Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/24/1963

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Die Sitzung ist eröffnet. Der Herr Präsident des Bundestages hat an den Herrn Botschafter Dr. Shinnar in Tel Aviv in Israel folgendes Telegramm gerichtet: Aus Anlaß des Todes des Herrn Staatspräsidenten von Israel, Yitzchak Ben-Zvi, möchte ich Sie bitten, Ihrer Regierung sowie den Angehörigen die aufrichtige und herzliche Anteilnahme des Deutschen Bundestages zu übermitteln. Der Verewigte hat auf mich einen so tiefen Eindruck gemacht, daß ich überzeugt bin, daß seine Gestalt und sein Werk ein Segen für Israel bleiben werden. Ich habe die Freude, in unserem Kreise heute zwei schweizerische Parlamentarier zu begrüßen, den Herrn Ständerat Dr. Mäder und den Herrn Nationalrat Dr. Boerlin. ({0}) Während der Ostertage haben eine Reihe von Kollegen ihre Geburtstage gefeiert. Ich darf Glückwünsche aussprechen dem Herrn Abgeordneten Storch, der am 1. April 71 Jahre alt geworden ist, ({1}) ebenso dem Herrn Abgeordneten Dr. Meyer ({2}), der am 2. April das gleiche Alter erreicht hat, ({3}) Herrn Abgeordneten Ritzel, der am 10. April das 7. Lebensjahrzehnt vollendet hat, ({4}) dem Herrn Abgeordneten Gehring, der am 15. April 65 Jahre alt geworden ist, ({5}) Herrn Abgeordneten Horn, der ebenfalls am 15. April 72 Jahre alt geworden ist, ({6}) Herrn Abgeordneten Blöcker, der am 17. April auch die Grenze der 65 Jahre erreicht hat, ({7}) Herrn Abgeordneten Hussong, der am 17. April das 6. Lebensjahrzehnt vollendet hat, ({8}) ebenso dem Herrn Abgeordneten Stein, der am 19. April das gleiche Alter erreicht hat, ({9}) und schließlich dem Herrn Abgeordneten Gerns, der am 22. April seinen 71. Geburtstag gefeiert hat. ({10}) Für den durch Verzicht ausgeschiedenen Abgeordneten Wacher ist mit Wirkung vom 1. April 1963 der Abgeordnete Ziegler in den Bundestag eingetreten, und für den durch Verzicht ausgeschiedenen Abgeordneten Neubauer ist die Abgeordnete Frau Lösche mit Wirkung vom 18. April 1963 in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße die neuen Mitglieder in diesem Hause und wünsche ihnen eine gedeihliche Zusammenarbeit. ({11}) Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. April 1963 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt: Sechzehntes Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({12}) Gesetz zur Anderung des Gesetzes über die Finanzverwatung, der Reichsabgabenordnung und anderer Steuergesetze Gesetz über die Allgemeine Statistik in der Elektrizitätsund Gaswirtschaft und die Durchführung des Europäischen Industriezensus in der Versorgungswirtschaft Zweites Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Allgemeine Statistik in der Industrie und 1m Bauhauptgewerbe Gesetz zu dem Abkommen vom 30. April 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Peru über den Luftverkehr Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die Pfandbriefe und verwandten Schuldverschreibungen öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Schiffsbankgesetzes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesgesundheitsamtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft Zwölftes Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes. In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat beschlossen, hinsichtlich des Gesetzes zur Einschränkung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1181 verteilt. Vizepräsident Dr. Dehler Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 31. März 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt ({13}), Bading, Margulies und Genossen betr. Transport gefährlicher Stoffe durch die Deutsche Bundesbahn - Drucksache IV/1055 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1177 verteilt. Der Herr Bundesminister für Wirtschaft und der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung haben unter dem 8. April 1963 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Berufsausbildung - Drucksache IV/1144 - beantwortet. Ihr Schreiben ist als Drucksache IV/1182 verteilt. Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 9. April 1963 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 25. März 1963 betr. Verzögerung des Inkrafttretens des Abkommens über die Rechtsstellung der bei den Alliierten Beschäftigten - Drucksache IV/1136 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1187 verteilt. Der Herr Vertreter des Staatssekretärs des Bundesschatzministeriums hat unter dem 29. März 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Hahn ({14}), Dr. Wahl, Dr. Hesberg, Baier ({15}) und Genossen betr. Veräußerung von Bundesgelände in Heidelberg - Drucksache IV/1077 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1174 verteilt. Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 9. April 1963 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Rechtsansprüche unehelicher Kinder von Vätern, die Angehörige der stationierten Streitkräfte sind - Drucksache IV/1137 beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1185 verteilt. Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 10. April 1963 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Vorschläge des Ausschusses für wirtschaftliche Verwaltung ({16}) - Drucksache IV/1145 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1186 verteilt. Die Frau Bundesministerin für Gesundheitswesen und der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung haben unter dem 20. April 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt ({17}), Bading, Margulies und Genossen betr. Luftgüte in Ballungsgebieten bei Inversionslagen - Drucksache IV/1053 - beantwortet. Ihr Schreiben wird als Drucksache IV/1197 verteilt. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 28. März 1963 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 12. Dezember 1962 einen Bericht der Bundesregierung über Intereuropäische Naturparks übersandt, der als Drucksache IV/1175 verteilt ist. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 25. März 1963 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 4. Mai 1961 einen Abschlußbericht über die britisch-kanadisch-deutschen Verhandlungen sowie einen Bericht über den Stand der innerdeutschen Maßnahmen gegeben. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1190 verteilt. Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 10. April 1963 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 7. Dezember 1962 den Bericht der Bundesregierung über die Zuständigkeit für Bundesstatistiken übersandt, der als Drucksache IV/1191 verteilt ist. Der Abgeordnete Kühn ({18}) hat mit Wirkung vom 9. April 1963 sein Mandat niedergelegt. Der Abgeordnete Neubauer hat mit Wirkung vom 16. April 1963 sein Mandat niedergelegt. Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Verordnung des Rates über eine von Artikel 7 und 8 der Verordnung Nr. 20 des Rates abweichende Regelung betreffend die Festsetzung der Einschleusungspreise und der Zusatzbeträge für einige Schweinefleischerzeugnisse - Drucksache IV/1176 an den Außenhandelsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 8. Mai 1963. Verordnung Nr. 23/63/EWG des Rats vom 21. März 1963 über von der Verordnung Nr. 55 des Rats abweichende Maßnahmen betreffend die für einige Futtermittelarten geltenden Abschöpfungsbeträge ({19}) und der Verordnung Nr. 25/63/EWG des Rats vom 21. März 1963 über die gegenüber dritten Ländern geltenden Abschöpfungsbeträge für geschlachtete Schweine und für lebende Schweine für die vom 1. April bis zum 30. Juni 1963 getätigten Einfuhren ({20}) an den Außenhandelsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnungen erhoben werden. Verordnung Nr. 24/63/EWG des Rats vom 21. März 1963 zur Änderung der Verordnung Nr. 55 des Rats hinsichtlich des Höchstbetrags für die Erstattung bei der Erzeugung von Stärke aus Weichweizen ({21}) an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und an den Außenhandelsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden. Verordnung Nr. 11/63/EWG des Rats vom 20. Februar 1963 zur Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung Nr. 156 des Rats ({22}) an den Außenhandelsausschuß federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden. Zu den in der Fragestunde der 69. Sitzung des Deutschen Bundestages am 27. März 1963 gestellten Fragen des Abgeordneten Faller Nr. V/3 und V/4 *) ist inzwischen die schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr. Bucher vom 3. April 1963 eingegangen. Sie lautet: Zu diesen Fragen kann ich z. Z. nur wie folgt Stellung nehmen: Der Bundesregierung sind die Hintergründe des Attentatsversuchs, der am 20. Februar 1963 in Lörrach auf den deutschen Staatsangehörigen Dr. Kleinwächter verübt worden ist, noch nicht näher bekannt. An Einzelheiten kann ich folgendes mitteilen: a) Am 20. Februar 1963 gegen 21 Uhr wurde auf den in Lörrach wohnhaften Ingenieur Dr. Hans Kleinwächter in Lörrach von drei oder vier noch nicht ermittelten Tätern ein Überfall verübt, der offensichtlich zum Ziel hatte, Dr. Kleinwächter zu töten. Dr. Kleinwächter befand sich mit seinem Pkw auf der Heimfahrt zu seiner in Lörrach gelegenen Wohnung. Kurz vor Erreichen seiner Wohnung kamen ihm in einem Pkw drei männliche Personen entgegengefahren. Infolge der geringen Breite des Weges mußten beide Fahrzeuge anhalten. Einer der Insassen des Pkw's verließ das Fahrzeug, begab sich zu dem Pkw des Dr. Kleinwächter, sprach diesen durch das leicht geöffnete Seitenfenster des Fahrzeugs an und gab anschließend sofort aus einer Kleinkaliberpistole mit Schalldämpfer einen Schuß auf Dr. Kleinwächter ab. Das Geschoß zertrümmerte die Scheibe des Wagenfensters und blieb im Wollschal des Überfallenen in Brusthöhe stecken. Zur Abgabe eines zweiten Schusses kam es nicht, weil an der Kleinkaliber-pistole des Täters eine Ladehemmung entstanden war. Nach Mißlingen des Anschlags ergriffen der Täter und seine Tatgenossen die Flucht. Wegen dieses Sachverhalts führt die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Freiburg/Breisgau ein Ermittlungsverfahren gegen den israelischen Staatsangehörigen Bengal und den österreichischen Staatsangehörigen Dr. Joklik wegen versuchten Mordes. Beide sind am 2. März 1963 von schweizerischen Behörden festgenommen worden, weil sie verdächtig sind, in der Schweiz strafbare Handlungen begangen zu haben. Soweit mir bekannt ist, unterhält Dr. Kleinwächter in Lörrach ein Laboratorium, in dem er unter anderem Forschungs- und Entwicklungsaufträge für die ägyptische Regierung ausführt. b) Am 11. September 1962 verschwand aus München aus bisher unbekannten Gründen der Geschäftsführer Dr. Heinz Krug. Aus diesem Anlaß hat der Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht München I ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Freiheitsberaubung und Geheimbündelei eingeleitet. Die bisherigen Feststellungen haben folgendes ergeben: Dr. Krug hat gemeinsam mit den Professoren Goerke und Pilz in München die Intra-Handelsgesellschaft gegründet, die fast ausschließlich Handel mit Ägypten betreibt. Insbesondere dient sie dazu, die für die ägyptische Raketenforschung und Produktion benötigen Rohstoffe, Maschinen und Geräte zu beschaffen. Im Rahmen dieser Geschäftsbeziehungen lernte Dr. Krug einen gewissen Nadim kennen. Am Abend des 10. September 1962 wurde Dr. Krug, der sich in Begleitung von Dr. Joklik befand, von einem gewissen Mister Saleh ein angeblicher Brief des Nadim übergeben, in dem Dr. Krug gebeten wurde, mit Mister Saleh nach Solln zu fahren. Am 11. September 1962 teilte Dr. Krug seinem Büro mit, er fahre zu einem Besuch nach Solln, dessen Dauer er auf etwa zwei Stunden veranschlage. Zu der Fahrt benutzte Dr. Krug seinen Pkw, der am 14. September 1962 in München aufgefunden wurde. Seit dem Verlassen seines Büros fehlt jede Spur von Dr. Krug. Die Großfahndung nach ihm verlief bisher ergebnislos. Die Ermittlungen dauern an. Über das Verschwinden des Dr. Wolfgang Pilz aus Stuttgart ist weder den Justizbehörden des Landes Baden-Württemberg noch den bayerischen Justizbehörden etwas bekannt. Bisher noch unbekannte Personen haben im November 1962 von Hamburg nach Kairo drei Sendungen mit Sprengkörpern versandt, von denen zwei beim Öffnen explodiert sind und mehrere Menschen getötet bzw. schwer verletzt haben. Da der Verdacht besteht, daß die Attentate von einer in der Bundesrepublik bestehenden Gruppe verübt worden sind, die als Geheimbund und kriminelle Untergrundorganisation im Sinne der §§ 128, 129 StGB *) Siehe 69. Sitzung Seite 3088 C, D. Vizepräsident Dr. Dehler anzusehen ist, hat der Generalbundesanwalt gemäß § 74 a Abs. 2 GVG die Ermittlungen übernommen und die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes mit den weiteren Ermittlungen beauftragt. Diese dauern noch an. Es sind Vorkehrungen getroffen worden, daß die genannten Ermittlungen koordiniert werden. Wir treten in die Tagesordnung ein und kommen zum ersten Tagesordnungspunkt, der Fragestunde ({23}). Ich rufe auf die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers für Verkehr, zunächst die Frage IX/1 - des Herrn Abgeordneten Lemmrich -: Hat die Bundesregierung einen Überblick über die Kosten, die für die Beseitigung der Frostschäden auf den Bundesfernstraßen anfallen werden?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Nach den ersten Schätzungen kann angenommen werden, daß die Behebung der in diesem Frühjahr entstandenen Frostschäden an den Bundesstraßen einen Aufwand von etwa 400 Millionen DM erfordert. Bei dieser Zahl ist vorausgesetzt, daß alle Schäden nicht nur durch Oberflächenbehandlung, sondern auch durch Untergrundsanierung beseitigt werden. Das ist dann mehr als das Doppelte des Durchschnitts des Aufwands der Jahre 1960/62. Die Erhebungen der Länder sind allerdings noch nicht abgeschlossen, so daß die endgültige Zahl, auch für die Bundesstraßen, noch nicht genannt werden kann. Der Termin für die jährlich zu erstattenden Berichte ist der 15. Mai. Fürs erste bildet die Mittelbereitstellung für die Durchführung der Arbeiten zur Behebung der Frostschäden kein Hindernis. Die Länder haben die erforderlichen Mittel in Höhe von 400 Millionen DM bereits im Februar und März vorsorglich zugewiesen erhalten. Ich habe dem Haushaltsausschuß einen Bericht in Aussicht gestellt, in dem ich den genauen Umfang der Schäden auf den Bundesstraßen eingehend darlegen werde, sobald mir die angeforderten Meldungen der Auftragsverwaltungen vorliegen. Bis dahin werde ich auch besser übersehen können, wie sich der unvermeidliche Aufwand für die Schadensbehebung auf die Abwicklung des diesjährigen Straßenbauhaushalts auswirken wird.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lemmrich?

Karl Heinz Lemmrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001315, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, bedeutet das, daß diese 400 Millionen DM vom allgemeinen Straßenbau abgezweigt werden?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Kollege, die 400 Millionen DM entstammen dem Straßenbauhaushalt dieses Jahres und entsprechen der Summe, die für die Unterhaltungsarbeiten in diesem Jahre vorgesehen war. Ob wir nun außer für die Beseitigung der Frostschäden noch weitere Mittel für dringende Unterhaltungsarbeiten aufzuwenden haben, kann ich im Augenblick noch nicht übersehen. Aus meiner Antwort ergibt sich aber, daß diese Mittel aus dem Straßenbauhaushalt, also aus der Gesamtsumme, die mir in diesem Jahr zur Verfügung steht, entnommen werden müßten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel.

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesverkehrsminister, würden Sie die beiden in Frage kommenden Ausschüsse, also den Ausschuß für Verkehr und den Haushaltsausschuß, darüber informieren, welche geplanten Aufwendungen durch die Verschiebung der Ausgaben infolge der Frostschäden etwa notleidend werden, damit sich die Ausschüsse überlegen können, welche Vorlage notwendig ist, um eine zusätzliche Bereitstellung von Mitteln zu beschließen?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Jawohl, Herr Kollege, das werde ich tun, und ich werde auch sogar darum bitten, daß wir gegebenenfalls gemeinsam überlegen, welche Auswege wir finden können, damit die notwendigen Neubauten nicht verhindert werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Frage IX/2 - des Herrn Abgeordneten Lemmrich -: Wie haben sich zwischenausgebaute Straßen, die mit einer neuen Asphaltdecke versehen wurden, gegenüber den Frosteinwirkungen verhalten?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Kollege, die Straßenabschnitte, die im Wege des sogenannten Zwischenausbaus mit neuen Fahrbahndecken versehen wurden, haben sich gegenüber den Frosteinwirkungen, wie mir berichtet wird, durchweg gut bewährt. Es besteht daher die Absicht, diese Bauweise in den kommenden Jahren womöglich noch in verstärktem Maße anzuwenden, vor allem in Süddeutschland.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Dann die Frage IX/3 - des Herrn Abgeordneten Rademacher -: Worauf ist es zurückzuführen, daß zahlreiche F-, FT- und TEE-Züge der Deutschen Bundesbahn fast regelmäßig und unabhängig von der Witterung mit 20 Minuten und mehr Verspätung ({0}) an Knotenpunktstationen eintreffen? Ist der Herr Abgeordnete Rademacher da? - Der Herr Abgeordnete Dürr übernimmt die Frage.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Kollege, im Benehmen mit der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn beantworte ich Ihre Frage wie folgt. Der ungewöhnlich strenge Winter hatte auch im Streckennetz der Deutschen Bundesbahn empfindliche Nachteile in Form von Frostschäden aller Art verursacht. Dadurch entstand eine zusätzliche, nicht unerhebliche Zahl von Langsamfahrstellen, die erst nach und nach zu beseitigen sind. Die planmäßig vorgesehenen Geschwindigkeiten der Züge können an diesen Stellen nicht ausgefahren werden. Auf den F- und D-Zugstrecken der Deutschen Bundes3304 bahn sind rund 400 derartige Langsamfahrstellen mit einer Länge von etwa 800 km eingetreten. Besonders betroffen war hierbei die Strecke HamburgBremen-Osnabrück-Ruhrgebiet-Köln. Dadurch entstanden die von Ihnen angeführten Verspätungen des „Parsifal" und des „Gambrinus". An der Beseitigung dieser Schadensstellen sowie an der Durchführung der an sich in den Frostmonaten planmäßig vorgesehenen und nun nachzuholenden Reparaturen wird mit aller Energie gearbeitet. Es werden jedoch noch einige Wochen vergehen, bis diese Hauptverspätungsquellen beseitigt sind.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dürr!

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, können Sie Ihre Angabe „noch einige Wochen" vielleicht ein wenig genauer fassen, ,damit die Bevölkerung Bescheid weiß, wann es wieder fahrplanmäßig geht?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Bekanntlich ist das Auftreten von Langsamfahrstellen nicht im voraus, sondern erst, nachdem die Schäden eingetreten sind, zu übersehen. Die Fahrplanzeiten sind auf ein im Laufe der Jahre praktisch von Langsamfahrstellen bereinigtes Netz ausgerichtet gewesen. Wir werden also in den nächsten Wochen sicher noch mit Verspätungen zu rechnen haben. Bevor die Langsamfahrstellen nicht beseitigt sind, können die vorgesehenen Geschwindigkeiten nicht ) ausgefahren werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe auf die Frage IX/4 - des Abgeordneten Seibert -: Wie weit sind im Zusammenhang mit einer eventuellen Schüler-Fahrgeldlreiheit auf öffentlichen Verkehrsmitteln die vom Bundesverkehrsministerium angeforderten statistischen Erhebungen gediehen bzw. bis wann ist mit deren Vorlage zu rechnen? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 24. April 1963 lautet: Für die zur Zeit laufenden Verhandlungen mit den Ländern werden Zahlen über den Umfang des Schülerpendelverkehrs, gegliedert nach Bundesländern, benötigt. In Zusammenarbeit mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder und dem Statistischen Bundesamt ist festgestellt worden, daß diese Angaben am einfachsten und schnellsten durch eine Sonderauswertung der Volkszählung 1961 gewonnen werden können. Sie werden voraussichtlich in der zweiten Hälfte dieses Jahres zur Verfügung stehen. Ich rufe auf die Frage IX/5 - des Abgeordneten Seibert -: Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die eventuelle Fahrkostenerstattung für Schiller ausschließlich durch die Bundesländer zu erfolgen hätte, oder sieht sie Möglichkeiten, für diese Zwecke auch Mittel aus dem Bundesetat bereitzustellen? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 24. April 1963 lautet: Solange Zahlen über den Umfang des Schülerpendelverkehrs noch nicht vorliegen und die Länder zur Auffassung der Bundesregierung, daß es sich bei der Förderung des Schülerverkehrs um eine Aufgabe im Rahmen der Kulturhoheit handelt, noch nicht Stellung genommen haben, ist eine Beantwortung dieser Frage für die Bundesregierung noch nicht möglich. Ich habe sie deshalb mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen noch nicht erörtert. Ich rufe auf die Frage IX/6 - des Abgeordneten Seibert -: Ist die Bundesregierung bereit, 1963 Schritte dahin gehend zu unternehmen, daß die von Württemberg an die Nordsee und vom Rheinland nach Oberbayern in Nachttransporten zur Erholung geschickten Kinder nicht wieder gezwungen sind, während dieser Fahrt teilweise auf den unhygienischen Böden der Waggons schlafen zu müssen? Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 24. April 1963 lautet: Auch ich halte es für falsch, die Kinder bei Nachttransporten in den Sonderzügen auf den Böden der Wagen schlafen zu lassen, und weiß mich mit der Deutschen Bundesbahn darin einig, daß dies auch nicht nötig ist. Die Sonderzüge verfügen nach Angabe der Deutschen Bundesbahn stets über so viele Sitzplätze, daß die Kinder bequem und locker sitzen können und ausreichende Möglichkeit haben, ihre Sitz- und Körperhaltung zu wechseln. Die Masse der Kinder kann allerdings nicht liegen. Leider reicht der Reisezugwagenpark der Deutschen Bundesbahn nicht aus, um Wagen mit ausziehbaren Sitzen für Kindertransporte freizumachen. Auch ist es der Deutschen Bundesbahn nicht möglich, für eine zusätzliche Beschaffung solcher Fahrzeuge Eigenmittel zur Verfügung zu stellen. Die Deutsche Bundesbahn ist deshalb bemüht, auch die letzten fünf noch nachts fahrenden Kindersonderzüge nach Möglichkeit durch Tagesfahrten zu ersetzen, wenn die Veranstalter mit einer sehr frühen Abfahrt einverstanden wären, die notwendig ist, um die Schiffe nach den Inseln noch zu erreichen. Ich rufe auf Frage IX/7 - Abgeordneten Memmel -: Sind die Ursachen der Beschädigung der neuen Talbrücke Heidingsfeld auf der Autobahnstrecke Würzburg-West-Würzburg-Ost inzwischen ermittelt worden?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Kollege, die Ursachen der Beschädigung der neuen Talbrücke Heidingsfeld sind inzwischen ermittelt worden. Sie sind darin zu suchen, daß die Stahlbrücke, die zur Erzielung des gewünschten Spannungszustandes vor dem Betonieren der Fahr- bahn angehoben und nach dem Betonieren abgesenkt werden mußte, für diesen vorübergehenden Zustand durch aufeinandergestapelte Betonplatten unterstützt wurde, die an der abgerutschten Stelle schadhaft geworden waren.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Die Frage 8 - Abgeordneter Memmel -: Ist Vorsorge getroffen, daß durch die runliebsame Beschädigung der neuen Talbrücke Heidingsfeld keinesfalls der zugesagte Termin für die Fertigstellung der Autobahn Würzburg-Nürnberg hinausgezögert wird?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Kollege, es ist Vorsorge getroffen worden, daß die Beschädigung so schnell wie möglich, aber auch so gründlich wie möglich behoben wird. Eine Verzögerung in der Fertigstellung der Brücke läßt sich leider nicht vermeiden. Es soll versucht werden, die Brücke noch vor Eintritt des Winters in Verkehr zu nehmen. Eine feste Zusage hierfür kann ich im Augenblick noch nicht machen. Ich habe Anweisung gegeben, daß die Instandsetzung auf alle Fälle sorgfältig durchgeführt wird, auch wenn sich dadurch Terminverzögerungen nicht vermeiden lassen sollten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Memmel!

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, läßt sich eine Verzögerung des zugesagten Termins nicht dadurch verhindern, daß man jetzt auch mit Nachtschichten arbeitet? Sie kennen ja die Verkehrsnot auf den Straßen durch Würzburg.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Kollege, ich würde das, wenn es irgendeinen Sinn hätte, in diesem besonderen Fall durchaus in Erwägung ziehen. Es hat aber deshalb keinen Sinn, weil ein großer Teil der Brückenkonstruktion herausgeschweißt und durch eine neue Konstruktion ersetzt werden muß. Hier rührt der Engpaß natürlich daher, daß die Brückenbaufirma das nicht vorausgesehen hat und nun auch das erforderliche Material angeliefert werden muß. Wir drängen darauf, daß die Brücke so schnell wie möglich fertiggestellt wird. Aber ich muß bei dieser besonders schwierigen Brücke auch darauf Wert legen, daß so sorgfältig wie möglich gearbeitet wird. Ich habe leider die Befürchtung, daß man bei der Herstellung der Betonplatten nicht die Beanspruchung durch einen so langen und starken Frost berücksichtigt hat.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Frage IX/9 - Frau Abgeordnete Schanzenbach -: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die neue Regelung des Verfahrens bei der Anmeldung von Kindertransporten bei der Deutschen Bundesbahn für die Träger der Erholungsfürsorge, insbesondere für die freien Wohlfahrtsverbände und die Kinderfahitmeldestellen, eine wesentliche Mehrbelastung an Verwaltungsarbeit mit sich bringt und damit die Erholungsverschickung von Kindern gefährdet?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Frau Kollegin, ich darf um Ihre Erlaubnis und die des Herrn Präsidenten bitten, die Fragen g und 10, die das gleiche Thema zum Gegenstand haben, zusammen zu beantworten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Einverstanden. Ich rufe also auch die Frage der Abgeordneten Frau Schanzenbach unter IX/10 auf: ist die Bundesregierung bereit, mit der Deutschen Bundesbahn über die Durchführung von Kindertransporten zu verhandeln mit dem Ziel, die alte Regelung wiederherzustellen?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Danke sehr! Die Bundesregierung hat bei der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn angefragt und festgestellt, daß das Verfahren bei der Anmeldung von Kindertransporten bei der Bundesbahn kürzlich geändert worden ist. Während bisher die Ausstellung eines Sammelfahrscheins und die etwa erforderliche Platzreservierung in ein und demselben Formular beantragt werden konnte, sind jetzt zwei Formulare auszufüllen. Eins davon, der Antrag auf Platzreservierung, ist der Bundesbahn vorab zuzuleiten, während das andere erst bei Lösung des Sammelfahrscheins, d. h. kurz vor Antritt der Fahrt, vorgelegt wird. Die Deutsche Bundesbahn sieht in dieser aus praktischen Gründen erforderlichen Umstellung keine Gefährdung der Verschickung erholungsbedürftiger Kinder. Sie hat sich aber auf unseren Einwand hin gegenüber der Arbeitsgemeinschaft der Kinderfahrtmeldestellen in Köln bereit erklärt, nochmals über eine Vereinfachung des Abfertigungsverfahrens zu verhandeln. Wir sehen deshalb im Augenblick keine Notwendigkeit, in dieser Sache Weiteres zu tun.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Ich rufe die ebenfalls von der Abgeordneten Frau Schanzenbach gestellte Frage IX/11 auf: Ist die Bundesregierung bereit, bei der Deutschen Bundesbahn darauf hinzuwirken, daß in allen Schnell- und Fernzügen für Erwachsene, die mit Säuglingen und Kleinkindern reisen, eine besondere Abteilung, die möglichst mit Waschgelegenheit ausgestattet ist, bereitgestellt wird?

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Frau Kollegin, die Frage der Bereitstellung von Sonderabteilen für Erwachsene, die mit Säuglingen und Kleinkindern reisen, ist schon wiederholt behandelt worden. Wie mir die Deutsche Bundesbahn mitteilt, werden bereits heute in etwa 100 der im Bereich der Deutschen Bundesbahn verkehrenden Schnellzüge Sonderabteile „Frau und Kind" vorgehalten. Abteile zusätzlich mit einer Waschgelegenheit auszustatten ist installations- und raummäßig äußerst schwierig. Leider hat nun die Einrichtung der Sonderabteile in der Öffentlichkeit nicht den erwarteten Widerhall gefunden; denn die Abteile werden im allgemeinen wenig benutzt. Da demgegenüber der Aufwand für das Vorhalten der Plätze verhältnismäßig hoch ist, lehnt es die Deutsche Bundesbahn angesichts der unbefriedigenden Ausnutzung zur Zeit ab, die Zahl der Sonderabteile zu erhöhen. Es darf darauf verwiesen werden, daß alle neuen Schnellzugwagen neben der schon immer vorhandenen Waschgelegenheit im WC seit langem zusätzlich je zwei Waschräume erhalten haben, in denen auch die Kinder gewaschen werden können.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Schanzenbach.

Marta Schanzenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001941, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, haben Sie nicht den Eindruck - ich weiß nicht, ob Sie bei Ihren Reisen die Bundesbahn sehr viel benutzen daß es notwendig wäre, dieser Frage eine besondere Bedeutung beizumessen? Ich halte es für unerträglich, wenn in der Reisezeit im Sommer Mütter mit Kindern und besonders unsere Gastarbeiterinnen mit Kindern reisen und Säuglinge in den zum Teil sehr dreckigen, nicht den Hygieneerfordernissen entsprechend eingerichteten Zügen gestillt werden. Ich möchte also sehr darum bitten, daß Sie Nachdruck darauf legen, daß dieser Frage größere Bedeutung beigemessen wird.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Bitte, Herr Minister.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Ich werde es gern tun, verehrte Frau Kollegin. Aber Sie wissen ja, die Bundesbahn ist ein Betrieb, in dem überwiegend Männer tätig sind, die oftmals nicht so sehr die Notwendigkeit verspüren, diesen Fragen besonders hohes Interesse zuzuwenden. Trotzdem werde ich mich bemühen, Ihren Wünschen durch ständige Unterrichtung und Bitten Nachdruck zu verleihen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich danke Ihnen, Herr Minister. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die Frage I/1 - des Herrn Abgeordneten Dr. Besold - auf: Warum werden öffentlich-rechtliche berufsständische Pflichtversicherungseinrichtungen für die Berufsunfähigkeits-, Altersund Hinterbliebenenversorgung im Gegensatz zu den Rentenversicherungsträgern der Sozialversicherung der Körperschaftsteuerpflicht nach §§ 4 bis 6 der Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung in der Fassung vom 6. Juni 1962 ({0}) unterworfen, obwohl sie überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen und im wesentlichen die gleichen Aufgaben zu erfüllen haben wie die Sozialversicherung?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Frage der steuerrechtlichen Gleichbehandlung der auf Landesgesetzen beruhenden Pflichtversicherungs- und Versorgungseinrichtungen der freien Berufe mit den Sozialversicherungsträgern ist erst etwa in den letzten zwei Jahren aufgekommen. Die Erörterung dieser Frage hat zunächst dazu geführt, daß diese Einrichtungen von der Vermögensteuer befreit worden sind. In Anpassung an diese Regelung bei der Vermögensteuer ist in Übereinstimmung mit dem Bundesarbeitsministerium und den obersten Finanzbehörden der Länder vorgesehen, diese Einrichtungen auch von der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer zu befreien. Die Befreiungsvorschriften sollen bei der nächsten Änderung des Körperschaftsteuergesetzes und des Gewerbesteuergesetzes in die Gesetze aufgenommen werden. Dann wird die gewünschte Gleichstellung der beiden Einrichtungen erreicht sein.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage.

Dr. Anton Besold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000166, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem ich soeben gehört habe, daß eine gesetzliche Regelung vorbereitet wird, erlaube ich mir die Zusatzfrage: Welche Übergangsregelung wird die Bundesregierung für die Zeit bis zum Inkrafttreten der beabsichtigten Änderung des Körperschaftsteuerrechts treffen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird für eine Übergangsregelung eintreten, und zwar in dem Sinne, daß sie sich bei den obersten Finanzbehörden der Länder dafür einsetzen wird, gleichlautende Ländererlasse herauszugeben mit dem Ziele, die Befreiung von der Körperschaftsteuer und von der Gewerbesteuer schon für den Veranlagungszeitraum 1963 - das ist also das Kalenderjahr - anzuordnen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe die Frage I/2 - des Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg - auf : Zu welchem Ergebnis haben die Betriebsprüfungen geführt, die - nach einer Mitteilung des Vertreters des Bundesfinanzministeriums in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 28. September 1960 auf eine Anfrage des Abgeordneten Ritzel - bei verschiedenen Mineralölgesellschaften vorgenommen worden sind? Ist der Herr Abgeordnete Dr. Friedensburg im Saal? - Wird die Frage übernommen? - Herr Abgeordneter Memmel übernimmt sie. Bitte, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Die Betriebsprüfungen bei den Mineralölgesellschaften, die bei der Beantwortung der Anfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel am 28. September 1960 erwähnt wurden, sind auch heute noch nicht ganz abgeschlossen. Es liegen noch nicht alle Prüfungsberichte vor. Das hängt zum Teil damit zusammen, daß bei Konzernen die zugehörigen Tochter- und Schwestergesellschaften mitgeprüft werden müssen. Ich darf jedoch darauf aufmerksam machen, daß ich auch nach Abschluß dieser Betriebsprüfungen, die sich übrigens nur auf die Jahre 1952 bis einschließlich 1957 beziehen, nicht an der Lage sein werde, konkrete Einzelheiten der Prüfungsberichte bei den verschiedenen Gesellschaften hier in diesem Hause bekanntzugeben. Diese Angaben unterliegen dem Schutz des Steuergeheimnisses nach § 22 der Abgabenordnung.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich rufe auf die Frage II/1 - des Herrn Abgeordneten Gewandt -: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Praktiken des Werbefernsehens wegen ihrer wettbewerbsverfälschenden Tendenzen auf zunehmende Kritik stoßen?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich bitte um die Zustimmung des Herrn Bundestagspräsidenten, daß ich die Fragen II/1 und II/2, die in einem inneren sachlichen Zusammenhang miteinander stehen, zusammen beantworte.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Einverstanden! Ich rufe dann zusätzlich die Frage II/2 - des Herrn Abgeordneten Gewandt - auf: Ist die Bundesregierung bereit, eine gesetzliche Regelung der Wirtschaftswerbung des Fernsehens vorzubereiten?

Not found (Staatssekretär:in)

Danke vielmals! - Selbstverständlich ist der Bundesregierung nicht entgangen, daß an der Fernsehwerbung von zahlreichen Seiten Kritik geübt wird. Schon am 14. Februar des vergangenen Jahres hat der Bundeswirtschaftsminister in der damaligen Fragestunde darauf hingewiesen, daß die Angelegenheiten der Rundfunk- und Fernsehanstalten in die Zuständigkeit der Länder geStaatssekretär Dr. Westrick hören und daß die Bundesregierung auf das Wirtschaftsgebaren dieser Fernsehanstalten keinen Einfluß hat. Ob mittels einer gesetzlichen Regelung der Fernsehwerbung eine Änderung der Wirtschaftswerbung herbeigeführt werden soll, ist nicht leicht zu entscheiden. In den übrigen Bereichen der Werbung, z. B. Anzeigen in Illustrierten, Kinowerbung, Postwurfsendungen, Plakatwerbung usw., ist die Handhabung, wie bekannt, völlig frei. Wir sind uns darüber im klaren, daß der öffentlich-rechtliche Charakter der Fernsehanstalten sowie ihre derzeitige monopolartige Situation als gewichtiges und beachtliches Argument für eine besondere gesetzliche Regelung gewertet werden können, vielleicht auch gewertet werden müssen. Andererseits müßten es meines Erachtens aber schon sehr gewichtige und eindeutige Gründe sein, die eine gesetzliche Behandlung der Fernsehwerbung wirklich rechtfertigen können. Der gesamte Fragenkreis ist außerordentlich kompliziert. Die Prüfung hat - das muß ich leider zugeben - schon geraume Zeit in Anspruch genommen. Sie ist aber immer noch nicht abgeschlossen, da sowohl von den Ländern als auch von den verschiedenen Bundesressorts mannigfache Gesichtspunkte rechtlicher und wirtschaftlicher Art für und gegen eine solche Behandlung angeführt werden. Nach dem bisherigen Ergebnis der Untersuchungen erscheint es noch fraglich, ob eine gesetzliche Sonderbehandlung der Fernsehwerbung vertretbar ist.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gewandt! - Gewandt ({0}) : Herr Staatssekretär, werden Sie bei Ihren weiteren Untersuchungen auch darauf Rücksicht nehmen, daß die Kritik sich zu einem wesentlichen Teil dagegen richtet, daß durch die ständige Ausweitung der Wirtschaftswerbung in den Monopolanstalten, die mit einem öffentlich-rechtlichen Privileg ausgestattet sind, die Existenzgrundlage der mit diesen Anstalten in Konkurrenz befindlichen unabhängigen Verleger außerordentlich eingeengt werden kann? 'Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft: Herr Abgeordneter, gerade diese Gesichtspunkte waren schon in der Vergangenheit mitbestimmend dafür, daß wir der Frage überhaupt in dieser sehr objektiven Weise nähergetreten sind. Ich bitte Sie, versichert zu sein, daß wir diese Aspekte auch in der Zukunft gebührend berücksichtigen werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Gewandt!

Heinrich Gewandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000675, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, dürfen wir davon ausgehen, daß Sie nach Abschluß Ihrer Untersuchungen dem Parlament und der Offentlichkeit Ihre Ergebnisse und Schlußfolgerungen vorlegen werden?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich würde es begrüßen, Herr Abgeordneter, wenn sich Damen und Herren aus diesem Hohen Hause auch zur Beratung während des Ganges unserer Prüfungen zur Verfügung stellten, damit wir Ihre Frage dann zufriedenstellend beantworten können.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe auf die Frage III/1 - des Herrn Abgeordneten Felder -: Welche Überlegungen veranlaßten den Herrn Bundesarbeitsminister, den Gesetzentwurf zur Schaffung einer Altersvorsorge für Rechtsanwälte dem Kabinett noch nicht vorzulegen?

Theodor Blank (Minister:in)

Politiker ID: 11000195

Ich habe den Entwurf eines Rechtsanwaltsversicherungsgesetzes, der nach seinem materiellen Inhalt dem in der vergangenen Legislaturperiode diesem Hohen Hause vorgelegten Entwurf entsprach, dem Bundeskabinett am 27. Dezember 1961 zugeleitet. Allerdings konnte das Kabinett den Gesetzentwurf noch nicht abschließend behandeln, weil ich selbst neue Vorschläge für eine bessere Regelung für die alten Rechtsanwälte, die Hinterbliebenen und die Waisen nachgereicht habe. Die Beratungen der beteiligten Ressorts über diese Vorschläge sind noch nicht abgeschlossen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Felder!

Josef Felder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000528, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß Sie schon in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 28. Juni 1962 die Verabschiedung des Gesetzentwurfes im Kabinett nach den Parlamentsferien 1962 in Aussicht gestellt haben? Ist es richtig, daß Sie im März 1963 dem Herrn Rechtsanwalt Paulsen vom Deutschen Antwaltsverein erklärten, Sie würden sogar einen verbesserten Entwurf vorlegen?

Theodor Blank (Minister:in)

Politiker ID: 11000195

Sie haben mich ja schon einmal gefragt. Ich hatte Ihnen schon damals geantwortet, daß der Entwurf vorliege. Ich sagte jetzt, daß ich Verbesserungsvorschläge gemacht habe, deren Beratung noch nicht abgeschlossen ist. Mit dem Herrn Rechtsanwalt Paulsen habe ich mehrfach über die Angelegenheit gesprochen und werde das auch in der kommenden Woche wieder tun.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Felder!

Josef Felder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000528, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Sie nicht der Meinung, Herr Minister, daß der großen Notlage, in der sich viele ältere Rechtsanwälte nun seit Jahren befinden, nicht mit dauernden Vertröstungen und uneingelösten Zusicherungen, sondern nur mit tatkräftigem Handeln begegnet werden kann?

Theodor Blank (Minister:in)

Politiker ID: 11000195

Ich bin nicht der Auffassung, daß es sich hier um Vertröstungen handelt, sondern glaube, daß es, wenn man ein gutes Gesetz machen will, dabei weniger auf die Schnelligkeit als vielmehr auf den inneren Gehalt ankommt, über den sehr sorgfältig mit allen Beteiligten beraten werden muß. ({0})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Memmel, eine Zusatzfrage!

Linus Memmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesarbeitsminister, sind Sie in der Lage, jetzt einen ungefähren Termin anzugeben, wann der Entwurf des Anwaltsversicherungsgesetzes als Bundestagsdrucksache erscheinen kann?

Theodor Blank (Minister:in)

Politiker ID: 11000195

Herr Kollege Memmel, sobald die Besprechungen zwischen den beteiligten Ressorts abgeschlossen sind. Ich hoffe, in aller Kürze.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Wittrock, eine Zusatzfrage!

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, werden Sie, zumal dieser Gesetzentwurf den Belangen und den Wünschen eines ganz überwiegenden Teils der Anwaltschaft entspricht, auf eine größtmögliche Beschleunigung der Arbeiten hinwirken?

Theodor Blank (Minister:in)

Politiker ID: 11000195

Ja, Herr Kollege.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Besold, eine Zusatzfrage!

Dr. Anton Besold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000166, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte die beiden Fragen noch präzisieren. Herr Bundesminister, sind Sie in der Lage zu sagen, es sei mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird?

Theodor Blank (Minister:in)

Politiker ID: 11000195

Ich bin sicher, daß das geschehen wird, zumal ich annehme, daß der Rechtsausschuß, sobald ich den Entwurf vorgelegt habe, sich der Materie mit der gleichen Liebe wie in der vergangenen Legislaturperiode widmen wird.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Dann die Frage III/2 - der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus -: Beabsichtigt die Bundesregierung eine Anpassung des Schwerbeschädigtengesetzes an die Tatsache, daß auf einen Schwerbeschädigten etwa 38,4 unbesetzte Pflichtplätze kommen?

Theodor Blank (Minister:in)

Politiker ID: 11000195

Ich bitte im voraus um Vergebung, Frau Kollegin, daß die Antwort sehr umfangreich ausfällt. Aber das ließ sich bei dieser Materie nun einmal nicht vermeiden, da wir mit sehr viel Zahlenangaben arbeiten müssen. Durch die Novelle zum Schwerbeschädigtengesetz vom 3. Juli 1961 wurde der Pflichtsatz für alle öffentlichen und privaten Betriebe auf 6 v. H. herabgesetzt. Außerdem wurde der Beginn der Beschäftigungspflicht von 7 auf 10 für öffentliche Verwaltungen und auf 16 Arbeitsplätze für öffentliche und private Betriebe heraufgesetzt. Die von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mit Stichtag vom 1. November 1961 durchgeführte Betriebserhebung zeigt gegenüber der Erhebung von 1959 eine Abnahme der beschäftigungspflichtigen Betriebe um 50 000 oder 32,9 v. H. Im Zuge des weiteren wirtschaftlichen Aufstiegs stieg aber in der gleichen Zeit die Zahl der Arbeitsplätze um rund 364 900 oder 2,7 v. H. an, während die Zahl der Pflichtplätze trotz der generellen Herabsetzung des Pflichtsatzes nur um 31 060 oder 4,2 % abnahm. Am 1. November 1961 standen im Bundesgebiet einschließlich Berlin 299 118 unbesetzte Pflichtplätze 7783 arbeitslosen Schwerbeschädigten gegenüber. Auf einen arbeitslosen Schwerbeschädigten entfielen somit - wie Sie in Ihrer Frage zutreffend erwähnen - im Bundesdurchschnitt einschließlich Berlin 38,4 unbesetzte Pflichtplätze. In den einzelnen Landesarbeitsamtsbezirken sind jedoch starke Abweichungen festzustellen, die zwischen 1 : 188,9 in Baden-Württemberg und 1 : 6,2 in Berlin schwanken. Auch innerhalb der Landes arbeitsamtsbezirke sind die Abweichungen bedeutend, z. B. in Niedersachsen von 1 : 121,1 bis 1 : 1,6. Das Ergebnis der Betriebserhebung der Bundesanstalt wird zur Zeit eingehend geprüft. Es ist noch nicht zu übersehen, ob der Überhang an unbesetzten Pflichtplätzen durch eine neue Novelle zum Schwerbeschädigtengesetz - darauf zielte Ihre Frage vornehmlich ab -, eine Änderung der Zweiten Durchführungsverordnung zum Schwerbeschädigtengesetz vom 27. Dezember 1955 oder durch Herabsetzung des Pflichtsatzes im Einzelfall aufgefangen werden kann. Die Novelle zum Schwerbeschädigtengesetz vom 3. Juli 1961 ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates allgemein oder für einzelne Verwaltungen oder Wirtschaftszweige oder Betriebsarten den Pflichtsatz bis auf 4 v. H. herabzusetzen. Die Novelle gibt ferner den Betrieben die Möglichkeit, nach § 3 Abs. 5 des Gesetzes bei den Landesarbeitsämtern die Herabsetzung des Pflichtsatzes im Einzelfall bis auf 2 v. H. zu beantragen. Diese Vorschrift hat den Sinn, den Pflichtsatz regional dem Angebot an arbeitslosen Schwerbeschädigten anzupassen. Hiervon haben die Arbeitgeber nach den Feststellungen der Bundesanstalt bisher nur in geringem Umfange Gebrauch gemacht. Inwieweit diese Vorschrift den Überhang an unbesetzten Pflichtplätzen beseitigen hilft, läßt sich erst bei der nächsten Betriebserhebung der Bundesanstalt mit Stichtag 1. November 1963 feststellen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, darf ich Ihre Antwort so auffassen: .die Zahlungen, die von den Arbeitgebern geleistet werden müssen, werden jetzt den tatsächlichen Verhältnissen angepaßt?

Theodor Blank (Minister:in)

Politiker ID: 11000195

Gnädige Frau, ich habe damals eine Novelle zum Schwerbeschädigtengesetz eingebracht, weil zwischen der Zahl der Pflichtplätze auf der einen Seite und der Zahl der arbeitslosen Schwerbeschädigten auf der anderen Seite keine vernünftige Relation mehr bestand. Ich glaube, daß uns die Rechtsverordnung hier eine Möglichkeit bietet; das wollen wir einmal prüfen. Wir werden, versuchen müssen, das zur Zeit noch nicht hinreichend ausgeglichene Verhältnis wieder etwas ausgeglichener zu gestalten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000387, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Welche Möglichkeit haben Arbeitgeber, die - entsprechend dem Gesetz - gern Arbeitsplätze mit Schwerbeschädigten besetzen wollen, aber keine bekommen, um von den Zahlungen freizukommen?

Theodor Blank (Minister:in)

Politiker ID: 11000195

Sie haben die Möglichkeit - wie ich soeben sagte -, nach § 3 Abs. 5 des Gesetzes bei den Landesarbeitsämtern die Herabsetzung des Pflichtsatzes im Einzelfall sogar bis auf 2 v. H. zu beantragen. Im übrigen besteht die Möglichkeit, die Zahlung zu erlassen, wenn die Arbeitgeber bei aller Bemühung keine schwerbeschädigten Arbeitnehmer bekommen. Davon sollten wir ausgehen und einmal miteinander prüfen, was wir hier noch tun können. Ich halte es für ungerechtfertigt, jemand die Zahlung einer Gebühr aufzuerlegen, wenn er es nicht in der Hand hat, die Bedingungen zu erfüllen, die das Gesetz ihm stellt, weil es Schwerbeschädigte in diesem Umfange nicht mehr gibt.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. Ich rufe die Frage IV/1 - des Herrn Abgeordneten Gscheidle auf -: Beabsichtigt die Bundesregierung, die Mindestmietsätze bei Bundesdarlehnswohnungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zwischen 30 und 50 % anzuheben? Lücke Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung: Die für die Vermietung von Bundesdarlehenswohnungen zur Zeit geltenden Mindestmietsätze beruhen auf Weisungen aus dem Jahre 1958, denen die durchschnittlichen Mieten des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaues des Jahres 1956 zugrunde liegen. Diese durchschnittlichen Mieten waren damals im Sinne des § 29 des Ersten Wohnungsbaugesetzes sogenannte feste Richtsatzmieten, die nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen in geringem Umfang überschritten werden durften. Während die Mieten im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau seitdem den steigenden Baukosten und der Entwicklung des allgemeinen Miet, gefüges sowie aber auch der Entwicklung des Einkommens - zum Teil jedenfalls - gefolgt sind, blieben ,die Mieten der Bundesdarlehnswohnungen für Bundesbedienstete im wesentlichen unverändert und damit zunehmend hinter den Sozialmieten zurück; sie blieben also auf dem Mietstand von 1956. Es ist daher gerechtfertigt, die Mieten in der Wohnungsfürsorge des Bundes der allgemeinen Entwicklung anzugleichen. Der Umfang der Mietanhebung steht noch nicht fest. Die Mietanhebung muß zum Teil noch mit den anderen Bundesministerien, die hier beteiligt sind, abgestimmt werden. Sie wird sich aber in jedem Falle - dais kann ich jetzt schon zusagen - im Hinblick auf die seither eingetretene Erhöhung der Dienstbezüge für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes in- einem tragbaren Rahmen bewegen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gscheidle.

Kurt Gscheidle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000745, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist Ihnen bekannt, daß bei einer Erhöhung zwischen 30 und 50 % die Erhöhungen bei einem Beamten des einfachen Dienstes, die seit 1957 eingetreten sind, zu ungefähr zwei Dritteln aufgesogen würden?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Ich sagte Ihnen: über die Prozentsätze kann ich hier nichts sagen. Auch für die Beamten wird - wie für alle Bundesbürger - gleichzeitig ein System der Miet- und Lastenbeihilfen eingeführt, das es dann den Bediensteten der unteren Einkommensgruppen möglich macht, einen bestimmten Prozentsatz für das Wohnen aufzubringen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gscheidle.

Kurt Gscheidle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000745, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist Ihnen bekannt, daß z. B. im Bereich der Deutschen Bundespost 90 % dieser Wohnungen mit Länderdarlehen errichtet werden und daß in dem Augenblick, in dem die Vorstellungen Ihres Hauses, die mir bekannt sind, Verordnungskraft erlangen würden, die Bundespost diese Länderzuschüsse nicht mehr erhalten könnte?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Für diese Fragen sind natürlich die Bundespost und die Bundesbahn zuständig, d. h. die beteiligten Minister. Ich glaube, daß die Länder den entsprechenden Weisungen folgen werden, weil es wohl nur schwer vertretbar wäre, im Rahmen der allgemeinen Mietpreisfreigabe, die wir doch bis zum Jahre 1966 anstreben, bestimmte Schongebiete zu schaffen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Frage IV/2 - des Herrn Abgeordneten Gscheidle -: Trifft es zu, daß evtl. Mieterhöhungen für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes im Hinblick auf die derzeitigen Lohn- und Gehaltsbewegungen im öffentlichen Dienst erst am 1. Juli 1963 erfolgen sollen?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Nein, das trifft nicht zu. Der 1. Juli 1963 ist als Termin im Hinblick auf den § 15 des Gesetzes über 'den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Mietrecht vom 23. Juni 1960 deshalb vorgesehen, weil von diesem Zeitpunkt an die Mietpreisfreigabe bei dem mietpreisgebundenen Wohnraum in den sogenannten weißen Kreisen erfolgen soll.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gscheidle.

Kurt Gscheidle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000745, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nach Ihren Ausführungen ist es also eine falsche Information, daß bei den Ressortbesprechungen am 29. November 1962 der Beauftragte des Bundesministers des Innern im Hinblick auf besoldungs- und tarifpolitische Gründe eine Erhöhung frühestens zum 1. Juli 1963 als durchführbar bezeichnet hat?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Ich kenne eine solche Äußerung nicht; dafür ist auch mein Kollege zuständig.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Büttner zu einer Zusatzfrage.

Fritz Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000301, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, halten Sie es für sinnvoll, die Mieten für Angehörige des öffentlichen Dienstes zu erhöhen, besonders für die Beamten des einfachen Dienstes, um sie dann auf die Mietbeihilfen zu verweisen; ist das ein besonderer Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Das Mietgefüge hat sich auch bei den Wohnungen für Bundesbedienstete im Laufe der Jahre verzerrt; es wird in dieser Weisung nur neu geregelt, damit alle in gleicher Weise belastet werden. Es dient einer Vereinfachung, keiner Komplizierung des Verfahrens. Nur in Spitzenfällen werden soziale Härten aufgefangen werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Büttner.

Fritz Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000301, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, ist Ihnen die Fragestunde in Erinnerung, in der Ihr Kollege Postminister die Auskunft erteilt hat, daß besonders das Einkommen der kinderreichen Beamten im einfachen Dienst unter dem Fürsorgerichtsatz liegt, und müßte dann nicht mit einer ganz besonderen Vorsieht an eine Verabschiedung einer neuen Verordnung herangegangen werden?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Vorsicht dürfen Sie bei mir voraussetzen. Sie wissen, daß es die Grundivoraussetzung meiner Politik ist, daß endlich einmal den Familien mit Kindern geholfen wird. Darum wird ab 1. Juli dieses Jahres die Mietpreisfreigabe - auch diese Weisung - nur dann in Kraft treten können, wenn gleichzeitig das Hohe Haus dem von mir vorgelegten Gesetzentwurf über Zahlung von Miet- und Lastenbeihilfen zustimmt, durch die zum erstenmal in Deutschland, und zwar für alle Familien, hier aber insbesondere wiederum für die kinderreichen Familien, sichergestellt wird, daß sie den Mindestwohnraum bezahlen können.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen zu einer Zusatzfrage.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kann uns dann der Herr Bundesinnenminister Auskunft geben, was sich sein Ressort dabei gedacht hat, als es im November die Mieterhöhungen auf den Juli datieren wollte?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Ich habe die Frage nicht verstanden.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kann der Herr Bundesinnenminister darüber Auskunft geben, was sich sein Ressort dabei gedacht hat, als seine Herren im November in der von dem Kollegen Gscheidle erwähnten Besprechungen vorgeschlagen haben, die Mieterhöhung im Hinblick auf die Gehalts- und Tarifsituation erst zum 1. Juli vorzunehmen?

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Die Frage ist an meinen Kollegen gerichtet - der federführende Minister steht hier -; vielleicht kann er die Antwort geben.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Bitte!

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Herr Kollege, es ist im Rahmen der Fragestunde im allgemeinen üblich, daß die Fragen eingereicht und mir dann zugeleitet werden. Ich bin gerne bereit, die Frage zu beantworten. Ich werde den Fall genau untersuchen und werde Ihnen mitteilen, was sich der Bundesinnenminister gedacht hat. ({0})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Baier ({0}).

Fritz Baier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000081, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob Sie es andererseits für sinnvoll halten würden, daß für die Mieter von Bundesbedienstetenwohnungen im Rahmen des gesamten Mietpreisgefüges ein Sonderstatus geschaffen wird? Ich darf doch voraussetzen, daß nach dem Gesetz über Wohnbeihilfen für Bundesbedienstete die gleichen Baier ({0}) 1 Rechte wie für alle übrigen Staatsbürger gelten werden.

Paul Lücke (Minister:in)

Politiker ID: 11001387

Ich halte das nicht für berechtigt. Ich glaube auch nicht, daß es sinnvoll wäre, wenn ausgerechnet die Bundesbediensteten etwas forderten, was wir dem kleinen Rentner und Arbeiter versagen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich danke Ihnen, Herr Minister. Ich rufe auf die Frage V aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familien- und Jugendfragen - des Herrn Abgeordneten Peiter -: Stehen für Jugendgruppen, die beim Ausbau deutscher Kriegerfriedhöfe freiwillige Arbeit leisten, Geldmittel zur Verfügung? Ist der Abgeordnete Peiter im Raum? - Wird die Frage übernommen? - Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. - Ich danke Ihnen, Herr Minister. Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe auf die Frage VI/1 - des Herrn Abgeordneten Felder -: Ist der Herr Bundesinnenminister bereit, der Forderung des Berliner Senats, die Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" mit Hilfe des Bundes und der in Betracht kommenden Länder großzügiger zu fördern, weil gesamtdeutsche Interessen dies erfordern, durch die Entfaltung neuer Initiativen zu entsprechen?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Herr Kollege Felder, die Frage ist etwas unverständlich, und zwar deswegen, weil der Bundesregierung keine Forderung des Berliner Senats, der ja genauso wie der Bund und die beteiligten Länder in dieser Stiftung mit zwei Mitgliedern vertreten ist, auf Anhebung der Leistungen bekannt ist. Im übrigen aber darf folgendes festgestellt werden. Seit die Stiftung sich im Jahre 1961 konstituierte, hat sich das Haushaltsvolumen der Stiftung wie folgt entwickelt: Im Jahre 1961 waren es 9,7 Millionen DM, im Jahre 1962 12 Millionen DM, im Jahre 1963 17,3 Millionen DM, und im Jahre 1964 werden es voraussichtlich 20 Millionen DM sein. Das ist eine sehr beachtliche Entwicklung. Außerdem waren für die Sammlungen der Stiftung vorgesehen: im Jahre 1961 1,8 Millionen DM, im Jahre 1962 2,8 Millionen DM, im Jahre 1963 4,0 Millionen DM, und im Jahre 1964 werden es wahrscheinlich 5,5 Millionen DM sein. In der gesamten Bauplanung, die sich auf ungefähr zehn Jahre erstreckt, sind insgesamt 95 Millionen DM in Aussicht genommen. Ich glaube, daß die - vom Berliner Senat gar nicht geforderte - Verstärkung der Initiative überhaupt nicht besser dargetan werden kann als durch diese Zahlen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe auf die Frage VI/2 - des Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling -: Hat die Bundesregierung ihre Bemühungen um eine familiengerechte Regelung für die Arbeiter des öffentlichen Dienstes, wie durch Kabinettserklärung vom 4. Oktober 1962 angekündigt, bei den schwebenden Tarifverhandlungen erneut ausgenommen?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Ich bitte, mir zu gestatten, daß ich Ihre erste und zweite Frage zusammenfasse und gemeinsam beantworte, weil sie sachlich zusammenhängen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe also auf Frage VI/3 - des Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling -: Wurde in .den schwebenden Tarifverhandlungen erörtert, daß die monatlichen Bezüge z. B. der Lohnempfänger der Lohngruppe IV ({0}) seit 1956 erhöht wurden bei Kinderlosen um 53 %, bei 1 Kind um 48 %, bei 3 Kindern um 41 %, bei 5 Kindern um 35 %, weil die Kinderzuschläge unverändert blieben?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Ich darf darauf folgendes erwidern. Wir haben am 27. März dieses Jahres die Tarifverhandlungen mit den beteiligten Gewerkschaften, mit den Ländern und Gemeinden gemeinsam begonnen. Die Tarifverhandlungen werden morgen fortgesetzt. Ich bin in diesem Stadium der Verhandlungen leider nicht in der Lage, die beiden Fragen zu beantworten, bin aber gerne bereit, später auf diese Fragen zurückzukommen und sie ausführlich zu beantworten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling zu einer Zusatzfrage!

Dr. Franz Josef Wuermeling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002570, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ist es denn nicht möglich, auf die erste Frage wenigstens mit Ja oder Nein zu antworten, wenn ich die Zusicherung gebe, daß ich keine Zusatzfragen stellen werde? Denn es interessiert doch sehr, nachdem die Bundesregierung seinerzeit offiziell erklärt hat, sie werde sich darum bemühen, daß sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund bereit finde, die Notwendigkeit der Erhöhung für Kinderzuschläge anzuerkennen, ob das nun bei den neuen Verhandlungen durchzusetzen versucht wird.

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Herr Kollege, ich habe soeben ein höfliches und vorläufiges Nein gesagt. Ich kann nicht in der nächsten Minute ein Ja darauf sagen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gscheidle.

Kurt Gscheidle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000745, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich unbeschadet dieser Erklärung, Herr Minister, folgendes fragen. Sie bestätigen, daß nach den tarifvertraglichen Bestimmungen, die im öffentlichen Dienst gelten, Kinderzuschlag neben dem Lohn gezahlt wird und daß er sich für Arbeiter und Angestellte nach den Bestimmungen richtet, die jeweils für Beamte getroffen werden?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Das ist richtig.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Zusatzfrage.

Kurt Gscheidle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000745, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie auch bestätigen, Herr Minister, daß nach den tarifvertraglichen Bestimmungen, unbeschadet der sonstigen Kündigungsfristen des Tarifsrechts im öffentlichen Dienst, bei Erhöhung der Kinderzuschläge für die Beamten automatisch Verhandlungen über die gleiche Erhöhung für Arbeiter und Angestellte aufgenommen werden können?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Die Frage wird geprüft.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe dann die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling auf. ({0}) - Hatten Sie nicht das Versprechen gegeben, keine weiteren Zusatzfragen mehr zu stellen, Herr Kollege? ({1}) - Das galt nur bedingt? Sie haben das Recht auf eine Zusatzfrage; Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling, bitte.

Dr. Franz Josef Wuermeling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002570, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist es richtig, daß, wenn die Kinderzuschläge über das Gesetz für die Beamten erhöht werden, das letztlich auch bei den Arbeitern, wo es sich ja automatisch auswirkt, nur zu Lasten der für Löhne verfügbaren Mittel gehen kann, daß also die Lohnforderungen, wenn man Erhöhungen der Kinderzuschläge will, entsprechend reduziert werden müssen?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Ich halte es für eine Frage des geometrischen Ortes, wo eine solche Angleichung stattfinden soll, ob im Tarifrecht oder in einem anderen Bereich.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Keine weiteren Zusatzfragen? - Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Pitz-Savelsberg.

Elisabeth Pitz-Savelsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001720, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ist es mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn im öffentlichen Dienst vereinbar, daß durch diese Lohnpolitik ein Gefälle zum Nachteil der Familien mit Kindern entsteht, und was gedenken Sie - ganz generell - zu tun, um das abzustellen?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Sehr verehrte Frau Kollegin, ich glaube, daß es nicht nur eine Frage der Fürsorgepflicht, sondern ganz allgemein eine sehr wichtige Frage der Beschäftigungspolitik ist, und daß des weiteren die Frage ist, ob nicht der ganze Bereich der Familienzuschläge außerhalb des Tarifrechts, der Kindergeldgesetzgebung usw. in der Familiengesetzgebung geregelt werden müßte. Das ist die entscheidende Frage, die, glaube ich, im Interesse der Familien sehr gründlich und sehr gewissenhaft geprüft werden muß.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Dann kommt die Frage VI/4 - des Abgeordneten Dr. Wuermeling -: Haben die Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Christlichen Gewerkschaft eine ({0}) Erhöhung der seit 1956 nicht mehr erhöhten Kinderzuschläge als vordringlich auch für die Arbeiter und Angestellten anerkannt und sich bereit gezeigt, das bei ihren linearen Lohnforderungen zu berücksichtigen?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Ihre Frage 3 darf ich jetzt beantworten.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Die Fragen 2 und 3 haben sie zusammengefaßt, meinte ich.

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Nein, die Fragen 1 und 2. Es waren insgesamt drei Fragen des Herrn Kollegen Dr. Wuermeling. Ich darf Sie zu Ihrer letzten Frage, Herr Kollege Wuermeling, darauf hinweisen, daß die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes Kinderzuschlag nach Maßgabe der jeweils für die Beamten geltenden Bestimmungen erhalten. Bei dieser Rechtslage sind Tarifverhandlungen über den Kinderzuschlag für die Arbeitnehmer nicht erforderlich. Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund als auch der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands haben in ihren Vorschlägen zur Verbesserung der Beamtenbesoldung eine Erhöhung der Kinderzuschläge gefordert. Diese Erhöhung kommt infolge der bereits erwähnten Koppelung auch den Angestellten und Arbeitern zugute. Das Ausmaß der anläßlich der jetzigen Verhandlungen erhobenen Forderungen läßt bei keiner der Gewerkschaften erkennen, ob diese bei ihren linearen Forderungen die Vordringlichkeit einer Erhöhung der Kinderzuschläge berücksichtigt haben.

Dr. Franz Josef Wuermeling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002570, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist nicht bei der Christlichen Gewerkschaft der Wunsch sichtbar geworden, die Erhöhung des Kinderzuschlages vorrangig zu behandeln?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Jawohl.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Gscheidle, eine Zusatzfrage.

Kurt Gscheidle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000745, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Innenminister, welche Anstrengungen hat die Bundesregierung in der Vergangenheit unternommen, auch im öffentlichen Dienst die Kinderzuschläge vom dritten Kind an ähnlich wie nach dem Kindergeldgesetz steuerfrei zu gewähren?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Darüber sind Überlegungen noch im Gange.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe auf die Frage VI/5 - des Herrn Abgeordneten Seuffert -: Ist es richtig, daß für Einbürgerungen von früheren Staatsangehörigen der Ostblockstaaten neuerdings eine Entlassungsurkunde des Geburtsstaates verlangt wird, obwohl dieses Dokument erfahrungsgemäß fast nicht zu erhalten ist? Bitte, Herr Minister!

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Die Durchführung der Staatsangehörigkeitsgesetze obliegt grundsätzlich den Behörden der Länder. Der Bundesminister des Innern wird nur beteiligt, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde beabsichtigt, dem Einbürgerungsantrag stattzugeben. Nach meiner Kenntnis der Praxis der Länder wird die vorherige Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit bei Einbürgerungsbewerbern aus Ostblockstaaten nur bei jugoslawischen Staatsangehörig en verlangt. Aber auch hier wird in jedem Einzelfall geprüft, ob besondere Härten eine Ausnahme gebieten.

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß in mir bekannten Fällen diese Papiere auch bei Polen verlangt worden sind?

Hermann Höcherl (Minister:in)

Politiker ID: 11000912

Das ist richtig, Herr Kollege. Aber im Jahre 1962 hat eine Besprechung mit den Innenministern der Länder stattgefunden, so daß von dieser Praxis in der Zukunft Abstand genommen wird.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich danke Ihnen, Herr Minister. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe auf die Frage VII/1 - des Abgeordneten Dr. Rinderspacher -: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die derzeitig außerordentlich hohen Gemüse- und Obstpreise auf ein erträgliches Maß zurückzuführen?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Herr Präsident, gestatten Sie mir bitte, die Frage VII/1 zusammen mit den Fragen VII/5 und VII/6 - des Herrn Abgeordneten Glüsing - zu beantworten, da sie in einem engen Sachzusammenhang stehen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Einverstanden. - Auch die 'beiden Kollegen Dr. Rinderspacher und Glüsing sind einverstanden. Ich rufe dann ebenfalls auf die Fragen VII/5 und VII/6 - des Abgeordneten Glüsing ({0}) -: Was hat die Bundesregierung getan, um den Markt zum Ausgleich für das fehlende Frischgemüse ausreichend und preisgünstig mit Gemüsekonserven zu versorgen? Welches Angebot erwartet die Bundesregierung zur besseren Versorgung des Gemüsemarktes aus den Exportländern?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Die Ernte an Dauergemüse war in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1962 um 11,8 %, ohne Wintermöhren sogar um 21,25 % kleiner als im Vorjahr. Der lange Frost minderte die Wintervorräte weiter erheblich und verteuerte zudem nicht unwesentlich die Lager- und Transportkosten. Glashausware vermag selbst in Jahren mit mildem Winter das Dauergemüse nur zu ergänzen, nicht aber zu ersetzen. Außerdem verursachte die Beheizung in diesem Frühjahr außergewöhnliche Kosten. Die Dauer der Frostwitterung verhinderte auch die rechtzeitige Auspflanzung des Frühjahrsgemüses. Das Angebot an Frischgemüse war also wesentlich kleiner als in anderen Jahren und mit überdurchschnittlichen Kosten belastet. Die Einfuhr war und 'ist praktisch liberalisiert. Trotzdem reicht sie, von einigen Erzeugnissen abgesehen, leider bei weitem nicht aus, weil Ernte und Witterung in den Exportländern praktisch denen der Bundesrepublik gleichen und überall als Folge des Mißverhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage die Preise fühlbar angestiegen sind. Die Bundesrepublik kann bis zum 31. Mai 1963 bestenfalls noch mit einer Einfuhr von 92 000 t Frischgemüse rechnen. Diese Liefererwartung liegt um 20 % unter der Importmenge der gleichen Zeit des Vorjahres. In richtiger Einschätzung der kommenden Entwicklung öffnete die Bundesregierung schon vor Monaten die Grenzen für praktisch 'unbegrenzte Einfuhren von Gemüsekonserven. Im Inland wie in den Exportländern ist im Jahre 1962 eine bisher noch nicht erreichte Menge von Gemüse konserviert worden, und zwar wurden in der Bundesrepublik Deutschland 430 000 t statt 350 000 t am Jahre 1961 erzeugt. Die Einfuhr dürfte von 100 000 t auf 160 000 t ansteigen. Das Angebot war und ist infolgedessen so reichlich, .daß die Preise nur in wenigen Spezialfällen den Stand des Vorjahres geringfügig überschritten haben. Obwohl die Ansichten über die Wirkung von Zollermäßigungen auf die Verbraucherpreise bei unzulänglichem Angebot geteilt sind, hat die Bundesregierung einige Zollaussetzungen vorgeschlagen, um damit zur Beruhigung des Marktes beizutragen. Die Preise für Frischgemüse werden aber allgemein enst nachgeben, wenn mit der Besserung der Wachstumsbedingungen in ganz Europa das Angebot wieder fühlbar zunimmt. Für Spinat ist diese Situation bereits eingetreten. Andere Erzeugnisse werden in Kürze folgen. Bis dahin kann die rechnende Hausfrau auf die preisgünstigen Gemüsekonserven und in Verbindung damit auf das ebenso preisgünstige, reichhaltige und qualitativ gute Kartoffelangebot aus der alten Ernte zurückgreifen. Der Obstmarkt wird saisonbedingt zur Zeit noch vom Apfel beherrscht. Im Gegensatz zum Frischgemüse übersteigt das in- und ausländische Apfelangebot bei weitem die Nachfrage. Die Preise dekken vielfach nicht mehr die Lager- und Transportkosten. Der Markt vermag die angebotenen Mengen gar nicht aufzunehmen. Auch wenn die Bundesregierung über preisdrückende Maßnahmen verfügte - was übrigens nicht der Fall ist -, würde sie deren Anwendung angesichts der derzeitigen Marktlage auf dem Obstmarkt nicht für vertretbar halten. Auch mit Apfelsinen und Bananen ist der Markt ausreichend zu Preisen versorgt, die für den Verbraucher günstig Sind.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Dr. Rinderspacher zu einer Zusatzfrage.

Dr. Fritz Rinderspacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001852, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie sprachen von 20%igen Zollaussetzungen für einige Gemüsesorten. Sind Sie nicht der Meinung, daß im Hinblick auf die weit unter die Hälfte gesunkenen Einfuhren eine totale Zollaussetzung für alle Gemüsearten der Hausfrau wirklich eine fühlbare Entlastung bringen würde?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Eine solche Zollaussetzung ist in die Wege geleitet. Sie wird in diesen Tagen wirksam.

Dr. Fritz Rinderspacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001852, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Wir kommen zur Frage VII/2 - des Herrn Abgeordneten Glüsing ({0}) -. Ist die Bundesregierung bereit, wie es andere europäische Länder schon seit längerem in der Bundesrepublik tun, in diesen Ländern auch über die dortigen Fernseheinrichtungen für den Absatz deutscher Lebensmittel zu werben und dementsprechende Mittel im Bundeshaushalt einzuplanen?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Eine Absatzwerbung für deutsche Nahrungsmittel und Getränke über das Werbefernsehen in Holland, Belgien, Luxemburg, I Frankreich, Italien und England wird für zweckmäßig und erfolgversprechend gehalten. Ich werde prüfen lassen, ob eine solche Werbung durch Zuschüsse des Bundes im Rechnungsjahr 1964 unterstützt Werden kann. Die im Rechnungsjahr 1963 bei Kapitel 1002 Titel '652 ({0}) bereitstehenden Mittel sind fest verplant und können für eine Unterstützung der Fernsehwerbung nicht in Anspruch genommen werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Glüsing.

