Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich eröffne die Sitzung.
Zunächst eine amtliche Mitteilung: Für den aus dem Wahlprüfungsausschuß ausgeschiedenen Abgeordneten Dürr hat die Fraktion der FDP mit Schreiben vom 6. November 1963 den Abgeordneten Mischnick als stellvertretendes Mitglied des Wahlprüfungsausschusses vorgeschlagen. Ich nehme an, daß das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden ist. - Damit ist der Abgeordnete Mischnick als stellvertretendes Mitglied in den Wahlprüfungsausschuß gewählt.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 7. November 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kreyssig, Arendt ({0}), Bergmann, Birkelbach, Frau Dr. Elsner, Faller, Kriedemann, Seifriz, Frau Strobel und Fraktion der SPD betr. Haushalt des Europäischen Parlaments - Drucksache IV/ 1572 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1615 verteilt.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 1 auf:
Fragestunde ({1}).
Zunächst kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung.
Ich rufe die Frage I/1 - des Herrn Abgeordneten Seuffert - auf:
Ist es nicht möglich, die Lärmbelästigung des Münchner Wohnungsgebietes am Hasenbergl durch die Übungsflüge der Hubschrauber des Flughafens Ober-Schleißheim abzustellen oder einzuschränken und das Wohngebiet als Sperrzone für derartige Übungsflüge zu erklären?
Der seit rund 50 Jahren bestehende Flugplatz Schleißheim ist zur Zeit Flugplatz für Einheiten der Amerikaner und der deutschen Bundeswehr. Er wird mit Hubschraubern und Propellerflugzeugen beflogen. Je nachdem, ob Propellerflugzeuge und Hubschrauber gleichzeitig üben, und je nach Wetterlage müssen die Hubschrauber verschiedene Platzrunden fliegen. Beim Fliegen der südlichen Platzrunde ist es leider nicht vermeidbar, daß die
Einwohner der in den letzten Jahren erbauten Großsiedlung, auf die sich die Anfrage wohl bezieht,
durch den Lärm der Hubschrauber gestört werden.
Bei der hier entstehenden Lärmbelästigung ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Flugplatz seit vielen Jahren besteht und deshalb bei der Planung der in der Nähe errichteten Großsiedlung mit gewissen Lärmstörungen von vornherein zu rechnen war. Diese neu entstandene Siedlung liegt nämlich nur etwa 1,5 km vom Rand des Flugplatzes und noch weniger weit von den Flugzeughallen entfernt.
Im Zusammenwirken mit der amerikanischen Armee wird das zur Zeit geprüft und nach Möglichkeiten gesucht, die eine Entlastung für die Bevölkerung bringen würden. Ich darf mir erlauben, Sie, Herr Abgeordneter, später über das Ergebnis der Prüfung zu benachrichtigen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Staatssekretär, ist es denn wirklich nicht möglich, wenigstens die Einflugschneise für Hubschrauber, die ja nicht seit 50 Jahren, sondern mit ihren Lärmstörungen erst seit einigen Jahren existieren, von diesem Wohngebiet, das ebenfalls erst seit einigen Jahren besteht, wegzuverlegen?
Herr Abgeordneter, ich werde auch das prüfen lassen. Ich bitte nur, zu berücksichtigen, daß das etwas schwierig insofern ist, als dort sowohl Propellerflugzeuge als auch Hubschrauber fliegen. Sie müssen wegen 'der Lebensgefährdung auseinandergehalten werden. Diese Frage wird mit geprüft werden. Ich darf Ihnen auch 'darüber berichten.
Bis wann, Herr Staatssekretär, kann ich eine Nachricht erhalten?
Herr Abgeordneter, wenn es sich nur um nachgeordnete Dienststellen des Verteidigungsministers handelte, könnte ich Ihnen einen Termin nennen. Es ist aber auch eine amerikanische Einheit auf diesem Flugplatz, und darauf habe ich natürlich keinen Einfluß. Ich werde aber bemüht sein, auch auf 'diese Frage 'beschleunigt eine Antwort zu geben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Pläne bezüglich einer Trabantenstadt auf dem Flugplatz Schleißheim bekannt? Wird der Platz in Zukunft als Flugplatz dennoch aufrechterhalten?
Es besteht nicht die Absicht, den Flugplatz aufzulösen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß allein am vergangenen Wochenende über dem Stadtgebiet Stuttgart dreimal die Schallmauer durchbrochen wurde? Und sehen Sie Möglichkeiten einer besseren Identifizierung der Flugzeuge?
Herr Abgeordneter, zur ersten Frage darf ich sagen, daß Sie vielleicht verstehen werden, daß es mir nicht bekannt ist. Sie sind der erste, der mich darauf anspricht. Eine Identifizierung der Flugzeuge mit dem Auge ist wohl unmöglich, da die Schallmauer grundsätzlich nur in mindestens 10 000 m Höhe durchbrochen werden darf. Eine Identifizierung mit Hilfe der Flugzeugerfassung durch Radar geschieht laufend. Wir bemühen uns, festzustellen, von welcher Nation die Flugzeuge sind. Aber ich möchte nicht ohne weiteres behaupten, daß die Schallmauer direkt über der Stadt durchbrochen wurde. Der Schall geht beim Durchbrechen der Schallmauer nach vorn und in einem Winkel von etwa 45 Grad nach beiden Seiten. Man kann also aus dem furchtbaren Knall und dem Klirren der Fensterscheiben nicht ohne weiteres schließen, daß es über der Stadt war.
Die Schwierigkeiten sind bei uns ungeheuer groß. Bei der engen Besiedlung der Bundesrepublik ist fast jeder Durchbruch durch die Schallmauer mit einer starken Belästigung verbunden. Deshalb bemühen wir uns sehr darum, die Ausbildung unserer Flugzeugführer in ausländischen Staaten vornehmen zu können, und zwar in Gebieten mit möglichst dünner Besiedlung.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Herr Staatssekretär, gibt es eine Stelle in der Bundesrepublik, die versucht, alle Beschwerden dieser Art zentral zu erfassen und die Meldungen auszuwerten, um zu einem Ergebnis zu kommen, das Besserung verspricht?
Diese Stelle gibt es, und zwar im Bundesverteidigungsministerium. Ich darf Ihnen aber ganz offen sagen: Es gibt keine Möglichkeit, die sehr starke und unangenehme Lärmbelästigung beim
Durchbrechen der Schallmauer zu verhindern. Der Motorenlärm kann dadurch etwas vermindert werden, daß man die Auspuffrohre usw. etwas gegen den Lärmdurchlaß verbarrikadiert. Beim Durchbrechen der Schallmauer tritt aber eine knallartige Kompression der Luft ein, für deren Verhinderung es keine technische Möglichkeit gibt. Die Frage wird noch sehr viel akuter werden, wenn riesengroße Verkehrsflugzeuge mit Überschallgeschwindigkeit die Bundesrepublik überfliegen.
Ich rufe die von Herrn Abgeordneten Dr. Steinmetz gestellte Frage I/2 auf:
Trifft es zu, daß Beförderungen in der früheren deutschen Wehrmacht, die mit Namensliste vom 21. April 1945 durch Erlaß vom 30. April 1945 ausgesprochen, aber den Beförderten nicht bekanntgegeben wurden, rechtsunwirksam sind?
Nach einem allgemeinen Grundsatz des öffentlichen Rechts bedurfte auch im Wehrrecht bis 1945 eine Beförderung zu ihrem Wirksamwerden der Bekanntgabe an den zu befördernden Soldaten.
Abweichend hiervon wurden die Beförderungen während des Krieges gefallener, verstorbener und vermißter Soldaten in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie vollzogen wurden. Die Anwendung dieser Vorschrift war allerdings seit dem 23. November 1944 ausgesetzt.
Eine Beförderung in der ehemaligen Wehrmacht, die im April 1945 zwar verfügt, dem Soldaten aber nicht mehr dienstlich bekanntgegeben wurde, ist daher nicht wirksam.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht auch für sehr ungerecht, daß durch diese Rechtslage für ehemalige Wehrmachtsangehörige, die im Frontdienst waren, die Beförderung nicht wirksam wurde, während für ihre Kameraden, denen die Beförderung durch glückliche Umstände vorschriftmäßig übergeben werden konnte, der volle Genuß dieser Beförderung eintrat?
Herr Abgeordneter, ,ich bin zwar Ihrer Ansicht. Aber gewisse Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten werden sich niemals vermeiden lassen. Dais Bundesministerium der Verteidigung ist im übrigen für die Problematik einer etwaigen nachträglichen Änderung dieser Gesetzgebung nicht zuständig.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich der Herrn Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen werden ,am Freitag beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers. Ich rufe die von
Vizepräsident Dr. Dehler
dem Herrn Albgeordneten Dr. Kohut gestellte Frage III/1 auf:
Trifft es zu, daß in Wahn bei Köln etwa 70 bundeseigene Einfamilienhäuser seit mindestens sieben Monaten unbewohnt sind?
Bitte, Herr Minister!
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Ich darf die Frage .des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut wie folgt beantworten.
Die britischen Stationierungsstreitkräfte haben 68 bundeseigene Einfamilienhäuser in Wahn-Heide im März 1963 freigegeben. Die Häuser mußten vor der Vermietung an Angehörige der Bundeswehr mit Gesamtkosten von 340 000 DM instandgesetzt werden. Die Mittel konnten aber zunächst nicht in ihrer gesamten Höhe bereitgestellt werden, weil durch § 8 des Haushaltsgesetzes 1963 20 v. H. der Bauunterhaltungsmittel einer Sperre unterlagen, die nur vom Herrn Bundesminister der Finanzen im Benehmen mit dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft aufgehoben werden konnte. Unter Zurückstellung anderer dringender Bauunterhaltungsarbeiten war es nach Freigabe der Wohnungen zunächst möglich, einen Betrag von 130 000 DM zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise konnten 20 Einfamilienhäuser bis zum 31. Juli 1963 hergerichtet und bezogen werden.
Vom Februar 1963 ab bemühte sich mein Haus um die Aufhebung der Sperre. Diese Verhandlungen mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen führten am 13. August 1963 zum Erfolg. Die Oberfinanzdirektion Köln leitete auf meine Veranlassung noch am gleichen Tage die Instandsetzung der restlichen 48 Wohnungseinheiten ein. Inzwischen sind weitere 11 Einfamilienhäuser bezogen worden. Die restlichen 37 Wohnungen sind innerhalb von vier Wochen bezugsfertig.
Zur Vermeidung von Wiederholungsfällen werde ich mich bei den Haushaltsberatungen 1964 dafür einsetzen, ,daß die Bauunterhaltungsmittel bei Kap. 24 03 Tit. 400 in Zukunft nicht mehr einer Sperre im Rahmen der Baukonjunkturdämpfung unterliegen. Einen entsprechenden, jedoch erfolglosen Vorschlag hat der Herr Kollege Windelen als Berichterstatter für den Einzelplan 24 bereits bei den Haushaltsberatungen 1963 im Haushaltsausschuß gemacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Kohut!
Herr Minister, sollte man nicht angesichts des grotesken Zustandes, daß der Bund seine eigenen Häuser nicht reparieren lassen kann, weil er keine Mittel hat, diese Häuser lieber privatisieren?
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Ich darf bemerken, daß immerhin der Standort eines solchen Hauses sehr wichtig ist. Es handelt sich hier um Häuser auf einem Flugplatz. Wir haben Schwierigkeiten mit der Unterbringung von Familien der Bundeswehr. Es wäre deshalb wohl falsch, solche Häuser zu privatisieren.
Eine weitere Frage!
Herr Minister, kann man nicht eine Zwischenlösung zur Finanzierung solcher Reparaturen finden? Schließlich weiß man ja, daß man das Geld bekommt. Es ist doch kein Zustand, daß die Häuser solange leerstehen, weil kein Geld für die Reparaturen vorhanden ist.
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Es ist ohne Zweifel kein angenehmer Zustand. Ich hoffe, daß es uns in Zukunft gelingen wird, Derartiges zu vermeiden, und daß wir, wie ich in meiner Antwort auf Ihre Frage ausführte, die Mittel in Zukunft schneller vergeben können.
Die Frage ist beantwortet. Ich rufe dann auf die Frage III/2 - des Herrn Abgeordneten Dr. Aigner -:
Treffen Zeitungsmeldungen zu, daß der Herr Bundesschatzminister in Erlangen davon gesprochen hat, die Bundesregierung beabsichtige, den Anteil des Bundes an der Luitpold-Hütte in Amberg zu verkaufen, oder hat er entsprechende Schritte gegen diese eventuelle Falschmeldung unternommen?
Bitte, Herr Minister!
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Ich darf die erste Frage des Kollegen Dr. Aigner wie folgt beantworten.
Die wirtschaftliche Entwicklung der Luitpoldhütte AG, Amberg, an der der Bund über die Salzgitter AG mit 75,25 % und der Freistaat Bayern mit 24,75 % beteiligt sind, war in den letzten Jahren rückläufig. Der Umsatz des Unternehmens ist in den beiden letzten Jahren um 20 % zurückgegangen. Die Belegschaft hat sich im vergangenen Jahr um etwa 10 % auf rund 2300 Personen verringert. Das Unternehmen wird beeinträchtigt durch die allgemeine Entwicklung auf dem Eisen- und Stahlmarkt sowie durch seinen für den Bezug der benötigten Kohle und für den Absatz der Produkte ungünstigen Standort. Es kommt hinzu, daß die eigene Erzgrundlage des Unternehmens in absehbarer Zeit erschöpft ist. Eine Stillegung von Bergbau und Hütte würde ca. 800 bis 1000 Arbeitsplätze beseitigen. Ferner wird der Absatz der von dem Unternehmen hergestellten Gußrohre durch den steigenden Wettbewerb auf dem Gebiete der Kunststoffrohre beeinträchtigt.
Seit meinem Amtsantritt als Bundesschatzminister habe ich diese unbefriedigende Entwicklung der Luitpoldhütte aufmerksam beobachtet. Bei einer Besichtigung des Werkes im Juni dieses Jahres habe ich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens mit dem Vorstand eingehend erörtert. Ich bin der Auffassung, daß im Hinblick auf die Bedeutung der Luitpoldhütte für Amberg und den dortigen Wirtschaftsraum alle Möglichkeiten, die Wirtschaftskraft des Unternehmens wieder herzustellen und damit die Arbeitsplätze zu sichern, sorgfältig geprüft werden müssen. Eine der hierfür bestehenden Möglichkeiten könnte in der Umstellung des Produktionsprogramms liegen, wie sie vom Vorstand mit der Aufnahme der Produktion von Kunststoffrohren vorgeschlagen ist. Als eine andere Möglichkeit
Bundesminister Dr. Dollinger
könnte auch die Veräußerung des Unternehmens an ein leistungsfähiges, an der Betätigung im bayerischen Raum interessiertes Unternehmen in Betracht kommen. Daher habe ich bisher zwei Unternehmen auf die Möglichkeit des Erwerbs der Luitpoldhütte hingewiesen, wobei ich einmal einem Vorstandsmitglied des Volkswagenwerkes die Luitpoldhütte angeboten habe. Einzelheiten können im Augenblick - ich bitte, dies zu verstehen - nicht bekanntgegeben werden.
In einer Presseerklärung am 8. November 1963 habe ich zu dem Fragenkomplex Stellung genommen. Die Teilnehmer an meinem Pressegespräch in Erlangen am 31. Oktober 1963 haben in ihren Berichten, soweit sie mir bekannt sind, meine Ausführungen weder falsch dargestellt noch falsch interpretiert.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Aigner.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß die defizitäre Lage der LuitpoldHütte sich nur auf den Teil der Grundstoffindustrie bezieht, also auf den Teil der Roheisenherstellung, aber nicht auf den Teil der Schleudergußherstellung und -verarbeitung?
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Herr Kollege Aigner, selbstverständlich 'ist mir die Ertragslage der Luitpold-Hütte bekannt, und ich darf dazu folgendes feststellen: Im Grundstoffbereich war im Jahre 1959/60 ein Umsatz von 44,9 Millionen DM vorhanden, der bis zum Geschäftsjahr 1962/63 auf 34,6 Millionen DM zurückgegangen ist. Die Ertragsverhältnisse: Im Jahre 1959/60 ein Verlust von 2,76 Millionen DM, im Jahre 1962/63 ein Verlust von 4 Millionen DM, also bei 10 Millionen DM Umsatzrückgang eine Steigerung des Verlustes um 1,4 Millionen DM. Es ist nicht zu erwarten, daß sich in diesem Sektor des Unternehmens Besserungen ergeben können.
Auf der anderen Seite ist im Verarbeitungsbereich eine Steigerung der Umsatzentwicklung von 41,6 Millionen DM im Jahre 1959/60 auf 46 Millionen DM im Jahre 1962/63 zu verzeichnen, und die Erträgnisse haben sich von 1,3 Millionen DM auf 3 Millionen DM erhöht. Wenn der Hüttenbetrieb stillgelegt werden müßte, dann wäre natürlich infolge des hohen Anteils der fixen Kosten für das gesamte Unternehmen mit weiteren Verlusten aus dem stillgelegten Hüttenbetrieb zu rechnen, so daß unter Umständen die Gefahr bestünde, daß die Erträgnisse aus der Verarbeitung wiederum aufgezehrt werden bzw. neue Verluste entstehen könnten.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Dr. Aigner.
Herr Bundesminister, ist meine Auffassung richtig, daß Sie nur dann verkaufen können, wenn auch Bayern zustimmt?
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Diese Auffassung ist theoretisch, möchte ich einmal sagen, und zwar deshalb, weil ich als aus Bayern stammender Abgeordneter, wenn auch 'in Franken lebend,
({0})
selbstverständlich mit der bayerischen Staatsregierung über diese Dinge gesprochen habe. Ich darf hier feststellen, daß mein erstes Gespräch in dieser Frage am 24. September. mit dem Herrn bayerischen Wirtschaftsminister Schedl stattgefunden hat und daß ein weiteres Gespräch mit den Herren Ministern Schedl und Eberhard am 28. September stattgefunden hat. Wir haben - das stelle ich mit großer Befriedigung fest - in unserer Beurteilung der Situation der Luitpold-Hütte völlig übereingestimmt, und die Herren der bayerischen-Staatsregierung sind mit mir der Meinung, daß alles getan werden muß, um die Arbeitsplätze in der Luitpold-Hütte und damit die Arbeitsplätze im Amberger Raum für die Zukunft zu sichern.
Ich rufe auf die Fragen III/3 und III/4 - des Abgeordneten Dr. Aigner -.
Ist die Bundesregierung bereit, trotz der Attacken von Konkurrenzfirmen gegen die beabsichtigte Erweiterung des Verarbeitungsbereichs der Luitpold-Hütte auf Herstellung von Kunststoffrohren - auch unter Berücksichtigung der sozialen Aspekte - diesen notwendigen Marktumstellungsprozeß zu erlauben?
Bejaht die Bundesregierung eine Verpflichtung, auch für die Bundesbetriebe in Sanierungs- und EWG-marktfernen Gebieten notwendige Investitionen zur Arbeitsplatzsicherung vorzunehmen?
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Der Vorstand der Luitpold-Hütte hat bekanntlich den Plan entwickelt, mit der Aufnahme der Produktion von Kunststoffrohren die rückläufige Entwicklung auf den bisherigen Tätigkeitsgebieten des Unternehmens auszugleichen. In der Öffentlichkeit, insbesondere auch von seiten der in dieser Branche bereits tätigen Privatunternehmen, ist vor einer solchen Betriebsumstellung der Luitpold-Hütte gewarnt und darauf hingewiesen worden, daß bereits heute auf diesem Gebiet eine Überkapazität besteht.
Es läßt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob die Aufnahme dieses neuen Produktionszweigs durch die Luitpold-Hütte wirtschaftlich verantwortet werden kann. Ich habe dieser Maßnahme daher bis jetzt nicht zustimmen können, jedoch veranlaßt, daß die wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Projekt eingehend geprüft werden. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß Meinung und Entscheidung der Bundesregierung in derartigen Fragen niemals von der Auffassung von Konkurrenzunternehmen bestimmt werden können. Das Bundesministerium prüft vielmehr das Für und Wider solcher Projekte in eigener Verantwortung.
Dem Vorschlag des Vorstandes der Luitpold-Hütte wird nur zugestimmt werden können, wenn nach dem Ergebnis der Prüfung feststeht, daß mit der Aufnahme der Produktion von Kunststoffrohren die damit beabsichtigte Konsolidierung des Unternehmens nach menschlichem Ermessen erreicht werden kann.
Bundesminister Dr. Dollinger
Zu bedenken ist dabei ferner, daß die Herstellung von Kunststoffrohren verhältnismäßig wenig arbeitsintensiv ist. Der Personalbedarf beträgt bei einer Produktion von 1000 Jahrestonnen, wie sie zunächst von der Verwaltung der Luitpold-Hütte vorgesehen ist, 30 Personen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Aigner!
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß bei der Druckrohrherstellung in den einzelnen Jahren zwischen 1957 und 1963 folgende Zuwachsraten zu verzeichnen sind: 100 %, 87 %, 42 %, 22 %, 44 % und 49 % - die letzte greifbare Zahl - im ersten Halbjahr 1963? Demgegenüber befinden sich Produktionsfirmen auf diesem Sektor in einer erheblichen Expansion. So beabsichtigt z. B. die Firma Rohau, die gegen die Ausweitung der Luitpold-Hütte Stellung genommen hat, in Bracke ein Zweigwerk zu errichten und dafür 3,6 Millionen DM zu investieren. Ist Ihnen das bekannt, Herr Minister?
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Ich habe selbstverständlich die Entwicklungen am Kunststof f-markt wegen der Absichten der Luitpold-Hütte sehr genau überprüfen lassen. Die Überprüfung ist, wie ich schon sagte, noch nicht abgeschlossen. Es ist richtig, daß eine sehr starke Produktionssteigerung vorhanden ist. 1957 waren es 5000 t, und jetzt liegen wir bei 27 000 t. Ich muß aber darauf hinweisen, daß sich in diesen Jahren die Verkaufserlöse aus der Produktion von Kunststoffrohren wesentlich verringert haben. Für die Volkswirtschaft bedeutet das natürlich eine Verbilligung. Es stellt sich aber die Frage, ob für solche Unternehmungen die Gründerzeit nicht schon abgeschlossen ist. Ohne Zweifel gibt es gewisse Zeiträume, in denen für die Errichtung von Unternehmen in neuen Industriezweigen gute Startmöglichkeiten gegeben sind. Wenn aber nach der Sättigung des Marktes noch neue Kapazitäten geschaffen werden, ist es sehr schwer, ihre Produktion abzusetzen. Es finden dann Preiskämpfe statt, die die Gefahr mit sich bringen, daß sich die Investitionen nicht rentieren. Diese Sorge müssen wir in einem gewissen Umfang im Augenblick auf dem Kunststoffsektor haben. Nach meinen Informationen möchte ich sagen, daß auf diesem Gebiet nicht alles Gold ist, was glänzt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Aigner!
Herr Bundesminister, kennen Sie die Konzeption des Aufsichtsrats der Luitpold-Hütte, der am 1. April 1963 in einem einstimmigen Beschluß - also auch mit der Stimme des Vertreters Ihres Hauses - den Gedanken entwickelt hat, daß der Marktanteil der Gußeisenrohre nur durch eine gleichzeitige Ausweitung auf dem Kunststoffsektor erhalten werden kann, wie das alle anderen Gußeisenrohrhersteller bereits getan haben?
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Selbstverständlich kenne ich die Konzeption von Aufsichtsrat und Vorstand. Das, was am 1. April 1963 beschlossen worden ist, wurde in einer späteren Sitzung hinsichtlich der Gesamtausführung noch einmal zurückgestellt.
Ich bitte zu verstehen, daß ich als der dem Parlament verantwortliche Bundesschatzminister zu prüfen habe, ob Investitionen sinnvoll sind oder nicht. Ich möchte nämlich nicht erleben, daß Investitionen durchgeführt werden, die erstens nicht voll finanziert wären und sich zweitens als Fehlinvestitionen erweisen könnten.
Richtig ist, daß der Anteil der Kunststoffrohre steigt. Ich bitte, aber auch zu sehen, daß, wenn der Anteil der Kunststoffrohre steigt, zu befürchten ist, daß der Verbrauch von Gußrohren zurückgeht. So wird also durch die Aufnahme der Kunststoffabrikation unter Umständen nichts anderes als eine Stabilisierung des bisherigen Umsatzes erzielt. Höhere Investitionsmittel würden dann im Grunde genommen den gleichen Umsatz wie bisher erzielen.
Die Luitpold-Hütte vertritt den Standpunkt, daß sie, wenn sie keine Kunststoffrohre erzeugte, beim Absatz der Gußrohre weitere Einbußen hinnehmen müßte. Das muß geprüft werden. Die Verwaltung der Luitpold-Hütte macht sich auch Gedanken, ob sie nicht in der Eisengießerei - also in der Bearbeitung - weitere Schritte unternehmen soll, um Verbesserungen zu erzielen.
Ich darf noch einmal sagen: Wenn die Hütte in ihrer Gesamtheit verschwinden würde, würden 800 bis 1000 Arbeitsplätze verlorengehen. Der Ausbau der Kunststoffabrikation bis zur vorgesehenen Endstufe wird höchstens 100 Arbeitsplätze bringen. Deshalb muß etwas geschehen, um die gefährdeten Arbeitsplätze zu sichern.
Nun die Antwort auf die letzte Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Aigner!
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Die Frage, ob die Bundesregierung eine Verpflichtung für die Bundesbetriebe bejaht, in Sanierungs- und EWG-marktfernen Gebieten notwendige Investitionen zur Arbeitsplatzsicherung vorzunehmen, läßt sich in dieser allgemeinen Form nicht ganz leicht beantworten. Die Bundesregierung nimmt jedoch die Frage der Erhaltung der Arbeitsplätze bei Bundesunternehmen in derartigen Gebieten sehr ernst; das hat auch die Debatte schon gezeigt. Sie wird in jedem Falle prüfen, welche Maßnahmen gegebenenfalls zu treffen sind, um einer 'Gefährdung von Arbeitsplätzen zu begegnen. Wie ernst die Bundesregierung diese Verpflichtung nimmt, zeigt gerade die Tatsache, daß sie in diesem Falle nicht ohne weiteres die Vorschläge des Vorstandes übernommen hat, sondern die Angelegenheit sehr eingehend prüft und dabei auch etwa bestehende Alternativen in ihre Überlegungen einbezieht. Das Ziel der hierüber mit den Vorständen geführten Besprechungen ist in erster Linie die Erhaltung der bestehenden und gegebenen4372
Bundesminister Dr. Dollinger
falls sogar die Schaffung weiterer und besserer Arbeitsplätze und damit eine Strukturverbesserung des Amberger Raumes.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, die Bundesregierung zu veranlassen, wenn Investitionen für die Umstellung der Luitpold-Hütte - ob im Verkauf oder im Teilverkauf - notwendig sind, bei der Hohen Behörde einen Antrag auf Umfinanzierungs-Hilfe zu stellen?
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Selbstverständlich werden wir bei Umstellungen alle Möglichkeiten ausnutzen, die sich aus dem Montan-Vertrag ergeben.
Herr Bundesminister, darf ich Ihnen für Ihre Bemühungen auch von dieser Stelle aus danken?
({0})
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Frage IV aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzlersamtes - des Abgeordneten Dr. Eppler -:
Wurde der Bericht über die Gründung der Aktion DeutschFranzösische Freundschaft im Bulletin Nr. 160 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 10. September 1963 S. 1396 im Einverständnis mit dem Bundesfamilienminister veröffentlicht?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Der Bericht über die Gründung der „Aktion Deutsch-Französische Freundschaft" im Bulletin vom 10. September 1963 wurde ohne Beteiligung des Bundesministers für Familie und Jugend veröffentlicht.
Das Bulletin des Presse- und Informationsamtes berichtet seit Jahren über alle Veranstaltungen von Bedeutung auf den Gebieten europäischer Verständigung und der deutsch-französischen Freundschaft. Die Gründung des genannten Aktionskomitees schien eine solche Veranstaltung von Bedeutung zu sein. Maßgebende Persönlichkeiten auf Bundes- und Länderebene hatten ihr Erscheinen und ihre Beteiligung an diesem Aktionskomitee zugesagt. Entgegen diesem ersten Anschein und in gewissem Widerspruch zu einer sicherlich gut gemeinten Publizitätskampagne der Veranstalter hat sich dann herausgestellt, daß die Gründung dieses Aktionskomitees nur ein Vorgang von örtlicher Bedeutung gewesen ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann bedeutet also die Veröffentlichung im Bulletin nicht, daß die Bundesregierung beabsichtigt, ihre Vertreter im Kuratorium des Deutsch-Französischen Jugendwerks anzuweisen, für eine Bewilligung von Mitteln an diese Aktion einzutreten?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Das bedeutet es nicht. Es steht mit dieser Mittelzuweisung in keinerlei Zusammenhang.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie - nachdem Sie sagten, daß Sie über Veranstaltungen internationalen Ranges im Bulletin berichten - fragen, ob Sie über die sehr beachtliche Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin auch in diesem Sinne berichtet haben?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Ich weiß im Augenblick nicht, in welchem Umfange im Bulletin des Presse- und Informationsamtes berichtet worden ist. In anderen Publikationen meines Hauses ist mit Sicherheit auch auf diese Tagung eingegangen worden.
Ich darf hier darauf hinweisen, daß die FriedrichEbert-Stiftung auch aus Mitteln meines Hauses unterstützt wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, welche Persönlichkeiten von Rang an jener Veranstaltung in Schwäbisch-Gmünd teilgenommen haben?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Nach den mir vorliegenden Informationen - die ich im einzelnen nicht überprüfen konnte - gehören dem Kuratorium folgende Persönlichkeiten an: der Präsident des Deutschen Bundestages, Staatsminister a. D. Dufhues, der Innenminister von Baden-Württemberg, der Arbeitsminister von Baden-Württemberg, der Oberbürgermeister von Schlettstadt im Elsaß, der Oberbürgermeister von Nancy.
Viezpräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage!
Herr Staatssekretär, haben diese Persönlichkeiten zugesagt, dem Kuratorium angehören zu wollen, und waren sie bei der Veranstaltung anwesend?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Sie sind, wie ich schon angedeutet habe, bei der Veranstaltung nicht anwesend gewesen. Die Veranstalter haben eine sehr rührige Publizitätskampagne entwickelt.
({0})
Ich glaube, ich habe klargemacht, daß die Erwartungen dem nachher nicht ganz entsprochen haben.
Dr. Mommer ({1}).: Danke sehr.
({2})
Frau Abgeordnete Meermann zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren vorherigen Äußerungen schließen, daß Sie sich die Feststellung im Bulletin, es handle sich um eine überparteiliche Vereinigung, nicht zu eigen machen?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Dem Bulletin war von den Veranstaltern ein Vorausbericht zur Verfügung gestellt worden. Ich habe die Parteizugehörigkeit - auch der französischen Beteiligten - nicht überprüft. Nach dem ganzen Ablauf der Veranstaltung kann man nicht sagen, daß sie parteipolitischen Charakter gehabt hat. Sie hat aber zweifellos nicht einen Rahmen und eine Größenordnung gehabt, die es gerechtfertigt hätten, hierüber einen Bericht ins Bulletin zu nehmen.
Eine weitere Frage der Abgeordneten Frau Meermann.
Herr Staatssekretär, ist denn vor der Veröffentlichung wenigstens geprüft worden, welche Organisationen sich zur Zusammenarbeit bereit erklärt haben?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Die Prüfungspflicht und das Bemühen um Aktualität stehen oft - wie Ihnen auch sicher bekannt ist - in einem gewissen Wettstreit miteinander. Wären wir hier in eine sorgfältige Prüfung eingetreten, wäre der Artikel nichterschienen.
({0})
Keine weiteren Fragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe auf die Frage V/1 - des Herrn Abgeordneten Kaffka -:
Sind der Bundesregierung die Schwierigkeiten bekannt, die sich für die mit Moslems verheirateten und in arabischen Ländern lebenden deutschen Frauen ergeben, wenn die Ehen getrennt bzw. die Frauen verstoßen werden und die Kinder beim Vater verbleiben müssen?
Die Problematik von Ehen deutscher Frauen mit Angehörigen islamischen Glaubens ist der Bundesregierung seit langem bekannt. Alle mit diesem Fragenkomplex befaßten deutschen Stellen, so das Bundesamt für Auswanderung, die Auswanderungsberatungsstellen und die Standesämter, belehren die deutschen Verlobten über die Rechtslage der Frauen im Orient und weisen sie insbesondere auf die Notwendigkeit hin, vor der Eheschließung ihre Rechtsstellung und die ihrer zukünftigen Kinder in einem nach islamischem Recht wirksamen Ehevertrag festzulegen. Die deutschen Auslandsvertretungen gewähren den deutschen Ehefrauen im Rahmen des Möglichen Rat und Beistand und helfen ihnen vor allem, im Falle des Scheiterns ihrer Ehe in die Heimat zurückzukehren. Da die Kinder fast immer nur die Staatsangehörigkeit des Vaters besitzen, ist es hierbei leider nur selten möglich, eine Trennung von Mutter und Kind zu vermeiden, wenn der Vater die Herausgabe der Kinder verweigert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kaffka!
Herr Staatssekretär, warum verleiht man den betreffenden Frauen nicht größere Sicherheit dadurch, daß man ihnen die Staatsangehörigkeit bei der Eheschließung beläßt und daß auch die Kinder aus dieser Ehe sie erhalten, wie es ja nach dem Grundgesetz eigentlich sein müßte?
Herr Abgeordneter, die Frage, ob Ehefrauen durch ihre Eheschließung die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren und welche Staatsangehörigkeit ihre Kinder haben, richtet sich nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz. Gegebenenfalls müßte geprüft werden, ob im Hinblick auf diese Fälle eine Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes ins Auge gefaßt werden könnte. Das ist aber eine Frage, zu der ich mich nicht ohne Vorbereitung äußern möchte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.
Herr Staatssekretär, wurde schon in Erwägung gezogen, Beratungsstellen einzurichten, damit diejenigen Frauen, die solche Ehen eingehen wollen, erfahren, in welche rechtlichen Verhältnisse sie sich begeben?
Herr Abgeordneter, solche Erwägungen sind angestellt worden, und derartige Stellen bestehen in großem Umfang. Mir liegt hier ein Merkblatt für Auslandstätige und Auswanderer vor, wo in einem besonderen Abschnitt unter der Überschrift „Frauenauswanderung, islamische Eheverträge" im einzelnen dargestellt wird, welche Rechte die Frauen nach islamischem Recht haben.
Hinzu kommt, daß auch die Standesämter angewiesen sind, im Falle einer Eheschließung einer deutschen Frau mit einem Moslem Belehrungen der Art zu geben, wie ich sie soeben dargelegt habe.
Herr Abgeordneter Jahn zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die Voraussetzungen und Möglichkeiten zu prüfen, durch Gesetzesänderung die Rechtsstellung der betroffenen Frauen zu verbessern und darüber gegebenenfalls hier zu berichten?
Herr Abgeordneter, ich habe die Problematik bereits in der Antwort auf die vorletzte Frage kurz umrissen. Ich darf das wiederholen, was ich dabei gesagt habe: Ohne nähere Prüfung möchte ich da4374
zu keine Antwort geben. Zu einer Überprüfung dieser Frage ist die Bundesregierung selbstverständlich bereit.
Herr Abgeordneter Dr. Rinderspacher zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß unzählige solcher Frauen, die Ehen mit Moslems eingegangen sind, nicht die Möglichkeit haben, später mit deutschen Stellen und konsularischen Vertretungen Verbindung aufzunehmen und daß dadurch sehr große Schwierigkeiten in der deutschen Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt werden und die Frauen in einem Zustand bleiben müssen, der nach unseren Verhältnissen und nach den bei uns herrschenden Auffassungen einfach nicht vertretbar ist?
Herr Abgeordneter, soweit eine Möglichkeit besteht, treten diese Frauen mit den konsularischen Dienststellen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland in Verbindung, und das geschieht in großem Umfang. Ich halte es nicht für unmöglich, daß es darüber hinaus einzelne Fälle gibt, in denen das nicht gelingt. Nach meiner Überzeugung handelt es sich dabei aber um Einzelfälle.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Rinderspacher!
Sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit, in dauerndem Kontakt mit solchen Frauen zu bleiben, damit die von Ihnen zugegebenen Einzelfälle nach Möglichkeit ausgeschlossen werden?
Soweit rechtliche Grundlagen dafür vorhanden sind, Herr Abgeordneter, besteht eine solche Möglichkeit und geschieht dies auch in der Praxis. Es kommt in der Tat entscheidend darauf an, ob die Frau durch die Eheschließung die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat oder nicht. Behält sie die deutsche Staatsangehörigkeit, ist es für die deutschen Auslandsvertretungen selbstverständlich möglich, mit ihr den Kontakt aufrechtzuerhalten. Verliert sie dagegen die deutsche Staatsangehörigkeit, wird das sehr viel schwieriger.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die Frage V/2 - des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer - ist zurückgestellt.
Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern wird am Freitag aufgerufen.
Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist zurückgestellt.
Wir kommen zu der Frage aus dein Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe auf die Frage VIII - des Herrn Abgeordneten Welslau -:
Um wieviel Prozent ist seit dem 1. Juli 1961 auf Grund der gestiegenen Lebenshaltungskosten das reale Einkommen einer Arbeitnehmerfamilie mit 3 Kindern unter 14 Jahren bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 700 DM gesunken?
Herr Kollege, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Von Mitte Juli 1961 bis Mitte Oktober 1963 sind die Lebenshaltungskosten einer Arbeitnehmerfamilie mit drei Kindern unter 14 Jahren bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 700 DM um etwa 6 bis 7 °/o gestiegen. Das reale Einkommen dieser Familie wäre um diesen Prozentsatz gesunken, wenn nicht gleichzeitig erheblich stärker als die Preise die Arbeitsverdienste gestiegen wären. Nach der amtlichen Lohnstatistik erhöhte sich der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst eines männlichen Industriearbeiters von Mai 1961 bis Mai 1963, also im gleichen Zeitraum, um 19 %. Berücksichtigt man sowohl die Preis- als auch die Lohnerhöhungen in diesem Zeitraum, so ergibt sich tatsächlich eine Verbesserung des realen Einkommens um ungefähr 10 %.
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Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. Ich rufe auf die Frage IX/1 - des Herrn Abgeordneten Welslau -:
Welche realen Möglichkeiten hat eine Arbeitnehmerfamilie mit 3 Kindern unter 14 Jahren bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 700 DM, ein Eigenheim zu erwerben?
Die von dem Bund, den Ländern und den Gemeinden getroffenen Maßnahmen machen es auch Angehörigen minderbemittelter Schichten durchaus möglich, den Bau eines Familienheims zu finanzieren. Die Finanzierung ist im einzelnen Falle unterschiedlich, und zwar so sehr unterschiedlich, daß ich keine Einzelheiten dazu bekanntgeben kann. Sie hängt ab von den konkreten Umständen, dem Bauplatz, dem Bauort und den Verhältnissen des Bauherrn, von der Höhe seines Eigenkapitals, von der Möglichkeit, Eigenleistungen zu erbringen usw. Es läßt sich deshalb nicht ein für alle Fälle geltendes Finanzierungsschema aufstellen. Es ist danach möglich, daß ein Arbeitnehmer mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 700 DM bei drei Kindern unter 14 Jahren den Bau eines solchen Familienheimes finanzieren und auch die Lasten tragen kann.
Eine Zusatzfrage? - Herr Abgeordneter Welslau!
Herr Bundesminister. halten Sie es also für möglich, daß eine Familie mit drei Kindern bei einem Einkommen von 700 DM eine Eigenleistung von ca. 12 000 DM erbringen kann?
Ich sagte, daß die Eigenleistung sehr unterschiedlich ist. Es kommt darauf an, wo, in welchem Land das Haus gebaut wind. Sodann hängt pes davon ab, ob der einzelne Bauherr in der Lage ist, seine Eigenleistung aufzubringen. Man kann hier - auch vor dem Parlament - kein Schema bekanntgeben; aber ich will Ihnen gern ein Beispiel mitteilen. Nach den Erfahrungen des Jahres 1962 - das ist eines der jüngsten Beispiele - kann man z. B. in NordrheinWestfalen etwa davon ausgehen, daß für die Finanzierung des Baues eines Familienheimes im Durchschnitt Kapitalmarktmittel in Höhe von etwa 43,7 v. H., öffentliche Mittel 23,8 v. H. und Festfinanzierungsmittel 32,5 v. H. eingesetzt worden sind. In dem 'der Anfrage zugrunde gelegten Beispiel erfüllt der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die Gewährung öffentlicher Mittel und wird, da er zu dem Kreis der unter § 27 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes fallenden Bewohner gehört, an erster Rangstelle berücksichtigt. Er erhält im übrigen mit Rücksicht auf seine Kinderzahl außerdem 4000 DM Familienzusatzdarlehen. Die Restfinanzierungsmittel hat der Bauherr aufzubringen. Er wird dafür sein Eigenkapital einsetzen und kann dieses ergänzen durch Lastenausgleichsmittel, Arbeitgeberdarlehen, Kapitalisierung bestimmter Renten, z. B. der Kriegsbeschädigtenrente, sowie durch Inanspruchnahme der Aktionen „Junge Ehepaare" und „Junge Familie". Wenn die daraus sich ergebende laufende Belastung für den Arbeitnehmer zu hoch wird - und hier ist eine wichtige Frage angesprochen -, hat er im öffentlich geförderten Wohnungsbau einen Rechtsanspruch auf die Gewährung einer Lastenbeihilfe nach § 73 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes. Die Höhe ist gleich der Differenz zwischen der zu berücksichtigenden und der tragbaren Belastung. Die tragbare Belastung würde sich im vorliegenden Falle auf etwa 16 % des bereinigten Familieneinkommens belaufen.
Das Land Nordrhein-Westfalen, das bereits jetzt vom 5. Kinde ab eine Erhöhung des Familienzusatzdarlehens gewährt, beabsichtigt, in Kürze noch weitere Vergünstigungen einzuführen, und zwar dem Vernehmen nach voraussichtlich bereits vom 3. Kinde ab. Ich wende selbst dem Hohen Hause Vorschläge machen, wie in Zukunft auch der Bund seinerseits auf diesem Gebiet weiterhelfen kann.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schäfer.
Herr Minister, da die vorherige und diese Frage miteinander in unmittelbarem Zusammenhang stehen, darf ich Sie fragen: Entspricht die Darstellung, die der Herr Minister für Arbeit und Sozialordnung vorhin gegeben hat, der Auffassung der Bundesregierung, die Lebenshaltungskosten seien - auf eine Person gerechnet - um 6% gestiegen, aber das sei ja dadurch ausgeglichen, daß der Vater als Verdienender 19 % mehr verdiene?
Herr Abgeordneter Dr. Schäfer, ich habe wahre Wunder erlebt, was unsere Familien fertigbringen, wenn sie daran gehen können, ein Eigenheim zu bauen. Wir sollten den Willen, zu Eigentum zu kommen, weiterhin fördern, und ich werde es tun.
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Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.
Herr Minister, soll ich meine
Frage wiederholen oder soll ich es so auffassen, daß Sie die Frage nicht beantworten?
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Es ist wahr, Herr Kollege Wehner: nicht Wunder, sondern der Sparwille und die Selbsthilfe der Familien! Es sind zwei Millionen Familien zu einem Eigenheim gekommen, davon überwiegend Arbeiter aus diesen Einkommenskreisen; sie vollbringen tatsächlich wahre Wunder an Sparleistungen, Eigenleistung und Nachbarhilfe, und wir sollten das weiter fördern.
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Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Aigner.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, Herrn Schäfer zu bitten, daß er seine Ansichten über Familienlastenausgleich bei den Gewerkschaften in den nächsten Tarifverhandlungen vorbringt?
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Wir kommen zur Frage IX/2 - der Frau Abgeordneten Meermann -:
An welchen Empfängerkreis geht die Mappe „Schwarz auf Weiß?
Die Verteilung der Mappe „Schwarz auf Weiß" erfolgt an alle Damen des Bundestages, an die Fraktionen der Landtage auf Anforderung, an Presse, Rundfunk, Fernsehen sowie an sonstige interessierte Einzelpersonen, Behörden und Gruppen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Meermann!
Haben Sie gesehen, Herr Minister, daß in der zweiten Folge der Mappe
„Schwarz auf Weiß" nur fünf Seiten der sachlichen Aufklärung gewidmet sind, nämlich der Artikel von Herrn Dr. Schornstein, dagegen außer einem Artikel von Heddy Neumeister ganze 10 Seiten mit lobenden Äußerungen über die Politik des Bundeswohnungsbauministers gefüllt sind?
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Halten Sie unter diesen Umständen das angegebene Ziel der objektiven Unterrichtung für erreicht?
Es kommt auf den Standort an, von dem aus man zu dieser Frage Stellung nimmt.
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Eine weitere Frage, Frau Abgeordnete Meermann!
Herr Minister, muß ich denn daraus schließen, daß Sie es im Hinblick auf den Empfängerkreis, der ja aus zeitungslesenden Menschen besteht, für nötig gehalten haben, zum Beispiel ganze sechs Seiten mit Ihrer Mietwucheranzeige im Falle Andresen zu füllen, die ja in allen Tageszeitungen gebührend verbreitet worden ist?
Ich hielt gerade diesen Fall für so bemerkenswert, daß er nicht breit genug veröffentlicht werden konnte.
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Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung, und zwar zur Frage X -des Abgeordneten Dröscher -:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die mit erheblichem Einsatz öffentlicher Mittel geschaffenen Arbeitsplätze bei der Versuchsanlage für Uran-Erz-Verarbeitung im Steinautal bei Birkenfeld und deren Arbeitsergebnisse der deutschen Wirtschaft und Forschung weiterhin zu erhalten?
Herr Abgeordneter, die Arbeitsergebnisse und Arbeitsplätze in der Uranerz-Verarbeitungsanlage im Steinautal bei Birkenfeld können nur dann erhalten und gesichert werden, wenn der Bund öffentliche Mittel zur Verfügung stellt, entweder nur im Jahre 1962 Betriebszuschüsse zu den Investitionskosten oder durch den Ankauf einer jährlichen Mindestmenge von Urankonzentrat.
Bitte, Herr Abgeordneter Dröscher!
Wenn, Herr Bundesminister, wie an örtlicher Stelle behauptet wird, die Entlassung eines Drittels der Arbeitskräfte im Zusammenhang mit der nicht genehmigten Uran-Metallförderung im Raum Menzenschwand stehen würde, wird es nicht
zu einer Schwierigkeit führen, bei einer dort möglichen Förderung die einmal ausgebildeten und jetzt entlassenen Arbeiter wieder zurückzubekommen?
Sie haben völlig recht: Herr Abgeordneter. Wir sind durch die Angelegenheit „Menzenschwand" in eine sehr schwierige Situation gekommen; die Dinge stehen nicht gut. Wir haben uns deshalb entschlossen, an Stelle der Zuschüsse in den Haushalt 1964 einen Betrag einzusetzen, der uns den Ankauf von bereits gefördertem verarbeiteten Urankonzentrat ermöglicht.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dröscher!
Würden Sie es nicht für richtig halten, Herr Minister, eine Übergangslösung für das ausgeschiedene Drittel der Arbeitskräfte solange zu schaffen, bis der doch einmal eingerichtete und offenbar gut funktionierende Betrieb wiederum voll anlaufen könnte?
Ich will diese Angelegenheit sehr gern intensiv prüfen, denn mir liegt daran, daß die Anlage in Ellweiler voll arbeitsfähig bleibt.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen, zunächst zur Frage XI/1 - des Abgeordneten Dröscher -:
Sind der Bundesregierung die Maßnahmen bekannt, die die holländische Regierung getroffen hat, um weiterhin Exporte von verfälschtem Eigelb nach der Bundesrepublik zu verhindern?
Bitte, Frau Ministerin!
Die holländischen Behörden bereiten eine Verordnung vor, durch die ein Deklarationszwang für Zusätze von Eiprodukten vorgeschrieben werden soll. Der Wortlaut der Verordnung und der Termin ihres Inkrafttretens sind uns noch nicht bekannt.
Herr Abgeordneter Dröscher!
Frau Ministerin, nachdem Ihnen sicher bekannt ist, daß das Landwirtschaftsministerium auf eine dementsprechende Anfrage im Sommer dieses Jahres dem Verband der Teigwarenindustrie gesagt hat, daß der Klageweg, also offenbar der zivile Klageweg gegen die Lieferanten von gefälschtem Eigelb offenstehe, möchte ich mir die Frage erlauben, wie Sie zu einem solchen Rat stehen?
Es ist wohl kein Rat, sondern eine Auskunft über die Rechtslage, und über die verfügen wir nicht.
Eine weitere Frage? - Bitte, Herr Abgeordneter Dröscher.
Halten Sie die Ihnen offenbar bereits bekannten Vorstellungen der holländischen Regierung für ausreichend, um den Bezug der immerhin großen benötigten Mengen an einwandfreiem Eigelb für unsere Teigwarenfabriken zu sichern?
Auf diese Frage muß ich mit zwei Hinweisen antworten. Erstens. Solange ich den Wortlaut der holländischen Verordnung nicht kenne, kann ich mich über ihren Inhalt nicht äußern. Zweitens. Solange das Recht zum Schutz des Verbrauchers in unserem Land anders ist als in Ländern, aus denen wir bestimmte Waren importieren, können wir ganz generell den inländischen Händler und Importeur nicht davon befreien, seinerseits Prüfungen auf Grund der deutschen Rechtslage vorzunehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Roesch.
Frau Ministerin, darf ich wissen, wann Sie ungefähr den Text dieser holländischen Verordnung bekommen werden?
Herr Abgeordneter, ich bin natürlich kein Prophet. Wir hoffen, daß wir sie am 1. Januar in den Händen haben.
Eine weitere Frage.
Wenn es vielleicht noch ein Jahr dauert, bis wir den Inhalt dieser Verordnung kennen, dann werden wir weitere 4500 t verfälschtes Eigelb und Eidotter bekommen. Man sollte doch die Bemühungen beschleunigen, den Inhalt zu erfahren.
Herr Kollege, wir haben keinen Einfluß auf den Weg der holländischen Gesetzgebung. Aber es ist, wie gesagt, mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß wir am 1. Januar 1964 den Text haben.
Noch eine Zusatzfrage zur Frage des Herrn Abgeordneten Dröscher? - Frau Abgeordnete Dr. Kiep-Altenloh.
Frau Ministerin, besteht auf Grund unseres Lebensmittelgesetzes die Möglichkeit, die Einfuhr solchen Eigelbs zu verbieten?
Es ist verboten, Eiprodukte in Verkehr zu bringen, die unserem Recht nicht entsprechen, z. B. Fremdstoffe enthalten, die nicht gekennzeichnet sind. Es liegt in der Verantwortung des
Importeurs und des Einzelhändlers, unser Recht zu befolgen.
Eine weitere Frage, Frau Dr. Kiep-Altenloh.
Besteht eine Möglichkeit, Frau Ministerin, diese Eigelbpräparate darauf prüfen zu lassen, ob sie unserem Recht entsprechen, oder ist dies schon geschehen?
Diese Möglichkeit besteht, und es ist auch in Einzelfällen schon festgestellt worden, daß sie unserem Recht nicht entsprechen. Ich darf hinzufügen, daß wir uns an die Länder mit der Bitte um einen Bericht über die einzelnen Fälle und über die Beobachtungen gewandt haben, die bei der Überwachung, die in den Händen der Länder liegt, gemacht worden sind. Die Länder sind gerade dabei, zu berichten. In einigen Wochen kann ich Ihnen vielleicht schriftlich eine genauere Auskunft darüber geben.
Ich rufe auf Frage XI/2 - des Herrn Abgeordneten Folger -:
Ist die Bundesregierung bereit, geeignete Maßnahmen zu treffen, um den Verkauf von Blausäure enthaltenden, Leben und Gesundheit gefährdenden bitteren Mandeln zu unterbinden oder einzuschränken?
Das Bundesministerium für Gesundheitswesen hat am 29. Oktober 1963 nach Bekanntwerden eines allerdings leichteren Vergiftungsfalles die beteiligten Stellen davon unterrichtet, daß bittere Mandeln in größeren Packungen ohne warnenden Hinweis auf den Gehalt an Blausäure in den Verkehr gebracht worden sind. Insbesondere hat sie sich wegen dieser Sache an die obersten Gesundheitsbehörden der Länder, an den Einzelhandelsverband, an den Hamburger Warenverein - dem die Importeure für Trockenfrüchte angehören - gewandt, außerdem an den Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, der die maßgebenden Interessenverbände der Lebensmittelwirtschaft umfaßt.
Zur Abwendung einer akuten Gefahr haben wir empfohlen, bittere Mandeln vorerst. nur mit der Warnung in den Verkehr zu bringen: „Vorsicht! Mandeln enthalten Blausäure. Verzehr in größeren Mengen lebensgefährlich."
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Ich habe ferner die obersten Gesundheitsbehörden der Länder und die angeschriebenen Wirtschaftsverbände um Stellungnahmen gebeten, welche legislativen Maßnahmen sie für zweckmäßig halten, um im Rahmen des Lebensmittelgesetzes einen wirkungsvollen Verbraucherschutz zu gewährleisten, ohne daß die seit Jahrhunderten als Gewürz für Süßwaren, Pfefferkuchen und Weihnachtsgebäck üblicherweise verwendeten bitteren Mandeln ganz aus dem Verkehr gezogen werden.
Auch an das Bundesgesundheitsamt haben wir sofort eine Anfrage gerichtet. Ich will diese Äußerungen abwarten, ehe ich entscheide, wie der Verkauf von bitteren Mandeln, die Blausäure enthalten, weiterhin geregelt werden kann. Eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Verbraucher muß, soweit dies möglich ist, abgewandt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Folger.
Frau Bundesministerin, halten Sie es nicht für notwendig, aus der Empfehlung, von der Sie gerade gesprochen haben, möglichst rasch eine Verpflichtung zu machen?
Herr Kollege, Sie werden verstehen, daß wir mit gesetzlichen Verboten nicht gar so schnell bei der Hand sein wollen, mit Verboten, die sich auf Dinge beziehen, die seit Jahrhunderten Übung sind. Aber ich habe Ihnen ja berichtet, daß wir uns an alle zuständigen Stellen der Praxis gewandt haben, um deren Meinung erst zu hören. Wenn wir diese gehört haben, werden wir entscheiden, ob hier wirklich ein gesetzliches Verbot nötig ist. Zunächst glaube ich, daß die Warnung und die Empfehlung, nur mit einer solchen Warnung zu verkaufen, wirksam sein werden.
Ich danke Ihnen, Frau Ministerin.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers der Finanzen. Frage XII/1 - des Herrn Abgeordneten
Dröscher -:
Welche Gründe haben den Herrn Bundesfinanzminister und den Bundesrechnungshof bewogen, die vom Bundesverkehrsministerium vertretene Auffassung, daß die Kosten für Signalanlagen innerhalb von Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen, deren Baulast der Bund trägt, zu Lasten des Bundes zu übernehmen sind, nicht zu teilen und demzufolge zu veranlassen, daß der Erlaß des Bundesministers für Verkehr vom 18. März 1963 aufgehoben wurde?
Herr Kollege Dröscher, gemäß Art. 14 Abs. 5 der Verordnung zur Durchführung des Reichspolizeikostengesetzes von 1940, der heute noch gültiges Recht ist, gelten als Träger der Straßenbaulast hinsichtlich der Kosten für Verkehrseinrichtungen und Anlagen, insbesondere von Signalanlagen innerhalb der geschlossenen Ortslage, die Gemeinden.
Nachdem mein Haus im Dezember 1961 durch eine Erinnerung des Bundesrechnungshofes davon unterrichtet wurde, daß Kosten für Signalanlagen aus Bundesmitteln bestritten werden, habe ich den Herrn Bundesminister für Verkehr gebeten, zu veranlassen, daß künftig die Belastung des Bundeshaushalts mit diesen Ausgaben gemäß der bestehenden gesetzlichen Regelung unterbleibt. Die entsprechende Anweisung an die obersten Straßenbaubehörden der Länder ist mit Erlaß des Herrn Bundesministers für Verkehr vom 18. März 1963 ergangen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Minister, nachdem doch offenbar durch den früher geltenden Erlaß des Bundesverkehrsministeriums vom 10. August 1960 die aus solchen Einrichtungen kommende Belastung den Gemeinden abgenommen war und vom Bund getragen wurde, entsteht durch den Richtungswechsel, der durch den Rechnungshof und Ihr Ministerium veranlaßt wurde, jetzt eine für viele Gemeinden sehr unerfreuliche Situation. Sie haben geglaubt, sich .darauf verlassen zu. können, daß der Bund zahlt, und müssen erhebliche Kosten selbst aufbringen. Wie wollen Sie diesen Gemeinden, die unter den alten Rechtsvoraussetzungen Verpflichtungen eingegangen sind, die sie jetzt unvorhergesehenerweise selber erfüllen müssen, helfen?
Herr Abgeordneter Dröscher, ich sehe die Lage in diesen Gemeinden genauso wie Sie. Die Zuständigkeit für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und die Finanzverantwortlichkeit von Bund, Ländern und Gemeinden ergibt sich aber aus dem Grundgesetz. Sie ist durch Verwaltungsentscheidungen nicht zu ändern. Wir haben uns bei der Beurteilung der Lage seinerzeit geirrt und haben Mittel aufgewendet, die wir nach den bestehenden Gesetzen eigentlich nicht aufwenden durften. Nachdem der Bundesrechnungshof das beanstandet hatte, blieb mir wirklich nichts anderes übrig, als nunmehr nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften zu verfahren. Ich weiß, daß das in einzelnen Gemeinden sehr schwierige Lagen verursacht hat:
Zu einer weiteren Frage Herr Abgeordneter Dröscher.
Nachdem ich Ihrer Antwort entnehmen kann, daß die Rechtslage auf Grund- des Polizeikostengesetzes beurteilt wird - das im wesentlichen ja in einer Zeit entstanden ist, als die Probleme moderner Ortsdurchfahrten, etwa durch Bundesstraßen, für kleinere Gemeinden noch nicht so anstanden -, frage ich Sie: Wären Sie bereit, Herr Minister, dafür zu sorgen, daß mindestens eine Übergangsregelung getroffen wird, die die Verpflichtung dieser Gemeinden für einen begrenzten Zeitraum noch abwendet?
Herr Abgeordneter, ich bin bereit, Ihrer Anregung zu folgen und die Lage mit den Herren Finanzministern der Länder bei allernächster Gelegenheit zu erörtern.
Ich rufe die Frage XII/2 - des Herrn Abgeordneten Seidel ({0}) - auf :
Welche Schwierigkeiten liegen noch vor, daß die bereits drei Jahre andauernden Verhandlungen über die Verlegung der amerikanischen Anlagen aus dem Langwassergebiet der Stadt Nürnberg nicht abgeschlossen werden können?
Bitte, Herr Minister.
Herr Präsident, ich möchte die Fragen 2 und 3 zusammen beantworten.
Ich rufe auch die Frage XII/3 - des Herrn Abgeordneten Seidel ({0}) - auf:
Ist der Abschluß der Verhandlungen über die Verlegung der amerikanischen Anlagen aus dem Langwassergebiet der Stadt Nürnberg noch im Jahr 1963 zu erwarten?
