieser Aktion sollen bei Oberst Gandonas in Saloniki zusammenlaufen.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Frau Kollegin, diese Behauptungen an sich sind bekannt. Sie haben aber mit Recht darauf hingewiesen, daß sie vom 2. September datieren, also noch nicht eine Woche alt sind. Die Prüfung dieser Vorgänge kann das Auswärtige Amt nicht selber vornehmen; es bedarf dazu der Mitwirkung und Hilfe des Innenministeriums. Darum ist gebeten worden. Mit anderen Worten, die Bundesregierung überprüft die hier aufgestellten Behauptungen, um dann zu überlegen, welche Konsequenzen sich daraus - die Richtigkeit der Behauptungen einmal unterstellt - ergeben müssen.
Herr Staatssekretär, sind Sie, nachdem Sie jetzt keine Antwort geben, bereit, mir das Ergebnis dann mitzuteilen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Aber selbstverständlich.
Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren relativ vagen Antworten zu dieser wichtigen Sache schließen, daß die Informationen der Bundesregierung über solche Vorgänge, die man in Gewerkschaftsorganen nachlesen kann und die man durch Briefe von den Betroffenen erfahren hat, relativ dürftig sind? Liegt das daran, daß die Zusammenarbeit zwischen Innenministerium und Auswärtigem Amt schlecht ist, oder liegt das daran, daß die Länderbehörden und das Bundesinnenministerium wenig Anlaß gesehen haben, die in diesem Falle zuständige Behörde, nämlich das Auswärtige Amt, zu unterrichten?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Es gibt keine Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit und keinen Grund zu Beanstandungen, Herr Kollege Moersch, nur ist es - das liegt wohl auch etwas an der besonderen Art dieses Vorganges - ein wenig schwierig, wirkliche Tatsachen zu erfahren. Deswegen ist das Auswärtige Amt und ist die Bundesregierung für jeden Hinweis dankbar, der sie in die Lage versetzt, erhobene Vorwürfe oder auch Befürchtungen der Betroffenen nachzuprüfen.
Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, halten Sie es wirklich für eine außergewöhnliche Anforderung, wenn der Bundestag erwartet, daß Presseveröffentlichungen, wenn eine solche Frage wie heute zur Debatte steht, vom Presse- und Informationsamt ausgewertet und die Ergebnisse rechtzeitig dem zuständigen Beantworter mitgeteilt werden? Das gehört doch eigentlich zu den Aufgaben des Presse- und Informationsamtes; dafür ist ja der entsprechende Haushaltstitel da.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich halte es nicht für ungewöhnlich. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß diese Vorgänge bekannt sind, Herr Moersch. Die Schwierigkeit besteht nur darin - das ist eine Erfahrung, die man nun einmal machen muß und zu der man, glaube ich, kaum Beanstandungen erheben kann -, daß die verbindliche und zuverlässige Nachprüfung solcher Vorgänge nun doch eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, und zwar nicht nur im Hinblick auf die unterschiedlichen Zuständigkeiten der Bundesministerien und nicht nur im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Landesverwaltungen einzubeziehen, sondern auch wegen des Vorgangs selber.
Herr Abgeordneter Lenders.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in einer Sendung des. Bayerischen Rundfunks für griechische Gastarbeiter vom 25. Juli eine Meldung des Inhalts gegeben wurde, daß der griechische Arbeitsminister an die griechischen Kommissionen in der Bundesrepublik ein Rundschreiben
geschickt habe, in dem diese aufgefordert würden, im Sinne der gegenwärtigen griechischen Regierung politisch tätig zu werden, daß diese ihre politische Tätigkeit geprüft werde und daß die Mitglieder dei griechischen Kommissionen, wenn diese politische Tätigkeit nicht erfolge, daraus Konsequenzen zu erwarten hätten, und sind Sie nicht weiterhin der Meinung, daß allein Schon die Tatsache dieser Meldung, die ja griechische Arbeitnehmer gehört haben, das Vertrauensverhältnis zwischen den griechischen Kommissionen und den griechischen Arbeitnehmern in der Bundesrepublik ernsthaft erschüttert haben muß?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Mir persönlich ist zwar der Vorgang selber, nicht aber diese besondere Rundfunkmeldung bekannt. Daß mir der Vorgang bekannt ist, habe ich bereits gesagt und auch darauf hingewiesen - ich will es noch einmal bekräftigen -: er bildet Gegenstand der Prüfung durch die Bundesregierung. Inwieweit durch derartige Erklärungen amtlicher griechischer Stellen die Zusammenarbeit oder das Vertrauensverhältnis - wie Sie, Herr Kollege, sagen - zwischen den griechischen Gastarbeitern und den griechischen Regierungsstellen in der Bundesrepublik beeinträchtigt werden kann, das ist eine Bewertung, die schwer in allgemeiner Form zu treffen ist. Ich würde aber mit Ihnen annehmen, daß solche Auswirkungen jedenfalls in erheblichem Umfange denkbar sind.
Herr Abgeordneter Lenders.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß eindeutige Symptome dafür vorliegen, daß sich die derzeitige griechische Regierung bemüht, die griechischen Kommissionen politisch in ihrem Sinne- etwa zur Überwachung der griechischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik - einzusetzen, und sind Sie nicht weiterhin der Meinung, daß es angesichts dieser eindeutigen Denaturierung der Tätigkeit dieser Kommissionen richtiger wäre, den Vertrag mit Griechenland über diese Kommissionen zu überprüfen oder gar aufzukündigen, zumindest für die Zeit des Andauerns der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Griechenland?
({0})
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich kann nicht leugnen, daß eine Bewertung, wie Sie sie treffen, Herr Kollege Lenders, möglich ist. Ich bitte aber, der Bundesregierung Gelegenheit zu geben, den gesamten Sachverhalt unter Hinzuziehung allen erreichbaren Materials zu prüfen und dann ihre Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Ich habe bereits Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus zugesagt, daß wir selbstverständlich bereit sind, darüber dann auch zu berichten.
Herr Abgeordneter Dorn!
Herr Staatssekretär, bedauern Sie nicht mit mir, daß Sie so wenig sachverständig unterrichtet in die heutige Sitzung gekommen sind, wenn Sie nicht einmal die Pressemeldungen und die amtlichen Schreiben in diesem Falle zur Kenntnis genommen haben?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Dorn, ich glaube nicht, daß da ein Anlaß zum Bedauern besteht. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich auf diese Ihre Frage sage - das erkläre ich hier nun zum drittenmal -: über den Sachvorgang ist die Bundesregierung und bin ich unterrichtet. Ich glaube nicht, daß es dann außerdem noch darauf ankommt, daß ich alle Einzelheiten in der Vielzahl von Presseorganen in der Bundesrepublik dazu hier nun auch noch präsent habe, wenn der Sachvorgang selber eine hinreichende Grundlage für die Überprüfung darstellt.
({0})
Herr Abgeordneter Dorn!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß Sie diese meine soeben gestellte Frage im Sachzusammenhang mit der Antwort sehen sollten, die Sie vorhin auf Zusatzfragen einer großen Zahl von CDU- und CSU-Kollegen gegeben haben, in der Sie selbst gesagt haben, daß Sie über amtliche Dokumente im Zusammenhang mit der Frage, die mein Kollege Ertl stellte, nicht informiert waren?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Über welche amtlichen Protokolle? Ich habe nicht gesagt, daß ich über irgendwelche amtlichen Protokolle nicht informiert war.
Herr Abgeordneter Dorn!
Sie haben hier wörtlich zur Kenntnis gegeben, daß Sie nicht informiert waren. Ich würde Sie bitten, das Protokoll daraufhin anzusehen.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nein, nein, das bestreite ich. Das habe ich in keinem Zusammenhang gesagt. Ich kann natürlich nicht ausschließen, daß Sie das mißverstanden haben; aber ich habe das nicht gesagt.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen!
Herr Staatssekretär, hat der Kollege Dorn oder haben andere Kollegen der FDP Ihnen Unterlagen zur Verfügung gestellt, die Sie außer der allgemeinen Frage nicht berücksichtigt haben, so daß sich ein solch pauschales Urteil gegen die Bundesregierung, wie es eben in
der Frage zum Ausdruck kam, rechtfertigen würde?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Trotz der bereits vor Wochen in diesem Hause allgemein von mir dazu ausgesprochenen Bitte ist das nicht geschehen.
Ich glaube, damit sind die Fragen erledigt.
Wir kommen nun zu den Fragen 9, 10 und 11 des Abgeordneten Dorn:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den in der iranischen Note vom 13. Juli 1967 enthaltenen Wunsch des Schahs von Persien zu befolgen, die Ermächtigung zur Strafverfolgung derer zu geben, die aus Anlaß des Staatsbesuches den Schah angeblich beleidigt haben?
Treffen Pressemeldungen zu, nach denen deutsche Stellen, z. B. durch Unterrichtung persischer Behörden über Art und Umfang des bereits ermittelten Beweismaterials, Einfluß auf das Zustandekommen der iranischen Note genommen haben?
Treffen Pressemeldungen des Inhalts zu, daß nach Auskunft des Dekans der juristischen Fakultät der Universität Köln, Professor Dr. Klug, Staatsanwaltsbehörden bereits Ermittlungen gegen Studenten betreiben und die Betroffenen im unklaren über die Möglichkeiten der Auskunftsverweigerung lassen?
Werden die Fragen im Zusammenhang beantwortet?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich bitte darum.
Sind Sie damit einverstanden?
({0})
Bitte, Herr Staatssekretär!
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister .des Auswärtigen: Im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz beantworte ich die Fragen wie folgt.
Die iranische Botschaft hat mit Note vom 13. Juni 1967 - nicht vom 13. Juli 1967 - in allgemeiner Form darum gebeten, daß gegen offensichtlich schwer beleidigende Aktionen von Demonstranten entsprechende Schritte unternommen werden. Ein förmliches Strafverlangen nach § 104 a StGB liegt nach Auffassung der Bundesregierung hierin nicht, da die Vorgänge, deretwegen Schritte erbeten werden, nicht im einzelnen bezeichnet sind. Erst wenn ein solches spezifiziertes Strafverlangen gestellt würde, müßte die Bundesregierung die Frage entscheiden, ob sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 104 StGB a erteilen will oder nicht. Keines der Bundesministerien, auch keine der ihnen nachgeordneten Behörden hat iranischen Stellen Hinweise gegeben, die das Zustandekommen der iranischen Note vom 13. Juni 1967 beeinflußt haben könnten. Insbesondere sind iranische Behörden nicht über Art und Umfang des ermittelten Beweismaterials unterrichtet worden. Der Bundesregierung ist auch nicht bekannt, daß Landesbehörden iranischen Stellen Hinweise dieser Art gegeben haben. Die Staatsanwaltschaften der Länder unterstehen nicht der Bundesregierung. Sie kann über deren TätigParlamentarischer Staatssekretär Jahn
keit deshalb aus eigener Kenntnis keine Auskünfte geben. Die Bundesregierung legt im übrigen Wert darauf, bei dieser Gelegenheit folgendes festzustellen. Politische Demonstrationen sind in unserem Land ein erlaubtes Mittel, politischen Anschauungen öffentlich Ausdruck zu geben und für sie zu werben. Dieses Recht ist in unserer freiheitlichen Demokratie unverzichtbar. Das Grundgesetz sagt jedoch ausdrücklich, daß dieses Recht seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und in dem Recht der persönlichen Ehre finde. Gastfreundschaft und die dem Gast geschuldete Achtung haben in Deutschland immer in Ehren gestanden. Wir sollten darauf sehen, uns diesen guten Ruf zu erhalten. Kaum ein Land hat Freunde so nötig wie wir. Dies bedeutet nicht, daß einem Gast gegenüber kein Demonstrationsrecht bestünde. Es muß aber in den vom Gesetz gesteckten Grenzen ausgeübt werden. Den Gast mit groben Beleidigungen zu empfangen und ihn oder seine unmittelbaren Begleiter mit Tomaten zu bewerfen, überschreitet diese Grenzen offensichtlich und kann nur als ein schwerer Verstoß gegen die Gastfreundschaft angesehen werden.
({1})
Solche Fälle sind um so bedauerlicher, als der Schah als Vertreter eines Landes, das uns seit Menschengedenken in Freundschaft verbunden ist, auf Einladung des Bundespräsidenten zu einem Staatsbesuch bei uns war. Es ist deshalb kein Wunder, wenn das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum Iran durch die Vorkommnisse beim Besuch des iranischen Staatsoberhauptes getrübt worden ist. Offenbar haben sich große Teile der Demonstranten wie auch Teile der deutschen Öffentlichkeit die Beurteilung der Verhältnisse im Iran zu einfach gemacht oder sind einseitigen Darstellungen zum Opfer gefallen. Man kann nicht ohne weiteres an die Verhältnisse in einem Land mit anderer Geschichte, ganz anderen Traditionen und Lebensgewohnheiten Maßstäbe anlegen, wie wir sie auf Grund unserer Erfahrungen bei uns für richtig halten.
({2})
Gerade uns Deutschen stünde es wohl an, in der Rolle des politischen Sittenrichters Zurückhaltung zu üben.
({3})
Die in Ost und West anerkannte Wahrheit gebietet festzustellen: Der Schah und seine Regierung haben in den letzten Jahren ein bedeutendes Reformprogramm eingeleitet. Bei der Industrialisierung und Modernisierung des Landes, bei der Bodenreform, bei der Bekämpfung des Analphabetentums und beim Ausbau- des Gesundheitswesens hat der Schah gegen viele Widerstände Mut und Aufgeschlossenheit für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung bewiesen.
Die im Zusammenhang mit dem Besuch des iranischen Staatsoberhauptes entstandene Beunruhigung der öffentlichen Meinung unseres Landes sollte einer ruhigen, sachkundigen, verantwortungsbewußten und gerechten Betrachtungsweise Platz machen. Wir
können dann hoffen, daß die alte und bewährte Freundschaft zwischen den beiden Ländern nicht beeinträchtigt wird.
({4})
Herr Abgeordneter Dorn zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich also feststellen, daß die Note der iranischen Regierung nicht von „Strafverlangen" spricht, sondern von Schritten, die zu unternehmen sind, um Angriffe gegen den Schah hier nachträglich, ich weiß es nicht, abzuwehren. Oder was versteht die persische Regierung unter diesen Schritten? Haben Sie mit der Botschaft nicht darüber gesprochen?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die iranische Regierung hat in ihrer Note zum Ausdruck gebracht - allerdings in einer Form, die nach unserer Auffassung keine weiteren Schritte der Bundesregierung unter der förmlichen Voraussetzung des § 104 a StGB erfordert -, daß sie eine Bestrafung derjenigen, die sich hier Straftaten haben zuschulden kommen lassen, erwartet.
Herr Abgeordneter Dorn!
Herr Staatssekretär, Sie sagen, daß sie eine Bestrafung derjenigen, die sich etwas haben zuschulden kommen lassen, erwartet. Das heißt, daß das, was Sie und, wenn ich recht informiert bin, die Pressestelle des Bundesjustizministeriums veröffentlicht haben, dann doch wohl nicht ganz stimmen kann: daß kein Strafverlangen in dieser Note enthalten gewesen sein soll.
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Dorn, wir haben unterschieden - und ich glaube, es wäre hilfreich für die Position der Bundesrepublik, so zu unterscheiden - zwischen einem allgemeinen - wenn ich es einmal so formulieren darf, mit der Bitte, es nicht mißzuverstehen -, politisch motivierten Wunsch und einem förmlichen Strafverlangen, das entsprechende förmliche Schritte und förmliche Entscheidungen der Bundesregierung erfordern würde. Die Erklärungen, die bisher abgegeben worden sind, haben sich darauf bezogen. Wenn das Justizministerium eine solche Erklärung abgibt, halte ich die Folgerung auch für ganz zwangsläufig, daß ein solches förmliches Ersuchen nicht vorliegt. Das ist, wie ich zum Ausdruck gebracht habe, auch nach wie vor die Auffassung der Bundesregierung.
