Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/25/1963

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Die Sitzung ist eröffnet. Für den durch Verzicht ausgeschiedenen Abgeordneten Kühn ({0}) ist mit Wirkung vom 17. April 1963 der Abgeordnete Anders in den Bundestag eingetreten. Ich kann ihn leider nicht begrüßen, aber ich wünsche ihm trotzdem gute Zusammenarbeit. Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 24. April 1963 das vom Bundestag in seiner 64. Sitzung am 13. März 1963 beschlossene Gesetz zur Einschränkung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes bestätigt. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1201 verteilt. Der Herr Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat unter dem 11. April 1963 seinen Jahresbericht 1962 gemäß § 2 Abs. 3 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages vorgelegt. Der Bericht wird als Drucksache IV/1183 verteilt. Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 23. April 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Müller-Hermann, Lemmrich, Eisenmann, Rademacher und Genossen betr. regelmäßige Überwachung der Kraftfahrzeuge und Anhänger ({1}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/1198 verteilt. Der Herr Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über Änderung verschiedener Anhänge zur Verordnung Nr. 3 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer und zur Verordnung Nr. 4 zur Durchführung und Ergänzung der Verordnung Nr. 3 - Drucksache IV/1199 an ,den Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 8. Mai 1963. Der Herr Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a der Geschäftsordnung den Entwurf einer Zweiundsechzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({2}) - Drucksache IV/1195 -mit der Bitte um fristgemäße Behandlung dem Außenhandelsausschuß überwiesen. Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde ({3}). Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung. Frage VIII/1 - Herr Abgeordneter Kreitmeyer -: Seit wann wurde seitens der Bundesregierung über die Entseuchung des ehemaligen britischen Schießplatzes Deutsch-Evern bei Lüneburg verhandelt?

Kai Uwe Hassel (Minister:in)

Politiker ID: 11000824

Herr Präsident, wegen des sachlichen Zusammenhangs darf ich anregen, daß die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Kreitmeyer gemeinsam beantwortet werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Einverstanden. Ich rufe also auch die Fragen VIII/2 und VIII/3 auf: Wie oft wurde über die Entseuchung des ehemaligen britischen Schießplatzes Deutsch-Evern bei Lüneburg verhandelt? Mit wem wurde seitens der Bundesregierung über die Entseuchung des ehemaligen britischen Schießplatzes Deutsch-Evern bei Lüneburg verhandelt? von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Bis zur Fertigstellung einer eigenen Standortschießanlage ist die Bundeswehr gezwungen, die von den britischen Streitkräften errichtete Schießstandanlage auf dem ehemaligen britischen Schießplatz Victory Hill zu benutzen. Der zu diesem Schießstand gehörige Sicherheitsbereich ist mit scharfer britischer Sprengmunition verseucht. Die Benutzung des Schießplatzes ist nur dadurch möglich, daß der Sicherheitsbereich durch den Landkreis Lüneburg zur Munitionsfundstelle erklärt und für Zivilpersonen gesperrt worden ist. Die etwa dreißig Eigentümer des zum Sicherheitsbereich erklärten Geländes verlangen eine Entschädigung für Wirtschaftserschwernisse. Sie fordern jedoch zuvor die Entmunitionierung des Geländes, ehe sie Vereinbarungen über eine zu zahlende Entschädigung abschließen wollen. Zur Klärung der Frage, wer die Kosten für diese Maßnahmen zu tragen hat, wurde seit Mitte 1961 mit dem Bundesfinanzministerium und der Verbindungsstelle der britischen Streitkräfte in Bonn verhandelt. Nach Auffassung des Herrn Bundesfinanzministers, des Herrn niedersächsischen Ministers des Innern und des Verteidigungsministers haben die britischen Streitkräfte die Entmunitionierung des ehemaligen britischen Schießplatzes auf eigene Kosten durchzuführen. Mit Schreiben vom 12. März 1963 erklärte sich das Hauptquartier der britischen Rheinarmee bereit, diese Kosten zu tragen. Damit sind nunmehr die Voraussetzungen für eine beschleunigte Regelung dieser Angelegenheit gegeben.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kreitmeyer!

Reinhold Kreitmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001210, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, darf ich fragen, bis wann sich die Regelung ergeben wird, nachdem sie sich immerhin zweieinhalb Jahre hingezogen hat, und ob es nicht möglich ist, daß der Bund schon vorausfinanziert, um damit die Besitzer schnell zu ihrem Recht zu bringen, so daß bei einem längeren Anhalten der Auseinandersetzungen die Angelegenheit noch zwischen dem Bund und den britischen Militärbehörden geregelt werden muß. von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Bis zur Entscheidung der Grundsatzfrage hat es etwa zweieinhalb Jahre gedauert. Sie ist entschieden, und ich gehe nunmehr davon aus, daß die Sache jetzt zügig abgewickelt wird.

Reinhold Kreitmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001210, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, bedeutet das „zügig": noch im Jahre 1963? von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Ich hoffe, daß es noch im Jahre 1963 sein wird.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe die Frage VIII/4 - des Herrn Abgeordneten Rauhaus - auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die englischen Stationierungsstreitkräfte zusätzlich zu den bereits seit Jahren benutzten Übungsgebieten im ausgesprochenen Erholungsumland der Großstadt Wuppertal weitere große Waldflächen ({0}) zu Übungs- und Manöverzwecken in Anspruch nehmen?

Kai Uwe Hassel (Minister:in)

Politiker ID: 11000824

Auch hier darf ich wegen des sachlichen Zusammenhangs bitten, Herr Präsident, daß alle drei Fragen des Herrn Abgeordneten Rauhaus - einschließlich der unter den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aufgeführten Frage VII/4 - zusammen behandelt werden dürfen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Einverstanden. Ich rufe also auch die weiteren Fragen des Abgeordneten Rauhaus unter VIII/5 und VII/4 auf: Kann man nicht bei allem Verständnis für die Trainingsmöglichkeiten der Stationierungsstreitkräfte vermeiden, daß unmittelbar in Großstadtnähe liegendes Erholungsgebiet beansprucht wird, um so mehr als durch die völlige Motorisierung der Truppe entfernter liegende Gebiete schnell erreicht werden können? Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Erholungsund Landschafts-Schutzgebieten in unmittelbarer Nähe von Großstädten ihrer Zweckbestimmung als Erholungsgebiet wieder zuzuführen? von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Zu 1. Der Bundesregierung ist bekannt, daß die britischen Stationierungsstreitkräfte den Staatsforst Marscheider Wald zu Übungszwecken in Anspruch nehmen. Die in Wuppertal stationierte britische Brigade benutzte für die Ausbildung ihrer Truppen zunächst gemeinsam mit der Bundeswehr den bundeseigenen Standortübungsplatz in WuppertalScharpenacken mit einer Größe von 253 ha. Nach Art. 19 des Vertrages über die Rechte und die Pflichten ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik sind die Stationierungsstreitkräfte aber auch berechtigt, nach vorheriger Benachrichtigung der zuständigen 'deutschen Stellen außerhalb der von den Stationierungsstreitkräften benutzten Anlagen zu üben. Auf die Vorstellung des Interministeriellen Ausschusses der Landesregierung in Düsseldorf und ebenso der Stadt Wuppertal erklärte sich die damalige britische Besatzungsmacht schon im Jahre 1953 bereit, für die Übungen der Garnison im Raum Wuppertal nur noch folgende Übungsgebiete zu benutzen: 1. ein Gelände von etwa 200 ha im Raum Wuppertal-Holthausen, 2. einen im Schnitt etwa 300 bis 500 m breiten Randstreifen rings um den Standortübungsplatz Scharpenacken und 3. den Marscheider Wald. Inzwischen steht das Inkrafttreten des NATO- Truppenstatuts bevor, nach dem das in der Bundesrepublik geltende Manöverrecht auch auf die ausländischen Stationierungsstreitkräfte anzuwenden ist. Der Innenminister des Landes NordrheinWestfalen hat deshalb die Regierungspräsidenten angewiesen, schon jetzt vonsorglich auf den Abschluß besonderer Übungsvereinbarungen mit den Stationierungsstreitkräften hinzuwirken. Zu diesem Zweck sind seit einigen Monaten Verhandlungen im Gange und werden nach der verständnisvollen Haltung der maßgebenden britischen Stellen eine wesentliche Einschränkung der bisherigen britischen Übungsrechte im Raum Wuppertal zum Ergebnis haben. Die in einigen Zeitungen veröffentlichte Behauptung, daß der Marscheider Wald zum Truppenübungsgebiet gemacht und für die Bevölkerung gesperrt werden solle, ist ebenso unzutreffend wie das Gerücht, daß auch die Bundeswehr dort bereits mehrfach geübt haben soll. Der baldige Abschluß einer Übungsvereinbarung mit den britischen Übungsstreitkräften ist zu begrüßen, weil darin Art und Umfang der Übungen durch Gebote und Auflagen erstmalig festgelegt werden können. So sind von britischer Seite bereits jetzt folgende Zusicherungen 'in Aussicht gestellt worden, die einen ungehinderten Besuch des Marscheider Waldes durch die Wuppertaler Bevölkerung ermöglichen sollen: 1. Das Gebiet um Wuppertal-Holthausen und die Randbezirke um den Truppenübungsplatz Scharpenacken werden künftig von Truppenübungen gänzlich verschont bleiben. 2. An Samstagen und Sonntagen sowie an gesetzlichen deutschen Feiertagen werden Übungen im Marscheider Wald nicht durchgeführt. 3. Die Stärke der übenden Truppen wird in der Regel nicht mehr als 30 Mann betragen und in Sonderfällen 100 Mann nicht überschreiten. 4. Die Truppe verzichtet auf das Biwakieren und beachtet das Rauchverbot im Walde bei Trockenperioden. 5. Sie wird Militärfahrzeuge zu gewissen Zeiten auf den Waldwegen nicht einsetzen, wenn dies nach dem Urteil der Staatlichen Revierförsterei Beyenburg voraussichtlich zu Wegeschäden führen würde. 6. Sie wird die Geschwindigkeit der Militärfahrzeuge im Übungsgebiet auf 30 Stundenkilometer begrenzen, damit Ausflügler nicht belästigt oder gefährdet werden. 7. Die Übungen bleiben beschränkt auf die britischen Truppenteile der Garnison Wuppertal. Andere Einheiten der britischen Streitkräfte dürfen Bundesminister von Hassel ohne besondere Absprache mit den deutschen Behörden im Marscheider Wald nicht üben. Die verantwortlichen deutschen Stellen haben sich nach Kräften bemüht, gegenüber den britischen Streitkräften die Interessen der Bürgerschaft zu vertreten und zu wahren. Eine völlige Freistellung des Marscheider Waldes von Übungen ist nur durch Zurverfügungstellung eines geeigneten Ersatzgeländes möglich. Zu 2. Schon im Interesse einer möglichst unbehinderten Ausbildung wird einer Truppe daran gelegen sein, in unmittelbarer Großstadtnähe liegende Erholungsgebiete der Bevölkerung bei Übungen auszusparen, sofern sich nur irgendwie ein anderes geeignetes Übungsgebiet finden läßt. Um wesentliche Zeitverluste beim An- und Abmarsch sowie insbesondere bei Kettenfahrzeugen stark ins Gewicht fallenden Materialverschleiß und die Beschädigung von Straßen zu vermeiden, soll ein Ausbildungsgelände jedoch stets in tragbarer Entfernung von der Garnison liegen. Als zumutbar gilt für motorisierte Truppen eine Entfernung bis zu 15 km. Den deutschen zivilen Behörden bleibt es zur Wahrung ziviler Interessen jeweils unbenommen, an Stelle eines in Anspruch genommenen Übungsgeländes ein geeignetes Ersatzgelände vorzuschlagen. Zu 3. Soweit sich die Anfrage auf den Marscheider Wald bezieht, bitte ich auf meine soeben gemachten Ausführungen Bezug nehmen zu dürfen; in anderen Fällen sieht die Bundesregierung nur die Möglichkeit, durch das Angebot geeigneten Ersatzgeländes zu der erstrebten Freistellung zu gelangen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rauhaus!

Hans Rauhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ist nicht daraus zu schließen, daß die Truppen bisher praktisch den Raum Holthausen und den Marscheider Wald nie benutzt haben, daß sie bisher auch mit dein zur Verfügung stehenden Übungsgelände ausgekommen sind, daß sie also eine Erweiterung auf das Doppelte gar nicht nötig haben und daß eine Großstadt, die immerhin 250 ha wertvollsten Stadtgebietes hergegeben hat, insoweit ja doch wohl ihre Pflicht erfüllt hat? von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Die Größe eines Übungsplatzes ist im allgemeinen festgelegt. Sie schwankt zwischen 250 und 300 ha. Ich glaube, Herr Abgeordneter, daß durch die Vereinbarung, die mit den Briten bereits getroffen worden ist, den Wünschen der Bevölkerung Wuppertals in einem sehr großen Umfang entsprochen worden ist.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Die Frage VIII/6 - der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus -: Ist es richtig, daß in Hechingen Gipser ihre bisherigen Arbeitsplätze aufgekündigt haben, weil ihnen für Bundeswehrbauten ein Monatsverdienst von 1500 DM zugesichert wurde?

Kai Uwe Hassel (Minister:in)

Politiker ID: 11000824

In Hechingen, Frau Abgeordnete, sind keine Bauvorhaben der Bundeswehr vorhanden. Daher konnten infolge der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit die bereits eingeleiteten Ermittlungen nicht abgeschlossen werden. Ich darf Sie, Frau Abgeordnete, deshalb bitten, damit einverstanden zu sein, daß Ihnen zu gegebener Zeit eine schriftliche Antwort zugeleitet wird. So viel kann allerdings schon jetzt gesagt werden, daß Dienststellen der Bundeswehr oder der Landesbauverwaltung mit der Aufkündigung der Arbeitsplätze in Hechingen nichts zu tun haben. Es kann sich allenfalls darum handeln, daß eine mit der Ausführung von Bundeswehrbauten in einem anderen Ort beauftragte private Baufirma Gipser aus Hechingen eingestellt hat. Im übrigen hat die Bundeswehr keinen Einfluß auf die Höhe der Löhne von Arbeitern, die bei Bundeswehrbauten beschäftigt sind.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus!

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, zu Ihrer Bemerkung, Sie hätten keinen Einfluß darauf: Ist nicht ein Einfluß der Bundeswehrverwaltung doch insofern möglich, als ja die hohen Akkordlöhne, die in meiner Anfrage genannt sind, im Angebot enthalten sind, und was gedenkt die Bundesverwaltung zu tun, um sicherzustellen, daß bei der Vergabe nicht weit über den sonstigen ortsüblichen Preisen liegende Zuschläge gemacht werden? von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Es ist eine Frage, Frau Abgeordnete, die nicht nur die Bundeswehr angeht, sondern alle öffentlichen Bauträger, daß im Wege des Ausschreibungsverfahrens die Angebote, die man bekommt, sorgfältig untersucht und verglichen werden und dann die bestmögliche Lösung für den Bauherren, in diesem Falle die Bundeswehr, durchgesetzt wird. Die Möglichkeit aber, im einzelnen auf den Lohn einzuwirken, hat der Bundesverteidigungsminister und haben seine Baubehörden nicht.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Frage?

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wollte nur sagen, daß ich mich mit einer schriftlichen Antwort begnüge. Ich werde gegebenenfalls im Anschluß daran noch einmal auf die Sache zurückkommen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe auf die Frage VIII/7 - des Abgeordneten Peiter -: Ist die Zeitungsmeldung zutreffend, daß Soldaten der Bundeswehr, die freiwillig beim Ausbau eines deutschen Soldatenfriedhofes in Italien geholfen hatten, für ihren Aufenthalt 100 DM zuzahlen mußten? Ist Herr Abgeordneter Peiter im Haus? - Nein; die Frage wird schriftlich beantwortet. Ich rufe auf die Frage VIII/8 - des Herrn Abgeordneten Wittrock -: Wann wird die Bundesregierung die nach § 13a Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes erforderliche Rechtsverordnung erlassen? Bitte, Herr Bundesverteidigungsminister! von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Die Bundesregierung hat die Verordnung über die für Dienstleistungen im zivilen Bevölkerungsschutz vorgesehenen Wehrpflichtigen nach § 13 a Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes am 4. März 1963 dem Bundesrat zugeleitet. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. April dieses Jahres beschlossen, der Verordnung nach Maßgabe einiger Änderungen zuzustimmen. Die Zustimmung des Kabinetts zu diesen Änderungsvorschlägen und Änderungswünschen des Bundesrates wird zur Zeit dm Umlaufverfahren herbeigeführt. Falls kein Widerspruch erhoben wird, kann mit der Verkündung der Verordnung im Laufe des Monats Mai gerechnet werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wittrock!

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wird auf eine größtmögliche Beschleunigung hingewirkt? In letzter Zeit sind auf Grund der Praxis der Kreiswehrersatzämter hinsichtlich der Freistellung von Angehörigen des Luftschutzhilfsdienstes Schwierigkeiten eingetreten, Schwierigkeiten, deren Auftreten übrigens in Widerspruch zu einem Erlaß des Bundesinnenministers vom 26. Juni 1962 steht. von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, ich kann nur betonen, daß jeder das Interesse daran hat, daß diese Verordnung so schnell wie möglich verabschiedet wird. Aber es braucht Zeit, zu den Punkten Stellung zu nehmen, die der Bundesrat einzufügen bittet.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich danke Ihnen, Herr Minister. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich rufe auf die Fragen X/1 und X/2 - der Abgeordneten Frau Blohm -: Ist dem Herrn Bundespostminister bekannt, daß besonders beim Hersteller von den Apotheken angeforderte Sendungen mit dringend benötigten Arzneimitteln, die in kleinen Mengen als Päckchen versandt werden, nachweislich eine Beförderungszeit häufig bis zu einer Woche benötigen? Ist der Herr Bundespostminister bereit, die zuständigen Stellen bzw. die Postämter anzuweisen, daß in Zukunft Päckchen, die den Aufdruck „Arzneimittel" tragen, bevorzugt befördert werden, um zu verhindern, daß eine baldige notwendige Heilbehandlung zum Schaden kranker Menschen u. U. zu spät erfolgt? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Steinmetz vom 18. April 1963 lautet: 1. Die Zahl der täglich anfallenden Päckchen ist so groß, daß die Päckchen im Fernverkehr aus beförderungstechnischen Gründen im allgemeinen über zentrale Bearbeitungsstellen geleitet und wie Pakete in Güterwagen der Deutschen Bundesbahn befördert werden müssen. Aus diesem Grunde benötigen Päckchen oft eine längere Beförderungszeit als Briefe. Ich habe jedoch angeordnet, daß die Päckchenbearbeitung ab 26. Mai 1963 ({0}) auf das neue Postleitzahlsystem umgestellt und gleichzeitig die Zahl der zentralen Bearbeitungsstellen vermehrt wird. Dadurch wird die Bearbeitung erleichtert und vor allem auch die Beförderung beschleunigt werden. 2. Sendungen mit Dringlichkeitsvermerken des Absenders können aus Gründen einer gleichmäßigen Behandlung aller Postkunden nicht bevorzugt behandelt und beschleunigt befördert werden. Das gilt auch für Sendungen mit dem Vermerk „Arzneimittel" im Verkehr zwischen Arzneimittelherstellern und Apotheken. Sendungen mit Arzneimitteln, die eilbedürftig sind, müssen daher entweder als Briefsendung ({1}) oder als Päckchen mit besonderem Eilzustellverlangen aufgegeben werden. Ich rufe auf die Frage X/3 - des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann -: Wie erklärt der Herr Bundespostminister die Tatsache, daß der von der Pressestelle der SPD im Bayerischen Landtag herausgegebene „Sozialdemokratische Pressedienst" bei der Zustellung an die Münchener Journalisten eine Postlaufzeit bis zu fünf Tagen benötigt? Ist Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann anwesend? - Nein; die Frage wird auch nicht übernommen, sie wird also schriftlich beantwortet. Ich rufe auf die Frage X/4 - der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus -; Welchen Sinn soll die Regelung bei Briefdrucksachen haben, daß, je nach Schreibweise, z. B. AGFA .als vier Wörter, Agfa bzw. agfa als ein Wort oder Frankfurt am Main bzw. FFM als drei Wörter, Ffm als ein Wort oder 12 DM 45 Pf als drei Wörter, 12,45 DM als zwei Wärter, 12,45* als null Wörter berechnet werden?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Minister:in)

Politiker ID: 11002281

Im Gegensatz zum Brief und zur Postkarte darf die gebührenbegünstigte Drucksache nur einen bestimmten Inhalt haben, der angesichts des postalischen Massenverkehrs leicht überprüfbar sein muß. Diese Prüfung ist bei ausschließlich gedrucktem Inhalt verhältnismäßig einfach, weil sich mit einem Blick übersehen läßt, auf welche Weise der Text hergestellt wurde. Jede Ausnahme von diesem Grundsatz erschwert die Prüfung. Die bisher geltenden Bestimmungen über die hand- oder maschinenschriftliche Nachtragung von Wörtern oder Buchstaben auf Drucksachen haben sich als zu kompliziert für eine Nachprüfung im Massenverkehr erwiesen; das gilt insbesondere für Nachtragungen, die aus Abkürzungen bestehen. Es mußte deshalb eine einfachere Regelung gefunden werden, die im Grundsatz nur darin bestehen kann, die Zulässigkeit von Nachtragungen von rein äußeren, leicht erkennbaren und deshalb leicht nachprüfbaren Merkmalen abhängig zu machen. Dabei muß in Kauf genommen werden, daß eine solche Regelung ihren Sinn lediglich durch betriebliche Erfordernisse erhält. Das ist auch bei den von Ihnen angeführten Beispielen der Fall. Die Regelung besteht hier darin, daß bei Wortkürzungen jeder Großbuchstabe allein oder mit nachfolgenden Kleinbuchstaben, jeder Kleinbuchstabe oder mehrere Kleinbuchstaben, soweit sie nicht durch ein Zeichen oder einen Abstand voneinander getrennt sind, als ein Wort zu rechnen sind und die Ziffern nicht zählen. Eine Nachprüfung, ob die Briefdrucksache deshalb den Vorschriften entspricht, ist hier leicht, schnell und zweifelsfrei durchzuführen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus!

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, glauben Sie, daß es der Bevölkerung verständlich ist, warum je nach Schreibweise AGFA, also vier große Buchstaben, als vier Wörter und agfa, also vier kleine Buchstaben, als ein Wort und warum 12,45 DM je nach Schreibweise bei 12 DM 45 Pf als drei Wörter, bei 12,45 DM als zwei Wörter und bei 12,45* als null Wörter berechnet werden, und sind Sie wirklich der Meinung, daß die jetzige Regelung einfacher ist?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Minister:in)

Politiker ID: 11002281

Frau Kollegin, ich habe soeben auf diese Frage genau geantwortet. Ich darf aber ergänzend sagen, daß wir eine ganz einfache übersichtliche Drucksachenordnung für die gedruckten Briefsachen haben; da ist die Regelung einfach und mit einem Blick übersehbar. Wir haben besonders den Wünschen der Wirtschaft entsprochen und haben noch eine Zwischenstufe zwischen der reinen Drucksache, die heute mit 10 Pf frankiert werden muß, und dem Brief, der mit 20 Pf frankiert werden muß, geschaffen, nämlich die sogenannte Briefdrucksache. Für diese Briefdrucksache ist die Ordnung so gefunden worden, daß man nicht durch Abzählen der einzelnen Buchstaben oder durch Gegenüberstellung des einen oder anderen Textes die Übereinstimmung mit den Vorschriften festzustellen braucht, sondern daß mit einem Blick erkennbar ist, ob es sich um ein Wort oder um mehrere Wörter handelt. Diese Regeln sind aufgestellt worden. Es tut mir außerordentlich leid, daß wir bei diesem Entgegenkommen natürlich auch gewisse Einschränkungen vorsehen mußten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Noch eine Zusatzfrage!

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wäre es aber nicht doch eine weitere Vereinfachung, wenn bei der Berechnung diese Unterscheidung zwischen Groß- und Kleinbuchstaben wegfiele?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Minister:in)

Politiker ID: 11002281

Das wäre keine weitere Erleichterung, denn dann müßte man ja die einzelnen Wörter mit den Kleinbuchstaben abzählen. Das wollten wir uns ersparen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel.

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundespostminister, darf ich fragen: Wie würden Sie danach die Abkürzung MdB berechnen? ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Minister:in)

Politiker ID: 11002281

Natürlich als „ein großes Wort".

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als ein großes Wort wie Bundestagsabgeordneter?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Minister:in)

Politiker ID: 11002281

Ja!

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich eine zweite Frage stellen: Ist dieses System patentfähig? ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Minister:in)

Politiker ID: 11002281

Nicht mehr, Herr Kollege Ritzel; das haben wir schon. ({0})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Wir kommen zu den Fragen .aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers. Ich rufe die Frage XI/1 - des Herrn Abgeordneten Hörmann - auf: Ist das Bundesschatzministerium bereit, die Gebäude der ehemaligen Kreispflegeanstalt an der Eschholzstraße in Freiburg ({0}) wieder an den Landkreis Freiburg zurückzugeben? Zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär das Wort.

Not found (Staatssekretär:in)

Das Deutsche Reich hat durch Kaufvertrag vom 4. November 1941 die frühere Kreispflegeanstalt in Freiburg vom Landkreis Freiburg für 670 000 RM erworben und dann zu einem Wehrmachtlazarett um- und ,ausgebaut. Die Lazarettanlage wurde im Jahre 1945 von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt. Von diesem Zeitpunkt ab und auch heute noch dient sie den französischen Stationierungsstreitkräften als Militärlazarett. Das Finanzministerium Baden-Wurtttemberg hat im August 1962 die Anerkennung ides Rückfallrechts des Landkreises Freiburg an der Liegenschaft nach § 5 des Reichsvermögen-Gesetzes vom 16. Mai 1961 beantragt. Dem Antrag konnte nicht entsprochen werden, weil die Liegenschaft dem Deutschen Reich im Jahre 1941 nicht unentgeltlich übereignet worden ist und weil sie auch heute noch für Zwecke der Verteidigung benötigt und benutzt wird. Danach sind die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Rückfallrecht deis Landkreises Freiburg nicht gegeben. Sollten die französischen Stationierungsstreitkräfte die Liegenschaft freigeben und die Bundeswehr sie dann nicht für eigene Zwecke beanspruchen, wäre das Bundesschatzministerium bereit, die Anlage dem Landkreis Freiburg käuflich zu Überlassen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hörmann.

Hans Hörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000929, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bei (dem damaligen Kaufpreis von 670 000 RM erheblich unter dem Mindestverkehrswert abgeschlossen wurde, der zu jener Zeit über 2 Millionen RM betrug?

Not found (Staatssekretär:in)

Das ist mir nicht bekannt.

Hans Hörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000929, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wären Sie bereit, das nachzuprüfen und vielleicht, wenn eine Rückgabe an den Landkreis nicht möglich ist, ihm durch entsprechende finanzielle Mittel beim Neubau einer Kreispflegeanstalt zu helfen?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich bin bereit, diese beiden Fragen zu prüfen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Frage XI/2 - des Herrn Abgeordneten Hörmann -: Ist dem Bundesschatzministerium bekannt, daß die Bettennot der Freiburger Medizinischen Universitätsklinik in wesentlichem Umfange gemildert werden könnte, wenn wenigstens zwei Pavillons der ehemaligen Kreispflegeanstalt ({0}) für die Aufnahme von pflegebedürftigen älteren Menschen hergerichtet werden könnten?

Not found (Staatssekretär:in)

Dem Bundesschatzministerium ist die Bettennot der Freiburger Medizinischen Universitätsklinik bekannt. Der Herr Bundesminister der Finanzen, der für die Deckung des Bedarfs der Stationierungsstreitkräfte an Liegenschaften zuständig ist, hat mich dahin unterrichtet, daß ihm nicht bekannt sei, ob die französischen Streitkräfte auf einen Teil der Anlage, die in den Jahren 1952 und 1958 erweitert worden ist, zur Zeit verzichten können. Ein Freigabeantrag des Landes Baden-Württemberg liege ihm nicht vor. Deshalb seien auch bisher mit den französischen Streitkräften Verhandlungen über eine Freigabe nicht eingeleitet worden. Der Herr Bundesminister der Finanzen wird aber nun in Verbindung mit dem Land Baden-Württemberg die Möglichkeiten einer wenigstens teilweisen Freigabe für die genannten Zwecke prüfen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hörmann.