Das deutsch-amerikanische Abkommen vom 16. Juli/ 15. August 1962 sieht die Verlegung eines Munitionslagers, eines Treibstofflagers und eines Luftlandeplatzes aus dem Langwassergebiet der Stadt Nürnberg vor. Für die Verlegung des Munitionslagers und des Treibstofflagers steht bundeseigenes Gelände zur Verfügung, auf dem die erforderlichen Ersatzbauten errichtet werden können. Die Abholzungsarbeiten sind durchgeführt. Mit den Tiefbauarbeiten ist im Monat Oktober 1963 begonnen worden.
Der Luftlandeplatz soll im Einvernehmen mit dem Lande Bayern und den amerikanischen Streitkräften auf ein Gelände verlegt werden, das sich zur Zeit noch im Eigentum der Bayerischen Staatsforstverwaltung befindet. Das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat die Überlassung des Geländes davon abhängig gemacht, daß zunächst Einigung über den Kaufpreis erzielt wird. Die Kaufpreisforderung des Bayerischen Staates ist in meinem Hause und von der zuständigen Oberfinanzdirektion Nürnberg überprüft worden. Als Ergebnis bleibt festzustellen, daß die Sachverständigen des Bundes einen wesentlich niedrigeren Verkehrswert ermittelt haben. Das Bundesministerium der Finanzen hat dem Lande Bayern ein entsprechendes Kaufpreisangebot übermittelt.
Unabhängig davon habe ich in einem persönlichen Brief an den Herrn Staatsminister Dr. Hundhammer gebeten, dem Bund sofort den Besitz an den benötigten Forstflächen zu übertragen. Gleichzeitig habe ich dem Land Bayern eine Abschlagszahlung in Höhe von 1 Million DM und die Verzinsung des darüber hinausgehenden Kaufpreises vom Tage der Besitzeinweisung an zugesagt.
Ich hoffe, daß das Land Bayern meinem Vorschlage entsprechend dem Bund den Besitz an dem Ersatzgelände in Feucht nunmehr sofort überträgt. Damit wären alle Schwierigkeiten behoben, die der Freimachung des Langwassergeländes noch entgegenstehen. Ob es allerdings möglich sein wird, auch den Kaufvertrag über das Gelände bis zum Ende dieses Jahres abzuschließen, vermag ich noch nicht zu übersehen.
Herr Abgeordneter Seidel zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, welche rechtlichen Mittel stehen der Bundesregierung zur Verfügung, um den Anspruch der Bayerischen Staatsregierung, den Grundstückspreis nach dem Verkehrswert - den Sie ja bisher schon beanstandet haben - dem Bund anzurechnen, abzuwehren ?
Herr Abgeordneter, ich muß mit dem Land Bayern über dessen Grundbesitz Ankaufsverhandlungen führen. Es war bisher nicht nötig zu prüfen, ob rechtlich die Möglichkeit besteht, sich nach dem Landbeschaffungsgesetz in den Besitz dieses Geländes zu setzen. Ich glaube, daß durch den Vorschlag, den ich nach Bayern gegeben habe - Vorauszahlung auf den Kaufpreis, Verzinsung ab Besitzeinweisung, die absolut üblich sind -, das Problem schnell zur Erledigung kommt.
Zu einer weiteren Frage Herr Abgeordneter Seidel!
Sind Sie mit mir der Meinung, daß der Streit innerhalb der öffentlichen Hand um den Grundstückspreis in diesem Falle der Bevölkerung unverständlich bleiben muß?
Wenn ich vom Bund einen unangemessenen Kaufpreis bezahlte, würde das der Bevölkerung auch unverständlich sein. Wir tun alles, um eine schnelle Erledigung zu erreichen. Soweit bundeseigenes Gelände für die Läger zur Verfügung gestellt werden konnte, ist alles bereits sehr weit gediehen. Aber die Streitkräfte werden diese Läger nicht in Anspruch nehmen, ehe nicht der Luftlandeplatz vorhanden ist. Deshalb habe ich ein eminentes Interesse daran, auch die Frage des Luftlandeplatzes schnellstens in Ordnung zu bringen.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die weiteren Fragen werden am Freitag beantwortet.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ({0}) ({1})
b) Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen ({2}) ({3}).
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt Ihnen den Sozialbericht
1963 vor über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderung des Volkseinkommens je Erwerbstätigen in dem vorausgegangenen Kalenderjahr und über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung und zugleich damit den Entwurf eines Sechsten Rentenanpassungsgesetzes, der nicht nur eine Anpassung der Renten in den gesetzlichen Rentenversicherungen, sondern auch eine Anpassung der vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung vorsieht. Ich möchte Ihnen nicht die einzelnen Daten des Sozialberichts vortragen, sondern nur die für die Rentenanpassung entscheidenden Gesichtspunkte.
Zunächst zur Finanzlage der Versicherungsträger! Im vergangenen Jahr habe ich zur Begründung des Fünften Rentenanpassungsgesetzes vorgetragen, daß die finanzielle Situation der Rentenversicherungen sowohl die fünfte als auch die sechste Rentenanpassung erlaube, ohne die gesetzlich vorgeschriebene Rücklage zu unterschreiten. Auch in diesem Jahr kann ich mit Genugtuung feststellen, daß die Entwicklung der Beitragseinnahmen wiederum günstiger verlaufen ist, als in den Vorausschätzungen angenommen wurde. Die Einnahmensteigerung hat den sehr beträchtlichen Ausgabenzuwachs übertroffen. In erster Linie ist dies auf die Erhöhung der beitragspflichtigen Löhne und Gehälter zurückzuführen. Die Mehreinnahmen erlauben es, die Vorausschätzungen über die finanzielle Lage der Rentenversicherungsträger weiter zu verbessern, so daß die Folgerungen, die im vergangenen Jahr gezogen werden konnten, in diesem Jahr mit noch größerer Sicherheit gezogen werden können und auch noch weitergehende Aussagen über die künftigen Rentenanpassungen erlauben. Der Sozialbericht 1963 kommt zu der gesicherten Aussage, daß sowohl in der Rentenversicherung der Arbeiter als auch in der Angestelltenversicherung die sechste und siebente Rentenanpassung durchgeführt werden können, ohne daß die gesetzlich vorgeschriebene Rücklage unterschritten wird. Auch die achte Rentenanpassung wird nicht zu einer Unterschreitung des Rücklagesolls führen, die zu gesetzgeberischen Maßnahmen Anlaß geben könnte.
Die uns heute vorliegenden Zahlen über die finanzielle Situation der gesetzlichen Rentenversicherungen rechtfertigen die Annahme, daß im ganzen ersten Deckungsabschnitt das vom Gesetzgeber verlangte finanzielle Gleichgewicht gesichert ist. Der rechnerische Überschuß zwischen den Einnahmen und Ausgaben in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten ist von 1,4 Milliarden DM im Jahre 1960 auf 1,8 Milliarden DM im Jahre 1961 und auf mehr als 2 Milliarden DM im Jahre 1962 gestiegen. Auch für das laufende Geschäftsjahr ist mit einem Überschuß von mehr als 2 Milliarden DM zu rechnen. Damit wird das gesamte Bar- und Anlagevermögen dieser beiden Rentenversicherungen am Ende des Jahres 1963 mehr als 22 Milliarden DM betragen. Angesichts dieses Vermögens der Versicherungen, das als Rücklage gesetzlich vorgeschrieben ist, empfinde ich es als Beruhigung, daß auch bei weiteren Anpassungen im laufenden Deckungsabschnitt ein Rückgriff auf die Reserven nicht notwendig sein wird und daß die gegenwärtige und in naher Zukunft zu erwartende Finanzlage der Rentenversicherungen eine Beitragserhöhung - im jetzigen Augenblick jedenfalls - nicht erforderlich macht.
Ich bin mir indessen darüber im klaren, daß die zu erwartenden Verschiebungen im Bevölkerungsaufbau unseres Landes zu einem späteren Zeitpunkt Überlegungen erfordern, auf welchem Wege das finanzielle Gleichgewicht aufrechterhalten werden kann. Nach Auffassung der Bundesregierung ist es zweckmäßig, die weitere finanzielle Entwicklung abzuwarten. Von ihr wird es abhängen, ob, in welchem Ausmaße und mit welchen Mitteln eine Verstärkung des Finanzierungssystems erforderlich wird.
Die weitere Frage, die sich bei dem Vorschlag einer sechsten Rentenanpassung ergibt, ist, wie sich die erneute Rentenanpassung in den Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einfügt. Nach Vorausberechnungen des Bundesarbeitsministeriums verursacht die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen und der Geldleistungen aus der Unfallversicherung Mehrausgaben von mehr als 1,5 Milliarden DM im kommenden Jahr. Angesichts dieser nicht unbeträchtlichen Vermehrung der Konsumentenkaufkraft hat sich der Sozialbeirat mit der Frage auseinandergesetzt, ob nicht auch aus konjunkturpolitischen Erwägungen die Anpassung auf ein geringeres Ausmaß als den Anstieg der allgemeinen Bemessensgrundlage beschränkt werden sollte. Die Mehrheit der Beiratsmitglieder gab jedoch den sozialpolitischen Überlegungen den Vorrang und setzte sich für eine Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen um 8,2 v. H. ein.
Auch für die Bundesregierung waren es die sozialpolitischen Gründe, die für den Vorschlag einer erneuten vollen Rentenanpassung den Ausschlag gegeben haben, zumal im Zeitpunkt der sechsten Rentenanpassung konjunkturpolitische Bedenken weniger stark in den Vordergrund treten als in dem einen oder anderen voraufgegangenen Jahr. Ferner entschärfen sich etwaige konjunkturpolitische Bedenken vor allem auch dadurch, daß die Mehraufwendungen von 1,5 Milliarden DM nicht schlagartig konsumwirksam werden, sondern, bedingt durch die Technik der Anpassung und den monatlichen Zahlungsrhythmus der Renten,
({0})
sich in gleichmäßige Beträge auf das ganze kommende Jahr verteilen werden. Die Bundesregierung vertritt daher die Auffassung, daß die im Rahmen des Sechsten Rentenanpassungsgesetzes vorgeschlagenen Rentenerhöhungen auch mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vereinbar sind. Der vorgelegte Entwurf eines Sechsten Rentenanpassungsgesetzes folgt den gleichen Grundsätzen, auf denen die vorausgegangenen fünf Rentenanpassungsgesetze beruhen. Er sieht für die Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, die auf Versicherungsfällen beruhen, die im Jahre 1962 und früher
eingetreten sind, eine Erhöhung um 8,2 v. H. vor. Damit sollen die Bestandsrenten um denselben Prozentsatz erhöht werden, um den die Neurenten des Jahres 1963 gegenüber denen des Jahres 1962 gestiegen sind. Mit der grundsätzlich gleichmäßigen Behandlung von Bestands- und Neurenten will der Entwurf dem entscheidenden Grundgedanken der Rentenreform, die Rentner im Ausmaß des Wachstums der Löhne und Gehälter an der wirtschaftlichen Entwicklung zu beteiligen, erneut Wirkung verschaffen. Der zeitliche Abstand, der zwischen der Lohnentwicklung und der Entwicklung der Renten in den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen festgelegt ist, hat allerdings zur Folge, daß sich die Renten in ihrer Höhe nach der Lohnentwicklung vergangener Jahre richten. Für das Sechste Rentenanpassungsgesetz ist die Lohnentwicklung in den Jahren 1959 bis 1961 maßgebend. In diesen drei Jahren sind die Löhne im Durchschnitt um 8,2 v. H. gestiegen. Um diesen Vom-Hundert-Satz sind jetzt auch die Bestandsrenten zu erhöhen, wenn die Rentner prozentual im gleichen Maße wie die Lohn- und Gehaltsempfänger an dem Produktivitätsfortschritt beteiligt sein sollen.
Daß die Löhne im laufenden Jahr nicht in diesem Ausmaß steigen werden, darf nicht zu der Auffassung verleiten, die Renten würden den Löhnen vorauseilen. Sie folgen diesen vielmehr nach. Es handelt sich um eine mit zeitlichem Abstand parallele Entwicklung.
Da sich die Beitragsbemessungsgrenze und damit die Höchstgrenze in allen drei Rentenversicherungen erhöht haben, ändern sich auch in diesem Jahr die nach der Versicherungsdauer gestaffelten individuellen Rentenhöchstbeträge. Das bedeutet, daß z. B. die Bestandsrenten, die in den Rentenversicherungen der Arbeiter und ;der Angestellten im Jahre 1957 noch auf 562,50 DM monatlich begrenzt waren, nunmehr vorn 1. Januar 1964 an auf 750 DM monatlich ansteigen werden.
Erstmalig sieht das Sechste Rentenanpassungsgesetz auch eine Anpassung der vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen in der Unfallversicherung vor. Ausgehend von der Überlegung, daß der Verletzte ohne den Unfall in aller Regel an der weiterhin sich vollziehenden allgemeinen Lohnentwicklung teilgenommen hätte, hat der Gesetzgeber im Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vorgeschrieben, daß bei Veränderungen der durchschnittlichen Bruttolohn- und -gehaltssumme die vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleitungen durch Gesetz angepaßt werden. Damit ist eine Berücksichtigung der jeweiligen Lohnverhältnisse während der Dauer des Rentenbezuges vorgeschrieben. Im Prinzip unterscheidet sich somit die Anpassung in der Unfallversicherung nicht von der in den Rentenversicherungen. Zu beachten ist jedoch, daß die Anpassung in der Unfallversicherung der jährlichen Lohnentwicklung mit einem zweijährigen Abstand folgt. Für die Anpassung der Renten in der Rentenversicherung ist dagegen die durchschnittliche Entwicklung in einem dreijährigen Zeitraum maßgebend. Aus dieser verschiedenartigen Berechnungsweise erklärt sich die unterschiedliche Höhe der Anpassungssätze. Im Endergebnis wird die Anpassung in der Unfallversicherung grundsätzlich zu der gleichen Anhebung der Renten führen wie die Anpassung in den Rentenversicherungen.
Nach dem Entwurf sollen für Versicherungsfälle aus den Jahren 1961 und früher die vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen um den Prozentsatz, der der Lohnentwicklung von 1961 auf 1962 entspricht, erhöht werden. Da sowohl die Renten aus der Rentenversicherung als auch die Unfallrenten zum gleichen Zeitpunkt angehoben werden, wirkt sich die Anpassung für Rentner, die Renten aus beiden Versicherungszweigen beziehen, günstiger aus als bisher.
Hinsichtlich des technischen Ablaufs der Rentenanpassung sind keine von den Vorjahren abweichende Regelungen vorgesehen. Die Masse der anzupassenden Renten wird daher von den Rentenrechnungsstellen der Bundespost ohne Beteiligung der Versicherungsträger mit Hilfe elektronischer Rechengeräte umgerechnet werden können. Jeder Rentenempfänger erhält eine schriftliche Mitteilung über die Höhe seiner Rente. Die Post wird bestrebt sein, die angepaßte Rente vom 1. März 1964 an zu zahlen. Die Nachzahlungen für die Monate Januar und Februar 1964 sollen mit der Rente für März 1964 ausgezahlt werden.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, an dieser Stelle einmal ein Wort des Dankes an die Deutsche Bundespost zu sagen
({1})
und an die mit dieser Arbeit befaßten Bediensteten, die so prompt Jahr für Jahr unser politisches Wollen durch eine rechtzeitige Auszahlung an die Rentner in die Tat- umgesetzt haben.
({2})
Nun bleibt mir noch, wie alljährlich, so auch in diesem Jahr, dem Sozialbeirat den Dank der Bundesregierung
({3})
- zum Sprecher des Parlaments darf ich mich hier nicht selbst ernennen; ich überlasse das Ihnen, den Herren Abgeordneten - für sein nach eingehender und sorgfältigen Beratung erstattetes Gutachten auszusprechen.
Die Bundesregierung bittet Sie, dem vorgelegten Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben.
({4})
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Franz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Sechste Rentenanpassungsgesetz ist in Verbindung mit dem Sozialbericht 1963 ein glänzendes Zeugnis für die großen sozialpolitischen Möglichkeiten, die in dem System der sozialen Marktwirtschaft liegen.
({0})
1,5 Milliarden DM mehr als bisher werden im Rahmen dieses Gesetzes unseren Rentnern zufließen.
Es ist kein Geheimnis, daß es im. Sozialbeirat eine lebhafte Diskussion um eine eventuelle Beitragserhöhung in der Rentenversicherung um 1 % gegeben hat. Sie wissen, daß die Bundesregierung dieser Anregung nicht gefolgt ist. Es ging dabei nicht um eine Stärkung der finanziellen Grundlage der Rentenversicherung, sondern um den Gedanken, zugunsten der Rentner bei den aktiven Versicherten eine Kaufkraftabschöpfung vorzunehmen. Sie alle kennen das böse Wort, daß immer dann die Währung in Gefahr ist, wenn es um Renten und um Löhne geht. Was steckt hinter dieser hart umstrittenen Behauptung?
Dahinter steckt, daß Löhne und Sozialleistungen von Jahr zu Jahr ein immer größerer Faktor im Rahmen des gesamten Volkseinkommens werden. Ich erinnere daran, daß der frühere Bundeswirtschaftsminister und heutige Bundeskanzler Dr. Erhard schon vor Jahren vorausgesagt hat, daß dieses Moment des sozialen Ausgleichs in seinem System liege. Löhne und Sozialleistungen werden von Jahr zu Jahr ein immer bedeutenderer Faktor im Rahmen des gesamten Volkseinkommens.
Ein zweiter Gesichtspunkt ist der, daß Löhne und Sozialleistungen weit überwiegend konsumtiv verwendet werden. Das hängt nicht nur mit der zum Teil noch geringen Sparfähigkeit der Empfänger von Sozialleistungen und Löhnen zusammen. Wir wissen, daß ein sozialer Aufstieg auf gesunder Grundlage immer noch ein Erziehungsproblem ist. Das Stichwort „Konsumgeld durch Renten" war schon 1956 im Rahmen der Rentenreformdiskussion ein wesentlicher Streitpunkt. Die Rentner selber haben darauf im Jahre 1957 eine sehr ehrenhafte Antwort gegeben. Sie haben zumindest einen ganz großen Teil der Nachzahlungen damals gespart.
Wenn es heute heißt, daß die 1,5 Milliarden DM, die im Rahmen der neuen Gesetze auf die Rentner zukommen, nicht kaufkraftneutral sind, dann darf ich sagen, daß wir die Pflicht haben, genau zu untersuchen, auf welche Sektoren der Nachfrage diese Gelder im wesentlichen wohl gelangen.
({1})
Da stelle ich fest, daß diese Gelder nicht dort auftreten, wo wir seit Jahren die größte Konjunkturüberhitzung haben, nicht bei den Investitionen, nicht auf dem Baumarkt, sondern einesteils auf Märkten, die bisher noch keine Hochkonjunktur gekannt haben, oder dort - ich erwähne nur die Nahrungsmittel -, wo das Angebot jederzeit fast beliebig vermehrbar ist.
Ich gebe ehrlich-zu, daß diese sechste Rentenanpassung auch bedeutende Schönheitsfehler hat. Der bedeutendste Schönheitsfehler ist für mich der, daß das sozialpolitisch wünschenswerte Ziel, die ausgefallene Anpassung nachzuholen, auch diesmal nicht erreicht worden ist. Ich sage: Es wäre ein sozialpolitisch wünschenswertes Ziel. Auf der anderen Seite kann ich mir sehr gut vorstellen, daß - und dafür werden wir heute in diesem Hause sicher noch Beispiele bekommen - die 20 Milliarden DM, die in den Tresoren der Rentenversicherung liegen, natürlich eine faszinierende Wirkung auf jene ausüben, die auf dem Gebiet der verteilenden Gerechtigkeit das Hauptanliegen unserer Sozialpolitik sehen.
({2})
Ich darf Ihnen aber ganz ehrlich sagen, daß der Ausfall der Anpassung und die Tatsache, daß wir sie nicht nachgeholt haben, nichts zu tun haben mit unserer Angst vor dem Kaufkraftstoß, sondern nur mit unserer Sorge um das Schicksal der Rentenversicherung überhaupt.
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Die Zahlenunterlagen, die im Sozialbericht enthalten sind, zeigen uns, daß wir bis zum Ende des ersten Deckungsabschnitts 1966 die große Chance haben, die vorgeschriebenen Rücklagen in der Arbeiterversicherung zu fast 90 %, in der Angestelltenversicherung zu fast 100 % zu erreichen.
Eines ist ja typisch für die gesamte Rentenversicherung: daß im Laufe der letzten Jahre der Kreis der Beitragszahler sich erheblich ausgeweitet hat und infolge der Steigerung der Nominallöhne eine indirekte Beitragserhöhung stattgefunden hat. Die Nachholung der Anpassung würde statt .der 1,5 Milliarden DM, die in diesem Gesetz stehen, allein für das Jahr 1964 3,25 Milliarden DM bedeuten. Allein für das Jahr 1964 - ich betone extra, daß diese Größenordnung nicht weitergerechnet worden ist - eine Verdoppelung! Was das bedeutet, wissen wir alle.
Wir stellen fest, daß sich im Laufe dieses Jahres vor allem die Entwicklung der Löhne sichtbar abgeflacht hat. Die Auseinandersetzungen, die im Frühjahr dieses Jahres im Südwesten Deutschlands mit Metallarbeiterstreik und Aussperrung stattgefunden haben, haben ganz deutlich die Fragwürdigkeit eingebildeter Machtpositionen gezeigt. Auf der anderen Seite ist das wichtigste Element überhaupt die deutlich sichtbare Erschöpfung des deutschen Arbeitsmarktes und in etwa auch des Arbeitsmarktes der Länder, die uns bisher Arbeitskraftreserven geliefert haben.
Man darf behaupten, daß die Rentenverläufe, die jetzt auf die Rentenversicherung zukommen, deutliche Spiegelbilder des deutschen Schicksals der letzten fünfzig Jahre sind. Die Auswirkungen zweier Kriege, einer Weltwirtschaftskrise, zweier Inflationen und des Lohnstopps während der Hitlerzeit gehen aus jedem einzelnen Rentenverlauf hervor. Dagegen steht, daß künftig von Jahr zu Jahr immer glattere Rentenverläufe mit gleichmäßig hohen Ansprüchen auf die Rentenversicherung zukommen werden, während die Einnahmesteigerung ihren Kulminationspunkt deutlich überschritten hat.
Hinzu kommt noch, daß uns im nächsten Jahrzehnt die Auswirkungen der ungünstigen deutschen Alterspyramide in vollem Umfang treffen werden. Wir geben zu, daß die Rentenanpassung so etwas wie ein Gewohnheitsrecht geworden ist. Der Herr Minister hat schon darauf hingewiesen, daß das Zurücksinken der Renten um die berühmten drei Jahre
sich in Zeiten einer abflachenden Lohnkurve so auswirkt, daß die Renten gegenüber den Löhnen aufholen. Das ist bei der heutigen Rentenanpassung der Fall.
({4})
- Und gewünscht. - Diese drei Jahre sollten eigentlich ein retardierendes Element sein. Sie sind jetzt ein korrigierendes Element geworden, im besten sozialpolitischen Sinne. Wir sind sehr glücklich darüber, daß wir heute mit bestem Gewissen sagen können, daß wir bis zum Ende des ersten Deckungsabschnitts eine alljährliche Anpassung vorzunehmen in der Lage sein werden.
Dann aber müssen die Voraussetzungen neu geprüft werden. Wir alle haben schon in der Fachpresse und in hochinteressanten Vorträgen von Fachleuten gehört, daß möglicherweise - genau kann das niemand übersehen - im zweiten Deckungsabschnitt angesichts der ungünstigen Alterspyramide eine Beitragserhöhung in der Größenordnung von 14 bis 19 oder gar 20 % nötig sein könnte. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß eine solche Notwendigkeit weitgehend unabhängig von parteipolitischer Einstellung ist. Wenn das Geld einmal gebraucht werden sollte, um die Rentenansprüche zu erfüllen, muß es eingehoben werden, ganz gleich wer die politische Verantwortung dafür zu tragen hat.
Ich möchte nicht verschweigen, daß uns ein Element besonders große Sorgen bereitet. Es gibt gar keinen Zweifel darüber, daß wir in der Rentenhöhe im Vergleich zum Durchschnittsverdienst der heutigen aktiven Versicherten ein leichtes Absinken festzustellen haben. Das braucht nicht verschwiegen zu werden und bedeutet, daß wir zu dieser Stunde sozialpolitisch an einem Scheideweg stehen. Wir sind nicht damit zufrieden, daß die Masse unserer Versicherten heute eine verhältnismäßig große Möglichkeit hat, am allgemeinen Konsum teilzunehmen, und darüber hinaus keine andere Chance, als die sehr hoch gewordenen Beitragsverpflichtungen in den gesetzlichen Versicherungszweigen zu erfüllen. Das entspricht nicht unseren sozialpolitischen Vorstellungen. Wir wollen Spielraum haben. Nach unseren sozialpolitischen Vorstellungen soll zwischen dem Konsum und der Beitragsverpflichtung noch ein Spielraum für eine individuelle Gestaltung des einzelnen Schicksals bestehenbleiben.
({5})
In diesem Sinne ist der Streit um die nachgeholte Anpassung, die etwa 2 Milliarden DM mehr kosten würde als das, was die Bundesregierung in dem sechsten Anpassungsgesetz vorschlägt, nur ein Symptom für sehr tiefgreifende sozialpolitische Entscheidungen.
Wir schlagen ein anderes Verfahren vor. Wir sind der Meinung, daß die Rentengesetze von 1957 nunmehr eine ausreichende Laufzeit und Bewährungszeit gehabt haben. Wir stellen fest, daß jenes Werk manche soziale Härten, manche verfahrensrechtliche Schwierigkeiten aufweist. Wir sollten noch in dieser Legislaturperiode gemeinsam eine Überarbeitung der Rentengesetze von 1957 vornehmen. Es ist kein
Geheimnis, daß von der CDU-Fraktion schon sehr weitgehende Vorarbeiten zu diesem Zweck geleistet worden sind.
({6})
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf das Kernproblem eingehen. 1957 sind wir davon ausgegangen, daß Beitragshöhe und Beitragszeit zwei gleichberechtigte Elemente bei der Berechnung der Altersrente sein sollten. Heute hat es sich herausgestellt, daß der Gesichtspunkt der Beitragszeit unter besonders gelagerten Umständen unterbewertet sein kann, nämlich dort, wo langjährige Versicherte aus dem Dienstleistungsbereich der Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Hauswirtschaft trotz langjähriger Beitragszeit sehr niedrige Renten erhalten, weil die Entlohnung niedrig war und die Sachbezüge beitragsmäßig zu gering in Ansatz gebracht wurden. Wir sind der Auffassung, daß diesem Punkt bei der Überarbeitung der Rentengesetze - wobei ich ganz sicher bin, daß wir in diesem Hause eine einstimmige Entscheidung erreichen werden - allergrößte Sorgfalt gewidmet werden muß.
({7})
Wir sind aber nicht gewillt, diejenigen, die nur sechs oder acht Beitragsjahre aufzuweisen haben, in diesem Rahmen zu berücksichtigen. Wir dürfen nämlich die braven Beitragszahler, von denen wir die allermeisten in die Versicherungspflicht einbezogen haben, nicht dadurch strafen, daß wir hinterher die anderen durch einen Gnadenakt des Staates gleichstellen.
({8})
Wir dürfen auch nicht durch einen Akt der Gesetzgebung die von bestimmten Interessentengruppen betriebene planmäßige Politik niedriger Beiträge mit einer Sockelrente belohnen. Ich möchte es einmal überspitzt ausdrücken. Wenn wir das täten, wenn wir am Ende eines Arbeitslebens den Mann, der 40 Jahre lang gezahlt hat, und die Frau, die vielleicht nur sechs oder acht Jahre lang gezahlt hat, gleichstellten, gäbe es, überspitzt ausgedrückt, nur eine logische Alternative: die gesamte soziale Rentenversicherung auf freiwilliger Basis durchzuführen, so daß jeder wählen könnte, ob er sich einen erdienten oder einen gesetzlich verankerten Anspruch sichern will.
Zum erstenmal wird in diesem Jahre die Unfallversicherung angepaßt. Sie alle wissen, daß diese Maßnahme sehr, sehr umstritten gewesen ist. Auf der einen Seite war sich jeder darüber klar, daß die in dem Gesetz von 1957 vorgesehene Dynamisierung der Rente so etwas wie eine normative Wirkung auf andere Zweige der Sozialversicherung haben würde. Auf der anderen Seite kann ich mir einfach nicht vorstellen, daß in einem Wirtschaftssystem, dessen Kern eine unvorstellbare Dynamik ist, Renten auf dem Stand irgendeines früheren Jahres eingefroren werden könnten. Das ist sozialpolitisch undenkbar und auch wirtschaftspolitisch nicht sinnvoll.
Ich habe schon gesagt: die Anpassung der Unfallversicherung ist ein Schritt in sozialpolitisches Neu4384
land. Das bedeutet, daß wir bei den Ausschußberatungen über eine Reihe von Problemen, die in diesem Entwurf stecken, mit größter Unvoreingenommenheit werden reden müssen. Ich darf in diesem Zusammenhang nur sagen, daß über die 8,7 % noch gesprochen werden wird.
Auch das sozialpolitisch so bedrängende Problem der Ortslöhne kann möglicherweise dadurch einer Lösung nahegebracht werden, daß der Bundesgesetzgeber die Länder anweist, die Ortslöhne heraufzusetzen. Dann stünde auch ihrer Anpassung nichts mehr im Wege.
({9})
- Herr Kollege Stingl, bringen Sie mich als Bayern nicht in Verlegenheit!
({10})
Ich gebe ehrlich zu, es kann sein, daß wir in der Vergangenheit auf diesem oder jenem Teilgebiet durch Unterlassung gesündigt haben, daß die letzten Möglichkeiten, die in den Gesetzen lagen, vielleicht nicht hundertprozentig ausgeschöpft worden sind. Aber das Wort ist nicht ganz unberechtigt, daß fast alle Leistungen, die wir hier gesetzlich konzipiert haben, gewissermaßen auf die Hochkonjunktur zugeschnitten sind - das ist leider kein leeres Schlagwort - und daß die Bewährungsprobe all dieser Gesetze erst kommen wird; davon bin ich felsenfest überzeugt. Eines aber möchte ich verhindert wissen, nämlich das Unsozialste, was überhaupt denkbar wäre: daß irgendein sozialer Anspruch nur noch auf dem Papier steht und nicht erfüllt werden kann.
({11}) Das ist unsere größte Sorge.
Ich beantrage, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf des Sechsten Rentenanpassungsgesetzes ist der erste Gesetzentwurf der neuen Bundesregierung. Es 'ist deshalb das Gegebene, diesen Gesetzentwurf mit den Maßstäben zu messen, die sich diese Bundesregierung selbst gesetzt hat; damit meine ich die Maßstäbe in der Erklärung der Bundesregierung über eine Sozialgesetzgebung aus einem Guß.
Der Entwurf des Sechsten Rentenanpassungsgesetzes stützt sich auf den Sozialbericht. Das Material dieses Sozialberichts ist in seinem ersten Abschnitt - Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens - wie immer sehr instruktiv. Es fällt aber erstens auf, daß die Berechnungen des Sozialberichts über die durchschnittliche Einkommensentwicklung, die besonders für die Anpassung der Unfallrenten von Bedeutung ist, von dem Zahlenmaterial, das das Statistische Bundesamt neuerdings veröffentlicht hat, abweichen.
Selbstverständlich lassen sich für diese Abweichung Gründe anführen. Politisch ist aber entscheidend, daß es offenbar an der notwendigen Koordinierung gefehlt hat; sonst hätte die Bundesregierung nicht den gesetzgebenden Körperschaften im Sozialbericht Zahlenmaterial vorlegen können, das sich von dem des Statistischen Bundesamtes unterscheidet.
({0})
Die Bundesregierung kann sich nicht damit entschuldigen, daß der Sozialbericht das Datum vom 28. September 1963 trägt, daß aber die Berechnungen des Statistischen Bundesamtes erst im Oktoberheft von „Wirtschaft und Statistik" veröffentlicht wurden. Das Rentenanpassungsgesetz, in dem der unterschiedliche Anpassungssatz festgelegt ist, ist dem Bundestag nämlich unter dem 30. Oktober vorgelegt worden, also zu einem Zeitpunkt, in dem die neuen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes bereits vorlagen.
Wenn sich die Bundesregierung zu einer Sozialgesetzgebung aus einem Guß bekennt, dann muß sie erst einmal dafür sorgen, daß dem Hause über die gleichen sozialen Tatbestände auch das gleiche Material vorgelegt wird.
Die Anpassung der Renten der Unfallversicherung richtet sich - Herr Kollege Franz hat es verdeutlicht - nach der Entwicklung der durchschnittlichen Lohnsumme von 1961 zu 1962. Nach dem Zahlenmaterial des Sozialberichts, auf dem das Rentenanpassungsgesetz basiert, beträgt dieser Steigerungssatz für die Unfallversicherung 8,7 v. H., nach dem Zahlenmaterial des Statistischen Bundesamtes aber 9 v. H.
({1})
- Ja, wir müssen noch über sehr viel reden; aber ich hätte gewünscht, Herr Kollege Stingl, daß die Bundesregierung die Erkenntnisse des Statistischen Bundesamtes mindestens mit einem Satz erwähnt hätte, und das ist nicht geschehen.
Diese Unterschiedlichkeit in dem Steigerungssatz von einerseits 8,7 % und andererseits 9 % wirkt sich auf rund 700 000 Unfallrenten aus.
Ein zweiter Tatbestand steht im Widerspruch zu der von der Bundesregierung verkündeten „Sozialgesetzgebung aus einem Guß". Nach dem Sechsten Rentenanpassungsgesetz soll die Anpassung der Renten der Rentenversicherung 8,2 v. H. betragen, die Anpassung der Renten der Unfallversicherung 8,7 bzw. - nach Angaben des Statistischen Bundesamtes - 9 v. H. Natürlich kenne ich die Gründe für diese unterschiedlichen Anpassungssätze. Sozialpolitisch ist es aber nicht sinnvoll, wegen dieser unterschiedlichen Anpassungssätze für 200 000 Rentner, nämlich jene Rentner, bei denen Unfallrenten mit Renten der Rentenversicherung zusammentreffen, eine erneute Anwendung der Anrechnungs- und Ruhensvorschriften vorzunehmen. Das macht einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand erforderlich und läßt sich eben nicht mit dem so 'schönen Grundsatz „Sozialpolitik aus einem Guß" vereinbaren.
Wir Sozialdemokraten werden deshalb bei den Ausschußberatungen Vorschläge zur Änderung des Regierungsentwurfs vorlegen, damit eine erneute Anwendung von komplizierten Anrechnungsvorschriften, die sich aus diesen unterschiedlichen Anpassungssätzen ergeben, vermieden wird, im Interesse einer verwaltungstechnischen Vereinfachung und im Interesse der Menschen, um die es geht.
({2})
- Herr Kollege Franz, es muß jedenfalls unseres Erachtens eine Änderung des Entwurfs des Sechsten Anpassungsgesetzes erfolgen. Das habe ich angekündigt, und wir werden im Ausschuß im einzelnen die entsprechenden Anträge vorlegen; darauf können Sie sich verlassen.
({3})
- Ja, wenn produktiv gearbeitet wird, sind wir immer dabei.
({4})
Nun zu einem anderen Problem. In der Regierungserklärung heißt es - das ist eine bedeutsame Verpflichtung - unter anderem, daß die Fortentwicklung der Sozialpolitik vorausschauend bedacht werden soll. Diese Auffassung wird von uns um so mehr geteilt, als es bisher mit der Vorausschau der Bundesregierung auf dem Gebiete der Rentenversicherung nicht immer gut bestellt war. Ich will Ihnen das beweisen. Bei jedem Sozialbericht, den wir bisher behandelt haben, mußte nämlich festgestellt werden, daß die Finanzlage der Rentenversicherung weit günstiger war, als die Bundesregierung sie vorausberechnet hatte.
({5})
- Herr Kollege Stingl, die SPD hat bei jeder Diskussion über Finanzfragen diese günstigere Entwicklung vorausgesagt. Das kann man in jedem Protokoll nachlesen.
({6})
Wir haben also die Entwicklung vorausgesehen, aber die Bundesregierung hat - darauf muß ich hinweisen - in dem ersten Sozialbericht - ich nenne den ersten Sozialbericht, weil er der eingehendste war - für dieses Jahr 1963 einen Fehlbetrag für die Rentenversicherung von insgesamt 590 Millionen DM errechnet. Nach dem jetzt vorgelegten Sozialbericht 1963 wird sich jedoch für dieses Jahr ein Überschuß von über 2 Milliarden DM ergeben. Das sind doch erstaunliche Differenzen. Bisher mußte die Bundesregierung - meine Damen und Herren, das kann niemand bestreiten - bei jedem Sozialbericht ihre frühere Vorausberechnung korrigieren und zugeben, daß entgegen der Schätzung des Vorjahres doch noch weitere Anpassungen möglich seien.
({7})
- Herr Kollege Ruf, das liegt nicht unbedingt in der
Natur der Sache. Man kann einige Korrekturen
selbstverständlich nicht immer mit Sicherheit ausscheiden. Aber wenn sie bei jedem der sechs Rentenanpassungsgesetze in so großem Umfange erforderlich sind, dann mußte man eben die Lehren aus der Entwicklung ziehen, und das vermissen wir.
({8})
Zu einer dieser Berichtigungen ist die Bundesregierung auch jetzt beim Sechsten Rentenanpassungsgesetz, zum sechsten Male, genötigt. Sie bestätigt damit die Richtigkeit der sozialdemokratischen Beurteilung der Finanzlage.
({9})
Wir sprechen für die Zukunft die Erwartung aus - und haben die Hoffnung, daß Sie dem zustimmen -, daß die Vorausschau, die sich die Bundesregierung für die Sozialpolitik im allgemeinen vorgenommen hat, auch zu genaueren Vorausberechnungen in der Rentenversicherung führt.
({10})
Auf Grund der günstigen Finanzentwicklung, die sich seit der Rentenreform vollzogen hat,
({11})
ist es durchaus möglich, das Sechste Rentenanpassungsgesetz ohne irgendwelche finanzwirtschaftlichen Bedenken zu verabschieden. Dabei sollte - darin stimme ich Herrn Kollegen Dr. Franz voll und ganz zu - in den Ausschußberatungen geprüft werden, inwieweit Härten und Ungerechtigkeiten bei dieser Anpassung beseitigt werden können. Sie haben dafür ein Beispiel genannt, die Ortslöhne. Es gibt noch weitere. Diese Dinge müssen wir nach unserer Auffassung jetzt bei der sechsten Anpassung sinnvoller regeln.
Aber über die Beratung und Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs hinaus hat das Haus die politische Verpflichtung, auch die finanzwirtschaftliche Entwicklung der Rentenversicherung für die weitere Zukunft mit großer Sorgfalt zu beobachten.
({12})
Es ist ein Alarmzeichen, daß der Sozialbeirat in seinem Gutachten unter anderem folgendes ausführt - ich zitiere -:
Der Sozialbeirat hat sich mit qualifizierter Mehrheit für eine baldige Erhöhung des Beitragssatzes ausgesprochen.
Der Bundesarbeitsminister hat hier den Dank an den Sozialbeirat für seine Arbeit ausgesprochen. Dem können wir zustimmen. Aber zu diesem wichtigen Beschluß des Beirats hat der Bundesarbeitsminister kein Wort gesagt. Wenn wir Sozialdemokraten auch die pessimistische Auffassung der Mehrheit des Beirates nicht teilen, weil unseres Erachtens in diesem Beschluß die negativen Faktoren zu stark und günstige Momente zu gering bewertet wurden, so muß uns doch - das möchte ich ausdrücklich im Namen meiner Fraktion erklären - dieser Beschluß des Beirates zu besonderen Überlegungen veranlassen.
({13})
- Ich werde Ihnen sagen, in welcher Hinsicht Ermahnungen nötig sind. Darauf komme ich noch zu sprechen, selbstverständlich.
Bei der weittragenden Bedeutung, die diese finanziellen Probleme unserer Rentenversicherung für die Beitragszahler und für die Rentner von heute, morgen und übermorgen haben, müssen nach Auffassung meiner Fraktion alle Argumente geprüft, alle Fakten zusammengetragen und jeder Sachverstand genutzt werden, Wir können es deshalb nicht zulassen, daß die Bundesregierung diesen schwerwiegenden Beschluß des von uns eingesetzten Sozialbeirates, wonach eine Erhöhung der Beiträge erforderlich sei, mit ganz wenigen Sätzen abtut.
Schon vor einem Jahr hatten wir hier bei Vorlage der versicherungstechnischen Bilanz eine gründliche Erörterung aller Finanzfragen der Rentenversicherung in dem zuständigen Ausschuß gefordert. Dazu ist es leider bisher nicht gekommen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, und zwar deshalb nicht, weil die Mehrheit Beratungen über das Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz - jene „ersprießlichen" Beratungen - für sinnvoller und dringlicher hielt als eine Auseinandersetzung mit den grundlegenden Finanzproblemen unserer Rentenversicherung. Das ist der Tatbestand.
({14})
Infolgedessen konnte bis jetzt weder der Sozialbericht des Jahres 1961 noch die erste versicherungstechnische Bilanz im Ausschuß beraten werden. Wir sind der Auffassung, daß das im Hinblick auf den von mir zitierten Beschluß des Sozialbeirats nicht so weitergehen kann. Die Erörterung auch schwieriger Finanzfragen der Rentenversicherung darf nicht länger hinausgeschoben werden.
In diesem Zusammenhang muß ich daran erinnern, daß die zweite versicherungstechnische Bilanz, die nach den gesetzlichen Vorschriften für den Stichtag 1. Januar 1961 zu erstellen ist, noch aussteht. Im Hinblick auf die erheblichen Finanzprobleme, die gelöst werden müssen, fordern wir deshalb, daß die Bundesregierung nunmehr die zweite versicherungstechnische Bilanz - per 1. Januar 1961 - den gesetzgebenden Körperschaften vorlegt.
Ferner ist darauf hinzuweisen, daß der Bundesrat bei Kenntnisnahme dieses Sozialberichts die Bundesregierung gebeten hat, so bald wie möglich zur Klärung der voraussichtlichen längerfristigen Entwicklung der Rentenversicherung eine Reihe von Untersuchungen durchzuführen, beispielsweise über die durch die Kriegsfolgen bewirkte Beziehung zwischen der Zahl der Beitragszahler und der Zahl der Rentner. Die sozialdemokratische Fraktion wird diese Entschließung des Bundesrates aufnehmen, und wir werden auch vom Ausschuß aus darum bitten, daß diese Unterlagen baldmöglichst vorgelegt werden.
Ich fasse zusammen. Vier Dinge müssen auf dem Gebiete der Rentenversicherung in finanzwirtschaftlicher Hinsicht geschehen:
1. Die Zahlen der zukünftigen Sozialberichte sind so gründlich zu berechnen, daß die leidige Praxis von ständigen Berichtigungen auf ein Minimum beschränkt wird.
2. Im Ausschuß muß unverzüglich auf Grund der bereits vorliegenden Unterlagen - nämlich Sozialbericht 1962 und jetzt Sozialbericht 1963, erste versicherungstechnische Bilanz - mit den Beratungen über die Finanzsituation unserer Rentenversicherung begonnen werden.
3. Die Bundesregierung hat die zweite versicherungstechnische Bilanz beschleunigt vorzulegen.
4. Der Auftrag des Bundesrates auf weitere finanzwirtschaftliche Untersuchungen sollte möglichst bald erfüllt werden.
Herr Kollege Franz, Sie haben - dankenswerterweise, muß ich sagen - davon gesprochen, daß im Laufe dieser Legislaturperiode auch Härten und Ungerechtigkeiten der Rentenversicherung beseitigt werden sollten. Da sagen Sie uns nichts Neues. Wir haben in dieser Hinsicht in diesem Hause schon Anträge gestellt, die leider abgelehnt worden sind. Aber gerade wegen dieser Härten ist es besonders dringlich, alle finanzwirtschaftlichen Zusammenhänge sorgfältig zu prüfen.
({15})
- Das muß etwaigen Änderungen vorangehen, dann sind wir einig.
Zum Schluß möchte ich, damit keinerlei Mißverständnisse irgendwo aufkommen, folgendes sagen: Wenn wir Sozialdemokraten eine gründliche Erörterung von Finanzfragen der Rentenversicherung fordern, so stellen wir damit nicht im mindestens den Grundsatz der weiteren laufenden Anpassungen in Frage. Im Gegenteil, gerade weil wir das Prinzip der dynamischen Rente voll bejahen, wünschen wir zur unbedingten Gewährleistung der späteren Rentenleistung, daß alle finanziellen Zusammenhänge frühzeitig in gründlicher Weise geprüft werden, und zwar sowohl die positiven als auch die negativen Entwicklungstendenzen.
Solche finanzwirtschaftlichen Überlegungen sollten zu einer Zeit angestellt werden, in der auf Grund der günstigen Finanzlage - über 20 Milliarden DM Vermögen! - kein unmittelbarer Anlaß zu Sorgen besteht, in einer Zeit also, in der man nicht dem Druck von Zwangsläufigkeiten ausgesetzt ist. Aber, meine Damen und Herren, wer den rechten Zeitpunkt für solche sinnvollen Überlegungen verstreichen und die Dinge treiben läßt, handelt kurzsichtig, und das sollte im Bereich der Rentenversicherung doch nicht geschehen. Im übrigen würde das auch schlecht zu den vorausschauenden Überlegungen passen, von denen in der Regierungserklärung gesprochen worden ist. Wir Sozialdemokraten jedenfalls - das möchte ich auch an dieser Stelle betonen - lassen uns in der Verantwortung für die finanzielle Sicherheit der deutschen Rentenversicherung von niemandem übertreffen.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Im Laufe der heutigen Debatte ist schon darauf hingewiesen worden, daß es doch eine gewaltige Leistung darstellt, wenn auch in diesem Jahr wieder die Renten angepaßt, d. h. erhöht werden können. Aber ich glaube, wir müssen zu dem, was Herr Kollege Dr. Franz dazu ausgeführt hat, noch unterstreichen: nicht nur die soziale Marktwirtschaft hat dies möglich gemacht, sondern außer der sozialen Marktwirtschaft - die natürlich die Grundvoraussetzung war - auch die Bereitschaft der Arbeitnehmer, es ohne Proteste hinzunehmen, daß sie 7 % statt 2,8 % Beitrag vom Lohn abgezogen bekommen, und auch die Tatsache, daß die Wirtschaft, große wie kleine Unternehmer, fähig war, konkurrenzfähig auch gegenüber dem Ausland zu bleiben, obwohl in der Bundesrepublik die größte Steuer- und Abgabenbelastung der freien Welt besteht.
Beim Vergleich der Ubersicht 15 in der Drucksache IV/1486 mit dem Gutachten des Sozialbeirats, Seiten 33 und 34, stellt man einen scheinbaren Widerspruch fest. Herr Kollege Schellenberg hat schon erwähnt, daß sich die finanzielle Situation etwas anders darstelle als vor einem oder zwei Jahren. Der Sozialbericht weist in der Rechnung A auch aus, daß das Rücklagesoll der Arbeiterrentenversicherung bis zum 31. Dezember 1966 nach den neuesten Vorausberechnungen 89 % betragen wird, während nach den Erfahrungen, die man bis 1960 gesammelt hatte, lediglich mit einem Betrag von 74 % zu rechnen war. Entsprechendes gilt für die Angestelltenversicherung mit 96 bzw. 85 %.
Diese kurzfristige Betrachtung dieser drei Jahre, bezogen auf 1966, scheint denjenigen recht zu geben, die seit Jahren behaupten, angesichts der absoluten und prozentualen Beträge der Rücklagen bei den Rentenversicherungsträgern sei mit finanziellen Schwierigkeiten nicht zu rechnen. Ja, es gibt oder es gab Leute in diesem Haus - und es gibt sie sicherlich auch draußen -, die meinen, daß die bisherigen fünf Rentenanpassungen in ihrem Gesamtvolumen als unzureichend zu bezeichnen seien. Aber bei den Rentenversicherungen, wo es um Millionen von Menschen geht, für deren Alterssicherung wir zu sorgen haben, und um Menschen geht, die auch in dreißig und vierzig Jahren noch einen Rentenanspruch erfüllt haben wollen, verlangt die politische Verantwortung mehr als nur eine Betrachtung der gegenwärtigen Situation und der Möglichkeiten, die für das nächste oder übernächste Jahr noch gegeben sind.
Ich bin dem Kollegen Schellenberg sehr dankbar für seinen Hinweis darauf, daß diese finanzpolitischen Situationen für die Rentner von heute, morgen und übermorgen wichtig sind. Ich habe mich sehr gut erinnert: Als ich in meiner neuen Aufgabe als Sprecher der FDP im Jahre 1961 zum erstenmal hier heraufmußte, um zu einer Rentenanpassung zu sprechen, stimmte mir die SPD gar nicht zu, als ich erklärte, wir hätten nicht nur für die Rentner von heute, sondern auch für die Rentner vor morgen, d. h. für die Arbeiter von heute, zu sorgen,
({0})
und ich mich gegen Ihre Vorstellungen wandte, daß wir unbesehen, ohne in die tieferen finanzpolitischen und finanzwirtschaftlichen Probleme einzusteigen, Ihren Vorschlägen über eine Rentenerhöhung folgen sollten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schellenberg?
Bitte schön!
Können Sie mir mitteilen, wann wir uns einmal einer Diskussion über finanzwirtschaftliche Zusammenhänge entzogen haben?
Herr Kollege Schellenberg, wir wissen, daß Sie im Sozialpolitischen Ausschuß den Antrag gestellt haben, die versicherungstechnische Bilanz zunächst einmal nacht zu behandeln. Das war Ihr Vorschlag als Vorsitzender. Dem haben Wir zugestimmt, weil wir !andere Gesetze als wichtig angesehen haben. Und dann haben Sie in einer Sitzung, als wir gerade bei der Behandlung des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes waren, verlangt, nicht etwa daß !die Fraktionen sich überlegen sollten, wann einmal ein Termin freizumachen ist, um die versicherungstechnische Bilanz zu behandeln, sondern daß idas KrankenversicherungsNeuregelungsgesetz sofort abgesetzt und die versicherungstechnische Bilanz auf die Tagesordnung gesetzt ward.
({0})
Ich bin überzeugt, Herr Kollege Schellenberg, daß Sie, wenn Sie ihren Antrag dahin formuliert hätten - oder, wenn Sie demnächst wieder im Ausschuß erscheinen, einen diesbezüglichen Antrag stellen -, einen Termin auszumachen, zu dem sinnvollerweise zwischen die Beratungen des KrankenversicherungsNeuregelungsgesetzes die Beratung der versicherungstechnischen Bilanz eingeschoben werden kann, bei !den beiden Fraktionen, die die Mehrheit bilden, durchaus auf Verständnis gestoßen wären bzw. stoßen würden. Aber man kann doch nicht in den Ausschuß kommen und sagen: das, was angesetzt ist, wird abgesetzt, und das andere wird 'aufgesetzt! Es muß ja auch eine Arbeitsweise des Ausschusses sichergestellt sein.
({1})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schellenberg?
Bitte!
Herr Kollege Spitzmüller, halten Sie das, was der Ausschuß hinsichtlich der Krankenversicherungsneuregelung praktiziert, für sinnvoll?
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Aber sicher, Herr Kollege Schellenberg. Es wäre nur noch sinnvoller, wenn wir auf den Rat und die Beiträge der sozialdemokratischen Opposition nicht verzichten müßten.
({0})
Herr Kollege Schellenberg, selbst wenn ich mich in Ihre Gedankenwelt versetzte und sagte, aus dieser Krankenversicherungsneuordnung wird in diesem Bundestag nichts, dann bin ich doch der Überzeugung, daß Sie, wenn Sie so denken, doch nicht abstreiten können, daß in der Krankenversicherung eine ganze Reihe von Problemen gelöst werden kann und hier Änderungen vorgenommen werden können und daß es nicht sinnlos sein kann, wenn sich die verantwortlichen Parlamentarier in einem Ausschuß um die jetzigen Gegebenheiten bemühen und sich Gedanken über eine sinnvollere Gestaltung machen, selbst wenn man wie Sie der Meinung ist, daß in diesem Bundestag die Beratungen nicht mehr zu einem ordentlichen Abschluß kommen werden.
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Wir haben hier aber über die erste Lesung des Sechsten Rentenanpassungsgesetzes zu sprechen. Ich will deshalb wieder auf das Thema zurückkommen. Ich darf nur noch einmal sagen, wir Freien Demokraten haben es mit Freude vernommen, daß Sie, Herr Kollege Schellenberg, für die Sozialdemokratische Partei klargelegt haben, daß Sie in finanzwirtschaftliche Überlegungen über die ganzen Zusammenhänge der Rentenversicheurng und der Ergebnisse der Rentenreform des Jahres 1957 eintreten wollen. Wir wissen, daß Sie andere Vorstellungen haben als wir. Aber wir wollen mit unserem Vorschlag nichts anderes, als eine Diskussion in der Öffentlichkeit herbeiführen, wie die Rentenversicherung so geregelt und gesichert werden kann, daß sie den heute 20- und 30jährigen auch eine ausreichende Rente im Alter sichert,
({2})
ohne daß die dann 20- und 30jährigen in die Gefahr kommen, daß sie 25% oder 30 % ihres Arbeitslohnes abgeben müssen, um überhaupt noch die Renten in der Höhe, wie sie sich aus den Rentenversicherungsneuregelungsgesetzen ergeben, sichern zu können.
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Das ist unser Anliegen, Herr Professor Schellenberg.
({4})
Wir glauben, daß in der Dynamik eine riesige Gefahr liegt. Die Wirtschaft ist zwar dynamisch,
Gott sei Dank. Aber wir übertragen die Dynamik der Wirtschaft - das ist unsere Meinung - ein bißchen zu automatisch in zu viele Lebensbereiche, wodurch die Wirtschaft plötzlich überfordert wird und in sich selbst keine Dynamik mehr entfalten kann, und damit alles gefährdet wird. Es sind bei uns dieselben Sorgen, die Sie drücken, die Sie aber jetzt zum ersten Male so deutlich ausgesprochen haben.
Herr Kollege Schellenberg, es war für uns immerhin beachtenswert, daß Sie erklärten, es sei ein Alarmzeichen, wenn der Sozialbeirat - da haben Sie sogar ein wenig verschwiegen - mit acht gegen zwei Stimmen für eine baldige Erhöhung des Beitrages eintritt. Wenn wir genau nachlesen, stellen wir fest, daß der Sozialbeirat an einer Stelle sogar erklärt hat: 8,2 % Erhöhung der Renten ja, aber gleichzeitig eine Erhöhung der Beiträge bis zu 1 %. Herr Kollege Schellenberg, für uns Freie Demokraten ist das kein Alarmzeichen. Wir wußten, daß diese Erhöhungen kommen werden. Wir hatten bei der Behandlung der Neuregelungsgesetze im Bundestag auch schon darauf hingewiesen, daß eines Tages aus diesem System gewisse schwerwiegende Entscheidungen auf das Parlament zukommen werden, denen wir uns nicht entziehen können.
Die Rentenanpassungen, die wir vorgenommen haben, werden von vielen in der Bevölkerung nicht als das angesehen, als was sie im Gesetz gedacht sind und wie es dort geschrieben steht. Sie sind nur so gedacht, daß derjenige, der nicht mehr im Arbeitsleben steht, mit an dem wachsenden Wohlstand teilhaben soll. Leider ist es so, daß bei den Beziehern von kleinen und kleinsten Renten immer mehr der Eindruck vorherrschend ist, daß es sich um eine Erhöhung handelt, die den notwendigen, aber oft unzureichenden Kaufkraftausgleich bringen soll. Auch hier müssen wir ganz klar erkennen, daß der tiefere Sinn, den die Former der Rentengesetzgebung dem Gesetz geben wollten, noch nicht in die Erkenntnis der Allgemeinheit eingedrungen ist, weil auch hier eine ganze Menge von Mängeln und Härten, die beseitigt werden können, so Gott es will und wir alle zusammenarbeiten, das noch nicht erlauben. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen auch alle miteinander, daß echte Zuwachsraten in den Höhen, wie wir sie in der hinter uns liegenden Zeit hatten, in den nächsten Jahren einfach nicht zu erwarten sind.
Herr Kollege Schellenberg, Sie haben darauf hingewiesen, daß Sie mit Ihrer optimistischen Betrachtungsweise der Entwicklung in der Rentenversicherung in etwa recht behalten hätten. Das kann ich nur unterstreichen. Sie haben immer darauf hingewiesen, daß die Zahlen des Arbeitsministeriums von außerordentlichen Unwägbarkeiten ausgingen und daß sie einfach nicht optimistisch genug seien, daß vielmehr mehr Beiträge hereinkommen würden. Wir erleben, daß die Bundesregierung nun im Sozialbericht zum drittenmal eine Berichtigung, eine positive Berichtigung, ihrer Zahlen vornehmen muß. Aber, Herr Kollege Schellenberg, ist es nicht die Aufgabe der Regierung, dafür zu sorgen, daß keine negativen Berichtigungen durchgeführt werSpitzmüller
den müssen? Stellen Sie sich einmal das Erschrekken in der Bevölkerung vor, wenn man umgekehrt hätte verfahren müssen: von 89 % geschätzt auf 74 % tatsächlich herunter. Das wäre eine sozialpolitisch außerordentlich gefährliche Bewegung gewesen.
Herr Kollege Schellenberg, Ihre Worte waren für uns auch insofern etwas Erfreuliches, als sie bestätigt haben, daß CDU und FDP, die ja gegen den harten Widerstand der Sozialdemokraten der Sozialen Marktwirtschaft zum Durchbruch verholfen haben, in der Betrachtung der Erfolge dieser Sozialen Marktwirtschaft etwas vorsichtiger waren als diejenige Partei, die diese Soziale Marktwirtschaft als Ursache für den zukünftigen Untergang der Bundesrepublik Deutschland dargestellt wissen wollte.
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Ich muß schon sagen, es ist eigentlich ein erfreuliches Zeichen, meine Damen und Herren von der Koalition, daß hier durch die Sprecher der Opposition klargelegt wurde, daß sie im Grunde der Sozialen Marktwirtschaft mehr zugetraut haben als diejenigen, die sich dafür eingesetzt haben und die dafür in den ersten Jahren sehr stark geprügelt worden sind.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf das Gutachten des Sozialbeirats eingehen. Hier kommt der Sozialbeirat zu dem Vorschlag, eine Erhöhung des Beitrags gegebenenfalls bis zu 1 % vorzunehmen. Die Bundesregierung läßt diese Frage in ihrem Gesetzentwurf außer acht. Wir sind auch der Meinung, daß nunmehr die optimistische Beurteilung der Bundesregierung zu prüfen sein wird. Wieso kommt die Bundesregierung zu einem etwas abweichenden Ergebnis gegenüber dem Sozialbeirat? Sind vielleicht der Bundesregierung schon Zahlen zugänglich, die dem Sozialbeirat nicht zugegangen waren? Oder liegt es vielleicht daran, daß der Sozialbeirat von der ersten versicherungstechnischen Bilanz und den dazu neu gewonnenen Erkennntnissen ausgehen mußte und der Bundesregierung oder Teilen der Bundesregierung bereits die zweite versicherungstechnische Bilanz oder wenigstens in etwa die Ergebnisse oder möglichen Ergebnisse bekannt sind? Auch wir Freien Demokraten wollen, sehr geehrter Herr Bundesarbeitsminister, die dringende Bitte aussprechen, daß diese überfällige zweite versicherungstechnische Bilanz nun unverzüglich dem Parlament zugeleitet wird.
