Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die
Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Neunundfünfzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({0}) - Drucksache IV/1263 -,
um die
Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Sechzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({1}) - Drucksache IV/1264 und um die
Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Einundsechzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({2}) - Drucksache IV/1265 -.
Das Haus ist mit der Aufsetzung einverstanden. - Die Vorlagen sollen an den Außenhandelsausschuß überwiesen werden. Ist das Haus auch damit einverstanden? - Es erfolgt kein Widerspruch; damit ist die Überweisung beschlossen.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die
Siebenundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({3}) - Drucksache IV/1262 dem Außenhandelsausschuß mit der Bitte um fristgemäße Behandlung überwiesen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Fortsetzung des ersten Punktes der gemeinsamen Tagesordnung, der
Fragestunde ({4}).
Zunächst eine Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, die Frage des Abgeordneten Marquardt:
Billigt es die Bundesregierung, daß vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung herausgegebene Schriften, wie
z. B. die über die gesetzlichen Maßnahmen zur Eigentumsbildung, mit dem Aufdruck „Wählt CDU" verteilt werden?
Herr Staatssekretär von Hase.
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung nimmt auf die von ihm herausgegebenen Schriften keine Aufdrucke parteipolitischer Art vor. Mir sind auch keine Fälle bekannt, daß Empfänger von Schriften derartige Aufdrucke vorgenommen haben.
Die Broschüre „Eigentum auch für Dich" enthält eine sachliche Darstellung der gesetzlichen Maßnahmen zur Eigentumsbildung. Sie wird in Einzelstücken oder in kleineren Partien auf Anfrage an Interessenten aller Parteien, aller gesellschaftlichen und politischen Gruppen und an Besucher des Amtes verteilt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Marquardt.
Herr Staatssekretär, muß ich daraus schließen, daß Sie annehmen, eine derart konkrete Frage könnte ohne Anlaß und ohne Beweismittel gestellt werden? Darf ich deshalb, weil es sich nicht um eine Einmaligkeit handelt, sondern um die Verteilung größerer Mengen mit dem bewußten Aufdruck, meine Frage wiederholen?
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Ich kann Ihnen nur dieselbe Antwort geben: daß mir bisher nicht bekannt ist, daß derartige Aufdrucke vorgenommen worden sind.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zuerst die Frage XII/1 - des Abgeordneten Höhmann ({0}) -:
Ist dem Herrn Bundesverteidigungsminister bekannt, daß Bundesfinanzhilfen für Schulbauten als Folgeeinrichtungen bei militärischen Bauvorhaben und Wohnsiedlungen teilweise so verspätet gewährt werden, daß die Schulausbildung der Kinder der am Dienstort wohnenden Soldaten gefährdet ist?
Ist der Abgeordnete Höhmann im Saale? - Falls nicht, wird die Frage schriftlich beantwortet.
Ich rufe auf die Frage XII/2 - des Abgeordneten Höhmann ({1}) -:
Ist es mit der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Soldaten vereinbar, daß die Bundesfinanzhilfen für Folgeeinrichtungen in ihrer Gesamtsumme weit unter dem tatsächlichen Bedarf liegen?
Auch diese Frage wird schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich komme zur Frage XII/3 - des Abgeordneten Schmidt ({2}) -:
Wurde vor Vergabe des 67-Millionen-Auftrages für Elektronengeräte der Bundeswehr nach England seitens der zuständigen Stellen die Möglichkeit in Erwägung gezogen, die mit Aufträgen nicht sehr gepolsterten entsprechenden deutschen Firmen zu berücksichtigen?
Die Möglichkeit, Aufträge für das von Ihnen angeführte Gerät an die deutsche Elektroindustrie zu geben, wurde nicht nur in Erwägung gezogen, sondern auch verwirklicht. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsproduktion mit mehreren Ländern. Ein sehr großer Teil ides Auftrags ist in der Bundesrepublik geblieben. Die deutsche Elektroindustrie, insbesondere das deutsche Unternehmen, das das Gerät entwickelt hat, hat einen großen Auftrag erhalten, und zwar einen Auftrag, der erheblich größer war als der Auftrag, der nach England gegangen ist. Die deutsche Entwicklungsfirma ist dadurch in die Lage versetzt worden, im Wege von Unteraufträgen weitere deutsche Unternehmen dieser Branche zu beschäftigen.
Im übrigen erfolgte die Vergabe des Teilauftrags nach England im Einvernehmen mit der deutschen Entwicklungsfirma. Außerdem war eine Vielzahl von Erwägungen zu berücksichtigen, wie z. B. die Liefertermine, internationale Standardisierung und Sicherstellung weiterer Produktionsquellen. Ferner war zu berücksichtigen, daß wir im Rahmen des deutschen Devisenabkommens mit England gewisse Aufträge bei geeigneten Preisen und Qualitäten auch dorthin geben.
Ich komme zur Frage XII/4 - des Abgeordneten Felder -:
Besitzt das Bundesverteidigungsministerium Aufzeichnungen darüber, wie viele Offiziere der Bundeswehr seit 1960 bei ihrer Verabschiedung mit dem Bundesverdienstkreuz ({0}) ausgezeichnet wurden?
Herr Abgeordneter, ich darf Sie bitten, damit einverstanden zu sein, daß ich die beiden Fragen einheitlich behandle.
Dann rufe ich weiter auf die Frage XII/5 - des Abgeordneten Felder -:
Ist es richtig, daß die jeweils beantragenden Dienststellen bei Verleihung des Bundesverdienstkreuzes nach einem Schema verfahren, das besagt: bis einschließlich Major nur die unterste Klasse, ab Oberstleutnant die 1. Klasse?
Im Verteidigungsministerium werden die an die Bundeswehrangehörigen verliehenen Auszeichnungen zentral erfaßt. Wir haben daher einen genauen Überblick darüber, wie viele Orden an welche Personenkreise vom Herrn Bundespräsidenten verliehen worden sind. Wenn Sie einverstanden sind, darf ich Ihnen vielleicht nach der Fragestunde - für alle Dienstgrade aufgeschlüsselt - mitteilen, wie viele Orden im einzelnen verliehen worden sind.
Die Vorschläge zur Verleihung des Verdienstordens werden nach den vom Herrn Bundespräsidenten ergangenen Richtlinien vorgelegt. Diese Richtlinien sind für den Vorschlagsberechtigten, also bei uns für den Verteidigungsminister, bindend. Sie sind außerdem vertraulich. Ich darf Ihnen die Richtlinien, wenn Sie einverstanden sind, nachher vorlegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Felder.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß diese Verleihungen nicht etwa als eine Art Trostpreis für das vielleicht frühzeitige Ausscheiden gedacht sind, sondern daß hier genauso ein besonderes Verdienst vorliegen muß wie bei einem, der sich im Zivilberuf auszeichnet?
Herr Abgeordneter, ich bin völlig Ihrer Ansicht, und das steht auch in den Richtlinien des Herrn Bundespräsidenten.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe auf die Frage XIII/1 - des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen -:
Aus welchen Gründen hat der Herr Bundesverkehrsminister die Gebühren in der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr wesentlich erhöht?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Die Gebühren nach der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr vom 17. Juli 1953 wurden innerhalb der letzten zehn Jahre nur einmal, nämlich im Jahre 1961, und dabei auch nur teilweise erhöht. Es handelt sich dabei in erster Linie um Gebühren für die Tätigkeit der amtlich anerkannten Sachverständigen und Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr nach Art. II der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr, also z. B. Gebühren für die Überprüfung von Fahrzeugen, für die Prüfung einzelner Fahrzeuge oder Fahrzeugteile, für die Prüfung von Bewerbern um eine Fahrerlaubnis.
Die Erhöhung der auf der Grundlage des Jahres 1951 errechneten und in der Gebührenordnung von 1953 niedergelegten Gebühren betrug im Durchschnitt etwa 25 %. Sie war erforderlich geworden, weil den Sachverständigen und Prüfern durch die Verordnung zur Änderung des Straßenverkehrsrechts vom 17. Juli 1960 zur Hebung der Sicherheit im Straßenverkehr zusätzliche Aufgaben übertragen wurden - das ist der eine Grund - und weil die persönlichen und sachlichen Aufwendungen dieses Personenkreises sich im Zuge der allgemeinen Entwicklung ebenfalls erhöht hatten.
Unberücksichtigt blieben und nicht erhöht wurden die Gebühren für die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden nach Art. I der Gebührenordnung, wie
Staatssekretär Dr. Seiermannn
z. B. die Gebühren für die Erteilung, Änderung oder Ergänzung von Führerscheinen, Kraftfahrzeug- oder Anhängerscheinen und Betriebserlaubnissen. Diese Gebühren beruhen jetzt noch ,auf der Grundlage des Jahres 1951.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Ist die Bundesregierung bereit, den kommunalen Körperschaften bei der Festsetzung der Gebühren in der Gebührenordnung Sätze zuzubilligen, wie sie die im Technischen Überwachungsverein zusammengeschlossenen Sachverständigen und Prüfer zu erheben berechtigt sind? Denn, Herr Staatssekretär, offensichtlich sind doch die kommunalen Behörden bei Ihrer Neuregelung benachteiligt worden. Ihnen haben Sie versagt, was Sie privaten Sachverständigen zuerkannt haben.
Herr Abgeordneter, darüber schweben bereits seit längerer Zeit Verhandlungen mit den Ländern, in denen dieses von Ihnen angeschnittene Problem ebenfalls gelöst werden wird.
Eine weitere Zusatzfrage!
Kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, Herr Staatssekretär, daß Sie sich für eine Regelung im Sinne meiner Anfrage einsetzen werden?
Herr Abgeordneter, man wird sich bei Anwendung des Gebührenprinzips dieser berechtigten Forderung nicht verschließen können.
({0})
Ich komme zur Frage XIII/2 - der Abgeordneten Frau Schanzenbach -:
Teilt die Bundesregierung die Meinung, daß namentlich auch das Zugbegleitpersonal Reisende mit Kleinkindern besonders auf die Spezialabteile hinweisen sollte?
Ich kann die Frage mit Ja beantworten. Es gehört von jeher zu den ureigensten Aufgaben des Zugbegleitpersonals, sich um die Unterbringung der Reisenden zu bemühen. Die Vorschriften hierüber besagen, daß die Bediensteten sich der alleinreisenden Kinder, Hilfsbedürftigen, Kranken und Reisenden mit Kleinkindern besonders anzunehmen haben. Verstöße hiergegen werden von der Bundesbahn streng verfolgt. Wenn Sie Anlaß haben, eine Einzelbeschwerde vorzutragen, gnädige Frau, bin ich bereit, sie entgegenzunehmen und nachprüfen zu lassen.
Dann komme ich zur Frage XIII/3 - der Abgeordneten Frau Schanzenbach -:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn darauf hinzuwirken, daß die angeblich zu wenig ausgelasteten Eisenbahnabteile „Mutter und Kind" mindestens ebenso deutlich gekennzeichnet werden wie die Abteile für Raucher und Nichtraucher?
Ich kann auch diese Frage mit Ja beantworten. Die Sonderabteile „Frau und Kind" werden durch weiße, beiderseitig beschriftete, abnehmbare Schilder in der Größe 297X 148 mm mit folgendem Text gekennzeichnet:
Sonderabteil Frau und Kind. Nur für Mütter mit Kleinkindern und Frauen, die an Mutterstelle mit Kleinkindern reisen, sowie Geschwister der Kleinkinder im Alter bis zu 10 Jahren.
Diese Schilder sind wesentlich größer als die Schilder „Raucher" und „Nichtraucher". Die Kennzeichnung erscheint demnach heute schon deutlicher als bei den Abteilen für Raucher und Nichtraucher.
Frau Abgeordnete Schanzenbach zu einer Zusatzfrage.
Wird die Bundesregierung darauf hinwirken, daß mindestens im Sommer diese Schilder auch angebracht werden? Bei meinen vielen Reisen habe ich noch in keinem Zug gesehen, daß dieses Schild angebracht war. Im Sommer wäre das wirklich nötig.
Wir werden die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn daran erinnern, sie noch besonders darum bitten und auf sie entsprechend einwirken.
Ich komme zur Frage XIII/4 - des Abgeordneten Dr. von Haniel-Niethammer -:
Wäre es nicht möglich, in Verhandlungen mit den österreichischen und italienischen Stellen auf der Strecke München-Rom, für die zur Zeit noch 15 Stunden Bahnfahrt benötigt werden, wenigstens ein Schnellzugspaar einzurichten, das - ähnlich wie der TEE-Zug nach Mailand - im Grenzverkehr beschleunigt abgefertigt wird und sich in Österreich auf Innsbruck als Haltepunkt beschränkt, womit die Fahrzeit München-Rom um 2 bis 3 Stunden verkürzt werden könnte?
Die Deutsche Bundesbahn verhandelt seit Jahren mit den Österreichischen Bundesbahnen und den Italienischen Eisenbahnen über die Einrichtung einer schnellen Tagesverbindung von München nach Rom. Sie hat auf der Europäischen Reisezugfahrplan-Konferenz schon seit Jahren konkrete Vorschläge gemacht und die Durchführung einer neuen Zuges beantragt - es steht sogar schon der Name fest, er soll „Romulus" heißen -, der die 974 km lange Strecke München-Rom in etwa 13 bis 14 Stunden bewältigen sollte. Die Anträge wurden jedoch von den Italienischen Eisenbahnen bisher abgelehnt, und zwar aus betrieblichen Gründen, über die ich Ihnen noch nähere Auskunft geben kann, Herr Abgeordneter, wenn Sie
Staatssekretär Dr. Seiermannn
es wünschen. Auf wiederholte Vorstellungen hin ist es zunächst gelungen, den „Alpen-Expreß" durch Aufgabe von Halten bei den Österreichischen Bundesbahnen - ein Halt nur noch in Innsbruck - und bei den Italienischen Eisenbahnen zu beschleunigen und die Ankunft in Rom von jetzt 23.43 auf 22.45 Uhr im kommenden Fahrplan zu verbessern. Die Reisezeit beträgt aber immer noch 14 Stunden und 45 Minuten. Auch auf der diesjährigen Europäischen Reisezugfahrplan-Konferenz werden die Bemühungen fortgesetzt, die Reisezeiten über den Brenner durch Einlegung zusätzlicher, schnellerer Züge zu verbessern.
Keine Zusatzfrage. Ich komme zur Frage XIII/5 - des Abgeordneten Berlin -:
Ist der Bundesregierung bekannt, welche entscheidenden Gründe für die Absicht vorliegen, in der Stadt Lage Kr. Detmold an zwei mit starkem Verkehr belegten Straßen ({0}) die Bahnschranken auszubauen und durch Blinklichtanlagen zu ersetzen?
Bei den genannten zwei Bahnübergängen handelt es sich einmal um die Kreuzung der B 66 - Lemgoer Straße - mit vier Bahnhofsgleisen und sodann um die Kreuzung der B 239 - nach Herford - am nördlichen Stadtrand mit der Bahnlinie Lage-Bielefeld. Wie mir die Bundesbahn mitteilt, sind folgende Maßnahmen eingeleitet bzw. geplant:
Der erstgenannte Bahnübergang - Lemgoer Straße - sollte schon seit Jahren durch ein Bauwerk ersetzt werden. Wegen fehlender Mittel war dies leider bisher nicht möglich. Die Deutsche Bundesbahn hält die von der Stadt Lage geplante schrankenabhängige Straßenverkehrssignalanlage für nicht ausreichend. Sie wird daher in Kürze dem Bundesminister für Verkehr einen Antrag vorlegen, in dem gebeten wird, einen anderen, weniger wichtigen Bahnübergang zurückzustellen und dafür vordringlich den von Ihnen, Herr Abgeordneter, angesprochenen Bahnübergang in Lage zu beseitigen. Eine Entscheidung hierüber kann aber erst nach Vorliegen dieses in Aussicht gestellten Antrages in meinem Hause getroffen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Berlin.
Herr Staatssekretär, bei den genannten Schrankenanlagen handelt es sich in erster Linie um die an der B 239 und nicht um die an der B 66.
Ich habe dann die zusätzliche Frage: Sieht die Bundesregierung in den Blinklichtanlagen eine größere Sicherheit als bei Bahnschranken, die mit Schrankenwärtern besetzt sind? Es handelt sich bei der B 239 um eine verkehrsreiche Straße, auf der z. B. in den letzten Wochen in 24 Stunden über 1000 Fahrzeuge gezählt worden sind.
Herr Abgeordneter, ich war mit meiner Antwort noch nicht fertig; ich habe zu der Frage „Übergang B 239" noch nicht Stellung genommen und darf ,das jetzt nachholen.
Die Bundesbahn beabsichtigt, den Bahnübergang im Zuge der B 239, der zur Zeit durch eine Schranke gesichert ist, mit einer automatischen Sicherungsanlage ,auszurüsten. Sie hat zu diesem Zweck am 15. Januar dieses Jahres Idas Planfeststellungsverfahren beim Regierungspräsidenten in Detmold eingeleitet. Gegen diese Maßnahme liegen - wie mir bekannt ist - bereits Einsprüche vor. Falls diese nicht ausgeräumt werden können, wird die Angelegenheit dem Bundesminister für Verkehr zur Entscheidung vorgelegt werden.
Auf Ihre Frage wegen der Beurteilung der Sicherheit kann ich Ihnen folgendes sagen:
Die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn ist der Aufffassung, daß gegenüber der Sicherung durch Schranken die Sicherung durch Blinklichtanlagen den Vorteil hat, daß das menschliche Versagen, das bei handbedienten Schranken leider sehr häufig ist, völlig ausgeschaltet wird und daß die Sperrzeiten für den Straßenverkehr am Bahnübergang infolge kürzerer Schließungszeiten abgekürzt werden können.
Im übrigen ist ja bekannt, daß der immer stärker werdende Mangel an geeigneten Kräften, geeigneten Schrankenwärtern zur verstärkten Umstellung auf automatische Sicherungsanlagen zwingt.
Ganz generell und allgemein, Herr Abgeordneter, kann man die Frage, ob Schranken sicherer sind als automatische Sicherungen, also Blinklichtanlagen oder Blinklichtanlagen mit Halbschranken, nicht beantworten; diese Frage muß in jedem Einzelfall anhand der örtlichen Verhältnisse auf Grund der Verkehrsbelastung einerseits der Schiene, andererseits des kreuzenden Straßenverkehrs, geprüft und entschieden werden. Ich kann auch heute noch nicht sagen, wie, wenn es nicht möglich ist, die in Detmold vorliegenden Einsprüche zu bereinigen, der Bundesminister für Verkehr entscheiden wird. Es wird wahrscheinlich noch mehrerer Beratungen, auch Ortsbesichtigungen, bedürfen, um ein klares Bild für die Entscheidung zu bekommen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berlin.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die eventuell schon getroffenen Vorbereitungen für die Veränderung der gegenwärtigen Situation so lange gestoppt werden, bis die von Ihnen erwähnten Besprechungen, Ortsbesichtigungen usw. durchgeführt worden sind, ehe man zu der einen oder anderen Entscheidung kommt?
Herr Abgeordneter, wenn irgendwelche baulichen Veränderungen vorgenommen werden oder vorgenommen worden sind, so wird idas die Entscheidungsfreiheit des Ministers in keiner Weise beeinträchtigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spies.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob an Übergängen mit Blinkanlagen oder an Übergängen mit Schranken mehr Unfälle passiert sind?
Dast ist natürlich bekannt. Die Statistiken werden monatlich vorgelegt, und ich bin gern bereit, Sie z. B. über das letzte Monatsergebnis zu unterrichten. Aber diese Generalstatistik, Herr Abgeordneter, gibt ebenfalls keine schlüssige Auskunft darüber. Sie müssen berücksichtigen, daß es viele Tausende von Bahnübergängen gibt, die einen außerordentlich geringen Verkehr haben. Andererseits gibt es Bahnübergänge mit einem außerordentlich starken Verkehr. Es wird also, wie gesagt, in jedem Einzelfall zu prüfen sein, ob eine handbediente Schranke möglich oder notwendig ist, ob eine automatische Blinklichtanlage genügt oder ob, wozu wir immer mehr übergehen, die Blinklichtanlage mit automatischen Weckern oder mit Halbschranken gekoppelt werden muß.
Ich rufe auf die Frage XIII/6 - des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) -:
Sieht die Bundesregierung in der Tatsache, daß weibliche Beschäftigte der Deutschen Bundesbahn im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen nur Freifahrten für sich selbst erhalten, den Grundsatz der Gleichberechtigung gewahrt?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen auf Drucksache IV/1255, zunächst Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern.
Ich rufe auf die Frage I/1 - des Herrn Abgeordneten Müller ({1}) -:
Werden ausländische Gastarbeiter, die nach Deutschland fahren wollen, schon in ihren Heimatländern vor ihrer Hinreise in die Bundesrepublik auf die hier geltenden Waffenbestimmungen aufmerksam gemacht?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe auf die Frage I/2 - des Herrn Abgeordneten Müller ({2}) -:
Werden Gastarbeiter bei ihrer Einreise in das Bundesgebiet - wenigstens stichprobenartig - auf Waffen, insbesondere Schußwaffen, untersucht?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen unter II, Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Glombig:
Was hat der Herr Bundesarbeitsminister in seiner Rede anläßlich der Verleihung des Hörspielpreises des Bundes der Kriegsblinden am 29. April 1963 in bezug auf die Neuordnung der Kriegsopferversorgung gemeint, wenn er sagte: „Es war immer mein Bestreben, weniger in Gleichmacherei zu tun als vielmehr individuell diese Dinge zu gestalten."?