Hans Hörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000929, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie bei dieser Gelegenheit bitte auch mit prüfen, ob nicht ein Teil der 35 Gebäude seit geraumer Zeit leersteht und unbenutzt ist?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich werde die Bitte um Prüfung an den Herrn Bundesfinanzminister weiterleiten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Frage XI/3 - des Herrn Abgeordneten Freiherr von Mühlen -: Aus welchen Gründen sind von den im Bundeshaushalt Einzelplan 24 Kap. 03 Tit. 712 für die Wiederherstellung des Reichstagsgebäudes in Berlin vorgesehenen Mittteln aus dem Jahre 1963 5 719 537,49 DM aufgelaufen und nicht verbaut worden?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich nehme an, daß sich die Frage auf die Mittel des Rechnungsjahres 1962 bezieht und nicht auf die des Rechnungsjahres 1963, das noch nicht läuft. Ich glaube, das ist ein Druckfehler. Zur Sache ist folgendes zu sagen. Im Rechnungsjahr 1962 standen für die Wiederherstellung des ehemaligen Reichstagsgebäudes in Berlin einschließlich eines Ausgaberestes aus dem Rechnungsjahr 1961 von rund 3,9 Millionen DM nach Abzug der gesperrten 20 % gemäß § 8 des Haushaltsgesetzes 1962 insgesamt rund 7,1 Millionen DM zur Verfügung. Von diesen Mitteln wurden rund 2,45 Millionen DM verausgabt und darüber hinaus bis zum Ende des Rechnungsjahres 1962 weitere 4,65 Millionen DM durch erteilte Aufträge gebunden. Die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel wurden damit voll in Anspruch genommen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr von Mühlen.

Klaus Mühlen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001538, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ist es Ihrem Ministerium möglich, bei der künftigen Planung der Wiederaufbauarbeiten des Reichstages in Berlin dafür Sorge zu tragen, daß die Arbeiten so angelegt werden, daß möglichst rasch für die in Berlin tagenden Bundestags-Ausschüsse in dem ehemaligen Reichstagsgebäude Räume zur Verfügung stehen und das etwas unwürdige Nomadendasein der Ausschüsse während ihrer Berliner Sitzungen möglichst bald beendet werden kann?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich denke so zu verfahren. Die Wiederaufbauarbeiten haben gezeigt, daß die Wiederherstellung mit Rücksicht auf den großen Zerstörungsgrad ungemein schwierige statische Probleme aufwirft. Es hat sich gezeigt, daß massive tragende Gebäudeteile zum Teil bis zu 60 cm ausgehöhlt sind. Das muß im einzelnen untersucht werden. Hohlräume müssen aufgefüllt werden. Alles dies trägt zu einer erheblichen Verzögerung bei. Es tritt hinzu, daß nun auch noch nicht ein vollständiges Raumprogramm, insbesondere hinsichtlich des Plenarsaals, vorliegt. Es wird aber mit allem Nachdruck vor allem an der Wiederherstellung des Südflügels gearbeitet, in dem ja Repräsentations- und Sitzungsräume für Ausschüsse erstellt werden sollen. Zur Zeit sind 200 Arbeiter tätig. Die Bauverwaltung wird alles daran setzen, daß noch im Laufe dieses Jahres bis zum Herbst die Arbeiten im Südflügel abgeschlossen sind.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Zusatzfrage, Herr von Mühlen.

Klaus Mühlen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001538, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kann man damit rechnen, daß bis zum Ende dieses Jahres zumindest die Ausschußräume in Gebrauch genommen werden können?

Not found (Staatssekretär:in)

Ja, ich rechne damit.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel.

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, fehlt es an Arbeitskräften, um diese Arbeiten am alten Wallotgebäude etwas rascher voranzutreiben?

Not found (Staatssekretär:in)

Es hat bisher nicht an Arbeitskräften gefehlt, Herr Abgeordneter.

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

An was hat es denn eigentlich gefehlt? Es hätte doch sehr viel rascher gehen können.

Not found (Staatssekretär:in)

Ich habe mir soeben erlaubt, auf die Gründe hinzuweisen, die zu den Verzögerungen geführt haben.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Frage XII/1 - des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner -: Welche Konsequenzen ergeben sich für das Bundesgesundheitsministerium aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Dezember 1962 über das Gesetz zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen vom 17. August 1960? Bitte, Frau Minister.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Oktober 1962, durch welches das Gesetz zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen für verfassungswidrig erklärt worden ist, ergeben sich für das Bundesministerium für Gesundheitswesen keine unmittelbaren Konsequenzen, weil die Verwaltung der Bundeswasserstraßen zum Geschäftsbereich des Bundesverkehrsministeriums gehört. Mittelbar hat der Wegfall dieses Gesetzes zur Folge, daß für die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft - soweit sie noch zur Bundeskompetenz gehört - das Bundesministerium für Gesundheitswesen federführend zuständig ist.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe auf die Frage XII/2 - des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner -: Welche Aufgaben verbleiben dem Bundesgesundheitsministerium auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Dezember 1962, nach welchem dem Bund nur die Befugnis zum Erlaß von Rahmenvorschriften für den Wasserhaushalt nach Artikel 75 Nr. 4 GG zusteht, während im übrigen die Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben und Befugnisse auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft bei den Ländern liegt? Bitte, Frau Ministerin.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Die Aufgaben des Bundesministeriums für Gesundheitswesen werden durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht berührt. Seine Zuständigkeit für die allgemeinen Fragen der Wasserwirtschaft und des Wasserrechts und die Federführung in der Vertretung dieser Fragen gegenüber anderen Staaten, internationalen Gemeinschaften, den Ländern sowie Fach- und Wirtschaftsverbänden stehen in keinem Zusammenhang mit dean für nichtig erklärten Gesetz zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen, und sie werden auch von den Grüniden dieses Urteils nicht betroffen. Das gleiche gilt für die sonstigen dem Bundesministerium für Gesundheitswesen obliegenden Aufgaben, insbesondere auf dem Gebiet der Notstandsgesetzgebung und der zivilen Notstandsplanung.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe auf die Frage XII/3 - des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner -: Trifft es zu, daß das Bundesgesundheitsministerium in die Zuständigkeit der Länder eingreift, indem es bei der Förderung von Abwasseranlagen mit ERP-Krediten die zu fördernden Einzelobjekte selbst auswählt? Bitte, Frau Ministerin.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Im Einvernehmen mit dem für die Verwaltung des ERP-Sondervermögens zuständigen Herrn Bundesschatzminister muß ich die Frage verneinen. Im Rahmen des Gewässerschutzprogramms im ERP-Sondervermögen werden die mit ERP-Krediten zu fördernden Einzelprojekte von den für die Wasserwirtschaft zuständigen obersten Landesbehörden vorgeschlagen. Die obersten Landesbehörden sind gebeten worden, die Anträge in der Reihenfolge ihrer Dringlichkeit vorzulegen, damit auch insoweit die Wünsche der Länder bei der Auswahl der Projekte berücksichtigt werden können.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.

Dr. Franz Gleissner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000689, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bundesministerin, ist es richtig, daß sich die Länder dem Verteilungsverfahren für diese ERP-Mittel widersetzt haben und zum Teil noch widersetzen? Ich darf vielleicht eine zweite Zusatzfrage hinzufügen: Warum kann der Wunsch der Länder nicht erfüllt werden, die ERP-Mittel in Länderkontingente aufzuteilen? Denn die im Rahmen dieser Kontingente zu fördernden Einzelprojekte könnten doch von den Ländern nach Einplanung dem Bundesministerium für Gesundheitswesen entsprechend bekanntgegeben werden.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Ich glaube, daß sich die Länder dem nicht widersetzen; davon ist mir jedenfalls nichts bekannt. Wir berücksichtigen die Vorschläge der Länder, und da es ERP-Mittel sind, über die der Bund verfügt, lassen sich die Dinge wohl kaum anders regeln, als daß der Bund die endgültige Entscheidung trifft. Ohne einen engen Kontakt mit den Ländern wird in dieser Sache nie verfahren.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe auf die Frage XII/4 - des Herrn Abgeordneten Börner -: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die von Italien nach Süddeutschland geplante Ölleitung auf mehrere Kilometer Länge durch den Bodensee verlegt werden soll? Bitte, Frau Ministerin.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Der Bundesregierung ist die Frage, die Sie stellen, durch Pressemitteilungen bekanntgeworden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börner.

Holger Börner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000225, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, sind Sie nicht der Meinung, daß dieses Projekt einer ernsthaften Prüfung bedarf im Hinblick auf die Gefahr der Verseuchung großer Trinkwasservorräte, die es mit sich bringt, und meinen Sie nicht auch, daß deshalb die Bundesregierung, wenn sie gesetzliche oder andere Möglichkeiten hat, gegen diesen Plan einschreiten müßte?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß es sich um eine Frage handelt, die ernstlicher Prüfung bedarf.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Börner, noch eine Zusatzfrage.

Holger Börner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000225, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Welche konkreten Maßnahmen hat Ihr Haus oder eine andere Dienststelle der Bundesregierung bisher getroffen, um eine etwaige Verseuchung zu verhindern?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Entsprechend der Verteilung ,der Zuständigkeiten handelt es sich hier zunächst um Aufgaben der Länder Baden-Württemberg und Bayern. Die Strecke, die von Ihnen für besonders bedenklich gehalten wird, liegt nicht auf deutschem, sondern auf österreichischem Gebiet.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Dr. Schäfer, eine Zusatzfrage.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, nachdem der Bundesregierung das Projekt bekanntgeworden ist, wie Sie zunächst sagten, und nachdem auch Sie der Meinung sind, daß man die Frage prüfen muß, muß ich Sie nun ganz konkret fragen: Was haben Sie getan? Jetzt verweisen Sie auf die Länderzuständigkeit, sagen aber gleichzeitig, es ist gar nicht in der Länderzuständigkeit, sondern es ist in der Zuständigkeit des Auslandes. Es handelt sich immerhin um das größte Wasserreservoir ganz Süddeutschlands!

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Ich bin an die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern gebunden, wie sie von dem Grundgesetz geordnet ist. Da haben zunächst einmal die Länder ihre Interessen auf diesem Gebiet in bezug auf den Bodensee, der nicht Bundeswasserstraße ist, zu wahren, und das tun sie auch. Sobald die Länder Baden-Württemberg und Bayern es wünschen, sind wir vom Bund aus selbstverständlich bereit, ihre Bemühungen zu unterstützen, bei der Sicherung der Wasserversorgung mit Rücksicht auf den Bau der Ölleitung auf österreichischem Gebiet mit einzuwirken.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Heißt das also, daß Sie vorläufig keine Tätigkeit entfalten werden?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Wir haben die Frage in der Internationalen Kommission zur Sprache gebracht, und die Länder wissen, daß wir bereit sind, uns hier mit zu engagieren und mit einzusetzen. Das gilt auch für das Land, aus dem Sie kommen, Herr Kollege. Wir sind aber zunächst einmal daran gebunden, den Wunsch der Länder in dieser Frage abzuwarten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Matthöfer.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, verstehe ich Sie richtig, daß Sie bisher in dieser Angelegenheit noch nichts unternommen haben und auch nichts zu unternehmen gedenken, bis die Länder an Sie herantreten?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe gesagt, daß wir bereit sind, daß wir die Sache von uns aus bei der Kommission zur Sprache gebracht haben und daß wir mit den Ländern in der Angelegenheit in Verbindung stehen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe auf die Frage XII/5 - des Abgeordneten Börner -: Wieviel Gemeinden entnehmen z. Z. für die Trinkwasserversorgung Wasser aus dem Bodensee? Bitte, Frau Ministerin!

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Auf deutscher Seite bestehen zehn, auf schweizerischer Seite zwölf Gemeindewasserwerke, auf österreichischer Seite, soweit mir bekannt ist, keines. Außerdem besteht auf deutscher Seite die Bodensee-Fernwasserversorgung, die von. Sipplingen aus Bodenseewasser bis in den Stuttgarter Raum hinein und nach Heilbronn pumpt. Mehr als 25 Städte und Gemeinden sind daran angeschlossen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Börner.

Holger Börner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000225, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, wie viele Menschen würden bei einer eventuellen Verseuchung des Bodensees durch einsickernde Ölrückstände dieser Leitung von der Verschmutzung ihres Trinkwassers betroffen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Herr Kollege, die Einwohnerzahlen der betreffenden Gemeinden, die ich Ihnen hier aufzählen kann, habe ich allerdings noch nicht addiert. Ich kann Ihnen die Gemeinden nennen - und daraus ergibt sich, daß es eine sehr große Zahl von Menschen ist -: Lindau, Friedrichshafen, Immenstadt, Hagenau, Meersburg, Ueberlingen, Ludwigshafen, Konstanz usw. Die Zahl der Menschen will ich Ihnen gerne schriftlich mitteilen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Börner.

Holger Börner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000225, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, wenn ich aus Ihren bisherigen Antworten zu diesem Komplex folgern darf, daß Sie sich der Bedeutung dieser Frage für die Gesunderhaltung des Trinkwassers im südwestdeutschen und süddeutschen Raum bewußt sind, darf ich an dieser Stelle die Frage aufwerfen, ob die bestehenden internationalen Konventionen, die die Bundesregierung mit den Bodensee-Anliegerstaaten abgeschlossen hat, nicht die Handhabe geben oder sogar die Verpflichtung auferlegen, bei einer Gefährdung des Trinkwassers für diesen großen Bevölkerungskreis unverzüglich, und zwar ohne Rücksicht auf ein eventuelles Initiativrecht des betroffenen Landes, tätig zu werden?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Ich bin der Meinung, Herr Kollege, daß wir diese Möglichkeit nicht haben, sondern rechtlich gebunden sind, mit Rücksicht auf die Kompetenzen der Länder in einem Zusammenwirken mit den Ländern zu handeln, wie wir es auch tun.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, neben der Öldurchleitung gibt die Verseuchung des Bodensees durch die Abwasserzuleitung zu Sorgen Anlaß. Sind die internationalen Abkommen mit den Anrainerstaaten so gestaltet, daß für die Zukunft die Zuleitung der Abwässer, insbesondere der Industrieabwässer, geregelt ist?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Über diese Fragen wird ständig verhandelt. Wir hoffen, daß wir mit der Zeit hier mehr und mehr Schutz gewinnen. Im Laufe der letzten Jahre hat sich schon vieles gebessert.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Frage, Herr Dr. Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Ihnen die wissenschaftlichen Gutachten bekannt, die von der laufenden Verseuchung sprechen, und was hat das Bundesgesundheitsamt hierzu veranlaßt?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Die wissenschaftlichen Gutachten sind uns bekannt. Wir stehen in ständigen Verhandlungen. Wir geben auch erhebliche Mittel für die Errichtung von Kläranlagen, und zwar von biologischen Kläranlagen, gerade an Gemeinden in diesem Raum. Ich nenne hier Lindau und Singen. In Vorbereitung sind Kläranlagen in Radolfszell, Konstanz und Friedrichshafen. Das sind Unternehmungen, die alle mit unserer Hilfe und in Fühlungnahme mit uns vor sich gehen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Frage XII/6 - des Herrn Abgeordneten Börner -: Hat die Bundesregierung die Absicht, im Hinblick auf die Bedeutung des Bodensees als Trinkwasserreservoir für Süddeutschland den Bau einer Ölleitung durch den Bodensee oder an dessen Ufer zu verhindern?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Diese Frage ist durch die bisher gegebenen Antworten auf Zusatzfragen zum Teil schon erledigt. Ich bin aber gern bereit, noch einmal im Zusammenhang auf diese Frage zu antworten. Wir haben nach der verfassungsrechtlichen Situation keine Möglichkeit, von uns aus den Bau der Ölleitung, die im österreichischen Hoheitsgebiet streckenweise am Ufer des Bodensees entlangläuft, zu verhindern. Die Reinhaltung des Bodensees ist Sache der Anliegerstaaten, der Schweiz und Österreich, und in der Bundesrepublik der Anliegerländer, Bayern und Baden-Württemberg. Diese haben zur Erreichung dieses Ziels, gestützt auf Art. 32 Abs. 3 des Grundgesetzes, mit Zustimmung der Bundesregierung mit den Anliegerstaaten, der Schweiz und Österreich, ein Übereinkommen über den Schutz des Bodensees gegen Verunreinigung getroffen und die internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee ins Leben gerufen. Innerhalb dieser Kommission sind wir auch immer wieder mit diesen Fragen befaßt. Wir wären selbstverständlich bereit, wenn die Länder Baden-Württemberg und Bayern es wünschen, sie in ihren Bemühungen zu unterstützen, ein Höchstmaß von Sicherheit beim Bau und Betrieb der Ölleitung auf dem österreichischen Gebiet zu erreichen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Börner.

Holger Börner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000225, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, welche internationale Gruppe betreibt den Bau dieser Ölleitung, und ist es richtig, daß die gleiche Gruppe auch versucht hat, im Raum Lindau auf deutschem Hoheitsgebiet die Leitung am Ufer des Bodensees vorbei zu legen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Der Name der internationalen Gruppe, die dies betreibt, ist in unserem Hause nicht bekannt. Ich will aber gern versuchen, Ihre Frage schriftlich zu beantworten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Frage, Abgeordneter Börner.

Holger Börner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000225, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich darauf hinweisen, Herr Präsident, daß der zweite Teil meiner Frage noch nicht beantwortet ist: ob auch auf deutscher Seite der Versuch gemacht worden ist, Bodensee-Ufergelände für den Bau dieser Ölleitung zu gewinnen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Ich habe Ihre Frage akustisch nicht verstanden.

Holger Börner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000225, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe gefragt, ob von der Gruppe, die die Ölleitung baut, der Versuch gemacht worden ist, auch auf deutschem Hoheitsgebiet die Leitung an das Ufer des Bodensees oder durch den See zu verlegen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Davon ist mir nichts bekannt. Bis jetzt liegt jedenfalls an dem deutschen Bodensee-Ufer keine Leitung. Es ist mir nichts davon bekannt, daß eine gelegt werden soll.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Sie haben noch eine Frage, Abgeordneter Börner. Bitte sehr.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, würden Sie, nachdem Sie jetzt Ihre Absichten in dieser Frage ausreichend dargelegt haben, mit mir darin übereinstimmen, daß zumindest, soweit die Bundesregierung oder ein deutsches Bundesland beteiligt ist, versucht werden muß, die Leitungen auf deutschem Hoheitsgebiet möglichst weit weg von dem Ufer des Bodensees und damit weit weg von einer möglichen Trinkwassergefährdung zu verlegen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Ich würde darauf hinwirken, daß sie möglichst weit weg von dem Bodensee-Trinkwassergebiet und mit allen erdenklichen Sicherungen gegen eine Verschmutzung von Trinkwasser gelegt werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Frage XII/7 - des Herrn Abgeordneten Dr. Hamm -: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Kariesbefall bel Kleinkindern und Jugendlichen in bedrohlichem Maße zugenommen hat und Zahnstellungs- und Kieferanomalien im Kindesalter angestiegen sind?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Herr Kollege Hamm, die erste Frage wird mit Ja beantwortet.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage. Frage XII/8 - des Herrn Abgeordneten Dr. Hamm -: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß wegen der bedrohlichen Zunahme des Kariesbefalls bei Kleinkindern und Jugendlichen eine unverzügliche gesetzliche Regelung der Jugendzahnpflege erforderlich ist?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Jugendzahnpflege in den Ländern unterschiedlich gehandhabt wird; sie teilt daher auch aus diesem Grunde die Auffassung, daß die Jugendzahnpflege einer einheitlichen Regelung durch ein Bundesgesetz bedarf.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hamm.

Dr. Ludwig Hamm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000792, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, sind Sie nicht der Auffassung, daß das sogenannte Schulzahnpflegewesen durch die Jugendzahnpflege ergänzt werden muß, weil sich beides nicht deckt?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Ja, der Meinung bin auch ich. Ich habe auch in meiner Antwort von Jugendzahnpflege gesprochen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Frage XII/9 - des Herrn Abgeordneten Dr. Hamm -: Wird die Bundesregierung dem Bundestag unverzüglich den Entwurf eines Gesetzes über Jugendzahnpflege vorlegen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Die Bundesregierung plant, die Jugendzahnpflege im Rahmen eines Gesetzes zu regeln, das alle vordringlichen Maßnahmen einer vorbeugenden und nachgehenden Gesundheitshilfe zum Inhalt hat. Sie ist aber auch bereit, die Möglichkeit zu prüfen, ob dieser Komplex nicht durch ein Sondergesetz vorweggenommen werden soll, sofern sich die Vorarbeiten an dem gesamten Gesetzentwurf in die Länge ziehen sollten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage? - Herr Dr. Hamm.

Dr. Ludwig Hamm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000792, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wann kann mit einer Realisierung dieser Pläne der Bundesregierung gerechnet werden, Frau Ministerin?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Ich habe die Absicht, noch in diesem Jahre den Entwurf eines solchen Gesetzes einzubringen. Herr Kollege, Sie kennen die Schwierigkeiten, die mit dem Neuaufbau eines Hauses und mit dem Mangel an Mitarbeitern gerade in diesem Referat verbunden sind.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Frage. Herr Dr. Hamm!

Dr. Ludwig Hamm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000792, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, habe ich Sie richtig dahin verstanden, daß die Planung eines Gesamtgesetzentwurfs, der also über das Problem der Jugendzahnpflege hinausgeht, kein Hindernis dafür sein dürfte, daß die Jugendzahnpflegeregelung, wenn sie vorlagereif ist, allein vorgelegt wird, also als ein Schritt auf dem Wege zur Verwirklichung der Gesamtabsicht?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Genau das habe ich gesagt.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe auf die Frage XII/10 - des Abgeordneten Faller -: Wieviel Fälle von Typhus hat es im Bundesgebiet im Anschluß an die Zermatter Erkrankungen gegeben? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt vom 5. April 1963 lautet: Nach Mittteilung der für das Gesundheitswesen zuständigen obersten Landesbehörden beträgt die Zahl der in der Bundesrepublik im Anschluß an einen Aufenthalt in Zermatt aufgetretenen Typhus-Erkrankungen 21. Vizepräsident Dr. Dehler Ich rufe auf die Frage XII/11 - des Abgeordneten Faller -: Werden ausländische Gastarbeiter, die aus dauernd typhusverdächtigen Gebieten stammen, vor der Arbeitsaufnahme in gastgewerblichen oder Nahrungsmittel-Betrieben auf Typhusbakterien oder andere Ansteckungskrankheiten untersucht? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt vom 5. April 1963 lautet: Nach § 17 des Bundes-Seuchengesetzes vom 18. Juli 1961 dürfen Personen, die 1. an Typhus abdominalis, Paratyphus A und B, Enteritis infectiosa ({0}), Ruhr, Hepatitis infectiosa oder Scharlach erkrankt oder dessen verdächtig sind, 2. an ansteckungsfähiger Tuberkulose oder an ansteckenden Hautkrankheiten erkrankt sind, 3. Erreger von Typhus abdominalis, Paratyphus A und B, Enteritis infectiosa ({1}) oder Ruhr dauernd oder zeitweilig ausscheiden oder dessen verdächtig sind, u. a. in gastgewerblichen Betrieben oder in den Zweigen des Lebensmittelgewerbes, in denen eine Weiterverbreitung von Infektionskrankheiten besonders zu befürchten ist, nicht beschäftigt werden. § 18 dos Bundes-Seuchengesetzes schreibt vor, daß Personen, die eine solche Tätigkeit aufnehmen wollen, sich einer ärztlichen Untersuchung auf die genannten Krankheiten unterziehen müssen. Dies gilt auch für Ausländer. Ich rufe auf die Frage XII/12 - des Abgeordneten Faller -: Ist dem Bundesgesundheitsministerium bekannt, daß das Gebiet von Lecce ({2}) als besonders typhusbedroht gilt, und sind aus jenem Raum in jüngster Zeit Arbeitskräfte in die Bundesrepublik gekommen? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt vom 5. April 1963 lautet: Dem Bundesministerium für Gesundheitswesen ist bekannt, daß in Süditalien Typhuserkrankungen verhältnismäßig häufig auftreten. Die vorliegenden Unterlagen lassen jedoch nicht erkennen, daß die Zahl der Typhuserkrankungen in der Provinz Lecce besonders hoch ist. Nach den von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung getroffenen Feststellungen sind im Jahre 1962 über die Deutsche Kommission in Italien 3748 Personen aus dem Arbeitsamtsbezirk Lecce vermittelt worden. Etwa eine gleich große Zahl dürfte im Jahre 1962 aus diesem Bezirk ungelenkt, d. h. ohne Vermittlung durch die Deutsche Kommission, in die Bundesrepublik gekommen sein. Für das Jahr 1963 stehen der Bundesanstalt noch keine Zahlen zur Verfügung. Es ist jedoch anzunehmen, daß auch im Jahre 1963 aus dem Bezirk Lecce laufend Arbeitskräfte vermittelt werden. Ich rufe auf die Frage XII/13 - des Abgeordneten Hörmann ({3}) -: Wer ist nach dem geltenden deutschen oder internationalen Recht für die Schäden haftbar zu machen, die den deutschen Typhuskranken entstanden sind, nachdem sie sich in Zermatt angesteckt haben? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt vom 5. April 1963 lautet: Die Beurteilung der Frage der Schadenshaftung setzt die Kenntnis der Umstände voraus, die die Typhusansteckung jeweils ursächlich bewirkt haben. Hinsichtlich der Umstände, die die Ansteckungen in Zermatt herbeigeführt haben können, haben die Ermittlungen bisher kein eindeutiges Bild ergeben. Die zuständigen schweizer Behörden prüfen zur Zeit noch, welche Ursachen als Ansteckungsquelle in Betracht kommen. Solange die Ermittlungen ein bestimmtes Ergebnis nicht erbracht haben, läßt sich nicht beurteilen, welche Stelle für die eingetretenen Schäden einzustehen hat. Ich rufe auf die Frage XII/14 - des Herrn Abgeordneten Bauknecht -: Entsprechen die Pressemeldungen den Tatsachen, wonach im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung am 19. November 1962 bei einer Gefrierhühnchensendung aus USA von 32 untersuchten Proben 17 mit Salmonellen befallen waren? Bitte, Frau Ministerin.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung wurde dem Staatlichen Veterinäruntersuchungsamt Bremen am 19. November 1962 ein Gefrierhühnchen amerikanischer Herkunft zur Untersuchung eingeliefert, bei dem Salmonellen nachgewiesen wurden. Verfolgsuntersuchungen erbrachten in der befallenen Sendung bei 17 von 32 untersuchten Tieren den Nachweis von Salmonellen. Salmonellenfunde bei anderen Sendungen gleicher Herkunft sind bisher nicht bekanntgeworden, so daß zu Rückschlüssen auf die Importe insgesamt gesundheitspolitisch kein Anlaß besteht. Wir werden aber von uns aus alles uns Mögliche dazu tun, daß Importgeflügel wie bisher einer gleich sorgfältigen Prüfung unterworfen wird wie im Inland erzeugtes Geflügel.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bauknecht.

Bernhard Bauknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, stimmt es, daß bisher eine obligatorische Importkontrolle nicht stattgefunden hat und es dadurch möglich war, daß zwei Schiffsladungen bereits an den Handel im Bundesgebiet abgegangen waren und dann die ganzen Ladungen wieder zurückgezogen werden mußten?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Herr Kollege Bauknecht, es wird bei der Einfuhr, also an der Grenze, durch die Lebensmittelüberwachung des betreffenden Landes untersucht, aber nur stichprobenweise, und es ist selbstverständlich möglich, daß bei dieser Stichprobenuntersuchung Fälle nicht entdeckt werden, sondern erst im Lande beim Vertrieb festgestellt werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bauknecht!

