Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Präsident des Bundestages hat am 7. Juni 1967 gemäß § 96 a der Geschäftsordnung die von der Bundesregierung als dringlich bezeichnete
Einhundertundfünfte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltrifs 1966 ({0})
- Drucksache V/1826 Einhundertzehnte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({1})
- Drucksache V/1827 Einhundertvierzehnte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({2})
- Drucksache V/1828 -
dem Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um fristgemäße Behandlung übersandt.
Zu den in der Fragestunde der 111. Sitzung des Deutschen Bundestages am 7. Juni 1967 gestellten Fragen des Abgeordneten Richarts, Drucksache V/1818 Nrn. 121, 122 und 123 *), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 7. Juni 1967 eingegangen:
1. Die Bundesausbauorte werden nach folgenden Gesichtspunkten ausgewählt:
a) Der Bundesausbauort soll Mittelpunkt eines Gebietes sein, in dem eine größere Zahl von unzureichend beschäftigten Arbeitskräften ({3}) ansässig ist.
b) Die Verkehrslage des Bundesausbauortes soll so sein, daß er von diesen Arbeitskräften täglich erreicht werden kann, wobei der Weg zur Arbeitsstätte und zurück nicht mehr als zusammen etwa 2 Stunden beanspruchen soll.
c) Es wird erwartet, daß ein Bundesausbauort eine bestimmte Mindestausstattung an sanitären, sozialen, schulischen und sonstigen kulturellen Einrichtungen jetzt schon aufweist oder alsbald erhalten wird.
d) Im Bundesausbauort sollten industrielle Ansatzpunkte bereits vorhanden sein.
Sämtliche Bundesausbauorte werden von den Regierungen der Bundesländer vorgeschlagen, nachdem sie auf Landesebene zwischen den in Betracht kommenden Ministerien und unter Beteiligung der Landesplanungsstellen abgestimmt sind. Weitere für die regionale Entwicklung wichtige Stellen wie die Industrie- und Handelskammern, Landwirtschaftskammern und Handwerkskammern sowie die Arbeitsverwaltung werden gehört. Die abschließende Entscheidung über die ihm vorgeschlagenen Orte trifft auf Bundesebene der Interministerielle Ausschuß für regionale Wirtschaftspolitik ({4}).
2. Mit Mitteln des Regionalen Förderungsprogramms der Bundesregierung werden folgende Maßnahmen finanziert: In jedem
5) Siehe 111. Sitzung, Seite 5256 C
Bundesausbauort wird ein Industriegelände erschlossen, wobei Zuschüsse bis zu 50 % der entstehenden Kosten und Darlehen mit 2 % Zinssatz und 20jähriger Laufzeit bis zu weiteren 25 %, der Erschließungskosten gegeben werden können. Gewerbliche Unternehmer,. die in den Bundesausbauorten neue Produktionsbetriebe errichten, können bis zu 50 % ihrer Investitionskosten zinsgünstige Kredite erhalten; bei baulichen Maßnahmen betragen der Zinssatz 3,5 % und die Laufzeit 15 Jahre; bei Verwendung für Maschinenbeschaffung betragen der Zinssatz 4 % und die Laufzeit 10 Jahre. Die in den Bundesausbauorten gewährten Vorteile gehen nicht über die Förderungsmöglichkeiten hinaus, die für die sogenannten Bundesausbaugebiete gegeben sind. Der wesentliche Unterschied zwischen Bundesausbauorten und Bundesausbaugebieten ist finanzierungstechnischer Natur. So steht für die Bundesausbauorte ein Sonderfonds zur Verfügung, aus dem Mittel nach der Reihenfolge des Eingangs der Anträge gewährt werden ({5}). Demgegenüber werden die für die Bundesausbaugebiete bestimmten Mittel am Jahresanfang nach festgelegten Landesquoten verteilt und von den Ländern fest verplant. Die Bundesausbauorte haben somit die Sicherheit, daß über das ganze Haushaltsjahr hinweg Forderungsbeträge für sie reserviert sind.
3. Wittlich-Wengerohr ist seit 1959 Bundesausbauort und wurde bis zum 1. Januar 1967 aus dem erwähnten Sonderfonds zusätzlich gefördert. Bis zum 30. Juni 1966 wurden in WittlichWengerohr Hilfen für 8 Neuansiedlungen gewährt. Da für die nächste Zeit mit größeren Neuansiedlungen nicht mehr gerechnet werden kann, wurde statt Wittlich-Wengerohr auf Vorschlag der Landesregierung eine andere Gemeinde in die Förderung aus Mitteln des Sonderfonds aufgenommen. Für Wittlich-Wengerohr ist dieser Austausch nicht von Bedeutung, da es auch im Bundesausbaugebiet liegt und deshalb bei den konkreten Förderungsmöglichkeiten eine Änderung nicht eingetreten ist. Die Bezeichnung „Bundesausbauort" bleibt für Wittlich-Wengerohr erhalten und damit auch die Verpflichtung aller öffentlichen Stellen, bei sämtlichen Planungen diesen Ort nach Möglichkeit mit Vorrang zu berücksichtigen.
Wir beginnen mit der
Fragestunde
- Drucksache V/1818 Zuerst kommt - aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - die Frage 34 des Abgeordneten Schultz ({6}) :
Durch welche Vorschriften ist die Rechtslage entstanden, derzufolge der sowjetische Düsenjägerpilot Wassilij Iljitsch Epatko nach Ansicht der Bundesregierung amerikanischen Dienststellen überstellt werden mußte?
Herr Staatssekretär Adorno!
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, der sowjetische Düsenjägerpilot Wassilij Iljitsch Epatko mußte nicht an die amerikanischen Dienststellen übergeben werden. Er ist .an sie übergeben worden, weil er es ausdrücklich gewünscht hat. Die Bundesregierung hatte keine Veranlassung 'und auch keine rechtliche Handhabe, diesem Wunsche nicht zu entsprechen. Hätte der Pilot die Bundesrepublik Deutschland um Asyl gebeten, wären die deutschen Gesetze und Bestimmungen über die Asylgewährung zur Anwendung gekommen.
Keine Zusatzfrage. Dann Frage 35 des Abgeordneten Schultz ({0}) :
Warum wurde die Maschine des geflohenen sowjetischen Piloten Wassilij Epatko von amerikanischen und nicht von deutschen Soldaten bewacht?
Herr Staatssekretär, bitte!
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Über die Behandlung sowjetischer Flugzeuge, die ohne Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland in deren Hoheitsgebiet gelangt sind, bestehen NATO-Regelungen, denen die Bundesrepublik Deutschland zugestimmt hat. Sie übertragen den Drei Mächten gewisse Verantwortlichkeiten. Diese Regelungen sind im vorliegenden Fall zur Anwendung gekommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schultz.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß die Souveränität der Bundesrepublik es verlangt, daß die Maschine von deutschem Militär bewacht wird und die Amerikaner praktisch nur Zutritt haben?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, es handelt sich hier um Regelungen, die unter anderem auch mit dem Luftzugang nach Berlin zusammenhängen. Sie liegen also in unserem Interesse und sind mit unserer Zustimmung getroffen worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wörner.
Herr Staatssekretär, bedeutet das, daß diese Regelungen sich auf das Territorium der Bundesrepublik beschränken, nicht aber auf das anderer NATO-Staaten ausgedehnt sind?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Diese Regelungen beschränken sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, sind aber für den gesamten NATO-Bereich erlassen. Der Inhalt dieser Regelungen steht unter einem Geheimhaltungsgrad.
Herr Abgeordneter Moersch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, inwieweit können Sie den Bericht eines Regierungssprechers bestätigen, daß der sowjetische Pilot nach dem Anhören durch deutsche militärische Dienststellen den besonders dringenden Wunsch hatte, den Amerikanern überstellt zu werden?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Dazu kann ich nichts sagen. Das ist mir nicht bekannt.
Frage 36 des Abgeordneten Schultz ({0}) :
Sind Gerüchte zutreffend, wonach der Einflug des sowjetischen Piloten Wassilij Epatko in die Bundesrepublik von den zuständigen Luftraumüberwachungsstellen nicht rechtzeitig bemerkt wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Der Einflug in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland am 25. Mai 1967 um 10.20 Uhr wurde erkannt. Einzelheiten über die Flucht des sowjetischen Piloten und die Landung sowie seine Aussagen können aus Geheimhaltungsgründen hier nicht bekanntgegeben werden. Hierfür wäre der Verteidigungsausschuß das zuständige Gremium.
Herr Abgeordneter Schultz!
Schultz (Gau-Bischofsheim ({0}) : Herr Staatssekretär, wann ist das Ministerium über diesen Vorgang informiert worden? Mit anderen Worten: wielange hat es gedauert, bis die Feststellung, daß diese Maschine da flog, bis in das Ministerium vorgedrungen war?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Den genauen Zeitpunkt kann ich Ihnen nicht angeben. Ich bin aber gern bereit, diese Frage schriftlich zu beantworten.
Eine zweite Frage, Herr Abgeordneter Schultz.
Sie können mir also nicht den Zeitraum sagen, wieviel Stunden?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Der Zeitraum war kurz. Genaue Angaben kann ich dazu nicht machen. In Stunden und Minuten kann ich das nicht ausdrücken.
Herr Abgeordneter Matthöfer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Einflug zwar erkannt wurde, daß aber das einfliegende Flugzeug als freundlich klassifiziert wurde?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das ist mir nicht bekannt.
Herr Abgeordneter Wörner zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ergeben sich nach Auffassung der Bundesregierung aus diesem Vorfall Anhaltspunkte dafür, an der Zuverlässigkeit unseres Überwachungssystems zu zweifeln?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Nein, es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür.
Wir kommen zu Frage 37 des Abgeordneten Lemmrich. - Der Abgeordnete Lemmrich ist nicht im Saal. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Dr. Pohle auf:
Was gab der Bundeswehrbehörde im Falle eines Staffelkapitäns Veranlassung, auf die Durchführung eines Disziplinarstrafverfahrens und die Festsetzung einer Disziplinarstrafe zu verzichten, den Staffelkapitän aber durch die Festsetzung eines Leistungsbescheides - der grobe Fahrlässigkeit oder vorsätzliche Schädigung der Bundeswehr voraussetzt - und durch Abweisung seiner dagegen gerichteten Beschwerde auf den Weg der Klage vor dem Verwaltungsgericht zu drängen?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, ich würde - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - Ihre drei Fragen gern im Zusammenhang beantworten. Sind Sie damit einverstanden?
Ich bin einverstanden.
Dann rufe ich auch die Fragen 39 und 40 des Abgeordneten Dr. Pohle auf:
Hält das Bundesverteidigungsministerium den mit dem in Frage 38 erwähnten Prozeß vor dem Verwaltungsgericht verursachten zeitlichen und finanziellen Aufwand für sinnvoll, obwohl Sachverhalt und Schuldfrage auch in einem Dienststrafverfahren hätten geklärt werden können?
Welche Bedeutung mißt das Bundesverteidigungsministerium dem Bericht des für die Staffel zuständigen Wetterdienstes für die Verantwortung des in Frage 38 erwähnten Staffelkapitäns bei der Anordnung eines Verbandsfluges bei?
Bitte sehr!
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Verletzt ein Soldat schuldhaft seine Dienstpflichten und entsteht dem Bund dadurch ein Schaden, so sind die Behörden der Bundeswehr durch gesetzliche Bestimmungen gehalten, nebeneinander zu prüfen, a) ob gegen den Soldaten disziplinare Strafen zu verhängen sind, b) ob er den verursachten Schaden ersetzen muß. Der Gesetzgeber hat für die disziplinare Ahndung einerseits und für die Inanspruchnahme für den Ersatz des Schadens andererseits zwei voneinander unabhängige rechtliche Grundlagen und Verfahren geschaffen. An diese gesetzliche Regelung sind die militärischen Dienststellen und die zivilen Behörden der Bundeswehr gebunden.
Die disziplinare Erledigung stützt sich auf § 23 des Soldatengesetzes und die Bestimmungen der Wehrdisziplinarordnung und obliegt den zuständigen militärischen Stellen und den Wehrdienstgerichten. Die Inanspruchnahme zum Ersatz des Schadens dagegen beruht auf § 24 des Soldatengesetzes. Für sie sind die Behörden der Bundeswehrverwaltung zuständig.
Die Überprüfung dieser Entscheidung obliegt nach § 59 des Soldatengesetzes den Verwaltungsgerichten. Diese Regelung ist nicht außergewöhnlich. Sie entspricht den für Beamte geltenden Bestimmungen. Da beide Verfahren auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen beruhen, eine unterschiedliche Zielsetzung haben und nach dem Gesetz von verschiedenen Behörden und Gerichten zu führen sind, können sie in Einzelfällen zu voneinander abweichenden Ergebnissen führen.
Die für die disziplinare Entscheidung zuständigen miltärischen Vorgesetzten haben von einer Disziplinarstrafe gegen den Major Oberbrinkmann abgesehen und ihn wegen der von ihm begangenen Dienstpflichtverletzungen schriftlich ermahnt und ihm ihre schriftliche Mißbilligung ausgesprochen.
Das haftungsrechtliche Verfahren blieb dadurch unberührt. Die Beschwerde des Majors Oberbrinkmann gegen die Inanspruchnahme mußte abgewiesen werden, weil seine Inanspruchnahme frei von Rechtsfehlern war. Gegen diese Entscheidung hat Major Oberbrinkmann den vom Gesetzgeber für dieses Verfahren vorgesehenen Weg vor die Verwaltungsgerichte beschritten.
Der Bundesminister der Verteidigung und die ihm nachgeordneten Behörden haben weder auf die Entscheidung, ob ein Rechtsstreit vor den Verwaltungsgerichten anhängig gemacht wird, noch auf den zeitlichen und finanziellen Aufwand des Verfahrens vor diesen Gerichten Einfluß. Sie sind in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in Vertretung des Bundes nur beklagte Partei. Die Klärung des der Inanspruchnahme zugrunde liegenden Sachverhalts und der zivilrechtlichen Schuldfrage in einem dienstlichen Disziplinarverfahren ist unzulässig. Auf die Ausführungen zu Frage 38 darf ich hierzu verweisen. In diesem Verfahren kann überdies auf Ersatz des verursachten Schadens in keinem Fall erkannt werden.
Der Bundesminister der Verteidigung hat jedoch zur Vereinfachung des Aufwands, den die Feststellungen zur Ermittlung der Ursachen eines Flugunfalls erfordern, befohlen, daß die tatsächlichen Feststellungen über den Unfallhergang durch eine Flugunfalluntersuchungskommission oder einen Flugunfalluntersuchungsoffizier zu ermitteln und sowohl der disziplinaren als auch der haftungsrechtlichen Entscheidung der Behörden der Bundeswehr zugrunde zu legen sind.
Eine fehlerhafte Wetterberatung berührt die Verantwortung eines Verbandsführers sowohl für die Anordnung als auch für die Durchführung des Flugs der von ihm geführten Luftfahrzeuge überhaupt nicht. Sie ist nur Grundlage seiner weiteren Entscheidungen. Der Führer eines Verbandes ist verpflichtet, jeden Flug unverzüglich abzubrechen, wenn die von der Wetterberatung vorhergesagten Wetterbedingungen unter die vom Gesetzgeber in der Luftverkehrsordnung vorgeschriebenen Mindestnormen oder die vom Bundesminister der Verteidigung oder den zuständigen militärischen Führern zusätzlich befohlenen Sicherheitsmindestbestimmungen absinken. Diese Pflicht hat Major Oberbrinkmann verletzt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie hat das Bundesverteidigungsministerium sichergestellt, daß die für die Vorbereitung von Staffelflügen so wichtige Wetterberatung nur von fachlich berufenen und dienstlich zuständigen Meteorologen durchgeführt und durch zuverlässige Kontrollen überwacht wird?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das ist in jedem Fall sichergestellt.
Zu einer weiteren Zusatzfrage bitte!
Für den Fall, daß die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Bordausrüstung des Düsenjägers G 91 die Zulassung von Blindflügen nicht rechtfertigen sollte, frage ich: welche technischen und sonstigen Vorkehrungen sind getroffen, daß Blindflüge dann unterbleiben oder, wenn sie unter den gegebenen Umständen unvermeidlich sind, ohne unzumutbare Gefährdung des fliegenden Personals und der Bevölkerung durchgeführt werden?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, diese Frage kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Ich bin aber gern bereit, sie Ihnen schriftlich zu beantworten.
Herr Abgeordneter Wörner zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß ein Staffelkapitän wie überhaupt ein Pilot eines Düsenjägers ein gewisses Risiko bei jedem Flug auf sich nimmt, das sich wohl von dem Risiko bei der normalen Tätigkeit eines Soldaten unterscheidet, und daß man deshalb an die Ersatzpflicht eines Staffelkapitäns andere Maßstäbe anzulegen hat, d. h. daß man dieses besonders hohe Risiko berücksichtigen muß? Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung dann aus dieser Überlegung zu ziehen?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß für den fliegenden Soldaten ein besonderes Risiko gegeben ist. Ich habe schon bei der Beantwortung der Fragen des Herrn Abgeordneten Pohle darauf hingewiesen, welche Konsequenzen die Bundesregierung daraus zieht.
Zu einer zweiten Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wörner.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung geläufig, daß das Verfahren, das in diesem Fall durchgeführt wurde, gewisse Konsequenzen für die Verantwortungsfreude anderer Staffelkapitäne hat, zumal man in Kreisen der Piloten dieses Verfahren mit einer gewissen Sorge registriert hat und mir gegenüber geäußert worden ist, daß man sich in zukünftigen Fällen eben entsprechend verhalten werde?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Der Bundesregierung ist meines Wissens nicht bekannt, daß in Kreisen von Staffelkapitänen derartige Befürchtungen bestehen.
Ich rufe Frage 41 des Abgeordneten Felder auf:
Wie groß ist die Zahl der Bundeswehrangehörigen, die sich am Telekolleg des Bayerischen Rundfunks beteiligen?
Herr Staatssekretär, bitte!
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Von den Bundeswehrfachschulen sind bislang sechs Arbeitsgemeinschaften mit insgesamt 80 Soldaten eingerichtet worden, die am Telekolleg des Bayerischen Rundfunks teilnehmen. Es ist anzunehmen, daß sich - ohne besondere Betreuung durch Dienststellen der Bundeswehr - weitere Soldaten an dem Telekolleg beteiligen. Diese sind bisher zahlenmäßig nicht erfaßt.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Felder auf:
Haben sich bei der Teilnahme von Telehörern der Bundeswehr an den Telekollegseminaren dienstliche Schwierigkeiten ergeben?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Dienstliche Schwierigkeiten sind bisher nicht bekanntgeworden. Die Teilnahme am Telekolleg basiert ausschließlich auf freiwilliger Entscheidung des einzelnen Soldaten. Die Sendungen liegen außerhalb der allgemeinen Dienstzeit.
Die Zusammenstellung eines Erfahrungsberichts über Erfolge oder Mißerfolge bei der Teilnahme von Soldaten der Bundeswehr am Telekolleg des Bayerischen Rundfunks wird erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen können. Im Augenblick wäre eine solche Maßnahme verfrüht, da diese Bildungsförderung erst im Januar 1967 begonnen hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, ob die Erfahrungen der Bundeswehr mit Erwachsenenbildungseinrichtungen anderer Art positiv sind?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Die Erfahrungen mit Einrichtungen zur Erwachsenenbildung anderer Art sind durchaus positiv. Ich bin aber gern bereit, diese Frage ausführlicher schriftlich zu beantworten.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, in die soeben angekündigte Erstattung eines Erfahrungsberichts über das Telekolleg auch die Erfahrungen der Bundeswehr mit den anderen Erwachsenenbildungseinrichtungen mit einzubeziehen?,
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich bin gerne bereit, das zu veranlassen.
Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Felder auf:
In welcher Auflage ist das Liederbuch der Bundeswehr an die Truppe verteilt worden?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das Liederbuch der Bundeswehr hat in seiner jetzigen Fassung eine Auflage von insgesamt 774 148 Exemplaren, die in der Zeit von 1962 bis 1967 innerhalb der Bundeswehr verteilt wurden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Felder.
Welche Restauflage ist noch un-verteilt vorhanden?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dieses Liederbuch ist in der Öffentlichkeit auf lebhaften Widerspruch gestoßen, der sich nach Presseauseinandersetzungen vor allem in einem Artikel der „Bayerischen Staatszeitung" vom 14. Oktober 1966 dokumentierte, in dem es heißt:
Die rein menschlichen wie auch ideellen und geistigen Werte, die den jungen Soldaten vor ihrem Eintritt in die Bundeswehr vom Elternhaus und Schule vermittelt wurden und sich nicht zuletzt auch auf ihre Geschmacksbildung auswirkten, dürfen nicht durch ein Liedgut fragwürdiger sittlicher, gedanklicher und musikalischer Qualität gefährdet werden.
Würden Sie im Hinblick darauf die Frage einer eventuellen Neufassung des Liederbuches einmal im Verteidigungsausschuß des Bundestages zur Erörterung stellen?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich bin gern bereit, diese Frage auch vor dem Verteidigungsausschuß zu erörtern. Die Kritik in der Presse, die Sie soeben zitiert haben, halte ich aber für nicht zutreffend.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fellermaier.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, nach welchen Gesichtspunkten überhaupt geprüft wird und wer im einzelnen das prüft, was sich dann nachher in den modernen Liederbüchern der Bundeswehr niederschlägt. Ich unterstelle, daß Sie doch mit mir der Meinung sind, es handle sich um ein modernes Liederbuch, das in die heutige Zeit paßt.
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Es soll sich offensichtlich um ein modernes Liederbuch handeln. Ich darf aber in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß man sehr bestrebt war, neueres, aus der Gegenwart stammendes Liedgut zu finden, das sich für ein Soldatenliederbuch eignen würde. Nicht zuletzt deshalb ist ein Wettbewerb ausgeschrieben worden. Leider Gottes war das Ergebnis dieses Wettbewerbs nicht sehr befriedigend, so daß eben auch auf vergangenes Liedgut zurückgegriffen werden mußte.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat das Bundesverteidigungsministerium alles getan, um diesen Wettbewerb auch in der breiten Öffentlichkeit bekanntzumachen?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das Bundesverteidigungsministerium hat alles getan.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Becher.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen moderne Lieder bekannt, die sich für die Bundeswehr eignen würden?
({0})
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Meine Dienstzeit, Herr Kollege Becher, liegt schon eine geraume Zeit zurück. Ich habe mich mit dieser Frage in der Gegenwart nicht unmittelbar befaßt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, zunächst zu Frage 7 des Herrn Abgeordneten Logemann:
In welcher Weise will die Bundesregierung künftig dafür Sorge tragen, daß auf internationalen Kongressen in Mitteldeutschland oder osteuropäischen Ländern diskutierte Probleme, wie sie sich z. B. auf Grund von großen Tierbeständen in Rinder-, Schweine-und Geflügelkombinaten ergeben, auch in der Bundesrepublik behandelt und entsprechende Beratungsergebnisse der Öffentlichkeit übermittelt werden?
Bitte, Herr Bundesminister!
Auf die schriftliche Beantwortung der Frage des Zusammenhangs zwischen Intensivhaltung und Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland durch den Bundesminister für das Gesundheitswesen vom 16. März dieses Jahres - Protokoll der 100. Sitzung - darf ich hinweisen. Im Benehmen mit der Frau Bundesministerin für das Gesundheitswesen darf ich ergänzend folgendes ausführen.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Fragen werden alle einschlägigen fachlichen Veranstaltungen des In- und Auslandes aufmerksam beobachtet. Das gilt auch für das Ausland hinter dem Eisernen Vorhang.
Soweit es die Bedeutung solcher Veranstaltungen erfordert, nehmen Beauftragte des Bundes und gegebenenfalls auch der Länder sowie entsprechende Wissenschaftler daran teil. Die Ergebnisse solcher Kongresse werden in der Regel in den Fachzeitschriften publiziert. Darüber hinaus werden sie gegebenenfalls vom Veterinärausschuß meines Hauses, dem die leitenden Veterinärbeamten der Länder angehören, eingehend geprüft. Soweit es geboten ist, werden Unterlagen für einschlägige Rechtsetzungsvorhaben herangezogen und in Vorträgen und Publikationen der Öffentlichkeit bekanntgemacht. Veranstaltungen zu gleichen Themen werden in der Bundesrepublik in zahlreichen wissenschaftlichen Gremien abgehalten.
Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, die anschließenden Fragen, die in einem Sachzusammenhang stehen, gleich mitbeantworten zu dürfen.
Ich rufe die Fragen 8 und 9 des Herrn Abgeordneten Logemann auf:
Sind die in der Bundesrepublik schon vorhandenen und noch zu erwartenden tierischen Großhaltungen .auf engem Raum, etwa in Form von Hochhäusern für Legehühner, in ihren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit weniger problematisch als Geflügel- und Rinderkombinate mit nicht mehr Tieren in östlichen Ländern?
Welcher Art sind die von der Bundesregierung auf Grund der Fragen XIV/11 bis 13 in der Drucksache V/1537 angekündigten „umfassenden Untersuchungen hinsichtlich der Auswirkungen dei Massentierhaltung"?
Zu Ihrer zweiten Frage: Beim Grad der potentiellen Gesundheitsgefährdung bei Großraumhaltung von Tieren gibt es keine Unterschiede zwischen West und Ost.
Zu Ihrer dritten Frage: Das Bundesernährungsministerium hat wissenschaftliche Sachverständige beauftragt, Fragen der neuzeitlichen Intensivhaltung landwirtschaftlich genutzter Haustiere unter veterinärmedizinischen sowie markt- und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten in Gebieten, in denen bereits große Tierhaltungen vorhanden sind, zu prüfen und ein Gutachten darüber vorzulegen. Eine deutsche Studiengruppe besucht zur Zeit mehrere Länder, unter anderem Polen, Rumänien und die Tschechoslowakei, und dabei wird sie auch prüfen, ob in diesen Ländern im Zusammenhang mit der neuzeitlichen Intensivhaltung landwirtschaftlich genutzter Haustiere Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit beobachtet wurden. Andere Wissenschaftler machen dasselbe in Übersee.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Logemann.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, aus welchen Gründen der Kongreß für landwirtschaftliche Medizin der Internationalen Gesellschaft für ländliche Gesundheitspflege und landwirtschaftliche Arbeitsmedizin in Preßburg - um ihn geht es ja bei meinen Fragen - weder von westdeutschen Ärzten noch von westdeutschen Hygienikern besucht wurde?
Ich bin über die Absichten und Entscheidungen der westdeutschen Ärzte nicht orientiert und habe darüber keine Entscheidungsmöglichkeit. Deswegen kann ich Ihnen auch die Gründe nicht sagen. Es gibt darüber auch Publikationen. Es ist nicht immer notwendig, daß ein Besuch stattfindet. Wir haben die Ergebnisse auch auf andere Weise zu unserer Verfügung.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Minister, zu meiner zweiten Frage. In welchem Ausmaße sind in der Bundesrepublik bisher negative Erscheinungen im Zusammenhang mit der Abwässer- und Dungbeseitigung . in Betrieben mit industriemäßiger Tierhaltung aufgetreten?
Wir haben negative Erscheinungen bei größeren Tierhaltungen in zwei Fällen, die mir bekannt sind. Aber ich glaube, es wäre zweckmäßig, diese Fälle nicht dem Namen nach und den Umständen nach hier zu erörtern. Es sind uns - wie gesagt - zwei Fälle bekannt.
Darf ich in dem Zusammenhang weiter fragen: Ist Ihnen bekannt, daß z. B. eine Schweine-, Rinder- oder Geflügelhaltung mit großen Beständen industrieller Art abwassertechnische Probleme hervorruft, wie sie ein mittlerer Schlachthof mit einem Durchgang von einigen tausend Tieren verursacht?
Ja.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Minister, was wird nun künftig von seiten der Bundesregierung geschehen, um solche Auswirkungen, die man drüben festgestellt hat, für die Bundesrepublik schon vor der Neuerrichtung von ähnlichen Betrieben zu verhindern? Welche Auflagen werden Sie erteilen?
Sie kennen eine Initiative des Hauses und kennen das rechtliche Schicksal, das sie bisher hatte. Zweitens wissen Sie, daß wir seuchenpolizeiliche Vorschriften neu gestalten. Es ist eine Novelle in Bearbeitung, die demnächst dem Hohen Hause zur Kenntnis gebracht wird. Auch darin werden sich Eingrenzungen finden, die sich aus seuchenpolizeilichen Gesichtspunkten ergeben. Die wirklich entscheidenden Schritte müßten auf der EWG-Basis unternommen werden. Dort war es bei den vielgestaltigen Verhältnissen der Partnerstaaten bisher noch nicht möglich, zu einem einheitlichen Ergebnis und zu einer einheitlichen Auffassung zu kommen. Aber die Bemühungen werden fortgesetzt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büttner.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, wann das von Ihnen angekündigte Gutachten - es wird sicherlich interessante Aspekte hinsichtlich der Intensivhaltung im Zusammenhang mit dem Tierschutz enthalten - voraussichtlich zu erwarten ist.
Herr Kollege, ich habe mitgeteilt, daß mehrere Kommissionen bzw. mehrere Wissenschaftler gleichzeitig von uns beauftragt sind. Ich möchte annehmen, daß wir innerhalb eines halben Jahres mit der Fertigstellung dieser Gutachten rechnen können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büttner.
Herr Minister, werden in diesen Gutachten auch die Gesunderhaltung des Volkes und vor allem die schädliche Einwirkung der Beimengungen zum Futter bei der Aufzucht von Tieren zur Sprache kommen?
Ich möchte das hoffen.
Ich rufe die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Baier auf:
Entspricht es den Tatsachen, daß das Land Baden-Württemberg nach wie vor je aufgenommenen, vertriebenen und geflüchteten Landwirt nur halb soviel Bundesmittel aus Titel 571 des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erhält wie die übrigen Länder im Bundesdurchschnitt?
Was gedenkt der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu tun, um eine gleichmäßige Behandlung der heimatvertriebenen und geflüchteten Landwirte in der Bundesrepublik sicherzustellen und den in Baden-Württemberg überdurchschnittlich hohen Rückstau an Anträgen berechtigter SiedlerBewerber abzubauen?
Es ist richtig, daß rein zahlenmäßig und auf die Kopfquote des Anteils an vertriebenen und geflüchteten Landwirten bezogen Baden-Württemberg ungefähr die Hälfte der Siedlungsdarlehen und Siedlungszuschüsse bekommen hat - gerechnet nach dem Bundesdurchschnitt. Aber ich glaube nicht, daß das ein Maßstab ist, den man anwenden kann, und zwar aus folgenden Gründen.
Die Siedlung in der Bundesrepublik nach den bekannten siedlungsgesetzlichen Bestimmungen wurde bis zum Jahre 1963 nach den Anträgen der Länder gefördert. Bis dahin waren die Mittel sehr umfangreich und die Anträge in einem gewissen Rahmen, so daß kein einziges Land benachteiligt wurde. Wer bis dahin weniger Anträge hatte, hat dadurch seine eigene Quote verkürzt.
Seit dem Jahre 1963 sind die Dinge anders. Es muß eine Zuteilung vorgenommen werden, weil die Zahl der Anträge in. keiner Relation zur Höhe der Mittel, die zur Verfügung gestellt werden können, stand. Hier geht es darum, auf den Eingliederungseffekt zu sehen. Bei der Eingliederung von vertriebenen und geflüchteten Landwirten kommt es in allererster Linie darauf an, daß Vollerwerbsstellen geschaffen werden, weil das auch im Sinne der Agrarpolitik ist. Bei diesen Vollerwerbsstellen sind landreiche Länder wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen, die ebenfalls einen sehr hohen Flüchtlingsanteil haben, natürlich in einer besseren Ausgangslage. Das war der Grund. Das war keine absichtliche Benachteiligung, sondern das ist der Versuch, dem Sinn des Gesetzes gerecht zu werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Baier.
Herr Bundesminister, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich Ihre bisherige Verteilung dieser Mittel nicht kritisieren möchte, daß ich aber dennoch die Meinung vertrete, daß die
Herr Abgeordneter, das ist jetzt keine Frage, sondern das ist eine Feststellung, und Feststellungen können Sie in der Fragestunde nicht treffen.
Die Frage kommt jetzt, Herr Vizepräsident. - Herr Bundesminister, würden Sie nicht doch die Meinung vertreten, daß die Zahl der aufgenommenen vertriebenen Landwirte, deren Bedürfnis, eine Nebenerwerbsstelle zu errichten, im großen und ganzen in allen Bundesländern einheitlich ist, in Baden-Württemberg, wo ihr Anteil 17 % beträgt, eine höhere Zuteilungsquote um der Gerechtigkeit willen erfordert?
Ich möchte mich zunächst einmal für die Feststellung bedanken, daß Sie nicht kritisieren wollen.
Was die zweite Frage betrifft, so bin ich ein Anhänger der qualitativen und nicht der quantitativen Lösung.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Baier.
Herr Minister, wenn Sie ein Anhänger der qualitativen Lösung sind, dann die weitere Frage: Ist Ihnen bekannt, daß der Rückstau unerledigter Anträge auf Erstellung von Nebenerwerbssiedlungen in Baden-Württemberg weitaus größer ist als in den anderen Bundesländern?
Herr Kollege, das ist richtig. Ich bin aber kein besonderer Freund von vielen Nebenerwerbssiedlungen, weil wir sehr viele Nebenerwerbsbetriebe haben - über 500- bis 600 000 -, die uns nicht geringe Sorge machen. Aber ich glaube, man könnte Ihrem Anliegen dadurch Rechnung tragen, daß wir den Rückstau, der tatsächlich vorhanden ist, unter Gesichtspunkten des Eingliederungseffekts qualitativ genau untersuchen. Wenn sich hier bemerkenswerte Ergebnisse zeigen sollten, sollte auch eine Verteilung vorgenommen werden, die Ihrem Anliegen gerecht wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Minister, glauben Sie, daß die Einstellung der Bundesrepublik zu dieser Frage davon abhängig ist, ob Sie ein Freund der Nebenerwerbssiedlung sind oder nicht, oder von der Meinung, die sich in den Gesetzen ausgedrückt hat?
Sie haben vollkommen recht. Wenn ich sage: ich bin ein Freund einer qualitativen Lösung, dann drücke ich den Willen des Hauses aus.
({0})
Herr Abgeordneter Dröscher zu einer zweiten Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ohne das jetzt kritisieren zu wollen, darf ich fragen, ob Sie bei Ihrer Stellungnahme berücksichtigt haben, daß es doch subjektiv bei den Betroffenen einen durchaus gerechtfertigten Anspruch gibt, ihre frühere soziale Stellung eben durch die Errichtung einer Nebenerwerbsstelle zu erhalten, und daß das ein spezielles Anliegen der Gesetzgebung ist.
Ich glaube, daß wir bei beschränkten Mitteln - und sie werden nicht reichlicher - Prioritäten schaffen müssen. Ich glaube, daß sich das bei der. Eingliederung von Landwirten schon aus dem Begriff der Priorität ergibt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Minister, wie begründen Sie Ihre Behauptung, daß Ihnen die Nebenerwerbsbetriebe besondere Sorge machten, nachdem in Baden-Württemberg sowohl vor 35 Jahren als auch jetzt in den letzten Wochen festgestellt worden ist, daß gerade auf Grund der Tatsache, daß es dort zahlreiche solche Nebenerwerbssiedlungen und -stellen gibt, dieses Land wirtschaftlich außerordentlich gesund ist im Gegensatz zu anderen, wo es das nicht gibt?
Herr Kollege, jede Erkenntnis beginnt mit der Unterscheidung. Es ist vollkommen richtig, daß in Baden-Württemberg wegen der weit gestreuten Industrie und der gewerblichen Struktur Nebenerwerbssiedlungen einen viel günstigeren Effekt haben als in anderen Bereichen, in denen sie in einer Überzahl vorhanden sind, ohne daß eine Ausgleichsmöglichkeit in Form eines günstigen Hauptberufs zur Verfügung steht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Riegel.
Herr Minister, werden Sie die offensichtliche Benachteiligung des Landes Baden-Württemberg in Anbetracht der Quote vertriebener Landwirte in der Zukunft wettzumachen versuchen?
Eine offensichtliche Benachteiligung liegt nicht vor. Ich habe schon erklärt, daß bis zum Jahre 1963 alle Anträge voll bedient worden sind. Offenbar war damals nicht die nötige Zahl von Anträgen vorhanden, die die Relation zwischen der Kopfzahl und den Ergebnissen günstiger hätte beeinflussen können. Ich muß mich im übrigen an den Sinn des Gesetzes halten, er ist für mich ausschlaggebend.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, sollte nicht das Beispiel Baden-Württemberg, das Sie gerade zitierten, mit den besonderen Bedingungen, die dort herrschen, ein Vorbild für möglichst weite Teile der Bundesrepublik sein? Sollten wir nicht Nebenerwerbsbetriebe in der Art, wie sie dort bestehen und auch in anderen Teilen, z. B. in Franken, zu finden sind, wünschen und fördern?
Herr Kollege, wenn ich die Gelegenheit hätte, gleichzeitig eine Gewerbeanreicherung vorzunehmen, damit ein entsprechendes Ganzes zustande käme, sehr gern. Aber Sie wissen ja, daß diese Möglichkeit nicht vorhanden ist. Hier hilft Romantik nichts, sondern wir müssen sehen, daß wir eine gesunde Struktur erreichen, für die wir Jahr für Jahr hohe Beträge auswerfen, um eine familiengerechte Landwirtschaftspolitik treiben zu können, die auch die Landwirtschaftspolitik der EWG ist.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Minister, wenn wir in dem Punkt übereinstimmen, daß Romantik gar nichts hilft, ist dann Ihr Ministerium bemüht, Strukturpolitik in dem Sinne zu treiben, daß in ländlichen Gebieten Betriebe angesiedelt werden, die das zunehmend ermöglichen, was in Baden-Württemberg so vorbildlich besteht?
Wir bemühen uns seit Jahren mit Erfolg in der gleichen Richtung, zusammen mit den anderen Häusern, die hierfür mit zuständig sind. Aber die Ansiedlung von Betrieben ist nicht nur eine Sache des Staates, sondern eine Sache der Verkaufsmöglichkeiten und der Erfolgsmöglichkeiten. Hier wird leicht übersehen, daß man eine solche Frage nicht vom Ansiedlungswunsch her sehen darf, sondern von den wirtschaftlichen Möglichkeiten, vor allem von den Absatz- und Wettbewerbsmöglichkeiten her, sehen muß.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Minister, könnte Ihre Erkenntnis, daß die Nebenerwerbsbetriebe in Baden-Württemberg auf Grund der besonderen Struktur dieses Landes Ihnen keine Sorgen bereiten, dazu beitragen, daß die finanziellen Benachteiligungen, die bisher bestanden, beseitigt werden?
Ich kann den Begriff „finanzielle Benachteiligung" nicht ganz akzeptieren, weil es sich hier nicht um eine Kopfquote handelt, sondern um eine Qualitätsquote, die nicht so in Zahlen ausgedrückt werden kann. Aber wenn es Möglichkeiten gibt, wirtschaftlich sinnvolle Nebenerwerbsbetriebe zusätzlich in Baden-Württemberg einzurichten, dann wird es hier keine Schwierigkeiten geben. Es entsteht fast der Eindruck, als ob in Baden-Württemberg nichts geschehen wäre. Jahr für Jahr, auch in diesen knappen Jahren, waren es 30 bis 40 Millionen DM. Das sind zwei Drittel des Betrages. Ein Drittel muß das Land beischießen. Das Land wird dazu viel Gelegenheit haben, wenn es nicht einfach Anträge vorlegt, sondern solche Anträge, bei denen es bereit ist, das eigene Drittel zu erbringen. Auch hier sind einige Wünsche offengeblieben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Sind Sie bereit, Herr Minister, zur
. Lösung dieser Frage mit dem Herrn Landwirtschaftsminister von Baden-Württemberg engstens zusammenzuarbeiten?
({0})
Vorbehalte? Nein, nein! Wir leben im schwäbischen Zeitalter. Ich würde mich hüten, hier Vorbehalte zu haben.
({0})
Es gibt auch keinen Unterschied zwischen enger und engster Zusammenarbeit. Wir arbeiten eng zusammen mit allen Kollegen. Auch hier muß eine Gleichbehandlung stattfinden, und es darf die Zusammenarbeit in einer Richtung nicht ganz eng oder eine Funktion von eng sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Logemann.
Herr Minister, Sie sprachen von gewissen Schwierigkeiten landwirtschaftlicher Art bei Nebenerwerbsbetrieben. Darf ich fragen, ob Sie auch der Meinung sind, daß man gerade preispolitisch diese kleinen Betriebe unterstützen muß? Ich denke dabei an eine Äußerung von Ihnen, die neulich unter der Überschrift erschien: „Die Kuhställe müssen leer werden". Ich denke dabei vor allem an den Milchpreis für Kleinbetriebe. Sind Sie mit mir der Meinung, daß der Milchpreis für Kleinbetriebe auf der gleichen Höhe gehalten werden muß wie der für größere Betriebe?
Wir machen keine Unterschiede bei den Milchpreisen. Auch hier eine Gleichbehandlung. Wir haben überall 38 Pf und haben 39 Pf überall in Europa angestrebt. Das gilt für die Kleinen wie für die Großen. und die Überschrift „Die kleinen Kuhställe müssen leergemacht werden" stammt nicht von mir, sie gibt auch nicht etwas wieder, was ich gesagt habe, sondern ist eine phantasievolle Erfindung.
({0})
Frage 11 des Abgeordneten Baier:
Was gedenkt der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu tun, um eine gleichmäßige Behandlung der heimatvertriebenen und geflüchteten Landwirte in der Bundesrepublik sicherzustellen und den in Baden-Württemberg überdurchschnittlich hohen Rückstau an Anträgen berechtigter SiedlerBewerber abzubauen?
Diese Frage ist bereits im Sachzusammenhang mit der vorigen Frage beantwortet worden.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, zunächst zur Frage 80 des Abgeordneten Mertes:
Wann gedenkt die Bundesregierung die Maßnahmen zur Erhaltung einer unabhängigen Presse ({0}) in die Tat umzusetzen, die der Staatssekretär des Bundesinnenministeriums auf der Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft regionaler Abonnementszeitungen gefordert hat?
Herr Staatssekretär Benda!
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Prof. Dr. Ernst, hat in der Mitgliederversammlung des Vereins Regionalpresse am 8. Mai 1967 eine Reihe von Maßnahmen zur Erhaltung einer unabhängigen Presse in dem Sinne dargelegt, daß diese Hilfsmaßnahmen als Möglichkeit in Betracht gezogen werden können. Herr Kollege Mertes, Ihre Annahme, daß er diese Maßnahmen gefordert habe, ist insofern nicht zutreffend. Wie Sie wissen, hat die Bundesregierung am 8. März 1967 die Einsetzung einer Kommission beschlossen mit der Aufgabe, die Ursachen der wirtschaftlichen Notlage im deutschen Zeitungsgewerbe zu untersuchen und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen vorzuschlagen. Diese Kommission soll ihren Bericht bis zum 1. Oktober 1967 der Bundesregierung vorlegen. Auf der Grundlage dieses Berichts wird sich die Bundesregierung dann alsbald darüber schlüssig werden, welche Soforthilfemaßnahmen zugunsten notleidender Zeitungsverlage zu treffen sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Staatssekretär, besteht die Absicht, aus dem Katalog der Möglichkeiten, den der Herr Staatssekretär aufgezeigt hat, die eine oder andere zu realisieren?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Sicherlich, Herr Kollege, sind dies alles Möglichkeiten, bei denen aber, wie Sie natürlich wissen, zum Teil jedenfalls, wenn nicht in allen Fällen, auch die Mitwirkung des Gesetzgebers notwendig ist. Es kommt also nicht nur auf den Willen der Bundesregierung, sondern auch auf den Willen des Hohen Hauses an.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Staatssekretär, bedeutet der Hinweis darauf, daß man zuerst das Ergebnis der zuletzt eingesetzten Kommission abwarten will, daß von dem vor uns liegenden Gutachten der Sachverständigenkommission über die Wettbewerbsverhältnisse zwischen Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film und über die Untersuchungsergebnisse des Deutschen Presserates kein Gebrauch gemacht werden soll?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Selbstverständlich werden alle bisher vorliegenden Erkenntnisse mit berücksichtigt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, daß die neu eingesetzte Kommission in einem großen Ausmaß Großverleger und Rundfunkintendanten umfaßt, während kleine Verleger und Journalisten sehr spärlich in ihr vertreten sind?
Herr Abgeordneter, ich glaube daß dies eine eigene Frage und keine Zusatzfrage zu der hier gestellten Frage ist.
Ich stelle diese Frage ausdrücklich im Zusammenhang mit dem vom Herrn Kollegen Mertes aufgeworfenen Thema.
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Wenn ich die Frage insoweit beantworten darf, als Sie, Herr Kollege, einen Zusammenhang sehen oder herstellen wollen, dann darf ich sagen, daß nach Auffassung der Bundesregierung die Berücksichtigung der besonderen Situation der regionalen Presse durch die personelle Zusammensetzung der Kommission und die vorgesehene Art der Arbeit mit gewährleistet ist.
Ich komme zur Frage 81 des Abgeordneten Prochazka:
Billigt die Bundesregierung die Gründung einer Nationalbewegung griechischer Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Staatssekretär, bitte!
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer haben genauso wie deutsche Staatsbürger das Recht, im Rahmen der geltenden Gesetze Vereinigungen zu gründen. Solange sich diese Vereinigungen an die Gesetze halten und ihr Gastrecht nicht mißbrauchen, hat die Bundesregierung keine Möglichkeit, gegen sie vorzugehen. Der Umstand, daß die Bundesregierung zu der Tätigkeit solcher Vereinigungen keine Stellung nimmt, bedeutet nicht, daß sie die politischen Ziele dieser Vereinigungen entweder billigt oder mißbilligt.
Frage 82 des Abgeordneten Prochazka:
Treffen Meldungen zu, wonach Gastarbeiter in zunehmendem Maße in die Sowjetzone Deutschlands reisen und von dort mit Broschürenmaterial ausgestattet zurückkehren, um in der Bundesrepublik Deutschland die SED-Propaganda zu besorgen?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Es trifft zu, Herr Kollege, daß ausländische Arbeitnehmer aus der Bundesrepublik in den sowjetischen Sektor von Berlin und in die sowjetische Zone reisen. Allerdings ist dieser Personenkreis zahlenmäßig relativ gering. Im Jahre 1966 sind nach unseren Feststellungen 220 ausländische Arbeitnehmer in die SBZ oder in den Sowjetsektor von Berlin eingereist, während die Zahl der Gastarbeiter insgesamt in diesem Zeitraum bei rung 1 Million lag.
Keine Zusatzfrage? - Frage 83 des Abgeordneten Prochazka:
Sind der Bundesregierung genaue Zahlen über Teilnehmer aus Gastarbeiterkreisen bekannt, die an Kongressen und gesamtdeutschen Konferenzen der Zone teilgenommen haben?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Es ist bekannt, daß die SED und ihre Hilfsorganisationen politische Gespräche mit Gastarbeitern aus der Bundesrepublik geführt haben, insbesondere mit denen, die in die SBZ gereist sind. Genaue Zahlen kann ich nicht angeben. Sie halten sich aber in dem Rahmen, den ich bei der Beantwortung der vorigen Frage angegeben habe. Es sind also verhältnismäßig geringe Zahlen.
Es sind auch Gruppen ausländischer Arbeitnehmer zu sogenannten Studienaufenthalten in die Zone gereist und dort von sowjetzonalen Funktionären betreut worden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, wie sich diese 221 ausländischen Arbeiter, die in die Zone gereist sind, nach Nationalitäten aufteilen?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das kann ich im Augenblick nicht sagen, Herr Kollege. Ich habe nur diese Gesamtzahlen. Ich bin gern bereit, das im einzelnen nachzuprüfen und Ihnen die Zahlen zu sagen.
Herr Abgeordneter Müller ({0}) zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um der Beeinflussung solcher Gastarbeiter durch ostzonale Funktionäre entgegenzuwirken im Sinne unserer freiheitlichen Ordnung und Auffassung?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministers des Innern: Herr Kollege Müller, zu unserer freiheitlichen Ordnung gehört es sicherlich, daß der Ausländer, der Gast in unserem Lande ist, sich selber ein Urteil bilden soll. Selbstverständlich stellen wir ihm alle Informationsmöglichkeiten in unserem Bereich zur Verfügung. Im übrigen ist es, glaube ich, eine Sache dieses Personenkreises selbst, sich in dem Vergleich der Verhältnisse diesseits und jenseits der Zonengrenze sein eigenes Urteil zu bilden.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß man das einfach dem Zufall überlassen soll?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das ist nicht nur eine Sache des Zufalls, Herr Kollege Müller. Soweit wir darum gebeten werden - z. B. im Rahmen von Veranstaltungen -, stellen wir diesem Personenkreis selbstverständlich Informationen in dieser oder jener Form zur Verfügung. Wir glauben aber nicht,
daß wir diesen Ausländern den Eindruck vermitteln sollten, als ob wir ihnen Lehren in bezug auf ihre politischen Auffassungen erteilen wollten.
Herr Abgeordneter Lenders zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie schätzt die Bundesregierung die Gefährdung der Gastarbeiter in der Bundesrepublik durch rechtsradikale Einflüsse ein? Sind der Bundesregierung Zahlen darüber bekannt, wie stark die kommunistische Aktivität unter den Gastarbeitern im Vergleich zu einer antidemokratischen rechtsradikalen Aktivität unter den Gastarbeitern ist?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das läßt sich zahlenmäßig jedenfalls im Augenblick nicht, ich fürchte aber, auch nicht nach Nachprüfung der Zahlen, darstellen, schon deswegen nicht, weil die bei uns in einem gewissen Sinne übliche und vielleicht auch berechtigte Einteilung in Links- und Rechtsradikalismus, auf die Verhältnisse der Staaten übertragen, aus denen die Arbeitnehmer kommen, ein wenig schwierig ist.
Frage 84 des Abgeordneten Dr. Schulz ({0}) :
Wie beurteilt die Bundesregierung das Memorandum, das die Europa-Union im Rahmen der diesjährigen Europa-Aktion unter dem Motto „Alle Europäer wollen Reisen ohne Grenzkontrollen" an sie gerichtet hat?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Schulz, Ihre Fragen betreffen sowohl die grenzpolizeiliche als auch die Zollkontrolle. Ich beantworte sie deshalb im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen.
Der Vorschlag der Europa-Union, in der Reisezeit 1967 auf alle Grenzkontrollen zu verzichten, ist der Bundesregierung durchaus bekannt. Er ist ihr auch wohlverständlich. Er kann aber nach Auffassung der Bundesregierung in dieser Form nicht durchgeführt werden.
Zur Frage der Notwendigkeit der grenzpolizeilichen Kontrollen, die wiederholt sorgfältig geprüft worden ist, darf ich sagen, daß nach Meinung der Bundesregierung auch in der kommenden Urlaubszeit keine Möglichkeit besteht, über die bereits geschaffenen Erleichterungen hinauszugehen. Sie wissen sicherlich selbst - wie jeder von uns, der als Tourist in seiner Urlaubszeit andere Länder besucht hat -, daß sich diese Kontrollen in der Regel auf Stichproben beschränken, daß die deutschen Abfertigungsstellen, wo irgend möglich, mit denen der Nachbarstaaten zusammengelegt werden und daß im Eisenbahnverkehr die Kontrolle im fahrenden Zug ohne Verzögerung durchgeführt wird.
Die besondere Lage, in der wir uns befinden und die also einen Verzicht auf die Kontrolle nicht zuläßt, ergibt sich besonders daraus, daß an den Grenzen der Bundesrepublik sehr häufig Ausländer er5356
Parlamentarischer Staatssekretär Benda
scheinen, die sichtvermerkspflichtig sind. Unter den in das Gebiet der Bundesrepublik Einreisenden befinden sich, wie die Erfahrungen der Polizei zeigen, in einem erheblichen Umfang Ausländer, die unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet einwandern oder versuchen, hier eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Im übrigen zeigen auch die Erkenntnisse der von mir erwähnten Stellen, daß an den Grenzübergängen in hohem Maße die Kriminalität insofern bekämpft wird, als im Zusammenhang mit Fahndungsmeldungen Festnahmen erfolgen.
In zollmäßiger Hinsicht darf ich sagen, daß die Grenzen der Bundesrepublik jährlich von mehr als 200 Millionen Personen und 90 Millionen Kraftfahrzeugen überschritten werden. Würde man die Zollkontrolle vollständig aufheben, dann würde dies mit Sicherheit zur Einfuhr sehr großer Mengen unverzollter und unversteuerter und zusätzlich auch gesundheits- oder lebensmittelpolizeilich nicht geprüfter Waren führen, so daß im Endergebnis die Zoll-, Steuer- und Außenwirtschaftsgesetze sowie die sonstigen Einfuhrvorschriften weitgehend wirkungslos würden. Bei diesen sehr großen Warenmengen kann auf die Zollkontrolle des Reiseverkehrs erst dann verzichtet werden, wenn auch der gewerbliche Verkehr nicht mehr kontrolliert zu werden braucht. Voraussetzung hierfür wäre die Verwirklichung der Zollunion und des gemeinsamen Agrarmarktes, die Harmonisierung der Umsatz- und Verbrauchsteuern und die Rechtsangleichung der gesundheits- und lebensmittelpolizeilichen Bestimmungen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulz.
Herr Staatssekretär, besteht nicht trotz der von Ihnen dargelegten sachlichen Notwendigkeiten und Schwierigkeiten die Möglichkeit, wenigstens zu überprüfen, wie man im „Jahr der Touristik" an den deutschen Grenzen atmosphärische Erleichterungen schaffen kann, die den ausländischen Touristen den Eindruck vermitteln, daß es sich bei der Bundesrepublik um ein betont weltoffenes und aufgeschlossenes Land handelt?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich darf wiederholen, daß sich die zuständigen Stellen bemühen, im Rahmen des überhaupt nur Möglichen Erleichterungen durchzuführen. Einen Beitrag zum „Jahr des Tourismus" sieht die Bundesregierung auch darin, daß am 1. Oktober des vergangenen Jahres im Hinblick auf die Urlaubszeit 1967 neue Zollfreiheiten für den Reiseverkehr eingeführt worden sind.
Da Sie vom Atmosphärischen sprachen, Herr Kollege Dr. Schulz, darf ich aus eigenen Erfahrungen, die sicher viele von uns teilen werden, sagen, daß erstens im allgemeinen eine Kontrolle bei der Ausreise in das Ausland überhaupt nicht stattfindet und daß zweitens bei der Einreise derjenigen, die sich nach äußerem Erscheinen und Gesamtbild als
Touristen darstellen, in aller Regel entweder nur in Stichproben oder gar nicht kontrolliert wird, so daß der. größte Teil der als Touristen zu uns kommenden Ausländer wahrscheinlich von jeder unzumutbaren Belästigung verschont bleibt.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulz.
Herr Staatssekretär, sollten die Erfahrungen, die man in dieser Sommersaison an den Grenzen der Bundesrepublik mit gewissen Erleichterungen macht, positiv sein, ist dann beabsichtigt, aus diesen positiven Erfahrungen Schlußfolgerungen auch für die Zukunft zu ziehen?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Bundesregierung strebt jede nur mögliche Erleichterung an. Wenn die Praxis, die sich jetzt zeigen wird, dafür neue Hinweise gibt, dann wird ihnen sicherlich nachgegangen werden.
Ist damit auch Ihre Frage 85:
Ist die Bundesregierung insbesondere bereit, Möglichkeiten zu prüfen, wie der Empfehlung, in der kommenden Urlaubszeit in der Bundesrepublik auf Kontrollformalitäten an den Grenzen zu verzichten, entsprochen werden kann?
beantwortet, Herr Abgeordneter Schulz?
({0})
Dann rufe ich wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam die Fragen 86, 87 und 88 des Abgeordneten Dr. Rutschke auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Artikel 109 Abs. 3 der Reichsverfassung vom 11. August 1919 insoweit weiterhin gültiges Recht ist, als auch nach Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes der von Artikel 109 Abs. 3 Satz 2 der Reichsverfassung betroffene Personenkreis keinerlei Vorrechte genießt?
Billigt die Bundesregierung - im Hinblick auf diese Rechtslage -, daß Abkömmlinge des in Frage 86 bezeichneten Personenkreises bei offiziellen Anlässen durch staatliche Stellen bzw. deren Repräsentanten mit den Anreden „königliche oder kaiserliche Hoheit" usw. tituliert und lediglich auf Grund der früheren Vorrechte ihrer Ahnen protokollarisch bevorzugt werden?
Ist, aus gegebenem Anlaß, die Bundesregierung bereit, alle hierfür in Frage kommenden Dienststellen, insbesondere die der Bundeswehr, auf die Unzulässigkeit der in Frage 87 geschilderten Praktiken - weil dem Grundgesetz zuwiderlaufend - hinzuweisen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Rutschke, die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß gemäß Art. 123 des Grundgesetzes der Art. 109 Abs. 3 der Weimarer Verfassung als einfaches Bundesrecht weitergilt. Diese Bestimmung, die auf die Beseitigung aller adelsrechtlichen Privilegien gerichtet ist und die beim Inkrafttreten der Weimarer Verfassung geführten Adelsbezeichnungen lediglich als Bestandteil des bürgerlich-rechtlichen Namens fortbestehen läßt, stellt eine der Verwirklichung des Gleichheitssatzes dienende Maßnahme dar und entspricht somit auch dem Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes.
Parlamentarischer Staatssekretär Benda
Zu Ihrer zweiten Frage: Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß den in Art. 109 Abs. 3 der Weimarer Verfassung angesprochenen Personen nach dieser Rechtslage weder ein besonderer Titel noch irgendwelche Vorzüge protokollarischer Art auf Grund ihrer Abstammung zustehen.
Zu Ihrer dritten Frage: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß bei offiziellen Anlässen von diesen Grundsätzen abgewichen worden ist. Ich darf aber noch mitteilen, daß das Auswärtige Amt in Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium ein - wie es genannt werden soll - allgemeines Anredeverzeichnis vorbereitet, in dem die hier mitgeteilten Grundsätze Berücksichtigung finden und aus dem sich alle in Frage stehenden Personen und Persönlichkeiten darüber informieren können, wie sie andere Personen oder Persönlichkeiten anzureden haben - wenn sie das wollen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rutschke.
Ich darf also feststellen, Herr Staatssekretär, daß es keine Ausnahmen gibt, die im Gegensatz zu der Regelung ständen, wie Sie sie dargelegt haben. Es gibt also auch protokollarisch keine Ausnahmen?
Herr Abgeordneter, Sie müssen die Frageform wählen und können nicht Indikative Aussagen machen.
({0})
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege, die Rechtslage ist nach unserer Auffassung so, wie ich sie dargestellt habe. Der Bundesregierung sind keine Fälle bekannt, in denen von dieser Rechtslage abgewichen worden ist. Wenn sich Ihre Fragen auf Einzelfälle beziehen sollten, würde ich Sie bitten, sie uns bei Gelegenheit mitzuteilen. Wir werden dann selbstverständlich diesen Vorgängen nachgehen und diese bewegenden Fragen klären.
Ich rufe die Frage 89 des Abgeordneten Moersch auf:
Hat die Bundesregierung inzwischen festgestellt, ob bei der in der Fragestunde vom 16. Februar 1967 erörterten politischen Überprüfung indonesischer Studenten deutsche Grundrechte in vollem Umfang respektiert worden sind?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das nach Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes als Grundrecht gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht steht auch Ausländern zu. Das Bundesinnenministerium ist den Vorwürfen nachgegangen, die bei früherer Gelegenheit gegen die indonesische Botschaft und den indonesischen Studentenbund erhoben worden sind. Die 'Grundsätze, von denen sich das Bundesinnenministerium leiten ließ, lauten erstens dahin, daß es der Regierung eines anderen Staates selbst überlassen bleibt, welche Studenten sie auswählt, damit diese in der Bundesrepublik studieren können, daß zweitens die Maßnahmen der Heimatbehörden sich im Bundesgebiet nach unseren Vorstellungen über die Rechtsstaatlichkeit richten müssen. Die indonesische Botschaft hat dem Auswärtigen Amt zugesagt, daß Befragungen der genannten Art, auf die Sie sich bezogen haben, in Zukunft unterbleiben werden. Eine mögliche Verletzung von Grundrechten dürfte damit nach unserer Überzeugung für die Zukunft ausgeschlossen sein.
Herr Staatssekretär, Sie bestätigen also - im Gegensatz zu der ursprünglichen Darstellung, die an dieser Stelle gegeben wurde - indirekt, daß die Verletzung stattgefunden hat?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Praxis ist bekannt, und die rechtliche Bewertung ist so, wie ich es gesagt habe. Ich bestätige insoweit Ihre Rechtsauffassung.
Frage 90 des Abgeordneten Moersch:
Können indonesische Studenten, die sich dem Durchleuchtungsverfahren ihrer Organisation in der Bundesrepublik Deutschland nicht unterziehen, wenn sie als Folge dieser ,Weigerung Schwierigkeiten bei der Rückkehr ins Heimatland haben, aus diesen politischen Gründen Asylrecht bei uns beanspruchen?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Nach dem Ausländergesetz kann jeder Ausländer beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter stellen. Voraussetzung für die Anerkennung ist eine politische Verfolgung des Antragstellers. Diese Frage beantwortet sich nach dem Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951. Die Entscheidung darüber, ob bei dem von Ihnen angesprochenen Personenkreis diese Voraussetzung erfüllt sein wird, obliegt den Anerkennungsausschüssen beim Bundesamt in Zirndorf. Sie hängt matriell im wesentlichen von weiteren Maßnahmen Indonesiens ab.
Eine Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, ob auf Grund der vorher erwähnten Vorfälle solche Anträge schon gestellt worden sind?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Es sind seit Mai 1966 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge insgesamt von acht indonesischen Studenten Anträge gestellt worden, ohne daß ich sagen kann, daß sie unbedingt auf diesem Sachverhalt beruhen, auf den Sie sich beziehen. Die Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.
Zweite Zusatzfrage.
Darf ich aus Ihrer Bemerkung, die Verfahren seien noch nicht abgeschlossen, den Schluß ziehen, daß Sie auch jetzt noch nicht sagen können, ob die Studenten etwa zu Recht einer subversiven Tätigkeit im Dienste einer östlichen Nachrichtenorganisation oder ähnlichem verdächtigt worden sind?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das läßt sich beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens noch nicht sagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß_ zahlreiche Behörden der Bundesrepublik, die für die vorläufige Einleitung solcher Asylgesuche zuständig sind, versuchen, durch sofortige Ausweisungs- und Abschiebungsbescheide der ganzen nachfolgenden Prozedur ein Ende zu bereiten?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Nein, das ist mir nicht bekannt, Herr Kollege. Ich würde Sie bitten, solche Vorgänge, wenn Sie Ihnen bekannt sind, mir zuzuleiten. Ich werde sie sehr gern nachprüfen lassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Matthöfer.
Herr Staatssekretär, nach der Rechtslage, die durch das Ausländergesetz geschaffen ist, ist doch ein solches Verfahren durchaus möglich?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich habe Sie nicht ganz verstanden, Herr Kollege. Sie meinten das Verfahren, wie es Herr Kollege Kahn-Ackermann dargestellt hat?
({0})
Nun, ich will das im Augenblick ein wenig offenlassen. Das Ausländergesetz ermöglicht in bestimmten Fällen Maßnahmen gegen Ausländer, aber - soweit ich die Darstellung von Herrn Kollegen Kahn-Ackermann im Gedächtnis habe - nicht in dem Vorgang, auf den er sich bezieht.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Matthöfer.
Herr Staatssekretär, sollte sich bei einer Überprüfung herausstellen, daß das von Herrn Kahn-Ackermann angeführte Verfahren möglich ist, weil es wesentlich im Ermessen des Beamten steht, wie er sich verhalten will, würde dann eine Überprüfung der Rechtsvorschriften angemessen sein?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Wenn dies so wäre, würde man in der Tat darüber nachdenken müssen.
Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß es so ist. Selbstverständlich gibt es nach dem Ausländergesetz eine gewisse beschränkte Ermessensfreiheit in dieser Beziehung. Sie bedeutet aber keineswegs, daß der Beamte willkürlich oder nach persönlichem Ermessen handeln kann. Er ist nach dem Gesetz an bestimmte Voraussetzungen gebunden.
Wir kommen zur Frage 91 des Abgeordneten Moersch:
In welchem Umfang ist die „Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung" vom Bundesinnenminister herangezogen worden, um die Bundesregierung bei der gewünschten neuen Konzeption für die politische Bildungsarbeit sachkundig zu unterstützen?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Der „Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung" sind die Überlegungen zu einer Neugestaltung der politischen Bildungsarbeit schon sehr früh, nämlich in ihrer Sitzung vom 14. Mai 1966, also im vorigen Jahr, von Herrn Staatssekretär Professor Dr. Ernst vorgetragen worden. Die Aussprache hierüber ist begonnen worden, ist aber noch nicht abgeschlossen. Sie steht auf der Tagesordnung der nächsten Kommissionssitzung, die am 17. Juni dieses Jahres stattfindet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich den Umstand, daß Herr Professor Ernst in Loccum und anderswo bereits definitive Ansichten zu den neuen Möglichkeiten der politischen Bildung geäußert hat, obwohl diese Erörterungen gar nicht abgeschlossen sind und Herr Professor Ernst dort Ansichten geäußert hat, die die politische Bildung ganz entschieden in die Nähe der Propaganda rücken, also Thesen, die von der Beratungskommission heftig abgelehnt werden?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Moersch, zunächst möchte ich mir Ihre Schlußfolgerungen über den Inhalt der Ausführungen von Herrn Staatssekretär Professor Ernst keineswegs zu eigen machen. Im übrigen ist mir natürlich bekannt, daß Herr Staatssekretär Professor Ernst und noch andere beteiligte Stellen in unserem Hause bestimmte Vorstellungen über die Problematik haben. Diese Ansichten und Vorstellungen zu haben, gehört geradezu zu den amtlichen Pflichten dieser Stellen. Ich glaube nicht, daß eine Konzeptionslosigkeit auf einem solchen Gebiet der Sache förderlich sein würde.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Glauben Sie, Herr Staatssekretär, daß der Sinn einer Beratungskommission darin besteht, daß das Amt am Beginn der Gespräche bereits eine definitive Ansicht äußert, ehe die Kommission ihr Gutachten abgegeben hat?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Moersch, es handelt sich nicht um definitive Ansichten. Den Sinn einer Beratung in einer Kommission würde ich darin sehen, daß jeder mit bestimmten Ansichten und Überzeugungen dorthin kommt, diese in die Diskussion einbringt und dann mit der Bereitschaft, seine Ansichten an den Ansichten der anderen Beteiligten zu messen, versucht, mit ihnen gemeinsam zu einem guten Ergebnis zu kommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Wörner.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Ansichten von Herrn Professor Ernst den Mitgliedern des Innenausschusses schriftlich mitgeteilt wurden und daß sich aus diesen schriftlichen Mitteilungen eindeutig ergibt, daß die Auffassung des Kollegen Moersch, die er hier vertreten hat, nicht zutrifft, daß sich also keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß Herr Professor Ernst die politische Bildung etwa unter Gesichtspunkten der Propaganda sieht?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich habe bereits gesagt, daß ich in der Sache der gleichen Auffassung bin, wie Sie sie in Ihrer Frage ausdrücken wollen, Herr Kollege Dr. Wörner.
Wir kommen damit zur Frage 92 des Abgeordneten Kahn-Ackermann:
Welches Ergebnis hat die von dem Bundesinnenminister vor drei Monaten zugesicherte Überprüfung über die Einstellung der Tätigkeit des interministeriellen Ausschusses für die Zulassung von Ostfilmen gehabt?
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Kahn-Ackermann, der interministerielle Ausschuß für die Zulassung von Ostfilmen besteht nicht mehr. Nach § 5 des sogenannten Verbringungsgesetzes, des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote von 1961, ist es verboten, Filme, die ihrem Inhalt nach dazu geeignet sind, als Propagandamaterial gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung zu wirken, ins Bundesgebiet zu verbringen, soweit dies dem Zweck der Verbreitung dient.
Die Überprüfung dieses Einfuhrverbots obliegt dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft, das diese Aufgabe grundsätzlich in eigener Verantwortung wahrnimmt. Lediglich in den sehr seltenen Fällen, in denen das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft Zweifel hat, ob der Verbotstatbestand erfüllt ist, legt es den Film dem Bundesminister für Wirtschaft als der vorgesetzten Behörde vor. In diesen Fällen begutachtet der Bundesminister für Wirtschaft den Film, wobei er den beteiligten Ressorts Gelegenheit gibt, sich zu einzelnen Sachfragen zu äußern. In Form einer Ausschußberatung, wie es früher der Fall war, geschieht dies nicht mehr.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie folgendes fragen. Ist Ihnen bekannt, daß der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Herr Gumbel, alles, was Sie jetzt ausgeführt haben, hier bereits vor Monaten gesagt hat und wir ihm darauf entgegnet haben, daß auch dieses Verfahren beim Bundesamt verfassungswidrig ist? Daraufhin hat er gesagt, er werde nachprüfen lassen, ob dieses Verfahren entbehrlich sei und ob man nicht die ganze Angelegenheit den Stellen übertragen könnte, die verfassungsmäßig darüber zu entscheiden haben, in welcher Form ein Film zur Vorführung zugelassen werden könnte. Er hat zugesichert, daß das nachgeprüft und das Bundesministerium des Innern diesem Hause in Kürze eine Antwort dazu geben werde.
Sie werden wohl selbst nicht annehmen, daß Ihre Antwort mit diesem Versprechen Ihres Hauses in Übereinstimmung steht.
Benda, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege, die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit, von der mir natürlich bekannt ist, daß sie in diesem Hause und anderwärts immer wieder gestellt worden ist, war nicht Gegenstand Ihrer Frage - so wie ich sie verstanden habe. Ich bin aber gern bereit, darüber Ausführungen hier vorzutragen, die zugleich das Ergebnis unserer Prüfung enthalten.
Herr Staatssekretär Gumbel hat für das Innenministerium am 16. Februar 1967 hier zugesagt, diese Frage zu prüfen. Die Überprüfung hat ergeben, daß die Vorschriften des Überwachungsgesetzes, soweit sie die Filmüberwachung betreffen, mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Dies ergibt sich unter anderem aus folgendem. § 5 Abs. 1 Satz 1 des Überwachungsgesetzes ist eine sogenannte reine Verbotsnorm. Sie verstößt nicht gegen das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 des Grundgesetzes.
Zweitens. Das Recht der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes wird durch I§ 5 Abs. 1 des Überwachungsgesetzes nicht unzulässig eingeschränkt, da die Freiheit der Meinungsäußerung unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze steht und die Vorschrift des § 5 Abs. '1 des Überwachungsgesetzes ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes ist. Auch der Gleichheitsgrundsatz ist nach unserer Auffassung nicht verletzt.
Unbeschadet dieser rechtlichen Überzeugung, die mein Haus hat, darf ich sagen, daß die Frage, die auch Sie erwähnen, ob man das Verfahren nicht etwa der Freiwilligen Selbstkontrolle übertragen könne, geprüft worden ist, und zwar sowohl unter praktischen wie auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Schon aus verfassungsrechtlichen und verwaltungspolitischen Gründen ergeben sich erhebliche Bedenken, diesem Verfahren zu folgen, weil es sich bei der Freiwilligen Selbstkontrolle um eine private Einrichtung handelt, die öffentliche, behördliche Aufgaben nicht wahrnehmen sollte.
Parlamentarischer Staatssekretär Benda
Im übrigen muß ich Ihnen hinsichtlich der praktischen Seite mitteilen, daß die Freiwillige Selbstkontrolle es abgelehnt hat, gegebenenfalls in der Weise, wie es vorgeschlagen worden ist, tätig zu werden.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Die Fragestunde ist abgelaufen.
Wir kommen zur Fortsetzung der
zweiten Beratung des Bundeshaushalts 1967. Ich rufe zunächst Ziffer 26 auf:
hier: Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung
- Drucksachen V/1776, zu V/1776 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer Das Wort hat der Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich den schriftlich vorliegenden Mündlichen Bericht zu Einzelplan 31 mit einigen allgemeinen Ausführungen ergänze.
Zunächst ein Wort zu der Situation des Hauses, des Ministeriums für wissenschaftliche Forschung. Dieses Bundesministerium hatte den dringenden Wunsch geäußert, sich insbesondere im Bereich der allgemeinen Wissenschaftsförderung personell zu verstärken. Wir waren uns im Haushaltsausschuß einig, daß angesichts des Anwachsens der Mittel und auch der zu bewältigenden Aufgaben dieser Wunsch kaum abzuweisen ist. Wir sahen uns aber gezwungen, im Rahmen des allgemeinen Beschlusses des Haushaltsausschusses, grundsätzlich keine neue Stellen zu bewilligen, in diesem Zeitpunkt diese Stellenvermehrungswünsche zurückzustellen. Das wird natürlich nicht bedeuten, daß die berechtigten Wünsche nicht in allernächster Zeit erfüllt werden müssen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber ganz besonders darauf hinweisen, welche ungeheuere Arbeitslast und welche Verantwortung auf den Bediensteten gerade dieses Hauses liegt. Ich glaube, ich kann im Namen des ganzen Hohen Hauses den Beamten und Angestellten dieses Ministeriums den besonderen Dank dafür aussprechen, daß sie in den vergangenen Jahren eine so gute Arbeit geleistet haben.
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Ich möchte einige Bemerkungen zu den Fragen der allgemeinen Wissenschaftsförderung machen. Zunächst ein kurzer Blick auf das Zahlenbild, das sich uns hier darstellt. Wissenschaft und Forschung sind nach den Ergebnissen des Jahres 1966 von der öffentlichen Hand und der freien Wirtschaft insgesamt mit 11,2 Milliarden DM, das sind 2,3 % des Bruttosozialprodukts, ausgestattet worden. Davon wurden 2,6 Milliarden DM vom Bund aufgebracht, 4,1 Milliarden DM von den Ländern und Gemeinden und 4,5 Milliarden DM von der deutschen Wirtschaft.
Wenn ich Ihnen diesen Anteil am Bruttosozialprodukt nenne, dann ist sofort klar, wieweit wir von dem uns gesetzten Ziele, einen angemessenen Prozentsatz - also mindestens 3 % - des Bruttosozialprodukts für diese lebenswichtigen Zwecke aufzuwenden, noch entfernt sind. Das zeigt aber gleichzeitig, welche Aufgaben hier, insbesondere im Rahmen der mehrjährigen Finanzplanung, auf uns zukommen.
Ich darf vielleicht einen Blick auf die gegenwärtige Projektierung dieser mehrjährigen Finanzplanung zu diesem speziellen Punkt werfen. Ich möchte hier nur einen - sehr wesentlichen - Teil des Etats dieses Ministeriums herausgreifen, nämlich den Teil, der den Ausbau bestehender Hochschulen und den Neubau von Hochschulen und Universitätseinrichtungen betrifft. Hier sind im gegenwärtigen Etat 530 Millionen DM vorgesehen, und im Eventualhaushalt wurden bereits zusätzlich 25,8 Millionen DM bewilligt, so daß die Gesamtsumme 555,8 Millionen DM beträgt. Die Planung für die künftigen Jahre sieht vor, daß bis 1970 5,6 Milliarden DM von Bund und Ländern gemeinsam aufgebracht werden. Das würde eine Jahresrate von 1,4 Milliarden DM für Bund und Länder bedeuten, eine Ziffer, die heute bei weitem noch nicht erreicht ist. Daraus wiederum ergibt sich, daß dann in den kommenden Jahren bis 1970 eine entsprechend höhere jährliche Rate aufzubringen wäre. Hier wird bereits ganz deutlich eine finanzielle Grenze sichtbar, ein Problem, das meines Erachtens nur im Zusammenhang mit einer Finanzreform gelöst werden kann. Denn die Länderfinanzminister weisen - nicht ganz zu Unrecht, wie ich glaube - darauf hin, daß sie nach der gegenwärtig gegebenen Situation in sehr vielen Fällen bereits heute an einer kaum noch überwindbaren finanziellen Grenze angelangt sind.
Für die Errichtung neuer Hochschulen sieht diese mittelfristige Planung vor, daß von 1966 bis 1970 von Bund und Ländern 2,6 Milliarden DM aufgebracht werden sollen. Für die Jahre 1971 bis 1975 ist nach den gegenwärtigen Vorausberechnungen - es ist ja immer sehr problematisch, so weit in die Zukunft zu planen - ein Betrag von 2,5 Milliarden DM vorgesehen. Das sind also die Zahlen, die hier in die Zukunft projektiert werden und die uns auf ganz nüchterne Weise deutlich machen, welche ungeheuren Aufgaben noch zu bewältigen sind.
Wenn ich noch einmal auf die gegenwärtige Situation zurückkommen darf, so möchte ich das Hohe Haus bitten, zu würdigen, daß trotz der angespannten Finanzsituation, in der wir uns gegenwärtig befinden und die dazu geführt hat, daß bei einer Reihe von Ministerien kein Zuwachs mehr zu verzeichnen ist, sondern eine Kürzung stattgefunden hat, für dieses wichtige Ministerium, das die wissenschaftliche Forschung zu verantworten hat, ein Zuwachs von 278,8 Millionen DM vorgesehen ist. Dabei fällt besonders die Erhöhung der Ansätze auf dem Gebiet der allgemeinen Wissenschaftsförderung ins Auge. Sie sehen die einzelnen Zahlen am Ende des Einzelplans 31 aufgeführt.
Ich habe bereits betont, daß ohne eine sehr bald wirksam werdende Finanzreform und ohne die
schnelle Verwirklichung der mittelfristigen Finanzplanung diese wichtigen Ziele nur schwer erreichbar sind. Wir haben uns deshalb besonders gefreut, daß der Herr Bundeskanzler gestern betont hat, wie gut die Vorarbeiten für die mittelfristige Finanzplanung vorangekommen sind, und wir wissen auch, daß die Arbeiten an der Finanzreform vom Bundesfinanzministerium sehr zügig weitergeführt werden, so daß wir schon sehr bald konkrete Ergebnisse dieser Vorarbeiten vorliegen haben werden.
Ich möchte dann auf das zweite wichtige Gebiet der allgemeinen Wissenschaftsförderung kommen, nämlich auf ein neues großes Projekt, das vor uns steht: die Förderung der Datenverarbeitung in der Bundesrepublik.
Hier wurden bereits im Eventualhaushalt des Jahres 1967 20 Millionen DM bereitgestellt. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat die Ansätze für diese Aufgabe, die in dem Regierungsentwurf vorgesehen waren, weiter erhöht, und zwar von 10 auf 15 Millionen DM, und hat die Bindungsermächtigung von 5 auf 10 Millionen DM verdoppelt. Nach den Zusicherungen der verantwortlichen Herren auf diesem neuen Gebiet ist damit das, was in diesem Jahr geleistet werden kann, zahlenmäßig ausgedrückt, und es wird keine Einschränkung dieser anlaufenden Arbeiten aus finanziellen Gründen geben.
Wir sind uns aber klar darüber, daß diese Ansätze nur ein bescheidener Anfang eines sehr bedeutsamen Förderungsprogramms sein können, das uns im Laufe der nächsten Jahre sicherlich in ganz andere finanzielle Größenordnungen hineinführen wird. Wir werden dazu gedrängt, auf diesem Gebiet etwa ähnliche langfristige Projektionen und Ausarbeitungen zu machen, wie es natürlich in sehr viel größerem Umfang auf dem Gebiet der Atomforschung bereits mit beachtlichem Erfolg geschehen ist.
In diesem Hause ist das Interesse für dieses zukunftweisende Gebiet der Datenverarbeitung ganz allgemein so lebendig, wie man es sich lebendiger kaum vorstellen könnte. Wir haben die große Hoffnung, daß durch eine enge Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und der freien Wirtschaft die Bundesrepublik Deutschland hier wenigstens einen bescheidenen Ansatzpunkt finden kann, um die gegenwärtig bestehende alleinige Vorherrschaft . der Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet im ganz bescheidenen Maße an irgendeiner Stelle mit ausgleichen zu helfen. Wir sehen, daß in Frankreich und England ähnliche Bestrebungen im Gange sind.
Eine Sorge, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann ich in dem Zusammenhang allerdings nicht ganz unterdrücken. Ich spreche hier von meiner persönlichen Auffassung. Ich habe es nicht für allzu günstig gehalten, daß sich nun zwei Bundesministerien mit dieser Aufgabe befassen. Es wäre mir persönlich lieber gewesen, wenn eine Konzentrierung auf e i n Ministerium vorgenommen worden wäre, und zwar nach meinen Vorstellungen beim Ministerium für wissenschaftliche Forschung.
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Uns ist versichert worden, daß eine sachgerechte Abgrenzung zwischen Bundeswirtschafts- und -wissenschaftsministerium hier erreicht worden sei. Ich darf aber sagen: Wir werden sehr aufmerksam verfolgen, ob sich hier nicht Doppelarbeiten und Reibungsmöglichkeiten ergeben könnten. Wir wollen hoffen, daß sich das Bundeswirtschaftsministerium mit Schwergewicht auf das Gebiet der reinen Wirtschaftsförderung beschränkt. Aber eine enge Zusammenarbeit muß auf jeden Fall gewährleistet sein.
Nun noch einige Bemerkungen zu dem großen Gebiet der Atomforschung. Es handelt sich um Kap. 03 des Einzelplans 31. Hier sind, glaube ich, gerade auch durch die Diskussion über den Atomsperrvertrag die Erfolge und Fortschritte der Bundesrepublik und ihre heutige Situation besonders deutlich geworden. Ich möchte wünschen, daß das, was auf diesem lebenswichtigen Gebiet in Deutschland in den letzten Jahren erreicht worden ist, in ähnlicher Weise auf anderen Gebieten der wissenschaftlichen Forschung erreicht werden könnte.
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Ich möchte mir erlauben, auch in diesem Zusammenhang, eine Sorge auszudrücken. Der Haushaltsausschuß hat sich in seinen Beratungen in diesem Punkt mit der Frage beschäftigt, wie lange eigentlich noch der Staat durch Zuschüsse und Darlehen in Größenordnungen von Hunderten von Millionen dieses Gebiet unterstützen müsse, mit anderen Worten: wenn der Zeitpunkt gekommen sei, wo durch einen rein kommerziellen Ausbau der Energieversorgung auf dem Atomsektor der Staatshaushalt finanziell entlastet werden könnte. In dem Zusammenhang ist auf das schwierige Problem der kommerziellen Anschlußaufträge zu verweisen. Unser Minister hat das schon wiederholt sehr nachdrücklich getan.
Ein Aspekt macht uns immer wieder Sorge, nämlich die Frage, ob bei den Hilfsmaßnahmen für unseren Steinkohlenbergbau in allen Fällen genau darauf geachtet wird, daß nicht lebenswichtige Zukunftsentwicklungen abgebremst werden,
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z. B. wenn es darum geht, ein neues Energiewerk für die Stromerzeugung zu bauen, und sich dann die Frage stellt: Soll etwa über das Verstromungsgesetz die Steinkohle als Energieträger in Erscheinung treten, oder aber wäre es zweckmäßiger, auf den Atomstrom überzugehen? Genau das ist der neuralgische Punkt. Ich möchte dieses Hohe Haus bitten, scharf darauf zu achten, daß die sicher wichtigen und notwendigen Hilfsmaßnahmen für unseren Kohlebergbau nicht in der Konsequenz dazu führen, den Zukunftsenergieträger Atomenergie in seiner Entwicklung zu beeinträchtigen.
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Lassen Sie mich noch ein Wort zur Weltraumforschung sagen, zu dem jüngsten Gebiet, mit dem sich das Ministerium für wissenschaftliche Forschung zu beschäftigen hat. Es gibt wohl kaum ein Gebiet
der wissenschaftlichen Großforschung, wo sich bestehende Möglichkeiten auf der einen Seite, aber auch Not und Elend der europäischen Situation auf der anderen Seite so deutlich zeigen. In jüngster Zeit hat die europäische Weltraumforschung durch das Versagen der amerikanischen Trägerrakete für ein wichtiges Experiment, das unternommen werden sollte, einen schweren Schlag erlitten.
Vor 30, 40 Jahren war Deutschland auf diesem jungen Forschungsgebiet mit Pionierarbeiten führend in der ganzen Welt. Heute ist das gesamte Europa kaum in der Lage, einen auch nur einigermaßen befriedigenden Beitrag zu diesem wichtigen Gebiet der modernen Großforschung zu leisten. Wir haben es immerhin erreicht, daß in der deutschen Öffentlichkeit die Stimmen kaum noch Gehör finden, die da sagen: Diese kleine Bundesrepublik sollte sich aus diesem Forschungsgebiet gänzlich zurückziehen. Aber wenn wir schon die Erkenntnis nun wohl zum Allgemeingut gemacht haben, daß das eine entscheidend wichtige Zukunftsforschung ist, die hier betrieben wird, dann stellt sich natürlich sofort die Frage, welche Mittel in welcher Größenordnung von Deutschland und von Europa im Vergleich zu den beiden Giganten USA und Sowjetrußland aufgebracht werden können. Wie in einem Brennspiegel zeigt sich hier, daß Europa, wenn es alle seine Kräfte auf diesem Gebiet zusammenfassen würde, sicherlich in der Lage wäre, in wenigen Jahren einen beachtlichen Beitrag zu leisten. Solange aber auf diesem Gebiet noch eine weitgehende Zersplitterung herrscht und nicht alle Kraftanstrengungen unternommen werden, befinden wir uns einfach in einem deprimierenden hoffnungslosen Hintertreffen gegenüber den beiden Großmächten. Wenn es gelänge, an einem solchen Beispiel der Öffentlichkeit in Europa klarzumachen, wie wichtig es ist, so schnell wie möglich auf allen Gebieten die Einigung Europas herbeizuführen, dann könnte der Appell, den gestern der Herr Bundeskanzler von dieser Stelle aus an Europa gerichtet hat, sehr wesentlich unterstrichen werden.