Herr Bundesminister, darf ich bitten.
Mit dieser Äußerung habe ich meine Ansicht ausgedrückt, daß man bei den Bemühungen um eine gerechte Versorgung der Kriegspofer auch die Einzelschicksale beachten und versuchen sollte, das Bundesversorgungsgesetz so zu gestalten, daß auch diese Einzelschicksale gebührend berücksichtigt werden.
Eine Zusatzfrage?
Ja. Herr Minister, wie ist es dann zu erklären, daß außer mir auch Associated Press in ihrer Meldung vom 29. April davon ausgeht, Sie hätten mit der Bezeichnung „Gleichmacherei" darauf hindeuten wollen, daß Bedenken gegen die Forderung der großen Verbände und einer Bundestagsmehrheit zu erheben seien, außer der Beseitigung von Härten vor allem auch eine Erhöhung der Grundrenten vorzusehen?
Ich kann Ihnen keine Auskunft darüber geben, aus welchem Grunde eine Nachrichtenagentur eine Äußerung von mir so interpretiert, wie Sie sie interpretieren wollen. Im übrigen aber hat die Bundesregierung, was Ihnen bekannt ist, auf meinen Vorschlag dem Bundesrat eine Gesetzesvorlage zugeleitet, in der eine Erhöhung der Grundrenten vorgesehen ist.
Eine weitere Zusatzfrage?
Herr Minister, Sie haben im „Bulletin" vom 3. Mai 1963 Stellung genommen zu meinen Behauptungen, daß Sie mit der Bezeichnung „Gleichmacherei" gegen die Erhöhung der Grund-und Ausgleichsrenten Stellung bezogen hätten, haben sich aber nicht dazu bekannt, das Wort „Gleichmacherei" gebraucht zu haben. Darf ich Sie noch einmal fragen, aus welchem Grunde Sie dieses Wort gebraucht haben?
Ich sehe zwar keinen Zusammenhang zwischen Ihrer jetzigen Frage und der vorhin gestellten Frage. Aber ich habe Ihnen ja geantwortet, daß ich mit dieser meiner Äußerung meine Ansicht ausgedrückt habe, daß man besser als bisher auch den Einzelschicksalen gerecht werden sollte. Ich habe in einer kurzen, frei gehaltenen Rede, die - Sie haben zugehört - mit großem Beifall aufgenommen worden ist, vor den Kriegsblinden über ein Problem gesprochen, das diesen besonders am Herzen liegt.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Die Frage des Herrn Abgeordneten Bading unter III - Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Damit ist die Fragestunde abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst darauf hinweisen, daß heute ab 15 Uhr die Möglichkeit zu Ausschußsitzungen besteht.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Gemeinsamen Erklärung und zu dem Vertrag vom 22. Januar 1963 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutschfranzösische Zusammenarbeit ({0});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({1}) ({2})
({3}).
Meine Damen und Herren, gemäß einer Absprache im Ältestenrat darf ich vorschlagen, daß im Anschluß an die Berichterstattung die üblicherweise der dritten Beratung vorbehaltene allgemeine Aussprache stattfindet. - Darüber besteht Einverständnis.
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Furler, für seinen Schriftlichen Bericht und darf ihm zur Ergänzung das Wort erteilen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist nicht Aufgabe des Berichterstatters, hier das zu wiederholen, was er schon schriftlich ausgeführt hat. Ich will auch nicht auf gewisse Einzelheiten mehr technischer Art über die Auslegung des Vertrages eingehen. Sie können das in meinem Bericht lesen. Ich meine, ich sollte mich auf einige Grundfragen konzentrieren, die im Ausland erörtert worden sind, die auch Gegenstand der öffentlichen Debatte gewesen sind und von deren Kenntnis und Beurteilung natürlich das Urteil über den deutsch-französischen Vertrag abhängt.
Der Vertrag hat zwei Entstehungsursachen. Die eine ist die grundlegende Umgestaltung des deutschfranzösischen Verhältnisses nach dem zweiten Weltkrieg, nach der Entstehung der Bundesrepublik. Sie wissen, daß damals bald eine immer enger werdende Zusammenarbeit erfolgte. Sie erfolgte unmittelbar zwischen den beiden Staaten; sie erfolgte aber auch im Rahmen der europäischen Entwicklung, weil natürlich die europäischen Gemeinschaften Gelegenheit gaben, noch mehr und noch enger zusammenzukommen. Die Entwicklung wurde immer intensiver. Es war auch eine starke persönliche Verbindung unter den Menschen, unter den Völkern da: Patenschaften, Partnerschaften und ähnliches mehr.
Es ist verständlich, daß Bundeskanzler Adenauer und General de Gaulle nach dem Besuch des Bundeskanzlers in Frankreich und nach dem großen Empfang, der de Gaulle hier in der Bundesrepublik zuteil wurde, vereinbarten, Schritte zu tun, um zu einer noch engeren Gestaltung dieser Zusammenarbeit, dieser deutsch-französischen Freundschaft zu gelangen. Sie wissen, daß zunächst vorgesehen war, das ganze in einem Protokoll niederzulegen. Man entschloß sich dann aber zu der Vertragsform, weil der Bundestag auf jeden Fall zu diesen Vereinbarungen Stellung nehmen mußte.
Der Vertrag hat aber auch einen Zusammenhang mit einer besonderen europäischen Entwicklung. Nachdem die wirtschaftspolitischen Gemeinschaften, die EWG, die Montangemeinschaft und Euratom, sehr stark nach vorn drängten und arbeiteten, erschien es notwendig, daß die sechs Staaten oder solche, die noch weiter dazukämen, auch auf Gebieten, die nicht in den Gemeinschaften geregelt waren - Außenpolitik, Verteidigungspolitik und Kulturpolitik -, sich näher zusammenfänden und zusammenarbeiteten. Es waren die Pläne einer politischen Union, die die beiden Völker und unsere anderen europäischen Freunde zwei Jahre hindurch beschäftigt haben. Diese Verhandlungen führten leider nicht zu einem Erfolg. Sie wurden im April vorigen Jahres abgebrochen. Aber der Gedanke der politischen Union liegt immer noch in der Luft. Es ist durchaus möglich, sogar wahrscheinlich, daß in absehbarer Zeit wiederum Bestrebungen auftauchen, dieses Werk fortzusetzen.
In diesen beiden Zusammenhängen steht der deutsch-französische Vertrag. Sein Kernstück ist die Konsultationsverpflichtung. Beide Staaten verpflichten sich, in Fragen der Außenpolitik, die von Bedeutung und von gemeinsamem Interesse sind, sich gegenseitig zu konsultieren. Das gilt aber auch für Fragen der Verteidigungspolitik, Fragen der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Jugend, der Sprachentwicklung und ähnliches mehr. Ich darf daran erinnern, daß es nie gelungen ist, in der NATO, in der WEU oder in anderen multilateralen Verträgen eine Konsultationspflicht einzuführen. Sie ist in dem deutsch-französischen Vertrag realisiert.
Es wäre aber falsch, den Vertrag nur als Konsultationsvertrag zu bezeichnen; denn beide Partner haben es auch übernommen - und das halte ich für wesentlich; denn darin zeigt sich, daß sie enger und freundschaftlich miteinander zusammenarbeiten -, in wichtigen Fragen zu versuchen, zu einer gemeinsamen Haltung zu gelangen. Sowohl im außenpolitischen Bereich als auch im Bereich der Verteidigungspolitik wollen sie im Rahmen der Konsultation versuchen, zu gemeinsamen Konzeptionen, zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen, und idas ist wiederum für die Beurteilung von ganz entscheidender Bedeutung. Der Vertrag zwingt keinen der Partner, die Auffassung des anderen zu übernehmen. Er veranlaßt sie nur, zu versuchen, zu einer gemeinsamen Haltung zu gelangen. Entscheidend ist, daß in den Fragen der Außenpolitik, der Verteidigungspolitik in grundlegenden Dingen die beiden Regierungen die letzte Entscheidung in eigener Hand haben. Der Vertrag ist also ein Instrument der Konsultation, des Versuchs, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen; aber er verpflichtet nicht den
einen oder den anderen Staat, von seiner bisherigen Politik abzugehen oder etwas zu tun, was ihm vielleicht nicht richtig erscheint.
In diesem Zusammenhang darf ich Sie auf die gemeinsame Erklärung hinweisen, die die beiden Regierungen im Zusammenhang mit dem Vertrag abgegeben haben und die die Unterschriften von General de Gaulle und unseres Bundeskanzlers trägt. Diese gemeinsame Erklärung ist gewissermaßen eine Präambel. Sie stellt keine neuen Verpflichtungen auf, aber sie zeigt die Zusammenhänge, in denen 'diese gemeinsame Arbeit erfolgen soll. Dazu gehört einmal die Solidarität der beiden Völker, ihre gemeinsamen Interessen, die in dieser gemeinsamen Arbeit zum Ausdruck kommen. Es ist aber auch ausdrücklich hervorgehoben, daß die Verstärkung dieser Zusammenarbeit, diese Konsultation, der Versuch, zu gemeinsamen Lösungen zu gelangen, einen unerläßlichen Schritt auf dem Wege zu dem vereinten Europa darstellt, welches das Ziel beider Völker ist.
Der Auswärtige Ausschuß hat sich die Angelegenheit nicht leicht gemacht; auch die mitberatenden Ausschüsse haben den Vertrag eingehend beraten. Wir haben drei Sitzungen abgehalten und zu den verschiedensten Fragen Stellung genommen. Gegenstand der Diskussion war einmal die Frage: Ist dieses Abkommen zwischen den beiden so wichtigen Staaten mit multilateralen Verträgen, vor allem mit der atlantischen Verteidigungsorganisation, mit den Rechten und Pflichten aus der NATO vereinbar? Wir waren uns nach kurzen Überlegungen darüber klar, daß eine Konfliktsmöglichkeit mit diesem nach klassischen völkerrechtlichen Grundsätzen zwischen 15 Staaten abgeschlossenen NATO-Vertrag nicht besteht. Es besteht überhaupt keine Konfliktsmöglichkeit mit anderen multilateralen Verträgen; sie wenden nicht berührt. Auch der Deutschlandvertrag bleibt völlig unberührt, auch die WEU, selbstverständlich auch die 'besonderen Rechte und Pflichten, die Berlin betreffen und alle ähnlichen Dinge.
Das Hauptproblem, das uns beschäftigte - ich muß das ganz offen hier sagen - war die Frage: Wie steht dieser Vertrag zu den zwischen den sechs europäischen Staaten - Frankreich, Italien, Deutschland und den drei Benelux-Staaten - bestehenden Verträgen über die europäischen Gemeinschaften, insbesondere zu dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft? Sie verstehen, daß mir bei meinem europäischen Wirken diese Frage besonders am Herzen lag; aber auch alle Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses haben darum gerungen.
Wir dürfen nicht verkennen, daß der Vertrag gerade hier zunächst eine Reihe von Mißdeutungen erfahren hat, daß man an ihm im Ausland Kritik geübt hat, daß man Dinge unterstellte, von denen man annahm, sie seien als neue Ziele plötzlich da; man befürchtete in verschiedener Richtung, die Bundesrepublik wolle einen grundlegenden Wandel in der europäischen Politik durchführen. Diese ganze Kritik, diese Erörterungen veranlaßten uns zu sehr eingehenden Prüfungen. Es war auch vorgetragen worden: diese Zusammenarbeit der beiden entscheidenden Völker in dieser Form könnte zur Bildung einer Achse, ja zu einer Hegemonie innerhalb der auf dem Gemeinschaftsgeist aufgebauten europäischen Gemeinschaften führen.
Ich kann Ihnen sagen, welchen wirklichen Sachverhalt wir nach der Prüfung festgestellt haben. Der wirkliche Sachverhalt ist so, daß der Vertrag in seinem Wortlaut und in seinem Sinn nicht gegen diese Gemeinschaftsverträge verstößt. Wesentlich ist natürlich seine spätere Handhabung; darauf komme ich noch zu sprechen.
Wir kamen zu der Überzeugung, daß das Gemeinschaftsrecht, dieses neue Recht der europäischen Gemeinschaften, das noch kein Vorbild im Völkerrecht hatte, dem bilateralen Vertragsrecht vorgeht. Das Hauptargument dafür war, daß in diesen Gemeinschaften ein gemeinsamer Oberster Gerichtshof besteht, der über die Entwicklung und die Auslegung der Verträge entscheidet und dessen Entscheidungen auch für die Gerichte der einzelnen Mitgliedstaaten bindend sind. Es handelt sich also um Recht, das man durch einen solchen Vertrag gar nicht beseitigen kann.
Aber dann war klar - ich möchte das auch betonen -, daß diese Zusammenarbeit nicht Organe dieser Gemeinschaften berührt oder beeinträchtigt, die völlig unabhängig von nationalen Bindungen sind, die reine Gemeinschaftsorgane darstellen, wie die Kommission, das Europäische Parlament, der Gerichtshof. Soweit diese Kompetenzen haben, sind sie ihnen gehörig und bleiben ihnen unverändert gegeben. Ebenso ist sicher, daß diejenigen Gebiete der Souveränität der Nationalstaaten - man mag sich darüber freuen oder nicht, und es gibt Leute, die sich vielleicht nicht darüber freuen -, die endgültig auf die europäischen Gemeinschaften übertragen sind, übertragen bleiben, daß es also keine Möglichkeit gibt, solche Entscheidungen wieder irgendwie rückgängig zu machen.
Nun haben wir - und darin liegt auch eine Problematik - in den Gemeinschaften ein Organ, das die Regierungen dort vertritt, aber zugleich ein Gemeinschaftsorgan ist: den Ministerrat. Es ist unbestritten, daß die sechs Minister ihre Weisungen von den nationalen Regierungen bekommen. Infolgedessen ist es auch möglich, daß die nationalen Regierungen - zwei oder drei - sich untereinander abstimmen oder beraten oder Kontakt nehmen und sich konsultieren, wie ihre Minister sich im Ministerrat verhalten sollen. Dies ist praktisch auch schon oft geschehen, nicht nur zwischen uns und Frankreich, sondern auch zwischen den Beneluxstaaten und auch zwischen anderen Staaten; solches Verhalten ist also durchaus möglich und erlaubt.
Aber - und das ist entscheidend - dieser Ministerrat ist nicht eine Konferenz der Minister der sechs Länder, sondern er ist ein Gemeinschaftsorgan und hat als solches die Aufgabe, die Gemeinschaftsinteressen im Rahmen des Möglichen zu vertreten. Diese Verpflichtung, die Gemeinschaftsinteressen zu vertreten, ist eindeutig. Sie wird zum Beispiel dazu führen - nur als Beispiel -, .daß, wenn im Rahmen der Konsultation Deutschland und Frankreich in einem Punkt übereingekommen sind, eine gemeinsame Linie zu vertreten - was für die Gemeinschaft
durchaus nützlich sein kann -, sie diesen Standpunkt im Ministerrat ändern, wenn sich in den Beratungen, in dem Dialog mit der Kommission ergibt, daß es noch einen anderen, besseren europäischen Standpunkt gibt. Dann wird nicht blockiert, sondern dann wird sich eben dieser europäische Standpunkt durchsetzen.
Ferner wurde von der Sperrminorität gesprochen. Es wurde gesagt, nach den Bestimmungen hätten die beiden Staaten die Möglichkeit zu blockieren, weil in dem Zeitpunkt, in dem Mehrheitsentscheidungen bevorstehen oder getroffen werden, gegen die Stimmen der beiden Staaten kein Beschluß gefaßt werden kann. Hierzu darf ich doch zur Aufklärung sagen: bei dem ersten Vertrag, bei dem supranationalsten, den es gibt, bei dem Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, wurde durch komplizierte Vertragsklauseln festgelegt, daß Frankreich und Deutschland als die Hauptmontanmächte, als die Haupterzeuger von Kohle und Stahl, nicht überstimmt werden können. Und als wir die europäischen Verträge gestalteten, wurde ausdrücklich vorgesehen, daß zwei große Staaten, sei es Italien, sei es Frankreich, sei es Deutschland, nicht überstimmt werden dürfen, wenn sie in einem bestimmten Punkt nicht mitmachen wollen. Denn man sagte schon damals: es ist schlecht, einen Gemeinschaftsstandpunkt gegenüber, sagen wir, Italien und Frankreich zu vertreten, wenn die beiden geschlossen dagegen sind. Also ist es gar kein Problem, daß zwei Mitgliedstaaten auf Grund der bestehenden Verträge in einem bestimmten Fall nicht überstimmt
werden können.
Aber - das ist entscheidend - nach den Erklärungen, die die Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuß abgab, hat weder sie noch nach ihren Informationen Frankreich die Absicht, die Entwicklung der Gemeinschaften durch solche Vetos zu verhindern oder zu beeinträchtigen. Im Gegenteil: unsere Zusammenarbeit soll auch dazu dienen, diese wirtschaftspolitische und sozialpolitische Zusammenarbeit in den Gemeinschaften zu fördern.
Meine Damen und Herren, es ist doch sicher, und die Erfahrung der täglichen europäischen Politik lehrt, daß es gut ist, wenn Frankreich und Deutschland nicht offensichtliche Differenzen in Gemeinschaftsfragen haben; denn ohne die Zusammenarbeit dieser beiden Kernländer Europas wäre die europäische Entwicklung gar nicht möglich gewesen.
({0})
Sie dürfen davon überzeugt sein, es wäre für die Gemeinschaften, für ihre Organe keine einfache Situation, wenn sie vor der Gegebenheit stünden, daß sich Frankreich und Deutschland in ständigen Differenzen befinden. Das würde auch die Vorwärtsentwicklung dieser Gemeinschaften sehr beeinträchtigen. Folglich sehen wir in dem Vertrag die Möglichkeit - ich sage: es kommt auf die spätere Haltung an -, in der europäischen Entwicklung durch eine Zusammenarbeit in der bisherigen Form weiterzuschreiten.
Weiterhin ist in dem Vertrag der stärkere Einsatz der Jugend und die sprachliche Förderung behandelt. Das sind selbstverständliche Dinge; wir
brauchen darüber nicht lange zu sprechen. Der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen hat sich über die damit zusammenhängenden Probleme sehr eingehend geäußert; das steht in dem Schriftlichen Bericht.
Nun komme ich zu unserer eigentlichen Aufgabe, nämlich zur Verabschiedung des Ratifikationsgesetzes. Der Vertrag muß, um völkerrechtlich wirksam zu werden, ratifiziert werden, und deshalb unsere heutige Sitzung. Wir haben zu dem Ratifikationsgesetz zunächst eine ganz kurze Änderung vorgeschlagen, nämlich die Berlin-Klausel in der üblichen Form aufzunehmen. Das hat der Berliner Senat angeregt, und die Bundesregierung war damit einverstanden.
Weiterhin haben wir etwas vielleicht nicht Alltägliches vorgeschlagen. Wir haben nämlich im Auswärtigen Ausschuß beschlossen - zuletzt gemeinsam -, Ihnen zu empfehlen, dem Vertrag eine Präambel vorauszuschicken. Wir hatten darüber beraten, ob eine Entschließung gefaßt werden sollte. Wir waren aber der Meinung, daß wegen der für unser Volk so wichtigen Fragen die Form der Präambel genommen werden sollte, weil sie als Teil des Gesetzes eine höhere Wirksamkeit hat als eine Entschließung. So war die Auffassung des Auswärtigen Ausschusses.
Diese Präambel befaßt sich zunächst - das darf nie außer acht gelassen werden, bei aller Diskussion - mit dem Kernpunkt, nämlich mit der Aussöhnung, der Freundschaft, der Zusammenarbeit mit Frankreich als dem grundlegenden, entscheidenden Ziel dieses Vertrages. Diese Zusammenarbeit, die im Laufe der Jahre gewachsen ist, die wichtig ist, hat in diesem Vertrag ihren deutlichsten Ausdruck gefunden.
Die Präambel befaßt sich dann allgemein mit der Frage, ob der Vertrag mit früher geschlossenen multilateralen Verträgen vereinbar ist. Ich habe das schon behandelt. Die Präambel sagt: Diese Verträge bleiben unberührt.
Die Präambel befaßt sich weiterhin mit den Zielen, die wir in der Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten in der westlichen Welt seit Jahren durchzusetzen uns bemühen, und schließlich legt die Präambel relativ detailliert die Grundpunkte und Grundziele der deutschen Politik fest. Es wird da zunächst gesagt, daß eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika unser Ziel ist und bleibt. Es wird in den Vordergrund gestellt, was uns alle zutiefst bewegt, nämlich die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts für das deutsche Volk und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands.
Schließlich wird gesagt, daß es unser Ziel in der Politik bei Durchführung des Vertrages ist, in der bisherigen Weise in der NATO zusammenzuarbeiten und die NATO weiter zu verstärken. Wir haben ja schließlich unsere militärischen Streitkräfte der NATO unterstellt.