Hermann Glüsing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000693, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, darf ich Ihren Worten entnehmen, daß auch Ihr Haus von der Notwendigkeit einer verstärkten Werbung für den Absatz deutscher Lebensmittel im Ausland überzeugt ist und für eine verstärkte Werbung eintreten wird?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Herr Kollege, das kann ich ohne weiteres bejahen. Die Notwendigkeit ist gegeben. Die Frage der Zweckmäßigkeit der Werbung muß geprüft werden, weil es sich um sehr große Ausgaben handelt.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bauer ({0}).

Josef Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, darf ich Ihren ersten Ausführungen entnehmen, daß sich Ihre Bereitschaft, künftig für die Fernsehwerbung für deutsche Lebensmittel etwas zu tun, auch auf die Milcherzeugnisse erstreckt, für die bisher schon, aber nur mit Mitteln der Wirtschaft, Fernsehwerbung betrieben wurde?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Herr Kollege, die Frage des Herrn Abgeordneten Glüsing erstreckte sich auf die Fernsehwerbung im Ausland, Ihre Frage auf die Werbung im Inland. Hier müssen wir insonderheit dem Berufsstand und den berufsständischen Organisationen den Vorrang überlassen; denn die Bundesregierung ist nicht in der Lage, auf dem innerdeutschen Markt für spezifische Dinge Geld auszugeben, es sei denn durch eine gewisse Unterstützung und Förderung der jeweiligen Organisationen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Frage VII/3 - des Herrn Abgeordneten Ertl -: Trifft es zu, daß durch die französische Regierung die Einfuhr holländischer Tiere trotz einer wesentlich stärkeren Verseuchung Hollands mit Maul- und Klauenseuche nicht verboten wurde, dagegen die Einfuhr aus der Bundesrepublik sofort eingestellt werden mußte, obwohl das Ausmaß der Verseuchung wesentlich geringer war?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Es trifft nicht zu, daß seitens der französischen Behörden die viehseuchenpolizeiliche Maßregelung der Einfuhr von Wiederkäuern und Schweinen aus der Bundesrepublik Deutschland bzw. den Niederlanden im Hinblick auf die Verbreitung der Maul- und Klauenseuche in beiden Ländern unterschiedlich gehandhabt worden ist. Vielmehr hat das französische Landwirtschaftsministerium in einer am 3. Februar 1962 veröffentlichen Bekanntmachung angeordnet, daß in Anbetracht der Ausbreitung der Maul- und Klauenseuche in der Bundesrepublik und in den Niederlanden viehseuchenpolizeiliche Ausnahmegenehmigungen zur Einfuhr von Wiederkäuern und Schweinen aus beiden Ländern ab sofort nicht mehr erteilt werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Ertl zu einer Zusatzfrage!'

Josef Ertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000493, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, wie war es dann möglich, daß auf der französischen Ausstellung in Paris holländische Tiere ausgestellt werden konnten und deutsche nicht?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Das Vorkommen von Maul-und Klauenseuche in den Niederlanden beschränkte sich zur Zeit der französischen Landwirtschaftsausstellung auf drei von insgesamt elf Provinzen. Somit konnten die niederländischen Ausstellungstiere aus ,den seuchenfreien Provinzen auch nach Frankreich hereingebracht werden. Im Gegensatz dazu gab es zur Zeit der Landwirtschaftsausstellung in Paris kein deutsches Bundesland, das sechs Wochen von der Maul- und KlauenBundesminister Schwarz seuche frei war. Daraus erklärt sich die andere Behandlung.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl!

Josef Ertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000493, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich darf also Ihren Ausführungen entnehmen, daß es keine Spannungen zwischen der Veterinärverwaltung der Bundesrepublik und derjenigen Frankreichs gibt?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Ihre Auffassung ist zutreffend, Herr Kollege.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Die Frage VII/4 - des Herrn Abgeordneten Rauhaus - wird in der morgigen Fragestunde vom Bundesminister der Verteidigung beantwortet werden. Die Fragen 5 und 6 sind schon beantwortet. Wir kommen damit zur Frage VII/7 - des Herrn Abgeordneten Fritsch -: Wann ist mit dem Erlaß einer Verordnung über die Bekämpfung der Bienenseuchen zu rechnen?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Nach eingehenden Beratungen mit Sachverständigen, Vertretern des deutschen Imkeübundes und den zuständigen Behörden der Länder wurden in meinem Hause Referentenentwürfe für Verordnungen 1. über die Einführung der Anzeigepflicht für die bösartige Faulbrut und die Milbenseuche der Bienen für das gesamte Bundesgebiet und 2. zum Schutze gegen die bösartige Faulbrut und die Milbenseuche der Bienen im wesentlichen fertiggestellt. Die beiden Entwürfe werden in Kürze dem Herrn Bundesminister der Justiz zur Überprüfung der Rechtsförmlichkeit und anschließend dem Bundesrat zur Zustimmung zugeleitet werden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fritsch!

Walter Fritsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000601, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß z. B. das Land Bayern in Ermangelung einer bundeseinheitlichen Regelung 'in der Bekämpfung der Bienenseuchen eigene rechtliche Vorstellungen auf diesem Gebiet entwickeln will bzw. schon entwickelt hat, und befürchten Sie irgendwelche Auswirkungen dieser Regelungen des Landes Bayern auf eine bundeselinheitliche Regelung?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Herr Kollege, die Regelung ist bekannt. Wir denken aber durch die neu eingeleiteten Maßnahmen hier einheitliches Recht schaffen zu können.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich rufe dann noch auf 'die Frage XII/17 - des Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard -: Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Ausland in der Hähnchenmast u. a. Stoffe mit oestrogener oder thyreostatischer Wirkung sowie Arsen, Molybdän und sog. Tranquilizer verwendet und Hähnchen, die auf diese Art gemästet sind, in die Bundesrepublik eingeführt werden? Sie wird vom Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet. Bitte, Herr Minister.

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Der Bundesregierung ist bekannt, daß im Ausland die Verwendung von Zusatzstoffen in der Hähnchenmast zum Teil abweichend von den deutschen Vorschriften geregelt ist. Die Verwendung von Futterzusatzstoffen mit oestrogener oder thyreostatischer Wirkung sowie von Arsen, Molybdän oder sogenannten Tranquilizer ist grundsätzlich auch im Ausland verböten. So hat z. B. die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika erneut ausdrücklich bestätigt, daß diese Verbote in den USA auch für die Fütterung von Masthähnchen bestehen. Bei diesem Sachverhalt besteht keine rechtliche Handhabe, die Einfuhr von Masthähnchen aus dem Ausland zu unterbinden.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Dr. Reinhard, eine Zusatzfrage!

Dr. Carl Reinhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ist gewährleistet, daß dieses Verbot tatsächlich beachtet wird, d. h. daß kein mit gesundheitsschädigenden Stoffen gefüttertes Geflügel eingeführt werden kann? Was tut die Bundesregierung, um solche Einfuhren unmöglich zu machen?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Herr Kollege, es ist die Aufgabe des Bundesministeriums für Gesundheitswesen, die Überwachung durchzuführen. Ich werde meinerseits alles tun, um diesem Ihrem Anliegen gemeinsam mit der Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt Rechnung zu tragen.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ist auch die Frage XII/18 damit beantwortet? - Diese Frage - des Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard - lautet: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die in Frage XII/17 näher bezeichneten Einfuhren, die eindeutig in Gegensatz zu § 21 des Lebensmittelgesetzes stehen, zu unterbinden?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit bitte ich, meiner Beantwortung der vorigen Frage zu entnehmen, daß ein Anwendungsfall des § 21 des Lebensmittelgesetzes bei dieser Einfuhr nicht vorliegt.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage? Dr. Reinhard ({0}) : Herr Minister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß dann bei der inländischen Geflügelmast die gleichen Futterzusätze erlaubt sind, die in den Vereinigten Staaten gebräuchlich, wenn auch verboten sind?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Herr Kollege, wir haben hier ein sehr streng formuliertes Verbot. Wir haben die Auskunft erhalten, daß ein ähnliches Verbot auch in den Vereinigten Staaten vorliegt. Wir haben deshalb keine Veranlassung, an dem zu zweifeln, was uns von seiten der Vereinigten Staaten mitgeteilt wird.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bading.

Harri Bading (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie sagten vorhin, daß keine rechtliche Grundlage für eine Verhinderung der Einfuhr von Geflügel bestehe, das mit den betreffenden Stoffen gefüttert worden ist. Wie kommt es eigentlich, daß Frankreich die Möglichkeit sieht, eine solche Einfuhr zu unterbinden?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

In Frankreich bestehen andere gesetzliche Grundlagen, Herr Kollege Bading, die es Frankreich ermöglichen, andere Konsequenzen aus den Vorgängen zu ziehen. Es ist auch denkbar, daß gewisse Gesetze in Frankreich anders ausgelegt werden als bei uns.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Zusatzfrage.

Harri Bading (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wäre es dann nicht aber richtig, zu überlegen, ob nicht im Interesse der Gesundheit der Verbraucher solch eine Gesetzgebung auch hier einzuführen ist?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Diese Überlegungen finden statt. Mein Haus steht in engster Verbindung mit dem Bundesministerium für Gesundheit, um diese Frage zu prüfen, die uns gemeinsam interessiert, die Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt mindestens ebenso wie mich, einerseits im Hinblick auf die Gesundheit der Bevölkerung, andererseits im Hinblick auf die Fragen der Verfütterungsmöglichkeiten, die bekanntlich meinem Hause anvertraut sind.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Es folgt noch die Frage XII/19 - des Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard -: Wie gedenkt die Bundesregierung die Benachteiligung der deutschen Produktion, die dadurch entsteht, daß sie die in Frage XII/17 angeführten Futterzusätze und Mittel nicht anwenden darf, auf dem deutschen Markt aber mit Auslandsprodukten konkurrieren muß, für die das Verbot nicht gilt, auszugleichen?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Da die benannten Futterzusätze auch im Ausland, soweit bekannt, einem Verwendungsverbot unterliegen, dürfte eine Benachteiligung der deutschen Produktion von Masthähnchen mit den inländischen Verboten kaum zu begründen sein.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine Zusatzfrage?

Dr. Carl Reinhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, darf ich die Frage stellen, ob, falls festgestellt wird, daß Geflügelfleisch, das mit solchen Futtermitteln hergestellt worden ist, eingeführt wird, von der Bundesregierung Maßnahmen in der von mir angesprochenen Richtung erwogen werden?

Werner Schwarz (Minister:in)

Politiker ID: 11002127

Jawohl, Herr Kollege.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Ich danke Ihnen, Herr Minister. Ich schließe die heutige Fragestunde. Der Punkt 2 der Tagesordnung, Nachwahlen zur Beratenden Versammlung des Europarates, wird zurückgestellt. Ich rufe auf den Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Enquete über die Situation der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft ({0}). Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Frau Abgeordnete Strobel hat das Wort.

Käte Strobel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion fordert mit ihrem Antrag Drucksache IV/837 eine umfassende Erhebung über die Situation der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft unid über die vorhandenen und die erforderlichen Maßnahmen zur besseren Bewältigung der damit zusammenhängenden Probleme. Ich habe die Ehre, diesen Antrag zu begründen und vor allen Dingen darauf hinzuweisen, warum wir diese Enquete für dringend notwendig halten. Die Tatsache, daß immer mehr Frauen, Tauch wenn sie verheiratet sind unid Familie haben, berufstätig bleiben oder werden, beeinflußt in starkem Maße die Struktur unserer ,Gesellschaft. Wir können aber nicht gerade behaupten, daß dieser Wandel in der 'sozialen Struktur, in der Gesellscha t, täglichen Leben der Menschen beachtet wird. Leider müssen wir feststellen, daß weder im sozialen noch im kulturellen Bereich die gebotene Reaktion auf die igeänderten Verhältnisse erfolgt. Das ist nicht nur von Nachteil für die direkt betroffenen Mädchen, Frauen unid Familien, sondern auch von Nachteil für die Gesellschaft unid für die Wirtschaft. Typisch für die Situation ist z. B., daß, während noch 'große Teile der Allgemeinheit recht skeptisch gegenüber außerhäuslicher Erwerbsarbeiit der verheirateten Frauen sind, die Wirtschaft auf diese Frauen gar nicht verzichten kann, ja daß sie mit den modernsten Methoden um sie wirbt. Ich könnte Beispiele dafür anführen; eines möchte ich nennen: daß eine große Firma, um Reinemachefrauen zu bekommen, ausgeschrieben hat: „Es braucht ja niemand zu wissen, daß Sie arbeiten, Ihr Mann braucht es nicht zu erfahren, Sie können bei uns zwei Stunden täglich tätig sein, können sich zusätzlich etwas verdienen, ohne daß es bekannt wird", usw. Solche Methoden wendet die Wirtschaft heute 'an, weil sie anscheinend nur noch auf diese Weise Frauen für die unbesetzten Arbeitsplätze bekommt. Aus der Tatsache, daß Idas ,allgemeine Bewußtsein heute in vielen Fällen nicht der Realität entspricht, 'ergeben sich ungesunde Spannungen, ungenügende Vorbereitung ,auf das wirkliiche Leben, unausgenutzte Möglichkeiten, die Situation zu meistern. Vor allen Dingen wird der Wandel weder vom Gesetzgelber noch in der Praxis in seiner ganzen Tragweite respektiert. Es handelt such um ein geradezu ,erregendes Phänomen unserer Zeit, das wir Sozialdemokraten mit diesem Antrag mit der ,gebotenen Verantwortung in dein Vorldergrund rücken wollen. Dabei geht es nicht in erster Linie, wie vielleicht manche annehmen möchten, um Frauenrecht und Frauenfragen, sondern es geht um die volle Erfassung der Entwicklung, die alle betrifft, +und vor allen Dingen eben auch um die richtige Reaktion auf diese Entwicklung. Wenn die Reaktion sinnvoll sein soll, muß man wissen, was wirklich vorgeht; wenn die Maßnahmen der sich wandelnden Struktur entsprechen sollen, ja sie eventuell sogar beeinflussen sollen, muß man möglichst genaue Kenntnis davon haben, welche Strukturveränderungen staittgefunden haben, welche Umwälzungen im ,Gange sind, welche Trends sich vermutlich aufzeigen lassen. Ich möchte hoffen, daß wir Politiker uns hier in Übereinstimmung mit den Sozialforschern befinden, die die wissenschaftliche Vorarbeit für die Erkenntnis der Situation leisten. Der bekannte Soziologe Professor S c he 1 s k y hat das einmal, auf die Familie bezogen, wie folgt ausgedrückt - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus „Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart" -: Zunächst muß sich jede politische und soziale Maßnahme, die sich auf die Familie richtet, nach den Entwicklungstrends richten, die jeweils die Familie in der betreffenden Gesellschaft und geschichtlichen Situation besitzt. Dies bedeutet, daß sie diese jeweils gegenwärtige Sozialstruktur der Familie zunächst in unvoreingenommener Weise erkennt, die in ihr liegenden Entwicklungstendenzen überblickt und abzugrenzen versteht, in welcher Richtung sich bestimmte Maßnahmen familienpolitischer Art auswirken werden. Diese Forderung ist keineswegs so selbstverständlich in allen Formen der Familienpolitik erfüllt worden, wie es erscheinen möchte. Immer wieder trifft man z. B. auf Ansichten, die eben nur vor der industriell-bürokratischen Sozialverfassung unserer Gesellschaft möglich waren. Soweit Professor Schelsky. Man kann das fast wörtlich, auf alle Fälle sinngemäß auf die Situation der Mädchen und Frauen in unserer Gesellschaft übertragen. Die Einstellung zu den mit dieser Situation zusammenhängenden Problemen entspricht nämlich vielfach auch bei den Frauen selbst überliefertem Denken und antiquierten Gewohnheiten. Die Frage ist: Was wissen wir wirklich über die Anforderungen, die heute in der Familie und im Berufsleben an die Frauen gestellt werden, und darüber, wie sie diese Aufgaben bewältigen, welche Leistungen die Frauen vollbringen? Sind sie auf dieses Leben gut genug vorbereitet? Welche Maßnahmen sind nötig, um ihnen diese Aufgaben zu erleichtern? Es gibt in der Bundesrepublik heute rund 10 Millionen berufstätige Frauen. Ich scheue mich direkt, eine absolute Zahl anzugeben; denn je nach Quelle sind diese Zahlen grundverschieden. Man kann an einem Tag lesen, es seien 7 Millionen, am anderen Tag, es seien 9 Millionen, und wieder an einem anderen Tag, es seien sogar 14 Millionen. Das beweist nur, wie dringend nötig es ist, objektives statistisches Material darüber zu erarbeiten. Aber der Tatbestand, daß so viele Frauen berufstätig sind, ist in das öffentliche Bewußtsein entweder nur als „berufliche Notwendigkeit" oder auch als . „Krise der Familie" eingegangen. Ich möchte sagen, kein Thema ist mit derart massiven Vorurteilen, Tabus und vermeintlichem Wissen von der Mission der Frauen belastet wie jene Fragen, die die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft betreffen. Die eigentliche Problematik wird durch Klischees verdeckt. Die berufstätige Mutter ist dabei der Extremfall, bei dem die möglichen Konflikte der Doppelrolle der Frau in größter Schärfe deutlich werden. Doch ist das gesicherte Wissen um die Motive für Frauen- und Müttererwerbsarbeit und deren mögliche Konsequenzen für die Familien wie auch für die Frauen selbst völlig unzureichend. Eine Klärung der Problematik jenseits pathetischer Deklamation und Bekenntnisse erscheint uns daher dringend nötig. Die Zeit ist reif für eine große, systematische Erhebung, welche die Urisachen und die Ergebnisse des fortdauernden Wandels der Familien- und Wirtschaftsstruktur in der industriellen Gesellschaft im Hinblick auf die Stellung der Frau aufzeigen sollte Wir sind der Auffassung, daß es an der Zeit ist, aus dem Klima der Ad-hoc-Lösungen, der Teillösungen herauszufinden und den gesellschaftlichen Veränderungen mit gezielten Maßnahmen zu begegnen. Gewiß gibt es in der Bundesrepublik eine Reihe empirisch-soziologischer wie auch statistischer Untersuchungen, die sich mit diesem Thema in allgemeiner oder auch in mehr spezieller Art befassen. Von großem Nachteil ist dabei allerdings die Tatsache, daß sich diese Untersuchungen alle auf Teilgebiete richten, lediglich einzelne und bestimmte Gruppen von Frauen erfassen und untereinander schwer vergleichbar sind. Sie sind darüber hinaus nahezu ausschließlich nichtrepräsentativ für den Querschnitt unserer gesamten Bevölkerung. Hierdurch wird eine wirklich richtige Erfassung der Problematik sehr erschwert. Der Großteil der empirischen Studien ist entweder durch eine Unterrepräsentanz oder eine Überrepräsentanz der verschiedenen sozialen Schichten - z. B. der Arbeitnehmerinnen, der Arbeiterinnen oder der Angestellten oder ,der gehobenen Berufe wie der Akademikerinnen - gekennzeichnet. Soweit sie dem Querschnitt unseres Volkes aber nicht maßstabgerecht entsprechen, verlieren derartige Untersuchungen an verbindlicher und richtungweisender Aussagekraft für die schich3318 tungsgebundene Problematik der Stellung der Frau in ihrer sozialen Umwelt. Ich habe von der Bibliothek unseres Hauses eine Übersicht über die bekannten Veröffentlichungen erbeten. Es ist eine lange Liste, meine Damen und Herren. Daraus geht hervor, daß solche Erhebungen durchgeführt wurden und werden insbesondere über die Gebiete, die für die Wirtschaft und für die Berufstätigkeit der Frauen wichtig sind, daß aber das Gebiet der Leistung der Hausfrau, das Gebiet der Leistung der Mutter in der Familie für die Gesellschaft, der Rollenwandel im Leben der Frau und die Verteilung der Aufgaben von Frauen und Männern im Zusammenhang mit dem Rollenwandel sowie die möglichen Aufgabenerleichterungen für die Frauen - insbesondere hinsichtlich der Bildung - nicht so viel Beachtung finden. Übrigens will die Bibliothek, angeregt durch die vielen Anforderungen, die im Zusammenhang mit unserem Antrag an sie gekommen sind, für alle Abgeordneten eine möglichst vollständige Bibliographie zu diesem Gebiet erarbeiten, was ich auch als ein immerhin interessantes Nebenprodukt unseres Antrages betrachten möchte. Es ist - so möchte ich in diesem Fall zusammenfassend feststellen - also das beschämende Faktum festzuhalten, daß uns auf diesem Gebiet keine umfassende und repräsentative empirische Untersuchung vorliegt, die 'der Bedeutung der Problematik gerecht würde. Man kann nur bedauern, daß bisher kein Mitglied der Bundesregierung eine solche Untersuchung veranlaßt hat, wozu in der Bundesregierung ja ohne weiteres Gelegenheit gewesen wäre. Ich bin der Meinung: wollen wir die sozialen Wandlungen und Strömungen richtig verstehen, wollen wir den bestehenden Spannungen sinnvoll begegnen oder sie vermindern, so ist die Erstellung gesicherter wissenschaftlicher Grundlagen ein Erfordernis von vorrangiger Bedeutung. Daß von der Bundesregierung und den sonst dafür in Frage kommenden Stellen diesen Fragen nur unzureichend, sehr oft mit mangelndem Interesse begegnet wird, dafür nur ein Beispiel. Wie es scheint, ist es richtig, daß eine umfangreiche soziologische Untersuchung über die Berufstätigkeit der Mütter, die vor einiger Zeit durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft angeregt und durchgeführt wurde, an Repräsentanz unvollkommen blieb, weil die beantragten Zusatzfragen zum Mikrozensus abgelehnt worden sind. Meine Damen und Herren, die Vorstellung, die sich die weitaus meisten Männer und Frauen jeden Alters von der Frau von heute machen, sind falsch. ({0}) Die Vorbereitung der Mädchen und Jungen auf das Leben entspricht noch viel zu oft diesem falschen Bild. Das macht das Leben für sie nicht leicht. Es entstehen unzählige vermeidbare, sozial unerwünschte Erscheinungen und Konfliktsituationen. Es entgehen sowohl der Gesellschaft als auch den Familien wie dem einzelnen Menschen Chancen positiver Entwicklung. Viele sind unsicher. Sie landen deshalb - und zwar Frauen u n d Männer - auf der Suche nach einem neuen Leitbild bei der Traumfabrik, und ich meine, wir sollten uns alle einig darüber sein, daß die Traumfrau in Wirklichkeit eben nicht existiert, ja, nicht existieren kann. ({1}) - Aber natürlich auch nicht der Traummann, da haben Sie völlig recht. ({2}) Die Unsicherheit, die sich aus dem vermeintlichen Konflikt zwischen Ehe, Beruf und Familie ergibt, muß nach unserer Meinung beseitigt werden. Das mütterliche Leitbild muß ergänzt werden durch die Objektivierung der gesellschaftlichen Leistungen und des gesellschaftlichen Wertes der Frauen im Berufsleben, als Konsumenten in der Wirtschaft und als verantwortliche Mitträger des öffentlichen Lebens. Lassen Sie mich gerade aus diesem Grunde einige Bemerkungen zur Situationserfassung machen. Ich muß mich hier leider auf ausländische Untersuchungen beziehen, da mir solche vorausschauenden Untersuchungen im Gebiet der Bundesrepublik nicht zur Verfügung standen. Nach einer schwedischen Untersuchung über die voraussichtliche Entwicklung des Arbeitsmarktes sind in Schweden die einzige Arbeitskraftreserve die verheirateten Frauen. In Schweden waren 1950 30 % verheiratete Frauen berufstätig; 1960 waren es bereits 40 %. Nach dieser vorausschauenden Untersuchung werden es 1970 50 % sein, wenn das aufgestellte Programm der wirtschaftlichen Entwicklung verwirklicht werden soll. Aber, meine Damen und Herren, 48 % der in Schweden arbeitenden Frauen arbeiten weniger als 35 Stunden, und mehr als 25 % der in Schweden berufstätigen Frauen arbeiten weniger als 22 Stunden! Um den Fehlschlüssen, die auf das überlebte Leitbild der auf Lebenszeit durch die Ehe versorgten Frau zurückgehen, begegnen zu können, muß man wissen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß Frauen nach der Heirat noch berufstätig sein werden. Ich meine, wenn die Technik und die Konjunktur weiter in so erregender Geschwindigkeit in das Leben der Menschen eingreifen, ist es höchste Zeit, daß sich Gesetzgeber und Offentlichkeit an den neuen Maßstäben orientieren. ({3}) Ich bin überzeugt, wenn die Wirtschaft zu immer größerer Produktivität drängt, wenn beim Konsumenten immer neue Bedürfnisse entstehen, wird Erwerbsarbeit von Frauen zu einem selbstverständlichen Bestandteil unserer Wirtschaft und Gesellschaft werden. Ich sage bewußt nicht „die Erwerbsarbeit der Frauen", sondern „Erwerbsarbeit von Frauen". Aber immer noch ist das Ausbildungsziel der Eltern für ihre Töchter niedriger gesteckt als für ihre Söhne. Bei einer 1960 durchgeführten Befragung nach der beabsichtigten Schulausbildung der Kinder Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode 'Frau Strobel lagen für die Mädchen die höheren Prozentzahlen bei der Volksschule und der mittleren Reife. Für die Söhne ist der Prozentsatz für Abitur mehr als zweimal so hoch wie für Mädchen. Die berufliche Ausbildung der Mädchen erfolgt im allgemeinen nach dem Gesichtspunkt, daß sie den Beruf nur auf Zeit und nicht fürs Leben ausüben. Die Eltern, die Mädchen selbst und vor allen Dingen die Wirtschaft tragen zu dieser Fehlentscheidung bei. ({4}) In der Wirtschaft bietet man den Mädchen vielfach nur eine Anlernzeit oder eine Kurzausbildung an, während die Jungen eine ordentliche Lehre erhalten. Abiturientinnen wird auch heute noch bei der Berufsberatung in der Schule - sogar durch Akademiker selber - von einer längeren akademischen Ausbildung abgeraten. Ich habe das in meiner eigenen Familie erlebt, als meine Tochter in der Abiturklasse beraten wurde. ({5}) So sind - das steht ja auch weitgehend fest - heute die bedeutendste Begabtenreserve, die immer noch besonders vernachlässigt wird, die weiblichen Jugendlichen. Die Vorstellung, daß Mädchen eigentlich - das sind immer Formulierungen besonders aus der Wirtschaft - keine so kostspielige Berufsausbildung brauchen, weil sie ja doch bald heiraten, entspricht einfach nicht mehr den Tatsachen; denn viele junge Frauen bleiben auch in der Ehe weiter berufstätig, und viele Frauen kehren sogar, wenn die Kinder groß sind, in den Beruf zurück, ganz abgesehen von der großen Zahl unverheirateter Frauen und vaterloser Familien. ({6}) Die Vorstellungen, warum verheiratete Frauen arbeiten, sind übrigens selten objektiv. Auch das hängt zum Teil mit traditionsbedingten Vorurteilen zusammen. Wenn die Mütter nicht arbeiteten, würde manches uns selbstverständlich erscheinende Bedürfnis nicht befriedigt werden können. Manches Kind würde keine Berufsausbildung erhalten. ({7}) Wenn es den politischen Kräften - und zwar allen politischen Kräften, möchte ich hoffen - in diesem Parlament mit einer gesicherten Berufsausbildung für alle Kinder und jungen Menschen nach ihren Fähigkeiten ernst ist, ohne daß deswegen Mütter gezwungen sind, die Mittel dafür durch zusätzliche Berufsarbeit aufzubringen, dann muß das von der SPD seit langem vorgelegte Gesetz über die Ausbildungsförderung endlich angenommen werden. ({8}) Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich dem hinzufügen, daß die Freude am Beruf und der Wunsch nach Kontakt mit der Außenwelt, auch die Selbstbestätigung und der Wunsch, über mehr eigenes Geld zu verfügen, und andere Gründe durchaus legitim sind und daß sie absolut dem Grundsatz des Rechtes auf Arbeit und der freien Wahl eines Arbeitsplatzes ohne Diskriminierung entsprechen. Wichtig ist in erster Linie, daß die Motive richtig erkannt werden. Nach einer Untersuchung - wieder einer in England lebenden Frau - von Frau Viola Klein, London, will die Hälfte aller befragten Frauen, die die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, als Begründung für ihre Erwerbstätigkeit angeben, auch bei wirtschaftlicher Besserstellung weiterhin berufstätig bleiben. Die Mädchen und Frauen gewöhnen sich an den Gedanke, daß sie einen größeren Teil ihres Lebens mit Erwerbstätigkeit ausfüllen. Nach Viola Klein hat man z. B. in den USA errechnet, daß das durchschnittliche Arbeitsleben einer Frau heute 25 Jahre beträgt. Ein Teil der Frauen weiß heute auch, daß sie in vielen Berufen etwas leisten können und daß eine gute Berufsausbildung fürs ganze Leben wichtig ist. Aber es stimmt auch - leider stimmt es -, daß die Mehrzahl der berufstätigen Frauen nicht durch eine abgeschlossene Lehre auf das Berufs- und Arbeitsleben vorbereitet wurden. Ganz eindeutig ergibt eine Erhebung der Abteilung „Frauen" des Deutschen Gewerkschaftsbundes, daß die Schulausbildung für den beruflichen Aufstieg der Frauen von größter Bedeutung ist. Die Gesamtzahl der in abhängiger Stellung Beschäftigten hat in der Bundesrepublik in den Jahren 1952 bis 1959 um 30 %zugenommen; bei den weiblichen Beschäftigten betrug ,die Zunahme 42,9 % Von den zuletzt gezählten zirka 10 Millionen erwerbstätigen Frauen sind fast 4 Millionen verheiratet, davon 2,5 Millionen Mütter. Daraus geht hervor, welche Bedeutung die weibliche Arbeitskraft in unserer Wirtschaft hat. Mit der Bedeutung des Einkommens der Frauen für die Familien ist es ähnlich. Obgleich die Frau von der Wirtschaft gebraucht und von ihr gesucht wird, obgleich unsere Verfassung, die Konvention Nr. 100 und auch der EWG-Vertrag Lohndiskriminierungen verbieten, liegen die Frauen mit ihrem Einkommen dennoch weit unter dem der männlichen Berufe. ({9}) Dabei fällt -nach Angaben des Statistischen Bundesamtes - sehr ins Gewicht, daß die Frauen im Vergleich mit den Männern in weniger qualifizierten Stellungen beschäftigt sind. Vor allem erwerbstätige Frauen und Mütter sind in hohem Maße überbeansprucht. Die tägliche Arbeitszeit zu Hause und im Beruf beträgt bis zu 13 Stunden. Nach einer Züricher Mütterbefragung hat die berufstätige Mutter eine 76-Stunden-Woche. Drei Viertel der Frauen verwenden das Wochenende für Hausarbeit. Mehr als 60 % dieser Frauen benutzen ihren Jahresurlaub, um ihren Haushalt wieder einmal zu überholen. So schaffen sie den höheren Lebensstandard, die größere Wohnung, die bessere Ausbildung für ihre Kinder, und sie tun es sicher gern. Aber einen Teil ihrer zusätzlichen Belastung kann und muß man ihnen abnehmen, und auch das wollen wir mit diesem Antrag endlich erreichen. Eigentlich - das möchte ich ganz ehrlich sagen - hätte man erwarten können, daß Frau Minister Schwarzhaupt auf diesem Gebiet im Bundeskabinett die Initiative ergreift. Ich bin ein bißchen traurig darüber, ,daß man außer verständnisvollen Reden, was alles und daß alles getan werden müsse, um dem Raubbau an der Gesundheit der Frauen zu begegnen, bis jetzt leider nichts gemerkt hat. Was sind in erster Linie die Sorgen der Frauen, die im Arbeitsleben stehen? Ich habe viele direkt am Arbeitsplatz befragt: es sind in erster Linie die Kinder; der Geldanke an die Kinder verläßt die Frauen den ganzen Tag nicht. Vor allen Dingen die Gedanken der alleinstehenden Mütter bewegen sich natürlich um ihre Kinder. Und dann ist es ihre Gesundheit. Die jungen Mäldchen in der Fabrik sagen uns noch, daß ihnen das Arbeitstempo, die Geräuschkulisse usw. nichts ausmachten. Aber die Dreißigjährigen fragen sich schon, wilelange sie das durchhalten werden. Deshalb fragen wir in diesem Zusammenhang - immer nur, um Beispiele zu nennen -: warum sterben in der Bundesrepublik prozentual mehr Babies als in anderen vergleichbaren Ländern? Warum haben wir in der Bundesrepublik eine höhere Zahl von Früh- und Fehlgeburten? Warum haben wir eine wesentlich höhere Müttersterblichkeit als andere verglelichbare Länder? ({10}) - Ich weiß, Frau Kalinke, das sind unbequeme Zahlen. ({11}) - Wir beantragen gerade aus diesem Grunde die Enquete, damit es gesicherte Zahlen darüber gibt. ({12}) Aber beunruhigt diese Frage die Gesellschaft wirklich? Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß man bedrückt Idarüber sein muß, warum so alarmierende Vorträge wie der von Professor 'Kirchhoff auf der Bundesärztetagung 1961 keine nachhaltigere Wirkung in der Bundesrepublik auslösen. ({13}) Wenn man der Meinung ist, daß alle die bisher veröffentlichten Zahlen in dieser Beziehung nicht stimmen, warum hat dann das Bundesgesundheitsministerium nicht längst eine gründliche und genaue Untersuchung darüber veranstaltet? ({14}) Wir wissen, daß es auf alle diese Fragen keine leichten Antworten gibt. Aber daß von der Bundesregierung bis jetzt effektiv nichts geschehen ist, um den Ursachen und ihren alarmierenden Folgen zu begegnen, ist einfach erschreckend. In diesem Zusammenhang muß ich fragen: wozu haben wir dann eigentlich ein Bundesgesundheitsministerium? ({15}) Ich selbst habe einen Vortrag von Frau Minister Schwarzhaupt in Nürnberg bei dem Bundesfrauenkongreß 'des DGB gehönt, aus dem hervorging, daß ihr diese beklagenswerten Zustände bekannt sind. Da frage ich Mich dann: wo 'bleiben die Vorlagen des Bundesgesundheitsministeriums an Idas Kabinett? Wo blöiben tatsächliche, sinnvolle Maßnahmen? In ,der Bundesrepublik starben - 'ich erlaube mir jetzt, diese Zahl zu nennen; sie list bisher von niemandem 'bestritten worden, obwohl sie laufend von Ärzten veröffentlicht wird - im Jahre 1959 von 1000 lebend geborenen Kindern 33, 'in Schweden 16, in 'Holland 17, in 'der Bundesrepublik also zweimal so viel. ({16}) Ich nenne 'diese beiden Länder, weil in Schweden eine höhere Berufstätigkeit der Frauen besteht, während in den Niederlanden eine niedrigere Berufstätigkeit beisteht. Da muß man sich doch fragen: macht es in Schweden vielleicht doch die kürzere Arbeitszeit, ({17}) der bessere Mutterschutz, der längere Urlaub, die weitergehenden Lebenshilfen? - Frau Pannhoff, wollen Sie bestreiten, daß Schweden uns ein dieser Beziehung wesentlich voran ist? ({18}) Wir müssen und wollen mit unserem Antrag in diesem Zusammenhang erreichen, daß diejenigen, die auf den Wandel im Frauenleben, auf die Ursachen und Wirkungen dieses Wandels immer wieder aufmerksam machen und vor allem auf die Ursachen und Wirkungen für die ganze Gesellschaft hinweisen, nicht wie bisher Prediger in der Wüste sind, sondern daß die Gesellschaft und vor allen Dingen der Gesetzgeber die reale Situation zur Kenntnis nimmt und darauf entsprechend reagiert. Es ist z. B. dringend nötig, festzustellen, ob und in welcher Beziehung der besondere, weitergehende Arbeitsschutz für Frauen und Mädchen aus biologischen Gründen unter den gegenwärtigen und unter den zu erwartenden Arbeitsbedingungen geändert werden müß. Ich möchte auch hier nur ein Beispiel vor vielen nennen, das Beispiel des Strahlenschutzes. Schon heute sind nach meiner Auffassung die geltenden Schutzbestimmungen bei Strahlengefährdung für die Frauen nicht ausreichend. Für Frauen sollte nicht erst, wenn sie ein Kind erwarten, die Beschäftigung an strahlengefährdeten Arbeitsplätzen verboten sein. Wenn wir wirklich jede Gefahr für das keimende Leben ausschließen wollen, dürfen Frauen im gebärfähigen Alter überhaupt nicht an solchen Arbeitsplätzen beschäftigt werden. ({19}) Bereits bei der ersten Behandlung der Strahlenschutzverordnung im Europäischen Parlament habe ich für die sozialistische Fraktion des Europäischen Parlaments auf diese Mängel in der Strahlenschutzverordnung aufmerksam gemacht. Ich meine, mit zunehmender Berufstätigkeit der Frauen gewinnen solche Gefahren an Gewicht. Wir wollen dies nicht über-, aber wir dürfen es auch keinesfalls unterschätzen. Wir wollen objektive Feststellungen und die notwendige Reaktion. Wir müssen in den arbeitenden Frauen und Mädchen schon die künftigen Mütter schützen. Den Mutterschutz als solchen kann ich in diesem Zusammenhang ausklammern. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat bereits einen eigenen Gesetzentwurf mit den wichtigsten Verbesserungen vorgelegt, und es hat sich bei der Anhörung von Sachverständigen im zuständigen Ausschuß schon gezeigt - und Frau Pannhoff, wer weiß, was sich morgen in dieser Frage bei der Anhörung von Sachverständigen im zuständigen Ausschuß ergibt! -, daß die sozialdemokratischen Forderungen beim Mutterschutz nur zu berechtigt sind. Auch hier kann ich nur sagen: Hoffentlich finden die Anträge auf Verbesserungen bald eine Mehrheit in diesem Hause! ({20}) Ich möchte meinen, zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Kräften in der Bundesrepublik besteht Übereinstimmung darin, daß 'Mütter von Säuglingen und Kleinkindern nicht gezwungen sein sollten, erwerbstätig zu sein. Vielen bleibt aber gar nichts anderes übrig, weil ihre materielle Situation sie dazu zwingt. Darüber gibt es schon recht eindeutige Untersuchungen. Es gibt aber auch Erfahrungen in anderen Ländern, die den Familienlastenausgleich wesentlich besser geregelt haben als wir. Das geht von den Kinderbeihilfen über die Wohnungsmiete bis zur Versorgung der vaterlosen Kinder. Diese Probleme sind in der Bundesrepublik alles andere als beispielhaft gelöst. Es wäre unserer Gesellschaft absolut würdig, daß jede Mutter frei und unabhängig von materiellem Zwang darüber entscheiden könnte, ob sie berufstätig sein will oder nicht. Aber dazu gehört dann eben auch, daß die Kinder und vor allem die größeren Kinder für den Fall der Berufstätigkeit der Mutter gut versorgt sind. Auch auf diesem Gebiet liegen wesentliche Teiluntersuchungen vor. Fehlende bzw. unzureichende Kindertagesstätten, Spiel- und Sportplätze, Ferienheime und Erholungsstätten weisen die Bundesrepublik nicht gerade als sozial fortschrittlich aus. Wenn diese Frage einmal eingeordnet in eine Gesamtschau der gesellschaftlichen Situation, die sich heute aus ihrem Wandel ergibt, gesehen wird, werden diese Lücken sicherlich noch deutlicher werden, hoffentlich aber auch die Chance größer, daß sie geschlossen werden. Die Frage muß beantwortet werden: Welches sind die wichtigsten Voraussetzungen dafür, daß Mütter größerer Kinder berufstätig sein können? Dazu gehört die zweckmäßige Wohnung genauso wie eine rationelle Haushaltsführung. Dazu gehört die Erziehung zu der Fähigkeit, sich aller Möglichkeiten und auch aller Vorteile als Verbraucherin zu bedienen, die geboten werden können. Die Schule, die Vorbereitung auf das Leben im Elternhaus, die Berufsausbildung, die Fortbildungs- und auch die Umschulungsmöglichkeiten entsprechen in weiten Bereichen nicht den gegebenen Notwendigkeiten. Auch dieser Bereich soll nach unserem Antrag in die Untersuchung einbezogen werden. Die Vorbereitung auf die Rolle der Frau im Haushalt und als Verbraucherin ist ebenfalls absolut unzureichend. Ein genügender Unterricht darüber müßte heute umfassen die richtige Organisation des Haushalts, die vernünftige Einteilung des Haushaltsbudgets, sinnvolles Verbraucherverhalten, richtige Ernährung und vieles andere mehr. Ich darf in diesem Zusammenhang fragen, welche Vorurteile heute noch gegenüber der Hausarbeit bestehen, und zwar teilweise nur deswegen, weil sie unbezahlt ist. ({21}) - Ich frage uns alle, Frau Geisendörfer, aus diesem Grunde legen wir ja diesen Antrag auf eine umfassende Enquete vor. In welchem Maße wird die Hausarbeit unterschätzt? Untersuchungen zeigen, daß die Arbeitszeit der Hausfrau weit über der normalen Arbeitszeit Erwerbstätiger liegt. Das muß aber nicht so sein; das wissen wir heute auch. Auch die Hausarbeit sollte nach den besten Bedingungen getan werden können und sie soll gerecht bewertet werden. Es ist zu wenig bekannt, daß nur 20 % der Haushalte ein Mixgerät, nur 29 % eine Waschmaschine und nur 41 % einen Kühlschrank haben. Und wer kann sich schon eine Geschirrspülmaschine leisten! Ich erwähne das auch nur, um ein weiteres Beispiel anzuführen. ({22}) Die immer wieder geforderte steuerliche Begünstigung beim Einkauf von Haushaltsmaschinen haben wir bis heute nicht. - Frau Geisendörfer, ob eine Geschirrspülmaschine nötig oder unnötig ist, hängt von der Größe des Haushalts ab, und die Entscheidung darüber wollen wir gern den Frauen selbst überlassen. Sie werden selbst entscheiden, ob sie eine kaufen wollen, wenn sie das Geld für eine Geschirrspülmaschine aufbringen! Gewiß, vieles von dem, was die Hausfrau früher selber machen mußte, wird heute fertig geliefert. Dieser Prozeß der Minderung der Arbeit für die Hausfrau ist aber verbunden mit einem Wandel der Familienstruktur und mit einem Funktionswandel in der Familie. In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft ist die Familie der eigentliche und einzige Ort, an dem die persönlichen, unmittelbar menschlichen Beziehungen an Wert gewinnen. Die Bedeutung der Familie für den einzelnen nimmt sowohl für die Kinder als auch für die Eltern bzw. die Ehepartner zu. Damit nehmen aber auch - und das möchte ich sehr betonen - die Ansprüche an die Frau und Mutter im erzieherisch-menschlichen Bereich zu. Bei den heute von der Frau bei der Kindererziehung erwarteten Leistungen wird von ihr mehr gefordert, als ihr bei dem gegenwärtigen Erziehungs- und Bildungsniveau im allgemeinen mitgegeben worden ist, wird eine voll entfaltete Persönlichkeit gefordert. Es besteht die Frage: Stimmt es - ich behaupte es nicht; es ist nur wieder eine Frage -, daß die nichtberufstätige Hausfrau sozial isoliert wird wegen der Einsamkeit der häuslichen Arbeit in der industriellen Gesellschaft? Stimmt es, daß die Konzentrierung auf Haushalt und Familie eine Beschrän3322 kung der Persönlichkeit der Hausfrau bedeutet, aus der sich eine Beschränkung ihrer Möglichkeiten als wirkliche Partnerin des Mannes und lebendige und intelligente Erzieherin ihrer Kinder ergeben kann? Solche Behauptungen stehen in der Öffentlichkeit im Raum. Die Frage ist bis jetzt nicht eindeutig und klar und nicht wissenschaftlich präzise beantwortet worden. Es ist aber ein so ungemein wichtiges gesellschaftspolitisches Problem für die Frauen, für die Familie und für uns alle, daß man sich unbedingt davor hüten muß, leichtfertige Schlußfolgerungen zu ziehen. Deshalb soll ja eine wissenschaftliche Untersuchung Klarheit schaffen. Ist es nicht so, daß die ständige Vorbereitung der Mütter auf die immer neuen Lebensphasen der Kinder und die damit verbundenen Erziehungsaufgaben, wenn sie genügend und bewußt geschieht, durchaus die soziale Isolierung durchbricht? Aber dazu ist es notwendig, daß in der Mädchenbildung rechtzeitig auf diese Phase des weiblichen Lebens hingewirkt wird und daß die kommenden Mütter, Ehefrauen und Väter auch in diesem Sinne zur Lebenstüchtigkeit erzogen werden. ({23}) Wieder eine ganz andere Frage ist, ob die auf dem Lande lebende Frau der Gefahr einer Isolierung stärker ausgesetzt ist als die Frau in der Großstadt. Wir wollen, daß die Untersuchung insbesondere auch auf die Situation der auf dem Lande lebenden und in der Landwirtschaft arbeitenden Frau ausgedehnt wird. Die Fragen des Gesundheitszustandes der Landfrau, ihrer Belastung, des Urlaubs und der Freizeit, ihrer sozialen Sicherheit sowie möglicher und notwendiger Lebenshilfen sollen von der Enquete erfaßt werden. In diesem Zusammenhang verweise ich besonders darauf, daß wir einen Katalog von Unterfragen zu unserem Antrag vorlegen, da wir eben in unserem Antrag alle Frauen in allen Berufsgruppen erfassen wollten und nicht die eine oder die andere Gruppe besonders nennen wollten. Eine wichtige Frage ist noch: Welche Diskriminierungen gibt es außer der Lohndiskriminierung heute noch für Mädchen und Frauen, und wie kann man diesen Diskriminierungen begegnen? Man muß sich darüber klar sein, daß die traditionelle Idee „die Frau gehört ins Haus" überholt ist. Ebensowenig darf man aber leugnen, daß Kinder und Familie im Lebensgefühl der Frau eine andere Rolle spielen als in dem des Mannes. Die doppelte Rolle der Frau muß die Gesellschaft akzeptieren, sich aber dann auch der Probleme annnehmen, die sich daraus ergeben. ({24}) Deshalb muß eine neue Einstellung zum Platz der Frau in unserer heutigen Gesellschaft gefunden werden. Sie wird meiner Meinung nach vor allen Dingen auch durch die längere Lebenserwartung der Menschen überhaupt notwendig. Ebenso muß man die Tatsache sehen, daß in 70'0/o aller Haushaltungen in der Bundesrepublik keine Kinder unter 14 Jahren leben. Die schwierige Lage und die besondere Problematik der berufsätigen Mutter darf nicht gleichgesetzt werden mit der Lage der verheirateten Frau, die von Mutterpflichten entlastet ist. Bei ihr besteht eine verstärkte Tendenz zur Überwindung eines sie nicht voll befriedigenden Zustandes. Wenn dieser Wandlungsprozeß rechtzeitig und richtig aufgefangen wird, wenn Berufe, die sich z. B. aus dem wachsenden Anteil der Dienstleistungsberufe ergeben, für diese Frauen anziehender gemacht werden, kann sich daraus durchaus eine bessere Lebenserfüllung für diese Frauen ergeben. ({25}) In Schweden sind 68 % der arbeitenden Frauen in Dienstleistungsberufen tätig. Viele allerdings, wie schon gesagt, in Teilzeitarbeit. Das Problem der Teilzeitarbeit ist in der Bundesrepublik zwar immer wieder untersucht worden, aber es sind noch nicht die richtigen Lösungen dafür gefunden. Für viele Frauen würde Teilzeitarbeit eine wesentlich bessere Lösung darstellen als die Ganztagsbeschäftigung. Deshalb brauchen wir tragbare Lösungen. Ein wesentlicher Nachteil - ich nenne nur einen von vielen - beim Übergang von der Ganztagsarbeit zur Halbtagsarbeit oder Teilzeitarbeit mit niedrigerem Einkommen ist, daß sich der erworbene Rentenanspruch trotz weiterer Arbeit verschlechtert. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hatte schon bei der Reform der Rentengesetzgebung diese Ungerechtigkeit ausmerzen wollen. Leider waren unsere Bemühungen erfolglos. Wir haben aber die Erwartung, daß bei einer gründlichen Prüfung der Probleme, die mit der Teilzeitarbeit zusammenhängen, auch dieser sehr wesentliche Hinderungsgrund beseitigt wird. In diesem Zusammenhang empfehle ich vor allen Dingen auch die Auswertung der Untersuchungen und Empfehlungen des Internationalen Arbeitsamtes. Auch die Deutsche Zentrale für Volksgesundheit hat sich damit beschäftigt. Die Anwesenheit von Frau Minister Schwarzhaupt ist dabei ja in der Presse sehr lobend erwähnt worden. Ich kann nur sagen, hoffentlich wird sich diese Anwesenheit bald auch positiv auswirken. „Was wissen wir von der Frau von heute?" steht praktisch ungesehen als Überschrift über unserem Antrag. Besonders wenig, meine Damen und Herren, wissen wir von der alleinstehenden Frau. Ich erlaube mir die Frage: ist ihr Problem wirklich in erster Linie, daß sie unverheiratet ist? Gibt es nicht andere Probleme, die ihr das Leben unnötig erschweren und die man lösen könnte? Sie verdient z. B. durchschnittlich viel zu wenig. Das Statistische Bundesamt meldet: 34 % aller allein lebenden Frauen in der Bundesrepublik mußten 1960 mit weniger als 200 DM im Monat auskommen. ({26}) Etwa ebenso viele hatten nur ein Einkommen bis zu 300 DM, und nur 7 % aller allein lebenden Frauen verfügen über ein Einkommen von 500 DM und mehr. Dabei gibt es in der Bundesrepublik zweieinhalb Millionen Frauen, die in Einzelhaushalten leben. Die alleinlebenden Frauen haben es im allgemeinen schwerer als ihre männlichen Kollegen, sich durchzusetzen, vor allem im beruflichen Leben. Sie haben es schwerer, ihre Stellung zu verbessern. Im Alter ist ihre Rente meistens zu niedrig. Sie haben es z. B. auch sehr viel schwerer, eine Wohnung zu bekommen. Viele solche Fragen hängen damit zusammen. Natürlich gibt es Ausnahmen, Frauen, deren Tüchtigkeit und gute Berufsausbildung diese Benachteiligung überwinden. Im allgemeinen aber geht unserer Gesellschaft viel zuviel dadurch verloren, daß der geistige Beitrag, den Frauen zu geben hätten, vielfach nicht nur nicht entwickelt, sondern geradezu gehemmt wird. Die gleichen Chancen, die das Grundgesetz verspricht, sind in der Praxis nicht verwirklicht. Wir wollen eine genaue Erhebung darüber, um auch für eine gerechte Lösung all dieser Fragen objektive Grundlagen zu haben. Meine Damen und Herren, ich habe einen Katalog von Unterfragen zu unserem Antrag. Ich möchte es Ihnen ersparen, alle diese Unterfragen anzuhören; ich erlaube mir, sie zu Protokoll zu geben *). Wir wollen für die Wissenschaftler, die sich hoffentlich sehr bald mit der Enquete beschäftigen können, den Katalog der Unterfragen nicht unnötig einschränken, sondern möchten deutlich machen, welche uns gewichtig genug erscheinen, erwähnt zu werden. Lassen Sie mich abschließend noch einmal besonders betonen, daß dem Problem der Bildung von der Schule über das Elternhaus zur Berufsausbildung und Erwachsenenbildung, ja der permanenten Bildung überhaupt, auch bei den mit unserem Antrag zusammenhängenden Fragen eine zentrale Bedeutung zukommt. Wir hoffen, daß unser Antrag rasch verabschiedet wird. Selbstverständlich kann die im Antrag genannte Frist nicht mehr eingehalten werden; sie muß wahrscheinlich um ein Jahr verlängert werden. Wir möchten aber betonen, daß einige der angeschnittenen Probleme für unsere Gesellschaft, für alle Frauen, für alle Männer und ihre Familien so wichtig sind, daß die Durchführung der Enquete keinesfalls verzögert werden darf. ({27})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Der Antrag der Fraktion der SPD ist begründet. Es liegt noch der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 247 *) vor. - Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.