Herr Abgeordneter Dorn!
Herr Staatssekretär, nachdem Sie jetzt zwischen förmlichem Strafverlangen und dem
Strafverlangen, das Sie vorhin akzeptiert haben - Sie haben zum Ausdruck gebracht, daß es in der Note enthalten sei -, unterscheiden, muß ich fragen: wie erklären Sie dann die Auskunft des Sprechers der Bundesregierung - nachdem diese Note hier bekanntwurde -, sie enthalte ein Strafverlangen? Hat er diesen förmlichen Unterschied nicht erkannt?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich weiß im Augenblick nicht, wer diese Antwort gegeben hat. Ich weiß auch nicht, ob es ein Jurist war - Juristen pflegen solche Dinge zu prüfen -, aber die Wiedergabe dessen, was in der Note drinstand, war auf jeden Fall korrekt. Denn sie enthält den Wunsch nach einer Strafverfolgung. Ob man das mit dem Terminus technicus „Strafverlangen" bezeichnet oder ob man versucht, ein anderes Wort zu wählen, um nachher, wenn man „vom Rathaus kommt und klüger ist", eine genauere Differenzierung vorzunehmen, das sagt über den Inhalt dessen im einzelnen gar nichts aus.
Herr Abgeordneter Dorn!
Herr Staatssekretär, empfinden Sie nicht, daß diese juristische feine Unterscheidung, die von Ihnen vielleicht erkannt wird - ich bin kein Jurist - und nun so klar dezidiert vorgetragen wird, in der Öffentlichkeit gar nicht empfunden wird, sondern daß in der Öffenlichkeit vielmehr die Note als ein politisches Verlangen nach Strafverfolgung angesehen wird?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ja, nur ist mir jetzt der Sinn Ihrer Frage nicht ganz klar. Das habe ich nicht in Frage gestellt, das habe ich nicht bestritten - und das kann auch niemand bestreiten -, daß von der Seite der iranischen Regierung ein solcher Wunsch geltend gemacht worden ist. Die Frage, auf die es hier entscheidend ankommt, ist doch lediglich: muß ein solches Verlangen, wie es in der Note vorgetragen worden ist, hier bestimmte rechtliche Konsequenzen haben oder nicht? Wenn es diese haben soll, sind an ein solches Verlangen bestimmte Anforderungen zu stellen. Da diese Anforderungen nicht erfüllt sind, ist ein entsprechendes Vorgehen nicht erforderlich. Das ändert nichts daran, daß die politische Beurteilung des Vorganges und der durch die iranische Regierung vorgetragene Wunsch in hinreichender Form deutlich geworden sind.
Herr Abgeordneter Dorn!
Leider habe ich nur noch eine Frage; deswegen kann ich darauf nicht eingehen.
Herr Staatssekretär, sind Sie denn mit uns der Meinung, daß es jetzt zur Beruhigung und vielleicht auch zur Verbesserung der politischen Beziehungen zur persischen Regierung gut wäre - auch für alle Beteiligten -, wenn diese Sache nun unter dem Strich wenigstens dadurch erledigt würde, daß keine weiteren Strafverfolgungen mehr durchgeführt werden?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Soweit ich es beurteilen kann, Herr Kollege Dorn, sind wir sicher darin einig, daß die weitere Behandlung dieses Falles in förmlichen Strafverfahren nicht hilfreich wäre und nicht dazu führen würde, die ganze Angelegenheit in einer befriedigenden Form zu bereinigen.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen!
Herr Staatssekretär, können Sie bei dieser Gelegenheit der deutschen Öffentlichkeit bestätigen, daß aus den Erfahrungen eines solchen Staatsbesuches im Hinblick auf Aufwand und Durchführung die Bundesregierung mit den Länderregierungen Prüfungen für zukünftige ähnliche Fälle vornehmen wird?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das habe ich selber vor einigen Wochen hier schon zugesagt. Ich will ausdrücklich und gern noch einmal bestätigen, daß die Frage der Häufigkeit, des Umfangs, der Art von Staatsbesuchen und auch die Frage - das war ja ein Teil der Beunruhigung und auch Verärgerung in der Öffentlichkeit - der polizeilichen Sicherungsmaßnahmen insgesamt Gegenstand der Prüfung durch die Bundesregierung im Einvernehmen mit allen daran Beteiligten, also auch mit den Landesregierungen, sind.
Herr Abgeordneter Moersch!
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bei diesem Gedankenaustausch die persische Regierung in gebührender Weise darauf aufmerksam gemacht, daß die von Ihnen, Herr Staatssekretär, genannte Trübung des Verhältnisses vor allem dadurch zustande gekommen ist, daß Perser, die offensichtlich im amtlichen Dienst standen, mit Stahlruten und Schlagringen auf Deutsche eingeschlagen haben?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Der gesamte Komplex ist in den Erörterungen zwischen der iranischen Regierung und der Bundesregierung eingehend behandelt worden. Ich habe die Verhandlungen selber nicht geführt, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ein wesentlicher Punkt dabei bewußt ausgelassen worden ist. Das, muß dann auch für diese Fälle gelten.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Moersch.
Herr Staatssekretär, ist die Trübung des Verhältnisses vielleicht auch dadurch mit eingetreten, daß von den über hundert - nach Gerüchten - eingereisten persischen Geheimpolizisten mehrere Dutzend versehentlich, weil sie für Demonstranten gehalten worden sind, zunächst von Beamten der Bundesbehörden festgesetzt worden sind?
Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Moersch, das sind Fragen, die in die Einzelheiten der Beurteilung einzelner Vorgänge gehen. Darauf kann ich hier, ohne irgendwelchen Ermittlungsverfahren vorzugreifen, deren Inhalt und bisherige Ergebnisse ich .auch nicht kenne, keine Antwort geben.
Also haben die Jubel-Perser keine entscheidende Rolle gespielt?
Sie haben aber keine Frage mehr! - Damit ist die Fragestunde abgeschlossen. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet, soweit sie nicht zurückgezogen sind. Ich habe noch mitzuteilen, daß die Fragen Nr. 23, 35 und 40 auf Drucksache V/2091 und die Fragen Nr. 59 bis 63 auf Drucksache zu V/2091 vom Fragesteller zurückgezogen worden sind.
Damit kommen wir zu Punkt 3 der Tagesordnung, zunächst Punkt 3 b:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) über das von der Bundesregierung vorgelegte Zweite Programm der Bundesregierung für besondere konjunktur- und strukturpolitische Maßnahmen 1967/68
und die Entschließung des Bundesrates gemäß § 8 Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967
- Drucksachen V/2070, V/2085, V/2105 - Berichterstatter: Abgeordneter Windelen
Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Ich erteile es ihm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Vorlagen, die heute hier behandelt werden, nicht nur als Berichterstatter, sondern auch für meine Fraktion Stellung nehmen.
Als der Sprecher meiner Fraktion, der Kollege Dr. Pohle, vor zwei Tagen zur Eröffnung dieser Debatte Stellung nahm, sagte er, wir seien nicht hierhergekommen, um nach dem Motto „Friß, Vogel, oder stirb" ein Programm der Regierung einfach entgegenzunehmen, sondern er betonte, daß es nun gelte, gewissenhaft zu prüfen, ob wir zustimmen können, gewissenhaft zu prüfen, ob und wo die Vorstellungen der Regierung noch verbessert werden können, zu prüfen, wo Bedenken und Vorbehalte angemeldet werden müssen. Gleichzeitig ließ aber mein Kollege Dr. Pohle keinen Zweifel daran, daß
meine Fraktion hinter der Konzeption der Regierung als Ganzes stehe.
Uns blieb für die Behandlung der sehr umfangreichen Vorlagen nur eine sehr kurze Zeit. Diese kurze Zeit, der gestrige Tag, wurde aber sehr intensiv genutzt. Es kam zu ausgedehnten und teilweise recht stürmischen Beratungen in den Ausschüssen. Dabei wurde geprüft, ob und wo Verbesserungen noch möglich sind. Insbesondere der Finanzausschuß hat wesentliche Änderungen der Umsatzsteuervorlage vorgenommen. Die Einzelheiten wird der Berichterstatter gleich noch hier vortragen.
Der Haushaltsausschuß hat in erster Linie das Zweite Konjunkturprogramm beraten. Er hat dabei deutlich gemacht, wo noch Bedenken bestehen, wo Wünsche offengeblieben sind und wo Vorbehalte bestehenbleiben. Die Bundesregierung hat durch eine Vielzahl von Vertretern diese Beratungen erleichtert und unterstützt. Es gelang ihr, manche Unklarheit zu beseitigen, und sie hat eine Reihe von Zusicherungen gegeben, die uns die Zustimmung zu dieser Vorlage erleichtern. Wir haben besonders zu danken den Ministern Schmücker und Lauritzen und dem Parlamentarischen Staatssekretär Leicht, die uns bei unserer Beratung unterstützt haben.
Vor dieser Sitzung herrschten in der Öffentlichkeit, aber auch in diesem Haus große Meinungsverschiedenheiten darüber, wie diese Woche wohl ausgehen werde. Wir bekamen Aufforderungen von Gruppen und Verbänden, die Vorlagen der Regierung nicht anzunehmen, sondern diese Woche zu einer solchen des Parlaments zu machen. Es wurden Zweifel geäußert, ob diese Koalition sich denn einigen werde. Nun, die Koalitionsfraktionen haben bei diesen Beratungen durchaus ihre eigenen Vorstellungen entwickelt. Aber sie haben sich doch insgesamt hinter die Konzeption ihrer Bundesregierung gestellt. Daß es dabei Bewertungsunterschiede gab, liegt in der Natur der Sache. Das sollte man nicht kritisieren; man sollte es viel eher begrüßen.
Wir verhehlen keineswegs, daß eine Reihe von Bedenken unterschiedlicher Art fortbestehen, daß ein Rest von Ungewißheit, ein Rest von Wagnis von uns in Kauf genommen werden muß. Es war uns nicht erlaubt, einfach zuzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden, und dann erst zu entscheiden, sondern wir mußten jetzt in dieser gewiß differenzierten Situation eine Entscheidung treffen, obwohl wir uns, wie der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der Kollege Schoettle, betonte, vielfach im Bereich der Spekulation bewegen mußten. Parlament und Regierung waren in dieser Situation zum Handeln verurteilt. Die Kritiker und Besserwisser mögen das bedenken.
Bei den Beratungen im Haushaltsausschuß beschäftigte uns vor allem das Zweite Konjunkturprogramm. Sie mögen verstehen, daß dabei nicht ausschließlich konjunkturpolitische Argumente berücksichtigt werden konnten, sondern daß gleichermaßen auch haushaltspolitische Fragen eine Rolle spielten.
Natürlich wissen wir, daß die öffentlichen Haushalte bei ihrem großen und noch zunehmenden Anteil am Sozialprodukt auch für die Konjunktur maß6082
gebend sind. Wir hatten aber auch im Auge zu behalten, daß die öffentlichen Haushalte nach Einnahmen und Ausgaben auszugleichen sind und daß der Befehl des Grundgesetzes, ausgeglichene Haushalte vorzulegen, weiterbesteht und auch durch die Konjunkturmaßnahmen nicht außer Kraft gesetzt wird.
Wir hatten zu bedenken, daß, je mehr wir uns heute verschulden - das gilt gleichermaßen für die Qualität wie auch für die Quantität der Verschuldung -, wie in späteren Jahren - ({0})
Ich bitte doch die Abgeordneten, etwas mehr Ruhe zu bewahren. Das Geräusch im Saal ist unerträglich.
Ich bitte fortzufahren.
Wir hatten zu bedenken, daß wir gleichermaßen, wie wir uns jetzt verschulden, in späteren Jahren aus ordentlichen Deckungsmitteln diese Schulden zu tilgen haben und daß uns diese Mittel in späteren Jahren für andere Aufgaben und Ausgaben fehlen werden.
Wir haben es deswegen begrüßt, daß sowohl der Bundesfinanzminister als auch der Bundeswirtschaftsminister die Notwendigkeit ausdrücklich anerkannt haben, daß zusätzliche Einnahmen in der Aufschwungphase zur Schuldentilgung zu verwenden sind
({0})
und nicht für zusätzliche Konsumausgaben zur Verfügung stehen.
({1})
Dabei stand drohend der in der Finanzplanung für das Jahr 1972 ausgewiesene Tilgungsbetrag von über 8 Milliarden DM vor unseren Augen.
Wir haben es begrüßt, daß im Interesse einer flexiblen Handhabung des Konjunkturprogramms die Bundesregierung sich entschlossen hat, die Vergabefristen nicht mehr starr zu handhaben. Wir haben ebenfalls die Entschließung des Bundesrates zum Konjunkturprogramm begrüßt, die in ihrem letzten Absatz folgendes sagt:
Trotz der Notwendigkeit einer raschen Durchführung der Maßnahmen des Zweiten Programms der Bundesregierung für besondere konjunktur- und strukturpolitische Maßnahmen 1967/68 wird es bei Verwirklichung des Programms im Interesse einer ausreichenden Prüfung und Vorbereitung der Maßnahmen in einzelnen Fällen unvermeidbar sein, die Vergabetermine über Ende Oktober 1967 hinaus zu verlängern. Insoweit wird, falls erforderlich, der zeitliche Ablauf des Programms konjunkturgerecht modifizierbar sein.
Die Bundesregierung hat für die notwendige Beschleunigung des Vergabeverfahrens Grundsätze festgelegt, die aber - das ist ausdrücklich festgestellt und das möchte ich sehr nachdrücklich unterstreichen - nur für eine konjunkturpolitische Ausnahmesituation gelten dürfen. Wenn hier zur Beschleunigung der Auftragsvergabe die obersten Bundesbehörden angewiesen werden, um Zeit bei der Vorbereitung von Bauvorhaben zu gewinnen, zu prüfen, wieweit auf Vorlagen und Unterlagen nach § 45 der Reichshaushaltsordnung - das sind ausführliche Bauentwurfszeichnungen und Kostenrechnungen - verzichtet werden kann, dann kann das nur für diese Ausnahmesituation gelten. Das darf aber nicht dazu führen, daß auf die Dauer und auch in normalen Zeiten die hergebrachte und bewährte Prüfungs- und Vergabepraxis über Bord geworfen wird. Wenn es dann z. B. heißt, daß zur Angebotsabgabe schon aufgefordert werden kann, bevor Haushaltsmittel freigegeben werden, kann man auch das nur für eine Ausnahmesituation billigen, aber keineswegs auf die Dauer. Wenn weiter vorgesehen ist, daß die Prüfung und Wertung der Angebote unbeschadet der gebotenen Sorgfalt mit großer Beschleunigung durchzuführen ist, dann darf das nicht mehr gelten, wenn Eile nicht mehr geboten ist. Wenn hier angeordnet wird, daß Verwaltungsvorschriften, welche bei öffentlichen Ausschreibungen das Verfahren der Anforderung von Verdingungsunterlagen regeln, soweit sie das Vergabeverfahren verzögern, nicht anzuwenden sind, dann ist das ein sehr bedenklicher Eingriff, den man auch nur in dieser Ausnahmesituation rechtfertigen kann. Wir bitten die Regierung, darüber zu wachen, daß wir, sobald diese Ausnahmesituation nicht mehr gegeben ist, wieder zu den bewährten Regeln einer sorgfältigen Vergabepraxis zurückkehren. In den Verwaltungen darf sich nicht die Auffassung einbürgern, es sei heute die höchste Tugend, möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit auszugeben.