Sodann haben wir als unser Ziel festgelegt, daß die Einigung Europas weiterschreiten soll, und zwar auf dem Wege, den wir mit den europäischen GeDr. Furler
meinschaften begonnen haben. Wir sagen ausdrücklich, daß es das Ziel der deutschen Politik auch ist, diese Gemeinschaften weiterhin zu stärken.
Schließlich wird ein konkretes, akutes Problem angesprochen und ausgeführt, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eine offene Politik zu betreiben habe, daß sie insbesondere die Hand ergreifen solle, die ihr Amerika entgegengestreckt hat, in einer großen zollpolitischen Zusammenarbeit im Rahmen des GATT. Die berühmte Kennedy-Runde und all diese Dinge sollen im Interesse einer Aufgeschlossenheit der Gemeinschaft positiv betrachtet werden.
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zum Antrag. Der Auswärtige Ausschuß beantragt, daß Sie das Vertragswerk billigen, indem Sie das Ratifikationsgesetz mit der kleinen Änderung der BerlinKlausel und unter Aufnahme der ganzen Präambel in den Vorspruch zu diesem Gesetz annehmen.
({1})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, in meiner Eigenschaft als zweiter Berichterstatter den Bericht des ersten Berichterstatters, des Kollegen Furler, in tatsächlicher Hinsicht zu ergänzen. Sein Bericht umfaßt alles, was über den Hergang der Beratungen, über die gestellten Anträge und das Schicksal dieser Anträge wissenswert ist. Ich glaube jedoch, daß es nützlich sein könnte, die im Ausschuß zutage getretenen Auffassungen über die Rechtswirkungen der Präambel und die durch ihren Inhalt erfolgte Bindung jeder deutschen Regierung bei der Anwendung des Vertrages in einer prägnanten Zusammenfassung darzulegen.
Ich bemerke, daß über die einzelnen Feststellungen, die ich nun treffen werde, nicht formell abgestimmt worden ist, glaube jedoch, sicher sein zu dürfen, daß das, was ich sagen werde, die einmütige Auffassung des Ausschusses wiedergibt.
Im Ausschuß kam zum Ausdruck, daß die Präambel nicht etwa nur eine deklamatorische Zusammenfassung guter Wünsche darstellt, sondern den Organen der Bundesrepublik die Rechts pflicht auferlegt, entsprechend ihrem Inhalt zu handeln. Die Präambel ist ein Teil des Gesetzes, genauso rechtsverbindlich wie dessen paragraphierter Teil.
Im Ausschuß kam weiter zum Ausdruck - und diese Meinung wurde vom Vertreter der Regierung geteilt -, daß der deutsch-französische Vertrag innerhalb der rechtlichen und politischen Ordnungen gilt, die durch die Römischen Verträge und die anderen multilateralen Verträge über die Integration Europas und das nordatlantische Verteidigungssystem sowie durch den Deutschlandvertrag geschaffen worden sind. Danach bricht im Zweifelsfalle das Recht der multilateralen Verträge das Gemeinschaftsrecht, wie es mit Recht genannt wurde,
das durch den zweiseitigen Vertrag geschaffene Recht, falls es überhaupt zu einem Zweifel kommen sollte.
Im Ausschuß kam weiter zum Ausdruck, daß durch die Feststellung, daß durch diesen Vertrag die Rechte und Pflichten aus den von der Bundesrepublik Deutschland .abgeschlossenen multilateralen Verträgen unberührt bleiben, sowie durch die Erklärung des Willens, die Einigung Europas auf dem durch die Schaffung der europäischen Gemeinschaften begonnenen Wege durchzuführen, klargestellt ist, daß Europapolitik und Verteidigungspolitik der Bundesregierung von den durch 'die aufgeführten multilateralen Verträge geschaffenen Einrichtungen und Zielsetzungen auszugehen haben. Damit ist eine jede Bundesregierung auf eine aktive Europapolitik festgelegt; ebenso lauf eine Politik des Ausbaus und der Ausweitung .der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; auf eine Politik, die hilft, die Voraussetzungen für ein Wirksamwerden der Kennedy-Round - um es in der Abkürzung zu sagen - zu schaffen, schließlich auf eine Politik, über die durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft geschaffenen europäischen Realitäten hinaus auf eine stärkere politische Integration Europas hinzuwirken.
Der Ausschuß war der Überzeugung, daß damit alle Befürchtungen gegenstandslos geworden sind - falls sie begründet gewesen sein sollten -, die innerhalb Deutschlands und außerhalb durch den Abschluß des Vertrages und die Begleitumstände seines Abschlusses aufgekommen sein mögen. Denn es steht nunmehr fest, daß der Vertrag einer jeden deutschen Bundesregierung nur als Instrument einer positiven europäischen Integrationspolitik und atlantischen Verteidigungspolitik dienen kann.
Wir wissen, daß darüber, was Europa sein soll, verschiedene Meinungen bestehen. Manche 'glauben, es genüge, ein Europa der Regierungen zu schaffen, .andere, eines der Staaten. Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich sage, daß die überwiegende Meinung im 'deutschen Volk ist, ,daß Europa ein Europa der Völker sein soll.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der ersten Lesung des Ratifikationsgesetzes zu dem deutsch-französischen Vertrag konnte Übereinstimmung darüber 'festgestellt werden, .daß )die Freundschaft oder beiden Völker lebenswichtige Bedeutung für Deutschland und Frankreich selbst und für ,das Zusammenwachsen Europas hat. Umstritten war die Auswirkung des Vertrages auf das Leiben und damit auf die weitere Entwicklung - zu der auch das Wachsen gehört - der europäischen Gemeinschaften und auf die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Es ist uns dabei, soweit es meine Fraktion betrifft, nicht in erster Linie ;darum gegangen, ob der Wortlaut des Vertrages und die rechtliche Wirkung der durch ihn ins Leben 'gerufenen Einrichtungen über3746
haupt mit den Bestimmungen und mit den Verfahrensregeln der europäischen Gemeinschaftsverträge vereinbar seien. Unsere Sorge - und ich weiß, das war tauch die Sorge vieler in den Partnerländern der europäischen Gemeinschaften - ist gewesen: Wird durch das besondere Verhältnis der Regierungen beider Staaten in das Gefüge der europäischen Gemeinschaften ein störendes, ihre Entwicklung hemmendes Element gebracht?
Über diese unsere Sorge haben wir in der ersten Lesung offen gesprochen. Der Berichterstatter hat in seinem Schriftlichen Bericht dargelegt, wie versucht worden ist, die Sorgen zu zerstreuen und Einwände zu entkräften. Er hat in diesen Teilen seines Berichts im wesentlichen wiedergegeben, was in den Ausschußberatungen zu gewissen Klarstellungen geführt hat. Er hat dabei in dem Bericht auch die vom Präsidenten der Europäischen Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geäußerten Befürchtungen erwähnt, es könne ein fremdes Gewicht in den ausgewogenen Gemeinschaftsprozeß hineingetragen werden. Soweit der Herr Berichterstatter bei der Behandlung dieser Einwände geltend macht, die Mehrheit des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten habe sich diesen Überlegungen nicht anschließen können, hat er damit - wenn ich das, ohne ihn korrigieren zu können und zu wollen, so ausdeuten darf - eigentlich wohl betonen wollen, es bestehe auf deutscher Seite nicht die Absicht, ein solches fremdes Gewicht hineinzutragen. Ich habe auch seine heutigen mündlichen Erläuterungen zu diesem Bericht mit Genugtuung so verstanden.
Aber der Herr Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat ja selber ausdrücklich erklärt, die Kommission habe bei der Prüfung des Sachverhalts selbstverständlich keinerlei Absicht der Vertragsschließenden unterstellt, damit gegen ihre Gemeinschaftsverpflichtungen zu handeln. Er 'hat hinzugefügt, die EWG-Kommission nehme als Kriterium ihres Urteils nicht einen formalen juristischen Maßstab, und er hat betont, die EWG-Kommission sei der Meinung, daß der Schwerpunkt der Frage im Bereich des Politischen liege, und deshalb - so habe ich Herrn Hallstein verstanden - hat er in seiner Eigenschaft als Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als Kriterium des Urteils der Kommission die, wie er sich ausdrückte, Ratio des Vertrages selbst bezeichnet, d. h. das Interesse an einer in ihrer Substanz und Dynamik unversehrten Gemeinschaft, d. h. einer sicheren und uneingeschränkten Verwirklichung des materiellen Vertragsinhalts und an einem reibungslosen und höchst produktiven Funktionieren der verfassungsmäßigen Organisation der Gemeinschaft. - Soweit Herr Hallstein.
Angesichts dieser Erklärungen wäre es uns richtiger erschienen, wenn der Herr Berichterstatter es für möglich gehalten hätte, ganz freimütig auf jene Bemerkungen des Herrn Präsidenten der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einzugehen, in denen gesagt worden ist, die Kommission habe mit Aufmerksamkeit und mit Genugtuung
Tendenzen beobachtet, bei der parlamentarischen Ratifikation des Vertrages außer jeden Zweifel zu setzen, daß der Vertrag nicht zu Wirkungen auf die materielle Gemeinschaftsordnung und die Gemeinschaftsverfahren führen darf, die dem Sinn unseres Vertrages zuwiderlaufen.
Nun, der Herr Berichterstatter selber hat heute gesagt, daß wir mit der Einfügung der Präambel in das Ratifikationsgesetz doch wohl dieser eindringlichen Aufforderung entsprochen haben, eben der Aufforderung, bei Gelegenheit dieser parlamentarischen Ratifikation so klar und so verbindlich wie möglich festzulegen, daß Auslegung und Anwendung des Vertrages Bestand, Funktionieren und Dynamik unserer Gemeinschaft nicht beeinträchtigen dürfen. Darauf kam es an, und wenn wir alle Zweifel ausräumen wollen, dann können wir und dann sollen wir auch freimütig sagen, daß es dem Deutschen Bundestag darauf ankommt, dies so klar und so verbindlich wie nur möglich festzulegen.
Der Herr Berichterstatter hat in seinem Schriftlichen Bericht ausführliche Betrachtungen über das Schicksal der Versuche angestellt, eine europäische politische Union zustande zu bringen. Wir Sozialdemokraten vertreten nach wie vor die Auffassung, daß die Teilnahme Großbritanniens an dem Anfang einer europäischen politischen Union entscheidend dafür ist, Europa einen erhöhten Einfluß auf das Weltgeschehen zu sichern.
({0})
Deshalb fordern wir, ungeachtet der bisherigen Fehlschläge und auch ohne die Augen vor den derzeitigen auch in Großbritannien selbst erkennbaren Schwierigkeiten zu verschließen, weitere zähe Bemühungen, England mit dem Gemeinsamen Markt zu vereinigen und dadurch die Grundlage für die europäische politische Union zustande zu bringen.
({1})
Wir halten uns an die Feststellung, daß das Vertragswerk, wie der Herr Berichterstatter sagt, nach der übereinstimmenden Ansicht beider Vertragspartner die politische Union nicht ersetzen könne und solle und daß ein Ansatzpunkt zur Erweiterung in der Bestimmung des Schlußkapitels - III/2 - liege, wo es heißt, daß die beiden Regierungen die Regierungen der übrigen Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaften über die Entwicklung der deutsch-französischen Zusammenarbeit laufend unterrichtet halten werden.
Ich möchte hinzufügen, wir wünschen und erwarten, daß der Herr Bundesminister des Auswärtigen im Zusammenwirken mit den Partnern der europäischen Gemeinschaften die in Brüssel durch seine Initiative dankenswerterweise begonnenen Bemühungen um eine Praxis der Konsultation mit den zum Beitritt entschlossenen Ländern und mit den Ländern, die ein Assoziationsverhältnis zur Gemeinschaft finden wollen, fortsetzt.
({2})
In diesem Sinne möchten wir verstanden wissen, was im Bericht auf Seite 4 unter Nr. 5 erklärt worden ist, nämlich:
Die Unterstützung, die das deutsch-französische Vertragswerk bei seiner Anwendung im Bundestag und auch in der Offentlichkeit finden wird, dürfte zu einem großen Teil davon abhängen, wie überzeugend die Orientierung aller zweiseitigen Maßnahmen an dem übergreifenden europäischen Ziel verwirklicht wird.
So der Herr Berichterstatter im Schriftlichen Bericht.
Das möchten wir auch im Hinblick auf die im Vertrag enthaltenen Bestimmungen über die Förderung des Austauschs und der Begegnung junger Menschen und Mitbürger beider vertragschließenden Länder besonders hervorheben. Wir haben im Ausschuß betont und im einzelnen ausgeführt, daß wir es als einen Prüfstein ansehen, ob bestehende und segensreich wirkende private und öffentlich-rechtliche Organisationen und Einrichtungen - wir haben z. B. auf die gewerkschaftlichen in Paris hingewiesen - gefördert werden oder ob etwa mit Hilfe des zu errichtenden Fonds die Schwerpunkte auf ganz andere Arten von Einrichtungen verlagert werden. Es kommt hier sehr auf die Förderung des Freiwilligen an, weil das wohl im Sinne des Vertrages und einer solchen Beziehung der Völker liegt.
({3})
Ich habe mit Freude festgestellt, daß darüber Einverständnis im Ausschuß und auch bei der Regierung herrscht. Es ist uns jedenfalls, wie es der Bericht auf Seite 7 vermerkt, ausdrücklich zugesichert worden, daß so verfahren werde.
Wir haben es im Ausschuß weiter als Prüfstein angesprochen, ob auch entsprechende kulturelle Beziehungen zur Jugend anderer europäischer Staaten gefördert werden und Initiativen dazu von deutscher Seite ergriffen werden. Im Bericht ist ausdrücklich erwähnt, daß ein solcher Wunsch in Übereinstimmung wohl aller Seiten besteht.
Die Sozialdemokraten haben in der ersten Lesung ausdrücklich gesagt, es gehe uns nicht darum, hier die eine oder die andere Einzelheit im Vertragswerk zu kritisieren, sondern darum, in jeder Form dafür zu sorgen, daß die europäischen Gemeinschaften als der Kern der Entwicklung zu einem vereinigten Europa unbeeinträchtigt und unangetastet bleiben.
Wir kennen die Schwierigkeiten, mit denen die Gemeinschaften jetzt zu ringen haben. Es wäre falsch - auch von unserer Sicht aus -, den deutschfranzösischen Vertrag an sich als Ursache dieser Schwierigkeiten hinzustellen. Er ist wohl eher einer der Ausdrücke für solche Schwierigkeiten. Aber immerhin!
Die Bundesregierung wird in jedem Fall unsere vorbehaltlose Unterstützung haben, wenn sie sich um die Überwindung der Hindernisse bemüht. Das sei besonders auch im Hinblick auf die Verhandlungen betont, deren Schatten ja jetzt schon vorausgeworfen werden, die mit der Kennedy-Runde bevorstehen. Wir haben Wert darauf gelegt, die deutsche Politik müsse in ihrer Praxis und auch in dem, was der Gesetzgeber hier beschließt - das werden wir ja heute zu tun haben -, eindeutig und unverrückbar klarstellen, daß wir in der Weiterentwicklung und in der Ausgestaltung der europäischen Gemeinschaften den wirklichen Integrationsprozeß, den wirklichen Einigungsprozeß in Europa sehen.
({4})
Diese europäischen Gemeinschaften, meine Damen und Herren, müssen wir auch herausbringen helfen aus einem Zwielicht, in dem sie sich in den Augen der Demokratien Skandinaviens, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika in mancher Hinsicht befinden.
Wenn unsere Erklärungen in der ersten Lesung und die Beratungen in den Ausschüssen dazu beigetragen haben, eindeutige Feststellungen zu erwirken, so sind wir darüber froh. Im Bericht wird auf Seite 6 festgestellt,
politisch widerspräche es nach den im Auswärtigen Ausschuß abgegebenen Erklärungen der Bundesregierung den Absichten der beiden Regierungen, die Entwicklung der Gemeinschaften etwa durch ein gemeinsames Veto blockieren zu wollen. Der Vertrag soll auch für das Werk der Europäischen Gemeinschaften förderlich sein. Die Vertragschließenden haben durch die doppelte Erwähnung der Gemeinschaften im Text klargemacht, daß sie bei der Organisation ihrer verstärkten Zusammenarbeit von der Existenz und der Bedeutung der Gemeinschaften für das Leben ihrer Völker ausgehen. Die Konsultationen bieten die Möglichkeit, die für die europäische Integration so notwendige deutschfranzösische Übereinstimmung herbeizuführen.
Niemand
- so heißt diese Stelle des Berichts zweifelt daran, daß ohne diese Übereinstimmung die Situation der Gemeinschaften sehr schwierig wäre.
Es folgt dann jene Feststellung über die politische Union als Wille auch derer, die diesen Vertrag schließen, und sicher, möchte ich sagen, als unser Wille, als Wille derer, die wir hier als Teil der Gesetzgebung dazu Stellung zu nehmen haben:
Der Wille beider Vertragspartner, an der Politik der europäischen Vereinigung festzuhalten, kommt auch in der Abschlußbestimmung zum Ausdruck, nach der die übrigen Mitgliedstaaten über den Fortgang der deutsch-französischen Zusammenarbeit unterrichtet werden. Eine derartige Norm ist in einem bilateralen Vertrag nicht üblich. Sie erklärt sich aus der mit dem Vertrag verbundenen europäischen Zielsetzung. Hier kann der Ansatzpunkt für die Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Bildung der Europäischen Politischen Union liegen.
Darin, meine Damen und Herren, sehen wir einen Fortschritt, gemessen an den Erklärungen, die der Herr Staatssekretär Carstens noch am 1. März im Bundesrat gegeben hatte.
Wir finden die im Bericht wiedergegebene Haltung und die im Text der Präambel des Ratifikationsgesetzes verbindlich festgelegten Richtlinien auch im Einklang mit Erläuterungen, die am 28. Juli 1959
bezüglich der Stellungnahme der Bundesregierung zu Anregungen über ein politisches Dreier-Direktorium innerhalb der EWG - worum es damals ging - gegeben worden waren. In jener Erklärung hieß es:
Es ist mit den politischen Absichten der Bundesregierung und anderer Regierungen unvereinbar, wenn der Eindruck entsteht, daß eine Blockbildung beabsichtigt sei. Dies ist auch unvereinbar mit den Zielsetzungen der Organisationen - wie der EWG, der WEU, der NATO -, denen die Bundesrepublik angehört. Jede politische Zusammenarbeit in diesen Organisationen muß auf der Grundlage der Verträge erfolgen und darf nicht einzelne Staaten beeinträchtigen.
Das war die damalige Erklärung, und wir finden, daß sich das, was jetzt in diesem Bericht über unsere eigenen Absichten dargelegt worden ist, mit jener Erklärung deckt.
Lassen Sie mich bitte hinzufügen, daß wir Deutschen ja nicht zuletzt auch aus den Notwendigkeiten unserer Deutschlandpolitik ein solches partnerschaftliches Verhältnis pflegen müssen. Im Ringen um die Einheit Deutschlands in gesicherter Freiheit, im Bemühen darum, die Last unserer Landsleute zu verringern, die noch in der Unterdrückung leben müssen, sind wir darauf angewiesen, die Partnerschaft der freien Völker zu pflegen.
Aus diesen Erwägungen und in dem festen Willen, die gesamtdeutsche und die europäische Verpflichtung zu erfüllen, die wir uns in unserem Grundgesetz auferlegt haben, wird die Fraktion der Sozialdemokraten dem Gesetz in der in den Beratungen erreichten Form zustimmen.
({5})
Das Wort hat der Bundestagsabgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um zunächst den beiden Berichterstattern, den Herren Kollegen Furler und Schmid, für die sorgfältige Darlegung dessen, was im Auswärtigen Ausschuß geschehen ist, aufrichtig zu danken.
({0})
Ich glaube, daß im Auswärtigen Ausschuß eine gute und erfolgreiche Arbeit geleistet worden ist. Schon bei der ersten Lesung haben wir erklärt - das möchte ich an den Eingang meiner Ausführungen stellen -, es sei wünschenswert, daß dieser Vertrag mit einer großen und eindringlichen Mehrheit verabschiedet werde, weil wir die Verständigung nicht zwischen den Regierungen von heute suchen, sondern zwischen den Völkern. Ich glaube, die Arbeit des Auswärtigen Ausschusses hat - wie die Erklärung des Herrn Kollegen Wehner bewiesen hat -. diese Verabschiedung durch eine starke Mehrheit, ja vielleicht eine einmütige Zustimmung ermöglicht.
Meine politischen Freunde und ich gehen aber an den Vertrag etwas anders heran als Herr Kollege Wehner, der zunächst seine Bedenken gegen den Vertrag in den Vordergrund gestellt hat, um nachher zu sagen, daß er, nachdem sie ausgeräumt seien, seine Zustimmung geben könne. Wir sagen ja zu dem Grundgedanken in konsequenter Fortsetzung einer Politik, die wir seit Beginn der Bundesrepublik eingeleitet und die wir bisher, wie ich glaube, mit vollem Erfolg durchgeführt haben.
({1})
Wir waren uns klar - in allen außenpolitischen Diskussionen ist das zum Ausdruck gekommen -, daß an der Spitze einer jeden europäischen Politik die deutsch-französische Aussöhnung und die deutschfranzösische Zusammenarbeit stehen müssen.