Margot Kalinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001058, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe die Ehre, namens der Fraktion der CDU/CSU zum Antrag der Fraktion ,der SPD Drucksache IV/837 Stellung zu nehmen und den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu begründen. Von Jaspers stammt der Satz, „daß unser Zeitalter durch den Umfang und die Tiefe der Verwandlung allen menschlichen Lebens die einschneidendste Bedeutung hat." Wie niemand der Geschichte entkommen kann, so können und wollen wir auch nicht der Diskussion der wichtigen Fragen aus- *) Siehe Anlage 2 s) Siehe Anlage 3. weichen, die heute mit dieser Enquete angesprochen sind; wir begrüßen vielmehr diese Diskussion und wir begrüßen die Möglichkeit, von der Fülle, ja der Vielfalt der angeschnittenen Probleme doch einige hier gründlich und, wenn es möglich wäre,. vertieft zu 'besprechen. Wer über die heutige Situation der Frau in der Gesellschaft, in der Familie, in der Politik sprechen will, wer von der Stellung der Frau in der Zeit, in der wir leben, sprechen will, muß sich der ganzen Problematik bewußt sein und wissen, daß sie ohne Einsicht in die 'soziale und igesellschaftspolitische Wirklichkeit nicht 'gemeistert werden kann. Man kann deshalb auch an so wichtige Untersuchungen über die Fakten nicht herangehen, ohne sich bewußt zu sein, daß die Einsicht in wesentliche und bleibende Zusammenhänge unerläßlich ist. Es wäre daher 'sehr tragisch, wenn das Gespräch über die Situation der Frau in unserer Zeit nur von Frauen für Frauen 'geführt würde. ({0}) Es ist die Auffassung meiner Freunde in der CDU/CSU, der Männer wie der Frauen, daß wir hier stellvertretend für alle Mitglieder dieses Hauses zu einem Problem sprechen, das die Sache des ganzen Parlaments unid der deutschen Offentlichkeit ist. ({1}) Es 'wäre aber auch tragisch, über die Situation der Frau in der Politik und der Wirtschaft nur zu .sprechen als von ihrer Rolle in der vollbeschäftigten Wirtschaft oder von ihrer Stellung als Arbeitskraftreserve oder etwa nur von ,den Problemen 'des materiellen Kampfes urn die Gleichbehandlung und Gleichberechtigung, wie das heute morgen hier angeklungen ist. ({2}) Die Fülle der Probleme, die ich nur mit einzelnen Stichworten aufzeigen kann und aufzeigen werde, würde uns viele Tage beschäftigen, wenn wir sie so vertiefen könnten, 'wie ,es die Sache in der Tat erfordert. Die großen Fragen der verfassungsrechtlichen Stellung der Frau sind in unserer Verfassung zwar theoretisch weitgehend geregelt. Daß aber die Verfassungswirklichkeit eines Tages auch sichtbar wird, wie es auch Frau Strobel igewünscht hat, ist unser gemeinsames Anliegen über die Parteien und die einzelnen Gruppen hinweg. Der statistischen Erfassung aller mit der Frauenerwerbsarbeit zusammenhängenden Fakten messen wir die größte Bedeutung bei. Das gleiche gilt für die Frage nach dem Ausbildungswillen der Jugend und dem Ausbildungswillen der Arbeitgeber 'der jugendlichen Menschen, nach Erschließung neuer Berufe und vor allem nach den Aufstiegschancen für die Frau in allen Berufen. Damit werden zahlreiche Probleme aufgeworfen, bei denen es nicht allein um .die Ordnung und Gestaltung am Arbeitsplatz und der Arbeitsbedingungen, sondern um die sozialpolitische Wirklichkeit wie um Ausblicke in die Zukunft geht. Es fällt mir sehr schwer, nicht schon an dieser Stelle Frau Strobel einiges zu sagen von dem, was in der sozialpolitischen Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland nach meiner Auffassung weit über das hinausgeht, was in Schweden und den nordischen Ländern nicht immer zum Wohl der mitarbeitenden Hausfrauen, Mütter und Ehefrauen soziale Wirklichkeit ist. ({3}) Schließlich gehört zu dem großen Komplex, den wir heute behandeln, auch das wichtige Problem des Arbeitskräftemangels, das nicht nur unter wirtschaftlichem ,Aspekt, sondern auch von der Seite unserer Hausfrauen, unserer Landfrauen, der Familien, der Krankenhäuser, der Anstalten und der Heime zu sehen ist, in denen junge und alte Menschen gepflegt werden sollen und gepflegt werden müssen. ({4}) Selbstverständlich wollen wir uns mit allem guten Willen gemeinsam darüber unterhalten, zu welcher Situation die Mitarbeit, die sicherlich in vielen Fällen notwendige Mitarbeit, so vieler verheirateter Frauen führt, und uns dabei auch bewußt sein, in welchem Maße dadurch der Standort der Familie in unserer Welt verändert wird. Ich bin mir darüber klar, daß ich heute morgen keineswegs alle, sondern nur einige dieser wichtigen Fragen behandeln kann. Lassen Sie mich vorweg aber etwas zu den geschichtlichen Voraussetzungen der Debatte sagen, die wir hier führen. Die von der Aufklärung des 18. Jahrhunderts ausgehenden geistigen und politischen Impulse sowie die überaus schnelle industrielle Entwicklung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts haben nicht nur zu einer völligen Veränderung und Umstrukturierung der politischen und gesellschaftlichen sozialen Ordnung geführt. Die Einführung der Demokratie, die politische und soziale Emanzipation der .Arbeitnehmerschaft, die Aufhebung der ständischen Gesellschaft zugunsten einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft - um mit Worten von Schelsky zusprechen - mit ihrem pluralistischen Grundgefüge sind nur einige der Folgen dieser Entwicklung, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben. Diese geistigen und politisch-sozialen Veränderungen haben das Bild der Gesellschaft völlig umgeformt und selbstverständlich tief in das Leben des einzelnen Menschen und 'der 'einzelnen Familien hineingewirkt. Sie haben unsere Lebensordnung und Lebensweise in so verhältnismäßig kurzer Zeit derartig gewandelt, wie es am Ende des 19. Jahrhunderts nur von wenigen prophetischen Geistern - ich will nur Tocqueville als einen nennen - vorausgeahnt worden ist. Selbstverständlich ist auch das Bild der Frau in unserer Zeit diesen Wandlungen unterworfen. Aber auch die Berufsstruktur hat sich geändert. Neue Berufe sind entstanden, in denen noch unsere Eltern niemals Frauen vermutet hätten. Andere Berufe sind von der Entwicklung überholt worden. Arbeitsweise, Arbeitsbedingungen usw. sind infolge vón Mechanisierung, Rationalisierung und Automatisierung für jeden, ob Arbeiter oder Angestellter, völlig anders als vor Jahrzehnten. Das zahlenmäßige Verhältnis von Arbeitern zu Angestellten beträgt heute nur noch 2,5 zu 1 im Gegensatz zu etwa 20 zu 1 um die Jahrhundertwende. Durch die vermehrte Freizeit hat der Lebensrhythmus jedes Menschen einen anderen Takt erhalten. Für viele, Frau Kollegin , Strobel, bietet allerdings die im Interesse der Gesunderhaltung der einzelnen und ihrer Familien vermehrte Freizeit nicht gerade das, was von Ihnen an dem Modell der 20- Stunden-Woche in Schweden dargestellt worden ist. Für viele ist die verlängerte Freizeit leider keine Quelle der Erholung und Entspannung. Diese veränderte Verhaltensweise in unserer industriellen Gesellschaft ist eines der Probleme, das zu den größten Sorgen Anlaß gibt. Aus diesem Grunde sollten wir zugeben, daß sich auch die Einstellung und Haltung der einzelnen zu den Werten des Lebens stark gewandelt hat. Das Lebensstandard-Denken, das so in den Vordergrund geschoben worden ist, mögen wir es bedauern oder nicht, die Situation, daß Beruf, soziale Stellung und Einkommenshöhe und der damit verbundene äußere Lebensstil den Menschen heute weit mehr in die Gesellschaft eingruppieren als etwa der Bildungsstand oder die soziale Herkunft, - all das sind Tatbestände, die wir nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern denen wir unsere sorgfältigste Beachtung schenken müssen. Weder die Frauen im Hause, noch die Frauen im Beruf, noch diejenigen, die Haus und Beruf miteinander verbinden müssen, sind von diesen Umwandlungen verschont geblieben. Die heutige Struktur und Lebensarbeit der Familie, die mit der vorindustriellen Zeit so gar nichts mehr gemeinsam hat, die völlige Trennung zwischen Lebensbereich und Arbeitsraum, die - mit Ausnahme der Landwirtschaft und einiger Handwerksbetriebe, wo es noch eine echte Zusammenarbeit von Mann und Frau gibt - überall stattgefunden hat, die geringere Kinderzahl, nicht zuletzt aber auch die veränderte Verhaltensweise der Väter - auch das soll hier ausgesprochen werden - haben zu all den Schwierigkeiten geführt, von denen heute morgen die Rede ist. Die Funktionen und die Rolle der Eheleute, der Kinder und der Eltern, sie alle haben sich gewandelt. Diese hier nur skizzenhaft aufgezeigten Veränderungen in Gesellschaft, Familie und im Leben des einzelnen, die an den Frauen nicht spurlos vorübergegangen sind, zeigen, daß Frauen wie Männer in einer gänzlich veränderten Lebenssituation in Familie, Beruf und Öffentlichkeit stehen. Die lange erstrebte, auch heute von meiner Kollegin zitierte, endlich erreichte, von manchen männlichen Kollegen belächelte und doch so problematische Gleichberechtigung ist nur ein Teil und letztlich nur eine Folge der angedeuteten gesellschaftlichen Veränderungen. Sie hat Tatbestände im Leben der Frauen und in der Gesellschaft nur quasi legalisiert, die auch ohne 'Gleichberechtigung längst vorhanden waren. ({5}) - Sehr richtig, Frau Kollegin, sie hat sie nachvollzogen. - Ich darf nur an die große und überragende Leistung der Frauen in den schweren JahFrau Kalinke ren des Krieges und der Nachkriegszeit erinnern. Sie wissen, daß da die Frau nicht nur als Arbeitskraft, sondern auch als Erhalterin des Arbeitsplatzes für den Familienvater immer höchst beliebt gewesen ist. Die Gesellschaft und ihre Glieder haben längst das Tätigwerden der Frau in der Berufs- und Arbeitswelt, ja sogar im politischen Bereich - wie wir selber hier darstellen können - bewußt und unbewußt stillschweigend hingenommen, weil die Mitarbeit der Frau auch im außerfamiliären Bereich unerläßlich geworden ist. Aber sie hat - darin stimme ich Frau Strobel gerne zu - bis heute diese Funktionen der Frau, die gar nicht so neu sind, weil sie vor der Industrialisierung innerhalb des Bereichs der Großfamilie, des eigenen Handwerksbetriebs, in der Landwirtschaft wahrgenommen wurden, häufig weder offen bejaht noch gefördert. Dem stehen leider viele traditionsgebundene Leitbilder von der Aufgabe, der Stellung der Frau noch gegenüber, die sich mit der heutigen Wirklichkeit in der Tat nicht mehr decken. Wie so oft in der Geschichte der Völker und der Menschheit hinkt auch in diesem Falle das geistige Bewußtsein der Gesellschaft hinter der tatsächlichen Entwicklung her. Es sei hier als unbestrittene Tatsache festgestellt, daß selbstverständlich Männer und Frauen auf Grund ihrer spezifischen Eigenarten und Talente verschiedene Aufgaben in Familie und Gesellschaft mit ganz bestimmten Schwerpunkten zu erfüllen haben. Ihre Funktionen sind nicht gleich und sollten auch nie gleicher Art sein. Die Frau hat zu allen Zeiten bestimmte Aufgaben übernommen und wird sie auch künftig zu übernehmen haben. Es sei hier nur auf ihre spezifische Rolle als Hausfrau und Mutter hingewiesen, auch auf ihre Neigung, zu hüten, zu bewahren, zu sorgen und zu pflegen, die Gott sei Dank in der Bundesrepublik, in Frankreich, ja, ich möchte sagen, im ganzen westeuropäischen Bereich noch eine andere Grundlage haben, als das hier zum Teil in der Rede der Kollegin Strobel durchgeklungen ist. Es scheint mir, daß das gesellschaftliche Bewußtsein noch nicht recht zu unterscheiden vermag zwischen den unwandelbaren, von Natur aus immer gegebenen, im Wesen der Frau liegenden Aufgaben und den mit der Zeit sich ständig ändernden Wirkungskreisen und äußeren Funktionen der Frau. Der Wirkungskreis der Frau von heute ist und muß ein anderer sein als in der Vergangenheit. Ich muß aber der Frau Kollegin Strobel schon an dieser Stelle sagen, daß weder die englische Situation, wie sie Viola Klein dargestellt hat, noch die schwedische Situation, die Sie uns als Idealbild schildern wollten, der Mehrheit der deutschen Frauen als das Leitbild und das Ideal erscheinen wird. ({6}) Es ist sicherlich nicht einfach, meine Kolleginnen von der Opposition, die unwandelbaren und manchmal auch wandelbaren Züge im Leitbild der Frau voneinander zu scheiden, weil wir alle in Traditionen, in zum Teil mißverstandenen weltanschaulichen Denkvorstellungen verhaftet sind. Auch differenzieren wir vielleicht zuwenig in unseren Vorstellungen und Überlegungen. Denn die Aufgaben und Funktionen einer verheirateten Frau sind nun einmal andere als die einer unverheirateten, die einer Mutter andere als die der kinderlos verheirateten Ehefrau. Niemand wird die Erwerbstätigkeit der Frauen daher richtig beurteilen, der nicht etwa Stellung dazu nimmt, daß das Streben der Frau nach Mitarbeit und Mitverantwortung nichts Neues ist, sondern in Wirklichkeit die Rückgewinnung eines verlorengegangenen Anteils am Wirtschaftsleben, den die Frau schon einmal besessen hat. ({7}) Trotzdem, ich wiederhole es, gibt es eine Reihe von klugen Männern aus den Bereichen beider Kirchen und aus den Bereichen der Politik, die diese Probleme erkannt haben. Ich möchte hier nur an zwei sehr interessante Aufsätze erinnern, die Zodrow in den „Stimmen der Zeit" im Rahmen einer sehr beachteten Artikelreihe unter Anführung wichtiger Fakten geschrieben hat; sie sind nachlesenswert. Einige dieser Punkte möchte ich aufgreifen, weil sie mir für die weitere Debatte sehr wichtig erscheinen. Tatsache ist doch, daß die Frau im vorindustriellen Zeitalter äußerst tätig am wirtschaftlichen Leben teilgenommen hat und keineswegs auf den Haushalt beschränkt war. Trotzdem ist auch in dieser Zeit die Doppelaufgabe, Kinder aufzuziehen und wirtschaftlich produktive Arbeit zu leisten, gestützt auf einheitliche Lebensform gemeistert worden. ({8}) Es sollte nicht verschwiegen werden, daß die Auffassung, die Erwerbstätigkeit der Mutter führe notwendigerweise zur Vernachlässigung der Kinder und der Familien, völlig grundlos ist. Schließlich glaube ich mit vielen anderen klugen Männern und Frauen, die diese Probleme untersucht haben, daß gerade die gemeinsame Beteiligung von Mann und Frau am Familienleben das Problem ist, über das wir sprechen sollten: die gemeinsame Verantwortung von Männern und Frauen für die Kindererziehung und für die Arbeit in der Gesellschaftsordnung, die in der Vergangenheit ausgewogener war und ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern schuf, das in der Zeit der Industrialisierung - aus welchen Gründen auch immer, das kann ich heute nicht untersuchen - wie in unserer Zeit der Überbeschäftigung leider zu verschwinden droht. ({9}) Deshalb bleibt es aber unbestritten, daß wir nach diesem Gleichgewicht streben sollten, und es bleibt unbestritten, daß Männer wie Frauen das Recht auf eine freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, d. h. aller ihrer Talente und Fähigkeiten haben. Darin stimmen wir selbstverständlich auch mit der sozialdemokratischen Fraktion überein: daß eine Gesellschaft, die dies verhindert oder nicht genügend fördert, sich selber den größten Schaden zufügen würde. ({10}) - Ich weiß nicht, was da lächerlich ist, mein Herr Kollege. Vielleicht ist es das für Sie. Mir ist es sehr ernst. - Es bedarf auch des Bemühens wirklich aller aufgeschlossenen Kräfte, nicht nur in diesem Hause, sondern auf allen Seiten, bei allen nach Lösungen suchenden Gruppen - ich meine insbesondere: die Kirchen, die politischen Parteien, die Wissenschaft und speziell die Soziologen -, um über diesen ganzen Fragenkreis Klarheit zu gewinnen. Aus unserem Änderungsantrag ersehen Sie, wie dringend deshalb auch wir daran interessiert sind, über das, was ist, und über das, was sein wird, eine klare und verbindliche Aussage zu erhalten. Selbstverständlich wäre es falsch, zu verschweigen, daß das Suchen nach einem neuen Leitbild für die Rolle der Frau in der modernen Industriegesellschaft, das die bleibenden und wesensbedingten Talente und Befähigungen der Frau in unsere Zeit hineinstellt, einerseits durch mangelnde konkrete und detaillierte Kenntnis über die reale Bedeutung und den tatsächlichen Einfluß der Frau auf die Gesellschaft in den verschiedensten Bereichen der Kultur, Politik und Wirtschaft erschwert wird. Andererseit - das muß gleichermaßen gesagt werden - führt eine zum Teil falsch verstandene und, wie sich auch heute gezeigt hat, in einzelnen Fragen falsch interpretierte Auffassung der juristischen Gleichberechtigung auch bei der Suche nach neuen Leitvorstellungen in die Irre. Ich begrüße mit meinen Freunden aus der CDU/ CSU daher alle Anregungen, durch umfassende statistische Auswertungen, soziologische Untersuchungen und Grundlagenarbeiten festzustellen, wie die konkrete Situation der Frau heute in Beruf, Familie und Gesellschaft ist. Wir wissen, daß uns bei allen Bemühungen der Regierung, die ich noch besonders nachweisen werde, vieles an Klarheit fehlt. Eine solche Ubersicht wird in der Tat helfen - auch darin stimmen wir mit Ihnen überein -, in aller Nüchternheit und Objektivität und fern von der einen und der anderen vielleicht liebgewordenen, aber nicht mehr der Wirklichkeit entsprechenden Vorstellung Wege und Lösungen zu suchen und sie auch zu finden, die die schwierige Situation der Faru heute in unserem Lande verbessern und er-leichtem können. Daß das nicht von heute auf morgen geht, weil alle Veränderungen des geistigen Bewußtseins ihre Zeit brauchen, wissen wir Politiker am allerbesten. Die in dem Antrag der Fraktion der SPD geforderte Untersuchung betrifft Fragen und Probleme, für deren Beurteilung zum Teil schon Unterlagen der amtlichen Statistik und anderer Untersuchungsergebnisse vorhanden sind. Sie betrifft aber auch Fragen, für die Beurteilungsgrundlagen erst gewonnen werden müssen, wie solche, die ihrer Natur nach nicht statistischer Art sind und deshalb durch Statistiken allein auch nicht belegt werden können. Im ganzen gesehen sind die Angaben, die für eine Beurteilung der Situation des weiblichen Teils der Bevölkerung benötigt werden, außerordentlich vielfältig. Sie beziehen sich sowohl auf die Teilnahme der Frauen am Erwerbsleben, auf ihre soziale Sicherung als auch auf den besonderen Schutz der Mütter und Hausfrauen. Ihre Beschaffung und Auswertung berührt deshalb nicht nur die Zuständigkeit des Statistischen Bundesamtes, des Arbeitsministeriums, des Gesundheitsministeriums und des Familienministeriums, sondern es wird nach meiner Auffassung eine große Gemeinschaftsarbeit notwendig sein, um diese Aufgabe zu lösen. Die Quellen des Materials, mit dessen Hilfe die Lage der Frauen umfassend geschildert werden kann, sind sehr breit gestreut. Das Material müßte endlich gesammelt und katalogisiert werden. Außerdem ist es, da vielfach nur in miteinander nicht koordinierten Einzeluntersuchungen enthalten, bezüglich der statistischen Unterlagen lückenhaft und - das gebe ich zu - zur Zeit noch nicht ausreichend. Wir vermissen aber im Antrag der Fraktion der SPD eine Anzahl von Fragen, deren Beantwortung wir unsererseits für dringend notwendig halten, um bei der künftigen Gesetzgebung in Wirtschafts- und Sozialpolitik die Situation der Frau in Beruf und Familie vom Gesellschaftspolitischen her mehr als bisher zu berücksichtigen. Wenn wir allerdings von der Regierung nicht Unmögliches verlangen und ihr nicht zumuten wollen, unzulängliche Teilergebnisse vorzulegen, ist es sicherlich erforderlich - und ich bin der Frau Kollegin für ihre Einsicht dankbar -, daß wir ihr die Zeit für die Gewinnung und Sammlung der Dokumentation, für die Aufbereitung des notwendigen Materials geben. Ich freue mich deshalb, daß Sie aus diesen Gründen unserem Änderungsantrag, den Bericht der Bundesregierung frühestens am 31. Dezember 1964 zu erwarten, zustimmen werden. ({11}) - Ich freue mich, wie gesagt, daß wir auch darin übereinstimmen, Frau Kollegin Korspeter. Lassen Sie mich etwas zu den Voraussetzungen des statistischen Vergleichs sagen. Ich muß es vor allen Dingen deshalb sagen, weil auch hier Dinge behauptet oder, besser gesagt, in den Raum gestellt worden sind - um mit einem modernen Ausdruck zu operieren -, die nicht beweisbar und nicht vergleichbar sind, weil die statistischen Voraussetzungen nicht stimmen. Wir haben in diesem Hause mit dem Gesetz über die Durchführung von Statistiken auf dem Gebiet der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe vom 15. Januar 1963 Voraussetzungen für eine Jahresstatistik in den einzelnen Leistungsgebieten geschaffen, durch die wir nun in Kürze repräsentative Voraussagen aus diesem Teilbereich der Sozialpolitik erhalten werden. Die Diskussion über statistische Vergleiche, insbesondere in bezug auf die sozialen Verhältnisse von Familien und erwerbstätigen Frauen - ich werfe hier nur das Stichwort hinein: Vergleiche hinsichtlich Kindergeld und Familienpolitik - in Frankreich und Deutschland und anderen mehr, ist deshalb nicht möglich. Diese statistischen Vergleiche lassen große Lücken wie auch begriffliche und methodische Mängel erkennen, die behoben werden müssen, wenn nutzbringende Darstellungen für statistische Erhebungen erwartet werden. Auch die Aussprachen und Auseinandersetzungen um die Sozialpolitik im wachsenden europäischen Bereich haben ja sehr deutlich gezeigt, woran es fehlt, wo Vergleiche hinken und welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um den Vergleich so zu gestalten, daß wirklich von Vergleichbarem gesprochen werden kann. Diese für den Bericht erforderlichen Erhebungen sind zum Teil - es ist keineswegs so, daß die Bundesregierung diese Dinge übersehen oder ihnen nicht die genügende Bedeutung beigemessen hätte - bereits geplant, und ihre Ergebnisse werden in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen. Weil wir aber wissen, daß die erforderlichen Unterlagen erst im Laufe vieler Monate beschafft werden können und daß auch in den Ministerien wie beim Statistischen Bundesamt Arbeitskräftemangel genauso eine Rolle spielt wie in anderen Betrieben, sollten wir der Regierung, glaube ich, die notwendige Zeit lassen. In dem Antrag der Fraktion der SPD wird unter Punkt 1 nach Art und Umfang der Beschäftigung im Berufs- und Arbeitsleben, nach der Aufgliederung nach Familienstand, Zahl und Alter der Kinder, Position und Aufstiegschancen sowie nach der Beanspruchung durch Haushalt und Familie gefragt. Hierzu liegen bereits Unterlagen aus dem Mikrozensus vor, die noch im Laufe dieses Jahres ausgewertet werden können. Hierzu hat gerade die Bundesministerin für das Gesundheitswesen, die Sie heute sehr zu Unrecht in diesem Punkt angegriffen haben, wertvollste und wichtigste Anregungen, auf die ich noch im einzelnen komme, an das Statistische Bundesamt gegeben. Auch aus der bekannten Haushalts- und Familienstatistik des Mikrozensus von 1957, die im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Familien- und Jugendfragen mehrfach erörtert wurde - daran mögen Sie erkennen, wie sehr sich auch der Familienminister immer in die Erörterung dieser Probleme eingeschaltet hat; er hat das ja als Kabinettsmitglied, als ein Teil der Regierung und als Angehöriger der Regierungsparteien getan -, stehen Zahlen über die Familien erwerbstätiger Frauen, über Zahl und Alter der Kinder, über Art und Platz der Erwerbstätigkeit - auch in der Landwirtschaft und anderen Wirtschaftszweigen - als selbständige mithelfende Familienangehörige oder als Arbeitnehmer zur Verfügung. Dieses Material wird durch die Volks- und Berufszählung 1961, die zur Zeit gerade aufgearbeitet wird, noch vertieft werden können. Aber auch aus der einprozentigen Wohnungsstichprobe sind Unterlagen über die Einkommensquellen und die Höhe der Einkommen berufstätiger Frauen ersichtlich. Schließlich ist darüber hinaus schon im Oktober 1962 eine Zusatzerhebung über die Betreuung der Kinder erwerbstätiger Mütter durchgeführt worden. Wir sind also nicht ganz so hinter dem Wald, wie Sie das darstellen wollten, Frau Kollegin. Sie werden mir zugeben, daß es viele praktische Versuche dieser Art in der Bundesrepublik gibt, für Mütter und Kinder zu sorgen, Versuche, die nicht nur von Sozialdemokraten angeregt worden sind. ({12}) Für diese schon im Oktober 1962 vorbereitete Zusatzerhebung über die Betreuung der Kinder erwerbstätiger Mütter ist die Rechtsgrundlage das von uns beschlossene Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Durchführung einer Repräsentativstatistik der Bevölkerung vom 5. Dezember 1960. In dieser Erhebung wurde auch die Zeit der Abwesenheit der berufstätigen Mütter aus dem Haushalt, also Arbeitszeit zuzüglich Arbeitsweg, festgestellt. Gleichzeitig wurde nach der Art der Betreuung der Kinder gefragt. Sie sehen auch darin, Frau Kollegin, wie sehr wir schon in der Vergangenheit bis ins einzelne diesen Problemen gegenüber aufgeschlossen waren und das nicht erst in der Zukunft sein wollen. Mit der Auswertung dieser Fragebogen, die uns gemeinsam wichtige Erkenntnisse vermitteln werden, ist beim Statistischen Bundesamt bereits begonnen worden. Wir hoffen, daß diese Ergebnisse schon im Laufe dieses Jahres vorliegen werden. Zu der wichtigen Frage nach Position und Aufstiegschancen haben das Bundesministerium für Arbeit, die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, die Gewerkschaften aller Richtungen und die Wirtschaft in allen Bereichen, besonders aber die Frauenberufsverbände, national und international immer wieder ihr Interesse bekundet. Das Bundesministerium für Arbeit - dafür sei ihm auch an dieser Stelle Dank gesagt - hat erfreulicherweise wertvolle Untersuchungen eingeleitet, von denen Sie eigentlich auch wissen müßten, bei denen vor allen Dingen an eine vielbeachtete Arbeit- „Möglichkeiten einer stärkeren Berücksichtigung von Frauen in Fach- und Spezialarbeit in der Industrie" von Professor Riedel - erinnert sei. Hingewiesen werden muß von mir in diesem Zusammenhang auch auf die bevorstehenden Veröffentlichungen des Arbeitskreises Frauenarbeit beim Rationalisierungskuratorium für die deutsche Wirtschaft. Ich glaube, Sie haben der deutschen Wirtschaft Unrecht getan - das wird diese Veröffentlichung zeigen - mit ihrer etwas sehr einseitigen Darstellung, als sei die Wirtschaft an diesen Problemen wenig interessiert. In diesem Kuratorium arbeiten, wie sie wissen, Vertreterinnen der Sozialpartner, also auch Ihre Freunde, Vertreterinnen der Ministerien und der Wissenschaft zusammen. Hier handelt es sich vor allen Dingen um drei sehr wichtige Untersuchungen - 1. „Förderung der Frauenarbeit durch Verbesserung der Arbeitsplatzbedingungen" , 2. „Das berufliche Fortkommen von Frauen" und 3. das Thema „Frauen als Vorgesetzte" -, mit deren Veröffentlichung schon kurzfristig gerechnet werden kann und von deren Kenntnis nach meiner Auffassung wichtige Impulse zur weiteren Auswertung und Vertiefung der Themen ausgehen könnten. Ich bin überzeugt, daß Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen höchst interessiert daran sind, solche Feststellungen zu treffen, damit auf dem Gebiet der Ausbildung und Fortbildung der weiblichen Angestellten und Arbeiterinnen mehr Möglichkeiten als bisher für den Aufstieg der berufstätigen Frauen auch in leitende und unternehmerische Funktionen geschaffen werden können. Akademische Gespräche und Diskussionen, wie sie unlängst wieder in der Evangelischen Akademie in Mülheim an der Ruhr und anderswo geführt wurden, Beobachtungen auf den letzten großen Tagungen der Frauenorganisationen zeigen ebenso wie die Feststellungen der Literatur des Verbandes der weiblichen Angestellten in den Christlichen Gewerkschaften, der Frauengruppen von DAG und DGB fast übereinstimmend die Vielschichtigkeit der Probleme auf. Es wäre nun wahrhaft einseitig, die Situation der Frauen in bezug auf Position und Aufstiegschancen nur aus der Sicht der Wirtschaft, des Arbeitgebers oder des Arbeitsplatzes zu sehen. Gerade die Gebundenheit der Frau in der Familie und an ihre Familienverpflichtungen bestimmen weitgehend ihre Verhaltensweise und ihr Streben nach einer veränderten Position. Oft ist der Aufstieg oder die Beförderung mit einem Ortswechsel oder mit der Lösung von der Familie verbunden. Dadurch können die Aufstiegschancen von den Frauen nicht im gleichen Maße wahrgenommen werden wie von den Männern. Wir mögen das bedauern, aber wir müssen es feststellen. Es scheitert vor allem an der Gebundenheit der Frau an ihre Familie. ({13}) Dabei denke ich nicht nur an die Ehefrauen mit Kindern in der Familie, sondern auch an die alleinstehenden berufstätigen Frauen, die erfreulicherweise in großem Maße für alte Eltern sorgen und sie nicht auf die öffentliche Fürsorge abschieben. ({14}) Wer so an alte Menschen und ,an die Wohnung ,gebunden ist, ist nicht so leicht bereit, um einer Aufstiegschance willen die Möglichkeit eines Arbeitsplatzwechsels wahrzunehmen. Daß sich viele Frauen in diesemGewissenskonflikt für die Familienbindung entscheiden, betrachten wir in der CDU/CSU als etwas Positives. ({15}) Die Antragsteller werden mir zugeben, daß Verhaltensweisen statistisch schwer zu erfassen sind. Wir sollten aber alle gemeinsam darum bemüht Sein, lin der Grundlagenforschung festzustellen, inwieweit die Ausgeistaltung der von der Bundesregiterung so vielseitig ,geförderten Ausbildungsbeihilfen möglich 'ist. So wird ein Bericht des Herrn Bundesmlinisters für Arbeit über sein Programm für Berufsförderungsmaßnahmen für uns genauso interessant sein wie die Untersuchungen, welchen Kreisen Ausbildungsbeihilfen zugute gekommen sind unid mit welchem Erfolg dies geschehen ist. Wir haben in diesem Hause über die Notwendigkeit einer zusammenfassenden 'Darstellung der Probleme der Berufsförderung nach meiner Erinnerung keine Meinungsverschiedenheiten gehabt. Eine zusammenfassende Erhebung über die Leistungen für Jugend und Familie aus dem Bundesjugendplan, aus dem Honnefer Modell, aus Erziehungs- und Ausbildungsbeihilfen wird deutlich zeigen, wie groß und umfassend die staatliche Hilfe schon ist. Sie wird auch beweisen, daß 'die Unterstellung, die Regiierung sei an diesem Problem nicht interessiert, einfach und schlicht nicht zutrifft. ({16}) Im nächsten Punkt haben Sie mit Recht auf die Notwendigkeit der Vorbereitung der jungen Mädchen auf ihre Aufgaben im Haus und 'in der Familie hingewiesen. Die Vielschichtigkeit igerade ¡dieses Problems deutet ,auch die Frage nach der Vorbereitung (der Frauen sauf ihre Aufgaben 'im Haushalt, auf das 'Berufs- und 'Erwerbslielben an. Da diese Fragen weitgehend 'kulturpolitische Aufgaben der Länder betreffen, werden idem Bundestag statistische Unterlagen wahrscheinlich nur mit Schwierigkeiten vorgelegt werden können. Die CDU/CSU-Fraktion hält es aber für notwendig, daß - im Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern, eventuell über die Konferenz der Kultusminister - dahin 'gewirkt wird, dem Parlament die bei Aden Ländern vorhandenen Materialien zur Verfügung zu stellen. Hierzu könnten sicher aus der laufenden Schul- und Hochschulstatistik interessante Angaben über den Besuch von Berufsfachschulen der Mädchen, von berufsblildenden Schulen, über die Beteiligung an Fortbildungskursen in Stadt und Land und über die in den Ländern sicherlich unterschiedlichen Stunden- und Arbeitspläne, über Mütterschulung und Mütterberatung - eventuell auch mit Hilfe der Träger im privaten und karitativen Bereich - ermittelt wenden. In dieses Gebiet gehören aber auch die Probleme der Eheberatung, der Beteiligung der jungen Mädchen an Lehrgängen des Deutschen Roten Kreuzes, des 'freiwilligen Einsatzes im Diakonischen Jahr, im karitativen Hilfsdienst der Kirchen und in allen Einrichtungen der verschiedenen Organisationen, lin denen sich die Jugend in großer Hilfsbereitschaft betätigt. Vieles, was wir als scheinbar mangelndes staatslbürgerliches Interesse bei dien Frauen beklagen, vieles, was besonders diejenigen Mädchen und Frauen beklagen, denen die Chance einer guten Schul- und Berufsausbildung durch das Elternhaus versagt worden ist, gehört lin diesen Fragenbereich „Frauen- und Mädchenbildung". Es wäre außerordentlich wichtig, daß die Konferenz der Kultusminister und der Deutsche Ausschuß endlich Schritte unternähmen, um eine Gesamtkonzeption der verantwortlichen Stellen in der Mädchenbildung zu fördern. Mit dem nächsten Punkt haben Sie die Frage der Bedeutung und Auswirkung der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Frauen angeschnitten. Zu der Frage 3, nämlich Bedeutung und Auswirkungen der Erwerbstätigkeit der Frauen auf das Familieneinkommen, auf die Stellung der Frauen in der Gesellschaft, auf die Familienstruktur und auf die Aufgaben der Familie in der Volkswirtschaft, können statistische Unterlagen uns sicherlich schon sehr bald zur Verfügung gestellt werden. Sie mögen auch hieran erkennen, wie aufgeschlossen die Regierung gerade gegenüber all diesen Problemen ist. Schon weitgehend sind Unterlagen darüber vorhanden im Rahmen der einprozentigen Wohnungsstichprobe, die schon 1960, meine Herren und Damen von der SPD, erarbeitet worden ist. Weitere Unterlagen zu dieser Frage werden auch im Rahmen der EinkomFrau Kalinke mens- und Verbrauchsstichprobe anfallen, die das Statistische Bundesamt seit Juni 1962 durchführt. Die Frage des Einflusses der Erwerbstätigkeit auf das Familieneinkommen kann sicherlich nicht gestellt und nicht beantwortet werden, ohne daß auch im Deutschen Bundestag zum Ausdruck gebracht wird, welchen Dank unsere Nation den Frauen schuldet, die nach schweren Kriegserfahrungen und schwerem Kriegseinsatz, nach Vertreibung von Haus, Hof und Nachbarschaft mit ihrem Einsatz und ihrer Arbeit dazu beigetragen haben, das Familieneinkommen zu sichern, die Ausbildung der Kinder zu garantieren und manche Familie erst wieder um den Familientisch zu versammeln. ({17}) Daß dabei in den unvollständigen Familien, die den Vater durch den Krieg verloren haben, der alleinstehenden Mutter die besondere Achtung der Nation gebührt, soll auch an dieser Stelle und heute nicht vergessen werden. ({18}) Mit großem Respekt anerkennt die Fraktion der CDU/CSU die Leistung der Frauen in Beruf und Haus. Sie weiß, daß ohne ihren Einsatz die vollbeschäftigte Wirtschaft genauso wenig funktionieren würde, wie die Höhe unseres Sozialetats nicht erarbeitet werden könnte. Wir anerkennen ganz besonders den unermüdlichen Einsatz der Landfrauen für die Fortführung und Erhaltung der Betriebe während des Kriegseinsatzes und danach in all den landwirtschaftlichen Familienbetrieben, in denen der Bauer selber nicht mehr vorhanden und die heranwachsenden Kinder noch nicht groß genug waren, um die Aufgabe zu übernehmen. ({19}) Was ich hier von der Landwirtschaft sage, gilt für alle Bereiche der Selbständigen im Gewerbe, Handel und überall da in den freien Berufen, wo Frauen in die Bresche gesprungen sind. ({20}) Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt es daher, daß diese Aussprache uns Gelegenheit gibt, auch all den vielen Frauen und Müttern zu danken, die gesellschaftspolitisch mit ihrer Lebensleistung die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß eine entwurzelte und heimatlos gewordene, eine durch den Eisernen Vorhang in zwei Fronten getrennte Nation sich wieder gefunden hat und in den Grundsatzfragen einig ist. Wir sehen mit Stolz die Leistungen der Vertriebenen, - eine nicht hoch genug zu würdigende Bedeutung für die Erhaltung der gesellschaftspolitischen Situation der Familie im Staat. Die CDU/CSU hat - und auch das möge die SPD bedenken - gerade im Grünen Plan hinsichtlich der Bereitstellung der Mittel zur Rationalisierung im ländlichen Haushalt im Etat des Bundesministeriums für Arbeit, für Zwecke der Berufsförderung im Etat der Kriegsopferversorgung und des Lastenausgleichs immer wieder deutlich zu machen gesucht, wie sehr ihr daran liegt, die schwere Aufgabe der Frauen zu erleichtern, die durch ihre Berufstätigkeit Arbeitsplätze und Betriebe für die heranwachsende Jugend erhalten und wiederaufgebaut haben. Daß die große Zahl der mithelfenden Familienangehörigen dabei nicht vergessen werden darf, versteht sich genauso wie die Anerkennung der Leistung der immer wachsenden Zahl der Arbeitnehmerinnen, der Angestellten und Arbeiterinnen, ohne deren Einsatz in der Bundesrepublik unsere Marktwirtschaft nicht funktionieren kann, unsere wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung nicht möglich gewesen wäre und unsere freiheitliche Ordnung nicht erhalten werden kann. Bei aller Anerkennung der materiellen Bedeutung des Familieneinkommens möchten wir doch der Frage nach der materiellen Einflußnahme nicht den Vorrang geben. Es wäre nun recht verlockend, zu den Zahlen, die Frau Strobel genannt hat, noch eine Fülle von Problemen aufzuzeigen und weitere Zahlen hinzuzufügen. Ich werde dieser Verlockung nicht erliegen. Ich .stimme Frau Strobel nur darin zu, daß es in der Tat gut ist, der weit verbreiteten Meinung objektiv zu begegnen, daß verheiratete Frauen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, nur für den sogenannten höheren Lebensstandard arbeiten. Eine genaue Analyse und eine Sondererhebung, die gerade in Berlin gemacht worden ist, haben bewiesen, daß das in unendlich vielen Fällen nicht richtig ist. Auch wir legen Wert auf die Beantwortung der gestellten Fragen nach der Auswirkung der Erwerbstätigkeit auf die Stellung der Frau nicht nur in der Familie, sondern auch 'in der Gesellschaftsstruktur. Hier werden uns die statistischen Unterlagen und Ergebnisse, von denen ich bereits sprach, allerdings nur einen gewissen Ausschnitt des vielschichtigen Problems aufzeigen können. Frau Kollegin Strobel hat hier .die Untersuchungen von Viola Klein besonders angezogen. Ich möchte auf deutsche Untersuchungen hinweisen. Alle Interessierten wissen, daß dieses Thema Gegenstand großer soziologischer Untersuchungen gewesen ist, und das berühmte Buch von Frau Dr. Elisabeth Pfeil über die Berufstätigkeit von Müttern wird allen, die nach Unterlagen suchen, Auskunft geben. Diese Untersuchung, die als eine empirische soziologische Erhebung - vorgenommen bei 900 Müttern - schon im Jahre 1961 veröffentlicht worden ist, hat besonders viel über das Thema auszusagen, obwohl sie sich speziell nur auf Großstadtverhältnisse und auf vollständige Familien bezieht. Die Frage der unvollständigen Familie, also der Halbfamilie, ist dankenswerterweise von dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Familien- und Jugendfragen inzwischen aufgegriffen worden. Hierzu gehört auch eine weitere Untersuchung über Lehre und Leistung erwerbstätiger Mütter, die im Jahre 1960 in West-Berlin von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Ich bin mit der Kollegin Strobel in dem Punkt einig, daß wir uns niemals dazu hergeben dürfen, solche Statistiken und Untersuchungen zu verallgemeinern und falsch zu kommentieren, und daß wir nicht in die Ebene der Irrtümer geraten dürfen, weil die Aussage vieler Untersuchungen - das zeigt z. B. die Berliner Untersuchung - durch eine Vor3330 Auslese der Betroffenen verzerrt sein kann. Viele der genannten Untersuchungen, die durch Erfahrungsberichte aus den Bereichen unserer politischen Arbeit ergänzt werden können, zeigen die Vielschichtigkeit auch der Gründe für die Berufstätigkeit und die Mehrwertigkeit des Gegenstandes, für den es eine einfache Antwort und eine einfache Lösung nicht gibt. Ich möchte auch an dieser Stelle allen denen, die im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Familien- und Jugendfragen an der großen Aufgabe der Untersuchung der ökonomischen Lage der Familie in der Bundesrepublik mitgearbeitet haben, Dank sagen und den Bericht von Helga Schmuck über die Haushalte und die Familien, über die Erwerbstätigkeit der verheirateten Frauen und Mütter dabei erwähnen. Wir glauben, daß viele der von der SPD gestellten Fragen schon aus diesem Bericht allein beantwortet werden können. ({21}) Schließlich möchte ich nicht versäumen, alle Interessierten auf die Veröffentlichungen von Professor Harmsen hinzuweisen, die in „Wirtschaft und Statistik" Heft 10/1962 über die Situation der Berufstätigkeit der Mütter im Anschluß an das Ergebnis einer Sonderauszählung dargestellt ist. Zusammen mit den Arbeiten von Frau Dr. Pfeil und Frau A. H. Herrmann besitzen wir damit ein ausgezeichnetes Material, so daß jeder, der sich unterrichten will, hier sachliche Grundlagen findet. Es ist unbestritten, daß eine falsche Kommentierung wie eine falsche Auslegung des Grundsatzes der Gleichberechtigung 'den wohlverstandenen und gewollten Sinn des Art. 3 unseres Grundgesetzes verändern kann oder jedenfalls ihm nicht gerecht würde. Meine sehr verehrten Herren und Damen, ich muß noch zu einem Vorwurf meiner Vorrednerin Stellung nehmen, den ich schon anfangs zurückgewiesen habe, nämlich zu dem Anwurf gegen die Gesundheitsministerin, als halte sie nur Reden und veranlasse nicht das Notwendige. Ich muß ausdrücklich wiederholen, daß Frau Dr. Schwarzhaupt das, was sie in ihren Reden angekündigt hat, zum Anlaß einer persönlichen Initiative genommen und beim Statistischen Bundesamt zum letzten Mikrozensus angeregt hat, Erhebungen zu dem Thema Frauenarbeit anzustellen, wobei die Erhebungen aufgegliedert werden sollen nach verheirateten und unverheirateten Frauen, nach deren Kinderzahl usw. Auch die Fragen des Gesundheitszustandes und der Berufsschädigungen, die unsere Gesundheitsministerin besonders bewegen, werden in dieser Erhebung einen gewichtigen Platz haben. Meinen Freunden und mir liegt daran, in diesem Zusammenhang ein Problem anzusprechen, das Müttern, Haushalten und Kliniken große Sorgen bereitet: mehr Arbeitsplätze für die Haushalte, mehr Arbeitsplätze für Kinder- und Altenheime. Wir regen deshalb an, der Herr Bundesminister für Arbeit sowie die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mögen dafür sorgen, daß aus dem Kreis der Gastarbeiterinnen mehr noch als bisher - ich weiß, daß bereits etwas geschieht --- Kräfte für die typischen Haushalts- und Pflegeberufe angeworben und ausgebildet werden. Uns erscheint das als ein besonderes Gebot der Stunde. Wenn hier die erforderlichen Bemühungen unternommen werden, kann vielen Familien und Heimen geholfen werden. Einzelne Modelle, wie sie jetzt in Göttingen und anderswo, auch von karitativen Verbänden, Orden und Anstalten verwirklicht wurden, könnten Maßstab für künftige Bemühungen sein. Der Herr Wohnungsbauminister könnte sich ein Verdienst erwerben, wenn er in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und der Bundesanstalt in Nürnberg Wege fände, alleinstehende Frauen oder Ehefrauen unserer Gastarbeiter unterzubringen und damit Anregungen für die Beschäftigung in deutschen Haushalten zu geben. Lassen Sie mich noch ein Wort zu den von Frau Strobel angesprochenen Problemen der Frauen in der Landwirtschaft sagen. Selbstverständlich erfüllt uns die Abwanderung von weiblichen Arbeitskräften, aber auch von mithelfenden Familienangehörigen aus der Landwirtschaft mit ganz besonderer Sorge. Diese Abwanderung, die zu einer vermehrten Arbeitsbelastung gerade in den bäuerlichen Familienbetrieben führt und die verbliebenen Frauen physisch und psychisch ganz besonders belastet, muß aufgefangen werden. Wir begrüßen deshalb alle Maßnahmen, die durch den Grünen Plan mit Hilfe der einmaligen Sondermaßnahmen zur Verbesserung der Lage bäuerlicher Familienbetriebe die Voraussetzungen zur Arbeitsrationalisierung schaffen sollen. Wir möchten gern wissen, wieweit diese Rationalisierungsmaßnahmen schon durchgeführt werden konnten und was auf dem Land bisher zur Rationalisierung der Innenwirtschaft - auch im Zusammenhang mit der dringenden Modernisierung der Altbauten - erfolgt ist. Wir möchten auch wissen, welche Absichten der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat, um auf diesem Gebiet seine Bemühungen zu aktivieren. Wenn es zutrifft, daß auf dem Lande 50 % aller Wohnungen sanierungsbedürftig sind, so erwächst hier der künftigen Strukturpolitik und uns eine große gemeinsame Aufgabe. Inwieweit landwirtschaftliche Beratungsdienste vorhanden sind, welche Frauen im Durchschnitt davon erfaßt werden, inwieweit sie auch der Bevölkerung zur Verfügung stehen, die auf dem Lande lebt, aber nicht in der Landwirtschaft arbeitet, ist eine weitere Frage, die uns besonders interessiert. So wichtig alle Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur, der Flurbereinigung und Aussiedlung auch sind, sie werden nur gemeistert werden, wenn unsere Familien auf dem Lande gesund bleiben und wenn die Landfrau Zeit für ihre Familie findet. Auch für die Landfrauen sind die von mir angesprochenen Fragen der intensiven Werbung von Arbeitskräften für die Mitarbeit in ländlichen Betrieben von lebenswichtiger Bedeutung. Wir begrüßen die Pläne zur Aussiedlung und Aufstockung, die mit dazu beitragen werden, für die Frauen in der Innen- und Hauswirtschaft wesentliche Arbeitserleichterungen zu schaffen. Wenn ich auch nicht glaube, daß das, was die Kollegin Strobel gesagt hat, nämlich das Problem der Geschirrspülmaschine, das Gebot der Stunde ist ({22}) -ich weiß, daß Sie das vielleicht nicht so gemeint haben -, so glaube ich doch - und Sie werden mir wohl zustimmen -, daß die Elektrifizierung und die zentrale Wasserversorgung entscheidendere Voraussetzungen sind, mit deren Schaffung erst einmal geholfen werden kann, das gesundheitsschädigende Tragen der schweren Wassereimer und die damit verbundene Belastung zu bekämpfen. Die Benutzung manchen modernen Geräts ist ja überhaupt erst möglich, wenn Wasserversorgung und Elektrifizierung vorangegangen sind. Darin sind wir mit Ihnen einig, daß solche Rationalisierungsmaßnahmen für die Haushalte in Stadt und Land in Zukunft mehr als bisher gefördert werden müssen. Der Ausbau der Bundesforschungsanstalt für die Hauswirtschaft und die Vergrößerung der vorhandenen Abteilungen zwecks Vertiefung der Forschung sowohl auf sozialökonomischem wie auf technischem Gebiet gehören mit zu diesen Forderungen. In der Fragestellung des SPD-Antrags - das Wort werden Sie mir bitte nicht übelnehmen - ist unterstellt, daß die Beschäftigung der berufstätigen Frauen immer zu einer Überbelastung führt. Das muß nicht unbedingt der Fall sein und wird für diejenigen keine solche Rolle spielen, bei denen die Haushaltsprobleme gelöst sind. ({23}) - Gut, dann sind wir ja einig. Hier kommt der Mutter und Tante, kurzum dem Zusammenleben der Generationen, das in den Großstädten immer geringer wird, auf dem Lande aber noch in erfreulicher Weise vorhanden ist, die größte Bedeutung zu. Problematisch ist die Überbelastung - darin sind wir uns einig - in all den Fällen, in denen die alleinstehende Frau und Mutter die Verantwortung für eine unvollständige Familie trägt, in der sie für heranwachsende Töchter und Söhne mitsorgt oder in denen die Frau allein den Betrieb führt oder im Betrieb des Mannes mitarbeitet und die kleinen Kinder, die der Hilfe der Mutter noch bedürfen, zu kurz kommen. Dieses Problem werden wir mit schwedischen Modellfällen wahrscheinlich nicht zu lösen in der Lage sein. Manche Belastung der berufstätigen Frau und vieler hochqualifizierter Kräfte wäre geringer und manche Sorgen der Mütter und Ehefrauen wären behoben, wenn das Problem der auch nur vorübergehenden Hilfe gelöst wäre. Darum hoffen und erwarten wir, daß gerade von unseren Anregungen, die wir auf diesem Gebiet durch die Gesetzesinitiative gegeben haben, ein kräftiger Impuls für die Bereitstellung vieler junger Kräfte ausgeht, die in Haushalt, Familie und in Anstalten helfen sollen. Meine Fraktion hat daher die Initiative, die aus unseren Reihen gekommen ist, außerordentlich begrüßt, mit der, ich gebe zu: „Kleinen Lösung", einer Förderung des freiwilligen sozialen Dienstes, diese Gegenwartsprobleme zu bewältigen. ({24}) - Die „Große Lösung" ist die, die wir gemeinsam ablehnen, nämlich ein Pflichtjahr zu schaffen, das, wie Sie wissen, durchaus in der Diskussion vieler Frauenverbände und auch vieler männlicher Auffassungen steht. ({25}) - Das wäre eine Lösung, wenn wir diese Auffassung hätten. Ich sagte deutlich, Frau Korspeter, daß wir gemeinsam den Zwang ablehnen und uns gemeinsam für freiheitliche Impulse ausgesprochen haben. Sie mögen es als positiv nehmen, daß wir in dieser Gemeinsamkeit, der Freiheit zu dienen und den Zwang abzuwehren, so einig sind. Es ist unser aller Aufgabe, zu verhindern, daß durch die Doppelbelastung unserer Frauen in Beruf und Haushalt, die durch die vollbeschäftigte Wirtschaft ständig zunimmt, den Familien Schaden entsteht. Nur eine sehr vitale und überaus reich ausgestattete Natur wird diese große Doppelaufgabe meistern und in befriedigender Weise vereinigen können. Wir sind in der CDU/CSU in voller Übereinstimmung mit unseren männlichen Kollegen darum bemüht, dieses Problem der Überbelastung der Frauen bei tallen künftigen politischen Entscheidungen nicht nur in ,der Sozialpolitik, sondern auch im Bereich der Kulturpolitik vor Augen zu haben. Für die Folgerungen brauchen wir aber nicht nur statistisches Material, .das nach finanziellen Leistungen in Durchschnittssätzen aufgemacht ist, sondern vertieftes statistisches Material, das uns mehr über den Menschen und seine Situation aussagt. Darum wollen wir, wie aus unserem Antrag hervorgeht - ich wende mir erlauben, zum Protokoll die Einzelheiten hinzuzugeben *) -, eine vertiefte Statistik in allen Bereichen der Sozial- und Gesundheitspolitik, die uns im Bereich der Krankenversicherung, der Rentenversicherung, vor allem aber der vielen Gesundheitsstatistiken mehr aussagt, als uns bisher zur Verfügungsteht. Wir legen besonderen Wert darauf, daß die Ergebnisse aller der Untersuchungen und Analysen, die ich heute hier genannt habe, und weitere Arbeiten, die die Bundesregierung bereits angeregt hat, über das Parlament der breiten Öffentlichkeit so bald wie möglich zur Kenntnisgegeben wenden. Frau Strobel wird, glaube ich, nach diesen Ausführungen gern die 'Behauptung zurücknehmen, daß - wie sie irrtümlich annahm - kein Mitglied der Bundesregierung solche Untersuchungen jemals veranlaßt habe, und sie wird uns sicher in den weiteren Debatten gern bestätigen - draußen vor allen Dingen, nicht nur in diesem Hause -, wie weitschichtig und in wie großem Maße wir daran interessiert gewesen sind, einer Situation gerecht zu werden; allerdings einer Situation, die wir - auch da stimme ich Professor Schelsky zu - bei allen politischen und sozialen Maßnahmen unvoreinigenommen sehen wollen nach den Entwicklungstendenzen, die in un- *) Siehe Anlage 4 A serer Zeit reif sind für ein neues Umdenken und Bedenken. Es tut mir leid, daß ein Thema von Ihnen nicht erwähnt worden ist, das ich nun anschneiden muß, die Frage der Teilzeitarbeit. Es würde die Debatte eines ganzen Tages füllen, und deshalib lassen Sie mich nur sagen: unsere heutige Debatte kann nicht allein den Zweck haben, ({26}) - verzeihen Sie bitte! - die Vielschichtigkeit und Mehrwertigkeit unseres Themas zu beleuchten, sondern sollte auch mögliche Lösungen aufzeigen. Es ist kein Zweifel, daß bestimmte soziale Positionen unid Grundeinstellungen, Verhaltensweisen und Konstitutionen oftschwere Belastungen zur Folge haben können. Aber Patentlösungen gibt es weder mu t der Teilzditarbeit noch mit größeren Schutzvorschriften für alle Matter. Wenn Sie hier auf Herrn Professor Kirchhoff hingewiesen haben, so möchte ich nur an eines erinnern, an die sicher für uns alle hochinteressante Anhörung der Sachverständigen im Ausschuß für das 'Gesundheitswesen, wo namhafte Professoren, besonders die Gynäkologen, uns darüber belehrt haben, daß nicht alle Probleme, die uns Sorgen machen, nur mit Geld und nur mit längerer materieller Leistung zu lösen sind, ({27}) daß die wichtigen Fragen der Vorsorge, die wichti) gen Fragen, die wlir gerade bei der Fortsetzung der sozialen Reformen, auch in der Krankenversicherungsreform, aufgreifen werden, ein ganz besonderes Gewicht haben. Schon in den Jahren 1953/54 hat - auch das möge die Kollegin von der SPD noch besonders interessieren - das Bundesministerium für Arbeit eine große Erhebung zu dem Thema „Möglichkeiten und Zweckmäßigkeiten der Einrichtung von Teilzeitarbeit" eingeleitet, deren Ergebnis schon 1956 veröffentlicht worden ist. Von besonderem Aussagewert werden alle diese Arbeiten sein, wenn sie uns einmal vorgelegt sind und wir Gelegenheit haben werden, uns über .die Probleme, die gerade auch bei 'der Aushilfsarbeit hinsichtlich der Abstimmung der Freigrenzen eine Rolle spielen, zu unterhalten. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich zu diesen Ausführungen noch einige Ergänzungen zu Protokoll geben *). Das, was in Ihrem Antrag in den Punkten 4 und 5 sich mit vielen unserer Forderungen deckt, ist die Sorge um die Auswirkungen der außerhäuslichen Erwerbsarbeit. Ich kann mit Rücksicht auf die begrenzte Zeit, die uns zur Verfügung steht, nur sagen, daß es sich hier neben der wirtschaftlichen Entwicklung aber auch um eine sehr subjektive Einstellung der Frauen zur Berufsarbeit handelt und daß es deshalb für die amtliche Statistik außerordentlich schwierig sein wird, Motive, Absichten und Meinungen, d. h. die Gründe zu erfahren, die die *) Siehe Anlage 4 B Frauen veranlassen, einer Erwerbstätigkeit auch dann nachzugehen, wenn sie als Frau und Mutter durch die Beschäftigung im Haushalt voll ausgelastet wären. Auch zu diesem Thema ist in den Verhandlungen des Wissenschaftlichen 'Beirats beim Bundesministerium für 'Familien- und Jugendfragen Wichtiges geplant, nämlich noch in diesem Jahr mit Hilfe einer Stichprobe Ermittlungen über die Lebenssituation von Frauen mit Kindern und Jugendlichen anzustellen. Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt sehr die Befragung, die unter methodischer Beratung seitens des Statistischen Bundesamtes von der Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftlicher Institute durchgeführt werden soll. Schließlich begrüßen wir die unter Punkt 6 des SPD-Antrags gegebene Anregung, die Untersuchung der Regierung auch auf Maßnahmen zu erstrecken, die zur Bewältigung der durch die veränderte Situation geschaffenen Probleme geeignet sind. Ich hoffe, Sie sind überzeugt, daß die vielfältigen Anregungen, die aus den Reihen der Kabinettsmitglieder, aber auch der Beiräte bei den einzelnen Ministerien gegeben worden sind, deutlich machen, wie ernst es den 'Regierungsparteien und der Bundesregierung gerade um die Lösung all der Fragenkomplexe ist, die auch in unserem Änderungsantrag angesprochen werden. Bei der Krankenversicherungsreform, bei der Reform der Mutterschutzgesetzgebung und bei der Novelle zur Rentenreform werden wir alle diese Probleme zu bedenken haben. Ich kann meine Ausführungen nicht schließen, ohne noch ein Schlußwort zu den Fragen der Familienpolitik zu sagen. Wir stimmen Ihnen in dem einen zu, daß wir eine Versachlichung der Diskusssion brauchen, daß wir Unterlagen brauchen über die Tatbestände und Zusammenhänge, um Vorschläge für Verbesserungen machen zu können. Das gilt nicht nur für die materielle Seite, für das Kindergeld, für Familienhilfeleistungen in der Sozialversicherung, Begünstigung im Steuerrecht, sondern das gilt auch für die Fortsetzung der Sozialpolitik bei allen familienpolitischen Entscheidungen, die wir in Übereinstimmung mit der geltenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung treffen wollen. Deshalb begrüßen wir den Wunsch des Familienministers, eine Darstellung über alle diese Leistungen zu geben, damit einmal deutlich wird, in welch umfassender Weise in der Bundesrepublik Deutschland die Belange der Familie schon berücksichtigt werden, übrigens allein in der Krankenversicherung in einem Maße, wie in keinem der sozialistisch regierten Länder Vergleichbares nachzuweisen ist. ({28}) Die Zusammenstellung sollte deshalb auch deutlich machen, daß wirtschaftliche Hilfe bei uns in hohem Maße gegeben wird, daß darüber hinaus aber sichergestellt werden muß, daß die Eigenverantwortung der Familie und der Wille zur Selbstverantwortung auch im wirtschaftlichen Bereich nicht gegenstandslos wird. Eine Übersicht über alle diese Mittel wird diese unsere Auffassung bekräftigen. Es wäre auch zu begrüßen, wenn der Bundesfinanzminister in seinem nächsten Finanzbericht das Thema der Leistungen für die Familie mitbehandelte. Da befinden wir uns sicher in voller Übereinstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU legt Wert darauf, die gesellschaftspolitische Bedeutung der Familie nicht nur durch materielle Leistungen für kinderreiche Familien - das versteht sich für uns von selbst -, sondern auch durch Hilfen zur Selbsthilfe immer wieder zu unterstreichen. Mögen diese Enquete und die heutige Beratung dazu beitragen, ein in der Offentlichkeit manchmal falsch gezeichnetes Bild unserer familienpolitischen Leistungen in ihrer umfassenden Form in ein richtiges Licht zu rücken, und möge diese Debatte das Interesse aller Frauen und ihrer Organisationen, aber auch der Jugend, der Familien einschließlich der Familienväter finden, denn ohne die Gesundheit, Lebenskraft und Lebensleistung unserer Familien kann die große Arbeit des Wiederaufbaus, auch im Hinblick auf unser nationales Anliegen der Wiedervereinigung, nicht gemeistert werden. Der Herr Präsident wird mir gestatten, daß ich meine Ausführungen zu dem Thema der Wohnungsstichprobe und der Wohnungsstatistik - wegen des Zeitdrucks - mit zu Protokoll gebe ***). Uns liegt mit unserem Zusatzantrag daran, daß die auf diesem Gebiet so vorbildlich erfolgte Förderung des Wohnungsbaus mit den Leistungen für die Familien auch in Zukunft noch in der einen oder anderen Frage verbessert wird. Ob es vielen gefällt oder nicht, wir müssen von der Tatsache ausgehen, daß in der gesellschaftlichen Situation, in der wir leben, Frauen aller sozialen Schichten berufstätig sind und auch in Zukunft berufstätig sein werden. Wir müssen gemeinsam fordern, daß jedes junge Mädchen einen Beruf erlernt, damit es für die Wechselfälle des Lebens ausgerüstet ist. Daß möglichst zuvor, notfalls auch daneben die Ausbildung für Haushalt und Familie nicht vernachlässigt wird, ist ein besonderes Anliegen, das wir im Interesse glücklicher Ehen und gesunder Familien fördern müssen. So werden sich formende Kräfte der Berufswelt gegenüber der Familienprägung durchsetzen, was bei allen Industriestaaten als Zeichen der modernen Entwicklung erkennbar ist, und es werden Ehe und Familie bei einer guten Ausbildung für den Hauptberuf des jungen Mädchens nicht zu kurz kommen. Der einmal von der Frauenbewegung erkämpfte, längst von der Verfassung gewährleistete, von der modernen Wirtschaft mit ihrem großen Stellenangebot geförderte Zugang zum Beruf schafft aber auch für die Familie von morgen mehr Sicherheit. Die für einen Beruf ausgebildete und in einem Beruf erfahrene junge Frau ist bei einer Frühinvalidität oder beim Verlust des Ehegatten besser in der Lage, den Schicksalsschlägen für sich und ihre Familie Widerstand zu leisten. Wir brauchen nicht besorgt darum zu sein, daß die praktische Folge der beruflichen und außerhäuslichen Tätigkeit etwa die häusliche, mütterliche Aufgabe zu kurz kommen läßt, wenn wir alle gemeinsam darum bemüht sind, auch dem jungen Mädchen eine gute Erziehung und eine Ausbildung für ihre Aufgabe in Haus und Familie ***) Siehe Anlage 4 C zu vermitteln und ihr Bewußtsein zu stärken, daß die jungen Menschen zu ihrem Teil an dem Bestand und dem Glück der Familie wie an der gesellschaftlichen Verantwortung teilhaben. Nur dann wird es gelingen, daß die große Prägekraft der Familie und ihre Funktion auch in bezug auf die Erziehung und die wirksame Charakterbildung der Kinder differenzierter werden, aber keineswegs Schaden leiden. Lassen Sie uns gemeinsam darum besorgt sein, daß der familiäre Bereich erhalten bleibt als ein Bereich der Selbstbestimmung, der Selbsthilfe und der Selbstgestaltung, wie ihn Wurzbacher genannt hat. Meine sehr verehrten Herren und Damen, ich habe Ihre Zeit wegen der Fülle der Probleme tüchtig strapaziert. Aber ich weiß, daß Männer und Frauen in diesem Hause diese Frage als sehr wichtig ansehen und daß wir alle glücklich über das sind, was wir in 14 Jahren der Aufbauarbeit haben erreichen können. Unsere Schwestern und Brüder im bedrohten Teil unseres Vaterlandes haben nicht die Freiheit in der Berufswahl und Berufsausübung. Unsere Schwestern hinter der Willkürgrenze müssen ihr Innerstes verleugnen und haben nicht die Freiheit, sich für die Familie oder den Beruf oder für beides freiwillig zu entscheiden. Sie sind gezwungen, ihre Freiheit den Forderungen des Staates und der Einheitspartei zu opfern. Wir sollten als Teil der freien Welt dieser Entpersönlichung und Entwürdigung der Jugend und Frauengeneration jetzt und in Zukunft entgegentreten. Wir wollen für alle Deutschen Schutz und Hilfe des Staates da gewähren, wo Hilfe not tut - aber die freie Entscheidung und den Selbstverantwortungswillen stärken, da, wo die Hilfe der Gemeinschaft nicht notwendig ist. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt Ihnen vor, den Antrag der Fraktion der SPD und den Zusatzantrag der Fraktion der CDU/CSU dem Ausschuß für Jugend- und Familienfragen als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Arbeit zur Mitberatung zu überweisen. ({29})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Frau Abgeordnete Kiep-Altenloh.

Dr. Emilie Kiep-Altenloh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001095, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben heute ein Thema angeschnitten, das zweifellos von großer soziologischer und wirtschaftlicher Bedeutung ist, nämlich die Stellung der Frau in der heutigen Gesellschaft. Wenn ich mir aber die Ausführungen meiner verehrten beiden Vorrednerinnen betrachte, diejenigen von Frau Strobel ebenso wie diejenigen von Frau Kalinke, so bin ich mir nicht klar, ob bei der Fülle der Forderungen, die hier erhoben worden sind, die Regierung mit der Beantwortung und Zusammenstellung nicht überfordert worden ist, und ich bin mir auch nicht klar darüber, ob diese Fragen tatsächlich in die Tiefe derjenigen Probleme gehen, die auf uns zukommen und die uns beschäftigen. Es kommt meiner Meinung nach nicht auf die Breite des Materials an. Ich habe bei aller Gründ3334 lichkeit der Ausführungen das Gefühl, daß man an der Vertiefung noch viel mehr tun kann, sich auf Einzelfragen beschränken sollte, die zu der künftigen Gesetzgebung gehören und beantwortet werden müssen. Zweifellos sind diese beiden Anträge aus dem Gefühl entstanden, daß in der Situation der Frauen von heute irgend etwas nicht stimmt. Die Frauen sind zu einem erheblichen Teil nicht organisch eingeordnet in das soziologische und Wirtschaftsleben, wie wir es heute nun 'einmal haben. Man redet viel von einer unbewältigten Vergangenheit. Hier könnte man vielleicht von einer unbewältigten Gegenwart reden, die ihre Ursachen in der veränderten Struktur des Frauendaseins hat, die Frau Kalinke in aller Ausführlichkeit dargelegt hat. Die Ursachen sind sehr differenziert und verschieden. Ich zweifle daran, daß man mit statistischen Erhebungen all den Dingen auf Grund kommt und daß man mit ihnen allein die Heilsmiaßnahmen fin-.den kann. Trotzdem glaube ich, daß man die Dinge angehen muß, und sie sind auch anzugehen. Ich möchte hier einmal zwei weitgespannte Bogen aufzeigen. Vor etwa einem Jahr veröffentlichte eine englische Zeitschrift eine Enquete, aus der die mich erschütternde Tatsache hervorging, daß die NurHausfrauen, auch wenn sie Kinder haben, mit ihrer Lebenssituation aufs tiefste unzufrieden sind und die berufstätigen Frauen beneiden. Eine entsprechende Rundfrage, die dann eine deutsche Zeitschrift veranstaltet hat, kam zu ähnlichen Resultaten, wenn auch nicht in diesem hohen Prozentsatz. Das sollte uns zu denken geben. Da ist irgend etwas falsch. Denn es sollte nicht sein, daß ein so wichtiger Teil der Frauen heute mit ihrer Lebenssituation unzufrieden ist. Von da aber bis zu der über Gebühr belasteten Kriegerwitwe oder Kriegermutter, denen wir einen Teil der Bewältigung der Vergangenheit aufgeladen haben, der über ihre Kräfte hinausgeht, ist eine unendliche Spanne und ein sehr weiter Weg. Auf diesem Weg liegt eine Fülle von Problemen. Die Freie Demokratische Partei hat immer wieder darauf hingewiesen, daß die Bewältigung der Vergangenheit - ich wiederhole diesen Begriff, weil er heute ein Modewort geworden ist - diesen Kriegerfrauen und auch den Eltern der Kriegsgefallenen in einem unverantwortlich hohen Maß auferlegt worden ist und daß in allererster Linie hier etwas geschehen muß, damit die Allgemeinheit diesen Frauen ihre zu schwere Verantwortung etwas von den Schultern nimmt. Ich denke nicht daran, daß man hier durch materielle Maßnahmen etwas grundlegend ändern könnte. Ein zweiter weitgespannter Bogen: Da ist die Frau in den modernen neuen Siedlungen außerhalb der Städte. Ich habe mit vielen jungen Frauen gesprochen, die dort in einem hübschen Zuhause leben und die, soweit sie früher im Beruf tätig waren, einfach Budenangst bekommen und weglaufen. Die Architekten, die Städteplaner haben sich große Mühe gegeben, in diesen Vorstädten Zentren zu schaffen, in denen sich ein neues Gemeinschaftsleben entwickeln sollte. Aber wir müssen uns klarmachen, daß dieses Gemeinschaftsleben, wie es früher in der Dorfgemeinschaft und in einem gewissen Maße sogar in großen Mietshäusern und Stadtvierteln vorhanden war, sich dort nicht entwickelt hat. An diesen Dingen sollten wir nicht vorbeigehen. Wir sollten uns fragen, ob die Besetzung dieser Zentren nicht richtig, nicht organisch genug ist oder woran es liegt. Zum Teil - das ist allerdings eine ganz subjektive Auffassung - ist die große Vereinsamung und der Mangel an soziologischen Bindungen in der Gesellschaft durch das Auto begründet. Die Menschen fahren als einzelne hinaus und bleiben in einer anonymen Masse fremd. Meine persönliche Ansicht ist also, daß das Auto, soziologisch gesehen, gesellschaftshemmend wirkt. Die Vereinsamung eines großen Teils der Frauen ist ja heute eines der Probleme, die immer wieder auf uns zukommen. Bei Ihren Ausführungen, Frau Strobel, ist mir nicht ganz klargeworden, welches Leitbild Sie sich nun vorstellen. Die Generation, die jünger ist als ich, und auch ich haben mit großer Beglückung eine bessere Ausbildung erfahren und damit eine Bereicherung unseres Lebens für uns verbuchen dürfen. Wenn wir nun eine qualifizierte Ausbildung für die Frauen verlangen und erwarten - was ich für richtig halte -, können wir nicht gleichzeitig eine Verkürzung der Arbeitszeit um jeden Preis verlangen; denn wenn Sie den Dingen auf den Grund gehen, werden Sie feststellen, daß gehobene Stellungen eine volle Arbeitszeit verlangen. Man kann eine gehobene Stellung mit einer verkürzten Arbeitszeit nicht ausfüllen. Ich möchte das nur anführen, um zu zeigen, daß die Probleme so vielschichtig sind und nicht so einfach gelöst werden können, wie es mit einer verkürzten Arbeitszeit und einer besseren Ausbildung der Fall zu sein scheint. Wir müssen hier in die Tiefe gehen und einmal fragen: Was können wir denn den Frauen zumuten? Wir, die wir etwas älter sind, haben für die Frauen die Gleichberechtigung gefordert. Aber wir müssen uns nun einmal ernsthaft fragen: Was können wir ihnen zumuten? Wenn wir diese Fragen anschneiden, müssen wir immer davon ausgehen, daß ein großer Teil des Lebens einer Frau sich heute im Erwerbsleben abspielt: vor der Ehe, zum Teil während der Ehe. Und jetzt kommt das große Problem: Wenn die Kinder aus dem Hause gegangen sind und erwachsen sind, ist die Leere da. Da liegt der Knacks. Das sind die Dinge, die wir bei unseren Untersuchungen ins Auge fassen müssen, soweit sie gesetzgeberischen Maßnahmen zugänglich sind. Nicht alles läßt sich mit Gesetzen erledigen. Die Schicksale werden auch in Zukunft persönlich getragen werden müssen. Wir werden auch durch noch so viele Erleichterungen dem einzelnen das Schicksal nicht von der Schulter nehmen können. Wir können nur die materiellen Voraussetzungen erleichtern. Bei der Prüfung von Gesetzesvorlagen fehlen uns trotz dieses großen Straußes von Wünschen und Forderungen sehr häufig die einfachsten VorausFrau Dr. Kiep-Altenloh setzungen, um eine Lage beurteilen zu können und das Gesetz so zu formen, wie es den Bedürfnissen entspricht. Im Ausschuß für Gesundheitswesen wird augenblicklich z. B. das Mutterschutzgesetz beraten. Bis heute weiß keiner, wieviel Arbeit einer Frau vor der Entbindung zuträglich ist, welche Arbeit ihr zuträglich ist oder ob ihr keine Arbeit zuträglich ist. Das ist offen; man weiß es nicht. Man müßte gerade hierüber einmal konkrete Untersuchungen anstellen. Die Betriebsärzte haben zum Teil recht gutes Material. Aber es ist nicht breit genug. Man kann nicht sagen: Die Frau muß geschont werden. Es gibt Therapien, bei denen sie gerade Bewegung braucht. Aber welche? Man kann auch nicht sagen, daß die nicht berufstätige Frau weniger Fehlgeburten habe als die berufstätige. Das ist nicht erwiesen; man weiß es nicht. ({0}) - Ja, ich komme darauf deswegen, weil ich in der Fülle der Dinge mehr gezielte Fragen gestellt sehen möchte. Ich möchte mehr auf bestimmte Vorhaben zielen, die in der Zeit liegen oder gesetzlich vorbereitet werden. Gerade hier sollte man einmal viel tiefer gehen, als man es bisher getan hat. Eine Frage, die uns ganz bestimmt beschäftigen muß, ist die der Frühinvalidität der Frauen. Die Frauen sind früher verbraucht. Wir haben die Altersgrenze für den Bezug der Altersrente bei den Frauen auf 60 Jahre herabgesetzt. Auf der anderen Seite werden aber die Frauen in der Regel sehr viel älter als die Männer. Warum werden die Frauen so früh invalide? Die hier bestehenden Probleme sind nicht einfach mit verkürzter Arbeitszeit zu lösen. Hier sind ganz andere psychologische Voraussetzungen zu klären, die zu diesem unerhört raschen Verbrauch führen. Frauen brauchen eine Entspannung auch nicht erst dann, wenn sie krank sind. Frauen brauchen eine Entspannung zur rechten Zeit, in der richtigen Weise und in der richtigen Umgebung. Auch hier fehlen uns genaue Unterlagen. Weshalb werden Frauen eigentlich früher invalide, wo sie doch an Jahren älter werden und auch nicht siechen? Ein Mangel ist auch, daß die Frauen nicht darüber unterrichtet werden, daß man sich mit den Beschwernissen, die das Alter nun einmal für jeden Menschen mit sich bringt, abfinden, daß man mit ihnen fertig werden muß, daß das natürlich ist. Sie wissen ihre Lebenssituation nicht zu meistern, und ihnen wird hier auch nicht in Form von Beratungen geholfen. Gerade hier sollte man mehr in die Tiefe gehen, und zwar in die psychologische Tiefe, um diese Voraussetzungen einmal zu klären; denn hier liegt nicht nur ein soziologisches Problem vor. Die Frauen, die nachher doch wieder vereinsamt sind und Zuflucht in einem Altersheim suchen, für das sie zunächst nicht alt genug sind, und die dann dort auch in der Regel nicht glücklich sind, sind jene, die mit der Lebenssituation, die sich aus dem Altern ergibt, nicht fertig werden. Hier sollte man auf psychologischer Grundlage tiefergehend erforschen, weswegen diese Frauen früher altern und für einen Beruf untüchtig werden, in den sie doch zunächst mit Begeisterung hineingegangen sind. Ich bringe nur diese Beispiele, weil ich der Ansicht bin, daß wir uns, wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, auf wenige Gebiete konzentrieren sollten. Verzeihen Sie, daß ich das sage. Aber ich glaube, die Fülle schafft uns keinen Erfolg. Hier sind die psychologischen Voraussetzungen des Arbeitsplatzes zu prüfen. Es sind aber auch die psychologischen Voraussetzungen der Existenz dieser Frauen, die altern, zu prüfen. Das gilt übrigens auch für die Männer. Diese kommen ja auch mit ihrem Älterwerden aus verschiedenen Gründen nicht zurecht. Hier könnte man ihnen vielleicht helfen. Die Rentenversicherungsreform wirft für die Frauen eine Fülle sehr handgreiflicher Probleme auf. Ich möchte immer wieder sagen: das Mehr ist gar nicht so sehr das Entscheidende; entscheidend sind das Wie und das Wann. Gerade heute morgen ist sehr oft Schelsky zitiert worden. In seinem Buch über die Situation der Familie, das vor einigen Jahren erschienen ist, wird festgestellt, daß die Halbfamilie, also die Familie, in der die Mutter allein für die Kinder zu sorgen hat, ganz besonders gut zusammenhält, was als großes Plus zu werten ist. Woran liegt das? Was können wir daraus für andere lernen? Wir sehen, daß es sich nicht so sehr um die äußerlichen, die materiellen Voraussetzungen handelt. Die sind in dieser Halbfamilie meistens nicht sehr goldig, und doch weist sie auf der anderen Seite soziologisch das eben erwähnte große Plus auf. Mich beschäftigt immer wieder die Frage, was wir auf dem Gebiete der Gesetzgebung in den nächsten Monaten und vielleicht Jahren hier zu tun haben. Es sind ja viele Sachen - die brodeln lange - zu erwarten. Ich frage mich: Wie können wir die erforderlichen statistischen Unterlagen bekommen - ich zweifle daran, daß alles statistisch oder auch selbst durch eine Enquete zu erfassen ist -, und wie können wir tiefer in die psychologischen Voraussetzungen eindringen, auf denen die Schwierigkeiten beruhen? Ich habe den Eindruck, bei Ihnen, Frau Strobel, fehlt das Leitbild der Frau. Wenn man bei diesem Leitbild erörtert, ob die Frau dauernd berufstätig sein soll, kommt eine Fülle neuer Probleme hinzu, die nicht ohne weiteres zu bewältigen sind. Das ist das Aussetzen im Beruf während der Entwicklung der Kinder, das bis zu einem gewissen Grade nötig isst; das ist bei der neuen Entwicklung in den Wissenschaften das Zurückbleiben gerade in den gehobenen Berufen. Diesen Problemen muß man einmal nachgehen. Man kann sie nicht einfach mit Worten wie „Halbtagsarbeit" und „gute Ausbildung der Mädchen" abtun. Andererseits sagt Frau Kalinke: Die Frauen müssen ausgebildet werden, um Durststrecken überwinden zu können. Was ist das nun wieder? Ist das eine notwendige, primitive Ausbildung, die ein Lebensminimum garantiert? Oder ist das eine Ausbildung, die 'einen Lebensraum erfüllt? Wir sind der Ansicht, daß diese beiden Vorlagen im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen und im Arbeitsausschuß eingehend behandelt werden sollten. Ich möchte vorschlagen, daß man aus der Fülle der Wünsche, die hier vorgebracht sind, diejenigen auswählt, die genau auf die Fragen zielen, die wir gesetzlich regeln sollen. Es kann doch nicht darauf ankommen, daß wir ein Buch „Die Frau von der Wiege bis zur Bahre in allen Lebenslagen" veröffentlichen. ({1}) Das ist nicht der Sinn der Arbeit eines Parlaments. Unsere Aufgabe ist es doch, gute Gesetze zu machen, die auf Grund tiefer Erkenntnisse die äußeren Voraussetzungen richtig ordnen, wobei nicht nur das Mehr, sondern auch das Wie von Bedeutung ist. Das möchte ich immer wieder unterstreichen. Bei dieser Fülle kann es auch nicht darauf ankommen, aufzuzeigen, wie herrlich weit wir es gebracht und was alles wir .schon getan haben. Wir haben es gar nicht herrlich weit gebracht. In ganz wesentlichen Punkten tappen wir im dunkeln, selbst in so iwesentlichen Fragen wie der, warum eine Frau eigentlich früher invalide wird, wenn sie doch so viel älter wird. Es kommt also wirklich nicht darauf an, eine Fülle von Problemen zu untersuchen. Aus diesem Grunde habe ich diese Beispiele gebracht. Nach meiner Meinung wird es darauf ankommen, daß wir einige gezielte Fragen gründlich vorprüfen lassen, um dann Gesetze zu machen, die wirklich ) den Gegebenheiten der Zeit entsprechen. ({2}) Wir müssen uns klar darüber werden, daß der Probleme viele sind. Man sollte auch auf anderen Ebenen einmal die schiefe Situation der jungen Frauen überprüfen, die, wie gesagt, in ihren Siedlungen sitzen und Budenangst bekommen. Aber, meine Herren und Damen Kollegen, das ist nicht Aufgabe eines Parlaments. Wir wollen \uns einmal ganz klarmachen: wir sind dazu da, gute Gesetze zu machen, die das Leben in seinen äußeren Voraussetzungen und in den Bildungsvoraussetzungen erleichtern - das letztere mit den Ländern zusammen. Darauf wollen wir uns konzentrieren, damit nicht das Ganze als .ein großer Schwung letztlich im Papierkorb landet. ({3})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren, für die Weiterbehandlung der Sache schlage ich vor, \daß wir nicht über die Änderungsanträge abstimmen, sondern daß wir beide Vorlagen an den Ausschuß überweisen. Ich glaube, das wird einfacher sein. ({0}) Nun die Ausschüsse! In Betracht kommen der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen und der Ausschuß für Arbeit. ({1}) - Federführend soll der Ausschuß für Familien-und Jugendfragen sein. Das Haus ist damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, die Fraktionen haben verabredet, daß wir jetzt die Pause eintreten lassen sollen. Wann wollen wir wieder zusammenkommen? Um 14 Uhr? ({2}) Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. ({3})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung 'fort. Ich rufe Punkt 4 a auf: Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Wirtschaftsentwicklung im Jahre 1962 und die Aussichten für 1963 ({0}). Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Erhard.

