Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir haben heute eines neuen Trauerfalles zu gedenken.
({0})
Unser Kollege Jakob Altmaier ist am Abend des 8. Februar, 73 Jahre alt, hier, in diesem Hause, in seinem Büro, einsam, allein, einem Herzschlag erlegen. Er wurde vor 73 Jahren in Flörsheim am Main geboren und entstammte einer alten jüdischen Familie. Damals, als die Unmenschlichkeit noch nicht in unser Land eingezogen war, konnte der kleine Jude mit den kleinen Christen spielen, und wenn werktags ein Ministrant fehlte, half er aus. Er hat die Realschule besucht. Im 1. Weltkrieg hat er sein Vaterland mit der Waffe verteidigen helfen. Dann zog er ein in die Welt des Journalismus, war Auslandskorrespondent für den „Vorwärts", den „Sozialdemokratischen Pressedienst" und die „Frankfurter Zeitung" . Er hat auch gelegentlich an der „Weltbühne" mitgearbeitet.
Im Jahre 1933 mußte er, wie so viele andere, ins Elend ziehen. Sechzehn seiner nächsten Familienmitglieder sind in den Konzentrationslagern umgekommen, ermordet worden. Jakob Altmaier hat auch in der Emigration nie vergessen, woher er stammte und wohin er gehören wollte. Er hat draußen für Recht und Freiheit aller gekämpft wie einst innerhalb Deutschlands für Recht und Freiheit von jedermann. Er hat sich gegen jene gestellt, die unser ganzes Volk verteufeln wollten, er hat der Welt gezeigt und immer wieder gesagt, was die Deutschen wirklich sind, wenn man sie nicht verdorben hat. Er war ein Weltbürger, nicht im blassen Sinne des Wortes, sondern einer, der versuchte, sich in die Kulturen anderer Kontinente einzuleben. Er war ein guter Europäer, der aus jedem Land, in das ihn sein erzwungenes Wanderleben geführt hat, mitnahm, was gut war und sein deutsches Erbe vermehren konnte. Und er war ein deutscher Patriot. Er kam nach dem Krieg zurück, nicht obwohl, sondern weil auf dieses Volk so viel Schmach gehäuft worden war. Er wollte als ein Deutscher diese Last mittragen und seine Landsleute nicht allein lassen. Er hat unablässig - jeder von uns konnte es bemerken - im Ausland und wenn Fremde zu uns
kamen, die deutsche Sache vertreten, im Rahmen der Sache aller Menschen dieser Welt.
Er hat dem Bundestag von 1949 ab angehört; Hanau hat ihn immer wieder in direkter Wahl in unser Haus entsandt. Dort hat er sich still, bescheiden und eindringlich insbesondere für die Wiedergutmachung, für die Opfer des Nationalsozialismus, für die europäische Einigung eingesetzt. Er war einer jener, die dabei mitgewirkt haben, daß es zu den Verhandlungen kommen konnte, die schließlich zum Israel-Vertrag geführt haben. Er war Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates, der Versammlung der Westeuropäischen Union und Mitglied des Ausschusses für Entwicklungshilfe. Überall hat er gewirkt als der Weltbürger, der gute Europäer und der Vaterlandsfreund, als den wir ihn kannten.
Wir alle haben einen guten Mann verloren, einen sehr leidensfähigen Mann, und, was mehr ist, einen guten Menschen, vor dessen Warmherzigkeit manche von uns gelegentlich die Kälte dieses Hauses vergessen konnten.
Ich spreche den Angehörigen Jakob Altmaiers und der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei die Anteilnahme des Hauses aus.
Ich danke Ihnen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 8. Februar 1963 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz zu dem Vertrag vom 27. März 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
Drittes Gesetz über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen ({1})
Gesetz zu der Vereinbarung vom 12. September 1961 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und
der Königlich Dänischen Regierung über Gastarbeitnehmer.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 8. Februar 1963 gemäß § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes beschlossen, gegen die
Einundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({2}) - Drucksache IV/937 keine Bedenken zu erheben. Sein Schreiben ist als Drucksache
IV/959 verteilt.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 8. Februar 1963 gemäß § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes beschlossen, gegen die
Fünfundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({3}) - Drucksache IV/935 keine Bedenken zu erheben. Sein Schreiben ist als Drucksache
IV/960 verteilt.
Vizepräsident Dr. Schmid
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 8. Februar 1963 gemäß § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes beschlossen, gegen die
Sechsundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 ({4}) - Drucksache IV/936 keine Bedenken zu erheben. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/961 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates über die Ergänzung der Artikel 40 der Verordnung Nr. 3 und 68 der Verordnung Nr. 4 des Rates über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Drucksache IV/962 an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend - und an den Ausschuß für Arbeit - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 15. Februar 1963,
Verordnung über die Einzelheiten für die Feststellung der Ruhegehälter der in Artikel 83 Absatz 3 des Statuts genannten Beamten sowie für die Aufteilung der aus der Zahlung dieser Ruhegehälter entstehenden Lasten auf den Versorgungsfonds der EGKS und die Haushaltspläne der EWG und der EAG - Drucksache IV/964 an den Ausschuß für Inneres mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 15. Februar 1963,
Richtlinie des Rates über die Einzelheiten der Übergangsmaßnahmen auf dem Gebiet der selbständigen Berufstätigkeiten des Großhandels sowie der Hilfspersonen des Handels und der Industrie ({5}) ({6}) - Drucksache IV/963 an den Wirtschaftsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 13. März 1963,
Richtlinie des Rates über Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für pharmazeutische Erzeugnisse - Drucksache IV/965 -an den Ausschuß für Gesundheitswesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 13. März 1963,
Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates der EWG zur Regelung viehseuchenrechtlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Rindern und Schweinen - Drucksache IV/954 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten -federführend - und an den Ausschuß für Gesundheitswesen - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 15. März 1963.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Wilhelm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der SPD beantrage ich, die Beratung des Schriftlichen Berichts über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG - Drucksache IV/910 - auf die Tagesordnung zu setzen.
Ich möchte hierzu bemerken, daß es keine sachlichen Gründe gibt, die eine weitere Hinauszögerung der abschließenden Beratung dieses Schriftlichen Berichts rechtfertigen würden. Alle Gesichtspunkte, die hier in Frage kommen, sind vom Ausschuß für Arbeit in mehreren Sitzungen im Monat Januar eingehend geprüft und gewürdigt worden. Ich möchte auch feststellen, daß die Argumente, die gegen die Aufnahme dieses Punktes in die Tagesordnung der 55. Sitzung am 23. Januar vorgebracht wurden, schon zum damaligen Zeitpunkt nicht stichhaltig waren. Ich möchte nur eine Bemerkung in dieser Richtung machen. Damals, am 23. Januar, wurde darauf hingewiesen, daß das Gesetz insofern gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen könnte, als es ein Präjudiz schaffen würde und weitere Berufungsfälle in Erscheinung treten könnten. Diese Frage ist vor dem 23. Januar schon dadurch sachlich ausgeräumt gewesen, daß der Ausschuß für Arbeit gutachtlich das Bundesjustizministerium gehört hatte und diese Frage erschöpfend erläutert und geregelt war.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß auf Grund all dieser gründlichen Prüfungen der Ausschuß für Arbeit dem Schriftlichen Bericht bei einer Enthaltung einstimmig seine Zustimmung gegeben hat. Deshalb ist es unverständlich, daß gestern im Ältestenrat wiederum die Vertreter der CDU/CSU gegen die Aufnahme dieses Punktes in die Tagesordnung eingetreten sind.
Ich möchte bemerken, daß wir diesen Gesetzentwurf nicht monatelang vor uns herschieben können, und bitte Sie darum sehr herzlich, meine Damen und Herren, der Aufnahme dieses Punktes in die Tagesordnung zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen bitte ich Sie, den Antrag, dieses Änderungsgesetz auf die Tagesordnung dieser Woche zu setzen, abzulehnen. Wir haben im Arbeitsausschuß das Gesetz ausgiebig geprüft, und es ist richtig: juristische Bedenken, daß es ein Präjudiz sein könnte, sind nicht vorhanden. Es handelt sich um ein Anpassungs- und Übergangsgesetz für das Saarland, und man war sich im Ausschuß darüber einig: das kann nur auf das Saarland beschränkt bleiben.
Wenn wir aber für das Saarland in diesem Sinne irgendwie einen Erfolg erreichen wollen, dann müssen alle Punkte in allen Fraktionen genau geprüft werden. Ich glaube, wir sind besser beraten, wenn wir dieses Gesetz erst in der nächsten Plenarwoche beraten und in dieser Woche nicht auf die Tagesordnung setzen.
Keine Wortmeldung mehr. Wir stimmen ab. Wer für den Antrag ist, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Der Fleiß der Morgenstunde, Herr Abgeordneter Rasner!
Meine Herren Fraktionsgeschäftsführer, wann wird dieser Gegenstand am besten beraten?
({0})
- Also Freitag, gut.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde ({1}).
Nach einer Vereinbarung der Fraktionen werden die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers der Verteidigung vorgezogen. Ich rufe auf die Frage VII/1 - des Abgeordneten Dr. Tamblé -:
Trifft es zu, daß Soldaten der Bundeswehr mit einem Greifbagger das am 7. Juli 1962 in Riesenbeck bei Rheine abgestürzte Flugzeug der „Air Lloyd" mit Erde bedeckten und die Unglücksstelle einebneten, bevor Beamte des Bundesamtes für Luftfahrt und Kriminalbeamte die Flugzeugreste untersucht hatten?
Die Informationen, die zu Ihrer ersten Frage geführt haben, Herr Abgeordneter, treffen nicht zu.
Zunächst wurden die amtlichen Untersuchungen durchgeführt. Sodann erfolgte die Freigabe durch die zuständige Staatsanwaltschaft. Sodann wurden die Trümmer des Flugzeugs geborgen und verladen, und zwar in Anwesenheit eines Vertreters des Bundesluftfahrtamtes. Sodann wurde die Absturzstelle eingeebnet und gereinigt.
Diese Arbeiten wurden durch zwei Soldaten einer Nachschubkompanie mit einem Feldumschlaggerät und einem Transportwagen durchgeführt.
Wenn ich die Antwort auf die zweite Frage anschließen darf -
Dann rufe ich die Frage VII/2 - des Abgeordneten Dr. Tamblé - auf :
Wer hat, gegebenenfalls auf wessen Veranlassung, den Einsatz der Bundeswehr bei dem Flugzeugunglück in Riesenbeck bei Rheine im Juli 1962 angeordnet?
Die Hilfe der Einheit wurde auf Bitte des bevollmächtigten Vertreters einer örtlichen Luftsportorganisation durch den Einheitsführer angeordnet. Die Bundeswehr wird oft bei eingetretenen oder drohenden allgemeinen oder Einzelkatastrophen um Hilfe gebeten und zu dieser Hilfe eingesetzt. Solchen Bitten nachzukommen, betrachtet sie als ihre Pflicht.
Zusatzfrage!
Ist wegen dieses Flugzeugunfalls ein Ermittlungsverfahren anhängig und bei welcher Staatsanwaltschaft?
Wir haben lediglich Hilfe im Rahmen dieser Katastrophe geleistet. Die Bundeswehr hat mit dem sonstigen Verfahren nichts mehr zu tun. Ich bin daher nicht unterrichtet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, zunächst zur Frage I/1 - des Abgeordneten Bauer ({0}) -:
Welches Ergebnis hat die laut der Nachrichten-Agentur „Italia" vom 28. November 1962 dem italienischen Botschafter seitens der Bundesregierung gegebene Zusicherung in Richtung einer Untersuchung der Hintergründe eines Wahlinserats einer Regierungspartei in einer süddeutschen Zeitung gehabt, nachdem diese Anzeige offizielle Vorstellungen hervorgerufen hatte?
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Entgegen der von der Nachrichtenagentur Italia verbreiteten Meldung ist weder vom italienischen Botschafter Guidotti eine Untersuchung der für das erwähnte Wahlinserat maßgeblichen Hintergründe verlangt noch von der Bundesregierung zugesagt worden. Im übrigen lag für eine solche Untersuchung schon deshalb kein Anlaß vor, weil die politischen Parteien im Rahmen des Grundsatzes der freien Meinungsäußerung für ihre Wahlpropaganda allein verantwortlich sind.
Zusatzfrage!
Trifft es zu, Herr Bundesminister, daß der Herr italienische Botschafter gesprächsweise aus Anlaß der Besprechung eines anderen Themas eine gewisse Mißstimmung über dieses Wahlinserat im Bundestagswahlkampf zum Ausdruck gebracht hat?
Herr Kollege Bauer, dazu kann ich nur sagen, daß ich diese Meldung weder bestätigen noch dementieren kann. Ich weiß tatsächlich nichts darüber. Ich bin aber gern bereit - wenn Ihnen die Sache wichtig ist -, mich danach noch einmal zu erkundigen und Ihnen vielleicht deswegen zu schreiben.
Frage I/2 - des Abgeordneten Bauer ({0}) -:
Haben die von Staatssekretär Professor Dr. Carstens in der Fragestunde der 16. Bundestags-Vollsitzung vom 22. Februar 1962 zugesicherten Bemühungen der Bundesregierung bei der Botschaft der USA zugunsten der von Angehörigen der alliierten Streitkräfte bei Unfällen geschädigten Zivilpersonen im Rahmen des Brandaris"-Komplexes zu einem Ergebnis in der Richtung geführt, daß dieser Personenkreis 11/2 Jahre nach den Schadensvorgängen mit einer Regulierung seiner Forderungen rechnen kann?
Die Antwort lautet wie folgt. Die Verhandlungen mit der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika zugunsten der durch amerikanische Soldaten geschädigten deutschen Staatsangehörigen stehen unmittelbar vor dem Abschluß. Nach dem derzeitigen Stand der Verhandlungen kann mit Sicherheit damit gerechnet werden, daß eine befriedigende Regelung erzielt werden wird. Ich bitte um Verständnis dafür, daß es mir noch nicht möglich ist, Einzelheiten darzulegen. Ich werde Sie jedoch über das Ergebnis unterrichten.
Zusatzfrage.
Können Sie, Herr Bundesminister, eine ungefähre Angabe darüber machen, ob die zuerst in der Presse aufgetauchten Meldungen, daß eine Verteilungsquote aus der „Brandaris"-Konkursmasse von 70 bis 80 % zu erwarten sei, zutreffen, oder ob die Quote unter diese Zahl sinken wird?
Die Quote, die Sie gerade nennen, habe ich nicht gehört. Es gab ursprünglich eine Quote, die darunterliegen sollte. Man versucht aber, eine andere Regelung zu finden, die für die Geschädigten befriedigender ist als etwa diese Quote.
Letzte Zusatzfrage!
Darf ich um Ihre Zusicherung bitten, Herr Bundesminister, daß die Bundesregierung weiter bestrebt sein wird, nicht nur zu einer befriedigenden, sondern auch zu einer raschen Lösung in dieser eineinhalb Jahre zurückliegenden Frage zu kommen?
Herr Kollege Bauer, die Sache ist deswegen etwas schwierig, weil es nicht nur die Amerikaner sind, sondern weil der Kreis der Beteiligten größer ist. Die Bundesregierung bemüht sich aber, mit dieser Sache sobald wie möglich zu einem befriedigenden Ende zu kommen.
Wir kommen- zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz - des Abgeordneten Liehr -:
Ist das Bundesjustizministerium bereit, überregionale Ausbildungskurse einzurichten, die der weiteren Qualifizierung der Aufsichtskräfte im Jugendstrafvollzug dienen, um damit zu der Verwirklichung des Jugendgerichtsgesetzes ({0}) beizutragen?
Da der Vollzug von Jugendstrafe und Jugendarrest Aufgabe der Länder ist, müssen überregionale Ausbildungskurse ebenfalls von den Ländern durchgeführt werden. Derartige Kurse wären auch nach meiner Auffassung nützlich. Ich werde deshalb Ihre Anregung, Herr Kollege Liehr, gerne den Ländern mit der Bitte unterbreiten, zu überprüfen, ob und wie sich Ihr Vorschlag verwirklichen läßt.
Zusatzfrage!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt bzw. sind Sie bereit, mir späterhin mitzuteilen, inwieweit die für die Erziehungsaufgaben des Jugendstrafvollzugs gesetzlich vorgeschriebene Eignung und Ausbildung der Beamten tatsächlich gewährleistet ist?
Ich werde dies gerne mitteilen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen, zunächst zur Frage III/1 - des Abgeordneten Bauer ({0}) -:
Auf welche Weise beabsichtigt das Bundesfinanzministerium den - zumindest gebietsweise - durch die „Obstschwemme" des abgelaufenen Jahres und die damit verbunden gewesenen Absatzschwierigkeiten in wirtschaftliche Bedrängnis geratenen Obstbaubetrieben Entgegenkommen zu zeigen?
Zur Erleichterung der wirtschaftlichen Lage kleinbäuerlicher Obsterzeuger hat die Bundesmonopolverwaltung auf Anregung des Bundesministers der Finanzen den Übernahmepreis für ablieferungsfähigen Obstbranntwein von 425 DM auf 552 DM je Hektoliter Weingeist erhöht. Diese erhebliche Preisvergünstigung kann als eine wirksame und gezielte Hilfe für die kleinbäuerlichen Obsterzeuger angesehen werden. Sie wird von ihnen offenbar auch voll ausgenutzt. Schon jetzt ist
eine im Vergleich zum Vorjahr um rund 30 v. H. höhere Weingeistmenge abgeliefert worden, so daß den kleinbäuerlichen Obsterzeugern durch den höheren Übernahmepreis eine fühlbare Mehreinnahme zufließen wird.
Dagegen konnten Branntweinsteuerbefreiungen, wie sie früher einmal zugelassen waren, nicht mehr gewährt werden. Sie finden, wie eine erneute eingehende Prüfung ergeben hat, in den gesetzlichen Bestimmungen leider keine Rechtsgrundlage.
Eine Zusatzfrage!
Warum, Herr Staatssekretär, ist diese bessere Regelung zugunsten der Obstkleinerzeuger im abgelaufenen Jahr nicht getroffen worden, nachdem sie in früheren Jahren durchgeführt worden war?
Ich habe eben ausgeführt, daß die nochmalige Überprüfung der gesetzlichen Bestimmungen leider - wie ich betone - ergeben hat, daß eine Rechtsgrundlage hierfür nicht gegeben ist. Weder das Branntweinmonopolgesetz noch die allgemeine Bestimmung des § 131 der Reichsabgabenordnung reicht dazu aus, eine Steuerbefreiung, wie sie früher zugelassen war, wiederum zu gewähren.
Letzte Zusatzfrage!
Ist das Bundesfinanzministerium eventuell bereit, Herr Staatssekretär, in Fällen, in denen wegen mancher aus der Not geborenen Vergehen bzw. Straftaten zunächst einmal Verfahren innerhalb der Verwaltung eingeleitet werden mußten, ein gewisses Entgegenkommen zu zeigen, damit das geringstmögliche Strafmaß im Unterwerfungsverfahren angesetzt wird?
Herr Abgeordneter, mir ist bekannt, daß Strafverfahren eingeleitet worden sind. Ob es solche sind - wie Sie glauben -, bei denen die Vergehen aus Not begangen worden sind, weiß ich nicht. Die Strafverfahren, die uns bekanntgeworden sind, betreffen Fälle, in denen sich einzelne Firmen die Freimenge von 10 Litern Weingeist mehrfach durch strafbare Täuschung der Behörden verschafft haben. In diesen Fällen glaube ich allerdings nicht, daß das Bundesfinanzministerium Einfluß dahingehend nehmen könnte, daß eine mildere Bestrafung erfolgt. Im übrigen lehnen wir es grundsätzlich ab, von der Verwaltung aus in Strafverfahren einzugreifen.
Ich rufe auf die Frage III/2 - des Abgeordneten Jahn -:
Wird die Bundesregierung dem Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Finanzgerichtsbarkeit vorlegen?
Die Frage wird von Herrn Abgeordneten Wittrock übernommen.
Der Entwurf einer Finanzgerichtsordnung ist im wesentlichen fertiggestellt. Nach abschließender Klärung einer noch nachträglich aufgetretenen Einzelfrage wird er dem Bundeskabinett in Kürze zur Beschlußfassung vorgelegt werden.
Eine Zusatzfrage!
Haben Sie dabei berücksichtigt, daß dieser Entwurf ja nicht nur im wesentlichen fertiggestellt war, sondern dem Bundestag bereits in der letzten Wahlperiode vorgelegen hatte, so daß der Bundestag wesentliche Beratungsergebnisse erzielen konnte, und daß die jetzt eintretende Verzögerung allein auf das Konto der Bundesregierung geht?
Herr Abgeordneter, die Beschlüsse des Ausschusses, der sich während der letzten Wahlperiode mit dem Entwurf befaßt hat, werden in dem neuen Entwurf selbstverständlich weitgehend berücksichtigt. Aber es ist in der Tat noch eine kleine zusätzliche Streitfrage aufgetaucht, die mit den Ressorts abgesprochen wird, die aber im wesentlichen auch spruchreif ist. Ich kann versichern, daß dieser Entwurf in Kürze, d. h. noch im Februar oder spätestens Anfang März, der Regierung zur Beschlußfassung vorgelegt werden wird.
Wir kommen .zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich rufe auf die Frage des Herrn Abgeordneten Wächter:
Ergeben sich aus dem Recht der Zechenhandelsgesellschaften, neben der Deckung des Eigenbedarfs auch den Kohleneinzelhandel in einem Umkreis von 50 km im Landabsatz zu Großhandelspreisen zu beliefern, geringere Belieferungsmöglichkeiten für den Einzelhandel außerhalb der 50-km-Grenze?
Als Landabsatz gelten nach den Vereinbarungen der Zechengesellschaften der Ruhr alle diejenigen Lieferungen, die von den Bergwerksgesellschaften direkt und über den Handel, und zwar a) für Hausbrand, Kleinverbrauch und für Industrieverbraucher mit einem Jahresverbrauch bis zu 12 000 t, b) ausschließlich über die Straße und c) zum Verbrauch im Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen, abgesetzt werden. Schon hieraus ergibt sich, daß der Landabsatz nicht auf eine 50-km-Zone beschränkt ist.
Die im Landabsatz abgesetzten Mengen sind vom Vertrieb durch die Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaften ausgenommen. Der Kohleneinzelhandel zahlt, unabhängig davon, ob er im Landabsatz oder über die Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaften bezieht, unterschiedslos den Listenpreis. In Zeiten einer normalen Nachfrage und unbeschränkter Transportmöglichkeiten ergeben sich aus der Landabsatzregelung für die übrigen Länder des Bundesgebietes gegenüber Nordrhein-Westfalen keinerlei Belieferungsnachteile.
Seit dem Spätsommer 1962 hat sich dies jedoch geändert. Neben der durch die ungünstige Witterung verstärkten Nachfrage ist infolge Niedrigwasser, der dann folgenden Vereisung und des dadurch bedingten völligen Ausfalls der Wasserstraße ein ernstes Transportproblem entstanden, das letztlich auch eine verstärkte Abfuhr über die Straße und damit zugleich eine Steigerung des Landabsatzes zur Folge hatte. Dies trat besonders dann ein, wenn die Waggongestellung der Bundesbahn für die Abfuhr nicht voll ausreichte. Der Landabsatz wuchs in diesen Zeiten dadurch an, daß sich hier eine zusätzliche Transportmöglichkeit bot. In keinem Falle aber - das scheint mir entscheidend zu sein - blieben zur Verfügung gestellte Waggons der Bundesbahn unbeladen. Im Ergebnis bedeutet dies, daß die Liefermöglichkeiten außerhalb des Landabsatzes, somit auch in revierferne Gebiete, voll ausgenutzt wurden und durch den Landabsatz keine Schädigung erlitten.
Zusatzfrage!
Ist der Bundesregierung aber bekannt, daß der revierferne Kohleneinzelhandel zum Teil nur dadurch den Bedarf decken kann, daß er auf ausländische Importe zurückgreifen muß, die bekanntlich, insbesondere bei Eiform, aber auch bei Brikett, pro Tonne einen Mehrpreis von rund 30 DM erfordern?
Die ausländischen Importe erfordern in der Tat zum Teil einen Mehrpreis. Andere ausländische Importe sind billiger als die deutsche Kohle, so daß, insgesamt für die deutsche Volkswirtschaft gesehen, hier wohl ein Ausgleich entsteht, wenngleich zuzugeben ist, daß für den einzelnen Kohlenhändler angesichts dieses ungewöhnlichen Winters eine Schädigung möglich ist.
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Frage V/1 - des Herrn Abgeordneten Reichmann -:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß aus den Niederlanden zunehmend Mengen hochwertiger Kälbermastfuttermittel eingeführt werden mit sehr hohem Anteil subventionierten Milchpulvers und preisbegünstigter Fette, deren Verwendung in der Bundesrepublik untersagt ist, um sich damit einen großen Marktanteil zu erobern, bevor die beabsichtigte EWG-Milchmarktordnung erlassen wird?
Ich darf wie folgt antworten. Der Bundesregierung ist bekannt, daß aus den Niederlanden Milchaustauschfuttermittel für die Kälbermast eingeführt werden. Dies ist möglich auf Grund der Getreideverordnung, da diese Futtermittel, die geringe Anteile an Getreideerzeugnissen enthalten - Zolltarifnummer ex 2307 -, unter die Getreideverordnung fallen. Diese Einfuhren unterliegen der Abschöpfung nach der Verordnung Nr. 55. Seit dem Inkrafttreten der EWG-Getreidemarktordnung, also seit dem 30. Juli 1962, wurden bis zum 6. Februar 1963 einschließlich für die Einfuhr dieser Erzeugnisse aus EWG-Ländern Lizenzen in Höhe von 3412 t und aus Drittländern von 838 t erteilt. Die
erteilten Lizenzen dürften bisher nur zum Teil ausgenutzt worden sein. Die inländische Erzeugung an diesem Futtermittel wird für den gleichen Zeitraum auf etwa 40 000 t geschätzt; damit ergab sich gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres etwa eine Verdoppelung der Herstellungsmenge. Diese Zahlen zeigen, daß der Absatz der inländischen Erzeugung an Milchaustauschfuttermitteln mit einem hohen Anteil an inländischem Magermilchpulver bisher kaum beeinträchtigt worden ist.
Der Bedarf der holländischen Futtermittelfabriken an Magermilchpulver übersteigt die inländische Erzeugung in den Niederlanden. Für jede Tonne Magermilchpulver, die den holländischen Trockenmilchwerken zu den hohen inländischen Preisen abgenommen wird, erhalten die Futtermittelfabriken eine Lizenz zum Einkauf von Magermilchpulver auf dem Weltmarkt. Hierbei handelt es sich zum größten Teil um Lagerware, die wegen der biologisch geringeren Wertigkeit zu bedeutend herabgesetzten Preisen angeboten wird. Dagegen liegen die Preise für frisches holländisches Magermilchpulver auf derselben Höhe wie in der Bundesrepublik.
Ich rufe auf Frage V/2 - des Abgeordneten Reichmann -:
Ist die Bundesregierung bereit, baldmöglichst auf Grund des Antidumpinggesetzes oder nach Artikel 235 des EWG-Vertrages geeignete Maßnahmen zu treffen, um die in Frage Vil dargestellte Übervorteilung der deutschen Milchwirtschaft durch diese Wettbewerbsverfälschungen zu verhindern?
Die Bundesregierung hat ebenso wie die französische Regierung - Holland exportiert nach Frankreich ebenfalls derartige Futtermittel - bei der Europäischen Kommission Vorstellungen erhoben mit dem Ziele, daß durch geeignete Maßnahmen auf dem Markt für Milchaustauschfuttermittel gleiche Wettbewerbsverhältnisse geschaffen werden. Es wird zur Zeit durch die Kommission geprüft, ob entsprechend dem französischen und deutschen Antrag bei der Einfuhr der genannten Futtermittel aus den Niederlanden auf Grund des Art. 46 des EWG-Vertrages eine zusätzliche Ausgleichsabgabe festgelegt werden kann.
Ich rufe auf die Frage VI aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - des Abgeordneten Dr. Kohut -:
Welche Vorsorge hat die Bundesregierung beim Einsatz ausländischer Arbeitskräfte getroffen, um die Einschleppung von ansteckenden Krankheiten zu verhindern?
Abg. Dürr übernimmt die Frage.
Ich darf zu der Frage wie folgt Stellung nehmen. Wir haben diese Frage bereits in der Fragestunde am 12. Dezember 1962 genau beantwortet. Außerdem hat die Bundesregierung in ihrem Bericht über ausländische Arbeiter zu dieser Frage Stellung genommen, der als Drucksache IV/859 dem Hohen Hause vorliegt. Seitdem haben sich neue Gesichtspunkte nicht ergeben.
Ich rufe auf Frage VIII, Geschäftsbereich des Bundesschatzministers - des Abgeordneten Hammersen -:
Trifft es zu, daß in der Zeit zwischen dem 1. Juli 1961 und dem 30. September 1962 308 ha bundeseigene unbebaute Grundstücke, davon im letzten Quartal jenes Zeitraums nur 3 ha Bundesbauland, in Privathand übergewechselt sind?
Der Abgeordnete Hammersen ist nicht anwesend. - Die Frage wird nicht übernommen. Sie wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Ich rufe auf Frage IX/1 - des Abgeordneten Ritzel -:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Bundesärztekammer, wonach in der Bundesrepublik Deutschland ein erheblicher Ärzteüberschuß vorhanden sein soll?
Herr Kollege Ritzel, Ihre Frage muß auf einem Irrtum beruhen. Die Bundesärztekammer ist nicht der Ansicht, daß in der Bundesrepublik zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Ärzteüberschuß besteht. Die Bundesregierung teilt die Auffassung der Bundesärztekammer.
Zusatzfrage?
Ich habe aus Presseberichten entnommen, daß die Bundesärztekammer eine andere Auffassung vertritt, und ich frage mich, ob das Bundesgesundheitsministerium diese Presseberichte nicht kennt.
Ich kenne alle Presseberichte zu diesem Thema. Ich stehe in enger Verbindung mit der Bundesärztekammer und kann Ihnen nur bestätigen, daß die Bundesärztekammer nicht der Meinung ist, daß zur Zeit ein Ärzteüberschuß besteht.
Letzte Zusatzfrage.
Ich möchte Sie fragen, Frau Minister, ob noch niemals in der jüngsten Zeit eine Äußerung einer verantwortlichen Stelle in bezug auf die Einschränkung des Medizinstudiums getan wurde. Ich möchte Sie zusätzlich fragen, ob Sie eine solche Maßnahme als mit den Bestimmungen des Grundgesetzes, insbesondere der Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1, vereinbar ansehen würden.
Herr Kollege Ritzel, Sie sind damit zu Ihrer zweiten Frage übergegangen, die ich gern beantworten werde.
Ich rufe auf die Frage IX/2 - des Abgeordneten Ritzel -:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es berechtigt ist, die Abiturienten vor der Ergreifung des Medizinstudiums zu warnen?
Es ist allerdings richtig, daß die
Meinungen über den künftigen Ärztebedarf und darüber, ob für die Zukunft ein Ärzteüberschuß zu befürchten ist, auseinandergehen. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben aber gezeigt, daß Warnungen vor dem Studium gleich welcher Fakultät mitunter auf schwerwiegenden Irrtümern beruhen. Deshalb glaubt die Bundesregierung, daß im vorliegenden Fall mit derartigen Warnungen größte Zurückhaltung geboten ist, zumindest so lange, wie die Schätzungen über den künftigen Bedarf an Ärzten weit voneinander abweichen. Die Bundesregierung hat sich ihrerseits deshalb in dieser Beziehung völlig zurückgehalten.
Zusatzfrage!
Ich möchte nicht fragen, Frau Minister, ob Ihnen die Bestimmungen des Grundgesetzes bekannt sind; das setze ich voraus. Aber ich möchte Sie fragen, wie Sie gegenüber solchen Bestrebungen handeln wollen, wenn das Grundgesetz auf diese Weise eingeengt und eingeschränkt wird, das Grundgesetz, in dem es heißt: „Alle Deutschen haben das Recht, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen", und in dem es in Art. 2 heißt: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt"?
Herr Kollege, ich kann Ihnen nur sagen, daß die Bundesregierung, wie gesagt, in dieser Beziehung nichts getan hat, um vor einem bestimmten Studium zu warnen. Aber die freie Diskussion über die Notwendigkeit oder die Nichtnotwendigkeit einer vermehrten Ausbildung von Medizinstudenten kann und will ich nicht einschränken. Es ist ein gutes Recht, über diese Fragen in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Es ist sogar eine sehr schwierige und wichtige Frage.
Letzte Zusatzfrage!
Sind Sie, Frau Minister, der Auffassung, daß neben dem guten Recht auf freie Diskussion auch die gute Pflicht der Bundesregierung besteht, darauf hinzuweisen, daß Bestimmungen des Grundgesetzes auch nicht in dieser Weise gefährdet und verletzt werden dürfen?
Ich bin nicht der Meinung, daß hier Bestimmungen des Grundgesetzes verletzt worden sind.
({0})
Frau Abgeordnete Dr. Hubert zu einer Zusatzfrage.
Es ist Ihnen aber doch gewiß bekannt, daß zwischen der deutschen Krankenhausgesellschaft und der deutschen Ärzteschaft ein gewisser Disput über die Frage der Zulassung zum Medizinstudium respektive darüber besteht,
daß wir einen Ärzteüberschuß bekommen könnten, wenn man zurät, das Medizinstudium zu ergreifen? Wahrscheinlich ist Ihnen doch auch die Verlautbarung der Bundesärztekammer bekannt, daß der Ärztemangel auf einer falschen Verteilung der Ärzte beruhe? Ich frage nun, ob Sie glauben, daß die Bundesregierung vielleicht Empfehlungen geben oder zunächst Untersuchungen über die Frage anstellten sollte, ob die Meinung der Ärztekammer stimmt oder nicht?
Frau Kollegin, der Bundesregierung ist natürlich bekannt, daß im Augenblick Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage zwischen Krankenhausgesellschaft und Bundesärztekammer in bezug auf die Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung bestehen. Die Meinungsverschiedenheiten betreffen aber nicht die Zulassung zum Medizinstudium. Maßnahmen, die die Zulassung beschränken, stehen hier kaum zur Diskussion. Die Meinungsverschiedenheiten betreffen vielmehr die öffentliche Beratung der Abiturienten in bezug auf die Wahl ihres Studiums. Ich bin der Meinung, daß im Augenblick in manchen ärztlichen Berufen, z. B. bei den Assistenten im Krankenhaus, bei der Bundeswehr, im öffentlichen Gesundheitsdienst, ein Mangel besteht und daß in anderen Bereichen allmählich die Gefahr einer zu starken Besetzung entsteht.
Es laufen statistische Untersuchungen über die Frage, wie sich voraussichtlich die künftige Entwicklung gestalten wird. Ich muß aber gleich dazu sagen, daß es sehr schwer ist, diese Entwicklung vorauszusagen. Wir haben in der Vergangenheit mit derartigen Prognosen z. B. beim juristischen Studium schlechte Erfahrungen gemacht. Jede derartige Voraussage ist nämlich mit einer ganzen Reihe von Unbekannten verbunden. Ich nenne nur die künftige Altersschichtung des Volkes, die Entwicklung der Medizin in Richtung auf eine weitere Differenzierung, die Auswirkungen einer Änderung des Kassenarztrechts in bezug auf die Verteilung von Klinik- und Hausbehandlung, den Anteil der Frauen an den Medizinstudenten und das Heiratsalter der Studentinnen. Das sind alles Unbekannte in dieser Rechnung, und damit hängt es zusammen, daß ich Ihnen eine sehr präzise Antwort nicht geben kann und daß die statistischen Voraussagen wirklich nicht so einfach sind.
X. Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Frage 1 - des Abgeordneten Dr. Mommer -:
Zu welchem Ergebnis haben die Untersuchungen über die Möglichkeit der Anbringung von Leitplanken auf der Bundesstraße 27 zwischen Stuttgart-Zuffenhausen und Ludwigsburg geführt?
Herr Kollege, die genaue Überprüfung hat bestätigt, daß die Entwässerungsleitungen in dem nur 2 m breiten Mittelstreifen der ausgebauten Bundesstraße 27 zwischen Stuttgart-Zuffenhausen und Lud2684
wigsburg auf ihrer ganzen Länge verlegt sind. Dieser Umstand und die Tatsache, daß die Leitungen beim Bau der Straße in einer mittleren Tiefe von nur 80 cm bis 1,20 m verlegt sind, machen den Einbau normaler Leitplanken mit der dazu notwendigen Verankerung sehr schwierig. Nach Auffassung der zuständigen Landesstraßenverwaltung müßten Sonderkonstruktionen gewählt werden, deren Einbau verhältnismäßig teuer und langwierig ist, weil die Fahrbahnen mindestens halbseitig auf längere Zeit gesperrt werden und entsprechende Verankerungen vorgesehen werden müßten. Dabei würde die Bepflanzung entfallen und der Einbau von Blendzäunen erforderlich werden.
Die Landesstraßenverwaltung hält es deshalb zur Vermeidung dieser schwierigen, den lebhaften Verkehr sehr störenden Arbeiten für richtig, zunächst auf dein nur 5 km langen Streckenabschnitt eine Geschwindigkeitsbeschränkung einzuführen, wie sie sich auf der Strecke Köln-Bonn bewährt hat, zumal es sich bestätigt habe, daß die Unfälle in erster Linie auf zu schnelles Fahren zurückzuführen seien. Solche Geschwindigkeitsbeschränkungen sind auf Stadtschnellstraßen und Vorortstraßen im allgemeinen üblich. Beim Ausbau der Bundesstraße 27, die zwar zweibahnig, aber nicht autobahnähnlich erfolgte, wurden wegen Grunderwerbsschwierigkeiten schmalere Fahrbahnen und ein sehr schmaler Mittelstreifen gewählt, so daß die günstigen Voraussetzungen für den Einbau von Leitplanken, wie sie auf den Autobahnen bestehen, nicht gegeben sind, insbesondere auch deshalb nicht, weil Fahrzeuge, die an die Leitplanken anstoßen, wegen des Fehlens eines Zwischenstreifens auf die an sich schmale Fahrbahn zurückgeworfen werden würden.
Diese Überlegungen führt die Landesstraßenverwaltung zur Begründung ihrer Vorschläge an. Ich kann mich nach Lage der Sache diesen Überlegungen nicht verschließen.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister, ist Ihnen dabei bewußt, daß eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf dieser Schnellstraße ihrem Sinn widerspricht und den Verkehr auf die alte Bundesstraße 27 abdrängen müßte, die viel gefährlicher ist und auf der es gemäß unseren allgemeinen Vorschriften keine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt?
Erstens einmal muß ich sagen, Herr Kollege Mommer: den Begriff „Schnellstraße" kenne ich offiziell nicht und halte ich an sich immer für falsch; denn man kann nach der Straßenverkehrsordnung auf einer Straße jeweils nur so schnell fahren, wie es der Zustand der Straße und der Verkehr erfordern. Infolgedessen ist der Begriff „Schnellstraße", der in der Öffentlichkeit oft verwendet wird, meines Erachtens irreführend, wenn er bedeuten soll, daß diese Straßen mit besonders hohen Spitzengeschwindigkeiten befahren werden können; diese Straßen sollen vielmehr dazu dienen, höhere Durchschnittsgeschwindigkeiten erreichen zu können. Das ist Punkt eins.
Punkt zwei bezieht sich darauf, daß die Festlegung einer Geschwindigkeitsbegrenzung für solchen beschränkten Teil der Umgehungsstraße ausschließlich eine Angelegenheit der zuständigen Landesverkehrsbehörden ist und daß diese Landesverkehrsbehörden natürlich dann auch auf der Parallelstraße eine Geschwindigkeitsbeschränkung einführen könnten, um die von Ihnen befürchtete Abwanderung auf die alte B 27 abzuwenden. Das müssen wir den Behörden der Länder, die dafür zuständig sind, überlassen.
Noch eine Zusatzfrage?
Herr Minister, sind Sie bereit, die Argumentation so widerspruchslos anzunehmen, daß wegen der besonderen Verhältnisse die üblichen Leitplanken nicht angebracht werden könnten, oder meinen Sie nicht, daß unseren Technikern da etwas einfallen würde, wenn sie sich anstrengten?
Herr Kollege Mommer, ich habe ja gesagt, daß der Einbau möglich ist. Ich habe aber auch auf die Schwierigkeiten hingewiesen, insbesondere auf die Notwendigkeit der Sperrung dieser stark befahrenen Straße für verhältnismäßig lange Zeit. Die Mehrkosten spielen dabei keine Rolle. Diese Straße ist ja zu einem Zeitpunkt entworfen und gebaut worden, als der Einbau von Leitplanken sich noch keineswegs durchgesetzt hatte. Deshalb ist das nicht vorgeplant gewesen. Möglich ist der Einbau immer.
Nun ist aber die Lage so, daß bekanntlich nach dem Grundgesetz die Bundesfernstraßen von den Ländern im Auftrage des Bundes verwaltet werden. Die Weisungsmöglichkeiten im Rahmen der Auftragsverwaltung haben bekanntlich ihre Grenzen. Hier ist die Situation so, daß wir die Fragen der Bearbeitung des Mittelstreifens mit Leitplanken, Bepflanzungen, Blendzäunen usw. mit den Auftragsverwaltungen beraten und ihnen die Mittel zur Verfügung stellen können, daß aber die Möglichkeit, im Rahmen der Auftragsverwaltung Weisungen zur Ausführung zu erteilen, beschränkt ist und von dem Einvernehmen mit den Landesverkehrsbehörden abhängt.
Wir kommen zur Frage X/2 - des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer -:
Entspricht das Verhältnis der Raucherabteile zu den Nichtraucherabteilen in den Nahverkehrszügen der Deutschen Bundesbahn dem Verhältnis der Reisenden, die Raucherabteile vorziehen, zu den anderen, die lieber in Nichtraucherabteilen reisen?
Herr Kollege, die Bundesbahn ist ständig bestrebt, die Belange der Nichtraucher, nicht zuletzt im Interesse der Volksgesundheit, zu wahren. Sie beobachtet daher laufend den Umfang der Benutzung von Raucher- und Nichtraucherabteilen in den ReiseBundesminister Dr.-Ing. Seebohm
zügen. Dabei hat sie festgestellt, daß in den letzten Jahren die Inanspruchnahme von Nichtraucherabteilen eine steigende Tendenz zeigt mit Ausnahme des Berufs- und Nahverkehrs, wo das Verhältnis der Raucherabteile zu den Nichtraucherabteilen von etwa 2 : 1 im großen und ganzen den Wünschen der Reisenden entspricht. Die steigende Tendenz zur Benutzung der Nichtraucherabteile im Fernverkehr führte jetzt zu einem Verhältnist der Raucherabteile zu den Nichtraucherabteilen von 1 : 1. Die Überprüfungen werden laufend fortgesetzt, um nach Möglichkeit den Wünschen der Reisenden entgegenzukommen.
Zusatzfrage!
Herr Minister, wären Sie geneigt, bei Bahnbenutzern der Nahverkehrszüge Umfragen darüber anstellen zu lassen, wie der Wunsch der Benutzer ist?
Sicherlich, das können die Eisenbahnverwaltungen machen. Sie haben mir mitgeteilt, daß sie das ständig überprüfen.
({0})
Aber die Frage, ob diese Überprüfungen wirklich auch in jedem einzelnen Gebiet ensprechenden Erfolg haben, kann .ich Ihnen nicht beantworten. Ich bin gern bereit, noch einmal darum zu bitten, daß die Überprüfungen gerade bei den Reisezügen im Nahverkehr fortgesetzt werden und gegebenenfalls zu einer Änderung der Einteilung führen.
Ich rufe auf die Frage X/3 - des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) -:
Entspricht die Pressemeldung den Tatsachen, daß das Schnellzugspaar D 94/95 München - Zürich - Mailand in Zukunft über Memmingen geleitet werden soll und dadurch Kempten im Allgäu eine seiner wenigen guten Verbindungen nach München verlieren würde?
Das Schnellzugpaar D 94/95 ist eines der vier internationalen Schnellzugpaare, die München mit der Schweiz verbinden. Zur Abkürzung der Reisezeit zwischen München und Zürich beabsichtigt die Bundesbahn im Fahrplan 1963/64, vom 26. Mai 1963 an, eines dieser Zugpaare, die über Kempten laufen, nämlich den D 94/95, statt über Kempten über den schnelleren Weg Memmingen-Lindau zu fahren. Der Zeitgewinn beträgt dabei rund 60 Minuten in jeder Richtung. Damit will die Bundesbahn dem immer wieder geäußerten Wunsch des reisenden Publikums nach Abkürzung der Reisezeit, insbesondere im Fernverkehr, Rechnung tragen.
Gleichwohl bleibt die gute Verbindung zwischen Kempten und München mit dem Schnellzugpaar D 94/95 auch in Zukunft erhalten. Allerdings muß in Buchloe bei einer Übergangszeit von 4 Minuten in der einen und 13 Minuten in der anderen Richtung umgestiegen werden. Angesichts der erheblichen Beschleunigung eines internationalen D-Zug-Paares erscheint der Bundesbahn das Umsteigen im Verkehr Kempten-München in Buchloe bei diesem Zugpaar vertretbar und zumutbar, zumal die anderen drei D-Zug-Paare über Kempten bestehenbleiben und gleichfalls um durchschnittlich je 20 Minuten beschleunigt werden sollen.
Zusatzfrage!
Herr Minister, darf ich das dahingehend verstehen, daß die Aufregung, die durch die Verlegung entstanden ist, keine Ursache hat und die Stadt Kempten weiterhin die gleiche günstige Verbindung wie bisher hat?
Ja, nur mit dem Unterschied, Herr Kollege, daß in Buchloe umgestiegen werden muß. Aber es ist ausdrücklich beim Fahrplan versucht worden, Kempten diese Verbindung mit der Umsteigemöglichkeit zu erhalten.
Zusatzfrage!
Darf ich in diesem Zusammenhang auch fragen, Herr Minister, ob es im Rahmen dieser Überprüfungen nicht eine Möglichkeit gibt, die Abendverbindung mit dem Allgäu - Kempten als Zentrum - etwas günstiger zu gestalten, damit der Benutzer auch noch nach einer späteren Veranstaltung in der Landeshauptstadt nach Kempten oder ins Allgäu zurückkommen kann?
Ja, das ist eine Frage, die ich der Bundesbahn noch einmal stellen muß. Ich werde nachfragen, wie sie diese Verbindungen gestalten könnte. Bisher ist ein D-Zug-Paar später als 18.12 Uhr von München nicht eingelegt gewesen.
Ich rufe auf die Frage X/4 - des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) -:
Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß auch auf den Fernstrecken der Deutschen Bundesbahn durch eine den Witterungsverhältnissen entsprechende Beheizung insbesondere die nächtlichen Reisenden vor Gesundheitsschäden bewahrt bleiben?
Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn stellt an die Konstruktion der Heizungsanlagen in den Reisezugwagen hohe Anforderungen. Damit soll sichergestellt werden, daß die Abteiltemperaturen bei den in unserem Klima vorkommenden Kältegraden, die etwa zwischen minus 10 und minus 15 Grad liegen, zwischen 17 und 23 Grad C gehalten werden können. In den internationalen Zügen werden bekanntlich zahlreiche ausländische Waggons mitgeführt, deren Heizungsanlagen oftmals nicht in Ordnung oder auf den langen Kursstrecken defekt geworden sind. Dadurch treten im ganzen Zug Heizungsstörungen auf. Müssen ferner, z. B. bei besonders starkem Andrang zu Festzeiten oder beim Transport von Gastarbeitern, die D-Züge mit mehr als zehn bis zwölf Waggons gefahren werden, dann ist bei
Außentemperaturen unter - 10 Grad und mehr auch in den letzten Waggons das Einhalten eines Wärmegrades von über 17 Grad Celsius nicht möglich.
Wenn es also in der zurückliegenden, sehr kalten Witterungsperiode mit zum Teil für unser Klima extrem tiefen Temperaturen zu Störungen der Zugheizungen gekommen ist, so können diese und verschiedene andere Ursachen daran schuld sein. Sie sind aber nach meinen Erfahrungen und den Untersuchungen der Deutschen Bundesbahn nicht auf grundsätzliche konstruktive Mängel der Zugheizung zurückzuführen. Die ungünstigen Bedingungen eines ungewöhnlich strengen Winters, verbunden mit einem an einigen Orten sehr hohen Krankenstand des vielfach im Freien arbeitenden Betriebspersonals, haben die Unterhaltung und Bedienung der Anlagen häufig so erschwert, daß deren Funktion teilweise gestört wurde. Wegen der mitunter großen Verspätungen fehlte die für den weiteren Einsatz der Wagen notwendige Aufenthaltszeit zum Aufheizen der Waggons. Oft mußten neue Züge kurzfristig aus abgestellten, ungenügend vorgeheizten Reservewagen gebildet werden. Wegen festgeforener oder verschneiter Weichen oder wegen verspäteter Ankunft aus der vorhergehenden Fahrt, insbesondere aus dem Ausland, konnte die Zuglok mitunter nicht so frühzeitig an den Zug gesetzt werden, wie es für ein ausreichendes Vorheizen erforderlich gewesen wäre. Es handelt sich demnach um die Auswirkung unvermeidbarer betrieblicher Schwierigkeiten durch höhere Gewalt. Sie lassen sich trotz größter Anstrengung nicht immer vermeiden.
Daß die Deutsche Bundesbahn selbstverständlich bemüht ist, dem Reisenden und der verladenden Wirtschaft zur Verfügung zu stehen, beweist allein der opferbereite Einsatz des Personals. Der durch den Ausfall der Binnenschiffahrt verursachte Mehrverkehr kann bei zum Teil hohem Krankenstand nur durch wöchentliche Arbeitszeiten des dienstfähigen Personals bis zu 57 Stunden, also durch Überstunden, bewältigt werden.
Ich verweise hierzu auf die ähnlichen Verhältnisse im Ausland. So hat z. B. nach der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 8. Februar 1963 die Schweizer Bundesbahn bekanntgegeben, daß die Zugheizung in einer Reihe von Zügen auf ein Minimum reduziert werden müsse und sich auch eine Verminderung der Wagenzahl der Züge nicht umgehen lasse, um einschneidendere Maßnahmen, wie den gänzlichen Ausfall fahrplanmäßiger Züge, zu vermeiden. Die Schweizer Bundesbahn hat die Reisenden in Aufrufen gebeten, durch rasches Ein- und Aussteigen, durch Schließen aller Türen und Fenster usw. zu einem immer noch einigermaßen erträglichen Reisen beizutragen.
Daraus ergibt sich, daß nicht nur bei uns, sondern im vermehrten Maße auch in den Nachbarländern Schwierigkeiten in der normalen Bedienung und Beheizung bei einer derart langen Frostperiode nicht zu vermeiden sind. Während bei uns der Güterzugverkehr nicht nur voll durchgeführt wurde, sondern sogar noch gesteigert werden konnte, mußten in der Schweiz in nicht unerheblicher Zahl Güter- und Sportzüge ganz ausfallen.
Ich rufe Frage X/5 - des Abgeordneten Schmidt ({0}) - auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß mit dem Erwerb der Fahrkarte auch eine genügende Beheizung des benutzten Zuges gewährleistet sein muß?
Herr Kollege, nach der Bau- und Betriebsordnung sind die Eisenbahnen und damit die Deutsche Bundesbahn verpflichtet, die Personenwagen bei kalter Witterung zu heizen. Wärmegrade, die dabei mindestens zu erreichen sind, sind nicht vorgeschrieben. Wie ich soeben ausführte, liegen diese Wärmegrade bei den heutigen Heizungsvorrichtungen zwischen 17 und 23 Grad.
Mit dem Kauf der Fahrkarte erwirbt der Reisende einen Anspruch gegen die Deutsche Bundesbahn, ihn im Rahmen der technischen Möglichkeiten gefahrlos, insbesondere bei kalter Witterung auch in beheizten Zügen, ans Ziel zu befördern. Die Deutsche Bundesbahn muß sich in jeder ihr technisch und wirtschaftlich möglichen Weise bemühen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Eine Gewährleistung, insbesondere bei Störung durch höhere Gewalt, obliegt ihr aber nicht. Nur bei schuldhafter Verletzung der ihr auferlegten Verpflichtungen macht sich die Bahn schadensersatzpflichtig. Zur Erläuterung verweise ich auf meine ausführliche Antwort zu Ihrer vorigen Frage.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, wie kann der Reisende diesen Anspruch geltend machen, wenn er beispielsweise in einem vollkommen ungeheizten Fernzug acht Stunden durch die Nacht fahren muß und sich dann irgendwelche Gesundheitsschäden zuzieht, wie es geschehen ist?
Dann kann er natürlich, wenn der Arzt ihm bescheinigt, daß die Krankheit hierauf zurückzuführen ist, bei der Bahn Erstattungsansprüche geltend machen. Die Bahn wird dann nachzuweisen haben, daß das Versagen der Heizung auf höhere Gewalt zurückzuführen war, der sich auch der Reisende zu unterwerfen hat.
Frage X/6 - Abgeordneter Gewandt -:
Ist damit zu rechnen, daß die Deutsche Lufthansa AG - wie geplant - ab 1. April 1963 den verbilligten Flugdienst Hamburg-Frankfurt ({0}) eröffnen kann?
Herr Kollege, die Deutsche Lufthansa hat die Genehmigung erhalten - wie Sie aus der Zeitung entnommen haben werden -, den verbilligten Flugpendeldienst Hamburg-Frankfurt/Main wie geplant am 1. April 1963 zu eröffnen. Als Flugpreis wurden 75 DM für den einfachen Flug genehmigt. Bei gleichBundesminister Dr.-Ing. Seebohm
zeitiger Lösung des Hin- und Rückfluges gibt es 10 % Ermäßigung. Der Dienst soll zunächst dreimal täglich in beiden Richtungen betrieben werden. Eingesetzt werden sollen Super-Constellation-Maschinen mit 86 Sitzen.
Zusatzfrage!
Herr Minister, welche Gesichtspunkte waren für die Preisgestaltung maßgebend?
Für die Preisgestaltung waren maßgebend die von der Lufthansa vorgelegten Kostenrechnungen. Die ursprünglich von der Lufthansa gemachten Angaben über die Kosten haben einer Nachprüfung nicht voll standgehalten.
Zusatzfrage!
Es sind also Vermutungen unrichtig, daß es sich hier nicht um Kostenpreise handelt, sondern auf die Belange der Eisenbahn Rücksicht genommen worden ist?
Es handelt sich hier selbstverständlich in erster Linie um Kostenpreise. In zweiter Linie handelt es sich darum, daß die weitere Entwicklung von uns berücksichtigt werden muß, z. B. in der Abschreibungsfrage. In dritter Linie muß auch - dazu sind wir nach den Gesetzen verpflichtet - ein Vergleich mit den entsprechenden Preisen anderer Beförderungsmittel - nicht nur der Eisenbahn, sondern z. B. auch der Omnibusverkehrsunternehmen - Platz greifen.
Zusatzfrage!
Herr Minister, ist nicht zu befürchten, daß bei einem zu stark herabgesetzten Preis für diesen Flugpendeldienst einmal die Lufthansa nicht in der Lage ist, ihre Kosten für diesen Dienst hereinzuwirtschaften, und zum andern der Bundesbahn lukrativer Fernzugverkehr verlorengeht, so daß im Endresultat das Defizit sowohl bei der Lufthansa als auch bei der Bundesbahn steigen würde und somit diese Maßnahme der Lufthansa wieder einseitig zu Lasten des Steuerzahlers gehen würde?
Herr Kollege, gerade deshalb haben wir ja geprüft und haben die Preise anders festgesetzt, als sie ursprünglich von der Lufthansa gefordert wurden. Die Preise entsprechen nicht ganz, aber in etwa den Eisenbahnpreisen. Für Hin- und Rückflug sind sie etwas höher als die Eisenbahnpreise, für die einfache Strecke sind sie etwas höher als die FernD-Zug-Preise und etwas niedriger als die TEE-Preise. Im übrigen wird ein zusätzlicher Verkehr erwartet.
Frage 7 - Abgeordneter Dr. Tamblé -:
Haben die Untersuchungen des Bundesamtes für Luftfahrt die Ursachen des Flugzeugabsturzes in Riesenbeck bei Rheine am 7. Juli 1962 klären können?
Herr Kollege, das Luftfahrt-Bundesamt hat mit den Ermittlungen bereits am Abend des Unfalltages an der Unfallstelle begonnen. Es wurde festgestellt, daß der Flug bis kurz vor dem Unfall ohne Störung verlaufen ist. Aus Angaben von Augenzeugen kann geschlossen werden, daß das Flugzeug infolge Unterschreitens der Mindestfluggeschwindigkeit aus schätzungsweise 80 bis 100 m Höhe abgestürzt ist. Unmittelbar vor dem Absturz hat der Flugzeugführer ohne Erfolg versucht, durch Andrücken des Flugzeuges und durch Vollgasgeben eine Korrektur des Flugzustandes herbeizuführen. Nicht festzustellen war, wieso dem Flugzeugführer die kritische Lage seines Flugzeuges offenbar erst so spät bewußt geworden ist, daß der Absturz nicht vermieden werden konnte, da das benutzte Flugzeugmuster Beech D 50 c Twin-Bonanza mit einer akustischen Warnanlage ausgerüstet ist, die bei Annäherung der Geschwindigkeit des Flugzeuges an die Mindestgeschwindigkeit ertönt. Anhaltspunkte dafür, daß ein technischer Fehler des Gerätes den Unfall herbeigeführt hat, hat die Untersuchung nicht ergeben. Dem Luftfahrt-Bundesamt ist auch bekanntgeworden, daß Untersuchungen des Bundeskriminalamtes über den Nachweis von Sprengstoff und etwaigen chemischen Einwirkungen, z. B. durch Kohlenoxyd, das aus der Heizungsanlage ausgetreten sein könnte, negativ verlaufen sind.
Nach alldem konnten die Gründe, die den Flugzeugführer abgehalten haben, die Gefahr rechtzeitig zu erkennen und ihr entsprechend zu begegnen, nicht festgestellt werden. Der Absturz dürfte daher auf einen Bedienungsfehler, mithin auf menschliches Versagen, zurückzuführen sein. Den Luftfahrtbehörden ist nicht bekannt, ob ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit diesem Unfall durchgeführt worden ist. Auskünfte darüber könnte dem Bundestag nur der Bundesminister der Justiz geben.
Frage X/8 - Abgeordneter Wischnewski -:
Wie weit sind die Verhandlungen der Bundesregierung mit der Stadt Köln über die Beteiligung des Bundes an den Kosten der bereits im Bau befindlichen Nordbrücke in Köln gediehen?
Herr Kollege, der Zuschußantrag der Stadt Köln für die im Bau befindliche Nordbrücke in Köln liegt zur Zeit dem Bundesverkehrsministerium vor. Die Voraussetzungen für die Anerkennung des Rheinüberganges mit den beiderseitigen Brückenrampen als Zuschußmaßnahme halte ich grundsätzlich für erfüllt. Auch das Land Nordrhein-Westfalen ist bereit, den nach den Zuschußrichtlinien üblichen Landeszuschuß in Höhe von 30 % der reinen Baukosten zu gewähren. Für eine endgültige Zusage bedarf es jedoch noch der Abstimmung mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen, der seine Zusage noch nicht erteilt
hat. Die Verhandlungen sind im Gange. Ich hoffe,
daß sie in Kürze abgeschlossen werden können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß die Städte und Gemeinden in erhebliche Schwierigkeiten kommen, wenn sie Bauvorhaben beginnen, aber noch nicht wissen, mit welchen Zuschüssen sie zu rechnen haben?
Das ist mir vollkommen klar. Aber die Städte und Gemeinden wissen ganz genau, daß, bevor eine amtliche Zusage nicht schriftlich erfolgt ist, sie mit dem Zuschuß nicht unter allen Umständen rechnen können.
Frage X/9 - des Abgeordneten Wischnewski -:
Soll die erst vor kurzer Zeit in Betrieb genommene Autobahn Köln-Aachen schon in absehbarer Zeit wegen der Braunkohlen-Vorkommen wieder verlegt werden?
Mit der Frage ist eine kurze Teilstrecke im Raum Frechen-Horrem angesprochen, über die vor kurzem in verschiedenen Presseverlautbarungen berichtet wurde. Die der Presse zugeleitete Stellungnahme meines Ministeriums ist im Bulletin Nr. 24 vom 6. Februar 1963 abgedruckt. Danach wird erst in etwa zehn Jahren an Hand einer Wirtschaftlichkeitsberechnung der Braunkohlegruben zu entscheiden sein, ob einer Verlegung der Autobahn auf deren Kosten nähergetreten werden muß. Diese Fragen sind im Planfeststellungsverfahren mit den Bergbehörden und den Bergwerksgesellschaften eingehend behandelt worden.
Frage X/10 - des Abgeordneten Gerlach -:
Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, den Verlust von 378 Millionen DM im Jahre 1963 für den Bundesfernstraßenbau in den kommenden Jahren aufzuholen, wenn das Plansoll des 2. Vierjahresplans erfüllt werden soll?
Herr Kollege, nach § 9 des Entwurfs zum Haushaltsgesetz 1963 soll die Zweckbindung nach Art. 1 Abs. 1 des Straßenbaufinanzierungsgesetzes vom 28. März 1960 mit der Maßgabe gelten, daß das Aufkommen an Mineralölsteuer im Rechnungsjahr 1963 bis zum Betrag von 2 373 000 000 DM für Zwecke des Straßenwesens zur Verfügung steht. Dieser Betrag entspricht in seiner Höhe dem Haushaltsansatz des Rechnungsjahres 1962. Er liegt jedoch um 378 Millionen DM unter dem im zweiten Vierjahresplan für 1963 vorgesehenen Endbetrag von 2750 Millionen DM. Da wir 1962 noch einen Überhang von 1961 zur Verfügung hatten, andererseits gemäß Gesetz über den Nachtragshaushalt für 1962 180 Millionen DM einbehalten wurden, ist das Straßenbauvolumen für Bundesfernstraßen 1963 insgesamt voraussichtlich niedriger als 1962 trotz gleicher Haushaltsansätze. Für eine Ausgleichung dieser Fehlbeträge aus dem
letzten Jahr des ersten und aus dem ersten Jahr des zweiten Vierjahresplanes sieht die Bundesregierung nur dann Möglichkeiten, wenn in den kommenden Rechnungsjahren entsprechend höhere Mittelzuteilungen erfolgen können. Auf Grund des § 30 des Entwurfs zum Haushaltsgesetz bietet sich ferner gegebenenfalls schon in diesem Rechnungsjahr die Möglichkeit, die Gesellschaft für öffentliche Arbeiten - OFFA - für die Beschaffung von Krediten für den Autobahnneubau einzuschalten, um damit den Ausfall teilweise auszugleichen, wie dies auch anläßlich der Durchführung des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 erfolgt ist. Allerdings müssen wir zunächst einen Überblick über die Auswirkungen der diesjährigen, überaus langandauernden Frostperiode gewinnen, bevor dazu konkrete Vorschläge gemacht werden können.
Der zweite Vierjahresplan umfaßt bekanntlich ein Gesamtvolumen von 13 Milliarden DM, das seinerzeit vom Bundesminister der Finanzen bestätigt worden ist. Dieser Betrag sollte sich auf die vor uns liegenden vier Jahre wie folgt mit steigenden Jahresbeträgen verteilen: 1963 2750 Millionen DM, 1964 3150 Millionen DM, 1965 3450 Millionen DM, 1966 3650 Millionen DM. Diese Größenordnungen entsprechen einer im Sommer 1962 vorgenommenen Vorausschätzung des Aufkommens an Mineralölsteuer in dieser Zeit. Für 1963 steht der volle Ertrag der Mineralölsteuer abzüglich des bekannten Sekkels auf Grund der vorgesehenen Einschränkungen nach § 9 des Enwurfs des Haushaltsgesetzes voraussichtlich nicht zur Verfügung. Ein gewisser weiterer Ausgleich könnte durch die rechtzeitige Bereitstellung ausreichender Bindungsermächtigungen erzielt werden, die es ermöglichen, größere Baulose zu bilden. Es wird dadurch erreicht, längerfristig disponieren zu können. Vor allem wird auf diese Weise eine weitgehende Ausschöpfung der jährlichen Haushaltsmittel sichergestellt. Es ist uns erfreulicherweise zugestanden worden, daß die vorgesehenen Planungen nicht gekürzt, sondern gestreckt werden, also die erforderliche Beweglichkeit bei den Dispositionen erhalten bleibt. Wie Ende 1962 werden sich also Ende 1963 kaum Überhänge nicht verbauter Mittel, aber erhebliche Überhänge baureif geplanter, aber noch nicht ausgeführter Straßenbauarbeiten ergeben.
Eine Zusatzfrage!
Können Sie demnach bestätigen, Herr Minister, daß das gesamte Mineralölsteueraufkommen in den Haushalt für den Fernstraßenbau eingestellt wird?
Aber, Herr Kollege, Sie wissen ja, daß dieser Betrag leider nicht eingestellt wird. Das ergibt sich aus dem Haushaltsgesetz, das Ihnen vorliegt.
Darf ich dann die Frage so formulieren: daß das Mineralölsteueraufkommen für den Fernstraßenbau in vollem Umfange verwandt wird?
Nach dem Mineralölsteuergesetz ist es so, daß das Aufkommen, mit Ausnahme eines Sockels von 600 Millionen DM, dem Bundesstraßenbau zugeführt werden soll. Aber das Haushaltsgesetz kann, wie wir es beim Haushaltsgesetz 1962 und beim Nachtragshaushaltsgesetz 1962 durch Beschlüsse des Bundestages bereits erlebt haben, leider eingreifen und die Vorschriften des Spezialgesetzes jeweils für ein Jahr außer Kraft setzen.
Zusatzfrage.
Herr Minister, teilen Sie die Auffassung der Obersten Baubehörde in München, wonach, bedingt durch solche Ausfälle, die für 1965 in Aussicht genommene Fertigstellung der Autobahn-Teilstrecke Würzburg-Schweinfurt sich weiter verzögern wird?
Herr Kollege, ich habe öffentlich wiederholt erklärt, und zwar schon seit Mai vorigen Jahres, daß durch diese Kürzungen der Haushaltsansätze alle Termine, die bisher für den Straßenbau angegeben worden sind, sich entsprechend verzögern müssen.
Die Fragestunde ist beendet. Die noch offenstehenden Fragen werden in der Fragestunde am Freitag beantwortet werden.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 14 des Ausschusses für Petitionen ({0}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen ({1}) .
Der Ausschuß stellt den Antrag, daß das Haus die in der Sammelübersicht enthaltenen Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen annehmen möge. Wer einverstanden ist, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Einstimmige Annahme.
Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Atomgesetzes ({2}).
Die Fraktionen haben vereinbart, daß hierzu keine Aussprache stattfinden soll und daß man auf eine Begründung seitens der Bundesregierung verzichtet.
Der Vorschlag des Ältestenrates geht auf Überweisung an den Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft als einzigen Ausschuß. Ist das Haus einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Vogel, Schoettle, Dr. Emde und Genossen
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes ({3}).
Auch hier soll keine Begründung erfolgen und keine Aussprache stattfinden.
Der Vorschlag des Ältestenrates geht auf Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft als federführenden Ausschuß, Rechtsausschuß und Haushaltsausschuß als mitberatende Ausschüsse. Ist das Haus einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betr.
Wissenschaftsförderung ({4}).
Die Große Anfrage wird durch den Herrn Bundesminister Lenz beantwortet werden. Unmittelbar anschließend wird Herr Ministerpräsident Goppel das Wort erteilt erhalten, der für die Gesamtheit der Länder sprechen wird.
Zur Begründung der Großen Anfrage hat das Wort Abgeordneter Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kulturpolitische Debatten pflegten in den letzten Jahren im Deutschen Bundestag im allgemeinen an „Schwarzen Freitagen" stattzufinden. Das ist heute anders. Ich möchte mich dafür nicht nur beim Ältestenrat bedanken, sondern auch bei der „Grünen Front" in diesem Hause, die so liebenswürdig war, den Mittwoch mit den Kulturpolitikern zu teilen.
({0})
Vielleicht kann man daraus, Herr Schmücker, eine dauerhafte Koalition zum Nutzen der Kulturpolitik entwickeln.
({1})
- Ach, wissen Sie, abergläubisch sind wir ja in der SPD nicht. Das wissen Sie.
({2})
Meine Damen und Herren, wenn ich von „Schwarzen Freitagen" sprach, dann nicht im politischen oder im parteipolitischen Sinne, soweit die Vergangenheit in Betracht kommt, sondern mehr im Hinblick darauf, daß wir z. B. in der Vergangenheit nicht das Vergnügen hatten, auf der Bundesratsbank so repräsentative Vertreter unseres zweiten Bundesorgans zu sehen wie heute und hoffen zu dürfen, daß sie sich an unserer Aussprache über uns gemeinsam interessierende und berührende Fragen beteiligen.
Wir haben auch nie das Vergnügen gehabt - heute haben wir es zum erstenmal -, einen Minister für wissenschaftliche Forschung unter uns zu sehen, der den bisherigen „Anwalt der deutschen Wissenschaft", Hermann Höcherl, in diesem Arbeitsbereich abgelöst und ein Ministerium für wissenschaftliche Forschung bekommen hat.
Herr Minister, ich darf Ihnen zu Beginn für Ihre Arbeit allen Erfolg wünschen und Ihnen versichern, daß von seiten der gegenwärtigen Opposition in
diesem Hause alles getan wird, um Ihnen Ihre Arbeit zu erleichtern.