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Ich darf Ihnen versichern, daß jedenfalls von deutscher Seite aus alles, aber auch alles getan wird, um auf diesem Wege voranzukommen. Wir haben uns in jüngster Zeit auch nicht davor gescheut, wesentliche neue Opfer auf uns zu nehmen und finanziell etwas mehr zu tun, als die Gefahr bestand, daß England aus dieser Gemeinschaftsaufgabe im europäischen Bereich herausgehen wollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute, ich möchte sagen: Gott sei Dank, schon zu einem Gemeinplatz geworden, daß die Fortschritte in Wissenschaft und Forschung unsere wirtschaftliche und auch politische Zukunft entscheiden. Ich glaube, wir sind uns in diesem Hohen Hause einig, daß von uns - auch auf dem finanziellen Gebiet - alles getan werden muß und, so hoffe ich, auch getan werden wird, um dieser entscheidenden Zukunftsaufgabe gerecht zu werden.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Geisendörfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, in Ergänzung der Ausführungen meines Kollegen Dr. Althammer, die er als zuständiger Referent des Haushaltsausschusses gemacht hat, noch einige wenige Bemerkungen und Anregungen, vor allem zu den Kapiteln 03 und 04, ohne ihn wiederholen zu wollen; denn er hat eine ganze Reihe von Problemen und Fragen angesprochen, die auch mir am Herzen liegen und die ich nachdrücklich unterstützen möchte.
In diesen Tagen hat jemand bei einem Überblick über die Tagesordnung der zweiten Beratung des Haushalts beiläufig bemerkt, erst kämen die politischen Haushalte an die Reihe - politisch in Anführungszeichen -, dann folgten die anderen. Ich glaube aber, daß sich in zunehmendem Maße in immer breiterer Öffentlichkeit die Ansicht durchsetzt, daß Wissenschaft und Forschung von eminenter innen- und außenpolitischer Bedeutung sind und daß alle Ausgaben, ,die auf diesen Gebieten gemacht werden, nicht etwa nur einem kleinen Kreis von bevorzugten jüngeren und älteren Gelehrten zugute kommen, ,die irgendwo in einem Elfenbeinturm sitzen und deren Forschungsergebnisse nur rein theoretischen Wert besitzen, sondern daß diese sich sehr rasch in eine fühlbare Hilfe für jeden einzelnen von uns im täglichen Leben umsetzen und ihm in einer Zeit, in der die Bevölkerung immer rascher wächst, eine menschenwürdige Existenz ermöglichen. Denn sie erleichtern nicht nur unmittelbar unser Leben, sondern dadurch, daß sie sehr rasch in die technische Entwicklung und in die industrielle Verwertung übergehen, stärken sie unsere Wettbewerbsfähigkeit auf ,dem Weltmarkt und halten dadurch unser Sozialprodukt stabil, und letzten Endes stellen sie damit auf lange Sicht auch unsere sozialen Leistungen sicher.
So möchte ich ausdrücklich für das Verständnis aller Beteiligten danken, die den Einzelplan 31 nicht nur nicht gekürzt, sondern ihn an manchen Stellen sogar noch aufgestockt haben, auch wenn noch nicht, wie Kollege Althammer ja eben schon betont hat, das Wünschenswerte in vollem Maße erreicht ist. Wir werden wahrscheinlich in den kommenden Jahren, wie ja auch schon betont worden ist, immer mehr an die Grenzen unserer finanziellen Leistungsfähigkeit stoßen. Ich möchte darum bitten, daß geprüft wird, ob an verschiedenen Stellen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln - also ohne Erhöhung der Mittel - nicht noch sinnvoller, ökonomischer, rationeller und effektiver umgegangen werden kann. Dazu gehören auch alle Überlegungen für die mittelfristige Finanzplanung, über die ja im großen Zusammenhang an anderer Stelle auch noch gesprochen wird. Diese sinnvolle Ausnutzung möchte ich aber nicht nur im Hinblick auf die personelle, sondern auch auf die finanzielle Kapazität verstanden wissen.
Lassen Sie mich daher dem Herrn Minister und seinen Mitarbeitern, einige eigene Beobachtungen vortragen und zu erwägen geben, ob und wie einige Anregungen verwirklicht werden können.
Aus dem Kreis der verantwortlichen Persönlichkeiten in wissenschaftlichen Instituten wird immer wieder die gegenseitige Deckungsfähigkeit von Personal- und Sachtiteln im Rahmen eines bestimmten Forschungsvorhabens gewünscht und vorgeschlagen, weil bei der Aufstellung des Haushaltsvoranschlages sehr oft nicht vorauszusehen ist, wie sich z. B. eine bestimmte Versuchsreihe anderthalb oder zwei Jahre später entwickelt und ob es dann nicht sinnvoller ist, etwa einen weiteren Mitarbeiter einzustellen, als eine technische Einrichtung oder Apparatur zu verändern oder auszubauen oder umgekehrt. Oder es kann sich in einem bestimmten Falle als notwendig und sachlich begründet erweisen, bei Kürzungen von Haushaltsmitteln lieber ein eingearbeitetes und nur schwer oder gar nicht zu ersetzendes Team von Wissenschaftlern und Technikern zu erhalten, als eine neue wünschenswerte technische Anlage zu erstellen.
In diesem Zusammenhang darf ich auch eine ganz konkrete Frage stellen. Staatssekretär Carstens vom Bundesverteidigungsministerium hat am 10. Februar den Entschluß der Bundesregierung bekanntgegeben, bereits vom Haushaltsjahr 1967 ab 400 Techniker, die bisher aus Entwicklungsmitteln des Verteidigungsministeriums beschäftigt wurden, auf den Raumfahrtsektor umzusetzen, für den der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung federführend ist. Darf ich nun fragen, wie dieser Entschluß der Bundesregierung realisiert worden ist oder werden soll und ob in einem Nachtragshaushalt dem Bundeswissenschaftsminister Mittel für die Beschäftigung dieser 400 Personen zugeteilt werden sollen?
In dieselbe Richtung geht auch die Frage junger Ingenieure, die ein sinnvolles Ziel ihrer Arbeit sehen wollen, die Frage an uns, an den Bundestag, und an die Regierung: Halten die zuständigen Gremien von Bundestag und Regierung eine deutsche Luft- und Raumfahrtforschung und -entwicklung weiterhin für notwendig und in welchem Rahmen für politisch und wirtschaftlich vertretbar? Ist nicht auf dem Gebiet von Luft- und Raumfahrt die reine Forschung ohne Entwicklung technisch und wirtschaftlich sinnlos, und muß nicht in Entwicklungsvorhaben auch der Bau von Prototypen einbezogen werden, damit ein effiktiver technologischer Fortschritt 'erreicht werden kann? Sie leiden darunter, daß ihre Vorschläge und ihre Entwicklungen in Panzerschränken verschwinden und nicht einmal bis zum Bau von Prototypen führen.
Wenn wir von Fragen der Luft- und Raumfahrt sprechen, möchte ich die Anregung aus dem Schriftlichen Bericht von Dr. Althammer unterstreichen, der feststellt: Der Haushaltsausschuß fordert seit längerem, daß die drei Institutionen, die in der DGF zusammengeschlossen sind, die Aerodynamische Versuchsanstalt in Göttingen, die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Braunschweig und die Deutsche Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Porz-Wahn zu einer Einheitsgesellschaft zusammengeschlossen werden. Der Haushaltsausschuß hat diesem Wunsch dadurch Nachdruck verliehen, daß der Betrag von 3 Millionen DM bis zur Vorlage eines Berichts über die Fusionsverhandlungen gesperrt bleibt.
Dieselben Vorstellungen hat auch der zuständige Fachausschuß entwickelt. Er unterstützt sie nach wie vor nachdrücklich. Außerdem hat, wenn ich mich recht erinnere, auch Herr Minister Stoltenberg in der Beantwortung einer Großen Anfrage am 12. Oktober 1966 diesen Wunsch ausgesprochen. Ich möchte auch in diesem Zusammenhang fragen: Wieweit sind diese Bemühungen gediehen?
Nun noch eine andere Frage. Eines unserer Sorgenkinder seit vielen Jahren ist Ispra. Es ist nicht nur unser Sorgenkind, sondern das Sorgenkind von sehr viel weiteren Kreisen. Die Mitglieder der zuständigen Ausschüsse kennen die Resolution des gesamten Personals - nicht nur des deutschen - von Ispra, in der dieses feststellt, daß es aufs äußerste beunruhigt ist über die Situation von Euratom, insbesondere im Bereich der Forschungszentren. Es heißt dann in dieser Resolution wörtlich:
Es beginnt in zunehmendem Maße Zweifel zu hegen an der Glaubwürdigkeit der an der Verantwortung beteiligten Politiker, die einerseits fortwährend ihrer Überzeugung von der Notwendigkeit gemeinsamer europäischer Anstrengungen auf dem Gebiet der Forschung infolge des technologischen und wissenschaftlichen Rückstandes Ausdruck geben und andererseits durch ihr Verhalten. in zunehmendem Maße dazu beitragen, daß umfangreiche, zu diesem Zweck bereits seit längerer Zeit bestehende und mit großem Kostenaufwand aufgebaute Einrichtungen mit Sicherheit zugrunde gerichtet werden.
Sie meinen, die beteiligten Länder müßten sich unbedingt auf eine klare Aufgabenstellung für die Forschung, die sich auf die verschiedensten Bereiche erstrecken sollte, einigen. Ich bin mir bewußt, daß die Formulierung, wie sie hier vorliegt, sehr hart ist. Wir alle kennen die Differenziertheit, die Schwierigkeit dieser Fragen. Aber ich möchte damit, daß ich das hier angesprochen habe, doch ausdrücken, daß wir die Beunruhigung bei dem Personal dieser Forschungsanstalt berücksichtigen und ihm eine Antwort geben sollten, die ihm einen Weg in die Zukunft zeigt. Wir werden daran mitarbeiten, auch da eine rasche und doch wohlüberlegte Lösung zu finden. Es ist sicher nicht mehr sehr viel Zeit zu verlieren. Ich weiß genau, daß die Zukunft von EURATOM viel diskutiert wird. Aber es müßte doch nun endlich eine Antwort gefunden werden, die der Sache gerecht wird und qualifizierten Wissenschaftlern und Technikern Gewißheit über die Gestaltung ihrer beruflichen und persönlichen Zukunft geben kann.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch den Ruf aufnehmen, den Professor Butenandt bei der Tagung der Max-Planck-Gesellschaft gerade gestern wieder erhoben hat: Intensivieren wir noch mehr die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet
von Wissenschaft und Forschung durch Schaffung von Schwerpunkten, zunächst in Europa. Die Delegationen des Wissenschaftsausschusses haben in Frankreich und in Großbritannien immer wieder erfahren, daß dieser Wunsch auch dort geäußert worden ist. Er ist uns nachdrücklich ans Herz gelegt worden.
Bisher habe ich nur von der Aufgabe gesprochen, vorhandene Kapazitäten an Personal, Geldmitteln und Einrichtungen besser auszunutzen und zu koordinieren. Sicher kann nicht mehr jedes Land und jede Hochschule mit modernsten und teuren Forschungseinrichtungen ausgestattet sein.
Zum Schluß möchte ich noch eine Anregung geben, einer neuen und, wie mir scheint, notwendigen Entwicklung Aufmerksamkeit zu schenken und Wege zu ebnen, und zwar der Entwicklung der Plutoniumtechnologie. Erschrecken Sie bitte nicht bei der Nennung von Plutonium, das wir bisher meist nur im Zusammenhang mit der Waffenherstellung zu hören gewohnt sind. Aber wir beschäftigen uns immer wieder mit der Frage - Herr Kollege Althammer hat ja schon etwas ausführlicher darüber gesprochen -, wie der zu erwartende, steigende Energiebedarf in den nächsten Jahrzehnten zu decken ist. Wir wissen, daß dabei Atomkraftwerke, von Leichtwasserreaktoren angefangen bis hin zu den schnellen Brütern, eine wichtige Rolle spielen werden. Dabei fällt Plutonium an, zu dessen wirtschaftlicher Weiterverwendung man rechtzeitig Vorkehrungen treffen sollte. Es gibt bereits Vorschläge und brauchbare Versuche zur Lösung dieses Problems. Ich meine, sie sollten sorgfältig geprüft und nach Möglichkeit unterstützt werden. Denn bisher ist, soweit Verfahren zugänglich sind, noch an keiner Stelle der Welt die Hantierung von Plutonium in den Bereich einer industriellen Fertigung vorgestoßen. Die Entwicklung der wirtschaftlich vertretbaren Technologie des Plutoniums ist deshalb von so großer Bedeutung, weil in den nächsten Jahren aus den schon in Betrieb genommenen, im Bau begriffenen und geplanten Atomkraftwerken große Mengen von Plutonium anfallen, die wegen des hohen Wertes möglichst bald Wiederverwendung finden sollten. Ich bin keine Wissenschaftlerin, kein Fachmann auf diesem Gebiet. Aber ich weiß, daß heute schon gangbare Wege aufgezeigt werden können, und diesen sollten wir nachgehen.
Zum Problem der Datenverarbeitung hat Herr Kollege Althammer schon Ausführungen gemacht. Ich möchte auch als Mitglied des Fachausschusses ganz nachdrücklich das unterstreichen, was er gesagt hat, vor allem die Bitte um Konzentrierung aller Bemühungen in einem Ministerium.
Meine Damen und Herren, ich will den Vorzug, daß der Einzelplan 31 heute morgen als erster an die Reihe kommt, nicht damit belasten, daß ich nun alle Wünsche, die wir haben und die mir und dem Ausschuß am Herzen liegen, aufzähle und damit die Geduld der Kollegen, die zu anderen Einzelplänen sprechen wollen, strapaziere.
Mir bleibt aber noch übrig, Dank zu sagen für die ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen unserem Ausschuß, dem Herrn Minister und seinen Mitarbeitern, darüber hinaus auch mit allen Persönlichkeiten in Wissenschaft und Forschung und Industrie, deren Arbeit mit diesem Einzelplan und der Zuständigkeit unseres Ausschusses zusammenhängt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter, Herr Dr. Althammer, war so freundlich, auf die schwachen Punkte dieses Etats und dieser Regierungstätigkeit gebührend hinzuweisen. Das erleichtert mir natürlich die Arbeit.
Der eine schwache Punkt ist der schwache Punkt des Bundeskanzlers, seine Organisationsgewalt bisher nicht im richtigen Ausmaß angewandt zu haben, z. B. eine Zusammenfassung der Kompetenzen auf dem Gebiete der Datenverarbeitung und ihrer Förderung herbeizuführen. Dazu war ja Zeit und auch Mehrheit, meine ich, vorhanden! Die Ansichten hier im Hause hätten dem gewiß nicht widersprochen. Ich kann mir also gar nicht recht vorstellen, welcher Hinderungsgrund hier vorhanden sein sollte, den sehr richtigen Anregungen des Herrn Kollegen Althammer zu folgen. Vielleicht der Hinderungsgrund, daß die beiden zuständigen Minister zwei verschiedenen Parteien angehören? Es wäre sehr bedauerlich, wenn es so wäre. Denn ich meines bei einer so wichtigen Aufgabe darf das keine Rolle spielen. Vielleicht auch einfach der Grund, daß die Bundesregierung sich noch keine rechten Vorstellungen über die Förderung der Datenverarbeitung selbst macht? Dafür spricht einiges. Außer der Anforderung von mehr Geld haben wir bisher nicht sehr überzeugend gehört, wie dieses Geld möglichst effektiv eingesetzt werden soll.
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- Frau Kollegin Geisendörfer, ich kann diese Frage nicht beantworten, weil ich nicht im Haushaltsausschuß bin. Der Haushaltsausschuß ist ja nun auch kein Oberkorrektor für alle Fehlentscheidungen der Regierung und kann es auch im Grunde genommen nicht sein. Er kann zwar das eine oder andere streichen; wenn wir aber den Haushaltsausschuß auf diese Weise sozusagen in die „höheren Weihen" erheben und glauben, er könne alles und jedes korrigieren, wo die Regierung selbst ausweicht, dann, glaube ich, machen wir einen Fehler. Wir sollten die Verantwortlichkeit nicht aus der Welt schaffen und den Haushaltsausschuß nicht mit solchen Aufgaben belasten.
Aber nun zu einem anderen Gebiet, auf das Kollege Althammer auch schon hingewiesen hat. Ich meine die Frage, wie es künftig mit der Förderung der Atomenergie und der Atomforschung in Deutschland aussehen soll, und zwar auf Grund der jetzt gegebenen technischen Möglichkeiten. Hier besteht zwischen dem Vorsatz, diese neue Energiequelle nach Kräften zu unterstützen, und der Tat bzw.
Nichttat doch leider eine außerordentlich große Differenz.
Wie bedeutsam die Entwicklung vorangekommen ist, hat Minister Stoltenberg vor kurzem erst mit Recht in Hamburg ausgeführt. Er hat dort am 18. Mai gesagt:
Die deutsche Industrie ist heute in der Lage, Kernkraftwerke mit Reaktoren erprobter Konstruktion anzubieten, die in ihrer technischen Qualität und im Preis den Wettbewerb mit ausländischen Anbietern bestehen können. Die nächste Stufe werden nun die kommerziellen Kernkraftwerke sein. Ihre Stromerzeugungskosten
- da bitte ich die Kollegen genau zuzuhören werden voraussichtlich um 15 bis 20 % unter denen ihrer stärksten Konkurrenten im Bundesgebiet liegen ...
- Mehr noch:
Diese Stromerzeugungskosten nähern sich den niedrigsten Stromerzeugungskosten, die zur Zeit überhaupt auf der Erde möglich sind. Die natürlichen energiewirtschaftlichen Standortvor- und -nachteile werden mehr und mehr an Bedeutung verlieren.
Zwischen dieser in Hamburg ausgesprochenen bedeutsamen Erkenntnis und Mitteilung für die Öffentlichkeit und dem Gesamtkonzept dieser Bundesregierung, etwa auf dem Gebiete der Energiewirtschaft, besteht eine so große Differenz, daß man einfach annehmen muß, daß entweder die Mehrheit des Bundeskabinetts den Ratschlägen des Ministers Stoltenberg nicht folgt oder daß diese wichtige, für die Zukunftsinvestitionen entscheidende Frage vom Bundeskanzler selber gar nicht richtig gesehen wird. Das scheint mir eine Frage zu sein, die mit diesem Haushalt des Wissenschaftsministers eng verbunden ist.
Wir erkennen dankbar an, daß dieser Haushalt weiter verstärkt werden konnte. Wenn man aber auf der einen Seite die Feststellung des Ministers hier liest und auf der anderen Seite eine gewisse Zaghaftigkeit in der Vorbereitung neuer Entscheidungen auf dem Gebiete der Energiewirtschaft sieht, ja geradezu eine stets neue Rücksichtnahme auf Strukturen, die nur mit großen finanziellen Aufwendungen weiterhin erhalten werden können, drängt sich doch die Frage auf, ob diese Mittel wirklich effektiv ausgegeben werden. Es werden dann doch zweimal Subventionen erforderlich, nämlich einmal für die Erhaltung dessen, was nicht mehr konkurrenzfähig ist, zum anderen für den Aufbau dessen, was konkurrenzfähig wäre, wenn man die Gelegenheit dazu böte. Und es ist keine optimale Verwendung öffentlicher Mittel, die sich hier abzeichnet, wenn Sie dieses Problem nicht lösen.
Das ist also eine Kritik an der Gesamtregierung, die wir hier vorzubringen haben. Die Erkenntnisse, die der Minister vorgetragen hat, sind neuesten Datums. Vor einem Jahr war das noch nicht so ganz sicher. Heute sind wir sicher, daß es so ist, und ich glaube, heute ganz besonders müssen wir auf diesen Punkt hinweisen, weil gerade durch die jüngste Entwicklung die Forderung nach einer billigen und standortunabhängigen, im Lande befindliche Energiequelle ganz besondere Bedeutung bekommt. Das heißt, die Frage der Unabhängigkeit von krisenempfindlichen Einfuhren wie beim Öl wäre hier auf die billigstmögliche Weise zu lösen, weil diese neuen Entwicklungen bereits vorhanden sind. Wir haben ja Hunderte von Millionen, ja Milliarden an öffentlichen Mitteln für die Förderung der Kernenergie-Entwicklung ausgegeben. Wir sollten auch die Konsequenzen ziehen. Daran scheint es mir zu fehlen.
Damit ist aber gleich ein weiterer Punkt hier anzusprechen, bei dem wir nicht ganz klar sehen. Ich glaube, daß Hohe Haus macht sich - hoffentlich! - keine Illusionen darüber, daß die erfreuliche Entwicklung auf dem Gebiete des Kernkraftwerkbaues nicht gekommen wäre, wenn wir uns auf einen provinziellen oder engen nationalistischen Standpunkt gestellt hätten. Diese Entwicklung war nur möglich, weil wir von Anfang an die internationale Zusammenarbeit, vor allem auch mit den USA und mit Großbritannien, mit den anderen europäischen Ländern gesucht und gefunden haben. Wir sollten nicht der Einbildung verfallen, daß die großen Leistungen, die bei uns heute zu bieten sind, möglich gewesen wären, wenn wir nicht zunächst einmal die erheblichen Kenntnisse etwa der Amerikaner übernommen hätten. Natürlich waren wir in der Forschung lange gehindert. Aber wir haben ganz erheblich davon profitiert und werden auch weiterhin davon profitieren, daß gewisse Irrwege, die dort gegangen worden sind, von uns nicht noch einmal mit teurem Geld beschritten werden mußten, was ja in der Forschung immer der Fall sein kann und der Fall sein wird.
Wenn das für die Kernkraftentwicklung heute gilt, dann fragt man sich, wie es eigentlich kommt, daß da und dort eine gewisse Engstirnigkeit in der Frage der Förderung der elektronischen Datenverarbeitung am Werke ist. Es war doch sehr amüsant, mitanzusehen, wie aus der Mitte dieses Hauses, von der Fraktion der CDU/CSU, im Abstand von wenigen Monaten zwei in der Tendenz grundverschiedene Anfragen zur Frage der Förderung der Datenverarbeitung gestellt worden sind. Die eine möchte ich mal die Anfrage aus Bayern nennen, die sehr provinzielle Fragestellungen enthielt; das andere war die Anfrage aus dem übrigen Bundesgebiet, die etwas weltoffenere Fragestellungen enthielt, um die erste Anfrage gewissermaßen zu konterkarieren. Beide Anfragen sind behutsam, aber doch meiner Ansicht nach nicht in allen Punkten ganz zutreffend beantwortet worden.
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- Dr. Althammer war der Erfinder der ersten Anfrage, wenn ich das mal dazu sagen darf; wenigstens hat er als erster darunter gestanden. Vielleicht war es nur das Pech, daß Ihr Name mit A anfängt; ich kann das nicht beurteilen. Aber jedenfalls kam aus dieser Ecke der Versuch, Gelder aus öffentlichen Kassen für Entwicklungen abzuzweigen,
die nicht so ganz sinnvoll sind, wenn man sie in der Provinz allein betreibt.
Gestatten Sie, Herr Abgeordneter Moersch, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte!
Herr Kollege Moersch, würden Sie vielleicht mit mir übereinstimmen, wenn ich feststelle, daß bei den tastenden Versuchen, hier den richtigen Weg zu finden, im Grunde jede Anfrage dem Ziel nützlich sein konnte?
Doch! Sie reisen gewissermaßen vom Irrtum zur Wahrheit, wenn Sie so fortfahren; da bin ich gar nicht im Zweifel.
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Nur: es ist doch bezeichnend für eine gewisse Hilflosigkeit in dieser ganzen Frage, daß in ein und derselben Fraktion so grundverschiedene Tendenzen allein schon in einer Anfrage zum Ausdruck kommen.
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- Herr Mengelkamp, wir pflegen uns vorher gründlich bei allen Seiten zu informieren und uns nicht etwas unterschieben zu lassen von einer Seite, die gerade daran interessiert ist, daß das im Bundestag gedruckt wird. Das ist ein gewisser Unterschied.
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Ich meine nur: Sie sollten hieraus lernen, daß es einer großen Behutsamkeit bedarf, wenn wir nun in großem Umfange öffentliche Mittel einsetzen müssen für ein Gebiet, hinsichtlich dessen selbst innerhalb Ihrer Fraktion so, ich würde sagen, weltanschaulich verschiedene Aspekte bestehen.
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- Das ist die Frage, ob einer wie der Türmer von oben nach unten das Ganze sieht oder ob einer aus der Perspektive, ich würde sagen, der Feldmaus die Welt betrachtet; dann sieht natürlich die Welt sehr groß und bedrückend aus. Das ist der Unterschied, der in der Art der Fragestellungen zum Ausdruck kommt.
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- Herr Althammer hat sich ja hier selbst nicht als Autor bekannt, er ist offensichtlich nur der Unglückliche, der als erster unterschrieben hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter Althammer!
Herr Kollege Moersch, würden Sie mir in der Feststellung zustimmen, daß es üblich ist, eine Initiative in diesem
Hohen Hause dann auch dem wirklichen Urheber zugute kommen zu lassen? Das war also keineswegs negativ gemeint.
Vielen Dank! Das war hier aber nur als Beispiel dafür gemeint, daß selbst im Ministerium - und man muß wohl sagen: in den Ministerien, denn man weiß ja nie genau, wer in diesen Fragen eigentlich zuständig ist -, daß selbst in den Ministerien sehr unterschiedliche Auffassungen über den Grad der eigenen Information bestehen. Darüber haben wir gewisse Erfahrungen mit einer Kleinen Anfrage gesammelt. Ich möchte den Beamten des Ministeriums zugute halten, daß sie hier aus bester Kenntnis gehandelt haben; aber beste Kenntnis heißt ja nicht unbedingt gute Kenntnis, und offensichtlich war die Kenntnis eben mangelhaft.
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- Mit dem Komperativ und Superlativ ist es eine schwierige Sache, Frau Geisendörfer. Das Gute kann mehr sein als das Bestmögliche. Jedenfalls war es nicht ausreichend. Es war vielleicht das Maximum dessen, was in diesem Ministerium an Antwort möglich war; aber es war nicht das Optimum dessen, was der Bundestag bei dieser Antwort zu erwarten gehabt hätte. Da, meine ich, liegt der Unterschied.
Ich will nur auf einige Dinge hinweisen. Es geht hier im Grunde um zwei ganz verschiedene Fragestellungen, die wir gründlich auseinanderhalten müssen, auch bei der Vergabe der öffentlichen Mittel. Es geht einmal darum, daß die Rechenkapazität für alle Wissenschaftsgebiete in Deutschland sichergestellt sein muß. Das ist keine Frage des Computerbaus oder etwas ähnliches. Das ist ein Hilfsmittel für die gesamte Wissenschaft. Eine Forschung, die nicht in der Lage ist, die modernsten Hilfsmittel zu benutzen, wird über kurz oder lang auf einen nicht angemessenen Stand zurücksinken. Uns ging es in unserer Frage und geht es auch heute darum, ob diese Bundesregierung in der Lage ist, verbindlich zu erklären, daß die Rechenkapazität in Deutschland ausreicht, um alle Forschungsvorhaben, die dieser Rechenkapazität bedürfen, wirklich durchführen zu können.
Der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung hat, wohl im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister, die Frage bejaht. Ich halte es für schlechthin unzulässig, diese Frage zu bejahen. Denn mir liegen Statistiken vor, wonach bereits im vergangenen Jahr die Zunahme der Rechenleistungen praktisch gestoppt worden ist. Das heißt, sie stagnieren mehr oder weniger stark. Da sich aber in der ganzen Welt und auch bei uns bisher die Anforderungen an Rechenkapazitäten jährlich verdoppelt haben, ist hier doch einfach der Fall eingetreten, daß nicht die Kapazität dem Bedarf angepaßt wurde, sondern daß sich der Bedarf der vorhandenen, zu geringen Kapazität anpassen mußte, d. h. daß soundso viele Forschungsstellen von der Möglichkeit, Rechenkapazität zu nutzen, gar nicht mehr Gebrauch machen konnten.
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- Ich kann Ihnen das auf einem ganz wichtigen Gebiet, auf dem Gebiet der Physik, nachweisen, Frau Geisendörfer. Es ist auch dadurch nachzuweisen, daß die Inanspruchnahme von Rechenkapazität von Hochschule zu Hochschule - und ich bin gern bereit, Ihnen eine vollständige Statistik aus allen deutschen Hochschulen vorzulegen, ich besitze sie - zum Teil um den Faktor 20 verschieden ist. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen; das kann doch nur so sein, daß hier eben Mangelerscheinungen auftreten, die uns auf die Dauer wissenschaftlich zurückwerfen müssen.
Wenn nun die Bundesregierung in ihrer Antwort behauptet, bei uns sei alles in bester Ordnung, dann muß sie sich sagen lassen, daß das offensichtlich auf ganz wichtigen Gebieten nicht stimmt, und das halte ich für sehr bedauerlich. Denn es hat keinen Sinn, sich hier etwas vorzumachen. Niemand vergibt sich etwas, wenn er gerade diesem Hohen Hause sagt, die Rechenkapazität reicht nicht aus. Dann müssen wir nämlich für die nächsten Etatberatungen die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Aber sich dabei zu beruhigen, daß sie ausreiche, und sich dann in drei Jahren beweisen lassen zu müssen, daß alle Prognosen falsch gewesen sind, das halte ich in diesem Zusammenhang schlechthin für unzulässig. Und genau das ist passiert.
Und ein Weiteres: Wenn hier in großem Umfange Mittel angefordert werden, dann muß, meine ich, das Konzept, das diesem Hohen Hause dafür vorgetragen wird, ganz klar sein, damit auch die Abgeordneten dieses Hauses hier mit entscheiden können. Nun ist es eine Schwierigkeit auf dem Gebiet des Wissenschaftsetats, die immer bestehen wird, daß auch die Ministerien im Grunde nicht in der Lage sind, aus erster Hand zu entscheiden; sie sind auf die Beratung durch die Sachverständigen angewiesen. Wir wiederum müssen das alles glauben. Das Peinliche an der Sache ist nur sehr oft, daß die Sachverständigen gleichzeitig auch die Interessierten oder gar die Interessenten sind. Deshalb ist auch einem Sachverständigenrat gegenüber Vorsicht am Platze, wenn es um die Verteilung relativ knapper Mittel geht.
Da hat, meine ich, der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung etwas zu schnellfertig eine Anregung abgelehnt, die wir gegeben haben, nämlich daß künftig auch für Vergabeentscheidungen von Selbstverwaltungskörperschaften der Wissenschaft das Prinzip der Öffentlichkeit, das in der Wissenschaft eine sehr große Bedeutung hat, in vollem Umfange gelten sollte, damit Fachkundige und Interessierte, auch diejenigen, die nicht zufällig in diesem Gremium drin sind, darüber urteilen können. Das scheint mir sehr notwendig zu sein.
Ein Zweites ist dabei zu bedenken. In der Antwort auf unsere Anfrage heißt es beispielsweise, daß alle Sachkundigen zu Rate gezogen worden seien und diese Meinung teilten. Ich stelle fest, daß z. B. diejenigen offensichtlich nicht gefragt worden sind, die diese Rechenkapazitäten benutzen, d. h. die Computerbenutzer des Rechenzentrums. Dann ist das eben nicht alles. Dann fehlt ein ganz wesentlicher
Teil, nämlich diejenigen, die davon Gebrauch machen wollen und Gebrauch machen sollen.
So ließe sich aus dieser Antwort auf die Kleine Anfrage noch eine ganze Reihe halbrichtiger Beantwortungen herauslesen, die mir den Verdacht aufdrängen, daß das Ministerium für die eigene Beurteilung offensichtlich noch nicht so ausgerüstet ist, wie es angesichts der großen Mittel, die eingesetzt werden sollen, einfach notwendig wäre.
Ein Weiteres in diesem Zusammenhang, die Frage der Kompetenzen, die hier schon angeschnitten worden ist. Ich halte es für eine merkwürdige Erscheinung, daß auf eine Kleine Anfrage zur Frage des Nachwuchses an den wissenschaftlichen Hochschulen nicht der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, sondern der Bundesinnenminister - in Zusammenarbeit mit dem erstgenannten - antwortet. Das wird außerhalb dieses Hauses keiner verstehen; das kann nur derjenige verstehen, der die ganze leidige Entwicklungsgeschichte dieser Kompetenzen kennt.
Unverständlich ist, daß bisher in der Bundesregierung dieser Kompetenzwirrwarr nicht beseitigt worden ist, trotz der Meinung, die in diesem Hause herrscht, daß das geschehen sollte. Es ist gleichzeitig merkwürdig, wenn eine so große Koalition, eine so zahlreiche Regierungsmannschaft und Koalition nicht in der Lage ist, im Verhältnis zu den Ländern gewisse Fragen, gewisse Themen durchzusetzen, die bisher sicherlich wegen der unterschiedlichen parteipolitischen Verhältnisse schwierig zu lösen gewesen sind.
Was soll eigentlich diese Koalition nützen, wenn sie nicht in der Lage ist, das Bund-Länder-Verhältnis gerade auf dem Gebiet der Wissenschaftsförderung, der Hochschulplanung und anderer Fragen so zu ordnen, daß die öffentlichen Mittel wirklich optimal und effektiv ausgegeben werden? Hier ist diese Regierung in den letzten Monaten kaum einen Schritt vorangekommen, obwohl sie auf Grund ihrer Mehrheitsverhältnisse im Bund und in den Ländern alle Möglichkeiten hätte, gewisse Fragen einmal definitiv zu klären, die hier endlich geklärt werden müssen. Das trifft vor allem auch für die Hochschulplanung und für anderes zu.
Aber vielleicht gibt es eine Erklärung für manche Saumseligkeit auf diesem Gebiet. Vielleicht ist die Erklärung in der Spitze dieser Bundesregierung selber zu suchen. Da hat der Herr Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger am 12. Mai 1965 zu der Frage des Bildungsberichtes der Bundesregierung - der immer noch nicht vorliegt - öffentlich erklärt, es sei eine unmögliche Zumutung, wenn der sogenannte Bildungsbericht vom Bundesinnenminister erstattet werden würde. Weiter heißt es in dieser DPA-Meldung:
Kiesinger wies ... in Stuttgart nachdrücklich auf die Verantwortung der Länder in der Kulturpolitik hin und leitete daraus den Anspruch ab, daß die Länder auch den Bildungsbericht geben müßten. Der Bildungsbericht ist eine Mitteilung über Bildungsstand und -planung in der Bundesrepublik.
Wenn das vor genau zwei Jahren geschehen konnte und aus dem Munde des Mannes kam, der heute die gesamtstaatliche Verantwortung wahrzunehmen hat, wenn er hier in dieser Weise Kulturföderalismus fast karikierte, indem er einfach dem Bund jede Möglichkeit absprechen wollte, auch nur einen Bildungsbericht zu erstatten, dann allerdings, glaube ich, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn trotz der Verstärkung im einzelnen beim Etat 31 und wenn trotz der guten Arbeit, die die Beamten des Ministeriums ganz zweifellos hier leisten, die Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung auf dem Gebiet der Bildungspolitik und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern nicht funktioniert, weil der Chef dieser Regierung seit Jahren offensichtlich aus der falschen Perspektive an diese Fragen herangeht und heute nicht den Mut und auch nicht die Tatkraft besitzt, Dinge zu ändern, die jetzt in dieser Koalition schleunigst geändert werden müßten.
Wir bedauern, aus diesen Gründen dem Einzelplan 31 nicht zustimmen zu können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein paar Worte zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Moersch sagen. Es ist gar kein Zweifel, daß bei einer so schwierigen und zum Teil neuartigen Materie wie etwa der Datenverarbeitung, der Atomenergie, aber auch der Weltraumforschung eine gewisse, wie er sich ausdrückte, „Hilfslosigkeit" in manchen Fragen entsteht. Ich erinnere daran, was ein Journalist wie Robert Jungk, der sich ausgiebig mit diesen Fragen beschäftigt, über die Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion ausgeführt hat, die notwendig sei, um überhaupt zu zukunftsträchtigen Ergebnissen zu kommen. Darin zeigt sich nämlich, in welcher Situation wir uns auf diesen Gebieten befinden.
Hier war von der Abgrenzung der Zuständigkeiten die Rede. Dazu muß ich sagen, auch wir wünschen, daß die Wissenschaftspolitik des Bundes in einer Hand liegt. Das können wir aber nur wünschen, denn die Organisationsgewalt hat nun einmal die Regierung unter Führung des Kanzlers. Wir werden, auch wenn wir es könnten, keine Repressalien anwenden, werden also nicht sagen: für diese oder jene nach unserer Auffassung falsch ressortierte Geschichte wird eben kein Geld bewilligt. Ich darf als Beispiel das Deutsche Archäologische Institut erwähnen. Dieses ist in der ganzen Welt berühmt; es besitzt in der ganzen Welt Außeninstitute. Daß dieses Institut in der Zuständigkeit des Innenministers liegt, ist ein rein historischer Zufall, weil es nämlich im Kaiserreich keinen Forschungsminister oder dgl. gegeben hat. Solche historisch und nicht aus der Sache begründeten Zufälligkeiten gibt
es aber auch auf der anderen Seite.
Das Forschungsministerium ist aus einem Ministerium für Atomenergie und Wasserwirtschaft hervorgegangen. Infolgedessen sind wirtschaftliche Dinge noch immer in der Zuständigkeit des Wissenschaftsministeriums. Das sind nach meiner persönlichen Auffassung Fragen, die man einmal sine ira et studio ganz sachlich im Kabinett erörtern sollte und bei denen sachdienliche Abgrenzungen vorgenommen werden sollten.
Herr Moersch hat beanstandet, daß auf dem Gebiet der Energiewirtschaft in zweierlei Richtung subventioniert wird, nämlich einmal in der Frage des Fortschritts bei der Energiegewinnung aus der Kernspaltung und auf der anderen Seite bei der Kohle. Ich finde, daß in einem sozialen Rechtsstaat, wie wir ihn hoffentlich haben, mindestens nach dem Grundgesetz haben müssen, kein Widerspruch in der Anwendung sozialer Gesichtspunkte bei einem Energiezweig liegt, der in der Schrumpfung begriffen ist. Ich finde, daß unter diesen Gesichtspunkten auch entsprechende Ausgaben für Umschulung und dgl. zu leisten sind. Es liegt kein Widerspruch vor, wenn man auf der anderen Seite eine selbstverständlich am Beginn noch zu teure Energiequelle wie die Atomenergie so lange subventioniert; ich will jetzt die Frage beiseite lassen, ob aus dem Wirtschaftsetat, aus ERP-Mitteln oder aus dem Wissenschaftsetat. Sie sollte jedenfalls so lange subventioniert werden, bis man in der Lage ist, Atomenergie wirtschaftlich zu erzeugen, und zwar wie wir gehört haben, zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich wesentlich wirtschaftlicher als andere Energiequellen.
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Die Frage der Ausnutzung der Rechenkapazitäten in der Bundesrepublik ist Gegenstand vieler Beratungen gewesen. Ich erinnere mich daran - ich denke, Herr Moersch, Sie waren dabei -, daß die Herren von der Max-Planck-Gesellschaft, der Forschungsgemeinschaft, die Präsidenten der Rektorenkonferenz und des Wissenschaftsrates hier waren und gehört worden sind, speziell zu dieser Frage der Präsident der Forschungsgemeinschaft. Die Forschungsgemeinschaft ist dabei und hat schon erhebliche Erfolge bei der gemeinsamen Ausnutzung der Rechenkapazitäten erzielt, und zwar unabhängig vom jeweiligen Standort. Soweit ich es beurteilen kann, hat sich da schon eine rationelle Benutzung eingestellt. - Bitte, Herr Moersch!
Herr Abgeordneter Moersch zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Dr. Rau, wie erklären Sie sich dann die Tatsache - bei aller Anerkennung von Selbstverwaltungskörperschaften -, daß die Computerbenutzer, die Benutzer dieser Rechenkapazitäten, offensichtlich bei den ganzen Beratungen über den Aufbau dieses Netzes bisher nicht befragt worden sind? Ich konnte es jedenfalls nicht feststellen.
Die Beratungen, die die Forschungsgemeinschaft in ihren Reihen führt, entziehen sich unserer Kontrolle. Trotzdem halte ich es,
ehrlich gesagt, für gänzlich ausgeschlossen, daß die Forschungsgemeinschaft sich nicht des Rates aller Sachverständigen bedient. Aber ich möchte Sie jetzt bei Ihren eigenen Worten fassen, Herr Moersch. Sie sagten vorhin, man solle diese Dinge nicht unter dem Gesichtspunkt der Interessen der einzelnen Benutzer beurteilen, sondern von einem übergeordneten Standpunkt aus. Die Benutzer dieser Anlagen sind selbstverständlich in einem gewissen Sinne Interessenten. Wenn die Forschungsgemeinschaft neutral zu sein versucht, tut sie nur ihre Pflicht.
Jetzt darf ich noch ein paar Bemerkungen zur allgemeinen Wissenschaftspolitik machen, unabhängig von dem, was Herr Moersch gesagt hat. Es sind sicherlich noch wichtige Fragen übriggeblieben. Ich denke, daß der Herr Minister für wissenschaftliche Forschung - oder sonst jemand hier im Hause - sich noch dazu äußern wird.
Was mich etwas bedrückt, ist die Tatsache, daß die Länder doch schon vor drei Jahren ein Abkommen über die Finanzierung der Universitätsneugründungen abgeschlossen haben, auf Grund dessen ein Topf gebildet wurde, der bei weitem nicht zureicht, alle Universitätsneugründungen zu finanzieren. Die in dem Abkommen - als höfliche Geste - dem Bund angebotene Beitrittsmöglichkeit hat bis jetzt zu nichts anderem als zu einem mir viel zu lange dauernden Tauziehen geführt. Die Haltung der Länder in dieser Frage ist unterschiedlich.
Wir dürfen aber wohl etwas festhalten - was ich jetzt persönlich sage, ohne es mit meinen politischen Freunden abgestimmt zu haben -: die Universitäten sind nach wie vor in Deutschland die Hauptträger der wissenschaftlichen Forschung, mindestens quantitativ. Je länger ich über die Situation nachdenke, die wir hinsichtlich der Neugründungen vor uns haben, desto mehr neige ich zu der Empfehlung, der Herr Minister für wissenschaftliche Forschung sollte doch wieder einmal dem alten Gedanken sein Augenmerk zuwenden, ob es nicht notwendig ist, im Rahmen der Zuständigkeit nach Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes ein Forschungsförderungsgesetz des Bundes zu erlassen.
({0})
- Herr Martin, dabei soll erstens ein gewisser Ausgleich herauskommen. Gerade für das Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern verlangt das Grundgesetz vom Bund, dafür zu sorgen, daß kein allzu großes Gefälle zwischen den einzelnen Regionen der Bundesrepublik eintritt. Daher soll also ein Ausgleich erfolgen. Ich könnte mir denken, daß das Forschungsförderungsgesetz etwa bestimmt: Wenn ein Land mindestens x Prozent seines Bruttosozialprodukts des Vorjahres für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung verwendet, dann und nur dann ist der Bund bereit, y Prozent dazuzulegen, wobei aber diese y Prozent errechnet werden aus dem Bruttosozialprodukt des Bundes und dem prozentualen Bevölkerungsanteil des betreffenden Landes.
Der zweite Gesichtspunkt, der hier eine Rolle spielt, ist folgender, Herr Dr. Martin. Der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung betont - sicher mit Recht - immer wieder, der Bund müsse, wenn er sich im Bereich der Forschung finanziell engagiere, auch eine gewisse Einflußmöglichkeit und ein gewisses Mitspracherecht verlangen. Diese Dinge können in einem Forschungsförderungsgesetz - das natürlich der Zustimmung des Bundesrates bedarf - in einer fairen Weise zwischen den Partnern Bund und Ländern geregelt werden.
Das dritte, was durch ein Forschungsförderungsgesetz geleistet werden könnte - zumindest verfahrensmäßig -, wäre etwas, was angesichts der Entwicklung der Wissenschaft - nicht nur in Deutschland - einfach notwendig ist, nämlich endlich eine Schwerpunktbildung zustande zu bringen. Eine solche Schwerpunktregelung kann ja immer nur überregional sein, also nie von einem einzelnen Land allein bewältigt werden.
Wie gesagt, ich spreche in diesem Falle nur für meine Person. Ich sage auch nur, daß ich anregen möchte, dieser Frage einmal wieder nachzugehen.
Über die Konzentration der Zuständigkeit haben wir gesprochen.
Zum Schluß. möchte ich noch einen Punkt erwähnen, der demnächst eine gewisse Aktualität erlangen wird und teilweise schon erlangt hat dadurch, daß die Bundesregierung auf Anforderung dieses Hauses einen Entwurf für die Novellierung. des Beamtenrechts hinsichtlich der Hochschullehrer vorgelegt hat. Hierbei handelt es sich für mich auch um eine Frage der Rationalisierung. Es ist unrationell, wenn mit Aufgaben, die ihrer Natur nach nicht einer Erledigung durch wissenschaftliche Forscher bedürfen, sondern auch von anderen Wissenschaftlern ebenso gut oder zum Teil sogar besser erfüllt werden können, wissenschaftliche Forscher belastet werden. Das sage ich nicht etwa, weil die Gehälter der Wissenschaftler, die nicht Forscher sind, niedriger wären - darüber will ich überhaupt nichts sagen -; aber wenn jemand in seinem Beruf neben der Lehre die Forschung betreibt, dann braucht er vor allem einen meist sehr kostspieligen Apparat. Das gilt für jeden einzelnen Forscher. Der Forschungsapparat ist das, was ins Geld geht. Wenn wir die Beamtenlaufbahn, die ich einzuführen schon immer und immer wieder vorgeschlagen habe, in den wissenschaftlichen Hochschulen nicht einführen, bleibt nichts anderes übrig, als daß es die Hochschullehrer selber tun und damit ihre Zeit vergeuden, wodurch der Wissenschaft schwerer Schaden entsteht. Sonst könnten wir mit unserem Geld sehr viel mehr erreichen, als wir so, wie die Dinge heute liegen, erreichen können.
Ich will jetzt ganz zum Abschluß noch ein Wort zu dem sagen, was am Anfang der Antwort auf den Beitrag des Herrn Kollegen Moersch schon erwähnt worden ist. Da geht es um die Fragen der Weltraumforschung, der Datenverarbeitung, des Computer-Systems usw. Wie es auch schon in den Ausführungen meiner Vorredner angeklungen ist, müssen wir hier sehr bald - vielleicht nicht gerade jetzt, wo wir aus wirtschaftspolitischen Gründen auf bestimmte Industriezweige sehr große Rücksicht nehmen müssen - die wissenschaftspolitische Seite. insofern be5370
sonders in Betracht ziehen, als es sinnlos ist, soundso viel Jahre mit unseren Arbeiten nachzuholen, was andere Länder schon gemacht haben, die früher darangegangen sind oder die Pause genutzt haben, die uns auferlegt war.
Bei einer wissenschaftspolitischen Gesamtschau muß erreicht werden, daß wir auf schmalen Sektoren - aber auf Sektoren, wo wir mit unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen, was gerade auf diesen Gebieten zum Teil der Fall ist, vorn stehen und nicht hinten nachkommen - progressiv weiterarbeiten, um die Entwicklung voranzutreiben. Wir sollten also nicht eine kaleidoskopische und breit angelegte Forschung auf all diesen teuren Gebieten betreiben, sondern uns auf schmale Sektoren beschränken, aber auf Sektoren, auf denen wir ohnehin schon weiter sind als die Wissenschaftler in anderen Ländern und von denen wir den Partnerländern etwas geben können. Das ist das entscheidende künftige wissenschaftspolitische Ziel auf diesen Gebieten, dessen Erreichung in Angriff genommen werden sollte, sobald uns die Schwierigkeiten in der Industrie bezüglich der Arbeitsplätze nicht mehr auf den Nägeln brennen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Herrn Dr. Rau sehr dankbar, daß er die Diskussion noch auf einen Punkt gebracht hat, der mir bis jetzt zu fehlen schien.
Herr Althammer und Frau Geisendörfer haben Ausführungen über Reaktorentwicklung, Datenverarbeitung und Weltraumfahrt gemacht. Von diesen Gebieten glaube ich annehmen zu können, daß ihre Entwicklung einen guten Verlauf nehmen wird, im Prinzip richtig angelegt ist und uns im Grundsatz keine Beschwerden bereitet.
Ich glaube, die bildungspolitische Diskussion in Deutschland hat in diesem Jahr einen anderen Schwerpunkt. Er ist von Herrn Rau mit dem Hinweis auf Neugründung und Ausbau von Universitäten sowie das Verhältnis von Bund und Ländern angeschnitten worden. Die große Unbekannte der Bildungsplanung in den hetzten Jahren ist immer der Bedarf an Akademikern in der Zukunft gewesen, und der ganze Ausbau der Universitäten hat sich an Vorausschätzungen orientiert, die sehr unsicher waren.
Mir scheinen in diesem Jahr zwei Dinge neu zu sein. Einmal ist durch eine Studie von Professor Riese jetzt Klarheit über den künftigen Bedarf an Akademikern geschaffen worden. Sie wissen, daß ein Mann wie Edding Zahlen von 500 000 und 600 000 prognostiziert hat, sozusagen als ein Naturereignis der gesellschaftlichen Entwicklung. Er hat Bund und Länder schlechthin aufgefordert - stellvertretend für viele -, sich diesem Studentenstrom auch institutionell zu stellen. Das Ergebnis von Riese ist, daß die Studentenexpansion schon stattgefunden hat, daß wir die Hochschulabsolventen, die diese Gesellschaft braucht, bereits haben. Das ist eine ganz wichtige Einsicht und zwingt uns zu einem gewissen Umdenken auf diesem Gebiet. Wir müssen davon ausgehen, daß der künftige Bedarf an Hochschulabsolventen teilweise stark überschätzt worden ist. Riese drückt das so aus, daß für die wachsende Zahl der Absolventen keine ausreichenden Marktchancen mehr vorhanden sind, daß also das, was man früher die Gefahr des akademischen Proletariats und dergleichen genannt hat, keine Utopie mehr ist. - Bitte schön!
Herr Kollege, sind Sie nicht der Auffassung, daß die Ergebnisse von Herrn Riese, bevor Sie sie in diesem Plenum bekanntgeben und vielleicht weitere parlamentarische Entscheidungen auf diese Art und Weise vorbereiten, zunächst einer etwas kritischen Würdigung unterzogen werden müssen, insbesondere da die von Herrn Riese angestellten Schätzungen des künftigen Akademikerbedarfs zumindest auf dem Gebiet der Pädagogik, der Erziehung und der Lehrerbildung falsch sind? In wesentlichen Prozentsätzen ist das unterschätzt worden!
Ich glaube nicht, daß Sie recht haben, Herr Kollege. Auf die Lehrer werde ich noch zurückkommen. Das ist nicht meine persönliche Meinung, sondern das ist eine generelle Überzeugung. Denken Sie an den Artikel im Handelsblatt! Edding - ein Vertreter der Bildungsexpansion katexochen, wenn Sie so wollen - sagt ja selbst, daß diese Ausführungen im Kern richtig, daß sie höchstens kleinerer Korrekturen fähig sind. Das liegt daran, daß Riese nicht einfach von der Expansion, wie sie sich von selbst ergibt, ausgeht, sondern die einzelnen Berufszweige und die einzelnen Berufe genau durchstudiert, sie auf die wirtschaftliche Entwicklung bezogen und zum erstenmal ein klares Bild von dem wirklichen Bedarf vermittelt hat, wobei die Frage des Lehrerbedarfs insofern wichtig ist, als ja heute schon die Hälfte der Abiturienten für den Lehrerberuf gebraucht wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Bitte! - Ja, jetzt wird es interessant. Ich sehe, daß der Kern getroffen ist.
Nur eine Frage: Glauben Sie, daß Ihre Ausführungen auf Grund der Kompetenzverteilung in der Bundesregierung zum Einzelplan 31 oder zum Einzelplan 06 gehören? Ich selbst bin nach der Antwort, ,die ich gestern bekommen habe, im Zweifel.
Das ist für mich jetzt im Augenblick nicht interessant. Ich spreche in Richtung auf Einzelplan 31, weil das, was ich sagen will, mit einer Betrachtung über den Ausbau der Universitäten endet.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke? - Bitte!
Darf ich Sie noch einmal fragen, Herr Kollege, ob Sie geneigt sind, mir wenigstens darin zuzustimmen, daß die Vorausschätzung dieses Instituts und die Vorausschätzung des Herrn Riese im wesentlichen nach nationalökonomischen und volkswirtschaftlichen Entwicklungen ausgerichtet sind. Da wir aber hier zum Einzelplan 31 reden, können unsere Vorausschätzungen nur nach „Wissenschaftsbedürfnissen", nach „Forschungsbedürfnissen" und nach kulturpolitischen Gesichtspunkten ausgerichtet sein.
Ich verstehe Ihre Einlassung überhaupt nicht mehr. Die Frage, ob wir 300 000 oder 600 000 Studenten brauchen, ist an uns gerichtet. Diese Frage müssen wir beantworten. Darin steckt eine wissenschaftspolitische Entscheidung. Zweitens richtet sich danach doch der Ausbau unserer Universitäten. Denn, Herr Kollege, seien Sie sich doch über eins klar: wenn wir diese Entwicklung weitergehen lassen, werden wir noch in diesem Jahr generell den Numerus clausus an unseren Universitäten haben, weil die Studentenflut nicht zu bewältigen ist, und das hat tiefgreifende Wirkungen für unser ganzes Hochschulwesen. Ich verstehe gar nicht, weswegen Sie sich dagegen wehren, daß man diese vitale Frage in die Diskussion bringt. Das muß diskutiert werden.
({0})
Es muß doch aus folgendem Grunde diskutiert werden, Herr Kollege: Die Leute, die einseitig auf die Erhöhung der Abiturientenzahlen gedrängt haben, haben doch übersehen, daß 90 % derjenigen, die das Abitur machen, auf die Universität gehen. Das deutsche Abitur ist nicht ein Bildungswert in sich, sondern öffnet den Weg zur Universität. Wer die Abiturientenzahl steigert und das verantwortungsvoll tun will, muß zwei Fragen beantworten können. Erstens die Frage: Wieviel brauche ich? Und zweitens die Frage: Kann ich, wenn ich jemanden dazu überredet habe, wenn ich Reserven mobilisiert habe, das Abitur zu machen, ihm auch die Chance nicht nur des Studiums, sondern auch des adäquaten Berufs geben? Das sind die zwei Fragen, die beantwortet werden müssen.
({1})
Und deshalb muß das hier diskutiert werden. Ich wollte übrigens gar nicht so weit gehen. Ich wollte die Sache in die Diskussion hineinbringen und den Herrn Minister bitten, darauf etwas einzugehen, weil das unsere Hochschulplanung berührt. In welcher Weise denn?
Aus den Zahlen von Althammer geht erstens hervor, daß sich die Wissenschaftspolitik des Bundes in Progression befindet - rein zahlenmäßig und in der Sache. Wir haben zweitens die Tatsache zu vermerken, wie Althammer sich ausdrückt, daß die Wissenschafts- und Bildungspolitik in den Ländern an Grenzen stößt.
Wenn man von einer Krise der Bildungs- und Wissenschaftspolitik sprechen will oder muß, ist das ein Hinweis auf die Finanzsituation der Länder. Und die Finanzsituation der Länder ist deshalb so schwierig, weil die Länder ja den größten Anteil am Ausbau der Universitäten übernommen haben. Die Leistungen sind enorm. Etwa in Nordrhein-Westfalen zeigt sich doch, daß der Neubau von Universitäten große Folgen für den laufenden Haushalt hat, daß 20 % der Investitionskosten für die laufenden Kosten jetzt benötigt werden. In einer solchen Lage muß man wissen, was man im Ganzen will.
Ich möchte folgendes ganz deutlich sagen, sonst sagt Herr Moersch wieder, ich sei im 19. Jahrhundert angesiedelt. Das, was wir jetzt erleben, zeigt, daß im Rahmen der Struktur unseres Bildungswesens die Bildungsexpansion umgelenkt werden muß. Ich bin der Meinung, daß die Bildungsexpansion - um bei diesem Wort zu bleiben - nicht gestoppt werden darf. Aber sie darf auch nicht einseitig auf die Spitze unserer Bildungspyramide gelenkt werden, weil das den Universitätsbereich einfach zum Einstürzen bringt. Die Lösungsmöglichkeiten, die es gibt, liegen in einer Veränderung des Abiturs. Es ist ja schon versucht worden, das Abitur in A und B aufzuspalten. Man wollte damit einen Abschluß schaffen, der den Zugang zu Berufen in der Wirtschaft, in der Bundeswehr usw. ermöglicht und nicht den gesamten Abiturientenstrom einseitig auf die Universitäten lenkt.
Nun ein weiteres Wort. Ich bin durchaus der Meinung, daß ein Forschungsgesetz nützlich sein könnte. Aber ein Forschungsgesetz ist ja nur dann sinnvoll, wenn es vorab eine Gesamteinigung über Wissenschafts- und Bildungspolitik zwischen Bund und Ländern gibt. Sonst hat es ja keinen Sinn. Sie können nicht etwas in das Gesetz hineinschreiben, was nicht mit den Ländern vereinbart ist. Die Vorstellung, daß man über ein Forschungsgesetz die Länder sozusagen zur Raison bringen könnte, ist ja utopisch.
Herr Abgeordneter Rau möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Dr. Martin, glauben Sie, daß bei dein System der Abkommen, wie es jetzt vorgesehen ist, die Einigungsnotwendigkeit zwischen Bund und Ländern geringer wäre?
Die Einigungsnotwendigkeit ist absolut. Aber, Herr Rau, Tatsache ist doch, daß Briefe der Bundesregierung oder gar des Bundeskanzlers an die Länder, in denen versucht wird, ein Verwaltungsabkommen über den Ausbau und über den Neubau von Universitäten zustande zu bringen, bis heute noch nicht beantwortet worden sind. Damit komme ich zu meiner letzten Frage: Ich wollte den Minister bitten, uns darüber einmal einiges zu sagen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß mit der Frage nach den Absolventen unserer höheren Schulen und mit der Frage nach dem Charakter des Abiturs zwei prinzipielle Fragen zur Bildungspolitik
aufgeworfen sind, ,an denen wir nicht vorbeigehen können. Das sind die Fragen, die uns in der CDU/ CSU gegenwärtig sehr stark beschäftigen. Ich möchte schon heute darauf hinweisen, daß wir mit einer Großen Anfrage an die Bundesregierung die gesamte Entwicklung unseres Bildungswesens in Zusammenhang mit der Studienreform in diesem Hause zur Erörterung stellen werden.
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Das Wort hat ,der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Diskussion hat in einer Reihe von Beiträgen einige Hauptprobleme der Forschungspolitik des Bundes und der Organisation und Arbeit des Ministeriums berührt. Ich muß im Hinblick auf die Uhr den Versuch machen, mich auf einige zentrale Punkte zu beschränken. Es wird Gelegenheit sein, bei besonderen Debatten, die angekündigt wurden, und im Ausschuß die anderen Einzelfragen gründlicher zu behandeln.
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Ich darf zunächst vor allem dem Berichterstatter des Haushaltsausschusses, aber eigentlich auch allen Sprechern für die positive Würdigung der Arbeit meines Ministetiums danken, aber auch für die positive Würdigung der großen Aufgaben, denen wir uns gegenübersehen. In der Tat haben wir manche Probleme. Durch die Entscheidungen der Bundesregierung und des Bundestages hat sich das Haushaltsvolumen dieses Ministeriums 'in knapp zwei Jahren um 70 % gesteigert, während die entsprechende Bewegung bei der Zahl unserer Mitarbeiter bei weniger als 7 % lag. Nun stehe ich sicher nicht in dem Verdacht, für eine Parallelentwicklung zu sprechen. Aber es ist ganz klar, daß mit der Vergrößerung der Aufgaben und der Inangriffnahme neuer Schwerpunktgebiete die Organisation und die Arbeitskraft dieses Ministeriums auf das äußerste beansprucht sind.
Ich möchte es als das positive Ergebnis dieser Beratungen und auch der Beratungen der Ausschüsse ,des Bundestages werten, daß wir die überdurchschnittliche Steigerung des Forschungsetats, die im Vorjahr begonnen hatte, auch im Jahre 1967 weiterführen konnten. Ich nehme das als ein gutes Omen für die schweren Entscheidungen, vor denen Bundesregierung und Bundestag in der mittelfristigen Haushaltsplanung stehen.
Wir können in einer Gesamtbilanz sagen, daß wir uns im zivilen Sektor, d. h. im Bereich der friedlichen Forschung und technischen Entwicklung, jetzt schrittweise dem Stand der vergleichbaren westeuropäischen Staaten, also Großbritanniens und Frankreichs, nähern und insoweit gegenüber dem Tiefstand der Nachkriegsjahre aufgeholt haben. Daß wir statistisch immer noch nicht den Stand dieser beiden Länder erreicht haben, die vergleichbar sind, ist vor allem eine Folge der Tatsache, daß dort wie vor allem auch in ,den Vereinigten Staaten von Amerika der Verteidigungshaushalt, der Rüstungshaushalt eine unvergleichlich größere Wirkung für Forschung und technische Entwicklung hat. Ich hoffe, daß wir bei den bevorstehenden Finanzentscheidungen und den Planungen des Bundesverteidigungsministers trotz seiner Sorgen auch hier einen Fortschritt erzielen können.
Nun ist hier über eine Reihe von wichtigen Einzelaufgaben gesprochen worden. Wir haben mit dem Programm der Bundesregierung auf dem Gebiet der Datenverarbeitung ein drittes Schwerpunktprogramm nach dem Atom- und dem Weltraumprogramm in die Wege geleitet. Ich begrüße dankbar die Unterstützung dieses Programms durch die parlamentarischen Entscheidungen, die Erhöhung der Ansätze in meinem Haushalt. Natürlich ist es schwierig, ein solches Neuland zu betreten. Natürlich wird es aus dem Bereich der Wissenschaft und vor allen Dingen aus dem Bereich der Industrie hierzu verschiedene Meinungen und Äußerungen geben. Das liegt in der Natur der Sache. Aber, meine Damen und Herren, über einen fundamentalen Tatbestand müssen wir uns im klaren sein. Die Förderung dieses Bereichs der Datenverarbeitung, der Informationstechnik und Elektronik erfolgt in den Vereinigten Staaten von Amerika, aber seit kurzem auch in anderen westeuropäischen Ländern mit einem so gewaltigen Aufwand an öffentlichen Mitteln, daß wir ohne eine eigene sinnvolle Aktivität in kürzester Frist in Deutschland keine selbständigen Entwicklungen mehr in der industriellen Forschung haben werden.
({1})
Diesen Tatbestand darf man nicht übersehen, wenn man sich den dann notwendigen schwierigen Einzelentscheidungen zuwendet.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch? Moersch ({0}) : Herr Bundesminister, teilen Sie die Auffassung, daß ein einzelnes europäisches Land überhaupt nicht in der Lage ist, mit den Amerikanern irgendwo mitzuhalten und daß es um so notwendiger wäre, alle westeuropäischen Länder auf diesem Gebiet zur Zusammenarbeit zu bringen?
Ich teile Ihre Auffassung, Herr Kollege Moersch, daß wir nach der Zusammenarbeit, die wir in der Atom- und Weltraumforschung haben, in Westeuropa in einer relativ kurzen Frist sowohl auf dem Gebiet der von den Regierungen geförderten Forschungsvorhaben wie auf dem Gebiet der Industrie zu größeren Zusammenschlüssen kommen müssen.
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Die Voraussetzung dafür, daß wir dazu in der Lage sind, daß wir überhaupt kooperationsfähig sind, ist aber die Entwicklung gewisser eigener nationaler Kapazitäten. Ich kann übrigens mit Befriedigung sagen, auch auf Grund meiner letzten Besuche in
London und Paris, daß es erste industrielle Kontakte dieser Art gibt und daß sie zu ersten Vereinbarungen geführt haben, eine Entwicklung, die wir nur begrüßen können.
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Ich glaube nun im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Moersch - wenn ich das vielleicht zunächst einmal im Zusammenhang sagen darf -, daß wir mit dem von meinem Haus und unserem Beratungsgremium, dem Fachbeirat für Datenverarbeitung, erarbeiteten Memorandum eine sehr sorgfältig konzipierte, in den Zielen klar und realistisch formulierte Programmatik für die nächsten Jahre haben, die von den führenden Vertretern der deutschen Wissenschaft bejaht wird.
Es ist richtig, daß zu dem Programm, das wir seit anderthalb Jahren vorbereitet haben, jetzt durch den Eventualhaushalt ein ergänzendes Programm des Bundeswirtschaftsministers getreten ist. Ich darf aber betonen, daß wir in den etwas langwierigen Verhandlungen zwischen den Ressorts ein gutes Ergebnis erzielt haben, nach dem klar die Zuständigkeit für Forschung und Entwicklung moderner Technologien im Rahmen meines Programms liegt und diejenige für bestimmte Dinge der Industrieförderung durch Darlehen in einem abgestimmten zweiten Programm des Wirtschaftsministeriums. Ich halte diese Lösung für praktikabel, da beide Seiten den Willen zur Zusammenarbeit haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Herr Minister, was haben Sie unternommen oder was ist Ihnen gelungen, um, damit unsere Basis besser wird, an den Universitäten für die Ausbildung geeigneter Fachkräfte auf allen Gebieten - das ist ja nicht nur eine Frage der Mathematik und der Technik - zu sorgen? Was ist hier möglich gewesen in Zusammenarbeit mit den Ländern, um uns bei den Universitäten einen Status zu verschaffen, der überhaupt die Voraussetzung für ein solches Mitsprechen ist?
Die Förderung der Ausbildungskapazitäten der Universitäten, die eine entscheidende Voraussetzung ist, erfolgt durch das Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Wir werden darüber hinaus zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. In den Empfehlungen des Wissenschaftsrates, die wir jetzt verabschiedet haben, ist dem Ausbau der Mathematik und auch der instrumentellen Mathematik eine klare Priorität eingeräumt worden. Wir haben im Rahmen des Eventualhaushalts, Herr Kollege Moersch, zu meiner Befriedigung zusätzlich allein sieben neue Anlagen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung für Universitäten bewilligen können. Ich nehme dies als Beispiel dafür - ich möchte mich kurz fassen -, daß wir diese Aufgabe sehen und sie unter den Gesichtspunkten, die hier von verschiedenen Rednern mit Recht erwähnt worden sind, nachdrücklich fördern können. Wir müssen hier genau wie im Atomprogramm, wo wir ein gutes Beispiel gesetzt haben, ein abgestimmtes Gesamtprogramm durchführen, das von der Grundlagenforschung und den Ausbildungskapazitäten an den Universitäten bis zur technisch-industriellen Entwicklung vorgeht. Dazu sind wir gewillt.
Nun, meine Damen und Herren, wenige Sätze zu der Diskussion über die Atomenergie. Ich kann die Ausführungen, die hier gemacht wurden, gerade auch Ihre Ausführungen, Herr Kollege Moersch, nur mit großer Befriedigung zur Kenntnis nehmen. Ich teile völlig die Auffassung und unterstreiche sie noch einmal, daß wir vor ganz großen und folgenschweren Entscheidungen stehen. Nachdem der entsprechende technische und wissenschaftliche Leistungsstand in Deutschland mit Steuermitteln von mehr als 4 Milliarden DM und großen Anstrengungen der Firmen selbst geschaffen ist, wollen wir jetzt auch die wirtschaftlichen Früchte dieser Leistung nutzbar machen. Das muß auch bei den energiepolitischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Deshalb kommt der Entscheidung der großen Energieversorgungsunternehmungen, in diesem Jahr noch große Kraftwerke der „ersten Generation" zu bauen, und zwar ohne staatliche Subvention, eine entscheidende Bedeutung zu. Ich habe in den letzten Monaten sehr große Anstrengungen unternommen, sowohl in der öffentlichen Diskussion als aber auch in vielen Verhandlungen, diese Entscheidung zu unterstüzen und gewisse Widerstände, die es leider zumindest gegen eines dieser Vorhaben gegeben hat, abzubauen. Ich möchte noch einmal mit allem Nachdruck hier sagen, daß diese Entscheidung zum Bau von zwei großen Kraftwerken mit je über 600 MW eine entscheidende und unentbehrliche Stufe in der Weiterführung des deutschen Atomprogramms ist, weil wir ohne diese Kapazitäten die Entwicklung der Zukunftsreaktoren, der Brutreaktoren nicht durchführen können.
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Meine Damen und Herren, ich darf nur darauf verweisen, daß jedes dieser Kraftwerke, wenn es in Funktion tritt, durch die billigere Brenntsoffversorgung und die moderne technische Ausstattung eine Ersparnis von 35 Millionen DM Betriebskosten im Jahr gegenüber den modernsten konventionellen Kraftwerken erbringen wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Martin?
Herr Minister, können Sie etwas über den Stand sagen? Ist der Bau der Kraftwerke jetzt gesichert?
Die Vorstände beider Energieversorgungsunternehmungen haben sich für den Bau entschieden und werden in den nächsten Wochen ihren Aufsichtsräten, bei denen die end5374
gültige Entscheidung liegt, entsprechende Vorlagen machen.
Meine Damen und Herren, es ist eine Reihe weiterer Fragen angesprochen worden. Frau Kollegin Geisendörfer hat über Euratom gesprochen und über Ispra. Ich will Ihnen nicht verschweigen, daß die Situation von Euratom von manchen Sorgen überschattet ist, weil es zwischen einigen unserer Partner - nicht zwischen uns und ihnen, aber zwischen einigen von ihnen - tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten über das künftige Programm von Euratom gibt. Ich hoffe, daß die Fusion der Exekutiven einen neuen Impuls geben wird, der die Arbeit von Euratom sichert und damit auch die Zukunft der gemeinsamen Forschungszentren, von denen hier gesprochen wurde.
Im übrigen darf ich mit Befriedigung sagen, daß wir vor allem im deutsch-französischen Verhältnis doch weitergekommen sind, daß wir nach der Entscheidung über den Bau eines gemeinsamen Höchstflußreaktors in Grenoble vor wenigen Tagen in Paris die Verträge über den Bau eines gemeinsamen Experimental-Fernmeldesatelliten unterschreiben konnten, die erste Entwicklung dieser Art, die es in Europa überhaupt gibt.
Herr Abgeordneter Raffert möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte, Herr Kollege Raffert!
Herr Minister, ist für den Bau dieses gemeinsamen Satelliten, der uns ja auch bei den Olympischen Spielen, wie wir hoffen, bedienen wird, wenn das Projekt gelingt, schon im Haushalt 1967 etwas vorgesehen; ist das schon abgesichert? Aus welchem Bereich können Sie die Mittel nehmen, die dazu notwendig sind?
Der Haushaltsausschuß hat in seiner Vorlage dem Plenum die Bewilligung einer ersten Rate empfohlen. Ich kann also diese Frage positiv beantworten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend nur noch wenige Sätze zu dem großen Thema der allgemeinen Wissenschaftsförderung sagen, über das gerade der Kollege Martin, wie andere vor ihm, hier gesprochen hat. Ich habe den Eindruck, daß wir in den großen Programmen, die wir selbst von der Bundesregierung zu verantworten haben, klare Planungen haben oder im Begriff sind, solche Planungen zu formulieren. Ich beurteile unser Programm für die Datenverarbeitung so. Das deutsche Atomprogramm geht voran. Wir werden das Anschlußprogramm Ende des Jahres rechtzeitig vorlegen, und wir können jetzt dem Kabinett das erste mittelfristige Gesamtprogramm für die Weltraumforschung zur Beschlußfassung unterbreiten.
Größere Sorgen haben wir in der Tat hinsichtlich der Hochschulen und auf dem Gebiete der allgemeinen Wissenschaftsförderung. Es ist in diesen
Tagen ein Jahr her, seitdem die Bundesregierung den Ländern schriftliche Vorschläge für die Neufassung und für die Verbesserung des ablaufenden Abkommens gemacht hat. In diesen Wochen werden nun die Ministerpräsidenten, wie ich hoffe, abschließend dazu Stellung nehmen, und ich rechne auch mit einem positiven Votum. Dies ist eine Frage von kardinaler Dringlichkeit. Wir haben die Leistungen des Bundes für den Ausbau der Hochschulen in den letzten beiden Jahren von knapp 300 Millionen DM auf rund 600 Millionen DM verdoppelt; aber wir sehen, daß mit der steigenden Zahl der Studenten und den Erfordernissen der modernen Forschung immer noch Überfüllung und viele Mängel das Bild unserer Hochschulen bestimmen. Wir haben die Diskussion über die Frage des zukünftigen Bedarfs an Akademikern, die uns sicherlich bei der Debatte über die Studienreform beschäftigen wird. Wie immer man aber diesen Bedarf veranschlagt - und es gibt hier neue Erkenntnisse, von denen gesprochen wurde -: auf der anderen Seite sehen wir, daß die Länder in einer starken Expansion ihres weiterführenden Schulwesens begriffen sind. Deshalb ist die Abstimmung der Schulpolitik der Länder, vor allem der starken Steigerung der Zahl der Absolventen der Realschulen und Gymnasien, mit einer künftigen Hochschulpolitik das kulturpolitische und wissenschaftspolitische Thema Nr. 1.
({0})
Wir müssen dies mit allem Nachdruck betonen, und wir brauchen deshalb die von der Bundesregierung gewünschte Gesamtprogrammatik und Gesamtplanung für den Ausbau der Hochschulen, eine übergreifende Konzeption, um die sich der Deutsche Wissenschaftsrat bemühen muß, die er aber nur bewältigen kann, wenn die volle Unterstützung aller elf Bundesländer neben dem Bund dieser Sache dient.
({1})
Herr Abgeordneter Moersch möchte noch eine Frage stellen.
({0})
Herr Minister, hielten Sie es nicht auf Grund dieser richtigen Erkenntnis für besser oder sogar für dringend geboten, durch Verfassungsergänzung dafür zu sorgen, daß Sie wenigstens eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für diese Kernfragen unserer künftigen Bildungspolitik bekommen?
Die Aufgabe ist so dringend, daß wir zunächst einmal den gangbaren Weg des Verwaltungsabkommens gehen müssen, für dessen schnellen Abschluß ich hier noch einmal plädieren wollte. Ob sich im Rahmen der Finanzverfassungsreform, im Rahmen weitergehender Überlegungen dann Möglichkeiten zu einer Verfassungsänderung, etwa durch das Institut der Gemeinschaftsaufgaben, ergeben, ist eine sehr wichtige, aber langfristigere Frage. Wir müssen schnell handeln. Hier liegt die
Hauptverantwortung bei den Ländern. Aber der Deutsche Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit sollten nicht ruhen, bis wir dieses Ziel gemeistert haben.
({0})
Ich schließe die Aussprache über den Einzelplan 31 - Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung -. Wir kommen zur Abstimmung. Wer entsprechend dem Antrage des Ausschusses diesem Einzelplan zustimmt, gebe Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 31 ist bei Ablehnung durch die Freien Demokraten gebilligt.
Ich rufe Ziffer 24 des Punktes II der Tagesordnung auf:
hier: Einzelplan 29
Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend
- Drucksache V/1774 -Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Krappe.
Die Berichterstatterin hat mir mitgeteilt, daß sie erst im Laufe der Diskussion nach der Begründung der Änderungsanträge als Berichterstatterin das Wort wünscht.
Ich eröffne die Aussprache über den Einzelplan und über die Änderungsanträge der Abgeordneten Stingl, Dr. Schmidt ({0}), Frau Schroeder ({1}) und Genossen - Umdruck 252 *) -, der Fraktion der FDP - Umdrucke 245 **) und 239 ***)
Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Kubitza.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Schreiben vom 5. Mai dieses Jahres hat das Ministerium für Familie und Jugend den „Internationalen Jugendaustausch- und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland" als Abteilung bei der „Deutschen Gesellschaft für internationalen Jugendaustausch" errichtet. Damit hat ein unrühmliches Kapitel bundesrepublikanischer Jugendpolitik ein - hoffentlich nicht nur vorläufiges - Ende genommen.
Unser Antrag auf Umdruck 245 sieht vor, daß im Tit. 571 a) unter den Erläuterungen B III die 347 000 DM, die für die Errichtung dieser Abteilung bei der Deutschen Gesellschaft für internationalen Jugendaustausch vorgesehen sind, so lange gesperrt werden, „bis eine Lösung gefunden ist, die alle im internationalen Jugendaustausch tätigen Einrichtungen umfaßt".
Meine Damen und Herren, alle im internationalen Jugendaustausch tätigen Einrichtungen sind grundsätzlich für die Errichtung eines solchen Jugendaustausch- und Besucherdienstes. Einhellig ist aber auch die Auffassung der daran beteiligten Kräfte, daß die Methoden und der Weg, der dazu gegangen worden ist, recht fragwürdig sind. Durch Halbwahrheiten
*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3 ***) Siehe Anlage 4 und Unwahrheiten, durch Verschweigen bzw. mangelhafte Information sind Spannungen aufgetreten, die bei einer richtigen Behandlung nicht aufgetreten wären. Es ist leider festzustellen, daß mir auf meine mündliche Frage am 13. Dezember vorigen Jahres hinsichtlich der Schlußfolgerungen, die die Bundesregierung aus der Entschließung des Bundesjugendringes zum Zentralstellenprojekt zu ziehen gedenke, eine unwahre Antwort gegeben worden ist.
({0})
Der Herr Minister hat gesagt, daß diese Entschließung seinem Hause vom Bundesjugendring noch nicht zugeleitet worden sei. Es läßt sich sehr leicht feststellen, daß die Entschließung zwar auf bestimmten Schreibtischen im Ministerium vorlag, aber nicht auf dem Schreibtisch des Ministers. Das möchte ich ihm zugute halten. Er hat aber betont, daß seinem Hause die Entschließung noch nicht zugegangen sei.
Ein zweites Mal ist Mitte Januar meinem Kollegen Moersch eine unwahre Antwort gegeben worden, als er fragte, ob das Bundesjugendkuratorium dem Ministerium eine Empfehlung zu der Frage dieser Zentralstelle gegeben habe. Ich habe hier das Protokoll der Sitzung des Bundesjugendkuratoriums vom 13. Dezember 1966 vorliegen, aus dem einwandfrei hervorgeht, daß weder der zuständige Fachausschuß für internationale Jugendarbeit noch das Plenum des Bundesjugendkuratoriums mit dieser Frage befaßt war.
Wir bedauern es außerordentlich, daß in einer solch wichtigen Frage die daran beteiligten Institutionen wie das Bundesjugendkuratorium, der Bundesjugendring und die in den anderen Dachorganisationen zusammengeschlossenen Verbände sowie die fünf Jugendreiseunternehmen nicht in sinnvoller Weise in die Vorbereitung einer solchen Zentralstelle eingeschaltet waren. Auf Grund dieses fragwürdigen Verfahrens habe ich eine Reihe von Fragen an die Bundesregierung zu stellen.
Erstens. Teilt die Bundesregierung unsere Meinung, daß es gerade beim internationalen Jugendaustausch darauf ankommt, bei der Errichtung eines Austausch- und Besucherdienstes alle Organisationen zu beteiligen, die auf diesem Gebiet tätig sind?
Zweitens. Wie will die Bundesregierung den Verdacht einer einseitigen Ausrichtung ausräumen, wenn sie den Auftrag an eine einzige ihr genehme Institution vergibt? Dazu ist zu sagen - ich habe es vorhin schon einmal betont -, daß wir fünf halbkommerzielle Jugendreiseunternehmen haben, wovon die Deutsche Gesellschaft eines ist. Nach vorliegenden Statistiken ergibt sich für den Zeitraum der Jahre 1962 bis 1966 für diese fünf auf Bundesebene tätigen Institutionen eine Gesamtzahl von 570 000 Jugendlichen, die an Ferien- und Auslandsprogrammen teilgenommen haben. Davon entfallen auf die Deutsche Gesellschaft rund 108 500 oder etwa 19 %. Auf die übrigen vier Ferienwerke - das sind der Aktionskreis evangelischer Jugendferienreisedienste, die Auslandsstelle des Deutschen Bundesstudentenringes, die Bundesarbeitsgemeinschaft
Kubitza katholischer Jugendferienwerke und der Jugendfahrtendienst - entfallen rund 461 500; das sind 81 % aller Teilnehmer. Es ist nicht einzusehen, warum von diesen fünf möglichen sich anbietenden Werken eines für diese Aufgabe ausgesucht worden ist.
Drittens. Worin liegt die besondere Qualifikation der Deutschen Gesellschaft für internationalen Jugendaustausch, die es rechtfertigt, den Austausch-und Besucherdienst bei ihr zu errichten?
Viertens. Wie gedenkt die Bundesregierung den Vorwurf zu entkräften, daß sie gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen hat, wenn sie nicht hinreichend geprüft hat, ob diese neue Aufgabe nicht unter Mitwirkung bereits vorhandener Träger sachlich erfüllt werden kann?
Fünftens. Ist es Zufall, daß der Auftrag einer Institution gegeben wurde, deren dreiköpfigem Vorstand bisher nur Mitgilieder der SPD angehörten und deren Ehrenpräsident Minister Carlo Schmid ist? Diese Feststellung wird nicht dadurch gegenstandslos, daß seit kurzem ein christdemokratisches Feigenblatt in Person meines verehrten Kollegen Rollmann diesem Vorstand angehört.
({1})
Sechstens. Sehr bedenklich stimmt die Tatsache, daß im Rahmen des Auftragsverhältnisses zwischen dem Bundesministerium für Familie und Jugend und der Deutschen Gesellschaft nur 80 % der entstehenden Verwaltungskosten der Zentralstelle übernommen werden sollen. Dadurch ist die Deutsche Gesellschaft gezwungen, 20 % der Kosten selber zu erwirtschaften. Der verantwortliche Vorstand der Deutschen Gesellschaft steht somit vor dem unlösbaren Problem, einerseits als Sachwalter der jugendpolitischen Aufgaben der Zentralstellen, andererseits als sorgfältiger und wirtschaftlich verantwortlicher Kaufmann handeln zu müssen. Auf der einen Seite soll er unparteiisch und vorurteilslos für die Träger der freien Jugendarbeit und die weiteren Jugendreiseorganisationen tätig werden, zum anderen muß er aber seine wirtschaftlichen Interessen insoweit wahren, als dies zur Kostendeckung der Auftragsverwaltung notwendig ist. Wie soll diese Interessenkollission praktisch gelöst werden?
Siebentes. Hält es die Bundesregierung nicht für besonders fragwürdig, daß der leitende Ministerialbeamte, zu dessen Aufgaben die Vergabe aller für die internationale Jugendbegegnung bereitgestellten Bundesmittel gehört, nunmehr Vorstandsmitglied einer dieser genannten Institutionen ist - und dafür Bezüge im Nebenamt erhält -, die im wesentlichen Umfange Empfänger dieser Mittel ist? Es ist besonders pikant, daß sich hier Geldgeber und Geldempfänger in einer Person decken.
Achtens. Muß durch den Eintritt dieses Ministerialbeamten in den Vorstand für den Außenstehenden nicht der Eindruck entstehen, daß es sich hier um eine quasi staatliche Institution handelt?
Neuntens. Wie sind diese Praktiken mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu vereinbaren, in der es heißt - ich zitiere -:
In dieser Koalition werden keine Macht und Pfründen zwischen Partnern geteilt, keine Mißstände vertuscht und die Kräfte des parlamentarischen Lebens nicht durch Absprachen hinter den Kulissen gelähmt werden, wie es ihr mit dem Schlagwort „Proporzdemokratie" unterstellt wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sehr verehrter Herr Kollege Kubitza, finden Sie nicht auch - nachdem erstens der zuständige Ausschuß dieses Hauses ausreichend Gelegenheit hatte, zu dem ganzen Sachverhalt Fragen zu stellen und über die Antworten erneut zu diskutieren, nachdem sich zweitens auch der Deutsche Bundesjugendring als die Institution, die am nachdrücklichsten die Errichtung dieser Zentralstelle kritisiert hatte, mit der neu gefundenen Form völlig einverstanden erklärt hat -, daß die Art und Weise, wie Sie hier Ihre Kritik dazu anbringen, der Sache nicht ganz angemessen ist, weil es sich im Grunde um alte Ladenhüter handelt?
({0})
Herr Kollege Liehr, es handelt sich eben nicht um längst überholte Ladenhüter, sondern Sie wissen genauso wie ich, wie die angegebenen Institutionen einschließlich des Bundesjugendringes auch heute noch zu dieser Frage stehen. Sie haben den Bundesjugendring angesprochen. Sie wissen, daß die Vereinbarung, die am 6. März getroffen worden ist, eher einer Kapitulation der daran beteiligten Stellen gleichkommt und daß kaum davon die Rede sein kann, daß hier eine für alle daran beteiligten Institutionen sinnvolle Konstruktion gefunden worden wäre.
({0})
Herr Abgeordneter Mertes möchte noch eine Frage stellen.
Herr Kollege Kubitza, sind Sie nicht auch der Meinung, daß, abgesehen von der Unterrichtung des zuständigen Ausschusses, die von meinem Vorredner angesprochen worden war, dieses Haus ein Recht hat, die Problematik kennenzulernen, da dieses Haus ja über den Einzelplan 29 abzustimmen hat?
Ich komme darauf gleich zurück; aber ich will erst diese eine Frage zu Ende beantworten. - Es ist aufschlußreich, daß in dem Protokoll eine Notiz über die Mitwirkung des - es ist ja auch nur ein Feigenblatt - Kuratoriums steht, das man da geschaffen hat. Da heißt es: „Unter Mitwirkung wird nicht nur Beratung, aber auch keine Mitbestimmung des Kuratoriums verstanden." Das heißt: mehr als mitberaten, aber weniger als mitbestimmen. Diesen Zwitter kann ich nicht verstehen.
Nun zu dem, was Sie weiterhin gefragt haben, Herr Kollege Liehr. Sie wissen, daß ich im AusKubitza
schuß der einzige war, der bei den entscheidenden Abschnitten der Ausschußempfehlung dagegen gestimmt hat. Sie wissen auch, daß - wie Kollege Mertes richtig feststellte - diese Frage für dieses Haus von genauso großer Aktualität ist, wie sie auch heute noch alle im internationalen Jugendaustausch tätigen Kräfte beschäftigt. Sie erwarten, wie ich eingangs betonte, daß trotz des jetzt gefundenen Abschlusses doch noch nach einer vernünftigeren Lösung gesucht wird.
Abschließend darf ich sagen, daß ich Verständnis habe, wenn sich ein Ministerium in irgendeine Konzeption verbeißt. Ich habe aber kein Verständnis dafür, daß man, nachdem dieses Ministerium über ein Jahr von allen beteiligten Institutionen aufgefordert war, eine bessere Lösung zu suchen, sich den anderen Einsichten so verschließt, wie es geschehen ist. Obrigkeitsstaatliche Praktiken sind insbesondere da fehl am Platze, wo man gerade - wie in diesem Ministerium - für die politische Bildung der Jugend mitverantwortlich entscheidet.