Bernhard Bauknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gibt dieser Fall nicht Veranlassung, bei den Ländern dahin zu wirken, daß in jedem Fall laufend Kontrollen stattfinden, um die Bevölkerung zu schützen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Unsere Absicht ist, die Länder auf die Notwendigkeit hinzuweisen, und ich bin überzeugt, daß die Länder die Nachprüfungen verstärken werden, um zu gewährleisten, daß Importgeflügel der gleichen Überwachung und Sicherung unterliegt wie einheimisches Geflügel.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bewerunge!

Karl Bewerunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, trifft es zu, daß die vom Staatlichen Veterinäruntersuchungsamt Bremen als infiziert festgestellten Brathühner auf der Verpackung den Stempel trugen: „Durch das US-Landwirtschaftsministerium auf Gesundheit überprüft"?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Das kann ich nicht sagen, will es aber gern feststellen. - Ich höre soeben, Herr Kollege, daß es zutrifft.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Zusatzfrage!

Dr. Carl Reinhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, trifft es zu, daß amerikanische Wissenschaftler bereits vor Jahren eine starke Verbreitung von Salmonelleninfektionen in den amerikanischen Geflügelbeständen festgestellt haben, und ist es richtig, daß fast 30 % aller Lebensmittelvergiftungen in den Vereinigten Staaten, wie der Leiter des Staatlichen Veterinäruntersuchungsamtes Bremen, Dr. Rakow, in dem auch von Ihnen erwähnten Artikel im „Archiv für Lebensmittelhygiene" angibt, auf den Genuß von Geflügelfleisch amerikanischer Erzeugung zurückzuführen sind?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Herr Kollege, diese Angaben kann ich aus dem Handgelenk nicht bestätigen. Ich weiß nur, daß die Frage des Salmonellenbefalls von Geflügel eine Frage von ganz großer internationaler Bedeutung ist, die auch in den internationalen Gremien von allen Ländern immer wieder aufgeworfen wird.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Frage von Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard!

Dr. Carl Reinhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Trifft es zu, Frau Ministerin, daß der durch das Veterinäruntersuchungsamt Bremen festgestellte Salmonellentyp, der zur gleichen Gruppe von Bakterien wie die Erreger von Typhus und Paratyphus gehört, bei Menschen Magen- und Darmentzündungen hervorruft, die in schweren Fällen tödlich enden können, und ist es richtig, daß die Giftwirkung dieser Erreger weder durch den Tiefkühlprozeß noch durch starkes Erhitzen vermindert werden kann? ({0})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Darf ich um etwas Ruhe bitten. - Ich glaube, Herr Abgeordneter Dr. Reinhard, Sie überspannen ein wenig den Rahmen der Fragestunde.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Ich bin bereit, darauf zu antworten. - Alle Salmonellen sind gesundheitsschädlich und gefährlich. Ich sagte Ihnen ja, daß dies ein sehr schweres Problem ist, das viele Länder betrifft. Es ist auch richtig, daß die Salmonellen durch Einfrieren nicht abzutöten sind, allerdings durch Erhitzen. Gekochtes Geflügel enthält keine ansteckungsfähigen Salmonellen mehr.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Dr. Dresbach zu einer Zusatzfrage!

Dr. Dr. h. c. August Dresbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000419, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich einmal die Frage an die Frau Ministerin richten, was das nun eigentlich für Biester sind? ({0}) Ich fühle mich als Bundestagsabgeordneter einfachen Grades nicht verpflichtet, veterinärpolizeiliche Kenntnisse zu haben. ({1}) Ist das vielleicht etwas Ähnliches wie Trichinen?

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

An sich hat die Frau Ministerin Ihre Frage schon beantwortet, Herr Abgeordneter Dresbach.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Ich bin bereit, zu antworten, daß es sich um Bakterien handelt, die typhus- oder paratyphusähnliche Erkrankungen hervorrufen, die also durchaus unangenehm sind.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Schmidt ({0}) zu einer Zusatzfrage!

Dr. R. Martin Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002014, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, wann haben Sie zum erstenmal von den Untersuchungsergebnissen erfahren?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Von den Untersuchungsergebnissen in Bremen? - Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Wir kommen zur Frage XII/15 -des Herrn Abgeordneten Bauknecht -: Ist der Frau Bundesgesundheitsministerin bekannt, daß aufgrund von Länderverordnungen die von der deutschen Geflügelwirtschaft verwendeten Futtermittel frei von Salmonellen sein müssen? Bitte, Frau Ministerin.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Auf Grund von Länderverordnungen dürfen Futtermittel tierischer Herkunft nur eingeführt werden, wenn eine Bescheinigung vorgelegt wird, daß die Ware bei oder nach der Herstellung einem Erhitzungsverfahren unterworfen worden ist und daß bei der Untersuchung von Stichproben Salmonellen nicht nachgewiesen werden konnten. Auch im Inland sind Futtermittel tierischer Herkunft bei der gewerblichen Herstellung einem Behandlungsverfahren zu unterwerfen, durch das Tierseuchenerreger abgetötet werden. Gleichartige Vorschriften für Futtermittel pflanzlicher Herkunft, die ebenfalls mit Salmonellen behaftet sein können, oder für die im landwirtschaftlichen Betrieb verwendeten, d. h. also verfütterten Futtermittel bestehen meines Wissens nicht.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Zusatzfrage? - Herr Abgeordneter Bauknecht!

Bernhard Bauknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Glauben Sie nicht, daß es, wenn schon solche scharfen Vorschriften für die Futtermittel vorhanden sind, um so notwendiger ist, bei den direkten Lebensmitteln dafür zu sorgen, daß nichts passiert?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Herr Kollege Bauknecht, ich bin durchaus dieser Meinung.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe auf die Frage XII/16 - des Herrn Abgeordneten Bauknecht -: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die deutsche Bevölkerung vor Schädigung durch Salmonellen durch Hühnerimporte aus den USA zu schützen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Minister:in)

Politiker ID: 11002129

Die Feststellungen, die in Bremen getroffen worden sind, haben uns Anlaß gegeben, Schlachtgeflügel der verschiedensten Herkunft bakteriologisch untersuchen zu lassen. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang noch einmal betonen, daß die von Geflügel ausgehenden Salmonellosen nicht allein ein Problem des einen oder anderen Exportlandes sind, sondern wegen der weiten Verbreitung der Erreger die Gesundheitsbehörden aller Länder vor eine sehr schwierige Aufgabe stellen. In meinem Hause laufen zur Zeit die Vorarbeiten für ein Geflügelhygienegesetz, das unter anderem Vorschriften für die Untersuchung von Schlachtgeflügel vor und nach der Schlachtung enthalten wird. Bei der Einfuhr von Geflügelfleisch wird von dem Grundsatz gleicher Voraussetzungen für in- und ausländisches Geflügel in jedem Fall unbedingt auszugehen sein. Die Regelungen zur Verhütung von Salmonellosen werden dabei besondere Bedeutung haben.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich danke Ihnen, Frau Ministerin. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Eine Mitteilung zu Punkt 20 der Tagesordnung: Die Bundesregierung hat unter dem 24. April 1963 dem Herrn Präsidenten des Bundestages mitgeteilt, daß sie beschlossen habe, die Vierundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({0}) zurückzuziehen; ihr Schreiben ist als Drucksache IV/1200 verteilt. Demnach muß Punkt 20 von der Tagesordnung abgesetzt werden. Weiterhin ist eine interfraktionelle Vereinbarung zustande gekommen, daß die heutige Tagesordnung erweitert wird, um die Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die Zweiundsechzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({1}) ({2}). Ich stelle die Zustimmung des Hauses dazu fest. Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten Urban. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine Ergänzung des Berichts wird nicht gewünscht, auch keine Aussprache. Der Antrag des Ausschusses lautet: Der Bundestag wolle beschließen, der Verordnung unverändert zuzustimmen. Wer diesem Antrag zustimmt, gebe bitte Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 19 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Gemeinsamen Erklärung und zu dem Vertrag vom 22. Januar 1963 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit ({3}). Zur Begründung hat das Wort der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ihnen liegt mit der Bitte um Zustimmung ein Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit und eine Erklärung zu diesem Vertrag vor, die der Präsident der Französischen Republik, Herr de Gaulle, für Frankreich und ich für die Bundesrepublik Deutschland am Tage der Unterzeichnung des Vertrages durch uns beide, am 22. Januar dieses Jahres, abgegeben haben. Diese Gemeinsame Erklärung gibt den Sinn und den Zweck des Vertrages in wenigen Sätzen sehr klar wieder. Ich möchte diese Erklärung verlesen, weil ihre Kenntnis zur Beurteilung des Vertrages notwendig ist. Die Erklärung lautet: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Konrad Adenauer, und der Präsident der Französischen Republik, General de Gaulle, haben sich - zum Abschluß der Konferenz vom 21. und 22. Januar 1963 in Paris, an der auf deutscher Seite Bundesminister des Auswärtigen, der Bundesminister der Verteidigung und der Bundesminister für Familien- und Jugendfragen; auf französischer Seite der Premierminister, der Außenminister, der Armeeminister und der Erziehungsminister teilgenommen haben, - in der Überzeugung, daß die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem französischen Volk, die eine Jahrhunderte alte Rivalität beendet, ein geschichtliches Ereignis darstellt, das das Verhältnis der beiden Völker zueinander von Grund auf neugestaltet, - in idem Bewußtsein, daß eine enge Solidaritat die beiden Völker sowohl hinsichtlich ihrer Sicherheit als auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung miteinander verbindet, - angesichts der Tatsache, daß insbesondere die Jugend sich dieser Solidarität bewußt geworden ist, und daß ihr eine entscheidende Rolle bei der Festigung der deutsch-französischen Freundschaft zukommt, - in der Erkenntnis, daß die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern einen unerläßlichen Schritt auf dem Wege zu dem vereinigten Europa bedeutet, welches das Ziel beider Völker ist, mit der Organisation und den Grundsätzen der Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten, wie sie in dem heute unterzeichneten Vertrag niedergelegt sind, einverstanden erklärt. Meine Damen und Herren! In dieser von mir verlesenen Erklärung ist „die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem französischen Volk, die eine Jahrhunderte alte Rivalität beendet", „ein geschichtliches Ereignis" genannt. In der Tat handelt es sich um ein geschichtliches Ereignis, um ein geschichtliches Ereignis von hohem Rang, ein geschichtliches Ereignis, das Jahrhunderte währenden Gegensätzen und Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern Frankreich und Deutschland ein Ende bereitet. Immer wieder haben auch in den vergangenen Jahrzehnten Staatsmänner beider Länder versucht, dieses Spannungsverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland ,aus der Welt zu schaffen. Aus unserer jüngsten Geschichte erinnere ich an die Versuche während der Weimarer Republik, die durch die Namen Stresemann und Briand gekennzeichnet sind. Diesen Versuchen waren schon jahrzehntelang vorher Bemühungen Bebels vorausgegangen. Unendlich viel Blut, meine Damen und Herren, Blut und Leid wäre Franzosen und Deutschen, Europa und der Welt überhaupt erspart worden, wenn diese Versuche damals gelungen wären. ({0}) Uns und der Welt wären der Nationalsozialismus, dessen Wurzeln aus dem nicht zustande gekommenen Ausgleich zwischen Frankreich und Deutschland nach dem Kriege von 1914 bis 1918 ihre verderbliche Nahrung gezogen haben, und der letzte Weltkrieg erspart worden. Wären diese Versuche geglückt, so hätten die Geschichte der beiden Völker und die Geschichte Europas einen anderen Verlauf genommen. Jetzt bietet sich uns, meine Damen und Herren, die Gelegenheit, diese Spannung zwischen den beiden Nachbarvölkern für immer zu beenden. ({1}) Zwischen Nachbarvölkern bestehen immer Beziehungen besonderer Art, seien es gute, seien es schlechte Beziehungen, die durch die geographische Nähe, durch gleiche oder ähnliche Entwicklungen und Möglichkeiten, seien es wirtschaftliche, seien es politische, entstehen. Die gemeinsame Grenze zwischen Frankreich und Deutschland ist 450 km lang. Deutschland und Frankreich sind beide hochindustrialisierte Länder. Für die Bundesrepublik Deutschland ist Frankreich der wichtigste europäische Handelspartner. Das Handelsvolumen unserer Republik mit den Vereinigten Staaten beträgt nach den Zahlen des Jahres 1961 - das sind die letzten, die zugänglich sind - 9,5 Milliarden DM. Das Handelsvolumen zwischen der Bundesrepublik und Frankreich beträgt 9,4 Milliarden DM. Umgekehrt ist auch für Frankreich die Bundesrepublik ein außerordentlich wichtiger Handelspartner. Das Handelsvolumen Frankreichs mit uns betrug, wie ich Ihnen eben schon sagte, 9,4 Milliarden DM. Das Verständnis für die kulturelle Vergangenheit und das kulturelle Leben Frankreichs ist in Deutschland außerordentlich groß und verbreitet. Umgekehrt beginnen immer mehr Franzosen auch die deutsche Kultur kennenzulernen und zu schätzen. Um die ganze Bedeutung dieses Vertrages würdigen zu können, muß man in die europäische Geschichte zurückgehen. Fast immer standen sich die beiden Nachbarländer feindlich gegenüber. Der latente und dauernde Spannungszustand zwischen ihnen führte seinerzeit zu dem Vertrag des Deutschen Reiches mit Rußland gegen Frankreich. Ein Jahr nach dem Ausscheiden Bismarcks wendete sich das Blatt. Die französische Flotte machte den in die Geschichte eingegangenen Besuch in Kronstadt, und ein Jahr später, im Jahre 1892, schlossen Frankreich und Rußland ein Militärbündnis, eine Militärkonvention gegen Deutschland. Im Versailler Vertrag fanden gerade die alten, überkommenen Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland einen besonders starken Ausdruck. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland schloß Frankreich mit Sowjetrußland einen neuen Bündnispakt. Noch im Dezember 1944 schloß der damalige Ministerpräsident de Gaulle mit Sowjetrußland einen Bündnisvertrag gegen Deutschland. Noch im Jahre 1946 forderte Bidault, der damals französischer Außenminister war, die Internationalisierung am Rhein und an der Ruhr und die Verhinderung einer neuen deutschen Zentralregierung. Aber dann brach in Frankreich die Erkenntnis durch, daß dieser ewige Zwist zwischen Frankreich und Deutschland beiden Ländern nichts wie Unheil, Schwäche und Verderben gebracht habe und weiter bringen würde. Der Außenminister Robert Schuman schlug im Jahre 1950 den Abschluß des Vertrages über die Montanunion vor. Robert Schuman schrieb mir damals einen persönlichen Brief zu diesem offiziellen Vorschlag, in dem er ausführte, daß die Sorge, daß Deutschland nach seinem Wiedererstarken sich gegen Frankreich wenden würde, in Frankreich außerordentlich groß sei. Eine Aufrüstung zeige sich in erster Linie - so schrieb er mir - durch eine erhebliche Steigerung der Produktion von Eisen und Stahl und dementsprechend der Förderung von Kohle. Ihn leite bei seinem Vorschlag, den Montanunionsvertrag zu schließen, der Gedanke, daß, wenn Frankreich und Deutschland einen Vertrag schlössen, der beiden Ländern es ermögliche, auffällige Steigerungen der Produktion von Eisen und Stahl bei dem anderen wahrzunehmen, diese gegenseitige Kontrolle das sicherste Mittel zur Beseitigung von Furcht und Mißtrauen unter diesen beiden Völkern sei. Daher schlage er den Abschluß des Vertrages über die Montanunion, wie er später ins Leben trat, vor. Beide Völker, meine Damen und Herren, sind jetzt und wahrscheinlich noch auf lange Zeit hinaus vom Osten her bedroht durch auf sie ausgeübten politischen Druck. Ich spreche nicht von kriegerischem Druck, sondern vom politischem Druck. Diesem Druck können beide Völker zusammen viel besser widerstehen als jedes Land für sich allein. Die Aufgeschlossenheit und Herzlichkeit, die unserem Bundespräsidenten im Jahre 1961 und mir im Jahre 1962 bei unseren Besuchen in Frankreich von der großen Mehrheit der Franzosen überall entgegengebracht wurden, zeigten deutlich, daß Idas französische Volk bereit war, das Verhältnis zum deutschen Volk grundlegend zu ändern und ihm die Hand zu reichen. Bei dem Staatsbesuch, den Herr Staatspräsident de Gaulle im September 1962 in der Bundesrepublik machte und bei dein er Bonn, Köln, Düsseldorf, Hamburg, München und Ludwigsburg besuchte, wurde er von allen Kreisen des deutschen Volkes mit der größten Herzlichkeit aufgenommen, einer Herzlichkeit, die bewies, daß auch das deutsche Volk in allen seinen Schichten eine herzliche Freundschaft für Frankreich empfindet. Dem Willen beider Völker, in Frieden und Freundschaft miteinander zu leben, diesem Willen zweier Völker, die jahrhundertelang sich als Erbfeinde gegenübergestanden hatten, galt es Ausdruck zu geben. Dies Gefühl der Schicksalsgemeinschaft und der Verbundenheit für alle Zukunft zu sichern, - diesem Zweck, meine Damen und Herren, dient der vorliegende Vertrag. Ohne eine dauernde Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich, meine Damen und Herren, kann Europa nicht geschaffen werden. ({2}) Ohne diese Aussöhnung und Freundschaft wird es keinen Frieden in Europa und damit in der Welt geben. Der Abschluß dieses Vertrages ist ein Grundpfeiler des Friedens zwischen Frankreich und Deutschland und damit des Friedens in Europa und in der Welt. Er ist ein Ereignis ersten Ranges für unser Land und auch für Europa und - ich wiederhole nochmals - für die ganze freie Welt. Er ist für eine lange, lange Dauer bestimmt. Er macht einem Zustande ein Ende, der Jahrhunderte gewährt hat. Ich bitte Sie sehr, meine Damen und Herren, lassen Sie sich in Ihrem Urteil über diesen Vertrag nicht beeinflussen durch ein zufälliges Zusammentreffen der Unterzeichnung dieses Vertrages mit Tagesereignissen und vorübergehenden politischen Stimmungen. Ich sage absichtlich: Tagesereignissen und vorübergehenden politischen Stimmungen; denn ich bin ganz fest davon überzeugt, daß diese Tagesereignisse und auch die damit verbundenen politischen Stimmungen keine dauernden Spuren zwischen den Völkern hinterlassen werden. ({3}) Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß der Abschluß dieses Vertrages, seine Gutheißung durch Sie, ein Ereignis ersten Ranges ist für unser Land und für den Frieden in Europa und in der Welt. ({4})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Majonica.