({2})
Wir begrüßen, daß das Programm der Bundesregierung Konsequenzen daraus zieht, daß die derzeitige Abschwächung der Konjunktur nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Ursachen hat und daß die Bundesregierung die Anregung meiner Fraktion, im Programm auch Ansätze zur Verbesserung der Struktur in strukturschwachen Gebieten auszubringen, berücksichtigt hat. Wir bewerten es positiv, daß in diesem Programm die Bergbauund die Förderungsgebiete verstärkte Hilfe erhalten. Wir möchten aber gern, daß man dieser Frage noch größere Aufmerksamkeit widmet. Das scheint mir notwendig zu sein, um eine nachhaltige Gesundung unserer Wirtschaft zu erreichen. Wir erkennen aber selbstverständlich an, daß man mit einem begrenzten Programm unmöglich alle Probleme auf einmal lösen kann.
Zu einer Frage ist in diesem Hause und außerhalb dieses Hauses schon sehr vieles und sehr Kritisches gesagt worden. Ich meine die Frage der Zinsverbilligung. Das Problem ist uns keineswegs neu. Es wurde in früheren Haushaltsjahren bei wesentlich geringeren Beträgen sehr kritisch durchleuchtet.
({3})
Wir haben in vergangenen Haushalten bei wesentlich geringeren Beträgen, z. B. im Bereich der Landwirtschaft, einen sehr harten Maßstab angelegt.
({4})
Ich vermag nicht einzusehen, daß das, was damals aus grundsätzlichen Erwägungen eine Sünde war, heute eine Tugend sein soll. Ich bin allenfalls bereit, mildernde Umstände gelten zu lassen, weil eine notleidende Konjunktur mit allen ihren schwerwiegenden Folgen für Gesellschaft und Staat in dieser Situation das höhere Gut sein mag. Es bleibt aber bestehen - und wir sollten das nicht bagatellisieren -, daß Zinsverbilligungen den Kapitalmarkt für die gesamte Laufzeit stören, daß sie den Normalzins verteuern. Diese grundsätzlichen Bedenken bleiben selbst dann, wenn die Bundesbank ihre Bedenken inzwischen zurückgestellt hat, weil die Größenordnung der Zinsverbilligung reduziert worden ist.
({5})
Wir haben im Haushaltsausschuß das Programm der Regierung einmal nach der konjunkturpolitischen und strukturpolitischen Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen überprüft. Es ist ganz klar, daß bei der großen Fülle von Einzelmaßnahmen in einer Vielzahl von Einzelplänen die einzelnen Maßnahmen in sehr unterschiedlicher Weise konjunkturpolitisch wirksam sind. Aber wir müssen bedenken, daß diese Maßnahmen, die wir ja mit kurzfristigen Schulden, mit sehr teuren Mitteln durchführen, sehr hohe Anforderungen hinsichtlich ihrer Rentabilität, hinsichtlich ihrer konjunkturpolitischen und strukturpolitischen Wirksamkeit erfüllen müssen.
({6})
Es darf deswegen nicht geschehen, daß man in dieses Programm normale Verwaltungsaufgaben oder Ausgaben des normalen Staatskonsums einstellt.
({7})
Ich bekenne, daß bei einer großen Zahl von Maßnahmen, die in diesem Programm stehen, insbesondere im Einzelplan 9, dem Bereich des Bundeswirtschaftsministeriums, und im Einzelplan 31, dem Bereich Wissenschaft und Forschung, sehr effektiv verfahren worden ist. Hier gibt es Musterbeispiele dafür, wie man ein Konjunkturprogramm gestalten kann. Bei einigen Maßnahmen in anderen Häusern ist das nicht so ausgeprägt gewesen, aber noch vertretbar.
Ich möchte aber nicht verhehlen, daß bei einigen Positionen die Bürokratie ganz offensichtlich den Versuch gemacht hat, in früheren Zeiten ausdrücklich abgelehnte Positionen nun auf diesem Weg am Parlament vorbeizuschmuggeln.
({8})
Ich kann die Regierung nur warnen, die Bereitschaft des Parlaments auf diese Weise zu überfordern.
({9})
Ich bin sehr dankbar für das Verständnis, das die
bei der Beratung anwesenden Kabinettsmitglieder
gezeigt haben, indem sie spontan erklärt haben, daß sie Mißstände dieser Art abstellen würden. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang besonders bei dem Parlamentarischen Staatssekretär Leicht, der das in einem Einzelfall in sehr klarer Form getan hat.
({10})
Das Programm enthält u. a. 300 Millionen DM, die Bundesunternehmen in strukturschwachen Gebieten zufließen sollen. Darin sind hohe Millionenbeträge für Betriebe enthalten, für die eine unternehmerische Gesamtkonzeption noch nicht vorliegt. Dagegen sind sehr schwere Bedenken geäußert worden. Hohe Beträge sind andererseits für ausgezeichnet und sehr erfolgreich geführte Betriebe vorgesehen worden. Insoweit bleibt die Frage, ob diese Betriebe nicht an den Kapitalmarkt herangehen könnten und ob nicht eine Wettbewerbsbenachteiligung gegenüber Konkurrenzbetrieben gegeben ist, die hier mit ihren Steuermitteln ihre Konkurrenten mit Vorzugszinsen unterstützen müssen.
Der Haushaltsausschuß legt Ihnen als Extrakt seiner Beratungen einen Entschließungsantrag zum Zweiten Konjunkturprogramm vor. Er hat diesen Antrag mit sehr großer Mehrheit, in den meisten Teilen mit Zustimmung der Opposition, angenommen. Hier werden der Regierung auch Empfehlungen für den Vollzug des Programms gegeben. Trotz mancher Bedenken in Einzelfragen stehen wir hinter den Vorlagen der Regierung, die nur als Ganzes wirksam werden können. Wir bitten aber die Regierung, unseren Wünschen, soweit es möglich ist, Rechnung zu tragen, dies um so mehr, als sich die Fraktionen bemüht haben, durch rasche Beratung unter Zurückstellung vieler Vorbehalte der Regierung ihre schwere Arbeit zu erleichtern.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Stein.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Wirtschaftsausschuß hat die Vorlage des Programms zum gegenwärtigen Zeitpunkt begrüßt und damit seine Übereinstimmung mit der grundsätzlichen Beurteilung der Wirtschaftsentwicklung durch die Bundesregierung zum Ausdruck gebracht. Der Ausschuß hält im wesentlichen auch den vorgesehenen Einsatz der Mittel, und zwar aller geplanten Finanzierungsmittel, für gerechtfertigt und notwendig. Auf dieser Übereinstimmung beruht die Empfehlung des Ausschusses, nicht den Ablauf von vier Wochen abzuwarten, sondern schon jetzt die Abstandnahme von der Geltendmachung des Vetorechtes zu erklären.
Auf einige Einzelpunkte möchte der Ausschuß hinweisen.
Nach seiner Auffassung hängt die Wirksamkeit des neuen Konjunkturförderunsprogramms der Bundesregierung davon ab, daß die jetzt eingeleiteten Investitionen der öffentlichen Hand einen starken Anschlußeffekt auf die privaten Investitionen aus6084
Stein ({0})
üben. Für die baldige Herstellung einer normalen und ausgewogenen Wirtschaftslage sind diese privaten Investitionen unentbehrlich; sie sind ja in normalen Konjunkturverhältnissen ihre entscheidenden Träger.
Der Anschluß an die privatwirtschaftlichen Investitionen ist auch noch aus einem anderen Grund von entscheidender Wichtigkeit. Nur sie füllen die vielen unausgenutzten Kapazitäten auf, die zur Zeit noch das, Bild unserer stagnierenden Wirtschaft beherrschen. Höhere Kapazitätsausnutzung heißt verstärkte Aufträge und damit Verbesserung der Gewinnlage. Nicht nur nach der Auffassung des Wirtschaftsausschusses - lassen Sie mich das über meinen Auftrag hinaus sagen - ist die Verbesserung der Rentabilität die eigentliche Antriebskraft für Investitionen und weitere Investitionen, weniger die Abschreibungen, die gelegentlich an der ersten Stelle gesehen werden. In dieser Klarstellung der Bedeutung des Rentabilitätseffekts liegt eine der entscheidenden Erfüllungen der jetzigen Konjunkturentwicklung. Nach Auffassung des Ausschusses werden die von der Bundesregierung vorgeschlagenen öffentlichen Aufträge die Kapazitätsausnutzung und damit die Gewinnlage unserer Unternehmen verbessern.
Der entscheidende Fortschritt aber wird nach Ansicht des Ausschusses in der dann einsetzenden höheren Investitionstätigkeit der Privatwirtschaft liegen. Das erscheint selbstverständlich, hat jedoch eine Bedeutung für die Ausfüllung des Zweiten Konjunkturprogramms im Detail. Nach der Ansicht des Ausschusses ergeben sich aus dem eben behandelten Grundsatz klare Folgerungen für die Einzelheiten des Programms.
Eine zweite Erwägung des Ausschusses schließt hier an und betrifft ebenfalls den Ablauf des Programms. Ein Teil des Ausschusses wies darauf hin, daß bei der Abwicklung des Programms eine genügend große zeitliche Elastizität der Auftragsvergabe eingehalten werden müsse. Maßgebend für diesen Wunsch ist in erster Linie, daß die konjunkturelle Anstoßwirkung der einzelnen Maßnahmen weder in ihrem Volumen noch in ihrer Struktur im voraus genau geschätzt werden kann. Die Auftragsvergabe sollte daher die konjunkturelle Entwicklung ständig im Auge behalten können. Der Ausschuß ist sich über die Notwendigkeit eines anhaltenden Gedankenaustausches hierüber mit dem Bundeswirtschaftsministerium einig.
Dies bedeutet aber nicht, daß das Programm jetzt gleich mit verminderter Kraft gestartet werden sollte. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß es sofort und in vollem Umfang in Kraft gesetzt werden sollte.
Ein zweiter Gesichtspunkt ist, daß eine antizyklische Wirkung von Programmen nur erwartet werden kann, wenn sie immer ein antizyklisches Instrument bleiben, sich also nicht morgen von selbst auf ein sowieso dringliches Aufgabenprogramm aufstocken und damit ihre Beweglichkeit verlieren. Der Wirtschaftsausschuß möchte Mängel dieser Art vermieden sehen. Er wünscht deshalb, sehr deutlich zu
sagen, daß nach seiner Auffassung das Gelingen des Zweiten Konjunkturprogramms in erster Linie von der faktischen Seite, also vom Einzelcharakter der vorgesehenen Maßnahmen und nicht allein vom Volumen und von den Zwecken im Großen abhängt.
Der Ausschuß glaubt, mit diesem Hinweis auf das Erfordernis einer vollen Flexibilität des Programms den vielerlei Bedenken gerecht zu werden, die sich gegen das Programm, das vorgesehene Volumen und gewisse Folgewirkungen in der Schuldenpolitik des Bundes ergeben. Er glaubt, daß eine solche Flexibilität im Stabilitätsgesetz gegeben ist, das nicht unbedingt im Sinne herkömmlicher öffentlicher Finanzwirtschaft, also nach demselben Schema wie die übrigen öffentlichen Ausgaben, sondern nach den Erfordernissen einer krisenfreien Entwicklung entschlossen gehandhabt werden muß. Er möchte deshalb nochmals klarstellen, daß die konjunkturelle Wirkung die entscheidende Rechtfertigung für die vorgesehenen Maßnahmen ist, nicht irgendwelche anderen Gesichtspunkte, die ebenfalls ihre Bedeutung haben können, aber natürlich nur in einem anderen Zusammenhang, z. B. im Zusammenhang sonstiger Aufbau- und Ausbauprogramme im Rahmen des Normalhaushaltes, endgültig zu würdigen sind. Ohne die besondere konjunkturelle Rechtfertigung sollten also noch so dringliche andere Maßnahmen in dem neuen Konjunkturprogramm keinen Platz finden.
Ich sprach vorhin von der Anstoßwirkung der privaten Investitionen, die der Wirtschaftsausschuß für ein entscheidendes Erfordernis bei den neuen Konjunkturbemühungen der Bundesregierung hält. Für diese Anstoßwirkung ist die steuerrechtliche Behandlung der Altvorräte im Rahmen der Übergangsregelung für die Mehrwertsteuer besonders wichtig. Der Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen hat sich deshalb bei der jetzigen Erörterung des Konjunkturprogramms auch mit dieser Frage nochmals befaßt. Seine einmütige Ansicht ist, daß die Entlastung der Altvorräte unter dem Gesichtspunkt einer breiteren Streuung der jetzt vorgesehenen verstärkten öffentlichen Aufträge ohne einschränkende Bindung, also ohne die sogenannte Referenzperiode, vorgenommen werden sollte. Nach der Auffassung des Ausschusses reicht ohne diesen Verzicht die Antriebskraft der Aufträge für neue Investitionen nicht aus. Der Wirtschaftsausschuß hat dem federführenden Finanzausschuß von dieser Auffassung Kenntnis gegeben.
Abschließend darf ich noch zu einer Einzelfrage eine im Ausschluß geäußerte Ansicht mitteilen. Sie betrifft die im Konjunkturprogramm zu fördernden Anlagen der Länder, Gemeinden oder sonstiger öffentlicher Träger zur Reinhaltung der Luft und des Wassers. Zu diesem Punkt wurde dargelegt, daß in einigen Ländern die Anträge der privaten Unternehmen höchstens nachrangig behandelt werden. Die Bundesregierung wurde gebeten, für eine mindestens gleichrangige Behandlung zu sorgen. Ein Widerspruch gegen diese Ansicht erhob sich im Ausschuß nicht, weshalb ich davon ausgehe, daß ich das als Auffassung des Ausschusses hier vortragen kann.
Stein ({1})
Darf ich zum Schluß noch eine formelle Frage behandeln. Dem Ausschuß für Wirtschaft ist das Zweite Konjunktur- und Strukturprogramm der Bundesregierung zur Mitberatung überwiesen worden. Wir wissen, daß die Federführung beim Haushaltsausschuß lag. Da es sich bei dieser Vorlage und ihrer parlamentarischen Behandlung um ein doppeltes Novum handelt, erlauben Sie, daß ich einige Worte zur formellen Seite sage.
Das Konjunkturprogramm bedarf, da es mit Ausgaben des Bundeshaushalts zur Förderung der Stabilität der Wirtschaft verbunden ist, nach § 8 Abs. 1 des Stabilitätsgesetzes der Zustimmung des Bundestages. Diese Zustimmung gilt als erteilt, wenn nicht binnen vier Wochen nach Eingang der Vorlage die Zustimmung verweigert wird. Ohne Zweifel handelt es sich bei diesem Vorgang, besonders bei einem Programm von einer solchen Größe, um eine wirtschafts- und finanzpolitisch besonders wichtige Sache. Der Wirtschaftsausschuß ist, ohne daß er damit durch eine Ressortbrille geblickt zu haben glaubt, der Meinung, daß ihm die Federführung hätte überlassen werden sollen. Die Mitglieder des Ausschusses werden deshalb in künftigen Fällen dafür eintreten, daß dies geschieht. Sie werden den Ältestenrat bitten, sich bei seinen Empfehlungen an den Bundestag für die Federführung mehr von den materiellen als von den formellen Erwägungen leiten zu lassen. Ich habe den Auftrag, das namens des Ausschusses vorzutragen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Peters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der ersten Lesung haben unsere Kollegen hier die Bedenken vorgetragen, aus denen heraus die FDP-Fraktion das Zweite Programm der Bundesregierung für besondere konjunktur- und strukturpolitische Maßnahmen ablehnt. Die Ausschußberatungen haben unsere Bedenken bestätigt. Wir haben vorhin auch vom Kollegen Windelen ganz handfeste Bedenken gegen dieses Programm der Regierung gehört.