({3})
Wir hätten Ihnen, Herr Minister, gerne eine gewisse „Schonfrist" eingeräumt, weil Sie sich natürlich erst in Ihr neues Amt einarbeiten müssen. Aber wir haben uns dann doch gesagt, daß wir davon absehen sollten, weil uns schien, daß man einmal als Kopilot bereit sein muß, mit den unzureichenden Navigationsinstrumenten des Piloten zu hantieren, wenn man schon bei ihm einsteigt, und weil wir andererseits gehofft haben, daß die Vorarbeiten, die Herr Minister Höcherl geliefert hat, doch ausreichen würden, aus einer solchen gemeinsamen Arbeit jetzt eine Debatte gestalten zu können.
Herr Minister, ici verstehe, daß es für Sie recht schwierig sein muß einen solchen Neubeginn als erster Minister für wissenschaftliche Forschung zu versuchen bei einen Regierungschef, der im Hinblick auf die Wissenschaft und seine Einstellung zu ihr eine ähnliche Neigung zum Status quo erkennen läßt wie bei der Bewertung seines eigenen Amtes, wenn ich mich so ausdrücken darf.
({4})
Der Herr Bundeskanzler hat uns in der vorigen Woche hier überrascht mit der Feststellung, daß wir in Zukunft auf eine nachdrückliche Förderung der „landwirtschaftlichen" - statt der wissenschaftlichen - Hochschulen hoffen dürften. Das war ein Fehler in seinem Redekonzept. Er hat diesen Fehler nicht bemerkt. Ich nehme ihm das gar nicht übel. Er kann nicht alles übersehen, was in seiner Rede steht. Aber was ich der Bundesregierung und insbesondere den Mitarbeitern des Bundeskanzlers verarge, ist, daß niemand im schriftlichen Protokoll diesen Fehler korrigiert hat.
({5})
Ich kann daraus nur folgern, daß der Bundeskanzler entweder von den vorhergegangenen Verhandlungen mit den Bauernverbänden noch nachhaltig beeindruckt war, oder aber, daß in seinem Mitarbeiterkreis der Stellenwert der Wissenschaft so gering ist, daß so etwas überhaupt nicht auffällt.
Ich wünsche Ihnen, Herr Minister, daß Sie bald eine Regierungskonzeption auf Ihrer Seite und in Ihrem Rücken haben, die Ihnen mehr Klarheit in Ihrer Arbeit ermöglicht.
({6})
- Wenn Sie so wollen, Herr Mengelkamp, immer!
({7})
- Das würde ich so wiederum nicht sagen.
Etwa zur gleichen Zeit, als der Herr Bundeskanzler seine Regierungserklärung mit diesem aufschlußreichen Passus über die Wissenschaftspolitik vorbereitete, haben wir davon gehört, daß der amerikanische Präsident, um einiges agiler und entschlossener als unser Regierungschef, am 29. Januar eine Botschaft an den amerikanischen Kongreß gerichtet hat zu eben den Fragen, die uns heute im Parlament beschäftigen sollen, Präsident Kennedy
hat in dieser Botschaft an einige Tatbestände erinnert, beispielsweise daran, daß in der UdSSR heute dreimal so viele Techniker ausgebildet werden wie in den USA, daß viermal so viele Physiker in der UdSSR ausgebildet werden wie in den USA. Er hat hinzugefügt, daß man dieser Überlegenheit der Sowjetunion - im Quantitativen jedenfalls - eine sehr große Anstrengung seitens der Vereinigten Staaten entgegenstellen müsse, um aufzuholen und zu überholen. Kennedy hat es so formuliert: „Wir brauchen Menschen und Hirne, um es mit der Macht der totalitären Disziplin aufnehmen zu können."
Sie werden sofort merken, wer hier auf der Höhe der Zeit ist und wer nicht. In Deutschland warten wir, seit Jahren vergeblich auf einen solchen Appell des politisch verantwortlichen Regierungschefs an das Parlament. In diesem Lande ist es nach wie vor Sache der gegenwärtigen Opposition, das Parlament aufzufordern, sich dazu zu äußern.
({8})
- Herr Martin, ich weiß, daß Sie ein weißer Rabe in Ihrer Fraktion sind; aber was nützt das?
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben uns erlaubt, Ihnen einige der Sachfragen, die für die Wissenschaftspolitik und die Förderung der Wissenschaften von Bedeutung sind, im Rahmen unserer Großen Anfrage vorzulegen. Die erste Frage zielt darauf ab, zu erfahren, wieviel Abiturienten in den Jahren zwischen 1963 und 1980 voraussichtlich an deutschen Universitäten und Hochschulen studieren wollen. Wir haben vorhin in der Fragestunde dazu einige Bemerkungen von Frau Ministerin Schwarzhaupt gehört, die im Grunde genommen die ganze, ich möchte sagen, Desorientiertheit der Bundesregierung in bezug auf alles, was Planung heißt, erkennen ließen. Wir finden, daß wir eine solche Übersicht, auch wenn sie nur eine Schätzung sein kann, unbedingt brauchen. Wir haben bisher mit den Zahlen des Wissenschaftsrates operiert, der - Sie erinnern sich - vor sechs Jahren von einer Schätzung von 200 000 deutschen Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen ausging. Wir haben heute 211 000 deutsche Studenten und dazu viele Gaststudenten aus dem Ausland, also etwa 235 000 Studenten.
Der Wisesnschaftsrat hat damals in seinen Berechnungen gesagt, man müsse sich auf die eingetretene Entwicklung einstellen, und er hat angeregt, für die Zahl der heute an den deutschen Universitäten bereits studierenden jungen Menschen vier neue Universitäten zu gründen: eine in Bochum, eine in Regensburg, eine in Bremen und eine in Konstanz. Es war damals noch nicht klar, wo; das hat sich erst im Laufe der Jahre geklärt. Aber noch für keine dieser vier Universitäten ist man über das Stadium einer ernsthaften Planung hinausgekommen. Von keiner kann man bis heute sagen, wann sie ihre Pforten für die vorgesehene Zahl von Studenten wird öffnen können, so daß wir im Grunde noch den gleichen Engpaß haben wie vor Jahren, als der Wissenschaftsrat seine ersten Planungen vorlegte.
Wenn wir bei dem bisherigen Bautempo und bei der bisherigen Finanzierungshöhe von Bund und Ländern bleiben, werden wir mindestens noch zehn Jahre brauchen, um für die jetzige Zahl von Studierenden ausreichende Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen.
Wir möchten diese Sachlage unmißverständlich zur Diskussion stellen und darum bitten, gemeinsam zu überlegen, wie wir diesen Zeitraum verkürzen können.
({10})
Es gibt - deshalb unsere Frage - unterschiedliche Schätzungen über die Zahl der zu erwartenden Studenten. Vielleicht ist es nützlich, bedingte Vergleichszahlen aus unseren Nachbarländern einmal heranzuziehen. Wir haben erfahren, daß die Franzosen beabsichtigen, die Zahl der Studenten in ihrem Land bis zum Jahre 1970 auf 500 000 zu erhöhen. In England soll die Zahl der Studenten bis 1980 auf eine halbe Million gebracht werden. Präsident Kennedy kündigte in seiner Botschaft, die ich vorhin erwähnt habe, eine Verdoppelung der Zahl der amerikanischen Studenten an.
Nun stellt sich die Frage: Will die Bundesregierung - kulturpolitisch - eine Ausweitung der Zahl der Studenten an den deutschen Universitäten, oder will sie sie nicht? Wir müssen dabei von der Tatsache ausgehen, meine Damen und Herren, daß nach wie vor drei Gruppen unserer Gesellschaft an den Universitäten unterrepräsentiert sind. Das sind einmal die Katholiken, die mit 46 % Bevölkerungsanteil 35 % der Hochschüler stellen. Das sind zweitens die Arbeiter, deren Kinder heute erst 6 % der Studenten stellen; und das sind schließlich die Kinder aus der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung. Wir sollten diese Unterrepräsentation beseitigen, so daß wir zu einem ausgewogenen Verhältnis der Vertretung auch auf den Hochschulen kommen.
Wenn ich das sage, so bitte ich es nicht mißzuverstehen und etwa anzunehmen, ich sei der Meinung, daß die Zusammensetzung der Studenten an den Hochschulen ein soziologisches Abziehbild der einzelnen Bevölkerungsgruppen sein sollte. Das meine ich nicht. Aber uns geht es darum, daß wir wahrscheinlich vorhandene gleiche Begabungsreserven bei den heute nicht zureichend repräsentierten Bevölkerungsgruppen, den Katholiken, der Landbevölkerung und den Arbeitern, ausschöpfen. Wir meinen, daß wir eine Ausweitung des Kreises der jungen Menschen, die überhaupt auf eine Hochschule gehen, aus den gleichen Gründen anstreben sollten, die unsere Nachbarländer Frankreich, England und Amerika dazu bewegen, eine solche Politik zu betreiben.
Nun werden Sie mir wahrscheinlich entgegenhalten, es sei ja nicht nur eine Frage des Geldes, ob und wer in Deutschland studieren wolle und studieren könne. Das ist richtig. Aber die Frage ist ja: Wie können wir z. B. sozialpsychologische Vorbehalte bei vielen Eltern in der Arbeiterschaft oder in der Landbevölkerung ausräumen? Wie ist das möglich?
Meine Frage: Was hat die Bundesregierung getan, was ist sie bereit zu tun, um zu helfen, daß
solche Vorbehalte gegenüber einer wissenschaftlichen Ausbildung von jungen Menschen aus dem Kreise der Arbeiterschaft und der Landbevölkerung aus dem Wege geräumt werden? Hat sich die Bundesregierung einmal Gedanken darüber gemacht, ob es nicht angebracht wäre, mit den Bauern nicht nur über den „Grünen Plan", sondern vielleicht auch über einen Grünen Plan für die Bildung zu diskutieren? Hat sie sich einmal überlegt, ob es richtig ist, mit den Gewerkschaften immer nur dann zu reden, wenn man etwas bei ihnen bemängelt, oder ob es nicht nützlich wäre, mit den Gewerkschaften einmal etwa über einen Sozialplan für die Bildung zu diskutieren, darüber, was man gemeinsam tun kann, um in einem Teil der Arbeitnehmerschaft vorhandene Vorbehalte gegenüber einem Hochschulstudium auszuräumen? Ich meine, auf diese Weise könnte die Bundesregierung eine ganze Menge dazu beitragen, um die unzureichenden Bedingungen, die wir heute beobachten müssen, zu beseitigen.
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Nun zu einer zweiten Frage: was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Kapazität unserer Universitäten und Hochschulen und die Ausbildungsbedingungen für die Studierenden der zu erwartenden Entwicklung anzupassen? Wenn ich sage „der zu erwartenden Entwicklung", dann enthält das natürlich immer auch das Element einer angestrebten Entwicklung, da die Entwicklung selbstverständlich von dem politischen Willen mit abhängt, der sich in diesem Hause, in der Bundesregierung und in den Ländern herausbildet und dessen Hauptrichtung wir in Rechnung stellen müssen.
Lassen Sie mich mit der finanziellen Seite beginnen. Die Bundesregierung hatte mit den Ländern, genauer gesagt, mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister, ein Verwaltungsabkommen über die Förderung kulturpolitischer Aufgaben ausgehandelt. In diesem Abkommen war - Herr Minister, Sie erinnern sich - vorgesehen, daß pro Jahr, in den nächsten Jahren jedenfalls, von beiden Seiten je 250 Millionen DM für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bereitgestellt werden sollen. Nun frage ich: Warum ist die Bundesregierung, warum ist der bisher zuständige Innenminister Höcherl bei dieser Zahl für die nächsten Jahre in diesem Entwurf eines Verwaltungsabkommens geblieben? Sein bisheriger Kabinettskollege Balke, der Vorgänger unseres Wissenschaftsministers, schreibt zum Beispiel in einem Artikel vom 31. Dezember des vergangenen Jahres im „Handelsblatt", man brauche das Dreifache des derzeitigen Anteils am Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik für Investitionen in der Wissenschaft, wenn man zurechtkommen wolle. Wieso kommen wir hier zu dem Widerspruch zwischen der Haltung der Bundesregierung einerseits - nur jeweils 250 Millionen DM für fünf Jahre - und einer solchen Aussage des ehemaligen Ministers Balke andererseits, die im übrigen mit den Feststellungen übereinstimmt, die Professor Raiser, der Präsident des Wissenschaftsrates, im vergangenen Jahr in einer Denk2692
schrift für den Herrn Bundespräsidenten dargelegt hat! Ich meine, wir sollten klären, welche Zahlen hier tatsächlich zugrunde gelegt werden müssen, wenn wir zu einem rascheren Tempo im Ausbau und im Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen kommen wollen.
Wir haben bisher vier neue Universitäten in unsere Planung einbezogen. In England dagegen werden beispielsweise sieben neue Universitäten projektiert. Schätzungen für die Bundesrepublik schwanken zwischen sieben und zwölf neuen Universitäten, die wir brauchten. Das hängt von den Modellen ab, die man sich für eine Universität wünscht: große oder kleine Universitäten. Aber in jedem Falle werden wir uns um einen raschen Ausbau bemühen müssen.
Da stimmt es einen dann verdrießlich, wenn man zum Beispiel in der „Welt" vom 30. Januar die traurige Geschichte der bisherigen Verhandlungen zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Lande Bremen über die Gründung der in Bremen 'geplanten Universität lesen muß. Ich darf mit der freundlichen Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Sätze aus diesem Artikel von Herrn Görlitz zitieren.
Mit dem Bau der neuen Universität tritt man in Bremen,
so heißt es da,
seit drei Jahren auf der Stelle. In Bremen gibt es eine gut 150 Jahre alte Klausel in der Verfassung, wonach der Religionsunterricht nicht auf konfessioneller, sondern auf allgemein biblischer Grundlage zu erteilen sei. . . Maßgebliche Kreise in Bonn haben . . . durchblicken lassen, bevor man helfen könne, müßten die Bremer Stadtherren ihre alte Klausel fallenlassen. Das ist allerdings
- meint Herr Görlitz keine Kulturpolitik, bestenfalls Konfessionspolitik.
Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren. Aber mich interessiert: Was sagen Sie zu einem solchen Vorwurf, der bisher unwidersprochen in einer unserer angesehenen Tageszeitungen erhoben worden ist? Was hat die Bundesregierung tatsächlich getan, um nicht nur in Bremen, sondern zum Beispiel auch in Regensburg oder Konstanz weiterzukommen?
Wir sollten dabei - lassen Sie mich das als Nebenbemerkung einfügen - darauf achten, daß wir in den einzelnen Bundesländern nicht zu einem übermäßigen Gefälle im Ausbau der Universitäten kommen. Das bedeutet nicht, daß wir uns nach dem langsamsten richten müssen, aber es bedeutet, daß wir in der Planung und ihrer Durchführung in den einzelnen Ländern und in der Hilfe, die jeweils vom Bund entsprechend dafür zu geben ist, darauf achten, ein solches Gefälle nach Möglichkeit zu vermeiden.
In diesen Rahmen gehört auch die Frage der Baukapazität. Wir haben mit Freude gehört, daß das
Land Baden-Württemberg am weitestgehenden diel Mittel ausgeschöpft hat, die in den vergangenen Jahren zur Verfügung standen. Das mag mit der Begabung der Schwaben nicht nur für Sparsamkeit, sondern auch für Planung zusammenhängen. Es wäre interessant, von der Regierung zu erfahren, warum in den einzelnen Bundesländern hinsichtlich der Bewältigung der Bauprobleme so unterschiedliche Erfahrungen gemacht worden sind und was man tun kann, um hier etwa das in Baden-Württemberg entwickelte Tempo zum allgemeinen Bautempo zu machen.
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- Ich habe Sie auch gar nicht angesprochen, Herr Kollege Martin. Wir reden ja im Augenblick mit der Bundesregierung.
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Ich finde, wir sollten außerdem beschließen, alle Bauten für Erziehung, Bildung und Wissenschaft aus der 20%igen Sperre für Baumaßnahmen herauszunehmen. Die CDU wird uns sicher mit ihrem Anliegen konfrontieren, dem wir selbstverständlich entsprechen werden, Kirchenbauten aus dem Baustopp auszunehmen. Herr Martin, Sie schauen mich an. So ist das doch: Sie wollen die Kirchenbauten herausnehmen, die FDP die Warenhäuser und wir die Schulen und Hochschulen.
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Meine Damen und Herren, wie beurteilt - da ist unsere dritte Frage - die Bundesregierung die Möglichkeiten, die Zahl der jüngeren Hochschullehrer, Dozenten und wissenschaftlichen Assistenten in absehbarer Zeit wesentlich zu erhöhen?
Ich bitte die Herren auf der Bundesratsbank um Nachsicht, daß wir uns erlaubt haben, eine solche Frage in den Katalog unserer Fragen aufzunehmen. Aber wir waren der Auffassung - und dafür bitten wir um Verständnis -, daß wir ungeachtet der Zuständigkeit der Länder in diesen Fragen auch auf der Bundesebene einen Überblick brauchen, was denn in diesem Bereich los ist. Es hat keinen Zweck - jedermann weiß es -, einen sehr viel höheren Betrag für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bereitzustellen oder das Problem der Baukapazität großzügiger als bisher zu lösen, wenn wir nicht gleichzeitig zu einer Ausweitung der Lehrkörper an den Universitäten kommen können. Das ist eine Frage, die im ganzen mitbedacht und -überlegt werden muß.
Eine der wichtigsten Fragen betrifft dabei die Stellung der Ordinarien. Ich will nur auf die damit verbundene Problematik hinweisen. Herr Ministerpräsident Kiesinger hat sich in einer Fernsehsendung am 15. Januar 1963 dankenswerterweise dazu geäußert. Er hat sich gegen die „oligarchische Herrschaft der Ordinarien" ausgesprochen und gemeint, man solle an die Stelle dieser oligarchischen Verfestigung das Teamwork, also die Zusammenarbeit aller an der Hochschule tätigen Lehrer, treten lasLohmar
sen. Die FDP hat, was wir mit Interesse registriert haben, auf ihrem Kongreß in Hannover vor einigen Tagen eine ähnliche Anregung gegeben. Wir sollten diese möglichen Wege einmal mit dem Wissenschaftsrat, auch mit der Westdeutschen Rektorenkonferenz, diskutieren, weil, wie ich den Eindruck habe, die Anregungen, die der Wissenschaftsrat in seiner zweiten Publikation vorgelegt hat, zwar allgemein mit einigem Wohlwollen aufgenommen wurden, aber nichtsdestoweniger von der Verwirklichung weit entfernt sind.
Hier stehen wir vor der Frage: Wie können wir bestimmte kulturpolitische Anliegen, die von seiten des Staates und der Gesellschaft unabdingbar an die Hochschulen herangetragen werden müssen, in Übereinstimmung mit dem bringen, was man hergebrachterweise unter der Autonomie der Universitäten versteht?
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Das ist ein ernstes Problem, über das wir offen reden sollten und das wir heute nicht ausdiskutieren können. Wir müssen es in einer freimütigen Aussprache mit den Repräsentanten der westdeutschen Hochschulen einmal ernsthaft besprechen.
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zu unserer vierten Frage:
Hält die Bundesregierung die gegenwärtig verfügbaren Planungsunterlagen für eine vorausschauende Wissenschaftspolitik für ausreichend?
Auch das ist ein Thema, das Bund und Länder gemeinsam berühren sollte. Wir haben uns sagen lassen, daß es z. B. im Statistischen Bundesamt einen einzigen leitenden Angestellten gibt, der sich mit Fragen der Bildungsstatistik beschäftigt. Wir halten das für ganz unzureichend in einer Zeit, in der die Bildungsstatistik zu den entscheidenden Planungsunterlagen auch für jede Wissenschaftspolitik gehört.
Wir fragen uns weiter, meine Damen und Herren, warum das seit Jahren in der Diskussion befindliche Max-Planck-Institut für Bildungsforschung immer noch nicht seine Arbeit aufnehmen konnte. Warum nicht? Liegt es daran, daß dieses Institut nach Berlin soll? Das glaube ich nicht. Liegt es daran, daß man sich über die Aufgabenstellung für dieses Bildungsforschungsinstitut bisher nicht verständigen konnte? Liegt es daran, daß einige der für die Einrichtung eines solchen Instituts mitverantwortlichen Kulturpolitiker in manchen Bundesländern der Meinung sind, man könne eine voraussetzungslose Forschungsarbeit hier nicht tolerieren, weil man sich z. B. über den Deutschen Ausschuß und manche seiner Gutachten schon genug geärgert habe?
Ich sage das ganz offen, weil mir daran liegt, daß wir auch darüber freimütig sprechen. Ich finde, man sollte bei einem solchen Institut für Bildungsforschung von der Überlegung ausgehen: Es ist nicht Sache der Forschung, zu sagen, was sein soll, sondern herauszufinden, was ist - um es auf einen einfachen Nenner zu bringen. Das heißt: Bei der Einrichtung eines solchen Instituts müssen weltanschauliche oder ideologische Prämissen wegbleiben, wenn es vernünftig arbeiten können soll.
Dabei, Herr Bundesminister, wird die Frage interessant, wie Sie sich z. B. die Zusammenarbeit zwischen dem Wissenschaftsrat, der Westdeutschen Rektorenkonferenz, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Bund und Ländern mit einem solchen Institut denken, in welcher Weise Sie es in die Planungsarbeiten der Bundesregierung einbeziehen können. In einer freien Kooperation natürlich!
Interessant ist für uns, welche Konsequenzen die Bundesregierung aus internationalen Erfahrungen, vor allem in Frankreich und England, bei der Planung von Bildung und Wissenschaft zieht. Gibt es Untersuchungen der Bundesregierung oder ihr zugängliche Untersuchungen und mit welchen Ergebnissen darüber, welche Schlüsse wir in Deutschland aus bereits vorliegenden Erfahrungen in Frankreich, England oder den USA ziehen können?
Das alles, meine Damen und Herren, deutet darauf hin, daß wir die Probleme der Wissenschaftspolitik nicht mehr werden bewältigen können, ohne den Zusammenhang mit dem gesamten Erziehungs-
und Bildungswesen zu sehen. Ich erinnere Sie nur an den Lehrermangel, der außerordentlich gravierende Folgen auch für unsere Überlegungen im Rahmen der Wissenschaftspolitik haben kann, wenn wir diesen Engpaß nicht sehr bald überwinden; da liegt wiederum das Wort in erster Linie bei den Ländern der Bundesrepublik.
Wir sollten erwägen - und wir haben uns erlaubt, Ihnen das in einem Entschließungsantrag vorzulegen, den mein Kollege Dr. Kübler nachher begründen wird -, ob wir nicht - nach dem Beispiel des Wissenschaftsrates -, gemeinsam von Bund und Ländern getragen und unter Einbeziehung von Persönlichkeiten aus den einzelnen Bildungsinstitutionen, einen Deutschen Bildungsrat schaffen sollten, der planend und koordinierend die Bildungs- und Erziehungspolitik der Bundesländer unterstützt und der uns allen - in den Ländern und im Bund - die nötigen Planungsunterlagen und Übersichten zur Verfügung stellen könnte. Wir brauchen sie, wenn wir eine aufeinander abgestimmte Kultur- und Erziehungspolitik in Deutschland aus einem Guß schaffen wollen.
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In diesem Rahmen muß auch der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen seinen Platz finden. Ich will den Haushaltsberatungen nicht vorgreifen; aber ich halte es für ein Unding, wenn die Bundesregierung in den Haushaltsgesetzentwurf die lapidare Bemerkung aufnimmt, 1965 werde der Deutsche Ausschuß seine Arbeit wahrscheinlich einstellen.
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Dieser Ausschuß ist vom Bundestag eingesetzt worden, und es ist nicht Sache der Bundesregierung, darüber zu befinden, ob und wann der Ausschuß seine Arbeit einstellt. Das sollte dieses Parlament schon aus Gründen der Selbstachtung nicht durchgehen lassen,
Ich meine, der Deutsche Ausschuß sollte eingefügt werden in einen solchen Deutschen Bildungsrat, der Bund und Länder von der manchmal - der Kollege Dr. Heck wird sich sicher an seine Pariser Erfahrungen erinnern - nicht ganz klaren Protokollfrage entlasten könnte, eine kontinuierliche Repräsentation der Bundesrepublik auf internationalem Parkett zu ermöglichen; der Präsident des Bildungsrates könnte das sehr gut machen. Wir würden auf diese Weise vielleicht zu einer Zusammenarbeit kommen, wie sie sich im Wissenschaftsrat zwischen Bund und Ländern bewährt hat und wie sie sich genauso in den übrigen Bereichen des Erziehungs- und Bildungswesens bewähren könnte. Wir stellen diesen Vorschlag zur Diskussion, meine Damen und Herren, weil wir als eine Fraktion des Deutschen Bundestages daran interessiert sind, die föderalistische Struktur der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten; aber genauso sind wir daran interessiert, eine partikularistische Verengung und Verzerrung des deutschen Föderalismus zu verhindern ({18})
um beides mit gleicher Eindeutigkeit zu sagen. Nun unsere Frage 5:
Welche Auswirkungen soll das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern für die Wissenschaftspolitik haben?
Eine offene Frage, Herr Minister: ist das Abkommen „tot", oder ist es nicht „tot" ? Die Auguren sagen, es sei „tot". Aber ich würde mich freuen, wenn es sich dabei nur um einen Scheintod handelte - mit Chancen einer Wiederbelebung. Interessant wäre für uns, zu erfahren, warum eigentlich die Verhandlungen mit den Ländern über dieses Abkommen im letzten Stadium gescheitert sind, nachdem zwischen der Bundesregierung und den Kultusministern bereits eine Übereinstimmung hergestellt worden war. Woran hat es gelegen? Waren die Vorbereitungen zwischen Bund und Ländern unzureichend? Oder welche Gründe haben einzelne Bundesländer - Herr Ministerpräsident Goppel - veranlaßt, einstweilen von der Bestätigung dieses vorgesehenen Abkommens abzusehen? Ich meine, daß wir versuchen sollten, so bald wie möglich das Abkommen zustande zu bringen. Dabei sollten wir die vorgesehenen 250 Millionen DM pro Jahr von Bund und Ländern nicht als eine starre untere Grenze betrachten, sondern diese Frage sollte offenbleiben im Hinblick auf die vorhin von mir zur Diskussion gestellte Ausweitung der benötigten Mittel für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen.
In engem Zusammenhang damit steht unsere Frage 6:
Beabsichtigt die Bundesregierung, ein Gesetz zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung vorzulegen?
Wir wissen und die Länder wissen, daß ein solcher Entwurf seit langem in den Schubladen des Bundesministeriums des Innern - ich nehme an, jetzt bei Ihnen, Herr Minister Lenz - ruht. Aber bisher hat sich die Bundesregierung nicht entschließen können, diesen Gesetzentwurf dem Parlament vorzulegen. Ich frage Sie: Warum nicht? War dieser Gesetzentwurf als eine Art Handelsobjekt für das Verwaltungsabkommen gedacht, also mit dem Gedanken: wenn die Länder ja sagen zum Verwaltungsabkommen, werden wir kein Forschungsgesetz machen, und wenn sie „bockbeinig" sind, werden wir sie mit dem Forschungsgesetz bedrohen!? War es so, oder hatten Sie das Forschungsgesetz so gedacht, daß es eine Ausführung des Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes sein, also eine Art von gesetzgeberischem Unterbau für das jetzt neu errichtete Ministerium abgeben sollte? Das sind zwei Perspektiven, die einander nicht ausschließen, die aber doch sehr unterschiedliche Akzente verraten würden.
Wir meinen, daß wir ein solches Forschungsförderungsgesetz bald im Bundestag beraten und beschließen sollten. Dieses Gesetz müßte mindestens drei Forderungen gerecht werden.
Einmal sollte es im Zusammenhang mit dem Haushaltsplan einen Jahresbericht an den Bundestag über den Stand und die Entwicklung der Wissenschaften in Deutschland vorsehen. Zweitens sollte in diesem Gesetz gefordert werden, daß mit dem Haushaltsplan im jeweiligen Jahr eine sachliche und finanziell langfristige Konzeption für die Wissenschaftspolitik vorgelegt wird, damit wir im Bundestag wissen, woran wir sind, und damit die Regierung gehalten ist, über das jeweilige Haushaltsjahr hinauszudenken. Schließlich regen wir an, in diesem Gesetz vorzusehen, daß vor der Abfassung der Jahresberichte die Selbstverwaltungsorgane der Wissenschaft dazu zu hören sind, weil uns daran liegt, die gute Zusammenarbeit, die wir nicht nur im Wissenschaftsrat, sondern auch darüber hinaus in den letzten Jahren entwickelt haben, auch in dieser Phase aufrechtzuerhalten. Wir richten also an Sie die Frage, Herr Minister, ob und wann Sie bereit sind, ein solches Forschungsförderungsgesetz vorzulegen, damit wir es bald beraten können.
Die Frage 7 - damit kommen wir zu einem Schwerpunkt dieser Großen Anfrage - lautet:
Welche Ergebnisse hat der interministerielle
Ausschuß für Wissenschaft und Forschung im
Rahmen der Bundesregierung bisher erzielt?
Einen solchen Ausschuß gibt es seit 1957. Er verschwand dann ganz plötzlich in der Versenkung und wurde während der Sommerferien - der Innenminister pflegt ja in den Sommerferien immer besonders aktiv zu sein - wieder belebt und mit dem Vorsitz des Innenministers bestückt. Das ist jetzt vorbei. Der Herr Wissenschaftsminister hat den Vorsitz übernommen. Wir haben uns im Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik von den bisherigen Mitarbeitern des Herrn Innenministers einmal über die Planungen dieses interministeriellen Ausschusses unterrichten lassen, und wir haben dann in einem Beschluß, der dem Hohen Hause bald in Form eines Schriftlichen Berichts zugehen wird - so hoffe ich jedenfalls -, darauf gedrängt, daß wir bis Ende März dieses Jahres wenigstens einen Arbeitsplan des interministeriellen Ausschusses für Wissenschaft und Forschung bekommen. Das alles liegt bis heute nicht vor, so daß wir Grund haben, daran zu zweifeln, ob sich diese Institution in der bisherigen
Form überhaupt bewährt hat, und das ist eine weitere Frage, die ich an den Herrn Minister für wissenschaftliche Forschung stellen möchte.
({19})
- Ja, das ist richtig, aber man muß schlechte Beispiele ja nicht unbedingt nachahmen.
Noch etwas anderes, Herr Minister. Der Herr Bundeskanzler hat sich in der vergangenen Woche in seiner Regierungserklärung in den Bemerkungen über die Wissenschaftspolitik sehr diplomatisch ausgedrückt.
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-Aber warum stellen Sie denn jetzt Ihren „Arzt" wieder so in den Vordergrund? Wir reden doch im Augenblick über Wissenschaftspolitik.
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- Nein, ich wollte jetzt etwas Nettes sagen. Ich fand es recht bemerkenswert vom Bundeskanzler zu sagen, der Minister für wissenschaftliche Forschung habe die Aufgabe, die bei den Ressorts verbleibenden Aufgaben zu koordinieren. Was heißt das? Heißt das nun, daß der Wissenschaftsminister innerhalb der Bundesregierung koordinierend und gestaltend für alle Fragen verantwortlich sein soll, die mit der Förderung der wissenschaftlichen Forschung zusammenhängen, so wie wir es wollen und in unserem Antrag auch empfehlen? Oder heißt es, daß zwischen dem bisher zuständigen Innenminister und dem neuen Wissenschaftsminister von seiten des Herrn Bundeskanzlers keine volle Übereinstimmung hergestellt werden konnte? Oder heißt es, daß der Wissenschaftsminister nichts anderes sein soll, als ein Vorsitzer im interministeriellen Ausschuß, ein Minister für Wissenschaftspropaganda? Oder suchte man einen besseren Namen für eine gute Sache? Herr Minister, seien Sie mir nicht böse, wenn ich das so hart sage. Aber ich glaube, es liegt nicht nur in Ihrem Interesse und im Interesse Ihrer Arbeit, sondern es muß unsere gemeinsame Sache sein, hier Klarheit zu schaffen.
Wir möchten, daß innerhalb der Bundesregierung jede Zersplitterung in der Zuständigkeit für die wissenschaftliche Forschung vermieden wird. Es wäre gut, wenn Sie heute in der Lage wären, hier ein klärendes Wort zu sagen, daß wir in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers leider vermißt haben.
({22})
- Es war nicht die einzige Lücke, es war eine lükkenlose Lücke.
Meine Damen und Herren, ich möchte einige Aufgaben nennen, von denen ich glaube, daß sich der Minister für wissenschaftliche Forschung ihrer annehmen sollte. Diese Aufgaben kann man in wenigen Punkten zusammenfassen:
1. Koordinierung der nationalen Politik gegenüber den verschiedenen internationalen Organisationen auf dem Gebiet der Wissenschaft; 2. Atomfragen, Weltraumforschung, Raketentechnik; 3. ein Abkommen zwischen Bund und Ländern - ich habe vorhin darüber gesprochen -; 4. die Vorlage des Entwurfs eines Forschungsförderungsgesetzes; 5. eine gute Zusammenarbeit mit den Selbstverwaltungsorganen der Wissenschaft; 6. die Beobachtung und Analyse der Lage; 7. Bericht über die Aufgaben der Forschung, Bestandsaufnahme des Forschungspotentials; 8. Planung bei Nachwuchs, bei Finanzen, bei Bauten, bei Ausstattung unserer Hochschulen; 9. Abstimmung der Wissenschaftsplanung mit der allgemeinen Wirtschaftsplanung - das wäre übrigens eine Aufgabe des interministeriellen Ausschusses -; 10. Vorbereitung des Gesamtbudgets aus öffentlichen Mitteln für die Forschung; 11. Koordinierung in Grundsatzfragen zwischen verschiedenen Trägern der Forschung; 12. Dokumentation, Information usw. und 13. Kontakt zur militärischen Forschung.
Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratische Partei hat sich vor einigen Jahren erlaubt, einen „Plan Zukunft", einen „Plan Z" zur Diskussion zu stellen. Wir werden in diesem Jahr eine neue Fassung dieses Plans vorlegen. In diesem „Plan Zukunft" haben wir versucht, ein Gesamtkonzept für die deutsche Kultur- und Wissenschaftspolitik zu entwickeln. Wir haben bisher von seiten der Bundesregierung kein ähnliches Konzept gehört. Wir verbinden mit der Einrichtung des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung die Hoffnung, daß das in Zukunft anders wird. Herr Minister Lenz hat nach seiner Amtsübernahme mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß für die Wissenschaft aufgewandte Mittel keine Subventionen im landläufigen Sinne, sondern Investitionen sind, daß wir sie also auch so bewerten müssen.
Wir haben uns heute erlaubt, Ihnen in einem Entschließungsantrag eine Reihe von Anregungen zu unterbreiten, von denen wir meinen, daß sie uns in der Wissenschaftspolitik in unserem Lande - in der Sache und im Tempo - weiterbringen können. Wenn Sie meinen, dazu ja sagen zu können, dann sollten Sie es tun. Es kann uns allen, ob wir der gegenwärtigen Koalition oder der gegenwärtigen Opposition angehören, nicht darum gehen, ob sich die CDU oder die SPD oder die FDP hier oder da einen taktischen Vorteil verschaffen könnte. Dazu ist die Frage, über die wir heute reden, von zu großem sachlichem Gewicht. Es handelt sich darum, ob wir gemeinsam einen Weg finden können, wenigstens eine der großen Gemeinschaftsaufgaben zu bewältigen, die in unserem Volke anstehen. Vielleicht führt uns die Debatte heute einen Schritt vorwärts - nicht zu einer neuen Koalition, die viele von Ihnen noch nicht so sehr mögen -, aber doch zu einer neuen Politik in Deutschland, die uns hilft, in einem wichtigen Bereich unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens Voraussetzungen für unsere Freiheit und für unsere Sicherheit zu schaffen.
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Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gegenstand der heutigen Verhandlungen ist die Förderung von Wissenschaft und Forschung, deren sich Bund und Länder gemeinsam annehmen. Gutes Einvernehmen zwischen Bund und Ländern ist die Voraussetzung für die Möglichkeiten eines Erfolges. Ich freue mich deshalb, daß nach der Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bundesregierung auch der Bundesrat zu den angeschnittenen Fragen Stellung nehmen wird.
Ich darf mich bei Ihnen, Herr Kollege Lohmer, sehr herzlich für Ihre Courtoisie bedanken. Wenn ich auch im Rahmen der Beantwortung der Großen Anfrage nicht speziell darauf eingehen kann, so werde ich dies doch nachher in der allgemeinen Stellungnahme tun.
Für die Bundesregierung beantworte ich die Große Anfrage betreffend Wissenschaftsförderung folgendermaßen.
Zur Frage 1: Die Zahl der Abiturienten hat sich in den letzten acht Jahren fast verdoppelt. Sie ist von zirka 32 000 im Jahre 1955 auf fast 58 000 im Jahre 1962 gestiegen. Parallel damit ist die Zahl der deutschen Studenten an staatlichen wissenschaftlichen Hochschulen - ohne Beurlaubte, Gasthörer und Studenten an Pädagogischen Hochschulen - von 123 000 im Jahre 1955 auf 211 000 im Jahre 1962 gestiegen. Dazu kommen noch jeweils weitere 10 °/o ausländische Studenten.
Eine Vorausschätzung des Wissenschaftsrates - ich darf auf seine Empfehlungen vom November 1960, Teil I, Seite 485, verweisen - zeigt, daß die Zahl der Abiturienten 1963 mit 62 300 ihren Höhepunkt erreicht haben wird, dann abfällt auf 46 200 im Jahre 1965, um etwa im Jahre 1970 wieder die Höhe von 1963, nämlich 62 600, zu erreichen. Dementsprechend wird die Studentenzahl ebenfalls 1964 einen Höhepunkt mit 236 500 haben, dann abfallen und 1970, soweit sich jetzt übersehen läßt, etwa zum alten Punkt mit 232 200 zurückkehren.
Über die weitere Zukunft bis 1980 können im Augenblick keine verantwortlichen Vorausschätzungen vorgelegt werden. Denn für die Zeitspanne 1970/80 kann nicht mehr von der Annahme ausgegangen werden, daß die bisherigen Verhältnisse weiter andauern. Vielmehr ist damit zu rechnen, daß sich geplante und absehbare Veränderungen im Schulaufbau auf den Schuldurchgang und damit auf die Abiturientenzahlen auswirken werden. In ähnlicher Weise können Maßnahmen der Hochschulreform, etwa eine Verkürzung der Studiendauer, die Studentenzahlen beeinflussen.
Wohl aber gibt es den Versuch, den allgemeinen Trend der Studentenzahlen aus einem internationalen Vergleich abzulesen: Professor Edding, der sich grundlegend über Fragen der Bildungsökonomie geäußert hat, hat festgestellt, daß in allen kochindustrialisierten Staaten der Welt seit langem die Studentenzahlen immer steiler ansteigen. Er vertritt die Auffassung, daß in all diesen Staaten eine bestimmte Korrelation zwischen dem Sozialprodukt je Kopf der Bevölkerung und dem relativen Hochschulbesuch besteht. Diese Korrelation beruht nach seiner Auffassung darauf, daß die Wirtschaftsintensität eines Landes weitgehend vom geistigen Vermögen eines Volkes abhängt, das durch die Bildungseinrichtungen aktiviert und gesteigert wird; andererseits erlaubt aber die größere Wirtschaftsintensität eines Landes, für den Ausbau des Bildungswesens steigende Mittel einzusetzen, und macht diesen Einsatz dafür auch erforderlich. Professor Edding glaubt, daß sich das Bruttosozialprodukt des deutschen Volkes von 1960 bis 1980 verdoppeln werde, und schließt daher für 1980 auf eine Studentenzahl von 400 000.
Zur Prüfung all dieser mit einer langfristigen Planung zusammenhängenden Fragen hat der Wissenschaftsrat eine Arbeitsgruppe gebildet, der unter anderem auch Professor Edding angehört. Die Gruppe wird nicht nur die bisher vorgelegten Schätzungen überprüfen, sondern auch die Studentenzahlen langfristig vorauszuberechnen und hierbei die voraussichtliche Entwicklung des Bedarfs an akademisch gebildeten Kräften zu ermitteln suchen, eine Frage, die ihre ganz besonderen Schwierigkeiten hat. Die Arbeitsgruppe hat ihre erste Sitzung bereits gehalten; die Ergebnisse sind jedoch noch nicht berichtsreif. Die notwendigen Untersuchungen nehmen noch eine gewisse Zeit in Anspruch, zumal die noch nicht abgeschlossene Auswertung der letzten Volkszählung einbezogen werden soll. Es dürfte aber mit der Vorlage der ersten Ergebnisse Ende des Jahres zu rechnen sein.
Zur Frage 2: Die Kapazität der Hochschulen dürfte 1960 beträchtlich unter 200 000 Studenten gelegen haben. Der Wissenschaftsrat hat zur Erweiterung der Kapazität zwei Maßnahmen vorgeschlagen: den Ausbau der bestehenden Hochschulen auf ein Fassungsvermögen von etwa 200 000 Studenten und den Neubau von Hochschulen.
Inzwischen sind folgende Hochschulgründungen in Vorbereitung: Bochum, Bremen, Konstanz, Regensburg und Dortmund; ferner einige Medizinische Akademien.
Wenn diese beiden großen Empfehlungen des Wissenschaftsrates ausgeführt sind, werden die bestehenden Hochschulen 1964 etwa 200 000 Studenten und die neuen Hochschulen etwa 1970 weitere 30- bis 35 000 Studenten fassen können. Im Jahre 1970 wird also eine Gesamtkapazität von 230 000 Studenten erreicht sein. 1964 ist jedoch mit 236 500 deutschen und weiteren 20 000 ausländischen Studenten zu rechnen, während die Kapazität der Hochschulen bei 200 000 liegen wird; es wird also ein Überhang von über 50 000 Studenten vorhanden sein. 1970 wird die Kapazität 230 000 Studenten betragen, während mit über 250 000 deutschen und ausländischen Studenten zu rechnen ist; der Überhang beträgt noch 20 000 Studenten.
Die Kluft zwischen Hochschul-Kapazität und vermutlicher Studentenzahl kann allein durch weiteren Ausbau der bestehenden Hochschulen nur schwer
geschlossen werden. Bei einer Reihe von Hochschulen, z. B. München, wird der für die Arbeitsfähigkeit optimale Ausbau in Kürze erreicht sein. Auch durch Neubau von weiteren Hochschulen kann angesichts des Mangels an Hochschullehrern vorerst kaum Abhilfe erwartet werden.
Es müßte überlegt werden, wie man die vorhandene Hochschulkapazität besser nutzt. Durchlaufen die Studenten in Zukunft die Hochschulen schneller als jetzt, muß die Studentenzahl sinken, nicht jedoch die der Absolventen. Hierfür bieten sich zwei Wege an.
Einmal könnte durch eine nüchterne Überprüfung der Studienpläne und Stoffpläne der seit Jahrzehnten anhaltenden Studienzeitverlängerung entgegengewirkt werden. Ich nenne ein Beispiel. Während von 100 Studenten im Jahre 1925 noch rund 25 nach dem 5. und 6. Semester abgegangen sind, tat dies 1958 kaum ein Student. Die Abgänge nach dem 7. und 8. Semester waren in den entsprechenden Jahren rund 27 und 10 v. H., nach dem 9. und 10. Semester 47 und 18 v. H. Während schließlich für den Studienabschluß 1925 kaum jemand 11 und mehr Semester benötigte, waren es 1958/59 mehr als 72 Studenten von 100. Es ist fraglich, ob eine solche Ausweitung für den Erfolg des Studiums erforderlich ist. Hier Abhilfe zu schaffen, wäre eine gemeinsame Aufgabe der Hochschulen und der Kultusministerien.
Zum andern müßte geprüft werden, ob die Gliederung des Studienjahres in zwei Semester und zwei große Ferienabschnitte einer optimalen Aus) nutzung der Ausbildungsstätten noch Rechnung trägt. Denn es ist offensichtlich, daß ein erheblicher Teil der Studentenschaft die vorlesungsfreie Zeit nicht intensiv für das Studium ausnützt. Es müßte gemeinsam von den Kultusverwaltungen und den Hochschulen geprüft werden, wie das Interesse der Professorenschaft an einer für die Forschung notwendigen längeren vorlesungsfreien Zeit in Einklang gebracht werden kann mit der Notwendigkeit, die universitären Einrichtungen besser auszunutzen. Man könnte an die Einführung von Trimestern als vorübergehende Notmaßnahme denken, aber auch an Übungen in sogenannten FerienTrimestern unter Leitung von Angehörigen des sogenannten „Mittelbaues".
Ein numerus clausus kommt für die Beschränkung der Studentenzahl aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Frage. Als befristete Notmaßnahme muß er wohl hingenommen werden. Nur sollten sich dann die Hochschulen und Hochschulverwaltungen offen dazu bekennen und die Auswahlkriterien bekanntmachen. Eine überlegte Publizität solcher Sperren kann zugleich den übermäßigen Drang der Studenten in die Großstadtuniversitäten bremsen.
Auch sollte überlegt werden, wie das Studium der Studienanfänger gestrafft und intensiviert werden könnte - etwa durch Arbeitsgruppen unter Leitung von Tutoren; ich verweise auf die Vorschläge des VDS, der Vereinigung Deutscher Studentenschaften - oder durch gemeinsames Leben und Arbeiten in „Kollegienhäusern" ; das sind die Vorschläge des Wissenschaftsrates. Auch sollten - nach einem Vorschlag des VDS - vermehrt Zwischenprüfungen gehalten werden, damit ungeeignete Studenten rechtzeitig die Hochschule verlassen und nicht zu lange „mitgeschleppt" werden. Alle diese Maßnahmen dürfen jedoch nicht zu einer „Verschulung" der Hochschulen führen.
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Abgesehen von dieser noch zu prüfenden „Rationalisierung des Studiums" bleibt als Anpassung nur der schon genannte Ausbau der bestehenden Hochschulen und der Neubau. Die Bundesregierung fördert beide Vorhaben nach Kräften. Im einzelnen ist folgendes zu sagen.
Zum Ausbau von Hochschulen: Dem Ausbau liegt eine genaue Planung des Wissenschaftsrates für die Jahre 1960 bis 1964 zugrunde.
Der personelle Ausbau obliegt den Ländern. Die Bundesregierung leistet dazu insofern einen Beitrag, als sie zur Eingliederung von Wissenschaftlern, die aus der SBZ geflohen sind, den Ländern die Mittel für 500 Planstellen an den wissenschaftlichen Hochschulen zur Verfügung stellt, aus denen Hochschullehrer und wissenschaftliche Assistenten besoldet werden. Im Jahre 1962 wurden für diese Maßnahmen rund 7,6 Millionen DM aufgewandt; für das Jahr 1963 sind rund 9 Millionen DM veranschlagt.
Am materiellen Ausbau beteiligt sich der Bund mit jeweils 50 % der Kosten einzelner Bauvorhaben. Das Bauprogramm des Wissenschaftsrates für die Jahre 1960 bis 1964 erfordert Gesamtaufwendungen von 2,6 Milliarden DM, einschließlich der Ersteinrichtungen der neu errichteten Bauten. Der Bund hat dazu, ausgehend von seinem Bedarf von 2 Milliarden DM für die Jahre 1960 bis 1964 und unter Berücksichtigung seiner übrigen Verpflichtungen, folgende Leistungen erbracht: im Jahr 1960 = 120 Millionen DM, im Jahr 1961 = 150 Millionen DM, im Jahr 1962 = 200 Millionen DM.
Im Jahr 1963 wird er voraussichtlich 220 Millionen DM für den Ausbau der Hochschulen zur Verfügung stellen, zusammen 1960 bis 1963 690 Millionen DM.
Außerhalb der Mittel, die auf Empfehlungen des Wissenschaftsrates vergeben worden sind, hat das bisherige Bundesatomministerium für den Ausbau der Hochschulinstitute und sonstiger wissenschaftlicher Einrichtungen der Länder und für deren Ausstattung mit Geräten in seinem Zuständigkeitsbereich nachstehend genannte Zuschüsse gegeben: 1957 10 442 000 DM, 1958 27 312 000 DM, 1959 30 393 000 DM, 1960 32 660 000 DM, 1961 37 856 000 DM, 1962 51 082 000 DM, zusammen 189 745 000 DM.
Mit diesen Leistungen in den Rechnungsjahren 1960 bis 1962 konnte allen finanziellen Forderungen entsprochen werden, die an den Bund für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen gestellt wurden.
Der Bund ist gemeinsam mit den Landeskultusverwaltungen bemüht, das Tempo der Ausbaumaßnahmen im Rahmen der technischen Baukapazität zu beschleunigen, wie die laufende Steigerung seiner finanziellen Leistungen beweist. Mit folgenden
Maßnahmen dürfte eine weitere Beschleunigung des Hochschulbaues zu erreichen sein:
1. Prüfung, ob der Hochschulbau von allen hemmenden Maßnahmen zur Dämpfung der Baukonjunktur freigestellt werden kann.
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- Es ist Sache des Parlaments, hier Anregungen zu geben.
2. Beschleunigung der Bauplanung durch Entwicklung bestimmter einheitlicher Grundtypen für Institute der einzelnen wissenschaftlichen Fachrichtungen.
3. Beschleunigung des Baues durch Verwendung genormter Bauelemente.
Was die Errichtung neuer Hochschulen angeht, so wiederholt die Bundesregierung ihre Bereitschaft, die sie bereits in der Regierungserklärung vom 29. November 1961 abgegeben hat, „bei der Errichtung neuer wissenschaftlicher Hochschulen mitzuhelfen". Zur Zeit laufen Verhandlungen mit dem Senat der Freien Hansestadt Bremen über eine finanzielle Beteiligung des Bundes an einer Universität in Bremen. Das Bundeskabinett, das hierüber beraten hat, hielt das Projekt noch nicht für entscheidungsreif. Das Kabinett hat den zuständigen Minister beauftragt, die noch offengebliebene Frage, nämlich die Finanzierung der Investitionskosten, mit dem Bremer Senat zu klären. Abgesehen von Bremen liegen der Bundesregierung noch keine Finanzierungsersuchen für weitere neue Hochschulen vor.
Die bisher geschilderten Pläne und Maßnahmen beziehen sich auf den Ausbau der bestehenden Hochschulen bis 1964 und den Neubau weiterer Hochschulen bis 1970. Darüber hinausgreifende Pläne liegen noch nicht vor. Jedoch haben die einzelnen Hochschulen Vorstellungen über die Entwicklungen auf längere Frist erarbeitet; darauf aufbauend hat der Vorsitzende des Wissenschaftsrates versucht, in Annäherungswerten die Kosten der weiteren Entwicklung zu schätzen. Danach müßten für die zehn Jahre nach 1963 etwa 13 bis 15 Milliarden DM - 9 bis 10 Milliarden für den Ausbau bestehender Hochschulen und 4 bis 5 Milliarden DM für neue Hochschulen - aufgebracht werden. Geht man davon aus, daß 1962 für Hochschulbauten etwa 500 Millionen DM investiert wurden, so würde sich für die nächsten zehn Jahre der Jahresbetrag auf 1,5 Milliarden DM erhöhen, also verdreifachen. Auch die Bedürfnisse der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft werden nach den Schätzungen des Wissenschaftsrates in ähnlicher Weise ansteigen.
Über alle diese Erfordernisse wird jedoch der Wissenschaftsrat noch eingehende Prüfungen und Beratungen anstellen. Staat und Öffentlichkeit sollten sich rechtzeitig darauf einstellen, daß die Investitionen für unsere Wissenschaft erheblich verstärkt werden müssen. Eine arbeitsfähige Wissenschaft ist die Voraussetzung dafür, daß unser geistiges, wirtschaftliches und militärisches Potential erhalten bleibt und gestärkt werden kann. Die Anforderungen für die Wissenschaft werden von keiner anderen Staatsaufgabe an Dringlichkeit übertroffen, und wenn gespart werden muß - und es muß in den kommenden Jahren gespart werden -, darf nicht die Wissenschaft das erste Opfer sein.
Zur Frage 3: Der Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen wird nur dann zum gewünschten Erfolg führen, wenn es gelingt, genügend Nachwuchskräfte für den Beruf des Hochschullehrers heranzubilden. Dazu hat der Wissenschaftsrat in seinen „Empfehlungen" eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen: Aufbau des sogenannten akademischen Mittelbaues, Vermehrung der Stellen für wissenschaftliche Assistenten, die Reform der Hochschullehrerbesoldung u. a. mehr. Hierauf hat der Bund keinen Einfluß. Jedoch hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die zu 70 % vom Bund finanziert wird, die Möglichkeit, den Nachwuchs unmittelbar durch Forschungs-, Ausbildungs- oder Habilitandenstipendien und Forschungsfreijahre zu fördern. 1961 hat sie auf diese Weise über 2000 Stipendiaten gefördert.
Für Doktorandenstipendien gilt folgendes: Die Fritz-Thyssen-Stiftung hat 1961 und 1962 den Hochschulen je 1 Million DM für Doktorandenstipendien zur Verfügung gestellt. Diese Förderung läuft aus. Innerhalb des Honnefer Modells können Doktoranden ein Darlehen erhalten. Es wird geprüft, ob bei hervorragenden Leistungen im Examen das Darlehen in ein Stipendium umgewandelt werden kann. Auch werden hochbegabte Studenten, die häufig Hochschullehrer werden, von der Studienstiftung des Deutschen Volkes und den anderen Hochbegabtenstiftungen gefördert. Habilitandenstipendien werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft vergeben. Die erforderlichen Mittel wurden der Deutschen Forschungsgemeinschaft bisher von der FritzThyssen-Stiftung zur Verfügung gestellt, die damit den Start ermöglicht hat. In Zukunft stellt der Bund diese Mittel im Rahmen seiner allgemeinen Zuwendungen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft bereit. Für 1963 sind 3 Millionen DM vorgesehen. In den Rechnungsjahren 1961 und 1962 wurden 320 Habilitandenstipendien vergeben.
Alle diese Maßnahmen werden nach Auffassung der Bundesregierung dazu beitragen, die Zahl der notwendigen Lehrpersonen an den Hochschulen wesentlich zu erhöhen. Die Hauptverantwortung liegt jedoch bei den Hochschulverwaltungen und den Hochschulen selbst. Wenn die nötigen Stellen geschaffen und Ausbildungsmöglichkeiten bereitgestellt werden, wird man die geeigneten Anwärter an den Hochschulen halten können, und sie werden nicht in die Industrie oder ins Ausland abwandern. Hierher gehört auch die Einrichtung von Parallellehrstühlen, deren Schaffung jedoch häufig unterbleiben wird, bevor die Kolleggeldreform nicht verwirklicht ist. Wenn alle Beteiligten guten Willen zeigen, müßte genügend geeigneter Hochschulnachwuchs zu finden sein.
Zur Frage 4: Diese Frage gibt Veranlassung, zunächst zu sagen, was unter Planung verstanden wird. Im Deutschen wird „Planung" häufig mit der VorBundesminister Lenz
stellung von Zwangsjacke und Entmündigung verbunden. Diese Assoziationen sind jedoch falsch. Wenn der Staat im Wissenschaftsbereich plant, dann will er nicht etwa dirigistisch Einfluß nehmen auf den Inhalt der Forschung, sondern er will die Förderung, die er der Wissenschaft zukommen lassen will, vorausschauend überlegen. Angesichts der Unbegrenztheit der Forschungsthemen und angesichts der begrenzten öffentlichen Mittel muß der Staat für seine Förderung Schwerpunkte .bilden und Prioritäten festsetzen. Diese Planung richtet sich nicht gegen die Wissenschaft, sondern geschieht in engster Fühlung mit ihr im Wissenschaftsrat. Diese Art der Förderungsplanung wird immer die wissenschaftliche Unabhängigkeit und Freiheit des Forschers als oberstes Gesetz respektieren. Gute Beispiele solcher liberalen Planung sind die Empfehlungen des Wissenschaftsrates und das Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die vorhandenen Planungsunterlagen, nämlich die Feststellungen des Wissenschaftsrates, beziehen sich zunächst nur auf die wissenschaftlichen Hochschulen. Diese Unterlagen werden, wie zu Frage 1 hinsichtlich der Studentenzahl erläutert, laufend korrigiert und fortgeschrieben. Der Wissenschaftsrat wird in absehbarer Zeit weitere Unterlagen veröffentlichen, die sich auf die wissenschaftlichen Einrichtungen außerhalb der Hochschulen beziehen. Zu einem späteren Zeitpunkt wird sich die Planung verstärkt den Fragen zuwenden müssen, die sich auf die „Zubringer" zur Wissenschaft beziehen.
Die gegenwärtigen Planungsunterlagen sind als Unterlagen für erste staatliche Maßnahmen brauchbar. Sie bedürfen jedoch der Ergänzung, Verfeinerung und Fortschreibung. Dafür sind zunächst einmal die Grundtatbestände und Fragestellungen wissenschaftlich zu klären. Hier könnte ein „Wissenschaftliches Institut für Bildungsforschung", wie es die Max-Planck-Gesellschaft plant, neben der „Hochschule für internationale pädagogische Forschung" in Frankfurt nützliche Vorarbeit leisten. Die so gestellten Fragen müßten dann durch statistische Erhebungen beantwortet werden. Aber gerade die Stellen, die sich beim Statistischen Bundesamt und bei den Statistischen Landesämtern mit Bildungsstatistik befassen, sind unterbesetzt. Infolgedessen fehlt es noch weitgehend an statistischem Material.
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Zur Frage 5: Der Entwurf des Abkommens zwischen dem Bund und den Ländern, der aus vier Artikeln besteht, regelt in den ersten drei Artikeln eine bereits bestehende Verwaltungspraxis. Diese drei Artikel regeln die gemeinsame Finanzierung des Hochschulausbaues, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft sowie des Honnefer Modells durch Bund und Länder. Sehr wichtig ist die Einrichtung der in Abschnitt IV des Abkommenentwurfs vorgesehenen Kommission. Sie soll nach dem Vorbild der Verhandlungskommissionen, die dieses Abkommen ausgehandelt haben, aus je drei Bundesvertretern und drei Ländervertretern bestehen und sich, unbeschadet der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes, mit allen Bund
und Länder gemeinsam interessierenden Fragen beschäftigen können, allerdings keine Entscheidungsbefugnis haben, sondern lediglich als Kontaktkommission tätig werden. Aufgabe der Ständigen Kommission wird es insbesondere sein, das Zusammenwirken des Bundes und der Länder bei weiteren gemeinsamen Aufgaben zu erörtern und, soweit notwendig, entsprechende weitere Abkommen vorzubereiten.
Mit dem Abkommen ist einmal die rechtliche Fixierung der gemeinsamen Mitwirkung des Bundes und der Länder an der Förderung der Hochschulen, der wissenschaftlichen Organisationen und des wissenschaftlichen Nachwuchses zu erwarten. Damit werden feste Unterlagen für die Planung geschaffen. Darüber hinaus eröffnet die Kontaktkommission die Möglichkeit, auch weitere gemeinsame Aufgaben im gegenseitigen Einvernehmen anzugreifen. Das Bundeskabinett hat dem Abkommensentwurf zugestimmt. Leider haben sich einige Länder bisher noch nicht dazu entschlossen, obgleich gerade der amtierende Bundesminister des Innern alles getan hat, um zu einem Einverständnis zu gelangen. Das Abkommen ist keineswegs tot. Der von einigen Ländern angegebene Grund, daß erst der Finanzausgleich abzuwarten wäre, vermag nicht zu überzeugen. Erst muß über die Verteilung der Aufgaben Klarheit herrschen, dann kann die Finanzmasse verteilt werden.
Ein paar Worte zu Frage 6! Die Bundesregierung erwägt, ein Gesetz zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung vorzulegen. Dieses Gesetz hätte seine Bedeutung neben dem Bund-Länder-Abkommen. Es würde sich mit der Zuständigkeit des Bundes, nach Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes die wissenschaftliche Forschung zu fördern, beschäftigen, nicht aber weitere Zuständigkeiten für den Bund in Anspruch nehmen oder gar das neue Ministerium rechtlich fundieren. Dabei wäre, ohne daß die Freiheit der Forschung zur Debatte steht, die vorhandene Zuständigkeit des Bundes zu verdeutlichen, etwa dahin, daß der Bund selbst Forschungseinrichtungen errichten oder andere Forschungseinrichtungen bezuschussen kann. Es wird überlegt werden müssen, in welcher Weise das Parlament in verstärkter Weise über die Lage der wissenschaftlichen Forschung unterrichtet werden kann. Das Forschungsförderungsgesetz soll das Ob der Förderungszuständigkeit des Bundes ein für allemal feststellen, so daß nur das W i e der Förderung, z. B. die Bildung von Schwerpunkten und das Volumen der Mittel, jährlich neu zu klären bleibt.
Ich komme zur Beantwortung der letzten Frage, der Frage 7. Der Interministerielle Ausschuß für Wissenschaft und Forschung hat die Aufgabe, die Maßnahmen der Bundesressorts auf dem Gebiete der Wissenschafts- und Forschungsförderung aufeinander abzustimmen und sie zu koordinieren mit dem Ziele, nach Möglichkeit zu einer einheitlichen und in allen Einzelheiten abgestimmten Wissenschafts- und Forschungspolitik des Bundes zu gelangen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß der Koordinierung Grenzen von der Sache her ge2700
zogen sind, weil verschiedenartige Fragen nicht aufeinander bezogen werden können. Was jedoch durch Koordinierung zu erreichen ist, ist einmal eine Bestandsaufnahme und damit Bildung von Schwerpunkten, sodann die Anwendung gleicher Förderungsgrundsätze und -maßstäbe und schließlich die Vermeidung von Doppelförderung.
Der Ausschuß hat seine Arbeit vor drei Monaten aufgenommen. Er ist dabei, sich einen Überblick über die Tätigkeit der einzelnen Ressorts auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung zu verschaffen, desgleichen eine Übersicht über die Tätigkeit der wissenschaftlichen Organisationen und Stiftungen. Geplant ist eine Unterrichtung über die Forschungsplanung im Ausland.
Auf der Grundlage der so gewonnenen Bestandsaufnahme sollen gemeinsame Fragen gemeinsam beantwortet werden. Folgende Maßnahmen sind bereits eingeleitet: die Vorbereitung der Stellungnahmen des Bundes für den Wissenschaftsrat, Abstimmung des Funktionsplanes „Wissenschaftsförderung" im Bundeshaushalt, Altersversorgung von Wissenschaftlern an Forschungsanstalten, Vereinfachung und Vereinheitlichung von Bewilligungsbedingungen für die wissenschaftliche Forschung.
Da der Ausschuß erst seit drei Monaten arbeitet, sind seine Ergebnisse noch nicht berichtsreif. Seine volle Bedeutung wird der Ausschuß erst gewinnen, wenn nach Inkrafttreten des Bund-Länder-Abkommens die Stellungnahme der Bundesregierung in der „Ständigen Kommission" vorzubereiten oder nach Inkrafttreten des Forschungsförderungsgesetzes dem Parlament über die Lage der Wissenschaft zu berichten ist.
Erlauben Sie, daß ich abschließend noch die Gelegenheit zu einigen Klärungen und Hinweisen wahrnehme. Zuerst der Hinweis, daß die Errichtung des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung keinen Einbruch in die verfassungsmäßige Ordnung bedeutet. Der Bund will nur seine nach dem Grundgesetz ihm zustehenden Kompetenzen, die er schon seit Jahren unbestritten ausübt, Zusammenfassen, um sie verantwortlich und wirkungsvoll einsetzen zu können. Weite Gebiete, die grundsätzlich unter die Kulturhoheit der Länder fallen, bleiben von dem Aufgabengebiet meines Ministeriums unberührt. Auf den Gebieten, die Bund und Länder betreffen, hoffe ich mit den Ländern loyal und fruchtbar zusammenarbeiten zu können.
Gleichfalls unberührt bleiben Bestand und Aufgabenbereich der Selbstverwaltungsorganisationen der Wissenschaft; ich erwähne hier nur die MaxPlanck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Diese Einrichtungen haben sich ihren festen Platz im Gebäude der 'deutschen Wissenschaft geschaffen. Ich kann nur hoffen, daß diese großen Organisationen dadurch, daß sie ihre Tätigkeit wie bisher fortführen, mir meine Arbeit erleichtem helfen.
Besonders erwähnen möchte ich an dieser Stelle den Wissenschaftsrat, der bisher weit über die bei seiner Errichtung gestellten Aufgaben hinaus Autorität und Einfluß gewonnen hat. Man sollte diese Plattform, auf der Bund und Länder sowie Persönlichkeiten der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens zu gemeinsamer Arbeit einander treffen, auch für weitere Zeit verankern. An dieser Stelle möchte ich auch der vielen Wissenschaftler gedenken, die in den Instituten und Laboratorien 'der öffentlichen Hand und der privaten Wirtschaft uneigennützig ihre Arbeit getan und der deutschen Wissenschaft gedient haben.
Endlich möchte ich 'darauf hinweisen, daß die Errichtung des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung nicht die Aufgabe haben kann und soll, die speziellen Forschungvorhaben der einzelnen Ressorts zu zentralisieren. Ein Fachressort wird auf Grund seiner Fachkunde Ziel und Umfang seiner spezifischen Forschung am besten bestimmen und die Art und Weise der Forschung am wirtschaftlichsten organisieren können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht verfehlen, dem Herrn Bundesminister des Innern meinen Dank für seine bisher im Bereich der Wissenschaft geleistete Arbeit zu sagen, und möchte mich besonders bei ihm für die Mühe bedanken, die er sich bei der Vorbereitung der Antwort auf die Große Anfrage betreffend Wissenschaftsförderung und bei der Zusammenstellung der dafür notwendigen Fakten gegeben hat.
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Das Wort als
Mitglied des Bundesrates hat der Ministerpräsident
I des Landes Bayern, Herr 'Ministerpräsident Goppel.
Goppel, Ministerpräsident des Landes Bayern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Von der Möglichkeit, die unser Grundgesetz vorsieht, Ihnen in diesem Hohen Hause unmittelbar die Auffassung der Länder darzulegen, wollte der Präsident des Bundesrats, Herr Ministerpräsident Kiesinger von Baden-Württemberg, heute Gebrauch machen. Leider halten ihn die Folgen eines schweren Autounfalls noch im Krankenhaus fest. So habe ich an seiner Stelle die Ehre, Ihnen vorzutragen, wie die Länder der Bundesrepublik die Probleme sehen, denen Sie den heutigen Vormittag gewidmet haben, Probleme, die in erster Linie in den Aufgabenkreis der Länder gehören. Dabei freut es mich besonders, daß die Bundesregierung selbst angeregt hat, ein Mitglied des aus Ländervertretern zusammengesetzten Bundesorgans möge Ihnen die Auffassung der Länder unterbreiten.
Die Länder haben mit Interesse davon Kenntnis genommen, daß der Bund beabsichtigt, seine Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet der Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Anspruch zu nehmen. Das Interesse, um nicht zu sagen: die Neugierde, richtet sich darauf, wie man die Förderung der wissenschaftlichen Forschung in einem Gesetz festlegen wird, ohne die Freiheit von Wissenschaft und Forschung zu schmälern, die unser Grundgesetz gewährleistet. Das Interesse der Länder wird sich verständlicherweise auch darauf richten, welche Rolle sie bei der gesetzlich normierten
Ministerpräsident Goppel
Förderung der wissenschaftlichen Forschung spielen sollen. Man wird sich dabei wohl mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Zuständigkeit zur Gesetzgebung auch die Kompetenz für andere Maßnahmen in sich schließt, z. B. die Kompetenz zu haushaltsrechtlichen Maßnahmen, die in der Wirksamkeit ein Gesetz bisweilen durchaus übertreffen können.
Den Entwurf eines solchen Gesetzes wird man auch in Zusammenhang stellen müssen mit dem gleichfalls in Arbeit genommenen sogenannten Kulturabkommen zwischen dem Bund und den Ländern. Dieses Abkommen wird nicht dazu führen können, daß die Aufgaben zwischen dem Bund und den Ländern neu verteilt werden, sei es auch nur auf diesem einen Ausschnitt aus dem weiten Bereich staatlicher Belange. Das Abkommen soll Kontakte und Absprachen regeln, die für eine sinnvolle gemeinsame Arbeit im Dienste der Forschung unerläßlich sind. Es soll außerdem die finanziellen Leistungen des Bundes fundieren, die er in den letzten Jahren übernommen hat. Ich verhehle nicht, daß die Länder, indem sie dazu bereit sind, der Verfassungswirklichkeit Rechnung tragen. Das Abkommen läßt sich nicht getrennt von den Verhandlungen über die Verteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer betrachten. Diese Verteilung setzt voraus, daß man sich über die beiderseitigen Aufgaben einig ist, auch über die Aufgaben im Hinblick auf die Förderung der wissenschaftlichen Forschung.
Wenn wir überlegen, meine Damen und Herren, was zu tun sein wird, dürfen wir uns einen Blick zurück auf das gönnen, was bereits geschehen ist. Eine Würdigung von Entwicklung und Stand des deutschen Hochschulwesens darf nicht übersehen, daß wir nach 1945 vom Punkte Null ausgehen mußten, daß der Verlust geistiger Potenzen durch Abwanderungen wegen der Politik des Dritten Reichs noch nicht ausgeglichen ist und daß erst nach dem Abschluß des Deutschlandvertrags die Forschung auf verschiedenen Gebieten, in der Kernphysik und der Luftfahrt etwa, wieder einsetzen konnte.
Die Studentenzahl an den deutschen Hochschulen ist von 110 000 im Jahre 1950 auf 230 000 im Jahre 1962, also um mehr als 100 v. H., gestiegen. In den Jahren zwischen 1950 und 1958, für die internationale Vergleichsziffern vorliegen, war die Zunahme der Studenten in der Bundesrepublik stärker als in allen westeuropäischen Ländern mit der Ausnahme Schwedens. Demgemäß sind auch die Länderausgaben für die Wissenschaft weit stärker gestiegen als das Sozialprodukt und als die öffentlichen Haushalte schlechthin. So hat das Sozialprodukt von 1957 bis 1962 um 65 v. H. zugenommen. Die Länderausgaben für die Hochschulen sind aber um 125 v. H. nämlich von 662 Millionen auf 1486 Millionen DM, gestiegen.