Dr. Ludwig Erhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000486

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu .dem Wirtschaftsbericht selbst spreche, möchte ich etwas zu dem Problem Berlin sagen, weil die Nichteinbeziehung Berlins im Wirtschaftsbericht eine kritische Würdigung erfahren hat. Im Wdrtschaftslbenicht wird darauf hingewiesen, daß Westberlin bei den statistischen Angaben nicht berücksichtigt ist. So heißt es in der Anmerkung zu Ziffer 6: Die in ,diesem Bericht enthaltenen Zahlen beziehen sich - soweit nichts anderes vermerkt ist - auf das Bundesgebiet einischließlich Saarland, ohne Berlin ({0}). Die Nichteinbeziehung von Westberlin in dieser Form ist üblich, seitdem es eine Statistik für die Bundesrepublik gibt. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dies Statistischen Bundesamtes und der Deutschen Bunldesbank ist Westberlin nicht enthalten. Das .gleiche gilt auch für Wandere Wirtschaftsstatistiken. Da der Wirtschaftsbericht auf diesen Unterlagen .aufbauenmußte, war es bei der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, Westberlin einzuberziehen. Historisch geht dieser Modus darauf zurück, daß die Ergebnisse der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in der ersten Nachkriegszeit hauptsächlich für die Berichterstattung an internationale Organisationen wie auch für die Berechnung der Manshallplanhilfe dienten. Hier lag es gerade im Interesse Westberlins, gesondert ausgewiesen zu werden. Die Diskussion über den Wirtschaftsbericht hat zu grotesken Behauptungen geführt, so z. B. in .SED-Zeitungen, man neige dazu, „Berlin aus der Bundesrepublik auszuklammern". Ich glaube, daß ich nicht ausdrücklich darauf hinzuweisen brauche, um welchen schreienden Unsinn und Unfug essich dabei handelt. Es ist nur aus der Situation der letzten Wochen zu verstehen, daß bei der Vorlage des Wirtschaftsberichtes etwas kritisiert wurde, was in Dutzenden von Veröffentlichungen der Bundesbank, des Statistischen Bundesamtes, im Statistischen Jahrbuch und auch in anderen öffentlichen Verlautbarungen genauso formuliert wurde. Wir haben uns zwangsläufig an die gleiche Formulierung halten müssen, wie sie üblicherweise gebraucht wird. Dennoch gebe ich zu, daß es nicht gerade eine stilistische Meisterleistung war, auf Seite 26 der Drucksache Berlin in die Rubrik „übrige Welt" einzubeziehen. Aber auch das hat seine Ursache. Dieser Begriff hat sich seit vielen Jahren eingebürgert, um statistisch deutlich zu machen, daß die Sowjetzone eben nicht „Ausland" ist. Aus diesen statistischen Gründen mußte eben jene Behandlung Platz greifen. Ich habe indessen dieses Vorkommnis dazu benutzt, um sofort Beratungen zu veranlassen, in denen überprüft werden soll, ob nicht in möglichst kurzer Zeit die Statistik für Berlin in die Statistik der Bundesrepublik eingebaut werden kann; dann wird in den nächsten Vorlagen dieser Art auch Westberlin enthalten sein. Die Beratungen sind im Gange. Ich möchte gleich dazu sagen: es ist nicht beabsichtigt, die Arbeit des Statistischen Amtes in Berlin dadurch zu beschränken. Ich glaubte, diese Frage vorwegnehmen zu sollen; denn in bezug auf die Verantwortung für Westberlin kann es zwischen uns über alle Parteien hinweg keine Diskussion geben. Nun komme ich zum Wirtschaftsbericht selbst. Ich würde Wert darauf legen, diese Aussprache rein sachlich und ohne Polemik zu führen; denn hier handelt es sich um eine Sache, die uns alle angeht. Wir tragen eine gemeinsame Verantwortung für die Erhaltung, für die Sicherstellung und für eine glückliche Fortentwicklung der Konjunktur, die das fast magische Dreieck Vollbeschäftigung-Wachstum-Stabilität nicht 'auseinanderreißt. Der dem Bundestag Ende Februar vorgelegte Wirtschaftsbericht der Bundesregierung macht in gewisser Hinsicht eine Zäsur in unserer wirtschaftlichen Entwicklung deutlich. Denn nachdem bis dahin Jahre stetigen und zum Teil ungewöhnlich starken Aufschwunges und Wachstums zu verzeichnen - und möglich - waren, stehen wir heute vor einem wirtschaftlichen Datum von größter Bedeutung. Das ist der Faktor der menschlichen Arbeitskraft, der der wirtschaftlichen Entwicklung und Expansion zwangsläufig sehr viel engere Grenzen setzt. Von 1950 bis 1960 z. B. verzeichneten wir eine Zunahme der Erwerbsbevölkerung von rund 25 °/o, während von 1960 bis 1970 auf Grund des Altersaufbaues unserer Bevölkerung und der verhinderten Zuwanderung aus der Sowjetischen Besatzungszone nur noch 3 bis höchstens 5 °/o anzunehmen sind. Dieser Wechsel macht sich ziemlich abrupt im Jahre 1963 bemerkbar, wie es auch im Wirtschaftsbericht in Ziffer 25 näher beschrieben ist. Geht nun die Arbeitszeit entsprechend den schon beschlossenen und den erst beabsichtigten Verträgen zurück, so wird im Jahre 1963 ,erstmalig das gesamte Arbeitsvolumen, d. h. Beschäftigte mal Arbeitszeit, zurückgehen, und zwar wäre dann mit einem Rückgang dieses Arbeitsvolumens um etwa 1 % zu rechnen. Aber das wäre das erstemal seit dem Jahre 1948. Nun, selbst ohne die Kunst des Vorhersehens übermäßig in Anspruch nehmen zu müssen, läßt sich doch feststellen, daß mit dieser Zäsur in unserem Arbeitskräftepotential tatsächlich eine neue Seite unserer Wirtschaftspolitik aufgeschlagen wird. In allen vergangenen Jahren konnten wir es hinnehmen, daß die Ansprüche an unsere Volkswirtschaft, sei es aus staatlichem Verbrauch oder staatlichen Investitionen, privatem Verbrauch, privaten Investitionen oder sei es von der Auslandsnachfrage, das jeweils aktuelle Angebot an Gütern und Dienstleistungen oft sogar erheblich überstiegen. Denn dadurch wurde in erster Linie die Zahl der Arbeitslosen vermindert, ja sogar beseitigt. Es gelang die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in unsere Volkswirtschaft; der Ausbau der Kapazitäten wurde gefördert, kurz: das Leistungspotential vergrößert, das öffentliche Leben wieder auf gesunde Bahnen gebracht. Erst in zweiter Linie führte der Nachfrageüberhang neben der raschen realen Expansion zu einer gewissen, aber im internationalen Maßstab gemessen nicht allzu beunruhigenden Verschlechterung der Kaufkraft des Geldes. Von jetzt ab aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird ein Überhang der Nachfrage über das Leistungsangebot in erster Linie die Preise in die Höhe treiben, weil die Chancen der realen Ausweitung inzwischen an die I schon beschriebenen engeren Grenzen gestoßen sind. Zur Vermeidung einer schleichenden Inflation werden wir also die an das Sozialprodukt gestellten Ansprüche sehr viel sorgfältiger mit dem Leistungsvermögen in Übereinstimmung bringen müssen. In dieser Aufgabe liegt ein gut Stück künftiger Wirtschaftspolitik. Bisher konnten wir uns in der Konjunkturpolitik fast ausschließlich auf die Geld- und Kreditpolitik und die Handelspolitik stützen. Bei einem Übermaß der Gesamtnachfrage, der das Leistungspotential unserer Volkswirtschaft nicht rasch genug folgen konnte, wurde durch eine Verknappung und Verteuerung des Kredits die weitere Aufblähung der Nachfrage gezügelt und das Angebot durch die erleichterten Einfuhren - ich denke nur an die Liberalisierung oder an die zollpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung, die von diesem Hohen Hause beschlossen wurden - vergrößert. Beide Instrumente stehen uns nicht mehr oder nur noch sehr bedingt zur Verfügung; denn im Herbst 1960 mußte die Bundesbank ihre restriktive Politik wegen der phantastischen Überschüsse in der Zahlungsbilanz aufgeben, obwohl die innere Situation weiterhin eine Politik des knappen und teuren Geldes verlangte. Auch heute gestattet die Situation unserer Zahlungsbilanz in einer Welt fast unbehinderter Freizügigkeit des Geld- und Kapitalverkehrs über die nationalen Grenzen hinaus keine betont restriktive Politik der Notenbank, wenn wir nicht dem internationalen Währungssystem neue Spannungen zufügen wollen. Mit diesem Thema beschäftigt sich ja die ganze wissenschaftliche Welt, und es gibt bereits viele Pläne, die sie mit der Besserung der unzureichenden intervalutaren Ordnung befaßt. In unserer Handelspolitik und besonders in unserer Zollpolitik sind wir durch den EWG-Vertrag in der Entscheidungsfreiheit beengt. Wir sind namentlich nicht mehr in der Lage, die Einfuhr aus Ländern außerhalb der EWG durch autonome Zollsenkungen zu erleichtern. Obwohl diese Beschränkungen unserer Bewegungsfreiheit und Entscheidungsfreiheit manchmal unbequem sind und den internen Bedürfnissen wirtschaftspolitischen Handelns widersprechen, bin ich natürlich doch glücklich über die Liberalität im internationalen Handels- und Zahlungsverkehr, die es den Gütern und Dienstleistungen ebenso wie dem Geld und Kapital gestattet, fast unbehindert die nationalen Grenzen in beiden Richtungen zu überschreiten. Das ist die ökonomische Entsprechung und Basis für die politische Zusammenarbeit der westlichen Welt. Im übrigen haben sich große Inflationen regelmäßig nur hinter dem Schutzwall von Handels- und Devisenrestriktionen entfalten können oder, was beinahe auf das gleiche hinausläuft, unter dem Schutz des verfallenden Außenwerts der Währung, wie in der großen Inflation nach dem ersten Weltkrieg. Sind aber nun die alten Instrumente für unsere internen konjunkturpolitischen Bedürfnisse nicht mehr oder nicht unter allen Bedingungen und jeden-falls in der augenblicklichen Situation nicht anzuwenden, so gilt es, den Quellen der Nachfrage und Übernachfrage im einzelnen nachzuspüren und die Gesamtnachfrage mit dem Leistungsangebot in Übereinstimmung zu bringen. In seinem analytischen Teil, dem Bericht über das Jahr 1962, und der Voraussage für das Jahr 1963 deckt der Wirtschaftsbericht die Quellen der Übernachfrage auf. Die Vorausschau auf das Jahr 1963 ist kein Wirtschaftsprogramm, auch kein Wunschbild, sondern ein Bild der Entwicklung, wie sie auf Grund der gegenwärtigen Tendenzen und wirkenden Kräfte eintreten wird - jetzt kommt der entscheidende Satz -, wenn nichts Weiteres an wirtschaftspolitischer Aktivität geschieht. Es wurde mit Hilfe aller Kenntnisse und Erkenntnisse der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in einem interministeriellen Arbeitskreis unter dem Vorsitz des Präsidenten des Statistischen Bundesamts entworfen. Diese Vorausschau auf 1963 ist gewissermaßen ein quantifiziertes Vorausdenken, das behilflich sein soll, zu erkennen, wo und wie die Wirtschaftspolitik agieren muß, um eine befriedigende Fortentwicklung zu erreichen. Die Vorausschau soll Maßstäbe für das wirtschaftspolitische Handeln vermitteln. Der Wirtschaftsbericht ist kein Vorläufer einer systematischen Programmierung der Wirtschaftsentwicklung, nach Branchen aufgegliedert, und einer vorbestimmten Aufteilung des Volkseinkommens nach Wirtschaftsfunktionen und Gruppen der Bevölkerung. Es ist ja bekannt, daß ich für die Denkweise, der man heute so oft begegnet, nämlich durch eine Programmierung, durch eine Planifikation usw. die Ordnung in einer Volkswirtschaft aufrechtzuerhalten, nicht allzuviel Verständnis aufbringe. Ich glaube aber, über diesen Gegenstand werden wir uns noch gesondert unterhalten müssen. Ich darf weiter hinzufügen: Wenn wir den Wirtschaftsbericht weiter ausbauten, etwa im 'Sinne eines Nationalbudgets, dann würde das in letzter Konsequenz bedeuten, daß wir alle, in welchen Gruppen auch immer, sehr bald der wirtschaftlichen Freizügigkeit verlustig gehen müßten. Machten wir also einen solchen Versuch, so würden wir einen politischen Kampf aller Gruppen gegen alle ins Werk setzen. Es fehlt aber Gott sei Dank der absolute Staat, der Ordnung in das Getümmel der kollektiven Marktmächte - beinahe möchte ich sagen, der Feudalmächte - bringen könnte. Zwar sehe ich eine wirtschaftspolitische Aufgabe in der Gewährleistung wirtschaftlicher Expansion unter Bedingungen der Stabilität, d. h. in der Bestimmung des optimalen Gesamtvolumens wirtschaftlicher Aktivität; denn dieses stellt sich nicht von allein ein. Arbeitslosigkeit und - umgekehrt - eine Überbeanspruchung der Ressourcen mit darauffolgender Geldentwertung zu vermeiden, ist der Wirtschaftspolitik, der Konjunkturpolitik, ständig aufgegeben. Wie sich aber innerhalb des Gesamtvolumens der so determinierten Aktivität die einzelnen Branchen entwickeln und welches die Lohnrelationen zwischen den Beschäftigten sein werden, hat der Wettbewerb, wenn auch manchmal der Wettbewerb zwischen Kollektiven, zu entscheiden. An den Ergebnissen oder an den Entwicklungstendenzen können dabei gelegentlich durchaus Korrekturen gemacht werden, beispielsweise in Form von Übergangshilfen verschiedenster Art, sei es für die Unternehmungen, sei es für die Arbeitnehmer, wie es z. B. im Bergbau, in der Landwirtschaft, für einige Landstriche der Bundesrepublik oder auch durch Maßnahmen zur besseren Vermögensstreuung und durch den ganzen Komplex der sekundären Einkommensverteilung über die Steuer, Sozialversicherung oder auch das Kindergeld geschieht. Der Wirtschaftsbericht zeigt in seiner Vorschau auf 1963, daß die Entwicklung ohne weitere wirtschaftspolitische Aktivität in diesem Jahre nicht ganz 'befriedigend verlaufen wird. Nach wie vor wird ein Übermaß der Nachfrage über das mögliche Angebot an Gütern und Diensten zu einer Aufwärtsbewegung der Preise führen. Allerdings schäumen nicht alle Quellen der Nachfrage über. Die privaten Investitionen sind sogar recht gedämpft, und von unserem Außenwirtschaftsverkehr, der so lange zur Übersteigerung der Gesamtnachfrage beitrug, gehen für das Preisniveau stabilisierende Einflüsse aus. Schon ausdiesem Grunde wäre es falsch, mit den bislang verwendeten Instrumenten der Konjunkturpolitik, der Geld-und Kreditpolitik und der Außenhandelspolitik, zu operieren, selbst wenn wir das könnten. Die gewerbliche Wirtschaft erlitte dadurch nur eine weitere Erschwerung der ohnedies geringer gewordeBundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard nen Investitionsneigung und beengten Finanzierungsmöglichkeiten für neue Investitionen. Die Quellen der Übernachfrage im Jahre 1963 sind vielmehr in erster Linie die öffentlichen Ausgaben und hier vornehmlich die Bauausgaben der über 25 000 „öffentlichen Hände" in der Bundesrepublik. ({1}) In zweiter Linie, aber unübersehbar, ist es die vorwiegend, nicht ausschließlich aus der immer noch zu starken Aufwärtsbewegung der Löhne und Gehälter abgeleitete Verbrauchernachfrage. Meine Damen und Herren, wer der Meinung ist, daß die Bauausgaben der öffentlichen Hand preispolitisch neutral seien, weil sie ja, sehr zu meinem Mißvergnügen, fast völlig über die ordentlichen Haushalte gedeckt würden und somit keine Wirkung auf das Preisniveau und auf den Wirtschaftsablauf ausüben könnten, befindet sich völlig im Irrtum. Im Gegenteil, diese Methode hat dazu geführt, daß eine völlige Verzerrung in der Volkswirtschaft eingetreten ist und danach ganz unterschiedliche Konjunkturen in den einzelnen Bereichen vorliegen. ({2}) Diese .Massierungen der Nachfrage, die auf solche Weise in der Bauwirtschaft, im Ausbaugewerbe und dergleichen mehr zustande kommen, pflanzen sich dann auf andere Wirtschaftszweige fort. Sie werden Maßstäbe und Begründungen für weitere Forderungen, sei es in bezug auf Preiserhöhungen, sei es in bezug auf weitere Forderungen von seiten der Arbeitnehmer. Diesen beiden Quellen der insgesamt noch übermäßigen Nachfrage gelten die Leitlinien des Wirtschaftsberichts, die Maßstäbe für das Verhalten geben, aber selbst noch keine konkreten Maßnahmen der Bundesregierung enthalten. Auch hier hat die Kritik eingesetzt. Man hat fast mit dem Hinweis darauf, wie viele Zeilen den einzelnen Partnern gewidmet sind, nachzuweisen versucht, daß wir unsere Gunst oder unsere Kritik sehr einseitig verteilten. Meine Damen und Herren, hätten wir den Wirtschaftsbericht etwa vor zwei Jahren vorlegen müssen, dann hätten wir zum Beispiel über die Gewinnsituation in den Unternehmungen sicher ein ganz anderes und auch kritisches Urteil abzugeben gehabt. Aber gerade in dieser Beziehung haben sich die Verhältnisse wesentlich gewandelt. Wie schon gesagt, am Wirtschaftsbericht ist diese Abstinenz der Bundesregierung und auch des Bundeswirtschaftsministers kritisiert worden. Mit Bedacht jedoch enthält der Wirtschaftsbericht keine konkreten Vorschläge. Er sollte mit seiner Darstellung der Situation und der Ursachen für die nicht voll befriedigende Vorausschau für das Jahr 1963 wirken. Soweit ich sehen kann, ist dieser Teil des Berichts auch nicht angegriffen worden, was zu der Hoffnung berechtigt, daß auch in diesem Hohen Hause keine Meinungsunterschiede über die Beurteilung der Situation und der näheren Zukunftsaussichten bestehen. Hätte der Bericht mit der Empfehlung konkreter Maßnahmen der Bundesregierung abgeschlossen, so würden sich die politischen Leidenschaften und die Diskussion auf diesen Teil geworfen haben, und der sachliche, objektive Ausgangspunkt vor allen Dingen auch für diese Beratung wäre zu kurz gekommen oder seine Erörterung überhaupt verhindert worden. Der Bundesregierung lag an einer durch den Bericht zu fördernden Versachlichung der wirtschaftspolitischen Diskussion in diesem Hohen Hause, die der Beschlußfassung über konkrete Maßnahmen vorangestellt werden sollte. Was im Bericht in der Vorausschau auf 1963 gesagt wurde, basiert auf Daten, die Ende 1962 bekannt waren. Aber das tim Bericht gegebene Bild braucht auch jetzt, vier Monate später, nicht korrigiert zu werden. Vielleicht, daß der lange und strenge Winter mit idem eher noch schnelleren, 'als im Bericht angenommenen Steigen der Staatsausgaben gewisse Modifikationen bringen wird. Vielleicht wird auch die Außenhandelsbilanz ein wenig günstiger abschließen, nachdem unsere Unternehmer bei der ruhigeren Absatzlage .auf dem heimischen Markt ihre Aufmerksamkeit mehr den Auslandsmärkten zu Widmen scheinen. Das nicht voll befriedigende Bild für 1963 wird durch diese möglichen Modifikationen indessen nicht verändert. Die reale Zuwachsrate des Sazialprodukts wird unter der Annahme der Arbeitszeitverkürzungen, wie sie schon beschlossen sind oder zur Diskussion stehen, etwa 3/2 Prozent sein. Die Nachfrage insgesamt wild hingegen - wenn nichts geschieht, wohlgemerkt - um 6 % .steigen. Aber es sind, wie schongesagt, ausschließlich die Ausgaben aller öffentlichen Haushalte und die privaten Ausgaben, die die Nachfrage insgesamt auf dieses das Leistungspotential übersteigende Niveau hinauftreiben: die öffentlichen Ausgaben mit einer Zuwachsrate von etwa 9 %, der private Verbrauch mit einer solchen von 6 %. Wollen wir indessen die Stabilität der Kaufkraft, dann muß die Nachfrage .an diesen beiden Quellen beschränkt der ,das Angebot durch eine Verschiebung von Arbeitszeitverkürzungen erhöht werden, so wie ,die Tarifpartner ides Baugewerbes es schon getan haben. Die Eindämmung der öffentlichen Ausgaben 'insbesondere der Ausgaben für Bauten, ist die vordringlichste Aufgabe. Trotz aller Rückschläge - ich denke nur an das Schicksal des Bundeshaushalts 1963 - sollten die über 25 000 öffentlichen Haushalte 'einen neuen Versuch machen, weniger auszugeben, als die Finanzierungsmöglichkeiten es an sich erlauben. Vielleicht ist es von Regierungen, Parlamenten und Haushaltsverwaltern mehr verlangt, .als sie leisten können, wenn sie sich trotz vorhandener Finanzierungsmöglichkeiten der sogar einer gewissen Kassenfülle bescheiden sollen. Wer wollte die Nützlichkeit der von Regierungen Oder Parlamenten beschlossenen Ausgaben imeinzelnen 'bezweifeln? Aber wenn die Leichtigkeit der Finanzierung nur der Ausdruck einer gewissen inflationistischen Euphorie ist,dann 'schadet das Übermaß der Gesamtheit. Meine Damen und Herren, Schiller sagt einmal in „Wallenstein": „Der Krieg ernährt den Krieg". Ich glaube, das kann man ohne weiteres auch dahin Übersetzen: „Die Inflation ernährt die Inflation". Dadurch kommt es zustande, daß die armen Finanzminister am Schluß eines Hauslhaltsjahres immer vor der Sachlage standen, daß die von diesem Hause beschlossenen Mehrausgaben, für die scheinbar kleine Deckung vorhanden war, darm schließlich doch gedeckt werden konnten. Ja, meine Damen und Herren, sie konnten gedeckt werden auf Grund einer Finanzpolitik und lauf Grund einer Ausgabenpolitik, die eben (doch eine sehr kritische Beurteilung verdienen. ({3}) - Das habe ich nicht behauptet. Im übrigen stehe ich hier als Wirtschaftsminister - um hier gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen! ({4}) Der Bundeskanzler hat in seiner Erklärung vom 9. Oktober 1962 vor dem Bundestag die Verantwortung der öffentlichen Haushalte für die Stabilität mit den Worten umrissen: Wer Aufgaben anpackt, die zusammengenommen seine Kraft Übersteigen, erreicht nichts, er erleidet Schiffbruch. Der Staat kann seine Aufgaben nur erfüllen, wenn er eine Aufgabe nach der anderen unter richtiger Einschätzung seiner finanziellen Kraft in Angriff ninmt. An einer anderen Stelle lese ich: Diejenigen also, die zwar ihre Rechte in Anspruch nehmen, aber ihre Pflichten ganz vergessen oder nicht entsprechend erfüllen, sind denen zu vergleichen, die ein Gebäude mit der einen Hand aufbauen und mit der anderen Hand wieder zerstören. ({5}) Meine Damen und Herren, das stammt aus der Enzyklika des Papstes. ({6}) Selbst wenn heute noch mehr Bauten finanziert werden könnten, würde nichts erreicht werden; nicht mehr Wohnungen würden gebaut, sondern die gleihe Zahl würde zu höheren Kosten gebaut werden. Dieses ganze Gebaren der öffentlichen Hand gerade auf dem Sektor der Bauwirtschaft ist wirklich so ;innlos, daß es nur überrascht, daß es kein Ende findet. Wäre es, so frage ich, nicht besser, wenn die Steuereinnahmen etwas weniger reichlich flössen, and würde das nicht manchen Etatansatz von vornierein verhindern oder knapper halten? Würde das licht auch dem von allen Parteien geliebten Stil ein ande machen, sich durch Ausgabenansätze, die bei jeweils wechselnden Gruppen der Bevölkerung zu Einnahmeansätzen werden, in ein gutes Licht zu rücken? Werden alle Ausgaben auch richtig finanziert? Könnte nicht die Verschuldung der „öffentichen Hände" ein wenig größer sein, da heute doch bald 50 % der gesamten Vermögensbildung auf den Staat in allen seinen Erscheinungsformen entfallen? Ich darf Ihnen hier von einer Statistik einige Zahlen nennen, und zwar über die Vermögens- und Ersparnisbildung von 1950 bis 1962. Mein früherer Kollege Finanzminister Etzel hat einmal im Jahre 1958 darauf hingewiesen, daß es eine glückliche Relation zu sein scheint, wenn der Staat, die Unternehmen und die privaten Haushalte mit rund je einem Drittel an der Vermögensbildung teilhaben. Leider haben sich die Verhältnisse grundlegend gewandelt. Der im Jahre 1958 ausgewiesene 32,7 %ige Anteil des Staates, im weitesten Umfang der öffentlichen Hand, ist inzwischen auf 48,2 % gestiegen. Lassen Sie mich Ihnen einmal das ganze Bild zeigen. Im Jahre 1950 hat der Anteil des Staates an der Vermögensbildung 28,9 % betragen. Jetzt beträgt er, wie gesagt, 48,2 %, also 20 % mehr. Der Anteil der Unternehmen an der Vermögensbildung betrug im Jahre 1950 aus uns bekannten Gründen, aus der seinerzeitigen währungspolitischen Situation 38,9 %. Er hat sich im Jahre 1962 auf 21,7 % ermäßigt. Die privaten Haushalte haben ihren Anteil in diesen 12 Jahren von 16,5 % auf 32,6 % steigern können. ({7}) - Ich habe die Unternehmen und die privaten Haushalte genannt. Bei den privaten Haushalten sind natürlich alle dabei, die ärmeren und die reicheren Leute. ({8}) - Selbstverständlich, nur die Entnahmen. Wer anerkennt, daß die bloße Einsicht in das richtige Verhalten noch nicht ohne weiteres das richtige Verhalten nach sich zieht, sollte vor einer gewissen Institutionalisierung eines konjunkturgerechten Verhaltens der öffentlichen Hand im Sinne antizyklischer Fiskalpolitik nicht zurückschrecken. Sie gehört zu den neuen Techniken der Konjunkturpolitik, auf die wir uns künftig werden stützen müssen. ({9}) In unserem Bundesstaat ist das gewiß eine schwierigere Aufgabe als andernorts, wo Zentralregierungen bis in die Gemeinden hinein regieren. Aber die Tatsache der Gliederung unseres Staates in autonome politische Gebilde entbindet uns nicht von der gemeinsamen Verantwortung. Wir werden darum auch gemeinsam nach Lösungen suchen müssen. Ich glaube, daß es eine wesentliche Aufgabe für die Zukunft sein wird, das föderative System in unserem Staate, das wir bejahen, in Einklang zu bringen mit den Notwendigkeiten, die sich wirtschafts-, währungs-, finanz- und konjunkturpolitisch ergeben, und das setzt natürlich voraus, das das Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden nicht nur atmosphärisch, sondern in den Zuständigkeiten eine gewisse Veränderung und Besserung erfährt. Ich stelle auch die Frage, ob die Aufstellung von Einjahreshaushaltsplänen unserer Situation noch angemessen ist. Finanzieren wir wirklich die großen staatspolitischen Aufgaben? Können wir mit bloßen Einjahreshaushalten den wirklichen staatspolitischen Bedürfnissen auf mittlere und längere Sicht noch gerecht werden? Sollen wir nicht die EinjahreshausBundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard halte zum mindesten in eine mehrjährige Haushaltsüberlegung einbetten, die von den Parlamenten ebenfalls zu beschließen wäre, wenn auch nicht im Sinne der Bewilligung entsprechend den jetzigen Haushaltsgesetzen? Solche mittel- und langfristige Überlegungen dürften natürlich ebenfalls nicht an der Trennungslinie zwischen Bund und Ländern zu Ende gehen. In zweiter Linie ist als Quelle der Übernachfrage die vornehmlich aus der Entwicklung der Löhne und Gehälter gespeiste Verbrauchernachfrage zu nennen. Bedenklicher noch als die Einkommens- und damit Nachfrageseite der für 1963 erwarteten Lohn- und Gehaltsbewegung ist deren Kostenseite. Der Wirtschaftsbericht stellt zu diesem Komplex als Leitlinie auf eine größere Mäßigung der Tarifparteien ab, indem er empfiehlt, daß Löhne und Gehälter im Jahre 1963 um nicht mehr als die Arbeitsproduktivität steigen sollen. Das ist etwa um 3 bis 31/2 %. Die Bundesregierung hat damit nicht grundsätzlich eine Koppelung der beiden Größen vorgeschlagen. Aber ich glaube, nach der Entwicklung der letzten Jahre, die unsere Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Licht zweifellos etwas verschlechtert hat, ist eine solche Empfehlung angebracht. Denn einer Steigerung der Lohn- und Gehaltsbezüge von 30 % in drei Jahren steht eine Produktivitätssteigerung pro Erwerbstätigen um nur 15 % gegenüber. Sicherlich kann man von den Gewerkschaften eine größere Zurückhaltung nur erwarten, wenn sie das Vertrauen haben, daß auch alle anderen an der Stabilisierung unserer wirtschaftlichen Entwicklung mitarbeiten und nicht eine einseitige Leistung von den Arbeitnehmern verlangt wird, die den anderen Gruppen dann zum Vorteil gereicht. ({10}) Der Wirtschaftsbericht mutet den Gewerkschaften nicht eine solche einseitige Leistung zu. Aber andererseits läßt er keinen Zweifel, daß auch von ihnen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen werden muß. Das gilt nicht nur für die aktuelle Situation, sondern ist ein allgemeines Problem bei der Vollbeschäftigung in allen Ländern. Die Vollbeschäftigung gibt dem einzelnen Arbeitnehmer schon eine bessere Marktstellung, als wenn er von schleichender Arbeitslosigkeit bedroht ist. Erst recht ist die Marktstellung der Gewerkschaften in der Vollbeschäftigung größer, wenn der Arbeitgeber vor die Wahl zwischen höheren Löhnen und dem Verlust seiner Arbeitskräfte gestellt ist. Daß unter Bedingungen der Vollbeschäftigung die Gewerkschaften anders handeln müssen als früher unter den Bedingungen akuter oder schleichender Arbeitslosigkeit, haben schon die Lehrmeister der Vollbeschäftigungstheorie und -politik ausgesprochen. Der kürzlich verstorbene Lord Beveridge, den niemand als einen Sozialreaktionär ansehen wird, hat das wie folgt ausgedrückt: Freiheiten müssen mit dem Gefühl der Verantwortung gepaart werden. Tariflohnverhandlungen sollten in der Vollbeschäftigung aufrechterhalten werden. Aber die Parteien müssen mit Verantwortung handeln und nicht danach streben, für ihre Gruppen eng begrenzte Vorteile zu erhaschen, sondern das dauernde Wohl der Gemeinschaft im Auge haben. So bei Beveridge in seinem Buch „Vollbeschäftigung in der freien Gesellschaft", Seite 18, nachzulesen. Daß im Wirtschaftsbericht erneut die Forderung nach einer maßvollen und der Gesamtheit nicht abträglichen Lohn- und Gehaltsentwicklung erhoben wird, ist auch auf dem Hintergrund der sehr starken Reallohnsteigerung in den letzten Jahren zu sehen und erscheint von da aus nicht unberechtigt. Gewiß haben die Unternehmergewinne in dem letzten großen Konjunkturaufstieg vom Frühjahr 1959 bis 1960 sehr stark zugenommen. Aber schon im Jahre 1961 bleiben sie bemerkenswert hinter der Lohnentwicklung zurück. Die nicht entnommenen Gewinne stiegen von 1959 auf 1960 noch um 18,9 %, gingen aber von 1960 auf 1961 um 15 % und von 1961 auf 1962 noch einmal um 18,4 % zurück. Aus dem Auftragseingang erkennen wir ganz deutlich die Schwäche der inneren Konjunktur, gerade was die Ausrüstungsinvestitionen anbelangt. Erst recht ist die Selbstfinanzierung von einschließlich 1961 ab wieder erheblich zusammengedrückt worden. Wenn die erwarteten Lohnerhöhungen, soweit sie den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs übersteigen, nicht oder nicht ganz auf die Preise weitergewälzt werden können, was gewiß unerwünscht ist, wird schließlich die Einengung des Finanzierungsspielraums für weitere Investitionen unser volkswirtschaftliches Wachstum, unsere Produktivität und unsere Wettbewerbsfähigkeit in Frage stellen. Von den Gewerkschaften - so sage ich noch einmal - wird nichts Unbilliges erwartet, wenn sie aufgefordert werden, hinsichtlich der Lohntarife und der Arbeitszeit den Erfordernissen der Stabilität Rechnung zu tragen. Die Regierung, die an sie die Anforderung richtet, sollte das Vertrauen der Gewerkschaften genießen. Das ist keine reaktionäre oder restaurative Regierung. Unsere Arbeitnehmer können sich nicht beklagen, in unserer Gesellschaft auf der Schattenseite zu stehen. ({11}) Was an wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt auf sie entfallen ist, brauchte auch nicht mühsam einer widerwilligen Regierung abgerungen zu werden. Insbesondere kann die Entwicklung und können die deutschen Verhältnisse jeden Vergleich mit dem uns benachbarten und vergleichbaren Ausland aushalten. Ich habe mich bemüht, Ihnen so leidenschaftslos wie möglich den Bericht vorzutragen, zu erläutern. Ich hoffe, daß auch die weiteren Beratungen von diesem Geist getragen sind. Dieser Wirtschaftsbericht stellt eine Art Zwischenlösung dar zwischen idem bisherigen Verfahren, wie es in verschiedenen konjunkturpolitischen Debatten, aber jedenfalls vereinzelt und nicht systematisiert geübt wurde, und der künftigen Regelung, nämlich der Konstituierung eines Sachverständigengremiums, das die Unterlagen, die Beleuchtungen beizubringen hat und dann der Regierung Maßstäbe an die Hand geben soll, damit sie mit der Vorlage an dieses Hohe Haus dann Entscheidungen herbeiführen kann. So gesehen stehen wir hier zwischen den Fronten. Ich bin auf Grund der bisherigen Beratungen hoffnungsvoll, daß die Fortschritte, die wir in bezug auf die Ausgestaltung und Orientierung dieses Sachverständigengremiums erzielt haben, eine baldige Beschlußfassung und Verabschiedung des Gesetzes durch dieses Hohe Haus möglich machen. Dann sind wir ein Stück weitergekommen in der Versachlichung unserer Arbeit, in der Befriedigung unserer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Die Zeit, die vor uns liegt, die Verhältnisse, die wir zu erwarten haben, die Sorgen, die vor uns stehen hinsichtlich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung unter dem Aspekt einer sich immer weiträumiger und immer enger integrierenden Welt, erfordern diese Gemeinsamkeit und diese gemeinsame Verantwortung des Handelns. ({12})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.

Dr. h. c. Kurt Schmücker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002040, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Etwa zehn Institutionen erstatten seit Jahren Berichte zur wirtschaftlichen Lage, Berichte, die Anspruch auf öffentlichen Rang haben. Diese Berichte sind naturgemäß mitbestimmt durch ) die Eigenart der jeweiligen Institute. So rückt die Bundesbank die monetären Fragen in den Vordergrund, und Berichte ides Finanzministeriums sehen zwangsläufig anders aus als die des Wirtschaftsministeriums. In anderen Berichten merken wir selbst die Besonderheiten regionaler Art, und den verbandsgebundenen Instituten kann man es selbstverständlich nicht verübeln, daß sie die Aspekte ihrer Träger stärker zur Geltung bringen. Ich habe diese Vielfalt nie bedauert. Nur muß man 'bei der jeweiligen Lektüre die Positionen der Verfasser berücksichtigen. Aber das gilt ja auch anderswo. Jedoch ist es selbstverständlich, daß wir angesichts dieser Vielfalt immer 'häufiger den Wunsch nach einer Art Obergutachten gehört haben, und diese Aufgabe soll der Wirtschaftsbericht übernehmen, der Wirtschaftsbericht, der erstmalig von der Bundesregierung erstellt worden ist und später vom Gutachtengremium erarbeitet werden soll. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt den ersten Wirtschaftsbericht der Bundesregierung als eine gute Analyse der Wirtschaftslage. Wir hoffen, daß die Anregungen nicht nur zu theoretischen Erörterungen verwendet werden, sondern auch konkrete Maßnahmen auslösen und daß die Wirtschaft - beide Partner der Wirtschaft, alle Teile der Wirtschaft - nicht an den Leitlinien vorbeigeht. Ich möchte einen Gedanken aufgreifen, den Herr Professor Erhard hier erwähnt hat. Es wird heute in der Tat sehr viel von Plänen gesprochen: volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Nationalbudget, Programmierung, Planifikation, und es entsteht die Gefahr der Überbewertung von Berichten und Plälien. Jeder, der eine solche Anmerkung macht, muß (4 sich gefallen lassen, daß man ihm vorwirft, er verstehe überhaupt nichts davon. Ich gehe diese Gefahr gern ein. Wir sind nicht so vermessen, von einem Wirtschaftsbericht einen exakten Fahrplan zu erwarten. Er kann nur Anhaltspunkte geben. 'Der Wirtschaftsablauf wird von so vielen täglich wechselnden Faktoren bestimmt, daß die Aufgaben der Wirtschaftspolitik ebenso stark in der immer wieder notwendig werdenden Anpassung wie in der Ausrichtung nach langfristigen Plänen liegt. Um es also ganz deutlich zu sagen: Beide Dinge müssen gleichberechtigt nebeneinandergestellt werden, und wer die Anpassung vernachlässigt oder, spitzer gesagt, wer durch Plänemacherei die 'Elastizität verliert, der sollte lieber die Finger davon lassen. Denn veraltete Pläne und Fehlrechnungen sind schlimmer als gar keine. Meine Damen und Herren, betrachten wir einmal den Lauf dieses Wirtschaftsberichts! Er ist im Winter erstellt worden. Er hat bis zur Verabschiedung einen Monat länger gebraucht, als wir erwartet hatten. Nun, diejenigen, die mit der Arbeit unmittelbar zu tun hatten, haben, glaube 'ich, einen Anspruch darauf, daß wir diese Zeitverzögerung respektieren. Aber auch wir haben in diesem Hause zwei Monate gebraucht, um zur Debatte zu kommen. Sicherlich, draußen haben wir sehr vieles gesagt. Aber die Geschäftslage des Hauses hat es nicht erlaubt, die Debatte früher durchzuführen. Ich sage das, weil diese Gefahr für alle Pläne besteht. Ich beziehe mach auf den vorhin gesagten Satz: Mir wäre es viel sympathischer, wenn die Wirtschaftsberichte künftig im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 'diskutiert würden; denn der Haushalt ist der konkreteste Beitrag des Bundes zur Wirtschaftspolitik. Im Haushalt wird die Probe auf das Exempel geliefert. Im Haushalt muß der Wahrheitsbeweis angetreten werden. Wir können heute - und Herr Professor Erhard hat das von einem Standpunkt aus mit Recht begrüßt - alle möglichen Fragen anpacken, ohne daß sogleich Farbe bekannt werden muß. Ich sage, das ist gut. Aber es ist besser, wenn man Theorie und Praxis vereint. Da ich gerade den Haushalt erwähnt habe, möchte ich darüber hinaus sagen: Wir werden auf die Dauer gar nicht darum herumkommen, daß sämtliche Gesetze, die eine Haushaltsauswirkung haben, dm Zusammenhang mit dem Haushalt verabschiedet werden; ({0}) denn bei der getrennten Beratung der vielen für sich gerechtfertigten Wünsche lehnt es jede Gruppe ganz natürlich ab, mit einer anderen verglichen zu werden. Man ist geradezu empört, wenn jemand es wagt, diesen Vergleich herzustellen. Bei einer geschlossenen Beratung tritt dieses Thema natürlicherweise ganz von selbst auf, und niemand kann darin eine Diffamierung sehen. Nun mag man sagen, diese Feststellung sei ein Gemeinplatz. Meine Damen und Herren, ich wollte, es wäre einer. In Wahrheit ist es eine bittere Klage. Wenn wir unsere Wirtschaft in den Griff bekommen wollen, müssen Parlament und Regierung auf Bundes- und Länderebene und müssen die Kommunalverwaltungen in der Haushaltspolitik mit gutem Beispiel vorangehen. ({1}) Dazu gehört, daß adle Gesetze mit Haushaltsauswirkung im Zusammenhang Mit idem Haushalt betrachtet werden und daß wir allgemeirne Debatten in eine möglichst große Nähe mit dem Haushalt bringen - und das ist ja auch hiergeschehen -, damit man nach den theoretischen Erörterungen - ich sage es nocheinmal - den Wahrheitsbeweis antreten kann. Ich meine damit alle Fraktionen dieses Hauses und schließe meine eigene Fraktion keineswegs aus, aber auch Sie nicht, meine Herren von 'der SPD; denn Sie haben in der Tat seit Jahr und Tag ein besonderes Geschick ,darin entwickelt, Sparsamkeit zu predigen unid Ausgabefreudigkeit zu praktizieren. ({2}) - Wollten Sie das etwa 'bestreiten? Soll ich Ihnen die Liste der Anträge vorliegen? Ich komme gleich auf einige Punkte. Wenn ich den Grundsatz einer einheitlichen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik hier noch einmal herausstelle, so deswegen, weil ich meine, daß wir in den Parlamentsdebatten den Grundsatzfragen den Vorranggeben sollten. Überall neigen die Experten 1- natürlich auch hier 'im Hause - zur Überbetonung der Details, und ein leerer Sitzungssaal ist meistens ein untrüglicher Beweis dafür, daß man zu stark in eine Detailberatung eingetreten ist. Insbesondere die Wirtschaftspolitiker sollten sich vor einem Perfektionismus hüten. Das .sage 'ich gerade zu dem Beitrag von Herrn Erhard 'zur Versachlichung der Politik, den ich sehr unterstreichen möchte. Aber niemand kann von uns 'erwarten, daß, wenn hier im Parlament zu sehr 'in die Einzelheiten gegangen wird, die politisch interessierte Öffentlichkeit aufmerksamer zuhört als wir selber. Meine Damen und Herren, es ist nicht allein damit getan, daß wir hier sehr gute und sehr gut vorbereitete Reden halten, sondern die Wirtschaft 'wickelt sich doch 'in der Mitbeteiligung unserer Bürger ab. Sie müssen es doch 'spüren, worum es geht. Wir müssen die Dinge so 'ansprechen, daß sie von ihnen nicht nur begriffen werden, sondern daß unsere Menschen mitgehen. Darum möchte ich hier noch einmal die ganz einfache Frage anschneiden, ob wir (angesichts der wirtschaftlichen Lage noch von einer Bewährung der sozialen Marktwirtschaft sprechen können oder ob wir genötigt sind, uns nach anderen Grundsätzen umzusehen. Ich stelle diese Frage gerade deswegen, weil sich alle Parteien dieses Hohen Hauses cum grano salis zu der sozialen Marktwirtschaft und auch zu dem Leistungswettbewerbbekennen. Aber, meine Damen und Herren, werden daraus, vorallem in der praktischen Arbeit draußen, die Konsequenzen gezogen? Ich bestreite das. Man bekennt sich theoretisch zu dieser sozialen Marktwirtschaft, ist aber in der Praxis nicht bereit, daraus nun auch die Schlußfolgerungen zu ziehen. ({3}) Die Zeiten sind natürlich lange vorbei, als der SPD-Vorsitzende unseren Freund Erhard fragte, wo er seine Kollegs geschwänzt habe, oder der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD meinte, das Wort „marktkonform" sei nicht mehr zeitkonform, und ich bin auch geneigt, einer Vielzahl von sozialdemokratischen Wirtschaftspolitikern zu glauben, daß sie den Sozialismus alter Prägung überwunden haben. „Einer Vielzahl" habe ich gesagt; wie viele oder wie wenige es sind, vermag ich nicht festzustellen. Aber wir werden ja in den nächsten Wochen zu diesem Thema noch einiges zu hören bekommen. Die Hundertjahrfeier mit dem Bekenntnis zu Lassalle, ausgesprochen von allen Vertretern der SPD, gibt immerhin die Möglichkeit zu interessanten Studien. ({4}) - Das wollen Sie doch nicht bestreiten?! Das ist doch ein Thema, über das wir uns auch einmal unterhalten dürfen. Wir sehen mit großem Interesse, wie Sie dieses schwierige Thema in Ihren kommenden Veranstaltungen bewältigen wollen. ({5}) - Sie sollten in Ihrem Urteil doch nicht so hart sein! Sie sind jedesmal bereit, wenn jemand eine andere Meinung vertritt, sofort 'die härteste Zensur zu erteilen, ({6}) und wenn Sie mal eine freundliche Anregung bekommen, die etwas kritisch ist, sind Sie empört. ({7}) - Wandeln Sie sich bitte auch im Punkt der Empfindlichkeit! ({8}) Ich würde Ihnen empfehlen, etwas unempfindlicher zu sein. ({9}) - Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen ja einige Beispiele, und Sie können konkret, wenn Sie wollen, darauf eingehen. Sie müssen es sich gefallen lassen, daß Ihnen gesagt wird, es genügt nicht, hier Opposition zu betreiben; denn Sie haben an vielen Punkten die Möglichkeit, den Wahrheitsbeweis anzutreten, und auf diese Punkte müssen wir Sie hinweisen. Sie sitzen doch in den reichsten 'deutschen Städten in den entscheidenden Ämtern. Sorgen Sie nun auch einmal dafür, daß im öffentlichen Leben die Reichen sich den Ärmeren gegenüber etwas solidarischer verhalten. ({10}) Tragen Sie doch etwas dazu bei, meine Damen und Herren! ({11}) Viele Ihrer sozialdemokratischen Kollegen - ({12}) - Winken Sie nicht ab! Das ist ein entscheidendes Problem, und wenn es so weitergeht, daß die reichen Städte nicht geneigt sind, sich mit den ärmeren Gemeinden zu vergleichen, dann weiß ich nicht, wie wir nicht nur die Wirtschaftspolitik, sondern auch überhaupt unser ganzes Gemeinschaftsleben wieder in den Griff bekommen wollen. ({13}) - Ich könnte Ihnen noch eine ganze Reihe von weiteren Beispielen nennen; aber ich möchte nicht, daß das, was ich noch sagen wollte, in Ihren freundlichen Zwischenrufen untergeht. Sie haben auch in Verbandspositionen so viele Möglichkeiten, den Wahrheitsbeweis für das Godesberger Programm anzutreten, und ich habe die herzliche Bitte, daß Sie sich darum genauso intensiv bemühen wie um theoretische Erörterungen. ({14}) Meine Damen und Herren, ich sagte vorhin schon, wir sollten uns bemühen, die wirtschaftspolitische Debatte so zu führen, daß sie eine spürbare Resonanz in der Bevölkerung hat. Denn der einzelne Bürger muß gerade die soziale Marktwirtschaft mit tragen. Wir sollten ganz simpel die Frage stellen, wie der Bürger die Wirtschaftspolitik spürt. Darauf kann man antworten: an seinem Einkommen, am Gehalt 'und an ,den Preisen. Jeder will möglichst viel verdienen und wenig bezahlen. Das ist sein gutes Recht. Alle Gespräche münden schließlich in die Frage nach der Stabilität der Währung. Nun möchte ich ganz kurz zu den einzelnen Faktoren, die unseren wirtschaftlichen Ablauf bestimmen, Stellung nehmen. Wir sind uns wohl darin einig: Kapital und Arbeit - Kapital im weitesten Sinne genommen -, beide Faktoren können erst durch eine unternehmerische Leistung wirksam werden. Darauf muß viel stärker hingewiesen werden. Wir haben nämlich draußen, vor allen Dingen bei regionalen Förderungsprogrammen, immer das Erlebnis, daß ,die Menschen glauben, man könne Arbeitskräfte einsetzen, man könne Kapital einsetzen, und dann sei alles fertig. Nein, die unternehmerische Leistung -damit meine ichkeineswegs nur die unternehmerische Leistung eines Selbständigen - ist so ,entscheidend wichtig, daß es dringend geboten ist, sie viel stärker in den Vordergrund der Debatte zu stellen. Wenn nämlich diese unternehmerische Leistung nicht erfüllt wird, werden wir einen wirtschaftlichen Fortschritt nicht durchsetzen können. Der Faktor Arbeit ist in dem Wirtschaftsbericht sehr ausführlich behandelt worden. Der Bericht weist auf die Problematik der Vollbeschäftigung hin. Ich darf sagen: diese Vollbeschäftigung ist unser Erfolg; denn Sie von der SPD haben uns ja die Millionen Arbeitsloser prophezeit. Wir wissen, daß ein Erfolg niemals paradiesische Zustände schafft, sondern neue Aufgaben mit sich bringt. Wir müssen mit diesen Aufgaben fertig werden. Meine Damen und Herren, damit gar kein Zweifel entsteht: wir bejahen diese Vollbeschäftigung und halten jeden - ich sage das so deutlich - für einen To- ( ren, der glaubt, er könne und müsse die Vollbeschäftigung durch eine bewußte Arbeitslosigkeit abläsen. Das halten wir für unmoralisch, wirtschaftlich dumm und fiskalisch gefährlich. Trotzdem müssen wir uns natürlich bemühen, die Reserven zu mobilisieren, die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt ein wenig aufzulockern. Da sollten wir die geringste, auch die schwächste Möglichkeit, die sich bietet, anfassen. Wir haben hier sehr häufig über die Rationalisierung gesprochen. Ich bestreite gar nicht - ich habe das auch in der Hawshaltsdebatte gesagt -, daß in vielen Fällen eine Rationalisierung angestrebt worden ist, man aber nicht zu dem Effekt gekommen ist, den man erwartet hat. Trotzdem läßt sich nicht bestreiten, daß wir durch eine Rationalisierung noch gewisse Reserven erfassen können. Mit dem zweiten knüpfe ich an die Debatte von heute morgen an. Ich bin ganz konziliant, auch zu dem Beitrag unserer Kollegin Frau Strobel. Ich bin der Meinung, daß es möglich ist, leinen besseren Einsatz der Arbeitskräfte durch die Arbeitsverwaltung, aber auch durch den Anreiz, den wir gesetzgeberisch bieten können, zu erreichen. Ich wollte hier an die Eingabe des Handels erinnern, der die Sozialversicherungsvorschriften für die Aushilfskräfte verbessern will. Das ist heute morgen auch von Ihrer Seite gesagt worden. Auch wenn es auf Kritik stößt, ich wiederhole es hier, meine Damen und Herren: wir brauchen die Möglichkeit, den Menschen auch bei kurzer Arbeit die Chance zu geben, Geld am Arbeitsmarkt zu verdienen. Dem Arbeitsmarkt kann auf diese Weise eine Auflockerung zuteil werden. Das nächste, was ich hier auch nur erwähnen möchte, weil es schon häufig gesagt, aber noch nicht durchgeführt worden ist, ist die stärkere Einschaltung der Selbständigen. Man kann natürlich nicht exakt feststellen, wie es bei ihnen um die Arbeitszeit und die Arbeitsleistung steht. Immerhin hat sich das Statistische Bundesamt einmal darum bemüht und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Selbständigen im Durchschnitt etwa 10 Stunden mehr arbeiten als die übrigen. Das ist kein Werturteil; die Selbständigen kommen gar nicht darum herum, sie müssen soviel arbeiten. Das müssen alle Führungskräfte. Ich sage noch einmal: es ist kein Werturteil! Wesentlich scheint mir zu sein, daß sie sich dem Arbeitsanfall anpassen. Es gibt weite Bereiche bis in die Verwaltung hinein, wo wir die Selbständigen stärker beteiligen können. Last not least möchte ich noch die Ausbildungsfrage erwähnen, um dann zu dem meistdiskutierten Problem zu kommen, der Tarifhoheit. Meine Damen und Herren, alle Parteien dieses Hauses haben bei den fleißigen gegenseitigen Besuchen dem DGB gegenüber ein Bekenntnis zur Tarifhoheit abgelegt, und das ist gut so. Wir haben uns in unserer Fraktion überlegt, ob es zweckmäßig ist, diese Frage im gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt zu erörtern. Wir gingen in unseren Überlegungen so weit, daß wir eventuell eine gewisse Vertagung dieser Debatte vorschlagen wollten, denn wir möchten auf keinen Fall, daß durch die gut geSchmücker meinten Äußerungen und die Darlegung der Pflichten der einzelnen die zur Zeit in harten Verhandlungen befindlichen Parteien so oder so - sagen wir einmal - verketzert oder bewegt werden, sich nicht vernünftig, sondern nach einem Prestige zu verhalten. Einige meinten, man dürfe nicht in ein schwebendes Verfahren eingreifen. Ich glaube, daß diese Denkkategorie hier nicht am Platze ist. Ich will mich also bemühen, mich so auszudrücken, daß keiner nachher sagen kann, man habe den gegenwärtigen Arbeitsstreit noch geschürt. Eins ist doch unbestritten; es ist so unbestritten, daß es fast ein Gemeinplatz ist, das hier zu sagen: daß die Tariffreiheit eine Verantwortung erfordert und daß Zwangsgesetze - Lohnstopp, Preisstopp und alle diese Dinge - gar keinen Sinn haben; es würde sofort ein grauer Markt entstehen. Ich will noch hinzufügen: selbst Tarifvereinbarungen, die an der Wirklichkeit vorbeigehen, werden vom Markt überspielt. Das ist häufig ein sehr gerechtfertigtes Argument, das von den Gewerkschaften ins Feld geführt wird. Wir können jedoch nicht daran vorbeigehen, aus diesen grundsätzlichen Feststellungen auch die Schlußfolgerungen zu ziehen: Die Freiheit der Tarifpartner ist Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft; beide bedingen sich gegenseitig. Wenn diese Gegenseitigkeit nicht beachtet wird, dann kann beides - sowohl die Tariffreiheit wie die soziale Marktwirtschaft - verlorengehen. Diese Verantwortung muß jeder spüren und beachten. Da ist es nach meiner Meinung nicht erlaubt, daß ich - sagen wir einmal - als Politiker die soziale Martwirtschaft fordere und verbandsmäßig nicht gewillt bin, die entsprechenden Bindungen und Verantwortlichkeiten zu übernehmen; das gilt für die eine wie für die andere Seite. ({15}) Man darf sich nicht wundern, wenn dann hin und wieder peinliche Fragen aufkommen. Dieser Zusammenhang ist nämlich so klar und so unwiderleglich, daß ihn jeder begreifen müßte. Wenn man ihm dennoch nicht folgt, dann muß man damit rechnen, daß die Absicht unterstellt wird, in der Tat diese Freiheiten zu beseitigen. Wir sollten immer wieder - auch in diesem Augenblick - an die Beteiligten den Appell richten, daß sie maßvoll sind. Von Gesetzes wegen können wir in eine Überprüfung des Tarifrechtes eintreten. Wir können überlegen, ob wir Spielregeln - das Wort ist Mode geworden - schaffen. Ich glaube, wir sind im konkreten Fall auch gehalten, unsere Stellungnahme zumindest besänftigend oder mit einer Bitte um eine maßvolle Regelung abzugeben. Meine Herren von der SPD, Sie kennen unsere Stellungnahme; vielleicht äußern Sie sich nachher auch einmal dazu. Ich habe viele Beiträge von Ihnen gelesen, in denen von der kritischen Situation insbesondere auf den Sektoren Eisen und Stahl, Textilien, Werften usw. die Rede ist. Herr Nevermann hat sich gestern auch schon geäußert. Man kann doch eine solche Argumentation nicht nur dann gebrauchen, wenn sie einem gerade nutzt, sondern man muß sie auch dann auf den Tisch legen, wenn sie einem ein wenig Unbequemlichkeiten macht. Kurzum, ich will alle Kollegen, die hier in diesem Hause sind, die Einfluß auf die eine oder auf die andere Seite haben, bitten, ihren Einfluß geltend zu machen, damit man hier zu einer maßvollen vernünftigen Regelung im Tarifstreit der Metallindustrie kommt. Darüber sind wir uns doch alle im klaren: wenn diese Entwicklung so weiterläuft, verlieren wir unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Wir kommen zu unerhörten Schwierigkeiten am Binnenmarkt; die Schwierigkeiten sind hier doch schon groß genug; nehmen Sie nur einmal das Verhältnis von Landwirtschaft und gewerblicher Wirtschaft. Wir stehen vor den Beratungen der sogenannten Kennedy-Runde. Alle möchten gern, daß hier Regelungen kommen, die den Weg für eine möglichste Freizügigkeit freigeben. Aber das können wir doch nur, wenn bei uns die Voraussetzungen intakt bleiben. Jeder ist nach meiner Meinung verpflichtet, an jeder Stelle dazu beizutragen, wo es ihm möglich ist. Niemand möge sich damit herausreden, daß er zwei oder drei verschiedene Funktionen hat; das ist so eine moderne Schizophrenie. Man kann nur eine Auffassung haben, und die muß man überall vertreten. ({16}) Ich möchte nun auch noch ein paar Worte zur Kapitalseite sagen. Die Kapitalausstattung der deutschen Wirtschaft, besonders verglichen mit den Vereinigten Staaten, aber auch innerhalb Europas, ist zu schwach. Ich bedauere es, daß im Wirtschaftsbericht darüber so wenig gesagt worden ist, und ich beklage es, daß wir in der gesamten Debatte so stur immer wieder nur auf den Arbeitsmarkt sehen, - als ob wir meinten, dort allein fielen die Entscheidungen. Den Zusammenhang zwischen Arbeits- und Kapitalmarkt spüren wir nicht nur in der Rationalisierung, den spüren wir an allen Ecken. Was an Auflockerung auf der Arbeitsseite nicht möglich ist, kann möglicherweise auf der Kapitalseite erzielt werden. Aber ich möchte mit besonderem Nachdruck darauf hinweisen, daß man bei Betrachtung der Kapitalseite nicht nur die Investitionen sehen darf, sondern auch das Umlaufvermögen sehen muß. Ich glaube, daß darin eine der entscheidenden Benachteiligungen der deutschen Wirtschaft, vor allem im internationalen Wettbewerb liegt. Wir sind nicht genügend beweglich. Das betrifft die Großwirtschaft genauso wie das mittelständische Gewerbe, genauso wie die Landwirtschaft. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß diese Debatten uns in allen Versammlungen wieder begegnen. Dann sagt der eine: „Mehr Kredite!", und der andere sagt: „Weniger Steuern!" Dann hebt sich das gegenseitig auf, und es passiert nichts. Meine Damen und Herren, wir müssen die Kapitalfrage stärker beachten. Dazu gehört natürlich auch, daß wir die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Geld- und Kapitalmarkt schärfer beobachten. Unstrittig ist, daß es bei den Wechselzinsen erhebliche Unterschiede gibt. Unstrittig ist auch, daß die internationale Verflechtung zu sehr unterschiedlichen und damit wettbewerbsverfälschenden Kosten, also Zinsbelastungen, geführt hat. Ich darf, nicht mit Schadenfreude, aber mit einiger Genugtuung darauf hinweisen, Herr Minister Erhard, daß bei der letzten Diskonterhöhung der Mittelstandskreis der CDU/ CSU es gewesen ist, der mit Nachdruck gegen diese Maßnahme protestiert hat, - sicherlich weil unsere eigenen Leute betroffen wurden, aber mehr noch, weil wir darauf hingewiesen haben, daß bei der heutigen internationalen Verflechtung Maßnahmen dieser Art gar nicht mehr wirksam werden können. Das sollte man in Zukunft stärker beachten. Zu der Frage der Kapitalkostenseite gehört natürlich auch die Steuergesetzgebung. Ich persönlich bin der Meinung, daß die Wirtschaftspolitik heute im wesentlichen in der Finanz- und Steuerpolitik entschieden wird. Ich wies vorhin schon darauf hin, daß die mangelhafte Kapitalbildung in unseren Betrieben das entscheidende Handikap im internationalen Wettbewerb, aber auch im innerdeutschen Wettbewerb ist und sehr viele Wettbewerbsverzerrungen hervorruft. Es ist notwendig, gerade auch im Hinblick auf die Verlautbarungen von Herrn Möller - ich weiß natürlich nicht, ob sie von dpa richtig wiedergegeben sind -, darauf hinzuweisen, daß eine Steuererhöhung, die die Investitionstätigkeit, aber auch das Umlaufvermögen einschränkt, für unsere Wirtschaft und die fiskalischen Möglichkeiten tödlich sein kann. ({17}) Es hat keinen Sinn, hier einfach die Menschen anzusprechen und ihnen vorzugaukeln: „Die Unternehmer verdienen heute soundso viel", wenn man ihnen nicht gleichzeitig sagt, wieviel wieder investiert wird. Ich bin mit den meisten Kollegen dieses Hauses darüber einig, daß es möglich sein muß, den überluxuriösen Verbrauch härter anzufassen. Aber auf keinen Fall darf die Kapitalbildung weder beim einfachen Bürger noch beim Großunternehmen beschränkt werden. Wir müssen dafür sorgen, daß die Kapitalbildung nicht nur für die Investitionen, ich wiederhole es, sondern auch für das Umlaufvermögen nicht nur weiterhin möglich ist, nein, ich meine sogar, noch verstärkt wird. In diesen Zusammenhang gehört eine breite Eigentumsstreuung, wie wir sie begonnen haben und trotz der fiskalischen Schwierigkeiten, verstärkt fortsetzen müssen. Meine Damen und Herren, wir haben heute einen Wirtschaftsbericht zu diskutieren. Ich sagte vorhin schon, es wäre besser, er würde im Zusammenhang mit dem Haushalt besprochen, weil man dann das, was man theoretisch anführt, auch konkret unter Beweis stellen müßte. Einer der Kollegen meinte, diese Wirtschafitsdebatte sei eine Haushaltsdebatte ohne Haushalt. Wir haben ja in 14 Tagen, soviel ich weiß, den Haushalt zu behandeln. Im vorhinein sind schon etliche Kritiken mitgeteilt worden; das ist gut für die Teilnehmer an der Debatte; die können sich einstellen. Eines aber muß hier, glaube ich, Übereinstimmung mit dem, was Sie, Herr Minister Erhard, gesagt haben, immer wieder herausgestellt werden, daß nämlich die Koodinierung der Baumaßnahmen dringend notwendig ist, die Koordinierung nicht nur innerhalb ides Bundes, sondern zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Der Herr Verteidigungsminister ist leider nicht da. Das ist ganz natürlich; denn die Verteidigung interessiert sich nicht so sehr für wirtschaftliche Fragen. Ich stelle das ganz einfach fest und nehme das gar nicht übel. Aber die Verteidigung löst so viele wirtschaftliche Probleme aus, daß man auch hier eine Koordinierung mit der Wirtschaftspolitik verlangen muß. Ich persönlich habe es begrüßt, daß die Bauverwaltung bei der Kabinettsumbildung dem Schatzministerium zurückgegeben werden sollte, damit die Bundesbauten von einer Stelle aus gelenkt werden können. ({18}) Denn es geht nicht an, daß allein durch die Baumaßnahmen des Bundes schon örtlich eine Überhitzung eintritt. Erst wenn der Bund selbst seine eigenen Maßnahmen koordiniert, kann er füglicherweise eine Koordinierung der Länder und der Gemeinden verlangen. ({19}) - Ach, Herr Schäfer, ich weiß, Sie sind immer sehr voreilig. Mir ist z. B. bekannt, daß die beiden beteiligten Ressortminister gestern abend über diese Frage gesprochen haben und sich bemühen werden, hier zu einer Einigung zu kommen. Ich bin davon überzeugt - und das entspricht auch der Forderung meiner Fraktion -, daß man sich einigen wird. Meine Damen und Herren, wir müssen bei der Haushaltspolitik, überhaupt bei der kommenden Gestaltung der Wirtschaftspolitik viel stärker den Haushalt in den Vordergrund bringen. Ich stimme mit Herrn Minister Erhard darin überein, daß die nächste Phase der Politik entscheidend bestimmt wird von der Gestaltung der Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Die vernünftige Gestaltung der Haushalte ist das entscheidende konjunkturpolitische Mittel, das wir in der Hand haben. Das muß auf allen Ebenen - inzwischen spricht man ja nicht mehr von der öffentlichen Hand, sondern von .den öffentlichen Händen -, also bei allen öffentlichen Händen erreicht werden. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie werden doch nicht bestreiten, daß Sie hier eine ganz enorme Möglichkeit der Mitwirkung haben, weil Sie in einigen Ländern regieren und vor allem in sehr vielen - ich wiederhole - reichen Städten zu sagen haben. ({20}) Ich möchte zum Schluß noch kurz die Strukturpolitik erwähnen. Ich hoffe, daß die mangelhafte Erwähnung im Wirtschaftsbericht nicht ein Zeichen dafür ist, daß man die Bedeutung der Strukturpolitik nicht kennt. Wir haben von Herrn Lücke gehört, daß er ein Raumordnungsgesetz vorschlägt. Ich weiß. nicht, ob das der richtige Weg ist. Entscheidend aber ist bei dieser Frage, daß alle Beteiligten, lich sage noch einmal: Bund, Länder und Gemeinden, den ernsten Willen haben, zusammenzuarbeiten. Zur wirtschaftsrechtlichen Seite sei noch betont, daß wir uns - sagen Wir -etwas widerstrebend damit abgefunden haben, daß die Konzentrationsenquete uns im nächsten Winter vorgelegt werden soll, so daß wir sie im Frühjahr - hoffentlich erlaubt das die Geschäftslage des Hauses - beraten können. Wir begrüßen es - hoffentlichstimmt die Meldung -, daß die Bundesregierung auch eine Bankenenquete angeordnet hat. Wenn uns diese Ergebnisse vorliegen, müssen wir in eine gründliche Überprüfung des Wirtschaftsrechts, und hier meine ich insbesondere das Kartellrecht, eintreten. Wir müssen die Verhandlungien in der Weise führen, daß wir die Verhältnisse in der Europäischen Wirschaftsgemelinschaft mit berücksichtigen können. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß folgendes nagen, auch wenn das ein Gemeinplatz sein sollte! Es ist notwendig, daß wir die Debatte sachlich führen; es ist aber rauch notwendig, so zu diskutieren, daß uns die Menschen draußen verstehen. Es ist ferner notwendig, daß wir den politischen Willen höher stellen als irgendwelche Gesetzes- oder Verwaltungsmaßnahmen. Ich glaube, daß die soziale Marktwirtschaft nur durchführbar ist, wenn alle, die für dieses Prinzip eintreten, auch in ihrem persönlichen Verhalten den Wahrheitsbeweis dafür antreten. Wir nehmen den Appell des Wirtschaftsberichts als einen Appell an uns alle auf, durch unser eigenes Verhalten dazu beizutragen, daß die wirtschaftliche Entwicklung in gesunden Bahnen weitergeführt werden kann und daß sie nicht in eine inflationäre Entwicklung ausartet, unter der wir alle zu leiden hätten. Der nächste Redner ist, soviel ich weiß, der Herr Kollege Dr. Deist von der SPD. Ich .weiß, Herr Kollege Deist, Sie haben den Brauch, mit einigen Zensuren 'zu beginnen. Ich bitte gar nicht um Nachsicht. Ich möchte keine zu gute Zensur haben; das ist gefährlich. ({21}) Aber bei all Ihrer Beredsamkeit und Ihrer Zitierlust, Herr Kollege Deist, nehmen Sie doch bitte auch zu einigen Vorschlägen ganz konkret Stellung! Dann hat die Debatte einen Sinn gehabt. ({22})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.