Das Programm hat für Bund, Länder und Gemeinden ein Volumen von 5,3 Milliarden DM. Zusätzlich wird - diese Größenordnung ist nicht genannt worden - ein Volumen von 5 1/2 Milliarden DM durch Zinssubventionen ausgelöst. Es sind dafür 100 Millionen DM für den Wohnungsbau und 23 Millionen DM für das regionale Förderungsprogramm vorgesehen.
Unbestritten ist, daß auch wir von der FDP heute konjunktur- und strukturpolitische Maßnahmen für erforderlich halten. Aber man muß die Maßnahmen im Zusammenhang mit der mittelfristigen Finanzplanung sehen. Wir wissen nicht, ob die Koalition die in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Haushaltskürzungen hinnehmen wird. Bisher ist hier gesagt worden, man wolle nur Umschichtungen; aber die Debatte über diese Frage ist hinausgeschoben, und wir werden im Oktober sehen, wie die Koalitionsparteien dazu stehen.
Wir sehen im Konzept der Bundesregierung bisher aber nicht, daß eine politische Grundlage für diese Kürzung gegeben ist, vor allen Dingen nicht in den großen Bereichen der Verteidigung und des Sozialetats. Sie werden hier zu grundlegenden Entscheidungen kommen müssen und nicht zu Kürzungen, die nur über ein oder zwei Jahre hinweghelfen.
Wir sehen nicht, daß die Steuereinnahmen in der Zielplanung erreicht werden. Wir bezweifeln, daß die Zielplanungen in Erfüllung gehen. Damit wird die Rückzahlung der kurzfristigen und mittelfristigen Kredite um so schwerer.
Wir wünschen insbesondere, meine Damen und Herren, daß der Zielkonflikt zwischen Steuererhöhungen und Konjunkturprogramm beseitigt wird. Wir wünschen von uns aus keine Steuererhöhungen, weder die Ergänzungsabgabe noch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wir werden deshalb beide ablehnen, werden aber dafür - das ist schon angekündigt worden - definitive Vorschläge zur Dekkung machen, und zwar aus den Bereichen der Verteidigung, des Notstandes, der Entwicklungshilfe sowie aus dem Verwaltungsbereich; wir werden dies im Oktober auf Heller und Pfennig tun.
Wird der Widerspruch zwischen Konjunkturmaßnahmen und Steuererhöhungen beseitigt, dann ergibt sich, daß das konjunkturfördernde Programm automatisch eingeschränkt werden kann. Hierbei denken wir im besonderen an eine Verminderung der Zinssubventionen sowohl im Bereich des Wohnungsbaues wie auch im Regionalprogramm.
Wir dürfen außerdem bei dieser Gelegenheit feststellen, daß im Konjunkturprogramm manche Aufstockungen von Etatstiteln stattgefunden haben, die früher gekürzt worden sind, weil sie für nicht besonders notwendig gehalten wurden. Hier weise ich wiederum auf die jetzige Erhöhung auf Grund des Konjunkturprogramms im Verteidigungsetat und beim Wohnungsbau hin. Beim Verteidigungshaushalt sind es im eigentlichen Programm einschließlich der Bindungsermächtigungen 400 Millionen DM. Ein ähnlicher Betrag liegt beim Wohnungsbau vor.
Außerdem ist festzustellen, daß die Abstimmung mit den Ländern nach unserer Meinung unvollkommen gewesen ist. So hat sich gestern im Haushaltsausschuß herausgestellt, daß das Flächenland Niedersachsen im Konjunkturprogramm auf Mittel bis auf 3 Millionen DM aus dem Agrarprogramm verzichtet hat, weil es die Mitleistungsmittel nicht aufbringen könne.
Meine Damen und Herren, wenn Sie Konjunktur dort anreizen wollen, wo es erforderlich ist, dann erscheint mir das insbesondere in den Räumen notwendig zu sein, wo die Konjunktur ohnehin schon schwach ist. Dazu dürfte ,das Land Niedersachsen zählen.
({0})
Die Ausschußberatungen haben - ich habe es vorhin schon angedeutet - sehr unterschiedliche Meinungen innerhalb der Koalition und beachtliche Bedenken - im wesentlichen bei den Kollegen der CDU - erkennen lassen. Dies trifft insbesondere
Peters ({1})
auf den Punkt „Zuschüsse an die Bundesunternehmen" zu. Ich meine, daß die kurze gestrige Debatte darüber, ob und gegebenenfalls welche und wie diese Bundesunternehmen gefördert werden sollen, nicht genügt. Ich glaube, daß die Erörterung nicht in einer solch kurzen Beratung durchgeführt werden kann, sondern daß darüber eingehend im Zusammenhang mit einer Zielplanung der Bundesregierung verhandelt werden muß.
Viel schwieriger als bei Behandlung dieser Fragen, was an konjunkturpolitischen Maßnahmen notwendig sei, wird es bei den Koalitionsparteien werden, wenn sie sich über die in der mittelfristigen Finanzplanung zu treffenden Haushaltskürzungen einig werden sollen. Darüber haben Sie ja im Zuge dieser Plenarsitzung keine Debatte gewollt; darüber wird im Oktober entschieden werden. Sie werden dann grundsätzlich ein Programm für die Verteidigungspolitik und für die Sozialpolitik vorlegen müssen; denn sonst bleibt Ihre mittelfristige Finanzplanung ohne entscheidenden Untergrund. Wir wollen hoffen, daß wir dann zu grundlegenden Entscheidungen kommen. Diese Entscheidungen sind Voraussetzung nicht nur für die mittelfristige Finanzplanung, sondern im besonderen auch für die Maßnahmen zur Konjunktur- und Strukturpolitik. Diese Voraussetzung liegt heute nicht vor. Deshalb müssen wir unsere Zustimmung zum Zweiten Programm für konjunkturelle und strukturelle Maßnahmen versagen, obgleich wir - ich betone es noch einmal eindringlich, meine Damen und Herren - im Prinzip nicht gegen die Belebung der Konjunktur, gegen Defizitspending in einem gewissen Maße sind. Aber wir halten dieses Programm, wie es vorgelegt worden ist, für unvollkommen; deshalb müssen wir es ablehnen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich nicht die Absicht, in diesem Hohen Hause noch einmal zu dieser Frage zu sprechen, weil ich von der Voraussetzung ausging, daß der Kollege Windelen als Berichterstatter sprechen würde. Er war aber so freundlich, hier zu sagen, daß er gleichzeitig den Standpunkt der CDU vertreten müsse. Das zwingt mich, noch einmal kurz unsere Auffassung zu dem Konjunkturprogramm und zu den neun Punkten, die der Haushaltsausschuß diesem Hohen Hause als Empfehlung vorlegt, zu sagen.
Erstens möchte ich für meine Fraktion erklären, daß die sozialdemokratische Fraktion das Konjunkturprogramm im Umfang und in den Details voll billigt.
Zweitens - und das ist im ersten Punkt der Entschließung klargelegt - möchten wir, daß dieses Programm zügig durchgeführt wird.
Drittens. Es ist durchaus möglich, daß bei einzelnen Projekten diese zügige Durchführung aus der Natur der Projekte heraus nicht erfolgen kann. Deshalb muß nach unserer Meinung das Programm für die einzelnen Projekte zeitlich elastisch durchgeführt werden.
Viertens. Es ist hier die Frage der Zinsverbilligung angesprochen worden, und sowohl Herr Peters als auch Herr Windelen haben ihre Bedenken hierzu angemeldet. Ich möchte für meine Fraktion erklären, daß sie für diese Zinsverbilligung ist. Wir vertreten die Auffassung, daß wir, wenn wir den Vorschlägen, die teilweise von der FDP im Ausschuß gemacht worden sind, nachgeben würden, an Stelle von Zinsverbilligungen Darlehen vorzusehen - wie es von Herrn Haas beantragt wurde -, das Volumen nicht erreichen würden. Es kommt uns aber gerade darauf an, das Gesamtvolumen so durchzusetzen, wie es vorgeschlagen ist. Wir würden bei einer Ablehnung der Zinsverbilligung insbesondere auf dem Sektor des Wohnungsbaus geradezu in ein Desaster kommen. Wir müssen also hier mit Zinsverbilligungen arbeiten.
Fünftens möchte ich sagen, daß wir gewürdigt und auch vor diesem Hause voll anerkannt haben möchten: Das Petitum des Bundeswirtschaftsministers, das Petitum der gesamten Bundesregierung, daß die Länder und die Gemeinden nachziehen müssen, ist durch die bisherigen Haushalte der Länder zum großen Teil bereits erfüllt. Wir sind der Auffassung, daß dieses Nachziehen der Gemeinden und der Länder notwendig war, wenn wir die Vorstellungen der Bundesregierung durchsetzen wollen. Wir begrüßen deshalb dieses Nachziehen der Länder ausdrücklich.
Sechstens. Hier ist gesagt worden, die Koalition habe sich hinsichtlich der mittelfristigen Finanzplanung noch nicht festgelegt. Diese Behauptung muß ich zurückweisen. Wir - sowohl die CDU als auch die SPD - haben gesagt: wir akzeptieren die mittelfristige Finanzplanung als Ganzes und akzeptieren jeden Plafond in der Höhe, ganz gleich, ob es sich dabei um eine Kürzung oder eine Aufstokkung handelt. Das kann hier nicht bestritten werden. Es ist nur gesagt worden, es könne Einzelheiten geben, bei denen man Änderungswünsche habe; die Einzelheiten dürften aber dann den Plafond nicht verändern; sie müßten im Rahmen des Plafonds liegen. Herr Kollege Petersen, hier können also keine Mißverständnisse auftreten.
Ich möchte hier für meine Fraktion nur noch einmal diese Punkte dargestellt wissen, damit keine Mißverständnisse aufkommen und damit völlig klar ist: wir begrüßen nicht nur das Gesamtprogramm im Konjunkturhaushalt, sondern wir akzeptieren auch die Folgeerscheinungen, die sich aus der mittelfristigen Finanzplanung ergeben. Wir hoffen und wünschen, daß die Bundesregierung bei dieser Arbeit das Ziel, das wir uns vorgenommen haben, erreicht.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und HerBundesminister Dr. Schiller
ren! Ich darf im Namen der Bundesregierung auf die Ausführungen des Herrn Berichterstatters und auf die ergänzenden Bemerkungen der übrigen Kollegen antworten.
Zuerst ein Wort zu dem Verfahren dieser Tage. In den damaligen Beratungen des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft wurde vom Hause darauf hingewiesen, dieses Gesetz erfordere eine handlungsfähige und eine zum Handeln entschlossene Regierung. Jetzt, bei den Beratungen dieses Programms in diesen Tagen, ist, glaube ich, allen klargeworden, daß sich das Parlament selbst mit dem Stablitätsgesetz und mit dem darin vorgeschriebenen verkürzten parlamentarischen Verfahren eine schwere Aufgabe gestellt hat. Aber die letzten Tage haben zugleich gezeigt, daß sich das, Hohe Haus dieser Herausforderung gestellt hat. Das Parlament hat im Plenum und in einer ganzen Anzahl von Ausschüssen gestern das Programm der Bundesregierung zügig beraten, sorgfältig geprüft und manche Akzente neu gesetzt.
Wir von der Bundesregierung danken Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, für diese Tour de force, die Sie in diesen Tagen gemacht haben. Wir danken Ihnen auch für die Korrekturen, die Sie in den Akzenten und in den Einzelheiten hin und wieder angebracht haben.
Ich bin fest davon überzeugt: die Konjunkturentwicklung der nächsten Monate und besonders im neuen Jahr wird die Entscheidungen dieses Tages in diesem Hause ebenso honorieren, wie das die Börse hoffentlich tun wird und übrigens offensichtlich gestern bereits getan hat. Es ist ja im besonderen die Aufgabe der Börse, die Zukunft vorwegzunehmen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit großer Befriedigung festgestellt, daß der vom Haushaltsausschuß eingebrachte Entschließungsantrag und der von Herrn Hermsdorf soeben noch ergänzte Bericht in Ziffer 1 eine ausdrückliche Zustimmung zu diesem Programm und nicht etwa eine Zustimmung durch Stillschweigen während der Einspruchsfrist, also durch Zeitablauf, was ja auch möglich wäre, formuliert hat. Wir danken für diese ausdrückliche Zustimmung. Ich bin davon überzeugt, daß gerade diese expressis verbis gegebene Zustimmung vor allem die Effizienz und die Ausstrahlungskraft dieses Programms in die Wirtschaft hinein verstärken wird. Mit dieser ausdrücklichen Zustimmung ist erneut festgestellt: die Wirtschaft weiß, daß der Deutsche Bundestag hinter ihr steht.
Die Bundesregierung wird der Aufforderung, das Programm „zügig und, soweit es die Projekte erfordern, zeitlich elastisch" abzuwickeln, mit allen Kräften nachkommen. Wir sind wie der Bundestag davon überzeugt, daß die in diesem Programm enthaltene Kooperation von Bund, Ländern und Gemeinden - da folge ich auch dem Herrn Kollegen Stein; das, was jetzt als Folge gewünscht wird, ist tatsächlich notwendig - die private Investitionstätigkeit anregen und bald zu einem nachhaltigen Aufschwung führen wird.
Was die Kooperation betrifft, so muß ich noch besonders darauf hinweisen, daß der wirtschaftspolitische Gleichklang zwischen Frankfurt und Bonn nun erneut bestätigt worden ist. Die gestrige Entscheidung der Deutschen Bundesbank, des Zentralbankrats, über eine erneute Senkung der Mindestreserven in einer Größenordnung von 900 Millionen DM wird die vorhandenen zarten konjunkturellen Antriebskräfte stärken. Wir danken für diesen zeitlich und sachlich vorbildlichen „konzertierten Akt" der Deutschen Bundesbank.
({0})
Die unter Ziffer 2 und Ziffer 3 der Entschließung ausgesprochenen Wünsche des Haushaltsausschusses wird die Bundesregierung selbstverständlich erfüllen.
Den unter Ziffer 4 gewünschten Bericht über die regionalen und sektoralen strukturpolitischen Ergebnisse dieses Programms werden wir um so bereitwilliger geben, als wir selbst in den Vorschlägen der Bundesregierung schon eine besondere strukturpolitische Komponente in das Programm hineingebracht haben. Als Rahmen für diesen Bericht ergibt sich vielleicht der nach § 2 des Stabilitätsgesetzes vorgeschriebene Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung.
Nun ein Wort zu den Ziffern 5 und 6. Die Bundesregierung wird mit großem Ernst das dort niedergelegte Ersuchen auf Vorlage eines strukturpolitischen Programms aufgreifen. Wenn wir dieses Programm eines Tages vorlegen werden, so hoffe ich sehr, daß es dann nicht wieder heißt: noch ein neues Programm, wieder einmal ein Programm! Ich bitte das Hohe Haus, auch das zu beachten.
Die strukturellen Probleme sind ein wesentlicher Bestandteil unserer kurz-, mittel- und längerfristigen Politik. Aber die Lösung der wichtigen Strukturfragen wird um so leichter sein, je schneller es gelingt, den konjunkturellen Aufschwung zu erreichen. Unter dem Wort „Strukturpolitik" kann man vielerlei verstehen. Ich glaube, wir sind uns über folgendes einig: Strukturpolitik muß immer mit dem Blick nach vorn betrieben werden. Eine Konservierung bisheriger Strukturen oder auch eine Nivellierung aller Unterschiede in unserer Volkswirtschaft - alles das wäre in der modernen Welt und in der modernen Gesellschaft nicht nur unmöglich, alles das würde uns auch in eine Gedankenwelt zurückführen, die historisch vor der modernen Industriewirtschaft lag. Es muß auch in Zukunft in der Wirtschaft wie in der Politik die Konkurrenz von Neu gegen Alt geben.