Ernst Majonica (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Annahme des vorliegenden Vertrages lim deutschen und im französischen Parlament stellt ein Ereignis von säkularer Bedeutung dar. Durch diesen Vertrag wird ein besonders leidvolles und trübes Kapitel europäischer Geschichte endgültig beendet. Aus dem Kampf der Franzosen und Deutschen gegeneinander ist eine Zusammenarbeit geworden. Sicherlich - der Herr Bundeskanzler hat eben schon darauf hingewiesen - war es auch in Zeiten politischer Spannungen und Gegensätze zwischen beiden Völkern und Staaten so, daß immer ein fruchtbarer geistiger Austausch stattgefunden hat. War das 18. Jahrhundert in Europa das französische Jahrhundert in Sprache, Mode und Kultur, so war der deutsche Einfluß auf die französische Romantik zu verzeichnen. Beide Völker übten aufeinander immer eine starke Faszination aus. Führende Geister beider Nationen wußten immer, wie sehr sich Deutsche und Franzosen gegenseitig ergänzen können. Trotzdem hat es die Geschichte gewollt, daß in den letzten 70 Jahren beide Völker dreimal gegeneinander gestanden haben, sich dreimal gegenseitig auf den Schlachtfeldern begegnet sind. 1870 löste der Konflikt den schmerzvollen Prozeß der deutschen Einigung aus, 1914 war es das Versagen aller europäischen Staatsmänner, und 1939 brachte der böse Wille Hitlers die Welt ins Unglück. Sicherlich hätte Hitler - der Herr Bundeskanzler hat schon darauf hingewiesen - für seinen schrankenlosen Nationalismus keinen Nährboden gefunden, wenn schon nach 1918 die Begegnung zwischen Deutschland und Frankreich stattgefunden hätte. An Versuchen hat es nicht gefehlt; es sei hier nur an Stresemann und Briand erinnert. Aber sie starben, ehe ihr Werk reifen konnte, und die Schatten drohenden Unheils lagen schon auf ihren letzten Lebensjahren. Während der Krieg 1914 bis 1918 Europa schweren Schaden zufügte, zerstörte es der Krieg 1939 bis 1945. Die Sowjetunion drang bis Mitteldeutschland vor; sie schien die europäische Vormacht geworden zu sein. Weitere Rivalitäten zwischen den europäischen Staaten hätten dazu führen müssen, daß sie bald am Atlantik stehen würde. Aber trotz dieser deutlichen Situation waren alte Vorstellungen, die Schatten deis stürzenden Diktators noch mächtiger als diese Erkenntnis. Frankreich verbündete sich mit Moskau. Als aber die sowjetische Politik jede vernünftige Friedensregelung verhinderte, erkannte Churchill in seiner berühmten Züricher Rede die Situation und forderte Frankreich und Deutschland zum Zusammengehen auf, weil nur so Europa zu retten sei. Dieser Gedanke des Zusammengehens von Deutschland und Frankreich in einem vereinten Europa gewann Gestalt; er wurde von de Gasperi, Schuman und Adenauer in die Wirklichkeit umgesetzt. Wir wissen, welche Erfolge und Mißerfolge dieses europäische Einigungswerk in der Vergangenheit erlebt hat. Aber immer wuchs im Rahmen des werdenden Europa die deutsch-französische Freundschaft, eine Freundschaft, deren Grundlagen schon in der Politik der vierten Republik in Frankreich gelegt worden sind. Als diese vierte Republik am Algerien-Krieg zu scheitern schien, rief Frankreich de Gaulle. Er hatte den Vertrag mit Stalin gegen Deutschland unterzeichnet. Würde er nun, neu an die Macht gekommen, eine antideutsche Politik betreiben? Aber de Gaulle hatte - und das ist unser gemeinsames Glück - die Zeichen der Zeit erkannt. Er wußte, daß die Gegner Frankreichs 1944 und 1958 nicht mehr die gleichen waren. Er wußte vor allen Dingen und hatte es offen ausgesprochen, daß dieses Deutschland sich unter Konrad Adenauer grundsätzlich gewandelt hatte. So führte de Gaulle die konsequente Politik der vierten Republik fort, eine Politik der Freundschaft mit Deutschland. Dazu, daß diese Politik der Freundschaft mit Deutschland ein Kernstück seiner Außenpolitik werden konnte, haben die fruchtbaren Begegnungen zwischen ihm und dem Bundeskanzler beigetragen. Beide Männer, de Gaulle und Adenauer, sind zum Symbol des Lebens- und Aufbauwillens ihrer Völker geworden, und deshalb verstanden sie sich. ({0}) Beide, de Gaulle und Adenauer, konnten aber die Politik der Freundschaft, der Zusammenarbeit miteinander nur betreiben, weil diese Politik von der breiten Mehrheit ihrer Völker unterstützt wurde. Die Zusammenarbeit zwischen dem französischen Volk und unserem Volke ist ja schon seit langer Zeit nicht mehr nur eine Angelegenheit der Staatskanzleien; sie ist eine Angelegenheit der Völker geworden. Beide Völker, das deutsche und französische Volk, wollen eindeutig diese Zusammenarbeit. ({1}) Diese Freundschaft wird für die Zukunft durch diesen Vertrag gesichert, diese Freundschaft wird durch diesen Vertrag besiegelt. Weit über die Lebensdauer der beiden alten Männer hinaus, die ihn unterzeichneten, wird er die feste Grundlage der Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Völkern bilden. Beide Völker sind durch diesen Vertrag zu einem ständigen Gespräch miteinander verpflichtet. Beide Partner haben sich in diesem Vertrag verpflichtet, vor allen wichtigen Entscheidungen ihrer Außenpolitik, vor allem bei Fragen gemeinsamen Interesses, sich vorher zu konsultieren. Beide Partner - der Bundeskanzler hat es soeben betont - sind Nachbarn. Ihre Interessen, ihre Arbeit sind eng miteinander verflochten. Alle außenpolitischen Entscheidungen des einen berühren unmittelbar und wirksam die Stellung des anderen. Ich meine, daß es da gut ist, wenn man vorher von diesen Entscheidungen und Handlungen des anderen weiß, wenn man seine eigene Politik darauf einstellen kann, wenn man diese Entscheidungen beeinflussen kann, sie so mit modifizieren kann, daß sie gemeinsam getragen werden können. Wir haben doch in der jüngsten Vergangenheit eine ganze Reihe von Beispielen dafür erlebt, wie nützlich Konsultationen, wenn sie vorher erfolgt wären, gewesen wären. Ich darf doch auch die Frage stellen, ab es diese Konsultationen zwischen Partnern im westlichen Bündnis auch an anderer Stelle gibt, beispielsweise zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien, so wie wir es zwischen Macmillan und Kennedy auf den Bahamas erlebt haben, wo doch, so hoffen wir wenigstens, die positive Reform der NATO ihren Ausgang genommen hat. Ich meine, daß es eine völlig falsche Vorstellung ist, wenn man annimmt, daß derartige Konsultationen nur im französischen Interesse liegen würden. Wir müssen doch darauf hinweisen, daß Frankreich eine Vetomacht in der UNO ist. Wie leicht kann einmal die deutsche Frage vor dieses Forum kommen. Wir wissen, daß Frankreich eine der Garantiemächte für Berlin ist. Ich meine, daß da doch ständige Konsultationen eindeutig auch im wohlverstandenen deutschen Interesse liegen. Wir dürfen auch nicht übersehen, daß auf multilateralem Gebiet oft nur dann ein Fortschritt zu erzielen war, wenn vorher bilateral die Schwierigkeiten beseitigt worden waren. Manche Hemmungen auf multilateralem Gebiete sind doch in der Vergangenheit durch den deutsch-französischen Gegensatz in Detailfragen entstanden. Es würde im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten liegen, wenn in Zukunft diese Gegensätze vorher ausgeräumt werden könnten. In diesem Vertrag verpflichten sich beide Partner, soweit als möglich zu einer gleichgerichteten Haltung zu gelangen. Nun, das scheint mir im Wesen jeder Konsultation zu liegen. Aber daß es eigens in diesen Vertrag hineingeschrieben worden ist, ist doch eine deutliche Einschränkung. Man ist nicht in allen Fällen immer zu einer und derselben Haltung verpflichtet. Sicherlich sollen diese Konsultationen eine gegenseitige Einflußnahme ermöglichen. Aber sie bewahren doch die Haltung des eigenen Standpunktes, wenn in. diesen Konsultationen eine Einigung nichterfolgt ist. ({2}) Ichmeine, daß hier doch die deutsche Haltung in wichtigen Fragen der internationalen Politik, Herr Kollege Wehner, so eindeutig war, daß eine Mißdeutung einfach nicht erlaubt ist. Wir halben es doch erlebt, daß der Bundeskanzler, daß der Bundeswirtschaftsminister, der Bundesaußenminister und der Bundesverteidigungsminister in wichtigen Fragen der internatonalen Politik als Vertreter der Bundesregierung in den letzten Monaten eine ganz eindeutige Haltung eingenommen haben. Ich darf nur an das Auftreten des Bundeswirtschaftsministers und des Bundesaußenministers in Brüssel erinnern. Die Mißdeutungen, denen dieser Vertrag ausgesetzt worden ist, sollten auch durch seine Entstehungsgeschichte ausgeräumt sein. Wir wissen doch alle, daß ,am Beginn der Verhandlungen der Gedanke der Politischen Union der Gemeinschaft der Sechs gestanden hat. Im Juli 1961 trafen hier in Godesberg die Ministerpräsidenten der sechs europäischen Staaten zusammen und beschlossen damals im Grundsatz die Gründung der Politischen Union. Ich will gar nicht untersuchen, wessen Schuld es ist, aber im Sommer 1962 war es klar, daß diese Verhandlungen festgefahren waren, daß sie im Augenblick keinen Erfolg haben konnten. Als der Bundeskanzler im Juli des vergangenen Jahres den französischen Staatspräsidenten de Gaulle in Frankreich besuchte, da besprachen beide einen nochmaligen Versuch zur Rettung der Verhandlungen um die Politische Union. Sie wollten eine Konferenz nach Rom einberufen. Als aber auch das scheiterte, beschloß man bei dem Besuch des französischen Staatspräsidenten in Deutschland, daß irgendwo ein Anfang gemacht werden müsse und daß dieser Anfang, wie die Dinge nun einmal lägen, nun eben mit einer politischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich gemacht werden solle. Das ist die Entstehungsgeschichte des Vertrages. Aus dem Vertrag geht hervor, daß er auch für die anderen Staaten offen ist. Aus ihm geht auch hervor, daß selbstverständlich die Politische Union das Ziel bleibt, dem wir mit gemeinsamer Kraft zustreben. ({3}) Aber um weiteren Mißdeutungen entgegenzutreten: daß dieser Vertrag die Einheit Europas und des Westens nicht spaltet, dafür gibt es doch ein wahrlich sehr unverdächtiges Zeugnis; ich meine die Reaktion des Ostblocks auf diesen Vertrag. Sie wissen, daß die Sowjetunion und andere Staaten des Ostblocks Protestnoten nach Paris und Bonn geschickt haben. Wir haben auch ihre Haltung in den Hauptstädten, vor allen Dingen in den kommunistischen Hauptstädten, analysiert. Diese Protestnoten und die aus ihnen hervorgehende Haltung der Kommunisten zeigen doch, daß sie eben einsehen, daß durch den Abschluß dieses Vertrages an einer wichtigen, für sie sehr wichtigen Stelle ihnen in Zukunft jede Spaltertätigkeit verbaut ist. Sie erkennen doch damit an, meine Damen und Herren, daß dieser Vertrag der Einheit des Westens dient. Wäre das nicht der Fall, spaltete er den Westen, dann würde der Vertrag ja in ihr Konzept hineinpassen. Sie bestätigen damit, daß die deutschfranzösische Zusammenarbeit Eckpfeiler der europäischen und westlichen Einheit ist. ({4}) Moskau hat klar erkannt - und deshalb diese Haltung daß die europäische Einheit im Rahmen der Atlantischen Gemeinschaft für die Dauer zur Änderung des Kräfteverhältnisses auf dem Kontinent führen wird, und das will es verhindern. Und Moskau sah ein Mittel zur Verhinderung dieser Veränderung des Kräfteverhältnisses auf dem Kontinent eben im deutsch-französischen Gegensatz. Dieses Mittel ist ihm durch diesen Vertrag genommen, und zwar nicht nur für den Augenblick, sondern - und das ist das Positive und Wesentliche an diesem Vertrag - auch für alle Zukunft. Nun, wir wissen - ich habe ja schon davon gesprochen -, daß dieser Vertrag seit seiner Entstehung einer Reihe von Mißverständnissen ausgesetzt war. Wir dürfen aber feststellen, daß sie alle miteinander verschwunden sind bzw. daß diese Mißverständnisse im Abklingen begriffen sind. Daß sie verschwanden, daß sie abklingen, ist, so meine ich, eine Folge der eindeutigen, klaren deutschen Außenpolitik. Diese Mißverständnisse - der Bundeskanzler hat schon darauf hingewiesen - kamen vornehmlich durch das Zusammenfallen der Unterzeichnung dieses Vertrages mit dem Nein des französischen Staatspräsidenten zum Beitritt Großbritanniens zu den europäischen Gemeinschaften. Wir haben damals ja die Empfehlungen vernommen, wegen dieses Neins des französischen Staatspräsidenten den Vertrag nicht zu unterschreiben. Ich meine, meine Damen und Herren, daß sich heute zeigt, wie falsch eine solche Empfehlung gewesen ist und wie falsch es gewesen wäre, wenn wir dieser Empfehlung gefolgt wären. Wären wir dieser Empfehlung gefolgt, hätten wir den Vertrag damals im Januar nicht unterschrieben, dann hätten wir de Gaulle damit in eine Isolierung hineingetrieben und damit vielleicht Reaktionen ausgelöst, die die Besserung des Klimas zwischen Frankreich und den USA, wie sie sich eindeutig bei der Tagung der SEATO in Paris gezeigt hat, verhindert hätten. Wir werden uns vom deutschen Standpunkt aus immer dagegen verwahren, in eine Formel „Washington oder Paris" hineingepreßt zu werden. ({5}) Für uns gilt in der deutschen Außenpolitik immer und unter aller Umständen die Formel „Washington und Paris". ({6}) Im Sinne dieser Formel sollten wir den Vertrag, der uns heute in der ersten Lesung vorliegt, anwenden. Es ist Kritik daran geübt worden, daß das große Ziel der deutschen Politik, die Wiedervereinigung, nicht in der gemeinsamen Erklärung genannt wird, das Recht des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung in diesem Vertragswerk nicht eigens erwähnt wird. Auch ich bin der Meinung - ich sage das offen -, daß es hätte geschehen sollen. Aber, meine Damen und Herren, man darf doch nicht übersehen, daß sich Frankreich bereits im Deutschland-Vertrag, der am 5. Mai 1955 in Kraft getreten ist, zu einer Politik der deutschen Wiedervereinigung verpflichtet hat. Ohne allen Zweifel besteht diese Verpflichtung, niedergelegt lim Deutschland-Vertrag, fort, und das wird auch ohne allen Zweifel von unserem Vertragspartner anerkannt. Außerdem, meine Damen und Herren, spricht die gemeinsame Erklärung vom „deutschen Volk", und kein Zweifel ist erlaubt, daß damit in dieser Erklärung das gesamte deutsche Volk gemeint ist. ({7}) Wir gehen ja gerade davon aus, daß dieser Vertrag nicht nur ein Vertrag der Parlamente miteinander, nicht nur ein Vertrag der Regierungen miteinander, sondern ein Vertrag der Völker miteinander, des gesamten deutschen und des gesamten französischen Volkes, ist. Ich darf auch hier wieder einen sehr unverdächtigen Zeugen benennen, der uns bestätigt hat, daß die Wiedervereinigung in der Substanz nicht vergessen ist, sondern daß Bonn hier stellvertretend für alle Deutschen gesprochen hat. Ich erinnere Sie daran, daß in den Protestnoten, die die Sowjetunion nach Paris und Bonn geschickt hat, gerade dagegen protestiert wurde, daß damit auch die Bevölkerung in der Zone verpflichtet sei, daß damit auch die Bevölkerung in der Zone angesprochen sei. Das Auswärtige Amt hat mit Recht auf diesen Protest hin darauf hingewiesen: Wenn die Bevölkerung in der Zone zu diesem Vertrage gefragt würde, würde sie sicherlich ein hundertprozentiges Ja zur Freundschaft mit Frankreich sprechen. ({8}) Darin besteht ja gerade auch - und das darf hier festgestellt werden - der grundlegende Wandel der französischen Politik gegenüber Deutschland, die nicht mehr wie in der Vergangenheit auf Teilung, sondern auf die Zusammenarbeit mit dem ganzen deutschen Volk gerichtet ist. Ein wesentlicher Teil der Kritik innerhalb und außerhalb Deutschlands bezieht sich bei der Diskussion über diesen Vertrag auf die Frage, wie er in die multilateralen Verträge, die die Bundesregierung eingegangen ist, eingebaut werden kann. Hier möchte ich ganz deutlich und unmißverständlich sagen, daß wir uns selbstverständlich zu dem Grundsatz bekennen, daß multilaterale Verträge bilateralen Verträgen vorgehen, daß bilaterale Verträge und Verhandlungen und Entscheidungen immer den größeren Gemeinschaften zu dienen haben, daß sie also in sie eingefügt werden müssen. Das gilt vor allen Dingen für den Nordatlantikpakt und damit für unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Konsultationen innerhalb eines von souveränen Staaten getragenen Bündnisses sind dem Bündnis nicht zuwiderlaufend, es sei denn, sie sind gegen den Zweck und das Ziel des Bündnisses selbst gerichtet. Aber daß die deutsche Politik ein solches Ziel verfolgt, wird selbst der böswilligste Beobachter nicht behaupten können. Wir haben doch niemals auch nur den leisesten Zweifel daran gelassen, daß wir alles tun werden und zu allem bereit sind, was die NATO stärkt. Wir wissen doch sehr wohl, daß von der Lebensfähigkeit, von der Funktionsfähigkeit dieses Bündnisses unsere Freiheit, unsere Sicherheit und der Frieden in der Welt abhängen. Deshalb haben wir immer alles zu tun, um dieses Bündnis, das wir gegen erbitterten Widerstand in diesem Hause durchgesetzt haben, zu stärken. Ich darf daran erinnern, daß die Bundeswehr von allen an der NATO beteiligten Armeen die am stärksten in die NATO integrierte ist. Ich darf darauf hinweisen, daß gerade unser Wille zu diesem Integrationsprozeß in der NATO, dieser Stärkung der NATO bewiesen wird durch unser Ja zum Abkommen über eine multilaterale Atommacht und zu den Besprechungen über die Einrichtung einer multilateralen Atommacht. Wir haben durch den Mund unseres Bundeskanzlers erklärt, daß wir mit aller Macht an diesem Gedanken und an der Verwirklichung dieses Gedankens mitwirken wollen. Übrigens darf ich am Rande vermerken, daß auch dieser Gedanke aus zweiseitigen Konsultationen geboren ist, an denen wir nicht mitgewirkt haben. Aber ich meine, daß damit doch bewiesen ist, daß derartige Konsultationen durchaus die Stärkung und Fortentwicklung des Bündnisses zum Ziel haben können. Wir haben dieses Ja zur multilateralen Atommacht nicht nur um des militärischen Zwecks willen gesprochen, nicht nur, um eine erhöhte Abwehrbereitschaft und Glaubwürdigkeit der westlichen Abschreckungsmacht zu erreichen, sondern wir sehen in diesem Ja zur multilateralen Atommacht die Möglichkeit der noch stärkeren und engeren Bindung der Vereinigten Staaten an Europa. Wir sehen darin ein Zeichen erhöhter gegenseitiger Abhängigkeit zwischen den Vereinigten Staaten und uns. Ich möchte es hier ganz eindeutig und klar sagen, daß wir von der CDU/CSU jeden Gedanken an Europa als eine dritte Kraft zwischen Ost und West ablehnen. Das geht aus wirtschaftlichen Gründen nicht, das geht aus militärischen Gründen nicht. Das geht aber auch aus moralischen Gründen nicht. Man kann nicht die gleiche Distanz zu Washington und zu Moskau haben, wenn man sich eindeutig an die Seite der Freiheit gestellt hat. ({9}) Wir meinen auch, daß eine Politik, die den Abzug Amerikas aus Europa auch nur als Möglichkeit einkalkuliert, ihn sehr leicht provozieren kann. Wir möchten alles tun, um die Vereinigten Staaten so eng an Europa zu binden wie nur eben möglich. ({10}) Wir wollen die atlantische Gemeinschaft auf zwei Säulen errichten, Nordamerika und Europa. Wir stehen allerdings auf dem Standpunkt, daß nur Europa ein gleichberechtigter Partner zu den Vereinigten Staaten im Rahmen der atlantischen Gemeinschaft sein kann, nicht die einzelnen Nationen, weil das Machtgefälle zu groß wäre. Diesem Europa als Partner in der atlantischen Gemeinschaft zu den Vereinigten Staaten soll dieser Vertrag dienen, wie eindeutig die gemeinsame Erklärung besagt, die diesem Vertrag vorangestellt worden ist. Es gibt nun Befürchtungen, daß dieser Vertrag zu einer gewissen Blockbildung in den europäischen Gemeinschaften führen würde, daß damit ein fremMajonica des Gesicht, wie es ein angesehener Europäer gesagt hat, in diese Gemeinschaften hineingetragen würde. Nun, ich meine, daß es selbstverständlich ist, daß beide Regierungen bei ihren Konsultationen den supranationalen Charakter der europäischen Gemeinschaften respektieren. Gemeinschaftlich geregelte Fragen können nur gemeinschaftlich entschieden werden. Ich darf ganz eindeutig sagen, daß dieser Vertrag unsere bisherige europäische Politik nicht verändert. Im Gegenteil, wir von der CDU/CSU sind fest davon überzeugt, daß er ihr dienen und sie fördern wird. Bei dieser europäischen Politik und den konkreten Aufgaben, vor denen wir stehen, scheint mir die Stärkung der Gemeinschaft der Sechs eine besonders vordringliche Aufgabe zu sein. Wie diese Stärkung erfolgen soll, welche Pläne hier durchgeführt und welche Aufgaben gelöst werden müssen, hat der deutsche Bundesaußenminister Schröder eindeutig und klar auf der 100. Tagung des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dargetan. Es darf auch einmal hier im Parlament festgehalten werden, daß es nicht übertrieben ist, daß durch diese Vorschläge des deutschen Außenministers in Brüssel die eigentliche Krise der europäischen Gemeinschaften beendet worden ist ({11}) und daß die europäischen Gemeinschaften dadurch ein neues Selbstbewußtsein bekommen haben. ({12}) - Sicherlich, Kollege Wehner, gibt es Kritik an diesen Ausführungen aus Paris und Brüssel und, wie ich jetzt höre, auch aus dem Deutschen Bundestag heraus. ({13}) Aber wir wissen, daß es schwierig ist, hier einen neuen Anfang zu setzen. Wir konnten nicht erwarten, daß von vornherein alles angenommen wird. Aber ich möchte doch mit großem Nachdruck feststellen, Herr Kollege Wehner, daß der deutsche Außenminister durch seine Vorschläge einen neuen und positiven Anfang in Brüssel gesetzt hat. ({14}) Herr Kollege Wehner, wir werden abwarten müssen, was jetzt praktisch dabei herauskommt. Aber wir können gute Hoffnung haben, daß wir schon in naher Zukunft mit positiven Ergebnissen zu rechnen haben. Wir können damit rechnen - das ist keine Illusion mehr, nicht etwas, was in den blauen Himmel geschrieben ist -, daß wir in der Gemeinschaft der Sechs in naher Zukunft zu einer Zusammenlegung der drei Exekutiven kommen werden. Ich glaube, daß das eine unmittelbare Stärkung der Gemeinschaft sein wird. Sie ist meines Erachtens auch dringend geboten, weil nur so eine europäische Energiepolitik überhaupt möglich ist. Ich meine, daß an dieser Festigung und Stärkung, an diesem neuen Selbstbewußtsein der europäischen Gemeinschaften auch Großbritannien interessiert ist. Großbritannien möchte ja einem unzerstörten Europa beitreten. Der einzige Sieger eines zerstörten Europas wäre Herr Chruschtschow. Ich meine, daß das die britischen Politiker oft genug erklärt haben, daß sie auch ein unmittelbares Interesse an der Stärkung der Gemeinschaft der Sechs haben. Wir bleiben dabei, daß der Beitritt Großbritanniens zu den europäischen Gemeinschaften notwendig ist, und wir werden auf ihn hinwirken. Nichts darf geschehen, was ihn erschwert, alles, was ihn erleichtert. Aber auch darauf, Herr Kollege Wehner, - und ich hoffe, daß Sie das nachher aufnehmen werden in Ihrer Unterstützung einer solchen Politik - hat der Bundesaußenminister auf der erwähnten Tagung hingewiesen. Er hat darauf hingewiesen, daß dazu, daß nichts geschieht, was diesen Beitritt erschwert, eine liberale Außenhandelspolitik notwendig ist, auch in den Beziehungen zu den USA. Ich meine, daß das Kennzeichen der deutschen Vorschläge im wesentlichen darin zu sehen ist, daß hier der offene, weltoffene Charakter der europäischen Gemeinschaft betont wird. So ist nach unserer Meinung dieser Vertrag, den wir hier in der ersten Lesung behandeln, kein Fremdkörper in unserer geradlinig fortgesetzten Politik. Er baut sich sinnvoll in unsere bisherige Politik ein. Um das unübersehbar deutlich zu machen, wird die CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuß und in der weiteren Lesung dieses Vertrages vorschlagen, daß die vom Bundesrat angenommene Resolution dem Grundsatz nach als Präambel dem Ratifikationsgesetz zu dem Vertrage vorangestellt wird. ({15}) - Dem Grundsatz nach, Herr Kollege Schmid, bedeutet, daß wir den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses heute nicht vorgreifen wollen. Ich möchte den Auswärtigen Ausschuß hier nicht präjudizieren. Diese Resolution wird als Material dem Auswärtigen Ausschuß überwiesen, und in den Beratungen im Auswärtigen Ausschuß werden wir dann diese Resolution des Bundesrates so formulieren, daß sie als Präambel dem Ratifikationsgesetz vorangesetzt werden kann. Ich glaube, daß in der Resolution des Bundesrates der Grundriß unserer deutschen Außenpolitik vorhanden ist. Sie macht deutlich, in welchem Sinne dieser Konsultationsvertrag von deutscher Seite gehandhabt wird. Die Niederlegung dieser Grundsätze in der Präambel - was von starken Kräften meiner Fraktion immer gewünscht wurde - hebt die Willenskundgebung dieses Parlaments stärker hervor als eine Resolution. Sie bindet eindeutiger, da gesetzlich verankert, auch die zukünftigen Regierungen über diese Legislaturperiode hinaus. Durch diese Art der Ratifizierung sollten alle Mißverständnisse innerhalb und außerhalb unseres Landes beseitigt sein, zumal ja die Bundesregierung sich eindeutig durch eine Erklärung auf den Boden der Resolution des Bundesrates gestellt hat. Bei diesem Verfahren wird sich hoffentlich - ich hoffe es wenigstens wirklich - eine breite Mehrheit für den Vertrag ergeben. Man sollte nicht durch immer neue Forderungen eine klare Sache komplizieren. Meine Damen und Herren, ich bin auf viele Einzelheiten des Vertrages nicht eingegangen, nicht auf die gemeinsame Informations- und Entwicklungspolitik, nicht auf die vielen Ansätze zu einer breiten Begegnung unserer beiden Völker, vor allen Dingen der Jugend dieser Völker. Mir kam es darauf an, dieses Vertragswerk hineinzustellen in unsere gesamte Außenpolitik, es in seiner Bedeutung zu würdigen für die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem französischen Volke. Im Auswärtigen Ausschuß werden wir ja noch Gelegenheit haben, gründlich über den Vertrag zu beraten. Wir haben als Berichterstatter Herrn Professor Furler gebeten, der ja durch seine Tätigkeit im Europäischen Parlament, früher als Präsident und jetzt als Vizepräsident, gerade die Gewähr für einen Zusammenklang dieses Vertrages mit unserer europäischen Politik bietet. Aber, meine Damen und Herren, schließen möchte ich meine Ausführungen zur ersten Lesung dieses Vertrages mit einem Dank an jenen Mann, der auf deutscher Seite der hervorragendste Baumeister dieser deutsch-französischen Verständigung ist, die mit seinem Namen für alle Zeiten verbunden sein wird, schließen möchte ich diese Ausführungen mit einem Dank an Bundeskanzler Konrad Adenauer. ({16})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überzeugung, „daß die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem französischen Volk, die eine jahrhundertealte Rivalität beendet, ein geschichtliches Ereignis darstellt, das das Verhältnis der beiden Völker zueinander von Grund auf neugestaltet", wie es in der Erklärung heißt, diese Überzeugung teilen wir Sozialdemokraten. Wir betonen das um so freudiger, als es in der wechselvollen Geschichte der Beziehungen beider Staaten Zeiten gegeben hat, in denen die Sozialdemokraten auf beiden Seiten dafür sogar Opfer zu bringen hatten. Die Feststellung, „daß eine enge Solidarität die beiden Völker sowohl hinsichtlich ihrer Sicherheit als auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung miteinander verbindet", möchten wir in der Hoffnung bekräftigen, daß es ein Segen für die Zukunft unserer Völker und aller unserer Nachbarvölker sein wird, wenn die Jugend nicht mehr nur zu den Stätten pilgern kann, die an die Opfer der Vergangenheit mahnen, sondern selbst baut und sich erbaut an den Wahrzeichen ;der neuen Völkergemeinschaft. In diesem Haus hat Kurt Schumacher am 10. März 1950 mitten in einer Auseinandersetzung über Fragen der damaligen aktuellen Politik den Vorschlag zu Lancieren versucht, man solle über territoriale, über bloße Handels- und Wirtschaftsregelungen hinaus den Versuch machen, zu etwas zu kommen, das e r einen „deutsch-französischen Freundschaftsvertrag" nannte. Das war mitten in der heftigen Auseinandersetzung um die Saarfrage bei unterschiedlichen Positionen hier im Hause. Die sozialdemokratischen Parteien Deutschlands und Frankreichs haben noch am 2. Juli 1962 gemeinsam erklärt, daß sie die Verständigung unserer beiden Völker als das Mittel, die viel umfassendere internationale Gemeinschaft zu schaffen, verstanden wissen wollten, und die sozialdemokratischen Parteien der Länder der europäischen Gemeinschaften - der sechs Länder also - haben am 14. März dieses Jahres erklärt, für die europäischen Sozialdemokraten sei die Aussöhnung der Völker Deutschlands und Frankreichs stets ein zentrales Anliegen gewesen. „Es war", so erklärten sie, „das gemeinsame Ziel, an die Stelle jahrhundertealter Rivalitäten einen unauflöslichen Zusammenschluß der wesentlichsten Interessen der 'europäischen Völker treten zu lassen, und die Aussöhnung des deutschen und des französischen Volkes mußte zu einem Mittel zur Schaffung einer Gemeinschaft aller europäischen Völker werden, die lange Zeit durch blutige Auseinandersetzungen entzweit waren." Wenn wir daran denken, wie schwer es während der vielen Kriege und in ihrer Auswirkung auch jeweils lange nach dem Kriege gewesen ist, offen die Stimme für den Ausgleich, für die Vernunft, für die Völkerverständigung zu erheben, dann dürfen wir uns der Tatsache freuen, daß es nach dem verhängnisvollen zweiten Weltkrieg möglich wird, die Verständigung zu verwirklichen. Wenn die Sozialdemokraten Deutschlands und Frankreichs und die Sozialdemokraten der europäischen Gemeinschaft aus Erfahrungen mit Nachdruck betonen, daß 'es zur wirklichen Völkerverständigung notwendig sei, jede Art von Nationalismus zu überwinden, und daß deshalb auch jede wie immer geartete Hegemonie ungeeignet und gefährlich ist, so haben sie damit den Finger an Wunden gelegt, von denen zu reden sein wird. Nur dann, wenn die Aussöhnung des deutschen und des französischen Volkes als Mittel zum Zweck der Schaffung einer europäischen Gemeinschaft dient, können wir selbst und mit uns die anderen Völker sicher sein, daß wir die Stufen zu den Vereinigten Staaten von Europa und damit entscheidende Voraussetzungen für die Sicherung des Friedens bauen. In der gemeinsamen Erklärung, die Bundeskanzler Adenauer und Präsident die Gaulle am 22. Januar unterzeichnet haben, begründen sie den Vertrag auch aus der Erkenntnis heraus, daß die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern einen unerläßlichen Schritt auf dem Wege zu dem vereinigten Europa bedeutet, welches das Ziel beider Völker ist. Der Bundeskanzler hat diesen Satz heute auch hier noch einmal selbst ausgesprochen. Bedeutende Politiker unseres Volkes haben das Problem der deutsch-französischen Aussöhnung und Freundschaft immer im größeren Zusammenhang gesehen, nämlich im europäischen Zusammenhang und auch darüber hinaus. Der Herr Bundeskanzler hat hier den Namen August Bebels erwähnt. Das hat mich erinnert an eine Szene, die wir nicht vorgeführt, sondern in Paris vor einer Reihe von Jahren erlebt haben, als wir im Streit um das Saar-Abkommen waren. Der Bundeskanzler wirkte mit einem Teil seiner Equipe in Paris und wollte damals auch Vertreter des Parlaments zu einer Konsultation dort haben. Da war am Rande auch Gelegenheit - und der Bundeskanzler kam von selber darauf -, in diesen Zusammenhängen über Bebel zu sprechen. Ich freue mich, daß das nicht einmalig war. ({0}) - Das sitzt beim Bundeskanzler tiefer; soweit kenne ich ihn. ({1}) Fragen Sie einmal Herrn von Merkatz. Er wird Ihnen erklären, wie er einmal damit abgefahren ist, als er glaubte, man könne einseitig Bismarck feiern, und der Bundeskanzler ihn belehrte: dann muß man aber auch usw. ({2}) Er hatte dafür gute Gründe. Das war kein Trick. Der Bundeskanzler ist ein trickerfahrener Mann, aber hier waren geschichtliche Erwägungen. ({3}) Der Ausgang des 70er Krieges, - so hat August Bebel damals geschrieben, und er hat extra geschrieben: -die Annexion von Elsaß-Lothringen, hat Deutschland und Frankreich aufs tiefste verfeindet, und diese Feindschaft nutzt das eroberungssüchtige Rußland aus, um altgehegte Pläne - zunächst im Orient - in seinem Interesse bei erster Gelegenheit zu verwirklichen. Deutschland, - so Bebel in der Sprache der damaligen Zeit die Gefahr erkennend, aber in seinen Regierungen und herrschenden Klassen nicht geneigt, eine Aussöhnung mit Frankreich herbeizuführen, suchte und fand in Österreich und Italien Bundesgenossen, und so stehen sich Zweibund und Dreibund als Feinde gegenüber. Und so ist es gekommen, daß heute ganz Europa in Waffen und Rüstungen starrt. Ich rufe das deshalb in Erinnerung, weil Bebel immerhin einer der beiden Abgeordneten war - der andere war Wilhelm Liebknecht -, die im Jahre 1870 im Reichstag in einer Resolution, die sie einbrachten - das Recht, darüber frei zu sprechen, bekamen sie damals nicht -, in einer Resolution, die sie verlesen durften, erklärten, daß ja nach den eigenen Erklärungen des Königs von Preußen der Thronrede und in der Proklamation an das französische Volk der Krieg deutscherseits nur ein Verteidigungskrieg und kein Krieg gegen das französische Volk sein sollte und dennoch als Krieg geführt werde gegen das französische Volk, nicht ein Verteidigungskrieg, sondern ein Eroberungskrieg, nicht ein Krieg für die Unabhängigkeit Deutschlands, sondern ein Krieg für die Unterdrückung der edlen französischen Nation. Sie erinnerten mit einem Zitat aus der Thronrede - weil es immer gut ist, auch in den Worten seines Antipoden zu sprechen, wenn es gerade mal so paßt ({4}) daran, daß diese edle französische Nation doch berufen sei, die Segnungen christlicher Gesittung und steigenden Wohlstands gleichmäßig zu genießen, zu einem heilsameren Wettkampf als zudem blutigen Wettkampf der Waffen. Bebel und Liebknecht haben damals im Reichstag beantragt, er solle beschließen, die verlangte Geldbewilligung für die Kriegführung abzulehnen und den Bundeskanzler - damals hieß er noch Bundeskanzler und nicht Reichskanzler - zu ersuchen, dahin zu wirken, daß unter Verzichtleistung auf jede Annexion französischen Gebiets mit der französischen Republik schleunigst Frieden geschlossen werde. ({5}) - Entschuldigen Sie, ich komme gleich darauf. Langer Rede kurzer Sinn - den Anstoß, die Ermutigung, das so lange zu machen, hat mir die Erwähnung von Bebel durch den Bundeskanzler gegeben -: Damals wurden sie dafür geschmäht, daß der französische Konsul in Wien - ein Mann, der glaubte, man könne in einem Schreiben den beiden den Dank der französischen Nation aussprechen, und das auch noch veröffentlichte, wofür sie sich dann polizeilich und sogar gerichtlich zu verantworten hatten - sich so äußern konnte. - So war es in der Geschichte. Ich bitte um Entschuldigung: hier redet man immer in Formeln von hundert- und tausendjähriger Rivalität; das waren solche Dinge! ({6}) Da gab es im Deutschen Reichstag Leute, die haben sich so benommen, daß ihnen der französische Konsul in Wien schrieb - was sie sehr bloßgestellt hat -: „Frankreich begrüßt Sie und dankt Ihnen, denn es erblickt in Ihnen die Zukunft Deutschlands und die Hoffnung auf eine Versöhnung zwischen den beiden Völkern." ({7}) Aber das Wesentliche ist - und der Herr Bundeskanzler hatte ja noch einen anderen Namen aus der Vergangenheit in dieser besonderen Beleuchtung deutsch-französischer Rivalitäten, schrecklicher Erfahrungen und Verkrampfungen erwähnt, auf den zu sprechen zu kommen in diesem Zusammenhang eine Ehre ist -, daß Männer der deutschen Politik, die sich mit dieser schrecklichen Sache des deutsch-französischen Verhältnisses ernsthaft befaßt haben, sich durchgerungen haben oder von vornherein der Überzeugung waren, daß es sich um eine Aussöhnung der beiden und nicht etwa nur um irgendwelche formalen Abschlüsse von Abkommen oder Verträgen - damals zwischen den Dynastien und später zwischen den anderen Regierungen - handeln müsse. Sie haben es immer in einem größeren Zusammenhang gesehen. Immer! Und das möchte ich gern noch ein wenig belegen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat 1925 auf ihrem Heidelberger Parteitag beschlossen, sie trete ein für die aus wirtschaftlichen Ursachen zwingend gewordene Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit, für die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa, -

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

. . . um damit zur Interessensolidarität der Völker aller Kontinente zu gelangen. - Ich bitte Sie um Entschuldigung. Wenn ich zitiere, werde ich ja wohl nach Beendigung des Zitats unterbrochen werden können.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Die Frage des Herrn Dr. Dresbach gehört offenbar zu dem Sachbereich, den Sie vorher dargestellt haben.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte Sie nur um diesen Akt der Höflichkeit.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Na, ich bitte.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber ich bin bereit, Fragen zu beantworten, auch wenn es in diesem Fall um eine Erklärung geht. - Bitte!