({2})
Das war auch früher unbestritten, es war unbestritten in der ganzen uns verbündeten Welt. Deswegen - das möchte ich hier schon sagen - bedaure ich es aufrichtig, daß dieser deutsch-französische Vertrag Mißverständnisse und Mißdeutungen ausgelöst hat, und selbstverständlich sind wir entschlossen, sie im Interesse unserer Freundschaft auch mit anderen Völkern .auszuräumen.
Schon als das erste Wort über die Notwendigkeit der europäischen Einigunggesprochen worden ist, hat Churchill gesagt - in der häufig zitierten historischen Rede in Zürich -, ihr Beginn müsse darin bestehen, daß Deutschland und Frankreich sich die Hand reichten, um die europäische Völkerfamilie zu schaffen. - Meine Damen und Herren, was damals gesagt 'wurde, ist heute unverändert gültig. Niemand von uns wird sich vorstellen können, daß wir in der europäischen oder der atlantischen Arbeit fortfahren könnten, wenn nicht auf der Grundlage einer unerschütterlichen und unverbrüchlichen Freundschaft zwischen dem deutschen und dem französischen Volke.
({3})
Wir haben im Bereich Ides europäischen Einigungswerkes nicht nur multilaterale Vereinbarungen getroffen. Wir haben nicht nur einen Vertrag geschlossen, der seine Initiative Robert Schuman verdankt, und wir haben nicht nur Initiativen geprüft wie den Gedanken des französischen Ministerpräsidenten Pleven. Wir haben vielmehr bilaterale Vereinbarungen und Verträge geschlossen. Nach meiner Überzeugung ist jeder einzelne zweiseitige Vertrag, den wir im europäischen Bereich geschlossen haben, auch ein fruchtbarer Beitrag zur europäischen Politik und zur Politik der Zusammenarbeit der freien Wellt gewesen.
({4})
Ich lege Wert darauf, das festzustellen, um den falschen Eindruck zu vermeiden, als sei ein zweiseitiger Vertrag zwischen zwei Völkern, die in anderen, multilateralen Bindungen stehen, mit dem Odium des Unüblichen belastet, ja als sei aus einem solchen zweiseitigen Vertrag die Absicht herauszulesen, sich aus der multilateralen Zusammenarbeit zu entfernen oder eine Unsicherheit hineinzutragen. Nein, meine Damen und Herren, ich glaube, daß es
auch ein Beitrag zur europäischen Politik war, als Deutschland und Frankreich den Vertrag über das Saargebiet abgeschlossen haben. Ich möchte daran erinnern, daß wir damals eine Erklärung abgegeben haben, ein Kommuniqué, das derdamalige Außenminister Pineau gemeinsam mit mir unterzeichnet hat. In diesem Kommuniqué heißt es:
Die Opfer, die gegenseitig gebracht wurden, zeugen von dem Willen der beiden Regierungen, einen neuen Abschnitt der deutsch-französischen Beziehungen zu beginnen, in dem die beiden Völker gemeinsam einer besseren Zukunft entgegenschreiten sollen. Es soll in Zukunft zwischen den beiden Ländern nur noch solche Fragen geben, wie sie sich zwischen guten Nachbarn stellen.
Hier war nichts anderes, nicht mehr und nicht weniger gesagt als ,das, was wenige Jahre vorher
Keine deutsche Regierung, - sagte er am 27. Juni 1952 auf welche parlamentarischen Kräfte sie auch immer sich stützen würde, könnte den elementaren Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes, die zwingend ein Zusammengehen mit den freiheitlichen Völkern der westlichen Welt erfordern, zuwiderhandeln. Weil aber die europäische Einigung die deutsch-französische Verständigung voraussetzt, bedeutet jeder Schritt, der der Stärkung des Vertrauens zwischen dem deutschen und dem französischen Volke dient, zugleich einen Schritt auf dem Weg zu Europa.
Meine Damen und Herren, ich glaube, das, was im Jahre 1952 gesagt worden ist, steht nicht nur in keinem Gegensatz zu dem, was in dem deutsch-französischen Vertrag zu lesen ist, sondern ist eine Voraussetzung dieses Vertrages, ist eine der Grundlagen dieses Vertrages, zu dem wir ja sagen.
Es ist richtig, daß dieser Vertrag nicht - Herr Kollege Schmid hat mit Recht darauf hingewiesen - an die Stelle dessen getreten ist, was wir mit einer europäischen politischen Union zu erreichen versuchten, aber doch versucht hat, einen Hohlraum auszufüllen, der entstanden ist, weil dieser Plan sich nicht verwirklichen lassen konnte, nicht verwirklichen lassen konnte im Fouchet- und CataniAusschuß, nicht zuletzt auch wegen der offenen Frage, ob und wann Großbritannien dieser Gemeinschaft beitreten werde und ob es richtig und notwendig sei, darauf zu warten.
Ich möchte ausdrücklich betonen, daß wir diesen Vertrag - ich glaube, daß ich hier die Auffassung wiedergebe, die auch im Auswärtigen Ausschuß zum Ausdruck kam - nicht als einen Ersatz einer politischen Union betrachten, sondern als einen Beitrag auf dem Wege zu einer politischen Einigung.
({0})
Denn diese politische Union soll nicht zwischen Deutschland und Frankreich allein bestehen, sie soll bestehen aus allen europäischen Ländern, die der europäischen Gemeinschaft von heute oder von morgen angehören. Denn auch für die politische
Gemeinschaft gilt die Präambel des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, gilt die Bereitschaftserklärung des Art. 237, daß diese Gemeinschaft offen sein soll für alle, die bereit sind, sich mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten an dieser europäischen Arbeit zu beteiligen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist nicht nötig, auf die Einzelheiten dieses deutsch-französischen Vertrages einzugehen; sie sind in dem Bericht, den ich schon nannte, erschöpfend dargestellt. Wir wünschen eine möglichst enge, eine permanente, eine intensive Zusammenarbeit zwischen der deutschen und der französischen Regierung, zwischen dem deutschen und dem französischen Volk in allen Bereichen, die sich dazu anbieten, und wir hoffen, daß deswegen der Vertrag auch extensiv und nicht intensiv interpretiert wird. Ich denke dabei ganz besonders an die Frage, die auch schon gestellt worden ist, an die Verwirklichung des Gedankens nämlich, die jungen Menschen aus den beiden Nationen enger als bisher zusammenzuführen.
Wir haben uns für die Freizügigkeit im europäischer Bereich ausgesprochen, aber wir haben sie - seien wir redlich! - noch nicht verwirklicht. Verwirklicht haben wir die Freizügigkeit eigentlich nur für Kohle und Stahl, aber noch nicht für die Menschen, und es ist meine Bitte, daß auch die Bundesregierung und die Regierungen der Länder, deren Zuständigkeit wir selbstverständlich sorgfältig respektieren, alles tun mögen, damit aus dieser guten Absicht, die im Vertrag niedergelegt ist, auch wirklich greifbare und sichtbare Ergebnisse werden.
({2})
Es geht nicht nur darum, daß wir Besuche austauschen; es geht darum, daß wir ein ernstes Gespräch darüber beginnen, ob nicht der Zeitpunkt gekommen ist, daß wir Examina anerkennen, daß wir die Semester anerkennen, die einer im anderen Land verbringt,
({3})
ob wir nicht Befähigungsnachweise anerkennen, ob wir nicht auch in den freien Berufen und in ihren Organisationen zu einem Austausch kommen können. Ich glaube, daß das die beste Wirkung dieses Vertrages wäre; denn es gibt nichts, das eine so wahrhaft integrierende Wirkung ausüben könnte wie diese von mir eben in einigen Worte gekennzeichnete Entwicklung.
Ich wiederhole die Bitte an die Bundesregierung, hier alles zu tun, was in ihrer Macht steht, und ich wiederhole auch die Bitte an die Länderregierungen, vielleicht einmal über den eigenen Schatten zu springen und gewisse bürokratische Bedenken zu überwinden.
({4})
Lieber würde ich es in Kauf nehmen, daß es einmal nicht gut war, ein Examen anzuerkennen, wenn es einer unter hundert Fällen ist und die Anerkennung sich in neunundneunzig Fällen als berechtigt erwiesen hat. Wenn wir nicht den Mut haben, nach vorn vorzustoßen, dann, meine Damen und Herren,
ist es müßig, über die europäische Integration zu sprechen; dann werden wir doch immer in nationalen und nationalistischen Vorbehalten ersticken und hängenbleiben.
({5})
Es ist schon darauf hingewiesen worden, und wir haben darüber schon in der ersten Lesung gesprochen, daß dieser Vertrag in der Tat im Ausland auf Mißverständnisse und auf Mißdeutungen gestoßen ist. Das sind Mißdeutungen und Mißverständnisse, die wir alle bedauern, die ich aber nicht recht verstehe. Ich möchte jedoch zu einzelnen Äußerungen nicht Stellung nehmen. Ich möchte auch nicht zu den Erklärungen des Präsidenten der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, meines Freundes Professor Hallstein, Stellung nehmen; aber ich möchte nicht verschweigen, daß ich nicht der Meinung war, er habe sehr klug gehandelt, als er uns diese Verhaltungsmaßregeln erteilte.
({6})
Meine Damen und Herren! Der Auswärtige Ausschuß hat sich, wie ich schon festgestellt habe, mit Erfolg bemüht, möglichen Einwendungen in Deutschland oder im Ausland entgegenzuwirken und vorzubeugen, und er hat uns eine Präambel vorgelegt, von der ich gleich sagen möchte, daß sie die völlige Zustimmung meiner Fraktion finden wird.
Aber es ist ein Weiteres hinzugekommen, das den Zweifelnden überzeugen könnte. Gestern hat, wie ich heute in der Zeitung gelesen habe, die französische Regierung den Vertrag auch dem französischen Parlament vorgelegt und in dem dort üblichen Exposé des motifs Erklärungen abgegeben, von denen ich glaube, daß sie mit unseren Vorstellungen voll und ganz übereinstimmen.
({7})
Es heißt in dieser Begründung, daß der deutschfranzösische Vertrag einen fundamentalen Beitrag zum Bau Europas darstelle, daß die französische Regierung den Wunsch habe, eine ähnliche Zusammenarbeit mit ihren übrigen europäischen Partnern zu vereinbaren, wenn diese es wünschten, und daß sie jederzeit bereit sei, mit diesem Ziel einen Gedankenaustausch aufzunehmen.
Ich darf Sie daran erinnern, daß ich schon in der ersten Lesung darauf hingewiesen habe, daß es vielleicht gut wäre, diese europäische Zusammenarbeit durch ein Netz zweiseitiger ähnlich gearteter Verträge zu ergänzen. Hier finden Sie die Bereitschaft der französischen Regierung, und ich glaube, auch das sollte dazu beitragen, die falschen Vorstellungen von dem Hegemoniestreben Paris-Bonn etwas auszuräumen.
({8})
- Durchaus. Warum nicht? Ich habe schon gesagt, daß wir nach meiner Auffassung jederzeit dazu bereit sein sollten.
In dem genannten Exposé ist auch erörtert worden, was die Konsultation bedeutet. Es ist darin eindeutig gesagt worden - ich brauche das nicht zu zitieren; denn ich halte es für selbstverständlich, daß auch 'die französische Regierung davon ausgeht -, daßdieser zweiseitige Vertrag in keiner Weise geeignet ist oder gar die Aufgabe haben sollte, auf Verträge multilateraler Art einzuwirken, sondern daß unsere Verpflichtungen aus den europäischen Verträgen ebenso wie unsere Verpflichtungen aus dem NATO-Pakt selbstverständlich unverändert weiterhin gültig sind.
Deswegen liegt, so sehe ich es, in der Präambel auch nicht die Absicht, die Bedeutung des Vertrages zu schmälern, ich sehe darin nicht die Absicht, den Anwendungsbereich einzuschränken, sondern ich sehe darin die, wie ich glaube, gelungene Absicht, im Interesse der Glaubwürdigkeit der gemeinsamen politischen Anstrengungen beider Länder eine Klarstellung über die politischen Ziele herbeizuführen. Denn es darf nicht sein, daß dieser Vertrag weiterhin irgendwelchen Mißdeutungen begegnet. Dieser Vertrag darf nicht dazu führen, daß in anderen uns befreundeten Ländern falsche Vorstellungen entstehen oder weiterleben, die unser freundschaftliches Verhältnis zu diesen Ländern beeinträchtigen könnten.
Ich möchte noch ein paar Worte zu dem Inhalt der Präambel sagen, obwohl ich mich hier im wesentlichen auf das beziehen kann und beziehen will, was im Bericht des Herrn Kollegen Furler dazu schon gesagt worden ist.
Das Ziel der deutschen Politik - ich habe es schon ausgesprochen - im europäischen Raum war und bleibt die europäische Einigung, die auch 'in dem deutsch-französischen Vertrag als gemeinsames Ziel der deutschen und der französischen Politik erneut fixiert worden ist. Aber ich halte es für glücklich und für richtig, daß hier der Wunsch ausgesprochen und es als Aufgabe der deutschen Politik herausgestellt worden ist, im Sinne der Präambel der Römischen Verträge und im Sinne des Art. 237 - ich habe das vorhin schon angedeutet - die Zusammenarbeit auszudehnen auf andere europäische Staaten, die bereit sind, zu den gleichen Bedingungen, wie der Vertrag sie vorschreibt, unter Anpassung an ihre Besonderheiten in diese Gemeinschaft einzutreten.
Wir wissen es sehr wohl, und ich möchte gar kein Hehl daraus machen, daß jede solche Verhandlung Schwierigkeiten mit sich bringt. Das haben die Brüsseler Verhandlungen bewiesen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: unsere Situation wäre sehr viel leichter, wir hätten wahrscheinlich weniger Verstimmung erlebt und uns nicht mit der Präambel befassen müssen, wenn die Entscheidung in Großbritannien - ich sage das ohne Vorwurf - früher gefallen wäre als im Jahre 1961. Aber ich möchte doch auch für meine Freunde der Bundesregierung den Wunsch auf den Weg geben, mit dazu beizutragen, daß zwischen den sechs EWG-Partnern und Großbritannien ein ständiger Austausch von Informationen einsetzt.
({9})
Es sollte ein Gedankenaustausch stattfinden, der die Gewähr dafür bietet, daß die Maßnahmen, die wir in Brüssel treffen, unid die Maßnahmen, die in London getroffen werden, nicht gegeneinander getroffen, sondern nach Möglichkeit aufeinander abgestimmt werden. Es darf und es sollte nichts geschehen, was noch zusätzlich den Beitritt Großbritanniens zu einer Europäischen Gemeinschaft, mit dem wir rechnen und auf den wir hoffen, erschweren könnte.
({10})
Auf allen Seiten sollte man ein Höchstmaß an gutem Willen und an politischer Entschlossenheit zeigen. Die Entschlossenheit, die schon in der Bereitschaft zum Ausdruck kam, die Verhandlungen mit Großbritannien aufzunehmen, sollte man auch heute in der Praxis der europäischen Zusammenarbeit zeigen.
Ich möchte ein Zweites sagen. Auch unsere Politik in der atlantischen Gemeinschaft darf und wird von diesem Vertrag nicht berührt werden. Es fällt mir gar nicht leicht - das möchte ich noch einmal aussprechen -, darüber zu sprechen, daß gute Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten eine unerschütterliche Voraussetzung der Zusammenarbeit der freien Welt sein müssen; es kommt mir peinlich vor, das immer wieder betonen zu müssen.
({11})
Aber ich möchte unseren amerikanischen Bundesgenossen und Freunden drüben sagen: es gibt in Deutschland keine Meinungsverschiedenheit, es gibt keine verschiedenen Auffassungen in der Bundesregierung oder im Deutschen Bundestag darüber, daß diese Zusammenarbeit in der NATO mit der größten Führungsmacht der freien Welt in der bisherigen Form nicht nur fortgesetzt, sondern ausgebaut werden soll.
({12})
Ich möchte einen Hinweis aufgreifen, der hier gegeben worden ist. Auch ich glaube, daß der deutschfranzösische Vertrag, wenn er sich bewährt, sogar ein Musterbeispiel für das sein kann, was wir in der NATO seit langer Zeit wünschen. Wir wünschen auch dort eine Konsultation, damit politische Entscheidungen in der NATO den Vorrang vor militärischen Entscheidungen haben.
({13})
In der Präambel zu dem Vertrag bekennt sich auch der Deutsche Bundestag zur Fortsetzung der atlantischen Politik, zur Bereitschaft, die atlantische Partnerschaft zu verwirklichen und an der KennedyRunde teilzunehmen. Auch hier wollen wir in aller Offenheit sagen, daß die Schwierigkeiten riesengroß sein werden. Aber auch .das, was in Genf diskutiert wird, wird mit einem Mindestmaß an gutem Willen und Verhandlungsbereitschaft gelöst werden können. Ich glaube, es gibt für uns in Europa und ganz gewiß für uns in der Bundesrepublik nur eine Antwort auf das Angebot der amerikanischen Regierung, die atlantische Partnerschaft zu verwirklichen. Es gibt nur die Antwort: wir sind dazu bereit und werden nach besten Kräften dazu beitragen, daß dieser Gedanke verwirklicht wird.
({14})
In der Präambel zum deutsch-französischen Vertrag wird auch ausgesprochen, daß der Vertrag der Verwirklichung der deutschen Politik dienen solle. Ich begrüße es, daß der französische Außenminister Couve de Murville in seinem Exposé des motifs auch darauf eingegangen ist. Diese deutsche Politik ist auch im Deutschlandvertrag niedergelegt und hat in zahlreichen Erklärungen ihre Bestätigung erfahren. Sie ist auf die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes für alle Deutschen und auf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands in einer geordneten rechtsstaatlichen Form gerichtet. Sie geht davon aus, daß ein Friedensvertrag nur mit einem freien Deutschland geschlossen werden kann und daß keine Vorentscheidungen - auch nicht in den Grenzfragen - getroffen werden können und dürfen.
Ich möchte hier eine Äußerung in Erinnerung rufen, die in Deutschland vielleicht gar nicht so richtig verstanden worden ist. Ich glaube, wir haben Grund, mit Dankbarkeit und Anerkennung festzustellen, was der französische Staatschef, General de Gaulle, am 25. April 1960 vor dem amerikanischen Kongreß in Washington gesagt hat:
Bevor die Völker zu einem Modus vivendi gelangen werden, wäre es verfrüht und völlig unangebracht, Forderungen über abzuschließende Verträge, festzulegende Gegenden zu stellen, weil dies unweigerlich die herbeizuführende Besserung der Beziehungen kompromittieren würde. Dagegen würden sich in der friedlichen Atmosphäre, die geschaffen werden könnte, mehr und mehr die objektiven Lösungen abzeichnen.
Jeder begreift,
- so sagte Präsident de Gaulle daß ich, indem ich derartige Fragen berühre, vor allem auf die Probleme Deutschlands anspiele. Ohne diese Probleme ausführlich behandeln zu wollen, stelle ich fest, daß man jeden Versuch abwehren muß, die Wunden des deutschen Volkes zu vertiefen.
({15})
Ich glaube, wir können eine solche Erklärung nur mit Zustimmung und mit Dankbarkeit zur Kenntnis nehmen. Sie enthält gerade in der vorsichtigen Formulierung, glaube ich, eine sehr klare Antwort auf die von uns gestellte Frage, eine Antwort, die zeigt, daß die deutsche Politik bei unserem französischen Bündnispartner nicht nur auf Verständnis stößt, sondern daß wir damit rechnen können, daß sie in ihren Grundsätzen zusammen mit Frankreich verwirklicht wird. Das ist, wenn es nötig wäre, eine zusätzliche Rechtfertigung für diesen Vertrag.
Ich habe eingangs gesagt, daß meine Fraktion diesen Verträgen zustimmen wird. Ich möchte, bevor ich schließe, daran erinnern, daß wir vor wenigen Tagen den 85. Geburtstag von Stresemann be3752
Bangen haben und daß wir, wenn wir heute diesen Vertrag verabschieden, etwas verwirklichen, was Stresemann vor 40 Jahren schon zusammen mit Aristide Briand zu verwirklichen versuchte. Es ist nicht uninteressant - und erlauben Sie mir, daß ich Ihnen das noch vortrage -, nachzulesen, was Aristide Briand in seiner Senatsrede vom 4. Juni 1926 gesagt hat, als er dem französischen Senat den Locarno-Vertrag vorlegte. Er sagte:
Solche Verträge sind entweder wertlos und deshalb abzulehnen, oder sie haben ihren vollen Wert und Anspruch auf eine erhöhte Wirkungskraft durch eine große Stimmenzahl.
In dieser Versammlung
- sagte Briand vor dem französischen Senat sitzen Männer, deren politische Einsicht die ganze Welt achtet und deren Meinung überall Geltung hat. Ich hoffe, daß sich unter ihnen eine starke Mehrheit findet, um dem Vertrage erhöhte Bedeutung zu verleihen. Dies wird, dessen bin ich sicher, nicht ohne große moralische Wirkung in der Welt bleiben.
Ich glaube, daß wir diese Sätze zitieren können und daß wir auch hier sagen können: die starke Mehrheit, die dieser deutsch-französische Vertrag finden wird, wird nicht ohne starke moralische Wirkung auf die ganze Welt bleiben.
({16}).