({0})
Wir diskutieren zunächst die Änderungsanträge. Das Wort hat der Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemühungen um die Zentralstelle für den internationalen Jugendaustausch -jetzt „Internationaler Jugendaustausch und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland" - währen nun schon mehr als ein Jahr. Man kann wirklich sagen, daß es um diese Frage bewegte Auseinandersetzungen gegeben hat, in allen jugendpolitisch interessierten Kreisen, aber, verehrter Herr Kollege Kubitza, auch in dem zuständigen Ausschuß dieses Hauses. Im Plenum des Deutschen Bundestages ist diese Frage ebenfalls in der Fragestunde mehrfach behandelt worden. Man kann also nicht davon reden, bei der Konstruktion dieses internationalen Jugendaustausch- unnd Besucherdienstes sei in irgendeiner Beziehung das Parlament umgangen worden.
({0})
In den Auseinandersetzungen während des vergangenen Jahres ist von keiner Seite jemals bestritten worden, daß es notwendig sei, hier bei uns in der Bundesrepublik eine Stelle zu schaffen, die sich einen Überblick über den vielfältigen internationalen Jugendaustausch in der Bundesrepublik Deutschland verschafft, die die Träger des internationalen Jugendaustausches in unserem Lande beraten und unterstützen kann und die schließlich ausländischen Experten der Jugendarbeit und der Jugendhilfe bei ihren Besuchen in Deutschland hilfreich zur Seite steht. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges hat der internationale Jugendaustausch für die Bundesrepublik Deutschland und für die Stellung unseres Volkes in der ganzen Welt eine immer größere Bedeutung bekommen. Die Jugendgruppen unseres Landes sind ins Ausland gefahren, und aus dem Ausland sind Jugendgruppen in großer Zahl nach Deutschland gekommen. Sie haben auf diese
Weise einen hervorragenden Beitrag für die Rückkehr unseres Landes in die Völkerfamilie leisten können, sie haben hervorragend mitgeholfen, den Ring der geistigen, der politischen und der moralischen Isolierung zu durchbrechen, den Krieg und Nationalsozialismus um Deutschland gelegt haben. Während man im Ausland die ältere Generation in Deutschland ja noch sehr lange mit Mißtrauen betrachtet hat, ist unsere junge Generation - gefördert durch Bundes- und Landesjugendpläne und schließlich durch das deutsch-französische Jugendwerk - über die Grenzen gefahren und hat neue Brücken zwischen Deutschland und seinen Nachbarländern geschlagen. Diese internationale Jugendarbeit bleibt auch in Zukunft für die Stellung Deutschlands in der Welt wichtig, ja, sie wird eigentlich immer bedeutungsvoller, wenn wir etwa an die notwendige Aussöhnung mit unseren Nachbarn im Osten und an unsere Beziehungen zu den Ländern der dritten Welt denken.
Darum wünschen wir auch, daß die internationale Jugendarbeit der öffentlichen und der freien Träger der Jugendhilfe unter Wahrung ihrer Selbständigkeit auch in Zukunft steigend gefördert wird. Darum aber wünschen wir auch, daß dieser Internationale Jugendaustausch- und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland errichtet wird, damit der internationale Jugendaustausch, den wir für nötig halten, verbreitert und intensiviert werden kann.
Bei allen Auseinandersetzungen um den Internationalen Jugendaustausch- und Besucherdienst war eigentlich immer nur zweierlei umstritten: wo wird dieser Internationale Jugendaustausch- und Besucherdienst errichtet? Welche Aufgaben soll er im einzelnen haben?
Es hat - Herr Kollege Kubitza hat hier mit Recht davon gesprochen - einige Differenzen gegeben zwischen den Auffassungen des Bundesministeriums für Familie und Jugend und den Verbänden des Deutschen Bundesjugendrings, die sich in diesen vergangenen zwanzig Jahren - gefördert durch das Bundesministerium für Familie und Jugend - so große Verdienste um den internationalen Jugendaustausch der Bundesrepublik Deutschland erworben haben. Meine politischen Freunde und ich haben sich von vornherein sehr um eine Überbrückung der Differenzen, um eine Vermittlung zwischen den differierenden Auffassungen des Bundesministeriums für Familie und Jugend und den Jugendverbänden bemüht; denn wir waren der Meinung, daß es schlecht wäre, wenn in unserem Land eine Zentralstelle für den internationalen Jugendaustausch, ein Internationaler Jugendaustausch- und Besucherdienst gegen den Widerstand der Jugendverbände errichtet werden würde und möglicherweise die Gefahr entstanden wäre, daß die Jugendverbände mit einem solchen Internationalen Jugendaustausch- und Besucherdienst nicht in der Art und Weise zusammenarbeiten, wie es für die Zukunft unserer internationalen Jugendarbeit notwendig ist.
Wir sind sehr froh darüber, daß eine Einigung zwischen den Auffassungen des Bundesministeriums für Familie und Jugend und den Verbänden des Deutschen Bundesjugendrings gefunden worden ist,
und zwar in einer Besprechung, die am 6. März 1967 unter Vorsitz von Herrn Staatssekretär Dr. Barth mit den Vertretern der Jugendverbände stattgefunden hat. Der geschäftsführende Ausschuß des Deutschen Bundesjugendrings hat diesem Besprechungsergebnis bekanntlich am 17. März seine ausdrückliche Zustimmung gegeben. Ich begreife das nicht, Herr Kollege Kubitza, was Sie zu dieser ganzen Problematik hier ausgeführt haben. Sie haben hier wirklich die Kämpfe von gestern geführt, und es ist mir beinahe so erschienen, als ob Sie von dieser glücklicherweise erfolgten Einigung zwischen den verschiedenen Auffassungen des Bundesministeriums für Familie und Jugend und des Deutschen Bundesjugendrings überhaupt keine Kenntnis genommen haben.
Meine Damen und Herren, was hierzu in der Vergangenheit an Auseinandersetzungen stattgefunden hat, ist inzwischen erfreulicherweise längst vergangen. Wir, die Fraktion der CDU/CSU, sehen der Arbeitsaufnahme dieses Internationalen Jugendaustausch- und Besucherdienstes mit großer Genugtuung und großen Erwartungen entgegen. Wir sind davon überzeugt, daß die gefundene Konstruktion, der gefundene Kompromiß, der sicherlich nicht jeden befriedigen wird, aber doch insgesamt tragfähig ist, dafür Sorge tragen wird, daß der internationale Jugendaustausch der Bundesrepublik Deutschland mit neuen Impulsen versehen wird und sich in den kommenden Jahren ausweiten und vertiefen kann.
Aus diesem Grunde möchte ich Sie bitten, dem Antrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei Ihre Zustimmung zu versagen.
({1})
Zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck 252 hat Herr Abgeordneter Stingl das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Umdruck 252 liegt Ihnen ein Änderungsantrag zu Kap. 29 02 Tit. 302 vor, der aber unbedingt mit dem Antrag Umdruck 253 betreffend Änderung des Haushaltsgesetzes korrespondiert. Herr Präsident, die beiden Anträge hängen so eng zusammen, daß ich Sie bitte, die Anträge zusammen begründen zu dürfen.
Einverstanden.
In der Regierungserklärung vom 20. Januar dieses Jahres hat der Herr Bundeskanzler vor dem Hohen Hause wörtlich ausgeführt:
Der Wegfall dieser Ausbildungshilfe bedeutet aber keineswegs ein Signal für die Veränderung unserer Familienpolitik. Er soll zukünftig wettgemacht werden im Rahmen einer Reform des Familienlastenausgleichs, eingebettet in eine mittelfristige Finanzplanung.
Am 8. Dezember 66 hat der Kollege Hermsdorf von der sozialdemokratischen Fraktion vor dem Hohen Hause gesagt, daß der Beschluß, der ein Mehrheitsbeschluß des Familienausschusses war, darauf ausgehe, die bisherige Ausbildungszulage zumindest dort zu erhalten, wo soziale Härten vorhanden sind. In der gleichen Sitzung hat hier im Hause der Kollege Baier entsprechende Ausführungen zur sachlichen Begründung und einzelnen Durchleuchtung gemacht.
Sie haben jetzt vor sich einen Antrag liegen, der deshalb gestellt wird, weil die in Aussicht genommene Neuregelung der Familienpolitik bis jetzt nicht erfolgt ist und weil nach der Lage der Geschäfte mit einer Neuregelung der Familienpolitik in diesem Jahr ganz sicher nicht mehr gerechnet werden kann.
Wir stehen hier wieder einmal vor dem Tatbestand, daß im gesellschaftspolitischen, im sozialpolitischen Bereich ein sozialer Besitzstand gekürzt werden soll. Meine Damen und Herren, man mag zur endgültigen Regelung stehen, wie man will, der Antrag hier beabsichtigt auch nicht, für eine zukünftige Regelung irgendwelche Gleise zu legen. Der Antrag ist vielmehr begründet durch den Willen, das zu vertreten, worin sich dieses Hohe Haus stets einig war: Besitzstandwahrung. Sobald im sozialen Bereich - ich sage das jetzt mit besonderem Nachdruck zur SPD - neue gesetzliche Regelungen Änderungen brachten, war es immer unsere gemeinsame Überzeugung, daß der soziale Besitzstand gewahrt werden muß. Der Antrag, der Ihnen vorliegt, geht nicht einmal von dieser Maximalforderung aus, sondern stützt sich darauf, daß man den jetzigen geschmälerten Zustand auch noch einengt. Sie erkennen die Einengung daran, daß der Ansatz nicht etwa 80 Millionen DM, sondern 55 Millionen DM beträgt. Auch das letzte Argument, hier werde Ausbildungshilfe nach dem Gießkannenprinzip verteilt, soll beseitigt werden.
Ich habe zu der Sache eine prinzipiell andere Einstellung, aber die steht hier im Augenblick gar nicht mehr zur Debatte. Mir geht es, wie gesagt, um die Besitzstandswahrung. Der Antrag hat zur Folge, daß in den Fällen, in denen jemand nur zwei Kinder hat und diese sich in qualifizierter Ausbildung befinden, keine Ausbildungszulage mehr gezahlt wird, daß dagegen diese Ausbildungshilfe erhalten bleibt für alle Familien, die Kindergeld nach dem Kindergeldgesetz allgemein erhalten. Das heißt, in einer Zwei-Kinder-Familie wird die Ausbildungshilfe nur weitergezahlt, wenn das Einkommen unter 650 DM liegt. Sie wird im übrigen weitergezahlt, wenn mehr als zwei Kinder in der Familie vorhanden sind.
Um es noch präziser zu sagen und Ihnen deutlich zu machen, welche Folgen es haben könnte, wenn man der Regierungsvorlage bzw. dem Haushaltsausschuß jetzt folgt und diesen Antrag nicht übernimmt, möchte ich Ihnen zwei, wie mir scheint, typische Beispiele nennen.
Ein Vater, der drei Kinder über 15 Jahre hat, hat, als die Ausbildungszulage mit 40 DM monatlich eingeführt wurde, auch das dritte Kind in qualifizierter Ausbildung gelassen im Vertrauen darauf, daß die 120 DM - die später sowieso auf 90 DM gekürzt wurden - es ihm erleichtern, alle drei Kinder in dieser Ausbildung zu lassen. Wenn man
ihm nur 30 DM entzöge, würde ich mit Ihnen vielleicht der Meinung sein, das kann in Kauf genommen werden. Aber der Beschluß des Haushaltsausschusses bedeutet, daß diesem Familienvater 90 DM fehlen. Er wird ganz sicherlich eines der Kinder aus dieser qualifizierten Ausbildung nehmen müssen, obwohl das Hineinführen des dritten Kindes durch den Gesetzgeber veranlaßt war. Nun könnten Sie sagen: Gut, das hat die CDU beschlossen, wir nicht mit. Aber das ist gleichgültig. Der Rechtsstand ist maßgebend. Auf jeden Fall erhält er jetzt 90 DM, weil er dem Petitum gefolgt ist, möglichst viele. Begabtenreserven zu erschließen; diese 90 DM hätte er aber dann nicht mehr, was ihn dazu zwingen würde, unter den drei Kindern zu wählen, welches er nun aus der Ausbildung herausnehmen müßte.
Ein zweiter typischer Fall: Ein Mann mit 10 Kindern - das Material darüber liegt mir vor - hat 7 Kinder in qualifizierter Ausbildung. Er hat ein verhältnismäßig gutes Einkommen. Aber immerhin: der Wegfall von 210 DM Ausbildungshilfe monatlich wird ihn zwingen, unter den 7 Kindern, die sich in qualifizierter Ausbildung befinden, eine Auswahl zu treffen und zwei, vielleicht auch drei von der Schule zu nehmen. Hier zeigt sich deutlich, wie falsch und wie gefährlich die Bezeichnung „Pennälergehalt" für die Ausbildungshilfe war.
({0})
Hier würden Sie wirklich einen sozialen Besitzstand
schmälern. Das kann sich gar nicht anders darbieten.
Ich möchte noch ein Argument nennen, auch wenn ich es nicht für sehr gewichtig halte. Wir wissen alle, daß es sehr schwierig war, den Haushalt auszugleichen. Er ist nun auf 77 Milliarden DM ausgeglichen.
({1})
- Natürlich ist er ausgeglichen, Herr Moersch, wenn Sie den Gesamtzusammenhang sehen. Wie er ausgeglichen ist, dazu habe ich mich nicht geäußert. Jedenfalls haben wir eine Steigerung auf 77 Milliarden DM, also eine höhere Steigerung als ursprünglich vorgesehen war. Daß dennoch dann gerade die Familienzulagen eine Kürzung erfahren sollen, ist etwas, was man doch wohl draußen kaum vertreten kann, zumal das, was die Antragsteller hier vorschlagen, dreiviertel Promille des Haushalts ausmacht.
Ich glaube, daß die Weiterführung in dieser Form bis zu einer Neuregelung von uns verantwortet werden kann - auch angesichts der Haushaltslage -, weil ja dieses Geld in eine weiterführende Ausbildung hineingeht, ohne die wir schließlich die Zukunftsaufgaben nicht bewältigen können, und wir sind ja alle daran interessiert, sie zu bewältigen.
Wir haben Ihnen den Antrag vorgelegt. Ich muß dazu sagen, daß die Namen, die darunter stehen, aus technischen Gründen mehr zufällig sind. Ich bin überzeugt, daß alle Kollegen meiner Fraktion den Antrag unterstützen. Ich wäre Ihnen allen sehr dankbar, wenn Sie hier einmal, ohne sich in einer Sache für die Zukunft bezüglich des Familienlastenausgleichs zu präjudizieren, den sozialen Besitzstand für die Familien wahren würden, die unter großen Opfern einigen ihrer Kinder eine qualifizierte Ausbildung angedeihen lassen.
({2})
Zu dem soeben begründeten Änderungsantrag hat Herr Abgeordneter Moersch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da offensichtlich die Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion - - Entschuldigung, Sie melden sich. Ich hatte gehört, Sie wollten dazu nicht sprechen. Das hätte mich sehr gewundert.
({0})
- Sie werden uns brauchen; denken Sie gleich mal daran! Irren Sie sich ja nicht!
({1})
Ich wollte an den Herrn Kollegen Stingl doch ein paar Fragen richten. Die sollte man klären, bevor wir hier abstimmen.
Erstens möchte ich fragen, wie diese Zusammensetzung der Antragsteller zustande kommt. Ich vermisse hier den Kollegen Dr. Schmidt ({2}) im Saal, der als zweiter unterschrieben hat, also in dieser Frage besonders engagiert ist. Wenn ich mich recht entsinne, war er bei den Beratungen zur Mehrwertsteuer vor wenigen Wochen manchmal ein einsamer, aber immer ein streitbarer Kämpfer gegen alle vernünftigen Anträge, die von unserer Seite gekommen sind, mit der Begründung, daß beispielsweise Mindereinnahmen auf uns zukämen. Ich wundere mich, daß man in so kurzer Zeit eine Unterschrift auf einem solchen Antrag leisten kann, ohne uns dann zu erklären, worauf sich dieser Gesinnungswandel gründet. Denn im Gegensatz zu seinen Begründungen damals ist es doch so, daß der Herr Kollege Stingl uns eben mit schöner Offenheit erklärt hat, die Deckung, die Bezahlung dieser Mehraufwendungen geschehe aus dem Defizit. Das ist also die neue Methode der Finanzierung. Ich meine, das muß man sich merken!
Hier haben offensichtlich nicht nur Leute Ihres Arbeitskreises, Herr Stingl, unterschrieben, sondern auch Kollegen, die uns noch mit großem Engagement angedonnert haben wegen unseres Gaststättenantrages und ähnlichem und die gar die Weinbauern als völlig nebensächlich abgetan haben. Das finde ich doch höchst bemerkenswert. Insofern scheint dieser Antrag möglicherweise noch einiges auszulösen.
Zum zweiten hätte ich gern gewußt, ob Sie eigentlich einen solchen Antrag stellen dürfen, Herr Stingl, ob der Herr Bundeskanzler Ihnen das genehmigt hat,
({3})
denn 'ich habe gehört, daß Sie in diesen Fragen Disziplin halten wollten, und nun kommt hier der Beweis des Gegenteils auf den Tisch.
Zum dritten würde mich sehr interessieren, wie Ihre gesamte Fraktion dazu steht. Ich sehe hier sehr unterschiedliche Reaktionen. Vielleicht deute ich das
Kopfnicken oder Kopfschütteln falsch, aber im allgemeinen ist es in Deutschland so, daß man hier weiß, woran man ist - im Gegensatz zu den alten Römern, die ja bekanntlich ihre Ablehnung so ausgedrückt haben wie wir unsere Zustimmung. Das möchte ich vorher von Ihnen doch gerne gehört haben. Und dann möchte ich gern hören, Herr Stingl, welche Konzeption der Familienminister in der ganzen Frage hat. Oder Herr Dr. Martin. Er hat uns nämlich vorhin gesagt, wir haben sowieso zuviel Abiturienten in der Zukunft; das ist das Problem der Hochschulen. Und wenn Sie jetzt sagen, wir müssen unbedingt mehr in die Ausbildung kriegen
- ich bin der Meinung, wir müssen mehr in die Ausbildung kriegen - ({4})
- Nein, nein, Herr Kühn. Sehen Sie, man muß die Logik der Sache hier doch einmal untersuchen, wenn Sie so einen Antrag bringen. Und die Logik kann doch irgendwo nicht ganz stimmen, wenn uns eben unter Ihrer begeisterten Zustimmung - ich glaube, Sie waren es, Herr Kühn - Herr Martin. erklärt, hinsichtlich der Aussicht auf die Hochschule in der Zukunft sei alles ganz falsch, außerdem müsse man jetzt dafür sorgen, daß nicht so viele Leute Abitur machten, weil das nämlich zur Überfüllung der Hochschulen führte. Das war doch in kurzen Worten das, was hier vorgetragen wurde. Den Sinngehalt müssen wir noch untersuchen. Verstehen Sie, ich sehe den Zusammenhang nicht ganz. Vielleicht sehen Sie ihn auch nicht. Deswegen würde ich Ihnen eigentlich empfehlen, beraten Sie diesen Antrag doch einmal gründlich in Ihrem Arbeitskreis und in Ihrer Fraktion, fragen Sie einmal Ihre Leute im Haushaltsausschuß, was sie davon halten, und denken Sie einmal darüber nach, wie Sie künftig die gesamte Ausbildungsförderung machen wollen!
Sie haben uns schon einmal auf die falsche Fährte geführt - oder war die Fährte richtig, die Sie schon nach einem Jahr wieder verlassen mußten? - mit dieser Ausbildungszulage, die Sie damals geschaffen haben. Wenn das überzeugend gewesen wäre, was Sie damals vorgeschlagen haben, hätte es das ganze Plenum nicht ändern müssen. Sie haben die Änderung zwar zunächst noch abgelehnt, weil w i r den Antrag gestellt haben. Aber nachher haben Sie es doch gemacht, Sie sehen, wir vertrauen also ganz einfach Ihrem Sachverstand in diesen Fragen nicht ganz, weil Sie uns auf diesem Gebiet im Zickzackkurs geführt haben.
Deshalb möchte ich von Ihnen 'einige nähere Erklärungen haben, was Sie eigentlich dabei gedacht haben. Daß wir aus sozialpolitischen Gründen einen solchen Antrag gern unterstützen würden, ist gar keine Frage. Nur haben wir in einem Ausschuß - und Sie haben, glaube ich, im Plenum mitgestimmt
- bestimmte Merkmale besprochen, nach denen gefördert werden soll, und jetzt ist das alles gar nicht wahr. Jetzt erfinden Sie plötzlich von einer Minute auf die andere etwas, was zu diesem Beschluß des
Bundestages zur Sache selbst keinen inneren Bezug hat.
({5})
- Der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen und der Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik haben sich auf Grund von Entschließungsanträgen zum Haushaltsplan des vergangenen Jahres über Grundmerkmale geeinigt, die bei der Ausbildungsförderung künftig zu beachten seien, Herr Stingl, und davon ist in Ihrer Begründung jedenfalls keine Spur.
({6})
- Was denn, wir haben hier im Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, ich glaube, ohne Gegenstimmen!
({7})
- Herr Stingl, dann sollten Sie sich doch mindestens einmal an die Merkmale halten, die dort als Grundlage einer Ausbildungsförderung beschlossen worden sind. Das haben Sie hier nicht aufgeklärt. Ich nehme an, Sie kennen das gar nicht. Das ist natürlich noch schlimmer. Wenn Sie das nämlich kennten, dann hätten Sie in Ihrem Antrag diese Merkmale, die der Bundestag der Bundesregierung für eine neue Ausbildungsförderung aufgetragen hat, jedenfalls berücksichtigt.
({8})
- Das ist ja das Schlimme, daß Sie von einem Stein auf den anderen hüpfen und am Ende doch in die Stromschnelle fallen.
({9})
Das ist es doch, daß Sie keine Konzeption dahinter haben, wenn Sie so etwas vortragen, sondern daß Ihnen da gerade eingefallen ist, daß man jetzt etwas machen müßte. Das wußte man schon lange. Das hätten Sie in Ruhe besprechen können. Dann hätten Sie z. B. gegen diesen Ausschußvorschlag, den wir hier nach langen, intensiven Beratungen gemeinsam eingebracht haben, stimmen können. Aber daß Sie uns jetzt einen solchen Antrag zur Finanzierung aus dem Defizit vorlegen, das halte ich einfach für einen eklatanten Widerspruch zu all Ihren Versicherungen, das gesamte Interesse des Staates zu beachten, und wie diese schönen Sprüche heißen. Das hier stimmt jedenfalls nicht mit Ihren guten Vorsätzen überein.
Wir möchten Sie eindringlich bitten - und wir möchten Sie daran hindern, Ihre schlechten Vorsätze zur schlechten Tat werden zu lassen -: Sorgen Sie dafür, daß eine Konzeption der Regierung vorgelegt wird! Wir reden gern darüber. Aber machen Sie nicht solche Anträge in Partisanentechnik!
({10})
Zum Änderungsantrag Umdruck 252 Frau Abgeordnete Freyh.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zu den Anträgen auf
Umdruck 252 *) und 253 **) von Antragstellern aus der CDU/CSU-Fraktion sprechen. Ich möchte gleich noch einmal an das anknüpfen, was hier schon durch eine Zwischenbemerkung deutlich wurde. Wir hoffen, daß die Tatsache, daß dieser Antrag nicht von der gesamten Fraktion der CDU/CSU eingebracht worden ist, sondern nur von einzelnen Abgeordneten, dazu führt, daß sich die übrigen Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion auf die in dieser Hinsicht getroffene Koalitionsabsprache, die auch dem Beschluß des Haushaltsausschusses zugrunde lag, besinnen werden.
Dieser Antrag würde die entsprechenden Vorschriften des Bundeskindergeldgesetzes bereits zum drittenmal innerhalb von gut zwei Jahren ändern und Auswirkungen auf den Kreis der Empfänger der Ausbildungszulage haben. Diese allzu häufige Änderung eines Gesetzes trägt sicherlich in der Öffentlichkeit nicht dazu bei - auch darauf ist schon hingewiesen worden -, dem Parlament zu bestätigen, es habe in der Frage der Ausbildungszulagen eine überzeugende Konzeption. Die beiden letzten Änderungsanträge zu den Ausbildungszulagen setzen allerdings die Tendenz fort, der Kritik Rechnung zu tragen, die gegenüber der Ausbildungszulage im allgemeinen und im Zusammenhang damit, daß sie Methoden des Gießkannenprinzips anwende, geübt worden ist. Die Entwicklung, die sich mit diesen Anträgen vollzieht, ist also indirekt eine Bestätigung der auch in diesem Hause mehrfach anerkannten Auffassung, daß die Förderung der Ausbildungschancen von jungen Menschen gezielt erfolgen sollte, zumal wenn man nicht über unbeschränkte Mittel verfügt.
Meine Fraktion ist nach wie vor der Meinung, daß diese Form der Ausbildungsförderung unzureichend ist, insbesondere auch deshalb, weil sie für viele Familien geringen und mittleren Einkommens den tatsächlichen Belastungen bei längerer Ausbildung von mehreren Kindern nicht Rechnung tragen kann. Wir haben deshalb bereits in der ersten Lesung des Haushalts 1967 die Auffassung vertreten, daß die Ausbildungszulagen von einer gezielten Ausbildungsförderung abgelöst werden müssen. Diese Auffassung vertreten wir auch heute noch. In dieser Auffassung sehen wir uns aber auch bestätigt durch den Zwang, die anfänglich breit gestreuten Ausbildungszulagen wenigstens dadurch noch am Leben zu erhalten, daß sie in Richtung auf eine gezielte Hilfe umgeformt werden, allerdings nach unserer Auffassung nach wie vor mit unzureichenden Methoden. Wir halten es außerdem nicht für richtig, daß nun noch einmal eine Maßnahme geändert wird, deren Verlängerung die Bundesregierung selbst nicht mehr unterstützt.
Da an dieser Stelle auch die Politik des Ministeriums für Familie und Jugend zur Diskussion steht, möchte ich noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Behandlung der Frage der Ausbildungsförderung durch das federführende Ministerium anschließen. Man kann nicht abstreiten, daß dieses Ministerium die Diskussion um die Ausbildungs-
*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 5 förderung über viele Jahre dadurch belebt oder, besser gesagt: am Leben erhalten hat, daß man von dort mit teils auch recht pressewirksamen Äußerungen nicht sparsam gewesen ist. Vor allem geschah das durch zahlreiche Mitteilungen über beabsichtigte Initiativen, ohne daß solche Ankündigungen bisher zur ' Entscheidungsreife gediehen sind. Ich will Ihnen ersparen, im einzelnen daran zu erinnern, wie oft auch wir in diesem Hause annehmen mußten, daß eine Entscheidung unmittelbar bevorstand.
Zugegeben, die Materie ist durch ihre Belastung mit Zuständigkeitsfragen zwischen Bund und Ländern sicherlich nicht einfach zu regeln. Sie setzt deshalb eine große Kooperationsfähigkeit voraus, verbunden mit intensiven Bemühungen um ein Ergebnis nach Klärung des eigenen Standpunktes. Die hier oft angemeldeten Zweifel, daß weder intensive Verhandlungen mit den Ländern stattgefunden haben noch eine Klärung des eigenen Standpunktes in diesem Ministerium erfolgt ist, sind bis heute sicherlich nicht gegenstandslos geworden.
Nehmen Sie dazu nur die letzte Antwort, die der Bundesminister für Familie und Jugend im Februar 1967 auf den von diesem Hause einstimmig unterstützten Antrag, auf den auch Herr Kollege Moersch bereits hingewiesen hat, gegeben hat. Der Fachausschuß hatte bekanntlich die Bundesregierung aufgefordert, bis zum 1. März 1967 Vorschläge zur Vereinheitlichung und Verbesserung der Ausbildungsförderung zu unterbreiten. Nicht nur meiner Fraktion, sondern Ihnen allen in diesem Hause, die Sie diesen Antrag einmütig unterstützt haben, ' muß die Antwort außerordentlich unbefriedigend erschienen sein, weil sie nämlich eine klare Aussage vermieden hat und die Entscheidung wieder einmal vor sich herschob. Das Bundesministerium verwies einfach auf den dann einen Monat später vorgelegten Bericht über den Stand der Maßnahmen auf dem Gebiet der Ausbildungsförderung, der eine Entscheidung über die Vereinheitlichung und Verbesserung ermöglichen solle. Aber wer nach dieser Vorankündigung vielleicht noch optimistisch erwartet hatte, daß Vorschläge zu einer Neuregelung in diesem Bericht zu finden sein würden, hat darin doch nur eine Aufzählung aller .denkbaren Modelle zur Neuregelung wiedergefunden. Die jahrelangen Erwägungen des Ministeriums haben also bis heute weder zu einer Entscheidung für eines dieser Modelle noch dazu geführt, was sicherlich auch denkbar gewesen wäre, die eine oder andere Lösung, die nur in einer Aufzählung wiederholt worden ist, auszuscheiden.
Das ist keine effektive Politik,
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vor allem nicht, wenn man über den unbestreitbaren Vorzug verfügt, dieses Ressort seit Dezember 1962, an der Spitze in der gleichen personellen Besetzung verwalten zu können.
Herr Abgeordneter Kühn möchte eine Frage stellen, Frau Abgeordnete.
Bitte schön!
Frau Kollegin, inwieweit sehen Sie Ihre jetzigen Ausführungen im Zusammenhang mit dem Antrag unserer Freunde auf beschränkte Weiterzahlung der Ausbildungshilfe? Ich vermag keinen Zusammenhang zu sehen.
Herr Kollege, da besteht eindeutig ein Zusammenhang. Wir haben hier beispielsweise aus dem Ministerium über die Presse wieder von einer Ankündigung gehört,
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daß die Ausbildungsförderung im Zusammenhang mit den Ausbildungszulagen einer Neuregelung zugeführt werden soll. Ihre Behauptung, die hier an dieser Stelle schon sehr oft ein Streitpunkt war, daß Ausbildungszulagen und Ausbildungsförderung zweierlei Schubladen seien,
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trifft nicht zu. Man muß vielmehr davon ausgehen, daß es sich in beiden Fällen um die Förderung der Ausbildung handelt.
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- Herr Kollege Stingl, ich glaube, Sie haben meinen Ausführungen nicht richtig zugehört; denn ich will Ihnen ja gerade klarmachen,
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daß wir der Meinung sind, das Ministerium für Familie und Jugend wäre verpflichtet gewesen, nicht nur in der Zeit seit 1959, sondern insbesondere auch in der Zeit seit 1962 in diesen Fragen doch wirklich eine Entscheidung zu treffen und eine Vorlage zu machen.
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Herr Präsident, wollen wir hier eine Grundsatzdebatte über die Frage der weiteren Ausbildungsförderung führen, oder wollen wir jetzt eine Diskussion über einen konkret vorgelegten Antrag führen? Das ist meine Frage, Herr Präsident.
Ihre Frage ist berechtigt, Herr Kollege Kühn. Wir behandeln im Augenblick den Änderungsantrag auf den Umdrukken 252 und 253.
Herr Präsident, vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Allerdings habe ich angekündigt, daß ich der Meinung bin, die Beratung des Haushaltsplans 29 sollte auch Gelegenheit geben, an dieser Stelle die allgemeinen Probleme dieses Haushalts anzusprechen. Ich habe aber diese allgemeinen Ausführungen auf diese Zwischenbemerkung beschränken wollen, die ich gerade im Augenblick abgeschlossen habe.
Ich möchte deshalb nun auch noch den Schluß aus diesen Ausführungen ziehen. Meine Fraktion fordert deshalb - und das ist das Ergebnis dessen, was ich Ihnen hier dargestellt habe - die Bundesregierung erneut und dringlich auf, endlich eine Entscheidung zu treffen und an die Stelle der Ausbildungszulagen eine einheitliche und gezielte Ausbildungsförderung treten zu lassen. Nicht zuletzt deshalb, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen,
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stimmt die SPD-Fraktion für die Annahme des Vorschlags des Haushaltsausschusses, der ja einstimmig beschlossen worden ist, und lehnt deshalb den heute in dieser Beratung von einer Gruppe von Abgeordneten aus der CDU/CSU-Fraktion vorgelegten Antrag auf den Umdrucken 252 und 253 ab.
Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling hätte noch gern eine Zwischenfrage an Sie gestellt, Frau Abgeordnete Freyh. Sind Sie damit einverstanden?
Ich bin bereits fertig, Herr Präsident.
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Das steht in Ihrem Belieben. - Frau Abgeordnete Frey hat ihre Rede beendet. - Immer noch zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 252, Herr Abgeordneter Kühn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß wir aus der Diskussion eines konkret hier vorliegenden Antrags in eine allgemeine Diskussion hineingeraten sind, die der Sache in diesem Augenblick und hier nicht dienlich sein kann.
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- Die der Sache hier und in diesem Augenblick nicht dienlich sein kann. Meine Damen und Herren von den beiden Seiten des Hauses, die Sie soeben hier zu dieser Vorstellung Beifall geklatscht haben, die Frage, um die es hier geht, ist nicht, wie die Ausbildungsgestaltung in der Zukunft sein kann, sondern, wie die Situation der Familien, die hier besondere Lasten auf sich genommen haben, bis zu dem Zeitpunkt sein soll, wo eine solche Regelung möglich ist.
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Das ist die Frage, die Sie heute und hier zu entscheiden haben. Hier ist es eben die Auffassung meiner Freunde, und zwar einer sehr viel größeren Zahl, als das aus den Unterschriften unter diesem Antrag hervorgeht, daß es hier unter gar keinen Umständen so gehen kann, wie es Frau Kollegin Freyh in ihrer Schlußfolgerung soeben hier dargestellt hat, daß man nämlich einer Forderung Nachdruck verleihen müsse, indem man denjenigen, die hier am härtesten getroffen sind, die Hilfe zunächst abschneidet, um sie dann vielleicht zu einem lauteren Auftreten draußen zu veranlassen. Meine Damen' und Herren, das ist eine absolut schlechte Politik,
Kühn ({2})
die veranlaßt, nicht die Sache zu diskutieren und nicht aus der Sache heraus zu entscheiden, sondern die Bevölkerung geradezu aufzurufen, sich lautstark zu verhalten und anzunehmen, daß derjenige, der am lautstärksten schreit, auch am meisten. bekommt. Ich glaube, wir müssen in unserer Verantwortung zur Gestaltung von einem anderen Standpunkt ausgehen. Die Frage ist, ob das, was in dem Kompromißvorschlag vorgelegt worden ist, überhaupt eine Regelung in unserem Sinne darstellen kann. Ich mache gar kein Geheimnis daraus, daß ein großer Teil meiner Freunde und ich selber der Auffassung sind, es wäre besser, den Zustand wiederherzustellen, der bisher insgesamt geherrscht hat. Wir sehen aber, daß es finanzielle Schwierigkeiten gibt. Deswegen möchten wir wenigstens für diejenigen die Leistungen aufrechterhalten, die dieser Leistungen am dringendsten bedürftig sind.
Wenn Sie mich fragen, Herr Kollege Moersch: Wie steht denn Ihre Fraktion dazu?, dann kann ich Ihnen nur sagen, meine Fraktion steht insgesamt auf dem Standpunkt, daß alles das, was getan werden kann, um eine weiterführende Ausbildung zu fördern, auch getan werden sollte.
Meine Damen und Herren, hier geht es nicht um die Frage „Abiturienten - ja oder nein?", sondern hier geht es darum, in der mittleren Führungsschicht, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf, einen Anreiz zur weiterführenden Ausbildung zu setzen. Denn die Tatsache, daß wir ein Überangebot an Abiturienten haben, bedeutet noch lange nicht, daß wir auch in der Lage sind, in der mittleren Führungsschicht die entsprechenden Führungskräfte zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, man muß diese Dinge mehr im Zusammenhang sehen.
Hier geht es aber - das möchte ich noch einmal aus den Ausführungen meines Kollegen Stingl unterstreichen - im Grunde genommen zunächst um eine sozialpolitische Frage, nämlich darum, ob Sie der Meinung sind, daß wir hier zum ersten Male restlos streichen sollten, was wir bisher bei allen sozialpolitischen Maßnahmen als unabdingbar angesehen haben, nämlich die Besitzstanderhaltung. Kollege Stingl hat, glaube ich, sehr eindringliche Beispiele dafür gebracht, in welche Situation Familien geraten müssen, die sich darauf verlassen haben, daß der Gesetzgeber ihnen eine Zusage gemacht hat. Gerade diese Härten wollen wir vermeiden. Wer sie mit uns vermeiden will, wird dem Antrag zustimmen müssen.
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Wir haben diesen Antrag nicht eingebracht, weil er etwa eine Ideallösung für uns darstellt, sondern deswegen, weil wir gleichzeitig auf den Entschließungsantrag verweisen dürfen, den wir in der dritten Lesung noch einzubringen und hier zu behandeln haben: Die Bundesregierung wird beauftragt, eine neue Gesamtregelung vorzulegen. Aber bis zu diesem Augenblick, meine Damen und Herren, dürfen keine unerträglichen Härten eintreten. Wer das mit uns nicht will, der muß für unseren Antrag stimmen.
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Zu Umdruck 252 Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Herr Bundeskanzler vor diesem Hohen Hause im Wonnemond Ihrer Koalition die Regierungserklärung vortrug, erhielt er an einer Stelle besonders starken Beifall. Diese Stelle heute zu wiederholen, wäre eigentlich Aufgabe der Mitglieder der Bundesregierung und nicht der Opposition.
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Dort heißt es nämlich:
Den führenden Kräften des Parlaments, insbesondere den Fraktionsvorständen und -vorsitzenden, kommt hier eine ähnliche Ordnungs-
und Führungsaufgabe wie den Regierungschefs im Kabinett zu, wenn eine geordnete Politik, die sich am Gemeinwohl orientiert, gelingen soll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie diesen Antrag einzelner Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion unterstützen: ich kann noch nicht glauben, daß die ganze CDU sich in dieser Breite gegen die von ihr getragene Regierung stellt, die ja im Kabinettsbeschluß die Streichung genau dieser Mittel festgestellt hat!
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Hier ist das Wort „sozial" sehr oft und mit großer Betonung verwendet worden. Meine Damen und Herren, gerade im Bereich der Sozialpolitik ist unsozial derjenige, der nach dem Gießkannenprinzip vielen nichts Ausreichendes geben will.
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Sie wollen sich mit diesem Verlängerungsantrag - der nicht der letzte sein wird - in Wahrheit um die entscheidende Frage der Neuordnung der Ausbildungsförderung herumdrücken, weil Ihnen auch in dieser Frage die Kraft dazu fehlt, klare Entscheidungen zu treffen.
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Meine verehrten Damen und Herren, es ist unverständlich, daß der zuständige Ressortminister und daß der Vertreter des Finanzministers hier auf der Regierungsbank sitzen und schweigen, wenn aus dem Regierungslager gegen eine Konzeption der Regierung durch einen Antrag Sturm gelaufen wird. Hat die Regierung keine Meinung oder hat sie keine einheitliche Meinung in dieser Frage?
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Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung in weiser Voraussicht dessen, was kommen wird, nicht nur bei der Arbeitslosenversicherung, was wir gestern kritisiert haben, sondern auch heute noch in diesem Bereich - wie die Regierungserklärung ja überhaupt eine Fundgrube für das ist, was kommen wird - erklärt:
Die Aufgabe des Regierungschefs ist es, diese Ressortwünsche mit dem Gesamtprogramm in Einklang zu bringen, sie also auf das ihnen gebührende Maß zurückzuschneiden.
Wie wird diese Aufgabe jetzt erfüllt, da die unverhohlene Sympathie des zuständigen Ressortministers mit den Antragstellern doch gar nicht zu übersehen ist?
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Sie haben, Herr Kollege Kühn, mit Recht auf einen Entschließungsantrag hingewiesen, den Sie zusammen mit der Fraktion der SPD vorlegen und in dem es heißt, daß die angekündigte Reform des Familienlastenausgleichs im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung unverzüglich vorbereitet und dem Deutschen Bundestag alsbald ein entsprechender Vorschlag vorgelegt werden soll. Der wievielte Antrag in dieser Richtung ist das eigentlich, frage ich Sie. Wie lange wollen Sie sich noch mit Anträgen dieser Art um die notwendigen politischen Entscheidungen - ich sage es noch einmal - herumdrücken? Meine Damen und Herren, Sie müssen hier gerade durch die Ablehnung dieses Antrages nicht nur deutlich machen, daß Sie nicht die Finanzpolitik Ihrer eigenen Regierung jetzt schon wieder in einer solchen Frage gefährden wollen, sondern auch, daß Sie mit uns die Kraft haben, eine wirklich gezielte moderne Ausbildungsförderung nach den Grundsätzen, die der Ausschuß vorgesehen hat, hier vorzulegen.
Wir würden es aber - lassen Sie mich das zum Schluß sagen - für unerträglich halten, wenn angesichts dieser entscheidenden Debatte, die nicht nur zwischen Regierung und Opposition geführt wird, sondern die auch - nach der angeblich gründlichsten Bestandsaufnahme aller Zeiten - in der Koalition geführt wird, in einer so entscheidenden Frage die zuständigen Kabinettsmitglieder auf der Regierungsbank säßen und schwiegen. Die Regierung muß hier sprechen, wenn sie nicht mit ihren eigenen Kabinettsbeschlüssen unglaubwürdig werden will.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wuermeling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte bei der Rede der Frau Kollegin Freyh keine Gelegenheit mehr, eine Frage zu stellen, und möchte das jetzt noch in aller Koalitionsverbundenheit und Koalitionsfreundschaft
({0}) nachholen dürfen.
Zuvor aber eine ganz kurze Antwort an den Herrn Kollegen Genscher. Herr Kollege Genscher, wie wir in unserer Koalition unsere Dinge miteinander regeln, das überlassen Sie ruhig den Koalitionspartnern. Denn Sie haben am wenigsten Legitimation dafür, hier darüber zu sprechen, wie man loyal eine Koalition führt.
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- Oder umgekehrt!
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Die Frage, die ich der verehrten Kollegin Freyh stellen wollte, war - ganz sachlich und werbend für unser Anliegen - folgende. Wir haben ja im Dezember 1966 schon einmal eine Diskussion über dieses Thema gehabt, als wir gemeinsam einen Beschluß des Haushaltsausschusses verteidigten, der den Kürzungvorschlag der Bundesregierung, der vorgelegen hatte, wesentlich abmilderte. Damals hat der Herr Kollege Hermsdorf - und dieser Satz wurde vorhin nicht zitiert - wörtlich erklärt:
Sie können von uns nicht erwarten, daß wir soziale Härten einfach vom Tisch wischen, solange keine andere gezielte Ausbildungszulage an diese Stelle getreten ist.
Diese sozialen Härten, die hier jetzt anscheinend vom Tisch gewischt werden sollen, bestehen u. a. darin, daß einer frühinvaliden Familie mit gut 600 DM Einkommen, die mit Mühe einem von zwei begabten Kindern eine weiterführende Ausbildung ermöglicht, eine Einkommenskürzung von 30 DM monatlich auferlegt wird.
Frau Freyh möchte eine Frage stellen.
Frau Kollegin, sehr gern. Ich möchte aber nur die Beispiele zu Ende führen. Ich werde nicht weggehen, ohne daß Sie gefragt haben.
Einer Handwerkerfamilie mit drei Kindern, von denen zwei sich in einer weiterführenden Ausbildung befinden, wird eine Kürzung von 60 DM monatlich auferlegt. Einer Studienratsfamilie, deren drei Kinder - ohne Honnef - in Universitätsausbildung sind, wird eine 'Kürzung von 90 DM auferlegt. Einer Großfamilie mit fünf Kindern, von denen sich vier in einer weiterführenden Ausbildung befinden, wird eine Kürzung von 120 DM auferlegt.
Ich meine, verehrte Frau Kollegin, das wären genau die sozialen Härten, die wir damals miteinander haben verhindern wollen und die wir eben nicht „vom Tisch zu wischen" beabsichtigen. Und darum nun wirklich aus ehrlicher Verbundenheit mit einem Anliegen, um das ich nicht nur neun Jahre als Familienminister, sondern auch hier im Parlament und draußen im Lande immer wieder ununterbrochen geworben habe, meine herzliche Bitte, doch jetzt die Familien im Vordergrund zu sehen, die wirklich in echte Schwierigkeiten geraten, die vor die Frage gestellt werden, ob sie ihre Kinder weiter in der Ausbildung lassen sollen. Ihnen sollte man für diese Übergangszeit bis zu der Endregelung, die wir alle anstreben, diese Ausbildungszulage in dem bescheidenen Maße; in dem wir es hier beantragt haben, belassen.
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Jetzt die Frage von Frau Freyh, deren Beantwortung Sie zugesagt haben.
Herr Kollege Wuermeling, darf ich Sie als Mitglied der Fraktion, zu der der Minister des Ressorts, um das es hier geht, gehört, fragen, ob Ihnen nicht in Erinnerung ist, daß die Stellungnahme meines Kollegen Hermsdorf bereits im Dezember 1966 erfolgt ist und daß wir selbstverständlich davon ausgegangen sind, als damals einer Regelung bis einschließlich Juni 1967 zugestimmt worden ist, daß sich die Bundesregierung und insbesondere das zuständige Ressort bis zu diesem Zeitpunkt Gedanken über eine vernünftige Ablösung der Ausbildungszulage gemacht haben würden?
Verehrte Frau Kollegin, ich bitte doch zu bedenken, daß diese Koalitionsregierung in den ersten sechs Monaten mit so viel neuen Fragen befaßt war, daß für diese sicher sehr, sehr wichtige Frage eine endgültige Regelung in dieser Zeit nicht auf den Tisch gelegt werden konnte. Ich darf an das erinnern, was in der Presse gestanden hat, daß der Herr Familienminister bereits einen sehr ausgearbeiteten Vorschlag über die Neuregelung des Familienlastenausgleichs gemacht hat. Er steht zwar noch nicht offiziell in der öffentlichen Diskussion. Er beweist aber, daß an diesem Thema sehr gründlich gearbeitet worden ist.
Herr Abgeordneter Westphal möchte eine Frage stellen.
Herr Kollege Wuermeling, glauben Sie nicht, daß der Umstand, daß wir noch keine neuen fertigen Entwürfe für das wichtige Gebiet der Ausbildungsförderung vor uns haben, auch dadurch bedingt sein kann, daß Sie in Ihrer politischen Gruppe den dafür zuständigen Minister mit Aufgaben innerhalb Ihrer Partei überlastet haben?
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Herr Kollege, es ist ein wenig schwierig, darauf zu antworten. Ich möchte darauf antworten, daß diese Frage eigentlich nicht in dieses Haus, sondern in die Gremien der Christlich-Demokratischen Union gehört.
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Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht hier heraufgegangen, um zu den Ausführungen zu sprechen, die der Kollege Moersch und der Kollege Genscher gemacht haben und die nach meiner Meinung mindestens an einigen Passagen unter dem Strich waren.
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- Lesen Sie sie nach, besonders Sie, Herr Moersch.
Die Bezichtigung, die Sie mir gegenüber an den Anfang gestellt haben, daß wir nicht ausdiskutiert hätten, ist doch ein bißchen so gewesen, wie ich eben gesagt habe.
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- Ich bin nicht empfindlich! Nur die Tonart, Herr Moersch!
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Sie haben auch nicht zugehört, Herr Moersch; denn ich habe ausdrücklich gesagt, daß es uns bei diesem Antrag überhaupt nicht darum geht, neue Gleise familienpolitischer, familienlastenausgleichsmäßiger oder sonstiger Art zu legen, sondern - und das sage ich noch einmal unserem Koalitionspartner - es geht uns um die Feststellung, daß die in der Regierungserklärung vom 20. Januar angesprochene Streichung der Ausbildungszulage keine endgültige Absage an die Familienpolitik bedeute und man sich über Familienpolitik in der mittelfristigen Finanzplanung erneut Gedanken machen werde.
Meine Damen und Herren, wer von Ihnen kann denn sagen, wir seien im Januar nicht der Meinung gewesen, daß es mit der mittelfristigen Finanzplanung und mit den Planungen überhaupt ein bißchen schneller gehen könnte? Es sind unerwartete Tatbestände eingetreten, die uns bei der mittelfristigen Finanzplanung zurückgeworfen haben. Das ist doch kein Geheimnis. Nun soll, weil wir dazu wegen der veränderten Steuereingänge jetzt nicht in der Lage sind, ein Teil unseres Volkes, nämlich der Teil, der mehrere Kinder in qualifizierter Ausbildung hat, der Leidtragende sein! Meine Damen und Herren, Sie sind es, die immer vom sozialen Besitzstand sprechen, viel mehr als wir. Wir haben mit Ihnen gleichgezogen, und es ist ein anerkanntes Recht. Sie sprechen nur den Familien die Berechtigung für den sozialen Besitzstand ab. Das kann ich wirklich nicht verstehen. Dagegen steht auch nicht, daß die Vorschläge für die Ausbildungsförderung von uns einmütig gebilligt worden sind. Aber sie sind noch nicht konkret, und solange sie nicht konkret sind, wird die Entscheidung, die Ausbildungshilfe zu streichen, dazu führen, daß eine Reihe von Familien, bei denen mehrere Kinder in der qualifizierten Ausbildung stehen, Kinder aus der Ausbildung nehmen müssen. Das können Sie einfach nicht wegdiskutieren.
Herr Abgeordneter Westphal möchte eine Frage stellen.
Bitte!
Herr Kollege Stingl, wenn das richtig ist, was Sie eben als ein Problem, das uns alle bedrückt, aufgezeigt haben, müssen Sie aber auch die Frage beantworten können, wie viele Kinder denn nun wirklich auf Grund des Ausbildungszulagegesetzes im Sinne einer bildungspolitischen Maßnahme neu in die weiterführende Ausbildung gekommen sind.
Herr Kollege Westphal, um diese Frage zu beantworten, müßte ich Hellseher sein.
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- Auch wenn es ein Minister gesagt hat - ich kann mich nicht erinnern, daß er es gesagt hat -, kann es falsch sein. Mir liegen Interventionen vor, in denen mir Väter sagen: Ich habe mein drittes Kind jetzt auf die Schule geschickt, weil ich mit den beiden ersten zusammen 90 DM im Monat mehr habe. Nun streichen Sie diesem Vater nicht nur die 30 DM für das letzte Kind, sondern Sie streichen ihm die 90 DM. Sehen Sie das doch einmal ein! Darin liegt doch die Crux bei der ganzen Geschichte!
In diesem Zusammenhang will ich Ihnen noch etwas sagen. Gleichgültig, ob Sie den Antrag annehmen oder nicht, also dem Haushaltsausschuß folgen: Wenn wir uns nicht im Herbst dieses Jahres mit dem Gesetz beschäftigen - die Erklärung, Sie könnten durch die Streichung Druck ausüben, gilt, meine ich, nicht -, lebt das Problem im Januar wieder auf; ,denn das Haushaltsgesetz setzt die Leistungen ja nur für sechs Monate aus.
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- Natürlich gilt das auch für den Minister; selbstverständlich, Herr Kollege Westphal und Frau Kollegin Freyh!
Ich bin der Meinung, wir stehen unter dem Zwang, folgende Frage zu erörtern: Sollen wir für die Zeit, in der wir das Problem zu behandeln haben, wirklich eine Reihe von Familien dazu zwingen, ihre Kinder aus der Ausbildung herauszunehmen? Das ist auf Spitz und Knopf die Frage. Wer unserem Antrag widerspricht, sagt dem Vater, der drei oder mehr Kinder - ich habe Ihnen vorhin einen Fall mit sieben Kindern geschildert - in der Ausbildung hat, daß er wegen des Wegfalls der Ausbildungshilfe eine Entscheidung darüber treffen müsse, welches und wie viele Kinder er aus der qualifizierten Ausbildung herausnimmt. Es geht nicht im Einzelfall um die 30 DM - das wurde gesagt; darüber kann man reden -, es geht aber insgesamt um die Häufung in den Familien mit mehreren Kindern.
Frau Abgeordnete Freyh möchte eine Frage stellen? - Bitte, Frau Abgeordnete!
Herr Kollege Stingl, wissen Sie bei diesen Betrachtungen eigentlich, daß die Ausbildungszulage in der überwiegenden Zahl der Länder auf andere Beihilfen und auch auf das Einkommen der Eltern angerechnet wird, so daß Sie gar nicht generell davon sprechen können, daß die Ausbildungszulage verlorengeht?
Frau Kollegin Freyh, natürlich weiß ich das. Es geht uns nicht darum - ich sage es jetzt das vierte Mal, es -tut mir leid; ich bitte die anderen, die zugehört haben, um Entschuldigung, daß ich es noch einmal sage -, eine endgültige Regelung zu treffen, sondern es geht darum, in den Fällen, in denen durch das Streichen in einer Familie 90, 120, 210 DM weniger zur Verfügung stehen, zu verhindern, daß Kinder deshalb von der Schule genommen werden müssen. Ich hoffe, ich habe es jetzt deutlich genug gemacht.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung muß sich eigentlich immer freuen, wenn die Opposition, wie es Herr Kollege Genscher getan hat, immer nur die Regierungserklärung zitiert, das Wollen, die klaren Gedanken, die da zum Ausdruck gekommen sind.
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Allerdings muß die Regierung abwarten, ob die Opposition auch jene Passagen der Regierungserklärung immer wieder vortragen wird, deren Zielrichtung vielleicht nicht ganz in das Konzept der Opposition paßt. Darüber ist noch nicht entschieden.
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Zweitens stelle ich fest, daß sich z. B. auch gestern, Herr Kollege Genscher, die Regierung großer Zurückhaltung befleißigt hat, zumindest soweit es den Bundesminister der Finanzen betrifft. Er hat auch bei Anträgen, die von Ihrer Fraktion kamen, nicht Stellung genommen. Mit Recht fragen Sie, warum.
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- Na, Sie brauchen doch Ihre Anträge nur mal zu sehen; es sind ja etliche Anträge schon vorhanden.
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- Na, was heute früh kam. Es sind auch in diesem Bereich einige da, die ja noch kommen.
„Warum", könnten Sie mit Recht fragen, und das haben Sie speziell zu diesem Antrag gefragt. Hier muß ich Ihnen sagen: die Auffassung der Regierung auch zu diesem Punkt ist klar Die Regierung hat dazu in ihrem Kabinettsbeschluß - in dem vielerwähnten - vom Januar dieses Jahres eine klare Entschließung getroffen. Darüber, was die Regierung denkt, ist also nicht zu streiten.
Der Haushalt, so wie er nun geformt worden ist, ist praktisch das, was die Regierung in allen Fragen, die hier mit angeschnitten werden, nicht nur speziell in diesem Fall, zu sagen hat. Deshalb glaube ich nicht, daß man immer verlangen kann, daß die Regierung zu jedem Punkt etwas sagt.
Schließlich noch ein letztes Wort. Natürlich weiß das Parlament auch, in welcher Situation wir uns sowohl haushaltsmäßig als auch wirtschaftlich - und daraus folgen wieder haushaltsmäßige Gegebenheiten - befinden. Das Parlament muß in eigener
Parlamentarischer Staatssekretär Leicht
Verantwortung entscheiden. Das gilt auch für die Fragen, die jetzt im Augenblick nicht anstehen, die aber bei den Gesamtberatungen des Haushalts eine Rolle spielen können.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher!
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß die Antragsteller aus der CDU/CSU zu diesem ausgabenerhöhenden Antrag unter anderem durch den Umstand ermutigt worden sind, daß auch die Regierung selber inzwischen in wesentlichen Fragen von ihrem Kabinettsbeschluß vom 19. Januar abgewichen ist, z. B. in der Frage des Devisenausgleichs, der damals strikt abgelehnt wurde?
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen: Ich kann mir das kaum vorstellen, Herr Kollege Genscher. Über die Frage des Devisenausgleichs möchte ich mich jetzt nicht unterhalten. Aber auch dazu wäre etwas zu sagen, wenn man ergründen wollte, warum und wie ausgeprägt das damals so deutlich gesagt worden ist.
Wir wollen den Einzelplan 29 noch vor der Mittagspause erledigen.
Das Wort - immer noch zum Änderungsantrag Umdruck 253 - hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Staatssekretär, Sie können natürlich nicht erwarten, daß die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 13. Dezember eine Erklärung der Opposition ist. Aber in den Punkten, in denen die Regierungserklärung vom 13. Dezember mit unseren Auffassungen übereinstimmt, können Sie immer erwarten, daß die Opposition sozusagen ein getreuer Hüter dieser angekündigten Politik sein wird.
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Nachdem hier nun schon mehrfach die Regierungserklärung vom 20. Januar erwähnt und damit auf die Kabinettsbeschlüsse vom 19. Januar Bezug genommen wurde, muß ich der sozialdemokratischen Fraktion meinen Respekt und meine Hochachtung aussprechen, daß sie sich bei der Behandlung dieses Problems so zurückgehalten hat, daß sie zwar ihre Meinung zum Ausdruck bringt, aber nicht gleichzeitig darauf hinweist, daß in diesem Beschluß vom 19. Januar noch andere Dinge enthalten sind. Was in diesem Beschluß des Kabinetts vom 19. Januar, der dann zu der Regierungserklärung vom 20. Januar führte, enthalten ist, finden Sie auf den Seiten 18 und 19 des Haushaltsgesetzes, Drucksache V/1800, in Fettdruck jeweils auf der rechten Seite. Ich frage mich, ob eine Übereinkunft im Kabinett nicht dann fragwürdig geworden ist, wenn von insgesamt vier Paragraphen, auf die diese Regierungserklärung abzielte, einer ausgebrochen wird, nämlich der, der der CDU besonders am Herzen liegt und schwer zu verkraften ist, und die anderen, die der CDU, der SPD und der FDP am Herzen liegen und auch schwer zu verkraften sind, im Haushaltsgesetz bleiben sollen. Meine Damen und Herren von der CDU, so viel können Sie von Ihrem Koalitionspartner und auch von der Opposition nicht erwarten. Ich möchte das hier klar und deutlich in den Raum gestellt haben.
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- Herr Kollege Wuermeling, Sie sollten wirklich die grundsätzliche Regierungserklärung vom 13. Dezember öfters lesen. Dann werden Sie nämlich merken, wo die Opposition Ansatzpunkte haben kann oder mit Sicherheit haben wird, und dann würden Sie vorsichtig sein, der Opposition solche Angriffsflächen zu bieten.
Der Herr Bundeskanzler hat klipp und klar erklärt, daß es außerordentlich schwierig ist, die Ressortwünsche unter einen Hut zu bringen, und daß es dann noch einmal schwierig ist, diese Gesamtkonzeption im Parlament durchzuhalten, weil - so führte der Herr Bundeskanzler aus; ich habe die Regierungserklärung nicht da, aber ich habe sie in diesen Passagen im Kopf ({2})
in den Ausschüssen Abgeordnete teilweise über ihre eigenen Anliegen entscheiden. Das ist doch das ausschlaggebende Moment in dieser Frage: daß in dem zuständigen Ausschuß die Damen und Herren Abgeordneten eben nicht so entschieden haben, wie Sie von der CDU es wollen, sondern eine. andere, eine vernünftigere, eine zweckmäßigere und im Endeffekt sozialpolitisch tragbarere und wertvollere Konzeption entwickelt haben. Es liegt allein an der Bundesregierung, am zuständigen Minister, aus diesen Gedanken, die aus dem Parlament zusammengetragen worden sind, möglichst schnell eine klare Grundlage zu schaffen, damit nicht am 1. Januar das alte, unausgegorene Gesetz wieder in Kraft tritt. „Unausgegoren" sage ich, weil Kollege Schellenberg das Gesetz schon im Jahre 1964 oder 1965 so bezeichnet hat.
Meine Damen und Herren, wenn Sie heute diesen Antrag mit Mehrheit annehmen, dann weiß ich nicht, wie sich die SPD vor einer ganz großen Zahl von Wählern noch verantworten kann, wenn sie zu den anderen Beschlüssen des Kabinetts vom 19. Januar steht.
Ich möchte Ihnen zum Abschluß sagen, meine Damen und Herren von der SPD: Ich bewundere Ihre Haltung. Ich möchte Sie ermuntern, diese Haltung aufrechtzuerhalten und diesem Antrag nicht zuzustimmen. Denn wenn dieser Antrag angenommen würde, dann würde das wieder ein Beweis dafür sein, daß die Politik der CDU zum großen Teil darin besteht, Probleme durch gesetzestechnische Flickschusterei zu überwinden.
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Herr Abgeordneter Hermsdorf hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich zu Wort gemeldet, weil ich mehrere Male betreffs meiner Ausführungen im Dezember zitiert worden bin.
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Ich kann deshalb auch hier nicht für meine Fraktion sprechen, sondern möchte dazu ein paar persönliche Bemerkungen machen.
Zunächst zu Herrn Spitzmüller. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie die Haltung der sozialdemokratischen Fraktion bewundern. Das ist auch nicht schwer. Denn wenn man Ihre Haltung in den letzten Jahren ansieht
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- generell ansieht -, dann sieht man bei der FDP eine Regenwurmwindung im Gegensatz zu der klaren Linie bei der SPD.
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Das ist nicht anders zu machen. Deshalb muß ich sagen, daß ich meine Ausführungen völlig ohne Einfluß Ihrer Bewunderung mache.
Ich stehe - das sage ich hier ganz deutlich - noch zu dem, was ich damals für meine Fraktion hier habe erklären können. Wir haben gesagt: hier handelt es sich um soziale Härten, und wir sind nicht bereit, sie außer acht zu lassen, sondern wollen einer Regelung zustimmen, mit der diese sozialen Härten vermieden werden, wollen aber gleichzeitig die Regierung beauftragen, endlich einen Gesetzentwurf zur Klärung dieser Dinge vorzulegen.
({3}) Dazu stehe ich auch heute noch.
Zum nächsten Punkt. Nachdem hier von der Mehrheit der Abgeordneten der CDU/CSU dieser Antrag deshalb erneut vorgelegt worden ist, weil noch keine Änderung vorgenommen worden 'ist, hatte ich erwartet, daß Herr Staatssekretär Leicht vom Finanzministerium eine Erklärung abgeben werde, wie er zu dem Antrag stehe. Denn, meine Damen und Herren, so geht es doch nicht, daß wir Sozialdemokraten hier gemäß den Beschlüssen der Regierung die Linie der Regierung verteidigen, Sie uns aber sagen: Nein, hier müssen wir ausbrechen, es gibt sonst soziale Härten. Dadurch schiebt man uns sozusagen den Schwarzen Peter zu, als wären wir für die Beibehaltung der sozialen Härten.
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Das können wir nicht machen. Hier müssen Sie klar, entscheiden. Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ich vom Finanzministerium nicht eine eindeutige Antwort auf die Frage habe, was geschieht, werde ich dem Antrag der CDU/CSU zustimmen.
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Liegen zu Antrag Umdruck 252 noch Wortmeldungen vor? - Bitte, Herr Kollege Killat hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe im Augenblick mit der Wortmeldung gezögert, weil ich tatsächlich der Meinung bin, daß die Regierung zu der Frage der Mehrausgaben von 55 Millionen DM und der möglichen Deckung Stellung nehmen muß oder zumindest nehmen sollte. Ich weiß nicht, wieweit sich dann der Haushaltsausschuß mit einer solchen Frage befassen müßte.
Ich habe mich hier noch einmal zu Wort gemeldet, um aufzuklären, um welche wesentlichen sozialen Härten es geht, aber auch, um zu zeigen, welche neuen sozialen Ungerechtigkeiten bestünden, wenn man dem Vorschlag der CDU/CSU-Gruppe zustimmen würde. Hier wird so getan, als wollte man mit der Weitergewährung der 30 DM Ausbildungszulage einen Personenkreis mit einer Leistung versehen, der absolut darauf angewiesen wäre. In den Bestimmungen über die Gewährung der Ausbildungszulage gibt es aber drei Personengruppen. Die eine ist die hier genannte Personengruppe mit zwei Kindern. Es ist die Gruppe mit einem Monatseinkommen unter 650 DM, die Anspruch auf das Kindergeld ab zweitem Kind hat und nun, gekoppelt mit diesem Kindergeld, auch die Ausbildungszulage bekommt. Familien mit Monatseinkommen von, sagen wir einmal, 680 oder 700 DM und zwei Kindern bekommen auch nach Ihrem neuen Vorschlag keine Ausbildungszulage. Das heißt: hier bleibt eine soziale Ungerechtigkeit bestehen.
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Darüber hinaus bekommt die dritte Gruppe, die Familien mit drei und mehr Kindern, unabhängig von der Höhe des Einkommens diese Ausbildungszulage, also auch bei einem Einkommen von 2000 oder 3000 DM. Wollen Sie das bei dieser finanziellen Situation noch als „sozialen Besitzstand" erhalten wissen? War nicht vielmehr die Anlage des Gesetzes von Anfang an falsch? War es nicht falsch, mit dem Kindergeld und den Bedingungen für seine Gewährung - Einkommensgrenze bei Zwei-KinderFamilien - eine Maßnahme der Ausbildungsförderung zu koppeln und das nicht allein unter sozialen Gesichtspunkten, sondern, auch unter dem Gesichtspunkt der Ausbildungsförderung des Nachwuchses zu sehen? Hier haben wir andere Wünsche anzumelden, hier haben wir andere Vorstellungen entwickelt. Wir sind der Meinung - das können Sie der Regierungserklärung entnehmen -, daß in Zukunft solche Leistungen weit über die Beträge hinausgehen müssen, die vorher geplant waren. Entsprechend dem Familienstand und den Einkommensverhältnissen der Familien müssen Beiträge zur Ausbildungsförderung geleistet werden, die meinetwegen 50, 100, 200 und mehr DM betragen können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühn?
Herr Präsident, ich möchte meinen Gedankengang noch zu Ende führen.
Ich meine also, daß eine Irreführung erfolgt, wenn man hier nur die eine Gruppe mit dem Einkommen unter 650 DM nennt und zwei andere größere Gruppen, die mit dem Bestehenden ungerechtfertigt bevorzugt werden würden, außer acht läßt.
Seinerzeit haben wir uns gegen das Ausbildungszulagegesetz - das gehörte ja zu dem Stichwort „Wahlgeschenke" - gewandt, weil wir dieses Gießkannenprinzip in der Ausbildungsförderung nicht unterstützen konnten und wollten. Wir sind jederzeit bereit, ad hoc mit Ihnen gemeinsam schnell eine Regelung zu treffen, die die unsozialen Aspekte in der gesamten Ausbildungsförderung beseitigt. Dazu ist es allerdings notwendig, daß wir endlich eine entsprechende Vorlage von dem verantwortlichen Ministerium erhalten. Ich kann hier nur das unterstreichen, was auch Herr Spitzmüller gesagt hat: wenn wir jetzt mit einem solchen Behelf eine solche ungleichwertige Maßnahme, die unausgegoren getroffen wurde, weiter aufrechterhalten, kommen wir zu keiner vernünftigen Regelung. Wir würden den Flickenteppich nur noch um ein weiteres Flickstück vergrößern. Eine echte Ausbildungsförderung aber würde nicht eintreten. - Ich stehe jetzt für Fragen zur Verfügung.
Herr Kühn, wollen Sie noch Ihre Zwischenfrage stellen? - Herr Moersch, Sie? - Auch nicht.
Dann hat das Wort der Herr Bundesminister für Familie und Jugend.
Dr. Heck Bundesminister . für Familie und Jugend: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, aber ich bin so vielseitig angesprochen worden, daß ich wenigstens nach einigen Seiten antworten muß.
Herr Kubitza, Sie haben mir hier vorgeworfen, ich hätte die Unwahrheit gesagt. Diesen Vorwurf haben Sie mir schon einmal in der Fragestunde gemacht, und ich habe dort versucht, Sie über Ihren Irrtum aufzuklären. Vielleicht habe ich mich dabei nicht klar genug ausgedrückt. Ich werde mich bemühen, das jetzt zu tun.
Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß die Entschließung des Bundesjugendrings hektographiert abgezogen ohne Anschreiben und ohne Unterschrift routinemäßig wie alle übrigen Presseverlautbarungen in meiner Pressestelle eingegangen ist. Hektographiert abgezogene Presseverlautbarungen ohne Anschreiben und ohne Unterschrift werden in meinem Hause nicht als Eingänge behandelt. Das war so, das ist so, und das wird so bleiben.
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Ferner haben Sie mir den Vorwurf gemacht, wir hätten uns pflichtwidrig verhalten, weil wir das Bundesjugendkuratorium nicht mit der Frage der Einrichtung einer Zentralstelle befaßt hätten. Ich
. glaube, Sie waren an der Verabschiedung des Jugendwohlfahrtsgesetzes beteiligt. Dort heißt es in § 25, daß das Bundesjugendkuratorium die Bundesregierung in allen grundsätzlichen Fragen der Jugendpolitik berät. Die Bundesregierung, mein Haus und ich persönlich sind der Auffassung, daß es sich bei der Einrichtung einer Zentralstelle in gar keiner Weise um eine grundsätzliche Frage, sondern um eine organisatorische Frage handelt. Dafür ist die Regierung ausschließlich und allein zuständig. Und die Frage ist so geregelt worden, wie wir es für am
zweckmäßigsten gehalten haben. Das ist der Grund, Herr Kollege Kubitza, warum ich an dieser Regelung festgehalten habe.
Sie haben dann neun Fragen an mich gerichtet. Ich glaube nicht, daß ich sie alle ausführlich behandeln kann. Ich habe sie auch nicht im Wortlaut nachschreiben können, da ich die Kunst der Stenographie nicht beherrsche.
Die erste Frage zielte darauf, daß es doch richtig wäre, alle an dieser internationalen Arbeit interessierten Stellen zu beteiligen. Ihnen ist wahrscheinlich bekannt, daß wir - und zwar im Einvernehmen mit dem Bundesjugendring - ein Kuratorium vorgesehen haben, dem folgende Vertreter angehören werden: zwei Vertreter der obersten Jugendbehörden der Länder, ein Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, zwei Vertreter des Deutschen Bundesjugendrings, ein Vertreter des Ringes Politischer Jugend, ein Vertreter der AGJJ, ein Vertreter des VDS, ein Vertreter des Arbeitskreises Zentrale Jugendverbände, ein Vertreter des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten, ein Vertreter der Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk und ein Vertreter der Bundesvereinigung Musischer Jugendbildung. Die Regierung ist der Auffassung, daß auf diese Weise sichergestellt ist, daß die Arbeit der Zentralstelle im Auftrag der Bundesregierung so erfolgt, wie sie im Sinne der Beteiligten zu erfolgen hat.
Sie haben zweitens darauf hingewiesen, daß die Deutsche Gesellschaft für internationalen Jugendaustausch eine einseitig orientierte Einrichtung sei. Ich glaube nicht, daß ich Sie daran erinnern muß, daß die Deutsche Gesellschaft eine Gründung des Ringes Politischer Jugend gewesen ist. In dieser Gesellschaft ist dann ein Übergewicht sozialdemokratischer Vertreter eingetreten. Das ist richtig. Aber das hat, glaube ich, eine Ursache, die nicht die Sozialdemokraten, sondern meine eigenen Parteifreunde und die Ihren zu vertreten haben.
Sie haben dann die Frage gestellt, ob wir der Deutschen Gesellschaft für diese Aufgabe eine besondere Qualifikation zubilligen. Diese Frage beantworte ich uneingeschränkt mit ja; sonst hätten wir sie mit dieser Aufgabe selbstverständlich nicht betraut.
Sie haben gemeint, wir hätten doch dafür sorgen sollen, daß bereits vorhandene Träger beteiligt würden. Ich glaube, das wäre nur in der Weise möglich gewesen, daß wir zu den fünf vorhandenen Einrichtungen eine sechste gegründet hätten. Ich glaube nicht, daß das ein zweckmäßiger Weg gewesen wäre.
Sie sprachen davon, daß lediglich 80 % der Verwaltungskosten ersetzt würden und 20 % von der Deutschen Gesellschaft selbst erwirtschaftet werden müßten. Sie sehen darin eine Gefahr. Ich sehe darin eigentlich eine sehr nützliche Regelung, und zwar deswegen, weil sie einigermaßen in der Richtung wirkt, daß Sachgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit miteinander verbunden werden. Man sollte nicht von vornherein davon ausgehen, daß sich eine wirt5390
schaftlich vernünftige Weise, das Geld auszugeben,
mit der Sachgerechtigkeit nicht vereinbaren lasse.
Sie haben in Ihrer siebenten Frage einen meiner Beamten in einer mindestens mißverständlichen Weise angesprochen. Ich möchte dazu nur folgendes sagen. Solche Fragen wie die, ob und in welchem Umfang für eine nebenamtliche Tätigkeit Entschädigung und Entgelt angenommen werden dürfen oder nicht, werden selbstverständlich in meinem Hause wie in jedem anderen Ministerium nach der Verordnung über die Nebentätigkeit geregelt. Danach sind wir auch in diesem Fall verfahren. Aber ich darf Ihnen sagen, daß der Ministerialdirigent Ludwig - offensichtlich, weil er mit Verdächtigungen gerechnet hat - von sich aus darauf verzichtet hat, von dieser Genehmigung Gebrauch zu machen.
Im übrigen, Herr Kollege Kubitza, Sie sind außerordentlich gut orientiert von seiten der Jugendfahrtendienste. Aber darüber, wie die Dinge im Ministerium geregelt sind, sind Sie offensichtlich weniger genau orientiert. Ich muß Ihnen deswegen sagen, daß Herr Ministerialdirigent Ludwig als Abteilungsleiter mit den Bewilligungen, die die Deutsche Gesellschaft für internationale Jugendarbeit betreffen, nichts zu tun hat. Er ist daran gar nicht beteiligt. - Das zu Ihrer siebenten Frage.
Dann sagten Sie, die Tatsache, daß ein Beamter im Vorstand sei, bringe es mit sich, daß man einen solchen Dienst als eine quasi staatliche Institution ansehen würde. Das ist möglich, daß das jemand so interpretiert. Aber ich persönlich muß Ihnen sagen, bei der Bedeutung der Aufgaben, die wir der Zentralstelle übertragen haben, weil wir sie sonst im Ministerium hätten staatlich organisieren müssen, war es unbedingt notwendig, daß der Leiter der Jugendabteilung im Vorstand der Gesellschaft tätig ist, damit einigermaßen sichergestellt ist, daß die Zusammenarbeit reibungslos läuft und in dem Sinne erfolgt, wie es zwischen uns vereinbart worden ist.
Auf Ihre Bezugnahme auf die Regierungserklärung möchte ich nicht eingehen.
Nun, verehrte Frau Kollegin, Sie sprachen von den Ausbildungsbeihilfen. Ich will hier nicht viel sagen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn dieses Thema einmal ausführlich in diesem Hause diskutiert würde, damit einiger Nebel weggeblasen wird.
({1})
Ich weiß nicht, wie oft ich es noch sagen soll; ich glaube, es hat keinen Sinn, es wird doch nicht gemerkt. Die Tatsache, daß wir in der Frage der Ausbildungsbeihilfen nicht weitergekommen sind und - glauben Sie es mir - auch das nächste Jahr nicht weiterkommen werden, ist darin begründet, daß zwischen Bund und Ländern in der grundsätzlichen Frage, wer dafür zuständig ist, ein Einvernehmen nicht zu erzielen war.
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Meine Damen und Herren, so einfach ist es nicht. Es wird doch niemand hier -
Herr Abgeordneter Genscher möchte eine Frage stellen.
Jetzt möchte ich erst fertigmachen; am Schluß dann, Herr Genscher.
Es ist doch wohl niemand in diesem Raum, der der Auffassung ist, daß es sich bei dem Problem der Ausbildungsbeihilfen nicht um ein zentrales bildungspolitisches Problem von erstem Rang handelt.
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Dann aber zu sagen, hier seien nicht die Länder zuständig, sondern der Bund, meine Damen und Herren, das ist zu einfach. Hier starke und kräftige Reden halten, das ist eine verhältnismäßig einfache Sache.
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Frau Abgeordnete Freyh möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön!
Dann müßten wir zunächst den Kollegen Genscher fragen lassen; oder wollen Sie Frau Freyh den Vorzug geben?
Ich bin in der Lage, kurz zu fragen. - Herr Bundesminister, da Sie Zweifel an der Zuständigkeit des Bundes haben, würde es dann nicht zu den Aufgaben einer Koalition, die sich ihrer verfassungsändernden Mehrheit sehr oft rühmt und auch die Reformen will, gehören, auch hier eine Anpasung der Zuständigkeiten an die Notwendigkeiten durchzuführen?
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Sicher haben wir die Möglichkeit, den Versuch zu unternehmen, in diesem Punkt die Verfassung zu ändern. Aber zur Verfassungsänderung brauchen Sie nicht nur die einfache Mehrheit im Bundesrat, sondern die Zweidrittelmehrheit, Herr Kollege.
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Im übrigen, wenn ich das noch ergänzend sagen darf: Der Hinweis, der mit Nachdruck im Kabinett vertreten worden ist, daß hier der Bund nicht zuständig sei, kam von einem Finanzminister, der den Freien Demokraten angehört hat.
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Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Bundesminister, ist nicht der Hinweis des Finanzministers der Freien Demokraten, der sehr oft in diesen Beratungen zitiert
wird, darauf zurückzuführen, daß Länder, die nicht von den Freien Demokraten regiert werden, die Zuständigkeit bezweifelt haben?
Ich nehme an, daß das mit wirksam war.
Frau Abgeordnete Freyh zu einer Frage.
Ich beziehe mich auf das letzte, was Sie gesagt haben, Herr Minister. Es geht hier nicht darum, daß Reden gehalten werden. Der Bezug war doch ganz eindeutig der von Ihnen vorgelegte Bericht zum Stand der Maßnahme auf dem Gebiet der Ausbildungsförderung, und dazu frage ich Sie, ob Sie mir nicht zustimmen müssen, daß in diesem Bericht eine Reihe von Modellen genannt worden sind, die seit Jahren in der Diskussion sind, daß aber deutlich erkennbar ist, daß die Bundesregierung nicht mit den Ländern so verhandelt hat, daß sie heute schon sagen kann: Die oder die Lösung, die in dem Bericht noch einmal wieder aufgeführt worden ist, scheidet als Modell einer möglichen Lösung aus.
Verehrte Frau Kollegin, es gehört zum Wesen eines Berichts, daß er darstellt und einen Überblick gibt erstens über den Stand der gegenwärtig gültigen Regelungen und zweitens über die Vorschläge, die insgesamt gemacht worden sind. Die Bundesregierung sah sich nicht in der Lage, mit einem konkreten Vorschlag an die Öffentlichkeit zu treten, einfach deswegen, weil das die ohnedies schwierige Verhandlungssituation zwischen Bund und Ländern von vornherein unmöglich gemacht hätte. Daß die Länder es als nicht geziemend angesehen hätten, sich die Vorstellung der Bundesregierung auf dem Weg über einen Bericht zur Kenntnis bringen zu lassen, dafür habe ich Verständnis.
Auf die Frage des Kollegen Westphal möchte ich nicht antworten. Ich will Ihre Frage auch nicht qualifizieren, Herr Kollege Westphal. Aber ich gestatte mir, Ihnen zu sagen, wie ich diese Frage empfunden habe: als einen Schlag unter die Gürtellinie.
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Die vorhin gebrauchte Wertung „unter dem Strich" und jetzt „unter der Gürtellinie" empfinde ich als schmerzlich.
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In diesem Hause kann jeder freimütig seine Meinung sagen.
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Ich unterstelle, daß jeder aus ehrenhaften Gründen hier für das Beste unseres Volkes eintritt. Ich würde daher solche Bewertungen lieber nicht hören.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.
Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin der Meinung, mich, als ich vor wenigen Minuten an diesem Rednerpult stand, dahin deutlich gemacht zu haben, welche Auffassung die Bundesregierung und damit auch der Bundesminister der Finanzen zu der jetzt erörterten Frage wie zu anderen Fragen auch heute noch haben. Die Bundesregierung hat aus ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl schon für diesen Haushalt einschneidende Maßnahmen auf vielen Gebieten vornehmen müssen. Sie wird, wie das Hohe Haus weiß, noch weitere Maßnahmen treffen müssen, die nicht nur auf Wohlwollen stoßen werden.
Zu den für die Betroffenen sicher sehr schwerwiegenden Maßnahmen gehört auch der Wegfall der Ausbildungshilfe. Der teilweise Verzicht auf die Streichung der Ausbildungszulage, den der vorliegende Antrag, der erörtert worden ist, beinhaltet, würde zu einer Minderung der notwendigen Einsparungen um 55 Millionen DM im Jahre 1967 führen. Für die Bundesregierung ist auch in dieser Frage nach wie vor der Kabinettsbeschluß vom Januar dieses Jahres maßgebend. Die Bundesregierung ist daher der Meinung, daß es bei diesem ihrem Beschluß auch in dieser Frage bleiben müßte.
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Ich hoffe, ,daß damit der Umdruck 252 erledigt ist.
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- Wir müssen noch den Antrag Umdruck 239 erledigen. Die Berichterstatterin, Frau Abgeordnete Krappe, hat den Wunsch, zu allen Änderungsanträgen am Schluß als Berichterstatterin das Wort zu nehmen.
Bitte, Herr Mischnick!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Zwischenspiel, das wir hier in den letzten anderthalb Stunden erlebt haben, hat wieder einmal deutlich gemacht, daß die Taktik der CDU/ CSU-Fraktion, sich mit dem Koalitionspartner zu einigen, dann durch Einzelanträge diese Einigung zu unterlaufen und im Plenum eine andere Entscheidung herbeiführen zu wollen, wie früher jetzt weitergehen soll.
({0})
Sie müssen selber wissen, ob Sie das für ein sinnvolles Verfahren halten. Wir wissen aus Erfahrung, daß es immer Ihre Methode war, auf diese Art und Weise in der großen Linie von Sparsamkeit zu reden, aber für die Fachpresse den Nachweis zu führen, daß man doch für die Betroffenen etwas getan hat, um so nach Möglichkeit beide positiven Beurteilungen für sich einheimsen zu können.
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Ich möchte das hier einmal mit aller Deutlichkeit feststellen.
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Ich darf daran erinnern, daß, als die FDP hier einen ausgabewirksamen Antrag stellte,
({3})
der der FDP angehörende Finanzminister sich gegen den Antrag der eigenen Fraktion wandte, was andere dazu benutzt haben, damit Politik zu machen. Ich kann das verstehen. Ich bedaure, daß es so lange gedauert hat, bis der Herr Parlamentarische Staatssekretär hier ein klares Wort gesprochen und gesagt hat, daß dieser Antrag aus der Sicht der Regierung abzulehnen ist. Ich bedaure, daß der Ressortminister kein Wort zu diesem Antrag gesagt hat. Das ist immerhin interessant.
Die Fragen, die der Kollege Kubitza gestellt hat, sind hier mit einer dankenswerten Ausführlichkeit beantwortet worden. Andere Fragen, die von der Opposition gestellt worden sind, sind überhaupt nicht beantwortet worden. Ich habe das Gefühl, diese Antworten waren mehr auf den Versuch angelegt, den Streitpunkt Ausbildungsbeihilfe etwas wegzuschieben, von dem eigentlichen Punkt der Auseinandersetzung abzulenken.
Herr Kollege Hermsdorf, das mit der „Schlangenlinie" wäre vielleicht besser nicht gesagt worden.
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Man kann durchaus einmal heute etwas anders beides ist nicht richtig. Denken Sie doch an Ihre eigenen Entscheidungen. 1964 hat :der Kollege Schellenberg gesagt, das Gesetz sei unausgegoren, 1965 haben Sie sich der Stimme enthalten, 1966 haben Sie im Herbst gesagt, es müsse ein neues Gesetz geschaffen werden, und im Dezember 1966 haben Sie der Erhöhung zugestimmt. Wir haben damals schon die Streichung beantragt. Im Jahre 1967 ist dann von Ihren Freunden im Kabinett dem Vorschlag zugestimmt worden, alles zu streichen. Wenn ich will, kann ich also auch hier eine gewisse Zickzacklinie feststellen.
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Man kann durchaus einmal heute etwas anderes beurteilen als gestern. Dafür habe ich durchaus Verständnis. Es ist aber unverständlich, Herr Kollege Kühn, daß Sie im Dezember sagen: auf keinen Fall streichen!, daß die von Ihnen getragene Regierung im Januar die Streichung vornimmt und daß Sie jetzt kommen, um die Streichung wieder aufzuheben, und bis zur Stunde nicht wissen, was Sie wirklich endgültig wollen. Das beweist einmal mehr, daß Sie wie auf vielen anderen Gebieten leider auch auf diesem Gebiet keine klare Konzeption haben.
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Mit der Annahme dieses Antrags wollen Sie erreichen, daß Sie sich weiterhin um die Entscheidung drücken können. Es wäre eigentlich reizvoll für uns, diesem Antrag jetzt zur Annahme zu verhelfen, um Sie dann mit Ihren Sorgen allein zu lassen, welche Regelung für die anderen Hunderte von Millionen DM, die dann auch zur Debatte stehen, getroffen werden soll. Wir werden diesen einfachen Weg
aber nicht einschlagen, sondern diesen Antrag ablehnen, weil wir ihn für grundsätzlich falsch halten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mischnick, ich bin ein bißchen eigentümlich davon berührt, wie Sie versuchen, hier zu jedem Punkt eine Darstellung zu geben, die Ihnen im Augenblick gerade recht ist, die gestern noch ganz anders gewesen sein mag. Als diese Große Koalition gebildet wurde, waren Sie es, der hier gesagt hat, daß das den Parlamentarismus als solchen töten, daß er dadurch ausgehöhlt und daß es keine lebhaften Diskussionen mehr geben würde.
({0})
Heute stellen Sie sich hier hin und fragen: Was ist denn das für eine Methode, daß diese Koalitionsparteien nicht der Regierung folgen, sondern daß sie Gruppenanträge stellen? Da muß ich Ihnen ganz eindeutig sagen, im Gegensatz zu Ihnen sind wir der Auffassung, daß dieses Parlament kein Vollzugsorgan der Regierung ist, sondern umgekehrt.
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Ich muß ehrlich sagen, ich halte es für völlig falsch, daß Sie uns hier vorwerfen, von welcher Seite auch immer, wenn hier von diesem Parlament aus Anträge gebracht werden, das sei nicht im Sinne dieser Großen Koalition, das sei keine Regierung. Wenn dieses Recht beschnitten wird, brauchen wir hier als Parlament überhaupt nicht zusammenzutreten.
({2})
Genau dasselbe haben Sie dann hinsichtlich der Bewegung dieses Gesetzes von 1964 bis heute gesagt. Ich muß Ihnen dazu ganz eindeutig sagen, es hat in der Haltung der sozialdemokratischen Fraktion, welche Haltung sie auch gehabt hat, immer eine Forderung gegeben, nämlich die Forderung, hier ein Ausbildungsgesetz auf den Tisch zu legen, das das andere überflüssig macht. An dieser Haltung hat sich nichts geändert und wird sich auch weiterhin nichts ändern.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher. - Vielleicht kann man die Dinge etwas straffen. Es wäre zweckmäßig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie müssen sich an den Zustand gewöhnen, daß Sie hier eine sehr aktive Opposition haben.