Dr. Dr. h. c. August Dresbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000419, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Wehner, ich wollte Sie fragen, weshalb Sie das Jahr 1914 überspringen, wo die Sozialdemokratische Partei die Kriegskredite bewilligt hat. ({0})

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Manchmal hat man ja guten Grund, sich über Ihre Intervention zu freuen, Herr Kollege. Aber manchmal denkt man eben auch menschlich. Das Jahr 1914 kommt noch, wenn es darauf ankommt. ({0}) - Sie werden es gleich merken, Herr Dresbach. Sie sind zwar auch einer von den Gereifteren - genauso werde ich mich diesem Jahrgang zu nähern haben -, aber hier war von Ihnen zu schnell geschaltet. Hier geht es um die Beurteilung der Lehren des ersten Weltkrieges mit dem, was Hilferding sagte. Ich werde Ihnen gleich auch noch mit Stresemann dienen. Ich hoffe, es wird Sie zu dann befriedigen. Hilferding hat damals in seiner Rede zu dem Beschluß, bei dessen Zitat ich eben unterbrochen worden bin, erklärt; Wir wollen die Vereinigten Staaten Europas nicht als ein Wirtschaftsgebiet, das sich im Konkurrenzkampf gegen die Vereinigten Staaten Amerikas abschließt. Wir wollen die Vereinigten Staaten Europas nicht als ein Ausschlußmittel etwa gegen England oder gegen Rußland, sondern wir wollen die Vereinigten Staaten Europas, damit die großen Probleme der Wirtschaft, die großen Probleme der auswärtigen Politik gelöst werden können. Er hat dann politisch erläuternd in seiner Art und in seiner Sprache gesagt: Vielleicht war die allerletzte Ursache des Weltkriegs - gemeint ist der erste Weltkrieg doch der Umstand, daß die ungeheuer angewachsenen Produktivkräfte, die längst den einzelnen Bourgeoisien über den Kopf gewachsen waren, gegen die überkommenen nationalen Staatsgrenzen, die der wirtschaftlichen Stufe der Entwicklung nicht mehr entsprachen, rebellierten. Wir wollen - so sagte er eine Lösung des europäischen Staatenproblems, weil wir den Prozeß des Erwachens der geschichtslosen Nationen allerdings auch bis zu einem gewissen Grad zu beeinflussen, zu überwachen oder zu lenken haben, damit dieser Prozeß sich nicht wieder in einer katastrophalen, in einer kriegerischen Weise vollziehe, die heute bei der Entwicklung der Kriegstechnik die ganze europäische Zivilisation dem Untergang aussetzen würde. Er fügte hinzu: Wir wünschen diesen Prozeß durch eine einsichtige Politik der vereinigten europäischen Staaten zu fördern, die jede Unterdrückung anderer Nationen, jede Unterdrückung der Kolonialvölker und die Zerstörung ihrer Kultur, ihres Rechts ablehnt. Das ist der große Gesichtspunkt unserer auswärtigen Politik, der unmittelbar unseren sozialistischen Überzeugungen entspringt. Ich fand das bewegend und erregend, weil das die Worte eines Mannes sind, der mit seinem Leben ein Opfer der braunen Diktatur geworden ist und den Versuch gemacht hat, das zu tun, woran hier der Bundeskanzler heute erinnert hat: daß, wenn das gelungen wäre, beiden Völkern diese Diktatur und das, was ihr folgte, hätte erspart werden können. ({1}) Aber es war ein Mann, der sich .damals in dieser Vision dessen, was notwendig wäre aus den Gründen, die er in seiner Sprache darlegte, besann und sagte: Es ist, wie wenn wir eine Gipfelwanderung vorhaben und den Marsch beginnen; dann sehen wir die Spitze vor uns, scheinbar zum Greifen nahe, scheinbar mühelos zu erobern. Dann beginnt der Marsch durch das Vorgelände. Bald schwindet uns die Aussicht. Wir marschieren. Unser Weg dauert viel länger, als wir gedacht haben. Plötzlich treten wir aus dem Wald heraus, und das Vorgelände ist überwunden. Vor uns erhebt sich das steile Bergmassiv, steinig und unwegsam auf den ersten Blick, und da wollen wir einen Moment lang verzagen. Doch dann sagen wir unis: wir sind nähergekommen, wir haben die Vorbereitungszeit hinter uns, jetzt geht es zum Aufstieg, wir müssen hinauf. Es ist tragisch. Er und andere mußten damals, meine lächelnden Herren, noch tiefer herunter. Sie wollten das „hinauf" für alle, für die beiden Völker, für Europa. Sie mußten tief herunter. Aber es ist tröstlich: wir haben ihre Zuversicht in unseren Herzen. Das wollte ich bei dieser Gelegenheit in Erinnerung an die, die für die Vereinigung Europas nicht nur gesprochen haben, sondern auch Opfer geworden sind, hier sagen dürfen. Nun ein Wort zu Gustav Stresemann, weil er ebenfalls zu denen gehört hat, die in dem Bewußtsein von der unerhörten Bedeutung des deutschfranzösischen Verhältnisses dieses Verhältnis immer in seinen Zusammenhängen gesehen hat. Er sagte: Ich betrachte die Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland als die Kernfrage der europäischen Verständigung. Aber diese Frage kann man nicht mit irgendeiner Aggression gegenüber anderen Mächten lösen. Ich habe infolgedessen auch bei der großen wirtschaftlichen Abmachung, die hier zustande gekommen ist, - er meinte das deutsch-französisch-belgische Stahl- und Eisenabkommen immer betont, daß, soweit eine Mitwirkung der deutschen Regierung in Frage kam, es falsch wäre, wirtschaftliche Trusts zu schaffen, die ihre Spitze hätten, sei es gegen ein anderes europäisches Land, sei es gegen die Vereinigten Staaten von Amerika. Und so weit ging er damals: Ich glaube, daß die französische öffentliche Meinung im Sinne Frankreichs nicht gut daran getan hat, diejenige Schärfe gegen Amerika zu zeigen, die in den letzten Jahren zum Ausdruck gekommen ist. So Stresemann 1926! Die ganze Frage des Wiederaufbaus Europas - so schärfte er ein ist ja ohne Amerika nicht zu lösen. Und kurz danach: Die ganze Frage ist keine Frage der Divergenz zwischen Paris und London. Nach diesem Rückblick, meine Damen und Herren, wieder zu dem uns vorliegenden Vertrag, der in diese große Schau, mit der auch der Bundeskanzler den Vertrag eingebracht hat, gehört, und hin zu den Fragen, die mit ihm zusammenhängen, und auch zu den Problemen! Wenn im Grunde genommen Übereinstimmung angenommen werden kann in der Würdigung der deutsch-französischen Verständigung und wenn angenommen werden darf, daß diese Verständigung der Vereinigung Europas dienen soll, so erhebt sich die Frage nach der Auswirkung des Vertrages und nach den Umständen seines Zustandekommens in bezug auf die schon bestehenden Verträge und die aus ihnen entwickelten europäischen Gemeinschaften. Im Unterschied zu allem, was von Generationen vor uns versucht worden ist, zur deutsch-französischen Verständigung, zum europäischen Zusammenschluß zu kommen, haben wir es nun nach dem zweiten Weltkrieg ja mit bestehenden europäischen Gemeinschaften zu tun. Dort also haben wir etwas, mit dem gerechnet und das behutsam behandelt werden muß. Hilferding - ich darf auf ihn noch einmal zurückkommen - hat 1925 die Politik, die dem Prinzip der Rivalität der Nationen, dem Konkurrenzkampf der Nationen die Erkenntnis der notwendigen Solidarität der Nationen entgegengestellt, das Rettungsprinzip für Europa genannt. Ich greife jetzt auf einen, der unvergleichliche Verdienste im Aufbau der europäischen Gemeinschaften nach diesen blutigen Erfahrungen hat - es ist ein großer Franzose -, auf Jean Monnet, der nach den Erfahrungen zweier Weltkriege gesagt hat: Es handelt sich heute nicht mehr um eine bloße Summierung der nationalen Interessen, sondern darum, die Probleme von nun an als gemeinsame Probleme zu betrachten, die nationalen Interessen allmählich in einer einzigen europäischen wirtschaftlichen Einheit zu verschmelzen und dabei die gleichen Regeln und die gleichen Institutionen entsprechend den Grundsätzen der europäischen Gemeinschaften anzuerkennen. Das sagt Jean Monnet. Ich glaube, man darf sagen, das ist eine neue Methode des gemeinschaftlichen Handelns, von den sechs Ländern der Gemeinschaften seit 1950 mit der Verpflichtung angenommen, ihre Wirtschaftsprobleme als gemeinsame europäische Probleme und nicht, wie in der Vergangenheit, als innerstaatliche Probleme zu behandeln. Es wäre ungerecht, wollte man sagen: erst mit dem 14. Januar, jener Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten, die im Zusammenhang mit Brüssel noch lange unvergessen bleiben wird, hätte man sich manchmal auch an sehr verantwortlicher und hervorgehobener Stelle wieder nach rückwärts gewandt. Diese Probleme sind eigentlich seit der Existenz der Gemeinschaft als gemeinschaftliche zu behandeln, nach beschlossenen und zum Vertrag gewordenen Regeln und mit Hilfe von lebendigen, von existierenden, von tätigen Institutionen, was es früher in dieser Weise nie gegeben hat. Es ist etwas, das es zum erstenmal in der für uns überschaubaren Geschichte zwischenstaatlicher Beziehungen gibt. Es wäre ungerecht zu sagen, erst am 14. Januar sei das geschehen; es ist manchem auch schon vorher passiert. Ich habe z. B. den Herrn Bundeskanzler - im Herbst letzten Jahres war es wohl - einmal öffentlich darauf aufmerksam gemacht, daß er in einem Brief, den er damals an den Hamburger Bürgermeister Nevermann geschrieben hat, auch von deutschen Interessen gesprochen hat; er hat sie dann erklärt als Textil, Kohle, Landwirtschaft, wobei ich ihm natürlich zugute halte, daß das Interessen sind, die er wahrzunehmen hat. Nur hat er dabei für den Augenblick oder für länger - das muß er selber wissen - übersehen, daß es sich hier um Interessen, um Fragen, um Problemkreise handelt, die nach den Methoden, die in den Verträgen festgelegt sind, regelbar geworden sind. Dieses gelegentliche und leider in der letzten Zeit immer wieder beharrlich vorgekommene Zurückfallen in solche Interessenausdrücke hat auch in Ländern, die auf uns blicken, in Ländern, die sich überzeugen lassen, daß auch sie eigentlich zur Gemeinschaft gehören - ich denke da an eine Reihe von Nachbarländern -, Aufsehen erregt. Ich werde lange nicht vergessen, wie ein mir besonders sympathischer, politisch sonst gar nicht nahestehender Diplomat, der zu den ältesten hier in Bonn gehört, mir einmal in diesem Zusammenhang die Frage stellte: „Wie kommt das eigentlich, können Sie mir das erklären? Früher gab es von Bonn amtlicherseits immer wirkliche Impulse zur europäischen Einigung. Seit einer gewissen Zeit ist das anders." Ich habe ihm zu meinem Leidwesen sagen müssen: „Das ist tatsächlich seit einer gewissen Zeit anders, und das hat Ursachen." Man kommt in eine schwierige Lage, weil die Partner und die, die uns beobachten, die auf uns sehen, sich zeitweise sogar eine Theorie zurechtgelegt haben, warum es so sei. Sie sagen: „Ja, ja, solange die Bundesrepublik Deutschland noch in einer Situation war, in der sie sich sozusagen unter dem Souveränitätspegel der anderen befand, da konnte sie gut über die Übertragung von Souveränitätsrechten reden; da hatte sie ja noch etwas mit zu gewinnen. Aber nun - - !" Ich möchte, daß dieses Mißverständnis der Haltung der Bundesregierung und solcher in ihr, die um die europäische Zusammenarbeit Verdienste haben, ausgeräumt werden kann. ({2})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Wehner, der Herr Abgeordnete Majonica hätte gern eine Zwischenfrage gestellt. Sind Sie einverstanden?

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Ernst Majonica (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wehner, sind Sie nicht der Meinung, daß der Plan, den der deutsche Außenminister in Brüssel auf der 100. Tagung des Ministerrates der EWG vorgelegt hat, eine neue und eine sehr positive Initiative in der Europapolitik gewesen ist?

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Warum haben Sie, Herr Kollege, es eigentlich so eilig? Ich glaube, daß der Bundesaußenminister weiß, daß auf ihn der Spruch: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang" in diesem Zusammenhang angewandt werden könnte. Denn, Hut ab vor der Initiative des Außenministers. Aber, Herr Majonica, die geredete Initiative ist doch noch nicht, wie Sie es vorhin hier gesagt haben, die Überwindung der Krise. Das weiß der Außenminister sehr genau. ({0}) Das mache ich ihm nicht zum Vorwurf. Ich mache Ihnen zum Vorwurf, daß Sie sich und andere - wahrscheinlich unbewußt - täuschen, indem Sie meinen, es komme darauf an, zu zeigen, wie gutwillig man ist. Darauf kommt es gewiß auch an. Aber wir haben noch vieles zu tun, um den anderen, die mißtrauisch geworden sind, klarzumachen, daß sich hier bei uns etwas in Bewegung setzt und wir uns mit Haag, mit Brüssel usw. besprechen. Ja, konsultieren Sie einander! Es ist wahr, daß eine Krise wie die, in die man in Brüssel geraten ist, mit einigen guten Vorsätzen und mit einigen Ansatzpunkten, auf die der Außenminister mit Recht hingewiesen hat - Vorsätze, deren Verwirklichung wir, wo es nur geht und wie es nur geht, unterstützen werden -, noch lange nicht behoben ist. ({1}) Was der von mir genannte Pionier der europäischen Vereinigung Jean Monnet eine neue Methode des gemeinschaftlichen Handelns nennt, hat er erläutert: Sie erkennen die gleichen Rechte an, sie haben gemeinsame Institutionen geschaffen, den Ministerrat, das Europäische Parlament, die Europäischen Kommissionen, den Gerichtshof. Das - ich stimme damit vollkommen überein - ist der Anfang der künftigen europäischen Föderation, das ist er, und nicht ein Vertrag, der sonst noch geschlossen werden kann, so wichtig ein solcher Vertrag sein kann. Die gemeinsamen Regeln und Institutionen werden zur Beseitigung des Überlegenheits- und des Herrschaftsdenkens führen, das die europäischen Länder an den Rand des Verderbens geführt hatte. Meine Damen und Herren, ich komme - und bin in ihr - in eine delikate Situation. Ich muß jetzt - das gehört hier dazu und das muß die parlamentarische Opposition und müssen ihre Sprecher, sonst wären wir ein schlechtes Parlament; aber ich will Ihre Anerkennung nicht herauslocken, daß wir diese Aufgabe haben - hier einen Mann zitieren, mit dem wir jahrelang, weil er unser erklärter innenpolitischer Gegner war und wohl auch noch ist, Florett und Degen - bildlich gesprochen, bitte, bitte, ich bin kein Fechter - gekreuzt haben: ich meine den Präsidenten der Europäischen Wirtschaftskommission. Wenn Sie von Krise sprechen, Verehrte, und wenn Sie davon sprechen, sie sei überwunden, dann müssen Sie das, was tatsächlich im Gewebe der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angerichtet worden ist, wirklich unter die Lupe nehmen, nicht um peinliche Entdeckungen zu machen, sondern um zu prüfen: gibt es - und wo sind sie, wenn es sie gibt - Ansätze zu einer Überwindung dieser Krise? Der Präsident der Europäischen Kommission hat im Europäischen Parlament erklärt, daß so wenig wie irgend jemand die Kommission die Bedeutung der politischen Grundtatsache verkenne, die durch diesen Vertrag, über den wir heute hier reden, bekräftigt werden soll, der durch Robert Schuman und Konrad Adenauer inaugurierten deutsch-französischen Aussöhnung. Er setzt hinzu: Diese Tatsache ist nicht nur von unermeßlichem Segen für den Frieden Europas, für den Frieden der Welt; es ist auch außer Zweifel, daß ohne sie alle Bemühungen um eine vorbehaltlose und dauerhafte Einigung Europas ein eitles Unterfangen sein würden. Wir haben ferner keinerlei Grund, in der unglücklichen zeitlichen Koinzidenz zwischen Vertragsabschluß und Unterbrechung der britischen Verhandlungen, jener Koinzidenz, die das Urteil über den Vertrag weithin bestimmt hat, das Indiz eines verabredeten Planes zu sehen, - so Hallstein -, der sich gegen die geographische Ausdehnung unserer Gemeinschaften und womöglich zugleich gegen deren vertragsmäßige Entwicklung überhaupt richtet. Aber der Vertrag bezieht nun einmal ausdrücklich die Angelegenheiten der europäischen Gemeinschaften in seinen Anwendungsbereich ein. Die Konsultation, zu der die Regierungen sich in allen wichtigen Fragen der Außenpolitik verpflichten, um so weit wie möglich zu einer gleichgerichteten - ein schreckliches Wort; viele werden mit mir übereinstimmen Haltung zu gelangen, ({2}) schließt ein die Fragen der europäischen Gemeinschaften, die Ost-West-Beziehungen sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich, ferner Angelegenheiten, die in den verschiedenen internationalen Organisationen behandelt werden. Dazu kommt die Konfrontation der Entwicklungsprogramme und die Prüfung der Möglichkeiten, Vorhaben gemeinsam in Angriff zu nehmen. Eine Verstärkung der Zusammenarbeit ist im Rahmen des Gemeinsamen Marktes vorgesehen, in anderen wichtigen Bereichen der Wirtschaftspolitik, z. B. der Land- und Forstwirtschaftspolitik, der Energiepolitik, - zu der wir hier wahrlich noch wenig wirkliche Ansätze haben; es dämmert einiges der Verkehrs-, der Transportfragen, der industriellen Entwicklungen ebenso wie der Ausfuhr- und Kreditpolitik. Jede der interministeriellen Kommissionen in den beiden europäischen Hauptstädten hat, so lautet das in dem Vertrag, zudem die Aufgabe, Anregungen für eine Ausdehnung des Programms der Zusammenarbeit auf neue Gebiete zu geben. Organisatorisch sind nicht nur periodische Sitzungen der Staats- und Regierungschefs, der Außenminister und von Beamten der Außenministerien vorgesehen, sondern auch alle notwendigen Kontakte zwischen den ständigen Vertretern der beiden Länder bei den internationalen Organisationen, worunter auch. die Gemeinschaften zu verstehen sind. Wenn wir darüber zu reden haben werden - aber ich habe schon gehört, im Ausschuß soll nur sehr wenig Zeit sein - und das einmal ausrechnen zusammen mit dem Stellenkegel des Auswärtigen Amtes oder der anderen beteiligten Ministerien, das gibt eine tolle Rechnung! Mich haben ausländische Kollegen - Parlamentarierkollegen-gefragt, wie wir das denn wohl verkraften würden - bei den Franzosen nehmen sie an, die können es verkraften -, so viele Leute zu ganz engmaschigen, genau datenmäßig festgelegten Konsultationen fortgesetzt zusammenzubringen. Ob uns denn, so fragten sie - eine Kehrseite hatte das -, dann noch 'genügend von diesen qualifizierten Beamten zur Verfügung :stünden für die eigentliche Arbeit in den europäischen Gemeinschaften, - für die Arbeit hin zu den europäischen Gemeinschaften. ({3}) Der Haushaltsausschuß wird sich damit zu befassen haben. ({4}) - Bitte, wenn Sie die Arbeit kennen, Herr Kollege, der Sie sich darüber mokieren, werden Sie sehen: der Ausländer hat sich genau - ich habe mit ihm einige Jahre zusammengesessen in der europäischen Kahle- und Stahl-Versammlung - ein Bild darüber gemacht. Den Beamten ist es ja auferlegt, die Konsultationen in den vorgeschriebenen Fristen - die ich hier gar nicht vorlesen will - zu absolvieren. Ich komme aber zurück zu Hallstein. Der Präsident der Kommission sagt: Die Kommission, der der Vertrag von Rom ausdrücklich die Aufgabe eines Hüters dieses Vertrages zuweist, sieht sich durch die Sachlage, wie sie durch diesen Vertrag gegeben und von ihm hier zusammengefaßt worden ist, zu folgenden Bemerkungen veranlaßt, wobei sie vorausschickt, daß sie den Sachverhalt ohne jede Voreingenommenheit geprüft hat und selbstverständlich den Vertragschließenden keinerlei Absicht unterstellt hat, damit gegen ihre Gemeinschaftsverpflichtungen zu handeln. Als Kriterium ihres Urteils nimmt sie nicht einen formalen juristischen Maßstab - wie sie überhaupt der Meinung ist, daß der Schwerpunkt der Fragen im Bereich des Politischen liegt -, sondern die Ratio des Vertrages selbst ist das Interesse an einer in ihrer Substanz und Dynamik unversehrten Gemeinschaft, d. h. an der sicheren und uneingeschränkten Verwirklichung des materiellen Vertragsinhaltes und an einem reibungslosen und höchst produktiven Funktionieren der verfassungsmäßigen Organisation der Gemeinschaft. Im Lichte solcher Befürchtungen - und das gehört in dieses Haus, wenn von solcher Stelle, vor solchem Forum solche Befürchtungen ausgesprochen worden sind -, im Lichte einer solchen Betrachtung muß die europäische Kommission, so ließ der Präsident selbst erklären, die Frage stellen, ob die faktischen Bedingungen .des Zusammenspiels :der Kräfte, denen unser Vertrag die Politik der Gemeinschaft anvertraut, durch die Anwendung des Konsultationsmechanismus des deutsch-französischen Vertrags nicht in einer Weise verändert werden können, die nicht im Sinne des Römischen Vertrags liegt. Es heißt weiter: Der Rat insbesondere ist ja nicht eine diplomatische Konferenz, in der vorgefaßte Positionen der einzelnen Delegationen durch Addition und Subtraktion zu einem Saldo zusammengefaßt werden, sondern das gesetzgeberische Beschlußorgan der Gemeinschaft, in dem in einer Diskussion zwischen allen Ratsmitgliedern und 'in einem beständigen Dialog mit der Kommission Gründe und Gegengründe gewogen werden und der Ausgleich zwischen den Partikularinteressen und dem Gemeinschaftsinteresse gesucht wird. Die vorherige obligatorische Beratung zwischen zwei Mitgliedern der Regierungen mit dem Ziele, wie der Vertrag sagt, soweit wie möglich zu einer gleichgerichteten Haltung zu gelangen, trägt in diesen ausgewogenen Gemeinschaftsprozeß ein neues und dem Vertrag fremdes Gesicht hinein. Erst recht, wenn auf die Waage des bilateralen Kompromisses einmal auch sachfremde, d. h. außerhalb der Gemeinschaftsmaterie liegende Argumente gedrückt haben sollten. Und dann wiederholt der Präsident der Europäischen Kommission: Das sind Entwicklungen, die sich aus der Natur des Vorgangs ergeben können und keinerlei bösen Willen eines Beteiligten voraussetzen. Man braucht sich nur vorzustellen, ein Vertrag dieser Art, in der Form käme zwischen allen sechs Mitgliedstaaten unserer Gemeinschaft zustande, um sofort zu sehen, daß dann die Vereinbarkeit mit dem Vertrag von Rom nur dadurch gerettet werden könnte, daß alle Konsultationen über Gemeinschaftsangelegenheiten in die Gemeinschaftsorgane selbst verlegt würden. Man braucht die Überlegung gar nicht bis zu der Unterstellung zu führen, die durch die Haltung der beiden Regierungen in der Vergangenheit gewiß nicht zu begründen ist. So versicherte der Präsident, daß sich die Konsultation zu einem systematischen Abstimmungspool auswachsen könnte, einem Pool von zwei Partnern, deren vereintes Stimmengewicht eine qualifizierte Mehrheit im Rat vereiteln kann. Seine Schlußfolgerung, seine vorläufige Schlußfolgerung: Alle diese Erwägungen, die notwendig Hypothesen einschließen, führen die Kommission zu dem Schluß, daß ein verbindliches Urteil über den Vertrag vom Standpunkt des Gemeinschaftsinteresses schwer gefällt werden kann, ohne auch die praktische Anwendung dieses Vertrages zu würdigen. Wir haben deshalb mit Aufmerksamkeit und mit. Genugtuung Tendenzen beobachtet, bei der parlamentarischen Ratifikation des Vertrages außer jeden Zweifel zu setzen, daß der Vertrag nicht zu Wirkungen auf 'die materielle Gemeinschaftsordnung und die Gemeinschaftsverfahren führen darf, die dem Sinn unseres Vertrages zuwiderlaufen. Dann faßt er die Stellungnahme der Kommission zu der eindringlichen Aufforderung an die nationalen Ratifikationsgesetzgeber und die beteiligten Regierungen zusammen, bei Gelegenheit der parlamentarischen Ratifizierung so klar und so verbindlich wie möglich festzulegen, daß Auslegung und Anwendung des Vertrages Bestand, Funktionieren und Dynamik unserer Gemeinschaft nicht beeinträchtigen dürfen. Die deutsche Öffentlichkeit ist von den Ausführungen des Präsidenten der Europäischen Kommission bisher in einer sehr unvollkommenen Weise unterrichtet. Ich habe es für notwendig gehalten, hier ohne Zustäze mit jenen erkennbaren Interpretationen, die vom Text auseinandergehalten werden können, das, was der Präsident der Europäischen Kommission zu dem Vertrag vor dem Parlament der Europäischen Gemeinschaft gesagt hat, diesem Haus zur Kenntnis zu bringen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Aigner?

Dr. Heinrich Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wehner, wollen Sie mit diesen Zitaten sagen, daß alle Impulse zur weiteren Integration Europas nur innerhalb der Römischen Verträge erfolgen dürfen, auch wenn sie diese Verträge nicht berühren?