Sehen Sie, Herr Kollege Schellenberg, vielleicht ist die kurze Verschnaufpause zwischen Ihrem Antrag im Sozialpolitischen Ausschuß und der tatsächlichen Behandlung der ersten versicherungstechnischen Bilanz dazu gut, daß wir nicht nur die erste, sondern auch die zweite haben und daß wir dann feststellen können, ob die Maßstäbe, die in der ersten gesetzt waren, in der zweiten ihre Bestätigung finden. Also auch insofern kann eine gewisse zeitliche Verzögerung Ihres Wunsches durchaus noch zu einem sehr sinnvollen Endeffekt führen, wenn der Herr Arbeitsminister in der Lage sein wird, uns möglichst schnell und unverzüglich die zweite versicherungstechnische Bilanz zuzuweisen. Ich glaube, auch Sie würden es begrüßen, wenn wir beide versicherungstechnischen Bilanzen miteinander beraten könnten, wenn die Dinge so schnell gedeihen würden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Sozialpolitische Ausschuß des Deutschen Bundestages wird bei der Beratung der Anträge Drucksachen IV/1486 und IV/1584 nicht daran vorbeikommen - genausowenig wie der Sozialbeirat -, darauf zu achten, daß nicht nur das geschieht, was vom sozialpolitischen Standpunkt aus notwendig ist oder gar als wünschenswert erscheint, sondern er muß als Teil des Parlaments auch den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen seine besondere Beachtung schenken. Er darf - das ist ein wesentlicher Teil - dabei auch die konjunkturpolitischen Überlegungen, die vom Sozialbeirat angesprochen wurden, nicht unbeachtet lassen.
Die Freien Demokraten haben im Jahre 1957 bei der Schaffung der Systematik dieser Gesetze auf die Gefahren hingewiesen, die diese Systematik enthält. Auch der Sozialbeirat ist der Auffassung, daß auf längere Sicht gesehen das Parlament vor große Entscheidungen gestellt sein wird. Er spricht davon, daß im Endeffekt eines Tages vielleicht eine mehrprozentige Erhöhung des Beitrages notwendig sein wird.
Schließlich gibt es nur zwei Alternativen, wenn auch der Sozialbeirat drei aufgezählt hat: Entweder kann man die Belastung des Lohnes durch Sozialabgaben weitertreiben oder man muß den Haushalt durch erhöhte Zuschüsse für die Rentenversicherung derartig belasten, daß der andere sozialpolitische Bereich an die Wand gedrückt wird. Das müssen wir sehen. Ich bin sehr dankbar, Herr Kollege Schellenberg, daß Sie mit dieser Intensität darauf hingewiesen haben, daß alle Fraktionen dieses Hauses daran interessiert sein sollten, diese Zusammenhänge einmal durchzudiskutieren.
Ich darf für die Freien Demokraten erklären: nachdem die Mehrheit dieses Hauses im Jahre 1957 diese Systematik mit der ihr innewohnenden Problematik geschaffen hat, wollen wir Freien Demokraten nicht einseitig einen Teil der Rentner, nämlich die Neurentner, in den Genuß des Vorteils gelangen lassen und den anderen Teil, nämlich die Altrentner, weiter benachteiligen. Aus diesem Grunde werden wir der Regierungsvorlage zustimmen. Dabei sind wir uns bewußt, daß im Ausschuß die eine oder andere Schönheitsoperation, insbesondere bei der Anpassung der Unfallrenten, noch vorgenommen werden kann.
Bevor wir den Arbeitern und Angestellten wie der Wirtschaft weitere Beitragserhöhungen zumuten, wird eine grundsätzliche Aussprache über das System sowie über die gesamtfinanzwirtschaftliche Situation der Rentenvericherungsträger und des Bundes - auf lange Sicht gesehen - notwendig sein. Wir müssen nämlich immer die Zusammenhänge zwischen diesen beiden Komponenten sehen.
Am Ende meiner Ausführungen möchte ich nicht versäumen, dem Sozialbeirat Dank und Anerkennung für seine Arbeit zu zollen. Wer diesen Sozialbericht gelesen hat, muß erkennen, daß der Sozialbeirat sich sein Votum wahrhaftig nicht leicht gemacht hat. Seine Mitglieder sind in die Materie eingestiegen und sind auch vor nicht ganz populären Äußerungen nicht zurückgeschreckt. Den Kollegen dieses Hauses, die sich gemeinhin mit sozialpolitischen Fragen nicht zu befassen pflegen, darf ich den freundlichen Hinweis geben, daß es sich bei dem Gutachten des Sozialbeirates nicht um ein „sozialchinesisches" Wörterbuch handelt, sondern um ein Dokument, das durchaus verständlich und lesenswert ist.
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Keine weiteren Wortmeldungen. Die Vorlagen unter Punkt 3 a und 3 b der Tagesordnung sollen an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 4 a der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Burgbacher, Scheppmann, Arendt ({0}), Dr. Aschoff und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({1}).
Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht wird. - Keine Wortmeldungen. Ich eröffne die Aussprache. - Keine Wortmeldungen. Überweisung ist vorgesehen an den Finanzausschuß - federführend -, den Wirtschaftsausschuß und den Haushaltsausschuß - mitberatend -. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 4 b, c und d auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({2}),
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({3}),
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes ({4}).
Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht wird. - Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion, die ich die Ehre habe Ihnen jetzt zu begründen, sind Teile einer zusammengefaßten Konzeption über Veränderungen im Steuerrecht, über Steuerreformen. Zusammen mit den bereits eingebrachten Anträgen über die Erhöhung der Sonderausgabenpauschale für Arbeitnehmer - Drucksache IV/721 -, über die Anrechnung der Ausbildungskosten bei Arbeitseinkommen - Drucksache IV/1347 - und dem Antrag auf Verzinsung der Steuerkredite für bereits fällige und verdiente, aber noch nicht veranlagte Steuern sind die heute zu begründenden Anträge Teile eines Gesamtprogramms, einer Gesamtkonzeption, die hervorgeht aus unserem Grundsatzprogramm und aus dem Regierungsprogramm, das wir im Jahre 1961 beschlossen und veröffentlicht haben. Ich glaube nicht, daß ich Ihnen diese Programme zur aufmerksamen Lektüre besonders empfehlen muß; ich nehme an, daß Sie sie alle kennen; soweit Sie sie nicht zur Kenntnis genommen haben, werden Sie sie bestimmt noch kennenlernen, entweder nach und nach oder auch einmal auf einmal und im ganzen.
Die Teile aus dem Gesamtprogramm, die wir jetzt vorlegen, sind erstens ausgewählt deswegen, weil wir im Augenblick für diese Anträge in der Öffentlichkeit und auch bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Mehrheit, die entsprechende Resonanz erhoffen dürfen, und zweitens sind sie ausgewählt danach, was uns im Augenblick bei verantwortlicher Prüfung durchführbar und finanzierbar und auch vordringlich erscheint. Wenn wir mit diesen Anträgen eine gewisse Geburtshilfe für das Steueränderungsgesetz, mit dem die Bundesregierung mehr oder weniger schwanger geht, geleistet haben sollten, so sind wir sehr zufrieden.
Was die Resonanz in der Öffentlichkeit anbelangt, so haben wir mit großem Interesse z. B. die Stellungnahme der Sozialausschüsse der CDU verfolgt, eines Zusammenschlusses, der ja, wie man hört, bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Mehrheitspartei, einigen und nicht geringen Einfluß haben dürfte, wenn auch vielleicht nicht ganz so viel Einfluß, wie er haben möchte, und auch nicht ganz so viel Einfluß, wie er eigentlich haben sollte. Wir halten diese Stellungnahme der Sozialausschüsse trotz des Widerspruchs, den sie bei Herrn Kollegen Etzel gefunden hat - der eine Schrift veröffentlicht hat, in der er zwar von uns gesprochen, aber eher die Sozialausschüsse seiner eigenen Partei gemeint hat -, für sehr beachtlich, und es hat uns da nicht die Frage des Urheberrechtes interessiert - auch die Damen und Herren, die da Stellung genommen haben, haben natürlich unsere Programme gelesen -, sondern es hat uns die Gemeinsamkeit der Auffassungen interessiert, zu der man gekommen ist. Wir glauben deswegen eine nicht unberechtigte Hoffnung haben zu dürfen, daß man auch über unsere Anträge zu einer breiten Gemeinsamkeit der Auffassungen hier im Hause gelangen könnte.
Um es ganz klarzustellen und damit sich jeder auskennt, darf ich also sagen, daß wir aus der Entschließung zur Finanz- und Steuerreform der 10. Bundestagung der Sozialausschüsse der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft in Oberhausen 1963 mit den jetzt vorgelegten Anträgen und mit den Anträgen, die dem Hause bereits vorgelegt worden sind, nunmehr folgende Punkte aufgegriffen haben: Aus III: „Steigerung der TarifproSeuffert
gression der Einkommensteuer für Großeinkommen anstatt der bisherigen abflachenden Progression", weiter: „Einschränkung der Begünstigung von Gewinnausschüttungen der Körperschaften" und „Beschränkung der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer"; aus IV: „Erhöhung des Tariffreibetrages bei der Einkommenbzw. Lohnsteuer", „Abzugsfähigkeit der Berufsausbildungskosten" und „Erhöhung der Sonderausgabenpauschale für Lohnsteuerpflichtige".
Wir haben das dann noch etwas ergänzt. Wir haben solche begrüßenswerten allgemeinen Forderungen wie „Steuererleichterung für die Bezieher kleiner Einkommen" oder - wie es in der Grundsatzentschließung heißt - „Sozialgerechte Besteuerung durch Änderung der Verteilung der steuerlichen Lasten zugunsten der wirtschaftlich Schwächeren" konkretisiert und ergänzt durch einen Frontalangriff auf den berühmten Mittelstandsbauch, eine Maßnahme, die ja nun auch von anderer Seite, außerhalb der Sozialausschüsse, in sehr energischen, optimistischen und volltönenden Verlautbarungen anderer Sprecher Ihrer Fraktion mehrfach gefordert und betont worden ist, bisher allerdings im wesentlichen außerhalb des Parlaments. Wir glauben das einmal ganz ernsthaft im Parlament selbst durch konkrete Anträge nunmehr zur Debatte stellen zu können. - Herr Kollege Dresbach?
Herr Abgeordneter Dresbach zu einer Zwischenfrage!
Etwas Philologisches:: Finden Sie nicht, daß das Bild von dem Frontalangriff auf einen Bauch geradezu unanständig ist?
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Offen gestanden, ich finde es nicht so schrecklich unanständig.
Im übrigen: wenn ich auch noch nicht in der Lage bin, heute ein gemeinsames Programm mit den Sozialausschüssen der CDU seitens meiner Fraktion zu verkünden, so darf ich doch sagen, daß auch die übrigen - fast alle - Forderungen, die in der Stellungnahme der Sozialausschüsse enthalten sind, unsere Unterstützung finden. Sie werden damit rechnen müssen, daß wir diese Forderungen zu geeigneten Zeitpunkten - wir sind ja in unseren Entschließungen immerhin doch wohl noch etwas freier als die Sozialausschüsse der CDU - oder vielleicht auch zu einem vereinbarten Zeitpunkt dem Hause hier unterbreiten.
Nachdem wir also danach mit einer breiteren Zustimmung und Resonanz für unsere Anträge rechnen, möchte ich auf die Anträge im einzelnen näher eingehen. Ich darf mir wohl erlauben, sie zusammen zu begründen.
Da ist zunächst einmal der Antrag auf Beseitigung der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer. Meine Damen und Herren, es ist sehr an der Zeit, dieses Unikum, diesen Widersinn der degressiven Erhebung der Vermögensteuer, der Abhängigkeit vom
Einkommen im negativen Sinne, zu beseitigen. Es ist nicht mehr erträglich, daß derjenige mit hohem Einkommen und dann naturgemäß höherem Steuersatz weniger Vermögensteuer auf das gleiche Vermögen als derjenige zahlt, der ein viel niedrigeres Einkommen hat. Hier handelt es sich um einen notwendigen Schritt vor allen sonst möglichen und zur Debatte stehenden Maßnahmen auf dem Gebiet der Vermögensbesteuerung, auch der Bewertung und der damit etwa zusammenhängenden Steuern. Er ist einfach unerläßlich. Wir sehen das nicht nur als eine Deckungsmaßnahme für diejenigen Steuersenkungen an, die wir für notwendig halten - offenbar im Einverständnis mit Ihnen -, sondern es geht einfach um die Beseitigung einer ganz ungerechten Systemwidrigkeit. Sie wissen ganz genau, daß man bei hohem Einkommen 50 % seiner Vermögensteuer von der Einkommensteuer zurückbekommt, bei einem Normaleinkommen aber höchstens 20%. Das geht nicht mehr so weiter. Jedenfalls ist es dann unerträglich, wenn diese Abzugsfähigkeit unbeschränkt für die höchsten Vermögen und die höchsten Beträge beibehalten wird, wie sie jetzt im Gesetz steht.
Wir haben deswegen vorgeschlagen, die Abzugsfähigkeit zu beschränken. Naheliegende Erwägungen über die Vermögensbildung bei kleinen Einkommen sprechen selbstverständlich dagegen, die Belastung der Bezieher von kleinen Einkommen auf das Vermögen, das sie sich gebildet haben, zu erhöhen. Wir schlagen deshalb vor, daß ein Betrag von 200 DM pro Steuerpflichtigen, pro Ehefrau und pro Kind, also pro Haushaltsangehörigen, weiterhin abzugsfähig bleibt. Das ist der Betrag, der einem Vermögen von 20 000 DM entspricht. Mit anderen Worten: über die im Vermögensteuergesetz vorgesehenen Freibeträge hinaus soll noch einmal der gleiche Betrag, wie bisher, durch die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer begünstigt bleiben. Darüber hinaus aber soll die Begünstigung wegfallen. Ich glaube, das ist ein klares und vertretbares Prinzip.
Was die Körperschaftsteuer anlangt, so schlagen wir vor, den derzeitigen Ausschüttungssatz der Körperschaftsteuer von 15 % auf 30 % zu erhöhen. Das ist die Erhöhung, die die abnorm niedrige Belastung unserer großen Kapitalgesellschaften - denn nur für diese ist der Ausschüttungssatz von Bedeutung, das möchte ich immer wieder festhalten - im internationalen Vergleich wieder etwas vertretbarer machen wird. Es ist genau das, was angesichts der Rechtslage hinsichtlich der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen durchführbar ist. Ich brauche zu dieser Forderung deswegen eigentlich nicht viel zu sagen. Auch sie will nicht nur eine reine Deckungsmaßnahme herbeiführen, es ist vielmehr eine Forderung, die aus wirtschaftlichen und steuersystematischen Gründen unausweichlich ist.
Ich möchte sogar sagen, daß unsere eigene Industrie, unsere eigenen 'Gesellschaften diese Änderung brauchen, um die Nachteile abzufangen unid zu vermindern, die ihnen dm Verhältnis zu Unternehmen, welche ausländische Mutter- unid Holdinggesellschaften haben, erwachsen, und um dem Trend
entgegenzutreten, daß sich deutsche Obergesellschaften, Muttergesellschaften, Holdinggesellschaften in ausländische verwandeln.
Es ist nun einmal so, daß wir bei zunehmender internationaler Verflechtung auf die beim Unternehmen selbst anfallende Körperschaftsteuer angewiesen sind, um unseren angemessenen Anteil an den Steuern des Unternehmens zu bekommen; Die Besteuerung der ins Ausland gehenden Gewinne und Dividenden im Abzugswege reicht dazu nicht mehr ,aus angesichts der Lage, die sich durch die Doppelbesteuerungsabkommen ergibt. Wenn die EWG einmal weit genug ist und ihre internen Steuergrenzen beseitigt haben wird und wenn sie stark genug ist, in den Doppelbesteuerungsverträgen andere Abzugssätze durchzusetzen, wird eine andere Lage entstanden sein. In der heutigen Lage müssen wir uns auf die Körperschaftsteuer und nicht auf die Abzugssteuern verlassen. Wir müssen deswegen den Ausschüttungssatz heraufsetzen.
Meine Damen und Herren, nun zum Einkommensteuertarif selbst, der natürlich das breiteste Interesse in der Öffentlichkeit finden wird. Was wir vorschlagen, ist erstens eine Erhöhung des Freibetrags und zweitens eine Tarifverbesserung in den mittleren Einkommensschichten zwischen dem Ende des Proportionalsatzes, also 8000 bis 16 000 DM, und 100 000 DM Jahreseinkommen. Wir schlagen dagegen eine Tariferhöhung bei den sechsstelligen Einkommen vor.
Daß sich die sehr mäßige Erhöhung des Freibetrags zusammen mit dem dem Hause bereits vorliegenden Antrag auf Erhöhung der Sonderausgabenpauschale fier Arbeitnehmer in erster Linie bei der Lohnsteuer auswirken wird, weil sich ja immer noch die Arbeitnehmereinkommen zu einem ganz überwiegenden Teil, nämlich bis zu 98%, in den Bereichen bewegen, in denen die Erhöhung eines Freibetrags die wirksamste Maßnahme für eine Steuersenkung ist, wissen wir und wollen wir.
Die Entwicklung der Lohnsteuer wird von uns schon seit längerer Zeit - wir haben das mehrfach zum Ausdruck gebracht - mit einiger Sorge betrachtet. Seit .der Einkommensteuerreform 1958 sind bereits 5 Millionen aus den unteren Einkommensschichten wieder steuerpflichtig geworden, und das sind hauptsächlich Arbeitnehmer. Ich habe dein Hause schon am 14. Manz 1962 vorgetragen, daß sich nach den damals vorliegenden Zahlen die Lohnsumme von 1958 bis 1962 um 54 %, die Lohnsteuer aber um 102 %, d. h. rund um das Doppelte, erhöht halt. Das hat dazu geführt, daß der Durchschnitt der Lohnsteuerbelastung auf ,das Lohn- und Gehaltseinkommen bereits 1962 auf 7,7 % angestiegen war. Aus dem Finanzbericht 1963 stelle ich nunmehr fest, daß er für dieses Jahr auf 8,4 % angesetzt wind. Ich stelle soeben aus den neuen Zahlen und aus dem Finanzbericht 1963 fest, daß die Lohnsumme von 1962 auf 1963 wieder um 5 %, die Lohnsteuer aber um 11,1 %, d. h. um das Doppelte, im Zuwachs angesetzt worden ist. Das ist einfach die Entwicklung.
Ich habe bereits im März 1962 das Hauls gefragt: welcher Erwerbszweig, welche sonstige Gruppe der
Wirtschaft würde es sich gefallen lassen, daß die Steuerbelastung, und zwar die automatisch an das Einkommen geknüpfte Steuerbelastung, in einem derartig hohen, verhältnismäßig höheren Maße ansteigt als die Erhöhung des Einkommens selbst?
({0})
- Verzeihen Sie, das ist nicht so automatisch! Ich spreche es auch ganz unbedenklich aus, daß wir derartige Entwicklungen bei dem Lohn- und Gehaltseinkommen, das immer noch nicht das Niveau erreicht hat, das es in seiner Belastbarkeit dem Veranlagteneinkommen gleichsetzen würde, milt wesentlich größerer Sorge betrachten.
Wir wollen also mit unseren Anträgen ganz bewußt gerade dieser Entwicklung in den niederen Einkommensschichten entgegentreten, und ich greife gleich auf die Gesichtspunkte vor, die für unsere weiteren Tarifvorschläge maßgebend gewesen sind. Wir haben einen neuen Formeltarif im Anschluß an die Erhöhung des Freibetrages, die wir beantragen, vorgelegt; nicht deshalb, weil die Formeltarife bei uns so schrecklich beliebt sind! Wenn man wieder eine übersichtlichere und klarere Formulierung der Tarife fände, wäre uns das durchaus erwünscht.
Wir haben Ihnen auch in Pressemitteilungen gewisse Beispielzahlen gegeben, die als solche gewertet werden sollten. Das sind Beispielzahlen, die für gewisse Fälle ermittelt worden sind; Sie wissen ja auch, daß wir zwei Tarife haben, in der Progessionskurve jedenfalls sehr verschieden liegende Tarife, den normalen Tarif für Ledige und den Splitting-Tarif. Wir haben Beispielzahlen gegeben, um die Tendenz klarzumachen, und aus diesen Zahlen ersehen Sie, daß der Schwerpunkt in der Einkommensschicht von 12 000 bis 20 000 DM jährlich liegt, das entspricht bei Verheirateten der Einkommensschicht von 24 000 bis 40 000 DM im Jahr. Wenn Sie sich daran erinnern, daß wir mit der Einkommensschicht bis 24 000 DM 98 % aller Arbeitnehmer und immerhin 81 % aller Veranlagten bereits erfaßt haben, wenn Sie sich weiter daran erinnern, daß die Einkommen bis 50 000 DM bereits. 92 % aller Veranlagten umfassen, so glaube ich, sagen zu dürfen, daß der von uns angesetzte Schwerpunkt richtig gewählt ist.
Dazu kommt, daß gerade in den Bereichen, die wir hier als Schwerpunkt angesetzt haben - das brauche ich für die Kenner der Tarifformeln gar nicht auszuführen -, diejenigen Progessionsverzerrungen vorhanden sind, die in den Bereichen dieser Einkommen angesichts ihrer geringen Belastbarkeit besonders schmerzlich sind und die den berühmten Mittelstandsbauch - um dieses von Herrn Kollegen Dresbach kritisierte Bild doch noch einmal zu gebrauchen - darstellen.
Ich meine also, daß der Schwerpunkt so richtig gewählt wird, und auf dieses Ergebnis kommt es uns an. Es kommt uns natürlich auf das Ergebnis an und nicht auf irgendein System. Wenn Sie Gegenvorschläge zu machen haben, die etwa durch Senkung des Proportionalsatzes oder Ausdehnung
der Proportionalzone oder durch Kombination zwischen Senkung des Freibetrages und Änderungen in der Proportionalzone und Tarifänderungen dasselbe Ergebnis etwa noch besser erreichen, werden wir uns sehr gern darüber unterhalten.
Nun haben wir aber auch Tariferhöhungen vorgeschlagen, und zwar sehr mäßige Tariferhöhungen, die die Einkommen über 100 000 DM jährlich, also die sechsstelligen Einkommen, bis auf einen Spitzensatz - natürlich nicht Durchschnittssatz, nicht einmal beim höchsten Einkommen - von 58 % - statt bisher 53 % - heranführen sollen. Wir bleiben damit immer noch sehr wesentlich unter den Spitzensätzen, die in den Vereinigten Staaten, die in Großbritannien und in anderen Ländern gelten und dort ohne Schaden für die Wirtschaft vertragen werden. Es ist hier nur angestrebt, daß die Bundesrepublik etwas weniger Steuerparadies im internationalen Vergleich gerade für diese sehr hohen Einkommen wird; denn die berühmte These, daß die höchste Steuerbelastung - meistens sagt man sogar: der Welt - in der Bundesrepublik zu finden sei, gilt ja nun - man kann es nicht oft genug feststellen - ganz und gar nicht für die großen Gesellschaften und ganz und gar nicht für diese hohen Einkommen in der Bundesrepublik. Sie gilt in einigen Punkten durchaus für das normale Arbeitseinkommen; aber hier oben gilt sie nun einmal wirklich nicht.
Da werden - ich sehe es voraus - natürlich die Einwände kommen - sie sind in der Presse bereits angekündigt worden -, daß nun gerade diese Steuererhöhungen untragbar seien und zu unerträglichen wirtschaftlichen Auswirkungen führten. Ich möchte einmal feststellen, daß es sich um 70 000 Einkommen handelt, die davon betroffen sind, 70 000 Einkommen von insgesamt 23 Millionen Einkommen, die wir in der Bundesrepublik besteuern. Das sind rund 3 pro mille. Das heißt, von tausend Einkommen, die wir in der Bundesrepublik besteuern, sind etwa drei von diesen Steuererhöhungen betroffen. Ich weigere mich einfach, zu akzeptieren, daß das Wohl und Wehe einer Volkswirtschaft davon abhängig ist, daß diese 70 00 Einkommen, 3 vom Tausend der Einkommen, etwas mehr an Steuern zahlen sollen. Eine Wirtschaftskonzeption und eine Gesellschaftskonzeption, die davon ausginge, daß von diesen obersten 3 vom Tausend aller Einkommen das Wohl und Wehe der Wirtschaft abhängt, kann einfach nicht stimmen, mit der muß es schlimm bestellt sein.
({1})
Ich darf bei dieser Gelegenheit etwas zur Einkommensentwicklung im ganzen sagen. Es wird in der Öffentlichkeit und manchmal auch in diesem Hause sehr viel von der großen Entwicklung geredet, die die unteren Einkommen, die Masseneinkommen, genommen haben. Es entsteht manchmal der Eindruck, daß die Lohneinkommen, die breiten Masseneinkommen, ganz unverhältnismäßig stark gewachsen seien. Ich darf Sie auf das sehr aufschlußreiche Referat verweisen, das Herr Klaus-Dieter Arndt auf unserer wirtschaftspolitischen Tagung in Essen kürzlich gehalten hat. In diesem Referat finden Sie mit den Quellen, die dazu gehören, einige Tatsachen zur
Einkommensentwicklung in der Bundesrepublik. Daraus geht hervor, daß in den Jahren von 1950 bis 1960 - und das sind die Jahre, in denen nicht nur gewisse Lohnbewegungen stattgefunden haben, sondern in denen auch die großen Rentenverbesserungen durchgeführt worden sind, in denen also tatsächlich Verbesserungen im Masseneinkommen erzielt wurden - das oberste Fünftel der Einkommen ungefähr in demselben Maße gestiegen ist wie das Einkommen des untersten Fünftels. Das Einkommen des untersten Fünftels hat sich auf das 2,3fache erhöht, das Einkommen des obersten Fünftels auf das 2,1 fache. Daß es natürlich sozial eine ganz verschiedene Bedeutung hat, ob sich das oberste Fünftel - etwa von 50 000 DM aufwärts - oder das unterste Fünftel, das unter 10 000 DM im Jahr liegt, auf das 2,3fache erhöht, brauche ich hier nicht auszuführen. Ich glaube, der Hinweis genügt, um darzutun, daß die Einkommensentwicklung in diesem Zeitraum und natürlich auch in den darauf folgenden Jahren in der Bundesrepublik die obersten Einkommen durchaus nicht vernachlässigt hat.
Bei Anwendung gleicher Berechnungsmethoden ergibt sich - eine weitere Feststellung aus diesem Referat -, daß in dem gleichen Zeitraum die Einkommensentwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika egalitärer, ausgeglichener und ausgleichender gewesen ist als in der Bundesrepublik. Dabei sind die Vereinigten Staaten das Land, das einigen geradezu als das Musterbild der Konzeption des free enterprise, des „Es helfe sich jeder selbst" und einer sehr geringen Rücksichtnahme auf soziale Ausgleichsmaßnahmen vorschwebt. - So viel also zur Begründung unseres Vorschlages auf Steuererhöhungen bei diesen 70 000 Einkommen.
Wenn hier die Frage aufgeworfen werden sollte, ob durch diese Tarifveränderung etwa neue Fragen in der Steuerbelastung zwischen Personal- und Kapitalgesellschaften, also im Verhältnis zwischen Körperschaftsteuer und Einkommensteuer aufträten, so möchte ich dazu folgendes sagen. Erstens: es ist kaum anzunehmen, daß, wenn ich auf der einen Seite den Spitzensatz der Einkommensteuer erhöhe und auf der anderen Seite die Belastung der Körperschaften durch Erhöhung des Ausschüttungssteuersatzes vermehre, durch diese auf beiden Seiten wirksamen Maßnahmen eine wesentliche Verschiebung in dem bisher bereits bestehenden Verhältnis der Besteuerung zwischen Personal- und Kapitalgesellschaften eintritt. Zweitens: wenn im Anschluß an diese notwendigen Maßnahmen die Diskussion über eine gleichmäßige Unternehmensbesteuerung - sprich: Betriebssteuer - wieder aufgegriffen würde, könnten wir das nur begrüßen und wären jederzeit dazu bereit. Dieses Problem, das tatsächlich immer besteht und vielleicht demnächst auf EWG-Ebene bestehen wird, kann eine Zeitlang durch legere Steuertarife in den Hintergrund gedrückt werden; auf ,die Dauer kann es nicht ganz verschwinden, und wir haben gar nichts dagegen, wenn man es neu diskutiert.
Meine Damen und Herren, unsere Vorschläge dürfen nicht nur, wie ich dargetan habe, bei einem doch sicherlich großen Teil der Mehrheitsparteien auf Re4394
sonanz hoffen, sondern sie sind auch sorgfältig abgewogen. Sie sind abgewogen in bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern insofern, als sie nur gemeinsame Steuern des Bundes und des Landes betreffen und deswegen die Auswirkungen beim Bund und bei den Ländern genau nach dem noch festzusetzenden Anteil an diesen gemeinsamen Steuern auftreten. Wir brauchen uns also mit dem Steuerstreit zwischen Bund und Ländern, dieser ärgerlichen Veranstaltung, durch die wegen Ihrer, meine Damen und Herren von der Mehrheit und der Regierung, illusionistischen Behandlung die Frage des Steueranteils immer noch nicht geklärt ist, und mit Ihrer Weigerung, die Finanzreform ernsthaft anzupacken, in diesem Zusammenhang gar nicht zu beschäftigen.
Unsere Vorschläge sind auch finanziell abgewogen. Sie stellen das dar, was wir im Jahre 1964 für durchführbar und für tragbar halten. Wir haben uns natürlich im Rahmen unserer Möglichkeiten ein Bild über die Auswirkungen zu machen versucht. Wir haben uns sehr eingehende Untersuchungen darüber verschafft. Wir haben nicht alle Möglichkeiten eines Regierungsapparates; da ist vielleicht noch einiges zu klären, aber ich. will das Haus mit den Einzelheiten auch nicht befassen. Ich glaube nach diesen verantwortlichen Untersuchungen sagen zu können: wenn sich die Gesamtheit unserer Vorschläge - Steuerausfälle und Steuererhöhungen, die wir vorsehen - nicht bei etwa 1,5 Milliarden DM jährlich oder etwas darunter gegenseitig vollständig ausgleichen, so wird die Differenz doch etwas sein, was im Rahmen der Gesamtmasse durchaus zumutbar ist, was dreimal und fünfmal zumutbar ist, wenn man, wie der Herr Bundesfinanzminister laut Presse gesagt hat, bereit ist, seitens des Bundes und der Länder auf den Steuerzuwachs der nächsten Jahre zugunsten von Steuersenkungen zu verzichten.
Deswegen sind wir auch der Ansicht, daß diese Steuersenkungen im Rahmen des Gesamtprogramms im Jahre 1964 durchführbar sind, und wir beantragen das; wir sehen keinen Grund, auf 1965 zu verschieben. Wir werden über weitergehende Möglichkeiten, wie vorhin schon gesagt, sehr gerne sprechen. Aber das, was wir beantragen, kann man jetzt machen. Ich glaube, es ist besser zu verantworten, es jetzt und in diesem Ausmaß zu tun, als Projekte zu entwickeln, mit denen erst 1965 so ungefähr 3 Milliarden DM rund um den Schlitz der Wahlurne drapiert werden. Solche Projekte bestehen doch, Herr Bundesfinanzminister?
Das ist unsere Konzeption. Wir sind, wie gesagt, durchaus bereit, im Ausschuß über Einzelheiten zu diskutieren. Wir hoffen auf Ihre Zustimmung, meine Damen und Herren. Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Seuffert hat zu Eingang seiner Ausführungen erklärt, daß seinem Wissen nach die Bundesregierung mehr oder weniger mit einem Steueränderungsgesetz schwanger gehe. Herr Kollege Seuffert, ich glaube, das Bild ist, biologisch gesehen, reichlich schief. In diesem Falle geht es ja um die Sache: Man ist, oder man ist nicht.
({0})
In diesem Zusammenhang darf ich daran erinnern, daß Herr Kollege Dr. Dresbach - ich weiß, daß er ein empfindsames Herz in einer rauhen Schale hat - an dem Begriff „Mittelstandsbauch" Anstoß genommen hat. Ich greife das auf und darf Ihnen vorschlagen, meine Damen und Herren, daß wir nicht mehr vom „Mittelstandsbauch" - das ist wirklich nicht sehr schön -, sondern vom „Mittelstandsbogen" sprechen; ich glaube, das ist netter.
Im übrigen, meine Damen und Herren, hat Herr Kollege Seuffert durchaus recht. Wie bereits in der Regierungserklärung angedeutet, beabsichtigt die Bundesregierung tatsächlich, dem Hohen Hause in aller Kürze den Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1964 vorzulegen, in dem auch eine Reform des derzeitigen Einkommensteuertarifs vorgesehen ist. Die notwendigen Abstimmungen auf allen Ebenen, insbesondere mit den Ländern, sind in vollem Gange. Das Ziel dieser Tarifreform wird sein, neben der Korrektur von Unebenheiten im Tarifverlauf die unteren und mittleren Einkommen fühlbar zu entlasten. Eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommen erscheint vordringlich, weil gerade diese Einkommen in besonderem Maße von den in den letzten Jahren eingetretenen „heimlichen Steuererhöhungen", wie das überproportionale Wachstum der Steuereinnahmen im Vergleich zu den Einkommenszunahmen gelegentlich bezeichnet wird, getroffen sind.
Die Bundesregierung ist jedoch im Gegensatz zur Opposition der Auffassung, daß sich das auch ohne Steuererhöhungen bei den höheren Einkommen und der Körperschaftsteuer verwirklichen läßt, wenn man eine solche Maßnahme als vordringlich einstuft und von dem erhofften Zuwachs späterer Jahre einen entsprechenden Anteil einsetzt.
Ich werde demnächst ausführlich zu all diesen Fragen vor dem Hohen Hause Stellung zu nehmen haben und will mich deshalb heute darauf beschränken, zu den Anträgen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei im einzelnen nur einige kurze Anmerkungen zu machen.
Herr Kollege Seuffert! Erhöhung des Einkommensteuertarifs: Die SPD schlägt vor, bei Einkommen von über 100 000 DM, bei Ehegatten von über 200 000 DM, eine Erhöhung der Steuersätze vorzunehmen. Ich sage Ihnen ganz offen, daß ich eine solche Maßnahme für bedenklich halte. Nach unserem Steuersystem treten nämlich zur Einkommensteuerbelastung weitere Belastungen hinzu: Kirchensteuer, Vermögensteuer, Gewerbesteuer und gegebenenfalls Lastenausgleichsabgabe. Durch das Zusammentreffen aller dieser Steuern werden z. B. höhere gewerbliche Einkünfte mit einer GesamtBundesminister Dr. Dahlgrün
belastung bis zu 65, 70 % getroffen. Damit ist meiner Ansicht nach eine Belastungsgrenze erreicht, die nicht überschritten werden sollte.
Ich darf in diesem Zusammenhang aber noch einmal darauf hinweisen, daß es unzulässig ist, einfach Tarifsatz mit Tarifsatz zu vergleichen. Ich muß, wenn ich schon das falsche Wort von dem „Steuerparadies Bundesrepublik" in den Mund nehme, mir auch einmal bis auf den Grund ansehen, daß z. B. in den Vereinigten Staaten Abschreibungen, Steuerfreiheiten, Sonderbestimmungen für Forschung und Entwicklungsinvestitionen, Sonderausgaben usw. für den Steuerpflichtigen viel günstiger geregelt sind als bei uns. Sie müssen davon ausgehen, daß für die tatsächliche Steuerlast nicht allein der Tarifsatz von Bedeutung ist, sondern daß auch solche abweichenden Regelungen anderer Steuersysteme von ausschlaggebender Bedeutung sind.
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Eine noch stärkere Anspannung der Steuer ist geeignet, die für das Wachstum und die Rationalisierung der Wirtschaft entscheidenden Investitionen erheblich zu beeinträchtigen und damit die Wettbewerbslage der Wirtschaft auf den internationalen Märkten wesentlich zu verschlechtern.
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Durch derartige Maßnahmen können außerdem Preissteigerungstendenzen ausgelöst werden. Es sind sich wohl alle Steuerexperten in diesem Hause darüber einig, daß bei Überschreiten gewisser Steuersätze Verzerrungen in der Ausgabengestaltung hervorgerufen werden und daß die Überschreitung gewisser Steuersätze zu Steuerverlagerungen, ja zur Steuerflucht anreizt. Ich möchte mit Nachdruck darauf hinweisen, daß solche zu befürchtenden Auswirkungen gerade die Mittelindustrie und die mittlere Wirtschaft treffen werden, bei der die Investitionen zur Rationalisierung und Automatisierung - das müssen wir zugeben - am weitesten zurückliegen.
Nach meiner Überzeugung verkennen die Steuerexperten der SPD, daß ein Zusammenhang zwischen Vollbeschäftigung, guter Konjunktur, Ausfuhr, Wirtschaftswachstum und Steuersystem besteht.
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- Ich wollte Idas gerade sagen, Herr Kollege Dr. Schmidt. Die USA, die Briten sind dabei, bedeutende Steuerermäßigungen vorzuschlagen, weil die Sorge für das Wohlergehen ihrer Völker sie dazu zwingt, auf ,ein höheres wirtschaftliches Wachstum bedacht zu sein.
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Dialoge gehen nur hierher!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Minister, wollen Sie wirklich sagen, daß in den 70 000 höchsten Einkommen der Bundesrepublik ausgerechnet die Mittelindustrie repräsentiert ist?
Herr Kollege Seuffert, ich darf das, was ich am Schluß sagen wollte, als Antwort auf Ihre Frage vorziehen. Ich bin der Meinung, daß wir, wenn die Bundesregierung das Steueränderungsgesetz 1964, dessen Bearbeitung fast abgeschlossen hat, vorgelegt hat, Ihre Anregung aufgreifen und sine ira et studio die Lage prüfen sollten. Die Frage, wo die mittelständische Industrie aufhört und die Großindustrie anfängt, ist ja auch nicht so leicht zu lösen. Auch darüber bestehen Differenzen. Es kann aber gar keinem Zweifel unterliegen, Herr Kollege Seuffert, daß auch eine ganze Reihe von mittelständischen Betrieben in dieser Vermögensgröße liegt, wenn Sie nämlich - ich komme darauf nachher noch zu sprechen - echte Sätze annehmen, die wir heute in vielen Fällen noch gar nicht haben. Ich möchte an dieser Stelle nur sagen: die Bundesregierung ist der Meinung, daß wir gerade diese Dinge sorgfältig zu prüfen haben, um Investitionen, um die Rationalisierung und Automatisierung der kleinen und mittleren Industrie zu fördern, damit wir das Wirtschaftswachstum möglichst groß halten. Herr Kollege Seuffert, Sie wissen ja auch, daß das Schwergewicht der Wirtschaft nicht bei der Großindustrie liegt, ob Sie nun die Zahlen der Betriebe, ob Sie die Belegschaften nehmen.
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Das Hauptgewicht liegt in der Mitte. Ich finde, das ist auch ein durchaus gesunder Zustand.
Ich möchte aber noch eines sagen: Die Besteuerung der höheren Einkommen, die von der SPD in der Spitze bis 58 % vorgeschlagen worden ist, beseitigt auch das heute einigermaßen bestehende Gleichgewicht zwischen Körperschaftsteuerbelastung und Einkommensteuerbelastung. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die von ihr für notwendig gehaltene Gleichstellung in der Besteuerung der nicht ausgeschütteten Gewinne von Kapitalgesellschaften mit der entsprechenden Einkommensteuerbelastung von Personenunternehmen durch das Steueränderungsgesetz 1958, das wir ja damals gemeinsam im Finanzausschuß bearbeitet haben, im großen und ganzen erreicht worden ist. Bei Verwirklichung der Anträge der SPD würde eine große Anzahl von Personengesellschaften mit mittelständischem Charakter wegen der auf der unterschiedlichen Besteuerung beruhenden Wettbewerbsverzerrungen, den Anreiz erhalten, in die Form der Kapitalgesellschaft umzuwandeln. Eine solche Entwicklung vom Personalunternehmen zur Kapitalgesell4396
schaft gehört nun einmal nicht zum politischen Programm meiner politischen Freunde und zum politischen Programm, wie ich es mir vorstelle.
Im übrigen würde eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer von 53 % auf 58 %, wie sie in dem Antrag der SPD vorgesehen ist, Mehreinnahmen von nur etwa 150 Millionen DM erbringen. Es zeigt sich, daß 1 % hier nicht viel bedeutet, daß durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer Gewichtsverlagerungen im Sinne einer Umschichtung der Steuerbelastung von den unteren und mittleren Einkommen auf die höheren Einkommen wirksam überhaupt nicht vorgenommen werden können. Aus all diesen Gründen sollte man also von der Anhebung des höchsten Steuersatzes bei der Einkommensteuer absehen.
Nun beinhaltet ein Antrag der sozialdemokratischen Fraktion eine außerordentlich wichtige Frage: Soll die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer gestrichen werden? Die SPD möchte den Abzug der Vermögensteuer dahin einschränken, daß die Vermögensteuer für den Steuerpflichtigen, seinen Ehegatten und jedes Kind nur bis zu je 200 DM von den Einkünften abgezogen werden kann.
Ich möchte dazu folgendes anmerken. Der Abzug der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer ist wegen seiner regressiven Wirkung höchst problematisch. Eine zufriedenstellende Lösung des Problems ist meiner Ansicht nach überhaupt erst möglich, Herr Kollege Seuffert, wenn die derzeitigen Unebenheiten auf dem Gebiete der Vermögensbesteuerung bereinigt sind, die darin bestehen, daß für die Bewertung des Grundbesitzes die Werte des Jahres 1935 zugrunde gelegt werden, während die übrigen Vermögensgegenstände mit zeitnahen Werten zu bewerten sind. Vor der neuen Einheitsbewertung - daß ist meine Meinung -, sollte deswegen an den gegenwärtigen Vorschriften nichts geändert werden, zumal bei einer Gesamtregelung der Vermögensbesteuerung einschließlich der Frage der Abzugsfähigkeit bei der Einkommensteuer die Bundesregierung dafür sorgen muß, daß das mittelständische Einkommen und Vermögen keine höhere Belastung erfährt. Das ist erst einmal der Grundsatz. Gerade bei dem Vorschlag der SPD ist das nicht der Fall. Unter den gegenwärtigen Umständen würde meiner Rechnung nach der Antrag der SPD für weite Kreise der Steuerpflichtigen besonders im gewerblichen Mittelstand trotz der Senkung des Einkommensteuertarifs zu einer höheren Belastung mit Einkommen- und Vermögensteuer führen. Wir haben das sehr genau ausgerechnet, weil auch wir, Herr Kollege Seuffert, bei der Vorbereitung des Steueränderungsgesetzes 1964 selbstverständlich diese Frage der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer geprüft haben. Eine solche Auswirkung, daß ich dem Mittelstand, dem wir gerade helfen wollen, mit der einen Hand etwas gebe und mit der anderen Hand wieder etwas wegnehme, kann von uns und von mir politisch nicht vertreten werden.
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Die SPD schlägt in einem weiteren Antrag die Erhöhung des Steuersatzes für ausgeschüttete Gewinne bei der Körperschaftsteuer vor. Dabei will sie den bisherigen Körperschaftsteuertarif insofern ändern, als die Steuersätze für die ausgeschütteten Gewinne erhöht werden. Nach dem Antrag soll der Ausschüttungssteuersatz bei den sogenannten Publikumskapitalgesellschaften von jetzt 15 auf 30% heraufgesetzt und bei den personenbezogenen Kapitalgesellschaften von 26,5 auf 35 % erhöht werden. Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, sich einmal zu erinnern: Für die Ausgestaltung des Körperschaftsteuertarifs in seiner jetzigen Form waren seinerzeit im wesentlichen vier Gesichtspunkte maßgebend: 1. Förderung des Kapitalmarktes, 2. Einschränkung der Selbstfinanzierung, 3. Förderung der Eigentumsbildung und 4. Milderung der sogenannten Doppelbelastung. Alle diese Gesichtspunkte haben seit der Einführung des gespaltenen Körperschaftsteuersatzes nichts von ihrer Bedeutung verloren. Ich glaube, das ist außerhalb jeder Auseinandersetzung. Ich möchte sogar sagen, sie sind heute eher noch dringlicher geworden. Insbesondere ist es nach wie vor erwünscht, daß die Kapitalgesellschaften ihre Investitionen nicht ausschließlich über den Weg der Selbstfinanzierung vornehmen, sondern möglichst weitgehend die hierfür erforderlichen Mittel auf dem Kapitalmarkt suchen. Damit wird auch den breiteren Schichten unserer Bevölkerung die Chance gegeben, Anteilseigner am Produktivvermögen zu werden, was im Interesse einer gesunden Eigentumspolitik liegt.
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang auch an die Auseinandersetzungen erinnern, die wir in diesem Hohen Hause wegen des Anleihebedarfs des Bundes gehabt haben. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, daß die Höhe der Ansätze für Anleihen im Haushaltsplan des Bundes so zu wählen ist, daß auch. andere Institutionen und Organisationen an den Kapitalmarkt gehen können, daß aber insbesondere auch ein Spielraum für die Anleihepolitik der privaten Wirtschaft erhalten bleibt.
Nun will ich folgendes nicht verschweigen, wozu auch der Herr Kollege Seuffert bereits Ausführungen gemacht hat: Es ist richtig, daß die vorgeschlagene Erhöhung des Steuersatzes für die Ausschüttung den Vorteil der Beseitigung des sogenannten Ausländereffektes mit sich brächte. Dieser Ausländereffekt besteht kurz gesagt dauin, daß ausländische Muttergesellschaften nicht zu der Nachsteuer von 36 % herangezogen werden können, wenn sie ihre Dividendengewinne in Unternehmen reinvestieren, statt sie auszuschütten. Herr Kollege Seuffert, es wäre sicher erwünscht, diesen Vorteil für ausländische Muttergesellschaften, der sich vor allem bei der Finanzierung der Unternehmen als Wettbewerbsvorteil auswirken kann, abzubauen und nach Möglichkeit ganz zu beseitigen.
Gleichwohl hält die Bundesregierung den von der SPD vorgeschlagenen Weg im Hinblick auf die Verhältnisse am Kapitalmarkt, die ich dargelegt habe, und im Hinblick auf die mit dem gespaltenen Körperschaftssteuersatz in seiner jetzigen Ausgestaltung verbundenen Vorteile nicht für gangbar. Man sollte vielmehr darauf bedacht sein - und der Bundesminister der Finanzen tut in diesem Bereich, was
er kann -, Wettbewerbsvorteile ausländischer Muttergesellschaften durch Anpassung der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auszugleichen.
Das als kurze Anmerkungen zu den Anträgen der SPD, die uns bei der Bearbeitung des demnächst kommenden Steueränderungsgesetzes 1964 der Bundesregierung in den Ausschüssen sicher eine wertvolle Arbeitsgrundlage abgeben werden, wie das auch Herr Kollege Seuffert liebenswürdigerweise angeboten hat.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Artzinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Jahren ist die Beseitigung des Mittelstandsbauchs
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oder - ich nehme dankbar Ihren Vorschlag an - des Mittelstandsbogens im Gespräch, und seit Wochen, nämlich seit der Rede von Staatssekretär Grund vor den Steuerberatern, ist bekannt, daß der Regierungsentwurf in Kürze reif sein wird. In diesem Augenblick legt die Opposition Steuervorlagen auf den Tisch und dringt auf die Behandlung im Plenum mit dem Ziel, noch im Jahre 1964, möglichst ab 1. Januar 1964,
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diese Gesetze in Kraft zu setzen. Aus der Wahl dieses Zeitpunktes ergibt sich unabweislich der Eindruck: es soll in der Öffentlichkeit klargemacht werden, daß die Steuersenkungen auf eine Initiative der SPD zurückgehen.
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Nach den Verlautbarungen der Regierung, insbesondere seit der Regierungserklärung vom 18. Oktober, kann nicht mehr der mindeste Zweifel darüber bestehen, daß das ein alter Vorsatz der Regierung und der Koalition ist.
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Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn der „Vorwärts" triumphiert: „SPD schritt zur Tat gegen Mittelstandsbauch", dann versichere ich Sie, daß diese Vorlag en die Abschaffung des Mittelstandsbauches nicht um einen Tag beschleunigen werden. Der Zeitpunkt richtet sich eindeutig nach haushaltspolitischen Notwendigkeiten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Artzinger, besteht der Unterschied - abgesehen davon, daß wir auch Initiativen Ihrer Sozialausschüsse aufgegriffen haben ({0}) nicht darin, daß wir 1964 durchführbare und finanzierbare Steuersenkungen vorschlagen, während Sie für 1965 praktisch etwas unter der Voraussetzung versprechen wollen, daß die Länder es dann übernehmen? Denn daß Sie den Länderanteil für 1965 weitgehend erhöhen wollen und daß das die Voraussetzung Ihrer Steuersenkungen sein wird, das ist doch klar, Herr Kollege.
Ja, Sie wissen doch auch, daß diese Vorlage ein Zustimmungsgesetz sein wird, so daß wir also die Stellungnahme der Länder beim Durchlauf durch den Bundesrat ja bekommen werden.
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Ich nehme an, daß die Regierung auf diesen Gesichtspunkt selbstverständlich schon abgehoben hat und in Verhandlungen mit den Ländern darüber steht.
Im Grunde, meine Damen und Herren, nehmen diese Vorlagen alte Vorstellungen der sozialdemokratischen Opposition auf. In dem Regierungsprogramm der Opposition vom Jahre 1961, jenem Programm, das dann mangels Wählermasse nicht zum Tragen gekommen ist,
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heißt es wörtlich:
Die derzeitige außergewöhnliche Begünstigung
({2})
- Herr Wehner?
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- Freilich; aber immerhin hat es noch zur Regierung gereicht.
({4})
- Ja; aber immerhin - Sie wären ja dankbar, wenn es bei Ihnen so weit gereicht hätte!
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Ich zitiere also aus dem Regierungsprogramm der SPD:
Die derzeitige außergewöhnliche Begünstigung großer anonymer Gesellschaften bei der Körperschaftsteuer wird abgeschafft, und bei der Einkommensteuer ist für Großeinkommen über 100 000 DM eine stärkere Progression einzuführen.
Just das erleben wir jetzt mit den Vorlagen der SPD.
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- Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren von
der Opposition: wir hatten angenommen, daß sich
nach Essen bei Ihnen etwas geändert hätte. Wir
haben Herrn Senator Schiller aus Berlin so verstanden, daß er die Marktverteilung der Einkommen bejaht.
({7})
Hier fallen Sie wieder in Ihre alten Vorstellungen der Umverteilung der Einkommen zurück.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Eppler hat das Wort.
Herr Kollege, kennen Sie die Ausführungen in der Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema Steuerpolitik nach dem Krieg, und würden Sie vielleicht auch dazu hier Stellung nehmen?
Nein, im Augenblick nicht, denn das ist nicht mein Thema. Ich nehme hier zu den Vorlagen der Opposition Stellung und nicht zur Denkschrift der Evangelischen Kirche.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Seuffert?
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Herr Kollege Artzinger, darf ich darauf aufmerksam machen, daß die Frage der Besteuerung der Einnahmen und ihrer Steuerfähigkeit etwas ganz anderes besagt als die Frage der Umverteilung von Einkommen, nämlich ungefähr das Gegenteil?
Das versuchen Sie doch hier mit Ihren Vorlagen.
Wie sind nun die alten Vorstellungen, die die SPD in ihrem Regierungsprogramm entwickelt hat, hier im einzelnen entfaltet? Ich beginne mit der meines Erachtens bedeutungsvollsten Vorlage zur Änderung des Einkommensteuertarifs. Es besteht Einigkeit darüber, daß der jetzt noch gültige Tarif des Jahres 1958 reformbedürftig ist.
Ich darf das an einigen Zahlen deutlich machen. Für das Jahr 1963 werden die Masseneinkommen, also Löhne, Gehälter, Renten, auf rund 173 Milliarden DM geschätzt. Das bedeutet einen Zuwachs von 62% gegenüber dem Jahre 1958. Herr Kollege Seuffert hat bereits darauf hingewiesen, daß überproportional zu diesem Ansteigen der Masseneinkommen das Lohnsteueraufkommen um 134 % gewachsen ist. Sie haben aber unterlassen, Herr Kollege Seuffert, darauf hinzuweisen, daß die veranlagten Einkommen von 1958 bis 1963 um 60 % gestiegen sind und die Steuerbelastung um 145 % gestiegen ist. Das muß man gerechterweise dazu sagen; denn es ist ja nicht so, daß die veranlagten Einkommen nur die großen Einkommen und die Lohnsteuerpflichtigen nur die kleinen Steuerzahler sind.
({0})
- Gut, aber wir sind uns wohl darüber einig, daß die von Ihnen geschilderte Situation nicht nur den Lohnsteuerzahler trifft, sondern auch den Veranlagten, und zwar ganz genauso.
Ich darf kurz die Merkmale des Einkommensteuertarifs 1958 noch einmal aufzählen: Freibetrag von 1680 DM, dann eine 20%ige Proportionalzone bis 8000 DM, von 8000 bis 110 000 DM Einkommen eine Progressionszone von 27,2 bis 51,9 %, schließlich eine weitere Proportionalzone mit dem Spitzensteuersatz von 53 %.
Der Sprung von der Proportionalzone von 20 % bis zum Beginn der Progressionszone mit 27,2 % ist immer als ein bedenklicher Schönheitsfehler dieses Tarifs empfunden worden. Er leitet nämlich den Progressionsbereich auf einem zu hohen Niveau ein und begründet die Steilheit der Progression im ganzen. So haben wir nach diesen Tarif bereits bei 30 000 DM Einkommen eine Spitzenbelastung von 40 %.
Wir dürfen nicht vergessen - und ich bin dem Herrn Ministerdankbar, daß er darauf so nachdrücklich hingewiesen hat -, daß die Einkommensteuerbelastung nicht die einzige Steuerbelalstung ist;
({1})
wir müssen vielmehr die Dinge im Zusammenhang sehen.
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- Freilich; nur ist sie leider nicht so ganz einfach zu berechnen.
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Im Normalfall wird idas hohe Einkommen aus den gewerblichen Einkünften gebildet. Die gewerblichen Einkünfte sind aber zusätzlich mit Gewerbesteuer, Vermögensteuer, Kirchensteuer und Lastenausgleich belastet. Wir dürfen daher die Einkommensteuer nicht nur unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten sehen, sondern müssen ,darauf achten, daß die Quellen für ein weiteres Wachstum unserer Wirtschaft nicht verstopft werden
({4})
unid daß genügend Eigenmittel nach der Besteuerung
verbleiben, um Investitionen vornehmen zu können.
Die heutige Belastung durch die Einkommensteuer sieht folgendermaßen aus. Heute sind noch 22 % der Steuerpflichtigen - 6 Millionen - völlig steuerfrei, wenn man von den indirekten Steuern absieht. Im Durchschnitt beträgt die Lohnsteuerbelastung 8 %. - Gut, Sie sagten 8,4 %, Herr Seuffert.
Unter 6000 DM Einkommen werden insgesamt aufgebracht 1500 Millionen DM; von 6000 bis 12 000 DM Einkommen werden aufgebracht 8,7 Milliarden DM, von 12 000 Ibis 25 000 DM Einkommen 5,6 Milliarden DM und bei mehr als 25 000 DM Einkommen 11,4 Milliarden DM. Da liegt also der Schwerpunkt.
Nun sind für die Umstellung des Einkommensteuertarifs 1958 seit geraumer Zeit Vorschläge im Gespräch. Ich erinnere nur an den Bund der Steuerzahler, an das Institut Finanzen und Steuern und den vom Mittelstandskreis der CDU/CSU aufgegriffenen Vorschlag C dieses Instituts Finanzen und Steuern. Vor diesem Hintergrund muß man die Reformvorlage der SPD als eine von mehreren Möglichkeiten sehen.
Der von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Tarif sieht eine Erhöhung des Freibetrags urn 240 DM vor. Das allein würde einen Verzicht auf Steuern in Höhe von 800 Millionen DM jährlich bedeuten. Dann kommt wie bisher eine Proportionalzone bis 8000 DM. Es folgt eine gegenüber dem heutigen Tarif mildere Progression, die be zirka 100 000 DM die heutige Belastung erreicht und dann scharf weitergeht bis zu dem Spitzensteuersatz von 58 %. Bei einem Einkommen von 200 000 DM beispielsweise - immer für Ledige gerechnet - liegt dieser Tarif schon um 5000 DM höher als der Tarif 1958. Wir sind der Meinung, daß dieser Tarif, gedacht als Entlastung mittelständischer Einkommen, nicht das gewünschte Bild bietet.
Wir halten eis auch für völlig unmöglich, den Spitzensteuersatz zu erhöhen. Auch für uns, meine Damen und Herren von der Opposition, ist der Spitzensteuersatz von 53 % kein Glaubensartikel. Auch wir können uns Situationen vorstellen, in denen eine Erhöhung dieses Satzes notwendig ist. Wir halten es aber für völlig unmöglich, in einem Gesetz, das Steuerermäßigungen bringt, der großen Masse Ermäßigungen zu geben und die berühmten 70 000 Einkommen, von denen Herr Seuffert sprach, zusätzlich zu belasten.
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- Herr Seuffert, das ist keine Frage der kleinen Zahl, sondern eine Frage der Gerechtigkeit und des Prinzips.
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Die SPD kennt die Gefahren, die mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes eingegangen werden müssen, genau.
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Herr Kollege Dr. Möller hat sie in Essen klar angesprochen. Das ist zunächst die Gefahr der weiteren Entfernung von den Regelungen der EWG-Länder, die wir zweifellos herbeiführen würden. Herr Dr. Möller hat auch klar die Gefahr der Kapitalflucht angesprochen, die wir jetzt in Italien angesichts des drohenden Eintritts der Nenni-Sozialisten in die Regierung bestätigt sehen. Wir haben den Eindruck,
daß hier wieder einmal aus weltanschaulichen Gründen etwas geleistet wurde, was wir nicht mitmachen können; denn diese egalitäre Tendenz hat nach unserer Meinung mit dem Ruf nach mehr Steuergerechtigkeit nur sehr wenig zu tun. Sie machen sich die austeilende Gerechtigkeit verdammt leicht. Wenn die Römer den Satz geprägt haben: „Jedem das Seine!". dann machen Sie daraus: „Jedem das Gleiche!", wenn auch mit Variationen.
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- Darauf komme ich noch.
Die austeilende Gerechtigkeit ist besonders schwierig in einem Progressionstarif zu verwirklichen. Ich darf Ihnen dazu mit freundlicher Genehmigung des Präsidenten aus dem Aufsatz von Gerloff im „Handbuch der Finanzwissenschaft" vorlesen. Es heißt wörtlich
Die progressive Besteuerung läßt sich nicht einwandfrei begründen, geschweige denn einwandfrei durchführen. Nur soviel wissen wir, daß die proportionale Besteuerung den heute geltenden Gerechtigkeitsvorstellungen nicht entspricht, daß sie als Maßstab für die Besteuerung nicht gerecht ist; aber es kann nicht bewiesen werden, weiches Maß nun gerecht ist. Eine exakte Formel für eine nach Höhe und Verlauf objektiv richtige Progression gibt es nicht und kann es nicht geben.