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der ersten Lesung des deutschfranzösischen Vertrages vor genau drei Wochen hat der Sprecher der Opposition die Befürchtung geäußert, der deutsch-französische Vertrag könnte unter einem gewissen Zeitdruck behandelt werden. Die Berichterstattung der Kollegen Professor Furler und Professor Schmid hat bewiesen, daß diese Befürchtung grundlos war. Es ist sehr sorgfältig im Auswärtigen Ausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen jede einzelne Bestimmung des deutschfranzösischen Vertrages geprüft worden. Dabei zeigte sich allerdings eine gewisse Problematik im Bereich des Jugendaustausches, der Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Wissenschaft und Forschung und auf dem Gebiet des Kulturwesens.
Die Verfassungsverhältnisse und damit die Zuständigkeiten bringen gewisse Schwierigkeiten für die Bundesrepublik Deutschland mit sich. Ich möchte das unterstreichen, was Herr Kollege von Brentano hier soeben als Mahnung an die Länder richtete: Man sollte auf diesem so wesentlichen Gebiet des Austauschs unserer Jugend, auf dem Gebiet der Förderung von Wissenschaft und Forschung, auf dem Gebiet der kulturellen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich nicht mit dem Maß engstirniger Kompetenzstreitigkeiten messen, auch nicht mit dem Maß von Rivalitäten zwischen Bund und Ländern, sondern es sollte der Versuch gemacht werden, aus mancher Rivalität in ein Verhältnis nationaler Solidarität von Bund und Ländern zu gelangen.
({0})
Ich glaube nicht, daß der Freiherr vom Stein verdächtigt wird, ein großer Zentralist gewesen zu sein; er ist schließlich der Vater der Selbstverwaltung. Aber der Satz, den Freiherr vom Stein im Jahre 1809 über das Verhältnis von Gesamtstaat und Gliedstaaten prägte, scheint mir in dieser Stunde durchaus eines Zitates in diesem Hause würdig zu sein. Damals, im Jahre 1809, schrieb Freiherr vom Stein:
Die Auflösung Deutschlands in viele kleine, ohnmächtige Staaten hat dem Charakter der Nation das Gefühl von Würde und Selbständigkeit genommen, das bei großen Nationen Macht und Unabhängigkeit erzeugt. Es hat ihre Tätigkeit abgeleitet von den größeren Nationalinteressen, es hat Titelsucht, das elende Treiben der Eitelkeit, Absichtlichkeit, Ränke durch die Vervielfältigung der kleinen Höfe vermehrt.
Auch wir sollten gerade auf dem Gebiet der Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs in Kultur, Wissenschaft, Forschung und Jugendaustausch danach trachten, daß nicht die kleinen, mittleren oder gar größeren Höfe dem Gesamtinteresse zuwiderlaufende Kompetenzstreitigkeiten heraufbeschwören.
Die Präambel ist hier von meinen Vorrednern wiederholt in ihrem Wert und in ihrer politischen Bedeutung analysiert worden. Ich möchte mich darauf beschränken, mit Genugtuung festzustellen, daß die Freie Demokratische Partei sehr früh den anderen Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses die Anregung einer Präambel vermittelte an Stelle der im Bundesrat beschlossenen Entschließung.
Über den Rang einer Präambel hat es gelegentliche Mißklänge in öffentlichen Äußerungen gegeben. Professor Carlo Schmid hat in seinem Bericht darauf hingewiesen, daß nach höchstrichterlicher Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Rang der Präambel des Ratifizierungsgesetzes und über die verbindliche innerdeutsche Wirkung kein Zweifel herrschen kann. Bezüglich ihrer politischen Bedeutung darf ich mich auf meine Äußerungen in der ersten Lesung berufen.
Gestern hat der französische Außenminister Couve de Murville vor dem Auswärtigen Ausschuß des französischen Parlaments den Charakter des deutschfranzösischen Vertrages so interpretiert, wie auch der Bundestag ihn versteht, nämlich ,als eine Grundlage einer europäischen Union, und Couve de Murville forderte die anderen Staaten auf dem Beispiel der deutsch-französischen Freundschaft zu folgen und diesem Vertrag beizutreten. Ähnliche Feststellungen sind auch in der Versammlung der Westeuropäischen Union gemacht worden. Wir begrüßen die sich anbahnende Tendenz, den deutsch-französischen Vertrag als eine Grundlage einer politischen Union Europas zu werten. Was wir zu diesem Ziel beitragen können, wollen wir unter Auswertung der Möglichkeiten des deutsch-französischen Vertrages tun. Der deutsch-französische Vertrag und die europäische Union wiederum müssen in engem Verbund
mit der ,atlantischen Partnerschaft gesehen und gehandhabt werden.
Die Freie Demokratische Partei erklärt daher ihre uneingeschränkte Zustimmung zum deutsch-französischen Vertrag.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich möchte mich auf wenige Wort beschränken. Ich glaube, ich kann das nach den vorzüglichen Berichten auch tun, die wir mündlich und schriftlich bekommen haben.
Was die Präambel angeht, so hat niemals jemand von uns daran gedacht, daß der deutsch-französische Vertrag die in der Präambel genannten Verträge irgendwie beeinträchtigen solle.
Ich möchte, damit vielleicht hie und da in der Tiefe schlummernde Bedenken ganz wegfallen, aber auch noch folgendes sagen. Ich habe den Staatssekretär Rusk im Frühsommer des vergangenen Jahres gefragt, ob die Vereinigten Staaten Bedenken dagegen hätten, wenn wir, woran wir dächten, in ein engeres Verhältnis zu Frankreich treten würden. Herr Rusk hat mir damals gesagt: Keineswegs; die Vereinigten Staaten werden immer in einem engeren Verhältnis zu England stehen, und deswegen begrüße ich es, wenn Sie und Frankreich auch in
einem engeren Verhältnis stehen.
Es ist also, meine verehrten Damen und Herren, gar nicht etwa Verborgenen vor Amerika verhandelt worden, sondern ich habe sogar zuerst den amerikanischen Staatssekretär befragt, ob Amerika da Bedenken hätte.
Was dann das Verhältnis des französischen Präsidenten zur politischen Union angeht, so möchte ich Sie auf folgendes hinweisen. Nach der Konferenz von Godesberg im Juli 1961 hat der französische Präsident General de Gaulle einen Entwurf für einen Vertrag über eine politische Union vorgelegt. In diesem Vertragsentwurf war vorgesehen, daß auch die schon bestehenden europäischen Einrichtungen von dem neuen Vertrag mit erfaßt werden sollen. Das war für uns und auch für andere nicht annehmbar. Ich bin damals mit Herrn de Gaulle in Baden-Baden zusammengekommen und halbe ihm das auseinandergesetzt, habe ihm gesagt, daß bestehende Einrichtungen, die gut funktionieren, doch nicht durch neu zu schaffende der politischen Union beeinträchtigt werden dürften. Er hat mir 'zugestimmt und seine Meinung in diesem Punkte geändert, so daß nunmehr der Entwurf der politischen Union uns absolut annehmbar erschien.
Aber damals haben die Niederlande und Belgien gegen diese politische Union Protest eingelegt. Das ist wahrscheinlich von den Niederlanden ausgegangen; denn ich habe später mit Herrn Spaak ein Gespräch darüber gehabt, .aus dem ganz klar hervorging, daß er seine Ansicht zu ändern bereit war.
Dann, meine Damen und Herren, haben Herr de Gaulle und ich den damaligen Ministerpräsidenten Fanfani gebeten, er möge doch die Regierungschefs der sechs Länder nach Rom einladen - es war schon früher von einer Konferenz in Rom die Rede -, damit wir dort mit der Frage der politischen Union weiterkämen. Leider hat es Herr Fanfani abgelehnt, uns nach Rom einzuladen.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, aus dem, was ich da gesagt habe, zu entnehmen, daß ein Haupthindernis dafür, daß nicht schon im Jahre 1961 eine politische Union geschaffen wurde, nicht etwa Frankreich war, nicht General de Gaulle war, sondern andere es gewesen sind. General de Gaulle steht meines Wissens - er hat mir das auch ausdrücklich gesagt - nach wie vor auf dem Boden einer politischen Union Europas. Das steht auch ausdrücklich in den Erklärungen, die de Gaulle und ich am 22. Januar dieses Jahres in Paris abgegeben haben.
Meine Damen und Herren, Sie wundern sich vielleicht - lassen Sie mich auch das hier einfügen -, daß sich Länder innerhalb der Sechs so stark konsultieren. Ich bitte Sie, doch einmal die zwischen den Benelux-Staaten bestehenden Verträge zu lesen. Lesen Sie sie doch einmal! Es sind mehrere Verträge. Sie fingen vorsichtig an. Ich glaube aber kaum, daß man sie jetzt noch Konsultationsverträge nennen kann. Und wer in aller Welt hat sich darüber bisher aufgeregt? Niemand, meine Damen und Herren! Die Benelux-Staaten haben sich sehr heftig und sehr eindringlich konsultiert. Das hat der ganzen Sache nichts geschadet. Im Gegenteil, wenn eine Einigung zwischen mehreren erfolgt - die natürlich nicht dem anderen aufgezwungen werden darf -, kommt man doch sehr viel leichter zu einem gemeinsamen Beschluß, wenn man zu sechs ist.
Ich möchte dem Herrn Kollegen Wehner noch etwas sagen. Herr Kollege Wehner - das wird ihm kein Mensch abstreiten - hat doch eine Begabung für Zukunftsblicke in die Politik.
({0})
- Ich bin noch nicht fertig, meine Damen und Herren. Nein, ich wollte ihm gar kein Kompliment machen,
({1})
sondern ich wollte ihm nur sagen, daß er die Begabung dafür hat.
({2})
Sie alle haben das doch anerkannt, meine Herren; denn Sie sind ihm doch in seinen zukunftsseherischen Ausblicken immer gefolgt.
({3})
Herr Kollege Wehner, stellen Sie sich doch einmal vor, das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland wäre nicht gründlich, wie das durch diesen Vertrag erfolgen soll, bereinigt worden, die ganze, in alte Jahrhunderte zurückreichende Rechnung nicht beglichen, nicht alles erledigt worden, nicht ein neuer Anfang, ein gemeinsamer Anfang gemacht worden! Sie werden mir darin sicher recht
Wenn das nicht erfolgt wäre, wäre ein Aufbau Europas völlig unmöglich gewesen.
({0})
Ich brauche Sie doch nur daran zu erinnern, daß nach dein Zusammenbruch Deutschlands im Jahre 1945 sehr ernsthafte Bestrebungen im Gange waren - gestützt von Frankreich und von Sowjetrußland -, in Deutschland überhaupt keine zentrale Gewalt mehr entstehen zu lassen und insbesondere das Industriegebiet zu internationalisieren. Diese Vorgänge, unter denen wir alle damals sehr gelitten haben, muß man sich einmal in Erinnerung rufen, um ermessen zu können, welche Bedeutung das hat, was wir jetzt gemacht haben.
({1})
Das möchte ich auch noch Herrn Wehner sagen: Sie wissen, daß die Sowjetunion an mehrere Staaten wegen dieses Vertrages Noten gerichtet hat. Die schärfste Note ist von der Sowjetunion ,an Frankreich gerichtet worden, eine Warnung, diesen Vertrag mit Deutschland abzuschließen. Diese Note, die von Moskau nach Paris gegangen ist, ist für mich eine hundertprozentige innere Rechtfertigung unseres Standpunkts.
({2})
Ich darf auch daran erinnern, daß zwischen dem Deutschen Reich und dem zaristischen Rußland jahrzehntelang ein Vertrag gegen Frankreich bestanden hat. Ich darf weiter daran erinnern, daß schon ein Jahr nach dem Ausscheiden Bismarcks die französische Flotte in Kronstadt war und daß dann von Frankreich ein Vertrag mit dem zaristischen Rußland gegen Deutschland geschlossen worden ist.
Wie groß 'der Wechsel, die Änderung, die Spanne der Entwicklung ist, das können Sie auch daraus sehen, daß es kein anderer als General de Gaulle war, der im Jahre 1944 als Ministerpräsident nach Moskau gefahren ist, um den Vertrag mit Moskaugegen Deutschland wiederherzustellen.
Alle diese Dinge, die ja noch gar nicht so weit zurückliegen, die wir selbst erlebt haben, muß man sich vor Augen halten, um sich klarzumachen, was hätte kommen können und was nun Gott sei Dank abgewendet worden ist und für alle Zukunft abgewendet bleibt.
({3})
Ich bin Herrn von Brentano sehr dankbar, daß er den Dank an de Gaulle wegen der Rede, die er damals vor dem amerikanischen Senat für Deutschland gehalten hat, ausgesprochen hat. Ich kann nur hinzufügen, daß auch in sehr engem Kreise Herr de Gaulle immer absolut unsere Rechte nach dem Osten zu vertreten hat.
({4})
Es war ein sehr feierlicher Akt, als Präsident de Gaulle und ich in Paris die Gemeinsame Erklärung unterschrieben. Es heißt darin:
in der Überzeugung, daß die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem französischen Volk, die eine Jahrhunderte alte Rivalität beendet, ein geschichtliches Ereignis darstellt, das das Verhältnis der beiden Völker
- „Völker", ich _unterstreiche das Wort - zueinander von Grund ,auf neugestaltet. Und an einer anderen Stelle heißt es:
in der Erkenntnis, daß die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern einen unerläßlichen Schritt auf dem Wege zu dem vereinigten Europa bedeutet, welches das Ziel beider Völker ist.
Das ist in jener sehr feierlichen Stunde damals in Paris erklärt und unterschrieben worden vom Präsidenten ide Gaulle und von mir als Bundeskanzler.
Meine verehrten Damen und Herren, ich bin aufrichtig glücklich darüber, daß, wie es allem Anschein nach kommen wird, eine so imposante, so große Mehrheit für diesen Vertrag ist. Denn nur dann, wenn dieser Vertrag nicht von der einen oder anderen Mehrheit, sondern von der großen Menge des ganzen deutschen Volkes - und das wird er, meine Damen und Herren - und von der ganz großen Mehrheit - ich wage nicht zu sagen: einstimmig; deswegen sage ich: von der ganz großen Mehrheit - des Bundestages getragen wird, können wir erwarten, daß dieser Vertrag die Wirkungen haben wird, die wir von ihm erhoffen und die in eine weite, weite Zukunft hineinreichen sollen.
({5})
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung der zweiten Lesung. Ich rufe auf Art. 1 und 2, letzteren mit der Streichung der beiden Worte „und soweit", wie es der Auswärtige Ausschuß Ihnen vorgeschlagen hat, sowie Art. 3, Einleitung und Überschrift. - Das Wort hierzu wird nicht mehr gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Die allgemeine Aussprache hat bereits stattgefunden. Wird sonst noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Eine Gegenstimme rechts und einige Gegenstimmen links. Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen bei einigen Enthaltungen mit sehr großer Mehrheit angenommen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe eine traurige Pflicht zu erfüllen.
({1})
Vizepräsident Dr. Jaeger
In den frühen Morgenstunden dieses Tages ist unser Kollege Karl-Heinz Lünenstraß durch einen Verkehrsunfall gestorben. Er befand sich wohl auf dem Wege zur Sitzung dieses Hohen Hauses.
Unser Kollege Lünenstraß wurde am 28. November 1919 in Dahlhausen im Ennepe/Ruhr-Kreis geboren. Nach der Schriftsetzerlehre wurde er Soldat und nahm 1939 bis 1945 am zweiten Weltkrieg teil. Nach Beendigung des Krieges übte er zunächst seinen Beruf als Schriftsetzer aus und arbeitete an verschiedenen Tageszeitungen mit.
Von 1947 bis 1949 war er hauptamtlich für die Sozialdemokratische Partei in Geldern, Kleve und Krefeld tätig. Im Jahre 1949 wurde er Parteisekretär im Landkreis Düsseldorf-Mettmann.
Karl-Heinz Lünenstraß hat früh den Weg zur Sozialdemokratischen Partei gefunden. Bereits vor 1933 war er Mitglied der Sozialistischen Jugend. Nach 1945 stellte er sich sofort in den Dienst der sozialdemokratischen Parteiarbeit. Im Landkreis Düsseldorf-Mettmann war er Kreistagsmitglied und Fraktionsvorsitzender. Er bekleidete das Amt des Bürgermeisters der Stadt Mettmann. Er war Vorsitzender des Beirats bei der Landespolizeibehörde Düsseldorf.
Er gehörte dem Deutschen Bundestag über die Landesliste Nordrhein-Westfalen seit 1957, also nun zum zweitenmal, an. Er war Mitglied des Ausschusses für Inneres.
Ich spreche den Angehörigen des verstorbenen Kollegen und den Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die tiefe Anteilnahme des Hauses aus. - Ich stelle fest, daß Sie sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben haben. Ich danke Ihnen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ({2}).
Zur Einbringung des Gesetzes hat das Wort der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Verabschiedung des letzten Änderungsgesetzes zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz hat das Hohe Haus die Bundesregierung ersucht, rechtzeitig einen Gesetzentwurf über die Umwandlung des Bundesverfassungsgerichts aus einem Zwillingsgericht in ein Einheitsgericht für das Jahr 1963 vorzulegen. Der Bundesrat ist dieser Entschließung damals beigetreten.
Die Bundesregierung hat nun in enger Fühlungnahme mit dem Bundesverfassungsgericht geprüft, ob die Umwandlung in ein Einheitsgericht möglich erscheint. Sie stimmt mit den gesetzgebenden Körperschaften nach wie vor darin überein, daß ein Einheitsgericht die angemessene Organisationsform für das Bundesverfassungsgericht darstellt. Die Bundesregierung hat sich jedoch den überzeugenden
Gründen des Gerichts nicht verschließen können, daß die Umwandlung im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vertretbar ist. Die Geschäftsbelastung des Gerichts hat entgegen den Erwartungen bei der Verabschiedung der letzten Novelle nicht nachgelassen. Ich werde mir erlauben, im Rechtsausschuß hierzu neues Zahlenmaterial vorzulegen, da die in der Begründung zum Regierungsentwurf genannten Zahlen inzwischen überholt sind.
Die Umwandlung des Bundesverfassungsgerichts in ein Einheitsgericht würde jedenfalls, wenn man das Gericht nicht mit der Arbeit völlig überfordern will, nur mit einer Einschränkung seiner Zuständigkeiten erkauft werden können. An eine solche Einschränkung der Zuständigkeiten des Gerichts denkt jedoch niemand. Sämtliche Zuständigkeiten sind organisch miteinander verbunden und außer der Verfassungsbeschwerde auf Grund eines wohlüberlegten Planes des Verfassungsgesetzgebers im Grundgesetz selbst festgelegt. Auch die im Grundgesetz nicht festgelegte Verfassungsbeschwerde hat eine so bedeutsame Funktion bei der Fortbildung des Verfassungsrechts, insbesondere bei der Auslegung der Grundrechte, erlangt, daß eine Einschränkung jedenfalls so lange nicht erwogen werden sollte, als der Prozeß der Konkretisierung der Grundrechte durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht als abgeschlossen angesehen werden kann.
Aus diesen Gründen glaubt die Bundesregierung dem Hohen Hause einen der Entschließung von 1959 entsprechenden Entwurf über die Umwandlung des Bundesverfassungsgerichts in ein Einheitsgericht noch nicht vorlegen zu können. Unabhängig von der Frage der Umwandlung in ein Einheitsgericht muß aber angesichts der am 1. September dieses Jahres kraft Gesetzes eintretenden Herabsetzung der Richterzahl geprüft werden, wie die Arbeitskraft des Gerichts weiterhin gewährleistet werden kann. Allein die Zahl der jährlich eingehenden Verfassungsbeschwerden hat sich von 1956 bis heute verdoppelt. Zur Lösung dieses Problems gibt es nur zwei Wege: entweder bleibt es für eine weitere Übergangszeit bei zehn Richtern je Senat, oder das Gericht wird durch Verfahrensvereinfachungen in die Lage versetzt, auch mit acht Richtern je Senat den Arbeitsanfall zu bewältigen.
Die Bundesregierung glaubt, es nicht vertreten zu können, dem Hohen Haus eine Verlängerung der Übergangszeit, also eine Belassung von je zehn Richtern, vorzuschlagen, zumal ja eine solche Verlängerung schon einmal im Jahre 1959 vorgenommen worden ist. Das Bundesverfassungsgericht ist bei seinem hohen Rang denkbar ungeeignet für Übergangslösungen. Eine Übergangslösung würde auch die Erreichung des für richtig gehaltenen Zieles eines Einheitsgerichts wesentlich erschweren. Schließlich würden wir nach Ablauf der Übergangszeit mit Sicherheit vor demselben Problem stehen.
Die Bundesregierung schlägt deshalb nach sorgfältigen Erörterungen mit dem Bundesverfassungsgericht den zweiten Weg vor, dem sich auch der Bundesrat mit großer Mehrheit angeschlossen hat.. Es muß der Versuch gemacht werden, durch Verfah3756
rensvereinfachungen das Gericht in die Lage zu versetzen, auch mit acht Richtern je Senat den Arbeitsanfall zu bewältigen. Die Möglichkeiten hierzu sind allerdings begrenzt. Die Entlastung muß vor allem bei der Fülle der Verfassungsbeschwerden gesucht werden, die fast 90 % aller Eingänge ausmachen und von denen weniger als 1 % Erfolg hat.