Dr. Heinrich Deist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000367, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht in die Fußtapfen meines Vorredners treten und mit Zensuren nach links und rechts beginnen. ({0}) Allerdings, Herr Schmücker, scheint es mir richtig zu sein, daß man in einer parlamentarischen Auseinandersetzung, insbesondere wenn es sich um ein Dokument handelt, das ja auch von Ihnen irgendwie als Ansatzpunkt zur Bewältigung neuer, auf uns zukommender Probleme gedacht ist, sehr ernsthaft diskutiert und sich bemüht, in gemeinsamer Arbeit festzustellen: Was bietet die Vorlage, die uns hier gegeben worden ist, an Gutem, und was bietet sie an Dingen, mit denen wir uns kritisch auseinandersetzen müssen und die verbessert werden müssen? Ich möchte annehmen, daß Sie eine solche parlamentarisch gebotene Auseinandersetzung nicht unter die Rubrik Zensurenverteilung bringen wollen, sondern daß Sie die Auseinandersetzung mit einem solchen Dokument als eine angemessene Methode anerkennen. Darum möchte ich im Hinblick auf die herbe Kritik, die in der gesamten Offentlichkeit an diesem Wirtschaftsbericht geübt wurde und der ich einiges hinzuzufügen habe, zunächst einmal etwas über die Bedeutung des Wirtschaftsberichts sagen. Ich meine, daß das Positive, das in diesem Ansatzpunkt zu sehen ist, nicht in der Debatte untergehen sollte. Wir verzeichnen es mit Genugtuung, daß zum erstenmal ein solcher Wirtschaftsbericht vorgelegt worden ist, der uns die Möglichkeit gibt, an Hand einer Gesamtschau über die Grundlagen der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu diskutieren. Wir begrüßen das insbesondere deshalb, weil wir uns seit 7 Jahren bemühen, die Bundesregierung zu veranlassen, ein solches Dokument vorzulegen. Die Damen und Herren, die damals dem Bundestag angehörten, wissen, daß wir im Jahre 1956 einen Gesetzentwurf zur Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums eingebracht haben, der sowohl die Frage der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als auch die Frage von Vorausschauen und die Errichtung eines Sachverständigengremiums zur Debatte stellte. Leider hat das keinen Erfolg gehabt, und leider haben auch entsprechende Vorschläge, die der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums in den Jahren 1954 und 1956 gemacht hat, keinen Anklang im Wirtschaftsministerium und bei der Bundesregierung gefunden. Das liegt sicherlich daran, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister gegenüber solchen Problemen etwas zurückhaltend ist und, wie Herr Professor Krelle es einmal ausdrückte, gerne eine etwas „freihändige" Wirtschaftspolitik liebt - und nicht so sehr die sorgsame Arbeit der Architekten und Baumeister, die ja auch freischaffende Menschen sind und die deshalb vielleicht doch ein Vorbild sein sollten für die, die am Aufbau unserer deutschen Wirtschaft arbeiten. Um die Dinge gerecht zu verteilen, muß ich allerdings hinzufügen: Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zweimal einen schüchternen Ansatz zur Schaffung eines solchen Konjunkturrates oder wissenschaftlichen Rates gemacht. Und ich muß zugeben, daß diese Ansätze vom Herrn Bundeskanzler zerschlagen worden sind. Insgesamt ist jedenfalls aus all diesen Dingen nichts geworden. Wir begrüßen es - und wir begrüßen es ehrlich -, daß uns nunmehr erstmals ein solches wirtschaftspolitisches Dokument vorliegt, das die Möglichkeit zu einer ernsthaften Diskussion gibt. Dann möchte ich noch ein zweites sagen. Dieser Wirtschaftsbericht leidet an einem gewissen Zwie3348 spalt. Das, was an Zahlenmaterial gegeben ist, das quantitative Material - das wird jeder bestätigen, der es ernsthaft angeschaut hat -, ist eine hervorragende und saubere Arbeit. Es ist nur zu bedauern, daß der verbale Text des Berichts, insbesondere soweit er sich mit der Prognose befaßt, keineswegs auf derselben Höhe steht, ja, wie ich noch nachzuweisen versuchen werden, in vielen Dingen einfach nicht aus den quantitativen Feststellungen zu erklären ist. Es ist schon erstaunlich, was jetzt aus dem Bundeswirtschaftsministerium an quantitativem Material zur Gesamtrechnung und zur Vorausschau hervorgebracht worden ist. Ich möchte sagen: Die Architekten im Hause scheinen hier ihrem Herrn und Meister einige Ellen vorausgewesen zu sein. Immerhin, das ist eine gute Sache, und wir entnehmen daraus die Erkenntnis, daß wir bereits heute, wenn auch noch nicht über völlig zulängliches, so doch über ausbaufähiges Material verfügen, das uns ein ausreichendes Instrument für eine genügende Durchleuchtung der wirtschaftlichen Lage und der wirtschaftlichen Entwicklungstendenzen aufbauen läßt, und daß es möglich ist, auch bei uns in Deutschland fundierte Aussagen über voraussichtliche Entwicklungen zu machen. Das sind zwei Dinge, die wir festhalten sollten, weil sie das Positive an diesen Vorgängen sind. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dann in seinen Ausführungen einige neue Akzente zu den Leitlinien gesetzt. Zu den vielen anderen sind zwei neue Leitbilder gekommen. Ein Leitbild über eine zukünftige Finanzreform, bei der die Gemeinden ein besonders wohlwollendes Interesse fanden. Nur überlege ich mir: Wer regiert eigentlich hier in Deutschland seit 12, 13 Jahren? Wer ist hier eigentlich Bundeskanzler, wer Vizekanzler und seit wann haben wir die Zusage des Bundeskanzlers, nun werde endlich eine Finanzreform durchgeführt? An. wem liegt es eigentlich, daß der Beschluß dieses Bundestages, zur Erörterung dieser Finanzreform eine Sachverständigenkommission einzusetzen, seit anderthalb Jahren einfach nicht vorwärtskommt? ({1}) Das sind doch etwas billige Deklamationen, und ich möchte mich mit diesem Fragenkomplex eigentlich erst befassen, wenn nicht nur unverbindliche Erklärungen, sondern wirkliche Fakten, Vorschläge der Bundesregierung vorliegen. So lange sind Deklamationen ohne allzu großen Wert. Dasselbe gilt für die Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministers zur Budgetgestaltung. So neu ist das ja wohl nicht. Wir waren immer der Auffassung, daß für den Aufbau der Infrastruktur und die langfristigen öffentlichen Investitionsvorhaben mehrjährige Haushaltspläne aufgestellt werden müssen. Aber wer legt denn die Haushaltspläne hier vor, wer legt denn die Gesetzentwürfe vor, und wer hat denn hier die Mehrheit? Was sollen uns solche Deklamationen? ({2}) Herr Schmücker hat dann in dieselbe Kerbe geschlagen. Er hat über Finanzen und Steuern gesprochen, obwohl wir eigentlich über den Wirtschaftsbericht sprechen sollten. Ich will mich darum nur ganz kurz damit befassen, Herr Kollege Schmücker. Sehen Sie, es ist schon etwas schwierig, über eine Gesamtvorstellung von Steuerpolitik, wie sie unser Kollege Möller vorgetragen hat, an Hand einer Zeitungsnotiz - Sie haben es selber zugegeben - hier im Rahmen einer ganz anders gearteten Debatte mit einigen Schlenkern einige Bemerkungen zu machen. Das ist furchtbar einfach, aber nicht sehr fruchtbar; vielleicht fruchtbar für den niedersächsischen Wahlkampf - das kann ich nicht sagen -, ({3}) aber für die Sache bringt uns das nicht wesentlich weiter. Herr Schmücker, wir wissen selber zu genau, daß die Kapitalbildung der Wirtschaft ein wichtiges Problem ist. Nur machen wir es uns nicht so einfach wie Sie. Wir wissen nämlich, daß das in der Wirtschaft sehr verschieden liegt und daß die Frage der Kapitalbildung für mittlere und kleinere Unternehmen ein viel schwierigeres und viel bedeutsameres Problem ist als z. B. für die Großunternehmen, die Kapitalgesellschaften mit ihren Selbstfinanzierungsmöglichkeiten. Darum hilft es uns nichts, daß gesagt wird: „Die Vermögensteuer ist viel zu hoch" und „Es darf keine größere Steuerbelastung geben" ; das Problem ist vielmehr, ob wir nicht gerade der Kapitalbildung bei mittleren und kleineren Unternehmen durch eine gerechtere Verteilung der Steuern helfen können. ({4}) Sehen ,Sie, Herr Schmücker, das ist unsere Aufgabe: nicht global über alle möglichen Dinge zu reden, sondern konkret zu sagen, welche Schwierigkeiten und welche gezielten Maßnahmen es gibt. ({5}) Vielleicht, Herr Kollege Schmücker, wollten Sie damit nur über etwas hinwegsprechen: darüber, daß die Finanzreform, in der das nämlich alles geregelt werden müßte, unter der Ägide ihrer Regierung einfach nicht vom Fleck kommt. ({6}) In dieses Kapitel gehören auch Ihre unvorsichtigen Bemerkungen über die armen und reichen Gemeinden. Ich weiß nicht, worauf Sie hinaus wollen. Einen freiwilligen Ausgleich zwischen großen und kleinen, reichen und armen Gemeinden? Das ist ja wohl eine törichte Vorstellung, die ich Ihnen nicht zumuten möchte. ({7}) Herr Kollege Schmücker, wenn man schon so leichthin über die Gemeinden redet, dann darf man nicht vergessen, daß sogar die reichen Gemeinden einen ungeheuren Rückstand an Gemeinschaftsaufgaben haben, ({8}) der aufgeholt werden muß, um eines sozialen und gesunden Lebens bei uns in Deutschland willen. ({9}) Auch das mündet wieder in die Frage einer grundlegenden Finanzreform. In dieses Kapitel, Herr Schmücker, gehören nicht nur die reichen und die armen Gemeinden, sondern auch die reichen Länder und die armen Länder. Sie sollten sich in Ihrem Lande Niedersachsen einmal über dieses Problem der armen und der reichen Länder unterhalten; dann würden Sie sehr schnell feststellen, daß alles das, was Sie über angeblich reiche Gemeinden erzählt haben, zutrifft für ein großes reiches Land mit der Hauptstadt Düsseldorf, das unter CDU-Leitung steht. Alles das sollten Sie berücksichtigen, wenn Sie so leichthin von Reichen und Armen in Deutschland sprechen. Herr Kollege Schmücker, wenn Sie schon den Wirtschaftsbericht der Bundesregierung zu solchen beiläufigen Bemerkungen - die aus bestimmten Gründen ganz interessant sein mögen - benutzen, dann müssen Sie sich bieten lassen, daß hierauf etwas eingegangen wird, zumindest eingangs; Sie können sich darauf verlassen, daß ich mich dadurch nicht davon ablenken lassen werde, das Thema selbst zu behandeln. Nun möchte ich aber noch eine andere Bemerkung machen, Herr Schmücker. Wenn eine Partei ein hundertjähriges Jubiläum feiert, dann ist das vielleicht eine für das gesamte deutsche Volk wichtige Sache, ganz gleich, welche Partei das sein möge. In der Demokratie haben die Parteien eine große, große Aufgabe. ({10}) - Die Art der Behandlung, die Sie diesem Problem haben angedeihen lassen, zeugt nicht von einem ausreichenden Geschichtsbewußtsein, das jeder tragen sollte, der weiß, was die Geschichte und die Vergangenheit für ein großes Volk bedeutet. ({11}) Ihre besondere Bemerkung über Lassalle, Herr Schmücker, scheint mir zu zeigen, daß Sie auch nicht einen Hauch von dem verstanden haben, was gerade Lassalle für die deutsche Arbeiterbewegung und damit für die deutsche Geschichte bedeutet hat. ({12}) Damit möchte ich wieder zum Thema zurückkommen, das uns heute hier gestellt ist. Gestatten Sie mir zunächst einige allgemeine Bemerkungen. Im Wirtschaftsbericht ist davon gesprochen worden, daß sich die Bedingungen und Voraussetzungen für das künftige Wirtschaftswachstum gewandelt haben. Das ist sicher richtig. Vielleicht darf ich darauf hinweisen, daß das Bruttosozialprodukt in den Jahren 1950 bis 1955 um 9 % real gestiegen ist. Jetzt befinden wir uns in einer Periode, in der wir nur mit einem wesentlich niedrigeren normalen Zuwachs des Bruttosozialprodukts real zu rechnen haben. Im letzten Jahr sind es etwas über 4 % gewesen. Im Jahre 1963 werden es 3,5 bis 4 % sein. Die einzige Konsequenz, die die Bundesregierung daraus in ihrem Bericht gezogen hat, ist, daß die engeren Grenzen für die weitere Wohlstandsausweitung damit klar geworden sind. Das heißt: jetzt kommen auf die sieben fetten Jahre die sieben mageren Jahre. Wir müssen den Riemen enger schnallen. Das ist ein unabwendbares Fatum. Ich glaube, bei einer solchen Debatte sollte man sich darüber klar sein, daß das Jahr 1963 nicht einfach die Fortsetzung der Entwicklung der vergangenen Jahre ist. Die erste Nachkriegsperiode der deutschen Wirtschaft geht zu Ende. Damit zeigen sich deutlich große, ernsthafte Strukturwandlungen in unserer Wirtschaft. Das Wirtschaftswachstum stützt sich heute nicht mehr so sehr und kann sich nicht mehr so sehr stützen auf eine Vermehrung der Arbeitskräfte und auf die Erhöhung des Kapitaleinsatzes. Entscheidend wird in der Zukunft vielmehr die Qualität der Arbeitskräfte, die technische Forschung und Entwicklung und damit alles das sein, was mit Bildung, Wissenschaft und Forschung zusammenhängt. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die wir für die Beurteilung der zukünftigen Wirtschaftsentwicklung zugrunde legen müssen. Damit hängt zusammen, daß die Elastizität des Angebots in starkem Umfang nicht eng bestimmt ist durch die sachliche Begrenzung der Produktionsmittel, sondern von der Produktivitätsentwicklung und von der Mobilität der Arbeitskräfte abhängt. Hinzu kommt, daß der Wohlstand in Zukunft nicht mehr so sehr nur gemessen werden kann an dem materiellen Wohlsein des einzelnen, sondern daß es darauf ankommt, die großen Gemeinschaftsaufgaben zu erfüllen. Das sind aktuelle wirtschaftspolitische Probleme. In dem Bericht finden sich nur einige schüchterne Hinweise darauf, gemischt mit einer großen Skepsis. Kein Hauch davon, daß hier eine neue Form von Wirtschaftspolitik angebrochen ist. Diese Haltung ist sehr negativ, sie ist sehr fatalistisch. Man findet sich ab mit dem, was ist. Wir sollten aber wissen, daß Wirtschaft nicht Schicksal ist, sondern daß wir in der Lage sind, sie zu gestalten, und daß der Wirtschaftsbericht der Bundesregierung ein Dokument dieses Gestaltungswillens sein sollte. Eine zweite Bemerkung. Dieser Wirtschaftsbericht ist von einer merkwürdigen einseitigen Sicht getragen. Der Bundeskanzler hat am 9. Oktober 1962 bei der Ankündigung des Wirtschaftsberichtes gesagt, die Bundesregierung wolle Leitlinien aufstellen, die das Verhalten aller regeln sollten, die Ansprüche an das Sozialprodukt stellten. Im Wirtschaftsbericht selbst heißt es unter Nr. 34, die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe sei, alles zu tun, um die Ansprüche an das Sozialprodukt auf das Maß zurückzuführen, das mit der Aufrechterhaltung der Preisstabilität vereinbar sei. Mir scheint, daß hier ein grundlegender Fehler vorliegt, daß man die Zusammenhänge in der Wirtschaft wie eine Kausalreihe sieht, die einseitig von der Entwicklung der Nachfrage abhängt, und daß man übersieht, daß es vielfältige Wechselbeziehungen zwischen der Beschäftigung, dem Angebot an Arbeitnehmern, der Produktivität, der Lohnentwicklung, der Nachfrage3350 entwicklung und der Preisentwicklung gibt. Das ist ein vielfältiges Gebilde. Es ist viel zu einfach, davon auszugehen, daß die Ansprüche an das Sozialprodukt das Regulativ für die Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung seien. Bei der Betrachtung von Angebot und Nachfrage dürfen wir das Angebot nicht außer acht lassen. Das ist im Bericht der Bundesregierung theoretisch geschehen. Aber folgendes ist an diesem Bericht bemerkenswert. Im Vordergrund stehen Klagen darüber, daß zuwenig Arbeitskräfte zur Verfügung stünden und daß daher die Arbeitszeitverkürzung den Spielraum der Arbeit vermindere; nichts davon, wie positiv eine solche Entwicklung der Arbeitszeit auch zu betrachten ist, wie stark sie zu einer Fluktuation, zur Mobilität der Arbeitskräfte beiträgt, wie wichtig der Zwang zum technischen Fortschritt ist, der damit ausgelöst ist, und daß diese Anpassung der Arbeitszeit an die modernen Verhältnisse auch eine soziale Tat ist. Davon keine Spur in diesem Wirtschaftsbericht! Ein Zweites. In diesem Wirtschaftsbericht wird über den Rückgang der volkswirtschaftlichen Produktivität gesprochen, und es werden globale Jahreszahlen von 6,5 % im Jahre 1960 über 4 % im Jahre 1961 auf 3 % volkswirtschaftlichen Produktivitätszuwachs im Jahre 1962 angegeben. Dabei wird völlig übersehen, daß es sich hier keineswegs um stetigen Ablauf handelt, sondern daß wir z. B. im Jahre 1962 eine sehr starke Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktivität zu verzeichnen haben. Je Erwerbstätigenstunde hat sich der volkswirtschaftliche Produktivitätszuwachs z. B. im Jahre 1962 von 3 % im ersten Quartal auf 5,5 % im vierten Quartal erhöht. Das heißt, wir haben es nicht mit einem ständigen Absinken, sondern mit einer sehr flexiblen Wirtschaft zu tun. Ein Drittes. Der Herr Bundeswirtschaftsminister schreibt in seinem Bericht, die Angebotssteigerung sei allgemein begrenzt. Dabei war die Elastizität des Angebots in den Jahren 1961/62 geradezu erstaunlich. Vom ersten Halbjahr 1961 bis zum Winterhalbjahr 1961/62 hatten wir einen Rückgang der Expansionsrate und daher einen Rückgang des realen Wachstums von 7 auf 3 %. Aber im zweiten Halbjahr 1962, also innerhalb eines halben Jahres, wuchs die Zuwachsrate des Verbrauchs ganz gewaltig, und das reale Wachstum betrug mehr als 5 %. So flexibel ist die moderne Wirtschaft. Da darf man nicht davon sprechen, daß die Angebotssteigerung allgemein begrenzt sei. Darum ist es eben nicht die einzige Lösung, immer wieder auf die Arbeitszeitverkürzung und ihre notwendige Bremsung hinzuweisen. Es gibt sehr vielfältige Quellen der wirtschaftlichen Entwicklung und sehr viele Möglichkeiten, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Der Bericht der Bundesregierung steht unter der Zwangsvorstellung einer allgemeinen Übernachfrage. Infolgedessen steht im Zentrum die Frage, wie man den Nachfrageanstieg begrenzen kann. Daher die ganze restriktive Haltung dieses Wirtschaftsberichtes, dessen entscheidende Vorschläge sind: Drosselung der öffentlichen Ausgaben, Drosselung .der Löhne und Gehälter, Drosselung der Bauwirtschaft durch Baustopp. Eine solche Sicht verengt den Blick für die Vielfalt der Wirtschaft und für die Vielfalt der wirtschaftspolitischen Möglichkeiten. Sie bringt uns geradezu in einen wirtschaftspolitischen Fatalismus und einen wirtschaftspolitischen Attentismus, von dem dieser Bericht gekennzeichnet ist. ({13}) - Sie haben die Möglichkeit, in der Diskussion auf vermeintliche Widersprüche hinzuweisen, und ich werde mich dann mit Ihnen auseinandersetzen. Dann eine dritte allgemeine Bemerkung! Der Bericht leidet unter einer allzu globalen Betrachtung und einer allzu globalen Beurteilung einer Wirtschaft, die im einzelnen außerordentlich differenziert ist. Wir haben doch nicht eine überbeschäftigte Wirtschaft, sondern wir haben eine Wirtschaft, in der - jedenfalls bis zum Ende des vergangenen Jahres - ein einziger Zweig wirklich überschäumte an Beschäftigung; das war die Bauwirtschaft. Wir hatten dann ein sehr starkes wirtschaftliches Wachstum in der Mineralölwirtschaft, in der Chemie, in den Fahrzeugbetrieben, in der Kunststoffverarbeitung und dergleichen. Wir hatten andere Bereiche, in denen die Entwicklung normal war; dazu gehörten z. B. fast alle Verbrauchsgüterindustrien. Wir hatten schließlich einige Zweige, die sich sehr schwach entwickelten; das waren Teile des Maschinenbaus, Teile der Elektroindustrie und die Eisen- und Stahlindustrie, in der mit Einschränkungen gearbeitet wird. Darum scheint mir wichtig zu sein, als Ausgangspunkt für Betrachtungen, wie sie in einem solchen Wirtschaftsbericht gemacht werden müssen, zugrunde zu legen, daß Konjunkturpolitik heute im großen Umfang Strukturpolitik sein muß und daß es darauf ankommt, nicht nur Globalmaßnahmen, sondern gezielte Maßnahmen in den Vordergrund zu stellen. Wenn man das nämlich nicht tut, wenn man zu lange meint, mit Globalmaßnahmen auskommen, auf gezielte Wirtschaftspolitik verzichten zu können, dann ist man letzten Endes gezwungen, so dirigistisch einzugreifen, wie das die Bundesregierung heute in der Bauwirtschaft tut. Eine vierte Bemerkung, die an die Aufrichtigkeit dieser Berichterstattung rührt! Der Tenor des Berichtes ist, alle Ansprüche an das Sozialprodukt sollten auf die reale Zuwachsrate hin geordnet werden, und für die öffentliche Hand heißt es in Ziffer 40: Die Steigerung der Gesamtausgaben der öffentlichen Hand, also derjenigen des Bundes, der Länder und Gemeinden muß in dieser Entwicklungsphase an der zu erwartenden Steigerung des realen Sozialprodukts orientiert werden.... diese Forderung ({14}) 1963 mit Nachdruck erhoben werden. Meine Damen und Herren, die Rechnung der Bundesregierung aber geht von einem Zuwachs der öffentlichen Ausgaben von 9 % aus. Wer unsere HausDr. Deist haltsberatungen kennt, der weiß, daß, jedenfalls auf den Bund bezogen, die Ausgabensteigerung unter Führung der Bundesregierung und unter Zustimmung der Bundestagsmehrheit wahrscheinlich eher auf einen Betrag über 9 % als unter 9 % gelangen wird. Auch der Herr Bundeskanzler hat am 9. Oktober 1962 von einer Stabilisierung des Haushalts gesprochen, und zwar in einem Augenblick, in dem der Staatsverbrauch von 11 % im ersten Halbjahr 1962 auf 17 % im zweiten Halbjahr 1962 gestiegen war. Es ist etwas schwierig, an die Aufrichtigkeit solch maßvoller Formulierungen zu glauben, wenn sie im selben Augenblick durch die Fakten widerlegt werden. ({15}) - Die Steigerung steht zunächst einmal in den Vorschlägen der Bundesregierung. ({16}) - Zunächst einmal hat die Bundesregierung die Vorschläge gemacht. Ich spreche ja nur davon, ob Behauptungen der Bundesregierung in ihrem Wirtschaftsbericht und das, was sie wirklich tut, so auseinanderklaffen dürfen oder nicht. ({17}) - Ich spreche von dem Zwiespalt zwischen dem, was die Bundesregierung tut, und dem, was sie in solchen Berichten sagt. ({18}) - Jedenfalls ist soviel sicher: wir würden nicht so zwiespältig reden. ({19}) Meine Damen und Herren, dann komme ich auf die Unternehmerinvestitionen. Sie haben im Jahre 1962 uni 10 % zugenommen. Nach der Vorausschau werden sie fin diesem Jahr um 7 % zunehmen. Um auch hier nicht mißverstanden zu werden, muß ich sagen: Ich bin der Auffassung, daß in der labilen Zeit, in der wir leben, eine Einengung dieser Investitionen nicht stattfinden darf. Nur darf dann auch die Bundesregierung in ihrem Bericht nicht so tun, als wenn sich alle, die Ansprüche an das Wirtschaftsprodukt stellen, auf 3 oder 3 1/2 % zu beschränken hätten. Dann kommt als einzige Gruppe, bei der diese Forderung ernst genommen wird, die Gruppe der Arbeitnehmer. Da heißt es: Bei einer sorgfältigen Prüfung der bei Abfassung dieses Berichts erkennbaren Entwicklungen und Möglichkeiten sollte die Steigerung der Lohn- und Gehaltssumme je Beschäftigten über den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt je Erwerbstätigen keinesfalls hinausgehen. Dieser wird für 1963 . . . auf 3 bis 3 1/2 % geschätzt.... Bei der gegebenen Datenkonstellation ist nicht nur zu befürchten, daß jedes Überschreiten dieses Rahmens zu Schädigungen der Gesamtwirtschaft führen wird; derartige Schädigungen werden vielmehr mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreten. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich um Prüfung, ob das nicht eine sehr, sehr einseitige Darstellung ist. Auf der einen Seite wird gesagt, alle müßten Sich auf den Zuwachs des Sozialprodukts beschränken. Dann läßt man für die öffentliche Hand 10 % zu, berechnet für die Unternehmungen 7 %, und den Arbeitnehmern sagt man: Ihr habt euch mit 3 bis 31/2 % zu begnügen! Meine Damen und Herren, das grenzt an Irreführung der öffentlichen Meinung. ({20}) Wenn Sie Disziplin von anderen verlangen, müssen Sie zunächst einmal bei sich selber Disziplin halten. ({21}) Wenn Sie verlangen, daß Vertrauen zu einer solchen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung besteht oder entsteht, dann müssen Sie alle Karten, auch die eigenen, offen auf den Tisch legen. ({22}) Der Mißbrauch dieses Wirtschaftsberichts zu einer solchen Meinungsmanipulation entwertet die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft eines solchen Dokuments. Meine Damen und Herren, eine fünfte allgemeine Feststellung. Der Wirtschaftsbericht soll ein Instrument der Wirtschaftspolitik sein. Er ist nicht allein ein Produkt wissenschaftlicher Arbeit, er ist nicht nur für Propaganda bestimmt, sondern er soll die Grundlage für Wirtschaftspolitik - idas heißt ja wohl: auch für die wirtschaftspolitischen Instanzen des Bundes, auch für die Bundesregierung - sein. In Ziffer 5 des Wirtschaftsberichts heißt es auch: Die Ergebnisse sollen deutlich machen, ob, in welchem Ausmaß und in welcher Richtung eine besondere staatliche Aktivität . . . notwendig erscheint, . . . Das einzige Kapitel, das in diesem Wirtschaftsbericht fehlt, ist jenes Kapitel, das von der staatlichen Aktivität im eigenen staatlichen Raum handelt. Da gibt es nur unverbindliche Ratschläge an andere, kein Wort über die Ziele der Bundesregierung, kein Wort über die Maßnahmen, die die Bundesregierung in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich ergreifen will. Meine Damen und Herren, das ist nicht nur meine Auffassung. In den Mitteilungen der Industrie- und Handelskammer in Dortmund schreibt Herr Dr. Jungermann: Es fehlt das vierte Kapitel, in dem nicht von der Verantwortung der anderen, sondern von der eigenen Verantwortung zu sprechen gewesen wäre.... Es fehlt das vierte Kapitel, in dem zu sagen wäre, was sie - die Wirtschaftspolitik - zu tun gedenkt. In dem Punkt, bei dem es sich darum handelt, ob wir hier nur eine quasi-wissenschaftliche Arbeit oder ein entscheidendes wirtschaftspolitisches Dokument vor uns haben, muß leider Fehlanzeige erstattet werden. Daraus erklärt sich auch das allgemeine Unbehagen, das in der gesamten Öffentlichkeit hinsichtlich dieses Wirtschaftsberichts besteht. Ich hoffe, Sie sind sich über diese Reaktion der Öffentlichkeit nicht im unklaren, sonst könnte ich mit einigen Zitaten aus der Presse von links bis rechts dazu dienen. Aber vielleicht ist es nicht uninteressant, daß die Europäische Wirtschaftskommission in ihrem ersten Quartalsbericht für 1963, der gerade erschienen ist, davon spricht, daß im Bericht der Bundesregierung leider keine konkreten Maßnahmen oder Aktionen angedeutet seien; „die tatsächliche Politik möglichst schnell mit den Zielsetzungen in Übereinstimmung zu bringen, wäre nun wichtig". Das ist in dem Quartalsbericht der Europäischen Wirtschaftskommission zu lesen, und vielleicht ist das für manchen überzeugender, als wenn ich es sagte. So erklärt sich auch das allgemeine Unbehagen, das Sie in der ganzen deutschen Öffentlichkeit wegen der Passivität finden, die aus dem Wirtschaftsbericht der Bundesregierung spricht. Ich brauche nicht alle Zeitungsnotizen anzuführen; aber lassen Sie mich eine erwähnen, die im „Volkswirt" vom 15. Februar 1963 erschienen ist. Da heißt es: Wirtschaftspolitisch führen heißt jedoch nicht predigen. Die Führung bedarf schon klarer Vorstellungen über Ziele und Methoden, wohlgemerkt, konkreter Ziele, nicht allein philosophisch-ethischer Postulate. So der „Volkswirt" und nicht etwa ein Mitglied der Opposition dieses Bundestages. Herr Schmücker hat, fürchte ich, dem Bericht keinen besonderen Gefallen getan, als er versuchte, ihn abzuwerten und in die Reihe der vielen sonstigen Konjunkturberichte und anderer Gutachten zu stellen. ({23}) - Nicht so heftig! Herr Schmücker, lassen Sie mich in aller Ruhe darauf antworten. Ich hatte gemeint - ich bin ganz vorsichtig; ich will Ihnen nicht zu nahe treten -, diesen Ton aus Ihren Ausführungen herauszuhören. Wenn Sie mir sagen, das sei entweder nicht gewollt oder nicht geschehen, dann bin ich gern bereit, das zu akzeptieren und daran keine weitere Kritik zu knüpfen. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister sollte es sich überlegen, ob es richtig ist, bei einem solchen Dokument davon zu sprechen, daß es mit Absicht keine konkreten Maßnahmen enthalte, weil man eine ruhige Betrachtung der Lage, jedoch keine leidenschaftlichen Auseinandersetzungen wünsche. Meine Damen und Herren, zur Politik gehört leider nicht nur eine ruhige Betrachtung dessen, was ist, sondern dazu gehören, wenn sie wirklich echt sein soll, auch leidenschaftliche Auseinandersetzungen. Darum sollte man ein solches Dokument nicht abwerten, sondern ein solcher erster Wirtschaftsbericht als Grundlage der Wirtschaftspolitik sollte eigentlich, wenn wir ein gesundes politisches Leben haben, Anlaß zu leidenschaftlichen Auseinandersetzungen geben. Damit komme ich zu einigen zentralen Problemen, zunächst zur Beschäftigungslage. Die Beschäftigungslage in der deutschen Wirtschaft ist außerordentlich differenziert, und wir sollten nicht so tun, als hätten wir in der deutschen Wirtschaft im wesentlichen eine Überbeschäftigung. Wir haben einige Bereiche, die überbeschäftigt sind; wir haben viele Bereiche, die normal beschäftigt sind; und wir haben sogar einige Bereiche, die unterbeschäftigt sind. Lassen Sie mich dazu zwei Beispiele nennen. Die Bauwirtschaft ist zweifellos überhitzt. Aber vielleicht soll man gegenüber Übertreibungen, die üblich sind, eines hinzufügen. Der Wohnungsbau hat im Jahre 1956 43 % der gesamten Bauproduktion ausgemacht, im Jahre 1962 dagegen nur noch 36 %. Auch das sollte man beachten, wenn man immer davon spricht, daß der Wohnungsbau der Überhitzungsfaktor sei. ({24}) Sicherlich haben wir, ganz gleich, woran das liegen mag, auf dem Gebiete der Bauwirtschaft Spannungen, und wir haben uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Frage ist nur, ob wir wirklich wieder ,nur restriktiv vorgehen sollen, daß wir nur nach der Nachfrage schauen und dann zu dem merkwürdigen Mittel des Baustopps greifen, der doch, weiß Gott, nicht so recht in eine freiheitliche Wirtschaft hineinpaßt. Oder sollten wir nicht vielmehr überlegen, ob von der Seite des Angebots, der Bauleistung, nicht auch einiges geschehen kann? ({25}) - Moment mal, ich kann doch nicht alles auf einmal sagen. Vielleicht gibt es uns zu denken, daß die Bauproduktion im Tiefbau vom Jahre 1956 bis 1961 um 70% gestiegen ist, die Bauproduktion im Hochbau aber nur um 30%. Vielleicht ist zu überlegen, ob wir das wirklich einfach als Faktum hinnehmen müssen oder ob es nicht auch im Hochbau Möglichkeiten der Rationalisierung und Modernisierung gibt. Ich möchte anerkennen, daß der Herr Bundeswohnungsbauminister sich seit zwei Jahren mit diesem Problem befaßt. Er kommt aber offenbar in diesem Kabinett mit seinen Überlegungen kein einziges Stück vorwärts. In Frankreich und Schweden werden etwa 50 % der Bauten aus fertigen Teilen erstellt. In anderen Ländern hat der Fertigbau einen Anteil von etwa 10 % bis 20 %, in Deutschland macht der Anteil der Bauproduktion mit Fertigbauteilen 2 % aus. ({26}) - Ja, meinen Sie, daß man immer darauf warten muß? Meinen Sie nicht, .daß ein moderner Staat die Aufgabe hat, Anreize zu der Entwicklung einer solchen modernen Bauweise zu geben, wie das alle anderen demokratischen Staaten auch tun? Die Bundesregierung lehnt das theoretisch ja nicht einmal ab. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom Oktober 1962 gesagt, die ReDr. Deist gierung erwäge Schritte zur Förderung des Fertigbaus. Das Schlimme ist nur, daß bei dieser Bundesregierung auf diesem Gebiete überhaupt nichts geschieht. ({27}) - Aber natürlich! Würden Sie mir sagen, was die Bundesregierung effektiv auf dem Gebiete der Förderung 'des Fertigbaus getan hat, ob sie Erleichterungen bei den Abschreibungen, ob sie Steuererleichterungen gewährt hat? ({28}) - Es werden leider keine Fabriken gebaut. Die Bundesregierung kann zwar viele andere Dinge anregen und fördern, bloß anscheinend nicht auf dem Gebiete der Bauwirtschaft. Hier ist ihre Aufgabe, die Ansatzpunkte für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung zu geben. Sie sollten doch die Regierung und den modernen Staat nicht zu einem solchen Nachtwächterstaat herabwürdigen, wie Sie das hier zu tun versuchen. ({29}) Auf dem Gebiete der Steuerpolitik, sogar auf dem Gebiete der Beeinflussung der öffentlichen Meinung - hier wäre ein erfolgversprechendes Gebiet für Seelenmassage, Herr Bundeswirtschaftsminister - könnte man etwas tun, um die Lethargie, die bei uns in Deutschland auf diesem Sektor herrscht, endlich einmal zu beseitigen. Auch das ist die Aufgabe einer aktiven Regierung. Meine Damen und Herren, das ist ein Gebiet, auf dem wir der Überhitzung durch eine Steigerung des Angebots beikommen könnten. Nun will ich ein Gebiet von der anderen Seite als Beispiel nehmen, nämlich die Eisen- und Stahlindustrie. In dem Wirtschaftsbericht der Bundesregierung wird theoretisch gesagt, manche Bereiche seien mangels Nachfrage nicht ausgenutzt. Aber es wird nichts davon gesagt, welche Möglichkeiten hier eigentlich für die Wirtschaftspolitik bestehen, eine Produktionssteigerung anzuregen. Die eisenschaffende Industrie bestreitet 5 % unserer industriellen Produktion, sie hat also eine zentrale Stellung. Wenn sie heute unterbeschäftigt ist, dann liegt das an der gesamten Entwicklung des Beschäftigungsvolumens in der verarbeitenden Industrie. Wir wissen aber, daß da sehr stark Phasenverschiebungen eine Rolle spielen. Hier wäre es doch eine Aufgabe der öffentlichen Unternehmungen - der Bundesbahn, der Veba, der Viag -, zurückgestellte Aufträge endlich einmal an die Bisen- und Stahlindustrie zu geben; so könnte der Wagen- oder Lokomotivpark unserer Eisenbahnen modernisiert und damit den von der augenblicklichen Entwicklung benachteiligten Gruppen der Wirtschaft - hier der Eisen- und Stahlindustrie - Möglichkeiten zu einer stärkeren Beschäftigung gegeben werden. ({30}) Das ist aktive Wirtschaftspolitik, die eigentlich von der Bundesregierung betrieben werden müßte. Ich will gar nicht davon sprechen, daß, wenn die Bundesregierung auf dem Gebiet der Werften etwas früher aktiv geworden wäre, wir dann vielleicht eine bessere Beschäftigung der Werften und damit auch eine größere Auftragserteilung an die Eisen-und Stahlindustrie von hier aus gehabt hätten. Ich meine, auch beim Röhrenembargo hätten man sich überlegen müssen, ob die außenpolitischen Argumentationen nicht allzu fadenscheinig sind, ({31}) und man hätte nicht übersehen sollen, eine wie wichtige Aufgabe der Wirtschaftspolitik mit zur Diskussion stand. Hier bestehen Möglichkeiten zu einer aktiven gezielten Wirtschaftspolitik, die bei uns in keiner Weise ausgenutzt werden. - Das ist das erste Kapitel. Lassen Sie mich einiges zu den Investitionen sagen. Zu dem Gebiet der Investitionen kann der Bericht natürlich nicht sagen, daß wir eine allgemeine Übernachfrage hätten; im Gegenteil. Aber es ist doch die Frage, ob wir dem Zweckpessimismus folgen müssen, der von der Bundesregierung im Hinblick auf die Investitionstätigkeit gezeigt wird, und ob auf diesem Gebiet wirklich solche Gefahren vorliegen, wie sie hier geschildert werden. Die Anlageinvestitionen der deutschen Wirtschaft sind im Jahre 1962 immerhin um 10 % gestiegen, und für das Jahr 1963 rechnen wir mit einer Steigerung der Anlageinvestitionen um 7 %. Wir wissen auch, daß sich zum Jahresende die Löhne allmählich abgeflacht haben. Wir wissen aus allen wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen, daß sich die Gewinnlage der Unternehmungen - Gott sei Dank, sage ich - allmählich ein klein wenig zu bessern beginnt. Hier zeigt sich also, daß sich bereits ein Wechsel in der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung anbahnt. In einer solchen Situation, die, wie ich gern zugebe, außerordentlich labil ist und daher sehr vorsichtig beurteilt und behandelt werden muß, ist der Zweckpessimismus der Bundesregierung die größte Gefahr. Wenn die Bundesregierung wirtschaftspolitische Vorsorge treffen würde - durch steuerliche Anreize, eigene Investitionsprogramme und dergleichen mehr -, würde sie wahrscheinlich durch diese Vorsorge effektive Eingriffe vermeiden, aber einen Impuls für eine Verbesserung der Lage gerade der Investitionsgüterindustrie geben. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, dafür Maßnahmen vorzubereiten. Vielleicht ist es nicht ganz uninteressant, darauf hinzuweisen, daß von der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft den fünf Regierungen der Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ein Dokument zugeleitet wurde, das von ihnen verlangt, solche vorbereitende Maßnahmen gegen eine Abschwächung der wirtschaftlichen Tätigkeit zu treffen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinrich Deist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000367, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen Moment bitte. - Diese prophylaktische Tätigkeit ist ein wichtiges Element jeder modernen Wirtschaftspolitik; aber von dieser wirtschaftspolitischen Vorsorge ist in dem Wirtschaftsbericht der Bundesregierung leider kaum die Rede. Bitte sehr, Herr Burgbacher.

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Deist, Sie haben wiederholt gesagt, daß der Bericht von Pessimismus spreche. Haben Sie den Satz auf Seite 11 nicht gelesen, der lautet; Die Ergebnisse der Vorausschau verbieten einen Konjunkturpessimismus. Wenn Sie ihn gelesen haben, worauf stützen Sie Ihre Meinung?

Dr. Heinrich Deist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000367, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe den Satz gelesen. Aber es kommt nicht auf einen Satz, sondern es kommt auf den ganzen Inhalt des Berichts an. Ich bin im Augenblick dabei, im einzelnen darzulegen, wie wenig die Bundesregierung darauf vertraut, daß durch eigene Maßnahmen Ansatzpunkte für eine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung und für eine Überwindung von Tälern geschaffen werden können. Alles, was sie vorbereitet, kumuliert vielmehr in dem Satz: „Einschränken, einschränken, einschränken!" Ich habe das vorhin im einzelnen dargelegt. Herr Burgbacher, wenn Sie diesen Bericht einmal durchlesen, werden Sie spüren, wie widersprüchlich er im ganzen ist, wie er sich bemüht, in Worten vielseitig seine Gunst zu verteilen, und wie dann, wenn Hinweise gegeben werden und wenn es um die Aktivität der Bundesregierung geht, eine ganz einseitige Betrachtungsweise Platz greift. Lassen Sie mich ein paar Worte zum Außenhandel sagen. Auch auf diesem Gebiet verfolgt die Bundesregierung in ihrem Bericht einen Zweckpessimismus, der in keiner Weise angebracht ist. Wir haben jahrelang Milliarden-Überschüsse in der deutschen Außenwirtschaftsbilanz gehabt, und wir haben sehr darüber geklagt, weil diese übergroßen Überschüsse eine außerordentliche Belastung unserer wirtschaftlichen Entwicklung waren. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat ja die D-Mark-Aufwertung gerade damit begründet, es komme darauf an, Einfuhren und Ausfuhren in ein einigermaßen verträgliches Verhältnis zu bringen. Ich .will jetzt über diese Maßnahme nicht rechten. Ich will nur sagen: der Effekt war, daß der Außenhandelsüberschuß, der im Jahre 1961 6,8 Milliarden DM betrug, im Jahre 1962 auf 3,7 Milliarden DM abgesunken ist. Ich möchte meinen - das ist auch im Wirtschaftsbericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers angedeutet -, daß darin im Prinzip ein Normalisierungsprozeß zu sehen ist. In dem Bericht wird im übrigen der Eindruck erweckt, als ob es sich um einen schweren Einbruch handle, der die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt entscheidend zu beeinträchtigen drohe. Vielleicht ist es doch wichtig, gegenüber dieser Meinung, die durch den Bericht hervorgerufen wird, auf vier Tatsachen hinzuweisen. Die erste: wir haben im Jahre 1962 tatsächlich eine sehr hohe Einfuhr gehabt, aber sie war zum Teil auf die schlechte Ernte bei den Nahrungsmitteln und auf sehr hohe Auslandsbezüge von Rüstungsgütern zurückzuführen. Ein zweites! Die Entwicklung unseres Exports nach Abnahmegebieten ist außerordentlich interessant. Im gesamten hat sich unser Export im Jahre 1962 etwa um 4 % vermehrt. Aber der Export in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist um 11 % gestiegen, der Export in die Vereinigten Staaten von Amerika ist um 12 % gestiegen, der Export in die EFTA ist nur um 2 % gestiegen, und der Export in die überseeischen Gebiete ist um 8 % gesunken. Das ist ein wichtiges Kapitel. Es kann also nicht etwa von einer gefährlichen allgemeinen Absenkung die Rede sein, sondern wir müssen feststellen, daß der Export in einzelne Gebiete sehr stark steigt und in andere Gebiete - wie z. B. in die EFTA - in gefährlicher Weise sinkt. In dem letzten Monatsbericht des Bundeswirtschaftsministers vom 1. April wird ausführlich dargelegt, daß der Auftragseingang aus dem Ausland erfreulicherweise recht günstig sei und daß vor allen Dingen im Februar 1962 der Auftragseingang an Investitionsgütern um 18 % gestiegen sei. Ich sage das alles nur, um zu einer realistischen Beurteilung der Außenhandelssituation beizutragen. Nun eine letzte Feststellung! Der Anteil der deutschen Ausfuhr am Weltexport ist von 1958 bis zum Jahre 1962 nicht etwa gesunken, wie man nach den üblichen Unkenrufen annehmen könnte, sondern er ist von 9,2 % auf 10,8 % gestiegen. Auch im Jahre 1962 ist der Anteil der deutschen Ausfuhr am Weltexport noch von 10,7 % auf 10,8 % angewachsen. Also, meine Damen und Herren, irgendwie kann es wohl nicht ganz stimmen, daß unser Außenhandel unter der inländischen Kosteninflation, unter der Lohnentwicklung leide. Unser Außenhandel, unsere Ausfuhr sind glücklicherweise doch recht wettbewerbsfähig, und wir haben unseren Anteil am Außenhandel der Welt in den letzten Jahren stetig steigern können. Das wollte ich nur sagen, um die Akzente richtig zu setzen. Wichtig erscheint mir, daß wir unseren Außenhandel genauestens beobachten müssen, daß die Lage auf den Auslandsmärkten außerordentlich labil ist und unsere größte Aufmerksamkeit erfordert. Aber dann ist es völlig falsch, in politischer Blindheit den Blick in die falsche Richtung zu lenken, als wenn die Lohn- und Kostenentwicklung die Ausfuhr erschwere, und uns damit den Blick dafür zu vernebeln, daß es sich hier vielmehr um die Frage der Gestaltung der europäischen Politik handelt, einmal des Verhältnisses der EWG zur EFTA, d. h. um die gesamteuropäische Entwicklung, zum anderen, um die Politik gegenüber den Entwicklungsländern, damit nicht alles an Kapitalkraft, was in diese Länder fließt, durch die Senkung der Ausfuhren dieser GeDr. Deist biete wieder zunichte gemacht wird. Es kommt hier darauf an, daß wir die Gelegenheit des Appells Kennedys zu einer weltweiten Besserung der Welthandelsbeziehungen nutzen, um diese Schwierigkeiten zu überwinden. Da sollten wir auch ein klein wenig überlegen, ob unsere Ausfuhrpolitik insgesamt gesehen diesen modernen, neuen Erkenntnissen noch ganz angemesesn ist. Hier nützt aber kein Zweckpessimismus, daß unsere Kostenlage die Ausfuhr erschwere, sondern es gehört eine ganz realistische Erkenntnis der Lage auf unseren Außenhandelsmärkten und eine aktive Außenhandelspolitik dazu. ({0}) - Die Kosten spielen natürlich eine Rolle. Ich habe Ihnen nur gesagt, daß wir offenbar im Wettbewerb durchaus mithalten können und daß unser Anteil am Welthandel sich im letzten Jahr sogar noch gesteigert hat. Das ist doch wohl ein Beweis dafür, daß Probleme des Welthandels und unseres Außenhandels nicht so einseitig unter dem Gesichtspunkt der Löhne und Kosten beurteilt werden können. Wenige Worte zur Preisentwicklung. Der Wirtschaftsbericht stellt zutreffend fest, Zielsetzung und Ergebnis unserer Preispolitik klaffen weit auseinander. Die Tatsachen sind wirklich erschütternd. Die Lebenshaltungskosten sind im Jahre 1962 um 3,5 % gestiegen. Im Februar 1963 lagen sie um 5 % über denen des Vorjahres, und für 1963 veranschlagt die Vorschau der Bundesregierung eine weitere Preiserhöhung um insgesamt etwa 2 bis 3 %. Unter Ziffer 34 des Berichts des Herrn Bundeswirtschaftsministers wird deutlich gesagt, daß Erhaltung der Preisstabilität die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe der Bundesregierung sei. Ich frage mich aber, meine Damen und Herren: Wo finden wir eigentlich lin dem ganzen Wirtschaftsbericht der Bundesregierung eine einzige wirtschaftspolitische Maßnahme zur Preisstabilisierung außer guten Ratschlägen an viele andere Beteiligte? Bitte, eigene wirtschaftspolitische Maßnahmen der Bundesregierung! Ich will nicht selber als Zeuge auftreten. In der „Zeit" hat Hermann Riedel dazu geschrieben: Die Erhaltung der Preisstabilität wird als ein Hauptziel der deutschen Wirtschaftspolitik akzeptiert, und doch prognostiziert idas Bundeswirtschaftsministerium in seinem Plan, daß die Preise 1963 um 2 bis 2,5 % steigen werden. Wie man zu dieser Feststellung kommt, ist nurschwer erklärlich. Entweder ist es eine Bankrotterklärung aller bisherigen und künftigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen oder es ist einfach eine Prognose ohne ökonomische Logik. Über preispolitische Maßnahmen, d. h. über Maßnahmen der Bundesregierung zur Sicherung der Preisstablilität, wird in .diesem ganzen Bericht nicht ein einziges Wort verloren. Aber, Herr Atzenroth, Sie halben recht: Gedanken darüber hat man sich auch in dem Bericht gemacht. Diese Geldanken gehen 'in zwei Richtungen. Man sagt einmal: die Nachfrage ist zu hoch, vor allem die private Nachfrage, angeheizt durch die Löhne, unid dadurch - durch überreiche Nachfrage - steigen ständig die Preise. Nur allmählich ist die Wissenschaft zu der Überzeugung gekommen, daß hier verhältnismäßig geringe Zusammenhänge bestehen unid daß die Preissteigerungen weitgehend verhältnismäßig konstant bleiben, unabhängig davon, wie sich Angebot unid Nachfrage entwickeln. Wir hatten Zeiten starker Preissteigerung, während sich zur gleichen Zeit die Nachfrage nur ganz gering ausweitete, und wir hatten Zeiten einer starken Nachfrageausweitung, während die Preissteigerungen nur ganz gering waren. Auf dem Gebiet, auf dem wir die stärksten Preissteigerungen haben, haben wir eigentlich die starrste Nachfrage, z. B. bei den Mieten, bei Getreide, bei Lebensmitteln und dergleichen mehr. ({1}) - Bitte, ich habe gesagt: Lebensmittel, Ernährungsgüter, Mieten usw. Das ist doch immerhin ein merkwürdiges Zeichen. Es scheint doch nicht ganz so einfach, daß die Preisentwicklung von der Nachfrage bestimmt wird. Hier sind vielmehr viel, viel kompliziertere Tatbestände zu beachten. Das halt die neuere Literatur unid hat auch der Bericht der Bundesregierung gesehen. Die Bundesregierung führt daher ergänzend an, daß ein Teil der Preise durch die Kosteninflation bedingt sei, daß nämlich die Löhne so gestiegen seien, daß sie nunmehr die Preise in die Höhe trieben. Sicherlich, die Löhne sind in der deutschen Industriewirtschaft am stärksten gestiegen, insbesondere im Jahre 1962. Nur sind die Preise für die Industrieerzeugnisse in diesem Jahre kaum, nämlich nur um 1 %, gestiegen. Die Preissteigerungen zeigten sich weit entfernt von den Erzeugermärkten, auf denen sich diese Löhne auswirken, nämlich auf den Verbrauchermärkten. Das zeigt doch sehr deutlich, daß eine solche enge Beziehung - ich leugne nicht jede Beziehung, sondern spreche von enger Beziehung - zwischen Löhnen und Preisen nicht besteht und daß die Dinge viel, viel komplizierter sind. Ich finde, daß das Europäische Parlament einen Beitrag zu einer etwas sachlicheren Beurteilung der Zusammenhänge zwischen Kosten und Preisen geliefert hat. Es hat einstimmig - also mit Zustimmung Ihrer Freunde, meine Damen und Herren - eine Entschließung angenommen, in der es heißt: Das Parlament erwartet von der EWG-Kommission eine Bestandsaufnahme und eine Bewertung a) der verschiedenen Arten der geführten Lohnpolitik, b) der Bedeutung der Nachfrage nach Investitionsgütern, c) der Auswirkungen oligopolistischer Marktstrukturen, - und jetzt kommt die Begründung: da sich das Europäische Parlament erst dann ein Bild über die zentralen Ursachen der Preissteigerung machen und gegebenenfalls Vorstellungen über eine Neuorientierung der Lohn-und Preisbildungspolitik entwickeln kann. Meine Damen und Herren, mir scheint, daß eine solche Untersuchung die Voraussetzungen zu einer sachlichen Erörterung des Problems schaffen kann. Man darf nicht immer so einseitig auf die Löhne starren, wie das bei uns in Deutschland heute der Fall ist. Vielleicht darf ich auf folgende zwei Tatsachen hinweisen, die für die Preisentwicklung von entscheidender Bedeutung sind. In der letzten Zeit sind die Preise der Ernährungsgüter sowie die Bahn- und Postgebühren, die Mieten und die Preise für den Hausbrand gestiegen. Das sind alles Dinge, die mit der Lohnentwicklung verhältnismäßig wenig zu tun haben; aber die Preissteigerungen, die mehr als 50 % der Lebenshaltungskosten ausmachen, - ({2}) - Die Ernährungskosten, die Kosten für Bahn und Post, die Beförderungskosten, die Mieten und die Kosten für den Hausbrand machen sicherlich mehr als 50 % der Lebenshaltungskosten aus. ({3}) - Wenn ich Preissteigerung gesagt habe, habe ich mich versprochen. Ich meinte, daß bei diesen Gruppen, die mehr als 50 % der Lebenshaltungskosten ausmachen, entscheidende Preissteigerungen eingetreten sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich ein Zitat aus diesem Wirtschaftsbericht bringen, das sehr aufschlußreich ist: Preissenkungen in Bereichen mit überdurchschnittlichem Produktionsfortschritt sind zum Ausgleich für unvermeidbare Preiserhöhungen in Zweigen mit geringer Rationalisierungsmöglichkeit notwendig, wenn das gesamte Preisniveau nicht weiter steigen soll. Das ist wirklich die Kardinalfrage, die hier gestellt ist: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dafür zu sorgen, daß in diesen Bereichen, wo wir große Rationalisierungsfortschritte haben, die notwendigen Preissenkungen erfolgen? Das ist zugleich die Frage der Kartellpolitik, das ist die Frage der Preisbindung zweiter Hand, über die wir so viel gehört haben und um die es auf einmal so furchtbar still geworden ist, das ist die Frage der Kartellpolitik gegenüber marktbeherrschenden Unternehmungen, das ist die Frage der Monopolkommission zur Offenlegung der Verhältnisse in den monopolisierten Bereichen, das ist die Frage des Preisrates, um in die Preisentwicklung hineinzuleuchten. Meine Damen und Herren, Sie können die eine oder andere dieser von uns vorgeschlagenen Maßnahmen für. nicht gut halten. Aber sie können schwerlich sagen: Hier liegt das entscheidende Problem, auf der anderen Seite aber sagen: Alles, was geschehen könnte, um dieses Problem zu lösen, halten wir nicht für möglich und wollen wir nicht. ({4}) An diesem Kapitel wird das Versagen des Wirtschaftsberichts sehr deutlich erkennbar. Denn wenn es diese Ursachen für die ständigen Preissteigerungen, für die ständige Steigerung des Preisniveaus, bei uns in Deutschland gibt, dann muß es ja wohl auch für die Wirtschaftspolitik Mittel geben, dieser von Ihnen selbst immer als unglücklich angeprangerten Entwicklung entgegenzutreten. Wenn Sie meinen, daß die von uns vorgeschlagenen Mittel nicht wirksam oder nicht zweckmäßig sind, dann sollten Sie wenigstens andere Vorschläge machen. Es genügt nicht, große und gute Worte über diese Dinge zu sagen und dann nicht eine einzige Tat, nicht einen einzigen Vorschlag zur Lösung dieses Problems folgen zu lassen. ({5}) Lassen Sie mich ein paar Worte zu dem Problem der Löhne sagen, das in diesem Bericht ja auch ausführlich behandelt wird. Meine Damen und Herren, hier geht es um eine wichtige Sache. Es geht um das soziale Klima bei uns in Deutschland. Es geht darum, die Auseinandersetzungen über die Beteiligung an der Einkommensentwicklung bei uns in Deutschland mehr zu versachlichen. Ich möchte über die Bedeutung dieses Themas keinerlei Zweifel lassen. Wir haben eine wirtschaftliche Entwicklung hinter uns, nach der wir uns nunmehr in jeder Hinsicht - auf der Seite der Gewinnentwicklung, auf der Seite der Investitionen und auf der Seite des Verbrauchs - veränderten Verhältnissen anpassen müssen. Das ist ein Vorgang, der einer ernsthaften Beachtung und einer ernsthaften Untersuchung bedarf. Ich möchte die Bedeutung dieses Problems gar nicht verkleinern. Aber ich meine, wenn es sich um ein solches Problem der Anpassung an veränderte Verhältnisse handelt, die immer schwierig ist, dann sollte man sich doch zunächst einmal über die Fakten, die hier vorliegen, Klarheit verschaffen, damit man nicht in Unkenntnis der Fakten zu falschen Urteilen und vielleicht auch zu falschen Maßnahmen kommt. Die Entwicklung der Löhne und Gehälter hat sich im Laufe der letzten zehn bis zwölf Jahre durchaus im Rahmen der allgemeinen Einkommensentwicklung gehalten. Das Volkseinkommen ist je Einwohner in Deutschland seit 1950 um 168 % gestiegen. Die Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer sind um 137 % gestiegen, also im Laufe der elf, zwölf Jahre hinter der gesamten Steigerung des Volkseinkommens zurückgeblieben. ({6}) - Ich stelle jetzt nur einmal Tatsachen fest, weil es wichtig ist, daß man sich vor Urteilen über die Fakten ein einigermaßen ruhiges und sachliches Urteil bildet. Die Zuwachsrate bei den Löhnen und Gehältern der Arbeitnehmer hat im Jahre 1960/61 sicherlich sehr stark zugenommen. Sie ist aber seither - d. h. in den Jahren 1962 und 1963 - wie die ersten Zahlen für 1963 ausweisen - in einem Prozeß der Rückbildung begriffen. Im Jahre 1961 sind die Löhne und Gehälter je Arbeitnehmer um 10,2 % gestiegen, im Jahre 1962 um 8,7 %, im ersten Quartal 1963 I offenbar, nach den bisher vorliegenden Zahlen, nur um 7,5 %. Wir haben hier also einen Prozeß der Anpassung nach unten vorliegen. Hinzu kommt, daß die Produktivität der Wirtschaft in Deutschland Ende 1962 wesentlich höher lag als am Beginn des Jahres 1962. In der Industrie war sie um 7,5 % gestiegen. Das heißt: die Schere zwischen der Produktivitätsentwicklung und der Lohnentwicklung schließt sich wieder, und wir sind bereits mitten in diesem Prozeß der Normalisierung. Lassen Sie mich eine vierte Feststellung treffen, die Sie sicherlich nicht bestreiten können. Wir haben es ungeachtet dieses Prozesses mit einer ständig steigenden Sparneigung zu tun. Unsere Sparrate beträgt ein klein wenig über 9 % der Privateinkommen. Das ist eine hohe Sparrate, und es ist ein gesunder Ansatz für die Vermögensbildung, die wir doch wohl alle auf unsere Fahnen geschrieben haben. Meine Damen und Herren, wenn man sich alle diese Zahlen überlegt, muß man sich darüber klar-werden, daß die Entwicklung schon ein klein wenig weitergegangen ist gegenüber der Situation, die dem Wirtschaftsbericht der Bundesregierung zugrunde liegt. Wir stehen in der Gefahr, daß die Nachfrage in weiten Bereichen eher zu gering als zu hoch ist und daß dadurch rezessive Wirkungen ausgelöst werden. Wir stehen weiter vor der Gefahr, daß durch die Verringerung der Lohnentwicklung die guten Ansätze zu einer Vermögensbildung zerschlagen werden. Darum, meine Damen und Herren, ist die Forderung des Wirtschaftsberichts, die Nachfrage weiterhin zurückzudrängen, ein gefährlicher Ratschlag; er beschwört nämlich die Gefahr herauf, daß das reale Wachstum der Wirtschaft mehr geschwächt wird als zu vertreten isst. - Meine Damen und Herren, das ist nicht nur Theorie. Lassen Sie mich jetzt hierzu eine Frage stellen, die unmittelbar mit dem Text des Wirtschaftsberichts zusammenhängt. In den Leitlinien der Bundesregierung wird verlangt, daß sich die Entwicklung in den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft an dieses Maß von 3,5 % hält, das nach Auffassung der Bundesregierung möglich und tragbar ist. Meine Damen rund Herren, ich sagte schon, daß die Bundesregierung aus dieser Forderung nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen hat, sondern bezüglich der öffentlichen Aufgaben wesentlich höhere Raten des Volkseinkommens in Anspruch nimmt und nolens volens auch für die Investitionsneigung höhere Raten zugestehen muß. Aber die Frage ist die: Die Bundesregierung muß sich ja doch wohl Gedanken darüber gemacht haben, zu welchen Ergebnissen ihre Leitlinien führen würden, wenn sie angewendet würden. Sie hat leider darauf verzichtet, eine solche Prognose zu stellen, eine Rechnung aufzustellen, wohin die Wirtschaft laufen würde, wenn sich alle diejenigen, die Ansprüche an das Sozialprodukt stellen, an diese Grenze von etwa 3 1/2 % Zuwachs hielten. Wir haben einmal eine Berechnung aufstellen lassen. Sie geht vorsichtigerweise davon aus, daß sich der Staat hinsichtlich seiner Aufgaben gar nicht etwa auf 3,5 % Zuwachs beschränkt; wir haben ihm großzügigerweise 4,5 % bewilligt. Wir sind weiter davon ausgegangen, daß nach Ihren Richtlinien und Vorschlägen die Löhne und Gehälter nur um 3,5 % steigen. Bei einer sorgfältigen Durchrechnung, die wir durch wirtschaftswissenschaftliche Institute haben überprüfen lassen, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß das wirtschaftliche Wachstum außerordentlich gedrosselt werden würde, wenn diese Ihre Richtlinien beachtet würden, und daß wir höchstens mit einem Zuwachs des wirtschaftlichen Wachstums von 1 1/2 bis 2 % zu rechnen hätten, statt von 3 1/2 %, wie Sie in Ihrem Bericht errechnet haben. ({7}) Das heißt: die Berücksichtigung Ihrer Leitlinien würde zu einer starken Rezession innerhalb der Wirtschaft führen. ({8}) Ich möchte Sie daher bitten, diese Angaben einmal nachzuprüfen. Mir scheint, daß hier ein gefährlicher Weg begangen wird. Ich möchte auch gerne wissen, ob in Ihrem Hause auch rechnerisch nachgeprüft worden ist, wohin Ihre Rechnung führen würde, wenn sich alle, der Staat, die Wirtschaft und die Arbeitnehmer, an dieses Limit von einer Steigerung ihrer Ansprüche um 3 bis 3 1/2 % hielten. Nach all den Unterlagen, die wir vorliegen haben, bin ich der festen Überzeugung, daß das zu einer starken Gefährdung unserer wirtschaftlichen Entwicklung führen würde. Ich meine: eine Bundesregierung, die eine solche Pferdekur vorschlägt, wäre wenigstens verpflichtet, nachdem sie sonstige Eventualrechnungen vorlegt, uns auch eine Rechnung darüber vorzulegen, wohin die Entwicklung führen würde, wenn sich alle - der Staat mit seinen Ausgaben, die Wirtschaft mit ihren Investitionen und die Verbraucher mit ihren Ansprüchen - auf dieses Limit von 3 1/2 % beschränkten. ({9}) Mir scheint, daß man sich darüber klarwerden muß, daß wir uns in einer Übergangsperiode befinden, daß sich die Wachstumsbedingungen ändern und daß man schon die Ansprüche der verschiedenen Gruppen des Volkes aufeinander abstimmen muß, im Sinne einer gemeinsamen Verantwortung. Aber wenn die Verhältnisse wirklich so liegen, wenn sich die Voraussetzungen einer guten wirtschaftlichen Entwicklung wesentlich verändert haben und wenn, wie ich zu Beginn ausführen durfte, wir nicht nur auf eine mengenmäßige Expansion rechnen dürfen, sondern die Grundlagen unserer wirtschaftlichen Entwicklung modernen Tendenzen anpassen müssen, dann ist es notwendig, ein soziales Klima zu schaffen, in dem ein solcher Prozeß der Umgestaltung ohne größere Gefahren vor sich gehen kann. Dazu gehört auch eine Versachlichung der Auseinandersetzungen; dazu gehört, daß man an Berechnungen und Unterlagen, wie sie hier vorgelegt werden, die Betroffenen beteiligt, damit sie eine Einsicht in die Dinge bekommen, mit denen sie unmittelbar zu tun haben. Vielleicht ist es nicht uninteressant, daß die europäische Wirtschaftskommission in dem Bericht, den ich Ihnen vorhin darlegte, ausdrücklich darauf hingewiesen hat, wie wichtig es ist, daß ein solcher Bericht vor seiner Fertigstellung mit den maßgeblichen Behörden, den Gebietskörperschaften, den Vertretern der wichtigsten Bevölkerungsgruppen, vor allem der Sozialpartner, in Konsultation aufgestellt wird. Das ist ein wichtiges Element für den Aufbau einer gesunden demokratischen Gesellschaft, die sich ständigen Veränderungen anpassen muß. Dann ist es eben nicht ganz aufrichtig, wenn man unter dem Gesichtspunkt „Wir müssen uns jetzt alle diesem Zuwachs von 3 % anpassen" im stillen auf der Seite des Staates 9 % Expansion zuläßt, auf der Seite der Wirtschaft 7 % und dem Arbeitnehmer sagt: Du mußt dich auf 31/2 % beschränken. Meine Damen und Herren, eine Wirtschaft wird nie darin bestehen können, daß alle ständig in gleichem Maße am wirtschaftlichen Zuwachs beteiligt werden, aber man sollte offen miteinander reden und nicht immer unter dem Gesichtspunkt „Alle müssen sich in gleicher Weise einschränken" die Einschränkung einem der Partner der Wirtschaft zudenken; denn das zerstört die Grundlagen eines sozialen Klimas, wie wir es für die nächste Entwicklung dringend nötig haben. Es ist wichtig, daß die Auswirkungen solcher Rechnungen offen dargelegt werden und daß die fundamentalen Grundsätze einer freiheitlichen und sozialen Politik dabei nicht vernachlässigt werden. Es ist ein Ergebnis der unaufrichtigen Darstellung, die in diesem Wirtschaftsbericht zum Ausdruck kommt, daß man nicht offenlegt, wie das Maß auf die verschiedenen Gruppen der Bevölkerung verteilt wird, so daß wir heute mit einer starken Verhärtung der Lohnpolitik zu rechnen haben. Das führt zu so grotesken Äußerungen, wie ich sie am 23. April dieses Jahres im „Industriekurier" lesen konnte, wo bezüglich der Stahlarbeiter, die sich auf eine Rate von 3,5 % Lohnerhöhung nicht einlassen wollen, gesagt wird: Wer sich darüber hinwegsetzt und mehr fordert, setzt sich auch über die Staatsautorität hinweg. Das sind Konsequenzen einer Wirtschaftspolitik, die nicht zusammenführt, sondern die auseinanderführt. Mir scheint, daß das „Handelsblatt" vielleicht doch ein wenig recht hatte, als es am 28. Februar dieses Jahres sagte: So unterstreicht die nüchterne Darstellung des Berichts der Bundesregierung, die Durchleuchtung der volkswirtschaftlichen Situation, was überhaupt alles in der Vergangenheit verabsäumt wurde. So aber werden die Fakten des Wirtschaftsberichts zum härtesten Kritiker der Bundesregierung. Meine Damen und Herren, das sagte nicht ich, sondern das sagte das „Handelsblatt", das im allgemeinen der Politik dieser Bundesregierung nicht übermäßig negativ gegenübersteht. Nun lassen Sie mich bitte einige abschließende politische Bemerkungen machen. Dieser Wirtschaftsbericht ist nicht irgendein wissenschaftliches Dokument, sondern er ist ein politisches Dokument. Wir haben in der Öffentlichkeit darauf hingewiesen, daß es ein Unglück ist, daß in diesem Dokument Berlin nicht als Bestandteil der Bundesrepublik betrachtet wird. ({10}) Wir haben mit Dank zur Kenntnis genommen, was der Herr Bundeswirtschaftsminister heute dazu ausgeführt hat. Aber es ist nicht nur eine Frage des Stils, sondern es geht viel weiter, ob man in einem solchen Dokument unter der „übrigen Welt" das Ausland, die sowjetische Besatzungszone und Berlin in einem Zuge nennen kann. Ich möchte sehr hoffen, daß der Herr Bundeskanzlerkandidat das Fingerspitzengefühl aufbringt, das für solche Dokumente erforderlich ist und das dieser Passus in dem Wirtschaftsbericht der Bundesregierung leider vermissen läßt. Ich wollte das ohne großes Aufheben, aber doch mit aller Ruhe und Deutlichkeit hier gesagt haben. Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. In der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind die Arbeiten zur Aufstellung eines Aktionsprogramms der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für lange Sicht im Gang. Da handelt es sich um Vorausschauen, und da handelt es sich darum, die notwendigen Maßnahmen für die zukünftige Wirtschaftspolitik offenzulegen und sich über sie klarzuwerden. Wir haben den wohl nicht falschen Eindruck, daß die Bearbeitung dieser Fragen von der deutschen Bundesregierung in großem Umfang verzögert oder gar blockiert wird. Jedenfalls haben wir feststellen müssen, daß im Europäischen Parlament der Bundeswirtschaftsminister der einzige war, der sich sehr bemerkenswerterweise gegen die Bestrebungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gewendet hat, ein solches modernes Aktionsprogramm und damit die Grundlagen für eine zielbewußte Wirtschaftspolitik in Europa zu schaffen. ({11}) - Herr Atzenroth, Sie sollten ein klein wenig vorsichtig sein. Wollen Sie wirklich behaupten, daß die übrigen Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, daß die Mitglieder der Europäischen Wirtschaftskommission so einfach in einen Topf mit jenen gesteckt werden können, die die Marktwirtschaft ablehnen? Das sind doch wohl demokratische, freiheitlich geordnete Länder. Können Sie wirklich das, was in diesen Ländern erarbeitet worden ist und die Grundlage ihrer Wirtschaftspolitik darstellt, mit solchen Wertungen einfach abtun? ({12}) Unser Bekenntnis zu Europa wird danach gewertet werden, inwieweit wir Europa zu einer wirtschaftlichen und politischen Realität gestalten und inwieweit wir bereit sind, die wirtschaftliche Entwicklung Europas gemeinsam mit den anderen Ländern mit modernen Mitteln vorwärtszutreiben. ({13}) Worum geht es bei den Unterhaltungen, "die in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Rolle spielen und die auch bei uns in Deutschland eine Rolle spielen? Wir wollen eine freie GesellDr. Deist schaft, wir wollen eine Gesellschaft, in der die autonomen Entscheidungen der Menschen und die autonomen Entscheidungen der verschiedenen Gruppen die Grundlage unserer gemeinschaftlichen Arbeit bilden. Aber wir wollen auch, daß es in Verantwortung der Gemeinschaft gegenüber geschieht. Auch dieser Wirtschaftsbericht ist ein Versuch, eine Methode für die Ordnung der Wirtschaft zu finden, die in freiheitlich geordneten Staaten annehmbar und notwendig ist. Wir lehnen es ab, die Wirtschaft unter einheitliches Kommando zu stellen. Aber wir meinen auch, daß es nicht möglich ist, die Wirtschaft einfach freihändig ihrer Entwicklung zu überlassen. Wohin wir kommen, wenn wir die freien Kräfte innerhalb der Wirtschaft völlig ungeordnet ihrer Entwicklung überlassen, das haben wir zu unserem Leidwesen in der Weimarer Republik erfahren müssen. Es kommt entscheidend darauf an, daß wir eine freiheitliche Methode finden, um die verschiedenen Gruppen unseres Volkes unter eine gemeinsame Verantwortung zu stellen, d. h. eine Methode, die eine freiwillige Kooperation freier Menschen und freier Gruppen von Menschen herbeiführt. Das mag manchem wenig erscheinen. Das ist aber die Aufgabe, die in der freien Gesellschaft zu erfüllen ist. Dazu ist zunächst einmal notwendig, daß man weiß, was ist, mit welchem Tatbestand man es z. B. in der Wirtschaft zu tun hat, und daß man die modernsten Mittel anwendet, um mit den Problemen der modernen Wirtschaft fertig zu werden. Das ist nicht eine Frage der Prophetie. Niemand kann die wirtschaftliche Entwicklung prophezeien, und wir haben auch nicht die Absicht, das zu tun. Aber es ist die Frage, ob man die wirtschaftlichen Möglichkeiten abschätzen kann und ob der Mensch in der Lage ist, der Entwicklung einen vernünftigen Rahmen zu setzen. Das ist die erste Aufgabe, die wir in der Welt von heute zu leisten haben. Und das Zweite: Wir wollen der Wirtschaft keine verbindliche Richtlinie geben. Niemand unter uns behauptet, daß der Staat die Wirtschaft kommandieren dürfe. Aber der Staat setzt immer - ob er will oder nicht - für die wirtschaftspolitische Entwicklung bestimmte Daten, insbesondere dann, wenn etwa 30% des Volkseinkommens über öffentliche Kassen laufen. Darum meine ich, der Staat soll zwar nicht verbindlich anordnen, aber er muß Ziele setzen, er muß eigene Maßnahmen in eigener Verantwortung treffen, und er muß der übrigen Offentlichkeit, vor allen Dingen den wirtschaftlichen Kräften, deutlich sagen, welche eigene Politik er betreibt, so daß die übrigen freien Kräfte der Wirtschaft sich nach diesen wirtschaftspolitischen Richtlinien richten können. ({14}) - Nein, richtig können, Herr Atzenroth. Es kommt darauf an, daß der Staat die Richtlinien für sein eigenes Handeln verbindlich darlegt, nicht, damit er anschließend nicht wieder davon herunter kann: Aber er wird dadurch verpflichtet, der freien Wirtschaft zu sagen, wenn er seine Zielsetzung und seine Methoden verändert. Das ist die Methode der freien Kooperation, die wir herbeiführen müssen und die unmöglich ist, wenn an der Erarbeitung der gemeinsamen wirtschaftlichen Ziele nicht alle Kräfte der Wirtschaft, der Gesellschaft beteiligt werden. Darum möchte ich wünschen, daß der nächste Jahreswirtschaftsbericht, der erstattet wird, aus einer solchen Kooperation aller Kräfte entsteht. Denn nur dann kann ich erwarten, daß sich die verschiedenartigen freien Kräfte - die selbständig bleiben sollen - auf eine gemeinsame Richtung einigen, wenn sie diese Richtung zuvor unter Führung des Staates gemeinsam erarbeitet haben und von der Notwendigkeit des gemeinsamen Weges überzeugt sind. Erst dann, meine Damen und Herren, kann man von den Menschen der Wirtschaft verlangen, daß sie verantwortungsbewußte Entscheidungen treffen, weil sie nämlich den Rahmen setzen können, in dem verantwortungsbewußte Entscheidungen getroffen werden können. Es kommt ein viertes hinzu, was der moderne Staat machen muß, um diese vielfältigen Kräfte, deren Selbständigkeit wir wünschen, zu koordinieren. Er muß die öffentliche Meinung mobilisieren, er muß auch sie zu einem Instrument der Wirtschaftspolitik machen. Meine Damen und Herren, das ist kein Sonderproblem für uns in Deutschland, sondern ein Problem, das auch in allen anderen modernen Industriestaaten besteht. Ich möchte auch hier, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, hinzufügen: In einem Staat wie Deutschland, der unmittelbar an der Zonengrenze liegt, sind die Verhältnisse sicherlich anders als in Staaten, die von dieser Zonengrenze weiter entfernt sind. Darum bin ich der Überzeugung, daß wir in Deutschland mit gutem Grund gegenüber manchen Maßnahmen und Methoden allergisch sein sollten, denen gegenüber man in Frankreich, in Großbritannien oder in Italien nicht allergisch zu sein brauchte. Ich möchte ein zweites hinzufügen. Bei der Gründlichkeit, die uns Deutschen nun einmal eigen ist, und bei unserem Hang zu bürokratischer Verfestigung ist es auch einer Überlegung wert, ob alle Maßnahmen und Methoden, die in anderen demokratischen Ländern anwendbar und zweckmäßig sind, bei uns in Deutschland wirklich in gleicher Weise angewandt werden sollen. Wir alle müssen bereit sein, solche Überlegungen anzustellen und auch die Probleme zu sehen und uns zu Variationen gegenüber dem bereit zu finden, was vielleicht in anderen Ländern möglich und zweckmäßig sein mag. Aber wir kommen nicht darum herum, diese Instrumente zu entwickeln und in gemeinsamer Beratung zu prüfen, wie sie einer gesunden wirtschaftlichen Gesamtentwicklung in Deutschland nutzbar gemacht werden können. Nach der Entwicklung, die andere Länder genommen haben, wird es höchste Zeit, daß wir diese Probleme, die mit einem solchen Wirtschaftsbericht zusammenhängen, mutig in Angriff nehmen und nicht allzuviel Angst vor der demokratischen Zuverlässigkeit der demokratischen Kräfte bei uns in Deutschland haben. Oder sollte vielleicht doch der Wunsch die Triebfeder sein, die Wirtschaftspolitik viel mehr aktiven anderen Kräften zu übertragen und zu überlassen als der gemeinsamen öffentlichen Ordnung, die die Verantwortung für alle trägt? ({15}) - Ich habe gefragt, und jeder, der sich getroffen fühlt, möge an seine eigene Brust klopfen. Daß das wirklich ein Problem ist, über das man verschiedener Meinung sein kann, daß es aber ein Problem in demokratischen Staaten ist, darüber sollten wir uns doch eigentlich nichts vormachen. ({16}) Uns ist hier eine große Aufgabe gestellt, die nicht mit Hilflosigkeit und Führungslosigkeit gelöst werden kann. Es kommt vielmehr darauf an, Führung mit den Mitteln demokratischer Ordnung in unserer Gesellschaft und damit auch in unserer Wirtschaft durchzusetzen, d. h. alle unter das Gesetz einer gemeinsamen Verantwortung zu bringen. Dazu genügt es nicht, nur Verantwortung zu predigen, sondern jeder muß sehr hart vor seine Verantwortung gestellt werden. Insbesondere die großen wirtschaftlichen Gruppen auf beiden Seiten müssen an der Erarbeitung der gemeinsamen Aufgaben beteiligt werden. Diese verschiedenen Kräfte müssen wissen, daß der Staat in der Lage ist, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn sich die eine oder andere Gruppe nicht dem gemeinsamen Wohl unterordnet, und an die öffentliche Verantwortung zu appellieren. ({17}) - Das bezieht sich auf alle Gruppen der Bevölkerung; ich habe nicht eine einzige ausgenommen. - Dazu gibt es Instrumente und Verfahren auch in einer Politik freiheitlicher Ordnung. Die ersten Ansätze sind mit dem Wirtschaftsbericht geschaffen, der uns heute vorliegt. Aber wir stehen vor der Aufgabe, diese zunächst ungenügenden Anfänge zu einem wirksamen Mittel einer zielbewußten Wirtschaftspolitik zu gestalten, die uns ein stetiges wirtschaftliches Wachstum, die Vollbeschäftigung und die Erhaltung unserer Geldwertstabilität sichert. ({18})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Wir Freien Demokraten begrüßen die Vorlage dieses Berichts als einer sachlichen Feststellung von Tatsachen. Wir hoffen, daß es auf dieser Grundlage möglich sein wird, den Weg zu einer Wirtschaftspolitik zu finden, die den Gedanken der Marktwirtschaft besser realisiert als bisher. Wir können jetzt vielleicht abkommen von der Gefälligkeitsdemokratie mit ihren Geschenken, die in den letzten Jahren soviel Schaden gestiftet hat. Wir hoffen auch, daß die Sozialpartner die im Bericht enthaltenen Daten anerkennen und daraus ihre Folgerungen ziehen. Zu dieser Hoffnung berechtigt uns die Tatsache, daß die SPD am 11. Oktober 1962 durch ihren Sprecher, Herrn Dr. Deist, verkündet hat: Wenn schon ein solcher Jahreswirtschaftsbericht vorgelegt wird, dann muß er auch für die freie Wirtschaft - für die Unternehmer ebenso wie für die Arbeitnehmer - verbindlich sein. Die heutige erste Erklärung von Herrn Dr. Deist bestätigte zunächst diese Feststellung. Dann kam das, was die Vorwürfe oder die Klagen von Herrn Schmücker Ihnen gegenüber beinhaltet. Herr Dr. Deist, Sie haben Ihr großes Redetalent für eine sehr lange Zeit darauf verwendet, von dieser einen Feststellung wieder wegzukommen. ({0}) - Ich habe Sie an Ihre Erklärung vom 11. Oktober 1962 erinnert, in der Sie gesagt haben: Wenn schon ein solcher Jahreswirtschaftsbericht vorgelegt wird, dann muß er auch für die freie Wirtschaft - für die Unternehmer ebenso wie für die Arbeitnehmer -verbindlich sein, und ich habe hinzugefügt, daß Sie Ihre große Redekunst dazu verwendet haben, von dieser Erklärung wieder wegzukommen. Sie haben eine Fülle von Versuchen gemacht, dem wieder auszuweichen. Sie haben zunächst gesagt: Dieser Bericht fordert von den Sozialpartnern - nicht: von den Arbeitnehmern - eine Beschränkung auf 3,5 %, aber den Unternehmern gestattet er, ich glaube, 7 %, die ich allerdings in dem Bericht nicht finden kann. ({1}) Darin liegt doch das, was Herr Schmücker Ihnen immer wieder vorwirft, nicht sachlich zu bleiben. Bei den Zahlen handelt es sich ja um solche des vergangenen Jahres. Es sind doch nicht Zahlen, die einen Vorschlag der Bundesregierung für die Unternehmer im Jahre 1963 beinhalten. Ebensowenig kann ich dem Bericht entnehmen, daß er sich dafür einsetzt, daß die öffentliche Hand künftig einen Aufstieg um 10 % erfahren dürfe. Im Gegenteil, Sie kennen unsere Ansicht, daß wir sehr bestrebt sind, auch den Anteil der öffentlichen Hand am Sozialprodukt so zu halten, wie es der allgemeinen Linie entspricht. Aber, Herr Dr. Deist, fragen Sie doch Ihre Kollegen, ob sie damit immer ,einverstanden sind, wenn wir darauf dringen! Fragen Sie Herrn Professor Schellenberg, ob er sich zu begnügen bereit ist! Also dieser Vorwurf ist nicht berechtigt, und damit können Sie von Ihrem Wort nicht wegkommen. Dann haben Sie neue Zahlen gebracht, die Sie auf das überaus schlechte erste Vierteljahr 1963 stützen, die selbstverständlich in diesem Wirtschaftsbericht nicht enthalten sind. Aber auch damit kann man natürlich solche Begründungen nicht stützen. Der dritte Versuch, von dieser Erklärung wegzukommen, ist, daß Sie nun von Zuwachsraten sprechen. Herr Dr. Deist, gleiche Zuwachsraten in den zehn Jahren von 1950 bis 1960 für alle Menschen der deutschen Bevölkerung zu fordern, ist doch wohl utopisch. ({2}) Wenn man fordert, daß der Arbeiter diesen seinen Anteil in dieser Zeit beanspruchen soll - das hat er getan, und er hat ihn auch erhalten -, dann müßte man eine Reihe von anderen Gruppen unseres Wirtschaftslebens oder unseres Volkes auch hinzuziehen, die weit zurückgeblieben sind und bedauerlicherweise immer weit zurückbleiben werden. Auch diese Begründung können wir also nicht anerkennen. Herr Dr. Deist, Sie müssen schon zu der Erklärung stehen, daß die Sozialpartner den Bericht der Bundesregierung und die Folgerungen, die die Bundesregierung aus diesem Bericht gezogen hat, anerkennen. Da gibt es kein Deuteln. Wir erheben die Forderung und haben die Hoffnung, daß jedenfalls die Sozialpartner dieses Anerkenntnis leichter aussprechen, als Sie es getan halben. Nun ein anderer Weg, auch wieder der Versuch, eine Kritik an diesem Bericht vornehmen zu können. Herr Dr. Deist, Sie unterstellen diesem Bericht einen Pessimismus. Ich habe das Gefühl - durch eine Zwischenfrage ist das Gefühl auch an anderer Stelle aufgetreten -, daß von Pessimismus in diesem Bericht zum mindesten für das Jahr 1962 keine Rede sein kann. Das werden Sie mir doch zugeben. Ich habe eher das Gefühl, daß man von einem gelinden, vielleicht schon zu großen Optimismus sprechen muß. Ich werde darauf nachher noch zu sprechen kommen. Sie sagen aber: die Bundesregierung fordert Drosselung, Drosselung, Drosselung. Auch das ist nicht nichtig. Sie fordert nicht Herabsetzung der Raten und der Ansprüche, sondern sie will die Übersteigerung auf ein angemessenes Maß zurückführen. Diese Forderung stellt sie sowohl an die Sozialpartner .als auch an die anderen Zweige unserer Wirtschaft, stellt sie an den Staat selbst - wenigstens in diesem Bericht. Ich gebe Ihnen zu, daß andere Stellen der Bundesregierung diese Forderung nicht immer in der gleichen Weise erhoben haben. Wir werden versuchen, das in Ordnung zu bringen, damit da wieder eine einheitliche Auffassung zustande kommt. Sie sprachen von einem Zwiespalt, der in dem Bericht der Bundesregierung enthalten sei, aber selber empfinden Sie anscheinend den Zwiespalt in Ihren Ausführungen nicht. Sie wenden sich dagegen, daß die Bundesregierung eine Drosselung der Staatsausgaben fordert. Sie selber sprechen aber an anderer Stelle von zu hohen Staatsausgaben. Das ist doch dasselbe. Sie haben z. B. in Ihren sogenannten konkreten Vorschlägen gefordert, daß die Bundesbahn mehr investieren soll. Die Folgerungen sind doch höhere Staatsausgaben oder höhere Preise für die Bundesbahn. Anders läßt sich dieses Problem nicht lösen. Das haben wir gerade an dieser Stelle mit besonderer Deutlichkeit gesehen. Sie haben dann ebenso wie die Bundesregierung von den kommenden mageren Jahren gesprochen. Der Zuwachs an Arbeitskräften wird voraussichtlich geringer werden, und der Zuwachs an Kapital wird langsamer bleiben. Sie haben als Ausweg eine Verstärkung der Qualität und der technischen Entwicklung vorgeschlagen. Da gehe ich mit Ihnen einig. Sie haben aber gleichzeitig - um in diesem Punkte wieder nicht klar Farbe bekennen zu müssen - erklärt, daß eine ständige Verringerung der Arbeitszeit hierauf nun gar keinen Einfluß habe. ({3}) - Auf die Tatsache, daß wir nicht mehr mit einem Zuwachs an Arbeitskräften rechnen können, und darauf, daß, wenn wir das nicht können, ein Zuwachs des Sozialproduktes nicht mehr möglich ist. Er wäre möglich, wenn wir eine weitere Verringerung der Arbeitszeit vermieden. Dann könnte sich aus der Steigerung der Qualität und aus der technischen Entwicklung ein Zuwachs ergeben. Herr Dr. Deist hat behauptet, daß die Verringerung der Arbeitszeit keinen Einfluß auf die Verringerung der Produktion gehabt habe. Das ist natürlich eine Behauptung, die jeder aufstellen kann, und jeder kann das Gegenteil behaupten. Die Abhängigkeit hat sich aber für denjenigen, der in der Praxis steht, mit einer erschreckenden Deutlichkeit gezeigt. Hinzu kommt, daß dais mit der Verringerung der Arbeitszeit angestrebte Ziel gar nicht erreicht worden ist. Ziel sollte doch die Schonung der menschlichen Arbeitskraft sein. Das ist in vielen Fällen nicht eingetreten. ({4}) - Nein, im Gegenteil, weil man nach der Beendigung der ersten Arbeitszeit ein zweites Arbeitsverhältnis einging. Diese Tatsache ist doch in Hunderttausenden von Fällen unbestritten, und Sie brauchen nur einmal in meinen Betrieb zu kommen, dann will ich Ihnen das klar und deutlich beweisen. Das ist ein Fall; es gibt aber Hunderttausende von Fällen, in denen das unbestritten ist. Ich möchte dann noch zu dem Problem der Preissteigerung kommen, von dem Herr Dr. Deist auch gesprochen hat. Auch wir sind der Meinung, man sollte es nicht ohne weiteres hinnehmen, daß der Geldwert in jedem Jahr eine Verringerung um etwa 3 % erfährt. Es muß unser größtes Ziel sein, eine solche Entwicklung zu verhindern, die dazu führen würde, daß dem Sparer der Zins weggenommen wird. ({5}) Nun zu der Frage: woher rührt denn diese Entwicklung? Herr Dr. Deist hat gesagt, wir sähen einseitig und unsachlich nur den Lohnanteil. Er bestreitet, daß die Erhöhung der Löhne einen entscheidenden Anteil an der Steigerung der Preise hat. Er weist z. B. darauf hin, daß die Bahn- und Posttarife gestiegen sind. Aber warum sind denn diese Tarife gestiegen? Letzten Endes doch wegen der Erhöhung der Löhne. Das ist der ausschlaggebende Grund für die Steigerung der Bahn- und Posttarife gewesen. Alles spitzt sich letzten Endes auf den Lohnanteil zu. Die Preissteigerung ist zu einem ganz gewaltigen Teil - ob zu 90 %, kann ich nicht sagen; das kann ja niemand errechnen - auf die Steigerung der Löhne zurückzuführen. Ein anderer Punkt bei diesen Preissteigerungen, den Herr Dr. Deist ebenfalls erwähnt hat, sind die Mieten. Hier liegen die Dinge aber ganz anders. Da kann man nicht von einer Preissteigerung sprechen, sondern hier soll etwas wiedergutgemacht werden, was in vielen Jahren versäumt worden ist. Der Anteil für Miete an den Ausgaben des einzelnen Menschen soll wieder in das Verhältnis gesetzt werden, das der Wirklichkeit entspricht. Es soll verhindert werden, daß große Vermögenswerte immer weiter zugrunde gehen, weil vom Staat eine den echten Kosten nicht entsprechende Miete festgesetzt worden ist. Wir stimmen aber zu, daß wir ernsthafte Maßnahmen überlegen müßten, mit denen dieser schleichenden Inflation - wenn wir sie so bezeichnen sollen-entgegengetreten werden kann. Aber wenn man zu solchen Maßnahmen kommt, kann man an dem Problem der Löhne nicht vorbeigehen. Von unserer Seite aus gesehen ist es erfreulich, daß der Wirtschaftsminister im zweiten Teil seines Berichts nur eine Vorausschau geben wollte und daß es sich nicht um eine Planifikation handeln sollte, wie sie nun wieder von meinem Vorredner gefordert worden ist. Herr Deist hat auf die europäische Planung hingewiesen, auf die europäische Gemeinschaft, die eine solche Planung fordert. Er hat der Bundesregierung den Vorwurf gemacht, daß sie die Teilnahme an diesen Verhandlungen absichtlich verzögere. Er hat zum Schluß erklärt, es sei doch ein Versäumnis der deutschen Bundesregierung, sich solchen modernen Wirtschaftsmethoden nicht anzuschließen. „Moderne Wirtschaftsmethoden", Herr Dr. Deist, wenn Sie das auf Frankreich und Italien beziehen, ist das doch sicherlich eine falsche Bezeichnung. Diese beiden Länder mit ihrem Protektionismus haben nicht eine moderne Wirtschaftsverfassung, sondern eine uralte, meiner Ansicht nach in der heutigen Zeit überholte. Es wäre sehr traurig, wenn die Bundesregierung sich dieser von Ihnen als modern bezeichneten, von uns als veraltet angesehenen Wirtschaftsmethode anpassen wollte. Insofern begrüßen wir sogar die Zurückhaltung, die Herr Professor Erhard in dieser Beziehung in Brüssel gezeigt hat und hoffentlich noch weiter zeigen wird. Heute ist in der Debatte auch über das System einer antizyklischen Fiskalpolitik gesprochen worden. An und für sich verbergen sich dahinter Gedanken, die nicht neu sind. Wir sind gern bereit, sie aufzugreifen. Aber wir möchten doch erst einmal dieses allgemein gehaltene Wort konkretisieren, ehe wir dazu richtig Stellung nehmen können. Vielleicht hängt damit etwas zusammen, daß meine beiden Vorredner sich gegenseitig bescheinigt haben, sie setzten sich für eine baldige Finanzreform ein. Jeder hat dem anderen vorgeworfen, seine Partei sei Schuld daran, daß diese Reform nicht weiterkommen könne. Angesichts der Tatsache, die sich heute klar und deutlich ergeben hat, daß wir alle in diesem Hause einmütig für eine solche Finanzreform sind, sollten wir doch nun erwarten können, daß die Dinge nun in aller Kürze von beiden Seiten vorangetrieben werden. Ich darf mich jetzt etwas mit dem Bericht selbst beschäftigen. Zunächst möchte ich einige Bemerkungen zum Aufbau der Gesamtrechnung machen. Es sind keine entscheidenden Einwendungen, aber doch, wie es uns scheint, Systemwidrigkeiten. 1. Warum werden die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung anders behandelt als die übrigen Sozialversicherungsleistungen? Um diesen Betrag erhöht sich zweifellos die Bruttolohn- und -gehaltssumme. 2. Bei den Einkommen des Staates aus Unternehmertätigkeit vermissen wir den Wertzuwachs, der sich nicht in Dividenden und in anderen Abgaben niedergeschlagen hat, sondern in einer Erhöhung des Wertes der Erwerbsunternehmungen der öffentlichen Hand. In dem Bericht ist davon nicht gesprochen worden. 3. Schließlich können wir nicht verstehen, warum Sachleistungen der Sozialversicherung und ähnlicher Institutionen zum Staatsverbrauch gerechnet werden. Es sind nach unserer Meinung ebenso Einkommensübertragungen des Staates an private Haushaltungen wie die Barleistungen. Die notwendigen Berichtigungen werden aber den Gesamtbericht nicht entscheidend ändern. Der Bericht stellt die wirtschaftliche Entwicklung, wie wir glauben, sehr günstig dar. Das trifft auch auf die meisten Branchen im vergangenen Jahr zu. Der Bericht geht aber nicht ernsthaft auf die Unterschiede ein, die sich im vergangenen Jahr zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen ergeben haben und auf die Herr Dr. Deist schon hingewiesen hat. In einigen Branchen ist es im vergangenen Jahr zum erstenmal zu Kurzarbeit gekommen. Auch die Schwierigkeiten, die sich in der Textilindustrie oder in der Lederindustrie zeigten, dürfen nicht einfach übergangen werden. Diese Gefahren haben sich dann noch in den ersten Monaten des Jahres 1963 verstärkt. Aber sie haben ihren Ursprung in der Entwicklung des vergangenen Jahres. In vielen Fällen handelt es sich um strukturelle Schwierigkeiten, die teilweise durch Maßnahmen der Bundesregierung entstanden sind. Die Aufwertung hat nicht nur Vorteile für die deutsche Wirtschaft gebracht, und unsere zollpolitischen Maßnahmen, die wohl dämpfend auf das Preisniveau im Inland wirken sollten, haben auf der anderen Seite auch zu ernsten Schwierigkeiten geführt. Es scheint mir ein einfacher Weg zu sein, auf dem Konsumgütersektor Waren zu niedrigen Preisen zollfrei hereinzulassen, um auf den Erzeuger einen Preisdruck auszuüben. Wenn aber die kalkulatorischen Unterschiede in den Lohnkosten liegen - und das ist sehr häufig der Fall -, könnte der gewünschte Erfolg nur dann eintreten, wenn die betroffenen Branchen auf einer wirtschaftspolitischen Insel lägen. Bei der heutigen Verflechtung unserer Wirtschaft und dem Mangel an Arbeitskräften kann keine Branche eine eigene Lohnpolitik betreiben. Sie muß sich dem anpassen, was ihr von den Wirtschaftszweigen aufgezwungen wird, die nicht unter dem Konkurrenzdruck des Auslands stehen. Das gilt nicht nur für den Kostenfaktor Löhne, sondern auch für die Erhöhungen, die von der öffentlichen Hand vorgenommen werden. Wir hätten erwartet, daß der Bundeswirtschaftsminister jetzt oder schon früher ein Wort gegen die übermäßigen Preissteigerungen und Leistungsverminderungen der Post gefunden hätte. Insofern teilen wir Ihre Meinung, daß Maßnahmen zur Niedrighaltung der Preise, nicht in allen Fällen in ausreichendem Maße getroffen worden sind. ({6}) - Bei der Post gibt es z. B. den alten Vorwurf, daß sie zuviel investiert habe. Bei dieser Sachlage hätte sie ihre Investitionen auf einen längeren Zeitraum verteilen müssen. ({7}) - Ja, und der andere Teil ist selbstverständlich der Lohnanteil, die Erhöhung der Löhne, und zwar eine sehr erhebliche Erhöhung der Löhne, die sich automatisch in der Erhöhung der Preise niederschlagen muß. ({8}) - Das ist sehr einfach zu beantworten, nämlich: fast gar nicht! Wir vermissen in dem Bericht ferner einen Hinweis darauf, daß für den Kostenanstieg in der Wirtschaft in erheblichem Maße auch die Beschlüsse des Bundestages in Fragen der Sozialversicherung beigetragen haben. Aus der uns vorgelegten Statistik ist leider nicht zu ersehen, um wieviel stärker diese Lohnbelastung gestiegen ist, als dies in den Jahren zuvor geschehen ist. Jeder, der in der Praxis steht, weiß aber, daß gerade dieser Kostenanteil sich für die Kalkulation der Betriebe schwerwiegend ausgewirkt hat. Auch hier vermissen wir ein Wort der Bundesregierung darüber, daß die Entwicklung so nicht weitergetrieben werden kann. Wir unterstreichen das, was der Bericht über die Entwicklung des Baumarktes sagt. Er bestätigt unsere Auffassung, die wir im vergangenen Jahr bei der Beratung des Gesetzes zur Dämpfung der Baukonjunktur vertreten haben. Am stärksten - so lesen wir in dem Bericht - stiegen die staatlichen Investitionen, von denen 90 % Bauinvestitionen waren, während der gewerbliche Bau schon eine Beruhigung in der Nachfrage zeigte. So sagt es der Bericht. Warum legt die Bundesregierung dann noch ein Baustoppgesetz vor, das Genehmigungen vorsieht? Vordringlich wären doch Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Hand. Herr Dr. Deist glaubt, einen besonders guten Vorschlag gemacht zu haben, um dieser Überhitzung auf dem Baumarkt entgegentreten zu können. Er will den Übergang auf die Fertigbauweise, auf Fertighäuser propagieren. Aber, Herr Kollege Deist, aus meiner eigenen Erfahrung kann ich Ihnen sagen, daß es in der Bundesrepublik eine ganze Reihe von Unternehmungen gibt, die Fertighäuser aus Holz herstellen und keinen ausreichenden Absatz haben, weil nämlich ein großer Teil der Baulustigen sich weigert, solche - wie sie glauben - Ersatzbauten zu beschaffen. ({9}) - Richtig! ({10}) - Warum greifen Sie mir vor? Das wollte ich gerade sagen. Aber wo sitzen die Baubehörden? Doch in den Kommunen, die im wesentlichen von Ihren Freunden beherrscht werden. ({11}) Wir freuten uns, als wir von Herrn Schmücker hörten, daß die Bauverwaltung des Verteidigungsministeriums in das Ministerium zurückgeführt werden soll, in das sie auch gehört. Ich bin mit Ihnen, Herr Schmücker, voll und ganz der Meinung, daß in eine Betrachtung unserer Wirtschaftslage auch die Verteidigung gehört; denn mit ihren weiten Verzweigungen stellt sie natürlich einen sehr großen Teil unserer Wirtschaft dar, und Maßnahmen, die au idem Sektor der Verteidigung getroffen werden, können beruhigend, aber auch anregend .auf die Gesamtwirtschaft wirken. Eine große Lücke in idem Bericht sehen wir darin, daß an keiner Stelle der Mittelstand erwähnt ist, den zu fördern die Bundesregierung in allen bisherigen Regierungserklärungen versprochen hat. Die Notwendigkeit dazu zeigt sich in der Feststellung, daß die Zahl der selbständig Tätigen immer weiter abnimmt. Sehen Sie sich die Tabelle an! Hier müssen endlich Entscheidungen fallen. Wir können in diesem Punkt nicht auf den Enquetebericht über die Zusammeniballung wirtschaftlicher Macht warten. Die Maßnahmen dürften sich auch nicht auf Krediterleichterungen beschränken. Wenn man dem gewerblichen Mittelstand wirklich helfen will, muß man ihm auch Wettbewerbsvorteile auf steuerlichem und sozialem Gebiet einräumen. ({12}) Schließlich darf ich noch auf die wichtige Frage unserer Liquiditätssituation hinweisen. Es wäre sehr instruktiv, wenn sich der Bericht auch mit der steigenden Verschuldung der öffentlichen Hand befaßt hätte. Aus den Mitteilungen der Bundesbank sehen wir, daß die Fremdfinanzierung der Unternehmen immer schwieriger wird. Die Erhaltung eines gewissen Ausmaßes an Selbstfinanzierung ist dringend notwendig und gehört .auch in unser Wirtschaftssystem. Die entscheidende Frage aber ist und bleibt die Entwicklung der Löhne, von der ich schon gesprochen habe. Nach einem Bericht der EWG-Kommission, den Herr Deist Wucht gern hört, stehen wir schon jetzt mit den Lohnkosten an der Spitze. Dem erneuten Appell an die Sozialpartner schließen wir uns mit allem Ernst ,an. Bisher haben solche Appelle leider nicht viel genützt. Man wartet auf das Wunder eines Gutachtergremiums, dessen Urteil sich die Tarifpartner angeblich unterwerfen wollen. Aber was kann dieses Gremium an Zahlen anders sagen als der vorliegende Bericht? Gerade jetzt, in dieser heiklen Situation, sollten die streitenden Parteien die Angaben des Berichts anerkennen und daraus ihre Folgerungen ziehen; ihre Verantwortung vor der Allgemeinheit war niemals so groß wie jetzt. Meine Damen und Herren, den Lelitlinien, die den Schluß des Berichts bilden, wird voraussichtlich von einem neuen Wirtschaftsminister Beachtung verschafft werden müssen. Es wird für ihn sehr schwierig sein. Er wird einmal im Schatten seines Vorgängers, zum anderen unter dem Druck der EWG stehen, und er wird darüber hinaus nicht allein Wirtschaftspolitik betreiben; denn hier beisteht, wie schon Herr Schmücker gesagt hat, eine enge Verzahnung und Verbindung mit dem Finanzminister, dem Wohnungsbauminister und dem Verteidigungsressort, aber auch mit dem Sozialminister. ({13}) - Und selbstverständlich mit den Abgeordneten. ({14}) Ich hoffe, daß die Zusammenarbeit, wenn es um die Beachtung der Leitlinien geht, so gut klappt, daß wirklich eine Verbesserung unid eine Stärkung unserer Marktwirtschaft eintreten. ({15})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Burgbacher.