({1})
Wachstumsindustrien werden auch in Zukunft einander ablösen. Gute Strukturpolitik soll diesen Wandel von einer Fortschrittsindustrie zur anderen fördern und sozial ausgleichen, sozial erträglich machen. Marktwirtschaftliche Dynamik auf der Grundlage der arbeitsteiligen Industriewirtschaft und auch die natürlichen und die landsmannschaftlich bedingten Unterschiede dürfen nicht durch ein falsches oder übertriebenes Paritätsdenken unter dem Rubrum „Strukturpolitik" ausgelöscht werden.
Man könnte es auch so sagen: Wir dürfen nicht etwa - und ich glaube, keiner in diesem Hause will das - die Wachstumsraten der chemischen Industrie zum Maßstab aller anderen Industrien machen oder die Wachstumsraten der chemischen Industrie auf die Wachstumsraten anderer Industrien herunterbringen. Auch in Zukunft wird es eine Art Arbeitsteilung - landsmannschaftlich geprägt - geben. Die besonderen Fazilitäten und Fähigkeiten der Schwaben sollen doch auch in Zukunft durch die Fazilitäten und Fähigkeiten der Menschen aus der norddeutschen Tiefebene ergänzt werden. Kurz und gut, es soll doch auch in Zukunft Differenzen, verschiedene Entwicklungen, natürliche Arbeitsteilungen und Wandlungen geben. Im übrigen glaube ich, eine Egalisierung der Entwicklung wäre ein Rückschritt. Sie würde auch Unruhe bedeuten. Kernphysiker, Programmierer und Fliesenleger würden sich mit Recht beklagen, wenn die Entwicklung ihrer Einkommen und ihrer Branchen sozusagen in einem lähmenden Paritätsdenken auf das Tempo oder auf das Niveau anderer Branchen heruntergebracht würde.
Im übrigen muß das strukturpolitische Programm den Anforderungen einer Wirtschaft Rechnung tragen, die immer mehr in die europäischen und die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge hineinwächst. Kurzum, das strukturpolitische Programm muß von den Grundsätzen der wirtschaftlichen und sozialen Mobilität und Dynamik sowie des sozialen Ausgleichs geprägt sein.
Dem in Ziffer 7 ausgedrückten Wunsch haushaltspolitischer Art, über den Herr Windelen ausführlich gesprochen hat - dem Wunsch, genau genommen, nach Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit auch in einem Konjunkturprogramm -, stimmen wir vollinhaltlich zu. Dieses Konjunkturprogramm, Herr Windelen, soll kein Verschiebebahnhof für Kürzungsgeschädigte sein. Dieses Konjunkturprogramm soll auch keine Herberge für Ladenhüter sein. Darin sind wir einig.
({2})
Die Bundesregierung schließt sich auch gern der Feststellung der Ziffer 8 an und würdigt erneut die Anstrengungen der Länder, mit ihren komplementären Maßnahmen nicht zurückzustehen. Das alles ist ein ermutigendes Zeichen auch in längerfristiger Hinsicht.
Vorgestern ist in einem Landtag wiederum ein Investitionshaushalt komplementär zu den Maßnahmen des Bundes beschlossen worden, und der Regierungschef in jenem Bundesland hat folgendes gesagt:
Über den unmittelbaren Anlaß hinaus dürfte, so hoffe ich, die hier praktizierte Zusammenarbeit von Bund und Ländern für unseren jungen Staat von größter Bedeutung sein.
Soweit das Zitat des Regierungschefs eines Bundeslandes. Ich glaube, das läßt uns hoffen für die kommenden grundsätzlichen Unterhaltungen über die Fragen der Finanzverfassungsreform, die ja hier aus einem besonderen Anlaß ganz praktisch einmal vorexerziert werden.
Im übrigen, meine Damen und Herren, sprechen alle Zeichen dafür, daß der Grundsatz der antizyklischen Haushaltspolitik jetzt Allgemeingut geworden ist. Alle, Bund, Länder und Gemeinden, haben sozusagen einen vollen Zyklus bewußt und unter Schmerzen miterlebt. Sie haben allesamt die Sünde der Überhitzung mitgemacht und miterlebt. Sie haben die nach meiner Ansicht zu harte Buße der Restriktion und der Flaute erleiden müssen, und sie ergreifen jetzt alle - Bund, Länder und Gemeinden - zusammen die Chance eines gemeinsamen Programms für den Aufschwung. Ich bin fest davon überzeugt, das bewußte Erlebnis und die Erfahrung eines in beiden Richtungen übersteigerten Zyklus, in der Überhitzung wie in der Flaute, werden Bund, Länder und Gemeinden im kommenden Aufschwung nicht vergessen. Das heißt, sie werden gemeinsam alles tun, damit die Erfordernisse des Stabilitätsgesetzes gerade im Aufschwung erfüllt werden.
Ein Wort noch nach außen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten Wochen ist über die deutsche Volkswirtschaft, über die mangelnde Gesamtnachfrage in diesem Lande, über die zu geringen Einfuhren dieses Landes, draußen, bei unseren Nachbarn, viel geklagt worden. Ich möchte sagen, mit der Zustimmung zu diesem Konjunkturprogramm haben Sie alle den Beweis erbracht, daß sich Deutschland verantwortungsbewußt gegenüber der übrigen Welt verhält. Wir wollen gerade nicht, daß unsere Rezession die zahlungsbilanzpolitischen Schwierigkeiten anderer Länder und anderer Partner vergrößert. Jüngst wurde ,das besonders deutlich, prononciert und sehr aggressiv von einer Zeitschrift jenseits des Kanals dargestellt und unser Verhalten kritisiert. Es war der alte Ruf, der dort neu formuliert wurde: Die Deutschen sind Störenfriede. Und dann als Aufforderung: The Germans to the front! Das war gemeint. Jetzt glaube ich, meine Damen und Herren, mit der heutigen Entschließung dieses Hohen Hauses geben wir auch dem „Spectator" eine Antwort, die lautet: Die Deutschen sind an die Konjunkturfront gegangen.
({3})
Zum Abschluß noch ein Wort über unsere Politik. Ich sage ganz offen, und ich bitte, das mit allem Freimut auf allen Seiten des Hauses so zu nehmen: Unsere Politik und auch unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik steht, wie das in einem demokratischen Gemeinwesen selbstverständlich sein sollte, auf den Schultern ihrer Vorgänger. Das sage ich mit allem Ernst. Das heißt, diese neue Politik dieser neuen Bundesregierung hat nicht auf der grünen Wiese angefangen.
({4})
- Auch nicht, wie mein Kollege Strauß vorgestern gesagt hat, sozusagen in einer Stunde Null, was ja alles beinhaltet. Aber ich möchte hinzufügen: Wir sind da auch nicht stehengeblieben, sondern mit der Annahme dieses Entschließungsantrags bekennt sich der Deutsche Bundestag zu einer rationalen, den heutigen und künftigen ökonomischen
und gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechenden modernen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Mein Damen und Herren, wir sind nicht so vermessen, die Zukunft in allen Einzelheiten zu planen. Aber wir sind auch nicht so bequem, zu sagen: Das wird sich nun alles von selbst erledigen und einpendeln. Wir haben uns alle in diesem Hause bemüht, wesentliche Weichen für die kommende Entwicklung zu stellen und wesentliche Daten auch neu zu setzen. Wir haben dabei versucht, die beiden Grundsätze, den des sozialen Fortschritts oder der sozialen Gerechtigkeit und den Grundsatz der marktwirtschaftlichen Freiheit, zu verbinden und ihnen beiden einen neuen Weg zu bahnen in die Zukunft.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die Resolution des Haushaltsausschusses annehmen, kann ich abschließend nur sagen allen in den Ämtern, allen in den Büros der Fabriken, allen in den Labors und vor allem den Menschen in den Werkstätten in Industrie und Handel: Auf, ans Werk! Es ist alles vorbereitet, das Werk kann beginnen!
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im interfraktionellen Einvernehmen erfolgt eine Berichtigung zum Entschließungsantrag des Haushaltsausschusses Drucksache V/2105, die Ihnen vorliegt. Die Ziffer 9 muß heißen:
Der Bundestag begrüßt die vorgesehenen Umstellungs- und Rationalsierungshilfen für Unternehmen in Strukturgebieten, an denen der Bund maßgeblich beteiligt ist. Er erwartet, daß die vorgesehenen Mittel in diesen Unternehmen nach unternehmerischen Gesichtspunkten im Rahmen einer zukunftweisenden und den Erfordernissen des Marktes entsprechenden Konzeption verwendet werden.
Ich bitte Sie, der Entschließung in der veränderten Form zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Herrn Berichterstatters gehört. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Anzahl Gegenstimmen ist dieser Antrag angenommen.
Dann rufe ich den Punkt 3 c auf - ({0})
- Zur Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident, ich glaube, Sie müßten über den Antrag des Ausschusses abstimmen lassen und nicht über den Änderungsantrag.
Es ist ja soeben abgestimmt worden. Denn der Antrag des Ausschusses umfaßt auch die Entschließung auf Drucksache V/2105. Ich verstehe es also so, meine Damen und Herren, daß wir über den Antrag des Ausschusses, der die Entschließung unter III umfaßt, soeben abgestimmt haben. Besteht darüber Einverständnis?
({0})
Damit ist die Drucksache V/2105 erledigt, positiv beschieden.
Wir kommen zu Punkt 3 c der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergegesetzes ({1})
- Drucksache V/2086 Mündlicher Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksache V/2107 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Pohle ({3})
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Bitte sehr! Als Berichterstatter Herr Abgeordneter Dr. Pohle.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den Mündlichen Bericht über die Ergebnisse der Beratung des Finanzausschusses zu Drucksache V/2086 zu erstatten.
Die Debatte, die wir an dieser Stelle in erster Lesung über die Änderung des Mehrwertsteuergesetzes geführt haben, ist gestern im Finanzausschuß ungemein intensiv weitergeführt worden. Auch im Ausschuß standen im Brennpunkt der Diskussion einmal die Frage, welche Methode einer zusätzlichen Entlastung der Altvorräte am besten der erklärten Zielsetzung der Bundesregierung entspräche, und zum anderen die geforderte Erhöhung des Umsatzsteuersatzes.
Es wird Sie kaum verwundern, meine Damen und Herren, daß das Unbehagen ob der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Gesetzesänderungen gerade bei denjenigen sehr ausgeprägt ist, die sich jahrelang mit der Umsatzsteuerreform befaßt und die nun zu ändernden Bestimmungen sehr eingehend - auch unter Einschaltung der Betroffenen; Sie erinnern sich an die vom Ausschuß im Sommer vorigen Jahres, veranstalteten Hearings - geprüft haben. Daß das neue Umsatzsteuergesetz in wesentlichsten Punkten, die noch bei der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuß und im Plenum als unantastbare Grundpfeiler gegolten hatten - so der 10%ige Steuersatz -, abgeändert werden müßte, noch ehe es in Kraft getreten war und sich hatte erproben können, ist für „die Väter" der Umsatzsteuerreform ein harter Schlag. Manch einer fühlt sich nun in der Lage eines Menschen, der sozusagen sein Wort für eine Sache gegeben hat und es nicht halten kann.
Die Mitglieder des Finanzausschusses sahen sich konfrontiert mit der Tatsache, daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer mittelfristigen Finanzplanung und ihrer verschiedenen konjunkturfördernden Maßnahmen in ihre Absichtserklärung eine zusätzliche Entlastung der Altvorräte und eine Steuersatzerhöhung aufgenommen hatte. Meine Damen und Herren, sollte nicht das Vertrauen der Wirtschaft in Erklärungen der Bundesregierung erschüttert werden, mußte der Ausschuß grundsätzlich den Vorschlägen der Bundesregierung entsprechen, zumal nicht zu bestreiten war, daß weite Teile der Wirtschaft wohl auf Grund dieser Erklärung der Bundesregierung die wirtschaftlichen Entwicklungschancen wieder günstiger beurteilten und größere Aktivität an den Tag legten.
({0})
- Ich spreche jetzt als Berichterstatter, Herr Schulhoff. Anschließend darf ich mir noch einige Worte als Abgeordneter gestatten. Aber ich bitte vorläufig, das als Mündlichen Bericht des Ausschusses anzusehen.
Schließlich wäre es dem Ausschuß auch nicht möglich gewesen, im Rahmen dieser einwöchigen Sondersitzung des Bundestages eine Gegenkonzeption zu entwickeln, die bei Verzicht auf die Steuersatzerhöhung zu einer anderweitigen Deckung der nach der mittelfristigen Finanzplanung zu erwartenden Haushaltsdefizite geführt hätte; immerhin handelt es sich für 1969 um einen Betrag von 2,4 Milliarden DM, für den Ersatz hätte geschaffen werden müssen.
Unter diesen Umständen sah die Mehrheit des Ausschusses keine andere Möglichkeit, als der Erhöhung des Steuersatzes auf 11% zuzustimmen.
Wenn darüber auch nicht abgestimmt worden ist, so glaube ich doch sagen zu können, daß der Ausschuß sehr froh gewesen wäre, wenn wenigstens für das Einführungsjahr der neuen Steuer der Satz von 10 °/o hätte erhalten werden können, nicht nur, weil sich der Ausschuß vielen Betroffenen gegenüber im Wort fühlte, sondern in erster Linie, weil ein Satz von 10% sehr viel weniger Umstellungsschwierigkeiten verursacht hätte, als nun zu erwarten sind, nachdem sich die Wirtschaft darauf einrichten muß, mitten im Jahr ihre Kalkulation und ihre Preise erneut zu ändern. Niemand vermag vorauszusehen, wie sich dieser Wechsel während eines Jahres auf das Preisniveau auswirken wird.
Aber auch in diesem Punkte vermochte der Ausschuß nicht, einen fiskalisch tragbaren Gegenvorschlag zu machen. Die aus konjunkturpolitischen Erwägungen und mit Rücksicht auf die Absichtserklärung der Bundesregierung erforderliche zusätzliche Umsatzsteuerentlastung der Altvorräte, die ein Volumen von etwa 700 Millionen DM haben soll, sowie die für das Jahr 1968 noch bestehende Dekkungslücke im allgemeinen Haushalt ließen es der Mehrheit des Ausschusses unausweichlich erscheinen, die Steuersatzerhöhung zum 1. Juli 1968 in Kraft zu setzen. Sie soll für 1968 1,1 Milliarden DM hereinbringen.
Auf das intensivste hat sich der Finanzausschuß, wie ich bereits sagte, mit der Frage der zusätzlichen Entlastung der Altvorräte beschäftigt. Wie Sie wissen, ist die Ausfuhrvergütung der im Mehrwertsteuergesetz vorgesehene Maßstab für die Entlastung. Dieser Maßstab muß zu Ungleichmäßigkeiten führen, weil das Verhältnis der Ausfuhrvergütung zur tatsächlichen Belastung mit inländischer Umsatzsteuer aus historischen Gründen bei den einzelnen Waren sehr unterschiedlich ist. Eine Kombination von Ausfuhrvergütung und Ausfuhrhändlervergütung als Entlastungsmaßstab, wie sie von den Freien Demokraten beantragt worden war, hätte dieses Problem auch nicht völlig lösen können. Sie scheiterte, abgesehen davon, daß sie ein kompliziertes Verfahren bedingt hätte, auch daran, daß sie einen stärkeren Steuerausfall verursacht hätte.