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hier geht es um Gemeinschaften, wie wir sie nie früher gehabt haben und deren Methoden, Institutionen und Verfahrensregeln -ich sage es in meinen Worten - zu hüten sind wie der Augapfel. ({0}) Das schließt keinerlei Initiativen aus. Das schließt aber alles aus, was diese Gemeinschaften und das, was durch sie erreicht worden ist, rückläufig machen oder gar gefährden könnte. Der Botschafter der Französischen Republik, de Margerie, hat, wie ich hörte, im Rundfunk gesagt, daß ja auch andere sich anschließen könnten. Ist damit gemeint, daß entsprechend diesem Vertrag, der mit Frankreich geschlossen worden ist, andere Verträge, z. B. ein ähnlicher Vertrag mit Großbritannien oder mit Holland, mit Italien, mit Luxemburg, mit Belgien, sollen geschlossen werden können? Ist das wirklich gemeint? Das möchten wir gerne wissen. Welche Folgen es hätte, wenn viele solcher bilateraler Verträge mit diesem Konsulationsinhalt geschlossen würden, das hat ja der Präsident der Europäischen Kommission gesagt: Man könnte sich und das Ganze nur retten, wenn man das dann weder logischerweise, wo es hingehört, in die Organe und in den Schoß der Gemeinschaft zurückführte. Aber will jemand sagen - und die Antwort ist die Antwort auf eine bohrende Frage -, es sei ja gar nicht drin oder es sei ja gar nicht erstrebenswert, daß viele solche Verträge zu diesem einen kommen? Dann müssen Sie sich entscheiden, was Sie wollen, ob Sie Exklusivität wollen, ob Sie den Verdacht der anderen Partner in der Gemeinschaft wollen, daß hier durch das Zusammenlegen dessen, was zwei - und in diesem Falle zwei der leistungsfähigsten, auch der größten - Partner der Europäischen Gemeinschaft haben und sind, doch eine völlige Veränderung der Gewichte in der Gemeinschaft entstehen könnte. Niemand wird das wollen, dem die Gemeinschaften am Herzen liegen. Aber zurück zu der Frage: Ist es gewollt - so wie es dem französischen Botschafter in den Mund gelegt worden ist -, daß sich auch andere anschließen oder daß ähnliche Verträge mit ihnen geschlossen werden können? - Wenn das so ist, dann möchten wir gerne wissen, ob dann ein Vetorecht wieder das Anschlußbestreben eines anderen zunichte machen kann. Wir würden jedenfalls gerne in Kauf nehmen, auf dem Umweg über ähnliche Verträge, Parallelverträge oder Anschlußverträge zu diesem, schließlich dazu zu kommen, daß, wie es Hallstein richtig gesagt hat, die Dinge wieder in die Gemeinschaft zurückgeführt werden müssen. Denn das Wichtigste, was in Europa geschaffen worden ist, sind diese Europäischen Gemeinschaften. Sie hätten aus Gründen der Wirtschaft und aus sozialen wie aus politischen Notwendigkeiten geschaffen werden müssen, auch wenn der Ost-West-Konflikt nicht bestünde. Aber infolge des Ost-West-Konflikts und seiner alles beherrschenden und verfärbenden Bedeutung sind diese Gemeinschaften für uns geradezu lebenswichtig. Und Tatsachen: England hat, obwohl es zehn Jahre lang in Unentschlossenheit und manchmal auch in Opposition gegenüber der Europäischen Gemeinschaft verharrt hat, nun den Beitritt als gleichberechtigtes Mitglied gewünscht und ist bereit, den Vertrag von Rom anzuerkennen, andere - Dänemark, Norwegen, Irland - auch. Andere wollen in ein Assoziationsverhältnis treten: Schweden, Schweiz, Österreich. Weitere Tatsachen: Der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow hat in einer Zeitschrift, die den langen Titel trägt „Probleme des Friedens und des Sozialismus", geschrieben: Wir tragen den sachlichen Bestrebungen zur Internationalisierung der Produktion, die in der kapitalistischen Welt wirksam sind, Rechnung, und wir bestimmen danach unsere Politik und treffen die entsprechenden wirtschaftlichen Maßnahmen. Hier ergibt sich die Frage der Möglichkeit eines friedlichen wirtschaftlichen Wettbewerbs nicht nur zwischen den Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen, sondern auch zwischen den wirtschaftlichen Zusammenschlüssen, denen die verschiedenen Länder angehören. Ich zitiere das, weil ich damit sagen will: Die Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der übrigen Gemeinschaften hatte schon ein Niveau erreicht, das sogar die Auguren jener Seite zu solchen Feststellungen nötigt - und wer sich mit den Einzelheiten befaßt hat, kann das nachprüfen und hat es nachgeprüft; es ist eine ganze Literatur auf der anderen Seite schon erschienen -, wie ich sie eben mit dem Zitat des sowjetischen Ministerpräsidenten wiedergegeben habe. Es ist mit Recht anzunehmen gewesen, wie es zum Beispiel das Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa erklärt hat, daß die Entwicklung der KubaFrage und der Fortschritt des Gemeinsamen Marktes, die Chruschtschow einen neuen Ton in seinen Erklärungen über die europäische Einigung anschlagen ließen, Anlaß zu gewissen Hoffnungen auf eine Änderung der Beziehungen zwischen dem Osten und dem Westen geben. Ich teile die Überzeugung, daß es bei dem europäischen Zusammenschluß und bei allem, was ihn betrifft oder was seinen Charakter ändern könnte, um etwas Lebenswichtiges im Westen geht. Um diesen großen Zusammenschluß des Westens zu bekommen, bedarf es als Grundlage einerseits eines Vereinigten Europas einschließlich Englands und andererseits der Vereinigten Staaten. Die Sowjetunion, die vielleicht ebensowenig wie der Westen Krieg wünscht, muß durch das tatsächliche Bestehen eines Westens, den sie nicht auseinanderdividieren kann, in eine Lage gebracht werden, oder, vorsichtiger gesagt, kommen können, in der auch die Fragen, die zur Abrüstung gehören, mehr und anderes als nur Propaganda sein können. Aber ein solches Abkommen wird erst möglich sein - hier teile ich ausdrücklich die Meinung, die wir auch in einer entsprechenden Erklärung des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa niedergelegt haben -, wenn die sowjetische Seite überzeugt sein muß, daß die Einheit des Westens unumstößlich besteht. Solange aber der Westen den Eindruck erweckt, daß seine Spaltung möglich ist, wird die Sowjetunion nicht zu Abkommen geneigt sein, da sie dann stets in dem Glauben leben wird, sie könne das Gleichgewicht in der Welt stören oder gar zerstören. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das, was mit diesem Vertrag und mit seinen Auswirkungen auf die bestehenden europäischen Gemeinschaften, ihre Substanz, zu prüfen ist, von erheblicher Bedeutung. Es geht um mehr als um mehr oder weniger technische Streitfragen, wie die europäische Zusammenarbeit und die Vereinigung Europas zustande zu bringen oder zu entwickeln ist. Es geht um den Zusammenhalt des Westens und damit um die Frage der Sicherung des Friedens in Freiheit. Der frühere amerikanische Außenminister Dean Acheson- ich habe einmal gehört, der Herr Bundeskanzler habe gesagt: Ja, auf den kann man hören, denn der ist ein harter Mann - hat in einer Rede vom 13. März, die Sie sich im Wortlaut beschaffen sollten, ohne Polemik, ohne Polemik zum deutsch-französischen Vertrag und ohne Polemik zu den Personen, die ihn unterzeichnet haben, deutlich gemacht, was das alles, was sich da, wie der Bundeskanzler sagte, zeitlich zusammenfallend ereignet hat, bedeuten kann. Was die wirtschaftliche Seite betrifft, hat er gesagt, daß der Gemeinsame Markt - .genau wie die Vereinigten Staaten - ein zu bedeutender Produzent und Verbraucher ist, um nur innerhalb seines eigenen Verbandes kaufen, verkaufen und verbrauchen zu können. Wenn man dies versuchen wollte, würde es die schlimmsten Konsequenzen für das eigene Gebiet und für die weiten Außenzonen der freien Welt haben, die vom Handel mit diesen beiden großen Märkten leben müssen. Er hat definiert, daß die amerikanische Politik gegenüber dem Gemeinsamen Markt seit seiner Gründung davon ausgegangen sei, daß ein solches Arrangement unter der Voraussetzung niedriger Außenzölle und anderer Chancen gut, bei hohen Barrieren dagegen schlecht sei; denn der Gemeinsame Markt wurde nicht als ein Instrument für die Abkapselung des europäischen Handels innerhalb eines geschlossenen Vereins unter französischer Hegemonie begründet, sondern als ein neuer großer Markt, der der Ausweitung des Handels auch aus weltoffenem Verantwortungsbewußtsein diene. In diesem Zusammenhang hat er auf das vom Kongreß verabschiedete Gesetz, Trade Expansions Act, das eine große Bedeutung hat, hingewiesen und hat gesagt, auf dieser Konzeption fuße dieses Gesetz, und niemand habe das besser formuliert - er beruft sich hier auf einen Franzosen, auf denselben, auf den ich mich vorhin berufen habe - als Jean Monnet als der Vater des Gemeinsamen Marktes, der gesagt hat: Es gibt dringende Probleme, die weder Europa noch Amerika allein lösen kann. Dabei handelt es sich nach seiner Auffassung um die Währungsstabilität des Westens, um die Organisation der Landwirtschaft in einer sich zunehmend industrialisierenden Welt, um die Hilfe für die Entwicklungsländer, die deren Wachstum beschleunigen soll, und selbstverständlich um die Freigabe des Handels, die zwischen Amerikanern und dem Gemeinsamen Markt ausgehandelt werden muß. Acheson hat im Lichte dieser Feststellungen die Frage gestellt: „Wie sollen denn nun die Vereinigten Staaten im Lichte dieser Analyse auf die Ereignisse des Januar reagieren?" Das sind die Ereignisse, von denen der Bundeskanzler am Schluß gesagt hat, sie seien zeitweilige Ereignisse. Aber immerhin, sie sind Ereignisse, die den Westen zu ,erheblichen Überprüfungen nötigen. Zunächst einmal - so sagt Acheson -sollten die Vereinigten Staaten eine besonnene Antwort geben, ,die Sinn für die richtigen Proportionen erkennen läßt und Scharfe und Groll vermeidet. Sie darf nicht, wie es zum Teil - so sagt er an die Adresse seiner eigenen Presse der Fall war, auf der Annahme basieren, daß alles verloren sei, weil der General de Gaulle unumwunden einen schon seit langem bestehenden Widerstand gegen eine allgemein befürwortete Politik aufgedeckt hat. Sie sollte auf dem Wissen basieren, daß die Haltung des Generals von unserem gemeinsamen Verbündeten nicht gebilligt wird. Das heißt: hier wind die deutsche Haltung als eine solche angesehen, die nicht leinfach in einen Topf geworfen werden kann mit der des Konsultationsund damit Vertragspartners. Man muß sehen, daß das sich bewährt, möchte ich dazu sagen. Des weiteren -so sagt er seiner eigenen Nation sollte sie auf der Tatsache basieren, daß die Vereinigten Staaten stark sind und von Freund und Feind gleichermaßen als 'stark angesehen werden. Er hat bei dieser ,Gelegenheit auch einiges zur Verteidigungspolitik gesagt. Ich bitte Sie herzlich, es nachzulesen, weil es für uns sicher sehr beherzigenswert ist. Aber hier geht es um mehr als um Verteidigung oder Zoll. Hier geht es um eine umfassende Partnerschaft des in der Vereinigung begriffenen Europa mit den Vereinigten Staaten von Amerika und die Bedeutung dieser Partnerschaft für die Gewichte in der Weltpolitik. Ich habe mich immer gewundert, warum eigentlich eine solche Rede wie die, die jetzt beinahe ein Jahr alt sein wird, die Rede des Präsidenten Kennedy vom 4. Juli vergangenen Jahres, mit einer ungewöhnlich packenden Feststellung dessen, was jede Seite allein für sich nicht tun könne, was aber, wenn wir uns zusammentun, getan werden kann, sowenig gewürdigt worden ist. Er sagt: Auf uns allein gestellt, können wir nicht überall auf der Welt Gerechtigkeit schaffen, können wir nicht dafür sorgen, daß Ruhe auf ider Welt herrscht, oder für ihre gemeinsame Verteidigung aufkommen oder ihren allgemeinen Wohlstand fördern oder die Segnungen der Freiheit für uns und unsere Nachwelt sicherstellen. Aber gemeinsam mit anderen freien Nationen können wir dies und mehr noch tun. Wir können - und da kommt ein ganzer Plan in nuce -den Entwicklungsländern helfen, das Joch der Armut abzuschütteln. Wir können unseren weltweiten Handel und unseren Zahlungsverkehr ,auf einen Stand ausgleichen, der ein :größtmögliches Wachstum verheißt. Wir können ein Abschreckungsmittel schaffen, Idas so gewaltig ist, daß eis jede Aggression unterbindet. Und schließlich können wir dazu beitragen, eine Welt des Rechts und der Entscheidungsfreiheit zu schaffen und damit die Welt des Krieges und des Zwanges zu bannen. Das ist immerhin gewaltig, und das sollte wörtlich genommen und zu realisieren versucht werden. Damit ist auch alles das in die richtigen Verhältnisse gestellt oder gerückt, was mit dem Wort gemeint sein kann, die deutsch-französische Freundschaft, wie sie nun in diesem Vertrag ihren Ausdruck findet, werde einen Damm gegen den Kommunismus darstellen. Das Ist klar, daß hier etwas gemeint ist, über das nicht gestritten zu werden braucht. Aber es wäre kein Damm, dessen Mörtel oder Zement das Mißtrauen gegen die Vereinigten Staaten von Amerika oder gegen andere Länder wäre. Die bohrende Frage kann uns in diesem Zusammenhang nicht gleichgültig lassen, ob durch manches, was auf der anderen Seite muit diesem Vertrag gemeint ist, dem Nationalismus die Tore geöffnet werden. Paul Henri Spaak sagte: Gaullismus ist Nationalismus. Er muß dafür seine Gründe haben. Madariaga - Sie verziehen Ihr Gesicht, Herr Kollege - hat die Frage gestellt und sich offensichtlich damit abgeplagt: Es sei schließlich nicht einzusehen, warum der tragende Gedanke der deutschen Politik nicht „Deutschland, Deutschland über alles" heißen solle, wenn die französische Politik ihre Dynamik aus der „Grandeur de la France" beziehe. Das sind schwierige Überlegungen. Gerade weil ich Hochachtung vor der Haltung de Gaulles habe ({1}) - vor der Haltung eines Mannes im Weltkrieg, der wegen seines Nichtkapitulierens vor Hitler und seiner Wehrmacht vielen Mut eingeflößt hat, vielen, die damals Gegner Hitlers waren; was er da bedeutet hat, wird nie vergessen werden -, gerade deshalb wünsche ich dieses Bild nicht getrübt zu sehen durch seine Philosophie über eine Nachkriegswelt mit Deutschland als Staatenbund, wie Wir sie in seiner eigenen Handschrift vor uns haben, wenn wir wollen, wenn wir danach greifen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister, der, wie ich annehme, heute zu diesem Vertrag noch nicht sprechen wird, hat in einem Interview sich und anderen die Frage gestellt und gesagt: Man wage sich die Frage eigentlich kaum zu stellen, was eigentlich die Vorstellung von einem Kontinentaleuropa bedeute, das vom Atlantik bis zum Ural reichen solle. Wie solle dieses Europa aussehen? Unter welchen Ordnungsprinzipien, unter welchen gesellschaftspolitischen Vorstellungen solle es stehen, und welche politischen Konsequenzen hätte eine solche Politik? Dies alles sind Fragen - hat damals Professor Erhard gesagt -, die nach seiner Ansicht von den Fraktionen auch bei der Ratifizierung des Vertrages gestellt werden müssen. Der Bundeswirtschaftsminister wußte damals noch nicht genau, daß wir sehr wenig Zeit für die Behandlung des Vertrages bekommen. Er selber hat aber damals gesagt, daß man das gründlich machen müsse, und er hat von einer „pfleglichen Behandlung" der Ratifizierung des Vertrages gesprochen, die auf keinen Fall umgefälscht werden dürfe in eiie feindselige Haltung gegenüber Frankreich. Er sagt mit Recht, das habe doch überhaupt nichts miteinander zu tun. Ich glaube, man kann nicht einerseits sagen, daß der Vertrag auf Wunsch der Fraktionen noch einmal gründlich auf alle politischen, wirtschaftlichen und militärischen Aspekte und Konsequenzen hin überprüft werden müsse, und andererseits uns durchs Radio mitteilen, daß man bis Pfingsten schon die letzte Lesung hinter sich gebracht haben müsse. ({2}) Der Bundeswirtschaftsminister hat einige bittere Worte - ich will sie Ihnen jetzt nicht einflößen, er ist heute in einer anderen Stimmung als damals ({3}) über Vorleistungen fallenlassen, von denen er annimmt, daß sie im Vertrauen darauf gemacht wurden, daß der Anschluß Englands und anderer erfolgen werde. Dazu gehört insbesondere auch die Agrarpolitik. Wie ich erfahren habe, gibt es recht unterschiedliche Meinungen darüber, ob das Wort mit den Vorleistungen so gesagt werden dürfe oder nicht. Aber ich will darüber nicht weiter reden; vielleicht haben wir später einmal Zeit dafür. Doch sehe ich eine gewisse Logik in dem, was sich der Herr Bundeswirtschaftsminister hier hinsichtlich dessen überlegt hat, was wir bisher mitgemacht und dem wir zugestimmt haben und was nun durch das Nichtaufgehen der Rechnung doch in ein anderes Licht kommt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat übrigens ganz freimütig gesagt, manchmal frage er sich nun, ob die Freundschaft seitens der Politik vielleicht nicht sogar gestört werden könne. Er meint die deutsch-französische Freundschaft. Er hat gesagt, er wisse nämlich nicht, ob die Freundschaft dadurch gefördert werde, daß man periodisch immer wieder Fragen anschneide, von denen wir wüßten, daß wir den französischen Staatschef nicht überzeugen könnten, und in denen es auch sachlich keine Übereinstimmung geben könne; von jeder Konferenz würden dann nur Spannungen und Diskrepanzen übrigbleiben. Wenn ich den Herrn Bundeswirtschaftsminister richtig verstanden habe, heißt das - in meiner Sprache - etwa so: das soll ein Konsultations-, ein Freundschaftsabkommen und nicht ein Feststellungsabkommen für die Diskrepanzen werden. ({4}) Das ist also die Schwierigkeit, die sich bei diesem Abkommen in dieser Situation ergibt. Meine Damen und Herren, der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gesagt - und das ist wohl seine feste Überzeugung; er ist dafür auch im Ausland bekannt, und man hat es dort mit Recht positiv ausgewertet -, daß über die Verständigung mit Großbritannien und die Einmütigkeit darüber bei den Deutschen kein Zweifel zu herrschen brauche. Der Bundeswirtschaftsminister hat aber seine Erfahrungen gehabt; ich wünsche ihm, daß er jetzt vorwiegend bessere Erfahrungen macht. Damals hat er nämlich erklärt, um einer Dolchstoßlegende vorzubeugen, wolle er gleich sagen, daß eine pflegliche Behandlung der Ratifizierung des Vertrages eben nicht umgefälscht werden dürfe. Stellen Sie sich das einmal vor! Gerade wo wir heute über einen Vertrag reden, mit dem wir die Rivalitäten, die sich häufig zu blutigen Kämpfen steigerten, Kämpfen zwischen unseren beiden Völkern, beenden wollen, muß der Bundeswirtschaftsminister in einem solchen Zusammenhang - mußte! , jetzt ist es anders - das Wort von der Dolchstoßlegende gebrauchen. Das läßt tief blicken. Ich habe bei der Vorschau auf diese Debatte, das möchte ich hier sagen, in schöner Unbefangenheit - jedenfalls in Unbefangenheit; ob Sie sie schön finden, ist eine andere Frage - gefunden, daß die CDU dafür sorgen werde - sie wird es wahrscheinlich nun noch tun -, d. h. daß sie sich bemühen werde, die stark gegensätzlichen außenpolitischen Auffassungen zwischen den Unionsparteien und der Sozialdemokratie deutlich werden zu lassen. Meine Damen und Herren von den Unionsparteien, ich halte Sie für viel erfahrener und klüger als die Leute, die hier in Ihrem Namen in Diensten, in denen sie vorgeben, in Ihrem Namen politische Informationen zu geben, die Öffentlichkeit informieren; denn es kann wohl nicht Zweck der Außenpolitik sein - wie es hier heißt -, die stark gegensätzlichen außenpolitischen Auffassungen zwischen den Unionsparteien und der Sozialdemokratie deutlich werden zu lassen und sich darum noch zu bemühen. ({5}) Worauf es ankommt, ist doch, daß wir Gegensätze abbauen, statt sie aufzureißen und aufzutürmen. ({6}) - Sicher, sicher! Natürlich! Was meinen Sie denn, was wir alles für Sorgen haben?! Aber wir stellen uns ihnen! Meine Herren, wenn ich daran denke, wie Sie heute hier gestanden haben, Herr Kollege, der Sie diese Frage stellen, und wenn ich daran denke, wie die gleichen Fragen, die Sie heute völlig eindeutig nur positiv glaubten beantworten zu können, Herr Kollege, in Diskussionsgemeinschaften in innerpolitischer Gegnerschaft in dieser Zeit behandelt wurden, muß ich sagen: die Dinge liegen in diesem Fall leider schwieriger und tiefer. Aber bleiben wir dabei, wenn es nicht anders geht, unter uns. Wir sind dazu verurteilt, uns über gewisse Grundfragen unserer großen Politik miteinander zu verständigen. Sonst holt uns nämlich der Teufel, ({7}) jedenfalls in den Fragen, die an die Existenz unseres Volkes rühren. Was würde denn aus der deutschen Frage werden? ({8}) - Über Pharisäer habe ich noch nie gelästert. Ich habe es hingenommen, daß sie existieren. - Was würde denn aus der deutschen Frage, die ja doch weder im Alleingang noch nach einem Rezept des einen oder anderen unter den Westmächten gelöst werden kann, was würde denn aus ihr werden, wenn die Befürchtungen einträfen, die hier von verschiedenen Seiten und aus zum Teil berufenem Munde vor allen Dingen wegen des Schicksals der Gemeinschaften, hinsichtlich deren - ich glaube, das darf ich sagen, ohne daß ich von Ihnen dafür gerügt werde - eigentlich fast alle in diesem Hause einer positiven Meinung sind, was die Europäischen Gemeinschaften betrifft, geäußert worden sind. ({9}) - Da waren Sie noch nicht dabei; Sie haben uns mit dem Koalitionspartner von der anderen Partei verwechselt, der damals gegen diese Verträge gestimmt hat. ({10}) Im übrigen würden entmutigende Wirkungen auf die Deutschen, die in Unterdrückung leben müssen, bleiben wegen dieser Zersplitterung im Westen. Es würde das Element der Verführung zur Schaukelpolitik in die deutsche Politik kommen, und wer weiß denn, ob, wenn einmal nicht Menschen, die ganz fest mit europäischen Zusammenschlußvorstellungen verbunden sind, weil sie ihre eigenen sind, das Steuer der deutschen Politik in der Hand haben? Wer weiß denn, ob nicht auch wir - die Dinge entwickeln sich, die Menschen entwickeln sich - plötzlich konfrontiert werden mit Kräften, die zur Schaukelpolitik neigen? Ich spreche da zu keiner Seite des Hauses; wir müssen aber in solchen Kategorien denken. ({11}) - Ich habe gehört, daß Sie gedacht haben. Wir hätten drittens das Disengagement, ein eigentümliches Disengagement der anderen, die vertraglich mit uns in der deutschen, in der Berliner Frage verpflichtet sind, eine Form des politischen Disengagements, die niemand wollen kann. Ich möchte feststellen: Es ist notwendig - ich teile hier völlig die Auffassung, die der Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aus seiner Sicht und im Namen der Kommission im Hinblick auf die europäischen Gemeinschaften hat amtlich sagen müssen -, in für unsere Regierung rechtlich verbindlicher Form klarzustellen, daß der Vertrag einzufügen ist in die Verträge: Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Europäische Kohle- und Stahlgemeinschaft, Europäische Atomgemeinschaft, Nordatlantische Verteidigungsorganisation, Westeuropäische Union, Beziehungen der westlichen Besatzungsmächte - der Drei Mächte, wie es im Text heißt -zur Bundesrepublik Deutschland. Das müssen wir in den Ausschußberatungen zuwege bringen, wenn wir in der Grundfrage einer Meinung sind hinsichtlich dessen, was das deutsch-französische, französisch-deutsche Verhältnis und die Aussöhnung der beiden Völker für die Vereinigung Europas und für ein in der Vereinigung befindliches Europa in Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika positiv bedeuten sollen. Ich danke für Ihre Geduld. ({12})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.