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Wir hatten ja eigentlich erwartet, daß nach den
Ausführungen von gestern die Stunden der großen
Treueschwüre zu dieser Koalition beendet seien. Aber so, wie die Kinder sich im Walde Mut zusprechen, hat auch jetzt der Kollege Hermsdorf noch einmal etwas begründet, was Sie vor einigen Monaten entschieden haben. Meine Damen und Herren, Sie brauchen sich doch nicht bei uns dafür zu entschuldigen, daß sie mit der CDU eine Koalition machen. Das ist doch Ihre Sache.
({1})
Herr Kollege Hermsdorf, Sie haben sich hier ein wenig als Experte für Schlangenlinien produziert, indem Sie dem Kollegen Mischnick einen Vorwurf gemacht haben. Nun ist das Thema, das hier ansteht, für Sie und für Ihre Fraktion besonders ungeeignet, das Beispiel politischer Schlangenlinien deutlich zu machen. Sie haben ja noch als Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag einen Gesetzesentwurf für eine bundeseinheitliche Ausbildungsförderung vorgelegt, und dieser Entwurf ist u. a. an dem leidenschaftlichen Widerstand der von Ihnen allein geführten Hessischen Landesregierung gescheitert. Das möchte ich Ihnen bei dieser Gelegenheit einmal ganz deutlich sagen.
({2})
Wenn Sie nun sagen, die FDP habe zunächst befürchtet, daß im Bundestag Grabesstille eintreten werde, wenn die Große Koalition vorhanden ist, dann kann ich Ihnen sagen, das haben wir gar nicht befürchtet, Wir kennen uns doch. Wir wußten, daß wir schon dafür sorgen werden, daß in diesem Parlament diskutiert wird.
({3})
Hier geht es um etwas anderes. Hier geht es darum, daß Sie diese Regierung u. a. mit dem Anspruch gebildet haben - und der Herr Bundeskanzler hat es ja in der von mir heute zitierten Passage zum Ausdruck gebracht -, daß die Zeit vorbei sei, in der bestimmte Gruppen einer vorher gefundenen Gesamtkonzeption entgegenwirken, mit all den Folgen, die es dann hinterher in der Berichtigung des Haushalts gibt. Heute wird hier der Beweis geliefert, daß diese Praxis noch nicht beendet ist.
({4})
Meine Damen und Herren, wir wollen jetzt den Umdruck 252 verlassen. Wir können dann hinterher gemeinsam über die Anträge abstimmen.
Offen ist noch der Umdruck 239, Änderungsantrag der Fraktion der FDP. Könnte die Begründung nicht angesichts der fortgeschrittenen Zeit konzentrierter erfolgen? Wir wollen ja - das ist festgelegt - um 15 Uhr pünktlich - -({0}) - An welche Zeit dachten Sie?
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Wir müssen uns darüber schlüssig werden, wie wir weiter verfahren. Wir wollen um 15 Uhr mit den bedeutsamen Einzelplänen Finanzen und Wirtschaft beginnen. Ich bin also doch dafür, daß wir jetzt unterbrechen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. Wir fahren dann mit den Einzelplänen Finanzen und Wirtschaft fort, und dann wird die Aussprache über den Einzelplan 29 fortgesetzt.
({2})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe auf
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Jürgensen, ob er das Wort wünscht.
({0})
- Der Berichterstatter verzichtet. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. - Bitte sehr, Herr Abgeordnete Schoettle hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministers der Finanzen ist der Ort, an dem bei der Etatberatung Fragen erörtert werden müssen, die zu den vordringlichsten Aufgaben nicht nur der Finanzpolitik, sondern unserer gesamten Politik gehören.
Ich möchte mich nicht im einzelnen mit der inneren Organisation des Ministeriums beschäftigen. Dieses Nervenzentrum unserer Finanzpolitik ist, was die Organisation, die Qualität betrifft, unabhängig von den wechselnden Ministern an der Spitze, im allgemeinen in Ordnung.
Freilich, der Prozeß des Umdenkens aus der rein fiskalistischen zu einer neuen Haltung, die der völlig veränderten Funktion des öffentlichen Haushalts und der öffentlichen Finanzpolitik gerecht wird, ist noch nicht in vollem Umfang zu Ende geführt. Daß sich im Ministerium in dieser Richtung Wandlungen angebahnt haben, läßt sich aus verschiedenen Äußerungen schließen. Ich zitiere nur eine. Sie stammt vom Leiter der Haushaltsabteilung des Bundesfinanzministeriums, der in einem Buch, das aus einem bestimmten Anlaß erschienen ist, folgende Sätze niedergelegt hat:
Ein modernes Staatswesen wie die Bundesrepublik kann seine Haushaltswirtschaft nicht auf kurze Zeiträume abstellen. Im Zeitalter der Technik sind alle großen Vorhaben langfristig. Für eine vorübergehende Zeitspanne mag es angehen, derartige Vorhaben im Rahmen einer jährlichen Haushaltsführung in Gang zu setzen und zu hoffen, daß man künftig schon Mittel und Wege finden werde, sie aus dem Haushalt zu finanzieren. Auf die Dauer wird dieser Weg
nicht beibehalten werden können, wenn finanzwirtschaftliche Krisen vermieden werden sollen.
Das ist beinahe ein ziemlich genaues Bild von der Art Finanzpolitik, wie wir sie in der Vergangenheit getrieben haben. Die Vergangenheit ist leider weitgehend von der finanzpolitischen Auffassung bestimmt worden, die in diesem Zitat als antiquiert bezeichnet worden ist.
Noch schärfer sind die Sünden der Vergangenheit an einer anderen Stelle charakterisiert worden, nämlich in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers Kiesinger vom 13. Dezember vorigen Jahres. Im Zusammenhang mit der Darstellung der durch die Politik der letzten Jahre heraufbeschworenen Finanzkrise steht da folgendes:
Es fehlt an einer mittelfristigen Vorausschau. Hätten wir schon rechtzeitig die schlichten Finanzprognosen, wie wir sie heute aufstellen, erarbeitet, so wäre diese Entwicklung vermieden worden.
Dieser Feststellung des Herrn Bundeskanzlers in der Regierungserklärung haben wir heute noch hinzuzufügen: Wie entscheidend eine gesunde, auf sicheren Grundlagen ruhende Finanzpolitik für die gesunde Weiterentwicklung unseres Landes ist, haben wir Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren immer wieder betont. Wir haben auch immer wieder auf die Notwendigkeit hingewiesen, gerade in diesem Bereich die Methode des Sichgehenlassens und die Hoffnung auf das Sichauspendeln aller Schwierigkeiten aufzugeben und an ihre Stelle eine längerfristige Finanzplanung zu setzen. Nur mit äußerstem Widerstreben hat die vergangene Regierung diesen Weg beschritten.
Am 18. Oktober 1963 hat der damalige Bundeskanzler erklärt, es erweise sich als notwendig, die üblichen Jahreshaushalte in „langfristige Haushaltsüberlegungen einzubetten". In fast frischer Erinnerung ist noch die Ankündigung des Herrn Professor Erhard in der Haushaltsdebatte vom 3. März 1966, die allgemeines Aufsehen erregte, weil sie eine Wandlung in den Auffassungen des Herrn Professor Erhard anzukündigen schien, wenn er, der erklärte Todfeind schon des bloßen Begriffs „Planung", über die mittelfristige Vorausschau hinaus „einen mehrjährigen Finanzplan mit Schwerpunkten und Prioritäten" ankündigte.
Der scheinbar wachsenden Einsicht folgten allerdings nur schwächliche Taten. Wäre es anders gewesen, so wäre uns manches erspart geblieben, was uns heute und in den nächsten Jahren noch große Sorgen bereiten wird. Man kann sich heute nicht darauf hinausreden, daß die verhängnisvolle finanzpolitische Entwicklung, die zwangsläufig einmal zu einer Krise der staatlichen Finanzwirtschaft führen mußte, niemandem bewußt gewesen sei. Schon bei der Beratung des Haushaltsgesetzes 1963 forderte die sozialdemokratische Bundestagsfraktion von der Bundesregierung eine mindestens dreijährige vorausschauende Übersicht über die Entwicklung der Bundesfinanzen. Aber die damalige Bundesregierung entledigte sich dieses Auftrages erst nach zwei Jahren bei Vorlage des Finanzberichtes 1965, und auch dann noch, wie heute allseits zugegeben wird, in recht unzulänglicher Weise.
Welche Aufgabe einer Finanzplanung gestellt ist, hat Professor Neumark, der „Nestor der deutschen Finanzwissenschaft", auf der letzten Tagung des Vereins für Sozialpolitik ausgeführt:
Es geht
- so sagte er dort um eine kritische Beurteilung der Gesamtpolitik der Regierung einerseits, eine solche der wahrscheinlichen gesamtwirtschaftlichen Rückwirkungen der finanzwirtschaftlichen Aktivität andererseits
- und das alles, so möchte ich hinzufügen, in langfristiger Perspektive.
Nur der Vollständigkeit halber will ich hier die Anregungen, aber auch die Kritik am Fehlen einer mittelfristigen Finanzplanung durch den Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 1965/66 in Erinnerung rufen und die verdienstvolle Arbeit der Finanzreform-Kommission, der Troeger-Kommission, erwähnen.
Seit Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung von Stabilität und Wachstum der Wirtschaft ist es der Bundesregierung nicht mehr ins eigene Belieben gestellt, auch welche Weise sie ihre Finanzpolitik betreiben will. Ich darf in Erinnerung rufen, daß nach § 9 dieses Gesetzes der Haushaltswirtschaft des Bundes eine fünfjährige Finanzplanung zugrunde zu legen ist. In ihr sind Umfang und Zusammensetzung der voraussichtlichen Ausgaben und die Deckungsmöglichkeiten in ihren Wechselwirkungen zu der mutmaßlichen Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögens darzustellen, gegebenenfalls durch Alternativrechnungen. Der Bundeskanzler hat in der gestrigen Debatte in sehr kurzen Worten vom Stand der Beratungen über die angekündigte Finanzplanung berichtet. Wieweit man damit im Schoße der Regierung ist, ist im Augenblick wenigstens hier nicht bekannt.
Um Spekulationen bestimmter Kreise vorzubeugen, möchte ich klarstellen, daß die Erkenntnisse über die Finanzlage des Bundes aus der mehrjährigen Finanzplanung nicht zu einem einseitigen Abbau der staatlichen Sozialleistungen führen werden. Wir erwarten von der Bundesregierung die baldige Vorlage einer Projektion, in der eine ausgeglichene Aufteilung sowohl der zukunftorientierten Investitionsaufgaben wie auch der Kosten der sozialen .Sicherung enthalten ist.
Wir können heute Finanzpolitik nicht mehr ohne Zusammenhang mit gesamtwirtschaftlichen Überlegungen betreiben. Wir brauchen eine vorausschauende Übersicht nicht nur über die Verpflichtungen der öffentlichen Hand, sondern auch über das gesamtwirtschaftliche Leistungspotential. Nur dann können wir begründeterweise und in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Möglichkeiten Prioritäten setzen, d. h. Finanzpolitik und Gesamtpolitik machen. Dazu soll die Finanzplanung ein Instrument sein. Wir sehen in dem Finanzplan einen quantifizierten Ausdruck des politischen Aktionsprogramms
der Regierung, - keine Wunderwaffe selbstverständlich.
Es muß anerkannt werden, daß die Schwierigkeiten bei der erstmaligen Aufstellung einer Finanzplanung besonders groß sein mögen. Die Große Koalition bietet aber nach unserer Meinung die politische Möglichkeit, aus der Finanzplanung ein Mittel zu machen, mit dessen Hilfe die Beweglichkeit und der Spielraum für politische Entscheidungen . im finanzpolitischen Bereich wiederhergestellt werden kann.
In diesem Zusammenhang darf ich noch auf ein anderes Problem eingehen, auf die Frage der finanziellen Abstimmung der verschiedenen Gebietskörperschaften. Wegen der verfassungsrechtlichen Struktur unseres föderativen Staates enthalten die Bestimmungen des Stabilitätsgesetzes keine einheitliche Finanzplanung für Bund, Länder und Gemeinden. Die verfassungsrechtliche Festlegung von Gemeinschaftsaufgaben im Zuge der Finanzreform, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, muß zwangsläufig zu einer Abstimmung der öffentlichen Investitionsplanung und -finanzierung führen. Wir sind uns darüber im klaren, daß die Auswirkungen aller staatlichen Tätigkeiten, seien es nun Steuererhebung oder Ausgabentätigkeit, auf die gleiche einheitliche Volkswirtschaft treffen. Wir haben deshalb in den Erläuterungen zum 6. Leitsatz unseres Acht-Punkte-Sachprogramms für die Koalitionsverhandlungen vorgeschlagen, daß die mittelfristige Finanzplanung von Bund, Ländern und Gemeinden in einem Gesamtrahmen zusammengefaßt und durch einen Katalog der Prioritäten der öffentlichen Finanz- und Haushaltspolitik für die nächsten Haushaltsjahre ergänzt werden soll.
Wenn heute so viel von einem kooperativen Föderalismus die Rede ist, so wird bei der Finanzplanung im Sinne dieses kooperativen Föderalismus eine große Aufgabe zu vollbringen sein. Wir vertrauen darauf, daß sich alle Gebietskörperschaften zu einer wirksamen Form der Zusammenarbeit bereit finden, die dem Sinn unserer Verfassung entspricht.
An dieser Stelle darf ich meiner Erwartung Ausdruck geben, daß auch die Länder dem im Stabilitätsgesetz enthaltenen Auftrag zur Schaffung einer Finanzplanung so schnell wie möglich nachkommen werden. Wir möchten schon heute darauf aufmerksam machen, wie bedeutsam die Rolle einer bundesstaatlichen Finanzvorschau sein wird, wenn es darum geht, nach einer Neuverteilung der staatlichen Aufgaben den Schlüssel für ,das Beteiligungsverhältnis an bestimmten Verbundsteuern zu errechnen.
Einige Bemerkungen zum Problem der Finanzreform! Sowohl die Aufgaben der mittelfristigen Finanzplanung wie die Finanzreform stehen in einem engen sachlichen und politischen Zusammenhang. Die mittelfristige Finanzplanung wird eine ganz wesentliche Hilfe dabei sein, wenn wir darangehen, im Rahmen der Finanzreform die finanziellen Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu zu ordnen. Wir stehen in den nächsten
Jahren vor ungewöhnlich großen Aufgaben, bei denen es ganz entscheidend darum geht, die Voraussetzungen für unsere weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen. Auch hierzu ist eine vorausschauende Übersicht über das erforderlich, was unsere Volkswirtschaft in den nächsten Jahren zu leisten vermag und welche Rolle dabei nach unseren politischen Vorstellungen die öffentliche Finanzwirtschaft und die verschiedenen Gebietskörperschaften spielen sollen.
In diesem Zusammenhang müssen wir die Probleme, um die es bei der Finanzreform geht - nämlich Aufgabenabgrenzung zwischen Bund und Ländern, die große Frage der Gemeinschaftsaufgaben und, von unbedingt gleichrangiger Bedeutung, die Gemeindefinanzreform -, sehen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß die Finanzreform nicht nur die Verteilung der Steuern auf die verschiedenen staatlichen und kommunalen Ebenen zum Inhalt hat, sondern daß es darum geht, unseren Bundesstaat so auszugestalten, daß er für die großen Aufgaben der Zukunft gerüstet ist. Ich betone mit Nachdruck, daß wir an diese Aufgaben unverzüglich herangehen müssen. Wir fordern deshalb die Regierung auf, idie Vorarbeiten mit aller Kraft voranzutreiben, damit das Parlament nach den Parlamentsferien mit den Beratungen beginnen kann.
Wir sind der Ansicht, daß die Finanzreform eine Aufgabe ist, die die Große Koalition in dieser Legislaturperiode bewältigen muß. Dieses große Reformwerk kann nicht ohne gründliche parlamentarische Diskussion verabschiedet werden. Deshalb halten wir eine frühzeitige Vorlage für dringend notwendig, damit das Parlament nicht - wie es bei anderen großen Reformwerken geschehen ist - in Zeitdruck gerät und die Parlamentarier statt auf Zeitungsmeldungen aus dem Bundesfinanzministerium auf konkrete Äußerungen der Regierung zurückgreifen können.
Wir möchten keinen Zweifel daran lassen, daß nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion die Gemeindefinanzreform ein integraler Bestandteil jenes großen Reformwerkes sein muß. Wir sind nicht bereit, einem Verfahren zuzustimmen, das die Gemeindefinanzreform der Neuregelung der finanziellen Beziehungen zwischen Bund und Ländern nachordnet. Wir sind dieser Auffassung nicht nur wegen des engen sachlichen Zusammenhangs, der hier besteht, sondern auch wegen des politischen Gewichts, das wir der kommunalen Selbstverwaltung in unserem Staate beimessen. Die von der Großen Koalition beschlossene Aufstockung der Gemeindefinanzen um 660 Millionen DM aus dem Aufkommen der Mineralölsteuer wird von uns lediglich als eine Sondermaßnahme zur Beseitigung der dringendsten Finanznot im kommunalen Verkehrsbereich angesehen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht die Verstärkung der gemeindlichen Finanzmasse unerwähnt lassen, die sich durch den in den Koalitionsverhandlungen erzielten Kompromiß über den BundLänder-Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer ergeben hat. Damit ist allerdings noch nicht eine ausreichende Erhöhung der den Gemein5396
den zustehenden ordentlichen Finanzmittel erfolgt. Schon bei den ersten Schritten müssen wir uns eine Vorstellung darüber bilden, welchen Platz die Gemeinden in diesem Reformwerk einnehmen müssen.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß ein ganz entscheidender Teil der öffentlichen Aufgaben, von denen ich sprach, bei den Gemeinden liegt und auch in Zukunft dort liegen muß. Daraus leitet sich die Notwendigkeit ab, die Gemeinden in einem Maß finanziell auszustatten, das ihnen die Erfüllung dieser Aufgaben ermöglicht. Es geht aber auch darum, für das kommunale Finanzsystem eine Struktur zu finden, die die traditionellen Grundsätze der deutschen Selbstverwaltung nicht außer acht läßt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haas.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ebenso wie mein Herr Vorredner möchte ich hier nicht im einzelnen auf das Zahlenwerk des Einzelplans 08 eingehen, sondern mich mit der Problematik der Haushalts- und Finanzpolitik im allgemeinen befassen.
Hier erscheint es zunächst notwendig, gewisse Zahlenvergleiche dieses Haushalts 1967 mit dem vorhergehenden Haushalt 1966 anzustellen. Der Haushalt 1966 hatte laut Haushaltsgesetz 1966 ein Volumen von 68,906 Milliarden DM, und für den jetzigen Haushalt ist ein Volumen von 77,014 Milliarden DM vorgesehen. Das bedeutet eine Volumensmehrung um 9,108 Milliarden DM = 13,2 %.
Nun können Sie vielleicht noch sagen, es wäre billig, hier die eine Offset-Milliarde, die den Nachtragshaushalt 1966 ausgemacht hat, mit hineinzurechnen. Das würde dann beim Haushalt 1967 gegenüber 1966 eine Volumensmehrung um 1 Milliarde DM weniger bedeuten, also 8,108 Milliarden DM gleich 11,6 %. Aber diese 11,6 bzw. 13,2 % wollen wir zunächst einmal festhalten.
Ich dringe noch weiter in die Historie ein. Der Haushaltsgesetzentwurf 1967, der vom September 1966 datiert, sah eine Kreditaufnahme im außerordentlichen Haushalt von 540 Millionen DM vor, der Haushaltsgesetzentwurf vom November 1966 eine solche von 1040 Millionen DM, und im Haushaltsgesetz 1967 haben wir nun den 8- bzw. 16fachen Betrag von 8,035 Milliarden DM ausgebracht. Infolgedessen ist in § 19 des Haushaltsgesetzes eine entsprechende Ermächtigung an den Bundesfinanzminister gegeben, nämlich Geldmittel im Kreditwege in Höhe von 8,035 Milliarden DM aufzunehmen.
Ich will noch einige andere Eskalationen aufzeigen. In § 18 des Haushaltsgesetzes ist eine Ermächtigung an den Bundesfinanzminister gegeben worden, zur vorübergehenden Geldmittelverstärkung der Bundeshauptkasse 7 Milliarden DM aufzunehmen gegenüber 4,5 Milliarden DM im Regierungsentwurf und gegenüber ebenfalls 4,5 Mililarden DM im Haushaltsgesetz 1966. In den §§ 20 bis 25 des jetzigen Haushaltsgesetzes werden die nach Umfang und Risiko besonders bedeutsamen Ermächtigungen für die Aufnahme von Sicherheitsleistungen zusammengefaßt. Der Gesamtrahmen betrug im Haushaltsgesetz 1966 hierfür 38,65 Milliarden DM, nunmehr, im Haushaltsgesetz 1967, beträgt er 43,65 Milliarden DM. Die Sozialausgaben betragen im Haushalt 1967 21,31 Milliarden DM. Sie liegen um 56,3 % höher als die Sozialausgaben von 1963. Die sichtbaren und unsichtbaren Begünstigungen im Steuerrecht, die zusammen mit den Zinsverzichten im Vorjahr - 1966 - insgesamt 22,6 Milliarden DM betragen haben und damit eine Mehrung von 12 % gegenüber 1965 erfahren haben, scheinen 1967 - ich konnte sie noch nicht zusammenstellen - eine ähnlich hohe Mehrung wie 1966 gegenüber 1965 erfahren zu haben, und zwar ohne die Mindereingänge an Einkommensteuerzahlungen, die in den neu dekretierten Abschreibungsmöglichkeiten der Wirtschaft bei Neuinvestitionen liegen und die man vorsichtig doch wohl mit mindestens 200 Millionen DM ansetzen muß.
Die Mittelbeschaffung für die 8,053 Milliarden DM große Deckungslücke dieses Haushalts erfolgt bekanntlich auf dem Geldmarkt über die Bundesbank. Sie ist jedoch nur mittelfristig und muß in den vier Haushaltsjahren 1968. bis 1971 zu je 25 % abgedeckt werden. In gleicher Weise muß die Abdeckung der Offset-Milliarde des Haushalts 1966 erfolgen. Für die genannten vier Haushaltsjahre 1968 bis 1971 ergibt sich also die gewaltige Vorbelastung von 9,053 Milliarden DM - 8,053 Milliarden DM plus die eine Milliarde -, dividiert durch 4 macht 2,265 Mililarden DM. Dazu tritt für das Haushaltsjahr 1968 das Haushaltsdefizit 1966 mit 1,025 Milliarden DM. Die Gesamtvorbelastung des nächsten Haushaltsjahres beläuft sich demnach auf 3,29 Milliarden, also auf rund 3,3 Milliarden DM.
Ernste Sorge bereitet uns die steigende Personalvermehrung auf der dreistufigen Ebene Bund, Länder und Gemeinden. Die Vermehrung im Jahre 1966 gegenüber 1965 beläuft sich auf 9,9 %. Sie verteilt sich wohl zum kleinsten Teil auf den Bund, zum weitaus größeren Teil auf die Länder und vor allem auf die Gemeinden. Damit ist selbstverständlich eine erhebliche Personalkostenvermehrung verbunden. Zu dieser Personalkostenvermehrung tritt eine weitere Vermehrung auf Grund der Verabschiedung des Dritten Änderungsgesetzes zum Bundesbèsoldungsgesetz, die ja nun endlich vor kurzem erfolgt ist. Diese Mehrkosten betragen für Bund, Bundesbahn und Bundespost rund 290 Millionen DM. Das ist ebenfalls eine Zahl, die in diesem Zusammenhang beachtet werden muß.
Dem Dritten Anderungsgesetz mußte das Haushaltsgesetz in seinem § 11 Rechnung tragen. Wir wenden uns nicht gegen dieses Dritte Anderungsgesetz mit seinen Harmonisierungsbestimmungen. Wir in der FDP haben immer auf dem Standpunkt gestanden, daß man aus dem Beamten und Angestelltenkörper nur dann Höchstleistungen herausholen kann, wenn die Beamten und Angestellten gut bezahlt sind und ihnen ausreichende Vorrückmöglichkeiten geboten werden.
Immerhin wird man sagen müssen, daß die Zahl dieser Beamten vermindert oder mindestens die weitere Steigerung hintangehalten werden kann. Hier möchte ich auf eine erfreuliche Mitteilung verweisen, die der Kollege Spillecke von der SPD in der letzten Woche auf einer Tagung, auf der auch verschiedene Mitglieder des Haushaltsausschusses anwesend waren, gemacht hat. Er sprach aus den Erfahrungen seiner Duisburger Stadtverwaltung und wies darauf hin, daß der erhebliche Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen in dieser Stadtverwaltung in den letzten drei Jahren es immerhin ermöglicht habe, von jeder Neueinstellung von Personal abzusehen. Das bedeutet, wenn man die natürlichen Abgänge, die sich in jedem Jahr ereignen, in Betracht zieht, daß in der Stadtverwaltung Duisburg der Personalkörper schon entscheidend vermindert werden konnte. Trotzdem gibt es im Personalkörper der Duisburger Stadtverwaltung Beamte und Angestellte mit langjährigen Dienstverträgen in einer Größenordnung von 200 Mann, die nicht entlassen werden können. Man behält sie, bis man durch weitere natürliche Abgänge diese 200 Personen wieder eingliedern kann.
Meine Damen und Herren! Ich bin der Meinung, daß man das Duisburger Beispiel beachten sollte in einer Zeit, in der, wie gesagt, eine nahezu 10°/oige Personalvermehrung in der öffentlichen Verwaltung Tatsache geworden ist. Vergleichen Sie demgegenüber doch die Personalziffern in den großen Wirtschaftsunternehmungen. In diesen sind die Personalziffern 1966 nämlich nicht gestiegen und teilweise sogar zurückgegangen. Das ist eine Tatsache, die Sie ins Auge fassen müssen. Es sollten vielleicht im Rahmen eines Stabilitätsgesetzes, im Rahmen irgendwelcher Beschlüsse der Bundesregierung in bezug auf die Durchführung des Stabilitätsgesetzes Anweisungen nach unten an die Gemeinden gegeben werden, sich in diesem Sinne zu betätigen, konkret gesprochen: doch vielleicht Datenverarbeitungsanlagen zu beschaffen. Das braucht nicht im Kaufwege zu geschehen. Das kann auch im Mietwege geschehen. Selbst wenn diese Mieten nicht ganz niedrig sind, sind sie doch immer noch niedriger als die personellen Kosten, die Sie ohne die Beschaffung dieser Anlagen aufwenden müssen. Hier scheint mir also eine konkrete Möglichkeit zu bestehen, der Hydra des Parkinsonschen Gesetzes endlich einmal die Köpfe abzuschlagen.
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Das würde nach unserer Meinung sehr viel für die Zukunft bedeuten. Jedenfalls wäre das sehr viel klüger, als wenn Sie - ich weiß nicht, wo es geschehen ist, im Bundesfinanz- oder im Bundeswirtschaftsministerium - bestimmte Anweisungen an Gemeinden hinausgeben, doch nach wie vor mit Hochdruck zu investieren, bestimmte konkrete Zusagen wie im Falle der Stadt Frankfurt machen. Dort hat man gesagt: Wenn du deine U-Bahn-Bauten fortsetzt, kriegst du 30 Millionen DM. Aber von wem? Nicht vom Bund, denn der Bund kann hierüber im Rahmen der innerstaatlichen Finanzausgleiche nicht verfügen, und im Hessenlande sehen die Dinge offenbar schon wieder etwas anders aus.
Jedenfalls hat die Stadt Frankfurt begonnen, weiterzubuddeln ,und hat sich schon in vorläufige Kreditaufnahmen gestürzt, ohne bislang diese Kreditzusage von der Bundesregierung aus nur in etwa verifiziert erhalten zu können. So geht es nicht! Ich gebe zu, daß das Fehlen unmittelbarer Rechtsbeziehungen zwischen Bund und Gemeinden etwas ist, was vielelicht nicht ohne weiteres verständlich und vielleicht auch nicht ohne weiteres logisch ist. Aber solange wir diese Finanzverfassung haben, in der solche Dinge im Rahmen innerstaatlicher Finanzausgleiche bedient werden müssen, muß sich auch die Bundesregierung daran halten. Und wenn auch der soeben eingetroffene Bundeswirtschaftsminister noch so sehr wünscht, daß auch in den Gemeinden die Investitionen auf Hochtouren laufen, die Finanzverfassung muß die Bundesregierung nun einmal beachten; Sie können doch nicht solche Versprechungen vom Grünen Tisch des Bundes aus machen!
Nach all diesen Dingen möchte ich mich jetzt dem Herrn Bundesfinanzminister etwas näher zuwenden. Wir sind ja beide Kinder desselben bayerischen Mehrvölkerstaates - ich will nicht sagen: Vielvölkerstaates - und haben also eine einigermaßen genaue Kenntnis unserer Gedankengänge und unserer Herkunft. Dabei bin ich immer stolz, sagen zu können, daß in diesem Mehrvölkerstaat die Franken zumindest rein zahlenmäßig zusammen mit den Schwaben die Bajuwarii, zu denen Sie sich ja wohl zählen müssen, Herr Bundesfinanzminister, übertreffen. Wir wollen davon ganz absehen; die innere Problematik des Freistaates Bayern steht hier gewiß nicht zur Diskussion. Wohl aber stehen heute und hier Ihre finanzpolitischen Auffassungen zur Diskussion. Hier habe ich Ihnen, in Ihrer Abwesenheit freilich - das war wohl Mitte April, als wir das Sachverständigengutachten und das Nachtragsgutachten diskutierten -, hohes Lob gespendet. Das kommt eben auch einmal vor. Ich habe damals auf eine Ihrer Reden Bezug genommen. Gott sei Dank halten Sie ja immer fleißig Reden. Dazwischen kriegt man sie auch gedruckt zu Gesicht, und man kann sie dann sehr genau lesen. Damals war also die Rede vorausgegangen, die Sie beim BDI, beim Bundesverband der Deutschen Industrie, gehalten hatten. Da hatten Sie gesagt: So wie sich die Wirtschaftslage heute abzeichnet, kann ich es als Finanzminister nicht verantworten, Steuererhöhungen vorzunehmen. - Wunderbar, habe ich damals gesagt, ganz großartig; das war die Meinung der FDP schon zur Zeit der Koalitionskrise im Oktober 1966. Nur hat es bei Ihnen sechs Monate gedauert, bis Sie diese Auffassung, die Sie damals bestritten hatten, nun auch Ihrerseits bestätigt haben.
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Noch in einem anderen Punkte, Herr Finanzminister, haben Sie die früheren Auffassungen der FDP damals bei Ihrer BDI-Rede bestätigt, nämlich, daß es ohne harte und schwere Eingriffe in dieses Finanz- und Ressortgefüge nicht abgehen würde, wie wir ebenfalls schon sechs Monate vorher vorausgesagt hatten.
Wie gesagt, beides großartig, und deshalb unser großes Lob von damals.
Aber das Lob muß ich heute zurückstecken. Da denke ich nun an die schöne Geschichte, die sich im griechischen Altertum ereignet hat. Sie wissen, als Odysseus auf der Rückfahrt von Troja war, zog er auf seiner langen Irrfahrt mit seinem Schiff an der Insel vorbei, auf der die berühmten Sirenen sangen. Die Gefahr, die ihm hier drohte, hatte er rechtzeitig erkannt. Er wollte die Gesänge zwar hören, aber er wollte nicht in die Gefahr geraten, auf diese Insel zu gehen, und ließ sich deshalb am Mastbaum von seiner Mannschaft festbinden, die sich ihrerseits Wachs in die Ohren gesteckt hatte, um ebenfalls durch die Sirenenklänge nicht gefährdet zu sein. Herr Finanzminister, seitdem sind einige tausend Jahre ins Land gegangen. Aber die Fährnisse, die schon das Altertum gekannt hat und die durch allzuviel Musik und Musikalität hervorgerufen wurden, bestehen unverändert weiter. Sie haben sich nur ein bißchen geändert. Heute heißt es „konzertierte Aktion", „soziale Symmetrie" und anderes.
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Das sind sehr sublime Begriffe, Herr Minister, die eines musikalischen Inhalts nicht entbehren.
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Ich will damit nur sagen, welche Gefahr Ihnen droht. Ich möchte Ihrer CSU-Landesgruppe auch empfehlen, daran zu denken, daß sie unter Umständen genau wie damals diese griechische Crew versuchen müßte, wenn sie an ihre wirtschaftspolitischen Grundsätze denkt, die sie wohl immer vertreten hat und, so Gott will, vielleicht noch weiter vertreten will, Herr Kollege Stücklen, den Herrn Finanzminister im Augenblick ebenfalls anzubinden, nämlich an den Mastbaum dieser Grundsätze. Denn die Gefahrenlage für ihn ist groß. Er ist zwar ein guter Altphilologe, er ist blendend durch die höhere Schule gegangen - er war Maximilianer -, und er hat, wie ich zu wissen glaube, auch ein sehr gutes altphilologisches Examen gemacht, aber die Altphilologie hilft ihm im Augenblick in seiner Position weniger. Nachteilig könnte sein, Herr Finanzminister - ich weiß es nicht, aber es könnte sein -, daß Sie Ihre volkswirtschaftlichen Studien doch nicht abgeschlossen haben und daß Ihnen hier der Herr Wirtschaftsminister deutlich überlegen ist. Daher, wie gesagt, die Empfehlung, Herrn Strauß am Mastbaum der wirtschaftspolitischen Grundsätze Ihrer Partei etwas deutlicher anzubinden.
Nun, Herr Finanzminister, ich will mich nicht in allgemeinen Redensarten ergehen. Ich will nun schon konkret werden. Ich habe deutlich Ihre rhetorischen Ergüsse studiert, die nach dieser LBI-Rede stattgehabt haben. Da muß man immerhin sagen, daß insbesondere Ihre Auffassungen über das Verhältnis von Wachstum und Stabilität außerordentlich aufgeweicht worden sind durch den Mann in Ihrem Kabinett, dem Sie ja auch sonst sehr nahe sitzen, mit dem Sie häufig zusammen fotografiert werden und der offenbar jetzt einen unheilvollen Einfluß auf Sie ausübt.
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Ich könnte mir das jedenfalls vorstellen.
Ich habe im Augenblick die Rede vor mir, die Sie am 5. April 1967 auf der Mitgliederversammlung des Instituts „Finanzen und Steuern" gehalten haben. Ich habe noch eine weitere Rede von Ihnen tim Auszug bei mir. Im vollen Wortlaut habe ich sie noch nicht bekommen; Ihr Haus braucht so lange, bis Ihre Reden ausgedruckt sind. Vielleicht können Sie das einmal abstellen. Aber ich verlasse mich auf einen Auszug in der „Frankfurter Allgemeinen". Am 22. Mai haben Sie sich vor der Bundeskammer der Steuerbevollmächtigten also ebenfalls zu finanz- und wirtschaftspolitischen Fragen geäußert. Hier sind, wie gesagt, sehr, sehr bedenkliche Aufweichungen festzustellen.
Vielleicht darf ich auf einige dieser Dinge eingehen. Sie sagen: Aus dem berühmten magischen Dreieck von ehedem ist schon längst ein unheilvolles Viereck geworden; denn zu diesem Dreieck - bekanntlich Vollbeschäftigung, stabile Preise und Zahlungsbilanzausgleich - sei nun eine vierte Komponente, eine vierte Viereckseite hinzugetreten, nämlich das Postulat eines permanenten optimalen Wachstums. Herr Finanzminister, ich mache dahinter ein Fragezeichen. Ich bin der Meinung, daß wir schon in diesen ganzen Jahren, auf die wir zurückschauen, die Beherrschung dieses magischen Dreiecks nicht fertiggebracht haben; denn eine Seite in diesem Dreieck zumindest ist doch wohl immer zu kurz gekommen, das ist die Seite mit den stabilen Preisen.
Ich bin weiterhin der Meinung, daß die Kräfte in der Wirtschaft, in der freien Wirtschaft zumindest, die auf Rationalisierung drängen, es bisher zuwege gebracht haben, immer wieder, Jahr um Jahr ein neues Wachstum zu gewährleisten, weil man eben bei der Produktion den Kostenfaktor absenken konnte. Daß das so bleibt, darauf sollte man zunächst einmal vertrauen. Man sollte auch nicht grundsätzlich, wie Sie es tun, bestreiten, daß bei schnellerem Wachstum weniger Stabilität herrschen müsse. Ich gebe zu: nicht in jedem Falle, aber im allgemeinen doch.
Ich muß weiterhin sagen: Dieses schnellere Wachstum - das möchte ich auch einer Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers entgegenhalten, die er gestern am Ende seiner Replik gemacht hat - braucht nicht sofort ein deutliches Minus an Stabilität im Gefolge zu haben; dieses Minus kann vielleicht erst in Jahren eintreten.
Nachdem ich dies vorausgeschickt habe, möchte ich nun doch die Frage stellen: Wie glauben Sie denn, mit der Problematik des Haushalts 1967, eine Deckungslücke von 8,053 Milliarden DM über den Geldmarkt schließen zu müssen, was allein für das nächste Etatjahr mit den entsprechenden Vorbelastungen - ich habe es Ihnen vorgerechnet -3,3 Milliarden DM ausmacht, fertig werden zu können, wenn Sie im gleichen Atemzuge - hier kommt nun Ihre Rede vor den Steuerbevollmächtigten; Sie lachen schon, weil Sie es genau wissen - zugeben müssen, daß der Etat im Durchschnitt der nächsten Jahre nach Ihrer Schätzung, die gewiß nicht zu hoch gegriffen ist - nach meiner Meinung sogar viel zu niedrig , ein Defizit von jährlich 8 bis 10 MilDr. Haas
liarden DM aufweisen wird, und wenn Sie selber sagen, daß Sie von diesen 8 bis 10 Milliarden DM nur 3,5 Milliarden DM auf dem Kapitalmarkt beschaffen können? Frage: Woher werden Sie den Rest beschaffen? Werden Sie sagen: Ich mache es wieder wie heuer, ich gehe zur Bundesbank, die wird mir schon helfen? Wir wissen noch nicht, ob das der Fall sein wird. Ich möchte meinen, daß Sie am Ende doch das tun werden, was Sie nicht gern tun, weil Sie ja selbst bei den Verbrauchsteuern schon gesehen haben, daß unsere Warnung vorn Oktober berechtigt war, daß nämlich selbst bei diesen Steuern bei Erhöhung keine Mehreinnahmen zu verzeichnen sind.
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Ich fürchte also, Sie werden dennoch zu dem Ausweg der Steuererhöhungen schreiten müssen. Selbst wenn Sie zur Bundesbank gehen, können Sie sich doch sicher vorstellen, welch neue Steuerbelastung für wenige folgende Haushaltsjahre sich daraus ergibt; denn länger als mittelfristig bekommen Sie die Mittel doch auch im nächsten oder übernächsten Jahr nicht. So können Sie also nicht weitermachen.
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Es ist doch unmöglich, Herr Finanzminister, wenn Sie nun aus dieser Not, in der Sie sich befinden, eine Tugend machen wollen.
Herr Finanzminister, ich will nicht sagen - Sie sollen sehen, daß ich mich bemühe, objektiv zu sein -, daß Sie in diesen vergangenen sechs oder acht Monaten, in denen Sie Finanzminister sind, nichts getan hätten. Ich darf aufzählen - für einen Mann der Opposition gewiß sehr fair -: In der Zwischenzeit ist das Finanzplanungsgesetz vom 23. Dezember 1966 ergangen, es sind drei Steueränderungsgesetze, vom 23. Dezember, 28. Dezember und 29. März, ergangen, ein Gesetz zur Änderung des Länderfinanzausgleichs vom 15. März, das Ergänzungshaushaltsgesetz 1967 und nicht zuletzt die Kabinettbeschlüsse vom 19. Januar. Dazwischen kam dann der Eventualhaushalt mit immerhin 2,5 Milliarden DM, dazwischen kamen gewisse Revisionen der Steueraufkommensschätzungen, denen Sie bei den Ansätzen folgen mußten, weil es nun schon zweimal nach den Steueraufkommensnachschätzungen weniger geworden war.
Aber, Herr Bundesminister, sind Sie an diesen Tatsachen nicht ein bißchen selber schuld, weil Sie in den Regierungsentwurf - vielleicht war es gerade noch Ihr Vorgänger, Herr Schmücker, als kommissarischer Finanzminister; ich weiß es im Moment nicht genau - eine Erhöhung der Steueraufkommensschätzung um 10,1 % einbezogen hatten, eine viel zu gewaltige Erhöhung? Heute, Herr Finanzminister, sind Sie nun mit einer zweimaligen Restriktion auf 4 % herabgekommen, und sie beten jeden Tag zu Gott, daß wenigstens diese 4 % hereinkommen mögen, daß Sie nicht auch da noch enttäuscht werden. Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: selbst die Opposition betet hier mit.
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Denn wir sind der Meinung, daß sonst Ihre Finanzlage völlig katastrophal werden wird. Sie ist es leider Gottes ohnedies.
Und, Herr Finanzminister, wie gesagt: machen Sie doch bitte aus der Not keine Tugend; sagen Sie: Das ist eine Art Bankrotterklärung, die ich Ihnen mit diesem Haushaltsgesetzentwurf mit 8,053 Milliarden Krediten vorlegen muß; sagen Sie bitte nicht, wie Sie es in Ihrer letzten Rede getan haben, das sei eine „Vorwärtsstrategie" von Ihnen.
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Als ich das auch noch las, da habe ich laut gelacht. Da unterschätzen Sie wirklich die geistigen Potenzen, ich glaube, nicht nur der Opposition, sondern des deutschen Volkes. Das kann man sich einfach nicht leisten.
Die Aufnahme von 8 Milliarden DM Krediten, sagen Sie hier so schön harmlos, am Geld- und Kapitalmarkt sei nicht beunruhigend, sie bedeute nur eine wirtschaftskonforme Finanzpolitik. Sie heben die Konformität mit dem Herrn Wirtschaftsminister hervor. Hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Berechtigung will ich sie gar nicht bestreiten; im Kabinett muß ja am Ende eine Konformität und ein Zusammenarbeiten mit allen und jedem, auch mit dem Wirtschaftsminister, vorhanden sein.
Sie haben im Prinzip selbstverständlich auch recht, wenn Sie sagen, es gibt keine wirtschaftlich neutrale Finanzpolitik. Das sagten Sie ja auch mehrfach. Aber, Herr. Minister, so wie die Dinge liegen, muß man sich doch nun fragen: Ist nicht die Dekkungslücke, die wir in diesem Haushaltsjahr haben und die wir vergröbert - siehe Ihre eigenen Zugeständnisse - in den nächsten Jahren haben werden, eine Sache, die uns allergrößte Sorge machen muß? Diesen Standpunkt vertrete ich. Wir haben heute eine Situation, die leider nicht völlig exzeptionell ist, wie die Vorausschau auf die nächsten Jahre bereits beweist. Ich stehe absolut zu dem, was uns der Kollege Schoettle vor allem zu der Notwendigkeit einer mittelfristigen Finanzplanung ausgeführt hat. Übrigens: mittelfristige Finanzplanung ist keine Erfindung dieser Regierung und dieser Koalition. Ich weiß genau, daß unser Finanzminister Dahlgrün diese mittelfristige Finanzplanung uns bereits im Frühsommer des letzten Jahres in der Fraktion vorgetragen hat.
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In Ihrer Fraktion auch. Nur war sie damals auf fünf Jahre und nicht auf vier Jahre ausgerichtet. Ich glaube, vier Jahre ist besser als fünf Jahre, und ich würde meinen, daß drei Jahre noch besser wären als vier Jahre, weil mit jedem weiter hinzutretenden Jahr die Unsicherheitskoeffizienten bei den Berechnungen innerhalb der mittelfristigen Finanzvoraussicht in unerträglicher Weise steigen.
Aber ich würde sagen - und das ist ja offenbar die Theorie, auf die der Herr Wirtschaftsminister dauernd hinaus will und auf die nun auch Sie, Herr Finanzminister, hinaus wollen -: eine Volumensmehrung von 12 % oder 13 % in einem Bundeshaushalt gegenüber dem Vorjahr, wie wir sie jetzt haben, wäre nicht unbedingt und in jedem Falle
bedenklich, wenn wir nämlich im Rahmen dieser mittelfristigen Finanzplanung, sagen wir, am Ende des Zeitraums, den wir ins Auge fassen, hier also vier Jahre, wenigstens einen Silberstreifen am Horizont erkennen könnten. Aber genau das können wir leider nicht.
Weil diese Vorausschau so traurig ist, deshalb, Herr Finanzminister, werden Sie sich überlegen müssen, wie diese Ihre bis jetzt nur sehr allgemein angekündigten harten oder schweren Eingriffe ausschauen sollen. Ich habe schon das letztemal, in Anwesenheit nur Ihres Staatssekretärs, gesagt, hier müssen wir Konkretes erfahren. Wir erfahren nichts Konkretes. Ich erfahre aus Ihren Reden nur ganz verschwommene Andeutungen.
Sie sagen: Eins ist sicher, nach der Art Brünings kann es nicht gehen. Diese Auffassung teilen wir im übrigen. Deshalb haben wir ja auch dem Eventualhaushalt mit seinen immerhin 2,5 Milliarden DM zugestimmt. Ich selbst habe hier von dieser Stelle vor einigen Monaten ausführen können, daß zwar der Vergleich mit Brüning und mit der schweren und schwersten deutschen Wirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre in vielen Fällen hinkt, aber daß man vielleicht doch sagen kann: vestigia terrent. Wir wissen, Herr Brüning war ein außerordentlich vorsichtiger Mann, und er neigte nicht dazu, mutige Entschlüsse zu fassen, die ihm 'im übrigen auch schon in der damaligen Zeit - ich erinnere an das Konzept des damals bekannten Volkswirtschaftslers Bonn - nahegelegt worden waren, nämlich zu versuchen, eine sich deutlich abzeichnende nicht nur Rezession, sondern Wirtschaftskrise durch positives Tun zur rechten Zeit überwinden zu helfen. Das ist damals nicht geschehen. Wenn es jetzt mit dem Eventualhaushalt in dieser gewiß nicht kleinen Größenordnung versucht wurde, so haben wir uns auch in der Opposition trotz der großen Vermehrung der Schwierigkeiten, den Haushalt zur Abgleichung zu bringen, dennoch nicht der Zustimmung versagt. Einige Gegenstimmen gab es damals lediglich in Ihren ({10}) Bereichen, aber nicht bei uns; wir haben zugestimmt. Wir haben freilich deutlich gesagt, daß wir uns einen weiteren Investitionshaushalt angesichts der vorhandenen Größenordnungen in diesem Jahr absolut nicht mehr vorstellen können. Damit haben wir wohl im übrigen auch Ihre Meinung getroffen.
Eines weiteren Investitions- oder Eventualhaushalts bedarf es im übrigen ja gar nicht mehr; denn inzwischen haben wir das Stabilitätsgesetz angenommen. Ich möchte sagen, Sie haben es seitenverkehrt angenommen. Denn dieses Stabilitätsgesetz hat nunmehr eine ganz andere Stoßrichtung, als es seinerzeit hatte, als es hier vor reichlich Jahresfrist im Entwurf aufgelegt wurde. Wir werden ja aus der Anwendung des Stabilitätsgesetzes sehen, ob das Gesetz wirklich das hält, was es in seinem Titel verspricht. Der Titel ist ja geblieben, sonst wurde an dem Gesetz sehr viel geändert.
({11})
Das werden wir also erst aus der Anwendung dieses Gesetzes und aus den Vorschlägen, die aus
Ihrem Hause dazu kommen werden, ersehen können. Da sind wir noch sehr vorsichtig.
({12})
Ich verkenne also nicht die abnormen Schwierigkeiten dieses Haushaltsjahres. Ich verkenne nicht die Notwendigkeit einer zusätzlichen Volumenausweitung unseres Haushalts, die eben mit der Notwendigkeit, einer Rezession rechtzeitig zu begegnen, mit der Vorlage eines Eventualhaushalts aufgetreten ist. Dennoch, Herr Finanzminister, sehen Sie bei diesem Haushaltsausgleich mit 8,053 Milliarden DM Kreditaufnahme bitte einmal die Größenordnung: Die Bundesschuld hatte meines Wissens zum 31. Januar 1967 eine Größe von 44 Milliarden DM - ohne die 8 Milliarden DM, sie treten noch dazu. Nur damit Sie die Größenordnung sehen, halte ich Ihnen die Ziffern vor.
So können wir auf die Dauer ganz gewiß nicht weitermachen, und ganz gewiß, Herr Finanzminister, ist die Vorlage dieses Haushaltsgesetzes mit dieser Fehlbetragshöhe nicht eine Erfolgskomponente in Ihrer „zum Erfolg verdammten Regierungskoalition" - wie gesagt wurde.
(Beifall bei der FDP.
Und wenn hier selbst der Herr Regierungschef das behauptet - und das hat er gestern, ich möchte sagen: leider, getan -, so bestreiten wir das bis an das Ende unserer Tage. Herr Kollege Stücklen, Sie haben wiederholt, daß die Vorlage dieses Haushaltes ein Erfolg dieser Ihrer Koalition sei, und Sie haben gesagt, die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes sei wiederum ein Erfolg. Ich wiederhole: seitenverkehrt wurde es verabschiedet.
({13})
Sie haben gesagt, die mehrjährige Finanzplanung sei auch ein Erfolg dieser Ihrer Koalition. Ich habe Ihnen bereits gesagt: das ist nicht der Fall. Ich wiederhole: Marschieren Sie mit diesen „Erfolgen" weiter bis in das Haushaltsjahr 1968 und das Haushaltsjahr 1969 hinein, und dann sprechen wir uns hei der Bundestagswahl 1969 wieder!
({14})
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in meinen Ausführungen zu den bisher - gestern und heute und bis vor wenigen Sekunden - angeschnittenen Problemen auf die Hauptfragen beschränken, deshalb auch nicht die nach der letzten Rede, Kollege Haas, für mich interessant gewordene Frage aufwerfen, wieweit das erste und das zweite juristische Examen eine Sonderqualifikation für finanzpolitische Reden darstellen.
({0})
Ich stelle jedenfalls meine Studien - über diese
Studien sollte sich niemand erhaben fühlen, solange
er sich noch für entwicklungsfähig hält, was nicht bei allen der Fall ist -,
({1})
Herr Kollege Haas, sozusagen hinter verschlossenen Türen für mich selber zu meinem Nutz und Frommen an. Aber ich benutze nicht das Plenum, um mir die Kenntnisse sozusagen öffentlich in einer Plenarrede langsam anzueignen.
({2})
Ich möchte damit folgendes sagen. Es hat keinen Sinn, in diesem Hause in der Frage der Qualifikation, für eine bestimmte Aufgabe kompetent zu sein oder nicht, mit fragwürdigen Begriffen zu arbeiten.
({3})
Ich bin noch nie der Meinung gewesen, daß es ein Akademikerprivileg gibt, intelligent zu sein. Ich bin ferner der Meinung, daß es unter den qualifizierten Ausbildungsformen nicht nur einen einzigen Studiengang gibt, der es einem erlaubt, in einer Frage kompetent zu reden. Wenn Sie aber meinen sollten, daß es das juristische Studium wäre, so muß ich Ihnen sagen, daß man nach meiner Auffassung dieser Ausbildung zwar einen hohen Respekt zuerkennen muß, aber nicht sagen kann, daß sie eine allgemeine Qualifikation vermittelt, über alles kompetent mit letzter Verbindlichkeit reden zu können.
({4})
Ich könnte Sie, Herr Kollege Haas, genauso gut fragen, ob Sie Ballettunterricht genommen haben.
({5})
Denn das, was Sie hier praktiziert haben, war eine großartige tänzerische Leistung.
({6})
Sie läßt viel weniger auf juristische Subtilität als auf eine große Beweglichkeit schließen, die allerdings eine große Vehemenz mit Stabilität verbindet, da sie die Fähigkeit zeigt, sich immer am gleichen Platz um die eigene Achse zu drehen.
({7})
Nach diesen einleitenden Bemerkungen, die sozusagen der Schlagaustausch zwischen Altphilologie und Jurisprudenz waren, darf ich einige Anmerkungen zu Ihren Ausführungen machen. Sie haben sich zunächst einmal in den Zahlen getäuscht. Der Haushalt 1966 schließt nicht mit 68,9 Milliarden DM ab, sondern er schließt ab mit 69,9 Milliarden DM, womit sich die Prozentsätze verschieben.
({8})
- Ich weiß, Sie konnten nicht in der gleichen Zeit auch noch Mathematikunterricht nehmen.
({9})
Ich erwähne aber diese eine Milliarde nicht, um wegen einer Milliarde mehr oder weniger, so ernst man sie nehmen muß, recht zu haben, sondern weil diese eine Milliarde, die zum Haushalt 1966 noch
hinzugekommen ist, eine Konsequenz eines Abkommens war, das von meinem Vorgänger approbiert worden ist, eines Abkommens, von dem Sie aus gutem Grund gesagt haben: pacta sunt servanda, es muß nun halt einmal bedient werden. Jedermann weiß, und in der deutschen und auch in der ausländischen Publizistik habe ich das zu spüren bekommen, daß ich mich sehr deutlich dafür ausgesprochen habe, mit dem System der Devisenausgleichszahlungen in der geforderten Höhe Schluß zu machen,
({10})
weil diese aus Haushaltsmitteln jedenfalls nach Abschluß der laufenden Abkommen nicht mehr bewältigt werden können.
Ich darf Ihnen auch sagen, daß - so unvollendet meine Vorbildung dafür auch sein mag - unter meiner Federführung als Finanzminister kein solches Abkommen geschlossen werden wird, wie es leider abgeschlossen worden ist.
({11})
- Ich sage nur das eine - wenn Sie die Wiederholung hören wollen, bin ich gern dazu bereit -, nämlich daß unter meiner Federführung als Finanzminister kein solches Abkommen mehr abgeschlossen werden wird, wie es unter anderer Federführung leider abgeschlossen worden ist. Ich rede ja jetzt als Finanzminister.
({12})
- Nein, das sind ganz harte Aussagen. ({13})
- Ich weiß, für Sie ist auch „Ballett" eine harte Aussage; das ist durchaus möglich.
Sie haben einige weitere Probleme angeschnitten, z. B. den außerordentlichen Haushalt, der von 540 Millionen auf 1 Milliarde DM erhöht worden sei und der zum Schluß - einschließlich Investitionshaushalt - auf über 8 Milliarden DM gestiegen sei. Sie haben im Zusammenhang damit eine Reihe von Fragen gestellt, und zwar zu Einsparungen und Steuererhöhungen; ich komme darauf noch kurz zu sprechen. Ich darf jedenfalls eines feststellen, daß nämlich die konjunkturelle Entwicklung in der zweiten Hälfte des letzten Jahres weitgehend falsch eingeschätzt worden ist und daß deshalb auch die finanzpolitischen Konsequenzen aus der konjunkturellen Entwicklung nicht erkannt und gezogen worden sind. Die Fehleinschätzungen hinsichtlich der Entwicklung des Steueraufkommens stammen nicht von mir, Herr Kollege Haas, sie stammen auch nicht vom Kollegen Schmücker, sondern die ersten groben Fehleinschätzungen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Bundesfinanzen im Haushaltsjahr 1967 gehen auf die fünfjährige Periode der Führung des Finanzministeriums durch einen prominenten Vertreter Ihrer Partei zurück, für den ich sachlichen Respekt und große menschliche Zuneigung empfinde.
({14})
- Herr Kollege Zoglmann, ich habe nicht die Absicht, mir jetzt, nachdem ich mir eine Reihe von
Dingen in aller Ruhe angehört habe, das, was ich zu antworten habe, durch Fragen und Antworten zerlegen zu lassen. Ich werde es am Schluß dann zusammenfassen.
({15})
Es hat keinen Sinn, Verantwortung abwälzen zu wollen. Hier muß sich der Leiter des Hauses dafür stellen.
({16})
Ich sage auch in Kenntnis des Briefwechsels und der Aktennotizen: Sie, lieber Kollege Zoglmann, würden diese Frage nicht wiederholen, wenn die Antwort in Form der Verlesung der Briefe und Aktennotizen von meiner Seite aus gegeben werden würde.
({17})
Ich darf aber, Herr. Kollege Haas, ohne hier in einen Stil polemischer Fragestellung und Antwortgebung verfallen zu wollen, auf das Volumen dieses Haushalts und den Anteil des außerordentlichen Haushalts zu sprechen kommen. Gestern ist auch von der Opposition die Frage gestellt worden, ob es denn nicht besser gewesen wäre, Einsparungen vorzunehmen, die Mittel für stärkere Investitionen aus Einsparungen zu gewinnen, statt einen Eventualhaushalt aus Geldmarktmitteln bereitzustellen. Diese Frage ist gestern von dem Kollegen Genscher - vielleicht auch noch von einem anderen Redner - gestellt worden. Ich bin kein Bibliothekar, der eigene und fremde Reden in der Vollzähligkeit sammelt - und auch liest -, wie es erfreulicherweise durch Sie, Kollege Haas, bei meinen Reden geschieht.
({18})
Sie sind für mich ein gutes Dokumentationszentrum geworden.
({19})
Ich darf mir trotzdem erlauben zu sagen, daß ich beim Wirtschaftstag der CDU vor den Bundestagswahlen 1965 in stark kritisierten Ausführungen darauf hingewiesen habe, daß Restriktionsmaßnahmen der Bundesbank, wenn sie nach Länge und Härte überzogen sind, langfristige Auswirkungen haben werden, die nurmehr schwer unter Kontrolle zu bringen sind.
({20})
Ich habe davon nichts zurückzunehmen. Ich beschuldige damit nicht die Bundesbank. Ganz im Gegenteil. Warum hat die Bundesbank diese Maßnahmen ergriffen? Die Bundesbank hat diese Maßnahmen ergriffen, weil die Überlastung der Wirtschaft mit Kosten - wobei die Schuld niemals auf einer Seite zu suchen ist -, die Überbürdung der öffentlichen Haushalte mit ständig wachsenden Finanzierungsaufgaben dazu gezwungen haben, die Bremse an einer Stelle anzusetzen, deren Wirkung zunächst nur bei der Privatwirtschaft liegen konnte, aber mit dem
Ergebnis, daß über rückläufiges Wachstum, rückläufige Gewinne und Erträge zwangsläufig auch Steuereingänge rückläufig werden mußten. Damit wurde auf dem Umwege über Geld- und Kreditmaßnahmen der Bundesbank und rückläufige Entwicklungen bei der Privatwirtschaft auch die öffentliche Hand betroffen. Das war doch der Zyklus, dessen Auswirkungen wir in der zweiten Hälfte des letzten Jahres zu spüren bekommen haben.
Lassen Sie mich zu der Größe des außerordentlichen Haushalts noch folgendes sagen. Ich habe mehrmals gesagt - das ist Ihnen sicher bei der Lektüre nicht entgangen -, daß die von der alten Bundesregierung eingeleiteten, von dieser Bundesregierung in ihren Kabinettsbeschlüssen vom 19. Januar erweiterten und durch diesen kommenden Haushalt abzuschließenden Deckungsmaßnahmen eine Deckungslücke von insgesamt 10,7 Milliarden DM zu schließen hatten. Von dieser Deckungslücke sind etwa 7,5 Milliarden DM durch Einsparung oder bzw. und durch Nichterbringung von Barleistungen geschlossen worden, etwa 3 Milliarden DM durch Steuererhöhungen bzw. durch Beseitigung steuerlicher Privilegien einschließlich der Verkürzung von Zahlungsfristen bei Verbrauchssteuern und Zöllen. So kommen die 10,7 Milliarden DM bei der Schließung der Deckungslücke zustande.
Man kann nicht von einem Defizit im Haushalt 1967 sprechen, Herr Kollege Haas. Sie werden sicherlich noch in Verfolgung meiner Reden darauf kommen, daß man bei der Rechnungslegung von einem Defizit spricht, daß man bei der Planung von einer Deckungslücke spricht und daß man hier nicht von einer Deckungslücke oder von einem Defizit sprechen kann, weil die Finanzierung eines modernen Haushalts sowohl durch ordentliche wie durch außerordentliche Einnahmen gleichermaßen gewährleistet werden muß.
Ich wende mich auch deshalb mit großem Ernst dagegen, weil durch ,die Verbreitung solcher Vorstellungen, als ob hier eine fahrlässige Politik des leichten Geldes und der Unstabilität betrieben würde, unser gemeinsames, auch von Ihnen bejahtes Ringen um Vertrauen beim Verbraucher, um Vertrauen beim Unternehmer gefährdet werden könnte, wenn solche Begriffe zum Teil miteinander verwechselt und sehr gefährliche Schlußfolgerungen vor diesem Hause ausgebreitet werden.
({21})
Es kommt jetzt darauf an, daß die Maßnahmen, die wir ergreifen mußten, um Sünden der Vergangenheit zu überwinden, zu kompensieren und wiedergutzumachen, auch mit dem nötigen Vertrauen aufgenommen werden. Dennn der psychologische Faktor stellt beim Wirksamwerden der Maßnahmen mindestens die Hälfte des Erfolges oder auch des Mißerfolges dar.
({22})
Das ist unsere gemeinsame Auffassung, die in der Bundesrepublik herrscht, nicht nur zwischen dem Kollegen Schiller und mir, aber auch zwischen ihm und mir.
Wenn Sie nun sagen, ich hätte dasselbe mit sozusagen sechs Monaten Verzögerungseffekt - ich freue mich, daß Sie nicht „time lag" gesagt haben - begriffen, dann, Herr Kollege Haas, sind Sie trotz Ihres präzisen juristischen Definitionsvermögens unpräzise geworden. Wissen Sie, warum? Weil ich heute noch daran festhalte, daß die 3 Milliarden DM, die aus Steuererhöhungen oder Beseitigung von Steuervorteilen gewonnen werden mußten, nur auf diesem Wege gewonnen werden konnten, daß sie weder gewonnen werden konnten durch weitere Einsparungen noch durch eine andere Maßnahme. Sie waren ja damals bei den letzten Koalitionsgesprächen, die ich mitgemacht habe, selber für eine Erhöhung der Kreditaufnahme zum Ausgleich des Haushalts 1967 und zur Vermeidung von Steuererhöhungen. Ich habe mich auch gegen Vorstellungen gewandt - Ihre Kollegen werden es, wenn Sie nicht dabei gewesen sein sollten, noch in Erinnerung haben -, daß man im Herbst 1966 eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer einführen könnte, weil ich der Meinung war, daß eine Erhöhung der Steuern von Ertrag, Gewinn und Vermögen in der damals sich schon klar abzeichnenden Konjunktursituation für die weitere wirtschaftliche Entwicklung verhängnisvoll sein mußte.
Ich habe die in meinem Hause vorgefundenen - ich sage immer vorsichtig im Plural: von meinen Vorgängern übernommenen - Planungen zur Erhöhung der Umsatzsteuer von 4 % ,auf 4,2 % und bei niedrigeren Sätzen um 0,1 % schweren Herzens fallengelassen, weil ich der Meinung war, daß auch eine Erhöhung dieser, wenn man es so nennen will, Verbrauchsteuer einen ähnlichen Effekt haben würde wie eine Erhöhung der Steuern vom Ertrag und vom Vermögen. Wir haben aus diesem Grunde auch lieber noch einige zusätzliche Einsparungen vorgenommen und etwas mehr in den außerordentlichen Haushalt eingebaut, als durch noch stärkere Steuererhöhungen den kumulativen kontraktiven Effekt zu vergrößern.
Ich bin hier nicht in Vertretung des Herrn Bundeskanzlers koalitionspolitischer Sprecher; aber, Herr Kollege Haas, wenn Sie heute überlegen, wie damals die Vorgänge abgelaufen sind, dann werden Sie doch nicht heute noch behaupten wollen, daß Ihr Ausscheiden aus der alten Koalition wegen der Erhöhung von Mineralölsteuer und Tabaksteuer ein staatspolitisch und nationalökonomisch richtiges und verantwortungsbewußtes Verhalten gewesen ist.
({23})
- Herr Kollege Haas, da irren Sie. Das ist eindeutig falsch, was Sie sagen. Herr Kollege Zoglmann und andere waren dabei, als ich im Hause des damaligen Bundeskanzlers in Gegenwart des Kollegen Barzel verbindlich für die Fraktion sagte: Eine Erhöhung der Steuern von Gewinn, Ertrag und Vermögen ist in dieser Situation ausgeschlossen, eine Ergänzungsabgabe wird nicht eingeführt werden! Es stand damals nur die Frage der Erhöhung der
Umsatzsteuer zur Debatte, für die, wenn mich nicht alles täuscht, ursprünglich auch Kollege Dahlgrün war, was er dann aber auch nicht aufrechterhalten konnte. Kollege Schmücker hatte die Vorstellung in seine temporären Pläne übernommen, und ich hatte sie für kurze Zeit, bis Mitte Dezember, aufrechterhalten, ließ aber nach Prüfung der konjunkturellen Gesamtlage diese Erhöhung der Umsatztseuer um 0,2 % dann auch fallen.
Auch unser heutiger Koalitionspartner - die Dinge liegen so weit hinter uns, daß ihre Mitteilung heute keine Indiskretion mehr bedeutet - hatte ja ursprünglich - ich muß sagen: genauso in Unkenntnis der wirklichen Zahlen, wie das damals für mich galt - in der Öffentlichkeit gesagt: Keine Steuererhöhungen! Als wir dann im Laufe des Monates November die genauen Zahlen erfuhren, habe ich den Standpunkt „keine Steuererhöhungen", den ich sowieso nicht hatte, weil ich maßvolle Änderungen bei Verbrauchsteuern für möglich und sinnvoll hielt, mir nicht zu eigen zu machen brauchen. Unser neuer Koalitionspartner hat auf Grund dieser Zahlen dann erklärt: wenn die Dinge so liegen, wie wir jetzt erfahren haben, können wir diesen unseren Standpunkt „keine Steuererhöhungen" nicht mehr in vollem Umfang aufrechterhalten; wir sind bereit, einen Teil der Steuererhöhungen, die Sie vorschlagen, mitzumachen. So kam es doch zu dem Abschluß der Verhandlungen, wenn ich das noch einigermaßen richtig in Erinnerung habe.
An Sie ist damals die Frage gestellt worden: Sind Sie bereit, Steuererhöhungen im gleichen Umfang mitzumachen? Da ging es nur um die Tabak- und die Mineralölsteuer. Auch da haben Sie nein gesagt. Das hat damals die letzten Versuche, die alte Kombination wiederherzustellen, zum Scheitern gebracht. Das möchte ich hier festgestellt haben, daß das Nein zu diesen bescheidenen Steuererhöhungen, die nur ein Drittel der Deckungslücke schließen sollten, deren andere zwei Drittel durch Einsparungen dann geschlossen worden sind, einfach nicht zu verantworten war. Darum glaube ich, daß Ihre Position, Herr Kollege Haas, heute hier außerordentlich schwach war.
({24})
Wenn Sie das Wort „mittelfristige Finanzplanung" in den Mund nehmen, dann bitte ich Sie sehr, darauf zu achten, daß ein großer Unterschied zwischen einer mittelfristigen Finanzplanung, wie sie jetzt zum erstenmal erarbeitet worden ist, und einer sehr losen Finanzvorausschau, wie sie früher Jahr für Jahr auf den Tisch gelegt worden ist, besteht. Das sind zwei, ich möchte nicht sagen: total verschiedene, aber doch zwei wesentlich verschiedene Dinge.
Was hat die Finanzvorausschau von damals zur Folge gehabt? Sie hat zur Folge gehabt, daß ein Streichquartett oder -quintett eingerichtet worden ist. Die Arbeit des Streichquartetts oder -quintetts bestand darin, im jeweiligen Haushalt Sicherungsmaßnahmen für das nächste Jahr zu treffen. Siehe Haushaltssicherungsgesetz 1965! Dann kamen ja ähnliche Werke 1966. Für 12 Monate mußten aus
allen Ecken und Enden die Deckungsmittel zusammengekratzt werden, um wieder für ein Jahr über die Runden zu kommen.
Da Sie mir diese Dinge heute so auf den Tisch gelegt haben, möchte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, auf folgendes hinzuweisen: Hat nicht diese Kommission der früheren Bundesregierung unter ihren Einsparungsvorschlägen oder Einnahmeverbesserungsvorschlägen auch bestimmte Vorschläge zur staatlichen Sparförderung gemacht, damit diese lawinenartig anwachsenden Einnahmeausfälle oder Prämienvermehrungen auf ein normales Maß reduziert werden? Das war doch die Meinung auch meines - ich sage es mit vollem Ernst - von mir menschlich und sachlich hochrespektierten Vorgängers, des Kollegen Dr. Dahlgrün. Und ist nicht damals Ihre eigene Fraktion, als diese Pläne in der Öffentlichkeit bekannt wurden, ihm sofort in den Rücken gefallen und hat ihn zum Rückzug gezwungen? Ich könnte den Katalog ähnlicher Dinge mit einigen Beispielen, die ich nur aus der Erinnerung auf den Tisch bringe, ergänzen. Aber ich will es nicht tun, weil der Blick nach hinten hier nicht allzuviel Sinn hat.
Nun zum nächsten. Wir versuchen, mit ehrlicher Absicht und nicht ohne einen sich abzeichnenden Erfolg eine aufeinander abgestimmte Wirtschafts-und Finanzpolitik zu betreiben im Wissen, daß es keine finanzneutrale Wirtschaftspolitik und keine wirtschaftsneutrale Finanzpolitik geben kann.
Von Ihnen, Herr Kollege Genscher, und von anderen ist nun gesagt worden: Warum habt ihr nicht noch mehr eingespart und euch damit die Mittel zum Investitionshaushalt gesichert, statt einen Eventualhaushalt zu erstellen, der aus Geldmarktmitteln finanziert wird? Darauf gebe ich Ihnen eine ganz klare Antwort: Unbeschadet dessen, was die politischen Widerstände gegen weitere Kürzungen gewesen wären, war und bin ich auch heute noch der Meinung - und müßte erst durch zwingende Argumente eines Besseren belehrt werden -, daß noch stärkere Einsparungen der staatlichen Zuwendungen in der damals gegebenen, heute allerdings ausklingenden Situation zwangsläufig zu einer weiteren Verminderung der Kaufkraft, Verminderung der Nachfrage, Verminderung des Absatzes, Verminderung der Produktion und damit auch Verminderung der Investitionsbereitschaft bei schon bestehenden Unterbelastungen der Kapazitäten - anders ausgedrückt: bei Bestehen von Überkapazitäten - geführt hätten. Wir haben damals die Schließung der Deckungslücke zu zwei Dritteln durch Einsparung oder Nichterbringung von Barleistungen und zu einem Drittel durch Steuererhöhungen zu erreichen versucht. Das Ergebnis, ich möchte beinahe sagen: das quantifizierte Ergebnis ist dieser Haushaltsplan hier. Aber ich behaupte auch heute noch und kann es nicht eindringlich genug sagen: Man kann nicht bei einem Ausgabentaumel, der von Jahr zu Jahr gestiegen ist, und bei einer abfallenden Konjunktur mit einem Schlage die staatlichen Zuwendungen um noch mehr Milliarden verkürzen, als wir es ohnehin getan haben, weil sonst eine kontraktive Wirkung, eine wirtschaftsschädigende, wirtschaftsschrumpfende Wirkung in potenzierter Form aufgetreten wäre und nicht mehr aufzuhalten gewesen wäre.
({25})
Ich muß die Frage stellen: Warum hat man diese Milliarden nicht in der Zeit, in der die Wirtschaft unter Überhitzungserscheinungen litt, eingespart und sie in eine Konjunkturausgleichsrücklage eingebracht?
({26})
Es ist doch eine Sünde wider den Geist einer nationalökonomisch fundierten Finanzpolitik, beim Nachlassen der Nachfrage dieses Nachlassen noch zu verstärken. Es wäre aber ein Gebot einer nationalökonomisch fundierten Finanzpolitik, bei einem Mißverhältnis von Angebot und Nachfrage - mehr Nachfrage als Angebot -, wo Warenvolumen und Geldvolumen, wo Gesamtnachfrage und Gesamtangebot sich nicht mehr die Waage halten, die Nachfrage zu dämpfen, damit das Gleichgewicht wieder eintritt. Eine weitere zwangsweise Dämpfung der Nachfrage durch noch schärfere Einsparungen würde uns in ein ungeplantes Defizit von abenteuerlichen Ausmaßen hineingetrieben haben. Das ist meine Antwort, Herr Kollege Haas, auf die Frage: Warum nicht mehr Einsparungen in jener Zeit?
({27})
Das wäre genau der falsche Moment gewesen.
Dasselbe muß ich auch für das Volumen des Haushalts sagen. Es handelt sich doch nicht um eine magische Grenze, wenn man sagt: Der Haushalt darf nur um genauso viel Prozent wachsen wie das reale oder das nominale Bruttosozialprodukt. Das sind Erfahrungswerte für allgemeine Verhaltensweisen. Ich bin der Überzeugung, daß dieser Haushalt, um die Wirtschaftsflaute zu überwinden, eine wesentlich größere Zuwachsrate mit Verstärkung der Investitionsausgaben ausweisen mußte, als die Zuwachsrate eines Haushalts bei aufsteigender Konjunktur hätte sein dürfen.
({28})
Wir sollten uns ruhig an die Vorstellung gewöhnen, daß einmal bei aufsteigender Konjunktur die Zuwachsrate des Haushalts nur die Hälfte des Zuwachses des realen oder nominalen Bruttosozialprodukts beträgt, daß aber bei abfallender Konjunktur oder stagnierender Konjunktur die Zuwachsrate ruhig einmal 150 oder 200 % des Zuwachses des Bruttosozialprodukts betragen kann. Ich glaube, damit eine Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage gegeben zu haben.
Natürlich wissen wir beide, Herr Kollege Haas, daß diese Mittel getilgt werden müssen. In der mittelfristigen Finanzplanung, auf die ich noch mit wenigen Worten eingehen werde, ist auch ein Tilgungsplan enthalten. Nur möchte ich gleich sagen: niemand kann von uns erwarten oder verlangen, daß nach einem Tilgungsplan etwa bereits bis zum Jahre 1971 alle kurz- oder mittelfristig aufgenommenen Schulden auch tatsächlich getilgt werden. Sicherlich werden wir uns im Jahre 1969 je nach der
Wirtschafts- und Haushaltslage überlegen müssen, wieweit die Tilgung möglich ist, wieweit eine Umschuldung oder Prolongierung notwendig ist. Das ist aber etwas, was bei den Größenordnungen, in denen sich unser Haushalt befindet, durchaus verkraftet werden kann. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube, Herr Kollege Haas, wenn ich sage, daß der Zwang zur Tilgung in den kommenden Jahren, wo wir wieder eine aufsteigende Konjunktur erwarten, durchaus auch eine sehr heilsame, Wirkung haben kann, weil hier ganz bestimmte Daten und Fakten trotz Prolongierung vorgeschrieben sind, die erzwingen müssen, daß die Mehreinnahmen dann auch tatasächlich für die Tilgungspläne verwendet werden. Aber jetzt einzusparen, das hätte ich, ohne Anhänger einer Politik des leichten Geldes oder der inflationären Finanzierung zu sein, schlechthin für eine Beschleunigung und Verstärkung des Übels gehalten, in dem wir uns befunden haben und aus dem wir allmählich glauben uns herausbewegen zu können.
Sie fragen mich: Welche harten und schweren Eingriffe? Herr Kollege Kühlmann-Stumm hat gestern diese Frage gestellt. Auch die Kollegen Genscher, Mischnick und Haas haben das getan. Sicherlich ist eine mittelfristige Finanzplanung eine schwierige Angelegenheit. Ich wiederhole: das, was jetzt erarbeitet worden ist, ist der erste umfassende Versuch einer mittelfristigen Finanzplanung, nicht nur einer Finanzvorausschau.
Eine solche mittelfristige Finanzplanung läßt sich ohne eine mittelfristige Wirtschaftsprojektion überhaupt nicht aufstellen. Sicherlich wird man nicht in der Lage sein, hier bis auf 0,1 %, vielleicht auch nicht einmal bis auf 0,3 % genau die zukünftige Entwicklung vorherzusagen. Erzwingen kann man sie ohnehin nicht. Aber angesichts der engen Verflechtung zwischen Bundeseinnahmen und wirtschaftlicher Entwicklung, wobei 1 % nominales Sozialprodukt rund 850 bis 900 Millionen DM Steuereinnahmen für den Bund ausmachen, kann jede mittelfristige Finanzplanung nur auf einer mittelfristigen Wirtschaftsprojektion aufgebaut sein. Sonst artet sie beinahe in Kaffeesatzleserei oder allgemeine Prognosestellung aus.
Und so haben wir im Finanzministerium die vom Wirtschaftsministerium gelieferten und vom Wirtschaftsministerium in Verbindung mit den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten erarbeiteten Zahlen übernommen und zur allgemeinen Ausgangsgrundlage für die Finanzplanung der Jahre 1968 bis 1971 gemacht. Ich möchte nicht die Frage beantworten - ich kann sie nicht beantworten, Herr Kollege Haas -, ob 3, 4 oder 5 Jahre besser sind. Ich glaube, 3 Jahre sind zu kurz. Bei 5 Jahren wird die perspektivische Verkleinerung schon immer stärker und die Zuverlässigkeit der geschätzten Angaben immer geringer. Zunächst jedenfalls wird sie bis zum Jahre 1971 einschließlich gehen. Wenn die mittelfristige Wirtschaftsprojektion Angaben allgemeiner Art liefert, lassen sich daraus Schätzungen über die Zunahme der Staatseinnahmen ableiten, die wir für den Bund im Durchschnitt auf 6 % geschätzt haben - natürlich unter der Voraussetzung, daß die Zahlen der mittelfristigen Wirtschaftsprojektion erreicht werden.
Die nächste Frage, die einbezogen werden muß, ist die Frage: Wie hoch kann die Gesamtlastquote unserer Wirtschaft sein - also Steuerbelastungsquote plus Soziallastquote? Dann mußten wir zunächst davon ausgehen, daß das bestehende Steuerrecht - die Mehrwertsteuer wird im Ertrag neutral gegenüber dem bisherigen System angesehen - zunächst unverändert bleibt, um überhaupt feste Angaben über ein bestimmtes Modell zu bekommen. Dann mußten die Ausgabenverpflichtungen fortgeschrieben werden - die gesetzlich begründeten, die vertraglich begründeten, die politisch begründeten und die Fortsetzung der eingeleiteten Programme ohne neue Programme. Dann mußten wir vorerst davon ausgehen, daß die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern so bleibt, wie sie ist. Das heißt nicht, daß sie so bleibt, aber bei der Verschiebung der Zuständigkeiten der Finanzierungs-und Förderungskompetenz muß auch eine Verschiebung in der Zuweisung der Einnahmequellen erfolgen. Und schließlich ging es darum, festzulegen: Wie sieht die Verschuldungs- und Tilgungspolitik des Bundesregierung in den nächsten Jahren aus? Wie hoch kann der Geldmarkt, wie hoch kann der Kapitalmarkt beansprucht werden? Wenn ich nun diese Dinge, Einnahmeseite und Ausgabeseite, gegenüberstelle, dann kommen die Ergebnisse heraus, Herr Kollege Haas, von denen ich vor der Kammer der Steuerbevollmächtigten gesprochen habe. Das sind aber weder - hier müssen wir uns auf eine gemeinsame Terminologie einigen - Deckungslücken noch Defizite. Das sind Planungsüberhänge der Ausgaben. Man muß hier in der Terminologie sorgfältig sein, um nicht in der Öffentlichkeit eine verwirrende Wirkung zu erreichen. Das wollen Sie nicht, und das will ich nicht.
Diese in der Planung bestehenden Ausgabenüberhänge müssen so weit abgebaut werden, daß die Einnahmeseite einschließlich der Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmeseite in einem Turnus von insgesamt vier bis fünf Jahren wieder der Ausgabenseite entspricht.
({29})
- Damit Sie länger Zeit zum Studium haben?
({30})
Das ist die eine Aufgabe der mittelfristigen Finanzplanung, die rein technische.
Aber mit dieser rein technischen Aufgabenstellung, den Haushalt zum Ausgleich zu bringen, ist die Problematik der mittelfristigen Finanzplanung noch lange nicht gelöst. Denn die mittelfristige Finanzplanung muß - ich weiß nicht, aus welchem Lexikon das stammt: es war immer von Lexiken die Rede; ich sage das ironisch - die Widerspiegelung einer quantifizierten Reihenfolge der politischen Zielsetzungen des politischen Entscheidungsträgers sein, eine Widerspiegelung der quantifizierten Reihenfolge der Zielsetzungen der politischen Führung. Was bedeutet das? Das bedeutet, daß sich der Schlüs5406
sel zwischen konsumorientierten und investitionsorientierten Ausgaben des Gesamthaushalts in kleinen Schritten zugunsten der Investitionsausgaben verändern muß, wenn die vom Bundeswirtschaftsminister geplante und für uns alle gemeinsam notwendige Wachstumsentwicklung unserer Wirtschaft wieder erreicht werden soll.
({31})
Dabei geht es hier nicht um Investitionen um jeden Preis, sondern die hier enthaltenen und beabsichtigten Investitionen müssen der glaubhafte Ausdruck der Prioritäten sein, die Bundeskanzler Kiesinger in seiner Regierungserklärung im Dezember 1966 niedergelegt hat. Das heißt, daß hier einmal - es ist schwer, hierfür einen deckenden Begriff zu finden - in die Sozialinvestitionen die richtige Reihenfolge gebracht werden muß. Das heißt aber auch, daß der Begriff „Sozialinvestitionen" im weitesten Sinne des Wortes gefaßt werden muß, daß z. B. die Ausgaben für Wissenschaft und Forschung, für großtechnologische Entwicklung und Erprobung in den kommenden vier Haushalten eine wesentlich höhere Zuwachsrate als jeder andere Einzelplan des Bundeshaushalts haben müssen,
({32})
wenn das Wort von der zukunftsorientierten Finanzpolitik einen echten Grad an Wahrscheinlichkeit haben soll.
({33})
Das schließt - das gebe ich Ihnen gern zu, und ich sage das nicht als Schlagwort, das man immer so in die Landschaft wirft, um entweder aufwühlend oder beruhigend zu wirken - ohne Zweifel unangenehme und schmerzliche Eingriffe ein.
Ich darf Ihnen jetzt etwas über den Kalender sagen. Der Ausschuß für mittelfristige Finanzplanung ist meiner Erinnerung nach im Februar dieses Jahres begründet worden. Das Finanzministerium mußte in mühsamer Arbeit neben Haushaltsaufgaben -und einer Reihe von anderen Aufgaben gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium das Instrumentarium erarbeiten, das überhaupt die sozusagen intellektuelle technische Basis für die kommenden Arbeiten zu sein hat. Das ist erarbeitet worden. Wir haben zwei Sitzungen dieses Ausschusses des Finanzkabinetts durchgeführt.
Die Detailarbeit ist in einem Ministerialdirektorenausschuß nach politischen Richtlinien geleistet worden. Ihm haben das Bundeskanzleramt, das Finanzministerium, das Wirtschaftsministerium, das Bundesratsministerium und das Schatzministerium angehört. Die Ergebnisse der Arbeit dieses Direktorenausschusses sind, was die Ausgabenseite betrifft, in der Sitzung des Finanzkabinetts letzte Woche einen ganzen Tag lang geprüft, zum Teil übernommen, zum Teil korrigiert, zum Teil zur nochmaligen Behandlung zurückverwiesen worden. In der nächsten Woche wird sich das Finanzkabinett - wenn ich diesen Ausdruck zur Vereinfachung gebrauchen darf - mit der Einnahmeseite befassen.
Was dann als Ergebnis der Beratungen der Ausgabenseite und der Einnahmeseite vom Finanzkabinett, das bisher im großen und ganzen einstimmig seine Empfehlungen abgegeben hat, erarbeitet wird, geht an das Gesamtkabinett. Ich bitte um Verständnis - ich sage das ohne Schärfe und Polemik -, es wäre völlig falsch gewesen, wenn Einzelheiten, sei es der Einnahmeverbesserung, sei es der Ausgabenkürzung, vor diesem oder jenem Kreise in der Öffentlichkeit, gegenüber der Presse, bei Verbänden oder auch hier in diesem Hohen Hause bekanntgegeben und zur Diskussion gestellt worden wären, bevor das Verfassungsorgan Gesamtbundeskabinett sich damit befaßt hat und ein für die Bundesregierung verbindliches Ergebnis diesem Hohen Hause auf den Tisch legen kann. Kabinettsausschüsse sind keine Verfassungsorgane, Kabinettsausschüsse sind keine Beschlußfassungsorgane. Kabinettsausschüsse sind Arbeitsgremien, die die Entscheidungen des Gesamtkabinetts vorzubereiten haben, mehr nicht. Ich hoffe, Herr Kollege Haas, daß noch im Laufe des Monats Juni die Arbeiten des Finanzkabinetts abgeschlossen werden, daß Ende Juni/Anfang Juli das Gesamtkabinett das Ergebnis beraten, verabschieden und dann der Öffentlichkeit übergeben wird. Ich freue mich schon nach Ihrer Rede sehr darauf, weil ich der Überzeugung bin, daß Sie einer Reihe der von mir vertretenen Gedankengänge in Ihrer nächsten Rede lebhafteste Unterstützung und stärksten Feuerschutz geben werden, wenn ich mich schon einmal in dieser Terminologie ausdrücken darf.
Zur Finanzreform ist die Frage gestellt worden - wenn ich das als letztes behandeln darf -: Warum ist sie noch nicht diesem Hohen Hause vorgelegt worden? Der Gedanke, eine Finanzreform auszuarbeiten, ist, wenn mich nicht alles täuscht, unter meinem vorletzten Vorgänger, Herrn Kollegen Dahlgrün, auf den Tisch des Kabinetts gelegt worden. Damals ist nach dem Vorschlag des Finanzministeriums eine Kommission, die sogenannte TroegerKommission, eingesetzt worden. Die Troeger-Kommission hat im Frühjahr letzten Jahres das Ergebnis ihrer Arbeit vorgelegt. Es waren nicht nur technische Schwierigkeiten, es waren auch die sattsam bekannten politischen Schwierigkeiten, die verhindert haben, daß die Arbeiten der Troeger-Kommission schneller in den Bereich der politischen Beschlußfassung hineingebracht worden sind.