Es verbleibt demnach bei dem im Gesetz bereits vorhandenen Entlastungsverfahren, wobei die gröbsten Härten dadurch ausgeglichen werden sollen, daß ein allgemeiner Mindestentlastungssatz von 1 % vorgeschlagen wird. Dieser Mindestsatz wird z. B. Zellstoff- und Faserholz zugute kommen. Dieser Satz soll auch immer dann gewährt werden, wenn ein Unternehmer ein Erzeugnis nicht tarifiert. Nach dem ursprünglichen Gesetz wäre eine solche Vorratsware von jeglicher Entlastung ausgeschlossen gewesen. Eine Anregung des Bundesrates aufgreifend, hat der Ausschuß weiter beschlossen, für Steinkohle und Koks einen Sondersatz von 2 % in das Gesetz aufzunehmen. Diese Beschlüsse des Ausschusses werden kaum alle zu erwartenden Härtefälle befriedigend regeln. Ob und inwieweit im Verwaltungswege Härteregelungen für Einzelfälle getroffen werden können, mußte allerdings offen bleiben.
Im übrigen hat der Ausschuß auch eine Maximalbegrenzung für die Ausfuhrvergütungssätze vorgesehen. Abgesehen von Seeschiffen soll für kein Erzeugnis ein höherer Ausfuhrvergütungssatz als 4 % angewendet werden können.
Die Bundesregierung hatte bekanntlich vorgeschlagen, die zusätzliche Vorratsentlastung davon abhängig zu machen, daß das Vorratsvermögen am 31. Dezember 1967 mindestens den Stand vom 31. Dezember 1966 erreicht. Die Bedenken, die gegen diese Bindung an einen in sehr vielen Fällen recht zufälligen und betriebswirtschaftlich keineswegs immer „vernünftigen" Lagerbestand am 31. Dezember des vergangenen Jahres vorgebracht worden sind, brauche ich hier nicht im einzelnen zu wiederholen. Ich will nur daran erinnern, daß sie diejenigen, die unter dem Konjunkturrückgang ohnehin leiden, zusätzlich treffen würde und daß sie am stärksten diejenigen begünstigen würde, die von der Rezession am wenigsten betroffen sind. Diese Überlegungen haben ja auch den Bundesrat zu dem Vorschlag veranlaßt, den Bestandsvergleich aufzugeben und ganz allgemein die nicht be- oder verarbeiteten Altvorräte um 200 % - statt wie bisher um 150 % - der Ausfuhrvergütung zu entlasten.
Wenn auch die Regierungsvertreter im Ausschuß Bedenken gegen eine solche „gießkannenartige" Entlastungsmethode vorbrachten und aus
Deutscher Bundestag 5. Wahlperiode Dr. Pohle
konjunkturpolitischen Gründen zur Beibehaltung eines Bestandsvergleichs rieten, lehnte die Mehrheit des Ausschusses doch den Regierungsvorschlag sowie einen von der sozialdemokratischen Fraktion beantragten modifizierten Bestandsvergleich ab. Mit Mehrheit wurde sodann der Vorschlag des Bundesrates angenommen, der für Wirtschaft und Verwaltung zweifellos weniger kompliziert als ein Bestandsvergleich ist und von dem sich die Ausschußmehrheit auch einen die Konjunktur fördernden weiteren Lageraufbau während der letzten Monate dieses Jahres verspricht.
Die Beschlüsse des Ausschusses zur Entlastung der Altvorräte werden nach Schätzung der Regierungsvertreter einen Steuerausfall von etwa 670 Millionen DM verursachen.
Der mitberatende Haushaltsausschuß hat den Beschlüssen des Finanzausschusses zugestimmt.
Nun noch zur Erläuterung der übrigen vom Finanzausschuß beschlossenen Änderungen des Mehrwertsteuergesetzes. Generell kann gesagt werden, daß sie nicht von grundlegender Bedeutung sind, sondern daß sie im wesentlichen eine Rechtslage herstellen, die der Finanzausschuß bereits bei früherer Gelegenheit beschlossen hätte, wenn ihm die Problematik bekannt gewesen wäre.
Dies gilt für die mit Mehrheit beschlossene Eliminierung der Verbrauchsteuern aus der Bemessungsgrundlage für die Entlastung der Altvorräte, soweit diese Verbrauchsteuern nicht mit Umsatzsteuer belastet sind. Diese Korrektur ist nicht nur logisch, sondern kann bei Erzeugnissen, bei denen die Verbrauchsteuer einen hohen Anteil am Verkaufspreis einer Ware hat und bei denen der Erzeuger seine Vorratshaltung manipulieren kann, wirtschaftlich von erheblicher wettbewerbsentzerrender Bedeutung sein.
Dies gilt weiter für die einstimmig beschlossene Änderung der §§ 3 und 21, die der Wirtschaft und der Verwaltung beim Freihafen-Veredelungsverkehr gegenüber dem ursprünglichen Gesetz eine wesentliche Arbeitsentlastung bei fiskalisch völlig gleichem Effekt bringen werden, und für die Ermächtigung zur Erhöhung der Wertgrenze für die Abgabenfreiheit von Mitbringseln im Reiseverkehr.
Und dies gilt schließlich für die Erweiterung des Befreiungskatalogs des § 8 zugunsten der Lieferung von Schiffsausrüstungen. Der Ausschuß folgte hier mit Mehrheit einem Vorschlag der Küstenländer, der durch die Freistellung dieser Lieferungen eine Existenzgefährdung der nicht in Freihäfen ansässigen, mit ausländischen und mit Freihafen-Betrieben konkurrierenden Schiffsausrüster beseitigen will. Das Steueraufkommen wird hiervon nicht berührt. Die Befreiung führt jedoch zu einer Arbeitsentlastung, da sie die Erstattung der Vorsteuern in Wegfall kommen läßt.
Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit dieses Berichts nicht vorübergehen lassen, ohne ein Wort zu einer Frage gesagt zu haben, die zwar nicht unmittelbarer Beratungsgegenstand war, die uns aber immer wieder begegnet. Es handelt sich
um die außenwirtschaftlichen Folgen der Einführung der Mehrwertsteuer. Man kann - insbesondere im Ausland - immer wieder die Ansicht hören, die Mehrwertsteuer habe einen Abwertungseffekt und verschaffe der deutschen Exportindustrie einen unangemessenen Wettbewerbsvorteil. Im Ausschuß ist auch bei den gestrigen Beratungen wieder darauf hingewiesen worden, daß die Nichtentlastung der Altinvestitionen, die zunächst noch .für Jahre bestehende Investitionsbesteuerung und die neben der Umsatzsteuer erhobenen, aber beim Export nicht erstattungsfähigen Steuern - wie z. B. die Gewerbesteuer - immer noch eine Benachteiligung der deutschen Wirtschaft im internationalen Wettbewerb mit sich bringen, daß also keinesfalls von einer unangemessenen Exportförderung durch Einführung der Mehrwertsteuer die Rede sein kann.
Ähnliches gilt für die gelegentlich aufgestellte Behauptung, die Systemumstellung werde den Import erschweren. Die importierten Waren sind von der Nichtentlastung der Altinvestitionen, den Wirkungen der Investitionsteuer usw. nicht betroffen, so daß sie, jedenfalls für eine ganze Reihe von Jahren, immer noch gewisse Wettbewerbsvorteile gegenüber bestimmten Inlandswaren - z. B. auf dem Stahlsektor - haben können.
Ich möchte Sie bitten, den Gesetzentwurf trotz all der Bedenken, die gegen ihn bestehen mögen, in der vom Finanzausschuß vorgeschlagenen Fassung zuzustimmen.
Soweit der Bericht.
Herr Präsident, ich bitte um die Genehmigung, einige Worte als Abgeordneter hinzuzufügen.
Einen Augenblick! Dazu muß ich erst einmal die Beratung eröffnen.
({0})
Ich muß das tun, ich muß auch erst einmal den Änderungsantrag aufrufen. Es würde zwar das Geschäft vereinfachen, wenn Sie jetzt auch gleich Ihre persönliche Meinung vortragen würden. Aber das ist mir jetzt zu riskant. Das ist eine zu heikle Angelegenheit.
Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, meine Damen und Herren, daß Änderungsanträge vorliegen. Der Präsident des Hauses enthält sich natürlich jeglicher Tendenz bei dieser Bemerkung. Er macht nur das Haus, weil es Freitag mittag ist, darauf aufmerksam, daß, wenn dieser zweiten sogleich die dritte Beratung folgen soll, falls in dieser zweiten Beratung Änderungen des Gesetzentwurfs beschlossen werden, der § 93 der Geschäftsordnung ziehen kann, wonach die dritte Beratung nur dann unmittelbar erfolgen könnte, also heute noch erledigt werden könnte, wenn nicht zehn anwesende Mitglieder widersprechen. Es ist nur fair, daß man die Gefechtslage klar sieht und die Möglichkeiten der Geschäftsordnung jedem Mitglied des Hauses im Bewußtsein sind.
Nun also zweite Lesung. Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Ich rufe in der zweiten Lesung den Art. 1 auf. Hier liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 283 *) vor. Zur Begründung dieses Änderungsantrags hat die Frau Abgeordnete Funcke das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Um Mißverständnisse gleich von Anfang an auszuschließen, möchte ich betonen, daß bei Annahme unseres Änderungsantrags die FDP keine Fristeinrede geltend machen wird.
({0})
- Ja, das kommt auf den Inhalt an. Im allgemeinen dürfen Sie überzeugt sein, daß wir nicht mit kleinkarierten Geschäftsordnungsanträgen Politik zu machen versuchen.
({1})
Meine Herren und Damen, dieses Haus hat am 26. April einstimmig das Mehrwertsteuergesetz beschlossen, und zwar mit einem Steuersatz von 10 %. Wir wußten damals alle, um welche schwerwiegende, folgenschwere und auch für die Finanzen unseres Landes nicht unwichtige Entscheidung es sich handelte. Wir wußten, daß es sich um eine Systemänderung nach 50 Jahren von fundamentaler Bedeutung handelte.
Eine entscheidende Voraussetzung und eine entscheidende Zusicherung an alle Beteiligten war, daß mit dieser Systemänderung kein fiskalischer Nebenzweck verbunden sei. Das Aufkommen der neuen Steuer, der Mehrwertsteuer, sollte genauso groß sein wie das Aufkommen aus der bisherigen Umsatzsteuer; der Verbraucher sollte nicht stärker belastet werden. Das haben die Sprecher aller Parteien ausdrücklich im Namen ihrer Fraktionen bei der zweiten und dritten Lesung des Mehrwertsteuergesetzes im April dieses Jahres unterstrichen.
Ich darf zitieren. Herr Pohle:
Eine Erhöhung der Verbraucherbelastung über die vorgesehenen Steuersätze hinaus halten wir nicht für vertretbar.
Frau Abgeordnete Kurlbaum-Beyer:
Für die SPD-Fraktion war es oberster Grundsatz, vor allem den Prozentsatz von 10 % zu erhalten, um damit Preiserhöhungen im Durchschnitt zu unterbinden.
({2}) Und Herr Finanzminister Strauß:
Dieses Gesetz ist kein Gesetz zur Schließung von Deckungslücken unter dem Vorwand einer steuerlichen Reform. Diese Reform würde ihren Sinn verlieren, wenn wir anders handelten.
*) Siehe Anlage 2
Meine Herren und Damen, das war im April dieses Jahres. Noch keine neun Wochen später aber beschließt die Regierung einstimmig, d. h. mit der Stimme von Herrn Dr. Strauß, die Erhöhung des Steuersatzes auf erst einmal 10 1/2 % und dann auf 11 %, und zwar ausdrücklich zur Schließung von Haushaltslücken. Damit, Herr Minister Strauß, hätte j a wohl die Mehrwertsteuer ihren Sinn verloren.
Sie haben uns erklärt, Herr Minister Strauß, daß der Grund für diese Gesinnungsänderung in der mittelfristigen Finanzplanung liege. Nun, meine Herren und Damen, wollen wir uns doch einmal fragen, was denn eigentlich das epochal Neue an dieser mittelfristigen Finanzplanung ist. Seit im Juli dieses Jahres in einem dreitägigen Kraftakt dieses angeblich „nicht verbindliche" Zahlenwerk in der Vorausschau künftiger Ausgaben und Einnahmen von der Regierung zur Welt gebracht wurde, seitdem das als einzig, einmalig und beispiellos gefeiert wird - bis hin zu der Vermutung des Herrn Wirtschaftsministers, wir zweifelnden FDP-Mitglieder würden dereinst beschämt vor unseren Enkeln stehen, weil wir bei diesem epochalen Ereignis nicht applaudieren halfen -, seit dieser Zeit fragen wir uns ernstlich: was ist denn eigentlich so umwerfend neu und vor allen Dingen so unvorhersehbar bei dieser mittelfristigen Finanzplanung, daß man dafür seine Grundsätze opfern und seine Zusagen über Bord werfen muß?
Herr Minister Strauß, Sie waren im April, als die feste Zusage auf 10 % Steuer gemacht wurde, bereits über vier Monate im Amt, also einen Monat länger, als man jedem Neuanfänger mit hundert Tagen Einarbeitungszeit zubilligt. Im Ministerium lagen die Zahlen über die künftigen Ausgaben auf Grund der beschlossenen Gesetze seit langem vor. Es gab Warnungen Ihres Amtsvorgängers wegen der Entwicklung der Ausgaben, die dieser bereits vor zwei Jahren ausgesprochen hatte. Sie gelten überdies als ein Mann von schneller Auffassungsgabe. Und schließlich hat Ihre Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, seit 18 Jahren ununterbrochen mit absoluter Mehrheit im Kabinett und mitunter mit absoluter Mehrheit in diesem Hause, die Staatsfinanzen entscheidend zu verantworten. Ich glaube, das muß man gelegentlich hier sagen, weil viele von Ihnen das vergessen haben.
({3})
Sie könen doch nun wahrlich die Öffentlichkeit nicht glauben machen, das Problem des Haushaltsausgleichs in einer Rezession sei Ihnen erst im Mai oder Juni dieses Jahres zum Bewußtsein gekommen. Das ist um so weniger möglich, als ein halbes Jahr früher eine Regierung gerade wegen der Frage der Steuererhöhungen auseinandergegangen war.
Aber auch Sie, meine Herren und Damen von der SPD, sollten nicht so tun, als wäre die mittelfristige Finanzplanung und damit die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes wie ein unerwartetes und unabwendbares Sommergewitter über Sie herniedergegangen. Sie sind seit Beginn der Bundesrepublik in diesem Hause zahlreich vertreten. Sie stellen seit dieser Zeit den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses. Sie hatten und haben alle Rechte und GelegenFrau Funcke
heiten, im Plenum, in den Ausschüssen die Regierung nach den finanziellen Auswirkungen der Gesetze zu fragen. Sie müßten noch beweisen, daß man Ihnen Auskünfte schuldig geblieben ist, die zur Beurteilung der finanziellen Lage notwendig gewesen wären. Nein, meine Herren und Damen von der SPD, Sie können nun wirklich nicht ernsthaft der Öffentlichkeit weismachen wollen, daß Sie im Zustand finanzpolitischer Unschuld und Unwissenheit in diese Regierung eingetreten sind.
({4})
Im Gegenteil, Ihr Anteil an blockierenden Dauerausgabenbeschlüssen dürfte sehr bemerkenswert sein.
Nun wollen Sie alle nichts mehr davon wissen, was Sie im April beschworen haben. Dabei ist seit Ende April wahrlich nichts Neues in den Finanzen des Bundes passiert. Das einzig Neue, was passiert ist, ist möglicherweise der Verlust Ihrer Illusion, daß die Herren Strauß und Schiller wie afrikanische Medizinmänner in kürzester Zeit die Konjunktur herbeizaubern könnten,
({5})
und das noch mit falschen Methoden und Mitteln, z. B. mit der Methode, gleichzeitig auf die Bremse und auf den Gashebel zu treten.