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich nicht möglich, der Opposition und ihrem Sprecher zuzumuten, primär von Anerkennungen für die Regierung und in diesem Falle des Wirtschaftsberichts der Regierung zu sprechen; denn es ist nun einmal so, daß die Opposition von den Mängeln und Unterlassungen, die in jedem menschlichen System bestehen, lebt. ({0}) Um so erfreulicher ist es allerdings, daß unser Kollege Deist dank seiner Kenntnisse und seiner rhetorischen Fähigkeiten insofern ein Meisterstück geleistet hat, als er feststellte, wie ausgezeichnet bei uns die Lage ist, daß sie immer besser war, als eine Vorausschau der Regierung gesagt hatte, daß die Welthandelssituation sich für uns immer verbessert hat und daß der Pessimismus der Regierung, so wie er ihn aus diesem Bericht liest - während er gar nicht darin ist -, nicht angebracht ist. Der Hintergrund Ihrer Ausführungen, sehr geehrter Herr Kollege Deist, war also eine außerordentlich positive Betrachtung des bestehenden wirtschaftlichen Zustandes. Ich glaube, es ist wichtiger, daß ohne mögliche oder sogar nützliche Berichte die Wirtschaft in der Tat gut steht, als daß es mit Berichten weniger günstig wäre. Bevor ich aber auf einige wenige Dinge eingehe, möchte ich noch einmal auf das Zwischenspiel wegen der Hundertjahrfeier der SPD zurückkommen. Ich bin überzeugt, der Kollege Schmücker wollte nur sagen, daß eine Partei sich mit Recht auf ihre hundertjährige Geschichte besinnt und sich auch mit Recht mit ihrer Geschichte konfrontiert und daß dies aller Achtung wert ist. Ich möchte aber auch annehmen, er wollte sagen, daß es dann auch interessant ist, ¡die Entwicklung in diesen hundert Jahren und ihr bestehendes Ergebnis festzustellen. Seien Sie uns bitte nicht böse, wenn wir feststellen oder glauben feststellen zu dürfen, daß die Entwicklungslinien der Sozialdemokratischen Partei sehr viel stärker auf die Grundsätze der CDU zulaufen, als es in diesen hundert Jahren etwa umgekehrt der Fall gewesen ist. ({1}) - Ich wiederhole in aller Ruhe, daß es meine Überzeugung ist - und ich weiß gar nicht, wieso Sie das als Kritik auffassen -, daß Ihre Entwicklung in den Fragen der Politik unserer Tage auf unsere Grundsätze zuläuft und nicht unsere Grundsätze auf Ihre früheren. ({2})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit Vergnügen!

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Bitte, Herr Abgeordneter!

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Professor Burgbacher, wie stehen Sie zum Ahlener Programm der CDU?

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sehe das Ahlener Programm genauso als eine wichtige Etappe in der Entwicklung an, wie Sie heute noch Ihre Urvorgänger als wichtige geistige Väter Ihrer Entwicklung ansehen, obwohl sie sich der unsrigen genähert hat und nicht umgekehrt. Diese Feststellung kann ich Ihnen nicht ersparen. ({0}) Ich gebe Ihnen dabei gerne zu, daß es für uns viel gefährlicher ist, als wenn Sie noch bei Ihren alten Thesen wären. Herr Kollege Deist hat auch dem Herrn Bundeswirtschaftsminister gesagt, ein wenig mehr Plan sei doch ganz gut. ({1}) Ich will mich dazu gar nicht äußern. Aber der Hinweis auf den freischaffenden Architekten, der auch einen Plan brauche - und den Hinweis haben Sie mit Recht gebracht -, veranlaßt mich doch zu der Feststellung, daß jeder freischaffende Architekt fast jedes Haus anders baut, und auch zu der Feststellung, daß die Harmonie eines Stadt- und Landschaftsbildes in der Verschiedenheit der nach einzelnen Plänen gebauten Einrichtungen besteht oder, wie es Tagore viel schöner formuliert hat, daß das Wesen der Gemeinschaft in Harmonie und nicht in Einförmigkeit besteht. ({2}) - Allerdings! ({3}) - Gegenruf von der CDU/CSU: Das ist aber etwas anderes! -Fortgesetzte Zurufe.) - Moment mal, sonst dauert es ja noch länger. Also: Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister mit Recht auf die außergewöhnliche Steigerung des Anteils der öffentlichen Hand der drei Ebenen an dem Zuwachs an Nationalvermögen, nämlich mit 48% im Jahre 1962, hingewiesen hat, so ist damit auch ein Teil dessen erklärt - wenn nicht alles -, was Sie, Herr Kollege Deist, an sich mit Recht beanstandet haben, nämlich die Steigerung an Aufwendungen der öffentlichen Hand in den Haushaltsplänen. Das hängt damit zusammen - ich habe es schon einmal gesagt und wiederhole es, und ich glaube, wir waren damals auch einer Meinung -, daß alle diese vermögenswirksamen Ausgaben der I öffentlichen Hand der drei Ebenen noch vorwiegend aus laufenden Steuereinnahmen statt aus dem Anleihemarkt gedeckt und finanziert werden. Es ist aber ein Unterschied auch in der öffentlichen Finanzgebarung, ob eine Ausgabe konsumtiv oder investiv erfolgt, und insofern sind diese Steigerungen der Ausgaben der öffentlichen Hand, die in vermögenswirksamen Anlagen sich auswirken, investiv erfolgt und haben irgendwie ein anderes Gewicht, als wenn sie nur konsumtiven Zwecken zugeführt würden.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Dresbach?

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Dr. h. c. August Dresbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000419, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Freund Burgbacher, würden Sie auch Ausgaben für Kasernenbauten als produktiv ansehen? ({0}) - Ausgaben für Kasernenbauten und ähnliches? Ist Ihnen in Erinnerung, daß um die Jahrhundertwende darüber ein großer Streit entbrannte und daß der große Nationalökonom Adolph Wagner diese Frage bejahte und damit sich mit dem Deutschen Flottenverein auf eine Stufe stellte? Ich muß Ihnen ehrlich sagen - ich müßte ja fragen! -: ({1}) Seien Sie mir nicht böse, wenn ich diese Ausgaben doch lieber aus ordentlichen Steuereinnahmen finanziert sähe als über Vorläufer von Kriegsanleihen.

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich stimme Ihnen zu. Sie haben mit Geschick die Frage nach den Verteidigungsinvestitionen gestellt. In Fragen der Verteidigungsinvestitionen bin ich Ihrer Auffassung. Wenn Sie mich aber gefragt hätten, ob ich eine Autobahn oder einen Sportplatz oder Schulen auch so ansehen würde wie Kasernen, hätte ich Ihnen das verneinen müssen, denn dies sind produktive Ausgaben. Ich hoffe nicht, daß Sie der Meinung sind Wie der alte englische Volkswirt, ein Schweinehirt sei zwar produktiv, aber ein Professor oder Doktor sei seiner Natur nach unproduktiv. ({0}) - Nein, nein! Es war nicht List!

Dr. Dr. h. c. August Dresbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000419, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Burgbacher, Sie erwähnten das Thema „Schulen". Sie wissen, daß es in der alten Kameralistik eine Unterscheidung zwischen Verwaltungsvermögen und sonstigem Vermögen gibt. Wollen Sie das wegfallen lassen?

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Ich mache einen Unterschied. Sie kennen die alten Regeln der Kameralistik, die Ihnen so tabu sind ({0}) - ja, tabu sind -, ({1}) die können Sie in einer Zeit, in der ein Drittel des Bruttosozialprodukts über die öffentlichen Kassen läuft, in dieser alten klassischen Weise nicht mehr aufrechterhalten. Die Zeiten des Zehnten sind längst vorbei.

Dr. Dr. h. c. August Dresbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000419, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also gut; ich bleibe bei meiner Meinung, aber Ihrer Rhetorik bin ich nicht gewachsen; ich fühle mich als abgeführt. ({0})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Meine Damen und Herren, ich hätte an sich die Pflicht gehabt, dieses Intermezzo zu unterbrechen, aber es war zu amüsant. - Bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Weil es so ist, wie ich eben sagte, nämlich daß 30 bis 35 % des Bruttosozialprodukts über die öffentlichen Kassen der drei Ebenen gehen, bin ich der Meinung - und ich unterstütze diese Auffassung des Bundeswirtschaftsministers sehr nachdrücklich -, daß Bund, Länder und Gemeinden auch bei dem Föderativsystem, das wir haben, doch nach Möglichkeiten suchen müßten und sie finden sollten, um in einer echten Abstimmung über den Rahmen der Haus3366 haltspläne, der Bauvorhaben und der Investitionen den Versuch zu machen, die einfachste Konjunkturpolitik, die wir in der Bundesrepublik treiben können, nämlich die Steuerung des größten Auftraggebers in der Bundesrepublik, besser in den Griff zu bekommen als bisher. Ich meine - und ich appelliere damit an alle, auch an meine politischen Freunde in einigen Ländern und Gemeinden -, daß man sich da weniger von dem Föderativsystem als von dem Solidaritätsempfinden einer Nation leiten lassen sollte. ({0}) Deshalb muß trotzdem eine Finanzreform kommen. Ich habe den Bericht nicht so aufgefaßt, als wolle er sagen, daß jetzt auf die sieben fetten Jahre die sieben mageren Jahre folgen würden. Um bei dem Beispiel zu bleiben: ich fasse ihn vielmehr so auf - und nur so ist das wohl möglich -, daß jetzt nicht mehr jedes Jahr um den gleichen Prozentsatz fetter wird als die bisherigen Jahre, ja, daß vielleicht auch einmal Jahre der Stagnation kommen. Ich habe aber in dem ganzen Bericht keinerlei Anhaltspunkte für den Verdacht gefunden, daß man jetzt mit sieben mageren Jahren rechnet. ({1}) Ich halte es auch für sehr bedenklich, eine solche Auffassung diesem Bericht zu unterstellen; denn das steht nicht drin. Richtig ist natürlich, daß bei den Unternehmen der Investitionsakzent nicht mehr primär auf der Expansion liegt, sondern auf der durch den Wettbewerbsdruck, durch die Arbeitsmarktlage und durch die internationale Wettbewerbslage mehr oder weniger erzwungenen Rationalisierung, Energetisierung und einer immer weitergehenden Verwissenschaftlichung der personalen Leistungen, was selbstverständlich auch entsprechende Bildungseinrichtungen voraussetzt. Der Bericht - ich habe das bei der Beantwortung der Zwischenfrage schon festgestellt - ist kein pessimistischer Bericht. Er ist auch kein Bericht, der auf Drosselung ausgeht, sondern er geht auf - ich muß das Wort wiederholen - maßvolles Verhalten ein, was weder mit Pessimismus noch mit Drosselung gleichzusetzen ist. Insbesondere wird in dem Bericht auf die Gefahren aus überhitzten Sektoren hingewiesen. Das muß getan werden, weil im Zeitalter der Vollbeschäftigung die große Gefahr besteht, daß sich das Einkommensniveau aller nach den Leistungs- und Zahlungsmöglichkeiten des überhitzten Sektors ausrichtet, und das ist dann die Quelle einer Gefahr für den gesamten volkswirtschaftlichen Ablauf. Deshalb muß die Wirtschaftspolitik die überhitzten Sektoren aktiv angreifen. Dabei darf man dann auch nicht vor - wie Sie sagten, Herr Dr. Deist - dirigistischen Maßnahmen zurückweichen. Sie haben gesagt, es fehlen konkrete Vorschläge. Ich darf Sie bitten, sich die Seite 11 und die folgenden noch einmal anzusehen. Ich habe mir eine Menge unterstrichen, möchte aber wegen der Zeit auf die Verlesung dieser ganz konkreten Vorschläge verzichten, weil dieser Bericht nicht ein Gesetz, sondern eben ein Bericht ist und die konkreten Vorschläge, die darin stehen, Gegenstand der Gesetzgebung der kommenden Zeit sein müssen. Herr Kollege Atzenroth hat schon darauf hingewiesen, daß man durch Staatsaufträge notleidenden Wirtschaftszweigen helfen kann und unter Umständen auch muß. Man darf dann aber nicht zweierlei tun: einmal durch Staatsaufträge helfen und dann eine Erweiterung des Ausgabevolumens der öffentlichen Hand, sofern nicht diese Staatsaufträge aus Anleihen finanziert sind, beklagen. Man muß dann schon in der Logik bleiben. Die Preisstabilität ist unser Problem. Die absolute Preisstabilität ist unser Wunsch. Ich hoffe aber, von diesem Hohen Hause nicht mißverstanden zu werden, wenn ich darauf hinweise, wie schwer es ist, freie Wirtschaft, Vollbeschäftigung und hundertprozentige, absolute Preisstabilität gleichzeitig zu haben. Ich darf darauf hinwiesen, daß die Bundesrepublik zu der Gruppe der Länder mit den relativ stabilsten Währungen unter allen Ländern der freien Welt gehört. Ich bitte wiederum um Entschuldigung, daß ich darauf hinweise, daß in sozialistisch regierten Ländern die Kaufkraftveränderung in der gleichen Zeitspanne wesentlich größer ist als in der Bundesrepublik. ({2}) - Das ist genau mein nächstes Stichwort. Das ist sehr schön, wie Sie offenbar mit mir zusammen denken können. Ich wollte nämlich gerade feststellen, daß die Realkaufkraft aller Arbeitseinkommen laufend gestiegen ist. Herr Kollege Deist hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Preise der Industrieprodukte wenig gestiegen sind, daß aber z. B. auf dem Ernährungssektor - und er hätte noch viel mehr den Dienstleistungssektor anführen können - die Preise gestiegen sind. Lieber Herr Kollege Deist, ich bin so sicher, daß Sie das, was ich jetzt sage, schon längst wissen; ich sage es nur, damit die anderen Ihre Ausführungen richtig verstehen: daß nämlich darin gar keine Kritik liegen kann, sondern nur eine Selbstverständlichkeit liegt. Es ist völlig klar, daß alle Produkte, die ein Erzeugnis eines mehr oder weniger automatisierten und immer mehr rationalisierten Produktionsvorganges sind, entweder im Preis fallen oder bei höheren Qualitäten den Preis halten oder geringe Preissteigerungen haben. Aber ebenso selbstverständlich ist im Zeitalter der Vollbeschäftigung, daß die Lohnauswirkungen aus den automatisierten Industrien in alle anderen Wirtschaftszweige ausstrahlen, ohne daß die Lohnerhöhung, die in den vollautomatisierten Industrien voll berechtigt ist, bei den anderen die gleiche Berechtigung hat, weil dort nicht in dem gleichen Maße rationalisiert und automatisiert werden kann. Daher verändert sich mit wachsender Automation der Preisfächer ständig, und zwar so, daß die Preise für lohnschwere Produkte steigende Tendenz und die Preise für lohnleichte, technisierte Produkte fallende Tendenz haben. Trotzdem, meine Herren von der SPD, ist der Anteil für die Ernährung am Arbeitseinkommen prozentual bis heute laufend zurückgegangen. Ich möchte auch im Hinblick auf die Agrarpolitik mit großem Nachdruck darauf hinweisen. Den Hinweis auf die EWG möchte ich unterstützen. Es ist bekannt, daß das sogenannte Aktionsprogramm der EWG-Kommission verschieden beurteilt wird. Es gibt in der EWG noch viele Fragen, die verschieden beurteilt werden. Ich hoffe, daß man sich auch auf diesem Gebiet, wie soll ich sagen, zusammenrauft, besonders nach den klaren Feststellungen, die in den Ausführungen von Herrn Kollegen Deist enthalten waren: keine Kommandowirtschaft, sondern persönliche Initiative. Dieser Bericht ist eine wirtschaftliche Vorausschau auf ein Jahr. Wie sich das Kind entwickelt, das wird uns die nächste Zeit lehren. Vor allem aber werden wir in den kommenden Berichten noch mehr, als es in diesem Bericht geschehen ist, auf die Entwicklung im Gemeinsamen Markt achten müssen, weil wir uns immer mehr dem Ende der Übergangszeit nähern. Ich unterstütze die Meinung, daß im Rahmen der Kennedy-Runde und der GATT-Verhandlungen soweit wie möglich Zollsenkungen durchgeführt werden sollten, selbstverständlich unter Einbeziehung Großbritanniens. Ich möchte dabei aber klar zum Ausdruck bringen, daß diese Zollsenkungen dann nicht gerecht sind, wenn sie nur in einem prozentualen Abbau vorhandener Zölle bestehen. Sie sind erst dann ökonomisch berechtigt und wirkungsvoll, wenn sie nicht linear, sondern in ökonomischer Ausgewogenheit erfolgen. Es ist dann noch gefragt worden, ob nun eigentlich der Staat oder die außerstaatlichen Kräfte die Wirtschaftspolitik mitbestimmen oder sie gar machen sollten. Es ist bekannt, daß meine Freunde und ich auf dem Boden des Subsidiaritätsprinzips stehen, wonach bei den einzelnen Menschen geschehen muß, was bei ihnen geschehen kann, in der Familie geschehen muß, was dort geschehen kann. So verhält es sich auch in bezug auf die Gemeinschaften. In den Gemeinschaften soll geschehen, was nicht beim Staat geschehen muß. Aber diese Freiheit der Gemeinschaften steht und fällt natürlich auf die Dauer damit, ob die Gemeinschaften tun, was sie wollen, oder tun, was sie sollen, d. h. ob sie diese Freiheit primär als Pflicht oder als Recht betrachten. Im übrigen möchte ich feststellen, daß diese Debatte gute Ansatzpunkte für die Haushaltsdebatte enthielt und eine gute Vorbereitung darauf war. Ich möchte die Anregung unterstützen, daß die Haushaltsdebatte da, wo es angeht, auch unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten geführt wird. ({3})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

Dr. Ludwig Erhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000486

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fühle mich gezwungen, noch einige Worte hinzuzufügen, und zwar wie üblich an ,die Adresse von Herrn Kollegen Deist. Es scheint mir doch allmählich einiges fast gespenstisch zu sein, und darum möchte ich die Wahrheit ins Gedächtnis zurückrufen. Der Wirtschaftsaufbau in Deutschland aus dem Trümmerfeld 1948 wurde auf Grund von wirtschaftspolitischen Vorstellungen und vor allen Dingen Ordnungsvorstellungen entwickelt, für die ich wesentlich verantwortlich bin. ({0}) - Wirtschaftspolitik und Ordnungsvorstellungen! Die Leistung des Arbeiters wird selbstverständlich voll anerkannt. Aber er ist nicht für die Wirtschaftspolitik verantwortlich. - Jetzt sieht es fast so aus, als ob alles das, was bisher zum Teil auch von Ihnen gelobt wurde, das Verdienst der SPD sei, und an allem, was im Augenblick nicht in Ordnung ist, die Bundesregierung schuld sei. Hier scheinen doch die Dimensionen und Relationen etwas verwechselt zu sein. ({1}) Sie haben gefragt: Wer ist denn dafür verantwortlich, wer ist denn in der Bundesregierung, wer trägt denn diese Regierung, welche Koalition? Natürlich kann man diese Fragen stellen, aber ich habe auch nicht die Absicht gehabt, etwa nur nach dieser Seite des Hauses, d. h. zur Opposition, zu sprechen, sondern ebensosehr zu meiner Fraktion und zu unserer Koalitionspartei. Das ist selbstverständlich! Wenn wir glaubten, es sei bei uns alles schon in bester Ordnung, dann wäre ein solches Gespräch überhaupt überflüssig. Deshalb mag sich jeder angesprochen fühlen. Ich bin also der Meinung, Sie haben gar keinen Grund, sich zu beschweren, daß etwa Sie im besonderen herausgehoben worden wären. Das war nicht meine Absicht. Aber darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Das gilt z. B. für den Hinweis, daß nicht mehrjährige Haushaltspläne aufgestellt worden sind. Das gilt auch hinsichtlich der Überlegung, ob nicht der Anteil des Staates, der öffentlichen Hand schlechthin an ,der Vermögensbildung zu stark in den Vordergrund gerückt sei. Wenn das so ist, dann geht das zwangsläufig zu Lasten des produktiven Kapitals und der privaten Vermögensbildung. Ich bin der Meinung, hier müssen wir uns einmal ernsthaft überlegen, ob nicht eine Änderung herbeigeführt werden kann, dergestalt, daß das Fortschreiten der Vermögensbildung in der öffentlichen Hand zurückgedrängt wird und daß, wahrscheinlich am besten durch steuerliche Maßnahmen oder auch durch andere Anreize, das Einkommen der Privaten zu etwas größerer Spartätigkeit in Richtung privater Vermögensbildung ausreicht. Das gilt für die Unternehmer, für Investitionen, es gilt auch für den Arbeitnehmer hinsichtlich der privaten Vermögensbildung, vor allen Dingen dann, wenn sie produktive Anwendung und Verwendung findet. Wir sind noch lange nicht am Ende! Ich stimme Ihnen hier in gewisser Hinsicht zu; wir stehen nicht vor einer Wende. Es beginnt nicht das Unglück. Deshalb paßt Ihr Bild von den sieben fetten und den sieben mageren Jahren keineswegs. Es müßte das erste Mal sein, daß ich pessimistisch wäre. Soviel zur Richtigstellung. Die Situation hat sich verändert; die Konstellation der ökonomischen Daten stellt sich heute anders dar. Ich bin auch nicht der Meinung, daß allein der Arbeitskräftemangel die Situation verändert hat. Aber Sie werden zugeben: das ist ein entscheidendes Faktum. Wenn seit dem Jahre 1955 die Arbeitszeit in Deutschland um rund 10% zurückgegangen ist, dann haben wir trotzdem noch Fortschritte in der Steigerung des Sozialprodukts erzielt, weil eben die Arbeitskraft und der Arbeitseinsatz nicht alles sind, sondern die Produktivität, die Rationalisierung usw. dazukommen, die geistige, die schöpferische Leistung in Wissenschaft und Technik. Das hatte ich also schon nicht verwechselt. Es liegt mir am Herzen, vor allen Dingen ein anderes Problem herauszustellen. Sie haben eine sehr große Liebe zur EWG entwickelt. Das tue auch ich. Ich bejahe diese Institution vollkommen. Aber ich traue der Kommission der EWG nicht etwa die absolute Weisheit zu, und in bezug auf Wirtschaftspolitik bin ich eben in vieler Hinsicht anderer Meinung. Ich weiß auch nicht, was mich dazu zwingen könnte, unter allen Umständen meine eigenen Vorstellungen umzustoßen. Denn wenn ich die Entwicklung unter Berücksichtigung des Ausgangspunktes 1948 sehe und bedenke, was wir erreicht haben und was mit anderen wirtschaftlichen Methoden und anderen ökonomischen und Ordnungsvorstellungen in anderen Ländern der EWG erreicht worden ist, dann muß ich schon sagen: Wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel zu I stellen. Im. Gegenteil! ({2}) Wenn ich in bezug auf die Vorstellungen von Planifikation - nicht etwa von volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung und von globalen Vorstellungen - bis in einzelne Branchen hineingehe und mir vorstelle, ich könnte mir einigermaßen sicher ausrechnen, was ,irr fünf Jahren in diesem oder jenem Wirtschaftszweig produziert oder verbraucht werden wird, dann eben lehne ich derart unwirkliche Vorstellungen ab. Wir wissen ja in etwa, wohin die Planifikation geht. Jetzt ist z. B. ein Gutachten darüber vorgelegt worden, wie viele Automobile in den Ländern der EWG in fünf Jahren produziert und verbraucht werden sollen. Ich bin bereit, mit Ihnen privat jede Wette abzuschließen, daß sich das Ergebnis als „Unfug" erweisen wird. Die Zahlen stimmen unter gar keinen Umständen; sie können auch gar nicht stimmen, zumal die Entfaltung der Technik unberechenbar ist, unser ganzes Lebensgefühl sich fortdauernd ändert, neue Verbrauchergewohnheiten, neue Verbrauchsmöglichkeiten, neue Sitten auftauchen, dazu vom Ausland in einer freien Welt neue Strömungen zu uns hereinschlagen. Da soll mir jemand erzählen, wie ich. auf lange Sicht branchenmäßig gezielt rinne quantitative Voraussage machen soll! ({3}) - Das nehmen die Verfasser in Anspruch! Darum geht es ja. Wenn wir uns über Programmierung unterhalten, werde ich Ihnen die Kapitel vorlesen, in denen es gerade darum geht. Ich unterscheide mich nicht darin, daß ich hinsichtlich der staatspolitischen Ausgaben der öffentlichen Hand eine längerfristige Planung leugnen möchte. Ich bejahe sogar die Möglichkeit, ja, geradezu die Verpflichtung, auf diesem Felde vorauszuschauen, wie sich, etwa im Verkehr, die Dinge weiter entwickeln sollen oder wie andere wichtige öffentliche Ausgaben in eine gewisse längerfristige Ordnung gebracht wenden können. Aber diese Art von Vorausschau ist etwas ganz anderes els die Voraussage - um nicht zu sagen: aus dem Kaffeesatz -, was und wieviel ein Volk von 50 Millionen Menschen oder eine Gemeinschaft von 160 Millionen Menschen in fünf Jahren verbrauchen oder nicht verbrauchen wird. Wir spüren auch ganz deutlich, was daraus erwächst. Dias ist mit eine wesentliche Quelle des Protektionismus. Denn es ist wieder selbstverständlich: wenn einmal eine wirtschaftliche Ordnung auf diese Maximen ausgerichtet ist und wenn sich die Planungsbehörde nicht dauernd blamieren will, wenn sie nicht ad absurdum geführt werden will, dann muß sie dafür sorgen, daß durch entsprechende Inzucht das Ziel erreicht wird, das statistisch gesetzt wurde. ({4}) Da werde ich widerstehen, mit allen Mitteln widerstehen; denn dem Teufel gibt man bekanntlich nicht den kleinen Finger. „Im ersten sind wir frei, im zweiten sind 'wir Knechte." Ich möchte auf solche Weise die deutsche Marktwirtschaft nicht preisgeben, ganz gleichgültig, was der eine oder andere darüber denkt. Haben denn andere Länder ihre Erfolge mit diesen Planungen erzielt? Ich spreche das nicht gern aus, weil es wie eine Kritik an irgendeinem anderen Land gedeutet werden könnte, was mir völlig fern liegt. Ich brauche gar keinen Namen zu nennen. Es gibt Länder, die jetzt in ihrem vierten Vierjahresplan stehen, und wohin sie zumindest mit den ersten drei Vierjahresplänen gekommen sind, ist ja bekannt genug. ({5}) - Das ist doch ein westliches Land! ({6}) - Wenn ich es schon sagen muß - ich hoffe, es wird nicht mißverstanden -: Frankreich. ({7}) - Moment! Frankreich steht jetzt in seinem vierten Vierjahresplan, ja kommt damit bald zu Ende. Vorher aber gab es schon drei Vierjahrespläne. Niemand aber wird behaupten wollen, daß diese ersten drei Vierjahrespläne Frankreich auf eine wirklich gesunde Grundlage gestellt haben. Erst seit FrankBundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard reich marktwirtschaftliche Methoden und Prinzipien nach klaren ordnungspolitischen Vorstellungen unter einer starken Regierung eingeführt und durchgesetzt hat, ist seine Gesundung eingetreten. ({8}) Hier dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden. ({9}) Denken Sie im übrigen auch an die Preissteigerungen in den Ländern der EWG und in Deutschland. Ich bagatellisiere die Preissteigerung bei uns wirklich nicht; aber in anderen Ländern hat man damit im Augenblick sehr viel .größere Sorgen. Wir haben - um ein anderes Land zu nennen - z. B. der italienischen Statistik entnommen, daß in Italien die Preissteigerung innerhalb feines Jahres fast 10 % ausmacht. Daß sich je nach der inneren Preisentwicklung auch die Wettbewerbsbedingungen unter den Ländern verschieben, ist selbstverständlich. Aber ich halte es für einfalsches Prinzip, daß sich die Exportchancen eines Landes sozusagen nur deshalb verbessern, weil in anderen Ländern womöglich noch mehr gesündigt wird. Wenn dies das Prinzip ist, ,daß die Tugend nur aus der Differenz der Sünden besteht, dann muß ich schon sagen, daß das eine schlechte Politik ist. ({10}) Meine Damen und Herren, wir haben bekanntlich in dem EWG-Vertrag einen Art. 226, der schon manchmal angewandt worden ist. Einen ganz bestimmten Fall habe ich im Auge. Wann ist er angewandt worden? Wenn die innere Planifikation nicht stimmt, kann man damit die Schleusen herunterlassen. Unter Berufung auf diesen Artikel werden dann die Grenzen geschlossen - dann stimmt die Rechnung wieder. Auch das scheint mir eine unzureichende Ordnung zu sein. ({11}) - Das ist mir nicht bekannt! Im übrigen ist das wohl deutlich genug, Herr Kollege Deist: Wenn es unter den sechs EWG-Ländern ein Land mit der liberalsten und weltoffensten Gesinnung gibt, dann sind das wir. Wir werden wahrscheinlich noch unsere liebe Not haben, unsere Partner und Freunde auf einen Weg zu bringen, der im Zusammenhang mit der kommenden GATT-Konferenz und mit der Kennedy-Runde nicht nur für die EWG, sondern - da sind wir uns wohl wieder völlig einig - für das gesamte freie Europa einen Geist, eine Bereitschaft bezeugt. Das aber gerade würde einen glücklichen Anfang zum Gelingen der Kennedy-Runde bedeuten. Herr Kollege Deist, Sie sind mir, wenn Sie diese Vorträge hier halten, offen gestanden zu gescheit. Sie wollen alles sagen, was Sie wissen. Ich nehme an, Sie wissen vielleicht noch mehr. Ich aber bescheide mich mit dem Thema, mit dem aktuellen Stoff, um den es gerade geht. Sie machen mir zum Vorwurf, daß ich nicht alles sehe oder nicht auf alles Bezug genommen habe. Sie sagten mir z. B., es seien viele Faktoren für Angebot und Nachfrage, für das Leistungsvermögen einer Volkswirtschaft und die Kaufkraft maßgebend. Ja, das weiß ich selbstverständlich auch. Das weiß doch jeder, der etwas von Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik versteht. Aber das muß ich doch nicht jeden Tag auf den Tisch legen. Es sind doch im Grunde genommen „olle Kamellen", daß die Produktivität hier wesentlich mitspielt. Sie meinen, daß, wenn ich die Entwicklung beklage, ich nur einseitig etwa die Arbeitnehmer und die Verbrauchsausgaben angesprochen hätte. Wenn wir indessen die Qualität der Arbeitsplätze verbessern sollen, wie Sie das fordern - ich bin sehr dafür -, dann ist dafür ein hoher Kapitalaufwand erforderlich. Sie glauben - ich bin auch da wieder der gleichen Meinung -, daß sich der Wohlstand auch in der Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben auswirken soll. Das erfordert dann aber wieder einen entsprechenden Kapitalaufwand. Es ist doch die ganz simple Tatsache in einer Volkswirtschaft, daß man nicht alles zu gleicher Zeit erfüllen kann, sondern daß man in einer gewissen Schichtung, in einer Ordnungsvorstellung von Rang und Wert dahin kommen muß, ob man einmal die Akzente etwas mehr nach dieser Richtung oder nach der anderen Richtung legen solle. Es ist wohl nicht unbillig, wenn ich jetzt sage: In dieser unserer Situation - da meine ich nicht nur die deutsche, sondern die ganze weltwirtschaftliche Lage -, da wir als moderner Industriestaat in diese Entwicklung eingespannt sind, die die Völker immer freier, immer offener zusammenarbeiten läßt, erscheint es mir im Augenblick notwendiger zu sein, die produktive Seite unserer Volkswirtschaft gegenüber dem reinen Konsum stärker in den Vordergrund zu rücken. ({12}) Daß ich auch hier kein Säulenheiliger geworden bin, brauche ich nicht zu sagen. Von mir stammt doch die These „Mut zum Verbrauch". Das habe ich in einer Zeit gesagt, als das eine elementare Kraft war, um die Wirtschaft hochzuziehen, ({13}) um die Menschen voll zu beschäftigen, unsere Wirtschaft auch ergiebiger zu gestalten. In Zeiten mit einer Fortschrittsrate von jährlich 8 % und 9 % kann man diese Politik machen. Aber in einem Augenblick, da wir uns doch auch nach Ihrer Meinung in einem gewissen Umordnungsprozeß befinden, meine ich, würde es im Interesse des ganzen deutschen Volkes liegen, etwas mehr auf die produktive Seite umzuschalten, um für morgen gerüstet zu sein, um dann auch die Lebensmöglichkeiten des deutschen Volkes wieder erhöhen und den privaten Konsum aufstocken zu können. ({14}) Darum ginge mein Wunsch z. B. dahin, der Regierung etwas mehr Vollmachten in der Steuerpolitik zu geben, damit sie innerhalb einer gewissen Bandbreite etwas variieren kann. Das gleiche gilt für die Abschreibungen. Auf solche Weise würde man ein Instrumentarium in der Hand haben, das je nach der Konjunkturlage rechtzeitig eingesetzt werden könnte. Die Konjunkturlage kann sich bei diesen politischen Verhältnissen unter Umständen einmal schneller wandeln, als das bisher während eines 12-oder 14jährigen stetigen Aufschwungs der Fall gewesen ist. Herr Kollege Deist: die Güte einer Wirtschaftspolitik ist nicht daran zu messen, wieviel Möglichkeiten staatlicher Einflußnahme gezielter Art zur Verfügung stehen. Sie ist vielmehr danach zu beurteilen, ob die Funktionen dieser Volkswirtschaft erhalten bleiben und das innere Ordnungsgefüge nicht gestört wird. Das ist weniger von Einzelmaßnahmen als von einer klaren Sicht der Wirtschaftspolitik abhängig. Sie sagten vorhin: Die muß man haben. Ich habe den Eindruck, ich hab sie; wo wären wir denn sonst geblieben? Aus nichts kommt bekanntlich nichts. ({15}) Sie sagten, Sie wollten eine leidenschaftliche Debatte führen. Ach ja, schön, die können Sie haben! Aber das, was Sie gesagt haben, und die Art und Weise Ihres Vortrags haben nichts mit Leidenschaft zu tun, sondern das ist ein billiges Nörgeln an diesem und an jenem; das kann nicht mit Leidenschaft verwechselt werden. ({16}) Das soll keine Beleidigung sein. ({17}) Dann zu einem anderen Punkt! Hierzu ist schon einiges gesagt worden; ich brauche es deshalb nur ganz kurz anzudeuten. Ich habe mich wirklich dafür eingesetzt, bei uns die modernen Bauweisen stärker in den Vordergrund zu rücken. Aber es ist schon einmal gesagt worden: offenbar setzt die deutsche Individualität dem Grenzen. Der alte Zopf der Baubehörden ist ebenfalls angesprochen worden. Aber zum anderen: Wir haben z. B. bei der Europäischen Kommission den Antrag gestellt, 50 000 Fertighäuser - wenn es geht, auch noch mehr - aus Skandinavien zollfrei einführen zu dürfen. Diese Art von Häusern würde bei uns begehrt und würde unserem Geschmack entsprechen. Das ist uns abgelehnt worden. Warum? Wir sollen eben sogenannte „europäische" Häuser kaufen. Ich bin der Meinung, daß ein nordisches Haus aus Skandinavien auch ein europäisches Haus ist. Ich weiß nicht, warum derjenige, der ein solches Haus haben will, mit 17 % Zoll bestraft werden soll, - nur, weil er sein Haus nicht aus Frankreich oder Holland beziehen will? Das ist doch gewiß eine protektionistische Gesinnung! Wir müssen meiner Ansicht nach Wächter und Mahner sein, damit diese Denkweise in der Europäischen Wirtschaftsgesellschaft nicht fortschreitet. Damit komme ich zu der prophylaktischen Vorsorge. Ich bin der Meinung, daß die antizyklische Haushaltspolitik und die Möglichkeiten einer Steuerdifferenzierung und Anpassung die beste prophylaktische Vorsorge darstellen. Aber bei der starken Differenziertheit der Konjunktur nach Branchen, die nicht vorausberechenbar und nicht abschätzbar und vor allen Dingen nicht quantifizierbar ist, können Sie wieder keine gezielte prophylaktische Vorsorge treffen. Eine Wirtschaftspolitik, die zu schnellen Reaktionen fähig ist - das ist ja die Grundlage des Wettbewerbsgedankens -, schafft die beste prophylaktische Vorsorge und läßt es überhaupt nicht zu Anspannungen, zu krisenhaften Erscheinungen kommen. Sie sagten, von mir gehe der Schrei aus - in dem Wirtschaftsbericht - „Einschränken, einschränken"! Ich denke doch gar nicht daran. Diese Vokabel werden Sie von mir nicht hören. Aber ich glaube, daß die richtige Vokabel heute dahin lautet: sich anzupassen an die jeweiligen Verhältnisse. Darin, glaube ich allerdings, besteht ein echter Unterschied in unseren Vorstellungen. Alles, was Sie dazu sagen, daß der Auftragseingang vom Ausland her günstig ist - ich habe vorhin schon darauf Bezug genommen -, daß die EWG erweitert werden, daß vor allem Großbritannien hinzukommen, daß die europäische Einigung überhaupt fortgeführt werden soll, hätten Sie sich ersparen können. Sie tragen die Eulen nach Athen. Das predige ich seit zwei Jahren, nein seit fünf Jahren kämpfe ich für diese Idee; die sind also wirklich nicht neu und sind auch nicht besonders aktuell. Die Maßnahmen zur Preisstabilisierung! Sie sagten, wir nähmen ohne weiteres an, daß im Jahre 1963 die Preise um 2 bis 2 1/2 % steigen werden. Das ist nicht korrekt wiedergegeben. Wir nehmen vielmehr an, daß, wenn wir nicht etwas Entscheidendes tun, die Preise wohl um diesen Prozentsatz steigen müßten. Dabei haben wir schon in Rechnung gestellt, daß eine gewisse Abflachung Platz greift; aber sicher nicht in dem Umfang, wie er mir notwendig erscheint. Herr Dr. Deist, es ist dann eben doch die Frage: was ist denn eigentlich wichtiger für eine Volkswirtschaft, gerade für eine Volkswirtschaft der Struktur, wie sie die deutsche Volkswirtschaft ausmacht? Sollen wir den Akzent mehr auf die Zuwachsrate richten, also auf die Ausweitung, oder sollen wir den Akzent mehr auf die Stabilität legen? Ich gehöre nicht zu den Wachstumsfanatikern - um es gleich zu sagen -, obwohl ich ganz bestimmt eine expansive Wirtschaftspolitik getrieben habe. Aber in diesem Augenblick und angesichts der Entwicklung der letzten Jahre, die doch immerhin bedenklicher macht, bin ich der Meinung, daß im Augenblick der Stabilität unter allen Umständen der Vorrang gebührt vor dem Wachstum. ({18}) Denn erst auf der Grundlage der Stabilität können dann die produktiven Kräfte' wieder richtig, d. h. am richtigen Ort und mit der höchsten Wirksamkeit eingesetzt werden. Zu dem sozialen Klima! Ich würde gern alles dazutun, um das soziale Klima in Deutschland zu verbessern. Ich bin gar nicht so hoffnungslos. Es gibt doch immerhin einige Ansätze, die tragen können. Aber ich bin nicht der Meinung, daß man schlechthin sagen dürfe, man müsse das Lohn- und GehaltsBundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard einkommen unter allen Umständen erhöhen, weil die Nachfrage zu gering wäre. Nein, dem widerspreche ich allerdings mit aller Entschiedenheit, mindestens für die Konjunktur, in der wir uns im Augenblick befinden. Es gibt wohl Konjunkturlagen, in denen man die Nachfrage erhöhen muß. Gott sei es geklagt, daß z. B. Herr Brüning das im Jahre 1928 nicht getan hat, sondern den Weg der Deflation gegangen ist. ({19}) Diesen Weg gehe ich nicht; da brauchen Sie keine Angst zu haben. Aber ich glaube, daß eine Wirtschaftspolitik des Gleichgewichts im Augenblick die richtige Politik ist. Die ständigen Preissteigerungen als ein Schicksal hinzunehmen, widerspricht meinem Konzept in höchstem Maße. Wenn Sie grundsätzlich sagen, daß wir mehr Kaufkraft brauchen - wo gibt es da eigentlich die Grenze? -, dann heißt das etwa: je mehr Kaufkraft ich schaffe, desto mehr begünstige ich die Konjunktur. Da schlage ich Sie jetzt mit Ihren eigenen Worten. So einfach sind die Dinge nicht! Da sind viele Kräfte, viele Faktoren am Werke. Sonst brauchte man ja nur möglichst viel zu konsumieren, um die Konjunktur zu sichern. „Je mehr wir konsumieren, desto besser wird die Konjunktur sein"? Nein, dagegen spreche ich mich entschieden aus. Die Preissenkungen! Dazu habe ich ja gesagt: Preissenkungen sollten durchgeführt werden, wo immer die Produktivität es zuläßt oder, anders gesagt, wo trotz Lohnerhöhungen doch noch Preissenkungen möglich sind. Aber das hat dann eine Parallele. Das bedeutet volkswirtschaftlich, daß dort, wo höhere Löhne herausgeholt werden können, diese Chancen nicht bis zum letzten ausgenützt werden, um auch den anderen noch einen besseren Zutritt zum Sozialprodukt zu eröffnen. Das eine ist von dem andern nicht zu trennen. Was Sie in bezug auf die Preise von den Unternehmern verlangen, das gilt auch für die monopolistischen Schichten oder Gruppen, gilt auch für die Arbeitnehmer. Es handelt sich um keine Anklage, wenn ich das sage, sondern lediglich um eine Richtigstellung. ({20}) - Man muß beides gleichzeitig machen, aber dann müßten Sie mich auch in einer Wirtschaftspolitik unterstützen, die den Wettbewerb nicht durch Planifikation abschwächt, sondern die ihn verstärkt. Wir werden ja in dieser Legislaturperiode oder vielleicht bereits bis zum Herbst einige Gesetze hier beraten, bei denen es zum Schwur kommt, auch für meine eigene Partei, so z. B. die Kartellgesetznovelle mit der Preisbindung der zweiten Hand; ich denke auch an die Konzentrationsenquete. Ich habe z. B. bei unseren Beratungen nicht den Eindruck gehabt, daß Sie ein ganz mutiger Streiter für die Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand sind. ({21}) - Wir wollen darüber hier nicht streiten, denn, Herr Deist, ich sage noch einmal zum Schluß, ich will die Diskussion nicht verschärfen, will sie vor allen Dingen nicht feindselig gestalten. Ich habe mit diesem Wirtschaftsbericht nicht die SPD angesprochen, sondern dieses ganze Hohe Haus! Für die Entscheidungen, die schließlich hier gefällt werden, für die Ausgaben und die Haushaltsgebarung sind wir alle, die einen als Regierung, Sie als Opposition, dem deutschen Volk verantwortlich. Ich habe vorhin meine Rede damit beendet, daß ich sagte, die Regierung ist alles andere als restaurativ oder unsozial. Ich möchte Ihnen sagen, wie eis um die Einkommensverhältnisse steht. Wenn Sie das Volkseinkommen im Jahre 1950 gleich 100 setzen, dann ist der Durchschnitt 1962 nominal auf 349 gestiegen. Das Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ist auf 310, das Einkommen aus unselbständiger Arbeit auf 376 angewachsen. Nun bin ich ehrlich und sage ausdrücklich, hier kommt nicht die gestiegene Zahl der Beschäftigten zum Ausdruck; insofern ist eine Korrektur notwendig! ({22}) Auf der anderen Seite müssen Sie bedenken, daß noch andere Korrekturen notwendig sind; bei den genannten Zahlen handelt es sich um Bruttoeinkommen. Wenn Sie diese auf Nettoeinkommen umrechneten und berücksichtigten, was bei den einzelnen Einkommenskategorien konsumtiv verbraucht und investiv angelegt wird, würde sich das Bild erneut ändern. Ich will damit durchaus nicht unter allen Umständen recht behalten. Ich wollte das nur deshalb sagen, weil Sie glaubten, darauf hinweisen zu müssen, daß all dies nicht so einfach sei, wie ich es mir hier gemacht hätte. Wir wollen es uns keineswegs einfach machen. Wir wollten diesen Wirtschaftsbericht wirklich so wahrhaftig, so redlich und so ehrlich erstatten, wie es einer Behörde oder - ich möchte besser sagen - Menschen überhaupt möglich ist. Mag der Wirtschaftsbericht vielleicht unvollkommen sein, wie wir Menschen alle unvollkommen sind. Aber ich verwahre mich mit aller Schärfe dagegen, daß wir mit diesem Wirtschaftsbericht einen Mißbrauch mit der öffentlichen Meinung hätten treiben wollen, wie Sie das gesagt haben. Das ist nicht wahr! Und wer so redlich strebt und es so redlich meint, der kann es nicht dulden, in dieser Weise angegriffen zu werden. Das ist keine 'feindselige Attacke, sondern eine Richtigstellung, die absolut notwendig ist. ({23})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Deist.

Dr. Heinrich Deist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000367, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat im Laufe seiner Ausführungen dargelegt, daß die Güte einer Wirtschaftspolitik nicht davon abhänge, wieweit und in welchem Umfang der Staat seinen Einfluß auf die Wirtschaft geltend mache, sondern es darauf ankomme, daß dies am rechten Fleck geschieht. Ich möchte ihm darin völlig zustimmen. Meine Freunde und ich sind gar nicht der Auffassung, die Güte der Wirtschaftspolitik hänge davon ab, daß der staatliche Einfluß so weit wie möglich gehe. Aber wir sind ernsthaft der Auffassung, daß sie davon abhängt, ob Einfluß wirklich am rechten Fleck und zur rechten Zeit genommen wird. Der Herr Bundeswirtschfatsminister hat dazu ein Kapitel berührt, das ich hier nicht sehr ausweiten will, das jedoch ein bemerkenswertes Licht auf die Situation wirft: die Preispolitik der großen Unternehmungen. Meine Damen und Herren, hier kommt es eben darauf an, daß man das richtige Maß staatlichen Einflusses und staatlicher Begrenzung findet. Mir scheint, daß nach unserem Kartellgesetz die Möglichkeiten einer Eingrenzung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht gerade bei den Großunternehmungen nur in ganz geringem Umfange gegeben sind. Auf dieses Maß kommt es eben an. Gerade bei den Überlegungen, welchen Einfluß man auf die wirtschaftliche Entwicklung durch eine planmäßige Steuerung des Wirtschaftsprozesses nehmen kann, muß man sich sehr eingehend darüber unterhalten, .wie verschieden reagibel auf staatliche Maßnahmen die Teile der Wirtschaft sind. Der Zwang zu schärferen Eingriffen ist immer dort vorhanden, wo die Reaktionsfähigkeit der Wirtschaft auf normale staatliche Eingriffe zu gering ist. Darum ist dieses Kapitel der marktbeherrschenden Unternehmungen ein ernstes Kapitel der Wirtschaftspolitik. Der Bundeswirtschaftsminister weiß selbst, daß der Grad der Aktivität in der Preispolitik und Wirtschaftspolitik verschieden sein muß für die Wirtschaftszweige mit hohem Lohnanteil und für die Wirtschaftszweige mit geringem Lohnanteil und nach der verschiedenen Reagibilität auf wirtschaftspolitische Aktionen. Dabei ist es notwendig, in jenen Industriezweigen, in denen monopolistische Strukturen vorherrschen, eine besonders starke wirtschaftliche Aktivität zu entwickeln. Gerade der Hinweis des Bundeswirtschaftsministers auf die Preispolitik der Großunternehmungen zeigt, daß bezüglich der Wirtschaftspolitik dosierte und sehr gezielte Maßnahmen notwendig sind und daß man hier nicht in allzu globale Betrachtungen der wirtschaftlichen Lage und der Wirtschaftspolitik absinken darf. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat unterstrichen - und ich möchte ihm dafür danken -, daß viele Faktoren auf die wirtschaftliche Entwicklung und auf die Preisbildung Einfluß haben. Ich glaube nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß es überheblich ist, wenn man bei der Auseinandersetzung mit einem Jahreswirtschaftsbericht, der doch wohl die Gesamtheit der wirtschaftlichen Entwicklung in den Griff bringen soll, darauf hinweist, daß hier als mögliche Manipulationselemente der Wirtschaftspolitik im wesentlichen nur ein Baustopp auf der einen Seite und die Einschränkung der Lohnentwicklung auf der anderen Seite genannt werden und daß sonst im ganzen Bericht keinerlei wirksame Möglichkeiten einer Steuerung des Wirtschaftsablaufs aufgezeigt werden. Wenn das in einem Bericht geschieht, der doch eine grundlegende Bedeutung hat, ist es berechtigt, auf die Einseitigkeit einer solchen Betrachtungsweise hinzuweisen. Ich sage das nicht nur, weil durch diese einseitige Betrachtungsweise der Bericht Schlagseite erhält - das wäre vielleicht nicht so schlimm, weil es korrigiert werden kann -, sondern ich sage es auch, weil diese Betrachtungsweise die notwendige Auseinandersetzung der Tarifparteien und damit der verschiedenen Gruppen innerhalb der deutschen Wirtschaft außerordentlich erschwert und geeignet ist, die Verhandlungen und Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen, die ja letzten Endes zusammenwirken müssen, zu vergiften. Darum haben wir uns gegen diese einseitige Tendenz, auf dem Gebiete der Lohnpolitik eine Grenze von 3 1/2 % zu setzen, im übrigen aber diese Grenze zu leugnen, gewandt. Mir scheint, daß wir gerade in dem Stadium, in dem wir sind und in dem wir nach der großen Expansion, die wir nach dem Krieg und Zusammenbruch hatten, auf eine normalere wirtschaftliche Entwicklung zusteuern, Methoden finden müssen, um die Ansprüche der verschiedenen Gruppen der Bevölkerung auf ein angemessenes Maß zueinander zurückzuführen. An diesem Wirtschaftsbericht haben wir auszusetzen, daß er, unabhängig von seinem theoretischen Teil, in seinen Empfehlungen außerordentlich einseitig in der Verteilung der Lasten ist, daß er auf der einen Seite dem Staate eine Einnahmenpolitik gestattet, die weit über das normale durchschnittliche Maß hinausgeht, daß er auch der Wirtschaft eine Expansionspolitik zugesteht - ich gebe zu, daß man es in dieser wirtschaftspolitischen Situation tun muß -, die über den normalen Produktivitätszuwachs hinausläuft, und daß er mit aller Härte verlangt, daß die Lasten dieser Entwicklung ganz einseitig von einer Gruppe der deutschen Wirtschaft getragen werden, nämlich der Arbeitinehmerschaft! Das ist die Crux dieses Berichtes. Ich meine, wir sollten uns bemühen, bei Erörterungen über das, was wirtschaftspolitisch notwendig ist, ein etwas größeres Maß an Objektivität obwalten zu lassen und die Lasten gerechter zu verteilen, als es nach diesem Wirtschaftsbericht der Fall ist. Wir sollten uns auch überlegen, ob das, was vorgeschlagen ist, wirklich ein zweckmäßiges Mittel ist, um eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen. Ich habe nicht ohne Absicht darauf hingewiesen, daß es zu unglücklichen Entwicklungen führen müßte, wenn die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministers in diesem Bericht tatsächlich befolgt würden. Wenn nämlich die theoretische Forderung, alles - die Wirtschaft mit ihrer Expansion, der Staat mit seinen Ausgaben und die Bevölkerung mit ihren Ansprüchen - solle sich auf den vorgesehenen realen Zuwachs von 3 1/2 % beschränken, würden wir eine Stagnation, wenn nichts Schlimmeres in Kauf nehmen müssen. Schließlich kommt .es darauf an, daß man sich über diese Grundlagen der Wirtschaftspolitik klar wird. Noch ein Wort zu der Frage der prophylaktischen Vorsorge. Herr Bundeswirtschaftsminister, keiner auf dieser Eide ist ein Prophet, und wer das für sich in Anspruch nehmen wollte, dem würde man mit Recht sagen, er überhebe sich. Infolgedessen können solche Wirtschaftsrechnungen und wirtschaftlichen Voraussagen auch nicht unter diesem Gesichtspunkt aufgestellt werden - sie sollten dann aber auch nicht so beurteilt werden -,,als wenn sich hier einer anheischig mache, zu prophezeien, wie die Entwicklung in der Zukunft laufen werde. Von der Illusion, daß das in dieser Welt möglich sei, sollten wir alle wohl geheilt sein. Worum es geht, ist etwas ganz anderes. Es geht darum, gewisse Richtlinien für die eigene Politik festzulegen und dazu gewisse Abschätzungen der zukünftigen Entwicklung vorzunehmen. Das heißt nicht, daß diese Entwicklungen unbedingt so eintreffen müssen, wie sie abgeschätzt werden; denn wir betreiben ja keine Prophetie, sondern wir versuchen, Entwicklungslinien aufzudecken. Es ist das Wesen einer modernen Wirtschaftspolitik, daß sie die Instrumente, die wir heute haben, nutzt, um diese Entwicklungstendenzen einigermaßen richtig abzuschätzen und darauf gleichzeitig die wirtschaftspolitischen Maßnahmen auszurichten. Herr Bundeswirtschaftsminister, hier scheint mir allerdings ein Unterschield zwischen uns (zu liegen, indem Sie sagen, es sei nicht möglich ich hoffe, daß ich es richtig verstanden und notiert habe -, prophylaktisch die notwendige Vorsorge zu treffen. ({0}) - Eine gezielte. Ich meine, über die Frage, wieweit gezielt, läßt sich reden. Wer da meint, beinahe jeden einzelnen Vorgang vorausberechnen zu können und darauf gezielt seine Wirtschaftspolitik aufstellen zu können, der befindet sich in einem großen Irrtum. Jedenfalls befinde ich mich in diesem Irrtum nicht. Es handelt sich vielmehr um das Vorsehen und um die Beeinflussung der großen wirtschaftlichen Entwicklungstendenzen. Ich freue mich, daß ich hiernach offenbar feststellen kann, daß es wohl möglich ist, diese Entwicklungstendenzen in großen Zügen, nicht etwa in ihren Einzelheiten, einigermaßen abzuschätzen, nicht mit Sicherheit vorauszusehen und vorauszusagen, sondern einigermaßen abzuschätzen und darauf auch die Wirtschaftspolitik vorsorglich einzustellen. Gerade das ist es, was ich mit meinen Ausführungen erstrebte: das Verständnis dafür zu wecken, daß es möglich und heute auch notwendig ist, die Entwicklungstendenzen so zuverlässig wie möglich abzuschätzen und danach rechtzeitig wirtschaftspolitische Maßnahmen zu treffen. Was uns an diesem Wirtschaftsbericht eine der schwierigen Seiten zu sein scheint, ist, daß er in dem, was er praktisch vorschlägt, einseitig auf die Lohnentwicklung abstellt., als wenn es überhaupt kein anderes Element der wirtschaftspolitischen Entwicklung gäbe, das man mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen steuern könnte. Meine Damen und Herren, sagen Sie nicht - der Herr Bundeswirtschaftsminister hat soeben darauf hingewiesen -, es gebe soviel ,andere Möglichkeiten, das sei so oft erörtert worden, das könne man nicht immer wieder erörtern. Wenn die Bundesregierung einen solchen Jahresbericht erstattet, der ja doch wohl die Grundlage für die Wirtschaftspolitik der Regierung im kommenden Jahr sein soll, dann muß sie die verschiedenen Elemente der wirtschaftlichen Entwicklung und die verschiedenen Möglichkeiten des Wirtschaftlichen Eingreifens in ihrer Gesamtheit darlegen. Daß hier die Drosselung des Lohnzuwachses auf 3 % praktisch ,als einziges Mittel der Wirtschaftspolitik herausgestellt wird, ist nach meiner Überzeugung nicht etwa ein Zufall, sondern doch wohl im wesentlichen durch die Linie dieser Wirtschaftspolitik mitbestimmt.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinrich Deist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000367, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Bitte, Herr Dr. Schwörer.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Deist, sollte Ihnen - wenn Sie sagen, es sei als einziges Mittel die Drosselung der Löhne gefordert - bei der Lektüre des Wirtschaftsberichts entgangen sein, daß es unter Punkt 40 heißt: „Die Steigerung der Gesamtausgaben der öffentlichen Hand . . . muß in dieser Entwicklungsphase an der zu erwartenden Steigerung des realen Sozialprodukts orientiert werden"? Das ist doch auch eine Forderung, die in diese Richtung geht.