Im Januar dieses Jahres habe ich eine Kabinettsvorlage vorbereitet. Ich habe die Beschlußfassung darüber zurückgestellt, weil - ich kann das ruhig hier sagen - beide Koalitionsfraktionen an mich die Bitte gerichtet haben, den politischen Parteien die Möglichkeit zu geben, sich die schwerwiegenden Probleme der Finanzreform innerhalb ihrer eigenen. Reihen zu überlegen, sie dann auf dem Weg eines noch nicht letztverbindlichen Koalitionsgesprächs abzuklären und dann erst in das Kabinett zu bringen. So hat die SPD eine Kommission gebildet, die termingemäß ihre Ergebnisse abgeliefert hat. Es haben CDU und CSU eine Kommission gebildet, die beinahme termingemäß ihre Ergebnisse abgeliefert hat. Es hat ein, ich sage ausdrücklich: nicht letztverbindliches Koalitionsgespräch stattgefunden, bei dem beide Ergebnisse verglichen worden sind. Auf dieser Grundlage haben die sechs MitglieBundesminister Dr. h. c. Strauß
der der Bundesregierung, die Mitglieder der BundLänder-Kommission sein werden, sich vor wenigen Tagen noch einmal abgestimmt. Ich habe dem Chef des Bundeskanzleramtes vorgestern die Kabinettsvorlage in erweiterter, ergänzter und veränderter Fassung wieder zugeleitet. Sie soll Gegenstand und Grundlage der Beschlußfassung des Kabinetts werden. Das muß auch in einer der nächsten Kabinettssitzungen geschehen.
Aber der nächste Takt - wie ich auch dem Kollegen Haas und Herrn Genscher, und wer es noch beanstandet hat, sagen darf - kann doch nicht die Vorlage beim Bundestag sein. Der nächste Takt muß nach lange bestehenden Plänen die Phase der Verhandlungen in der Bund-Länder-Kommission sein. Es hat ja keinen Sinn, wenn eine Reihe von verfassungsändernden Maßnahmen beabsichtigt sind, hier mit sturer Einseitigkeit mit dem Kopf durch die Wand vorzugehen. Dafür ist ja die Bund-LänderKommission vorgeschlagen worden, die aus sechs Bundesvertretern und elf Ländervertretern besteht, damit die Interessen des Bundes und der Länder in einem Gremium, das auch kein Beschlußfassungsrecht hat, diskutiert, ausgehandelt, abgestimmt werden, wenn möglich so, daß ein einigermaßen einstimmiges Ergebnis herauskommt.
Ich hoffe, daß die Bund-Länder-Kommission - die allerdings dann einen Teil ihrer Ferien dafür opfern müßte - ihre Überlegungen während der Parlamentsferien bis längstens Mitte Oktober abschließt. Dann ist es uns möglich, verhältnismäßig rasch die Gesetzgebungsentwürfe auszuarbeiten, die jetzt noch nicht vorliegen, die bewußt noch nicht erarbeitet worden sind, bevor die Bund-Länder-Kommission ihre Arbeiten aufgenommen und abgeschlossen hat. Sie sind im groben Rohbau natürlich konzipiert. Dann könnte die Bundesregierung Ende dieses Jahres diesen Teil der Finanzreform verabschieden, damit im Jahre 1968, vor allem in den ersten sechs Monaten des Jahres 1968, Bundestag und Bundesrat sich damit befassen können.
Das bedeutet für die Arbeitslage dieses Hohen Hauses - nicht nur der Bundesregierung -, daß die Konsequenzen aus der mittelfristigen Finanzplanung nach dem Ende der Parlamentsferien vom 1. Oktober an so rechtzeitig gezogen werden müssen, daß die Maßnahmen, die zum 1. Januar 1968 wirksam werden sollen, noch in den letzten drei Monaten dieses Jahres verabschiedet werden. können. Das heißt weiterhin, daß die Arbeiten an der Finanzreform - Inkrafttreten des Bund/LänderTeiles am 1. Januar 1969, des Gemeindeteiles am 1. Januar 1970 - im Jahre 1968 erfolgen müssen.
Ich darf hier, ohne Koalitionsabsprachen strapazieren zu wollen, darauf hinweisen, daß es bei den Koalitionsverhandlungen vor der Bildung der Großen Koalition, nicht zuletzt auf das berechtigte Drängen des Kollegen Alex Möller hin, eine gemeinsame Absprache war, bis zu den Bundestagswahlen auch dieses Reformwerk als ein sichtbares Ergebnis der Arbeit seit Dezember 1966 der deutschen Öffentlichkeit abgeschlossen auf den Tisch zu legen.
Mit diesen Arbeiten ist der Komplex der Finanzreform noch nicht abgeschlossen; denn wir müssen zu einer Reform des Art. 113 GG kommen, um ihn praktikabel zu gestalten. Wir müssen nach meiner Auffassung auch zu einer Harmonisierung in der Frage der Beamtenbesoldung kommen, weil auch das zur wirtschaftlichen Stabilität gehört, weil ohne eine Harmonisierung der Beamtenbesoldung auch mittelfristige Finanzprojektionen auf zu vielen Ungewißheiten wegen der Ungleichheit der Lebensverhältnisse und der weiteren Entwicklung aufgebaut sind. Wir müssen darüber hinaus auch noch zu einer Reform des Finanzrechts kommen, und zwar sowohl des Haushaltsrechts wie auch des Abgabenrechts. Ich werde jedenfalls die Reform der Abgabenordnung noch vor Ende der Legislaturperiode vorlegen. Ich lasse es offen - ich möchte da keine Hoffnung ausdrücken -, ob eine Verabschiedung auch noch dieses Werkes vor den Bundestagswahlen möglich sein wird. Aber eine Reform des Haushaltsrechts wäre als Ergänzung des Stabilitätsgesetzes dringend erwünscht, damit wir vergleichbare und transparente Haushalte bekommen.
({34})
Wenn ich nun diesen ganzen Komplex, diesen ganzen Blumenstrauß zusammen nehme, dann ist von der Finanzreform noch im alten Bundestag das Bewertungsgesetz verabschiedet worden, wenige Monate nach Bildung der neuen Koalition sind zwei früher vorbereitete Gesetze, die aber jetzt infolge der stärkeren politischen Basis schnell abgeschlossen werden konnten, verabschiedet worden, das Mehrwertsteuergesetz, eine säkulare und epochale Angelegenheit der Steuerreform, und das Stabilitätsgesetz. Das ist ein Stück Modernisierung eines sonst inflexiblen Bundesstaates in die Form des kooperativen Föderalismus hinein.
Sie können völlig davon überzeugt sein, Herr Kollege Haas, daß ich kein Anhänger des Föderalismus des 19. Jahrhundert im Stile von Konstantin Frantz bin, sondern eines kooperativen Föderalismus, der weiß, daß die drei Ebenen Gemeinden, Länder und Bund nicht als Chevaliers seules, nicht als autonome Größen gegeneinander und durcheinander und ohne Rücksicht aufeinander operieren können. Was heißt überhaupt wirtschaftsgerechte und konjunkurgerechte Finanzpolitik, wenn 50 % der Finanzmasse durch die Bundeskassen und 50 % der Finanzmasse durch Länder- und Gemeindekassen gehen? Wenn man - ich sage das auch hier ganz deutlich - kein Anhänger eines zentralistisch dirigierten Einheitsstaates ist, wenn man im Prinzip ein Anhänger des föderalistischen Staates ist, dann muß man aus dem Sachzwang heraus verlangen, daß die Finanzmassen von Bund, Ländern und Gemeinden, wenn eine konjunkturgerechte Finanzpolitik betrieben werden soll, nach denselben Grundsätzen, im großen und ganzen auf dem Wege auch des freiwilligen Consensus und institutioneller Einrichtungen, in der gleichen Richtung eingesetzt werden, weil sonst die Gefahr besteht, daß eine Maßnahme der einen Seite durch eine gegenläufige Maßnahme der anderen Seite weitgehend paralysiert wird. Darum bin ich ein überzeugter Anhänger eines kooperativen Föderalismus.
Ich darf bei dieser vorläufigen Schlußbemerkung - ich werde ja wahrscheinlich morgen noch einmal das Wort ergreifen müssen - ein Wort des Dankes jetzt auch dem Haushaltsausschuß sagen, der eine ungewöhnlich schwierige Arbeit in einer unerhört kurzen Zeit bewältigt hat. Diese Arbeit war deshalb so schwierig, weil der Zwang, sehr rasch die Steuerschätzungen zu korrigieren, den Haushaltsausschuß veranlassen mußte, erhebliche Umstellungen innerhalb des Haushalts vorzunehmen, da der Prozentanteil des außerordentlichen Haushalts erheblich gesteigert werden mußte.
Ich möchte, da ich von meinen eigenen Mitarbeitern im Laufe der letzten Monate, seit Dezember letzten Jahres, sehr viel verlangt habe, ohne Rücksicht auf Arbeitszeit und Schonung der Person eine qualitative und quantitative Arbeitsleistung verlangt habe, die weit über das Normalmaß hinausgeht, hier auch den Beamten des Finanzministeriums, angefangen vom Staatssekretär bis zu den letzten Hilfskräften, die manche Überstunde leisten mußten, auch an dieser Stelle als Minister und Parlamentarier meinen herzlichen Dank sagen.
({35})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dahlgrün.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, in diese Debatte einzugreifen; erlauben Sie mir aber einige richtigstellende, oder wenn Sie so wollen, ergänzende Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß.
Erstens. Der Bundesminister der Finanzen hat niemals die Federführung bei den Devisenausgleichsverhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika gehabt. Die Federführung hinsichtlich der Devisenausgleichsverhandiungen mit dem Vereinigten Königreich lag allerdings beim Bundesminister der Finanzen. Die Ergebnisse beider Devisenausgleichsverhandlungen sind von der Regierung und Ihnen allen hier in diesem Hohem Hause zur Kenntnis genommen und gebilligt worden. Ich glaube, dß jeder sich den verschiedenen Verlauf der Devisenausgleichsverhandlungen mit den USA und mit Großbritannien noch in die Erinnerung zurückrufen kann.
Zweitens. Ihre Ausführungen zu den Steuerschätzungen, Herr Kollege Strauß, könnten, glaube ich, zu Mißverständnissen in der Öffentlichkeit führen, weil Sie zu sehr die Beteiligung des Bundesministers der Finanzen betont haben. Es ist nicht so, daß der Bundesfinanzminister allein die Steuern schätzt; an den Steuerschätzungen sind die Länder beteiligt, sind eine ganze Anzahl von wirtschaftswissenschaftlichen Instituten beteiligt. Die Berichtigung von Steuerschätzungen ist eine ganz normale und natürliche Sache; es sollte niemals dem Bundesminister der Finanzen, mag er heißen, wie er will, ein Vorwurf daraus gemacht werden, daß Steuerschätzungen zu berichtigen sind. Niemand von uns hier in diesem Hause und niemand draußen hat die Talfahrt der Wirtschaft genau voraussehen können; niemand braucht sich also zu wundern, wenn Steuerschätzungen berichtigt werden.
Drittens. Ihre Bermerkung, Herr Kollege Strauß, über Umsatzsteuererhöhungspläne im Bundesministerium der Finanzen muß ich dahin ergänzen, daß selbstverständlich und naturgemäß in einem Finanzministerium - das ist unbedingt erforderlich - alle überhaupt nur möglichen Steuerveränderungen vorbereitet, durchgeprüft und laufend auf den Stand gebracht werden. Das ist etwas so Selbstverständliches, daß man in einem solchen Zusammenhang nicht erwähnen sollte, es seien Steuererhöhungspläne vorhanden gewesen. Sie sind selbstverständlich auch heute vorhanden. Es gibt keine Steuer, kein Gebiet, auf dem nicht Generalstabsarbeit auch in dieser Richtung geleistet wird und geleistet werden muß.
Viertens. Sie haben nun, Herr Kollege Strauß, den Bruch der seinerzeitigen Koalition im wesentlichen richtig gestellt, soweit es sich um die Auseinandersetzungen hinsichtlich der Steuern gehandelt hat. Sie haben aber mit keinem Wort erwähnt, daß das nur die eine Hälfte der damaligen Auseinandersetzungen war.
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Bei der anderen Hälfte der damaligen Auseinandersetzungen ging es, wenn wir einmal von der Auseinandersetzung um die Person des damaligen Bundeskanzlers innerhalb der CDU/CSU absehen - hier haben Dinge eine Rolle gespielt, die ich von außen nicht beurteilen kann, die aber immerhin doch auch in der Öffentlichkeit sichtbar geworden sind; wir wollen das beiseite lassen -, um die grundsätzliche Frage der Ausgabenseite. Ich will versuchen, das ganz kurz und simpel darzustellen.
Wir, die Regierung der Vergangenheit, die Bundestage bis zum jetzigen Bundestag, haben die Verpflichtungen und Leistungen übernommen auf der Basis der Wiederaufbau-Zuwachsraten der Vergangenheit in Höhe von 7, 8, 9, 10 und mehr Prozent. Mit der Beendigung der Wiederaufbauphase und der stürmischen Entwicklung - es ist niemand unter uns, der nicht einmal in den vergangenen Jahren gesagt hat: Das kann ja nicht ununterbrochen so steil weitergehen, einmal muß es doch zu einer Beruhigung kommen - sind auch diese Zuwachsraten zu Ende gegangen. Wir haben in den kommenden Jahren - hoffentlich - normale Zuwachsraten von 3, 3,5 % zu erwarten. Bei einem Bruttosozialprodukt von 450, 470, 480 Milliarden DM sind 2,5, 3, 3,5 % etwas durchaus Beachtliches und Erfreuliches. Wenn ich von dem, was Herr Kollege Schiller in den letzten Wochen und Monaten verkündet hat, etwas unterstreiche, so ist es sein Hinweis, daß das keineswegs eine Krise, ein Notstand ist, sondern etwas sehr Erfreuliches in der Entwicklung von Wachstum und Preistabilität.
Man kann das Problem - und darum ging es auch bei den seinerzeitigen Koalitionsauseinandersetzungen - schlicht und einfach in den Satz fassen: Es ist nötig, die Leistungen aus der Wiederaufbauphase auf ein normales Maß zurückzuschrauben in der Relation zu Zuwachsraten von 2,5, 3, 3,5 %. Das wurde damals verweigert. Niemand wollte sich
auf die Beschneidung von Ausgaben einlassen, keiner wagte es, bei bestimmten Gruppen einzugreifen. Ich erwähne nur den Begriff „soziale Demontage", der damals aus bestimmten Kreisen kam.
Herr Kollege Strauß hat über die technische Entwicklung der Arbeiten im Finanzministerium berichtet. Er hat erwähnt, daß man Instrumente habe schaffen müssen, geschaffen habe oder daß man dabei sei, sie zu schaffen. Sicherlich braucht man Instrumente. Aber in bezug auf das, was hier Gegenstand der Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß gewesen ist - mittelfristige Finanzplanung, Finanzreform, Haushaltsrecht -, ist es nun nicht so - und das möchte ich in aller Bescheidenheit richtigstellen -, daß im Finanzministerium dafür keine Instrumente vorhanden gewesen sind, daß die erst geschaffen werden müßten.
Es ist sehr schwer, bei der Entstehung eines Gesetzeswerkes zu einem bestimmten Zeitpunkt zu sagen, bis zu welcher prozentualen Höhe es fertig oder nicht fertig gewesen ist. Nehmen wir einmal das Haushaltsrecht. Die Neuordnung des Haushaltsrechts - ich habe darüber während meiner Amtszeit von dieser Stelle aus hin und wieder eine Bemerkung fallen lassen ist, glaube ich, zu Ende der letzten Regierung Erhard so weit vorbereitet gewesen, daß man sagen kann, die Angelegenheit sei zu 75 °/o fertig gewesen. Die Schwierigkeiten lagen auch nicht hier in Bonn. Sie lagen in der Auseinandersetzung mit den Ländern. Ich kann nur hoffen und wünschen, daß es Herrn Kollegen Strauß möglich werden wird, in aller Kürze, möglichst schnell, die Reform des Haushaltsrechts vorzulegen, damit sie noch in dieser Legislaturperiode als Ergänzung zum Stabilitätsgesetz verabschiedet werden kann. Wir brauchen das wirklich sehr dringend.
Dann zur mittelfristigen Finanzplanung! Herr Kollege Strauß hat gesagt, daß Einzelheiten nicht bekannt werden dürfen. Die Kommission, die seinerzeit unter meiner Federführung an der mittelfristigen Finanzplanung gearbeitet hat, hatte den gleichen Grundsatz und wollte in dem gleichen Sinne handeln. Sie wissen, daß eine ganze Menge an Einzelheiten durch Indiskretion bekanntgeworden und daß dadurch viel Schaden angerichtet worden ist. Ich hoffe, daß die mittelfristige Finanzplanung und das, was Herr Kollege Strauß als harte und notwenige Eingriffe global angekündigt hat, gelingt. Möge es gelingen, den Streitpunkt der seinerzeitigen Auseinandersetzung auszuräumen, bei denen es darum ging, die Ausgaben dieses Landes auf den zu erwartenden Zuwachs bei anhaltender Stabilität einzurichten. Wir können alle nur hoffen und wünschen, daß diese Bundesregierung dabei Erfolg hat; denn es geht letzten Endes um unser aller wirtschaftliches Schicksal.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich auf wenige
Bemerkungen beschränken. Wir stehen in vollem Umfange hinter den Erklärungen des Herrn Bundesfinanzministers.
Hier ist vom Eventualhaushalt und von dem Überziehen des Haushaltes 1967 gegenüber 1966 die Rede gewesen. Besonders einige Redner der Opposition haben dazu Stellung genommen. Es geht hier nicht um eine Untersuchung der Schuldfrage, um die Frage, wer an den falschen Voraussagen mehr oder weniger schuld hat. Es geht um die Klarstellung, daß die Mehrausgaben im Haushalt 1967 im außerordentlichen Haushalt überwiegend auf zwei Ursachen zurückzuführen sind, einmal auf den Eventualhaushalt, zu dem ich gleich noch einige Worte sagen werde, und zweitens auf die Tatsache, daß sich die Steuervoraussagen von 1966 als überhöht erwiesen haben.
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Ich untersuche nicht, ob die Schuld daran das Finanzministerium trägt, ob die Beamten die Schuld tragen, ob der Bundesfinanzminister daran schuld ist oder wer auch immer. Eines wird man aber auf keinen Fall sagen können, nämlich daß die jetzige Koalitionsregierung die Schuld an diesem Überziehen trägt. Das möchte ich hier noch einmal klarstellen.
Der Bundesfinanzminister hat mit Recht darauf verwiesen, daß angesichts einer Lücke von 10 Milliarden DM auf der einen Seite versucht worden ist, Einsparungen vorzunehmen. Einsparungen sind in einer Höhe von etwa 3 Milliarden DM gemacht worden. Andererseits ist versucht worden, eine gewisse Verbesserung auf der Einnahmenseite des Haushalts zu erzielen. Der Haushalt 1967 ist daher ausgeglichen.
Nun kommt der umstrittene Eventualhaushalt. Meine Damen und Herren, wir haben hier unsere Bedenken gegen den Eventualhaushalt angemeldet. Er ist von vielen Kollegen aus dem Bundestag begrüßt und von vielen teilweise mit Vorsicht akzeptiert worden. Auch die Opposition hat dem Eventualhaushalt durch das Kreditfinanzierungsgesetz zugestimmt. Herr Kollege Haas hat hier nicht nur mit Odysseus, sondern auch mit den Worten „vestigia terrent" auf den Anfang der dreißiger Jahre verwiesen. Ich bin vollkommen Ihrer Ansicht. Aber die Schlußfolgerungen, die Sie, Herr Kollege Haas, daraus gezogen haben, scheinen mir nicht richtig zu sein; denn damals hat die Regierung in einer ungleich schwierigeren Lage mit deflatorischen Mitteln versucht, die Schwierigkeiten zu meistern, während hier ja nun gerade versucht wird, durch incentives aller Art die Konjunktur wieder anzuregen.
Ich bin mit Ihnen der Ansicht, daß wir abwarten sollten, wie sich die Dinge gestalten. Aber man wird der Regierung nicht nur nach den Worten „vestigia terrent", sondern auch nach den Worten „principiis obsta" keinen Vorwurf machen können, wenn sie sich gleich am Anfang in die Räder wirft und sagt: Wir wollen gleich von vornherein Gegebenheiten setzen, um die Konjunktur wieder anzu5410
regen. Die bisher von der Regierung angewandten Mittel scheinen mir dafür geeignet zu sein.
Ich bin auch von den Amerikanern gerade im Hinblick auf das angebliche Anwachsen des Radikalismus auf der rechten Seite besorgt gefragt worden, wie wir uns heute zu der Frage stellen, ob Vorgänge der Jahre 1928 bis 1930 wieder möglich wären. Sie spielten darauf an, daß im Jahre 1928 nur 11 Nationalsozialisten im Deutschen Reichstag gesessen haben, im September 1930 jedoch bereits 107. Ich will hier nicht auf das eingehen, was ich den Amerikanern in politischer Hinsicht gesagt habe. Ich will nur darauf hinweisen, daß damals die Regierungen nicht in der Lage waren, die Rezession rechtzeitig zu steuern und aus der Rezession herauszukommen. Im Gegenteil, aus der Rezession entstand - auch international bedingt - eine Wirtschaftskrise größten Ausmaßes. Der Bruttowert der deutschen Industrieproduktion betrug im Jahre 1928 noch 85 Milliarden Reichsmark, im Jahre 1932 nur noch 38 Milliarden Reichsmark, 1931 auch nur 50 Milliarden Reichsmark. Im Jahre 1930 war es noch etwas mehr, als im September die nationalsozialistische Partei mit 107 Abgeordneten in den Deutschen Reichstag einzog. Damals bestand ein totaler Preisverfall. Das wird man heute auch nicht sagen können. Es gab ein völliges Abflauen der Unternehmerinitiative, und es kam zu einer enormen Schrumpfung der deutschen Warenproduktion. Nimmt man das alles zusammen, sind die Verhältnisse unvergleichbar.
Dennoch glaube ich, daß die Regierung richtig handelt, wenn sie in einem frühen Stadium dieser Dinge sagt: wir werden gewisse Anreize für die Konjunkturbelebung geben, um nicht aus einer Rezession in eine ständige Flaute und damit in eine Krise hineinzugeraten.
Damals hat der Reichskanzler Brüning, der mit deflatorischen Mitteln vergeblich versuchte diesen Dingen auf den Grund zu kommen, gesagt:
Denn letztlich sind wir nicht allein durch die Besatzungslasten und dergleichen in die derzeitige labile Lage heineingeraten, sondern in sehr starkem Maße dadurch, daß wir uns eingebildet haben, daß die öffentliche Hand und auch die privaten Verbraucher trotz eines verlorenen Krieges besser leben könnten als in der Vorkriegszeit. Wir haben uns überall Bauten geleistet, die wir uns in der Vorkriegszeit nicht haben leisten können. Wir haben Hunderte von Millionen Mark ausgegeben, die sich nach einiger Zeit als verfehlt und unproduktiv erwiesen.
Diese Wort stammen von Reichskanzler Brüning, vorgetragen vor den Christlichen Gewerkschaften im Januar 1931 in Köln. Sie könnten auch heute gesprochen sein, und zwar von jedem, Herr Genscher, nicht nur von Ihnen und der Opposition in diesem Hause.
Aber Herr Brüning hat aus dieser Erkenntnis leider nicht das Richtige gemacht. Er hat mit deflatorischen Mitteln versucht, der Krise Herr zu werden, und das geht nicht. Deshalb sage ich: wir können der Regierung dankbar sein, wenn sie frühzeitig diese Dinge erkennt und mit dem Gegenteil von deflatorischen Mitteln den Dingen auf den Grund zu kommen versucht.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur mittelfristigen Finanzplanung sagen. Selbstverständlich bedeutet diese mittelfristige Finanzplanung kein Allheilmittel. Das weiß jeder. Auch eine mittelfristige Vorausschau kann immer nur eine Fortschreibung von Vorausschauen sein, je nachdem, wie die Dinge fortschreiten. Sie muß aber gemacht werden. Dieser Überzeugung kann sich niemand entziehen. Ich bin deshalb sehr dankbar, daß der Herr Bundesfinanzminister heute angekündigt hat, daß im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung dem Parlament zu gegebener Zeit - ich hoffe, sehr schnell - genaue Vorschläge vorgelegt werden, wie die Haushaltslücken der kommenden Jahre gedeckt werden sollen.
Damit im Zusammenhang steht natürlich die Finanzverfassungsreform. Wir haben, wie der Finanzminister ausgeführt hat, die Gegebenheiten dafür dadurch gesetzt, daß wir uns jetzt intensiv mit dieser Frage beschäftigt haben, um damit der Regierung Behelfe an die Hand zu geben. Ich habe die sichere Überzeugung, daß - einschließlich der Gemeindefinanzreform - die Regierung noch im Laufe dieses Jahres das Gesetzgebungswerk mit den Grundgesetzänderungen vorlegen wird.
Ich wiederhole: wir stehen hinter dem Haushalt 1967, und zwar unter der Voraussetzung, daß demnächst das Parlament vom Bundeskabinett erfährt, welche Vorstellungen es sich für den weiteren Ausgleich der Haushalte macht, unter der weiteren Voraussetzung, daß auch Obacht gegeben wird, daß die kurzfristige Verschuldung, die durch den außerordentlichen Haushalt über 8 Milliarden DM beträgt, nicht durch weitere kurzfristige Verschuldung übermäßig aufgebläht, sondern daß im Gegenteil untersucht wird, ,ob eine Konsolidierung dieser Schulden langfristig vorgenommen werden kann. Wir setzen weiter voraus, daß Bereinigungen der strukturellen Krisenerscheinungen vorgenommen werden. Das trifft nicht nur für den Ruhrbergbau und für den Steinkohlenbergbau, sondern auch für die gesamte deutsche Energiepolitik, insbesondere für die schwierige Lage der Bundesbahn, zu.
In diesem Zusammenhang erscheint es auch angezeigt, daß das Bundeskabinett sich der Frage zuwendet, wie verhindert werden kann, daß wertvolle Beteiligungen im Wege der Überfremdung in andere Hände gelangen. Wenn hier nicht gehandelt wird, erscheint eine Initiative aus den Reihen des Bundestages notwendig. Es wird weiter notwendig sein, zu hören, ob die außen- oder die verteidigungspolitische Lage in den kommenden Jahren eine weitere Umschichtung des Haushalts von den Konsumtivausgaben zu den Investivausgaben erfordert.
Mit dieser Maßgabe sind wir in vollem Umfang mit der Vorlage des Haushalts und der Stellungnahme des Bundesfinanzministers einverstanden.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte mich in den Streit über die notwendigen studienmäßigen Voraussetzungen, die man haben muß, um hier zu wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Themen sprechen zu können, nicht einlassen. Es ist zwar eine Tatsache, daß man in Deutschland nahezu keinen Beruf mehr ergreifen kann ohne eine bestimmte Vorbildung und Prüfung. Das einzige, was noch übrigbleibt, ist die Beschäftigung als Politiker. Meine Herren und Damen, das ist kein Kabarettwitz, sondern eine tiefe Lebensweisheit. Ich bin in der Tat der Meinung, daß der Politiker über eine Fülle von Kenntnissen und Fähigkeiten - nicht nur intellektueller Art - verfügen muß, die erst in der Kombination die Fähigkeit vermitteln, die Dinge in größerem Überblick zu sehen. Deswegen sollten wir uns an dieser Stelle nicht mit Fragen einer bestimmten Fakultät aufhalten.
Herr Bundesfinanzminister, Ihre Steuerschätzungen stimmen nicht. Ich glaube, dies kann man ohne Kritik aussprechen. Denn es ist naturgemäß schwierig, die Einnahmen richtig zu schätzen. Auch der Finanzausschuß, der die Aufstellung hat passieren lassen, und der Haushaltsausschuß stehen vor der Schwierigkeit, eine einigermaßen richtige Steuerschätzung zu geben. Diese Schwierigkeit besteht selbst jetzt, wo der Haushalt so spät wie noch nie verabschiedet wird, mitten im Jahr. Die Schwierigkeit der Schätzungen liegt in der wirtschaftlichen Situation begründet, aber auch z. B. darin, daß man immer, wenn Steuererhöhungen beschlossen werden, nicht weiß, ob der Effekt dieser Änderung ein Steuermehraufkommen oder ein Steuerminderaufkommen sein wird. Hier ergeben sich unter Umständen Verschiebungen, die man gar nicht gewollt hat.
Immerhin kann man mit einiger Sicherheit die Prognose stellen, Herr Bundesfinanzminister, daß das vorgesehene Steuermehraufkommen von 2 Milliarden DM gegenüber 1966 nicht erreicht wird und daß Sie deswegen in einer noch größeren Schwierigkeit stehen, als hier bereits mitgeteilt worden ist, und Sie werden zu einem tatsächlichen ,,Defizit" kommen, auch wenn Sie auf dem Papier jetzt keine ,,Deckungslücke" haben.
Mindestens ebenso schwierig und nicht ausgemacht ist die Ausbalancierung der Meinungen darüber, wieweit Steuerpolitik ein Mittel der Finanzpolitik ist. Sie haben mit Recht gesagt, Herr Bundesfinanzminister, daß es eine Interdependenz zwischen Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik gibt, und wir haben ja in den früheren Jahren von der Regierung gerade gefordert, daß sie sich über diese Interdependenz stärker klarwerde. Was aber nicht klar ist und worüber wir uns einmal klarwerden müssen, ist die Frage, inwieweit steuerpolitische Maßnahmen ein Mittel wirtschaftspolitischer Steuerung sind. Wir haben es in diesem Hause erlebt, daß der Kollege Dr. Schmidt ({0}) von der CDU/CSU-Fraktion mit großem Temperament gegen eine steuerliche Maßnahme - nämlich bei den Abschreibungen - aufgetreten ist mit dem Hinweis, daß Steuereinnahmen nur dafür da sind, den Haushalt auszugleichen. Wir sind nicht der Meinung, daß man so weit gehen muß. Aber wir haben doch Bedenken gegen das, was sich inzwischen hier abspielt, nämlich gegen das Bemühen, mit viel Steuerpolitik - unserer Meinung nach zuviel - Wirtschaftspolitik zu treiben. Und darum sollte man Klarheit darüber schaffen, wie weit die Beeinflussung der Wirtschaftspolitik über die Steuerpolitik richtig, notwendig und inwieweit sie schädlich ist.
Sicherlich ist in der betriebs- und volkswirtschaftlichen Literatur einiges darüber geschrieben. Aber ich würde jungen Doktoranden empfehlen, aus den Erfahrungen des letzten halben Jahres einiges Zusätzliche für eine neue Doktorarbeit zu entnehmen; denn es sind in diesem halben Jahr für jeden Einsichtigen einige Erkenntnisse deutlich geworden. Die erste Erkenntnis war die, die inzwischen auch die CDU gewonnen hat, daß Steuererhöhungen nicht zwingend zu Steuermehreinnahmen führen. Wir haben Ihnen das seitens der FDP ja vor einem halben Jahr gesagt, aber Sie haben es nicht glauben wollen. Inzwischen haben Sie es erkannt.
Nicht nur die Eingänge (der Tabaksteuer in den Monaten März oder April können ein Maßstab sein
- das werden Sie mir bestreiten -; denn naturgemäß ist vor einer Erhöhung immer mit Hortungskäufen zu rechnen. Aber, meine Herren und Damen, Zigaretten hortet man nicht für drei Monate, und daher ist die gegenwärtige Lage auf der Letztverkäuferstufe im Mai, Juni, d. h. also 1/4 Jahr nach der Steuererhöhung, schon ein objektiver Maßstab. Aus der Lage in der letzten Verkäuferstufe ist eindeutig zu entnehmen, daß sich frühestens zum Jahresende der Verbrauch mengenmäßig auf den Verbrauch von 1966 eingependelt hat. Das bedeutet, daß in diesem Jahr auch nicht der kleineste Teil einer sonst normalen Zuwachsrate erreicht wird. Sie werden also mit einiger Sicherheit, Herr Bundesfinanzminister, die 60 Millionen DM, die Sie als Mehr gegenüber dem Vorjahr einkalkuliert haben, nicht hereinbekommen.
({1})
- Ja, meine Herren und Damen, ich habe es schon einmal gesagt: Es ist ein bißchen schizophren, wenn man auf der einen Seite die Steuererhöhung damit begründet, daß man mehr Steuern haben will, und gleichzeitig sagt, außerdem sei es ganz gut, wenn die Leute weniger rauchten.
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- Nur müssen Sie das gleich richtig sagen, damit man die Begründung auch weiß. Bisher wurden die Erhöhungen eindeutig damit begründet, ,daß man Mehreinnahmen braucht. Auch der Herr Finanzminister hat das gerade deutlich gemacht. Wenn Sie gleichzeitig die Gesundheit fördern wollen, dann müssen Sie das sagen, dann sind wir durchaus Überlegungen darüber zugänglich, wie man die
Gesundheit fördern kann; aber man muß dann auch eine Steuerlücke wollen.
Die zweite Erkenntnis, meine Herren und Damen, ist doch zweifelsohne die, daß Steuererhöhungen sehr schnell eine negative wirtschaftliche Auswirkung haben. Auch diese Erkenntnis ist bei Ihnen sicherlich inzwischen da. Wir haben vor einem halben Jahr gewarnt, die Mineralölsteuer zu erhöhen, und haben deutlich auf die wirtschaftspolitische Auswirkung dieser Maßnahme hingewiesen. Inzwischen können Sie das aus den Zahlen des Herrn Bundeswirtschaftsministers eindeutig herauslesen, daß keine Industrie im Augenblick einen so starken Rückgang gegenüber dem ersten Vierteljahr des Vorjahres hat wie ausgerechnet die Kraftfahrzeugindustrie.
Als neueres Beispiel hierfür mag die mangelhafte Entlastung der Altvorräte bei der Umstellung der Umsatzsteuer auf die Mehrwertsteuer gelten. Denn schon zeigt sich, wie wir befürchtet haben, daß die Aufträge aus den lagerhaltenden Wirtschaftsbereichen zurückgehen. In der Tat: eine steuerpolitisch falsche Maßnahme mit einem sehr schnellen negativen Effekt.
Aber auf der anderen Seite, meine Herren und Damen, stellen wir fest - das ist eine sehr betrübliche Kehrseite -, daß steuerpolitische Antriebsmaßnahmen keineswegs ebenso schnell zu einer Wiederbelebung führen. Unsere Wirtschaft ist eben nicht so etwas wie ein Automat, in den man oben ein Geldstück hineinwirft und aus dem dann unten sehr schnell die Wirtschaftsbelebung herauskommt. Die Voraussetzungen und Bedingungen der Wirtschaft sind so verschiedener Art, daß man mit schnellen und nicht immer abgestimmten Maßnahmen vorwärts nicht viel ausrichtet, sondern daß eine Unsicherheit in der Kosten- und Kalkulationsstruktur entsteht, die erst recht zur Zurückhaltung beiträgt.
Ich glaube, diese drei Erkenntnisse sollten in die künftigen politischen Überlegungen einbezogen werden, Herr Bundesfinanzminister. Ich bin davon überzeugt, daß gerade Sie dafür aufgeschlossen sind; denn es ist ja ein offenes Geheimnis, daß Sie, beim Stabilitätsgesetz gegen die größte Ermächtigung der Regierung, nämlich die Ermächtigung, die Steuersätze um 10 % herauf und herunter zu korrigieren, waren, und nur ein gütiges Geschick - das Wort „gütig" ist, entschuldigen Sie, bei Zahnschmerzen nicht angebracht; aber ein Geschick, welcher Art auch immer - Sie davor bewahrte, diese Ermächtigung hier auch noch im Hause vertreten zu müssen.
Wir haben in dieser Stunde drei Fragen an Sie, Herr Bundesfinanzminister. Die erste Frage lautet: Welche steuerlichen Entscheidungen wird die Regierung in den nächstüberschaubaren Zeitabschnitten noch dem Hause vorlegen? Diese Frage müssen wir stellen, weil durch die vielerlei Möglichkeiten der Ermächtigungen Unsicherheit entstanden ist. Wir müssen sie aber auch deshalb stellen, weil in der Wirtschaft die Sorge aufgekommen und der Eindruck entstanden ist, daß die Regierung mit ihren wirtschaftlichen und steuerlichen Maßnahmen heute sehr stark am Modell der Großindustrie orientiert sei und nicht in gleichem Maße die Mittel- und Kleinindustrie und das Handwerk im Blick habe.
Weshalb ist eine solche Sorge in der breiten Wirtschaftsschicht unseres Volkes entstanden? Ich möchte dafür u. a. zwei Anlässe nennen; sie ließen sich beliebig erweitern. Die nicht hinreichende Altvorräteentlastung bei der Mehrwertsteuer geht eindeutig zu Lasten der Mittleren und Kleineren und nicht der Großen; denn es ist bekannt, daß die Großen bereits ihre Vorsorge getroffen haben oder rechtzeitig treffen, indem sie durch ihre Abschluß- und Abrufverträge ihre Vorräte entsprechend disponieren, während sich die kleinen und mittleren Betriebe bei ihrer schwächeren Marktposition nicht gleichermaßen einrichten können.
Nun das zweite Beispiel: Die Investitionszulage, die nach dem Stabilitätsgesetz mit 7,5 % gegeben werden soll, können eindeutig nur diejenigen in Anspruch nehmen, die in schwieriger Lage noch Gewinne machen. Das ist sicherlich nicht ausschließlich die Großindustrie, aber es sind in stärkerem Maße die großen und konzernierten Werke, die ihre Gewinne und Verluste besser auspendeln können als die kleinen.
Aus diesen Gründen und aus manchen anderen, Herr Minister, ist die Unruhe in der Wirtschaft entstanden. Man fragt sich, ob die neue Koalition eine Tendenz in Richtung Großbetrieb hat und nicht hinreichend berücksichtigt, daß in Deutschland das Wirtschaftsgeschehen in der vollen Breite verschieden strukturierter Betriebe abläuft und daß diese gesunde Vielfalt durch Maßnahmen der Regierung gefährdet werden könnte. Eine Beruhigung wäre notwendig. Daher unsere Frage, Herr Bundesfinanzminister: Welche steuerlichen Intentionen haben Sie, welche steuerwirksamen Entwürfe werden Sie in Kürze vorlegen?
Und in diesem Zusammenhang die zweite Frage: Nach welchen Maßstäben wird die Regierung ihre erhöhten Ermächtigungskompetenzen ausnutzen? Woran wird sie sich orientieren? Zweifelsohne haben Sie durch die Ermächtigung, die Sie bekommen haben, eine verstärkte Verantwortung auf sich genommen. Dadurch, daß die Beratung dieser Dinge nicht mehr im Plenum vor sich geht, haben Sie der Öffentlichkeit die Möglichkeit und das Recht beschnitten, sich rechtzeitig einzuschalten und zu solchen Beratungen rechtzeitig gehört zu werden, wie das beim normalen Gesetzesgang über drei Lesungen möglich ist, bei einer reinen Ratifikation aber eben nicht. Darum haben wir ein verstärktes Interesse daran - sowohl das Haus wie auch die Wirtschaft - zu erfahren, welches die Maßstäbe sind, nach denen die Regierung ihre Ermächtigung ausnutzen will. Konkret gesprochen: Ist die Situation in der Wirtschaft heute die, daß Sie bereits Steuersenkungen oder Steuererhöhungen erwägen oder daß bereits Abschreibungsmodifikationen ins Auge gefaßt werden? Oder erwarten Sie einen größeren Grad von wirtschaftlichem Ungleichgewicht, als er jetzt gegeben ist? Diese Frage interessiert uns um so mehr, als man nicht weiß, wie groß so eine „TalFrau Funcke
sohle" ist. Wir hatten sie uns ursprünglich ein bißchen schmaler vorgestellt. Inzwischen aber besteht die Sorge, daß sie sich zu einer beachtlichen Tiefebene auswächst. Darum möchten wir wissen, an welchem Punkt etwa die Regierung glaubt, von ihren Ermächtigungen Gebrauch machen zu können.
Eine dritte Frage, auf deren Beantwortung das Haus und die Öffentlichkeit warten, ist schließlich die: Was wird nun aus den Ermächtigungen, die Sie bezüglich der Mehrwertsteuer haben? Vieles ist ja bei dieser Mehrwertsteuer offengeblieben, und jeder von uns, der draußen über Mehrwertsteuer spricht, sieht sich immer wieder vor folgende drängende Fragen gestellt:
Erstens. Wann kommen die Durchführungsverordnungen? Und vor allem: Welchen materiellen Inhalt werden die Ermächtigungen haben, die die Bundesregierung bekommen hat? Ich denke besonders an die Frage der Verbrauchsteuer und der Mehrwertsteuer, d. h. an die Frage, in welcher Form die Verbrauchsteuern gesenkt werden, um bei der erhöhten Mehrwertsteuer den Preis halten zu können.
Zweitens. Wie ist es mit den angefangenen Investitionen beim Übergang zur Mehrwertsteuer, nachdem unser Antrag abgelehnt worden ist?
Drittens. Wie ist es mit Pauschalierungen?
Viertens Erwägt die Regierung, die Altvorräte besser zu entlasten, als das bisher vorgesehen ist? Meine Herren und Damen! Die Beratungen und die letzten Schlußentscheidungen über diesen Punkt liegen sechs Wochen zurück. Und in diesen sechs Wochen hat sich in der Wirtschaft nichts gezeigt, was zu einer erkennbaren Verbesserung geführt hat. Darum stellt sich die Frage, ob die Regierung möglicherweise inzwischen das tun will, was sie, nachdem der FDP-Antrag abgelehnt wurde, in Aussicht gestellt hat, nämlich bei einer Verstärkung der Rezession oder bei einer Nichtbelebung der Wirtschaft diesen Fragenkomplex noch einmal anzugehen. Ich wäre sehr dankbar, Herr Minister, wenn hierzu noch etwas gesagt werden könnte. Denn wir wissen inzwischen alle, daß von einer Verbesserung der Altvorräteentlastung ein entscheidender Impuls für die Wirtschaftsbelebung ausgehen kann oder - anders - sich die Bremswirkung, die von der derzeitigen Koalitionsentscheidung ausgeht, abfangen läßt.
Die Regierung hat sich nun einmal in erheblichem Maße für den Bundeswirtschaftsminister und den Bundesfinanzminister Vollmachten geben lassen. Es ist von diesem Instrumentarium viel die Rede gewesen. Man macht bei jeder Gelegenheit die Öffentlichkeit glauben, daß es ein großartiger Erfolg sei, ein Steuerungsinstrumentarium zu haben. Allmählich stellt sich jedoch bei nüchterner Betrachtung die ganz berechtigte Frage: Was passiert denn nun eigentlich, nachdem man die Instrumente gefeiert hat? Mir kommt das mitunter so vor, als wenn ein Familienoberhaupt, bei dem sich zu Hause die nicht reparierten Dinge aufgestaut haben, beschließt, Heimwerker zu werden, um nun die Dinge in Selbstregie zu machen. Er fängt an - mit vielen Reden überall - sich einen großen Werkzeugschrank anzuschaffen und zeigt ihn allen Leuten und erzählt, was er alles damit machen will. Und dann kauft er sich noch ein paar Instrumente dazu. Und vor lauter Instrumentenkauf kommt er gar nicht dazu, die Rolladen endlich in Gang zu bringen oder den Schalter zu reparieren, den er vermutlich mit dem schon vorher vorhandenen Schraubenschlüssel sehr schnell hätte in Ordnung bringen können. Instrumente zu haben, auch wenn sie noch so schön und komplett sind, bewirkt erst einmal gar nichts. Der einzige Effekt, den die Beschaffung eines Werkzeugkastens hat, list normalerweise allein der, daß die Hausfrau ihren Bestand an Verbandsmitteln verstärkt.
Wir erwarten, Herr Minister, ob mit oder ohne Instrumentenschrank, daß die Regierung das tut, wozu wir sie gern ermuntern möchten, nämlich mit geeigneten Mitteln und nicht mit dem Reden über Instrumente den Dingen beizukommen, und zwar in organischer und sinnvoller Übereinstimmung mit den Gegebenheiten und Bedingungen einer freien Wirtschaft und nicht mit unerwarteten Eingriffen.
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Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weiter erteile, gestatten Sie mir eine Bemerkung.
Wenn ich mir den Stand der Beratungen in dieser zweiten Lesung des Bundeshaushalts 1967 ansehe, muß ich offen gestehen, daß ich die Lage für ziemlich hoffnungslos halte, wenn wir so weitermachen wie bisher.
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Ich bin im allgemeinen kein Spielverderber, was die Redezeiten angeht. Aber ich könnte mir denken, daß man doch zu einer etwas stärkeren Konzentration - ich sage das jetzt nach allen Seiten des Hauses ({1})
der Reden kommen könnte. Wir würden dann erheblich schneller vorwärtskommen, und wir würden uns einige sehr unangenehme Entscheidungen, was die Dauer unserer Sitzungen in dieser und in der nächsten Woche betrifft, ersparen.
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Jetzt hat das Wort Frau Abgeordnete Kurlbaum-Beyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich werde mich bemühen, meine Ausführungen sehr kurz zu machen.
Was die Steuerschätzungen betrifft, verehrte Frau Kollegin Funcke, so haben wir erst vor wenigen Wochen Gelegenheit gehabt, uns im Finanzausschuß ausführlich zu informieren. Ich muß zu Ehren der Verwaltung sagen, daß sie uns im Hinblick auf die Unsicherheitsfaktoren, die natürlich auch jetzt noch in diesen Steuerschätzungen stecken, sehr ausführlich informiert hat. Selbstverständlich hängen diese Steuerschätzungen davon ab, inwieweit es der Re5414
gierung gelingt, die von ihr eingeleiteten Maßnahmen zu einem positiven Ergebnis zu führen.
Was die Tabaksteuer und deren Auswirkungen betrifft, Frau Kollegin Funcke, so möchte ich deutlich sagen, daß es schwierig ist, nachzuweisen, worauf der Verbrauchsrückgang zurückzuführen ist. Ich würde glauben, daß der Rückgang, der sich im gegenwärtigen Zeitpunkt abzeichnet, in erster Linie auf die Beschäftigungslage und damit auf die konjunkturelle Situation zurückzuführen ist. Auch hier kommt es wiederum darauf an, die eingeleiteten Maßnahmen und damit die Sicherung der Arbeitsplätze fortzuführen und eine weitere Rückläufigkeit zu unterbinden. Ich bin sicher, daß sich dann auch wieder der Trend, den wir bisher bei dieser Steuer hatten, abzeichnen wird.
Und nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch eine kurze Bemerkung zur Mineralölsteuer. In dem FDP-Vorschlag vom November vorigen Jahres wurde auch die Kürzung bestimmter Steuerprivilegien, wie wir sie bei der Mineralölsteuer hatten, vorgeschlagen. Es bleibt die Erhöhung der Mineralölsteuer. Hierzu möchte ich auf zwei Punkte hinweisen.
Die Erhöhung der Mineralölsteuer ist u. a. ein erster Schritt im Hinblick auf die Stärkung der Gemeinden. Die hier vorgesehene Maßnahme - das möchte ich vor allen Dingen den Kollegen von der FDP sagen - wirkt sich aber auch im besonderen konjunkturpolitisch aus. Die Rückläufigkeit der Investitionen in den Gemeinden hat letztlich auch ihre Auswirkungen auf die Wirtschaftslage. Sie können z. B. auf den letzten Daten entnehmen, daß die Gemeinden im Jahre 1967 einen Rückgang der Investitionen um 15 % ausweisen, die Länder sogar einen Rückgang um 18 %. Betrachten Sie demgegenüber einmal den Investitionsbedarf der Gemeinden! In der „Welt" von gestern - ich habe sie nicht mit heraufgenommen; ich will mich sehr kurz fassen - sagt Herr Weinberger, der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, daß man bis zum Jahre 1975 ungefähr 200 Milliarden DM an Investitionen in den Gemeinden braucht. Davon sind ungefähr 50 % für Straßenbau und Schulen notwendig. Sie sehen also, daß mit diesen Mitteln zusätzliche Möglichkeiten der Ankurbelung gegeben sind, denn alle wissen auch, daß sich die Gemeinden die notwendigen Mittel nur sehr schwer am Kapitalmarkt beschaffen können.
Erlauben Sie mir auch eine Bemerkung zu den Maßnahmen, die die FDP vorgeschlagen hat. Frau Kollegin Funcke und meine Herren von der FDP, es ist notwendig, darauf hinzuweisen, daß die alte Regierung z. B. vorgesehen hatte - dafür liegt ein Gesetzentwurf vor -, die Kilometergeldpauschale von 50 auf 10 Pf zu kürzen. Wenn Sie jetzt darauf hinweisen, welche Auswirkungen die Erhöhung der Mineralölsteuer um 3 Pfennig hat, so muß man vor allem sagen, daß die Herabsetzung der Kilometer-geldpauschale von 50 auf 10 Pf eine viel stärkere konjunkturpolitische Auswirkung auf den Automobilmarkt zeigt als die Erhöhung der Mineralölsteuer uni 3 Pfennig. Die Mineralölpreise sind im letzten Jahr wiederholt gesunken und haben erst in den letzten Wochen wieder den früheren Stand erreicht.
Aber es geht nicht nur um die Kilometerpauschale, meine Damen und Herren, sondern - und das ist sehr wichtig - die FDP hatte in ihrem Vorschlag vom 10. November u. a. die Streichung der Freibeträge für alle Berufsgruppen einschließlich des Arbeitnehmerfreibetrags vorgesehen. Dadurch wäre eine Mehreinnahme, wie Sie selbst sagen, von 530 Millionen DM erzielt worden. Ich möchte für meine Fraktion noch einmal in aller Deutlichkeit feststellen, daß sich diese Maßnahmen fast ausschließlich zuungunsten der Arbeitnehmerschichten ausgewirkt hätten. - Ganz eindeutig, Herr Mertes! Ich möchte daher hier noch einmal zum Ausdruck bringen, daß wir von der sozialdemokratischen Fraktion über diese Frage nicht mit uns sprechen lassen. Der Arbeitnehmerfreibetrag ist als Äquivalent für die Abschreibungsmöglichkeiten, wie sie bei der Einkommensteuer vorhanden sind, eingeführt worden. Wir dürfen diesen Erfolg, den wir nach langen Jahren des Kampfes hier für die Arbeitnehmer im Parlament durchgesetzt haben, nicht zunichte machen. Die Arbeitnehmerschichten würden dafür kein Verständnis haben. Das würde große Unruhe hervorrufen.
Meine Damen und Herren, die finanzielle Misere, wie wir sie vor uns hatten, war eine Folge der großzügigen Steuergeschenke der alten Regierung. Herr Dr. Dahlgrün, der soeben gesprochen hat, war einer derjenigen, die sich gegen Interessentenwünsche nur wenig durchgesetzt haben. Meine Damen und Herren der FDP, ich bitte Sie, sich nur einmal ins Gedächtnis izurückzurufen, daß von Ihnen nicht nur vor den Wahlen, sondern noch nach den Wahlen im Finanzausschuß ein Antrag vorlag, der eine Befreiung der Überstunden von der Steuer vorsah. Ich habe damals schon im Ausschuß darauf hingewiesen, daß wir eine unterschiedliche Beschäftigungslage in der Industrie haben. Auch damals hatten wir z. B. in der Stahlindustrie, in der Kohlenindustrie und auch in der Textilindustrie eine sehr unterschiedliche Beschäftigung. Überlegen Sie bitte, was es bedeutet hätte, wenn Ihr Antrag auch noch vor den Wahlen durchgesetzt worden wäre. Wir hätten heute für den kleinen Bereich, wo es vielleicht noch Überstunden gibt, eine solche Steuerbefreiung. Ihr Antrag hätte damals einen Ausfall von etwa 500 Millionen DM zur Folge gehabt.
Auch wir wären gerne ohne Steuererhöhungen ausgekommen. Aber man hatte in der alten Regierung keinen Mut oder nicht genug Mut, überholte Privilegien rechtzeitig abzubauen. Man hatte nicht genug Mut zu der Bereitschaft, Interessentenwünsche abzulehnen.
Wenn ich die Ausführungen von Herrn Dr. Emde vom Januar 1967 betrachte, wird deutlich, daß auch bei Ihnen ein Umdenken erkennbar ist. Ich möchte hier nur am Schluß folgendes sagen. Die sozialdemokratische Fraktion ist jedenfalls stolz darauf, verhindert zu haben, daß sich die Sanierung des Bundeshaushalts im wesentlichen darauf beschränkt, Einschränkungen vorzunehmen, die zu Lasten der
Arbeitnehmer gegangen wären. Ich betrachte das als einen Erfolg der Großen Koalition.
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Das Wort hat der Abgeordnete Mertes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Beyer, wir haben im Herbst des vergangenen Jahres Kürzungsvorschläge in einer Gesamtgrößenordnung von 1,8 Milliarden DM vorgelegt. Ziel dieser Vorschläge war es, die von der CDU/CSU gewünschte Steuererhöhung zu verhindern. Leider haben Sie sich später bereit erklärt, zumindest einen Teil dieser vorgesehenen Steuererhöhungen mitzumachen. Wenn Sie nun aus unserem Kürzungskatalog heute eine Position herausgreifen und damit beweisen wollen, daß dieser Katalog an sich arbeitnehmerfeindlich gewesen sei, so entspricht das einfach nicht den Tatsachen. Die Sache liegt ja nun wirklich anders. Und wenn Sie sagen, daß es damals an Mut gefehlt habe, die notwendigen Kürzungen vorzunehmen, dann kann ich Ihnen in dieser neuen Koalition nur den Mut wünschen, der notwendig ist, um das durchzuführen, was in den vergangenen Monaten und in dieser Debatte an Theorien angeklungen ist.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Mertes, können Sie bestätigen, daß bei den Koalitionsverhandlungen die Vertreter der SPD sich gegen Steuererhöhungen, dafür aber mit großer Sympathie für unsere Kürzungsvorschläge ausgesprochen haben?
Selbstverständlich, Herr Kollege Genscher. Wir sind beide dabei gewesen, als diese Koalitionsgespräche geführt wurden, und wir waren uns mit der SPD-Fraktion nicht nur in der Frage einig, daß es zum damaligen Zeitpunkt ebenso wie heute konjunkturell unzweckmäßig gewesen sei, Steuern zu erhöhen, sondern waren uns auch in vielen Punkten der Kürzungsmaßnahmen einig geworden.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte, Frau Kurlbaum!
Herr Kollege Mertens, trifft es zu, daß Sie z. B. allein bei dem Freibetrag der Berufsgruppen 530 Millionen DM streichen wollten? Trifft es zu, daß Sie die Kilometergeld-Pauschale auf 10 Pf herabsetzen wollten, nach Ihrem Gesetzesantrag um 500 Millionen DM?
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Trifft es zu, daß Sie auch die Knappschaftsrenten,
vor allen Dingen auch die Kriegsopferrenten usw.
mit kürzen wollten? Treffen diese Angaben, die Sie
in Ihrem eigenen FDP-Dienst gemacht haben, zu?
Ich glaube nicht, Frau Kollegin, daß in diesem FDK-Dienst, den Sie da vorliegen haben und den ich im Augenblick nicht habe, auch nur ein Wort davon gesagt ist, daß die Freie Demokratische Partei jemals bereit gewesen ist, z. B. die Kilometergeld-Pauschale auf 10 Pf zu senken. Im Gegenteil! Nachdem dieser Plan der damaligen Bundesregierung bekanntgeworden war, haben wir, zum Teil mit Ihnen zusammen, von vornherein erklärt, daß wir uns zu einer so krassen Maßnahme nicht bereit finden können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja: Herr Kollege Hermsdorf; ich komme gleich noch zu Ihnen persönlich.
Ich will die Diskussion darüber nicht fortsetzen; ich habe mich dazu schon geäußert. Ich hätte aber gern eine Frage gestellt. Trifft es zu, daß es der Vorsitzende der FDP, Herr Mende, war, der außerordentlichen Wert darauf legte, daß die Ergebnisse der Koalitionsbesprechungen - gleichgültig, wie sie ausgehen sollten - nicht nachträglich in diesem Hause debattiert würden?
({0})
Herr Kollege Hermsdorf, wenn ich mich richtig erinnere, war das ein Wunsch, der von allen Seiten der Verhandlungspartner geäußert wurde. Meines Wissens sind die ersten Einzelheiten aus diesen Koalitionsverhandlungen nicht von unserer Seite in die Öffentlichkeit getragen worden. Erinnern Sie sich z. B. an das, was Sie uns zum Wahlgesetz gesagt haben!
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Wenn wir diese Fragen alle ausloteten, würden sich, glaube ich, alle Seiten bald wieder auf diese Grundsätze besinnen können.
Aber ich möchte wieder zum Thema kommen. Es war nicht meine Schuld, daß ich hier auf Angriffe, die von einer bestimmten Seite kamen, mit einer Klarstellung antworten mußte.
Gestatten Sie eine Frage?
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- Bitte, Herr Dr. Mende!
Herr Kollege Mertes, sind nicht auch Sie der Meinung, daß es dieser bei allen Koalitionsverhandlungen üblichen Art, einer gewissen Vertraulichkeit der Verhandlungen auch nach der Regierungsbildung, widersprochen hat, daß die Sozialdemokratische Partei zur Beruhigung ihrer
Mitglieder eine Broschüre von 150 Seiten unter dem
Titel „Bestandsaufnahme 1966" veröffentlicht hat?
({0})
Herr Kollege Dr. Mende, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß es sich hierbei um eine Selbstverständlichkeit handelt. Aber vielleicht braucht Herr Kollege Hermsdorf für sich diese Selbstbestätigung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Willen des Herrn Bundeskanzlers, zumindest nach seiner Regierungserklärung, deren substantieller Inhalt ja relativ leicht zu behalten ist, sollte ein besonders positives Merkmal dieser Koalition die Abstimmung zwischen Koalitionsfraktionen und Regierung sein. Die Verkündung einiger Kabinettsbeschlüsse und die Eigenlobäußerungen vor allem vom Januar dieses Jahres ließen zunächst vermuten, daß es einem Teil dieser neuen Koalition gelingen werde, über den eigenen Schatten zu springen. Nun, die Debatte heute vormittag hat leider, muß ich sagen, bewiesen, daß die Praxis anders aussieht. Herr Kollege Hermsdorf hat heute vormittag auf eine entsprechende Kritik von uns aus in aller Nüchternheit gesagt, die Koalitionsfraktionen betrachten sich selbstverständlich nicht als Zustimmungsmaschine. Für uns war das schon lange eine Selbstverständlichkeit. Wir nehmen an, Herr Kollege Hermsdorf, daß dies keine aus dem Augenblick geborene Feststellung war, sondern daß die Koalitionsfraktionen oder zumindest die SPD-Fraktion dies dem Kabinett deutlich zu verstehen geben wollte.
Wir finden es daher um so erstaunlicher, daß der Bundesfinanzminister ohne rechtliche Grundlage zu Maßnahmen gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung gegriffen hat, offensichtlich im blinden Vertrauen darauf, daß das Parlament in seiner Mehrheit dazu ja und amen sagen würde. Angesichts der Feststellung des Kollegen Hermsdorf erscheint uns dieses Verhalten des Herrn Bundesfinanzministers in einem besonders bedenklichen Licht.
Um was ging es im einzelnen? Lassen Sie mich das in aller Kürze feststellen. Ohne rechtliche Grundlage hat der Herr Bundesfinanzminister in einem Erlaß bestimmt, daß den Rentenversicherungsträgern für die Monate Juni und Juli 1967 nur 50 % der Barerstattungen des Bundes zufließen sollen. Dieser Erlaß, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurde, wie schon gesagt, in der Erwartung erteilt, daß der Bundestag nachträglich in seiner Mehrheit dem Vorhaben zustimmen werde, den allgemeinen Bundeszuschuß zur Rentenversicherung erstmals im Jahre 1967 um 200 Millionen DM zu kürzen und 1250 Millionen Schuldtitel zu verordnen. Damit würde der Finanzminister der Verpflichtung enthoben, die ausgesetzen Barleistungen nachträglich noch zu leisten.
Die Freien Demokraten verwahren sich mit Entschiedenheit gegen solche Methoden, und zwar aus grundsätzlichen Überlegungen ebenso wie aus sachlichen Erwägungen in diesem betreffenden Einzelfall. Diese Koalition hat nicht den Mut, den Rentnern und den Beitragszahlern die Wahrheit über die voraussichtliche Entwicklung in den gesetzlichen Rentenversicherungen zu sagen. Sie hat sich bisher auch nicht zu dem erforderlichen Handeln entschließen können. Auch das steht im Gegensatz zu den Erklärungen, die der Herr Bundeskanzler abgegeben hat. Mit einem solchen Verfahren wird nicht nur in unzulässiger Weise gegenüber den Rentenversicherungsträgern gehandelt; es wird gleichzeitig auch in unzulässiger Weise ein Druck auf das Parlament und insbesondere auf die Koalitionsfraktionen ausgeübt. Deswegen möchte ich Sie, Herr Hermsdorf, darüber hinaus aber die gesamte Fraktion der SPD fragen, ob sie bereit sind, solche Praktiken zu decken, oder ob sie wie wir ein solches Verfahren für ungesetzlich und nicht zulässig halten.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Änderungsanträge liegen nicht vor. Wir stimmen also über den Einzelplan 08 nach dem Vorschlag des Haushaltsausschusses ab. Wer dem Antrag des Haushaltsausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Gegen die Stimmen der FDP ist dieser Einzelplan verabschiedet.
Ich rufe nun auf
Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
- Drucksachen V/1759, zu V/1759 -Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
Zu diesem Einzelplan liegen Änderungsanträge vor. Zunächst aber hat das Wort der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte gern darauf verzichtet, als Berichterstatter das Wort zu nehmen, weil ich nachher zur Sache sprechen möchte. Aber ich kann es Ihnen leider nicht ersparen, in einer Sache hier zusätzlich Aufklärung zu geben, die ein wenig problematisch ist. Da nicht jeder die Masse der Unterlagen lesen kann, die im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen hier auf den Tisch kommen, ist es erforderlich, Sie auf diese Sache hinzuweisen, die manchem von uns schon lange keine große Freude mehr, anderen von uns überhaupt keine Freude macht. Es handelt sich um die Subvention zur Sammlung und Aufbereitung von Altöl, die hier schon des öfteren Diskussionsthema gewesen ist.
({0})
Mein Bericht dazu besagt folgendes:
Erstens. Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung enthielt weder einen Ansatz noch einen Titel, um Mittel für die Weiterführung dieser Beihilfen auszubringen.
Zweitens. Der Bundestag nahm ein Gesetz zur Verlängerung der Beihilfen an, das auf Grund von Vorschlägen des Haushaltsausschusses niedrigere Beihilfesätze und eine stärkere Degression vorsah, als sie von den Initiatoren des Gesetzes vorgesehen waren.
Drittens. Der Bundesrat, der sich dann mit dieser Vorlage beschäftigte, rief den Vermittlungsausschuß an. Dieser beschloß, die höheren Sätze wieder einzusetzen. Der Bundestag stimmte mit Mehrheit zu, allerdings gegen die Stimmen sämtlicher Mitglieder des Haushaltsausschusses.
Viertens. Der Bundesfinanzminister machte eine Vorlage für einen neuen Tit. 960 im Einzelplan des Wirtschaftsministeriums, Kap. 02, mit einem Ansatz von 30,9 Millionen DM, also nicht mehr mit 26 Millionen DM, die vorher immer in der Diskussion gestanden hatten. Der Haushaltsausschuß nahm dieses Änderungsblatt bei seinen Beratungen nicht an. Da eine solche Veränderung nicht im Regierungsentwurf vorgesehen war, hätte im Haushaltsausschuß jemand sein müssen, der von sich aus beantragt hätte, diese Vorlage zu übernehmen. Dazu fand sich im Haushaltsausschuß niemand, weil wir alle zu diesem Thema vorher eine andere Auffassung dargelegt hatten. Das Finanzministerium konnte keine Deckung vorschlagen, außer im Rahmen des Gesamthaushaltes, also durch Erhöhung des Volumens. Der Haushaltsausschuß meinte, diese Konsequenz müßten nun diejenigen ziehen, die für die höheren Beihilfesätze eingetreten sind.
Das Fünfte, was ich anzumerken habe: die Fraktionen haben jetzt auf Umdruck 258 einen Antrag eingebracht, nach dem ein neuer Tit. 960 im Einzelplan 09 Kap. 09 02 mit einem Ansatz von 25,9 Millionen DM - auf Grund neuer Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums - vorgesehen werden soll. Die Deckung wird bei Tit. 300 im Einzelplan 60 Kap. 60 02 durch Erhöhung des Ansatzes der Minderausgaben gesucht.
Ich bin nicht hier, um diesen Antrag zu begründen. Ich möchte Ihnen aber als Berichterstatter aus dem Haushaltsausschuß folgendes sagen: Erstens. Der Weg, wie hier die Deckung gesucht wird, ist außerordentlich problematisch.
({1})
Eine Zustimmung der Haushaltsausschußmitglieder dazu gibt es nicht. Wir haben auch keine Gelegenheit zur Beratung darüber gehabt.
({2})
Zweitens. Wir im Haushaltsausschuß empfinden es als ein seltsames Verfahren, wenn die Bundesländer sich einerseits vom Bundesverfassungsgericht gegen den Bund die Zuständigkeit für den Gewässerschutz erstreiten, um den es hier beim Altöl und dieser Subvention geht, wenn aber dieselben Länder andererseits durch ihr Vorgehen im Vermittlungsausschuß dem Bund erhöhte finanzielle Lasten auf diesem Gebiet zumuten.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Gewandt. - Darf ich fragen, ob der Herr Bundeswirtschaftsminister herbeigeholt wird.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Behandlung des Einzelplans 09 zum Anlaß nehmen, um einige grundsätzliche Bemerkungen zu diesem Einzelplan zu machen. Ich bedauere, daß diese Auseinandersetzung stattfinden muß, ohne daß der Herr Minister dabei ist. Es liegt wohl daran, daß wir heute mit unseren Debatten etwas in Verzug geraten sind.
({0}) - Darauf komme ich noch.
Der Einzeplan 09, so, wie er heute strukturiert worden ist, ist ein konventioneller Haushalt. Wenn man sich die Frage stellt, ob der Haushalt in dieser Form nach den Anforderungen der zweiten Phase der sozialen Marktwirtschaft, in die wir jetzt eintreten, genügt, dann, glaube ich, muß man auf die Zukunft bezogen sagen, daß man diese Frage nicht uneingeschränkt bejahen kann. Die Bundesregierung hat durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität in der Wirtschaft ein sehr perfektes Instrumentarium für die Konjunkturpolitik bekommen. Der Bundeswirtschaftsminister ist dazu zu beglückwünschen, daß er dieses Gesetz über die parlamentarischen Hürden gebracht hat. Auch der für die weitere Entwicklung der Konjunktur wichtige Investitionshaushalt ist in der Tat eine gute Leistung von Finanz- und Wirtschaftsminister. Aber ich glaube, im Etat des Einzelplans 09 fehlen die nötigen Voraussetzungen für eine Strukturpolitik. Ich bin mir darüber im klaren, daß im Augenblick bei der unterkühlten Konjunktur die vordringliche Aufgabe die Belebung der Konjunktur ist. Nach den Ifo-Informationen ist der Kapazitätsausnutzungsgrad weiterhin unbefriedigend. Bedauerlicherweise trifft dies vor allen Dingen für den Investitionsgüterbereich zu. Auch die übliche Belebung, die im allgemeinen im Frühjahr einsetzt, war nicht ganz zufriedenstellend.
Stärker als in der Verbrauchsgüterindustrie machte sich die abgeschwächte Nachfrage im Bereich der Investitionsgüter bemerkbar. Das ist um so bedauerlicher, als dieser Bereich für den Aufschwung in der Zukunft von entscheidender Bedeutung ist. Allerdings - und das möchte ich hier unterstreichen - ist für den Aufschwung von entscheidender Bedeutung, daß wir nicht verkennen, daß die konjunkturelle Abschwächung von strukturellen Problemen in vielen Sektoren überlagert wird. Wir stehen also nicht nur vor dem Problem der konjunkturellen Belebung. Ein wesentliches Ziel muß die Herstellung eines strukturellen Gleichgewichts sein. Diese Aufgabe - das möchte ich betonen - ist ebenso wichtig wie die Konjunkturpolitik. Für die Zukunft unserer wirtschaftlichen Entwicklung ist sie entscheidend. Nur durch Lösung der Strukturprobleme werden wir ein inflationsfreies Wachstum erreichen.
Die im Zusammenhang mit der Kennedy-Runde einsetzende weitere Belebung der Weltwirtschaft,
die weitere Liberalisierung der Wirtschaft und das Hineinwachsen in den Gemeinsamen Markt werden die strukturellen Probleme in der Zukunft deutlicher in den Vordergrund treten lassen. Die Arbeitsteilung in der Welt schreitet weiter fort. Die gegenwärtig natürlicherweise auf Wachstum orientierte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung wird aber durch viele Strukturschwächen behindert. Neben der kurzfristigen Konjunkturpolitik ist daher eine langfristige Strukturpolitik unerläßlich. Man kann nicht darauf vertrauen, daß alleine der Wettbewerb und eine erneut aufblühende Konjunktur die Konjunkturprobleme lösen. Es muß daher an den Herrn Bundeswirtschaftsminister die Frage gerichtet werden, in welcher Weise er die strukturellen Probleme zu lösen gedenkt, und die Frage ist hier zu stellen, in welcher Weise der Herr Bundeswirtschaftsminister von den Richtlinien zur regionalen und sektoralen Strukturpolitik seines Hauses Gebrauch zu machen gedenkt.
Ich glaube, daß im Bereich der regionalen Strukturpolitik mit einer gewissen Befriedigung auf diverse Titel im Bundeshaushalt verwiesen werden kann. Allerdings stehen für die übrige Strukturpolitik wenige Möglichkeiten zur Verfügung. Es gibt ein sehr gutes Beispiel, wie man mit sehr geringem Aufwand Strukturprobleme lösen kann, ohne daß es zu wirtschaftlichen Zusammenbrüchen oder gar zu einer politischen Radikalisierung kommt, und das ist die Gewerbeförderung, die im Einzelplan 09 verankert ist. Ich glaube, dies ist ein gutes Beispiel für eine Konjunkturpolitik.
Wenn durch ein stärkeres konjunkturpolitisch begründetes deficit spending die Wirtschaft erneut in Gang gebracht wird, besteht meines Erachtens die Gefahr, daß durch erneute Preis- und Lohnsteigerungen die Situation der strukturschwachen Betriebe noch prekärer wird. Die strukturell schwachen Bereiche liegen nicht nur bei Kohle und Stahl, sondern auch bei einer Reihe anderer Bereiche unserer Wirtschaft. Ich möchte nur einige Beispiele nennen: Teile der Textilindustrie, Teile der Elektroindustrie, Teile der Schwerchemie, seit kurzer Zeit auch Teile der Industrie für langlebige Konsumgüter, landwirtschaftliche Maschinen, Lokomotiv- und Waggonbau. Das Ziel einer sinnvollen Strukturpolitik kann nicht durch unkontrolliertes Schrumpfen erreicht werden, Es bedarf einer konstruktiven Absicherung, um die nötigen Anpassungsprozesse nicht mit übertriebenen Verlusten erkaufen zu müssen.
Die strukturellen Probleme müssen unverzüglich angepackt werden. Wir sind nicht reich genug, um uns den Luxus leisten zu können, weiterhin überholte Strukturen künstlich zu konservieren. Eine solche fortschritthemmende Politik würde uns, wie bereits erwähnt, auch bei der Lösung der konjunkturellen Probleme erhebliche Schwierigkeiten verursachen. Die Umstrukturierung in den strukturschwachen Wirtschaftsbereichen erfordert nicht nur Zeit, sondern auch Mittel. Das heißt, die zum Anpassungsprozeß gezwungenen Betriebe müssen mit zusätzlichen Belastungen rechnen, obwohl sich ihre Ertragslage verschlechtert. Es muß also überlegt werden, in welcher Weise der Staat in Form von Garantien, Krediten oder bestimmten Anreizen eine geregelte Strukturumbildung ermöglichen kann. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf Professor Müller-Armack verweisen. Er sagt, daß im Gegensatz zu den ordnungspolitisch bedenklichen Subventionen von dem Instrument degressiver Anpassungssubventionen für neu umstrukturierende Investitionen und Mobilitätsprämien bei der Umsetzung von Betrieben und Arbeitskräften Gebrauch gemacht werden sollte.
Auch nach außen hin muß diese Politik abgesichert werden durch die Beseitigung zwischenstaatlicher Wettbewerbsverzerrungen, Dabei sollte man aber davon ausgehen, daß das nicht in jedem Fall möglich ist und gewisse Benachteiligungen durch korrespondierende nationale Maßnahmen wettzumachen sind. Auch die deutsche Exportpolitik muß stärker in die Betrachtung der Strukturpolitik einbezogen werden. Es ist bekannt, daß auf Grund der konjunkturellen Schwäche im Inland viele Unternehmen stärker in den Export ausgewichen sind, obwohl nur eine teilweise Deckung der Fixkosten möglich war. Wir müssen uns also überlegen, ob wir nicht die Kreditlaufzeiten denen im Ausland anpassen müssen. Und wir müssen uns überlegen, in welcher Weise wir Investitionen im Ausland weiter begünstigen können. Die Absicherung der politischen Risiken muß verbessert und das Garantiesystem muß wesentlich flexibler werden.
Aber eines sollte man in diesem Zusammenhang auch einmal erwähnen. Es ist nicht möglich, daß wir diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu Ländern des Ostblocks aufnehmen und uns nicht gleichzeitig in unserer Außenhandelspolitik gegenüber diesen Ländern großzügig erweisen. Sind wir einmal konjunkturpolitisch wieder in einer günstigeren Situation, dann besteht die Gefahr, daß mancher glaubt, wir befänden uns bereits wieder über dem Berg, und es könnte alles beim alten belassen werden. Das wäre bedenklich. Wenn wir nicht neue Prioritäten im Haushalt setzen, werden wir den gestellten Aufgaben nicht gerecht.
In diesem Zusammenhang muß man auf die mittelfristige Finanzplanung eingehen, die, wie der Herr Bundesfinanzminister ausgeführt hat, nicht wie in der Vergangenheit nur durch Haushaltssicherungsgesetze kurzfristig Lücken abdecken soll, sondern die zu einer Neuorientierung der Ausgabenpolitik führt. Man darf hierbei als Schwerpunkt die Strukturpolitik nicht außer acht lassen, wenn man auch die Wirtschaft in Zukunft leistungsfähig erhalten will. Wir müssen die Strukturpolitik deshalb in den Vordergrund stellen, weil uns papierne Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts heute nicht genügen können. Das wäre verschwendete Arbeitsleistung. Wir sollten nicht wieder eine Überkonjunktur anstreben, um uns eines Paradieses auf Zeit zu erfreuen. Die Folge wäre, daß sich wieder Leistungsprinzip und Wettbewerb verflüchtigten. Wir sollten daher unser Augenmerk stärker als in der Vergangenheit auch auf die Qualität des Bruttosozialprodukts richten.
Ebenso wichtig wie eine Belebung der Kulturpolitik sind allerdings auch Anstrengungen, die
darauf abzielen, unserer Wirtschaft ein Schritthalten mit der technologischen Entwicklung zu ermöglichen. Die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer hat analog zu der National Aeronautical and Space Administration die Einrichtung eines deutschen Instituts für technische Informationen vorgeschlagen. Ich möchte die Bundesregierung ersuchen, diese Vorschläge zu prüfen und dazu dem Parlament in geeigneter Form eine Unterrichtung zu- teil werden zu lassen. Denn ich glaube, wir müssen alles vermeiden, was dazu führen könnte, daß wir in der technologischen Entwicklung ins Hintertreffen geraten.
({1})
Im Zusammenhang mit der Strukturpolitik möchte ich nun noch einiges zu der Energiepolitik sagen. Es ist jetzt hier nicht der Zeitpunkt, auf die kohlepolitischen Vorstellungen einzugehen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister hat. Dazu wird Gelegenheit sein, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister seinen Gesetzentwurf hier vorlegt und begründet. Ich persönlich allerdings habe den Eindruck, daß dieser Entwurf ein Optimum darstellt, wenn wir unsere finanzielle Leistungsfähigkeit in Betracht ziehen. Das oberste Ziel der Energiepolitik muß auch in der Zukunft die billige Energie bleiben. Wir dürfen ferner nicht den Anschluß an die Entwicklung moderner Energieträger verlieren. Daher gehört zu einer weitsichtigen Energiepolitik in stärkerem Maße als bisher die Einbeziehung der übrigen Energieträger.
Ich möchte mich der in letzter Zeit wiederholt geäußerten Auffassung anschließen, daß man sich auch in der Bundesrepublik stärker die italienische und japanische Erdölpolitik zum Vorbild nehmen sollte. In der Vergangenheit haben wir aus fiskalischen Gründen leider versäumt, uns eine ausreichende nationale Erdölbasis zu schaffen. Ich beklage, daß aus fiskalischen Gründen die Bohrdarlehen ständig gekürzt worden sind. Noch gibt es eine Chance, in einem beschränkten Umfang eine nationale Erdölindustrie - gekoppelt mit einer aktiven Industriepolitik - zu betreiben. Ich müßte es außerordentlich bedauern, wenn diese Möglichkeit nicht genutzt würde. Ich beklage es sehr, daß wir gerade vor einigen Stunden, noch bevor sich die Bundesregierung entschieden hat, vom Pressedienst einer Partei Angriffe zur Kenntnis nehmen mußten, die nicht geeignet sind, zu einer sachlichen Lösung dieses Problems beizutragen.
({2})
Ich glaube, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Ihr Etat in der Vergangenheit den Anforderungen genügt hat. Aber für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik muß eine Umstrukturierung des Haushalts angestrebt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Gewandt, ist Ihnen bekannt, daß es sich nicht nur um die Stellungnahme des Pressedienstes einer Partei handelt, sondern um eine scharf pointierte Stellungnahme des Vorsitzenden der Fraktion Ihres Koalitionspartners gegen die von ihm mitgetragene Bundesregierung?
Nein, das ist mir nicht bekannt.
Abschließend möchte ich mir erlauben, Herr Bundeswirtschaftsminister, einige Bemerkungen zur allgemeinen wirtschaftspolitischen Linie zu machen. Ich glaube, in der gegenwärtigen Phase brauchen wir das Vertrauen der Wirtschaft. Wir müssen alles tun, um dieses Vertrauen der Wirtschaft zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Nun gibt es seit einiger Zeit in der wirtschaftspolitischen Diskussion eine Fülle von Novitäten. Ich habe im Prinzip nichts dagegen; ich glaube aber, es würde sehr zur Beruhigung beitragen, wenn eine Reihe der neuen Begriffe vom Bundeswirtschaftsminister präziser interpretiert werden könnte.
({0})
Ich habe beispielsweise bei Diskussionen mit Unternehmern festgestellt, daß das Problem der „sozialen Symmetrie" sehr unterschiedlich betrachtet wird und daß man unter dieser Bezeichnung mancherlei versteht.
Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte noch auf eine Gefahr hinweisen. Im Augenblick tritt die öffentliche Hand wieder sehr stark auf dem Kapitalmarkt in Erscheinung, und ich befürchte, daß, wenn wir wieder in eine Phase der Belebung eintreten und die Wirtschaft wieder mehr Mut zu Investitionen hat, dieser Kapitalmarkt möglicherweise erneut eine Enge aufweist.
Bei allen Gesprächen um die konzertierte Aktion muß daß unbefriedigende Erlös- und Kostenverhältnis in der deutschen Wirtschaft in den Mittelpunkt der Beratungen gestellt werden.
Herr Bundeswirtschaftsminister, eines möchte ich hier abschließend erwähnen. Man sollte mit Zielvorstellungen, die über viele Jahre hinausgehen, etwas bescheidener sein; denn dann vermeidet man falsche Prognosen. Man sollte hier etwas zurückhaltender sein; denn in der Tat haben die beiden letzten Gutachten der Weisen gezeigt, wie widerspruchsvoll Prognosen sein können.
Die Bundesregierung hat für die Konjunkturpolitik ein gutes und umfassendes Instrumentarium zur Verfügung. Ich glaube aber, in der Zukunft muß dafür Sorge getragen werden, daß die Bundesregierung auch in der Lage ist, die Strukturpolitik so zu aktivieren, wie es für ein Wirtschaftswachstum erforderlich ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Menne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Traditionell ist die
Beratung über den Haushalt in Wirklichkeit eine Diskussion über die Maßnahmen der Regierung. Ich habe daran gedacht, daß auch im vorigen Jahr die Energiepolitik und die Stabilität im Mittelpunkt der Debatte standen, und Professor Schiller hat manchesmal heftige Attacken gegen die Wirtschaftspolitik der alten Regierung geritten.
Ich habe mir deshalb einmal die Mühe gemacht, nachzuprüfen, was Sie, Herr Professor Schiller, im vorigen Jahr hauptsächlich kritisierten. Sie forderten eine neue Konzeption für den innerdeutschen Handel. Sie kritisierten die Preissteigerungen und sagten, man müsse mehr gegen die Inflation tun. Sie verlangten ein exaktes Konzept für die Wirtschafts- und Finanzpolitik, und Sie verlangten eine gesamtwirtschaftliche Rahmenplanung, eine mittelfristige Finanzplanung, die nach den Worten des Herrn Bundesfinanzministers ja in Vorbereitung sein soll, und mit dem neuen Haushalt 1967 eine Gesamtrechnung bis 1969/70 mit Schwerpunkten der öffentlichen Aufgaben und quantitativen Angaben.
Wir hatten geglaubt, daß Sie diese Punkte Ihrer eigenen Kritik zuerst beseitigen würden. Aber was ist nun wirklich getan worden? Die Preisstabilität ist zwar besser als zuvor, aber, wie ich sagen möchte, in erster Linie durch die oft kritisierten Maßnahmen der Bundesbank und nicht durch die Wirtschaftspolitik der Regierung.
Wir vermissen ein wirtschafts- und finanzpolitisches Konzept. Ein Konzept über den innerdeutschen Handel haben wir auch nicht gesehen. Es bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Wirtschafts- und Finanzministerien. Ich glaube, es lag am Widerspruch des Finanzministers, daß der zweite Eventualhaushalt noch hinausgeschoben worden ist. Aber die Stellung des Wirtschaftsministers ist durch das Stabilitätsgesetz wesentlich verstärkt worden. Er wird uns hoffenlich bald eine Vorausschau bis 1970 geben.
Ich bin jedoch gar nicht so kritisch, wie es der Herr Wirtschaftsminister früher selbst war. Ich habe aber die Meinung, daß eine Globalplanung in der Marktwirtschaft, die ja von unserem Herrn Wirtschaftsminister vertreten wird, eine sehr zweifelhafte Sache ist. Hier klafft ein großer Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Wir von der FDP halten die soziale Marktwirtschaft nach wie vor für die beste Art der Wirtschaftspolitik und sind grundsätzlich gegen den Dirigismus. Im vergangenen Monat haben wir das Stabilitätsgesetz verabschiedet. Wir haben damit dem Wirtschaftsminister ein völlig neues konjunkturpolitisches Instrumentarium in die Hand gegeben. Einige der Instrumente des Gesetzes sind aber nach wie vor sehr umstritten. Das sogenannte „magische Viereck" erfordert immer wieder klare Entscheidungen. Ich bestreite, daß sich die vier Ziele dieses Vierecks, nämlich außenwirtschaftliches Gleichgewicht, Währungsstabilität, Wachstum und Vollbeschäftigung, zu gleicher Zeit erreichen lassen.
Besondere Bedenken haben wir gegen das sogenannte deficit spending, und diese Bedenken werden von einem großen Teil der Wirtschaft geteilt. Deficit spending kann eigentlich nur ein Mittel für den äußersten Notfall sein. Es darf in keinem Fall ein mehrere Jahre lang andauerndes Konjunkturinstrument werden. Sonst wird der Kapitalmarkt in zu hohem Maße beansprucht. Wir müssen ja auch die Defizite wieder abdecken. Deshalb glaube ich, daß wir den Bundeshaushalt nicht mit großen Defiziten belasten können, ohne die Geldwertstabilität zu gefährden. Ich bin auch nicht der Meinung des Herrn Bundesfinanzministers, daß die Deckung bei aufsteigender Konjunktur leicht und vielleicht sogar nützlich sein wird, wenn man die Steuern zur Abbremsung eines Booms erhöht. Vor allem frage ich mich, ob es eigentlich unmöglich ist, das zu tun, was die Privatwirtschaft in solchen Fällen tut, wenn sie nämlich in rote Zahlen kommt. Sie nimmt dann Einsparungen vor. Nach meiner Meinung gibt es Behörden, die überflüssig sind oder die zuviel Personal haben.
({0})
Wenn man diese Sache einmal untersucht, kann man
sicher manches sparen, und diese eingesparten Ausgaben sollte man dann zur Belebung der Wirtschaft
einsetzen. Wir fordern deshalb die sofortige Einsetzung eines Sparkommissars mit Sondervollmachten.
({1})
Die Große Koalition könnte durch eine solche Maßnahme beweisen, daß sie es mit der Stabilität ernst meint. Dann erübrigt sich auch das gefährliche deficit spending über lange Perioden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Gewandt? - Bitte!
Herr Kollege Menne, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Bundesregierung bereits über einen Beauftragten für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung verfügt?
Ein Beauftragter für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung ist etwas ganz anderes als ein Sparkommissar mit Sondervollmachten. Einen Sparkommissar mit Sondervollmachten haben wir in privaten Betrieben in gewissen Zeiten dadurch, daß der Eigentümer, der Vorstand oder wer es auch sein mag, sich dahinterhängt, und ich bin fest überzeugt, daß wir hier manches in Ordnung bringen können.
({0})
- Ich kann Sie nicht recht verstehen; Sie müssen schon über den Lautsprecher reden.
Ich will dem Herrn Wirtschaftsminister gern zugestehen, daß die kurze Zeit, die ihm bisher zur Verfügung stand, nicht ausgereicht hat, um alles das zutun, was er sich vorgenommen hat. Selbst Gegner seiner Wirtschaftspolitik werden anerkennen, daß er eine unermüdliche Aktivität entfaltet und auch unbequeme Dinge in Angriff nimmt. Trotzdem oder
gerade deswegen möchte ich sagen, daß für uns in diesem Lande zu dieser Zeit die Wirtschaftspolitik vielleicht wichtiger ist als die Außenpolitik. Was sind wir denn? Wir sind ein gespaltenes Land; wir sind außenpolitisch auf andere Leute angewiesen. Aber wirtschaftlich haben wir uns zu einer Größe entwickelt, die etwas bedeutet. Deswegen ist es bei uns so außerordentlich wichtig, die Wirtschaftspolitik richtig zu betreiben.