Sie werden mir daher erlauben, daß ich Ihren Progressionsverlauf, den Sie unter den Schlachtruf „mehr Steuergerechtigkeit!" stellen, als eine durch die Parteibrille gesehene Gerechtigkeit qualifiziere.
Selbstverständlich durfte auch der Hinweis auf die hohen Steuersätze der Vereinigten Staaten nicht fehlen. Auch dazu zitiere ich einen Klassiker der Finanzwissenschaft, Professor Neumark in Frankfurt:
Eine schematische Gegenüberstellung von Einkommensteuersätzen verschiedener Länder hat keinen Erkenntniswert. Sie läßt nicht erkennen, wie die Effektivbelastung durch den Tarif im Hinblick auf das Splitting, die Abschreibungsund Bewertungspraxis gestaltet und wie sie sich mit der aus Ertrags-, Vermögensteuer und anderen Abgaben kombiniert. Gewiß ist der Marginalsatz und der formale Progressionsverlauf nicht ohne optisch-psychologische Bedeutung. Aber für die Beurteilung der realen Belastungswirkung des Spitzensatzes ist es entscheidend zu wissen, in welchem Maße jene Wirkung durch Begünstigungen ausgehöhlt wird - wie durch den in den USA üblichen Proportionalsatz für capital gains -, die bei den höheren Einkommen selbstverständlich eine ganz erhebliche Rolle spielen.
Nun haben Sie, Herr Seuffert, - und den Fisch hätte ich mir auch nicht entgehen lassen! - auf die Entschließung unserer Sozialausschüsse verwiesen. Es heißt da wörtlich:
Steigerung der Tarifprogression der Einkommensteuer für Großeinkommen anstatt der bisherigen abflachenden Progression.
Wenn Sie diesen Satz für eine Erhöhung des Spitzensatzes in Anspruch nehmen, dann haben Sie ihn entweder nicht richtig gelesen oder falsch verstanden. Da ist von einer Erhöhung des Spitzensatzes keine Rede, sondern von der Steigerung der Progression bei den Einkommen, die in der Spitze diesem Satz unterliegen. Das kann u. U. eine Plafondbestimmung sein.
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- Bitte, das ist eine rein technische Frage.
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- So nicht.
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- Ja, so, wie ich Ihnen das ausgelegt habe, nicht anders. Nach Wortlaut und Sinn zielen diese Ausführungen nicht auf eine Erhöhung des Spitzensatzes. Schließlich haben wir ja die Damen und Herren unter uns, die diese Empfehlung beschlossen haben.
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Der Eindruck, daß es sich bei den Vorlagen, speziell bei der Einkommensteuervorlage, der SPD um eine sehr parteipolitisch gefärbte Steuergerechtigkeit handele, verstärkt sich bei näherem Zusehen. Die stärksten Verbesserungen sind da angelegt, wo die meisten Stimmen zu holen sind.
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- Ja freilich, natürlich; auf die 70 000 Bezieher hoher Einkommen kann man getrost verzichten.
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- Nein, nein.
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Sie haben dann den sogenannten Mittelstandsbogen nur sehr vorsichtig angekratzt. Wir sind der Meinung, daß die wünschenswerten Steuerermäßigungen nicht nur bis zu einem Einkommen von 24 000 DM reichen dürfen. Darüber hinaus
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- ja, ich weiß, ich habe den Tarif durchgerechnet - bleibt noch etwas übrig. Aber wir sind der Meinung, daß da doch etwas mehr getan werden muß, als Sie vorgesehen haben.
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Wir sind der Meinung, daß wir, gerade was den Einkommensteuertarif angeht, nun die Regierungsvorlage in Gottes Namen abwarten sollten und daß wir dann im Ausschuß natürlich über die Einzelheiten der Tarifgestaltung diskutieren müssen.
Ich will es mit der Stellungnahme zu den übrigen Vorlagen der sozialdemokratischen Fraktion kurz machen. Was die Beseitigung des Vermögensteuerabzugs bei der Einkommensteuer betrifft, so hat der Herr Minister bereits darauf hingewiesen, daß das auch schon für mittlere Vermögen die. Folge hätte, daß die Einkommensteuerentlastung, die Sie nach Ihrem Tarif zubilligen, weitgehend aufgezehrt würde. Auch wir halten es für schlechterdings unmöglich, daß man mit der rechten Hand gibt, was man mit der linken zugleich wieder wegnimmt.
Deshalb sind auch wir der Meinung, daß es notwendig ist, abzuwarten - wie Herr Staatssekretär Grund das vor den Steuerberatern ausgeführt hat -, wie sich die Vermögensteuer nach der Neubewertung von Grund und Boden gestaltet. Im Grundsatz wissen wir genauso wie Sie, daß der unbegrenzte und unmodifizierte Abzug bei Einkommen aller Größenordnungen regressiv wirkt und daß man sich da gescheiterweise etwas anderes einfallen lassen sollte.
Zur Änderung der Körperschaftsteuer nur so viel. Wir sind der Meinung, daß der gespaltene Steuersatz auch heute noch seine Berechtigung hat. Er ist damals - darüber kann kein Zweifel bestehen zur Förderung des Kapitalmarktes eingeführt worden, und wir meinen, daß dieses Motiv nach wie vor besteht.
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- Ja nun, so weit! 15 % Belastung der ausgeschütteten Gewinne bedeutet 23,5 % Effektivbelastung, und wenn Sie jetzt auf 30 % anheben, bedeutet das praktisch eine Belastung mit 47 %. Dann haben Sie überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen nicht entnommenen oder nicht ausgeschütteten Gewinnen und den Ausschüttungen. So kann man es nicht machen, und im übrigen treffen Sie die personenbezogenen Kapitalgesellschaften genauso hart wie die Publikumsgesellschaften.
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- Doch; aber darüber können wir uns im einzelnen im Ausschuß unterhalten.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Wir sehen in den Vorlagen nur sehr bedingt konstruktive Vorschläge für die auch nach unserer Meinung erforderliche Änderung des Einkommensteuerrechts. Mit großen Erwartungen sehen wir nun der Regierungsvorlage, dem Steueränderungsgesetz 1964, entgegen, aber auch, Herr Minister, mit sehr konkreten und bestimmten eigenen Vorstellungen. Nach allem, was wir bisher über den Entwurf gehört haben, kommt er unseren Vorstellungen weit entgegen, so daß wir für den Augenblick nur den Wunsch haben, der Regierungsentwurf möge schnell vorgelegt werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir völlig unverständlich, daß von meinem Herrn Vorredner der Versuch gemacht worden ist, unsere Steuervorlage mit weltanschaulichen Prinzipien in Übereinstimmung zu bringen. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß man eine Weltanschauung von so kleinem Format hat, das dazu führt, mit unseren Steueranträgen derartige Kombinationen vorzunehmen. Wir wollen die Realitäten einmal festhalten. Es kann doch für die sozialdemoDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
kratische Bundestagsfraktion nicht maßgebend sein, wann und wie oft die Bundesregierung erklärt hat, ein Steueränderungsgesetz vorlegen zu wollen, das unseren Vorstellungen entspreche. Wenn wir aus den Erfahrungen der Vergangenheit sagen könnten, daß für die Bundesregierung der Satz gilt: ein Mann, ein Wort!, dann könnte man abwarten und über einen solchen Ausgangspunkt durchaus diskutieren.
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Aber wenn wir uns mit der Finanz- und Steuerpolitik beschäftigen, dann muß ich feststellen, daß wir schon seit der Regierungserklärung des Jahres 1953 auf die Finanz- und Steuerreform warten, die uns jede Regierungserklärung angekündigt hat.
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Sie können doch angesichts solcher Tatsachen nicht einfach darauf vertrauen, daß die Glaubhaftigkeit von Regierungserklärungen über jeden Zweifel erhaben sei; was die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zu einem Stillhalteabkommen veranlassen müßte, das so lange dauern sollte, bis Sie im Jahre 1965 dann endlich den Zeitpunkt für gekommen erachten, Steuervorlagen und andere Vorlagen im Zeichen einer Neuwahl des Bundestages zu machen.
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Meine Damen und Herren, Sie haben schon des öfteren auf das Regierungsprogramm der SPD Bezug genommen, so daß ich wenigstens von einem Teil der Vertreter der Mehrheitsparteien annehmen muß, daß sie dieses Programm kennen und es gelesen haben. Dann haben sie auch gewußt, daß wir in diesem Programm klar zum Ausdruck gebracht haben, daß wir uns im Bundestag bemühen werden, Steuernovellierungen mit dem Ziel größerer Steuergerechtigkeit durchzusetzen. Nachdem nun von Ihrer Seite laufend solche Diskussionen geführt werden, allerdings mit zwei Zungen, sehen wir uns veranlaßt, hier im Deutschen Bundestag zu fragen: Wer hat denn nun beispielsweise in der CDU/CSU-Fraktion zu bestimmen, nach welcher Richtung Steuerpolitik gemacht wird, Sie, der Sie hier sprechen, oder Vertreter der Sozialausschüsse, die sich selbst melden können, um klarzustellen, wie ihre Beschlüsse aufgefaßt werden müssen? Auch ich habe beispielsweise aus dem Spiegel-Interview wirklich nicht entnehmen können, welche Auslegung man den Beschlüssen zu geben hat.
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- Ach, Herr Dr. Schmidt, Sie dürfen sicher sein, daß ich ganz gut lesen kann. Ich will mich da nicht in einen Streit mit Ihnen einlassen.
Ich würde überhaupt empfehlen, daß Sie einen Unterschied zwischen unseren Steuervorlagen machen. Von der einen Steuervorlage sagen Sie, sie gehe Ihnen nicht weit genug 'hinsichtlich der Beseitigung des Mittelstandsbogens und der Verbesserung der Steuerlage bei den unteren und mittleren Einkommen, die sehr nachdrücklich vom Bundesfinanzminister hier vorgetragen und sehr nachdrücklich von Ihnen immer wieder in der Öffentlichkeit gefordert worden ist.
Auf Grund unserer Anträge haben Sie dann angekündigt, nun komme die Steuervorlage. Dazu empfehle ich Ihnen: Nehmen Sie mal die Donnerstagsausgaben der großen Zeitungen! Da werden Sie im Wirtschaftsteil lesen, was das doch für eine ausgezeichnete Sache sei, daß ,die Bundesregierung nun mit dem Steueränderungsgesetz den Mittelstandsbogen beseitigen und steuerliche Vergünstigungen für die unteren und mittleren Einkommen bringen werde, und auf der ersten, der politischen Seite werden Sie eine Meldung des Sprechers der Bundesregierung lesen, in der angekündigt wird, es sei nicht damit zu rechnen, daß schon für das Jahr 1964 solche Steuerwünsche realisiert werden könnten; wenn überhaupt, dann erst im Jahre 1965.
Bei soviel Zwiespältigkeit müssen wir den Versuch unternehmen, der ganzen Sache einen realistischen Hintergrund zu geben.
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Nun, wir müssen uns an Regierungserklärungen und an dem Bulletin der Bundesregierung orientieren, das beispielsweise für mich, Herr Dr. Schmidt, anscheinend ein besserer Lesestoff ist als für Sie. Da habe ich im Bulletin vom 10. April ein Interview mit dem Herrn Staatssekretär im Bundesfinanzministerium zur Kenntnis nehmen müssen. Nun könnte man sagen: Es ist nicht unbedingt wichtig, was für ein Interview ein Staatssekretär gibt. Aber wenn die Bundesregierung es im Bulletin veröffentlicht, dann müßte nach meiner Meinung auch die Opposition davon Kenntnis nehmen. Und was sagt Herr Staatssekretär Grund, Herr Bundesfinanzminister? Er sagt:
Da aber nun die Haushaltslage zur Zeit außerordentlich schwierig ist, sind allgemeine Steuersenkungen wohl kaum vertretbar. Infolgedessen wird sich das Schwergewicht der Steuerpolitik, jegliche Reformarbeiten auf einen Steuerumbau, das heißt also, auf eine Verteilung, eine anderweitige Verteilung der Steuerlasten verlagern müssen.
Meine Damen und Herren, das war am 10. April 1963. Wenn Sie von dieser Erklärung ausgehen, fällt Ihre ganze Argumentation gegen unsere Steueranträge zusammen wie ein Kartenhaus.
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Der Herr Bundesfinanzminister hat nun erklärt, es sei gar nicht nötig, Steuernovellierungen zu bringen, die auch zu Steuermehrerträgen führten. Gut, ich nehme das zur Kenntnis, Herr Bundesfinanzminister. Dann ist aber für Sie die Steuerlage und die Haushaltslage nicht mehr so, wie es Ihr Staatssekretär im April dieses Jahres in diesem Interview zum Ausdruck gebracht hat, und Sie glauben, daß Bund und Länder die Steuerausfälle, die entstehen, wenn wir den Mittelstandsbogen beseitigen, zu tragen vermögen.
Herr Artzinger, Sie haben erklärt - das haben Sie in einem Artikel sehr viel aggressiver gesagt, und ich freue mich, daß Sie hier wenigstens einen etwas
vornehmeren Ton in die Diskussion hineingebracht haben -, das reiche ja alles nicht. Wir betrachten solche Anträge nicht als einen Vorgang, den man mit einer Auktion vergleichen könnte. Wir müssen vielmehr aus der gesamten Finanzsituation heraus versuchen, Finanz- und Steuerpolitik zu machen. Da sind wir eben zu dem Ergebnis gekommen, daß unsere Steueranträge zu einem Weniger an Steuereinnahmen in Höhe von rund 1,4 Milliarden DM führen würden. Das ist die Mindestsumme; sie könnte also eher höher sein. Ich nehme die Mindestsumme wegen Ihrer Argumentation. Das reicht Ihnen also nicht, nun schön. Wenn wir darüber hinaus auch den Versuch unternommen hätten, die Proportionalzone noch zu verändern mit etwa 1 Milliarde DM, dann hätte ich nicht hören wollen, was Sie von den Regierungsparteien dann in Ihren Zeitungen, in der Öffentlichkeit und hier über diese Haltung der sozialdemokratischen Opposition zum Ausdruck gebracht hätten.
({6})
Nun gut, bringen Sie solche Anträge, Herr Artzinger, und ich garantiere Ihnen, daß sie sich über die Mehrheitsbildung in diesem Hause wundern werden.
Nun sagen Sie, Sie hätten die Erhöhung der Freibeträge von 1680 auf 1920 DM nicht vorgenommen. Das entspricht gar nicht dem Vorwurf, den Sie an uns richten, daß wir aus weltanschaulichen Gründen Steuerpolitik machten und Steueranträge vorlegten. Denn die Steuerermäßigung, die dadurch eintritt, trifft doch alle. Das haben Sie anscheinend noch nicht gemerkt. Sie wollen es nicht, Sie wollen es nach Ihren Vorschlägen nicht machen.
({7})
- Bitte, nach den Meldungen vom Juli 1963 über das Ergebnis der Beratungen Ihres Arbeitskreises „Haushalt und Finanzwirtschaft" mit Ihrem Arbeitskreis „Mittelstand", den Sie ja auch wohl kennen, ist ausdrücklich festgehalten: Erhöhung der Freibeträge nicht. Und Sie sagen, als wenn Sie es nicht wüßten, auch in Ihrem Artikel, der über den Deutschland-Union-Dienst verbreitet worden ist - den müssen Sie ja kennen, gucken Sie nach, ich habe ihn gerade nicht bei mir -, daß Sie das nicht wünschen. - Das ist also ein Betrag von rund einer halben Milliarde DM, der durchgehend allen denen gegeben wird, die steuerpflichtig sind, womit auch insoweit Ihre Argumentation nicht mehr stichhaltig ist.
Nun, Herr Bundesfinanzminister, möchte ich die 70 000, von denen hier so oft die Rede ist, in Schutz nehmen, und zwar gegen die Unterstellung, daß die Erhöhung, wie sie in unseren Anträgen vorgesehen ist, zur Steuer- und Kapitalflucht führen würde.
({8})
Ich kann mir das nicht vorstellen. Wenn ich nach Ihren Berechnungen gehe, nämlich den Berechnungen, die der Herr Staatssekretär auf der Tagung des Bundes der Steuerberater vorgetragen hat, macht die Erhöhung in der Spitze um 1 % 30 Millionen DM. Fünf mal 30 Millionen sind 150 Millionen
DM, und wegen dieser 150 Millionen DM sollen nun diese 70 000 Kapitalflucht in einem größeren Maß unternehmen, als das vielleicht jetzt schon der Fall gewesen ist? Ich muß sagen, ich kann da nicht mit und glaube es auch nicht, zumal ich der Meinung bin, daß die Bundesregierung mit dem Außenwirtschaftsgesetz vom 28. April 1961 die Möglichkeit hat, auf dem Wege über eine Rechtsverordnung volkswirtschaftlich schädlichen Kapitaltransfer abzuwehren. Also das, meine Damen und Herren, ist ganz sicher nicht in Ordnung, was Sie hier an Behauptungen aufstellen.
Ich darf daher folgendes sagen. Soweit unsere Anträge, die eine Steuerentlastung bezwecken, hier besprochen worden sind, ist festzustellen: Sie haben uns zwei Vorwürfe gemacht. Erster Vorwurf: daß wir nicht warten, ibis eine Vorlage der Bundesregierung kommt oder ein Gesetzentwurf aus der Koalition.
({9})
- Dann besteht der Vorwurf nicht mehr, schön. Er wurde in der Debatte erhoben. Wenn Sie sich eines Besseren besinnen, in Ordnung; dieser Vorwurf besteht also nicht mehr.
Zweiter Vorwurf! Sie sagen: Was die SPD mit dieser Entlastung von 1,4 Milliarden DM machen will, reicht nicht. Wir müssen noch eine wesentliche Ausdehnung der Proportionalzone durchsetzen, was insbesondere in den mittleren Bereichen des Einkommensteuertarifs eine wirkliche Entlastung bringt. Schön, darüber lassen wir mit uns reden. Aber dann setzen Sie sich doch bitte einmal in das berühmte stille Kämmerlein und entwerfen Sie einen Zusatzantrag zu unserer Gesetzesvorlage, der sich mit der Ausdehnung der Proportionalzone beschäftigt!
({10})
Ich kann Ihnen versichern, daß Sie wohlwollendere, weil objektivere Kritik bei einem solchen Vorschlag finden, als wir sie mit unseren gutgemeinten Vorschlägen bei Ihnen finden können.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein kurzes Wort zu den anderen Anträgen, den Anträgen, die sich mit der Änderung im gespaltenen Körperschaftsteuensatz beschäftigen, und dem Antrag auf Beseitigung der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer.
Die Verringerung der Spaltung zwischen Normalsatz und Vorzugssatz durch Erhöhung des Vorzugssatzes von 15 auf 30 v. H. hat - ich meine, auch das sollte der Herr Finanzminister bei seiner Stellungnahme beachten - eine Herabsetzung der Nachversteuerung bei Schachtelgesellschaften zur Folge. Nach unseren Errechnungen - wir gehen dabei von Ausschüttungen in Höhe von 5 Milliarden DM im Jahre 1963 aus - würde ohne diese Nachversteuerung die Mehrbelastung 750 Millionen DM betragen. Wenn Sie diese Nachversteuerung nun mit berücksichtigen, müssen Sie noch einmal etwa 250 Millionen DM absetzen. Dann bleibt als ein Betrag von 1/2 Milliarde DM.
Wir haben uns mit diesem unserem Vorschlag, der in den Mittelstandskreisen der CDU/CSU und in den Mittelstandskreisen der FDP oft erörtert worden ist, unter anderem auf den Neumark-Bericht der EWG-Kommission - damit Sie es leichter haben, verweise ich auf Seite 66 - gestützt.
Im übrigen hat Herr Kollege Seuffert schon hervorgehoben, daß mit dem jetzigen sogenannten gespaltenen Körperschaftsteuersatz die Besteuerung der Kapitalgesellschaften bei uns so niedrig ist wie in keinem anderen Staat. Sie, Herr Bundesfinanzminister, sind dann auch darauf eingegangen, daß unser Vorschlag die Steuernachteile inländischer Gesellschaften gegenüber Konzernen, die von ausländischen Mutter- und Holdinggesellschaften geführt werden, verringert.
Von allen Rednern ist zum Ausdruck gebracht worden: Was die SPD will, ist eine Umverteilung, ist Sozialisierung des Eigentums, des Geldvermögens usw. usf. Ich möchte dazu etwas sagen, wenn ich noch eine Bemerkung hinsichtlich der Vermögensteuer machen darf. Sehen Sie einmal, Staatssekretär Grund hat auf dem eben erwähnten 15. Fachkongreß der Steuerberater in Köln am 21. Oktober hierzu gesagt - das schreibt der Industriekurier, ich kann mich auf diese Zeitung Ihnen gegenüber ja wohl berufen -:
Interessant war noch der vorsichtige Hinweis, daß unter Umständen auch Überlegungen angestellt werden könnten, ob etwa der Vermögensteuertarif im Sinne einer progressiven Umgestaltung geändert werden sollte, aber nicht, wie Grund betont, um eine höhere Einnahme zu erzielen, sondern in erster Linie, um eine gerechtere Heranziehung der Vermögen zu erreichen.
Sehen Sie, das ist ein Punkt, den wir in unseren bisherigen Diskussionen mit Nachdruck herausgestellt haben. Wir meinen, daß ohne eine Änderung in der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer jede Verschärfung des Vermögensteuertarifs sich nur zugunsten der höheren und höchsten Einkommen auswirken kann. Das ist doch sicherlich von niemandem gewollt. Deswegen unser Vorschlag, die Abzugsfähigkeit bezahlter Vermögensteuer bei der Einkommensteuer zu limitieren bei unveränderten Vermögensteuerfreibeträgen. Dadurch würde sich ein besseres Verhältnis von der nominellen zur effektiven Vermögensteuer ergeben. Das müßten eigentlich auch Sie, meine Damen und Herren, begrüßen, zumal diese gestaffelten Pauschbeträge insbesondere die kleinen und mittleren Vermögen begünstigen.
Nun zum Schluß zu Ihrer Behauptung bezüglich der Investitionen und Selbstfinanzierung der Unternehmen und was da sonst noch in Frage kommt! Halten wir noch einmal die Steuerzahlen fest: Steuerminderung nach unseren Anträgen mindestens 1,4 Millionen DM, Steuermehreinnahmen - die wir aber nur zum Zwecke einer besseren Steuergerechtigkeit anstreben - nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums beim Spitzensteuersatz 150 Millionen DM, gespaltener Körperschaftsteuersatz - saldiert - 500 Millionen DM, Änderung bei der Vermögensteuer 250 Millionen DM, zusammen also 900 Millionen DM. Dieser Betrag könnte sich noch erhöhen bis zu einer Summe von 1,050 Milliarden DM. Wir wollen auch einmal festhalten, daß nach Meinung der Koalitionsparteien ein solcher Betrag von der Bundesregierung nicht benötigt wird, es sei auch unzweckmäßig, so zu verfahren. Wir wollen das auch im Hinblick auf andere Diskussionen festhalten, beispielsweise im Hinblick auf die Diskussion zur Kriegsopferversorgung.
({11})
Und dann wollen wir Ihnen noch einmal die Zahlen über Investitionen und Selbstfinanzierung der Unternehmen nennen, wobei ich hinzufüge, daß diese Zahlen das Wohnungswesen nicht enthalten. Die Zahlen für 1963 sind geschätzt. Die Zahlen lauten also: Investitionen 1961 57,7, 1962 61,9, 1963 62,9 Milliarden DM; Eigenmittel 1961 38,7, 1962 40, 1963 42 Milliarden DM. Wenn Sie nur die Differenz von 1962 zu 1963 betrachten, dann können Sie nicht sagen, daß die von uns vorgelegten Anträge, mit denen eine größere Steuergerechtigkeit erreicht werden soll, zu einer Umverteilung des Vermögens führen würden, daß sie die Selbstfinanzierung beeinträchtigen könnten, daß durch sie die Investitionstätigkeit mit allen Wirkungen für die Inlandsproduktion und für den Außenhandel in Mitleidenschaft gezogen wird.
Das alles stimmt nicht, meine Damen und Herren. Es paßt Ihnen nicht, daß die sozialdemokratische Fraktion Sie nun zwingt, in den nächsten Wochen und Monaten zu diesen Anträgen Stellung zu nehmen und zu sagen: wo wird Politik gemacht, außerhalb des Bundestages auf Konferenzen und Tagungen oder hier im Deutschen Bundestag?!
({12})
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. Der erste Redner nach Wiederaufnahme der Sitzung wird Dr. Imle sein.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird wiederaufgenommen.
Wir sind bei Punkt 4 b), c) und d) der Tagesordnung. In der fortgesetzten Beratung hat das Wort der Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Fazit der Aussprache von heute morgen kann man feststellen, daß sich doch im ganzen Hause anscheinend das Bemühen bemerkbar macht, das abzubauen, was man bisher Mittelstandsbauch genannt hat, was der Bundesfinanzminister Mittelstandsbogen nennen möchte. Allerdings muß ich sagen, das, was heute morgen der Kollege Seuffert als einen Frontal-, man könnte fast sagen, einen brachialen Angriff auf den Mittelstandsbauch bezeichnete, zeigt sich bei genauer
Überprüfung doch nur als der Versuch zu einer kleinen Abmagerung.
({0})
So allerdings kann man es nicht machen, daß man plötzlich einen Antrag in die Welt setzt und meint, man würde, dann gerade für die Mittelschichten, wie die SPD den Mittelstand nennt, immense Entlastungen herbeiführen. Das ist aber in Wirklichkeit nicht der Fall.
Man muß dann auch einmal die Formeln, die hier vorgelegt werden, darauf prüfen, was tatsächlich dahinter steckt. Man muß also rechnen, muß unseren heutigen Steuertarif mit den Vorschlägen der SPD vergleichen. Das Ergebnis dieses Vergleiches muß man doch wohl einmal öffentlich festhalten, damit man versteht, daß es mit der plötzlichen Aufgeschlossenheit, über die wir von den Kongressen in Essen und Stuttgart gehört haben, in Wirklichkeit nicht weit her ist.
Nehmen wir einmal einen Arbeitnehmer mit 5000 DM Brutto-Einkommen im Jahr. Wenn wir davon die Werbungskosten und Sonderausgaben abziehen, bezahlt er nach dem bisherigen Tarif 360 DM im Jahr, nach dem Entwurf der SPD 316 DM: die ganze Ersparnis beträgt also 44 DM, im Monat nicht einmal 4 DM. Bei einem Einkommen von 7000 DM sind das im Jahr 46 DM, also im Monat auch noch nicht einmal 4 DM. Bei 8000 DM sind es ebenfalls nur 44 DM, und wenn jemand 11 000 DM verdient, 120 DM.
Nehmen wir nun die Teile der Bevölkerung, für die doch der bisherige Einkommensteuertarif die große Belastung ist, nämlich die Selbständigen, die ja aus dem Einkommen ihr Kapital holen und es dann auch wieder investieren müssen, so ergibt sich folgende nette Gegenüberstellung. Bei einem Einkommensteuerpflichtigen mit einem Jahreseinkommen von 30 000 DM ergibt sich eine monatliche Ersparnis von 43 DM gegenüber dem heutigen Tarif. Bei 60 000 DM sind es monatlich nur 41 DM; da ist es also schon wieder etwas weniger. Bei 80 000 DM sind es ganze 25 DM, während bei 100 000 DM der jetzige Tarif gegenüber dem vorgeschlagenen Tarif um 15 DM höher liegt. Wenn gerade in den Einkommensgruppen zwischen 30 000 DM und 100 000 DM die Entlastung monatlich nur zwischen 25 DM und 40 DM beträgt, kann man den Tarif für diese Gruppen gleich so belassen. Der neue Tarif würde in Wirklichkeit keine Entlastung bringen, diese 25 DM gehen einfach unter.
Insofern stimmt das, was uns heute morgen erzählt worden ist, keineswegs: daß hier eine fühlbare Entlastung für den Mittelstand - für die Mittelschichten, wie Sie es nennen - gebracht würde. Man kann auch nicht damit argumentieren, wie es heute morgen geschehen ist, daß auf diese Weise 1,4 Milliarden DM Steuerersparnis herbeigeführt würden, denn in diesem Umfange bringen Sie den einzelnen in Wirklichkeit keine Entlastung! Wir befürworten daher eine Abmagerungskur nicht nur bei diesem Mittelstandsbogen oder -bauch, wie Sie es vorschlagen, sondern verlangen eine völlige Angleichung an eine gleichmäßige Progression. Das ist viel richtiger und auch für die Unternehmen gerechter. Die Ungerechtigkeit der vergangenen Jahre auch gegenüber diesen Mittelstandsschichten muß jetzt einmal völlig beseitigt werden. Es genügt nicht, wieder nur einen Ansatz zu machen. Das würde nur dazu führen, daß wir uns in absehbarer Zeit mit diesem Problem erneut befassen müssen.
({1})
- Es ist allmählich Zeit, da haben Sie völlig recht. Längst wäre es so weit gewesen, wenn sich diese Meinung allgemein mehr durchgesetzt hätte.
({2})
- Ich kann Ihnen das gleich sagen. Ich habe mir soeben noch die Protokolle vom 19. Juni 1958 angesehen und habe darin auch die Erklärungen gefunden, die Sie abgegeben haben. Damals haben Sie gesagt, eine Einkommensteuerermäßigung für Einkommen über 110 000 DM sei völlig fehl am Platze. Das wollen wir doch hier gleich festhalten.
({3})
- Da sind wir anderer Meinung. Warum, das will ich Ihnen gleich vorrechnen. Nehmen Sie ein Einkommen von 100 000 DM. Das liegt in der Einkommensteuer bei 53 %.
({4})
- Natürlich, das erreichen Sie dabei. Nehmen Sie dazu noch Vermögensteuer, Gewerbesteuer und Kirchensteuer, dann kommen Sie beim Ledigen zu einer Gesamtbelastung von 65 %. Beim Verheirateten ist es anders, damit wir uns richtig verstehen. Wenn Sie aber den Ledigen nehmen, dann bleiben von 100 000 DM im Endergebnis 33 000 DM. Das heißt mit anderen Worten: Von diesem Betrag soll er a) leben und b) Vermögen bilden und noch für die Zukunft investieren. Das ist doch nicht die richtige Relation.
Wir werden uns daher zu wesentlich anderen Gesichtspunkten durchringen müssen. Dabei erlaube ich mir den Hinweis, daß es wohl nicht richtig ist, die Lösung lediglich am Steuerfreibetrag aufzuhängen, den Sie auf 1920 DM anheben wollen. Man sollte ruhig einen etwas niedrigeren Betrag nehmen, dafür aber bei der Gesamtbesteuerung den Plafond von 20 auf 19 % senken. Dann käme man wahrscheinlich zu einem besseren Ergebnis. Aber darüber werden wir uns ja demnächst unterhalten.
Nun zur Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer. Dazu muß ich Ihnen allerdings sagen, daß Sie damit bei uns keineswegs auf freudiges Entgegenkommen stoßen.
({5})
- Es freut mich, daß Sie so prophetisch veranlagt sind, daß Sie sich in unsere Gedanken einfühlen können. Aber man weiß ja noch nicht, wie sich das bei Ihnen im Laufe der nächsten Zeit noch alles wandelt.
({6})
- Der Anpassungsvorgang ist schon da. Wenn heute morgen z. B. Herr Möller den „IndustrieDr. Imle
kurier" für sich in Anspruch nahm und uns meinte einwerfen zu können, das sei ja unverdächtig, kann ich Ihnen die Ausgabe desselben „Industriekurier" vom 14. November vorhalten, wo er sich mit Ihrer Tagung in Stuttgart befaßt, ich darf es Ihnen vielleicht einmal vorlesen:
Leider stehen aber die Deklamationen von Stuttgart nicht in Einklang mit der Praxis von Bonn, sondern zeigen wieder einmal, daß Reden und Handeln zweierlei ist. So haben denn auch die Handwerksmeister und Gewerbetreibenden auf diesem „Mittelstandstag" vergeblich darauf warten müssen, daß einer der redefreudigen Prominenten etwas zu dem Thema sagt, das dem Mittelstand auf den Nägeln brennt: Sozialpaket und Lohnfortzahlung.
({7})
- Na eben! Aber wenn Sie das auf uns anwenden, dann müssen Sie dasselbe auch auf sich anwenden lassen. Sie können sich nicht nur die Bonbons heraussuchen und sagen: Damit wollen wir nichts zu tun haben; so geht es ja nicht.
({8})
- Nein, nein; aber Sie sind auch schon wieder im Anpassungsprozeß.
({9})
- Ich weiß nicht, ob Sie mit Ihren Zwischenrufen verhindern wollen, daß ich Ihnen auch noch den Rest vorlese, der bei mir unterstrichen ist; er scheint mir nämlich das Wesentliche zu sein. Es heißt hier:
Die sozialdemokratischen Sprecher verstanden es großartig, ihrem Publikum in Stuttgart die Mittelstandsfreundlichkeit der SPD zu offerieren und gleichzeitig den Mantel des Schweigens darüber zu breiten, daß sie in Bonn eine Gesetzgebung für richtig halten, die den mittelständischen Arbeitgebern den Garaus machen kann.
({10}) Damit will ich einmal abschließen.
({11})
- Was ich damit meine? Die Art und Weise, wie Sie sich jetzt bei dieser Sozialpaketsgeschichte gerieren; damit fallen Sie wieder in diese andere Tendenz hinein.
Lassen Sie mich jetzt noch etwas zur Vermögensteuer sagen. Hierzu haben Sie uns eben schon testiert, daß Sie da mit uns keineswegs konform gehen. Wir jedenfalls sehen das, was Sie jetzt beabsichtigen, nicht nur als einen Ansatz, sondern bereits als den völligen Einbruch in das Kapitel Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer an. Beträge von 200 DM für den Ledigen oder von 400 DM für Verheiratete und 200 DM pro Kind
({12})
treffen nicht einen solchen Kreis, daß sie noch
irgendwie von erheblicher Bedeutung wären. Wenn
die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer ganz beseitigt wird, dann wird sozusagen die Axt an die Wurzel gelegt, nämlich die Möglichkeit beseitigt, für die Zukunft überhaupt weiter Vermögen bilden zu können.
({13})
- Es fragt sich nur wo? Gerade bei den Kreisen, bei denen es darauf ankommt, Vermögen zu bilden, damit sie auch im starken Wettbewerb, im Konkurrenzkampf und in Zeiten bestehen können, wo es sich darum handelt, einer abflauenden Konjunktur mit Eigenkapitalmitteln zu begegnen.
Sie haben auch ganz außer acht gelassen - das klang auch beim Finanzminister schon ran -, daß eine jetzt vorgenommene Änderung der Vermögensteuer sich später bei einer Änderung der Einheitswerte einmal ganz erheblich auswirken kann. Sie haben auch an die Landwirtschaft nicht mehr gedacht, denn für sie würden sich ganz erhebliche Belastungen ergeben, wenn nun plötzlich die Vermögensteuer bei der Einkommensteuer nicht mehr abzugsfähig wäre. Ich glaube also, daß diese Frage sehr eingehend geprüft werden muß. Ich möchte hier nur sagen, daß wir Ihnen in diesem Punkt keinen Erfolg wünschen.
({14})
- Ja, bitte, Herr Eppler!
Herr Kollege, sind Sie allen Ernstes der Meinung, daß unsere Landwirtschaft im Augenblick soviel Einkommensteuer bezahlt, daß die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer ins Gewicht fällt?
Ich möchte der Landwirtschaft jedenfalls soviel Vermögen und Einkommen wünschen, daß sie diese Steuer zahlen kann.
({0})
Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen. Bei Ihnen wird die Auffassung vertreten - sie ist meines Erachtens falsch -, daß die größeren Einkommen für die Lebenshaltung verbraucht werden. Das ist eben nicht der Fall, sondern die höheren Einkommen werden im Rahmen der Betriebe zur Betriebserhaltung und für Investitionen benötigt. - Wir werden uns deswegen, wenn uns die Gesetzentwürfe der Regierung, hoffentlich in absehbarer Zeit, vorliegen werden, mit diesen einzelnen Problemen sehr befassen.
Sollten wir bei Verwirklichung Ihrer Vorschläge zu wesentlichen Erhöhungen der Steuer kommen, so würden wir auch bei uns eine Kapitalflucht hervorrufen, und die ist jedenfalls für uns völlig unerwünscht. Wir erleben es ja zur Zeit in den USA, daß das Kapital nach draußen geht, um den hohen Steuern zu entgehen. Um das abzudrehen, hat man sich dort zu ganz wesentlichen Steuersenkungen entschlossen.
Wir glauben also, daß Ihre Anträge keineswegs das erreichen können, was für den Mittelstand als
solchen unbedingt erforderlich ist. Wir werden im Ausschuß sehr eingehend darüber reden; nur werden wir uns dann wahrscheinlich auf einer anderen Basis bewegen müssen, als die von Ihnen vorgelegten Anträge sie uns bieten.
({1})
Wünscht zu den Punkten 4 b), c) und d) noch jemand das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich schlage Ihnen vor, den unter b) aufgeführten Gesetzentwurf - Drucksache IV/1567 - an den Finanzausschuß - federführend - und an den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Mittelstandsfragen - mitberatend - zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Das gleiche schlage ich vor für den unter c) aufgeführten Gesetzentwurf - Drucksache IV/1568 -. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Dann schlage ich Ihnen vor, den unter d) aufgeführten Gesetzentwurf - Drucksache IV/1569 - zu überweisen an den Finanzausschuß - federführend - und an den Wirtschaftsausschuß, den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Mittelstandsfragen - mitberatend -. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes ({0}) ({1}),
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesrückerstattungsgesetzes ({2}).
Zur Begründung hat das Wort der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Bundesregierung lege ich dem Hohen Hause zwei Gesetzentwürfe vor, die das Gebiet der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts betreffen. Ich darf zuerst das Bundesentschädigungsgesetz und anschließend das Bundesrückerstattungsgesetz behandeln.
Die Wiedergutmachung ist nur ein Teilgebiet der Regelung von Schäden, die das nationalsozialistische Regime verursacht hat. Da mit den heute zu behandelnden Entwürfen und dem Entwurf eines Gesetzes zur Abgeltung von Reparations-, Restitutions-, Zerstörungs- und Rückerstattungsschäden, dessen erste Lesung, soweit ich unterrichtet bin, für eine der nächsten Plenarsitzungen vorgesehen ist, nach der Absicht der Bundesregierung die Liquidation des nationalsozialistischen Regimes abschließend geregelt werden soll, erlauben Sie mir zunächst einige allgemeine Betrachtungen.
Als 1945 die Tragödie jener zwölf Jahre des Naziregimes ihr katastrophales Ende gefunden hatte, war Deutschland ein einziger Trümmerhaufen.
Hätte man damals die Frage gestellt, wie alle Schulden und Schäden der NS-Zeit abgegolten werden sollten, dann hätte kein Mensch daran gezweifelt, daß von einer neuen deutschen Regierung nur eine faire Abwicklung des Hitler-Bankrotts nach konkursrechtlichen und sozialen Maßstäben hätte verlangt werden können. Was ist aus diesen Gedanken im Verlaufe von 18 langen Jahren geworden? Die neue Regierung, der neue demokratische Staat sind unversehens für alle Dinge und Taten verantwortlich gemacht worden, .die sich im „Dritten Reich" oder im Zusammenhang mit der Katastrophe ereignet haben. Auf allen Gebieten werden Ansprüche, Rechtsansprüche, ohne Rücksicht auf den NS-Zusammenbruch erhoben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das wiederholen, was Herr Kollege Seuffert in diesem Hohen Hause während der Beratungen zum Kriegsfolgengesetz zum Ausdruck gebracht hat. Herr Kollege Seuffert hat gesagt: „Wer in dieser Weise die Bundesrepublik verantwortlich machen will, wer da sagt, Bonn sei an alledem schuld, hat einfach vergessen, daß es einen Adolf Hitler gegeben hat."
({0})
Eine allgemeine Haftpflicht der Bundesrepublik kann im übrigen auch keinesfalls aus dem Gedanken einer Identität von Reich und Bundesrepublik hergeleitet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, daß der Bund auch auf Grund der Identitätslehre nicht als Schuldner .der Reichsverbindlichkeiten angesprochen werden kann, daß es vielmehr dem Bundesgesetzgeber überlassen bleibt, entsprechend dem territorial geminderten Einflußbereich und der dadurch bedingten geringeren Finanzkraft über das Ausmaß solcher Leistungen zu entscheiden und dafür in einem angemessenen Umfang öffentliche Mittel bereitzustellen.
Die allgemeine Erörterung unseres Problems verlangt darüber hinaus eine zweite grundsätzliche Feststellung. Auch die Durchführung der NS-Liquidation muß sich dem Grundziel jeder staatlichen Tätigkeit einordnen: der Sicherung und Erhaltung von Gegenwart und Zukunft unseres Volkes. Wir würden diesem Volk, ja der ganzen Welt gegenüber verantwortungslos 'handeln, wollten wir um der Ordnung der Vergangenheit willen Aufgaben und Pflichten der Gegenwart vernachlässigen, die sich unabweisbar stellen.
Nach den Feststellungen des Bundesfinanzministeriums hat die gesamte deutsche öffentliche Hand - also Bund, Länder, Gemeinden, Lastenausgleichsfonds - zur Beseitigung von Folgen des verlorenen Krieges und des NS-Regimes seit der Währungsreform rund 290 Milliarden DM aufgebracht.
({1})
Hiervon entfallen auf das Gebiet der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts rund 23 Milliarden DM. Im Jahre 1952 sind dagegen die gesamten Leistungen für die Wiedergutmachung zugunsten aller Geschädigten, nicht nur zugunsten der jüdischen, auf etwa 10 Milliarden DM geschätzt worden, wovon ein Globalbetrag von 3 Milliarden DM auf das Abkommen mit Israel und ein Betrag
von 3 bis 4 Milliarden DM auf die Durchführung
der Entschädigungsgesetzgebung entfallen sollten.
Es ist allgemein anerkannt, daß die Bundesrepublik das Abkommen mit dem Staat Israel vereinbarungsgemäß in loyaler Weise abgewickelt hat. Auf dem Gebiet des Entschädigungsrechts hatte sich die Bundesregierung verpflichtet, das in der amerikanischen Zone geltende Entschädigungsrecht auf das gesamte Bundesgebiet zu erstrecken, in einzelnen konkreten Punkten zu erweitern und bestimmte überregionale Verfolgtengruppen einzubeziehen. Dieser Verpflichtung sind wir bereits durch das Bundesergänzungsgesetz vom 18. September 1953 voll nachgekommen. Zur Abgeltung von rückerstattungsrechtlichen Ersatzansprüchen war im Bundesrückerstattungsgesetz in Ergänzung der alliierten Rückerstattungsgesetze eine auf 1,5 Milliarden DM ausdrücklich begrenzte Leistungspflicht der Bundesrepublik vorgesehen.
Was ist nun aus diesem Wiedergutmachungsprogramm und dem damals geschätzten finanziellen Aufwand von 10 Milliarden DM tatsächlich geworden? Zu dem Globalvertrag mit Israel kamen Globalverträge mit zehn anderen europäischen Staaten und eine Globalvereinbarung mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. Für den Abschluß dieser Verträge bestand keine rechtliche Verpflichtung seitens der Bundesrepublik. Die Bundesregierung glaubte jedoch, auch im Verhältnis zu diesen europäischen Staaten, die unter der NS-Gewaltherrschaft schwer gelitten hatten, ihrem guten Willen zur Wiedergutmachung Ausdruck geben zu sollen. Etwa 1 Milliarde DM zahlt die Bundesrepublik auf Grund dieser Verträge.
Das Bundesergänzungsgesetz von 1953 wurde bereits im Jahre 1956 grundlegend novelliert und ganz erheblich ausgebaut. Das finanzielle Gesamtvolumen des Gesetzes wurde dabei auf 7 bis 8 Milliarden DM geschätzt. Heute, zehn Jahre nach Erlaß des Bundesergänzungsgesetzes, sind von Bund und Ländern an Entschädigungsleistungen bereits 151/2 Milliarden DM erbracht worden. Wir rechnen damit, daß für die Abwicklung der letzten 15% der eingereichten Entschädigungsanträge und für die Zahlung der laufenden Renten - ausgehend von den jetzigen Jahresbeträgen in Höhe von 700 bis 800 Millionen DM - insgesamt nochmals 10 Milliarden DM gezahlt werden müssen. Insgesamt würde sich damit allein für das Bundesentschädigungsgesetz die gewaltige Summe von 26 Milliarden DM errechnen. Das ist etwa das Siebenfache dessen, was man im Jahre 1952 als Schätzung zugrunde gelegt hatte.
Nach dem Bundesrückerstattungsgesetz, auf das ich beim zweiten Teil meiner Ausführungen noch etwas eingehender zu sprechen komme, sind bisher 1,8 Milliarden DM gezahlt worden. Nach dem geltenden Recht werden noch etwa 750 Millionen DM zu zahlen sein.
Auch auf den Sondergebieten der Wiedergutmachung hat die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren erheblich mehr getan, als ursprünglich vorgesehen war. Ich darf nur daran erinnern, daß das Wiedergutmachungsgesetz für Angehörige des öffentlichen Dienstes wiederholt erweitert worden ist. Dasselbe gilt für die Wiedergutmachungsgesetze in der Kriegsopferversorgung. Zwar fehlen uns für diese Rechtsgebiete exakte Zahlen, doch wird man auch insoweit von Gesamtleistungen in Höhe von etwa 2 Milliarden DM ausgehen können.
Rechnet man diese Zahlen zusammen, so kommt man bis heute auf den von mir bereits genannten Gesamtbetrag von rund 23 Milliarden DM, den die Bundesrepublik nach geltendem Recht für die Wiedergutmachung ausgegeben hat. Ich meine, dieser Betrag dokumentiert eine sehr eindrucksvolle Leistung der Bundesrepublik, und sie wird auch im Ausland von maßgebenden Persönlichkeiten uneingeschränkt anerkannt.
Leider wird trotzdem versucht, diese Leistungen der Bundesrepublik auf dem Gebiete der Wiedergutmachung zu verkleinern oder zu zerpflücken. Die Kritik geht zunächst an die Richtung, daß die geleisteten Wiedergutmachungszahlungen nur einen Bruchteil der gesamten Schäden berücksichtigten. Wie hoch der gesamte Verlust ist, den das NS-Regime den Verfolgten in aller Welt zugefügt hat, läßt sich angesichts des Umfangs und der Vielgestaltigkeit dieser Schäden gar nicht angeben. Daß aber die Bundesrepublik alles Menschenmögliche getan hat und tut, um diese Schuld des Hitler-Regimes abzutragen, daran kann ein ernsthafter Zweifel nicht aufkommen. Leider hat sich der sowjetisch besetzte Teil Deutschlands, der sich so gern als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches ausgibt, an dieser Last der Vergangenheit nicht beteiligt.
({2})
Von den betroffenen Kreisen im Ausland wird ferner teilweise erklärt: Was von der Bundesrepublik in der Vergangenheit geleistet worden sei, werde zwar durchaus anerkannt, doch bedürfe es noch erheblicher zusätzlicher und neuer Opfer, um das Werk der Wiedergutmachung in den Augen der Welt zu einem guten Abschluß zu bringen. Bei dieser Argumentation klingt der Gedanke an, daß ohne diese zusätzlichen und neuen Opfer Zweifel an dem wahren Wiedergutmachungswillen des deutschen Volkes aufkommen könnten.
Eine solche Argumentation, meine Damen und Herren, lehne ich grundsätzlich ab. Die Wiedergutmachung ist uns ein großes menschliches Anliegen, das wir aus eigenem Antrieb durchführen und zum Abschluß bringen wollen. Wir lassen uns dabei auch nicht davon leiten, inwieweit uns das Ausland diese Leistungen außenpolitisch honoriert. Aber selbst wenn ich mich einmal auf den Boden einer so merkantilen Betrachtung stellen wollte, für die mir jedes Verständnis fehlt, habe ich erheblichen Zweifel, ob diese Auffassung überhaupt der wahren Sachlage entspricht. Die westliche Welt erwartet von uns in zunehmendem Maße harte Opfer für die Aufrechterhaltung von Freiheit und Sicherheit. Ich erwähne hier die Aufwendungen für die Verteidigung und die Entwicklungshilfe. Dabei wird gerade im Ausland als selbstverständlich vorausgesetzt, daß
die Ausgaben für die Liquidation des NS-Regimes einschließlich der Leistungen für die Wiedergutmachung in den nächsten Jahren auslaufen.
Ich möchte hier noch kurz auf die Vergleiche eingehen, die immer wieder zwischen Wiedergutmachungsrecht und Regelungen auf anderen Gebieten gezogen werden. Wir haben diese Vergleiche nicht zu scheuen, meine Damen und Herren. Stellt man z. B. die Personenzahl der Wiedergutmachungsberechtigten derjenigen der Lastenausgleichsberechtigten gegenüber, so ergibt sich klar, daß die Durchschnittsleistungen an die Wiedergutmachungsberechtigten - und ich meine, mit vollem Recht - ganz erheblich höher liegen. Dasselbe trifft im Verhältnis zur Kriegsopferversorgung zu.
Ich bin gerne bereit, auch auf das in diesem Zusammenhang am häufigsten genannte Gesetz zu Artikel 131 einzugehen, falls dies in der späteren Diskussion gewünscht wird, und die zwingenden Gründe vorzutragen, die zu einer solchen Regelung geführt haben. Gerade hier werden aus einigen wenigen Fällen, meine Damen und Herren, verallgemeinernde Schlußfolgerungen gezogen, die nicht haltbar sind und vor denen wir uns hüten sollten.
Die Kritik richtet sich auch gegen die Durchführung der Wiedergutmachungsgesetze. Es wird behauptet, daß nach dem Bundesentschädigungsgesetz eine Vielzahl von Ansprüchen abgelehnt worden sei. Das trifft in dieser Form nicht zu. Aus der Bundesstatistik ergibt sich, daß etwa 650 000 Ansprüche abgelehnt wurden. Weit über 1,2 Millionen Ansprüche sind dagegen heute bereits positiv entschieden worden.
Zu noch etwas anderem möchte ich sprechen und ganz entschieden vor der Beurteilung der Wiedergutmachung von ausgesuchten Einzelfällen her warnen. Millionen von Wiedergutmachungsanträgen sind zur vollsten Zufriedenheit der Beteiligten erledigt worden. Davon spricht niemand. Aber die geringe Zahl zweifelhafter Fälle wird herausgegriffen und häufig genug sogar entstellt groß herausgebracht. Selbst die Gerichte werden von einer unberechtigten Kritik nicht ausgenommen. Ich stehe gar nicht an zu erklären, daß sich in manchen Einzelfällen tatsächlich menschliche Unzuträglichkeiten gezeigt haben; aber ich wende mich mit aller Entschiedenheit dagegen, solche Fälle zu verallgemeinern oder ein Kollektivurteil zu fällen. Tausende von Beamten, Richtern, Angestellten und Ärzten, die sich auch für andere Aufgabenbereiche melden könnten und dort vielleicht bessere berufliche Chancen antreffen würden, tun seit Jahren ihr Bestes, um zur guten und schnellen Durchführung der Wiedergutmachung beizutragen. Ihnen allen sollte unser Dank gehören.
({3})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt etwas näher auf die beiden Gesetzentwürfe selbst eingehen, die Ihnen zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes und des Bundesrückerstattungsgesetzes vorliegen. Ausgangspunkt für die Novellierung war, den gesetzgeberischen Willen klarzustellen, wo den Gesetzen eine nicht dem Willen des
Gesetzgebers entsprechende Auslegung - sei es in ausdehnendem, sei es in einschränkendem Sinne - gegeben wurde. Daraus folgt, daß die Novellen keine Grundsatzänderungen der bisherigen Rechtslage enthalten, daß insbesondere die bisher geltenden Grundsätze unberührt bestehenbleiben mußten. Gegen diese Konzeption richteten sich in den vergangenen Monaten die Hauptbedenken einzelner Verfolgtenorganisationen. Ich muß daher namens der Bundesregierung noch einmal die Grenzen aufzeigen, die uns für die Schlußgesetzgebung auf dem Gebiete der Wiedergutmachung gezogen sind.
Ich kann insbesondere nicht eindringlich genug davor warnen, die finanzielle Problematik der Wiedergutmachung zu bagatellisieren. Die finanziellen Auswirkungen müssen vielmehr von Anfang an mit in die Überlegungen einbezogen werden. Darin bin ich mit den Ministerpräsidenten, den Finanzministern und den Wiedergutmachungsministern aller Länder ohne Ausnahme einig.
Vor kurzem las ich eine Betrachtung, die offensichtlich darauf abgestimmt war, jeden, der die finanzpolitischen Aspekte der Wiedergutmachung anzurühren wagt, als einen unverbesserlich Gestrigen hinzustellen. Ich glaube, man sollte auf solche Erklärungen eine deutliche Antwort geben. Wenn wir uns tagtäglich und jahraus, jahrein Sorgen um die Erhaltung der finanziellen Stabilität unseres Staates machen, so tun wir das aus der Verantwortung heraus, die wir insoweit auch vor unserem Volk und vor der freien Welt überhaupt zu tragen haben. Eine finanziell kranke Bundesrepublik wäre ein schlechter Partner der Geschädigten und der westlichen Welt überhaupt.
({4})
Die Kritiker, die der Meinung sind, daß die Kosten aller Wiedergutmachungsschlußgesetzgebung nicht für die Frage entscheidend sein dürften, wie eine solche Gesetzgebung auszusehen hat, mögen insoweit gerade auf die Stimmen hören, die hierzu ständig aus vielen vorurteilsfreien Kreisen des Auslands zu uns dringen. Von dort würden sie darüber belehrt werden, daß es keine Regierung in der ganzen Welt geben wird, die in der Lage wäre, solche Dinge anders zu beurteilen oder anders zu behandeln.
In der letzten Zeit kann man auch des öfteren etwa folgende Wendungen hören und lesen: es werde zwar anerkannt, daß die Wiedergutmachung der Bundesrepublik eine großartige und einmalige Leistung darstelle; man solle aber doch den Wert dieser Leistung nicht dadurch gefährden, daß man bei der Schlußgesetzgebung finanzielle Erwägungen in den Vordergrund stelle und zu engherzig sei. Was steckt hinter solchen Formulierungen?: Wenn nicht alle unsere Forderungen erfüllt werden, dann, lassen wir keinen guten Faden an dem, was wir eben noch als hoch anerkennenswert gekennzeichnet haben. - Ich glaube, zu einer solchen Haltung erübrigt sich jeder weitere Kommentar.
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Zu den Aufgaben der Beseitigung der Folgen aus der Zeit des Dritten Reiches sind in den letzten
Jahren in immer größer werdendem Umfang Aufgaben hinzugetreten, die nicht vernachlässigt werden können, will die Bundesrepublik ihren Platz in der Gemeinschaft der freien Völker nicht gefährden. Die Erfüllung aller Aufgaben im Rahmen des deutschen Verteidigungsbeitrages, des Bevölkerungsschutzes, der Entwicklungshilfe und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kostet sehr viel Geld, und der Bundesfinanzminister muß dieses Geld aufbringen. Bevor er es ausgibt, muß er es den Bürgern dieses Staates vorher weggenommen haben. Aus dieser Sicht war bei der Schlußgesetzgebung auf dem Gebiet der Wiedergutmachung leider von vornherein eine Beschränkung auf die wichtigsten und dringlichsten Reformwünsche notwendig.
In den Haushalten von Bund und Ländern werden seit Jahren für die Wiedergutmachung jährlich Ausgaben in Höhe von insgesamt rund 3 Milliarden DM angesetzt. Es ist weder für den Bund noch für die Länder möglich, die bisherigen Haushaltsansätze zu erhöhen. Die neuen Änderungsgesetze können vielmehr nur dadurch finanziert werden, daß diese hohen Ansätze über die bisher vorgesehene Zeit hinaus beibehalten werden. Aber ich muß hier mit allem Nachdruck betonen, daß es die ständig steigenden Lasten auf allen Gebieten unmöglich machen, diese Methode für längere Zeit fortzusetzen. Die Finanzexperten von Bund und Ländern schätzen den finanziellen Mehraufwand der Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz auf etwa 3 Milliarden DM, den der Novelle zum Bundesrückerstattungsgesetz auf etwa 1,5 Milliarden DM. Damit wird die deutsche Wiedergutmachung voraussichtlich einen Gesamtleistungsbetrag von 40 Milliarden DM erreichen. Die Bundesregierung ist damit bis an die äußerste Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit von Bund und Ländern gegangen.
Die Bundesregierung mußte deshalb bereits bei der Aufstellung der Gesetzentwürfe zahlreiche Erweiterungswünsche auf den beiden Rechtsgebieten ablehnen. Die Bundesregierung müßte auch - ich erkläre das mit ausdrücklich für diesen Fall erteilter Ermächtigung des Bundeskabinetts - etwaigen Erweiterungen, die den vorgesehenen finanziellen Rahmen sprengen, in aller Form widersprechen. Gerade deshalb möchte ich alle Fraktionen des Hohen Hauses eindringlich bitten,
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die Vorlagen in diesem Sinne zu würdigen, aber auch die aufgezeigten Grenzen zu beachten, Herr Kollege Jahn.
Lassen Sie mich zum Schluß meine Damen und Herren, noch einige konkrete Angaben zu der Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz machen, denen ich dann einige Ausführungen zu der anderen Novelle, der zum Bundesrückerstattungsgesetz, anschließen möchte.
Wie ich bereits betont habe, hält die Novelle an der bisherigen Grundstruktur des Gesetzes, insbesondere an dem Kreis der Anspruchsberechtigten und an den Schadenstatbeständen, fest. Sie dient im wesentlichen der Beseitigung ganz konkreter Härten und der Einführung einiger für notwendig gehaltener sachlicher Verbesserungen. Ich möchte hier insbesondere die Anpassung aller Renten und Anrechnungsfreibeträge an künftige Erhöhungen der Beamtenbesoldung erwähnen, ferner die Einführung einer Vermutung für die Verfolgungsbedingtheit von Gesundheitsschäden bei mindestens einjähriger KZ-Haft, die Erhöhung der Entschädigung für Ausbildungsschäden von 5000 DM auf 10 000 DM, die Gewährung einer Krankenversorgung für Rentenempfänger und Rückwanderer, die teilweise Verbesserungen der Bestimmungen über die Wohnsitzvoraussetzungen, die Erweiterung des allgemeinen Härteausgleichs sowie eine beschränkte Angleichung früherer Entscheidungen an die geänderte Praxis und Rechtsprechung.
Für Verfolgtengruppen, die die Wohnsitz- und Stichtagsvoraussetzungen des bisherigen Gesetzes nicht erfüllt haben, ist die Errichtung eines Sonderfonds von 600 Millionen DM vorgesehen. Dieser Sonderfonds soll in erster Linie die Gewährung von Beihilfen an Verfolgte ermöglichen, die als politische Flüchtlinge ihren Heimatstaat im Osten oder Südosten Europas erst nach dem Inkrafttreten des bisherigen Gesetzes, also nach dem 1. Oktober 1953, verlassen haben. Die vielfach gestellte Forderung, diesen Personenkreis in vollem Umfang in die Entschädigungsregelung des Gesetzes einzubeziehen, konnte schon aus finanziellen Gründen nicht erfüllt werden, weil durch diese Maßnahme zusätzliche Aufwendungen von vielen Milliarden D-Mark entstehen würden.