Ich möchte aber betonen, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung die Verfassungsbeschwerde als solche unangetastet läßt. Ich bin auch der Auffassung, daß die Bedeutung der Verfassungsbeschwerde, die für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger und für die Konkretisierung der Grundrechte derart wichtig ist, nicht allein an der Zahl der erfolgreichen Verfassungsbeschwerden gemessen werden kann. Jedoch ist zu berücksichtigen, daß in der Vergangenheit nur knapp 5 % aller Verfassungsbeschwerden durch die Senate selbst entschieden wurden. Der Rest wurde von den Vorprüfungsausschüssen verworfen. Das hat seinen Grund darin, daß ein hoher Prozentsatz der Verfassungsbeschwerden mißbräuchlich eingelegt wird und daß namentlich in Fällen, in denen die Beschwerdeführer nicht durch Anwälte vertreten sind, allzu häufig ein Verfahren begehrt wird, das weder der Stellung des Gerichts noch dem Sinn der Verfassungsbeschwerde entspricht.
Der Entwurf sieht deshalb zur Entlastung des Gerichts neben anderen Verfahrensvereinfachungen eine Umgestaltung des Verwerfungsverfahrens in ein positives Annahmeverfahren und die Auflockerung der Begründungspflicht bei ablehnenden Entscheidungen vor. Diese beiden Änderungen stehen in einer Wechselbeziehung. Sie sollen auf der einen Seite eine Entlastung des Gerichts in Fällen der unzulässigen, offensichtlich unbegründeten oder gar mißbräuchlich eingelegten Verfassungsbeschwerde gewährleisten und auf der anderen Seite sicherstellen, daß die verfassungspolitisch bedeutsamen Verfahren zur Entscheidung vor die Senate selbst kommen.
Ob diese Entlastung als Ausgleich für die am 1. September eintretende Herabsetzung der Richterzahl von zehn auf acht Richter je Senat ausreichen wird oder ob eine weitere Entlastung geboten ist, wird sehr sorgfältiger Prüfung im Rechtsausschuß bedürfen. Sie kennen hierzu den Vorschlag des Bundesrates, die Begründungspflicht für die ablehnenden Entscheidungen im Annahmeverfahren zu beseitigen. In diesem Vorschlag des Bundesrates sehe ich einen vertretbaren Ansatzpunkt. Ich berücksichtige hierbei vor allem, daß eine einmal angenommene Verfassungsbeschwerde nur in begründeter Form verworfen werden kann und daß im übrigen bereits zwei Richter genügen, um eine solche begründete Senatsentscheidung herbeizuführen. Das höchste Gericht der Bundesrepublik kann das Vertrauen für sich in Anspruch nehmen, daß es von der Freistellung vom Begründungszwang in maßvoller Weise Gebrauch machen würde, so daß in dem verfassungsrechtlich bedeutsamen Bereich die Frage einer begründungslosen Verwerfung von Verfassungsbeschwerden kaum entstehen dürfte.
Über diese zweifellos sehr schwierigen Fragen stehe ich noch in einem Meinungsausstausch mit
dem Gericht, und ich nehme an, daß der Rechtsausschuß - wenn ich mir diese Anregung erlauben darf - auch dem Bundesverfassungsgericht selbst Gelegenheit geben wird, seine Auffassung hierzu im Rechtsausschuß vorzutragen.
Abschließend darf ich auch vor diesem Hohen Hause das besondere Anliegen der Bundesregierung hervorheben, gesetzliche Bestimmungen, die das Bundesverfassungsgericht betreffen, im größtmöglichen Einvernehmen aller Verfassungsorgane und auf breitester parlamentarischer Grundlage - d. h. jedenfalls auf breiterer, als der derzeitigen Besetzung des Hauses entspricht - zu beschließen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Wahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In jeder Legislaturperiode des Bundestages kehrt eine Vorlage wieder, die das im Grundgesetz vorgesehene höchste Verfassungsgericht, seine Organisation, seine Geschäftsverteilung und seine Methoden der Sacherledigung zum Gegenstand hat. Diese Vorlagen stellen den Bundestag jedes Mal vor eine schwierige Aufgabe. Allzu leicht geraten die an der Gesetzgebung beteiligten politischen Instanzen in den Verdacht, der Reformwille gegenüber dem Bundesverfassungsgericht entspringe einer Animosität. Bekanntlich kann es ein Gericht nicht allen Prozeßbeteiligten und Interessenten recht machen, besonders wenn die Entscheidungen so weittragend sind wie die Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Es bedarf deshalb von seiten dieses Hohen Hauses der größten Behutsamkeit, sowohl bei den gesetzgeberischen Lösungen selbst wie bei deren Vorbereitung, und ich bin davon überzeugt, daß der Rechtsausschuß insoweit den Anregungen des Herrn Ministers Rechnung tragen wird, auch dieses Mal nicht ohne Zuziehung der Richter des Bundesverfassungsgerichts als Sachverständige seine Beratungen durchzuführen.
Meine Damen und Herren, als das Bundesverfassungsgericht geschaffen wurde, entschloß sich der Rechtsausschuß zur Einrichtung des Zwillingsgerichts, d. h. es wurden zwei Senate geschaffen, deren Zuständigkeit voneinander in der Weise abgegrenzt wurde, daß für _seinen Zuständigkeitsbereich jeder Senat das Bundesverfassungsgericht ist. Ich hatte damals auf den französischen Kassationshof hingewiesen, der dank der Vorschaltung der Chambre des Requêtes, die bei ihrer Vorprüfung die Kassationsbeschwerde abweisen kann oder die Sache an die stärker besetzte Zivilkammer weiterverweist, mit einem einzigen Spruchkörper, nämlich der Chambre Civile auskommt und mit allen Kassationsrekursen, die aus dem ganzen Lande anfallen, fertig wird. Ich wurde damals vom Rechtsausschuß beauftragt, genauer über das französische Recht zu berichten, und stieß bei meinen Studien in den entscheidenden französischen Prozeßrechtswerken auf eine heftige Kritik am geltenden französischen System, das besser durch ein Mehrkammersystem nach Art des deutschen Reichsgerichts ersetzt würde. So kam es dann
zu zwei Senaten für das Bundesverfassungsgericht, wobei wir etwas übersahen, was dem Rechtsvergleicher und dem Rechtshistoriker eigentlich längst bekannt ist. Die Menschen sind nun einmal so angelegt, daß sie ihr eigenes Elend am deutlichsten fühlen und die anderen glücklich preisen, deren Lebensverhältnisse mangels eigener Erfahrung ihnen günstiger erscheinen, als sie es in Wirklichkeit verdienen. Anders ausgedrückt: wenn man aus der Rechtsvergleichung Nutzen ziehen will, darf man sich nicht so sehr an die Reformvorschläge des Auslands halten als an das dort geltende Recht, das, wie in diesem Fall das Verfahrensrecht des Kassationshofes, seit 150 Jahren in Kraft ist und die in der ganzen Welt berühmte schöpferische Rechtsprechung des höchsten französischen Gerichtshofs ermöglicht hat. Solche historischen Erfahrungen stellen einer Institution das Zeugnis aus, daß sie in der Rechtsanwendung ihre Probe bestanden hat, und sie besagen mehr für die Praktikabilität eines Systems als noch so überlegte Reformvorschläge, deren Bewährung in der Praxis noch aussteht.
So hat auch das Zwillingsgericht bald gezeigt, daß ihm das Einheitsgericht, als das der Supreme Court der Vereinigten Staaten, das angesehenste Verfassungsgericht der Welt, von Anfang an wirkte, organisatorisch überlegen ist. Das Verfassungsrecht ist eben eine Einheit, und so einleuchtend es erscheint, daß man die Organstreitigkeiten von den Grundrechtsfragen trennt und die beiden Materien verschiedenen Senaten überträgt, so sind doch Überschneidungen unvermeidlich. Ich erinnere bloß an die verfassungsrechtlichen Notstandsprobleme, die uns im Augenblick besonders beschäftigen und bei denen der innere Zusammenhang zwischen dem Funktionieren der Verfassungsorgane und dem Schutz der Grundrechte besonders deutlich ist. Die Zweierherrschaft, die man im Zwillingsgericht in gewissem Sinne verwirklicht sehen kann, ist schon bei der römischen Konsularverfassung problematisch gewesen, wie ich hier nicht näher auszuführen brauche.
Deshalb hat der Bundestag sich bei der ersten größeren Reform im Jahre 1956 dafür ausgesprochen, das Bundesverfassungsgericht solle allmählich zum Einheitsgericht umgestaltet werden, und hat die allmähliche Herabsetzung der Richterzahl verfügt. In diesem Gesetz ist für 1963 die Herabsetzung der Richterzahl von 10 auf 8 Richter pro Senat vorgesehen, um damit einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zum Einheitsgericht zu tun.
Wir sind mit der Bundesregierung der Meinung, daß die Umwandlung des Bundesverfassungsgerichts zum Einheitsgericht nicht dadurch wieder hinausgeschoben werden darf, daß die Richterzahl noch einmal für eine weitere Übergangszeit wieder auf 10 Richter erhöht werden soll, zumal jetzt ein Zeitpunkt herangekommen ist, in dem das Ausscheiden der Richter in keinem einzigen Fall die vorzeitige Verabschiedung eines Richters bedingt.
Bei der Verringerung der Richterzahl ergibt sich angesichts der Geschäftslage des Gerichts die Notwendigkeit, eine weitere Entlastungsnovelle durch eine Vereinfachung des Verfahrens zu beschließen, zumal auch bei der nun bald anstehenden Schaffung des Einheitsgerichts naturgemäß die Entlastungsfragen im Vordergrund stehen werden. Die Regierungsvorlage hat diese Frage mutig angepackt, und der Bundesrat hat dazu noch weitere Anregungen gegeben. Freilich ist es nicht so, daß die Verringerung der Richterzahl automatisch im gleichen Verhältnis auch die Leistungsfähigkeit des Gerichts herabsetzt, da bekanntlich in einem größeren Beratungsgremium selbst bei äußerster Selbstzucht der Beteiligten die Erledigung eines Tagesordnungspunktes sich mehr in die Länge zieht als in kleineren Zirkeln. Aber es ist natürlich ebenso klar, daß der Begründungszwang für die ergangenen Entscheidungen mit mehr Richtern leichter bewältigt werden kann als mit einer kleineren Richterzahl. Worin ich vor allem einen Ansatzpunkt für eine mögliche Entlastung des Gerichts sehe, ist die stattliche Anzahl höchst bedeutender Entscheidungen, durch die das Bundesverfassungsgericht zahlreiche Lücken des Verfassungsrechts mittlerweile ausgefüllt hat. Bei der ewigen Wiederkehr gleicher oder ähnlicher Fälle kann sich das Gericht eine Erleichterung verschaffen, indem es auf bereits früher erarbeitete Rechtsgrundsätze verweist. Die entscheidende Aufgabe des Rechtsausschusses sehe ich deshalb in der Erörterung der §§ 93 a und 93 b des Entwurfs. Dazu liegen schon Anregungen aus dem Bundesrat vor, die jetzt aber bei der ersten Lesung noch nicht besprochen zu werden brauchen.
Ich schließe mit dem Antrag, die Vorlage dem Rechtsausschuß zu überweisen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reischl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Novelle, mit der wir uns heute zu befassen haben, dient wieder einmal dazu, am Bundesverfassungsgericht und an seinem Verfahren, wie mein Vorredner schon richtig gesagt hat, herumzuändern. Ich möchte gleich einleitend namens meiner Fraktion sagen, daß wir den Entwurf in der uns vorliegenden Form im ganzen für unbefriedigend halten, weil er nicht alle Probleme anfaßt, um die es heute geht und die auch schon offen zutage liegen.
Ich möchte mich durchaus dagegen wenden, daß man den Vorwurf erhebt, man dürfe nicht zu einem Bundesverfassungnsgerichtsgesetz auch Novellen verabschieden .Selbstverständlich wird im Laufe der Zeit immer einmal die Notwendigkeit auftreten, eine Anpassung vorzunehmen. Aber es fragt sich doch, ob es angeht, hier eine dritte Novelle einzubringen, die wieder nur kleine Bereinigungen, einige Verfahrensverbesserungenenthält, die aber eine ganze Reihe von Fragen, die augenlblicklich offen daliegen, und für eine Regelung reif wären, außer acht läßt.
Wir sollten uns darüber einig sein, daß wir uns nicht mit einem normalen Gerichtsorganisationsgesetz, sondern mit einem Organisationsgesetz für ein Verfassungsorgan 211 befassen haben, einem
Organisationsgesetz für das höchste Gericht der Bundesrepublik, ein Verfassungsorgan, das auf gleicher Ebene mit dem Bundestag und der Bundesregierung steht und das infolgedessen ein besonderes Maß an Achtung vor seiner Stellung und Funktion erfordert. Es geht dann einfach nicht an, daß man von Zeit zu Zeit an dem Gesetz zur Organisation dieses Gerichts herumflickt und wichtige inzwischen aufgetauchte Fragen, die .auch entscheidungsreif sind, wieder ruhen läßt und auf die nächste Novelle verschiebt. Wir haben hier eine Art Novelle auf Probe vor uns, die für eine gewisse Zeit Erleichterungen schaffen soll, die aber schon den Keim der nächsten Novelle in sich trägt. Selbst die wichtigste Frage, mit der wir ,es zu tun haben, nämlich die Frage der tatsächlichen Überlastung des Bundesverfassungsgerichts, ist eigentlich nicht entschieden. Ich werde darauf gleich noch im einzelnen zu sprechen kommen.
Die Novelle ist vor allem auch deswegen unbefriedigend, weil der Zeitpunkt, zu dem sie kommt, in zwei Richtungen nicht den Notwendigkeiten entspricht. Einmal müssen wir bedenken, daß wir uns gerade anschicken, im Rahmen der Notstandsgesetzgebung eine besondere Bestandsgarantie für das Bundesverfassungsgericht in das Grundgesetz einzubauen. Das ist dringend notwendig und wird von uns als Schaffung einer Legalitätsreserve 'bejaht. Trotzdem läßt man das Gericht im gleichen Augenblick in einer ganzen Reihe von Punkten in einer ungeklärten Lage. Man sollte - diesen Appell möchte ich an die andere Seite des Hauses richten - bei der
Zusammenarbeit im Rechtsausschuß doch auch daran denken, daß wir hier vorsichtig sein müssen, um nicht das Mißtrauen aufkommen zu lassen, daß durch eine Einschränkung der Arbeitsmöglichkeit des Gerichts manches wieder schlechter gemacht wird, was andererseits durch die Verankerung der Unantastbarkeit des Gerichts gutgemacht werden soll. Ich möchte hier niemandem böse Absichten unterstellen, aber wir sollten jeden Schein in dieser Richtung vermeiden und daran bei der Beratung im Rechtsausschußdenken.
Das Gesetz wird aber ,auch zu spät vorgelegt. Es liegt auf der Hand und geht auch aus der Begründung des Gesetzentwurfs hervor, daß im Zusammenhang mit 'diesem Gesetz die Frage der Richterzahl noch einmal aufgeworfen wird. Der Termin für eine Änderung auf diesem Gebiet wäre der 31. August 1963; denn dann tritt die Herabsetzung der Richterzahl je Senat von 10 auf 8 in Kraft. Ich halte es für einen nicht der Würde des Gerichts und der Bedeutung der Sache angemessenen Stil, wenn man das Gesetz in einem so späten Zeitpunkt einbringt, daß eine Beratung in Ruhe über diese wichtige Frage vor den Ferien - und vor den Ferien muß sie ja erfolgen - kaum mehr möglich ist. Das soll kein Vorwurf gegen den jetzigen Bundesjustizminister sein, wie ich ausdrücklich betonen möchte; denn er ist ja noch nicht so lange im Amt, daß er dafür verantwortlich sein könnte. Aber es ist ein Vorwurf gegen sein Haus oder gegen diejenigen, die damit befaßt waren und die wenigstens einige Monate eher mit diesem Entwurf vor die gesetzgebenden Körperschaften hätten treten sollen.
Lassen Sie mich ganz kurz auf die ungeklärten Fragen eingehen, die im Rahmen der Novelle unbedingt hätten geklärt werden müssen. Das Gesetz geht von einer Reduzierung der Zahl der Richter je Senat von zehn auf acht zum 31. August 1963 aus mit dem Ziel, ein Einheitsgericht zu schaffen. Ich darf für unsere Fraktion betonen, daß wir dieses Ziel nach wie vor bejahen.
Aber man darf dabei nicht ganz außer acht lassen, daß das Gericht als Zwillingsgericht ins Leben getreten ist und trotzdem in der ganzen Zeit, namentlich aber in den letzten Jahren, immer überlastet war. Wenn man bedenkt, daß die Zahl der Verfassungsbeschwerden allein vom Jahre 1961 bis zum Jahre 1962 von 700 auf 1400 gestiegen ist, dann wird man sehen, wie stark das Gericht überlastet ist. Vor allem aber sollte man sich in dem Zusammenhang überlegen, ob man wirklich wegen eines Prinzips - nämlich wegen der möglichst schnellen Herstellung des Einheitsgerichtes - eine dauernde Überlastung und vor allem das gefährliche Ansteigen der Rückstände in Kauf nehmen soll. Ich kann Ihnen aus meiner eigenen richterlichen Erfahrung sagen, daß in der Gerichtsbarkeit nichts schlimmer ist, als einen Schreibtisch mit Rückständen aufräumen zu müssen.
Ich habe manchmal das Gefühl, daß sich auch gegenüber dem Bundesverfassungsgericht - wie leider gegenüber allen Richtern bei uns in der Bundesrepublik - das Pensendenken breit macht. Dieses Pensendenken ist der Stellung und der Arbeit des Richters in gar keiner Weise angemessen, und ich möchte es hier einmal in einer etwas gehässigen Form als ein kleinkariertes Verwaltungsdenken ansprechen.
({0})
Der Richter ist einfach kein Automat, in den man oben Geld reinwirft, woraufhin unten dann ein Urteil herauskommt. Es ist ein Nonsens, einem Richter vorzuschreiben, daß er in einer bestimmten Zeit ein Urteil machen muß. Da gibt es einfach mal die Notwendigkeit - das sage ich Ihnen ganz ehrlich -, eine schöpferische Pause einzulegen und ein paar Tage lang mit einer Entscheidung im wahrsten Sinne des Wortes schwanger zu gehen, um sie dann wirklich gründlich durchdacht zu fällen. Der Staatsbürger hat ein Recht darauf, daß die Entscheidungen, die vielfach endgültig sind, wirklich gründlich durchdacht sind.
Bedenken Sie bitte auch noch folgendes. Wenn der Richter überlastet ist - und das gilt ganz besonders für den Richter beim Bundesverfassungsgericht -, dann nimmt man ihm die Möglichkeit, der Richter zu bleiben, den wir eigentlich alle verlangen müssen, nämlich der Richter, der nicht nur seine Juristerei anschaut, der nicht nur die Gesetze studiert, sondern der sich auch sonst noch ein bißchen im Leben umsieht; er muß also auch noch Zeit für andere Dinge haben. Vor allem aber muß er Zeit haben, um sich in seinem eigenen Fach noch weiterzubilden; denn auslernen kann ein Richter bis zu seiner Pensionierung nicht. Das möchte ich doch zu bedenken geben, und ich bitte, auch diesen GesichtsDr. Reischl
punkt bei den Beratungen zu berücksichtigen. Ich hoffe, daß wir auch hierzu noch mehr Zahlenmaterial bekommen.
Die Vorschläge zur Verbesserung und Erleichterung des Verfahrens stammen vom Gericht. In einem entscheidenden Punkt aber folgt der Entwurf zunächst den Vorschlägen des Gerichts nicht, nämlich hinsichtlich der Aufhebung des Begründungszwanges. Ich will mich darüber nicht länger verbreiten, zumal angeklungen ist, daß eventuell die Neigung besteht, entsprechend den Vorschlägen des Bundesrates noch einen Schritt weiterzugehen. Eines möchte ich aber doch zu bedenken geben. Hier haben wir es mit einer sehr, sehr wichtigen psychologischen Frage zu tun. Dadurch kann die Stellung des Gerichts in der öffentlichen Meinung eines Tages sehr stark berührt werden. Es ist für den Staatsbürger - von den Querulanten einmal ganz abgesehen - eine unbefriedigende Sache, wenn er in einer Angelegenheit, die er für wichtig hält - und jeder hält seine Sache für wichtig und glaubt, er habe recht -, eine Entscheidung vom allerhöchsten Gericht bekommt, in der nicht wenigstens mit einigen Sätzen gesagt ist, warum die Klage abgelehnt worden ist.