Ich begrüße es, daß sich der Herr Wirtschaftsminister mit Vertretern der Gewerkschaften und der Arbeitgeber zu Gesprächen trifft. Als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses möchte ich den Herrn Minister jedoch bitten, auch öfter an den Sitzungen dieses Ausschusses teilzunehmen. Bei der Bedeutung der Wirtschaftspolitik ist nämlich nicht nur eine konzertierte Aktion mit den Verbänden und Gewerkschaften wichtig, sondern auch eine konzertierte Aktion zwischen den drei Parteien, die hier im Bundestag sitzen. Und der richtige Ort für diese Zusammenarbeit ist in den Ausschüssen.
Wir von der FDP sind bereit, in den Fragen der Wirtschaftspolitik konstruktiv mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Allerdings halten wir nicht allzuviel von der sogenannten Globalsteuerung; denn die Daten für die Globalsteuerung - wenn man etwas steuern will, muß man auch wissen, wohin man fahren will und von welchen Gegebenheiten das Fahrzeug beeinflußt wird - sind viel zu schwierig zu beschaffen. Ich bin also kein Anhänger der Globalsteuerung, sondern ich glaube, daß die normale soziale Marktwirtschaft am besten arbeitet.
Als Praktiker wundere ich mich auch nicht darüber, daß der Wiederanlauf der Wirtschaft langsamer vonstatten geht, als es sich unser Herr Wirtschaftsminister vorgestellt hat; denn die Wirtschaft richtet sich nach den Marktdaten und nach dem Betriebsergebnis. Jedes Unternehmen, ob Sie einen kleinen Einzelhandelskaufmann oder eine große Aktiengesellschaft nehmen, muß Gewinne erzielen, und zwar im Interesse der Eigentümer und im Interesse der Belegschaften. Wer längere Zeit rote Zahlen hat, ist gefährdet. Infolgedessen reagieren die Unternehmer auf Kreditspritzen recht langsam. Ich glaube aber, daß sich das in einiger Zeit wohl bessern wird, und die Investitionsprämie im Stabilitätsgesetz ist sicher ein guter Ansatz für diesen Zweck.
Aber im wesentlichen handelt es sich darum, das Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen. Die Masse des Volkes besteht nicht aus geschulten Wirtschaftspolitikern und Nationalökonomen. Sie betrachtet die Maßnahmen der Regierung mit dem gesunden Menschenverstand. Deshalb kann man das große Defizit des Bundes nicht beliebig weiter vergrößern, sonst wird das Vertrauen der Wirtschaft und der Verbraucher gefährdet.
Die Automobilindustrie möchte ich als Beispiel nehmen. Sie war in den vergangenen Jahren das Musterbeispiel einer Industrie mit großen Wachstumsraten. Jetzt ist sie ein Sorgenkind geworden. Wo liegen die Ursachen? Meine Damen und Herren, sicherlich auch in den vorhin schon diskutierten Verringerung der Kilometerpauschale und sicherlich auch in der Verteuerung des Benzins durch ,die Erhöhung der Mineralölsteuer. Ich bin der Meinung, daß diese beiden Dinge nicht richtig eingeschätzt worden sind; wenn Sie wollen, sage ich: von uns nicht richtig eingeschätzt worden sind. Für den kleinen Mann ist diese Pauschale von großer Wichtigkeit, wenn er sein Auto fährt. Er sagt sich natürlich: Bekomme ich weniger rückvergütet, werde ich den Kauf eines Autos einige Zeit hinausschieben. Das hat mir mancher gesagt, und ich bin überzeugt, daß hier .der Hauptgrund für die mangelnde Beschäftigung in der Atuoindustrie zu suchen ist. Ich möchte dem Hohen Hause vorschlagen, sich doch zu überlegen, die Kilometerpauschale wieder auf die alte Höhe zu bringen, ganz egal, wer früher an der Kürzung schuld gewesen ist; das scheint mir nicht die Frage zu sein. Ich glaube, daß man mit einer solchen Maßnahme mehr erzielen würde als mit Eventualhaushalten.
Nun möchte ich noch einiges über die Energiepolitik sagen. Selbstverständlich muß das Ziel der Bundesregierung, die Förderungskapazität des Steinkohlenbergbaus an die gesunkene Nachfrage anzupassen, in jeder Hinsicht unterstützt. Man kann den Kohlebergbau und besonders die Belegschaften nicht einfach der Situation überlassen. Wir müssen ander Arbeitsplätze schaffen, wenn Zechen geschlossen werden. Jedenfalls bin ich der Meinung, daß wir alles prüfen müssen. Aber wir müssen auch darauf achten, daß durch diese Maßnahmen der technische Fortschritt nicht behindert wird. Der Energiepreis darf nicht so hochgeschraubt werden, daß die übrigen Industrien in Schwierigkeiten geraten. Wir werden in den nächsten Wochen sicherlich einen Vorschlag bekommen, die Stahlindustrie durch Subventionierung der Kokspreise zu unterstützen. Dieses Schicksal könnte aber auch bei anderen Industrien eintreten, wenn der Engergiepreis im Verhältnis zum Ausland zu hoch bleibt.
Ich möchte hier einmal folgendes sagen: auch einem massivem politischen Druck von seiten Nordrhein-Westfalens und der dortigen Parteien sollten wir hier nicht nachgeben.
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Ich habe Befürchtungen, daß durch die „flankierenden Maßnahmen", von denen gesprochen worden ist, wieder Dinge entstehen könnten, die in die gegenteilige Richtung laufen. Wir haben zur Sicherung des Kohleabsatzes bereits das äußerste getan und lehnen die Forderung nach einer noch stärkeren Beschränkung für das Heizöl, nach Einfuhrkontingenten und nach einem Raffinerie- und Pipeline-Gesetz ab.
Wir bezweifeln, daß bereits alles getan worden ist, um den Bergbau rentabel zu gestalten. Ich möchte auf die vorgestern veröffentliche Stellungnahme einer Bergwerksgesellschaft mit neuen Vorstellungen über die Konzentration der Steinkohlenförderung auf die besten Zechen aufmerksam machen, die großes Aufsehen erregt hat. Diese Gesellschaft hat behauptet - ich bin kein Bergmann; ich sage nur, was die Gesellschaft behauptet hat -, daß man ohne Subventionen konkurrenzfähig sein könnte, sogar gegenüber der USA-Kohle, wenn es sich nur um die besten Zechen handelt. Ich will
ehrlich sein, daß ich das kaum glauben kann. Aber man sollte dieser Sache doch einmal nachgehen.
Ich möchte noch etwas über die deutschen Raffineriekapazitäten sagen. Ich weiß, daß man sagt: Man kann dem Bergbau helfen, wenn man die Ausdehnung der Raffineriekapazitäten einschränkt. Aber, meine Damen und Herren, die Folgen sind erheblich. Ich möchte das einmal am Beispiel der Chemie erläutern. Die chemische Industrie produziert heute ihre Kunststoffe fast ausschließlich aus Rohstoffen der sogenannten Petrochemie, also aus Erdöl. Diese Rohstoffe sind nicht über lange Entfernungen zu transportieren, sei es aus Gefahrgründen, sei es aus anderen Gründen. Die deutsche Chemie kann also die Rohstoffe, die sie braucht, nur von einer in der Nähe gelegenen Raffinerie beziehen. Ich möchte Ihnen da ein paar Zahlen sagen. Im Augenblick werden von der deutschen Chemie 4 Millionen t Leichtbenzin verwandt. Das wird auf 8 Millionen t ansteigen. Wir haben aber schon heute eine Mangellage bei diesem Leichtbenzin und können es auch nicht aus dem Ausland herbeischaffen. Wir müssen uns also die Raffineriekapazität genau ansehen. Sie darf nicht künstlich klein gehalten werden. Sonst werden die Wachstumsindustrien getroffen, und das kann nicht der Sinn der Politik sein. Wir wenden uns gegen jede Kontingentierung der Ölimporte.
Aber noch eine andere Sache muß hier berücksichtigt werden, nämlich die Atomenergie. Die Atomenergie ist bei uns in Deutschland zum Stocken gekommen. Warum ist sie zum Stocken gekommen? Weil das Kohleverstromungsgesetz die Elektrizitätsgesellschaften in eine bedeutend günstigere Lage bringt, was auch unsere Absicht war. Infolgedessen haben sie es nicht nötig, Geld für ein Atomkraftwerk auszugeben, das in der Kapitalanlage ein sehr teures Instrument ist. Aber der Strom, der da erzeugt wird, dürfte heute billiger sein als jeder aus Kohle und wahrscheinlich sogar jeder aus Öl erzeugte Strom. Ich muß also an die Bundesregierung die Bitte richten, sie möge die Forschung auf diesem Gebiet weiter unterstützen. Wir sollten uns in diesem Hohen Hause überlegen, daß wir das Kohleverstromungsgesetz nicht ohne weiteres verlängern sollten, wenn es abläuft, sondern prüfen, was geschehen muß, um eine gewisse Umstellung auf Atomenergie zu erreichen.
Der Bund muß sich weiterhin dafür interessieren, daß eine ausreichende Uranversorgung gesichert wird. Die Uranversorgung der Kernkraftwerke muß von uns so gesichert werden, daß wir in zehn Jahren genügend Uranrohstoffe beziehen können. Hier liegt eine große Aufgabe für den Herrn Wirtschaftsminister.
Nun möchte ich noch ein paar Worte über den Kohlebeauftragten sagen. Wenn der Kohlebeauftragte sich nur mit der Kohle befaßt und dafür sorgt, daß die Dinge in Ordnung kommen, ist das sicher eine große und gute Aufgabe. Gar nichts halten wir aber von einem Energiebeauftragten, der sich mit der Energie aller Energiequellen befassen soll. Diesen Mann, der hier einwandfrei arbeiten kann, dürfte es wohl nicht geben. Ich bin der Meinung, unser Wirtschaftsministerium mit seinem Personal, mit seinen Staatssekretären, seinen Ministerialdirektoren unter der Führung von Herrn Schiller ist wohl in der Lage, diese Dinge in Ordnung zu bringen. Aber von der Einsetzung eines Energiekommissars sollten wir Abstand nehmen.
Nun komme ich zum Schluß.
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- Ja, ja, es ist schon wieder spät. Ich habe durchaus Verständnis für Sie.
Die Subventionen für die Wirtschaft sollten sehr genau unter die Lupe genommen werden. Aber wir müssen auch die sozialen Subventionen unter die Lupe nehmen. Das ist ein sehr heißes Eisen in diesem Haus. Im Wahljahr 1965 herrschte die meiner Ansicht nach irrige Auffassung, man könne durch alle möglichen Zuwendungen, die die Bevölkerung nachher Wahlgeschenke nannte, die Stimmungen beeinflussen. Ich hoffe, daß wir das nur ein einziges Mal erlebt haben. Ich möchte dringend anregen, die Subventionen nachzuprüfen - das hat ja auch der Herr Wirtschaftsminister im Stabilitätsgesetz vorgesehen -, aber auch die, die auf der sozialen Seite aufgewandt werden. Wir sind keineswegs dafür, den Leuten, die es absolut notwendig haben, eine Unterstützung zu verweigern oder zu verringern. Aber wir müssen bedenken, daß wir nur so viel zahlen können, wie wir in der Lage sind aufzubringen. Ich habe allmählich den Eindruck, daß man hier etwas leichtsinnig ist.
Zu Schluß möchte ich noch einmal betonen, daß wir von der FDP zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit sind. Ich möchte unseren Wirtschaftsminister, den Herrn „Generalmusikdirektor" Schiller, bitten, bei seinen Konzerten in seinem Orchester außer den Posauen der Verbände und den Pauken der Gewerkschaften auch die Geigen und Klarinetten dieses Hohen Hauses zur Geltung zu bringen. Das Parlament mit seinen Fraktionen und Ausschüssen vertritt das ganze Volk. Daran möchte ich erinnern.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der fortgeschrittenen Zeit möchte ich mich auf wenige grundsätzliche Bemerkungen beschränken. Wenn wir heute im 18. Jahre des Deutschen Bundestages über den Etat des Bundeswirtschaftsministers beraten, befinden wir uns in einer entscheidend veränderten Lage gegenüber allen Vorjahren. Zwar besitzen wir schon seit etwa zwei Jahren in Gestalt der Sachverständigengutachten wichtige Orientierungshilfen in der Form einer zurückblickenden volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und einer vorausschauenden Jahresrechnung, und sicherlich haben diese zwei Jahre mit den entscheidenden Hilfen für unsere wirtschafts-und vor allen Dingen konjunkturpolitischen Entscheidungen wesentlich dazu beigetragen, daß sich die Diskussion gottlob immer mehr von der Diskussion allgemeiner Thesen oder gar Schlagworte
verlagert zu der Diskussion ziffermäßig fundierter Vorstellungen - ich halte das für einen entscheidenden Fortschritt -, aber das Entscheidende an der diesjährigen Beratung des Wirtschaftsetats ist die Tatsache, daß nunmehr seit wenigen Tagen, nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung von Stabilität und Wachstum, die Bundesregierung und ihr Wirtschaftsminister erstmals wirksame Instrumente in der Hand halten, mit denen sie der konjunkturpolitischen Probleme besser Herr werden können als in der Vergangenheit.
Lassen Sie mich aber, bevor ich auf die Zukunft zu sprechen komme, noch einige Worte über die ersten sechs Monate wirtschaftspolitischer Tätigkeit dieser Bundesregierung sagen. Wer diese ersten sechs Monate beurteilen will, muß berücksichtigen, daß sich diese Bundesregierung auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Finanzpolitik vor außerordentlich schwierige Probleme gestellt sah, die ihr von den vorangegangenen Regierungen hinterlassen worden waren. In erster Linie stand sie vor der Aufgabe, die Vollbeschäftigung und ein normales reales Wachstum unserer Wirtschaft wiederherzustellen. Zweitens stand sie vor der sehr schwierigen Aufgabe, nunmehr mit den verschiedenen Strukturkrisen fertig zu werden, insbesondere mit der sich immer mehr verschärfenden Krise im Steinkohlenbergbau. Drittens stand sie vor der schwierigen Aufgabe die zehn Jahre andauernde, schleichende Geldentwertung schrittweise zu beenden. Viertens stand sie vor der Aufgabe, die Finanzreform durchzuführen und insbesondere die öffentlichen Haushalte - Bund, Länder und Gemeinden - wieder in den Stand zu setzen, ihre normalen Investitionen in einem normalen Ausmaß fortzusetzen. Schließlich stand sie vor der schwierigen Aufgabe, auch den überhöhten Kapitalzins auf dem Kapitalmarkt schrittweise herabzubringen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich diese fünf schwierigen Aufgaben vergegenwärtigen, wenn Sie sich weiter vergegenwärtigen, daß zur Überwindung der Schwierigkeiten und zur Lösung dieser fünf Aufgaben Maßnahmen notwendig sind, die teilweise miteinander in Widerspruch stehen, weil die verschiedenen Aufgaben verschiedene Wege bedingen, und trotzdem gleichzeitig gemeistert werden müssen, dann werden Sie Verständnis für die Schwierigkeit der Aufgabe überhaupt haben.
Und berücksichtigen sie bitte auch eines: in den ersten sechs Monaten mußte diese Bundesregierung mit diesen Problemen im wesentlichen mit den Mitteln der Finanz- und Steuerpolitik fertig werden. Sie mußte auf diesem Gebiet eine schwierige Gratwanderung machen, wobei sie auf der einen Seite auf die natürlich beunruhigenden Defizite der öffentlichen Haushalte blicken mußte, aber auf der anderen Seite auch auf die Gefahren, die von einer übermäßigen Einschränkung der Ausgaben drohen und die natürlich zu einer Herabsetzung der Nachfrage auf den verschiedensten Gebieten der Volkswirtschaft führen müssen. Dieses Problem ist heute schon bei der Beratung des Haushalts des Bundesfinanzministers ausgiebig diskutiert worden. Ich bin der Meinung - und meine Fraktion ebenfalls -, daß die Bundesregierung bei dieser Gratwanderung zwischen den Gefahren rechts und links den Mittelweg gefunden hat, der sich nach menschlichem Ermessen in der Zukunft auch als der richtige Weg erweisen wird. Ich möchte Herrn Dr. Menne zu seinem Wort von dem „deficit spending auf lange Jahre" nur eines sagen: kein Mensch denkt an so etwas; ein deficit spending auf viele Jahre würde den modernen Vorstellungen von einer antizyklischen Fiskalpolitik diametral entgegenstehen.
Wie ist nun die Lage heute? Die Bundesregierung hat des weiteren in den vergangenen sechs Monaten noch das Instrument des Eventualhaushalts zur Verfügung gehabt. Auch das war ein Vorschlag, der von unserer Fraktion schon vor dem Eintritt in die neue Bundesregierung in diesem Hohen Hause vorgetragen worden ist. Wir sind sehr glücklich darüber, daß bis zum heutigen Tage 9/10 der Mittel dieses Eventualhaushalts in Aufträge an die Wirtschaft umgewandelt worden sind und damit ein entscheidender Beitrag zur Überwindung der Schwierigkeiten geliefert worden ist.
Deshalb ist es, glaube ich, unter Berücksichtigung all des eben Gesagten als ein gutes Resultat zu betrachten, wenn heute mindestens alle führenden wirtschaftswissenschaftlichen Institute die Meinung vertreten, daß mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr mit einem weiteren Absinken von Produktion und Beschäftigung gerechnet zu werden braucht. Ich bin auch sehr glücklich darüber, daß es schon heute ein wirtschaftswissenschaftliches Institut gibt, das die Meinung vertritt, daß man über diese Aussage hinausgehen kann. Es ist ein Institut, das sich ganz beonders auf die vorausschauende Konjunkturdiagnose spezialisiert hat. Von diesem Institut wird die Meinung vertreten, daß bereits von März auf April die Industrieproduktion insgesamt, wenn man sie von saisonalen Einflüssen und von den Einflüssen des Kalenders bereinigt, eine Steigerung von über 3 % aufzuweisen hat gegenüber einem Rückgang - nach denselben Rechnungen ermittelt - von je 1 % von Januar auf Februar und von Februar. auf März.
Was aber in diesem Zusammenhang und zu diesem Zeitpunkt besonders berücksichtigt werden muß, ist, daß die Bundesregierung und insbesondere der Bundeswirtschaftsminister ja erst von jetzt an das umfassende Instrumentarium des neuen Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums zur Verfügung haben werden, daß der Bundeswirtschaftsminister sich also jetzt erst entscheidend einsetzen kann.
Worum . geht es in diesem Augenblick in erster Linie? Es geht vor allen Dingen darum, zu vermeiden, daß die Effektivlöhne und die Effektivgehälter in unserer Wirtschaft - leider ist das zum Teil schon versucht worden - abgebaut werden. Denn das würde zu einer gefährlichen Einschränkung der Nachfrage gerade auf dem Verbrauchsgütersektor führen. Wenn wir das zuließen, würden wir uns in eine gefährliche Nähe der Entwicklungen bringen, die in den Jahren der Wirtschaftskrise zu so entsetzlichen Ergebnissen geführt haben.
Deshalb ist es besonders zu begrüßen, daß es dem Bundeswirtschaftsminister gelungen ist, für diese
Forderung der Stabilisierung, des Festhaltens an den Effektivlöhnen und -gehältern, diese volkswirtschaftlich und konjunkturpolitisch gerechtfertigte Forderung der Gewerkschaften, auch Verständnis und Unterstützung in den Kreisen der Unternehmer zu finden. Das wird weiter ausgebaut werden müssen auf der Grundlage der Institutionen, die das neue Gesetz für die konzertierte Aktion liefert.
Ein zweites wichtiges Anliegen sollte es für uns sein, dafür Sorge zu tragen, daß die öffentlichen Investitionen, insbesondere auch bei den Ländern und den Gemeinden, möglichst bald wieder das normale Maß erreichen. Denn wenn das nicht geschieht, besteht die schwere Gefahr, daß der Stoß, der vom Eventualhaushalt ausgegangen ist und den wir alle billigen, durch einen Rückgang der Investitionen auf der Seite der Länder und Gemeinden kompensiert werden könnte.
Nun ist es zweifellos nicht damit getan, hier an die Freudigkeit zur erneuten Schuldenaufnahme zu appellieren, sondern hier handelt es sich darum, die Länder und Gemeinden auch in den Stand zu setzen, eine solche weitere Schuldenaufnahme zu verantworten. Das wiederum hängt entscheidend von der Zinshöhe dieser Kredite ab. Denn wir wissen alle, daß gerade die Gemeinden an einer Wiedererhöhung ihrer Investitionen dadurch gehindert werden, daß sie bei einem überhöhten Zinsniveau einfach die zusätzliche Zinslast nicht mehr aus ihren abgesunkenen Steuereinnahmen decken können. Ich habe mich darüber gefreut, daß auch für dieses Problem Verständnis gerade bei der Bundesbank zu finden ist, natürlich immer beschränkt auf diesen Zeitpunkt der jetzigen Konjunkturlage. In anderen Konjunkturlagen, wenn wir wieder in eine Hochkonjunktur hineinkämen, sieht das alles völlig anders aus.
Lassen Sie mich aber auch noch zu einem anderen wichtigen Problem einige Worte sagen: zur Strukturpolitik, die ja mit Recht heute schon mehrfach angesprochen worden ist. Auch in der Strukturpolitik brauchen wir, wie in der Konjunkturpolitik, eine Ergänzung der Marktwirtschaft durch eine erweiterte, verstärkte Verantwortung des Staates. Es ist erfreulich, daß nunmehr allgemein eingesehen wird, daß ohne eine solche erweiterte Verantwortung, wie sie das Stabilitätsgesetz mit sich bringt, die konjunkturellen Probleme nicht mehr gelöst werden können. Etwas Gleiches gilt aber auch auf dem Gebiet des schwierigen strukturpolitschen Problems, wie es der deutsche Steinkohlenbergbau stellt. Auch hier hat die Erfahrung der Vergangenheit gezeigt, daß es nicht ausreichend ist, die notwendigen Strukturwandlungen im deutschen Steinkohlenbergbau allein den unternehmerischen Entscheidungen zu überlassen; denn es hat sich gezeigt, daß, wenn das geschieht, die Belange der Volkswirtschaft, die Belange insbesondere der Belegschaften und die Belange der von der Krise betroffenen Gebietskörperschaften nicht ausreichend gewahrt werden. Wir begrüßen deshalb den neuen Entwurf eines Bergbauanpassungsgesetzes. Ich bin mir darüber klar, daß wir ihn heute nicht in extenso diskutieren können. Ich möchte hier nur das Prinzip in die grundsätzliche Betrachtung mit einbeziehen, das darin besteht, daß auch für diesen Bereich in Zukunft die Verantwortung des Staates erweitert und verstärkt werden muß.
Leider muß ich in diesem Zusammenhang auch noch einige Worte zum Problem der GBAG. sagen. Vorhin ist hier kritisiert worden, daß sich eine Fraktion bereits in der Öffentlichkeit zu diesem Problem geäußert hat. Man befürchtet offenbar, daß man damit bei dieser Bank eine Mißstimmung erzeugen könnte. Ich glaube, daß wir als gute Demokraten diesen Gesichtspunkt völlig in den Hintergrund stellen müssen. Wenn hier von einer großen Bank in der Bundesrepublik versucht wird, die schwierige energiepolitische Lage, die in erster Linie durch das fehlende gesamtenergiepolitische Konzept der früheren Bundesregierung entstanden ist, dafür auszunutzen, ein Spekulationsgeschäft zu Lasten der Steuerzahler zu machen, dann verdient das öffentlich angeprangert zu werden.
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Dazu kommt, daß - mindestens nach den Informationen, die ich in der „Welt" lesen konnte - diese Forderungen mit einem zeitlichen Ultimatum verbunden waren. Ich halte ein solches Vorgehen schlechthin für unerträglich. Ich glaube, daß dieser Bundestag und die Bundesregierung sich Gedanken darüber machen sollten, was geschehen muß, um für die Zukunft jeden Anreiz für ein solches Vorgehen zu beseitigen und es in Zukunft unmöglich zu machen.
Zusammenfassend lassen Sie mich bitte folgendes sagen. Wir Sozialdemokraten begrüßen die entscheidende Wendung in der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, die zu der notwendigen Ergänzung der Marktwirtschaft durch eine erhöhte staatliche Verantwortung geführt hat. Wir glauben, daß diese Ergänzung notwendig ist, wenn wir die anstehenden großen Probleme, insbesondere die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung, die Wiederherstellung eines normalen und stetigen Wachstums, erreichen wollen, was für die Lösung unserer großen Aufgaben im In- und Ausland notwendig ist. Wir glauben, daß diese Konzeption notwendig ist, um endlich auch das Problem der Stabilisierung des Preisniveaus schrittweise zu einer Lösung zu bringen. Wir glauben nicht, daß die neuen Gesetze den letzten Perfektionismus darstellen. Wir wissen, daß wir leider sehr spät auf diesem Gebiet angefangen haben, tätig zu werden. Das ist nicht unsere Schuld. Wir wissen, daß in der Konjunkturpolitik Erfahrungen notwendig sind, denn es handelt sich hier nicht nur um Rechenexempel, sondern auch um Erfahrungen mit der Psychologie des Menschen in der Wirtschaft. Wir glauben aber, daß die neuen Gesetze der richtige Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Arbeit auf dem Gebiet der Wirtschafts- und insbesondere der Konjunktur- und Strukturpolitik sind.
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Das Wort hat der Herr Bundesschatzminister.
Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kurlbaum, Ihre Bemerkungen veranlassen mich zu einer kurzen Stellungnahme, denn ich möchte verhindern, daß durch eine falsche Darstellung des GBAG-Komplexes die weiteren Verhandlungen erschwert werden.
Zunächst einmal darf ich sagen, daß es bei diesen Bemühungen keineswegs um eine bloße Abwehr einer sogenannten Überfremdung geht, sondern positiv um die Wahrung industrieller Positionen deutscher Eigentümer, darunter auch des Bundesbesitzes. Das zweite. Die Sorge um die Ertragsfähigkeit der Unternehmen und die Sicherung des Arbeitsplatzes sowie die faire Behandlung von Kleinaktionären sind keine gegensätzlichen Dinge, sondern es sind Forderungen, die sich ergänzen und, wie ich hoffe, decken.
Nun haben die letzten 14 Tage erneut gezeigt, wie schwierig es für den Bund ist, kaufmännische Überlegungen anzustellen und unternehmerische Verhandlungen zu führen. Es waren sehr viele fahrlässige, aber auch sehr viele gezielte Indiskretionen da, die die Verhandlungsposition des Bundes ganz erheblich geschwächt haben.
Wenn ich nun die von Herrn Gewandt kritisierte Mitteilung des Kollegen Schmidt hier betrachte, muß ich sagen, daß darin sehr viel Leidenschaft ist, die ich verstehe; aber es fehlt ein Schuß guter Information. Von einer ultimativen Forderung des Verhandlungspartners. kann nicht gesprochen werden. Es sind auch noch einige andere Dinge in der Verlautbarung, die nach meiner Meinung nicht dem entsprechen, was in den letzten Wochen geschehen ist. Ich möchte aber im Interesse eines günstigen und guten Fortgangs der Verhandlungen vorschlagen, diese Debatte nicht weiter zu vertiefen. Wir hoffen vielmehr, daß ein Ergebnis erzielt wird, das von allen Seiten getragen werden kann. Ich würde es nicht für richtig halten, wenn hier etwa mit knappen Mehrheitsverhältnissen entschieden würde, sondern hier muß ein Ergebnis angestrebt werden, das von möglichst vielen getragen wird. Im Interesse des weiteren Verlaufs der Verhandlungen möchte ich mich aber zurückhaltend äußern, möchte nur - und ich glaube, das bin ich dem Verhandlungspartner auf der anderen Seite schuldig - noch einmal betonen, daß von „ultimativen Forderungen" oder gar von einer „Nötigung", wie es in einem anderen Zusammenhang heißt, nicht gesprochen werden darf.
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Kurlbaum?
Schmücker, Bundesschatzminister: Ja, gern!
Herr Bundesschatzminister, wollen Sie damit sagen, daß die Darstellung der „Welt" von heute morgen falsch ist?
Schmücker, Bundesschatzminister: Ich habe keine Veranlassung, zu Zeitungsmeldungen Stellung zu nehmen. Ich habe hier eine Erklärung Ihres Fraktionsvorsitzenden, und darin heißt es: „Die ultimative Aufforderung . . ." usw. Ich glaube, ich habe als einer derjenigen, die an den Verhandlungen beteiligt waren, die Pflicht, festzustellen, daß von einer „ultimativen Aufforderung" nicht die Rede sein kann. Ich möchte noch einmal darum bitten, daß wir uns alle bemühen, die kommenden Verhandlungen nicht zu erschweren, sondern zu erleichtern. Deshalb werde ich mich auch weiterhin publizistisch sehr zurückhalten.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Scheel.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf mich zu Beginn auf meinen Kollegen Helmut Schmidt beziehen, was das Problem Doktortitel angeht. Herr Präsident, bei mir liegt derselbe Mangel vor, daß ich keinen Doktortitel habe.
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Obgleich der Herr Bundesfinanzminister nicht mehr da ist, möchte ich zum Thema Wirtschaftspolitik eigentlich mit ihm beginnen; denn die Finanzpolitik ist in der augenblicklichen Phase ein ganz wesentliches Element auch für den Erfolg der Wirtschaftspolitik des Herrn Wirtschaftsministers, und nur über diese Frage und ein paar Probleme möchte ich sprechen; ich möchte also nur sozusagen ein paar flankierende Bemerkungen machen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat selbst über seine Vorwärtsstrategie gesprochen, mit der er offensichtlich einen Teil der Regierungserklärung zu bewältigen gedenkt, nämlich den Teil, in dem der Herr Bundeskanzler versprach, bald für ,die Ordnung der öffentlichen Haushalte zu sorgen. Wir haben uns gestern schon und auch heute mehrfach darüber unterhalten, ob dieses Ziel schon erreicht ist. Ich glaube, wir sind uns darüber im klaren: es ist noch nicht erreicht! Es ist uns heute auch keine neue Auskunft über die Absichten der Bundesregierung gegeben worden.
Herr Dr. Strauß - in diesem Fall ist der Doktor ja berechtigt, weil er es ehrenhalber in mehrfacher Hinsicht schon geworden ist - hat eben ein neues Wortmonstrum geprägt, was er eigentlich dem Wirtschaftsminister überlassen sollte, denn dieser ist eleganter in seinen Formulierungen. Sein Wortmonstrum „quantifizierte Reihenfolge der Zielsetzung der politischen Führung" ist natürlich für jeden politisch Interessierten schwer zu verdauen. Was will er damit sagen? Er will damit sagen, daß die „quantifizierte Reihenfolge der Zielsetzung der politischen Führung" die nächste Aufgabe sei, die ihm, dem Finanzminister, obliege.
Früher hatten wir einmal, nämlich als wir aus dem Mangel an „quantifizierter Reihenfolge der Zielsetzung der politischen Führung" aus der Regierung ausgeschieden sind, eine Diskussion mit einigen Herren aus der Mitte dieses Hauses, die unsere Bitte nach diese „quantifizierten Reihenfolge" usw.
als den Versuch zu brandmarken suchten, soziale Demontage zu betreiben. Denn was der Bundesfinanzminister mit der „quantifizierten Reihenfolge" will, das haben Sie früher „soziale Demontage" genannnt.
Der Bundesfinanzminister will etwas Richtiges, er will dafür sorgen, daß langfristig der Bundeshaushalt überhaupt wieder in Ordnung zu bringen ist. Da liegt auch das Geheimnis für den vergleichsweisen Mißerfolg der Wirtschaftspolitik des Wirtschaftsministers bis zum heutigen Tag.
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Denn eines ist doch offensichtlich: wir scheinen im Augenblick die Quantität bei der Wirtschaftspolitik überzubewerten. Wir unterhalten uns über Konnjunkturpolitik, Eventualhaushalte und über deficit spending. Wir erkennen aber, daß - mögen wir noch so schöne Reden halten und mögen wir auch, was weiß ich, den Zungenschlag dabei erhöhen - die realen Fakten nicht nachkommen. Die reale wirtschaftliche Entwicklung kommt nicht nach, weil sich mit dem Einsatz öffentlicher Mittel allein der Wirtschaftsprozeß nicht so beschleunigen läßt, wie das wünschenswert wäre.
Der Kern der wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten ist ja etwas anderes, nämlich die mangelnde Bereitschaft der Wirtschaft zu investieren. Die Wirtschaft investiert deswegen nicht freiwillig in dem Maße, wie wir es wünschen, weil sie noch nicht das Vertrauen in die Bereitschaft der öffentlichen Hand, in die Bereitschaft der Regierung gefaßt hat, Ordnung in ihre eigenen Dinge zu bringen. Es bedarf also, so glaube ich, einer Äußerung der Bundesregierung bezüglich der mittelfristigen Finanzpolitik darüber, wie sie die heute erkennbaren Milliardendefizite der nächsten Jahre wieder beseitigen will. Dadurch würde sie in der privaten Wirtschaft das Zutrauen festigen, das nun einmal die Grundlage einer Bereitschaft ist, Geld in eine Weiterentwicklung zu stecken, sei es zur Rationalisierung, sei es in Expansionen irgendwelcher Art. Da liegt der Kern der Schwierigkeiten. Insofern sind Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik eng miteinander verbunden.
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Es ist für den zur Investition aufgerufenen Wirtschaftler natürlich bedrückend, zu sehen, daß der Haushalt aus konjunkturpolitisch verständlichen Gründen in diesem Jahre um 13 % aufgebläht ist, ohne zu wissen, ob dieser Weg sich nicht etwa als Dauereinrichtung fortsetzt. Man muß also schnellstmöglich der wirtschaftlich interessierten und verantwortlichen Öffentlichkeit sagen, was am Ende mit dem öffentlichen Haushalt geschehen soll. Der Bundesfinanzminister hat das heute zu tun versucht, aber in sehr vagen Formulierungen. Von dem, was er heute gesagt hat, nämlich von der Bereitschaft, etwas zu tun, und von dem Vorhandensein eines Willens, etwas zu tun, kann man sich immer noch nichts kaufen. Der Wille war auch bei der Vorgängerregierung sicherlich vorhanden. Da ich Mitglied dieser Regierung war, muß ich sogar sagen: es war sehr viel Wille bei der Vorgängeregierung vorhanden. Aber das hat nicht verhindern können, daß ein gewisser Vertrauensverlust eingetreten ist, weil die Taten nicht in vollem Umfang gefolgt sind. Das ist aber auch ein Mangel der augenblicklichen wirtschaftlichen Entwicklung.
Ich möchte deswegen die Bundesregierung bitten, sich in dieser Debatte möglicherweise doch einmal zu überlegen, ob es nicht ratsam ist, mit konkreten Vorstellungen über die beabsichtigte Beseitigung des Dauerdefizits hervorzutreten. Das würde in der Tat die Sicherheit in der privaten Wirtschaft verbessern können. Denn es herrscht im Augenblick eine Unsicherheit vielleicht auch darüber, was denn die einzelnen neuen Begriffe, die wir in die Diskussion eingeführt haben, bedeuten sollen.
Heute ist schon von anderer Stelle, ich glaube, von dem Herrn Kollegen Gewandt, gesagt worden, daß gerade die Diskussion über das Problem „soziale Symmetrie" - zu welchem Zeitpunkt und in welchen Phasen - mit oder ohne Berechtigung natürlich eine Unsicherheit geschaffen hat, die es zu beseitigen gilt. Ich bin mir darüber im klaren, daß der Bundeswirtschaftsminister keine Unsicherheit schaffen wollte. Ganz im Gegenteil, er möchte die Öffentlichkeit wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch mehr bilden, als sie bisher gebildet ist, und ich muß sagen, das ist eine der politischen Aufgaben des Wirtschaftsministers: gewissermaßen Public relations für die Politik der Bundesregierung zu treiben, auch durch Aufklärung, durch Informationen und durch Überzeugungskraft. Es scheint mir so, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Überzeugungskraft noch nicht ganz ausgereicht hat, bei allen Leuten die Bereitschaft herbeizuführen, die die Grundlage einer sich wieder nach vorn entwickelnden Wirtschaft ausmacht. Das ist auch in der Debatte bis zur Stunde durch die Bundesregierung nicht erreicht worden. Wir warten noch darauf, ob uns heute oder morgen über diesen Punkt eine präzisere Auskunft gegeben werden kann.
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Meine Damen und Herren, ich darf Sie zunächst mit den Vorschlägen vertraut machen, die der Ältestenrat Ihnen macht, damit wir in dieser Woche mit der Arbeit fertig werden. Wir müssen heute bis 23 Uhr ausharren und morgen bis 21 Uhr zusammenbleiben, um, wenn es irgend geht, die zweite Lesung in 'dieser Woche abzuschließen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist das Haus damit einverstanden.
({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vor, in meinem Beitrag die Anträge Umdruck 233 und Umdruck 254 gleich mitzubegründen. Dazu sind ein paar Worte mehr erforderlich. Ich werde in dieser Auffassung bestärkt durch die Tatsache, daß der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses unseres Hauses, der Kollege Menne, vorhin gesagt hat, er erwarte, von der Stahlindustrie würden bald Wünsche nach Verbilligung der Kokskohle an uns herangetragen werden.
Wenn ein solcher Mann mit einer so gewichtigen Position noch nicht gemerkt hat, daß in diesem Haushalt 120 Millionen DM zur Lösung dieses Problems stehen, dann sind allerdings ein paar Worte mehr zur Klärung erforderlich.
Wer in diesem Hause als Abgeordneter einen Wahlkreis vertritt, der im Kohlenrevier liegt, muß die Gelegenheit dieser Debatte nutzen, um darzulegen, wie es mit den Wirkungen der Strukturkrise des Steinkohlenbergbaus aussieht und wie es mit den Menschen aussieht in den Revieren, die dieser Krise ausgeliefert sind. Es muß für uns alle hier deutlich werden, was es bedeutet, als Bergarbeiter mit seiner Familie über Jahre hinweg unter dem Druck der Unsicherheit zu leben, ob der eigene Arbeitsplatz erhalten bleibt oder nicht. Jüngere Menschen, die noch keine familiären Bindungen eingegangen sind, können sich leichter dafür entscheiden, den Arbeitsplatz zu wechseln, einen neuen Beruf zu erlernen, ja, in eine andere Stadt, in eine andere Gegend unseres Landes abzuwandern, um dort neu tätig zu werden. Der ältere Kumpel aber mit seiner Familie, der seine Wohnung im Revier hat, kann nicht einfach gehen. Er ist an seinen Wohnort gebunden, für ihn hängt alles an diesem Beruf.- Er war es, der die Symbolfigur für die Leistungen des deutschen Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit darstellte. Auf den vor Kohle arbeitenden Bergarbeiter haben damals alle geblickt. Es gab Zeiten - ich darf Sie daran erinnern -, in denen darüber hinaus Bergarbeiter mit Dienstverpflichtungen ins Ruhrgebiet geholt wurden, um für uns die Kohle aus der Erde zu holen. Es war der wichtigste Energieträger.
Der Beruf des Bergarbeiters wurde mit Recht als einer der schwierigsten und gefährlichsten bezeichnet, und er stand - ich muß in Vergangenheit sprechen - an der Spitze der Lohnskala, Heute gibt es manchen Bergarbeiter, der mit seinen Einkünften an der Grenze der Fürsorgerichtsätze liegt. Es gibt Zechen, die mehr als 35 Feierschichten verfahren haben. Feierschichten, meine Damen und Herren, heißt nicht: in der Sonne liegen und Sonnenbaden, sondern heißt: zu Hause sitzen mit dem Blick auf die immer höher werdenden Kohlenhalden und darüber nachgrübeln, wie es denn nun weitergehen soll.
Darüber müssen wir uns klar sein: die arbeitenden Menschen an der Ruhr, im Aachener Revier, im Saarland und in anderen Steinkohlengebieten haben kein Verständnis dafür, wenn ihre Grube stillgelegt wird, obwohl sie gute Abbaubedingungen hat, vielleicht sogar auch Spitzenleistungen in den Förderzahlen pro Mann und Schicht vollbrachte, in einigen Fällen noch in den letzten Jahren große Investitionen gemacht hat, um eine Schachtanlage neu abzuteufen, oder andere Investitionen für den Ausbau der Kapazität, während zur gleichen Zeit auf der anderen Seite durchaus längst nicht so rentable Zechen anderer Konzerne weiter fördern. Diese arbeitenden Menschen können aus eigener Erfahrung vor Ort von der Unsinnigkeit der Feldergrenzen zwischen den einzelnen Bergwerksgesellschaften berichten. Sehen Sie sich die Karte des Ruhrgebiets einmal daraufhin an, wenn in diese mit unterschiedlichen Farben der Felderbesitz der verschiedenen Gesellschaften eingezeichnet worden ist! Das ist ein Flickenteppich! Jedem Laien wird dabei einsichtig, daß durch das Zusammenlegen, durch sinnvolle Gliederung und ähnliches beachtliche Rationalisierungserfolge erreicht werden können. Rationalisierung aber bedeutet Verbilligung der Kohle, Erhöhung der Absatzchancen, Erleichterung der Konkurrenz z. B. mit der amerikanischen Kohle.
Noch in diesen Tagen - vorhin wurde schon darauf verwiesen - hat eine Aktiengesellschaft bei ihrer Aufsichtsratsitzung einen neuen Plan - ich glaube, es ist der sechste aus dem Unternehmerbereich - vorgelegt, in dem deutlich gemacht wird, daß die deutsche Kohle, wenn es zur Zusammenfassung käme, sogar mit der amerikanischen Kohle konkurrieren könnte, weil erhebliche Verbilligungen möglich wären. Es gilt also optimale Unternehmensstrukturen zu schaffen.
Wenn die Bergbauunternehmer immer wieder den Staat zu energiepolitischen Maßnahmen auffordern und dabei durchaus, so habe 'ich den Eindruck, dirigistische Eingriffe gegen die Öleinfuhr und die Ausdehnung der Raffineriekapazitäten meinen, also Eingriffe bei anderen als bei sich selbst, dann müssen sie sich auch gefallen lassen, daß man sie zuerst zu eigenen Handlungen auffordert und von ihnen erwartet, daß sie alles getan haben, was diese staatlichen Hilfen als berechtigt erscheinen läßt. Das heißt praktisch: Stilllegungsbeschlüsse dürfen nicht nach konzernegoistischen Gesichtspunkten getroffen werden. Es müssen Großunternehmen geschaffen werden, um mit Felderbereinigung, Zusammenfassung von Abbau- und Förderkapazitäten sowie anderen Rationalisierungsmaßnahmen eine echte Verbilligung der Kohle und damit eine Erhöhung der Absatzmöglichkeiten zu erreichen.
Es stimmt bitter, wenn man von einem der sechs aus dem Bereich der Unternehmer stammenden Pläne zur „Lösung" der Steinkohlenkrise entnehmen muß, daß er sich dabei seitenlang mit der Frage der Entschädigung für die Unternehmer befaßt, die der Steuerzahler aufbringen soll, und in dem ganzen Text nur wenige Zeilen zu finden sind, die der Zukunft des Bergbaus und seiner künftigen wirtschaftlichen Organisationsform gewidmet sind. Da scheint mir, als einem, der aus dem Ruhrgebiet für die dortigen Bergarbeiter sprechen kann - sie haben mich hierhergeschickt -, der Plan der IG Bergbau und Energie, der sich für eine Einheitsgesellschaft einsetzt und dazu auch Einzelheiten vorschlägt und begründet, weit konstruktiver zu sein.
Worum geht es? Erstens: Wir müssen der Kohle einen Anteil an der Befriedigung des wachsenden Energiebedarfs sichern. Zweitens: Wir müssen den Vorgang der Gesundung der Kohlenreviere durch die Schaffung neuer, anderer Arbeitsplätze vorantreiben. Drittens: Wir müssen diesen Prozeß für die betroffenen arbeitenden Menschen sozial absichern.
Der Staat sichert durch gewichtige Beihilfen einen beachtlichen Teil des Absatzes der Kohle, wie man
das aus den Maßnahmen ersehen kann, die getroffen worden sind und ihren Ausgangspunkt in den Energiedebatten gerade des vergangenen Jahres gehabt haben. Sie haben die Zustimmung dieses Hauses in seiner ganzen Breite gefunden. Der Staat sichert also durch gewichtige Beihilfen, insbesondere bei der Verstromung der Kohle und in Zukunft auch bei der Kokskohle, die in der eisenschaffenden Industrie eingesetzt wird, und durch andere bekannte Maßnahmen die Basis für den Absatz der Kohle. Er kann aber nicht so weit gehen - darüber sind wir uns sicher im klaren -- daß er den ganzen Absatz auf der Basis der vorhandenen Förderkapazitäten garantiert. Alle bisherigen Erfahrungen des Wirtschaftslebens besagen, daß in einem solchen Falle die eigenen notwendigen Anstrengungen des Bergbaus ausbleiben würden. Das kann keiner wollen. Es mag der bevorstehenden Debatte über das Kohlegesetz und andere Maßnahmen überlassen bleiben, dazu nähere Einzelheiten und auch die Zahlen und Größenordnungen zu diskutieren.
Die gutgemeinten, aber bisher noch nicht sehr wirksamen Bemühungen der Aktionsgvemeinschaft Steinkohlenreviere, durch die Heranholung neuer Betriebe aus anderen Branchen neue Arbeitsplätze im Revier zu schaffen, gerieten - das muß hier festgestellt werden - hinein in den konjunkturellen Abschwung. Die Bereitschaft zu neuen Investitionen ließ nach. Hier ist ein hartes Wort der Kritik an den vorhergegangenen Regierungen in Bonn und in Düsseldorf erforderlich. Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß der schwierige Prozeß der Umstrukturierung in einer Hochkonjunktur leichter zu vollziehen gewesen wäre. Das Ruhrgebiet und das Saarland bieten alle Vorzüge für eine wirtschaftliche Ansiedlung neuer Industrien. In der Zeit der Hochkonjunktur aber geschah nichts Entscheidendes für diesen wirtschaftlichen Umwandlungsprozeß. Seit 1958 gibt es die Absatzkrise für die Kohle. Nun gut, nicht jeder merkt einen solchen schwierigen Vorgang gleich. Geben wir zwei oder drei Jahre zur Überlegung für die damalige Regierung. Aber dann hätte man mit Entschlossenheit anfangen können zu handeln. Das fehlte jedoch. Wenn man in solchen Dingen von den sogenannten „heilenden Kräften des Marktes" hört, kann man nur sagen: die mögen ja für Unternehmer manchmal wirklich ganz heilsam sein, aber der Arbeiter hält so etwas nicht durch. Er kann nicht einfach umsteigen auf eine neue andere Aktie; er kann auch nicht einfach umsteigen in eine andere Branche. Er braucht seinen Arbeitsplatz nicht wegen des Profits, er braucht ihn für die Erhaltung seiner Familie.
Die neue Regierung steht vor der Tatsache, diese Probleme unter den schwierigen Umständen eines konjunkturellen Abschwungs, einer Flaute in Angriff nehmen zu müssen. Ihre Aufgabe ist schwieriger, weil das Konjunkturtal noch nicht durchschritten ist, weil die marktwirtschaftliche Handlungsbereitschaft tatsächlich nur durch beachtliche finanzielle Anreize überhaupt erst in Gang gesetzt werden kann.
Herr Minister Schiller, auf Sie blickt jetzt das Ruhrgebiet - ich glaube, das muß man hier so sagen - und auch die Saar und die anderen Kohlenreviere. Ihrer bereits bewiesenen Handlungsbereitschaft und Ihren Fähigkeiten zur Meisterung wirtschaftlicher Probleme - auch das kann hier einmal so gesagt werden - kommt aus den Kohlenrevieren ein großer Vorschuß von Vertrauen entgegen. Die Kumpels erwarten von Ihnen und dieser Regierung die Überwindung der neunjährigen Kohlenkrise. Mit großer Bereitschaft sind die Ankündigungen aufgenommen worden,
- einen Kohlebeauftragten einzusetzen und ihm Vollmachten gegenüber der Wirtschaft zu geben;
- einen Kohlebeirat zu installieren, der den Beauftragten beraten soll;
- die staatlichen Beihilfen nur dann zu gewähren, wenn sich die Unternehmen des Bergbaus an den wirtschaftlichen Notwendigkeiten, nicht aber am eigenen Vorteil orientieren;
- die Gewährung von Stillegungsprämien von der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit der jeweiligen Zechenstillegung abhängig zu machen;
- eine Investitionsprämie für die Industrieansiedlung zu gewähren
- und auch den harten Büttel der Enteignung in die Hand zu nehmen, wenn zecheneigene Grundstücke zurückgehalten werden sollten, obwohl auf ihnen neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.
Meine Damen und Herren! Die Bergarbeiter sehen und honorieren auch das Angebot der Bundesregierung, Bundesmittel bereitzustellen, um Ausgleichszahlungen für Feierschichten und für den Fortfall der Nachholschichten zu ermöglichen, um denjenigen Arbeitnehmern ein Abfindungsgeld zwischen 2000 und 5000 DM zu geben, die wegen der Stilllegung ihrer Zechen ihren Arbeitsplatz verlieren, und um die Bergarbeiterprämie auch für die Schichtlöhner auf den Betrag von 2,50 DM anzuheben, genauso wie für die Gedingelöhner.
Wir haben im Haushaltsausschuß unser Teil getan, um die für das Jahr 1967 notwendigen Mittel in dem Haushalt des Wirtschaftsministeriums bereitzustellen. Ich will sie hier nicht aufzählen. Es sind über 520 Millionen DM allein in diesem Etat, zu denen andere Mittel in den anderen Etats unseres Bundeshaushalts und natürlich auch Maßnahmen auf steuerrechtlichem Gebiet hinzukommen.
Herr Minister, wenn Sie und das Hohe Haus hier einerseits die Hoffnung, andererseits aber die Sorgen aus dem Revier vorgetragen bekommen haben, dann werden Sie auch Verständnis dafür haben, wenn die Wünsche und die Forderungen aus den Bergbauländern über das hinausgehen, was bisher von Ihnen vorgeschlagen worden ist, und wenn auch eine Konkretisierung für diejenigen Maßnahmen gefordert wird, die Sie als flankierende Maßnahmen bezeichnet haben. Sie müssen die Skepsis verstehen, die gegenüber den freiwilligen Begrenzungen der Heizöleinfuhr oder der Raffineriekapazitäten nach den Erfahrungen der Vorjahre vorhanden ist. Auch
dann, wenn, wie wir mit Interesse gehört haben, die Bereitschaft zur Selbstbeschränkung bei den beteiligten Unternehmen größer geworden ist und die Kontroll- und Eingriffsregelungen durch Ihr Haus verschärft worden sind, bleibt diese Skepsis. Wenn die Einschränkung des Einfuhrkontingents für ausländische Kohle, die Erhöhung der Heizölsteuer und die Benennung eines Energiebeauftragten - also nicht nur Kohlebeauftragten - gefordert wird, steht dahinter Skepsis gegenüber der freiwilligen Einfügungsbereitschaft der Unternehmer in die wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten und die Sorge um die Sicherung des Arbeitsplatzes.
Und schließlich - dafür muß hier jeder Einsicht aufbringen -: wir alle können das, was in den neun Jahren nicht geschah, nicht in zwei Jahren nachholen. In der Zeit der Konjunkturflaute wird auch die noch so intensiv geförderte Neuansiedlung von Betrieben mehr Zeit brauchen als die hier genannte Zeit; mehr Zeit als, wir alle wünschen. Was wir also einkalkulieren müssen, ist eine Streckung der Anpassungs- und eine Forcierung der Gesundungsprozesse. Es müssen neue Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, wenn andere stillgelegt werden.
Im übrigen läßt sich hinzufügen: nichts könnte mehr die Notwendigkeit eines gewichtigen Anteils der Kohle am Energieaufkommen unseres Landes bestätigen, als die gegenwärtige bedrückende Lage in der Weltpolitik, der Konflikt im Nahen Osten. Ich zweifle nicht daran, daß unser Ölbedarf auf längere Sicht gesichert werden kann, wie es uns verkündet worden ist. Ich zweifle aber auch leider nicht daran, daß es Leute geben wird, die daraus durch höhere Preise für sich ein Geschäft zu machen beabsbichtigen. Dem wird vielleicht die Kohle auf dem Markt wieder entgegentreten können, wenn wir alles tun, um sie als einen von mehreren notwendigen Energieträgern der Zukunft in unser Wirtschaftsgeschehen einzuordnen.
Herr Minister, ich habe hier als jemand gesprochen, der einen Wahlkreis im Ruhrgebiet vertritt. Das kann und muß hier auch einmal so sein. Das sind Menschen, die unter diesen Problemen Tag für Tag leiden. Ich glaubte, am Schluß hier sagen zu können, daß Sie ein zum Handeln entschlossenes Parlament für die jetzt notwendigen Maßnahmen vorfinden. Ich hoffe, daß ich damit keine Fehlaussage mache. Wir sind begierig, Ihre angekündigten Vorlagen hier beraten und darüber beschließen zu können. Was meine Fraktion - das kann ich für die sozialdemokratische Fraktion hier sagen - tun kann, um kleinliche oder bremsende Einflüsse von Kreisen, die immer noch nur ihr eigenes Interesse im Blickfeld haben, zu verhindern, das wird diese Fraktion tun. Diese Regierung wird auch und nicht zuletzt daran gemessen werden, wie sie die Strukturkrise im deutschen Steinkohlenbergbau meistern wird.
Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen die Annahme des Antrags auf Umdruck 233 und auch des anderen Antrags, der nur eine haushaltsrechtliche Korrektur darstellt.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Haase ({0}).
({1}) Das Wort hat der Abgeordnete Opitz:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Schmidt ({0}) hat gestern in der ihm eigenen überheblichen Art und Weise
({1})
- es tut mir leid, daß er nicht hier ist; ich hätte es auch dann gesagt - die Große Koalition damit begründet, daß er vermessen sagte, jede andere Koalition ginge zu Lasten des kleinen Mannes.
({2})
- Allerdings? Dann sei hier zum Bereich der Wirtschaftspolitik die Frage gestattet: Was gedenkt die Regierung für den kleinen Mann im wirtschaftlichen Bereich, nämlich für die kleine und mittelständische Wirtschaft, zu tun?
Wir haben langsam den Eindruck, daß man bei den neuen Schlagwörtern wie „konzertierte Aktion" usw. überwiegend an Blasorchester oder an Pauken und Trompeten denkt und daß man vergißt, daß es auch noch feine, zarte Instrumente gibt, die im Konzert der Großen unterzugehen drohen. Wir fragen konkret: Was tut die Regierung für diesen kleinen Mann im wirtschaftlichen Bereich, z. B. zur Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht? Es genügt doch nicht, daß sie auf die Gefahren der Machtballung hinweist, daß sie diesen Wirtschaftsablauf mit Besorgnis betrachtet, wenn sie nicht auf der anderen Seite bereit ist, die Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen zu ziehen.
Die Konzentration in der Wirtschaft gibt den Anstoß für eine negative Entwicklung der mittelständischen Bereiche in der Bundesrepublik. Wir erwarten konkrete Vorschläge der Bundesregierung zur Verwirklichung ihrer eigenen Forderung nach Erhaltung einer weiten, breiten Schicht von leistungsfähigen Klein- und Mittelbetrieben.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ravens? - Bitte, Herr Ravens.
Herr Kollege Opitz, darf ich Sie fragen, ob Sie vergessen haben, daß es Ihre Kollegen waren, die im vergangenen Bundestag bei der Beratung der Kartellnovelle die auf dieses Ziel gerichteten sozialdemokratischen Anträge im Wirtschaftsausschuß abgeschmettert haben?
Herr Kollege, es gibt verschiedene Arten und Weisen und verschiedene Möglichkeiten, mit diesen Problemen fertig zu werden. Ich darf gleich noch einmal darauf zurückkommen.
Wie steht es z. B. mit der Durchforstung des Wettbewerbsrechtes und seiner Anpassung an die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart? Wie steht
es mit der Beseitigung leistungsfremder Wettbewerbsvorteile? Wie steht es mit der Einschränkung der Schwarzarbeit und des steuerschädlichen Betriebs- und Behördenhandels? Meine Damen und Herren, man könnte doch zumindest in den Bonner Ministerien mit der Einschränkung des Behördenhandels den Anfang machen.
({0})
Was wird getan zur Verhinderung der Ausdehnung der öffentlichen Regiebetriebe? Und wie sieht die Berücksichtigung mittelständischer Betriebe bei der Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand aus? Gerade Bundesdienststellen gehen den entgegengesetzten Weg. Denken Sie an das Verteidigungsministerium und andere, meine Damen und Herren. Wie steht es mit dem Abbau der Wettbewerbsprivilegien?
Meine Damen und Herren, man könnte diesen Fragenkatalog beliebig erweitern. Ich weiß, daß er sich weitestgehend mit den Forderungen Ihrer Mittelstandskreise und mit den Forderungen Ihrer Ausschüsse für Mittelschichten deckt. Leider ist es in der Vergangenheit überwiegend bei Sprüchen und nochmals bei Sprüchen geblieben.
({1})
- Meine Damen und Herren, Sie sollten jetzt nicht wie schon so oft der Kollege Schmidt aus Hamburg den Vorwurf wiederholen, wir seien ja selber lange genug in der Regierung gewesen.
Herr Abgeordneter Opitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fellermaier?
Bitte schön!
Herr Kollege Opitz, würden Sie die Freundlichkeit haben, dem Hohen Hause näher zu erläutern, was Sie unter „Sprüchen in der Vergangenheit" verstehen und wen Sie insonderheit in diesem Hohen Hause meinen?
Herr Kollege, ich meine die Sprüche und die Forderungen, die die Ausschüsse für Mittelschichten und für Mittelstand in den Parteien immer wieder erhoben haben und immer wieder verkünden und die in diesem Hause niemals zur Diskussion gestellt und verwirklicht werden. Diese Sprüche meine ich. Die Sprüche bin ich langsam leid.
({0})
- Herr Kollege, ich sagte gerade, Sie 'sollten uns nicht den Vorwurf machen, wir seien lange genug in der Regierung gewesen. Diesen Vorwurf hat Ihr Kollege Schmidt hier des öfteren erhoben. Ich bin der Meinung, daß nun endlich einmal etwas Neues kommen müßte. Sie sollten sich in der Tat etwas Neues einfallen lassen. Außerdem, meine Damen und Herren, haben wir in unserer Regierungszeit die gleichen Forderungen vertreten, nur waren Sie in der Opposition genauso wenig wie offensichtlich
jetzt in der Regierungsverantwortung bereit, unseren Vorstellungen zu folgen.
Daß Herr Wirtschaftsminister Schiller glaubt, ausgerechnet durch die Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand den mittelständischen Kreisen helfen zu können, meine Damen und Herren, das ist so lange ein Irrtum, wie Sie nicht in der Lage sind, zu garantieren, daß die mittelständischen Händler und Einzelhändler bei gleicher Qualität zu gleichen Preisen einkaufen können, wie es die Konzerne können. Wenn es uns gelänge, das sicherzustellen, wäre die Frage der Preisbindung kein so großes Problem mehr. Andernfalls wären bei Aufhebung der Preisbindung die Großbetriebe und Konzerne in der Lage, billiger zu verkaufen, als der normale mittelständische Einzelhändler einkaufen kann.
Im übrigen sollten wir daran denken, daß wir erst im vorigen Jahr ein Register zur Preisbindung hier beschlossen haben. Was soll es denn? Sollen wir in diesem Jahr das, was wir im vorigen Jahr beschlossen haben, schon wieder aufheben? Sollen wir die Wirtschaft von Jahr zu Jahr vor andere Situationen stellen? Wir müssen doch daran erinnern, daß wir von dieser Wirtschaft erwarten, sie werde sich am 1. Januar 1968 z. B. umstellen und einstellen auf das Mehrwertsteuergesetz. Sollen wir der Markenwirtschaft in ihrem Vertriebsystem. gleichzeitig auch noch eine neue Umstellung aufoktroyieren? Im übrigen bin ich der festen Überzeugung, daß gerade bei der Markenindustrie der Verbraucher zu jeder Zeit die Chance und die Möglichkeit hat, auf ein nicht preisgebundenes Erzeugnis, auf einen nicht preisgebundenen Artikel auszuweichen, so daß also gar keine Veranlassung und kein Erfordernis besteht, im gegenwärtigen Zeitpunkt diese Preisbindung aufzuheben.
Bundesminister Schmücker hat vor einigen Wochen einmal erklärt, der große Vorteil der Großen Koalition bestehe darin, daß auf Grund der großen Mehrheit in diesem Hause alle Aktionen rasch durchgeführt werden könnten und nicht mehr stundenlange Debatten auslösten. Meine Damen und Herren, er könnte damit recht haben, dann nämlich, wenn man diese Worte so auffaßt, daß die in dieser Großen Koalition konträren Fragen nicht mehr auf den Tisch dieses Hauses kommen. Aber eines kann und darf ich Ihnen im Namen der Opposition versprechen: Wir werden Sie zu dieser Auseinandersetzung, zur Diskussion in diesem Hause bringen.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, doch noch einmal die sorgenvolle Stimme des Ruhrgebietes hier zur Geltung zu bringen. Allerdings kann ich unserem Kollegen Westphal nicht ganz zustimmen. Ich meine nämlich, die Sorgen betreffen genauso die Bergarbeiter wie die Unternehmensseite, die ebenso schwer unter den Problemen leidet wie wir alle im Ruhrgebiet. Es ist ja nicht so, als ob
in den neun Jahren nichts geschehen wäre. Ich meine sogar, daß recht wirkungsvolle Gesetze gemacht worden sind, daß aber die Entwicklung, wie sie in der letzten Zeit vor sich gegangen ist, die Prognosen aller Wirtschaftsinstitute überrollt hat. Man hätte wirklich Prophet sein müssen, um die Energieentwicklung, die in den letzten Jahren vor sich gegangen ist, voraussehen zu können. Diesen Eindruck habe ich heute tatsächlich im Ruhrgebiet, und ich habe in dieser Zeit viele Kontakte mit Betriebsräten im Bergbau gehabt. Ich habe nicht gehört, daß man da aufeinander schimpft und der Unternehmensseite irgend etwas zuschiebt.
Die Unternehmer, die „Zebra-Gesellschaften", wie man so sagt, haben sich auch auf Öl umgestellt, sogar auf Wunsch der Regierung. Es ist nicht ihre Schuld, daß dieses zweite Bein, auf dem sie nun stehen, genausowenig standfest ist wie das erste Bein. Wir im Ruhrgebiet begrüßen trotzdem die Initiative auch des heutigen Wirtschaftsministers, ein Kohleanpassungsgesetz vorzubereiten. Eine Konzentration im Kohlebergbau erscheint durchaus erwünscht. Sie scheint mir aber bei einer, gewiß gesetzmäßig erzwungenen Zusammenlegung, vielleicht in der Form einer konzentrierten Selbstverwaltung der Gesellschaften, leichter realisierbar als unter einem staatlichen Kommissar. Allerdings wird auch das nicht zur Wirksamkeit kommen, Herr Minister, wenn nicht flankierende Maßnahmen, von denen Sie gesprochen haben, wirklich gleichzeitig realisiert werden.
Im übrigen ist heute unsere Lage im Kohlenbergbau nicht nur eine Strukturfrage, sondern auch eine Konjunkturfrage. Wenn sich die ganze Konjunktur belebt, werden auch für die Kohle wieder einige Millionen Tonnen Absatz mehr dabei abfallen; und das trägt dann auch zur Stabilisierung bei.
Es ist heute und hier nicht die Zeit und der Ort, in eine ausführliche Energiedebatte einzutreten. Es ist hier nur die Anmerkung, daß weiß Gott das Ruhrgebiet und unsere Kohlensorgen nicht vergessen sind und daß wir dankbar sind, wenn so schnell wie möglich die Initiative von der Regierung ergriffen wird.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kulawig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sicher, daß ich mir Ihren Unmut zuziehen müßte, wenn ich so lange reden wollte, wie ich mich vorbereitet habe.
({0})
Aber nachdem in der hier etwas vorweggenommenen Kohlendebatte, wie wir Saarländer meinen, wieder einmal der Eindruck erweckt wird, als bestünde der deutsche Steinkohlenbergbau in der Hauptsache nur aus dem Bergbau an der Ruhr und allenfalls noch aus dem Bergbau im Aachener Revier, erlaube ich mir doch, einige Bemerkungen über die Sorgen zu machen, die die saarländische Wirtschaft und die saarländischen Bergleute haben.
Das vorweggeschickt als Entschuldigung dafür, daß ich mich zu dieser späten Stunde zu diesem Thema noch zu Wort gemeldet habe.
Zunächst möchte ich aber die Bemerkung des Kollegen Opitz, die er zu Beginn seiner Ausführungen über den Vorsitzenden der SPD-Fraktion gemacht hat, als unanständig zurückweisen.
({1})
Sie läßt die Courtoisie vermissen, die Abgeordnete, glaube ich, einander, auch wenn sie politische Gegner sind, schuldig sind, um ordentlich und zivilisiert in diesem Raum miteinander verhandeln zu können.
({2})
Ich sagte, meine Damen und Herren, daß im Saarland der Eindruck verbreitet ist, man meine, wenn man vom Bergbau und von den Nöten des Bergbaues spricht, in der Hauptsache den Ruhrbergbau, und in der Tat scheinen auch die Ziele, die im Steinkohleanpassungsgesetz aufgestellt sind, in der Hauptsache auf ,den Ruhrbergbau gerichtet zu sein. Es ist vielleicht notwendig, jetzt die Gelegenheit zu benutzen, Sie ganz kurz darüber ins Bild zu setzen, worin und wodurch sich der saarländische Bergbau vom Ruhrbergbau unterscheidet. In der Hauptsache dadurch, daß der gesamte saarländische Bergbau aus einer einzigen Gesellschaft besteht, die sich bis auf 26 % Anteil des Saarlandes im Bundesbesitz befindet, und daß der saarländische Bergbau auf Grund der Tatsache, daß er aus einer einzigen Gesellschaft besteht, schon vor Jahren in der Lage war, sich eine Rationalisierungsplanung zu geben, die den Schwierigkeiten der künftigen Entwicklung vorbeugen sollte. Im Jahre 1962 wurde ein Generalplan beschlossen, der die Reduzierung der saarländischen Zechen auf die Großschachtanlagen zum Gegenstand hatte, welche in Gebieten in Betrieb sind, in denen der Bergbau infolge besserer Lagerstätten günstiger, wirtschaftlicher betrieben werden kann. Diese Maßnahmen haben von 1962 bis heute beträchtliche Belegschaftsreduzierungen und auch Förderungsreduzierungen zur Folge gehabt, die im großen und ganzen ohne nachteilige soziale Auswirkungen aufgefangen werden konnten, in der Hauptsache wohl deswegen, weil im Zuge ,der wirtschaftlichen Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik eine Verkürzung der Arbeitszeit in den anderen Wirtschaftsbereichen durchgeführt wurde und außerdem eben die übrigen Wirtschaftsbereiche für die frei werdenden Bergleute aufnahmefähig gewesen sind.
Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik und die Verschärfung der Kohlenkrise haben aber zur Folge, daß, obwohl in diesem Jahr das Ziel der Rationalisierungsplanung erreicht ist, nun die weitere Aufnahmefähigkeit der anderen Sparten der saarländischen Wirtschaft erschöpft ist und in den kommenden Monaten und Jahren mit Arbeitslosigkeit an der Saar zu rechnen ist, wenn über die bisherige Rationalisierungsplanung hinausgehende Stillegungen an der Saar eintreten sollten.
Ich darf an diesem Punkte noch einmal zusammenfassen, was ich zunächst darlegen wollte, nämlich
den Unterschied in der Unternehmensstruktur des Saarbergbaues zum Ruhrbergbau. An .der Saar besteht eine Einheitsgesellschaft. Sie hat rationalisieren können. Sie hat Entlassungen durchgeführt, ohne daß soziale Schwierigkeiten entstanden wären. Aber heute ist der Punkt erreicht, wo sich diese Schwierigkeiten im Saarland in zunehmendem Maße bemerkbar machen, wenn die Anpassungsvorstellungen, die Anpassungsziele, die im Steinkohleanpassungsgesetz anvisiert sind, innerhalb kurzer Frist im Saarland durchgeführt würden.
Das Saarland leidet nämlich im Vergleich zum Ruhrgebiet, meine ich, sogar in noch schärferem Maße an einer allzu einseitigen Struktur. In der Vergangenheit bestand der Reichtum des Landes und auch die Begehrtheit bei den politischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich um den Besitz der saarländischen Produktionsquellen in der Hauptsache in seiner funktionierenden Montanindustrie. Diese Einseitigkeit, die früher keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten zur Folge hatte, bedingt aber heute, daß es an der Saar weithin an Ersatzarbeitsplätzen für nun weiterhin im Bergbau beschäftigungslos werdende Arbeitskräfte fehlt. Es ist zu beklagen, daß die vergangenen Bundesregierungen und auch die Regierung des Saarlandes in jenen Jahren, in denen es möglich gewesen wäre, es versäumt haben, entsprechende strukturverbessernde Maßnahmen im Saarland durchzuführen. Bis haute besteht z. B. noch nicht ein einziger Großbetrieb der weiterverarbeitenden Industrie in einem Landesteil, den jeder Bürger der Bundesrepublik für ein hochindustrialisiertes Gebiet hält. Wenn das Zechensterben, das an der Saar durch eine über einen Zeitraum von fünf Jahren sich erstreckende maßvolle und vernünftige Planung gebremst werden konnte, bei uns einsetzen würde, wären also wirtschaftliche und soziale Schwierigkeiten zu erwarten, von denen gar nicht abzusehen ist, wie sie aufgefangen werden sollen.
Auf eine Besonderheit möchte ich, weil ich glaube, daß sie sehr aktuell ist, bei der Schilderung der Probleme des saarländischen Bergbaus noch hinweisen. Die Absatzprobleme des Saarlandes sind dadurch gekennzeichnet, daß in einem Vertrag, der zwischen der Bundesrepublik und der französischen Regierung im Zusammenhang mit der Rückgliederung des Saarlandes abgeschlossen worden ist, kurz Saar-Vertrag genannt, die französische Seite sich verpflichtet hat, ein Drittel der verkaufsfähigen Förderung der Saarbergwerke abzunehmen. Der Vertrag läuft bis zum Jahre 1982. Alle Planungen, die bisher durchgeführt wurden, basierten darauf, daß diese Abnahmeziffer fix ist, d. h. daß sie feststeht und bis zum Jahre 1982 nicht in Gefahr geraten kann. Nun war kürzlich der Presse zu entnehmen, daß Gespräche zwischen der französischen Regierung und der Bundesregierung geführt werden, die darauf hinauslaufen, Frankreich aus seinen Abnahmeverpflichtungen zu entlassen, obwohl gleichzeitig mit jener Vertragsbestimmung die Französische Republik die Verpflichtung auf sich genommen hat, dann, wenn sie die vom Saarland abgenommenen Steinkohlenmengen in Frankreich selber nicht verbrauchen kann, zu versuchen, sie nach Drittländern zu verkaufen. Es handelt sich um rund 3 Millionen t, die jährlich nach Frankreich geliefert werden.
Das Ausbleiben der Abnahme durch Frankreich hätte zur Folge, daß etwa zwei Schachtanlagen an der Saar stillgelegt werden müßten. Wenn weitere Maßnahmen der Rationalisierung, d. h. der Förderungsbeschränkung in absehbarer Zeit im Saarland durchgeführt würden, müßte man mit weiteren Zechenstillegungen rechnen.
Ich glaube also, daß die übereilte Anpassung der Förderung an die derzeitigen Absatzmöglichkeiten Gefahren einer verstärkten Arbeitslosigkeit an der Ruhr so gut wie an der Saar heraufbeschwören würden, und man fragt sich, was politisch und wirtschaftlich damit gewonnen wäre. Im übrigen bin ich der Auffassung, daß für den saarländischen Bergbau ebenso wie für den übrigen folgendes gilt: Der Sicherheit der Versorgung mit heimischer Energie gebührt nach wie vor größte Aufmerksamkeit.
Ich möchte zum Schluß den Herrn Bundeswirtschaftsminister bitten, den Anpassungsprozeß unter einer Maxime vorzunehmen, die ihm sicher vertraut klingt. Ich möchte empfehlen, daß er unter das' Motto gestellt wird: Gesundung des Bergbaus und Erhaltung der Arbeitsplätze soweit wie möglich, Anpassung der Förderung soweit wie nötig.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friderichs.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Wenn ich den letzten Teil der Debatte hier betrachte, bin ich verleitet, zu sagen: bei der Regierung Kiesinger-Brandt stimmen die Kohlen nicht; das ist der Eindruck, den man hier gewinnen muß.
({0})
- Moment! Ich habe die Formulierung „Regierung Kiesinger-Brandt", an der Sie sich vielleicht stoßen, bewußt gewählt, weil es ja offensichtlich das Bestreben des Herrn Bundeskanzlers ist, die Partnerschaft sichtbar hervorzuheben. Ich könnte mir vorstellen, daß daher auch Ihnen an der Formulierung gelegen sein müßte, vielleicht nicht jedem.
Daher noch einige Worte zu den Kohlen, wenn sie schon nicht stimmen. Ich habe den Eindruck, daß im Moment jeder Vorschlag, was auch immer er beinhaltet, zunächst einmal pauschal begrüßt wird, ob er wirksam ist, ob er unwirksam ist; man muß nur etwas dazu sagen, dann genügt das eigentlich schon. Die Wirksamkeit wird in zweiter Linie beobachtet, die Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft - Herr Professor Schiller, das ist meine Sorge -, wenn überhaupt, dann in dritter Linie; das gilt mindestens, wenn ich mir die Debatte 'im Landtag des Landes anschaue, in dem die Bundeshauptstadt liegt.
Die Situation - ich möchte mich angesichts der strapazierten Zeit kurz fassen - ist folgende: wir
haben eine Diskrepanz zwischen Förderkapazität und dem möglichen Absatz. Die Aufgabe, die den Unternehmern gestellt ist - der Bundesregierung ist die Aufgabe gestellt, sie zu unterstützen -, ist, einen Ausgleich beider Faktoren herbeizuführen - und jetzt kommt nach meiner Auffassung das Entscheidende - mit dem Ziel der Rentabilität ,der weiterfördernden Zechengesellschaften.
({1})
Das ist vor allen Dingen das Problem. Wenn wir nur anpassen, dann kommen wir aus dem Dilemma überhaupt nicht mehr heraus, sondern werden jedes Jahr - meistens im Sommer - darüber reden, ob die Kohlen stimmen.
Hierzu gleich eins, meine Damen und Herren dieses Hohen Hauses! Es hat sich herausgestellt, daß die Politik der Feierschichten nicht richtig war und nicht richtig sein kann. Ich habe damals in der Energiedebatte davor gewarnt. Wenn ich heute feststelle, ,daß allein im ersten Quartal 1967 bereits mehr als ,die Hälfte der Feierschichten des ganzen Jahres 1966 verfahren worden sind, dann frage ich mich: wo geht das hin? Wir werden im Jahre 1967 die Feierschichten verdreifachen. Was das für die Kosten der Zechengesellschaften bedeutet, brauche ich nicht zu sagen. Deswegen gibt es nur eine Lösung: schnellstmögliche Vernichtung von Kapazitäten, das heißt Stillegung plus Konzentration, um es ganz offen auszusprechen.
Jetzt kommt natürlich eine politische Frage: Kann man diesen Prozeß aus sozialpolitischen Gründen hinauszögern, ohne Maßnahmen gegen den Absatzschwund vorzunehmen? Ich behaupte, daß jede Hinauszögerung - kurzfristig mag sie vielleicht richtig erscheinen - volkswirtschaftlich die Krise verschärft, und zwar notwendigerweise. Das ist einfach ein Faktum, an dem man nicht vorbeidiskutieren kann, auch dann nicht, wenn das vielleicht nicht so populär ist und draußen nicht so ankommt. Ich habe sehr begrüßt, daß ausgerechnet eine Zechengesellschaft, nämlich Walsum, einmal einen konkreten Vorschlag als Eigeninitiative gebracht hat. Sie hat gesagt: Kapazitätsschnitt, Vollauslastung der Restkapazität, und dann sind wir in der Lage, zu Preisen zu liefern, die uns endlich wieder wettbewerbsfähig machen.
Bund und Land sagen: Wir wollen einen geordneten Rückzug haben. Wir müssen uns darüber klar sein: je länger wir ordnen und hinauszögern, desto mehr schmälern wir das Bruttosozialprodukt durch die Bindung von Kräften in unproduktiven Bereichen und durch zusätzliche Ausgaben der öffentlichen Hand in diese Bereiche.
Dabei stellt sich uns im Grunde genommen in der Energiepolitik eine völlig andere Aufgabe. Wir haben die Energiekosten zu senken, damit wir wettbewerbsfähig bleiben. Wir haben dem Verbraucher die freie Wahl aller Energiearten zu gewährleisten. Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn unter Ihren „flankierenden Maßnahmen" eine Einschränkung dieser freien Wahl zu verstehen sein sollte - etwa in der Diktion Ihres Parteifreundes Kühn -, dann allerdings würden Sie den schärfsten Protest der Opposition dieses Hauses und, wie ich hoffe, auch anderer Damen und Herren dieses Hohen Hauses bekommen. Der Entwurf Ihres Kohlegesetzes enthält keinerlei konkrete und klare Vorstellungen zu einer Preispolitik. Das scheint mir das wichtigste überhaupt auf dem Energiemarkt zu sein.
Zu dem Sonderbeauftragten, dem Kohlebeauftragten, möchte ich nur folgendes sagen. Er hat ein masisves Sanktionsrecht. Das stimmt uns etwas bedenklich. Darüber hinaus steht er in einem permanenten inneren Konflikt, weil er nach gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden -hat, auf die Betriebs- und Unternehmerentscheidungen aber unmittelbaren Einfluß ausüben kann. Ob er diesen inneren Konflikt durchsteht, weiß ich nicht.
Darüber hinaus muß man sich natürlich fragen: Soll man überhaupt den Weg des Beauftragten gehen? Wenn morgen bei der Automobilindustrie etwas passiert, werden wir dann einen Automobilbeauftragten bekommen? Dabei hätten wir dann natürlich den Vorteil, daß sich bereits einer anbieten könnte, der in der Typenpolitik eines Unternehmens, obwohl auf der Regierungsbank sitzend, große Erfahrungen zu haben scheint. Ich meine den Herrn Bundesfinanzminister.
({2})
Aber ich glaube, man sollte sich nicht in die Typen einmischen, nicht einmal in die Farben der Automobile; das sollte man den Unternehmern überlassen; die werden am ehesten wissen, 'ob rot oder schwarz oder - wie im Augenblick - hell am besten geht.
({3})
Nach meiner Meinung sollte man wirklich darauf achten, daß der Kohlebeauftragte in diesen inneren Konflikt nicht mehr hineingerät, als er nach dem jetzigen Gesetzentwurf zweifellos hineingeraten muß.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bedaure, daß die Diskussion über die Energiepolitik immer nur als eine Diskussion über Kohlepolitik oder Energiepolitik verstanden wird, daß sie überhaupt nicht als ein wirklich nachhaltiges Problem unserer Strukturpolitik verstanden wird. Wir reden viel zu viel über dieses Problem unter einem ganz falschen Gesichtspunkt. Ich habe manchmal - wenn ich mir erlauben darf, das hier zu sagen - den Eindruck, daß Sie mit der Globalsteuerung in der Hand, neue Formulierungen erdenkend, auf der Talsohle wandern - ich meine, der Konjunktur - und auf den nächsten Berg warten - damit meine ich nicht einen Verbandspräsidenten -, damit es dann wieder aufwärtsgeht. Dabei kommen dann Formulierungen heraus wie „konzertierte Aktion", wobei mich Philologen-Freunde belehren mußten, daß das sogar falsch sei. Vielleicht könnten Sie sich dazu einmal äußern. Mir wurde gesagt, es müsse entweder heißen: eine „konzertiert gewordene" Aktion oder eine „konzertierende" Aktion oder eine „konzertante" Aktion. Das, was Sie gefunden hätten, sei jedoch philologisch unrichtig. Da ich kein Philologe bin, sondern zu der Sparte der vom Herrn Bundesfinanzminister apostrophierten Juristen gehöre,
möchte ich mir die Bitte erlauben, daß Sie uns das einmal erläutern.
Ich habe den Eindruck - und das scheint mir bei Ihrem Ressort wichtig zu sein -, daß bei Ihnen die konjunkturpolitischen Überlegungen die strukturellen Fragen derart überlagern, daß Sie diese Probleme nicht hinreichend sehen.
({4})
- Ich habe von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister gesprochen, der sich zur sektoralen und regionalen Strukturpolitik bisher auffallend wenig geäußert hat, weil man sich dazu nämlich nur äußern kann, wenn man etwas Konkretes sagen kann; sonst ist das ein bißchen gefährlich.
({5})
- Pardon, ich habe in meiner Rede während der Energiedebatte im Sommer sehr ausführlich darüber gesprochen. Aber vielleicht ist das Nachlesen doch sehr mühevoll.
Ich glaube, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Konjunkturpolitik durch die Strukturschwäche vieler Bereiche derart behindert wird, daß sich ihre Globalmaßnahmen nur sehr schwer positiv auswirken können. Sie müssen dafür Sorge tragen, daß eine Bereinigung der strukturellen Probleme erfolgt, weil sie meines Erachtens erforderlich ist. Ich habe den Eindruck, daß das Denken nur in der Globalsteuerung die Gefahr beinhaltet, daß es wirtschaftspolitische Entscheidungen in Einzelbereichen erstickt und damit die Voraussetzung für eine gesunde Aufwärtsentwicklung nicht gerade fördert.
({6})
Wir müssen den Versuch machen, ein ökonomisches Gleichgewicht zwischen den einzelnen Bereichen wiederherzustellen, d. h. sie zu sanieren. Solange Sie die strukturellen Probleme - wozu natürlich die Unternehmerentscheidungen in erster Linie beitragen müssen - nicht beseitigt haben, laufen Sie
- und hier darf ich auf das hinweisen, was mein Fraktionskollege Scheel gesagt hat - Gefahr, daß Sie mit Ihrer Politik des deficit spending in erster Linie dazu anreizen, weitere Lohnpreissteigerungen herbeizuführen und damit die Lage der strukturell schwachen Bereiche erneut zu gefährden; denn die werden naturgemäß davon am meisten betroffen. Wir stehen ja vor dem eigenartigen Problem, daß es sich nicht nur um Betriebe bestimmter Größenordnung handelt, sondern daß diese strukturelle Schwäche auch in großen Betrieben durchaus sichtbar ist. Die Börsenkurse einiger großer Betriebe geben ja davon beredtes Zeugnis.
Was ich bedauere, meine Damen und meine Herren von der Sozialdemokratischen Partei, ist, daß mit Ihrem Einzug in die Bundesregierung nach das gekommen ist, was ich mir immer erhofft hatte, insbesondere im Herbst 1966, nämlich eine wirklich fortschrittliche und an der Zukunft orientierte Wirtschaftspolitik. Darunter verstehe ich, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß wir uns jetzt endlich den zukunftsträchtigen Bereichen zuwenden.
Ich bedaure, daß wir auf dem Sektor des Flugzeugbaus bisher nicht andere Fortschritte erzielt haben. Ich bedauere die Diskussion über die Reduzierung des Transall-Programms. Man kann diese Maschinen ja schließlich auch noch als Transportmaschinen verkaufen, was befreundete Nationen mit großer Perfektion mit uns betrieben haben; vielleicht gelingt es uns einmal, dasselbe zu tun. Ich bedaure, daß wir auf dem Gebiet der Kernenergie dadurch, daß wir unsere beiden großen Elektrokonzerne mit Rücksicht auf strukturell schrumpfende Branchen nicht in die Lage versetzen, in Deutschland endlich zu bauen, den Unternehmen auch noch die Möglichkeit nehmen, ins Ausland zu exportieren, weil sie ganz einfach keine Beweisstücke im Inland haben. Sie wissen, daß der Export einer einzigen Kernkraftanlage dem Export von 50 000 Volkswagen - dem Wert nach - in etwa entspricht. Das sind Dinge, deren Sie sich annehmen müssen.
({7})
- Wir haben dasselbe versucht wie Sie: unseren Koalitionspartner von der Richtigkeit unserer Meinung zu überzeugen, so wie Sie das beim StophBrief offensichtlich auch versuchen.
({8})
Ich glaube, Sie kommen auch nicht damit weiter, daß Sie sagen: Ich gebe den Elektronikkonzernen mal ein paar Subventionen. - Sie müssen ihnen Programme geben, und Sie müssen sie arbeiten lassen. Das, Herr Bundeswirtschaftsminister, ist ganz entscheidend. Sie müssen auch den Mut haben, Ihrem Herrn Kollegen im Verteidigungsressort zu sagen: Es geht nicht an, daß im deutschen Verteidigungshaushalt lächerliche 3 % für die Wehrforschung ausgegeben werden, während die Amerikaner 15 % ausgeben, was der amerikanischen Industrie, ihrer Exportfähigkeit und ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zugute kommt. Es ist Ihre Aufgabe, auch im Kabinett das zu sagen.
({9})
Wir erwarten von Ihnen eine dynamische Strukturpolitik. Wenn Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, meinen, daß Sie sich auf die Globalsteuerung konzentrieren sollten, dann teilen Sie sich mit Ihrem Herrn Kollegen Schmücker. Vielleicht wäre es sogar ganz gut, wenn sein Ministerium sich dann der Strukturpolitik zuwendet. Denn ganz offensichtlich ist ja mit der Privatisierung nicht mehr recht voranzukommen. Und ausschließlich Konzentration auf die Frage, ob man die GBAG kauft oder nicht, scheint mir nicht voll ausreichend zu sein.
Sie, Herr Bundesschatzminister, möchte ich doch um eines bitten. Sie haben gesagt: „Stört meine VerWas die Bundesregierung in dieser Frage will, darf handlungen nicht!" Ich habe Verständnis dafür. die Opposition an dieser Stelle allerdings fragen. Ich galube, das müssen Sie dem Parlament zugestehen, daß es zu wissen verlangt, was Sie eigentlich wollen: ob Sie das Paket wollen, ob Sie es ganz wollen, ob Sie bei 26'0/o Schluß machen wollen. Denn das sind doch Fragen, die für die Zielsetzung
Ihrer Strukturpolitik von entscheidender Bedeutung sind. Ich habe nämlich den Eindruck, daß Sie mit 26 °/o letztlich nichts erreichen können und daß Sie einen anderen Weg gehen müssen. Aber das wollten wir von Ihnen hören, und wir müssen in der Haushaltsdebatte von Ihnen hören, ob Sie die Finanzierung sichergestellt haben, in welcher Haushaltsposition die Mittel enthalten sind, die Sie für den Kauf benötigen. Damit stören wir, glaube ich, Ihre Verhandlungen nicht, denn ich bin davon überzeugt, daß Sie das alles bestens vorbereitet haben.