Auch zahlreichen anderen Wünschen, die an der Grundstruktur des Gesetzes rühren würden, konnte die Bundesregierung nicht entsprechen, wie z. B. dem Wunsch auf Änderung der bisherigen Kausalitätsbegriffe oder auf eine generelle Beweiserleichterung. Gerade die letzte Frage haben wir sehr eingehend mit den Sachverständigen der Länder geprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Verwirklichung dieser Vorschläge praktisch darauf hinauslaufen würde, daß überhaupt nichts Konkretes mehr zu beweisen wäre. Ich bin fest überzeugt, daß sich bei Berücksichtigung dieser Vorschläge Mißbräuche ergeben würden, vor deren höchst unerwünschten Folgen man nur sehr eindringlich warnen kann. Daher haben gerade auch weitblickende Verfolgte und auch Vertreter ihrer Organisation dringend davon abgeraten, die Beweiserfordernisse weiter aufzuweichen.
Von seiten einzelner Verfolgtenorganisationen wirft man der Bundesregierung zu der Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz vor, sie habe in zahlreichen Punkten die bisherige Rechtslage zum Nachteil der Verfolgten verschlechtert. Zunächst möchte ich klarstellen, daß die Novelle keine echten materiellen Verschlechterungen enthält, sondern nur in einzelnen Punkten, und zwar nach beiden Richtungen hin, Klarstellungen dessen, was nach Auffassung der Bundesregierung und der Länder vom Gesetzgeber 1956 gewollt war. Ich darf darauf hinweisen, daß das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten hat, daß der Gesetzgeber auch zu einschränkenden Klarstel4410
Lungen, ja sogar zu echten materiellen Verschlechterungen der Rechtslage berechtigt sei, vorausgesetzt daß der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt werde. Das sei aber nur dann der Fall, wenn die Mehrzahl der Fälle nach dem günstigeren Recht bereits positiv entschieden sei und nur die kleinere Zahl der noch offenen Fälle unter die ungünstigere Regelung fallen würde. Man wird daher schon rechtlich gegen die einschränkenden Klarstellungen der Novelle nichts einwenden können. Ich halte aber auch sachlich ,diese Klarstellungen der Novelle für geboten.
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Auch durch die Ihnen vorgelegte Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz werden nicht alle bestehenden Härten .auf diesem Gebiet beseitigt werden können. Das ist aber auch auf keinem anderen Rechtsgebiet möglich. Jede tatbestandsmäßige Abgrenzung, jeder Stichtag, überhaupt jede Normierung muß zwangsläufig eine scharfe Grenze zwischen Berechtigten und Nichtberechtigten ziehen und führt damit in Einzelfällen zu Härten. Es gibt Grenzen für die allgemeine Normierung, es gibt finanzielle Grenzen und es gibt Grenzen für die verwaltungsmäßige Durchführung, wenn wir nicht das Werk der Wiedergutmachung neu beginnen wollen, wozu sich auch die Länder, die für die Durchführung verantwortlich sind, die finanziell stark beteiligt sind, niemals verstehen würden. Die Bundesregierung glaubt aber, mit den vorgelegten Gesetzentwürfen im Rahmen des Möglichen das Äußerste getan und damit einen guten Abschluß der Wiedergutmachung ermöglicht zu haben.
Ich möchte zum Abschluß meiner Ausführungen zum Bundesentschädigungsgesetz nicht verfehlen, nochmals die Worte in Erinnerung zu bringen, die Herr Bundeskanzler Professor Dr. Erhard in seiner Regierungserklärung gesagt hat:
Wir haben die Schuld, die während jener tragischen zwölf Jahre der Gewaltherrschaft im Namen Deutschlands allen Deutschen aufgebürdet wurde, schonungslos offenbart. Wir werden diese Schuld vollends abtragen, soweit Menschen dazu in der Lage sind. Darum betrachten wir die Wiedergutmachung als eine bindende Verpflichtung. Wir wissen es zu würdigen, wenn Menschen aus eigenem Erleben heraus noch nicht bereit sind, sich mit dem neuen Deutschland 'zu versöhnen. Aber wir haben keinen Sinn für jene Bestrebungen, die aus vergangener Barbarei für alle Zeit eine deutsche Erbsünde herleiten und als politisches Mittel konservieren möchten.
Unser Tun dient nicht nur der Stunde, dem Tag oder diesem Jahr. Wir haben die Pflicht, in Generationen zu denken und unseren Kindern und Kindeskindern ein festes Fundament für eine glückliche Zukunft zu bauen.
Kurz einige Bemerkungen zum Bundesrückerstattungsgesetz. Wie ich schon eingangs meiner Ausführungen zu der Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz erwähnt habe, lege ich mit diesem Gesetzentwurf auf dem Gebiet der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts gleichzeitig den
Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesrückerstattungsgesetzes vor. Dieser Entwurf soll nach dem Willen der Bundesregierung auch auf diesem Teilgebiet der Wiedergutmachung eine abschließende Regelung bringen.
Der Regierungsentwurf sieht eine volle Befriedigung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reiches und der dem Deutschen Reich gleichgestellten Rechtsträger durch die Bundesrepublik Deutschland vor. Die Gesamtsumme dieser Verbindlichkeiten wird zur Zeit auf 3,2 Milliarden DM geschätzt. Es ist aber durchaus möglich, daß sich diese Gesamtsumme bei der weiteren Durchführung des Gesetzes noch wesentlich erhöht.
Die Bundesrepublik zahlt also freiwillig mindestens 1,7 Milliarden DM mehr, als sie nach dem Überleitungsvertrag zum Deutschlandabkommen und nach der Vereinbarung der Bundesregierung mit der Claims-Konferenz im Haager Protokoll zu zahlen verpflichtet ist.
Mit dieser vorgesehenen Regelung wird zugleich der oft erhobene Einwand hinfällig, daß durch § 5 des Bundesrückerstattungsgesetzes die ursprünglich vorgesehene Summe von 1,5 Milliarden DM ausgehöhlt worden sei. Diese Vorschrift war nicht im Regierungsentwurf zum Bundesrückerstattungsgesetz enthalten. Sie ist vielmehr erst auf Anregung des Wiedergutmachungsausschusses des Bundestages in den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Es kann nicht verkannt werden, daß ohne § 5 des Bundesrückerstattungsgesetzes die Gesamtleistungen, die nach diesem Gesetz zu erbringen sind, wesentlich geringer wären.
Die volle Befriedigung aller rechtzeitig angemeldeten Ansprüche beseitigt nunmehr auch jeden letzten Zweifel daran, daß die Leistungen an die über § 5 des Bundesrückerstattungsgesetzes Berechtigten nicht zu einer Schmälerung der Leistungen der übrigen Berechtigten führen. Ich glaube, meine Damen und Herren, Sie alle werden anerkennen, daß die Bundesregierung hiermit unter Zurückstellung finanzieller Bedenken bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen ist.
Wie zum Bundesentschädigungsgesetz ist auch zum Bundesrückerstattungsgesetz von den Verfolgtenverbänden der Wunsch vorgetragen worden, die Anmeldefristen sollten neu eröffnet werden. Ich darf hierzu darauf hinweisen, daß der Bundestagsausschuß für Wiedergutmachung zu dieser Frage in seinem Schriftlichen Bericht über den Entwurf eines zweiten Änderungsgesetzes, der eine nochmalige Verlängerung der Anmeldefristen bis zum 1. April 1959 vorsah, wie folgt Stellung genommen hat:
„Der Ausschuß hält im übrigen die vorgesehene Verlängerung der Anmeldefristen für zweckmäßig und ausreichend, weist dafür gleichzeitig darauf hin, daß eine weitere Verlängerung nicht möglich und erforderlich ist."
Der Wunsch auf Neueröffnung der Anmeldefristen wird nun insbesondere damit begründet, daß die über § 5 des Rückerstattungsgesetzes Berechtigten vielfach von einer Meldung ihrer Ansprüche abgesehen hätten, weil sie glaubten, den nach § 5
verlangten Nachweis der Verbringung ihrer außerhalb des Geltungsbereichs entzogenen Vermögensgegenstände in den Geltungsbereich des Gesetzes nicht führen zu können. - Hierauf darf ich erwidern, daß schon geraume Zeit vor Ablauf der Anmeldefristen in der in- und ausländischen Presse, in den maßgebenden Kommentaren zum Rückerstattungsgesetz und insbesondere auch im Bericht des Wiedergutmachungsauschusses vom 5. April 1957 darauf hingewiesen worden ist, .daß an den Verbringungsnachweis keine allzu strengen Anforderungen zu stellen und allgemeine Erfahrungstatsachen hierbei zu berücksichtigen seien.
Daß die Mehrzahl der Geschädigten von der Möglichkeit, einen Anspruch über § 5 durchzusetzen, Gebrauch gemacht hat, geht aus der Zahl der Anmeldungen, die sich auf Entziehungen außerhalb des Geltungsbereichs beziehen, eindeutig hervor. Allein beim Haupttreuhänder für Rückerstattungsvermögen in Berlin sind mehr als 300 000 solcher Ansprüche angemeldet worden.
Die Bundesregierung verneint daher jede rechtliche Verpflichtung, die Anmeldefristen neu zu eröffnen. Sie hat aber ein Übriges getan, indem sie in § 44 a die Bildung eines Fonds in Höhe von 400 Millionen DM vorgesehen hat, aus dem diejenigen Berechtigten, denen in den besetzten Westgebieten Hausrat oder 'denen in den gesamten besetzten Gebieten Schmuck und Edelmetallgegenstände entzogen worden sind, Leistungen erhalten können. Die Härteleistungen sind auf diese beiden Fälle beschränkt worden, weil hier generell feststeht, daß diese entzogenen Gegenstände überwiegend in den Geltungsbereich des Rückerstattungsgesetzes gelangt sind.
Nun ein Wort zu einem weiteren Wunsch der Verfolgtenverbände. Es ist angeregt worden, den Nachweis der Verbringung in § 5 des Bundesrückerstattungsgesetzes 'durch eine Vermutung, daß die im Ausland entzogenen Gegenstände in den Geltungsbereich des Bundesrückerstattungsgesetzes verbracht sind, zu ersetzen. Die Verwirklichung eines solchen Vorschlages würde gegen ein Grundprinzip des schon von den alliierten Militärregierungen geschaffenen Rückerstattungsrechts verstoßen. Diese Gesetze finden bekanntlich nur Anwendung auf Gegenstände, die im Geltungsbereich des Gesetzes entzogen worden sind oder die nach der Entziehung außerhalb des Geltungsbereichs in den Geltungsbereich gelangt sind. Dieses objektive Territorialitätsprinzip würde durch eine solche Vermutung entscheidend durchbrochen werden. Der Antragsgegner, das Deutsche Reich, kann praktisch in keinem einzigen Fall den Gegenbeweis führen, daß die entzogenen Gegenstände nicht in den Geltungsbereich verbracht worden sind, obwohl sich bei der Durchführung des Bundesrückerstattungsgesetzes ergeben hat, daß etwa Warenvorräte oder Maschinen größtenteils in den besetzten Gebieten verblieben sind. Auch hier würden also bei einer Umkehrung der Beweislast viele Milliarden zu zahlen sein.
Auch auf diesem Teilgebiet der Wiedergutmachung werden mit der Ihnen vorgelegten Novelle nicht alle Härten beseitigt. Aber auch hier glaubt die Bundesregierung im Rahmen des Möglichen das Äußerste getan zu haben. Ich darf Sie nochmals bitten, sich auch bei Behandlung dieses Gesetzentwurfs der Grenzen bewußt zu bleiben, die jeder mit finanziellen Leistungen verbundenen gesetzlichen Regelung - leider auch auf dem Gebiet der Wiedergutmachung - gesetzt sind.
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Die beiden Vorlagen sind begründet. Liegen Wortmeldungen zur Aussprache vor? - Herr Abgeordneter Dr. Böhm!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat dem Hause einen Überblick über die bisherigen Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik gegeben. Er hat Zahlen genannt, die sehr eindrucksvoll sind.
Man könnte den Überblick durch einen Hinweis auf die bedeutenderen Gesetze, die es auf diesem Gebiete gibt, und die bedeutenderen Verträge, die hier abgeschlossen worden sind, vervollständigen. Da ist allen voran das Bundesentschädigungsgesetz zu nennen, ursprünglich unter dem Namen „Bundesergänzungsgesetz" 1953 in Kraft getreten, sehr umfassend im Jahre 1956 novelliert. Da ist das Bundesrückerstattungsgesetz aus dem Jahre 1957. Da ist das Bundesgesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes aus dem Jahre 1951 und ein anderes Gesetz zur Regelung 'der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für die im Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes aus dem Jahre 1952. Da ist ein Gesetz, das noch aus dem Jahre 1949 stammt und wenige Tage nach Errichtung 'der Bundesrepublik noch vom Wirtschaftsrat erlassen worden ist, über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung. Da ist dann noch das Gesetz aus dem Jahre 1953 zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Kriegsopferversorgung für Berechtigte im Ausland. Dazu kommen noch vier alliierte Rückerstattungsrechte der amerikanischen, britischen und französischen Zone und der Kommandantur Berlin. Das wären die wesentlichsten Gesetze.
An bedeutenden Verträgen wären zu erwähnen der Israel-Vertrag vom 10. September 1952 und der Vertrag - offiziell durch zwei Protokolle bezeichnet - mit der Conference on Jewish Material Claims against Germany, also der Konferenz der Weltvereinigungen der jüdischen Verfolgtenverbände, ebenfalls vom 10. September 1952. Einige Monate früher wurde der Überleitungsvertrag zum DeutschlandVertrag vom 26. Mai 1952 abgeschlossen. In den Verträgen mit der Claims Conference, an dem Protokoll Nr. 1 und im Überleitungsvertrag zum Deutschland-Vertrag hat die Bundesregierung Verpflichtungen in bezug auf den Mindestinhalt der Gesetzesvorschläge zur Wiedergutmachung übernommen, die sie dem Bundestag einzureichen gedachte. Diese Vertragsverpflichtungen binden ausschließlich
Dr. Böhm ({0})
die Bundesregierung in bezug auf die Gesetzentwürfe, die sie dem Bundestag einreicht. Sie binden nicht den Bundesgesetzgeber.
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Dazu kommen zehn Verträge mit europäischen Staaten, auf Grund deren Globalsummen an diese Staaten bezahlt wunden, die sie in den Stand setzen sollten, ihrerseits die Verfolgten zu entschädigen, die als Angehörige ihres Staates in diesen Staaten leben. Unsere Wiedergutmachungsgesetze sehen nämlich individuelle ,Entschädigungen nur für solche Opfer des Nationalsozialismus vor, die irgendeine territoriale Beziehung zur Bundesrepublik haben. Es ist keine Entschädigung für Bürger anderer Staaten vorgesehen, ,die früher in den anderen Staaten gewohnt haben und heute dort noch wohnen. Allerdings ist dieser Personenkreis erweitert worden, namentlich bewußt zugunsten jüdischer Verfolgter, die sich in den DP-Lagern auf dem Gebiete der Bundesrepublik am 1. Januar 1947 befunden haben und von dort aus nach Israel oder in die ganze Welt weitergewandert sind. Auch sie erhalten Entschädigung.
Ferner ist eine individuelle Entschädigung für solche Ausländer vorgesehen worden, die im mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang mit der Verfolgung irgendwann einmal vor Inkrafttreten des Gesetzes staatenlos geworden sind, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes im Jahre 1953 Staatenlose oder Flüchtlinge waren und nun im Ausland leben. Denn diese Personen haben ja auch keinerlei Aussicht, aus etwaigen Reparationszahlungen oder Globalzahlungen Deutschlands, wie wir sie z. B. mit den zehn Ländern vereinbart haben, entschädigt zu werden. Sie haben keinen Schutzstaat. Wir haben auch eine beschränkte individuelle Entschädigung dieser Personengruppe übernommen. Aber z. B. Holländer, die während der Besetzung Hollands durch deutsche Truppen ins Konzentrationslager verbracht worden sind und heute wieder als holländische Staatsbürger in Holland leben, erhalten keine Entschädigung aus unseren Individualgesetzen. Die Grundvorstellung war, daß alle diejenigen Personen, die während des Krieges in den besetzten Gebieten geschädigt worden sind, nicht individuell als Personen entschädigt werden sollen, sondern daß es den Regierungen dieser Länder vorbehalten bleiben muß, im Friedensvertrag mit Deutschland Reparationszahlungen oder Globalzahlungen zu erwirken.
Nun hat sich, wie Sie alle mit Kummer und Sorge miterlebt haben, die Herstellung eines allseitigen Friedenszustandes bis zum heutigen Tage verzögert, und noch heute ist kein Ende abzusehen. Das hat in den mit uns befreundeten Nationen des Westens die Aussichten für die dort lebenden Verfolgten, noch zu ihren Lebzeiten eine Entschädigung zu bekommen, in die Ferne gerückt. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung mit diesen Staaten die Globalbeträge vereinbart. Dazu kommen noch die Verträge, die der Bundesfinanzminister erwähnt hat: ein Vertrag mit dem Hohen Kommissar für Flüchtlinge; durch einen anderen Vertrag mit Osterreich haben wir uns zu gewissen Beitragszahlungen zur internen österreichischen Wiedergutmachung verpflichtet.
Die Zahlen brauche ich Ihnen nicht zu wiederholen. Ich will nur eine nennen, die auch der Herr Bundesfinanzminister genannt hat: die Zahlungen, die sich pauschal aus all dem ergeben werden, wenn die beiden Novellen, die dem Hohen Hause vorliegen, unverändert angenommen werden. Für diesen Fall ist ein Gesamtbetrag von etwa 40 Milliarden DM geschätzt und errechnet worden, eine gewaltige Summe.
Es kommt noch der recht erhebliche Verwaltungsaufwand für die Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes hinzu, der in erster Linie von den Ländern getragen wird. Ich nenne hier die Entschädigungsämter. Dann ist auch eine außerordentliche Mühe zu berücksichtigen, die für die Materialsammlung aufgewendet worden ist. Selbstverständlich dürfen auch die hierfür notwendigen Mittel nicht vergessen werden. Denken Sie doch bitte einmal daran, wie wir mit unserer Wiedergutmachung angefangen haben: die Angestellten und Beamten der Entschädigungsämter haben damals im Durchschnitt nur eine sehr blasse Vorstellung von der Verfolgungswirklichkeit im Dritten Reich gehabt. Heute dagegen sind allein in den Archiven und Akten der Außenstelle des Entschädigungsamtes RheinlandPfalz in Berlin Materialien über die Verfolgungswirklichkeit in Rumänien und verschiedenen anderen Staaten des damals von Hitler besetzten östlichen Bereichs zusammengetragen, die einen unheimlichen Überblick und eine Kenntnis von der Wirklichkeit und den geschichtlichen Vorgängen in diesen Bereichen vermitteln. Wir haben die Wiedergutmachungsgerichte; bei den Gerichten sind Wiedergutmachungskammern und Wiedergutmachungssenate eingerichtet worden. Bei den entscheidenden Bundesministerien und den Ministerien der Länder sind Wiedergutmachungsreferate errichtet worden. Es besteht also ein außerordentlich umfassender Verwaltungsapparat zur Durchführung der Wiedergutmachung.
Erst die Abwicklung der praktischen Wiedergutmachung hat uns überhaupt eine Kenntnis von dem schauderhaften Umfang der Verfolgung und des in der Hitler-Zeit begangenen Unrechts und der Summe der Leiden verschafft.
Übrigens haben unsere Bundesgesetze auch eine Vorgeschichte. Ich glaube, es ist heute, da diese sogenannten Schlußgesetze vorliegen, auch ein Anlaß, einen historischen Rückblick auf die Entstehung der Wiedergutmachung zu werfen. Von diesem Rückblick kann nämlich auch ein sehr schlüssiger Rückschluß auf ihren Sinn und ihren Erklärungswert gezogen werden.
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So hatten wir, bevor es eine Bundesrepublik gab, Wiedergutmachungsgesetze der Länder. Um 1947 herum sind die ersten entstanden, und zwar verschieden in den vier Zonen. Diese Ländergesetze waren die einzige Grundlage für die Entschädigungsansprüche bis zum Erlaß des Bundesergänzungsgesetzes im Jahre 1953.
Dr. Böhm ({3})
Aber nicht nur vor der Errichtung der Bundesrepublik hat es Wiedergutmachungsgesetze gegeben. Es hat schon vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, also im Dritten Reich selber, Widerstandsbewegungen gegeben, die - darunter die wichtigsten und bedeutendsten Widerstandsbewegungen - die Wiedergutmachung zu einem Programmpunkt für die Wiederaufrichtung des Rechts und eines neuen Deutschland gemacht haben. Ich wäre in der Lage, Ihnen näheres über diese Zeit zu sagen; aber viele von Ihnen wissen das schon selber. Das Programm dieser Widerstandskreise im Dritten Reich ging dahin, daß eine neue deutsche Regierung das Steuer vom Unrecht, Terror und von der Gewalt auf die Wiederaufrichtung des Rechts herumwerfen müsse und daß hier sozusagen als Nagelprobe die Übernahme einer Haftung für den Schadensersatz für zugefügtes Unrecht im Vordergrund stehen sollte.
Schon damals waren sich die betreffenden Kreise darüber einig, daß es sich bei der Entschädigung der Opfer der Verbrechen nicht etwa um einen Samariterdienst handelt wie beim Roten Kreuz, sondern um eine Rechtspflicht zum Ersatz von Unrechtsschaden, Schaden, der zugefügt worden ist von einer Unrechtsregierung des Reiches und für den die nachfolgende, auf das Recht verpflichtete und eingestellte Regierung, gerade um diesen Wandel nicht nur zu dokumentieren, sondern auch durch die Tat zu bewähren, die Haftung übernehmen sollte. Statt Tötung, Beraubung, Entwürdigung, Qual, Gesundheitszerrüttung sollten treten die Sorge für die Hinterbliebenen der Opfer, die Rückerstattung des Raubes, die Wiederherstellung des sozialen, beruflichen und moralischen Status der Opfer, insbesondere auch der Juden und des Judentums im ganzen, Wiedereingliederung der Opfer in die Gesellschaft, Sorge für Alter und für Invalidität.
Der Gedanke war auch der, daß durch das Indenvordergrundstellen einer solchen Entschädigung von Gewaltopfern einer eigenen Regierung ein ganz anderes Ausleseprinzip innerhalb des Staates und der Gesellschaft gewährleistet werden sollte. Ein Staat, der die Parole ausgibt: „Juda verrecke!" erzielt eine andere Auslese - in seinen Schlägergarden und seinen Funktionärskorps - als ein Staal, der die Parole der Wiedergutmachung ausgibt. Im einen Staat werden sich alle Menschen mit Gewaltinstinkten, Roheitsinstinkten und Unterwerfungsinstinkten an die Spitze drängen; im anderen Fall werden den Ton in der Gesellschaft die Menschen des Rechts und der Menschlichkeit angeben. Das ist ein ganz entscheidender politischer, ich möchte sagen, verfassungspolitischer Programmsatz schon im Widerstand gewesen.
Die Erfolgsbilanz, die aus der Wiedergutmachungsgesetzgebung gezogen werden kann, wird wohl dahin gehen: Es ist kein Werk aus einem Guß entstanden und konnte kein Werk aus einem Guß entstehen. Wir haben uns auf Neuland bewegt, wir haben improvisieren müssen. Geschichtliche Zufälligkeiten waren maßgebend für die Auswahl der Personengruppen, für die Auswahl der Tatbestände. Wir haben Lehrgeld bezahlt. Bevor es eine Bundesrepublik gab, gab es nur Länder, die einzeln vorgehen mußten. Wir haben heute einen Bundesstaat, bei dem nicht nur die Wiedergutmachungsgesetzgebung, sondern auch der Vollzug der Wiedergutmachung im Verhältnis zu zentral organisierten Staaten kompliziert ist. Der Gesetzgeber ist ferner abhängig von der Rechtsprechung unabhängiger Gerichte, von den Entscheidungen zahlreicher Entschädigungsämter und von den verwaltungs-organisatorischen Schwierigkeiten, die sich hier ergeben. Die ganze Verwaltung, die ganze Ausübung der Wiedergutmachung ist fast vollständig in die Regie der Länder gegeben. Auch hier ist eine gewaltige organisatorische Leistung von jenen vollbracht worden, die diese Verwaltungsapparate aufgebaut haben, aber auch durch die Treue und Gewissenhaftigkeit, mit der die Leiter der Entschädigungsämter zusammen mit ihren Angestellten im Laufe der Zeit bei ihrer Aufgabe zu Werk gegangen sind. Es ist erstaunlich, wie sich die berufliche Qualität, die Kenntnisse und die Einsichten im Laufe der Jahre verbessert haben. Am Anfang waren wir zeitweise in Verzweiflung und glaubten, das würde nicht gehen. Aber da ist doch sehr viel geschehen. Wir haben deshalb heute auch Anlaß, dankend all der unzähligen Namenlosen zu gedenken, die zu dem Vollzug der Wiedergutmachung nach besten Kräften und zum Teil mit einem bemerkenswerten Geschick, mit einem warmen Herzen und einem scharfen Verstand beigetragen haben.
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Historisch könnte man vielleicht die Frage stellen: warum kam eigentlich die Wiedergutmachung nach 1945 nur so langsam in Gang? Wieso hat sich bei vielen, auch bei vielen unserer Landsleute der Eindruck bilden können, als sei die Wiedergutmachung gar kein deutsches Anliegen, sondern ein Anliegen der Alliierten gewesen? Nun, dafür gibt es sehr durchschlagende Gründe. Insbesondere gab es für den Anfang der Wiedergutmachung zwei Hemmnisse. Wir hatten in den Jahren nach dem Zusammenbruch nur die Länder, keinen Bund, keine Zentralgewalt, nicht einmal eine partielle Zentralgewalt. Natürlich kann jedes Land Gesetze erlassen für die Entschädigung derjenigen Opfer des Nationalsozialismus, die in seinem Gebiete wohnen. Aber wie sollte Bayern oder Hessen oder Schleswig-Holstein dazu kommen, etwa diejenigen, die innerhalb der besetzten Gebiete während der Hitler-Zeit geschädigt worden sind - ich denke insbesondere an die ungeheuren Massaker und die Verfolgung der Juden außerhalb des Reichsgebiets -, in ihre Entschädigung einzubeziehen? Hier mußte erst die Bildung einer zentraleren Gewalt, die Errichtung der Bundesrepublik abgewartet werden, ehe sich die Wiedergutmachung auf diese Geschädigten erstrecken konnte. An sich wäre die deutsche Initiative auf keinem Gebiet so aussichtsreich gewesen wie auf diesem, und bei keinem Gebiet hätten die Alliierten es so verstanden, wenn die Initiative von uns ausgegangen wäre. Man muß sagen, daß die Länder, nachdem die Sache begonnen hatte, doch zum Teil vorbildliche und wegweisende Arbeit in der damaligen Zeit geleistet haben. Das gilt auch für den süddeutschen Länderrat. Nach der Errich4414
Dr. Böhm ({5})
tung der Bundesrepublik ist in den ersten Jahren der Bundesrat der Hauptträger auch der gesetzgeberischen Vorarbeiten jener Zeit gewesen.
Der entscheidende Durchbruch der deutschen Initiative erfolgte aber - man kann es auf den Tag genau angeben - am 27. September 1951. Damals hat Bundeskanzler Dr. Adenauer im Namen der Bundesregierung vor dem Bundestag eine Erklärung abgegeben, die so bedeutsam ist, daß ich -zumal das Bewußtsein von der ursprünglichen Konzeption zuweilen in der öffentlichen Diskussion verlorenzugehen droht - einige der wichtigsten und entscheidensten Sätze mit Genehmigung des Herrn Präsidenten im Wortlaut verlesen möchte. In der Erklärung bekundete die Bundesregierung ihre Bereitschaft,
gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose ... Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern. Sie ist tief davon durchdrungen, daß der Geist wahrer Menschlichkeit wieder lebendig und fruchtbar werden muß. Diesem Geist mit aller Kraft zu dienen, betrachtet die Bundesregierung als die vornehmste Pflicht des deutschen Volkes.
Ferner wird gesagt:
Die Bundesregierung und mit ihr die große Mehrheit des deutschen Volkes sind sich des unermeßlichen Leides bewußt, das in der Zeit des Nationalsozialismus über die Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten gebracht wurde. Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt. Es hat in der Zeit des Nationalsozialismus im deutschen Volke viele gegeben, die mit eigener Gefährdung aus religiösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham über die Schändung des deutschen Namens ihren jüdischen Mitbürgern Hilfsbereitschaft gezeigt haben. Im Namen des deutschen Volkes
- das ist ein entscheidender Satz sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, ...
Dieses Wort von der moralischen und materiellen Wiedergutmachung will nicht besagen, daß die Bundesregierung die" Pflicht zur Wiedergutmachung nur für eine moralische Pflicht gehalten hätte. Vielmehr ist der Ausdruck „moralische Wiedergutmachung" dem Ausdruck „materielle Wiedergutmachung" entgegengestellt, und man verstand unter der moralischen Wiedergutmachung die Herstellung der Ehre und die Wiedergutmachung der Entwürdigung geschändeter Menschen, insbesondere auch mit den Mitteln der Erziehung, des Geschichtsunterrichts. Dagegen war sich die Regierung von vornherein darüber im klaren, daß die Wiedergutmachung im
Grunde eine Rechtspflicht war, die zwar aus verschiedenen Gründen formell durch Gesetze noch besonders übernommen werden mußte, aber nicht erst durch diese Gesetze geschaffen worden ist, vor allen Dingen nicht erst durch die Verträge. Nicht durch die Verträge mit der Claims Conference und durch die Verträge mit den Alliierten ist die Wiedergutmachungspflicht des Bundes völkerrechtlich-vertraglich statuiert worden. In diesen Verträgen ist vielmehr lediglich der Mindestinhalt der von der Bundesregierung vorzulegenden Gesetze zum Gegenstand einer Verpflichtung gemacht, aber nicht die Wiedergutmachungspflicht als solche geschaffen worden.
Es hat zuweilen den Anschein, daß neuerdings eine Tendenz besteht, unsere Wiedergutmachungspflicht aus diesen Verträgen abzuleiten, um dann mit besonderem Nachdruck hervorzuheben, daß wir ja über den Mindestinhalt dieser Verträge hinausgegangen sind. Das gibt doch eine etwas falsche Darstellung der historischen und politischen Bedeutung der Wiedergutmachung.
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Nun haben sich an diese entscheidende Erklärung der Bundesregierung damals sofort Schlag auf Schlag wichtige Akte angeschlossen. Da waren zunächst die Kontakte mit dem Staat Israel und mit der Claims Conference. Es hat Anfang Dezember 1947 ein Treffen zwischen Bundeskanzler Adenauer und Dr. Nahum Goldmann in London stattgefunden. Bei diesen Gesprächen erbot sich Dr. Nahum Goldmann auch, bei der israelischen Regierung zu sondieren sowie eine Konferenz der großen Weltverbände vorzubereiten. Die Verhandlungen mit Israel ebenso wie mit der Claims Conference haben dann im März 1952 angefangen; die Verhandlungen mit den westlichen Besatzungsmächten über den Deutschlandvertrag hatten schon etwas früher begonnen. Die Verhandlungen haben dann in Verträgen einen Abschluß im Jahre 1952 gefunden.
Im Sommer 1953 hat die Bundesregierung das Bundesergänzungsgesetz im Bundestag eingebracht. Die Bundesregierung hat sich darin ziemlich streng an den in dem Vertrag mit der Claims Conference und in dem Überleitungsvertrag festgelegten Mindestinhalt gehalten und ist kaum darüber hinaus gegangen. Der Deutsche Bundestag war damals - es war in den letzten Monaten oder Wochen der Wahlperiode des 1. Deutschen Bundestages - unglücklich darüber, daß er keine Gelegenheit mehr hatte, Kritik an diesem nach seiner Meinung viel zu bescheidenen Gesetz zu üben, wollte aber die Legislaturperiode nicht vorübergehen lassen, ohne ein Gesetz anzunehmen. So ist ohne wesentliche Aussprache das Bundesergänzungsgesetz von 1953 angenommen worden.
Das bitte ich jetzt auch zu berücksichtigen: die Sprecher aller Fraktionen dieses Hauses - und es waren damals noch mehr Fraktionen da - haben ohne Ausnahme das Bundesergänzungsgesetz von 1953 als unzureichend bezeichnet und haben bemängelt, daß sich die Bundesregierung so eng an die
Dr. Böhm ({7})
Mindesterfordernisse in den beiden Verträgen gehalten hat.
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Der 2. Bundestag, der dann zusammentrat, hat alsbald die Initiative ergriffen. Er hat sogar in Betracht gezogen, ein Bundesentschädigungsgesetz in eigener Regie, also durch sämtliche damaligen Fraktionen, einzubringen. Aber Herr Bundesfinanzminister Schäffer hat die Einrichtung einer gemischten Kommission zur Anfertigung einer die bloße technische Novelle weit überschreitenden neuen Novelle zu diesem Gesetz angeboten. Damit ist zum erstenmal und ich glaube, auch zum einzigen Male in diesem Hause eine Regierungsvorlage von einer Kommission bearbeitet worden, der Abgeordnete aller Fraktionen des Bundestages, die Ressorts der Bundesregierung und außerdem fünf Länder einschließlich Berlins angehört haben.
Diese Kommission hat 9 Monate getagt und die ganze Zeit nichts anderes getrieben, als dieses ganze Gesetz zu novellieren. Dieser Entwurf ist dann von der Bundesregierung im Bundestag eingebracht worden, der am Tage der Einbringung dieses Gesetzentwurfs einen eigenen Ausschuß, den Wiedergutmachungsausschuß, eingesetzt hat.
Die Novelle selbst ist dann am 20. Juni 1956 mit sehr starken Erweiterungen verabschiedet worden. Nunmehr war klar, daß Bundesregierung und Bundestag eindeutig die Initiative für die Wiedergutmachung als eine deutsche Frage in ihre Hand genommen hatten und sich von der Anlehnung an alliierte Vorschläge und von der Bindung an alliierte Aktivität vollständig emanzipiert hatten. Die Annahme der Novelle vom Jahre 1956 war ein wiedergutmachungsgeschichtlich und nicht nur wiedergutmachungsgeschichtlich bedeutsames Ereignis; es war ein bedeutendes Ereignis in unserer Geschichte.
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An diesem Geist muß festgehalten werden - das war von vornherein die Idee -, und er muß zu einer festen, nicht mehr zu verlassenden Tradition unserer Politik werden.
Wichtig war nach der Auffassung, die sich damals in der Kommission, die den Gesetzentwurf erstellen sollte, im Wiedergutmachungsausschuß und in diesem Hohen Hause bei der Konzeption unseres Bundesentschädigungsgesetzes durchgesetzt hat, die Vorstellung, daß die Rechtsgrundlage der Wiedergutmachungspflicht die Vorschriften der §§ 823 ff. unseres Bürgerlichen Gesetzbuches waren, die vorsehen, daß sich an die Verübung von Unrechtshandlungen eine zivilrechtliche Schadensersatzpflicht, und zwar eine Verpflichtung auf Ersetzung des vollen Schadens, anknüpft, und es war die Rechtsauffassung von uns allen, daß jeder, der im Dritten Reich verfolgt worden ist, am Tage, an dem ihm das Unrecht zugefügt worden ist, einen zivilrechtlichen Anspruch gegen die Hitlerregierung und gegen das Hitlerreich auf Grund des damals ohne Einschränkung gültigen Bürgerlichen Gesetzbuches erworben hatte, einen Anspruch, der allerdings nicht geltend gemacht werden konnte, da sich kein Gericht gefunden hätte, das ihn angenommen hätte. Aber dieser Anspruch war auf damaliges Recht gegründet, und es handelte sich nun darum, diese Schuld eines dahingegangenen Reiches zu übernehmen, und zwar dadurch, daß die- Haftung für die Bewirkung dieser Schuld übernommen wurde. Gleichzeitig ist die Schuld selber aus einer privatrechtlichen Schuld in eine öffentliche-rechtliche Entschädigungsverpflichtung verwandelt worden.
Diese Verwandlung in eine öffentlich-rechtliche Entschädigungsverpflichtung hat zwei bedeutsame Wirkungen gehabt; die eine hat sich hauptsächlich zugunsten der Verfolgten, die andere zuungunsten - aber mit Absicht zuungunsten - der Verfolgten ausgewirkt. Zugunsten der Verfolgten hat sich ausgewirkt, daß dadurch, daß die Entschädigungspflicht zu einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung gemacht worden ist, der Schuldner, also der Bund und die Länder, oder die Haftenden, die Zahlungsverpflichteten ihrerseits den Verfolgten, ihren Gläubigern eine Verwaltungsapparatur zur Verfügung gestellt haben, die den Verfolgten die in vielen Fällen äußerst schwierige Beschaffung der Beweise ex officio erleichtern sollte. Ganz zweifellos wäre, wenn wir die Sache im bürgerlichen Recht gelassen hätten, der überwältigende Teil der Ansprüche ganz einfach an der Beweisfrage gescheitert. Die Beweisregelung und das Beweisverfahren bei unseren Entschädigungsämtern hat dies weitgehend beseitigt. Es ist auch eine sehr merkwürdige Konstruktion, daß der Schuldner, der daran interessiert ist, wenig oder nichts zu zahlen, seinem Gläubiger dabei helfen soll, diese Schuld zu beweisen, und unsere Rechnungshöfe haben Mühe gehabt, diese Quadratur des Zirkels zu begreifen. Es handelte sich also um eine Anerkennung der Haftung für diese Schuldverpflichtungen des Dritten Reichs.
Zum Nachteil des Verfolgten hat sich ausgewirkt, daß sich die Bundeserpublik vorbehalten hat und vorbehalten mußte, wie schon in der Regierungserklärung stand, den Umfang ihrer Entschädigungsverpflichtung aus dem Gesichtspunkt der Begrenzung der Leistungsfähigkeit zu limitieren. Das bedeutet aber, daß alles Unrecht, das durch die Verfolgung begangen worden ist, wieder gutgemacht werden muß, bis die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht wird, daß auch eine sorgfältige Abstimmung der Wiedergutmachungsverpflichtungen mit den anderen Verpflichtungen und lebendigen Aufgaben unseres Staates vorgenommen wird.
Der Herr Bundesfinanzminister hat schon mit Recht darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik die einzige politische Gewalt auf dem Gebiete des ehemaligen großdeutschen Reichs Adolf Hitlers ist, die diese Übernahme der Haftung vollzogen hat. Die Sowjetzone gewährt zwar ihren in ihrem Gebiet sitzenden Verfolgten eine gewisse Entschädigung, aber, wie gesagt, nur an Einwohner und nicht als Schadensersatz, sondern als eine Art von öffentlicher Verfolgtenzulage, eine Art von politischer Auszeichnung, einen Zuschlag zu einer prinzipiell ganz anderen Einkommensverteilung, als wir bei uns haben. Keinen Pfennig leistet die Sowjetzone an
Dr. Böhm ({10})
auswärts lebende Verfolgte, auch nicht an solche im Ausland lebende Verfolgte, die auf ihrem Gebiet geschädigt worden sind, keinen Pfennig an Staatenlose, Flüchtlinge und DPs. Die Entschädigung für das an den Juden verübte Unrecht hat fast ausschließlich die Bundesrepublik auf ihre Schultern genommen. Die Sowjetzone lehnt jede Verantwortlichkeit für irgend etwas ab, was sich vor ihrer glorreichen Urzeugung in der Geschichte zugetragen hat. Sie benimmt sich wie eine geschichtslose Gralstaube, vollkommen neugeboren im Geiste Lenins, gereinigt vom Erdenrest, heißt Hase und weiß von nichts, besonders nichts von den Schulden vorheriger Regierungen.
Der Staat Österreich hat sich als ein selbst verfolgter Staat etabliert, mit dem Verfolgerstaat weder verwandt noch verschwägert, auf dem Gebiet der Wiedergutmachung allenfalls Gläubiger, nicht Schuldner, leistet eine gewisse Wiedergutmachung an im Lande lebende österreichische Juden, nicht aber an die österreichischen Juden, die heute in Israel oder sonst in anderen Ländern leben. An der innerösterreichischen Wiedergutmachung beteiligt sich auch die Bundesrepublik. Die in Israel und im sonstigen Ausland lebenden österreichischen Juden und Verfolgungsopfer aber stehen vor der Situation: entweder gar nichts oder Entschädigung von der Bundesrepublik, die dann in diesem Fall ihre einzige Hoffnung ist.
Die Welt hat sich überhaupt so sehr an die bewußt übernommene Verantwortung der Bundesrepublik gewöhnt - das hat der Bundesfinanzminister schon mit Recht erwähnt -, daß sich der Tadel wegen Unvollkommenheiten und Mißständen der Wiedergutmachung nur an die Bundesrepublik richtet, nicht an diejenigen politischen Erben hitlerischer Aktiven, die keine Wiedergutmachung leisten, von denen man vielmehr weiß, daß es ganz zwecklos ist, sie überhaupt auf Wiedergutmachung anzusprechen. Ja, die Sowjetzone und Sowjetrußland haben sogar versucht, uns - der Bundesrepublik - aus der Bereitschaft zur Wiedergutmachung politisch und moralisch einen Strick zu drehen. Sie haben behauptet, darin liege eine Identifikation mit dem Hitlerstaat; deshalb bewirkten wir die Zahlung von Hitlerschulden. Als ob jemals in der Weltgeschichte ein Verbrecherregime seine Opfer entschädigt hätte! Die Schulden von Unrechtsregimen werden immer nur von Regimen des Rechts bezahlt.
({11})
An nichts anderem kann man einen Rechtsstaat in solchen Fällen wirklich erkennen
({12}) als daran, daß er das tut.
({13})
Das ist ein glaubwürdiger Test; 40 Milliarden DM zahlt kein Volk aus der Westentasche. Wenn die Bundesrepublik ihren Anspruch, Gesamtdeutschland zu vertreten und zu repräsentieren, erhebt, dann ist das keine leere Behauptung, hinter der keine Taten
stünden. Hinter diesem Anspruch steht die Wiedergutmachung.
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Der Herr Bundesfinanzminister hat uns schon Auskunft gegeben über den Grund der Änderungsbedürftigkeit des Bundesentschädigungsgesetzes und des Bundesrückerstattungsgesetzes; ich brauche nicht mehr viel auf die Details einzugehen. Die Hauptpunkte sind, daß sich nach 1953 noch ganz unerwartete Wanderbewegungen von Juden in Rumänien, in Ungarn, in Bulgarien vollzogen haben, die nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager erst nach 1953 aus ihrer alten Heimat, in die sie zurückgekehrt waren, entweder nach Israel oder sonstwohin in die Welt ausgewandert sind, - aus keinem anderen Grund als dem, daß sie vorher von den kommunistischen Regierungen nicht herausgelassen worden sind.
Es war ganz unerwartet, daß Rumänien plötzlich die Genehmigung für die Auswanderung - vorübergehend - gegeben hat. Und es war ganz unerwartet, daß in Ungarn die Revolution ausbrach und für ein paar Tage die Grenze geöffnet war. Durch diese Lücke sind sehr erhebliche Mengen von ehemaligen Hitlerverfolgten teils nach Israel, teils nach Amerika, teils in andere Staaten ausgewandert. Sie können nach unserem Gesetz keine Entschädigung bekommen, weil unser Gesetz verlangt, daß sie schon im Jahre 1953 Staatenlose oder Flüchtlinge gewesen sind.
So treffen sich also heute in israelischen Dörfern Verfolgte, die schon zusammen das gleiche Schicksal in einem Konzentrationslager erlebt haben. Der eine von ihnen war zufällig am 1. Januar 1947 in einem deutschen DP-Lager - der wird am besten entschädigt -, der andere war vor 1953 Staatenloser oder Flüchtling geworden; der wird am zweitbesten und, wenn er in Israel sitzt, am drittbesten entschädigt. Dann kommen diejenigen, die erst nach 1953 die Möglichkeit hatten auszuwandern, diese bekommen überhaupt nichts.
Früher, auch zur Zeit der Verfolgung, hieß es: Ein Reich, ein Volk, ein Führer, eine Verfolgung. Heute ist der Wiedergutmachungsanspruch vielfach von Zufälligkeiten des positiven Rechts, an die wir auch nicht gedacht haben, abhängig, so daß neue Ungerechtigkeiten entstanden sind. Für die große Gruppe der hiervon betroffenen Menschen sieht der Regierungsentwurf einen Härtefonds in Höhe von 600 Millionen DM vor. Härtefonds bringen große Schwierigkeiten für die Verwaltung, die Verteilung und die praktische Handhabung mit sich. Sie haben aber den sehr großen Vorteil für den Wiedergutmachungsschuldner, daß sie eine fest begrenzte Summe darstellen, mit der der Bundesfinanzminister, mit der der Haushalt rechnen kann und von der man weiß, daß sie nicht überschritten wird. Wenn wir demgegenüber lediglich den Gesetzestext ändern, kann die Gesamtbelastung nicht zuverlässig geschätzt werden, weil wir nicht wissen, wie viele Verfolgte dieser Kategorien es gibt, wie viele von ihnen den Antrag stellen und wie viele die Beweise erbringen können. oder nicht.
Dr. Böhm ({15})
Unserer Fraktion leuchtet die Lösung, wie sie hier vorgesehen ist, ein. Unsere Fraktion begrüßt auch die sonstigen Verbesserungen. Es sind zum Teil entscheidende Verbesserungen und Erweiterungen, die der Regierungsentwurf vorsieht. Sie begrüßt auch - das möchte ich besonders hervorheben - die Tendenz, die Grenzen der Leistungsfähigkeit mit Ernst und Gewissenhaftigkeit zu beobachten, nicht nur bei der Wiedergutmachung, sondern schlechterdings bei allen mit Haushaltsbelastungen verbundenen Gesetzen. Diese Tendenz, die insbesondere in der Regierungserklärung zum Ausdruck kommt, wird von unserer Fraktion mit einhelliger Zustimmung aufgenommen.
Schon in der 1951 von Dr. Adenauer verlesenen Erklärung wurde der Vorbehalt der Leistungsfähigkeit gemacht. Es wurde von Belastungen der Leistungsfähigkeit durch andere Verpflichtungen gesprochen. Unter diesen anderen Verpflichtungen sind schon damals zwei ausdrücklich erwähnt worden, nämlich die Leistungen der Kriegsopferversorgung und an die Flüchtlinge.
Bei beiden Schlußgesetzen wird diese Frage mit der größten Akribie geprüft werden müssen, mit größerer Akribie als zuvor, auch in einer engeren Kooperation mit dem Haushaltsausschuß, als es früher geschehen ist.
Wir haben nämlich, wie der Herr Bundesfinanzminister ebenfalls ausgeführt hat, inzwischen die Grenze erreicht, wo eine empfindliche Vermehrung der Haushaltsbelastung durch eine, wie die Erfahrung lehrt, leider sehr verführerische, aber schlechterdings nicht zu verantwortende Vernachlässigung der Geldwertstabilität erkauft werden müßte. Wir würden dann statt echter Leistungen Schwundleistungen darbieten, was auch keine redliche Wiedergutmachungspolitik sein würde.
In diesem Zusammenhang wird auch immer darauf aufmerksam gemacht, wie stark wir im Jahre 1956 die Belastung durch die damalige Novelle unterschätzt haben. Aber ganz abgesehen davon, daß uns die gleiche Unterschätzung auch beim Lastenausgleichsgesetz und bei anderen Gesetzen unterlaufen ist, ist das bei der Wiedergutmachung besonders zu erklären. Das plötzliche Anschwellen der Anträge war eine Folge der Seriosität unseres Wiedergutmachungswillens in jenen Jahren. Vorher hieß es im Ausland vielfach, hinter der Wiedergutmachung stünden nur die Alliierten, und wenn die Alliierten abrückten, werde keine Wiedergutmachung mehr geleistet. Die eindrucksvolle Ausweitung unseres Entschädigungsgesetzes im Jahre 1956 hat schlagartig das Vertrauen in die wiedergutmachungsrechtliche Seriosität der Bundesrepublik in der ganzen Welt erhöht. Die Wirkung war, daß viele Personen, die vorher, um nicht Enttäuschungen zu erleben, keine Anträge geschickt hatten, ihre Anträge einreichten. Heute sind wir in einer besseren Lage. Heute haben wir ein viel übersehbareres Feld, wir haben mehr Anhaltspunkte für den Umfang der einzelnen Kategorien und für die Beurteilung der finanziellen Auswirkungen einzelner Bestimmungen.
Der Abstrich aus dem Gesichtspunkt der begrenzten Leistungsfähigkeit darf aber nur innerhalb dieser Grenze ernsthaft geprüft werden. Das gleiche gilt für die Frage, wo, bei welchen Vorhaben Abstriche im Hinblick auf die Dringlichkeit vorgenommen werden sollen. Im übrigen muß es dabei bleiben: es darf nicht so sein, daß unsere Wiedergutmachungspflicht nur so weit reicht, wie unser Gesetz reicht, auch wenn neue Tatbestände oder neue Gruppen auftauchen, sondern unsere Wiedergutmachungspflicht reicht so weit, wie sie von uns nicht ausdrücklich, und zwar nur mit dem Hinweis auf die begrenzte Leistungsfähigkeit, eingeschränkt ist. Beim Auftauchen neuer Tatbestände muß also immer geprüft werden: Wie groß ist der Personenkreis, welchen Umfang haben die noch nicht entschädigten Schadenstatbestände, in welcher Höhe würde das insgesamt den Haushalt belasten, und überschreitet diese Belastung zusammen mit den anderen Belastungen die Leistungsfähigkeit des Bundes? Wir werden diese Sorgfalt, da ja die Frage noch offen ist, wie im einzelnen die Verbesserungen dosiert werden müssen, in den Ausschüssen anwenden müssen. Bevor das geschehen ist, läßt sich hier noch kein deutliches Bild gewinnen.
Ich habe mich hier nur bemüht, die Prinzipien aufzuzeigen, nach denen wir verfahren müssen. Wir dürfen in unserer Wiedergutmachungsseriosität nicht erlahmen. Es darf nicht eine Stimmung aufkommen, als gelte es, jetzt noch ein lästiges Pensum zu absolvieren, sondern es muß bis zur letzten Entscheidung mit größtem Ernst verfahren werden. Es darf auch keine allgemeine Stimmung aufkommen, die etwa auf Wiedergutmachungsbehörden, auf Rechnungshöfe oder auf Wiedergutmachungsgerichte lähmend einwirken könnte. Die Wiedergutmachung ist nichts, was von selbst zustande kommt; ,die Wiedergutmachung stellt hohe sittliche Ansprüche an ein Volk, das es mit der Umkehr, mit der Rückkehr und mit der Aufpflanzung des Rechtsgedankens ernst meint. Man muß sich dieser Pflicht bis zum letzten Tage mit voller Hingabe und mit vollem Ernst widmen. Tun wir das nicht, so bringen wir Leistungen, die wir schwer genug aufgebracht haben, nachträglich um einen Teil ihres Segens. Nicht etwa, weil heute das Gesetz nicht zur vollen Befriedigung ausfällt - es kann nicht zur vollen Befriedigung ausfallen -, sondern weil ein unguter Eindruck über zunehmende, wollen wir einmal sagen, Wiedergutmachungsverdrossenheit entsteht.
({16})
Das darf nicht erfolgen. Wir würden eine der wichtigsten Entscheidungen, die wir getroffen haben, seitdem es eine Bundesrepublik Deutschland gibt, wir würden eine wichtige Weichenstellung ohne jede Not und leichtfertig ändern, wenn wir uns nicht von diesen Prinzipien leiten ließen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man soll sich in der Politik keine Illusionen machen. Ich habe gewußt, welche Mißverständnisse und Irrtümer in der deutschen Bevölkerung über das bestehen, was wir Wiedergutmachung nennen. Ich habe gewußt, daß man glaubt, nur Juden bekämen Wiedergutmachungsleistungen. Ich habe gewußt, daß man glaubt, das sei mehr oder weniger freiwillig an die Juden hinausgeworfenes Geld; und ich habe gewußt, daß das keine sehr populäre Sache ist. Aber ich bin in der Meinung hierher gekommen, daß der federführende Minister für Wiedergutmachung, nämlich der Herr Bundesfinanzminister, wenigstens über die Rechtsgrundlagen der Wiedergutmachung Bescheid wüßte und über Idas, worum es dabei geht und welche Verpflichtungen wir als Deutsche haben. Herr Minister, meine persönliche Wertschätzung für Sie läßt mich annehmen, daß Sie falsch unterrichtet sind. - Herr Professor Böhm hat Ihnen in der ihm eigenen, sehr ruhigen Art einiges gesagt. Ich muß im Gegensatz zu meiner Absicht das noch etwas unterstreichen, was er gesagt hait.
({0})
Herr Minister, Sie gehen davon aus, wir Deutsche, die Bundesrepublik Deutschland, hätten keine Verpflichitung gegenüber den Naziopfern. Dabei vergessen Sie zunächst einmal ganz offensichtlich, weil Sie bei dieser Ihrer Auffassung auf die Auswirkung der Verträge mit der Claims Conference und mit Israel abstellen, 'daß es in Deutschland nicht nur jüdische Verfolgte gegeben hat. Herr Minister, in Deutschland sind nicht nur Juden verfolgt worden, sondern Geistliche aller Konfessionen, Zentrumsleute, Leute von der Bayerischen Volkspartei, Sozialdemokraten, Kommunisten, Leute der konservativen Richtung - Graf Stauffenberg und andere!
({1})
Nicht nur Herr Dr. Hundhammer und Herr Breitscheid, sondern auch Herr Dr. Adenauer und Graf Stauffenberg und Herr Ulrich von Hassel und nicht zuletzt Dr. Kurt Schumacher. In Deutschland sind durch die Nazis verfolgt worden der Präsident dieses Hauses und einige der Vizepräsidenten dieses Hauses und sehr viele Mitglieder dieses Hauses, auf die wir stolz sind.
({2})
Man kann unmöglich damit argumentieren, daß diese Gruppe der deutschen Verfolgten, die praktisch für uns das Kapital 'dargestellt haben, mit dem wir nach 1945 personell wieder halben aufbauen können,
({3})
irgendwelche Verzichterklärungen über die Claims Conference abgegeben hätten.
In unserer Öffentlichkeit denkt man immer „Milliarden für die Juden" und vergißt dabei, daß ein Viertel der Wiedergutmachungsanträge von deutschen Verfolgten stammt und daß ein Viertel der Geldleistungen nicht an Juden geht, sondern an deutsche Verfolgte. Man sollte meinen, gerade wir in diesem Hause sollten stolz darauf sein, daß es so ist, daß es Leute im Dritten Reich gegeben hat, die dem Teufel widerstanden haben.
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Ein anderes, Herr Minister! Sie haben sehr eingehend ausgeführt - Herr Professor Böhm hat Ihnen schon widersprochen, und er muß es weiß Gott wissen, denn er war dabei -: Die Verhandlungen mit Israel und mit der Claims Conference haben zu einem Programm geführt - so heißt es wörtlich im englischen und deutschen Text -, nachdem die Bundesrepublik gesagt hat, daß sie Wiedergutmachungsgesetze machen würde. Daß das ein Mindestprogramm war, hat Herr Professor Böhm schon gesagt. Es konnte nur ein Mindestprogramm sein. Ich wundere mich. Herr Professor Böhm hat nämlich schon im Jahre 1956 in seiner Rede zu dem damaligen BEG sehr eindeutig dem Finanzministerium erklärt, warum man nicht irgendwelche Dinge hinsichtlich einer Begrenzung der Wiedergutmachungsleistung mit dem Israel-Vertrag und mit dem Vertrag mit der Claims Conference begründe könne. Das war 1956, Herr Finanzminister. Inzwischen sind sieben Jahre vergangen, und gerade in diesen sieben Jahren hat es sich leider herausgestellt - ich darf nur den Eichmann-Prozeß erwähnen -, daß der Umfang der Verbrechen in den Jahren zwischen 1933 und 1945 sehr, sehr viel größer gewesen ist, als das der schlimmste Pessimist hätte annehmen können.
({5})
Hätten wir das nämlich damals 1945 gewußt, Herr Minister, wäre es schlimm um uns bestellt gewesen. Ein Trost oder eine Entschuldigung für uns Deutsche konnte immer nur sein, daß die meisten oder viele von uns nicht gewußt haben, was geschehen ist.
Nun meinen Sie außerdem, abgesehen von Ihrer Argumentation aus den Verträgen: Wo sei überhaupt ein Rechtsgrund für die Leistungen? Das Deutsche Reich sei untergegangen und habe Bankrott gemacht, und die Bundesrepublik habe lediglich eine moralische Pflicht, etwas zu geben. Es mag sein, das Deutsche Reich hat Bankrott gemacht. Aber wer Konkurs macht, muß seine Verpflichtungen immerhin im Rahmen der Konkursordnung, im Rahmen einer Konkursquote erledigen. Die Bundesrepublik ist im Begriffe, das zu tun. Sie kann selbstverständlich nicht für all das bezahlen, was Hitler uns an Schuld hinterlassen hat, sie kann nicht bezahlen, was er uns durch vorsätzliche Verbrechen hinterlassen hat, und sie kann auch nicht bezahlen, was er fahrlässig verschuldet hat an den Kriegsopfern, Heimatvertriebenen und all den anderen. Aber die Bundesrepublik muß sich überlegen, was ihre Verpflichtungen sind. Sie muß sich überlegen, welche Verpflichtungen vorrangig sind. Sie ist als ehrlicher Schuldner, der Konkurs gemacht hat, verpflichtet, so ehrlich wie nur möglich in dem größtmöglichen Umfang diese Verpflichtungen zu erfüllen.
({6})
Ich würde mich nicht wohlfühlen in einem Staate, der versuchen würde, wie ein „krummer" Konkursschuldner, wie ein schlechter Konkursschuldner mit Tricks seinen Verpflichtungen zu entgehen. Meine Damen und Herren, wenn eine Aktiengesellschaft Pleite gemacht hat, dann muß sie erst ihre Schulden bezahlen, bevor sie an ihre Aktionäre etwas zahlen kann.
({7})
- Das mag überspitzt klingen, aber im Kern ist es richtig, Herr Kollege. Wenn es ein göttliches oder menschliches Recht auf dieser Erde gibt, meine Damen und Herren, dann ist jemand, ob eine Person oder ein Staat, der vorsätzlich gemordet hat, der gestohlen hat, der geraubt hat, der geschändet hat, der die Menschenwürde mit Füßen getreten hat, verpflichtet, mindestens den daraus entstandenen materiellen Schaden wieder gutzumachen. Das ist eine Verpflichtung, die es in jedem Recht dieser Welt gibt. Bei primitivsten Negervölkern gibt es diese Verpflichtung, und selbstverständlich gibt es diese Verpflichtung auch für uns.
Hätte es nicht diesen Staatskonkurs gegeben, so hätte das Deutsche Reich und hätte die Bundesrepublik diese Verpflichtung aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung - §§ 823 ff., 839 in Verbindung mit der Weimarer Verfassung und dem Bonner Grundgesetz - im Rahmen des echten Schadensersatzes bezahlen müssen.
({8})
Es ist gut und richtig, Herr Professor Böhm, daß Sie herausgestellt haben, daß die Entschädigungsgesetze, ob Bundesentschädigungsgesetz oder Bundesrückerstattungsgesetz, den Verfolgten nicht etwas gegeben haben, sondern daß sie genau genommen in Erschöpfung der Möglichkeiten des Art. 135 a des Bonner Grundgesetzes eingeschränkt hat, was die Betroffenen sonst hätten beanspruchen können.