Was ist 'das Ergebnis? Wohl liegt auf einer Reihe bedeutsamer Wissenschaftsgebiete der Akzent der Erfolge und Entdeckungen heute jenseits des Atlantiks. Doch diese Entwicklung hat schon bald nach 1930 eingesetzt, und es ist meist schwerer, verlorenen Boden wiederzugewinnen als Boden zu halten. Immerhin haben wir in vielen Disziplinen den
Anschluß an den internationalen Stand gefunden, wenn wir auch auf einigen Wissensgebieten noch von den Spitzenleistungen des Auslands, besonders in den USA, lernen müssen. Das sind vornehmlich die Gebiete, auf denen der Verlust an geistigem Potential nach 1933 besonders schwer wiegt und wo auch der Einsatz ausnehmend hoher Mittel erforderlich ist, wie z. B. in der Physik und in der Astronomie. Dennoch haben unsere Hochschulen trotz mancher äußeren Beengtheit wieder einen festen und geachteten Platz im zwischenstaatlichen geistigen Leben. Ihre Diplomanden und Doktoranden sind von der Wirtschaft des In- und Auslands begehrt, ja manchmal umworben. An 'den internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaftsunternehmungen - ich nenne nur als ein Beispiel für viele CERN, das Centre Européen des Recherches Nucléaires - wirken junge 'deutsche Gelehrte in allseits anerkannter und fruchtbarer Weise mit.
Wenn in den vergangenen achtzehn Jahren die Hörsäle oft noch überfüllt waren, wenn es zu wenig Seminare, Labors und Klinikräume gab, so ist dem Lehrkörper der deutschen Hochschulen doppelt für seine Leistung zu danken. Ein großer Teil unseres wirtschaftlichen Wiederaufstiegs und unserer demokratischen Fundierung ist der stillen, oft entsagungsvollen Arbeit der Gelehrten, aber auch ihrer Assistenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter zuzuschreiben.
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Ich darf daher im Sinne meiner Kollegen, besonders der Herren Kultusminister, nicht zuletzt aber auch dieses Hohen Hauses sprechen, wenn ich dieses Verdienst ausdrücklich und dankbar in diesem Hohen Hause erwähne.
Vorgestern war ich einige Stunden mit den Herren Rektoren der bayerischen Landesuniversitäten zusammen. Übereinstimmend sagten sie mir, es bestehe, was den Fortschritt der Wissenschaft in Deutschland anlange, kein Grund zu Pessimismus. Ich möchte nicht versäumen, dieses Wort an Sie, meine Damen und Herren, weiterzugeben und es vor allem jenen zuzurufen, die aus solchem Pessimismus Kapital schlagen möchten.
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Was kommt auf die Länder zu? Wenn auch die Schätzungen der Studentenzahlen bis 1980 erheblich schwanken, stimmen doch die Berechnungen darin überein, daß der Zugang deutscher Studenten zu den Hochschulen nur noch bis 1964 geringfügig zunimmt, dann aber in Auswirkung der Kriegsjahre ein Rückgang einsetzt und erst etwa 1970 die heutigen Zahlen wieder erreicht werden. Der Herr Bundesminister hat Ihnen soeben die Zahlen deutlich vorgetragen.
Die Studentenschaft wird sich aus drei Gruppen zusammensetzen: den Abiturienten der Gymnasien und Oberrealschulen, denen, die über den Zweiten Bildungsweg zur Universität kommen, und den jungen Menschen aus dem Ausland, die an unseren Hohen Schulen eine solide Ausbildung erhalten wollen.
Ministerpräsident Goppel
Der Blick auf die Abiturienten erlaubt einen Seitenblick auf die Leistungen der Länder auf der Vorstufe der Hochschulbildung. Die Länder und Gemeinden haben allein im Jahre 1961 für das Schulwesen 5,7 Milliarden an laufenden Ausgaben aufgebracht. 1970 werden hierfür 9,2 Milliarden, nach einer anderen Schätzung sogar 11,6 Milliarden - in einem einzigen Jahr - nötig sein. Die einmaligen Ausgaben für Grunderwerb, Bau und Einrichtung belaufen sich von 1963 bis 1970 auf insgesamt 40 Milliarden, nach einer anderen Schätzung sogar auf 48 Milliarden, Mittel, die von Ländern und Gemeinden aufzubringen sind. Diese Zahlen, die jeden Finanzminister erbleichen lassen, dürfen uns allerdings nicht schrecken. Wir müssen sie kennen, um abschätzen zu können, was wir allein der Ausbildung v o r der Universität und der Technischen Hochschule schuldig sind.
Es versteht sich, daß daneben auch der Zweite Bildungsweg kräftig zu fördern ist. Das ist nicht nur die Pflicht eines Staates, der sich Sozialstaat nennt, eine Pflicht dem Nächsten gegenüber. Das ist eine nationale Notwendigkeit; im harten Wettbewerb werden wir es uns nicht leisten können, wertvolle Begabungen im Volke brach liegen zu lassen. Die anzustrebende verstärkte Förderung Begabter auf ihrem zweiten Bildungsweg wird auf den Zustrom zu unseren Hohen Schulen nicht ohne Einfluß bleiben.
Beim Ausländerstudium in der Bundesrepublik gilt es, die rechte Mitte zu finden zwischen dem deutschen Beitrag zur Entwicklungs- und Bildungshilfe und der Abwehr des Zustroms ungenügend vorgebildeter Ausländer zu den deutschen Hochschulen, der ihrem Ruf und Ansehen im Ausland schaden könnte. Die Überprüfung der ausländischen Vorbildungsnachweise ist hier der zentrale Punkt, dessen sich die Kultusministerkonferenz demnächst in einer Arbeitstagung annehmen will.
Manche berechnen den Ansturm auf die Hohen Schulen nicht von der Zahl der Abiturienten her. Sie schließen statt dessen vom Wachstum des Sozialprodukts auf den Bedarf an Akademikern, die dieses Wachstum tragen sollen. Als Stichwort nenne ich nur den Ersatz der blauen durch die weißen Kittel in den Betrieben bei zunehmender Automation. Da nun die OECD ein Wachstum des Sozialprodukts um 50 v. H. bis 1970 fordert, errechnen die so vorgehenden Fachleute ein Anwachsen der Studentenzahl bis 1980, wie sie soeben schon hörten, auf fast das Doppelte des jetzigen Bestandes, also auf etwa 400 000. Es ist völlig offen, ob diese Erwartung sich realisiert. Jedenfalls wird es gut sein, die Entwicklung von der einen wie von der anderen Plattform aus sorgfältig zu beobachten, damit die Bedürfnisse rechtzeitig erkannt werden und zu Zeiten Vorkehrungen getroffen werden, ihnen zu genügen. Sie 'dürfen, meine sehr verehrten Damen und Herren, versichert sein, daß die Länder größte Aufmerksamkeit auf diese Entwicklung richten werden.
Auf jeden Fall stehen wir vor der Aufgabe, unsere Hochschulen dem jetzt schon bestehenden und
dem zu erwartenden Bedarf sowohl von der Wissenschaft wie von der Zahl der Studenten her anzupassen. Erlauben Sie, daß ich voranstelle, wie hoch die Länder diesen Bedarf veranschlagen.
Die Bedarfserhebung 'der Kultusministerkonferenz hat den Bedarf für 1962 bis 1970 mit insgesamt 6,8 Milliarden für die schon bestehenden Hochschulen geschätzt; hierzu treten weitere 2,7 Milliarden für die neu zu gründenden Hochschulen. Selbstverständlich kosten die Neugründungen weit mehr als 2,7 Milliarden, da allein die Kosten einer großen neuen Universität 1 Milliarde überschreiten dürften. Doch bis 1970 wird ein größerer Betrag für die neuen Hochschulen als 2,7 Milliarden technisch und planerisch nicht zu verkraften sein.
Der personelle Ausbau der Hochschulen und 'der zu erhöhende Sachaufwand wird die Länder nötigen, ihre laufenden Aufwendungen allein für die wissenschaftlichen Hochschulen von 986 Millionen im Jaher 1961 auf 2,1 Milliarden im Jahre 1966 und - bei kontinuierlicher Weiterentwicklung - auf 2,6 Milliarden im Jahre 1970 zu steigern.
Die Wirksamkeit der für Bauten aufzuwendenden Mittel wird man erhöhen müssen. Einige Wege dazu wurden heute bereits angedeutet. Ich denke hier an die Standardisierung und Typisierung von Bauprogrammen, an die Rationalisierung der Bauweisen und ähnliche technische Maßnahmen, wie sie soeben durch ein von den Ländern errichtetes Archiv für Hochschulbauten und eine besondere Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrates vorbereitet werden.
Wesentlich aber sind nicht nur die Gebäude, die wir für unsere Hochschulen errichten. Es kommt vor allem darauf an, so viele Lehrstühle zu haben, daß der Student nicht einem Massenlehrbetrieb ausgesetzt ist. Andererseits genügt allein die Zahl der Lehrstühle nicht; es kommt darauf an, daß bestqualifizierte Persönlichkeiten sie innehaben. Die Länder haben vor, die planmäßigen Lehrstühle an den wissenschaftlichen Hochschulen von 3200, wie wir sie 1961 hatten, auf 4600 im Jahre 1966 zu erhöhen.
Wie sieht es nun mit der Besetzung dieser Lehrstühle aus? 1945 bis 1960 wurden an den deutschen Hochschulen 3363 akademische Nachwuchskräfte habilitiert. Diese Zahl der Habilitanden bei damals 3100 Lehrstühlen war zwar einigermaßen ausreichend, ist aber wohl einer Steigerung fähig und bedürftig. Die Kultusministerkonferenz hat im Jahre 1961 beschlossen, auf die Hochschulen im Sinne einer angemessenen Vermehrung der Habilitationen einzuwirken und außerdem befähigte wissenschaftlich ausgewiesene Praktiker zur Besetzung von Lehrstühlen heranzuziehen, was besonders im Bereich der technischen Wissenschaften und der Architektur schon laufend geschieht. Qualifizierte Wissenschaftler erhalten heute aus der Wirtschaft so verlockende Angebote, daß die Länder nicht umhinkönnen, auch die Besoldung der akademischen Lehrer anziehend zu gestalten. So soll das überkommene Kolleggeld abgelöst werden durch ein System variabler Lehrzulagen. Daneben soll die Besoldung der Ordinarien angehoben werden, so daß künftig Spitzenbezüge bis zu 55 000 DM im
Ministerpräsident Goppel
Jahre möglich sind und damit Abwerbungen des Auslands eher vermieden werden können. Die Attraktivität der Hochschullehrerlaufbahn wird dadurch erhöht, die Schaffung von Parallellehrstühlen dadurch erleichtert werden.
Es ist aber ebenso unumgänglich, die Inhaber der Lehrstühle zu entlasten. Deswegen sollen von 1961 bis 1966 die Stellen für wissenschaftliche Assistenten von 10 000 auf 20 000 vermehrt werden, womit auch eine breitere wirtschaftliche Basis für den wissenschaftlichen Nachwuchs bereitet wird. Allein die Besoldung dieser 10 000 neuen Assistenten bedingt einen jährlichen zusätzlichen Aufwand der Länder in Höhe von etwa 150 Millionen DM. Dazu kommt ein neuer Personalaufbau im Lehrkörper der Hochschulen in Form des akademischen Mittelbaus; es handelt sich um die Wissenschaftlichen Räte und Abteilungsvorsteher, um die Studienräte im Hochschuldienst und die Akademischen Räte. Teils soll dieser Personenkreis mehr didaktische Aufgaben erfüllen, teils aber die Lehrstuhlinhaber auf Spezialgebieten entlasten oder wissenschaftliche Sonderaufgaben erfüllen. Die Schaffung dieser Planstellen erfordert Änderungen der Beamten- und Besoldungsgesetze. Die Stellen für diesen sogenannten gehobenen akademischen Mittelbau sollen von 2500 auf 5800 vermehrt werden. Schließlich wird es notwendig sein, gleichfalls von 1961 bis 1966 das technische Personal und das Verwaltungspersonal der wissenschaftlichen Hochschulen von 40 000 auf 73 000 Menschen zu erhöhen. Ich möchte wiederholen, was ich anfangs sagte: zusammen mit den. erhöhten Sachaufwand wird dieser personelle Ausbau der Hochschulen die laufenden Aufwendungen der Länder von 986 Millionen DM im Jahre 1961 auf 2,1 Milliarden DM im Jahre 1966 und bei kontinuierlicher Weiterentwicklung auf 2,6 Milliarden DM im Jahre 1970 erhöhen.
Neben diesem Ausbau an Bauten, Einrichtungen und im Personal erwägen einzelne Länder und Hochschulen eine Änderung und Auflockerung unserer Fakultätsverfassungen unter Berücksichtigung ausländischer Vorbilder. So wird das amerikanische Departmentsystem auf seine Eignung geprüft, eine Einrichtung, bei der etwa 15 bis 20 Professoren gemeinsam über Gruppen von Assistenten, technischem und Verwaltungspersonal verfügen, also über einen gemeinsamen Mittel- und Unterbau. Es wird ein Team geschaffen, das sich besser, als das im Institutssystem möglich ist, ergänzen kann. In Bochum sollen, wie Sie wissen, die Fakultäten durch Abteilungen ersetzt werden, um so, unter Ausnutzung der inneren Zusammenhänge, auch die wissenschaftliche Wirksamkeit zu verstärken.
Auch von einer ganz anderen Seite her zeichnen sich Möglichkeiten ab, die Wirksamkeit unserer aufwendigen Maßnahmen zu erweitern, nämlich von der Verkürzung der Zeit des Studiums und von der rationelleren Ausgestaltung der Studiengänge her. Die Verlängerung der Studienzeiten ist eine viel beklagte Erscheinung, die meist mit der Verbreiterung der einzelnen Wissenschaftsgebiete und ihrer Spezialisierung begründet wird. Kernphysik und Kernchemie, Virologie, Regeltechnik, Wirtschaftsingenieurwesen - um nur ein paar Beispiele zu nennen - waren vor einigen Jahren oder Jahrzehnten noch unbekannte Begriffe, stehen aber heute im Mittelpunkt ganzer Disziplinen, ja Industrien. Ihre Erforschung und Darstellung verlängert naturgemäß die normalen Studienzeiten. Auch im Ausland spielt das Weiterstudium der schon Graduierten eine immer größere Rolle. Die Kultusminister und die Rektoren der westdeutschen Hochschulen haben jedoch eine gemeinsame Kommission eingesetzt, um die Studien- und Prüfungsordnungen zu überarbeiten und zu koordinieren. Von dieser Seite können Verkürzungen und Reformen der Studiengänge überprüft und den Ministerien sowie den Hochschulen empfohlen werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor Ihnen ausgebreitet sind die Pläne und die Kostenvoranschläge der Länder für den weiteren Ausbau ihrer wissenschaftlichen Hochschulen. Von einem einzelnen Land war nicht die Rede. Allein daraus mögen sie ersehen, wie eng die Länder auf diesem Gebiet, dem wir heute unsere Aufmerksamkeit zuwenden, zusammenarbeiten. Sie haben sich für diese Zusammenarbeit in der Kultusministerkonferenz und ihren Ausschüssen für das Schulwesen, das Auslandsschulwesen, für Hochschulfragen und Kunstfragen ein sehr wirkungsvolles Organ geschaffen. Sie stützen sich dankbar auf die wertvollen Ergebnisse der Arbeit gemeinsamer Einrichtungen von Bund und Ländern, des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen und des Wissenschaftsrates und seiner Kommissionen. Die Länder halten es nicht für erforderlich, weitere Gremien zu schaffen.
Was not tut, ist, die Mittel aufzubringen, die ein moderner Kultur- und Industriestaat seiner Wissenschaft zur Verfügung stellen muß. Der Anteil des Volkseinkommens, der dafür aufgewendet wird, sollte nicht unter 1 v. H. liegen. Wenn das Sozialprodukt bis 1970 um die Hälfte seines jetzigen Standes wachsen soll, werden wir statt der 2,1 Milliarden, die Bund und Länder im Jahre 1961 für die Förderung der Wissenschaft aufgebracht haben, annähernd 4 Milliarden im Jahre aufzubringen haben. Diesen Aufwand sind wir den Menschen schuldig, die in unserem Staat leben. Sie sollen ihre Geistesgaben so gut wie möglich entfalten können zu ihrem eigenen Vorteil, aber auch zum Nutzen der Gemeinschaft, die ihnen Sicherheit und Daseinsvorsorge gewährt. Bildung und Ausbildung sollen den Menschen befähigen, mit seiner Zeit und ihren Erscheinungen fertig zu werden. Damit wird dieser Mensch auch seinen Beitrag leisten können zur Sicherheit der Gemeinschaft. Ohne das Instrumentarium der modernen Technik und der Naturwissenschaft, aber auch ohne die innere Kraft, die andere Wissenschaften verleihen, wird es nicht möglich sein, die Freiheit unserer Gemeinschaft in der Härte der Auseinandersetzungen unserer Gegenwart zu behaupten. Die hohen Aufwendungen zur Förderung unserer Wissenschaft sind der Preis für die innere und äußere Freiheit unserer Nation.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind inzwischen ermahnt worden, uns kurz zu fassen. Ich möchte versuchen, die Stellungnahme der CDU in einer halben Stunde zusammenzupressen, wenngleich mir das schwerfällt; denn Herr Lohmar hat den ersten Teil seiner Ausführungen mit einer Polemik aufgefüllt, die ich nicht hinnehmen kann.
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Ich muß dazu einige Bemerkungen machen.
Es ist seit Jahr und Tag bei der SPD üblich, im Bundestag Wissenschaftsfragen so zu isolieren, daß der fälschliche Eindruck entsteht, als ob die SPD die fortschrittliche, wissenschaftsbeflissene Partei sei und wir dem nur zögerlich folgten. Meine Damen und Herren, die Dinge liegen anders. Wenn Herr Lohmar seine Unterlagen konsultiert hätte, die ich ihm laufend zusende, dann hätte er einen anderen Weg beschreiten können. Er hätte hier vortragen können, daß die Bundesrepublik wie kein anderes Land die Aufwendungen für die Wissenschaft prozentual und absolut in jedem Jahr laufend erhöht hat. Es ist schon ein ganz erheblicher Faktor, wenn die Bundesrepublik, die nur eine ganz schmale Kompetenz hat, in diesem Jahr 1,7 Milliarden für wissenschaftliche und kulturelle Zwecke auswirft. Dasselbe könnte ich für die auswärtige Kulturpolitik sagen. Und, Herr Lohmar, ich müßte Sie daran erinnern, daß es jeweils die Mitbeteiligung der Bundesregierung gewesen ist, die die großen Schritte in der Wissenschaftspolitik ermöglicht hat. Das trifft zu für das Honnefer Modell, das trifft zu für den Wissenschaftsrat, das trifft zu für den Ausbau der internationalen Beziehungen. Es kann also gar keine Rede davon sein - dieser Mythos muß endlich einmal erledigt werden -,
({1})
daß Sie etwa in Fortsetzung des Satzes „Wissenschaft ist Macht" oder dergleichen jeweils die Initiatoren gewesen wären. Herr Lohmar, es gibt ja eine Wissenschaftsmythologie im Marxismus, an der Sie heute noch schwer tragen. Wir sind gar nicht an solchen Dingen interessiert, sondern an einer sachlichen Diskussion über die Fakten, die hier vorgelegt worden sind.
Herr Lohmar, Sie haben auch unrecht in der Sache, wenn Sie sich hier an den Bundeskanzler hängen. Ich darf Ihnen mitteilen, daß der Herr Bundeskanzler schon im vorigen Jahr die Absicht hatte, einen Wissenschaftsminister zu kreieren.
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- Die Einsprüche dagegen sind nicht aus diesem Hause, auch nicht von Ihnen, gekommen, sondern von einer Stelle, die Sie kennen und die ich hier nicht zu bezeichnen brauche. Also das ist schon in bester Ordnung.
Im übrigen, Herr Lohmar, hat man wahrscheinlich doch sehr wenig vorzutragen, wenn man seine Polemik an einem nichtkorrigierten Druckfehler aufhängen muß. Zumindest spricht es nicht gerade dafür, daß man viel wissenschaftspolitische Substanz aufzuweisen hat.
Nachdem das also erledigt ist, möchte ich zunächst einmal meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß es der CDU gelungen ist, heute die beiden Organe des Bundes, nämlich die Bundesregierung und den Bundesrat, hier zu Worte kommen zu lassen.
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Die Fragen der SPD forderten ja geradezu heraus. Denn, Herr Lohmar, Ihre Fragen waren ja an die Adresse der Länder weiterzugeben. Da wir aber der Meinung sind, daß es höchst nützlich ist, einmal festzustellen - ({4})
- Herr Lohmar, Sie können später das Wort nehmen. Nicht daß ich Ihre Fragen scheute, aber ich bin jetzt in Fluß.
Einen Augenblick, Herr Kollege Martin! Ich höre, daß Sie eine halbe Stunde sprechen wollen. Ich muß darauf halten, daß diese Diskussion möglichst gegen 1 Uhr zu Ende ist, sofern ich nicht für morgen noch eine Plenarsitzung ansetzen soll. Wir wollen heute nachmittag um 14.30 Uhr pünktlich mit der Debatte zum Grünen Plan beginnen. Ich schätze, daß diese Debatte zum Grünen Plan mindestens den ganzen Nachmittag und Abend in Anspruch nimmt. Wir brauchen den Freitag für die außerordentlich schwierige Umsatzsteuerdebatte und einiges andere. Ich bitte also, darauf Bedacht zu nehmen. Ich bin offen dafür, wenn die Sitzung heute über 9 Uhr hinaus verlängert werden soll. Aber wir sind unter Zeitdruck. Deshalb appelliere ich an Sie, knapp, kurz, präzise, meinetwegen auch mit Härte die Standpunkte klarzulegen.
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Herr Präsident, wir werden uns bemühen, wenn das nicht auf Kosten der Wissenschaft geht.
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Es ist also gelungen, heute einmal klarzustellen, daß die Fragen der Wissenschaft, Forschung und Bildung Fragen des ganzen Volkes sind. Die Verantwortlichkeiten zwischen Bundesregierung und den Ländern werden hier klargestellt. Ich glaube, daß deshalb dieser Tag für die Kulturpolitik in unserem Lande ein denkwürdiger Tag ist, für die Kulturpolitik, die zuletzt doch eine sein muß. Unser Volk will wissen, „wie alles sich zum Ganzen webt, eins in dem andern wirkt und lebt". Das ist der Föderalismus, den wir zeigen wollen.
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Ich will jetzt nicht nachzeichnen, was die Redner in vorzüglicher Form vorgetragen haben. Jetzt
kommt es darauf an, zu zeigen, was politisch mit diesen Dingen zu machen ist. Ich würde dazu folgendes sagen. Die Zahlen, die vorgelegt worden sind, zeigen vor allem eins. Der Studentenüberhang, der heute besteht und der, wie man weiß, seit Jahrzehnten besteht, wird uns noch lange beschäftigen. Die Anstrengungen des Wissenschaftsrates, der Ausbau der Universitäten, selbst die Neugründungen werden nicht dazu führen, daß wir in absehbarer Zeit eine ausreichende Kapazität an unseren Universitäten haben werden. Das ist das eigentliche Fazit. Wir werden noch lange einen Studentenüberhang haben, der sich auf 20- bis 50 000 beläuft. Alle Maßnahmen, die bisher getroffen worden sind, werden nicht dazu führen, diesen Studentenüberhang in absehbarer Zeit zu beseitigen. Darin sind sich der Herr Präsident des Bundesrates und der Herr Minister für wissenschaftliche Forschung vollkommen einig.
Hier müssen die Überlegungen, was zu tun ist, ansetzen. Ich würde Herrn Lohmar in einem Punkt recht geben.
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- Zunächst einmal, Herr Lohmar! Sparsam, nicht zu eilig mit dem Koalitionsbedürfnis; ich bin gar nicht dafür. - Ich würde Ihnen in einem Punkt recht geben. Ich kann das auch deshalb tun - nun wieder mildernd -, weil ich das bereits voriges Jahr hier ausgeführt habe. Es scheint mir sehr fraglich zu sein, ob die Gründung von vier neuen Universitäten ausreichend ist und unseren Bedürfnissen entspricht. Man braucht nicht so weit zu gehen wie der Herr Anrich in Darmstadt und 15 neue Universitäten zu fordern. Aber ich glaube doch, daß wir ernsthaft überprüfen müssen, ob diese Zahl ausreicht und ob nicht die Überlegungen des Wissenschaftsrates insoweit überholt sind und korrigiert werden müssen. Das ist der erste Punkt.
Dazu gehört selbstverständlich, daß man den Aufbau der neuen Universitäten mit großem Nachdruck betreibt. Wenn man alle Akten und Dokumente durchsieht, kommt man darauf, daß man von einer Schuldfrage - und das ist das schwierige - eigentlich nicht reden kann, weder bei den Ländern noch beim Bund. Was dazwischen steht, sind objektive Hemmnisse: Fragen der Konjunktur und ihrer Dämpfung, Fragen der Baukapazität und schließlich die Frage der Insuffizienz der Bauverwaltungen, die nicht in der Lage sind, zügig das zu leisten, was wir brauchen. Aber es muß gesagt werden: der Bundestag sollte sich darüber einig sein, daß die Frage der Neugründungen in bezug auf die Zahl neu überlegt und daß gleichzeitig die Neugründungen intensiviert und gefördert werden sollten.
Bei dieser Situation muß man sich selbstverständlich fragen - dieser Punkt ist hier auch angeschnitten worden -: gibt es nicht noch andere Wege, um den Stundentenüberhang zu beseitigen? Muß sich nicht die Wissenschaft selber etwas einfallen lassen? Stehen wir vor dem Tatbestand, daß wir zwar einen beachtlichen materiellen Ausbau unserer Hochschulen vor uns haben, sich aber in den Universitäten nicht in ausreichendem Maße der reformerische Wille regt, den man auch braucht? Es ist
die Frage: Ist die Kapazität unserer Universitäten wirklich ausgelastet, eine Kapazität, die, wie wir gehört haben, jährlich Milliarden kostet? Hier muß man sich etwas einfallen lassen.
Nun würde ich von vornherein sagen, von Straffung des Studiums, von Verkürzung des Studiums ist in der Tat nicht viel zu halten. Der Stoff des Wissens ist so angestiegen, die Beherrschung der Methodik in jedem einzelnen Fach so schwierig geworden, daß man da sehr schwer etwas wird tun können. Man wird umgekehrt wahrscheinlich sagen müssen, daß die Studienordnungen veraltet sind gegenüber der Entwicklung der Wissenschaft.
Ich würde also dieses Argument: „Der Wissensstoff hat sich enorm ausgeweitet" durchaus aufnehmen. Aber ich würde nicht - wie in dem Regierungsbericht - etwa von Trimestern sprechen. Der Umstand jedoch, daß zwischen zwei Semestern ein großer Raum zur Verfügung steht, ist etwas, was man zu überlegen hat. Ich plädiere für Ergänzungsvorlesungen, Ergänzungsseminare, Ergänzungspraktika in den Semesterferien. Der eigentliche Engpaß an den Universäitäten entsteht im Grunde genommen nicht bei der großen Vorlesung. Ich wage zu sagen, es ist nicht so entscheidend, ob da 200, 400 oder 600 Leute sitzen. Der Engpaß entsteht dann, wenn ein Arbeitsplatz im Chemischen Institut, im Physiologischen Institut oder im Physikalischen Institut gebraucht wird. Ich bin der Meinung, daß man zwischen den Semestern ansetzen muß. Dabei müssen sich die Länder darüber klar sein, daß das erneute Anforderungen personeller und finanzieller Art bedeutet. Denn Ergänzungskurse dürfen nicht bedeuten, daß der Forscher daran gehindert wird, in der vorlesungsfreien Zeit seiner Arbeit nachzugehen. Ergänzungskurse sind nur möglich durch mehr Professoren, Assistenten und Dozenten.
Diesen Weg sollte man mit Intensität beschreiten. Denn es ist unerträglich, zu sehen, daß der Studentenüberhang bei aller Anstrengung der Länder nicht beseitigt werden kann.
Ich komme zum zweiten Punkt: Planungsunterlagen, die Herr Lohmar hier angesprochen und nach denen er gefragt hat.
Die Frage nach den Zahlen, Herr Lohmar, die Sie bezüglich der Studenten gestellt haben, kann jetzt niemand beantworten, auch die Regierung nicht. Sie wissen, daß Herr Edding im Sommer eine Berechnung für die Zeit 1970/80 vorgelegt hat. Aber bei Herrn Edding selbst spaltet sie sich bereits, weil er nicht weiß, ob im Jahre 1980 3 % oder 2,2 % der Abiturienten da sind; und Herr Heim hat ganz andere Zahlen. Ich freue mich sehr, daß Sie die Weisheit der Bundesregierung so hoch veranschlagen, daß Sie der Meinung sind, sie könne etwas beantworten, was gelehrte Kommissionen bis heute nicht haben beantworten können. Das freut mich; aber ich selbst würde die Weisheit einer Regierung nicht so hoch veranschlagen wollen.
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- Nachher, Herr Lohmar.
Ich bin in dieser Sache folgender Meinung. Man muß selbstverständlich planen. Ich habe keine Angst vor dem Wort „Planung"; im Gegenteil. Das Beispiel der Franzosen und Engländer ist hier zitiert worden. Sie geben die Möglichkeit des Vergleichs. Das, worauf es mir ankommt, ist folgendes. Man muß ja sehen, daß bei der Bundesregierung die großen Erfahrungsbereiche Sozialpolitik, Außenpolitik, Wirtschaftspolitik sind. Auf diese Bereiche kommt es für die Bildungsplanung entscheidend an. Wissenschaftspolitik ist ja heute nicht mehr nur Kulturpolitik, sondern sie steht in einer strengen Interdependenz zur Wirtschaft, zum Sozialen und zur Außenpolitik. Nur die Erfahrung der Bundesregierung kann im Grunde genommen darüber etwas aussagen, was in der nächsten Zeit erforderlich ist.
Mit anderen Worten: der Sachverstand der großen Ministerien muß in Kontakt gebracht werden mit der Exekutive der Länder, und die Bundesregierung muß die Möglichkeit haben, von den Ländern zu erfahren, wie sie die Dinge sehen und darstellen. Mit anderen Worten: wir treten für einen ständigen Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern ein; wobei man sich über die Form unterhalten kann. Der Informationsaustausch kann von der Kontaktkommission getragen werden, die in dem Verwaltungsabkommen vorgeschlagen ist, er kann von der Kultusministerkonferenz unter Hinzuziehung des Bundes und selbstverständlich unter ständiger Mitwirkung der Wissenschaft getragen werden; Politik kann man heute nirgends mehr machen ohne Hinzuziehung der Wissenschaft.
Zum Bildungsrat ein offenes Wort. Wenn Sie dieses Wort entmythologisieren wollen und wenn Sie nichts weiter meinen als den Erfahrungsaustausch zwischen Bund und Ländern unter Hinzuziehung von Experten, dann können wir darüber reden. Aber ein repräsentatives Organ, das eben wesentlich nur repräsentativ ist, möchten wir nicht. Wir wollen, daß die Kulturpolitik innerhalb der etablierten politischen Organe gemacht wird, die verantwortlich sind und die Vorschläge auch in konkrete Politik übersetzen können. An Reden sind wir nicht interessiert, sondern an Politik.
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Über die Form - wir werden Ihnen dazu Vorschläge machen - werden wir uns einigen.
Herr Lohmar, das Grundproblem ist ja folgendes: Wir haben eine sichere Außenpolitik - ich meine jetzt die Methodik -, eine sichere Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik. In der Außenpolitik unterhält man sich seit Thucydides darüber, daß balance of power und cheque of power die Grundregeln der Außenpolitik sind, und den Außenpolitikern ist bis zu Max Weber auch nichts Neues dabei eingefallen. Aber in der Kulturpolitik und in der Wissenschaftspolitik verfügen wir nicht über eine Theorie und Praxis, wie die anderen großen Sachgebiete sie haben. Zur Theorie und Praxis gehören die ständige Beobachtung der Situation, die regelmäßige Tatbestandsaufnahme, die Feststellung von Entwicklungstendenzen, Planung und Koordination, die Sachgebiete in Einklang bringen mit dem Gesamtwohl, mit den anderen großen Staatsaufgaben, auf
gut deutsch: Welche Rolle spielen wir im Haushaltsplan? Das alles müßte entwickelt werden. Wir alle sind dafür verantwortlich, daß man sich in zehn Jahren in der Kultur- und Wissenschaftspolitik so sicher bewegen kann wie die beneidenswerten Kollegen von der Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik und Außenpolitik.
Ich bin der Meinung, daß auf diese Weise ein Bericht entstehen sollte. Ich würde nicht sagen: in jedem Jahr. Sie wissen genau, daß das nicht zu schaffen ist. Legen wir uns einmal darauf fest: einen periodischen Bericht über den Stand der Wissenschaft und der Bildung in unserem Lande, der dann allerdings nicht nur dem Bundestag, sondern auch den Landtagen vorgelegt werden muß, damit die Kulturpolitik ihre Versachlichung erfährt. Denn die großen Fragen der Kulturpolitik, nämlich die anthropologischen Entscheidungen, worum es uns eigentlich geht, wenn wir Kulturpolitik machen, sollten erst diskutiert werden, wenn man sich über die Sachen verständigt hat.
Meine Damen und Herren, hier sind eindrucksvolle Zahlen genannt worden. Es ist sicher für die deutsche Öffentlichkeit ein Novum, zu hören, daß die Länder in einem erstaunlichen Maße ihre Leistungen steigern. Wenn man sieht, daß die laufenden Aufwendungen für das Gebiet, über das wir heute sprechen, von 1,2 Milliarden DM 1961 über 2,2 Milliarden DM auf 3,4 Milliarden DM, wenn ich recht gehört habe, ansteigen, so muß man anerkennen, daß das eine eminente Leistung ist, die in so kurzen Perioden innerhalb der Geschichte selten vorkommt. Wenn man hört, daß für den Ausbau und die Neugründungen 10 Milliarden DM aufgebracht werden müssen, dann sind dazu zwei Dinge zu sagen. Erstens sollte auch der Bundestag seine Anerkennung und sein Verständnis für diese Leistung, die ja für uns alle geschehen ist, zum Ausdruck bringen.
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Zweitens: worauf es in der Wissenschaftspolitik ankommt, ist, zu sehen, daß wir nicht in einer vorübergehenden Phase sind, in der repariert werden kann. Es ist interessant, zu wissen, daß die Überfüllung der Universitäten schon das Thema von 1890 gewesen ist. Herr Golo Mann berichtet an einer Stelle von dem Professor Haller, der aus Rom nach Berlin zurückkommt und in lebhafte Klagen darüber ausbricht, daß die Vorlesungen überlaufen, die Seminare überfüllt, die Praktika nicht zugänglich und die Studenten nur berufsbeflissen sind. Wenn man sich das anhört, meint man, es sei in unserer Zeit gesprochen; aber das war schon 1890.
Ich habe Ihnen soeben gesagt, daß dieser Überhang kaum zu beseitigen ist. Das bedeutet doch, daß wir uns geschichtlich in einer Phase befinden, in der das Bildungswesen die Anpassung an die industrielle Revolution zu vollziehen hat und ständig daran arbeiten muß, oder mit anderen Worten: Die Politiker und die Parlamente müßten sich daran gewöhnen, daß in Zukunft eine sichere Investitionsrate für Wissenschaft, Forschung und Bildung da sein muß und daß wir nicht mehr davon loskommen. Im Gegenteil, wir befinden uns in einer progressiven Entwicklung.
Es ist ja sehr beliebt, vom „Rang" der Wissenschaft und Forschung zu sprechen. Dazu ein ganz offenes Wort. Wenn man den Rang betont oder ihn gar für seine eigene Partei in Anspruch nimmt - was ich jedem konzediere -, dann gehört dazu natürlich auch eine ganz bestimmte Konsequenz. „Rang" heißt ja, wenn ich richtig orientiert bin: wo sitzt man am Tisch, an dem gegessen wird: oben in der Mitte oder unten? Vom „Rang der Wissenschaft" zu sprechen hat nur dann Sinn, wenn wir auch die finanziellen Konsequenzen übernehmen, und es ist nie glaubwürdig, wenn man an einem Tag 1,2 Milliarden DM meinetwegen für eine Altersversorgung fordert, am anderen Tag ein Ausbildungsförderungsgesetz vorlegt, das praeter propter 2 Milliarden DM kostet, oder wenn man am nächsten Sonntag, wenn gerade Landtagswahlen bevorstehen, andere Pakete aufschnürt. Das verliert dann an Gewicht. Wenn man „Rang der Wissenschaft" sagt, muß man auch bereit sein, Opfer zu bringen und eine gewisse Härte gegenüber anderen Forderungen aufzubringen. Man muß sich dann überlegen: was ist das Wertvolle, was ist das Notwendige, was hat Vorrang?
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Das wollte ich mit Rücksicht auf die Zeit sagen. Herr Professor Hahn wird unsere Resolution hier noch begründen. Obwohl mir alle Wissenschaftsrhetorik und Bildungslyrik fern liegt, möchte ich doch zum Schluß folgendes sagen. Das, was wir heute verhandeln, ist eine Sache, die das Schicksal der nächsten Jahrzehnte und das Schicksal unserer Kinder angeht. Moderne Nationen, Industrienationen leben nicht mehr vom Boden in dem Sinne, wie das früher gültig war, alle modernen Nationen leben vielmehr von dem, was sie entdecken, erfinden, konstruieren; mit anderen Worten, von dem, was sie in Umsetzung von Wissenschaft, Technologie und Produktionsmethoden an Lebensstandard und damit auch an politischer Macht gewinnen. Das ist die Situation, meine Damen und Herren, und deshalb lohnt es sich, über Wissenschaftspolitik zu diskutieren.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Frede.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner hat mit viel Elan - ich will nicht sagen: mit viel Pathos - und mit sehr starker innerer Anteilnahme eine Zusammenfassung dessen versucht, was wir heute morgen hörten. Er hat gemeint, es habe sich gleichsam um eine Schau des Föderalismus gehandelt. In der Tat sind auch wir erfreut, hochverehrter Herr Martin, daß nicht nur der Bundestag und die Bundesregierung, sondern auch ein Vertreter des Bundesrates einige sehr wesentliche Ausführungen zu dem Problem der Wissenschaft und Bildung gemacht hat. Aber, Herr Martin, wozu die anfängliche Polemik? Man hat den Eindruck: wenn man schon mit einem so gewaltigen Aufwand hier antritt, hat man irgendwie etwas im Gewissen, was man loswerden möchte.
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Das kann ich verstehen.
Die Dinge sind doch so: Ich möchte sagen, eine ewige Wiederkehr des gleichen - seit einigen Jahren! - Wenn Sie schon nicken, muß ich Ihnen sagen, diese Wiederkehr spielte sich so ab: die sozialdemokratische Fraktion hat seit 1956 - wir haben hier die Protokolle, Sie können sie sich alle ansehen - jährlich eine Große Anfrage zur Wissenschaftspolitik eingebracht. Diese Große Anfrage - auch das wissen wir - gab der Bundesregierung, in der meine Fraktion und Partei nicht vertreten ist,
({1})
jedesmal die Möglichkeit zu einer guten Schau. Wenn Sie all die Reden der letzten Jahre und zum Teil auch das, was heute Herr Bundesminister Lenz gesagt hat, durchlesen, so stellen Sie fest, daß es stets eine Rechtfertigung dessen war, was die Bundesregierung getan hat, was auch Sie soeben versuchten.
Niemand wird bestreiten, daß hier von Jahr zu Jahr sukzessive mehr erreicht worden ist.
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Niemand sollte aber auch bestreiten, meine Damen und Herren, daß dies durch unsere Initiative und durch ein Zusammenspiel von Opposition und Mehrheitsfraktionen erreicht wurde, wie es in anderen Bereichen der Politik in diesem Umfang vielleicht nicht sichtbar geworden ist. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß die Anregungen für das Honnefer Modell, für den Wissenschaftsrat, für die Weiterentwicklung bis zum Forschungsministerium oder zu einem Forschungsgesetz in der Tat von der sozialdemokratischen Fraktion ausgegangen sind. Sie wurden - das ist richtig, Herr Huys - hier und da von Ihnen unterstützt. Ich möchte ja nur darauf hinaus, daß es gegenwärtig müßig ist, etwa eine Priorität im, sagen wir einmal, politischen Kampf der Parteien in diesem Hause ausdrücklich feststellen zu wollen, soweit es die Wissenschaft und die Bildung angeht.
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Dabei möchte ich noch einmal betonen, daß, wie gesagt, der unmittelbare Anstoß für all diese großen Debatten von uns ausgegangen ist, weil wir auf Grund unserer Vorstellungen über die Förderung von Wissenschaft und Bildung entsprechende Anfragen eingebracht haben. Daß sich inzwischen eine relativ harmonische Übereinstimmung zwischen allen Fraktionen ergeben hat, ist erfreulich und wird von uns ebenso begrüßt wie offensichtlich auch von Ihnen.
Zur Sache selbst darf euch ich meiner Freude über das Ausdruck geben, was Herr Ministerpräsident Goppel hier ausgeführt hat. Sie werden verstehen, Herr Ministerpräsident, nach Ihren Ausführungen im Bayerischen Landtag hatten wir einige
Sorgen und einige Bedenken. Wir freuen uns, daß diese Sorgen und Bedenken durch Ihre Ausführungen zumindest nicht gestärkt wurden.
Freilich - und das war sehr deutlich spürbar in der Aufzählung alles dessen, was die Länder tun und was wir gern anerkennen; denn es sind ja alle Länder dabei vertreten und alle Länder daran beteiligt -, in diesen Ausführungen kam allzu deutlich und nach meiner Auffassung sogar berechtigterweise zum Ausdruck, 'daß all das nicht nur in der Vergangenheit erhebliche Kosten verursacht hat, die die Länder aufzubringen hatten, sondern in Zukunft noch erheblich mehr kosten wird. Diese erheblichen Mehrkosten werden einmal durch die Investitionen für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen und die Neugründung von Hochschulen, zum andern iaber auch durch die auf die Länder zukommenden laufenden Ausgaben entstehen. Sie haben ja einige Zahlen hierzu genannt. Auch wir, die wir unmittelbar am kulturellen Bereich interessiert sind, sollten das von allen Seiten unterstreichen; denn das ist ein sehr wesentliches Moment für die Auseinandersetzungen, die in finanzpolitischer Hinsicht zwangsläufig auf uns zukommen werden.
Der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung hat besonders betont, daß die Ständige Kommission, die in dem Verwaltungsabkommen vorgesehen ist, ständig mit den Ländern über die Aufbringung der Mittel, über die Aufstellung eines Plans zur Wissenschaftsförderung verhandeln solle und daß dies eine Arbeit sei, ,die einer etwaigen Neuaufteilung der Finanzmasse vorausgehen müsse. Ich darf vielleicht zitieren, was der niedersächsische Finanzminister hierzu ausgeführt hat. In einer kürzlichen Darlegung hat er erneut gesagt, daß am Anfang eines Gespräches über eine Steuerneuverteilung nach Ansicht der Länder eine eingehende Analyse der Wichtigkeit und Vordringlichkeit der Aufgaben unseres Staatswesens insgesamt stehen sollte, um dann eine entsprechende Lösung für die Aufteilung der Finanzmasse zu finden.
Es ist gar keine Frage, daß bei einer solchen Analyse von der Sicht der Länder her alle Dinge, die mit Wissenschaft und Bildung zusammenhängen, eine Priorität genießen. Es ist ein Faktum, das wir anerkennen sollten, auch die Tatsache, daß sich manches zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet eingespielt hat. Sie waren so freundlich, diese Verfassungswirklichkeit, wie Sie sagten, auch anzuerkennen. Ich glaube, es ist ein sehr wesentliches Ergebnis der heutigen Aussprache, daß man nicht mehr am Grundsätzlichen herumlaborieren will, sondern daß man die Verfassungswirklichkeit auch hinsichtlich der Frage eines Forschungsgesetzes und eines Forschungsministeriums anerkennt. Niemand will hier durch das Forschungsgesetz und das Forschungsministerium einem Eingriff in die Selbstverwaltung der Wissenschaft oder in die Autonomie der Länder Vorschub leisten.
Aber eins sollten wir nicht vergessen, meine Damen und Herren. Ich spreche hier pro Bund. An den in den letzten Jahren erheblich angestiegenen Mitteln ist immerhin der Bund mit rund einem
Drittel an dem Gesamtaufkommen für die Wissenschaft und Forschung beteiligt. Das wird so bleiben und wird sich zwangsläufig ausweiten müssen, weil es gewisse Aufgaben in der modernen Forschung, in der modernen Wissenschaft, Entwicklung und Erprobung gibt, die einfach von den Ländern aus nicht allein gesehen und durchgeführt werden können. Ich brauche nur an die unmittelbaren Aufgaben Ihres Ministeriums zu erinnern, Herr Minister, die Sie zuerst und auch heute und morgen wahrscheinlich primär haben werden, nämlich die Atomforschung und die Weltraumforschung. Das sind Dinge, die noch nicht einmal alle Länder gemeinsam und der Bund für sich bewältigen können. Hier greifen die Dinge über den Rahmen eines Landes, eines Staates hinaus. Sie wissen ja, wie wir im europäischen Bereich mit der Atomforschung und neuerdings auch mit der Weltraumforschung verankert sind. Man kann eben keinen bayerischen Weltraumflug nach dem Mond finanzieren oder organisieren, oder einen hessischen und niedersächsischen. Man kann auch nicht einem Land zumuten, daß es diese Aufgaben allein bewältigt. Von der Grundforschung bis hin zur praktischen, zur unmittelbaren Anwendung der Forschung ist es erforderlich, daß übergreifende Gesichtspunkte sichtbar werden.
Daß diese Koordinierung bisher vom Bund vorgenommen wurde, ist zu begrüßen. Bei allem Optimismus, der hier und da heute durchklang, wird nicht zu bestreiten sein, daß eine Koordinierung auf der Basis von elf Ländern reichlich schwierig zu sein scheint. Sonst wäre vielleicht heute das Verwaltungsabkommen bereits in Kraft, und wir hätten die Zustimmung der Länder. Aber multilaterale Abkommen zu treffen ist offenbar schwieriger als bilaterale. So war es eher möglich, ein Kulturabkommen mit der Französischen Republik zu schaffen als ein multilaterales Abkommen zwischen Bund und elf Ländern. Man sagt im Volksmund: „Einer spinnt immer". Einer hat immer Sonderauffassungen und Sonderneigungen. Das ist verständlich. Ich will damit nur sagen, daß die Schwierigkeit, zu Übereinkommen zu gelangen, offensichtlich ist; denn sonst hätten wir heute ein unterschriftsreifes oder schon ein unterschriebenes Abkommen auf dem Tisch des Hauses liegen.
Deshalb scheint es mir notwendig zu sein, daß der Einfluß des Bundes in dem bisherigen Umfange und in der bisherigen Methode erhalten bleibt. Es scheint mir auch notwendig zu sein im Hinblick auf gewisse Entwicklungen, die wir im Zusammenhang mit dem französisch-deutschen Kulturabkommen oder anderen ähnlichen Abkommen auf uns zukommen sehen. Als dieses Abkommen paraphiert wurde, gab es gewisse Schwierigkeiten bei denen, die es ausfertigten; denn wen sollte man als den Partner, den Kontrahenten auf der bundesdeutschen Seite anführen! Man hat das sehr vorsichtig ausgedrückt, nämlich mit derjenigen Persönlichkeit, die auf deutscher Seite benannt wird und die die Ausführung des Programms der Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet zu verfolgen hat. Reichlich umständlich und schwierig; aber es trifft genau die kulturpolitische Situation, in der wir uns nun einmal befinden. Deshalb bleibt auch nach der heutigen Debatte die
Frage auf der Tagesordnung: Wie wird es möglich sein, ein solches repräsentatives Gremium zu schaffen, das sowohl in der Koordinierung im Innern wie auch nach außen hin die kulturpolitischen Interessen der Bundesrepublik wirksam vertreten kann?
Wir haben in diesem Zusammenhang über den Bildungsrat und auch über die im Verwaltungsabkommen vorgesehene ständige Kommission gesprochen. Wie immer der Ausgang der Verhandlungen über das Verwaltungsabkommen und wie immer seine „Ratifizierung" und seine endgültige Form aussehen wird, an dem Gedanken der Bildung eines Ständigen Ausschusses ist festzuhalten. Dieser Ausschuß müßte periodisch zusammentreten, wie es die Ständige Konferenz der Kultusminister schon tut, um die gemeinsamen, auch den Bund interessierenden kulturpolitischen Angelegenheiten zu besprechen, für die er primär nicht zuständig ist, für die er weder die Finanzkompetenz, noch die Verwaltungskompetenz, noch die Gesetzgebungskompetenz hat. Ich erinnere an die Bundeswehr. Allein schon die Tatsache, daß Bundeswehrangehörige häufig von einem Land in ein anderes versetzt werden und die Schwierigkeiten, die sich daraus für deren Kinder ergeben, begründen ein unmittelbares Bundesinteresse auch auf dem Gebiet des Schulwesens. So ist es auf vielen anderen Gebieten, auch wenn die Zuständigkeit des Bundes nur abgeleitet sein mag. Es gibt sehr viele Fragen der Wissenschaft und Bildung, die man freimütig zumindest erörtern sollte, ohne daß man sich dabei an verfassungsmäßige Grenzen zu halten hat. Aus dieser Erörterung könnten sich für die eine oder andere Seite, d. h. für die Länder oder für den Bund, fruchtbare Konsequenzen ergeben. Deshalb sollte man den Gedanken einer ständigen Kommission und vielleicht sogar ihrer Ausweitung bis zu dem, was auch Sie, Herr Martin, als positiv an der Idee des Bildungsrates anerkannt haben, weiterentwickeln.
Meine Damen und Herren, es ist hier angesprochen worden - und das muß doch einigen Eindruck hinterlassen haben -, in welch starkem Maße sich die Gewichte hinsichtlich der Neubauten an den Universitäten verschoben haben. Wir können heute sagen, daß das, was der Wissenschaftsrat vor zwei oder drei Jahren erarbeitet hat - und Herr Professor Raiser gibt das offen zu -, bereits weitgehend überholt ist. Das kam auch in den Zahlen über den zusätzlichen Ausbau der Hochschulen zum Ausdruck, die neuerdings erörtert werden. Bisher wurde ein Beitrag der Länder in Höhe von 250 Millionen und ein Beitrag des Bundes in Höhe von 250 Millionen DM für die Jahre 1962 und 1963 als angemessen bezeichnet. Wir wissen aber, daß eine Reihe von Hochschulen überhaupt noch nicht zum Zuge gekommen ist, weil sich durch .die Entwicklung völlig neue Planungsaufgaben ergeben haben. Ich brauche nicht nur an meine Heimatstadt Göttingen zu erinnern, wo wir in zehn Jahren praktisch eine neue Universität bauen werden mit einem Kostenaufwand von mindestens 850 Millionen DM. Hier sind die Planungen noch nicht so weit fortgeschritten, daß man mit dem Bauen beginnen kann. In diesem Jahr können daher nur minimale Beträge von 2, 3, 4 oder 5 Millionen DM verbaut werden. Die Arbeiten stokken also, und zwar nicht nur in Göttingen, sondern auch in manchen anderen Universitätsstädten - das wissen Sie, Herr Kollege Harm -, z. B. in Heidelberg usw. Sie stocken, weil man auf Grund der neuen Situation - angeregt, Herr Dr. Martin, auch durch kulturpolitische Debatten im Bundestag - erkannt hat, daß viel mehr nötig ist, als man ursprünglich glaubte, nämlich mehr als nur dieses oder jenes Institut etwas zu erweitern, auszubauen und zu modernisieren. Man hat erkannt, daß zum Ausbau der Hochschulen im erheblichen Umfange auch Neubáuten erforderlich sind und daß dies einen Aufwand von - Sie haben die Zahl genannt, Herr Ministerpräsident - etwa 1 Milliarde DM pro Jahr erfordern wird. Ich glaube, das ist für die nächsten sechs bis acht Jahre eine sehr realistische Zahl.
Bisher haben wir 500 Millionen DM vorgesehen. Dabei ist alles das noch nicht berücksichtigt, was mit der Ausstattung, mit dem Grunderwerb, mit der Erschließung usw. zusammenhängt. Wir werden also, wenn wir entsprechend unserem Wunsch eine Beschleunigung erreichen wollen, in den nächsten Jahren damit rechnen müssen, daß erheblich mehr Mittel bereitgestellt werden als bisher - von wem auch immer; das ist gleich, letztlich ist es der Steuerzahler, der bezahlt.
Meine Damen und Herren, angesichts der vorgerückten Zeit möchte ich meine Ausführungen mit einem kurzen Hinweis auf das, was hier über den Interministeriellen Ausschuß gesagt worden ist, beenden. In der Tat ist das ein zweites sehr wesentliches Anliegen, daß man innerhalb der Bundesregierung selbst zu einer besseren Koordinierung der Dinge kommt, die bisher von jedem Ministerium in bester Absicht und im besten Glauben für sich allein gemacht wurden. Das ist keine leichte Aufgabe. Sie wissen, es haben sich beinahe alle Ministerien zur Kasse gedrängt. Beinahe alle wollten im Ausschuß vertreten sein. Ich glaube, Sie haben jetzt 17 Teilnehmer, d. h. 17 Vertreter, Herr Minister, im Ausschuß. Dabei sind einige nur mit sehr geringen Summen für Forschungszwecke vertreten, aber andere mit sehr erheblichen Summen, und das Ministerium mit der größten Summe würde ich von der Gesamtsumme dessen, was der Bund aufbringt, abziehen, Herr Dr. Martin. Es ist das Verteidigungsministerium, das immerhin ein Drittel der Gesamtaufwendungen des Bundes für Wissenschaft und Forschung für sich verbucht. ({4})
Sie waren so schön in Fahrt, Herr Dr. Martin, ich bin es auch. Lassen wir es doch.
Aber bitte.
Das ist konziliant.
({0})
Herr Frede, ich finde es erstaunlich, daß Sie das sagen. Es sind in der Tat 620 Millionen. Die Frage ist: Sind Sie sich nicht dar2710
über klar, daß die militärische Forschung eine ungeheure Bedeutung für die zivile hat und daß die Vormachtstellung Amerikas in der Wissenschaft auch dadurch bedingt ist, daß es die Vormacht der militärischen westlichen Welt ist?
Aber hochverehrter Herr Martin, ich habe doch gar nichts dagegen, daß die 600 Millionen drin sind. Ich sage nicht im geringsten etwas dagegen.
({0})
- Der Unterton? Ich weiß genau, daß wir in der Raketentechnik nicht so weit wären und nicht demnächst zum Mond fliegen könnten, wenn nicht die militärische Forschung in den Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet so intensiviert worden wäre, und in Rußland ist es genauso. Im Gegenteil, ich möchte wünschen, daß wir auf den verschiedensten Gebieten, so auch hierin, alsbald an den Weltmaßstab herankämen.
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Ich sagte nur, bei der Koordinierung dieser Aufgaben muß man das Gebiet der militärischen Forschung und Erprobung für sich behandeln und betrachten, auch wenn es sehr große Auswirkungen im allgemeinen haben kann.
Darüber hinaus aber eins! Sie waren mehrfach so optimistisch zu sagen, es sei alles in bester Ordnung und wir hätten das und jenes erreicht. Soweit ich es ausgeführt habe, stimme ich dem zu. Aber dem Herrn Minister für die wissenschaftliche Forschung ist von seinem Fraktionskollegen und Fraktionsvorsitzenden vor acht Tagen hier im Plenum etwas mit auf den Weg gegeben worden. Damals hat Herr Dr. Mende gesagt: „Ich glaube, wir sollten uns nicht über die Frage der Kompetenzschwierigkeiten verbreiten." - Ich verstehe, daß er das sagte; denn es ist schwierig, zu sagen, was effektiv zu diesem Ministerium kommt. Wir möchten wünschen, daß zumindest alles das, was nicht zweckgebundene Forschung, was freie Forschung in weitestem Sinne ist, diesem Ministerium unterstellt wird. Das andere möge bleiben, wo es bisher ressortiert. Über die Zucht eines Edelschweines z. B. kann nicht in diesem Ministerium entschieden werden. Das ist Sache des Landwirtschaftsministeriums oder der Forschungsaufträge, die von da her vergeben werden. Aber sicher ist in vielen Ministerien noch manches verankert, was man zu Ihnen, Herr Minister, hinübernehmen könnte. Ich glaube, es wird einige Jahre dauern, bis man die Ministerien daraufhin durchgekämmt hat - sofern Sie noch einige Jahre im Amt sein sollten; wenn nicht, wird diese Aufgabe auf Ihren Nachfolger zukommen.
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Es wird Ihnen so gehen wie Ihrem Kollegen Scheel, der nun mühsam alles das zusammenkratzen und zusammenkramen muß, was der Grundidee nach in sein Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gehört, und es gibt sehr viele, die doch offensichtlich nicht in dieser Konzeption wirtschaftlich zusammenarbeiten wollen. So wird es hier auch sein. Ich glaube, Sie werden einige Mühe haben. Wir wünschen Ihnen recht guten Erfolg bei diesen Bemühungen.
Ich sagte bereits, Ihr Fraktionskollege Dr. Mende brachte damals zum Ausdruck, daß man sich nicht über Kompetenzschwierigkeiten erregen und verbreiten solle - ich verstehe, daß er diesen Kummer hat -, sondern daß dem neuen Minister Gelegenheit gegeben werden solle, „Versäumtes auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung und auch der Koordinierung des Erziehungswesens nachzuholen".
Also, hochverehrter Herr Martin, ein Mitglied, ein führendes Mitglied Ihrer Koalition zumindest war der Meinung, daß etwas Versäumtes nachzuholen ist, daß also etwas in der Vergangenheit nicht ganz so goldig aussah, wie Sie es darzustellen versuchten. Das ist eine Sache, die Sie unter sich ausmachen müssen, genauso wie es Ihre Sache ist, wie weit Sie in der Koalition den Einfallsreichtum in diesen Fragen zu fördern und so die kulturpolitische Konzeption der Regierung zu formulieren vermögen.
Abschließend möchte ich eines feststellen: Über die von mir vorhin genannten Dinge hinaus sind wir von einer Debatte zur anderen, d. h. von einem Jahr zum anderen, einen kleinen Schritt weitergekommen. Das sollten wir dankbar begrüßen. Ich glaube, auch die heutige Debatte, in der Herr Ministerpräsident Goppel als Vertreter des Bundesrates das Wort ergriffen hat, hat gezeigt, daß wir zu einer gewissen Konsolidierung in einer fortschrittlichen, d. h. in einer zukunftweisenden Richtung gekommen sind.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hellige.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß unser Bildungswesen den Anforderungen der Zeit nicht genügt, ist wohl allgemeine Überzeugung. Wie es vor den stärkeren Anforderungen der Zukunft bestehen soll, ist unsere Frage. Wir alle wissen: der Wettkampf der Nationen wird sich mehr und mehr auf das geistige Gebiet verlegen. Wir kennen die erstaunlichen Leistungen der Sowjetunion im Bereiche von Forschung und Ausbildung. Vor einem halben Jahrhundert hatte Rußland nur eine dünne Bildungsschicht. Heute ist das Analphabethentum beseitigt, ein hochqualifiziertes Schulwesen aufgebaut worden. In oft recht spektakulären Leistungen zeigt sich der Weltrang der sowjetischen Wissenschaft.
Sie, Herr Lohmar, nannten die erregenden Zahlen, die der Präsident der Vereinigten Staaten vor zwei Wochen der amerikanischen Öffentlichkeit unterbreitet hat. Ich möchte sie hier wiederholen, damit sie in das Bewußtsein des Hauses eindringen: Dreimal so viel Techniker und viermal so viel Physiker wie in den Vereinigten Staaten werden in Rußland ausgebildet. Müssen wir uns in der Tat daran erinnern, daß Wissen heute Macht ist? Nun, der Präsident hat 'dem Kongreß einen sehr großzügigen Plan
zum Ausbau des amerikanischen Bildungswesens vorgelegt. Nicht weniger als 6 Milliarden Dollar sollen in den nächsten vier Jahren auf die Erweiterung der amerikanischen Schulen und Colleges verwandt werden. Die Probleme sind drüben die gleichen wie bei uns. Im Jahre 1961 fehlten 127 000 Klassenräume. 1,7 Millionen Schüler besuchten Klassen, die die gewünschten Frequenzen überschritten. Es fehlen 250 000 Lehrer, und 25% der beschäftigten mußten ohne die erforderliche Ausbildung eingestellt werden. Kennedy rechnet bis 1970 mit einer Verdoppelung der Zahl der Studenten. Die Zahl der Oberschüler wird sich um die Hälfte vermehren.
Wir stehen vor ähnlichen Problemen. Auch unsere Studentenzahl wächst ständig. Der Bedarf an Studienplätzen in den siebziger Jahren kann nur geschätzt werden. Der Herr Minister hat uns recht divergierende Zahlen aus verschiedenen Quellen genannt. Auch wir würden es begrüßen, wenn das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung endlich ins Leben gerufen würde. Wir brauchen seine Hilfe für unsere Planung. Zu den Fragen, die Sie, Herr Lohmar, gestellt haben, lassen Sie mich eine hinzufügen: Lag es vielleicht daran, daß der vorgesehene Direktor nicht habilitiert ist?
Wir werden gegen 1980 mit 300 000 Studenten rechnen müssen, vielleicht mit 400 000; in allen Berechnungen sind sehr viele Imponderabilien enthalten. Der zweite Bildungsweg wird uns eine Anzahl von Studenten liefern. Ich fürchte, sie wird nicht sehr groß sein. Wir müssen aber auch mit Änderungen in den Studiengängen rechnen. Vor einigen Jahren wurde vor dem Studium des Jus gewarnt. Heute warnt man vor dem Studium der Medizin.
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- Ich weiß es, Herr Martin. Ich weiß aber nicht, was in einigen Jahren überfüllt sein wird, was leer sein wird. Wir müssen unsere Hochschulen darauf einstellen, daß sie auch dem sozusagen modischen Zugang 'gewachsen sein werden.
Wird die deutsche Forschung den Anschluß an das Weltniveau wiedergewinnen können, das sie vor drei Jahrzehnten verloren hat? Wird der Ausbau unseres Hochschulwesens den Wettlauf mit dem Steigen der Studentenzahl gewinnen können? Das sind doch für uns alle recht ernste Fragen. Was können wir tun, was muß der Bund tun, was müssen die Länder tun? Und schließlich: was muß die Wissenschaft selber tun?
Unsere Meinung: Die Vorschläge zur Wissenschaftsförderung müssen aus der Wissenschaft selbst kommen. Nur wenn die Wissenschaft sich versagen sollte, nur wenn die Hochschule unter der Last ihrer Tradition ihre eigene Regeneration nicht verwirklichen könnte, nur dann sollte der Staat eingreifen. Dann aber müßte er es tun. Wir alle sind Zeugen einer lebendigen Diskussion über die Struktur der künftigen Hochschule. Gute Gedanken sind in reicher Zahl geäußert worden. Die Gründung neuer Hochschulen bringt die Möglichkeit, sie in die Tat umzusetzen.
Im kommenden Herbst soll der Wissenschaftsrat auslaufen.
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Wir sind aber der Meinung, daß Bund und Länder auch weiterhin kompetenten Rat in diesen Fragen brauchen. Man sollte daher den Wissenschaftsrat nicht auf die Dauer von drei Jahren verlängern; man sollte sich seine Mitarbeit, der wir so viel zu danken haben, auf die Dauer sichern.
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Man sollte seine Befugnisse erweitern. Man sollte ihn vor allem beauftragen, seine Anregungen zur Gestalt neuer Hochschulen zu konkreten Vorschlägen zu verdichten.
Die Einteilung der Universität in Fakultäten stammt aus dem Hochmittelalter. Die Fakultäten haben die freie Forschung erst ermöglicht, denn sie isolierten die damals übermächtigen Theologen in einem Teil des Studium generale. - Ich sage das mit Bedacht, denn ich habe festgestellt, daß der größere Teil der an der heutigen Diskussion beteiligten Herren entweder Theologen oder Schmalspurtheologen sind. ({3})
Die Fakultäten genügten ihren Aufgaben, solange sie aus wenigen Ordinarien bestanden, die das gesamte Gebiet übersehen konnten. Die Zukunft fordert nach unserer Meinung ihre Aufgliederung in kleinere Abteilungen nach dem Bochumer Plan. Die Einrichtung interdisziplinärer Institute halten wir für nötig.
Wir kennen die Schwierigkeiten bei der Gewinnung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Bei ihrer Erörterung werden Fragen der Besoldung und Zukunftsicherung gern in den Vordergrund gestellt. Sie, Herr Ministerpräsident, haben sie erwähnt. Gleichwohl sind Fälle bekannt, in denen junge Wissenschaftler auch schlechter bezahlte Stellen ohne Zukunftsicherung in den Vereinigten Staaten angenommen haben, weil ihnen dort die Möglichkeit der freieren Entfaltung geboten wird. Die Stellung des deutschen Assistenten ist schon wegen der starken Abhängigkeit vom Ordinarius wenig reizvoll. Täuschen wir uns doch nicht! Oft sind die wissenschaftlichen Assistenten in ihrer täglichen Arbeit nur schlechte, weil dafür nicht ausgebildete Bürokräfte. Man wird den Nachwuchs von wissenschaftsfremden Aufgaben entlasten müssen, die ihn nicht fördern, aber die Habilitation verzögern.
Nicht immer wenden die Hochschulen der Frage ihrer Selbstergänzung genügend Aufmerksamkeit zu. Mir wurde kürzlich von kompetenter Seite versichert, daß die juristische Fakultät einer sehr angesehenen Hochschule seit Kriegsende nur zwei Habilitationen durchgeführt hat. Ich habe mit Freude gehört, daß es an anderer Stelle besser steht. Wir meinen, daß die Nachwuchsförderung Aufgabe der Gesamtuniversität ist. Eine Senatskommission sollte sich ihrer annehmen.
Ein fast völlig ungenütztes Reservoir an wissenschaftlichem Nachwuchs stellen die Studentinnen dar. Wohl nirgends ist der Anteil der weiblichen
Dozenten oder gar Professoren am Lehrkörper so gering wie in der Bundesrepublik. Hier sollten ehrwürdige Vorurteile überwunden werden.
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Vielleicht erleben wir es noch, daß sich eine Universität durch eine charmante Magnifica repräsentieren läßt.
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Der Hauptgrund für die Schwierigkeit, genügend geeigneten Nachwuchs zu bekommen, liegt aber tiefer. Die Wissenschaft muß danach streben, eine möglichst große Zahl von Anwärtern für die Hochschullaufbahn zu erhalten, aus der sie dann die Besten für die wenigen Lehrstühle auswählen kann. Was soll aus den übrigen werden? Immer wieder wird der Wunsch geäußert, der Staat möge diese Herren in seine Dienste nehmen. Dieser Wunsch wird sich häufig nicht erfüllen lassen. Kein wissenschaftliches Institut außerhalb der Hochschulen wird einen gescheiterten Habilitanten einstellen. Es würde sich abwerten. Die Schul-, Justiz- und Verwaltungsstellen stehen nur wenigen Fachrichtungen offen. Es bleibt der Mittelbau bei der Hochschule selbst. Wenn sein Ausbau das Risiko mindert, dann wird sich mancher für das Wagnis einer Hochschullaufbahn gewinnen lassen.
Die Leistungen, die Bund und Länder für die Wissenschaft erbringen und die der Herr bayerische Ministerpräsident hier in seinen sehr überzeugenden Darlegungen aufgeführt hat, sind recht beachtlich. Daß sie bei weitem nicht genügen, wissen wir alle. Ihre Erhöhung ist ja auch vorgesehen. Ausbau und Neugründung von Hochschulen müssen schneller vorankommen. Die Schwierigkeiten kennen wir. Der Baumarkt ist überfordert. Die Bauplanung nimmt erhebliche Zeit in Anspruch. Oft werden fertige Pläne wieder umgestoßen. Selbstredend muß ein Lehrstuhlinhaber bei Spezialinstituten Einfluß auf die Raum- und Bauplanung haben. Aber es gibt doch auch viele Bauten ohne Spezialcharakter! Hier wäre zu fragen, ob uns die Erarbeitung von Modellen nicht schneller zum Ziele führen könnte.
Da wir an der Einheit von Lehre und Forschung festhalten, müssen wir auch über die Lehre und damit über die Studenten sprechen. Neugründung und Ausbau nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates verdienen unser aller Unterstützung. Wir sollten uns aber zugleich Gedanken darüber machen, wie wir die vorhandene Kapazität besser nutzen können.
Immer wird darüber geklagt, daß der Studienanfänger der modernen Massenuniversität mit ihrem ungeheuren Angebot von Vorlesungen ratlos gegenübersteht. Es dauert geraume Zeit, bis er sich mit der akademischen Lehr- und Lernmethode abgefunden hat. Gewiß muß, wie es der Wissenschaftsrat empfiehlt, die höhere Schule die Abiturienten in die Lage versetzen, ein wissenschaftliches Studium aufzunehmen. Aber auch die Hochschule selbst sollte das Ihre tun, um den Übergang von der Unterrichtspraxis der Schule zur freien
wissenschaftlichen Arbeit zu erleichtern. Die große Vorlesung ist sicher nicht die geeignete Unterrichtsform für die Anfangssemester. Hier sollten Seminare und Gruppenarbeit in überschaubarem Kreis Grundwissen und Forschungsmethodik übermitteln. Die Lehrkräfte dafür kann der Mittelbau stellen. Nach unserem Dafürhalten ließen sich die Anfangssemester so besser nützen.