Und an die Adresse aller, auch draußen: Solange unsere strukturpolitischen Probleme noch vor uns stehen, muß notwendigerweise jede Lohnerhöhung in strukturschwachen Bereichen neue Probleme mit sich bringen, die Lage erschweren, damit auch die Lage Ihrer Regierung erschweren. Ihre Methode ist es, das Problem über einen Investitions- oder Eventualhaushalt zu lösen, über dessen Ausgabestruktur man unterschiedlicher Meinung sein kann, über dessen Ausgabetempo die Meinung allerdings einheitlich sein muß, nämlich: entschieden zu langsam, wenn Sie etwas erreichen wollen. Aber darüber allein können Sie es nicht erreichen. Denn Sie schaffen mit diesem Haushalt in erster Linie neue Konsumeffekte. Dabei brauchen Sie aber neue Anregungen auf dem Sektor der Investitionsgüter.
Sie müssen wissen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Globalsteuerung an sich die teuerste Methode Ihrer Konjunkturpolitik ist und daß Ihre Strukturpolitik sicher die bessere Methode wäre, allerdings - das gebe ich zu - die schwierigere, diejenige, bei der Entscheidungen fallen müssen, mitunter auch Entscheidungen, die für die Betroffenen etwas unangenehm sind. Wir fordern Sie auf, mit uns zu erkennen, daß auf die Dauer nur eine strukturelle Generalbereinigung Wachstum garantiert. Das Kohlegesetz und einige Passagen des Stabilitätsgesetzes veranlassen mich allerdings, Sie zum Schluß zu bitten, sich nicht wie beim Kohlegesetz weiterhin ins Abseits der Marktwirtschaft zu begeben.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß zu Anfang meiner Ausführungen das Hohe Haus, besonders Herrn Gewandt, um Entschuldigung bitten, daß ich etwa zehn Minuten oder eine Viertelstunde zu spät gekommen bin. Ich war in einer Sitzung mit dem Herrn Bundeskanzler, und als ich die Nachricht bekam - wohl auch mit einer gewissen Verzögerung -, habe ich mich unverzüglich in dieses Haus begeben mit den Worten: Jetzt wird es „contempt of parliament". Ich bitte also, mir das nachzusehen.
Herr Gewandt hat sehr richtig darauf hingewiesen, daß wir mit dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft ein neues Instrumentarium haben und daß wir es auch erreicht haben, dieses Gesetz im Bundesrat ohne
Anrufung des Vermittlungsausschusses durchzubekommen. Ich kann Ihnen heute mitteilen, daß der Herr Bundespräsident das Gesetz gerade unterzeichnet hat. Es wird also in den nächsten Tagen im Bundesgesetzblatt erscheinen und dann in Kraft treten, so daß wir sehr schnell als erste und wichtigste Maßnahme zur Beruhigung aller den Konjunkturrat für die öffentlichen Hände unter dem Vorsitz des Bundeswirtschaftsministers einberufen können, um dann zu versuchen, auf einer institutionalisierten Basis, durch das Gesetz vorgeschrieben, ein gleichgerichtetes, gemeinsames konjunkturgerechtes Verhalten aller öffentlichen Hände zu erreichen. Ich darf hinzufügen, daß schon zwei Vorgespräche mit Vertretern der Länder und Gemeinden stattgefunden haben. Ich hoffe, daß der Konjunkturrat, wenn er durch das Gesetz ins Leben treten kann, uns einen ersten neuen Ansatz gibt, dieses Gesetz wirksam werden zu lassen.
Herr Gewandt und viele andere Kollegen aus diesem Hohen Hause haben nun die allgemeine Konjunkturpolitik oder die Globalsteuerung - oder was auch immer - dialektisch gegenübergestellt der Strukturpolitik. Das ist in der Sache sicherlich richtig, und ich kann Ihnen nur versichern, daß zur modernen Wirtschaftspolitik selbstverständlich der facettenreiche Sektor der Strukturpolitik gehört. Darüber besteht kein Zweifel. Nur muß ich Ihnen einiges zusätzlich dazu sagen.
Es ist mehrfach das Gutachten von Herrn MüllerArmack erwähnt worden, ein Gutachten, das beim Leser sehr zwiespältige Eindrücke hervorruft. Derjenige, der vor vielen Jahren einmal den schönen Begriff der sozialen Marktwirtschaft geprägt hat, scheint in diesem Gutachten viele, viele Brücken und viele, viele Schiffe hinter sich zu verbrennen. Denn was er in dem Gutachten vorschlägt, ist nach meiner Ansicht mit dem, was viele in diesem Hause als Marktwirtschaft verstehen, kaum noch zu vereinbaren.
Als erstes möchte ich nur verlesen, was er alles an Strukturproblemen heute sieht. Er sagt:
Die strukturschwachen Bereiche liegen bei Kohle und Stahl, aber in noch größerem Maße in den differenzierten Produktionsmittel- und Verarbeitungsbereichen, wie Lastwagen-, Baumaschinen-, Landmaschinenbau, Bau von Werkzeugmaschinen, Traktoren, Pkws, Schiffsbau, Teilen der Textilindustrie, Teilen der Elektroindustrie, Lokomotiv- und Waggonbau, Brückenbau, Bauwirtschaft, Teilen der Schwerchemie, Zellwolle, Radiatoren usw., ja, neuerdings sogar bei langlebigen Konsumgütern.
Soweit das Zitat aus dem Gutachten von MüllerArmack.
Wenn ich diesen Katalog hier wieder auf mich einwirken lasse, muß ich zu der Feststellung kommen: Wenn es in so vielen, fast in allen Bereichen der deutschen Wirtschaft sogenannte Strukturprobleme gibt, muß man sich doch fragen, ob das nicht alles zu einem erheblichen Teil in Wirklichkeit Konjunkturproblematik ist. Wenn der ganze Fächer der Industrie fallweise aufgezählt wird und überall ge5436
sagt wird, das sei ein Strukturproblem, dann muß man doch fragen: Ist das in vielen Bereichen, in den allergrößten Bereichen nicht einfach die Folge des Absinkens der allgemeinen effektiven Gesamtnachfrage?
Da muß ich allerdings sagen - das ist meine Meinung -, daß wir durch die zu weit getriebene und zu lange betriebene Restriktionspolitik des letzten Jahres in diesem Winter und in diesem Jahr bisher in eine Talfahrt gekommen sind, bei der viele Branchen in Schwierigkeiten geraten sind, die nicht struktureller Art, sondern einfach Probleme der Flaute sind.
Zur Bewältigung dieser Probleme - da sind wir uns doch einig, meine sehr verehrten Damen und Herren - dient in erster Linie die globale Steuerung. Dazu dienen all die Maßnahmen, die heute schon bei der Finanzpolitik und bei der antizyklischen Fiskalpolitik erörtert wurden, nämlich Maßnahmen der Stützung und Belebung der Gesamtnachfrage, Maßnahmen zur Senkung der Zinskosten, Maßnahmen der monetären Politik. Das alles gehört dazu, das alles ist globale Steuerung.
Ein Weiteres möchte ich kritisch anmerken. So sehr ich bereit bin, in bezug auf bestimmte Branchen zuzugeben - auf eine, nämlich die Kohle, komme ich nachher noch zu sprechen -, daß es auch solche speziellen Strukturprobleme gibt, die anzupacken wir dabei sind, so muß ich doch sagen, eine Serie sogenannter strukturpolitischer Maßnahmen, die heute vorgeschlagen werden, etwa in dem Gutachten von Müller-Armack, schlechthin als dirigistisch, ja, als protektionistisch zu bezeichnen.
Da wird z. B. ein besonderes, neues Krisenkartell vorgeschlagen. Da werden besondere, neue Subventionen für die ganze Serie der in Strukturschwierigkeiten befindlichen Branchen vorgeschlagen. Da wird sogar staatlicher Zwang zur Bildung von Kartellen - etwas was wir vor 1945 gehabt haben - befürwortet. Da werden der Ausbau der Zinssubventionierung und vieles andere vorgeschlagen.
So wichtig Strukturpolitik ist, die heutige Problematik nur strukturpolitisch zu lösen versuchen hieße ein Problem nach dem andern, von der Kohle bis hin zur Textilwirtschaft, vom Schiffsbau bis hin zum Lastwagenbau, und was da noch aufgezählt sein mag, nacheinander „aufdröseln". Eine solche Politik wäre viel zu langfristig. Strukturpolitik ist immer etwas, was nicht schnell wirken kann, sondern Zeit braucht. Selbst der wärmste Befürworter von Strukturpolitik wird einräumen, daß sie, wenn sie nicht mit ganz harten protektionistischen, erhaltenden Schutzmaßnahmen arbeitet, ihre Zeit braucht. Wir würden uns ständig in der Flaute und weiter auf der Talsohle entlang bewegen, ja wir würden uns dort häuslich einrichten, wenn wir über die ganze Breite der volkswirtschaftlichen Branchen nacheinander mit erhaltenden, sogenannten zielgerichteten Maßnahmen versuchen wollten, die Situation zu verbessern. Deshalb glaube ich nach wie vor - und ich bin von den Wirkungen unserer jetzigen Maßnahmen überzeugt -, daß die global wirkenden Anstrengungen das sind, was wir zunächst brauchen, auch in strukturpolitischer Hinsicht.
In diesem Hause braucht kein Zweifel darüber zu sein, daß bei einer Zuwachsrate von 0 % des Sozialprodukts oder gar von minus 1 oder von plus 0,5 alle Strukturprobleme sehr viel schwerer zu lösen sind als bei einer Zuwachsrate von 3 oder 4 % des realen Bruttosozialproduktes. Alle Probleme erleichtern sich - denken wir nur einen Augenblick an die Kohle -, wenn wir wieder zu normalen gleichgewichtigen, vernünftigen - keineswegs zu exorbitanten - Zuwachsraten in der Gesamtwirtschaft kommen. Dann werden die Maßnahmen zur Stärkung der Mobilität der Produktionsfaktoren oder zur Förderung bestimmter Regionen wirksamer sein als bisher. Vorherrschend muß - neben einem Strukturproblem eigener Art, auf das ich noch zu sprechen komme, zur Zeit die Konjunkturpolitik sein.
Im übrigen kann ich zum Thema „regionale Strukturpolitik" nur hinzufügen: Wir haben einige Möglichkeiten. Sie bestehen im wesentlichen darin, daß im Bundeshaushalt einige Mittel vorgesehen sind. Diese Mittel sind zum Teil im Einzelplan 60, zum Teil im Einzelplan 09 veranschlagt, und zwar in Höhe von insgesamt 170 Millionen DM für dieses Jahr. Mit diesen Mitteln können wir helfen, besonders in den Zonenrandgebieten, wo auch ein Strukturproblem 'besonderer Art zu lösen ist. Ich bitte aber zu beachten, daß nach der augenblicklichen Rechtslage die unmittelbare Bundeszuständigkeit für regionale Strukturpolitik beengt ist. Deshalb ist der wichtigste Wunsch des Bundeswirtschaftsministeriums in bezug auf die Finanzreform, also auf die Neuaufteilung der Aufgaben und der Deckungsmittel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden der, daß der Bund, in diesem Fall der Bundeswirtschaftsminister, bei den Gesetzen über die Finanzreform, bei der Neuzuteilung der Aufgaben in Sachen regionaler Strukturpolitik seine Veranwortlichkeit und seine Zuständigkeit bekommt, ohne daß damit das föderale Gebäude unseres Gemeinwesens in irgendeiner Form lädiert wird. Auf einem besonderen Gebiet, auf das ich nun schon mehrfach hingewiesen habe, versuchen wir es ja mit einem speziellen Bundesgesetz, auf das ich noch zu sprechen komme.
Nun haben sich einige Redner, besonders die Redner der Fraktion der Freien Demokratischen Partei, über die neue Wirtschaftspolitik ironisch oder kritisch oder mehr liebenswürdig - wie der Herr Kollege Scheel - geäußert und haben wieder angefangen, hier einige der Begriffe zu beanstanden. Ich sage es noch einmal: Die „konzertierte Aktion" ist kein Wort von Schiller; sie ist ein Begriff des Sachverständigenrates im zweiten Jahresgutachten. Der Begriff hat im zweiten Jahresgutachten nur eine besondere Bedeutung; dort wurde die konzertierte Aktion für die Phase der Überhitzung vorgeschlagen. Wir hatten eine Debatte zu diesem Gutachten, die denkwürdige Debatte am 16. und 17. Februar vorigen Jahres, als wir in der Opposition dem damaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard vorschlugen, er möge doch das Gutachten akzeptieren und die konzertierte Aktion aufnehmen. Er hat es damals abgelehnt. Nun
gut! Das ist die Vergangenheit, die uninteressant ist wie der Schnee vom letzten Winter. Aber ich erwähne nur: Dadurch ist das Wort „konzertierte Aktion" stark in die Öffentlichkeit gekommen.
({0})
- Ja, das ist aber nicht meine Sorge; denn ich bin nicht verantwortlich für das Wort. Das Wort ist stark in die Öffentlichkeit gekommen, weil dieser Begriff damals in der Tat eine Wegmarke für eine bestimmte Entscheidung über den weiteren Kurs der Wirtschaftspolitik darstellte. Der damalige Herr Bundeskanzler Ludwig Erhard hat sich so entschieden. Andere haben sich anders entschieden, und zwar so entschieden, daß am 13. Dezember dieses Wort konzertierte Aktion in die Regierungserklärung von Bundeskanzler Kiesinger aufgenommen wurde. Das ist allerdings der Unterschied - nicht in der Autorenschaft, wohl aber im Gebrauch.
Ein zweites Wort wurde heute von Herrn Gewand hier erneut aufgenommen: soziale Symmetrie. Zu diesem Wort muß ich sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ein Wort von unerwarteter Fruchtbarkeit, was das Echo betrifft, von unerwartetem Echo, ja von unerwarteter Produktivität in langen Ausführungen auf allen Seiten unserer öffentlichen Debatte.
Ich kann Ihnen an dieser Stelle nur noch einmal sagen, Veranlasser ist ein Unternehmer gewesen, ein Unternehmer, der PKWs erzeugt im Lande Niedersachsen und in Ingolstadt und noch an anderen Stellen, Herr Kollege Strauß.
({1}) - Na, dreimal fragen, Herr Barzel!
Dieser Unternehmer, der im Februar bei mir war, sagte: Ihr hättet das mit der Kilometerpauschale voll in Ordnung bringen müssen. Mit der Dahlgrünschen Schnapsidee, die Pauschale auf 10 Pfennig runterzubringen, war es passiert. Da war das Vertrauen weggegangen. So etwa äußerte sich der Unternehmer. Da sagte ich ihm: Wir haben die Pauschale doch wieder auf 36 Pfennig gebracht. Darauf sagte er: Es nützt nichts. Mit den 10 Pfennig war das Vertrauen kaputt, und das Verhalten der Arbeitnehmer - 75 % der Wagen des Unternehmers wird bei Arbeitnehmern abgesetzt - war dahin, und es half nichts mehr. Und dann sagte er weiter - ich plädiere in diesem Augenblick natürlich nicht für eine Wiederherstellung der alten Kilometerpauschale -: Die Kilometerpauschale sind die Sonderabschreibungen für den kleinen Mann. Wir hatten nämlich in der neuen Regierung inzwischen die bekannten Sonderabschreibungen beschlossen, die Bundestag und Bundesrat dann ihrerseits in größter Eile gebilligt haben.
Als dieses Wort von Herrn Nordhoff „Sonderabschreibungen des kleinen Mannes" fiel, habe ich weitergedacht und gesagt: Tatsächlich, der hat recht. Man muß sich bei allen Maßnahmen steuerlicher, ausgabemäßiger, wirtschaftspolitischer, monetärer Art tatsächlich überlegen, ob man möglichst alle Schichten des Volkes gleichmäßig trifft, begünstigt oder belastet. Dabei ist dann allerdings von dem, der hier steht, in Weiterbildung dieses Gedankens der Begriff „soziale Symmetrie" entstanden.
Nun verlangen Sie heute von mir eine nähere Konkretisierung. Ich will nur zweierlei sagen.
Erstens. Soziale Symmetrie, Herr Gewandt, sollte immer gelten. Bei allen staatlichen Maßnahmen sollte prinzipiell überlegt werden, ob nicht eine Seite zu sehr begünstigt wird oder eine Seite unserer Gesamtwirtschaft und unserer Gesellschaft zu stark belastet wird. Jetzt z. B. bei der Arbeit in Sachen mittelfristiger Finanzplanung, die auch im Zusammenhang mit dem Einzelplan 09 angesprochen ist, gehen konkrete Überlegungen und konkrete Diskussionen tatsächlich darüber, ob das Bukett von Kürzungen, Belastungen und von Angleichungen sozial ausgewogen ist oder nicht. Das ist doch eine nicht nur erlaubte Überlegung, sondern eine Überlegung, die Verpflichtung sein sollte, auch übrigens unter dem Motto der sozialen Marktwirtschaft. Ich würde sagen, soziale Symmetrie ist notwendig, besonders bei einer Finanz- und Wirtschaftspolitik, die der zweiten Phase unserer sozialen Marktwirtschaft entspricht.
({2})
- Es ist ein bißchen quantitativer, weil wir es nämlich tatsächlich mit einer Politik zu tun haben, sowohl bei der Finanz- wie bei der Wirtschaftspolitik, die mit Ziffern arbeitet und nicht nur mit Waldweben, mit Appellen, mit Seelenmassage und ähnlichen Sachen, sondern mit konkreten Zahlen. Darauf komme ich noch.
Aber ich möchte noch ein zweites zur Definition des Begriffs „soziale Symmetrie" sagen, damit alle Zweifel beseitigt werden. Soziale Symmetrie ist ein Grundsatz, den ich auch - und zwar unter Billigung vieler - in der konzertierten Aktion verwende. Ich sehe das so: Alle Maßnahmen, die im gesellschaftlichen Bereich von den autonomen Gruppen beschlossen werden, alle Entscheidungen der autonomen Gruppen, etwa über die Löhne, über die Gewinne, über die Preise oder über das Eigen-turn, sollten auch am Grundsatz der sozialen Symmetrie orientiert sein, und zwar zwangsläufig. Denn in diesem Fall heißt soziale Symmetrie - und das sollten Sie von der FDP billigen -, daß Autonomie in der heutigen Gesellschaft für niemanden absolute Autonomie bedeuten kann. Soziale Symmetrie bedeutet auch, daß die autonomen Gruppen gesamtwirtschaftlich gebunden sind, sich gesamtwirtschaftlich zu orientieren haben. Das gehört auch dazu. Diese Seite der sozialen Symmetrie sollten Sie anerkennen.
Nun ist von Herrn Menne gesagt worden, er vermisse bei der neuen Bundesregierung ein Konzept der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Nun, ich will das nicht alles wiederholen, was wir über Stabilität und Wachstum gesagt haben, was von unserer Seite, aus dem Hause und sogar auch von der Fraktion der Freien Demokraten zu dem Stabilitätsgesetz gesagt worden ist. Es tut mir leid, daß der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Mittel5438
standsfragen den Bericht des Abgeordneten Dr. Elbrächter zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft nicht kennt. Herr Menne hat nämlich gesagt, Globalsteuerung habe doch kaum etwas mit Marktwirtschaft zu tun. Das gefällt ihm nicht.
Herr Elbrächter hat als Berichterstatter unwidersprochen - Sie können es alle nachlesen - im Namen des Ausschusses von Herrn Menne wörtlich gesagt:
Nach Auffassung des Ausschusses beeinträchtigt die Globalsteuerung keineswegs die Funktionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems; im Gegenteil, sie wird dadurch gestärkt. Denn die Globalsteuerung verzichtet auf direkte Interventionen . . .
Ich verweise nur auf diesen Bericht des Abgeordneten Dr. Elbrächter, verweise besonders Herrn Menne darauf. Ich glaube, er hätte erst einmal nachlesen müssen, bevor er so pauschal über die Unvereinbarkeit oder die schlechte Vereinbarkeit von Marktwirtschaft und Globalsteuerung geurteilt hätte.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Ja, bitte!
Herr Bundesminister, ist Ihnen von Ihren Beamten, die an den Ausschußsitzungen teilgenommen haben, nicht berichtet worden, daß es sich bei diesen Passagen um eine Mehrheitsmeinung des Ausschusses, aber nicht um eine einmütige Auffassung des Ausschusses handelte?
Das ist mir sehr wohl bekannt. Aber mir ist ebensosehr bekannt, daß bei der Schlußabstimmung über dieses Gesetz, das ja die Globalsteuerung institutionalisiert, erfreulicherweise auch Ihre Fraktion voll mitgestimmt hat bis auf eine Stimmenthaltung, die ich immer nenne, weil sie so couragiert war, nämlich von einer Dame.
Noch eine Zwischenfrage.
Herr Minister, sind Ihnen auch die Gründe bekannt, die uns zu dieser Haltung veranlaßt haben, oder legen Sie Wert darauf, daß wir sie heute abend noch im einzelnen hier 'darlegen?
Ich nehme bei Ihnen an, daß das durchaus staatstragende und staatstreue Gründe waren, die Sie zu Ihrem Verhalten veranlaßt haben.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, damit sollten wir das Thema „Globalsteuerung und Marktwirtschaft" hinter uns lassen. Wer noch zweifelt, daß Marktwirtschaft und Globalsteuerung vereinbar seien, Herr Mertes, dem empfehle ich die Lektüre des strukturpolitischen Gutachtens von Müller-Armack. ln dem Gutachten sagte er nämlich, Globalsteuerung sei Wettbewerb und Marktwirtschaft. Es will etwas anderes. Da sehen Sie es andersherum, negativ und kritisch, von einem Mann, der immerhin mal den anderen Begriff geprägt hat. Das liegt aber auch bei ihm in der Vergangenheit, und das ist seine Sache.
Heute ist einiges zu der Konjunkturlage dieses Jahres gesagt worden. Ich glaube, niemand hat in diesem Hause behauptet, der Eventualhaushalt, der jetzt übrigens mit Aufträgen von 2,3 Milliarden DM hinausgegangen ist, werde sofort und schnell zu einer Besserung der Konjunktur führen. Wir alle haben doch immer gesagt: Sonderabschreibungen, Eventualhaushalt, möglicherweise auch Ausgabenerweiterungen der Länder, Entsperrungen im Kernhaushalt 1967, alle diese Dinge werden bei den Unternehmungen zu Umdispositionen führen. Aber diese unternehmerischen Umdispositionen wirken sich aus technischen Gründen, aus Gründen der Wirtschaft erst nach Monaten in der realen Mehrproduktion aus. Hier sollten Sie alle und sollten wir alle Geduld haben und geduldig sein.
Von einer Seite ist hier gesagt worden, wir sollten in dieser Situation mehr für den Mittelstand tun und gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht vorgehen. Nun frage ich mich wieder: Was soll eigentlich nun von dieser Bundesregierung gemacht werden?
Die Preisbindung der zweiten Hand ist schon von meinen beiden Amtsvorgängern nicht gerade als marktkonform aufgefaßt worden. Alle beide - jeder auf seine Weise - haben versucht, die Preisbindung der zweiten Hand abzuschaffen. Ich bin selber einmal als Gast in einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses in Berlin zugegen gewesen und habe erlebt, wie mein unmittelbarer Amtsvorgänger im damaligen Deutschen Bundestag nicht die nötige Mehrheit im Ausschuß bekam. Aber es war seine erklärte Absicht, die Preisbindung der zweiten Hand abzuschaffen. Das ist also keine neue Variable, die „der Schiller da" erfunden hat und die da etwa neu gegen den Mittelstand gemeint ist, sondern eine alte „Unvollendete", und ich habe mir vorgenommen - und das ist die Aufgabe dieser neuen Bundesregierung auf vielen Gebieten -, manche „Unvollendete", wenn die Zeit reif ist, einmal zu einer „Vollendeten"
sage ganz offen:
N, ich im Vordergrund stehen
andere Sorgen, steht die Gesamtkonjunktur, die Entwicklung der Gesamtnachfrage. Die Frage der Wettbewerbspolitik kommt auch dran; eins nach dem anderen, aber nicht alles auf einmal. Sie sehen also, daß wir auch hier eine vernünftige Reihenfolge beachten.
Meine Damen und Herren, worunter haben denn der Mittelstand, die Mittelschichten am meisten gelitten in diesem letzten Jahr? Nach meiner Ansicht - das habe ich auch an anderer Stelle betont - sind die Mittelschichten, die KleingewerbetreibenBundesminister Dr. Schiller
den und die mittleren Gewerbetreibenden am meisten durch die Phase der scharfen Restriktionen in Schwierigkeiten gekommen. In einer Welt, die sich ohnehin in einem großen Strukturwandel befindet, wo die großen Unternehmenseinheiten vordringen, wo selbstverständlich im europäischen Bereich schon die Fusionen marschieren, in dieser Welt finden sich natürlich die Kleinen und Mittleren sehr oft nicht zurecht und kommen in Schwierigkeiten. Aber ich glaube, eines ist unbestritten, daß nämlich eine Phase der Talfahrt und der scharfen Restriktionen, gerade von der kreditären Seite her, diesen Strukturumbildungsprozeß zu Lasten der Kleinen und Mittleren verschärft hat. Dadurch ist die Mißstimmung gekommen und durch nichts anderes. Wenn wir erst wieder eine vernünftige, maßvolle Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts haben, wird sich - davon bin ich fest überzeugt - ein großer Teil der Sorgen gerade der Mittelschichten in der Wirtschaft von selbst erledigen. Das hindert nicht, daß wir uns auch noch Zusätzliches überlegen.
Aber eines möchte ich Ihnen sagen: Ich sehe die Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand nicht als eine mittelstandsfördernde Maßnahme an. Ich sehe sie an als eine Sache, über die man, wie gesagt, diskutieren kann. Ich habe auf meine Amtsvorgänger verwiesen, die ähnliche Absichten hatten. Ich sehe die Einführung der Preisfreiheit, die Abschaffung der Preisbindung der zweiten Hand an als einen Fortschritt in der Marktwirtschaft und als weiter nichts, als Weiterführung der Marktwirtschaft in einem Bereich, in dem sie bisher nicht herrschte. Das ist meine Auffassung dazu.
Das ist ebenso wie mit der Zinsfreigabe. Keiner hat davon gesprochen. 35 Jahre haben wir in Deutschland staatlich regulierte Zinssätze und eine staatlich regulierte Gewinnmarge für die Banken gehabt. Das hat dieser Marktwirtschaftler abgeschafft. Das sollten Sie von den Freien Demokraten auch einmal bedenken. Sie sollten feststellen, daß sich unser gesamtes Bankwesen jetzt zum erstenmal seit 35 Jahren unter den kalten Schauer des Wettbewerbs gestellt sieht.
Gestatten Sie ein Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friderichs?
Herr Bundeswirtschaftsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir diese Maßnahme von Ihnen lobend anerkennen?
Oh, ich bedanke mich sehr für die Liebenswürdigkeit und hoffe, daß sie nicht nur Ausdruck der späten Stunde ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sowohl von Herrn Menne wie von Herrn Scheel ist dann gesagt worden, wir hätten dauernd neue Zielprojektionen. Darauf muß ich Ihnen sagen: Es gibt zwei, mehr nicht. Es gibt eine für das Jahr 1967 und eine mittelfristige. Die mittelfristige für vier
Jahre: reales Wachstum 4 %, Preissteigerungsrate stufenweise heruntergehend auf 1 %. Diese mittelfristige Zielprojektion ist jetzt unter anderem notwendig gewesen als Grundlage für die mittelfristige Finanzplanung. Eine mittelfristige Gesamtrechnung ist die Vorbedingung für die mittelfristige Finanzplanung; oder umgekehrt: die mittelfristige Finanzplanung ohne eine entsprechende volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, das habe ich schon früher gesagt, ist soviel wie ein Auto ohne Räder.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt, nachdem ich über die globalen Probleme vielleicht zu ausführlich gesprochen habe, ein paar Worte zu Spezialthemen sagen.
Zuerst will auch ich mich - hoffentlich gelingt es mir sozialsymmetrisch - zum Thema GBAG äußern. Ich hoffe das zurückhaltend und ausgewogen tun zu können.
Ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß Abgeordnete der CDU und der SPD in den letzten Wochen die Nachrichten in den deutschen Zeitungen über diesen Vorgang mit gewissen Emotionen verfolgt haben. Ich bin zwar für die Freiheit des internationalen Kapitalverkehrs. Ich bin auch der Meinung, daß Deutschland selber keine Angst vor Kapitaleinfuhr zu haben braucht. Sie wissen, die Untersuchung der Deutschen Bundesbank hat gezeigt, daß der ausländische Anteil an der gesamten deutschen Kapitalmasse etwas unter 10 % liegt, davon der amerikanische Anteil 4 %. Weder eine Gefahr noch irgendwie bedenklich! Aber eines sage ich ebenso deutlich: Im Bereiche der Mineralölwirtschaft gibt es in der Tat eine psychologische Grenze. Ich habe das auch einer ausländischen Adresse gegenüber vor Wochen schon gesagt: „Ihr könnt euch da nicht alle so ruppig und hemdsärmelig verhalten, sondern ihr müßt gewisse psychologische Grenzen beachten. Ihr könnt euch nicht freihändig bis an die letzte Bastion bewegen. Ihr müßt sehen: es gibt eine nervöse, eine kritische öffentliche Reaktion gegen den Übergang der letzten oder vorletzten deutschen Mineralölposition in fremde Hände."
Das ist das eine. Das habe ich, wie gesagt, deutlich auch der ausländischen Adresse bei gegebenem Anlaß zu verstehen gegeben.
Aber ich sage noch folgendes. Wenn man nun selber heran will, dann muß man sich natürlich vieles überlegen. Man muß überlegen - und das wird viele Abgeordnete der CDU hoffentlich erfreuen -, ob man das nicht privatwirtschaftlich macht, deutsch und privatwirtschaftlich. Warum da nun mit öffentlichem Eigentum?
Zweitens. Wie ist es mit dem Übergang an die VEBA?
Drittens. Was ich immer wieder sage und, nachdem das angesprochen ist, auch wiederhole - und da bin ich mit meinen Kollegen im Kabinett einig -: Was geschieht dann mit den Kleinaktionären? Was würde geschehen, wenn ein hoher Kurs für ein Paket gezahlt würde und nach dem Übergang die Kurse wieder abtrudeln? Werden dann nicht die Kleinaktionäre auftreten und sagen: Wer macht uns
ein Angebot? Das muß man doch in Ruhe und in Sachlichkeit überlegen.
Was die eine Bank betrifft: Gut, ich nehme das zur Kenntnis, was mein Kollege Schmücker gesagt hat. Er hat ja unmittelbar verhandelt. Vollkommen in Ordnung! Nur, was in den letzten Tagen in den Zeitungen stand und besonders heute früh in einer angesehenen Morgenzeitung aus Hamburg, wirkte tatsächlich so, als ob - ich sage das einmal ganz hypothetisch - diese Bundesregierung von einer auswärtigen Macht unter ein bestimmtes Datum gestellt würde. Ich sage: es sah so aus. Ich verstehe die Emotion in diesem Hause, und ich will mich in meiner eigenen Beurteilung zurückhalten. Ich will nur zu der einen großen deutschen Bank folgendes sagen.
({0})
- Sie wissen doch, es ist mehrfach darüber diskutiert worden. Ich habe ja auch selber gesagt, Herr Kollege Barzel: ich urteile gar nicht, ich will eine ausgewogene Stellungnahme geben.
({1})
- Gut! Daß Sie unter die Puristen gegangen sind, Herr Kollege Barzel, ist mir allerdings völlig neu.
({2})
Ich dachte, „Emotion" wäre eine gängiger Ausdruck. Es tut mir furchtbar leid. Aber Leidenschaft ist doch für Abgeordnete und Fraktion etwas Erlaubtes. Es ist ja auch mindestens einer von Ihrer Seite dabei, der mit Leidenschaft die Dinge verfolgt - das wissen Sie doch auch -, und zwar in einem ganz ähnlichen Sinne wie der Vorsitzende der Fraktion der SPD in diesem Hause.
Ich will Ihnen aber eins sagen: Ich war bei jener Bank, die da verkaufen will oder die in Verkaufsverhandlungen steht. Ich will, nachdem ich sehr deutlich in die ausländische Richtung gesprochen und den deutschen Standpunkt vertreten habe, nur das eine sagen: Wenn von uns nationales Verhalten verlangt wird - und da stimme ich mit anderen Bankiers überein -, dann muß man auch selber privatwirtschaftlich nationales Verhalten praktizieren.
({3})
Ich könnte es auch so sagen: Größe verpflichtet auch in der deutschen Wirtschaft, auch in der deutschen Bankwirtschaft, auch im nationalen Sinne. Mehr will ich nicht sagen. Ich bitte Sie nur um Verständnis, wenn wir uns allesamt zurückhalten, aber auch dafür, daß sich einige der Damen und Herren Abgeordneten angesichts der öffentlichen Äußerungen in den Zeitungen zu diesem Thema geäußert haben.
Meine Damen und Herren, es ist heute abend sehr viel zu der Kohlepolitik gesagt worden. Ich will Ihnen hier nur sagen:. Der Gesetzentwurf zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenreviere ist kein Entwurf des Bundeswirtschaftsministers, sondern ist nunmehr ein Entwurf des ganzen Kabinetts.
Da war, glaube ich, ein falscher Zungenschlag. Dieser Entwurf wird am 30. Juni im Bundesrat behandelt werden, und manches Land wird dazu Stellung nehmen müssen, nicht nur die beiden unmittelbar betroffenen Länder Saarland und Nordrhein-Westfalen, und dann wird sich der Deutsche Bundestag äußern können.
Ich möchte zur Kohlepolitik dieser Bundesregierung nur noch eins sagen: In dem Gesetz selber steht kein Zeitplan für Stillegungen, es steht nur ein Zeitdatum dafür, daß die privaten Unternehmungen im Kohlenbergbau sich zu optimalen Unternehmenseinheiten zusammenschließen. Dieses Datum ist der 1. Januar 1969, von dem an für Unternehmungen im deutschen Steinkohlenbergbau das Prinzip der Gießkanne nicht mehr gelten soll. Von da an sollen nur noch die Unternehmungen in den Genuß der Vergünstigungen kommen, die auf privater Ebene zu optimalen Unternehmenseinheiten fusioniert haben. Das scheint mir eine richtige Lösung zu sein.
Das Ganze ist ein Gesetz mit „incentives", mit Anregungen für neue Investitionen in den bisherigen Steinkohlengebieten. Da gibt es keine Reihenfolge. Man kann nicht erst Arbeitsplätze schaffen und dann stillegen, denn man kann nicht Arbeitsplätze schaffen, die leerstehen; das darf es nicht geben. Umgekehrt will niemand Stillegungen, ohne daß es neue Arbeitsplätze gibt, denn das muß synchron verlaufen. Gleichzeitig mit dem geordneten Stillegen, pari passu mit der geordneten Anpassung, soll sich die Investitionstätigkeit auf neuen Gebieten in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland erweitern. Dazu ist die Investitionsprämie von 10 0/0 vorgesehen. Hoffentlich nimmt der Bundesrat und der Bundestag diese spezielle Prämie an.
In der Tat ist dieses Gesetz in diesem besonderen Fall ein Übergang - das bekenne ich offen
- von der Globalsteuerung zur Spezialsteuerung. Damit müssen Sie sich allesamt auseinandersetzen. Sie können das Gesetz auch ablehnen, selbstverständlich. Wegen der Schwere des Problems liegt hier ein Abgehen vom Prinzip der Globalsteuerung und ein Übergang zur Branchenpolitik, zur strukturpolitischen Anpassung mit den dazu gehörenden Mitteln vor. So muß man das Gesetz beurteilen.
({4})
- Aber in einem Falle und nicht über die ganze Serie; da sind wir uns doch völlig einig. Ich will Ihnen eines sagen, Herr Luda, die Investitionsprämie - vorausgesetzt, Sie und der Bundesrat bewilligen sie -, wird nur funktionieren, wenn wir durch globale Maßnahmen insgesamt wieder „den aufsteigenden Ast" der Konjunktur erreichen. Sonst funktioniert sie nicht. Das habe ich in Berlin selber erlebt.
({5})
- Doch, wir wollen in einem allgemeinen Aufschwung nach Maß - so der Entwurf dieser Bundesregierung - für diese beiden Notgebiete - nämlich die Kohlengebiete an der Saar und an der Ruhr - eine spezielle Präferenz schaffen, und zwar
eine einzige aus dem Bündel der möglichen Präferenzen, damit das anlagebereite Kapital sich speziell diesen Gebieten zuwendet. Das scheint mir gerade im Aufschwung sinnvoll zu sein; nur dann funktioniert es.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Friderichs?
Ich habe eine Frage, Herr Bundesminister. Inwiefern ist die Investitionsprämie, die Sie für eine bestimmte Region gewähren - so wie im Gesetzentwurf vorgesehen -, ein Mittel der Branchenpolitik?
Sie ist ein Mittel der regionalen Branchenpolitik, weil sie hier nur für eine bestimmte Region in Frage kommt. Das ist klar. Das ist genau aufgeführt.
({0})
Es sollen alle Industrien jeder Art angeregt werden, Menschen zu beschäftigen, die im Bergbau freigesetzt sind. Das heißt: es ist eine Maßnahme, die zur Anpassung - auch im sozialen, im gesellschaftlichen Sinne - der Branche Kohlenbergbau dient. So ist es.
({1})
- Nein, das halte ich für eine notwendige positive Branchenpolitik.
({2})
- Wollen wir jetzt zu später Stunde nach dem Prinzip verfahren, Herr Kollege Friderichs: man nehme ein Haar und spalte es? Das wäre schade.
({3})
Ich glaube, ich habe damit die Grundzüge des Gesetzentwurfs, der hier ja noch - und sicherlich mit Emotion oder Leidenschaft - beraten werden wird, dargelegt, und hoffe, daß der Bundesrat bald und positiv dazu Stellung nehmen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Kohlepolitik geht es zugleich um Energiepolitik; das ist klar. Ich selber bin der Meinung, daß sich der Bundesbeauftragte für die Kohlenreviere in erster Linie - so ist der Entwurf - um die Anpassung und Gesundung der Kohlewirtschaft zu kümmern hat. Was ich nicht gern möchte, ist ein Kommissar für Kontingente im Bereich der allgemeinen Energie. Sie müssen auch dafür Verständnis haben, daß in der jetzigen Flaute harte Maßnahmen wie § 10 des Außenwirtschaftsgesetzes oder Investitionskontrollen Gift für die allgemeine Konjunktur wären, weil wir dadurch in dieser Lage die Energiekosten in der deutschen Industrie ruckartig nach oben drücken würden. Das müssen wir auch beachten, und deswegen bitte ich um Vorsicht.
({4})
Ich darf berichten, daß gestern Vorstandsvorsitzende von Unternehmen der deutschen chemischen Industrie bei mir waren und darauf hingewiesen haben, daß in der chemischen Industrie die Energiekosten 12 % ihres Bruttoproduktionswertes ausmachen und das bei einer Wachstumsindustrie, die in den kommenden zehn Jahren Wachstumsraten von 10 % erstellen kann und erstellen soll, während die Wachstumsraten in unserer Gesamtwirtschaft insgesamt 4 % erreichen. Dabei handelt es sich um eine Industrie, die zudem einen Rohstoff nicht nur als Energieträger, sondern ebensosehr als Rohstoff für ihre eigene Produktion braucht. Auch das muß beachtet werden.
Ich möchte aber hinzufügen: Natürlich will niemand, daß sich die Anpassung des deutschen Steinkohlenbergbaus zu einem Absturz entwickelt. Wir wollen eine geordnete Anpassung. Wir wollen den Bergbau dahin bringen, daß er sich nach einem bestimmten Zeitpunkt, der noch im Hinblick auf die Politik und die allgemeine Konjunkturentwicklung auszuhandeln ist, als wettbewerbsfähig erweist. Ich bin immer noch der Meinung, daß die Krise im deutschen Steinkohlenbergbau in erster Linie dadurch so schlimm geworden ist, daß man sie acht Jahre lang verschleppt hat.
({5}) Das ist der Hauptgrund.
Ich will Ihnen eines erzählen; darüber ist heute gar nicht diskutiert worden. Sie wissen, daß ich am Montag in Luxemburg in der letzten oder vorletzten Sitzung des Ministerrats einen Brief beim Präsidenten der Hohen Behörde abgegeben und darum gebeten habe, den Art. 58 des Montanunionsvertrages anzuwenden, d. h. die manifeste Absatzkrise für den Steinkohlenbergbau zu erklären. Der Vizepräsident Coppé, der zur Zeit die Geschäfte in der Hohen Behörde führt, sagte wörtlich: „Herr Minister Schiller, auf diesen Brief einer deutschen Bundesregierung warten wir in der Hohen Behörde seit acht Jahren." Nichts weiter!
({6}) Das möchte ich auch noch sagen.
Im übrigen müssen wir sehen, ob die Hohe Behörde in der Lage ist, den Art. 58 auszulegen und anzuwenden, und ob der Ministerrat dem folgen wird, was die Hohe Behörde vorschlägt. Das alles liegt bei ihr. Ich sage nur: Die deutsche Kohlewirtschaft ist - zusammen mit der Stahlindustrie - die erste, die unter einem supranationalen Regime geführt wurde. Wir meinen, daß die supranationalen Organe in Europa - auch nach der Fusion - ihre Verantwortlichkeiten wahrnehmen sollten. Vielleicht reicht dazu Art. 58 allein nicht aus. Der Sinn meiner Aktion war nur, diese supranationalen Behörden heute oder nach der Fusion in die Verantwortung zu nehmen. Aber bei dieser Aktion allein soll es nicht bleiben: ich habe auch ein nationales Gesetz vorgeschlagen, denn ich bin der Meinung, supranationale Aktion und nationales Handeln gehören zusammen. Ich will jetzt zu diesem
Thema nicht mehr viel sagen, sondern nur noch eines hinzufügen:
Nachdem ich gestern die Wünsche der deutschen chemischen Industrie entgegengenommen habe - und vielem, was ich da hörte, zustimmte -, habe ich umgekehrt folgendes gesagt: Wir brauchen von der Wachstumsindustrie Chemie oder von anderen Wachstumsindustrien ein deutliches Zeichen an der Ruhr und an der Saar. Das heißt: Sie, meine Herren von Hoechst oder von Leverkusen oder von einer anderen großartig expandierenden Industrie, bitte, setzen Sie ein Zeichen, geben sie ein Signal, und investieren Sie an der Ruhr! Die Investitionsprämien werden kommen. Sie sollten gerade von den Industrien, die auf der Sonnenseite unserer wirtschaftlichen Entwicklung stehen, genutzt werden. Die Herren sind gegangen mit dem Wunsche des Wirtschaftsminister: Klagt nicht über Energiekosten allein! Das ist zwar verständlich. Tut aber auch ein übriges von eurer Seite, um den beiden Ländern - dem Saarland und Nordrhein-Westfalen - zu helfen! Investiert dort!
Ich finde, wenn man eine freiheitliche Energiepolitik für diese Wachstumsindustrien durchsetzt, wenn man eine solche Offerte macht, dann ist man als Vertreter der Staatlichkeit auch berechtigt, von diesen Wachstumsindustrien zu verlangen, daß sie der Ruhr und der Saar helfen.
Im übrigen kann ich mich nur bedanken für die vielen sachlichen, kritischen und freundschaftlichen Beiträge. Sie haben das Thema „deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik" sehr expansiv behandelt. Ich nehme an, daß diese expansive Behandlung bei Ihnen zugleich auch eine Bestätigung dafür war, daß eine expansive Wirtschaftspolitik heute das Gebot der Stunde ist.
({7})
Meine Damen und Herren, keine weiteren Wortmeldungen in der allgemeinen Aussprache.
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Umdruck 258, Ziffer 1! Wird dazu das Wort gewünscht?
({0})
- Sie können auch dazu zur Begründung sprechen.
({1})
- Herr Abgeordnete Gewandt!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Westphal hat das Haus aufgefordert, den Anträgen auf Umdruck 254 und Umdruck 233 zuzustimmen. Bei Umdruck 254 handelt es sich im Prinzip um eine redaktionelle Änderung, der wir zustimmen. Wir stimmen auch dem Antrag Umdruck 233 zu.
Im Gegensatz zu meinen Vorrednern möchte ich nun nicht zum Inhalt sprechen, weil ich glaube, daß es sinnvoller ist, über ein Gesetz zu sprechen, wenn es eingebracht wird und die Regierung Gelegenheit hat, es zu begründen.
({0})
Es handelt sich sozusagen nur um eine prophylaktische Maßnahme im Hinblick auf ein Gesetz, das wir erwarten. Aber eines möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen: Unsere Landsleute in den Revieren können sich in der Zukunft genauso wie in der Vergangenheit darauf verlassen, daß wir jede wirtschaftlich sinnvolle, energiepolitisch richtige und sozialpolitisch vertretbare Lösung ihrer Probleme unterstützen werden.
({1})
Keine weiteren Wortmeldungen zu den Änderungsanträgen Umdruck 233 *) und Umdruck 254 **). Wir stimmen über diese beiden Anträge ab.
Zunächst Abstimmung über den Antrag Umdruck 233. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 254. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Das Wort zum Antrag Umdruck 258, Ziffer 1 hat der Abgeordnete Haase.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat sich wohl niemand gefunden, der diesen Antrag begründen will. Sie gestatten mir aber, einige Gedanken gegen diesen Änderungsantrag vorzutragen. Der Kollege Westphal hatte vorhin bereits die Freundlichkeit, auf die Problematik dieser Angelegenheit hinzuweisen. Ich kann mich daher darauf beschränken, nur noch einmal eine kurze Zusammenfassung zu geben.
Es handelt sich um die Subvention für die Aufsammlung und Regenerierung von Altöl. Dieses Haus hatte ursprünglich eine Fassung beschlossen, die die Beihilfen für die Herstellung von Schmierölen aus Altöl degressiv gestaltete, und zwar sollten für 100 kg gesammelter und regenerierter Altöle 1967 17 DM und 1968 14 DM gegeben werden. Wir waren hier im Hause der Meinung, daß die Beteiligten an dieser Sache, da die Frage wegen der Zuständigkeit außerordentlich problematisch ist, durch eine Redressierung der Subvention gezwungen werden sollten, eine Lösung zu schaffen, die rechtlich nicht anfechtbar ist. Weiterhin wollten wir die Beteiligten zwingen, den technischen Fortschritt zu berücksichtigen, d. h. die Altölverbrennung hier hereinzunehmen, die viel billiger und viel besser geeignet erscheint, das Problem der Gewässerreinhaltung zu lösen, als die Regenerierung.
*) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlage 8
Haase ({0})
Weiterhin waren wir der Ansicht - das möchte ich allen Kollegen noch einmal ganz deutlich sagen -, daß die Mehrheit der Betriebe trotz der verringerten Subvention noch ausreichende Erlöse erzielen würde. Das war für uns der Gesichtspunkt, der uns veranlaßte, angesichts der Finanzsituation des Bundes, angesichts der Haushaltsmisere diese Subvention zu kürzen.
Die Länder haben über den Vermittlungsausschuß erreicht, daß die Beihilfe wieder erhöht worden ist, und zwar auf 19,50 DM pro 100 kg. Meine verehrten Kollegen, ich habe Briefe vorliegen, in denen sich die Betriebe, d. h. die Altölsammler, für die von uns seinerzeit vorgenommene billigere Lösung bedanken und zum Ausdruck bringen, daß sie ihre Geschäfte auch angesichts der gekürzten Beihilfen weiter betreiben können. Angesichts dieser Zustimmung der großen Zahl der betroffenen Unternehmen vermag ich nicht einzusehen, warum wir in der gegenwärtigen Finanzsituation des Bundes eine problematische Subvention auf Kosten unserer Steuerbürger erhöhen sollen. Hier werden Differenzialrenten bezogen, die sich keineswegs in dieser Finanzsituation rechtfertigen lassen.
({1})
Daher meine Bitte: Stimmen Sie gegen diesen Antrag! Wir haben dann die Möglichkeit in der dritten Lesung das Vierte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Umstellung der Abgaben auf Mineralöl vom 9. Mai 1967 im Haushaltsgesetz zu ändern, und bei Kap. 09 02 Tit. 960 den um etwa 3 Millionen DM gekürzten Betrag einzusetzen. Diese 3 Millionen DM stehen uns für Zwecke zur Verfügung, die wir vordringlicher zu bedienen haben.
Ich darf also an alle diejenigen, die der Meinung sind, daß jetzt ungerechtfertigte Subventionen tunlichts gestrichen werden sollten, die Bitte richten, gegen diesen Antrag zu stimmen.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich heute gleich rede. Herr Barzel freut sich jetzt schon. Nachdem hier die beiden Fraktionen CDU/CSU und SPD diesen Antrag Umdruck 258 eingebracht haben, sich aber niemand gefunden hat, ihn zu begründen, erlauben Sie mir, daß ich dazu einiges sage.
Auf das, was eben der Kollege Haase gesagt hat, braucht man eigentlich gar nicht einzugehen. Es mutet sehr seltsam an, daß, obwohl hier ein Gesetz beschlossen worden ist - es ist bereits im Bundesgesetzblatt erschienen -, das für die Bundesregierung eine Verpflichtung enthält, die ihr dort ,auferlegten Leistungen zu erbringen, jetzt in den Haushalt nichts aufgenommen wird. Jede Firma kann auf Grund des veröffentlichten Gesetzes die Bundesregierung verklagen, und dann muß gezahlt werden. Nun sollten wir die Dinge hier in Ordnung bringen und dafür sorgen, daß das, was hier nun einmal durchs Haus gegangen ist, nicht auf andere Weise inhibiert wird.
Ich bitte, dem Antrag zuzustimmen, damit die Sache endlich aus der Welt kommt.
({0})
Herr Abgeordnete Haase möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Imle, ist Ihnen entgangen, daß ich darauf hingewiesen habe, daß wir in der dritten Lesung einen Betrag in den Haushalt einsetzen müssen, allerdings erst nach den Änderungen des Haushaltsgesetzes, und zwar den gekürzten Betrag? Er soll ja eingesetzt werden. Wir wollen das Gesetz auch bedienen. Wir wollen nur nicht zuviel zahlen, nicht mehr zahlen, als notwendig ist, um dem Zweck gerecht werden zu können.
Das ist mir völlig klar. Aber man sollte es, nachdem es jetzt im Antrag von zwei Fraktionen vorliegt, nicht wieder durch Einzelanträge inhibieren. Was nützen sonst solche Anträge!?
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des Kollegen Haase möchte ich kurz folgendes sagen.
Rufen Sie sich bitte ins Gedächtnis zurück: Es geht hier nicht nur um Altöl, es geht um gesundes Wasser und um alles, was damit zusammenhängt. Diese Altölsubventionierung ist das Gescheiteste, was man jemals an Subventionen gemacht hat.
({0})
Keine weite. ren Wortmeldungen.
Wir stimmen ab über den Antrag Umdruck 258, Ziffer 11. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Meine Damen und Herren, wir müssen die Abstimmung durch Aufstehen wiederholen. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 258 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Im Vorstand besteht kein Zweifel: Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag Umdruck 258 ist angenommen.
Damit stelle ich den Einzelplan 09 in der durch die angenommenen Änderungsanträge nunmehr festgestellten Fassung im ganzen in der zweiten Lesung zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Anzahl Gegenstimmen ist Einzelplan 09 angenommen.
*) Siehe Anlage 6
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Dem Herrn Kollegen Schlager spreche ich den Dank des Hauses dafür aus, daß er eine umfängliche Rede hier zu Protokoll gegeben hat.
({0})
Wir kommen nun zurück zum
Einzelplan 29
Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend
- Drucksache V/1774 -Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Krappe
Wünscht die Frau Berichterstatterin jetzt das Wort? - Die Frau Berichterstatterin verzichtet.
Es liegen Änderungsanträge vor. Das Wort zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck 239 *) hat der Herr Abgeordnete Kubitza.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Heren! Der Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 239 sieht die Wiederherstellung der Regierungsvorlage bei den Zuwendungen für Familienferienstätten in Höhe von 4,5 Millionen DM und eine Erhöhung bei den Baumaßnahmen für Studentenwohnheime um 500 000 DM auf 12,5 Millionen DM vor.
Bei dem zuständigen Referat des Ministeriums für Familie und Jugend liegen über 40 Anträge auf Zuschüsse für Studentenheime vor. Die für die Realisierung dieser 40 Anträge notwendige Zuschußsumme beläuft sich auf über 25 Millionen DM. Die Erhöhung dieser Mittel wäre gleichfalls eine familienpolitische Maßnahme. Ich könnte mir vorstellen, daß bei der Vergabe dieser Zuschußmittel die Auflage gemacht wird, Plätze gerade auch für kinderreiche Familien in diesen Studentenwohnheimen zur Verfügung zu stellen.
({0})
Die Erhöhung der Mittel für die Familienferienstätten geht auf einen Entschließungsantrag der CDU/CSU und der SPD vom letzten Jahr zurück, wonach den Familienferienstätten zugunsten kinderreicher Familien besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Wir bedauern, daß die seinerzeit von uns beantragte Ausschußüberweisung nicht erfolgt ist. Damit war es dem Ausschuß auch nicht möglich, sich über den Stand der Familienstätten in aller Breite und Ausführlichkeit zu unterhalten.
Wir haben seit Beginn dieses Bauprogramms immer dafür gestimmt. Zweifellos ist es eine gute Sache. Inzwischen sind von 1956 bis 1966 23,5 Millionen DM aufgebracht worden, wozu noch etwa ein Drittel Länderbeiträge und ein Drittel Eigenmittel kommen.
Ursprünglich sollten für sechs bis acht Jahre diese Ferienstätten als Modelle gefördert werden. Aber wie so bei manchem ist auch hier eine Dauereinrichtung daraus geworden.
Wir halten bei Weiterführung des Programms eine Prüfung folgender Fragen für erforderlich. Wie ist die Frequentierung der vorhandenen öffentlich
*) Siehe Anlage 4 unterstützten Familienferienstätten? Die Bundesregierung fördert 79 dieser Ferienstätten, die von drei Arbeitskreisen betreut werden. Im ganzen stehen etwa 9000 Betten zur Verfügung. Werden wirklich nur Familien mit drei und mehr Kindern in diesen Ferienstätten aufgenommen?
({1})
- Das wäre von dem zuständigen Ministerium zu prüfen.
Wir haben einige Heime, wo eine solche Unterbringungsmöglichkeit für Mehrkinderfamilien gar nicht besteht, weil 50 Erwachsenenbetten nur 50 Kinderbetten gegenüberstehen. Es gibt eine ganze Reihe von Heimen, die so ausgerüstet sind. Mit welchem Personenkreis sind diese Häuser außerhalb der Ferienzeiten belegt? Welchen Aufgaben dienen sie dann? Wie sieht überhaupt die Belegung innerhalb eines Jahres aus, und zwar hinsichtlich der Zahl und des Personenkreises?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Herr Kollege, Ihre Mitteilung vorhin von dem Heim für Familienferien mit 50 Betten für Erwachsene und 50 für Kinder erscheint mir so unglaublich - ich will nicht sagen, daß ich es Ihnen nicht glaube, sondern die Information erscheint mir so unglaublich -, daß ich Sie darum bitte, dieses Haus zu nennen. - Da steht es drin?
Ja!
({0})
In welchem Maße ist eine Konkurrenz mit gewerblichen Unternehmen bereits vorhanden oder zu erwarten? Im vorigen Jahr hat das Ministerium für Familie und Jugend eine Verlautbarung herausgebracht, nach der sich die Fremdenverkehrsverbände und die Touristikunternehmen zunehmend bemühten, in besonderem Maße den kinderreichen Familien preisgünstige Ferienmöglichkeiten zu verschaffen.
Weitere Fragen wären: Wie viele Familienferienstätten und wie viele Betten sind erforderlich, um den Bedarf in etwa zu decken? Läßt sich dieser Bedarf überhaupt exakt feststellen? Warum soll nur dann jemand bezuschußt werden, wenn er sich bestimmter Institutionen bedient? Bei den Ländern bestehen Bezuschussungsmöglichkeiten, die zwischen drei und fünf DM pro Kind schwanken. Bei einigen Ländern ist auch eine Bezuschussung der Eltern vorgesehen.
Welche Maßnahmen sind getroffen worden, um sicherzustellen, daß die nach dem Steuerrecht unter die Kategorie „minderbemittelte Bevölkerungskreise" fallenden Familien bevorzugt aufgenommen werden?
Meine Damen und Herren, eine letzte Frage: Gibt es Möglichkeiten, sich bestehender anderer Einrichtungen zu bedienen, um die finanziellen Aufwendungen noch sinnvoller zu machen?
Ich darf darauf hinweisen, daß in einer Zeit, wo wir sparen müssen, die Gelder so effektiv wie möglich verwendet werden müssen. Mein Kollege Spitzmüller hat gestern abend vorgeschlagen, diese Familienferienstätten in den freien Zeiten durch das Müttergenesungswerk belegen zu lassen.
Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wir haben in der Bundesrepublik fast 700 Jugendherbergen. Ich nehme an, daß Sie wissen, daß sich das Jugendherbergswerk mit der Förderung des Familienwanderns nicht nur in den Dienst des Wanderns, sondern auch der Familien, vor allem auch der größeren Familien gestellt hat. Das Jugendherbergswerk hat sowieso seine Einrichtungen und seinen Apparat, den wir mit jedem weiteren Bau einer Familienferienstätte erst wieder neu erstellen müssen. Deshalb könnte ich mir vorstellen, daß die Vergabe von Zuschüssen für den weiteren Ausbau von Familienzimmern - ein solches Programm ist beim Jugendherbergswerk im Gange - sinnvoller und effektiver wäre.
({1})
Ich darf zusammenfassen, worauf es uns ankommt.
({2})
- Nicht streichen, Herr Baier, sondern nur reduzieren auf den in der Regierungsvorlage stehenden Betrag. Wir wollen nur das wiederhergestellt wissen, was die Regierung für notwendig hielt, die 4,5 Millionen DM. Wir wollen eine effektivere Kontrolle durch das Ministerium, daß wirklich Kinderreiche aufgenommen werden und daß in der Schulferienzeit Kinderreiche mit minderem Einkommen bevorzugt aufgenommen werden. Für die belegungsschwachen Zeiten sollten Abkommen mit dem Müttergenesungswerk und ähnlichen sozialen Einrichtungen getroffen werden, um durch solche Koordinierungen eine maximale Ausnutzung aller geförderten Bauten und der dafür aufgewendeten Mittel zu gewährleisten. Wir wollen ferner klare Richtlinien, welcher Aufwand pro Bett bezuschußt werden kann. Ich habe hier ein Beispiel, wo für ein solches Heim mit 120 Betten 2,5 Millionen DM aufgewandt worden sind, d. h. pro Bett etwa 20 000 DM. Ich glaube, daß diese Beträge für die Errichtung solcher Stätten einfach zu hoch sind.
Ich darf Sie bitten, dem Änderungsantrag zuzustimmen.
({3})
Das Wort als Berichterstatterin hat Frau Abgeordnete Krappe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der Geschäftslage möchte ich mich sehr kurz fassen,
({0})
da ich Mitglied des Haushaltsausschusses bin. Wir haben ewig an dem Haushalt gearbeitet. Wir fassen uns kurz und konzentriert.
Ich habe den Eindruck, daß hier manchmal Ausschußdebatten ins Plenum verlegt werden.
({1})
Das trifft z. B. für den Antrag Umdruck 245 *) zu, über den wir heute vormittag die verlängerte Ausschußdebatte gehört haben. Ich bitte also, diesen Antrag abzulehnen, weil das, was hier gefordert wird, die Mittel zu sperren, bedeuten würde, daß wir die ganze Arbeit in diesem Sommer lahmlegen und kein Jugendaustausch stattfinden könnte. Es ist also völlig unverständlich, daß ein solcher Antrag gestellt wird.
({2})
Den anderen Antrag auf Umdruck 239 **), 500 000 DM wieder umzusetzen von Familienferienstätten auf Studentenwohnheime, möchte ich aus folgendem Grunde bitten abzulehnen. Wir haben das im Haushaltsausschuß geprüft und konnten feststellen, daß die 500 000 DM, um die wir den Ansatz bei den Familienferienstätten erhöht haben, auch in diesem Jahr ausgegeben werden können, weil die Unterlagen völlig zur Verfügung standen. Wir sind der Meinung, daß das ein dringendes Gebot ist und daß mit diesem Betrag sowieso nur ganz wenige Wünsche erfüllt werden können. Hier sollten wir also nicht mit Konkurrenzgedanken kommen - daß etwa Hotels nicht belegt werden könnten -, sondern hier sollte man Möglichkeiten schaffen, daß auch kinderreiche Familien mit kleinen Mitteln Urlaub machen können; also etwas völlig anderes.
({3})
Zur Frage der Studentenwohnheime ist zu sagen, daß einmal drei Träger dazu notwendig sind und daß, wenn Sie jetzt im Juni 500 000 DM zur Verfügung stellen, diese in diesem Jahr wahrscheinlich gar nicht mehr ausgegeben werden könnten. Außerdem haben wir im Eventualhaushalt 20 Millionen DM nur für Studentenwohnheime zur Verfügung gestellt. Insofern ist also eine Möglichkeit gegeben, alle diese Wünsche in diesem Jahr zu erfüllen.
Zu dem Antrag Umdruck 252 ist heute vormittag gesprochen worden. Insofern sind alle diese Anträge begründet. Meine Fraktion hat heute vormittag zum Ausdruck gebracht, daß sie auch den Antrag Umdruck 252 ***) ablehnt.
({4})
Herr Abgeordneter Baier ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem soeben von Herrn Kubitza begründeten Änderungsantrag Umdruck 239 einige Feststellungen treffen. Herr Kubitza, es war sehr interessant, zu
*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 4 ***) Siehe Anlage 2
Baier ({0})
hören, was Sie in echt liberaler Haltung an Kontrollen und Prüfungen im Rahmen des - Familienerholungswerks fordern. Ich würde Ihnen nur empfehlen, bei einer weiteren Forderung nach Kontrollen gleich die genaue Anzahl der Planstellen für Beamte zu bewilligen, die das alles prüfen sollen, was Sie gern von Staats wegen in den einzelnen Häusern geprüft haben möchten.
Zur Sache selbst! Frau Kollegin Krappe hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir für den Studentenwohnheimbau in diesem Jahr Gott sei Dank nicht nur 16,5 Millionen DM normale Haushaltsmittel, 12 Millionen DM aus dem Familienministerium, 1 Million aus dem Auswärtigen Amt und 3,5 Millionen DM aus dem Bundeswohnungsbauministerium zur Verfügung haben, sondern dazu noch die 20 Millionen DM aus dem Eventualhaushalt. Herr Kollege Kubitza, es kann nur eine Verlegenheit gewesen sein, daß Sie noch eine halbe Million dazu geben wollten, nämlich um es bei der anderen notwendigen Maßnahme wegzunehmen.
Die Familienferien haben wir in diesem Haus in den vergangenen Debatten als ein familien- und gesellschaftspolitisches Anliegen anerkannt, und zwar aus sozialen, aus familienpädagogischen und aus vielen anderen Gründen. Das ist auch in dem Entschließuungsantrag im vergangenen Jahr zum Ausdruck gekommen, in dem wir die Regierung um die Bereitstellung angemessener finanzieller Mittel gebeten haben, um auch den kinderreichen Familien eine Chance zu geben, mit den Kindern einen gemeinsamen Urlaub zu verbringen.
Weiter wurde darauf hingewiesen, daß in den vergangenen Jahren bislang 23,5 Millionen DM zur Verfügung gestellt wurden. Dazu muß ich sagen, ohne in einen Gegensatz zu den Studentenwohnheimen treten zu wollen, daß das weniger ist als ein Jahresansatz für den Studentenwohnheimbau. Meine Damen und Herren, wie groß das Bedürfnis noch ist, zeigt die Tatsache, daß im Ministerium für Familie und Jugend noch unerledigte Anträge in Höhe von 25,6 Millionen DM vorliegen.
Es gibt in der Bundesrepublik drei Arbeitskreise, den Evangelischen, den Katholischen und den Paritätischen Arbeitskreis, die jeweils mit hohen Eigenleistungen diese Mittel in Anspruch nehmen, um Familienferienheime zu erstellen. Die Eigenleistungen betragen dabei mindestens ein Drittel, und die Arbeitskreise handeln in einem großen Verantwortungsbewußtsein.
Zu den geforderten Prüfungen möchte ich doch folgendes sagen. Es besteht seitens aller Arbeitskreise für Familienerholung eine gute Zusammenarbeit mit dem Familienministerium. Diese Zusammenarbeit findet in einer jährlichen Planungskonferenz statt und wird sich künftig im Rahmen des Arbeitskreises für Familienerholung abspielen, der vom Ministerium wieder neu ins Leben gerufen wird.
Meine Damen und Herren, wir unterstreichen die Forderung, daß natürlich bei der Inanspruchnahme der Heime kinderreiche Familien den Vorrang haben müssen. Aber das geschieht auch in der
Eigenverantwortung der einzelnen Träger. Was wir aber nicht wollen, ist, daß hier eine Schnüffelei stattfindet, daß von Staats wegen in all diesen Häusern nachgeprüft wird, wer wann Familienferien macht. Das Verantwortungsbewußtein der einzelnen Träger ist so groß, daß sie von sich aus Prüfungen vornehmen werden. Das zeigt auch die Tatsache, daß es Familienferienheime gibt - und das möchte ich der vom Kollegen Kubitza aufgestellten Behauptung entgegenhalten, daß in den Heimen zuwenig Kinderbetten vorhanden seien -, wo im Sommer 20 Elternpaare mit 120 Kindern untergebracht werden.
Aus all diesen Gründen bitte ich Sie, den Antrag abzulehnen und den für die Familienferienförderung festgelegten Betrag so zu respektieren.
({1})
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung.
Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 239 1 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 245 **) ! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der Abgeordneten Stingl, Dr. Schmidt und Genossen auf Umdruck 252 ***) ! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, wir müssen die Abstimmung durch Aufstehen wiederholen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! Meine Damen und Herren, der Präsident ist gezwungen, einen Hammelsprung durchzuführen. Ich hoffe, daß das Haus beschlußfähig ist. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 252 zuzustimmen wünscht, gehe durch die Ja-Türe. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Berliner Stimmen nicht gezählt werden dürfen. Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Ich danke dem Haus, daß es beschlußfähig ist. Abgegeben sind 252 Stimmen. Wir brauchen 249, um beschlußfähig zu sein.
({0})
Mit Ja haben gestimmt 88 Mitglieder des Hauses, mit Nein haben gestimmt 163, enthalten hat sich 1 Mitglied des Hauses.
Ich möchte zur Erklärung für das erste Votum des Sitzungsvorstandes sagen, daß ganz zweifellos bei der Abstimmung hier weniger Mitglieder im Saal waren; sonst hätte jedermann hier sofort gesehen, wie die Mehrheitsverhältnisse gelegen sind. Aber das war in der Tat nicht mit Sicherheit zu entschei-
*) Siehe Anlage 4 **) Siehe Anlage 3 ***) Siehe Anlage 2
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
den; deshalb war es richtig, diesen Hammelsprung zu machen.
Also: der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wortmeldungen zum Einzelplan 29 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend - liegen nicht mehr vor. Wer dem Einzelplan 29 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Anzahl Gegenstimmen ist der Einzelplan 29 angenommen.
Ich rufe auf
Einzelplan 28
Geschäftsbereich des Bundesministers für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder
- Drucksache V/1773 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Emde
Berichterstatter ist Herr Dr. Emde. Ich frage den Herrn Abgeordneten Dr. Emde, ob er das Wort wünscht. - Verzichtet. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich frage, ob zu dem Einzelplan das Wort gewünscht wird. - Herr Minister, wünschen Sie das Wort? - Nachher. - Herr Abgeordneter Genscher, bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den großen Vorhaben der Koalition gehörte auch das Kapitel der Kabinettsreform. Wir finden, daß die Lösung des Problems der Kabinettsreform im Bereich des Hauses, dessen Einzelplan wir jetzt hier behandeln, in besonders eindrucksvoller Weise gelungen ist. Die neue konzertierte und kontrastive Politik hat hier einen besonders deutlichen Niederschlag gefunden, in der Weise nämlich, daß nicht nur eine Fraktion, die früher der Meinung war, dieses Haus könne einen Staatssekretär entbehren, jetzt für einen solchen Staatssekretär eintritt, sondern daß darüber hinaus die Persönlichkeit dieses Staatssekretärs sich früher in der Argumentation gegen das Amt, das er jetzt bekleidet, in besonderer Weise hervorgetan hat.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will heute abend die Probleme der Kabinettsreform, obwohl vieles dazu zu sagen verlockend wäre, nicht mehr in voller Breite aufrollen; aber ich glaube, daß gerade die Entscheidung über die personelle Ausstattung dieses Ministeriums sehr deutlich macht, daß breite Mehrheiten allein noch nicht eine Garantie für eine gute Politik auch in der Personalpolitik sind, sondern daß auch zu dem Problem der Kabinettsreform, zur Einsparung von Stellen, zur Einsparung überflüssiger Ministerien und zu anderen Fragen mehr ein sehr starker politischer Durchsetzungswille erforderlich ist. Dieser Haushaltsplan zeigt, daß es nicht nur daran fehlt, sondern daß man sogar bereit ist, in der entgegengesetzten Richtung sehr weit zu gehen. Als Trost für Sie, Herr Bundesminister, darf ich sagen, daß Sie bei der Ablehnung des Etats Ihres Hauses durch unsere Fraktion in Prozeßstandschaft für die ganze Bundesregierung stehen, weil es ihr nicht gelungen ist, die Kabinettsreform durchzuführen.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Angelegenheit des Bundesrates und der Länder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich benutze diese ehrenvolle Erwähnung des Ministeriums, dem vorzustehen ich die Ehre habe, um mich diesem Haus in einer anderen Funktion als in der solange innegehabten vorzustellen.
Es gehört zu dem Ritual dieses Hauses, daß die jeweilige Opposition - rechts, links - glaubt, sich besondere Verdienste für das Vaterland dadurch erwerben zu können, daß man an dem kleinesten Ministerium des Hauses Streichungen vornimmt.
({0})
So ist der Lauf -der Welt. So, wie die Linke manchmal nicht weiß, was die Rechte tut,
({1})
so weiß die Linke manchmal nicht, was sie früher getan hat, und die Rechte weiß es auch nicht.
({2})
- Nun, in der Mitte heben sich diese Dinge auf,
({3})
freilich im doppelten Sinne, den das Wort im Schwäbischen hat - Hegel war ja ein Schwabe -: es bedeutet nämlich sowohl vernichtigen als auch bewahren. In diesem Sinne war es gemeint, Herr Kollege.
Nun, last and least, das letzte und kleinste Ministerium dieser Bundesrepublik hat vielleicht doch auch das Recht, wenigstens zu sagen, wozu es dazusein glaubt. Natürlich kann man sagen: es ist nicht notwendig. Selbstverständlich kann man diese Frage bei sehr vielen Ministerien stellen. Von sehr vielen Ministerien könnte man sagen, daß ihre Aufgaben auch noch nebenbei von einem anderen Ministerium wahrgenommen werden könnten. Aber es hat offensichtlich einen Sinn, nicht nur die Frage nach der Notwendigkeit des Ministeriums zu stellen, sondern auch die Frage nach der Nützlichkeit. Es geht also um die Frage, ob ein Ministerium nützlich ist oder nicht.
Da glaube ich allerdings - die Erfahrung einiger Monate, so kurz sie ist, hat mich das gelehrt - sagen zu können, daß das Ministerium einen Nutzen hat, und ich glaube sogar: einen beachtlichen Nutzen. Wozu es geschaffen worden ist, können Sie in dem Vorspann zum Einzelplan 28 lesen. Die Formulierungen sind sehr abstrakt, aber hinter den abstrakten Formulierungen verbirgt sich, glaube ich, ein recht buntes Tableau von Funktionen.
Unsere Bundesrepublik ist im Gegensatz zur Weimarer Republik ein echter Bundesstaat, d. h.
kein weit dezentralisierter Einheitsstaat mit Kompetenzkompetenz des Bundes, sondern ein Bundesstaat, bei dem sowohl der Bund als auch die Glieder politische Individualitäten sind. Zum Teil sind sie in ihren Funktionen miteinander verflochten, zum Teil aber sind ihre Funktionen vollkommen selbständig voneinander. Wenn ich so sagen darf, dann gibt es bestimmte Bereiche, in denen die Länder - sit venia verbo - souverän sind, das heißt, wo sie die Ordnungen, die Formen und die Inhalte gewisser Lebensordnungen selbst bestimmen können, ohne daß der Bund sie zu etwas dabei veranlassen könnte. Das gebietet, daß Bund und Länder sich so zueinander verhalten, daß sie immer wissen, daß sie dort, wo sie durch die Verfassung in ihren Funktionen miteinander verflochten sind, miteinander zu verkehren haben. So gibt es einen Bereich, bei dem die Formen und die Zielsetzungen dieses Miteinander-verkehren-Müssens und -Dürfens vom Gesetz geregelt sind. Daneben gibt es immer mehr - und das wird sich noch weiter steigern - Gebiete, bei denen dieses Miteinander-Verkehren in einem rechtsfreien Raume erfolgen muß.
Meine Damen und Herren, dort, wo dieser Verkehr in einem rechtsfreien Raum zu erfolgen hat, ist es nötig, daß man diesen Verkehr aufeinander hin unternimmt, wenn dieser Föderalismus wirklich ein echter Föderalismus sein soll, nämlich ein kooperativer Föderalismus. Im Grunde ist das eine Tautologie, aber es ist, glaube ich, notwendig, gelegentlich daran zu erinnern, daß Föderalismus nicht, wie manche zur Zeit des Parlamentarischen Rates geglaubt haben, heißt: ein Voneinander-weg, sondern ein Aufeinander-zu.
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Aber auch dort, wo sich dieser Verkehr von Bund und Ländern in bestimmten, von der Verfassung gewollten und vorgeschriebenen Rechtsformen vollzieht, gibt es eine Reihe möglicher Differenzen von Bund und Ländern, Differenzen, die zu haben völlig legitim ist. Demokratie und Föderalismus - ich würde umgekehrt sagen: Föderalismus und Demokratie - beruhen im Grunde auf der Vorstellung, daß ein gesellschaftliches Gefüge nur dann gesund ist, wenn es pluralistisch begriffen ist und sich selbst so begreift. In einem pluralistischen Gefüge ist die Kategorie des Konfliktes eine notwendig zum Wesen selber gehörende Kategorie. Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß diese genuinen Konflikte immer wieder, fast jeden Tag, eine ordentliche, d. h. ordnungsgemäße, dem Ganzen frommende Lösung finden.
Dabei ist es vielleicht manchmal ganz gut, wenn es einen gibt, der dabei gute Dienste anbietet. Um mehr kann es sich nicht handeln. Der Bund wird es sich nie einfallen lassen dürfen - ich meine, die Bundesregierung -, den Ländern kommandieren zu wollen, ihnen Anweisung geben zu wollen. Aber was er durchaus kann und was er soll, das ist, ihnen seine guten Dienste anbieten, damit dieses kooperative Zusammengehen nicht nur in der Abstraktion ist, sondern auch im Konkreten immer neu definiert werden kann.
Als wir im Parlamentarischen Rat unsere Verfassung beraten haben und als wir unseren Föderalismus in Gesetzesartikel gegossen haben, waren wir weit entfernt, daran zu denken und zu glauben, daß einmal zwischen Bund und Ländern eine solche Fülle von Differenzen auftreten könnten, wie wir das seither erfahren haben.
Nun, wir haben in der Zwischenzeit - und das gilt für uns alle - unsere Verfassungswirklichkeit bei Gelegenheiten und auch grundsätzlich neu durchdacht, und die Erfahrung hat gezeigt, daß je mehr wir unsere Strukturen überdenken, um so mehr Gebiete sichtbar werden, auf denen Bund und Länder ohne koordinierende Hilfe nicht recht und reibungslos miteinander auskommen können. Ich brauche Ihnen hier nicht in Gedächtnis zurückzurufen, um welche Dinge es sich dabei handelt. Es handelt sich um die Finanzreform, es handelt sich um die ganzen Probleme, die mit dem Schulwesen, mit dem Bildungswesen, mit dem Ausbildungswesen zusammenhängen, wo zwar die Länder durchaus ihre unbestrittene Souveränität haben, wo aber doch ein Interesse von uns allen daran besteht, daß sich diese Länder - jedes für sich - so einrichten, daß eine Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse auch auf diesen Gebieten im ganzen Bundesgebiet gegeben sein kann.
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Ich will Sie nicht im einzelnen mit diesen Problemen noch befassen; die Zeit ist spät. Aber wenn man sagt, daß die Länder sich bundestreu zu verhalten haben, so muß doch jedes Mal konkret definiert werden, was im Einzelfall bundestreues Verhalten heißt. Da gibt es naturgemäß auf beiden Seiten verschiedene Auffassungen über den konkreten Fall - nicht über das Prinzip - und es gibt auch unter den Ländern verschiedene Auffassungen. Ich denke nur an die Frage „Konkordat und Schulgesetz". Der Bund hat Verpflichtungen aus dem Konkordat, aber der Bund hat keine Möglichkeit, die Länder zu zwingen, sich konkordatsmäßig zu verhalten. Die Länder haben die Pflicht, sich bundestreu zu verhalten, damit der Bund seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen kann.
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Hier gehört vielleicht jemand her, .der seine guten Dienste anbietet und dafür sorgt, daß es möglich wird, ohne daß von hoher Hand gehandelt wird, daß dié Länder ihre Souveränität ausüben können, daß dies aber auf eine Weise geschieht, die den Bund völkerrechtlich seinem Partner gegenüber nicht in Verzug bringt. Das ist ein Fall, bei dem der Bundesratsminister vielleicht einiges hat tun können, was, ohne daß es ihn gegeben hätte, vielleicht nicht hätte getan werden können. - Das ist es, was ich Ihnen dazu sagen wollte.
Man hat mich einmal gefragt, als was ich denn eigentlich meine Funktion betrachte. Ich sagte: ich betrachte mich als eine Art Minister des Äußeren im Innnern,
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als einer, der im Innern die Verbindung herstellt zu politischen Individualitäten, die zu unserem Ganzen gehören, das da heißt Bundesrepublik Deutschland.
Ich sagte, es ist ein kleines Ministerium. Ich meine, daß auch ein kleines Ministerium, wenn es richtig besetzt ist, gewisse nützliche Funktionen ausüben kann, - so wie auch Fraktionen, die kleiner sind als andere, gewisse nützliche Funktionen ausüben können.
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Ein solches kleines Ministerium - Mini-Ministerium hat man es schon geheißen - sollte man nicht dikreditieren. Jeder Minister hat seinen Staatssekretär, und das hat, glaube ich, gute Gründe. Abgesehen davon ist keine neue Stelle geschaffen worden, sondern lediglich eine Stelle angehoben worden; also: die Kosten, Herr Kollege Genscher, sind nicht sehr groß.
Was die Reform der Struktur der Bundesregierung betrifft, so ist, glaube ich, hier auch in Ihrem Sinne kein großes Übel geschehen. So wie eine kleine Fraktion mit Recht verlangt, daß sie so ausgestattet werde wie große Fraktionen, um ihre nützliche Funktion wahrnehmen zu können, so muß man auch für ein kleines Ministerium eine Ausstattung verlangen, die ihm erlaubt, seine Funktionen nützlich erfüllen zu können. Was ein Staatssekretär alles zu tun hat - zu tun haben kann -, damit sein Minister in einem Ministerium, das in hohem Maße auf die Person des Ministers zugeschnitten ist, bei Ausübung der Funktionen diese Funktion auch gut erfüllen kann, das brauche ich Ihnen gewiß nicht zu sagen.
Meine Damen und Herren, die späten Stunden der Haushaltsdebatten pflegen die Stunden der Sarkasmen zu sein. Wir haben das erlebt und erleben können. Ich finde das ganz gut. Sonst wären ja. Tage wie diese nicht gut auszuhalten, nicht recht abzuschließen. Ich habe versucht, mich dieser Gewohnheit anzupassen, aber gleichzeitig habe ich versucht, dabei Maß zu halten. Ich danke Ihnen.
({9})
Wird das Wort zu diesem Einzelplan gewünscht? - Keine Wortmeldung.
Wir stimmen ab über den Einzelplan 28, Geschäftsbereich des Bundesministers für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 28 ist bei einigen Gegenstimmen angenommen.
({0})
Ich rufe auf:
Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
- Drucksache V/1757 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Tamblé
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Berichterstatter verzichtet.
Änderungsanträge liegen nicht vor.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus. ({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß Ihnen eine Enttäuschung bereiten,
({0})
eine Enttäuschung dadurch, daß wir uns als Opposition natürlich verpflichtet fühlen, zu jedem Ministerium unsere Auffassung zu sagen.
({1})
- Jetzt darf ich Ihnen aber doch einmal in allem Ernst sagen: Das Justizministerium ist für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ein so wichtiges Ministerium, daß es in der Haushaltsdebatte behandelt werden muß, auch wenn das zu einer vorgerückten Stunde geschieht.
Ich will jetzt gar nicht alles vortragen, was ich eigentlich über die Bedeutung des Justizministeriums und seine Aufgaben sagen wollte. Ich darf aber an das knüpfen, was soeben der Herr Bundesratsminister gesagt hat, als er von der Verfassungswirklichkeit sprach. Er sagte, sie müsse immer wieder überprüft werden. Ich glaube, die Zeitungsmeldungen der zwei letzten Tage haben gezeigt, daß noch etwas anderes immer wieder überprüft werden muß - und zwar handelt es sich hier um eine Aufgabe, der sich wohl das Justizministerium mit aller Intensität widmen muß -, nämlich die Frage, wieweit die vor der Schaffung des Grundgesetzes erlassenen Gesetze mit unserer Verfassung, mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Der Bürger, der die Einzelheiten nicht kennt, muß sich natürlich wundern, wenn er an zwei Tagen hintereinander liest, daß zwei wichtige Gesetze als verfassungswidrig erklärt und aufgehoben worden sind. Der Bürger fragt sich, wie denn der Bundestag in diesem Umfange Gesetze machen könne, die dann vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden. Hier eröffnet sich also eine neue Aufgabe, nämlich nicht nur bei der Beratung neuer Gesetze die Frage der Verfassungsmäßigkeit zu prüfen - der Rechtsausschuß macht sich gewiß nicht immer beliebt, wenn er die Fachressorts darauf hinweist, daß verfassungsmäßige Bedenken bestehen -, sondern auch die früher erlassenen Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.
Ich will nicht auf die großen Reformen eingehen, mit denen wir uns in diesem Bundestag noch befassen müssen. Eine der wichtigsten Reformen ist ja die Große Strafrechtsreform. Es besteht das Bestreben, dieses Gesetz noch in diesem Bundestag zu verabschieden. Wir Freien Demokraten sind bereit, von uns aus alles daranzusetzen, damit dies tatsächlich gelingt. Geschieht das nämlich nicht in diesem Bundestag, dann ist eine große Chance verpaßt.
Mit einem anderen wichtigen Gesetz werden wir uns schon kurz nach der Sommerpause abschließend
befassen müssen, nämlich mit dem Staatsschutzrecht. Ich will jetzt auf die materiellen Probleme nicht eingehen; dazu wird dann ja Gelegenheit sein. Warum ich dieses Gesetz hier erwähne, ist folgendes. Wir Freien Demokraten müssen fordern - als Opposition äußert man ja nicht nur Wünsche, sondern ist man in der Formulierung etwas schärfer und stellt Forderungen auf, Herr Bundesjustizminister -, daß uns das Bundesjustizministerium bezüglich des Verfahrensrechts Mithilfe gewährt. Zu meiner Freude habe ich gelesen, daß sich der Herr Bundesjustizminister und sein Staatssekretär zu der von uns Freien Demokraten schon früher erhobenen Forderung bekennen, auch für Staatsschutzsachen eine zweite Instanz vorzusehen. Insofern werden Vorschläge ausgearbeitet. Auch die Anwaltschaft und der Richterbund haben sich dafür ausgesprochen. Manchmal dauert es etwas lange, bis unsere liberalen Forderungen das entsprechende Gehör finden. Aber wir freuen uns immer, wenn es dann geschieht und geben deshalb auch bei anderen Forderungen, die wir früher erhoben haben, unsere Hoffnung nicht auf, daß sie in gleicher Weise Gehör finden. Ich würde es bedauern, wenn jetzt tatsächlich von den Ländern - der Bundesratsminister hat davon gesprochen - Schwierigkeiten gemacht würden bei dem Bemühen, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Ich hoffe, daß die guten Dienste, von denen der Herr Bundesratsminister gesprochen hat, auch dazu führen, daß eine vernünftige Regelung für eine zweite Instanz erfolgt.
Soweit es sich um die Lockerung des Verfolgungszwangs handelt, sind schon Vorschläge da. Aber, Herr Bundesjustizminister, ich habe schon wiederholt auch im Sonderausschuß zum Ausdruck gebracht, was ich noch für unbedingt erforderlich erachte, damit man auch in den Staatsschutzsachen zu einem echten, fairen Verfahren gelangt, und zwar ist das eine verfahrensmäßige Regelung für das Problem der indirekten Zeugen. Da geht es darum, inwieweit V-Leute selbst aussagen müssen, wie das im amerikanischen Recht der Fall ist, und nicht nur dritte Personen, die diese V-Leute gehört haben und dann bei Gericht aussagen.
Eine wichtige Sache ist auch die Regelung der Gutachterfrage. Wie bedeutungsvoll sie ist, ergibt sich auch aus folgendem.
Wir Freien Demokraten hatten uns schon einmal dazu geäußert, wie notwendig eine Richterakademie ist. Die Richter haben sie selbst gefordert. Als sie die Gründe hierfür anführten, wiesen sie darauf hin, daß heute der Richter - das kennen wir ja auch aus anderen Berufen - nicht mehr bei dem stehenbleiben kann, was er als Wissen von der Universität einmal mitgebracht hat, sondern daß er eine fortlaufende Unterrichtung braucht, sei es in Kriminologie, sei es in Psychologie oder Wirtschaftsfragen oder in einer ganzen Reihe anderer Gebiete. Denn bei Gerichten spielen nicht nur in Staatsschutzsachen, sondern auch sonst die Gutachter eine ganz erhebliche Rolle. Die Richter wollen mit Recht nicht, daß sie völlig von Gutachten abhängig werden. Daß Gutachter nicht immer das Richtige treffen, haben wir ja erfahren. Es gibt nicht immer nur e i n Gutachten, sondern vielleicht noch ein Gegengutachten und ein Obergutachten. Dann liegen dem Richter vielleicht nicht eine Meinung, sondern zwei oder drei Meinungen vor. Der Richter muß entscheiden, welches das Richtige ist.