({9})
Ein Drittes, Herr Minister. Sie sind davon ausgegangen - zwar nicht direkt, aber indirekt -, die Wiedergutmachung an den Nazi-Opfern sei auch so etwas wie eine Erledigung der Kriegsfolgen. Sie haben es sogar für richtig gehalten, zu sagen - ich glaube, das war ein falscher Zungenschlag, ich möchte es hoffen! -, man dürfe doch bei diesen Forderungen, auch bei den Wiedergutmachungsgesetzen nicht vergessen, daß Hitler gelebt habe.
({10})
Nun, Herr Seuffert hat das in einem ganz anderen Zusammenhang gesagt, nämlich als er darüber sprach, daß die Gruppen, die zum Teil wie das ganze deutsche Volk in einem Boot mit Hitler und den Führern gesessen haben - sie waren das Volk, und der Führer hat sie geführt -, nicht vergessen sollten, daß es Hitler gegeben habe. Aber man kann wirklich nicht gut, wenn man nicht sehr taktlos werden will, ausgerechnet den Nazi-Opfern sagen: Vergeßt nicht, daß Hitler gelebt hat!
({11})
Ihnen nun aber wirklich nicht!
({12})
Ein weiterer Irrtum bei Ihnen, Herr Minister! Ihre Referenten haben Sie nicht gut informiert. Sie haben immer nur davon gesprochen, in dem BEG und im Rückerstattungsgesetz gebe es Härten. Da gibt es sicherlich auch viele Härten. Aber es gibt noch viel Schlimmeres. Es gibt in unseren geltenden Gesetzen, insbesondere im Bundesentschädigungsgesetz, wirkliche Lücken und wirkliche Fehler. Herr Minister, was ist es anders als wirklich ein Fehler, was ich Ihnen an folgendem Beispiel vorführen möchte? Sie haben sich zwar gegen Beispiele gewehrt. Das ist aber kein Einzelbeispiel, sondern ein charakteristisches Beispiel für unser geltendes Gesetz. Halten Sie folgendes für eine Härte oder für einen Fehler: Zwei Brüder sind im Sudetenland verfolgt worden. Dem einen ist es gelungen, aus dem KZ zu fliehen; er lebte in England. Sein Bruder ist erst 1945, nachdem er fünf Jahre im KZ war, nach England gekommen. Beide leben sie in England. Halten Sie es für richtig, daß derjenige, der weniger erlebt hat, der nämlich hat fliehen können und schon 1938 nach England gekommen ist, höhere Ansprüche hat als sein Bruder, der die ganze Zeit in der CSR war? Unser Gesetz, für das Sie nicht verantwortlich sind, sagt nämlich, man muß, um Ansprüche nach § 150 wegen Berufsschadens zu haben, vor der allgemeinen Vertreibung ins Ausland gegangen sein. Derjenige, der im KZ war, weil er von Hitler gehindert wurde, ins Ausland zu gehen, erhält jetzt eine geringere Entschädigung als derjenige, dem es besser gegangen ist. Das ist keine Härte, sondern ein Fehler des Gesetzes.
({13})
- Eine echte Ungerechtigkeit! Solche Ungerechtigkeiten enthält aber unser geltendes Recht in großer Menge.
Das ist kein Vorwurf, insbesondere nicht gegen diejenigen, die im Jahre 1953 und 1956 die beiden Gesetze gemacht haben. Hier war eine völlig neue Aufgabe gestellt, für die es keinen Vorgang gab. Wenn wir heute ein neues Strafgesetzbuch machen, dann kann man die Erfahrungen aller Strafgesetzbücher der Welt nutzen und versuchen, ein gutes Strafgesetzbuch zu machen; das gleiche ist beim Bürgerlichen Gesetzbuch der Fall. Verbrechen dieser Art sind glücklicherweise in den mehr als tausend Jahren unserer Geschichte nicht passiert. Es hat kein Volk gegeben, das in der Neuzeit mit einer solchen Schuld behaftet war. Wenn nun das deutsche Volk versuchen wollte, diese Schuld materiell wiedergutzumachen, mußte es völlig neue Wege gehen. Keiner von uns, keiner von denen, die daran mitgearbeitet haben, konnte wissen, welcher Art die Verbrechen im einzelnen waren.. Keiner konnte wissen, welche Folgen sich daraus ergeben. Insbesondere konnte keiner übersehen, wie groß das Ausmaß des Schadens ist. Welche Fehler bei der Gesetzgebung passieren könnten und welche Lücken sich ergeben würden, das wußte keiner. Unsere Aufgabe ist es, endlich diese Lücken, soweit das menschenmöglich ist, zu schließen.
Ich könnte Ihnen, Herr Minister, Hunderte solcher krassen Fälle wie den der beiden Brüder vorführen.
Es würde zu weit führen, und ich möchte Sie nicht ermüden. Die Krux unseres geltenden Bundesentschädigungsgesetzes ist, um es ganz grob zu sagen, folgende: es gibt Gruppen, die genau genommen eigentlich zuviel bekommen, und andere Gruppen, die zu wenig bekommen. Und es gibt leider Gottes schwer verfolgte Menschen auf dieser Welt und in Deutschland, die überhaupt nichts bekommen. Das ist keine Härte mehr.
Hier hat ein Staat Menschen verfolgt und gequält, Eltern und Kinder ermordet. Er sagt nun denjenigen, die Ansprüche stellen: Du kannst nichts bekommen, weil du zu spät in den freien Westen gekommen bist. So ist das doch bei unserem geltenden Recht. Wer das Pech hatte, nach 1945 noch von den Sowjets zurückgehalten zu werden und erst nach 1953 in den freien Westen kam, dem sagt man bei uns: Es tut uns schrecklich leid, du hast den Stichtag versäumt, du bekommst nichts. - Wie soll das jemand, dem das passiert ist, verstehen? Bei diesen Leuten ist es so wie bei den beiden Brüdern: wer Schlimmeres erlebt hat, wird in unserem Recht benachteiligt. Das ist keine bloße Härte, sondern etwas, was man bereinigen muß. Es gibt viele solcher Beispiele. Ich bin bereit, Ihnen, Herr Minister - so wenig Zeit Sie haben, so wenig Zeit ich habe -, wenn Sie wollen, tagelang ununterbrochen solche Fälle vorzutragen. Ich bin überzeugt, Sie wären der letzte, der nicht einsehen würde, wie recht ich habe. Ich will Sie aber hier mit solchen Beispielen verschonen.
Einen ganz charakteristischen Fall, der uns alle interessieren sollte, möchte ich aber doch noch vortragen. Es ist nicht ein Einzelfall, sondern ein typischer Fall. Es gab im ersten Weltkrieg eine Schwedin: Elsa Brandström, der Engel von Sibirien. Den meisten wird der Name geläufig sein. Sie hat sich um die Betreuung der deutschen Kriegsgefangenen in Sibirien im ersten Weltkrieg verdient gemacht. Diese Frau hat später einen Deutschen geheiratet, der Jude und Sozialdemokrat war. Das war ja 1933 etwas happig! Er mußte daher sofort fliehen, sonst würde er wahrscheinlich gleich eingesperrt worden sein. Seine Frau mußte von Goebbels hören - die Dokumente liegen alle vor -: „Bleib du ruhig hier; du bist ja sehr verdient um das deutsche Volk. Laß dich scheiden von diesem Juden, laß dich scheiden von diesem Sozialdemokraten, dann wirst du hier sehr geehrt sein." Als anständige Frau hat sie sich geweigert, das zu tun. Sie mußte befürchten, deswegen zur Verantwortung gezogen zu werden, und ist bei Nacht und Nebel ins Ausland gegangen, nach Amerika zu ihrem Mann. Inzwischen ist sie gestorben. Ihre Erben haben Ansprüche auf das Hab und Gut geltend gemacht, das sie, in Leipzig, glaube ich, zurücklassen mußte. Ihre Ansprüche hat man abgelehnt, und zwar nach unserem geltenden Gesetz durchaus zu Recht - wenn man das wörtlich auffaßt -, mit der Begründung: „Du, Elsa Brand-ström, bist ja gar nicht verfolgt worden, und wenn du freiwillig deinem Mann nachgefolgt bist, so war das zwar sehr anständig, aber einen Verfolgungstatbestand stellt das nicht dar."
Meine Damen und Herren, mit Gerechtigkeit, wie ich sie verstehe, hat das aber nicht mehr das Allergeringste zu tun.
({14})
In einem Staat, der die Familie schützt, müßte es selbstverständlich sein, daß die mitverfolgte Frau genauso Entschädigung bekommt - soweit es überhaupt eine Entschädigung dieses Unrechts gibt - wie der Mann, wenn sie treu zu ihm gestanden hat.
Es gäbe, wie gesagt, der Fälle viele. Ich will Sie damit verschonen. Aber glauben Sie mir bitte: wie mir geht es allen Mitgliedern des Wiedergutmachungsausschusses. Wir stehen in diesen Dingen an der Front. Wir bekommen die Briefe aus der Bundesrepublik, aus allen Teilen dieser Welt, und wir müssen sie beantworten. Und wenn Sie, meine Damen und Herren, solche Briefe bekommen, dann schicken Sie sie meistens an uns und schreiben: „Lieber Kollege Soundso, ich verstehe das nicht; bitte kümmere dich darum! Das kann ja nicht richtig sein!" - So lese ich das und höre ich das immer wieder. Dann lesen wir diese Briefe und müssen feststellen - Querulanten gibt es überall -: erstaunlich viele dieser Briefe geben ein Schicksal wieder, geben einen traurigen Fall wieder, und man braucht kein Jurist zu sein, um sagen zu müssen: Diesem Menschen ist Böses geschehen, dieser Mensch verdient eine Entschädigung, aber er bekommt keine. Und nun antworten Sie einmal dem Betreffenden! Stellen Sie sich einmal vor: was schreiben Sie den Betreffenden in einer solchen Situation? Man versucht es. Man versucht zu 'schreiben: „Das ,deutsche Gesetz sieht es nicht vor." Man sagt: „Stichtag 1953." Man versucht zu erklären, warum die Bundesrepublik ein sehr ehrenwerter Staat ist und viel besser als die Ostzone. All das schreiben wir ununterbrochen. Aber dann kriegen wir normalerweise einen Brief zurück, in dem steht: „Das ist ja alles gut und schön; aber müssen Sie nicht zugeben, daß mir Unrecht geschehen ist, und müssen Sie nicht zugeben, daß ich dafür eine Entschädigung verdiene?" Und in dem zweiten Brief kann ich dann nur schreiben: „Ja!" Sie alle würden genauso schreiben, meine Damen und Herren.
Wenn dem aber so ist, müssen wir uns bemühen, ob es uns gefällt oder nicht, diese Dinge in Ordnung zu bringen. Ein Gesetz ist nämlich nicht gerecht, wenn es einigen etwas gibt und gleichzeitig anderen, die es genauso verdienen, das, was ihnen gebührt, vorenthält. Ich fühle mich nicht wohl, solange diese Dinge nicht einigermaßen, soweit es menschenmöglich ist, bereinigt sind.
({15})
Herr Minister, ich möchte wieder stolz sein, mich einen Deutschen nennen zu dürfen. Solange wir diese materielle Schuld haben und nicht bereit sind, so zu bezahlen, wie sich das gehört, kann ich nicht, so gern ich es möchte, stolz sein. Ich fühle mich wie ein Schuldner, der sich um die Verbindlichkeiten, die er zu bezahlen hat, drückt. Da helfen finanzielle Argumente allein nicht.
({16})
Finanzielle Argumente sind wichtig, und niemand verlangt von Ihnen, Herr Minister, daß Sie Ihren Haushalt überziehen, daß Sie die Währung gefährden. Sie werden uns immer an Ihrer Seite finden bei allen Bemühungen, die Währung zu sichern. Ganz sicher! Aber es geht um die Akzente, und es geht darum, daß man das tut, was man nur irgendwie kann.
Es hat mir daher wehgetan, daß Sie uns hier gesagt haben, Sie erklärten jetzt schon mit ausdrücklicher Ermächtigung der gesamten Bundesregierung, daß Sie jeder Erweiterung der von Ihnen vorgelegten Regierungsvorlage in aller Form widersprechen würden. Ich glaube, das ist nicht nur kein guter Stil, sondern entspricht nicht dem demokratischen Leben in unserer Bundesrepublik.
({17})
Der Bundestag ist nicht der Notar der Bundesregierung.
({18})
Sie können nicht heute schon sagen, daß Sie all das,
was wir im Wiedergutmachungsausschuß, im Haushaltsausschuß oder in diesem Parlament erarbeiten,
ablehnen, ohne überhaupt zu wissen, was herauskommt. Es könnte ja immerhin sein, Herr Minister
- und ich hoffe es -, daß einiges von dem, was bei
uns erarbeitet wird, auch Ihre Billigung findet. Man
sollte solche Grundsatzerklärungen nicht abgeben,
man sollte nicht von vornherein sagen: „Ich lehne
es ab", ohne zu wissen, was man überhaupt ablehnt.
({19})
Ein paar Worte zu den Gesetzen im einzelnen. Beide Novellen bringen Verbesserungen. Das sei dankbar anerkannt. Es ist besonders zu begrüßen, daß das Bundesrückerstattungsgesetz eine hundertprozentige Befriedigung aller Gläubiger bringt. Das war unumgänglich nach dem absoluten Mißerfolg mit dem „Fonds", den man nach dem alten BRüG mit der 1,5-Milliarden-Begrenzung geschaffen hatte. In dem Zusammenhang darf ich sagen: so gut gemeint Ihre Fondsideen - BRüG und BEG - vielleicht sein dürften, so sehr fürchte ich, daß sie genauso schiefgehen wie die Fondsidee mit den 1,5 Milliarden beim BRüG. Mit solchen Fonds haben wir alle schlechten Erfahrungen gemacht.
Sosehr ich begreife, daß Sie gewisse Forderungen begrenzen wollen, sosehr muß ich darauf hinweisen, daß der Grundsatzstichtag 1953, auf den Sie und Ihre Vorgänger sich immer berufen, längst kein Grundsatzstichtag mehr ist.
({20})
Er ist durch die 16. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz in voller Kenntnis der Konsequenzen zum Glück für die Sowjetzonenflüchtlinge gestrichen worden.
({21})
Herr Minister, was den Sowjetzonenflüchtlingen
recht ist, ist den politisch und rassisch Verfolgten
billig.
({22})
Es gibt kein Argument mehr gegen die Aufhebung
dieses unheilvollen Stichtages. Wenn er auf einem
Gebiet gefallen ist, müssen Sie ihn auf den anderen Gebieten ganz genauso fallenlassen. Ihr Haus hat das gewußt und hat trotzdem gegen die 16. Novelle keine Einwände erhoben, obgleich damals ausdrücklich auf die finanziellen Konsequenzen hingewiesen worden ist und obgleich Ihr Haus damals einen Katalog darüber ausgearbeitet hatte, wie sich die Aufhebung dieses einen Stichtages auf andere Gesetze auswirken würde.
Die Idee, die Schwierigkeiten beim BRüG mit dem Fonds zu meistern, bedarf also gründlicher Überlegung. Ich würde mich wohler fühlen, wenn man dieses Problem anders löste, zumal es ja - auch darauf darf ich hinweisen - noch verfassungsrechtliche Fragen gibt. Es liegt ein Gutachten des immerhin nicht ganz unbekannten Professors Zweigert aus Hamburg vor, der in einer für mich sehr überzeugenden Art und Weise zu dem Ergebnis kommt, daß die Frist eröffnet werden muß. Wir werden uns mit diesem Gutachten auseinanderzusetzen haben. Ich weiß noch nicht, welches Ergebnis dabei herauskommt. Aber wie gesagt: Bedenken gegen den Fonds habe ich grundsätzlich.
Im BRüG gibt es noch einige Kleinigkeiten, die anzuführen wären, auf die ich aber nicht eingehen möchte. Wir werden darüber im Ausschuß zu sprechen haben.
Die Skala der Fragen, die im Bundesentschädigungsgesetz zu regeln sind, ist natürlich viel umfangreicher. Es geht um zwei sehr wichtige Grundsatzfragen.
Einmal das Problem: Wie regelt man vernünftig die Gesundheitsschäden? Praktisch ist es dasselbe Problem, das sich auch bei den Kriegsopfern stellt. Es geht nämlich um die Frage, ob eine bestimmte Krankheit schicksals- oder anlagebedingt oder eine Folge der Verfolgung - bei den Kriegsopfern eine Folge des Krieges - ist. Meine Damen und Herren, ein Arzt, der das heute, im Jahre 1963, entscheiden soll, ist fürwahr überfordert.
({23})
- Wir wollen das dahingestellt sein lassen. Er ist überfordert. Trotzdem soll er ein Gutachten machen. Wiederum ist es für den Verfolgten Glückssache, wie das Gutachten ausgeht. Gerade ein sehr korrekter Arzt wird sich sagen: kann sein, kann auch nicht sein; 50 : 50. Er wird erklären: Ich kann nicht sagen, daß es wahrscheinlich ist, und damit ist der Verfolgte schon um seinen Anspruch gebracht. Ein unkorrekter, böswilliger Arzt - auch solche soll es gehen; nicht alle Ärzte sind unbedingt Freunde der Verfolgten - wird von vornherein sagen: nicht wahrscheinlich. In Wirklichkeit muß sich der Arzt bei einer Herzkrankheit oder einer Magenkrankheit eines 65jährigen Menschen schon einen Ruck geben, um zu bestätigen: Das liegt wahrscheinlich an der Verfolgung, zumal alle Brücken-Symptome und so etwas meistens fehlen.
Es ist gut, Herr Minister, daß Ihr Haus einen Vorschlag gemacht hat, der immerhin in die Richtung weist, wie man diese leidigen Dinge in der Praxis vereinfachen und zu einem vernünftigen Ergebnis führen kann. Ich meine den Vorschlag mit der Ver4422
mutung: ein Jahr KZ gleich 25%ige Gesundheitsschädigung. Das ist ein sehr positiver Gedanke. Ich habe nur Bedenken, daß sich Ihr Haus darauf versteift, daß das nur für KZ-Häftlinge eigentlicher Art gelten dürfe. Ich vermag nicht recht zu verstehen, warum ein Zuchthausaufenthalt aus politischen Gründen von gleicher Dauer, warum ein Arbeitslageraufenthalt von gleicher Dauer und warum ein illegales Leben unter menschenunwürdigen Bedingungen von gleicher Dauer den Menschen nicht genauso mitgenommen haben soll.
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Auch darüber werden wir uns noch unterhalten müssen.
Erfreulich ist, daß Sie endlich die Witwen der vor 1953 verstorbenen Verfolgten zu ihrem Recht kommen lassen. Auch das war nämlich ein typischer Fall dieser Ungerechtigkeiten unseres geltenden Rechts.
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Man hat den Witwen, deren Männer vor 1953 verstorbenen sind, keine Rente auf Grund des Berufsschadens ihres Mannes gegeben, wohl aber jenen Witwen, deren Männer nach 1953 verstorben sind. Wenn man ,es umgekehrt gemacht hätte, hätte das noch einen Grund haben können. Dann hätte man nämlich sagen können: Nun ja, nach 1953 hattest du dir wieder etwas erarbeitet und konntest für deine Witwe sorgen. Aber ausgerechnet der Witwe, deren Mann schon 1938 oder noch früher verstorben ist, nun zu sagen: Du bekommst keine Berufsschadenrente!, das war nicht nur eine Ungerechtigkeit, sondern ein Unsinn. Diesen Unsinn bereinigt der Entwurf, aber wiederum nur in dieser sehr zaghaften Art und Weise, daß Sie etwas geben und gleichzeitig etwas nehmen, nämlich in der Form, daß man den Witwen nicht ihr volles Recht gibt, sondern daß man es ihnen beschränkt gibt ab 1962 und sagt: dann wird die Kapitalentschädigung angerechnet. Bei den meisten Witwen führt das dazu, daß sie lange Jahre wiederum keinen Pfennig bekommen.
Wenn man das schon macht - und man muß es machen -, muß man es so machen, als wenn die Witwe von vornherein richtig behandelt worden wäre. Dann gehört einfach in das Gesetz hinein: Diese Witwe bekommt ihre Rente wie alle anderen Witwen der nach 1953 Gestorbenen.
Es gibt weitere Fragen, und es gibt eben - das haben Sie mit Recht gesagt - die ganz entscheidende Frage: post 53, also derjenigen, die erst nach 1953 in den Westen auswandern konnten. Daß diese Frage schwer zu lösen ist, daß sie ungeahnte finanzielle Probleme aufwirft, das weiß jeder Mensch, der sich mit den Dingen beschäftigt.
Ich habe schon von dem Stichtag gesprochen. Wenn er bei der 16. Novelle gefallen ist, wird es Ihnen schwerfallen, den Stichtag ausgerechnet gegenüber den Nazi-Opfern zu verteidigen. Ich weiß nicht, ob Sie das schaffen werden, in dem Fall auch gegenüber der Weltöffentlichkeit. Daß Sie Angst davor haben, daß aus dem Problem der Nachdreiundfünfziger eines Tages das Problem der Nachdreiundsechziger werden könnte, nachdem gerade Israel danach strebt, daß möglichst viele weiteren Leute aus den Ostblockländern nach Israel auswandern können, daß Sie diese Sorge haben, verstehe ich. Natürlich wollen Sie abgrenzen können. Natürlich ist es Ihnen lieber, wenn Sie sagen können: Na gut, in Gottes Namen gebe ich für den Zweck noch soundsoviele hundert Millionen, aber keinen Pfennig mehr. Aber ob Sie das können, ob das bei - sagen wir einmal ruhig - unjuristischer Auslegung des Gleichheitsgrundsatzes möglich ist, das wage ich zu bezweifeln.
Die Verbrechen sind nun einmal so ungeheuerlich und so umfangreich, daß wir das, was daraus an finanzieller Not entstanden ist, irgendwie fressen müssen. Wir werden ,es uns auch später nicht leisten können, daß irgendwo in der Welt jemand im Elend lebt und sagt: Das haben Hitler und seine Schergen verschuldet, aber ich kriege nichts; andere kriegen etwas; ich verstehe nicht, warum ich nichts bekomme; ich kann doch nichts dafür, daß ich erst dann und dann aus Polen herauskonnte; die Sowjets haben es mir ja nicht erlaubt. - Wir werden uns das sehr, sehr eingehend überlegen müssen, selbstverständlich unter Prüfung aller nur irgendwie einschlägigen finanziellen Fragen, aber wir können uns nicht von vornherein auf eine Konzeption festlegen. Das kann niemand von uns verlangen, das kann man auch dann nicht verlangen, wenn man an sich das Bestreben hat - und wir haben es fürwahr, meine Damen und Herren -, diese Sache wiederum so auszutragen wie 1952/53 und 1956, nämlich möglichst durch einen einstimmigen Beschluß dieses ganzen Hauses.
Ich habe mir die Protokolle von damals sehr genau durchgelesen, und ich muß sagen, Worte, wie Sie, Herr Minister, sie heute gesagt haben, sind damals nicht gesagt worden, von niemandem in diesem Hause. Im empfehle Ihnen, einmal das nachzulesen, was Ihr Parteifreund Herr Dr. Reif damals in diesem Hause gesagt hat. Auch das wird Sie, glaube ich, nachdenklich stimmen,
Im übrigen wird es darum gehen, sehr sorgfältig und unter Aufwendung aller Möglichkeiten, die wir haben, zu überprüfen, was wir noch tun müssen, und anschließend zu klären, ob wir es tun können und wie wir es tun können.
Es gibt, Herr Minister, andere Möglichkeiten als die laufenden Haushaltsausgaben, um unter Umständen Schulden, 'die überhaupt nur auf längere Sicht bezahlt werden können, auch auf breitere Schultern zu legen. Warum soll man nicht Schuldverschreibungen ausgeben? Lassen Sie mich das als Laie einmal sagen. Warum soll man nicht eine Anleihe aufnehmen? Warum soll man nicht dafür sorgen, daß nicht all das in dieser kurzen Zeit von 15 oder 20 Jahren von uns allein bezahlt wird? Warum nicht? Man kann aber mit dem finanziellen Argument den Notwendigkeiten bestimmt nicht begegnen.
Der Herr Bundeskanzler Adenauer hat in seiner Regierungserklärung 1961 davon gesprochen, die Wiedergutmachung sei eine Ehrenschuld des deutschen Volkes. Wir haben alle Beifall gezollt. Aber
wenige Tage später habe ich einen Brief von einer Dame aus Chikago bekommen, die in Berlin geboren war. Sie schrieb mir: Sehr geehrter Herr Hirsch, ich habe zunächst mit Freude gelesen, was Ihr Bundeskanzler gesagt hat, und ich habe mir das dann überlegt und mich gefragt: Was versteht man eigentlich in Deutschland unter einer Ehrenschuld? Da ist mir eingefallen, Herr Hirsch - schreibt sie mir -: eine Ehrenschuld bezahlt man doch eigentlich in 24 Stunden; und ich, Herr Hirsch, warte jetzt schon über 24 Jahre.
Meine Damen und Herren, an das, was diese Frau geschrieben hat, sollten wir, glaube ich, alle denken, wenn wir im Ausschuß an die Beratung dieser Gesetze herangehen.
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Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir die Rede des Herrn Kollegen Hirsch mit großer Aufmerksamkeit angehört und muß sagen, daß ich ihm in wesentlichen Punkten - ich möchte eigentlich sagen, in allen wesentlichen Punkten, insbesondere nach der menschlichen Seite hin - in vollem Umfang zustimme.
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Ich möchte, nachdem von Herrn Hirsch eine ganze Reihe von persönlichen Bemerkungen gemacht wurde, ruhig einmal ganz offen sagen, daß die Bearbeitung dieser Dinge für mich eine drückende Last ist, weil ich sehe, daß sich hier ein Berg von Ungerechtigkeit vor uns auftürmt, zu dessen Abtragung wir alle nicht in der Lage sind.
Nun hat Herr Hirsch, ich möchte nicht sagen, mir zum Vorwurf gemacht, aber doch die Vermutung geäußert, ich sei nicht in vollem Umfang unterrichtet worden. Ich könnte replizieren, indem ich die Vermutung äußerte, daß Herr Hirsch meine Ausführungen vorhin, die ja recht lang waren, möglicherweise nicht ganz genau verfolgt oder das eine oder andere nicht verstanden habe. Ich habe mit keinem Wort erklärt, daß es hier auf einen Verzicht einer Organisation für andere ankomme. Die Claims Conference kann gar nicht für andere verzichten; es gibt über 200 jüdische Organisationen.
Noch eine Bemerkung von Herrn Hirsch möchte ich aufgreifen. Ich habe keineswegs nur von jüdischen Verfolgten gesprochen, sondern habe an den verschiedensten Stellen meiner Ausführungen sehr deutlich zu erkennen gegeben oder ausdrücklich erwähnt, daß es leider Gottes eben eine Vielzahl von Verfolgtengruppen gibt.
Ich kenne ebenso wie Herr Hirsch die Einzelbeispiele, die er hier, ich möchte sagen, dankenswerterweise einmal in aller Öffentlichkeit vor Augen geführt hat. Ich habe mit ihm über solche Fälle gesprochen, und ich sehe das ja selbst in meinem Hause. Ich bekomme diese Briefe, Herr Kollege
Hirsch, ja genauso wie Sie. Aber ich möchte noch einmal wiederholen, was der Kern meiner Rede vorhin war: wenn ich von den Einzelfällen ausgehe, wenn ich auf Individualentschädigung losgehe, dann löse ich alle Begriffe auf; dann ist überhaupt niemand mehr in der Lage, auch nur zu schätzen, was danach zu leisten wäre. Das ist eben das Schreckliche bei dieser Geschichte, daß ich durch Normierung Grenzfälle schaffen muß, die entsetzlich sind. Die Festlegung von Stichtagen, die erfolgt, um einzugrenzen, muß zu solchen Fällen führen.
Ich freue mich, daß Herr Kollege Hirsch unsere Idee anerkannt hat, durch Globalfonds in Höhe von immerhin eine Milliarde DM - 600 Millionen DM in dem einen, 400 Millionen DM in dem anderen Gesetz - den Versuch zu machen, wenigstens das Schlimmste zu bereinigen. Ich freue mich, daß Herr Kollege Hirsch diesen Versuch 'anerkannt hat. Ich stimme aber Herrn Kollegen Hirsch vollinhaltlich zu, daß die Erfahrungen mit solchen Fonds schlecht gewesen Sind. Ich habe mich gegen diese Fonds gewehrt; ich habe gefragt: Ist denn nicht die Möglichkeit gegeben, einen anderen Weg zu öffnen oder zu suchen? Es war nicht möglich, ich mußte diesen Weg gehen. Ich bin dabei - wie gesagt - mit Herrn Hirsch einer Meinung, es wird ein schwerer, schwieriger, steiniger Weg werden, und wir werden manche Enttäuschung erleben. Aber tun Sie mir doch den Gefallen und zeigen Sie mir eine andere Möglichkeit; machen Sie andere Vorschläge!
Herr Hirsch hat hier so getan oder es so dargestellt, als ob der Stichtag der 16. Novelle mit diesem Stichtag etwas zu tun hätte. Es gibt 'darüber Streit; ich könnte hier Ausführungen dazu machen, daß man die Stichtage nicht vergleichen kann, daß andere Verhältnisse vorliegen. Aber bitte, meine Damen und Herren, die Stichtagsfrage kostet schlicht und einfach 6 Milliarden DM.
({1})
- Nun, ich rechne das nachher im Ausschuß vor.
({2})
- Ich kann es hier letzten Endes nicht vorrechnen; das würde zu weit gehen.
Ich möchte Sie nur an eines erinnern, Herr Kollege. Im Jahre 1957 muß es - wenn ich mich recht erinnere - gewesen sein, da hat Herr Bundesfinanzminister Schäffer von einem Volumen von 27 bis 29 Milliarden DM gesprochen. Das war in einer Rede in Plattling. Da ist man über den Herrn Kollegen Schäffer hergefallen und hat ihm gesagt, das seien ja völlig utopische, verrückte Zahlen, mit denen er jongliere; die könnten in der Wirklichkeit überhaupt nicht bestehen, hat damals der SPD-Pressedienst gesagt. Eine süddeutsche Tageszeitung hat erklärt: „Unverantwortliche Phantasiesummen", und eine jüdische Zeitung in Amerika, die heute erhebliche Erweiterungswünsche auf dem Gebiete der Wiedergutmachung vertritt, erklärte damals, man hoffe nur, daß am Ende des Entschädigungsprogramms überhaupt 10 bis 11 Miliarden DM heraus4424
kommen würden. Nun, den Betrag hat man im Jahre 1959 oder 1960 längst erreicht.
({3})
- Herr Hirsch, ich sage Ihnen ja: Helfen Sie mir, Wege zu finden, um die Forderungen und Wünsche zu befriedigen. Herr Kollege Hirsch, Sie wissen das ja selber; Sie sind ein hervorragender Fachmann auf diesem Gebiet. Ich weiß genau, daß Sie dieselben Zahlen wie ich haben, wenn Sie nachrechnen. Wir sind in den Finanzministerien von Bund und Ländern wirklich nicht daran interessiert, die Schätzungszahlen bewußt hochzutreiben. Das wäre für Finanzminister ein sehr gefährliches Spiel; denn wenn sie das tun, kriegt man sie darauf zu fassen. Aber wenn ich die ernsthaften Wünsche und Hoffnungen über die Entwürfe der Bundesregierung hinaus zusammenzähle, dann komme ich auf Mehraufwendungen von mindestens 20 Milliarden DM. Nehmen Sie es mir doch bitte nicht übel, letzten Endes stehe ich hier auch für die Länder der Bundesrepublik, mit denen ich diese Gesetzentwürfe, die ich heute eingebracht habe - Herr Hirsch weiß genau, was ich damit sagen will -, vorher erarbeitet und abgesprochen habe. Man hätte auch Verzögerungstaktik betreiben können.
({4})
Das haben wir nicht getan, weil ich der Meinung bin, daß diese Dinge in die Diskussion, in das Parlament gebracht werden müssen, damit man sich über die Größenordnungen, über das, was hier geschieht, klar wird. Da muß ich Sie fragen, Herr Kollege Jahn: Wie wollen Sie die Mehraufwendungen in dieser Höhe bezahlen? Welche anderen Vorhaben soll ich kürzen, wo soll ich das Geld herholen, ohne daß ich die Steuern erhöhe und ohne daß ich den Lebensstandard senke? Denn ich kann auch nicht, wie Herr Hirsch vorgeschlagen hat, auf dem Anleihewege solche Dinge finanzieren, weil auch da Grenzen gesetzt sind, die ich einhalten muß. Es ist überhaupt in der letzten Zeit bei allen möglichen Vorhaben,. die viel Geld kosten, gesagt worden: Hol dir doch das Geld auf dem Anleihemarkt! Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat im laufenden Jahr 1963 zum erstenmal die im Haushaltsplan eingesetzten Anleihemittel auch tatsächlich in voller Höhe hereinholen müssen. - Herr Kollege Jahn, bitte!
Herr Minister, aus welcher Bemerkung des Kollegen Hirsch entnehmen Sie, daß er die Forderung aufstellt, daß jetzt noch einmal zusätzliche Ansprüche mit einem Gesamtbetrag von 20 Milliarden DM in das Gesetz aufgenommen werden sollen?
Herr Kollege Jahn, Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe nicht die von Herrn Kollegen Hirsch geltend gemachten Ansprüche gemeint, sondern ich habe gesagt: Ebenso wie ich kann sich auch Herr Kollege Hirsch als Experte ausrechnen, daß die von allen Seiten aus aller Welt auf uns zukommenden
Ansprüche summiert solche Größenordnungen ergeben.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohut.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wem das nicht an die Nieren geht, was er als Mitglied des Wiedergutmachungsausschusses immer wieder erfährt, der hat kein Herz. Deswegen habe ich volles Verständnis für den emotionellen Ausbruch des Kollegen Hirsch, den ich bis jetzt nur als sachlichen und fähigen Leiter des Ausschusses kennengelernt habe. Aber ich fand die Attacke, die er gegen den Bundesfinanzminister richtete, allzu hart. Das war die falsche Stoßrichtung.
({0})
- Nein, das hat er nicht. Aber ich brauche den Minister nicht zu verteidigen. Er hat es selbst getan. Er hat sich sofort gestellt und gesagt, was zu sagen notwendig war.
Ich möchte lieber noch einmal auf das zurückkommen, was von dem Herrn Bundesfinanzminister anfangs gesagt worden ist. Er hat festgestellt - und das hat auch jeder von uns einmal aus dem Ausland gehört -, daß die Wiedergutmachungsgesetzgebung in aller Welt anerkannt wird und als eine große Leistung des deutschen Volkes angesehen wird. Gewiß, dahinter steht die moralische Verpflichtung. Aber es steht mehr dahinter. Es steht dahinter - auch das ist erwähnt worden - auch die menschliche Anteilnahme an dem Schicksal der Verfolgten, die Mitglieder aller Parteien dieses Hauses immer wieder veranlaßt hat, die Mittel für die Wiedergutmachung aufzustocken.
Auch der historische Ablauf ist sowohl von dem Herrn Bundesfinanzminister als auch von Professor Böhm schon erwähnt worden. Im Jahre 1952 hielt man 10 Milliarden DM für eine gewaltige Summe für die Wiedergutmachung. Aber mit dem Aufstieg der Bundesrepublik aus Ruinen in ein gefestigtes Staatswesen war immer wieder die Bereitschaft vorhanden, weitere Milliarden in die Wiedergutmachung zu stecken.
Der Finanzminister sagte, bisher seien 23 Milliarden DM ausgegeben worden. Herr Professor Böhm meinte, daß es bis zu 40 Milliarden DM sein würden, wenn die Gesetze durchgeführt sein würden. Aber wenn wir hier überhaupt über Milliardenbeträge dieses Ausmaßes sprechen können, dann ist das - man sollte es immer wieder sagen - doch nur der Tatkraft und dem Leistungswillen des gesamten deutschen Volkes zuzuschreiben. Es sollte auch nicht vergessen werden, daß die Voraussetzungen hierfür geschaffen wurden, weil liberale Wirtschaftsvorstellungen in die Tat umgesetzt worden sind.
({1})
Die Verfolgtenorganisationen behaupten, daß durch die Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz nur ein Bruchteil des entstandenen Schadens ersetzt werde. Ich bin überzeugt, daß das stimmt. Denn das, was ein verbrecherisches Regime angerichtet hat, ist einfach in vollem Umfang nicht wiedergutzumachen. Ich bedauere das tief und aufrichtig. Aber es muß für uns alle - darin pflichte ich der Regierung bei - eine obere Grenze der Wiedergutmachung geben, ich möchte sagen: leider Gottes; und sie besteht einfach darin, daß unsere Währung erhalten bleiben muß.
Dieser Verpflichtung sind sich Bundeskanzler und Bundesfinanzminister bewußt. Sie haben eindeutig ihren Willen zur Stabilisierung des Bundeshaushalts bekundet. Diese Tatsache, daß man den Bundeshaushalt in Zukunft stabilisieren will, ist in unserer Bundesrepublik neu, und sie ist auch ein entscheidendes Merkmal gegenüber bisherigen Gepflogenheiten. Ich drücke nur den Daumen, daß die Verantwortlichen auch im Jahre der Bundestagswahl fest bleiben und nicht der Versuchung unterliegen, die sonst üblichen Wahlgeschenke zu verteilen oder zu fordern.
({2})
- Ich glaube, man kann das immer an die Partei richten, die die Mehrheit oder den größten Einfluß in diesem Hause hat. Aber ich hoffe, daß sich das in Zukunft ändert; so viel Vertrauen habe ich zum neuen Kanzler, zum „Jungkanzler", wie auch zum Bundesfinanzminister.
Die Erhaltung unseres Wohlstandes liegt auch im wohlverstandenen Interesse aller Anspruchsberechtigten. Dennoch hört man von den Organisationen immer wieder die Auffassung, daß bei allem Verständnis für eine vernünftige Haushaltswirtschaft fiskalische Gesichtspunkte gegenüber rechtlichen Erwägungen zurücktreten müßten. So wie die Dinge jetzt bei uns liegen, muß man dieser Auffassung doch entgegentreten.
Vielleicht wären wir zu höheren Leistungen durchaus imstande, wenn wir nicht die Bedrohung aus dem Osten hätten. Gerade sie zwingt uns, ungewöhnlich hohe Milliardenbeträge in das unproduktivste Geschäft zu stecken, daß es überhaupt gibt, aber das leider notwendig ist, nämlich in die Rüstung, wenigstens solange von einer Entspannung nicht die Rede sein kann. Und von einer Entspannung ist nichts zu spüren. Ich will hier nicht erörtern, ob dies allein die Schuld der Sowjetunion ist oder ob nicht auch politische Versäumnisse in der Bundesrepublik vorliegen. Das spielt hier keine Rolle. Jedenfalls kostet uns dieser Sachverhalt Milliarden, die einer besseren Sache hätten zugeführt werden können.
Ohne Zweifel könnten auch unsere Wiedergutmachungsleistungen höher sein, wenn Deutschland eine Einheit wäre und wenn wir auch mit dem Wirtschaftspotential jenseits der Elbe arbeiten könnten. Die Deutschen jenseits der Elbe sind weder besser noch schlechter als die Bundesrepublikaner. Sie sind nur so schlecht regiert, daß sie sich wirtschaftlich nicht entfalten können. Sie tragen keinen Anteil an der Wiedergutmachung: weil sie es nicht können und weil sie es nicht dürfen.
Auch die Republik Osterreich - das hat Herr Professor Böhm schon angedeutet - vermeidet ganz peinlich das Wort „Wiedergutmachung", trotz der Verpflichtungen des österreichischen Staatsvertrages vom 15. Mai 1955, eine Wiedergutmachung durchzuführen. Warum so peinlich? Man entsinnt sich nicht, daß zumindest die große Masse des österreichischen Volkes prozentual genauso nationalsozialistisch war wie das Volk im Reich. Man spricht deshalb nicht von Wiedergutmachung, sondern fein säuberlich von „Hilfsfonds", von „Abgeltungsfonds". Diese betrugen bisher insgesamt, sage und schreibe, 59 Millionen Schilling für über 50 000 im Ausland lebende österreichische Juden.
Man muß wissen - das ist auch schon gesagt worden -, nur die Bundesrepublik hat alles getan, was in ihrer Macht stand. Eine volle Wiedergutmachung aller Verfolgungsschäden würde - auch das muß deutlich gesagt werden - die finanzielle Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik um ein Vielfaches übersteigen.
Bei aller Vorrangigkeit des Bundesentschädigungsgesetzes und des Bundesrückerstattungsgesetzes darf man die Lasten nicht vergessen, die uns aus der Liquidation der Kriegsschäden erwachsen sind. Es ist unsere Pflicht, für eine wirklich angemessene Versorgung der Kriegsopfer zu sorgen. Auch die Kriegsopfer sind Opfer der Hitler-Politik. Hierin sind wir uns im Grunde alle einig. Wir werden in ganz kurzer Zeit zu entscheiden haben, was hier möglich ist und was hier nicht möglich ist. Wir müssen die Reparations- und Restitutionsschäden abgelten, und wir haben den Lastenausgleich durchzuführen.
Außer den Kriegsfolgen gibt es noch in anderen Bereichen einen kostspieligen Nachholbedarf. Ich weise nur auf die katastrophalen Zustände auf unseren Straßen und darauf hin, wie weit wir hinter der Entwicklung des Verkehrs zurückgeblieben sind. Wir sind weiter genötigt, Milliarden in die sogenannte Entwicklungshilfe zu stecken. Wie gut wäre es, wir hätten auch diese Mittel für die Wiedergutmachung und die Kriegsopfer übrig!
Schließlich gebührt unsere Aufmerksamkeit auch noch der Wissenschaft und Forschung. Unsere Rückständigkeit auf diesen Gebieten ist offensichtlich. Daß es so weit gekommen ist, liegt meines Erachtens auch an dem unseligen Föderalismus, den uns die Besatzungsmächte aufgezwungen haben und den wir mit loyalem Perfektionismus pflegen.
Wenn man all dies bedenkt, wird verständlich, warum die Bundesregierung darangehen muß, in einer abschließenden Gesetzgebung einen Rahmen abzustecken, der für uns tragbar ist. Dabei hat sie die Unterstützung der Fraktion der Freien Demokratischen Partei.
Allerdings ist es eine merkwürdige Feststellung, daß der positive Widerhall, den unsere Wiedergutmachungsgesetzgebung anfangs gefunden hat, immer mehr verlorengeht, je mehr Mittel wir hierfür zur Verfügung gestellt haben. Woran liegt das? Sind
das etwa die Anwälte im Ausland, die ganz schöne Erfolgshonorare - wie man mir sagt, bis zu 50 % - bekommen sollen? Sind es die, die Stimmung machen? Oder woran liegt das wohl? Ist es das Bild, das die Bundesrepublik bietet? Natürlich ist es in den Augen vieler Geschädigter ein Ärgernis, wenn wir einem gewissen Personenkreis, der für die Verbrechen der Vergangenheit die Mitverantwortung trägt, heute hohe Pensionen zahlen. Ich brauche hier keine Namen zu nennen. Daß wir auf der anderen Seite zahllose Rentner haben, die von jammervollen Beträgen leben müssen, darüber spricht niemand. Vielleicht werden die Anspruchsberechtigten aber von der Praxis der Wiedergutmachung vergrämt. Hierzu gehören unterschiedliche Auslegungen der gesetzlichen Vorschriften.
Oft leiden die Anspruchsberechtigten unter einer umständlichen und zeitraubenden Bearbeitung ihrer Fälle. Da man nicht alles in Paragraphen regeln kann, muß der Gesetzgeber den Sachbearbeitern einen weiten Ermessensspielraum lassen. Die Art der Schädigung bringt es mit sich, daß es den Geschädigten oft kaum oder gar nicht möglich ist, genaue Nachweise zu erbringen.
Diese Schwierigkeiten sind genauso die Schwierigkeiten auch für die Sachbearbeiter. Das müssen wir bei den zahlreichen Klagen über die schleppende Behandlung mancher Schadensfestsetzungen berücksichtigen. Es kommt hinzu, daß ein großer Teil der Sachbearbeiter seinerzeit die Verhältnisse gar nicht bewußt miterlebt hat und es ihnen infolgedessen am notwendigen Verständnis für das Ausmaß der Leiden und Demütigungen derer, die jetzt Anträge stellen, und der Dinge, die sie jetzt zu bearbeiten haben, fehlt. Deswegen sollte man darauf hinwirken, daß jeder Sachbearbeiter ständig die Präambel vor Augen hat, in der der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt hat, in welchem Geist er die Bestimmungen angewandt wissen will. Ich glaube - und ich möchte das hier in Form einer Bitte vortragen -, hier könnte man noch auf Vereinfachung und Beschleunigung hinwirken, etwa in der Form von Pauschalregelungen oder dergleichen, nach dem schönen Satz: Doppelt hilft, wer rasch hilft.
Der letzte Satz gilt auch für die Neuregelung der Rückerstattungsverbindlichkeiten. Durch die vorgesehene Ausdehnung der Zahlungstermine verpufft eigentlich ein Teil der Wirkung. Das Gros der Verfolgten ist alt an Jahren. Die Zusicherung einer Wiedergutmachung nach dem Tode wirkt immer peinlich.
Vielleicht kann man durch geeignete Maßnahmen doch noch manches tun, was dazu beiträgt, unserer Gesetzgebung den guten Ruf zu erhalten, den sie im Anfangsstadium besessen hat.
Die Freien Demokraten werden sich im Rahmen des in den Regierungsentwürfen vorgesehenen Leistungsvolumen für eine gerechte Regelung einsetzen.
({3})
Wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Es ist vorgeschlagen, die beiden Vorlagen dem Ausschuß für Wiedergutmachung und dem Haushaltsausschuß zu überweisen, wobei die Federführung beim erstgenannten Ausschuß liegen soll. Ist das Haus einverstanden? - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, jetzt komme ich in eine Verlegenheit. Nunmehr sollte Punkt 6 behandelt werden. Aber der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, der gern zu Punkt 11 der Tagesordnung sprechen möchte, muß gleich nach 19 Uhr das Haus verlassen. Andererseits wurde mir gesagt, daß auch bei Punkt 6 ein Terminproblem besteht, so daß ich wirklich nicht recht weiß, wie zu prozedieren ist. Das beste wird wohl sein, daß wir so verfahren, wie es in der vorgedruckten Tagesordnung steht, und jetzt mit Punkt 6 fortfahren. - Soeben höre ich, daß auch die Herren Minister damit einverstanden sind.
({0})
- Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Mommer zur Tagesordnung!
Herr Präsident, es war in der Tat so abgesprochen, daß wir heute den Punkt 11 behandeln. Ich bitte nur, Herr Präsident, diesen Punkt nicht gleich aufzurufen, weil unser Redner im Augenblick nicht im Saal ist. Wir könnten vielleicht zunächst die auf Punkt 11 folgenden Punkte, für die eine Debatte nicht vorgesehen ist, erledigen.
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Haus ist mit diesem Vorschlag einverstanden. Das würde bedeuten, daß Punkt 6, Mineralölabgaben, heute vielleicht nicht mehr drankommt.
({0})
- Sie möchten Ihrem Kollegen den Vortritt lassen? Dann werden wir so verfahren. Ich rufe also auf Punkt 6:
Zweite und dritte Beratung des von der Bunregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl ({1});
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({2}) ({3}).
({4}) Berichterstatter ist Abgeordneter Dr. Stecker.
({5})
- Sie verweisen auf den Schriftlichen Bericht zu Drucksache IV/1613. Ist das Haus einverstanden? - Das Haus verzichtet auf die Entgegennahme eines Mündlichen Berichts.
Dann rufe ich auf in zweiter Lesung 1. Abschnitt Art. 1, - Art. 2, - Art. 3, - Art. 4, - 2. Abschnitt Art. 5, - Art. 6, - Art. 7, - Art. 7 a, - Art. 7 b. Bis dahin sind keine Änderungsanträge angekündigt.
Vizepräsident Dr. Schmid
Für Art. 8 gibt es Änderungsanträge. Ich lasse abstimmen über die von mir aufgerufenen Artikel 1 bis 7 b. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen! - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme!
Zu Art. 8 gibt es einen Änderungsantrag auf Umdruck 359.*) Wer begründet ihn? - Das Wort hat der Abgeordnete Bleiß zur Begründung des Antrags auf Umdruck 359.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beratungen über Art. 8 des Mineralölsteuergesetzes, d. h. über die Zweckbindung des Mineralölsteueraufkommens für den Straßenbau, haben in den mitberatenden Ausschüssen zu erheblich voneinander abweichenden Ergebnissen geführt. Der Verkehrsausschuß hat nach einer sehr eingehenden Beratung einstimmig eine Zweckbindung von 55 % .des Aufkommens vorgeschlagen. Er ist davon ausgegangen, daß die Finanzierung des vorliegenden zweiten Straßenbauvierjahresplans aus Mitteln des ordentlichen Haushalts erfolgen sollte.
Der Haushaltsausschuß als zweiter mitberatender Ausschuß hat mit Mehrheit gegen die Stimmen der SPD eine gestaffelte Zweckbindung von 46 % bis 50 % vorgeschlagen. Der federführende Finanzausschuß hat sich für das Votum des Haushaltsausschusses entschieden. Das bedeutet, daß nach den vorliegenden Berechnungen der zweite Vierjahresplan eine Finanzierungslücke von etwa 1,3 Milliarden DM ausweist, die durch Kredite geschlossen werden soll.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst die Anmerkung machen, daß aufgenommene Kredite verzinst und amortisiert werden müssen. Die Zins- und Tilgungsraten gehen zu Lasten des Straßenbauvolumens. Wenn die Finanzierung des zweiten Vierjahresplans in der verbleibenden Restsumme von 1,3 Milliarden DM durch diese Kredite erfolgen soll, dann bitte ich zu beachten, daß schon bis 1966 etwa 150 bis 160 Millionen DM Zinsen fällig werden. Um diesen Betrag von 150 bis 160 Millionen DM verringert sich das Straßenbauvolumen. Denn nach Art. 2 in Art. 8 des 3. Abschnitts des Gesetzentwurfes sind die Kreditkosten und die Kredittilgungsraten aus dem zweckgebundenen Teil der Mineralölsteuer zu decken.
Wenn Sie also Kredite als Finanzierungsmethode heranziehen, dann müssen Sie auch den zusätzlichen Aufwand für die Verzinsung und Amortisation in Rechnung stellen. Alles andere wäre eine Milchmädchenrechnung. Sie ist bequem, aber trügerisch.
Das gleiche, was ich eben hinsichtlich der Kreditfinanzierung ausführen durfte, gilt für die Ausgabenreste.
Wir Sozialdemokraten halten die Finanzierungsvorschläge, wie sie im Mehrheitsbeschluß des Finanzausschusses ihren Niederschlag gefunden haben, für unzureichend, weil wir der Meinung sind, daß der
*) Siehe Anlage 2
zweite Vierjahresplan in seiner jetzigen Größenordnung von 13 Milliarden DM durch das Tempo der Motorisierung in den letzten Jahren völlig überholt ist.
Die Bundesrepublik ist heute zweifellos das Land mit der größten Verkehrsdichte. Unsere Straßendecken sind der stärksten Belastung ausgesetzt. Allein von unserem Paradestück - dem Autobahnnetz - isst nahezu ein Drittel der Straßen dringend reparaturbedürftig. Auch von den neugebauten Autobahnen - und das wird Sie interessieren - sind heute schon große Strecken wieder reparaturbedürftig. Der Bundesverkehrsminister hat kürzlich vor dem Verkehrsausschuß erklären müssen, daß er einfach nicht in der Lage sei, Mittel für diese dringenden Reparaturen aufzubringen. Einer Belastung durch eine 13-t-Achse schwerer Lastwagen isst nur etwa ein Drittel unseres Autobahnnetzes gewachsen.
Aber nicht der Achsdruck der Schwerlastzüge ist für unsere Straßen entscheidend, wichtiger ist die Zahl der Kraftfahrzeuge insgesamt, die auf unseren Straßen fahren wollen. Dabei scheint es mir nützlich zu sein, bei unserer heutigen Entscheidung davon auszugehen, daß im nächsten Jahr die Zahl der Pkws auf unseren Straßen sich um 1 Million erhöht haben wird. Neben dieser stark erhöhten Zahl der Pkw wird auch die Zahl der Lastzüge in der nächsten Zeit erheblich zunehmen. Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, Sie selbst haben beantragt, die Kontingente im Güterfernverkehr aufzustocken, den Nahverkehrsbereich zu erweitern und die Beförderungsteuer im Werkfernverkehr zu senken. Alle diese Maßnahmen müssen zu der Konsequenz führen, daß sich die Zahl der Lastzüge auf unseren Straßen vielleicht um einige Tausend erhöhen wird, daß also die Belastung des Straßennetzes durch neue schwere Fahrzeuge wesentlich zunehmen wird. Das gleiche gilt für die Omnibusse, das gleiche gilt auch für den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr.
Ich erwähne diese Zahlen, weil es falsch und kurzsichtig wäre, von dem Status quo auf unseren Straßen auszugehen und darauf straßenbauliche Maßnahmen abzustellen. Das Tempo der Motorisierung hat sich in einem sehr viel stärkeren Maße beschleunigt, als es bei der Aufstellung des zweiten Vierjahresplans vorauszusehen war. Deswegen scheint es uns dringend notwendig zu sein, den zweiten Vierjahresplan für den Straßenbau zu modifizieren und den Erfordernissen des heutigen Standes der Motorisierung und der heutigen Entwicklung der Motorisierung anzupassen. Vor längerer Zeit schon hat der Herr Bundesverkehrsminister selbst darauf hingewiesen, daß es notwendig sei, den zur Zeit laufenden Vierjahresplan von 13 auf 16 Milliarden DM aufzustocken, um insbesondere den Gemeinden wesentlich wirksamer als bisher in der Bewältigung ihrer Straßenbauprobleme zu helfen. Wir pflichten dieser Auffassung des Herrn Bundesverkehrsministers bei. Nur sind wir der Meinung, daß auch die Bedarfsschätzung von 16 Milliarden DM in der Zwischenzeit überholt ist. Der laufende Vierteljahresplan bemißt die Zu4428
schösse und Darlehen an fremde Baulastträger auf 170 Millionen DM jährlich. Das ist, wie die Dinge heute liegen, nur ein Tropfen auf den heißen Stein der Verkehrsnöte in unseren Städten und Gemeinden. Wenn hier das Notwendigste getan werden sollte, dann müßten diese Ansätze, die heute im Haushalt stehen, mindestens auf das Dreifache erhöht werden.
Es ist unsere große Sorge, und wir teilen diese Sorge mit der großen Zahl der Kraftfahrer, daß, wenn wir uns jetzt nicht entschließen, den Straßenbau unter Ausschöpfung aller technischen Reserven zu forcieren, wir uns mit einiger Sicherheit den Tag ausrechnen können, an dem aus den heute schon bis 30 km langen Autoschlangen die nahezu endlose Autokette auf den großen Nord-Süd- und Ost-West-Verbindungen Wirklichkeit wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Bleiß, Sie sprachen von den Gemeinden. Ist Ihnen bekannt, daß im vergangenen Jahr nur 72 % der den Gemeinden zur Verfügung gestellten Bundesmittel verbaut worden sind und daß wir heuer vielleicht auf 80 °/o kommen?
Ja, Herr Kollege Lemmrich, das ist mir bekannt. Aber mir ist auch bekannt, daß das Verfahren derartig umständlich ist, daß die Gemeinden überhaupt nicht in der Lage sind, ihre Mittel vernünftig anzufordern.
({0})
Herr Dr. Bleiß, sind Sie der Meinung, daß der Bund das zu vertreten hat?
Der Bund kann viel durch eine Vereinfachung des Verfahrens dazu beitragen. Wir werden uns im Ausschuß darüber unterhalten, wie endlich das Verfahren so vereinfacht werden kann, daß die Mittel auch wirklich ausgegeben werden können. Diese Dinge dürfen nicht mehr auf dem Verordnungswege steckenbleiben.
Herr Kollege Dr. Bleiß Sie wissen, daß es an der Planung und nicht am Verfahren liegt. Das dürfte Ihnen doch auch bekannt sein.
Es liegt nicht an der Planung. Das ist der alte Ausweg, den Sie suchen. Sie sagen: die Gemeinden sind schuld, und ich anworte darauf: der Bund ist schuld. Der Bund sollte dafür sorgen, daß die Gemeinden in die Lage versetzt werden, ihren dringenden Straßenbaubedarf endlich zu decken.
({0})
Lassen Sie mich wiederholen, daß, wenn wir nicht mehr und schneller bauen, dann die nahezu endlose Autokette auf uns zukommt. Wir werden diese Entwicklung nicht dadurch meistern, daß wir versuchen, die Schulferien etwas auseinzuziehen, oder den Verkehr auf Parallelstraßen umlenken. Das kann vielleicht die Entwicklung aufhalten. Damit werden wir aber das Auftreten verkehrschaotischer Zustände auf unseren Bundesstraßen nicht verhüten. Eine nahezu endlose Autokette muß zum Zusammenbruch des Verkehrs auf den großen Verbindungsstraßen führen. Wenn ein solcher Zustand eintreten sollte, werden automatisch auch alle Autobahnzubringer blockiert werden, und wir könnten uns vor Probleme gestellt sehen, die möglicherweise tief in die persönliche Sphäre des Bundesbürgers eingreifen und die die freie Wahl der Verkehrsmittel beeinträchtigen können.
Diesen Gefahren können wir heute noch entgegenwirken, wenn wir uns entschließen, neben den 13 Miliarden DM für den zweiten Vierjahresplan, die im ordentlichen Haushalt finanziert werden müssen, durch Kredite und durch Anleihen zusätzliche Mittel aufzubringen, um alle straßenbautechnischen Reserven zu mobilisieren. Unser Straßenbau verfügt zur Zeit, das ist von den Experten wiederholt bestätigt worden, noch über eine Kapazitätsreserve von 30 bis 40 %. Es ist also eine wesentlich höhere Straßenbauleistung ohne zusätzliche Investitionen möglich. Wir sind der Meinung, daß bei einer vollen Auslastung der Kapazität auch eine Senkung der Straßenbaukosten durchaus möglich ist.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Bemerkungen zum finanziell-fiskalischen Problem machen.
Nach vorsichtigen Schätzungen ist für die kommenden drei Jahre ein Mineralölsteueraufkommen von 19,2 Milliarden DM zu erwarten. Hiervon bringen die Kraftfahrer allein 18 Milliarden DM auf,
Wenn der Vorschlag des Finanzausschusses Gesetzt werden sollte, fließen von diesen 18 Milliarden nur rund 9,2 Milliarden in den Straßenbau, rund 8,8 Milliarden würden den allgemeinen Deckungsmitteln zugeführt werden. Darin, meine Damen und Herren, liegt die Crux unseres Straßenbaues; denn diese Zahlen zeigen deutlich den großen Unterschied zwischen den Leistungen, die der Kraftfahrer erbringt und in diesem Ausmaß viel zu bescheidenen Haushaltsansätzen für den Straßenbau.