Dr. Erich Mende (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001467, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freie Demokratische Partei begrüßt diese Aussprache der ersten Lesung des deutsch-französischen Vertrages. Denn diese Aussprache gibt die Möglichkeit, Mißverständnisse aus der Entstehungsgeschichte des Vertrages auszuräumen und ein Bekenntnis zur Europapolitik und zur atlantischen Partnerschaft abzulegen. Und ich möchte hinzufügen, Herr Kollege Wehner: sie gibt auch die Möglichkeit, dem Erinnerungsvermögen manches sozialdemokratischen Sprechers nachzuhelfen bezüglich der Entstehungsgeschichte der Europapolitik in diesem Hause. ({0}) Der Herr Bundeskanzler und die beiden Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und der sozialdemokratischen Opposition haben hier historische Reminiszenzen hinsichtlich der tragischen deutsch-französischen Vergangenheit dargelegt. Ich möchte die richtigen Feststellungen aller drei Sprecher nicht wiederholen, sondern noch einmal auf die Tatsache hinweisen, daß allein im letzten Jahrhundert drei blutige Kriege zwischen dem deutschen und dem französischen Volk stattfanden mit Angriffen und Rückzügen, Besatzung und Gegenbesatzung, mit wechselseitigem Unrecht und Leid, .das man einander zugefügt hat. Ich möchte ein etwas aktuelleres Beispiel für diese Tragik aus der neuesten Geschichte zitieren. Die Älteren von uns, die wir 1940 in Nordfrankreich auf den Friedhöfen aus dem ersten Weltkrieg standen, werden niemals das Bild vergessen, wie viele junge Soldaten nach den Gräbern ihrer Väter aus dem ersten Weltkrieg suchten, Väter, die sie nie gesehen haben, weil sie sie verloren, als sie gerade geboren waren. Es ist in der Tat eine geschichtliche Wende im deutsch-französischen Verhältnis zu vermerken, wenn die Söhne dieser damaligen jungen Soldaten 22 Jahre später in Mourmelon und Sissons nicht mehr gegeneinander-, sondern als Soldaten eines atlantischen Bündnisses nebeneinanderstehen in einer neuen gemeinsamen Aufgabe, die sich nicht nur auf den militärpolitischen Bereich erstreckt, sondern auch auf die Zusammenarbeit in Werkstätten, Laboratorien, Forschungsstätten und in Verwaltungsbehörden. Die wechselseitige Schwächung im europäischen Bruderzwist hat beiden Völkern schwer geschadet. Das wechselseitige Mißtrauen hat durch die Ostpolitik beider Völker neue Nahrung erfahren. Wir standen nach der Bismarck-Ära doch in der Umklammerung, die die französische Politik durch Warschau, Moskau und später Prag und Bukarest zuwege brachte. Aber genug der Reminiszenzen! Nach dem zweiten Weltkrieg ist eine neue Entwicklung eingetreten. Ich möchte als die erste Ursache der neuen Entwicklung und des neuen Geistes die Erfahrungen beider Völker aus dem totalen zweiten Weltkrieg nennen: wechselseitig die Erfahrungen der Besetzung, Hunderttausende französischer Kriegsgefangener in unserem Lande und unter ihnen viele, die in den Trecks in Ostpreußen, Schlesien und Pommern der deutschen Bevölkerung auf der Flucht vor der Roten Armee halfen, und in Frankreich im Anschluß an den zweiten Weltkrieg viele deutsche Kriegsgefangene, die sich im Aufbau Frankreichs das Vertrauen des einfachen Mannes erwarben. Die Völker sind in der Versöhnung den Politikern vorangeschritten. Aber die Politiker haben aus dieser neuen geistigen Entwicklung die politischen Konsequenzen gezogen. Ich möchte neben den vielen Namen, die vom Kollegen Wehner und auch vom Kollegen Majonica genannt wurden, aus allen politischen Richtungen, doch noch einmal vier Namen wiederholen: Winston Churchill, der in seiner bemerkenswerten Rede der deutsch-französischen Versöhnung als erster das Wort redete, Robert Schuman und Jean Monnet und, Herr Bundeskanzler, auch Ihre politischen Gegner werden Ihnen nicht das Verdienst absprechen können, daß Sie durch Ihren Rang und Ihre Amtszeit maßgeblich zur deutsch-französischen Freundschaft beigetragen haben und das Ihr Lebenswerk geworden ist. ({1}) Die Freie Demokratische Partei hat als Koalitionspartner der ersten Bundesregierung und auch der zweiten Regierung dem Europarat zugestimmt, der Montanunion, dem Versuch einer Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die in der Assemblée Nationale im August 1954 scheiterte, dem Beitritt zur NATO. Und, Herr Kollege Wehner, wenn Sie sich hier mit einer Bemerkung an den Koalitionspartner von rechts gewandt haben, so stand in dieser Formulierung nicht nur frei nach der Freudschen Psychologie die Feststellung, daß Sie sich nach wie vor als Koalitionspartner im Wartestand von links zu fühlen scheinen; ({2}) denn sonst hätten Sie ja nicht diese Unterscheidung gemacht. Ich glaubte immer noch, daß Sie sich als Opposition zu dieser Regierung fühlen. Aber wahrscheinlich ist auch hier wiederum ein Umkehrprozeß in Gang gekommen, den noch nicht alle bis in ihre tiefsten Bewußtseinsganglien begriffen haben. Diese Entscheidungen, der Beitritt zum Europarat und zur Montanunion, Herr Kollege Wehner, sind in diesem Hause gegen den erbitterten Widerstand der sozialdemokratischen Opposition erfolgt, ({3}) und es ist geradezu faszinierend, bei dem Kollegen Wehner festzustellen, wie meisterhaft der gleiche Sprecher, der damals erbitterter Gegner der Gründung europäischer Institutionen war, sich heute hier als allumfassender Beschützer der gleichen Institutionen aufspielt. ({4}) - Sie können nicht vergessen machen, daß dieses Haus eine Sitzung unterbrechen mußte, weil Sie von der SPD dem Regierungschef der gleichen Koalition damals den Vorwurf machten, er sei „Kanzler der Alliierten", weil er sich um die Verbesserung des Verhältnisses zu den Westmächten bemüht hat. ({5}) - Herr Kollege Wehner, ({6}) hätten Sie nicht eben diese Äußerung bezüglich des Koalitionspartners von rechts gemacht, ({7}) dann hätte ich Ihnen nicht diese Antwort gegeben, die, wie Ihre Erregung beweist, Sie doch an einer sehr schwachen Stelle getroffen hat. ({8}) Im Rahmen der Diskussion um die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat in der Tat die Freie Demokratische Partei im Gegensatz zu den Sozialdemokraten und zur Christlich-Demokratischen Union ihre Zustimmung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der EURATOM versagt, aber nicht, Herr Kollege Wehner, aus antieuropäischer Haltung, sondern weil wir die Sechsergemeinschaft ohne Freihandelszone als zu eng für die europäische Entwicklung, als zu einseitig ansahen und die Sorge hatten, daß es zu einer neuen Blockbildung kommen würde, die ja dann im Rahmen der EFTA auch entstanden ist. Wer sich also hier mit der damaligen Ablehnung des EWG-Vertrages durch die Freie Demokratische Partei befaßt, der muß auch die Motive in gleicher Ausführlichkeit darstellen, sonst ist seine Darstellung tendenziös. Meine Damen und Herren! Eine Quelle der Mißverständnisse zwischen Deutschland und Frankreich war in den 50er Jahren die Saarfrage. Wir glauben, daß es eine gute Haltung der französischen Regierung und des französischen Volkes war, der Selbstbestimmung der Saarbevölkerung Respekt zu erweisen und die Rückkehr der Saar zu Deutschland einzuleiten. Mit dieser Lösung der Saarfrage ist die letzte Gefahr eines deutsch-französischen Mißverständnisses und Mißverhältnisses beseitigt worden. Wir glauben, daß sich in diesen Jahren ein neuer Geist zwischen Deutschland und Frankreich und auch in Europa - im freien Europa insgesamt - entwickelt hat, der eigentlich eines formellen Vertrages als eines letzten Siegels nicht bedurfte. Die deutsch-französische Freundschaft ist in den Begegnungen der beiden Völker so tief verwurzelt, daß man in der Tat auch ohne einen solchen Vertrag sicher sein konnte, daß es zu Rückfällen in die Barbarei der Vergangenheit nicht mehr kommen könnte. Aber nachdem sich beide Regierungen in Paris und Bonn entschlossen haben, einen solchen Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit abzuschließen, muß sich dieses Haus mit der Behandlung und Ratifizierung dieses Vertrages befassen und sich entscheiden. Es gibt einige Bestimmungen, die durchaus einer dokumentarischen Garantie bedürftig sind. Ich denke da insbesondere an das Wechselverhältnis, in dem Deutschland und Frankreich auch in militärpolitischer Hinsicht stehen. Deutschland ist Vorfeld der französischen Sicherheit, und Frankreich ist Hinterland der deutschen Sicherheit. Es gibt im Zeitalter der modernen Waffen keine voneinander losgelöste Verteidigung Deutschlands oder Frankreichs. Beide, Deutschland und Frankreich, sind wiederum nur noch zu verteidigen in einer Partnerschaft mit der atlantischen Gemeinschaft. Die Analyse dieses Vertrages, den wir heute in erster Lesung nur in seinen Prinzipien diskutieren können, zeigt, daß er im wesentlichen die Modalitäten der Zusammenarbeit auf den Gebieten der Außenpolitik, der Verteidigungspolitik, des Erziehungs- und Bildungswesens und der Jugend regelt. Er bildet gewissermaßen einen Rahmen für eine ständige Konsultation. Ich glaube nicht, daß die Perfektionierung dieser Konsultation zu einem Personalmangel führen wird. Es kommt auch hier darauf an, sich mehr der Pragmatik zuzuwenden als einem Perfektionismus des geschriebenen Wortes. Die Koalitionsparteien sind übereingekommen, daß, um Mißverständnisse auszuräumen, die insbesondere in Großbritannien, aber auch in Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und Italien und in den Vereinigten Staaten bezüglich des Zusammenfalls des Abschlusses des Vertrages mit der Ablehnung des Beitritts Großbritanniens zur EWG durch den französischen Staatspräsidenten entstanden sind, eine Präambel zum Ratifizierungsgesetz sicherstellen sollte, daß jedermann weiß, dieser Vertrag ist nur im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit und der atlantischen Partnerschaft lebensfähig; er verträgt keine isolierte Behandlung; die deutsch-französische Freundschaft und enge Zusammenarbeit ist kein Zweibund zu Lasten des europäischen Bundes und der atlantischen Partnerschaft, der Bilateralismus darf nicht zu Lasten eines Multilateralismus gehen, sondern auch hier ist eine Koordinierung im Sinne der europäischen und atlantischen Verträge selbstverständlich. Über den Wert einer Präambel ist in der Öffentlichkeit gestritten worden. Unser eignes Grundgesetz bestätigt uns, daß eine Präambel eine sehr wesentliche Aussagekraft haben kann. Schließlich zitieren wir sie immer wieder in dem Verfassungsgebot, unter dem wir alle stehen, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Das Bundesverfassungsgericht hat der Präambel des Grundgesetzes Verfassungsrang zugebilligt. Ich glaube also, die Präambel, die dann hoffentlich einstimmig in den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses formuliert werden kann, dürfte eine unmißverständliche Willenskundgebung dieses Hauses als des Souveräns der deutschen Demokratie werden. Sie wirkt weiter als die Entschließung ides Bundesrates. Entschließungen haben in diesem Hause oft schon einstimmige Annahme erfahren; ich denke beispielsweise an die Berliner Entschließung vom 1. Oktober 1958. Aber wir glauben, daß die Präambel im Ratifizierungsgesetz eine stärkere Außen- und Innenwirkung hat als eine Entschließung dieses Hauses, wie der Bundesrat sie für richtig hielt. Kollege Majonica hat über die Tendenzen gewisser europäischer Kreise gesprochen, Europa zu einer dritten Kraft werden zu lassen. Ein Blick auf die Karte Europas und ein Vergleich der wechselDr. Mende seitigen Kräfte schließt die Möglichkeit einer von Amerika unabhängigen dritten Kraft Europa aus. ({9}) Denn was ist dieses Europa als Resteuropa, wie es uns leider nach dem zweiten Weltkrieg von Helmstedt bis Lissabon noch verblieben ist? Was schließt es ein? Eine Tiefe von 3000 km von Helmstedt bis Lissabon; diese Entfernung entspricht der Stundengeschwindigkeit eines Überschalljägers. Hier fehlt es an der Tiefe des Operationsraumes. Dieses Resteuropa ist aus eigener Kraft kein Gegengewicht gegenüber jener euroasiatischen Landmasse von Helmstedt bis Wladiwostok mit 11 800 km Tiefe. Jenem riesigen Gebiet ist Europa aus eigener Kraft weder politisch, wirtschaftlich noch militärisch gewachsen. Europa steht und fällt in enger Zusammenarbeit mit idem atlantischen Partner. Ich unterstreiche das, was Kollege Majonica sagte: die freie Welt wird auf zwei Säulen stehen, auf der einen Seite auf der Kraft der Vereinigten Staaten und Kanadas und auf der anderen Seite auf der Kraft eines vereinten Europa mit über 250 Millionen Menschen. Nur diese Kräfte 'beiderseits des atlantischen Ozeans lassen die Hoffnung entstehen, daß auch Afrika zu halten ist; denn ohne ein starkes Europa ist auch Afrika gegenüber der Expansion des Kommunismus auf die Dauer nicht zu bewahren. Dieses Europa darf allerdings nicht in eine Satellitenrolle gegenüber Amerika gedrängt wenden. Hier unterstreichen wir das, was George Bundy am 6. Dezember 1961 in einer Rede in Chikago gesagt hat; er sprach von der Interdependenz, der wechselseitigen Abhängigkeit Europas und Amerikas. Europa erstarkte nicht zuletzt auf der Basis der Hilfe Amerikas im Marshallplan vor fünfzehn Jahren. Europa muß seine Stärke in einer Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten entwickeln, wenn es lebensfähig sein soll, keineswegs in einer Rivalität und erst recht nicht in der Versuchung, zwischen den beiden Blöcken etwa eine Mittler-, Vermittler- oder neutrale Rolle spielen zu können. Hier ist vom Kollegen Wehner der Präsident Hallstein - in seiner Eigenschaft als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes noch .ein von der Opposition viel kritisierter Mann - seinen Sorgen bezüglich der Weiterexistenz der europäischen Institutionen zitiert worden. Ohne Zweifel haben Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Italien gewisse Sorgen bezüglich der europäischen Institutionen. Wir wollen nicht leugnen, daß der deutschfranzösische Vertrag und seine Konsultationen sehr behutsam mit den europäischen Institutionen koordiniert werden müssen und daß man Rücksicht auf gewisse Empfindlichkeiten bei den anderen europäischen Partnern nehmen muß. Aber der Gedanke des französischen Staatspräsidenten, Europa nicht so sehr und nicht ,soschnell im Sinn Hallsteins im Integralismus entstehen zu lassen, sondern etwas mehr in einer Art Föderalismus als Europa der Vaterländer, ist durchaus diskutabel, ({10}) wenn man bedenkt, Herr Wehner, daß ja diese Bundesrepublik erst das halbe Vaterland ist, ({11}) und wenn man bedenkt, daß schließlich eine allzu rasche Integration ohne eine entsprechende Kontrolle parlamentarischer Körperschaften zur Herrschaft einer Bürokratie ohne parlamentarisch-demokratische Kontrolle führen kann. ({12}) Hier hinkt das Kontrollsystem der Parlamentarier hinter der Eilfertigkeit des europäischen bürokratischen Integralismus etwas hinterher. ({13}) Das sind Bedenken, die wir doch alle haben, die aber doch nicht mit den Prinzipien etwas zu tun haben. Lassen Sie mich zum Schluß folgendes feststellen. Die Freie Demokratische Partei stimmt dem deutschfranzösischen Freundschaftsvertrag zu - als einer notwendigen Grundlage der europäischen Zusammenarbeit, die ohne den Beitritt Großbritanniens und ohne die skandinavischen Völker nicht möglich ist. Europa ist, nur auf sich selbst gestellt, als Sechsergruppe - ohne Großbritannien - nicht lebensfähig. Die Frage des Beitritts Großbritanniens, der skandinavischen Staaten und der Assoziierung der Schweiz, Österreichs, Schwedens und anderer ist daher nur eine Zeitfrage. Französische Widerstände können diese Entwicklung zwar verzögern, aber nicht verhindern. Es wird Aufgabe auch des deutschen Partners sein, in der Konsultation gewisse Hemmungen gegen den Beitritt Großbritanniens und die Ausweitung der Sechsergemeinschaft beseitigen zu helfen. Daß das bei einem Staatspräsidenten und alten General etwas schwierig ist, ist auch uns bekannt. Die Freie Demokratische Partei glaubt, daß Europa, das erweiterte Europa, nur in enger Zusammenarbeit und Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten existieren kann. Daher ist die Atlantische Gemeinschaft, die von dieser Koalition durch den Beitritt zum Nordatlantikpakt auch für Deutschland erstellt wurde, für uns ein wichtiger Faktor zur Bewahrung Berlins, der Freiheit in der Bundesrepublik und zur Eindämmung der kommunistischen Expansion in Europa und in der Welt. Wir haben keine Sorge, Herr Kollege Wehner, daß dieser Vertrag nun schnell in den Ausschüssen, wie Sie so sagen, durchgearbeitet werden soll. Dieser Vertrag ist seit drei Monaten bereits auf der Tagesordnung nicht nur der Parteien des Bundestages, sondern sogar internationaler Konferenzen der Sozialisten, der Liberalen und der christlichen Parteien. Er ist in den Diskussionen der Weltpresse. Allein die vielen Zitate, Herr Kollege Wehner, die Sie hier gebracht haben, bestätigen, wie viele sich schon in den drei Monaten mit diesem Vertrag beschäftigt haben. ({14}) Ich sehe daher keine Schwierigkeit, diesen Vertrag in organischer Behandlung in den Ausschüssen so zu beraten, daß er vor der Pfingstpause in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden kann. ({15}) Wir glauben, Herr Kollege Wehner, daß es unzweckmäßig ist, die Dinge allzu rasch zu behandeln. ({16}) Aber für ebenso unzweckmäßig halten wir eine Verzögerungstaktik, die aus ganz klaren politischen Motiven versucht wird. ({17}) Wir glauben, daß die Verzögerungstaktik und das Hinausschieben dieses Vertrages bis etwa in den Herbst das Übel nur vermehrt und niemanden dient. Daher glaube ich, Herr Kollege Wehner, Sie sollten als Opposition es tragen, wenn Sie in dieser Frage der Mehrheit der Koalition unterliegen werden. ({18})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Debatte wird manchmal etwas zitiert, was man im Gedächtnis hat; man kann es dann aus dem Gedächtnis heraus vielleicht bestätigen. Manchmal wird etwas zitiert, was man an sich für richtig hält und von dem man sagt: Die Sache wird ungefähr so sein; ich glaube, mich von fern daran zu erinnern. Und manchmal hat man während einer Debatte Gelegenheit, auf ein Zitat zurückzukommen. Herr Kollege Wehner hat zitiert: Bebel, Hilferding, Monnet, Hallstein, Acheson, Kennedy, Spaak, Madariaga, Professor Erhard und ganz eingangs auch den Bundeskanzler. ({0}) - Herr Kollege Wehner, ich bin natürlich dankbar für eine Ergänzung der Liste. Aber Stresemann machte die Liste ja nur besser, nicht schlechter. Ich will nur zu einem einzigen der Zitate etwas sagen, zu dem Bebelschen Zitat, eigentlich nur, weil es doch interessant ist, zu sehen, was man im Laufe eines Lebens erlebt und was auch Bebel erlebt hat. Was ich hier sage, zitiere ich aus August Bebels Buch „Aus meinem Leben", zweiter Teil seiner Lebenserinnerungen. Als man ihm während einer Sitzung erzählte, daß die Börsenzeitung - und nachher stellte sich heraus, auch die Norddeutsche Allgemeine Zeitung - den Brief eines französischen Konsuls abgedruckt habe, hielt er das zunächst für eine elende Mystifikation, die vom Preußischen Pressebureau ausgehe, um ihn und Liebknecht zu diskreditieren. Aber tatsächlich hatte er sich getäuscht. Er erhielt dann einen Brief - ({1}) - Aber Sie täuschen sich, Herr Kollege Wehner. Das hätte ich nicht so schnell gesagt. Es stellt sich gleich heraus, wie die Sache in Wirklichkeit war. Es war keine Mystifikation, sondern er bekam dann diesen Brief mit dem Datum vom 2. Dezember. Der Brief hatte sechs Tage gebraucht, um in seine Hände zu gelangen. Relativ kurz von Wien nach Berlin, verglichen mit unseren Erlebnissen von heute. Die Post kann heute dafür unter Umständen genauso lange brauchen - Proteste! -. Er gibt den Brief in seinen Lebenserinnerungen wieder und sagt dann folgendes: Der Brief mochte gut gemeint sein, aber in jenem Augenblick bedeutete er eine große Taktlosigkeit. Wer ihn veröffentlichte, haben wir nie erfahren. Ich vermute, der Konsul wurde zu dem Brief von einer Seite animiert, die ein Interesse daran hatte, uns zu schaden. Das wollte ich hier gern nur einmal vorgelesen haben, um zu zeigen, in welchen Schwierigkeiten sich Bebel befand, und ich glaube, es ist eine interessante Ergänzung zu dem, was Herr Kollege Wehner hier ausgeführt hat. Aber nun beschäftige ich mich nicht mehr mit den Zitaten, sondern mit den Gedanken. Meine Damen und Herren, ich glaube, man kann ohne Übertreibung sagen, daß vier Grundgedanken dieses deutsch-französischen Vertrages hier doch eine ganz allgemeine Zustimmung gefunden haben. Das eine ist der Gedanke der Versöhnung; das andere ist der Gedanke der Solidarität; das dritte ist der Ausdruck der Festigung der deutsch-französischen Freundschaft und schließlich der Wille zu einer Verstärkung der Zusammenarbeit. Wenn ich die Debatte richtig auffasse, ist das auf keiner Seite beanstandet, sondern im Gegenteil von allen Seiten nur unterstrichen worden. Und damit ist der Kern und der eigentliche Inhalt dieses Vertrages so positiv bewertet, wie das in den vorausgegangenen Monaten - ich würde sagen, mindestens in der seiner Unterzeichnung vorausgegangenen Zeit - von allen Seiten geschehen ist. Die Kritik, die hier geäußert worden ist, muß man einmal unter dem Gesichtspunkt untersuchen: Sind in dem Vertrag etwa Ziele formuliert worden, die bedenklich wären? Das ist nach meiner Meinung einwandfrei zu verneinen. Das einzige Ziel, das formuliert worden ist, lautet: vereinigtes Europa, und das ist ein Ziel, das in dieser Debatte - wie in zahlreichen früher vorausgegangenen - von allen Seiten doch nur Unterstützung finden kann. ({2}) - Herr Kollege Wehner: „unterstützend erreicht"! Darf ich zunächst etwas zu dem Wort „gleichgerichtet" sagen. In dem französischen Text steht „anaBundesminister Dr. Schröder logue". Das ist mit gleichgerichtet übersetzt worden. Wir können vielleicht ein besseres Wort für gleichgerichtet finden, und wenn sich der Ausschuß dabei verdient machen will, hat er sicherlich unsere volle Unterstützung. Das Wort „gleichgerichtet" ist in der Tat kein sehr schöner Ausdruck, aber immer noch nicht so schlimm wie etwa „gleichgeschaltet" und was etwa damit an Assoziationen hervorgerufen werden könnte. Nun stellt sich die Frage: Ist dieser Vertrag mit dem großen Vertragswerk über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vereinbar oder nicht? So kann man doch die Frage wohl nur stellen. Präsident Hallstein ist einige Zeit nach der Unterzeichnung dieses Vertrages auch einmal bei mir gewesen, bevor er die erwähnte Rede gehalten hat, die ich nicht so besonders glücklich gefunden habe. ({3}) - Ich habe die Rede nicht besonders glücklich gefunden. Ich kann das noch ein bißchen auseinandersetzen. Er hat dabei seinen Gedanken vorgetragen. Ich habe gesagt: Herr Hallstein, Sie sind ein hervorragender Jurist, und Sie wissen, daß Sie mit der Begründung, die Sie hier sozusagen juristisch geben, vor keinem dafür etwa zuständigen Gerichtshof Gehör finden würden und nicht den Nachweis zu führen in der Lage wären, daß der deutsch-französische Vertrag mit dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft unvereinbar ist. Herr Hallstein hat denn auch in der Tat eine so weitgehende Behauptung nicht aufstellen wollen. Der Vertrag reicht im übrigen doch ganz offensichtlich weit hinaus über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Er faßt alle Interessen und Beziehungen ins Auge, die Deutschland und Frankreich auch zu anderen, weit über die Welt verteilten Fragen haben. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist also nicht etwa das zentrale Anliegen dieses Vertrages. Was sagt er in bezug auf sie? Er sagt, daß auch in bezug darauf eine Konsultation stattfinden solle. Da steht nicht ein Wort davon, daß man einen Abstimmungspool bilden wolle oder werde. Davon kann gar keine Rede sein. Meine Damen und Herren, wer ein bißchen die Wirklichkeit kennt, weiß doch, daß es üblich ist und bis in alle Zeiten üblich bleiben wird, daß, solange nicht etwa ein einheitlicher Staat da ist, die Beteiligten mit ihren durchaus wechselnden Interessen, sich vor den Entscheidungen in den größeren Gremien abzustimmen bemühen. Das gilt doch auch - so habe ich mir sagen lassen - für die parlamentarischen Vertreter in diesen Gremien. Auch sie finden sich von Land zu Land nach politischen Richtungen zusammen, doch wohl, um eine möglichst - ich gebrauche den Ausdruck noch einmal - gleichgerichtete Haltung in den betreffenden Gremien einzunehmen. Daran nimmt niemand Anstoß. Das ist durch die EWG nicht verboten. Das wird nicht verhindert durch diesen deutsch-französischen Vertrag, und es gehört doch offenbar zu den ganz legitimen Mitteln der vorbereitenden Willensbildung. Ich glaube also nicht, daß man ernsthaft mit einem solchen Einwand der Unvereinbarkeit kommen kann. Ein anderer Einwand ist im Grunde interessanter, nämlich die Frage, ob ein System denkbar ist, in dem alle - ich verenge die Sache jetzt einmal auf die EWG - an der EWG Beteiligten untereinander ein Netz von solchen Konsultationsverträgen schließen könnten. Die Frage ist an sich zu bejahen. Ob es aber wirklichkeitsnah und praktisch ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Der Gedanke, daß der Stellenkegel der Auswärtigen Ämter sich dann ungeheuer in die Breite dehnen würde, ist ja schon vorgetragen worden. Es hat natürlich sehr viel Erheiterndes, sich auszurechnen, nachdem Herr Parkinson neulich hier in Bonn war, was man alles braucht, um neuen Aufgaben etwa bürokratisch gerecht zu werden. Ich glaube also nicht, daß es sehr praktisch wäre, darauf auszugehen, ein Geflecht solcher zweiseitigen Verträge zu schaffen.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Herr Minister, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Bitte sehr!

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich Sie, Herr Minister, fragen, ob Sie sich bei dieser Gelegenheit vormerken werden, die Angelegenheit der bisher von deutscher Seite für die feste Anstellung bei der Behörde nicht genannten, sondern bei Ihnen liegengebliebenen 40 Deutschen in Ordnung bringen zu lassen? Wegen des Stellenkegels und wegen des Bedarfs an guten Leuten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich das vormerkten.

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Also, Herr Kollege Wehner, ich weiß nicht, ob Sie sich positiv für nicht erledigte Anstellungsgesuche einsetzen wollen. Habe ich Sie so richtig verstanden? ({0})

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte - wenn Sie mich so fragen - mich für jene einsetzen, die nicht zu den Regierungsparteien gehören und für die das Auswärtige Amt, weil sie Gewerkschaftler und Sozialdemokraten sind, bisher die Bestätigung nicht nach Brüssel geschickt hat. ({0})