({1})
Ich möchte das ganz besonders hervorheben. Ich weiß aus meiner richterlichen Tätigkeit, wie gefährlich es ist, Entscheidungen ohne Begründung zu erlassen, auch wenn man das darf; es gibt Fälle, wo man es darf. Ich habe mich als Amtsrichter immer dagegen gewehrt, eine Schiedsentscheidung ohne Begründung zu erlassen, auch wenn beide Anwälte darauf verzichtet haben. Damit schafft man nämlich erst den Querulanten. Man erweckt bei ihm. den Anschein, daß ihm Unrecht zugefügt werde. Ich möchte das in allem Ernst sagen. Wir müssen bei der Beratung dieser Frage diese Angelegenheit sehr sorgfältig prüfen und uns sehr gründlich überlegen, ob wir davon abgehen können, einen Begründungszwang für ablehnende Entscheidungen vorzuschreiben. Die ganze Novelle beruht darauf, daß man entweder das eine oder das andere tun muß, daß man also entweder die Richterzahl beibehalten muß oder stärkere Verfahrenserleichterungen machen muß. Die jetzige Novelle mit dem Verfahren nach den §§ 93 a und b, das so, wie es dasteht, keine wesentliche Erleichterung bringt, kommt mir vor wie ein Sprung ins kalte Wasser, weil wir auf der einen Seite bei der niedrigeren Richterzahl bleiben wollen, auf der anderen Seite aber keine ernstliche Verfahrenserleichterung bringen. Ich warne davor, in einer so wichtigen Frage uns der Gefahr des Vorwurfs einer Verantwortungslosigkeit auszusetzen, wenn wir diese Frage nicht sehr sorgfältig prüfen.
Zustimmung bei der SPD.)
Denken Sie noch an eines, meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht ist in unserer demokratischen Entwicklung nicht mehr wegzudenken. Es genießt in einem Ausmaß das Vertrauen des Volkes, das wir uns vielleicht gar nicht so vorstellen können. Wenn wir im Lande herumhören, hören wir immer wieder: Letzte Reserve, letzter Rettungsanker - das Bundesverfassungsgericht. Wir müssen
sehr, sehr vorsichtig sein, nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, daß ein Rechtsbehelf, der vielen als letzter Rettungsanker dünkt, beseitigt oder geschmälert werden soll.
Ich will nur stichwortartig noch drei Punkte anfügen, die unseres Erachtens in einer wirklich gründlichen Novelle - die diesen Namen verdient - mit behandelt werden müßten. Da ist die Frage, ob wir bei den Richtern auf Zeit bleiben sollen oder ob ein Richter auf Lebenszeit eingesetzt sein soll. Die Praxis hat gezeigt, daß die Richter auf Zeit, wenn sie wiedergewählt werden wollten, auch wiedergewählt wurden, so daß wir es praktisch doch mit Richtern auf Lebenszeit zu tun haben. Es ist ernsthaft die Frage zu stellen, ob die wirkliche Unabhängigkeit des Gerichts nicht noch besser garantiert werden könnte, wenn wir generell zum Richter auf Lebenszeit übergehen. Immerhin muß diese Frage einmal gründlich in diesem Zusammenhang geprüft werden. Ich möchte keineswegs behaupten, daß die Richter auf Zeit bisher nicht bewiesen haben, daß sie unabhängig sind. Aber der Institution angemessen, glaube ich, wäre es, wenn wir Richter auf Lebenszeit hätten. Mindestens müßte man sich ernstlich mit der Frage der Versorgung der Richter auf Zeit befassen; das ist dann schon das Wenigste, was man tun muß. Wenn man qualifizierte Kräfte haben und halten will, muß man auch diese Frage heute regeln. Wir sollten uns darüber Gedanken machen.
Die Frage des Amtsgehalts brauche ich jetzt nicht näher auszuführen, da inzwischen die Bundesregierung ja einen Entwurf beim Bundesrat eingebracht hat. Aber ich will in dem Zusammenhang sagen: ob die Gleichstellung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts mit einem Bundesminister angemessen ist, wage ich zu bezweifeln, denn das Bundesverfassungsgericht steht auf gleicher Ebene wie die Bundesregierung. Da müßte man meines Erachtens den Präsidenten mit dem Herrn Bundeskanzler in finanzieller Beziehung gleichstellen. Ob dann die Einstufung der übrigen Richter entsprechend angemessen ist, möchte ich ebenfalls bezweifeln. Aber darüber werden wir im Ausschuß bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs noch reden.
Ein Letztes! Wir sollten ernstlich überlegen, ob wir die Verfassungsbeschwerde nicht jetzt bei dieser Gelegenheit im Grundgesetz verankern sollten. Ich habe auf die große Bedeutung für das Vertrauen des Volkes zu diesem Gericht hingewiesen. Ich möchte als Beispiel nur anführen, daß wichtigste Entscheidungen wie das Apotheken-Urteil, das Urteil zu § 71 der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung und die vielen Entscheidungen zur Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs auf Verfassungsbeschwerden beruhen.
Zusammenfassend darf ich namens meiner Fraktion zu bedenken geben, ob wir nicht eine ganz kleine Novelle - nach entsprechender Ausschußberatung - vorausschicken, also im Ausschuß aus der jetzigen Vorlage herausnehmen sollten, nämlich eine Novelle, die die Richterzahl doch noch beibehält.
({2})
Dabei aber warne ich davor, eine feste Frist beizubehalten. Denn erstens einmal ist es schwierig, Richter auf Zeit nur für vier Jahre zu bekommen, und zweitens - das hat der Bundesminister der Justiz schon ganz richtig gesagt - werden wir nach vier Jahren, wenn wir z. B. diese Frist nehmen, möglicherweise vor derselben Lage stehen.
Allerdings darf man eines nicht vergessen. Wenn wir uns endlich Luft schaffen würden in dieser Frage, könnten wir ohne Zeitdruck über die wirklich notwendigen sonstigen Reformen verhandeln. Wir sollten uns doch jetzt endlich einmal eine einigermaßen endgültige Regelung des Rechts des Bundesverfassungsgerichts als eines so wichtigen Verfassungsorgans vornehmen. Die Zeit drängt außerordentlich, weil im Sommer eine ganze Anzahl von Richtern ausscheidet. Das Problem der Zahl der Richter muß also als erstes erörtert werden.
({3})
Wir müssen die Frage aufwerfen, ob man die Zahl doch noch beibehalten oder ob man eine echte Entlastung des Gerichts herbeiführen kann, ohne dabei die Rechtsbehelfe der Bevölkerung zu schmälern und ohne dabei das Vertrauen des Volkes in dieses wichtige Verfassungsorgan in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen.
({4})
Die Frage ist, ob es uns gelingt, das im Ausschuß zu tun. Ich will hoffen, daß damit dem Bundesverfassungsgericht eine auf lange Zeit gültige Regelung der Stellung und der Funktion dieses so wichtigen Verfassungsorgans gegeben werden kann.
({5})
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur auf zwei der kritischen Bemerkungen des Herrn Kollegen Reischl kurz eingehen. Das eine ist die Frage des Zeitpunkts, zu dem diese Novelle vorgelegt wird. Sie beanstanden mit Recht, daß sie sehr spät vorgelegt wird. Sie hatten nun die Liebenswürdigkeit, mich von einer Schuld daran freizusprechen und die Schuld dem Hause zu geben. Das trifft aber nicht zu. Mein Vorgänger hat bereits Anfang Januar die ersten Besprechungen mit dem Bundesverfassungsgericht begonnen. Diese Besprechungen haben sich ziemlich lange hingezogen, ohne daß ich deswegen dem Gericht einen Vorwurf mache. Dann kam die Kabinettsumbildung dazwischen mit allem, was sich davor und danach abgespielt hat. So sind wir in Bedrängnis gekommen, und ich muß tatsächlich eher mir selber etwas den Vorwurf machen, daß ich nicht mehr darauf gedrängt habe, diesen zeitgebundenen Entwurf vorzulegen.
Das zweite. Sie haben beanstandet, daß - ich glaube, Sie drückten es so aus - wieder einmal an dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz herumgedoktert, also experimentiert werde und daß sich dieses Hohe Gericht, dessen Rolle Sie sehr deutlich herausgestellt haben, doch nicht zum Experimentieren eignet. Ich stimme Ihnen darin prinzipiell zu. Andererseits ist auch dieses Bundesverfassungsgericht ein Novum in unserem Staatsaufbau, und wir haben wenig Erfahrungen. Der Gesetzgeber hat nun selber schon einmal auf diesem Gebiet Experimente gemacht, wenn ich so sagen darf. Er hat nämlich im Jahre 1956 die Richtung auf ein Einheitsgericht hin eingeschlagen. Das war auch ein Wagnis und ein Experiment. Das Gericht wurde verkleinert. Es soll jetzt noch einmal verkleinert werden. Deswegen sehen wir uns eben vor der Notwendigkeit, doch wieder etwas daran herumdoktern zu müssen.
Wenn es uns gelingen sollte, in Erweiterung der Vorschläge, die Sie von der Opposition dazu noch machen wollen, zu einer umfassenderen Novelle zu kommen, und wenn wir dann werden feststellen können, daß wir nicht schon wieder eine Novelle brauchen, so soll das der Bundesregierung sicher nur recht sein.
Ich glaube, wir können über alle Ihre Vorschläge diskutieren mit Ausnahme des einen, die Zahl von zehn Richtern beizubehalten. Dafür ist bis jetzt bei uns keine Meinung vorhanden.
({0})
- Wenn man sagt, es sei keine Meinung vorhanden, ist man nicht dafür.
({1})
Für meine Person darf ich noch sagen: die Bemerkung über die Einstufung der Richter des Bundesverfassungsgerichtes, die Sie nebenbei noch machten, war mir aus dem Herzen gesprochen. Aber ich kann das für die Bundesregierung nicht sagen, wenigstens nicht für den gegenwärtigen Zeitpunkt. Ich bin ja gehalten, den Vorschlag der Bundesregierung zu vertreten. Aber ich habe auch die Vorstellung, daß das Bundesverfassungsgericht nun wirklich nicht irgendein Gericht ist, sondern ein Verfassungsorgan. Ich hatte schon früher öfters Gelegenheit, in diesem Hause zum Ausdruck zu bringen, was ich von dem Bundesverfassungsgericht halte.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister hat mir die Entgegnung auf die Kritik, die Herr Kollege Reischl geübt hat, zum Teil schon abgenommen. Ich möchte in Ergänzung dessen, was der Bundesjustizminister sagte, noch folgendes bemerken.
Als ich mir überlegte, was man in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes sagen solle, habe ich das Buch über das Bundesverfassungsgericht aufgeschlagen, das wir erst kürzlich zugeschickt bekamen. Beim Lesen bin ich auf die Eröffnungsrede gekommen, die am 28. September 1951 von Herrn HöpkerFrau Dr. Diemer--Nicolaus
Aschoff gehalten wurde. Ich nenne dieses Datum, weil es zeigt, wie jung dieses hohe Gericht ist. Wir müssen uns vor Augen halten, daß damals - darauf wurde schon hingewiesen - etwas vollkommen Neues für unser Volk geschaffen wurde. Es wurde ein Verfassungsorgan geschaffen, das auch keine Tradition in dem früheren Staatsgerichthof der Weimarer Zeit hatte. Es bestehen Unterschiede, wie auch ein grundliegender Unterschied zwischen unserem Grundgesetz und der Weimarer Verfassung besteht, nämlich insofern, als nach unserem Grundgesetz die Grundrechte unmittelbar geltendes Recht für jeden sind. So hat auch dieses hohe Gericht zum Teil andere Befugnisse erhalten, als sie der frühere Staatsgerichtshof hatte.
Herr Kollege Reischl, in Ihrer Kritik sprachen Sie davon, daß man experimentiere. Angesichts dieser Kritik möchte ich auf eine Sache zurückkommen, an die mich Herr Dr. Dehler, der damals Bundesjustizminister war, erinnert hat. Die Freien Demokraten waren von Anfang für ein Einheitsgericht. Aber gerade Ihre Fraktion, Herr Kollege Reischl, war es, die sich für das Zwillingsgericht aussprach.
Als das neue Gericht geschaffen wurde, wußte man natürlich nicht, in welchem Maße es in Anspruch genommen werde. Erfreulicherweise hat sich herausgestellt, worüber wir uns doch alle einig sind, daß dieses Verfassungsorgan auch in der breiten Bevölkerung höchstes Ansehen und höchstes Vertrauen genießt. So ist es dazu gekommen, was man im Jahre 1951 nicht voraussehen konnte, daß bei diesem hohen Gericht außerordentlich viele Verfahren anhängig gemacht wurden, vor allem deswegen, weil die neu eingeführte Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde, die jedem Bürger das Recht gibt, unter bestimmten Voraussetzungen das Bundesverfassungsgericht anzurufen, in der Bevölkerung Anklang gefunden hat. So stellte sich nach einigen Jahren heraus: die Belastung der zwei Senate ist so ungleichmäßig, daß dies nicht so bleiben kann.
Daher kam es zunächst zu der Novelle von 1956. Als dann die Novelle von 1959 beraten wurde, Herr Kollege Reischl, machte, wie ich mich noch sehr gut erinnern kann, Ihr Kollege Dr. Arndt, der jetzt leider nicht mehr dem Bundestag angehört, grundlegende Ausführungen über die Zukunft dieses Gerichts. Das, was wir Freien Demokraten von Anfang an wollten kam dann in der Entschließung zum Ausdruck: der Weg muß zum Einheitsgericht führen. Damals bestand die Hoffnung, auch durch die Änderung des Verfahrens schon in diesem Jahr das Einheitsgericht zu schaffen.
Herr Kollege Reischl, Sie sprachen vorhin vom Herumexperimentieren und von einer „kleinen" Novelle und beanstandeten, daß es keine grundlegende Reform sei. Ich bin sehr für grundlegende Reformen, wo sie angebracht sind. Deswegen habe ich - das möchte ich hier ganz klar zum Ausdruck bringen, und ich habe es auch bei der ersten Lesung der Strafrechtsnovelle gesagt - heute noch die größte . Achtung vor der großen geistigen Leistung des Parlamentarischen Rates, der mit den anderen echten Reformen auch das Bundesverfassungsgericht geschaffen hat. Aber jetzt, nach dem es erst zwölf
Jahre besteht, sollten wir doch jeden weiteren Schritt bei der Reform sehr vorsichtig bedenken. Wir sollten immer wieder, so wie das bisher bei zwei Novellen getan wurde - andere Gesetze haben eine ganz andere Zahl von Novellen, das bitte ich Sie auch einmal zu bedenken -, erst die Erfahrungen abwarten.
An und für sich hat sich die Neuverteilung der Aufgaben für die Senate durch die Novellen von 1956 bewährt. Herr Kollege Reischl, durch diese Neuregelung konnten tatsächlich Rückstände schon weitgehend aufgearbeitet werden. Die genaueren Zahlen hierüber werden wir im Rechtsausschuß noch erfahren.
Wir müssen immer überlegen: Wie kommen wir diesem Ziel, das ja auch von der SPD bejaht wird, dem Einheitsgericht, näher? Da zeigt sich folgendes - ich darf es hier mit aller Offenheit sagen, Herr Kollege Reischl -: Wenn wir dem Ziel jetzt näher kommen wollen, dann können wir es nicht dabei bewenden lassen, daß wir die Zahl der Richter bei jedem Senat bei zehn belassen, sondern dann müssen wir - ich glaube, gerade hierfür hatte sich auch Ihr Kollege Arndt ausgesprochen - in diesem Jahr zu einer Verringerung der Richterzahl auf acht für jeden Senat kommen.
Die Entscheidungen, die das Bundesverfassungsgericht trifft, sind sehr bedeutungsvoll. Es ist sicherlich richtig und notwendig, daß die Richter ausreichend Zeit und Muße haben. Da gebe ich Ihnen recht: man kann derart grundlegende Entscheidungen, die hier zu treffen sind, nicht einfach nach einer gewissen Stundenzahl fällen, sondern dazu gehört schöpferischer Geist, der sich nicht auf die Stunde Arbeitszeit befehlen läßt.
Man braucht auch Richter in ausreichender Zahl für die Bearbeitung dieser Aufgaben. Aber wenn die Gremien, die beraten, zu groß sind, bedeutet eine spätere nicht allzu große Verkleinerung nicht - das bestätigt die Erfahrung -, daß damit die Leistungsfähigkeit des Senats erheblich beeinträchtigt würde. Ich stelle das hier schon zur Diskussion. Ich möchte mich auch dafür einsetzen, daß bei unseren Beratungen im Rechtsausschuß der Präsident des Bundesverfassungsgerichts anwesend ist,
({0})
damit er uns seine Auffassung und seine praktischen Erfahrungen mitteilen kann.
Ich möchte zu dieser Reform weiterhin sagen: Mir ist durchaus bekannt, daß die Verfassungsbeschwerden - der Herr Bundesjustizminister sagte, daß die eingelegten Beschwerden 90 % des Geschäftsanfalls betragen - natürlich eine sehr starke Belastung sind. Manche Verfassungsbeschwerde ist dabei, die schon von vornherein wirklich unzulässig ist, z. B. wenn das Verfassungsgericht schon angegangen wird, bevor der ordentliche Rechtsweg ausgeschöpft ist.
In diesem Zusammenhang darf ich auf folgendes hinweisen. Bei allen oberen Gerichten besteht Anwaltszwang. Er wurde nicht geschaffen, um den Rechtsanwälten eine Arbeitsmöglichkeit zu geben. Der Grund war vielmehr, daß durch die Anwalt3762
schaft, die ein Organ der Rechtspflege ist, schon eine Vorprüfung erfolgt unid dadurch unzulässige und von vornherein unbegründete Klagen bei Iden oberen Gerichten unterbleiben sollen. Wenn Sie schon an größere Reformen denken, dann sollten wir uns doch auch einmal über die Frage Gedanken machen, ob eine gleiche Regelung im Interesse des Bundesverfassungsgerichts angebracht wäre.
Bei diesem Anlaß - wir haben nicht oft Anlaß, über das Bundesverfassungsgericht zu sprechen - möchte ich auch noch zu einigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Stellung nehmen. Zwölf Jahre Tätigkeit zeigen, ob das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen auf dem Weg geblieben ist, den seinerzeit bei der Eröffnung HöpkerAschoff gewiesen hat. Er sagte damals in seiner Eröffnungsrede, daß das Bundesverfassungsgericht, dessen Rechtsentscheidungen ja auch große politische Auswirkungen hätten -das wissen wir alle in diesem Hohen Hause -, nicht der Versuchung erliegen dürfe, seine politisch-sachlichen Erwägungen an die Stelle der politisch-sachlichen Erwägungen des Gesetzgebers zu setzen. Er führte wörtlich aus, als er von der Versuchung, selbst den Gesetzgeber spielen zu wollen, sprach:
Wir haben nur 'darüber zu wachen, daß die Normen des Grundgesetzes auch von dem Gesetzgeber eingehalten werden.
Das Bundesverfassungsgericht muß sich bei seinen Entscheidungen bewußt bleiben der politischen Folgen, und sei es auch nur, um seine Rechtsentscheidung um so sorgfältiger
abzuwägen, und darf auch der Frage nicht ausweichen, ob nicht durch seine Entscheidung ein gesetzloser Zustand herbeigeführt werden kann, der eine Gefahr für die freiheitlichdemokratische Grundordnung des Staates bedeutet.
Wenn wir das politische Leben der letzten zwölf Jahre und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts an unseren Augen vorüberziehen lassen, so können wir Freien Demokraten im Hinblick auf manche Entscheidung ides Bundesverfassungsgerichts feststellen, daß wir durchaus Grund zur Freude haben. Denn in verschiedenen Fällen ist unsere Rechtsauffassung in bezug auf die Auslegung des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden, nachdem wir uns im Bundestag damit nicht hatten durchsetzen können.
Das gilt besonders im Hinblick auf die Art. 3 unid 6 des Grundgesetzes. Ich brauche Ihnen nur Stichworte zu nennen. Sie wissen, daß die Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Sinne des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes vom Bundesverfassungsgericht im Sinne der von den Freien Demokraten von Anfang an vertretenen Auffassung entschieden worden ist. Diese grundlegende Auffassung hat bis in die letzten Wochen hinein bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ihre Früchte getragen. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht den engen Zusammenhang des Art. 3 mit dem Art. 6, der den Schutz der Ehe und Familie vorsieht, klar herausgestellt. Danach darf der Gesetzgeber keinerlei gesetzliche Maßnahmen treffen, durch die Eheleute z. B. wirtschaftlich gegenüber Unverheirateten benachteiligt werden. Dieser Gedanke kam vor allem auch bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auf steuerlichem Gebiet zum Ausdruck. So wurde die in § 26 des Einkommensteuergesetzes vorgesehene Ehegattenbesteuerung - eine Vorschrift, gegen die die FDP sich mit aller Entschiedenheit gewandt hatte - erst durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben, und diese Entscheidung war der Anlaß zur Einkommensteuerreform 1958 mit einer für die Ehepaare befriedigenden Regelung.
Auch in jüngster Zeit hat das Bundesverfassungsgericht Entscheidungen in diesem Sinne getroffen. So hat es entschieden, daß Ehegatten, die einen Arbeitsvertrag geschlossen haben - was nicht nur in der gewerblichen Wirtschaft, sondern auch bei den freien Berufen oft vorkommt -, steuerlich nicht anders behandelt werden dürfen als die sonstigen Vertragspartner eines Arbeitsverhältnisses.
Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß sich auch in bezug auf die Gewerbesteuer die Mitarbeit der Ehefrau im Gewerbebetrieb des Ehemannes nicht nachteilig für die Ehepaare auswirken, d. h. nicht zu einer höheren steuerlichen Belastung führen darf.