Bei den Staatsschutzsachen sind die Gutachter natürlich insofern ein besonderes Problem, als sie meistens aus dem Verteidigungsministerium sind und daher mehr oder weniger in eigener Sache aussagen.
Ich darf gleich die Frage stellen: Wie steht es jetzt, Herr Bundesjustizminister, mit der Richterakademie? Auf unsere Frage in der Fragestunde vom November 1966 hatte Ihr Amtsvorgänger uns mitgeteilt:
Nachdem die Länder zuerst einer zentralen Richterakademie nicht wohlgesonnen gegenübergestanden hatten, hat eine Besprechung mit den Länderjustizministerien stattgefunden. Daraufhin ist das Bundesministerium der Justiz beauftragt worden, Vorschläge zur Gründung einer solchen Akademie auszuarbeiten. Das geschieht gegenwärtig.
Uns würde interessieren, wie weit die Verwirklichung der Vorschläge gediehen ist. Auf alle Fälle geht die Forderung der Freien Demokraten dahin, daß die Richterakademie möglichst in räumlichem Zusammenhang mit Karlsruhe oder mit einer Universität - am besten Heidelberg - geschaffen wird.
Wir haben es bedauert, daß unsere Vorstellungen bezüglich der Besoldung der Richter keine Gegenliebe bei der Großen Koalition gefunden haben. Ich habe aber die Hoffnung nicht aufgegeben, daß unsere Vorstellungen zur Richterakademie jetzt doch positiv beurteilt werden.
Wir haben noch eine Forderung aufzustellen. Was uns eigentlich bedrückt, Herr Bundesjustizminister, ist, daß jetzt, nachdem die Hälfte der Legislaturperiode verstrichen ist, noch kein Entwurf für das Unehelichenrecht vorliegt. Ich kann mir natürlich vorstellen, daß der ehemalige Justizminister von der FDP, Dr. Bucher, dann sein übernächster Nachfolger, Herr Dr. Jaeger, und der jetzige Bundesjustizminister die Probleme des Unehelichenrechts jeweils durch eine etwas andere Brille gesehen haben, und ich weiß, daß die Arbeiten an sich sehr weit fortgeschritten waren. Ich würde es aber bedauern, wenn sich jetzt die Vorlage dieses so wichtigen Gesetzes verzögert, weil - über die Grundsätze wird ja auch das Kabinett beraten und entscheiden müssen - zwischen den beiden Koalitionspartnern sehr verschiedene Auffassungen bestehen. Hier liegt ein Verfassungsauftrag vor. Wir wissen, daß ein derartiges Gesetz natürlich seine Zeit zur Beratung braucht. Wird es jetzt nicht in Kürze eingebracht, dann geht auch diese Legislaturperiode vorbei, ohne daß dieses wichtige, dringend notwendige Gesetz geschaffen wird.
Jetzt komme ich auf eine uralte Forderung der Freien Demokraten zurück; sie feiert genau ihr zehnjähriges Jubiläum. Ich hoffe nur, daß es uns gelingt, in der Frage des Rechtspflegeministeriums die Gegenliebe zu finden, so wie es uns in einer
wesentlich kürzeren Zeit gelungen ist, für die Rechtsmittelinstanz in Staatsschutzsachen die Gegenliebe zu erhalten. Herr Bundesjustizminister, schon im Zusammenhang mit der Schaffung des Obersten Senats hatte mein Kollege Busse wieder unseren Wunsch nach Schaffung des Rechtspflegeministeriums zum Ausdruck gebracht. Ich betone noch einmal: wir werden diese Frage der Schaffung eines Rechtspflegeministerium nicht nur im Bund, sondern genauso in den Ländern mit aller Entschiedenheit vortragen. Unser damaliger Antrag stammt aus dem Jahre 1957. Deshalb sagte ich: zehnjähriges Jubiläum. Schon damals, als seitens des Bundesjustizministeriums zu der Frage, welche Regelung statt des Obersten Bundesgerichts getroffen werden sollte, ein entsprechender Gesetzesvorschlag gemacht wurde, stand das Rechtspflegeministerium in der Diskussion. Über seine Wichtigkeit und Notwendigkeit könnte man natürlich sehr lange sprechen. In Anbetracht der vorgerückten Zeit werde ich mich sehr beschränken.
Ich muß aber darauf hinweisen, daß sich schon im Jahre 1960 und auch jetzt wieder folgende Instanzen für das Rechtspflegeministerium ausgesprochen haben: der Deutsche Richterbund, der Deutsche Anwaltsverein, die Justizministerkonferenz der Länder, der Deutsche Juristentag, auch - was jetzt kommt, dürfte Sie zu Überlegungen veranlassen - der Industrie- und Handelstag, der Bundesverband der deutschen Industrie, der Gesamtverband des deutschen Groß- und Außenhandels - er tagt ja heute in Bad Godesberg -, die Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels, der Bund der Steuerzahler und die Arbeitsgemeinschaft der Industrie-und Handelskammern. Wenn so verschiedenartige Gremien eine derartige Forderung erheben, dann zeigt das doch, daß es sich nicht nur um ein juristisches Problem, sondern auch um ein eminent wichtiges Problem für die Wirtschaft handelt. Warum? Ich möchte nur einige Ausführungen zitieren, die ein sehr angesehener Richter seinerzeit in einer Zeitung gemacht hat. Er gibt die Problematik in kurzen Worten überzeugend wieder, wenn er sagt:
Im zivilen Bereich wird es jeder als untragbar bezeichnen, daß ein Richter etwa den Prozeß eines Vermieters oder einer anderen Person, von der er wirtschaftlich abhängt, entscheidet. Man findet aber nichts dabei, daß ein Finanzrichter, der von der Finanzverwaltung personell und sachlich betreut wird, die Prozesse der Finanzverwaltung,' daß ein Sozialrichter, der von der Arbeitsverwaltung abhängt, von ihr gefördert wird, von ihr Schreibkräfte und Material zugeteilt erhält, die Prozesse der Sozialversicherung entscheidet und daß schließlich der Verwaltungsrichter, der über Verwaltungsakte der Innenverwaltung entscheidet, ausgerechnet von der Innenverwaltung betreut wird.
Und dieser Richter, es ist ein hoher Richter, fährt fort - da stimme ich mit ihm völlig überein; ich gehe von einer absoluten Integrität der Richter der verschiedenen Gerichtszweige aus; das steht aber gar nicht zur Diskussion -: „Es kommt nicht darauf an, wie sich die Richter fühlen, sondern darauf, was
der Bürger fühlt, dessen Prozesse entschieden werden." Und der Bürger hat eben den Eindruck, daß seine Prozesse dann richtig entschieden werden, wenn nicht derartige Hausgerichtsbarkeiten bestehen, sondern wenn tatsächlich die verschiedenen Gerichtszweige einem Rechtspflegeministerium unterstellt sind.
Ich möchte aus diesen Ausführungen des Richters noch einen Satz zitieren, und zwar sagt er, daß die Prozesse gegen die eigene Verwaltung bei den Sondergerichtsbarkeiten entweder die Regel bilden oder doch wenigstens die Hälfte ihres Geschäftsanfalls ausmachen. Das muß man sich überlegen. Daher auch die Bedenken gerade aus den Wirtschaftskreisen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte vor allen Dingen die Juristen an etwas erinnern: Woran uns liegen muß, ist, daß auch die Einheitlichkeit in den Grundsätzen der Rechtsprechung gewahrt bleibt, und das geschieht besser, wenn diese Sondergerichtsbarkeiten aufhören.
Jetzt kommt noch ein letzter Wunsch, Herr Bundesjustizminister - nein, das muß ich als eine Forderung bezeichnen, und zwar eine Forderung der Freien Demokraten, die wir auch schon früher erhoben haben. Es ist die Forderung nach einer Reform des Stiftungsrechtes. Im Rechtsausschuß wird jetzt die Reform des Stiftungsrechts - aber nur eine kleine Frage im Zusammenhang mit der Zeiss-Stiftung in Oberkochen - beraten. Die Reform des Stiftungsrechtes ist ganz dringend notwendig, und zwar nicht nur wegen der Förderung der Wissenschaften - das wurde in der Debatte im Jahre 1965 vorgetragen; ich verweise insofern auf das Protokoll der Sitzung vom 21. Mai 1965 und werde die Ausführungen von damals nicht wiederholen -, sondern auch aus Wirtschaftsgründen. Die Wirtschaft braucht ein neues Stiftungsrecht. Der Juristentag 1962 in Hannover hat sich ganz eingehend mit dieser Frage befaßt und die Reform des Stiftungsrechts gefordert. Mir ist bekannt, daß sich - damals am 21. Mai 1965; es ist also jetzt gerade etwas mehr als zwei Jahre her - auch das Justizministerium mit dieser Frage der Reform des Stiftungsrechtes befaßt hat. Unsere Forderung geht dahin, daß diese Arbeiten so vorwärtsgetrieben werden, daß wir in Kürze eine entsprechende Vorlage erhalten, die den berechtigten Wünschen sowohl der Wissenschaft und Forschung - ich erinnere an die Bedeutung des Stiftungsrechts für die Wissenschaft, vor allen Dingen in Amerika - als auch der Wirtschaft, die an diesen Fragen sehr interessiert ist, gerecht wird.
Jetzt wieder eine andere Frage, Herr Bundesjustizminister. Im Zusammenhang mit der Kleinen Strafprozeßnovelle hat der Bundestag einmütig die Einsetzung einer Großen Strafverfahrens- und einer Großen Strafvollzugskommission gefordert. Wenn es nicht zu so später Stunde wäre, hätte ich eingehender ausgeführt, warum beide - vor allen Dingen die Strafvollzugskommission - so notwendig sind. Meine Frage: Wie steht es jetzt damit? Ist damit zu rechnen, daß sie eingesetzt werden oder haben sie ihre Arbeit schon begonnen? Mir ist bisher nichts bekannt.
Noch etwas, worüber ich - das wird wohl heute nicht möglich sein - ({2})
- Herr Kollege, ich fasse mich ja auch ganz kurz.
({3})
- Warten Sie, warten Sie. - Es handelt sich um eine Frage, zu der Äußerungen des jetzigen Herrn Bundesjustizministers Anlaß geben, und diese Beratungen sind dafür da, daß man diese Frage wenigstens kurz anschneidet.
Es geht um die Frage der großen Justizreform. Sie haben darüber schon einige Male - ich habe es aus den Zeitungen entnommen, aber leider nur nicht sehr ausführlich - gesprochen. Es würde uns doch interessieren, zu gegebener Zeit einmal Ihre Vorstellungen darüber zu hören, vor allen Dingen darüber, wie Sie sich dieses Rechtsamt vorstellen. Ich hoffe, daß da nicht an die Friedensgerichte gedacht ist, die wir in Baden-Württemberg seligen Angedenkens einmal erlebt haben und die so wenig der Verfassung entsprochen haben, obwohl sie nach 1945 gemacht wurden, daß sie, und zwar mit sehr richtigen Gründen und sehr wohl berechtigt, vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden sind. Die Mehrheit des Landtags von Baden-Württemberg war vorher leider nicht zu überzeugen.
Ich darf zum Schluß noch fragen, ob sich das Justizministerium in Zusammenhang mit der Justizreform auch schon einmal überlegt hat, ob es eigentlich richtig ist, daß für die Anwendung des Eherechts - wir befassen uns ja jetzt hoffentlich recht bald auch im Rechtsausschuß damit - verschiedene Gerichte zuständig sind, einmal Gerichte für das Scheidungsverfahren, dann Gerichte, die über die Unterhaltsforderungen und über das Sorgerecht entscheiden, und dann wieder andere Gerichte - freiwillige Gerichtsbarkeit - für Haushaltsauseinandersetzungen. Wäre es nicht richtig, daß nur e i n Gericht für diese verschiedenen Fragen - die meistens ganz eng zusammenhängen - zuständig ist?
Da ich jetzt schon über das Ehegesetz spreche, Herr Justizminister: Es war für uns als Freie Demokraten natürlich etwas eigenartig, daß bei der Behandlung unseres Antrags auf Änderung des Ehescheidungsrechts zunächst das Justizministerium überhaupt nicht vertreten war. Ich darf hier unserer leider viel zu früh verstorbenen verehrten Vizepräsidentin Frau Dr. Probst noch einmal unseren ganz besonderen Dank aussprechen, daß sie damals in so fairer Weise auf guten politischen Stil in dieser Hinsicht hingewiesen hat. Es war natürlich für uns auch etwas überraschend, von Ihnen, Herr Justizminister, zu hören, daß eine Stellungnahme der Regierung zu unserem Vorschlag auf Änderung des § 48 des Ehegesetzes nicht vorliegt. Ich glaube, das ist sonst nicht der Stil, wenn Initiativentwürfe aus dem Hause kommen, daß die Bundesregierung überhaupt nicht Stellung nimmt. Ich hoffe, daß das eine einmalige Ausnahme war und daß wir dann wenigstens in den Ausschußberatungen auch die Auffassung der Bundesregierung zu dieser Frage hören.
Wir werden den Justizhaushalt bei allem Abwägen von Für und Wider, Herr Justizminister, nicht ablehnen. Aber Sie, der Sie früher so wirkungsvoll die Opposition der SPD vertreten haben, werden sicherlich Verständnis dafür haben, daß wir uns der Stimme enthalten.
({4})
Ich habe hier noch einen Redner, Herr Bundesjustizminister. Wünschen Sie jetzt das Wort zu nehmen oder am Schluß?
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist vielleicht nicht ganz uninteressant, zu wissen, daß das letztemal, genau am 9. März 1961, also vor mehr als sechs Jahren, zum Justizhaushalt hier im Hohen Hause debattiert worden ist. Woran liegt das nun, daß über den Justizhaushalt hier nicht gesprochen wird? Es liegt nicht nur an der Bescheidenheit und Zurückhaltung der Juristen. Das glauben Sie mir ja doch nicht.
({0})
Es liegt wohl im wesentlichen daran, daß die wirkliche Arbeit des Justizministeriums kaum einen Niederschlag in seinem Haushalt findet, vielleicht in den Haushalten der Länder, aber nicht in diesem Haushalt. Dann liegt es natürlich daran, daß der Justizhaushalt, wie heute abend, zu Zeiten diskutiert zu werden pflegt, zu denen es wenig sinnvoll ist, längere Ausführungen zu machen, obgleich es natürlich - das meine ich in allem Ernst - schon einmal angebracht wäre, in diesem Haus bei passender Gelegenheit die Grundfragen unseres Rechts und unserer Justiz in einer allgemeinen Debatte zu erörtern. Aber heute wäre das wohl sicherlich fehl am Platz.
Ich möchte mich daher begnügen mit ein paar kurzen Bemerkungen zu den aktuellen Fragen dieses Etats und dem, was im Moment aktuell in der Arbeit des Ministeriums ist.
Der Haushalt enthält einige recht geringfügige Kürzungen betreffend die Vorbereitungskosten für einige wichtige Vorhaben des Ministeriums. Es geht um geringe Beträge, und ich will hoffen, daß dadurch die Arbeiten an der Strafvollzugsreform, an der Strafprozeßreform und an der Reform der Zivilgerichtsbarkeit nicht verzögert werden.
Ich bin mit Ihnen, Frau Kollegin, völlig einig, daß insbesondere die Strafvollzugsreform sehr schnell kommen muß. Denn ein noch so gutes neues Strafrecht würde uns nichts nützen, wenn es nicht von einer Reform des Strafvollzugs begleitet würde. Genaugenommen müßte die Strafvollzugsreform sogar vor dem Strafrecht kommen, damit die Länder, die die Strafen zu vollziehen haben, genügend Zeit haben, das zu errichten, was dafür nötig ist. Es wäre keine gute Sache, wenn wir ein neues StrafHirsch
recht in dieser Legislaturperiode bekämen, wie Sie mit Recht gewünscht haben, Frau Kollegin, aber dann in Ermangelung eines guten neuen Gesetzes für den Strafvollzug mehr oder weniger viel davon Theorie wäre.
({1})
- Ich weiß, Herr Kollege, wie das leider ist. Aber man muß ja manchmal gewissen Idealen nachjagen, auch wenn man weiß, daß man sie nicht gleich erreichen kann. Ich bin also Ihrer Meinung, Frau Kollegin, daß die Strafvollzugsreform ein dringendes Anliegen ist, und ich hoffe, daß sie nicht dadurch verzögert wird, daß gewisse Unkosten dafür jetzt etwas reduziert worden sind.
Wichtiger für unsere aktuellen Überlegungen sind die Dinge, die, wie ich meine, dicht vor der Einbringung seitens des Justizministeriums stehen, und die Dinge, die in diesem Bundestag bereits so weit in der Beratung gediehen sind, daß sie trotz der Meinung der Pessimisten vielleicht doch noch demnächst verabschiedet werden können.
Sie haben zu Recht das politische Strafrecht hervorgehoben. Ich weiß, daß der zuständige Ausschuß dabei wider Erwarten sehr weit gediehen ist. Man kann also die Hoffnung haben, daß dieses Kind wirklich geboren wird.
Genauso wichtig ist die Reform des Unehelichenrechts und die sogenannte kleine Justizreform. Als alter Optimist bin ich der Meinung, es kommt beides. Was die Reform des Unehelichenrechts betrifft, habe ich zwei Gründe, warum ich sehr wünsche, daß sie bald kommt: einmal von der Sache her - das haben Sie, Frau Kollegin, zu Recht hervorgehoben -, aber noch aus einem anderen Grunde, der Sie, Frau Diemer-Nicolaus, wahrscheinlich sehr freuen wird, nämlich dem, daß damit die Familienrechtsabteilung des Justizministeriums die Zeit bekommt, sich an die Arbeit zu machen und zu überprüfen, ob und inwieweit wirklich eine Reform unseres Scheidungsrechts erforderlich ist.
Wir haben uns ja bei der Debatte über Ihren Antrag darüber unterhalten. Ich habe Ihnen damals schon gesagt: So einfach, wie Sie sich das gemacht haben, geht es nicht. Unser Scheidungsrecht ist sicherlich reformbedürftig, aber nur zu einem ganz, kleinen Teil bei dem § 48. Es ist in mancherlei Hinsicht reformbedürftig. Unser Scheidungsrecht krankt - wenn ich das sagen darf - wahrscheinlich daran, daß manche Paragraphen eine viel zu rasche und schnelle Scheidung ermöglichen und daß andere Paragraphen eine Scheidung auch in Fällen nicht ermöglichen, wo sie wahrscheinlich von der Sache her angebracht wäre. Das ist sehr schwer richtig zu lösen, wenn man gewillt ist, die Rechte der Familie zu bewahren - und das müssen wir, glaube ich -, so daß das nicht ad hoc gemacht werden kann, sondern daß wir dafür die Vorarbeit des Ministeriums brauchen. Es ist dem Herrn Minister zu danken, daß er in verschiedenen Veröffentlichungen - ich denke insbesondere an einen Artikel in der „Neuen Ruhrzeitung" vom 1. Juni dieses Jahres über das neue Eherecht - deutlich gemacht hat, wie schwer die
Aufgabe ist, wie sorgfältig sie vorbereitet werden muß, und was alles dahintersteckt.
Ich habe neulich schon auf all die Konsequenzen hinsichtlich des Unterhalts der Familie hingewiesen. Durch eine sehr dankenswerte Veröffentlichung im „Anwaltsblatt" dieses Jahres ist mir etwas klargeworden, was mir persönlich vorher gar nicht klar war, eine Konsequenz, die auch die wenigsten von Ihnen bisher wahrscheinlich erkannt haben. Ich meine die Konsequenz, wie sehr nach unserem heutigen Recht die geschiedene Ehefrau benachteiligt ist hinsichtlich ihrer Versorgungsansprüche als Witwe eines Beamten, als Witwe eines Sozialversicherungsbeziehers. Sie muß nämlich im günstigsten Falle das, was an Versorgung da ist, mit einer etwaigen zweiten Ehefrau teilen, und ob das die richtige Lösung ist, - ({2})
- Gut, ich wollte das nur einmal hier in dem Zusammenhang erwähnen, Herr Kollege. Das müssen Sie schon mir überlassen.
Entscheidend aber ist etwas anderes. Entscheidend ist, daß wir eine Lösung finden, -
Zwischenfrage!
Haben Sie wirklich überlesen und überhört, daß gerade ich immer eine Verbesserung der Versorgungsbezüge gefordert habe?
Ich habe doch gar nicht Sie angegriffen. Sie können mir doch dankbar sein, wenn ich das, was Sie gesagt haben, noch einmal hervorhebe, Frau Kollegin, oder?
Nun also, es ist zu spät, um diese Dinge, die gar nicht sorgfältig genug behandelt werden können, noch einmal in allen Einzelheiten hier zu erwähnen.
Ich möchte nur auf eines hinweisen, Frau Kollegin. Ihre Behauptung, es gebe unzähliges Material dafür, daß sich die Praxis des Scheidungsrechts durch die Änderung des § 48 des Ehegesetzes im Jahre 1961 wesentlich verschlechtert habe, stimmt einfach nicht. Dieses Material gibt es nicht. Sie werden es auch nicht bekommen! Das Problem ist auch gar nicht das, was Sie angesprochen haben, sondern es ist ganz anders.
Aber um Ihnen, Frau Kollegin, zum Abschluß eine Freude zu machen und Ihnen die Illusion zu rauben, daß es uns bei unserer Ablehnung Ihres' Antrages etwa allein darum ginge, ,den Koalitionsfrieden zu erhalten oder keinen „Ehestreit" in der Koalition zu bekommen, möchte ich Ihnen in aller Offenheit sagen, wie ich mir ganz persönlich einen Antrag zu § 48 des Ehegesetzes vielleicht vorstellen könnte.
({0})
- Das als Schluß. Was würden Sie davon halten, wenn man § 48 Abs. 2 des Ehegesetzes wie folgt formulierte:
({1}) Hat der Ehegatte, der die Scheidung begehrt, die Zerrüttung ganz oder überwiegend verschuldet, so darf die Ehe gegen den Widerspruch des anderen Ehegatten nicht geschieden werden, es sei denn, daß die Ehe von Anfang an keine sittlich tragbare Grundlage gehabt oder diese später verloren hat. Der Verlust dieser Grundlage ist in der Regel eingetreten, wenn auch dem widersprechenden Ehegatten die Bindung an die Ehe und eine wirkliche Bereitschaft fehlt, die Ehe fortzusetzen.
Das ist einmal ein Diskussionsvorschlag, damit Sie nicht denken, wir drücken uns, verneinen nur und sind nicht selber dabei, uns Gedanken zu machen. Ob das der letzte Stein der Weisen ist, weiß ich nicht; es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Aber vielleicht beschäftigen Sie sich einmal damit. Wir werden uns ja darüber zu unterhalten haben.
Wichtig ist jedenfalls, .daß wir uns darüber im klaren sind, daß es hier nicht darum geht, Ehen, die keine sind, nicht scheiden zu wollen. Es fragt sich nur, wer erkennt es, und wie erkennt man es, ob die Ehe keine ist und ob sie keine sittliche Grundlage hat. Hätten wir nur ideale Richter, die fast gottähnlich wären, dann wäre das kein Problem, und wir bräuchten kein Gesetz. Wir müssen aber den Richtern mit einem Gesetz dienen, mit eine Handwerkszeug, mit dem sie arbeiten können, wie wir das auch auf anderen Gebieten tun müssen.
Frau Kollegin, ich gebe Ihnen durchaus recht, daß es des Schweißes der Edlen wert wäre, einmal zu prüfen, wie viele unserer früheren Gesetze verfassungswidrig sein könnten. Ich frage nur: wer soll das tun, wer soll das entscheiden außer dem Verfassungsgericht, das für diese Aufgabe von uns bestellt worden ist? Ich glaube, so plausibel auch zunächst Ihr Vorschlag ist, er wird einfach daran scheitern, daß es niemanden geben kann außer dem Verfassungsgericht, der diese Feststellung mit der nötigen Autorität treffen kann. - Bitte schön!
Daß die Strafgewalt der Finanzbehörden sehr zweifelhaft war, das war ja schon früher bekannt, und es wurden entsprechende Vorschläge gemacht. Ihre Verwirklichung scheiterte nur an den Landesfinanzministern. Ist Ihnen das nicht bekannt? Es gibt also Gesetze, die den Stempel der Verfassungswidrigkeit doch sehr stark auf sich tragen.
Frau Kollegin, vielen Dank für den Ball, den Sie mir damit zuspielen. Ich gehöre zu denen, die sofort nach der Verabschiedung dieses Gesetzes, und zwar zu einer Zeit, als ich noch gar nicht in diesem Hause war, gemeint haben, daß dieses Gesetz verfassungswidrig sei. Sie wissen genau, wie so etwas zustande kommt. Aber die Stelle, die über die Verfassungswidrigkeit entscheidet, ist niemand von uns - ich sage das noch einmal -, sondern ist aus wohlerwogenen. Gründen das Verfassungsgericht.
Das für heute, das für die späte Stunde. Vielen Dank, daß Sie mir dennoch zugehört haben.
({0})
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort dem Herrn Bundesjustizminister gebe, - ({0})
- Herr Abgeordneter Bauer ({1}), beruhigen Sie sich! Es gibt Parlamente, in denen gehört es zum guten Ton, um diese Zeit so richtig in das Detail zu gehen. Das ist bei uns des Landes nicht der Brauch. Aber es gibt solche und andere Menschen auf der Welt. Es gibt Morgenmenschen, und es gibt Abendmenschen. Also lassen Sie doch endlich auch einmal den Abendmenschen eine Chance.
({2})
Meine Damen und Herren, das Ziel der Klasse ist heute die Verabschiedung des Einzelplans 07 und des Einzelplans 10.
({3})
Ich habe Verständnis für den Widerspruch. Der Fraktionsvorsitzende der Christlich-Demokratischen Union und Christlich Sozialen Union muß darauf aufmerksam machen, daß, wenn das heute nicht geschieht, ich nicht morgen abend das Haus guten Gewissens um 21 Uhr entlassen kann. So ernst ist die Lage.
({4})
Ich habe mich bis jetzt immer dagegen gewehrt, die zweite Lesung des Bundeshaushalts zu manipulieren. Ich bin hier äußerst zurückhaltend mit Aufforderungen, nicht zu reden oder so. Irgendwann muß es einmal im Parlament die Möglichkeit geben, daß jeder einzelne eben sagt, was er meint. Das ist nicht sehr bequem für das Haus, aber das muß einmal im Jahr mindestens durchgestanden werden. Also kurz und gut, meine Damen und Herren: wir haben uns die Sache im Ältestenrat auf das genaueste überlegt. Wir stehen unter dem Zwang, daß wir morgen abend bis 21 Uhr tagen müssen unter der Voraussetzung, daß wir heute abend mit dem Einzelplan 10 fertig werden.
({5})
- Ich bin bereit, mit den Rednern hier allein die Sitzung weiterzuführen. Ich hoffe, daß die Beschlußfähigkeit des Hauses nicht bezweifelt wird.
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
({6})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weder die späte Stunde noch die von der Opposition gegebenen Anstöße sind dazu angetan, jetzt noch in große Justizpolitik einzutreten. Ich bin aber natürlich gehalten, auf die von der Opposition gestellten Fragen eine Antwort zu geben; und seien Sie, soweit es mich betrifft, beruhigt: um 23 Uhr ist Feierabend.
Zwei Vorbemerkungen zu dem, was die Sprecherin der Opposition gesagt hat.
Einmal muß immer wieder bedacht werden, daß die Justiz im Schwerpunkt Landessache und nicht Bundessache ist; und zum anderen: soweit mir als dem derzeitigen Bundesjustizminister kritische Fragen gestellt werden, bitte ich zu bedenken, daß ich ein halbes Jahr im Amt bin, das Bundesjustizministerium im Verlauf seiner gesamten Existenz 101/2 Jahre durch Repräsentanten der FDP-Fraktion geführt worden ist.
({0})
Ich kann also nicht alles, was da etwa unterblieben sein sollte, aufgeholt haben. Dazu gehört etwa die Überprüfung der Gesetze aus der Zeit vor Gründung der Bundesrepublik. Ich bin überhaupt der Meinung, daß das Justizministerium solch eine Arbeit nicht tun könnte; denn es ist nicht an die Stelle des Bundesverfassungsgerichts zu setzen. Eine Einmütigkeit über das, was verfassungskonform und was nicht verfassungskonform wäre, ist ja praktisch kaum herzustellen. Das haben gerade auch die von Ihnen erwähnten letzten Verfahren wieder einmal ergeben.
Was die Strafrechtsreform anbelangt, so wissen Sie selbst, daß sie in dem Sonderausschuß in voller Arbeit ist. Es ist Sache des Parlaments, ob und wieweit die Strafrechtsreform in diesem 5. Bundestag gedeiht.
Was den Staatsschutz und seine zwei Instanzen anlangt, so habe ich darüber durchaus klare Vorstellungen. Es ist auch eine Vorlage erarbeitet. Sie stößt aber auf politische Schwierigkeiten, die nicht zuletzt in dem bundesstaatlichen Charakter begründet sind.
Zu dem Thema „indirekte Zeugen", Frau Diemer-Nicolaus: Dieses Thema habe ich auf einer Konferenz sämtlicher Justizminister und Justizsenatoren angeschnitten, und das Ergebnis ist dies: daß ein Bundesland angefangen hat, die Benennung von indirekten Zeugen bei den Staatsanwaltschaften weisungsgemäß abzuriegeln, und daß diese Anordnung dieses einen Bundeslandes nun allen anderen Bundesländern zur etwaigen Nachahmung, mindestens aber zur Beachtung vorliegt.
Was Gutachter in Staatsschutzsachen anbelangt, so wird auch Ihnen geläufig sein, daß die Gutachter vom Gericht ausgewählt werden, nicht irgendwie vom Justizministerium vorbestellt werden können.
Zu dem Thema Zentrale Richterakademie darf ich darauf hinweisen, daß das Bundesjustizministerium die Behörde ist, die diese Richterakademie konsequent anstrebt. Aber die Landesjustizminister sind längst nicht bereit, das mitzumachen, obwohl der Schwerpunkt - das muß ich auch hier wieder sagen - bei der Landesjustiz liegt und vor allen Dingen die große Zahl der Richter Landesbeamte sind. Ich kann also nicht mehr tun, als diesen Gedanken auf weiteren Konferenzen wachzuhalten, muß dann aber natürlich auch daran denken, daß der Bund, wenn er sich zu stark engagieren würde, dann die finanziellen Lasten dieses Unternehmens hätte, obwohl die Justiz im Schwerpunkt Landessache bleiben muß.
Was die Rechtsstellung des unehelichen Kindes anbelangt, so darf ich daran erinnern, daß ein Referentenentwurf im Mai vorigen Jahres fertiggestellt war und allen Landesjustizverwaltungen und interessierten Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet wurde. Die Überarbeitung dieser Stellungnahmen auf einen neuen Entwurf ist abgeschlossen, und ich bin überzeugt, daß der Hauptteil dessen, was unter dem Recht des unehelichen Kindes zu überarbeiten ist, nämlich der bürgerlich-rechtliche Teil, in Kürze, noch vor der Sommerpause, das Kabinett erreicht. Was den Inhalt dieses Entwurfs anbelangt, so bin ich davon überzeugt, daß er in diesem Hause eine breite Übereinstimmung finden wird, einschließlich Ihrer Freunde.
Zu dem Rechtspflegeministerium habe ich unlängst Stellung genommen, als über den Gemeinsamen Senat gesprochen wurde. Ich habe in Erinnerung gerufen, daß der gute Zeitpunkt 1949/50 gewesen wäre. Leider ist er versäumt worden. Jetzt ist es kein Thema, das politisch mit Aussicht auf Erfolg von Bundes wegen angefaßt werden könnte. Wir alle können nur hoffen, daß in den Bundesländern weiter in Richtung auf Zusammenfassung verschiedener Justizzweige zu einem Rechtspflegeministerium gearbeitet wird.
Die Reform des Stiftungsrechts ist in Arbeit.
Was die Strafvollzugskommission anlangt, haben die Länder die von mir erbetenen Vorschläge für die personelle Besetzung einer Strafvollzugskommission jetzt im wesentlichen hergegeben, so daß diese Kommission in Kürze etabliert werden kann. Eine gewisse Schwierigkeit macht noch die Ausstattung dieser Kommission mit dem Sekretär. Das muß natürlich ein Beamter aus dem Justizministerium sein, und dafür ist im Moment die passende Figur noch nicht zur Hand.
Die Große Justizreform, Frau Diemer-Nicolaus, schwebt mir nicht in dem Sinne vor, daß sie etwa in diesem 5. Bundestag auch nur mit einem Minimum von Aussicht auf Verwirklichung angefaßt werden könnte. Das ist eine Aufgabe aus dem weiteren Horizont. Im Zugang auf die Große Justizreform bemühen wir uns, von den Richtern alle die Arbeit wegzubringen, die nicht wirklich richterliche Arbeit sein muß. Das heißt auf Deutsch: Verlagerung einer Fülle weiterer Arbeiten von den Richtern auf Rechtspfleger, Herausnahme des Urkundswesens aus den Gerichten und Überleitung auf Notariate, heißt aber auch: Wegnahme von Ordnungswidrigkeiten aus der Justiz, so daß die beteiligten Verwaltungsbehörden
eine erste Ahndung unternehmen können. Das ist ja gerade das Thema, das hier im Zusammenhang mit der Vielzahl der Straßenverkehrswidrigkeiten zur Erörterung steht. Daß da eine Schwemme von anderthalb bis zwei Millionen Verkehrsübertretungen jährlich über die Schreibtische der Richter läuft, ist ein völliger Nonsens. Das wegzuschaffen wird mit dem Gesetz angestrebt, das ja schon im Bundestag liegt.
Es bleibt eine letzte Bemerkung - es sind nach der Uhr noch zwei Minuten bis 23 Uhr - zu dem wiederholt von Ihnen in Erinnerung gestellten Antrag wegen des Ehescheidungsrechts. Sehr geehrte Frau Diemer-Nicolaus, ich glaube, daß Sie dem, was Sie dabei bewegt, einen guten Dienst täten, wenn Sie die Dinge ein wenig reifen ließen. Ich beobachte nämlich, daß sich in bezug auf das Ehescheidungsrecht in der öffentlichen Meinung und in der Stellungnahme wesentlicher Körperschaften zu diesem Thema eine Verlagerung vollzieht von der bisherigen starken Betonung des Schuldprinzips bei der Ehescheidung in Richtung auf eine bessere Berücksichtigung des Zerrüttungsprinzips. Ganz simpel auf Deutsch gesagt: Ein Verschulden in der Ehe kann verziehen werden; eine Zerrüttung aber, wenn sie lange gedauert hat und wenn daraus dreifache Lebensverhältnisse - meine Kinder, deine Kinder, unsere Kinder - entstanden sind, ist unendlich viel schwerer, letzten Endes überhaupt nicht mehr reparabel, so daß das Zerrüttungsprinzip nicht nur nach meiner persönlichen Meinung, sondern auch nach meiner Beobachtung dessen, was andere dazu denken, ein stärkeres Gewicht gewinnen wird und gewinnen sollte.
Was an Ihrem FDP-Antrag so ungewöhnlich zu kurz geschossen ist, ist das völlige Vergessen dessen, daß in dem Familienrechtsänderungsgesetz von 1961 nicht nur der § 48 mit einem einzigen Satzstück geändert wurde, sondern daß in der Zivilprozeßordnung über § 547 etwas unternommen wurde, was viel schwergewichtiger war. Damals ist in das Gesetz hineingeschrieben worden, daß jeder Ehescheidungsprozeß, in dem das Widerspruchsrecht - dessen Geltung oder Nichtgeltung - eine Rolle spielt, zum BGH gebracht werden kann, also totale Revisibilität dieser Rechtsfrage. Das hat zur Folge gehabt, daß die divergierende Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in den Ehescheidungen völlig überrollt worden ist, gleichgeschaltet worden ist. Damit ist damals etwas erreicht worden, was Ihnen am allermeisten zuwider sein müßte. Diesen § 547 der Zivilprozeßordnung zu ändern, haben Sie nicht beantragt.
Kurzum: Dieses ganze Thema bedarf einer gründlichen und umfassenden Überlegung, und daran ist dieses Justizministerium jedenfalls unter meiner Amtsleitung jeden Tag interessiert, und es ist zu jeder Hilfestellung bereit.
({1})
Keine weiteren Wortmeldungen zu dem Einzelplan 07.
Abstimmung! Wer dem Einzelplan 07 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Anzahl Enthaltungen ist der Einzelplan 07 angenommen.
Meine Damen und Herren, ich habe zwar dem Hause nach einer Besprechung im Ältestenrat mitgeteilt, daß die Plenarsitzung bis 23 Uhr fortgesetzt werden solle. Dieser Zeitpunkt ist jetzt erreicht. Die Verabredung im Ältestenrat kam aber unter der Voraussetzung zustande, daß wir heute abend die Einzelpläne 29, 28, 07 und 10 erledigen könnten. Der Einzelplan 10 ist nicht erledigt; das ist der Einzelplan für den Geschäftsbereich des Bundesministers -für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Wenn wir diese Sache - was sehr bequem wäre - auf morgen früh vertagten, müßte ich leider sagen, daß wir dann bis morgen abend 21 Uhr mit Bestimmtheit die Einzelpläne in der zweiten Lesung nicht so weit erledigen können, daß wir in der nächsten Woche mit dem Einzelplan 14 - Verteidigung - beginnen können. Nach dem jetzigen Stand der Debatte kann sowieso keine Rede davon sein, daß wir mit der Verteidigungsproblematik morgen auch noch fertig werden würden. Wir sind morgen durch schwierige Sachen - Einzelplan 06, Inneres, usw. - in Anspruch genommen; wir haben eine Reihe anderer Einzelpläne zu behandeln. Ich glaube auch nicht, daß es realistisch wäre, wenn wir uns sagen würden: Dann wird eben morgen bis 23 oder 24 Uhr nachts getagt. Morgen ist die Sache viel schwieriger.
Wir werden also nur, wenn wir heute abend noch den Einzelplan 10 erledigen können, Aussicht haben, einigermaßen mit dem schwierigen Fahrplan, auf den sich der Ältestenrat geeinigt hat, so zu Rande zu kommen, daß wir in der nächsten Woche rechtzeitig vor dem 17. Juni mit der dritten Lesung fertig sein werden. Das sollte doch das Ziel des Hauses sein. Wird das nicht erreicht, so stehen wir vor der ganz schwierigen Frage, ob wir nicht in der übernächsten Woche die dritte Lesung des Bundeshaushalts machen müssen. Das wiederum würde andere Erwägungen ins Schwanken bringen. Ich glaube, man hat sich im Ältestenrat geeinigt, daß man das nach Möglichkeit nicht tun sollte.
Kurz und gut, meine Damen und Herren, ich gebe dem Haus anheim, ob es jetzt abbrechen will. Ich habe angekündigt: bis 23 Uhr.
({0})
Ich muß aber sagen, daß ich mich unter dem Zwang befinde, den Einzelplan 10 jetzt aufzurufen.
Ist das Haus damit einverstanden, daß Einzelplan 10 aufgerufen wird? - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen V/1760, zu V/1760 -Berichterstatter: Abgeordneter Brese
Abgeordneter Röhner
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Ich frage die Herren Berichterstatter - die Abgeordneten Brese und Röhner -, ob sie das Wort wünschen. - Das Wort hat der Herr Berichterstatter Röhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte die Absicht, meinen dem Hohen Hause bereits schriftlich vorliegenden Bericht jetzt in der Debatte zum Einzelplan 10 sachlich zu ergänzen und darüber hinaus auch noch weitere Sachbemerkungen anzufügen. In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und der zweifellos recht prekären Geschäftslage des Hohen Hauses möchte ich aber auf beides verzichten. Soweit meine Ausführungen schriftlich fixiert sind - sie sind es teilweise -, möchte ich sie mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zu Protokoll geben.
({0})
Ich würde mich freuen, wenn sich die Sprecher der anderen Fraktionen meinem Vorgehen anschließen könnten. Falls das nicht geschieht, bitte ich mir vorbehalten zu dürfen, in eine eventuelle später stattfindende Sachdebatte noch einzugreifen.
({1})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich mache auf § 33 Abs. 2 der Geschäftsordnung aufmerksam, wonach Sie als Berichterstatter jederzeit das Wort nehmen können.
Es liegen nun Änderungsanträge vor, zunächst der Änderungsantrag der Abgeordneten Bauknecht, Dr. Reinhard und Genossen auf Umdruck 248 *). Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Keine Wortmeldungen; wir kommen zur Abstimmung.
Wer diesem Änderungsantrag der Abgeordneten Bauknecht, Dr. Reinhard, Bewerunge und Genossen auf Umdruck 248 zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Änderungsantrag .der Fraktionen der CDU/CSU, SPD auf Umdruck 249 **). Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Ehnes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir behandeln den Änderungsantrag der beiden Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD auf Umdruck 249; der Umdruck liegt Ihnen vor. Ich brauche mich deswegen nicht damit zu befassen.
Ich darf zur Begründung folgendes sagen. Wir sind zu dem Antrag gekommen, weil zu erwarten ist, daß ,die EWG-Beihilferegelung Zuschüsse zur Durchführung von Qualitätskontrollen bei Braugerste als nationale Förderungsmaßnahme zuläßt. Mit dem Erlaß der Beihilfe-Vorschriftenverordnung Nr. 26 wird für den Herbst 1967 gerechnet. Aus agrarpolitischen Gründen ist es unabweisbar not-
*) Siehe Anlage 9 **) Siehe Anlage 10 wendig, diese Möglichkeit der Sicherstellung der deutschen Braugerste erneut zu nützen.
Der Mittelbedarf hängt von den Einzelheiten der EWG-Beihilferegelung ab und kann zur Zeit noch nicht übersehen werden. 1967 etwa notwendig werdende Ausgaben sollen unter Inanspruchnahme der bei den Titeln 620 bis 623 vorgesehenen gegenseitigen Deckungsfähigkeit durch Einsparungen bei den einzelnen Förderungsmaßnahmen, die sich erst im Laufe der Bewirtschaftung ergeben können, ohne zusätzliche Haushaltsbelastung aufgebracht werden.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Es geht den beiden Fraktionen darum, daß die in gewissen Bereichen vorbildlich gebildete Erzeugergemeinschaft damit berücksichtigt wird und daß diese Möglichkeiten in dem Übergangszeitraum entsprechend berücksichtigt werden, bis das von der EWG Vorgesehene in Kraft gesetzt werden kann.
In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit darf ich Sie, meine sehr geschätzten Damen und Herren, um Zustimmung zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 249 bitten.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen? - Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD auf Umdruck 2491. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich frage, ob zum Einzelplan 10 weiter das Wort gewünscht wird. - Das Wort hat der Abgeordnete Peters.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe volles Verständnis dafür, daß Sie keine langen Ausführungen wünschen. Es war aber nicht vorauszusehen, daß wir zu so später Stunde drankommen würden und daß man ein fertiges Konzept haben sollte. Ich bin der Meinung, daß der Ernährungshaushalt es wohl wert ist, heute abend diskutiert zu werden.
Der Haushalt des Einzelplans 10 ist in diesem Jahr um 100 Millionen DM geringer als im vorigen Jahr. Dazu sind fast 500 Milionen DM an Vorfinanzierungen durch EWG-Marktordnungen in diesem Haushalt enthalten, so daß 600 Millionen weniger als im Vorjahr für rein agrarpolitische Zwecke zur Verfügung stehen. Das zeigt nach unserer Meinung die Einstellung dieser Koalition zur Landwirtschaft. Sie begründen, meine Damen und Herren, diese Kürzung sehr wahrscheinlich mit einem Subventionsabbau. Deshalb muß kurz untersucht werden, was in diesem Haushalt als Subventionen zu gelten hat. Drei große Ausgabenblöcke, die Agrarstruktur, die Landeskultur mit Siedlung, Flurbereinigung, Aufstockung, Aussiedlung, benachteiligte Gebiete, Wirtschaftswegebau, Wasserwirtschaft, Küstenschutz und Regionalprogramme - zusammen 1,5 Milliarden -, können Sie sicherlich nicht zu den Subventionen
*) Siehe Anlage 10
Peters ({0})
rechnen, desgleichen nicht die Mittel für Marktstruktur, die sowohl für den Verbraucher als auch für den Erzeuger gegeben werden - mit rund 200 Millionen -, ferner das Marktordnungswesen, Kap. 03, das für Erzeuger-, Verbraucher- und EWG-Maßnahmen 960 Millionen DM enthält.
Was bleibt dann als Hilfe für die Landwirtschaft? Erstens. Soziale Maßnahmen der Altershilfe und der Berufsgenossenschaften mit zusammen 750 Millionen DM. In diesem Bereich wird vergleichsweise für die Landwirtschaft. weniger gegeben als für andere Berufsgruppen und weniger als in den Partnerländern.
Zweitens. Die Dieselverbilligung. Wir hatten bisher das Prinzip der Rückvergütung nach einem Jahr, d. h. für den Verbrauch 1964 wurde 1965 je Liter 31,5 Pf rückvergütet. 1966 waren es 30,8 Pf, und in dem Haushalt 1967 ist vorgesehen, nur 6 bis 8 Pf rückzuvergüten. Infolgedessen muß die deutsche Landwirtschaft mit 40 Pf je Liter rechnen. Das ist das Dreifache dessen, was die Landwirtschaften der Partnerländer zu zahlen haben. Wir haben viele Widersprüche gefunden, wenn die Bundesregierung in den Fragestunden auf Anfragen aus diesem Bereich zu antworten hatte. Dadurch ist der Eindruck entstanden, daß man die eigentliche Lage der Rückvergütung in diesem Jahre verschleiern will.
Drittens. Bei der Förderung der Qualitätsmilch oder bei den Milchsubventionen, wenn Sie es so nennen wollen, sind 1966 im Bundeshauhalt 700 Millionen DM im Soll veranschlagt gewesen, während in diesem Jahr, 1967, wenn man alles zusammenzählt, 325 Millionen DM für die Vollmilch, 151 Millionen DM für Magermilch und 18 Millionen DM für Käse, also zusammen nicht ganz 500 Millionen DM, zur Verfügung gestellt werden sollen.
Bei der Milch ist der Auszahlungspreis entscheidend. Wir haben die Zusage der Bundesregierung bzw. des Herrn Bundesministers, daß die Landwirtschaft in diesem Jahr 38,5 Pf ab Hof erhalten soll, einschließlich der Ausgleichsmittel. Dr. Schmidt ({1}) von der SPD hat in früherer Zeit diese Zusage des Herrn Ministers, und zwar in bezug auf höhere Ausgleichszahlungen aus dem Haushalt, wenn dieser Preis über den Markt nicht erreicht würde, als „Höcherl-Märchen" bezeichnet. Wir haben den Eindruck, daß mindestens anderthalb Pfennig von den 38,5 Pf nicht erreicht werden und daß Zusagen gemacht worden sind, die nicht eingehalten werden. Ich frage den Herrn Minister, wo in seinem Haushalt die Reserven sind, um der Landwirtschaft die restlichen Mittel zur Verfügung stellen zu können.
Vom gesamten Subventionsgerede verbleiben also 750 Millionen für soziale Maßnahmen, 80 Millionen für Diesel und 500 Millionen für die Milch. Bei der Milch wird im nächsten Jahr, jedenfalls Mitte des nächsten Jahres, die Regelung restlos über die EWG erfolgen. Diese Regelung über den EWG-Agrarfonds wird die Bundesrepublik teurer zu stehen kommen als die jetzige nationale Regelung.
Gleichzeitig treten im Jahre 1967 Einnahmeausfälle für die Landwirtschaft ein: durch die Getreidepreissenkung in der EWG sowie durch EWG-Marktordnungen für Milch und für Fleisch zusammen 1,5 Milliarden DM, dazu die Haushaltskürzung von 600 Millionen DM.
Meine Damen und Herren, weil die Beschlüsse über die vorzeitige EWG-Agrarpreisangleichung aus politischen Gründen erfolgt sind, haben sich alle Fraktionen einschließlich der Sozialdemokratie zum Ausgleich für die Landwirtschaft bekannt. Die Regierung Erhard hat konkrete Zusagen gemacht.
({2})
- Erhard-Mende, jawohl! Wir stehen zu dieser Zusage, meine Damen und Herren; wie Sie dazu stehen, das werden wir gleich sehen. - Die SPD hat zur damaligen Zeit außerdem erklärt, daß sie auch im Falle eines Regierungswechsels zu den Zusagen, die dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes gegeben worden sind, stehen würde. Das hat jedenfalls Herr Rehwinkel in seiner Rede in Blaufelden bei Würzburg nochmals erklärt. Wenn es Sie interessiert, bin ich bereit, die Passage vorzulesen, auch wenn es die Debatte verlängert.
Diese Zusagen enthielten folgendes. 1965 sollten 860 Millionen Vorfeldbereinigung gezahlt werden, in den Jahren 1966 bis 1969 1,1 Milliarden DM. Von 1967 bis 1969 sollten für den Getreidepreisausgleich mindestens 560 Millionen DM im Jahr - ohne die von der EWG vorgesehene Degression, d. h. durch zusätzliche Bundesmittel - gezahlt werden.
Was ist nun davon eingehalten worden?
({3})
1965 und 1966 sind 600 bis 700 Millionen DM im Jahr davon eingehalten worden. Es erfolgten Abstriche durch das Haushaltssicherungsgesetz, und die FDP bekennt sich dazu, daß sie diese Abstriche von 260 Millionen DM im Jahr mit beschlossen hat, weil später, 1968 und 1969, diese Zahlungen nachgeholt werden sollten und weil wir damals der Meinung waren, daß der Haushalt durch Kürzungen ausgeglichen werden sollte und daß dafür jeder Bevölkerungsteil ein Opfer zu bringen hat.
Aber heute beschließen Sie einen Haushalt, der - das haben wir heute nachmittag ausgiebig diskutiert - nicht durch Kürzungen ausgeglichen wird, sondern aus konjunkturpolitischen Gründen mit einer Defizitdeckung von 8 Milliarden DM zur Konjunkturbelebung verabschiedet wird. Bei dieser Konjunkturbelebung ist die Landwirtschaft in keiner Weise berücksichtigt worden. Die Folge ist, daß die Investitionen in der Landwirtschaft schlagartig zurückgingen, stärker als in anderen Wirtschaftsbereichen, und daß wir heute beim Maschinenkauf und beim Treckerkauf Rückgänge von bis zu 50 % haben. Die Gründe dafür sind: geringere Gewinnerwartungen der Landwirtschaft, weil die Verkaufserlöse sinken werden; die Tatsache, daß die Regierung den Einnahmeausfall durch die Getreidepreissenkung nicht im Jahre 1967, also im Jahre des Schadens, ausgleichen will; der Umstand, daß weiPeters ({4})
tere Hilfen des Staates gesenkt werden; und ungenügende Zinsverbilligungen für Investitionen.
Was ist nun das Dringendste?
Erstens ein voller Ausgleich der fiskalischen Belastung bei Dieselöl bis zur gesetzlichen Neuregelung. Das bedeutet - ich will es für zwei Jahre konkretisieren -: 1967 Rückvergütung aller fiskalischen Belastungen für den Verbrauch 1966 und keine Anrechnung der Vorauszahlung, die 1963 erfolgt ist. 1968 Rückvergütung der fiskalischen Belastungen für den Verbrauch bis zur Neuregelung, also voraussichtlich bis zum 1. November 1967, und dann die Anrechnung der Halbjahresvorauszahlung aus dem Jahre 1963.
Zweitens eine Verbesserung der Zinsverbilligungen für Investitionen und für Altschulden. Beides ist heute aus konjunkturellen Gründen notwendig und wegen des augenblicklichen Zinsniveaus und der Zinsentwicklung ohne Bedenken.
Drittens Bereitstellung von 200 Millionen DM bei den Titeln Siedlung und Aufstockung zum Landaufkauf aus auslaufenden und überschuldeten Höfen zur Aufstockung anderer Betriebe.
({5})
Viertens Bereitstellung von 560 Millionen DM für den Getreidepreisausgleich im Jahr des Einnahmeausfalls, also 1967, und Verteilung nach der Fläche auf die Geschädigten. Die Vorfinanzierung für den EWG-Agrarfonds - darum handelt es sich - könnte versucht werden aus Mitteln der Deutschen Bundesbank, ähnlich wie die Franzosen über Mittel ihrer Staatsbank ihre Agrarüberschüsse ebenfalls für den EWG-Agrarfonds vorfinanzieren.
({6})
Nur wenn diese Vorhaben verwirklicht werden, kann davon gesprochen werden, daß nach dem Sinn des Landwirtschaftsgesetzes und des EWG-Anpassungsgesetzes verfahren wird.
Das Landwirtschaftsgesetz ist in diesem Hause einstimmig verabschiedet worden. Es hatte den Sinn, die Gleichstellung der Agrarwirtschaft in der Volkswirtschaft zu erreichen und nicht Sonderwürste für die Bauern zu braten.
({7})
- Zwei Stimmen sind nicht entscheidend bei 500, Herr Bauknecht. Das EWG-Anpassungsgesetz wurde 1965 beschlossen, um der deutschen Landwirtschaft die vorzeitige Agrarpreisangleichung in der EWG zu erleichtern und zu ermöglichen, die aus politischen Gründen für erforderlich gehalten wurde.
Heute setzt man sich über beide Gesetze hinweg.
({8})
- Sie brauchen keine Angst zu haben; ich habe hier
noch andere Unterlagen. - Heute setzt man sich
also über die beiden Gesetze hinweg, wie ich den
Eindruck habe, daß Herr Minister Höcherl Beschlüsse des Bundestages ignoriert.
Am 11. Mai 1967 hat das Plenum des Bundestages beschlossen, die Bundesregierung zu ersuchen, bei weiteren Verhandlungen in Brüssel darauf hinzuwirken, daß die Inkraftsetzung dieser Verordnung erst dann erfolgt, wenn die einheitliche Anwendung der Marktmechanismen in allen Partnerstaaten gewährleistet ist. Nach meiner Orientierung hat Herr Minister Höcherl den EWG-Marktordnungen zugestimmt, ohne dem Verlangen des Bundestages Rechnung zu tragen.
({9})
Dadurch erfolgt eine einseitige Bevorteilung der französischen Landwirtschaft auf Kosten der deutschen. Ist die Bundesregierung jetzt bereit, ähnliche Regelungen in Deutschland einzuführen, die die Verkaufspreise für Getreide vom Interventionspreis an den Richtpreis heranführen?
Meine Damen ud Herren, seien Sie der Landwirtschaft gegenüber ehrlich! Erfüllen Sie beide von mir erwähnten Gesetze, und halten Sie die Zusagen, die Sie vor zwei Jahren selber von sich aus gegeben haben, oder erklären Sie, daß Sie sie nicht erfüllen wollen! Dann heben sie lieber die Gesetze auf, als weiter an der Legalität vorbeizumarschieren.
Die FDP hat kein Vertrauen zur Agrarpolitik dieser Bundesregierung und lehnt den Einzelplan 10 wegen Unzulänglichkeit ab.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Hohen Hause, dessen Mitglied ich zu sein die Ehre habe, meinen höchsten Respekt zum Ausdruck bringen, daß es zu so später Stunde das Thema der Landwirtschaft abhandelt. Die Landwirtschaft war bescheiden mit ihren Wünschen, ihren Positionen und ihren Möglichkeiten. - Auch Wasser gehört zum Bereich der Landwirtschaft, aber nicht nur Wasser und nicht nur Milch.
Ich bin außerordentlich dankbar dafür, daß ich vor allem beim Herrn Präsidenten soviel Verständnis gefunden habe und dieser nicht ganz einfache Haushalt mit 4,7 Milliarden DM noch abgehandelt wird.. Wir haben heute eine Generalmobilmachung der FDP erlebt. Einige der stärksten Helden sind bereits, wahrscheinlich wegen Ermüdung, vom Schlachtfeld zurückgezogen worden, um sich morgen weiteren Taten zu widmen.
({0})
Ich erinnere mich an meine eigene Schulzeit, und zwar an Homer. Es waren heute homerische Stunden, die wir erleben konnten, bis jetzt um halb zwölf. Den letzten Teil dazu hat mein sehr verehrter Freund und Kollege Herr Peters beigetragen. Ich
Bundesministers Höcherl
darf ganz kurz, ohne Sie in Ihrer Zeit länger zu beanspruchen, als es absolut notwendig ist, auf einige Bemerkungen von ihm eingehen. Er hat ein Recht darauf - auch zu so später Stunde -, gehört zu werden, und ich bin überzeugt, daß er nach bestem Wissen und Gewissen seine Beschwerden vorgetragen und den Ablehnungsantrag begründet hat. Er hatte nun Pech. Es ist wirklich schwierig - ich möchte gar nicht gern darauf zurückkommen - für eine Partei, die lange Zeit all das mitgetragen und mitbeschlossen hat, was wir hier zu behandeln haben, in der Opposition zu sein. Aber er hat es mit Geschick gemacht. Es sind ihm bei dem Vortrag über die Tatsachen nur einige kleine Versehen passiert - ganz bestimmt nicht vorsätzlich, sondern das kann bei einem so umfassenden Thema passieren.
({1})
Ich darf zunächst einmal die Fakten in Ordnung bringen, und das hat natürlich, wenn sich dabei herausstellen sollte, daß das eine oder andere gar nicht zutrifft, auch für die Schlußfolgerungen nicht das allerbeste Ergebnis.
Seine erste Klage und Beanstandung war folgende. Er hat erklärt, der Einzelplan 10 seit mit, 600 Millionen DM aus dem EWG-Bereich vorbelastet. Das ist richtig, was das Volumen und das Quantum angeht, aber nicht, was die Qualität der Sache angeht. In diesen 600 Millionen DM befinden sich nämlich Beträge, die klassischen landwirtschaftlichen Charakter haben, weil sie Marktordnungsausgaben sind zur Stützung des Preises, den wir aus eigener Kraft, vom Verbraucher und seiner Nachfrage her, gar nicht haben könnten. Ich glaube, das ist keine Vorfinanzierung, sondern das ist ein Beitrag - da wir ja eine negative Bilanz der EWG kraft ihrer Konstruktion haben -, der geradezu klassisch ist im Sinne der Landwirtschaft, ihrer Produktion und ihres Anspruchs auf gerechte, nicht nur kostendekkende, sondern auch gewinnbringende Preise.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl? - Bitte!
Herr Bundesminister, ist die Finanzierung des Preisbruchs bei Getreide nach Ihrer Auffassung eine Maßnahme zur Förderung der heimischen Landwirtschaft?
Sie hätten nur zwei Sätze warten sollen, dann hätten Sie einen kleinen Unterschied gemacht.
({0})
Die 600 Millionen DM setzen sich u. a. aus ungefähr 80 Millionen DM für diesen Tatbestand zusammen, wobei Sie mit Recht sagen können: Das ist ein EWG-Tatbestand, und wobei man hier auch zu später Stunde sagen sollte: Es ist geradezu paradox, daß es die Landwirtschaft war, die von Natur aus so verschieden gestaltet und so vielfältig ist, daß sie
der Motor für die europäische Einigung, für den gewerblichen Zusammenschluß, für die Kennedy-Runde und all diese Dinge ist. Der Minister für die Landwirtschaft, ihr Beauftragter in Brüssel, hat damals diese Kombination verfochten, und ich glaube, nicht zu unserem Nachteil, weil wir auch erwarten müssen, daß im Rahmen einer steigenden und sich stabilisierenden Massenkaufkraft und einer günstigen Entwicklung in Gewerbe und Industrie die landwirtschaftlichen Ansprüche befriedigt werden können. Das ist der einzige Weg. Alles andere ist blasse Theorie, der wir uns nicht widmen möchten.
({1})
Herr Kollege Ertl, es ist richtig: unter diesen 600 Millionen DM befindet sich ein Betrag, dessen Höhe noch keineswegs genau feststeht; aber es könnten 50, es könnten 80 oder auch 100 Millionen DM sein, die für den Preisbruch zur Verfügung gestellt werden müssen. Das ist eine echte EWG-Aufgabe. Aber die anderen 500 Millionen DM - und das weiß Herr Peters natürlich genauso wie wir alle, die wir uns damit zu beschäftigen haben - sind für Marktordnungsaufgaben bestimmt, die wir aus eigener Kraft hätten finanzieren müssen und die wir mit einer gemeinsamen Marktordnung in einer viel eleganteren, auch politisch leichteren Form darstellen können. Das ist also keine Vorbelastung, und da braucht es auch keine Zwischenfinanzierung, sondern das ist etwas, was uns in dem nicht ganz einfachen Bereich der EWG-Finanzierung zugute kommt, die ja zunächst nur auf drei Jahre bis 1969 angelegt ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, seine zweite Beanstandung war die Frage der Subventionen. Was ist Subvention, und was sind Aufgaben der Allgemeinheit? Weil ich diesen Komplex erwarten mußte, habe ich mir eine kleine Aufstellung zurechtgelegt. Ich möchte einmal mit einer gewissen Legende aufräumen. Es ist nämlich gar keine Schande, es ist gar nichts Außerordentliches, sondern es ist ein wesentlicher Bestandteil aller Volkswirtschaften, die einen ähnlichen Rang und eine ähnliche Struktur wie die deutsche aufzuweisen haben, daß die Landwirtschaft mit ihrem langsameren Kapitalumschlag, mit ihren von der Natur - sei es biologisch, sei es klimatisch - gesetzten Grenzen natürlich mit der Umdrehungszahl - wenn ich das einmal so sagen darf - der gewerblichen und industriellen Wirtschaft nicht konkurrieren kann. Deswegen gibt es in allen Ländern der Welt und auch bei uns einen Ausgleich.
Man wird diesem politisch und psychologisch sehr schwierigen Komplex nur dann gerecht, wenn man der Öffentlichkeit gegenüber, der parlamentarischen und der breiten Öffentlichkeit in der Vermittlung über Rundfunk und Fernsehen die Sprache der modernsten volkswirtschaftlichen Erkenntnisse anwendet. Und ich möchte mir einmal zugute rechnen, daß wir von Grünem Bericht zu Grünem Bericht unsere Aussagefähigkeit, unsere volkswirtschaftliche Aussagegenauigkeit verschärfen und bessern und damit allen anderen Kollegen, .die in anderen Bereichen zu Hause sind, die Mitverantwortung und die Zustimmung zu unseren Anliegen erleichBundesminister Höcherl
tern. Das ist die Art, wie wir in der Großen Koalition Agrarpolitik treiben. Es ist der Sachzwang, dem wir uns unterzogen haben. Das scheint mir der Weg zu sein, der es vielen von Ihnen möglich macht, hier mitzuarbeiten und für ihre eigenen Freunde, die sich als Arbeitnehmer natürlich darüber Gedanken machen, daß ihr Haushalt durch Preisentwicklungen negativ beeinflußt wird, hier ein Wort des Verständnisses zu finden.
-Ich habe hier eine Aufstellung, Herr Peters. Ich kann sie nicht insgesamt vortragen. Ich habe diese Aufstellung nach verschiedenen Kategorien aufgeteilt. In dieser Aufstellung, die den ganzen Haushalt von 4,7 Milliarden DM umfaßt, gibt es unmittelbar einkommenswirksame Maßnahmen, zu denen wir uns bekennen, die wir für notwendig erachten. Sie machen nach meiner Aufstellung, die sehr vorsichtig formuliert ist, 2,048 Milliarden DM aus. Dann kommen die auf weitere Sicht gesehenen Ausgaben, die mittelbar einkommenswirksam sind. Das sind 1,4 Milliarden DM. Dann bleiben noch 950 Millionen DM. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Verhältnis, wobei wir z. B. bei Flurbereinigung nicht so weitherzig sind wie Sie und nicht sagen, das sei alles eine kulturtechnische und eine landeskulturpolitische Aufgabe. Ich bin vielmehr der Meinung, eine Flurbereinigung ist für einen Betrieb, für seine Struktur, für seine Kostenbasis natürlich ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben bei der Flurbereinigung 70 % zugunsten der beteiligten Betriebe und 30 % für die Allgemeinheit als Strukturaufgabe gerechnet.
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Herr Minister, es tut mir furchtbar leid, aber ich muß Sie doch fragen: Würden Sie, da Sie so große volkswirtschaftliche neue Kenntnisse haben, mit mir übereinstimmen, daß nach Ihrer Definition beispielsweise der Straßenbau eine Subvention für die Autofahrer ist?
Herr Kollege, lieber Freund . Ertl - ich muß beide Ausdrücke gebrauchen, damit ich nicht schärfer werde, als es notwendig ist -, ich glaube, daß das Beispiel nicht gut gewählt war. Meine freundschaftlichen Beziehungen verhindern mich, eine schärfere Formulierung zu gebrauchen.
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Meine Damen und Herren, der nächste Punkt, den Herr Peters beanstandet hat, war die Frage der Dieselölrückvergütung. Wir kennen das System. Die Bundesregierung ist bereit - und sie hat das durch einen Beschluß bestätigt -, daß sie einen anderen Weg versuchen will, der genauso wie in den übrigen EWG-Ländern so aussieht, nicht im time lag einer Rückvergütung, die um ein Jahr später kommt, zu verfahren, sondern eine Methode zu finden, die es auch den deutschen Landwirten möglich macht, unmittelbar von der Zapfstelle ihren verbilligten Treibstoff zu bekommen, genauso, wie das bei der Schiffahrt und bei der Binnenschiffahrt der Fall ist. Meine Damen und Herren, das ist eine sehr schwierige Aufgabe, die die Regierung allein gar nicht lösen könnte. Es dreht sich um 800 Millionen DM, um 400 Millionen DM für das abgelaufene Jahr und um 400 Millionen DM für das laufende Jahr. Daß in einem Haushalt, bei dem im sozialen Bereich um große Anliegen in kleinen Posten hart gerungen wird und ein Nein ausgesprochen wird, nicht über 800 Millionen DM verfügt werden kann, das ist vollkommen klar. Ich habe Vorschläge gemacht, und ich habe Konzessionen angeboten. Wir sind bisher noch nicht zu einer Einigung gekommen. Ich könnte mir vorstellen, daß man Ihren Vorschlag, der im Finanzausschuß steckt, als Überschrift berücksichtigt - nicht im Inhalt; da eignet er sich nicht, weil er nicht ganz durchdacht ist -, als Tagesordnungspunkt, um ihn in eine verständige, haushaltsgerechte Lösung umzusetzen.
Über die nächste Beanstandung, Herr Peters, bin ich wirklich böse, und zwar deswegen, weil Sie den Haushalt nicht gelesen haben. Das ist eine ernste Sache. Sie haben hier zum Haushalt gesprochen. Man muß von Ihnen wie von jedem anderen Kollegen verlangen, daß Sie die einschlägigen Zahlen - es handelt sich hier um 240 Millionen DM - zur Kenntnis nehmen. Wir haben ein Verkehrsfinanzgesetz, das eine Verbilligung für Dieselöl von rund 20 Pf vorsieht. Dieses Gesetz gilt nach wie vor, und diese 240 Millionen DM stehen im Haushalt. Die 150 Millionen DM sind, nachdem der Haushaltsausschuß den Auftrag erteilt hat, mit dem Anteil aus dem Grünen Plan verrechnet, so daß überhaupt nicht die Rede davon sein kann, daß die Verbilligung für das Jahr 1966 6 oder 8 Pf betrage. Das ist eine Sache, die Sie genauer hätten studieren müssen. Ich möchte Ihnen nicht vorwerfen, daß Sie das bewußt gemacht haben. Aber es ist doch eine sehr grobe Geschichte, weil es sich um einfache Zahlen handelt, die auch um halb zwölf noch gelesen werden müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Peters?
Jawohl.
Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es für die Bauern entscheidend ist, daß von den 240 Millionen DM 160 Millionen DM abgezogen werden und nur 80 Millionen DM nachbleiben, die dann, auf den Verbrauch bezogen, nur noch 7 bis 8 Pf ausmachen?
Herr Peters, ich kann mit Ihnen nicht das Einmaleins veranstalten. Wir haben 240 Millionen DM im Haushalt, wir haben dieses Gesetz, und in diesen Tagen beginnen die Auszahlungen. Die Verrechnung hat mit dem Betrag aus dem Grünen Plan stattgefunden. Dort waren 150 Millionen DM eingesetzt, und der Betrag aus dem Jahre 1963 ist aufgerechnet worden. Es bleibtnoch ein Betrag von 10 Millionen DM für Übergangsschwierigkeiten. Das ist die Situation, vor der wir stehen, und das steht auch im Haushalt, es sei denn,
Bundesministers Höcherl
daß Sie in den nächsten Wochen über den Antrag, der im Finanzausschuß steht, eine Lösung finden, die als Finanzvorlage im Haushaltsausschuß bestätigt werden müßte und wofür es noch Möglichkeiten gibt, die wir anbieten können. Zunächst stehen wir auf dieser Rechtsbasis. Darüber wird heute in der zweiten Lesung verhandelt, und darüber wird in der nächsten Woche in der dritten Lesung beschlossen.
Nun haben Sie den Milchtitel angesprochen. Ich bin wirklich überrascht, sehr geehrter Herr Kollege, daß Sie sich hier hinstellen und sagen, der Milchtitel sei gekürzt und auf ein Minimum verringert worden. Ich will Ihnen die letzte Zahl des Milchtitels sagen; die beträgt 839 906 000 DM. In diesem Milchtitel befinden sich für Qualitätsmilch 325 Millionen DM, für die vertikale Verbundwirtschaft - ein Verbilligungsvorgang von strukturellem Charakter - 121 Millionen DM, für Vorratshaltung von Butter und Kondensmilch 139 Millionen DM - das ist doch nicht ein Mutwillen von uns, sondern eine Marktstützungsaktion, die uns nicht geringe Sorge macht -, für Abbaumaßnahmen bei Butter 30 Millionen DM, für Ausfuhrerstattung, ebenfalls zur Preisstützung, 51 Millionen DM, und so geht das weiter über Magermilchstützung usw. Das alles hat uns im Haushaltsausschuß große Schwierigkeiten gemacht. Der Haushaltsausschuß war bereit, diese Umstellungsaktion, die wir vornehmen, um in die EWG-Milchmarktordnung hineinzusteuern, mitzumachen. Das ist eine Aktion, die, wie ich glaube, noch niemals im Haushaltsausschuß in dieser Form vorgetragen worden ist: daß wir die Alternative, sowohl das eine wie das andere, bereithalten. Wenn Sie angesichts einer solchen Großzügigkeit des Haushaltsausschusses, einer Verständnisbereitschaft, wie sie kaum je in einer solchen Größenordnung in einem so schwierigen Gebiet zum Ausdruck gekommen ist - wobei wir noch den Trinkmilchpreis erhöhen mußten -, den mit der Zustimmung Ihrer Fraktion von diesem Ausschuß gefaßten Beschluß desavouieren, Herr Peters, dann müssen Sie die Dinge schon etwas genauer ansehen. Ich glaube, es gibt kaum ein Parlament, das in der Lage und bereit ist, auf einem politisch so heiklen Gebiet solche Beschlüsse über mehr als 800 Millionen DM zu fassen. Das war eine Leistung, die mich damals tief beeindruckt hat. Ich war oft im Zweifel, ob es uns überhaupt gelingt, diese Alternative mit gegenseitiger Deckungsfähigkeit durchzusetzen.
Getreide, Milch und Fleisch - das ist eine Aufzählung, die man nicht in eine Reihenfolge bringen kann. Der Getreidepreisbeschluß aus dem Jahre 1964 hat sich angeschlossen an große politische Erwartungen, die für uns von lebenswichtiger Bedeutung waren und nach wie vor sind. Wir haben uns aus den damaligen Integrationsbeschlüssen mehr an politischer Konsequenz und an politischen Ergebnissen erhofft. Diese Ergebnisse sind in der Form nicht eingetreten. Trotzdem glauben wir, daß über einige Umwege durch den Druck der ökonomischen Integration noch viele politische Ergebnisse und Früchte zustande kommen, die wir ohne dieses Zwischenspiel vielleicht nicht erreicht hätten.
Für den Getreidepreis passiert zunächst ganz und gar nichts. Die neue Ernte ist durch die 560 Millionen DM abgesichert, ohne daß es notwendig wäre, jetzt schon den genauen Schlüssel, über den zuletzt das Parlament, dieses Hohe Haus, befindet, bekanntzugeben. Wir mußten ihn beraten. Das sind sehr schwierige Fragen. Aber eine Rechnung von 1,3 und 1,5 Milliarden DM aufzumachen, ist verfehlt. Sie dienen mit solchen Aussagen, mit solchen Darstellungen und mit solchen Übertreibungen nicht dem, dem Sie dienen wollen - ich hoffe das und ich setze das voraus -, nämlich den gerechten Ansprüchen der Landwirtschaft. Ihr ist ganz und gar nicht gedient, wenn man ihr nun einige hohe Zahlen vorhält und glaubt, damit sei eine politische Aussage gemacht. Man bringt sie eher in Schwierigkeiten und in unangenehme Situationen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, können wir nicht mitmachen. Die peinlichst genaue Wahrheit, die peinlichst genaue wirtschaftspolitische Darstellung und die Einordnung in den großen gemeinsamen Kurs, der ja in der gegenseitigen Abhängigkeit alles bestimmt, ist die Aufgabe und die Notwendigkeit der Stunde.
Meine Damen und Herren, wie kann man bei Milch und bei Fleisch hier aufstehen und sagen - ({0})
- Herr Kollege Schmidt, ich weiß, wir haben das das letztemal schon erörtert. Aber wir wollen die Opposition so behandeln, wie eine Opposition behandelt werden muß. Sie hat sich heute mobilisiert, sie war tapfer, und deswegen sollte ihr von mir aus auch über Mitternacht hinaus noch die Zeit gegönnt werden.
({1})
Bedeutet das, Herr Minister, daß Sie jetzt eine Zwischenfrage beantworten?
Jawohl.
Herr Minister, Sie haben eben gesagt, daß die Ausführungen von Kollegen Peters unter Umständen draußen in der Öffentlichkeit, insbesondere bei der Landwirtschaft, Arger, Verdruß und vielleicht Mißverständnisse hervorrufen könnten. Sie haben an die Rechnung angeknüpft, die Herr Peters aufgemacht hat, insbesondere an die Rückvergütung bei Getreide.
Einen Augenblick! Jetzt verliere ich doch die Geduld. Sie müssen eine kurze Frage stellen.
Die kommt jetzt.
Eine kurze Frage! Mehr kann ich heute abend nicht mehr konzedieren.
Herr Minister, stimmt es, daß Ihr Haus die notwendigen Entscheidungen bei der Zustimmung in Brüssel zum europäischen Getreidepreis mit wesentlich höheren Ziffern damals veranschlagt hat und diese auch heute noch nicht berichtigt hat?
Herr Kollege Effertz, es sind zwei Dinge zu unterscheiden, einmal die unmittelbaren Schäden auf dem Getreidesektor, zweitens gewisse Vermutungen, welche Ergebnisse sich für die getreideabhängige Veredlung ergeben. Darüber gibt es ein Professorengutachten, und darüber gibt es einen Meinungsstreit. Zunächst haben wir es, und zwar auch im Auftrag der Kommission, mit der Frage des Getreidepreisbruchs und des Ausgleichs dafür zu tun. Das ist die erste Aufgabe, die wir mit 560 Millionen DM im ersten Jahr sehr wohl zu lösen in der Lage sind. Sollte sich herausstellen, daß diese Dinge durchschlagen und daß wir auf dem ganzen Veredelungssektor ein Abrutschen der Preise feststellen müßten, dann wären neue Vorschläge des ganzen Hauses am Platze. Diese Aufgaben können wir dann nicht aus den 560 Millionen DM bezahlen, sondern das sind Aufgaben, die wir gemeinsam in einer gründlichen Beratung zu lösen haben. Aber die Landwirtschaft draußen will zunächst einmal wissen, wie es auf dem unmittelbaren Getreidesektor steht. Und dafür werden wir eine korrekte und gerechte Lösung finden, und zwar, wie ich hoffe, auch mit Ihrer Zustimmung, mit der Zustimmung der Opposition.
In der Milchpolitik, meine Damen und Herren, sind wir dabei, unter schwierigsten Verhältnissen einen höheren Preis anzusteuern. Wie kommen Sie, Herr Kollege Peters, überhaupt dazu, bei Milch einen höheren Richtpreis und bei Fleisch einen höheren Orientierungspreis, also alles Bewegungen, die uns - ({0})
- Herr Kollege Ertl, so geht es nicht, auch nicht um dreiviertel zwölf. Ich habe die Methode eingeführt, daß nach jeder Brüsseler Verhandlung alle die Kollegen, die mit diesen Fragen befaßt sind, eine intensive Unterrichtung und Information bekommen. Sie können hier nicht mit einem solchen Einwand kommen. Der Markt für Schweinefleisch, die Intervention im europäischen Bereich ist, glaube ich, von der deutschen Delegation unter schwierigsten Umständen so gelöst worden, daß wir nicht durch riesige Ausgaben das ganze europäische Konzept gefährden sollten. Das waren harte Entscheidungen. Ich glaube, Herr Kollege Ertl, es wäre gut, wenn Sie das einmal genau studierten. Ich stehe Ihnen aber auch zu einer persönlichen Information und zu einem „Privatissimum" sehr gern zur Verfügung.
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Meine Damen und Herren, nun kommt ein berühmter Begriff: „Vorfeldbereinigung". Er stammt aus einem dichterischen Gemüt, nämlich vom Herrn Präsidenten Rehwinkel.
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Das ist ein Mann, dem man Gerechtigkeit widerfahren lassen muß, ein Mann mit Temperament, ein Mann, der ganze Generationen und Epochen der Landwirtschaftspolitik geführt hat, ein Mann, der voll besten Willens ist, aber eben, wie vielleicht auch wir oft, mit einem zu kräftigen Temperament ausgestattet ist. Aber ich lasse auf ihn nichts kommen.
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Dieser Mann hat den Begriff „Vorfeldbereinigung" geprägt. Sie sagen, für diese Vorfeldbereinigung seien 1030 Millionen DM für drei Jahre zugesagt worden. Das ist richtig; sie sind gesetzlich gebunden. Was haben wir bezahlt? - Zwei Jahre hindurch 760 Millionen DM. Ich bin der Meinung, wenn ein Schuldner, der in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät
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- selbst unter Tränen war Dahlgrün nicht zu bewegen, mehr als 760 Millionen DM zu bezahlen -, von einer Schuld in Höhe von 1 Miliarde DM 760 Millionen DM bezahlt und darüber hinaus zusagt und diese Zusage halten wird, daß die 260 Millionen DM nachgezahlt werden, so würde ich vor einem solchen Schuldner auch noch um dreiviertel zwölf den Hut ziehen.
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- Herr Peters, das waren die Jahre 1965 und 1966, die Haushaltsstabilisierungsjahre, und wir haben aus der damals von der FDP verwalteten Finanzkasse nur 760 Millionen DM bekommen. Herr Dahlgrün, ein guter Freund von mir, hat sich weidlich angestrengt, und Sie wollen ihm doch nicht einen Vorwurf daraus machen, daß er die restlichen 260 Millionen DM nicht auch noch aufgebracht hat? Wir hätten sie vielleicht gehabt, wenn Sie nicht zur Unzeit Steuersenkungen vorgenommen hätten.
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Über die 560 Millionen DM habe ich schon gesprochen.
Nun zum Maschinenkauf, meine Damen und Herren. Hier ist ein Thema angesprochen, das mit einem einzigen Wort gar nicht zu klären ist. Wir haben aus vielen Gründen eine Maschinenausstattung in unserer deutschen Landwirtschaft, die mit die höchste in der ganzen Welt ist. Daß hier ein gewisser Sättigungsgrad eintreten mußte, versteht sich von selbst, obwohl es auch andere Überlegungen gibt. Aber selbst in dem schlechten Jahr 1965/1966 hatte sich die deutsche Landwirtschaft in ihren Gesamteinnahmen um 5 Milliarden DM verbessern können. Man hätte auf der Aufwandseite das eine oder das andere vielleicht vermeiden und damit die Differenz für die eigene Tasche etwas günstiger gestalten
Bundesministers Höcherl
können - auch eine Auffassung, die ich mit dem deutschen Bauernverband teile.
Nun haben Sie mir persönlich den Vorwurf gemacht, ich hätte die Beschlüsse dieses Hohen Hauses mißachtet; Sie hätten am 11. Mai 1967 wegen der französischen Getreidemarktverhältnisse einen Beschluß gefaßt, und ich hätte den einfach mißachtet und hätte in Brüssel zugestimmt. Herr Kollege Peters, ich darf Sie einladen, neben der offiziellen Fahrt mit dem Ausschuß, die Sie nach Brüssel gemacht haben, doch einmal einer solchen Sitzung beizuwohnen und zu untersuchen, wie das ist, wenn Sie am Sechsertisch sitzen und einen Beschluß von Hause mitbringen und sagen: „Den muß ich hier durchsetzen!", - ob dann die anderen fünf in großen Jubel ausbrechen und sich unter keinen Umständen dazu verstehen, so etwas zu negieren. Herr Kollege Peters, wir sind in einer modernen Welt; mit solchen Argumenten können wir nicht arbeiten. Wir haben die französische Position, die ich genauso wenig schätze, etwas aufreißen können, und ich glaube, wir haben in Brüssel einige bescheidene Fortschritte auch in dieser Frage gemacht; es gibt keine französische Position mehr, sondern eine Position, die für alle sechs Länder gleichgeartet und gleichgestellt ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Effertz?
Bitte schön!
Herr Minister, Sie haben doch diesen Beschluß des Bundestages hoffentlich dahin verstanden, daß Sie in Brüssel, wenn die Franzosen nicht bereit waren, die Marktmechanismen aneinander anzugleichen, deutscherseits hätten sagen sollen: „Dann können wir leider in diesem Jahr der Einführung des Getreidepreises nicht zustimmen" ?
Herr Effertz, ich würde Sie sehr herzlich einladen, doch einmal einen solchen Standpunkt in Brüssel zu vertreten. Mehr kann ich auf eine solche Bemerkung nicht erwidern.
Dann haben Sie, Herr Kollege Peters, zum Schluß in einem kleinen Schlenker von der Wahrung der Legalität gesprochen. Die liegt mir genauso am Herzen. Ich kann sehr wohl unterscheiden, was legal und was nicht legal ist.
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- Das kann ich sehr wohl. Ich bin Jurist; das ist meine Berufsaufgabe.
({1})
- Ja, ich sehe da den kleinen Finger von unseren neuen Freunden (in der Großen Koalition.
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Ich verstehe das sehr wohl, ich freue mich über dieses neckische Spiel. Aber ich würde Ihnen sagen:
Ein Urteil über einen Sachverhalt ist mißdeutet
worden. Mehr sage ich dazu nicht. Ich glaube aber nicht, daß es gut ist, uns bei einer so ernsten Frage, der Frage, wie wir die Interessen und Anliegen der deutschen Landwirtschaft so gestalten können, daß sie auch den Interessen des Verbrauchers gerecht werden, mit solchen Vorwürfen und solchen Anspielungen zu befassen. Herr Peters, das war elegant gemeint, aber es war in der parlamentarischen Kollegialität nicht elegant. Das möchte ich Ihnen sagen. Aber ich möchte mich sonst mit keinem einzigen Wort mehr damit befassen.
Ich möchte Ihnen allen sehr herzlich dafür danken, daß Sie sich immer bereit gefunden haben, in den Ausschüssen, vor allem auch im Haushaltsausschuß, diese schwierigen Übergangsprobleme in der Landwirtschaft lösen zu helfen. Wir werden am 1. Juli dieses Jahres eine vorletzte Phase und am 1. Juli des nächsten Jahres die letzte Phase im wirtschaftlichen Zusammenschluß beginnen. Es ist vielleicht die größte Auszeichnung, die sich die deutsche Landwirtschaft im Interesse der gesamten Wirtschaft mit schweren Opfern erarbeitet und verdient hat - und das sollte nicht untergehen und darf nicht vergessen werden -, daß sie es war, die dieses Tor nach Europa aufgemacht hat. Es gibt Leute, die das gern wieder verschwinden lassen möchten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn in diesem Hause zur Wahrung der Gerechtigkeit auch diese Zusammenhänge in unserem Gedächtnis erhalten bleiben, so bin ich überzeugt, daß wir auch in Zukunft für gerechte und vernünftige Anliegen der deutschen Landwirtschaft das ganze Haus geschlossen hinter uns finden werden. Es handelt sich heute um eine nationale, morgen um eine europäische Frage allerersten Ranges.
({3})
Dem Herrn Kollegen Saxowski spreche ich den Dank des Hauses dafür aus, daß er seine Rede zu dem Sitzungsbericht gibt.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({1}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich gebe meine Bemerkungen zu Protokoll,
({0})
aber nicht aus Zeitmangel, sondern erstens aus Protest gegen die Zeitplanung des Ältestenrats und zweitens auch aus Protest dagegen, daß der Minister auf 15 Redeminuten der Opposition 25 Minuten gebraucht hat, um sie zu widerlegen. Ich meine, das geht ein bißchen zu weit.
Ich befasse mich in meiner Erklärung mit drei Punkten. Ich will sie ganz kurz nennen. Erstens setze ich mich kritisch mit den Beschlüssen des Ministerrats in Brüssel vom 1. Juni auseinander. Zweitens befasse ich mich genauso kritisch mit den Problemen des Milchmarktes und der Milchpolitik. Drittens befasse ich mich in meinen Bemerkungen mit
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
den Fragen des Getreidepreisausgleichs. Ich bin sicher, meine sehr verehrten Kollegen, daß Sie mich nicht enttäuschen werden, indem Sie diese meine Ausführungen nicht nachlesen. Ich meine, sie werden immerhin lesenswert sein.
({1})
Herr Kollege Schmidt ({0}), ich danke auch Ihnen.
Ich habe auch Verständnis dafür, daß Ihnen diese Zeitplanung nicht behagt. Sie behagt mir im übrigen auch nicht; aber ich stehe unter einem Zwang und muß sehen, wie ich mit diesem Zwang einigermaßen fertig werde.
Damit liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr zu dem Einzelplan 10 vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Anzahl Gegenstimmen ist der Einzelplan 10 angenommen.
Meine Damen und Herren, damit haben wir unser Soll für heute erfüllt. Wir fahren morgen vormittag um 10 Uhr nach der Fragestunde mit dem Einzelplan 06 fort.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 9. Juni 1967, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.