Dr. Heinrich Deist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000367, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich bin darauf vorhin in meinen Ausführungen ja eingegangen. Bis heute kann ich nur feststellen, daß die Haushaltsvorschläge und das, was bei den Haushaltsberatungen zum Ausdruck kommt, deutlich zeigen, daß von einer Zurückhaltung auf dem Gebiet der öffentlichen Ausgaben überhaupt nicht die Rede sein kann, sondern daß die Steigerung der öffentlichen Ausgaben selbst das, was in dieser Vorschau vorgesehen ist, nämlich eine Steigerung von 9 %, offensichtlich noch wesentlich überschreiten wird. Herr Kollege, es finden sich manche goldenen Worte in dem vorliegenden Bericht. Es kommt aber nicht darauf an, ob hier und da ein goldenes Wort eingesprenkelt wird, sondern es kommt darauf an, welche Konsequenzen in dem Bericht selber und welche Konsequenzen in der Wirtschaftspolitik aus den Feststellungen des Berichts gezogen werden. Da kann ich nur feststellen, daß die öffentliche Ausgabenpolitik, die ja von der Mehrheit dieses Hauses bestimmt wird, im Widerspruch zu den Richtlinien des Wirtschaftsberichts steht. Entweder sind die Richtlinien des Wirtschaftsberichts falsch, oder die Politik, die Sie hier treiben, ist falsch; das will ich im einzelnen nicht untersuchen. Jedenfalls lassen sich diese Richtlinien und die Politik, die von der Mehrheit dieses Hauses, insbesondere von Ihrer Partei, Herr Bundeswirtschaftsminister, bestimmt wird, nicht auf einen Nenner bringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte nur noch eine Schlußbemerkung machen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dargelegt, er werde den Akzent der Wirtschaftspolitik in Zukunft mehr auf Stabilität als auf Zuwachs des Sozialprodukts legen. ({0}) - Ja, zur Zeit. Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß es bei der Ausgewogenheit, die eine Wirtschaftspolitik in bezug auf ständige Fortentwicklung und auf Stabilität des Preisniveaus haben muß, durchaus Variationsmöglichkeiten und Variationsnotwendigkeiten gibt, - die Möglichkeit, einmal mehr auf den Zuwachs, ein andermal mehr auf die Stabilität der Verhältnisse Wert zu legen. Nur glaube ich - und ich meinte, ich hätte dafür einiges Zahlenmaterial dargelegt -, daß wir uns bereits in einem Stadium der Entwicklung befinden, in dem die restriktive Politik, die Sie zur Zeit befürworten und die zuzeiten durchaus berechtigt sein mag, durch die wirtschaftliche Entwicklung bereits überholt ist, und daß wir bereits eine Schwäche der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt zu verzeichnen haben. Die Regierung müßte in ihrer Politik die Akzente mehr auf Wachstum als auf die Stabilität legen. Wer die wirtschaftliche Entwicklung sieht und sich ein klein wenig mit dem Zahlenspiel und der Zahlenentwicklung befaßt, kann jedenfalls nicht bestreiten, daß das in unserer wirtschaftlichen Situation ein ernsthafter Diskussionspunkt für uns sein muß. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat über die Art, in der ich argumentiert habe, einige Worte fallen lassen, auf die ich hier nicht eingehen möchte. Ich möchte nur sagen: wenn ein solch umfangreicher Wirtschaftsbericht vorgelegt wird, Herr Bundeswirtschaftsminister, und wir uns hier im Hause mit einem solchen Wirtschaftsbericht befassen, so ist es nur natürlich und entspricht es der Sache wie auch dem kontradiktorischen Charakter demokratischer Verhandlungen, daß von der Seite der Regierung und ihrer Parteien in erster Linie die positiven Elemente und von der Seite der Opposition in erster Linie die negativen Elemente herausgestellt werden. Das ist die normale Arbeitsteilung, bei der die verschiedenen Seiten in einem parlamentarischen Raum angemessen zum Ausdruck kommen. Ich habe zu Anfang die positiven Gesichtspunkte deutlich herausgestellt und meine, es ist die Aufgabe der Opposition, deutlich zu machen, daß wir in dieser restriktiven Politik, die den ganzen Wirtschaftsbericht durchläuft, bei der augenblicklichen konjunkturellen Situation eine Gefahr sehen. Ich meine, daß, gerade wenn die Opposition diesen Standpunkt deutlich herausstellt, erst die Grundlage gegeben ist für eine sachliche, ordnungsmäßige Diskussion der Probleme, vor denen wir stehen und die wir gemeinsam zu lösen haben. Ich kann deshalb Ihrer Einordnung der Ausführungen der Opposition nicht beistimmen. Wir haben die Aufgabe, auf die kritischen Elemente einer wirtschaftlichen Entwicklung hinzuweisen, damit in der Zusammenarbeit, durch die Darstellung der Regierungsparteien und durch die Darstellung der Opposition, ein tragbares Ergebnis erzielt wird. Wenn wir diese Aufgabe der Opposition verleugnen wollten, würden wir die Demokratie verleugnen. ({1})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Abgeordnete Haase.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen unid Herren! Die Debatte lebt wieder auf. Ich werde versuchen, meine Ausführungen zu straffen unid Ihre Aufmerksamkeit, soweit sie Sie mir noch schenken können, nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Wir wissen alle um den großen Einfluß, den die Verhaltensweise der öffentlichen Hand, besonders über Besteuerung und Haushaltsgestaltung, heute auf die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Lande ausübt, und zwar im positiven als auch im negativen Sinne. Der eine oder andere Gedanke, den ich hier vortragen werde, ist sicher heute schon angeklungen. Aber man sollte diese Gedanken - ich halte sie für außerordentlich wichtig - kurz noch einmal zusammenfassen. Vielleicht sind auch Vorschläge darunter, die von den Sozialdemokraten in der Vergangenheit schon einmal gemacht worden sind. Inwieweit sie damals aktuell waren, darüber kann man vielleicht streiten. Manche sind heute sicher aktuell. Im übrigen halte ich es für wenig sinnvoll, für gute Gedanken bei jeder Gelegenheit das Erstgeburtsrecht zu beanspruchen. Wir wären töricht, wollten wir praktikable Vorschläge der Opposition nicht aufgreifen, und die Opposition hat ja auch genug gute Vorschläge der Christlichen Demokraten vor nicht allzu langer Zeit aufgenommen. Es sollte hier ein beiderseitiges Geben und Nehmen stattfinden. Nach dem Wirtschaftsbericht liegen die Gründe für die Preissteigerung nach wie vor darin, daß die nominale Nachfrage in der Gesamtwirtschaft das reale Angebot an Waren und Dienstleistungen weiterhin übertraf. Herr Dr. Deist sieht sicher einen weiteren Grund für die Preissteigerungen in der Unbeweglichkeit mancher Preise infolge kartellarischer und monopolistischer Absprachen. Nun, ich sehe diese Dinge für die Vergangenheit im wesentlichen durch monetäre Entwicklungen begründet. Aber ich kann hier nicht weiter darauf eingehen. Hervorgerufen wurde diese Überbeanspruchung des Sozialprodukts unter anderem durch die Ausgabensteigerung der öffentlichen Hand weit über den nominalen Zuwachs des Sozialprodukts hinaus. Es spielen in diesem Zusammenhang natürlich auch andere Faktoren eine Rolle, in der Vergangenheit vor allem Zahlungsbilanzüberschüsse, die Adjustierung unseres Preisniveaus an das internationale Preisniveau - bei beiden Dingen spielt die Notenbankpolitik eine Rolle und drittens ein allseitiger Investitionsboom. Auf eine Analyse dieser Faktoren möchte ich aber verzichten. Ich werde mich auf eine kurze Untersuchung der Haushalts- und Finanzfragen beschränken. Der Wirtschaftsbericht deutet mit Recht an, daß der Rückgang der gesamtwirtschaftlichen WachsHaase ({0}) tumsrate die öffentliche Hand zu größerer Zurückhaltung in ihrer Ausgabenwirtschaft veranlassen sollte, und fordert, die Steigerung der Gesamtausgaben in Bund, Ländern und Gemeinden an der zu erwartenden Steigerung des realen Sozialprodukts zu orientieren. Wie schwer es ist, diese ökonomischen Grundsätze in der praktischen Tagespolitik zu vertreten und zu verwirklichen, wissen wir alle. Auf die Lage des gegenwärtigen Bundeshaushalts kann ich nicht mehr eingehen. Diese Diskussion mag der Haushaltsberatung vorbehalten bleiben. Wir sollten uns aber hier im Parlament und unseren Kollegen draußen in den gesetzgebenden Körperschaften täglich aufs neue vor Augen führen, wie schädlich die Wirkungen der übermäßigen Expansion des Staatsverbrauchs auf allen Gebieten unseres politischen und wirtschaftlichen Lebens sind. Schuldige zu suchen ist müßig. Wir müssen uns alle an die Brust klopfen und eingestehen, daß wir auch hier im Hause oft gegen besseres Wissen den bequemeren, aber letztlich verhängnisvollen Weg gegangen sind. Regierung und Parlament sollten künftig versuchen, die Haushaltsgestaltung mehr an den konjunkturpolitischen Notwendigkeiten auszurichten. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Gedanken meines Freundes Schmücker aufgreifen und unterstreichen: Es ist notwendig, von der isolierten Betrachtung der Ausgaben wegzukommen. Die parlamentarische Praxis bringt es mit sich, daß vielfach zusätzliche finanzielle Anforderungen einzeln und isoliert an die Bundesregierung herangetragen werden. Für jede dieser Forderungen werden gewichtige Gründe geltend gemacht, die ihre politische, soziale und wirtschaftliche Notwendigkeit beweisen sollen. Läßt sich die Regierung auf eine gesonderte Auseinandersetzung über die vorgetragenen Wünsche ein, so erweist sich meist die Unmöglichkeit, mit haushaltsmäßigen Begründungen den Anträgen zu entgegnen. Die Einzelbetrachtung, die hier praktiziert wird und die den Gesamtzusammenhang nicht berücksichtigt, läßt die entscheidenden finanzpolitischen Gesichtspunkte überhaupt nicht zur Geltung kommen. Inwieweit Wünsche realisierbar sind, kann man vernünftig letztlich nur im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Anforderungen und der verfügbaren Deckungsmittel zutreffend beurteilen. Nur eine Gesamtbehandlung ermöglicht die Aufstellung einer Dringlichkeitsskala der Bedürfnisse und gestattet eine verantwortliche Entscheidung über Bewilligung, Kürzung oder Streichung. Um isolierte Vorwegbewilligungen zu verhindern, die einen Haushaltsausgleich gefährden, sollte künftig sichergestellt werden, daß Gesetze, in deren Gefolge erhebliche finanzielle Engagements erwachsen, nur in Zusammenhang mit der Entscheidung über den Jahreshaushalt beschlossen werden dürfen. Gelänge es, die Verabschiedung finanziell bedeutsamer Vorhaben zeitlich zu konzentrieren, dann wäre damit eine haushaltswirtschaftliche Gesamtbeurteilung ermöglicht. Man wäre in der Lage, unter den zur Erörterung stehenden Einzelvorhaben eine Auswahlentscheidung nach Dringlichkeit zu treffen. In diesem Zusammenhang sollte auch überlegt werden, ob die Vorlage der Einzelberichte und Pläne wie Grüner Plan und Grüner Bericht, die vielfach doch auch von erheblichen Ausgaben begleitet sind, nicht ebenfalls auf besagten Termin gelegt werden sollten. Auch diese Maßnahme würde den aufgezeigten Gegebenheiten Rechnung tragen und für eine größere Überschaubarkeit der Haushaltssituation sorgen. Also die erste Forderung: nur einmal im Jahr Gelder zu verteilen. Eine andere Schwierigkeit liegt darin, daß die Neigung sich geltend macht, die finanzielle Realisierbarkeit gesetzlicher Vorhaben, die langfristig den Haushalt belasten werden, in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der augenblicklichen Haushaltslage zu beurteilen. Wir neigen dazu, umfassende gesetzgeberische Pläne zu erörtern und möglicherweise darüber zu beschließen, ohne uns immer im klaren darüber zu sein, ob und wie sich daraus ergebende zusätzliche Dauerbelastungen sich in die Haushaltswirtschaft künftiger Jahre organisch einordnen lassen. Zum Teil erklärt sich dies aus ungenügender Information über die Wirtschaftslage und über die künftige Haushaltsentwicklung. In diesem Zusammenhang bedeutet der Wirtschaftsbericht, der jährlich vorgelegt werden soll, eine Verbesserung der Unterrichtung auch der Abgeordneten. Jede neue Verpflichtung, die die öffentliche Hand übernimmt, tritt in Konkurrenz zu schon bestehenden Dauerlasten. Da neue gesetzgeberische Vorhaben, wenn sie erst einmal realisiert sind, kaum wieder rückgängig gemacht werden können - ich denke z. B. an unsere Sozialgesetzgebung -, setzt die parlamentarische Behandlung voraus, daß hinreichend Klarheit besteht, Klarheit vor allem darüber, ob die langfristig zur Verfügung stehenden Einnahmen ausreichen, neben den schon bestehenden Dauerverpflichtungen auch die neuen Aufgaben zu finanzieren. Es sollte in Erwägung gezogen werden, eine Finanzpolitik auf längere Sicht zu betreiben, und der Herr Vizekanzler hat ja in diesem Zusammenhang auch bereits Zusagen gemacht. Die Bundesregierung sollte ein Rahmenprogramm erarbeiten. Es sollte eine gewisse Vorausschau über die Entwicklung des Sozialproduktes und der öffentlichen Einnahmen darin enthalten sein, und es sollten demgegenüber die notwendigen und erwünschten Ausgaben aufgezeigt werden, vielleicht differenziert nach großen Ausgabengruppen. Dieser Rahmenplan könnte auch in etwa die wirtschafts-und finanzpolitische Konzeption der Bundesregierung für einen gewissen Zeitraum wiedergeben. Die Kenntnis seiner Einzelheiten würde es ermöglichen, eine allgemeine Rangordnung der öffentlichen Bedürfnisse zu bestimmen. Dies sind sicher keine neuen Ideen, aber es ist doch angezeigt, sie wieder einmal zu durchdenken und zu überlegen. Zweite Forderung also: langfristige Haushaltspolitik, wie wir sie z. B. schon auf dem Verkehrssektor haben. Die Haushaltsgestaltung muß mehr Haase ({1}) zu einem Instrument der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik werden. Nur über eine solche langfristige Vorausschau wäre es auch möglich, eine Finanzreform erfolgreich in Angriff zu nehmen. Hier nur noch einige wenige Hinweise! Verfassungsrechtlich sind Bund und Länder in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig. Inwieweit diese Unabhängigkeit sich mit der Erkenntnis verträgt, daß volkswirtschaftlich und konjunkturpolitisch die Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden als eine Einheit betrachtet werden müssen, das zu beurteilen überlasse ich jedem einzelnen. Meines Erachtens kann diese garantierte Unabhängigkeit der regionalen und kommunalen Haushaltswirtschaften in Zeiten wirtschaftlicher Spannung zu einer ernsten Gefahr für die Geldwertstabilität und das volkswirtschaftliche Wachstum werden. Appelle an die Vernunft und das Einsehen der Beteiligten halte ich für nur sehr bedingt wirksam. Beispiele aus letzter Zeit ließen sich genug bringen. Denken Sie nur daran: Der Bund hält sich auf dem Baumarkt zurück, während viele Gebietskörperschaften ihre Baubemühungen verstärken. Daß hier Bund, Länder und Gemeinden nicht im Gleichschritt gehen, versteht der Mann auf der Straße nicht; es wird immer eine Quelle des Ärgernisses sein und erscheint mir geeignet, unseren Staatsaufbau in der Bevölkerung draußen zu diskreditieren. Der Bund müßte die Handhabe bekommen, notfalls auf die Haushaltspolitik der Länder und der Gemeinden mit dem Ziel ihrer Anpassung an die konjunkturpolitischen Erfordernisse einzuwirken. ({2}) - Natürlich, Herr Kollege, wenn es ein guter Gedanke ist, warum soll er nicht aufgegriffen werden! ({3}) - Einen Augenblick! Ich führe es ja noch weiter aus. Zur Erreichung einer antizyklischen Haushaltspolitik könnte eine Ergänzung zu Art. 109 des Grundgesetzes in Erwägung gezogen werden. Mit dem Hinweis, daß sie die föderativen Verfassungsprinzipien berühre, könnte die Ablehnung dieser Grundgesetzänderung nicht gerechtfertigt werden, weil die Sicherung der Geldwertstabilität doch gewiß absolute Priorität vor dem Anspruch der Länder und Gemeinden auf Wahrung ihrer haushaltspolitischen Eigenständigkeit haben muß. Sollte die Ergänzung des Grundgesetzes trotzdem nicht zu erreichen sein, dann sollte die Bundesregierung ein Abkommen mit den Ländern anstreben. Diese sollten sich bereit erklären, sich in ihrer Haushaltsführung mindestens die gleichen Beschränkungen aufzuerlegen, zu denen sich auch der Bund bereit findet. Die dritte Forderung heißt: Haushaltspolitischer Gleichschritt bei Bund, Ländern und Gemeinden. Die anderen Fragen der Finanzreform sind im Augenblick und in diesem Zusammenhang nicht bedeutungsvoll. Lassen Sie mich abschließend noch einige Worte zur antizyklischen Haushaltspolitik im engeren Sinne sagen. Diese Forderungen lassen sich nur in begrenzten Bereichen verwirklichen. Auf dem Gebiet der öffentlichen Einnahmen, namentlich der Steuern, begegnen kompensatorische Maßnahmen wie Änderung der Steuersätze praktisch und politisch großen Schwierigkeiten. Da Steuern den Charakter von Daten haben, die in die langfristigen Planungen einbezogen werden, erscheint es auch fraglich, ob kurzfristige Manipulationen wirtschaftspolitisch erwünscht sind. In unserer gegenwärtigen Situation bietet sich hier lediglich eine Überprüfung der Einkommensteuer an, besonders im Hinblick auf die Beseitigung der zu früh einsetzenden Progressionszone. Hier sollte eine Steuersenkung in Erwägung gezogen und der Bund zum Ausgleich gegebenenfalls auf den Kapitalmarkt verwiesen werden. Wäre es nicht gut - auch aus gesellschaftspolitischen Gründen -, daß die öffentliche Hand mehr als bisher zur Finanzierung öffentlicher Investitionen den Anleiheweg beschreitet? ({4}) Ich begrüße die Meinung, die der Herr Vizekanzler hier vorgetragen hat: Der Staat sollte sich bei seinen Bürgern stärker verschulden, anstatt ihnen die Mittel zur Investitionsfinanzierung durch Besteuerung endgültig zu entziehen. Sollte nicht die Selbstfinanzierung der öffentlichen Hand etwas eingeschränkt werden? Eine höhere Staatsverschuldung würde auch die ungesunde Vermögensakkumulation der öffentlichen Hand auf ein vertretbares Maß zurückführen. ({5}) Auf der Ausgabenseite der Haushalte scheiden innerhalb des Instrumentariums der Konjunkturpolitik die laufenden Aufwendungen weitgehend aus, da sie zum großen Teil verbindlich festgelegt sind und daher entsprechend dem Konjunkturverlauf kurzfristig weder ausgedehnt noch eingeschränkt werden können. Dies trifft für den größten Teil der öffentlichen Investitionen jedoch nicht zu. Diese sind im allgemeinen nicht so starr festgelegt und nicht so dringend und unabweisbar. Eine Ausnahme macht vielleicht der Straßenbau; das sage ich zur Beruhigung meines Freundes Lemmrich. Gegenwärtig wird annähernd die Hälfte der gesamten Investitionen in der Bundesrepublik direkt oder indirekt durch öffentliche Stellen gesteuert. Dieses beträchtliche Gewicht, das die öffentlichen Investitionsausgaben gesamtwirtschaftlich erreicht haben, verlangt geradezu eine konjunkturpolitische Dosierung. Der Einsatz der öffentlichen Investitionshaushalte im Dienst der Konjunkturpolitik bietet auch den Vorteil gezielter Maßnahmen, die gegebenenfalls branchenweise und schwerpunktmäßig differenziert werden können. ({6}) - Natürlich! Sollen wir nicht dem Schiffbau helfen? Herr Kollege, darüber sind wir uns doch alle einig. Haase ({7}) Es wäre eine Torheit, das bestreiten zu wollen. Da gibt es doch in diesem Hause keine Gegensätze. ({8}) Ein elastischer Vollzug der Investitionshaushalte könnte Schwankungen der privaten Investitionstätigkeit wenigstens teilweise ausgleichen. Eine konjunkturgerechte Steuerung der öffentlichen Investitionstätigkeit setzt jedoch voraus, daß wir auch hier zu einer langfristigen Haushaltsbetrachtung kommen, wie es von meinen Freunden heute schon angedeutet worden ist. Das gegenwärtig praktizierte Verfahren der Haushaltsbewilligung müßte modifiziert werden, und es müßte insbesondere für längere Zeiträume ein Investitionshaushalt geschaffen werden, der aus dem jährlichen Etatbewilligungsverfahren ausgeklammert und einer Sonderregelung unterworfen wird. Meine Damen und Herren, darf ich meine Gedanken kurz zusammenfassen: Erstens. Künftig keine Einzelbetrachtung der öffentlichen Ausgaben mehr. Gesetze, die finanzielle Belastungen bringen, und alle Berichte zusammen mit dem Haushalt beraten. Mittelverteilung nur noch einmal im Jahr. Zweitens. Langfristige Haushaltspolitik, besonders langfristige Gestaltung der Investitionshaushalte. Die Haushaltspolitik muß noch mehr zu einem Mittel der Konjunkturpolitik werden. Drittens. Herstellung eines wirtschaftspolitischen Gleichschritts zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Viertens. Stopp der starken Selbstfinanzierung der öffentlichen Hand. Der Staat sollte sich stärker bei seinen Bürgern verschulden. Meine Damen und Herren! Die hier vorgetragenen Überlegungen sind gewiß schon öfter angestellt worden. Es sind auch mehr oder weniger ökonomische Grundtatsachen, die wir uns aber aus Anlaß der Vorlage des Wirtschaftsberichts erneut durch den Kopf gehen lassen sollten. Könnten wir uns alle entschließen, hier in diesem Hause - das gilt auch für Sie, Herr Kollege Matthöfer, und Ihre Kollegen, denn Sie sind doch diejenigen, die die Dinge oft anheizen; die Zusammenhänge sind doch jedem hier glasklar - danach zu handeln, würden wir im Sinne der sozialen Marktwirtschaft, die Sie ja auch nun bejahen, ({9}) ein angemessenes Verhalten an den Tag legen zum Nutzen unserer Volkswirtschaft. ({10})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Herr Kollege Haase hat soeben seine Jungfernrede gehalten. Ich beglückwünsche ihn dazu. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Siemer.

Dr. J. Hermann Siemer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wage kaum mehr, zu so später Stunde noch etwas zu sagen. Aber damit in der Optik wenigstens alles richtig steht und die Landwirtschaft nicht fehlt, die einiges zu diesem Wirtschaftsbericht zu sagen hat, verzeihen Sie mir, wenn ich versuche, in wenigen Worten einige Gedanken zu dem Wirtschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums mitzuteilen. Wir bekommen schon seit acht Jahren einen gegenüber dem Wirtschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums viel größeren und umfassenderen Bericht, der unsere Landwirtschaft durchleuchtet. Ich habe nun den Wirtschaftsbericht, den die Bundesregierung vorgelegt hat, doch einer genauen Durchsicht unterzogen und habe festgestellt, daß auch die Landwirtschaft zweimal erwähnt wird. Wenn auch die Landwirtschaft infolge ihrer Bodenabhängigkeit und der Abhängigkeit von Naturbedingtheiten eine ganz besondere Stellung innerhalb der Gesamtwirtschaft einnimmt, so ist und bleibt sie doch ein Teil der gesamten Wirtschaft. Die Fähigkeit zum Austausch zwischen der Landwirtschaft und der übrigen Wirtschaft ist nicht so, daß diese eine Oase innerhalb der Wirtschaft bildet, sondern die Landwirtschaft ist eng mit der übrigen Wirtschaft verbunden, wie ich noch an einigen Daten zeigen werde. Zum Anfang meiner Ausführungen möchte ich sagen, daß ich den Wirtschaftsbericht, den ich sehr aufmerksam gelesen habe, sehr begrüße, weil er uns die Möglichkeit gibt, nunmehr auch einen Einblick in das gesamtwirtschaftliche Geschehen zu nehmen und es mit dem zu vergleichen, was uns in den Grünen Berichten dargetan wird. In Ziffer 21 des Berichts, in der die Frage der Preiserhöhungen behandelt wird, wird eine ganz bestimmte Aussage über die Landwirtschaft gemacht. Der Bericht stellt fest, daß für den Anstieg der Verbraucherpreise im Jahre 1962 auch die Entwicklung der Ernährungskosten von Einfluß war. Schlechte Ernteergebnisse im Vorjahr und die ungünstige Witterung im Frühjahr 1962 lösten bei pflanzlichen Produkten einen starken Preisanstieg aus. Ein großer Teil der Verteuerung in der Lebenshaltung wurde durch diesen Sonderfaktor ausgelöst. Eine zweite Bemerkung findet sich im Abschnitt C - Die Aussichten für die Wirtschaftsentwicklung im Jahre 1963 - in Kapitel II - Angebotsentwicklung -. Dort heißt es in Ziffer 27, daß die landwirtschaftliche Erzeugung unter der Voraussetzung normaler Witterungsbedingungen um rund 1 % steigen wird. Es ist zwar nicht viel, was in dem Bericht über die Landwirtschaft enthalten ist. Aber es beleuchtet doch sehr eindrucksvoll die Stellungnahme unserer Wirtschaftsexperten zum landwirtschaftlichen Produktionsgeschehen. Zunächst einmal darf ich Ihnen sagen, daß an Hand unserer Grünen Berichte genau nachgewiesen werden kann, daß sich die Erzeugungsindizes vom Jahre 1958/59 bis zum Jahre 1961/62 nicht verändert haben. Ich wiederhole: die Erzeugerpreise sind gleichgeblieben. Zweitens. Wir unterscheiden in den Indizes nicht nur die Gesamterzeugerpreise, sondern auch die Preisentwicklung für die pflanzlichen Erzeugnisse, soweit sie sich auf Sonderkulturen beziehen. Hier ist vielleicht infolge der Witterungsverhältnisse eine unterschiedliche Bewegung gewesen. Der Gesamtindex der landwirtschaftlichen Erzeugnisse blieb dagegen gleich, so daß also der Einfluß auf das Verbraucherpreisniveau nur in einem Preisanstieg liegen kann, der außerhalb der Landwirtschaft begründet ist. Ich möchte, daß dies einmal festgehalten wird, weil es von Bedeutung ist, herauszustellen, daß sich bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen in der Grundpreisgestaltung zwölf Jahre hindurch fast nichts verändert hat. Man wird fragen: Wieso? Herr Kollege Dr. Deist hat vorhin auf die Ernährungsgüter verwiesen, die im Preis gestiegen seien. Ich gebe zu, das stimmt. Aber nehmen wir z. B. unser täglich Brot. Wir wissen, daß im Brötchen nur für 2 Pfennig Mehlprodukte enthalten sind. Das Brötchen hat vor nunmehr ungefähr zehn Jahren 5 Pfennig gekostet. Heute kostet es 8 oder 9 Pfennig. Der Mehlanteil ist nicht größer geworden. Auch was sonst in dem Brötchen steckt, ist im Preis, soweit es den Erzeuger betrifft, nicht gestiegen, sondern sogar um einige Prozent gefallen. Nun zur zweiten Bemerkung, die der Wirtschaftsbericht dartut. Die landwirtschaftliche Erzeugung, so wird gesagt, wird im Jahre 1963 voraussichtlich um 1 % steigen. Gleichzeitig wird dargetan, daß für 1963 ein reales gesamtwirtschaftliches Wachstum von 31/2 % erwartet werde. Zu diesen Zahlen darf ich etwas sagen. Das wirtschaftliche Wachstum der letzten Jahre zeigte größere Zuwachsraten, wie der Bericht ergibt: 1960 8 1/2 %, 1961 51/2 %. Die nominalen Zuwachsraten waren noch größer: 196012 % ,1961 10 % und 1962 8 1/2 %. Wenn wir von der Annahme ausgehen, daß die weitere Entwicklung des Wirtschaftswachstums wenn auch nicht in dem großen Rahmen der vorhergehenden Jahre, so doch in dem von dem Bericht vorsichtig angenommenen Umfang weitergeht, dann ergibt sich, daß wir vom Wirtschaftsjahr 1958/59 an bis zum Jahre 1975 einen Zuwachs von - je nachdem, ob Sie der optimistischen oder der weniger optimistischen Meinung zuneigen - 60 bis 80 % haben werden. Die Landwirtschaft wird bei optimistischer Beurteilung in dieser Zeit allenfalls eine Wachstumszunahme von 20 bis 25 % haben. Vergleichen Sie bitte mit diesen Daten, die ich Ihnen gab, die Preis- und Lohnentwicklung der letzten Jahre. Der Bericht gibt uns die Entwicklung auf dem Verbraucherpreisgebiet wieder: 1959 hatten wir eine Preissteigerung von 1,1 %, 1960 1,9 %, 1961 2,7 % und 1962 3 %. Damit betragen also in den letzten vier Jahren, in denen die Erzeugerpreise konstant blieben, allein die Preissteigerungen 8,7 %. Hinzu kommt nun die große Wachstumsrate, von der ich soeben sprach. Die Landwirtschaft kann keine Erhöhung der Erzeugerpreise vornehmen. Durch den unelastischen Bedarf sind ihr Begrenzungen gesetzt. Deswegen rechnen die Experten pro Jahr mit einem Höchstzuwachs von 1 %. Damit wird aber noch nicht gesagt, daß in der Landwirtschaft mehr eingenommen wird. Wir wissen nämlich nicht, ob nicht Naturbedingungen diesen Zuwachs wieder mindern; ich denke z. B. an die 900 Millionen des letzten Jahres. Vergleichen Sie nun bitte einmal die Indizes der gesamten landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Der Index lag 1958/59 bei 224 Punkten und 1961/62 ebenfalls bei 224 Punkten. Nehmen Sie bitte die Sonderindizes für Betriebsmittel, Löhne und dergleichen hinzu. In den letzten vier Jahren ist der Index bei den Betriebsmitteln von 200 auf 218, bei dem großen Bereich der Neubauten und Maschinen von 222 auf 248 gestiegen. Bei den landwirtschaftlichen Gesamtlöhnen - hier zeigen sich ja die Folgen der anderen Lohn- und Preissteigerungen - haben wir eine Steigerung von 284 auf 370 zu verzeichnen. Wenn ich Ihnen diese Zahlen nenne, werden Sie schon erraten, worauf ich hinaus will: Wir haben eine absolute Stabilität bei den landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen, keine Zuwachsraten, die ins Gewicht fallen, dagegen beim gesamtwirtschaftlichen Geschehen eine sehr starke Lohn- und Preiserhöhung und bei den Produktionsmitteln ebenfalls eine merkbare Preiserhöhung. Wie sollen wir da den Auftrag des Landwirtschaftsgesetzes erfüllen und das Ziel der EWG erreichen, die Familienbetriebe zu erhalten? Schon heute, wo wir noch nicht in die Gemeinschaft voll integriert sind, ist der Druck auf die Familienbetriebe so stark, daß wir jedes Jahr eine große Anzahl dieser Betriebe verlieren, ganz zu schweigen von den Arbeitskräften, die sich in den letzten zehn Jahren um 42 % verringert haben. Nun werden die ganz Klugen von Ihnen sagen: Das ist ja gerade das Ziel der strukturellen Änderung, nur noch möglichst wenige Betriebe zu behalten. Zunächst mal die Frage: Was steckt dahinter, wenn jedes Jahr die Inhaber von Betrieben, die vielleicht schon Generationen in derselben Hand sind, weggehen müssen, nicht nur ihren Arbeitsplatz wechseln, sondern auch von einer Welt, in der sie lebten, Abschied nehmen müssen? Wenn nun durch die ungleichmäßige Entwicklung einmal im gesamtwirtschaftlichen Wachstum des Volkes und andererseits in der Stagnation der Einkommensverhältnisse in der Landwirtschaft die Disparität ständig größer wird, wie es auch der letzte Grüne Bericht auswies, und wenn der Druck durch ständig steigende Löhne, ich wiederhole es, immer stärker wird, glauben Sie nicht, daß dann die Spannung innerhalb dieses Wirtschaftszweiges, der doch ein Teil unserer Gesamtwirtschaft ist, eine Stärke annehmen könnte, die zum Zerreissen führt? Wenn heute schon die Herren Professoren in ihren Untersuchungen feststellen, daß bei normalem Ablauf - unter pessimistischer Betrachtung des Wachstums in der gesamten Wirtschaft - in den nächsten Jahren bis 1975 600 000 Betriebe aufgegeben werden müssen, wie soll sich dann erst dieser Druck auf die familienbetriebliche Struktur auswirken, wenn die Wachstumssprünge, wie wir sie in den letzten Jahren hatten, noch von entsprechend starken Lohnerhöhungen begleitet werden, die in der Landwirtschaft nicht mehr zu verkraften sind? Wir sprechen heute über die gesamtwirtschaftliche Struktur und die Erwartungen konjunkturpolitischer Entwicklungen. ({0}) Wir müssen darin aber einbeziehen - verehrter Herr Kollege! -, daß auch wir zu der Wirtschaft gehören, wenn wir auch - das habe ich von Anfang an gesagt - besonderen Bedingungen unterworfen sind. Ich sage das nicht, um hier eine Grüne Debatte zu führen, sondern ich sage, daß bei dem Wachstum unserer Gesamtwirtschaft die Verantwortung dieser Gesamtwirtschaft für diesen Zweig, der ein Grundproduktionszweig ist und bleiben wird, besonders groß ist. Niemand nimmt uns die Verantwortung ab, wenn die familienbetriebliche Struktur heute in eine derartige Krise geraten ist, daß man nicht mehr weiß, wo man anfangen soll zu helfen. Sie können nicht sagen, daß die gewaltigen Lohnerhöhungen nicht auch einen entsprechenden Einfluß auf die Struktur haben. Wir können den Grund und Boden nicht vergrößern. Wir können auch nicht, wie ich eben sagte, die Preise der Produkte erhöhen, wenn neue Kosten auf uns zukommen. ({1}) - Den technischen Fortschritt, Herr Kollege! Da müssen Sie sich einmal ein bißchen mit unseren landwirtschaftlichen Maßnahmen der letzten 10 Jahre auseinandersetzen! Dann werden Sie feststellen, daß nirgendwo so stark rationalisiert worden ist wie in der Landwirtschaft. ({2}) Aber ich habe heute dieses Thema aufgreifen wollen, damit wir nicht vergessen, daß die Landwirtschaft im Gesamtstrukturbild unserer Wirtschaft eine gesellschaftspolitische Bedeutung hat, auf die wir nie verzichten können. ({3}) Wir wollen aber auch die Konsequenz aus dieser Feststellung ziehen. Ich habe drei Forderungen. Erstens: wenn wir das familienbetriebliche Strukturbild nicht restlos verändert sehen wollen, brauchen wir zumindest das gleiche Preisniveau in der Landwirtschaft wie in den letzten Jahren. Jede Diskussion, die begonnen wird, um an diesem Punkte zu mindern, stößt Tausende von Betrieben aus diesem Bereich der Wirtschaft heraus. Das soll man klar sehen, und man soll, wenn man die Konsequenz nicht zieht, sich fragen, was dann daraus entsteht. Zweitens. Auch wenn es uns gelingt, bei den kommenden Verhandlungen in der EWG unsere Vorstellungen von einem bestimmten Preisniveau zu halten, bleibt trotzdem die Aufgabe, in der gesamtwirtschaftlichen Sicht gerade diesem Betriebszweig, der eben unter strukturellen Maßnahmen besonders leidet, in ganz bestimmter Weise zu helfen. Die Herren, die den Wirtschaftsbericht verfaßt haben, sollten sich darüber klar sein, daß in den nächsten Jahren auf diesem Gebiete Maßnahmen getroffen werden müssen, von denen wir bisher noch kaum eine Ahnung haben. Und ein Drittes. Auch wir wollen das große Europa; auch wir möchten in dieses große Europa eingebaut und integriert werden. Wir möchten aber nicht, daß dieses größere Europa einfach über die Tatsache hinweggeht, daß die familienbetriebliche Struktur eine Basis unserer gesamten Gesellschaftsstruktur bleiben muß. Solange dieses Ziel im Auge behalten wird und solange man uns auf diesem Wege hilft, sind wir zu jeder Maßnahme bereit. ({4})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Abgeordnete Junghans. - Verzichtet? - Danke schön. Dann muß ich feststellen, daß zu diesem Punkt der Tagesordnung keine Wortmeldungen mehr vorliegen. Die Debatte ist geschlossen. Wir kommen zur Überweisung. Es wird vorgeschlagen, den Bericht der Bundesregierung über die Wirtschaftsentwicklung im Jahre 1962 an den Wirtschaftsausschuß als den federführenden Ausschuß und an den Außenhandelsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Ist das Haus mit dieser Überweisung einverstanden? - Das ist der Fall; es ist so beschlossen. Ich rufe ,auf Punkt 4 b) der Tagesordnung: Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Besold, Dr. Schmidt ({0}), Dr. Schwörer, Ruf, Stiller, Dr. Vogel, Dr. Imle und Genossen betr. Maßnahmen zur Behebung des Arbeitskräftemangels ({1}). Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Dr. Besold.

Dr. Anton Besold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000166, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn diese Große Anfrage betreffend Maßnahmen zur Behebung des Arbeitskräftemangels zur Debatte gestellt wird, so soll gleichzeitig damit vor dem Parlament das so dringende Problem der Arbeitsmarktlage überhaupt und sollen alle damit zusammenhängenden Fragen, auch die Frage einer Mehrarbeit, debattiert werden. Gestatten Sie, daß ich zunächst eine Vorbemerkung mache. Diese Große Anfrage ist eine parlamentarische Initiative von 63 Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP in der guten Absicht, der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung dienlich zu sein und das Erreichte sicherzustellen. Nachdem ich der Presse entnommen habe, daß ,auch die Gewerkschaften am 1. Mai diese Parole, das Erreichte sicherzustellen, ausgeben wollen, ist vielleicht eine Aussicht vorhanden, daß man sich in der Frage der Mehrarbeit einer positiven Entscheidung zuwenden kann. ({0}) Ich möchte weiter vorweg sagen, daß die Frage der Mehrarbeit bei der augenblicklichen Arbeitsmarktlage nicht aufgeworfen wird, um das Rad der sozialen Errungenschaften zurückzudrehen, sondern einzig und allein zu dem Zweck, das Fundament zur Vervollkommnung und Vollendung der Sozialreformen vor der Abbröckelung und dem Zerfall zu bewahren, um es zu festigen und um weiterbauen zu können. Mehrarbeit wird von den Antragstellern auch nur so lange alswirkungsvolles Stabilisierungsmittel vorgeschlagen, bis der in Unordnunggeratene Arbeitsmarkt den Rhythmus und die gesunde Entwicklung des Lohn-Preis-Gefüges der Wirtschaft sowie die Geldwertstabilität nicht mehr ursächlich oder mitursächlich stört. Dazu stelle ich weiter fest, daß dieser ungewohnte, im heutigen Denken teilweise fast anmaßend klingende Begriff der Mehrarbeit - die Arbeiter selbst wollen .aber sehr gerne mehr arbeiten -({1}) - viele, kann ich Ihnen sagen - nicht in der Absicht in diese Debatte geworfen wind, einen Zündstaff in die heißen Probleme der Tarifpartner zu bringen oder überhaupt in ihre Rechte einzugreifen; absolut nicht. ({2}) Das geschieht auch nicht deshalb, um gewisse Interessen irgendeines Tarifpartners durchzusetzen, sich wegen der Arbeitsmarktlage und auf Grund sondern lediglich zu dem Zweck, diejenigen, die der täglichen Zeitungsnotizen über die Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit und über die Gefährdung der Geldwertstabilität usf. Sorgen machen, einer Sorge zu entheben. Wenn in der Zeitschrift der IG Metall zur Einleitung dieser Debatte über die Große Anfrage ein Artikel mit dem Titel „Großangriff auf die Arbeitszeitverkürzung" gebracht wird und einzelne Abgeordnete abgebildet werden, wenn es so hingestellt wird, als ob diese Kollegen, die in einer ernsthaften Überlegung eine Frage anschneiden, die das gesamte Volk berührt, einseitig Unternehmerinteressen verträten, so ist das keine gute Sache. Diese Art der Darstellung erinnert an Klassenkampfzeiten. ({3}) - Mein lieber Herr Kollege, ich möchte Ihnen sagen, wie wir es halten wollen. Wir wollen es nämlich genauso halten, wie es der erste Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, also aller Gewerkschaften, Herr Rosenberg, in seiner Rede „Die Gewerkschaften und die Demokratie" festgelegt hat. Das möchte ich als einzige Antwort dieser klassenkämpferischen Methode der IG Metall und den Beleidigungen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages entgegenhalten. Er hat nämlich in dieser Rede gesagt - Herr Präsident, ich darf das vielleicht verlesen -: Nach allem ist unzweifelhaft, daß das Leben in einer demokratischen Gesellschaft verschiedene Voraussetzungen verlangt, die man wie folgt kennzeichnen könnte: ein ständiges Interesse an den öffentlichen Fragen und Aufgaben, - haben wir auch ein größtmögliches Wissen auf wesentlichen Gebieten des Lebens unserer Gesellschaft, ein Verantwortungsbewußtsein für die Allgemeinheit, die Bereitschaft, andere zu überzeugen und sich von anderen überzeugen zu lassen. Das ist eine Äußerung eines Gewerkschaftsvorsitzenden, die wir nur unterschreiben können. Nichts anderes wollen auch wir. ({4}) - Das überrascht mich nicht. Ich möchte nur sagen, wie weit sich hier eine Gewerkschaft oder ein Gewerkschaftsorgan unter Verunglimpfung von Abgeordneten in diese Debatte einmischt. Wir stellen uns ja positiv zu der Äußerung Rosenbergs und wollen nur eine Korrektur der IG Metall-Zeitschrift zur Ehrenrettung dieser Abgeordneten. Ich weiß nicht, ob Sie die Zeitschrift gelesen haben. Ich möchte die Behauptung, daß die Antragsteller „als reine Interessenvertreter hier auftreten" als Beispiel anführen. Es sollte doch die Bereitschaft vorhanden sein, zu überzeugen und sich von anderen überzeugen zu lassen. Deshalb sollte man diese Anfrage so wiedergeben, wie sie gemeint ist. Man sollte gerade in dem gegenwärtigen Augenblick, wo Tarifpartner sich in einem sehr ernsten Kampf gegenüberstehen, die Probleme nicht mit einer Tendenz darstellen, die diese Verhandlungen negativ beeinträchtigen könnte. Man sollte die Dinge nicht völlig anders darstellen, als sie von den Antragstellern dieser Großen Anfrage gemeint sind. Dieser Vorschlag auf eine vertretbare Mehrarbeit ist unter mehrarbeitswerten Bedingungen gedacht. Man kann in unserer deutschen Situation über die Arbeitsmarktlage und über Maßnahmen zur Behebung des Arbeitskräftemangels nur dann ernsthaft und mit Erfolg debattieren, wenn man zumindest eine augenblicklich und vorübergehend zu leistende Mehrarbeit bei den anzustellenden Überlegungen nicht außer acht läßt. Bis zur Beruhigung, also zur Normalisierung der Wirtschaft und der Arbeitsmarktlage wird man sich von allen Seiten des Wirtschaftslebens zu flexiblen Umstellungen bequemen müssen, wenn man nicht einen großen Schaden für das ganze Volk und für das gesamte Wirtschaftsleben herbeiführen will. Wenn ich sage: Der Arbeitsmarkt ist in Unordnung, so gehe ich davon aus, daß aus einer Darstellung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Nürnberg dm Bulletin und auch aus dem Wirtschaftsbericht hervorgeht, daß wir im deutschen Wirtschaftsbereich wie schon im vorigen Jahr so auch im Jahre 1963 ungefähr 1,3 Millionen Arbeitsplätze aus eigener Kraft nicht beisetzen können und trotz Anforderung von 800 000 Gastarbeitern für dieses Jahr ungefähr 500 000 Arbeitsstellen offenbleiben. Diese Tatsachen sind auf Grund der Feststellungen der genannten Stellen, die nach meiner Ansicht maßgebend sind, zu konstatieren. Das bedeutet, daß der Arbeitsmarkt zur Zeit nicht in Ordnung ist. Ein guter Markt, ein Markt, der keine Störungen im Wirtschaftsleben auslöst, muß sich von selbst füllen und muß sich auch von selbst wieder räumen. Dann treten im Wirtschaftsleben keine Störungen ein und sind Auswirkungen auf alle die Bereiche, die heute schon angesprochen worden sind, eben nicht zu befürchten. Der Arbeitskräftemangel kann auch nicht mehr bloß als eine kurzfristige Erscheinung angesehen werden, nachdem wir diesen schon im letzten Jahr und im vorletzten Jahr feststellen mußten und nachdem ein solcher auch für dieses Jahr, selbst wenn wir nicht mehr in der Hochkonjunktur sind, zu erwarten ist. Die Bundesregierung ist der Meinung, neben den Dämpfungsmaßnahmen in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden müsse noch darauf hingewirkt werden, daß wenigstens im Jahre 1963 keine Arbeitszeitverkürzungen vorgenommen werden. Die Kollegen, die mit mir diesen Antrag eingereicht haben, glauben, daß das zur Beruhigung der Arbeitsmarktlage und der daraus resultierenden Ergebnisse nicht genügen dürfte; denn wenn wir in den nächsten zwei Jahren tatsächlich auf eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden zurückgehen, wie das in Tarifverträgen vorgesehen ist, so bedeutet das ein Absinken von zirka 2000 Arbeitsstunden pro Jahr auf weniger als 1900. Damit vergrößert sich der Abstand zu den übrigen europäischen Ländern, mit denen wir zu konkurrieren haben und in denen man überall mehr als 2100 Stunden pro Jahr arbeitet. Wenn also eine Arbeitszeitverkürzung durchgeführt würde, würde der Abstand zu den anderen Staaten vergrößert. Wenn die Arbeitszeitverkürzungen aber, wie es die Bundesregierung will, gestoppt werden, ist der Abstand zwar kleiner, aber die in der Bundesrepublik geleisteten Arbeitsstunden würden immer noch, und zwar erheblich, weniger sein als die in den Konkurrenzländern geleisteten Arbeitsstunden. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen jetzt einige Gründe nennen, warum wir glauben - wir bitten Sie, das zu überlegen, wir bitten auch die Bundesregierung, zu überlegen, ob wir richtig denken -, daß derartige Verhandlungen - wir wollen ja nicht in die Tarifverhandlungen und in die Rechte der Tarifpartner eingreifen - der Bundesregierung mit den Tarifpartnern in dieser Richtung geführt werden sollen. Warum ist Mehrarbeit notwendig? Erstens, weil trotz der Normalisierung der Konjunktur und trotz Hereinnahme fremder Arbeitskräfte eine erhebliche Lücke von zirka 500 000 nicht besetzen Arbeitsplätzen bleibt und weil ein in Unordnung gekommener Arbeitsmarkt den ausgeglichenen Rhythmus der Wirtschaft und unserer Gesellschaftsordnung stört. Seit Jahresfrist spricht man und liest man in Fachzeitschriften und Zeitungen von Arbeitskräftemangel, Arbeitszeitverkürzungen, Lohnsteigerungen, Betriebserschwernissen, Qualitätsverschlechterungen, Wettbewerbsgefährdung, Gefährdung des Außenhandels, Preissteigerung, Gefährdung der Geldwertstabilität. Das ist den Menschen in der Bundesrepublik, den Arbeitnehmern, den Arbeitgebern und allen, die gespart haben, in die Knochen gefahren. Und darum, glaube ich, muß man darüber nachsinnen, möglichst bald diese ArbeitskräfteLücke zu schließen. Zweitens, weil die zu lange Dauer der ungeordneten Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt gefährlich auf den Rhythmus der Wirtschaft und auf die Preis- und Geldwertstabilität wirkt. Wir sehen ja gerade augenblicklich, daß, wenn der Arbeitsmarkt nicht in Ordnung ist, wenn Arbeitskräfte in diesem Ausmaße fehlen, dies eine einseitige Verschiebung der Macht- und Kraftverhältnisse unter den Tarifpartnern bedeutet. Die Begünstigten sind zur Zeit die Arbeitnehmer. Wenn eine Zeit der Arbeitslosigkeit wäre, wären es vielleicht die Unternehmer. Ein derartig kranker Arbeitsmarkt oder ein Arbeitsmarkt, der so in Unordnung ist, bei dem so viele Arbeitsplätze nicht besetzt sind, verschiebt die Machtverhältnisse, und das führt zu Forderungen, die in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage der Bundesrepublik gefährlich sind und nicht notwendig wären. Wir sind der Überzeugung, daß auch deshalb Mehrarbeit zum möglichst raschen Ausgleich des Arbeitsmarktes geleistet werden sollte, weil wir ungleiche Startbedingungen haben von Betrieben, die automatisiert, rationalisiert und technisiert werden können, und Betrieben, die nur zum Teil oder gar nicht automatisiert werden können. Nicht in diesem Übermaß wie Industriebetriebe können insbesondere die Betriebe des Handwerks, alle Dienstleistungsbetriebe und so fort automatisiert und technisiert werden. Das bedeutet bei einer Arbeitsmarktlage, wie wir sie zur Zeit haben, daß gewisse Arbeitsgebiete leergefegt werden zugunsten derjenigen, die automatisiert sind und wo durch Arbeitszeitverkürzung und Lohnsteigerung eine bessere Arbeitsgrundlage gegeben ist. Eine solche Verschiebung haben wir zur Zeit, und das ist ungut; das merken wir täglich, wo wir gehen und stehen. Drittens. Eine möglichst rasche Normalisierung des Arbeitsmarktes durch Mehrarbeit würde einen erheblichen Beitrag zur Sicherstellung des lebensnotwendigen Exports in Qualität und Quantität leisten. Bei einem derart ausgehöhlten Arbeitsmarkt, wie wir ihn zur Zeit haben, ist der Export gefährdet, gerade in einem Augenblick, wo vor unseren Toren unausgenutzte Kapazitäten in Amerika und in England bereitstehen und darauf warten, einen von uns nicht rechtzeitig oder in der Qualität nicht gut bedienten Export abzusaugen. Die Normalisierung des Arbeitsmarktes wäre damit auch eine starke Barriere gegen die Gefahr, daß unausgenützte und brachliegende Arbeitskapazitäten vor den Toren unseres Wirtschaftsraumes in unseren Exportmarkt eindringen. Gerade unsere Generation weiß, was es bedeutet, einen Exportmarkt zu erringen, was es bedeutet, wenn dieser abgesaugt wird, und was es an finanziellen Aufwendungen bedeutet, solche eventuell verlorenen Exportmärkte wieder zurückgewinnen zu müssen. Es gibt noch einen weiteren Grund für die Überlegung, ob der Arbeitsmarkt, der soviel offene Stellen hat, nicht durch Mehrarbeit aufgefüllt werden sollte. Mehrarbeit würde offene Arbeitsplätze aufsaugen und eine Umstrukturierung von Arbeitskräften in völlig leergefegte Lebensgebiete fördern. Denken Sie nur daran, daß wir infolge des Arbeitskräftemangels in einzelnen Betrieben immer wieder die Frage der Hortung von Arbeitskräften haben, die in anderen Gebieten sehr wohl gebraucht werden würden! Denken Sie daran, daß auf Grund des Mangers an Arbeitskräften heute noch 60 000 Ar- beitskräfte aus der Landwirtschaft, die an Arbeitskräftemangel leidet, herausgeholt werden! Denken Sie daran, daß heute die Haushalte von Arbeitskräften leergefegt sind, daß eine kranke Frau mit drei Kindern gar nicht mehr mit Anstand und Ruhe krank sein kann, weil die Schwester, die Mutter und vielleicht sogar auch noch die Großmutter in Arbeit stehen und sie deshalb keine Hilfe bekommt! Alle diese Verhältnisse spürt das Volk. Es versteht nicht, warum hier trotz des Wirtschaftswunders nicht Abhilfe geschaffen wird. Man will eben nicht, daß trotz aller Automatisierung, aller Technisierung und Beschleunigung der Arbeit in dieser Situation die Arbeitszeitverkürzung noch fortgesetzt werden kann. Wenn schon Gastarbeiter in dem entsprechenden Ausmaß nicht herangezogen werden können und wenn im eigenen Volk keine Reserven mehr vorhanden sind, dann kann der Ausgleich eben nur durch Mehrarbeit erreicht werden. Eine Normalisierung des Arbeitsmarktes würde eine den Arbeitsplatz gefährdende Automatisierung verhindern und Fehlentwicklungen hin zur Arbeitslosigkeit korrigieren. Was meine ich damit? Ich weiß nicht, ob im augenblicklichen Zeitpunkt die Forderung auf Arbeitszeitverkürzungen, auf Lohnsteigerung und damit letztlich auf Hebung des Kostenniveaus wirklich im Sinne der Arbeitnehmer liegt. Denken Sie nur an die Entwicklung in Amerika. Angesichts des Arbeitskräftemangels treibt die Industrie die Automatisierung dann in einer schnelleren Weise voran. Bei einer völligen Normalisierung der gesamten Konjunkturlage könnte eines Tages vielleicht so Arbeitslosigkeit eintreten, was hätte abgeschirmt werden können, wenn wir rechtzeitig den Arbeitsmarkt so beschickt und die Arbeitszeiten so eingestellt hätten, daß hier eine normale und übersichtliche Entwicklung gegeben gewesen wäre. Wir wären dann nicht in die Fehler verfallen, die wir heute in Amerika beobachten. Vielleicht haben Sie den lehrreichen Artikel „Die Geißel der Arbeitslosigkeit" in der „Frankfurter Allgemeinen" gelesen. Er ist sehr aufschlußreich. Daraus geht hervor, daß es heute in Amerika, wo ein hoher Lebensstandard herrscht und die Produktion sehr hoch ist, 6% Arbeislose gibt. Dort kommt man zu so irrsinnigen Maßnahmen, daß auf einer Elektrolokomotive der Heizer mitfährt, obwohl er gar nicht notwendig ist. Die Vollautomatisierung der Wirtschaft hat viele Kräfte freigestellt. Bei den Streikbewegungen geht es heute gar nicht mehr darum, die Löhne zu steigern, sondern darum, den Arbeitsplatz zu sichern oder eine Sicherung im Zeitpunkt der Arbeitslosigkeit zu haben. Meine Damen und Herren, ziehen Sie einmal den Vergleich zu dieser Entwicklung in Amerika, wo Fehlerquellen entstanden sind und wo die Automatisierung lange vor uns, schon vor dem letzten Weltkrieg, vorangetrieben worden ist! Wir sollten überlegen, ob wir nicht gerade zum Schutz und zur Sicherung der Arbeitsplätze die Automatisierung, die Technisierung und die Rationalisierung unserer Wirtschaft nur in dem Ausmaße vorwärtstreiben sollten, das die gesamte Arbeitsmarktlage berücksichtigt, und nicht jetzt aus der Notlage eines in Unordnung gekommenen Arbeitsmarktes, aus der Not der Wirtschaft heraus etwas im Übermaß vorantreiben, was sich letztlich vielleicht zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken könnte. Eine vertretbare Mehrarbeit aus eigenen Kräften unter mehrarbeitswerten Bedingungen würde rechtzeitig die vielschichtigen Probleme, die mit der Beschäftigung von Gastarbeitern verbunden sind, auf ein erträgliches Maß verringern und vielleicht lösbar machen. In der Großen Anfrage ist auch die Frage an die Bundesregierung gestellt, welche Mehrkosten für Gastarbeiter in den deutschen Betrieben notwendig sind, verglichen mit den Kosten der aus unserem Volk hervorkommenden Arbeitskräfte. Diese Frage gestellt, um eine sachliche Grundlage bei dieser gespannten Lage zu bekommen. Wir wissen ganz genau, was wir den Gastarbeitern verdanken. Wir wissen aber auch, daß das Los der Gastarbeiter, obwohl sie hier in Deutschland gut verdienen, gar kein so sehr glückliches ist. Die soziologischen Verhältnisse, die sich aus der Arbeit in einem fremden Land und aus der Zerreißung der Familien ergeben, können sehr, sehr unangenehme Folgewirkungen haben, insbesondere wenn dann auch noch Familienzusammenführungen stattgefunden haben, was notwendig ist, wenn Gastarbeiter auf lange Zeit beschäftigt werden. Wenn eines Tages infolge von Rationalisierung und Automatisierung die ganze Lage anders würde, wären gerade diese Arbeitskräfte nicht in einer glücklichen Lage. Es ist nicht leicht, einen Überblick über die Mehrkosten zu bekommen. Ich habe mir die Mehrkosten in einem überschaubaren Betrieb, der in der öffentlichen Hand liegt, zusammenstellen lassen. Ich habe das Ergebnis zuerst gar nicht geglaubt. Ich habe es nachkontrollieren lassen und feststellen müssen, daß es stimmte. Die Mehrkosten setzten sich aus folgenden Positionen zusammen: Trennungsentschädigung für 12 Monate, Familienheimfahrten, Fahrkosten, Zusatzurlaub, Reisetage, Unterbringung in Wohnheimen, Kosten der Anwerbung, der Anreise und des Dolmetschers. Diese Mehrkosten machen in einem öffentlichen Betrieb pro Monat für einen Spanier 319 DM und für einen Italiener 295 DM aus. Matthöfer: Aber dem deutschen Arbeiter wollen sie nicht mehr zahlen!) Mir erscheinen diese Kosten sehr hoch. Sie sind aber nachgeprüft worden. Ich habe bei Industriebetrieben nachgefragt und habe festgestellt, daß man dort mit erheblich weniger Mehrkosten rechnet. Dort sind die Mehrkosten für Gastarbeiter in der Größenordnung von 50 bis 80 DM errechnet. Aber wenn Sie nur die untere Grenze, also 50 DM nehmen, bedeutet das schon einen Mehraufwand von 450 Millionen DM im Jahr. Dabei ist noch nicht mitgerechnet, daß der größte Teil des Arbeitsverdienstes nicht im Inland verwendet wird, sondern ins Ausland geschickt wird. Das spielt ja bei der gegenwärtigen Lage, wo soviel Wert ,auf die Konsumgüterkonjunktur gelegt wird, auch eine Rolle. Weiter ist noch nicht berückDr. Besold sichtigt, daß für die Gastarbeiter - sicherlich gerechterweise, aber es sind Kosten - auch Kindergeld gezahlt wird, und zwar in einem erheblichen Maße. Die Ausgaben für diese Kindergeldzahlungen steigen noch erheblich an. Insgesamt ergibt sich eine Größenordnung von 1 Milliarde D-Mark. Darüber sollte man sich einmal Gedanken machen. Sicherlich wird die Zeit kommen, wo, wie gesagt, im Zuge der Normalisierung der Konjunktur, der Technisierung, Automatisierung und Rationalisierung diese Arbeitskräfte durch eigene Arbeitskräfte ersetzt wenden können. Auch zeigt die Entwicklung in Amerika, daß der ungelernte Arbeiter immer weniger gebraucht unid der angelernte Arbeiter, der Spezialarbeiter immer mehr gesucht wird. So werden sich einfies Tages vielleicht Entwicklungen zeigen, die man besser durch Mehrarbeit der eigenen Arbeitskräfte für ,eine kurze Dauer rechtzeitig ins Lot gebracht hätte. Ich erwähne diese Dinge nur, weil sie bed der Forderung nach Mehrarbeit überlegt werden müssen. Wir müssen auch daran denken, daß ein Ausgleich für den weiteren Abzug von Arbeitskräften aus den eigenen Reihen notwendig ist. Die Bundeswehr soll weiter aufgestockt werden, nach der Notstandsgesetzgebung sollen Einberufungen für eine Zeit von 27 Tagen im Jahr möglich sein, es soll eine Territorialarmee aufgestellt werden. Dadurch werden wiederum Arbeitskräfte abgezogen. Denken Sie weiter daran, daß Vorverlegungen der Pensionsaltersgrenze und entsprechende soziale Verbesserungen geplant sind. Ferner wird eine Verlängerung der Schulzeit gefordert, insbesondere von der Sozialdemokratie, wodurch der Wirtschaft die betreffenden Arbeitskräfte für ein Jahr entzogen werden. Beachtung verdient auch die Entwicklung der Erwerbsbevölkerung in den EWG-Ländern. Ein hierüber erarbeitetes Gutachten sieht für die Bundesrepublik nicht günstig aus. Denn nach dieser Analyse der Entwicklung der Erwerbsbevölkerung in den Jahren 1960 bis 1970 wird die Erwerbsbevölkerung in der Bundesrepublik stagnieren, in den übrigen EWG-Ländern hingegen zunehmen. Setzt man die Erwerbsbevölkerung im Jahre 1960 gleich 100, so ergeben sich für 1970 folgende Zahlen: Bundesrepublik 99, Belgien 100,6, Frankreich das gleiche, Niederlande 118, Italien 105. Bemerkenswert ist auch die Feststellung, daß sich in der Bundesrepublik der Anteil der Jugendlichen an der Erwerbsbevölkerung verringert, während gleichzeitig der Anteil der alten Personen zunimmt. All diese Dinge kann man nicht außer acht lassen, wenn man von Mehrarbeit, von einem Ausgleich des Arbeitsmarktes - insbesondere auf lange Sicht - und von der Notwendigkeit einer Normalisierung der Verhältnisse spricht. Man muß ernstlich prüfen und überlegen, ob nicht auf eine gewisse Dauer die Mehrarbeit zweckmäßig wäre. Ich möchte noch auf eine andere Frage zu sprechen kommen. Sie ist heute teilweise schon debattiert worden. Wir wissen alle, daß im Zuge der modernen Zeit die Frau in der Arbeit ein wichtiger Faktor geworden ist. Wir haben gehört, daß 1,2 Millionen Mütter heute berufstätig sind und daß die Zahl der Kinder der erfaßten Mütter 1,7 Millionen beträgt, davon 70,3 % im Alter zwischen 2 und 15 Jahren und 12,2 % im Alter von unter 2 Jahren. Das ist, glaube ich, ein Sachverhalt, der einer Überprüfung unterzogen werden muß. Die Statistik hat weiter ergeben - und auch danach haben wir gefragt -, daß 34 % der Frauen beschäftigt sind. Vielleicht müssen wir aus diesem Grunde überlegen, ob es nicht zweckmäßig und uns nicht zuzumuten ist, nachdem diese Arbeitslücke nicht einmal mit Gastarbeitern geschlossen werden kann, daß man zur Normalisierung und zur Lösung dieser sehr entscheidenden soziologischen Frage übergeht. Es ist von Nachteil, wenn Kinder in einem Alter, wo sie die Nestwärme der Familie brauchen, allein zu Hause sind oder, selbst wenn es gut geführte Krippen sind, gewissermaßen abgestellt und wieder abgeholt werden müssen. Wenn wir schon in einer derartigen Prosperität sind und wenn wir schon das Glück haben, daß wir in eine solche Konjunkturentwicklung hineingekommen sind, die wir augenblicklich mit unseren eigenen Kräften gar nicht bewältigen können, dann haben wir auch die Verpflichtung, die Fragen so ernst zu nehmen, wie sie in Wirklichkeit sind, und uns nicht bloß an den Geschenken einer Automatisierungsmöglichkeit, einer Technisierung, einer Rationalisierung zu ergötzen. Vielmehr sollten wir, bis eine Normalisierung erreicht ist, darüber hinaus etwas mehr tun. Es soll von den Arbeitnehmern, die gern arbeiten wollen, weil sie eben auch an den Schöpfungen der modernen Technik, an Anschaffungen teilnehmen wollen - ({5}) - Die Unternehmer lassen sie schon! Aber ich sage Ihnen ganz offen: Es gibt auch manche gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen bei uns, die einer Mehrarbeit im Wege stehen. Darum glaube ich auch, daß eine Korrektur solcher Bestimmungen Voraussetzung ist; denn zur Lösung einer nationalwirtschaftlichen Frage wird ja nicht bloß eine Mehrarbeit verlangt. Nach unserer Ansicht - das ist jetzt das Fazit - sollten alle Gesetze und Verordnungen durchforstet werden, die einer vertretbaren Mehrarbeit sinnwidrig oder hindernd entgegenstehen. Mehrarbeit soll ja auch zu mehrarbeitswerten Bedingungen durchgeführt werden. Meine Damen und Herren, diese Große Anfrage hat in der Bevölkerung draußen und in interessierten Kreisen sowohl bed Arbeitnehmern als auch bei Arbeitgebern einen großen Widerhall ausgelöst. ({6}) Eine Reihe von Vorschlägen sind bei uns bereits eingegangen. Wir haben jetzt eine Debatte über einen Antrag, den die FDP eingereicht hat. Er ist nicht neu. Es sollen auch steuerliche Maßnahmen ergriffen werden. Diese Fragen müssen einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden; denn wenn in dieser Rich3384 tung Maßnahmen ergriffen werden sollen, müssen sie steuersystematisch angepaßt werden. Wir müssen auch hier sagen, daß die überkommenen Grundsätze der modernen Entwicklung und den modernen Erfordernissen angepaßt werden sollten. Es ist auch angeregt worden, die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen für Aushilfskräfte, die einer Mehrarbeit entgegenstehen, zu überprüfen. So gibt es eine Reihe von solchen Punkten. Ich habe leider den Zettel mit meinen Notizen dazu verlegt. In diesem Zusammenhang ist auch der Vorschlag zu erwähnen, Überstundenzuschläge steuerfrei zu lassen, um die Arbeitskräfte, die außerhalb des Betriebs arbeiten, in den Betrieb zurückzuführen. Sie arbeiten ja nur deshalb nicht im Betrieb, weil sie sich sagen: Wenn wir mehr arbeiten, haben wir zuwenig davon. Dabei möchte ich aber nicht die Ansicht vertreten, daß man hier von allen Anforderungen in dieser Beziehung absehen sollte. Auch die Frage, ob man im sozialen Bereich keine Anrechnung der Überstundenvergütung vorsehen sollte, muß geprüft werden. Vielleicht stehen die Bestimmungen hierüber einer Mehrarbeit entgegen, so daß man mit einer Änderung Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt zurückführen könnte. Meine Damen und Herren, die Fragesteller wollen Ihnen hier gar keine Entschließung zur Entscheidung vorlegen. Die Unterzeichner der Großen Anfrage, die dieses Problem angepackt haben, sind vielmehr von der Erwägung ausgegangen, daß an die Punkte, die hier vorgetragen worden sind und die für eine Mehrarbeit sprechen, wenigstens vorübergehend, bis der Arbeitskräftemangel ausbalanciert ist, bei der Lösung des Problems der Mehrarbeit gedacht werden muß und daß wir an die Lösung dieses Problems durch parlamentarische Initiative herantreten müssen. Was haben wir zu verlieren, wenn wir unseren Arbeitskräftemangel nicht normalisieren können? Diese Zwangslage schaftt Druck und Gegendruck und hat Einfluß auf das Lohnkostenniveau, auf die Preissteigerungen, auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Exportfähigkeit. Es geht nicht allein um die Arbeitsmarktlage. Keine Situation in der Wirtschaft ist für sich allein ursächlich. Wir haben heute schon von mehreren Ursachen gehört. Wir müssen aber erkennen, daß die in Unordnung geratene Arbeitsmarktlage eine der Hauptursachen für die genannten Erscheinungen ist. Wenn wir nichts tun, können wir alle Errungenschaften eines Massenwohlstands verlieren. Wir können auch die Möglichkeit des Ausbaues unserer modernen Sozialeinrichtungen verlieren. Wir müssen daher die Lage so sehen, wie sie ist, und die nachteiligen Folgen erkennen. Deshalb müssen wir den Willen haben, hier Maßnahmen zu ergreifen, die den Arbeitsmarkt .ausgeglichen machen, damit wir unserem Volke und insbesondere den Sparern die nötige Sicherheit geben, die eine Summe von 69 Milliarden den Banken anvertraut und Bausparverträge über 11,9 Milliarden abgeschlossen haben. Diese Summen stammen ja aus einer sehr positiven Wirtschaftsentwicklung. Durch aktive Maßnahmen, die uns aus den Erfordernissen und der Entwicklung der ganzen Wirtschaftslage heraus klar ansprechen, müssen wir dazu beitragen, daß das Erreichte sichergestellt wird. ({7})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, das Präsidium überlegt sich mit den Herren Fraktionsgeschäftsführern, die in einem solchen Falle am wichtigsten sind, was geschehen kann, damit der Fluß der Reden etwas kürzer fließt. ({0}) Wir müssen heute abend mit dieser Sache fertig werden. Wir wollen so verfahren, daß jetzt der Herr Bundesminister für Arbeit die Antwort auf die Große Anfrage gibt. Dann wird der nächste Punkt der Tagesordnung, Punkt 4 c, aufgerufen. Der Gesetzentwurf wird von Herrn Dr. Imle begründet. Dann bekommt in der Diskussion zum ganzen, zu Punkt 4 b und c, ein Sprecher der SPD-Fraktion das Wort. Darauf folgt die Schlußdebatte zu Punkt 4 b und c. So wollen wir verfahren. Ich hoffe, daß wir bis 21 Uhr damit fertig sind. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.