Eine Verkürzung der Studiendauer um nur ein Semester würde viele Tausende von Arbeitsplätzen frei machen. Natürlich kann man nicht schematisch an jedem Studiengang ein Semester streichen. Aber man sollte überlegen, ob sich nicht dieses oder jenes Studium systematischer anlegen ließe, ob nicht geplante Ausweitungen nochmals überprüft werden könnten.
Kollegienhäuser für Anfangssemester könnten von Nutzen sein. Wir warnen aber davor, Teile der Lehrtätigkeit in Räume außerhalb der Auditorien und Institute zu verlegen. Jede Lehrveranstaltung der Hochschule muß allen Studenten zugänglich sein. Einen Zwang zum Besuch von Kollegienhäusern darf es nicht geben.
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Er würde in der Tat, wie der VDS meint, einen Einbruch der Hochschule in den privaten Bereich der Studenten und ihrer Familien bedeuten und mit unserer freiheitlichen Grundordnung unvereinbar sein.
Daß die Studienförderung nach dem Honnefer Modell ausgebaut werden sollte, ist wohl allgemeine Ansicht. Die Rektorenkonferenz sieht in ihr einen wesentlichen Teil der Wissenschaftsförderung. Sie sollte daher beim Wissenschaftsminister ressortieren. Wir bedauern, daß das nicht vorgesehen ist. Nach unserer Meinung sollte man die Anfangsförderung breit ausbauen, für die Hauptförderung aber scharfe Auslese treffen.
Die Aufgabe der Wissenschaftsförderung ist durch die föderalistische Gliederung unseres Staates leider recht erschwert. Hochschulen gehören zur Kompetenz der Länder, Wissenschaftsförderung zur konkurrierenden Zuständigkeit des Bundes. Wir begrüßen daher jede Maßnahme, die Bund und Länder in der Arbeit zusammenführt. Wir begrüßen das geplante Verwaltungsabkommen zur Förderung kulturpolitischer Aufgaben. Hoffentlich treten ihm bald alle Länder bei. Was uns mit einer gewissen Sorge erfüllt, ist die Form des Verwaltungsabkommens. Die elf beteiligten Parlamente sind in ihrer Beschlußfassung nicht gebunden, - ein Haus, das auf Sand gebaut ist. Aber auch solche Häuser können lange stehen, wenn das Wetter keine Überraschungen bringt. Ein von den Parlamenten ratifizierter Staatsvertrag wäre uns lieber.
In der Kulturdebatte im vergangenen Jahr haben wir die Forderung gestellt, alle Ressorts des Bundes, die sich mit kultur- und wissenschaftsfördernden Maßnahmen. befassen, unter einem Minister zusammenzufassen. Wir freuen uns daher, daß sich der Minister für wissenschaftliche Forschung 'uns
heute vorstellt. Der Prozeß Ihrer Amtsübernahme, Herr Minister, steht wohl vor dem Abschluß.
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Wir wüßten gern über ,die hoffentlich recht weit gespannten Grenzen Ihrer Zuständigkeit genaueren Bescheid und haben Ihnen daher ein ganzes Paket von Fragen mitgebracht:
Erhalten Sie, Herr Minister, einen Überblick über sämtliche Forschungsaufträge, die vergeben werden? Können Sie dafür bürgen, daß Forschungsaufträge nicht doppelt vergeben werden?
Sind Sie befugt, die ressorteigene Forschung zu koordinieren? - Auch wir haben die Regierungserklärung studiert. - Können Sie so verhindern, daß übermäßige Mittelanforderungen erfolgen?
Wir wissen, daß sehr hohe Summen für wehrwichtige Forschung vom Verteidigungsminister vergeben werden. Erhalten Sie von den einzelnen Projekten Kenntnis? Sind Sie in der Lage, Ergebnisse, die von allgemeinwissenschaftlicher Bedeutung sind, der Wissenschaft zugänglich zu machen? Läßt sich nicht ein großer Teil der vom Verteidigungsminister finanzierten Forschung durch 'die Hochschulen durchführen, wie das in den USA üblich ist?
Ist Ihr Mitspracherecht bei der Forschungsgemeinschaft gewährleistet? Da die Forschungsgemeinschaft zum weit überwiegenden Teil von der öffentlichen Hand unterhalten wird, erscheint uns das notwendig.
Ist Ihnen, Herr Minister, die Vertretung der deutschen Wissenschaft in ,den supranationalen und internationalen Gremien zugesichert?
Und schließlich: Haben Sie die Absicht, in regelmäßigen Abständen - ich möchte sagen: im Jahresabstand - diesem Hause über Ihre Arbeit, für die wir Ihnen guten Erfolg wünschen, Bericht zu erstatten?
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Balke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur ein paar kurze Bemerkungen zum heutigen Thema. Zunächst einmal die an und für sich erfreuliche Feststellung, daß die Gefahr solcher Kulturdebatten hier im Hause, in reinen .Ästhetizismus auszuarten, heute nicht ganz so augenscheinlich war. Aber wir wissen, daß die Gefahr immer wieder besteht. Wir haben hier ganz konkrete Dinge zu erörtern, und ich möchte stichwortartig folgendes dazu sagen.
Zur Frage Studentenandrang - Studentenüberhang: Zunächst einmal ist das keine allgemeine Erscheinung. Die Technischen Hochschulen haben nach dem Vorexamen kein Massenproblem. Deswegen haben die Technischen Hochschulen gewisse Kapazitäten durch die Universalität der Wissenschaft gezwungen, sich durch die Übernahme von anderen Wissenschaftsgebieten, die nicht gerade in den ureigenen Bereich der Technischen Hochschulen gehören, die Situation zu erleichtern.
Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, als ob nach meiner Ansicht die Frage der Wissenschaftsförderung nur eine Frage der naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen sei. Im Gegenteil, wenn wir eine vernünftige Förderung der Naturwissenschaften und technischen Wissenschaften betreiben wollen - ganz gleich von wem -, dann ist Voraussetzung, daß die geistigen Grundlagen in Ordnung bleiben und die geistigen Regulativkräfte wirksamer werden als bisher, damit die Naturwissenschaften und technischen Wissenschaften keinen Unfug anstellen.
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Der Studentenüberhang hat aber auch Ursachen, die man hätte vermeiden können oder deren Wirksamwerden man jetzt mildern kann. Die sozialen Möglichkeiten, zu studieren, sind gut gemeint gewesen. Sie sind aber eingeführt worden, ehe die Voraussetzungen an den Hochschulen gegeben waren. Das gilt vor allem für das Honnefer Modell. Ferner: Es gibt heute ein gewisses Sozialprestige -„Wohlstand für alle" -, das viele junge Menschen veranlaßt Akademiker werden zu wollen, obwohl sie es weder können noch durch die Berufslage bei uns dazu gezwungen werden. Wir müssen daran denken, daß wir in einem modernen Industriestaat auch nichtakademische Berufe brauchen, die genauso förderungswürdig sind wie die akademischen Berufe.
Die bessere Ausnutzung der Kapazitäten unserer teuren Studieneinrichtungen ist auch ohne neuen Geldaufwand dadurch zu erreichen, daß wir einfach unsere Studenten anhalten, an den Hochschulen wieder mehr zu arbeiten.
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Ein verlängertes Wochenende für Studenten haben wir, als wir studiert haben, nicht gekannt.
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Der Schweiß, den die Götter vor die Erreichung eines Zieles gesetzt haben, kann auch nicht durch den Zorn junger Männer ersetzt werden.
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Es wäre also zu überlegen, ob man hier gewisse Probleme nicht innerhalb der Hochschulen - hier ist keine Zuständigkeit des Bundes, sondern eine der Hochschulen der Länder selbst - lösen könnte, indem man sich wieder an den alten griechischen Grundsatz erinnert: Wer nicht geschunden wird, der lernt auch nichts.
Ich glaube, daß die Frage der Finanzierung der Bildungseinrichtungen nicht im Vordergrund stehen sollte. Die Finanzierung ist sekundärer Natur und versteht sich in einem Kulturstaat eigentlich von selbst. Die Höhe der Aufwendungen ist natürlich für die Steuerzahler wichtig. Mit den Zahlen, die hier genannt worden sind, wird nicht das gesamte Problem erfaßt. Wir können damit rechnen, daß im Jahre 1963 von Bund, Ländern und der betriebseigenen Forschung der Wirtschaft zusammen etwa 5 Milliarden DM aufgebracht werden. Wir brauchen ungefähr 3 °/o unseres Bruttosozialproduktes, um die
Bedürfnisse der Zukunft decken zu können. Das ging aus den Zahlen hervor, die Herr Ministerpräsident Goppel genannt hat. Bei einem Sozialprodukt unseres Landes von 350 Milliarden DM sind das also rund 10 Milliarden DM. Das ist die Grundfinanzierung, die ein Staat wie der unsere aufbringen muß, wenn er überhaupt die Bildungsarbeit auf allen Gebieten bewältigen will. Dabei handelt es sich nicht um ein Problem des Föderalismus und des Zentralismus, sondern das ganze ist eine Lebensaufgabe für unseren Staat.
Bei der Finanzierung der Bildungsvorhaben muß man eine Erfahrungstatsache berücksichtigen. Investitionen, die man vornimmt, erfordern eine regelmäßige Zuwachsrate, die etwa 25 % beträgt. Das heißt, in vier Jahren verdoppeln sich die Investitionen. Für je 100 DM Investitionen in diesem Bereich muß man 30 DM Betriebskosten in der Rechnung einkalkulieren. Es hat keinen Sinn, eine Investition für eine Bildungseinrichtung oder eine wissenschaftliche Einrichtung vorzunehmen, wenn man nicht in der Lage ist, die Betriebskosten, also die Sach- und Materialkosten aufzubringen. Wenn irgendwo ein dynamisches Prinzip der Finanzierung notwendig ist, dann bei der Wissenschaftsförderung. Dafür sollte man es bei einigen anderen Gebieten ruhig streichen.
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- Wir haben im Bundeshaushalt 1963 nach den Voranschlägen 1,8 % des Bundeshaushalts für Wisschenschaftsförderung, 31 % für Verteidigung und 33 % für Sozialausgaben.
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Wie bekommt man nun für die zu erwartende Studentenzahl die notwendigen Lehrkräfte? Man kann keine neuen Universitäten gründen, wenn man nicht die Dozenten dazu bekommt. Hier hat man, glaube ich, versäumt zu überlegen, was in dem Raum der vorhandenen Hochschulen geschehen kann, damit man nachher die notwendigen Dozenten hat. 80 % unserer Lehrerberufe gehen durch die höhere Schule. Daher ist mit dem Problem neuer Universitäten untrennbar das Problem der höheren Schule verbunden. Das ist insbesondere eine Aufgabe für die Länder. Sonst erleben wir, daß wir zwar Universitäten gründen und finanzieren, daß sie aber dann hinterher Museen sind, weil sie nicht mit Leben erfüllt werden können.
Die Frage der Stoffülle, die unsere heutigen Studenten auch an den Ingenieurschulen, nicht nur an den Hochschulen, bewältigen müssen, ist meiner Ansicht nach nur dadurch zu lösen, daß man eine Absterbeordnung für überholte Fächer an den Universitäten einführt. Es gibt heute Fächer, die nicht mehr gelehrt werden müssen, sondern deren Stoff man lesen kann. Die Wissenschaft schreitet so schnell fort, daß man einfach nicht mehr jedes Wissensgebiet auf eine Tradition aufstocken kann, sonst kann man innerhalb eines Menschenlebens überhaupt nicht mehr alles studieren. Diese Absterbeordnung wird menschlich und sachlich nicht sehr leicht sein. Sie muß aber gefordert werden, wenn wir überhaupt noch arbeitsfähig bleiben wollen.
Hierzu gehört das Prinzip, daß die Forschung an unseren Hochschulen und unseren Universitäten wieder gestärkt wird, damit diese Anstalten nicht reine Ausbildungsstätten werden. Diese Gefahr ist bei einigen Universitäten und Hochschulen vorhanden. Es ist eine Aufgabe vor allen Dingen der Kultusverwaltungen der Länder, dafür zu sorgen, daß die Forschung wieder an die Hochschulen zurückkommt, damit das Prinzip „Forschung und Lehre" nicht eine leere Deklamation wird.
Die Frage der Lehrstuhlbesetzung ist heute ja schlimmer geworden als die Frage der Schaffung von Lehrstühlen. Wir haben eine ganze Reihe von unbesetzten Lehrstühlen an den Universitäten, und zwar eine Quote, die über die normale Rate, die man braucht, hinausgeht. Hier zeigt sich, daß etwas an der Hochschulordnung insofern nicht in Ordnung ist, als augenscheinlich der Anreiz, Universitätsdozent zu werden, nicht genügend ist. Das liegt zum Teil an der bis heute nicht gelungenen Kolleggeldreform. Der Hochschulverband hat gerade jetzt ein Weißbuch herausgebracht mit der Dokumentation, warum das so ist. Ich bin der Meinung - ich bitte das nicht übel zu nehmen -: wenn die Kultusministerkonferenz - die ja immer angeklagt wird, sie verhindere die Kolleggeldreform - damit aus irgendwelchen hier nicht zu erörternden Gründen nicht fertig wird, dann sollte man das ganze Problem dem Wissenschaftsrat geben, der vielleicht dann damit fertig wird.
Zum Wissenschaftsrat noch ein Wort. Er sollte nicht nur verlängert werden. Der Wissenschaftsrat braucht als Grundlage nicht ein Verwaltungsabkommen, sondern ein Gesetz, und es wäre eine Aufgabe dieses Hauses, sich das einmal zu überlegen. Denn diese Einrichtung sollten wir nicht mehr aufgeben.
Damit hängt auch die Frage der Kompetenzverteilung in Bildung, Wissenschaftsförderung usw. zusammen. Meine Damen und Herren, auch die Aufgabe eines Wissenschaftsministeriums sollte nicht darin bestehen, einen an und für sich unzulänglichen vorhandenen Besitzstand neu zu verteilen, sondern darin, diesen Besitzstand zu vermehren.
({6}) Das ist das, was wir brauchen.
Damit komme ich zu dem wohl wichtigsten Problem, das zu lösen ist. Es betrifft hauptsächlich die in Punkt 4 der Großen Anfrage behandelte Frage der zukünftigen Entwicklung der Planungsunterlagen. Meine Damen und Herren, ich meine hier nicht eine Planung für die Finanzierung und die Organisation der Hochschulen und Universitäten, der Bildungsanstalten, sondern etwas anderes. Die modernen Industriestaaten sind aus Gründen ihrer Existenzsicherung, auch der Sicherung der Freiheit einschließlich der militärischen Verteidigung, gezwungen, in die Zukunft zu schauen. Bei uns ist das sehr viel schwerer als in anderen Ländern, weil mit jedem Versuch, einen Blick in die Zukunft zu tun, insbesondere bei der Wissenschaft der Verdacht entsteht, hier komme ein Dirigismus auf sie zu. Ich glaube, hierüber muß man nachdenken.
Ein gewisser Teil der wissenschaftlichen Betätigung muß immer frei bleiben von jeder Intervention. Der Staat hat in der pädagogischen Provinz überhaupt nur eine subsidiäre Rolle. Aber diese muß er wahrnehmen; denn die pädagogische Provinz gehört zur Selbstachtung eines Staatswesens. Diese Rolle muß er wahrnehmen, und er kann sie nicht von einer Erlaubnis der Betroffenen abhängig machen; denn der Staat als Vertreter der Allgemeinheit ist verantwortlich für die Zukunftssicherung.
Nun kann man diese Zukunftssicherung von Wissenschaft und Forschung auf die verschiedenste Weise vornehmen. Man kann es machen wie in Amerika. Dort geschieht das in einer freien Wirtschaft durch Vereinbarungen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Staat, sogenannte Kontaktforschung, gebunden an ein etwas größeres Verständnis der Professoren dort drüben für die Erfordernisse der Staatsräson, an die systematische Ausbildung des Teamworks und ,an eine großzügige Investitionsfinanzierung für die Wissenschaft, allerdings auf dem Umweg über die militärischen Forschungsanlagen. Das funktioniert dort drüben. Dieses System ist schon von der Eisenhower-Administration und jetzt von der Kennedy-Verwaltung bewußt als Element der Politik eingeführt worden; sonst hätten die Vereinigten Staaten weder die Kuba-Krise lösen können noch ihre Führungsrolle in der Welt wieder erringen, d. h. den Sputnik-Schock überwinden können. Man kann das machen wie in totalitären Staaten - Sowjetrußland -, in denen einfach dieses Vorausdenken in Form der sogenannten Perspektivplanung vom Staat verordnet wird, und dann auch mit Zwangsmitteln, unter Konsumverzicht der betroffenen Bevölkerung, durchgeführt wird; und man kann es machen, wie man es eigentlich in europäischen Ländern machen sollte, also bei uns, in einer freien Wirtschaftsordnung, durch die Wissenschaft festlegen lassen, was die Wissenschaft für die Zukunft braucht.
Mit anderen Worten, meine Damen und Herren; das ist hier kein Verwaltungsproblem, sondern ein wissenschaftliches Forschungsproblem; und hier sollten wir zuerst ansetzen. Wir müssen die Frage, was wir in der Zukunft für die Förderung der Wissenschaft, für die Organisation der Wissenschaft, für ihre Finanzierung und für ihre Problemstellung brauchen, zu einer wissenschaftlichen Frage machen.
Hierfür gibt es wissenschaftliche Hilfsmittel. Man faßt sie heute zusammen unter dem Begriff der Programmtheorie oder der Systemtheorie. Es gibt leider kaum deutsche Fachausdrücke hierfür. Hierunter fallen die operations research, die research on research, die systems analysis und die systems designs, alles Fächer, die in Amerika zur Wissenschaft gehören und mit denen man feststellt, was man später braucht. Ich bin sehr dafür, daß man die bei uns zwar vertretenen, aber doch noch recht zögernd benutzten soziologischen Wissenschaften stärker fördert - sie gehören zu den Geisteswissenschaften -, damit bei uns die Soziologie endlich einmal aus dem Status herauskommt, als wäre sie
eine Wissenschaft, der schon vom Gegenstand her die Freude des Daseins versagt ist.
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Wir könnten also, glaube ich, ohne sehr viel zu debattieren über das, was geschehen sollte, und große Pläne zu erörtern, an die Tagesarbeit herangehen.
Die Zukunft ist nicht so optimistisch zu beurteilen, meine Damen und Herren, wie das hier geschieht und wie es auch manche Selbstverwaltungsorganisationen unserer Wissenschaft darstellen: Es sei doch alles bestens, und an der Zukunft der deutschen Wissenschaft sei nicht zu zweifeln usw.
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Ich bin - und ich habe doch wohl auch eine eigene Erfahrung auf diesem Gebiet - nicht ganz so zuversichtlich, nicht weil wir in Naturwissenschaft und Technik zurückhängen - das sind Dinge, die kann man aufholen -, aber wo es bei uns fehlt, das sind die geistigen Grundlagen, mit denen wir mit diesen Dingen, Naturwissenschaft und Technik - denken Sie nur an die Massenpublikationsmittel, die uns die Technik beschert hat -, geistig fertig werden. Was bei uns versagt hat, sind nicht Naturwissenschaft und Technik, die immer dem Mißbrauch ausgesetzt sind, sondern die geistigen Regulationsfaktoren, die man leichter manipulieren kann als Naturwissenschaft und Technik, bei denen immer noch zwei mal zwei gleich vier ist, ganz gleich, wer den Staat beherrscht. Aber bei den Geisteswissenschaften ist das sehr viel leichter möglich.
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Was die Zukunft angeht, meine Damen und Herren, gerade weil wir das heute hier erörtert haben: Wir sollten uns jeden Tag mindestens einmal vorsagen: Wir sind noch längst nicht wieder davongekommen.
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Das Wort hat Herr Senator Dehnkamp.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Balke veranlassen mich, noch einmal das Wort zu nehmen als Präsident der Kultusministerkonferenz. Ich darf gleichzeitig dafür danken, daß es zum zweitenmal möglich ist, daß der Präsident der Kultusministerkonferenz hier spricht. Das erstemal ist es vor elf Jahren gewesen, als Sie oder Ihre Vorgänger darüber sprachen, ob wir in Deutschland einen Deutschen Ausschuß für das Erziehungs-
und Bildungswesen schaffen wollten, und da hat der Kultusminister des Landes Württemberg-Hohenzollern, das es heute nicht mehr gibt, der damals Präsident der Kultusministerkonferenz war, hier gesprochen.
Mir geht es um den Gedanken, der zum Schluß anklang, daß aus den Zahlen, die vom Herrn Ministerpräsidenten Goppel und von Herrn Bundesmini2716
Senator Dehnkamp
ster Lenz vorgetragen wurden, etwa so etwas wie ein satter Optimismus klinge. Wir haben diese Zahlen vorgetragen in dem Bewußtsein unserer Leistung, aber nicht etwa mit 'der Meinung, damit sei nun eigentlich alles geschehen, also auch in vollem Bewußtsein dessen, was noch vor uns liegt. Ich glaube, die Zahlen, die beide Herren genannt haben, sind in dieser Beziehung sehr deutlich, insbesondere was die künftigen finanziellen Aufwendungen der Länder sowohl wie des Bundes angeht. Denn in dieser Frage ist es ja tatsächlich so, daß der Bund bei den Investitionsausgaben zu etwa 50 % beteiligt ist, daß aber alles, was hinterherkommt, zum überwiegenden Teil, wenn nicht ausschließlich, Sache der Länder ist. Und die Zahlen, die dabei genannt worden sind, sind ja sehr deutlich.
Ich darf also - und das ist ein Punkt, der, glaube ich, für alle Überlegungen von entscheidender Bedeutung ist - ausdrücklich sagen: die Länder sind seit vielen Jahren bemüht, sich für ihre Maßnahmen auf dem Gebiet des Ausbaus und der Förderung von Hochschule und Wissenschaft die notwendigen Unterlagen zu verschaffen, das erstemal bei der Bedarfsfeststellung von 1956. Die damaligen Wunschzahlen liegen unter dem Ist von 1961. Ich darf also damit 'deutlich machen, daß unseren damaligen Vorstellungen durchaus dieser Gedanke der stufenweisen Entwicklung entspricht, wie er auch hier ganz deutlich gemacht worden ist, weil es eben unmöglich ist, hier mit einem Schlag etwas völlig Neues oder gar etwas um 100, 200 oder noch mehr Prozent Ausgebautes hinzustellen.
Die Länder haben seit Jahren planmäßig ihre Hochschulpolitik und ihre Investitionsmaßnahmen gesteigert, und das Ergebnis ist das, was Ihnen heute in den Zahlen der beiden Herren vorgetragen worden ist. Diese Zahlen machen deutlich, was wir bisher erreicht haben.
Bei den Studentenzahlen - und da liegt 'die große Frage - in den kommenden Jahren ist aber schon wiederholt von dem Überhang gesprochen worden. Dieser Überhang ist errechnet, wenn Sie wollen, geschätzt; aber hier liegen doch sehr reale Berechnungen zugrunde. Das jetzige Verhältnis von Studenten zur Bevölkerungszahl, von Abiturienten zur Jahrgangszahl beantwortet immer noch nicht die große Frage nach dem künftigen Bedarf oder - wenn Sie wollen - nach der 'dynamischen Entwicklung gerade auf diesem Gebiet. Insofern sind also die Zahlen ein klein wenig statisch. Es fehlt darin die Überlegung - und das ist von uns sehr schwer abzuschätzen -, wie groß der künftige Bedarf in der Wissenschaft, in ,der Wirtschaft, in der Verwaltung, in unserer Gesellschaft überhaupt sein wird. Er wird mutmaßlich größer sein als heute, und wir sind bei den Zahlen von etwa der 'gleichen Relation ausgegangen. Ich muß also mit Nachdruck darauf hinweisen, daß das, worüber wir heute 'debattieren, ganz fraglos die Mindestvorstellungen von dem sind, was wir in der Zukunft zu bewältigen haben werden, daß nämlich nach unserer Vorstellung die Aufgaben, wenn sie sich uns deutlicher, konkreter stellen, wahrscheinlich noch größer sein werden.
Ein wenig davon können Sie daran erkennen, daß die Länder bei ihren Maßnahmen zur Verwirklichung der „Empfehlungen" des Wissenschaftsrates bei mehr als einer Hochschule schon heute erkennbar über das hinausgegangen sind, was der Wissenschaftsrat empfohlen hat. Insofern ist also in den bisherigen Maßnahmen eine kleine Reserve enthalten, die den hier dargestellten Überhang, den theoretischen Überhang etwas verringern 'wird. Wie er sich in der Praxis darstellt, das ist - ich sage es noch einmal - die Frage, die niemand in diesem Augenblick beantworten kann.
Eine Bemerkung noch zu den beiden großen gemeinsamen Einrichtungen, die es heute gibt, dem Deutschen Wissenschaftsrat und dem deutschen Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen. Ich bin nicht befugt, für die Bundesregierung zu sprechen; aber aus allen bisherigen Besprechungen mit einzelnen Bundesministern und aus der Haltung aller Länderkabinette darf ich hier andeutungsweise folgendes sagen. Es besteht bei keiner der vertragschließenden Seiten etwa die Absicht, das Abkommen über den Wissenschaftsrat nicht zu verlängern. Es ist im vorigen Jahr um weitere fünf Jahre verlängert worden. Die jährliche Neuberufung von Mitgliedern des Wissenschaftsrats hat nichts mit dem institutionellen Fortbestand dieser Einrichtung zu tun. Alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß wir den Wissenschaftsrat, seine Kenntnisse, seine Erfahrungen und seinen Rat in 'der Zukunft mindestens ebenso sehr brauchen, wie wir ihn in der Vergangenheit gebraucht haben. Daß er weiterbestehen soll und weiterbestehen muß, ist gar keine Frage.
Bezüglich des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen ist hier die gleiche Frage gestellt worden. Für die Kultusminister darf ich das sagen, was im vorigen Jahre auf der Flensburger Tagung mit Nachdruck erklärt wurde: daß wir diese Einrichtung auch weiterhin als notwendig ansehen. Wir brauchen für unsere Arbeit, für die Gesetzgebungsarbeit in den Landtagen und die Verwaltungsarbeit in den Kultusministerien, den Rat, die Hinweise und die Empfehlungen, die der Deutsche Ausschuß in der vergangenen Zeit sehr oft gegeben hat. Selbst wenn sich nicht jedes einzelne Kultusministerium stets an diese Empfehlungen gehalten hat, - sie waren für uns immer ein notwendiger Hinweis, meinetwegen, damit wir uns selber erinnern konnten an den jeweiligen Standort im Zuge der pädagogischen Entwicklung, im Zuge der geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzungen und auch 'hinsichtlich bestimmter aktueller politischer Fragen; denn auch 'dazu hat sich ja der Deutsche Ausschuß geäußert. Ob er aber weiterarbeiten wird, Idas ist ein Frage, die er allein entscheidet.
Der Deutsche Ausschuß hat auf dieser Flensburger Tagung zu unserem Bedauern erklärt, wenn ein bestimmtes Arbeitspensum abgeschlossen sei -das uns damals dargestellt wurde -, halte er es für ratsam, seine Arbeit einzustellen. Ich kann nur sagen: zu unserem Bedauern! Ob es gelingen wird, die Mitglieder des Deutschen Ausschusses von dieser Entscheidung abzubringen, vermag ich im
Senator Dehnkamp
Augenblick nicht zu sagen. Als Präsident der Kultusministerkonferenz kann ich sagen: ich bin im 'Augenblick darum bemüht, ich hoffe, mit Erfolg.
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Nunmehr Herr Abgeordneter Dr. Kübler!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Antrag Umdruck 177 *) der sozialdemokratischen Fraktion zur Wissenschaftsförderung zu begründen. Dieser Antrag gliedert sich in neun Punkte.
Der erste Punkt richtet sich nur an den Bundeskanzler. Dieser wird von uns ersucht, dem Bundesminister für wissenschaftliche Forschung die Zuständigkeit in allen Fragen und Arbeitsbereichen, die mit der Förderung der wissenschaftlichen Forschung zusammenhängen, zu übertragen.
Die Begründung gibt eigentlich die heutige Debatte. Denn dadurch, daß wir nunmehr einen Wissenschaftsminister - noch mit etwas beschränkten Kompetenzen - haben, haben wir es in diesem Hause erreicht, daß nicht nur der Präsident der Kultusministerkonferenz und der Präsident des Bundesrates bzw. sein Stellvertreter zu uns gekommen sind, sondern daß wir eine Debatte hatten, in der die Wissenschaft und die Bildungsfragen zum Anliegen des ganzen Volkes erklärt wurden. Meine Fraktion nimmt die schöne Feststellung von Herrn Abgeordneten Hellige, daß der Prozeß der Amtsübernahme des Herrn Wirtschaftsministers bald abgeschlossen ist, als Hinweis auf diese Möglichkeit, alle Fragen der Forschung in diesem Ministerium zusammenzufassen.
Weiter soll die Bundesregierung nach unserem Antrag ersucht werden, in Zusammenarbeit mit den Ländern die Richtlinien über die Vergabe von Stipendien nach dem Honnefer Modell so zu ändern, daß sie dem Bedarf der Studierenden entsprechen und eine Ausweitung des zu fördernden Personenkreises ermöglichen.
Ich weiß nicht, ob ich Herrn Kollegen Balke falsch verstanden habe, wenn ich hier so etwas wie eine kleine Einschränkung heraushörte, als er sagte: „Wer nicht geschunden wird, der lernt auch nichts." Dieses Schinden darf keineswegs außerhalb der Studienzeit, also in den Ferien, dadurch stattfinden, daß sich ein junger Mensch dann seinen Lebensunterhalt verdienen muß.
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Die Debatte heute hat uns ja gezeigt, daß wir die Entlastung der Universitäten und Hochschulen auch durch wissenschaftliche Arbeit in den Ferien erreichen wollen. Wir müssen den Studenten, die noch gezwungen sind, in den Ferien zu arbeiten - die Zahlen sind sehr hoch -, durch eine Ausweitung dieser Studienförderung entgegenkommen, eine
*) Siehe Anlage 2
Ausweitung, der Sie ja im Prinzip schon zugestimmt haben.
({1})
Zweitens soll nach unserem Antrag die Bundesregierung ersucht werden:
den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, insbesondere die Neugründung von Universitäten und medizinischen Akademien, zu beschleunigen
Hierüber sind wir uns alle einig. Die Meinungen über die Zahlen der notwendigen Hochschulen schwanken zwischen 4 und 14 oder 15. Aber der Entschließungsantrag meiner Fraktion dürfte hier nicht auf Gegensätze stoßen.
Der Antrag unter Nr. 2 geht nun weiter:
und entsprechende Baumaßnahmen von restriktiven Anordnungen zur Dämpfung der Baukonjunktur auszunehmen;
Wir unterstreichen den Satz, den der Herr Wissenschaftsminister hier geprägt hat, daß die Wissenschaft nicht das erste Opfer von restriktiven Maßnahmen werden darf.
({2})
Wir ersuchen drittens die Bundesregierung, in Zusammenarbeit mit den Ländern
sich dafür einzusetzen, daß das Max-PlanckInstitut für Bildungsforschung seine Arbeit alsbald aufnehmen kann und daß das Statistische Bundesamt in die Lage versetzt wird, die notwendigen statistischen Unterlagen über das Bildungswesen zu erstellen;
Ich kann hier auf die gesamte heutige Diskussion verweisen, wo dauernd das Gefühl und das Verständnis dafür da war, daß wir mit starken Zuwachsraten zu rechnen haben. Aber wir haben all diese Dinge nicht fest im Griff. Die Schätzungen schwanken manchmal um 200 % bis 300%. Hier ist ganz zwingend notwendig die Aufgabe gegeben, die Unterlagenforschung und die Grundlagenforschung für die Bildungsarbeit und die Bildungsstatistik zu übernehmen.
Weiter soll die Bundesregierung ersucht werden, in Zusammenarbeit mit den Ländern
unverzüglich zu prüfen, wie - nach dem Beispiel des Wissenschaftsrates - für das Bildungswesen außerhalb der wissenschaftlichen Hochschulen ein Deutscher Bildungsrat geschaffen werden kann, der die Bildungspolitik der Bundesländer planend und koordinierend klärt und als politische Repräsentanz in allen Bildungsfragen dem Ausland gegenüber in Erscheinung tritt.
Grundsätzlich haben wir in der Debatte gehört, Herr Abgeordneter Martin, daß auf diesem Gebiet weder Theorie noch Praxis uns handfest in den Griff gekommen ist und daß wir das als Aufgabe haben. Sie sprachen die Befürchtung aus, daß wir etwa diesen Bildungsrat erst entmythologisieren müßten. Ich darf Ihnen versichern, daß wir bei diesem Bildungsrat nicht an einen Olymp unnahbarer Götter
gedacht haben, sondern an ein handfestes, praktisches Arbeitsinstrument, über dessen Formen wir miteinander zu reden haben.
({3})
Die Bundesregierung soll sodann ersucht werden,
1. auf eine baldige Annahme des Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern zur Förderung kulturpolitischer Aufgaben hinzuwirken;
Wir haben gehört, daß dieses zu erwirkende Abkommen noch keineswegs ganz tot ist, und wir hoffen auf Annahme unseres Antrages.
Weiter soll die Bundesregierung ersucht werden,
2. nach Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung vorzulegen;
Wir waren uns hier einig, daß der Bund für die wissenschaftliche Forschung mitverantwortlich ist, damit diese Forschung den erhöhten Ansprüchen von Staat und Gesellschaft gerecht werden kann. Das Ob wollen wir hier feststellen, über das Wie in diesem Gesetz wären weitere Diskussionen unbedingt notwendig. Wir würden Ihnen den Antrag sehr empfehlen, damit darüber gesprochen werden kann, wie die heute bestehenden Träger der Forschungseinrichtungen im Bedarfsfalle etwa ergänzend Bundeshilfe für neue Forschungszweige oder wissenschaftliche Schwerpunkte bekommen, wie es mehrmals hier angeschnitten wurde. Um zu klären, wie dieses Wie durchzuführen ist, möchten wir das I) möglichst bald durchziehen.
Es wird ferner beantragt, die Bundesregierung zu ersuchen,
3. mit dem Entwurf des Bundeshaushaltsplans jährlich einen Bericht an den Deutschen Bundestag über den Stand der Entwicklung der Wissenschaften in Deutschland vorzulegen. Die Selbstverwaltungsorgane der Wissenschaft sind vor der Abfassung des Jahresberichts zu hören. Der Jahresbericht soll die Ziele einer finanziell und sachlich langfristig geplanten Wissenschaftspolitik darlegen;
Erfreulich in der heutigen Diskussion und ermutigend für diesen Antrag waren die vielen Erklärungen, nach denen die Wissenschaftsplanung keineswegs mehr als irgendwie belastend empfunden, sondern als eine Notwendigkeit in einem modernen Staat anerkannt wird. Darin war sich das Hohe Haus einig. Es bestehen, wie ich bis jetzt sehe, nur gewisse Bedenken, Herr Dr. Martin, den Bericht jährlich vorzulegen. Aber wenn ich Herrn Kollegen Hellige richtig verstanden habe, unterstützt auch er die jährliche Vorlage, so daß wir dann eine Analogie zu anderen Gebieten hätten, aus denen jährlich über die Tendenzen, über die Entwicklungsmöglichkeiten oder auch über die Fehlleistungen offen berichtet wird.
Der letzte Teil des Antrages:
4. das Abkommen über die Bildung des Wissenschaftsrates zu verlängern,
dürfte nach der heutigen Diskussion auf eine einhellige Meinung stoßen.
Ich lege im Auftrag der SPD-Fraktion diesen Gesamtantrag vor als Konzept für eine Weiterarbeit, die wir alle für notwendig halten; denn die Ermutigung, die Herr Abgeordneter Balke gegeben hat, möchte ich unterstreichen. Es ist keineswegs so, daß wir beruhigt sagen könnten: Wir sind noch einmal davongekommen! Wir stehen vielmehr am Anfang von schwierigen Aufgaben, die wir zu erfüllen haben, wenn unser Volk in der Zukunft bestehen will.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Abschluß einer solchen Debatte über die Wissenschaftsförderung ist es für einen Hochschullehrer und für ein langjähriges Mitglied des Deutschen Ausschusses für Bildungswesen - aus dem ich erst vor kurzem ausgeschieden bin - schmerzlich, wenn er es sich versagen muß, ausführlich auf all das einzugehen, was heute morgen hier debattiert worden ist. Ich muß mich aber auf wenige Bemerkungen beschränken.
Ich darf zunächst feststellen, daß es doch etwas außerordentlich Erfreuliches ist, daß sich alle Parteien in diesem Hause einig sind in dem festen Willen, die Wissenschaft weiter zu fördern und große neue Anstrengungen zu machen, damit sich die Wissenschaft bei uns so entwickeln kann, wie es für unsere Gesellschaft und unseren Staat notwendig ist. Wir sind uns auch darin einig, daß die deutsche Wissenschaft, die in der Zeit des Nationalsozialismus und im zweiten Weltkrieg schwere Rückschläge erlitten hat, noch lange nicht wieder den Stand erreicht hat, den sie einmal im Weltvergleich innegehabt hat, und daß hier noch große Anstrengungen notwendig sind.
Ich möchte dennoch diese Debatte nicht abschließen, ohne zugleich ein Bekenntnis zur deutschen Wissenschaft und ihren Institutionen, den Universitäten, den Technischen Hochschulen und den anderen wissenschaftlichen Einrichtungen abzulegen. Ich glaube, daß die Eigenart der Arbeit, die hier geleistet wird, und die wissenschaftliche Schulung, die hier unserem wissenschaftlichen Nachwuchs gegeben wird, auch heute noch in der ganzen Welt eine große Anziehungskraft besitzen. Denken Sie nur an die große Zahl der Studenten, die aus anderen Ländern zu uns kommen, um an unseren Universitäten zu studieren. Wir sollten uns dessen bewußt sein, daß wir in unseren Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen ein großes Gut haben,
({0})
das wir erhalten und weiterentwickeln müssen, das wir aber auch nicht durch schnelle und unbedachte Reformen verderben dürfen.
({1})
Dr. Hahn ({2})
Ich möchte mich in dieser Stunde zu dem Grundkonzept unserer Hochschulen bekennen, das vor 150 Jahren von Wilhelm von Humboldt geschaffen worden ist. Das bedeutet nicht, daß ich mich zum Bildungsgriff Wilhelm von Humboldts bekenne;
({3})
er ist in vieler Hinsicht überholt und entspricht nicht mehr der heutigen Zeit. Aber zu der Grundkonzeption, über die jetzt nicht im einzelnen gesprochen werden kann, möchte ich mich bekennen: der Einheit von Forschung und Lehre und der akademischen Freiheit, insbesondere aber zu der Grundkonzeption in dem Verhältnis von Staat und wissenschaftlichen Institutionen.
Dabei bin ich an dem Punkt, an dem sich die beiden Anträge, der Antrag der Koalitionsparteien, den ich hier zu begründen habe, der CDU/CSU und der FDP, Umdruck 183 *), und der Antrag der SPD voneinander unterscheiden. In der Großen Anfrage der SPD und auch in dem Antrag der SPD, in dem viel Gutes steckt, überwiegen die quantitativen Fragen.
({4})
Da überwiegen der Wunsch, nur eine Vermehrung der Mittel herbeizuführen, die sehr notwendig ist, und die Meinung, eine Ausweitung auf den verschiedensten Gebieten wäre das Wichtigste. Wir sollten nicht vergessen, daß Wissenschaft nicht ein Quantitätsbegriff, sondern ein Qualitätsbegriff ist.
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Wir sollten nicht vergessen, meine Damen und Herren, daß die sehr schwerwiegenden Probleme eines quantitativen Ausbaus unserer Hochschulen wohl gemeistert werden können. Die Tatsache, daß es dem Wissenschaftsrat - und den Ländern, die seine Empfehlungen aufgenommen haben - gelungen ist, ein Jahr schneller, als es ursprünglich vorgesehen war, die Vorschläge des Wissenschaftsrates in weiten Teilen zu erfüllen, ist ein Zeichen dafür, daß sich 'die quantitativen Fragen wohl werden bewältigen lassen.
Die eigentliche Sorge der deutschen Wissenschaft ist aber, daß die wissenschaftlichen Institutionen wieder so funktionsfähig werden, daß die deutsche Wissenschaft qualitativ jeder wissenschaftlichen Bemühung in der Welt das Wasser reichen kann. Die entscheidende Bemühung ist die, daß auch unsere wissenschaftlichen Institutionen hinsichtlich ihres Bildungsauftrags wieder erreichen können, was sie im vergangenen Jahrhundert vermochten.
So sind wir der Meinung, daß es nicht nur darum geht, die wissenschaftlichen Institutionen auszuweiten, sondern es das Wichtigste ist, daß diese Ausweitung mit der Hochschulreform, und zwar der äußeren und vor allem der inneren Hochschulreform, verbunden wird. Die Verwirklichung einer solchen Hochschulreform muß aus der deutschen Wissenschaft selbst kommen. Darin stimme ich mit all den prominenten Männern und Frauen überein, die sich im letzten Jahrzehnt zu der Frage der Hochschul-
*) Siehe Anlage 3
reform geäußert haben. Ich erinnere an Karl Jaspers und Helmut Schelsky, also sehr verschiedene Denker, die sich darin einig sind, daß die Gedanken zur Hochschulreform und ihre Verwirklichung aus der deutschen Wissenschaft selbst kommen müssen.
Hier ist es das Positive, auf das wir zurückblicken dürfen, daß sich seit vier Jahren die Lage der deutschen Hochschulen vollkommen gewandelt hat. Seit es im Jahre 1958 zu dem Abkommen zwischen dem Bund und den Ländern und der deutschen Wissenschaft und Wirtschaft gekommen ist, seit damals der Wissenschaftsrat gebildet wurde, hat eine neue Ara der deutschen Hochschulpolitik begonnen. Seit zwei Jahren empfinden wir, daß wir wieder Morgenluft atmen können und daß es an den deutschen Hochschulen vorwärtsgeht. Aber zur gleichen Zeit müssen wir das andere beachten: Es ist nicht möglich, Hochschulen und wissenschaftliche Institute in gleicher Geschwindigkeit aufzubauen, wie es bei Fabriken oder anderen Produktionsstätten möglich ist. Erst recht braucht die Heranbildung eines wissenschaftlichen Nachwuchses Zeit.
Ich möchte auf diesen einen Punkt noch kurz zu sprechen kommen. Gerade weil diese Frage hier mehrfach erwähnt worden ist, sollte man noch ein Wort dazu sagen. Ich denke an die Frage der Habilitanden. Sie wissen - davon ist schon die Rede gewesen -, daß die Thyssen-Stiftung der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Mittel hierfür zur Verfügung gestellt hat. Im Jahre 1961 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft auf Anträge der deutschen Hochschulen, insbesondere der einzelnen Ordinarien, 150 Habilitandenstipidien verliehen. Im Jahre 1962 waren es 219. Nur ein einziger Antrag mußte zurückgewiesen werden - alle anderen Anträge konnten genehmigt werden -, und dieser nur deswegen, weil der Betreffende nicht qualifiziert war.
Darüber hinaus gibt die Deutsche Forschungsgemeinschaft 300 bis 400 Stipendien für junge Wissenschaftler, die auch habilitabel sind. Somit ist im Augenblick das Bedürfnis befriedigt. Es entspricht sicher noch nicht dem, was wir an den deutschen Hochschulen auf die Länge hin brauchen. Aber es geht nicht an, daß wir diese Dinge künstlich anheizen und dabei das Niveau senken. Die deutsche Wissenschaft muß darauf achten, daß ihr Niveau erhalten bleibt.
Deshalb wollen wir - das ist unsere Meinung, und das ist im Grunde der wichtigste Gedanke des Antrags, den ich hier zu begründen habe -, daß in der gleichen Weise fortgefahren wird, wie es in den letzten zwei Jahren geschehen ist, daß der Deutsche Wissenschaftsrat den Auftrag bekommt, so weiterzuarbeiten wie bisher, und daß dabei, wie es bisher gewesen ist, die eigentliche Planung und die Initiative auch in den Händen der deutschen Wissenschaftler liegen. Dazu haben wir den dringenden Wunsch, daß auch Bund und Länder immer enger zusammenarbeiten. Das haben wir in der Bitte zum Ausdruck gebracht, daß ein ständiger Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern über die Fragen der Wissenschaft stattfindet. Wir hoffen auch unsererseits, daß von der Länderseite aus alles ge2720
Dr. Hahn ({6})
tan wird, damit das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern zustande kommt.
So bitte auch ich darum, unseren Antrag an den Ausschuß zu überweisen, damit in den Ausschüssen beide Anträge bis in die Einzelheiten miteinander beraten werden können.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie nicht länger mehr in diesem Raum festhalten. Ich möchte nur zum Schluß der Debatte, die mir eigentlich keine Möglichkeit gibt, kontroverse Meinungen festzustellen, ein Wort der Hoffnung und ein Wort des Dankes sagen. Ich meine, es hat ,Sie - wie mich - sehr berührt, daß in einer entscheidenden Frage hier vor dem Hohen Haus Sprecher der Bundesregierung und des Bundesrates vortragen konnten. Ich hoffe sehr, daß dieses Verfahren, das angesichts der Schwierigkeit dieser komplexen Fragen - bei denen Länder- und Bundeszuständigkeiten zum Teil ineinander übergehen, zum Teil nicht vorhanden sind - besonders wertvoll ist, fortgesetzt wird. Auf diese Weise könnten sich eine ganze Reihe von Empfindlichkeiten und Schwierigkeiten, ,die bestanden haben mögen, abschleifen. Ich empfinde es sehr dankbar, daß der Herr Ministerpräsident Goppel, der zur Zeit amtierende Präsident des Bundesrates, hier ebenso frei vor dem Hause berichtet hat, wie es die Bundesregierung getan hat.
Zum anderen begrüße ich, daß in dieser Frage zwischen den Fraktionen keine entscheidenden Unterschiede bestehen. Herr Kollege Hellige, erlassen Sie mir es bitte, auf Ihre neue „Große Anfrage" im Detail zu antworten. Das wäre vielleicht Gegenstand einer weiteren Besprechung. Ich möchte nur all den Zweiflern, die ich hier und 'da herauszuhören geglaubt habe, gesagt haben, daß das neu errichtete Ministerium die Kompetenzen erhalten wird, die es braucht und die es nicht in die Lage bringen, sich immer in einer reinen Objektssituation zu fühlen.
Herr Kollege Frede, Sie dürfen versichert sein - das hier zu sagen, ist natürlich nicht meine Aufgabe; ich bin im Augenblick noch in dieser Situation; es wäre Sache des Regierungschefs -, daß Sie in allerkürzester Zeit den entsprechenden Erlaß lesen werden, aus dem Sie ersehen können, daß der Wissenschaftsminister oder Forschungsminister - wie Sie ihn nun bezeichnen mögen - seine Bezeichnung wirklich verdient, wobei 'in keinerlei Kompetenzen der Länder eingegriffen wird.
Ich möchte Ihnen danken, weil ich aus der Debatte herausgehört und gespürt habe, daß wir bei der Förderung der Wissenschaften an einem Punkt stehen, wo unsere Zukunft beginnt, an einem Punkt, wo wir bisher vielleicht Großes, aber nicht genügend Großes getan haben.
Ich möchte schließen mit einem Wort meines hochverehrten Vorgängers, Herrn Professor Balke, dem ich vieles verdanke. Er hat am Ende eines seiner klugen Vorträge gesagt: „Die Verpflichtung, der ,Forderung des Tages' zu genügen, das hat uns Goethe gelehrt. Wir haben die Verpflichtung, der Forderung der Zukunft gerecht zu werden, damit sie nicht in dieser Gegenwart endet."
({0})
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Wir kommen zur Behandlung der Anträge.
Ich schlage Ihnen vor, den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck 177 und den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Umdruck 183 dem Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik zu überweisen. - Darüber besteht Einverständnis.
Dann treten wir in die Mittagspause ein. Dafür sind 90 Minuten vorgesehen. Wir beginnen also wieder um 15.15 Uhr.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, wir bleiben bei der Kultur und wenden uns diesem Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung, der Agrikultur, zu. Ich rufe Punkt 6 auf:
a) Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirtschaftsgesetzes ({0}),
b) Große Anfrage der Fraktionen der FDP, CDU/CSU betr. gemeinsame Agrarpolitik in der EWG ({1}),
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte ({2}),
d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte ({3}).
Wie ich höre, soll zuerst die Große Anfrage beantwortet werden. Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP beantworte ich wie folgt.
Zu Frage 1: Die Bundesregierung wird bei den weiteren Verhandlungen über das gemeinsame Agrarpreisniveau in der EWG an den Grundsätzen ihrer Erklärung vom 29. November 1961 festhalten, wonach der Eingliederungsprozeß in die EWG organisch und behutsam vor sich gehen muß. Die Erfahrungen mit der Einführung des Abschöpfungssystems haben bewiesen, daß eine solche schonende Überleitung der nationalstaatlichen Marktordnungen in gemeinsame Marktorganisationen notwendig ist. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß der weitere Fortgang dieser Eingliederung durch die Termine des Vertragswerks, im besonderen durch den festgelegten .Abstimmungsmodus im Ministerrat, vorgezeichnet ist. Danach kommen die Beschlüsse im Ministerrat von der dritten Phase der Übergangszeit an, also voraussichtlich ab 1. Januar 1966, stets mit qualifizierter Mehrheit zustande. Der Vertreter der Bundesrepublik kann also von diesem Zeitpunkt an überstimmt werden. Die schrittweise Eingliederung in den gemeinsamen Agrarmarkt ist dann nicht mehr allein von den einzelnen Mitgliedsländern abhängig.
Die Verhandlungen mit anderen Staaten wegen eines Beitritts zur EWG hatten sich bisher auf den Beitritt Großbritanniens konzentriert. Hier wurden die gleichen Grundsätze gewahrt. Umgekehrt brachte die deutsche Delegation aus gleichem Grund in gleicher Sache auch britischen Wünschen Verständnis entgegen.
Die Bundesregierung wird sich auch bei künftigen Verhandlungen zur Erweiterung der Gemeinschaft weiterhin von den in der Regierungserklärung vom 29. November 1961 enthaltenen Grundsätzen leiten lassen.
Zu Frage 2: Die Bundesregierung ist bereits bei den vorbereitenden Verhandlungen über die ersten gemeinsamen Marktordnungen mit Nachdruck dafür eingetreten, daß die EWG-Kommission eine Bestandsaufnahme aller den Wettbewerb beeinflussenden Maßnahmen vornimmt. Hierzu gehören nach Auffassung der Bundesregierung nicht nur wirtschaftliche Hilfen, sondern auch öffentliche Mittel, die den landwirtschaftlichen Erwerbstätigen für ihre soziale Sicherung gewährt werden. Die Bundesregierung hat der EWG-Kommission ein vollständiges Verzeichnis aller Beihilfen auf dem Agrarsektor übersandt. Darüber hinaus hat die Bundesregierung bei den EWG-Behörden verlangt, daß vergleichbare Übersichten über die Leistungen und die Finanzierung der sozialen Sicherung in der Landwirtschaft erstellt werden. Die Bundesregierung wird sich auch bei den künftigen Verhandlungen über das gemeinsame Agrarpreisniveau dafür einsetzen, daß die in anderen Ländern der Landwirtschaft gewährten Hilfen aus öffentlichen Mitteln, unbeschadet ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Zweckbestimmung, berücksichtigt werden.
Zu Frage 3: Das Landwirtschaftsgesetz enthält keine Einzelmaßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft, sondern kleidet eine allgemeine, agrar-
und wirtschaftspolitische Richtlinie in Gesetzesform. Das Landwirtschaftsgesetz ist ein Rahmengesetz, das einen genügenden Spielraum für entsprechende
Maßnahmen der Gesetzgebung und Verwaltung läßt. Es ist also weder von seiner agrar- und wirtschaftspolitischen Zweckbestimmung noch von seinen Forderungen her notwendig, das Landwirtschaftsgesetz an die übrigen Agrarförderungsgesetze der EWG-Länder anzupassen. Von einer Anpassung kann daher lediglich im Hinblick auf die auf Grund des Landwirtschaftsgesetzes zu ergreifenden Einzelmaßnahmen gesprochen werden.
Was den Vergleich der deutschen Landwirtschaftsförderung mit Marktordnungsgesetzen der Niederlande anlangt, so haben die dortigen Gesetze bereits bestanden, bevor die niederländische Landwirtschaft mit der deutschen auf dem entsprechenden Gemeinsamen Markt in eine stärkere Konkurrenz getreten ist. Die Bundesregierung hat bei ihren Maßnahmen die Wirkung der niederländischen Gesetze berücksichtigt und wird dies weiterhin tun. Unabhängig davon hat die Bundesregierung im Grünen Plan 1963 zusätzlich 40 Millionen DM für die Bildung von Erzeugungsschwerpunkten sowie die Zusammenfassung des Angebots vorgesehen.
Von den beiden französischen Gesetzen zur Förderung der Landwirtschaft, dem Orientierungsgesetz vom 5. August 1960 und dem landwirtschaftlichen Ergänzungsgesetz vom 8. August 1962, ist das Orientierungsgesetz im wesentlichen ein Rahmengesetz. Dieses stellt - ähnlich dem deutschen Landwirtschaftsgesetz - Grundforderungen auf, führt die dazu erforderlichen Maßnahmen nur in groben Zügen an und überläßt die Ausgestaltung dieser Maßnahmen den noch zu erlassenden Gesetzen und Verordnungen.
Mit konkreten, im Orientierungsgesetz geforderten Einzelmaßnahmen befaßt sich hingegen das landwirtschaftliche Ergänzungsgesetz; es enthält Vorschriften zur Verbesserung der Agrarstruktur, zur Verbesserung der Sozialstruktur und zur Ordnung der Agrarmärkte, und zwar in folgender Richtung.
Den auf die Verbesserung der Agrarstruktur gerichteten Vorschriften stehen unsere Gesetze - besonders das Grundstückverkehrsgesetz - in keiner Hinsicht nach.
Bei den Vorschriften zur Verbesserung der Sozialstruktur sind die besonderen 'siedlungspolitischen Schwierigkeiten Frankreichs zu berücksichtigen. Die im Ergänzungsgesetz vorgesehenen Beihilfen für Landwirte dienen ähnlichen Zielen wie die bevorzugte Förderung der von Natur benachteiligten Gebiete und wie die Erleichterung der Industrieansiedlung in ländlichen Siedlungsräumen der Bundesrepublik. 'Soweit das Ergänzungsgesetz eine Erhöhung der Altershilfe, die Erleichterung der Freimachung von Grenzbetrieben und die Eingliederung ihren Beruf aufgebender Landwirte in andere Berufe vorsieht, entsprechen diese Maßnahmen dem mir vom Bundeskabinett erteilten Auftrag, zu prüfen, wie für eine verstärkte soziale Sicherung der landwirtschaftlichen Bevölkerung Sorge getragen werden kann.
Die im Ergänzungsgesetz vorgesehene Marktordnung ist dadurch gekennzeichnet, daß Gruppen von
Erzeugern - unter anderem Genossenschaften - als Erzeugervereinigungen gesetzlich anerkannt und bei ihren Vermarktungsaufgaben finanziell unterstützt werden können. Sie können für ihr Gebiet produktions- und absatzlenkende Regelungen erlassen, die von der Regierung regional für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Es wird zur Zeit geprüft, inwieweit die finanzielle Unterstützung der Vermarktungsaufgaben den Wettbewerb beeinträchtigende Wirkungen im Sinne der Frage 2 hat und ob zum anderen solche Zusammenschlüsse mit den Grundsätzen unserer Wirtschaftsordnung sowie mit dem Grundgesetz vereinbar wären. Hinsichtlich der vorgesehenen Maßnahmen gilt das oben für die Marktordnungsgesetze der Niederlande gesagte.
Frage 4: Die EWG-Kommission beabsichtigt, einen Jahresbericht über die Lage der Landwirtschaft in der EWG - erstmals im Jahre 1964 - zu erstellen. Die Bundesregierung ist bereit, diese Bestrebungen zu unterstützen, wenn die Ertrags- und Einkommensfeststellungen auf Grund von einwandfreien Buchführungsunterlagen in allen Mitgliedsländern erfolgen. Außerdem muß sichergestellt werden, daß 'deutsche Regierungsvertreter im Rahmen eines Arbeitsausschusses bei der Erstellung des Lageberichts mitwirken können.
Das Haus hat die Erklärung der Bundesregierung entgegengenommen. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Struve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage, eingebracht von den Koalitionsparteien, scheint mir ein guter Auftakt für die heutige Debatte zu sein. Noch nie zuvor, seitdem wir in diesem Hohen Hause alljährlich den Grünen Bericht der Bundesregierung erörtern, ist die Landwirtschaft so sichtbar ein Bestandteil der großen politischen Problematik gewesen wie heute. Gerade nach den Vorgängen der letzten Wochen kann niemand im Ernst mehr daran zweifeln, daß das große Ziel der europäischen Einigung nur gelingen wird, wenn sich für die landwirtschaftlichen Lebensfragen eine überzeugende Lösung finden wird. Noch vor wenigen Tagen hat das der Herr Bundeskanzler von dieser Stelle aus in einer Regierungserklärung mit großem Nachdruck vertreten. Die außergewöhnliche Präzision, mit der er die landwirtschaftliche Problematik aufs neue umschrieb, verpflichtet alle, die hinter seiner Politik stehen. Es ist nach diesen Ausführungen und in der gegenwärtigen politischen Situation nicht mehr möglich, die offenen Fragen der Landwirtschaft nur noch in der Isolierung eines einzelnen Wirtschaftszweiges zu sehen. Es geht dabei nicht nur in Europa um die Grundlage für das große Werk der politischen Gegenseitigkeit, sondern im ganzen freien Westen. Das, meine Damen und Herren, liegt uns allen am Herzen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung u. a. festgestellt, daß die Bundesregierung mit besonderer Sorgfalt die Probleme beobachtet, die auf der Preisseite durch die Bildung
des Gemeinsamen Marktes zu einem Schwerpunkt agrarpolitischer Entscheidungen geworden sind. Lassen Sie mich von dieser Feststellung ausgehen, um daran darzulegen, welchen Mißverständnissen die landwirtschaftlichen Fragen in unserer öffentlichen Diskussion auch weiterhin unterworfen sind. Gerade am europäischen Getreidepreis entzünden sich immer wieder die Geister. Dabei ist festzustellen, daß die Kritik an den deutschen Vorstellungen innerhalb unserer Bundesrepublik am heftigsten ist. Sie wissen, daß die Landwirtschaft darauf besteht, daß an dem gegenwärtigen Niveau der deutschen Getreidepreise festgehalten wird. Der Herr Bundesernährungsminister hat dazu noch in der vergangenen Woche die Entschlossenheit der Bundesregierung hervorgehoben, bei den deutschen Preisen nicht nachzugeben. Er hat dies soeben durch die Beantwortung der Großen Anfrage erneut bestätigt. Trotzdem wird gerade von den verschiedenen Verbänden und Institutionen der gewerblichen Wirtschaft und vom Deutschen Gewerkschaftsbund immer wieder die Auffassung vertreten, daß eine solche Preisentwicklung im Widerspruch zu den deutschen Interessen stehen werde.
Meine Damen und Herren, jeder von uns hat inzwischen den Grünen Bericht erhalten und daraus entnehmen müssen, unter welchem Druck die Ertragslage der deutschen Landwirtschaft steht. Man hat zwar gegen die Ergebnisse eingewandt, daß es sich bei dem Wirtschaftsjahr 1961/62 um ein ungewöhnlich schlechtes Erntejahr handle, das keine Verallgemeinerung vertrage. Aber auch das laufende Wirtschaftsjahr wird mit Sicherheit aufs neue bestätigen, daß die Kosten für die landwirtschaftliche Ertragslage noch ausschlaggebender sein werden. Wir alle wissen, daß das keine spezifisch deutsche Situation ist. Deshalb kann auch unterstellt werden, daß in unseren Partnerländern die Preisfrage immer stärker in den Sog des Kostendrucks gerät. Au greifbaren Beispielen dafür fehlt es schon heute nicht mehr.
Gerade darum ist es um so unverständlicher, daß bei uns so manche glauben, diese Entwicklung nicht zur Kenntnis zu nehmen zu brauchen. Statt dessen reden sie von 1966, wenn im Ministerrat die Mehrheit die Entscheidung treffen kann, und sie meinen, daß dann diese Entscheidung sehr schnell gegen die deutsche Auffassung fallen wird. Sie gehen sogar noch einen wesentlichen Schritt weiter und erklären, daß in Brüssel in Wahrheit schon alles entschieden sei. Sie lassen sich auch durch die jüngsten Ereignisse in dieser Bereitwilligkeit offenbar nicht erschüttern.
Das kann der deutschen Position ganz gewiß nicht zugute kommen. Zudem müssen sich diejenigen, die diese Auffassung vertreten, darüber im klaren sein, daß sie sich selbst damit jetzt schon zum. Ausgleich der durch einen niedrigen Getreidepreis entstehenden Ausfälle verpflichten. Oder sollte jemand unter uns im Ernst glauben, daß wir es uns ausgerechnet in der Bundesrepublik, an der Nahtstelle zwischen Ost und West, erlauben könnten, die Landwirtschaft verkümmern zu lassen, während man sich überall anderswo in Europa von Staats wegen für die SteiStruve
gerung der landwirtschaftlichen Produktion und die Sicherung des landwirtschaftlichen Absatzes verpflichtet fühlt? En Verzicht auf Erhaltung des deutschen Getreidepreises und damit des gesamten Preisniveaus würde das ganze, große agrarpolitische Aufbauwerk der letzten Jahre nicht nur in Frage stellen, sondern mit Sicherheit um seine Wirkung bringen. Immerhin würde bei dem heutigen Preis-Kosten-Verhältnis eine Senkung der deutschen Agrarpreise um nur 1% eine Ertragsminderung von 220 Millionen DM für die westdeutsche Landwirtschaft ausmachen. Sehen Sie in den Grünen Bericht, meine Damen und Herren, dann wissen Sie, daß die Landwirtschaft unter gar keinen Umständen mit einer Preissenkung aus eigener Kraft fertig werden kann.
Die Befürworter eines niedrigen Getreidepreises möchten allerdings glauben machen, daß der finanzielle Ausgleich ohne weiteres über eine größere Veredelungsproduktion geschaffen werden könnte. Erinnern wir uns aber in dem Zusammenhang an das viel beredete Professorengutachten. Die Herren Professoren haben mit zwingenden Gründen dieses Argument als unhaltbar zurückgewiesen. Sie lassen keinen Zweifel daran, daß der Getreidepreis der Eckpfeiler im landwirtschaftlichen Preisgebäude ist. Jede Minderung dieses Preises setzt sich zwangsläufig in den übrigen Erzeugerpreisen fort. Daran kann auch nach Meinung der Professoren ein Ausweichen in die größere Produktion nichts ändern. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage würde darauf eine eindeutige Antwort geben. Es bliebe dann überhaupt keine andere Möglichkeit, als die niedrigen Getreidepreise durch zusätzliche Subventionen des Staates auszugleichen.
Trotzdem behauptet sich bei uns weiterhin die Auffassung, daß die Preisbildung in der Landwirtschaft etwas völlig anderes als in der übrigen Wirtschaft sei. Man möchte mit unseren Preisen manipulieren, als ob es keine Kosten gäbe. Dabei kann doch niemand im Ernst bestreiten wollen, daß die Landwirtschaft ,der Entwicklung der steigenden Kasten geradezu ausgeliefert ist. Schon bei den Löhnen verfügt sie überhaupt nicht über irgendeine Alternative. Sie muß Jahr für Jahr höhere Löhne bewilligen, wenn sie nicht im Wettstreit um die Arbeitskraft von vornherein völlig unterliegen will. Dennoch müssen wir selbst dem neuen Grünen Bericht entnehmen, daß die Abkehr von der Landarbeit sowohl bei den familieneigenen wie auch bei den familienfremden Kräften weiter angehalten hat. Zum Ausgleich bleibt nichts anderes übrig, als die Rationalisierung im Haus, auf dem Hof und auf dem Acker immer noch weiter voranzutreiben. Aber auch das ist nur bei steigenden Preisen möglich. Darüber belehrt uns der Grüne Bericht aufs neue in eindringlicher Weise. Und so steigern sich Jahr um Jahr die Kosten. Gerade diejenigen müssen das am stärksten spüren, die den größten Mut zur Investition hatten.
Eigentlich ist dieser Zusammenhang schon zu oft angesprochen worden, als daß es noch nötig wäre, auf ihn heute erneut hinzuweisen. Dennoch muß es geschehen, weil die Mißverständnisse nicht aufhören. Man bejaht zwar unsere Agrarpolitik, aber zugleich fordert man, daß sie in Zukunft nur den Richtigen zugute kommen müsse. Wer aber hat wohl den Mut, zu sagen, wer diese Richtigen seien? Gibt es dafür in diesem Zusammenhang überhaupt einen anderen Maßstab als den, nach bürokratischen Richtlinien darüber zu entscheiden - mit all den Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten, die damit zwangsläufig verbunden sein würden?
Außerdem übersieht man dabei vollständig, daß der Grüne Bericht auch auf diese Frage schon eine Antwort gibt. Wir müssen ihm doch klar und unzweideutig entnehmen, daß der landwirtschaftliche Grundbesitz in eine große Bewegung geraten ist. Viele Betriebe und daneben Teilparzellen haben ihren Besitzer gewechselt. Das ist doch zweifelsohne ein gehöriges Stück Auslese. Die Praxis selbst gibt damit die Antwort darauf, wer der Richtige ist und wer nicht. In diese klärende Entwicklung braucht der Staat nicht einzugreifen.
Statt dessen tun wir alle gut daran, zu begreifen, daß auch die Landwirtschaft keine bürokratische Bevormundung nötig hat.
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Man soll weiter finanzielle Anreize im Rahmen des Strukturprogramms geben und dabei zusätzliche Maßnahmen einleiten. Andererseits sollten wir uns auch bemühen, zu erkennen, wie ungeheuer einschneidend die Revolution ist, der die Landwirtschaft durch die industriewirtschaftliche Entwicklung ausgeliefert wurde. Wir würden uns auch selbst um den Erfolg unserer Entscheidung bringen, wenn wir alle Jahre nur die scheinbar negativen Seiten hervorkehren und glauben, unsere agrarpolitische Konzeption im Grundsatz korrigieren zu müssen. Gerade in letzter Zeit wird davon wieder einmal besonders vornehmlich gesprochen.
Aber bevor ich mich dazu äußere, möchte ich zunächst einmal meinen Blick über unsere Grenzen hinweg zu unseren Partnern wenden, um daraus zu beweisen, daß wir auch besser daran tun, auf unserem eingeschlagenen Wege konsequent fortzufahren. Dort hat man es sich längst abgewöhnt, jede agrarpolitische Entscheidung mit der Kritik an der Landwirtschaft zu verbinden. Man geht vielmehr aus von der Anerkenntnis der großen Schwierigkeiten, denen sie durch die industriewirtschaftliche Entwicklung ausgeliefert wurde, und man hilft der Landwirtschaft, hilft ihr ohne Kritik und ohne Besserwisserei, hilft ihr einfach in der Überzeugung, daß ein großer und unentbehrlicher Wirtschaftszweig in dieser Situation nicht sich selbst überlassen bleiben darf.
Auch unsere englischen Verbündeten können uns in diesem Zusammenhang ein Beispiel sein. Das Bemühen der englischen Regierung um die Erhaltung der landwirtschaftlichen Einkommenslage erklärt nicht zum wenigsten das langsame Voranschreiten der Verständigung über den Eintritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, das in die jetzige schwierige Lage hineingeführt hat. Gewiß ist England vor die umgekehrte Problematik gestellt wie wir. Bei den Engländern geht es darum, die Subven2724
tionen des Staates zu vermindern und statt dessen die Preise der Verbraucher zu erhöhen. Aber die englische Regierung läßt keine Zweifel daran. daß sie diesen Weg zu gehen gedenkt, auch wenn er beträchtliche zusätzliche Schwierigkeiten heraufbeschwört. Sie will es einfach nicht dulden, daß das Einkommen der Landwirtschaft geschmälert wird.
Noch eindringlicher können wir diesen bemerkenswerten Grundsatz an der Agrarpolitik der Amerikaner ablesen. Sie ist ganz gewiß umstritten, und sie hat zu Überschüssen geführt, die nicht nur den Amerikanern ernste Besorgnis bereiten. Man überlegt deshalb auch Änderungen, aber man tut das sehr behutsam. Man wirft der Landwirtschaft drüben nicht vor, was von ihr nicht vertreten werden kann. Vor allem aber läßt man sich nicht einschüchtern und von außen her Maßnahmen aufzwingen, die einem selber zum Schaden werden könnten.
Seit dem Herbst des vergangenen Jahres wissen wir beispielsweise aus dem Mund des Herrn Landwirtschaftsministers Freeman, welchen Wert die Amerikaner nicht nur auf die Erhaltung, sondern sogar auf die Steigerung ihrer Agrarausfuhr nach Europa legen. An dem Hähnchen-Konflikt konnten wir inzwischen ablesen, wie ernst es ihnen damit ist.
Wer trotzdem noch daran zweifelt, daß die Lösung dieses Fragenkomplexes den Amerikanern ein dringendes wirtschaftliches Anliegen ist, weiß es endgültig seit der Botschaft ihres Präsidenten Ende Januar an den Kongreß. Darin erklärt er unzweideutig, daß die Amerikaner zwar um die Intensität ihrer Agrarausfuhren nach Europa ernste Sorgen haben müssen, aber zugleich sagt
Es werden alle Schritte unternommen werden,
um der amerikanischen Landwirtschaft zum
mindesten die bisherigen Chancen zu erhalten.