Vielleicht darf man zugunsten aller Beteiligten annehmen, jede Fraktion und jeder Minister habe für sich allein nicht nur die Hoffnung, sondern sogar ein Rezept, wie man den Finanzausgleich ohne Umsatzsteuererhöhung erreichen könne, gehabt. Aber diese Rezepte deckten sich einfach nicht in der Zielsetzung. So hat man sich in dem langen Hin- und Herzerren schließlich auf Kosten des schwächsten Gliedes in unserer Wirtschaft, auf Kosten des Verbrauchers, geeinigt, offensichtlich in der Hoffnung, er werde es schon nicht so sehr merken, auf jeden Fall werde er nicht organisiert protestieren.
Vielleicht, meine Herren und Damen von der CDU, darf ich die Familienpolitiker daran erinnern, daß für eine vielköpfige Familie eine Verteuerung um auch nur ein Prozent bei den unausweichlichen Ausgaben - und es wird vielfach nicht bei der Verteuerung um nur ein Prozent bleiben - im Familienbudget durchaus spürbar zu Buche schlägt!
({6})
Vielleicht darf ich die Wohnungspolitiker unter Ihnen daran erinnern, wie sehr Sie bereits den Prozentsatz von 10 v. H. als untragbar angesehen haben! Nun müssen Sie Ihren Petenten gegenüber 11 % befürworten und verteidigen. Zudem sind wir uns doch klar darüber, daß eine Erhöhung um 1 % im Juli kommenden Jahres vielfach bereits vorweggenommen werden wird; denn welcher Betrieb wird schon in einem Jahr zwei verschiedene Preislisten herausgeben? Man wird halt - auch wenn es nicht ganz berechtigt ist - dieses Prozent bereits vorher in die Preise einkalkulieren.
Sind wir uns - trotz der Versicherung des Herrn Dr. Pohle - alle wirklich darüber klar, was es für die Wirtschaft bedeutet, in einem Jahr hintereinander zweimal die Kalkulation umzustellen, zweimal die Preise neu auszuzeichnen, zweimal die
Buchhaltung umzustellen, zweimal die Buchungsund Fakturierungsmaschinen umzubauen? Sind wir uns darüber klar, daß für Betriebe, die nach dem Ist versteuern, diese Änderung des Satzes nach einem halben Jahr bedeutet, daß sie über ein ganzes Jahr hinweg eine doppelte Steuerbuchhaltung vornehmen müssen, nämlich bei ihren Einnahmen laufend kontrollieren müssen, ob diese auf Leistungen beruhen, die noch nach altem oder schon nach neuem Steuerrecht bewirkt sind, und dann ab Juli, ob sie mit dem Satz von 10 oder von 11 % versteuert werden müssen?
Ich wünsche jedem, diese Dinge in der Praxis einmal durchführen zu müssen, damit er begreift, welche unerträgliche Last mit einer solch kurzfristigen Änderung des Steuersatzes der Wirtschaft, vor allem auch den kleinen und mittleren Betrieben, die nicht über viele Hilfskräfte verfügen, aufgebürdet wird.
Und sind Sie sich im klaren darüber, was es für die lohnintensiven Betriebe und für die Dienstleistungsbetriebe bedeutet, daß die Kostenverteuerung nun noch verschärft wird? Für viele Betriebe dieses Bereichs bedeutet die Umstellung auf die Mehrwertsteuer ein erhebliches Anziehen der Preise. Wenn Sie auch sagen, das trage der Verbraucher - nun, es gibt genügend Bereiche, in denen eine Überteuerung zu einem Ausweichen und damit zu einer Rezession führt, zu einem Ausweichen auf die Schwarzarbeit, einem Ausweichen auf Surrogate, im Beherbergungswesen einem Ausweichen auf den Urlaub im Ausland.
Das trifft unsere Wirtschaft in einem Augenblick, in dem wir ihr gerade helfen wollen, die Rezession zu überwinden. Sie verschärfen damit den Konflikt, der in diesem Hause ja bei der Frage um die Besteuerung der Gaststätten in ihrer Konkurrenz zum Lebensmittelhandel entstanden ist; Sie verschärfen die Schwierigkeit bei den Getränken in der Abgrenzung zum landwirtschaftlichen Steuersatz. Alle diese Dinge, um die wir in der Sache vor wenigen Monaten hier doch wirklich hart gerungen haben, werden durch die Erhöhung des Steuersatzes und damit durch die Erhöhung der Differenz zwischen vollem und ermäßigtem Satz noch verschärft.
Meine Herren und Damen, Sie nehmen uns mit einer solchen Entscheidung auch den Spielraum für die Finanzreform. Es ist wirklich sehr bedauerlich, daß uns die Regierung die Finanzreform nicht gleichzeitig vorlegt. Dann würde der Zusammenhang sichtbar werden, und wir würden sehen, daß mit einer jetzigen Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes die Manövriermasse, auf die wir doch bei der Finanzreform spekulieren, bereits zum allgemeinen Haushaltsausgleich im voraus weggenommen wird.
Ich hatte noch die Hoffnung gehabt, in diese 11 % sei eingerechnet die Erhöhung, die eines Tages wegen des Abbaus des Stufenplans bei den Investitionen nötig sein wird. Aber nun hat uns Minister Strauß in wünschenswerter Offenheit vorgestern abend erklärt, daß das zusätzlich kommt. Das bedeutet doch, daß wir in der Tat keine oder fast keine Masse mehr zur Verfügung haben, wenn
wir eines Tages auf das europäische Steuerniveau heraufziehen, um gleichzeitig in Angleichung an die europäischen Wettbewerbsverhältnisse die Gewerbesteuer abzuschaffen. Das war doch unsere Hoffnung, und damit rechnen wir doch. Die Gewerbesteuer muß weg. Wenn Sie aber vorher die mögliche Masse für den allgemeinen Haushaltsausgleich verkleckern, werden Sie nur noch wenig oder nichts mehr zur Verfügung haben und damit die deutsche Wirtschaft nicht von einer Steuer entlasten können, die im allgemeinen Wettbewerb schwer auf die deutsche Kostenstruktur drückt.
({7})
Sie fragen: Gut, ihr wollt die Steuererhöhung ablehnen; wie wollt ihr denn das finanzieren, was ihr doch auch wollt, die verbesserte Entlastung der Altvorräte? In der Tat sind wir der Meinung, daß die Altvorräteentlastung verbessert werden müßte. Sie sind ja nun endlich auf unseren Kurs eingeschwenkt, den wir bereits im April dieses Jahres vertreten haben, und wir sind froh darüber. Das kostet in der Tat 700 Millionen DM. Doch diese 700 Millionen DM sind nach unserer Auffassung ein Objekt des Konjunkturprogramms; denn wenn es etwas gibt, was in der ganzen Breite der Wirtschaft konjunkturfördernd wirkt, dann ist es eine hinreichende Entlastung der Altvorräte. Eine solche Entlastung wirkt viel besser, viel breiter, als alle gezielten Maßnahmen wirken können, und hat außerdem den Vorteil, daß sie nicht im Verdacht steht, eine dirigistische Maßnahme zu sein.
({8})
Mit keinem Betrag der 5,3 Milliarden DM, die Sie dort auszugeben bereit sind, können wir eine wirkungsvollere und bessere Konjunkturpolitik treiben als mit der Altvorräteentlastung, dazu noch ohne den Verdacht dirigistischer Nebenabsichten. Wir brauchten also dieserhalb die Steuer nicht zu erhöhen und alle die wirtschaftlichen Nachteile in Kauf zu nehmen, die doch bei einer Beschneidung der Möglichkeiten der Konsumenten auch für die Wirtschaft insgesamt eintreten.
Bezüglich der 400 Millionen DM, die dann noch in diesem Jahr zu finanzieren übrigbleiben, gibt es schon noch eine Fülle von Möglichkeiten, wie man ohne Eingriffe in wichtige Bereiche sparen kann. Es gibt so viele Einzelausgaben, die nicht nötig sind, oder nicht so hoch zu sein brauchen. Wenn wir es nicht wissen, die Bevölkerung ist gern bereit, uns zu helfen. Stellvertretend für einiges darf ich nur etwa an die Überteuerung bei unserem Bundeshausneubau erinnern und manches andere. Vielleicht sollten wir einmal bei der Stadt Wetter an der Ruhr anfragen, wie man so etwas macht. Die Stadt Wetter hat es in gemeinsamer Anstrengung von Rat und Verwaltung sowie Bevölkerung fertiggebracht, die Grundlage für einen Schulneubau aus dem allgemeinen Etat herauszuschneiden, und zwar mit Zustimmung aller Betroffenen; und das ist das Entscheidende. Es gibt eine Menge von Sparmöglichkeiten, bei denen sogar der Betroffene bereit ist, um der größeren Sache willen zuzustimmen. Es gibt also schon Möglichkeiten, auf diese 1,1 Milliarden DM Mehreinnahmen in diesem Jahr ohne Schaden zu verzichten; es ist nicht so zwingend, diesen Betrag zu beschaffen, wie es hier dargestellt worden ist. Wir sind in diesem Hause noch frei für eine andere Entscheidung.
Meine Herren und Damen! Eines sollte noch gesagt werden. Das Gesetz über die Einführung der Mehrwertsteuer ist nicht allein von Regierung und Parlament beraten und verabschiedet worden. Dieses Gesetz hat in einem ungeheuren Maße die positive Mitarbeit der breiten Bevölkerung erfahren. Wir hätten es in dieser durchführbaren Form nicht verabschieden können, wenn wir uns nicht auf eine Fülle von Sachverstand hätten abstützen können, der uns über die organisierten Gruppen der Bevölkerung zugetragen worden ist. Diese Gruppen und Verbände haben noch bei keinem anderen Gesetz in diesem Hause so zahlreich und im letzten so positiv und so bereitwillig mitgewirkt wie gerade bei diesem Gesetz, und zwar auch jene Gruppen, die von diesem Gesetz mehr Nachteile als Vorteile zu erwarten haben.
({9})
Meine Herren und Damen, diese Zusammenarbeit stand während ,der 3 1/2jährigen Beratung auf der unangefochtenen Voraussetzung, daß ,das Mehrwertsteuergesetz eben kein Mittel der Fiskalpolitik sei, sondern eine Reform im System ohne jede finanzielle Nebenabsicht.
({10})
Wenn wir diese Zusicherung jetzt brechen, werden wir mehr verschütten, als mancher von Ihnen in diesem Hause sich im Augenblick klarmacht. Das Vertrauen der Bevölkerung zu Regierung und Parlament ist in unnserer jungen Demokratie noch nicht so fest, daß wir uns leichtfertig einen Bruch von Zusicherungen erlauben könnten. Wir werden in Zukunft diese Bereitschaft nicht mehr finden, wir werden dieses Vertrauen zu Zusicherungen nicht mehr voraussetzen dürfen, wir werden auf sehr viel größere Vorbehalte stoßen, und wir werden vor allen Dingen die Bereitschaft, um der Gemeinsamkeit willen auf Einzelwünsche und -anträge zu verzichten, nicht mehr in der Weise und in dem Ausmaß vorfinden wie erfreulicherweise bei diesem Gesetz, wenn wir jetzt die gegebene Zusicherung brechen.
In der Tat, in der Verfassung steht, daß das Parlament souverän ist. Aber in einer Demokratie gibt es neben der geschriebenen Verfassung auch ungeschriebene Gesetze. Ich meine, wir dürften es uns nicht leisten, solche ungeschriebenen Gesetze, die möglicherweise wirkungsvoller als die geschriebenen sind, um eines augenblicklichen Finanzvorteils willen zu brechen.
({11})
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß zunächst auch der
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Änderungsantrag auf Umdruck 284 *) begründet wird und daß dann über beide - Umdruck 283 und 284 - die Aussprache stattfindet.
Herr Abgeordneter Schmidt ({0}), wünschen Sie den Antrag auf Umdruck 284 zu begründen?
({1})
- Der Änderungsantrag auf Umdruck 284, der soeben verteilt worden ist, ist zurückgezogen worden.
Zur Diskussion steht jetzt der Änderungsantrag auf Umdruck 283, der soeben von der Frau Abgeordneten Funcke begründet worden ist. Wer wünscht dazu das Wort? - Herr Abgeordneter Dr. Pohle!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten, den Antrag abzulehnen. Der Antrag der Freien Demokraten läuft praktisch darauf hinaus, die Steuersätze nicht zu erhöhen, d. h. bei den 10 % stehenzubleiben, aber gleichzeitig eine Entlastung der Altvorräte vorzunehmen. Das, meine Damen und Herren, scheint mir nicht möglich zu sein. Der bloße Hinweis der sehr verehrten Frau Kollegin Funcke, daß die Mittel irgendwo in den Haushalten schon aufzuspüren seien, man könne vielleicht dieses oder jenes machen, scheint mir dafür nicht genügend fundiert zu sein.
({0})
Meine Damen und Herren, ich wiederhole nunmehr auch als Redner meiner Fraktion, daß sich kein Ausschußmitglied die Entscheidung leichtgemacht hat, den Steuersatz von 10 auf 11 % ab 1. Juli 1968 in einem Gesetzgebungswerk - ich wiederhole meine Worte aus dem Bericht - heraufzusetzen, das erst vor kurzem verabschiedet wurde und noch nicht einmal in Kraft getreten ist. Ebenso schwierig war die Gewissensentscheidung in der Frage der weiteren Entlastung der Vorräte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Moersch!
Herr Abgeordneter Pohle, haben Sie meine Kollegin Frau Funcke derartig mißverstanden oder ist Ihnen nicht erinnerlich, daß sie ausdrücklich gesagt hat, daß die Mindereinnahmen wegen der Entlastung der Altvorräte dadurch ausgeglichen werden können, daß Sie das Konjunkturprogramm entsprechend kürzen, weil ja eine Entlastung der Altvorräte konjunkturanheizend wirken würde?
Erstens habe ich das in dieser Deutlichkeit nicht vernommen, Herr Kollege Moersch, und zweitens scheint mir das auch sehr unsubstantiiert zu sein. Hier müssen doch ganz feste und konkrete Vorschläge gemacht werden.
({0})
*) Siehe Anlage 3
Weder der Minderheit, ich wiederhole das auch als Abgeordneter: weder der Minderheit noch der Mehrheit des Ausschusses fiel, wie ich sagte, die eigene Entscheidung leicht, wobei ich übrigens meinen Dank sagen möchte für die konstruktive Mitarbeit, die auch die Freien Demokraten im Ausschuß geleistet haben.
Aber, Frau Funcke, von einer leichtfertigen Entscheidung - das haben Sie in einer Ihrer Schlußpassagen gesagt - wird man nun hier beim besten Willen nicht reden können. Das Mehrwertsteuergesetz ist vom gleichen Ausschuß viele Jahre hindurch beraten und erst im April im Zusammenwirken mit den beiden zuständigen Ministern dieses Kabinetts beschlossen worden. Welche Gründe die Minderheit bewogen haben, gegen die beiden entscheidenden neuralgischen Punkte dieses Gesetzes zu stimmen, ist in den Ausschüssen klar gesagt worden. Ich habe mich vor zwei Tagen in der ersten Lesung dieses Hauses bemüht, die Argumentation der Minderheit zusammenzufassen.
Lassen Sie mich meinen eigenen Standpunkt und den Standpunkt der Mehrheit meiner Fraktion hier noch einmal ganz kurz deutlich machen. Seit der Verabschiedung dieses Gesetzes sind für meine Begriffe verschiedene Umstände eingetreten, die der Mehrheit des Ausschusses und mir selbst die Zustimmung zu der von der Bundesregierung vorgelegten Novelle im Prinzip, d. h. mit den vom Ausschuß vorgenommenen Modifikationen, erleichtert haben:
1. Der wiederholte dringliche Hinweis des Bundeskabinetts auf die labile Konjunkturlage und die Überzeugung des Kabinetts, daß zur Belebung der Konjunktur, insbesondere auch wegen der konjunkturellen Entwicklung seit April 1967, eine höhere Entlastung der Altvorräte als im April vorgesehen dringlich und notwendig sei. Dabei darf ich darauf verweisen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister schon in der ersten Lesung an dieser Stelle auf den Zusammenhang der Entlastung der Altvorräte mit dem nichtkalkulierbaren Preiseffekt der Mehrwertsteuer hingewiesen hat.