Wir Sozialdemokraten machen der Bundesregierung den Vorwurf, daß sie die Infrastruktur in einer bedenklichen Weise vernachlässigt hat und leider auch weiterhin vernachlässigt. Ich glaube, es gibt im Streit um die Unterlassungssünden keinen besseren Zeugen als den Herrn Bundesverkehrsminister, der in der vorletzten Sitzung des Verkehrsausschusses laut Protokoll z. B. über die Binnenwasserstraßen sagte, die Kürzung der Mittel bedeute, daß die jetzigen Kapazitäten in Zukunft nicht mehr vorgehalten werden könnten. Sie - die Kürzung - sei entscheidend für die Verkehrsinfrastruktur und für das Schicksal der Bundesrepublik im Gemeinsamen Markt nach 1970. Sie - die Kürzung - werde eine Verlagerung der Indstrie und schwere wirtschaftliche Rückschläge nach sich ziehen.
Diese Feststellungen des Herrn Bundesverkehrsministers waren für viele Mitglieder des Ausschusses überraschend und erschütternd. Auf den Binnenwasserstraßen täuscht heute, wie der Minister im Ausschuß meinte, die glatte Wasseroberfläche über den gefährlichen Zustand der Kanal- und Flußbetten hinweg. Auf den Straßen aber, auf denen wir ähnliche Verhältnisse zu beklagen haben, sind wir täglich und allesamt Zeugen der wachsenden katastrophalen Verhältnisse.
Mit unserem Antrag auf Umdruck 359 machen wir einen ersten und bescheidenen Schritt auf dem Wege zu einer Verbesserung der straßenbaulichen Leistung. Wir sind uns darüber im klaren, daß diese Mittel keineswegs ausreichen werden, um den effektiven Straßenbaubedarf auch nur einigermaßen zu decken. Unser Antrag soll auch nur dazu dienen, einen nach unserer Auffassung überholten und völlig unzureichend gewordenen Vierjahresplan in seiner Finanzierung durch Mittel des ordentlichen Haushalts zu sichern, um dadurch die Möglichkeit zusätzlicher Finanzierung des effektiven Straßenbaus zu haben.
Wir wissen, daß sich die Bundesregierung in einer schwierigen Haushaltslage befindet, und wir werden uns mit dieser Situation bei der Haushaltsberatung eingehend auseinandersetzen. Nach unserer Meinung gehören aber - und das möchte ich hier mit aller Dringlichkeit betonen - die Verkehrsprobleme zu den heißesten Eisen unserer Gesamtwirtschaft. Wir müssen sie endlich und in letzter Konsequenz anpacken.
Der Verkehrshaushalt und insbesondere der Straßenbau waren bisher immer eine Manövriermasse im Haushaltsausgleich. Wohin dieser Weg geführt hat, das haben wir täglich vor Augen. Wenn Sie diesen Sommer mit Ihrem Kraftwagen unterwegs waren, werden Sie selbst gemerkt haben, wieviel Unmut, wieviel Ärger und teilweise auch wieviel Empörung sich mitunter bei denen ansammelt, die stundenlang in 30 km langen Schlangen warten müssen, bis sie endlich eine Baustelle passiert haben.
({1})
- Dieser Einwand ist ein bißchen töricht. Ich möchte Ihnen vorschlagen auf die großen Bahnhöfe zu gehen, insbesondere wenn der Reiseverkehr zur Weihnachtszeit einsetzt. Sie werden dann erleben, daß auch die Bundesbahn dann Schwierigkeiten hat, den Verkehr zu bewältigen. Auch die Bundesbahn ist ja leider so knapp mit Mitteln ausgestattet, daß sie gar nicht in der Lage ist, ihren Fahrzeugpark so auszuweiten, daß sie eine wesentliche Mehrbelastung auf sich nehmen könnte.
Ich komme zum Schluß. Der Straßenbau hat nach unserer Auffassung längst aufgehört, eine Angelegenheit der Spezialisten, der Experten zu sein. Wir alle werden täglich auf allen Ebenen der Selbstverwaltung mit dem Straßenbau konfrontiert. Deshalb halten wir es bei der heutigen Beratung, in der die Weichen für eine sehr langfristige, viel zu bescheidene Finanzierung des Straßenbaus gestellt werden sollen, für notwendig, daß jeder von uns eine klare Haltung zum Straßenbau und zur Straßenbaufinanzierung, auch nach außen hin, bezieht. Um das auch für spätere Diskussionen klarzustellen, beantragen wir, über unseren Antrag namentlich abzustimmen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Drachsler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Bleiß hat soeben einen Änderungsantrag seiner Fraktion begründet. Grundlage dieses Antrags ist der seinerzeitige einstimmige Beschluß des Verkehrsausschusses betreffend eine 55%ige Zweckbindung für den Straßenbau.
Vom verkehrspolitischen Standpunkt aus ist sehr vieles zu unterstreichen, was der Kollege Bleiß in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verkehrsausschusses gesagt hat. Im Interesse des Ganzen aber und im Hinblick auf die Verantwortung für den Gesamthaushalt muß manches richtiggestellt werden. Auch der Herr Kollege Hirsch hat vorhin in der Debatte über eine andere Materie zuerkannt, daß die Opposition jederzeit auf seiten der Regierung steht, wenn es darum geht, den Haushalt auszugleichen. Bevor ich jedoch auf die jetzige Fassung des umstrittenen Art. 8 näher eingehe, möchte ich eine allgemeine Bemerkung machen.
Es könnte für die Arbeit in diesem Hause von großem Nutzen sein, wenn auch dem Verkehrsausschuß auf seinem Fachgebiet von seiten aller Fraktionen zuerkannt werden könnte, daß seine Beschlüsse von der gleichen Verantwortung getragen sind, welche auch Kollegen anderer Ausschüsse für sich in Anspruch nehmen. Es wäre vielleicht auch gut, wenn man diesem Ausschuß etwas mehr Überblick über das Fachgebiet des Verkehrs zuerkennen wollte, und es wäre sicherlich gut, wenn man in diesem Hause etwas mehr Interesse und Verständnis vor allem für die kommende Entwicklung auf dem Gebiete des Straßenverkehrs wollte.
({0})
Unsere Stellungnahme zu dem vorliegenden Entwurf im Verkehrsausschuß war von dem Streben getragen, die durch das Straßenbaufinanzierungsgesetz mühevoll erarbeitete langfristige Straßenbaupolitik nicht stören zu lassen und somit die Grundlage, nämlich die volle Erfüllung der Vierjahrespläne durch den Grundsatz der Zweckbindung zu erhalten. Nach den dem Ausschuß damals vorliegenden Schätzzahlen über das Aufkommen aus der Mineralölsteuer war eine sichere, lückenlose Finanzierung des zweiten Vierjahresplanes nur durch eine 55%ige Zweckbindung möglich. Die Mitglieder des Verkehrsausschusses waren sich sämtlich in dem Bestreben einig, dem federführenden Finanzausschuß einen möglichst einstimmigen Beschluß vorzulegen. Wir gaben uns damals der Hoffnung hin, daß ein einstimmiges Votum des Fachausschusses, sagen wir einmal, wenigstens erziehe4430
risch auf unsere Kollegen im Finanz- und im Haushaltsausschuß wirken könnte.
({1})
Diese Hoffnung ist zum Teil erfüllt worden; denn der Regierungsentwurf wurde, wenn auch nicht ganz unseren Vorstellungen entsprechend, vor allem in der Richtung unserer verkehrspolitischen Überlegungen geändert. Ich darf weiter sagen, daß alle Kollegen von der CDU/CSU sowie der FDP im Verkehrsausschuß für eine 55 %ige Zweckbindung eingetreten sind, daß aber auch alle Kollegen genauso heftig, wie sie dafür eingetreten sind, jetzt von den Argumenten unserer Freunde aus dem Haushaltsund dem Finanzausschuß überzeugt, für die vorliegende Fassung des Entwurfs eintreten.
({2})
- Es ist ein Kompromiß. Aber bei den laufenden Beratungen wurden auch andere Zahlen und Finanzierungspläne vorgelegt, die uns überzeugt haben. Wir beugen uns also der höheren Verantwortung für den Haushalt, zumal uns verbindlich zugesichert wurde, daß die langfristigen Vierjahrespläne voll erfüllt werden. Von einer verlorenen Schlacht für die Anliegen des Straßenbaus kann also nicht die Rede sein.
Die Sorgen, die bei der Vorlage des Entwurfs schon im Juni dieses Jahres geäußert wurden, sind zerstreut. Man befürchtete eine Beseitigung der Zweckbindung und sprach von zusätzlichen Abgaben der Verkehrsnutzer sowie von der Nichterfüllung der Straßenbauplanung. Das alles ist durch die Änderung des Entwurfs verhindert worden. Dieser Entwurf weist in seiner jetzigen Fassung tatsächlich positive Tatbestände auf, die auch von der Opposition anerkannt werden. Der Grundsatz der Zweckbindung und damit das Wegekostenprinzip sind beibehalten worden. Das ist das Wesentlichste. Ein weiteres Positivum ist, daß die langfristigen Vierjahrespläne finanziell gesichert sind. Sicherlich bleibt auch hier die Frage offen - da gebe ich Herrn Kollegen Bleiß durchaus recht -, ob nicht durch die kommende Entwicklung diese Dinge überholt werden, so daß wir uns rechtzeitig darum kümmern müssen, eventuell eine Korrektur vorzunehmen.
Der Herr Finanzminister hat den Änderungen schweren Herzens zugestimmt. Wir fordern ihn heute auf, sein Versprechen einzulösen, die Anleihen für den Straßenbau mit Vorrang unterzubringen. Für das Jahr 1964, so sagte er uns, sei das bereits geschehen. Der Weg der Anleihen, mag er auch keine Finanzierungsgarantie darstellen, ist keineswegs abwegig. Ausgaben für den Straßenbau sind langfristige Investitionen; sie bieten sich nahezu als klassische Investitionen an. Warum soll auch - darüber sollte man auch einmal sprechen - die gegenwärtige Generation denn alles auf einmal neu machen und auch aus den laufenden Mitteln bezahlen? Warum sollte man nicht auf kommende Generationen einige Lasten abwälzen, zumal doch immer wieder zu sagen ist, daß diese Generation wirklich Großes in den letzten 14 Jahren geleistet hat.
({3})
Keine Generation hat jemals, dazu noch unter solchen Umständen, so viel gebaut wie die jetzige Kriegsgeneration - das sollte einmal Anerkennung finden -, auch auf dem Gebiete des Straßenbaues.
({4})
Das schließt natürlich nicht aus, daß immer wieder kritisiert wird, und jede Kritik an den sogenannten Mißständen der Motorisierung und des Straßenverkehrs kommt überall groß an. Es ist ja auch kein Wunder! Denn alle Staatsbürger, wir selbst, die Mitglieder dieses Hauses begegnen täglich mehrmals dem Ärgernis Straße. Sind das aber Mißstände? Sind es nicht mehr oder weniger Erscheinungen des Wohlstandes, mit denen wir schwerer fertigwerden als mit der Not der Nachkriegszeit?
({5})
Heute ist es doch bald so, daß jeder oder wenigstens mancher Autofahrer, wenn er sich ein Auto anschafft, automatisch im stillen denkt, er könne vom Staat auch einige Kilometer ausgebauter und schon bezahlter Autobahn mit dazugeliefert bekommen.
Auch das hört einmal auf; denn den Wettlauf mit dem Fließband der Motorisierung kann der Straßenbau nie gewinnen. Auch uns sind die „Mißstände" bekannt, auch wir wissen, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt. Wir wissen, daß gerade auf dem Gebiete des innerstädtischen Verkehrs, des Orts- und Nachbarortsverkehrs die größten Engpässe entstehen werden.
({6})
Aber ist die Verhütung dieser Engpässe vielleicht nur eine Geldfrage? Heute wurde schon angeführt, daß es auch eine Frage des Verbauens, des Verplanens und der Administrative ist. Hier gibt es einen wahren Engpaß, eine wahre Verkehrsnot. Wir werden in den kommenden Jahren hier noch viel mehr Schwierigkeiten haben. Über 80 % des gesamten Verkehrs wickeln sich im Orts- und Nachbarortsverkehr ab. Wer in den Stoßzeiten des Verkehrs durch unsere Städte fährt, wird sagen, daß hier von Bund, Ländern und Gemeinden alle Anstrengungen gemacht werden müssen, um dieser wachsenden Not Herr zu werden.
Die Bundesregierung und dieses Haus haben mit der Einsetzung der Enquete-Kommission unterstrichen, daß der Bund bereit ist, eine Mitverantwortung für die Verkehrsanliegen der Kommunen zu tragen. Wir werden im kommenden Jahre die gemeinsame Aufgabe haben, das Ergebnis dieser Kommission zu debattieren und gesetzliche Maßnahmen zur Behebung der Verkehrsnot zu treffen.
Betrachten wir einmal die Kritik von seiten der kommunalen Spitzenverbände, deren Anregungen uns immer sehr angenehm sind und die wir auch befolgen, wo es nur irgend möglich ist, gerade zusammen mit den Leistungszahlen der Gegenwart. Hier muß einmal eine Rechnung aufgemacht werden, um der Gerechtigkeit Raum zu geben. Diese Rechnung sieht wesentlich anders aus als die Zahlenangaben, die uns bei aktuellen Anlässen immer auf den Tisch flattern: Die Finanzmittel, die der Bund für die Verkehrsausgaben insgesamt im geDrachsler
meindlichen Bereich zur Verfügung stellt, beanspruchen nahezu 50 % der Gesamtinvestitionen des zweiten Vierjahresplanes;
({7})
das sind 4,580 Milliarden DM im zweiten Vierjahresplan. - Der Zuruf des Kollegen Schmidt „Hört! Hört!" ist durchaus berechtigt. Man sollte da zuhören. Ich muß gestehen, daß ich als Verkehrsfachmann diese Zahlen selber nicht so genau zur Verfügung hatte; ich habe sie so genau erst jetzt bekommen. Davon entfallen 680 Millionen DM auf Zuschüsse an fremde Baulastträger. Von diesen 680 Millionen DM werden 450 Millionen DM nach den Richtlinien des Gemeindepfennigs ausgegeben. Sie werden den Ländern ohne Auflage, nur mit dem Wunsch oder mit dem Vorschlag gegeben, die Hälfte davon den kleinsten und kleinen Gemeinden und die andere Hälfte den Städten zu geben.
An Aufwendungen als Folge des erst vor kurzem verabschiedeten Eisenbahnkreuzungsgesetzes werden in den nächsten drei Jahren allein 180 Millionen DM für die Beseitigung schienengleicher Übergänge an Gemeindestraßen ausgegeben, also auch für die Kommunen. Für Ortsumgehungen gibt der Bund im zweiten Vierjahresplan 1,15 Milliarden DM aus, für Ortsdurchfahrten in Sädten unter 50 000 Einwohnern 370 Millionen DM. Den größten Posten nehmen die Verkehrsausbauten im Vorfeld unserer Großstädte ein, vor allem für die verlängerten Ortsdurchfahrten. Dieser Posten verschlingt die Summe von 2,2 Milliarden DM.
Angesichts dieser Zahlen muß einmal die Frage gestellt werden, ob man gewillt ist, das auch einmal anzuerkennen.
({8})
4,5 Milliarden DM von den vorgesehenen 13 Milliarden DM für den Verkehrsausbau in vier Jahren kommen also in den gemeindlichen Bereich, und da wirft man dem Bund noch vor, er tue zuwenig dafür.
Wir wissen, daß das alles noch nicht ausreicht, um die Verkehrsschwierigkeiten mit einem Schlag zu überwinden. Das ist aber nicht nur eine Frage des Geldes, sondern vor allem auch eine Frage der Planung und der administrativen Abwicklung. Es wird heute schon davon gesprochen, daß sich zur beschleunigten Erfüllung dieser Anliegen vor allem die Exekutive etwas einfallen lassen müßte. Hier gehen durch die allzu bürokratische Behandlung der Mittelzuweisungen viel Zeit, viel Kapazität und Energie verloren. Von seiten der Gemeinden, der Städte und auch von uns, den Mitgliedern dieses Hauses, wird daher mit Recht kritisiert, daß viel zu unwirtschaftlich und bürokratisch verfahren wird. Da werden in den Amtszimmern die Merkmale der Merkmale studiert und zeitraubend geprüft, ob die vom Bundestag bewilligten Geldmittel denn auch ausgegeben werden dürften. Auch hier würde das Motto „wer schnell gibt, gibt doppelt" größere Erfolge zeitigen. Es ist auf die Dauer nicht hinzunehmen, daß die Bearbeitungsfristen der Anträge zum Teil bis zu zwei Jahren laufen. Auffallend ist, daß die Bewilligungsbescheide sich gerade zu jenen Jahreszeiten häufen, da es dem Ende zugeht und die Summen meist nicht mehr verbaut werden können. Viele Landräte und Bürgermeister greifen daher zur Selbsthilfe und nehmen das Risiko auf sich, selbst gegen die Bestimmungen mit dem Bau einer Straße einfach zu beginnen, und es sind nicht die schlechtesten Landräte und Bürgermeister.
Natürlich wollen wir die personellen Schwierigkeiten in den Planungsabteilungen der Straßenbauverwaltungen nicht verkennen. Hier gibt es eine echte Konjunkturüberhitzung. Die Regierungen des Bundes und der Länder sollten daher dafür sorgen, daß diese personellen Schwierigkeiten überwunden werden, denn gerade hier gäbe es viele Möglichkeiten, mit dem zur Verfügung stehenden Geld wirklich Großes zu leisten.
Ich hielt es für angebracht, bei der Debatte gerade über diesen Regierungsentwurf auch auf diese Dinge hinzuweisen und die Leistungen des Bundes entsprechend zu würdigen. Die der CDU/CSU und auch der FDP angehörenden Kollegen des Verkehrsausschusses und die gesamte Fraktion stimmen daher diesem Entwurf zu, weil wir uns überzeugen ließen und weil wir wissen, daß dadurch das Hauptziel, nämlich die volle Finanzierung unserer langfristigen und leistungsfähigen Straßenbaupolitik, garantiert ist. Wir beugen uns aber auch der höheren Notwendigkeit, um dem Ganzen zu nutzen und die Stabilität unserer Währung zu erhalten.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Imle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Befürchten Sie nicht, daß auch ich Ihnen noch lang und breit über dieses Problem vortragen werde.
({0})
- Sie klatschen zu früh, meine Damen und Herren von links; Sie werden noch früh genug zu Ihrer Niederlage kommen.
Ich darf für die Freien Demokraten folgendes darlegen. Nachdem der Haushaltsausschuß für die Jahre 1964, 1965 und 1966 eine Zweckbindung in Höhe von 46 bzw. 48 und 50 % vorgeschlagen hat und damit die Durchführung des zweiten Vierjahresplanes sichergestellt ist, werden die Freien Demokraten dem Haushaltsausschuß und dem Finanzausschuß folgen und dementsprechend den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ablehnen.
({1})
Weitere Wortmeldungen zu dem Antrag Umdruck 359? - Nicht.
Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion hat insgesamt namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist genügend unterstützt. Wir stimmen ab über den Antrag Umdruck 359. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Meine Damen und Herren, hat jedermann, der sich an der Abstimmung beteiligen will, seine
Vizepräsident Dr. Schmid
Stimmkarte abgegeben? - Dann bitte ich das zu tun.
Die Abstimmung ist geschlossen. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben sich 355 stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 15 nicht stimmberechtigte Berliner Abgeordnete beteiligt. Mit Ja haben 156 stimmberechtigte Abgeordnete und 11 nicht stimmberechtigte Abgeordnete gestimmt, mit Nein 198 stimmberechtigte und 4 nicht stimmberechtigte Abgeordnete. Enthalten hat sich ein Mitglied des Hauses. Der Antrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis:
Ja: 156 und 11 Berliner Abgeordnete Nein: 197 und 4 Berliner Abgeordnete Enthalten: 1
Ja
SPD
Frau Albertz
Anders Auge
Dr. Dr. h. c. Baade Bading
Bäuerle Bäumer Bals
Bauer ({0}) Behrendt
Berkhan Beuster
Frau Beyer ({1}) Biegler
Biermann
Blachstein
Dr. h. c. Brauer Brünen
Bruse
Büttner Busch
Corterier
Diekmann
Frau Döhring Dröscher
Frau Eilers
Erler
Eschmann
Faller Felder Figgen Flämig Folger Franke Frehsee
Frau Freyh ({2}) Geiger
Gerlach Glombig
Gscheidle
Haage ({3}) Haase ({4}) Hamacher
Hansing
Dr. Harm ({5}) Heide
Heiland
Dr. Dr. Heinemann Hellenbrock
Frau Herklotz Hermsdorf
Herold Hirsch Höhmann
({6}) Höhne
Hörauf
Hörmann ({7}) Frau Dr. Hubert Hufnagel
Hussong
Iven ({8})
Jacobi ({9})
Jacobs Jahn
Dr. h. c. Jaksch Jürgensen
Junghans
Junker Kaffka Kahn-Ackermann
Frau Kettig
Killat
Dr. Koch
Könen ({10}) Koenen ({11}) Kohlberger
Frau Korspeter
Kraus
Dr. Kreyssig
Dr. Kübler
Kulawig Kurlbaum
Lange ({12}) Langebeck Lautenschlager
Lemper
Lenz ({13}) Dr. Lohmar
Lücke ({14}) Maibaum
Marquardt
Marx
Matthöfer
Matzner
Frau Meermann Metter
Dr. Meyer ({15}) Meyer ({16}) Michels
Dr. Morgenstern Müller ({17}) Müller ({18}) Müller ({19}) Müller ({20})
Dr. Müller-Emmert
Nellen Peiter Peters ({21})
Dr. Pohlenz
Priebe Ravens Regling Rehs
Dr. Reischl
Reitz
Riegel ({22})
Dr. Rinderspacher Ritzel
Rohde
Frau Rudoll
Sänger Saxowski
Frau Schanzenbach Scheuren
Dr. Schmid ({23}) Schmidt ({24}) Dr. Schmidt ({25}) Dr. Schmidt ({26}) Schmidt ({27}) Schmitt-Vockenhausen Schröder ({28}) Schwabe
Seidel ({29})
Seither Frau Seppi
Steinhoff
Stephan
Striebeck
Strohmayr
Dr. Tamblé
Theis Wegener
Wehner
Welke Welslau
Weltner ({30})
Frau Wessel
Wilhelm
Frau Zimmermann
({31})
Zühlke
Berliner Abgeordnete
Bartsch
Frau Berger-Heise Braun
Frau Krappe
Liehr ({32})
Frau Lösche
Mattick
Neumann ({33})
Dr. Seume
Urban
Nein
CDU/CSU
Dr. Adenauer
Adorno
Dr. Althammer Arndgen
Baier ({34}) Baldauf
Balkenhol
Dr. Barzel
Bauer ({35}) Becker
Dr. Besold
Bewerunge
Dr. Bieringer
Frau Dr. Bleyler
Blöcker
Blumenfeld
von Bodelschwingh
Dr. Böhm ({36}) Böhme ({37})
Brand
Frau Brauksiepe
Dr. Brenck Brück
Bühler
Dr. Conring Dr. Czaja van Delden Diebäcker Dr. Dittrich Drachsler Draeger
Dr. Dr. h.c. Dresbach Ehnes
Eichelbaum Dr. Elbrächter
Frau Engländer
Falke
Dr. Franz Franzen
Dr. Fritz ({38}) Gaßmann
Gedat
Frau Geisendörfer
Dr. Gerlich
D. Dr. Gerstenmaier Gewandt
Gibbert
Giencke
Dr. Gleissner
Glüsing ({39})
Dr. Götz Gottesleben
Dr. h. c. Güde
Günther Frau Haas Haase ({40})
Härzschel
Dr. Hahn ({41})
Dr. von Haniel-Niethammer Harnischfeger
Dr. Hauser Hesemann Hilbert
Dr. Höchst Hörnemann ({42}) Hösl
Hoogen
Dr. Huys
Frau Jacobi ({43})
Dr. Jaeger Josten
Dr. Jungmann
Frau Kalinke
Dr. Kanka Katzer
Dr. Kempfler
Frau Klee
Klein ({44})
Dr. Knorr Dr. Kopf Krug
Frau Dr. Kuchtner
Kühn ({45}) Kuntscher
Lang ({46})
Leicht
Lenze ({47}) Leonhard
Lermer
Leukert
Dr. Luda
Maier ({48}) Majonica
Dr. Martin
Maucher
Meis
Memmel
Mengelkamp
Menke Mick
Müser Nieberg
Dr. Dr. Oberländer Oetzel
Frau Dr. Pannhoff
Dr. Pflaumbaum
Dr.-Ing. Philipp
Frau Pitz-Savelsberg
Dr. Poepke
Frau Dr. Probst
Dr. Ramminger
Rasner Rauhaus
Dr. Reinhard
Riedel ({49})
Ruf
Ruland Scheppmann
Schlick
Dr. Schmidt ({50}) Schneider ({51})
Dr. Schwörer
Dr. Seffrin
Dr. Serres
Dr. Sinn
Spies
Stauch
Dr. Steinmetz
Stiller
Dr. Stoltenberg
Storm Strauß Sühler Dr. Süsterhenn
Tobaben
Unertl Varelmann
Verhoeven
Dr. Vogel
Vogt
Wagner
Dr. Wahl
Dr. Weber ({52}) Wehking
Weigl Weinzierl
Werner
Wieninger
Dr. Willeke
Windelen
Winkelheide
Dr. Winter Wittmer-Eigenbrodt
Wullenhaupt
Ziegler
Dr. Zimmer
Dr. Zimmermann
({53})
Berliner Abgeordnete
Hübner
Frau Dr. Maxsein Müller ({54}) Stingl
FDP
Dr. Achenbach
Busse
Dr. Dehler
Deneke
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dr. Dörinkel
Dürr
Dr. Effertz
Dr. Emde
Frau Dr. Flitz ({55}) Hammersen
Frau Dr. Heuser
Kubitza
Lenz ({56}) Margulies
Dr. Mende
Dr. Miessner
Mischnick
Murr
Ollesch Opitz
Peters ({57}) Reichmann
Dr. Rutschke
Sander Schultz Spitzmüller
Dr. Stammberger Wächter
Walter
Weber ({58}) Zoglmann
Enthalten
FDP Ramms
Ich rufe nunmehr in zweiter Beratung Art. 8, 9, 10, 11, 12 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen wenigen Enthaltungen ohne Gegenstimmen angenommen.
Die zweite Beratung ist damit abgeschlossen.
Ich rufe zur
dritten Beratung
auf und eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort in der allgemeinen Aussprache in dritter Beratung hat der Abgeordnete Dr. Bleiß.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der zweiten Lesung
ist der von uns gestellte Antrag zur Verstärkung der Straßenbaumittel in namentlicher Abstimmung abgelehnt worden. Die nunmehr zur Schlußabstimmung anstehende Neufassung des Straßenbaufinanzierungsgesetzes bedeutet eine wesentliche Verschlechterung des geltenden Rechts. Wir halten es für geradezu absurd, angesichts der zunehmenden Verkehrsnot auf unseren Straßen die Klammer zwischen Straßenbau und Motorisierung weiter zu schwächen. Mit der Einengung der Straßenbaumittel im ordentlichen Haushalt werden die öffentlichen Investitionen an der empfindlichsten Stelle getroffen. Mit der Beschränkung der Zweckbindung auf maximal 50% wird gleichzeitig der Versuch unternommen, den Kurs in der Straßenbaufinanzierung für einen längeren Zeitraum auf unzureichendem Niveau festzulegen.
Meine Damen und Herren, wir werden uns mit dieser Entscheidung nicht zufrieden geben und bei jeder Beratung einer einschlägigen Materie die Verbesserung der Zweckbindung zur Sicherung des Straßenbaues beantragen. Ich darf noch einmal feststellen: Eine Zweckbindung von 46 bis maximal 50 % des Steueraufkommens ist absolut unzureichend. Sie wird die teilweise katastrophalen Verhältnisse auf den Bundesfernstraßen nicht bessern, sondern verschärfen und die Verkehrsnot in den Städten und Gemeinden weiter vergrößern. Das müssen wir klar sehen, und deshalb lehnen wir die von Ihnen vorgeschlagene Regelung der Zweckbindung nachdrücklich ab.
In dem Gesetzentwurf werden leider zwei völlig voneinander verschiedene Materien behandelt: Straßenbaufinanzierung und Anpassungshilfen für die Erdölgewinnungsindustrie.
Den Anpassungshilfen stimmen wir zu, weil wir die im Gesetzentwurf vorgesehene Übergangsregelung zur Erhaltung einer wichtigen heimischen Energiequelle für unumgänglich und für dringend notwendig halten. Nur die Sorge um die Erhaltung und den Ausbau unserer Energiequellen wird uns veranlassen, dem Gesetzentwurf in seiner Gesamtheit trotz unserer schweren Bedenken gegen die unzureichende Finanzierung des Straßenbaus zuzustimmen.
Aber die Debatte um einen verbesserten Ausbau unserer Straßen und der gesamten Infrastruktur werden wir weiter führen, und schon die Beratung des Haushalts 1964 wird uns dazu Gelegenheit bieten.
({0})
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache weiter verlangt? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Anträge sind nicht angekündigt. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen angenommen.
Wir haben nunmehr über die Entschließungsanträge abzustimmen, und zwar zwei Entschließungs4434
Vizepräsident Dr. Schmid
antrage des Ausschuses und einen der SPD-Fraktion. Zu den Anträgen des Ausschusses liegen Änderungsanträge auf Umdruck 357 ({0}) *) und Umdruck 360 *) vor. Das Wort zur Begründung des Antrags 357 ({1}) hat der Abgeordnete Dr. Eppler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Finanzausschuß hat Ihnen mit Drucksache IV/1613 einen Entschließungsantrag vorgelegt, dem die sozialdemokratische Fraktion mit Ausnahme der Nr. 2 b zustimmt. Zu Nr. 2 b haben wir einen Änderungsantrag zuerst auf Umdruck 357 vorgelegt und haben ihn dann, um auch der CDU die Zustimmung zu erleichtern, geändert.
Es liegt Ihnen nun vor der Änderungsantrag auf Umdruck 357 ({0}). Ziel dieses Antrages ist es, Nr. 2 b im Antrag des Ausschusses aufzugliedern, damit über zwei verschiedene Dinge getrennt abgestimmt werden kann. Der erste Teil der Nr. 2 b enthält die Frage an die Bundesregierung, ob sie beabsichtige, irgend etwas in Richtung auf die Besteuerung von Raffineriegas zu unternehmen. Das ist der Rest - man könnte auch sagen: der traurige Rest - einer Entschließung, in der ursprünglich gefragt wurde, welche Maßnahmen die Bundesregierung in dieser Richtung vorschlage. Gegen eine solche Frage, o b die Bundesregierung etwas vorhabe, ist natürlich von der Sache her nichts einzuwenden. Wir Sozialdemokraten freuen uns immer, wenn die Bundesregierung in irgendeinem Punkt präzise sagt, was sie vorhat. Wir freuen uns um so mehr, als wir in diesem Punkt gerade in letzter Zeit nicht verwöhnt worden sind. Die Frage ist nur, ob es nötig ist, diese präzise Äußerung jedesmal durch eine besondere Entschließung des Parlaments zu verlangen. Ich glaube, in diesem Punkt trauen wir der Bundesregierung etwas mehr Pflichteifer zu.
({1})
Der Hauptgrund aber, warum wir die Trennung beantragen, ist, daß wir, die sozialdemokratische Fraktion, völlig klarlegen wollen, daß wir für eine Besteuerung von Raffineriegas nicht zu haben sind, und zwar unabhängig davon, was die Regierung plant oder auch nicht plant. Es ist hier natürlich nicht der Ort, das Pro und Kontra der Raffineriegasbesteuerung abzuhandeln. Nur eine Bemerkung: Der Landtag des Landes Baden-Württemberg hat am 26. Juni dieses Jahres einen Antrag angenommen, in dem die Landesregierung unter anderem ersucht wird, für den Bau einer Ferngasleitung aus dem Rheintal in die Gegend des mittleren Schwarzwaldes - Schwenningen, Villingen - Staatsmittel zur Verfügung zu stellen, und zwar in Form von Staatsbürgschaften und Zinszuschüssen. Der Stuttgarter Landtag will also diese neue Energiequelle sogar durch den Griff in die Staatskasse fördern. Das fällt in Stuttgart vielleicht noch schwerer als anderswo. Es wäre deshalb weder logisch noch freundlich, wenn der Bund diese neue Energiequelle mit einer Sondersteuer belegen wollte.
Bei einer Ablehnung von Nr. 2 b des Ausschußantrages in der vorliegenden Form fiele der letzte
*) Siehe Anlagen 3 und 4
Satz unter den Tisch. Das wäre schade. Bei diesem letzten Satz der ursprünglichen Fassung geht es darum, daß die Rohölverarbeiter, also die großen Gesellschaften, nach geltendem Recht ihren Energiebedarf an Heizöl steuerfrei decken können, während die Zweitverarbeiter von Mineralölerzeugnissen, deren Produkte mit denen der großen Gesellschaften in Konkurrenz stehen, für jede Tonne Heizöl 25 DM bezahlen müssen. Wir waren uns im Ausschuß ausnahmslos darüber einig, daß hier eine Wettbewerbsverzerrung vorliegt und Abhilfe nötig ist. Deshalb haben wir diesen Satz in Nr. 2 c unseres Antrages auf Umdruck 357 ({2}) aufgegriffen.
Ich darf noch ein Wort sagen zu dem weiteren Änderungsantrag zu dem Entschließungsantrag des Ausschusses, der von den Abgeordneten Dr. Imle und Genossen auf Umdruck 360 gestellt worden ist. Dieser Antrag Dr. Imle und Genossen stimmt mit dem unseren in zwei Punkten überein, erstens in der Trennung der beiden Ersuchen und zweitens darin, daß auch hier die Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden sollen. Der Unterschied besteht darin - und darüber werden Sie abzustimmen haben, meine Damen und Herren -, daß unsere Fassung zwar nicht verlangt, daß das Eigenverbrauchsprivileg der großen Mineralölgesellschaften abgeschafft wird, daß wir aber der Regierung auch diese Möglichkeit offenlassen wollen, falls sie eine andere nicht findet, während, wenn ich das richtig verstehe, der Antrag der Freien Demokraten oder jedenfalls der Abgeordneten Dr. Imle und Genossen diese Möglichkeit nicht einkalkulieren möchte. So habe ich das begriffen.
Wir möchten unseren Antrag deshalb aufrechterhalten, weil wir glauben, daß auch eine andere Lösung als die Aufhebung des Privilegs dann eher zu erreichen sein wird, wenn diese Möglichkeit der Aufhebung immer noch im Raum steht. Das kann manchmal sehr heilsam sein. Deshalb darf ich Sie bitten, meine Damen und Herren, unserem Antrag zuzustimmen. Ich darf gleichzeitig den Herrn Präsidenten bitten, nachher über die Buchstaben a und b auf alle Fälle getrennt abstimmen zu lassen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stecker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben keine Bedenken gegen die Auftrennung der Entschließung zu b in dem ursprünglichen Antrag und die Formulierung des sozialdemokratischen Antrags Umdruck 357 ({0}). Wir sind für die beiden Teile der Entschließung unter Buchstabe b, weil wir einmal der Meinung sind, daß sich die Bundesregierung über das Problem des Raffineriegases, insbesondere die Einordnung in die übrigen Energieträger, möglichst schnell Gedanken machen soll, damit keine Fehlleitungen erfolgen. Wir sind aber auch durchaus der Ansicht, daß die Besteuerung des Raffineriegases mit dieser Fassung der Entschließung weder angeregt noch abgelehnt ist, daß die Regierung vielmehr angehalten ist, zu prüfen. Ebenso ist es mit der Frage des
Eigenverbrauchsprivilegs. Auch hier wollen wir eine objektive Prüfung der Wettbewerbslage nach allen Seiten. Wir würden also diesen beiden Entschließungen zustimmen.
Wir stimmen dann ab über den Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 357 ({0}). Wer zustimmt, gebe bitte Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ist damit der Antrag der Abgeordneten Dr. Imle und Genossen auf Umdruck 360 gegenstandslos?
({1})
- Wird der Antrag aufrechterhalten? Wollen Sie ihn begründen, Herr Abgeordneter Mertes?
({2})
- Sie haben sich nicht gemeldet, es tut mir leid. Der Antrag Umdruck 360 ist durch die Annahme des Antrags Umdruck 357 ({3}) gegenstandslos.
Ich rufe Ziffer 2 Buchstabe a des Antrags des Ausschusses zur Abstimmung auf. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen.
Ich stelle Buchstabe b zur Abstimmung. Wer zu) stimmt, gebe bitte Zeichen. - Gegenprobe! - Ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen. Wer dem Antrag des Ausschusses zu Ziffer 2 Buchstabe b zustimmt, erhebe sich vom Platz.
({4})
- Natürlich, wie es nach dem Antrag Umdruck 357 ({5}) beschlossen ist, in der Fassung nach dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 357 ({6}). Wer zustimmt, erhebe sich vom Platze. ({7})
- Es wird abgestimmt über Ziffer 2 Buchstabe b mit der Änderung nach dem Antrag Umdruck 357 ({8}). - Besteht irgendeine Unklarheit? Dann bitte ich, sich zu äußern. - Herr Abgeordneter Dr. Eppler!
Wir haben die Trennung von Buchstabe b und c -
Buchstabe a und b meinen Sie!
- nein, von b und c - vor allem deshalb beantragt, weil wir die Hauptsache des bisherigen Antrags unter Ziffer 2 b abzulehnen geneigt sind, während wir den letzten Satz, den wir jetzt nach c genommen haben, anzunehmen beabsichtigen. Deshalb habe ich gebeten, daß über a und b getrennt abgestimmt wird, nachdem Buchstabe c durch den Antrag bereits erledigt ist.
Der Herr Abgeordnete Mertes hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es viel Wert hat, wenn ich jetzt noch kurz meine Ausführungen mache. Ich bin dem Kollegen Eppler dankbar, daß er versucht hat, die Unterschiede herauszuarbeiten, die zwischen dem Antrag Umdruck 360 und dem Antrag Umdruck 357 ({0}) der SPD-Fraktion bestehen.
Ich habe dazu nur folgende Erklärung abzugeben: Die deutsche Wirtschaft steht in einem sehr scharfen internationalen Wettbewerb. Daraus ergibt sich, daß wir mit dem Abbau von Privilegien äußerst vorsichtig sein sollten, zumal die deutsche Wirtschaft über Privilegien dieser Art nicht in dem Ausmaße wie die Wirtschaft anderer Länder verfügt. Deshalb möchten wir nicht, daß die Weiche von vornherein in Richtung auf einen Abbau dieser Privilegien gestellt wird. Aus diesem Grunde haben wir die Formulierung auf dem Antrag Umdruck 360 gewählt. Um die Zustimmung dazu wollten wir Sie bitten.
({1})
Sie ziehen also den Antrag Umdruck 360 nicht zurück? Im Augenblick ist doch der letzte Satz unter Buchstabe b) schon gestrichen. Die Fassung von Buchstabe c) ist nach dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 357 ({0}) angenommen. Sie können also Ihren Änderungsantrag zu Buchstabe c) nicht mehr aufrechterhalten.
Wir gingen davon aus, daß wir bei der Entschließung unter b) eine Alternative zwischen den beiden letzten Sätzen hätten.
Aber es ist durch die Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 357 ({0}) entschieden.
Wir stimmen also jetzt ab über Buchstabe b), wobei der letzte Satz gestrichen wird. Wer dem Buchstaben b) unter dieser Voraussetzung zustimmt, gebe bitte Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Besteht Uneinigkeit? Dann müssen wir die Abstimmung wiederholen. Wer dem Buchstaben b) zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Das Präsidium ist nicht einig; wir müssen auszählen.
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 132, mit Nein 145; enthalten haben sich 3. Insgesamt sind also 280 Stimmen abgegeben worden. Der Antrag unter Ziffer 2 b der Entschließung des Ausschusses ist damit abgelehnt. Der schon angenommene Buchstabe c wird damit Buchstabe b. In dieser Form ist der Antrag des Ausschusses angenommen.
Ferner liegt noch der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 358 ({1}) *) vor. Es ist beantragt, diesen Entschließungsantrag dem Ver-
*) Siehe Anlage 5
Vizepräsident Dr. Dehler
kehrsausschuß zu überweisen. Bestehen dagegen Bedenken? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich Punkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ({2}).
Wird der Antrag begründet? - Herr Abgeordneter Dr. Lohmar!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Problematik eines Forschungsgesetzes beschäftigt den Bundestag nicht zum erstenmal. Am 15. Mai dieses Jahres hat der Bundestag einstimmig die Bundesregierung aufgefordert, dem Hohen Hause ein solches Gesetz vorzulegen. Dieser Aufforderung ist die Bundesregierung bisher nicht nachgekommen. Sie wird dafür ihre Gründe haben, und Herr Minister Lenz wird sie wahrscheinlich nachher darlegen.
Aber meiner Fraktion lag daran, dem Bundestag erneut zu empfehlen, die Vorlage eines solchen Gesetzes zu verlangen. Wir glauben, daß die Entwicklung der Wissenschaftspolitik im letzten halben Jahr ein Gesetz zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung noch dringlicher gemacht hat, als es vor einem halben Jahr schon war.
Die Wissenschaftsförderung hat sich in den letzten Monaten so entwickelt, daß statt der Finanzierung nach dem zwischen Bund und Ländern ursprünglich vorgesehenen Schlüssel von 50 : 50 jetzt die Lasten im Verhältnis 2: 1 den Ländern aufgebürdet werden. Der Bund ist relativ in einem zunehmend geringeren Ausmaß an der Wissenschaftsfinanzierung beteiligt. Das ist kein Zufall und hängt auch nicht nur mit der Tatsache zusammen, daß Sie dieses Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern bisher noch nicht haben zustande bringen können. Es hängt auch nicht nur damit zusammen, daß einige Bundesländer in den Verhandlungen der letzten Monate ein Junktim hergestellt haben, indem sie sagten, die Klärung des Beteiligungsverhältnisses an der Einkommen- und Körperschaftsteuer sei untrennbar mit der Frage der Wissenschaftsfinanzierung verbunden, und außerdem - so sagten einige Bundesländer - habe sich der Bund hier auf Grund einer einmal günstiger gewesenen finanziellen Situation in ein Aufgabengebiet gedrängt, in dem er eigentlich nichts zu suchen habe.
Die Debatte im Bundestag über diese Meinung einiger Bundesländer wäre leichter, wenn nicht auch die Bundesregierung ihrerseits mehrfach Anlaß gegeben hätte, an ihrer Auffassung zur Wissenschaftspolitik und speziell zu ihrer Finanzierung erhebliche Zweifel zu hegen. So hat beispielsweise der Herr Bundesfinanzminister zu Zeiten der Regierung Adenauer und zu Zeiten der Regierung Erhard verschiedentlich öffentlich - und noch öfter offen, wenn auch nicht öffentlich - durchblicken lassen, daß er bereit sei, die Beteiligung des Bundes in der
Wissenschaftspolitik auf dem Altar eines allgemeinen Friedensschlusses mit den Ländern zu opfern. Der Herr Bundeskanzler, der neue Bundeskanzler, hat in seiner Regierungserklärung in einigen allgemeinen Bemerkungen immerhin den Eindruck erweckt, ihm liege an einer Mitverantwortlichkeit des Bundes in der Wissenschaftspolitik. Der Herr Wissenschaftsminister schließlich hat zu keiner Zeit - wir freuen uns darüber - einen Zweifel daran gelassen, daß nach seiner Auffassung - wie sollte er sonst auch sein Amt ausüben?! - eine kontinuierliche Beteiligung des Bundes in der Sache und in der Finanzierung nicht in Frage gestellt werden kann.
Aber das Ergebnis dieser vielen Verhandlungen, Veröffentlichungen, Stellungnahmen im letzten halben Jahr ist einfach dies: Wir können heute konstatieren, worüber sich die Bundesländer und die Bundesregierung nicht einig sind; aber niemand ist in der Lage, zu sagen, in welcher Weise sie sich einigen wollen, konkret gesprochen, ob, unter welchen Voraussetzungen und mit welchem Inhalt Verwaltungsabkommen einmal zustande kommen könnten.
Nun, diese Situation hätte uns veranlassen können, zu sagen: Schön, wir wollen die Regierung bitten, sich um den Abschluß eines solchen Verwaltungsabkommens vielleicht nachdrücklicher als bisher zu bemühen. - Wir möchten uns jedoch darauf nicht beschränken, weil wir glauben, daß dies ein Versuch wäre, mit der berühmten weißen Salbe einer Wunde beizukommen, die damit nicht geheilt werden kann. Wir meinen, daß die Vorlage und Verabschiedung eines Forschungsförderungsgesetzes eine unerläßliche Voraussetzung dafür ist, die Beziehung zwischen Bund und Ländern in der Wissenschaftspolitik auf eine klare Rechtsgrundlage zu stellen, soweit der Bund in Betracht kommt, und dann auf dieser Grundlage eine kontinuierliche Zuzammenarbeit zu entwickeln.
Wir befanden uns dabei in dieser unserer Absicht vor einem halben Jahr - ich erwähnte es bereits - in Übereinstimmung mit dem gesamten Hause und auch im Einklang mit dem Sprecher der Ministerpräsidentenkonferenz, dem Bayerischen Ministerpräsidenten Goppel, der in der Kulturdebatte am 13. Februar dieses Jahres ausdrücklich erklärt hat, er wünsche eine Fortsetzung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Wissenschaftspolitik.
Das war - Sie wissen es - vor der Ministerpräsidentenkonferenz in Saarbrücken. In Saarbrücken ist die Front der Ministerpräsidenten auseinandergebrochen. Wir haben einen Vortrag zur Kenntnis nehmen müssen, den Herr Meyers, der „Landesvater" von Nordrhein-Westfalen, in Saarbrücken gehalten und in dem er sich dafür ausgesprochen hat, die Finanzierung wenigstens der neuen Universitäten ausschließlich den Ländern zu überlassen. Er hat in dieser Rede in Saarbrücken die Frage offen gelassen, ob sich der Bund an der Finanzierung der bestehenden Universitäten weiter beteiligen solle.
Seither haben sich die Ministerpräsidenten der Bundesländer wechselseitig interpretiert und dementiert. Herr Kiesinger beispielsweise hat vor einigen Wochen Gelegenheit genommen, zu sagen, in Saarbrücken sei keineswegs einmütig von den Länderchefs die Auffassung vertreten worden, daß man den Bund aus einer gemeinsamen Wissenschaftsfinanzierung ausschließen wolle. Herr Kiesinger konnte leider nicht hinzufügen, daß man umgekehrt darüber einig gewesen sei, es so zu belassen, wie es sich im Wissenschaftsrat seither herausgebildet hat. Kurz gesagt, einen eindeutigen Standort der Ministerpräsidenten in dieser Frage der Zusammenarbeit heute auszumachen, ist schlechterdings unmöglich.
Ich hielte es für die Entwicklung der Wissenschaftspolitik für mehr als hinderlich, wenn sich der Bundestag mit einer solchen Situation einfach abfände. Deshalb bitten wir zu überlegen, ob ein Forschungsförderungsgesetz uns nicht auf einen festeren Boden stellen kann.
Lassen Sie mich eins klarstellen! Wir versprechen uns von einem solchen Forschungsförderungsgesetz keine bessere Qualität der Forschung in Deutschland. Wir möchten damit keine sachlichen, inhaltlichen Eingriffe des Staates in die freie Forschung außerhalb der staatlichen Auftragsforschung in die Wege leiten oder für die fernere Zukunft ins Auge fassen. Worum es geht, ist die, Bereitstellung von Bundesmitteln für nicht zur Bundesverwaltung gehörende Forschungseinrichtungen, um es eingrenzend zu sagen.
Meine Damen und Herren, das zu tun, lag schon in der Absicht des Parlamentarischen Rates. Sie können die Stellungnahmen der Sprecher der CDU oder der SPD im Parlamentarischen Rat nachlesen. Alle waren sie einer Meinung darüber, daß die Mitverantwortlichkeit des Bundes in der Wissenschaftsförderung im Grundgesetz verankert werden müsse. Strittig war allein die Frage, ob eine Finanzierungskompetenz des Bundes ohne eine Gesetzgebungskompetenz gegeben sei oder nicht. Einige Abgeordnete des Parlamentarischen Rates haben diese Frage verneint und sich aus diesem Grunde mit allen anderen dafür entschieden, ausdrücklich auch eine Gesetzgebungskompetenz in Art. 74 Ziff. 13 vorzusehen, um damit zugleich eine Finanzierungskompetenz des Bundes zu begründen.
Nun könnte man sagen: Bisher ist es ja auch mit den Haushaltsgesetzen mehr oder minder gut gegangen. Aber die haushaltsgesetzliche Grundlage für die Wissenschaftsfinanzierung ist nach unserer Auffassung aus zwei Gründen nicht ausreichend. Der erste Grund ist uns vom Kollegen Dr. Stoltenberg geliefert worden, der wiederholt darauf hingewiesen hat, daß nach seiner Meinung die Bereitstellung von Bundesmitteln für die Wissenschaftsfinanzierung in keiner Weise eine sachliche Mitverantwortlichkeit des Bundes in diesem Bereich auf die Dauer präjudiziere, sondern daß es sich - so wurde uns in den Haushaltsberatungen der letzten Jahre wiederholt von Herrn Stoltenberg als dem Sprecher seiner Fraktion versichert - hier um zeitlich begrenzte Dotationen des Bundes an die Länder handle, die bei gegebener Sachlage abgebaut werden könnten und müßten.
Wir haben weiter in den letzten Jahren immer wieder eine dreifache Kürzung der für die Wissenschaftsförderung an sich notwendigen Mittel erlebt. Die erste Kürzung wurde den Wissenschaftlern in den Verhandlungen im Wissenschaftsrat abgehandelt, bevor der Vorschlag des Wissenschaftsrates überhaupt verabschiedet wurde, und zwar durch die ermahnenden Hinweise meist des Vertreters des Herrn Bundesfinanzministers auf die angespannte Finanzlage des Bundes.
Die zweite Kürzung kam dann im Zuge der allgemeinen Abstriche zustande, und die dritte Kürzung bei den Baumaßnahmen, so daß in keinem der vergangenen Jahre die sachlich an sich notwendigen Mittel bereitgestellt werden konnten. Wir möchten den Bundesfinanzminister vor der Versuchung bewahren helfen, mit unsachgemäßen Argumenten hier Jahr für Jahr bei den Beratungen des Haushalts Abstriche auf einem Gebiet vornehmen zu können, das auch nach der Erklärung des neuen Bundeskanzlers einen hohen Rang im Rahmen der Ziele der Bundesregierung haben soll.
Aus beiden Gründen glauben wir, daß ein Forschungsgesetz notwendig ist. Man mag sagen, diese Argumente reichten nicht aus, um gegenüber den Ländern den Entschluß zu begründen, ein solches Gesetz vorzulegen. Aber abgesehen davon, daß auch den Ländern an einer klaren Rechtsgrundlage auf seiten des Bundes gelegen sein sollte, deutet die zunehmende internationale Verflechtung der Forschung in ihrer Fragestellung, in ihrer Problematik, in ihrer Methodik und in den Organisationen, die dafür geschaffen worden sind, darauf hin, daß eine Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in internationalen Gremien und internationalen Verhandlungen nur von der Bundesseite her wahrgenommen werden kann und daß man auch aus diesem Grunde eine Fixierung des Rahmens braucht, in dessen Grenzen sich der Bund bewegen kann.
Schließlich hat die unterschiedliche finanzielle Stärke der Bundesländer dazu geführt, daß der Einheitlichkeit der Wissenschaft nicht mehr entsprochen wird. Der Kultusminister von Nordrhein-Westfalen erklärt selbstbewußt, selbstverständlich werde sich sein Land der Forderung, eine weitere Universität zu bauen, dann nicht entziehen, wenn der Wissenschaftsrat eine solche weitere Universität für notwendig halte. Er hat aber kein Wort darüber verloren, wie wir denn nun endlich zu einer Finanzierung der für Bremen, für Regensburg und für Konstanz - wo es etwas besser aussieht - vorgesehenen Universitäten kommen wollen. Die Ministerpräsidenten der Länder haben zwar in Saarbrücken beschlossen, ihre Finanzminister zu bitten, sich einmal zu überlegen, ob man hier nicht durch einen horizontalen Finanzausgleich unter den Bundesländern sich gegenseitig helfen könne. Aber bisher haben wir keinen konkreten Hinweis gehört, wie denn eine solche wechselseitige Länderhilfe praktisch aussehen soll und was sie in harten Ziffern bedeutet.
Überdies fragt man sich, warum man das Modell der sachlichen und finanziellen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in diesem Bereich, ausgehend vom Wissenschaftsrat und den guten Erfahrungen, die wir dort gesammelt haben, aus prinzipiellen Gründen durch das Land-Länder-Modell ersetzen soll. Das ist eine wenig pragmatische Absicht. Es liegt näher, dieses Bund-Länder-Modell, fußend auf der Zusammenarbeit im Wissenschaftsrat, so zu festigen und zu fundieren, daß es zu einer ausreichenden und kontinuierlichen Wissenschaftspolitik und -förderung beitragen kann.
Wir haben mit unserem Antrag - lassen Sie mich darauf noch einige wenige Sätze verwenden - nicht den Eindruck erwecken wollen, daß ein Forschungsförderungsgesetz ein ausführliches Kataloggesetz sein sollte. Wir möchten ein Rahmengesetz vorschlagen, das allerdings präzise absteckt, was vom Bund, von den Ländern oder von beiden gemeinsam in der Wissenschaftspolitik erwartet wird.
({0})
Ich will zu den Punkten 1 bis 3 unserer Vorlage nichts mehr sagen. Sie sind aus dem, was ich angemerkt habe, klargeworden. Nur soviel noch: Koordiniert werden muß nicht nur die Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Auch die Bundesregierung in sich hat bisher den Weg zur Koordinierung leider noch nicht beschritten.
({1})
Herr Minister Lenz hat immer noch nicht die Zuständigkeiten, die er eigentlich brauchte. Wir haben sozusagen drei Kultusminister innerhalb der Bundesregierung, alle drei in einem embryonalen Zustand, der eine etwas weiter entwickelt als die anderen, aber die beiden kleineren um so mehr bestrebt, sich auszuwachsen; Herr Kollege Dresbach, ich meine Herrn Heck und Herrn Höcherl. Das sollte die Bundesregierung bald ändern.
Wir haben weiter einen regelmäßigen Lagebericht über die Situation der Wissenschaft vorgeschlagen, der von den zuständigen Organen des Bundes und der Länder gemeinsam erarbeitet werden soll und der etwa nach dem Beispiel des Grünen Berichts oder des Straßenbauplans dem Parlament regelmäßig einen Einblick in die Situation der Wissenschaft und in die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten der Wissenschaftspolitik geben soll. Das ist in der bisherigen Planung der Bundesregierung institutionell noch nicht sichtbar geworden.
Herr Erler hat sich in seiner Antwort auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers schon den Vorschlag erlaubt, einmal zu erwägen, Herr Minister, ob man nicht eine Abteilung kür Bildungsplanung in Ihrem Hause einrichten sollte, die für eine solche Berichterstattung über das, was ist, und für die Entwicklung langfristiger Pläne für das, was werden soll, die notwendigen Arbeiten leisten könnte.
Wir haben in England nicht nur bei den Sozialisten, sondern erfreulicherweise auch bei den Konservativen gerade in diesen Wochen zwei sehr interessante Berichte bekommen, den Taylor-Report und den Robbins-Report. Beide gehen in der Analyse der Lage der Bildungsinstitutionen und -möglichkeiten in Großbritannien und in der Entwicklung von Vorschlägen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen seien, über das hinaus, was in Deutschland bisher erarbeitet werden konnte, auch über die Planungen des Wissenschaftsrates, auch über die Bedarfsfeststellung der Kultusministerkonferenz, die wir beide in ihrem Wert nicht unterschätzen wollen. Ein Vergleich der deutschen Planungsunterlagen macht eben sichtbar, daß in der Bundesrepublik eine Verzahnung in der Betrachtung der Wissenschaft einerseits und des allgemeinen Bildungswesens andererseits bisher fehlt, weil wir keine institutionellen Möglichkeiten geschaffen haben, beides zusammen zu sehen.
Lesen Sie den Aufsatz von Herrn Picht nach, in dem auf den Zusammenhang dieser Bereiche in einer wirklich alarmierenden Weise hingewiesen wird. Es ist deutlich, worum es uns dabei geht, wenn wir hier sowohl institutionelle Möglichkeiten innerhalb der Bundesregierung als auch neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern schaffen wollen.
Lassen Sie mich abschließend Ihnen sagen, was uns mit unserem Antrag, ein Forschungsgesetz zu verlangen, in den letzten Wochen widerfahren ist. Mich haben einige Landesminister und manche Kollegen aus dem Bundestag gefragt: „Sagen Sie mal, was wollen Sie eigentlich mit dem Antrag? Gegen wen richtet sich der Antrag?" Ich glaube, daß diese Frage „Gegen wen richtet sich der Antrag?" kennzeichnend ist für die politisch und psychologisch verfahrene Situation, in der wir uns befinden. Ich möchte deshalb deutlich sagen: unser Antrag richtet sich gegen niemanden. Aber er hat einige, sagen wir, bevorzugte Adressaten. Wenn ich sie auf der Bundesebene und auf der Länderebene personifizieren darf, dann möchte ich sagen: es handelt sich um einen Antrag, der speziell an die Herren Dahlgrün und Meyers gerichtet ist.
({2})
- Nun ja, Sie werden mir erlauben, Herr Kollege Martin, daß ich mich an die Kleiderordnung halte und die Ministerpräsidenten vor den Landesministern erwähne.
({3})
Uns bereitet Sorge - wenn ich das in einer etwas persönlichen Weise sagen darf -, daß sich der Wissenschaftsminister in seinem Bemühen, Ordnung in die Dinge zu bringen, allzu sehr auf die schwäbische Courtoisie verläßt. Wir haben jetzt bald Nikolaus, Herr Minister, und deshalb erlauben Sie mir, in einem Bild zu sprechen: Wenn Sie durch die Lande ziehen, auf der Bundes- und auf der Länderebene, ist es gut, als freundlicher Nikolaus eine Reihe von schönen Sachen in seinem Sack zu haben. Aber manchmal ist es auch nützlich, einen Knüppel in diesem Sack bereitzuhalten. Die tatsächlichen Front- und Fragestellungen verlaufen ja heute quer durch eine in sich uneinige Bundesregierung und quer durch die untereinander uneinigen
Bundesländer. Wenn wir uns im Bundestag, meine Damen und Herren, auf eine sachlich vernünftige Arbeitsgrundlage einigen, müßte es möglich sein, ein Forschungsförderungsgesetz zu verabschieden und auf dieser Basis eine Wissenschaftspolitik zu entwickeln, die ihren Namen verdient.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwischen allen Fraktionen dieses Hauses besteht volle Einigkeit, daß wir eine ganz große Anstrengung machen müssen, die Wissenschaft zu fördern. Wir stehen an einem Punkt, an dem die Wissenschaftsförderung einen ganz neuen Stellenwert in der deutschen Politik gewinnen muß. Denn wenn auch die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren aufgeweckt worden ist und insbesondere die Presse in dankenswerter Weise immer von neuem auf die Nöte und den höchst unbefriedigenden Zustand von Forschung, wissenschaftlicher Lehre und allgemeinem Bildungswesen hingewiesen hat, so ist doch vielen politisch Verantwortlichen noch nicht klar geworden, daß dies sehr harte Konsequenzen haben muß.