Das ist eindeutig. Aber noch aufschlußreicher für uns ist die Begründung, die er im gleichen Atemzuge hinzufügt: Der amerikanische Farmer, so erklärte er, der im Haushaltsjahr 1962 Erzeugnisse im Werte von 1,5 Milliarden Dollar exportiert habe, sei einer der besten Devisenbringer des Landes und habe damit wesentlich zum Ausgleich der Zahlungsbilanz beigetragen.
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Daraus wird deutlich, wie hoch man in Amerika die volkswirtschaftliche Funktion der Landwirtschaft einschätzt. Nicht die Millionen, die man ihr als Subvention zahlt, sind das Thema, über das man sich unterhält, sondern wichtiger sind die Millionen, die sie zur Stabilerhaltung des Dollars beiträgt.
Dieser Begründung müssen wir allerdings zugleich entnehmen, daß wir es in der Zukunft wahrscheinlich nicht nur mit den amerikanischen Hähnchen zu tun haben. Die landwirtschaftliche Veredelungsproduktion dringt auch in den Vereinigten Staaten immer weiter vor. Wir wissen darüber hinaus, daß sie sich dabei in wachsendem Maße eines ungewöhnlich hohen Kapitaleinsatzes bedient. Ausgesprochene Veredelungsfabriken sind drüben schon lange keine Seltenheit mehr. Diese steigende Produktion aber braucht den steigenden Absatz. Den amerikanischen Hähnchen werden möglicherweise die amerikanischen Eier folgen, und - wer kann das wissen - vielleicht haben wir es auch schon bald mit Schweinen aus Amerika auf unseren Märkten zu tun. Niemand unter uns kann den großen Ernst dieser Entwicklung übersehen, selbst wenn die billig produzierenden kapitalintensiven Veredelungsfabriken eine Ausnahme bleiben sollten. Schon allein im landwirtschaftlichen Bereich vollzieht sich die wachsende Veredelungsproduktion drüben auf Betriebsgrößen, welche die europäischen um ein vielfaches übertreffen.
Demgegenüber steht unser Ziel der Erhaltung der bäuerlichen Familienwirtschaft. Wir müssen uns unter diesen Umständen die wahrhaft besorgte Frage stellen, wie sich dieser Zusammenklang landwirtschaftlicher Förderung und volkswirtschaftlicher Zielstrebigkeit auf die Dauer auf die Lebensmöglichkeiten der europäischen Landwirtschaft und auf deren Struktur auswirken wird. Schon um dieser Möglichkeit willen glaube ich, an dieser Stelle sehr eindringlich die Hoffnung aussprechen zu müssen, daß man sich in westlicher Solidarität dazu verpflichtet fühlt, diese Entwicklung gemeinsam in vertretbaren Grenzen zu halten. Auch in den Vereinigten Staaten kann man nicht wollen, daß das innere Gefüge der europäischen Verbündeten einer risikovollen Belastung ausgesetzt wird. Diese Gefahr könnte aber nur allzu leicht entstehen, wenn die vorhandenen Schwierigkeiten für die landwirtschaftliche Einordnung durch einen zusätzlichen Preisdruck noch vergrößert würden. Dabei darf nicht vergessen werden, daß das verbilligte amerikanische Getreide auch noch über die Veredelungsprodukte der Ostblockländer als preislicher Störungsfaktor bei uns in Erscheinung tritt.
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Die Zeiten, in denen sich die Amerikaner damit zufrieden gaben, uns die landwirtschaftlichen Rohstoffe zu liefern, die wir in landwirtschaftliche Veredelungsprodukte umwandelten, werden sich wohl nicht zurückholen lassen. Wertmäßig werden zur Zeit ca. 70 % Rohstoffe und 30 % Veredelungsgüter eingeführt. Ich meine doch sehr deutlich sagen zu dürfen, daß auch in dieser Frage ein gemeinsamer Nenner gesucht und gefunden werden muß. Nach meiner Überzeugung sollten die Vereinigten Staaten und Kanada weitestgehend Getreideüberschüsse exportieren, während die europäische Landwirtschaft mit ihrer völlig anderen Struktur auf der Grundlage bäuerlicher Familienbetriebe weiterhin eine Lebensgrundlage behalten sollte.
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Wir haben trotz der hohen Eigenerzeugung in den letzten Jahren nachweisbar in zunehmendem Maße Getreide aus Übersee importiert. Sollte sich die Einfuhr von Veredelungsprodukten aus Übersee immer mehr erhöhen, so bleibt nichts anderes übrig,
als den Anteil der Subventionen am landwirtschaftlichen Einkommen immer größer werden zu lassen. Auch in den Vereinigten Staaten sollte man einsehen, daß das einer Preisgabe der landwirtschaftlichen Selbständigkeit gleichkäme, die dem freien Teil Europas nicht gut bekommen könnte. Der seiner selbst bewußte Bauer kann und darf aus dem vielfältigen gesellschaftlichen Bild unserer Zeit nicht weggedacht werden.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nunmehr die Überlegung fortsetzen, ob es notwendig ist, unsere agrarpolitische Konzeption zu überdenken oder sogar neuzufassen. Schon der Hinweis auf die amerikanischen Bemühungen macht 'deutlich, daß die Zeit vorüber ist, in der wir diese Frage nur aus unserer Sicht und aus unseren Erfahrungen beantworten konnten. Dazu kommen die Entwicklung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und vor allem die Lage, die durch die Schwierigkeiten um den Eintritt Englands in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft entstanden ist. Ich glaube nicht, daß es in der Landwirtschaft der Bundesrepublik auch nur einen einzigen, der ernst genommen werden möchte, gibt, der diese Schwierigkeiten nicht bedauert. Auch in 'der Landwirtschaft weiß man sehr genau, daß die gemeinsame Sicherheit gemeinsames Handeln in allen lebenswichtigen Bereichen 'des westlichen Bündnissystems unerläßlich macht. Darum sind jene Auslegungen falsch, die die gegenwärtigen Schwierigkeiten, die sich aus der landwirtschaftlichen Problematik hinsichtlich des großen politischen Zusammenspiels ergeben, deuten ) möchten als die Eigenbrötelei eines engstirnigen oder nur auf persönliche Vorteile bedachten Störenfrieds.
Natürlich will und muß die Landwirtschaft leben wie alle anderen auch. Das heißt, daß selbstverständlich auch sie ihren Anspruch auf einen ihrem Arbeitsaufwand entsprechenden Lohn verteidigt. Das ist ihr gutes Recht, und dieses Recht wird ihr auch niemand absprechen wollen. Darum ist es kein verwerflicher Egoismus, wenn die Landwirtschaft die gegenwärtigen Schwierigkeiten als eine Atempause auslegt, die ihr 'möglicherweise zugute kommen könnte. Verstehen Sie diese Feststellung bitte richtig. Ich habe nicht die Absicht, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in Zweifel zu ziehen. Ich bin ohne Einschränkung der Auffassung, daß diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu einem größeren, umfassenden Markt ausgeweitet werden muß, der allein die Grundlage für die unumgängliche industrielle Leistungssteigerung sein kann - von der selbstverständlichen politischen Notwendigkeit ganz zu schweigen. Aber ich bin ehrlich genug, zumindest die Frage zu stellen, ob die inzwischen 'gesammelten Erfahrungen nicht auch einige negative Seiten enthalten, die es uns nahelegen sollten, darüber sehr gründlich nachzudenken. Diese Erfahrungen betreffen sicherlich nicht nur den landwirtschaftlichen Bereich, wenn sie hier auch am sichtbarsten sein mögen.
Darum glaube ich auch auf allgemeines Verständnis rechnen zu 'dürfen, wenn ich die Auffassung zurückweise, daß die Landwirtschaft den Mut zum Störenfried hat. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Probleme des Bergbaus und der Textilwirtschaft. Man kann natürlich alle sich aufdrängenden Bedenken in der Meinung „Je schneller daran, je schneller davon!" beiseite schieben, - ein Wort, das wir in unserer Heimat haben. Sie werden verstehen, was damit igesagt werden soll. Aber ich glaube doch, daß dieses Rezept sehr bedenklich ist, weil wir das große Werk der Einigung ja nicht nur betreiben, um so schnell wie möglich zur größten wirtschaftlichen Leistung zu kommen, ohne Rücksicht auf die menschlichen und politischen Folgen, die damit verbunden sind.
Gestatten Sie, daß ich in diesem Zusammenhang unseren Herrn Bundeskanzler 'zitiere:
Es ist das Ziel unserer Agrarpolitik, die Umstellung auf eine gemeinsame agrarpolitische Konzeption behutsam und organisch und in einem tragbaren Tempo durchzuführen und der deutschen Landwirtschaft einen angemessenen Platz innerhalb der Landwirtschaft der Gemeinschaft zu sichern, so daß sie keine Einkommensminderung erfährt und ihr die Chance einer Aufwärtsentwicklung gegeben wird.
Die Fraktion der CDU/CSU steht voll und ganz zu dieser Aussage unseres Bundeskanzlers.
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Ich führe dieses an, weil uns durch die Ereignisse
der vergangenen Woche eine Pause der Besinnung
aufgezwungen worden ist. Diese sollten wir nutzen.
Seit dem 1. August 1962 richten wir die Erzeugerpreise der Landwirtschaft innerhalb der EWG europäisch aus. Sie stehen damit unter starkem Druck. Dem Grünen Bericht entnehmen wir, daß in der Bundesrepublik auf der Kostenseite die entgegengesetzte Entwicklung weiter anhält. Diese Schwierigkeiten gehen einseitig zu Lasten der Ertragslage der deutschen Landwirtschaft. Im Rahmen der gesamten Wirtschafts- und Handelspolitik muß diese Tatsache daher berücksichtigt werden. Der vorgelegte Grüne Bericht gibt dazu alle Veranlassung.
Nun hat der Herr Bundeslandwirtschaftsminister dem Hohen Hause den Grünen Plan vorgelegt und begründet. Ich möchte dazu ganz klar und eindeutig feststellen, daß dieser Grüne Plan nach meiner und meiner Freunde Meinung nicht ausreicht. Wenn im Grünen Bericht eine Einnahmeminderung um 900 Millionen DM ausgewiesen wird, kann man nicht erwarten, daß die Landwirtschaft in der Bundesrepublik mit einer zusätzlichen Hilfe von 240 Millionen DM ihre Betriebsrechnung ausgleicht.
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Es ist anzuerkennen, daß die Bundesregierung ihre soziale Verpflichtung gegenüber den Bauern bejaht und eine Erhöhung der Altershilfe für die Landwirtschaft vornehmen will. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß gerade in dieser Richtung noch Wesentliches geschehen muß. Auf die hiermit zusammenhängenden Fragen wird mein Fraktionskollege Berberich näher eingehen.
Erfreulich ist es auch, daß im Rahmen der 240 Millionen DM die Zuschüsse zur Zinsverbilligung erhöht werden sollen. Dabei muß ich allerdings aus2726
drücklich hervorheben, daß es unerläßlich sein wird, bei der Neufassung der Richtlinien von den schiechteren Erfahrungen des vergangenen Jahres zu lernen.
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Insbesondere das schwierige Kapitel der vorweggenommenen Investitionen darf nicht länger unbeachtet bleiben.
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Es ist für unzählige Landwirte die größte und drükkendste Sorge, die die Agrarpolitik von ihren Schultern nehmen muß.
Sehr gut ist es auch, daß zusätzliche Mittel eingesetzt wurden, um die landwirtschaftlichen Absatzeinrichtungen zu fördern. Wir sehen, was um uns herum in dieser Beziehung geschieht. Vor allem unsere französische Partner haben eine außergewöhnliche Initiative in dieser Richtung entfaltet. Diese Maßnahmen können auf unsere Entscheidung nicht ohne Einfluß bleiben. Die Antwort unseres Ministers Schwarz auf die Große Anfrage zu diesem Punkt wird sicher noch Anlaß geben, heute oder in den Ausschüssen näher auf das Problem einzugehen.
Die durch die französische Landwirtschaftspolitik und -gesetzgebung herausgeforderten Überschüsse werden jedenfalls auch unseren deutschen Märkten ohne Zweifel noch allerhand zu schaffen machen. Wenn ihnen mit Aussicht auf Erfolg begegnet werden soll, müssen schlagkräftige deutsche Absatzeinrichtungen in einem noch sehr viel größeren Umfang als bisher vorhanden sein. Zweifelsohne hat die landwirtschaftliche Selbsthilfe diese Aufgabe längst erkannt. In allen Teilen der Bundesrepublik gibt es dafür hervorragende Zeugnisse. Die für diesen Zweck vom Kabinett neu bewilligten 40 Millionen DM dürften für 1963 ausreichen.
Beachten wir weiter die Aussagen des Grünen Berichts! Die Kapitalknappheit in der Landwirtschaft und die aufs neue so bedenklich gewachsene Verschuldung setzen der Landwirtschaft zu enge Grenzen. Erstmalig sind in diesem Grünen Bericht die Investitionen rückläufig. Darum bedauert die CDU/ CSU-Fraktion, daß das Kabinett dem Vorschlag unseres Bundesministers Schwarz, eine Aufstockung des Grünen Planes um 400 Millionen DM vorzunehmen, noch nicht beigetreten ist. Der Vorschlag einer Bezuschussung der Grundsteuer in Höhe von 160 Millionen DM hat angeblich im Kabinett keine Zustimmung gefunden.
Persönlich bedaure ich, daß der Vorschlag, den Lastenausgleich der Landwirtschaft in den Grünen Plan zu übernehmen, nicht aufgenommen wurde. Eine weitere Entlastung der Kostenseite muß aber vorgenommen werden.
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Ob nun die Düngersubvention in diesem Jahr voll weitergezahlt wird und daneben der 4. Milchpfennig voll gewährt wird, das möchten meine politischen Freunde heute nicht entscheiden. Wir sind aber der Auffassung, daß die Landwirtschaft zusätzlich weitere 160 Millionen DM aus Bundesmitteln erhalten soll.
Die Landwirtschaft muß es greifbar spüren, daß die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag das Kernstück ihrer Sorgen richtig einschätzen. Wenn wir durch unsere Entscheidungen ihr diese Gewißheit geben, brauchen wir nicht zu befürchten, daß die Unsicherheit und Unruhe in der Landwirtschaft Folgen annimmt, die keiner von uns für gut hält. Wir können nicht annehmen, daß der Landwirtschaft entsprechend dem Landwirtschaftsgesetz der Unterschuß oder gar die auch im vergangenen Jahr wieder so erschreckend gewachsene Disparität gegenüber der gewerblichen Wirtschaft auf Heller und Pfennig ausgezahlt wird. Aber wir würden uns selbst um unsere Glaubwürdigkeit bringen, wenn wir an der Sprache des Vergleichslohns ohne Taten vorübergingen. Auf 38 % ist nach dem Grünen Bericht der Anteil des landwirtschaftlichen Durchschnittslohns an den gewerblichen Durchschnittslöhnen herabgesunken. Das läßt uns gar keine andere Möglichkeit, als jeder einzelnen landwirtschaftlichen Ertragsrechnung unmittelbare Hilfe zugute kommen zu lassen.
In diesem Zusammenhang muß ich die Strukturhilfe des Grünen Plans ansprechen. Die Auffassung überwog einmal, daß sie allein das A und O der agrarpolitischen Maßnahmen sein müßte. Nicht erst der letzte Grüne Bericht hat es erhärtet, daß diese Auffassung den Realitäten nicht entspricht. Die Strukturverbesserung ist als Hilfe auf lange Sicht zu werten.
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Als solche ist sie absolut unerläßlich, und der große Umfang, in dem die Landwirtschaft in zunehmendem Maße von dieser Hilfe Gebrauch macht, ist der untrügliche Beweis dafür, daß die Landwirtschaft an morgen denkt. Denn die landwirtschaftlichen Entscheidungen zur Strukturverbesserung sind freiwillige Entscheidungen. Sie sind das Ergebnis der Einsicht in die Notwendigkeit, sich den völlig veränderten Verhältnissen anzupassen, um die bäuerliche Existenz erhalten zu können.
Darum sollte man aber auch in dieser Frage aus den Erfahrungen lernen und die Richtlinien besser und großzügiger gestalten.
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Man sollte vor allem alle bürokratischen Hemmnisse ausschalten, die nach dem Merkmal der Betriebsgröße ausgerichtet sind.
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Sie mindern die Kraft der Gesinnung zum gesicherten Eigentum, die in dieser Entscheidung doch ohne Zweifel drinsteckt. Dabei denke ich an die 700 Millionen DM, die im ordentlichen Haushalt unseres Landwirtschaftsministeriums für die Nebenerwerbssiedlungen ausgeworfen sind. Man sollte prüfen, ob der Kreis der Bezugsberechtigten ausgeweitet werden kann. Allen, die diese großartige Chance nutzen wollen, sollte man nicht die Größe des Grundstücks vorschreiben, auf der sie ein Eigentum errichten möchten. Es geht um das breitgestreute Eigentum auf dem Lande, eine Frage, die
über die Landwirtschaft hinaus den ganzen ländlichen Raum angeht.
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In der weiteren Debatte werden meine politischen Freunde diese Frage vertiefen.
Auf einen Punkt glaube ich allerdings auch in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich hinweisen zu müssen. Kein Grüner Plan darf uns der Notwendigkeit entheben, überall dort, wo es die Marktlage zuläßt, die preislichen Möglichkeiten zugunsten der Erzeuger auszuschöpfen.
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Das muß auch und gerade für dieses Jahr gelten.
Ich verstehe darum auch den Einspruch des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen die von der Bundesregierung zugesagte Erhöhung des Trinkmilchpreises nicht so recht. Mir scheint, man kann der Landwirtschaft angesichts der Entwicklung der ausgewiesenen Kosten die Trinkmilchpreiserhöhung nicht vorenthalten. Nach der Erhöhung liegt unser Trinkmilchpreis übrigens in der Mitte der Preise der europäischen Partnerländer.
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- Der Wirtschaftsminister ist selbstverständlich dafür. Ich bin immer bestens informiert. Hatten Sie da noch Zweifel?
In diesem Jahr sollte die Ertragslage der Landwirtschaft auch von einer zweiten Seite her verbessert werden. Im vergangenen Jahr sind die Rinderpreise weit unter die Vorjahreshöhe gesunken, ohne daß der Verbraucher Nutznießer dieser wesentlichen Ertragsminderung wurde.
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Diese Preisminderung traf die Landwirtschaft um so schwerer, als sie immer noch an dem großen Kapitalaufwand für die Umstellung auf die tbc-freie Rindviehhaltung zu tragen hat. Sie versuchte, diese Belastung mindestens zum Teil dadurch zu mindern, daß sie in vermehrtem Umfang auf die Jungrindermast überging. Aber die vorjährigen Preiseinbrüche haben diese Hoffnung durch neue Verluste zunichte gemacht, ohne daß bei der Minderung der Verbraucherpreise, wie ich sagte, die Möglichkeit gegeben gewesen wäre, im Mehrverbrauch einen Ausgleich zu finden.
Das Bundeswirtschaftsministerium sollte diese Entwicklung zum Anlaß nehmen, die in diesem Jahr neu in dem Grünen Plan vorgesehenen Förderungsmaßnahmen für Vermarktungseinrichtungen von sich aus besonders zu unterstützen. Der europäische Markt zwingt uns auch hier zu neuen Formen.
Meine Damen und Herren, verkennen wir nicht, was auf dem Spiele steht! Die Sprache des Grünen Berichts ist eindeutig. Alle großen Anstrengungen der Landwirtschaft um die Erhaltung ihrer Existenz drohen illusorisch zu werden, wenn ihr nicht in diesen schweren Jahren des Übergangs eine ausreichende staatliche Hilfe zur Seite steht. Das Hohe
Haus hat sich in den vergangenen Jahren diesem Bemühen nicht verschlossen. Aber der Druck der politischen Verhältnisse hat der agrarpolitischen Aufgabe völlig neue Akzente gesetzt. Die Sicherung der Landwirtschaft ist zu einem Politikum erster Ordnung geworden. Das sollte uns Anlaß genug sein, nicht ausgerechnet jetzt kleinlich zu werden.
Die Finanzlage des Bundes mag unserem Bemühen gewisse Grenzen setzen. Aber in diesen Grenzen darf gerade in dieser Zeit keine Chance ungenutzt bleiben. Alle unsere Partnerstaaten in der EWG und darüber hinaus im ganzen westlichen Bündnissystem bemühen sich darum, ihrer Landwirtschaft tür den Wettbewerb im großen Markt die günstigste Ausgangsposition zu schaffen. Wir haben keinen Anlaß, in diesem Bemühen weniger zielstrebig und weniger hartnäckig zu sein.
Wer den mit so großer Sorgfalt und in seinem Aussagewert wiederum verbesserten Grünen Bericht auswertet, wird zugeben müssen, daß die Landwirtschaft von sich aus sehr große Anstrengungen und auch Leistungen nachweist, die sie unternimmt, um mit dem Anpassungsprozeß fertig zu werden, den die gesamtwirtschaftliche und nicht zuletzt die politische Entwicklung vorschreibt. Den Willen zur Selbstbehauptung weisen unsere bäuerlichen Familien täglich nach. Die Bundestagsfraktion der CDU/ CSU wird auch in Zukunft alles tun, um der Landwirtschaft .die nötige Unterstützung des Bundes zu sichern.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat uns in der vergangenen Woche zu echter Opposition aufgefordert.
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Ich hoffe, meine Damen und Herren von der Koalition, daß Sie Geduld genug haben und sie nicht verlieren werden, wenn ich Ihnen einige unangenehme Tatsachen vor Augen halte.
Der Bundeskanzler hat im letzten halben Jahr in drei Erklärungen vor diesem Hause Stellung zu Fragen der Agrarpolitik genommen. Er hat sich zwischendurch in mehreren Rücksprachen mit Vertretern der Koalition und mit Vertretern der Bauernorganisationen über die Lage der Landwirtschaft informiert. Der Bundesernährungsminister hat in der vergangenen Woche in seiner Einführungsrede zum Grünen Bericht 1961/62 und zum Grünen Plan diese Gedanken vertieft und ergänzt. In allen Erklärungen und Reden finden wir die gleiche Tendenz: Man konstatiert zwar die großen Veränderungen in unserer Landwirtschaft, und in Kenntnis der Protestaktionen der Bauern, die 'sich doch ausschließlich gegen die Regierung der CDU wenden, folgt sogar das Eingeständnis, daß 'die Landwirtschaft eine Unruhe über ihre Lage, über die Unge2728
Dr. Schmidt ({1})
wißheit der europäischen Entwicklung und über ihre Zukunft erfaßt habe; und das alles nach 14 Jahren CDU-Regierung!
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Dann wind in diesen Erklärungen und Reden wiederholt festgestellt, daß ,die Landwirtschaft ein sehr bedeutsamer Bestandteil des soziologischen Gefüges sei, daß man die Landwirtschaft gesund erhalten müsse, wobei ich mich immer wieder frage, ob man nicht die Grünen Berichte kennt. Weiter heißt es da, die Landwirtschaft müsse einen gerechten Platz in der Gemeinschaft einnehmen, ihre Wettbewerbsfähigkeit müsse gesteigert werden. Am Schluß folgt immer wieder die Mahnung, all die Fragen, insbesondere soweit sie mit der EWG zusammenhängen, mit besonderer Zurückhaltung und Vorsticht zu beantworten. Da ,gibt es auch noch andere Vokabeln - Herr Struve hat auch davon Gebrauch gemacht -: man müsse behutsam und organisch vorgehen. Also alles Ratschläge, was man tun sollte, worauf man achten müsse, und mehr nicht.
Diese Art der Erklärungen hat einen Vorteil: Man schafft ein sehr beruhigendes Gefühl für die Beteiligten und vor allem für sich selber.
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- Meine Damen und Herren, lachen Sie nicht! - Aber die Aufzählung dieser Selbstverständlichkeiten ist ein untauglicher Ersatz für eine wirkliche Agrarpolitik.
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Herr Kollege Struve hat sehr harte Kritik an verschiedenen Dingen geübt. Aber, Herr Struve, diese von Ihnen so sehr kritisierten Auffassungen finden Sie doch in Ihrer eigenen Regierung. Da müssen Sie ansetzen. Es hat keinen Zweck, das hier auf der Tribüne zu sagen. Gehen Sie in Ihr eigenes Kabinett, und räumen Sie diese Schwierigkeiten und diese verschiedenen Auffassungen aus.
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- Haben Sie doch Geduld; ich habe Sie auch angehört.
Die Unruhe auf dem Land ist jedem bekannt. Wir alle nehmen sie sehr ernst. Wir erfahren sie jede Woche, wenn wir draußen auf dem Lande sind. Das bestätigt die Große Anfrage. Sie bestätigt aber auch, daß das Vertrauen in das agrarpolitische Wirken der Bundesregierung selbst in der Koalition nicht sehr groß ist. Die Große Anfrage bestätigt weiterhin, daß in den Reihen der Koalition sehr große Zweifel an der Standhaftigkeit und an den Erfolgen des Bundesernährungsministers vorhanden sind. Wir haben daran auch feststellen können, daß die Koalition mit den Leistungen der Bundesregierung sehr unzufrieden ist. Die Große Anfrage ist - das darf ich zum Schluß meiner allgemeinen Bemerkungen sagen - der Ausdruck des schlechten Gewissens. Man hat anscheinend im Lande sehr viel versprochen. Man weiß, daß man in der Regierung sitzt und daß man das Versprochene kaum halten kann und es doch anders kommt. Ich möchte mich über die
Methoden solcher Großen Anfragen nicht weiter äußern. Es wäre besser, wenn Sie sich einmal Ihren Minister vorknöpften, anstatt den Eindruck zu erwecken, Sie hätten gar nicht die Verantwortung.
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Die gemeinsame Agrarpolitik ist seit einiger Zeit im Gange. Seit Sommer sind einige Marktordnungen in Kraft. Ich meine, diese Marktordnungen haben weder für die Erzeuger noch für die Verbraucher zu nennenswerten Schwierigkeiten geführt. Ohne Zweifel 'haben sie zur Stabilisierung der Märkte beigetragen. Ich halte ein abschließendes Urteil aber für verfrüht; da brauchen wir noch einige Zeit der Beobachtung.
Einen kritischen Punkt lassen Sie mich ausdrücklich hervorheben: die 'ständige Verteuerung der Futtermittel. Die Futtermittel sind für die meisten landwirtschaftlichen Betriebe ein Kostenfaktor erster Ordnung; das können Sie im Grünen Bericht nachlesen. Ich will mich über dieses Problem hier nicht weiter verbreiten. Meine Freunde und 'ich haben in den Ausschüssen vor dieser Entwicklung gewarnt. Sie haben durch Ihre Beschlüsse diese Entwicklung herbeigeführt. Wir sind uns Gott sei Dank heute einig - auch einig mit Ihnen -, daß wir den Schaden im Sommer reparieren werden. Ich bin nur gespannt, ob dieser erklärte Wille auch bis dahin vorhält.
Nun etwas anderes. Daß es eine große Zahl von regelwidrigen Praktiken der Mitgliedstaaten gibt, ist bedauerlich. Ich habe mit Interesse den Bericht gelesen, den der Kollege Lücker 'im Europäischen Parlament erstattet hat. Der Bericht spricht deutliche Worte. Das Sündenregister ist ganz erheblich; nur schade, daß wir dabei auch zu finden sind. Das sollte an sich anders sein.
Auf der anderen Seite möchte ich die Frage stellen, ob alle Chancen der dort gegebenen Marktordnungen für uns ausgenützt worden sind. Ich erinnere nur an die sehr verspätet erlassene Verordnung der Bundesregierung über die Rückerstattungen, die manche Aktion verhindert hat.
Mit der Großen Anfrage werden auch Fragen angesprochen, die im Zusammenhang mit dem Beitritt Englands stehen. Ich will die Argumente der politischen Debatte nicht wiederholen; aber ich muß einiges dazu sagen, weil die landwirtschaftlichen Fragen Hauptprobleme bzw. schwierige Probleme darstellten. Der Bundesernährungsminister hat dankenswerterweise eine Aufzeichnung über den Stand der Integration im Bereich der Land- und Ernährungswirtschaft anfertigen lassen. Daraus geht hervor, daß in den sehr kritischen Fragen mit England weitgehend Einigung erzielt worden ist und daß in den noch offenen Fragen - z. B. der Anwendung der beschlossenen Marktordnungen auf die britische Landwirtschaft - bereits eindeutige Erklärungen der Engländer vorlagen. Es war betrüblich - ich halte es für betrüblich -, daß die Haltung unserer landwirtschaftlichen Organisationen und Vertreter nicht immer eindeutig war. Das ist zu erklären mit
Dr. Schmidt ({7})
dein Auftreten des neuen Staatssekretärs im Bundesernährungsministerium. Mit diesem Auftreten begannen alle möglichen Bedenken zu kursieren und Platz zu greifen.
Bei nüchterner Abwägung aller politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte konnten die landwirtschaftlichen Probleme kein echter Hinderungsgrund in bezug auf den Beitritt Englands sein. Damit will ich nicht sagen, daß die Schwierigkeiten der Integration dadurch geringer geworden wären.
In diesem Zusammenhang gestatten Sie mir noch ein Wort über das Verhältnis der EWG zu Drittländern. Das berührt natürlich die gemeinsame Handelspolitik, die wir noch nicht haben und die es wohl in absehbarer Zeit noch nicht geben wird. Wir haben den Tatbestand zu verzeichnen, daß sich der Handel mit den Partnerländern außerordentlich stark ausgeweitet hat. Da ist sicher dein tragenden Pfeiler des EWG-Vertrages, der Präferenz, Rechnung getragen. Aber wir haben auch die Feststellung zu machen, daß die Einfuhren aus Drittländern teilweise stark gesunken sind, insbesondere - und das bedauere ich - die Einfuhren aus den skandinavischen Nachbarländern. Das hat in diesen Ländern große Beunruhigung hervorgerufen. Da gibt es doch in der Tat traditionelle, jahrzehntelange Handelsbeziehungen bei den gleichen Produkten und Artikeln. Das ist bei manchen anderen Märkten nicht der Fall. Es würde, meine ich, im Interesse des gutnachbarlichen Verhältnisses liegen, wenn sich dieser Handel wieder beleben könnte.
Was nun die weitere Arbeit in der Entwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik angeht, so ist im Augenblick wohl nur eines sicher: daß die Termine für die Beschlüsse über die Preiskriterien, über die Preisangleichung, über die Marktordnungen für Milch, Rindfleisch und Zucker sämtlich verschoben sind. Dennoch bleiben die Fragen auf der Tagesordnung, insbesondere die des Getreidepreises. Hier haben wir auf der Seite des deutschen Verhandlungspartners ein völliges Durcheinander. Die Widersprüche folgen einander am laufenden Band; nicht nur in der Öffentlichkeit, Herr Kollege Struve, sondern auch in Ihrer eigenen Regierung. Dafür einige Kostproben.
Der Staatssekretär des Ernährungsministers hat auf der Kartoffelbörse 1962 davon gesprochen, daß der Getreidepreis nur noch für das Jahr 1963 zu halten sei. Der Minister hat auf dem Industrie- und Handelstag - ich weiß nicht, ob es in Köln oder Düsseldorf war - im letzten Herbst etwa gesagt, man müsse eher mit niedrigeren als mit höheren oder gleichbleibenden Preisen rechnen. Derselbe Minister hatte auf der Mitgliederversammlung des Bauernverbandes gesagt: „Das deutsche Preisniveau werden wir um jeden Preis halten." Und in einem Organ des Ministeriums, dem AID, war von der „empfehlenswerten Getreidepreissenkung" die Rede. - Nun, es kommt noch ein neues Zitat, Sie werden es gleich hören; es wird Ihnen sehr peinlich sein. Dann kommt wieder der Staatssekretär, der in einem Rundfunkinterview folgendes gesagt hat:
Sie wissen, daß die Auffassungen außerordentlich unterschiedlich sind. Die Koalition hat sich
festgelegt, am Getreidepreis vorläufig nicht rütteln zu lassen. Ich persönlich vertrete die Auffassung, und ich habe das ja in einem Interview auch zum Ausdruck gebracht, daß das ein Standpunkt ist, der uns nichts nützt, weil wir 65 majorisiert werden können. Ich bin der Auffassung, man sollte sich auf einen Preis für 70 einigen und sollte dann den Ländern es überlassen, dieses Ziel langsam oder schnell anzustreben.
Und so weiter mehr. - Das sind doch alles einander widersprechende Äußerungen. Derselbe hat auf Befragen im Ernährungsausschuß erklären müssen, er sei sich in der Getreidepreisfrage mit seinem Minister völlig einig, es sei nur ein Unterschied in der Ausdrucksweise. Was soll ich also davon halten? Und heute, am gleichen Ort hat der Minister erklärt, am deutschen Getreidepreis werde sich überhaupt nichts ändern, Sie würden daran festhalten. Was ist nun eigentlich der Standpunkt der Bundesregierung?
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- Was sagt er denn richtig? Dieses vollendete Durcheinander hat jedenfalls z. B. auch dazu beigetragen, daß das Vertrauen der Bauern in die Regierung sehr nachgelassen hat.
Unsere Stellungnahme ist dabei unverändert. Ich habe das schon einmal an dieser Stelle vorgetragen. Aber ich halte die Taktik, den Kopf in den Sand zu stecken, und ebenso die andere Taktik, den starken Mann bis zum Jahre 1965 zu markieren und sich dann 1966 überstimmen zu lassen, für eine schlechte Taktik.
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Ich halte im übrigen auch nichts von dem vom Herrn Staatssekretär empfohlenen Kopfsprung ins Eiswasser. Der kann nämlich tödlich sein. Auch ich bin auf diesem Gebiet für eine pragmatische Methode.
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- Das ist Ihnen alles sehr peinlich, ich verstehe das.
Sie sollten sich darüber klar sein - das sind Sie leider noch nicht -, daß der § 1 des Landwirtschaftsgesetzes bereits nicht mehr in voller Weise existiert. Die Fragen des Preises und die Fragen des Handels sind bereits Ihren Händen entwunden. Was wollen Sie dagegen tun? Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen. Nun, ich will das nicht weiter vertiefen. Wir kommen sicher im Sommer bei den entsprechenden Gesetzen noch darauf zurück.
In der Großen Anfrage wird auch die neue agrarpolitische Konzeption angesprochen. In einer Entschließung des Bundestages ist diese gemeinsame Konzeption gefordert worden. Ich stelle nur fest, daß wir sie bis zur Stunde noch nicht haben. Bundesernährungsminister Schwarz hat zwar dazu in seiner Rede in der letzten Woche einen Anlauf genommen, aber bei der Aufzählung einiger Kriterien ist er bereits steckengeblieben. Ich gebe zu, daß man dazu zwei Voraussetzungen schaffen muß.
Dr. Schmidt ({11})
Man muß sich einerseits über die gesellschaftspolitische Stellung und Einordnung der Bauern in unsere Industriegesellschaft klar sein, und man muß andererseits eine Übersicht über die wirtschaftlichen Fakten und über die zukünftigen Möglichkeiten haben. Ich will auch das Thema nicht vertiefen.
Ich will nur auf eines hinweisen. Der Bundesernährungsminister hat in seiner Rede am 8. Februar vor dem Bundestag ausgeführt, daß der Prozeß der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung uns zu einem unbekannten Ziel führe. Er hat weiterhin gesagt, daß die Betriebsstruktur am Ende des Jahrhunderts nicht ganz zu übersehen sei. Herr Minister, das brauchen Sie gar nicht. Das hat von Ihnen niemand erwartet. Wir erwarten keinen Vorschlag und keine Konzeption für die nächsten vier Jahrzehnte. Wir erwarten nur eine Konzeption für das nächste halbe Jahrzehnt bis zum Jahre 1970. Bis zur Stunde haben Sie uns diesen Vorschlag noch vorenthalten. Mit anderen Worten, wir erwarten von Ihnen, daß Sie uns einen Entwicklungsplan für diese Übergangszeit vorlegen. Wer steuern will, muß wissen, wohin die Reise geht. Deswegen noch einmal diese Erinnerung.
Was die Übersicht angeht, so liegt natürlich auch nichts vor. In den Vorbemerkungen zu dem Haushaltsplan Kap. 02 sagen Sie, daß das bis jetzt nicht möglich sei. Ich frage mich dabei nur immer: Warum können das alles die anderen und warum nicht wir? Ich muß mich, glaube ich, trösten mit dem vom Ausschuß einstimmig verabschiedeten Antrag Drucksache IV/725. Wir werden ja in sechs Wochen, bis zum 1. April, diesen Bericht haben. Hoffentlich ist das der Beginn der von uns erwarteten neuen Konzeption. Herr Minister, es gibt sogar Bundesländer, denen das möglich ist. Darf ich Sie erinnern: Ihr eigenes Heimatland hat sich bereits in der von uns gewünschten Weise darum bemüht; man hat selbst für das Land Schleswig-Holstein festgestellt, was man tun könne und was man nicht tun könne. Warum tun Sie das nicht für das ganze Bundesgebiet? Darum geht es doch.
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Was die Konzeption angeht, meine Damen und Herren, so haben wir auf einem Gebiet bereits einen Beitrag geleistet. Ich habe am 31. Januar hier an dieser Stelle ganz offen den Sozialplan gefordert, und ich habe den Eindruck, daß der Auftrag des Bundeskanzlers an den Bundesminister vor einiger Zeit reichlich spät gekommen ist.
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- Ja, Sie kommen immer hinterher.
Nun, wir haben Ihnen damals, im Januar wie auch im Juni, in den Debatten hier im Hause weitere Gesichtspunkte zur Konzeption vorgetragen und mit Fragen verknüpft. Unsere Anregungen sind heute noch gültig. Wir sind überzeugt, daß die Strukturfragen gerade im Hinblick auf die EWG weiter im Vordergrund stehen werden.
Wenn ich mir das letzte Jahrzehnt vor Augen halte - lassen sie mich das auch einmal an dieser
Stelle heute sagen -, frage ich mich, wie es in der Vergangenheit war. Sie werden mir dabei zugestehen, daß wir jahrein, jahraus auf dem Gebiet der Strukturwandlung einiges gefordert haben. Sie sind immer wieder hinterhergekommen und sind nachgehinkt. Wir könnten nach meiner Überzeugung weiter sein, wenn Sie immer gleich mitgezogen hätten. Das will ich nur einmal festhalten.
Ich erinnere Sie an unsere Anträge zur Struktur der Landwirtschaft aus dem vergangenen Jahr.
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- Herr Kollege Bauer, die haben Sie doch in diesem Jahr in den Grünen Plan eingebaut; aber immer kamen Sie später. Sie haben nie den Mut gehabt, mit uns gleichzuziehen.
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- Nun, auf allen Gebieten der Struktur; lesen Sie die Anträge nach.
Wir wissen, daß die Strukturänderung ein sehr schmerzhafter und teils bitterer Prozeß ist. Wir haben, um die sozialen Härten auf diesem Gebiet zu nehmen, auch einen Antrag gestellt, den wir noch später begründen werden. Ich muß mich wieder einmal mit der Rede des Ministers befassen. Er hat gesagt, daß dieser Prozeß der Strukturänderung so lange dauern wird, bis ein neues Gleichgewicht zwischen Landwirtschaft und übriger Wirtschaft erreicht ist. Herr Minister, diese Formel des „Laisser faire, laisser aller" unterschreibe ich niemals. Ich halte das für eine Formel der Resignation. Sie müssen doch genau wissen und Vorstellungen darüber haben oder zumindest entwickeln, in welcher Größenordnung dieser Prozeß vor sich gehen soll. Das ist doch nicht eine uferlose Sache, und deshalb verstehe ich diese Bemerkungen in Ihrer Rede nicht.
Auf der anderen Seite hat der Staatssekretär im Bundesernährungsministerium auf der Tagung der ALB vor einigen Tagen in Bonn davon gesprochen, daß man die große Masse der Kleinbetriebe - das sind rund 800 000 - aus den Förderungsmaßnahmen des Bundes am besten herausnehmen sollte. Nun, ich glaube, das geht ein bißchen zu weit. Das sind doch nicht in jedem Fall „Kümmerbetriebe". Ein kleiner Mann mit Kopf, Herr Staatssekretär - er ist leider nicht da, aber er kann es ja nachlesen - lebt besser als ein größerer mit bloßer Schale. Die Förderungsmaßnahmen nur auf die Vollbauernstellen zu beschränken, mag zwar in der rationalen Denkweise möglich sein; in der sozialen und politischen jedenfalls nicht.
Wie steht es nun mit der Auffassung der Bundesregierung? Was sagt der Minister zu diesen Auffassungen seines Staatssekretärs, die er ja doch am laufenden Band der Öffentlichkeit preisgibt? Ich erlaube mir zu diesem Fragenkomplex eine Anregung. In Erkenntnis der Tatsache, daß man natürlich keine Schablone für die landwirtschaftlichen Betriebe entwickeln kann, möchte ich die Anregung geben, daß man zur Entwicklung von Modellbetrieben für alle Landschaften, für alle Boden- und Klimaverhältnisse kommen möge, damit man bei den Strukturmaßnahmen einen gewissen AnhaltsDr. Schmidt ({16})
punkt hat. Was wir schaffen wollen und sollen, müßte auch für die Dauer Bestand haben.
In den nicht minder bedeutsamen Marktfragen haben wir grundsätzliche Einigkeit. Über das Warum, Weshalb und Wie brauche ich daher keine Ausführungen zu machen. Ich möchte nur hinzufügen, daß eine höllische Aktivität erforderlich sein wird, um der kommenden EWG-Konkurrenz Herr zu werden. Der Kampf um diese Märkte wird nach meiner Überzeugung unbarmherzig sein. Darauf bereiten sich alle vor, und wir stehen erst am Anfang dieser Bemühungen. Um eine vernünftige Arbeit zu leisten und um Fehlinvestitionen zu vermeiden, wird man nicht umhin können, auch die Standortfrage einmal generell zu überprüfen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zu den Wettbewerbsfragen sagen. Der Herr Minister und Herr Struve haben ebenfalls davon gesprochen. Ich erinnere Sie daran, daß wir vor einem Jahr auf die Unzulänglichkeiten der deutschen Haltung hingewiesen haben. Wir haben auf die Entschließung des Bundesrates vom 13. April verwiesen und haben gefragt, warum die Bundesregierung dem Ersuchen des Bundesrates nicht stattgegeben hat, bei der Kommission vorstellig zu werden, um über die unterschiedlichen Formen der Vermarktung usw. Auskunft zu erhalten. Leider hat die Bundesregierung das nicht getan. Sie hat sich in ihrem Bericht im Herbst letzten Jahres auf die Bemerkung beschränkt:
Die Bundesregierung wird immer ihr Augenmerk auf die Sicherstellung der Wettbewerbsgleichheit aller Erzeuger in der Gemeinschaft richten und die Organe der Gemeinschaft dazu anhalten, entsprechende Beschlüsse zu fassen.
Meine Damen und Herren, das scheint mir zuwenig zu sein, und das war auch dem Bundesrat zuwenig. Denn der Bundesrat hat die Bundesregierung im Oktober erneut angemahnt, in dieser Beziehung mehr als bisher zu tun.
Wir geben gern zu, daß die Bundesregierung im Ministerrat dabei die Initiative ergriffen hat. Aber die Kommission läßt sich viel Zeit, und wir haben den Eindruck, daß unsere Vertreter im Ministerrat zuwenig die Kommission an diese Aufgabe erinnern.
Zum Thema eines Investitionsprogramms gibt es seitens der Bundesregierung überhaupt keine Vorstellungen. Das scheint wohl auch ein bißchen schwierig zu sein. Auf der Seite der Gesetzgebung werde ich hoffentlich offene Türen einrennen, wenn ich der Hoffnung Ausdruck gebe, daß eine ganze Reihe von gesetzlichen Bestimmungen dringend einer Anpassung bedürfen. Ich denke dabei an das Milchgesetz, die Käse-Verordnung, das Futtermittelgesetz, Qualitätsbestimmungen usw. usw.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß einige Bemerkungen machen. Wenn ich das alles addiere, ist die Bilanz nicht sehr erfreulich.
({17})
Ich räume ein, daß die Landwirtschaft in der ganzen Welt, sei es im Ostblock, sei es in Amerika, sei es in Europa, das Sorgenkind der Regierungen ist. Es kommt aber auf den Geist an, mit dem man an die Lösung der Probleme herangeht.
({18})
Für unsere Verhältnisse sind die Handvoll Sätze im Grünen Bericht charakteristisch, die sich mit den ernsten aus der Sicht der EWG gegebenen Problemen befassen, und diese wenigen Sätze machen noch einen sehr, sehr düsteren Eindruck. Von der großen Chance, meine Damen und Herren von der Koalition, die unsere Landwirtschaft trotz aller Schwierigkeiten hat, ist leider keine Rede, nicht einmal mit einem einzigen Hinweis. Aus dem Ganzen, sowohl aus dem Bericht der Bundesregierung wie aus den Erklärungen des Kanzlers, des Ernährungsministers und des Kollegen Struve, spricht doch nur Resignation und Mutlosigkeit.
({19})
- Herr Bauknecht, die Menschen auf den Höfen müssen ja der Verzweiflung nahe sein, wenn ihnen auf diese Art und Weise noch der Glaube an die eigene Kraft zerstört wird.
Herr Minister, Sie haben im letzten Teil Ihrer Rede die Frage an uns und an sich selber gestellt, ob wir mit unserer Agrarpolitik auf dem richtigen Wege sind. Auf Grund dessen, was ich vorgetragen habe und was im Grünen Bericht als Ergebnis dieser Politik zutage tritt, kann ich nur mit einem eindeutigen Nein antworten. Alles in allem wiederum ein verlorenes Jahr!
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Effertz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir vorgenommen, mich im Anschluß an die Antwort des Herrn Bundesernährungsministers Schwarz auf die Große Anfrage zur gemeinsamen Agrarpolitik in der EWG einmal über das Thema „Agrarpolitik bei uns und bei den anderen" zu äußern. Daraus möchte ich dann folgern, welche Konsequenzen wir, die Abgeordneten aller Parteien, und die Regierung entweder getrennt voneinander oder gemeinsam ziehen müssen.
Lassen Sie mich eingangs zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schmidt Stellung nehmen. Herr Kollege Schmidt, Sie haben hier eine Oppositionsrede gehalten. Ich kann verstehen, daß Sie dabei etwas an Niedersachsen gedacht haben. Das nehme ich Ihnen auch nicht übel. Aber ich möchte Sie doch daran erinnern, daß wir am 31. Januar 1962 gemeinsam eine Entschließung verfaßt und gemeinsam verabschiedet haben, in der zum Kummer von Herrn Kollegen Struve und Herrn Lücker steht, daß wir uns befleißigen wollten, eine neue agrarpolitische Konzeption zu entwickeln. Das Wort „neu" steht dort zwar nicht, dort steht „nunmehr"; aber „nunmehr" heißt allerdings bei mir auch „neu".
Herr Dr. Schmidt, Sie haben jetzt eine Oppositionsrede gehalten und uns und die Regierung angegriffen. Dazu muß ich Ihnen allerdings sagen: in den 12 oder 13 Monaten ist Ihnen auch nicht allzu viel Neues eingefallen.
({0})
- Aber entschuldigen Sie, Sie haben sich doch bereit erklärt, eine gemeinsame agrarpolitische Konzeption mit uns zu vertreten und zu erarbeiten. Bitte, das ist ein Angebot.
({1})
- Na ja, aber ich lese in den Veröffentlichungen
der SPD durchaus, welche Meinung Sie in den Ausschüssen vertreten.
Meine Damen und Herren, aber jetzt zum Thema! Diese Große Anfrage, auf die wir heute eine Antwort von der Regierung gehört haben, steht vor dem Hintergrund eines sehr, sehr ungünstigen Grünen Berichts, vor dem Hintergrund des Scheiterns der Verhandlungen in Brüssel über den Beitritt Englands zur EWG. Sie darf nicht losgelöst gesehen werden von dem deutsch-französischen Abkommen für eine engere Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Partnerstaaten.
Die Aussprache im Zusammenhang mit dieser Großen Anfrage wäre eigentlich nach der Themenstellung im Spätherbst 1962 notwendig gewesen,
({2})
weil die Große Anfrage, die wir im Jahre 1961 behandelt haben, nicht erschöpfend genug behandelt worden war.
({3})
- Herr Kollege Schmidt, ich greife keinen an. Vielleicht braucht es längere Zeit, um sich solche Antworten zu erarbeiten und um Übereinstimmung herbeizuführen. Ich bin ja nicht im Kabinett und ich habe nicht an den geheimen Verhandlungen teilgenommen. Aber ich bin der Meinung, eigentlich müßte heute schon wieder eine dritte Große Anfrage behandelt werden, nämlich im Zusammenhang mit dem Scheitern der Verhandlungen über den Beitritt Englands zur EWG und der heutigen Situation und dem, was nunmehr auf Grund des Scheiterns der Verhandlungen mit England zwangsläufig vom Jahre 1966 ab auf uns zukommt, wenn die anderen über uns entscheiden.
Herr Dr. Schmidt, Sie haben den Herrn Staatssekretär einige Male zitiert,
({4})
um einen Widerspruch in den Äußerungen des
Staatssekretärs mit seinem Chef, dem Herrn Minister Schwarz, herauszulesen, oder wenn Sie wollen, auch zu konstruieren.
({5})
- Ich muß Ihnen sagen, Herr Dr. Schmidt, das war ein bißchen reichlich billig. Sie haben aus diesen Erklärungen nur das herausgelesen, was Ihnen heute paßte. Wenn Sie die Äußerungen des Staatssekretärs laufend verfolgt und vollständig gelesen hätten, dann müßten Sie eigentlich mit seiner Auffassung einverstanden sein; denn sie entspricht ja
- ich habe Ihre kritische Rede soeben gehört -, auch Ihren Auffassungen.
({6})
- Ich komme noch darauf, was Sie gemeint haben. Wenn Sie jetzt sagen, er stehe in ständigem Widerspruch mit den Äußerungen seines Ministers, so stimmt das auch nicht ganz. Vielleicht hat der Staatssekretär zu dem einen oder anderen Thema einen Satz mehr gesagt als der Minister, aber Widersprüche habe ich nicht herauslesen können. Was wollte denn Staatssekretär Hüttebräuker? Er sagte, die Bauern draußen - und damit hat er recht - seien nicht nur unruhig, weil die Ertragslage so schlecht sei und der Grüne Bericht so schlecht aussehen werde, sondern sie seien auch unruhig, weil sie nicht genau wüßten, wie die Entwicklung weiterlaufe oder weiterlaufen solle. Und der Trost, daß wir auf Grund einer zwischen uns erfolgten Einigung und einer Erklärung der Regierung unseren Getreidepreis bis Ende 1965 halten, ist zu gering.
Deshalb meinte der Staatssekretär, man sollte schon heute, solange in Brüssel noch das Veto-Recht gilt, den Mut haben, mit den anderen, vor allem im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit den Engländern, insbesondere auf Grund der nicht immer guten Erfahrungen bei der bisherigen Agrarpolitik der EWG überlegen, was ab 1970 in bezug auf den deutschen Getreidepreis geschehen soll, und zwar in der Absicht, den jetzigen Preis bis zum Jahre 1970 unverändert zu halten, um dann als Äquivalent in den dann gültigen Durchschnittspreis einzusteigen, der im Jahre 1970 auf Grund der allgemein steigenden Kosten todsicher wesentlich höher liegen wird als der jetzige Durchschnittspreis. Herr Hüttebräuker meinte also, wenn man schon heute etwas für die Zeit fordert, wo man überstimmt werden kann, muß man auch eine Konzession machen. Die Konzession sah er darin, sich darauf zu einigen, ab 1970 in den dann gültigen gemeinsamen Getreidepreis einzusteigen.
Es lagen noch einige andere Vorbehalte darin. Man erwartete natürlich auch - das war, glaube ich, auch die Meinung von Herrn Minister Schwarz -, daß bei den Verhandlungen mit England zunächst einmal der englische Preis auf die Höhe des augenblicklichen niedrigsten Preises in der EWG gebracht, also in die erste Stufe hineingenommen werden müßte, damit er im Durchschnitt vergleichbar wird, um dann darauf aufbauend gewisse Abmachungen für die Zeit ab 1970 zu treffen.
Nun, das ist alles vorbei; vorläufig wird in Brüssel über diese Frage leider nicht verhandelt. Ich bedaure das. Vielleicht werden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Eines habe ich allerdings sehr bedauert, daß nämlich Staatspräsident de Gaulle nicht einige Wochen vorher zu den Verhandlungen über den Beitritt Englands nein gesagt hat, nämlich zu einer Zeit, als noch keine Aussicht auf Einigung bestand. Ich bedauere es, daß er in dem Augenblick nein sagte, wo es schien, daß man sich einigen könnte. Aber das sind politische Fragen. Das Scheitern der Verhandlungen mit England wird nun leider auf dem Buckel der Landwirtschaft und ganz besonders auf dem Buckel der deutschen Landwirtschaft ausgetragen unter Hinweis darauf, daß wir unseren jetzigen allzu hohen Getreidepreis nicht gleichzeitig oder vorher gesenkt hätten.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen machen, und ich bitte, diese Bemerkungen seitens der Regierung nicht böse aufzufassen. Ich bedauere es, daß die Regierungsbank heute so schlecht besetzt ist, aber ich freue mich, daß das Plenum etwas besser besetzt ist als früher. Ich hätte zu gerne einmal im Beisein unseres Bundeswirtschaftsministers Erhard eine Agrardebatte geführt. Ich hätte es auch gerne einmal gesehen, wenn der Bundeswirtschaftsminister Erhard, der ja auch gehört werden muß, wenn in Brüssel etwas beschlossen wird, sich auch einmal zu diesen Sorgen der deutschen Landwirtschaft im Zusammenhang mit der EWG geäußert hätte.
Außerdem habe ich noch die Bitte an die Bundesregierung, sie möge doch in Erfüllung ihrer Verpflichtung gemäß Art. 2 des EWG-Ratifizierungsgesetzes den Bundestag dauernd und rechtzeitig über die laufenden Verhandlungen in Brüssel unterrichten, bevor dort Beschlüsse gefaßt werden, um uns die Möglichkeit zu geben, auch rechtzeitig eigene Vorstellungen vorbringen und mit der Regierung gemeinsam auf Grund des Vertrages diskutieren und Beschlüsse fassen zu können. Ich habe den Eindruck, wir als Bundestag werden immer etwas reichlich spät eingeschaltet. Ich bedauere, daß das, was wir hier im Parlament tun müssen - und das sieht meistens nach Nachkarterei aus -, nicht vorher vor der breiten Öffentlichkeit in Straßburg geschehen kann, also in dem Parlament, das ja eigentlich in der EWG die Funktion der Legislative für die EWG und für die nationalen Parlamente hätte übernehmen müssen. Ich bedaure es außerordentlich, daß man in Straßburg zwar diskutieren und debattieren kann, daß es aber über Empfehlungen nach Brüssel leider nicht hinausgeht und daß in Brüssel dann meist hinter verschlossenen Türen verhandelt wird und wir über die Verhandlungen und die unterschiedlichen Meinungen, die in Brüssel vertreten werden - sie sind ja bei den anderen auch nicht einheitlich -, hier im Bundestag und in der Öffentlichkeit nicht immer laufend in ausreichender Weise unterrichtet werden.
Ich habe soeben kritisiert, daß ich auf der Regierungsbank heute leider einen Bundesminister vermisse. Dem Herrn Bundesernährungsminister
Schwarz möchte ich aber für seinen Grünen Bericht danken. Ich glaube, 'das sollte auch die SPD tun; denn dieser Grüne Bericht sticht doch, wenn er auch in den Ergebnissen unerfreulich ist, in der Ehrlichkeit sehr ab von den bisherigen Grünen Berichten. Es wird nichts kaschiert, die Dinge werden so dargestellt, wie sie wirklich sind.
({7})
- Vielleicht. Das Nichttun kann ja auch ein Auslassen sein.
({8})
- Das müssen Sie nicht mich fragen. Ich mache die Grünen Berichte nicht. Außerdem fällt Ihnen das etwas spät ein, Herr Schmidt; das hätten Sie in den vergangenen sieben Jahren bei jedem einzelnen Bericht monieren müssen.
({9})
- Ich provoziere gar nicht.
Nun haben wir für unsere nationale Agrarpolitik zwei Grundlagen, nach denen wir uns richten müssen und die für uns Gesetz sind. Das ist einmal unser Landwirtschaftsgesetz und zum zweiten ist es der EWG-Vertrag. Das Landwirtchaftsgesetz soll Aufwand und Ertrag eines gut geleiteten Familienbetriebs mit den verschiedenen Möglichkeiten wirtschaftspolitischer Maßnahmen ausgleichen. Hier meint Herr Kollege Struve, daß es vielleicht schwer oder auch nicht tunlich sei, sich über die Frage zu streiten oder etwa die Frage zu beantworten, was nun wirklich der Familienbetrieb im Sinne dieses Gesetzes sei. Hier bin ich etwas anderer Meinung und habe das auch jedes Jahr gesagt. Wenn wir von der Regierung und damit von uns selbst die Zusage fordern, zwischen zwei Dingen auszugleichen, dann kann man nicht erwarten, daß man das bei einer Unbekannten tut. Die Unbekannte ist immer noch die unterste Basis, wo Kostenaufwand und Preise miteinander verglichen sind. Das ist der Familienbetrieb, und da der Familienbetrieb auch im EWG-Vertrag angesprochen ist und da vielleicht jeder Staat etwas anderes darunter versteht, kann man die Antwort nicht agrarpolitisch und ökonomisch geben. Wahrscheinlich sind auch hier im Hause die Meinungen darüber geteilt. Es gibt Leute, die sagen, ein Familienbetrieb liegt dann vor, wenn sich eine Familie davon ernähren kann. Diese Antwort ist mir etwas allzu billig. Die Antwort auf diese Frage, was ein Familienbetrieb ist, ist eine politische Antwort, und wir sollten uns bemühen, diese Frage zu beantworten, um zu wissen, von welcher Basis wir auszugehen haben.
Nun haben wir den EWG-Vertrag, der ein ähnliches Ziel für eine gemeinsame Agrarpolitik hat. Der EWG-Vertrag spricht vier Teilbereiche an, die wir berücksichtigen sollen: erstens die Nowendigkeit einer Produktivitätssteigerung, zweitens sollen wir eine angemessene Lebenshaltung durch die Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Menschen anstreben, wir sollen weiter die Märkte stabilisieren, und wir sollen vier2734
tens die Versorgung der Bevölkerung zu angemessenen Preisen sicherstellen. Das sind die Ziele.
Nachdem nun aber nach den Erfahrungen von acht Grünen Berichten und unter Zugrundelegung des Landwirtschaftsgesetzes das Ziel unserer nationalen Agrarpolitik auf Grund dieses Gesetzes nicht erreicht worden ist, wie insbesondere dieser letzte Grüne Bericht feststellt, sind wir gezwungen, uns gemeinsam etwas Besseres einfallen zu lassen. Ich erinnere wiederum an die gemeinsame Entschließung vom 31. Januar 1962, und hier lade ich die SPD wieder ein, weil sie diese Entschließung mit unterschrieben hat.
Wie bedeutungsvoll diese Frage ist, nachdem wir nun acht Grüne Berichte vorgelegt bekommen haben, möchte ich nur an einem Zahlenbeispiel beweisen, das erschreckend ist. Allein die Lohndisparität der deutschen Landwirtschaft verglichen mit vergleichbaren Löhnen macht die runde Summe von 5 Milliarden DM aus, die wir eigentlich bezahlen müßten, wenn wir das Gesetz buchstabengetreu und so, wie die Landwirte es auffassen, handhaben würden. 5 Milliarden! Wenn an das Parlament die Forderung gestellt würde, diese 5 Milliarden zu bewilligen, müßte allerdings die Opposition auch wieder mitspielen. Ich würde, wenn man das nicht tun wollte, die Frage stellen: was würden wohl die Gewerkschaften sagen, wenn man ihnen gesetzlich von der Regierung, vom Parlament zugestandene Leistungen nicht auszahlen wollte?
({10})
Die Steigerung der Lohndisparität zwischen den letzten beiden Grünen Berichten macht 1,6 Milliarden DM aus, und lassen Sie mich auch noch die Verschuldung mit 15 Milliarden DM nennen, dann haben Sie mit drei Zahlen einen Situationsbericht über die Lage der deutschen Landwirtschaft.
({11})
- Nein, auch der Bundestag. Wenn wir 5 Milliarden mehr für die Landwirtschaft einsetzen, dann muß ja bei Ihren Forderungen etwas nachgegeben werden. Denn zum Schluß kann nicht mehr ausgegeben werden, als der Finanzminister an Steuern einzieht.
({12})
- Ach, wir wollen doch für die Landwirtschaft keine Sonderbrötchen gebacken haben. Wir wollen nur unsere Arbeit genauso bezahlt wissen, wie das mit gutem Recht die anderen seit Jahr und Tag bekommen haben.
({13})
Ich möchte auch an den Bundestag eine Bitte richten; ich wende mich nicht nur an die Regierung, damit es nicht so aussieht, als ob ich heute eine Oppositionsrede hielte. Manchmal könnte es so scheinen. Ich bemühe mich nur, meine Meinung zu sagen. Ich bin nicht angeleint und nicht fraktionsgebunden in dem, was ich sage. Allerdings gebe ich die Meinung meiner Fraktion wieder, weil ich mich mit ihr unterhalten habe. Aber ich bin nicht gebunden. Nehmen
Sie es mir bitte nicht übel, wenn auch ich Zahlen bringe. Ich wende mich nicht einseitig nur an die Bundesregierung, sondern auch an das Parlament und damit auch an die Opposition.
({14})
Ich möchte damit andeuten, daß wir verpflichtet sind, der Landwirtschaft die der übrigen Wirtschaft gewährten Vorleistungen allmählich auch einmal endlich zu honorieren. Sie haben selber, Herr Kollege Schmidt, in Bergheim, nachdem ich dort gewesen war, gesagt, es sei ein berechtigtes Anliegen der Landwirtschaft, daß nun auch wir uns beim Nachziehen einmal mit dieser Forderung an das Parlament - und damit auch an Sie - und an die Regierung wenden. Denn für die allgemeine Wirtschaftspolitik habe man seit 1951, wenn ich richtig orientiert bin, über 146 Milliarden DM Subventionen und Förderungsmittel verschiedenster Art ausgegeben; ich will die Zahlen nicht im einzelnen untersuchen. Ich wäre allerdings dem Herrn Bundeswirtschaftsminister dankbar gewesen, wenn er in der Zwischenzeit, der Forderung des Parlaments folgend, uns einmal einen Katalog über die in der Vergangenheit wirklich gezahlten Gesamtsubventionen für die Wirtschaft und einen Überblick über die Subventionen gegeben hätte, die in den einzelnen Jahreshaushalten getrennt stehen, und damit diese zusammenadddiert hätte. Dann würden wir vergleichend vielleicht zu dem Ergebnis kommen, daß die Subventionen, die die Landwirtschaft bekommt, nur 10 % von dem ausmachen, was die übrige Wirtschaft bekommt. - Bevor Sie aber wieder einen Zwischenruf machen, Herr Kollege Schmidt, möchte ich darauf hinweisen, daß ich darunter selbstverständlich auch die Subventionen eingeschlossen wissen will, die wir für die Sozialpolitik ausgeben.
Es ist kein Trost, wenn jetzt im Jahre 1963, wenn man sich über die Sorge der deutschen Landwirtschaft unterhält, allmählich, und zwar einer nach dem andern, auch andere Teilbereiche der Wirtschaftspolitik kommen und das gleiche Klagelied mit ähnlichen Begründungen singen. Ich denke an die Kohle, ich denke an die Textilwirtschaft, an Stahl, an die Keramikindustrie. Alle kommen jetzt und sagen: Wir werden erdrückt durch die Auslandskonkurrenz. In der EWG müsse man besser aufpassen. Man werde erdrückt durch Dumping bei den Einfuhren, insbesondere aus Süd- und Ostasien, und der Staat müsse nun eingreifen. Ich halte diese Forderungen für durchaus überlegenswert und wäre gern bereit, über diese Frage im Parlament mit den anderen Partnern, die diese Fragen jetzt neu aufbringen, zu diskutieren, wenn man gleichzeitig bereit wäre, unsere Sorgen mit dem gleichen Ernst und mit der gleichen Bereitschaft auch in bezug auf unseren Nachholbedarf zu diskutieren.
Man wirft der deutschen Landwirtschaft so oft vor - und vergleicht sie mit den anderen Ländern, die angeblich leistungsfähiger seien -, wir bekämen allein Subventionen. Nun, daß das nicht stimmt, habe ich soeben bereits gesagt. Die Optik spricht aber gegen uns; denn wir haben auf Grund der Sonderexistenz eines Grünen Plans in den verDr. Effertz
gangenen Jahren - und wir, die wir hier im Hause sitzen, waren alle nicht immer unschuldig daran - die Kritik, wenn von Subventionen gesprochen wird, einseitig immer auf die Landwirtschaft gelenkt und dabei die Subventionen für die anderen Bereiche, auch in der Sozialpoltik, übersehen. Wir haben bei dieser einseitigen Kritik an den deutschen Subventionen dann allerlei zu hören bekommen: Ja, die deutsche Landwirtschaft klagt immer; warum strengt sie sich nicht selbst an und konkurriert mit dem Ausland; denn die können doch alles billiger machen!
Meine Damen und Herren, vergleichen Sie bitte einmal mit wenigen Zahlen die Subventionen, die anderswo gezahlt werden. Sie werden dann feststellen, daß, während wir 1,2 Millionen DM echte Subventionen im letzten Grünen Plan ausgewiesen haben, die Franzosen 8 bis 81/2Milliarden DM Subventionen der verschiedensten Art an ihre Landwirtschaft gezahlt haben. Bei der Aufteilung der Subventionen auf die in der Landwirtschaft beschäftigten Vollarbeitskräfte ergibt sich - ich will die Zahlen im einzelnen nicht nennen -, daß die Bundesrepublik mit 724 DM bei weitem am tiefsten liegt; denn in anderen Ländern, z. B. in England betragen die Subventionen je Arbeitskraft ohne Nebenerwerb - also vollbeschäftigt - 3000 DM, in Holland über 2000, selbst in Amerika über 2000 DM.
({15})
- Ein Wesentliches mehr als hier.
Dann möchte ich noch vor einem Irrtum warnen, einem Einwand, der uns immer wieder vorgehalten wird, wenn von den ewig klagenden Landwirten gesprochen wird: dem Hinweis auf die sogenannten Weltmarktpreise. Seien wir doch ehrlich! Echte Weltmarktpreise für Lebensmittel hat es noch nie gegeben, gibt es nicht und wird es auch in Zukunft nicht geben. Alle Preise auf dem Agrarsektor sind vom Erzeuger bis zum Verbraucher irgendwie, wenn auch verschieden, politisch manipuliert, weil sie den Beeinflussungen und der Rücksichtnahme auf die Innenpolitik unterliegen. Wenn das bei anderen so ist, warum soll es da bei uns eine Ausnahme geben?
Ich bedaure, heute noch etwas sagen zu müssen, was ich früher schon einmal erwähnt habe. Ich bedaure, daß wir zwar von der sozialen Marktwirtschaft sprechen, aber die deutsche Landwirtschaft nur mit einem Bein, nämlich mit ihren Kosten und Löhnen, in die soziale Marktwirtschaft eingegliedert haben, während man das andere Bein - unsere Preise - gelähmt draußen gelassen hat. Wir fahren also zweigleisig. Wir können nicht kalkulieren. Unsere Kosten laufen davon. Die Löhne passen sich an. Auch in der übrigen Wirtschaft haben wir dieses Weglaufen. Die Gewerkschaften helfen dabei noch etwas mit. Ich will das nicht kritisieren. Berechtigte Anliegen können sie vorbringen, die Unternehmer auch. Aber man sollte beides stoppen. Wir sind der Sündenbock und der Angeklagte und der Leidtragende.
({16})
- Mit „wir" meine ich die Landwirtschaft. Oder aber: man soll uns nicht vorwerfen, daß wir hinterherhinkten, daß wir uns nicht anstrengten. Man soll vor allem gerecht sein und die Kritik nicht nur an den landwirtschaftlichen Subventionen aufhängen.
({17})
- „Wir"? - Ja, muß ich das jetzt noch auseinanderklamüserri? Das ist immer im einzelnen zu verstehen.
({18})
- Ach, wenn Sie wollen, spreche ich für meine Parteifreunde; wenn Sie wollen, wenn die CDU bereit ist, sich anzuschließen, spreche ich auch - wir haben ja die Konzepte nicht ausgetauscht - im Sinne unseres Koalitionspartners. Wir wollen uns doch hier angewöhnen, im Parlament frei zu reden, so, wie jeder es glaubt vertreten zu sollen.
({19})
- Nun weiß ich wirklich nicht, wem ich für den Beifall danken soll, der rechten oder der linken Seite.
({20})
Ein Weiteres kommt hinzu. Demnächst werden wir hier die Notstandsgesetze behandeln. Im Grundsatz werden wir sie wahrscheinlich verabschieden. Unter diesen Notstandsgesetzen befindet sich auch ein Ernährungssicherstellungsgesetz. Wenn ich mir die Formulierung dieses Gesetzes ansehe, muß ich sagen: die Voraussetzungen für das Funktionieren dieses Gesetzes sind eigentlich gar nicht gegeben. Wo ist die Hofkarte, die eigentlich vorhanden sein müßte, nach der betriebliche Meldungen für die Erfassung und die Produktion vonstatten gehen sollten? Auch darüber müssen wir uns einmal unterhalten.