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Kollege Wehner, davon ist mir in der Tat nicht das allergeringste bekannt. Ich will mich gern darum kümmern. ({0}) - Es ist mir in der Tat - das ist die Wahrheit - nicht das allergeringste davon bekannt. Ich will mich gern um die Sache kümmern und sehen, was hier zu tun ist. Wir können uns bei Gelegenheit gern darüber unterhalten. Ich komme zu meinen Gedanken zurück. Ein Geflecht zweiseitiger Verträge ist theoretisch denkbar, aber nicht praktisch. Man darf bei der Würdigung dieses Vertragswerks eines. nicht vergessen, was Herr Kollege Majonica dankenswerterweise und sehr richtig ausgeführt hat: Dieser deutsch-französische Vertrag ist in mancher Beziehung ein Rudiment. Er ist das Übriggebliebene aus einem Bogen, der ursprünglich ein gutes Stück weiter gespannt war und der im übrigen, wie man doch wohl in Erinnerung bringen darf, auf einer französischen Initiative beruhte, nämlich auf der Initiative, die die französische Regierung hier in Godesberg im Juli 1961 mit dem Vorschlag zu einer politischen Union ergriffen hat. Ich will jetzt nicht mehr den Leidensweg dieses Vertragsentwurfes nachzeichnen; er ist den meisten noch bekannt. Aber wenn man die Motive und die Gesamteinstellung seines Partners, die hier der kritischen Beleuchtung unterliegen, würdigen will, dann muß man daran denken, daß dieser Partner ein wesentlich weiter gespanntes Konzept vorgelegt hat und daß dieses Konzept -und das ist in meinen Augen weder die französische noch die deutsche Schuld gewesen; Sie wissen, wir haben uns ganz intensiv darum bemüht, diesen größeren Bogen zu spannen - schließlich zunächst nur in dem deutsch-französischen Vertrag realisierbar war. Das bringt mich nun zu einer, wie ich glaube, befriedigenden Antwort auf die Frage nach weiteren zweiseitigen Geflechten. Wir brauchen eben wieder denselben Ausweitungsprozeß nach draußen und brauchen den Fortschritt in der Richtung auf die politische Union. Ich glaube, das ist die exakteste Antwort, die man auf diese Frage geben kann. ({1}) Nun kommt der nächste Punkt: praktische Auswirkungen dieses Vertrages etwa auf die deutsche Politik, die deutsche auswärtige Politik, ganz konkret betrachtet. Hier ist ein großer Bereich außer Betracht geblieben - entweder habe ich es nicht richtig gehört, oder er ist mit Absicht ausgespart worden -, der eigentliche militärische Bereich. Zu diesem eigentlichen militärischen Bereich wäre sehr viel zu sagen gewesen. Darüber ist hier nur wenig gesprochen worden. Ich bleibe bei dem Bereich der europäischen Entwicklung. Ich habe vorhin mit vollem Bedacht gesagt: Wir sind nicht auf ganz bestimmte Ziele, die hier, sagen wir einmal abgekürzt, Auffassungen, Meinungen und Ziele de Gaulles genannt worden sind, festgelegt, sondern wir haben die volle Freiheit, die Politik zu entwickeln, von der jedermann weiß, daß sie unsere Politik ist. Wir haben uns verpflichtet und sind freiwillig und gern eine gegenseitige Verpflichtung eingegangen, uns über alle konkreten wichtigen Fragen als Freunde miteinander zu besprechen. Wir glauben, daß wir in der Tat auf diese Weise auch den besten und entscheidenden Beitrag dazu leisten können, daß ein großes Werk, das ins Stocken gekommen ist - ich spreche jetzt von der politischen Union -, wieder neu aktiviert werden kann. Daß das ein langer und schwieriger Weg sein wird, weiß jeder, der die Dinge etwas genauer kennt. Aber der Vertrag bietet dafür die Ausgangsbasis. Denn er formuliert als einziges Ziel das vereinigte Europa. Der Herr Kollege Wehner hat sich, anknüpfend an etwas, was Herr Kollege Majonica gesagt hatte, mit den aktuellen Fragen in Brüssel beschäftigt und hat mir dabei das Wort von dem Mönchlein, das einen schweren Gang geht, zugerufen. Weil ich weiß, daß das kein ganz leichter Gang ist, habe ich auch schon heute morgen im Auswärtigen Ausschuß an alle Teile des Hauses appelliert, mich dabei möglichst nachdrücklich zu unterstützen. ({2}) Sicherlich ist nicht das, was man eine Krise in Brüssel genannt hat, inzwischen behoben, und auch der erwähnte deutsche Vorstoß beseitigt ja noch nicht ohne weiteres vorhandene starke Schwierigkeiten. Aber, Herr Kollege Wehner, in Ihrer Rede fiel mir doch auf, daß Sie so ein bißchen herabsetzend - wenn Sie den Ausdruck nicht übelnehmen - die Interessen und die deutschen Interessen in das Spiel gebracht haben, ohne genügend deutlich zu machen - wie ich finde -, daß die Wahrnehmung dieser Interessen nicht nur unsere legitime Aufgabe ist - das haben Sie in einer etwas anderen Wendung gesagt -, sondern daß es in der Tat gerade darum geht, bei diesem Wachstumsprozeß Interessen zusammenzufügen und zusammenzubringen und auszugleichen. Denn was geschieht hier? Das Wort „Nation" ist in diesem Zusammenhang offenbar ein bißchen anstößig. Es ist nach meiner Meinung keineswegs anstößig, sondern hier geht es darum, daß sich Nationen - und einstweilen sind es alles noch Nationen - zusammenfinden sollen. Das tun die Völker nicht einfach aus einem spontanen Entschluß heraus. Durch Gewalt kommt ein Zusammenschluß gelegentlich zustande, aber nicht einfach aus einem spontanen Entschluß von Nationen, solange sie noch sehr differenziert in der Struktur der Wirtschaft, der Gesellschaft usw. sind. Das braucht einen längeren Prozeß des Sich-einander-Anpassens. Jede Politik wäre doch ungeheuer töricht, die nicht genau sähe, welche Interessen dabei gegen welche Interessen ausgeglichen und mit welchen anderen Interessen harmonisiert werden müssen. Das ist die entscheidende und die schwierige Aufgabe. Wir merken jetzt vielleicht etwas deutlicher, als es früher einmal der Fall gewesen ist, was es an konkreten Schwierigkeiten gibt. Wir werden uns im Laufe des nächsten Jahres sehr intensiv damit beschäftigen müssen. Ich will jetzt hier nicht im einzelnen ausführen - ich habe es heute morgen im Auswärtigen Ausschuß getan, ich will es hier nicht wiederholen -, was das sowohl für die innere Entwicklung wie für die Entwicklung der EWG nach draußen bedeuten wird. Wir Deutschen sind für eine weltoffene, weltweite Haltung der EWG nach draußen, wir sind für eine den Welthandel möglichst begünstigende Außenhandelspolitik. Wir wissen sehr genau, daß das nicht einfach durch einen spontanen Akt innerhalb der EWG zustande kommen wird, sondern daß nach Meinung einzelner unserer Partner innerhalb der EWG noch sehr vieles passieren muß, bevor man nach außen gerichtete Entschlüsse fassen kann. Ich habe damit ein HauptBundesminister Dr. Schröder problem etwas umschrieben; ich will das Hauptproblem aber ruhig nennen. Zwischen den Franzosen und uns - um nur einmal diese beiden Beteiligten zu nennen - gibt es eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob das Tempo der gemeinsamen Agrarpolitik zu schnell oder zu langsam war. Ich habe in Brüssel am 2. April .ausgeführt, daß das Tempo nach unserer Meinung etwas überhastet gewesen ist, daß es aber andere Sektoren gibt, die zurückgeblieben sind. Je mehr und tiefer ich in deutsche Agrarprobleme hineinsehe, meine Damen und Herren, muß ich sagen: es hat gar keinen Zweck, die Augen vor der gestellten Aufgabe zu verschließen. Das ist eine sehr, sehr schwierige Aufgabe, und es wird sehr viel guten Willens auf allen Seiten unserer Partner bedürfen, bis wir - ich spreche jetzt gar nicht von Zeitpunkten - hier zu Regelungen kommen, die von allen als befriedigend empfunden werden können. Denn was nutzen mir die großartigsten Konzeptionen auf diesem Gebiet, wenn dabei, weil die Interessen von wesentlichen Teilen etwa der einen Nation verletzt wurden, diese wesentlichen Teile einer Nation nicht mitgehen und nicht bereit sind, die Beschlüsse zu fassen, die da gefaßt werden müßten. Insoweit hängen natürlich innere Entwicklung der EWG und äußere Haltung der EWG ganz eng zusammen; was eben durch ein sehr gutes und vertrauensvolles und freundschaftliches Verhältnis mit Frankreich, wie wir glauben, leichter behandelt werden kann - das ist eine gewisse Hoffnung -, als wenn wir nicht diesen sehr feierlichen vertraglichen Appell an die Bereitschaft zur Zusammenarbeit 'auf allen Gebieten hätten. Und nun, meine Damen und Herren, ist die Frage: Ist all das, was man als die Ziele der deutschen Politik bezeichnet, in dem Vertrag als solchem genügend berücksichtigt, ist es genügend zum Ausdruck gekommen? Ich habe schon eingangs gesagt, daß es nach meiner Meinung nicht irgendein Ziel der deutschen Politik gibt, das durch diesen Vertrag blockiert oder verändert oder verhindert würde, sondern ich glaube, daß wir in vollem Umfang das fortsetzen können und fortsetzen werden, was bisher der Grundriß unserer auswärtigen Politik gewesen ist. Der Beschluß des Bundesrats ist nach meiner Meinung durchaus geeignet, von dem Bundestag in, ich möchte jetzt einmal sagen, ähnlicher Weise aufgenommen zu werden. Die Bundesregierung hat den nach meiner Meinung sehr guten Formulierungen des Bundesrats ausdrücklich durch einen Kabinettsbeschluß - Sie haben die Drucksache vor sich - zugestimmt. Es sollte möglich sein, darüber in dem Auswärtigen Ausschuß relativ schnell zu einer Einigung zu kommen. Der Herr Kollege Mende hat ganz mit Recht gesagt: Wenn jetzt von großer Eile und Eilbedürftigkeit gesprochen wird, muß man ein solches Argument etwas ins richtige Licht setzen. Dieser Text ist drei Monate urbi et orbi bekannt. Über ihn haben Herr Kollege Mende hat das im einzelnen ausgeführt - zahlreiche Konferenzen und Besprechungen stattgefunden. Hier gibt es keine Geheimnisse mehr, die etwa nur - ({3}) - Da wird es ja hingehen, Herr Kollege Wehner. ({4}) - Die Zuständigkeit bestreitet niemand. Aber Sie wissen und Sie nehmen es mir sicher nicht übel, wenn ich sage, daß Ihre Rede doch ein Beweis dafür ist, daß alle geistige Vorarbeit, die erforderlich ist, um in dem Ausschuß zu einem klaren politischen Votum zu kommen, inzwischen geleistet worden ist. Ich freue mich, daß ich auf der ganz klaren Aussage eines Ihrer prominentesten Vertreter fußen kann, der Vertrag werde im Bundestag mit überwältigender Mehrheit angenommen werden. Ich halte das für eine richtige Voraussage, selbst wenn es heute noch nicht in allen Punkten so ausgesehen haben mag. Der General de Gaulle selbst hat etwas nach meiner Meinung ganz Richtiges gesagt. Er hat nämlich erklärt: Wichtiger als der Versuch, dieses oder jenes Stückchen eines solchen Vertrages zu sezieren, ist die tatsächliche Zusammenarbeit. ({5}) Darauf kommt es an, meine Damen und Herren, und dazu sind wir bereit. ({6})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Abgeordnete Birkelbach.

Willi Birkelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000182, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Minister hat festgestellt, daß in dem vorliegenden Vertragsentwurf vier Grundgedanken enthalten seien. Er hat sie genannt: der Gedanke der Versöhnung, der Gedanke der Solidarität, der Gedanke der Festigung der gegenseitigen Beziehungen und der Gedanke der Verstärkung der Zusammenarbeit. Wir können dem wohl zustimmen. Aber die Tatsache, daß sich solche Gedanken in diesem Vertrag finden, besagt allein noch nichts. Dieser Vertrag wird ja jetzt nicht geschaffen, ohne daß vorher schon etwas bestünde. Es ist schon etwas da, und dort kommt das zum Tragen, was Herr Präsident Hallstein mit dem „fremden Gewicht" bezeichnet hat. Es ist sicher richtig, wenn sich unsere Debatte ein wenig stark auf diesen Gedanken konzentriert, nicht auf die Einzelheiten des Vertrages, sondern auf den Gedanken: welche Möglichkeiten der Beeinträchtigung der Gemeinschaften, welche Gefährdungen sind unter Umständen darin enthalten? Gerade das ist das zentrale Thema. Über die Einzelheiten können wir natürlich dann in den Ausschüssen sprechen. Es gibt noch eine ganze Reihe von Problemen, Herr Minister, die noch nirgendwo so richtig deutlich geworden sind. In dem Vertrag gibt es einige Bestimmungen, die die Regierung ermächtigen, be3442 stimmte Anpassungen vorzunehmen. Auch andere Erläuterungen sind in diesem Vertragstext enthalten. Darüber müssen wir sicher noch sehr intensiv beraten, um zu wissen, wie groß die Tragweite ist, was dahintersteht. Aber hier und heute war es unsere Absicht, doch ein wenig näher zu untersuchen, ob Ihre Darstellung, die Sie verschiedentlich gegeben und die Sie auch hier erwähnt haben, richtig ist, die Darstellung nämlich, daß es sich mehr oder weniger um eine reine Verfahrensregelung, um die Festlegung eines Konsultationsmechanismus handle und daß es keine materiellen Vorabverpflichtungen für irgendeine besondere Grundlinie gemeinsamer Politik gebe, die über das Streben nach den Vereinigten Staaten von Europa oder nach der europäischen Einigung hinausgehe. Sicher lohnt es sich, näher zu untersuchen, was das heißt: „Verfahrensregeln", vor allen Dingen wenn dabei dann doch im Vertrag das Wort von dem Streben nach einer gleichgerichteten Haltung der beiden Regierungen zu finden ist. Ich will hier ganz klar sagen: während Sie davon sprechen, Herr Minister, daß diese Zusammenarbeit, dieses „Zusammen-sich-Beraten" praktisch eine normale Form gegenseitiger Unterrichtung, gegenseitiger Vorbereitung auf Entscheidungen und so etwas darstelle, gehen wir davon aus, daß diese Vorbereitungen und diese Unterrichtungen in erster Linie und mit Nachdruck im Rahmen der bestehenden Gemeinschaften sich vollziehen sollen. ({0}) Gerade unter diesem Gesichtspunkt sollten wir wissen, was auch Gewöhnung, was Gewohnheit bedeuten kann. Nehmen Sie einmal an, Sie haben Ihren Beamtenstab so weit gebracht, daß man sich über die Grenzen hinweg sozusagen auch ohne Worte versteht, daß mit einem kleinen Wink, mit einem kleinen Blick dieses und jenes arrangiert wird, dann werden Sie in den Beratungen des Komitees, des Ministerrats, der Fachministerräte usw. die Feststellung machen, daß es da tatsächlich so etwas wie eine gemeinsame Verabredung geben kann, die die Verantwortlichen vielleicht gar nicht gleich entdecken und wollen, eine Verabredung derjenigen nämlich, die auch ihren Ressortpartikularismus verteidigen, die in einer bestimmten Weise, nachdem schon so viele prominente Beamte in die europäischen Gemeinschaften übergetreten sind, nun zum Ausdruck bringen: Aber jetzt halten wir einmal bei uns in unserem nationalen Bereich jeweils alles das fest, was nur irgendwie festzuhalten ist. Diese Tendenz wird verstärkt, wenn man weiß, man hat da immer einen Partner, und der Partner wird dann, zunächst in kleineren Fragen, später vielleicht auch in größeren Fragen, einfach eine Art stillschweigenden Abkommens einhalten, das in die Richtung geht: Ich stimme nicht gegen dich; du stimmst in einer anderen Frage nicht gegen mich! Damit ist der ganze Mechanismus, ist alles das gelähmt. Niemand unterstellt, daß das heute die Absicht ist. Aber es gibt dabei doch einige Gesichtspunkte, die nach meiner Auffassung noch deutlicher erörtert werden müssen. Zunächst folgender Gesichtspunkt: Der Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft z. B. gründet sich in erster Linie auf Regeln, Institutionen und Verfahren, und die Verfahrensregeln der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind nach unserer Auffassung nicht zu verstehen als eine Nebensache, als eine bloße Ergänzungsbestimmung zum materiellen Text, sondern sie haben den Charakter und das Gewicht von Verfassungsbestimmungen. Das ist unsere Überlegung in diesem Zusammenhang, und wir möchten deswegen nicht die Gewichte verschieben lassen. Wir legen großen Wert darauf, daß die Vorschriften, die in dem Vertrag z. B. lauten: „Der Rat kann einstimmig beschließen auf Vorschlag der Kammission nach Anhörung des Parlaments", die Bestimmungen, in denen klar wird, wie und in weichen Etappen sich die Mehrheitsbildung vollziehen kann, und alles dias als Teil von Verfassungsbestimmungen gewertet werden. Wir möchten ihnen diesen Charakter geben, um auf diese Art und Weise sicherzustellen, daß wir nicht durch kleine Verschiebungen nachher eine Aushöhlung alles dessen feststellen müssen, was bis heute überhaupt gewachsen ist. Ich möchte zu den Ausführungen von Herrn Mende noch eine kleine Anmerkung machen. Die Anstrengungen, die die Sozialdemokraten in den europäischen Gemeinschaften seit ihrer Gründung unternommen haben, um einen positiven Beitrag zur Ausgestaltung dieser Gemeinschaften auf der Grundlage der Gleichberechtigung der Völker zu leisten, können überhaupt nicht bestritten werden. Wir können uns gar nicht darüber unterhalten, wie die Situation dort war, als wir erst über eine Teilintegration zu befinden hatten, eine Situation, in der die deutsche Frage noch in einem anderen Licht stand. Wenn wir darauf zu sprechen kommen, werden wir in die Vergangenheit gerichtet diskutieren. Was wir heute diskutieren, ist die Frage: Ist dort etwas entstanden, ist dort etwas geschaffen worden, um das es sich lohnt, zu ringen und aufzupassen, daß das nicht abgeschwächt wird. ({1}) Und da komme ich auch zu Ihrem Argument. Da hat de Gaulle doch so die Idee, ein wenig mehr das Eigenstaatliche zu betonen, die Integration langsamer fortschreiten zu lassen. Herr Dr. Mende, ich stelle Ihnen die eine Frage: Wie können Sie erwarten, daß eine Gemeinschaft von sechs Nationen z. B. im handelspolitischen Raum handlungsfähig ist und dabei eine liberale Politik durchführt, wenn diese Art der Organisation der Gemeinschaft nicht eine einheitliche Willensbildung sicherstellt? ({2}) Wollen Sie da beim nationalen Veto bleiben, wollen Sie glauben, daß auf diese Art und Weise eine Gemeinschaft überhaupt auch nur überleben kann? Wenn wir es erlebten, daß diese Gemeinschaft bezeichnet würde als die Gemeinschaft der 15 Monate langen Verhandlungen, die am Schluß jeweils zu der Feststellung führen, daß ein Partner nicht mehr mitgeht, wenn sich das auch auf die Handelspolitik usw. überträgt, in dem Augenblick werden wir all unsere Arbeit sozusagen umsonst getan haben. Gerade auch unsere Partner draußen haben ein Recht, zu wissen, an wen sie sich zu wenden haben. Betrachten Sie Israel und andere derartige Situationen: Dort sagt man, man finde zwar an vielen Stellen den guten Willen, zu Lösungen zu kommen, aber nirgends komme es dann zu Entscheidungen, zu Beschlüssen. Es ist dann für den Dritten außerordentlich gleichgültig, welche Hintergründe, Kräftekonstellationen usw. eine Rolle spielen. Für ihn ist die Feststellung wesentlich, daß er nicht überschauen kann, wie seine wirtschaftlichen Beziehungen in den kommenden Jahren voraussichtlich sein werden. Aus diesem Grunde sind wir der Meinung, daß diese Form der gemeinschaftlichen Willensbildung, die Untermauerung der Integration, nicht beliebig zurückgedreht werden kann auf den Weg der sogenannten intergouvernementalen Methoden. Das strebt wahrscheinlich niemand direkt an. Auf der anderen Seite gibt es Redewendungen des französischen Staatspräsidenten in den Pressekonferenzen und auch bei anderen Gelegenheiten, die z. B. lauten: Es handelt sich um die Tätigkeit von den Regierungen unterstellten Spezialorganisationen; es gibt da gewisse mehr oder weniger supranationale Einrichtungen mit ihrem technischen Wert. - Das heißt, hier gibt es tatsächlich eine Einstellung zum Gesamtproblem, von der wir wissen, daß sie von dem abweicht, was bisher und nachdrücklich nicht nur unsere Politik, sondern die Gemeinschaftspolitik war. Wir unterstellen nun nicht, daß das sozusagen schon eine vollendete Tatsache ist, daß das alles zwangsläufig nur diesen einen Weg nehmen kann. Aber wir möchten sichergestellt wissen, daß auch die anderen Partner, die hier beteiligt sind, nicht das Zutrauen verlieren, daß der deutsche Beitrag in die Richtung gehen wird, die Gemeinschaften lebensfähig zu halten, die Gemeinschaften zu untermauern. ({3}) Wir finden, daß es bei dieser Art der Zusammenarbeit gerade in den kleineren Ländern durchaus Gründe gibt, sich ein wenig bedroht zu fühlen, und zwar deswegen, weil die kleineren Nationen bei fortschreitender Integration ohne Zweifel ein noch viel höheres Risiko eingehen als alle anderen Partner. Denn sie werden, wenn es tatsächlich zu einer Art von Hegemonie, zu einer Fehlentwicklung kommen sollte, nicht mehr in der Lage sein, sich zu befreien, zum ursprünglichen Stand zurückkehren. Vielmehr werden sie dann auch wirtschaftlich so gebunden sein, daß sie praktisch nicht mehr als gleichberechtigte Partner in einem demokratischen Europa, in einer Gemeinschaft zusammen mit anderen ihre Souveränitätsrechte ausüben bzw. auf entsprechende Entscheidungen Einfluß nehmen können. Das ist für uns die Kernfrage, um die es geht. Ich muß noch einmal betonen: Wir unterstellen auch der französischen Politik keine in diese Richtung gehende Absicht. Was wir möchten, ist, daß die deutsche Politik in ihrer Praxis, auch in dem, was der Gesetzgeber hier beschließt, eindeutig und unverrückbar klarstellt, daß wir gerade in der Weiterentwicklung und Ausgestaltung dieser Gemeinschaften den wirklichen Integrationsprozeß, den wirklichen Einigungsprozeß in Europa sehen. Wir haben allen Grund, gerade auf diesem Gebiet ein wenig darauf zu achten, daß es bei dieser Gemeinschaft auch um die Beleuchtung von außen her geht, um das, was von den skandinavischen Ländern, von Großbritannien, von Amerika her unterstellt wird bezüglich dessen, wohin wir uns entwickeln werden. Das sind Fragen, die in ganz bestimmten Bereichen zu Unsicherheiten führen, welche Investitionsentscheidungen erforderlich sind, welche Standorte gewählt werden sollten usw. Insofern finden wir, daß diese Entwicklung einige Unsicherheitsfaktoren in die europäischen Gemeinschaften hineingebracht hat. Wir glauben deshalb, daß es richtig ist, wenn die deutsche Politik auf diesem Gebiet völlig klar und eindeutig jederzeit so geführt wird, daß man weiß, unser Ziel ist die Stärkung der Gemeinschaften, die Untermauerung der Gemeinschaften. Wir haben auch eine gewisse Verpflichtung dazu, das rechtlich bindend festzulegen, damit auch diejenigen, die an der Ausführung beteiligt sind, wissen, daß es sich nicht nur um eine einmalige Willenserklärung, sondern um die nachhaltig gewollte Politik handelt, auf die wir selber verpflichtet sind. Wir glauben, es ist deswegen richtig, in Rechnung zu stellen, daß auch der französische Partner in seiner Politik bisher gezeigt hat, wie sehr er Realitäten, Tatsachen Rechnung zu tragen weiß. Eine Realität und eine Tatsache sollte die deutsche Politik auf diesem Gebiet sein, eine Realität, die ihn dazu zwingt, die Dinge so pragmatisch und sich so entwickelnd zu behandeln, daß seine Interessen natürlich auch ins Spiel kommen, daß er weiß: er kann sich nicht von sich aus isolieren, er kann sich hier nicht ohne weiteres herausziehen. Wir wollen die Atmosphäre tin keinem Fall sich in einer Weise entwickeln lassen, ,die es erschweren würde, zu einer solchen Form der Weiterentwicklung zu kommen. Aber das alles geht nur, wenn wir eindeutig klarmachen, daß alles, was auf diesem Gebiet geschieht, daß auch jede Fühlungnahme, daß die ganze deutsch-französische Freundschaft eingebettet ist in die Solidarität der europäischen Völker. Wir möchten deshalb noch einmal klarstellen: Es ging uns nicht darum, hier die eine oder andere Einzelheit zu kritisieren, sondern darum, in jeder Form dafür zu sorgen, daß diese europäischen Gemeinschaften als der Kern der Entwicklung zu einem vereinigten Europa unbeeinträchtigt und unangetastet bleiben. ({4})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.

Robert Margulies (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001420, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die besondere Bedeutung dieses Vertrages ist bereits so ausführlich gewürdigt worden, daß ich dazu nichts mehr zu sagen brauche. Wir haben in den Wochen der Diskussion Gelegenheit ge3444 habt, bei den Partnerstaaten der Wirtschaftsgemeinschaft die entstandenen Mißverständnisse in direktem Gespräch auszuräumen und darauf hinzuweisen, daß dieser deutsch-französische Vertrag als ein deutsches und auch französisches Anliegen verstanden werden muß, unter die Vergangenheit einen Strich zu ziehen. Aber ich habe um das Wort gebeten, um noch einmal einen Punkt zu unterstreichen, den Herr Dr. Mende schon vorgetragen, den auch Herr Birkelbach berührt und von dem Herr Majonica einen neuen Rechtssatz geprägt hat. Er hat nämlich schlicht festgestellt, daß multilaterale Vereinbarungen bilateralen vorgehen. Ich bin nicht ganz sicher, ob das schon anerkanntes internationales Recht ist. ({0}) Aber wir sind uns, glaube ich, darüber einig, daß wir diesen Wunsch noch einmal nachdrücklich unterstreichen müssen. Es klingt etwas merkwürdig, wenn wir hier im Vertrag lesen, daß sich die beeiden Regierungen in allen wichtigen Fragen der Außenpolitik und in erster Linie in den Fragen von gemeinsamem Interesse vor jeder Entscheidung konsultieren wollen, um so weit wie möglich zu einer gleichgerichteten Haltung zu gelangen, und feststellen, daß dann Fragen der Europäischen Gemeinschaft aufgeführt werden. Die Meinungsbildung in der Europäischen Gemeinschaft ist in den Römischen Verträgen ganz anders vorgeschrieben. ({1}) Es ist eigentlich undenkbar, daß von den sechs Partnerländern zwei über Fragen eine Einigung erzielen und diese dann den anderen etwa oktroyieren. Ich weiß, daß das nicht die Absicht dieses Vertrages ist. Aber der Verdacht ist bei den anderen Mitgliedstaaten entstanden. Ich wäre dankbar - Herr Majonica, ich darf Sie noch einmal ansprechen -, wenn im Auswärtigen Ausschuß bei der Behandlung der Präambel eindeutig klargestellt würde, daß es sich nicht darum handeln kann, irgend jemanden durch eine vorbereitete Entscheidung zu majorisieren, sondern nur darum, daß wir vertragstreu zu den Römischen Verträgen das dortige Verfahren der Meinungsbildung in den Vordergrund stellen und keine Gefahr besteht, daß irgend jemand majorisiert wird. Im übrigen bietet der Vertrag vielleicht auch manche Gelegenheit, mit der französischen Regierung Fragen zu besprechen, die uns allen sehr am Herzen liegen und deren Realisierung bisher am Widerspruch der französischen Regierung gescheitert ist. Ich möchte also den Weihnachtswunschzettel, den Sie, Herr Majonica, hier vorgetragen haben, noch etwas erweitern. Da gibt es noch die Frage der Europäischen Universität, für die wir uns immer sehr eingesetzt und begeistert haben. Wir wissen gar nicht, warum man damit nicht vorankommt. Weiter nenne ich die Frage des gemeinsamen Sitzes der europäischen Organe. Es ist für uns eine ungeheure Erschwerung der Arbeit, daß hierüber immer noch keine Entscheidung getroffen worden ist. Also auch hier wäre vielleicht für den Herrn Außenminister Gelegenheit, den neuen Vertrag dazu zu benutzen, diese Frage einer Klärung zuzuführen. Auch die Frage der direkten Wahl des Europäischen Parlaments ist immer noch offen. Wir haben gerade die Antwort des Rates bekommen, daß die erforderliche Einstimmigkeit nicht zu erzielen war. Dann, Herr Majonica, haben Sie noch die Verschmelzung der drei Gemeinschaften genannt. ({2}) Bei diesem Anliegen müssen wir aber sehr aufpassen; denn in der Montanunion sind wesentlich mehr supranationale Rechte verankert als in dien späteren Römischen Verträgen. ({3}) Wir möchten natürlich nicht, daß die supranationalen Fortschritte, die bei dem Vertrag über die Montanunion erreicht worden sind, für die anderen Dinge geopfert werden. Vielleicht wäre auch noch zusammen mit den Franzosen zu prüfen, ob man die Tendenz weiterführen will, die von den nationalen Bürokratien ja immer wieder gefördert wird, der europäischen Bürokratie die Befugnisse stückchenweise wegzunehmen. Sie wissen ja: vom europäischen Beamtenadel zum europäischen Integrationsmechaniker, ({4}) das Ist so ungefähr die Spannweite der inzwischen eingetretenen Entwicklung. ({5}) - In Ordnung! Ich bin also durchaus der Meinung, daß schon Ansätze und Möglichkeiten in diesem Konsultativabkommen liegen. Von den wichtigeren Fragen der gemeinsamen Agrarpolitik und dergleichen will ich jetzt nicht noch einmal sprechen. Das ist schon erwähnt worden. Hier liegen durchaus Möglichkeiten, den europäischen Fortschritt, die europäische Zusammenarbeit durch den Vertrag zu fördern. Ich glaube, Herr Birkelbach hat Herrn Dr. Mende mißverstanden, wenn er glaubt, aus den Äußerungen von Herrn Dr. Mende schließen zu können, daß wir etwa die Absicht hätten, die europäischen Verträge auf Eis zu legen oder die weiteren Fortschritte zu verhindern. O nein! Nur wollen wir nichts tun - darüber sind wir uns wohl einig -, was dem späteren Beitritt Großbritanniens entgegensteht. Hierzwischen müssen wir also den Weg suchen, den wir in Zukunft zu gehen haben. Ich hoffe doch sehr, daß mittels der Präambel ganz klar festgestellt wird, daß es sich nicht um eine Sache handelt, die sich gegen irgend jemanden richtet, sondern ausschließlich um ein Abkommen, das den beiden Völkern dazu dienen soll, mit den anderen noch besser zusammenzuarbeiten, als es bisher der Fall war. ({6}) 1

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Die Vorlage soll überwiesen werden an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten - federführend -, an den Ausschuß für Verteidigung und an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen - beide mitberatend -. Stimmt das Haus diesen Überweisungsvorschlägen zu? - Es wird nicht widersprochen; dann ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, damit ist die Tagesordnung für heute erschöpft. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 8. Mai, vormittags 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.