Im Zusammenhang mit Art. 3 des Grundgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht im Grundsätzlichen schon ein Problem entschieden, das ich in der Fragestunde angeschnitten habe, wieweit nämlich eine Regierung im Rahmen des Art. 80 des Grundgesetzes Verordnungen zu gesetzlichen Bestimmungen erlassen darf. Ich will es konkret sagen, damit Sie wissen, worum es sich handelt.
Wir hatten im Finanzausschuß im Zusammenhang mit der Einkommensteuerreform ganz klar entschieden, daß, wenn Ehepaare das Splitting-Verfahren bei der Einkommensteuer wählen, die Steuererklärung von beiden Ehegatten unterzeichnet werden muß. Dann, meine Herren Kollegen von der SPD, kam Ihre hessische Finanzverwaltung auf die Idee, wie man diese Regelung, die vor allen Dingen von gut verdienenden Ehemännern in Anspruch genommen wird, doch noch umgehen könnte. Das wurde dann von unserem damaligen Finanzminister und den anderen Ländern übernommen.
Insofern ist es aufschlußreich, was das Bundesverfassungsgericht hierzu gesagt hat:
Der Verordnungsgeber hat seinen Spielraum von vornherein nur innerhalb der ihm jeweils auf Grund des Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes gegebenen Grenzen. Das Gleichheitsgebot bedeutet dann für ihn, daß er im wohlverstandenen Sinn der ihm erteilten Ermächtigung zu handeln hat. Nur so wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auch im Verhältnis zum Verordnungsgeber gewahrt.
Das bedeutet, daß ein derartiges Verfahren, was ich schon in der Fragestunde bemängelt habe, dem nicht entspricht, was wir in den Ausschüssen und nachher im Plenum ausdrücklich beschlossen haben und unzulässig ist. Der Wille des Parlaments muß
auch in den Durchführungsverordnungen von seiten der Exekutive beachtet werden.
Eine weitere uns Freie Demokraten zufriedenstellende Entscheidung war, daß der Stichentscheid nach den §§ 1628 und 1629 für grundgesetzwidrig erklärt wurde.
({1})
Ich weiß, diese Ansicht hat nicht nur die FDP vertreten, sondern auch andere hier.
Eine weise Entscheidung in jüngster Zeit war weiter die über die Höfeordnung, welche die Benachteiligung der Bauerntöchter für grundgesetzwidrig erklärte.
({2})
- Das gehört mit dazu, welche Bedeutung das Bundesverfassungsgericht hat. Entschuldigen Sie, Herr Kollege Kanka, ich glaube, es ist hier auch eine Wertung des Bundesverfassungsgerichts nötig. Es hängt weiterhin damit zusammen, daß wir dem Bundesverfassungsgericht bei dieser Reform auch in Zukunft die Zeit lassen wollen, so grundlegende Entscheidungen zu treffen.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist durchaus üblich, daß Man, wenn man über eine Institution spricht, auch sagt, was man ihr zu verdanken oder von ihr fürchten zu müssen glaubt. Insofern spricht die Rednerin zur Sache.
({0})
Für uns als Gesetzgeber, Herr Kollege Kanka, sollten die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts immer eine Mahnung sein, bei allen Gesetzen, auch soweit vorkonstitutionelles Recht vorliegt, sehr sorgfältig zu prüfen, ob sie dem Grundgesetz entsprechen.
Eines kann ich Ihnen nun doch nicht vorenthalten, weil es sich dabei um Entscheidungssätze handelt, die für uns auch in der kommenden Zeit von größter politischer Bedeutung sind. Ich meine das, was das Bundesverfassungsgericht zu Art. 5 des Grundgesetzes gesagt hat, also zu dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit. Hier hat das Bundesverfassungsgericht Grundsätze aufgestellt, die für jeden, dem an einer lebendigen Demokratie liegt, goldene Worte sein müssen. Deswegen habe ich sie mir für den Schluß meiner Rede aufgespart. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen ganz klar herausgestellt, daß es sich bei dem Grundrecht des Art. 5 des Grundgesetzes um eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt handelt. Es bezeichnet dieses Grundrecht als Grundlage der Freiheit.
In einer anderen Entscheidung heißt es:
Für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung ist die politische Meinungsfreiheit, die
Geistesfreiheit schlechthin konstituierend, denn
sie ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist.
Und in einer weiteren Entscheidung:
Nur die freie öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung sichert die freie Bildung der öffentlichen Meinung, die sich im freiheitlichen demokratischen Staat notwendig „pluralistisch" im Widerstreit verschiedener und aus verschiedenen Motiven vertretener, aber jedenfalls in Freiheit vorgetragener Auffassungen, vor allem in Rede und Gegenrede vollzieht.
Diese Sätze haben gerade in der letzten Zeit bei Disukussionen, die über bestimmte dichterische Werke stattgefunden haben, eine besondere Bedeutung erlangt. Sie sollten uns mahnen, tolerant gegeneinander zu sein. Sie lehren uns, daß wir, auch wenn eine künstlerische Gestaltung in ihrem geistigen Inhalt nicht unserer Auffassung entspricht, nicht nach dem Strafrichter rufen, sondern die Dinge in freier Diskussion klarstellen sollten.
Weiter sagt das Bundesverfassungsgericht:
Das ... Grundrecht der Pressefreiheit ist mehr als nur ein Unterfall der Meinungsfreiheit, da darüber hinaus die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung gewährleistet ist.
Das ist eine Entscheidung im Geiste unseres Grundgesetzes. Ich wünsche, daß das Bundesverfassungsgericht auch in Zukunft Zeit und Muße findet - Anlaß wird es immer haben -, seine Rechtsprechung in diesem Geiste, der seinerzeit zunächst von Höpker-Aschoff geprägt wurde, fortzusetzen. Ich glaube auch, daß das Bundesverfassungsgericht sich im Politischen die Zurückhaltung auferlegt hat, die Höpker-Aschoff damals forderte. Es hat sich bemüht, nicht selbst den politischen Gesetzgeber zu spielen - trotz der Versuchung, die natürlich in manchen politischen Rechtsstreiten vorhanden war.
Ich wünsche für das Bundesverfassungsgericht, daß wir in absehbarer Zeit über eine sinnvolle Vereinfachung des Verfahrens hinaus den weiteren Schritt, nämlich die Errichtung des Einheitsgerichts, tun können und damit das höchste Gericht erhalten, das wir uns von Anfang an als Hüter unserer Grundrechte gewünscht haben.
({0})
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir werden den Entwurf wohl an den Rechtsausschuß überweisen müssen. Ist das Haus einverstanden? - Das ist der Fall; dann ist es beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Kreuzungen von Eisenbahnen
Vizepräsident Dr. Schmid
und Straßen ({0}) ({1});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen ({2}) ({3})
({4}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Cramer. Herr Abgeordneter Cramer ist verhindert. Statt dessen wird der Vorsitzende des Ausschusses, Herr Abgeordneter Bleiß, den Bericht erstatten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Berichterstatter, Herr Kollege Cramer, der wegen einer Verkehrsbehinderung heute hier nichtanwesend sein kann, hat mich beauftragt, Ihnen folgende redaktionelle Änderung vorzutragen: Auf Seite 3 des Schriftlichen Berichts Drucksache IV/1206 muß es zu § 9 in Zeile 12 statt „Vereinbarung" heißen: „Vereinigung". Ich bitte Sie höflichst, diese Änderung vorzunehmen.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf § 1, - 2, - 3, -4,-5,-6,-7,-8,-9,-10,-11,-11a,-11b,-§ 12 entfällt - § 13,-14,-14a,-15,16, - 17, - 18, - 19, - Einleitung und Überschrift.
- Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Ich rufe den Entwurf zur
dritten Beratung
auf. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Es sollen Erklärungen abgegeben werden. Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Lemmrich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU möchte ich zur Verabschiedung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes folgende Erklärung abgeben.
Das alte Eisenbahnkreuzungsgesetz stellt für die Eisenbahnen eine erhebliche Belastung dar und hat in der praktischen Durchführung besonders in den letzten Jahren Schwierigkeiten gezeigt. Die große Unfallhäufigkeit an Bahnübergängen fordert in höherem Maße, als es bisher der Fall war, die Beseitigung dieser alle. Verkehrsteilnehmer gefährdenden Kreuzungspunkte. Die Neuregelung des Eisenbahnkreuzungsrechtes ist .daher ein dringendes Anliegen, das alle Bürger unseres Landes angeht.
Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt auf Grund dieses Sachverhalts die von den beteiligten Ausschüssen vorgenommenen Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf. Dabei waren die folgenden Leitgedanken maßgebend:
1. Die Praktikabilität des Gesetzes muß an erster Stelle aller Überlegungen stehen. Nur so kann dem Gefahrenpunkt Kreuzung von Schiene und Straße tatkräftig zuleibe gerückt werden.
2. Die Bahnübergänge stellen für Schiene und Straße eine Gemeinschaftsaufgabe dar, für die auch Bund und Länder mitverantwortlich sind. Der Interessenlage der beteiligten Verkehrsträger soll dabei nach Möglichkeit Rechnung getragen werden. Dem entspricht der Vorschlag zu § 11 b und § 13.
3. Den Gemeinden sollen keine zusätzlichen Lasten aufgebürdet werden. Darüber hinaus ist im § 15 für sie und sonstige finanzschwache beteiligte Baulastträger eine besondere Zuschußregelung vorgesehen.
4. Die Verfahrensvereinfachung war ein besonderes Anliegen. In erster Linie sollen sich die Beteiligten einigen. Entgegen der Regierungsvorlage soll auch ein doppeltes Anhörungsverfahren, einmal im Kreuzungsrechtsverfahren und dann im Planfeststellungsverfahren, vermieden werden. Dem dient die Verbindung beider Verfahren, wobei für die Anhörung eine Landesbehörde zuständig sein soll. Nach unserer Meinung ist das verfassungsrechtlich unbedenklich.
Finanzielle Mehrbelastungen, die auf den Bund zukommen, dürfen nicht zu Lasten des Straßenbauhaushalts gehen, sondern nur da, wo Bundesfernstraßen beteiligt sind.
Es wird zweckmäßig sein, wenn der Bundesminister für Verkehr im Zusammenwirken mit den für die Eisenbahnen und Straßen zuständigen Landesministern ein mehrjähriges Programm für die Beseitigung von Bahnübergängen aufstellt.
Wir haben gemeinsam etwas Gutes und Praktikables zu schaffen versucht. Ein Gesetz kann noch so gut sein, es wird Ordnung und Wohlfahrt nur bringen, wenn es von Menschen mit gutem Willen und verständigem Gemeinsinn angewendet wird. Zu einem solchen Verhalten die Kreuzungspartner aufzurufen, sollten das Hohe Haus und die Bundesregierung nicht müde werden.
({0})
Das Wort zu einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Bleiß,
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute das vorliegende Gesetz verabschieden, dann können wir das leider nicht mit der Gewißheit tun, daß damit endgültig grünes Licht für die schnelle Beseitigung der zur Zeit bestehenden 47 200 Bahnübergänge gegeben ist.
Bei den Beratungen im Ausschuß hat das Bundesverkehrsministerium ein sehr umfangreiches Material vorgelegt. Unter Verwendung komplizierter Formeln ist mit einiger Genauigkeit errechnet worden, wieviel unbedingt beseitigungsbedürftige Kreuzungen an den verschiedenen Stichtagen entweder vorhanden sind oder vorhanden sein werden, Kreuzungen also, die verkehrshemmend sind, d. h. bei der Zunahme des Verkehrs zu einem fühlbaren, teilweise unerträglichen Hindernis im Verkehrsfluß geworden sind. Das Bundesverkehrsministerium ist dabei zu sehr beachtenswerten Ergebnissen gekomDr. Bleiß
men, nämlich, daß schon im Jahre 1960 1414 dieser unbedingt beseitigungsbedürftigen Kreuzungen vorhanden waren, daß sich die Zahl bis 1970 auf 2500 und bis 1980 auf 3600 erhöhen wird.
Meine Damen und Herren! In den Unterlagen, die vom Verkehrsministerium im Ausschuß vorgelegt wurden, wird u. a. gesagt:
Unter der Voraussetzung einer Intensivierung der Entwurfs- und Planungsarbeiten und unter Berücksichtigung der voraussichtlich zur Verfügung stehenden Baukapazität kann damit gerechnet werden, daß die für den Zeitraum bis zum Jahre 1970 ermittelten 2500 Bahnübergänge bis zum Jahre 1980 beseitigt oder entlastet sind. Diese Prognose deckt sich mit dem Ausbauplan der Bundesfernstraßen, nach dem bis zum Jahre 1970 festgestellter Bedarf bis zum Jahre 1980 bewältigt sein soll. Diese Parallele zu ziehen,
- heißt es in den Unterlagen ist auch deswegen berechtigt, weil jedenfalls in einem Teil der Fälle die Beseitigung oder Entlastung eines Bahnübergangs nicht ohne vorherigen oder gleichzeitigen Ausbau der beten ligten Straße durchgeführt werden kann.
Meine Damen und Herren, aus diesen Unterlagen ergibt sich, daß seitens des Bundesverkehrsministeriums hier eingestanden wird, daß wir nicht nur hinsichtlich der Kreuzungen, sondern auch hinsichtlich des Bundesfernstraßenbaus rund ein Jahrzehnt hinter dem Erfordernis der Motorisierung einherhinken, und wir sind der Meinung, daß diese Prognose nicht etwa pessimistisch, sondern eher noch optimistisch und der Rückstau noch wesentlich größer ist.
Nach den Unterlagen des Bundesverkehrsministeriums kostet die Beseitigung eines Bahnübergangs rund 2,8 Millionen DM. Allein bezogen auf die 1500 Übergänge, die heute beseitigungsreif sind - also Verkehrshindernisse darstellen -, bedeutet das einen Aufwand von rund 4,2 Milliarden DM, der für diesen Zweck erforderlich wäre.
Die Beseitigung des derzeitigen Überhanges an beseitigungsbedürftigen Kreuzungen, über acht Jahre verteilt, würde einen jährlichen Mehraufwand von rund 500 Millionen DM 'bedeuten; und damit komme ich zur Kernfrage, nämlich zur finanziellen Grundlage des Gesetzentwurfs. Im Ausschuß haben wir uns bemüht, die Finanzierungsfrage zu klären, haben aber keine Klarheit darüber gewinnen können, ob und bis zu welchem Umfange der Kreuzungsplan überhaupt bedient werden kann. So bringt nach unserer Auffassung der Gesetzentwurf eine Neuerung und eine Besserung in der Kostenverteilung. Es ist aber keineswegs so, daß mit der Verabschiedung des Entwurfs die Problematik einer Beseitigung der verkehrsgefährdenden und verkehrshemmenden Bahnübergänge gelöst wäre. Das hängt davon ab, welche Mittel der Bundesbahn und den nichtbundeseigenen Eisenbahnen für die Beseitigung der Kreuzungen zur Verfügung stehen; denn in allen Fällen sind die Schienenbahnen mit einem Drittel an den Kosten beteiligt. Das Kreuzungsgesetz bleibt ein leerer Mantel, wenn die Beteiligten - und dazu gehört auch die Bundesbahn - nicht in die Lage
versetzt werden, ihren Anteil an den Kosten aufzubringen. Der Entwurf bringt also lediglich einen neuen Kostenverteilungsschlüssel, und diesem Verteilungsschlüssel stimmen wir zu, weil er der Bundesbahn und den Gemeinden eine Entlastung bringt.
Der Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen war aber einmütig der Meinung - das ist auch in der Erklärung von Herrn Kollegen Lemmrich zum Ausdruck gekommen -, daß die vom Bund in seiner Eigenschaft als dritter Kostenpartner zu tragenden Mittel im Haushalt besonders bereitgestellt werden müssen. Dieser Auffassung des Verkehrausschusses treten wir bei; sie bestimmt unsere Haltung zum Gesetz. Wir halten es für keine vernünftige Verkehrsfinanzpolitik, wenn man ein Loch dadurch zu stopfen versucht, daß man das andere um so mehr aufreißt. Wir würden es für eine geradezu verhängnisvolle Verkehrsfinanzpolitik halten, wenn die ohnehin schon völlig unzureichenden Straßenbaumittel weiter gekürzt würden, um Verpflichtungen aus dem Kreuzungsgesetz zu erfüllen.
Die SPD-Fraktion wird 'dem Eisenbahnkreuzungsgesetz zustimmen. Wir stimmen dem Gesetz zu, weil es der Bundesbahn und den Gemeinden, soweit sie Kreuzungen beseitigen, eine fühlbare Entlastung bringt.
Eine Diskussion über die materielle Grundlage ist im Augenblick verfrüht und nicht möglich, weil das Gesetz erst am 1. Januar 1964 in Kraft tritt. Die finanziellen Notwendigkeiten müssen im Haushalt 1964 ihren Niederschlag finden. Wir werden auf das finanzielle Erfordernis, das sich aus diesem Gesetz ergibt, zurückkommen, wenn uns die Haushaltsansätze für das kommende Jahr bekannt sind.
({0})
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Eisenmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Ich kann mich im wesentlichen den Ausführungen meiner beiden Herren Vorredner anschließen. Es gibt keine Zweifel darüber, daß das Gesetz, das dieses Hohe Haus verabschieden soll, eigentlich das im Verkehrsbereich bedeutendste ist. Sie wissen, daß rund 31 000 km Schienen sich mit rund 140 000 km klassifizierter Straßen an 64 900 Stellen kreuzen. Davon sind 36 400 Stellen niveaugleiche Kreuzungen. Daß an diesen niveaugleichen Kreuzungen Gefahrenquellen vorhanden sind, darüber gibt es gar keinen Zweifel. Sie wissen es vermutlich, daß allein pro Jahr im Durchschnitt 140 bis 150 Menschen an niveaugleichen Kreuzungen von Schienen und Straßen ums Leben kommen.
Wir haben also Ursache, zur Verabschiedung dieses Gesetzes beizutragen, und das war mit der Grund dafür, daß der vorliegende Entwurf vom Verkehrsausschuß und den mitberatenden Ausschüssen beschleunigt behandelt worden ist. In diesem Gesetz werden die Zuständigkeiten und die Verantwortung für die Rechtsverhältnisse der Betroffenen umfas3766
send geklärt. Wir glauben, daß auch hinsichtlich der materiellen Belastung der Betroffenen eine gute Lösung gefunden worden ist. Meine Herren Vorredner haben darauf hingewiesen, daß es uns im Verkehrsausschuß wesentlich darauf angekommen ist, eine gerechte Kostenregelung zu finden, aber gleichzeitig ein praktikables Gesetz zu schaffen. Wir haben ein gewisses Mischsystem gefunden im Sinne einer Kostenverteilung und eines Veranlassungsprinzips auf der anderen Seite, wobei wir gleichzeitig wußten, daß die schwächsten Baulastträger, die Kommunen, angemessen entlastet werden mußten. Wir haben allein 29 500 Kreuzungen der Schiene mit Gemeindewegen, d. h. bei 84 % der niveaugleichen Kreuzungen handelt es sich um Kreuzungen mit Gemeindewegen. Es ist klar, daß die Gemeinden diese Frage nach dem bisherigen Veranlagungsprinzip nicht lösen konnten, da sie nicht über die notwendige Finanz-, Steuer- und Wirtschaftskraft verfügen.
Ich glaube, wir haben mit dem jetzigen Mischsystem ein Verhältnis gefunden, das den Belangen der Gemeinden angemessen Rechnung trägt. Herr Kollege Lemmrich sprach von einer praktikablen Lösung. Das kann man wohl wirklich sagen. Die zuständigen Ausschüsse haben sich auf Grund des uns vom Verkehrsministerium zur Verfügung gestellten Materials eingehend mit dieser komplexen Materie befaßt. Wir sind der Auffassung, daß durch dieses Gesetz die Verkehrsverhältnisse durchaus verbessert werden können und die Gefahrenlage an den Kreuzungen behoben werden kann. Ebenfalls können durch dieses Gesetz die Wettbewerbsverzerrungen herabgemindert werden.
Wir wünschen, daß das Gesetz recht bald vom Bundesrat verabschiedet wird. Der Bundesrat sollte recht bald seine Zustimmung geben, damit das Gesetz am 1. Januar kommenden Jahres in Kraft treten kann.
Wir Freien Demokraten sehen in dem Gesetz einen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit, zu einer flüssigeren Abwicklung des Verkehrs schlechthin und damit zum Nutzen aller Verkehrsteilnehmer und nicht zuletzt zum Nutzen unserer gesamten Volkswirtschaft. Die FDP-Fraktion wird deshalb dem Gesetz zustimmen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmig Annahme fest.
Wir haben dann noch über den Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2 abzustimmen, die zu dem Gesetz eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Das Haus ist einverstanden.
Ferner haben wir noch eine formale Wahl vorzunehmen. Für den aus dem Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Wittrock hat die Fraktion der SPD mit Schreiben vom 15. Mai den Abgeordneten Dr. Schäfer als Mitglied des Wahlprüfungsausschusses benannt. - Das Haus ist mit diesem Vorschlag einverstanden; dann ist der Abgeordnete Dr. Schäfer gewählt.
Damit sind wir am Ende unserer Tagesordnung. Ich habe noch bekanntzugeben, daß heute ab 15 Uhr und morgen Ausschüsse tagen können, jedoch besteht für morgen keine Präsenzpflicht.
Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 19. Juni 1963, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.