Wir begrüßen deshalb diese Debatte im Deutschen Bundestag, und wir sind auch erfreut darüber, daß Herr Lohmar soeben zugegeben hat, daß hier nicht eine Gegnerschaft !zwischen den einzelnen Parteien besteht; denn es handelt sich hierbei um eine wahrhaft nationale Frage. Sie kann nur vom ganzen deutschen Volk und deshalb auch nur von allen Parteien gemeinsam gelöst werden. Der deutschen Wissenschaft wäre nicht gedient, ja, ihr würde Schaden zugefügt, wenn sie sich in die Auseinandersetzung der Parteien oder gar der Interessengruppen hineingerissen sähe. Wir müssen gerade gegenüber den Ansprüchen der Interessengruppen hervorheben, daß die deutsche Wissenschaft und das deutsche Bildungswesen keine Interessengruppen darstellen. Denn vom Rang der deutschen Wissenschaft hängt die Wettbewerbsfähigkeit unseres Staates mit seiner Wirtschaft in der Welt ab. Durch unser Bildungswesen muß jedes deutsche Kind hindurch. Das Bildungswesen stellt die Leiter dar, auf dem es zur Leistung seines Lebens emporsteigt.
Dieser Erkenntnis hat auch die Regierungserklärung von Bundeskanzler Erhard Rechnung getragen, wenn er feststellt, daß der Bildungspolitik im 20. Jahrhundert die gleiche Bedeutung zukommt wie der Sozialpolitik im 19. Jahrhundert. Die Bildungspolitik wird weithin über Zukunft und dais Schicksal unseres Volkes entscheiden. Die Sprecher aller drei Fraktionen haben sich in eindrucksvollen Ausführungen gerade zu diesem Teil der Regierungserklärung bekannt und sie unterstrichen.
Auch wir geben zu, die bisherige Situation ist höchst unbefriedigend. Auch wir wissen, daß 1963 unsere Wünsche nicht erfüllt worden sind. Der Bundeshaushalt enthielt zwar die an sich eindrucksvoll erscheinende Zahl von 1,168 Milliarden DM; das sind etwa 2 % unseres Gesamthaushalts. Aber wir sind uns darüber klar, daß das noch keineswegs dem entspricht, was in Zukunft jährlich wird aufgebracht werden müssen. Für den Ausbau der bestehenden Hochschulen wurde statt der vom Wissenschaftsrat angeforderten 265 Millionen DM nur ein Betrag von 220 Milionen DM bewilligt. Dieser wurde noch durch zwei Sperren verringert, zunächst durch eine von 10 % für alle Ersteinrichtungen und dann durch eine von 20 % für alle Baumittel. Erst in letzter Stunde wurde die zweite Sperre aufgehoben. Aber wir befinden uns in großen Schwierigkeiten, das Geld in diesem Jahr nun noch so schnell auszugeben.
Für 1964 sind vom Wissenschaftsrat 275 Millionen DM für den Ausbau der bestehenden Hochschulen angefordert worden, und es sollen dem Vernehmen nach 250 Millionen DM bewilligt werden, was auch tatsächlich den Ausgaben, die auf uns als Bund nach idem Verwaltungsabkommen zukommen würden, entsprechen würde. Wir sind aber besorgt dadurch, daß für die Neugründung der Universitäten bisher noch kein Pfennig vorgesehen ist und daß auch kein Leertitel im Haushaltsplan erscheint, der später einmal aufgefüllt werden könnte. Ebenso bleiben die Ansätze für die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft hinter den Wünschen zurück. Das entspricht auch unseren Vorstellungen in keiner Weise. Wir erkennen allerdings auch die Schwierigkeiten an, in denen sich die Bundesregierung in diesem Augenblick bei dem Ausgleich des Haushalts befindet.
Wir wünschen sehr, daß all das, was in den letzten Wochen auf diesem Gebiet gesprochen worden ist, nicht nur Deklamationen für die Öffentlichkeit sind, sondern daß es zu Taten kommt. Dazu ist besonders notwendig, daß auch all die Abgeordneten, die keine Kulturpolitiker sind, die erhöhte Bedeutung der Wissenschaftsförderung erkennen und bereit sind, daraus Konsequenzen zu ziehen,
({0})
die sich auch in einer veränderten Bewertung der Wissenschaft im Haushalt auswirkt.
Der Satz ist richtig, daß dem Aufbau der Verteidigung unserer Freiheit in der Bundeswehr der Aufbau unserer Wissenschaft und unseres Bildungswesens entsprechen muß. Beides ist für unsere Zukunft gleich wichtig. Dabei ist noch nichts darüber gesagt, wer für einen solchen Ausbau unserer Wissenschaft und unseres Bildungswesens zuständig ist. Es handelt sich in jedem Fall um eine notwendige Leistung unseres ganzen Volkes in allen seinen Gliedern.
Wie stellt sich nun die Fraktion der CDU/CSU zur Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung? Es ist schon von meinem Vorredner ausgeführt worden, daß am 3. April dieses Jahres durch die Abgeordneten Holkenbrink, Dr. Huys und Dr. Kübler ein gemeinsamer Bericht vorgelegt worden ist, in dem ein solches Gesetz gefordert wurde, und wenn heute die SPD den Antrag auf Vorlage eines solchen Entwurfs stellt, so nimmt sie nur den Antrag des Kulturpolitischen Ausschusses unseres ganzen Hau4440
Dr. Hahn ({1})
ses auf. Dein hat schon unser Haus einstimmig seine Zustimmung gegeben. Es ist also im Grunde nichts Neues, worüber wir verhandeln. Wir alle stimmen unserem eigenen Beschluß vom Mai und damit natürlich auch dem Antrag der SPD im Prinzip zu. Denn auch uns erscheint es als wünschenswert, ja als notwendig, daß die stetige und großzügige Förderung der Wissenschaft durch ein solches Gesetz sichergestellt wird.
Trotzdem glauben wir in diesem Augenblick, um der Sache und das heißt um der Förderung der deutschen Wissenschaft willen die Vorlage eines solchen Gesetzentwurfs zurückstellen zu müssen.
({2})
Wir hatten auch den Eindruck, daß der Antrag der SPD hier nur mit sehr großer Vorsicht und mit viel Vorbehalten begründet worden ist. Wir meinen, daß diese Zurückstellung notwendig ist, nicht deshalb, weil es uns mit der Förderung der deutschen Wissenschaft nicht wirklich ernst wäre. Wenn ich als Professor, und zwar als einer, der doch jahrelang verantwortlich die älteste deutsche Universität geleitet hat, dieses ausspreche, so wird man mir das gewiß glauben. Wir befinden uns mit unserem Wunsch, dieses Gesetz zunächst zurückzustellen, in vollem Einvernehmen etwa mit dem VDS, aber auch mit den leitenden Gremien der deutschen Wissenschaftsorganisationen, die sich auch ihrerseits nichts davon versprechen können, daß in diesem Augenblick dieses Gesetz durchgebracht wird. Wir haben nämlich allen Grund anzunehmen, daß zu diesem Zeitpunkt die Vorlage eines solchen Gesetzes die Förderung der deutschen Wissenschaft eher behindern, ja blockieren könnte. Es liegt uns aber nur an einem: daß der Wissenschaft wirksam und das heißt auf die beste Weise und so schnell wie möglich geholfen wird.
({3}) - Ich werde gleich noch darauf kommen.
({4})
Das heißt, daß die jetzt aufgetretenen Hemmnisse nach Möglichkeit beseitigt werden und sich die Lage nicht noch weiter versteift und verfestigt. Letzteres könnte in der Tat durch die Vorlage eines solchen Gesetzes geschehen,
Was ist die Begründung für diesen Standpunkt? Seit wir jenen Beschluß zur Vorlage eines Gesetzentwurfes gemeinsam im Bundestag faßten, ist es über die Kompetenzen von Bund und Ländern - Sie sind ja darauf eingegangen -, und zwar gerade auf dem Gebiete der Wissenschaftsförderung und des Bildungswesens, zu vielfachen Spannungen gekommen. Der noch nicht beigelegte sogenannte Steuerstreit hat ja einen kulturpolitischen Hintergrund. Die Einstellung der einzelnen Länder in diesem Streit ist zwar unterschiedlich, aber sie haben doch eine geschlossene Front gegenüber dem Bund gebildet, und im Vermittlungsausschuß sind sie dabei durch die Bundestagsmitglieder der SPD unterstützt worden. Das Fernsehurteil, gegen das Sie sich nicht gewandt haben, warnt uns außerdem. Auch gegen den von Bundesschatzminister Dollinger vorgelegten Gesetzentwurf zur Verwendung der Überschüsse des Volkswagenwerkes für die wissenschaftliche Forschung und für Institutionen des Bildungswesens hat der Bundesrat Einspruch erhoben und den Vermittlungsausschuß angerufen.
Sprechen wir es klar aus: ein Gesetz zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, durch den Bund erlassen, würde zu diesem Zeitpunkt die Spannungen zwischen Bund und Ländern nur verschärfen.
({5})
Es würde gewiß nicht den Bundesrat passieren. Das hätte zur Folge, daß wir nicht nur unübersehbar viel Zeit verlieren würden, sondern dadurch auch der Wissenschaft nicht genützt würde.
Der Streit um das Honnefer Modell und seine Reform warnt uns weiter. Es scheint mir hier jetzt nicht der Ort zu sein, um auf diese Materie im einzelnen einzugehen. Aber soviel ist sichtbar: durch die gegenteiligen Entscheidungen, die der Haushaltsausschuß des Bundestages und das Innenministerium auf der einen Seite und die Kultusminister der Länder auf der anderen Seite getroffen haben, ist die Regelung bereits um zwei Semester verzögert worden. Es ist noch nicht abzusehen, wann das Problem wirklich gelöst werden wird.
Nun muß man sich aber auch darüber klar sein, daß die schweren Rückstände in der deutschen Wissenschaft, und zwar sowohl in der eigentlichen Forschung als auch in ihren Institutionen, ihren Grund nicht im Fehlen eines solchen Forschungsgesetzes haben, so gewiß ein solches Gesetz ihre Förderung sichern könnte. Hier tragen wir vielmehr an dem bösen Erbe der Vergangenheit. Der Wissenschaftsrat hat dies in seinen Empfehlungen vom Jahre 1960 dargestellt. Ich will Bekanntes nicht lange wiederholen und stelle deshalb nur ganz kurz fest: Wir tragen in der deutschen Wissenschaft schwer an den Folgen der Wissenschaftsfeindlichkeit des Nationalsozialismus, der die Bedeutung der Wissenschaft und des Bildungswesens völlig verkannte, weite Wissenschaftsgebiete, beonders in der Naturwissenschaft, bewußt verkümmern ließ und die besten Gelehrten aus Deutschland heraustrieb. Wir tragen weiter an den vielfältigen Folgen des Krieges, wobei wir an die Menschenverluste denken können, an die Zerstörung wissenschaftlicher Einrichtungen und die Isolierung vom internationalen Austausch. Schließlich denken wir an die anfänglichen Beschränkungen der Forschung auf verschiedenen Gebieten. Wir zahlen aber auch dafür, daß man im ganzen Westen erst Ende der 50er Jahre zur Erkenntnis der politischen, ja militärischen und wirtschaftlichen Bedeutung von Forschung und Bildungswesen kam. Das gilt erst recht für uns, die wir zunächst mit der Sicherung des elementaren Lebens beschäftigt waren. Schließlich sei noch an den Verlust aller ost- und mitteldeutschen Universitäten und Forschungsstätten erinnert. Und wenn es seit 1958 durch die Bildung des Deutschen Wissenschaftsrates und seit seinen Empfehlungen im Jahre 1960 zu einem wirklichen Neuansatz und zu einem erfreulichen Schritt vorwärts im Ausbau unserer wissenschaftlichen Hochschulen gekommen ist, so geschah das nicht durch ein Forschungsgesetz, sondern
Dr. Hahn ({6})
durch das Verwaltungsabkommen vom 5. September 1957, das zwischen Bund und Ländern abgeschlossen wurde. Dieses führte zu der erfreulichen Förderung unserer Wissenschaft.
Wir halten es deshalb für geboten, daß der zweite Schritt nicht vor dem ersten gemacht wird. Mit anderen Worten: zuerst muß das Verhältnis zwischen Bund und Ländern in dieser Frage geklärt werden. Es müssen die Gespräche auf höchster Ebene geführt werden, die der Bundeskanzler angekündigt hat. Diese Gespräche haben das Nahziel nicht nur des Finanzausgleichs, sondern auch der Inkraftsetzung des Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern. Dies hat die anteilige Beteiligung ,des Bundes am Ausbau bestehender Hochschulen und an der Finanzierung der großen wissenschaftlichen Organisationen zum Inhalt. Es müßte aber darüber hinaus auch zu einem Abkommen über die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Neugründung von Universitäten kommen.
Erst als nächster Schritt ist dann ein Gesetz zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung überhaupt sinnvoll. Dieses Gesetz muß gemeinsam von Bund und Ländern erarbeitet werden. Nur so wird der verfassungsrechtlichen Situation Rechnung getragen, und nur so kann etwas entstehen, bei dem alle Verantwortlichen willig und energisch zusammenwirken.
Wir wollen den leidigen Streit um die Kompetenzen nicht verschärfen,. sondern überwinden. Der Bundeskanzler hat richtig festgestellt, daß das deutsche Volk für einen solchen Kompetenzstreit kein Verständnis hat, am wenigstens, wenn er auf Kosten der Wissenschaft geht. Wir vertrauen darauf, daß die Länder sich nicht querlegen werden, wenn sie sehen, daß wir den Föderalismus nicht antasten, wohl aber ihn zu einer überzeugenden Wirkung bringen wollen. Erst unter diesen Voraussetzungen wird auch ein solches Gesetz die Gestalt erhalten können, die der auf uns zukommenden Situation in Forschung und Bildungswesen gerecht wird.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ein solches Gesetz nur den derzeitigen unbefriedigenden Zustand wiedergeben. Es wird einen minimalen Charakter tragen müssen, um nirgends auch nur den Verdacht aufkommen zu lassen, der Bund wolle irgend etwas, was ihm nicht zusteht, usurpieren. Dies würde aber einen entscheidenden Gesichtspunkt nicht zur Geltung kommen lassen, der sich erst allmählich durchzusetzen beginnt, nämlich die Interdependenz zwischen wissenschaftlicher Forschung auf höchster Ebene und dem gesamten Bildungs- und Schulwesen. Letztlich müssen der Universitätsaufbau und der Ausbau der Forschung auf der einen Seite und beispielsweise der Ausbau des Landschulwesens und auch des höheren Schulwesens auf der anderen Seite aufeinander abgestimmt werden. Alles ist auf das engste miteinander verzahnt.
So bedarf es eines großen Wurfes, um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Es kann nur Bund und Ländern gemeinsam gelingen. In jedem Falle werden ja die Länder doch die schwerste Last dabei zu tragen haben.
Um dieses alles leisten zu können, scheint es uns nun allerdings doch gerechtfertigt, auch einige Vorschläge aus dem Antrag, den die SPD gestellt hat, aufzunehmen und zu unterstützen.
Erstens. Wir werden nicht - da stimmen wir völlig mit Ihnen überein - ohne eine große Planung auskommen, die versucht, die künftige Entwicklung einzufangen. Wir wollen durch eine solche Planung keine Bevormundung der Forschung, sondern wir wollen lediglich das Bett schaffen, in dem der Strom der freien Forschung sich voll entfalten kann. Da aber die Planung die Interdependenz zwischen Wissenschaft und Schulwesen berücksichtigen muß, sollte sie gemeinsam von Bund und Ländern durchgeführt werden. Die Bedarfsfeststellung 1961 bis 1970 der Kultusministerkonferenz gibt hierfür bereits die Basis ab. Gewiß ist das noch nicht das Ganze. Sie haben mit Recht auf den großzügigen Plan der konservativen Partei und Regierung in England hingewiesen. Wir galuben, daß die Kultusministerkonferenz und das Bundesforschungsministerium hier eine große gemeinsame Aufgabe haben.
Zweitens. Als erster Schritt sollte der im Antrag angeregte Bericht über die Lage der wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen regelmäßig erstattet werden, vielleicht nicht gerade jährlich, aber wenigstens alle zwei Jahre.
Drittens. Besonderes Augenmerk ist in der Tat der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu widmen. Da sich das Honnefer Modell auf das eigentliche Studium bezieht, hört die Förderung insbesondere der Hochbegabten zu früh auf. Dem ist allein mit Habilitandenstipendien nicht beizukommen. Allerdings ist durch die erhebliche Vermehrung der wissenschaftlichen Assistentenstellen schon eine große Erleichterung auf diesem Gebiet eingetreten, und man sollte diesen Weg weiter beschreiten.
Viertens. Schließlich wäre es ein erster Anfang, wenn wir in den Haushaltsplan 1964 im Blick auf die zu errichtenden neuen Hochschulen wenigstens den Leertitel „Bundesanteil zur Förderung von Universitätsneugründungen in den Ländern" aufnehmen könnten. Es ist ein Ruhmestitel für Länder wie Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg - ich möchte aber auch Bayern nennen -, daß sie das Wagnis der Neugründung von Universitäten unternommen haben, auch wenn noch nicht geklärt ist, ob der Bund dabei helfen wird. Wir vermissen dagegen, daß man in Bremen einen solchen Beschluß bis zum heutigen Tage nicht zu fassen gewagt hat. Wir würden wünschen, daß auch andere Bundesländer diese Initiative entwickeln und nicht vor der eigenen Courage Angst bekommen. Wir könnten ihnen vielleicht schon durch einen solchen Leertitel, den wir in unseren Haushaltsplan aufnehmen, etwas Mut machen und zugleich dem eigenen Hause klarmachen, was auf uns alle hier zukommt.
Das alles, was ich ausgesprochen habe, ist nur von dem einen Motiv diktiert: keine Deklamationen nach außen, keine Maßnahmen, die letztlich der Wissenschaft doch nicht weiterhelfen und politisch nicht
Dr. Hahn ({7})
durchführbar sind, kein neuer Streit zwischen Bund und Ländern. Dafür wollen wir die stärkste Bemühung wagen, daß Bund und Länder zusammenfinden und dann mit vereinten Kräften an das große Werk gehen. Wir sind überzeugt, damit am besten sowohl der deutschen Wissenschaft, der kommenden Generation, aber auch einem gesunden und lebensfähigen Föderalismus zu dienen.
Wir bitten daher, den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung zurückzustellen
({8})
und an den Ausschuß zu überweisen und zunächst die anderen Schritte, die ich empfohlen habe, zu gehen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellige.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 15. März des vergangenen Jahres - das war genau vierzehn Monate, bevor in schöner Einigkeit alle Fraktionen die Vorlage eines Forschungsförderungsgesetzes beschlossen haben - hat der Bundesminister des Innern dem Hohen Hause mitgeteilt, er habe soeben den Auftrag gegeben, ein Gesetz zur Wissenschaftsförderung auszuarbeiten.
({0})
Inzwischen ist die Wissenschaftsförderung zu unserer Genugtuung in die Hand eines Ministers gekommen, der ihr seine volle Arbeitskraft widmen kann und daher in der Lage ist, diese überaus delikate Aufgabe in Abstimmung mit den zahlreichen und sehr gewichtigen Gesprächspartnern zu fördern.
Im allgemeinen sieht die Öffentlichkeit das Entstehen eines neuen Ministeriums nicht gern. Die Schaffung dieses Ministeriums ist aber einhellig begrüßt worden. Es entsprach der Würde der Wissenschaft nicht, in der Bundesspitze nur in einer Abteilung des mit ganz anderen Aufgaben betrauten Innenministeriums und in einem Ministerium für zwei naturwissenschaftliche Einzelgebiete vertreten zu sein. Die Einheit der Wissenschaft, so problematisch sie sein mag, verlangt nach der Betreuung durch einen Minister, der auch die Koordinierung der ressorteigenen Forschung sicherstellen wird. Herr Lohmar, das ist meines Wissens jetzt bereits geregelt.
In diesem Ministerium wird ein Verwaltungskörper entstehen, eine Beamtenschaft, die mit den Fragen der Wissenschaftspolitik aufs beste vertraut ist. In ihrer Heranbildung sehen wir eine wesentliche Voraussetzung für eine fruchtbare Tätigkeit des Bundes in der Kulturpolitik.
Die Bundesregierung hat das im Vorjahr in Aussicht gestellte Forschungsförderungsgesetz noch nicht vorgelegt. Wir würdigen die Schwierigkeiten, denen sie sich gegenübersieht. Vor zwanzig Monaten haben wir sie gefragt, warum der einstimmige
Beschluß dieses Hauses vom 1. Juli 1960 auf Abgrenzung der Aufgaben im kulturellen Bereich mit den Ländern noch nicht ausgeführt sei. Der Herr Innenminister verwies auf Verhandlungen, die zu einem Verwaltungsabkommen über die Wissenschaftsförderung führen würden. Das Abkommen liegt nun vor. Es regelt die Zusammenarbeit beider Verfassungsebenen im Ausbau der bestehenden Hochschulen, in der Finanzierung der Max-PlanckGesellschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Studentenförderung. Es liegt vor, aber einige Länder haben es noch nicht unterzeichnet; sie wollen erst das Ergebnis des Streites um den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer abwarten. Hier wird also die Förderung der Wissenschaft und damit unser Anteil an der Bewältigung der Zukunft abhängig gemacht von den Finanzquerelen des Bundes und der Länder. Man könnte bittere Worte finden. Aber wir wollen nicht dramatisieren: diese Länder zahlen, auch ohne unterzeichnet zu haben.
Es gibt ein zweites Abkommen zur Errichtung neuer Hochschulen, den Mikat-Plan. Soviel ich weiß, soll er die Billigung der Kultusminister gefunden haben, aber noch nicht die der Finanzminister. Daher, Herr Kollege Hahn, kann der Bund auch noch keine Mittel dafür vorsehen.
Kultusministerkonferenz, Finanzministerkonferenz, Ministerpräsidentenkonferenz - alle diese staatenbündlerischen Elemente in unserem Bundesstaat, die das Grundgesetz nicht kennt - sie alle machen Kulturpolitik. Mit viel gutem Willen und mit starkem Reibungsverlust. Der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz wird auch weiterhin darüber zu klagen haben, „daß die Koordinationsnotwendigkeiten des föderalistischen Staates nicht selten die Regelung regelungsbedürftiger Fragen behindern", vor allem wenn - ich zitiere ihn weiter - „zu dieser Kooperation der Kultusminister eine Kooperation der Landesfinanzminister hinzukommt und die Zuständigkeiten zwischen den Kultusministern und den Finanzministern laufend hin- und hergeschoben werden und man manchmal nicht weiß, an wen man sich überhaupt zu halten hat und von wem man eine verbindliche Zusage oder Auskunft bekommen kann."
Die Väter des Grundgesetzes und seine heute fast vergessenen Stiefväter, die Militärgouverneure, haben dem Bund nur wenig Spielraum auf dem kulturellen Sektor gegeben. Wir sollten bestrebt sein, ihn zu erweitern. Der Gedanke einer Grundgesetzänderung sollte erwogen werden. Solange sie nicht möglich ist, sollten wir uns bemühen, die Bundeskompetenz in unserem Verfassungsprovisorium auszuschöpfen.
Wir begrüßen daher die Initiative der SPD, die die Vorlage eines Wissenschaftsförderungsgesetzes fordert. Auch wir haben bei der Begründung unserer Großen Anfrage am 15. März 1962 diese Forderung gestellt. Dies, meine Damen und Herren, wird ja nicht bedeuten, daß der Herr Minister verpflichtet würde, morgen ein solches Gesetz einzubringen. Wir können das Resultat seiner Verhandlungen mit den Ländern, Herr Kollege Hahn, ruhig abwarten.
Das Timing liegt beim Minister, und ich glaube, da werden Sie gleicher Meinung sein, Herr Kollege Lohmar.
Für uns ist der Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes ein Auftrag an den Bund, sich an der Forschungsförderung zu beteiligen und die organisatorischen Voraussetzungen für diese Aufgabe zu schaffen. So wollte es auch der Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates in seiner Sitzung vom 8. Januar 1949 verstanden wissen. Ich bin daher mit Ihnen, Herr Lohmar, der Meinung, daß der Bund sich aus der Wissenschaftsförderung gar nicht zurückziehen darf, auch wenn ihn seine Finanzlage dazu verlocken wollte. Die Regierungserklärung gibt auch keinen Anlaß, das zu vermuten.
Aus der Wissenschaft kam die Anregung zur Aufnahme der Wissenschaftsförderung in den Katalog des Art. 74. Der Brief vom 18. April 1948, der sie enthielt, trägt die Unterschrift der Professoren Heisenberg, Regener, Rein und Zennek, gewichtige Namen, zur Mehrheit aus der Georgia Augusta. Zahlreiche Stimmen aus der Forschung, der Wirtschaft, der Publizistik, ja aus weitesten Kreisen der Öffentlichkeit haben vor allem in den letzten Jahren den Bund zur Übernahme vermehrter Verantwortung aufgefordert. Nur vereinzelt, Herr Kollege Hahn, wurden Befürchtungen vor engem staatlichem Dirigismus laut, den gewiß niemand ausüben will.
Nun hätte ich gerne gewußt, woher Sie die ablehnende Haltung der Wissenschaftsgremien gegenüber diesem Forschungsgesetz kennen. Ich habe schon einmal aus dem Bericht des Präsidenten auf der 50. Plenarversammlung der Westdeutschen Rektorenkonferenz in München vom 10. bis zum 12. Juli 1963 zitiert. Da finden Sie zunächst bittere Worte über die Auswirkung des Föderalismus. Da werden Namen wie Hundhammer und Teusch genannt, und dann geht es weiter: „Ich weiß nicht, ob man es heute nicht bedauern sollte", sagte Magnifizenz Speer, „daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die MaxPlanck-Gesellschaft 1961 nicht dem damaligen Vorschlag der Westdeutschen Rektorenkonferenz gefolgt sind, nämlich ein Forschungsförderungsgesetz im Parlament durchzusetzen. Sie wollten dieses Forschungsförderungsgesetz nicht und heute fehlt uns dieses Gesetz." Das ist also die Rektorenkonferenz.
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- Sie will es, sie fordert es.
({2})
- Aber pardon; leider haben Sie nicht zugehört: 10. bis 12. Juli 1963!
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- Leider.
Nun, wenn damals im Jahre 1961 die Max-PlanckGesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft Bedenken hatten, so beruhten sie eben auf Befürchtungen vor engem staatlichem Dirigismus. Den will niemand üben, wohl am allerwenigsten unser liberaler Forschungsminister.
Die Voraussetzung für das Tätigwerden des Bundes regelt der Art. 72 des Grundgesetzes. Das Ergebnis der Prüfung dieser Voraussetzung steht außer Zweifel. Die Angelegenheit kann durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden. Die Wahrung der Rechtseinheit und der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse verlangt die Initiative des Bundes.
Nun hat Herr Hahn schon darauf hingewiesen: Wer heute ein Bundesgesetz zur Kulturpolitik fordert, der greift mit Sorgen zum Kommentar des renommierten Gelehrten. Mich hat Herr Professor Maunz getröstet. Er hält das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 7.2 Nr. 2 auf Grund zweier von ihm angezogener Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht für einen Gegenstand richterlicher Beurteilung, sondern des gesetzgeberischen Ermessens des Bundes. Innerhalb dieses Ermessensspielraums sei eine Nachprüfung nicht möglich. Hoffentlich ist der Herr bayerische Kultusminister der gleichen Meinung wie Herr Professor Maunz.
({4})
Wir können dem Gesetz also beruhigt zustimmen, Herr Kollege Hahn, wenn es vorgelegt wird.
Übrigens: Wem tut es weh? Für die Länder bleibt alles beim alten. Auch weiterhin wird die gemeinsame Förderung der Forschung durch Verwaltungsabkommen geregelt werden müssen. Uns ist bei solchen Abkommen nicht recht wohl. Es sind Absprachen von Verwaltungen, Mittel für bestimmte Zwecke in bestimmter Höhe anzufordern. Sie schaffen aber keine rechtliche Basis. Sie binden nicht die Volksvertretung. Jeder Beschluß eines der beteiligten Parlamente kann sie umstoßen. Das ist eine unsichere Grundlage für eine so wichtige Aufgabe.
Über die Materien, die das Gesetz enthalten soll, ist wohl weitgehende Übereinstimmung festzustellen. Es dürfte auch dem Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern nicht sehr fernstehen. Wir möchten den Katalog durch die Studentenförderung nach dem Honnefer Modell ergänzt sehen. Nach unserer Meinung wie nach Meinung der Sprecher der Wissenschaft ist sie ein unabtrennbarer Bestandteil der Wissenschaftsförderung.
Ein regelmäßiger Bericht über die Lage der Wissenschaft wird dem Parlament, der Fachwelt und der Öffentlichkeit Gelegenheit geben, Fortschritte und Stand der Förderungsmaßnahmen zu überdenken und zu erörtern. Die Notwendigkeit langfristiger Planung möchten auch wir unterstreichen. Von Bindungsermächtigungen sollte man in ausreichendem Maße Gebrauch machen. Für die Länder wird das Gesetz nur die Fixierung der bisherigen Praxis bringen. Für den Bund kommt ein wesentliches hinzu: Der heute schon mehrfach zitierte Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz hat mit Recht darüber geklagt, daß Ansprüche der Wissenschaft an den Bund nicht gesetzlich begründet werden können. Das trifft bislang zu. Überdies ist die Beteiligung des Bundes an den Förderungsmaßnahmen, die in dem genannten Verwaltungsabkommen auf 50 % festgelegt war, auf 30 % der geplanten gemeinsamen Leistung gesunken. Für uns liegt die
Bedeutung eines Förderungsgesetzes vor allem in der Selbstverpflichtung des Bundes zur Erfüllung der Aufgaben, die ihm das Grundgesetz zuweist. Wir entziehen damit zugleich den Wissenschaftsetat der Gefahr, von der Finanzlage des Bundes allzu abhängig zu werden und wie bisher in die Haushaltsmanipulationen einbezogen zu werden.
Sie sprachen vom Fernsehurteil, Herr Kollege Hahn. Wir glauben, daß der Juckepunkt Kulturhoheit von diesem Gesetz gar nicht berührt wird. Kulturarbeit ist nach unserer Meinung nicht das Reservat einer bestimmten Ebene unserer Staatlichkeit. Alle sind - darin stimme ich Ihnen zu - zur Mitarbeit aufgerufen: der Bürger, die Gemeinden, die Gebietskörperschaften, die Länder und auch der Bund. Die Förderung der Wissenschaft ist eins der wesentlichen Teilgebiete der Kulturarbeit. Hier müssen Bund und Länder vertrauensvoll zusammenarbeiten. Hier kommt es weniger darauf an, wer etwas leistet, als darauf, daß etwas geleistet wird. Es kommt darauf an, daß die Aufbauarbeit nicht durch Kompetenzstreitigkeiten behindert oder gebremst wird. Nicht aus der Staatsphilosophie, nur aus dem harmonischen Zusammenwirken aller zum allgemeinen Besten läßt sich die Existenzberechtigung eines sinnvollen Föderalismus ableiten.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich hätte auch ich meine Ausführungen gern mit einem Zitat aus der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers begonnen. Nun haben Sie, Herr Kollege Hahn, mir das schöne und eindrucksvolle Zitat von dem Rang der Bildungsfrage im 20. Jahrhundert gegenüber der sozialen Frage im 19. Jahrhundert vorweggenommen. Ich muß also nach einem anderen suchen. Es ist ja nicht so, Herr Lohmar, daß die Regierungserklärung bar jeglichen Gehalts auf diesem Gebiet wäre. Es sind doch außerordentlich erfreuliche Dinge darin. Der Herr Bundeskanzler hat z. B. auch gesagt, daß die Bundesregierung die Pflicht habe, die Lebensbedingungen eines modernen Staates vorausschauend zu garantieren. Das geschieht weitgehend durch die Förderung der Wissenschaft.
Mir scheint, daß auch die heutige Debatte, wenn auch nur unter Zuhörenden und Beflissenen in einem kleinen Kreise, für die Richtigkeit der Forderung des Bundeskanzlers spricht. Nun können wir feststellen, daß weit über diese Diskussion hinaus in der Öffentlichkeit über Bildungsfragen im allgemeinen und über Schul- und Hochschulfragen im besonderen eine Diskussion in Gang gekommen ist, die nicht mehr - und das empfinde ich als sehr erfreulich - nur von den Fachleuten geführt wird, sondern viele sehr besorgte und interessierte Mitbürger umfaßt. Die gleiche Debatte über Bildungsprobleme findet im Auslande statt, in England z. B. über den vorzüglichen Bericht des RobbinsCommittees und den Taylor-Report. Herr Kollege Lohmar, ich habe bis jetzt nur den Bericht des Robbins-Committees erhalten. Der Taylor-Report scheint nicht veröffentlicht zu sein. Ich will gerne dafür Sorge tragen, daß er Ihnen zugänglich gemacht wird.
Die Erörterungen in den großen internationalen Gremien zeigen eben, daß hier ein weltweites Problem vorliegt. Bildungsfragen sind nun einmal in der Tat unser Schicksal. Das gilt im nationalen wie im internationalen Verstande. Die großen Mächte haben sich die Möglichkeit geschaffen, etwa bei der Nutzung der Nuklear-Energie, der Raketentechnik, der Entwicklungshilfe wirksam miteinander zu konkurrieren. Ihre wirtschaftliche und militärische Konkurrenzfähigkeit beruht auf der Leistungsfähigkeit ihres wissenschaftlichen Potentials.
Wenn man die Bedeutung und die Reichweite der Bildungsfragen in diesem Sinne akzeptiert, ergeben sich daraus einige unausweichliche Konsequenzen:
Erstens: Alle Bildungseinrichtungen - von den Schulen bis zur Forschung - müssen in allen ihren verschiedenen Ausprägungen nachdrücklich gefördert werden, selbstverständlich unter Wahrung der im Grundgesetz enthaltenen Freiheitsrechte - heute vielfach angesprochen - für die Schule und die Forschung: Artikel 5 und 7. Die dafür notwendigen staatlichen Aufwendungen beim Bund, bei den Ländern und bei den Gemeinden werden ganz außerordentlich sein. Es muß jedoch dafür gesorgt werden, daß wir dies schaffen, daß die Mittel bereitgestellt werden und daß ihre notwendige Priorität gesichert ist.
Wie diese Mittel aufgebracht werden, ist leider noch nicht ganz klar. Es wird darauf ankommen, daß man alle Notwendigkeiten des Staatshaushalts in ein gewisses Gleichgewicht bringt. Es mag sein, daß man in diesen Ausgleich nicht nur die Ausgaben für Agrar- und Sozialpolitik, sondern auch die Ausgaben für die Rüstung einbeziehen muß. Eine solche finanzielle „Verbund-Wirtschaft" ist unerläßlich. Denn ohne die Wissenschaft und ihre Förderung kann auch etwa die Rüstung nicht auf dem Höchststand bleiben. Wenn eines Tages die Wissenschaft in Deutschland auf der Stelle treten sollte, würden wir uns geistig und politisch zurückentwickeln. Darüber 'sind sich alle Verantwortlichen in diesem Hause klar, und keiner von ihnen will das.
Ich möchte dieses Thema nicht weiter vertiefen; es gehört ja nur am Rande zur heutigen Debatte.
Die zweite notwendige Konsequenz, die aus der überragenden Bedeutung der Bildungsfragen folgt, ist etwa folgende. Zur Bewältigung der großen vor uns liegenden Aufgaben im Bereich der Bildung müssen alle Beteiligten - und das sind auf staatlicher Seite vornehmlich Bund und Länder - ein System wirksamer Zusammenarbeit finden.
Ich sprach schon davon, daß das Bildungswesen sich in die Hauptgebiete der Schulen aller Stufen einschließlich Hochschulen einerseits und der Forschung, die in Deutschland zu 60 bis 80 % - man streitet darüber - an Hochschulen betrieben wird,
andererseits gliedert. Für ,den gesamten Ausbildungsbereich von den Schulen bis hin zu den Hochschulen sind die Länder zuständig. Für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung dagegen liegt eindeutig eine Kompetenz sowohl bei den Ländern als auch 'beim Bund vor. Im Bereich dieser doppelten Zuständigkeit für die Forschungsförderung muß nun eine Form der Zusammenarbeit von Bund und Ländern gefunden werden; und das scheint mir das eigentliche Thema der heutigen Debatte zu sein.
Der Grundsatz dieser Zusammenarbeit - ich habe das schon 'bei vielen Gelegenheiten gesagt und werde nicht müde, es zu wiederholen - muß sein: Die Förderung der Wissenschaft ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Die verfassungsmäßigen Positionen von Bund und Ländern sind etwa folgende. Den Ländern steht grundsätzlich die Kulturhoheit zu. Der Begriff hat sich eingebürgert. Ich weiß, er steht nicht im Grundgesetz; aber es ist ein Arbeitsbegriff geworden, und wir können ihn im Moment nicht mehr entbehren. Das Grundgesetz spricht dem Bund aber die konkurrierende Gesetzgebung für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung nach Art. 74 Ziffer 13 zu. Der Bund kann also die wissenschaftliche Forschung ganz allgemein auch dort fördern, wo er sich ihrer nicht bedienen muß, um die ihm durch das Grundgesetz Übertragenen Aufgaben zu erledigen, etwa in der sogenannten Ressortforschung. Der Bund hat über die eigene Ressortforschung hinaus die Aufgabe und das Recht, wissenschaftliche Projekte und Einrichtungen von nationaler Bedeutung nach eigenem Ermessen, wenn auch im engen Zusammenwirken mit den Ländern, zu fördern und für den überregionalen Ausgleich bei der Förderung der Wissenschaft und Forschung Sorge zu tragen.
Wenn ich diese Positionen bezeichne, möchte ich damit die in der Öffentlichkeit bereits erörterten Erwägungen, Herr Hellige, einer Grundgesetzänderung zugunsten des Bundes außer Betracht lassen, und zwar sowohl aus politischen Gründen wie auch wegen der gemeinsamen Aufgabe von Bund und Ländern, aus der man nicht ohne Not eine einseitige Aufgabe des Bundes allein machen sollte. Wenn wir es lernen würden, den Föderalismus sinnvoll zu handhaben, würden die Stimmen derer, die ihn einschränken oder gar abschaffen wollen, wahrscheinlich sehr bald schweigen.
Bleibt es bei den derzeitigen Zuständigkeiten von Bund und Ländern, so muß aus dem bisherigen Gegenüber von Bund und Ländern in viel stärkerem Umfang ein Miteinander der beiden werden. Was mir vorschwebt ist eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, bei der jede Seite das ihr Mögliche leistet, aber die Anstrengungen beider zum gleichen Ziel verbunden werden. Bund und Länder sind auf diesem Gebiet natürliche Verbündete von der Aufgabe her.
Selbstverständlich bedeutet Zusammenarbeit keine unklare Vermischung oder Verwischung von Zuständigkeiten. Diese Zuständigkeiten und damit die Verantwortlichen sollten klar zu erkennen sein. Dafür gibt es zwei Überlegungen, die uns heute abend beschäftigen, die sich mit den Stichworten „Forschungsförderungsgesetz" und „Verwaltungsabkommen" bezeichnen lassen.
Darf ich ein paar Worte zum Forschungsförderungsgesetz sagen. Für ein solches Gesetz ist bereits - es ist auch schon angedeutet worden - ein Referentenentwurf ausgearbeitet worden, der im Interministeriellen Ausschuß für Wissenschaft und Forschung mit den anderen Bundesressorts abgestimmt wurde und inhaltlich etwa den Forderungen des heute debattierten SPD-Antrages entspricht.
Aber, Herr Kollege Lohmar, natürlich mußte sich dieser Referentenentwurf auf die Dauer ganz streng an Art. 74 Ziffer 13 des Grundgesetzes halten, wonach wir eben leider nur eine konkurrierende Gesetzgebung haben. Wir haben eben nicht nach Art. 75 eine Rahmengesetzgebung. Sie mögen das bedauern oder nicht; aber praktisch können wir - das ist auch schon gesagt worden - in einem solchen Gesetz nur unsere eigenen Leistungen präzisieren. Deshalb stellt der Entwurf eine Förderung der Wissenschaft als gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern dar und definiert in diesem Rahmen die Zuständigkeiten des Bundes für die Förderung von Forschungseinrichtungen, der MaxPlanck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der wissenschaftlichen Hochschulen, des wissenschaftlichen Nachwuchses, von wissensaftlichen Kongressen. Das ist in diesem Referentenentwurf drin, Herr Dr. Hellige!
({0})
- Ja, ich meine, es liegt hier ein Fall politischer
Hellseherei vor, weil dieser Antrag der SPD beinahe
genau mit dem Referentenentwurf übereinstimmt.
({1})
Im Referentenentwurf steht die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, weiter die Förderung von wissenschaftlichen Kongressen, des Austausches von Wissenchaftlern, von deutschen Forschungseinrichtungen im Ausland. Mit diesen Bestimmungen wird die derzeitige Förderungspraxis des Bundes fixiert, ohne daß der Versuch unternommen wird, die Zuständigkeit des Bundes auszuweiten. Es wäre ganz unmöglich, Herr Kollege Lohmar - darüber sind wir uns sicher im klaren -, daß etwa ein solcher Gesetzentwurf Zahlen enthalten könnte. Das Budgetrecht des Hauses bleibt unbestritten. Es ist also nicht gesagt, daß wir dadurch mehr Geld bekämen, wenn wir ein solches Gesetz hätten.
Sachlich neu sind lediglich die Bestimmungen über einen alle zwei Jahre vorzulegenden „Bericht der Bundesregierung über die Lage der wissenschaftlichen Forschung". In diesem Bericht müßte die Bundesregierung dem Bundestag Auskunft darüber geben, was auf dem Gebiet der Forschungsförderung in dem jeweils zurückliegenden Zeitraum getan worden ist und welche Förderungsmaßnahmen in Zukunft vorgesehen sind. Eine solche Übersicht ist un4446
erläßlich, weil einerseits die Forschungsvorhaben praktisch unbegrenzt, andererseits die staatlichen Förderungsmittel aber nur begrenzt sind. Auf der Grundlage laufender Berichte könnte die Bundesregierung eine Konzeption für eine angemessene Forschungsförderung über einen größeren Zeitraum von Jahren entwickeln. Dadurch könnte die Wissenschaftspolitik des Bundes einen festen Rahmen erhalten. Ich lege ganz großen Wert und Nachdruck auf die Erstellung dieses Berichts, der uns wahrscheinlich die Grundlage geben wird, so etwas wie Bildungsplanung zu betreiben. Herr Kollege Lohmar, dafür eine Abteilung einzurichten, wird kaum möglich sein; denn die dafür nötigen Kräfte wird mir der Haushaltsausschuß nicht geben. Ich bin bereits froh, daß wir ein Referat für dieses Thema haben.
Zum Erlaß eines Gesetzes könnte noch angeführt werden, daß das schließlich bedeuten würde, daß die Länder der Forschungsförderung durch den Bund nicht mehr mit dem Argument begegnen könnten, der Bund finanziere Länderaufgaben.
Nun lassen Sie mich bitte ein paar Worte zu der anderen Möglichkeit - Verwaltungsabkommen - sagen. In Verhandlungen zwischen Bund und Ländern ist, wie Sie wissen, der Entwurf eines „Verwaltungsabkommens zur Förderung kulturpolitischer Aufgaben" ausgearbeitet worden. Ich muß sagen, daß sich der Herr Kollege Höcherl in seiner Eigenschaft als Innenminster damals große Mühe gegeben hat, auf dem sehr schwierigen Terrain zwischen Bund und Ländern dieses Verwaltungsabkommen zustande zu bringen. Er hat es der Bundesregierung am 17. Oktober des letzten Jahres zugeleitet, und die Bundesregierung hat diesem Abkommen zugestimmt. Leider ist die Zustimmung einiger Länder bisher ausgeblieben, und das Abkommen ist nicht in Kraft getreten.
Es muß aber der Fairneß wegen gesagt werden, daß die Länder dieses Abkommen materiell voll erfüllt haben. Beide Teile arbeiten so, als ob es bestünde. Herr Kollege Hellige, es muß nicht unbedingt ein Gesetz sein. Wäre dieses Verwaltungsabkommen zustande gekommen, hätten die Länder zugestimmt, dann bestünde hinsichtlich dieses Betrages von 250 Millionen DM auch für den Bund eine Rechtsverpflichtung. Deswegen bedeutet natürlich auch das Abkommen eine Verpflichtung. Sie haben dann Magnifizenz Speer zitiert. Nun, wir haben keine gesetzliche Handhabe. Wir sind nicht schuld, daß das Abkommen nicht zustande gekommen ist. Dadurch ist die sicher nicht sehr schöne dreimalige Kürzung des Ansatzes zustande gekommen. Aber hätten wir das Abkommen, hätten die Länder zugestimmt, wäre es auch für den Bund eine Verpflichtung gewesen.
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- Nein, keine moralische, eine Rechtsverpflichtung.
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- Ich will mich als Nichtjurist gern belehren lassen. Aber es ist gar keine Frage, Herr Kollege Schäfer: hätten wir das Abkommen, dann wären die Vorwürfe, die erhoben werden - wahrscheinlich zu Recht erhoben werden - wahrscheinlich nicht gekommen.
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Der Entwurf dieses Verwaltungsabkommens befaßt sich in erster Linie mit dem Ausbau der bestehenden wissenschaftlichen Hochschulen. Danach sollen sich Bund und Länder je zur Hälfte an der Finanzierung des weiteren Ausbaues der wissenschaftlichen Hochschulen nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates beteiligen. Der Entwurf sieht weiter vor, daß Bund und Länder den jährlichen Zuschußbedarf der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft einschließlich der erforderlichen Baumaßnahmen je zur Hälfte tragen. Außerdem sollen auch die Mittel für die Durchführung der Studentenförderung nach dem Honnefer Modell von beiden Partnern zu gleichen Teilen aufgebracht werden.
Da das erwähnte Verwaltungsabkommen noch keine Vereinbarung über die Beteiligung des Bundes an den Baukosten für Hochschulneugründungen vorsieht - erlassen Sie mir bitte, Herr Kollege Lohmar, jetzt in eine authentische Interpretation der Saarbrücker Beschlüsse einzutreten; das könnten wir auch durch ein Gesetz nicht machen; denn man weiß nicht, ob Neugründungen und Mitbeteiligung an der Finanzierung nicht verschiedene Dinge sind -, hat der Wissenschaftsrat ein Finanzierungsmodell für neuzugründende Hochschulen entwickelt, das ebenfalls Gegenstand eines Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern sein sollte. Nach diesem Plan soll der Bund auch an der Finanzierung von Hochschulneugründungen beteiligt sein, weil jede Neugründung zur Entlastung der wissenschaftlichen Hochschulen nicht nur eines Bundeslandes, sondern aller Länder beiträgt und die wissenschaftliche Forschung und Lehre in der Bundesrepublik dadurch insgesamt verbessert werden.
Die Finanzierung soll so geschehen, daß ein Gemeinschaftsfonds als Sondervermögen gebildet wird, aus dem die Gesamtkosten für den Bau und die Ersteinrichtung dieser neuen Hochschule bestritten werden. Die Mittel dieses Fonds sollen zur Hälfte vom Bund, zur anderen Hälfte von allen Ländern aufgebracht werden. Herr Kollege Hahn, ich habe Ihre Anregung mit dem Leertitel sehr gern gehört, und es sind auch in unserem Hause Bestrebungen im Gange, das Haus zu bitten, diesen Leertitel einzusetzen.
Der durchgehende Grundgedanke in beiden Verwaltungsabkommensentwürfen ist die gemeinsame politische und finanzielle Verantwortung von Bund und Ländern für die Förderung der deutschen Wissenschaft.
Die beiden aufgezeigten Möglichkeiten - Bundesforschungsgesetz, Verwaltungsabkommen - schließen sich gegenseitig nicht aus. Beides ist vielmehr nebeneinander möglich, da sie in verschiedene Richtungen zielen: das Forschungsgesetz beBundesminister Lenz
faßt sich, abgesehen von dem Grundsatz der Gemeinsamkeit von Bund und Ländern, nicht mit dem Bund-Länder-Verhältnis, sondern umreißt allein die Zuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Ziffer 13 des Grundgesetzes in den einzelnen Möglichkeiten ihrer Realisierung und regelt das Verhältnis der Bundesregierung zum Bundestag, nicht zuletzt auch durch den periodischen „Bericht zur Lage der Wissenschaft". Die beiden Verwaltungsabkommen würden dagegen die Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern bei der gemeinsamen Förderung der Wissenschaft regeln. Danach könnten beide Maßnahmen, Verwaltungsabkommen und Forschungsgesetz, nebeneinander hergehen.
Wenn nun Verwaltungsabkommen und Forschungsförderungsgesetz sich gegenseitig nicht ausschließen, so bleibt doch die Frage, ob man sie gleichzeitig einleiten soll; das ist auch schon zur Sprache gekommen. Die Bundesregierung ist dazu folgender Auffassung. Ein Forschungsförderungsgesetz kann sich als notwendig erweisen. Ein solches Gesetz ist aber gesetzgeberisch nur durchzubringen und wird nach Inkrafttreten nur funktionieren, wenn eine Atmosphäre des gegenseitigen Einverständnisses zwischen Bund und Ländern herrscht. Deshalb sollte ein solches Einverständnis vor Einbringung des Forschungsgesetzes durch den Abschluß wenigstens eines der beiden Verwaltungsabkommen hergestellt werden.
Die Bundesregierung wird sich daher zunächst um den Abschluß der Verwaltungsabkommen bemühen. Nachdem die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern anscheinend sich zu entschärfen beginnen, besteht nunmehr eine größere Aussicht, daß die Ministerpräsidenten einem oder vielleicht sogar beiden Verwaltungsabkommen zustimmen.
Für die Verhandlung mit den Ländern über die Verwaltungsabkommen ist von der Bundesregierung eine Kommission gebildet worden, der der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung sowie die Bundesminister der Finanzen und des Innern, der Bundesratsminister und der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes angehören.
Abschließend darf ich vielleicht noch folgende Bemerkung machen. Ich bin ein Politiker, der - Sie haben davon schon gesprochen - aus der liberalen Tradition kommt. Herr Kollege Lohmar, verzeihen Sie, wenn ich den Vorwurf der schwäbischen Courtoisie nicht als Vorwurf empfinde. Es haben doch auch Männer wie Georg von Frundsberg, Götz von Berlichingen
({5})
und mein leider viel zu früh verstorbener Parteifreund Ulrich von Hutten gelebt.
({6})
Ich möchte alles in allem folgendes sagen, obwohl Sie wissen, wie es mit dem „Knüppel aus dem Sack" ist: er ist immer eine Maßnahme, mit der man im allgemeinen doch nicht weit kommt. Die Kinder sind nie besser geworden durch den Knüppel, vielleicht viel eher durch die Geschenke. Ich möchte hier eben doch weitgehend eine möglichst tolerante Linie vertreten.
Ich habe den Eindruck, daß die Kulturpolitik - und ich bin froh darüber - heute in Deutschland nicht mehr ein Kampf um weltanschauliche Positionen ist. Die Probleme, die heute vor uns stehen - sie sind groß und sie sind schwierig genug -, sind im wesentlichen solche der Reformen, der Organisation und der Finanzierung. Bund und Länder sollten sich deswegen mit stärkerem Nachdruck als bisher daranmachen, ihre beiderseitigen Kräfte in einem sachlichen und partnerschaftlichen Zusammenspiel zusammenzufassen. Wir haben im Wissenschaftsrat, der auf einem bereits zweimal verlängerten Verwaltungsabkommen beruht, ein gutes Beispiel für das Funktionieren solcher Abreden zwischen Bund und Ländern. Die ausgleichende und antreibende Wirkung des Wissenschaftsrats wird auch von uns allen sehr geschätzt. Ich möchte daher wünschen, daß auch auf weiteren Gebieten der Wissenschaftspolitik solche gemeinsamen Absprachen zustande kommen und sich die Länder bald zur Unterschrift wenigstens unter das erste der beiden Verwaltungsabkommen entschließen. Danach sollte man das zweite Verwaltungsabkommen in Angriff nehmen, und dann erst sollten wir, wenn notwendig, die Verhandlungen über das Forschungsförderungsprogramm fortsetzen, wobei wir dann hoffentlich auf die Mithilfe der Länder rechnen können. Auf diese Weise würden wir die organisatorischen und finanziellen Abreden schaffen, die als Fundament für unsere gemeinsamen Anstrengungen auf diesem für unser Schicksal bestimmenden Gebiet unerläßlich sind.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zu dieser späten Stunde die Beratungen nicht unnötig ausdehnen. Aber es ist geboten, ein kurzes Resümee dieser Aussprache zu ziehen.
Ich freue mich darüber, daß wir im Grundsatz in der Einschätzung der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit eines Forschungsförderungsgesetzes übereinstimmen. Ich freue mich insbesondere darüber, daß der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung seine Vorbehalte gegenüber unserem Antrag lediglich auf die zeitliche Folge eines wenigstens ersten Verwaltungsabkommens und eines dann auch nach seiner Auffassung wünschenswerten Forschungsförderungsgesetzes bezogen hat, nicht aber auf die Sache, in der wir weitgehend einig zu sein scheinen.
Nur, meine Damen und Herren, frage ich mich - darauf hat der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung keine Antwort geben mögen oder können -: Bis wann können wir denn mit dem Abschluß eines solchen Verwaltungsabkommens rechnen? Die Situation, in der wir uns verfangen haben, ist so, 'daß wir Ihrer Zuversicht mit großer Skepsis begegnen, Herr Minister. Und wir haben ein klären4448
des Wort zu den Ungereimtheiten in den Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung vermißt!
Was ist denn mit dem Herrn Finanzminister? Wie sollen wir die Regierungserklärung in bezug auf das, was der Bundeskanzler zur Wissenschaftspolitik gesagt hat, verstehen? Sie haben 'hier namens der Bundesregierung eine Erklärung zu unserer Vorlage abgegeben. Aber wir fürchten, daß dadurch eine vielleicht ganz anders akzentuierte Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers 'in den nächsten Tagen oder Wochen nicht ausgeschlossen ist. Wir möchten gerne einander widersprechende Stellungnahmen der Bundesregierung aus der Welt schaffen helfen.
Sie haben recht mit Ihrer Feststellung, daß ein Forschungsförderungsgesetz nicht die Beziehungen zwischen Bund und Ländern in allen diesen Fragen ordnen kann, sondern zunächst zu einer Präzisierung der Möglichkeiten 'auf der Bundesebene beitragen kann und soll. Dafür ist das Gesetz gedacht. Aber mir scheint, daß in der Bundesregierung zunächst Klarheit geschaffen werden muß.
Unser Vorschlag zu einem Gesetzentwurf richtet sich nicht gegen die Länder. Ich nehme den Hinweis von Herrn Minister Lenz auf, daß man die Beratungen eines solchen Gesetzes möglichst gemeinsam mit den Ländern in Angriff nehmen sollte. Die Länder haben ja durch ihre Zustimmung zu dem Abkommen über den Wissenschaftsrat klar zu erkennen gegeben, daß sie in diesem Bereich mit dem Bund zu kooperieren bereit sind; sonst hätten sie diesem Abkommen bzw. seiner Verlängerung nicht zustimmen können. Nehmen wir also die Bundesländer bei diesem guten Wort und sagen wir: Wir wollen die Länder durch ein Bundesforschungsgesetz keinen Pressionen aussetzen, sondern wir wollen die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit auf der Bundesseite in einer vernünftigen Weise klären. Das müßte doch den Ministerpräsidenten klarzumachen sein, ohne ein neues Mißtrauen gegenüber dem Bund zu erzeugen! Jedenfalls werden wir von uns aus alles tun, um das Aufkommen eines solchen Mißtrauens zu verhindern.
Enttäuscht bin ich über die sehr unverbindlichen Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Hahn. Herr Kollege Hahn, ich will Sie nicht kränken: Aber was von Ihren Vorschlägen übrig bleibt, war im Grunde genommen - beinahe symbolisch - die Anregung, einen Leertitel im Haushalt einzurichten. Das bringt uns nicht weiter in dem gemeinsamen Bemühen, Boden unter die Füße zu bekommen. So sehr meine Freunde und ich gewillt sind, den Bundestag in der Wissenschaftspolitik nicht in die gleiche Führungslosigkeit abgleiten zu lassen, von der bisher die Bundesregierung gekennzeichnet war, so sind wir doch damit einverstanden, daß wir es für heute bei der im Ältestenrat getroffenen Verabredung belassen sollten - ({0})
- Pardon, Herr Kollege Martin! Ich weiß, daß Sie
sich als parlamentarische Exekutive der Bundesregierung betrachten. Wir sehen das Parlament etwas
anders. Wir haben dem Parlament immer noch eine originäre Führungsaufgabe zugedacht.
({1})
Wir möchten es dabei belassen, daß unser Antrag an den Kulturausschuß - federführend - überwiesen wird. Der Bundestag sollte die Bundesregierung dann unverzüglich auffordern, ein Verwaltungsabkommen mit den Ländern und ein Forschungsgesetz rasch zustande bringen zu helfen.
({2})
Ich schließe die Beratung.
Es ist beantragt, die Vorlage an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik - federführend - und an den Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft - mitberatend - zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. Mai 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Togo über die Förderung der Anlage von Kapital ({0}); Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses ({1}) ({2}).
({3})
Berichterstatter ist der Abgeordnete Matthöfer. Ich danke ihm für seinen schriftlichen Bericht.
Der Ausschuß beantragt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe auf Art. 1, - Art. 2, - Art. 3, - Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, gebe bitte Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
Wer dem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmen will, erhebe sich vom Platz. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf den Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Neunundzwanzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 ({4}) ({5}).
Es ist vorgesehen Überweisung an den Außenhandelsausschuß - federführend - und an den Wirtschaftsausschuß - mitberatend -. Keine Erinnerungen! Es ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Übergang des zur Bundeswasserstraße Elbe gehörigen Nebenarms „Alte Süderelbe" auf die Freie und Hansestadt Hamburg ({6}).
Der Entwurf soll an den Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes überwiesen werden. - Es ist so beschlossen.
Punkt 13 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes ({7}).
Der Entwurf soll ohne Beratung an den Finanzausschuß überwiesen werden. - Es ist .so beschlossen.
Punkt 14 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Offshore-Steuergesetzes ({8}).
Der Gesetzentwurf soll - ebenfalls ohne Aussprache - an den Finanzausschuß - federführend - und an den Außenhandelsausschuß - mitberatend - überwiesen werden. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes ({9}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Zustimmung zur Überlassung junger Anteile an wirtschaftlichen Unternehmungen an andere Bezieher als den Bund;
h d e r : Kapitalbeteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Vereins für die bergbaulichen Interessen an der Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbezirk mbH in Essen ({10}).
Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten Mick. Der Bericht wird nicht ergänzt. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Aussprache wird nicht gewünscht.
Ich stelle den Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/1610 zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmt, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme!
Zum Schluß rufe ich den Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({11}) über den Antrag der Abgeordneten Logemann, Sander, Wächter und Genossen
betr. EWG-Agrarpreispolitik ({12}).
Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten Bewerunge, dem ich danke. Wir haben abzustimmen aber den Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/1611 unter B. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Freitag, den 15. November, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.