Warum sage ich das? Nicht um eine Unzulänglichkeit dieses Gesetzes anzuprangern, sondern ich wollte sagen: Gewöhnen wir uns doch endlich einmal ab, Agrarpolitik immer nur als Berufsstandspolitik zu sehen! Sie ist keine Grüne-Front-Politik, sie ist Ernährungspolitik und, wenn Sie wollen - nach dem Ernährungssicherstellungsgesetz -, Ernährungssicherstellungspolitik.
({21})
- Herzlichen Dank. - Wenn das so ist, Herr Dr. Schmidt, dann wollen wir uns aber auch darüber im klaren sein, daß wir die Arbeit in der Landwirtschaft alle gemeinsam bezahlen müssen. Ob das nun direkt über den Preis geht, ob das über Subventionen geht oder ob wir uns demnächst anschicken müssen, die Verschuldung der Landwirtschaft zu übernehmen, es ist die gleiche Mark aus dem gleichen Portemonnaie, nur machen die zweite und die dritte Mark Umwege und verursachen Verwaltungskosten.
({22})
Wieso? Entschuldigen Sie, wenn wir aus politischen Gründen zur Ernährungssicherstellung ein gewisses Minimum an landwirtschaftlicher Produktion bejahen, dann müssen die Kosten und damit auch die Löhne für diese Arbeit an der Ernährungssicherstellung bezahlt werden, und zwar von allen, nicht von einzelnen Parteien.
({23})
- Ja, Sie haben nicht zugehört: Das Bezahlen kann ich auf drei Arten machen. Entweder ich bezahle den echten Preis auf Grund der Kostenkalkulation, oder, wenn ich das nicht tun will -, oder mich scheue, das zu tun, dann gebe ich Subventionen, oder aber wir entschulden, wenn es nicht mehr weitergeht, die Landwirtschaft mit öffentlichen Mitteln. Wie ich sagte, es ist jedesmal die gleiche Mark aus dem gleichen Portemonnaie, nur macht die zweite oder dritte Mark einen Umweg und kostet Verwaltungsaufwand.
Meine Damen und Herren, solange wir die Agrarpolitik außerhalb der sozialen Marktwirtschaft sehen, solange Löhne und Preise in der übrigen Wirtschaft steigen - nicht nur bei uns, sondern auch bei den anderen Industriestaaten sind die Sorgen um ihre Landwirtschaft fast einheitlich und ebenso wie bei uns -, solange alles steigt, ist es doch eine Utopie, zu glauben, daß die Preise in der Landwirtschaft fallen könnten, es sei denn, wir gleichen gefallene Preise über Subventionen, wie ich es eben sagte, aus. Ich bin sogar überzeugt, daß, wenn auf die Dauer die anderen Parlamente - ich denke hier insbesondere an Frankreich mit der sehr hohen Subvention -, weil es auch da mit den Steuereinnahmen nicht mehr so recht klappt, die Subventionen abbauen müssen und genauso wie wir aus Gründen der Ernährungssicherstellung, also aus politischen Gründen, ein gewisses Maß an landwirtschaftlicher Produktion erhalten müssen, nicht nur bei uns, sondern auch bei den anderen die Erzeugerpreise automatisch steigen müssen, wenn in irgendeiner Form die Kosten aufgefangen werden sollen.
Deshalb habe ich eine gewisse Sorge - und jetzt komme ich wieder auf Ausführungen von Staatssekretär Hüttebräuker zu sprechen -, was ab 1966 geschieht, wenn die anderen über uns bestimmen. Die anderen werden sich ab 1966 gegen uns einig sein in der Absicht, unseren Getreidepreis zu senken und damit alles ins Rutschen zu bringen, d. h. sie werden sich einig sein in der Absicht, noch mehr vom deutschen Käufermarkt an sich zu reißen; denn wir sind ja fast das einizge kaufende Land in der EWG. Wenn sie diesen Markt auf Kosten unserer Produktion und der Rentabilität der deutschen Landwirtschaft erlangt haben, werden die Preise, in der Landwirtschaft anschließend bis zum Jahre 1970 und darüber hinaus zwangsläufig steigen, um so mehr als die nationalen Subventionen abgebaut werden müssen. Es glaubt doch kein Mensch, daß Frankreich seine 8 Milliarden DM an jährlichen Subventionen aufrechterhalten kann. Man könnte es vielleicht annehmen, weil sich Frankreich in einer etwas stärker steigenden Konjunktur befindet als wir; wir befinden uns schon auf einer flacheren Linie.
Ich sagte, wir haben zwei Grundlagen: Landwirtschaftsgesetz und EWG. Beim Landwirtschaftsgesetz ist das Ziel angesprochen. Die Methoden sind leider nicht klar genug angesprochen worden, sie sind für die Regierung nicht verpflichtend genug, - ein altes Anliegen meiner Partei. Zwei der angesprochenen Methoden sind für uns nicht mehr voll zu handhaben, weil wir mittlerweile unsere Kompetenz in vielem - das haben Sie soeben erklärt - an die EWG abgegeben haben.
Wenn Sie sich den Text des EWG-Vertrages durchsehen, insbesondere die Artikel 39 und 40, werden Sie feststellen, daß auch da ein Ziel angesprochen ist, daß aber die Methoden genauso vage und unbestimmt bleiben, wie es im Landwirtschaftsgesetz der Fall ist. Ich habe das Gefühl, daß die Väter dieser beiden Artikel über die EWG-Agrarpolitik bei der Verabschiedung die gleiche Empfindung hatten wie die Väter der entsprechenden Vorschriften des Landwirtschaftsgesetzes, das wir verabschiedet haben: Das Gefühl, daß man sich mit einer solchen Regelung in ein Experiment begibt, einen Versuch macht. Das sollten wir zugestehen. Denn das Hin und Her in den Überlegungen in Brüssel, soweit es nach draußen dringt, beweist ja, daß alle miteinander der Meinung sind, man mache einen Versuch. Wenn dem aber so ist, dann sollte man untereinander auch so ehrlich sein - wenn das Ziel sein soll: gleiche Chancen für alle Partner -, auch einmal bestehende Beschlüsse abzuändern bzw. von ihnen abzuweichen.
({24})
- Ich darf dem Herrn Bundeswirtschaftsminister herzlich danken. Ich hatte mir erlaubt, zu bedauern, Herr Minister, daß ich Sie nicht auf der Regierungsbank sah, weil wir uns gern auch einmal mit Ihnen über Agrarpolitik unterhalten hätten.
Ich bin also der Meinung: Das, was in Brüssel beschlossen wird oder in Zukunft noch beschlossen werden wird, muß nicht immer etwas Unabänderliches sein. Vielmehr sollte man auf Grund der mit solchen Beschlüssen gemachten Erfahrungen den Mut haben - wenn gutes Zureden in Brüssel hilft -, Verordnungen oder Beschlüsse zu ändern und den neuen Erkenntnissen anzupassen. Nur so kann das Ziel der gleichen Chance für alle wirklich erreicht werden. Bei den Verhandlungen über den Beitritt Englands hätte sich diese Chance zum erstenmal ergeben, wenn Frankreich nicht nein gesagt hätte. Natürlich war es, wenn man die Engländer und andere Staaten wirklich dabei haben wollte, ein berechtigtes Verlangen, mit uns zu überlegen, ob man im Falle eines Beitritts Englands nicht gewisse Übergangszeiten verlängern und bestimmte Übergangsbestimmungen umarbeiten müßte.
Wenn man sich das Grundkonzept ansieht, mit dem nach den ersten Beschlüssen in Brüssel unter Bezugnahme auf den EWG-Vertrag begonnen worden ist, dann muß man feststellen, daß man sich von den dort vorgeschlagenen Agrarmarkttypen die schlechteste Type ausgesucht hat, nämlich die
Type 3, eine einheitliche europäische Marktordnung. Es standen drei Möglichkeiten zur Wahl: 1. gemeinsame Wettbewerbsregeln, 2. Koordinierung der verschiedenen einzelstaatlichen Marktordnungen, 3. Bildung einer europäischen Marktordnung. Nach den Erfahrungen, die wir bis heute gemacht haben, wäre es besser gewesen, man hätte die Möglichkeiten 1 und 3 miteinander verbunden und hätte mit dieser Lösung einige Jahre experimentiert, um zu sehen, ob das funktioniert, insbesondere hinsichtlich der beabsichtigten und notwendigen Harmonisierung der Subventionen, der Hilfen der einzelnen Länder für ihre Agrarwirtschaft, des Abbaues der Wettbewerbsverzerrung, der Errechnung allgemeingültiger Preise auf der Kostenbasis und der Berücksichtigung der nationalen Anliegen, vor allem der Bundesrepublik, die ja . zur Zeit das einzige kaufende Land in der EWG ist.
Die zentralistische Regelung, die man gewählt hat, verführt natürlich die Gegner einer Marktordnung leicht dazu, zu sagen, man habe den Perfektionismus in Brüssel übertrieben, die Bürokratie blähe sich zu stark auf und es werde zuviel dirigistisch angeordnet. Wenn man eine der beiden ersten Möglichkeiten oder ihre Verbindung gewählt hätte, dann brauchten wir - insbesondere wenn auch Straßburg mehr Möglichkeit hätte, sich einzuschalten - nicht darüber zu klagen, daß in Brüssel hinter verschlossenen Türen den Mitgliedstaaten allzu perfektionistische und bürokratische Lösungen oktroyiert werden. Ob dieser Perfektionismus, den man so oder so sehen kann, in Zukunft richtig ist, wird sich erweisen. Vielleicht muß man auch hier den Mut haben, gemeinsam in Brüssel in Verbindung mit Straßburg zu überlegen, ob man zu gegebener Zeit einmal modifizieren und ändern muß, insbesondere wenn man daran denkt, daß - wie wir alle wünschen - andere freie Staaten Westeuropas Mitglied der EWG werden sollen.
Wenn die Bundesregierung auf dem Standpunkt steht, daß an dem heutigen deutschen Getreidepreisniveau und damit an dem Preisniveau der Landwirtschaft schlechthin nichts geändert werden soll, dann gilt das bis zum 31. Dezember 1965. In der Öffentlichkeit darf das nicht so verstanden werden, als ob ein Festhalten an den derzeitigen Preisen bedeuten würde, daß das reale Preise sind. Ein Festhalten des Getreidepreises bis 1965 bedeutet im Vergleich zu den zu erwartenden steigenden Kosten und Löhnen einen sinkenden Preis. Deshalb darf man nicht die Haltung der deutschen Bundesregierung und, ich glaube, auch die Auffassung des Parlaments kritisieren, wenn wir sagen, daß es selbstverständlich eine Pflicht der deutschen Bundesregierung und des Parlaments ist, den derzeitigen Preisstatus noch so lange zu halten, wie die gegen uns gerichteten großen Wettbewerbsverzerrungen bei den anderen bestehen und man noch nicht willens ist, diese gegen uns gerichteten Wettbewerbsverzerrungen abzubauen.
Das Versprechen, das in Brüssel ausgehandelt worden ist - dafür haben wir fast drei Jahre gebraucht -, nun endlich einmal einen Katalog aufzustellen, welche Wettbewerbsverzerrungen und
Subventionen in den einzelnen Partnerländern bestehen, ist mir zu wenig. Wir hätten eigentlich schon vor drei Jahren anfangen sollen, abzubauen. Seitdem haben wir in Brüssel durch ein großes deutsches Entgegenkommen bei den Zollsenkungen und beim Abbau der Kontingente erhebliche Vorleistungen erbracht.
Ich darf hier ein Wort von Herrn Bundesminister Schwarz zitieren, das ich vollinhaltlich unterstreiche und das die Situation aus der Sicht der Bundesregierung kennzeichnet. Herr Minister Schwarz sagt:
Es geht nach meiner Ansicht nicht, daß einem Wirtschaftszweig, der im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung derartig zurückliegt, Preissenkungen zugemutet werden, während die anderen Preise steigen.
Das bitte ich nun zu übersetzen sowohl auf die innerdeutsche Wirtschaftspolitik als aber insbesondere auch auf die EWG-Wirtschaftspolitik. Das gilt erst recht, wenn man daran denkt, daß nunmehr auch von draußen - nämlich seitens Amerikas - Einbrüche versucht werden, noch bevor der Außenzoll aufgerichtet ist.
Der Herr Kollege Struve hat dankenswerterweise auf die Schwierigkeiten in anderen Ländern hingewiesen. Er hat darauf aufmerksam gemacht, daß England nicht bereit sei, seine bisherige Agrarpolitik und die Bejahung eines gewissen Minimums an nationaler Erzeugung aufzugeben. Dabei wurde auch Präsident Kennedy zitiert, der gesagt hat, daß die Regierung in Washington willens ist und daß das Parlament mit ihr einig sei, die bisherigen Hilfen für die amerikanische Landwirtschaft unter allen Umständen zu halten, nicht zuletzt deshalb, weil die Landwirtschaft als Exportzweig Devisen bringe. Das alles lassen Sie mich bitte übersetzt zur Begründung meines Anliegens auf die deutsche Agrarpolitik anwenden. Es ist nämlich folgendes nicht zu übersehen. Wenn der Export unserer Industrie noch stärker zurückgeht als bisher und wenn wir noch mehr auf die eigene Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse zugunsten der anderen verzichten - wie die anderen es wollen -, dann steigt die Importabhängigkeit bedrohlich an. Wenn ich recht orientiert bin, führen wir heute schon für über zehn Milliarden DM jährlich Lebensmittel ein. Ob wir uns das auf die Dauer aus Devisengründen - ich denke an den Ausgleich unserer Zahlungs- und Handelsbilanz - leisten können, weiß ich nicht. Hier möchte ich auf das amerikanische Beispiel und auf die Äußerungen von Präsident Kennedy verweisen.
Noch etwas zu Brüssel! Ich habe den Eindruck, daß man in Brüssel in mancher Beziehung das Pferd von hinten aufgezäumt hat. Bevor man sich über Marktordnungsmethoden und eine gewisse Automatik unterhielt und einigte, hätte man zunächst einmal klar das Verhältnis zwischen Kosten und Preisen, ihre unterschiedliche Natur und Höhe in den einzelnen Partnerländern untersuchen müssen, und man hätte bei dem Versuch, die Preise zu harmonisieren, nach einer vorherigen Harmonisierung der Kosten die Preise dann den Kosten angleichen bzw. auf ihnen aufbauen sollen. Durchschnitts2738
preise zu nehmen, die sich zufällig am Markt der letzten 'zwei Jahre ergeben haben, und auf dieser Grundlage mit den anderen zu harmonisieren - das halte ich für falsch und für unglücklich; denn auch diese Abmachung richtet sich - wenn ich an .die Durchschnittspreise der letzten Jahre in Deutschland idenke, die ja dann als Regulator und als Richtschnur oder Grundlage genommen worden sind - wieder zu einseitig und zu stark gegen die Landwirtschaft in der Bundesrepublik.
Nun ist die Kommission in Brüssel dabei, die sogenannten Kriterien auszuarbeiten und eine Verordnung darüber zu entwerfen und zu beschließen - die uns dann wahrscheinlich, oder: hoffentlich, im Bundestag vorgelegt wird -; Preiskriterien also, die die Grundlage für die zu harmonisierenden, für alle gültigen gemeinsamen Preise sein sollen. Meine Damen und Herren, was man in dieser Frage an Widersprüchen, an Gegensätzlichkeiten und an unklaren Dingen aus Brüssel hört, dürfte uns, den Bundestag, wie auch die Regierung veranlassen und verpflichten, hier etwas kürzer zu treten als in der Vergangenheit bei unserem Entgegenkommen den anderen gegenüber in Brüssel. Das wollen wir doch bitte gemeinsam gründlich untersuchen, ob das ein neuer Anfang in der EWG-Agrarpolitik bei der Berücksichtigung der Kosten-Preis-Frage für uns sein kann. Denn ich fürchte, oder ich glaube sogar, daß die Ausweitung der Preiskriterien für alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse, so etwas darstellen soll wie ein gemeinsames EWG-Agrargesetz oder -Landwirtschaftsgesetz; so ungefähr könnte es im Endergebnis werden. Nun, Herr Lücker kann uns ja vielleicht demnächst, oder heute, dazu noch etwas sagen. Ich warne jedenfalls davor, hier übereilt, ohne ausführliche Diskussion und Kritik hier im Bundestag und ohne die genügende Zeit für Überlegungen, zu etwas ja zu sagen, das später nicht mehr reparabel ist und uns weitere Möglichkeiten nimmt, den Ausgleich zwischen Aufwand und Ertrag der Landwirtschaft in Deutschland, zwischen Kosten und Preisen herzustellen.
Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang auf die erfreulichen Debatten im Parlament in Straßburg verweisen, in denen das Wenn und Aber und die vielen Fragezeichen im Zusammenhang mit dieser Frage sehr deutlich angesprochen wurden und die bewiesen haben, wie gründlich man dieses Problem untersuchen muß und wie wenig nützlich es ist, hier voreilig, wiederum gewissermaßen als Vorleistung deutscherseits; zu einem Entwurf, der in Brüssel vorliegt, ja zu sagen. Ich freue mich, Herr Kollege Lücker, daß Sie in Straßburg, ich will nicht sagen, einen Schlenker oder einen Schwenker gemacht oder auf eine neue Konzeption eingelenkt haben, sondern, daß Sie die Schwierigkeiten und die Fragezeichen, die mit dieser Frage verbunden sind, in Straßburg sehr deutlich aufgezeigt haben. Insbesondere danke ich auch unserem Kollegen Mauk, daß er das - anscheinend in Absprache mit Ihnen - in Straßburg besorgt hat. Ich hoffe, daß wir als Parlament und die Regierung in Bonn daraus Nutzen ziehen.
Lassen Sie mich abschließen mit folgender Feststellung, die eine persönliche Feststellung ist; ich hoffe aber, daß ich mich mit der Ansicht weiter Teile des Hauses in Übereinstimmung befinde, und Herr Struve darf mir das jetzt bitte nicht übelnehmen, wenn das so aussieht, als wenn ich wieder von der neuen Konzeption spräche, die wir entwickeln müßten. Ich bin der Meinung, die bisherigen Methoden unserer Agrarpolitik und unser bisheriges Agrargesetz reichen - wenn ich an die EWG denke - nicht mehr aus, um unser gemeinsames Anliegen in Zukunft meistern zu können. Ich bin der Meinung, daß wir nach Abschluß dieser Grünen Debatte uns im Sommer Zeit nehmen sollten - allerdings auch nicht zu lange warten sollten -, um uns zusammenzusetzen und so zu tun, als müßten wir einen ganz neuen Anfang unserer Agrarpolitik machen, hätten noch kein eigenes Landwirtschaftsgesetz und wären nur gebunden an den EWG-Vertrag und die Beschlüsse in Brüssel, um darauf aufbauend dann die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, die darauf hinauslaufen, das Landwirtschaftsgesetz zu ändern.
Im Gegensatz zu Herrn Struve bin ich der Meinung, wir sollten auch ein EWG-Überleitungsgesetz schaffen und - ich glaube, jetzt in Übereinstimmung mit Ihnen, Herr Lücker - auch zusätzliche Marktordnungsgesetze, wir sollten die bestehenden Marktordnungen sinnvoll weiter ausbauen und noch fehlende für andere Produkte neu auflegen, nicht zuletzt auch, weil ich glaube, daß wir verpflichtet sind, der holländischen Marktordnungsgesetzgebung und den in Frankreich neu beschlossenen Marktordnungsgesetzen, die ich als neue Wettbewerbsverzerrungen gegen uns ansehen muß, aus der Defensive etwas entgegenzusetzen. Es klingt nach Marktordnung, aber wenn die anderen in der EWG nicht abbauen, sondern zusätzliche Barrieren und Sperren gegen uns bauen, dann müssen wir uns überlegen, ob wir mit unseren bisherigen Gesetzen noch auskommen. Das Ergebnis unserer Beratungen und einer neuen Beschlußfassung über neue Gesetze muß dann die Bereitschaft der Öffentlichkeit sein, das, was uns aus nationalen und politischen Gründen eine eigene Produktion im Bundesgebiet kostet, auch zu bezahlen. Über das Wie und die Methoden kann man sich unterhalten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lücker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der bisherigen Debatte sehr interessiert und aufmerksam gefolgt und habe den Eindruck, daß sie bereits sehr deutlich gemacht hat, in welch starkem Maße sich die Situation geändert hat, in der wir heute diskutieren, gegenüber der Situation bei der letzten Grünen Debatte und vorher. Die Situation hat sich in mehrerer Hinsicht geändert. Ich möchte versuchen, einen Beitrag dafür zu leisten, etwas nachzuzeichnen, wo sie sich geändert hat und welche Schlußfolgerungen wir daraus ziehen sollten,
Lücker ({0})
Darf ich damit beginnen, daß nach meinem Geschmack auch heute in der Debatte hier etwas viel von neuer Konzeption gesprochen worden ist, nicht weil ich gern um Worte streite, sondern weil es mir um die Sache geht. Ich möchte auch den Kollegen Effertz bitten, daß wir uns in dieser Frage nicht dogmatisch verhalten. Wenn wir in der Lage sind - und wir sind ja alle dazu aufgerufen -, in der Weiterentwicklung unserer Agrarpolitik ein solches Maß neuer Elemente in einem solchen Umfang herbeizuführen, daß das Ergebnis all dieses Mühens wirklich eine neue Konzeption darstellt, bin ich der letzte, der dazu nicht seine Zustimmung geben möchte. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich offen sagen: Bis zur Stunde habe ich leider von niemandem, von keiner Seite etwas gehört, was auch nur im entferntesten hinreicht, als eine neue Konzeption angesehen zu werden. Und so lange bin ich sehr, sehr vorsichtig. Wenn aber diese Behauptung von einer neuen Konzeption etwa mit dem Unterton verbunden würde, als ob die bisherige Agrarpolitik schlecht oder verwerflich sei, dann, muß ich sagen, würde ich an diese Behauptung nicht glauben.
Herr Kollege Effertz, Sie haben den Kollegen Struve und mich aus dem vergangenen Jahr zitiert. Wir haben uns damals gegen das Einschmuggeln des Begriffs einer neuen Konzeption gewehrt. Sie werden uns aber bescheinigen müssen, daß weder Kollege Struve noch ich auch nur den Versuch gemacht haben, eine Formulierung zu blockieren, die besagt, daß wir unsere Agrarpolitik weiterentwikkeln müssen, weil die Welt nicht stillsteht, die Umwelt, in der die Landwirtschaft wirtschaftet und existiert, und weil die Politiker, die letzten Endes die Verantwortung tragen müssen, auch nicht den Kopf in den Sand stecken können, sondern sich auch Gedanken darüber machen müssen - das ist ja unsere berufliche politische Aufgabe -, wie man die Verhältnisse an die entsprechende Entwicklung anpassen kann, soll und letzten Endes muß. Das ist der Gedanke, der ja auch in jener Resolution wieder seinen Ausdruck findet, die wir heute gemeinsam vorgelegt haben.
Ich sage ganz deutlich: die Situation hat sich gewandelt. Aber wenn ich das sage, dann muß ich auch den Grund dafür akzeptieren, warum wir die Resolution im vergangenen Jahr nicht vorgelegt haben. Es ist heute von den Widersprüchen in der Preispolitik und auch von der Notwendigkeit gesprochen worden, eine neue Konzeption zu entwickeln. Im vergangenen Jahr, Herr Kollege Effertz, standen wir alle unter dem Eindruck der Erwartung, daß es in den Verhandlungen voraussichtlich sehr bald zu einem greifbaren, positiven Ergebnis zwischen der EWG, präziser gesprochen zwischen den Regierungen der Mitgliedsländer der EWG einerseits und der Regierung Ihrer Majestät andererseits, kommen würde.
Wir haben doch unsere ganze politische Tätigkeit hier im Bundestag genau wie die Kollegen in Brüssel immer unter dem Aspekt gesehen, hierzu unseren Beitrag zu leisten. Heute stellen wir fest, daß wir in einer anderen Situation stehen. Die Verhandlungen
mit England sind unterbrochen, sie sind verschoben, sie sind vertagt; und das ändert unsere Situation und unsere Überlegungen schon wieder. Aber darauf kann man - und ich werde es tun - noch zurückkommen. Ich will hier nur deutlich machen, wie sehr sich unter diesem Gesichtspunkt schon die Akzente verschoben haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Vorredner haben gesagt, der Erfolg der Verhandlungen in Brüssel habe greifbar nahe gelegen. Stimmt das wirklich? Ich will hier nicht die Rede von Herrn Präsidenten Hallstein zitieren, die er vor wenigen Tagen in Straßburg gehalten hat. Ich fand es aber eine meisterhafte Formulierung und eine Aussage von hohem politischem Rang, daß Herr Präsident Hallstein ehrlich bekannte, man könne nicht sagen, die Verhandlungen hätten scheitern müssen, man könne aber ebensowenig sagen, die Verhandlungen seien virtuell bereits gesichert gewesen in dem Sinne, daß ein Ergebnis greifbar gewesen wäre. Er fügte hinzu, die Wahrheit sei vielmehr, daß von britischer Seite noch ganz erhebliche Konzessionen hätten gemacht werden müssen, um diese Verhandlungen zu einem Ergebnis zu führen.
Ich bin überzeugt, daß diese Feststellung von Herrn Präsident Hallstein ins Schwarze trifft. Aber ich frage ebenso: Ist das wirklich die ganze Wahrheit? Ich glaube, es ist eine sehr symptomatische und sibyllinische Formel, wenn Herr Präsident Hallstein sagt, von der britischen Regierung hätten noch erhebliche Konzessionen gemacht werden müssen. Welcher Art waren diese Konzessionen? Nun, man spricht sicherlich kein Geheimnis aus, wenn man sagt, daß bei den materiellen Fragen, die noch zu klären waren, das Paket der Agrarfragen noch eine ganz erhebliche Rolle spielte. Es ging nicht nur darum, daß die Engländer damit einverstanden gewesen wären, ihr Agrarsystem zugunsten der Übernahme des kontinental-europäischen Agrarsystems zu ändern. Dazu wären sie wahrscheinlich bereit gewesen. Die entscheidende Sachfrage liegt vielmehr auf einem ganz anderen Gebiet, und hier darf ich doch auf einen Mangel hinweisen, den auch Herr Kollege Effertz in etwa bedauert hat. Wir dürfen eines bei all diesen Fragen und Verhandlungen nicht übersehen, daß nämlich der Vertrag von Rom zur Gründung der EWG für die Agrarpolitik Ziele gesteckt und ein Verfahren vorgeschlagen hat und daß die Regierungen der Mitgliedstaaten im Laufe der Übergangszeit den Inhalt der Agrarpolitik bestimmen.
Was ist seit dem Inkrafttreten des Vertrages in Brüssel geschehen? Wir haben in Brüssel einen Mechanismus, eine gewisse Automatik geschaffen. Aber wir haben über den Inhalt der Agrarpolitik, nämlich die Definierung der Preishöhe, bis heute nicht entschieden, weil das schon innerhalb der Sechs sehr schwierig ist. Wir stehen in Brüssel erst vor dieser entscheidenden Frage, und dazu wird noch einiges zu sagen sein.
Welcher Unterschied ergibt sich hier bei den England-Verhandlungen? In den England-Verhandlungen werden nicht nur Ziele proklamiert, es wird
Lücker ({1})
nicht nur ein Verfahren ausgehandelt, sondern es wird über den materiellen Inhalt der Agrarpolitik entschieden.
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Das ist ein großer Unterschied. Zu diesem materiellen Inhalt gehört als Wichtigstes die Frage der Preishöhe für die Erzeugnisse. Ich will hier nicht das ganze Thema in aller Breite auswalzen. Tatsache aber ist, daß es schon unten den kontinentalen Sechs sehr schwierig ist, das gemeinsame Preisniveau herzustellen.
Ich zähle mich keineswegs zu den geistigen Schöpfern des Vertrages von Rom, aber ich bin einer von denen, die dazu verurteilt sind, wenn Sie so wollen, einen ganz bescheidenen Beitrag zu seiner richtigen, vernünftigen und völkerrechtsgemäßen Anwendung zu leisten. Wir haben erklärt, daß wir durch die Anwendung des Vertrages von Rom einen gemeinsamen Markt in der Form eines Binnenmarktes schaffen wollen. Herr Kollege Effertz, da nützt, glaube ich, die Annahme nicht viel, daß man diesen Binnenmarkt durch eine Koordinierung der nationalen Marktordnungen schaffen könne. Die Bedeutung dieses Problems muß man vertikal sehen. Die drei Modelle, die der Vertrag von Rom anbietet, sind so zu verstehen, daß man sich je nach der Bedeutung des landwirtschaftlichen Erzeugnisses für das eine oder andere entscheiden kann. Sie sind aber nicht so zu verstehen, als könne man - horizontal - für die Landwirtschaft eines dieser drei Modelle wählen.
Das Entscheidende ist: ein Binnenmarkt erfordert praktisch eine einheitliche Marktordnung. Oder glauben Sie, Herr Kollege Effertz, daß es, als wir hier seinerzeit den Bundesstaat, die Bundesrepublik Deutschland, kreierten, möglich gewesen wäre, einen Landwirtschaftsminister für den Bund zu finden, der dieses dornenvolle Amt und diese dornenvolle Aufgabe übernommen hätte, wenn er etwa zehn verschiedene Marktordnungen der Bundesländer innenhalb des Bundesgebietes hätte koordinieren sollen?
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- Schön, aber wenn ich sage: Binnenmarkt, muß ich mich zu einem gemeinsamen Markt mit einem gemeinsamen Preisniveau bekennen. Wir haben die Mechanismen dafür geschaffen, und wir werden im Laufe der nächsten Zeit noch 'ein gemeinsames Preisniveau definieren müssen. Das ist schon schwer genug für die Sechs.
In den England-Verhandlungen verlangte aber insbesondere die englische Delegation, daß auch über die Preishöhe entschieden werde. Sie kennen das Problem, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir haben innerhalb der Sechs schon drei verschiedene Preisniveaus, ein unteres, ein mittleres, ein höchstes. Mit England wäre ein viertes hinzugekommen, das noch einmal mit weitem Abstand unter dem niedrigsten Niveau der SechserGemeinschaft gelegen hätte.
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Wenn wir als Bundesrepublik, wenn unsere Regierung und dieses Haus bisher den Grundsatz „Verteidigung des deutschen Preisniveaus" vertreten haben, hätten wir logischerweise verlangen müssen, daß die englische Regierung sich bereit erklärte, mit ihrem Preisniveau so hoch zu gehen, daß es 'in der Ebene des 'deutschen Preisniveaus gelegen hätte. Oder - und damit komme ich zu der zweiten Seite - es hätte nicht nur die britische Regierung solche Zugeständnisse machen müssen, sondern auch die deutsche Regierung und die Regierungen anderer kontinentaler Länder. Das wollen wir bei den Dingen sehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sehe noch nicht, wann und wie das weitergehen soll. Aber eines ist für mich sicher. Die Verhandlungen sind trotz allem nicht wegen der Agrarfragen unterbrochen worden. Sie sind offensichtlich aus Gründen der hohen Politik, der militärischen, der strategischen Politik unterbrochen worden. Da man ja weiß, von welcher Seite sie unterbrochen worden sind und da man offensichtlich 'auch den politisch-militärisch-strategischen Hintergrund kennt, drängt uns das wohl die Schlußfolgerung auf, 'daß die Sachverhandlungen mit England erst dann wirklich über die Hürden kommen, wenn vorher die politisch-militärisch-strategischen Fragen so geklärt und untereinander abgesprochen sind, daß alle Beteiligten einschließlich der USA mit einer solchen Lösung zufrieden sind. Dann können die Gespräche dort, wo sie unterbrochen worden sind, mit Erfolg wiederaufgenommen werden in dem Sinne, daß sie zu Ende geführt werden können. Ich bin durchaus mit all den Bemühungen einverstanden, in 'der Zwischenzeit den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Aber das sollten wir sehen.
In diesem Zusammenhang noch einmal ein Wort zu der Preispolitik. Nachdem sie in den EnglandVerhandlungen eine zentrale Frage war, wird sie auch in 'den EWG-Verhandlungen, die uns bevorstehen, noch ein wichtiges und entscheidendes Problem sein. Denn über eines sollten wir uns in diesem Hohen Hause einig sein: Die Unterbrechung der England-Verhandlungen wird und soll nicht verhindern, daß die Durchführung und Anwendung des Vertrages von Rom zwischen den Sechs in der EWG weitergeht, von mir aus nach der Formel „Ohne Hast und ohne Verzögerung". Das wird sich normalisieren.
Vom agrarpolitischen Standpunkt aus möchte ich eine Bemerkung hinzufügen. Wir haben auf entscheidenden Gebieten der Markt- und Preispolitik den einen Fuß, das eine Bein bereits in Europa stehen. Es ist auf die Dauer keine Lösung, das andere Bein auf der nationalen Ebene stehenzulassen. Wir müssen den Gleichschritt wiederfinden; denn sonst zerreißen wir die. Landwirtschaftspolitik. Wenn wir für Getreide, Schweine, Geflügel und Eier die EWG-Regeln bereits haben, dann können wir die Regeln für Milch, Milcherzeugnisse und Rindfleisch nicht ad calendas graecas vertagen oder auf Eis legen wollen; das heißt, wir werden uns zu einer normalen Anwendung des Vertrages durchringen müsLücker ({5})
sen. Damit wird die Preisfrage wieder auf uns zukommen.
Entscheidend ist aber folgendes. Damit möchte ich auch etwas zu dem beitragen, was eben zu der Verwirrung in der Preisdiskussion der letzten Zeit gesagt wurde. Die preispolitische Diskussion in der Agrarpolitik war, 'solange die England-Verhandlungen liefen, etwas ganz anderes, als sie ist und hätte sein können, wenn mit England nicht verhandelt wird. Innerhalb der Sechs haben wir uns vorgenommen, den gemeinsamen Preis im Laufe der Übergangszeit zu finden. In den England-Verhandlungen hätten wir den Preis definieren müssen, ehe diese Verhandlungen zum Abschluß gebracht waren. Das ist eine ganz andere politische und Verhandlungsposition. Wenn wir unterstellen, daß der Vertrag mit England im Laufe dieses Jahres hätte unter Dach und Fach gebracht werden sollen, hätten wir nämlich bereits im Laufe dieses Jahres die Preispolitik definieren müssen. Innerhalb der Sechs haben wir mit der Definition unserer Preishöhe zumindest etwas mehr Zeit. Ich gestehe zu - das war immer meine These -, daß innerhalb der Sechs die Zeit in bezug auf die deutschen Vorstellungen für uns arbeitet. Das heißt, unter dem Sog des Kostendrucks werden, wie mein Freund Struve eingangs in seiner umfassenden Erklärung dargelegt hat, die Preise in den anderen fünf Partnerländern der sechs Kontinentalstaaten ganz automatisch auf uns zukommen. Ich gehe sogar einen Schritt weiter. Es wird der deutschen Landwirtschaft und der deutschen Agrarpolitik schon schwerfallen, insbesondere bei der Auseinanderentwicklung oder der unterschiedlichen Entwicklung zwischen der Landwirtschaft einerseits und der industriell-gewerblichen Wirtschaft andererseits diesen Stillstand für die Zeit durchzuhalten, die wir den anderen einräumen, um mit ihren Preisen auf uns zuzukommen.
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- Ich glaube, wenn wir uns die letzte Preisanhebung in den Niederlanden auf etwas mehr als 36 DM beim Weizen ansehen und wenn wir die Entwicklung in Frankreich betrachten - ich könnte die Zahlen noch zur Verfügung stellen -, dann ergibt sich, daß die Entwicklung bereits in Richtung auf unser Preisniveau lebhaft im Gange ist. Ich glaube, daß sich innerhalb der Sechs - das liegt doch fast in der Natur der Dinge - eine Verständigung über das endgültige Preisniveau leichter finden läßt, als wenn wir über die Sechs hinausgehen. Das war ja auch mit den England-Verhandlungen verbunden.
In diesen Zusammenhang - nachdem ich nun schon eine andere Reihenfolge meiner Gedanken begonnen habe, will ich jetzt wenigstens logisch bleiben - gehört das Problem der Drittländer. Hierzu hat insbesondere Herr Kollege Schmidt sehr besorgte Äußerungen gemacht. Ich erinnere an Erklärungen, die unser Bundesminister Schwarz einmal hier im Hause abgegeben hat; ich weiß nicht mehr genau, wann es war. Er sagte: Das deutsche Landwirtschaftsgesetz plus EWG-Verpflichtungen erfüllen, das kann ich; das deutsche Landwirtschaftsgesetz plus Drittländer, das kann ich auch; aber das deutsche Landwirtschaftsgesetz erfüllen plus EWG plus Drittländer - da komme ich in Schwierigkeiten. - Diese Schwierigkeiten wollen wir sehen. Wir wollen sie nicht verharmlosen, und wir wollen sie nicht übersehen, weil wir sonst nur Fehler machen und uns auf den falschen Weg begeben würden. Diese Dinge müssen aber mit Ehrlichkeit und im Sinne einer wirklichen Partnerschaft angegangen und besprochen werden.
Ich wende mich zunächst einmal der Bilanz des Handelsverkehrs mit den Drittländern der EFTA-Zone im vergangenen Jahr zu. Herr Kollege Schmidt, so dramatisch ist das eigentlich gar nicht. Die Bundesrepublik hat bei der Ausfuhr in die EFTA-Länder eine Zuwachsrate von 2 % und bei der Einfuhr eine Zuwachsrate von gut 11 % gehabt. Bei der Ausfuhr in die EWG-Länder hatten wir eine Zuwachsrate von gut 9 % und bei der Einfuhr von 16 %.
Diese Zahlen zeigen, daß, gemessen an unseren Ausfuhrmöglichkeiten in beide Räume, auch das Einfuhrvolumen aus den beiden Räumen durchaus auf einer Ebene liegt, die man nicht so dramatisch zu sehen braucht, wie das nach Ihren Darlegungen den Anschein hatte.
In bezug auf die Drittländer scheint mir aber eine andere Situation entscheidend zu sein, und dazu darf ich doch noch einiges sagen. Ich habe sogar den Eindruck - und ich sage das ohne Ressentiment -, daß wir bei all unseren internen, nationalen agrarpolitischen Sorgen, so berechtigt und so schwierig sie auch sind und so notwendig es ist, daß wir uns damit beschäftigen, nicht übersehen dürfen, daß wir 1963 in ein Jahr eingetreten sind, in dem wir die berechtigten und lebensnotwendigen Interessen der deutschen und der europäischen Landwirtschaft gegen die Interessen dritter Länder in der übrigen Welt sehr ernsthaft verteidigen müssen.
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Ich sage das deswegen so deutlich, weil uns in der letzten Zeit - und das geschieht seit gut einem halben Jahr - in wachsendem Maße der Vorwurf gemacht wird, der praktisch eine ganze Kette von Vorwürfen beinhaltet, wir seien drauf und dran, in Europa, also auch in der deutschen Landwirtschaft, einen übertriebenen Protektionismus aufzubauen, dieser führe zur Autarkie, diese gefährde die traditionellen Handelsströme und führe zur Überproduktion, die die Malaise auf dem Weltmarkt ihrerseits wieder verschärfe.
Das sind die Vorwürfe. Man kann sogar aus offiziellen diplomatischen Noten in jüngster Zeit noch die Auffassung herauslesen, die europäische Landwirtschaft sei unrentabel und solle ihre Produktion einstellen, da sie in anderen Gebieten der Welt sehr viel billiger sei; das alles sei eine Verschwendung der Mittel der westlichen Welt, die man anderswo gut gebrauchen könne.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, das ist ein sehr delikates Thema. Trotzdem muß darüber offen im Geiste der Partnerschaft und
Lücker ({8})
Freundschaft gesprochen werden; denn unter Freunden muß man offen miteinander reden, wenn die Gespräche einen Sinn haben sollen.
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Zunächst zum Vorwurf des übertriebenen Protektionismus. Wo ist er denn? Ich kenne kein Industrieland in der westlichen Welt, insbesondere nicht in der atlantischen Welt, in dem nicht irgendwelche Agrarschutzsysteme bestehen.
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Das gilt für alle Länder, von Schweden bis zu den USA.
Was die finanziellen Aufwendungen angeht, so wird zum Beispiel der Agrarprotektionismus in den USA von keinem Land der EWG, auch nicht von der Bundesrepublik, erreicht.
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- Ich bingemäßigt in meinen Äußerungen, auch was das finanzielle Volumen angeht, und sage: Er wird nicht erreicht. Der einzige Unterschied in den Ländern der westlichen Welt besteht in der Art des Systems, nämlich je nachdem, ob es sich um ein Agrarexport- oder ein Agrarimportland handelt. Das ist aber der einzige Unterschied.
Zweiter Vorwurf: Autarkie. Diese Bundesregierung, dieses Haus, alle Organe der EWG haben sich in allen ihren Erklärungen zur Politik der offenen Tür, zu einer weltoffenen Gemeinschaft bekannt. Es hat niemand Anlaß, an der Ernsthaftigkeit dieser Erklärungen zu zweifeln. Wir haben betont, daß die EWG bereit ist, ihren Beitrag zu einer harmonischen Entwicklung des Welthandels und damit zu einer harmonischen Entwicklung der Gesamtweltwirtschaft zu leisten. Dabei soll es bleiben. Ich glaube, es ist nicht gut unter Freunden, sich gegenseitig zu verdächtigen, wobei es jedem dann sehr schnell möglich sein würde, einen solchen Verdacht sehr eindeutig zurückzuweisen.
Was ist mit den traditionellen Handelsströmen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle Organe der EWG haben sich bereit erklärt und offiziell verpflichtet, die traditionellen Handelsströme zu respektieren. Aber man sollte dann nicht von anderer Seite z. B. auch die Geflügelausfuhr nach Europa zu den bereits „traditionellen Handelsströmen" zählen; sonst entwertet man diesen Begriff.
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Das ist nicht die Art und Weise, wie wir miteinander sprechen sollten.
Und was ist mit der Überproduktion? Nun, auch das wird in unserem Lande in der öffentlichen Diskussion am heftigsten im Zusammenhang mit der möglichen oder gewünschten Preispolitik kritisiert. Ich möchte einmal dazu die amerikanischen und die europäischen Zahlen gegenüberstellen. Daraus ergibt sich folgendes: Die Weizenproduktion in den Ländern der EWG ist bis zum Jahre 1961, verglichen mit der Zeit vor dem letzten Weltkrieg, um rund 32% gestiegen. Die Weizenproduktion in den
Vereinigten Staaten ist in der gleichen Zeit um 58 % gestiegen. - Die Zahl hinter dem Komma schenke ich Ihnen immer. - Die Fleischproduktion in den Ländern in der EWG ist in dieser Zeit vor dem letzten Weltkrieg bis 1961 um 34 % gestiegen; in den Vereinigten Staaten stieg sie in dieser Zeit um 83 %.
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Sie sehen, ich brauche die Zahlen gar nicht abzulesen, weil ich sie Gott sei Dank noch gut im Kopf habe. Aber ich verbürge mich dafür, daß sie stimmen. Wenn ich mir diese Zahlen vor Augen halte, muß ich sagen: Wer macht denn wem hier den Vorwurf der Überproduktion? Ich glaube, das sollten wir nicht tun.
Zweitens. Hier darf ich den von mir im allgemeinen und auch trotz dieser Aussage 'sehr hoch geschätzten Professor Hallstein zitieren, der 'in einer Rede, die er vor kurzem hier in unserem Lande gehalten hat, darauf hinwies, man habe in der Bundesrepublik die Korea-Krise - so klingt das - ausgenutzt, um den deutschen Getreidepreis um 70 % zu erhöhen.
Es sitzen genug Kollegen in diesem Hohen Hause, die damals aktiv dabei waren, und ich darf mich mit dazu rechnen. Die Erhöhung der Getreidepreise 1951/52 hatte bei Gott mit der Korea-Krise nichts zu tun.
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Ich habe das im Oktober 1960 in einer Sitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg in einer freundschaftlich geführten, in der Sache aber harten Auseinandersetzung mit Herrn Vizepräsident Mansholt schon einmal richtiggestellt und glaubte, daß diese Mären nicht neu erwachen würden. Aber ich habe mich getäuscht.
Nun, wenn man schon sagt, die deutschen Preise sind um 70 % erhöht worden, dann muß ich doch sagen: Ich hätte gerne gesehen, daß man auch einmal die Konsequenzen für die Produktion verglichen hätte.
Was sind die Konsequenzen für die Produktion? Die Konsequenzen 'in diesem Jahrzehnt von 1950 bis 1961 sind ganz einfach. Die Getreideproduktion ist im Durchschnitt der letzten fünf Jahre vor 1961 von etwas über 10 Millionen t auf etwas über 13 Millionen t gewachsen, ,d. h. im zehnjährigen Ansteigen um genau 31 %. Das sind pro anno 3 %. Wenn man bereits 2,5 % als normalen Produktionszuwachs im Hinblick auf die technischen und wissenschaftlichen Fortschrittsmöglichkeiten unterstellt, dann ist bei dieser Entwicklung in der Bundesrepublik ein Produktionsvolumenzuwachs von 3 % pro anno noch relativ bescheiden. Er kann auf keinen Fall mit der Preisanhebung um 70% in Zusammenhang gebracht werden.
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Wir werden noch häufig Gelegenheit haben, in nächster Zeit über diese Dinge intensiver zu sprechen. Ich bin nicht der Meinung, daß die Entscheidung über die zukünftige Preishöhe in der
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EWG in einem Husarenritt in Brüssel über die Hürde gebracht wird. Ich will diese Dinge hier nur anmerken, um einige Überspitzungen in der Diskussion von vornherein abzubrechen.
Ich sage noch einmal: man glaubt, uns das alles vorwerfen zu können, auch von seiten der dritten Länder, wobei die amerikanische Regierung in letzter Zeit immer mehr als Wortführer hervorgetreten ist. Ich spreche hier trotz allem aus der Einsicht, daß wir uns insbesondere mit Amerika, aber auch mit allen Drittländern, im Geiste einer Partnerschaft verständigen wollen. Die allgemeine politische und militärisch-strategische Situation in der Welt ist dazu angetan, einen heilsamen Druck auf uns alle auszuüben. Er besteht darin, daß wir verurteilt sind, uns verständigen zu müssen. Aber Partnerschaft bedeutet Gleichberechtigung, und Gleichberechtigung bedeutet, in einer offenen, ehrlichen und fairen Weise über diese Probleme sprechen zu können. Zu dem Sprechen in fairer Weise gehört es auch, die Lebensnotwendigkeiten des jeweiligen Partners mit zu berücksichtigen.
Dabei sind einige Grundtatsachen nicht zu übersehen, die ich ebenfalls einmal mit zur Debatte stellen will. Die EWG-Agrarpolitik hat einen Rahmen dafür zu setzen, daß die Menschen, die von dieser Poltik abhängen, im Rahmen dieser Politik auch heute und morgen ihre Existenz finden; dabei will ich gar nicht übersehen, daß diese Existenz morgen vielleicht in einigen Dingen anders aussehen wird als heute. Wir alle sprechen über diesen Anpassungsprozeß. Aber es geht ja im wesentlichen um ein Problem der Konkurrenz zwischen der europäischen Landwirtschaft und der Landwirtschaft der Länder der gemäßigten Zone, die im wesentlichen unter gleichen Bedingungen arbeitet.
Einige Zahlen: Das Bruttosozialprodukt pro Kopf in der EWG beträgt 5000 DM nach den jüngsten international vergleichbaren Statistiken. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf in den USA beträgt 11 400 DM. In den anderen beteiligten Ländern ist das nicht sehr viel anders. Ich sage das, damit auch die allgemeinen volkswirtschaftlichen Daten zur Berücksichtigung herangezogen werden, wenn es um die Frage geht, ob es sich bei dem Austausch von Agrarerzeugnissen über die Ozeane in diesem Fall nicht etwa darum handelt, daß man unterentwickelten Ländern oder Gebieten von europäischer Seite her in besonderer Weise verpflichtet ist oder sie unterstützen muß.
Die zweite Zahl: Auf 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche leben in den Ländern der EWG 210 Menschen, in der Bundesrepublik 335, gegenüber den USA - das gilt auch wieder für die anderen zur Debatte stehenden Länder - 33. Das heißt, wo bei uns in Deutschland 10 Menschen leben und ihre Existenz finden müssen, ist es in den USA einer.
Die Landbevölkerung - d. h. diejenigen Menschen, die unmittelbar von der Landwirtschaft oder in unmittelbarer Verbindung mit der Landwirtschaft leben - umfaßt in den Ländern der EWG pro 100 ha 50 Menschen, in der Bundesrepublik 49 und in den USA 5,7.
Das sind die genauen Zahlen, und in diesen Zahlen steckt doch das ganze Drama in der Entscheidung unserer europäischen Agrarpolitik, einer Entscheidung, die darauf hinausläuft, diesen Menschen heute ihre Existenz in einem vernünftigen Rahmen zu sichern und zweitens diese europäische Landwirtschaft durch einen Anpassungsprozeß hindurchzuführen, der doch in seiner ganzen Schwere hier schon von meinen Vorrednern mit den unterschiedlichsten Akzenten bedacht worden ist.
Worum geht es denn? Es geht doch um diesen Anpassungsprozeß. Trägt etwa die Landwirtschaft für sich die Schuld daran, daß dieser Anpassungsprozeß noch nicht überwunden ist? Dazu einige Illustrationen. Die deutsche Landwirtschaft hat im Schnitt des letzten Jahrzehnts ihre Produktivität, d. h. ihre Leistung pro Kopf, um 7,7 % im Jahr erweitert.
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Demgegenüber konnte die industrielle gewerbliche Wirtschaft ihre Produktivität - ebenfalls im zehnjährigen Durchschnitt - pro anno um 5,5 % erhöhen. - Ob das teuer oder nicht teuer ist, Herr Kollege Brese, will ich im Augenblick gar nicht untersuchen, sondern ich möchte nur einmal darlegen, was die deutsche Landwirtschaft in ihren Bemühungen, ihre Produktivität zu steigern, geleistet hat.
Der Herr Bundesminister Schwarz hat in seinem Grünen Bericht die Bedeutung der Landwirtschaft in der Volkswirtschaft dargestellt, die man ja gern daran abliest, welchen Anteil die Landwirtschaft am Sozialprodukt hat. Nun, das ist eine sehr globale Größe, die nicht das letzte aussagt. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, das in die Leistung pro Kopf umzurechnen, und bin dabei zu folgendem Ergebnis gekommen. Die Landwirtschaft hat im letzten Jahrzwölft, von 1950 bis 1962, ihren Beitrag zum Sozialprodukt pro Kopf um 207 % erhöht, während in der gleichen Zeit die industrielle gewerbliche Wirtschaft ihre Pro-Kopf-Leistung um 173 % erhöht hat.
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Auch diese konfrontierende Zahlengruppe beweist eindeutig, daß die Landwirtschaft dabei ist, ihre Leistung anzugleichen, und daß sie mitten in diesem Anpassungsprozeß steht. Ich bin der Meinung, wir sollten alles tun, der Landwirtschaft zu helfen, diesen Anpassungsprozeß durchzustehen und zu einem guten Ende zu führen. Davon wird die Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit ihren Nutzen haben.
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Darüber ist heute schon vieles gesagt worden. Aber eines möchte ich hier festhalten - das ist meinen politischen Freunden und mir ein Herzensanliegen -: ich möchte davor warnen, daß wir irgendwo eine Grenze ziehen und sagen: jenseits der Grenze auf die Seite, diesseits der Grenze auf jene Seite. Wie ich annehme, ist das auch nicht beabsichtigt.
In positiver Formulierung möchte ich sagen: diese Regierung und dieses Hohe Haus haben sich bisher
Lücker ({20})
zu dem Prinzip bekannt, daß in unserem Staat jeder Staatsbürger in Freiheit und in Selbstverantwortung seine Entscheidung treffen soll. Das soll auch für die Zukunft gelten.
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Wir sollten im Rahmen unserer Möglichkeiten diesen Menschen helfen, ihre Entscheidung möglichst günstig und rechtzeitig treffen zu können. Schon in früheren Diskussionen haben wir von dieser Stelle davon gesprochen, wenn wir den Strukturwandel in der Landwirtschaft dargestellt haben: Wir glauben nicht daran, daß das ein Bauernlegen ist, so wie es uns die kommunistische Propaganda immer wieder sagt. Wir stecken in einem durchaus gesund zu nennenden Strukturprozeß, den die Landwirtschaft von sich aus vollzieht, und wir sollten schauen, daß wir ihr dabei helfen. Wenn die Landwirtschaft in ihrer Selbsthilfe das Ihre dazu tut - ich habe die Zahlen soeben genannt - und wir ihr dabei helfen wollen, dann sollten wir auch die übrige Wirtschaft und ihre Verantwortlichen bitten, das zu tun.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben hier die Bauerndemonstration der jüngsten Zeit erwähnt und gesagt, sie richte sich eindeutig gegen die Regierung. Natürlich, die Bauern glaubten, gegen niemand anderen demonstrieren zu können. Aber ging es wirklich gegen die Regierung? Von der Regierung erhofften sie Hilfe. Kann sie sie geben? Die Demonstration ging gegen die wirtschaftliche Entwicklung, gegen jene Entwicklung, die aus vielen wechselseitigen Erhöhungen von Kosten und Löhnen besteht - ich will hier gar keine Schuld untersuchen - und in Form von Kosten auf die Landwirtschaft zurückfällt.
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Was hat diese Regierung denn für Möglichkeiten, in diese Autonomie der Tarifpartner effektiv einzugreifen? Wir würden eine Unterlassungssünde begehen, wenn wir dafür nur die Regierung verantwortlich machten. Wir sollten auch einmal an das Gewissen der Organisationen, insbesondere der Sozialpartner, rühren und an sie appellieren, in ihren Entscheidungen auch auf die Gesamtheit der Wirtschaft Rücksicht zu nehmen; denn das ist ein Beitrag, um den Strukturprozeß, den Anpassungsprozeß der Landwirtschaft wirklich zu einem guten Ende gelangen zu lassen. Dabei bin ich nicht so vermessen, zu glauben, daß die Entwicklung damit abgeschlossen ist. Solange die Welt besteht, wird sie irgendwie in einem Entwicklungsprozeß stehen. Wir können nie hoffen, daß wir morgen oder übermorgen an einem absoluten Ende ankommen. Die Probleme werden bleiben, und diejenigen, die nach uns kommen, werden vielleicht etwas anders geartete Probleme vorfinden, aber auch sie werden ihre Probleme haben; und das scheint mir nicht das Schlechteste für das menschliche Dasein auf dieser Welt zu sein.
Meine Schlußbetrachtung will ich wieder in den Rahmen unserer anderen internationalen agrarpolitischen Überlegungen stellen. Es mag sein, daß der größere Wirtschaftsraum der EWG eine stärkere Dynamik in diesem Prozeß auslösen wird. Darüber,
glaube ich, sind sich auch alle verantwortlichen Organe in Europa einig. Wenn man aber diese Erkenntnis hat - auch diese Überlegungen darf ich hier wohl aussprechen -, dann sollten sich alle Organe in Europa auch darüber einig sein, daß die Gesamtpolitik in der EWG dem Rechnung tragen muß, daß die in diesem Prozeß zusätzlich ausgelöste Dynamik zu der Schlußfolgerung führen muß, unsere Anstrengungen zu verstärken, um der Landwirtschaft in den anderen Ländern der EWG, aber auch in unserer Bundesrepublik, in unserem Deutschland zu helfen, diesen Weg zu überdauern und auch morgen ihr Dasein im Rahmen eines hoffentlich geeinigten Europas zu finden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bading.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben von Herrn Kollegen Lücker am Schluß seiner Ausführungen sehr schöne Worte gehört. Eigentlich sind sie aber, wie ich einmal sagen möchte, selbstverständlich. Daß wir der Landwirtschaft helfen wollen, den Anpassungsprozeß durchzustehen, ist ein Allgemeinplatz. Nur w i e man es macht, darauf kommt es letzten Endes an.
Herr Kollege Lücker hat ferner eine interessante Produktivitätsberechnung angestellt. Er sagte, wenn ich ihn recht verstanden habe, in den letzten zwölf Jahren betrug der jährliche Produktivitätszuwachs in der Landwirtschaft 7,7 und in der Industrie nur 5,5%. Nun, auch das wissen wir alle, das ist eine Selbstverständlichkeit. Wenn ich nämlich gezungen bin, von einem niedrigeren Niveau auszugehen, erscheint der Zuwachs pro Jahr immer viel größer, als wenn ich von einem höheren Niveau ausgehe.
Sehr viel interessanter fand ich seine Ausführungen über das Verhältnis der EWG-Länder zu den Drittländern. Ich weiß nun nicht, ob er seine persönlichen Ansichten ausgesprochen hat oder ob es die Ansichten der CDU/CSU-Fraktion oder etwa auch die Ansichten eines Teils des Bundeskabinetts sind. Ich würde es begrüßen, wenn Herr Minister Erhard dazu Stellung nehmen würde; aber er ist leider schon wieder weg.
({0})
- Es kommt mir nicht darauf an, daß er erfährt, was ich sage, sondern ich möchte gerne wissen, was er zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Lücker sagt. Auf mich kommt es hierbei gar nicht an.
Ich von mir aus muß zu diesem Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Lücker sagen, daß er das Verhältnis der Bundesrepublik und der anderen EWG-Länder zu den Drittländern hinsichtlich der Handelsbeziehungen und damit auch der politischen Beziehungen etwas verniedlicht. So einfach sehe ich die Sache nicht. Die Aufrechterhaltung der Handelsbeziehungen zu den Drittländern - ich denke z. B. an Finnland - ist eine lebenswichtige Frage für Europa. Bereits jetzt beginnen sich z. B. die skandiBading
navischen Länder, auch Schweden, weil der Handel mit dem EWG-Land Bundesrepublik absinkt, nach Absatzmöglichkeiten für ihre Erzeugnisse in der Sowjetrepublik und anderen Ostblockstaaten umzusehen. Das halte ich für eine ganz große Gefahr.
Herr Abgeordneter, Sie sind sicher bereit, eine Zwischenfrage des Kollegen Lücker zu beanworten?
Natürlich!
Herr Kollege Bading, haben Sie nicht mein ganz klares Bekenntnis dazu gehört, daß wir die traditionellen Handelsströme aufrechterhalten wollen?
Das Bekenntnis habe ich gehört. Das Bekenntnis steht ja sogar im EWG-Vertrag. Nur sind in der Praxis - und da nützt kein Bekenntnis - diese Handelsströme schon zu Handelsflüssen geworden, und ich habe die große Sorge, daß sie zu Bächen werden und schließlich ganz versiegen.
Nun lassen sie mich aber von diesen weitgespannten Ausführungen, zu denen ich durch den Kollegen Lücker veranlaßt worden bin, auf die eigentliche Aufgabe zurückkehren, die ich mir gestellt habe, nämlich zu dem Grünen Bericht und dem Grünen Plan Stellung zu nehmen. Ich darf an das anknüpfen, was der Herr Kollege Struve hier ausgeführt hat: daß er unzufrieden sei mit den 240 Millionen DM, die das Bundeskabinett fest zugesagt hat, und daß es gut wäre, wenn da noch einige Millionen hinzukämen. Er nannte als Begründung, daß die Mindereinnahmen der Landwirtschaft im Berichtsjahr 1961/62 gegenüber dem Vorjahr 900 Millionen DM betragen hätten. Ich bin der Ansicht, 'daß diese Begründung falsch ist. Der Grüne Bericht und der Grüne Plan beruhen auf dem Landwirtschaftsgesetz. In dem Landwirtschaftsgesetz, das der Bundestag im Jahre 1955 verabschiedet hat, heißt es in § 1:
Um der Landwirtschaft die Teilnahme an der fortschreitenden Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft zu sichern, ist die Landwirtschaft mit den Mitteln der allgemeinen Wirtschafts- und Agrarpolitik in den Stand zu setzen, die für sie bestehenden naturbedingten und wirtschaftlichen Nachteile gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen auszugleichen.
Das Landwirtschaftsgesetz ist von allen Parteien des Hauses angenommen worden, und alle Parteien stehen zu diesem Gesetz. Die Bejahung dieses Landwirtschaftsgesetzes schließt aber nicht ein, daß man auch zustimmt, wenn als Begründung für die Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft angegeben wird, es sei eine schlechte Ernte gewesen und infolgedessen müsse sozusagen der Fehlbetrag ersetzt werden. Das steht nicht im Landwirtschaftsgesetz drin. Und wenn es drin stünde, würde ich es für falsch erachten.
({0})
- Entschuldigen Sie, lassen Sie mich doch meine Gedanken einmal ausführen. Die Folgerung einer solchen Handhabung des Landwirtschaftsgesetzes wäre nämlich, daß bei einem Wiederansteigen der Einnahmen der Landwirtschaft der Zuschuß wieder entsprechend gesenkt werden müßte.
({1})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Ich werde es Ihnen schon noch erzählen. - Das wäre eine Sache, die nicht gut wäre. Dieser Ersatz für den Ausfall an Einnahmen müßte nämlich in bar der Landwirtschaft, und zwar an die Betriebe gezahlt werden, die den Ausfall tatsächlich hatten. Eine solche Regelung haben wir aber gar nicht. Wir können Zahlungen an die Landwirtschaft im Augenblick nur global oder über gezielte Subventionen leisten. Wir können natürlich andere Leistungen an die Landwirtschaft - z. B. in Form sozialer Hilfsmaßnahmen - erbringen.
Aber ich habe auch noch ein anderes Bedenken dagegen.
({2})
- Wenn Sie nicht mitkommen, Herr Struve, tut es mir wirklich leid; ich hätte das eigentlich erwartet.
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Mein anderes Bedenken: Wenn wir dem Bauern einen Ersatz für den Einnahmeausfall geben, der durch eine schlechte Ernte entstanden ist, dann gehen wir an seine wirtschaftliche Grundlage.
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Dann ist .der Bauer nicht mehr ein freier Unternehmer, und wir wollen doch eigentlich alle, daß er ein freier Unternehmer ist.
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- Ach, Sie sind es nicht mehr, Herr Brese! Gut, dann reden Sie aber nicht mehr von dem freien Bauern; reden Sie nicht mehr davon, daß durch die Erhaltung des Bauernstandes ein Schutzwall gegen den kommunistischen Osten geschaffen wird. Reden Sie also nicht mehr davon, wenn Sie selber zugeben, daß Sie den Bauern nicht mehr als freien Unternehmer betrachten.
Herr Kollege Bading, glauben Sie nicht daß, wenn der Bauer in den letzten Jahren durch richtige Preise ausreichende Einnahmen gehabt hätte, er in die Lage versetzt worden wäre, ein Schlechtwetterjahr mit Leichtigkeit zu überwinden, und diese Probleme nicht vor uns stünden?
Ich wende mich nur dagegen, Herr Kollege Mauk, daß hier ein schlechtes Erntejahr als Begründung angegeben wird. Ich wende mich nicht gegen eine Unterstützung und Förderung der Landwirtschaft als Ausgleich dafür, daß sie eine wirtschaftlich schlechtere Stellung als die Industrie hat. Das ist ein ganz großer Unterschied.
({0})
- Sie 'haben gesagt, lieber Herr Struve, daß die Einnahmen geringer geworden sind, und darum handelt es sich.
Ich möchte hier keinen Zweifel daran lassen, daß wir bereit sind, große Mittel, unter Umständen größere Mittel, als Sie bereit sind, vom Finanzminister zu fordern und zur Förderung der Landwirtschaft einzusetzen,
({1})
aber auf einem anderen Wege und mit einer anderen Begründung. Wir rechnen uns zusammen, was notwendig ist, und wenn wir diese Summe haben, dann sagen wir: das möchten wir gern einsetzen. Wir gehen aber nicht von dem Ersatzleistungsdenken aus, dem Sie hier nachgegangen sind.
Nun, meine Damen und Herren, möchte ich auf den Grünen Bericht eingehen. Der Grüne Bericht zeigt bedauerlicherweise, daß die Einnahme der Landwirtschaft im Berichtsjahr geringer geworden ist, daß der Abstand zwischen dem landwirtschaftlichen Einkommen je Vollarbeitskraft und dem Vergleichslohn, d. h. also dem Arbeitseinkommen in der Industrie, größer geworden ist. Das ist eine sehr bedauerliche Entwicklung. Sie hat verschiedene Ursachen. Eine habe ich schon angeführt: die schlechtere Ernte. Es ist allerdings erfreulicherweise festzustellen, daß im laufenden Wirtschaftsjahr die Ernte schon nicht mehr so schlecht ausgefallen ist.
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- Wenn ich von der Ernte rede, reden Sie doch nicht von Unkosten, Herr Kollege Brese! Da kommen wir vielleicht auch noch einmal hin. Seien Sie doch nicht so unruhig!
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Ich sagte: erfreulicherweise ist festzustellen, daß die Ernte im laufenden Wirtschaftsjahr wieder besser sein wird. Ob die Unkostenseite besser aussehen wird, das heißt, die Unkosten niedriger werden, bezweifle ich sehr.
({4})
Ich erinnere hier aber an eine Äußerung des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung. Er sagte, daß die Bundesregierung sich ständig bemüht hat, die Landwirtschaft auf der Kostenseite zu entlasten. Ich bedaure nochmals, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard nicht im Hause ist; er könnte uns vielleicht erklären, auf welche Weise und mit welchen Mitteln er die Landwirtschaft auf der Kostenseite entlastet hat. Ich bin der Ansicht, daß hier ein Versagen der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung vorliegt, und ich verstehe durchaus, daß unsere landwirtschaftlichen Kollegen hier Klagelieder singen. Bloß sollten sie sie eigentlich im Rahmen ihrer eigenen Arbeitsgemeinschaft, ihrer eigenen Koalition singen und dort veranlassen, daß auf diesem Gebiet tatsächlich etwas mehr geschieht als bisher.
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- Das ist eine furchtbar einfache Entschuldigung, Herr Brese, die Schuld auf die Tarifpartner abzuschieben;
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als ob die Bundesregierung überhaupt keine Mittel hätte und wie ein willenloses Schäfchen zwischen den Tarifpartnern
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hin- und hergerissen würde. So ist es doch weiß Gott nicht! Außerdem: zu Tarifpartnern gehören ja immer zwei, einmal die Unternehmer, einmal die Arbeitnehmervertreter.
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- Natürlich sind sie beide schuld; warum nicht? Aber ich sage, die Bundesregierung ist zumindest ebensoviel schuld,
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und sie kann sich nicht einfach hinter die Behauptung verkriechen, daß es nur auf die Tarifpartner ankomme.
Meine Damen und Herren, wir haben in der Landwirtschaft - die Herren Vorredner sind schon darauf eingegangen - einen ungeheuren Strukturwandel erlebt und stehen noch mitten darin, er ist noch nicht abgeschlossen. In den letzten zehn Jahren hat die Landwirtschaft 1,6 Millionen Arbeitskräfte verloren; sie sind abgewandert. Das ist allerdings kein Verdienst der Landwirtschaft. Man liest öfters: Die Landwirtschaft hat 1,6 Millionen Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Die hat sie natürlich keineswegs freiwillig zur Verfügung gestellt, sondern sie sind aus eigener Entschließung weggegangen, weil sie woanders besser verdienen können. Das bedeutet eine Verringerung des Arbeitskräftebesatzes um etwa 40 %. Es ist bewundernswert, daß die Bauern mit diesen Schwierigkeiten bislang fertig geworden sind.
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Das ist auch eine seelische Belastung nicht nur für die Frauen, auch für die Bauern, da sie jetzt gezwungen sind, unter ganz anderen Verhältnissen zu wirtschaften. Wir sollten ihnen dabei jegliche Hilfe und Unterstützung angedeihen lassen.
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Ob die Abwanderung im gleichen Tempo wie bislang weitergeht, weiß ich nicht. Ich bin kein Prophet. Ich verstehe nur nicht ganz, warum in dieser Beziehung um das sogenannte Professorengutachten so ein ungeheurer Wirbel gemacht worden ist. Die Leute haben errechnet, daß im Jahre 1965 die Betriebseinnahmen für 2,2 Millionen Vollarbeitskräfte reichen würden. Bei der letzten Zählung im vergangenen Jahr haben wir 2,3 Millionen Arbeitskräfte gehabt. Da bisher in jedem Jahr 136 000 abgewandert sind, ist anzunehmen, daß wir bereits
jetzt die Arbeitsbesatzzahl von 2,2 Millionen Vollarbeitskräften erreicht haben und nicht erst 1965, wie die Professoren es sich ausgerechnet haben.
Ein anderes Problem ist der Rückgang der Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe. In den Jahren 1949 bis 1962 hat die Zahl der Betriebe bis 10 ha um 412 000 abgenommen, das sind 26 %. Die Zahl der Betriebe von 10 bis 20 ha hat um 14 % zugenommen, die Zahl der Betriebe von 20 bis 50 ha, also der sogenannten großbäuerlichen Betriebe, hat um 10% zugenommen. Nur im letzten Jahre ist die Zahl der großbäuerlichen Betriebe etwas abgesunken, ein Zeichen dafür, daß die Arbeitskräfte gefehlt haben und daß aus diesen Lohnarbeitsbetrieben jetzt Familienbetriebe werden.
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- Nach der fachmännischen Terminologie nicht, lieber Herr Brese. Aber auch Krupp ist ein Familienbetrieb, Herr Brese.
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Es ist aber außerordentlich interessant, festzustellen - und das geht aus einer Repräsentativuntersuchung der Agrarsozialen Gesellschaft hervor -, daß kein landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetrieb, dessen Betriebsinhaber noch arbeitsfähig waren, aufgegeben hat, sondern es sind alles sogenannte Nebenerwerbsbetriebe, es sind auslaufende Vollerwerbsbetriebe, bei denen der Inhaber schon zu alt war und keine Erben vorhanden waren. Es ist also falsch, zu behaupten, daß durch die Schwierigkeiten, in denen sich die Landwirtschaft befindet, bislang ein einziger oder mehrere Vollerwerbsbauern ausgeschieden sind. Das sind alles Nebenerwerbslandwirte, die bislang in einer kümmerlichen Existenz lebten und jetzt durch die Möglichkeit, in der Industrie oder im Gewerbe oder anderswo Arbeit zu finden, zu einem besseren Lebensstandard gekommen sind. Ich möchte mich also hier gegen die Ansicht wenden, daß diese Veränderung der Agrarstruktur auf die schlechte Situation der Landwirtschaft zurückzuführen sei. Sie ist zurückzuführen auf die bessere Situation der Industrie, auf die Erwerbsmöglichkeiten, die dort vorhanden sind. Das ist ein durchaus natürlicher Vorgang, gegen den überhaupt nichts einzuwenden ist.