2. Die Tatsache, daß inzwischen, nämlich im Mai 1967, das Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum verabschiedet worden ist, das der Regierung im Rahmen des vorgelegten Gesetzgebungswerkes konjunkturelle Maßnahmen verschiedenster Art gestattet. Diese Maßnahmen sind ohne gleichzeitigen Ausgleich des Haushalts nicht möglich, und eines der Kernstücke dieses Haushaltsausgleichs und der mittelfristigen Finanzplanung stellt eben auch die Vorlage des Mehrwertsteuergesetzes dar.
3. Der Umstand, daß inzwischen im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung und im Rahmen der vorausgegangenen Kabinettsberatung andere Dekkungsmöglichkeiten als durch eine Erhöhung der Umsatzsteuer nicht mehr durchsetzbar erschienen und obendrein, vielleicht in einem Gegensatz zu der damaligen Ansicht dieses Parlaments, die Bundesregierung - ich betone: die Bundesregierung - den Satz von 10 % nicht als Axiom bezeichnete.
4. Die Ankündigung der Regierung in der Öffentlichkeit von Anfang Juli über die weitere Entlastung
der Altvorräte hat bereits eine stimulierende und beruhigende Wirkung ausgeübt. Diesen Effekt wieder dadurch zu beseitigen, daß zwei Monate später durch einen abweichenden Beschluß des Parlaments die weitere Entlastung der Altvorräte nicht in dem vorgesehenen Maße durchgeführt wird, würde neue Unsicherheit erzeugen, die den wirtschaftlichen Attentismus nicht beseitigen, sondern fördern würde. Die Verantwortung hierfür konnte von der Mehrheit nicht übernommen werden.
5. Darüber hinaus bedarf es der beschleunigten Verabschiedung, weil die Betriebe einen legitimen Anspruch darauf besitzen, nunmehr endgültig über das Mehrwertsteuergesetz informiert zu werden.
6. Erinnern wir uns daran, was im Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses zur Mehrwertsteuer ausgeführt ist, nämlich: die Entlastung der Altvorräte ist nicht zum wenigsten auch deshalb beschlossen worden, um eine größere Wettbewerbsfähigkeit herbeizuführen und die Gefahr von Preisauftrieben aus der doppelten Besteuerung zu vermeiden. Diesen Zielen dient zweifellos auch die weitere Entlastung. Die Höhe des Satzes aber und die Entlastung der Altvorräte gehören - trotz des Einwurfs des Kollegen Moersch - eng zusammen. Eines ist nun einmal ohne das andere nicht möglich - wie ich in der ersten Lesung bereits dargelegt habe und worauf die Regierung immer wieder hingewiesen hat -, auch wenn die Steuererhöhung nicht nur der Entlastung der Altvorräte, sondern auch der Schließung der Deckungslücken dient.
Dies sind, noch einmal ganz kurz zusammengefaßt, die Gründe, die die Mehrheit des Ausschusses bewogen haben, dem Hohen Hause zu empfehlen, sich der modifizierten Vorlage der Bundesregierung anzuschließen. Damit wollen wir auch zu unserem Teil dazu beitragen, die Bundesregierung in ihrem mühevollen Bestreben voll und ganz zu unterstützen, eine geordnete Finanz- und Wirtschaftssituation zu erhalten.
({1})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Kurlbaum-Beyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da Herr Dr. Pohle ausschließlich für die Fraktion der CDU/CSU gesprochen hat, sehe ich mich verpflichtet, noch einige wenige Bemerkungen ergänzend zu diesen Ausführungen zu machen. Ich möchte den sachlichen Gesichtspunkten, die vor allen Dingen im letzten Teil der Ausführungen von Herrn Dr. Pohle enthalten waren und die darlegten, warum es zu den Mehrheitsentscheidungen der einzelnen Fraktionen und auch des Finanzausschusses gekommen ist, nichts hinzufügen. Sie decken sich mit den Überlegungen, die auch die Mehrheit unserer Fraktion bestimmten, als sie den Empfehlungen der Bundesregierung nachgekommen ist.
Ich möchte nur zwei Bemerkungen machen, und zwar zur FDP. Sie machen hier den Vorschlag, zwar die weitere Entlastung der Altvorräte vorzunehmen, aber die Mittel aus dem Konjunkturprogramm zu nehmen. Das Konjunkturprogramm ist ein Ganzes. Wir haben es verabschiedet. Ihr Vorschlag hätte bedeutet - das ist gestern von den Ministern eindeutig dargelegt worden -, daß die Bundesregierung weitere Kreditmittel hätte in Anspruch nehmen müssen. Diese Kreditmittel aber wurden der Bundesregierung versagt. Infolgedessen mußte sie andere Deckungsmittel suchen. Wir bedauern - das darf ich der Frau Kollegin Funcke sagen; ich will nicht das wiederholen, was ich gestern im Ausschuß schon gesagt habe -, daß hierzu eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes notwendig war. Sicher wird es Kollegen und Kolleginnen im Bundestag geben, die Ihrem Antrag zustimmen werden. Aber wir müssen das Programm als Ganzes sehen. Ich möchte dem Hohen Hause sagen: auch unsere Fraktion hat hart mit sich gerungen. Wir hätten gern gesehen, wenn eine andere Deckungsmöglichkeit gegeben wäre. Unsere Fraktion gibt nur sehr schweren Herzens ihre Zustimmung zu der Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 %.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 283 *). Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Zu Art. 1 liegen keine weiteren Änderungsanträge vor. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen eine Anzahl Gegenstimmen angenommen.
Art. 2! Kein weiterer Änderungsantrag; der Änderungsantrag auf Umdruck 283 ist abgelehnt. Ferner Art. 3, 4, Einleitung und Überschrift! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das sind einige Gegenstimmen mehr als bei den letzten Abstimmungen, aber die große Mehrheit ist auch für die Art. 2, 3, 4, die Einleitung und die Überschrift. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung angenommen, und zwar unverändert.
Dritte Beratung
Allgemeine Aussprache! Wird das - Wort ge-. wünscht? - Frau Abgeordnete Funcke, in der allgemeinen Aussprache in dritte Lesung. Bitte!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die FDP begrüßt in dem vorliegenden Gesetz die bessere Entlastung der Altvorräte. Sie sieht sich dabei - leider sehr spät, aber immerhin nicht zu spät - in ihren Bemühungen bestätigt, die sie im April - damals leider vergeblich - um eine Verbesserung der von Ihnen verabschiedeten Entlastung angestellt hat. Damals haben Sie von
*) Siehe Anlage 2
der CDU/CSU und von der SPD sich noch der wirtschaftlich richtigen Erkenntnis verschlossen und dadurch zu der Verlangsamung in unserer Wirtschaft beigetragen. Wir freuen uns, daß Sie das nun korrigieren wollen.
Zugleich freuen wir uns, daß die Form der Entlastung gegenüber der Regierungsvorlage entscheidend verbessert worden ist. Es gibt keinen Bestandsvergleich mehr, so daß auch Betriebe und Wirtschaftszweige, die sich in der Talsohle befinden, eine ausreichende Entlastung erfahren.
Man sollte doch von der Vorstellung abgehen, die Entlastung der Altvorräte sei so etwas wie ein Bonbon, das ein gnädiger Staat nach „Wohlverhalten" verteilen könne. Die Altvorräteentlastung ist ihrem Wesen nach nichts anderes als eine Rückvergütung des Staates für doppelte Steuern, die er anläßlich der Umstellung unverdientermaßen vereinnahmt. Diese doppelte Steuer sollte nach Verursachung und wettbewerbsneutral vergütet werden und nicht als Dispositionsfonds zur Verteilung nach Regierungswünschen angesehen werden. Sonst werden in der Tat die Reichen reicher und die Schwachen benachteiligt.
Die neu gefundene Regelung ist auch jetzt noch nicht ideal. Die FDP hätte lieber eine Lösung gesehen, bei der für die fremdbezogene Ware neben der Ausfuhrvergütung auch der Ausfuhrhändlervergütungssatz herangezogen worden wäre. Auf diese Weise wäre mancher ungerechtfertigt niedrige Ausfuhrvergütungssatz nach oben hin ausgeglichen worden. Aber wir halten die jetzt gefundene Lösung trotzdem für eine erhebliche Verbesserung des ursprünglichen Gesetzes und auch der Regierungsvorlage und haben daher sowohl im Finanzausschuß wie auch in der zweiten Lesung zugestimmt. Sie ist zugleich ein Beweis dafür, Herr Minister Schiller, daß es zu dem Regierungsentwurf durchaus vernünftige Alternativen geben kann und daß sie auch in diesem Hause durchgesetzt werden.
Die FDP wird diesem Gesetz als Ganzem ihre Zustimmung jedoch nicht geben können, weil dieses Gesetz als entscheidenden Punkt die Erhöhung des Steuersatzes von 10 auf 11 % enthält. Wir haben in der zweiten Lesung unsere Begründung für diese Ablehnung gegeben.
Meine Herren und Damen, die mittelfristige Finanzplanung liegt im Halbdunkel. Wir wissen nicht, wie die Regierung zu den projektierten Ausgaben im einzelnen kommt. Wir wissen nicht, um welche Posten sich die Gesamtausgaben von Jahr zu Jahr erhöhen. Wir wissen nicht, ob diese Erhöhungen zwangsläufig sind oder auf politischen Wünschen beruhen. Wir wissen nicht, wie die Einsparungsgesetze lauten, und wir wissen nicht, ob sie durchsetzbar sind. Aber Sie verlangen heute vorab einen verbindlichen Beschluß zur Einnahmenerhöhung. Das widerspricht der Verantwortung des Parlaments für den Haushaltsausgleich als Ganzes; es widerspricht auch der klassischen Haushaltsregel, daß sich die zu bewilligenden Einnahmen nach dem Umfang der begründeten und dargelegten Ausgaben richten. Sie, Herr Bundeskanzler, verlangen einen Blankoscheck,
und die FDP ist nicht bereit, Ihnen diesen Blankoscheck zu geben.
({0})
Weitere Wortmeldungen? - Bitte sehr!
({0})
- Das dürfen Sie gern. Ich danke vielmals. - Keine weiteren Wortmeldungen.
Änderungsanträge liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen und einer Reihe von Gegenstimmen ist dieses Gesetz in dritter Lesung angenommen.
Meine Damen und Herren, ehe ich den nächsten Punkt der Tagesordnung, den Punkt 3 e, aufrufe, habe ich dem Hohen Hause mitzuteilen: Wir haben im Ältestenrat vereinbart, daß heute nach Möglichkeit um 12 Uhr, die Wahl des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages erfolgen soll, der an Stelle unseres verstorbenen Kollegen Dehler gewählt werden soll.
Ich teile dem Hause mit, daß mir der amtierende Vorsitzende der FDP-Fraktion, der Herr Kollege Wolfgang Mischnick, gestern abend mitgeteilt hat, daß die FDP-Fraktion den Herrn Kollegen Walter Scheel als Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages zur Wahl vorschlägt. Ich frage, ob andere Vorschläge gemacht werden. - Das ist nicht der Fall.
Nach der Geschäftsordnung hätte die Wahl mit Stimmzetteln zu erfolgen. Sie ist aber traditionsgemäß, wenn es sich um die Wahl der Vizepräsidenten des Hauses handelte, immer durch Akklamation vorgenommen worden. Ich unterstelle, daß das Haus einverstanden ist, daß wir es auch heute so halten. - Kein Widerspruch; es wird so gemacht.
Wer diesem Vorschlag, Herrn Walter Scheel zum Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages zu wählen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einige Enthaltungen und ganz wenige Gegenstimmen. Ich glaube, die Auszählung können wir uns schenken. Es ist jedenfalls Einmütigkeit im Vorstand, daß Herr Kollege Scheel mit großer Mehrheit zum Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages gewählt ist.
Herr Kollege Scheel, ich gratuliere Ihnen und spreche Ihnen die Wünsche des Hauses aus. Ich bin sicher, daß wir uns einer guten Zusammenarbeit erfreuen werden. - Verzeihen Sie, jetzt erkenne ich Sie überhaupt erst. Sie waren ja der, der sich enthalten hat.
({1})
Wenn Sie sich so diskret auf die letzte Bank setzen,
kann ich Ihr Gesicht nicht scharf erkennen. Aber
*) Siehe Anlage 4
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
ich stelle ausdrücklich fest, daß sich der Herr Kandidat bei diesem Wahlgang enthalten hat; um so besser. Also herzlich willkommen im Präsidium des Hauses!
({2})
Korrekterweise muß ich Sie noch fragen, ob Sie diese Wahl auch annehmen. Aber das unterstelle ich ohnehin.
({3})
- Danke vielmals.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Punkt 3 e der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzierungshilfen aus Mitteln des ERP-Sondervermögens für Investitionen im Bereich der Gemeinden ({4})
- Drucksache V/2088 Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache V/2108 -Berichterstatter: Abgeordneter Windelen Schriftlicher Bericht des Ausschusses für das Bundesvermögen ({6})
- Drucksache V/2106 Berichterstatter: Abgeordnete Lange und Dr. Frerichs
({7})
Zunächst der Bericht des Haushaltsausschusses. Ich frage den Herrn Abgeordneten Windelen, ob er als Berichterstatter das Wort zu nehmen wünscht. - Herr Abgeordneter Windelen verzichtet.
Ich frage die Herren Abgeordneten Lange und Dr. Frerichs, ob sie als Berichterstatter des Ausschusses für das Bundesvermögen das Wort zu nehmen wünschen. ({8})
- Sie verweisen auf den Schriftlichen Bericht; ich bedanke mich.
Ich eröffne die zweite Beratung. Änderungsanträge liegen nicht vor.
Ich rufe die §§ 1, - 2, - 3, - 4, - 5, - Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer den aufgerufenen Paragraphen sowie Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist in zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Lesung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Keine Wortmeldungen!
Wer in dritter Lesung diesem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Meine Herren ({9}), darf ich das als Zustimmung werten? - Ich meine die Herren dort hinten, die sich mit anderen Sachen beschäftigen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Meine Herren, eigentlich müßte ich jetzt die ganze Abstimmung wiederholen lassen, denn bei den Ja-Stimmen sind Sie ({10}) erst einmal mitgezählt worden. Aber es ändert am Ergebnis nichts, das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen.
Schließlich noch Punkt 3 f) :
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank
- Drucksache V/2089 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({11}) - Drucksache V/2104 Berichterstatter: Abgeordneter Ravens ({12})
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter verzichtet. Ich bedanke mich.
Wir kommen zur zweiten Lesung. Ich rufe auf Art. 1, - 2, - 3, - Einleitung und Überschrift. - Keine Wortmeldungen!
Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Lesung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Dazu kann ich nur sagen: Bei einigen Gegenstimmen - mehr ist nicht drin, Herr Kollege Mischnick - ist auch dieser Entwurf Gesetz geworden.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir - ich stelle es mit Vergnügen fest - rascher als vorgesehen am Ende der Tagesordnung- dieser von der Bundesregierung beantragten Sondersitzung des Deutschen Bundestages.
Der Bundestag tritt wieder zusammen am Mittwoch, dem 4. Oktober 1967. Ich werde die Uhrzeit noch bekanntgeben.
Ich schließe die Sitzung.