Theodor Blank (Minister:in)

Politiker ID: 11000195

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe mir Ihren Beifall dadurch zu erringen, daß ich mich so kurz wie eben möglich fasse. Ich habe die Ehre, namens der Bundesregierung die Große Anfrage wie folgt zu beantworten: Zu Punkt I: Die Bundesregierung hält die im „Bulletin" Nr. 6 vom 10. Januar 1963 veröffentlichten Ausführungen des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung über die voraussichtliche Entwicklung der Arbeitsmarktlage im Jahre 1963 für richtig. Bei dem zu erwartenden Wirtschaftsablauf muß in diesem Jahr wieder mit erheblichen Spannungen auf dem Arbeitsmarkt gerechnet werden. Es ist jedoch schwierig, den Bedarf der Wirtschaft an Arbeitskräften zutreffend vorauszuschätzen. Deshalb ist die Bundesregierung auch nicht in der Lage, genaue Zahlen über den Kräftebedarf anzugeben. Die von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung monatlich veröffentlichten Zahlen stellen den jeweils am Ende eines Monats festgestellten Restbestand der bei den Arbeitsämtern gemeldeten offenen Stellen dar. Sie bieten zwar einen Anhaltspunkt, können aber, da kein Meldezwang besteht, nicht als tatsächlicher Bedarf der Wirtschaft an Arbeitskräften gewertet werden. Die Bundesregierung ist weiterhin bemüht, ausländische Arbeiter hereinzunehmen. Ende September dieses Jahres werden etwa 70 000 ausländische Arbeitnehmer mehr in der Bundesrepublik beschäftigt sein als zur gleichen Zeit des Vorjahres; insgesamt also etwa 800 000. Es trifft zu, daß in der Bundesrepublik nennenswerte Arbeitskraftreserven nicht mehr vorhanden sind. Die Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen ging in den vergangenen Jahren stark zurück. Aus der natürlichen Bevölkerungsentwicklung ist auch in den nächsten Jahren ein größerer Zuwachs an Beschäftigten nicht zu erwarten. Nähere Angaben darüber enthielt der vorhin behandelte Wirtschaftsbericht der Bundesregierung in Ziffer 25. In der Anfrage wird darauf hingewiesen, daß der Anteil der weiblichen Arbeitnehmer mit 34 v. H. der höchste in den EWG-Ländern sei. Hierzu ist zu sagen, daß ein exakter Vergleich der internationalen Arbeitnehmerstatistiken zur Zeit nicht möglich ist, weil die Erfassungsmerkmale und die Erfassungstermine oft nicht übereinstimmen. Die Statistiken geben lediglich einen gewissen Anhaltspunkt für Vergleiche. Ausmaß und Art der Frauenarbeit, sowohl als Arbeitnehmertätigkeit als auch als Mithilfe im Familienbetrieb, werden von verschiedenen Umständen bestimmt. Wesentlich ist die Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur. Auch der hohe Anteil der unverheiratet gebliebenen und verwitweten Frauen - eine Folge der beiden Kriege - begünstigt die Frauenarbeit. In einem hochindustriealisierten Land wie der Bundesrepublik ist die Zahl der Arbeitnehmerinnen bedeutend höher als die der Mithelfenden, während in einem landwirtschaftlich strukturierten Land die Zahl der Mithelfenden relativ hoch ist. Ferner haben die seit Jahren angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt und die große Arbeitsbereitschaft der Frauen die Entwicklung .der Frauenarbeit begünstigt. Der starke Bedarf an Verbrauchsgütern, das Streben nach Eigentum und höherem Lebensstandard, der Wunsch, den Kindern eine qualifizierte Ausbildung zu geben, häufig aber auch die Notwendigkeit, zum Familieneinkommen beizutragen, sind Motive der Frauenarbeit. In der industriellen Massengesellschaft ändert sich die Aufgabe der Frau. Ein großer Teil der Arbeiten, die früher im Hause erledigt wurden, ist in die Betriebe verlagert worden. In der Gütererzeugung und -verteilung, in der Verwaltung und in den Dienstleistungsberufen ist die Frauenarbeit zu einem festen Bestandteil geworden. Die Erwerbstätigkeit gehört zu den Lebensformen der Frau in unserer veränderten Gesellschaft. Prinzipiell ist sie bedenkenfrei und notwendig. Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß in bestimmten Gruppen vom soziologischen und staatspolitischen Gesichtspunkt Probleme auftreten. Vor allem gilt dies für die Erwerbsarbeit der Mütter. Die Aufgaben der Mutter sind oft schwer mit einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit zu verbinden. Es kommt leicht zur physischen und psychischen Überbelastung der Mutter und zu Schwierigkeiten in der Pflege und Erziehung der Kinder. Zu Punkt II: Es ist nicht möglich, den Gesamtbetrag der Mehrkosten zuverlässig zu ermitteln oder auch nur zu schätzen, die durch die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer im Vergleich zu Inländern entstehen. Bei der Einrichtung von Arbeitsplätzen im engeren Sinne entstehen durch die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer in der Regel nicht mehr Kasten als bei inländischen Arbeitnehmern. Zusätzliche Kosten ergeben sich jedoch aus der Notwendigkeit, für ausländische Arbeitnehmer besondere Vorkehrungen zu treffen, um sie in die ungewohnte Betriebswelt einzuführen und am Arbeitsplatz anzulernen. Hinzu kommt ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand, weil die ausländischen Arbeitnehmer bei ihrem Verkehr mit den zuständigen deutschen Behörden - Ausländeramt, Einwohnermeldeamt, Arbeitsamt, Finanzamt, Versicherungsamt, Krankenkasse - auf die Hilfeleistung der Betriebe angewiesen sind. Für alle diese Zwecke stellen die Betriebe vielfach einen eigenen Dolmetscherdienst zur Verfügung. Genaue Unterlagen über die etwaigen Mehrkosten für die Unterbringung ausländischer Arbeitnehmer und gegebenenfalls ihrer Familienangehörigen liegen nicht vor, da insbesondere nicht bekannt ist, wie viele in Massenunterkünften und wie viele in Einzelquartieren leben. Bei der Unterbringung in Einzelquartieren erwachsen den Betrieben in der Regel keine Mehraufwendungen. Soweit die Ausländer in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, bedürfte es besonderer Erhebungen, um die Mehrkosten festzustellen, die der Wirtschaft durch die Bereitstellung zusätzlicher Unterkünfte entstehen. Bekannt ist lediglich der Betrag, den die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung darlehnsweise für den Bau von Unterkünften für ausländische Arbeitnehmer ausgegeben hat. Dieser belief sich bis zum 31. Dezember 1962 auf rund 133 Millionen DM. Da die Höhe der Darlehen auf 50 v. H. der Gesamtbaukosten beschränkt ist, muß von der doppelten Höhe dieses Betrages, d. h. von 270 Millionen DM, ausgegangen werden. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den vergleichsweise höheren Betreuungskosten für ausländische Arbeitnehmer. Es bedürfte besonderer Feststellungen, um die Aufwendungen, die den Betrieben, den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, der öffentlichen Hand sowie den karitativen und kirchlichen Stellen für Maßnahmen der Eingewöhnung und Betreuung ausländischer Arbeitnehmer entstehen, mitteilen zu können. Für die Anwerbung und Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer einschließlich der Unterhaltung von Anwerbestellen in Italien, Spanien, Griechenland und der Türkei entstehen im Jahre 1963 voraussichtlich Gesamtaufwendungen von 17,8 Millionen DM. Die Beständigkeit und die Ergiebigkeit der ausländischen Arbeitskräftereserven hängen in erster Linie von der Entwicklung der Arbeitsmarktlage in den Herkunftländern der ausländischen Arbeitnehmer ab. Wegen der günstigen wirtschaftlichen Entwicklung Italiens muß damit gerechnet werden, daß ein großer Teil der italienischen Arbeitnehmer, insbesondere Fachkräfte, nicht mehr im bisherigen Umfange bereit sind, dauernd oder für längere Zeit in der Bundesrepublik zu verbleiben. Aus dem gleichen Grunde ist das in Italien verfügbare Kräfteangebot bereits zurückgegangen; Facharbeiter sind kaum noch verfügbar. Einen Ausgleich für den Ausfall der italienischen Arbeitskräfte bieten die Kräftereserven, die insbesondere in Spanien, Griechenland und der Türkei vorhanden sind. Zu Punkt III: Zur Frage eines Verzichtes auf Arbeitszeitverkürzungen verweist die Bundesregierung auf den Ihnen vorliegenden Wirtschaftsbericht. In der Analyse der Wirtschaftsentwicklung im Jahre 1962 - Ziffer 10 des Berichtes - und insbesondere in der Darstellung der Leitlinien für die Tarifparteien - Ziffer 49 - hat sie ausführlich zu dieser Frage Stellung genommen. Nach der Aufforderung der Bundesregierung an die Sozialpartner, vorgesehene Arbeitszeitverkürzungen hinauszuschieben, haben bereits die Tarifpartner des Baugewerbes ihre für Oktober 1963 vereinbarte Arbeitszeitverkürzung um ein halbes Jahr verschoben. Die Bundesregierung mißt diesem Schritt um so größere Bedeutung zu, als es sich hier um einen Wirtschaftszweig handelt, in dem die Nachfrage nach Bauleistungen und auch die Nachfrage nach Arbeitskräften besonders groß ist. Es würde den Leitlinien des Wirtschaftsberichts entsprechen, wenn die Tarifparteien anderer Wirtschaftszweige sich diesem Schritt anschlössen. Die Bundesregierung verkennt dabei nicht die menschliche und soziale Bedeutung der bisherigen Vermehrung der Freizeit und die Grenzen, die vielfach einer Mehrarbeit aus gesundheitlichen und sozialen Gründen gesetzt sind. Die Bundesregierung wird prüfen, ob und wie gegebenenfalls vertretbare Mehrarbeit in geordneten betrieblichen Formen gefördert werden kann. Sie weist aber darauf hin, daß Mehrarbeit in nennenswertem Umfang auch bislang ständig geleistet worden ist, wie sich aus der Statistik der Arbeitszeiten in der Industrie ergibt. Dies zeigt, daß es schon bisher vielfach nicht an der Bereitschaft der Arbeitnehmer, Mehrarbeit zu leisten, gefehlt hat. Gegen eine steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Begünstigung der Mehrarbeit bestehen erhebliche Bedenken, auf die ich für die Bundesregierung bereits in der Fragestunde der 54. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Januar 1963 hingewiesen habe. Die Bundesregierung wird über Fragen der Arbeitszeitverkürzung und der Mehrarbeit mit den Sozialpartnern Gespräche führen und dem Bundestag darüber berichten. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Sie haben die Antwort der Bundesregierung gehört. Die Aussprache wird mit der zu Punkt 4 c verbunden. Ich rufe Punkt 4 c auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Imle, Mertes, Dr. Supf, Opitz und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({0}). Zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Imle das Wort.

Dr. Wolfgang Imle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000994, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren! ({0}) - Entschuldigung, Frau Beyer. - Meine Dame, meine Herren! ({1}) - Dahinten ist auch noch eine Dame, richtig. Entschuldigen Sie, daß ich das übersehen habe. Ich wollte mit meiner so gefaßten Einleitung nur darauf hinweisen, daß wir heute so zahlreich vorhanden sind, daß wir unsere Moniteure, die sonst auf den Tribünen in großer Zahl anwesend sind, an Zahl übertreffen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Einen Augenblick, Herr Kollege Imle! Uns bindet ein Mandat, hier zu sein. Die anderen sind Zuschauer, die können spazierengehen; nur wir nicht. Das ist der Unterschied. ({0})

Dr. Wolfgang Imle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000994, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wollte damit nicht sagen, daß wir sonst spazierengehen, Herr Präsident. Das wissen Sie genau wie ich, daß wir auch sonst tätig sind, auch wenn wir hier nicht anwesend sind.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Beifallskundgebungen auf der Tribüne sind nicht statthaft nach der Geschäftsordnung dieses Hauses! - Ich bedanke mich, meine Damen und Herren. ({0})

Dr. Wolfgang Imle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000994, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zu dem Antrag der FDP-Abgeordneten Drucksache IV/1161 - darf ich zunächst darauf hinweisen - um das klarzustellen -, daß mit dem Antrag beabsichtigt ist, eine Steuerfreiheit für Überstunden und Überstundenzuschläge in den Fällen zu erreichen, in denen die regelmäßige, durch Gesetz oder durch Tarif vereinbarte Arbeitszeit über 45 Stunden liegt. Dieselbe Steuerfreiheit für durch Tarifverträge oder durch Gesetz festgelegte Zuschläge soll für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit eintreten, und zwar bei Arbeitnehmern - in beiden Fällen -, soweit das Jahreseinkommen nicht über 15 000 DM beträgt. Allerdings soll die Bundesregierung ermächtigt werden, für Grenzfälle Sonderregelungen zu treffen. Was war überhaupt für uns der Anlaß, einen solchen Antrag einzubringen? Bereits in der dritten Legislaturperiode hatte die FDP einen entsprechenden Antrag eingebracht. Die Klagen, insbesondere aus den mittelständischen Unternehmen des Handwerks, haben sich seit dieser Zeit immer noch gesteigert: nämlich über die Auswirkung der Arbeitszeitverkürzung beim Handwerk, daß - bei Zugrundelegung der Fünftagewoche - bei Feierabend am Freitag spätnachmittags dann noch über SamstagSonntag woanders gearbeitet wird. ({0}) - Sie können ja nachher dazu etwas sagen. - Der Wunsch des Handwerks geht dahin, durch die Steuerfreiheit, wie wir sie wollen, den Arbeitnehmern, die sonst draußen in anderen Betrieben arbeiten, einen Anreiz zu geben, im eigenen Betrieb zu arbeiten. Es ist heute schon verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß eine besondere Überhitzung im Baugewerbe vorliegt. Diese ist darauf zurückzuführen, daß die Bauherren daran interessiert sind, ihren Bau möglichst schnell unter Dach unid Fach zu bekommen, weil sie nämlich sonst, wenn es nach den übrigen Arbeiten geht, die zuerst ,erledigt werden müssen, eben jahrelang warten müssen. Nach Schätzungen von Experten hat sich auf dem Bausektor bereits eine solche zusätzliche Arbeit an den freien Wochenenden ergeben - so reisen z. B. ganze Baukolonnen in die Ballungsgebiete -, daß man mit Bauleistungen im Werte von 2 bis 3 Milliarden DM rechnet, die auf diese Weise erbracht werden. Die Arbeitnehmer, die solche Arbeiten über das Wochenende annehmen, wobei zum Teil auch noch der Montag manchmal ausfällt, zwingen den eigenen Unternehmer auch noch dazu, ihnen die Arbeitsgeräte zur Verfügung zu stellen, weil er sonst mit der Künidigung rechnen muß. Wenn z. B. im Baugewerbe laut Tarifvertrag eine wöchentliche Arbeitszeit - bis Frühjahr 1964 - von 43 Stunden bei der .Fünftagewoche festgelegt ist, gibt es genügend Gelegenheit zu anderweitiger Arbeit. Dabei muß man bedenken, .daß diese Arbeitsstunden nun mit 4 bis 7 DM ohne jeden Abzug bezahlt werden. Dabei kommt vielfach noch hinzu, daß auch Essen unid Trinken kostenlos gegeben werden. Dieses zusätzliche Einkommen an den Wochenenden entspricht fast dem wöchentlichen Einkommen in der regelmäßigen Arbeitszeit. Dadurch wird .andererseits - was wir heute auch schon verschiedentlich erörtert haben - .eine erhöhte Nachfrage auf dem Konsummarkt herbeigeführt. Wir haben volles Verständnis dafür, wenn die Arbeitszeitverkürzungen damit begründet werden, daß kein Raubbau an der Gesundheit getrieben werden soll. Es zeigt sich aber in dieser Sache gerade das Gegenteil. Keineswegs wird eine solche Arbeit, die daneben herläuft, völlig verhindert werden können. Durch unseren Gesetzentwurf soll ,aber eben der Anreiz geboten werden, im eigenen Betrieb zu .arbeiten und nicht weit von zu Hause wegzugehen. Hierbei sind auch folgende Fälle ins Auge gefaßt. Es gibt eine ganze Reihe von Unternehmen, die bei plötzlichen Stoßgeschäften, bei plötzlichen größeren Aufträgen - ich erinnere z. B. an die Lage der Reinigungsanstalten im Frühjahr - ihre Arbeitskräfte an den Samstagen selber benötigen. Es hat sich gezeigt, .daß man sich nur bereit findet, Überstunden zu leisten, wenn sie voll, d. h. ohne jeden Abzug bezahlt werden. Wenn also der Unternehmer seine Leistung rechtzeitig erbringen will, muß er über den üblichen Arbeitslohn hinaus noch zusätzliche Beträge aufbringen. Wenn man nicht den gesamten Lohn für die Mehrarbeitsstunden, sondern nur die Zuschläge freistellte, würde kaum ein Anreiz für irgendeinen Arbeitnehmer geboten wenden. Nehmen wir einmal einen Stundenlohn von 3 DM. Bei 12 Überstunden im Monat würde diese Freistellung eine Steuerersparnis von 3 DM ausmachen. Wir sind uns wohl alle einig darüber, daß die Aussicht, 3 DM an der Steuer zu ersparen, kein Anreiz ist, nun .deswegen 12 Überstunden zu machen. Die Progression, in die der Arbeitnehmer hineinkommt, wenn die Überstunden selbst versteuert werden, liegt zudem erheblich höher. Auch das wind ihn davon abhalten, Überstunden im .eigenen Betrieb zu leisten. Nun darf ich einmal darauf hinweisen, daß wir bis zum Jahre 1951 schon die Regelung gehabt haben, daß die Mehrarbeitsstunden unid auch die Zuschläge steuerfrei waren. Bis zum Jahre 1954 waren noch die Zuschläge steuerfrei. Das wurde dann aufgehoben. Eine weitere Frage ist, ob die Einkünfte aus Mehrarbeit nicht nur steuerfrei, sondern auch frei von Sozialversicherungsbeiträgen sein sollten. Ich darf hier darauf hinweisen, daß sich die Berechnung der Sozialbeiträge nach der Zweiten Lohnabzugsverordnung vom 24. April 1942, verkündet im Reichsgesetzblatt, und nach dem gemeinsamen Erlaß des damaligen Reichsarbeitsministers und des Reichsfinanzministers, die heute noch Gültigkeit haben, nach der Lohnsteuer richtet. Hier würde also ebenfalls eine Vergünstigung eintreten und der Mehrarbeitslohn dem Arbeitnehmer voll zugute kommen. ({1}) - Er kann ja dann freiwillig von sich aus die Beiträge zahlen. Das hat doch mit der Rentenkürzung nichts zu tun. Wenn er außerhalb seines Betriebes arbeitet und dort Lohn empfängt, versteuert er diesen nicht und zahlt auch keine sozialen Beiträge. Das ist also gar nichts anderes. ({2}) - Das ist doch Schwarzarbeit! ({3}) - Aber der andere geht frei aus, das habe ich doch soeben dargelegt; und das halten wir für falsch. Ich kann Ihnen sagen, auf Grund dieser Erklärungen und dieser Veröffentlichungen sind jedenfalls bei uns zahlreiche Briefe eingegangen. Es haben sich sogar Arbeitnehmerschaften von Betrieben erboten, ganze Listen einzureichen, um darzutun, wie sie es begrüßen würden, wenn eine solche Regelung erfolgte. ({4}) - Kommen Sie einmal zu mir, die zeige ich Ihnen. Ich darf dann auf etwas hinweisen, was vielleicht auch hier hochgespielt wird. Es ist keineswegs daran gedacht, durch diese Maßnahme zu einer allgemeinen Arbeitszeitverlängerung zu kommen. Ich habe schon anfangs darauf hingewiesen, daß die Vergünstigung erst ab 45 Stunden eintreten soll. Wir haben heute im Durchschnitt eine gesetzlich und tariflich festgelegte Arbeitszeit zwischen 42 und 43 Stunden. Der Lohn für die 2 Stunden bis zur 45. Stunde, die in Mehrarbeit geleistet werden, muß voll versteuert werden; erst dann tritt die Steuerfreiheit ein. Ich glaube also, das ist durchaus zu verkraften. Der Herr Kollege Besold und der Herr Bundesarbeitsminister haben soeben schon über die weiteren Arbeitszeitverkürzungen und den Wunsch nach ihrer Hinausschiebung gesprochen. Ich kann es mir ersparen, darauf einzugehen. Es ist keineswegs zu erwarten, daß die Mehrarbeit allgemein in allen Wirtschaftszweigen stattfindet. Wenn man sagt, daß zwei Stunden Mehrarbeit wöchentlich es überflüssig machten, irgendwelche sonstigen Arbeitskräfte hereinzuholen, so muß man hier doch daran denken, daß es sich um verschiedene Wirtschaftszweige handelt, die nicht gleich behandelt werden können. Ein systematisches Bedenken gegen die Einführung dieser Bestimmung besteht allerdings darin, daß die Selbständigen hiervon nicht erfaßt werden sollen. Ich habe bis heute noch nicht gehört, daß ein Selbständiger von sich aus etwa gesagt hat, er sei dagegen, weil er nicht betroffen sei. Man sollte hier auch nicht so weit gehen, zu sagen, weil es systemwidrig sein könnte, sollte man es nicht tun. Sonst gehen wir noch eines Tages an Grundsätzen, die wir hier aufstellen, zugrunde. Es kommt auf den Effekt an, den wir damit erzielen wollen. Eine weitere Frage, die sicherlich den Herrn Finanzminister angehen wird, ist die, ob Ausfälle an Steuereinnahmen eintreten. Auf der anderen Seite werden auf jeden Fall mehr Einnahmen bei der Lohnsummen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer auftreten. Auf Grund der damit verbundenen Erhöhung des Sozialprodukts werden sicherlich auch sonstige Einkommensteuern in erhöhtem Umfange anfallen. Weiter muß folgendes gesagt werden. Da die Arbeiten an den Wochenenden, auf die ich hingewiesen habe, in großem Umfange bisher nicht erfaßt wurden, wurden dafür auch keine Steuern gezahlt. Wenn diese Arbeiten jetzt steuerfrei gestellt werden, kann bei den Finanzministerien kein Ausfall eintreten. Es ist eigentlich auch nicht einzusehen, warum jede Mehrarbeit auch bei der Lohnsteuer unbedingt zu höheren Einnahmen des Staates führen muß. Die SPD-Fraktion hat vor einiger Zeit einen Antrag eingebracht - ich komme darauf, weil die Frage im Zusammenhang mit diesem Antrag in der Öffentlichkeit erörtert wurde -, die Sonderausgabenpauschale von 636 DM auf 900 DM zu erhöhen. Wir haben uns im Finanzausschuß ja schon darüber geeinigt, sie auf 936 DM anzuheben, und zwar wegen der besseren Berechnung. Ich darf aber darauf hinweisen, daß der Antrag auf Erhöhung der Sonderausgabenpauschale mit diesem Antrag nichts zu tun hat; denn bei Ihrem Antrag handelt es sich ja darum, zu einer Entlastung der Finanzämter zu kommen. ({5}) - Ein Durchschnittslohn von 600 DM macht bereits einen Sozialversicherungsbeitrag von 72 DM erforderlich, und dann müßte auf jeden Fall ein Antrag beim Finanzamt gestellt werden. Wir sind daher insgesamt der Meinung, daß die Verwirklichung des Antrags, wie wir ihn hier eingereicht haben, durchaus eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit ist. Wir beantragen daher die Überweisung an den Finanzausschuß. ({6})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, wir verbinden die Beratung erster Lesung mit der Aussprache über die Große Anfrage Drucksache IV/1072. Das Wort hat der Abgeordnete Folger.

Erwin Folger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000566, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine sehr geehrten Herren! Es würde mich jetzt reizen, eine gründliche Stellungnahme zu der Großen Anfrage und zu den Ausführungen der Herren Dr. Besold und Dr. Imle zu geben. Ich möchte mir aber nicht den Haß der noch Dagebliebenen zuziehen und bitte Sie deshalb, wenn ich zu einer Sache nichts sage, nicht zu unterstellen, daß wir dazu nichts zu sagen hätten, sondern anzunehmen, daß ich das lediglich tue, um die Zeit zu sparen. In der Großen Anfrage gehen die Fragesteller davon aus, daß die Arbeitsmarktlage weiterhin angespannt bleibt. Die Fragesteller sind da pessimistischer, als es der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ist. Sie haben den Akzent etwas in Richtung auf einen Zweckpessimismus verschärft, um zu dem Ergebnis zu kommen, daß Mehrarbeit notwendig ist und daß die Arbeitszeitverkürzungen gebremst werden müssen. Nach unserer Meinung gibt es eine Reihe von Anzeichen dafür, daß in den nächsten Jahren anhaltend eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt eintreten wird. Dafür gibt es eine ganze Menge von Anhaltspunkten, z. B. daß die Fluktuation der Arbeitskräfte laut Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von 38,3 im Jahre 1959 auf 34,4 im Jahre 1962 weiter abgenommen hat. Das ist ein Zeichen dafür, daß die Konsolidierung auf dem Arbeitsmarkt fortschreitet. Außerdem ist ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Entspannung, daß die Zunahme der offenen Stellen seit 1960 stark rückläufig ist. 1960 hatten wir noch eine Zunahme von 170 000, 1961 von 82 000, 1962 von nur noch 13 000, und im März 1963 gab es rund 30 000 weniger offene Stellen als im März 1962. Die in der Großen Anfrage genannte Spitze von 632 000 muß mit dem Jahresdurchschnitt von 549 000 verglichen werden. In diesen 549 000 stecken auch eine ganze Menge Anforderungen, die nicht ernstgemeint sind, so nach dem alten Prinzip, das wir auch aus dem Haushaltsrecht kennen: Verlange zehn, damit du fünf bekommst. Fachleute schätzen, daß in der Zahl der offenen Stellen 20 bis 30 % Anforderungen stecken, die nicht ernstgemeint sind. Im Gegensatz zum Präsidenten der Bundesanstalt sind wir nicht der Meinung, daß soundso viele Stellen gar nicht erst bei den Arbeitsämtern gemeldet werden, weil die Unternehmer zu skeptisch sind. Wir glauben, daß die Unternehmer sich den besten und billigsten Weg, zu Arbeitskräften zu kommen, nicht deshalb ersparen, weil es vielleicht zwecklos ist; sie werden es auf ,alle Fälle trotzdem versuchen. In der Anfrage heißt es unter anderem auch, daß die Vermittlung von Arbeitskräften immer schwieriger wird. Ich möchte in aller Kürze darauf hinweisen, daß die Zahl der Arbeitnehmer seit 1950 ständig gestiegen ist, von 14,3 Millionen auf zuletzt 21,3 Millionen. Es besteht gar kein Anlaß, anzunehmen, daß das in absehbarer Zeit schlechter sein wird. Gemeint ist von den Unterzeichnern der Großen Anfrage wahrscheinlich die Zuwachsrate. Nun, die Zuwachsrate schwankt ständig von Jahr zu Jahr, ohne daß das zu Beunruhigungen geführt hat. Sie hat 1955 974 000 betragen, 1960 241 000 und 1962 365 000 jeweils gegenüber dem Vorjahr. Es wird sicher keine überdurchschnittliche Steigerung mehr eintreten, auch nicht mehr möglich sein. Wir glauben aber, daß sie auch nicht mehr erforderlich sein wird. Herr Kollege Besold hat davon gesprochen, daß Unordnung auf dem Arbeitsmarkt bestehe und der Arbeitsmarkt krank sei. Da kann ich Sie nicht verstehen, Herr Kollege Dr. Besold. Wenn alle beschäftigt sind, kann man doch nicht davon sprechen, daß der Arbeitsmarkt krank sei; im Gegenteil, man kann sagen, er ist im höchsten Maße gesund. ({0}) Ein weiterer Anhaltspunkt dafür, daß eine Entspannung eintritt, ist z. B. auch die Tatsache, daß die Zahl der Kurzarbeiter im März 1963 sechsmal höher war als im Jahre 1962 ({1}) und daß die Zahl der Arbeitslosen im März 1963 um über 10 000 höher war als im März 1962. ({2}) Außerdem sind nach den Schätzungen des Statistischen Bundesamtes die Zahlen der Entlassungen und Schülerabgänge aus allgemeinbildenden Schulen in den nächsten Jahren höher, als sie vorher waren, im Jahre 1963 z. B. um 43 000 höher als im Vorjahr. Mit kleinen temporären Einbrüchen setzt sich diese Steigerung dann bis 1970 fort. Eine Möglichkeit der Entspannung auf dem Arbeitsmarkt ergibt sich auch durch die Förderung der Teilzeitarbeit. Die Bemerkungen von Herrn Präsidenten Sabel in seinem Bericht sind unseres Erachtens etwas zu skeptisch und widersprechen den Erfahrungen, die die Arbeitsämter auf diesem Gebiet gemacht haben und die auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände in durchaus konstruktiver Weise beurteilt hat. Das Bundessozialgericht war der Meinung, daß die Teilzeitarbeit als eine spezifische Form der Frauen-Erwerbsarbeit im Hinblick auf die Doppelrolle der Frau in Beruf und Familie hervorgehoben werden muß. Wir sind der Meinung, daß von hier aus, von der Förderung der Teilzeitarbeit aus, noch ungeahnte Kräfte in unserer Volkswirtschaft mobilisiert werden können, wenn man nur gründlich genug herangeht. Sie ist für Frauen, die kleine Kinder zu versorgen haben oder die pflegebedürftige Angehörige haben, und für nicht voll Erwerbsfähige noch eine Möglichkeit, sich am Arbeitsmarkt nützlich zu machen. Bisher war das Interesse hauptsächlich auf seiten des Angebots und weniger auf seiten der Nachfrage. Das heißt: es haben sich mehr um eine Teilzeitarbeit beworben, als untergebracht werden können. Viele private und öffentliche Betriebe haben nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten sehr gute Erfahrungen mit der Teilzeitarbeit gemacht. Wir meinen, daß die Bundesanstalt noch weitere Forschungen auf diesem Gebiet treiben und die Betriebe sachverständig beraten sollte. Auch sollte sich die Bundes regierung noch überlegen, wie eine Vereinfachung der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von Teilzeitarbeit herbeigeführt werden könnte. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß z. B. die Teilzeitarbeit nach der Arbeitslosenversicherung, nach der Krankenversicherung und nach der Rentenversicherung ganz verschieden behandelt wird. Wenn man da einen gemeinsamen Nenner fände, würde das die Situation erleichtern. Eine weitere Entspannung ist denkbar auf dem Gebiet der Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften. Der Herr Präsident der Bundesanstalt ist der Meinung, daß sich da noch einiges steigern ließe. Diese Beschäftigung ist noch entwicklungsfähig, insbesondere was Griechenland, Spanien und die Türkei anlangt. Zur Zeit haben wir etwas über 3 % ausländische Arbeitskräfte. Es wäre unbedenklich, diesen Anteil bis zu etwa 5 %, d. h. bis zu etwa 1 Million zu steigern. Auch dadurch würde eine wesentliche dauernde Entspannung eintreten. Die Frage nach dem Volumen der Mehrkosten von Ausländern ist unseres Erachtens etwas suggestiv. Wir meinen, man sollte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß die ausländischen Arbeitskräfte nicht nur etwas kosten, sondern daß sie auch etwas bringen. Sie bringen neben ihrer puren Arbeitskraft auch gewisse berufliche Kenntnisse und Erfahrungen mit, die nicht wir, sondern die andere Völker bezahlt haben. Ich brauche nur an das größere geschichtliche Beispiel zu erinnern, daß der Reichtum Amerikas neben seinen Naturschätzen mit darauf beruht, daß die Einwanderer ihre beruflichen Kenntnisse mitgebracht haben, die sehr viel wert sind, wenn sie in solcher Fülle auftreten. Im Hinblick auf den Anteil der Frauenarbeit darf ich auf die heutige Auseinandersetzung über die Frauenenquete verweisen. Dabei ist schon zum Ausdruck gekommen, daß auf dem Gebiet der Frauenbeschäftigung noch eine ganze Menge unklar ist. Die Statistiken, die da genannt werden, kann man gar nicht miteinander vergleichen. Die Fragesteller haben von einem Anteil von 34% gesprochen. Man könnte demgegenüber darauf hinweisen, daß der Anteil in anderen Ländern, z. B. in Finnland, Osterreich oder Japan, noch größer ist, daß wiederum in anderen Ländern der Anteil ungefähr so groß ist wie bei uns. Aber das alles läßt sich schwer vergleichen. Da müßte man schon die Grundlagen genau erforschen, um gültige Beispiele anführen zu können. Erlauben Sie mir nur einen Hinweis: Die Italiener schicken italienische Frauen nach Deutschland zur Arbeit. Dadurch wird der Frauenanteil in Italien gedrückt. In Deutschland steigt er. Niemand wird aber behaupten können, daß deswegen die Verhältnisse in Italien idealer sind als etwa bei uns in der Bundesrepublik. Die Frage an die Bundesregierung, ob sie die Möglichkeit sieht, konstruktive Maßnahmen zu ergreifen, um die Arbeitszeitverkürzungen zu bremsen, ist nach unserem Dafürhalten unter einem Schleier einfach die nackte Aufforderung, die Tarifautonomie der Sozialpartner in irgendeiner Form zu beschneiden, das heißt: das Recht der Sozialpartner, ihre Beziehungen zueinander selbst zu regeln. Wir wollen nicht, daß die sonst von den Fragestellern gerühmte, gewachsene und wachsende Ordnung gestört und negativ beeinflußt wird. Wir wollen nicht, daß das Rad der Entwicklung aufgehalten wird. Die Fragesteller haben die Sache auch hier wieder etwas pessimistischer dargestellt, als der Präsident Sabel das in seinem Bericht getan hat, der die Einschränkung gemacht hat: „wenn Arbeitszeitverkürzungen nicht durch Rationalisierungserfolge ausgeglichen werden können". Diese Einschränkung haben die Fragesteller total ignoriert. ({3}) Wir sind der Meinung, daß sich das Tempo der Arbeitszeitverkürzungen schon ganz von selbst verlangsamt; das heißt, nicht ganz von selbst, sondern insbesondere durch das Verständnis der Gewerkschaften bereits stark verlangsamt hat. Schauen Sie bitte heute das Bulletin der Bundesregierung an! Da können Sie in Zahlen nachlesen, wie sehr sich das Tempo verlangsamt hat. Die Gewerkschaften haben langfristige Abkommen über den stufenweisen Abbau mit einer Laufzeit bis 1965/66 und mit minimalen Reduzierungen, zum Teil nur einer Reduzierung der Arbeitszeit um eine halbe Stunde im Laufe eines ganzen Jahres, abgeschlossen. ({4}) Das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in einem Gutachten auf Anforderung des Bundeswirtschaftsministers u. a. erklärt, als Fernziel sollte die 40-Stunden-Woche etwa zwischen 1965 und 1970 angestrebt werden. Das ist genau das, was unsere Gewerkschaften seit Jahren bereits tun, nämlich eine sehr verständige, allmähliche Angleichung. Nach den gegenwärtig laufenden Abkommen werden erst 1965/66 5,5 Millionen der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik in den Genuß der 40-StundenWoche kommen. ({5}) Erst etwa ein Viertel der deutschen Arbeitnehmer wird also bis dahin die 40-Stunden-Woche haben; alle anderen arbeiten noch länger. Der Herr Bundesminister für Arbeit, Blank, hat schon das Abkommen der IG Bau anerkannt, die eine rechtsverbindliche Vereinbarung über Verkürzung der Arbeitszeit aus Verständnis für die Lage suspendiert hat. Aber dieses Beispiel, Herr Bundesarbeitsminister, kann man nicht ohne weiteres auf andere Wirtschaftszweige übertragen. Es handelt sich hier um eine sehr stark saisonal betonte Beschäftigung, die große Wellen durchmacht und große Spitzen aufweist. Die Metallindustrie hat für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis 1. Juli 1965 nur eine Reduzierung um 1 1/4 Stunden vereinbart, obendrein mit der Einschränkung, daß vor der Herabsetzung geprüft werden soll, ob weitere Verkürzungen ohne Schaden für den jeweiligen Wirtschaftszweig möglich sind. Ich möchte Sie fragen: Sollen die auch von Arbeitnehmern erdachten Verbesserungen von Maschinen, Apparaten und technischen Anlagen, auch den Arbeitnehmern in Form von Arbeitszeitverkürzungen zugute kommen, oder sollen die Vorteile dieser Verbesserungen ebenso entschwinden, ohne daß die Arbeitnehmer etwas davon haben, wie das bei den über die Preise finanzierten Investitionsgütern der Fall gewesen ist? Nun, meine Damen und Herren, gar so revolutionär und gar so neuartig sind die Bemühungen unserer Gewerkschaften zur Zeit nicht. Am 25. November 1833 wurde in Manchester eine große Versammlung abgehalten, in welcher eine starke Organisation gegründet wurde unter dem Namen „Gesellschaft der nationalen Wiedergeburt", „National Regeneration Society", zu dem Zweck, den arbeitenden Klassen dazu zu verhelfen, für acht Stunden Arbeit den vollen gegenwärtigen Tageslohn zu erhalten. Der Urheber dieses Beschlusses war kein Sozialdemokrat und waren nicht die Gewerkschaften, sondern es war der große englische Patriot John Fielden, ein großer Baumwollfabrikant und Abgeordneter, der das damals schon für notwendig gehalten und propagiert hat. Einige Gründe für diesen Beschluß waren: weil es die längste Periode physischer Anstrengung ist, welche das Menschengeschlecht, wenn man den Durchschnitt nimmt und dem Schwächeren die Existenzberechtigung ebenso zugesteht wie dem Stärkeren, ertragen kann; um gesund, intelligent, tugendhaft und glücklich zu sein; weil die modernen Erfindungen in Chemie und Mechanik eine längere Periode physischer Anstrengung unnötig machen; weil bei achtstündiger Arbeit unter geeigneten Einrichtungen ein Überfluß, ein Reichtum für alle geschaffen werden kann. 130 Jahre später, im Jahre 1963, wird vielfach noch länger als acht Stunden am Tag gearbeitet, 8 1/2 und 9 Stunden, und die Fragesteller wollen jetzt noch fördern, ja sogar provozieren, daß noch länger gearbeitet wird. Über die Nachbarschaft in Ihrer Frage zwischen Preis- und Geldwertstabilität sowie Wettbewerbsfähigkeit einerseits und Löhnen andererseits ist heute in der Wirtschaftsdebatte genügend gesprochen worden. Uns ist aber nicht erklärlich, in welcher Form die Bundesregierung mit den Tarifpartnern verhandeln soll über eine Vereinbarung, „die zum Ziele haben soll" usw. Wie soll denn das, was hier in der Anfrage steht, vor sich gehen? Wie sollen die Ergebnisse solcher Verhandlungen kodifiziert werden? Es könnte sich unseres Erachtens höchstens um Empfehlungen handeln, deren Wert man am besten daran ermessen kann, daß sich die Bundesregierung bei früheren Gelegenheiten an ihre eigenen Empfehlungen nicht gehalten hat. Was heißt denn „vertretbare Mehrarbeit fördern"? Die Arbeitnehmer haben in der Geschichte schon oft genug bewiesen, daß sie bereit sind, Mehrarbeit zu leisten, wenn es notwendig ist, wenn es die Volkswirtschaft erfordert. Wozu sie nicht bereit sind, ist, durch die Hintertür die in Jahrzehnten erhandelte berechtigte Arbeitszeitverkürzung wieder zunichte machen zu lassen. ({6}) Mit anderen Worten, sie will nicht die Mehrarbeit zur regelmäßigen Arbeitszeit werden lassen. Die Arbeitszeitverkürzungen wurden nicht erhandelt, um die Faulheit zu pflegen, sondern um der Erhaltung der Arbeitskräfte willen. Der letzte Punkt der Großen Anfrage ist wieder ein Musterbeispiel von Verschleierung der wahren Absicht. Gewollt sind steuer- und sozialversicherungsrechtliche Vergünstigungen. Das zeigt auch der Antrag der FDP, zu dem ich an der Stelle gleich sagen kann, daß wir bereit sind, über die Frage neuerdings zu diskutieren, obwohl das früher schon vielfach geschehen ist. Wir hatten den Zustand bereits einmal, und die Meinungen darüber sind ja an und für sich bekannt. Der DGB ist aus guten Gründen gegen eine solche Begünstigung. Er ist vielmehr der Meinung, daß Erholungsbeihilfen steuerlich begünstigt werden sollten, mit anderen Worten, daß nicht der Ruin der Arbeitskräfte, sondern ihre Gesunderhaltung gefördert werden soll. Wir haben nichts dagegen, eine ausnahmsweise notwendige Mehrarbeit zu begünstigen, aber wir haben viel dagegen, die Mehrarbeit auf diese Weise hintenherum als regelmäßige Arbeitszeit einzuführen. Herr Kollege Dr. Besold hat davon gesprochen, daß die Arbeiter die Mehrarbeit selber wollten. Herr Kollege Dr. Besold, das ist doch so eine Stammtischweisheit, das ist eine Verallgemeinerung. Die Arbeiter, die die ganze Zeit in unserem Arbeitsrhythmus streng arbeiten, sind heilfroh, wenn sie nach ihren 40, 42 oder 45 Stunden fertig sind. Dann verlangt es sie nicht nach Mehrarbeit. Man soll nicht immer wieder bei jeder Gelegenheit den Fehler der Verallgemeinerung machen. Die schwarzen Schafe, die es vielleicht wirklich machen wollen, sollten wir da ruhig außer acht lassen. Am Ende seiner Ausführungen und auch in seiner Begründung hat Herr Kollege Dr. Besold eine Menge Widersprüche gebracht, die aufzuklären ganz interessant wäre. Dazu ergibt sich vielleicht ein andermal eine Gelegenheit. Es ist doch widerspruchsvoll, einerseits Mehrarbeit zu fordern und andererseits das Arbeitskräftepotential zu bremsen, z. B. die Frauenarbeit zu bekritteln, die Ausländerbeschäftigung madig zu machen, bloß um zu dem Ergebnis zu kommen, daß Mehrarbeit notwendig ist. Nach unserer Meinung sieht die ganze Anfrage die tatsächlichen Verhältnisse durch die Vereinfachungsbrille, durch die Verallgemeinerungsbrille. In Wirklichkeit sind die Verhältnisse sehr differenziert. Ich brauche Sie, Herr Kollege Dr. Besold, bloß daran zu erinnern - Sie wissen das sicher genauso gut wie ich -, daß man im Landkreis Wolfstein heuer im Winter bei Männern eine Arbeitslosenquote von 36,1 % gehabt hat, in Oberviechtach von 32,6 %, in Kötzting von 29,7 %, in Vohenstrauß von 29,5 %. In der Stahl- und Hüttenindustrie im Ruhrgebiet werden seit einem halben Jahr keine Neueinstellungen mehr vorgenommen. Der natürliche Abgang wird nicht ersetzt, weil man keine Arbeit mehr für die Leute hat. In der Bekleidungsindustrie und in der Schuhindustrie wird die tarifliche Arbeitszeit nicht voll ausgeschöpft. Die Verhältnisse sind von Beruf zu Beruf und von Altersgruppe zu Altersgruppe ganz verschieden. Wollen Sie dort auch auf Arbeitszeitverkürzungen verzichten? Wollen Sie dort auch Mehrarbeit fördern, wo in Wirklichkeit das Gegenteil notwendig wäre? Unseres Erachtens besteht deshalb gar kein Grund zu den geforderten konstruktiven Maßnahmen. Es wären in Wirklichkeit destruktive Maßnahmen. Herr Dr. Besold hat davon gesprochen, daß die Große Anfrage eine große Beachtung gefunden hat. Ich gehe noch ein Stück weiter. Herr Kollege Dr. Besold, ich bin der Meinung, daß die Unterzeichner der Großen Anfrage in die Geschichte eingehen werden, allerdings im negativen Sinne. ({7})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).

Adolf Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin davon überzeugt, daß die Große Anfrage, deren Initiator der Herr Kollege Dr. Besold ist, gut gemeint war, aber aus der Sicht eines Abgeordneten, der aus der Arbeitnehmerschaft kommt, sind doch mehr kritische Bemerkungen dazu zu machen, vor allen Dingen auch zu dem FDP-Antrag. Die in drei Teile gegliederte Große Anfrage befaßt sich in Teil 1 mit der Beurteilung der Arbeitsmarktlage durch den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Sabel. Auch nach meiner Ansicht ist die im Bulletin vom 10. Januar 1963 veröffentlichte Beurteilung des Arbeitsmarkts heute noch richtig, aber, ich glaube, in der Großen Anfrage doch etwas schief interpretiert. Die sich bei einem Vergleich ergebenden Unterschiede zwischen der Großen Anfrage und dem Bericht Sabel sind zwar gering, aber für die Gesamtbeurteilung der Situation mit entscheidend. Sabels Bericht spricht davon, es seinen keine Anzeichen vorhanden, daß der Bedarf im neuen Jahr wesentlich geringer sein werde als in den letzten Jahren und die Spannungen auf dem Arbeitsmarkt im Jahre 1963 nicht so umfangreich sein würden wie Müller ({0}) in den vorhergehenden Jahren. Diese zwei Momente, die doch deutlich besagen, daß kleine Abschwächungen möglich sind, fehlen in der Großen Anfrage. Die heutigen Zahlen der Arbeitsverwaltung beweisen aber die Richtigkeit der Beurteilung durch den Präsidenten der Bundesanstalt. Nun darf ich vielleicht einiges aus dem Bericht des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen über die Arbeitsmarktlage vortragen. Dieser Bericht ist sehr jungen Datums; er stammt vom 9. April 1963. Der Bericht spricht von den Veränderungen in der Stahlkonjunktur und steilt fest, daß auch in den Zentren der Metallverarbeitung der Bedarfsdruck auf den Arbeitsmarkt von Monat zu Monat nachläßt. Es werden auch andere Beschäftigungszweige genannt, in denen in den letzten Wochen Freistellungen erfolgt ,sund. Vom Bergbau möchte ich gar nicht reden. Ich habe an den Sitzungen des Massenentlassungsausschusses des Landesarbeitsamtes tellgenommen, in denen über Freistellungen in der Metallindustrie verhandelt worden ist. Die Bemühungen der Arbeitsämter, für entlassene ältere Arbeitnehmer neue Arbeitsplätze zu finden, werden - so heißt es in diesem Bericht - immer schwieriger. Nach meiner Auffassung wird diese Tendenz, daß die Spannungen am Arbeitsmarkt nachlassen, auch dadurch unterstrichen, daß große Teile der Stahlindustrie seit Wochen, wenn auch geringfügig, verkürzt arbeiten. Schief dargestellt ist die :in der Großen Anfrage enthaltene Behauptung, die Zahl der verfügbaren l Arbeitskräfte im Inland werde kleiner. Herr Kollege Folger hat schon darauf hingewiesen. Richtig ist, daß das Reservoir an inländischen Arbeitskräften kleiner wird, d. h. daß die Möglichkeiten, zusätzliche Arbeitskräfte zu gewinnen, geringer werden. Die Zahl der verfügbaren inländischen Arbeitskräfte - also Beschäftigte plus Arbeitslose - (wind mach Ansicht der Bundesanstalt auch im Jahre 1963 noch zunehmen, wenn auch schwächer als im letzten Jahr. Die Vergleichszahlen vom März 1962 und vom März 1963 beweisen das. Ich möchte Sie jetzt nicht mit den Zahlen langweilen. Immerhin haben wir im März 1963 gegenüber dem März 1962 ein Mehr von 176 000 inländischen Arbeitskräften. Trotzdem wird zur Deckung des Arbeitsmarktes die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte auch weiterhin notwendig sein. Den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers zur Beantwortung der Großen Anfrage hinsichtlich der Erwerbstätigkeit der Frauen habe ich nichts hinzuzufügen. Wir wissen die Leistungen der Frauen, die im Erwerbbsleben stehen, zu würdigen. Wir wissen, wie schwer die Doppelbelastung der Frau in Familie und Beruf ist. Wir wissen ebenfalls, daß unsere Wirtschaft auch in Zukunft auf die Mitarbeit der Frau (angewiesen ist, und schließlich wissen wir nur zu gut, daß die Frauenerwerbsarbeit zusätzliche sozialpolitische Probleme aufwirft, die aber meines Erachtens durchaus gelöst werden können. Mit den ausländischen Arbeitskräften befaßt sich der zweite Teil der Großen Anfrage. Ich möchte in dieser sehr kurzen Stellungnahme das Problem nicht eingehend behandeln, zumal die Frage nach den Mehrkosten am besten durch die Wirtschaft beantwortet wird. Ich halte es aber - das möchte ich nicht verschweigen - für unklug, die Frage der Ausländerbeschäftigung unter negativen Aspekten zu diskutieren, ({1}) weil unsere Volkswirtschaft auch in Zukunft auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist und wir alles tun sollten, um der Konkurrenz anderer Staaten bei der Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften nicht Material in die Hand zu geben, wodurch Aversionen gegen uns geweckt oder gestärkt werden. (Sehr richtig! bei ({2}) In der Großen Anfrage wird auch nach den Mehrkosten bei der Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte gefragt. Sicher kostet die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte Geld. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir Wert darauf legen - und wir müssen es -, auch in Zukunft ausländische Arbeitskräfte in unserer Wirtschaft zu beschäftigen, dann haben wir auch alles zu tun, damit diese Menschen sich bei uns wohlfühlen. Ich möchte es auch nicht versäumen, all den ehrenamtlichen Helfern, die in der Betreuung der ausländischen Arbeiterwertvolle Arbeit leisten, den kirchlichen, den karitativen Stellen, den Gewerkschaften, den Arbeitgeberverbänden, aber auch den Beamten und Angestellten der Arbeitsverwaltung für diesen wertvollen Dienst herzlichen Dank zu sagen. ({3}) Der dritte Teil der Großen Anfrage hat es allerdings in sich. Ich frage mich, mit welchen konstruktiven Maßnahmen die Bundesregierung der Tendenz zu weiteren Arbeitszeitverkürzungen begegnen soll. Die anfragenden Kollegen werden sicher mit mir der Meinung sein, daß ein Eingriff in die Tarifautonomie besonders nach den vielen Beteuerungen aller Parteien dieses Hohen Hauses völlig indiskutabel ist. ({4}) Wenn man sich aber über Arbeitszeitverkürzungen und deren Auswirkungen unterhält, dann muß man auch die Ergebnisse der Untersuchungen des schon von Herrn Folger zitierten Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin berücksichtigen. Dort wird doch sehr klar gesagt, die Entwicklung seit 1956 habe unwiderlegbar gezeigt, daß Arbeitszeitverkürzungen ein geeignetes Mittel zur Sicherung des Wirtschaftswachstums sind. Das Deutsche Institut weist im übrigen auch auf den heilsamen Druck zur Rationalisierung und zum technischen Fortschritt hin, den wir durchaus bejahen. Ich meine aber, noch überzeugender dürfte die Tatsache sein, daß 1963 auf Grund getroffener Vereinbarungen nur noch 700 000 von rund 9 Millionen in der Industrie Beschäftigten weitere Arbeitszeitverkürzungen erfahren. Das sind zumeist noch Industriezweige, in denen der Arbeitsmarkt nicht so angespannt ist, als daß die hier vereinbarten Kürzungen bei der Betrachtung des Gesamtproblems besonders interessant wären. Die Erwartungen, die Müller ({5}) man an einen Stopp der Arbeitszeitverkürzungen für 1963 knüpft, sind nach meiner Auffassung im Hinblick auf die geringe Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmer übertrieben. Angespannt ist der Arbeitsmarkt zweifellos im Bereich der Bauwirtschaft. Aber auch das ist wiederholt gesagt worden: hier hat die zuständige Gewerkschaft - das hat auch der Bundesarbeitsminister schon gebührend herausgestellt - die mögliche und bereits vereinbarte Arbeitszeitverkürzung um ein halbes Jahr verzögert, um die hier zweifellos vorhandenen Spannungen nicht noch größer werden zu lassen. Bei der Behandlung des Problems der Arbeitszeitverkürzung in der Stellungnahme der Bundesregierung freue ich mich vor allem auch über die Anerkennung, die die Bundesregierung der menschlichen und sozialen Bedeutung der Vermehrung der Freizeit und den Grenzen der Mehrarbeit entgegenbringt. Lassen Sie mich da ohne alle Polemik einen Gedanken aussprechen, der mich bei der Großen Anfrage, aber auch bei dem FDP-Antrag auf Förderung der Mehrarbeit, bewegt hat. Der wirtschaftliche Aufstieg der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren ist nicht nur das Ergebnis einer guten Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und nicht nur auf die zweifellos vorhandene und angewandte Unternehmerinitiative zurückzuführen; als unabdingbare Voraussetzung dieses wirtschaftlichen Aufstiegs muß die enorme Arbeitsleistung der deutschen Arbeitnehmerschaft gewürdigt werden. ({6}) Meine Damen und Herren, dabei ist auch erhebliche Mehrarbeit geleistet worden. Wir haben bei vielen Arbeitnehmern in der Einschätzung ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit manche Fehleinschätzung zu verzeichnen. ({7}) Die Auswirkungen dieser in nicht vertretbaren Grenzen gehaltenen Mehrarbeit zeigen sich in der starken Frühinvalidität und in einer starken Anfälligkeit für Krankheiten. Bitte, bedenken Sie, ob nicht durch eine stärkere Förderung der Mehrarbeit auch solche bedenklichen Erscheinungen in verstärktem Maße auftreten! ({8}) Es ist meines Erachtens angesichts der von mir eingangs gemachten Darlegungen über die differenzierte Konjunktur nicht zu empfehlen, derartige Anreize zu schaffen. Gezielte steuerliche Maßnahmen, die ja dann auf Grund des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur die gesamte Wirtschaft betreffen können, sind bei der unterschiedlichen Beschäftigungslage überhaupt nicht vertretbar. In dem Antrag der FDP zur Änderung des Einkommensteuergesetzes wird mit Mehrarbeit die Arbeit bezeichnet, die über mindestens 45 Stunden hinaus in der Woche geleistet wird. Damit werden aber zwei Probleme aufgeworfen: Erstens könnte das als ein Versuch gewertet werden, eine wöchentliche Mindestarbeitszeit festzulegen, und damit als ein Eingriff in die vielzitierte und -beschworene Tarifautonomie angesehen werden. ({9}) Zweitens gibt es auch heute noch viele Berufsgruppen, die eine weitaus höhere Wochenarbeitszeit als 45 Stunden haben. Sie würden damit den Trend zur Arbeitszeitverkürzung nur verstärken. Sie würden bei einer unterschiedlichen Bewertung der Arbeit über 45 Stunden aber auch eine große Unruhe innerhalb der Arbeitnehmerschaft schaffen, wo sich manche mit Recht benachteiligt fühlen würden. Darüber hinaus haben meine Freunde aus dem selbständigen Mittelstand gefragt, ob sie dann auch mit einer steuerlichen Begünstigung ihrer persönlich geleisteten Mehrarbeit rechnen könnten. Der Herr Bundesarbeitsminister hat in der Beantwortung der Großen Anfrage erhebliche Bedenken geltend gemacht, die einer steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Begünstigung der Mehrarbeit entgegenstehen. Ich schließe mich diesen Ausführungen an und teile die Bedenken. Ich bitte Sie, diese Bedenken bei der weiteren Behandlung dieses Problems zu berücksichtigen. ({10})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Abgeordnete Meis.

Hans Meis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001460, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Vorbild unseres Bundesarbeitsministers folgen und nur noch ganz kurz zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Stellung nehmen. Aus dem Antrag der FDP-Kollegen - es handelt sich wohl nicht um einen Fraktionsantrag - spricht deutlich erkennbar die Sorge - das ist heute schon wiederholt von allen Seiten dargelegt worden - um die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Diese Sorge ist ohne Zweifel in mancher Hinsicht berechtigt, obwohl die Arbeitsmarktsituation regional und auch branchenmäßig sehr verschieden ist; auch das ist heute schon wiederholt gesagt worden. Mit der Änderung des Lohnsteuerrechts will man nun gleichzeitig ,die Schwarzarbeit bekämpfen, die insbesondere auf dem Bausektor und ganz besonders im Baunebengewerbe einen immer größeren Umfang annimmt. So wird z. B. in einer Veröffentlichung des dsk - in dem sozialen Kommentar, den wir alle zugestellt bekommen - in Nr. 13 vom 26. März 1963 gesagt: Bei einem kurzen Sonntagsspaziergang wurde festgestellt, daß an zehn von rund einem Dutzend im Rohbau fertiggestellter Wohnhäuser eifrig gearbeitet wurde. Es ist sicher richtig, sich eingehend mit dieser unerwünschten Situation zu befassen und nach Mitteln zur Bekämpfung der Schwarzarbeit Ausschau zu halten. Wenn man sich den vorgelegten Gesetzentwurf einmal näher ansieht, kommen allerdings sofort auch manche Bedenken auf, die gegen die geplante Freistellung des Mehrarbeitslohnes von der Lohnsteuer sprechen. Es wird daher einer eingehenden Beratung im Finanzausschuß bedürfen, bei der zu prüfen sein wird, ab die Bedenken ausgeräumt werden können oder ob vielleicht andere Wege beschritten werden können oder müssen, um zu dem gewünschten Ziel zu kommen. Ich möchte hier einige Bedenken aufzeigen, die meines Erachtens nicht so ohne weiteres beiseite geschoben werden können. Einer der wichtigsten Grundsätze des Einkommensteuerrechts ist der der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Dieser Grundsatz wird meines Erachtens bei der geplanten Regelung nicht beachtet. Dazu folgendes Beispiel: Zwei Arbeiter - A und B -, beide in der gleichen Steuerklasse usw., arbeiten beide 48 Stunden wöchentlich und haben beide ein Einkommen von 1000 DM. A hat eine vertragliche Arbeitszeit von 48 Stunden und B von 45 Stunden. B hat einen Normallohn von 900 DM und 100 DM Überstundenvergütung. Darm würde A 124 DM und B 104 DM Lohnsteuer zahlen. Es ergibt sich in der steuerlichen Belastung ein Unterschied von fast 20 %, obwohl Arbeitszeit und Einkommen übereinstimmen. Es lassen sich viele Beispiele bilden, aus denen sich ergibt, daß derjenige, der viel verdient, relativ wenig Steuer zahlen soll und umgekehrt. Nach meiner Meinung würde mit der Verwirklichung des FDP-Vorschlages der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verletzt. Besonders bedenklich in dem Gesetzentwurf ist der Vorschlag - das ist soeben schon gesagt worden -, daß nur Arbeitnehmer, nicht dagegen selbständig Tätige begünstigt werden sollen. Solche Ungleichheiten in der Besteuerung sind schwer zu rechtfertigen und vielleicht auch verfassungswidrig. Es würde daher zu prüfen sein, ob der Gleichheitsgrundsatz verletzt würde, wenn die über das normale Maß hinaus arbeitenden Selbständigen für ihre Mehrarbeit keine Vergünstigung bekämen. Weitere verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich dadurch, daß die Steuerfreiheit nur für solche Arbeitnehmer gelten soll, für die durch Gesetz oder Tarifvertrag Vergünstigungen für Mehrarbeit festgelegt sind oder die, soweit Bindungen an einen Tarifvertrag nicht bestehen, auf Grund besonderer Vereinbarungen nach den Bestimmungen des Tarifvertrages behandelt werden sollen. Dadurch würden die Arbeiter benachteiligt, für die keine gesetzliche oder tarifliche Regelung gilt. Das ist bestimmt verfassungswidrig. Zumindest ist sehr eingehend zu prüfen, ob hierbei die Verfassungsmäßigkeit gewahrt bleibt. Wenn man nun - das ist auch schon wiederholt erörtert worden - nicht dem Vorschlag der FDP genau folgen, sondern die rein theoretisch gerechtere Lösung anstreben würde, sämtliche Löhne für die über 45 Stunden hinausgehende Arbeitszeit steuerfrei zu lassen, ohne Rücksicht darauf, ob es sich dabei um Überstunden oder um vertragsmäßig oder gesetzlich festgelegte Arbeitszeit von mehr als 45 Stunden handelt, dann würde das Bestreben groß werden, die bisherige Arbeitszeit zu verlängern, wenn auch nur zum Schein. Der Steuerausfall - das muß man auch erwähnen - würde ebenfalls erheblich sein, besonders dann, wenn auch noch die normale Arbeitszeit über 45 Stunden steuerfrei bliebe. Wird für die Steuerfreiheit davon ausgegangen, daß nur die über 45 Stunden hinaus geleistete Arbeit als Mehrarbeit gelten soll, so ergeben sich auch erhebliche technische Schwierigkeiten bei der Lohnabrechnung in all den Fällen, in denen die normale tarifliche oder Besetzliche Mehrarbeit mehr oder weniger als 45 Stunden beträgt, weil diese tarifliche oder gesetzliche Arbeitszeit nicht mit der Mehrarbeit nach dem Steuergesetz übereinstimmt. Dann würde diese Mehrarbeit nebst den Mehrarbeitszuschlägen zum Teil steuerfrei, zum Teil steuerpflichtig sein. Die Zuschläge für Sonntagsarbeit usw. würden immer steuerfrei bleiben. Man kann also schon eine ganze Menge komplizieren. Ich habe nur einige Bedenken aufgezeigt. Es werden sicherlich noch weitere vorzubringen sein, die bei unseren Ausschußberatungen ebenfalls überprüft werden müssen. Ich bin der Meinung, daß es notwendig ist, sofort etwas Wasser in den Wein zu gießen, den uns die FDP-Kollegen mit dem Antrag serviert haben. Ich sage das deswegen, damit in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entsteht, daß der Mehrarbeitslohn schon in allernächster Zeit auf jeden Fall steuerfrei bleiben wird. Es muß gesagt werden, daß auch damit gerechnet werden kann, daß es nicht gelingen wird, die schweren Bedenken gegen die beabsichtigte Regelung, insbesondere die verfassungsrechtlichen Bedenken, auszuräumen. Dann wird es nicht möglich sein, auf dem aufgezeigten steuerlichen Wege die Schwarzarbeit zu bekämpfen und die Arbeit bei den Arbeitnehmern attraktiv zu machen. Selbstverständlich gibt es auch andere Mittel zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Ich möchte in dem Zusammenhang den Vorschlag erwähnen, den der Gewerbeverband gemacht hat, der bekanntlich am lautesten die Steuerfreiheit für die Überstundenlöhne gefordert hat. Er fordert nämlich, daß Schwarzarbeit bestraft wird, da jede Schwarzarbeit seitens des Arbeiters eine Steuerhinterziehung und seitens des Auftraggebers Beihilfe zur Steuerhinterziehung bedeute. So die Stellungnahme des Gewerbeverbandes. Da gibt es ein ganz einfaches Mittel: dem zuständigen Finanzamt Mitteilung zu machen. Das Finanzamt wird dann alles Weitere veranlassen. Sie dürfen dazu noch zur Kenntnis nehmen, daß eine Eilbedürftigkeit dabei gar nicht besteht; denn man kann eine nachträgliche Veranlagung und auch die nachträgliche Festsetzung einer Steuerstrafe noch nach zehn Jahren durchführen. Ich bin sogar der Meinung, daß eine solche Bestrafung sehr schnell bekannt und auch abschreckend wirken würde. Die Schwarzarbeit - das muß man vielleicht auch noch am Rande erwähnen - ist nun nicht in jedem Fall steuerlich so zu sehen. Wenn einer einmal gelegentlich Schwarzarbeit macht, so würde wahrscheinlich eine Steuerpflicht gar nicht bestehen; denn die Schwarzarbeit hat ohne Zweifel den Charakter der Selbständigkeit, so daß bis zu einem Einkommen von 800 DM eine Steuerfreiheit bliebe. Ich möchte zum Schluß nur noch sagen: wirksamer zur Bekämpfung der Schwarzarbeit wäre es, wenn man nicht mit steuerlichen Vergünstigungen und Steuerstrafen arbeiten müßte, sondern wenn man, wie es heute schon ausgeführt worden ist, einen echten Ausgleich zwischen dem Leistungsangebot und der Nachfrage auf dem Baumarkt erreichen könnte. Das Herumkurieren nur an den Symptomen bleibt immer Flickwerk. Die CDU/CSU-Fraktion empfiehlt die Überweisung des Antrages an den Finanzausschuß, damit wir uns dort ausgiebig mit dem schwierigen Problem befassen können. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Schluß der Debatte! Vorgesehen ist Überweisung dieses Gesetzentwurfs Drucksache IV/1161 an den Finanzausschuß - federführen 1 -, an den Ausschuß für Arbeit -mitberatend -. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe ,auf Punkt 2 der Tagesordnung: Nachwahlen zur Beratenden Versammlung des Europarates. Die Fraktion ,der CDU/CSU hat mir mitgeteilt, daß an Stelle der verstorbenen Frau Abgeordneten Dr. Weber der Herr Abgeordnete Dr. Zimmer ordentliches Mitglied im Europarat werden soll. Sein Stellvertreter soll Herr Abgeordneter Dr. Seffrin werden. Die Fraktion der SPD hat unter dem 23. April mitgeteilt, daß an Stelle des ausgeschiedenen Herrn Abgeordneten Kühn ({0}) der Herr Abgeordnete Bauer ({1}) ordentliches Mitglied im Europarat werden soll. Sein Stellvertreter soll der Herr Abgeordnete Corterier werden. Für den verstorbenen Abgeordneten Altmaier soll als stellvertretendes Mitglied der Abgeordnete Kahn-Ackermann eintreten. Soweit 'die Vorschläge der Fraktionen. - Das Haus ist einverstanden: Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. September 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ecuador über den Luftverkehr ({2}). Wird das Wort zur Einbringung ,gewünscht? - Das Wort wird ,nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. - Keine Wortmeldungen. Vorgesehen ist Überweisung ,an den Ausschuß für Verkehr, Post und Fernmeldewesen. - Kein Widerspruch; es ist s o beschlossen. Punkt 6 der Tagesordnung: Erste Beratung des von ,der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19, März 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Australischen Bund über den Austausch von Postpaketen ({3}). Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. - Keine Aussprache. - Überweisung an den Ausschuß für Verkehr, Post und Fernmeldewesen. -Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen. Punkt 7 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Juni 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesrepublik Kamerun über die Förderung von Kapitalanlagen ({4}). Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. - Keine Wortmeldungen. Überweisung an den Wirtschaftsausschuß - federführend -, an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und an den Ausschuß für Entwicklungshilfe - mitberatend -. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Punkt 8 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Internationalen Kaffee-Übereinkommen 1962 ({5}). Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. - Keine Aussprache. Vorgesehen ist Überweisung an den Außenhandelsausschuß - federführend -, an den Wirtschaftsausschuß - mitberatend -. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Punkt 9 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Weizen-Übereinkommen 1962 ({6}). Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. - Keine Aussprache. Vorgesehen ist Überweisung an den Außenhandelsausschuß - federführend -, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend -. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Punkt 10 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. Dezember 1961 über den Beitritt Dänemarks und anderer Mitglieder des Europarats zu dem Übereinkommen vom 17. April 1950 über Gastarbeitnehmer ({7}) . Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. - Keine Wortmeldungen. Vorgesehen ist Überweisung an den Ausschuß für Arbeit. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Punkt 11 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 6. September 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Zollerleichterungen im kleinen Grenzverkehr und im Durchgangsverkehr ({8}). Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. - Keine Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Vorgeschlagen ist die Überweisung an Präsident D. Dr. Gerstenmaier den Außenhandelsausschuß. - Widerspruch erhebt sich nicht; es ist so beschlossen. Punkt 12 der Tagesordnung: Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik ({9}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG einer ersten Richtlinie auf dem Gebiet des Filmwesens ({10}). Die Berichterstatterin Frau Dr. Maxsein verzichtet auf einen Bericht. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, gebe bitte din Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag des Ausschusses ist angenommen. Punkt 13 der Tagesordnung: Beratung des Schriftlichen Berichts des Finanzausschusses ({11}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine vom Rat der EWG zu erlassende Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Umsatzsteuern ({12}). Ich frage den Abgeordneten Dr. Dichgans als Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter verzichtet. Ich bedanke mich dafür. Hierzu werden Erklärungen abgegeben. Ich schlage vor, daß diese Erklärungen zum Protokoll genommen werden. Die Erklärung der CDU/CSU-Fraktion liegt vor *). Die übrigen Erklärungen werden nachgereicht und später zu Protokoll genommen. Das Haus ist damit einverstanden. ({13}) - Herr Kollege Schäfer, wenn ich das sage, können Sie es glauben. Dann verpfände ich mein Wort gegenüber dem Haus. Niemand soll zu kurz kommen. Punkt 14 der Tagesordnung: Beratung der Ubersicht 12 des Rechtsausschusses ({14}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht ({15}). Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Rechtsausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - .Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag des Ausschusses ist angenommen. Punkt 15 der Tagesordnung: Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses ({16}) über *) Siehe Anlage 5 die von der Bundesregierung vorgelegte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Verringerung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von Eiprodukten ({17}). Der Abgeordnete Dr. Rinderspacher verzichtet auf eine Berichterstattung. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Außenhandelsausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag des Ausschusses ist angenommen. Punkt 16 der Tagesordnung: Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Zweiten Verordnung über die Verringerung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von Eiprodukten ({18}). Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Außenhandelsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung. Widerspruch erhebt sich nicht; es ist so beschlossen. Punkt 17 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Kraftfahrzeugsteuer im Huckepackverkehr ({19}). Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. - Wortmeldungen zur Aussprache liegen nicht vor. Der Finanzausschuß soll als federführender Ausschuß mit dem Antrag befaßt werden, die Mitberatung soll bei dem Ausschuß für Verkehr, Post-und Fernmeldewesen liegen. Widerspruch erfolgt nicht; das Haus ist einverstanden. Punkt 18 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP betr. Bestallungsordnung für Ärzte ({20}). Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen. Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen. ({21}) - Ich will Ihnen etwas sagen, meine Damen und Herren, ich hätte nichts dagegen. Aber das ist ganz gegen die Vereinbarung; einer muß ja die Vereinbarung halten. Damit ist für heute Schluß. Ich berufe die nächste Sitzung des Hauses ein auf Donnerstag, den 25. April 1963, 14.30 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.