Nun noch ein Wort zu dem errechneten Arbeitseinkommen, bevor ich mich dem Grünen Plan zuwende. In der Diskussion hier wird immer von einem Durchschnittseinkommen gesprochen. Es wird gesagt, das Arbeitseinkommen der Vollarbeitskräfte, das von 1955 bis zum Jahre 1960 von 2019 auf 4378 DM gestiegen war, sei im vergangenen Jahr auf 4049 DM gefallen. Niemals aber wird gesagt, wie das Arbeitseinkommen in der Landwirtschaft differiert. Dieses Durchschnittseinkommen besagt relativ wenig. In Süddeutschland schwankte das Arbeitseinkommen in Betrieben auf besseren Böden gegenüber Betrieben auf schlechteren Böden zwischen 5031 DM und 3500 DM. Infolgedessen gibt die Anwendung der Durchschnittszahlen ein schlechtes Bild von den tatsächlichen Verhältnissen in der Landwirtschaft.
Zur Entwicklung des Fremdkapitals: Die Abwanderung der Arbeitskräfte hat die Landwirtschaft zweifelsohne zu einer außerordentlich starken Kapitalaufnahme gezwungen. Von einer Überschuldung im großen Durchschnitt der Landwirtschaft zu reden, scheint mir aber auch eine Schwarzmalerei zu sein.
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- Sie können die Verschuldung und die Aufbringung der Zinsen nur an den Verkaufserlösen, d. h. an den Barumsatzzahlen messen. Die Barumsatzzahlen der Landwirtschaft sind aber auch stark gestiegen. Infolgedessen ist das Verhältnis von aufzubringenden Zinsen und Verkaufserlösen in den letzten Jahren lediglich von 3,3 auf 3,8 % gestiegen. In der Vorkriegszeit betrug der Anteil der Zinsleistung an den Verkaufserlösen dagegen 4,8 %, lag also um 1% höher. Hiebei soll natürlich nicht im geringsten bestritten werden, daß Aussiedlungsbetriebe, die neu errichtet worden sind, bis zum First in Schulden stecken und daß für diese Betriebe tatsächlich eine schwierige Situation entstehen wird, sobald sich einmal aus irgendwelchen Gründen die Einnahmen verringern. Aber im Durchschnitt von einer übermäßigen Verschuldung der Landwirtschaft zu reden, ist nicht richtig.
({15})
- Ja, Herr Brese, wenn Sie davon ausgehen, daß die Zahlen des Grünen Berichts falsch sind, dann müssen Sie sich mit Herrn Minister Schwarz in Verbindung setzen. Ich nehme an, daß die Zahlen, die uns das Ernährungsministerium zur Verfügung stellt, richtig sind und daß der Grüne Bericht ein wirklichkeitsgetreues Bild von der Lage der Landwirtschaft gibt. Wenn Sie anderer Ansicht sind, kann ich mir nicht helfen.
({16})
- Aber, Herr Struve, ich kann doch immer nur die Zinsbelastung als Unkostenfaktor in das Verhältnis zum Umsatz setzen.
Herr Abgeordneter Ertl möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte nur davon warnen, hier betriebswirtschaftliche Unterhaltungen zu führen. Das würde die Kollegen, die nicht aus der Landwirtschaft sind, vielleicht allzu stark ermüden.
Herr Kollege Bading, ich möchte Sie wegen Ihres Antrages auf Kreditverbilligung für 50 Millionen DM gern fragen, ob Sie in puncto Verschuldung anderer Auffassung sind als Ihr Parteifreund Minister Kubel.
Selbstverständlich bin ich der gleichen Ansicht. Ich wende mich nur gegen eine Übertreibung der Verschuldungszahlen und möchte diese auf das richtige Maß zurückführen. Mehr will ich nicht sagen. Ich will nicht untertreiben, ich will aber Übertreibungen entgegentreten.
({0})
- Die übertreibt doch immer!
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Grünen Plan machen. Ich werde mich bemühen, sie so kurz wie möglich zu fassen. Lassen Sie mich wiederholen: wir möchten hier ganz klipp und klar sagen, daß für uns nicht die Höhe der für die Landwirtschaft zur Verfügung stehenden Beträge entscheidend ist, sondern ihre Anwendung. Es ist erfreulich, festzustellen, daß das Verhältnis zwischen einkommensverbessernden Subventionen und Maßnahmen zur Förderung der Agrarstruktur im weitesten Sinne sich zugunsten der letzteren verbessert hat. Ich möchte dringend davor warnen, daß die jetzt gottlob im Auslaufen befindliche Düngemittelsubvention künstlich zu neuem Leben erweckt wird. Da können Sie so viel mit dem Finger drohen, Herr Struve, wie Sie wollen:
({2})
die Düngemittelsubvention begünstigt die Betriebe mit größerem Düngemittelaufwand stärker als die Betriebe mit geringerem Düngemittelaufwand und ist infolgedessen eine ungerechte Subvention.
({3})
Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um ein Wiederaufleben der Düngemittelsubvention zu verhindern.
({4})
Die Dieselsubvention ist eine Subvention, die viel weiter gestreut ist, die alle Landwirte betrifft, die mit Traktoren fahren. Sie ist richtig und gut.
Ich habe lediglich eine Frage an das Ernährungsministerium. Das ist aber eigentlich mehr eine rechnerische Frage. Es heißt dort, daß die Verbilligung 31,5 Pf beträgt. Damit würde der Preis des Dieselöls auf 24,25 Pf gesenkt. Nach meiner Meinung kostet das Dieselöl an den Tankstellen aber nur 50 bzw. 51 Pf. Die Rechnung geht also nicht ganz auf.
Zur dritten großen Subvention, zur Milchsubvention! Wir haben aus den Ausführungen von Herrn Minister Schwarz entnommen, daß die Milchsubvention 3,75 Pf je Liter betragen wird. Sie ist auf 600 Millionen DM erhöht worden. Wir haben hiergegen keine Einwendungen zu machen. Wir müssen jedoch erklären, daß wir Sorgen um den künftigen Absatz der Milch haben, und wir möchten Sie dringend bitten, diese Dinge nicht leichtfertig zu behandeln und zu sagen: Kommt Zeit, kommt Rat.
Wir stellen in der ganzen EWG eine starke Steigerung der Milcherzeugung fest. Wenn man die Subventionen und auch den Preis erhöht, muß man
sich darüber klar sein, daß die Milchproduktion steigt. Wenn man das will - und ich habe gar nichts dagegen -, muß man gleichzeitig aber auch dafür sorgen, daß der Milchabsatz steigt. Da vermisse ich leider einige Ansätze im Etat und auch Vorstellungen bei der Regierung. Es genügt nicht, sich darauf zu verlassen: Na, dann stecken wir halt die überflüssige Milch in die Butter. Das wird auf die Dauer kaum noch möglich sein, besonders wenn wir an die Verhältnisse in der EWG denken, - es sei denn, daß Sie die Butter denaturieren und sie vielleicht als Wagenschmiere verwenden wollen.
({5})
Aber ich finde, dieser Umweg ist ein bißchen reichlich kompliziert.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber noch auf eine Zahl eingehen, die Herr Lücker genannt hat. Er hat die Steigerung der Fleischproduktion in der EWG mit 34 % der in den USA mit 83 % gegenübergestellt. Er hat nur vergessen zu sagen, daß auch der Bedarf entsprechend gestiegen ist. Sorgen Sie für eine Stärkung der Nachfrage an Fleisch durch eine Verbesserung der Lebensverhältnisse, zum Beispiel in dem südeuropäischen Mitgliedstaat Italien! Dann werden wir auch zu einer Verstärkung der Fleischproduktion kommen. Im übrigen ist das ja auch der Sinn der EWG.
Ich möchte hier auch noch meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß Herr Struve erklärt hat, er sei ein Gegner der Befreiung der Landwirtschaft vom Lastenausgleich, er persönlich wenigstens.
({6})
- Dann habe ich es nicht richtig mitbekommen.
({7})
- Ich hätte mich so gern über Sie gefreut, Herr Struve.
({8})
- Dann sind Sie also dafür, daß die Landwirtschaft künftig keinen Lastenausgleich mehr bezahlen soll?
({9})
Ich meine, es wäre eine ganz schlechte Sache, wenn sich der Berufsstand, der sein Vermögen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, erhalten und auch noch einen Vermögenszuwachs erzielen konnte, von der Verpflichtung ausschließen will, den Menschen zu helfen, die ihr ganzes Eigentum im Osten verloren haben,. Ich halte das für einen schlechten Vorschlag und für eine schlechte Sache im Interesse der Landwirtschaft; ihr Ansehen bei der übrigen Bevölkerung wird dadurch sinken.
Herr Kollege Bading, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Bauknecht!
Herr Bading, glauben Sie wirklich, daß wir so töricht, so verantwortungslos und so sozial ungerecht wären, daß wir jenen den Lastenausgleich wegnehmen wollten, denen er bisher zugekommen ist? Glauben Sie nicht sehr viel mehr daran, daß wir dafür - wie für zahlreiche andere Dinge auch - den Bund verpflichten?
Aber lieber Herr Bauknecht, um Gottes willen, natürlich wollen Sie es denen nicht wegnehmen. Andere sollen es für die bezahlen. Sie wollen von der Zahlungsverpflichtung befreit werden. Das ist eine Sache, die nach meiner Meinung auf den zurückschlägt, der diese Verpflichtung nicht mehr tragen will.
({0})
Ich sage das aus Sorge um die Landwirtschaft. Herr Bauknecht, Sie können vielleicht auch dazu noch etwas sagen.
Auch die Befreiung der Landwirte in den Dörfern von der Zahlung der Grundsteuer A
({1})
- oder die Herabsetzung - gehört in die Reihe dieser Vorschläge. Ich habe mehrfach gelesen, daß angeregt worden ist, die Grundsteuer A solle vom Bund übernommen und die Landwirte sollten davon freigestellt werden. Auch diese Ausnahmestellung der Bauern im Dorf halte ich für eine schlechte Sache für die Landwirtschaft.
({2})
Die Landwirte würden dadurch zu Dorfarmen werden. Ich halte das nun weiß Gott des deutschen Bauern nicht für würdig.
({3})
- Entschuldigen Sie, es handelt sich hier um die Grundsteuer.
({4})
Wer bezahlt denn in einer Gemeinde keine Grundsteuer A, der Grundbesitz hat?
({5})
- Na ja, das sind dann doch die Landwirte, die sich - ({6})
- Ich verstehe Sie nicht. ({7})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einer weiteren Subvention kommen.
({8})
- Gehen Sie ans Mikrophon! Bleiben Sie nicht einfach sitzen! Wie soll ich Sie da verstehen können?
Ich unterstütze diese Anregung. Ich glaube nicht, daß die Zwischenrufe der Abwicklung der Diskussion dienen.
Stehen Sie doch auf! Gehen Sie ans Mikrophon, Herr Reinhard! Aber dazu sind Sie wohl zu bequem.
({0})
- Ich bin immer ein höflicher Mann.
({1})
Ich darf nun zu einer weiteren Subvention kommen, die der Förderung der bäuerlichen Hauswirtschaft dient. Herr Minister Schwarz hat damals, als er sich für diese Subvention einsetzte, gesagt, er freue sich, der Bäuerin ein Geschenk in die Schürze legen zu können. Er hat aber seine Richtlinien später leider Gottes so gefaßt, daß dieses Geschenk lediglich in eine großbäuerliche Schürze gelegt wurde. Die Beträge, die für diese Subvention zur Verfügung gestellt worden sind, konnten nicht ausgenutzt werden, weil die Selbstbeteiligung zu hoch war. Infolgedessen konnten kleinere Landwirte diese Subvention nicht in Anspruch nehmen.
Ich möchte daher vorschlagen, die Richtlinien so zu ändern, daß auch Siedlungsbetriebe und Aussiedlungsbetriebe in den Genuß dieser Subvention kommen können. Man müßte eine Regelung finden, nach der auch die Landarbeiter diese Subvention in Anspruch nehmen könnten.
Ich möchte nun noch auf die eigentlichen agrarstrukturellen Maßnahmen eingehen. Es ist erfreulich, daß die Flurbereinigung weiterkommt und daß der Betrag erhöht worden ist. Ich möchte nur davor warnen, bei der Flurbereinigung die reinbäuerlichen Gemeinden zu bevorzugen und die sogenannten gemischten Gemeinden, also die Gemeinden, deren Bevölkerung aus Bauern und Arbeitern besteht, aus der Flurbereinigung einfach herauszulassen. Das hat nämlich folgenden Nachteil. Wenn Sie in solchen Gemeinden überhaupt noch lebensfähige Bauern erhalten wollen, können Sie das nur erreichen, wenn Sie diese Bauern aus dem Dorfkern aussiedeln und ihnen durch die Flurbereinigung eine lebensfähige Grundlage geben. Sonst gehen die Bauern in diesen Arbeiterdörfern einfach ein. Ich nehme an, daß Sie das nicht wollen.
Bei der Aussiedlung haben wir auch recht erfreuliche Ergebnisse gehabt, obwohl das bisher Erreichte, gemessen an dem notwendigen Umfang der Aussiedlung, natürlich relativ gering ist. Wir ha-bei seit dem Jahre 1956 in der gesamten Bundesrepublik etwa 10 000 Aussiedlungen vornehmen können. Der Bedarf ist aber bedeutend höher. Wir stehen da vor einem sehr großen Dilemma, für das ich auch noch keine echte Lösung weiß. Wir müssen aber gemeinsam eine Lösung finden. Die Baukosten steigen. Wir könnten natürlich die Sätze erhöhen. Wenn wir aber die Sätze erhöhen, belasten wir gleichzei2750
tig den Aussiedler stärker, und das kann er dann wieder nicht verkraften. Wir müssen also wahrscheinlich zu einer Herabsetzung der Kapitalbelastung kommen.
({2})
Eine wirklich befriedigende Möglichkeit sehe ich da, vorläufig jedenfalls, nicht.
Die dritte, sehr wichtige Gruppe der Agrarstrukturmaßnahmen - es gibt ja noch mehr -, die Althofsanierung, ist leider Gottes noch nicht so recht angelaufen. Ich halte die Althofsanierung, die noch in größerem Umfang notwendig ist als die Aussiedlung, für eine der förderungswürdigsten und wichtigsten Maßnahmen, zumal auch die Kosten dieser Strukturmaßnahme viel geringer sind als die Kosten der Aussiedlung. Im Durchschnitt betrugen die Kosten für die Althofsanierung - das letzte Jahr nicht mitgerechnet - etwa 43 000 DM bei 20 000 DM Eigenleistung, während die Kosten bei der Aussiedlung natürlich viel höher sind. Sie betragen da etwa 148 000 DM und erfordern eine Eigenleistung von 60 000 DM.
Nun noch ein kurzes Wort zur Hilfe für die von der Natur benachteiligten Gebiete. Ich weiß nicht recht, ob die dort vorgenommene Abgrenzung richtig ist. Es geht nicht allein um Jahresdurchschnittstemperaturen. Man müßte wahrscheinlich die Temperaturen in den Vegetationszeiten nehmen. Das ist aber nur eine Frage zweiten Ranges. Wichtiger scheint mir eine Grundsatzfrage zu sein. Bislang hat man den landwirtschaftlichen Betrieben in diesen von der Natur benachteiligten Gebieten dadurch geholfen, daß man die Konditionen etwas günstiger gestaltet hat als bei den Betrieben, die nicht in diesen Gebieten liegen. Statt 4 % brauchten sie nur 3 % zu zahlen und so ähnlich.
Mir scheint es zweifelhaft zu sein, ob überhaupt eine landwirtschaftliche Hilfe, eine rein agrarische Hilfe in diesen Gebieten richtig ist. Viel wichtiger wäre eine Regionalförderung dieser Gebiete, d. h. eine Förderung, die sich nicht allein auf die Landwirtschaft erstreckt, sondern die sich auf eine Stärkung der Wirtschaftskraft insgesamt dieser Gebiete ausdehnt. Dazu ist natürlich erstens einmal eine gute Zusammenarbeit der Ressorts notwendig und zweitens vielleicht auch ein Raumordnungsgesetz. Aber unser Herr Bundeswohnungsbauminister läßt ja da noch auf sich warten.
Eine Schlußbemerkung, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns alle darüber klar, daß der Landwirtschaft geholfen werden muß. Bei den Maßnahmen unterscheiden wir uns aber doch ziemlich grundsätzlich. Alle direkt einkommensfördernden Subventionen sind im eigentlichen Sinne rückwärts gerichtet. Sie wollen einen Zustand konservieren. Alle strukturverbessernden Maßnahmen - ganz egal, ob es sich um agrarstrukturverbessernde Maßnahmen, um absatzstrukturverbessernde Maßnahmen oder um die technische Struktur verbessernde Maßnahmen handelt - sind aber nach vorne, in die Zukunft gerichtet, und sie dienen der Rationalisierung der Produktion und des Absatzes. Darauf kommt es meines Erachtens in erster Linie
an. Es kommt darauf an, die deutsche Landwirtschaft in so großem Rahmen wie möglich in der EWG und darüber hinaus in der ganzen Welt wettbewerbsfähig zu machen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Logemann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, zum Grünen Bericht zu sprechen und möchte vorweg keinen Ausflug in die europäische Politik machen.
Vorher will ich aber als Niedersachse dem Herrn Kollegen Bading sehr herzlich danken für die Rede, die er eben gehalten hat; denn diese Rede bringt uns soviel Material für den niedersächsischen Wahlkampf, daß man dafür nur dankbar sein kann.
({0})
Herr Kollege Bading, ich möchte mich nun mit einigen Einzelheiten Ihrer Ausführungen auseinandersetzen. Sie haben die Verschuldung der Landwirtschaft, die immerhin nach dem Rekordjahr der Verschuldung, in dem wir stehen, 14,5 Milliarden DM erreicht hat, zu bagatellisieren versucht. Sie 'sollten wirklich dabei bedenken, daß diese Verschuldung mit 14,5 Milliarden in der Landwirtschaft höher ist als die Gesamtverschuldung der Landgemeinden in der Bundesrepublik. Vielleicht 'zeigt Ihnen das in etwa, in 'welcher Größenordnung wir uns bewegen.
({1})
Auf die große Zinsbelastung, die dazu kommt, will ich gar nicht eingehen.
Sie haben weiter geglaubt sagen zu müssen, wenn der Milchpreis noch weiter gestützt oder gefördert wird, wird das einen solchen Überschuß an Butter zur Folge haben, daß man Butter als Wagenschmiere oder ähnliches würde verwenden müssen. Ist Ihnen nicht bekannt, daß wir zur Zeit in der Milchwirtschaft in der Bundesrepublik durchaus noch die Erzeugung für uns allein verwerten? Ist Ihnen nicht bekannt, daß auch im letzten Jahr der Butterverbrauch noch höher gewesen ist als die Buttererzeugung? Ich bin der Meinung, daß wir uns durchaus hoch bemühen sollten, die Milcherzeugung entsprechend weiter zu fördern und zu pflegen.
Aber ich möchte eines bei dieser Gelegenheit zu meinem 'niedersächsischen Kollegen Herrn Dr. Schmidt ({2}) sagen. Es ist sicherlich gut, und ich begrüße es 'außerordentlich, daß wir in der Agrarpolitik eine Opposition haben. Das kann auch für andere Bereiche der Politik nur gut sein. Es ist gar nicht gut, wenn immer alles einstimmig verläuft, wenn man aus der Opposition heraus keine eigene Meinung hört. Aber, Herr Kollege Dr. Schmidt, zu einer guten Opposition, die ich durchaus begrüße, gehört auch - neben aller Kritik, die sie übt -, daß man sich bemüht, bessere Vorschläge zu maLogemann
chen als die Parteien, die in der Regierungsverantwortung sind.
({3})
Und wenn ich hier überlege, wo Ihre besseren Vorschläge sind, dann bin ich tatsächlich gleich mit meinem Latein zu Ende.
Sie haben davon gesprochen, es müsse versucht werden, dem landwirtschaftlichen Strukturprogramm einen besonderen Vorrang zu geben, es noch weiter zu verbessern. Sie haben gleichzeitig gesagt: Hier hat die Bundesregierung allerdings unsere Vorstellungen vom vorigen Jahr mit übernommen. Wenn dem so ist, Herr Dr. Schmidt ({4}), dann haben Sie eigentlich beim Strukturprogramm ihre eigenen Vorschläge, die die Bundesregierung mit übernommen haben soll, mit kritisiert. Ich finde, das ist noch kein eigener Gedanke und kein eigener Vorschlag.
Sie haben weiterhin von der Standortfrage in der Landwirtschaft gesprochen. Diese Standortfrage ist nach meiner Auffassung sehr gefährlich, und ich möchte sie heute abend auch nicht mehr groß berühren. Ich habe, weil ich die Einstellung Ihres Kollegen Kriedemann kenne, nur die Frage: geht es auch Ihnen bei der Standortfrage innerhalb der landwirtschaftlichen Erzeugung der EWG um die Verlagerung zum günstigsten Standort? Diese Frage hätte ich nachher noch gern von Ihnen beantwortet.
Aber, meine Herren von der SPD, noch eines all) gemein gesehen! Sie haben heute - sowohl Kollege Dr. Schmidt als auch der Kollege Bading - zur Einkommenspolitik in der Landwirtschaft überhaupt keine Vorstellung entwickelt, sondern sie haben sich nur negativ verhalten und jede Einkommensverbesserung für die deutsche Landwirtschaft abgelehnt. Hat das vielleicht mit ihrem neuen Gedanken, einen großzügigen Sozialplan für die Landwirtschaft zu schaffen, zu tun?
Dabei möchte ich vorweg bemerken, daß wir auch in der Landwirtschaft für unsere Menschen eine soziale Absicherung anstreben sollten, wie sie in der Nachbarschaft vorhanden ist. Ich folge hier auch den Gedankengängen des Deutschen Bauernverbandes. Aber Sie schießen weit über das Ziel hinaus. Ich habe das Gefühl - es wäre gut, wenn nachher dazu noch etwas gesagt würde -, daß Sie sich bemühen, mit Ihrem Sozialprogramm, mit den Leistungen des Sozialprogramms einkommensfördernde Maßnahmen für die Landwirtschaft zu ersetzen.
Ich komme zu dem Verdacht durch eine Pressemitteilung, die ich gestern gelesen habe, Ihr Kollege Dr. Deist habe erklärt, der Sozialplan der SPD solle - so heißt es hier wörtlich - die Interessen der verschiedenen Schichten der Bevölkerung so ausgleichen, daß jeder zu seinem Recht komme. Weiter sagte Dr. Deist: „Wir wollen Mißverständnisse zwischen Landwirtschaft und Industrie beseitigen und eine Brücke über Gegensätze schlagen".
Bedeutet das nicht eindeutig, daß Sie sich bemühen, die Einkommensentwicklung für die Landwirtschaft in Zukunft auf ein Gleis sozialpolitischer Maßnahmen abzuschieben?
({5})
Dagegen muß ich allerdings ganz erhebliche Bedenken anmelden.
({6})
Das möchte ich ausdrücklich gesagt haben.
Zurück zu meinem eigentlichen Auftrag, zum Grünen Bericht 1963. Ich darf zunächst sagen, daß nach unserem Eindruck der diesjährige Grüne Bericht wieder eine Verbesserung darstellt gegenüber dem Bericht des Vorjahres.
({7})
Es ist auch festzustellen, daß die Beurteilung der Lage der Landwirtschaft nach der Veröffentlichung des Grünen Berichts in diesem Jahre - mit gewissen Ausnahmen - sachlicher gewesen ist. Wir haben weniger Schlagzeilen in der großen Presse über „grüne Milliarden" lesen können. Ich möchte das darauf zurückführen, Herr Minister Schwarz, daß Sie diesmal auch auf Ihrer Pressekonferenz vorsichtiger gewesen sind, weniger Grund zu Schlagzeilen gegeben haben, was ich im letzten Jahr monieren mußte. Es ist aber auch darauf zurückzuführen, daß Ihre Rede sehr sachlich war und ein Bemühen, die Probleme der Landwirtschaft nüchtern darzustellen.
In diesem Zusammenhang gleich einige Vorschläge für künftige Grüne Berichte, die ich Ihnen heute abend wieder vortragen will, obwohl sie zum Teil schon im vorigen Jahr unterbreitet worden sind.
Zunächst sehe ich hier einen Auftrag für die amtliche Agrarpolitik im guten Sinne- wie es beim letzten Grünen Bericht der Fall gewesen ist und wie ich es soeben andeutete -, den Auftrag, künftig in Richtung einer Verbesserung der Aufklärung der Bevölkerung über die Lage der Landwirtschaft weiterzuwirken, und zwar nicht nur innerhalb unserer Landwirtschaft, sondern innerhalb der Gesamtwirtschaft und auch innerhalb der EWG. Diese Aufklärung durch die amtliche Agrarpolitik ist jetzt, gerade angesichts der Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, notwendiger denn je. Ich darf hier gleichzeitig ankündigen, daß wir von 'der FDP-Fraktion uns bemühen werden, wieder eine entsprechende Gesetzesvorlage einzubringen. Wir hoffen, daß wir dann in diesem Hohen Hause mehr Unterstützung finden werden als bei der Vorlage im Jahre 1958 bezüglich der Anstalt für Agrarwerbung.
Ich will eine zweite Forderung anmelden. Sie geht dahin, daß im nächsten Grünen Bericht auch die Entwicklung der agrarpolitischen Lage in den Partnerländern der EWG dargestellt wird. Nach meiner Auffassung enthält der Grüne Bericht zuviel Tabellen. Trotzdem sind wir über die EWG noch nicht genügend unterrichtet. Die wenigen Sätze, die ich zur EWG-Entwicklung gefunden habe, reichen meines Erachtens nicht aus, um ein Bild über die wirkliche Lage in unseren Partnerländern zu gewinnen.
Aber auch aus einem anderen Grunde sollten wir hier mehr verlangen. Die deutsche Landwirtschaft legt mit den Grünen Berichten in jedem Jahr ihre Bilanz anderen Berufen und anderen Ländern gegenüber ganz offen dar. Unsere Partner können und werden also aus diesen offenen Darlegungen durchaus Folgerungen für die eigene Agrarpolitik ableiten. Deshalb müssen wir umgekehrt für die deutsche Landwirtschaft verlangen, daß auch wir in die Lage kommen, zu erkennen, wie es draußen in unseren Nachbarländern der EWG, mit denen wir immer mehr in einen gemeinsamen Wettbewerb kommen, aussieht. Deshalb sind wir sehr daran interessiert, daß in den Grünen Berichten jeweils auch die Wettbewerbsverzerrungen dargelegt werden, damit wir feststellen können, ob ein Abbau oder noch eine Verstärkung der Subventionen erfolgt. Zum Beispiel wäre es für uns wichtig, Herr Minister Schwarz, zu erfahren, ob es tatsächlich zutrifft, daß in Frankreich jetzt neue Subventionen für die Ausfuhr von Schlachtrindern gegeben werden sollen. Alle diese Dinge müssen wir für unsere Erzeugung, für unseren Markt wissen.
Genau so wichtig ist es, daß ganz allgemein die Entwicklung der Agrarerzeugung in unseren Nachbarländern aufgezeigt wird. Es ist ja bekannt, daß Frankreich an seine Bauern appelliert hat, in den nächsten Jahren die Agrarerzeugung nochmals um 30 % zu steigern. Das ist ein ganz klarer Auftrag zu einer neuen Erzeugungsschlacht in der Landwirtschaft. Weiter ist bekanntgeworden, daß Frankreich 'beabsichtigt, etwa 30 % der gesamten Agrarerzeugung zu exportieren. Auch das zeigt eindeutig auf den deutschen Markt. Wir müssen für die Zukunft wissen, was jeweils von draußen auf die deutsche Landwirtschaft zukommt.
Ich will noch eine Anregung zum Grünen Bericht geben. Sie zielt darauf ab, daß jeweils im Grünen Bericht auch die Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise im Verhältnis zu den Verbraucherpreisen aufgezeigt wird. Wir sind mit dem Mittelstand eng verbunden. Ich möchte durchaus nicht mit einer solchen Aufzeichnung alljährlich einen Handelsspannenstreit entfachen. Das liegt mir völlig fern. In der Landwirtschaft wissen wir, daß sich die mittelständische Wirtschaft mit uns in einer ähnlichen Lage befindet. Gerade die Vermarktung der Nahrungsmittel erfordert laufend höhere Kosten. Wir kennen die Tendenz zum Verbrauch der besseren Qualität. Wir wissen auch, daß die bessere Verpackung mehr Geld kostet. Alles das sei zugegeben. Trotz alledem ist es für uns wichtig, daß eine Aufklärung über den Anteil des Erzeugers am Verbraucherpreis erfolgt. Diese Aufklärung ist notwendig, weil der Erzeugeranteil am Verbraucherpreis in einer Form zurückgeht, die es wichtig erscheinen läßt, daß die Öffentlichkeit in jedem Jahr durch den Grünen Bericht auf diese Dinge hingewiesen wird.
Ich möchte Ihnen hier dazu einige Beispiele geben. Die Verbraucherpreise für Brot und Backwaren sind seit 1958/59 um etwa 14 % gestiegen, für Fleisch um 17 %. In Gaststätten trat sogar eine Verteuerung um 21 % ein. Wichtig ist dabei aber der Hinweis, daß die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise im
gleichen Zeitraum fast unverändert geblieben sind.
Ich will es noch an einem Beispiel deutlich machen. Im Jahre 1952 bekam der Verbraucher für 18 Pf 3 Brötchen zu 350 g. Im Jahre 1962 waren es für 18 Pf nur noch 2 Brötchen, obwohl der Weizenpreis für uns als Erzeuger in der Zwischenzeit um 8 % zurückgegangen ist. Ich finde, es ist wichtig, in dieser Richtung für eine Aufklärung zu sorgen.
Diese wenigen Beispiele beweisen schon, daß die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise an sich nicht mehr die politischen Preise sind, sondern erst auf dem Wege vom Bauernhof zur Küche des Verbrauchers zu den politischen Preisen werden.
Lassen Sie mich noch ein letztes Anliegen vortragen. Es handelt sich um eine alte Forderung der FDP. Dabei kann ich mich sehr kurz fassen. Nach unserer Auffassung sollte in den Grünen Berichten, Herr Minister Schwarz, ein alter Parlamentsauftrag von 1961 erfüllt werden: Man müßte neben dem Jahreslohnvergleich auch einen Stundenlohnvergleich bringen. Wir wollen mit dem Stundenlohnvergleich - das möchte ich ausdrücklich sagen - nicht die jetzt schon vorhandene riesige Disparität noch vergrößern; darum geht es hier gar nicht. Es geht bei den Lohnberechnungen um Gerechtigkeit für die Landwirtschaft und um Beseitigung von Benachteiligungen, die uns der Jahreslohnvergleich bringt.
Sie haben selbst, Herr Minister, in Ihrer Rede darauf hingewiesen, daß sich die Arbeitszeit in der Landwirtschaft tim Gegensatz zu anderen Berufen für die auf den Höfen verbliebenen Menschen nicht verkürze, sondern im Gegenteil verlängere. Der Grüne Bericht bringt dazu ein Untersuchungsergebnis vom September 1961. Nach diesem Ergebnis sah es im September vorigen Jahres so aus, daß in der Landwirtschaft von den zugrunde gelegten landwirtschaftlichen Arbeitskräften 236 Stunden gearbeitet wurde. In der Industrie waren es 199. Im September 1962 hat sich die Stundenzahl in der Landwirtschaft von 236 auf 240 verändert, während sie in der Industrie von 199 auf 178 gesunken ist. Daß dabei - darauf möchte ich hinweisen - die Arbeitszeit für die landwirtschaftlichen Familienarbeitskräfte weit länger ist, brauche ich eigentlich gar nicht besonders zu erwähnen. Sie ist vor allen Dingen bei unseren Bäuerinnen lang; das steht ebenfalls fest.
Wir sollten hier wirklich die Entwicklung ,sehen, daß in der Landwirtschaft zwangsläufig keine Arbeitszeitverkürzung zu erwarten ist, gerade nicht für unsere Bäuerinnen und die Familienarbeitskräfte; denn wir werden es in der Landwirtschaft am Wochenende einfach nicht zu einem Kuhstallruhetag bringen. Wir müssen uns also bemühen, bei der Berechnung der landwirtschaftlichen Arbeitszeit dem Rechnung zu tragen.
Ich bin nicht der Auffassung, daß es ausreicht, Herr Minister, die Pendlerzeiten anzurechnen, sondern es ist notwendig, daß wir im Grünen Bericht über den Stundenlohnvergleich zu Seinem echten Lohnvergleich kommen.
Nun zum zweiten Teil meiner Ausführungen, zum Berichtsergebnis. Das Berichtsergebnis des diesjährigen Grünen Berichts zeigt - auch dies möchte ich wiederum nur kurz behandeln -, daß in diesem Jahr keine Gruppe der verschiedenen landwirtschaftlichen Betriebe und Bodenbenutzungssysteme das „Klassenziel" des deutschen Landwirtschaftsgesetzes erreicht hat. Im vorigen Jahr waren es noch 6 v. H., in diesem Jahr Fehlanzeige. Wenn man dieses Ergebnis zugrunde legt, dann ist an sich leicht die Frage zu beantworten: Sind wir agrarpolitisch auf dem richtigen Weg? Ich muß diese Frage angesichts 'des Berichtsergebnisses verneinen und muß sagen: Agrarpolitisch muß mehr geschehen als bisher.
({8})
- Ich weiß, da sind wir uns einig, Herr Kollege Schmidt. Ich weiß aber auch, daß man diese Frage, wenn sie beantwortet werden soll, an den Herrn Bundeswirtschaftsminister, der leider nicht mehr da ist, hätte mit richten müssen; denn gerade auf der Unkostenseite, auf die ich noch zu sprechen komme, ist ein erhebliches Vorauseilen der Löhne in der industriellen und gewerblichen Wirtschaft in den vergleichbaren Berufen festzustellen.
Der Bericht zeigt aber wieder eindeutig - das ist auch schon vom Kollegen Lücker gesagt worden -, daß sich die Landwirtschaft bemüht hat, das wirtschaftliche Ergebnis zu verbessern. Wir haben weniger Arbeitskräfte gehabt und so auch im letzten Jahr die Produktivität der Arbeitskraft erhöht. Wir sind in der Landwirtschaft - auch das sollte man anerkennen - nicht durch die Arbeitszeitverkürzungen in der Umwelt angesteckt worden, sondern der Bauer hat seinen langen Arbeitstag auch in diesem Berichtsjahr, obwohl die Arbeitszeit in anderen Wirtschaftszweigen immer weiter zurückgeht, nach wie vor geleistet.
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Trotz alledem sind wir zu einem Rekordjahr der Verschuldung gekommen. Ich habe das vorhin schon mit erwähnt.
Entscheidend ist nun, wo die eigentlichen Gründe liegen. Herr Minister Schwarz, Sie stellen in Ihrem Bericht wiederholt fest, die Hauptursache für dieses große Minus der Landwirtschaft sei die schlechte Ernte. Wenn das wirklich der Hauptgrund wäre, wäre ich versucht, auch für die Landwirtschaft ein Schlechtwettergeld zu verlangen, wie es in anderen Berufen mehr und mehr üblich geworden ist. Aber ich bin der Auffassung, daß es nicht allein an der schlechten Ernte liegt. Auch Sie haben ja betont, daß vor allen Dingen auch die Lohnsteigerungen und die Preissteigerungen auf der Unkostenseite eine Rolle spielen. Hier wäre wieder an Herrn Minister Erhard die Frage zu richten, wie es weitergehen soll. Wir haben seit Jahren feststellen können, daß Reden allein zum Maßhalten nicht genügen, sondern daß dazu auch entsprechende wirtschafts- und finanzpolitische Taten kommen müssen.
({10})
Ich möchte also die beiden gegebenen Begründungen: schlechte Ernte und Verschlechterung der Bilanz durch die Entwicklung in der Nachbarschaft anerkennen. Es ist schon so, daß die Ernte in den von Herrn Minister Erhard betreuten Bereichen ausgezeichnet war: höhere Löhne, steigende Sozialleistungen, höhere Dividenden. Ich könnte diese Aufzählung noch fortsetzen.
Zur Verschlechterung der Bilanz möchte ich vor allen Dingen noch einen dritten Grund anführen, und das sind Versäumnisse auf der Preisseite unserer Agrarerzeugnisse. Diese Preisseite muß für die deutsche Agrarpolitik und auch im Hinblick auf die EWG nach unserer Auffassung mit ganz besonderer Sorgfalt angesehen werden. Wir müssen sie sehr, sehr aufmerksam verfolgen. Der Grüne Bericht zeigt, daß im Berichtsjahr die Erzeugerpreise einer Reihe von Veredlungsprodukten einen Tiefstand erreicht haben. In einem Falle, bei Eiern, war der Erzeugerpreis so niedrig, wie er in der Nachkriegszeit noch nie gewesen ist. Wir haben uns immer wieder um die Einführung von Mindestpreisen bemüht. Ich erinnere weiter daran, daß die Schweinepreise in diesem Jahr sehr gedrückt wurden, ganz abgesehen von Geflügelfleisch, wo wir auch an der unteren Grenze angekommen waren.
Es ist ungeheuer schwierig - und deshalb führe ich das hier an -, solche Preisausfälle mit Subventionen aus Haushaltsmitteln ausgleichen zu wollen. Deshalb ist es so wichtig, daß die Landwirtschaft nicht durch Preissenkungen noch mehr in die Rolle eines Bittstellers um grüne Millionen gedrängt wird.
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Wenn ich an die Vorschau des Grünen Berichtes denke, so bin ich auch bereits wieder mit Sorge erfüllt. Sie sagt mit Recht, daß auf Grund einer besseren Ernte ein besseres Betriebsergebnis zu erwarten sei. Aber ich kann leicht nachrechnen, daß wir auf der Preisseite schon wieder erhebliche Einbußen erlitten haben. Ich behaupte nicht, daß es sich hier allein um ein Verschulden der Bundesregierung handelt. Es geht hier nicht nur darum, daß eine fahrlässige Importpolitik bei den Rindern zu einem erheblichen Preissturz geführt hat. Jedenfalls hat uns dieser Preissturz nach den Berechnungen meines Kollegen Wächter, 'der die Dinge aufmerksam verfolgt hat, schon bisher einen Ausfall von über 200 Millionen DM .gebracht. Diese Angabe bezieht sich auf das Jahr, für das die Vorausschau des Grünen Berichtes noch optimistisch ist.
Solche Verluste auf der Preisseite können auch durch noch soviel Sonne und auch nicht durch einen warmen Landregen, Herr Minister, wieder gutgemacht werden. Hier kommt es vielmehr darauf an, ein Absinken bei den Preisen zu verhindern. Im übrigen hat das Absinken der Rinderpreise dem Käufer am Ladentisch, dem Verbraucher keineswegs einen Vorteil gebracht. In der Regel wird ja das Sinken von Erzeugerpreisen nicht im Verkaufspreis weitergegeben und kommt daher beim Verbraucher nicht an.
Ich möchte auch noch einiges bezüglich der Preisentwicklung in der EWG sagen. Es wäre falsch, jetzt
schon so zu tun, als wenn wir innerhalb der EWG preislich bei den verschiedenen Marktordnungen nichts mehr verbessern könnten. Ich bin hier in Sorge, Herr Minister, vor allen Dingen um die Marktordnungen für Veredelungserzeugnisse, für Schweine, für Geflügelfleisch und auch für Eier.
Ich bin auch durchaus nicht so optimistisch wie vorhin der Kollege Lücker von der CDU/CSU. Ich sehe die Schwierigkeiten für die deutsche Landwirtschaft hier als viel größer an. Ich denke z. B. an die Schwierigkeit, daß die deutsche Landwirtschaft mit Sicherheit unter einen doppelten Angebotsdruck gestellt bleiben wird, nämlich unter den Angebotsdruck aus dem Innern der EWG und unter einen Angebotsdruck von draußen aus den traditionellen Lieferländern, von den traditionellen Handelsströmen. Insoweit war in den Ausführungen des Kollegen Lücker ein Widerspruch. Er hat vor uns zunächst eine EWG als Binnenmarkt der Sechs mit einem möglichst hohen Schutzwall aufgebaut, hat aber nachher vor den traditionellen Handelsströmen, vor dem Handel mit Drittländern eine Verbeugung nach der anderen Seite gemacht und praktisch die Tür zu den Drittländern wieder geöffnet. Wir von der FDP haben diese Entwicklung für die deutsche Landwirtschaft immer kommen sehen und uns frühzeitig bemüht, entsprechende Preisgarantien gerade für Veredelungserzeugnisse zu bekommen. Leider ist das in den jetzigen Marktordnungen nicht verwirklicht worden. Im Gegensatz dazu sind für Getreide durch das Getreidepreisgesetz Richtpreise festgelegt, wo der Staat interveniert, wenn der Bauer dem Markt Getreide anbietet. Diese Preissicherung haben wir bei Veredelungserzeugnissen nicht. Ich möchte an die Bundesregierung appellieren, auf alle Fälle zu verhüten, daß hier durch dauernde Senkung der Abschöpfungen weitere Verluste für die deutsche Landwirtschaft entstehen.
Heute habe ich im VWD gelesen, daß die Kommission in Brüssel vom Rat wieder beauftragt ist, eine Verordnung zur Senkung der Einschleusungspreise für Schlachtgeflügel um 20 % auszuarbeiten. Meine Damen und Herren, eine solche Verordnung würde unserer so schwer darniederliegenden Schlachtgeflügelerzeugung den Rest geben. Sie wäre restlos am Ende, wenn durch solche Preisaufwendungen noch weitere Verluste entstünden.
Wir sollten also alles tun, Herr Minister, um die Preise der Veredelungserzeugnisse künftig besser abzusichern. Dabei sollten wir überlegen, wie wir die vorgesehene Senkung des Nichtfutterkostenteils, die künftig zwei Fünfzehntel in jedem Jahr betragen soll, verhindern und für die Veredelungserzeugnisse ein besseres Preisniveau ansteuern können.
Ich will in diesem Zusammenhang aber auch noch einmal kurz auf die Unkostenseite eingehen. Denn wir kranken auch daran - das zeigt dieser Grüne Bericht -, daß wir ein im Verhältnis zu den landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen zu hohes Preisniveau für landwirtschaftliche Betriebsmittel haben, und zwar ein höheres Preisniveau, als es allgemein in hochentwickelten Industriestaaten üblich ist.
Ich möchte das mit einem kleinen Beispiel belegen. Die deutschen Bauern haben nach dem letzten
Grünen Bericht für 1,18 Milliarden DM neue Schlepper gekauft. Die Farmer in Großbritannien hätten bei einem Bleichgroßen Kauf von Schleppern ein Drittel oder rund 350 Millionen DM am Preis gespart. Um soviel sind nämlich die Traktoren in diesem Industrieland, auch im Vergleich zu den landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen in Großbritannien, preiswerter zu kaufen als in der Bundesrepublik.
England wurde vorhin als Niedrigpreisland erwähnt. Das gibt Anlaß zu der Frage: Wie kommt es, daß die englischen Farmer wettbewerbsfähig bleiben? Warum können sie bei niedrigen Getreidepreisen eine Rentabilität erzielen? Ich darf auch das mit einem Beispiel belegen, das ebenfalls deutlich macht, daß die Unkosten in Großbritannien niedriger sind. Der englische Farmer muß, wenn er einen 33-PS-Schlepper kaufen will, bei einem Weizenpreis von 30 DM je Doppelzentner einen Weizenertrag von 233 Doppelzentnern aufwenden. Nun, meine Damen und Herren, wir haben ja in der Bundesrepublik einen höheren Getreidepreis von 42 DM je Doppelzentner, müssen aber trotzdem bei der Anschaffung eines Schleppers 309 Doppelzentner Weizen aufwenden. Ich richte wiederum an Herrn Minister Erhard die Frage, ob er die Hoffnung hat, daß wir auch in der Bundesrepublik einmal zu ähnlich günstigen Preis-Kosten-Relationen zwischen Getreide und Industrieerzeugnissen kommen könnten.
({12})
Wichtig ist also für die Zukunft - und damit möchte ich schließen -, daß wir uns wirklich bemühen, agrarpolitisch zu Taten zu kommen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eines sagen. Es ist hier heute nachmittag gelegentlich von einem Minimum der deutschen Erzeugung gesprochen worden, das man absichern sollte. Der Grüne Bericht stellt fest, daß in diesem Berichtsjahr der Anteil der Eigenerzeugung am Nahrungsverbrauch von 70 v. H. auf 65 v. H. - dann, wenn ich die ausländischen Einfuhren an Futtermitteln abrechne - zurückgegangen ist. Herr Minister, hier ist irgendwie ein Widerspruch. Sie haben in Ihrer Rede den Anteil der Eigenerzeugung am Nahrungsverbrauch mit 70 v. H. angegeben. Ich habe im Grünen Bericht die Zahl 65 v. H. gefunden. Ich möchte gerade im Hinblick auf die Sicherung der Ernährung aber auch darauf hinweisen, daß, wenn man die Fette allein nimmt - Butter herausläßt -, wir nur eine Eigenversorgung von 30 % haben.
Ich bin also der Auffassung - das ist das Anliegen unserer Fraktion -, daß wir uns bemühen sollten, die Sicherung der Ernährung aus eigener Erzeugung noch weiter zu verbessern. Meine Damen und Herren, nur ein hoher Anteil der Eigenerzeugung am Verbrauch sichert auch dem Verbraucher auf längere Sicht eine preiswerte Versorgung. Auch das sollte erkannt werden. Wir haben immer wieder die Erfahrung machen können, daß fehlende Eigenerzeugung sofort von außen her mit höheren Preisen, also mit einer höheren Verbraucherbelastung verbunden ist. Um aber zu einer solchen Entwicklung, wie ich sie hier andeutete, zu kommen, ist es
notwendig, daß sich die Bundesregierung echt bemüht, nun mit agrarpolitischen Taten zu wirken.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen ganz kurz nur zwei Anträge meiner Fraktion zu erläutern, möchte aber, um nichts im Raum stehen zu lassen, was hier zwar durch Zwischenrufe von Herrn Dr. Reinhard mit „arme Bauern" und dergleichen aufkam, aber nicht ganz geklärt wurde, einiges zur Klärung sagen. Herr Dr. Reinhard! Herr Bading meinte mit seinen Ausführungen, das will ich noch einmal erklärend sagen, daß eine Übernahme der Grundsteuer A durch den Bund deswegen nicht zweckmäßig sei, weil dann die Bauern draußen in den Gemeinden, in denen sie steuerbefreit seien, als arme Leute, sozusagen Menschen zweiter Klasse, angesehen würden. Das waren die Ausführungen von Herrn Bading.
({0})
- Nein, die keine Grundsteuer zahlen. Derjenige, der in der Gemeinde Grund und Boden hat, bezahlt auch Grundsteuer. -({1})
Es ist ja nicht möglich, daß wir uns hier per Distanz unterhalten; am besten Mikrophon, das ist immer das zweckmäßigste.
Aber auch Herrn Kollegen Logemann muß ich etwas sagen, und zwar deswegen, weil er hier ja nun freudig erregt die nötigen Argumente für den Wahlkampf in Niedersachsen zu finden glaubte. Ich habe Verständnis dafür, daß er danach greift, denn die niedersächsische Landesregierung, insbesondere der Landwirtschaftsminister, hat ihm so wenige Argumente für seine Politik in die Hand gegeben, daß er froh ist, wenn er das eine oder andere nun noch für sich bekommt. Aber zur Klarstellung - ({2})
- Selbst wenn „Vorsicht!" gerufen wird, meine Damen und Herren, zur Klarstellung. Herr Bading hat zur Verschuldung einiges gesagt. Er hat herausgestellt, daß durchaus Höfe dabei sind, die überverschuldet sind, auf der anderen Seite aber auch solche, die nicht überverschuldet sind. Er hat die Zinsbelastung der Verschuldung mit 3,8 % des Gesamtbarumsatzes angegeben. Er hat aber - das hat er vergessen zu sagen - natürlich auch die Subventionen hinzurechnen wollen, so daß, wenn man nun einmal alles sieht und auch die Leistungen des Bundes dabei berücksichtigt, eine Zinslast besteht, die durchaus zu beachten ist.
Zur Frage der Milch! Kollege Logemann, machen wir uns nicht alle Gedanken darüber, auch im Ausschuß, wie es hier in der EWG im Hinblick auf die Entwicklung der Milcherzeugung geht? Was Herr
Kollege Bading sagen wollte, das müßten Sie voll unterstützen, nämlich, daß wir einen möglichst hohen Betrag für die Werbung für den Absatz der Milch einsetzen müssen. Das geschieht bisher nicht, weder von den berufsständischen Organisationen noch im Bundesetat. Uns genügen die Mittel nicht, die zur Werbung für den Trinkmilchabsatz und für die ganze Produktion vorhanden sind. Das sollte mit seinen Ausführungen gesagt werden. Ich glaube, es ist schon richtig, das einmal zu sagen.
Es geht einfach in der Landwirtschaft nicht mit der Methode: Wir fordern den kostendeckenden Preis. Was ist denn der kostendeckende Preis? Das haben wir schon in hundert verschiedenen Variationen erzählt bekommen. Deswegen bemühen wir uns um Einkommensverbesserungen durch andere Mittel, genau wie Sie. Ich verstehe daher Ihre Vorwürfe nicht, daß der Kollege Schmidt und auch der Kollege Bading nichts über diese Einkommensverbesserung der Landwirtschaft gesagt hätten. Natürlich schlagen wir als ein Mittel die Agrarstrukturverbesserung vor. Wir glauben im ein- und mehrstufigen Verbund noch eine Chance für die Einkommensverbesserung der Landwirtschaft zu sehen. All das waren doch echte Vorschläge, Beiträge zu dieser ganzen Frage der Einkommensverbesserung der Landwirtschaft.
Ich verstehe auch nicht ganz Ihre Kritik, die fast so war, als wenn Sie in der Opposition säßen. Sie tragen ja diese Regierung und diesen Landwirtschaftsminister schon einige Jahre und müssen sich also auch dafür Kritik gefallen lassen.
Nun zu den Anträgen, die hier anstehen. Die Bundesregierung hat in den Vorbemerkungen zum Einzelplan 10 Kap. 10 02 bereits ausgeführt, daß sie sich vorbehalte, Vorschläge über Schwerpunkte zu unterbreiten. Es war gedacht an Produktivitätssteigerung, Qualitätsverbesserung, vertikale und horizontale Verbundwirtschaft. Seinerzeit - das ist ausgeführt - konnte die Bundesregierung darüber noch keine Vorschläge machen, und zwar deswegen nicht, weil die Richtung der Auswirkungen der vom Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gefaßten oder durchzuführenden Beschlüsse noch nicht zu übersehen war. Wir haben uns im Ausschuß bereits einmal darüber unterhalten, nachdem uns der Staatssekretär einen Vorschlag vorgelegt hatte, der allerdings auch beinhaltete. daß wichtige Positionen im Etat gekürzt werden sollten. Damals war eben noch nicht klar, daß 240 Millionen DM zusätzlich gegeben werden.
Um nun, klar fixiert, ein Ergebnis zu bekommen, haben wir einen Vorschlag vorgelegt, der festlegt, daß für Leistungsprüfung und Förderung von Züchtung und Saatguterzeugung 2 Millionen DM, für Qualitätskontrollen 3 Millionen DM, für horizontale Verbundwirtschaft 16 Millionen und für vertikale Verbundwirtschaft 22 Millionen DM bereitgestellt werden. Wir haben daran gedacht, daß diese Mittel größtenteils als Kredite, im kleineren Teil als Zuschüsse gegeben werden.
Wir wissen natürlich, daß es notwendig ist, auch die Brüsseler Beschlüsse zu sehen. Wir wissen aber genauso gut, daß unsere Partner in der Gemeinschaft alle Anstrengungen, auch im ein- und mehr2756
Schmidt ({3})
stufigen Verbund, machen, um nach vorne zu kommen, um stärker im Markt zu sein. Ich brauche da nur an Frankreich zu erinnern. Sowohl Herr Kollege Lücker als auch Herr Kollege Struve haben sehr eingehend und sehr instruktiv darüber gesprochen, welche Anstrengungen man dort macht und wie man durch die Gründung der Kooperativen in einem viel stärkeren Maße, als wir es überhaupt können, die Möglichkeit hat, Marktdisziplin und auch die obligatorische Beteiligung z. B. von Erzeugerverbänden in die Vertikale hinein zu steuern. Wir haben also keine Ursache, hier zu warten, und glauben deswegen, daß unser Vorschlag behandelt werden sollte. Es ist eine Selbsthilfemaßnahme des Erzeugers und ein Weg, durch Zusammenarbeit die bäuerliche Unabhängigkeit zu wahren.
Wir sind nicht der Meinung - das darf ich hier erläuternd dazu sagen -, daß andere Initiativen, etwa von privatwirtschaftlicher, privater oder kommunaler Seite, hierdurch gebremst werden sollen. Da es sich aber bei diesem Antrag eben um eine Hilfe für die Landwirtschaft handelt, muß in jedem Falle - das ist unsere Meinung - eine angemessene Beteiligung der Landwirtschaft, also der Erzeuger selbst, gesichert sein. Die hierfür notwendigen Formen werden wir dann bei der Beratung der Richtlinien mit vorlegen. Der Ausbau der horizontalen und vertikalen Verbundwirtschaft soll - und das ist es eben, Herr Logemann, was wir vorzuschlagen haben - finanziell eine Verbesserung auch der Einnahmen der Landwirtschaft bringen. Das mag nicht in jedem Fall besonders zu Buche schlagen. Eines ist aber mit Sicherheit zu erwarten. Wir bleiben durch ein breites, qualitativ hochwertiges Angebot auf die Dauer im Markt, und das erscheint mir doch besonders wichtig. Ich darf im übrigen auch die Anregung geben - das erscheint uns, der Fraktion, besonders auch für die Zukunft wichtig -, daß wir unser Genossenschaftsrecht entsprechend den modernen Gegebenheiten der Europäischen Gemeinschaft überprüfen und vielleicht auch, wenn es notwendig ist, ändern.
Nun noch ganz wenige Ausführungen zu dem Umdruck 180. Hier haben wir sowohl für den Wirtschaftswegebau als auch für die ländliche Wasserversorgung je 20 Milionen DM mehr erbeten. Wir haben uns mit unseren Freunden aus den Ländern, also mit den Landtagsabgeordneten, die noch näher an der Front stehen als wir, unterhalten und deren dringende Wünsche nun durch die Mehranforderungen zu realisieren versucht. Beide Maßnahmen sind ohne Zweifel sehr wichtig, und sie haben auch in der Vergangenheit viel Erfolg gebracht. Nun sind die Baupreise gestiegen. Darüber hinaus werden heute auch Maßnahmen, die man immer zurückgestellt hat, weil deren Durchführung besonders schwierig war, in Angriff genommen. Aus diesen beiden Gründen, wegen der Preissteigerung und wegen des Herangehens an Objekte, die besonders schwierig sind, glaubten wir, den Antrag sowohl mit 20 Millionen DM für den Wirtschaftswegebau als auch mit 20 Millionen DM für die ländliche Wasserversorgung stellen zu sollen.
Zum Schluß darf ich eine von mir bereits im Fachausschuß einmal gemachte Bemerkung wiederholen. Bei einer Reihe von Förderungsmaßnahmen sind im Grünen Plan neben den Dotierungen von Zuschüssen auch jeweils Leertitel für Darlehen ausgebracht. Hierzu ist dann erläuternd gesagt, daß das, 'was bei den Zuschüssen eingespart wird, dann bei den Darlehen zur Verfügung gestellt werden kann. Ich möchte deswegen den Herrn Minister fragen, ob ein solcher Hinweis dann notwendig ist, wenn die Bundesregierung und die Koaltionsparteien genauso wie wir davon überzeugt sind, daß im Hinblick auf die von uns allen gewünschten Verbesserungen ,der Agrarstruktur die jetzt eingesetzten Zuschüsse sowieso noch zu niedrig sind.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marquardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat in den zurückliegenden Jahren keine Debatte über den Grünen Plan gegeben, in der nicht Sprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion Kritik an den Zinsverbilligungsmaßnahmen der Bundesregierung haben üben müssen, weil diese Agrarkreditaktionen bislang höchst unzureichend waren. Wir haben es aber nicht dabei bewenden lassen, sondern wir haben - und das möchte ich ausdrücklich denen sagen, die das heute ein wenig in Abrede gestellt haben - immer wieder eigene Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Man möge es in den Protokollen dieses Hohen Hauses und in den Ausschußprotokollen nachlesen!
Nun können wir heute, Herr Minister, mit einiger Genugtuung feststellen, daß sich die Bundesregierung in ihrem Tun auf diesem Teilgebiet der Agrarpolitik wenigstens nach und nach unseren Vorschlägen ein wenig angenähert hat. Das ist sehr schön. Nur ist es mit dem Bedauern zu verbinden, daß wir viel kostbare Zeit in der Anpassung an die europäische Entwicklung verloren haben. Wir begrüßen diesen Fortschritt ausdrücklich, der - nur zur Erinnerung - insbesondere darin liegt, daß wir in erhöhtem Maße vom Objektkredit zum Hofkredit übergegangen sind und daß wir dadurch die uns allen leidige Töpfchenwirtschaft ein wenig haben einengen können. Auch halten wir das für richtig, was im letzten Jahr weiter geschehen ist, nämlich die rückwirkende Senkung bereits verbilligter Hofkredite auf ein gleiches Zinsniveau und die Einbeziehung bisher unverbilligter Investitionskredite in die Kreditverbilligung. Insoweit - mit dieser Einschränkung - stimmen wir also mit der Bundesregierung überein. Wir hoffen sogar, daß sich diese Übereinstimmung auch erstrecken wird oder erstrecken läßt auf den Antrag, 'den ich zu begründen habe, nämlich auf den Antrag auf Umdruck 182 *).
Wenn ich mir die Ausführungen des Ministers vom 8. Februar und die Meinungsäußerungen einiger Kollegen aus der Koalition hier oder außerhalb des Hohen Hauses vor Augen führe, meine ich, es
*) Siehe Anlage 8
müßte ein Weg gefunden werden. Allerdings hat der Minister am 8. Februar nicht gesagt, welche Vorstellungen er für die Zukunft auf idem Kreditsektor hat und welchen Mehrbetrag er noch für 1963 einzusetzen gedenkt. Deshalb unser Vorschlag.
Wir wünschen, daß die Zinsverbilligungsmittel zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der landwirtschaftlichen Betriebe um 50 Millionen DM verstärkt werden, damit wenigstens einige der noch bestehenden ärgsten Lücken in den Vergabemöglichkeiten geschlossen werden können.
Weil wir nicht alles Nötige regeln und verbessern können, sollen diese zusätzlichen Mittel in Höhe von 50 Millionen DM im besonderen zwei Zwecken dienen. Wir wollen sie zunächst benutzt sehen zur Umwandlung kurzfristiger, aber hochverzinslicher Verbindlichkeiten in mittel- oder langfristige Darlehen mit einem verbilligten Zinssatz, und zwar im Rahmen der Hofkreditaktion. Das zum Genossen Ertl!
({0})
Ich will hier nicht meine Ausführungen von vor einem Jahr wiederholen. Ich will nur eines sagen: wir sind nach wie vor der Ansicht, daß eine solche Teilumschuldung oftmals erst die Möglichkeit für ein wirtschaftliches Arbeiten und vor allem für .den Einsatz von Rationalisierungkrediten zur Rentabilitätsverbesserung schafft.
Herr Kollege Ertl, da auch Sie nicht vorgetreten sind - das scheint in der Koalition so Mode zu werden -, ,habe ich nicht ganz verstanden, was Sie jetzt gemeint haben. Vielleicht können Sie das nachher noch sagen.
({1})
- Ach Gott, in Niedersachsen klappt das doch eigentlich ganz gut.
({2})
Aber eines lassen Sie mich sagen, Herr Kollege Ertl. Diese Teilumschuldung - und das sagen wir ganz bewußt - soll nicht zu einer Generalkonsolidierung führen. Hier sind wir mit dem Minister völlig einig. Wir sind der Meinung, daß für eine solche Generalumschuldung weder eine Notwendigkeit noch eine Veranlassung besteht, wenngleich - das wissen wir alle - die Belastungen recht erheblich sind.
Gerade weil dem so ist, weil wir nur einen kleinen Teilkomplex herausgreifen können, wollen wir die Teilumschuldung von gewissen Kriterien abhängig machen. Erstens soll sie im Rahmen eines Hofgesamtkredites - in Stufen - unter Zugrundelegung eines betrieblichen Entwicklungsplans erfolgen. Zweitens - nun, da ist man sich wohl sehr schnell einig - soll sie sich nur auf entwicklungsfähige und gut geleitete Betriebe beziehen. Drittens soll der Anschluß an eine Wirtschaftsberatung obligatorisch gemacht werden. Das hört sich zweifellos hart an.
({3})
- Genau das hatte ich erwartet, Herr Kollege Brese. Jetzt kommt der Einwand von einigen - es sind Gott sei Dank sehr wenige -, daß das die bäuerliche Eigenverantwortlichkeit und die Entscheidungsfreiheit zu sehr einengen würde.
({4})
Aber lassen Sie sich 'sagen: die praktischen Erfahrungen, die beispielsweise in Niedersachsen mit diesem Anschluß an eine Wirtschaftsberatung gemacht worden sind, sprechen entschieden gegen Ihre Ansicht.
({5})
- Herr Kollege Brese, ich kann das hier nicht in aller Breite ausführen; wir können uns im Ausschuß darüber unterhalten. Aber ich meine, wenn wir schon öffentliche Mittel für einen bestimmten Zweck einsetzen, und zwar ganz erhebliche öffentliche Mittel, dann sollten sie so nutzbringend und so erfolgreich wie nur irgend möglich eingesetzt werden. Darauf, daß das so geschieht, hat nicht nur der Steuerzahler einen Anspruch, sondern das liegt auch im Interesse der Landwirtschaft selbst. Die kontrollierte und damit Fehlinvestitionen weitgehend ausschließende Kreditvergabe nimmt etwas von der leider Gottes bestehenden landläufigen Meinung, daß alles Geld, was der Landwirtschaft zugute komme, schließlich in ein Faß ohne Boden fließe. Dem wollen wir ein wenig das Odium nehmen.
Der zweite Zweck unseres Antrages ist die Eröffnung der Möglichkeit, Pachtbetrieben aus Bundesmitteln direkte Darlehen zu geben. Sie wissen, das ist schwierig. Aber Sie wissen auch, die Pachtbetriebe sind bisher bei der Zinsverbillgung erheblich benachteiligt, weil sie eben nicht die Beleihfähigkeit haben, wie es bei Hofeigentum der Fall ist. Andererseits sind viele Pächter besonders tüchtige und fähige Landwirte, die es zu erhalten und zu unterstützen gilt. Diesen Pachtbetrieben wollen wir gleiche Chancen einräumen. Das geht letztlich nur durch direkte Darlehen oder aber über die Form von Bürgschaften durch die öffentliche Hand.
Natürlich ist der Komplex Agrarkredit noch viel weiter ausbaufähig, vor allem erheblich erweiterungs- und verbesserungsfähig, als dies mit Hilfe des Ihnen vorliegenden Antrages geschehen kann. Meine Fraktion hat sich mit dem Antrag auf das zur Zeit unbedingt Notwendige beschränkt. Wir bitten Sie, in den Ausschüssen und schließlich bei der Endabstimmung in diesem Hohen Hause Ihre Zustimmung zu unserem Vorhaben nicht zu versagen.
({6})
Das Wort hat Herr Abgeordnete Berberich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen haben dem Hohen Hause einen Antrag auf Änderung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vorgelegt. Ein Antrag hierzu liegt auch von seiten der SPD-Fraktion vor. Ich möchte mich aber zunächst
I einmal nur mit dem beschäftigen, was wir selbst zu dieser Frage zu sagen haben.
Sozialpolitische Fragen in der Landwirtschaft stehen ja nicht erst seit gestern oder vorgestern, sondern seit vielen Monaten im Vordergrund des öffentlichen Interesses. Je nachdem, von welcher Seite diese Anträge kommen oder von wem sie in die Öffentlichkeit gebracht werden, ist das Presseecho mehr oder weniger freundlich. Ich glaube, daß sich sehr viele unserer Presseleute, die so heftig die sozialen Fragen und sozialen Forderungen der Landwirtschaft kritisieren, manchmal gar nicht die Mühe gemacht haben, sich die soziale Lage der Landwirtschaft wirklich vor Augen zu halten. Dann müßte nämlich eigentlich ein Großteil dessen, was veröffentlicht wird, etwas anders aussehen. In Presseveröffentlichungen wird z. B. darauf hingewiesen, die Landwirtschaft melde wieder einmal ungeheure Forderungen auf sozialem Gebiet an und sie wolle damit nur auf der Tasche des Steuerzahlers liegen; sie sei nicht bereit, eigene Leistungen zu erbringen, um ihre soziale Sicherheit einigermaßen zu gewährleisten. Ich glaube, daß solche Diskussionen weitgehend an den Realitäten des Tages in der Landwirtschaft vorbeigehen.
Es wäre der Landwirtschaft und vor allem ihren Sprechern viel angenehmer, wenn sie diese Forderungen an die öffentliche Hand, an den Staat nicht stellen müßten, sondern wenn sie auf Grund ihrer eigenen Einkommenslage und Einkommensentwicklung in die Lage versetzt würden, das aus ihrer Tasche zu zahlen, was man in der Landwirtschaft an sozialen Sicherheiten für notwendig hält. Ich bin darüber hinaus aber auch der Meinung, daß man bei solch kritischen Betrachtungen über Forderungen der Landwirtschaft auf sozialem Gebiet in der Öffentlichkeit sich etwas mehr Mühe machen sollte, auch die Forderungen zu beachten, die wir als eine selbstverständliche Leistung des Staates für andere sozialpolitische Träger gewährleisten. Ich will gar nichts gegen diese Leistungen sagen, ich bin nur der Meinung, daß man nicht einfach in der Öffentlichkeit feststellen kann: an dieser oder jener Stelle werden von seiten des Staates soundso viel Prozent an sozialen Zuschüssen gewährt. Wenn man schon einmal von Zahlen reden will, müßte man auch einmal die Beträge nennen, die in den Einzelfällen effektiv aufgewendet werden.
Wenn ich mir einmal die Übersicht über die ersten vier Jahre der Laufzeit des Altershilfegesetzes in der Landwirtschaft ansehe, stelle ich fest, daß die Landwirtschaft 59 % der Leistungen aus ihren eigenen Beiträgen aufgebraucht hat und daß rund 41 % Zuschüsse des Staates sind. Das ist, prozentual ausgedrückt, eine sehr respektable Leistung des Staates. Bei der Umrechnung dieser Leistung auf die Zahl der Altershilfeempfänger und auf den durchschnittlichen Betrag, der pro Altershilfefall gezahlt wird, ergibt sich im Durchschnitt der Fälle ein Betrag von 41 DM und betragen die staatlichen Zuschüsse pro Monat und Altershilfefall im Durchschnitt rund 17 DM. Das wollte ich zu Beginn einmal mit in die Debatte werfen, um den Nimbus zu zerstören, den diese Prozentzahlen in der Zwischenzeit in manchen Gehirnen bekommen haben.
Meine Damen und Herren, warum ist eigentlich in der Landwirtschaft ein sogenanntes soziales Unbehagen vorhanden? Die heutige Diskussion hat gezeigt, daß die Landwirtschaft in der allgemeinen Entwicklung mit der übrigen Wirtschaft im Lohn- und Preisgefüge nicht Schritt halten konnte. Hier sind nicht die Gründe für diese Entwicklung zu untersuchen, aber die Tatsache steht einwandfrei fest, daß die Landwirtschaft zu dieser Leistung nicht in der Lage war, und zwar nicht etwa deshalb, weil sie nicht bereit gewesen wäre, 'entsprechende Produktivitätssteigerungen vorzunehmen. Die Zahlen, die Herr Kollege Lücker vorhin genannt hat, sprechen eine eindeutige Sprache dafür, daß die Landwirtschaft sehr wohl in der Lage und auch bereit war, ihre Produktion zu steigern. Es steht aber fest, daß der Einkommensabstand in der Landwirtschaft gegenüber den übrigen Berufen im Laufe der letzten Jahre nicht geringer, sondern größer geworden ist.
Wenn nun auch die Landwirtschaft Forderungen sozialer Art stellt, so stehen diese Forderungen nicht für sich allein und werden nicht an Stelle von wirtschaftlichen Forderungen erhoben. Die sozialen Sicherungen für die Landwirtschaft Sind vielmehr, wie wir meinen, neben den wirtschaftlichen Maßnahmen notwendig. Es wird nicht möglich sein, für die Landwirtschaft innerhalb der EWG in der Zukunft die nötigen Existenzvoraussetzungen zu schaffen, wenn man nur das eine oder das andere tut. Beide Maßnahmen müssen vielmehr zusammenkommen.
In der Diskussion wurde auch auf das Ernährungssicherstellungsgesetz hingewiesen. Wenn wir das Ernährungssicherstellungsgesetz als eine Notwendigkeit für den Ernstfall ansehen, müssen wir auch die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir in Zukunft überhaupt noch Betriebsnachfolger haben, die bereit sind, landwirtschaftliche Betriebe zu bewirtschaften, um die Ernährung in Krisenzeiten sicherstellen zu können. Es ist notwendig, diese Zusammenhänge einmal mit aller Deutlichkeit aufzuzeigen.
Für den bäuerlichen Nachwuchs geht es nicht allein darum, höhere Verdienste oder einen freien Samstag oder Sonntag zu haben, was in der Landwirtschaft sowieso nicht möglich ist, sondern es geht bei der Abwanderung unserer nachwachsenden Generation weitgehend darum, daß man nicht bereit ist, mit der Unsicherheit in die Zukunft hineinzugehen, ob später eine Alterssicherung vorhanden sein wird.
Meine Damen und Herren, wir sind uns dabei absolut darüber im klaren, daß unser Vorschlag zur Änderung des Altershilfegesetzes nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Über unseren Vorschlag hinaus wird es sicherlich notwendig sein, wenn nicht heute oder morgen, aber im Verlauf der Entwicklung zu weitergehenden Maßnahmen zu kommen,
Meine Kollegen von der SPD haben es hier in ihrer Antragstellung vielleicht etwas leichter.
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- Herr Kollege Schmidt, Sie sagen „oh", aber ich glaube, Sie sind denselben Meinung wie ich. Wir müssen uns ja schließlich zunächst einmal mit dem Finanzminister ins Benehmen setzen, welche Vorstellungen sich im Rahmen der allgemeinen Haushaltslage des Bundes verwirklichen lassen.
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- Herr Kollege Frehsee, ich weiß nicht, auf welche der Silben Sie die Betonung legen wollen, und möchte deshalb die Dinge nicht weiter ausspinnen. Aber auf jeden Fall steht fest, daß wir als Landwirte sehr wohl Verständnis dafür haben, daß in der Landwirtschaft über das hinaus, was wir beantragt haben, eine Reihe von Wünschen vorhanden sind.
Wir sind bereit, bei den Verhandlungen im Ausschuß darüber zu diskutieren, welche weiteren Verbesserungen nicht nur in bezug auf das, was von seiten der SPD beantragt worden ist, möglich sind, sondern auch hinsichtlich von Verbesserungen sonstiger Art, die an manchen Stellen noch angebracht werden können. Wir sind jedem dankbar - ganz gleichgültig, ob es Opposition oder Koalition, ob es Bundesarbeits- oder Bundeslandwirtschaftsministerium ist -, der Verbesserungsvorschläge vorbringt, die sich im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten bewegen.
In der Diskussion wurde ausgeführt, daß die Verbesserung der Lage in der Landwirtschaft in der Hauptsache von der Kostenseite her erfolgen müßte. Gerade von diesen Erwägungen ausgehend sieht ja unser Vorschlag keine höhere Beteiligung derjenigen vor, die verpflichtet sind, die Beiträge für das Altersgeld aufzubringen. Wir sind nämlich der Überzeugung, daß wir sehr viele unserer mittel- und kleinbäuerlichen Betriebe nicht mehr höher mit Sozialbeiträgen belasten können. Im klein- und mittelbäuerlichen Betrieb schlagen eben Summen von 12, 15 und 20 DM sehr viel mehr zu Buch und werden sehr viel stärker gewertet, als das leider Gottes in weiten Kreisen unseres Volkes heute der Fall ist. Die Landwirtschaft weiß genau, daß sie nicht allein im Raume steht und daß sie nicht allein Forderungen an die Öffentlichkeit stellen kann. Aber sie weiß auch, daß sie ein Teil des Volksganzen ist und deshalb mit Recht die Erwartung aussprechen darf, daß auch ihr auf sozialem Gebiet der Rahmen gewährt wird, der notwendig ist, um in Zukunft für die bäuerliche Familie die Existenzmöglichkeit im Alter sicherzustellen.
Auf die verschiedenen Vorschläge, die sowohl vom Sozialpolitischen Ausschuß des Deutschen Bauernverbandes wie auch von der SPD in ihrem vor wenigen Tagen verkündeten Sozialplan erarbeitet worden sind, will ich nicht eingehen. Sicher
wird mein Kollege Frehsee noch Ausführungen zu diesem Sozialplan der SPD machen, und wir werden in der allgemeinen Diskussion noch die Möglichkeit haben, uns mit diesen Dingen zu beschäftigen und vielleicht auch kritisch damit auseinanderzusetzen. Wir selbst halten zunächst einmal als erste der Maßnahmen, die uns auf sozialem Gebiet notwendig erscheint, die Erhöhung des Altersgeldes von 60 auf 100 DM bzw. von 40 auf 65 DM für wichtig und haben einen entsprechenden Antrag gestellt. Außerdem wollen wir die Erwerbsunfähigkeit in den Schutz des Altershilfegesetzes einbeziehen. Dabei halte ich es für ein berechtigtes Anliegen, daß man auch die Frage der Witwenversorgung im Rahmen der Neuregelung aufgreift und befriedigend löst. Das halte ich im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten für durchführbar.
Sicherlich wird im Verlauf der Diskussion in den Ausschüssen noch eine Reihe von Fragen auf uns zukommen, über die wir uns aussprechen müssen. Ich darf nur einige ansprechen. Es sind die Verbesserungen des Altershilfegesetzes in einer Reihe von Härtefällen. Es würde zu weit führen, auf die Einzelheiten einzugehen. Wir haben immer wieder Beschwerden aus den Kreisen bekommen, die bei Inkrafttreten des Altershilfegesetzes wegen Rentenbezugs von der Beitragspflicht freigestellt waren. Dabei geht es um ein finanzielles und ein rechtliches Problem. Darüber hinaus wird man verschiedene Fragen aufgreifen müssen, die sich im Zusammenhang mit der Neuregelung und der Inkraftsetzung am 1. Januar 1962 ergeben, weil sich bei der Durchführung unbeabsichtigte Härten herausgestellt haben, die damals, bei der Schaffung des Gesetzes, nicht vorausgesehen wurden.
Heute wurden auf wirtschaftlichem Gebiet so viele Vergleiche mit den uns umgebenden Staaten, auch mit den Staaten der EWG, angestellt. Werfen wir hinsichtlich der sozialen Frage in der Landwirtschaft einmal einen Blick über die Grenze nach Frankreich! Dort sind die Aufwendungen des Staates für die soziale Sicherheit enorm hoch. Man spricht immer wieder von Wettbewerbsverzerrungen. Frankreich schafft auf dem Umweg über soziale Zuwendungen an seine Landwirtschaft eine neue Wettbewerbsverzerrung auf dem internationalen Markt. In Italien ist der Staat auf dem besten Wege, dasselbe zu tun. In Osterreich, das nicht im Rahmen der EWG mit uns verbunden ist, aber ein angrenzendes Land ist, schießt der Staat für jede Mark, die für die Altersversorgung der Landwirtschaft aufgewandt wird, ebenfalls eine Mark zu.
Wegen der vorgeschrittenen Zeit und um Sie nicht übermäßig zu strapazieren, möchte ich zum Schluß kommen. Wir werden uns in der Ausschußberatung mit Ihren Anträgen kritisch auseinandersetzen. Ich hoffe, daß wir in der Ausschußberatung gemeinsam zu einem tragbaren und, soweit es überhaupt möglich ist, allseits befriedigenden Ergebnis kommen werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Ich habe die Absicht, im Rahmen dieses Diskussionsbeitrages gleichzeitig die Umdrucke 178 und 179 *) zu begründen - wenn Sie einverstanden sind - und ferner den unter Punkt 6 c aufgeführten Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Gesetzes über eine Altershilfe _für Landwirte; das ist die Drucksache IV/901.
Gut!
Auch ich möchte mich mit dem Thema beschäftigen, mit dem sich mein verehrter Vorredner, der Herr Kollege Berberich, soeben beschäftigt hat, mit der Frage der sozialen Sicherung der in der Landwirtschaft tätigen Selbständigen und ihrer mithelfenden Familenangehörigen -, ausschließlich mit der sozialen Sicherung der Bauern und Landwirte und ihrer mithelfenden Familienangehörigen; ich sage das gleich zu Beginn so nachdrücklich. Es handelt sich um Vorschläge, die wir für die Selbständigen machen wollen, nicht um Vorschläge für die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer.
Das Problem hat heute schon eine Reihe von Diskussionsrednern beschäftigt, auch den Herrn Bundesminister in seiner Antwort auf die Große Anfrage der Fraktionen der FDP und der CDU/CSU. Einige Herren haben sich positiv mit diesen Dingen befaßt. Herr Logemann hat eine negative Bemerkung gemacht. Ich darf mich gleich einmal mit dieser Bemerkung des Kollegen Logemann befassen, der im Augenblick, wie ich sehe, wohl nicht da ist; vielleicht berichten Sie ihm, was ich dazu zu sagen habe. Es ist der gleiche Verdacht, der hier schon einmal von den Vertretern der Regierungsparteien gegenüber dem Sprecher der SPD - das war ich damals -, und zwar im Juli 1955, als wir das Landwirtschaftsgesetz berieten, geäußert worden ist, nämlich der Verdacht, wir Sozialdemokraten wollten an Stelle von Agrarpolitik ausschließlich Sozialpolitik für die Bauern und Landwirte treiben. Ähnlich hat sich heute Herr Logemann wieder geäußert. Ich muß das entschieden zurückweisen. Genau wie 1955 handelt es sich darum, den Katalog der Mittel, die in § 1 des Landwirtschaftsgesetzes aufgeführt sind, zu ergänzen. Dort heißt es, daß „mit den Mittel der allgemeinen Wirtschafts- und Agrarpolitik - insbesondere der Handels-, Steuer-, Kredit- und Preispolitik -" ein Ausgleich herbeigeführt werden soll, um die soziale Lage der in der Landwirtschaft tätigen Menschen an die vergleichbarer Berufsgruppen anzugleichen. Wir sind heute wie damals der Auffassung, daß dieser Katalog der Ergänzung durch die Sozialpolitik bedarf.
({0})
- Aber bitte, lesen Sie, Herr Kollege Bauer, der Sie damals doch auch dabei waren, einmal das Protokoll der 96. Sitzung in der 2. Legislaturperiode am 8. Juli 1955 nach. In dieser Sitzung haben wir ge-
*) Siehe Anlagen 4 und 5
nau dasselbe erklärt. Damals sind wir mit Hohn und Spott übergossen worden,
({1})
als wir der Landwirtschaft mit sozialpolitischen Mitteln - - Sie schütteln den Kopf, Herr Struve. Schütteln Sie nicht den Kopf! Der damalige Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mir vorgeworfen, daß ich ein Sammelsurium von Mitteln gebracht hätte, mit denen wir die Landwirtschaft abspeisen wollten. Frau Kollegin Kalinke, die ja heute noch in unserer Mitte ist, hat ganz höhnisch davon gesprochen, ob wir wohl eine Sozialreform für die Landwirtschaft machen wollten an Stelle einer Agrarreform. In einer Zwischenfrage hat sie mich dann am 8. Juli 1955 gefragt - ich darf wörtlich zitieren, Herr Präsident -: „Sind Sie der Meinung, daß ein Landwirtschaftsgesetz dafür sorgen soll, daß selbständige und freie Bauern auf ihren Höfen Fürsorgeempfänger werden?" Ich könnte diese Beispiele beliebig fortsetzen. Der Kollege Fassbender hat damals in dem Sinne, wie das heute hier schon geäußert worden ist - allerdings heute wesentlich abgewandelt gegenüber diesen Ausführungen von nunmehr fast acht Jahren -, gesagt: „Wie ändert man das - nämlich die unbefriedigende Lage der Landwirtschaft -? Indem man für die Produkte der bäuerlichen Bevölkerung die Preise zu zahlen sich bereit erklärt, die ihr zustehen, um das Sozialgefüge auf dem platten Lande so gestalten zu können, wie wir es für notwendig halten, damit eine Ausgeglichenheit im gesamten deutschen Volkskörper vorhanden ist." Er hat damit eben den Verdacht zum Ausdruck bringen und die Sozialdemokratische Partei und ihre Bundestagsfraktion in den Augen der bäuerlichen Bevölkerung diskriminieren wollen, indem er sagte: Die wollen euch alle mit sozialpolitischen Almosen abfinden; die haben im übrigen keine andere agrarpolitische Konzeption.
Das gleiche gilt heute noch. Ich wäre glücklich gewesen, wenn der Kollege Berberich schon damals im Bundestag gewesen und die Ausführungen gemacht hätte, die er heute gemacht hat. Wir sind froh darüber, daß Sie nun so weit sind. Es hat lange gedauert; es hat acht Jahre dauern müssen, bis Sie so weit gekommen sind. Aber nun sehen Sie es endlich ein, und wir begrüßen das aus tiefstem Herzen, wenngleich nicht mißzuverstehen ist - ({2})
- Sehen Sie sich bitte einmal unseren Entschließungsantrag an, Herr Kollege Brese. Dort wird gefordert, daß von der Bundesregierung ein Entwicklungsplan vorgelegt wird, in dem struktur-, kredit-, sozial- und marktpolitische Maßnahmen vorgesehen sind. Wir haben uns also damit begnügt, die sozialpolitischen Maßnahmen an dritter Stelle zu nennen.
Die Landwirtschaft hat die Probleme der Technisierung und der Mechanisierung, vor die sie gestellt worden ist, in den vergangenen zehn Jahren dieser technischen und industriellen - - Wollen Sie eine Frage stellen, Herr Kollege Brese? - Bitte schön!
Bitte zu einer Zwischenfrage.
Sie sprechen von marktpolitischen Maßnahmen. Da denke ich an den letzten Donnerstag.
({0})
- Ja, ich frage. Wie stehen Sie zu den Ausführungen von Herrn Erler und dem Beifall Ihrer Partei, als er zur Bundesregierung sagte: „Wer exportieren will, muß auch importieren. Das ist das Einmaleins der Wirtschaftspolitik." Daran stoßen sich aber die marktpolitischen Maßnahmen.
({1})
Herr Brese, im übrigen - Brese ({0}) : Sie sind es doch, die stets für Importe eingetreten sind!
Meine Damen und Herren, es ist sehr interessant, zu debattieren, und es wäre ein großer Fortschritt des Hauses, wenn wir das mehr tun könnten. Aber die Einrichtung ist noch immer nicht danach. Fahren Sie deshalb bitte fort!
Abgesehen von den Antworten, die Sie bereits von meinen Fraktionskollegen bekommen haben, Herr Brese, müßten Sie sich mit dieser Frage auch an einen großen Teil Ihrer eigenen Fraktion wenden.
({0})
Aber es handelt sich da nicht um marktpolitische, sondern um handelspolitische Probleme, wie sicher auch Sie es verstanden wissen wollten. Marktpolitik geht mehr auf vertikale oder horizontale Integration und Absatzförderung und solche Dinge hinaus. Das sind die Maßnahmen, die wir in unserem Entschließungsantrag gemeint haben, die sicherlich ihre Bedeutung haben.
Ich darf zum Thema zurückkommen. Nicht nur Sie, meine Damen und Herren, die Sie innerhalb der Regierungsparteien die Landwirtschaft vertreten, sondern die Landwirtschaft ganz allgemein - das ist zuzugeben - hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Probleme dieser technischen und sozialen Revolution in erster Linie mit den Mitteln der Preispolitik gelöst werden könnten. Sie haben es mittlerweile erfahren, daß es allein mit den Mitteln der Preispolitik, wie wir es von Anfang an gesagt haben, auf die Dauer nicht zu machen ist.
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Nun haben wir in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft das höchste Getreidepreisniveau und wegen der Interdependenz der Preise insgesamt auch das höchste Agrarpreisniveau. Was den Erzeugerpreis betrifft, so trifft das übrigens auch für die Milch zu. Nur bei dem Verbraucherpreis ist es anders. Das ist ein Kompliment für die Handels- und
und Verarbeitungsstufe, für die Molkereien, die in Deutschland sehr rationell arbeiten.
Wir haben das höchste Agrarpreisniveau. Trotzdem hat uns der Grüne Bericht 1963 das erschütternde Ergebnis auf den Tisch gelegt, daß die Einkommen der in der Landwirtschaft Tätigen um 38 % hinter den Einkommen der gewerblichen Arbeitnehmer zurückliegen, die auf dem Lande, im Dorf Tür an Tür und Haus an Haus mit den Bauern zusammenleben. Wenn Sie es noch einmal in Zahlen hören wollen: Die gewerblichen Arbeitnehmer haben im Wirtschaftsjahr 1961/62 ungefähr 6000 DM verdient, während die Einkommen in der Landwirtschaft zwischen 3700 und 3800 DM lagen, also rund 2300 DM weniger im Jahr betrugen.
Warum hat sich die Landwirtschaft so verhalten? Weil eben diese Voreingenommenheit gegen alles Soziale bestand. Das Soziale war leider Gottes, zum Unglück für die Landwirtschaft, für die Masse der deutschen Bauern und Landwirte - Sie haben sich zu dieser Masse bekannt; ich kann Ihnen das insofern vielleicht nicht übelnehmen; aber als Politiker muß man etwas weiter in die Zukunft sehen - bis in die jüngste Vergangenheit tabu. Das Soziale war für die Bauern und Landwirte häufig gleichbedeutend mit sozialdemokratisch oder, noch schlimmer,
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mit eigentumsfeindlich oder religionsfeindlich.
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Mindestens war es anstößig und nicht standesgemäß. Deswegen haben Sie es wohl auch 1955 bei der Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes weit von sich gewiesen, die Sozialpolitik in den Katalog der Mittel des § 1 aufzunehmen.
Wir begrüßen es, wir sind wirklich glücklich darüber, daß sich im Jahre 1962 ein grundlegender Wandel vollzogen hat. Wir gratulieren jenen Männern im Deutschen Bauernverband, die den Mut aufgebracht haben - und ich weiß, daß Mut dazu gehört hat -, dieses Tabu zu brechen.
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Diese Männer beriefen sich auf die guten Erfahrungen mit dem nun seit 51/2 Jahren in Kraft befindlichen Gesetz über die landwirtschaftliche Altershilfe, und sie beriefen sich auf die, wie wir auch heute gehört haben, viel weiterentwickelte landwirtschaftliche Sozialpolitik in den anderen EWG-Ländern und forderten - vorsichtig immer unter dem Motto „Wettbewerbsgleichheit" und „Herstellung gleicher Startbedingungen" - zunächst den Ausbau der landwirtschaftlichen Altershilfe durch Erhöhung des Altersgeldes - wie wir es soeben von dem Kollegen Berberich gehört haben -, durch die Einbeziehung der Invalidität - landläufig spricht man von Invalidität, meint aber, wie ich Ihnen, Herr Kollege Horn, als sozialpolitischem Fachmann sagen möchte, die Erwerbsunfähigkeit -, forderten auch die Verbesserung des Unfallschutzes. Das ist zuzugeben.
Vor wenigen Wochen, am 18. Januar, beschloß die Jahresmitgliederversammlung des Deutschen Bauernverbandes hier in Bonn einen landwirtschaft2762
lichen Sozialplan, von dem der Kollege Reinhard im DUD, im Pressedienst der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union behauptet, daß wir ihn abgeschrieben hätten. Nun, im Ernst wird Ihnen niemand abnehmen, daß wir den Sozialplan des Bauernverbandes abgeschrieben hätten. Ich darf Ihnen verraten, daß der landwirtschaftliche Sozialplan der Sozialdemokratischen Partei, der vorgestern erstmals der Öffentlichkeit vorgelegt worden ist, zu der Zeit, als sich der Bauernverband mit diesen Plänen befaßte, schon feststand. Aber es ist richtig, daß alles das, was in dem landwirtschaftlichen Sozialplan des Deutschen Bauernverbandes steht, auch in den landwirtschaftlichen Sozialplan der Sozialdemokratischen Partei Eingang gefunden hat. Es ist sogar noch eine ganze Menge mehr drin, aber nicht um mehr zu bieten, sondern nur deswegen, weil schon die Zusammenfassung all der vielen Vorschläge, die wir in den Jahren seit Bestehen des Bundestages bei vielen verschiedenen Gelegenheiten gemacht haben - und nur um eine solche Zusammenfassung handelt es sich bei dem landwirtschaftlichen Sozialplan der SPD eigentlich -, weit über das hinausgeht, was der Deutsche Bauernverband gefordert hat. Beispielsweise fordern wir die Einführung des vollen Krankheitsschutzes für den Bauern und den Landwirt und ihre mithelfenden Familienangehörigen. Wir sind hier also einer Meinung mit dem Bundeskanzler, der am 6. Februar erklärt hat, daß von drei selbständigen Landwirten zwei gesundheitlich nicht in Ordnung sind. Das hat ein wissenschaftlicher Forschungsauftrag ergeben, den die Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie in zwei Kreisen der Bundesrepublik ausgeführt hat. 67 % der untersuchten Bauern und Landwirte und ihrer Ehefrauen und der mithelfenden Familienangehörigen waren nicht gesund. Das hat der Herr Bundeskanzler am 6. Februar ebenfalls gesagt. Dieses Ergebnis steht übrigens schon lange fest. Ich habe schon bei vielen Gelegenheiten selber konkrete Anträge dieserhalb gestellt. Nun kommen sie in diesem Sozialplan wieder.
Ausgangspunkt dieser Vorschläge, die wir als landwirtschaftlichen Sozialplan bezeichnen, ist das spezifische Schutzbedürfnis der Bauern und Landwirte und ihrer mithelfenden Familienangehörigen. Während sie im normalen Lebensgang die gleiche Fürsorge der Allgemeinheit und des Staates genießen sollten wie die anderen Berufsgruppen, beispielsweise Kindergeld und Ausbildungsbeihilfen, Arbeitsvermittlung, Mutterschaftsgeld, sozialer Wohnungsbau, verlangt nach Meinung der sozialdemokratischen Fraktion die Selbständigkeit bäuerlichen Wirtschaftens, die Eigenart dieses Berufes besondere Regelungen für die soziale Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens.
Wir halten es deswegen nicht für zweckmäßig, die bäuerlichen Familienarbeitskräfte in die Versicherungspflicht der RVO, also in die klassische gesetzliche Krankenversicherung, einzubeziehen. Wir schlagen in Anlehnung an die Anregungen der Agrarsozialen Gesellschaft, an denen wir auch beteiligt sind, wie auch einige von uns - Herr Dr. Reinhard, Herr Bading und ich - Mitglieder des
Kuratoriums der Agrarsozialen Gesellschaft sind, eine besondere landwirtschaftliche Versicherungsanstalt vor, für die sich die Bezeichnung „Landwirtschaftliches Sozialwerk" anbietet. Die bisherigen Träger der sozialen Sicherung der in der Landwirtschaft tätigen Selbständigen, als da sind die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, die landwirtschaftlichen Alterskassen und die Landkrankenkassen, sollen zu einer engen Arbeitsgemeinschaft zusammengefaßt werden. Diese Zusammenfassung wird vermutlich regionale Neuabgrenzungen erforderlich machen. Wir sind schon bereit, zuzugestehen, daß selbst überkommene und organisch entwickelte Grenzen und Aufgaben berücksichtigt werden. Aber es muß natürlich bei Gründung einer solchen Arbeitsgemeinschaft der Zweckmäßigkeit, der optimalen Wirksamkeit und der Verwaltungskostenersparnis der Vorrang zukommen.
Mit der Errichtung dieses Landwirtschaftlichen Sozialwerks in allen Teilen der Bundesrepublik wäre auch die alte Forderung der Landwirtschaft nach Errichtung von Landkrankenkassen in jenen Ländern und Landesteilen erfüllt, in denen solche Kassen bisher nicht bestehen. In diesem Sozialwerk, in diesem einheitlichen landwirtschaftlichen Versicherungsträger sollen dann die selbständigen Landwirte und ihre mithelfenden Familienangehörigen bei Krankheit und Unfall und ihren Folgen wie Erwerbsunfähigkeit und im Alter sozial gesichert werden.
Die Leistungen des Sozialwerks im Krankheitsfalle sollen im allgemeinen den gesetzlichen Leistungen der klassischen sozialen Krankenversicherung entsprechen. Auf Krankengeld kann naturgemäß verzichtet werden. Jedoch sollte die Satzung dieses Sozialwerks die Möglichkeit der Gestellung von Hilfspersonal bei langfristiger Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit vorsehen. Um das deutlich zu machen: Wenn die Bäuerin in einem mittelbäuerlichen landwirtschaftlichen Familienbetrieb schwer erkrankt ist, dann soll das Sozialwerk diesem Betrieb eine Familienpflegerin zur Verfügung stellen können. Das muß man eben finanziell sichern.
Eine wichtige Aufgabe dieses Landwirtschaftlichen Sozialwerks als der umfassenden allgemeinen Selbstverwaltungsinstitution der bäuerlichen sozialen Sicherung in der Rechtsform der öffentlich-rechtlichen Körperschaft wird auch die Sorge für die Sicherstellung einer ausreichenden Zahl von Arztsitzen, Hebammensitzen, Schwesternstationen und von leistungsfähigen Krankenhäusern in erreichbarer Nähe und dazu die eben erwähnte Anstellung von Dorf- und Familienpflegerinnen sein.
Nun zur Unfallversicherung. Die Unfallrenten der selbständigen Landwirte werden zur Zeit auf der Grundlage eines willkürlich festgesetzten sogenannten durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienstes berechnet, der bei den einzelnen Berufsgenossenschaften verschieden hoch festgesetzt ist, und zwar zwischen 2070 und 3240 DM; im Durchschnitt beträgt er zur Zeit 2700 DM. Unsere Vorschläge sehen eine Heraufsetzung der festgesetzten Jahresarbeitsverdienste auf die durchschnittlichen tatsächlichen JahFrehsee
resarbeitsverdienste der landwirtschaftlichen Lohnarbeitskräfte und damit eine Angleichung der Unfallrenten der Familienarbeitskräfte an die der Landarbeiter vor.
Die im Zusammenhang mit den Regierungsvorschlägen zur Neuregelung des Rechts der Unfallversicherung diskutierte Abfindung kleinerer Unfallrenten ist für die Selbständigen der Landwirtschaft unter anderen Aspekten zu sehen als bei den Arbeitern und Angestellten. Der Akzent hat hier nicht so sehr auf Abfindung kleiner Renten im Interesse einer finanziellen Entlastung der Landwirtschaft zu liegen; es soll vielmehr die Möglichkeit der Kapitalisierung kleinerer Unfallrenten geschaffen werden, wenn eine solche Kapitalisierung privat- und volkswirtschaftlich wünschenswerten Investitionen im Betrieb des Unfallrentners dient.
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- Wer das bestimmt? Das können wir beschließen; im übrigen werden wir ja bei der zweiten und dritten Lesung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes sowohl Vorschläge des Ausschusses als auch Anträge von Fraktionen wegen dieser Frage zu beraten haben.
Bei Erwerbsunfähigkeit soll das Sozialwerk Rehabilitationsmaßnahmen durchführen. Bei nicht wiederherstellbarer Erwerbsfähigkeit und Hofabgabe soll das Altersgeld vorzeitig gewährt werden. Bitte, meine Damen und Herren Sozialpolitiker, es handelt sich also um eine sehr einfache und praktisch sehr leicht durchführbare Gewährung einer Art Erwerbsunfähigkeitsrente. Das Altersgeld, das ja gesetzlich fixiert ist, soll nach unseren Vorschlägen bei Erwerbsunfähigkeit vorzeitig gewährt werden, wenn der Betrieb übergeben wird. Wird er nicht übergeben - damit begründe ich also schon unseren Gesetzentwurf auf Drucksache 901; so steht es dort -, soll nur die Hälfte des Altersgeldes gewährt werden. Wir meinen aber, daß auch in solchen Fällen eine Leistung gewährt werden soll, daß die soziale Lage in einem solchen Betrieb, in dem also der Betriebsinhaber, der Bauer, erwerbsunfähig ist, eine solche Leistung erfordert.
Rehabilitationsmaßnahmen sind in dem Entwurf der CDU/CSU auf Drucksache 904 nicht vorgesehen. Ich möchte gleich bei dieser Gelegenheit sagen, daß es für meine Begriffe und die meiner sozialpolitischen Freunde einfach unmöglich ist, eine Erwerbsunfähigkeitsrente einzuführen, ohne gleichzeitig die Möglichkeit von Rehabilitationsmaßnahmen einzuführen. Der Gang der Dinge muß der sein, daß man einen erwerbsunfähig gewordenen Landwirt zunächst wieder erwerbsfähig zu machen versuchen muß; erst dann, wenn sich herausstellt, daß das nicht mehr möglich ist, muß man ihm die Erwerbsunfähigkeitsrente gewähren; in diesem Falle also in Form eines vorzeitigen Altersgeldes. Es wäre nicht eine - von uns zu verlangende - treuhänderische Verwaltung der Steuergroschen, wenn wir eine solche Erwerbsunfähigkeitsrente in Form des vorzeitigen Altersgeldes an erwerbsunfähige Bauern und Landwirte gäben, ohne vorher zu versuchen, die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen. Das ist ein großer Mangel in dem Gesetzentwurf der CDU/CSU auf Drucksache 904.
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- Nein; es handelt sich tatsächlich, Herr Kollege Horn, um eine Erweiterung, um einen Ausbau dieser landwirtschaftlichen Altershilfe, und wir haben dieses Kapitel auch überschrieben: „Ausbau der sozialen Sicherung". Es ist das nicht mehr - Sie haben völlig recht! - eine landwirtschaftliche Altershilfe, wie sie 1959 eingeführt worden ist.
Unser Gesetzenwurf auf Drucksache 901 sieht auch die Einbeziehung der mithelfenden Familienarbeitskräfte, die keine Altersversorgung haben, in die landwirtschaftliche Altershilfe vor. Das ist die Wiederholung jenes Antrags, den ich vor 71/2 Jahren hier schon einmal begründet habe und den wir auch bei der Novellierung des Altershilfegesetzes im Jahre 1961 erneut eingebracht haben. Das steht also nun wieder in diesem Gesetzentwurf.
Wir meinen, daß wir an der Einbeziehung der mithelfenden Familienangehörigen nicht vorbeikommen, weil es sich da um einen wirklichen sozialen Notstand handelt, den es zu beheben gilt.
Das Altersgeld soll auch nach unserem Gesetzentwurf auf 100 DM monatlich für Verheiratete - ({7})
-- Meine Damen und Herren, ich bedaure, daß ich Ihre Geduld strapazieren muß, aber die Gesamtsumme - - Nein, Herr Kollege Bauer, soviel Courtoisie ich mich immer aufzubringen bemühe, ich kann Ihnen dies nicht ersparen. Es handelt sich hier um ein Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden DM. Wir können es vor unseren Wählern nicht verantworten, wenn wir mit einer so wichtigen, bedeutenden und finanziell so weitreichenden Angelegenheit hier ganz kurz und bündig verfahren. Das ist einfach ausgeschlossen, selbst auf die Gefahr hin, daß wir um 9 oder 10 Uhr nicht fertig werden. Es ist in diesem Falle wirklich nicht möglich.
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Wir fordern also die Erhöhung des Altergeldes auf die Beträge, die auch der Deutsche Bauernverband fordert: Erhöhung von 60 auf 100 DM für verheiratete Altersgeldempfänger und von 40 auf 65 DM für alleinstehende Altersgeldempfänger. In den 51/2 Jahren des Bestehens dieser landwirtschaftlichen Altershilfe sind die Renten der Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten um mehr als 30 % gestiegen. Trotzdem verzichten wir aus Gründen der Gesamtfinanzierung des landwirtschaftlichen Sozialwerks - aus diesem Sozialplan kommt eben auch eine neue Belastung auf die landwirtschaftlichen Betriebe zu - auf die Beantragung eines höheren Altersgelds, als es jetzt auch von Ihnen schon praktisch konzediert ist. Wir scheinen uns ja in diesem Hohen Hause von links bis rechts über diese Beträge - 100 DM für Verheiratete und 65 DM für Alleinstehende - einig zu sein. Ich will also kein Wort mehr darüber verlieren.
Aber wir schlagen vor, daß gebrechlichen Altenteilern - und das ist wieder ein sozialpolitischer Akzent -, solchen, die gelähmt sind, die also im Rollstuhl sitzen müssen und sich nicht mehr bewegen können, und solchen, die siech sind, die bettlägerig sind, eine Pflegezulage gewährt wird, und zwar in Höhe des halben Altersgeldes, d. h. Verheirateten 50 DM und Alleinstehenden 32,50 DM.
Bei Witwen scheinen wir uns, obwohl diese Förderung in den Gesetzentwurf der CDU/CSU nicht Eingang gefunden hat, auch weitgehend einig zu sein. Wenn ich Herrn Kollegen Berberich recht verstanden habe, begrüßt er diesen Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion, den Witwen das Altersgeld bereits dann zu geben, wenn sie Witwe werden, wenn sie ihren Gatten verlieren, und diese Bindung an das vollendete 60. Lebensjahr, die jetzt im Altershilfegesetz besteht, abzuschaffen.
Meine Damen und Herren, zur Durchführung dieses Sozialplans, all dieser Vorschläge bedarf es also einer Ergänzung, Änderung, Ausweitung, Verbesserung des Altershilfegesetzes, die wir Ihnen auf Drucksache IV/901 vorgeschlagen haben. Damit ist dann für diesen Antrag auch von mir und von der Fraktion der SPD aus die Begründung in der ersten Lesung gegeben.
Ferner wird ein Gesetz über die Einführung der, wenn ich so sagen darf, Krankenversicherungspflicht und über die Errichtung des landwirtschaftlichen Sozialwerks erforderlich werden. Wir werden auch eine gesetzliche Grundlage für die Erhöhung der I Unfallrenten brauchen. Bedingt würden wir sie nicht brauchen: Das wäre durch Satzungsrecht und auf dem Verwaltungswege durchführbar. Aber ich glaube, wir sollten doch bei bestimmten Dingen die Grenzen festsetzen, innerhalb deren sich die Selbstverwaltung zu bewegen hat.
Ich darf hier insbesondere an die Erhöhung der Unfallrenten auf das Niveau der Unfallrenten für die Landarbeiter erinnern. Da den landwirtschaftlichen Arbeitnehmern nicht zugemutet werden kann, das Risiko der Unternehmer teilweise mitzutragen; da sie ferner aber auch in den Landkrankenkassen versichert sind, die ja mit den Berufsgenossenschaften in den Alterskassen zu einer engen Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen sind, werden wir bei der Errichtung des Sozialwerks getrennte Selbstverwaltungsgremien für die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer, für die Selbständigen und vielleicht besonders für die mithelfenden Familienangehörigen schaffen müssen.
Hinsichtlich der Finanzierung orientieren sich unsere Vorschläge an dem schon genannten österreichischen Beispiel. Dort gibt der Staat zu jedem Schilling, den die Landwirtschaft für ihre Alterssicherung selber aufbringt, einen Schilling hinzu. Wir meinen aber, daß dieses Verhältnis aus Gründen der Unabhängigkeit der Selbstverwaltung nicht 1 : 1, sondern 51 : 49 sein sollte, daß die Landwirtschaft also 51 % der Kosten aufbringen, während der Staatszuschuß 49 % betragen sollte.
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Herr Kollege Berberich hat schon ausgeführt, daß die Bundesrepublik in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in sozialpolitischer Beziehung das Schlußlicht bildet. Dazu könnte ich noch Zahlen nennen; hier nur ganz wenige: Im Jahre 1963 gibt der französische Staat zur sozialen Sicherung der in der Landwirtschaft tätigen Selbständigen und Mithelfenden - nicht der Landarbeiter - 2,4 Milliarden DM aus. Die Landwirtschaft ist insgesamt mit knapp einem Drittel beteiligt.
Nun schlagen wir nicht vor, das französische Beispiel nachzuahmen, sondern - wie gesagt - ein Verhältnis von 51 : 49. Das würde bedeuten, daß die Landwirtschaft in Anbetracht dessen, daß sie bisher schon 415 Millionen DM für ihre soziale Sicherung selber aufbringt, dann noch 191 Millionen DM zusätzlich aufzubringen hätte, und daß 'der Bundeszuschuß, der bisher 92 Millionen DM beträgt - so steht es jedenfalls im Haushaltsplan -, um 507 Millionen erhöht werden müßte.
Wenn man davon ausgeht, daß zur Zeit 730 000 Betriebe Beiträge zu den Alterskassen zahlen, würde der Einzelbetrieb im Durchschnitt mit 245 DM im Jahr oder 20,40 DM im Monat belastet; zuzüglich der bisherigen Aiterskassenumlage von 12 DM und der Berufsgenossenschaftsumlage von 12 DM würde das 44,40 DM im Monat ausmachen. Diese Summe überschreitet zweifellos bei einer großen Zahl klein- und mittelbäuerlicher Betriebe die Grenze der Tragbarkeit. Deswegen haben wir die Teilung des Beitrags in einen allgemeinen gleichen Sockelbeitrag und einen zusätzlichen Beitrag vorgesehen, der nach der Betriebsgröße, nach dem Betriebsumfang gestaffelt ist. Wenn man ihn in einen allgemeinen Beitrag von 12 DM monatlich teilte, würde dieser nach dem Einheitswert gestaffelte zusätzliche Beitrag 5,5 pro Tausend des Einheitswertes dieser 780 000 landwirtschaftlichen Betriebe, die Beiträge an Alterskassen zahlen, ausmachen. Aber über diese Aufteilung läßt sich natürlich noch reden; das ist eine Frage der näheren Beratung und der Aushandlung.
Vielfach ist hier darauf hingewiesen worden, daß der Staat für andere Zweige der sozialen Sicherung erhebliche Aufwendungen macht. Wegen der fortgeschrittenen Zeit will ich Ihnen diese Zahlen bis auf eine ersparen; aber der Bergbau bekommt 1628 Millionen DM im Jahre 1963 von 2708 Millionen DM aus Zuschuß des Bundes für die knappschaftliche Rentenversicherung, das sind 60,12 %.
Nun, in dieser Beziehung ist der Bergbau als Urproduktion mit der Landwirtschaft vergleichbar. Die Beteiligung des Bundes mit 49 % an den Gesamtaufwendungen dieses landwirtschaftlichen Sozialwerks erscheint nicht nur wegen der Notwendigkeit der Herstellung gleicher Startbedingungen in der EWG berechtigt, sondern auch wegen ides großen Anteils der alten Lasten, über die Sie jetzt bei der Unfallversicherung so ausgiebig diskutiert haben, auch wegen des großen Anteils der Altenlast an den Aufwendungen des landwirtschaftlichen Sozialwerks, insbesondere bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Seit 1949, seit der vorletzten Betriebszählung, sind ja fast zweieinhalb Millionen
Menschen aus der Landwirtschaft abgewandert, und für viele von ihnen werden von den landwirtschaftlichen Betrieben noch jetzt Unfallrenten bezahlt. Von daher Altenlast!
Diese Beteiligung des Bundes mit 49 % erscheint zusätzlich vertretbar angesichts der Zahl dieser zweieinhalb Millionen Arbeitskräfte, die die Landwirtschaft in den vergangenen 12 Jahren an die gewerbliche Wirtschaft abgegeben hat, die dort einen bedeutenden volkswirtschaftlichen Beitrag leisten und zur Finanzierung der sozialen Sicherung der in der Landwirtschaft Verbliebenen - muß ich in diesem Falle sagen - eben nur noch als Steuerzahler, wie alle anderen Steuerzahler, beitragen können, die aber gleichermaßen einen volkswirtschaftlichen Nutzen aus dieser kräftigen Zuwanderung aus der Landwirtschaft ziehen.
Meine Damen und Herren, wir schlagen im Rahmen dieses landwirtschaftlichen Sozialplans noch einige weitere Maßnahmen vor. Eine von ihnen hat ihren Niederschlag in dem Antrag auf Umdruck 178 gefunden. Vielleicht nehmen Sie diesen Antrag einmal zur Hand. Dort wird vorgeschlagen, einen Betrag von 30 Millionen DM bereitzustellen, aus dem besondere Hilfen bei vorzeitiger Abgabe landwirtschaftlicher Kleinbetriebe zu Zwecken der Agrarstrukturverbesserung gewährt werden sollen.
Die landwirtschaftliche Altershilfe wurde 1957 ja nicht in erster Linie als eine sozialpolitische, sondern als eine agrarpolitische Maßnahme angesehen. Ich habe deswegen oft die Klingen mit dem Herrn Bundesminister an dieser Stelle gekreuzt. Die landwirtschaftliche Altershilfe hat bekanntlich auch sehr wünschenswerte agrarstrukturpolitische Folgen gezeitigt. Die Voraussetzungen, unter denen das Altershilfegesetz im Jahre 1957 geschaffen wurde, nach dem zu der bestehenden Naturalversorgung des Altenteilers aus einem weiterbestehenden Betrieb ein zusätzliches Bargeld zu gewähren ist, sind wegen der Auflösung vieler landwirtschaftlicher Betriebe nicht mehr in vollem Umfang gegeben.
Im übrigen hat die Erfahrung mit der landwirtschaftlichen Altershilfe gelehrt, daß es zusätzlicher Maßnahmen zur Erleichterung der Hofabgabe und des Anreizes zur Hofabgabe und zur beruflichen Umstrukturierung bedarf. Solche Maßnahmen schlagen wir vor in Form von sozialen Hilfen für alte Landwirte, die ihren Beruf gern aufgeben möchten, aber keine andere Erwerbstätigkeit mehr aufnehmen können, beispielsweise solche Landwirte, die schon 70 oder 75 Jahre alt sind und an der Bewirtschaftung ihres landwirtschaftlichen Kleinbetriebes festhalten, weil sie daran festhalten müssen, weil sie nämlich von dem doch sehr niedrigen Altersgeld, selbst wenn sie für das verpachtete Land, das sie besitzen, noch eine Pacht beziehen, nicht leben könnten, sondern verhungern müßten.
Diese Maßnahmen wären eine echte Aufgabe der Agrarstrukturverbesserung. Sie könnten von den Siedlungsträgern, den Landgesellschaften, den Gesellschaften zur Verbesserung der Agrarstruktur durchgeführt werden. Zu diesem Zweck, meinen wir, meine Damen und Herren, sollten wir in den Grünen Plan 1963 erstmalig einen Betrag von 30 Millionen DM einsetzen.
Diese Vorschläge sollen wirklich - um mich eines Ausdrucks des Kollegen Lücker zu bedienen - der Landwirtschaft helfen, den Anpassungsprozeß durchzustehen. So hat er hier heute von dieser Stelle aus gesagt. Er hat gesagt, wir müßten geeignete Mittel finden, um der Landwirtschaft zu helfen, den Anpassungsprozeß durchzustehen. Genau das ist die Absicht dieser sozialdemokratischen Vorschläge, die da landwirtschaftlicher Sozialplan genannt sind. Und wenn der Kollege Dr. Effertz sich vorhin an uns gewandt und gesagt hat: Auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben doch in den vergangenen zwölf Monaten keine Vorschläge für eine neue Konzeption gemacht -, bitte schön, hier haben Sie nun mindestens auf diesem Teilgebiet eine neue Konzeption, eine umfassende Konzeption, die praktikabel, leicht überschaubar, durchführbar und finanziell tragbar ist und die gerade in der gegenwärtigen Situation vor dem Hintergrund dieses erschütternden Grünen Berichtes durchgeführt werden sollte.
Wir beantragen deswegen auf Umdruck 179, daß man den in Einzelplan 10 Kap. 10 02 vorgesehenen Titel 608 - da heißt es wohl „Zuschüsse zur Förderung, der Altershilfe für Landwirte" - ändern solle und ihn bezeichnen solle als „Maßnahmen der sozialen Sicherung". Der Ansatz von 92 Millionen DM, der dort vorgesehen ist, soll um 245 Millionen DM aufgestockt werden. Dieser Betrag von 245 Millionen DM setzt sich aus zwei Teilbeträgen zusammen, zunächst aus einem Betrag von 175 Millionen DM, der benötigt würde, um die in dem Gesetzentwurf Drucksache IV/901 - Altershilfe für Landwirte - geforderten Maßnahmen ab 1. April dieses Jahres durchführen zu können. Dazu brauchen wir den Betrag von 175 Millionen DM. Der zweite Teilbetrag von 70 Millionen DM wird gebraucht, um ab 1. Juli dieses Jahres die landwirtschaftlichen Unfallrenten auf die Höhe der Unfallrenten für ehemalige Landarbeiter anzuheben. 175 Millionen DM plus 70 Millionen DM machen 245 Millionen DM.
Wir stellen noch keine Anträge zur Finanzierung des Krankheitsschutzes. Insgesamt kostet das 378 Millionen DM. Gleichzeitig mit der Einführung des vollen Krankheitsschutzes, also sagen wir, mit der Krankenversicherungspflicht für die Selbständigen und die Mithelfenden, müssen wir ja das Sozialwerk errichten. Dazu müssen wir einen Gesetzentwurf vorlegen, den zu erarbeiten naturgemäß einige Zeit dauert; denn das wird ein komplizierter Gesetzentwurf. Wir sind nicht sicher, daß wir das noch in diesem Jahre 1963 'bis zur Verabschiedung bringen. Aus diesem Grunde ist sowohl auf die Beantragung eines Staatszuschusses für den Krankheitsschutz als auch schon auf die Beteiligung der Landwirtschaft an den Kosten dieses Sozialwerks im Jahre 1963 verzichtet worden.
Damit komme ich zum Schluß. Meine Damen und Herren, nach (der Auffassung meiner Fraktion und meiner Partei stellt dieser Sozialplan, stellen diese Vorschläge, die Ihnen zu unterbreiten ich die Ehre hatte, einen wichtigen Schritt auf dem Wege zur
l Integration der deutschen Landwirtschaft in die Industriegesellschaft wie auch in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft dar. Er wird der Landwirtschaft helfen, diesen harten Anpassungsprozeß durchzustehen, wie es der Kollege Lücker formuliert hat. Er stellt auch einen Beitrag zur Erfüllung des Landwirtschaftsgesetzes dar, das ja die Angleichung der sozialen Lage der in der Landwirtschaft Tätigen an die vergleichbarer Berufsgruppen fordert.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erschrecken Sie nicht. Ich möchte sie nicht mehr sehr beanspruchen; denn in Bayern gibt es ein Sprichwort: Den letzten beißt jemand. Ich möchte es nicht weiter ausführen. Nach so viel großen Vorhaben, die jetzt gerade auch noch vom Herrn Kollegen Frehsee vorgebracht worden sind, möchte ich meinen, daß die Arbeitsämter in Zukunft wegen des Antrags über die soziale Sicherheit mit Anträgen für die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte überfüllt sind. Da wird sich wenigstens dieses Problem noch in Wonne lösen lassen. Aber die Realität wird wohl auch beim Sozialplan anders sein.
({0})
- Ich will nicht scherzhaft fortfahren. Gnädige Frau, ich freue mich, Sie aufgemuntert zu haben. Es ist immerhin noch ein Erfolg zu später Stunde.
Bei all dem stehen wir wiederum vor einem Problem, das die Landwirtschaft vielleicht zutiefst fühlt und daher auch mit Sorge betrachtet, daß nämlich zwischen dem Gesetz und der Wirklichkeit, der Praxis ein großer Unterschied ist. Darin besteht eigentlich die Irrealität in der Agrarpolitik. Um es konkret zu sagen: welch große Hoffnungen ruhten auf dem Landwirtschaftsgesetz, welch große Hoffnungen beruhten auf dem Art. 39 des EWG-Vertrages! Und das Faktum ist eine immer mehr gesteigerte Disparität. Das ist das Problem, das wir uns sehr ernsthaft überlegen müssen.
Wir Freien Demokraten werden die Pläne, die die soziale Gleichstellung bezwecken, wohlwollend prüfen und durchaus unterstützen. Ich darf kurz einblenden, daß wir vor zwei Jahren schon einmal die Altersversorgung anheben wollten. Wir haben uns jetzt dem Antrag der CDU-Fraktion angeschlossen. Aber ich glaube, wir sollten den Schwerpunkt nicht so sehr verlagern, sondern dabei bleiben, daß der bäuerliche Betrieb eine wirtschaftliche Einheit ist und als wirtschaftliches Unternehmen jedem anderen Betrieb innerhalb unserer Volkswirtschaft gleichgestellt sein muß.
({1}) Das ist das Kernproblem.
Ich möchte nur einige wenige Worte zum Grünen Plan sagen. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß der Strukturwandel in Mehrjahresplänen fixiert werden sollte. Das ist ein altes Anliegen von uns. Wir glauen, daß wir hier auf lange Sicht planen
müssen und daß alle, die mit dem Strukturwandel zu tun haben, dieses langfristige Vorhaben kennen und auch wissen müssen, welche Gelder hier zur Verfügung stehen. Sosehr wir es auch unterstützen, daß der Grüne Plan in diesem Jahr bereinigt und stärker gegliedert wurde, würden wir es aus 'diesem Grunde besonders 'begrüßen, wenn es gelänge, die Flurbereinigung, die Aufstockung und Aussiedlung in ein langfristiges Programm umzuwandeln, ähnlich wie wir es z. B. beim Straßenverkehr haben.
Bei all diesen Dingen, die heute die Landwirtschaft berühren, spielt auch das Problem des Standorts und der Marktferne eine Rolle. Das ist ein Problem, das gerade uns aus den südlichen und nördlichen Gefilden, die Kollegen aus Bayern und Schleswig-Holstein berührt. Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt - darauf darf ich noch kurz eingehen -, in idem wir die Bundesregierung bitten, zu prüfen, inwieweit 'durch eine Frachtsenkung eine Möglichkeit geschaffen werden kann, den Absatz von Veredelungsprodukten zu fördern. Wir glauben, daß dieser Antrag besonders dringlich ist, nachdem Ihnen bereits Kollege Logemann vorgerechnet hat, daß wir erneut allein durch den augenblicklichen Preisverfall bei Schlachtrindern Einbußen in Höhe von 200 Millionen DM zu verzeichnen haben.
Wir werden in der Zukunft auch alle Pläne mit sehr großer Kritik betrachten müssen, die die Produktion zum günstigen Standort verlagern wollen; denn das würde der Schlußstrich unter eine Kulturpolitik sein. Vor Tausenden von Jahren sind in allen entfernten Gebieten Kolonisatoren eingedrungen und haben eine Kulturlandschaft aufgebaut. Es wäre verheerend, wenn es ausgerechnet der Industriegesellschaft vorbehalten bliebe, diese kulturelle Entwicklung, die eine eigenständige Landschaft geformt hat, zum Einbruch zu bringen, indem man sagt: Das sind Grenzertragsgebiete; sie müssen durch Aufforstung wieder in den Urwald zurückgeführt werden. Dagegen werden wir immer unsere Bedenken anmelden.
Noch ein Wort zum Kredit. Wir begrüßen es, daß es zu einem einheitlichen Kreditprogramm gekommen ist. Wir hoffen, daß es auf dem Gebiet der Kredite und der Beihilfen zu einer Einheit kommt, weil wir der Meinung sind, daß dadurch ein echter Betriebsentwicklungsplan zustande kommt.
Lassen Sie mich mit folgender Bemerkung schließen. Es geht heute darum, unserer Jugend in den Dörfern wieder Hoffnung zu machen. Das Problem in der Landwirtschaft besteht nämlich darin, daß zwar die Alten noch bleiben, daß aber die Jungen bereits weggehen oder im Weggehen begriffen sind. Diese Hoffnung müssen wir durch eine konstruktive Agrarpolitik begründen, in der auch die Preispolitik nicht ausgeklammert werden kann - trotz EWG. Das ist unsere Auffassung. Diesen Appell richten wir an die Bundesregierung, und wir werden von der Fraktion her alles tun, um die Bundesregierung hierbei zu unterstützen. Wir haben vielleicht im Zuge der Agrarpolitik der EWG auch auf diesem
Sektor eine kleine Atempause, die wir benutzen können.
({2})
- Wir haben es bewiesen durch unseren Milchpreisantrag, und ich freue mich, Herr Kollege Schmidt, daß Sie uns gefolgt sind. Das beweist wohl, wie sehr auch bei Ihnen heute die Erkenntnis durchgedrungen ist, daß es ohne eine aktive Preispolitik auf die Dauer keine gute Agrarpolitik gibt.
({3})
Lassen Sie mich damit zum Schluß kommen. Wir werden die sozialen Pläne mit Wohlwollen prüfen. Wir hoffen, daß das kommende Jahr für unsere Landwirtschaft ein gutes Jahr sein wird; denn es ist bereits so weit, daß der Erfolg der Landwirtschaft davon abhängt, ob eine bessere oder schlechtere Ernte zu erwarten ist. Ich glaube, das ist kein guter Zustand. Wir sollten dafür sorgen, daß auch bei einer nicht allzuguten Ernte die Sicherung des Einkommens ermöglicht wird. Wir hoffen aber insbesondere, daß wir uns bei 'der Beratung des nächsten Grünen Plans nicht erneut über eine schlechte Ernte zu unterhalten haben. Wir hoffen, daß es uns möglich sein wird, den Grünen Plan in 'den Ausschußberatungen in einen guten Segen umzuwandeln, nicht für den sozialen Bereich, sondern zur Erhaltung von guten und schönen Bauernhöfen.
({4})
Das Wort hat der Herr Bundesernährungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ernste Lage, die aus dem Grünen Bericht, den die Bundesregierung dem Hohen Hause vorgelegt hat, spricht, zog sich durch die Diskussion hin, die wir sieben Stunden lang hier geführt haben. Ich darf dafür danken, daß alle, die hier gesprochen haben, die bestehenden Fragen so behandelt haben, wie sie es getan haben, nicht etwa in irgendeiner aufgebauschten Form, sondern so sachlich und ernsthaft, wie es notwendig ist.
Natürlich bekommt der Landwirtschaftsminister bei solcher Gelegenheit dieses oder jenes aufgetischt, diese oder jene Kritik zu hören. Ich höre 'sie gerne, und dreieinhalb Jahre meiner Tätigkeit waren nicht dazu angetan, mich irgendwie empfindlich werden zu lassen.
({0})
Aber ich darf auch 'feststellen, daß das, was hier gesagt wurde, mir mancherlei Anregung für künftige Grüne Pläne oder auch für Maßnahmen innerhalb der Agrarpolitik gegeben hat.
Ich bin aber auch sehr froh darüber, daß allgemein anerkannt wurde, daß dieser Grüne Bericht besonders gründlich aufgestellt wurde. Ich danke Ihnen dafür, daß Sie das anerkannt haben, darf aber vor allen Dingen auch meinen Mitarbeitern für die immense Arbeit danken, die jedesmal mit dieser
Aufstellung des Grünen Berichtes und Grünen Plans verbunden ist.
({1})
Natürlich hat auch heute wieder dieses oder jenes am Grünen 'Bericht nicht so zugesagt, wie wir es eigentlich gewünscht hätten. Hier meldet sich ja immer unser verehrter Kollege Herr Logemann zu Wort. Lieber Herr Kollege Logemann, auf Seite 16 bis 21 des Berichts haben wir bereits damit begonnen, einiges über die EWG mitzuteilen. Wir sind gerne bereit, die Dinge in jenem Maße auszubauen, idas den Notwendigkeiten entspricht. Ich möchte aber nicht, daß der Grüne Bericht erheblich an Umfang zunimmt; denn lezten Endes soll es ja kein Lexikon werden.
({2})
Auf der anderen Seite darf ich eine Anregung aufgreifen, die mir sehr wichtig erscheint, nämlich Ihre Anregung, den Anteil, den der Erzeuger an der Entwicklung der Verbraucherpreise erhält, etwas näher zu demonstrieren, Wir werden die Angelegenheit prüfen.
Aber auch heute vermag ich Ihrem immer wieder vorgebrachten Wunsch, den Stundenlohnvergleich anzuführen, nicht zu folgen. Herr Kollege Logemann, Ihnen zuliebe 'bin ich bis in die letzte Instanz in dieser Angelegenheit gegangen, auch ohne innere Überzeugung, und bin dort nicht zu Rande gekommen. Ich darf Ihnen sagen, daß dieses Thema nun ein für allemal für mich abgeschlossen ist. Es ist nicht Sache des selbständigen Unternehmers, sich auf einen Vergleich mit dem Arbeitsstundenlohn eines Arbeitnehmers einzulassen oder hineingezwängt zu werden.
({3})
Hier liegen ungleiche Voraussetzungen vor. Wir sollten von diesem Thema jetzt Abstand nehmen. Ich glaube aber, daß sonst 'doch insgesamt interessante Zahlen zu lesen sind, und insofern, meine ich, haben wir 'das getan, was möglich ist.
Dann sind zum Teil die Preise kritisiert worden. Hier möchte ich nur auf ein Gebiet zurückkommen, das mir natürlich auch sehr am Herzen liegt, und das sind die Rinderpreise. Meine Damen und Herren, Sie könnten der Meinung sein, hier wäre vielleicht von unserem Hause irgend etwas unterlassen worden. Aber ich darf Ihnen folgende Zahlen vorlesen. Wir haben eine Netto-Einfuhr gehabt von 167 000 t gegenüber 178 000 t im Vorjahre, also 1962 weniger als 1961 eingeführt. Wenn ich Ihnen sage, daß dennoch die Einfuhr- und Vorratsstelle fast das Dreifache aufgenommen hat, daß diese Aufnahme die Kapazität der Schlachthäuser und auch der Lagerräume bis an die letzte Möglichkeit ausgenutzt hat - daß einfach nicht mehr aufzunehmen war, selbst wenn das Geld gelangt hätte - -({4})
- Ja, zunächst, aber die Hähnchen nahmen an Menge ab, und dann wurden Rinder eingelagert.
Auf jeden Fall war es so, daß auch von dieser Seite aus alles getan wurde, und die in jüngster Zeit vereinbarten Handelsverträge mit einigen Nachbarn sollten mit dazu beitragen, daß wir auf diesem Gebiet in den nächsten Monaten wieder zu normalen Verhältnissen kommen, was mir deswegen besonders am Herzen liegt, weil auch die auf uns wartende Rindfleischmarktordnung in ihrer Preisgestaltung von dem abhängig sein könnte, was wir an Preisen zu verzeichnen haben.
Herr Kollege Bading hat von diesem Platze aus verschiedene Äußerungen getan, die ich sehr unterstreiche. Er hat insonderheit festgestellt, daß die Gesamtsituation unserer Landwirtschaft weitestgehend von den Verhältnissen abhängig ist, unter denen wir nun einmal leben müssen, von der technischen Entwicklung, von dem Sog, der von dort ausgeht, kurz, von all diesen Fragen, die uns letzten Endes bekannt sind. Ich sage das nur deswegen, weil Herr Kollege Dr. Schmidt offenbar nicht ganz dieser Auffassung ist.
Denn er hat gemeint, daß eine falsche Agrarpolitik große Chancen unserer Landwirtschaft nicht genutzt habe und wir wieder einmal ein Jahr verloren hätten. Ich möchte nur das eine feststellen: Wir haben nicht etwa unter einer mangelnden Konzeption in irgendeiner Form gelitten. Wenn man für die Struktur zunächst mit 250 Millionen DM vor acht Jahren begonnen hat und heute 950 Millionen DM zur Verfügung stellt, dann sieht man doch sehr klar, daß wir die Konzeption haben, zunächst das Gerüst unserer Landwirtschaft so weit in Ordnung bringen zu lassen, wie es überhaupt nur angeht.
({5})
Wenn wir daneben die Kreditverbilligungsmittel, die mit 60 Millionen DM begonnen haben, auf 300 Millionen DM gesteigert haben - für Kredite, die heute nur noch 3 % kosten und die für die verschiedensten Zwecke zur Verfügung stehen -, so haben wir damit, glaube ich, jene Richtung in die Zukunft gewiesen, von der Herr Frehsee und Herr Bading mit Recht sprachen: daß wir nämlich unter allen Umständen daran denken müssen, durch eine bessere 'Gestaltung unserer Gesamtwirtschaftsverhältnisse auch innerbetrieblicher Art dafür Sorge zu tragen, daß wir unser Vieh besser halten, bessere Ergebnisse in der Mast, in der Milchgewinnung und all diesen Dingen haben. Ich glaube, daß wir hier doch sehr klar zu erkennen geben, wohin die Reise gehen soll und gehen muß.
Wenn wir für die Marktfragen in diesem Jahre ebenfalls erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt haben - in den letzten Jahren in verschiedenen Positionen aber auch bereits -, so geben wir damit einem Wunsche Raum, der nicht nur aus den Kreisen der Landwirtschaft immer wieder gekommen ist, sondern wir erfüllen hiermit eine Verpflichtung, die wir angesichts der Konkurrenz anderer Länder selbstverständlich erfüllen müssen. Man kann aber nicht den deutschen Markt und die daraus resultierenden Maßnahmen mit jenen Märkten vergleichen, die als Exportmärkte eine völlig andere Struktur haben. Ich kann einen Angebotskeil durch Maßnahmen so stärken, daß er sich dann in das Importland hineinbohrt; ich kann, wie z. B. Holland, einen Teil der Ware bester Qualität so ausrüsten, daß er in jeder Beziehung attraktiv wirkt. Aber wie ungleich schwerer ist es, das breite Angebot innerhalb unseres Landes gegenüber diesem Angebotskeil so zu gestalten, daß es in jeder Beziehung wettbewerbsfähig ist. Da gibt es erhebliche Unterschiede, und das sollte man sehen. Natürlich soll man nicht in der Anstrengung nachlassen, sondern muß das Äußerste tun, um konkurrieren zu können.
Herr Kollege Dr. Schmidt hat darauf hingewiesen, daß das Land Schleswig-Holstein erheblich mehr getan habe, als der Bund getan hat. Ich darf darauf hinweisen, daß es in Schleswig-Holstein insonderheit der Berufsstand war, der sich dort sehr geregt hat, und hier wiederum die berufsständische Organisation, und zwar, Herr Dr. Schmidt, die große berufsständische Organisation, der es zu verdanken ist, daß man unter Einbeziehung aller Möglichkeiten Butterwerke und Schlachthäuser oder was sonst noch alles geschaffen hat. Selbstverständlich haben wir jene Hilfe gegeben, die wir in solchen Fällen gern geben, insbesondere aber auch dann, wenn es sich um Unternehmungen handelt, die auch andere Teile der mittelständischen Wirtschaft einbeziehen. Dem Tätigkeitsdrang anderer Länder auf diesem Gebiet ist in gar keiner Form irgendein Hindernis entgegengesetzt. Im Gegenteil, ich freue mich, irgendwo die Maßnahmen und den Selbsthilfewillen der Landwirtschaft unterstützen zu können.
Dann ist der Versuch gemacht worden, eine gewisse Differenz zwischen meinem Staatssekretär und mir herauszustellen. Das ist allerdings ein Versuch am falschen Objekt. Herr Kollege Dr. Effertz hat das für einen Teilbereich schon richtiggestellt. Ich meinerseits darf nur sagen: Was den Getreidepreis angelangt, so sind wir völlig derselben Meinung. Lediglich in der Frage, welches der beste Weg ist, den wir zu beschreiten haben, glaubte der Herr Staatssekretär - wie ich meine, auch mit einigem Recht - darauf hinweisen zu müssen, daß immerhin überlegt werden muß, ob man im Wege eines zeitigen Akkords oder aber auf anderem Wege die richtige Möglichkeit ausnutzt. In der Frage des Beitritts Englands zur EWG haben wir uns durch nichts unterschieden. Es ist doch so, daß wir unserer Landwirtschaft klarmachen wollten, daß, abgesehen von den großen politischen Notwendigkeiten, die ich unter gar keinen Umständen eingeschränkt sehen möchte, agrarpolitisch gesehen für die Landwirtschaft nicht unerhebliche Nachteile aus einem Beitritt Englands erwachsen. Dies auszusprechen, scheint mir eine Notwendigkeit zu sein, insonderheit wenn man an vergangene Dinge denkt, die, wie ich meine, der Landwirtschaft nicht immer in voller Klarheit gesagt worden sind. Ich glaube deshalb, daß wir auch hier diese Dinge vertreten und uns in jeder Beziehung der Landwirtschaft gegenüber so verhalten sollten, daß sie klarsieht.
Ich habe den Eindruck gehabt, Herr Dr. Schmidt, daß Sie eine nicht unerhebliche Möglichkeit sehen, mit anderen Konzeptionen zu kommen. Jedenfalls wäre ich dankbar gewesen, nicht zuletzt natürlich im Interesse der Landwirtschaft, wenn Sie einiges davon auch verraten hätten. Aber wenn Sie das Geheimnis nur an einem kleinen Zipfel gelüftet haben, indem Sie davon sprachen, daß wir den Kopf nicht in den Sand stecken sollten, daß die Getreidepreise eben heruntergehen müßten, weil das nun einmal notwendig sei, so kann ich nur sagen: Lassen Sie Ihre Wundertüte verschlossen; denn daran ist uns dann nichts gelegen.
({6})
Lassen Sie mich noch kurz auf das eingehen, was zur Frage der neuen sozialen Sicherung gesagt worden ist. Ich bejahe und begrüße soziale Verbesserungen. Aber ohne auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich doch davor warnen, soziale Verbesserungen in jenem Maße einzuführen, das das Bewußtsein der Eigenverantwortlichkeit in unserem Bauernstand lähmt.
({7})
Meine Damen und Herren, in dem Augenblick, in wir das tun, haben wir keinen Bauern mehr; denn die Grundlage unseres Bauerntums ist nun einmal das Recht und die Pflicht, dafür zu sorgen, daß nicht nur Haus und Hof und Vieh und Feld gut verwahrt sind, sondern auch die eigene Person.
({8})
- Herr Kollege Frehsee, es gibt gewisse Grenzen. Ich will sie hier nicht abstecken. Ich könnte es auch gar nicht. Ich bin nicht sachverständig genug. Aber töten Sie den Willen der Bauern nicht, unter allen Umständen für sich zu sorgen!
({9})
Sie haben ein Wort gefunden, von dem ich nicht recht weiß, ob ich es falsch verstanden habe. Sie haben nämlich gesagt, daß die Differenz von 2300 DM zwischen den Löhnen vergleichbarer Industrie- und Landarbeiter, die in diesem Grünen Bericht aufgetaucht ist, im wesentlichen auch - ich habe es mir aufgeschrieben - auf Unverständnis sozialen Fragen gegenüber beruhe. Habe ich es falsch verstanden, dann bitte ich um Entschuldigung. Ich meine aber, man sollte die Dinge hier ganz anders sehen. Die Differenz liegt einfach in dem Überdruck der Ware in der freien westlichen Welt begründet, unter dem wir leiden. Die landwirtschaftlichen Güter werden in solcher Menge produziert, daß wir eben keine Möglichkeit mehr haben, über den Preis eine Deckung der Unkosten zu erreichen. Daher begeben wir uns nun auf alle möglichen Gebiete, um unserer Landwirtschaft auf anderen Wegen beizustehen.
Wenn es uns nicht gelingt, in der weiten Welt Verständnis dafür zu wecken, daß nur ein Fortfall der Subventionen dort, wo sie übertrieben und weit höher als bei uns gezahlt werden, Abhilfe schaffen kann, dann werden wir hier in jedem Jahre über
weitere Subventionen zu beraten haben. Wenn es aber möglich ist, durch den Wegfall von Subventionen dort, wo sie in höherem Maße gegeben werden, eine Einschränkung der Produktion zu erreichen, wenn es uns gelingt, zu einem Ausgleich zu kommen, ja, wenn wir davon träumen, daß wir nur 0,5 % weniger erzeugen, als wir verbrauchen, dann brauchten wir hier nicht über Grüne Pläne zu sprechen, auf die unser Bauer letzten Endes überhaupt nicht erpicht ist; denn er möchte wie, sagen wir einmal, andere Dienstleistungsbereiche lieber das erhalten, was ihm zusteht.
({10})
Ich darf zum Schluß nur das eine sagen: Keiner von uns sollte glauben, daß sich auf die Dauer eine Landwirtschaft erhalten läßt, wenn nicht eine echte Rentabilität vorhanden ist.
({11})
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Überweisung der Vorlagen. Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, Drucksache IV/901, soll an den Ausschuß für Sozialpolitik - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie den Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Mit dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Drucksache IV/904, soll ebenso verfahren werden: Ausschuß für Sozialpolitik federführend, Ernährungsausschuß und Haushaltsausschuß mitberatend. Einverstanden? - Kein Widerspruch; so beschlossen.
Hinsichtlich der Anträge liegen bis auf einen interfraktionelle Vereinbarungen vor.
Ich rufe zunächst die Anträge Umdruck 178, 179, 180 *), 181 *) und 182 auf. Diese Anträge sollen an den Haushaltsausschuß - federführend - sowie an den Ernährungsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. - Kein Widerspruch; so beschlossen.
Der Antrag Umdruck 184 **) soll an den Verkehrsausschuß - federführend - sowie an den Ernährungsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 185***) ist vorgeschlagen: Ernährungsausschuß federführend, Haushaltsausschuß mitberatend. Der Haushaltsausschuß hat mir einen Brief geschrieben, wonach er den Antrag zur federführenden Behandlung überwiesen haben und den Ernährungsausschuß mitberatend beteiligt sehen möchte.
({0})
*) Siehe Anlagen 6 und 7 **) Siehe Anlage 9
***) Siehe Anlage 10
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
- Was heißt „geht nicht"? Machen wir keinen langen Streit: Wer dafür ist, daß dieser Entschließungsantrag Umdruck 185 federführend vom Ernährungsausschuß behandelt wird, den bitte ich um ein Handzeichen. -- Gegenprobe! Das bedeutet: für den Haushaltsausschuß plädieren. Wer also dafür ist, daß der Haushaltsausschuß federführend ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das sind einige wenige wackere Streiter.
({1})
Man muß auch in vorgerückter Stunde den Mut zur Minorität haben, wenn es darauf ankommt. - Also gut, der Antrag Umdruck 185 ist überwiesen: Ernährungsausschuß federführend, Haushaltsausschuß mitberatend.
Der Antrag Umdruck 186 *) soll ebenfalls an den 1 Ernährungsausschuß - federführend - sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung für heute.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 15. Februar, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.